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German Pages 590 [592] Year 1999
Steffen Martus Friedrich von Hagedorn - Konstellationen der Aufklärung
Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Herausgegeben von
Ernst Osterkamp und Werner Röcke
15 (249)
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999
Friedrich von Hagedorn Konstellationen der Aufklärung
Steffen Martus
W G DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnabme Martue Steffen: Friedrich von Hagedorn — Konstellationen der Aufklärung / von Steffen Martus. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1999 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; 15 = (249)) Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1998 ISBN 3-11-016623-2
ISSN 0946-9419 © Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 1998 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation unter
dem Titel Friedrich von Hagedorn • Konstruktionen der Aufklärung angenommen. Für den Druck habe ich sie leicht überarbeitet und gekürzt. Mein Dank gilt der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die diese Arbeit durch ein Promotionsstipendium unterstützt hat. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der Landesbibliothek Karlsruhe, der Staatsbibliothek zu Berlin, des Schiller-Nationalmuseums und Deutschen Literaturarchivs Marbach, der Handschriftenabteilungen der Bibliotheca Albertina in Leipzig sowie der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg haben durch ihre Hilfsbereitschaft maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Insbesondere Prof. Dr. Horst Gronemeyer und Marion Sommer haben meine Untersuchung großzügig und unkompliziert gefördert. Ohne die Bibliothek des Instituts für Literaturwissenschaft der Universität Karlsruhe wäre vieles noch schwieriger gewesen. Prof. Dr. Albert Meier und Bernhard Klöckener möchte ich für ihre wertvollen Hinweise danken. In besonderem Maße bin ich Prof. Dr. Ernst Osterkamp für die Betreuung und Unterstützung meiner Arbeit verbunden - woher er seine akademischen Nebenstuiiden nimmt, wird mir ein Rätsel bleiben. Ohne den Rückhalt meiner Eltern und ohne Claudia Stockinger wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ihnen ist sie gewidmet. Berlin, im Frühjahr 1999
Steffen Martus
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
V
1. Einleitung
1
1.1 Hagedorn-Forschung 1.2 Werkbesichtigung
7 18
Juvenilia und Kasualcarmina (18) - Versuch einiger Gedichte, oder Erlesene Proben Poetischer Nehen-Stunden (21) - Hagedorn als Publizist, Herausgeber und Beiträger (22) - Fabeln und Erzählungen (26) - Oden und Lieder (32) Moralische Gedichte (36) - Epigrammatik (39) - Poetische Werke (42).
1.3 Hagedorns Leben
42
2. Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
51
2.1 Die Freuden der Tradition
61
2.2 Die Freuden der Imagination
68
2.3 Die Freuden der Aufklärung
74
2.4 Die Freuden der Kenner
82
3. Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
91
3.1 Wissen und Handeln
98
Die Geburt des Autors in den Nebenstunden (99) - Anfänge I: Hagedorns „Betrachtung" der „Menschlichen Seele" (108) - Anfänge Π: Galanterie und Pedanterie - Hagedorn als Patriot (118) - Gewissenhafte Beobachter: Weise, Satiriker (128) - Anmerkungen als Beobachter (134) - Zusammenfassung (141).
3.2 Verbesserungsästhetik Die Verbesserungsästhetik im Versuch einiger Gedichte (144) - Alterslehre und Selbstkritik (152) - Zusammenfassung (171).
143
Inhaltsverzeichnis
Vili
4. Hagedorns poetische Gesellschaft
173
4.1 Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft
177
Geschriebene Freundschaften (177) - Witz und H e r z (184) - Natürlichkeit und Lust der Freundschaft (190) - Geselligkeit und Freundschaft (195) Gegenbilder (202) - Vor- und Gegenbild: Der Weise (207) - Freunde in der Einsamkeit (211) - Zusammenfassung (221).
4.2 Freundschaft und Kritik
222
Unparteiische Perspektiven (225) - Biographien (233) - Freundschaft und Moral (240) - Zürich - Hamburg - Leipzig (244) - Dresden (250) - Leipziger Bremer (260) - Traditionsverhalten I: Nachruhm, Aemulatio, Auslegung, Ubersetzung (270) - Traditionsverhalten Π: Historia und Querelle (288) - Zusammenfassung (294).
4.3 Hagedorns poetische Briefe
296
Gespräche über Kleinigkeiten (298) - Natürliche Briefe (301) - Brief und Poesie (309) - Zusammenfassung (321).
5. Hagedorns Religion
323
5.1 Privat-, Literatur- und Kirchenpolitik in der besten Welt
328
Hagedorns Allgemeines Gebeth (329) - Streitbare Christen und friedliche Weise (345) - Der handelnde Gott (359) - Der handelnde Weise (369) Zusammenfassung (376).
5.2 Religion und Poesie
378
Klopstock (378) - Anakreontischer Deismus (396) - Zusammenfassung (415).
6. Hagedorns Natur
417
Topo(s)graphie: Die Alster (420) - Beschreibungen (433) - Vorbildliche Natur (447) - Die N a t u r als Innenraum (458) - Die Poesie der Natur und die N a t u r der Poesie (466) - Zusammenfassung (486).
7. Die Poesie des Weins
489
7.1 Poesie und Wein
491
7.2 Anthropologie und Wein
513
Literaturverzeichnis
535
Abkürzungen
535
Autographen
536
Hagedorns Werke
536
Primärliteratur
541
Sekundärliteratur
561
1. Einleitung
„Hagedorn, Friedrich von; 1708 bis 1754, zu seiner Zeit namhafter deutscher Dichter" 1 - das ist ebenso prägnant wie voraussetzungsreich formuliert. Im folgenden geht es um eben diese Voraussetzungen. Die Leitfrage lautet: Was eigentlich war Hagedorns „Zeit"? Zunächst einmal war sie kurz. In der Frühaufklärung zitieren die Wochenschriften neben Haller keinen Dichter so oft wie Hagedorn. 2 Für Wieland ist er noch das Vorbild schlechthin.3 Bereits 1782 stellt jedoch der von Joachim Christian Friedrich Schulz herausgegebene Almanack der Belletristen und Belletristinnen fest, Hagedorn werde nicht mehr gelesen.4 In romantischen Zeiten verblaßt Hagedorns Ruhm erwartungsgemäß vollends: A. W. Schlegel läßt in der Tradition der Aufklärung noch mit Hagedorn und Haller die neuere Literaturgeschichte beginnen;5 Friedrich Schlegel spricht Hagedorn dann den „höheren Schwung" wie auch eine „glückliche Leichtigkeit und Fruchtbarkeit" und damit das emphatisch verstandene Attribut „Dichter" ab;6 und Eichendorff, der Hagedorn für eine „Eintagsfliege[ ]" hält, verwechselt ihn in seiner Literaturgeschichte kurzerhand mit Christian Ludwig von Hagedorn. 7 Bei Hegel schließlich muß man Hagedorn erst gar nicht mehr suchen. Daß Wilhelm Raabe seinem Odfeld Hagedorns Philemon und Baucis als Prätext einschreibt, bleibt eine bemerkenswerte Ausnahme - auch er setzt sich im übrigen in ein negatives Verhältnis zu seinem Vorgänger. 8
2 3
Anmerkung in: Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst S.240. Muncker: Einleitung, S.34. Wieland: Poetische Schriften. 1er Bd., S.7f.
4
Schmitt: Friedrich v. Hagedorn, S. 106. Zwischen 1760 und 1780 gibt es neun Nachdrucke der Werkausgabe Hagedorns, zwischen 1780 und 1800 nur noch drei (vgl. Kap. 1.2).
5
Schlegel: Geschichte der romantischen Literatur, S.73. Schlegel: Geschichte der alten und neuen Literatur, S.367f. Eichendorff: Geschichte der Poesie, S.457f., 987f. Mojem: Baucis ohne Philemon. Die These lautet kurzgefaßt: Raabes Odfeld verhält sich als Kontrafaktur zur erotischen Idylle Philemon und Baucis von Hagedorn, so wie diese ihrerseits als religionskritische Kontrafaktur der Ovidschen Fassung zu verstehen sei (ebda., insbesondere S.30ff.).
6 7 8
2
Einleitung
Wenn vormalige Zentralfiguren von ihren Nachfolgern aus dem aktiven literarischen Gedächtnis verdrängt werden, hat das zumeist mehrere Gründe. Auf der Kehrseite einer Umwertungen erscheint bisweilen die Aktualität und damit die repräsentative Qualität eines Autors und eines Werks in „seiner Zeit". Hagedorn, so die erste Hypothese, steht für einen fragilen literarischen Konsens, für die Vielfältigkeit der 30er, 40er und 50er Jahre des 18. Jahrhunderts ebenso wie für deren Einheit. Man kann ihn in den Belustigungen des Verstandes und des Witzes ebenso zitieren wie in den Bremer Beyträgen, im Crito ebenso loben wie im Neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Das bedeutet nicht, man sei in allem mit ihm einverstanden. Jede Partei hat an Hagedorn etwas auszusetzen wie umgekehrt Hagedorn an den verschiedenen Parteien. Aber coram publico setzte man sich zu Hagedorn in ein positives Verhältnis. Hagedorns Aktualität besteht nicht nur in seiner Vorläuferschaft für die „klassische" Dichtung, wie man das in der Forschung allenthalben konstatiert hat (vgl. Kap. 1.1), sondern sie ist auch für sich positiv zu bestimmen. Die zweite Hypothese lautet: Hagedorn arbeitet auf einer Ebene unterhalb der avancierten Diskurse (ζ. B. Tragödie oder Epos, bürgerliches Trauerspiel oder Roman). „Unterhalb" meint: Hagedorns Werk entfaltet sich beispielsweise im Gattungssystem auf einer niederen Stufe, so daß es von der Polemik, die die Spitzenwerte bearbeitet, weniger betroffen ist. Auf dieser Ebene zeigen sich die Gemeinsamkeiten der kontroversen Positionen deutlicher als an den Diskursstellen, die sich polemisch konstituieren. Es wird aber zugleich auch schwieriger, Unterschiede zu bemerken. Daraus resultiert die Notwendigkeit, sich in besonderer Weise den Details zu widmen. Historisch verweist „unterhalb" auch auf eine bestimmte Bedeutung Hagedorns, die der aufklärerischen Präferenz für das Handeln bzw. dem Zusammenhang von Wissen, Schreiben und Handeln entgegenkommt. Während auf der Höhe der Diskussionskultur die Wortlastigkeit der Auseinandersetzung offensichtlich ist, tritt sie in den Niederungen in den Hintergrund. Indem Hagedorn von der Hierarchiespitze Abstand hält, gewinnt er an Orientierungsfunktion in einer Zeit, die Hierarchien ebnet. Bei Hagedorn - so die dritte Hypothese - läßt sich die Aufklärung in statu nascendi beoachten, es läßt sich beobachten, wie aus einer Vielzahl diskursiver Fäden eine Textur entsteht, deren Gewebe an vielen Stellen brüchig ist, weil die verwendeten Materialien sich nicht verflechten lassen. Die aufklärerische Textur besteht aus gegnerischem Diskursmaterial. Diese problematische Verbindung liegt im blinden Fleck Hagedorns (und seiner Zeitgenossen). Sie läßt sich nur von einem historisch nachgelagerten Standpunkt aus sehen. Die vorliegende Arbeit untersucht diese Textur auf verschiedenen Ebenen: Methodisch verbindet sie das herkömmliche Anliegen der Monographie
3
Einleitung
mit den Zweifeln an ihrer Legitimität, die Darstellung einer Autor- und Werkindividualität mit der Dezentrierung von Identität. Die Frage lautet: Wie kann sich ein historisch bestimmter Werk- und Autortyp herausbilden, welche Möglichkeiten bieten sich ihm, und wie können sich diese Möglichkeiten überhaupt erst einem Werk/Autor vom Typus Hagedorns zeigen? Mit anderen Worten: Es geht um einen Prozeß des semantischen Aushandelns und Tarierens, und dabei gibt es viele unterschiedliche falsche und viele unterschiedliche richtige Lektüren. Man kann sich ζ. B. für Individualitäten und ihr Allgemeines interessieren, Werke von Autoren lesen und verstehen wollen (Hermeneutik); man kann sich dafür interessieren, daß dieses Interesse haltlos ist, weil es weder stabile Autoren noch formfeste Werke gibt, für die man sich interessieren könnte (Dekonstruktivismus); man kann sich schließlich auch dafür interessieren, wie in einer bestimmten Zeit das Interesse an Autoren und Werken entsteht, auch wenn Autoren und Werke nichts weiter als historische Konstruktionen sind (Diskurstheorie). Es geht um „Konstellationen" 9 auf diversen Ebenen und um die Verbindungen zwischen diesen Konstellationen. Verschiedene Methoden sehen verschiedene Dinge, und ich würde es als Verlust auffassen, an einem Text bestimmte Dinge nicht sehen zu dürfen, weil eine einmal getroffene Anfangsentscheidung das nicht zuläßt. Das bedeutet nicht Beliebigkeit, sondern vielmehr Bewußtheit der Konsequenzen, die ein bestimmer Blickwinkel mit sich bringt. Man kann innerhalb eines methodischen Rahmens falsche Entscheidungen benennen. Und man kann einer Methode aus Sicht einer anderen Methode vorrechnen, was sie nicht sieht. Aber man kann daraus nicht per se die methodologische Präferenz einer Sichtweise ableiten. Das in aller Allgemeinheit vorausgeschickt, gibt es noch eine Reihe inhaltlicher Prämissen, die sich zwar aus verschiedenen methodischen Kontexten heraus entwickelt haben (Soziologie, Mediologie, Ideologie), die ich aber auf den Nenner einer „semantischen Entwicklung" oder „Konstellation" bringen möchte. Als Konstellation gesehen liegt die Einheit der Aufklärung in ihren Kontroversen, 10 ohne daß man zunächst fragen muß, was diese semantischen Entwicklungen motiviert haben mag (Gesellschaftswandel, technologische Innovation, Ideenevolution u. a.). Es geht um die Poesie und ihre Vielfalt.
Vgl. zum ausgefeilten und nun schon seit Jahrzehnten
laufenden Programm
einer
„Konstellationsforschung" für die Philosophie um 1800: Henrich: Konstellationen, insbesondere S.42ff. Das soll im folgenden gemeint sein, wenn im Kollektivsingular von „der" Aufklärung oder „dem" 18. Jahrhundert die Rede ist.
4
Einleitung
Relevant sind dabei an erster Stelle die semantischen Entwicklungen, die Niklas Luhmann im Ubergang von der stratifikatorischen zur funktionalen Differenzierung diagnostiziert.11 Dazu gehören insbesondere die Infragestellung hierarchischer Modelle, die man bei Hagedorn auf der Ebene der Gattungstheorie, der Gesellschaftstheorie und der Religion beobachten kann, sowie die entsprechenden Folgeentscheidungen (z. B. Subjektivierung, Moralisierung, Naturalisierung, Verzeitlichung). Im Zuge der funktionalen Verselbständigung wird insbesondere die Religion von ihrem Interpretationsmonopol verdrängt. Im 18. Jahrhundert entsteht dadurch auf ideengeschichtlicher Ebene der von Panajotis Kondylis aufgezeigte „Dualismus des Schwankens" als polemische Einheit der Aufklärung in Auseinandersetzung mit skeptischen und theologischen Positionen. 12 Medientheoretisch begleitet diese semantischen Entwicklungen die wachsende Bedeutung 13 (konzeptioneller) Schriftlichkeit infolge des Buchdrucks. Hagedorns Werk entsteht genau in jener unruhigen Zeit, in der der Wandel der Gesellschaftsstruktur, die Konsequenzen des „neuzeitlichen Rationalismus" und der mediengeschichtliche Umbruch sich deutlich in der Semantik abzeichnen. Hagedorn versucht, diese Entwicklungen mit traditionellen Mitteln zu bewältigen: Er nimmt aus hierarchischen Ordnungsmustern, die er selbst untergräbt, das Instrumentarium, um die neuen Unwägbarkeiten zu bewältigen. Norbert Elias hat gezeigt, wie das Konkurrenzsystem bei Hof Distanzierungen, den Umgang mit Abwesenheiten, eine permanente Selbstkontrolle sowie Beobachtungshaltung hervorbringt. 14 Bei Hagedorn sieht man, wie diese Kompetenzen den sozialhistorischen, ideenhistorischen und medienhistorischen Wandel unterstützen und welche Hindernisse sie dabei in den Weg legen.15 Hagedorn orientiert sich an den Interpretationsmustern der höfischen Gesellschaft, um sie zugleich zu verabschieden. Er versucht z. B., die Folgen des Buchmarkts in den Kategorien des Hoflebens zu fassen.16 Der Autor etabliert sich als allseitig und unvorherseh-
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Für die vorliegende Arbeit vgl. insbesondere die Aufsätze zur Frühneuzeitlichen Anthropologie und zur Interaktion in Oberschichten. Vgl. im Uberblick: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S.866ff. Kondylis: Die Aufklärung, S.19ff., für die Sondersituation der deutschen Aufklärung: ebda., S.539Í. Vgl. für die Aufklärung die Ansätze von Koschorke (Alphabétisation und Empfindsamkeit), Ter-Nedden (Fabeln und Parabeln zwischen Rede und Schrift), auch Witte (Emblematische Bilder). Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. 2. Bd., S.351ff. Die Einsicht in die Unkontrollierbarkeit von schriftlicher Kommunikation gehört zu den traditionellen Beständen der Schriftkritik: Piaton: Phaidros, 275. Vgl. in diesem Sinn zu den Folgen der Verschriftlichung Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S.226, 258f., 269, 300.
Einleitung
5
bar bedrohter Akteur, der sein Publikum und vor allem seine Kritiker beobachtet, Reaktionen einberechnet und sein Autorbild und sein Werk entsprechend konstelliert. Daraus geht dann die Verbesserungsästhetik hervor, die Erfindung einer Autorsubjektivität unter Maßgabe der politischen Verhaltenslehre und des aufklärerischen Identitätsprogramms - die moralisch fragwürdige Selbstentzweiung der Simulation wird auf eine Biographie verschoben, in der sich ein junger von einem alten Autor unterscheidet und sich selbst kritisiert, zwischen Einheit (Alter) und Zweiheit (Jugend - Alter) pendelnd (Kap. 3). Die Verfasser entdecken eine translitérai Ebene, so daß nicht der Inhalt der Gedichte auf sie zurückgerechnet wird, sondern die „Art", der „Ton" oder der „Geist", der ein Werk autorschaftlich signiert. Das ist ein unfaßbares, der Interpretation offenstehendes, mit dem Autor eng und zugleich lose verbundenes Konstrukt. Diese Brüche geraten nur durch eine intensive Kontextualisierung in den Blick, d. h. durch ein Vergleichen und In-Beziehung-Setzen, das die Texte lesbar macht. Während der Vergleich zwischen Texten einer Gattung oder zwischen literarischen Texten verschiedener Gattungen sich noch aus dem relativ intakten poetologischen System der Zeit ergibt, muß man zum Vergleich zwischen verschiedenen Textsorten (ζ. B. zwischen solchen der „Dichtkunst" und solchen der „Weltweisheit") auf die Prämissen zurückgreifen, die eine Einheit der Problemkonstellationen behaupten. Dabei habe ich zugleich besonderen Wert auf die diskursive Richtung gelegt, die man mit der Orientierung an bestimmten Text- oder Autortypen einschlägt. Die polemische Konstellation der Aufklärung bringt ihre eigene Grammatik hervor, die die möglichen und verständlichen Anschlüsse begrenzt. Insgesamt geht es jedenfalls nicht darum, Texte einflußphilologisch durch einen intertextuellen Verweis stillzustellen, sondern sie in Bewegung zu bringen. Dazu gehört auch, sie in verschiedenen Kontexten auftauchen zu lassen, um die Vielfalt an Funktionen und Bedeutungen zu sehen. Redundanzen sind also beabsichtigt und notwendig, weil sie Neues ans Licht bringen.17 Die Kontextualisierungen sollen neben der Bedeutungsanreicherung auch eine Kontrolle der Interpretation aus historischer Sicht bewirken. Denn die Feststellung von Ungereimtem und Brüchen kann nicht ahistorisch vorgenommen werden, zumal in einer Situation, in der solche Gedankenfiguren aufgrund des neuen, durch den Buchdruck forcierten und auf Konsistenz
Vgl. zur „Wiederholung" als Darstellungsprinzip einer an „Querverbindungen" interessierten Sichtweise: Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd.l, S.8. Allerdings orientiert sich eine Werkmonographie anders als Luhmanns Systemtheorie (Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 3, S.9f.) an einem Autor, wenngleich sie ihn als historische Konstruktion begreift.
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Einleitung
verpflichteten Wissenstyps entstehen. 18 Die kritische Sichtung des Zusammenhangs von Programm, Bild und Erläuterung verwendet ein Analyseinstrumentarium, das die aufklärerische „kritische" Poetologie an Gedichte angelegt hatte, die unter das Rubrum „Schwulst" fallen sollten. Die Aufklärung vergißt die Voraussetzung für die Lektüre der arguten, concettistischen und metaphernreichen Sprache des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, wenn sie Konsistenzforderungen an eine Bildlichkeit stellt, die auf punktuelle, nicht auf umfassende Ubereinstimmungen angelegt war. 19 Bei Hagedorn gerät die Beharrungskraft des poetischen Bild- und Exempelgedächtnisses in Konflikt mit den sich herausbildenden Ordnungsmustern. Jedenfalls hat man schon zu Hagedorns Lebzeiten ganzheitliche Perspektiven an sein Werk angelegt, und Hagedorn reagiert an verschiedenen Stellen (ζ. B. in der Anmerkungstheorie) mit interpretatorischen Volten auf diese Ansprüche. 20 Die Arbeit möchte auch als Plädoyer verstanden werden, die „Kleinigkeiten" der Aufklärungslyrik mit einer vergleichbaren Intensität zu lesen, wie die großen Gedichte eines Brockes oder Haller gelesen worden sind.21 Hagedorns Gedichte ζ. B. aus der Perspektive philosophischer oder naturkundlicher Schriften zu betrachten, legitimiert nicht bloß der weite Bildungshorizont des Autors. Sondern die Poesie - so die Implikation - gewinnt in einer solchen Lektüre einen Teil der Bedeutung zurück, die sie einst gehabt hat. U m das freilich plausibel machen zu können, muß man die Beziehungsvielfalt sehen. Wenn Gedichte sich als Knoten in Diskursgeflechten deuten lassen, gibt es mehr als einen Strang, dem man folgen kann. Das Denken in Konstellationen erschwert eine plane Darstellung und bringt Anmerkungen hervor. Darstellungstechnisch sollte es so sein, daß die Anmerkungen nur dann gelesen werden müssen, wenn man sich für Verzweigungen interessiert (oder dem Text nicht glaubt). Die semantischen Verflechtungen zeigen noch ein Zweites, nämlich die Ernsthaftigkeit der Scherze Hagedorns. Ganz abgesehen davon, daß eine Vielzahl der Hagedornschen Gedichte ohnehin nicht scherzhaft ist, haben wie alle Scherze auch diejenigen Hagedorns einen ernsthaften Hintergrund,
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Gieseke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S.499ff. Vgl. dazu: Schöberl: „liljen=milch und rosen=purpur", S.25ff., insbes. 50ff. Vgl. z. B. Schultheiß' Einleitung zum Schreiben an einen Freund·. Anmerkungen zu dem Schreiben Herrn von Hagedorn, an einen Freund. Vgl. im Gegensatz dazu Schmid, der typischerweise die Einheit, die er im Gedicht nicht findet, ins Leben des Autors verlagert: Nekrolog, S.300f. Vgl. zur hermeneutiktheoretischen Reflexion von poetischer Ganzheit: Beetz: Nachgeholte Hermeneutik, S.623f.; ders.: Rhetorisches Textherstellen als Problemlösen, S.181f. Vgl. im Hinblick auf die Geschichte der Exemplarität Engler / Müller: Einleitung, S. 12). Hier sind insbesondere Kempers Analysen zu nennen (Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung; Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit 5/1 u. II, 6/1).
Hagedom-Forschung
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zu dem sie sich kontrastiv verhalten. Ohne Kenntnis dieses Hintergrunds läßt sich gar nicht entscheiden, was scherzhaft ist, oder man versteht einen Scherz falsch, oder man entdeckt jetzt einen Scherz, wo zuvor gar keiner war. Auch das ist ein Aspekt der Aktualität: Hagedorn reagiert feinsinnig auf Anforderungen und Neuerungen in der literarischen Landschaft und jongliert virtuos mit den Diskurselementen „seiner Zeit". Im folgenden gebe ich einen Uberblick über die Forschung zu Hagedorn (Kap. 1.1). Die anschließende Werkbesichtigung und die Summation der wenigen poetologischen Argumente (Kap. 1.2) sind als eine Art kommentierte Bibliographie zu verstehen, die von einflußphilologischen Kurzschlüssen und vorschnellen Interpretationen Abstand hält. Es geht um eine möglichst nüchterne Bestandsaufnahme. In rudimentärer Weise kommen hier Momente zusammen, die in Monographien gemeinhin im Mittelpunkt stehen, im folgenden aber als Folie mitgedacht werden. Gleiches gilt für die festen Daten der Biographie (Kap. 1.3), die in der Arbeit selbst fortlaufend erweitert wird. Die Interpretationen zur „Poesie der Freude" (Kap. 2) sind als eine Art Themenaufriß einerseits, als exemplarische Demonstration von Interpretierbarkeit andererseits zu verstehen. Das Kapitel zur Autorschaft (Kap. 3) entwickelt die Maßstäbe, die eine historische Sicht auf Hagedorns Werk erlauben und die im nächsten Kapitel um literaturpolitische Perspektiven ergänzt werden (Kap. 4). Die Kapitel zum Verhältnis von Religion und Poesie (Kap. 5), zur poetischen Natur (Kap. 6) und zur Anthropologie (am Leitfaden der Poesie und Theorie des Weins entwickelt) (Kap. 7) sind Studien zu Hagedorn vor diesem Hintergrund.
1.1 Hagedorn-Forschung Die ersten umfangreicheren Arbeiten 22 über Hagedorn von Christian Heinrich Schmid (unterstützt von Christian Ludwig von Hagedorn) 23 , Johann Joachim Eschenburg und Johann Henrich Herold gehören zum Typus der „Charakteristik". 24 Schmid beginnt die Reihe in seiner Biographie der Dichter
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Vgl. zu einem Forschungsüberblick, der Hagedorns Behandlung in Literaturgeschichten auflistet und in diesem Zusammenhang die Rokokoforschung an sich kurz abhandelt: Klein: Die Lust den Alten nachzustreben, S.23ff. Schmid: Nekrolog, S.312. Dazu Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, S.142; Kruckis: „Ein potenziertes Abbild der Menschheit", S.45ff. Mit Einschränkungen wäre Hallers Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen noch hier einzugliedern (vgl. dazu Kap. 3.2).
8
Einleitung
(1770) und im Nekrolog (1785), denen er dann noch einmal Zusätze und Berichtigungen folgen läßt (1791). Nach einigen in der Forschung unbeachtet gebliebenen Lexikon-Artikeln zu Hagedorn, die sich mehr oder weniger auf Schmid beziehen,25 folgen die Beiträge von Eschenburg in seiner HagedornAusgabe. Er profitiert vor allem von den Notizen Herolds, die heute im Hagedorn-Nachlaß in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek liegen (z. B. H N 238). Eschenburg rückt Hagedorn auf die progressive Seite der Literaturgeschichte als Gegenbild zu Brockes (EschIV, 24, 43, 50f., 55, 86f., 104ff. aber auch 96). Entsprechend kürzt er wie in den Briefen auch in der Werk-Edition unbequeme Passagen (vgl. z. B. Kap. 4.2). An dritter Stelle ist Herolds eigener Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik anzuführen. Herolds Vater kannte Hagedorn persönlich, und entsprechend anekdotisch fällt die Charakteristik aus.26 Die weiteren Arbeiten dieser Art, also etwa die Beiträge über Hagedorn in der Zeitschrift Hamburg und Altona (1806),27 der Artikel zu Hagedorn von Karl Heinrich Jördens im Lexikon deutscher Dichter (1807 und 18II),28 der sehr genaue und bibliographisch umfassende Artikel in Hans Schröders Lexikon der hamburgischen Schriftsteller (1857) oder Wilhelm Creizenachs Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie (1879) repetieren im wesentlichen diesen Kenntnisstand. Eine neue Untersuchung der Quellen oder eine eigenständige Interpretation, wie sie etwa die Briefeditionen von Torkel Baden (1797)2', von Eschenburg (1800; EschV) oder von Gramberg (1806)30 nahegelegt hätten, unterbleibt. Briefe an und von Hagedorn edieren Mono-
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So z. B. den Artikel in Adelungs Fortsetzung von Christian Gottlieb Jöchers Allgemeinem Gelehrten'· Lexicon (1787) oder in Friedrich Carl Gottlob Hirschings Historisch-literarischem Handbuch (1795/6). Vgl. zu weiteren Beiträgen den Artikel zu Hagedorn bei Jördens (Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. 2. Bd., S.286 - 303). Neu kommt die Beschreibung der äußeren Gestalt des Werks hinzu, insbesondere einige Anmerkungen zu den Kupferstichen und Holzschnitten (Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.369f.). Zur Hamburgischen Litterärgeschichte; Kleine Biographien hamburger gelehrter Männer und Künstler des achtzehnten Jahrhunderts, S.155f. Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. 2. Bd., S.286 - 303; ebda., 6. Bd., S.253 - 255. Die Artikel sind insbesondere wegen der umfangreichen Auflistung der damals schon verfügbaren Sekundärliteratur sowie der Nachdrucke Hagedornscher Werke interessant. Briefe über die Kunst von und an Christian von Hagedorn. Neue Irene, April u. May 1806. Neben der umfangreichen Edition von Eschenburg im Rahmen der Werkausgabe (EschV) erscheinen einzelne Briefe in: Bielfeld: Lettres Familières et autres. T. 1, S.193ff., 361ff.; ebda., T. 2, S.130ff. (1763); Lange: Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe, S.205ff. (1769); [Fuchs]: Gedichte eines ehemahls in Leipzig studirenden Bauers-Sohnes, S.25f. (1771); Rabener: Briefe, S.213ff. (1772); Briefe berühmter und edler Deutschen an Bodmer, S.17ff., 66ff., 79ff., 189ff., 198ff., 214ff., 216ff. (1794); Eschenburg: Über Johann Arnold Ebert, S.VIIIff.; Briefe deutscher Dichter und Gelehrten aus den Jahren 1740 bis 1771 (1810; Brief von J. E. Schlegel).
Hagedorn-Forschung
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graphien zu Gottsched von Theodor Wilhelm Danzel (1855)31 oder zu Christian Ludwig Liscow von Karl Gustav Heibig (1844)32 und Berthold Litzmann (1883)33. N u r Herrmann Schuster (s. u.) bezieht sich auf eine weitere Quellengrundlage. Hubert Stierling legt mit seiner materialreichen Studie zu Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn (1911) die bislang umfangreichste Untersuchung zu Hagedorns Biographie vor.34 Zumindest in dieser Hinsicht ist damit ein Punkt erreicht, den auch die auf ihn folgenden neueren LexikonÜberblicke von Kurt Wülfel (1966) und Alfred Anger (1988 und 1989) nicht überschreiten. Dabei hatte Horst Steinmetz im Nachwort (1974) zu dem von ihm herausgegebenen Reprint der Hagedornschen Fabeln und Erzehlungen nicht nur dessen Werk, sondern auch die entsprechende biographische Konstruktion kritisch untersucht.35 Weder von der Quellenbasis noch von den Fragestellungen her interessant ist im übrigen Werner Schultzes Aufsatz über Die Brüder Hagedorn (1959), der die bereits vorliegenden Arbeiten zusammenfaßt. Ein besonderes Problem der Forschung stellt die vereinfachende und methodisch naive Kontrolle von Autor und Werk über „Einflüsse" dar. Bereits Schmid und Eschenburg sowie in diesem Kontext Hallers 'Vergleich'36 geben hier die Perspektiven vor, wenn sie Hagedorn an den Beginn einer Linie stellen, die - vom Barock abgesetzt - auf die Poesie der Klassik zuführt. Als traditionell ordnet man dabei den Versuch einiger Gedichte ein, als innovativ gelten die Werke, die nach Hagedorns England-Aufenthalt entstehen, wobei man eben durch das Stichwort „England" auch die entscheidende biographische Markierung zu haben glaubt. Wie in den Charakteristiken gilt als Prinzip: „Wir beurtheilen die Genies aus ihren vollkommensten Werken, aber wir vergessen ihre schlechtesten nicht, wenn es darauf ankömmt, ihren Wachsthum oder ihre Abnahme zu zeigen".37 Während die frühen Arbeiten zu Hagedorn den Versuch einiger Gedichte nur als Negativum begreifen, perspektiviert die sogenannte positivistische
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Danzel: Gottsched und seine Zeit, S.115ff. Heibig: Christian Ludwig Liscow, S.44ff. Litzmann: Christian Ludwig Liscow (hier über die ganze Arbeit verstreut). Vgl. entsprechend zu Christian Ludwig von Hagedorn: Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn. Steinmetz: Nachwort, S.6*ff. Haller: Hagedorn und Haller gegen einander verglichen. Vgl. zu Haller und Hagedorn als Beginn einer neuen literaturgeschichtlichen Epoche: Schmid: Biographie der Dichter, S.365; EschrV, 52, auch 94. Vgl. zur Verbesserungsästhetik Hagedorns und zur autorbiographischen Vervollkommnung: EschlV, 27f., 52, 77ff., 84, 89, 98. Vgl. zum Topos: Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.ll. Schmid: Biographie der Dichter, S.373.
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Einleitung
Ära das Interesse an der Zeit zwischen Barock und Aufklärung neu. August Sauers Edition der frühen Hagedorn-Gedichte in der Reihe Deutsche Litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts (1883) ist hierfür das Datum, ohne daß im Prinzipiellen die Wertungen der Vorgänger aufgehoben würden. 38 Die einzige weitere Arbeit zu den frühen Gedichten ist Hubert Badstübers unbrauchbare Untersuchung von Friedrich von Hagedorns Jugendgedichten (1904), die die Negativtendenzen der Forschung, ihre Urteile und Beschreibungskriterien, konzentriert. Auch Franz Muncker schreibt die Einleitung zu seiner Edition der Hagedorn-Gedichte (1893), der er ein Porträt von Christian Ludwig von Hagedorn anstelle eines von Friedrich von Hagedorn beifügt, in positivistischem „Geist", daher legt er so großen Wert auf die literarischen Konstellationen im Elternhaus Hagedorns, auf die Autoren, die dort verkehrten, und auf die „Anschauungen" der Mutter.39 Literaturhistorisch vertritt Muncker die teleologisch auf die Klassik ausgerichtete Perspektive,40 muß jedoch feststellen: „Nackte oder halb entblößte Busen und ähnliche körperliche Reize spielen in seiner (Hagedorns, S. M.) Lyrik eine bedenklich große Rolle".41 Im Gegensatz dazu stellt im übrigen Franz Louis Meinhold die didaktischen Absichten Hagedorns ins Zentrum (Hagedorns Gedanken von sittlicher und geistiger Bildung; 1894). Wie Muncker versuchen einige weitere Arbeiten zu Einzelfragen Einflußbeziehungen zu klären, so Franz Kunz' Arbeit über Hagedorns Verhältnis zu Burkard Waldis (1892), der Josef Gassner 13 Jahre später eine Untersuchung gleichen Themas folgen läßt {Der Einfluß des Burkhardt Waldis auf die Fabeldichtung Hagedorns, 1905), Spiridion Wukadinovics Untersuchung der Quellen von Hagedorns 'Aurelius und Beelzebub' (1892), Alfons Fricks Bemerkungen Über Popes Einfluß auf Hagedorn (1900) sowie Bertha Reed Coffmans Zusammenstellung über The influence of English literature on Friedrich von Hagedorn (1914/15). Coffmanns Darstellung, als einzige für die weitere Forschung relevant geworden, gehört in den Kontext des stilgeschichtlichen Ansatzes und der geistesgeschichtlichen Filiationen.42 Zurecht weist Coff-
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Das ist generell so: Barner: Stilbegriffe und ihre Grenzen, S.305. Die entscheidende Perspektive für Sauer gibt nicht umsonst Haller ab, der sein ganzes Werk als mühsame Auseinandersetzung und Befreiung vom „Lohensteinischen Geschmack" inszeniert und dabei England als Bruchstelle angibt (Sauer: [Einleitung], S.Vf.). Muncker: Einleitung, S.5ff., 11. Ebda., S. 16. Ebda., S.23. Als methodisches Prinzip nennt Coffman: „Before considering his poetry, I desire to emphasize that in tracing influences I shall regard as the most important, not verbal parallelisms in writing, but a kinship of spirit between the writers considered" (The influence of English literature on Friedrich von Hagedorn, S.503). Das ist freilich - wie vieles in Coffmans Beitrag - mehr als vage. Anstelle etwa zum Thema „Friendship" sich mit den tatsäch-
Hagedom-Forschung
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man auf die Bedeutung Hagedorns als Popularisator englischer Dichtung hin, die freilich erst Guthkes Edition der Briefe an Bodmer (1966, s. u.) in ihrem vollen Umfang sichtbar gemacht hat. Brian Keith-Smith geht in seinem Uberblick über Leben und Werk Friedrich von Hagedorns (1972) von der Divergenz zwischen zeitgenössischer Verehrung und nachfolgender Degradierung Hagedorns zu einem Vorläufer der Klassik aus, versucht also eine historische Perspektive zu finden „by an examination of the immediate influence of his (Hagedorns, S. M.) background and of the apparent contradictions that appear thereby".43 Allerdings betrachtet Keith-Smith dann doch nicht den „background", sondern erklärt alle Unterschiede zwischen den frühen und den späten Schriften aus „direct English influence", und „English influence" meint die England-Klischees der deutschen Anglophilie ineins mit einer sehr direkten Lesart des Programms der Moralischen Gedichte von Hagedorn.44 Das methodische Kernproblem der vorgestellten Untersuchungen - bei Coffman beispielsweise mehr, bei Keith-Smith weniger - besteht darin, daß man keinen Begriff von „Ähnlichkeit", von der Beziehung zwischen Texten, hat und keine Fragestellung, auf die intertextuelle Beziehungen eine Antwort geben könnten. Dieses Problem betrifft auch die Analysen zum Antikebezug, zumal Hagedorn seine Quellen gerade hier in den meisten Fällen selbst offengelegt hat. Bei der ersten Arbeit in dieser Reihe, bei Stephan Lists Behandlung von Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur (1909), ist eine Forschungsperspektive nicht zu entdecken. Sie erschöpft sich größtenteils im Referat der von Hagedorn angeführten Quellen.45 Wolfgang Josef Pietschs Untersuchung zu Friedrich von Hagedorn und Horaz (1988) nimmt sich innerhalb des Themas der Antikerezeption einen gesonderten, für Hagedorn wichtigen Bereich vor. Uber eine beschreibende Darlegung des Materials geht die Arbeit nur selten hinaus, weil Pietsch eine gleichsam sich von selbst ergebende Affinität zwischen der (Früh-)Aufklärung und dem Horazi-
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lich von Hagedorn genannten englischen Autoren und Werken auseinanderzusetzen (Wollaston, Hutcheson, Hume, Pope), werden beliebige andere Vorlagen angeführt. Das mag interessant sein, aber das eine sollte dem anderen doch folgen. Keith-Smith: Friedrich von Hagedorn, S.151. „Personal freedom and a love of personally selected social life, freedom to find and express oneself through consideration of and personal application to literary models - such were the leading emphases he developed in his life and works on his return to Hamburg" (ebda., S.154). N u r an drei Stellen geht sie über Hagedorns Angaben hinaus: List bezieht die zeitgenössische Schulordnung ein, weist auf die Bedeutung von Bernard de Montfaucons Erläuterungen und Kupferstichen zur Antike für Hagedorns großes Wein-Gedicht hin (vgl. Kap. 2.1 u. 7.2) und macht den Stellenwert zeitgenössischer Editionen, Kommentare und Nachschlagewerke für die Interpretation deutlich.
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Einleitung
sehen Werk durch Rationalismus und Eudämonismus, durch die Trostfunktion einer die aurea mediocritas predigenden Literatur für ein nicht genauer bestimmtes, wirtschaftlich und politisch schwaches, aber literarisch interessiertes Bürgertum voraussetzt.46 Alfons Klein, der die Reihe der Beiträge zur Antikerezeption vorerst abschließt, schlägt daher mit einigem Grund Pietschs Ansatz der „Einflußforschung" zu. Er selbst will die „produktive" Rezeptionsleistung Hagedorns herausstellen (Die Lust, den Alten nachzustreben, 1990). Er legt eine stimmige Beschreibung von Hagedorns Werk aus der Perspektive der Rokoko-Forschung vor, bleibt dabei freilich ebenfalls oft auf einer referierenden Ebene. Gerade die historische Vermittlung der Antike wird auf diese Weise nicht herausgearbeitet.47 Die „Rokoko"-Poesie hat Alfred Anger forschungsgeschichtlich wieder zu Ehren gebracht.48 Im Nachwort zu seiner Auswahl von HagedornGedichten gilt Anger der Hamburger Dichter als Begründer des „klassizistischen Rokokostils" in Deutschland.49 Die letzte dezidiert stilgeschichtliche Untersuchung legt 1984 Alan Menhennet als Korrektur der Monographie von Karl Epting vor {Hagedorn and the Development of German Poetic Style). Hatte Epting in einer Art stilgeschichtlicher Paradigmentheorie Hagedorn dem Paradigma „Aufklärung" zugeordnet und vom barocken Paradigma unterschieden, so votiert Menhennet für eine Kontinuität zwischen den Epochen, wobei er auf das grundsätzliche Problem seines Ansatzes durchaus reflektiert: die Verwendung einer „impressionistic terminology".50 Neben den „Einflüssen" und dem stilgeschichtlichen Rokokobegriff ist die literaturgeschichtliche Kategorie „Anakreontik" das dritte Medium, durch das man Hagedorns Dichtung zu kontrollieren versucht. Die Moralischen Gedichte, die didaktischen Fabeln und die skeptischen Epigramme fallen dann zugunsten der meistenteils bukolischen, amourösen und geselligen Erzählungen und Lieder durch das Raster. Nachdem Muncker zumindest titulatorisch Hagedorn unter das Rubrum „Anakreontik" gefaßt hatte,
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Zusammenfassend: Pietsch: Friedrich von Hagedorn und Horaz, S.202. Hier nur zwei Beispiele, auf die zurückzukommen sein wird (vgl. Kap. 6): Der Antikebezug in Harvstehude, wo Hagedorn eine Episode aus der Ilias zitiert, wird z. B. nur durch die zeitgenössische Auseinandersetzung um Homers Decorum-Verletzungen deutlich, d. h. über die Antikerezeption als Teil des aufklärerischen Diskurses. Ebenso erhält die Einbeziehung der antiken Mythologie in Die Alster ihre spezifische Signatur durch die Verwendung eben dieser Mythologie in der poetischen Selbstdarstellung Hamburgs in der Poesie der Niedersachsen (vgl. Kap. 6) (Klein: Die Lust den Alten nachzustreben, S.151ff.). Wichtig sind hier insbesondere: Anger: Deutsche Rokoko-Dichtung; ders.: Literarisches Rokoko. Anger: Nachwort. In: Hagedorn: Gedichte, S.184Í., 191f. Menhennet: Hagedorn and the Development of German-Poetic Style, S.179f.
Hagedom-Forschung
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untersucht Georg Witkowski Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung in Deutschland und Friedrich von Hagedorn (1889), kommt jedoch zu dem Ergebnis: „[...] man kann Hagedorn [...] nicht zu den anakreontischen Dichtern rechnen".51 Dasselbe Fazit zieht letztendlich auch Herben Zeman (1972),52 der Hagedorn gleichwohl in einem Zusammenhang mit den Hallenser Anakreontikern abhandelt (1977).H Nun hängt die Zuordnung Hagedorns zur Anakreontik einfach davon ab, welchen Begriff man sich von ihr macht, ob man unter Anakreontik in engerem Sinn die Nachahmung der von Henricus Stephanus übersetzten Anakreonteen oder in weiterem Sinn die „alte Tradition des scherzhaften weltlichen Liedes" versteht.54 Interessant ist dabei aber zunächst das komplizierte und für die literaturgeschichtlichen Konstellationen aussagekräftige Verhältnis zwischen Hagedorn auf der einen, Gleim, Götz und Uz auf der anderen Seite (vgl. Kap. 5.2).55 Auch HansGeorg Kemper findet den systematischen Ort Hagedorns beim „anakreontischen Sündenfall" der Aufklärung, setzt jedoch den Nachahmer des Horaz von den Anakreon-Epigonen ab. Er greift die Stilisierungsthese von Steinmetz auf, hebt aber das Autonomisierungspotential von Hagedorns Haltung hervor. Seine Werkbeschreibungen sind durchgehend überzeugend. Die akribische Kontextualisierung, die Kempers Lyrikanalysen in anderen Fällen so wertvoll macht, vermißt man in bezug auf Hagedorn. Hierzu stellen Christoph Pereis' Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760 (1974) einen wichtigen Beitrag dar, dessen Material- und Perspektivenreichtum nicht ausgeschöpft ist. Eine Reihe zumeist älterer Untersuchungen widmet sich den Fabeln und den Erzählungen Hagedorns. Robert Petsch sucht bei Hagedorn unter dem Titel Friedrich von Hagedorn und die deutsche Fabel (1933) wenig erfolgreich nach „jener magischen Steigerung unsrer geistigen Kräfte, jenem geheimnisvollen Schöpfertum, womit alle Dichtung arbeitet, womit und wofür sie ihre
Witkowski: Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung, S.43. Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.188. Zeman: Friedrich von Hagedorn, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Peter Uz, Johann Nikolaus Götz. Vgl. zu dieser und anderen Differenzierungen: Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, ζ. B. S.38, 66, zu Hagedorn: ebda., S.191. Problematisch ist, daß Zeman die zentrale Quelle so kürzt, daß sich die Beziehungen verschieben. Demnach bezöge Hagedorn in einem Brief an Gleim Anacreon auf den Adressaten (ebda., S.87). Das ist zwar in anderen Briefen an andere Adressaten der Fall, gegenüber Gleim jedoch gerade nicht! Vgl. demgegenüber das Original Β 209 (vgl. Kap. 5.2). Methodisch sind Zemans Ausführungen zu Hagedorn der Stilgeschichte verpflichtet (ζ. B. ebda., S.189 oder ders.: Friedrich von Hagedorn, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Peter Uz, Johann Nikolaus Götz, S.135ff.).
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neue Welt gestaltet".56 Beinahe 50 Jahre zuvor hatte bereits Wolrad Eigenbrodt Hagedorn und die Erzählung in Reimversen zum Thema gemacht (1884). Hagedorn wird als Initiator des „epischen Stils in Deutschland im achtzehnten Jahrhundert" vorgestellt.57 Wichtiger aber als Eigenbrodts Beschreibungen ist Bernhard Seufferts Kritik an dieser Arbeit, ein Beispiel philologischer Akribie, das in der Hagedorn-Forschung keine Spuren hinterlassen hat. Seuffert korrigiert die unzureichend schmale Bandbreite der Prätexte bei Eigenbrodt58 und listet zudem eine Summe von meistenteils Aesop oder Phädrus folgenden Fabelbüchern zwischen 1670 und 1730 sowie Ubersetzungen aus dem Französischen auf, die die Rede von einer unterbrochenen und erst von Hagedorn erst recht eigentlich wieder vitalisierten deutschen Fabeltradition fragwürdig werden lassen.59 Eduard Briner nennt zwar in seiner Beschreibung der Verskunst der Fabeln und Erzählungen Hagedorns (1920) - im wesentlichen handelt es sich um eine Auflistung der Strophen- und Versformen - die Rezension von Seuffert, bleibt aber wie Eigenbrodt bei einem relativ kleinen Quellenbestand und den entsprechenden Wertungen, die nur selten die Prägnanz haben wie bei seinem Urteil über Prior: „Seine Reime wirken knallig".60 Nicholas Arthur Furness schließlich nimmt sich Hagedorn, La Fontaine und Boccaccios Falkennovelle zum Gegenstand (1993) und geht in einem ausführlicheren Vergleich den Verschiebungen in der Figurengestaltung nach. Auf ein interessantes rezeptionsgeschichtliches Dokument macht Albert Picks Arbeit Über Karl Wilhelm Ramlers Änderungen Hagedornscher Fabeln (1885) in diesem Gattungszusammenhang aufmerksam.61
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Petsch: Friedrich von Hagedorn und die deutsche Fabel, S.167.
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Eigenbrodt: Hagedorn und die Erzählung in Reimversen, S.l, auch ebda., S.14.
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An Gattungen hätten für die Quellen neben den im engeren Sinn als Fabeln ausgewiesenen Beispielen noch Adaptationen antiker amouröser Mythen (etwa von Titz, Held, Neumark, Postel etc.), Schäfergedichte, Satiren sowie die Erzählungen der Moralischen Wochenschriften herangezogen werden sollen - sie alle haben Affinitäten zu den Fabeln und Erzählungen Hagedorns (Seuffert: [Besprechung von: Eigenbrodt: Hagedorn und die Erzählung in Reimversen], S.68Í.).
59
Ebda., 69ff. Vgl. auch Hueck, die auf den Übergang der Fabel in emblematische Formen im 17. Jahrhundert und auf die Verdrängung des Emblems durch die Fabel im 18. Jahrhundert hinweist: Textstruktur und Gattungssystem, S.135, 160ff., 172f.; auch: Witte: Emblematische Bilder.
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Briner: Die Verskunst der Fabeln und Erzählungen Hagedorns, S.32.
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Pick nennt an Änderungstypen: die Tilgung sachlicher Irrtümer, metrischer Unreinheiten oder Umständlichkeiten oder die Herstellung von „Einfachheit und Natürlichkeit". Derlei Zusammenstellungen gewinnen freilich erst dann Erkenntniswert, wenn man nicht mehr danach fragt, ob denn Gedichte Hagedorns durch die Änderungen nun besser oder schlechter geworden seien, sondern wenn man die Variantentypen auf die zugrundeliegende Autor- und Werktheorie bezieht, wenn man also fragt, welches Modell von poetischen Sinn
Hagedorn-Forschung
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Die vier Monographien zu Hagedorn, die das Gesamtwerk im Blick haben, schließen nicht die Lücken der bisher behandelten Untersuchungen. Nachdem Karl Schmitt in einem umfangreichen, an Eschenburg angelehnten Aufsatz einen ersten Uberblick mit einem kurzen biographischen Vorspann gegeben hatte (Friedrich v. Hagedorn nach seiner poetischen und literarge· schichtlichen Bedeutung dargestellt, 1855), verschafft sich Hermann Schusters Arbeit Friedrich von Hagedom und seine Bedeutung für die deutsche Literatur (1882) eine breitere Quellengrundlage, indem sie Autographen, Moralische Wochenschriften und die Poesie der Niedersachsen einbezieht. Karl Epting bestimmt den Stil in den lyrischen und didaktischen Gedichten Friedrich von Hagedoms (1929). Die Arbeit ist als wissenschaftshistorisches Dokument interessant, da Epting eine geradezu idealtypische Verbindung der Strichschen Stilforschung mit dem geistesgeschichtlichen Programm vorlegt. Gottfried Stix' Monographie über Friedrich von Hagedom (1961) machen die Wertungen unbrauchbar. 62 Um es mit Wolfgang Martens zu sagen: „Die Unschuld, mit der hier verfahren wird, spiegelt sich auch getreulich im Stil. Das Buch ist mit großen Buchstaben leicht lesbar gedruckt".63 1969 erscheinen dann Ralf Rochus Nicolais Erkenntnisse über Lebensgefühl und Leitbegriffe in dem Werk Friedrich von Hagedoms (1969). Der „gefühlsmässige Anteil in den Gedichten Hagedorns" bleibt jedoch eine ebenso eigentümliche Kategorie wie das „Durchschimmern dichterischer Empfindungen". 64 Für eine schlechte werkimmanente Analyse ist der folgende Satz geradezu ein Musterbeispiel: „Der verlockende Klang geschlossener i-Laute in den Worten 'Wie lieblich' und des alliterierenden 'h' in 'heitern Himmels' stimmt den Leser lyrisch ein".65 Karl S. Guthke und Horst Gronemeyer haben durch Quellenforschung das Werk Hagedorns neu profiliert. Guthke legt 1966 die ausführlich kommentierten und mit einer profunden Einleitung versehenen Briefe Hagedorns an Bodmer in Auswahl vor (Friedrich von Hagedom und das literarische
62
63
64 65
hinter den Abweichungen steht (vgl. ζ. B. bei Plumpe: Kunst ist Kunst, S.67; vgl. Kap. 3.2 u. 4.2). Daß Hagedorn nicht in der „damaligen eudämonistisch-illusionistischen Geisteshaltung" gelebt habe, sondern in der „Wirklichkeit", ist ebenso ein Nullsatz wie die Rede von der „Wahrhaftigkeit" Hagedorns, dem „Wesen des Menschen" (Stix: Friedrich von Hagedorn, S.43, 50, 108) und dergleichen mehr. Ganz abgesehen davon, daß gerade Begriffe wie „Wahrhaftigkeit" und „Wesen" bei breiterer Materialkenntnis in den Sog der Hagedornschen Selbstinszenierung geraten. Martens: [Rez. von Gottfried Stix: Friedrich von Hagedorn. Menschenbild und Dichtungsauffassung, Rom 1961], S.90. Nicolai: Lebensgefühl und Leitbegriffe in dem Werk Friedrich von Hagedorns, S.33. Ebda., S.83.
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Einleitung
Leben seiner Zeit im Lichte unveröffentlichter Briefe an Johann Jakob Bodmer)." In seinem Buch über das Literarische Leben im 18. Jahrhundert (1975) beschäftigt er sich nicht mehr wie die Forschung zuvor mit dem „Rokoko"-Poeten Hagedorn, sondern mit einem Autor, der im Zentrum der literaturpolitischen Auseinandersetzungen steht (vgl. Kap. 4.2). Horst Gronemeyer hat vor seinem Beitrag zur Funktion des Kehrreims in Hagedorns Liedern (1992) bereits 1974 aus dem Hagedorn-Nachlaß Eine „poetische Ausschweifung" Hagedorns publiziert. Mit seiner Arbeit Friedrich von Hagedorn über Bücher, Buchhändler und Bibliotheken (1997) erschließt er einen bis dato gänzlich unbeachteten Quellentypus, die durch Notizen und Unterstreichungen strukturierten Bücher aus der Bibliothek Hagedorns. Schließlich - und das ist der unbestreitbar größte Fortschritt in der QuellenErschließung - legt Gronemeyer 1997 die vollständige Ausgabe der Briefe von Hagedorn in einer vorbildlich kommentierten Ausgabe vor und schließt damit nicht nur eine Lücke in der Hagedorn-Forschung, sondern in der Untersuchung der Frühaufklärung überhaupt. In interpretatorischer Hinsicht ist im Kontext der bisher beschriebenen Arbeiten auf drei Aufsätze nachdrücklich hinzuweisen: Uwe-K. Ketelsens Interpretation Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume (1983) (vgl. dazu genauer Kap. 6) und Klaus Bohnens Darstellung der Kultivierung des geselligen Sinnenspiels in Friedrich von Hagedorns 'Der Tag der Freude' (1983) entwickeln jeweils an einem konkreten Text die Problemlage und zeigen dadurch, wie interpretationsbedürftig die „Kleinigkeiten" Hagedorns sind. Heinz Hillmanns Ausführungen zu Friedrich von Hagedorn oder Bürgerliche Aufklärung und adeliger Geist (1989) behandeln die Dichotomien der Naturund Gesellschaftsordnung, in und mit denen Hagedorn operiert (vgl. 1.3).67 Vom Ansatz her gehört in diese Reihe von Aufsätzen Lukas Richters Untersuchung zu Telemanns Liedern nach Hagedorn (1978), die jedoch im bloßen Vgl. auch den Brief Hagedorns an Bodmer in: Guthke: A Sidelight on Eighteenth Century Klopstock Gossip. Vgl. auch die Briefe von Bodmer an Hagedorn in: Kurrelmeyer: Bodmer über Klopstock und den jungen Wieland. 67
Hillmanns Ansatz in Friedrich von Hagedom oder Bürgerliche Aufltlärung und Adeliger Geist scheint mir zwar tendenziell richtig und fruchtbar, im Detail aber präzisierbar zu sein (vgl. auch Kap. 1.3 zu Anna Maria von Hagedorn). So muß man ζ. B. bei Die Alster die Zusammenhänge mit der Hamburger Repräsentationskultur beachten (ebda., S.186f.) (vgl. Kap. 6); bei den Altersgedichten (ebda., S.192f.) die Vielfalt der Tradition (Horaz ζ. B. stellt in der Ars Poetica, V.169ff. den geizigen Alten so wie Hagedorn dar) (vgl. Kap. 3.2); bei Brockes' Chrysander-Gedicht (ebda., S.195f.) die Topoi der laus ruris und der Laster-Trias Geldgeiz, Ehrgeiz, Wollust; bei Das Gesellschaftliche (ebda., S.200f.) die Frontstellung zum „Liebesleben der Schäfer" etc. Mir scheint, daß sich diese Unscharfen aus dem grundgelegten Evolutionsmodell ergeben. Wenn man anstelle der Umgewichtung innerhalb einer stratifikatorischen Ordnung zum semantischen Wandel im Wechsel von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung übergeht, kann man die Texte genauer untersuchen.
Hagedom-Forschung
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Referat steckenbleibt, fernerhin Jürgen Stenzeis knappe Auslegung zu An eine Schläferinn {Überreden zum Leben, 1980). Zu den genannten Beiträgen, die sich in der Hauptsache mit Hagedorn auseinandersetzen, kommt noch eine Reihe von Arbeiten, die forschungsgeschichtlich von außerordentlich großer Bedeutung für die Untersuchung der Lyrik der Frühaufklärung sind und die sich thematisch mit Hagedorn so berühren, daß sie zum Bereich der Hagedorn-Forschung gezählt werden können: Paul Böckmanns Uberblick über Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung (1932/33) entdeckt bei Hagedorn den Witz-Begriff in Gottschedscher Tradition, und zwar als Sprach- bzw. Gedankenbewegung im Gedicht, gleichsam als performatives Moment der Sprache, das auf eine Ablenkung der „Direktheit des Sagens", eine Betonung der Form, hinausläuft.68 Franz Schultz' Entzifferung der Geistes- und Stilgeschichte am Motiv der Göttin Freude (1926), an die sich Arbeiten von Wolfram Mauser anschließen," führt zwar zu interessanten Überlegungen über den Zusammenhang zwischen Shaftesbury und Hagedorn, ist aber im Detail zu ungenau (vgl. Kap. 2.1)7° Die Hagedorn-Forschung hat, um es zusammenfassend zu sagen, keine literarische Landkarte gezeichnet, auf der sich der historische Ort von Hagedorns Werk einzeichnen ließe. Daraus ergibt sich eine Folge von Schwierigkeiten, denn bislang kann weder die Autor- oder Werkbiographie verstanden (vgl. Kap. 3), noch können Traditionen dem Werk angemessen zugeordnet werden (vgl. Kap. 4). Das Werk erschließt sich kaum semantischen, sondern vorwiegend stilgeschichtlichen Analysen, und entsprechend wenig detaillierte Interpretationen liegen vor (vgl. Kap. 2). Es fehlen in der bisherigen Forschung Fragestellungen, die das Werk lesbar machen. Das Werk
Böckmann: Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, S.91. Vgl. kritisch in diesem Kontext Schüsseler: Unbeschwert aufgeklärt. Wolfram Mauser bringt die sozialpsychologische Bedeutung des Freude-Begriffs zur Geltung, die sich etwa in den Freundschaftsmustern niederschlage („Göttin Freude", 1981). Vgl. zu diesen Zusammenhängen auch Richter: Geselligkeit und Gesellschaft in Gedichten des Rokoko (1974). Mauser knüpft schließlich in seinen Überlegungen zu Anakreon als Therapie? (1988) die Verbindung zwischen „Rokoko" und Anthropologie-Forschung. Detlev Schöttkers Ausführungen zu den Metamorphosen der Freude (1998) ergänzen in einigen Hinsichten das vorliegende Material. Die äquivoke Behandlung von „Heiterkeit" und „Freude" ist jedoch problematisch - die deutlich konturierte Semantik von „Freude" jedenfalls interessiert im folgenden mehr als die allgemeine Frage nach der „Darstellung und Reflexion von Heiterkeit in der Literatur des 18. Jahrhunderts". Die Beziehung zu Shaftesbury, der neben dem Spectator und Gottsched zum hauptsächlichen Einflußfaktor avanciert, betont Norbert W. Feinaeugle in seiner Arbeit über das Verhältnis von Philosophie und Der deutschen Rokokolyrik von 1720 • 1760 (1968). Die Fixierung auf die genannten Autoren, die dann noch einmal im Sinne eines Diktats des Vernunftgesetzes verkürzt wird, schränkt die Brauchbarkeit des Ansatzes ein.
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Einleitung
erscheint nicht als Antwort auf eine bestimmte historische Konstellation, die es ermöglicht und die zugleich von ihm neu formiert wird. Es fehlt mit einem Wort der Blick für die Konstruktion der Aufklärung im Werk Friedrich von Hagedorns.
1.2 Werkbesichtigung Juvenilia und Kasualcarmina Von den zwischen 1720 und 1725 veröffentlichten neun Kasualcarmina Hagedorns sind vier Drucke in den Bibliotheken nicht mehr nachweisbar.71 In einem Fall hat sich eine Manuskriptvorlage erhalten, von den anderen Gedichten sind nur mehr oder weniger kurze Auszüge in den Arbeiten von Eschenburg und List überliefert. Hagedorn beginnt im Alter von zwölf Jahren erste Proben seiner Schulausbildung vorzulegen mit Gedichten auf einen dänisch-norwegischen Admiral,72 auf den Friedensschluß zwischen dem dänischen und dem schwedischen König,73 auf die Einführung eines Pastors,74 auf den Kronprinzen von Dänemark und Norwegen,75 dessen Hei-
Wenn im folgenden von einem Druck behauptet wird, er sei verschollen, dann stützt sich das auf Horst Gronemeyers Bibliographie (BK 725ff.) und auf meine eigenen vergeblichen Versuche, ein Exemplar aufzufinden. Zu Nachdrucken und den diversen Auflagen vgl. ebenfalls die Bibliographie Gronemeyers. Zur Schreibweise generell: Das über- und nachgestellte „e" bei Diphthongen wird vereinfacht zu den heute üblichen Schreibweisen (ä, ü, ö). Abbreviaturen werden aufgelöst. Zitiert wird so, daß sich die Werke im Literaturverzeichnis auffinden lassen. 72
Frolockende Zeilen Womit Als der Hoch-Wohl-Gebohrne Herr, Peter von Tordenschild, Ihro Königl. Majest. zu Dennemarck Norwegen etc. Höchst-Meritirter und tapferer ViceAdmiral etc. etc. am 17 Octobr. 1720. diesen Garten mit Seiner Gegenwart beehrt, wollte seine Freude und Respect bezeugen dessen Gehorsamster Friedrich von Hagedoorn, Altona [1720], Manuskript: H N 1.
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Poetische Unterredung Zwischen Marti, dem Gott des Krieges / Und der Irene, der Göttin des Friedens (dem Gedicht ist ein Kasualcarmen des achtjährigen Christian Ludwig von Hagedorn angehängt). Hagedorn: Des Ζ wölff=Jährigen Friederichs von Hagedorn Gedancken Uber den jetzigen Nordischen Frieden. Als der Wohl-Ehrwürdige Hoch-Achtbahre und Hochgelahrte Herr, Herr Johann Jacob Wetken, Rechtmäßig erwählter Pastor an der Kirche zum heil. Geist in Hamburg am 25. April 1721 ordiniret und introduciret wurde. Der Druck ist verschollen; Auszug in EschIV, 155f.
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Glückwünschender Zuruff Bey Ihrer Königl. Hoheit Des durchlauchtigsten Cron-Printzens Christians, Zu Dännemarck / Norwegen / etc. Höchst-beglückter Ankunfft zu Altona. Auszug in: List: Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur, S.5ff.
Werkbesichtigung
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rat 7 ' u n d die G e b u r t v o n dessen Sohn 7 7 sowie auf die H a m b u r g e r L e h r e r J o h a n n A l b e r t Fabricius 7 8 und J o h a n n Christian Wolf. 7 9 H a g e d o r n w i r d ungeachtet der obligatorischen P o l e m i k gegen die Gelegenheitsdichtung (z. B. W 3 , 112) i m m e r wieder Kasualcarmina anfertigen u n d mit der r e k o m m a n d i e r e n d e n F u n k t i o n der Gelegenheitspoesie arbeiten (vgl. Kap. 1.3 u. 4.2). 8 0 : I m Versuch einiger
Gedichte
(1729) haben sich einige
Stücke „in f r e m d e m N a m e n " und auf bestimmte Personen erhalten, 8 1 in der Poesie der Niedersachsen
(1732) findet sich ein i m D r u c k mittlerweile ver-
schollenes E p i t h a l a m i u m (1730); 8 2 auf den T o d v o n B r o c k e s ' Sohn 8 3 u n d auf den T o d v o n Michael Richeys Sohn 8 4 verfaßt H a g e d o r n Epikedien ( 1 7 3 2 / 8 u n d 1738); 1730 konzipiert er ein zweifach veröffentlichtes Lobgedicht auf B r o c k e s ' Irdisches
Vergnügen
in Gott ( 1 7 3 0 / 6 / 8 ) 8 5 ; und 1 7 4 5 erscheinen die
i m D r u c k verschollenen Epithalamien auf die Lake- und Ehe-Verbindung
77
78
79
80
81
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81 84
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86
Campbellsche
[...]
sowie auf die H e i r a t v o n Mariane Brockes. 8 7 I m H a g e d o r n -
Das sein Glück vorher sehende Dännemarck. Auszug in: List: Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur, S.7 Das durch Ehr«· Furcht unterbrochene Jauchzen Der frolockenden Cimbrier. Auszug in: List: Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur, S.7. Frolockender Zuruf an [...] Herrn Jo. Albertum Fabricium. Der Druck ist verschollen, Auszüge in: EschlV, 156. Als der Hoch-Edle und Hochgelahrte Herr, Herr Johann Christian Wolf zum Professore Physices et Poesos in Hamburg Anno 1725 den 24. May introduciret ward, wolten Ihm hiemit von Hertzen gratuliren drey Gymnasii Cives, Hamburg [1725]. Der Druck ist verschollen. Nach Goedeke handelt es sich bei den Gratulierenden um D. Heins, Hagedorn, C. F. Schnell (Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, S.26). Das Epithalamium auf die Hochzeit der Mariane Brockes beispielsweise schickt Hagedorn in vierfacher Ausfertigung nach Leipzig, um es u. a. der Gottschedin zukommen zu lassen (B 149, 162). Dieses Widmungswesen paßt zu Hagedorns Verteilung seiner Schriften, die dadurch den Charakter von Gelegenheitspoesie bekommen. Die Glückseligkeit etwa läßt Hagedorn über Johann Arnold Eben in ganz Leipzig verteilen, „à Madame et à Mr. Gottsched, à Mr. Schwabe, à Mr. Kästner et à Mr. Geliert" (B 91). Das frohlockende Rußland (VeG 14); Die Vortreflichkeit der mit Gelehrsamkeit verbundenen Klugheit (VeG 67); An Doris (VeG 90). Bey dem am 4. Jan. MDCCXXX. in Hamburg feyerlichst zu vollziehenden Lastrop-Beselerischen Ehe-Verbündniß wollte folgende eilige Zeilen zum Zeichen seiner Ergebenheit einsenden Beyder Verlobten Pflicht-schuldigster Diener und Vetter, Friederich von Hagedorn. In: PdN4, 139. Ode auf das frühe Absterben des seel. Herrn J. B. Brockes (auch in PdN6, 270). An Herrn Michael Richey. Wieder abgedruckt in: Richey: Deutsche und Lateinische Gedichte. Dritter und letzter Theil, S.373 - 375. Poetische Gedancken über Sr. Hoch-Weish. Des Herrn Brockes Gedichte. Verändert in: PdN6, 378. Bey der Lake- und Campbellschen in Hamburg glücklich vollzogenen Ehe-Verbindung reimte folgendes ein dem Herrn Bräutigam wohlbekannter Verwalter, unweit Silk, Aumühlen / Hamburg [1745].
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Einleitung
Nachlaß findet sich schließlich noch ein Lobgedicht auf eine Disputation des Hamburger Bürgermeisters Franz Anton Wagner (1738)88, und in der Zeitschrift Hamburg und Altona erscheint 1806 unter dem Titel Zur Hamburgischen Litterärgeschichte „[a]us einer Hamburgischen Manuscripten=Sammlung des bekannten Georg Behrmann" das Gedicht Als der H. v. Hagedorn, des sel. v. H., dänischen Residenten, ältester Sohn, von der englischen Court in Hamburg 1733 zum Sekretair erwählt ward, entwarf er folgende Zeilen. 1726 veröffentlicht Hagedorn unter den Namen „Philaretus" und „Charles de Sottenville" in der Tradition der Galanteriekritik zwei satirische Briefe in Der Patriot (P 52ff.; vgl. Kap. 3.1). Im ersten Brief stellt Hagedorn eine Reihe moralischer Charaktere vor, die Fehler der Jugend einerseits, Fehler des adligen oder höfischen Lebensstils andererseits entlarven. Im zweiten Brief läßt Hagedorn einen galanten Briefschreiber selbst zu Wort kommen, der seine literarischen Ambitionen sowie seine Bibliothek vorstellt. Zwei Jahre später erscheint ebenfalls unter dem Namen „Philaretus" in Johann Georg Hamanns Die Matrone ein theoretischer Aufsatz über die Seelenkräfte sowie unter dem Namen „L'indifferent" die leicht verändert in den Versuch einiger Gedichte aufgenommene und später zum Schreiben an einen Freund umgearbeitete Satyre von dem unvernünftigen Bewundern (vgl. Kap. 3.1). 89 Der Aufsatz beschäftigt sich in einer komplizierten und in sich widersprüchlichen Form mit dem Verhältnis von Wille und Verstand, die
88
85
Schreiben einer Hamburgischen, unverheirateten Frauenzimmer=Gesellschaft an Mademoiselle Mariane Brockes. Auszug in: EschIV, 157f. Als Herr Franz Anton Wagener (jetziger Bürgermeister) d. 1 Oct. 1738 auf dem Hamburg. Gymnasio unter Richeys Vorsitze dessen Historiam Statutorum Hamburg, vertheidigte (HN 3). Die Zuschreibung des Aufsatzes von der Menschlichen Seele stammt von Schmid unter Berufung auf Christian Ludwig von Hagedorn: Biographie der Dichter, S.364; ders.: Nekrolog, S.284, 312; vgl. auch: EschIV, 33. Bibliographisch folgen diesen Angaben: Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, S.26, Muncker: Einleitung, S. 10, Gronemeyer: BK 727. Ein weiterer Beleg kann das Pseudonym „Philaretus" sein, das Hagedorn auch bei seinem Beitrag zum Patrioten verwendet hatte. Allerdings geistert dieser Name in verschiedenen Varianten als sprechender Name durch die Wochenschriften, vgl. z. B. in deutscher Ubersetzung als „Tugendlieb" im 46. St. der Matrone (S.321) und als „Philaret" im Patriot (Bd. I, S.179). Leibniz verwendet „Philaret" als Dialogpartner (Entretien de Philarete et d'Ariste). Für Gottsched gehört ein unter dem Pseudonym „Philaretus" schreibender Autor zum Kanon seiner Ausbildung: Erste Gründe Der Gesamten Weltweisheit [1733], unpag. (Vorrede). Vgl. dazu die verschiedenen Artikel zu „Philaretus" in: Zedier: UniversalLexikon. Bd.27 [1741], Sp.1800. Die beiden bekannten Beiträge zur Matrone sind nur zwei von mehreren, heute nicht mehr identifizierbaren (Schmid: Biographie der Dichter, S.365; ähnlich: ders.: Nekrolog, S.285; vgl. auch EschIV, 33).
Werkbesichtigung
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Satire entwirft ein erstes Mal den Typus des Weisen, der als Figur die Moralischen Gedichte Hagedorns dominieren wird. Versuch einiger Gedichte, oder Erlesene Proben Poetischer Neben-Stunden Die Vorrede zum Versuch einiger Gedichte (1729) ist das umfangreichste poetologische Programm Hagedorns. Sie behandelt im Kern drei Themen: zum einen die Verteidigung der Poesie und des Poeten, zum zweiten die Odenpoetologie, zum dritten die Satiretheorie. Die Poesie-Apologie entnimmt viele ihrer Argumente den Schriften Gottlieb Stolles (ein „gewisse[r] gelehrte[r] Schlesier[ ]"; VeG 6) und der Vertheidigung der Poesie von Massieu,90 die Hagedorn übersetzt haben will (VeG 4) (vgl. Kap. 3.1 u. 4.2). Die Odenpoetologie orientiert sich an Longin und entsprechend am Programm der hohen Odendichtung. Die Satiretheorie schließt an die juvenalische Satiretradition an, wenngleich Hagedorn sich in der Praxis oftmals am Horazischen Modell orientiert. Neben den bereits genannten Kasualcarmina enthält die Sammlung dreizehn andere, also ingesamt 16 Gedichte: die beiden Deskriptionen Beschreibungen eines Ballets und die Beschreibung des Jenischen Paradieses (vgl. Kap. 6), die juvenalischen Satiren Der Schwätzer (vgl. auch W l , 61ff.), Der Artzt, Der Poet, die Horazische Satyre von dem unvernünftigen Bewundern, die zuerst in der Matrone (s. o.) erschienen war, sowie die in der Tradition der Horazischen Episteln stehenden Gedichte Poetisches Sendschreiben an Herrn ]. D. P. und Die Grösse eines weislich=zufriedenen Gemähtes. Zwischen der letztgenannten Satire (oder Epistel) sowie der Ballettbeschreibung gibt es Ubergänge zu den Oden Der Wein und Die Poesie, die die dort ansatzweise vorhandene Erhabenheitsrhetorik über weite Strecken verwirklichen, und umgekehrt verbinden sich die beiden Oden den Satiren durch die Aufreihung moralischer Charaktere. Schließlich enthält die Sammlung noch den Heldenbrief Schreiben der Kleopatra an den Caesar (vgl. Kap. 4.3), die wohl im Zusammenhang mit der Lucan-Nachdichtung Veit Ludwig von Seckendorffs einzuordnende" Ubersetzung Rede des Photinus an den Egyptischen König Ptolmäum sowie das als „Anhang" aufgeführte französische Sonett Portrait d'Iris. Hagedorn verwendet im Versuch die auch später beibehaltenen metrischen Formen mit Ausnahme des im Anhang aufgeführten Sonetts sowie des Madrigalverses der Beschreibung des Jenischen Paradieses (vgl. Kap. 6).92
90 91 92
L'Abbé Massieu: Deffense de la Poesie. Muncker: Einleitung, S.12. Die metrischen Variationen beschränken sich bei einem Großteil der Gedichte auf zwei Grundformen. Die Satiren und Episteln - in diesem Fall kommt noch die LucanÜbersetzung hinzu - haben alle einen paarweise gereimten, mit paarweisen Kadenzen versehenen jambischen Vers mit variabler Strophenanordnung in Nachahmung der Horazi-
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Einleitung
Hagedorn als Publizist, Herausgeber und Beiträger Nach seiner Rückkehr aus England läßt Hagedorn immer wieder verlauten, er wolle nicht in Zeitungen und Zeitschriften erscheinen.'3 Wie so vieles gehört auch das (gerade in der Medienhauptstadt Hamburg) 94 zu dem von Hagedorn aufgebauten Autorbild. Die Zeugnisse auf diesem Gebiet sind rar. Zeitweise scheint Hagedorn gemeinsam mit J. F. Liscow die Privilegirten Hamburgischen Anzeigen betreut zu haben. Jedenfalls hat sich handschriftlich ein scherzhafter Kontrakt zwischen dem Verleger König, dem Sekretär J. F. Liscow und Hagedorn über die Herausgabe der Privilegierten hamburgischen Anzeigen aus dem Jahr 1737 erhalten,95 und in der gleichen Zeit veröffentlicht Hagedorn in den Anzeigen den Versuch einer Abhandlung von den Gesundheiten und Trinkgefässen der Alten.96 Die Form antiquarischer Gelehrsamkeit verbindet den Aufsatz mit den Anmerkungen zu Der Wein im Versuch einiger Gedichte. Berthold Litzmann ordnet Hagedorn die Verfasserschaft einiger Rezensionen zu, u. a. zu Christian Ludwig Liscow. Aus einem Brief von J. F. Liscow an Gottsched schließt er, Hagedorn habe am Rezensionsteil des Hamburgischen Correspondenten und der Nieder=Sächsischen Nachrichten mitgearbeitet. Liscow hatte dem Brief einige Stücke der beiden Zeitungen beigelegt und den betreffenden Rezensenten mit der ,,geschickte[n] poetische[n] Feder, von welcher man einige Stücke nach dem Geschmack des Hrn. Fontaine hat", umschrieben. Da der Brief aber vor der Veröffentlichung von Hage-
schen Epistel (Nickisch: Brief, S. 180). Lediglich die Grösse eines weislich "Zufriedenen Gemühtes hat eine sechszeilige Strophe mit fünfhebigen Jamben, bei der auf einen umarmenden Reim ein Paarreim folgt. Die angemerkten Ubergänge zwischen diesem moralischen Gedicht und den Oden sowie der Lobode über Das frohlockende Rußland ergeben sich auf diese Weise auch metrisch, insofern das moralische Gedicht gleichsam den zweiten Teil der Odenformen verkehrt: Die Oden haben einen vierhebigen jambischen Vers mit einer aus einem kreuzweise gereimten Vierzeiler und aus einer Schweifreimstrophe (c c d e e d) zusammengesetzten Form. (vgl. Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen, S.515f.). Die Vortrefflichkeit der mit Gelehrsamkeit verbundenen Klugheit weitet das Odenschema auf einen sechsfüßigen Jambus aus, die Ode An Doris verwendet nur den zweiten Teil der Strophe, also die Schweifreimstrophe, wiederum mit einem vierhebigen Jambus (ebda., S. 487ff., 710f.), und das Schreiben der Cleopatra an den Caesar verkehrt die Kadenzfolge von An Doris mit einem sechshebigen Jambus (vgl. auch ebda., S.524). 93
94 95 96
Hamanns Vernünftiger Träumer - so Hagedorn - falle gegenüber den englischen Wochenpapieren ab. Er habe kein Interesse an Publikationen in "gelehrten Gazetten", "denn ich achte die Ehre vor sehr eitel und habe dazu überdis weder Zeit, noch Lust, wie vordem, für andere zu arbeiten" (an C. L. von Hagedorn; 22. 1. 1732; Β 23f.; vgl. dazu Wl, XXVII). Vgl. dazu: Tolkemitt: Der Hamburgische Correspondent, S.10, 39f. Abgedruckt bei: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.90f. Versuch einer Abhandlung von den Gesundheiten und Trinkgefässen der Alten. Abgedruckt in: EschrV, S.145ff.
Werkbesichtigung dorns Fabeln
und Erzehlungen
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datiert 5 7 und H a g e d o r n sich v o r dieser S a m m -
lung bis auf eine eher nebensächliche Ausnahme 9 8 nicht an L a F o n t a i n e anlehnt, leuchtet nicht unbedingt ein, w a r u m H a g e d o r n m i t dieser U m s c h r e i bung genannt sein soll. 1731 rückt H a g e d o r n in zwei N u m m e r n der Nieder=Sächsischen richten drei kleine satirische Gedichte ein: das in der Poesie der erneut publizierte Gedicht Der Berg und der PoetAuf Thonrichtige
Predigt100
den Titel Auf
den
eine sehr lange
und ein E p i g r a m m , das in der Poesie der Thrax
Nach-
Niedersachsen und
Niedersachsen
trägt. 1 0 1 A u s einem Brief an M a t t h ä u s
Arnold
W i l c k e n s v o m 3. 10. 1732 geht hervor, daß H a g e d o r n eine Cdio-Rezension verfaßt hat, u m eine strengere Kritik zu verhindern. 1 0 2 H a g e d o r n 1 0 3 e r k e n n t z w a r Gottscheds Absicht, ein deutschsprachiges D r a m a i m W e t t b e w e r b der L i t e r a t u r e n zu etablieren, geht aber auf Gottscheds Cato-Kritik 1 0 4 nicht ein.
Litzmann spricht vom „ersten Briefe" des „jüngere[n] Liscow" (Christian Ludwig Liscow, S.112). Der erste der im Anhang abgedruckten Briefe J. F. Liscows an Gottsched ist auf den 9. 7. 1733 datiert. Die erwähnte Stelle enthält jedoch erst der zweite Brief vom 13. 11. 1733 (ebda., S.150). Tolkemitt folgt Litzmann: Der Hamburgische Correspondent, S.37. Vgl. zu Spekulationen über Hagedorns Mitarbeit an den Belustigungen: EschIV 60. Nach Carl Schüddekopf hat Hagedorn am Bewunderer mitgearbeitet (Gleim / Uz: Briefwechsel, S.450). Er beruft sich dabei auf Karl Jacobys Arbeit über Die ersten moralischen Wochenschriften Hamburgs (S.46), der jedoch nur Ebert als Mitarbeiter angibt. 98
99
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Zu dem im folgenden genannten Gedicht Der Berg und der Poet in den Nieder "Sächsischen Nachrichten gibt es eine Version von La Fontaine (vgl. die Quellenangabe im Inhaltsverzeichnis zu den Fabeln in VFE unpag. und W2, unpag.). Der Berg und der Poet. In: Nieder « Sächsische Nachrichten. Wieder gedruckt in: PdN4, 356. Hagedorn: Auf eine sehr lange und Thonrichtige Predigt. Hagedorn: [Auf den Thrax]. In: Nieder-Sächsische Nachrichten. Wieder gedruckt in: PdN4, 355. Litzmann bestimmt sie als die in den Nieder "Sächsischen Nachrichten erschienene, führt dafür aber keinen genauen Beleg an (Christian Ludwig Liscow, S.123). Ihm folgen darin: Waniek: Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit, S.311; Guthke: Literarisches Leben, S.100; Gronemeyer (BK 729). Hagedorn: [Besprechung von Gottsched: Sterbender Cato], Hagedorn beginnt die Rezension mit der Darlegung der besonderen Ansprüche eines Trauerspiels, die aus der gehobenen Stillage und dem Katharsis-Theorem folgen, verliert daraufhin einige Worte zu ausländischen Gito-Dramatisierungen, um schließlich lobend auf Gottscheds Zusammenführung von Addison und Deschamps sowie dessen eigene Gestaltung hinzuweisen. Die Rezension schließt mit neun Zitaten, die Hagedorn zufolge den Glanz des Werks durch ihre Fehlerhaftigkeit verstärken sollten. „Endlich muß niemand denken, als wenn die Absicht dieses Trauerspieles diese wäre, den Cato als ein vollkommenes Tugendmuster anzupreisen, nein, den Selbstmord wollen wir niemals entschuldigen, geschweige denn loben. Aber eben dadurch ist Cato ein regelmäßiger Held zur Tragödie geworden, daß er sehr tugendhaft gewesen, doch so wie es Menschen zu sein pflegen; daß sie nemlich noch allezeit gewisse Fehler an sich haben, die sie unglück-
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Einleitung
Cato bleibt ein „Held[ ]", ein bewundernswertes „Muster der Liebe des Vaterlandes",105 im Unterschied zu Hagedorns eigenem zwiespältigem CatoBild (PdN5, 316; W l , 12; W2, 53; W3, 44). Neben Hagedorns journalistischer Tätigkeit sind seine schriftstellerischen Arbeiten in England der zweite ungeklärte Punkt: Hagedorns Mutter hatte am 11. 4. 1731 an seinen Bruder geschrieben: "Fridrich ist die spräche so mächtig, daß er zwei kleine tractaten durch den Mann (Baron von Söhlenthal, S. M.) drucken lassen worüber die gelahrte sich sehr gewundert [...]".106 Bei diesen „tractaten" könnte es sich um Ubersetzungen handeln, denn am 23. 6. 1731 schreibt Anna Maria von Hagedorn: „Dein Bruder wird vermuthlich mehrere exemplaira von sein übergesetztes für dir eines mitbringen".107 Horst Gronemeyer gibt einen weiteren Hinweis: Im Hamburgischen Correspondenten finde sich am 22. 7. 1732 eine Notiz, daß Hagedorn in England „dem Berichte der Engelländer nach, eine Ubersetzung von Sybilla Capitolina [habe] drucken" lassen.108 Ein größeres - von Hagedorn wie der Versuch einiger Gedichte später kritisiertes - Konvolut bilden die Gedichte in der Poesie der Niedersachsen. Wie bei den erwähnten Zweitveröffentlichungen handelt es sich zu einem Großteil um kürzere, oft epigrammatische Gedichte mit satirischem oder moralischem Inhalt109, um Kasualcarmina,110 um einige Oden111 und ein Schäferge-
lich machen können. [...] er treibet seine Liebe zur Freiheit zu hoch, so daß sie sich in einen Eigensinn verwandelt. Dazu kommt seine stoische Meinung von dem erlaubten Selbstmorde. Und also begeht er einen Fehler, wird unglücklich und stirbt: Wodurch er also das Mitleiden seiner Zuhörer erwecket, ja Schrecken und Erstaunen zuwege bringet" (Gottsched: Sterbender Cato, S.17). 105 106 107 108
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[Besprechung von Gottsched: Sterbender Cato], S.676. Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.94f. Ebda., S.112. Vgl. auch: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.24. Gronemeyer verweist auf die von Hagedorns Bekanntem Pierre Daudé herausgegebene Ausgabe: Sibylla Capitolina, Pubiii Virgilii Maronis poemation; interpretatione et notis illustratum a S. L. Oxonii 1726 (BK 745). Eine sehr seltne Sache (PdN4, 354; vgl. Wl, 95); Selbst-gewehltes Lob (PdN4, 354); Auf den Gothilas (PdN4, 355; vgl. Wl, 96); Auf den Thrax (PdN4, 355; s. o.); Der Berg und der Poet (PdN4, 356; s. o.; vgl. W2, 53); Poetischer Schertz zum Theil nach einer Frantzösischen Sinn-Schrift (PdN4, 362); Susanna nach Anleitung zweyer Gedichte von Prior und Cobb (PdN5, 244; vgl. 2 MG, 265; Wl, 96); Thrax (PdN5, 245); Der neue Stertinius (PdN5, 315); Auf ein übel - gerathenes Bildniß (PdN6, 279); Ruhige Lebens- Art (PdN6, 386; vgl. Wl, 27). Die erwähnten Gedichte auf das Lastrop-Beselerische Ehe- Verbündniß (PdN4, 139), auf den Tod von Brockes Sohn (PdN6,270) und auf dessen Gedichte (PdN6, 378). Ode an einen guten Freund (PdN4, 395); Winter-Vergnügen in einer Ode an seinen wehrtesten Freund, Herrn M. A. Wilkens (PdN4, 399; Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.12); Der schlechte Wein (PdN5, 317; Oli, 71; W3, 46); An den Schlaf (PdN5, 327; Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scher-
Werkbesichtigung
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dicht 1 1 2 sowie u m vier kürzere Verserzählungen, drei davon n a c h englischen V o r l a g e n . " 3 V o n den 2 8 Gedichten hat H a g e d o r n ungeachtet all seiner P o lemik gegen das eigene F r ü h w e r k zwölf Gedichte in die Werkausgabe übernommen. H a g e d o r n publiziert weiterhin in den musikgeschichtlich wegweisenden Sammlungen: 1 1 4 1733 in G e o r g Philipp Telemanns Singe=, ralbaß=
Übungen
T e l e m a n n s Vier und zwanzig,
theils ernsthafte,
theils scherzende,
und schließlich i m zweiten und dritten Teil der Sammlung auserlesener
Oden
Spiel=,
und
Gene-
ein Lied mit d e m Titel Der Spiegel, vier weitere O d e n in Oden
(1741) 1 1 5
verschiedener
und
v o n J o h a n n Friedrich Gräfe jeweils eine O d e ( 1 7 4 0 und
1741), v o n denen eine später erweitert zu den Verserzählungen
geordnet
wird. 1 1 6 H a g e d o r n knüpft damit an eine Liedtradition an, die bis heute literaturwissenschaftlich nicht erforscht ist. 117 Schließlich bleibt n o c h der v o n H a g e d o r n mit Matthäus A r n o l d W i l k e n s herausgegebene u n d mit einer k u r z e n V o r r e d e versehene Auszug nehmsten
Gedichte, aus dem von Herrn
len herausgebenen
112 113
114
115
116
117
Irdischen
Vergnügen
Barthold Heinrich
der
Brockes in fünf
vorThei-
in Gott zu e r w ä h n e n (1738) (vgl. K a p .
zende, Oden, S.9; Oil, 66; W3, 111); Ode (PdN5, 328; Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.16; Oil, 68; W3, 88); Ehestands-Fodrung (PdN5, 355); [Drei Epigramme nach Martial und Bussy] (PdN5, 364). Phillis: Schäfer-Gedicht (PdN4,401; VFE 135; W2, 77). Gegeneinanderhaltung eines weisen Armen und reichen Thoren (PdN4, 392; vgl. VFE 109; W2,63) - diese Erzählung könnte man aufgrund ihres lehrhaften Charakters auch als Fabel einordnen; Aurelius und Beelzebub (PdN4, 408; vgl. VFE 121; W2, 69); Paulus Purganti und Agnese (PdN4,411; VFE 185; W2,104); An Ephelien 1730 (PdN5, 325). Vgl. zur Liedästhetik und zur Bedeutung der Sammlungen von Telemann und Gräfe: Kross: Geschichte des deutschen Liedes, S.62ff. Vgl. auch: Richter: Telemanns Lieder nach Hagedorn, S.90. Indoctum sed dulce bibenti, An den Schlaf, Trinklied, Jugendlust, Lob des Weins. In: Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.5 (Oil, 63; W3, 99), 9 (ΟΠ, 66; W3,111), 12,16 (ΟΠ, 68; W3, 88), 20. [Apollo, ein Hirte] (der Titel stammt aus der erweiterten Version in VFE 130 und W2, 74; Eschenburg wählt den Titel Wünsche; EschlV, 137); An den Schlaf. In: Sammlung verschiedener und auserlesener Oden. Zum Singen der Hagedornschen Lieder - u. a. in dessen eigener Anwesenheit - vgl.: Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.370. In diesem Zusammenhang ist auch das handhabbare Format der Odenausgabe von Bedeutung: Β 175. Dazu: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.35f. Vgl. zur Liedtradition (u. a. in Hamburg) mit einem Plädoyer für Kontinuitäten: Waldberg: [Einleitung], Sammlungen wie das Venus-Cärtlein, Poetisches Lust-Gärtlein oder Tugendhaff· ter, Jungfrauen und Jung-Gesellen Zeit-Vertreiber wären auf ihre Bedeutung für Hamburg zu untersuchen, zumal bei einer Hamburger Liedtradition, die Namen wie Rist, Zesen oder Finckelthaus aufzubieten hat. Dabei müßte man Waldbergs Problematisierung der Uberlieferungszusammenhänge beachten, denn die zum Gebrauch bestimmten Lieder finden nicht unbedingt Hingang in die Sammlungen.
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Einleitung
6). Auf ein Rarum machen Hans Schröder und ihm folgend Horst Gronemeyer aufmerksam (BK 737): Bei der von Georg Philipp Telemann, Paolo Scalabrini, Filippo Finanzzi, Karl Christoph Hachmeister und von Wich komponierten, von Georg Ludwig von Bar französisch gedichteten und von Francesco Darbés ins Italienische übersetzten Kantate II Tempio di Melpomene (1747) soll Hagedorn die deutschsprachigen Texte von Euterpe und Hammonia übersetzt haben.118 Am Ende noch zwei Kuriosa: Im Schreiben an einen Freund hatte Hagedorn Pope gegen einen Plagiatvorwurf in Schutz zu nehmen versucht und sich dabei hinsichtlich der Erstausgabe von Roger de Piles Idée d'un peintre parfait getäuscht. Er läßt daher in den Hamburgischen Correspondenten und in die Göttingischen Anzeigen eine Korrektur einrükken, die er in der Werkausgabe ein zweites Mal korrigiert (Wl, XVIII; vgl. Kap. 4.2).119 Fabeln und Erzählungen Mit dem 1738 erschienenen Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen (weitere Auflagen und Nachdrucke im 18. Jahrhundert: 1752, 1753, 1763), den Hagedorn 1750 im ersten Teil der Moralischen Gedichte fortsetzt (vermehrte Auflage 1753), beginnt er diejenige Textur zu flechten, die er als sein Werk begreifen wird. Beide Teile zusammen ergeben dann die zwei Bücher Fabeln und Erzählungen im zweiten Teil der Werkausgabe. Die Erzählung von Adelheid und Henrich erscheint auch als Einzeldruck (1747). Hagedorn galt - z. B. für Geliert (EschV, 142f.) - als Kompetenz in Sachen Fabeldichtung und -theorie. Schon das Inhaltsverzeichnis zur Fabelsammlung, in dem Hagedorn seine Vorlagen auflistet, weist ihn als Experten aus. Im Briefwechsel mit Bodmer bespricht Hagedorn die neuen Ausgaben und diskutiert konzeptionelle Probleme, freilich - wie sonst auch in den Briefen nur stark verknappt. Im Zentrum steht dabei die Diskussion um die Wahrscheinlichkeit der Fabel in der Tradition La Fontaines,120 um die Vermenschlichung der Tiere (der „Grad des Verstandes" ist den Tieren angemessen, der instinktive Tätigkeiten als bewußte Tätigkeiten erscheinen läßt)121 und um die delektierende oder belehrende Absicht der Fabeldichtung (EschV, 186). Zwischen Naturkunde und Wirkungsästhetik bleibt allerdings ein großer 118
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II Tempio di Melpomene, su le rive dell'Alstra, da rappresentarsi nel grande teatro die questa illustre citta di Amburgo, nel carnovale dell'anno 1747, Amburgo. [Korrektur des Schreibens an einen Freund]. In: Stats= u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten; [Korrektur des Schreibens an einen Freund]. In: Göttingische Anzeigen. Vgl. zum Verhältnis Tier-Mensch bei La Fontaine: Ott: La Fontaine als Vorbild, S.85ff., insbesondere S.96. Im Unterschied dazu sind die Tiere der Gellertschen Fabeln nur „maskirte Menschen" (EschV, 171).
Werkbesichtigung
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Raum, dessen relativ freie Ausgestaltbarkeit Hagedorn immer wieder - auch ironisch - als Merkmal der Fabel hervorhebt: „Man darf mit Blum und Frucht vertraulich reden, lachen; / Doch nur in Fabeln: weiter nicht" (W2, 37; vgl. auch W2, 55). Die Rede unbelebter Gegenstände und abstrakter Vorkommnisse (etwa einer Viertelstunde) scheint ihm allerdings das „Natürliche der Fabeln" zu sehr zu „erniedrige[n]" (B 97), auch wenn er die Worte „Ja" und „Nein" gegeneinander antreten läßt (W2, 55).122 Hagedorns halb ernstgemeinte, halb scherzhafte naturkundliche Anmerkungen beschäftigen sich mit dem Wortschatz der „Fabelsprache" der Tiere (W2, 123, Anm.*), mit der mehr oder weniger großen „Gescheidheit" von Papagei und Turteltaube (W2, 48, Anm.2) oder mit der Klugheit und Verhaltensweise der Ameise, wie sie in literarischen Werken tradiert, von der Insektenkunde jedoch mittlerweile widerlegt werden - „ein Dichter, insonderheit ein Fabulist" hat eigene Freiheiten (W2, 118, Anm.*). Hagedorn bewegt sich hier auf noch unsicherem Gebiet: „Was den Verstand der meisten Thiere anbetrift, und wie verständig sie in fabelhaften Erzehlungen erscheinen müssen, das scheinet mir beydes noch [...] unausgemacht [...]" (26. 12. 1744; Β 139). Naturkundliche und poetologische Fragen vermischen sich, so daß die Poetologie direkt in Anthropologie übergeht. „Das aber würde seine (eines anonymen Fabeldichters, S. M.) Thiere menschlicher vorstellen und, wenn ich es gestehen darf, in meinen Augen so lange kein Fehler seyn, als würklich alle Grade des Unterscheids zwischen Menschen und Thieren, in gewissen Fällen, noch unbestimmt sind. Doch muß man freylich die Thiere nicht zu künstlich philosophiren lassen [...]" (B 140). Genau diese Unsicherheiten der Fabelpoetologie bringen ja Gottsched in der Nachfolge Wolffs123 verwirrenderweise dazu, Fabel als Zentralbegriff der Poesie überhaupt ins Spiel zu bringen, nur daß die Gattung „Fabel" einen erweiterten Natur-Begriff hat, weswegen er unglaubliche, glaubliche und die aus beidem vermischte Fabel unterscheidet.124 Das Lehrhafte der Fabel wird von Hagedorn kaum je erörtert. Er markiert den medialen Umbruch im Prozeß der (konzeptionellen) Verschriftlichung der Fabel125, indem er die Fabeln durch Quellenbelege und Ironisierung der Exempelgeltung intertextuell situiert (vgl. Kap. 4.2) und auf Buch122
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Vgl. dazu den Kommentar bei Guthke: Friedrich von Hagedorn und das literarische Leben seiner Zeit im Lichte unveröffentlichter Briefe an Johann Jakob Bodmer, S.27, Anm.88; BK 502. Vgl. dazu die Philosophia practica universalis (übersetzt in: Leibfried / Werle (Hrgg.): Texte zur Theorie der Fabel, S.34ff.). Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.202ff. Eine andere Unterscheidung ist die nach „Inhalt" und „Schreibart" in hohe und niedrige Fabeln (ebda., S.208) - zur letztgenannten Abteilung gehört die Gattung „Fabel". Ter-Nedden: Fabeln und Parabeln zwischen Rede und Schrift, insbesondere S.71, 75, 79f.
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Einleitung
stäblichkeit umstellt, d. h. die Gewichte von einer variabel erzählbaren Lehre zu einem wortwörtlich zu wiederholenden Textkunstwerk verlagert. Hinzu kommen dann noch die buchkünstlerischen Aspekte wie Vignetten und Leisten (s. u.).126 Gleichwohl versteht sich praktisch der Zusammenhang von docere und Fabel von selbst - jedenfalls hat ein Großteil der Fabeln Hagedorns eine explizit formulierte Moralisatio, und viele andere haben eine implizite Lehre. Und zudem stellen die Überlegungen zur Form der Fabel Beiträge zur Wirkungsästhetik dar. Die Fabel rechnet mit der Verderbnis des menschlichen Charakters, nimmt deswegen „den Schein der Einfalt an" und bringt das „Wahre" in Gestalt eines „Mährchens" zum Ausdruck (W2, 128). Man sieht die Implikationen der Wirkungsästhetik deutlich am Unterschied der drastischen Einleitungsfabeln zur Sammlung, die religiöse Themen und Lehrangebote aufgreifen (vgl. Kap. 5.1). Der göttliche Richterspruch über David, der sich an die die Wirkung des Erzählten demonstrierende Fabel in der Fabel von Nathan anschließt, formuliert ein poetologisches Argument: „An ihnen (den Frauen Davids, S. M.) soll das Volk, was insgeheim geschehn, / Bey lichtem Sonnenschein mit Schmach gerochen sehn" (W2, 6). Im Gegensatz dazu steht die Ästhetik der Mehrzahl der Hagedornschen Fabeln, die man mit An Hypsäus so formulieren könnte: „Nicht jeder Wahrheit Bild kann helle Farben leiden, / Die reizt, wann um ihr Licht ein zarter Schatten spielt. / Uns brennt der Sonne Gluth auf unbepflanzten Heiden, / Die uns zur Anmuth strahlt, wenn sie ein Lustwald kühlt" (Wl, 83). In einer Anmerkung (zu einer Anmerkung) zu dem Epigramm La = Motte jedenfalls trennt Hagedorn Fabeln und Erzählungen voneinander. Im Zusammenhang mit der Querelle des Anciens et des Modernes (vgl. Kap. 4.2) bringt Hagedorn eine Reihe von Argumenten für die (freie) Nachahmung: Unter den ältesten Fabeln giebt es gewisse Meisterstücke, die, in ihrer Einfalt und Weisheit, fast so schön und lehrreich sind, als ein Character in Sallust und Tacitus. Auch nur daher verbleiben sie allgemein und unvergeßlich. Sollte man nicht, wie La Fontaine, sie vor Augen haben müssen, wenn man, wie er, in dieser Schreibart sich üben und zeigen will? und kann man es, mit glücklichem Erfolg, thun, wird man Sitten lernen, und in Gleichnissen lehren, wie es einem Fabulisten oblieget, ohne auch in der so nöthigen Kenntniß des Menschen und der Welt unvermerkt fortzuschreiten? Was die Erzehlungen, im genauesten Verstände, betrifft; so dienen sie mehrentheils zur Belustigung [...]. (Wl, 104f., Anm.*)
Ein zweites Unterscheidungskriterium· legt die Fabel auf den Fundus „alte[r] Wunderzeiten" fest, wohingegen sich der Erzähler auf „neuerfe] Seltenhei-
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Vgl. dazu Tiemann: Fabel und Emblem; Hueck: Textstruktur und Gattungssystem. Witte schätzt die Fabel als Ubergangserscheinung im Alphabetisierungsprozeß ein: Die Fabel referiert auf Literalität wegen ihres Kunstanspruchs und auf Oralität wegen ihrer Bildlichkeit (Emblematische Bilder, S.717f.), und dazu gehören auch die Illustrationen (ebda., S.737).
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ten" beziehe (W2, 142, vgl. aber auch Β 366). Die wichtigste Rezension der Fabeln, der umstrittene Vergleich zwischen Hagedorn und Daniel Stoppe in den Critischen Beyträgen (vgl. Kap. 4.2), rät dazu, die Fabel getrennt von den frivolen Erzählungen zu veröffentlichen. Im übrigen beharrt Hagedorn darauf, daß in den „Liedern und einigen Erzehlungen" sein „höchster Witz [nicht] in blossen Reitzungen bestanden" habe (19. 5. 1753; Β 373) - allerdings steht dieses Diktum bereits im Kontext der forcierten Herausbildung des Autormodells, innerhalb dessen die Lieddichtung (und eben auch die Erzähldichtung) problematisch wird (vgl. Kap. 3.2; vgl. jedoch bereits Β 97). Die Kritiken reflektieren das, indem sie die Moralischen Gedichte und die Fabeln und Erzehlungen der Lieddichtung gegenüberstellen.127 Der Vorbericht zu den Fabeln und Erzehlungen beginnt mit dem Satz: „Diese Sammlung enthält Versuche in der Kunst zu erzehlen, oder freye Nachahmungen der Alten und Neuern, welche sich in dieser Kunst hervorgethan haben" (W2, 3). Das korrespondiert dem letzten Satz, der auf das Ungenügen am Versuch einiger Gedichte und auf eine künftige verbesserte Version der Sammlung aufmerksam macht: „Viele Veränderungen in demselben werden bezeugen, wie wenig ich mit der Ausgabe zufrieden bin, welche vor neun Jahren dem Drucke von mir überlassen worden" (W2, 4). Mit anderen Worten: Die „Kunst zu erzehlen" steht im Kontext der Verbesserungsästhetik, die eine Ethik von Autorschaft begründet (vgl. Kap. 3.2). Wenn die Wahrheit der Fabel, ihre „Seele", allgemein ist, dann ist die Form, der „Körper" oder die Einkleidung der Fabel, individuell. Daher schließt an den Einleitungssatz der Vorrede auch die Vorgabe für den Umgang mit den Quellen an, die nicht mehr frei flottierend im Gattungszusammenhang verfügbar sind (dazu auch Wl, VII; vgl. Kap. 4.2). Hinzu kommt noch, daß die Fabeldichtung in den polemischen Diskurs um den Status der Nationalsprachen eingebettet ist, in dem es u. a. um die Poesiefähigkeit des Deutschen geht.128 Keine Besprechung der Fabeln stört sich jedenfalls an einer fehlenden
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So ζ. B.: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1744, 167. St., unpag.; Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie überhaupt, 1745, 16. St., S.126. Das wird beispielsweise in der Rezension der Hagedornschen Fabeln in den Beyträgen Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (1739, 22. St., S.306Í.) deutlich. Daher erklärt sich auch das besondere Interesse der Rezension an der formalen Gestaltung der Fabeln. Bodmer ordnet Hagedorns Fabeln an den Beginn einer Tradition deutschsprachiger, poetologisch wünschenswerter Allegorik ein: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.623. Derartige Einordnungen kommen auch ohne dezidiert programmatische Intention zustande, etwa im Brief von Johann Joachim Gottlob Am Ende an Hagedorn vom 23. 11. 1742 (HN 17). Vgl. auch: Mitchell: Aspekte der Fabeltheorie im 18. Jahrhundert vor Lessing, S.133. Kästners kleine Anmerkung zu seinen Fabeln bezieht sich auf diesen Zusammenhang, vielleicht sogar speziell auf Hagedorns
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Einleitung
Lehrhaftigkeit von Hagedorns Fabel, hier werden lediglich die Erzählungen zum Problem. Steinmetz, Anger und Kemper ordnen die Fabeln Hagedorns dem Stilparadigma „Rokoko" zu, indem sie die in der Vorrede zu den Fabeln und Erzehlungen ausgesparte lehrhafte Absicht eine Verschiebung der Gewichte vom docere zum delectare anzeigen lassen, ein gesteigertes Interesse am scherzhaften Erzählen an sich.129 Im Vergleich mit anderen Sammlungen mag das einleuchten, wie die vergleichende Kritik der Sammlung von Stoppe und Hagedorn in den Critischen Beyträgen zeigt (vgl. Kap. 4.2), zugleich aber gilt: Hagedorn und seine Kritiker unterscheiden zwischen Fabeln und Erzählungen (im ersten Buch der Fabeln und Erzehlungen beispielsweise beginnen die Erzählungen W2, 74ff.). Von den 52 Fabeln haben eindeutig 38 eine explizite Lehre, die in 18 Fällen wiederum eindeutig130 in einem Epi- oder Promythion formuliert ist. Hinzu kommen didaktische Fabeln ohne explizite Lehre, als deren Prototyp die die Fabeln und Erzehlungen einleitende Fabel von Davids Bestrafung gelten kann (vgl. 5.1). Welches Verhältnis zwischen Lehre und Bildteil besteht, ist eine ganz andere Frage (vgl. z. B. 4.2) und wird von den bisherigen Untersuchungen wegen der fehlenden Detailinterpretationen auch gar nicht zur Disposition gestellt. Hinzu kommt: Auf die 52 Fabeln folgen 18 Erzählungen, die Fabeln nehmen 69 Seiten ein, die Erzählungen 40. Man sieht bereits daran, daß Hagedorn sich für die Erzählungen mehr als doppelt so viel Platz nimmt. Noch deutlicher ist das Verhältnis im zweiten Buch der Sammlung: Dort gibt es nur zwei eindeutige Erzählungen, die in drei „Erzehlung[en]" geteilte Geschichte von Adelheid und Henrich sowie Der Falke. Zwischen den Fabeln und den Erzählungen steht eine Reihe von elf Gedichten, von denen zwei ebenfalls zu den Erzählungen
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Fabeln: Er könne leider kein gelehrtes Quellenverzeichnis anführen. „Ich traue mir in der Kunst zu erzählen keine so große Geschicklichkeit zu, daß ich Etwas, das Andere schon gesagt haben, von neuem einzukleiden wagte, und bey gegenwärtigen Fabeln bin ich sicher, mit keinem Vorgänger in eine Vergleichung, die mir nachtheilig seyn könnte, gebracht zu werden" (Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. Erster Bd. Zweiter Theil, S.36). Anger: Nachwort. In: Hagedorn: Gedichte, S.198. Steinmetz: Nachwort, S.12*ff. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5/Π, S.180f. Den Stand der Fabelforschung in bezug auf Hagedorn dokumentiert Erwin Leibfrieds Standardwerk: Im Versuch in poetischen Fabel und Erzehlungen - so Leibfried - dominierten die Erzählungen, „die vergleichsweise wenigen Fabel sind epigrammatisch und episch" (Leibfried: Fabel, S.82). Abgesehen davon, daß „epigrammatisch und episch" erstens historisch zu verortende Begriffe sind und zweitens eine einigermaßen breite, d. h. wenig definite Spannweite eröffnen, ist die behauptete Dominanz der Erzählungen falsch. Dergleichen läßt sich allenfalls aufgrund eines sich nicht an den gattungstheoretischen Vorgaben Hagedorns orientierenden Fabel-Verständnisses behaupten. D. h.: auch typographisch abgesetzt oder deutlich als Erzählerkommentar markiert.
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gerechnet werden können (die Erzählung Der Hänfling des Pabstes Johannes des drey und zwanzigsten und die kurze bukolische Erzählung Die Undankbarkeit des männlichen Geschlechts) sowie neun kleinformatige Gedichte, die moralische Charaktere vorstellen, also keine explizite, sehr wohl aber eine deutlich implizite Lehre haben. Von den 34 Fabeln wiederum haben 25 eine eindeutig explizite Lehre, 18 davon ein Pro- oder Epimythion. Eine Feststellung wie „Der belehrende Charakter fehlt fast ganz" läßt sich jedenfalls kaum belegen.131 Erst Walter Gebhard beschäftigt sich mit der „ImperativErziehung" der Hagedornschen Einleitungsfabeln.132 La Fontaine kann Vorbild für Hagedorns imitatives Verhalten sein (Wl, VII, 105; Β 253), und Hagedorn kann ihn - wie in der Vorrede zu den Fabeln und Erzehlungen - gegen Zinzendorf verteidigen (W2, 3f.), was natürlich um so leichter ist, da Zinzendorfs moralische Radikalität für den aufklärerischen Diskurs nur wenig attraktiv ist (vgl. Kap. 5). Er kann La Fontaine aber auch kritisieren, weil der Franzose seine Vorgänger nicht anführt und sich mit dem Schein von Originalität umgibt (Wl, [X]XIV, Anm.8; W l , 99; Β 50). Unberührt davon bleibt die Tatsache, daß La Fontaine die meistgenannte Quelle Hagedorns in den Fabeln und Erzehlungen ist. Daß er ihn aber so gut wie immer in einer Gruppe anderer Quellen nennt, kommt einer Korrektur des La Fontainschen Traditionsverhaltens gleich.133 In diesem Kontext weist die Abwehr einer Verbindung zu La Motte in dem Epigramm La=Motte, die wegen des menschlichen Personals und der Einführung von Prologen naheliegt,134 möglicherweise auf eine größere Nähe zu La Fontaine hin. Beide haben Stellvertreterpositionen inne, La Motte fürs prodesse (und für die Erfindung von Fabeln), La Fontaine fürs delectare.™ Die lehrhaften Fabeln unterscheiden sich von den bloß scherzhaften Erzählungen. Eine offensichtlich didaktische Absicht liegt der Mehrzahl der Gedichte zugrunde. Einige der Fabeln Hagedorns stehen zudem in der Tradition des dreigliedrigen Aufbaus der Fabel im Mittelalter. Diese Dreigliedrigkeit konnte sich dann im 16. und 17. Jahrhundert mit der Erfolgsge-
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Dithmar: Die Fabel, S.53. Wenig aufschlußreich ist auch: Doderer: Fabeln, S.300f. Überzeugend hingegen Alt: Die Fabeln Hagedorns neigen zur „allegorischen Erzählform [...], die Elemente der ernsthafteren Lehrdichtung aufnehmen" (Die Aufklärung, S.259). Vgl. auch Siegrist: Fabel und Lehrgedicht, insbes. S. 106.
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Gebhard: Zur Anwendungsorientierung in der Fabel des 18. Jahrhunderts, insbesondere S.198Í. In einem Brief seines Bruders erfährt Hagedorn, daß Wagner, der Kupferstecher der Oden, aus einer Gedicht-Edition von La Fontaine Motive entnommen habe (HN 151). Lindner: Von der Gattung der Fabel zur Schreibweise der Parabel, S. 19, 23. Scherpe: Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, S.43.
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schichte der Emblematik verbinden.136 Bei Hagedorn erinnert ein schwacher Abglanz an die emblematische Fabeltradition in einigen Vignetten des Erstdrucks der Fabeln und Erzehlungen (sowie im zweiten Teil der größeren Werkausgabe), die eine Figur oder Episode aus dem Bildteil der Fabel wiedergeben.137 Das war auf jeden Fall so bemerkenswert, daß die Rezension der Fabeln in den Critischen Beyträgen auf die kostbare Ausstattung des Bandes hinweist, von dem der Rezensent „gestehen" muß, „daß das hamburgische (Werk, S. M.), so schön, und prächtig gedruckt ist, daß es ein Meisterstück heißen, und allem was auswärtige Völker aufzuweisen haben, trotzen kann. Die Stöckchen unter den Fabeln sind fast alle neu geschnitten, und alsdänn haben sie eine Ähnlichkeit mit dem Innhalte der Erzählung. Das Papier aber ist groß und von einer Güte, die dem holländischen wenig nachgiebt".138 Die (post-)emblematische Struktur vieler Hagedornscher Fabeln zeigt sich auch in der Auslegbarkeit des Bildes, die emblemtypisch durch die Distanz von Inscriptio und Subscriptio hervorgehoben wird.139 Wenn Hagedorn auf dem Titelbild des Versuchs in Fabeln und Erzehlungen eine Allegorie der Wahrheit abbilden läßt, mag das auch etwas über den Anspruch Hagedorns aussagen.140 Oden und Lieder Nachdem Hagedorn in den erwähnten Sammlungen von Telemann, Gräfe und Weichmann Oden veröffentlicht hatte, erscheint 1742 die erste eigenständige Sammlung Neuer Oden und Lieder mit den Vertonungen von Johann Valentin Görner, der 1744 eine zweite folgt. 1747 erweitert Hagedorn das Material, streicht die Noten und ordnet die Gedichte zu den Oden und Liedern in fünf Büchern."1 1752 werden dann auch die neuen Oden von Gör-
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Vgl. dazu: Tiemann: Fabel und Emblem; Hueck: Textstruktur und Gattungssystem; Witte: Emblematische Bilder. Vgl. zu Stichen bzw. zur Sorgfalt, mit der Hagedorn auf das Äußere seiner Werke geachtet hat, die Briefstellen Β 66, 126, 137 (dazu: BK 531), 175; vgl. auch 360, 386 (dazu: BK 699), 407 (dazu: BK 716). Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 1739, 22. St., S.306. Vgl. ζ. B. Das Gelübde. In dem als Inscriptio dem Bildteil vorausgestellten Vers - der anders als die typische, nur die Akteure nennende Fabelüberschrift ein Motto ist · formuliert Hagedorn ein Lehrangebot, daß die zitierte Auslegung als Subscriptio nicht explizit wieder aufnimmt, aber abdecken kann: „Nichts pflegt der Rachbegier an Thorheit gleich zu seyn" (W2, 8; vgl. Kap. 5.1). Vgl. im Unterschied zur unbekleideten weiblichen Gestalt bei Hagedorn die Allegorie der Fabel bei Triller, die sich mit einem transparenten, mit Fabelgestalten bemalten Kleid umgibt: Triller: Neue Aesopische Fabeln, unpag. Auflagen der ersten Sammlung im 18. Jahrhundert: 1744, 1752, 1756; Auflagen der zweiten Sammlung: 1752, 1756. Der von Görner herausgegebene Teil wurde 1757 noch einmal aufgelegt. Die Oden und Lieder in fünf Büchern werden 1754 in zweiter Auflage veröffentlicht.
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ner v e r t o n t und mit einer eigenen V o r r e d e versehen publiziert. Einige wenige O d e n gibt H a g e d o r n auch als Einzeldruck h e r a u s . " 2 In d e m ausführlichen V o r b e r i c h t zur O d e n s a m m l u n g , der gelehrt über Stand u n d Geschichte der Odendichtung in den Nationalliteraturen (mit n u r wenigen B e m e r k u n g e n zur antiken Dichtung) informiert, o r d n e t sich Haged o r n letztlich der humanistischen, insbesondere d u r c h K o n r a d Celtis' odarum
quattuor
Libri
(1513) begründeten 1 4 3 Tradition der liedhaften, sich auf
H o r a z berufenden O d e n d i c h t u n g ein, deren T h e m e n (heiterer Lebensgenuß, stoische Gelassenheit oder Preis des Landlebens) auch für H a g e d o r n vielfach verbindlich sind. Innerhalb der Zweiteilung der O d e n d i c h t u n g nach stilus sublimis u n d stilus mediocris
schlägt H a g e d o r n sich auf die Seite des letzteren
(vgl. K a p . 2): Seine Gedichte wünschen „nicht so sehr den erhabenen, als den gefälligen, C h a r a c t e r der O d e zu besitzen [...], d u r c h welchen dieselbe ihre V o r z ü g e reizender u n d gesellschaftlich m a c h e t " ( W 3 , III; vgl. Kap. 2) - das P e n d a n t dazu i m Musikalischen liefert T e l e m a n n in der V o r r e d e zu den auch v o n H a g e d o r n belieferten Vier und zwanzig [...] Oden, die „mit leichten und
fast
für
alle
Hälse
bequehmen
Melodien
versehen"
sind. 144
Wie
„horazisch" oder eben: wie wenig „horazisch" H a g e d o r n s Lieder sind, m a c h t der erste Blick auf die drei v o n H a g e d o r n übersetzten H o r a z - C a r m i n a über-
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Der Wein, Hamburg 1745 (auszugsweise auch in: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1745, 114. St., unpag.); Harvstehude, Hamburg 1746 (auch in: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1746, 156. St., unpag.). Im Rahmen von Rezensionen erscheinen: Die Alster und Die Rose, ein andernorts von Hagedorn nicht veröffentlichtes Gedicht Hagedorns in: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1744, 168. St., unpag. Die Rose erscheint mit der Ode An die Freude ein weiteres Mal in: Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie überhaupt, 1745, 16. St., S.126ff. Lob unsrer Zeiten erscheint in: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1747, 57. St., unpag.
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Viëtor: Geschichte der deutschen Ode, S.15ff. Vgl. dazu auch: Krummacher: Poetik und Enzyklopädie, S.259, 263. So formuliert es der Titel der Sammlung: „Ich zweifle nicht, daß meine Melodien, so mangelhaft sie auch, in Entgegenhaltung anderer, sind, mit in Erwägung gezogen seyn würden, die inzwischen doch zum Nutzen des gemeinen Wesens das Ihrige beytragen werden, zumal, da sie weder die Höhe einer Zaunkönigs- noch die Tiefe einer Rohrdrommelstimme erfodern, sondern in der Mittelstraße bleiben [...]" (Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.3). Vgl. zum Versuch einer Situierung Hagedorns in der Odengeschichte des 18. Jahrhunderts.: Viëtor: Geschichte der deutschen Ode, S.95ff: Viëtor verwendet für Hagedorn und Haller, die er zugleich als Gegenspieler begreift, die Gattungsbezeichnung „moralische Ode" (der Terminus findet sich dann wieder bei: Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.34; vgl. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.18). Guntermann: Von der Leistung einer poetischen Form, S.185f.: Für Guntermann ist Hagedorns Lyrik ein „Zwischenspiel" auf dem Weg von der repräsentativen Lyrik zur Ich-Ausage, innerhalb der „Progression der Subjektivität".
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deutlich (W3, 24ff.). Die Erhabenheitsästhetik, wie Hagedorn sie für die Odendichtung im Versuch einiger Gedichte proklamiert hatte, findet sich nur noch in der großen, die Sammlung abschließenden und vom Versuch verändert übernommenen Wein-Ode (vgl. Kap. 7.2). Neben dieser grundlegenden Einteilung der Odendichtung ist in der Vorrede insbesondere ein längeres Zitat aus dem Guardian poetologisch interessant. Wie bei den Fabeln und Erzählungen legt Hagedorn auch an dieser Stelle Wert auf die Form von Dichtung: Es ist wahr, sie (die „kleinen Gedichte", S. M.) erfordern eben keine Hoheit der Gedanken, noch eine besondere Fähigkeit, noch eine Kenntniß, die sehr weit gehet. Hingegen erheischen sie eine genaue Kunstrichtigkeit, die grösste Zärtlichkeit des Geschmacks, eine vollkommene Reinigkeit in der Schreibart, ein Sylbenmaaß, das vor allen andern leicht, angenehm und fliessend ist, einen ungezwungenen zierlichen Schwung des Witzes und der Einfalle, und zugleich einen einförmigen Entwurf voll natürlicher Einfalt. [...] ein Lied verlieret allen Glanz, wenn es nicht mit äusserster Sorgfalt poliret und ausgeputzet wird. Der geringste Fehler desselben gleichet einem Flecken in einem Edelgestein und benimmt ihm seinen ganzen Wehrt. (W3, Xllf.)
Nicht nur die moralische Leichtfertigkeit des Inhalts, auch die Form macht die Odendichtung zum bevorzugten Objekt der Selbstkritik. Denn die Form verbindet sich in diesem Fall mit einer bestimmten Altersstufe - der „Jugend" -, deren Signatur die Gedichtbewegung, den „Schwung des Witzes" etc., prägt (vgl. Kap. 3.2). Daher weist Hagedorn auch in einer Anmerkung zu dem Zitat die Anforderung der „Reinigkeit der Sprache", d. h. der grammatikalischen Korrektheit, von der Lieddichtung ab: Die formale Vollkommenheit entzieht sich einer regulativen Bestimmung und wird dem besonderen Feinsinn, dem „Geschmack", überantwortet. 145 Inhaltlich hält Hagedorn der zeitgenössischen Meinung entsprechend146 die Lieddichtung für unbestimmt. Die Kritiken heben beispielsweise immer wieder den satirischen Aspekt der Hagedornschen Oden hervor (vgl. Kap. 5.1).147 Das muß zwar wiederum im Kontext der Autorbiographik gesehen werden, hat aber seinen Grund natürlich auch in den Gedichten. Nicht umsonst endet das Guardian-Zitzt mit einem Vergleich von „Sinngedicht" und 145
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La Motte rechnet die sprachlichen Freiheiten zu den literarizistischen Momenten: „Der Poet läßt hier sehen, daß er ein Poet ist [...]" (Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XIII) - allerdings beschäftigt sich la Motte insbesondere mit der erhabenen Spielart der Ode. Z. B. Art. Ode. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.25 [1740], Sp.453. Vgl. im Anschluß an Horaz: la Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XIf. Z. B.: Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1742, 6. St., unpag.; ebda., 1747, 52. St., unpag.; ebda., 1747, 57. St., unpag.; Franckfurtische Gelehrte Zeitungen, 1742, S.421; Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1742, 20. St., S.160; Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1747, No. XLV, unpag·
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„Lied" (W3, XIV). Aus dem Satirediskurs übernimmt Hagedorn dann auch die Einschränkung des Publikums auf die geeigneten Leser, die die „Freyheiten, die ihnen in den Liedern der Ausländer gewöhnlich sind, in den unsrigen sich nicht befremden lassen" (W3, XVIII; vgl. Kap. 5.1). Die Ausgaben der Oden und Lieder sind von hervorragender Druckqualität - überhaupt werden Hagedorns Gedichtbände immer wieder wegen ihres Äußeren gelobt.148 Sie sind teils mit Stichen versehen, die ihre Bedeutung für die Auslegung der Oden haben - die Personifikation der „Hilaritas", die zusammen mit der Personifikation der „Iuventas" die Vorrede zu den Oden und Liedern in fünf Büchern abschließt, ist beispielsweise eine Quelle für die Vergöttlichung der Freude in der Ode An die Freude, die man mit Franz Schultz lange als Erfindung Hagedorns begriffen hat (vgl. Kap. 2.1). Die programmatische Bedeutung der den fünf „Büchern" vorangestellten Profile antiker Dichter (Horaz, Sappho, Anakreon, Pindar, Alkeios) 149 ist vergleichsweise gering, wenngleich sich immer wieder bestimmte thematische Gruppen ergeben, ζ. B. die Reihe von bukolischen Liebesgedichten im ersten Buch (W3, 33ff.), eine Gruppe von Wein-Gedichten im zweiten Buch (W3, 43ff.) oder die anakreontischen Gedichte zu Beginn des dritten Buches (W3, 65ff.). Jedenfalls hat Hagedorn auf die numerisch gleichmäßige Verteilung der Oden in den einzelnen Büchern geachtet (B 175). Der ganzen Sammlung ordnet Hagedorn Johann Arnold Eberts Ubersetzung von Louis de Jouard La Nauzes Abhandlungen von den Liedern der alten Griechen im zweiten Teil
der Sammlung Neuer Oden und Lieder vor, in den Oden und Liedern in fünf Büchern und in der Werkausgabe hängt er die Ubersetzung an. Formal entfaltet die Odensammlung ein breites Spektrum: von den „vers irreguliers" (vgl. W3, X X ; Β 176f.) über die Nachahmung der Anakreon-Übertragung von Henricus Stephanus, verschiedene einstrophige Formen oder Adapta-
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Vgl. die Rezension zu den Fabeln und Erzehlungen in den Beytrâgen Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (1739, 22. St., S.306); zu den Oden vgl.: Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1742, 6. St., unpag.; ebda., 1747, 52. St., unpag.; Franckfurtische Gelehrte Zeitungen, 1742, S.420; Hamburgische Berichte von Gelehrten Sachen auf das Jahr 1742, Nro.XVII, S.136; Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie überhaupt, 1745, 16. St., S.127; Freymüthige Nachrichten Von Neuen Büchern, und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen, 1747, 31. St., S.243; Der Liebhaber Der schönen Wissenschaften. 2. Bd., 1748, 5. u. 6. St., S.359; Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1747, No. XLV, unpag.; Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, Leipzig 1754, Hornung, S.715. Vgl. weiterhin: Klopstock: Briefe 1738 - 1750, S.55, 62; ders.: Briefe 1751 - 1752, S.6; Klopstock: Der Messias. Bd.3, S.264; Gleim / Uz: Briefwechsel, S.162, 174, 197, 205, 261,267,275, 278; Kleist: Werke. Dritter Theil, S.38.
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Die Profile finden sich in einer Horaz-Edition: Quinti Horatii Flacci Opera. Vol. I - Π, London 1733/37.
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tionen von Kantatenmetren bis hin zu den die Sammlung dominierenden einfachen Liedstrophen. Moralische Gedichte Der Gelehrte, eine Satire auf die charlatanaria eruditorum,™ leitet 1740 eine Werkreihe ein, um deren Diskursort kurz darauf eine Auseinandersetzung beginnt. Bis zur zusammenfassenden Sammlung der Moralischen Gedichte im Jahr 1750 - gemeinsam mit dem zweiten Buch der Fabeln und Erzehlungen veröffentlicht Hagedorn beinahe jedes Jahr ein oder zwei Gedichte dieser Art: 1741 Der Weise, 1742 das Allgemeine Gebeth, in einer freien Übersetzung aus dem Pope, 1743 Die Glückseligkeit und Die Wünsche, 1744 Der Schwätzer nach dem Horaz und Schriftmäßige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes in einer Ode, 1747 Schreiben an einen Freund, 1748 Die Freundschaft. 1751 erscheint dann das große Horaz-Gedicht und 1753 die zweite Auflage der gesammelten Moralischen Gedichte, zu denen die Epigramme hinzukommen. Die Einzelausgaben der Gedichte erscheinen meist in von Hagedorn verantworteten Mehrauflagen mit zum Teil deutlichen Änderungen oder Erweiterungen.151 Der Streit, der 1741 um die (unerlaubte) Veröffentlichtung von Der Weise in den als publizistisches Organ Gottscheds eingeordneten Belustigungen des Verstandes und des Witzes entsteht,152 macht deutlich, welchen Stellenwert Hagedorn in den Diskursen seiner Zeit hat (vgl. dazu ausführlich Kap. 4.2). Die u. a. von Bodmer und Breitinger herausgegebene Sammlung Gritischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften nennt dieses Vorgehen eine „corsarenmässige Caperey" und veröffentlicht Der Weise ihrerseits mit einem ausführlichen Kommentar 153 - vorausgegangen war bereits eine Kritik an den Belustigungen von Christian Ludwig Liscow in der Vorrede zu Carl Heinrich Heinekens Longin-Ubersetzung.154 Damit beginnen die Schweizer die kom150
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Der Gelehrte erscheint neben einer zweiten Auflage (Hamburg 1743) auch 1743 im Hamburgischen Correspondenten und 1748 in Der Liebhaber der schönen Wissenschaften sowie 1753 in Die neueste Sammlung vermischter Schriften (vgl. zu den genauen Angaben die Bibliographie zu Hagedorn). Das Allgemeine Gebeth, dessen Erstdruck (Hamburg 1742) verschollen ist, erscheint 1742 im Bewunderer und 1743 im Hamburgischen Correspondenten. Der Schwätzer erscheint 1744 im Hamburgischen Correspondenten (vgl. zu den genauen Angaben die Bibliographie zu Hagedorn). Gemeinsam veröffentlicht werden: Die Glückseligkeit: Die Wünsche: Und der Weise. Andere und verbesserte Aufl., Hamburg 1743; Die Glückseligkeit: Die Wünsche: Und der Weise. Dritte und verbesserte Aufl., Hamburg 1745. Die wichtige zweite erweiterte Auflage von Horaz (Hamburg 1751) findet sich in der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte von 1753. Der Weise. In: Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Critische Betrachtungen über des Herrn von Hagedorn Ode auf den Weisen.. Liscow: Neue Vorrede, S.39f.
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mentierte Edition der Moralischen Gedichte, die J. G. Schultheiß in Die neueste Sammlungen vermischter Schrifften fortsetzt.155 Umgekehrt wird so deutlich, wie symbolträchtig für Hagedorn ein Publikationsort als Diskursort und wie wichtig die Formierung einer stabilen Autorpersönlichkeit als Beglaubigung des eigenen Standpunktes ist. 1742 erscheint beispielsweise Hagedorns Allgemeines Gebeth in Barthold Joachim Zinks moralischer Wochenschrift Der Bewunderer156 und mit einer ähnlichen Einleitung im Hamburgischen Correspondenten™ Im November 1743 schreibt dann Ebert - in einer von Eschenburg gekürzten Briefstelle (EschV, 232) -, man halte Zink, den Ebert anfangs noch als Unparteiischen verteidigt habe, in Leipzig für einen „Uberläufer". In diesem Zusammenhang spekuliere man auch über die Unterstützung Hagedorns für Zink, da Zink sich öffentlich der Freundschaft mit Hagedorn gerühmt habe und dies mit dem druckfrischen Erscheinen der Hagedornschen Gedichte in seinen Zeitungen gleichsam belegen konnte, wobei man das Allgemeine Gebeth sogar für eine Arbeit Zinks gehalten habe (HN 38; vgl. Kap. 4.2). Diese literaturpolitische Situation gilt nicht nur für Einzel- und Mehrfachveröffentlichungen der Moralischen Gedichte, auch für die Oden sind diese Zusammenhänge in Rechnung zu stellen. Wenn beispielsweise eine apologetische Rezension der Hagedornschen Oden im Hamburgischen Correspondenten gerade Die Alster auswählt, dann hat das auch damit zu tun, daß Hagedorn in dieser Ode mit dem Zeichenmaterial spielt, das die intellektuelle Führungsschicht Hamburgs zur politischen Selbstrepräsentation verwendet (vgl. Kap. 6).158 Metrisch nehmen die Moralischen Gedichte die Formen der Satiren und Episteln aus dem Versuch einiger Gedichte wieder auf, insbesondere den sechshebigen, paargereimten jambischen Vers mit variabler Stropheneinteilung, den alexandrinischen Vers also für die Nachahmung der Horazischen Episteln {Die Glückseligkeit, Schreiben an einen Freund, Die Freundschaft, Der
155
Schriftmässige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes in einer ODE. In: Die neueste Sammlungen vermischter Schrifften; Alexander Popens Allgemeines Gebett. In: ebda.; Die Wünsche aus einem Schreiben an einen Freund, vom Jahre 1733. In: ebda.; Der Gelehrte. In: ebda.; Die Glükseligkeit. In: ebda.; Schreiben an einen Freund. In: ebda, und S[chultheiß]: Anmerkungen zu dem Schreiben Herrn von Hagedorn, an einen Freund.
156
Allgemeines Gebet. In: Der Bewunderer, 1742, 46. St., unpag. Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1743, 60. St., unpag. Ein ähnlicher Zusammenhang liegt der Veröffentlichung von Anacreon zugrunde (vgl. Kap. 5.2): ebda., 1747, 59. St. Im Hamburgischen Correspondenten werden außer den erwähnten Gedichten und außerhalb des Rahmens einer Rezension noch vollständig veröffentlicht: Der Gelehrte (ebda., 1743, 116. St., unpag.); Der Schwätzer (ebda., 1744, 106. St., unpag.); Harvstehude (ebda., 1746, 156. St., unpag.).
157
158
38
Einleitung
Schwätzer, Horaz).159 Neu kommen das Allgemeine Gebeth mit einer achthebigen, kreuzweise gereimten vierzeiligen Strophe hinzu sowie Die Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund mit variablen kreuzweise gereimten sechshebigen jambischen Strophen. Auch beim Aufbau gibt es Parallelen, zumal die Reihung moralischer Charaktere. Bis in einzelne für die „barocke" Dichtung typische rhetorische Versatzstücke, etwa die Verwendung der definitio (nach dem Typus: „Was ist die Welt ..."; vgl. ζ. B. VeG 55; PdN6, 272; Ol, 21; W l , 15, 26; W2, 108)160, lassen sich stilistische Übergänge durch die Werkgeschichte hindurch finden. Im Bereich der Satire und der Tugendlehre werden die Ubergänge allerdings wesentlich deutlicher als im Bereich der Odendichtung. Freilich sind auch dort die Unterschiede nicht zu übersehen.161 Der endgültigen Fassung der Moralischen Gedichte stehen zwei Prosatexte voran: 1750 der Vorbericht zu den moralischen Gedichten, seit 1753 das Schreiben an einen Freund. Im Vorbericht geht es - mit Bezug auf die angehängte Fortsetzung der Fabeln und Erzehlungen - um Traditionsverhalten (Wl, VII; vgl. Kap. 4.2), um die richtige Leserhaltung und im Zusammenhang damit um eine Apologie der Anmerkungen (vgl. Kap. 3.2). Wie im Schlußteil der Vorrede zu den Oden und Liedern und wie in der von diesem Thema beherrschten Vorrede zum Versuch einiger Gedichtem greift Hagedorn einem per se als kritisch, ja geradezu feindlich konzipierten Publikum vor und versucht, sein Werk einerseits auf eine Autorintention festzulegen und andererseits einem bestimmten Publikum zu überantworten. Zu diesem Diskurs gehört der Hinweis auf die Verbesserung des Frühwerks (vgl. 3.2). Eingeleitet von einer kleinen satirischen Lesertypologie in der Art der moralischen Wochenschriften (Wl, XIVf.), führt das Schreiben an einen Freund vor allem die Anmerkungstheorie und -apologie fort. Das Schreiben vollbringt das argumentative Kunststück, die Kritik der Anmerkungen als Teil falscher Gelehrsamkeit (Wl, VIII, XX) in eine Verteidigung der An-
159
Die
Schriftmäßigen
Betrachtungen
greifen
die typische
Odenform
des
Versuchs
auf
(vierhebige Jamben, einleitend eine vierzeilige Kreuzreimstrophe, dann eine Schweifreimstrophe mit dem Reimschema c c d e e d, die Kadenzen entsprechen den Reimen), Der Weise und Der Gelehrte verwenden die erste Hälfte dieser Odenform mit auf fünf Versfüße verlängerten Zeilen und verkehrten Kadenzen {Der Weise). 160
Nach Siegrist verwendet die Aufklärung den „Topos ex definitione" begründend, die barocke Dichtung im Sinne des arg«f¿j-Ideals reihend (Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.119; vgl. dazu auch: Beetz: Rhetorische Logik, S.137f.). Bei Hagedorn wäre eher die letztere Variante anzusetzen, wenngleich sich die katalogartige Summation nicht mehr findet.
161
Vgl. zu Hagedorn in stilgeschichtlicher Hinsicht: Blackall: Die Entwicklung des Deutschen
162
Vgl. in positiver Einschätzung der umfassenden Kritikbereitschaft: Wernicke: Epigramme,
zur Literatursprache 1700 - 1775, S.193ff., 296ff. S.123.
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merkungen als Teil wahrer Gelehrsamkeit umzukehren (Wl, XVIIff.; vgl. Kap. 3.1). Dabei geht es in diesem Kontext erneut insbesondere um das Verhältnis zur Tradition, um die Bestimmung von Vergleichbarkeit und Einzigartigkeit und um richtiges und falsches Lesen (vgl. Kap. 4.2). Auch hier stellt sich Hagedorn das Problem, daß im Druck erschienene Texte einem anonymen, unkontrollierbaren Publikum in die Hände „gerathen" (Wl, XXV).
Epigrammatik Hagedorn hatte in der Poesie der Niedersachen und in den Nieder=Sächsischen Nachrichten zwar schon früh die erwähnten Epigramme veröffentlicht, setzt diese Linie aber erst kurz vor seinem Lebensende in der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte mit einer Abteilung Epigrammatische Gedichte fort, die er in der Werkausgabe noch einmal vermehrt. Einige der Gedichte unter den Fabeln und Erzählungen wie auch unter den Oden und Liedern stehen der Epigrammatik nahe (ζ. B. W2, 65; W3, 37). Umgekehrt finden sich unter den Epigrammen liedhafte und erzählende Formen (z. B. W l , 92, 122f.). Es ist daher schwer, Hagedorns Epigramme auf einen Nenner zu bringen, zumal er selbst kaum einen Versuch unternimmt, sie poetologisch einzuordnen. In epigrammatischer Form formuliert Hagedorn ein Programm, das sich an traditionelle Bestimmungen hält:163 Phax. Phax ist nur klein, und, was den Witz betrifft, Scharf, kurz und neu, im Beyfall und im Zanken An Worten karg, verschwendrisch in Gedanken: Der ganze Phax gleicht einer Uberschrift. (Wl, 94)
Eine Anmerkung zu Der Alte geht auf die Epigrammtheorie ein und wehrt genauere Bestimmungen ab. Aggressivität, Pointierung oder Kürze können demnach nicht als eindeutige Kriterien gelten, auch wenn sich in Scaligers Poetik, auf die Hagedorn im Anschluß verweist, genau diese Bestimmungen finden:164
163
1M
Vgl. auch das Lob Wernickes im gleichnamigen Epigramm (vgl. Wernicke·, W l , 85). Allerdings ist Wernicke mehr damit beschäftigt, die Länge seiner Epigramme vor dem Hintergrund der brevitas-Forderung zu rechtfertigen (Wernicke: Epigramme, S.119, 178, 180, 194, 268). Vgl. zur Problematisierung der „Kürze" des Epigramms und damit der Gattung überhaupt bei Wernicke: Althaus: Epigrammatisches Barock, z. B. S.336. Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. III, S.204ff. „Argutia" kommt zwar als Wort vor, aber nicht in dem von Hagedorn angeführten Sinn des Viel-Zu-Denken-Gebens.
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Einleitung Es geschieht aus blosser Güte, wenn man, unter diesen epigrammatischen Gedichten, auch den Jüngling, den Mann, den Alten, die Vergleichung, und gewisse andere duldet. Es herrschet ja darinn nicht der unerwartete Schluß, die Schärfe, die vis epigrammatica, oder die mala lingua, die Martial, der doch selbst so oft schmeichelt, und nicht selten moralisiret, zum Character der Uberschriften machet. Dergleichen Kleinigkeiten sind vielmehr denen ähnlich, die man in der Anthologie, mit so ungleichem Beyfall, findet. [...] Es heisset: jedes rechtschaffene Epigramma muß, wie eine Biene, immer mit einem Stachel versehen seyn. Dieser gute Unterricht, diese bekannte Vergleichung werden täglich zugleich wiederholet, und, nach beyden, wären viele zarte Gedanken und Epigrammata der Griechen, und die meisten des Vavassors, nur schöne Fliegen oder Schmetterlinge. Aber jene gute Regel gilt, wie so mancher bejahrter Lehrsatz, nicht ohne Ausnahme. Dieses stehet aus häufgen Exempeln zu beweisen. Also fliessen Uberschriften oder Sinngedichte [...] so glücklich aus herzlichen Empfindungen, als aus witzigen Einfällen. [...] Zu ihren natürlichen Quellen gehören itzo, so sehr als jemals, kleine Erzehlungen, sie mögen einen Helden oder Sperling betreffen [...]: freundschaftliche Scherze: satirische oder gefälligere Lehren. [...] Noch bleibet über die epigrammatische Schärfe, über den wesentlichen Character und die Länge einer Überschrift, über den Umfang und die Arten dieser Poesie, unter den ästhetischen Gelehrten, vieles unausgemacht. (Wl, 121f., Anm.)
Die Epigrammatik Hagedorns hat im Werkkontext ihre Bedeutung, weil sie den sonst nur unterschwellig mitlaufenden Diskurs der Moralistik weiter in den Vordergrund rückt, d. h. die kasuistische und skeptische Ansicht einer doppelbödigen und scheinhaften Welt - nicht umsonst zeigt der Kopfstich zur Einleitung der Epigramme in der größeren Werkausgabe (s. u.) das Doppelgesicht der Prudentia, der klugen Voraus- und Rückschau.165 Die Epigramme sind auch autortheoretisch von Bedeutung. An Bodmer schreibt Hagedorn am 17. 9. 1752, er habe „in den letzten Monaten Epigrammata aufs Papier gerathen lassen, die ich würklich nicht so sehr gesucht habe, als sie mich [...]" (B 342). Der Automatismus der Erzeugung soll paradoxerweise den problematischen Gehalt entschärfen - paradoxerweise, denn der Automatismus knüpft die Epigramme gattungstypisch166 dicht an die Persönlichkeit des Autors. Daher kann Hagedorn sie auch als Briefersatz präsentieren (Wl, XXVIII). Wie bei den Moralischen Gedichten signalisieren die einigen Gedichten zugeordneten Entstehungszeiten die Verbindung zwischen Poesie und Autorpersönlichkeit. Die Epigramme schließen das Werk ab. An Ebert meldet Hagedorn am 14. 2. 1753, seine „moralische[n] Kleinigkeiten" seien im Druck, „welchen epigrammatische Gedichte, zum Beschlu165 166
Barasch: Das Doppelgesicht der Prudentia, insbes. S.422. Kästner schreibt über seine Sinngedichte: „In Sinngedichten bezieht sich oft etwas auf Zeiten, Ort, Umstände, die nur Wenigen bekannt sind, selbst diesen nicht in Erinnerung bleiben. Dergleichen Sinngedichte sind, wie andere zur Unterhaltung einer Gesellschaft bestimmte Dinge, ihrer Natur nach nicht für das Publicum. Einen Commentar verdient wohl der Gegenstand nicht" - in Göttingen soll sich dann längere Zeit eine mündliche Überlieferung Kästnerscher Epigramme erhalten haben (Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. Bd. 1. Erster Teil, S.VIf.).
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ße meiner, vielleicht schon viel zu häufigen Poesien, hinzugefügt werden. Ich muß, in aller Selbstverläugnung, die Gefahr laufen, daß sie nicht sonderlich gefallen: ein Schicksal, das sie mit wichtigern Gedichten gemein haben würden" (B 349). Um es mit Hagedorns letztem Epigramm zu sagen: Prophezeibung 1754. Freund, sterb ich einst, so wird ein Bösewicht, Der itzt noch schweigt, mir keinen Nachruhm gönnen, Und über mich und meinen Werth erkennen. Es mag geschehn! Den Schnarcher fürcht ich nicht. Aus Demuth nur will ich ihn dir nicht nennen. Sein Tadel ehrt, mehr als ein Lobgedicht. (Wl, 130)
Nach diesem Epigramm läßt Hagedorn in der Prachtausgabe von 1757 einen Stich setzen,167 auf dem ein Schiff an einem Meerfelsen zerschellt, in den ein Hagedorn-Wappen eingelassen ist (WG1, 212).168 Das Motto entnimmt Hagedorn einer Horaz-Ode: „Monumentum aere perennius".169 Dem korrespondiert das Titelblatt der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte, dessen Vignette der erste Teil der großen Werkausgabe sowie alle drei Teile der kleinen Werkausgabe ebenfalls verwenden. Auf ihm ist ein Rundtempel mit einem Properz-Zitat aus der vorletzten Elegie des dritten Buchs zu sehen: „Mens Bona, si qua dea es, tua me in sacrarla dono".170 Wie in der folgenden letzten Elegie verabschiedet Properz hier die leidenschaftlich verehrte Cynthia und verwendet dabei das Bild des Schiffbruchs. Hagedorn weist also auch in der äußeren Gestaltung der Ausgaben auf den Teil seines Werks, der die Zeit als „monumentum" überdauern soll, und distanziert sich von der musa iocosa und deren Erotismus: „[...] nun ich bejahrter werde, opfere ich der bonae menti, cujus me in sacrarla dono, viele feurige Einfalle der Einbildungs-Kraft auf, die vielleicht andere für recht poetisch und der Erhaltung würdig ansehen würden [...]. So ist meine itzige Gesinnung, in Ansehung meiner Dichterey, beschaffen und ich stelle mir einen Poeten fast in der Vollkommenheit vor, nach welcher die stoischen Lehrer ihren unerfindlichen Weisen bildeten [...]" (B 378f.; vgl. Kap. 3.2).
167
168 169
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Herold betont, daß gerade dieser Stich von Hagedorn bewußt gewählt worden sei (Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.370). Zur emblematischen Tradition vgl. Emblemata, Sp.67f., 980f., 1115,1467. „Exegi monumentum aere perennius [...]" („Errichtet habe ich ein Monument, das Erz überdauert [...]"; Carm.3, 30, 1). „Bist du göttlich, Vernunft, so weih' ich mein Bild deinem Tempel [...]" (Properz III, 24, 19).
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Einleitung
Poetische Werke Vor seinem Tod legt Hagedorn die Zusammenstellung und die äußere Gestalt seiner Werkausgabe fest (vgl. Kap. 3.2). Sie erscheint 1757 in zwei Fassungen, einer aufwendiger gestalteten, mit Kupferstichen versehenen größeren, sowie einer einfacheren und kleineren. Abgesehen von den Epigrammen, die Hagedorn noch um einige wenige erweitert, greift er auf den Inhalt der bisher veröffentlichten Sammlungen zurück. Die Werkausgaben sind in drei Teilen geordnet: Neben dem jeweiligen Vorbericht enthält der erste Teil
das Schreiben an einen Freund, die Moralischen Gedichte und die Epigrammati-
schen Gedichte, der zweite die beiden Bücher der Fabeln und Erzehlungen, der dritte die Oden und Lieder in fünf Büchern mit der angehängten la NauzeUbersetzung von Ebert. Interessant an der größeren Ausgabe sind die von Christian Fritsch und Johannes Haas gestochenen Vignetten, die in einigen Fällen - wie erwähnt - für die Auslegung der Gedichte von Bedeutung sind.171 Von den zahlreichen Nachdrucken der Werkausgabe im 18. Jahrhundert (1760, 1764, 1766, 1769, 1771, 1772/3, 1775, 1777, 1780, 1789, 1790/1, 1800) ist die Edition von Eschenburg (1800) wegen der aus dem Nachlaß veröffentlichten Materialien und Briefe die bedeutendste.
1.3 Hagedorns Leben Die Erzählungen von Hagedorns Leben müssen mit wenigen Daten auskommen. Weder in seinen Briefen noch in den zeitgenössischen Charakteristiken profiliert sich ein kontrastreiches und konturscharfes Portrait. Die immer wieder verwendete Folie vom geselligen, zufriedenen Dichter jedenfalls ist zu schematisch und zudem durch Quellen nicht ausreichend belegt.172 Die Vereinfachungen an sich bleiben festzuhalten, weil sie das Revers der Werkbehandlung darstellen. So einfach, wie das Leben Hagedorns sich seinen Biographen darstellt, so einfach stellt sich oft auch sein Werk den Inter171
Hagedorn übernimmt die Stiche der Oden und Lieder in fünf Bûcher komplett; für die Fabeln verwendet er den ehemaligen Kopfstich zur Vorrede (VFE unpag.) als Titelblatt und behält den Kopfstich zum ersten Buch (VFE 1) nach einer Zeichnung von C. A. Wagner bei (WG2, 9), der für die Sammlungen Neuer Oden und Lieder die Titelkupfer gestochen hatte und wegen Plagiats von Christian Ludwig von Hagedorn u. a. kritisiert worden war (HN 151). Dazu kommen ein Schlußstich am Endes des ersten Buchs (WG2, 194), ein Kopfstich zu Beginn des zweiten Buchs (vgl. dazu: Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.369f.), und ein Schlußstich (WG2, 304). Vgl. zu Vorlagen : BK 562f. Bis auf das Titelkupfer ist nur der erste Teil der Werkausgabe neu illustriert, und zugleich finden sich don die wichtigsten Stiche, der Tempel auf dem Titelblatt, der Doppelkopf vor den Epigrammen und der Fels als Schlußstich (s. o.).
172
Vgl. dazu bereits Steinmetz: Nachwort.
Hagedoms Leben
43
preten dar. Es herrscht d e m n a c h eine „völlige Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen d e m dichterischen W e r k und der wirklichen Lebenshaltung". 1 7 3 Selbst w e n n sich kein deutlicheres Bild aus den Quellen ergibt, so bei genauerer H i n s i c h t d o c h i m m e r h i n ein widersprüchlicheres (vgl. Kap. 4.2-3). F r i e d r i c h v o n H a g e d o r n wird a m 23. 4. 1708 in H a m b u r g geboren. Sein V a t e r H a n s Statius H a g e d o r n , Staatsrat in dänischen Diensten und selbst literarisch ambitioniert, bringt - wie die Juvenilia zeigen - schon früh die literarischen Fähigkeiten seiner Söhne Friedrich u n d Christian L u d w i g v o n H a g e d o r n zur Geltung. 1 7 4 Canitz, Hunold, 1 7 5 W e r n i c k e u n d F e i n d sollen zu seinem Bekanntenkreis gezählt, C h r i s t o p h H e i n r i c h A m t h o r u n d Michael R i c h e y seine berufliche U n t e r s t ü t z u n g erfahren haben. 1 7 6 N o c h zu Lebzeiten des Vaters ist die finanzielle Situation der H a g e d o r n s infolge v o n Unglücksfällen und Fehlspekulationen unsicher, desaströs aber w i r d die Haushaltslage n a c h d e m überraschenden T o d Statius H a g e d o r n s i m J a h r 1722. 1 7 7 Die auf einen standesgemäßen Lebensstil bedachte M u t t e r Friedrich v o n Hagedorns, A n n a Maria v o n H a g e d o r n ( 1 6 7 6 - 1732) 1 7 8 , m u ß den H a u s l e h r e r H e i n r i c h
173 174
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Nicolai: Lebensgefühl und Leitbegriffe in dem Werk Friedrich von Hagedorns, S.159. Vgl. zur französischen Bibliothek des Vaters: Schmid: Biographie der Dichter, S.361. Aus der Bibliothek des Achtjährigen haben sich zwei Bücher erhalten: Gronemeyer: Friedrich von Hagedorn über Bücher, Buchhändler und Bibliotheken, S.289Í. Hagedorns Vater wird einige Male in Benjamin Wedels Menantes-Biographie erwähnt: [Wedel]: Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn MENANTES Leben und Schrifften, S.37f., 56f., 133. Im Hause Hagedorn kannte man die Menantes-Biographie (Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.109). Schmid: Biographie der Dichter, S.360f.; Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.337; EschIV 6; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.15; vgl. auch: Β 143, 373f. Schmid: Biographie der Dichter, S.362; EschIV 7. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.18. Anders Hillmann: Er schätzt Anna Maria von Hagedorn als „bürgerlich ]" ein (Friedrich von Hagedorn, S.185, 202). A. M. von Hagedorn orientiert sich an den Repräsentationszwängen, so ζ. B. in bezug auf die Gartenkultur (Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.151, 170) und das Bedürfnis nach einer Kutsche (ebda., S.172), deren Gebrauch in der Kutschen-Kritik des Patrioten behandelt wird (Der Patriot. Bd.I, S.71, 413). Beachtenswert sind auch die religiösen Argumente von Hagedorns Mutter sowie die privatpolitischen Konnotationen (vgl. Kap. 4.1 und 5.1), ganz abgesehen davon, daß wohl wirklich kein Geld im Hause war und Anna Maria von Hagedorn den studentischen Lebensstil der Söhne nur durch genaue Haushaltung gewährleisten konnte. Sollte Friedrich von Hagedorn tatsächlich, wie Lessing berichtet, in Jena wegen Schulden im „Career" gesessen haben (s. u.), dann wäre das ein recht konkreter Anlaß, keine Schulden zu machen, jenseits aller Fragen von Bürgerlichkeit und Adel. Daß Christian Ludwig von Hagedorn einen weniger „adligen" Gestus als sein Bruder ausgeprägt haben soll (Hillmann: Friedrich von Hagedorn, S.203), läßt sich angesichts der Diplomatentätigkeit Christian Ludwig von Hagedorns nicht nachvollziehen (vgl. Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, vgl. auch Kap. 4.2). Gerade die Briefe Christian Ludwigs zeigen, wie wichtig Haushaltung bei Hof war, eben weil man repräsentieren mußte. Ausga-
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Einleitung
Anton Günther entlassen und schickt ihre beiden Söhne 1723 aufs Akademische Gymnasium in Hamburg, an dem gelehrte Berühmtheiten wie Johann Albert Fabricius, Michael Richey oder Johann Christian Wolf unterrichten.179 Aus dieser Zeit schreibt sich Hagedorns polyhistorische Bildung her. Nicht umsonst wird die Bibliothek des Gymnasiums (sowie die von Hagedorns Berater Wilckens) von Zedlers Universal-Lexikon im Artikel „Bücher = Vorrath" genannt.180 Noch 1742 bedankt Hagedorn sich in einem Brief bei Wolf für Buchausleihen und fragt um ein Buch nach (B 75). 1726 geht Hagedorn zum Jurastudium an die sogenannte universitas pauperum nach Jena (vgl. Kap. 3.1).181 Er meldet sich mit einem Begleitschreiben Johann Friedrich Wincklers, Senior an der Hamburger Nikolaikirche und Freund der Mutter, bei dem Jenaer Theologen Johann Franz Buddeus. Der berühmte Gelehrte weiß in einer ersten Rückmeldung vom 26. 5. 1726 nur Positives über den Neuankömmling zu berichten - Winckler habe nicht zu viel versprochen. Buddeus kündigt an, Hagedorn zu unterstützen (HN 266). Der Student kommt bei Johann Jacob Syrbius unter, der kurz zuvor unter Betreiben von Buddeus sein Gutachten gegen Christian Wolff verfaßt hatte (vgl. Kap. 3.1). Das verträgt sich freilich schlecht mit Hagedorns Begeisterung für Wolff, und so teilt er dann auch nach anfänglichen Lobeshymnen (an Michael Richey; 11. 5. 1726; Β 1; an Weichmann; 8. 7. 1726; Β 4) nur wenig Gutes über die bornierten Zustände in Jena mit (an Weichmann; 23. 9. 1727; Β 8). Hagedorn hat sich nicht so sehr fürs Jurastudium als vielmehr für die Poesie interessiert.182 Der Einfluß Gottlieb Stolles zeigt sich an einigen Stellen des Versuchs einiger Gedichte. Es war wohl auch der Jenaer Professor, der Hagedorn zur Publikation der Sammlung gedrängt und diese korrigiert hat (an Weichmann; 13. 12. 1727; Β 10 / BK 425; VeG 6).183 Später wird Hagedorn Johann Georg Hamann d. A. für die tatsächlich erfolgte Veröffentli-
179
180 181 182 183
ben müssen genau auf ihre Wirkung hin kalkuliert werden. Schulden kann man sich vielleicht in einer höheren Position bei Abhängigen leisten, kaum aber umgekehrt (vgl. bei Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.4, 31, 44, 47f., 62, 68, 94f., 119,123ff., 142, 148). Vgl. zu den Selbstzweifeln Hagedorns an seinem Adelsanspruch BK 452. Christian Ludwig ordnet sich auf der Seite der Höflinge ein und erklärt Friedrich von Hagedorn (entsprechend dem Ideal der Moralischen Gedichte) zum Gegenbild (vgl. H N 144; Neue Irene. May 1806, S.145; Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.96; Cremer: Hagedorns Geschmack, S.14, 18, 36, 42, 62, 67, 104ff.). Schmid: Biographie der Dichter, S.362; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.20. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.4 [1733], Sp.1834. Vgl. dazu: Geschichte der Universität Jena, S.167ff. Noch 1753 wird Hagedorn Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Jena (BK 703). Sauer: [Einleitung], S.III.
Hagedoms Leben
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chung verantwortlich machen, nachdem es wegen ungeklärter Geldfragen zu Streitigkeiten gekommen war (B 79; Wl, XI).184 Noch mehr als für die Poesie scheint Hagedorn sich allerdings für das studentische Leben begeistert zu haben. In einem zweiten Brief nach Hamburg vom 25. 8. 1727 beschwert Buddeus sich bei Winckler: Hagedorn sei nie wieder bei ihm aufgetaucht. Zur Rede gestellt, habe der wortgewandte, sich in „der größten Unordnung und Corruption" befindende Student schließlich einen Schuldenberg eingestehen müssen (HN 266).185 Nach Lessings Kollektaneen soll Hagedorn ein halbes Jahr im „Career" zugebracht haben.186 Die Briefe Anna Amalia von Hagedorns an Hagedorns Bruder verdeutlichen jedenfalls ex post die Nöte, die die Mutter mit der haushälterischen Unfähigkeit Friedrichs hatte und die diesen zum Negativexempel für den Bruder machen - die Schulden Hagedorns lassen es später auch für Christian Ludwig von Hagedorn wenig ratsam erscheinen, sich längere Zeit in Jena aufzuhalten oder gar dort zu studieren (B 37f.). 1727 bricht Hagedorn sein Studium ab und kehrt nach Hamburg zurück. Er findet 1729 bei dem dänischen Gesandten von Söhlenthal eine Anstellung als Privatsekretär.187 Mit ihm geht Hagedorn nach England, um dort die Weichen für sein Leben zu stellen und sein weiteres Auskommen zu sichern. Eine andere Stelle188 schlägt er in Erwartung der Gelegenheiten, die sich vor Ort für ihn ergeben werden, aus - auch im Hinblick auf den „hohen respect" und die „unterthänige Danckgeflissenheit", die er „dem Herrn GrosCantzler"189 schuldig zu sein glaubt. Hagedorn rechnet fest mit dem harmonischen Zusammenspiel von „göttlicher Hertzens-Lenkung" und „hoher Gönner Vorsprache" (an Schnell; 23. 2. 1729; Β 13). Den zweijährigen Aufenthalt in London, den die Briefe an Pierre Desmaizeaux ein wenig erhellen (B 20f.; 29f., 40ff.), rechnet Hagedorn ex post zur glücklichsten Zeit seines Lebens (an Bodmer, 19. 9. 1748; Β 247). Die Briefe an seinen Bruder bestätigen diese Einschätzung, wenn sie das intellektuelle Niveau der Londoner res publica litteraria weit über das der Hamburger Gelehrtenzirkel heben (wobei das für Hagedorn schon zuvor ausgemacht war).190 Aber selbst wenn Hagedorn in England publiziert haben sollte (vgl. 184
185 186 187 188 189 190
Ebda. Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.92f. (Anm.3), 123, 126, 128, 140, 143f., 148, 150, 155f.; ders.: Christian Ludwig Liscow, S.108. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.22f. Lessing: Werke. Bd.5, S.728. Schmid: Biographie der Dichter, S.374. Vermutlich eine später angenommene Hofmeisterstelle bei Cyrill von Wich (BK 426). Gronemeyer vermutet, es könne sich dabei um Robert Walpole handeln (BK 426). Vgl. den Brief an Weichmann vom 13. 12. 1727 (B 10) und: Der Patriot. Bd.I, S.35. Hamburg war das „Tor" zu England (Maurer: Aufklärung und Anglophilie in Deutschland, S.41ff.).
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Einleitung
Kap. 1.2), gelingt es ihm doch nicht, Fuß zu fassen. Ausführlich legt er später seinem Bruder dar, welche Schwierigkeiten sich für einen Ausländer ergeben, der Nachfolger des englischen Gesandten in Hamburg werden will.191 Die „Briten" scheinen Verdiensten gegenüber doch nicht ganz so aufgeschlossen zu sein, wie Hagedorn es literarisch darstellt192 (vgl. Kap. 4.2). Hagedorn kehrt 1731 mit von Söhlenthal wieder nach Hamburg zurück.193 Aber weder erfüllt sich die Hoffnung, über diese Beziehung eine feste Stellung am dänischen Hof zu bekommen, noch kann Hagedorn nach seiner Rückkehr die Möglichkeiten nutzen, die sich ihm in England geboten hatten - das Vorhaben, den englischen Bekanntschaften mit einer Dissertatio epistolica de Jtinere anglicano zu danken (an Pierre Desmaizeaux; 6. 10. 1731; Β 21), verliert seinen biographiestrategischen Sinn.194 Hagedorn nimmt erneut in Geldnot - eine Stelle als Hofmeister bei von Wich an, dem englischen außerordentlichen Gesandten, ein Status, der in den Augen seiner Mutter und seines Bruders dem repräsentativen Bild der Familie nicht angemessen war (vgl. Kap. 5.1).195 1733 erhält Hagedorn dann seinen Posten am englischen Handelshaus in Hamburg, dem English Court.1% Hagedorn ist dadurch zwar finanziell gesichert, er hat freies Wohnrecht, Zollprivilegien und andere Vergünstigungen,
191 192
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Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.32. „Wie edel ist die Neigung echter Britten: / Ihr Überfluß bereichert den Verstand, / Der Handlung Frucht, und was ihr Muth erstritten, / Wird, unbereut, Verdiensten zugewandt; / Gunst krönt den Fleiß, den Macht und Freyheit schützen: / Die Reichsten sind der Wissenschaften Stützen" [Der Weise; W l , 11). Vgl. im Unterschied dazu den Brief an seinen Bruder vom 17. 11. 1741 (B 71ff.; vgl. dazu Kap. 4.2). Vgl. zum Topos der „brittischen" Freiheit: Mayr: Uhrwerk und Waage, S.14, 149ff. Vgl. zu den Topoi des Englandlobs auch die Beiträge von Lamprecht im Hamburgischen Correspondenten über England (Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.107, Anm. 2). Schmid: Biographie der Dichter, S.374. Gautzsch meinte er würde nie aus Engellant gehen, auch wenn der H. Baron von da ginge, würde Friedrich unfehlbar condition bey die vornehmsten Herren kriegen [...]" (11. 4. 1731; Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.94f.); „[...] wenn Friederich nicht feste geglaubt, der H. Baron werde nach Copenhagen gereiset seyn, Er würde gesucht haben durch seine recommandation in Londen sich zu engagiren und sein fortun gemacht haben, welches ietzo noch in weiten felde" (17. 5. 1732; ebda., S.161) - in welcher Weise Hagedorns Selbstdarstellung gegenüber seiner Mutter hier mit hineinspielt, muß offen bleiben. Vgl. auch die Vorstellungen Hagedorns nach seiner Rückkehr nach Hamburg in den Niedersächsischen Nachrichten und im Hamburgischen Correspondenten: Hagedorn, der sich lange in England aufgehalten habe, sei damit beschäftigt, „gelehrte Nachrichten von England aufzusetzen" (BK 433). Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.24ff.; Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.94f., S.25f., 13 lf. Schmid: Biographie der Dichter, S.377; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.26.
Hagedorns Leben
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seinen Lebensstil aber paßt er der neuen Konstellation nur unzureichend an. Uber seine Schulden lamentiert er (und sein Bruder mit ihm) weiterhin." 7 Die Arbeit jedenfalls macht wenig Mühe, entgegen den Klagen Hagedorns über fehlende Muße (vgl. Kap. 3.1 u. 4.1). Es gilt Zollzettel auszufüllen und den Schriftverkehr zu führen, eine Tätigkeit, die Hagedorns Nachfolger in ihren „Nebenstunden" erledigen und die dem Dichter ausreichend Zeit läßt,198 seit 1734 als Kanzler im „Orden des guten Geschmacks" zu fungieren,199 1737 gemeinsam mit Joachim Friedrich Liscow die Redaktion der Hamburgischen Privilegierten Anzeigen zu betreuen200 und zu einer Zentralfigur im geselligen Leben Hamburgs zu werden.201 Nachdem Hagedorn zu Beginn der 30er Jahre zum anglikanischen Glauben übergetreten war (vgl. Kap. 5), heiratet er 1737 die Engländerin Elisabeth Butler „according to the Rites and Ceremonies of the Church of England".202 Böse Zungen behaupten, auch dabei seien finanzielle Aspekte im Spiel gewesen, wobei Hagedorn sich erneut als Haushaltsdilettant erwiesen hätte, denn die Mitgift war kleiner als gedacht, und die Schwiegermutter leiht Christian Ludwig von Hagedorn Geld lediglich auf Zins.203 Wie auch immer: Hagedorn war mit seiner Stellung nicht zufrieden und hält sich sein Leben lang bei Hof im Gespräch. Für Christian Ludwig von Hagedorn steht 1741 fest, daß Hagedorn nicht mehr auf eine Anstellung am dänischen Hof 0 4 rechnen kann. Gerade deswegen rät er ihm, auf seinen Status zu achten, das „von" keinesfalls aus dem Namen zu streichen (HN 144). Gemeinsam bedenken die Brüder eine Anstellung am Dresdener Hof, die Christian Ludwig von Hagedorn bald fördert, bald abwehrt (vgl. Kap. 4.2). Oder Hagedorn berichtet über die Option, mit dem scheidenden englischen Ministerresidenten Cyrill von Wich als Privatsekretär nach Petersburg
1,7 198
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Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.44. Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.345; EschrV, 12; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.35. Schröder: von Hagedorn (Friedrich). Vgl. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.35, 90f. Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.347; EschrV, 14f.; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.34f., 41. In den Biographien werden immer wieder die Freunde Hagedorns summiert: Schmid: Biographie der Dichter, S.408Í.; ders.: Nekrolog, S.316ff.; EschIV, 13f.; Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.354; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.33ff. Vgl. auch Hottingers Bericht über Gessners Besuch in Hamburg: Salomon Gessner, S.61ff. Hitzigrath: Die Kompagnie der Merchants Adventurers, S.42. Lessing: Werke. Bd.5, S.728; EschIV12f.; Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.347; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.31. Vgl. dazu auch EschIV 9f.
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Einleitung
zu gehen. Auch hier rät sein Bruder ab, das Gehalt reiche nicht zur Haushaltung bei Hof. 205 Selbst seine Gedichte, in denen er das Hofleben aus der Perspektive des Weisen und der laus ruris desavouiert, setzt Hagedorn strategisch ein: Christian Ludwig von Hagedorn verteilt die Oden in Dresden206 und reicht Die Glückseligkeit an B. v. Holzberg weiter mit der Begründung, dieser sei ein Englandliebhaber (6. 8. 1744; H N 171). Christian August, Herzog von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, dem Hagedorn zwei Jahre zuvor sein Freundschafts-Gedicht über Adam Gottlob Graf Moltke mit einem „Gesuch" hatte zukommen lassen (HN 53; Β 274f., vgl. dazu auch kritisch Β 261), muß in einem Brief vom 18. 1. 1751 Hagedorns Bitte um eine „pension" zwar ablehnen, sichert ihm aber weitere Unterstützung zu (18. 1. 1751; H N 55). In die zweite Auflage des Schreibens an einen Freund?07 rückt Hagedorn Verse für „Braunschweigs C A R L " ein, läßt daraufhin Carl I., Herzog zu Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel, über Jerusalem seine Moralischen Gedichte zukommen und reicht - in einem Brief vom 25. 4. 1753 - die zweite Auflage der Moralischen Gedichte sowie ein „Schreiben" nach (an Jerusalem; Β 356 / BK 681, vgl. auch Β 316, 375; vgl. Kap. 4.1). Brockes d. J. übergibt im Auftrag Hagedorns die Fabeln und Erzehlungen Friedrich Carl, Herzog zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön,208 der gelegentlich in Hamburg bei Carpsers Mittagstisch aufgetaucht sein soll.209 Christian Ludwig schließlich berichtet am 26. 2. 1749 von der weniger erfolgreichen Ubergabe eines Gedichts an Prinz Wilhelm.210 205 206
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Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.31f. Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.46. Vgl. zur Kritik an der äußeren Gestaltung der Odenausgabe den Brief vom 28. 2. 1742 bei Schuster: Friedrich von Hagedorn, S.80, Anm.* (vgl. Kap. 3.2). Vgl. in der ersten Auflage: Schreiben an einen Freund, Hamburg 1747, S.12; im Unterschied: MG, 55 bzw. W l , 37. Vgl. dazu den Brief an C. L. von Hagedorn vom 24. 3. 1744: „Neulich war der junge Brocks aus Ploen hier, auf 24 Stunden. Meine Glückseligkeit hat er seinem Hertzoge gegeben, der mit einem gewissen guten Geschmack u. einer besonderen Menschenliebe das gröste Unvermögen, beyde recht zu äussern, verbindt; Brocks lobt ihn sehr, aber mit magern Backen. Weil er mir aber gesagt, sein Herr habe sehr gut von mir sentirt, habe ich ihm für denselben ein Exemplar fein Pap. von meinen Fabeln in (unleserliche Si/èejbergerischen Bande mit gegeben u. hineingeschrieben: Sr. Hochfürstl. Durchl.t von Schleswig Holstein Ploen widmet diesen Versuch unterthänigst Frid. von Hagedorn. Sollte Hagedorn jemals noch nach Ploen kommen, so wäre ich doch nicht unbekannt" (B 109 / BK 510). So ohne Beleg: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.34. „Wegen deines Gedichts, so antwortete Prinz Wilhelm in einem an Β. H. gestern eingelaufenen Brief über das ihm von demselben eingeschickte Exemplar des Gedichts, und wo Hechel den Anfang und Schluss gegen den Prinzen releviert hatte, also: Der Anfang habe ihm (Principi) sehr wohl gefallen, aber die Noten waren ihm zu gelehrt. Die Materie sey so naif, dass sie keiner fremden Erläuterung bedürfe, und es schienen diese Noten mehr angebracht,
Hagedorns Leben
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Mehr als lobende Worte hat Hagedorn jedoch von keinem der Fürsten bekommen. Am 28. 10. 1754 stirbt er in Hamburg als Sekretär am English Court an einer langjähriger Krankheit (Wassersucht)211 und wird ohne Grabstein im Grab seiner Schwiegereltern beigesetzt.212
um des Verfassers Belesenheit zu zeigen. Ich antwortete Hechel, als ich den Brief gelesen, dass alle Leser nicht Fürsten wären, und es doch vor mancherley Leser geschrieben sey; das Urtheil des Principis sey g-sund und gelte an und für sich; ich halte aber davor, dass wenn ein Gemähide an sich seine Consistens hat, ich den Rahmen, wenn er mir zu bunt ist, leicht davon nehmen kann, und also könne man auch die Noten übergehen" (Baden, 88). Vielleicht bezieht sich die Briefstelle auf „Baron Häckel aus Frankfurt", der „in besonderer Gunst" beim „Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel" stand (Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.75). 211 212
Zur Krankheit vgl. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.53f. Schmid: Biographie der Dichter, S.395; Meyer: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. 2. Bd., S.273; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.55.
2. Die Poesie der Freude: An die Freude (1744) Das System der Poesie ordnete sich bis zu seinem Zerfall in der Romantik nach verschiedenen Kriterien, nach Sujets etwa oder nach Stilarten, nach der Art der Darstellung oder nach Wirkungsweisen. 1 In der hierarchischen Gliederung der Poesie hatten die ernsthaften Dinge des Lebens - „von Königlichem willen / Todtschlägen / verzweiffelungen / Kinder - vnd Vätermörden / brande / blutschanden / kriege vnd auffruhr / klagen / heulen / seuffzen vnd dergleichen"2 - größere Chancen, einen der oberen Ränge einzunehmen. 3 Wie in der gesellschaftlichen Stufenleiter galt die Spitzenstellung als eine ernste Angelegenheit. Von dort kann es nur nach unten gehen, die „Fallhöhe" ist enorm/ und entsprechend wenig Spielraum bleibt der „Freude", um sich zu entfalten. Das ändert die Aufklärung, in der sich gesellschaftliche und poetische Hierarchien deutlich wahrnehmbar zu nivellieren beginnen. Vor diesem Hintergrund wachsen Hagedorns Ode An die Freude, mit der er den zweiten Teil der Oden und Lieder (1744) und in der Werkausgabe das zweite Buch der Oden einleitet, programmatische Qualitäten zu. Die Aufklärung befördert die „Freude" zu einem Zentralbegriff und krönt sie während der Fahrt auf dem Zürchersee kurzerhand zur „Göttin": „Da, da kämest du, Freude! / Volles Maßes auf uns herab! / / Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich!"5
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Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.238. Scherpe: Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, S.6ff. Martin Opitz skizziert so den Gegenstandsbereich der Tragödie in: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 364. Dementsprechend stehen die „Lyrica" auch am Schluß der Gattungsbeschreibung in Martin Opitz' Poetik: „Die Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kan / erfodern zueföderst ein freyes lustiges gemute / vnd wollen mit schönen Sprüchen vnnd lehren häuffig geziehret sein [...]. Ihren inhalt betreffendt / saget Horatius: Musa dedit fidibus divos puerosque deorum / Et pugilem victorem et equum certamine primum, / Et iuvenum curas et libera vina referre[.] Er wil so viel zue verstehen geben / das sie alles was in ein kurtz getichte kan gebracht werden beschreiben können [...]. Sonderlich aber vermahnung zue der fröligkeit [...]" (ebda., S.369Í.; das Horaz-Zitat findet sich in: Ars Poetica, V.83ff.). Luhmann: Interaktion in Oberschichten, S.76. Klopstock: Ausgewählte Werke. 1. Bd., S.54.
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
Die „Freude" wird aus mehreren Gründen zu einer „semantischen Schiene" für die Aufklärung, speziell für die Poesie der Aufklärung: Sie hilft bei der Umschichtung des poetischen Gattungssystems (Kap 2.); sie bindet sich eng an das aufklärerische Individuum und seine Bildungsgeschichte (Kap. 3); sie egalisiert die gesellschaftlichen Beziehungen (Kap. 4); sie leitet die Herausbildung einer säkularisierten Moral (Kap. 5) und einer säkularisierten Natur (Kap. 6); und sie macht den Menschen zu einem selbständigen und selbstbezüglichen Subjekt (Kap. 7). Im Rahmen der frühaufklärerischen Ubergangssemantik hat die Freude ausreichend polemische Energien, um mit einem als „Vorher" konzipierten Status zu brechen, um also eine Schwelle zu markieren, und sie sichert weiche Ubergänge, die den Bruch nicht als Revolution oder Katastrophe erscheinen lassen. Sie ermöglicht somit die für die Aufklärung typische Form der Zwei-Seiten-Verteidigung: Die Freude ist ein in hohem Maße vergeistigter Affekt, sie bezieht sich auf die körperliche und auf die geistige Natur des Menschen. 6 Problematisch wird die Freude, weil sie als „angenehme Vorstellung" oder „Empfindung" 7 unproblematisch sein kann. Sie tendiert dazu, sich abzuschließen und in ihrer Gegenwärtigkeit zu bestehen - die Freude ist so, wie sie ist, und das ist angenehm. Erst auf einer zweiten Stufe, im Modus der Reflexion, kann man ihre Gegenwärtigkeit durch Verzeitlichung in Frage stellen. Während die Traurigkeit nach Ursachen forscht, um Trost zu finden, und dabei aus der Vergangenheit heraus oder in die Zukunft hinein auf ein Begründungssystem drängt, ist die Rückführung der Freude auf die Traurigkeit eine fortwährende Aufgabe. Die Freude bedarf - wie das „plaisir" der Galanterie 8 - keiner Theodizee, sie kann nicht deren Anlaß, sondern nur der sich selbst legitimierende Ausdruck ihres Gelingens sein.' Die Freude erhält daher einen Zeitindex, der als Verweis auf ihre Vergänglichkeit eine sinnbildliche Gestalt in der rota fortunae gefunden hat, und zwar sowohl in ihrer christlichen Interpretation als fatum wie auch in der antiken Gestalt der fortuna. Sie wird gleichsam auf einen opaken Leidensgrund durchsichtig, an den man allerdings beständig erinnern muß. Die geistliche Dichtung hat folgerichtig ihren eigenen Begriff von der Freude: „Denck, was in schnöder Lust für Stacheln sich versteckt, / [...] Wie so genau Genuß und Eckel stets verbunden, / Wie in der Freude selbst dich was verborgnes schreckt" (Canitz)10. Die Theologie steht der Freude verständlicherweise skeptisch gegenüber, da sich der Affekt wenig für das kommende
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Kondylis: Die Aufklärung, S.210ff. Art. Freude. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.991f. Luhmann: Liebe als Passion, S.109f. Wolff: Verniinfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.663. Kampff wider die Sünde. In: Canitz: Gedichte, S.24.
Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
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Jenseits, sehr viel aber für das gegenwärtige Diesseits interessiert," so daß die geistliche Dichtung den Gang durch die Trauer als Weg zur Freude empfiehlt: In ihrer consolatorischen Funktion verweist sie auf die Gewißheit zukünftiger Freuden, in ihrer warnenden Funktion auf die Möglichkeit zukünftiger Traurigkeit.12 Nur die „geistliche Freude" in Gott perpetuiert, alles andere, Weltliche, führt notwendig zu Traurigkeit. Dabei löst bereits diese auf den ersten Blick restriktive Haltung eine der Freude weitaus feindlicher gegenüberstehende Haltung auf. Denn immerhin gesteht Gott dem Menschen die „Lust" zu, er fordert keine „einsame Traurigkeit". 13 Die Temporalisierung der Freude verbindet die theologische Skepsis gegenüber der Freude mit ihrer säkularen Kritik und Apologie. An sie kann die Gedankenfigur der Zwei-Seiten-Verteidigung anknüpfen,14 denn durch die innere Aufspaltung der „Freude" läßt sie sich - wie die Gelehrsamkeit (vgl. Kap. 3.1) oder die Natur (vgl. Kap. 6) - sowohl verteidigen als auch gegebenenfalls in ihrem eigenen Namen kritisieren, so daß ein sehr flexibler Argumentationsapparat zur Verfügung steht. Und was beinahe noch wichtiger ist: Diese innere Spaltung bindet als Einheit die Attribute des Einfachen, Natürlichen, Spontanen an sich. Die weltliche Variante der Freuden-Kritik tradiert der (Neo-)Stoizismus, der seine Gegenwärtigkeit immer im Hinblick auf die Zukunft bestimmt und daher umgekehrt in der Gegenwärtigkeit der Freude, gerade weil sie 11
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Vgl. zum Zusammenhang von Traurigkeit und religiöser Gesinnung: Schings: Melancholie und Aufklärung, S.73ff. Weichmann ordnet in einem Epikedium demgemäß die Trauer in den Zusammenhang des Erlösungsprozesses als imitatio christi ein: „Die mit Trähnen, die mit Aechzen / Nach des Heylands Hülfe lechzen, / Werden, wie Er selbst im Leiden, / Nach der Angst mit Trost und Freuden, / Nach dem Kampf mit Sieg, belegt" (Weichmann: Die Trostreiche Angst der Christen Wurde Bey Beerdigung Des weyland durchlauchtigsten Fürsten und Herrn; HERRN Ludewig Rudolph, Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg etc. Aus den zur Leichpredigt erwehlten Text-Worten den 17. Mertz 1735. In der Dom=Kirche zu Braunschweig von der fürstlichen Capelle musicalisch vorgestellet. In: PdN5, 189. Auch in der weltlichen Poesie hält sich bei Weichmann der theologische Standpunkt durch, wenn er in einem Oratorium die personifizierte „Freude" nur mit der „Andacht" zusammen gelten lassen will: „Die Andacht. Betet! Die Freude. Jauchzet! 2. Leb't vergnüg't!" (Weichmann: Bey Priesterlicher Trauung S. T. Herrn Lorenz Roost, vornemen Rahts-Verwandten in Tündern, mit MADEMOISELLE Anna Maria Victorn. Den 25. May, 1723. In: PdN3, 141). Melissantes [ - Gregorius]: Curieuser AFFECT:n - Spiegel, S.46ff. Für Hagedorns Ode An die Freude ist die Tradition der Personifikation der Freude wichtig. Ein Beispiel bietet eine Version der Iconologia von Cesare Ripa aus dem 18. Jahrhundert. Dort gibt es zwei Personifikationen von „Gaudium" mit zwei verschiedenen Subscriptiones, einmal gegen die überschwengliche Freude („Die Freude. / Diagoram der Söhne Freud / beförderte zur Todtes Beut"), das andere Mal für eine legitime Freude über den Einzug Jesu in Jerusalem („Die Freude. / Ob gleich der Einzug sehr gering / die Freude doch nicht schlechter ding") (Des berühmten italiänischen Ritters Caesaris Ripae allerley Künsten und Wissenschafften dienliche Sinnbilder und Gedancken, Abb. XXVIII, CLXXX).
Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
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nicht an die Zukunft denkt, eine selbstvergessene futurische Orientierung entdeckt. Dabei unterscheidet man verschiedene Typen von Freude (z. B. „Freude" vs. „Frölichkeit").15 Der Weise überbietet die temporale Intention der Freude, indem er die Folgen des „Verlangen^]" in die Überlegungen einbezieht und die „Freude" in eine reflektierte „Empfindung" verwandelt. Das ist nur eine Möglichkeit, innerhalb der stoischen Tradition mit der „Freude" umzugehen. Weder terminologisch noch konzeptionell kann dieser Entwurf im Detail Verbindlichkeit beanspruchen.16 Die temporale Disziplinierung des freudigen Affekts gilt auch für ein ausgeprägtes Interesse an der Gegenwart und der Immanenz, das die Welt jedoch unter einem utilitaristischen Gesichtspunkt wahrnimmt. Der Patriot beispielsweise bezieht die Freude auf die Vergangenheit, den Nutzen auf die Gegenwart und die Vorsicht auf die Zukunft, wobei die Vorsicht die Aufgabe hat, den Nutzen und auch das Vergnügen für die zukünftige Gegenwart zu sichern - das entspricht einer temporalisierten Variante des aufklärerischen 'Dualismus des Schwankens'. Die Polemik gegen die praemeditatio, gegen die Traurigkeit und gegen die Herabsetzung der Gegenwart durch einen falschen Bezug auf Vergangenheit und Zukunft legitimiert sich wie bei der Verteidigung der Nebenstundenpoesie (vgl. Kap. 3.1) durch die Verzeitlichung der Freude und die Übernahme der moralischen Restriktionen. 17 Eine andere Variante der Verzeitlichung schlägt einen Mittelweg zwischen Unempfindlichkeit und Empfindlichkeit vor. Freude und Betrübnis sind in Maßen wünschenswert,18 das heißt: Unangenehme und angenehme Affekte müssen bearbeitet werden, sind reflexiv zu organisieren und müssen sich abwechseln. Freude und Traurigkeit temperieren sich dann wechselseitig·"
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Die Stoiker, so Walch, „verstunden vermuthlich durch die Freude die angenehme Empfindung, das Vergnügen; durch die Frölichkeit aber den Affect der Freude [...]" (Art. Freude. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.992f.). Anstelle von „Freude" und „Frölichkeit" (Walch) setzen beispielsweise die von Conrad Arnold Schmid übersetzten Erklärungen der Gemüthsbewegungen nach den Sätzen der stoischen Weisen „Freude" und „Lust". Die „Lust" ist eine „Gemüthsbewegungf,] die mit der Vernunft streitet" und die sich - im Unterschied zu der auf die Zukunft bezogenen „Begierde" - auf ein als gegenwärtig vorgestelltes „Gute[s]" bezieht (S.8, 10, 12.). Die „Freude" hingegen harmoniert mit der „Vernunft" und bezieht sich wiederum auf etwas Gegenwärtiges im Unterschied zu dem der „Begierde" entgegengesetzten „Wille[n]". Sie teilt sich auf in „Gattungen", in das „Vergnügen" (bezogen auf etwas Nützliches), in das „Wohlgefallen" (bei Beobachtung der „Handlungen eines vernünftigen Mannes") und in die „Zufriedenheit" („über die Dauer oder Entdeckung eines Dinges") (ebda., S.27f., 32.). Der Patriot. Bd. m , S . 18 Iff. Der Patriot. Bd. II,S.102ff. Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.260; Kleist: Sämtliche Werke, S.208, vgl. dazu Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Band 5 / II, S.165.
Die Poesie der Freude: Art die Freude (1744)
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Die Frühaufklärung akzeptiert die Freude einerseits nicht in ihrem einfachen So-Sein, sondern macht sie reflexiv und damit moralphilosophisch akzeptabel. Andererseits bietet sie den Begriff auf gegen die Kritik der (sinnlichen) Gegenwart. Sie läßt verschiedene (säkulare) Begriffe der Freude gegeneinander antreten, so z. B. die Freude des „Unachtsamen" und die Freude des „Betrachtenden". Wenn dem „Unachtsamen" genügt, daß „Freude" herrscht, so will der „Betrachtende" wissen, warum dies so ist. Er greift also in die Vergangenheit aus und stellt die Freude in einen ursächlichen und damit auch temporalen Zusammenhang. Diese „wahre Freude" ist nicht die „Lust" für „Maul und Magen", sie läßt sich begrifflich genau fassen: Denn deiner (des „Unachtsamen", S.M.) Freude fehlt die rechte Kraft und Weyde. Fürwahr Erkenntnis und Verstand Beglückt uns erst bey unserm Glücke, Von welchem der, so mit gewohntem Blicke Es flüchtig übersieht, Ihm selbst Genuß und Frucht entzieht. 20
Während der Freude in ihrer Kritik ein Zeitindex mitgegeben wird, der sie aufspaltet, zieht sie sich bei ihrer Verteidigung gegen den „Mißvergnügten" wieder auf die Gegenwart zusammen. Der „Mißvergnügte" spielt die „gute alte Zeit" gegen die Gegenwart aus, und der „Fröhliche" reagiert darauf mit der Vergegenwärtigung der bestehenden „Freuden".21 Diese Temporalstruktur hat ihren Ort im poetischen Gattungssystem: Die Personifikation der „Freude" heißt z. B. in einer Serenata die siegreich zurückkehrenden „Helden" willkommen. Nur in Friedenszeiten kann die Freude existieren, wenn also keine „Helden" mehr gebraucht werden.22 Entsprechend assistiert ihr der „Chor der Schäfer", der den Frieden in der Schäferpoesie verkündet. Die Zeit des Friedens und der Freude tauscht die Sujets der hohen Dichtung gegen die der niederen oder mittleren aus:
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Zimmermann: Als Das Wol— Löbliche COLLEGIUM Der H H r n . Bürger-C'APITAINES Der Stadt HAMBURG Bey beglückter Gegenwart Dessen respective Hohen und Geehrtesten Eingeladenen D. 30. Aug. Ao. 1736. Sein Jährliches E h r e n - und Freuden-Mal Feierlich begieng. In: PdN5, 60. Ebda., S.63f. Lange leitet seine Ode An den Hr. von Hagedorn mit der Strophe ein: „Die Freude, die bisher die Fluren vermieden, / So lange Mars die bangen Reiche durchbrüllt, / Naht sich, denn Friedrich giebt den Ländern den Frieden, / Der Lerm ist gestillt" (Lange: Horatzische Oden, S.88). Vgl. zu einer Kritik der Helden auch: Brockes' Helden-Gedicht. In: Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.551ff.
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744) Friede, Friede! Kommt, Schäfer, kommt Nymphen mit zierlichen Kränzen, Und spielet mit Flöten, und schertzet mit Tänzen, Und raffet, bis Odem und Nachhall ermüde, Friede, Friede!
Die Temporalisierung der Freude steht in einer poetischen Tradition. Zincgref läßt 1624 Opitzens Teutsche Poemata mit einer Art Widmung An die deutsche Nation beginnen, in der Opitz spielerisch berichtet, wie Amor ihn von seinem eigentlichen Vorhaben ablenkt, „den Lauff der grossen Helden" zu „vermelden", und ihn von den Insignien und der Mythologie der hohen Dichtung (Lorbeer, Apollo, Vulcanus) in die Welt der Hirten führt. 24 Opitz reproduziert das temporale Schema der Kritik der Freude durch die Umkehrung der antiken Idealbiographie, die von der venerischen zur ernsthaften Dichtung führt, 25 indem er die Dichtung Amors als Abweichung von seiner eigentlichen Intention des prodesse und der Nationalpoesie vorstellt und verspricht, dieser Aufgabe in Zukunft nachzukommen. Die Selbstverständlichkeit, mit der das bloße Erscheinen Amors den Autor in die Welt der Hirten führt, ohne daß eine Begründung notwendig ist, verweist auf die Selbstevidenz des delectare. Und eben dieses delectare wird dann durch die Ankündigung der zukünftigen dichterischen Arbeit verzeitlicht, damit problematisiert und entschärft ineins. Hagedorn reflektiert die Temporalstruktur, die in die Freude eingelassen wird, wenn er in seinen Briefen an Bodmer auf dessen Aufforderung hin für die Zukunft die Arbeit am Hexameter in Aussicht stellt.26 Er reagiert damit auch auf die schon in der Rezension seiner Fabeln und Erzehlungen in den Critischen Beyträgen vorgebrachte Hoffnung, der Hamburger Dichter werde sein poetisches Talent in Zukunft nicht mehr an die niederen Gattungen 23
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Zimmermann: Als Das Wol = Löbliche COLLEGIUM Der H H r n . Bürger - CAPITAINES Der Stadt HAMBURG. In: PdN5, 71. Opitz selbst ordnet An die deutsche Nation dann als erstes deutschsprachiges Gedicht in das Buch V der Acht Bücher Deutscher Poematum (1625) ein, „worinnen Amatoria vnd weltliche Getichte sind" (Gesammelte Werke. Bd. 11,2, S.599ff.). Traditionsbildender Prätext ist die erste anakreontische Ode - in der Übersetzung Eduard Mörikes: „Ich will des Atreus Söhne, / Ich will den Kadmos singen: / Doch meiner Laute Saiten, / Sie tönen nur von Liebe. / Jüngst nahm ich andre Saiten, / Ich wechselte die Leier, / Herakles' hohe Thaten / Zu singen: doch die Laute, / Sie tönte nur von Liebe. / Lebt wohl denn ihr Heroen! / Weil meiner Laute Saiten / Von Liebe nur ertönen" (Werke und Briefe, S.393). Müller: Nachwort, S.205Í. Vgl. ζ. Β. Β 323 sowie SK2 7. 4. 1751; 3. 9. 1751; 7. 1. 1752. Im Hinblick auf die erste Odensammlung von Hagedorn schreibt Bodmer immerhin: „Die Wahrheit weiset sich in holder Zierlichkeit; / Und die Natur glänzt hier siegprangend eingekleidt. / Natürlichs dieser Art ist nicht genug zu schätzen, / Und dem Erhabnen selbst nur wenig nachzusetzen" (Bodmer: Vier kritische Gedichte, S.67).
Die Poesie der Freude: An die Freude (\T44)
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verschwenden. Hinzu kommt die Kritik an der sittlichen Fragwürdigkeit einiger Erzählungen.27 Das Gattungssystem bindet diesen Zusammenhang durch die Abwertung der „nur" delektierenden Gattungen ein.28 Zwar erfüllen die Kleinformen die eigentliche Intention der Poesie (delectaré), aber dieses einfache delectare spaltet sich dann wie die Freude in ein „eigentliches" und in ein uneigentliches Vergnügen auf. Diese Verbindung von moralischer und poetischer oder poetologischer Befragung der Freude und der Poesie der Freude hat einen weiteren Aspekt: Sie führt die Vorsicht, die man in den poetischen Begriff der Freude einbaut, auch auf Seiten des Autors ein. Hagedorn versucht, eine unsichere Stellung in der poetischen Landschaft zu besetzen, die von allen Seiten aus bedroht wird - Leipzig und Zürich haben bei allen Differenzen ein entschiedenes Faible für die jeweiligen Spitzen der Gattungshierarchie, und selbst ein junger Autor wie Giseke fordert Hagedorn zu größeren Projekten auf.29 Das literarische System erscheint Hagedorn auf diese Weise als Abbild des Hofsystems mit seinen Unsicherheiten und Gefährdungen (vgl. Kap. 4.2). Die zeitliche Differenz, die man in dieser Situation in die Freude einführt, entspricht der permanenten Selbstbeobachtung des Höflings. Der Buchmarkt erscheint als „generalized other". 30 Man muß die Erwartungen eines weitgehend unbekannten oder wenn bekannten, dann inhomogenen Publikums mit den eigenen Intentionen und Interessen verrechnen und Formen der Lang- und Weitsicht entfalten,31 die an Komplexität denen des Höflings in nichts nachstehen.32 Im Gegenteil: Indem der Hof nun zum Gegenbild der Aufklärung wird, darf man sich die strategische Aktion nicht einmal mehr zugestehen. Auch diese Selbstbearbeitung des Individuums gehört zur frühaufklärerischen Ubergangssemantik. Die Invisibilisierung der Reflexion entspricht der Verankerung des Gewissens in der menschliche Natur, d. h. eines selbstkontrollierten und zugleich ungespaltenen, selbstidentischen Individuums (vgl. Kap. 3.1 u. 4.1).
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Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 1739, 22. St., S.307. Vgl. zur öffentlichen Aufforderung Hagedorns durch Bodmer: BK 661. Breitinger: Critische Dichtkunst. 1. Bd., S.104; vgl. im Gegensatz dazu Epos, Tragödie und Komödie, die der „Erleuchtung des Verstandes und Besserung des Willens" dienen, „ohne welche kein wahrhaftes und eigentliches, vernünftigen Geschöpfen anständiges Ergetzen statt haben kann" (ebda, S.105f.). Vgl. auch Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.140. Vgl. Schreiben an Herrn von Hagedom, Über den Einfluß des Geschmacks in das menschliche Leben (1746) (Giseke: Poetische Werke, S.61ff.). Vgl. in diesem Zusammenhang: Mead: Geist, Identität und Gesellschaft, insbesondere S.230ff.; Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S.268. Ehlich: Funktion und Struktur schriftlicher Kommunikation, S.31, 35f. Vgl. dazu: Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Bd.2, S.351ff.
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Hagedorns Odenpoetologie antwortet auf die Verzeitlichung der Freude mit ihrer eigenen Vergänglichkeit: Den itzt an Liedern reichen Zeiten Empfehl ich diese Kleinigkeiten: Sie wollen nicht unsterblich seyn. (W3,23)
Auch das ist eine Weise, der Dichtung einen Zeitindex einzuschreiben, der gleichsam einen Evolutionsvorteil bietet: Denn es wird die Temporalisierung sein, die das hierarchische Gattungssystem aufhebt, etwa in der Bindung der Dichtung an den erlebten Augenblick, in der Bindung der Poesie an die Biographie des Autors oder in der Bindung von Autor und Werk an eine literaturgeschichtliche Situation (vgl. Kap. 3). Aus einem komplizierten Gemisch von Alterslehre, Gattungstheorie und Moralphilosophie formt Hagedorn ein Modell von Verbesserungsästhetik, das die traditionellen Wertungen der Gattungslehre übernimmt (die Geringschätzung der Lieddichtung) und sie zugleich in der Autorbiographie überwindet. Den reifen Autor bezeichnet dann z. B. das Interesse an den Moralischen Gedichten und letztendlich die Uberwindung der Poesie durch ein vorbildliches Leben (Kap. 3-2). Daß Hagedorn die Freude in einer Ode zum Programm erklärt, hat gattungstheoretische Gründe, denn die Freude ist der traditionelle Zentralaffekt der Lieddichtung. 33 Die Oden- oder Lieddichtung vagiert quer durchs hierarchische Gattungssystem: Im Vergleich zumal mit den dramatischen und epischen Großformen rutscht sie zwar wie bei Opitz ans Ende der Hierarchie, unterläuft diese Gliederung aber auch, indem sie aus der internen Differenzierung, die die einschlägigen Verse aus der Ars Poetica des Horaz vorschlagen (Hymnen, Epinikien, Liebeslieder etc.) 34 , wiederum eine Hierarchie mit der erhabenen oder pindarischen Ode an der Spitze bildet.35 Das Spezifikum der Odendichtung ist die von ihr sowohl produktionsästhetisch geforderte als auch wirkungsästhetisch vermittelte Affektlage, das „freye[ ] lustige[ ] gemute" (Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.369f.). Bemerkenswert ist die Verlagerung dieser Kriterien in den Kernbereich der Poesie durch Benjamin Neukirch (Vorrede, S.20), der die Bestimmung des „galant homme" aufnimmt und damit die Vorläuferschaft der politischen Theorie für die Frühaufklärung deutlich macht (vgl. den Auszug aus seiner Anweisung
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Teutschen Briefen (1721) in: Der galante Stil, S.32). Vgl. zur Affektbindung der Odendichtung auch Löwen: Anmerkungen über die Odenpoesie, S.9, 12, 15 - eines der Beispiele Löwens ist Hagedorns Α η den Schlaf. „Musa dedit fidibus divos puerosque deorum / et pugilem victorem et equum certamine primum / et iuvenum curas et libera vina referre" („Dem Lyriker hat die Muse verliehen, Götter und Göttersöhne, siegreiche Faustkämpfer, Rosse, die im Wettrennen den Preis gewonnen, den Liebesgram der Jünglinge und den sorgenlösenden Wein zu besingen"; Ars Poetica, V.83ff.). Vgl. in dieser Tradition z. B. die für die deutsche Frühaufklärung para-
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Hagedorn nutzt diese traditionellen Grenzziehungen zur Selbstplazierung in den poetischen Diskursen der Frühaufklärung aus. Er verringert zum einen durch interne Unterscheidung den Zuständigkeitsbereich der liedhaften Dichtung, indem er nur einen Teil der obligatorischen HorazVerse in der Vorrede zu den Oden zitiert, den Rest aber referiert oder in die Anmerkungen verbannt: Die Muse der lyrischen Dichter heisset sie nicht nur Götter, oder Könige und Helden besingen, sondern auch, nach dem Ausdrucke des Horaz: JUVENUM CURAS ET LIBERA VINA REFERRE. (W3, III)
Hagedorn sucht „nicht so sehr den erhabenen, als den gefälligen, Character der Ode" (W3, III),36 auch wenn er an anderer Stelle einen umfangreichen Themenkatalog aufstellt (W3, XV). Zum anderen greift Hagedorn auf die externe Unterscheidung zwischen der Odendichtung und den sonstigen genera carminis zurück. Entsprechend leitet er seine gesammelten Oden mit dem poetologischen Programm An die Dichtkunst ein: Die Kraft, der Helden Trefflichkeiten Mit tapfern Worten auszubreiten, Verdankt Homer und Maro dir. Die Fähigkeit, von hohen Dingen Den Ewigkeiten vorzusingen, Verliehst du ihnen, und nicht mir. (W3, 23)
Die Odendichtung muß sich (z. B. gegenüber Bodmer) vor ihrem Gegenbild, der hohen Dichtung, legitimieren. Zugleich aber steht es dem Dichter gar nicht frei, die eine oder andere Dichtart zu wählen, wie man das bei einer dezidiert rhetorisch verstandenen Dichtung zu erwarten hätte. Hagedorn schickt gegen die Gesetze des Gattungssystems seine subjektive Befähigung ins Feld.37 Die hierarchische Auflistung der Gattungen behält also bei Hage-
digmatischen Poetiken von Boileau: L'Art poétique, S.26f. und Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.12ff. sowie Gottscheds Ubersetzung der Horazischen Poetik und seinen Kommentar dazu: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.49. 35
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Morhof beispielsweise hält im Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie der Ode, „insonderheit wenn sie nicht gesungen wird", die Möglichkeit offen, die „Helden Gedichte" - und das sind die „vornehmbsten Arten der Gedichte" - zu übertreffen (S.327, 338f.). Vgl. zur Unterscheidung von Lied und Ode: W3, Xllf., Anm.26. Vgl. auch Krummacher: Poetik und Enzyklopädie, S.255f. Vgl. dazu die Aufwertung von „naturell": Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.413, 421, 437f., 464, 516ff., 538. Nicht umsonst unterstützt die „Lyrik" die Erset-
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dorn noch Geltung und wird zugleich im Kern angegriffen, so daß gleichsam ein poetischer „Dualismus des Schwankens" entsteht. Der Begriff der „Freude" verknüpft Hagedorns (Oden-)Poetologie und Poesie mit der Argumentationsordnung der Frühaufklärung. Das Programm einer Poesie der Freude nivelliert die Poesie auf ein inhaltliches, stilistisches und affektives Mittelmaß, das sie von Fremdbestimmungen befreit (2.1 u. 2.2) und das sich an dem Menschen schlechthin orientiert, den die Aufklärung hervorzubringen versucht (2.3). Die Freude fordert dabei einerseits Selbstbestimmung und andererseits Selbstkontrolle, greift also auch in moralische und anthropologische Diskurse ein (2.4). Wichtig sind dabei die Uberschneidungen der diversen Themen in dem einen flexiblen Begriff der Freude, so daß jeweils das poetische oder poetologische Moment nie aus dem Blick gerät.38 An die Freude. Freude, Göttinn edler Herzen! Höre mich. La15 die Lieder, die hier schallen, Dich vergrössern, dir gefallen: Was hier tönet, tönt durch dich. Muntre Schwester süsser Liebe! Himmelskind! Kraft der Seelen! Halbes Leben! Ach! was kann das Glück uns geben, Wenn man dich nicht auch gewinnt?
Gieb den Kennern, die dich ehren, Neuen Muth, Neuen Scherz den regen Zungen, Neue Fertigkeit den Jungen, Und den Alten neues Blut. Du erheiterst, holde Freude! Die Vernunft. Flieh, auf ewig, die Gesichter Aller finstern Splitterrichter Und die ganze Heuchlerzunft! (W3, 42)
Stumme Hüter todter Schätze Sind nur reich. Dem, der keinen Schatz bewachet, Sinnreich scherzt und singt und lachet, Ist kein karger König gleich.
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zung der traditionellen Hierarchie der Dichtarten durch eine systematische Drei- oder Vierteilung (Scherpe: Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, z. B. S.112, vgl. auch S.171). Die Fehler im Reprint der Werkausgabe von 1757 - „Feude" (V.l), „vergrössern" (V.4) wurden nach der Erstausgabe und der Sammlung der Oden und Lieder in fünf Büchern (1747) verbessert (OLFB 41).
Die Freuden der Tradition
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2.1 Die Freuden der Tradition Hagedorn, das hat die Einleitung deutlich gemacht, betritt mit dem Lob der Freude kein Neuland, sondern bewegt sich innerhalb der Topographie einer längst vermessenen geistigen Landschaft. Gleichwohl arbeitet die Ode An die Freude mit rhetorischen Figuren und Topoi, die einen programmatischen Anspruch markieren. Die Ode hat zunächst als allegoria permixta39 in Zeiten der Allegorie-Skepsis im Gegensatz zur allegoria tota den Vorteil der Verständlichkeit für sich. Hagedorn etabliert durch die Einheit von Bildlichkeit und Erklärung den Begriff der „Freude" und bestimmt ihn in der lyrischen Progression - die einmalige Zäsurverschiebung im ersten Vers macht dies gleichsam in der Funktion eines metrischen Doppelpunkts sinnfällig. Zum zweiten verbindet sich die invocado als Exordialtopos in besonderer Weise mit der Odendichtung und ihrem Zentralaffekt der „Freude": Ein affektreicher Beginn gehört zur Odendichtung, die „die Freude, und die Empfindung" zum „Endzweck" hat. „Das ganze Herz muß gleich im Anfang sprechen", sonst spricht die Ode nicht die „Sprache der Affecten".40 Thema und Performanz fallen in der Allegorie der Freude zusammen, und eben das gehört zu den Mitteln, „gemeinen Dingen das Ansehen der Neuheit beyzulegen" (vgl. auch Kap. 2.2).41 Die Ode setzt gleichsam ihr eigenes, individuelles Programm fest, überzeugt oder scheitert im Vollzug. Dabei folgt die Allegorie - drittens - als kletische Ode dem Muster des Musenanrufs.42 Die Apostrophe „Göttinn" (V.l) erklärt sich daraus ebenso wie der Anschluß von Strophe zwei: Die „Liebe" ist die „Schwester" der „Freude" (V.6), und beide sind „Himmelskind[er]" (V.7),43 entsprechend der
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Vgl. zur für Hagedorn typischen allegorischen Konstruktion: Alt: Funktionen der Allegorie in deutscher Anakreontik und Lehrdichtung des 18. Jahrhunderts, S.255ff.; zur Unterscheidung zwischen allegoria tota und allegoria permixta vgl. Quintilian: Ausbildung des Redners, VOI 6, 44ff. Löwen: Anmerkungen über die Odenpoesie, S.12, 15. Breitinger: Critische Dichtkunst. 1. Bd., S.332. Vgl. zur Ineinssetzung von Empfindung und Dichtung in der Odentheorie Gottscheds: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.137. Vgl. zur Personifikation: Critische Betrachtungen über des Herrn von Hagedorn Ode auf den Weisen, S.23f.: „Was jetzo den edeln und kühnen Ausdruck betrift, der diesem sonst philosophischen Gedichte ein poetisches Ansehen mitheilen soll, so finde ich, daß der Verfasser unterschiedliche Kunstgriffe gebraucht hat, dieses zu erhalten: Als z. Ex. da er abgezogene Wesen mit guter Wahl und Nachdruck in Personen verwandelt, und ihnen auch so gar äusserliche und sichtbare Handlungen zuschreibet". Vgl. zu Formen der kletischen Ode: Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. ΠΙ, S.150ff., zu den hier wichtigen „fiktionalen Hymnen": ebda., S.160f. Das Bild hat auch einen theologischen (Hinter-)Sinn, wie man an der Verwendung im Epithalamium auf das Lastrop-Beselerische Ehe** Verbündniß sehen kann. Dort ist die „Liebe wahrer Art" ein „Himmels-Kind", d. h. die eheliche, den christlichen Imperativen entsprechende Liebe (PdN4, 140). Johann Peter Uz unterscheidet in Die Freude zwischen der
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Abkunft der neun Musengeschwister44 aus der Verbindung des Olympiers Zeus mit der Titanin Mnemosyne. Hier nun greift Hagedorn in dreifacher Weise in den Traditionsbestand ein: Er verschiebt die Position der Inspirationsquelle im Verhältnis zum Autor, in der mythologischen Ordnung und im Gattungssystem. Hagedorn hebt die Differenz zwischen Poet und Muse bzw. das Prinzip der inspiratorischen Entzweiung auf und schaltet von Fremd- auf Selbstbestimmung um.45 Das Ich der Ode bittet die „Freude" um Erhörung und reklamiert die Allegorie der „Freude" für die durch sie inspirierten „edlen Herzen" (V.l), die die „Freude" als „Göttinn" verehren (V.l). Die Hypostase des Affekts verschränkt die neue Muse mit den „Liedern" (V.3), die umgekehrt der „Freude" allererst musische Qualitäten zuschreibt. Die „Freude" soll die „Lieder [...] schallen" lassen (V.3), die sie wahrzunehmen gebeten wird. Dieses Spiel der Reflexion setzen die abschließenden Verse fort: Die Lieder „vergrössern" die „Freude" (V.4), und doch „tönen" sie nur „durch" die „Freude" (V.5). Die „Freude" bringt die Dichtung ebenso hervor, wie sie selbst das Produkt von Dichtung ist. Zwischen beiden läßt sich kein Verhältnis der Vorgängerschaft oder Nachfolge festlegen, sondern nur jene kleine Differenz, die die wechselseitige Einflußnahme möglich macht - es gibt eine gute und eine schlechte Freude, und es gibt eine gute und schlechte Poesie der Freude. Aber die „Freude" setzt nicht bloß den Affekt an die Stelle der Musen. In ihrer Funktion als „Göttinn" für die „edlen Herzen" knüpft sie zugleich an die Grazien-Mythologie an. Sie mäßigt gleichsam innerhalb des mythologischen Systems den Bezugspunkt, so wie Hagedorn die „gefälligen" Lieder an „Freude" und der „ungestaltefn] Fröhligkeit", der „Tochter wilder Trunkenheit" (Sämtliche poetische Werke, S.102). Wesentlich öfter gilt die Tugend als „Himmelskind", so in Albrecht von Hallers Die Falschheit menschlicher Tugenden (Gedichte, S.75) oder in J. C. Unzers Die Tugend (Versuch in sittlichen und zärtlichen Gedichten, S.46). Die genealogischen Verhältnisse sind auch im folgenden noch interessant, so wenn Johann Arnold Ebert meint, die „Lieder werden ordentlicher Weise in der Schooß der Freude gezeuget" (Abhandlungen von den Liedern der alten Griechen; W3, 188; so auch Batteux: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, S.217). Man sucht sich je nach Intention seine Muse, sein „Himmels Kind": Für Magnus Gottfried Lichtwer ist in Das Recht der Vernunft (S.3f.) beispielsweise die „Vernunft" sein „Himmels Kind". Umgekehrt halten die Menschen in J. A. Schlegels Der Selbstbetrug bey der Tugend. Lehrgedichte an Herrn J. A. Heermannen in Merßeburg das „Hirngespinnst" für des „Himmels reines Kind" (Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Leipzig 1744, Jenner, S.26). 44 45
Vgl. zu Hesiodschen Musenkatalogs Hagedorns Der Gelehrte (Wl,58f.). Vgl. zur Einschätzung der Musenmythologie in der Aufklärungspoetik: Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.248; Beetz: Die kupierte Muse, S.29f.; Ausfeld: Die deutsche anakreontische Dichtung des 18. Jahrhunderts, S.8ff.; Apel: Sprachbewegung, S.75ff. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit dem Beginn von Klopstocks Messias in Lessings Briefen. Lessing gibt dort vielfältige Interpretationen und Beispiele für den Musenanruf: Werke. 3. Bd., S.306ff.
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die Stelle der „erhabenen" treten läßt. Scaliger setzt die Musen, die Grazien und die „Freude" miteinander in Beziehung. Dabei bilden die Grazien eine Art Uberleitung zur Selbstinspiration. Gratiarum vero tum perpetuas socias tum affines propterea, quod elegantioris lautiorisque vitae auctores esse videantur non sine ea voluptate, quae in laetitia temperatione sita es [...]. Est enim laetitia affectio animi in corpore sano. Causa affectionis est, quod vocant philosophi obiectum adaequatum voluntati. Per poesin autem reflectitur anima in seipsam atque promit e caelesti suo penu, quod divinitatis inest, quae pars ne perpetuis quidem haustibus exhauriri potest. Quod autem et Charités et laetitia et Musae et bona valetudo affines sint, ex oraculi Consilio colligi potest, quod Argivae Telesillae datum ait Plutarchus. 46
Bernard de Montfaucons Antikenerläuterung L'Antiquité expliquée et représentée en figures, die besonders für Hagedorns große Wein-Ode von Bedeutung ist (vgl. Kap. 7.2), übersetzt „Euphrosyne" mit „Laetitia" bzw. „la joviale",47 in der deutschen Ubersetzung steht an dieser Stelle die „Freude".48 Unter den Personifikationen der „Gemüths = Beschaffenheiten" findet sich dann auch im Paragraphen vor „Laetitia", der Göttin der „Freude", „Hilaritas", die „Freudigkeit" bzw. „Gaieté", mit deren Abbild Hagedorn in den Oden und Liedern in fünf Büchern sowie in der großen Werkausgabe von 1757 die Vorrede zu den Oden und Liedern abschließt - Der Jüngling wählt im übrigen zu einem Hagedorn-Zitat eine Personifikation der Laetitia.49
„Mit den Grazien sind sie (die Musen, S. M.) bald ständig verbunden, bald verwandt, da man in ihnen die Urheberinnen eines erleseneren und kultivierten Lebens sieht, nicht ohne das Vergnügen, das aus maßvoller Freude hervorgeht [...]. Die Freude ist nämlich eine Verfassung des Geistes in einem gesunden Körper. Die Ursache dieser Verfassung ist das, was die Philosophen ein mit dem Willen übereinstimmendes Objekt nennen. Durch die Dichtung aber wird die Seele auf sich selbst zurückgeworfen und holt aus ihrem himmlischen Vorrat hervor, was sie an Göttlichkeit enthält; dieser Teil kann nicht einmal durch ständiges Schöpfen ausgeschöpft werden. Daß aber die Charitinnen und die Freude und die Musen und das Wohlergehen miteinander verwandt sind, kann man dem Rat des Orakels entnehmen, von dem Plutarch erzählt, daß er der Argiverin Telesilla erteilt worden sei" (Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. I, S.80f.). 47
Montfaucon: L'Antiquité expliquée et représentée en Figures. T o m e premier. Premiere
48
Montfaucon: Griechische und Römische Alterthümer, S.56.
49
Der Jüngling. 1. Bd., 1747, Titelblatt. Warum Hagedorn sich für die Personifikation der
Partie, S. 175.
„Freudigkeit" und nicht der „Freude" entschieden hat, ist schwer zu sagen. Montfaucon gibt den Unterschied zwischen beiden Göttinnen folgendermaßen an: „Von der
Hilaritate,
oder Freudigkeit, ist die Laetitia, oder Freude, darinn unterschieden, daß diese insonderheit das Gemüth angehen soll" (Montfaucon: Griechische und Römische Alterthümer, S.93; vgl. auch: ders.: L'Antiquité expliquée et représentée en Figures. Tome premier. Seconde Partie, S.335). Hederich übersetzt im Unterschied dazu „Laetitia" mit „Fröhlichkeit" (Gründliches mythologisches Lexikon, Sp.1423).
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Auch Milton, der die Freude als „Goddess" anruft, stellt den Zusammenhang zur Grazienmythologie in L'Allegro und Ii Penseroso her.50 Noch eine letzte Bedeutung der mythologischen Verschiebung bleibt zu nennen: Die Musen sind Töchter der Mnemosyne, sie verkörpern damit die Traditionsbildung. 51 Das griechische Epigramm, das Scaligers Poetik einleitet, formuliert das so: „Scaliger aber, der durch die Musen Gewordene und von den Musen Unterwiesene, / hat sowohl die Musen gezeugt als auch seinerseits unterwiesen".52 Der Ubergang zur Selbstinspiration und der Wechsel zur Mythologie der Grazien repräsentiert auch eine Episode im Prozeß der Verzeitlichung von Poesie und Poetologie, also der Abstoßung von Tradition an sich (vgl. Kap. 4.2). Die reflexive Struktur der invocado unterläuft ihre objektive Struktur (die Inspiration).53 Zwar bestand auch innerhalb der Topik des Musenanrufs die Möglichkeit zur analogen Konstruktion der entzweiten Einheit, wenn der Dichter seinen eigenen Geist an die Stelle der Musen einfügte54. Hagedorns Arbeit am Mythos aber tauscht das traditionelle Schema nicht einfach aus, auch wenn sich an den Affekt der Freude und damit an den „gefälligen [...] Character der Ode" (W3, III) die Selbstbegründung knüpft. Er bewahrt vielmehr in der Übernahme der Musen- bzw. Graziengenealogie („Göttinn", „Schwester") den polemischen Bezugspunkt und bezieht sich kritisch auf das genus grande, in erster Linie auf das Epos sowie den zugehörigen Musenanruf und in zweiter Linie auf den stilus sublimis der beiden Odenarten, die Horaz in seiner Bestimmung zuerst genannt hatte: Götter- und Heldenlob sind Angelegenheiten der enthusiasmierten Dichtung und der hohen Stillage.55 50
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Hier zitiert nach der zweisprachigen Ausgabe mit der Übersetzung von Otto Heinrich von Gemmingen von 1782: Milton: Allegro und Penseroso, S.6ff. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.231; vgl. zum Thema: Assmann / Assmann: Schrift und Gedächtnis, S.267. Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. I, S.37. Barmeyer: Die Musen, S.16, 55f., 97 . Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.240, 246. Vgl. z. B. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.12ff. Wenn Alfons Klein bei der Untersuchung der Antikerezeption Hagedorns in der Ode An die Freude einen geradezu unmittelbaren Rückgriff von Hagedorn auf die Antike, insbesondere auf Horaz, entdeckt, dann ist dies nicht nur methodisch prekär (Die Lust, den Alten nachzustreben, S.200ff.). Bei der Heranziehung von Lukrez und dessen Venusinvocatio wäre im Falle Hagedorns zudem die Tradition der erotischen Poesie mitzubedenken (vgl. dazu Schlaffer: Musa iocosa, S.113ff.). Auch verträgt sich das „Venus"-Beispiel nur schwer mit dem distanzierten Verhältnis zur Mythologie, das Hagedorn in der Ode An die Freude exponiert. Und Horaz' Stilisierung zum musarum sacerdos und poeta vates wird dem, was Hagedorn als „Freude" entwickelt, ebenfalls nicht gerecht. Die Parodie des Musenanrufs führt Horaz bezeichnenderweise nicht in der Odendichtung selbst, sondern in der satirischen Dichtung durch (vgl. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.239). Wenn der Rekurs auf Horaz so unterschiedliche Gebilde wie die Oden Hagedorns
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Verhandelt werden also in der Ode An die Freude auch die Positionierungen von (niederer) Ode und hoher Dichtung, dergegenüber sich die „Kleinigkeiten" der liedhaften Dichtung in der Verteidigungsposition befinden. Vielleicht erfordern diese Oden und Lieder keinen Vorbericht: vielleicht ist es doch auch nicht ganz überflüßig, etwas von dieser Art der Poesie anzumerken; insonderheit aber zu erinnern, daß die folgenden Gedichte nicht so sehr den erhabenen, als den gefälligen, Character der Ode zu besitzen wünschen, durch welchen dieselbe ihre Vorzüge reizender und gesellschaftlich machet (W3, ΠΙ).
Die exponierte Unentschiedenheit zu Beginn der Odensammlung von 1742 reflektiert den unsicheren Status der „freudigen" Dichtung, die sich gegenüber den Ansprüchen des docere ebenso zu behaupten hat wie gegenüber den Herausforderungen der hohen Stillage (vgl. auch Kap. 3.2 und 5.2). Durch die parodistische Lektüre der Versmischung56 läßt sich das Programm der semantischen Schichtung in den Versbau hinein verfolgen: Bis auf den jeweils zweiten, dipodischen Vers einer Strophe bestehen die Verse aus vier Trochäen. Die Verse eins, drei und vier haben eine weibliche Kadenz, Vers zwei und fünf eine männliche. Das Reimschema wäre demzufolge ein umarmender Reim mit einleitender Waise. Typographisch gleicht das Strophenbild dem der Kantate57, die in der Arie Kurzverse nicht nur linksbündig, sondern auch zentriert anordnet - wobei sich die Verse im Normalfall, wie ähnliche Verse Hagedorns58, reimen. Die beiden ersten Verse stehen so in einer ambivalenten Position zwischen Zusammengehörigkeit und Eigenständigkeit. Der lange, sechsfüßige Vers würde derart durch den Zeilensprung gleichsam kupiert und - wie bei der Beziehung der Ode zum Musenanruf - unterlaufen, bliebe aber virtuell erkennbar.59 Wenn Hagedorn in der Neuordnung seiner Oden und Lieder in den Oden und Liedern in fünf Büchern auf die Freude-Ode die Ode Die Helden folgen läßt, dann setzt er damit
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58 59
und die Oden Klopstocks hervorbringen kann, erläutert Kleins Verweis auf den Bezug zu Horaz weniger, der Verweis wird vielmehr selbst erläuterungsbedürftig. Vgl. für die Lizenz zur Versmischung in der Odendichtung: W3, XXIf. Für Gottsched ist die Kantate „eine Art" von Ode (Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.62). Weiterhin wäre an die diversen Personifikationen der „Freude" in den Kantaten der Poesie der Niedersachsen als Vorbilder für Hagedorns Personifikation zu denken - für Beispiele vgl. oben, Kap. 2. Vgl. ζ. B. W3,63, 72, 102. Zu denken wäre weiterhin an eine Transformation des „Fünflings" als Vers der zeitgenössischen anakreontischen Dichtung (vierhebige trochäische Verse, fünf Zeilen mit Waise und Kreuzreim) oder an eine Transformation von Opitz' Beispielode im Buch von der Deutschen Poeterey zur „vermahnung zue der fröligkeit" (S.370.; vierhebige trochäische Verse, acht Zeilen, umarmender Reim). Vgl. Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen, S.391ff„ 617.
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das Programm der Freuden-Invocatio um: Er normalisiert das Heldentum, indem er die „Helden" zu weintrinkenden Menschen macht. Hagedorns Transformationen im Bereich der Inspirationssemantik stehen im Kontext einer generellen Historisierung der Traditionsbestände. Die Gegenwart des Numinosen - etwa beim Musenanruf - gilt zwar noch immer als notwendiger Bestandteil des poetischen Produktionsvorgangs60, aber vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen den antiqui und moderni hat die Tradition des Musenanrufs an Verbindlichkeit eingebüßt.61 Die antiken Gottheiten werden als Instanzen unglaubwürdig62. Zudem läßt die christliche Poesiekritik unabhängig von wirkungsästhetischen Überlegungen die Anrufung heidnischer Götter wenig ratsam erscheinen im Unterschied zur Anrufung der Tugenden, die die Tradition der allegorischen Auflösung heidnischer Götter fortführt.63 Die Theorie von der göttlichen Inspiration zielt auf die positive Kategorie des mit dem Musenanruf verbundenen Enthusiasmus und auf das ästhetische Korrelat einer Ästhetik des Erhabenen, das genus grandeAber gerade dem genus grande setzt Hagedorn seine Oden-Ästhetik entgegen und stellt die 'Musen'-Definition in ihren Dienst. Die Affektrhetorik der Freude-Ode verwendet zwar Rudimente erhabener Diktion - insbesondere Verfahren der evidentia wie Apostrophe, Asyndeton, Frage, Hyperbaton und Interjektion65 -, der Affekt der „Freude" depotenziert die rhetorischen Figuren des Erhabenen jedoch und führt sie auf ein affektives und stilistisches Mittelmaß zurück. So kann auch im hymnischen Sprechen der Panegyrik die Freude, deren Anlaß im Lobgedicht besungen wird, die Stilhöhe mäßigen. Weichmann etwa läßt im Lob des Fürstenhauses gerade an die „Schäfer" die Aufforde-
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Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord » * * * * , S.370. Auf diese Weise ergibt sich ein wesentlich genauerer Bezug zu Shaftesbury, als ihn die Hagedorn-Forschung seit Franz Schultz (1926) behauptet, der den „Geist Shaftesburys [...] hinter dem Aufschwünge auch Hagedorns" und im besonderen „hinter" der Ode An die Freude entdeckt hat (Die Göttin Freude, S.8). Da Schultz Hagedorns Shaftesbury-Kritik (Wl,51f.) ebensowenig in die Überlegungen miteinbezieht wie die Topik der invocatio oder die zeitgenössische Semantik des Begriffs, kann er auch die Beziehung der Diskurse, die in der Kritik am Musenanruf besteht, nur atmosphärisch andeuten.
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Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.370ff. Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord * * * * * t S.308ff.; Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.225, 227. Dazu jedenfalls rät Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S. 103. Vgl. zum Thema Β 171f. / BK 559. Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord S.372; Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.18f. Vgl. ζ. B. bei Longinus: Vom Erhabenen, 16, 2; 18, 1; 19ff. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.18f.
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rung ergehen: „Auf, zur Freude, zum Scherzen, zum Klingen! [...] / Auf, Stimmen und Saiten, / Dieß Fest zu begleiten!", woraufhin dann die Chöre der „Schäferinnen" und der „Schäfer" gemeinsam intonieren: „Wol! so heb't sich uns're Freude durch vereinte Lieder an, / Weil doch auch ein rauhes Tönen unsern Gast ergetzen kann".66 Die Gemeinsamkeit beider genera, der hohen und der gemäßigten Stillage, liegt im Fall der Ode An die Freude in der Einheit von Hören und Erleben (vgl. dazu Kap. 2.2).67 Aber zur „Begeisterung" tritt das Beglücken hinzu und zum Beglücken die (implizite) Kritik, indem die delektable Odenpoesie die galante Stilmäßigung in der frühaufklärerischen Stilreinigung fortführt. Hagedorn vollzieht diese Bewegung mit, als er sich von seinem frühen Versuch einiger Gedichte (1729) abwendet. Das bedeutet für ihn den Abschied von der Vorbildfunktion der Longinschen Rhetorik des Sublimen (vgl. Kap. 3 und 7). Shaftesbury hatte den dichterischen Enthusiasmus am Beispiel der Horazischen Bacchus-Epiphanie (Carm. 2, 19) exemplifiziert68, und Hagedorn verändert kaum eines seiner Gedichte so genau und so umfassend wie das Wein-Gedicht des Versuchs einiger Gedichte, in dessen Zentrum ein Bacchanal steht (VeG 22ff. und Hamburg 1745 bzw. W3, 119ff.): Hagedorn kürzt die mythologischen Bezüge; er stellt die Paradoxien der Selbstinspiration heraus; und er konzentriert die Wirkung des Weins auf den geistigen Aspekt, streicht den „Trieb" (vgl. Kap. 7). Affektive und stilistische Kontrolle vollziehen sich in einer Bewegung. Die Mythologie der PhoebusBegleiterinnen verfällt dem Verdikt der „Phoebus"-Kritik; die Abwendung von der acutezza ist zugleich eine Abwendung von dem damit verbundenen furor poeticus.69 Nach beinahe zwei Jahrzehnten hat sich die Anrufung der Dichtkunst und damit die Dichtkunst selbst deutlich verändert: Auf! Dicht-Kunst, führe meine Hand, Sie soll dir Lob und Reime zahlen: Der Trieb, der meinen Geist entbrannt, Soll deiner Gottheit Gottheit mahlen. Auf! eile von dem Sternen-Sitz, Entflamme, lodre, brenne, blitz', Gib meiner Brust ein geistigs Feuer. Haucht Neid und Python Drachen-Gifft: Gnug, wenn ihn nur mein Phoebus trifft, So berstet dieses Ungeheuer. (Die Poesie-, VeG 35)
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Gespielinn meiner Nebenstunden, Bey der ein Theil der Zeit verschwunden, Die mir, nicht andern, zugehört; O Dichtkunst, die das Leben lindert! Wie manchen Gram hast du vermindert, Wie manche Fröhlichkeit vermehrt! (An die Dichtkunst-, W3,23)
Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herschaften, zu Braunschweig-Lüneburg etc. in einer nach Telemannischer Composition auf der Ulenhorst aufgeführten SERENATA. In: PdN6,18,21. Longinus: Vom Erhabenen, 7,3. Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord "",·,,·,'·*) S.370. Beetz: Rhetorische Logik, S.273.
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
2.2 Die Freuden der Imagination Die moralische (und religiöse) Kontrolle der Affekte virtualisiert Freude und Trauer: Die Freude ist eigentlich traurig, und die Trauer ist eigentlich freudig. In der aufklärerischen Semantik bildet die Schnittstelle von Freude, Trauer und Dichtung die „Phantasie" und die „Einbildungskraft". 70 Die Traurigkeit wurde insbesondere in ihrem Vergangenheitsbezug ästhetikgeschichtlich bedeutsam in der Diskussion um die Traueroden von Besser, Canitz und Haller. 71 Sie bezieht sich auf die „Erinnerung des vergangenen und zuvor besessenen Guten" 72 , zu dessen Vergegenwärtigung sie anhält. Insofern bilden die Traueroden eine Brücke von der Selbstaffizierung, in die die rhetorische Tradition die Simulation eingehen lassen kann,73 zur gegenrhetorisch konzipierten (aber deswegen noch nicht unrhetorischen) selbstinspiratorischen Poetologie. 74 Hierin liegt die poetische Bedeutung der „Liebe", der „Schwester" der Freude (V.6): Die „Traurigkeit", so Breitinger, gleicht der „lezte[n] Wuth der Liebe über den Verlust eines besessenen Gutes", und keine andere „Leidenschaft" ist „fruchtbarer an Bildern", so daß sie die „Einbildung gäntzlich mit dem geliebten Gegenstand an[füllet]".75 Beide Fähigkeiten verknüpft Bodmer in der Kommentierung der Trauerode auf seinen Sohn, die er als anonymes Werk eines „Vaters" einführt. In der topischen Zweifelsfrage des Trauernden „streubt" sich die Liebe gegen den Anblick des Toten, verwirfft das Zeugniß des Gesichtes, das ihr so widrig ist, und sie bestreitet die Empfindungen mit Einbildungen [...]. Mit diesen Bildern der täuschenden Phantasie sucht das Hertz sich von dem verhaßten Anblick des todt vor Augen liegenden Knaben abzuziehen und das wiederliche Zeugniß der Sinnen von sich zu stossen.
Problematisch werden die Affekte dann, wenn sie sich nicht mehr durch Reflexion entzweien und sich nicht auf zwei Zeitstufen, sondern nur auf die
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Die Odendichtung nimmt dabei die Affekte in die Unterkategorie „lustige und traurige Lieder" auf (Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.17). Art. Freude. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.991f. Vgl. weiterhin z. B. Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.276, 283ff. Art. Traurigkeit. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.45, Sp.239 [1745]. Art. Freude. In: ebda. Bd.9, Sp.1827 [1735]. Thomasius: Ob Wahrhafte Liebe zwischen Ehe »Leuten / sich nothwendig in anderer Gesellschaft kund geben müsse? S.315. Müller: Ironie, S.203. Vgl. zur fragwürdigen Rolle der Einbildungskraft: Canitz: Gedichte, S. 167, 175. Breitinger: Critische Dichtkunst. Erster Bd., S.314. Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.316Í. Vgl. dazu: Campe: Affekt und Ausdruck, S.24ff.
Die Freuden der Imagination
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Gegenwart beziehen und damit zur Wirklichkeit tendieren - auch Canitz weiß um das Verbot der Vergegenwärtigung 77 . Die Kontroverse um die Traueroden, die sich in den Divergenzen zwischen Gottsched und den Schweizern kristallisiert, spiegelt diese Verschiebung in der Zeitstruktur wider: Gottsched bevorzugt die Dämpfung des Affekts, der erst als vergangener dichterisch bearbeitet werden soll; die Schweizer hingegen arbeiten an der Erzeugung von Unmittelbarkeit. 78 Die Rezension der ersten Odensammlung im Hamburgischen Correspondenten stellt dabei Hagedorn mit Bezug auf Gottscheds Einschränkungen in eine Linie mit den Besserschen und Canitzschen Traueroden, wenn der Kritiker schreibt: „So wenig es einem Dichter erlaubt ist, in einer grossen Betrübniß gar zu sinnreich zu seyn, so wenig schickt es sich für eine grosse Freude".79 Wenngleich Gottsched die Aktualität des Affekts suspekt ist, literaturgeschichtlich verortet er sie in der Odendichtung, die aus dem Ausdruck des „Affect[s]" der „allerersten Sänger" entspringt.80 Hagedorn folgt ihm darin mit den rhetorischen Mitteln der evidentia (vgl. Kap. 2.1).81 Zudem impliziert das Schema des Musenanrufs die mythische Anwesenheit des Angerufenen, in diesem Fall also der Freude.82 Für die Erstausgabe der Ode An die Freude sind zudem noch die Interpretationshinweise zu den Vertonungen von Johann Valentin Görner zu bedenken: Der Indexausdruck „hier" (V.3) sowie die musikalische Stimmungsangabe „etwas munter"83 (vgl. „muntre 77 78
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Canitz: Gedichte, S. 175. Die umstrittenen Zeilen lauten: „[...] so viel ist gewiß, daß ein Dichter zum wenigsten dann, wann er die Verse macht, die volle Stärke der Leidenschaft nicht empfinden kann. Diese würde ihm nicht Zeit lassen, eine Zeile aufzusetzen [...]. Der Affect muß schon ziemlich gestillet seyn, wenn man die Feder zur Hand nehmen, und alle seine Klagen in einem ordentlichen Zusammenhange vorstellen will" (Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.198f.). Vgl. auch die Kritik an Besser: ebda., S.246f.; zum Thema vgl. Guthke: Die Entdeckung des Ich in der Lyrik, S.lOlff. Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1742, 6. St., unpag. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.137. Als Kriterium gilt hier, wie auch an anderen Stellen, die Wirkung auf den Leser, der den Zustand des Autors wiederholt (vgl. auch Kap. 4.2). So schreibt Hagedorn über ein Liebesgedicht in den Bremer Beyträgen: „[...] sein Gedicht erreget zu lebhafte Empfindungen, um nicht muhtmassen zu lassen, daß sie (die „Leidenschaft", S. M.) auch ihn selbst begeistert und sinnreich gemachet, ehe er die Schmerzen der Liebe so glücklich beschreiben können" (an Giseke; 3. 10. 1746; Β 181). Barmeyer: Die Musen, S.91, 124. Breitinger: Critische Dichtkunst. Erster Bd., S.307, 323f., 338, 343). Vgl. zu den Mitteln zur lebhaften Vergegenwärtigung (zu denen die personifizierende Anrufung gehört) auch: Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.251ff. Die Bezeichung „freudig" wählt Görner für jeweils ein Lied der ersten (Ol 46) und der zweiten Sammlung (Oil 16). Vgl. zur Ineinssetzung von Affekt und Komposition in der zeitgenössischen Musiktheorie: Stenzel: „Si vis me fiere ...", S.661ff.
Die Poesie der Freude: An die Freude ( 1744)
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Schwester", V.6) verweisen wieder auf die Identität von Thema und Performanz. Dabei gehört die „Freude" neben der Liebe und der Traurigkeit zu den „Empfindungen", die - nach Batteux - von Musik nicht nur vermittelt werden, sondern auch sprachlich benennbar sind.84 Man könnte die Freude eine gewissermaßen sprachaffine Empfindung nennen. Literarisch bildet Klopstock die Konnexion von Poesie und „Freude" in einem Höchstmaß aus. Die Ode Der Zürchersee greift dabei auf Hagedorns Ode An die Freude zurück. In dem Sammelbrief der nach Zürich Reisenden an die Zurückgebliebenen nimmt Klopstock direkt Bezug auf Hagedorns Ode, wenn er die „Freude" eine „Göttin edler Herzen" nennt.85 Die Zürchersee-Oàt bindet die zitierte Passage dann in ihre klimaktische Bewegung ein und steigert auch die „Freude" selbst, die als „Hauptaffekt" 86 das Gravitationszentrum der Sprachbewegung ist, zur „Göttin Freude": [...] Und wir Jünglinge sangen Und empfanden wie Hagedorn. Jetzo nahm uns die Au in die beschattenden Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt; Da, da kämest du, Freude! Volles Maßes auf uns herab! Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich! Ja, du wärest es selbst, Schwester der Menschlichkeit Í..·]. 87
Die Ode setzt - dem Programm der Anfangsverse zufolge - das nochmalige Denken des „Gedankens" der „Mutter Natur" an die Stelle der Schöpfung, läßt die Natur in ihrer Apperzeption aufgehen.88 Der intertextuelle Bezug von Klopstocks Ode auf Hagedorns An die Freude überführt diese Steigerungsbewegung von der Natur zur Empfindung der Natur in die Literatur, so daß die „Freude" Medium der dichterischen (Selbst-)Potenzierung ist: 84 85
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Batteux: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, S.244f. „Voll Schweiß und Staub, und von dem schlimmsten Wege, den wir bisher gehabt haben, komme ich hier an und heitere mich sogleich auf, sobald ich daran denke, daß ich an Sie schreiben will. Von dem Wege sage ich weiter nichts. Sulzer wird ihn schon herunter machen. Wir haben unterwegs auch viel Schönes gehabt. Mit den Schwaben bin ich ausgesöhnt. Überall wo wir diesen Nachmittag hinkamen, schienen sie die Freude, zwar nicht die Göttin edler Herzen, aber doch so etwas ihr ähnliches zu kennen" (Klopstock: Briefe 1738-1750, S.122f.). Sauder: Die „Freude" der „Freundschaft", S.235ff. Klopstock: Ausgewählte Werke. 1. Bd., S.53f. Zur Identität von Denken und Empfinden bei Klopstock vgl.: Kaiser: Denken und Empfinden.
Die Freuden der Imagination
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Klopstock eignet sich nicht nur die Natur und die durch die Rückführung auf ein literarisches Modell verfügbar gemachten Empfindungen der „Jünglinge" an, sondern er bemächtigt sich auch der literarischen Vorlage in der aemulatio der „Freude" und ihrer „Schwester", der „Liebe", zur „Göttin Freude" und ihrer „Schwester", der „Menschlichkeit". Damit führt Klopstock die Reflexionsbewegung der Ode An die Freude fort. Die Ode An die Freude verortet Hagedorns Liedsammlung im Traditionsgefüge und richtet sie programmatisch aus. Die (Neu-)Bestimmung betrifft einerseits den literarischen Kanon und andererseits die Kommunikationsordnung. Denn die „Freude" ist nur diejenige der „edlen Herzen", und umgekehrt ist die „Freude" nur für diese „edlen Herzen" eine „Göttinn". In ähnlicher Weise werden die „Lieder" auf ein Korpus begrenzt, das „hier" gesungen wird (V.3). Die „edlen Herzen" und die „Freude" bestimmen sich wechselseitig. Die „Freude" wirkt auf die „Kenner, die dich (die Freude, S.M.) ehren" (V.16) - die „Splitterrichter" und die „Heuchlerzunft" hingegen „flieh[t]" sie (V.23ff.) (vgl. Kap. 2.4). Hagedorn etabliert also keinesfalls die „Freude" als „Göttin Freude".89 „Freude" und „Göttinn" sind durch eine Zäsur getrennt. Wenn von der „Göttin Freude" die Rede ist, dann kann sich dies nur auf Klopstocks Zürchersee-Oâe beziehen.90 Klopstock spricht von der „Göttin Freude" als Absolutum, da die Bootsgesellschaft per se einen abgegrenzten, legitimierenden Bereich „edler Herzen" einschließt. Entsprechend bewegt Klopstock sich auf der hohen Stilebene und formuliert einen umfassenden poetischen Anspruch (vgl. Kap. 5.2). Hagedorn muß diesen Raum erst erschaffen, so daß er „Göttinn" nicht einstellig zur Auszeichnung der „Freude", sondern zweistellig zur Auszeichnung der „Freude" und der „edlen Herzen" verwendet. In rhetorischen Kategorien fallen die inventionellen loci a persona mit den loci a re zusammen, was die Figur der fictio personae natürlich erleichtert. Aus dieser Verteidigungsposition ergibt sich auch der irreale Wunsch Hagedorns in der Vorrede zur Odensammlung: Entgegen der Faktizität des anonymen Marktes grenzt er sein Publikum auf die wenigen Kenner ein (W3, XVIII; vgl. 5.1).91 Damit reagiert Hagedorn auch auf die Kritik der „irdischen" und der falsch verstandenen Freude bzw. auf die Kritik am Epi-
Im Unterschied zu Schultz: Die Göttin Freude, und im Gegensatz zu Mauser: „Göttin Freude". Herder merkt diesen Unterschied zwischen der „Freude" und der „Göttin Freude" bei der Verteidigung der antiken Mythologie im Zweiten Wäldchen gegen Klotz an, wenn er zwischen der „Allegorie" der Freude und der Freude selbst unterscheidet (Kritische Wälder, S.248). Auch hier läßt sich konkret auf Shaftesbury und dessen „test of ridicule" verweisen, der seinen Ort ebenfalls unter den „Kennern" hat (Sensus Communis, S.36).
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
kureismus.' 2 Die Funktion der Allegorisierung der „Freude" ist in dieser Hinsicht nicht nur die „sinnliche", in der Sprache selbst sich ereignende Einführung und Bestimmung der Kategorie, sondern sie ermöglicht weiterhin, den Affekt bei aller Vergegenwärtigung selbst zu objektivieren und damit die Ambivalenz von passio und actio vorzuführen, der in den Begriff des Affekts eingegangen ist.93 Der demütige Gestus der Eröffnungsbitte wiederholt sprachlich die Bestimmung des Affekts als Außenbewegung. Die nachfolgende und damit verknüpfte Rückbindung des Affekts an einen moralisch qualifizierten Personenkreis sowie die affektive Wirkung der Dichtung jedoch gehören zur Affektkontrolle, zur bewußten Herstellung und Regulierung der Leidenschaften. Die Hypostasierung der „Freude" trennt die Empfindung von ihrem Träger, verdoppelt das Ich in das „edle Herz" und seine „Göttinn", die „Freude". Und doch binden sich beide so wesentlich aneinander, daß sie gegenseitiger Bestätigung bedürfen. Diese Eigenbewegung spiegelt den Bedeutungswandel des /wsszo-Begriffs, in dem sich selbst die „sprachlich paradoxe Verbindung von Leidenschaft und Aktivität" überlagert.94 Die Sinnlichkeit kann moralische Qualitäten adaptieren, indem sie sich selbst reguliert, und gewinnt dadurch an argumentativem Boden. Sind die „edlen Herzen" das moralische Korrektiv der Freude, so sind die „Kenner" (V.16) ihr ästhetisches.95 Die vierte Strophe verknüpft dieses wechselseitige Begründungsverhältnis von Dichtung und „Kennern" mit den korrespondierenden ästhetischen Begriffen „Neuheit" und „Scherz". Der „Scherz" und die „Kenner" grenzen die Mehrheit aus, sie konstituieren einen Zirkel von Verständigen. Man scherzt nur unter gleichrangigen Personen.96 An die argumentierende dritte Strophe schließt daher die erneute Anrufung der „Freude" an:
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Hagedorn beschäftigt sich mit der Epikureismus-Kritik in An die heutigen Encratiten: „Was edle Seelen Wollust nennen, / Vermischt mit schnöden Lüsten nicht! / Der echten Freude Wehrt zu kennen / Ist gleichfalls unsers Daseyns Pflicht" (W3,95). „Einen heftigen Grad der sinnlichen Begierde, oder des sinnlichen Abscheues nennen wir einen Affect, oder eine Gemüthsbewegung. Man nennet sie, nach Art der Lateiner, auch Leidenschaften: weil das Gemüth gleichsam von den Affecten bestürmet und beunruhiget wird; dabey es sich dann fast nur leidend verhält. Eigentlich aber ist die Seele niemals thätiger und geschäfftiger, als wenn sie in Affecten steht [...]" (Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Teil, S.542). Vgl. im Gegensatz dazu: „Der Affect [ist] alles was wir Leiden, indem die Dinge, die ausser uns sind, auf uns würken" (Erklärungen der Gemüthsbewegungen nach den Sätzen der stoischen Weisen, S.9). Kondylis: Die Aufklärung, S.411. In An die heutigen Encratiten schreibt Hagedorn: „Sind nicht der wahren Freude Gränzen / Geschmack und Wahl und Artigkeit?" (W3, 96). Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Zweiter, besonderer Teil, S.143.
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Gieb den Kennern die dich ehren, Neuen Muth, Neuen Scherz den regen Zungen [...]. (V. 16-18)
Die „Kenner", die durch ihre Verehrung der „Freude" ausgezeichnet sind, soll eben diese „Freude" inspirieren. Hagedorn variiert hier also das selbstreflexive Moment, das die Einleitungssequenz zum Programm erklärt. Der Trennung von Affekt und Affiziertem entspricht die Trennung von „Scherz" und „regen Zungen" (V.18), denn die „regen Zungen" verkörpern ja geradezu den Scherz.97 Die produktive Befähigung zum „Scherz" überlagert sich so mit der rezeptiven Urteilsbefähigung des Kennertums, und genau diese Struktur zeichnet einerseits den Geschmackssinn, andererseits die Reziprozität persönlicher Begegnung aus. Poetologisch bilden „Scherz", „Neuheit" und „Geschmack" dabei in zweifacher Weise eine Einheit: Das Überraschungsmoment des Scherzes ist an die Neuheit gebunden 98 , und für dieses Neue des Scherzes braucht man eine rasche Auffassungsgabe - den Geschmack." Dabei steht Hagedorn der Verbindung von Neuheit und Geschmackssinn skeptisch gegenüber, wenn er die ausreichende zeitliche Dehnung durch und für das Urteilsvermögen nicht gewährleistet sieht - die natürliche Befähigung bedarf der Schulung, die die Dauer in den Lebensplan verlegt (z. B. W l , XY). Der „Scherz" hat deutliche Affinitäten zum „Wunderbaren", indem er den Möglichkeitssinn des „Witzes" mit der „Neuheit" verbindet. Damit rückt der „Scherz" die zu vergleichenden Gegenstände zwar weiter auseinander als der „Witz", aber ihre Ähnlichkeit muß gewahrt bleiben - auch das „Wunderbare" ist ein Mögliches.100 Hagedorn war sich darüber im klaren, daß der „Scherz" die aufklärerische Ordnung gefährdet, ganz im Sinn der im Erscheinungsjahr von Hagedorns zweiter Odensammlung veröffentlichten Gedancken von Schertzen (1744) von Georg Friedrich Meier, die alle Anzeichen einer geregelten Diskursüberschreitung tragen: Wie im Fall der prekären Begriffsbestimmung der „wahren Freude" versucht Meier, „wahre" und „falsche Schertze" auseinander zu dividieren, und die Sujets und genera, deVgl. zu Scherz und Witz im Rokoko: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.162ff. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5/Π, S.174ff. Vgl. zur „erotischen" Komponente: Schlaffer: Musa iocosa, S.124ff., 132ff. Vgl. zur Geschichte des Witz-Begriffs: Beetz: Rhetorische Logik, S.270. Vgl. dort auch zur Tradition der arguten Odendichtung: ebda., S.238. Vgl. zu einem Ansatz, der „Scherz" als Handlung, als performatives Moment begreift: Schüsseler: Unbeschwert aufgeklärt. 58 99 100
Meier: Gedancken von Schertzen, S.40ff., 57. König: Untersuchungen Von dem Guten Geschmack, S.261. Breitinger: Critische Dichtkunst. 1. Bd., S.298f.
Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
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nen der „Schertz" nicht angemessen ist, gleichen denjenigen der nichtfreudigen Dichtung: Heldengedichte, Lobreden, Kirche und Tod.101
2.3 Die Freuden der Aufklärung Die Pleasures of Imagination stellen sich ein, wenn man die Vollkommenheit der Welt einsieht, wenn man also zum Wissen um die Ganzheit die Wahrnehmung der Ganzheit konstruiert, die faktisch an den Grenzen der menschlichen Perspektive scheitert - der Ausgangspunkt des alter deus ist und bleibt seine sekundäre Position. Wiewohl der allgewalt'ge Geist der Welt, Von Ewigkeit in sich hinein geschmiegt, Im Grunde seines eignen tiefen Wesens Die zirkelkreisende Glückseligkeit Um sich herum zusammenlaufen sah; Bewegt' ihn doch die unermeß'ne Güte, Daß er die ew'ge Freude, die ihn füllte; Weit um sich her mildthätig zu verbreiten, Den Arm zum Schöpfen in die Höhe hob (Esch V, 206)
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Meier: Gedancken von Schertzen, S.142f. Vgl. zur Innovation „zwischen den Zeilen": Bohnen: Einleitung, S.XVIIf. Das 35. Stück des Spectator, das Hagedorn Gottsched zur Definition von humour empfohlen hatte (vgl. den Brief vom 8./19. 11. 1730; Β 17), entwickelt - in der Ubersetzung - die Problematik des Scherzes: Der „Scherz" birgt in sich die Gefahr, die durch Kausalität und Ähnlichkeit in sich geordnete und zusammenhängende Welt zu durchbrechen, indem er durch „wilde und unordentliche Einbildungen" und „unnatürliche Verdrehungen der Gedanken" die „Bothmäßigkeit der Vernunft" mißachtet (Der Zuschauer. Erster Theil. Leipzig 1739, 35. St., S.161ff.). Wenn überhaupt, läßt sich also der von Schultz hergestellte Bezug zwischen diesem Abschnitt des Spectator und An die Freude (Die Göttin Freude, S.lOff.) auf die Bestimmung des Verhältnisses von Freude und Scherz anwenden sowie als Inspiration für die Figur der Tugendgenealogie. Für „sinnreich" (V.14) gelten die gleichen Problematisierungen wie für „Freude" und „Scherz". Auch hier wird das „richtig" Sinnreiche vom „zu" Sinnreichen abgegrenzt; vgl. ζ. B. Wl, Vili, XIII, XXIVf. Gegen das allzu Sinnreiche in den Oden vgl. W3, V. Vgl. zur arguita auch im Hinblick auf Hagedorn bei Beetz: Rhetorische Logik, S.278ff.
102
Bodmer stellt diese kurze Passage aus den Pleasures of Imagination von Akenside, die er von Hagedorn erhalten hatte, Christian Josias Sueros Die beste Welt (1746) gegenüber. Vgl. weitere Belegstellen zu den „Pleasures of imagination", ausgehend von Addisons Abhandlungen über „imagination" und „fancy" im Spectator. Klimek: Zur Bedeutung von englisch 'Imagination' und 'Fancy', S.212f.
Die Freuden der Aufklärung
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Hagedorns Satyre vom unvernünftigen Bewundern ordnet die „Freude" in diesen Zusammenhang ein und stellt sie dem Unverständnis für den Zusammenhang der Weltordnung entgegen.103 Er (der Weise, S. M.) weiß die Möglichkeit und Würcklichkeit der Dinge, Wie aus der Einheit Schooß des Gantzen Band entspringe. Ihm ist das ferne Ziel der Theilbarkeit entdeckt. Ihm bleibt in der Natur kein Raum, kein Grund versteckt, Da nicht sein weiser Geist, ihr Wesen zu ergründen, Kan einen Uberfluß der reinsten Freuden finden. (VeG 52)
Die Freude strukturiert gleichsam die Welt: „Im ganzen Weltgebäude, / Und iedem Theil davon zielt alles nur auf Freude [...]. / Die ganze Welt ist Pracht, die ganze Schöpfung Freude".104 In der überarbeiteten Satyre, dem Schreiben an einen Freund, stellt Hagedorn in einer Anmerkung dann auch explizit den Bezug zu Christian Wolff her: Wider die Bewunderung, welche aus dem Mangel der Erkenntniß entstehet, dienen Verstand und Weisheit: jener, als eine Kraft der Seele, dadurch sie sich das Mögliche deutlich vorstellet, (S. die Wolfische Metaphys. § 277. Logik § 15. 36. Moral § 254.) diese, auch als die Wissenschaft der Glückseligkeit. (Moral § 325.) (Wl, 32)
Die „Freude" erwächst aus einer ,,undeutliche[n] Vorstellung des Guten" und aus der „anschauende[n] Erkäntniß der Vollkommenheit".105 Die in sich analogisch vervielfältigte Ganzheit des Wölfischen (Welt-)Systems sichert dabei Ähnlichkeiten, so daß der Begriff der „Freude" an allen Diskursstellen auftauchen kann. Ihren vereinigenden Begriff findet diese Systematik in der „Glückseligkeit" bzw. in der „Weißheit" als „Wissenschaft von der Glückseeligkeit"106 (vgl. dazu W l , Uff., 14ff.). Der Weise zieht sich auf einen Standort zurück, von dem aus er die Vollkommenheit der Welt einsehen kann (vgl. Kap. 3.1). Er personifiziert zunächst den Wahrnehmenden, indem er vom Schauspieler im theatrum mundi107 zum Zuschauer aufsteigt. Die in sich gegründete Weltganzheit, die Poesie und die beidem korrespondierende „Freude" vereinen prodesse und de103 104
105 106 107
Vgl. zum zugrundegelegten Bild: Lovejoy: Die große Kette der Wesen. [Giseke:] Gedanken von der göttlichen Regierung. In: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 2. Bd., 1745, 3. St., S.228. Eben läßt in Das Vergnügen die „Zärtlichkeit" zum „Liebhaber des Weins" und zum „Freund des Vergnügens" sagen: „Ihr Freunde wohl! ihr suchet beide / Der Menschen ganzes Glück, den Zweck der Schöpfung, Freude, / Und ich verschaffe sie" (Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S.LXV). Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.34f., 118, 262. ders.: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.214. Vgl. zum Bild: Barner: Barockrhetorik, S.86ff.
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
lecture als die zwei Seiten der Vollkommenheit.108 Aber diese Geschlossenheit bleibt in beiden Konstruktionen offensichtlich fragil: Während die Theodizee einerseits auf die Fragwürdigkeit der Perfektion aus menschlicher Sicht reagiert und die „Gedult" empfiehlt109, also die Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft hinein, empfiehlt die Poesie der Freude Gegenwärtigkeit. Die „Freude" ist jedoch nur das „Halbe Leben" (V.8). Der Weise nimmt wahr und erscheint daher meist im Singular,110 selbst wenn seine Attribute auf die Konzeption von Freundschaft übertragen werden (vgl. Kap. 4.1). Wahrnehmung und Selbstregulierung haben ihr Zentrum im Individuum. Der Plural „edle Herzen" (V.l) macht jedoch schon einleitend deutlich, daß die Freude, die „muntre Schwester süsser Liebe" (V.6), sich (auch) in der Geselligkeit ereignet. Die Verbindung von „Freude" und „Liebe" spiegelt das Verhältnis von Teil und Ganzem wider, so daß Gottsched in den Ersten Gründen der gesammten Weltweisheit auf den Paragraphen über „Gaudium" und „Tristitia" die Definition von „Amor" und „Odium" folgen läßt. Während sich die „Freude" wesentlich auf das eigene „Vergnügen" bezieht, entsteht die Liebe aus der „Bereitwilligkeit" zum „Vergnügen" an der „Vollkommenheit" eines anderen.111 Im Ubergang von der „Freude" zur „Liebe" steht die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft zur Disposition bzw. - in historischer Perspektive - der Paradigmenwechsel von der (höfischen) Gesellschaft als Krieg zur „Gemeinschaft der Tugendhaften", der Wechsel von der Klugheit zur Weisheit112, die Akzentuierung von Selbstliebe.113 Das naturalisierte Folgeverhält108
Das 387. Stück des Zuschauers beschäftigt sich mit der Einheit von Schönheit und Nützlichkeit der Welt, d. h. mit der „Freudigkeit in ihrem natürlichen Zustande": „Diejenigen, welche in der Weltweisheit geübt sind, mögen diese Betrachtung immer noch höher führen, und erwegen, daß wenn uns die Sachen bloß mit denen wirklichen Eigenschaften begabt, vorgekommen wären, welche sie wirklich besitzen, so würden sie nur eine sehr traurige und unangenehme Figur gemacht haben; und warum hat die Vorsehung denselben eine Kraft gegeben, solche eingebildete Eigenschaften, und Geschmack und Farben, Klang und Geruch, Hitze und Kälte in uns hervorzubringen, als damit der Mensch, indem er sich in den niedern Posten der Natur aufhält, sein Gemüth, mit angenehmen Empfindungen erfreut und ergetzet haben möge? Kurz, die ganze Welt ist eine Art von Schaubühne, welche mit Gegenständen angefüllet ist, die in uns entweder Vergnügen, Ergetzen, oder Bewunderung erregen" (Der Zuschauer. Fünfter Theil, Leipzig 1741, 387. St., S.362f.).
109
Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.298.
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Vgl. dazu Balthasar Graciáns Beschreibung des Weisen: „Der Weise sei sich selbst genug. Jener, der sich selbst alles in allem war, hatte, als er sich selbst davontrug, alles Seinige bei sich. [...] Wer so allein zu leben vermag, wird in nichts dem Tiere, in vielem dem Weisen und in allem Gott ähnlich sein" (Handorakel, S.68 ( - Nr. 137)).
111
Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Teil, S.543. Geitner: Die Sprache der Verstellung, S.36. Vgl. die Linie, die Kondylis von der Selbsterhaltung bei Machiavelli, Montaigne, Hobbes, Spinoza und im Neustoizismus zur Selbstregulierung der Affekte und der damit verbundenen Selbstliebe zieht. Auch hier wird die Un-
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Die Freuden der Aufklärung
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nis zwischen Freude, Freundschaft und Liebe verringert die Differenz, mit der die Verstellungskunst der „Privatpolitik" arbeitet: Wenn wir sie (die „Freudigkeit", S. M.) in Absicht auf diejenigen Personen betrachten, mit denen wir umgehen: So bringt sie natürlicher Weise Liebe und Zuneigung gegen uns hervor. Ein freudiges Gemüth ist nicht allein geneigt, gesprächsam und höflich zu seyn, sondern erregt auch eben diese gute Gemüthsart bey denjenigen, die mit ihm zusammen kommen. [...] Das H e r z ergetzet sich über seine eigene Ubereinstimmung, und ergießt sich natürlicher Weise in Freundschaft und Wohlgewogenheit gegen diejenige Person, welche eine so angenehme Wirkung über dasselbe gehabt hat.
Gegen die Privatpolitik kann die Freude ihre Einheit ausspielen, da die moralische Problematik der Simulation gerade in der Entzweiung von Haltung und Verhalten besteht. Wer wirklich freudig ist, kann sich nicht verstellen. Gleichwohl verdoppelt sich die Freude auf zweifache Weise: Sie wird einerseits in die Kommunikation entlassen und bringt dort die Reziprozität der Konversationssituation hervor. Und diese Reziprozität erscheint dann ein zweites Mal im einzelnen als Selbstreflexivität. Mit anderen Worten: Der einzelne internalisiert die Beobachterrolle. „Natürlichkeit" bedeutet dann, daß man sich keine Sorgen mehr um einen harmonischen Verlauf machen muß, ihn nicht durch Inszenierungen zu unterstützen braucht. Das mindert den Abstand, den man in der Selbstbeobachtung zu sich gewinnt, und arbeitet dem beinahe differenzlosen Funktionieren des Gewissens zu (vgl. Kap. 3.1 u. 4.1). Die „Liebe" gleicht hier also zunächst keiner Form passionierter Zuneigung, sondern signalisiert die Soziabilität der „Freude". Das erklärt, warum die Epithalamien in der Poesie der Niedersachsen die topische Beschwörung reicher Nachkommenschaft um das Versprechen der „Freude" des Ehelebens erweitert:115 Während die passionierte Liebe das Begehren prolongiert, also den Aufschub der Erfüllung zur Bedingung ihrer Existenz macht, hat sie ihr Gegenbild in der Ehe. Die „Freuden" der Ehe stellen die Leidenschaften still,
terscheidung zwischen „wahrer" und „falscher" Selbstliebe eingeführt, um eine „vernünftige" Selbstliebe zu installieren, die eigentlich eine Selbstüberwindung ist (Die Aufklärung, S.412ff.). 113
Im Art. Liebe in Zedlers Universal-Lexikon z. B. ist die Selbstliebe Ausgangspunkt und Bestimmungspunkt der Liebe zu anderen, ausgehend von der biblischen Maxime, derzufolge der andere so zu lieben sei, wie man sich selbst liebt (Bd.17 [1738], Sp.950ff.). Vgl. zur Begründung des auf die Gesellschaft bezogenen Naturrechts aus der Selbstliebe: Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.131ff..
114
Der Zuschauer. Fünfter Theil, Leipzig 1741, 381. St., S.333. Das 381. Stück ist eine Ergänzung zum oben zitierten 387. Stück; es beschäftigt sich nicht wie dieses mit der „Freudigkeit in ihrem natürlichen Zustande", sondern mit der „Freudigkeit, in so weit sie eine sittliche Fähigkeit der Seele ist" (S.360).
115
Vgl. dazu Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. III, S.64ff.
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sie sind der angemessene Affekt des gemeinschaftsverträglichen Zusammenlebens. Und wie bei Hagedorn sind „Lachen" und „Scherzen" (V.14) in diesen Zusammenhang eingebunden. Die moralische Wertigkeit des Hochzeitspaares kontrolliert dabei die moralisch zugerichtete „Freude": Liebt, küsst, und scherzet, edle Herzen! Süß ist der Liebe küssend Scherzen: Nur liebt und küsset mit Vernunft.
[...] So liebt, und küsst, und scherzet Beide! Geniesset unsrer süssen Freüde! Der Himmel giebt sein Ja dazu. Vernunft und Liebe knüpft die Banden
[...r Der „Himmel" oder vielmehr seine irdischen Vertreter in Hamburg geben nämlich ihr „Ja" nur zögernd und mit Einschränkungen „dazu" (vgl. Kap. 4.2): 1743 veröffentlicht Johann Arnold Ebert die Hochzeits-Serenate Das Vergnügen, in der er einen „Liebhaber des Weins" gegen die „Zärtlichkeit" antreten läßt und den „Freund des Vergnügens" zwischen die beiden Kontrahenten stellt - wie nicht anders zu erwarten, „vergnügt" dieser sich schließlich unter der Obhut der „Zärtlichkeit" mit dem Weingenuß und schlichtet so den traditionellen Streit zwischen Wein und Liebe.117 Ebert breitet dabei virtuos die Apologie des Vergnügens mit ihren diversen Rückversicherungen aus, stellt aber den Bezug auf Gott zurück (er erwähnt lediglich das „erhabne Geschick") und setzt an seine Stelle die „Natur", in der alles von der „Freude" widerhallt.118 Auch die temporale Aufspaltung der „Freude" minimalisiert Das Vergnügen: Du musst nicht die Vernunft von deiner Freude trennen. Wer fröhlich ist, muß wissen können, Daß er jetzt fröhlich sey.119
Von der kausalgenetischen Ableitung und futurischen Perspektivierung der Freude (vgl. Kap. 2) zieht Ebert sich zurück auf ein Selbstbewußtsein von geradezu cartesianischer Ursprünglichkeit, das freilich einer feineren, umfassenderen Form der Kontrolle entspricht, einer unaufhörlichen Reflexion
116
117 118 119
Brandenburg: Die Vernünftige Liebe, nicht leichtsinnig; nicht eifersüchtig; An dem Carstens= und Brokesschen Hochzeit=Feste, Welches den 11. Julii 1737. hochvergnügt zu Lübeck gefeiert ward, In einer Serenata vorgestellet. In: PdN6, 81f., 89; die Zitate stammen aus der Einleitungs- und Schlußvlria. Ebert: Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S. LXIff. Ebda., S.LXIIf., LXIX. Ebda., S.LXX.
Die Freuden der Aufklärung
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und Selbstbeobachtung. Wo auch immer die Gründe genau gelegen haben mögen, der junge Theologiestudent wird von der Hamburger Geistlichkeit zu öffentlicher Buße aufgefordert120 - selbst in Hamburg hat die Poesie der Freude keinen sicheren Standpunkt. Immerhin ordnet Hagedorn seiner zweiten Odensammlung Eberts Ubersetzung von de la Nauzes Abhandlungen von den Liedern der alten Griechen voran und wehrt im Einleitungsgedicht die Kritik der „Splitterrichter" (V. 24) und der „Heuchlerzunft" (V. 25) antizipierend ab.121 Individualinteresse und gesellschaftliches Anliegen konzentrieren sich in dem Halbvers „Kraft der Seelen" (V.8). Hagedorn nutzt die vielfältigen Möglichkeiten des „Kraft"-Begriffs als eines terminologischen Gravitationszentrums der aufklärerischen „Rehabilitation der Sinnlichkeit".122 Die Hamburgischen Berichte schreiben über Hagedorns erste Odensammlung: „Und was hätte vortheilhafter seyn können uns durch einen Zeitvertreib zu beruhigen der dem Geiste neue Kräfte gibt?"123 Die Ode An die Freude verdeutlicht die Attraktivität des „Kraft"-Begriffs, der sowohl in kosmologischer Hinsicht (insbesondere als Anziehungskraft) als auch in anthropologischer Hinsicht (in der Zusammenführung von Geist und Sinnlichkeit) zwischen Teil und Ganzem vermittelt, indem die „Kraft" der Materie Eigenschaften des Geistes verschafft. Die Materie wird durch die „Kraft" „etwas mehr als Ausdehnung"124, so daß sich die Natur als Ganzes mit göttlichen Qualitäten ausstaffiert. Hagedorn macht die „Kraft" analog dazu gesellschaftstheoretisch fruchtbar, indem er sie mit der Vielzahl von „Seelen" zusammenführt. Er entwirft eine „Newtonische Anthropologie" in nuce,125 in der die „Freude" gleichsam als Anziehungskraft gemeinschaftsbildend wirkt. Die unaufgelöste Einheit von Dichter und Publikum (die „edlen Herzen" und die „Kenner" können beides sein) bzw. das Verhältnis zwischen Dichter und Publikum gewinnt auf diese Weise sozialen Modellcharakter (vgl. Kap. 4). Die grammatikalische Unentscheidbarkeit zwischen genitivus objectivus oder subjectivus läßt dann offen, ob man „Kraft" als Wirkung oder Vermö120
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Eschenburg: Über Johann Arnold Ebert, S.XII. Vgl. auch: Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.316ff. Die Parallelität von Eberts Vergnügen und Hagedorns An die Freude verdeutlichen etwa folgende Zeilen: „Wie oft weiß mein (der Zärtlichkeit, S. M.) verborgnes Scherzen / Des Greises halb erstorbnem Herzen / Fast jugendliches Blut / Und neue Kraft zu geben! / Ich mach ihm noch zum Leben Muth, / Und ich verlängere sein Leben" (Ebert: Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S.LXV). Vgl. dazu: Kondylis: Die Aufklärung, S.213ff. Hamburgische Berichte von Gelehrten Sachen auf das Jahr 1742, Nro. XVII, S.136. Vgl. zu den theologischen Implikationen der Rezension: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.54. Kondylis: Die Aufklärung, S.251. Vgl. zu Pope: Fabian: Newtonische Anthropologie.
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gen der Seele zu verstehen hat (vgl. auch W3, 23).126 Gleichermaßen besitzt die Poesie „Kraft", und sie vermittelt „Kraft" - letzteres antizipiert insbesondere die in der vierten Strophe angedeutete therapeutische Funktion der Poesie. Das Modell der Selbstbewegung, das die verschiedenen Reflexionsformen in die Ode einlassen, unterstützt jedenfalls die zeitgenössische Medizin und ihre Theorien von der Lebenskraft, die eben diese Ambivalenz zwischen Aktivität und Reaktivität zum Prinzip erklären127 (vgl. Kap. 2.4). Die rhetorische Frage in Vers neun und zehn leitet von der positiven Bestimmung der Freude in einer Reihe von Interjektionen, deren letzte und zugleich einzig verweisungslose das „Ach!" (V.9) ist, in die Gegenwelt der „Freude" über128. Ach! Was kann das Leben geben, Wenn man dich nicht auch gewinnt? (V. 9-10)
Die zweigeteilte Frage markiert durch „auch" (V.10), das sich auf „halbes Leben" (V.8) und „nur" (V.12) bezieht, die prinzipielle Aufspaltung des Lebens, die die Ode inszeniert. Die Teilung in fortuna und „Glücksgüter" einerseits (V.9) und in virtus und „Gemütsgüter" andererseits reflektiert ein traditionelles Schema der Ethik: die Spaltung des in sich selbst Sinnvollen vom Zweckgerichteten.129 Dem korrespondiert ein poetisches Schema: die
126
Der Singular „Kraft" ist ausdeutbar: Zum einen kann damit die eine „Kraft" gemeint sein, die jeder Seele als Substanz zukommt (Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, S.464), die „Freude" wäre dann das „Wesen" der Seele, ihre „Natur" (ebda., S.469). Eine avancierte Deutung würde zum anderen in prekäre Nähe zum Spinozismus gelangen, der nur eine Substanz und somit auch nur eine „Kraft" annimmt. Der Genitiv „Kraft der Seelen" wäre dann als Teilhabe an einer allgemeinen Kraft zu interpretieren. Immerhin bildet die „Freude" für Spinoza gemeinsam mit der „Traurigkeit" und der „Begierde" die Gruppe der „ursprünglichen Affekt[e]", aus der sich alle anderen ableiten lassen. Die Freude zeigt dabei die gelungene Selbsterhaltung an (die Vermehrung der „wirkenden Kraft des Leibes"), also die richtige, bewußte Einfügung in die Welt, den richtigen Weg zur Liebe Gottes (Spinoza: Sittenlehre, S.219ff., 408, 432ff.). Auch Spinoza unterscheidet zwischen einer guten, geregelten und einer „übermäßig[en]" Freude, gemessen am „wahren Maße unserer Glückseligkeit" (ebda., S.474f.). Spinozas Selbsterhaltungssprinzip würde sich auch gut zur Begründung einer selbstinspiratorischen Poetologie eignen, zumal im Zusammenhang mit der Anrufung der „Freude": „Wenn die Seele sich selbst und ihre wirkende Kraft anschauet; so freuet sie sich: und zwar um so viel mehr, ie deutlicher sie sich, sowol sich selbst als ihre wirkende Kraft, vorstellet" (ebda., S.286).
127
Campe: Affekt und Ausdruck, S.370. Vgl. zur „Frage" als Figur der Überleitung: Quintilian: Ausbildung des Redners, IX 2, 61. Vgl. von Aristoteles' Nikomachischer Ethik ausgehend die Untersuchung von Hannah Arendt zur Vita activa, die die historischen Verschiebungen herausarbeitet.
128 129
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Hof- und Stadt-Kritik der laus ruris (vgl. Kap. 2.4) sowie die Trennung von Haupt- und Nebenstunden (vgl. Kap. 3.1). Die dritte Strophe schließt mit den Oppositionspaaren „stumm" (V.ll) versus Lieder und „todt" (V.ll) versus Leben bzw. Lebendigkeit an die Einleitungsstrophen an. Das von Hagedorn exponierte ökonomische Modell bezieht sich dabei nicht auf jegliche Form von Reichtum kritisch, sondern auf diejenigen, die „nur" reich sind (V.12). Gleichermaßen problematisiert Hagedorn auch bloß das „karge" Königtum (V. 15).130 Dabei stellt das Standardmodell für diese Vergleichbarkeit ein eher tristes tertium comparationis zur Verfügung: die Sterblichkeit (die natürlich aufgefangen wird im Erlösungsgedanken).131 Bei Hagedorn hingegen nivelliert die „Freude" die gesellschaftliche Hierarchie analog zur Nivellierung der poetischen Hierarchie. Dem entspricht im übrigen die Vermenschlichung des Musenanrufs, d. h. die Verbindung der Selbstinspiration mit der Poetik der Kleinigkeiten. Bodmer erklärt im Kommentar zu seiner Milton-Ubersetzung, wer sich für menschliche Belange interessiere, solle keine göttlichen Wesen anrufen.132 Und Gottsched reserviert den Musenanruf für die großen, erhabenen, epischen Gedichte. Der Mensch könne auch ohne göttlichen Beistand eine „kleine Ode" erfinden.133 Das Mitleid, das poetologiegeschichtlich die Vermenschlichung des literarischen Personals verantwortet, entspringt der „Liebe" wie dieser ihrerseits der „Freude".134 Damit votiert die Ode An die Freude für die „lebendige" Form des Reichtums, die im Sinne des Vollkommenheitsgedankens das Glück des einzelnen - des Teils - an das Glück der Gesellschaft bindet - des Ganzen. „Freude" und „Liebe" komplettieren die 'andere' Hälfte des Lebens, sie lassen die erwirtschafteten Güter durch die Gesellschaft gleiten (vgl. Kap. 5.1).135 Die Freude erneuert das „Blut" (V.20) auch in den zu Adern umgedeuteten Schiffahrtswegen136: So, wie die Freude den Blutkreislauf in Bewe-
130
Vgl. zur Generierung von „Reichtum" durch Zirkulation in der „episteme" des „klassischen Denkens": Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.240ff., 251.
131
Auch hierfür paradigmatisch Canitz: „Die Fürsten helffen nichts, die Götter dieser Erden, / Weil sie so leicht, als ich, zu Leichen können werden" (Der hundert und sechs und viertzigste Psalm. In: ders.: Gedichte, S.41).
132
Milton: Episches Gedichte von dem Verlohrnen Paradiese, S.2.
133
Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.228.
134
Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Teil, S.543Í.
135
Batteux schreibt: „Die Freude begleitet allezeit ein Herz, welches recht handelt; und durch sie schließt sich die Seele gewissermaaßen auf, und gießt das Glück, dessen sie genießt, über dasjenige aus, was sie umringt" (Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, S.118).
136
Vgl. dazu Böhme: Hamburg und sein Wasser im 18. Jahrhundert, S.77; Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.226f.
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gung bringt, bringt sie den Warenumlauf in Bewegung.137 Elbe - Güterverkehr - und Alster - locus amoenus - gehören als zwei „Hälften" eines Lebens zusammen (vgl. Kap.6). Der Mensch verwaltet nur die ihm zur Perfektibilierung verliehenen Güter. Das „rechte Empfangen" (das „Glück" gibt (V.9), während die „Freude" „gewonnen" wird (V.10)) zeigt sich im „fröhlichen Genuß", der auf ein ungestörtes, beinahe paradiesisches Verhältnis von Mensch und Schöpfer verweist (vgl. W l , 2f.; Kap. 5.1). Immerhin gehen Odendichtung und Soziabilität aus dem Naturzustand hervor (vgl. Kap. 6), die Poesie beginnt mit dem Ausdruck der „Freude" im Lied, die Vergesellschaftung mit dem Zusammenschluß aus wechselseitiger „Freude" am Wohl des anderen. „Freundschaft" und „Dichtkunst" haben eine Wirkung, sie ,,besser[n]" und ,,ergetze[n]" (Wl, 49; vgl. Kap. 4.1). Die Sujets der hohen Dichtung hingegen - Stolz, Neid, Gewalt, List, Krieg oder Raub - stören den Naturzustand (Wl, 50).138
2.4 Die Freuden der Kenner Die letzte Strophe verselbständigt die Allegorie der Freude und läßt diese der Vernunft gegenübertreten. Selbst invers erhält sich der Bezug zwischen Vernunft und Freude, so daß sich die Konturen jener für den aufklärerischen „Dualismus des Schwankens" typischen „entintellektualisierten Vernunft" abzeichnen.139 Die abschließenden Verse geraten zum Bannspruch über die „Splitterrichter" (V. 24) und die „Heuchlerzunft" (V. 25), wobei die „Heuchler" die „Freude" zum Anthropologikum promovieren: Sie sind dem Kritisierten selbst verpflichtet und bestätigen auf diese Weise die Geltung der Freude. Allerdings fehlt den Kritikern der Freude genau das, was den Freudigen moralisch legitimiert: die Selbstbeobachtung. Zugleich sind sie Vertreter jener Fremdbeobachter, die der Freudige internalisiert und die er auf diese Weise delegitimiert, Vertreter also jenes umfassenden und unfaßbaren „generalized other", den Hagedorn aus dem Geist der Privatpolitik heraus in die Aufklärung transponiert. 137
Vgl. z. B. bei Johann Christian Günther: „So weit die Donau, wie sie soll, / In christlichem Gehorsam fließet, / Und mehr begierd- als wasservoll / Sich unter Karls Gebot ergießet, / So weit vermehrt sie ihre Lust / (Denn Freude zieht das Blut zur Brust) / Durch Beitrag aus den kleinen Flüssen, / Die jetzt den stündlichen Tribut, / Weil große Freude viel vertut, / Geschwind und doppelt liefern müssen" (Auf den zwischen ihro Kaiserl. Majestät und der Pforte An. 1718 geschlossenen Frieden. In: ders.: Werke in einem Band, S. 117f.). Vgl. zu Brockes' Gedicht Wahre Freude Schöttker: Metamorphosen der Freude, S.359Í.
138
Vgl. zur geschichtsphilosophischen Rechtfertigung der Affekte: Hengelbrock / Lanz: Art. Affekt, Sp.94. Kondylis: Die Aufkläning, S.406.
139
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Die „Vernunft" der „Splitterrichter" leidet unter mangelhafter Aufklärung. Die Freude „erheitert" (V. 21) sie nicht, sie bleiben „finster" (V. 24), so daß sie nach Nebensächlichkeiten und nach Kriterien, die der Freude unangemessen sind, urteilen.140 Gleichwohl: „Vernunft" reimt sich verdächtig rein auf „Heuchlerzunft". Wie heikel die Zusammenhänge sind, zeigt die Rezension der Scherzhaften Lieder Gleims im Hamburgischen Correspondenten, die dem in Gefahr schwebenden Autor das Hagedornsche Verdikt der „Splitterrichter" aus dem zweiten Teil Sammlung Neuer Oden und Liedern zueignet, das Gleim im zweiten Teil seiner Scherzhaften Lieder selbst zitiert hatte141 - Hagedorn nimmt das Gedicht in die Oden und Lieder in fünf Bücher nicht mehr auf (vgl. Kap. 5.2). Angesichts der unsachgemäßen und doppelbödigen Kritik versuchen sich die „Kenner" wie die „Freude" („Flieh, auf ewig, die Gesichter / Aller finstern Splitterichter [...]"; W3, 42) den Blicken der Unverständigen zu entziehen. Entreiße dich einmal dem städtischen Getümmel, Genieße die Natur, und sieh den freyen Himmel, Den dorten Rauch und Dampf betrübt und finster macht, Und der auf unsre Flur vergnügt herunter lacht. Der Frühling wohnt nur hier, hier wohnen junge Musen; Es hebet süßre Lust den still gewordnen Busen. Es wird die Seele hier so ruhig, als die Flur; Sie fühlet hier sich selbst, den Lenz und die Natur, Die nie der Thor gefühlt; die mit verworrnen Gründen Der stolze Weise sucht, oft ohne sie zu finden. Die Freude, deren Werth die Tugend nur erblickt, Erwartet dich allhier, schön aber ungeschmückt. Sanft lächelnd winkt sie dir; der Scherz hüpft ihr zur Seiten: Ihr folgt ein heiters Chor unschuldger Fröhlichkeiten. Das, was man in der Stadt sonst Scherz und Freude nennt, Die Lust, nach der ein Schwärm verführter Thoren rennt, [.··] Das ist die Thorheit nur in einem bunten Kleide, 142 Und nicht des Himmels Kind, der Menschheit Lust, die Freude.
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„Lebt, überlebt die Splitterrichter, / Ihr Freunde, die ihr weislich lacht, / Und einem aufgeweckten Dichter / Nicht jeden Scherz zum Frevel macht" (EschlV, 127; vgl. auch W2, 57). „Das Splitterrichten, des - s, plur. car. ein aus dem biblischen Gleichnisse, Matth. 7, 3 entlehntes Wort, die lieblose Beurtheilung der geringen Fehler anderer zu bezeichnen" (Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd.IV, Sp.222). Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Corrrespondenten, 1745, 75. St., unpag. Gleim: Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, S.62. Cronegk: Schriften. Bd. 2, S.90f..
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Die Poesie der Freude: An die Freude ( 1744)
Johann Friedrich Cronegks Einladung aufs Land führt Hagedorns und Klopstocks Apostrophe der „Freude" - das „Himmelskind" und die „Schwester der Menschlichkeit" - zusammen. Er arbeitet an der Bestimmung der „wahren Freude" und ihrer Nachbarbegriffe (z. B. des „Scherzes") im Medium derjenigen Gattung, die die Abwehrhaltung der Hagedornschen Bemühungen als definido ex negatione gattungskonstitutiv gemacht hat: der laus ruris.M Die Interpretation der Ode An die Freude hat mehrmals schon Merkmale der Landlebendichtung und benachbarter Gattungen gestreift. Dazu zählen die motivischen Berührungspunkte zur Bukolik, die poetologische Frontstellung zur hohen Dichtung, die topischen Gegenbilder von Stadt und Hof mit ihrer „Göttin" fortuna und schließlich die moralische Empfehlung der Flucht sowie die Eingrenzung der Freude auf die „Hälfte" des Lebens. Die Sonderform der laus ruris „Einladung aufs Land" nach dem Muster von Horaz (Carm. 1, 17; 3, 29) steht dabei nicht unter dem Rechtfertigungs - und damit auch Negationsdruck des Landlobs, das sein Gegenbild absolut setzt.144 Zudem greift in der laus ruris des 18. Jahrhunderts das Negativum aufs Land über.145 Die Pedanten und die Galanten, die Prasser und die Geizigen, sie alle bevölkern das Land. Hagedorn bezieht sich daher letztendlich auf keinen räumlichen Bereich, sondern auf einen zeitlichen Abschnitt, die Nebenstunden (vgl. Kap. 3.1). Das Landleben und die Freude setzen Zeit und Vergänglichkeit außer Kraft, indem sie sich in einen (Zeit-)Raum zurückziehen, über den fortuna keine Macht hat: die Gegenwart.146 Aber die definitio ex negatione nimmt durch ihre Gegenbewegung das Negierte in ihren Bezirk mit hinein, so daß es auch ungenannt präsent bleibt.147 Es gibt keinen per se gesicherten Raum für die „wahre Freude", dieser muß vielmehr durch individuelle Dispositionen erzeugt werden. Um noch einmal auf den Anfang des Gedichts zurückzukommen: Die Ode An die Freude bindet einleitend die Freude an die „edlen Herzen", die gemeinsam mit den „Kennern" - die Aufgabe der adjektivischen Bestimmung der „wahren Freude" übernehmen. Wie gezeigt, zeichnen sich „Freude" und „edle Herzen"148 wechselseitig aus. „Edel" ist zunächst eine schichtenspezifische Bestimmung und markiert dann in zunehmendem Maße moralische Wertigkeit.149 Geliert beispielsweise läßt die „edlen Herzen" als Antidot zur
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149
Lohmeier: Beatus ¡lie, S.54ff. Vgl. dazu ebda., S.126ff. Ebda., S.410ff. Ebda., S.254ff. Ebda., S.55. Vgl. zum Zusammenhang von Kennertum, Exklusivität und Freundschaft: Die Kenner (W2, 46). Art. edel. In: Grimm / Grimm: Deutsches Wörterbuch. Neubearbeitung. Bd. 7, Sp.61.
Die Freuden der Kenner
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Wollust auftreten. 150 „Edel" und der Autortypus „Hagedorn" avancieren zu Gegenbegriffen zum „Pöbel", der - aufs Sinnliche fixiert - wenig denkt und fühlt. 151 Die „edle Seele" eines Poeten will sich „distinguiren"- im guten und im schlechten Sinn.152 Zugleich geht es um die Zusammenführung von „natürliche^] Einfalt" und 'edel' (W3, X).153 Die „Freude" wird wie die „Liebe als Passion" im 17. Jahrhundert behandelt. Man verweist die autonomisierte, sich selbst als Grund genügende Liebe „auf Stratifikation zurück[ ]: Die Fähigkeit, wahre und falsche Passionen zu unterscheiden, bleibt den honestes gens reserviert"154. Hagedorn bindet die „Freude", die dazu tendiert, sich selbst abzuschließen, an einen moralischen Adel, denn zunächst überträgt sich die höfische Affektkontrolle als rhetorische Qualität des aptum auf die Poesie155 parallel zur galanten Verteidigung des delectare durch die „Verständigen"156. Aber das kann nur eine Ubergangslösung sein, eine Art Enthierarchisierung im Medium eines hierarchisierten Modells. „Edel" wird dann zur Fähigkeit, Maß zu halten.157 Der „Kenner" konstituiert sich im Schnittpunkt des Chiasmus von Vers 19 und Vers 20. Hagedorn weist der Jugend dort das Attribut des Alters zu („Fertigkeit"; V.19), auf das Alter geht die Eigenschaft der Jugend über („neues Blut"; V.20). Der Harmonisierung der Lebensalter korreliert eine Reihe weiterer wechselseitiger Ergänzungen. Die Freude wird so von einer zeitlich begrenzten Erscheinung zu einer dauerhaften Disposition („Fertigkeit") und gewinnt damit eine moralphilosophisch akzeptable Qualität.158 Die Uberlagerung von „Fertigkeit" und „neue[m] Blut" harmonisiert weiterhin auch Geist und Sinnlichkeit durch die therapeutische Kraft der 150
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In dem eine restriktive Moral predigenden Gedicht Warnung vor der Wollust (Werke. 1. Bd., S.245). Giseke: Schreiben an den Herrn von Hagedorn, Über den Einfluß des Geschmacks in das menschliche Leben. In: ders.: Poetische Werke, S.69. Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S. 115f. Von Pereis auf Boileaus Diktum „soyez simple avec art" zurückgeführt (Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.37). Vgl. dort auch zur höfischen Herkunft von „Einfalt" (ebda., S.40). Luhmann: Liebe als Passion, S.88. Vgl. dazu: Barner: Barockrhetorik, S.179ff.; Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit, S.377ff.; zur Phänomenologie der höfischen Affektkontrolle und ihren sozialpsychologischen Folgen vgl. Elias: Uber den Prozeß der Zivilisation. 2. Bd., S.369ff. Vgl. Stolle: Vorrede, S.16; dazu Schöberl: „liljen-milch und rosen-purpur", S.lllf. Juncker: Untersuchung Herrn Gottfried Benjamin Hanckens Weltlicher Gedichte, S.41; dazu Schöberl: „liljen-milch und rosen-purpur", S. 113ff. „Ich habe die Freudigkeit stets der Lustigkeit vorgezogen. Diese letztere betrachte ich als eine Handlung, die erste als eine Fertigkeit der Seele. Die Lustigkeit ist kurz und geht überhin; die Freudigkeit ist gesetzt und bleibt" (Der Zuschauer. Fünfter Theil, Leipzig 1741, 381. St., S.332).
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Freude15'. Hagedorn bezieht sich einerseits auf die Temperamentenlehre, die dem Sanguiniker das Blut als „Flüssigkeit" zuordnet. Andererseits verbindet die Affektenlehre allgemein die Affekte mit „Bewegungen" (daraus ergibt sich der Konnex zu „Kraft"), so auch mit „Bewegungen in dem Geblüt"160. Die Reihe „Herz", „Kraft" „neues Blut" leitet in dieser Kombination den moralphilosophischen in den medizinischen Diskurs über. So schreibt beispielsweise Anna Maria von Hagedorn an Hagedorns Bruder: „[...] ich versichere [...] daß deine auführung mir freude machen, sorgen mindern, folgbahr den schwachen Cörper stärcken, und also meine Jahre vermehren könne £
ja 161
Wie auch immer man das Verhältnis zwischen den „Flüssigkeiten" und der „Seele" deutet, über die positive Wirkung der Freude und der ihr entsprechenden Bewegungen der „Säfte" besteht Einigkeit. So hält etwa das dualistische Modell des Wolffianismus an der strikten Trennung von Körper und Geist fest, läßt aber dennoch einem „gesunde[n] Leib" ein „Gemüthe", das „munter und freudig" ist, immerhin korrespondieren.162 Die monistische Medizin hingegen entwickelt ausgehend von der praxis stahliana die therapeutische Wirkung der imaginierten Freude.163 Auch in diesem Kontext kommt man nicht ohne Rückversicherungen aus: Es geht um die „wahre Freude" und das „reine Vergnügen".164 Die Trennung von Medizin und Moral als Trennung von Krankheit und Laster vollzieht sich nur schrittweise.165 Alter und Jugend verhalten sich zueinander wie die zwei „Hälften" des Lebens, sie bestimmen sich in ihrer Negation und gehen auf verschiedene Weisen ineinander über (vgl. Kap. 3.2). Gleichwohl wünsche ich mir noch oft das frische, sorgenfreye Hertz, welches ich damals (in der Studienzeit in Jena, S. M.) gehabt, die Empfindlickeit und die Wallungen der lautern Freude, welche ich, ohne Absehen auf das Künftige, ohne Rücksicht auf das Vergangene, in dem ungestörten und gemeinschaftlichen Genüsse gegenwärtiger Stunden, mit nicht ungelehrten und unvernünftigen, gleichen Freunden [...] gefunden habe. Hernach gab mir, wie andern, das Glück und die immer nöthigere Sorgfalt so viel zu schaffen, daß mein voriges Leben mir fast selbst ein Traum zu seyn schien, (an Giseke; 25. 7. 1748; Β 241)
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„So viel ist gewiß, Gesundheit und Freudigkeit erzeugen wechselsweise einander [...]. Die Freudigkeit sorget eben so freundlich für die Seele, als für den Leib" (Der Zuschauer. Fünfter Theil, Leipzig 1741, 387. St., S.360Í.). Art. Affect. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.49. Brief vom 5. 12. 1731 in: Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.143. Vgl. zum Thema Schöttker: Metamorphosen der Freude, S.360. Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, S.325. Mauser: Anakreon als Therapie?, insbesondere S.95ff., 106, 113. Mauser: Anakreon als Therapie? S.110. Vgl. dazu: Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.75f.
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Dem sorgenvollen Alter - gepaart mit fortuna und „Sorgfalt" - steht die „sorgenfreye" Jugend gegenüber, die in der „lautern Freude" ihre Zeit im „Genüsse gegenwärtiger Stunden" verbringt. Die Jugend gerät zu einem „Traum". Die zugrundeliegende Wunschstruktur verweist noch einmal auf die imaginäre Qualität dieses Unternehmens. Damit reproduziert Hagedorn die Temporalstruktur der Traueroden (auch Canitz versetzt sich in den Modus des Traums). Die reflexiv gewordene Freude des Alters ist die imaginierte Jugend. Die Herstellung eines Ταφ] der Freude vollzieht sich in der Einheit von Objektivierung („Ergebet euch mit freyem Herzen / Der jugendlichen Fröhlichkeit"), Moralisierung („Euch lockt die Regung holder Triebe") und Selbstermächtigung („Dieß soll ein Tag der Freude seyn"). Auch im Traum funktioniert die Selbstkontrolle des „Kenners" - sein Geschmack - und trennt das Erlaubte vom Verbotenen: So kann man dich (Phyllis, S. M.) vollkommen nennen: So darf die Jugend uns erfreun, Und ich der Liebe selbst bekennen: Auf Phyllis Küsse schmeckt der Wein. (W3.31)
Der „Kenner" überbrückt in der Poesie der „Freude" die Zeiten und zieht sie zusammen zu einer Gegenwart der Einbildung, der er sich selbst wieder aussetzt. Beides aber, unzeitliche Wahrnehmung und Selbstbegründung, sind Eigenschaften Gottes, dessen Vergleichbarkeit mit dem Menschen (bei gleichzeitiger strikter Verschiedenheit) nicht zufällig in der gemeinsamen Freude gründet.166 Gott hat als vollkommener „Kenner" das vollkommene Geschmacksvermögen: Rezeption, Urteil und Produktion sind bei ihm eins, er „kennt, wählt und wirkt das Beste" (Wl, 13). Das sagt natürlich wenig über den himmlischen Status der „edlen Herzen" aus, viel aber über die Transposition göttlicher Qualitäten in die Immanenz und über die weltlichen Freuden der Poesie: Was ist die Weisheit denn, die wenigen gemein? Sie ist die Wissenschaft, in sich beglückt zu seyn. Was aber ist das Glück? Was alle Thoren meiden: Der Zustand wahrer Lust und dauerhafter Freuden; Empfindung, Kenntniß, Wahl der Vollkommenheit, Ein Wandel ohne Reu und stete Fertigkeit [...]. (Wl, 15). 166
Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, S.663. Die Fähigkeit zur Freude unterscheidet traditionell Mensch und Tier (vgl. ζ. B. Der Zuschauer. Siebenter Theil. Leipzig 1742, 494. St., S.lOOf.).
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Die Poesie der Freude: An die Freude (1744)
Zusammenfassung Die Aufklärung versucht, den Mensch als animal laetum zu erfinden. Diese Erfindung gründet auf einer tiefgreifenden Änderung diskursiver Strategien und semantischer Positionen, und das nicht nur, weil die Formel omne animal triste den „unvermeidlichen Zustand der meisten intelligenten Wesen in der Hochkultur" bezeichnet, „wenn sie ihr Lage ohne Illusion betrachten".167 Die Freude fokussiert Metaphysik und Ethik, Politik und Anthropologie sowie Poetologie und Poesie, ordnet die Bezugspunkte allmählich, aber merklich auf einer Horizontalen an und kippt damit hierarchische, vertikale Ordnungsmodelle. Sie macht Menschen vergleichbar, weil sie verschieden sind. Denn die Verschiedenheit hängt jetzt nicht mehr sofort und für jeden ersichtlich vom Ort auf einer Stufenleiter ab, sondern von individuellen oder sich individualisierenden Dispositionen. Hagedorns Anrufung der Freude breitet tableauartig diese Konstellation aus. Die Unverbundenheit der Strophen, ihre kaleidoskopische Folge, verweist immer auf das eine Zentrum, die „Freude", um die sich eine Konstellation gruppiert - „edle[ ] Herzen", „süsse[ ] Liebe", „Kraft der Seelen", Scherzen, Singen und Lachen, Kennertum, „Vernunft" und nicht zuletzt die „Heuchlerzunft". Die folgenden Kapitel werden die Anschlüsse darstellen, die der Begriff der „Freude" erlaubt. Sie zeichnen das diskursive Netz nach. Als eine Art Gravitationszentrum erscheint dabei in der Ode An die Freude die Figur der Selbstbewegung. Einerseits besteht das Skandalon der Selbstbewegung in ihren säkularen Implikationen, die die Verzeitlichung der Freude entschärft. Andererseits: Wenn Zeit sich als „Entlastungskategorie" fest installiert168, dann entwickelt die Freude auch Gegenkräfte zur säkularen Temporalisierung - etwa in Gestalt des Fortschritts, der als „überdauernde Temporalstruktur" (Schöne) die theologische Futurisierung der Freude variiert. Insofern ist die Gegenwärtigkeit der Freude vielleicht auch eine „Entlastung" von der Bürde der Zeit, die die Modernisierung dem Menschen auferlegt. Die überdeutliche Objektivierung des Affekts in Form der Allegorie zeigt dabei nicht nur an, daß man den Affekt modellieren muß, sondern auch, wie groß die Notwendigkeit dazu ist. Die Musen werden zwar zu Grazien, aber nicht zu bloßen Empfindungen; der Autor inspiriert sich zwar selbst und vertraut nicht mehr auf die wahrheitssichernde Macht der durch die Musen überbrückten Schwelle zwischen Dichtung und „Wirklichkeit"169, aber er vertraut auf das Geschmackskorrektiv der „Kenner"; die poetische Hierarchie wird zwar unterwandert, aber in verzeitlichter Form gleichwohl 167
Sloterdijk: Weltfremdheit, S.55.
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Luhmann: Temporalisierung von Komplexität.
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Vgl. den analogen Vorgang in der „erotischen Dichtung": Schlaffer: Musa iocosa, S.113ff.
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am Leben erhalten. Der Autor stellt nicht jenes Genie vor, das sich aus einem unergründlichen Ursprung heraus aufs Papier bringt, sondern jenen Selbstbeobachter, der die Bedrohungen durch Fremdbeobachtung antizipierend entkräften muß. Die Rückbindung an die „Kenner", das ästhetische Korrelat der „edlen Herzen", fängt die Irregularität der „freudigen" Dichtung auf. Das Individuum sucht zwar Halt in sich selbst, kann darauf aber nicht voll und ganz vertrauen, sondern greift ζ. B. auf ästhetische Schichtbegriffe zurück. Und zuletzt bleiben auch die „Kenner" nicht allein. Sie sind von „Splitterrichtern" umgeben; das letzte Wort behält im Gedicht die „Heuchlerzunft".
3. Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
Die „Freude" ist poetisches und poetologisches Motiv zugleich. Sie spielt wie der „Freund" (Kap. 4), die „Natur" (Kap. 6) und der „Wein" (Kap. 7) auf allen Ebenen der Poesie eine Rolle. Lediglich die Religion nimmt einen anderen Stellenwert ein (Kap. 5). Bezeichnenderweise wird sie für Hagedorn zum Problem. Dieses Charakteristikum der Motive hat für den „Autor" Folgen: Die Poesie scheint durch ihre Themen zugleich auch immer den vorund außerliterarischen Raum zu betreffen, so daß der Autor von einem rhetorischen Vorkommnis zu einem realen wird oder zumindest in dieser Weise gedeutet werden kann. Hagedorn, so Johann Arnold Ebert, sei wie Rabener „einer von den wenigen Skribenten, deren Umgang ihren Schriften gleicht" (29. 1. 1744; EschV 243f.). Die feinsinnige Unterscheidung zwischen „Skribent", „Umgang" und „Schriften" macht den Verfasser zum tertium comparationis von Handlungen und Texten. Eine andere, ebenfalls dreistellige Ordnung verwendet Gleim zur Bestimmung der Autorschaft Hagedorns: Er liebt „in dem Verfasser" von Die Freundschaft den „Freund" so sehr, als er den „Dichter" ehrt.1 Während Ebert den Verfasser ins Zentrum der Konstruktion stellt, erklärt Gleim den Text zum Zentrum und entzweit den Verfasser („Freund" und „Dichter"). Selbst wenn es Einwände gegen Eberts Trennung von Handelndem und Handlung geben mag, die Frage, welcher Unterschied zwischen dem Verfasser eines Gedichts und dem Dichter besteht, scheint beinahe noch schwieriger zu sein.2 Zudem definiert der Verfasser des Gedichts die Freundschaft im Gedicht, so daß auch der „Freund" seinen außerliterarischen Status verliert. Gleim und Ebert erhellen damit einen historischen Prozeß: die Geburt des Autors, der mit Modellen wie „Werk", „Sinn" oder „Verstehen" eine produktive Wirkung auf eine Reihe von Texten und auf den Umgang mit 1
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Brief vom 12. 6. 1750 in: Klopstock: Briefe 1738 - 50, S.84f. Vgl. auch Klopstocks empfindsame Bezugnahme auf Die Freundschaft·, ebda., S.40f. Die Formulierung scheint ein Topos zu sein, vgl. ζ. B. Giseke: Poetische Werke, S.64; Lange: Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe. Erster Theil, S.114. Vgl. dazu in der Satiretheorie ζ. B. Liscow: Schriften. Bd. I, S. XXIV.
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ihnen gehabt hat und bis heute hat. Der Autor ist ein zweideutiges Konstrukt, das auf den Verfasser und das Werk verweist, indem es die „Schriften" - die so zum Werk werden - als Handlung deutet. Diese Verweisungsfunktionen des Autors bilden keine Einheit, und auch in Zeiten der Einheitsbildung können Verfasser und Autor kollidieren und dabei mitunter angenehme Uberraschungseffekte erzielen, wie etwa bei der ersten Begegnung Meta Mollers mit Klopstock: „Ich hatte gar nicht die Meynung, daß ein ernsthafter Dichter finster u mürrisch aussehn, schlecht gekleidet seyn, u keine Manieren haben müsse; aber ich stellte mir doch auch nicht vor daß der Verfass: des Mess: so süß aussähe, u so bis zur Vollkommenheit schön wäre". 3 Bisweilen aber sind auch Klarstellungen notwendig: Als Anton Friedrich Büsching einen Verleger für seine „neue[ ] Erdbeschreibung" sucht, wendet er sich an Hagedorns Verleger Carl Bohn, der Hagedorn, „seinem Freund und Rathgeber", eine Probe der Arbeit vorlegt. Hagedorn zeigt sich interessiert, und beide fahren nach Itzehoe, um Büsching „persönlich kennen zu lernen, und zu untersuchen, ob ich dem Werke gewachsen sey?" Schon diese Episode fordert zu Überlegungen heraus, in welchem Verhältnis der Text, sein Verfasser und sein Autor zueinander stehen. Interessanter noch ist jedoch Büschings Blick auf Hagedorn: Hagedorn war ausserordentlich munter, aber nicht so, als ich ihn mir vor der persönlichen Bekanntschaft vorgestellet, mich aber darinn geirrt hatte. Denn als ich ihn im Wirthshause beym Aussteigen aus der Kutsche empfing, und einen lebhaften Mann erwartete, erblickte ich einen ernsthaften, in sehr ehrbarer, mehr a l t - als neumodischer Kleidung, der zu mir sagte, nehmen sie nicht übel, daß ich so wenig Complimente mache, ich habe mich an das trockne Wesen der Engländer gewöhnet, u.s.w. 4
Drei Diskurse sind hier auf engstem Raum verwoben: Der erste Satz konstatiert mit „munter" die durch die Gedichte Hagedorns - insbesondere die Oden, Lieder und Erzählungen - erregte Erwartungshaltung. Die erste Hälfte des zweiten Satzes formuliert die Beobachtung und die Enttäuschung der Erwartung. Die zweite Hälfte liefert im Kontext einer biographischen Konstruktion (der Englandaufenthalt als Zentralpunkt des Lebenswegs) die Interpretation Hagedorns nach, die im Werk insbesondere in den Moralischen Gedichten ihre poetische Entsprechung findet und die Büsching als bekannt voraussetzen kann („u.s.w."; vgl. dazu Β 259). Büsching reproduziert damit Hagedorns Autorkonstruktion: Hagedorn beharrt einerseits auf dem rhetorischen Autor- (bzw. Verfasser-)Modell, in dem die virtuose Variation des vorhandenen Materials als poetische Leistung
3
4
Klopstock: Es sind wunderliche Dinger, meine Briefe, S.9. Vgl. zur Rollenpluralität Klopstocks: Gronemeyer: Klopstocks Stellung in der Hamburger Gesellschaft. Büsching: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, S.198f.
Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
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anerkannt und gefordert wird, denn die direkte Umrechnung der Oden, Lieder und Erzählungen auf einen Lebensstil würde den Verfasser moralisch diskreditieren. Andererseits inszeniert Hagedorn sich durchaus als geselliger „Weingelehrter", mehr aber noch als Typus des „Weisen", wie er ihn in seinen Moralischen Gedichten entwirft. Dieser Gratwanderung zwischen Verfassertum und Autorschaft versucht Hagedorn eine biographische Gestalt zu geben. In verschiedenen Anläufen und in sich widersprüchlichen Konstruktionen entwirft Hagedorn ein Modell von Selbstverbesserung, das Dichtung in Handlung transformiert. An die Stelle der Poesie tritt letztendlich das Leben (vgl. Kap. 3.2). England ist ein Symbol für dieses Interesse an der Handlung und für die exponierte Abneigung gegenüber dem rhetorischen Paradigma, also gegenüber Verstellung, spielerischen und strategischen Inszenierungen. In seiner Selbstbeschreibung in einem Brief an Bodmer vom 3. 7. 1742 hatte Hagedorn im Entwurf noch geschrieben, „der Engelländer Gedanken und Sprache" seien ihm nahe, in der endgültigen Fassung wird daraus „die Art zu denken und die Sprache der Engelländer" (B 78 / BK 482). Die Form der Gedanken, und das ist Originalität', adaptiert Hagedorn; von ihrem Inhalt distanziert er sich und bewahrt auf diese Weise seine Eigenständigkeit. Die im vorigen Kapitel skizzierte Figur der Selbstbewegung, die Abwehr der Fremdinspiration und die Akzentuierung von Selbstinspiration in Poetologie und Poesie der Freude, hat nicht nur im engeren Sinn literarische Konsequenzen für die Motivik von Dichtung und für ihre Textur, sondern die Position von Literatur insgesamt, ihre Funktion und ihr O r t in den Diskursen, kann sich verschieben. Analog zur paradoxen Gestalt der Selbstbewegung etabliert sich eine Interpretation des Literarischen als besondere Qualität von Texten. Diese Besonderheit literarischer Texte verbindet sich mit der Person des Verfassers über die Konstruktion des „Autors". Mit anderen Worten: Die Qualität von Texten stellt sich (auch) ein durch das Zutrauen, das Leser zu einem Text haben, weil er von einem „Autor" verfaßt worden ist, so daß es legitim scheint, eine spezifische Lesart zu praktizieren. Der Autor nimmt eine vieldeutige Stelle ein zwischen der Literatur und denjenigen, die sie herstellen, aber auch denjenigen, die sie lesen. Denn er ist immer abhängig von seinen Lesern, die ihn als Autor akzeptieren, und er kann von ihnen sogar ermordet werden, wobei der „Tod des Autors" natürlich keine reale Person betrifft, sondern lediglich jenes komplizierte ideelle Band, das den Federführenden mit der papiernen Einheit des Werks
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im Gedanken des Besonderen verbindet 5 . Insofern ist der Autor eine Hypostasierung der Textbehandlung. 6 Umgekehrt kann ein Verfasser ein bestimmtes Autormodell provozieren, es im Werk (und vielleicht auch außerhalb des Werks) verkünden, und versuchen, an der Programmierung beteiligt zu werden. Aber bei der Einordnung des Werks kommt dem Verfasser kein höheres Stimmrecht zu als jedem anderen Leser. Man könnte ihm lediglich die Position eines primus inter pares zugestehen/ Er muß als ein Interpret seiner Schriften um die interpretatorische Herrschaft über den Text streiten und dabei das von ihm bevorzugte Autormodell - u. U. eben ein autoritatives - ins Feld führen. Der Autor hat „klassifikatorische Funktion" 8 , zwischen ihm und einer Reihe von Texten stellt sich ein wechselseitiges Beglaubigungsverhältnis ein. N u r diese systematische Grenzstellung erlaubt es, eine Historie der Autorschaft zu schreiben, die Geburt des Autors zu erleben und ihn schließlich in einen mühseligen Prozeß von Tod und Wiederauferstehung verwickelt zu sehen. Daß der Autor mehr eine inspirierende und hilfreiche Konstruktion denn eine Entität ist, scheint auch Hagedorn in seiner letzten Publikation zu Lebzeiten nahezulegen. In der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte (1753) setzt er dem von ihm an vielen Stellen favorisierten Autormodell ein Denkmal: Fabel. Es ist Euphrast, der stets gefiel, In allem, was wir von ihm lesen, Bescheiden = sinnreich, wie Virgil, Erfindsam, wie Homer gewesen. Er schrieb nicht bis ins Stuffenjahr, Nicht viel, nichts auf Befehl, nichts eilig. Wie ihm die Wahrheit heilig war, So war ihm auch die Sprache heilig. Sich selbst zum Lobe redt' er nie, Doch litt er andrer Stolz und Träume, Sprach selten von der Poesie, Noch gegen oder für die Reime.
Er war voll weiser Sittsamkeit, Drum ward er keiner Secte Götze, Und hinterließ der Folgezeit Zwar Muster, aber nicht Gesetze. Nur Wasser trank er, und nicht Wein. Von Schönen liebt er nur die alten: Bloß ihrer Seelen Freund zu seyn, Und sich des Busens zu enthalten. Er starb, und ließ, eh er verschied, Ein Buch, das er gemacht, verbrennen, So sehr auch sein Verleger rieth, Das Werk der Welt und ihm zu gönnen. (Wl, 129)
Hagedorn versammelt hier alle Motive, aus denen er sein Autormodell zusammensetzt oder von denen er es abgrenzt und die im folgenden behandelt werden. Interessant ist an dieser Stelle zunächst die Titulatur. Zur Bezeichnung Fabel wird Hagedorn schwerlich die animalische Natur des Dichters 5 6 7 8
Zu Individualisierung und Autorschaft: Plumpe: Autor und Publikum, S.379f. Foucault: Was ist ein Autor? S.20. Japp: Der Ort des Autors in der Ordnung des Diskurses, S.226. Foucault: Was ist ein Autor? S.17.
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verführt haben, auch wenn Benjamin Neukirch meint, daß „keine seltzamere thiere" seien „als Poeten: Denn sie lassen sich / wie die paradieß=vögel / alle tausend jähre kaum einmahl sehen"9. Tatsächlich bezeichnet Hagedorn den Zeitgewohnheiten entsprechend mit dem Terminus „Fabel" auch nur teilweise eine Gattung, die wesentlich durch menschlich agierende Tiere (oder Gegenstände) definiert ist. Das Korrelat dieser Übertragung ist eine zwar ans Wahrscheinliche und „Natürliche" gebundene, gleichwohl aber weitreichende licentia fingerteli, die mehr Freiheiten bietet als andere Gattungen (W2, 118; vgl. Kap. 1.2).10 Insofern stellt Hagedorn mit Euphrast ein Relikt längst vergangener Zeit vor, das zwar in Homer oder Vergil seine Parallelen gehabt haben mag, nun aber einer „fabelhaft" gewordenen Gattung von Autoren angehört.11 Man weiß jedoch auch: Unter dem Deckmantel der Fiktion versteckt die Fabel eine Wahrheit, die sich aus der „Kenntniß des Menschen und der Welt" speist (La=Motte; W l , 105, Anm.l). Sie nimmt nur den „Schein der Einfalt an", ihre „Schwester" ist Clio, die das „Wahre" dem „Mährchen einverleibt" (Der Löwe·, W2, 128). Weiterhin verwundert die Wahl der Vorbildautoren für Euphrast. Denn Hagedorn propagiert immer wieder die Nachfolge Horaz', der bei ihm geradezu zum Gegenbild der großen antiken Ependichter Homer und Vergil wird. Er reagiert damit auf die Herausforderung durch die Hexameter-Mode, die ihm in Gestalt Bodmers erscheint (vgl. Kap. 2.). So schreibt er an den Literaturkritiker, zwar könne man Horazische Gedichte im stilus sublimis („höher[e] Oden") durchaus mit Vergils Epos vergleichen, aber das sei nicht die einzige legitime A n zu dichten: „Wer darf aber dem Horatz ableugnen, daß er, in der Art die er, mir zum grossen Vergnügen, gewählt hat, so gut ein Dichter gewesen, als Virgil in der seinigen? Und, freylich, darf man nicht immer ein Homer, ein Virgil seyn. Sollten diese mehr Leser haben, als Horaz? Ich spreche von freywilligen Lesern" (20. 12. 1751; Β 324). Hagedorn nennt mit den Ependichtern also weniger Vorbilder für die Poesie der Freude als vielmehr deren Gegenbilder. Auf die Hexameterdiskussion der Zeit spielen auch die Zeilen an, in denen Hagedorn nun tatsächlich seine liberale
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Neukirch: Vorrede, S.6f. In der Rhetorik unterscheidet man zwischen der „historia", die sich ans Wahre hält, dem „argumentum", das Mögliches entwirft, und der „fabula", die nicht ans Wahrscheinliche gebunden ist (Rhetorica ad Herennium, I, 8, 13; Quintilian: Ausbildung des Redners, Π, 4, 2 )· Hagedorn wiederholt damit eine Einsicht aus dem für die Literaturkritik im Hamburger Correspondents paradigmatischen Versuch von der Kritik von Pope (Versuch von der Kritik, S.257ff.; vgl. dazu Tolkemitt: Der Hamburgische Correspondent, S.72ff.).
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Position zum Streit um den Reim darstellt („Sprach selten [...] gegen oder für die Reime").12 Hagedorn interessiert das ungeschriebene Werk Euphrasts: die nur implizierte Poetologie, die fehlende Polemik (vgl. Kap. 4.2), die Verweigerung gegenüber der Produktion von Kasualcarmina (vgl. Kap. 3.2), der poetisch gerade negierte sittsame Umgang mit Frauen und Wein (vgl. Kap. 7), das verbrannte Buch - mit einem Wort: das Leben. Der zentrale Satz, gleichsam die Vorgabe und der Fokus des vorliegenden Kapitels, ist der Vers „Er schrieb nicht bis ins Stuffenjahr [...]". „Stuffenjahre" bezeichnen in der Alterslehre den Wechsel von einer Altersstufe in die nächste. 13 Das „Stuffenjahr" im Singular wird wohl den Ubergang ins Alter bezeichnen, der in der poetischen Alterslehre zugleich das Versiegen der dichterischen Schaffenskraft impliziert (Kap. 3.2). Positiv formuliert heißt das: Im Alter geht man endgültig vom dichterischen Lebensentwurf zum wirklichen Leben über, vom poetischen „Wein" zum Wasser (oder zumindest zum mäßigen Weingenuß), von der literarischen Libertinage zur Seelenfreundschaft, man lebt in „weiser Sittsamkeit", gibt die schwer vermittelbare Zwitterexistenz auf und übertrifft damit Homers dichterisches Werk, indem man Witz und Tugend verwechselt: Wie schön ist nicht Homer, der Dichter aller Zeiten, Wie reizend, wie gelehrt, wie reich an Trefflichkeiten! Doch auch nur eine That rechtschaffner Menschenhuld, Der wahren Mäßigung, der Großmuth, der Geduld, Verschwiegne Tugenden, die wir mit Kenntniß üben, Sind noch einmal so schön, als was Homer geschrieben. (Wl, 83)
Zwar geht es auch hier im Gedicht ums „Verschweigen", gleichwohl wird das tugendhafte Programm in 'witziger' Form vorgeführt, oder pointiert mit Böckmann gesagt: „[D]ie scharfsinnige Einbildungskraft genießt sich selbst in dieser Auflösung". 14 Aber die performative Qualität verweist umgekehrt wiederum auf den Autor, denn dazu gehört auch die Kontrolle des Werks. In der Arbeit am Werk zeigt sich der handelnde („weise") Autor: Hagedorn versucht die Interpretationshoheit über seine Gedichte zu behalten und deren Ordnung festzuschreiben (vgl. auch Kap. 4.2). Darauf spielt die Kontrafaktur des Vorredentopos am Ende der Fabel an, demzufolge das Werk veröffentlich worden sei, weil die im Umlauf befindlichen Drucke nicht die Vgl. dazu bei Epting: Der Stil in den lyrischen und didaktischen Gedichten Friedrich von Hagedorns, S.131ff. Art. Annus Climacterius, das Stuffen - Jahr. In: Zedier: Grosses vollständiges UniversalLexikon. Bd.2 [1732], Sp.421. Böckmann: Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, S.91.
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autorisierte Version darstellen oder weil Verleger oder Freunde auf die Publikation gedrängt haben15 - tatsächlich soll Hagedorn ja vor seinem Tod Manuskripte verbrannt haben." Die Fabel vom Autor, die zugleich eine Fabel von der Fabel ist, hält jene unsichere Mittellage zwischen Fiktion und Wahrheit, die sie zum didaktischen Instrument macht. Dem Autor gleiche Beispielhaftigkeit zuzumessen, gibt auch ihm die Möglichkeit, beständig zwischen Wahrheit und Fiktion zu wechseln oder diesen Wechsel sogar zum Konstituens des Autors zu machen. Hagedorn verwendet dazu das Modell der „Nebenstunden", in denen er seine Autorschaft situiert (vgl. Kap. 3.1). Er stattet diesen (Zeit-)Raum mit allen Qualitäten und Doppeldeutigkeiten aus, die das entstehende Autormodell zu bieten hat, und bewahrt in diesen Grenzziehungen sein ganzes Werk hindurch eine bemerkenswerte Kontinuität. Zwei Portraits, die Balthasar Denner von Hagedorn gemacht hat, halten diese Ambivalenz fest und schreiben sie auf eine biographische Achse als „Entwicklung" um: Auf dem ersten Portrait hatte Hagedorn sich mit Wein und Austern, mit Schlafpelz und Pelzmütze abbilden lassen, aber darauf gedrängt, ein Buch hinzuzufügen - er wollte nicht als „Silen" erscheinen.17 Das zweite Portrait sollte dann repräsentativer ausfallen. Hagedorn erscheint auf ihm mit „Perücke, braune[m] Samtrock, braune[r] Weste [...] und weiße[m] Jabot. [...] Den Hintergrund füllen zwei Reihen französischer und klassischer Bücher".1® Daß Christian Ludwig von Hagedorn sich in besonderem Maß um das Bild seines Bruders bemüht hat,19 rückt eine wichtige Diskurskonstellation ins Licht: das zwar auf programmatischer Ebene konfliktäre, konzeptionell aber übergängige Verhältnis von privatpolitischer Inszenierung und Autorinszenierung (vgl. Kap. 4.2). Das Portrait Hagedorns von Dominicus van der Smissen vereint in einem einzigen Bild beide Konzepte: Hier ist der repräsentative Typus mit dem privaten übermalt, statt „Staatsgewand" erscheint der „Hausrock", statt der Perücke die „Waschbärpelzmütze".20 Zwar umgibt sich Hagedorn nicht mehr mit Büchern, aber Wein und Austern findet man auch nicht mehr. Die äußere Attribuierung entfällt zugunsten einer einfachen Selbstrepräsentanz. Der Stich eines zweiten Portraits von van der Smissen, das denselben Typus repräsentiert wie das erste, wird dann in der von Hagedorn verantworteten Werkausgabe gedruckt. Hagedorn mußte allerdings 15
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Ζ. B. Hofmannswaldau: Vorrede, S.541; Menantes: Academische Neben-Stunden, unpag. (Vorrede). Vgl. zur ambivalenten Bedeutung des Unabhängigkeitspostulats für Autoren: Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt, S.163f. Schmid: Nekrolog, S.313f. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.59f. Ebda., S.61. Ebda., S.57ff„ 69. Vgl. auch Β 484f. Ebda., S.64ff.
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vorsichtig sein, denn das Faible fürs eigene Portrait gehört zur Topik der von ihm karikierten moralischen Charaktere, des geizigen Fatili (Wl, 22) oder des pedantischen Gelehrten (W2, 59).
3.1 Wissen und Handeln Hagedorns Gelehrsamkeit dient der Selbstverbesserung, sie zielt auf die Glückseligkeit (Wl, XXIf.). Mit anderen Worten: Das Wissen zeigt sich im Lebenslauf, es verdichtet sich im Handeln. Dem Handeln schreibt sich dabei ein Vernunftschluß ein,21 der wie bei der Sprache des Gewissens oder dem Geschmacksurteil zwar potentiell durchgeführt werden kann, aber nicht durchgeführt werden muß. Im Handeln konzentriert sich eine Vielfalt von Bezügen in einem Punkt, von dem aus sich in die Vergangenheit und Zukunft ausgreifen und ein ganzes Leben, ja die Geschichte selbst, entwickeln läßt.22 Das Erlebnis der „Freude" stellt die größtmögliche Steigerung des Wissens als Handeln dar, in ihr wird der Mensch geradezu gottebenbildlich und nähert sich dem göttlichen, diskursiv nicht entfaltbaren Wissen (vgl. Kap. 2.3).23 Darin unterscheidet sich der Gelehrte vom Weisen: Der Weise redet ebensowenig wie der Kluge, er handelt, und in seinem Handeln repräsentiert er eine „stillschweigende Lehre".24 Das Wissen des Weisen setzt sich in Moralität um, so daß sein Zentralorgan das Herz, der Sitz des Willens, ist. Während der Gelehrte unnütz spekuliert, arbeitet der Weise. U m aber dieses Stadium zu erreichen, in dem Wissen und Handeln eins sind, bedarf es der Zeit. „Es ist aber dieses die Eigenschafft und Kennzeichen aller Wissenschafften / die dem menschlichen Geschlecht nützlich seyn / daß sie eine kurtze Theorie und lange Praxin brauchen [...]".25 Der Weise lebt so, wie er schreibt, er verdoppelt Repräsentativität. 26 Das Leben des Autors verschmilzt nur mit seiner Dichtung, wenn Dichtung als Handlung interpretierbar erscheint. Der Stil wandelt sich zum Schreibakt, der dem Wissen, oder besser: dem „Geist" des Autors, Lesbarkeit verleiht. Der Leser entziffert den Stil als individuelle Signatur des Werks, nicht als erlerntes, kunstfertig gebrauchtes Instrument. „Stilum" und
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Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, S.118ff. Vgl. z. B. Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.68ff.; Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.479. Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.659ff.; Art. Gelehrsamkeit. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.ll56f. Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.4, 154. Ebda., S.93, auch S.6, 76, 80f. Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.98ff.
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„naturel" verflechten sich und machen den Weg frei für individuelle Abweichung von verbindlichen Traditionsbeständen27, wobei dann die Bindung ans „Naturell" selbst schon Symbolcharakter gewinnt.28 Bei allen Unterschieden zwischen Thomasianern29 und Wolffianern bleibt festzuhalten: Beide verbinden auf ihre Weise Gelehrsamkeit und Poesie mit Biographie. Gottsched ζ. B. entwirft sowohl einen wissenschaftlichen als auch einen poetischen Lebenslauf. In seiner philosophischen Bildungsgeschichte wiederholt er die Irrtümer der Philosophiegeschichte, bis ihn „endlich" Leibniz und Wolff aus seinem dogmatischen Schlummer wecken.30 Die philosophische Kompetenz entwickelt sich so „natürlich" wie die „natürliche Verknüpfung" der philosophischen Wissenschaften in der Weltweisheit. Ahnlich vollzieht Gottscheds biographische Initiation in den Theaterbetrieb die deutsche Literaturgeschichte nach, die von einem unregelmäßigen Zustand zu geschmacklicher Reife und Regelmäßigkeit führt. Und auch hier erwächst die Urteilsfähigkeit über Drama und Theater selbstverständlich aus den vielfältigen Irrwegen und Vorbereitungen des eigenen dramatischen und dramaturgischen Schaffens sowie der Lektüre.31 Die „Zeit", so Gottscheds Prinzip in der Critischen Dichtkunst, „bessert alles aus".32 Und um Zeit geht es bei der Begründung der Nebenstundenpoesie in der Hauptsache. Die Geburt des Autors in den Nebenstunden Für Hagedorn ist die „Dichtkunst" eine „Gespielinn" der „Nebenstunden" (W3, 23). Zunächst bezeichnet das lediglich den zeitlichen Ort von Dichtung, denn es gibt in der Frühaufklärung kein Berufsschriftstellertum.33 An der Oberfläche eines weit komplizierteren Umbruchs der Zeitsemantik etabliert der Hofbeamte „neben" seinem „Amt" einen Zeitraum, in dem er
Vgl. ζ. B. zur Wertschätzung der „eigne[n] arbeit" im Unterschied zur imitatio Fabricius: Philosophische Oratorie, S.359; vgl. zur Problematisierung regulativer Erfaßbarkeit: ebda., S.171, 189f., 200f. Vgl. zum Thema: Assmann: „Opting in" und „opting out". Anz: Literarische Norm und Autonomie, S.74. Vgl. zur Einheit der Stilprinzipien in Wissenschaft und Poesie in der Aufklärung Otten: „A well-mix'd state", S. 181. 28
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Zur Aufwertung von „Naturell" zu einem Zentralbegriff vgl. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.413, 421,437f., 464, 516ff., 538. Wiedemann: Polyhistors Glück und Ende, S.221ff.; Seifert: „Historia literaria" an der Wende zur Aufklärung. Gottsched: Erste Gründe Der Gesamten Weltweisheit [1733], unpag. (Vorrede). Gottsched: Sterbender Cato, S.5ff. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.117. Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt. Auch der Berufsschriftsteller muß zunächst auf die Freiheit der Nebenstunden zurückgreifen, um sich zu legitimieren (ebda., S.163f.). Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht, S.212f.
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sich mit der Poesie „die Stunden kürtzt" 34 ; und der Gelehrte sucht sich wie Hunold Academische Nebenstunden zum Dichten (vgl. Der Gelehrte. W l , 59f.).35 Das Grundproblem besteht darin, die Bedeutung und Funktion von vita activa und Muße zu bestimmen und sie einander zuzuordnen. Der Begriff der Nebenstunden grenzt einen Bereich der Muße unter dem Eindruck eines „politischen", mithin zunächst höfisch orientierten Nützlichkeitspostulats aus, das an der Jahrhundertwende die Neuformierung eines entsprechenden Wissenschaftsverständnisses unterstützt. 36 Die Nebenstunden etablieren sich dabei als Raum, der utilitaristische und aufdringliche moralische Anforderungen37 abwehrt, indem er diê Normen unauffällig einbezieht. Die Poesie der Nebenstunden verbindet höchsten dichterischen Anspruch mit der Marginalisierung von Poesie als Beiwerk. Denn der Gelehrte, der Geistliche und der Hofbeamte - sie alle haben angesichts einer lebensübergreifenden, die Handlungsbereiche zu dem einen Leben (der Biographie) zusammenfassenden Perspektive Schwierigkeiten mit der Poesie. So wehrt etwa Johann Burckhard Mencke in der Vorrede zu seinen Galanten Gedichten (1710) den Namen eines Poeten aus der Perspektive des Gelehrten und seiner praktischen Zweckbestimmung ab.38 Erdmann Neumeister hält es für unwahrscheinlich, daß jemand ein Poet „ex professo" genannt werden will, zumal er selbst als Geistlicher in einen Rollenkonflikt gerät, den wiederum Mencke konstatiert.39 Hinter der Wertschätzung der Poesie kann der christliche Interpret schon an sich eine „Abgötterey" entdecken, die den sozialen Abstieg nach sich zieht.40 Und auch die literarischen Heroen der Frühaufklärung, die Hofbeamten Johann von Besser und Friedrich Rudolph Ludwig
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Art. Amt. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 1 [1732], Sp.1812. Canitz: Die dritte Satyre. Von der Poesie. In: ders.: Gedichte, S.93. Mit dem Titel der Erstausgabe seiner Gedichte Neben "Stunden unterschiedener Gedichte (1700) wird Canitz zur Leitfigur der Nebenstundenpoesie (vgl. auch VeG 3). Vgl. zum Thema Müßiggang - Gelehrtentum - Dichtertum: Hagedorn: Schreiben an einen Freund. In: Die neuesten Sammlungen vermischter Schriften, S.184f. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.487. Vgl. zum Streit über die Legitimität nicht-geistlicher moralischer Überwachung zwischen den Herausgebern des Patrioten und der Geistlichkeit in Hamburg: Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.277. Witkowski: Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung, S.24. [Neumeister]: Die Allerneueste Art / Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen, S.6; Menantes: Vorrede, unpag.: Hunold verweist auf ein Kasualcarmen Menckes für Neumeister, in dem die Frage nach der Vereinbarkeit von geistlichem Stand und Poesie erörtert wird. Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.74ff.
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von Canitz, halten ihre Gedichte nicht der Veröffentlichung für wert - so fingieren es zumindest die Vorreden der Werkausgaben.41 Die Dichtkunst steht - bekanntermaßen seit Piaton - immer unter Verdacht, keine legitime Tätigkeit zu sein.42 Gleichwohl verbindet sich diese Infragestellung mit den Anforderungen, die die Dichtung stellt. Den hohen ästhetischen Anspruch an Poesie in den Nebenstunden formuliert Hagedorn schon im (Unter-)Titel seiner Sammlung: Erlesene Proben Poetischer Neben = Stunden. Auch wenn es sich nur um einen Versuch und um Proben handelt, so unterliegt die Poesie doch der sorgsam prüfenden Wertung durch das iudicium (ζ. B. VeG 63).43 Gerade Canitz wechselt hier mit den Gattungen die Positionen: Die „Geistlichen Gedichte" stellen jeden Zeitpunkt in die Verfügungsgewalt Gottes und fordern vom Gläubigen die beständige Reflexion auf diese zeitliche Ordnung. Die weltlichen Gedichte hingegen, die Canitz' Ruhm begründen,44 formulieren einen literarischen Vollkommenheitsanspruch. Sowohl Canitz als auch Besser zögern die Veröffentlichung ihrer Gedichte nicht etwa hinaus, weil Poesie an sich verwerflich ist. Vielmehr hat ihnen die wesentlich wichtigere Tätigkeit bei Hof zu wenig Zeit gelassen, ihre Gedichte zu vervollkommnen. Verstummen ist die Gefahr, die der Poesie nicht nur von den Imperativen der Nützlichkeit, der Prosa des Alltäglichen, sondern auch von den Niederungen der Reimemacherei droht (vgl. Kap. 3.2). Im Konzept der Nebenstundenpoesie verschwistern sich Anspruchslosigkeit und Vervollkommnungswille. Sie sind Entlastungskategorie, und sie stellen neue Anforderungen. Als Entlastungskategorie fungieren die Nebenstunden, indem sie das (poetische) Material auf einen Autor zuordnen. Sein persönliches, lebensgeschichtlich begründetes Interesse trennt somit die wichtigen von den unwichtigen Dingen, und die Ansprüche adressatenorientierter Poesie können durch den Verweis auf einen eigentümlichen Raum abgewehrt werden: In den Nebenstunden orientiert sich der Einzelne nur an sich selbst (oder an anderen Dichtern).45 Begriffe wie „Vergnügen" oder „Lust" (und natürlich: „Freude") zeigen diese Verselbständigung an. 41
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So im Bericht an den Leser in: Besser: Schrifften, unpag.; Canitz: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte, unpag. (Vorrede). Vgl. die aufschlußreichen Argumenten bei Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.346. Die Leitfigur ist Horaz, der das Motto zum Versuch einiger Gedichte liefen (Sat. 1, 4, 16ff.). Die Frauenzimmerbibliothek im Patrioten ordnet Canitz' Gedichte nicht unter die erbauliche Literatur, sondern unter das Rubrum „Zur Wissenschaft und Belustigung". Vgl. dazu: Nasse: Die Frauenzimmer-Bibliothek des Hamburger 'Patrioten' von 1724, S.26ff. „Neben-Stunden, Neben-Zeit, lat. Hora succisivi, Tempus succisivum, wird diejenige Zeit genennet, welche der Mensch frey hat, beydes von dem ihm obliegenden Gottesdienst, und seinen Amts-Verrichtungen, als auch dem zu nöthiger Erhaltung seines Lebens, erforderlichen Schlafen, Essen und Trincken". (Art. Neben-Stunden. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 23 [1740], Sp.1488).
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An die Dichtkunst Gespielinn meiner Nebenstunden, Bey der ein Theil der Zeit verschwunden, Die mir, nicht andern, zugehört; O Dichtkunst, die das Leben lindert! Wie manchen Gram hast du vermindert, Wie manche Fröhlichkeit vermehrt! (W3, 23)
Gleichwohl lauern „in der Nachwelt Feinde" (W3, 23) (der Buchdruck anonymisiert das Publikum und erweitert den Verbreitungsradius). Die Nebenstunden sind - zumal in der Poetologie des Versuchs einiger Gedichte nicht dazu in der Lage, sich der Verlängerung von Nützlichkeit in ihren Bereich hinein zu entziehen. Aus der Nebenstundenpoesie kann - wie Hagedorn es formuliert - die Stärcke der Sprache und des Ausdrucks, die Fähigkeit, schön und richtig zu gedencken, die Verbesserung des Witzes und der Einbildungs - Krafft, die Entdeckung der Ähnlichkeiten der Dinge, und endlich das Vergnügen, sich, ohne des Nechsten Schaden und Argerniß zu belustigen, unstreitig einen grossen Zuwachs erhalten [...]. (VeG 3f.)46
Das sind Argumente von Massieus Deffense de la Poesie, die Hagedorn in Ubersetzung zum Druck bereit gemacht haben will: Gegen den Vorwurf der Nichtsnutzigkeit von Dichter und Poesie macht Massieu geltend, der Poet arbeite unter Bedingungen der condition humaine, d. h. er sieht die durch Leidenschaften vorangetriebene Motorik menschlicher Handlungen ein und greift daher zur Poesie, die Tugendhaftigkeit und Wahrheit durchs Angenehme vermittelt: „Le but de la poesie n'est point de plaire à l'imagination, comme il le prétend; c'est d'instruire l'esprit & d'éclairer l'intelligence. [...] pour aller à l'esprit, c'est de passer par l'imagination".47 Der Anspruch poetischer Vervollkommnung bedeutet zunächst, daß gute Dichtung - wie Muße - an ökonomische Unabhängigkeit gebunden ist, an Vermögen oder Mäzenatentum. 48 Damit präludiert die Ausweitung der Nebenstunden zu Hauptstunden die Dichterexistenz. Die Steigerung des ästhetischen Anspruchs steigert den Zeitbedarf.49 Man braucht viele müßige Stunden zur Vervollkommnung von Dichtung, vielleicht sogar ein ganzes Leben. Damit binden sich Entlastung und Anspruch an die Biographie des Autors. Um an Opitz zu erinnern (vgl. Kap. 2): Wie im Fall seiner Weltlichen Poemata (und dort insbesondere der Amatoria) verschiebt auch Opitz die Verträglichkeit von Amt und Poesie auf eine Zeitachse, stellt die gesellschaftsrele46 47 48 49
Vgl. zur Topik: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.487. Massieu: Deffense de la Poesie, S.194f. Vgl. zusammenfassend: Neukirch: Vorrede, S.18f., auch S.20. Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht, S.219f.
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vante, nützliche Tätigkeit für die Zukunft in Aussicht und formuliert den (zeitintensiven) Anspruch der Dichtung implizit, indem er die Unzulänglichkeit seines poetologischen Versuchs mit Zeitnot entschuldigt. In Form einer captatio benevolentiae formiert sich auf diese Weise der ästhetische Vervollkommnungswille.50 Hagedorns ständiges briefliches Klagen über zu wenig „Muße" markiert damit indirekt seine ästhetischen Ambitionen. Zudem kann sich der Weise dadurch gegen Ansprüche von außen verteidigen, gegen die Einbeziehung in literaturpolitische Parteilichkeiten (vgl. Kap. 4.1-2) - es fehlt einfach die Zeit zum Streiten.51 Damit geraten die individuellen Fähigkeiten des Dichters ins Blickfeld, nicht ein objektiv und von jedermann erlernbares poetisches Arsenal. Hagedorns Referenzen, Stolle und Massieu, wenden sich gegen die einseitigen Verteidiger und die einseitigen Kritiker der Poesie.52 Die Poesie ist ein 'Mittelding', weder gut noch böse (vgl. VeG 4). Ihr spezifischer Einsatz und Gebrauch entscheidet über ihren Wert, und dieser wiederum verweist auf den Poeten (der dann seinerseits wieder gut oder böse sein kann).53 Es gibt richtige und falsche Poesie, so wie es richtige und falsche „Freude" gibt. Zu Beginn des Jahrhunderts fertigt man Dichtung, die einen derartigen Anspruch formuliert, noch als Müßiggang ab. Der aber führt (in theologischer und kaufmännischer Sicht) zu Armut, da Arbeit nun nicht mehr in Widerspruch zu Besitz steht54. Wenn Dichtung nicht als „Nebenwerk" be-
Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.338Í. Die Opitz-Biographie von Christoph Coler, die nach Motiven des dichterischen Werks strukturiert ist, kann so die unaufgehobene Spannung zwischen den Anforderungen des „Amts" und dem Wunsch nach Pflege von Wissenschaft und Kunst zum inhaltlichen Ordnungsprinzip der Darstellung machen (Garber: Martin Opitz, S.39f.). 51
So lehnt z. B. Hagedorn Gottscheds Angebot, ein Mitglied in der „Deutschen Gesellschaft" zu werden, u. a. mit dem Argument ab: „Zudem mangelt mir noch Zeit und Müße zum Schreiben, und ich würde itzt ein sehr unfleißiges und faules Mitglied in einer so rühmlich bemühten Gesellschaft seyn [...]" (8. / 19. 11. 1730; Β 18). Vgl. auch den Brief vom 3. 7. 1742 an Bodmer (B 77).
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Stolle: Vorrede, S.7; Massieu: Deffense de la Poesie, S.182; Neukirch: Vorrede, S.6. Die gleiche Verteidigungsstrategie, die Poesie „an sich" zu betrachten und nicht ihren Gebrauch, verwendet auch la Motte (Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.II). La Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.V. „Es müssen aber auch schon diejenigen arbeiten, die schon reich sind" (Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.210). Vgl. zum Umbruch im Verständnis der Arbeit: Brocker: Arbeit und Eigentum, S.420ff. Beetz: Negative Kontinuität, S.286f. Vgl. Scheibel im XXVII. Abschnitt Von der Poeten Betteley in: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.190. Noch Gottsched schreibt in der ersten Vorrede zur Dichtkunst: „Da ich übrigens die Poesie allezeit vor eine Brodtlose Kunst gehalten, so habe ich sie auch nur als ein Neben-Werck getrieben, und nicht mehr Zeit darauf gewandt, als ich von andern ernsthafftern Verrichtun-
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trieben wird, sinkt der Dichter zum „Bettler" herab.55 Das ist auch ein Argument gegen die Kasualdichtung, also gegen den Versuch, sich mit Poesie den Lebensunterhalt zu sichern (VeG 62, Anm.*),56 sowie gegen ein Verständnis von Dichtung als „Arbeit": Zwar gelte man, wenn man wie Hagedorn drei bis vier Bände poetischer Werke vorzuweisen habe, nicht mehr als „fainéant", gleichwohl gilt die Aufforderung zum Arbeiten bloß für „Messieurs les Compilateurs, Glossateurs et les Auteurs en aphes" (an von Bar; 23. 3. 1753; Β 352). Man muß an einem Gedicht arbeiten, um sich gegen die Schnellreimer abzugrenzen, und man darf nicht an einem Gedicht arbeiten, um nicht als nutzloser Verbalgelehrter zu erscheinen. J. E. Schlegel berührt daher einen kritischen Punkt, wenn er in An den Herrn von Hagedorn die Dichter gegen den Vorwurf des Müßiggangs verteidigt.57 Dichten wird leicht zum Begriff für Müßiggang, der nur nach der nützlichen Tätigkeit legitim ist, wie Hagedorns Mentor Gottlieb Stolle festhält58 (VeG 37, Anm.*) - ein Leben muß zwei „Hälften" haben (vgl. Kap. 2.4). Allerdings kann Hagedorn mit Stolles Argumenten gegen den Vorwurf der Nutzlosigkeit von Gelehrsamkeit die Verbindung von „brodloß" und „verwerfflieh" kritisieren: „Es verräth sie (die Poesie-Kritiker, S. M.) die pöbelhafte Sprache des Eigennutzes, und sie setzen den unerwiesenen Satz voraus, daß nur dieses lobenswehrt sey, und erlernet zu werden verdiene, was einträglich ist, und Vortheil bringet" (VeG 4).59 Der Poesie der Freude würde im übrigen auch die Verschwisterung von Müßiggang und Melancholie entgegenstehen.60
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gen erübern können" (Versuch einer critischen Dichtkunst: Anderer besonderer Theil, S.404). Vgl. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.383. Vgl. insgesamt Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt, S.164. Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1743. Zweyte Auflage, Leipzig 1744, Brachmonat, S.548. Stolle erklärt, daß die Poeten „einige darum verachten, weil die Poeten gemeiniglich arm sind. Gewiß ist, daß das Versmachen ordentlich nicht reich mache. Ich dencke aber doch nicht, daß man es deßwegen verdammen könne". Er merkt dazu an: „Was ist nun wohl die Ursache dieser Diirfftigkeit. Ich halte davor es sey der Müßiggang. Denn nicht als Verse machen heißt in der That müßig gehen [...]. Es lasse dann niemand das Tichten sein Hauptwerck seyn, wo er nicht Mittel hat vor sich zu leben" (Stolle: Anleitung Zur Historie der Gelahrheit, S.245f.). Gegen den Vorwurf der finanziellen Nutzlosigkeit gerichtet schreibt Gottlieb Stolle: „Der Beweiß, den sie von der ersten Ursache anführen, kan nicht viel anders also lauten: 'Was nichts einträgt, kan nicht nützlich seyn [...]'" (Discours Von dem Nutzen der Historiae et Notitiae Literariae, S.745). „[...] wenn das allein nützlich seyn soll, was Geld einbringt, so wird es um die Tugend, sonderlich aber um die Freygebigkeit noch mißlicher als um die Polyhistorey stehen [...]" (ebda., S.753). Müller: Rhetorik und bürgerliche Identität, S.122f., 126.
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Über die Hamburger Verhältnisse schreibt Brockes in seiner Selbstbiographie: Doch habe ich nachmahls aus der Erfahrung bemerkt, daß nach der Beschaffenheit des Zustandes unserer Stadt dergleichen Weg (sich durch „Compagnien", „Concert[e]", ein „Cabinett von Gemählden" in „Estime zu setzen", S. M.) nicht allerdings ohne Gefahr sey, und man auf solche Weise an einem Ort, wo ein jeder auf das Commercium bedacht, anstatt Ehren einzulegen, den Nahmen eines Müßiggängers gar leicht davon tragen kann.61
In Hamburg geht man mit der arbeitsfreien Zeit vorsichtig um. Ein durchgehendes Thema des Patrioten, dem wie dem Hagedornschen Weisen die Welt als Tragikomödie erscheint,62 ist der „vernünfftige[ ] Gebrauch der Zeit"63. Ein Spaziergang muß als Tätigkeit interpretiert werden, er darf nicht als nur müßige Beschäftigung gelten; Gleiches gilt für den Schlaf, denn der Schläfer verschläft potentiell sogar das Vergnügen.64 Um den Schlaf zu legitimieren, bedarf es des Traums, einer poetischen Tätigkeit, die als Fortsetzung des Wachens ausgelegt wird, ja sogar als dessen Steigerun („Meine Seele aber schien in diesem Schlaff fast noch wachsahmer zu seyn, als vorher [...]").65 Arbeit stellt sich auf sich selbst, Erholung wird unnötig (oder doch nur als Erholung zur Arbeit akzeptiert):66 „Die Arbeit selbst macht Lust zur Arbeit" - immerhin fügt Weichmann noch einschränkend hinzu: „aber doch nicht alle, und nicht allezeit".67 Nicht nur utilitaristische Orientierungen machen dem Nebenstundenpoeten das Leben schwer, auch in anderen Zusammenhängen ist „Eigenzeit", wie sie Hagedorns An die Dichtkunst propagiert, keine Selbstverständlichkeit. Geistliche Dichtung etwa hat hierzu ihre eigene Position: „Du bist nicht Meister deiner Stunden. / Und, weist du, der du sicher bist, / Obs immer GOtt gelegen ist, / Wenn du mit Ihm wilst seyn verbunden?"68 Aus theologischer Perspektive gibt es natürlich keinen Raum, der frei von Gott ist, und allzu große Neigung zur Poesie bedeutet umgekehrt sündhafte Gott-
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Brockes: Selbstbiographie, S.199f. Der Patriot. Bd.I, S.4. Ζ. B. Der Patriot. Bd I, S.260. Ebda., S. 119. Ebda., S.193. Vgl. auch Martens: Die Botschaft der Tugend, S.318ff. Der Patriot. Bd. Π, S.292. Vgl. auch das Kap. Vom Müßiggänge der Poeten bei Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.182ff. Gottsched meint dazu: „Die Arbeit dienet nicht nur zum Erwerbe der Lebensmittel, sondern auch zu nöthiger Beschäftigung der Gemüthsund Leibeskräfte, und folglich zur Erhaltung der Gesundheit. [...] Nur ist es auch hierbey nöthig, ein Maaß zu beobachten" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.179). Canitz: Abend-Lied. In: ders.: Gedichte, S.15.
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ferne.69 Dem Menschen bleibt wieder nur jenes transitorische Moment zwischen dem Vergangenen, das er nicht mehr kontrollieren, und dem Zukünftigen, das er noch nicht kontrollieren kann: die Gegenwart und deren Freuden. Unter allen Augenblicken, aus welchen die Zeit unsers Lebens gleichsam zusammen gesetzet ist, oder durch welche es vielmehr nach und nach abnimmt, und verkürtzet wird, ist kein eintziger eigentlich unser, und in unserer Gewalt, als der gegenwärtig ist [...]. 70
Es bedarf nicht der Poesie, um dem Menschen die Zeit zu „verkürzen"; das übernehmen das Leben und Gott. So verfügt der Mensch auch letztendlich nicht wirklich über den gegenwärtigen Augenblick, wenn er der Empfehlung folgt, ihn so zu behandeln, als sei er möglicherweise der letzte. Die Rigidität dieser Selbstkontrolle wird dabei sehr wohl bemerkt und als Schwierigkeit reflektiert.71 Die Poesie wehrt in den Nebenstunden Nützlichkeit und Moral durch Selbstbescheidung ab, sie legitimiert sich zugleich durch Erfüllung der utilitaristischen und moralischen Normen, gewinnt dadurch an Selbstbewußtsein und steigert ihre Ansprüche72 - damit aber verhält auch sie sich potentiell kontrovers zu den Ansprüchen der vita activa. Jeweils also konfligiert sie mit den Ganzheitskonzepten der anderen „Hälfte des Lebens", wie Hagedorn es in der Ode An die Freude genannt hatte. Die Kritik der Nebenstundenpoesie registriert die beiden Angriffspunkte - Marginalität und Vollkommenheit der Poesie - und macht sich ihre Widersprüchlichkeit zunutze. Die Abwehr der Kritik verfügt jedoch über dieselben Verfahren.73 Sie muß die Argumente lediglich verkehren. Die Einheit
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Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.53, 74ff. Art. Zeit. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 61, Sp.732. „Viel leicht kommt aber dieses manchen zu betrübt und zu melancholisch vor, wenn er auf diese Weise einen jeden Augenblick seines Lebens, als einen solchen, den er allein nur in seiner Gewalt habe, und der vielleicht der letzte sey, sich vorstellen, und von einem jeden folgenden zugleich dencken solle, ob er auch noch nachkommen werde, indem er auf diese Weise ja in beständiger Furcht des Todes seyn müsse. Allein diejenigen, die solche Einwendung hier haben, mögen sich des Epicurs Ausspruch beym Seneca zur Antwort dienen lassen: meditare, utrum commodius sit, vel mortem transiré ad nos, vel nos ad eam, das ist, bedencke doch, was wohl besser sey: daß der Tod zu uns komme, und uns übereile: oder wir vielmehr zu ihm kommen, und ihm entgegen gehen" (ebda., Sp.733). Sowohl Adelungs als auch das Grimmsche Wörterbuch interessiert der Gottesdienst für die Erklärung von „Nebenstunden" nicht mehr (Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. ΙΠ, Sp.455; Grimm / Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 13, Sp.507). Vgl. zu dieser Gedankenfigur Koselleck: Kritik und Krise. Segebrecht sieht hier zwei unvereinte Modelle vorliegen (Das Gelegenheitsgedicht, S.216ff.). Die vorliegende Interpretation geht von der intrinsischen Verbundenheit beider Argumentationen in der polemischen Konstellation der Aufklärung aus.
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von Ambition und Selbstbescheidung in den Nebenstunden hat nicht nur zwei mögliche Angriffsflächen, sondern sie hat auch zwei Möglichkeiten polemischer Selbstverteidigung. Bodmer beispielsweise konfrontiert das antike Modell einer nützlichen Poesie und den daraus resultierenden poetischen Eifer der Poesie als „Nebenwerck", ihrer Brotlosigkeit und Nutzlosigkeit. 74 Dagegen wendet Hagedorn seine persönlichen Vorlieben und seine spezifische Lebenssituation auf, also das Argument der Marginalisierung (vgl. Kap. 2.). Gegen die Forderung nach öffentlicher Wirksamkeit macht die Nebenstundenpoesie die Individualität des Autors geltend, der dadurch ins Licht der Kritik gerät. Das ist für die Poesie der Weisheit, insbesondere die Moralischen Gedichte, weniger problematisch als für die Oden und Lieder oder die Verserzählungen, die Hagedorn immerhin den Vorwurf einbringen, „schweinischen Epikurismus" 75 zu verbreiten. Autorschaft bedeutet auch Herstellung von Identität und Herstellung von Werkeinheit. Sie problematisiert Gattungsdifferenzierungen, wie sie etwa titulatorisch oder in den Sparten der Sammlungen üblich waren. Dagegen kann die Poesie ihre Normerfüllung ins Spiel bringen, also den Gedanken poetischer Perfektion, die nur vom Kenner richtig eingeschätzt werden kann, so daß sich das prodesse mit höchstem künstlerischen Anspruch verbindet. Die folgenden Abschnitte untersuchen, in welcher Weise bzw. mit welchen Konsequenzen Poesie den Status von Handlung erhält und wie die Unterscheidungen der Nebenstundenpoetologie von Hagedorn an verschiedenen Diskursstellen genutzt werden. Dazu bietet sich insbesondere Hagedorns Auseinandersetzung mit der Gelehrsamkeit an, die sein ganzes Werk durchzieht. Denn die Diskussion um das Verhältnis von Buchstabengelehrtheit und Weisheit beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Text und Handlung.
Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.22f. So Manteuffel in einem Brief an Gottsched, den Gottsched zustimmend beantwortet (Waniek: Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit, S.446f.; Guthke: Literarisches Leben, S.102; vgl. dazu Kap. 4.2). Das Problem stellt sich insbesondere in der Literaturgeschichte der Liebesdichtung {Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S.ll; Schlaffer: Musa iocosa, S.7, 21, 26, 37, 101, llOf., 120, 137f., 164, 223ff.; Stenzel: „Si vis me Aere ..."; Schöberl: „liljen-milch und rosen-purpur", S.137ff.; Osterkamp: Scherz und Tugend; ders.: Liebe und Tod in der deutschen Lyrik der Frühaufklärung).
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Anfänge I: Hagedorns „Betrachtung" der „ Menschlichen Seele" Im 48. Stück der von Johann Georg Hamann herausgegebenen Moralischen Wochenschrift Die Matrone erscheint 1728 eine theoretische Betrachtung der „Menschlichen Seele" - auf diesen Nenner bringt zumindest die Ankündigung des „Aufsatz[es]" im vorangegangenen Stück76 die digredierenden und mäandernden Gedankengänge. Mit dieser Betrachtung liegt der einzige Beitrag Hagedorns vor, der das Verhältnis von Handeln und Wissen bzw. „Verstand" sowie den Zusammenhang von Vergnügen und Selbstsorge theoretisch entwickelt. Wie in den unten behandelten Αιίποί-Satiren ergeben sich dabei Verwirrungen aus unausgesprochenen Selbstwidersprüchen (Hagedorn kritisiert die Konstellation, von deren Standards er profitiert) und kaum merklichen Richtungswechseln (zwischen einer Vertikalen und einer Horizontalen): In seiner „Betrachtung" der „menschlichen Seele" stellt Hagedorn ein ganzes Ensemble zum Teil unvereinbarer Theorieentwürfe nebeneinander, deren Zusammenhang sich nur aus den polemischen Konstellationen der Zeit ergibt. Auch was theoretische Fragestellungen betrifft, kann man von einem weiten Kenntnisstand Hagedorns ausgehen, denn bis in die populären Gattungen der Aufklärungsliteratur hinein diffundiert eine theoretische Diskussionskultur. Schon der Erscheinungsort des „sinnreichen Aufsatz[es] von der Menschlichen Seele"77 ist eigentlich ungewöhnlich, denn eine Moralische Wochenschrift wie die Matrone handelt solche Themen normalerweise in allegorischer Manier im Rahmen einer Erzählung ab (z. B. als Traum).78 Bei Hagedorn bleibt davon bloß der Einleitungssatz übrig: „Das Vergnügen und die Pflicht, mich selbst kennen zu lernen, ließ mich unlängst auf die genaue Betrachtung meiner Seele gerathen". Selbst wenn man die vielfältigen und detailliert informierenden Rezensionszeitschriften beiseite läßt (z. B. die Acta eruditomm), aus denen Hagedorn immer wieder zitiert, bietet in der Zeitschriftenwelt der Frühaufklärung auch am entgegengesetzten Pol eine Zeitung mit aktuellen und vorwiegend politischen Nachrichten, wie der Hamburgische Correspondent, rezensierende Einblicke in das neueste literarische und gelehrte Leben sowie in die Diskussion theoretischer Fragestellungen ohne besonderen Anlaß.79 Vielleicht entspricht gerade der undurchsichtig strukturierte Gedankenverlauf des Matronen-Aufsatzes einem theoretisch wenig versierten, aber interessierten und informierten Vorgehen, das den „Gelehrten"-Typus „Hagedorn" charakterisiert.
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Die Matrone, 47. St., S.376. Die Matrone, 47. St., S.376. Martens: Die Botschaft der Tugend, S. 17, 2 lf. Tolkemitt: Der Hamburgische Correspondent, S.38.
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Hagedorn geht davon aus, daß die sinnlich wahrnehmbare Außenwelt den „Seelen=Kräften einen Spiegel" bietet, der die Veranschaulichung und Versprachlichung erlaubt, das Thema also den „Sinnen" zugänglich macht. In sieben Schritten beleuchtet Hagedorn dann verschiedene Aspekte des Themas, immer wieder unter Rückgriff auf den Vergleich zwischen den „Kräffte[n] der Seele" und den geometrischen Grundeinheiten Punkt und Linie: Die Fähigkeiten der Seele stellt er als Punkte vor, die unterschiedlich lange Linie bilden, „Auswickelungen" oder „Einschränckungen" der Seelenkräfte.80 Wenn man sich „Wille" und „Verstand" als zwei verschieden lange Linien vorstellt, dann handeln Menschen je nach Länge und Verhältnis der Linien zueinander entweder gut, sind aber intellektuell nicht auf der Höhe oder haben ausgeprägte geistige Fähigkeiten, denen jedoch keine moralische Kompetenz entspricht.81 In diesem Zusammenhang trennt Hagedorn die „natürlichen" von den „[christlichen" Tugenden. Zwischen Wille und Verstand vermittelnd führt Hagedorn die „lebendige Erkenntnis" ein. Sie könne „undeutlich" bleiben, auch wenn sie „einen Bewegungs=Grund des Willens abgiebt".82 „Verstand" und „Wille" verhalten sich dabei wie zwei parallele berührungslose Linien.83 In pragmatischer Hinsicht muß dieser Dualismus jedoch eingeschränkt werden. Zwar bleibt Hagedorn bei seiner theoretischen Trennung von Moral und Einsicht, räumt für die Praxis jedoch ein, daß beide nicht (immer) auseinandergehalten werden können. In solchen Fällen müsse man zu den „ersten Puncten zurück eilen, so dieses gantze, als eine moralische Grösse, deren Theile zusammenhangen, erkennen lehren". Für den Großteil der Beobachter sei das freilich nicht möglich, vor ihren Augen verbinden sich Wille und Verstand zu variablen Gebilden, zu Konfigurationen, bei denen „weitere Ähnlichkeiten" gerade an den „Gestallten der menschlichen Handlungen" zu entdecken sein könnten: In diesem Fall (der undurchschaubaren Handlungen, S. M.) möchte vielleicht die anscheinende Einheit unserer Seelen-Kräfte, als ein freiwillig angenommener Satz zur Meinung gedeihen können, nach welcher man dergleichen Fälle sich unter der Bewegung einer Linie zur andern vorstellte, woraus die Schrancken der Ausdehnungen oder eine Figur entstehet. 84
Mit dieser Kreisführung endet der argumentative Teil der „Betrachtung". Hagedorn schließt das Stück mit einem Lob der Selbsterkenntnis, die auf unvergleichbare Art „die Weisheit und Güte des Schöpfers zu bewundern 80 81 82 83 84
Die Matrone, 47. St., S.378f. Ebda., 48. St., S.380. Ebda., S.381. Ebda., S.382. Ebda., S.383.
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und zu lieben" lehre. Die Besinnung auf die eigene menschliche „Grösse" und die menschlichen „Vollkommenheiten" sei eine „Lust" und ein „Entzücken", und der „Geber" dieser Fähigkeiten könne daher nur verherrlicht werden. Darin liegt das Telos, die „Absicht" der Schöpfung. Es stünde zu wünschen, daß wir uns weniger in die sinnlichen Empfindungen vertieften, und nicht die meisten Leute halbverwildert mehr mechanisch, als vernünftig, lebten, damit wir unseren edelsten Theil, die allein unsterbliche Seele, reiffer untersuchen und hiebey Anlaß nehmen mögten, theils die Treflichkeit ihrer wesentlichen Eigenschaften zu begreiffen, mithin deren edelen und wahren Gebrauch, insonderheit aber die unermeßliche Gnade GOttes zu erlernen; theils aus der Verderbniß so Grund-schöner Kräffte von unserer Verbindlichkeit zur Demuht, und unserer nöthigen Besserung heilsamlich überzeuget zu werden. 85
Der Text wirft damit deutlich mehr Fragen auf, als er beantwortet: Denn verwendet der Verfasser nicht gerade sinnliche Analogien zur Verbildlichung der Seelenkräfte? Und wenn die Verse, mit denen das Stück schließt, das himmlische „Licht" und die göttliche Heiligung des „Willen[s]" loben: Hatten die „Betrachtungen" nicht gerade zwischen den „natürlichen" und den „[christlichen" Tugenden unterschieden? Was hat das ,,vernünftig[e]" Leben mit der Trennung von „Verstand" und „Wille" zu tun? Und in welchem Verhältnis stehen die „Grösse" und „Vollkommenheit" des Menschen mit seiner „Demuht" aufgrund seiner „Verderbniß"? Drei Momente scheinen mir von Bedeutung zu sein: Zum einen die geometrische Bildlichkeit, zum zweiten die teils negativen, teils positiven (terminologischen) Verbindungen zur Philosophie Leibniz' und Wolffs und zum dritten die sowohl vom Herausgeber als auch vom Verfasser problematisierte Beziehung des Entwurfs zur Religion. Die gewählte geometrische Bildlichkeit verweist zunächst auf den „geometrischen Geist" der Epoche,86 auf die Hoffnung, sich die Welt „more geometrico" zurechtlegen zu können. Das gilt nicht nur für die Erkenntnistheorie, für die Descartes die geometrische Methode verbindlich macht, sondern auch für die Bestimmung der Seelenkräfte87 und für die Moral Hagedorn schreibt von einer ,,Moralische[n]" Größe, die der „cörperliche[n]" vergleichbar sei.88 Im weiteren Sinn liegt die Bedeutung von
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Ebda., S.384. Rod: Geometrischer Geist und Naturrecht, zusammenfassend S.10. Specht: René Descartes, S.309f. Die Matrone, 48. St., S.378. Ein Kuriosum stellt in diesem Zusammenhang der bald zurückgenommene Versuch Francis Hutchesons dar, Tugendhaftigkeit zu messen (Eine Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend, S.75ff.; dazu Leidhold: Einleitung, S.XLVI). Vgl. auch Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.49, 88f. Müller: Rhetorik und bürgerliche Identität, S.91, Anm.18.
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Punkt und Linie in platonischer Tradition in ihrem basalen Charakter" und zugleich in ihrer sinnlichen Exemplarität,90 so daß die Bezugsmöglichkeiten argumentativ variabel verwendet werden können: Es handelt sich um eine Sinnlichkeit, die mit dem Verstand eng verwandt ist.91 Punkt und Linie sind Visualisierungen der Seele, die nur ein Minimum an Sichtbarkeit garantieren. Sie erlauben, die „unsterbliche Seele" gegen die „sinnlichen Empfindungen" auszuspielen und gleichwohl die Seele in der Sinnlichkeit zu spiegeln. Dabei steigert sich die Sichtbarkeit, wenn man den Punkt entwickelt, wenn er also zur Linie wird. Die These ist: Die zu bloßem unsichtbarem Geist verflüchtigte Seele verkörpert sich in der Zeit, und zwar als Lebenslauf. Entsprechend dieser Ambivalenz der Bildelemente verwendet Hagedorn zwei Muster: Die eine Bildlogik kennt nur einen Ausgangspunkt oder zumindest einen Zusammenhang der Elemente. Dabei bleibt - wenn überhaupt - die „Seele" die „Substanz", Wille und Verstand sind gleichsam abgeleitete „Kräffte der Seele".92 Ahnlich wie in Leibniz' Monadologie eignet sich der Punkt als Bild für die Einheitlichkeit der Substanz. Die „Perzeptionen" und „Begehrungen" der Monade, also das, was die Vielheit in der Einheit ausmacht, stellt Leibniz als sich kreuzende Geraden vor, deren Schnittstelle einen Punkt bildet.93 Auch hier begründen demnach im Bild Linien die Verschiedenheit der Seelen. Zu dieser Logik gehört tendenziell ein zeitliches 89 90
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Mittelstraß: Platon, S.46. Für Tschirnhaus sind sie „rationale[ ] Wesenheiten", die in größer / kleiner unterscheidbar und - das gilt insbesondere für die Gerade - leicht vorzustellen sind (Medicina mentis, S. 110). Leibniz geht im Abschnitt „von den einfachen Ideen" in den zu Hagedorns Zeit unpublizierten Nouveaux Essais sur l'Entendement Humain von „denen des Raums" aus, an dessen Stelle bei Hagedorn die Seele tritt. Im Raum läßt Leibniz Elemente wie Punkte oder Linien agieren - bei Hagedorn: die Seelenkräfte (Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S.184ff., 188f.) -, und er verwendet den auch von Hagedorn in ähnlicher Weise genutzten Begriff der „Figur". Hagedorn schreibt von den „Schrancken der Ausdehnungen oder eine[r] Figur" (Die Matrone, 48. St., S.383), was für Leibniz eine zu ungenaue bzw. nur ein Teil seiner eigenen Bestimmung der Figur ist: „[...] il sera encor mieux de dire que la figure est un étendu borné, qui peut recevoir une section étendue ou bien qui a de la Largeur [...]" („[...] es wird noch besser sein, zu sagen, daß die Figur ein begrenztes Ausgedehntes ist, das einen ausgedehnten Schnitt zuläßt oder das Weite hat [...]"; Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S.190f.; vgl. auch: Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.27). Bei Leibniz unterhält sich Theophilius im übrigen zwar nicht mit Philaretus, den Leibniz an anderer Stelle als Dialogpartner einsetzt (Leibniz: Entretien de Philarete et d'Ariste), aber mit Philalethes. Freilich dürfte genau im Unterschied von aletheia (Wahrheit) und areté (Tugend) der Unterschied des Maîrowen-Aufsatzes zu Leibniz' Modell liegen, denn dort verbindet sich tugendhaftes Handeln in einer kontinuierlichen Konstruktion mit der Wahrheit. Vgl. zum Problem: Art. Wille des Menschen. In: Zedier: Universal-Lexikon. Bd.57 [1748], Sp.60, 74. Leibniz: Principes de la Nature et de la Grace fondés en Raison, S.5.
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
Moment wie die „Auswickelungen" der Seelenkräfte94, deutlicher noch das Modell der sich zur begrifflichen Erkenntnis hin entwickelnden Seele, ausgehend von einem „Grunde unserer Seele",95 sowie die Abwendung von den „sinnlichen Empfindungen" hin zum „vernünftig[en]" Leben.96 Verbesserung impliziert eine Näherung an den Verstand, eben eine bewußte Durchleuchtung und Bearbeitung der Seele oder hier genauer: des Willens. Der Verstand entwickelt sich durch zunehmende Verdeutlichung der Erkenntnis. Der Wille, wenn ihm nicht eine ähnliche Entwicklung eingeschrieben ist, kann nur einfach zu guten oder schlechten Handlungen anhalten. Der Gedanke vom „Grund" der Seele ist dabei interessant:97 Denn auch und gerade Leibniz kennt (kritisch gegen den Cartesianismus gewendet)98 das unbewußte Handeln oder einen unbewußten Rand des Handelns, den die Vielfalt der Perzeptionen bilden, die nicht alle zur Deutlichkeit gebracht werden können, also - im bildlichen Vergleich - die Vielfalt der in ihrer Schnittstelle den Punkt (die Monade) hervorbringenden Linien. Für Leibniz ist wichtig, daß Kontinuitäten entstehen, harmonische Ganzheiten, 99 auch wenn er aufgrund des Leib-Seele-Dualismus, der für den Matronen-Kuisztz ohne Belang bleibt, zwei parallellaufende Ganzheiten statuieren muß („l'harmonie préétablie")100. Denn als Ziel gibt Leibniz vor, möglichste viele undeutliche Vorstellungen zu deutlichen Vorstellungen zu machen, was er wie Hagedorn - „auswickeln" nennt. Leibniz schreibt von einem instantan nicht vollends möglichen „Entwickeln" der in „Falten" liegenden Seele: „[...] elle ne saurait développer tout d'un coup tous ses replis, car ils vont à l'infini".101 Die theoretische Integration der „klaren und verworrenen Erkenntnis" kommt einer umfassenden Akzeptanz der menschlichen Natur gleich, sie ist ein „anthropologisches Datum".102 Das Handeln komprimiert sozusagen Wissen, d. h.: Es kann als Wissen entfaltet werden. Mit der Idee der „Auswickelung" und dem Postulat des vernünftigen Lebens scheint Hagedorn in diese Richtung zu gehen. Aber das ist nur eine Seite der Betrachtung, und zwar nicht die rhetorisch dominierende, auch wenn sie fast schon als Klammer der Seelenbetrachtung fungiert. Bei einem zweiten Modell geht Hagedorn nämlich von zwei Punkten aus: An den zentralen Stellen seiner Betrachtung der menschlichen Seele 94 95 96 97 98 99 100 101 102
Die Matrone, 48. St., S.378. Ebda., S.379. Ebda., S.384. Vgl. dazu: Adler: Fundus Animae. Leibniz: Monadologie, S.31. Adler: Fundus Animae, S.200. Leibniz: Monadologie, S.62. Ebda., S.54f. Adler: Fundus Animae, S.201.
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hebt Hagedorn das Kontinuum zwischen Wille und Verstand auf und trennt beide radikal voneinander, am deutlichsten im Bild der Parallelen, die Hagedorn sich auch in der Unendlichkeit nicht treffen läßt, was sich mit der Mathematik der Zeit allerdings ebenfalls nicht berührt.103 Zuvor hatte er seine Theorie von der „lebendigen Erkenntnis" entworfen, die direkt auf den Willen wirkt: Bei Wolff, an den Hagedorn sich terminologisch anlehnt, stehen Begreifen und Wollen in einem engen Zusammenhang;ltM der Wille entspringt aus dem Verstand, ja sogar der Automatismus des Gewissens hängt vom Verstand ab.105 Demnach wundert es wenig, daß auch die „lebendige Erkentnis" vom Verstand ausgehend den Willen bessert oder bessern soll.106 Hagedorn beharrt demgegenüber darauf: Die „lebendige Erkenntnis", die einen „Bewegungs = Grund des Willens abgiebt", kann „undeutlich" sein, d. h. sie kann sprachlich unzugänglich bleiben107 und doch das Handeln in richtiger Weise bestimmen. Das Handeln wird tugendhaft durch Habitualisierung von Handlungsweisen, die durch die lebendige Erkenntnis zu einer „Neigung zum wahren Guten und der Verabscheuung des wahren Bösen" führen108 - auch das ist bei Wolff nachzulesen, nur daß der Systemphilosoph den Verstand immer wieder mit ins Spiel bringt.109 Mit anderen Worten: Hagedorn formuliert hier in wolffianischer Terminologie eine Art Moral-Sense-Philosophie, in der das Gefühl (die undeutlichen Vorstellungen) legitimerweise moralisches Handeln steuert, ohne daß das Handeln auf seine Entfaltung als Wissen wartet. Mit beiden Modellen bewegt Hagedorn sich zwar in einem vorgegebenen hierarchischen Raster, zieht aber eine (durchlässige) Trennlinie ein. Gleiches gilt für die Beurteilung von Handlungen: Von den unterschiedenen Zusammenhängen des Willens und des Verstandes haben wir „meistentheils klare, aufs höchste deutliche, doch nicht ausführliche, am wenigsten aber gantz 103
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Girard Desargues hatte bereits im 17. Jahrhundert den „unendlichen fernen Punkt" in die Geometrie eingeführt, in dem sich Parallelen im Unendlichen schneiden (Störig: Weltgeschichte der Wissenschaft, S.310f.). Wolff: Vernünftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.7. Ebda., S.56,164ff. Ebda., S.102, 246. Ein „klarer" Begriff reicht aus, um etwas wiederzuerkennen (im Unterschied zum „dunklen" Begriff); ein „deutlicher" Begriff erlaubt, die Merkmale auch sprachlich oder gedanklich aufzuzählen (Unterschiede in Geschmack und Geruch z. B. sind nur klar); bei einem „ausführlich" deutlichen Begriff kann man alle Merkmale aufzählen; und wenn bei einem deutlichen Begriff alle Merkmale deutlich vorgestellt werden, dann handelt es sich um einen „vollständig" deutlichen Begriff (Wolff: Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit, S.126ff.; bei Leibniz vgl.: Meditationes de cognitione, veritate et ideis, S.32f.). Die Matrone, 48. St., S.381. Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.99ff.
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vollständige Begriffe".110 Daher läßt Hagedorn aus pragmatischen Erwägungen die Linien sich einander nähern - aber: Von wo aus? Wenn wir Wille („Bewegungs = Grunde und Absichten") und Verstand („Gedancke und Regel") in einer Handlung nicht auseinanderhalten können, wie sollen sie sich dann nähern? Und noch eine Formulierung bleibt kryptisch, nämlich die vorausgegangene Empfehlung für die wenigen, die Handlungen zu beurteilen vermögen: „Dergleichen zweydeutige und dunckele Handlung muste man demnach in ihre Anfangs = Grunde auflösen, und gleichsam nach den ersten Puncten zurück eilen, so dieses gantze, als eine moralische Grösse, deren Theile zusammenhangen, erkennen lehren"." 1 Jedenfalls hatte Leibniz in vergleichbarer Weise die Opazität der vielfältigen Bezüge von Handlungen angemerkt: „Ii y a une infinité de figures et de mouvemens presents et passés qui entrent dans la cause efficiente de mon ecriture presente, et il y a une infinité de petites inclinations et dispositions de mon ame, presentes et passées qui entrent dans la cause finale".112 Auch Hagedorn spricht, seine Erörterung schließend, von ,,Figur[en]" und „Gestallten der menschlichen Handlungen" und deren vielfältigen „Verwandlungen" und „unglaublich veränderlichen Arten".113 Hagedorn betritt zwei Wege, die den Willen (und die unteren Seelenvermögen) zur Geltung bringen: Man kann den Willen in ein hierarchisches Kontinuum einbauen, dann bleibt er teleologisch auf den Verstand bezogen. Oder man kann ihn vom Verstand trennen. Wenn man die Wirkungsästhetik der Betrachtung miteinbezieht, wird deutlich, in welche Richtung die Konzeption zielt: „Reitzend[ ]" ist die Selbstbetrachtung, sie ist ein „Vergnügen", eine „Lust" und ein „Entzücken", aber natürlich auch eine „Pflicht".114 Die fast schon formelhafte Einleitung mit „Vergnügen und Pflicht"115 wiederholt die grundlegende wirkungsästhetische Bestimmung von delectare und (naturrechtlich verordnetem) prodesse, wobei das prodesse durch die Vielzahl der Gegenbegriffe in den Hintergrund gedrängt wird. Zumindest in diesem Punkt akzentuiert der Herausgeber richtig: Er schiebt den „Nutzen" explizit beiseite und will „des Ergötzens allein erwehnen, welche die Untersuchung unserer Selbst mit sich führet".116 Die „Süssigkeit", 110 111 112
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Die Matrone, 48. St., S.382. Die Matrone, 48. St., S.383. „Es gibt unendlich viele Figuren und Bewegungen, gegenwärtige und vergangene, welche die Wirkursache meiner gegenwärtigen Schrift ausmachen, und es sind unendlich viele gegenwärtige und vergangene kleine Neigungen und Dispositionen meiner Seele, die ihre Zweckursache bilden" (Leibniz: Monadologie, 42f.). Die Matrone, 48. St., S.383. Ebda., S.378, 383f. Ebda., S.378. Ebda., S.377.
Wissen und Handeln
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von der der Herausgeber spricht, muß dabei kein sonderlich sinnliches Phänomen sein. Tschirnhaus etwa hatte von der Lust an der Selbsterkenntnis, von der „Süßigkeit" und dem „inneren Ergötzen" gesprochen, das dem asketisch Lebenden zuteil werde." 7 Auf jeden Fall geht es bei Hagedorn weniger um die Wahrheit, als vielmehr um das einfache „Daß" des Selbsterkennens und Selbsterlebens.118 Und auch die Berufung auf Exempel hat hier ihren systematischen Ort: Denn das Exempel bewirkt „anschauende Erkenntnis", keine „figürliche".119 Nun gibt es noch einen zweiten Fall, in dem die Zweiheit von Kontinuität und Diskontinuität greift: im Fall der Religion. Im Rahmen einer zweiten, kürzeren Digression hatte Hagedorn möglichen Einwänden vorgegriffen: Die „natürlichen Tugenden" seien von den „[christlichen" zu unterscheiden. „Fromme[ ] Leute[ ]" seien nicht notwendigerweise einfältig, denn mit Gottes Hilfe, mit einer „besondere[n] Wohlthat" seinerseits, lasse sich „die Gottseeligkeit eines geheiligten Willens mit der hiezu nöthigen Erleuchtung eines geläuterten Verstandes" erlangen.120 Daß Hagedorn die Notwendigkeit sieht, eine Selbstapologie infolge der Trennung von Verstandesfähigkeit und Tugendhaftigkeit einzubauen, muß wohl auf der naheliegenden Verwandlung der Gleichzeitigkeit in ein Bedingungsverhältnis beruhen: Wer tugendhaft ist, ist dumm. Das aber würde bedeuten, daß alle frommen und damit guten Menschen einfältig sind. Bernard Mandeville, über den Hagedorn bei Desmaizeaux immerhin Erkundigungen einholt, weil er ihn seinen „Compatriotes" bekannt machen möchte (B 21), hatte dergleichen nahegelegt: Wissen macht offensichtlich nicht fromm, andernfalls würde man nicht gerade unter den ungebildeten Bevölkerungsgruppen aufrichtige Religiosität finden. Gleiches gilt für die Moralität, auch sie sollte man eher bei niederen Schichten suchen.121 Im übrigen ist eine andere Variante dieser These zu häretischen Zwecken eingesetzt worden, nämlich in der Spinoza-Apologie, die das gute Leben des Philosophen gegen seine schädlichen Schriften ausspielt: Der sogenannte Atheist mag zwar theoretisch falsch liegen, die Rechtschaffenheit seines Lebenswandels berührt das nicht.122 Um diesen ganzen Problemkreis zu umgehen, trennt Hagedorn kurzerhand die „natürlichen Tugenden" von den „[christlichen".123
117 118 119 120 121 122
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Tschirnhaus: Medicina mentis, S.56. Vgl. zu dieser Wende in der Orientierung: Willems: Anschaulichkeit, S.278ff. Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.100. Die Matrone, 48. St., S.381f. Mandeville: Die Bienenfabel, S.253f., 262, 294f. Bayle: Historisches und Critisches Wörterbuch. Bd.IV, S.261. Zum Thema Atheismus und Tugendhaftigkeit vgl. Shaftesbury: An Inquiry Concerning Virtue, or Merit, S.28ff. Die Matrone, 48. St., S.381.
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Am Ende präsentiert Hagedorn jedoch das hierarchische Modell, demzufolge der Mensch eine Art Schwundstufe der göttlichen Vollkommenheit darstellt, so daß gelten kann: „So laß [...] mich [...], O Schöpfer, immer Deine Kraft / An meinen Kräften kennen lernen".124 Man könnte das Verhältnis von Wille und Verstand mit dem von Mensch und Gott vergleichen, beide Paare treffen sich im oben zitierten Schlußpassus in ihrer Ubergänglichkeit: Die Untersuchung der Seele soll dazu führen, daß wir sie besser „begreiffen, mithin deren edelen und wahren Gebrauch, insonderheit aber die unermeßliche Gnade GOttes [...] erlernen". Zugleich gilt es, an der „Verderbniß" der Seelenvermögen die Notwendigkeit zu „Demuht" und zu „Besserung" abzulesen.125 „Begreifen" und „Gebrauchen", „Demuth" und „Besserung" - jeweils verbinden sich Einsicht und Handeln. Dabei haben sowohl die größtmögliche Entfernung Gottes von der Welt als auch die Annäherung beider ihre für das Religionssystem problematischen Implikationen. Während Thomasius die Offenbarung und das „natürliche Licht" wie zwei berührungslose parallele Linien ansieht,126 setzt der Spectator und in seiner Nachfolge der Patriot das approximative Verhältnis von Asymptote und Hyperbel ein: „Die Seele, gegen ihren Schöpffer zu rechnen, ist gleich einer von denjenigen Mathematischen Linien, welche sich einer andern Linie in alle Ewigkeit nähern kann; jedoch ohne alle Möglichkeit, dieselbe jemahls zu berühren".127 Thomasius versucht, das Leben im Diesseits erträglich zu organisieren, der Patriot versucht, die Unsterblichkeit der Seele zu begründen, und zwar unter Umgehung des Sündenfalls. Damit stimmt auch das Spiegelverhältnis überein: So, wie sich die Seele in sinnlichen, wenn auch sehr vergeistigten Bildern spiegelt, so spiegelt sich Gott in der Welt. Thomasius zieht daraus den Schluß, der Mensch müsse nun einmal aufgrund der conditio humana beim „Natürlichen" beginnen, das Ubernatürliche zeige sich ihm bloß in der Reflexion128 - der Herausgeber rückt Hagedorns Ausführungen in diesen Zusammenhang.129 Zudem warnt Thomasius vor der einseitigen Ausbesserung des Verstandes, wie er sie durchgängig in der antiken Philosophie vertreten sieht.130 Die Spiegelbildlichkeit, die in Hagedorns Werk in den religiösen Gedichten und im poetischen Prinzip der Verdoppelung eine für ein allegorisches Interesse problematische Rolle spielt (vgl. Kap. 5.1 u. 6), ist im Matronen124 125 126 127
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Ebda., S.384. Vgl. zum theologischen Programm: Leibniz: Die Theodizee, z. B. S.9, 75. Die Matrone, 48. St., S.384. Thomasius: Vorrede von der Historie des Rechts der Natur bis auf Grotium, S.3. Der Patriot. II. Bd., S.383. Das Stück ist eine Übersetzung aus dem Spectator (No. I l l , S.169f.). Thomasius: Vorrede von der Historie des Rechts der Natur bis auf Grotium, S.4. Die Matrone, 48. St., S.377. Thomasius: Vorrede von der Historie des Rechts der Natur bis auf Grotium, S.5f.
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Aufsatz Zeichen der Selbstverwiesenheit von Immanenz. Die Welt vertritt zunächst keinen „Spiegel" Gottes, sondern einen Spiegel der menschlichen Seele. Es geht damit weniger um die Kompetenz, einen geistigen Sinn der Dinge zu entziffern, als vielmehr um die Fähigkeit des „Witzes", der dazu in der Lage ist, die „Ähnlichkeiten in Dingen" zu finden. Erst ganz am Ende ist bei Hagedorn von der aus der Korruption der Seelenvermögen entspringenden „Demuht" die Rede und zugleich vom Spiegelverhältnis von Mensch und Gott. 131 Beim Herausgeber wird der Sündenfall beinahe zum Glücksfall. Denn die Notwendigkeit, den (Um-)Weg über die Sinne nehmen und einen Begriff von sich selbst über Analogiebildung mit „Gleichheiten, welche ihr die äusserlichen Sinne an die Hand geben", formieren zu müssen, führe zur Vermehrung der „Süssigkeit", wenn die Seele „erweget, daß sie sich im Stande ihrer Unvollkommenheit gleichwohl geschickt findet, einiger massen ordentlich von sich und ihren Kräfften, samt dieser beyden Verhältnisse zusammen, zu urtheilen". 132 In der „Selbst=Erkenntniß" als „Anfang unserer Selbst=Verbesserung" sei die Seele „unschuldig vergnügter, ich will fast sagen halb entzückter" als bei anderen „Beschäfftigung[en]". Daß die „Unschuld" der Erörterung sich in Grenzen hält, läßt jedoch die abschließende Anmerkung vermuten: „Vorläuffig aber sehe ich mich gezwungen, zu erinnern, daß [...] alles das, was in demselben („Aufsatz", S. M.) auf einen Sinn gedeutet werden könnte, der den Grund=Sätzen unserer H. Religion zuwider schiene, so gut, als nicht geschrieben, seyn solte". 133 Wie bei den Überlegungen zum Vergnügen an tragischen Gegenständen führt die Betrachtung der Seele zur Reflexion auf den Wahrnehmungsakt selbst.134 Man erlebt sich selbst und empfindet dabei „Lust" oder eben „Freude". Wichtig ist, daß das Modell variabel zwischen Sinnlichkeit und Verstand wechseln kann, daß man sich also nicht endgültig zwischen den beiden Orientierungen entscheiden muß. Hagedorn spricht dem Willen, dem Handeln und dem Gefühl eine eigenständige Bedeutung zu; er verbindet das mit einer Verhältnisbestimmung des Menschen gegenüber Gott; und er zeigt eine progressive Perspektive auf, die das Vergnügen an der Selbstbeobachtung intellektualisiert, zugleich aber den Intellekt vom Imperativ der Wahrheit auf die „Freude" umlenkt. Die Bewegung der Betrachtung selbst trägt der Verschiebung von der Wahrheit zur Freude Rechnung: Hagedorn kommt nicht eigentlich zu einem argumentativen, theoretisch oder prak-
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Die Matrone, 48. St., S.384. Ebda., S.377. Ebda., S.378. Vgl. in systematischer und literaturgeschichtlicher Hinsicht: Willems: Anschaulichkeit, S.278ff.
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
tisch brauchbaren Resultat; er scheint vielmehr die Lust an der Selbsterkenntnis in Theorieelemente und Bilder umzugießen, deren Bewegung zum Selbstzweck wird. Mit anderen Worten: Hagedorn schreibt der „Betrachtung" eine Theorie der Gelehrsamkeit ein, die er an anderen Stellen explizit macht. Anfänge II: Galanterie und Pedanterie - Hagedorn als Patriot Hagedorn ist ein gelehrter Autor. Das belegen nicht nur die Allusionen in seinem theoretischen Beitrag zur Matrone, sondern auch und nicht zuletzt die Anmerkungsapparate seiner Gedichtsammlungen, in denen, ob ironisch oder nicht, auch die entlegensten Gebiete polyhistorischer Belesenheit auftauchen. Daher muß Hagedorn sich mit zwei Entwicklungen auseinandersetzen: zum einen mit den Veränderungen im Begriff der Gelehrsamkeit selbst, zum zweiten mit der Trennung von Gelehrsamkeit und Poesie. Im einen Fall entsteht der sich auf Wahrheit transparent machende Wissenschaftler, im anderen der sich mit seinem Werk bis zur Opazität verbindende Autor. In der Wissenschaftsgeschichte unterstützt die biographische Beglaubigung ein Autormodell, das sich genau umgekehrt zu demjenigen in der Poesie verhält. Die Gelehrsamkeit schaltet von der autoritätsbeglaubigten Tradition personal gebundenen Wissens auf gleichsam reines Wissen um, das für sich selbst bürgt, die Poesie hingegen entdeckt den Autor, der ihre Qualität sichert, und bewahrt ihn auch über die autopoietische Wende hinweg.135 In der Poesie sichert der Autor die Besonderheit des Werks, die Wissenschaft, die auf Allgemeinheit abzielt, umgeht ihn. Aber auch in der Poesie muß der Autor sich durchsichtig machen, um die Literatur als Literatur zur Geltung zu bringen, und in der Wissenschaft stehen Autoren für bestimmte Formen von Wissenschaftlichkeit.136 Dies sind die Möglichkeiten, die in poetischen und wissenschaftlichen Autormodellen aktualisierbar sind und z. B. als Renommee sowohl in Form wissenschaftlicher Objektivität als auch in Form literarischer Subjektivität übersetzbar sind und für Qualität bürgen.137 135
„Die Wahrheit nemlich ist keinem Schriftsteller eigen. Sie gehört allen Geistern, die sie einsehen, gleich eigenthümlich zu" (Gottsched: Erste Gründe Der Gesamten Weltweisheit [1733], unpag. (Vorrede); vgl. auch ders.: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.22). Plumpe sieht in der Funktion des Autors ein strategisches Manöver, um die Tautologie des selbstreferentiellen Literatursystems wieder produktiv zu machen (Kunst ist Kunst); vgl. weiterhin: Foucault: Was ist ein Autor? S.18f.
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Vgl. zu Newton: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.687ff.; Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.100,143f.
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Luhmann akzentuiert die Entstehung wissenschaftlicher Autorschaft anders, indem er das autoritätsgebundene Wissensmodell gegen die Ausbildung von Autorschaft ausspielt und eine Geschichte des „Reputationscodes" schreibt, die die Bindung von Wissen an lebende Autoren und nicht mehr nur an „quasi-allegorische Benennungen" erlaubt (Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.248f.), wobei auch Luhmann die Schwierigkeit benennt, daß
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A n d e r s formuliert: H a g e d o r n darf sich zwar nicht ohne B ü c h e r portraitieren lassen (vgl. Kap. 3), aber zu viele B ü c h e r brächten ihn in ikonographische N ä h e z u m Polyhistor, u n d der m u ß sich davor hüten, unter seinen B ü c h e r n begraben zu werden. 1 3 8 H a g e d o r n m a c h t sich als Leser nicht zu einer bloßen Durchgangsstation v o n Wissen, sondern entlastet sich v o n der Wissensfülle u n d den Komplikationen des gelehrten Betriebs, indem er sein individuelles Interesse in den V o r d e r g r u n d stellt: Vielmehr habe ich es oft für eine nicht geringe Glückseligkeit gehalten, daß es niemals mein Beruf gewesen ist, noch seyn können, ein Gelehrter zu heissen [...]. Dafür habe ich die beruhigende Erlaubniß, bey den Spaltungen und Fehden der Gelehrten nichts zu entscheiden. Meine müßigen Stunden gemessen der erwünschten Freyheit, mich in den Wissenschaften nur mit dem zu beschäfftigen, was mir schön, angenehm und betrachtungswürdig ist. {Schreiben an einen Freund. 1752, Wl, XXI) In der Trias ingenium
- indicium
- memoria
nähert sich das indicium
dem
„ G e s c h m a c k " u n d markiert geistige und sinnliche Affinität („schön, angen e h m u n d betrachtungswürdig"). Die memoria,
die die F r ü h a u f k l ä r u n g un-
t e r d e m E i n d r u c k eines neuen Wissenschaftsverständnisses zugunsten v o n ingenium
und indicium
zurückdrängt 1 3 9 , spielt dementsprechend konzeptio-
nell 140 eine untergeordnete Rolle 1 4 1 : Mein Gedächtniß, ich will es gerne gestehen, ist zuweilen zerstreut, eigensinnig, und, wie das Gedächtniß vieler, die wir kennen, etwas wetterläunisch. Oft leidet es unter der Bürde anderer Gedanken, die nichts weniger als poetisch oder critisch sind. (Wl, XXII) Die „ F r e y h e i t " v o n der Gelehrsamkeit nutzt H a g e d o r n z u r
Imagination
eines idealen Lebens, das sich auf die eigene Perfektionierung M a n m u ß sich zwischen persönlicher u n d poetischer
ausrichtet.
Vervollkommnung
z w a r entscheiden, beide zweigen aber v o n einem Diskursstrang ab:
138 139
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141
„Kommunikation über Reputation [...] mit gewissen Legitimationsschwierigkeiten" zu rechnen hat und „nur mehr oder weniger verklausuliert erfolgen" kann (ebda., S.251); in diesem Sinn auch Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S.19. Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S.49f. Beetz: Rhetorische Logik, S.148ff. Vgl. in diesem Sinn zu Hobbes: Wl, XX; dazu entsprechend Stolle: Anleitung Zur Historie der Gelahrheit, S.414. Vgl. dazu Kap. 4.2. Tatsächlich stellt die exklusive Gelehrsamkeit hohe Anforderungen an die memorativen Fähigkeiten. Schultheiß muß Hagedorn jedenfalls gegen die Forderungen verteidigen, er solle anstelle der vielen erlesenen „Allusionen" doch bekannte Exempel verwenden: Hagedorn: Schreiben an einen Freund. In: Die neuesten Sammlungen vermischter Schriften, S.194. Die Abwehr der Bezeichnung „Gelehrter" hängt mit diesem wissenschaftsgeschichtlichen Prozeß zusammen, so bei Thomasius und Lessing (Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.374, 743).
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
Meiner Dichterey ist, wie ich mir schmeichle, nicht nachtheilig, daß ich, um weniger unwissend zu seyn, die besten Muster der Alten und Neuern mir täglich bekannter mache, obwohl ich dadurch weit mehr suche, gebessert, klüger, oder auch, zu Zeiten, aufgeräumter, als sinnreich und dichterisch zu werden. (Wl, XXIf.)
Die unsichere Ausgangslage führt insbesondere in Hagedorns Frühwerk zu einem versatilen Umgang mit bestehenden Angeboten und einem tastenden Suchen nach Lösungsmöglichkeiten. Aber auch gegen Ende seiner dichterischen Laufbahn sieht Hagedorn sich immer größerem Druck auf seine eher traditionelle Position ausgesetzt und entwickelt unter diesem Druck eine rege Deutungsarbeit, um sein Werk zeitgemäß erscheinen zu lassen. Hagedorn erhält seine Ausbildung an Institutionen, die die Form von Gelehrsamkeit auf avancierte Weise diskutieren: am Akademischen Gymnasium in Hamburg142 und an der Universität Jena (vgl. Kap. 1.3). An beiden Bildungsstationen geben Thomasianer den Ton an143, so daß man die Einordnung Hagedorns durch Schlegel, Kästner oder Gärtner als „Vollender zahlreicher Bestrebungen im Gefolge des Thomasius"144 auch als Reflex auf die frühe Phase von Hagedorns intellektueller Sozialisation lesen kann. Schon das Jurastudium verschränkt an einer thomasianisch ausgerichteten Universität Gelehrsamkeit und „politische" Ausbildung.145 Dabei studiert Hagedorn in Jena genau in der Zeit, als sich der thomasianische E k l e k t i zismus, der von einem anthropologischen und empiristischen Ausgangspunkt das historisch perspektivierte Wissen auf die Glückseligkeit des Menschen ausrichtet, mit dem Wolffianismus, seinen Purifizierungen und Vereinheitlichungen, auseinandersetzen muß.146 Das herausragende intellektuelle Ereignis in Hagedorns Studienzeit ist dementsprechend die Begegnung mit dem Wolffianismus (vgl. auch EschlV, 81). Auf der Universität erlebt Hagedorn den Siegeszug des neuen „Lichts" unter den Studenten mit,147 das durch den erbitterten Widerstand der thoma142
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Noch aus dem Jahr 1742 ist ein Brief Hagedorns überliefert, indem er sich wegen eines Buches an Wolf wendet (21. 3. 1742; Β 75). Vgl. insbesondere den Beitrag von Fabricius zur Gelehrsamkeit im Patrioten (Bd. I, S.329ff.). Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.249f.; Rathje: Gelehrtenschulen, Gelehrte, Gelehrtenzirkel und Hamburgs geistiges Leben im frühen 18. Jahrhundert. Hagedorns Lehrer gehören dem 'thomasianischen' Verfassergremium des Patrioten an (Fischer: Patrioten und Ketzermacher, S.46; Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.298ff.; Winter: „Leide, meide und hoffe nach Vorschrift der Vernunft", S.140; Whaley: Religiöse Toleranz und sozialer Wandel, S.233f.). Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.55. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.401. Vgl. zur dieser Umbruchzeit: Wundt: Die Philosophie an der Universität Jena, S.65ff., speziell zu Syrbius, bei dem Hagedorn eine Zeitlang wohnt: ebda., S.71ff. Vgl. zur Lichtmetaphorik, die den Siegeszug des Wolffianismus begleitet: Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum, S.94, 96.
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sianischen D o z e n t e n an Leuchtkraft gewinnt (wie nahe auch i m m e r sich beide Parteien in der Sache gewesen sein mögen) 1 4 8 . N i c h t n u r also erhält der junge Jurastudent Anschauungsunterricht in Sachen S t u t z e r t u m , w o b e i er für seine frühe Galanteriesatire keinen einzigen der J e n a e r petits gesehen haben m u ß , denn bereits i m Patrioten
maîtres
sind die J e n a e r Studenten
L e g e n d e " 9 . A u c h die A b g r ü n d e gelehrter Pasquille öffnen sich v o r ihm 1 5 0 : Buddeus hatte s c h o n 1725 ein G u t a c h t e n v o n Syrbius gegen den Wolffianismus e r w i r k t (vgl. K a p . 1.3), das bewußt wissenschaftspolitisch, nicht aber philosophisch argumentierte. 1 5 1 E s k o m m t zu Studententumulten, u n d die L o s u n g „ Vivat Wolff, pereat L a n g e " - Lange hatte sich m i t K r i t i k a m wolffianischen Z e n t r u m J e n a in den Streit eingeschaltet 1 5 2 - w i r d zur R e d e w e n d u n g unter den Studenten, w o h l wissend, daß in den E x a m i n a das „Vivat Lange, pereat W o l f f " zu exponieren w a r . Die v o n H a g e d o r n herausgestellte U n p a r teilichkeit in den Streitigkeiten der „Gelehrten" ist nicht n u r weise, sondern auch klug: 1 5 3 Ein Kluger sieht auf Ort und Zeit, Aus Vorsicht, daß man ihn nicht fange. Er ruft mit gleicher Fertigkeit: Es lebe Wolf! Es lebe Lange! (.Die Fledermaus und die zwo Wiesel-, W2,20) H a g e d o r n tastet sich unter diesen U m s t ä n d e n strategisch offener W a h l m ö g lichkeit wieder an zwei Linien entlang, einer vertikalen u n d einer horizonta-
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Geschichte der Universität Jena, S.202f. Der Patriot. Bd. Π, S.38f. Vgl. dazu auch: Geschichte der Universität Jena, S.211ff. „Die Wolfische Philosophie ist der vornehmste Glanz, der den sonst einigermaßen dunklen Zustand der Jenischen Akademie lichte macht. Die meisten Studirenden, denen die res angusta domi nicht das Speichellecken anbefiehlt, sind von der demonstrativen Gewißheit des Wolfischen Systems äusserst eingenommen. Und ob zwar Dr. Buddeus bei den Höfen alles anwendet, diese Sekte zu stürzen, sich auch alle mühsam ersonnenen Wege zu gehen so wenig, als sein Schwiegersohn, der Dr. Walch, verdrießen läßt, und mein tiefsinniger Herr Wirth, der Prof. Syrbius, gratis und publice gegen die Wolfische Metaphysik, wiewohl oft in solitudine erudita und mit sehr lockrer Frequenz zu lesen forfährt; so kann doch alle Mühe den Beifall der Wolfianer nicht schwächen, und alles Beten und Kopfhängen hilft nichts. — Die Wolfische Philosophie gleicht der Kriegsfahne, worüber der Italiener Bartoli die Worte setzte: Quanto più lacera, tanto più bella" (an Weichmann, 23. 9. 1727; Β 8). Gegenüber Richey hatte Hagedorn Syrbius noch zum furchtbaren Gegner der Wolffianer erklärt (11. 5. 1726; Β 2). Vgl. hierzu und zum folgenden: Geschichte der Universität Jena, S.202ff. Vgl. zu Langes Gegnerschaft gegen den Wolffianismus: Finze: Empfindung, Vergnügen und Arkadien bei Johann August Unzer, S.3ff. Wolff stellt immer wieder heraus, daß er sich nicht auf Polemiken einlassen will. Diese Selbstdarstellung wird akzeptiert, ζ. B. in der mit der Jenaer Diskussion verbundenen Auseinandersetzung in Halle: Stolle: Anleitung Zur Historie der Gelahrheit, S.479ff.
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len, die sich zwischen den Polen Galanterie/Adel/Jugend auf der einen sowie Pedanterie/Gelehrtentum/Alter auf der anderen Seite spannen. In der Mitte konturiert sich dann der „Weise", der sich ebensoweit von bloßer Praxisorientierung wie von bloßer Belesenheit, von jugendlicher Unbedarftheit wie von altersstarrer Verknöcherung, von adliger Hofkabale wie von gelehrer Pasquille entfernt (vgl. auch Kap. 2.4). Wenn Hagedorn in der Satyre vom unvernünftigen Bewundern den „Stutzer" Cleante sagen läßt JÄa foi, ich bin galant. Ein Schul=Fuchs werd' ich nicht" (VeG 55) und den Weisen wiederum gegen Cleante profiliert, dann spiegelt das genau die genannte historische Formation wider. Die Diskussion um Galanterie und Pedanterie bestimmt das Verhältnis von Handeln und Wissen, wobei man schnell ausdiskutiert hätte, wäre die Galanterie nicht von Thomasius als Form des Wissens propagiert worden.154 So aber kann einerseits der Praxisbezug von Wissen Kriterium von Gelehrsamkeit sein (Pedanteriekritik), andererseits unterliegt die Praxis dem Primat vernünftiger Strukturierbarkeit (Galanteriekritik).155 Der Pedant und der Galante repräsentieren die beiden Extreme der Gelehrsamkeitsdiskussion.156 Der Gelehrte sieht sich sowohl von seiten der höfischen Gesellschaft als auch (und gerade in Hamburg) von seiten des kaufmännischen, ökonomisch aufstrebenden Bürgertums in die Pflicht genommen.157 Hagedorn schreibt sich mit seinen Beiträgen im 111. Stück des Patrioten in die Diskursordnung der Hamburger Aufklärungszirkel ein erstes Mal ein. Daß es dabei auch um Normerfüllung geht, macht Hagedorn schon durch Verweise auf andere, vorbildliche Beiträge deutlich (P 53f.).158 Die beiden Briefe, einmal eine parataktische Reihung moralischer Charaktere, das andere Mal ein sich selbst entlarvendes alamodisches Schreiben, bleiben im Rahmen des in Moralischen Wochenschriften Üblichen. 15 ' Das Verbindungsglied 154 155 156
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Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.45ff. Vgl. zur Kritik an der galanten Gelehrsamkeit: Der Patriot. Bd. ΙΠ, S.267ff. Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.358ff.; Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.436, 741; Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S.45ff. Vgl. auch die Entgegensetzung von „galant" und „schulfüchsig" in: Art. Galanterie. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.l076ff.; Art. Galantismus. In: ebda., Sp.l079f. Vgl. auch: Die Vernünftigen Tadlerinnen, 10. St., S.73ff. Das Stück geht von der allgemeinen Verwendbarkeit des Begriffs aus, so daß man von einem „galanten Ragout" ebenso wie von einem „galanten Westphälischen Schincken" reden kann, und übersetzt dann „galant homme" mit „artiger Mensch" (ebda., S.73f.), wobei die artigen Menschen sich in ihrer Schilderung freilich als äußerst unartig erweisen, u. a. im Sinn der von Hagedorn im Patrioten geschilderten Charaktere. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.356f. Vgl. Der Patriot. Bd. IV, S.361. Vgl. zur Funktion der Brieftypen: Martens: Die Botschaft der Tugend, S.153f., 156. Vgl. zur Gelehrtenkritik in den Moralischen Wochenschriften: ebda., S.420ff.
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bildet das Thema der „ERUDITION GALANTE" und im Hintergrund die Frage nach dem richtigen Begriff vom „wahren Vergnügen und der rechten Ehre" (P 58). Beide „Briefe schicken sich sehr gut zusammen" (P 52), wie die Herausgebereinleitung betont. Bemerkenswert ist nun, daß Hagedorn die Verhaltensweisen des Galanten selbstwidersprüchlich machen muß, um sie kritisieren zu können. D a Anthropologie und Moralphilosophie der Aufklärung sich zunächst an der „Oberschichtensemantik" orientieren, 160 sucht die Galanteriekritik zunächst nach 'galanten' Verkehrungen an sich guter oder zumindest normativ neutraler Handlungen zum Schlechten. Der Hauptvorwurf lautet: Der Galante unterscheidet nicht oder nicht ordnungsgemäß zwischen Neben- und Hauptstunden, und das, was man als Nebenstundentätigkeit bei ihm identifizieren kann, entspricht nicht den selbstregulatorischen Standards, an denen der Patriot oder die Frühaufklärung insgesamt arbeiten. Der Briefschreiber Sottenville charakterisiert sich selbst: „Ich arbeite niemahls, und bin immer beschäfftiget. Mein natürlicher Verstand lehret mich alle SCIENCES; Die Grillen=Fängerey ist nimmer mein FAIT gewesen [...]" (P 59). Daß hier Kritik geübt wird, macht natürlich bereits die alamodische Formulierung in einer von Mitgliedern einer Sprachgesellschaft herausgegebenen Wochenschrift deutlich.161 Allerdings muß Hagedorn explizit auf die sprachlichen Verfahren aufmerksam machen (P 59) - immerhin gehört diese Sprachmischung auch für Hagedorn zum stilistischen Repertoire (ζ. B. Β 46). Die „Grillen=Fängerey" verweist bei gleichzeitigem Interesse an den „Sciences" jedenfalls auf die Kritik an der unnützen Gelehrsamkeit, der „natürliche Verstand" auf die Wertschätzung inventioneller Originalität. 162 Auf der einen Seite also taugt die nonverbale Gelehrsamkeit wenig. Auf der anderen Seite steht der gleiche Typus gerade für die Verbalgelehrsamkeit. So heißt es über Biondinello: Dieser „wüste[ ] Verstand[ ]" enthält nur Worte, keine Sachen (P 54). Hagedorn stellt seine Figuren auf die Grenze zwischen Realiengelehrsamkeit und „judiziöse[m] Paradigma". 163 Der „natürliche[ ] Verstand" und die „LOGIQUE NATURELLE" führen nicht weit (P 59f.), sie müssen bearbeitet werden. „Erfahrung" ist nicht gleich „Erfahrung" und „Belesenheit" nicht gleich „Belesenheit", so wie es eine richtige und eine
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Luhmann: Interaktion in Oberschichten. Vgl. zum Übergang von der Galanterie zur Frühaufklärung: Voßkamp: Das Ideal des Galanten bei Christian Friedrich Hunold. Vgl. zur Alamode-Kritik im Patrioten·. Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung, S.39Í. Eines der Werke von Sotenville heißt: „LOGIQUE NATURELLE, von der Kunst zu reden, ohne was zu sagen oder zu dencken" (P 60). Vgl. zum Begriff: Wolff: Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit, S.245. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.438.
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falsche „Freude" gibt. Erneut stellen sich also die Schwierigkeiten einer Zwei-Fronten-Verteidigung.164 Zu Beginn des ersten Exempels deutet Hagedorn auf den kritischen Punkt: Biondinello nütze seine Zeit nicht richtig aus, sondern verbringe sie mit „läppischen Bemühungen", „vertänd[le]" sie „in Ausübung seiner vielwissenden Wollust".165 Er ist daher ein „wollüstige[r] Müssiggänger",166 dessen Widernatürlichkeit sich in diversen Paradoxien und Verkehrungen manifestieren muß: Der Schlaf ermüdet,167 Speisen und Getränke sind „verfälscht[ ]", Körperbewegungen „gezwungen",168 Arien hört man nur „halb", und selbst die intellektuellen Charakteristika des Galanten, „Klugheit" und „Nachdenken", richten sich bloß auf den „Gold=Drat seiner Strumpf=Zwickel" und auf das „künstliche Gewebe seiner Haar=Locken" (P 53f.). Aber Weingenuß und eine gute Mahlzeit, Musik, Nachdenken und Klugheit sind für sich genommen keine negativen Begriffe im Kontext des Patrioten. Dem Patrioten und Hagedorn muß am Galanten sympathisch sein, daß dieser sich in der Welt einzurichten versucht, daß also der Unterschied von richtig und falsch nicht den Unterschied von Himmel und Erde, sondern einen Unterschied in der Welt selbst bezeichnet. Die irdischen Vorkommnisse sind dann aber zunächst neutral und ordnen sich nicht wie von selbst in einer moralischen Hierarchie. Es gibt eine Fülle von Einteilungsmöglichkeiten, ζ. B. die Trennung von Laetitia, Gaudium, Hilaritas oder von Freude, Fröhlichkeit, Freudigkeit etc. (vgl. Kap. 2 und 2.1). Hinzu kommt, daß 164
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Zedlers Universal Lexikon, (Art. Galant, Bd.10 [1735], Sp.78f.) unterscheidet zwischen einer „guten" und einer „bösen" Bedeutung von „galant". Ebenso differenziert Walch zwischen einer „Schein-,, und einer „wahre[n] Galanterie" (An. Galanterie. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.1076). Vgl. zur ambivalenten Beurteilung von Galanterie: Martens: Die Botschaft der Tugend, S.354ff. List (Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur, S.13) verweist auf Tacitus, der über den auch von Hagedorn als Exempel angeführten Petronius schreibt: „utque alios industria, ita hunc ignavia ad famam protulerat, habebaturque non ganeo et profligator, ut plerique sua haurientium, sed erudito luxu" (Hervorhebung S. M.) („Dabei galt er aber nicht für einen gewöhnlichen Schlemmer und Verschwender wie die meisten, die ihr Vermögen vergeudeten, sondern für einen Meister des verfeinerten Wohllebens". Tacitus: Annalen, S.829ff. - Lib XVI18). Vgl. zum Zusammenhang von Wollust und Müßiggang als Teil der Hofkritik: Kiesel: 'Bei Hof, bei Holl', S.204. Vgl. zur Verlängerung der Wachzeiten durch Orientierung am Adel und der Kritik daran: Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit, S.259; Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.323. Vgl. zu den Topoi des Nachtschwärmers und der denaturierten Speisen als Motiv der laus ruris: Enenkel: Kommentar, S.280f. Vgl. zur Rezeption der acfio-Lehre in der Aufklärung (zwischen Ablehnung als höfisches Affektieren und Beobachten als natürliche Körpersprache): Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.233ff.
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man nach einer allgemeinverbindlichen Handlungsanweisung sucht, daß man sich also nicht mehr an einer Oberschicht orientieren will (zumindest nicht offensichtlich). Die „ H E U R E S D ' A M U S E M E N T " von Sotenville ( P 59), in denen er seine skurrilen Werke über „ L I M O N A D E S , O R S A D E S & R A F F R A I C H I S S E M E N S " oder über die „ P R A T I Q U E D E S B A I S E R S " verfaßt ( P 6 0 ) ' " , sind eben falsch eingerichtete Nebenstunden. Es gilt also, einen von der Galanterie, und das heißt hier: vom Adel (P 52), besetzten Begriff neu zu definieren. Dabei sind die Ubergänge von Adelskritik zu Moralkritik fließend.170 Bei Hagedorn steht beides unverbunden nebeneinander: In der Einleitung durch den Patrioten geht es um den „junge[n] Teutsche[n] Adel" (P 52), in der Satire selbst um die Jugend.171 Man verlegt sozusagen die gesellschaftliche Hierarchie in die Biographie. Jugend und Adel fungieren als unentwikkelte, nichtreflexive und -reflektierte Ausgangspunkte. Die Jugend ersetzt als ein Extrem in der Alterslehre die gesellschaftliche Spitzenposition.172 Für das biographische Fundament des Patrioten ist es symptomatisch, daß das reife Alter der Titelfigur als Steigerung im Sinne der individuellen Vervollkommnung gilt.173 Die sich aus diesen Verschachtelungen ergebenden Probleme betreffen auch die Satire als Gattung: Die Satire sollte - so heißt es in der Einleitung „gefallen", und der „junge Teutsche Adel" sollte sich in den Exempeln „spiegeln" (P 52). Beides macht Biondinellos Selbstbewunderung aus: Er gefällt sich im Spiegel.174 Der Spiegel ist für den Galanten der antizipierte Blick des Anderen, der die Beobachtung durch Gott ablöst und an seine Stelle die Gesellschaft setzt175 - ein Programm, das auch der Patriot verfolgt und wofür er von kirchlicher Seite im Flugschriftenstreit vehement kritisiert
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Die Titulierung „nach der Mode" ist ein Spezifikum des „Galantismus" (Art. Galantismus. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.l079f.). Hagedorn karikiert an dieser Stelle die höfischen Modegetränke (vgl. dazu: Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, insbesondere S.96ff.).
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Barner: Barockrhetorik, S.123; Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung, S.40; Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S.ll, 85ff. „Ich schliesse, nachdem ich einige der Jugend eigene Laster entdecken wollen [...]" (P 57f.). Die Jugend neigt hinsichtlich jeden Temperaments zum Extrem: Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.83. Vgl. z. B. Der Patriot. Bd.I, S.168ff. Wernicke zu den „Satyrischen Uberschrifften": „Wannenhero diejenige, die hierinnen unverhofft ihr eigen Bildnüss finden solten, sich festiglich versichern können: dass sie es nicht wie in einem Gemäbld, sondern nur als in einem Spiegel zu Gesicht bekommen, und aus dieser Ursache keinen Zorn wieder den Werckmeister fassen [...]" (Wernicke: Epigramme, S.118). Vgl. zum Spiegel: Geitner: Die Sprache der Verstellung, S.98ff.
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wird.176 Die Blickordnung der unbestimmten Adressaten, denen die Satire gefallen soll, unterscheidet sich von den höfischen Beobachtungsverhältnissen (die nun als Eitelkeit ausgelegt werden). Der Adressat selbst spielt, wie das Gewissen (s. u.), die Rolle eines unbeobachteten Beobachters. Noch an einer weiteren Stelle nimmt das Stück ex negativo Bezug auf die Satire, nämlich in der Darstellung des pasquillanten Verhaltens von Nasidenius.177 Nasidenius stellt den Typus des späterhin in der Poetologie der Freude perhorreszierten „Splitter = Richters" dar, der keine produktive Kritik, sondern nur „boshafteste[ ] Schmähungen" vorbringt, die auf seine superbia, die fehlende Selbsterkenntnis, verweisen (P 54f.).178 Der Patriot präsentiert im Gegensatz dazu - aufs decorum bedacht - eine „artige Satyre" (Ρ 52). Auf der Rückseite der satirischen Darstellung steht der Patriot, man kann nicht zugleich die Satire lesen und den Patrioten sehen, weil man ja selbst in die Position des Patrioten gebracht werden soll. Ebenso unbestimmt wie vertraut erscheint er bei Hagedorn nur nebenbei im Begriff des „Kenners", der wie in der Ode An die Freude einen variabel interpretierbaren Begriff 'richtig' akzentuiert: „Kluge Kenner ehren indessen seinen (Nasidenius', S. M.) Stand; scheuen aber seine beglückten Laster, indem sie diesen geehrten Verläumder für den besten Prahler, aber schlechtesten Bürger, halten" (P 55). Das Extrem des galanten Pasquillanten wird vom Kenner auf ein sozialverträgliches Mittelmaß gebracht. Der Weise sitzt in der Mitte und beobachtet. Hagedorn entziffert das Verhalten Biondinellos mit den aufgeklärten Mitteln des politicus. Viele Werke in Sotenvilles Bibliothek handeln von der eloquentia corporis, und Hagedorn liefert „Abbildungen der Gemühter" (P 53). Zunächst besteht nur ein feiner Unterschied zwischen Körper- und Gemütsbetrachtung, denn Hagedorn führt Verhaltenslektüren vor.179 Aber vor dem Hintergrund der weiteren Werkentwicklung gewinnt diese Differenz symptomatische Bedeutung. Wie der Höfling achtet Hagedorn jedenfalls in seinen /kírzoí-Satiren auf die Haltung der modischen Accessoires und
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Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.277. Vgl. zum Typus: Horaz, Sat. 2, 8. Der Wollüstige (ζ. B. Biondinello) und der Ehrgeizige (ζ. B. Nasidenius) sind die beiden Typen „falscher" Galanterie (Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung, S.35). Vgl. zur narrativen Gestaltung des Tagesablaufs von Biondinello Martens in: Der Patriot. Bd. IV, S.359. Vielleicht nähert Hagedorn sich damit der moralischen Erzählung, er kann aber auch auf Techniken des politischen, seinen Gegenstand beim Handeln observierenden Beobachtens zurückgreifen, um Unstimmigkeiten festzustellen. Gegenüber dem stillgestellten Augenblick des aufklärerischen Familiengemäldes bleibt der politische Blick machtlos (Geitner: Die Sprache der Verstellung, S.45, 168; vgl. zur Vorgeschichte in der Tradition der Physiognomik: Campe: Zufälle im physiognomischen Urteil, insbesondere S.134ff.).
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auf die Bewegungen des Körpers.180 Und wie die politische Achtsamkeit auf das decorum Simulation und Dissimulation an der Selbstwidersprüchlichkeit im scheinbar unbeobachteten Moment entdeckt, so sucht auch Hagedorn die actio auf Inkonsistenzen ab. Die „Demuht" und die „Höflichkeit" von Philodoxus entlarven sich durch physiognomische Beobachtungen und temperamententheoretische Überlegungen als „Hoffahrt" und „Selbst=Liebe": „Seine Augen sind von Natur wässerig, dunckel und träge, und zeugen von der Trägheit seines Verstandes, die gleichwohl mit einer heimlichen Ruhm=Begierde begleitet ist" (P 56). Dabei verfolgt Hagedorn seine Objekte bis in ihre Wohnungen, betrachtet sie also im noch unverstellten Moment. In der Allegorisierung des Alltäglichen zum Exemplarischen erfüllt sich das Projekt des Patrioten, der alles sieht und alles hört und dessen Ziel darin besteht, daß sich seine Leser in jedem Augenblick selbst beobachten. 181 Fortschritt in der Psychogenese bedeutet auch hier Verallgemeinerung der Selbstkontrolle, die Herausbildung eines stabilen Gewissens - danach kann man sich der „Freude" hingeben.182 Das 'wahre' Vergnügen des Nebenstundenpoeten verknüpft sich mit seiner Selbstkontrolle und legitimiert sich selbst durch die Dauer eines Tages oder eines Lebens, durch die weitblickende Verwendung von Zeit (vgl. Kap. 3.2). Bereits dem Galanten waren - wie Hagedorn bemerkt - die „Gewohnheiten]" zur „andern Natur" geworden. Das entspricht den Vorstellungen galanter Verhaltenslehren, die das Natürliche als Unauffälligkeit der Kunst definieren, in Gesellschaft zu gefallen. Die Natur der Frühaufklärung dient hingegen dem Erhalt von Glückseligkeit, Gesundheit und Leben183 und blendet dabei die Mechanismen des gesellschaftlichen Getriebes, also von Fremdbeobachtung, aus.184 Die natura der Galanten orientiert sich am decorum, dem mit einer natürlich wirkenden Kunst zu entsprechen ist. Hagedorn konstatiert ebenfalls Verstöße gegen ein decorum, das aber nicht nur im Ungekünstelten, sondern tendenziell im Unkünstlichen schlechthin, im Identitätsprinzip, seine N o r m hat.185 Daß schon die Galanten der Natur
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Vgl. ζ. B. den Ausschnitt aus Antonio de Guevaras Institutiones vitae aulicae in: Die Kunst des Gesprächs, S.121. Ζ. B. Der Patriot. Bd.I, S.5f. Zur Sozialdisziplinierung des Patrioten vgl.: Winter: „Leide, meide und hoffe nach der Vorschrift der Vernunft". Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Erster Theil, S.S2 (XVIII. Disc.). Beetz: Negative Kontinuität; ders.: Komplimentierverhalten im Barock. Vgl. zum galanten Naturbegriff und seiner Kritik: Geitner: Die Sprache der Verstellung, S.6, 51ff., 172; Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S.14, 75; Stanitzek: Blödigkeit, S.99ff. Vgl. zur dissimulatio artis in Poesie und Verhaltenslehre: Müller: Ironie, Lüge, Simulation, Dissimulation und verwandte rhetorische Termini, S.196.
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gefolgt sind, weiß auch Hagedorn, daher seine Formulierung von der „andern Natur"186, daher seine Bloßstellung des Ritters delle Sberettate, der ganz der galanten Doktrin folgend - seine Tabakdose mit einem „nicht zu ehrbaren Bilde" ziert, seine Schritte „abgemessen" setzt und das Kinn nur „etwas erhaben" trägt (P 56). Nun aber geht es um eine neue, flachere Form der Reflexivität, die unauffälliger und rigider zugleich das Verhalten beobachtet und kontrolliert, es geht - so wird sich im folgenden zeigen - um das Gewissen, um Wahrhaftigkeit und Weisheit, nicht um Strategie und Klugheit, und entsprechend liefert Hagedorn tatsächlich „Abbildungen der Gemühter" (P 53), also der Innerlichkeit. Gewissenhafte Beobachter: Weise, Satiriker War es bereits in den beiden ersten Publikationen Hagedorns ums Beobachten gegangen - um die Untersuchung der Seelenkräfte in der Matrone und um die Entlarvung des moralischen Charakters im Patrioten -, so wird das Beobachten für Hagedorn in seiner dritten Veröffentlichung zum Problem: 1728 erscheint in der Matrone187 ein „poetischefr] Aufsatzf ]", der sich unter dem Titel Satyre vom unvernünftigen Bewundern (1729) im Versuch einiger Gedichte und in den Moralischen Gedichten stark überarbeitet als Schreiben an einen Freund (1747) erneut findet. In der Satyre nun wird der zuvor versteckt gehaltene Beobachter selbst beobachtet: „Der Weisen höchstes Gut, das alles überwiegt, / Ist der Betrachtung Lust [...]" (VeG 52). Diese neue Anordnung erklärt sich auch daraus, daß Hagedorn kurz darauf seine erste Gedichtsammlung veröffentlichen wird - die Vorrede zum Versuch einiger Gedichte beherrscht geradezu die Obsession eines überkritischen, alles beobachtenden Publikums. Mit anderen Worten: Hagedorn wird zum beobachteten Autor, der sich einem unbeobachtbaren Publikum ausgesetzt sieht. Die Rollen verkehren und verdoppeln sich. Der Spiegel der Satire kann immer von anderen Spiegeln umstellt werden.188 Der Satiriker soll zwar von einem neutralen Punkt außerhalb des Geschehens (z. B. vom Land aus)189 auf die Tragikomödie blicken, die sich vor seinen Augen abspielt,190 aber der Blick biegt sich auf ihn zurück, und das auch deswegen, weil Hagedorn in der Satyre an die Wölfische Beobachtungsordnung anknüpft, für die in der Ganzheit der Welt 186
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Zur stoischen und naturrechtlichen Verwendung einer „zweiten Natur": Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.72. L'Indifferent: [Satyre von dem unvernünftigen Bewundern]. Vgl. zur Wolff-Apologie in Hamburg Tolkemitt: Der Hamburgische Correspondent, S.99ff. Grabes: Speculum, Mirror und Looking-Glas, S.106f. Canitz: Die vierte Satyre. Von dem H o f f - S t a d t - und Land-Leben (Gedichte, S.lll). Seneca: De tranquillitate animi, XV, 2. Vgl. z. B. Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. 1. Theil, S.L3 (XI. Disc.).
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alles aufeinander verweist, so daß das Ziel politischer Menschenkunde, die Generalisierung von „Motiwerdacht" 191 , mit dem wolffianischen Programm des rerum cognoscere causas koinzidiert: 192 Vom Lauffe der Natur, von Dingen so gescheh'n, Nichts mit Bewunderung ohn Ursach anzusehn, Und daß kein Mensch die Macht, uns zu verblenden habe, Dieß, deucht mich, ist allein der wahren Weißheit Gabe. (VeG 51)
Daß dabei der Hauptsatz der wolffianischen Philosophie (der Satz vom zureichenden Grund) im Zentrum steht, zeigt die einzige inhaltliche Verbesserung in der Satyre zwischen der Version in der Matrone und derjenigen im Versuch einiger Gedichte: Während in der frühen Version der zitierten Verse noch die teleologische Perspektive im Vordergrund steht („ohn Absicht anzuseh'n"), ist es nun die kausale Zurechnung („ohn Ursach anzusehn"), die die Einsicht in den „Lauff[ ] der Natur" gewährt. Der Weise überführt „Leidenschafften" und „Begierden" in die „gleichgültig[e]" Betrachtung von „der Menschen Thun und Lassen" (so im Anschluß an den Titel von Wolffs Ethik), und er gewinnt die „reinsten Freuden" aus der Betrachtung der „Möglichkeit und Würcklichkeit der Dinge" (VeG 52), macht sich also den Grundgedanken des Wölfischen Systems zu eigen. Die aufklärerische Mimesistheorie baut mit dem Postulat der Wahrscheinlichkeit wesentlich auf diesem Prinzip der Ganzheit auf. Sie kann daher nicht beim Werk stehen bleiben. Der Ganzheitsgedanke hat eine Dynamik, der ihn sich auf alles ausdehnen und damit auch alles verbinden läßt. Der Verfasser gerät unter denselben Blickwinkel wie sein Werk. 195 So gilt für Gottsched - insbesondere im Hinblick auf die Satire -, „daß der Poet selbst innerlich tugendhaft seyn müsse, wenn er allezeit keusch und rein schreiben 191 192
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Luhmann: Frühneuzeitliche Anthropologie, S.194. Der locus classicus für diese Bestimmung sind Vergils Geórgica Π, 490ff.. Vgl. zur Einordnung dieses „szientistischen Weisheitszweiges": Assmann: Was ist Weisheit? S.25. Zur Satire als Form der Weisheit im Sinne einer „Wissenschaft von der Glückseligkeit" (Wolff) vgl.: Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.165. In diese Richtung weist VeG 11. Mit ironisierender Absicht formulieren das die Bremer Beyträge so: „Da wir alle Sachen aus dem Grunde wissen wollen: So ist es uns gar nicht einerley, ob sich die Verfasser einer Schrift, welche wir lesen sollen, vor uns verstecken, oder uns frey unter die Augen treten, und uns dadurch die Erlaubniß geben, die guten oder bösen Meynungen, welche wir bereits von ihnen haben, zu ihren neuen Arbeiten mitzubringen. Unser Urtheil wird uns in dem letzten Falle allzeit leichter, und in dem erstem allzeit schwerer gemacht" (Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd., 2. Aufl., Bremen / Leipzig 1747, 4. St., S.377). Vgl. zu den Zusammenhängen: Osterkamp: Scherz und Tugend, S.43ff.; ders.: Liebe und Tod in der deutschen Lyrik der Frühaufklärung, S.76f.
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wolle; weil er sich sonst unversehens verrathen würde".194 Wenn der Satiriker darüber nachdenkt, daß er selbst ebenfalls beobachtet werden könnte, zieht er sich daher vorsichtigerweise zurück und schweigt, um nicht in die öffentlichen Händel hineinzugeraten (vgl. Kap. 4.2). Nicht nur erscheint die Weisheit mit einer „stillern Mine[ ]" (VeG 54), auch den Satiriker „treibet Ruh' und Pflicht zum Sehen und zum Schweigen" (VeG 57f.)."5 Die Satiriker und die Weisen nehmen eine unsichere Zwischenstellung ein, sie sind Beobachter und damit immer auch (potentielle) Beobachtete. Daraus ergibt sich ein eigentümliches Spiel von Unsichtbarkeit, Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit. Vor diesem Hintergrund erst bekommt die Verbesserungsästhetik Hagedorns (Kap. 3.2), die Negatives (Fehler) zu positiven Zeichen einer biographischen Entwicklung erklärt, ihre eigentliche Bedeutung. Zunächst geraten die Weisen in der satirischen Beobachtungsordnung in auffällige Nähe zum göttlichen Standpunkt: „Sie bleiben unbewegt in einer weisen Stille, / Der Vorsicht Fügungs=Schluß ist stets der Klugen Wille: / Kein sonst verehrter Schein, kein Ansehn, keine Pracht, / Ist, was ihr Hertze blind, ihr Urtheil straucheln macht" (VeG 52). „Unbewegt" ist derjenige, der seinen Grund in sich selbst hat, und das ist nun einmal Gott. Und Gott ist zugleich der einzige unbeobachtbare Beobachter. Die Weisen nehmen die moralische Einsicht Gottes für sich in Anspruch (vgl. Kap. 5.1): Der aber schaut direkt in die Herzen und muß nicht mehr mühsam auf die Unstimmigkeiten zwischen Sprache, Körper und Handeln achten.196 Aufgrund eben dieses Konkurrenzverhältnisses zwischen der Erkenntnis der Menschen und derjenigen Gottes muß Thomasius beispielsweise in seiner Vorstellung der Wissenschaft Das Verborgene des Herzens anderer Menschen auch wider ihren Willen aus der täglichen Konversation zu erkennen in vorauseilender Selbstapologie einräumen, daß selbstverständlich nur Gott den Menschen wirklich erkennen könne.197 194 1,5
196
197
Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.163. Vgl. zum Selbsteinspruch des Satirikers den Artikel „Satyre" in Zedlers Universal-Lexikon (Bd.34 [1742], Sp.235ff.). Dort wird die Satire erst empfohlen, dann aber als gefährlich abgelehnt. Vgl. auch: Canitz: Von der Poesie. In: ders.: Gedichte, S.94. Pope: Epistel an Dr. Arbuthnot, S.186Í.; ders.: Epilogus zu den Satyren in zwey Gesprächen, S.266f., 270, 285. Vgl. Canitz' Versifizierung des hundert und neun und dreysigsten Psalms·. „Herr, du erforschest mich. Mein Ruhen und Bewegen, / Ist besser dir, als mir, bewust. / Du siehst es, wenn in meiner Brust, / So wie der Wellen Sturm, sich meine Lüste regen. / Eh mir ein Wort entfährt, ist dir es schon bekannt, / Und was ich denck' und thu, das steht in deiner Hand" (Gedichte, S.37). Vgl. auch: Die Eigenschaften der Heiligen. Nach dem 15. Psalme. In: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 2. Bd., Leipzig / Bremen 1745,4. St., S.259; Geliert: Das Gebet (Werke. 1. Bd., S.220). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Skepsis der Moralischen Wochenschriften gegenüber der Physiognomik und Temperamentenlehre: Martens: Die Botschaft der Tugend, S.242f. Thomasius: Die neue Erfindung, S.69.
Wissen und Handeln
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Wenn Hagedorn in der Satyre den „Pedant[en]" auftreten läßt (den „unvernünft'gefn] Feind vernünftiger Gedancken", d. i.: einen Gegner der Wölfischen Schriften, die sich allesamt als „vernünfftige Gedancken" präsentieren), dann macht er dessen Körper mit einem geistigen bzw. philosophischen Auge auf die Affektdispositionen transparent: Es fröhnt ein blinder Zorn der stillen Weisheit nicht, So oft ein Timon lermt, wo man ihm widerspricht, So oft er zischend knirscht, und ihm, bey Spott und Schrauben, Die Winde des Gehirns aus seiner Nase schnauben, Der Bosheit funckelnd Feu'r in seinen Augen brennt, [...] (VeG 55)
Hagedorn versprüht hier das „Wunderwasser" des alles beobachtenden und durchschauenden und insofern geradezu göttlichen Patrioten, mit dem dieser die „Ausdünstungen" der jeweiligen Temperamente, ihre „Lebensgeister" („Winde des Gehirns"),198 in Bilder übersetzt und zugleich direkt über das Auge in den Willen blickt („Bosheit funkelnd Feu'r in seinen Augen")199. Es geht um die Erweiterung der Sichtbarkeit ins eigentlich Unsichtbare hinein.200 Damit verschiebt die aufklärerische Verhaltenslektüre die politischen Techniken. So schreibt z. B. Christian Ludwig von Hagedorn seinem Bruder aus Dresden, wie er mit „falsch-süßen Seitenblicken" begrüßt wird, „die aus den Augenwinkeln eine Figur machen, daß ich dem Fragegeist in oder neben den Augenwinkeln eins versetzen möchte".201 Christian Ludwig beobachtet das Außere der Augen, während sein Bruder durch die Augen ins Innere schaut bzw. das Innere nach außen treten läßt.202 198 199
200 201 202
Descartes: Die Leidenschaften der Seele, S.13. Vgl. dazu: Der Patriot. Bd.I, S.38. Vgl. in satirischer Hinsicht Liscows Satire Vitrea fracta, bei der sich unsinnige Unterhaltungen in den gefrorenen Beschlag von Fensterscheiben umsetzen (dazu Hagedorn W l , XX). Vgl. zur Rezeption der medizinischen Theorie der „Dünste", die in den Kontext der Theorie von den Lebensgeistern gehört: Β 132. Weitere Instrumente des Patrioten zur Einsicht in das Innere sind ein Fernglas (Der Patriot. Bd. Π, S.399) und eine Gemütserkennungsmaschine (ebda., S.182). Vgl. zum Hermetismus in Hamburgs Gelehrtenzirkeln: Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd, 5/1, S.114; ders.: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.248. Vgl. zum Mikroskop: Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.174f. Zitiert nach: Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.42. Bei Johann Gottfried Gregorius ( - Melissantes) sieht man den Unterschied zwischen Hagedorn und einer politischen Physiognomik, die nicht direkt in die Seele und in die innerkörperlichen Vorgänge blickt, sondern auf die Oberfläche des Körpers, auf die Bewegung der Augen, ihre Farbe und ihre äußere Gestalt (Curieuser AFFECTea-Spiegel, S.141ff.), daher folgt auch bei Quintilian auf die Augensprache die Sprache der Augenlider und -brauen, der Nase etc. (Quintilian: Ausbildung des Redners, XI, 3, 77ff.). Die Aufklärung als „Kultur des Auges", die den Körper von Seiten der Sinnlichkeit und Geistigkeit be-
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
Die direkte Einsicht in die seelische Verfassung ohne „Umweg" über das zeitintensive Studium des Verhaltens, den Hagedorn in den ñzírzoí-Satiren noch genommen hatte, reagiert - so wird sich im folgenden zeigen - auf die Einarbeitung der Fremdbeobachtung, eines moralischen Kerns, in die menschliche Natur. „Gedanken" und „Neigungen" werden „unsichtbar" 203 und zugleich auf neue Weise sichtbar. Eine wolffianische Ethik kann auf die sinnlichen Anhaltspunkte zur kritischen Observation der Menschen verzichten. Herz und Vernunft korrelieren; und Sinnlichkeit irritiert allenfalls die ethisch aufgeladene Wahrnehmung. Wolff empfiehlt, die Gemüter nicht durch simulierbares Handeln, sondern durch die Affekte zu erkennen, die man nicht verstellen könne.204 Woran aber erkennt man die Affekte, wenn nicht in der Praxis, wie sieht man sie? Gerade die Begründung des psychophysischen Parallelismus scheitert hier. Denn einerseits entlarvt Wolff in der Tradition der politischen Kunst der Verhaltenslektüre Simulation und Dissimulation durch Unstimmigkeiten im Verhalten. Andererseits kann gerade die „gezwungene" Gebärde darauf hinweisen, daß sich der Agierende gebessert hat, wodurch es seinem Körper nun nicht mehr gelingt, die Natürlichkeit zu erreichen, die bei Befolgung der „natürlichen Neigung" vorhanden war.205 Unstimmigkeiten bezeichnen dann die Biographie, also Zeit, Negatives wird auch hier zum Zeichen des Positiven (der Entwicklung). Hagedorns Umarbeitung der Satyre macht die Arbeit an einem kaum merklich in sich gebrochenen und sich selbst beobachtenden Zentrum im Menschen (einem Gewissen) deutlicher sichtbar. Das Schreiben an einen Freund(^fJ\, 29ff.) übernimmt aus der Satyre das Thema „Bewunderung" und das Material für den Fürstenspiegel, die Galanteriekritik entfällt. Dafür akzentuiert Hagedorn Motive des Rückzugs und der laus ruris: So ist es mir genug, an Dich, mein Freund, zu schreiben, Genug, nur mir und Dir nicht unbekannt zu bleiben, Und, wann ein stolzer Fleiß erhabne Lehrer übt, Dir, müßig, zu gestehn, was meine Seele liebt. Sie wünscht sich nicht gelehrt, und schöpft aus nahen Gründen Den glücklichen Geschmack, die Tugend schön zu finden; Und will des Daseyns werth, in Trieben nicht gemein, Still in Zufriedenheit, und ohne Knechtschaft seyn. (Wl, 30)
203 204 205
trachtet (Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.195ff.), kann für die 'physiognomische' Ausdeutung der Augen auf eine lange Tradition zurückgreifen (dazu Campe: Zufälle im physiognomischen Urteil, S.137; Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.237ff.). Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.154. Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.131f. Ebda., S. 135,140.
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Die „nahen Gründe" lösen die Einsichtnahme in des „Gantzen Band" (VeG 52) ab, die Vorstellung positiver Gelehrsamkeit im Exordium wechselt zur Auflistung gelehrter Kuriositäten, wobei jeweils die zum gelehrten Landleben gehörenden studia humaniora ausgespart bleiben (Wl, 31).206 Das Leben fügt sich in das in sich widerspruchslos organisierte Weltganze ein („des Daseyns werth"), und umgekehrt entlarvt sich Unwissenheit durch den Zweifel an der Einheit des Ganzen: Wahr ists: im Widerspruch der Dinge, die geschehn, Nicht, aus Unwissenheit, stets neue Wunder sehn, Der Tugend edlen Reiz auch in dem Staube kennen, Und auch auf Thronen nicht das Laster glücklich nennen, Mit schuldigem Genuß des Lebens sich erfreun, Den uns bestimmten Tod nicht wünschen und nicht scheun, Auch, wann der Donner ruht, den Gott des Donners ehren: Mein Freund, das werden uns Verstand und Weisheit lehren. (Wl, 32)
Unter Verweis auf Wolff (Wl, 32, Anm.16) überformt sich die Wahrnehmung mit dem letztlich ethisch begründeten Imperativ der Theodizee. Das „Sehen" reguliert sich durchs „Wissen" - es kann gar keine „Wunder" geben. Der Anblick von Tugend darf sich nicht durch den „Staub" irritieren und sich nicht durch die Pracht des Hofes täuschen lassen, so wie die Körpersprache nicht von den inneren Einstellungen ablenken soll. Infolgedessen kommt Hagedorn auf das aufklärerische Projekt der Gewissensbildung zu sprechen: Gewitter und Gewissen bilden einen derart festen Verbund, daß sich die Geschichte des „modernen Gewissens" geradezu als Geschichte der Gewitterwahrnehmung schreibt.207 Während sich in der frühen Neuzeit die 'richtige' Gesinnung daran ablesen läßt, daß das Gewissen im Gewitter schlägt, zeichnet sich im 18. Jahrhundert das gute Gewissen dadurch aus, daß es auch im Gewitter ruhig ist. Dieser Gewissensruhe entspricht jedoch die permanente Tätigkeit der inneren ethischen Instanz, die die Rechenschaft über das eigene Tun über den Sonderfall hinaus verlängert und eine stabile Handlungskontrolle installiert. Die Predigt - verstanden als punktuelle Uberprüfung der Lebensführung - tritt in Konkurrenz mit dem Programm einer unablässigen Uberprüfung des Alltäglichen im und für das Diesseits, wie es die Moralischen Wochenschriften verbreiten.208
206 207 208
Vgl. Lohmeier: Beatus ¡lie, S.175ff. Vgl. dazu Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens, S.3 Iff. So, wie der Hagedornsche Satiriker gar nicht anders kann, als Satiren zu schreiben, beglaubigt auch der Patriot seine Beobachtungen und seine warnenden Worte damit, daß sein „Gewissen" sie erfordert (Der Patriot. Bd. Π, S.196). Zwar stellt der Patriot zur Entspannung der Lage zwischen Kirche und Aufklärung die Differenz zwischen der von ihm be-
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Die strategisch erfolgreiche „politische" Handlungsmodulation erscheint bei Hagedorn folgerichtig als moralischer Mißerfolg: „Ein Thor [...] / Verlernt, wann er gefehlt, auch vor sich selbst erröthen, / Beugt ungescheut das Recht, und zittert vor Cometen" (Wl, 32). Dabei wird das „erröthen" als eine äußerliche Reaktion 209 zur Entlarvung des Gegenübers in die Innerlichkeit verlegt („vor sich selbst", nicht vor anderen). Daraus nun folgt die falsche „Bewunderung", die temporäre Gewissensarbeit („zittert vor Cometen"), wobei sich der Aberglauben mit eindeutig negativen Affekten verbindet: „Stolz, Aberglaube, Zorn, Bewundrung, Geiz und Neid / Sind alles, was sie sind, nur durch Unwissenheit" (Wl, 32). Anders als diese Affekte lassen sich „Freude" und „Vergnügen" als Wissen entfalten (Kap. 2.3), und Wissen bzw. potentielles Wissen bedeutet hier die unauffällige Verlängerung der 'richtigen' Wahrmehmung auch bis zu jenem Zeitpunkt, an dem der Augenschein prima facie den bestmöglichen Zusammenhang der Welt nicht zu bestätigen scheint. Der Weise, der weder bewundert noch begehrt, der kenntnisreich, aber nicht „zu schulgelehrt" ist, fühlt nur „edle Triebe". Ihm spenden „Recht und Gewissen" den „Beyfall" (Wl, 40). Dieser innere Applaus, ein Abkömmling der Handlungssteuerung in Interaktion, ist der Nachklang eines durch Außenkontrolle regulierten Gewissens, anders formuliert: ein Zeugnis der Verinnerlichung des Beobachtens, die nicht nur die Formierung des Gewissens, sondern auch die wissenschaftliche Ablehnung der Buchgelehrsamkeit oder die poetische Ablehnung der traditionellen rhetorischen Verfahrensweisen begleitet (vgl. Kap. 4) „Natürlichkeit" ist eine der Losungen der Aufklärung (Kap.6). Anmerkungen als Beobachter Anmerkungen sind eine Form integrierter Fremdbeobachtung von Texten, eine auffällige Art der (Selbst-)Kontrolle. Sie binden den Text in ein typographisch markiertes Beziehungsgeflecht ein, das das Werk durch Erweiterungen oder Abgrenzungen in einem Diskurszusammenhang sichern soll. Ausreichendes Renommee des Autors oder Glaubwürdigkeit des Textes
209
handelten Unruhe und der Unruhe des Gewissens heraus (Bd. Π, S.236), an anderer Stelle aber bezieht er sich direkt auf das „Gewissen", das „durch Hülffe des Gedächtnisses unser Thun und Lassen, ja auch unsere blossen Gedancken und Entschliessungen, uns beständig vor Augen stellet, und zu gleicher Zeit durch Hülffe des Verstandes uns saget, ob wir darin den Gesetzen gemäß unsere Pflicht beobachtet, oder hingegen versäumet haben" (Bd. HI, S.240). Das Ausbleiben der Scham bzw. ihrer Zeichen verweist im politischen Diskurs auf das Erfüllen des decorum (Der galante Stil, S.8). I. U. dazu fällt die Erregung von Scham in den Zuständigkeitsbereich der Satire, die hier der geistlichen Unterrichtung Konkurrenz macht (VeG 86). Vgl. zur Kritik des Vorwurfs, der politicus habe kein Schamgefühl: Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.126.
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machen Anmerkungen unnötig. Ein Text muß fragwürdig sein, um ihn annotieren zu können. An den Anmerkungen scheiden sich in der Frühaufklärung die Geister, ohne daß dadurch klare Fronten entstünden. Denn Anmerkungen können in der Poesie sowohl Zeichen einer überkommenen Gelehrtendichtung als auch Zeichen eines neuen Leseverhaltens sein. Durch unterschiedliche Deutung entsteht also einmal mehr Richtigkeit und Falschheit: richtige und falsche Gelehrsamkeit, richtige und falsche Nebenstunden, richtige und falsche Freuden und eben auch richtige und falsche Anmerkungen. Auf der einen Seite wird die Kritik der (Verbal-)Gelehrsamkeit bei Swift (A Tale of a Tub) oder Pope (The Dunciad), Liscow oder Rabener zur Kritik der Anmerkungen oder durch Anmerkungen. 210 Das Spektrum reicht von der Präsentation skurriler oder trivialer Wissensbestände211 bis zur Bloßstellung des ungeschickten Auftretens durch die Hinzufügung der actio und pronuntiatio in den Anmerkungen zu einer Rede (Liscows Briontes der Jüngere). Hagedorn jedenfalls muß sich wegen seiner umfangreichen Anmerkungen zu den Gedichten den Pedanterievorwurf gefallen lassen - gerade die Anakreontiker stehen ihm hier skeptisch gegenüber212 (Wl, X X ; vgl. auch W l , XXV). Andererseits werden Anmerkungen im Umkreis der Schweizer zum Zeichen der Ausdeutbarkeit von Poesie, zum Zeichen eines bestimmten Leseverhaltens, in erster Linie in der Opitz-Edition von Bodmer und Breitinger, dann bei anderen Kommentierungen (z. B. von Hagedorn-Gedichten). Aber auch das ist wieder nur eine Seite. Das Verhältnis von Wissen und Handeln läßt sich beim Lesen wie bei der Diskussion um Galanterie und Pedanterie von zwei Seiten aus betrachten. Einerseits kann man den Kenntnisreichtum in den Vordergrund rücken, so daß sich das richtige Handeln daraus ableitet; andererseits läßt sich das richtige Wissen erst vom Handeln ablesen - eben von einem Lebenslauf -, so daß schon das Handeln selbst als Wissen interpretierbar erscheint. Die Rezeption Hagedorns zeigt, daß beide Seiten bestehen können, ohne daß die Einheit des Werks zerbricht. Während die empfindsame Lektüre im schweigenden Verstehen sich erschöpft 213 , entfaltet der fortlaufende Kommentar das Wissen der Sprachhandlung.
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Vgl. dazu: Stang: Einleitung - Fußnote - Kommentar, S.21ff.
211
Rabeners Hinkmars von Repkow Noten ohne Text sowie Liscows Klägliche Geschichte von der jämmerlichen Zerstöbrung der Stadt Jerusalem.
212
Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.57. Vgl. auch die Kritik an den Fußnoten in einem Brief an Hagedorn von Jacob Friedrich von Bielfeld: Lettres Familières et autres. T. 1, S.194f. Giseke schreibt über Hagedorns Horaz am 28. 6. 1751 an Hagedorn: „Ich bin noch zu voll von Ihrem Gedichte, als daß ich mich unterstehen könnte, davon zu urtheilen. Aber ich habe es mit meiner ganzen Empfindung gefühlt, daß es schön ist. [...] Verstehen werden es freilich eben so wenig Leser, als Ihre Freundschaft., Ihren Falken, and fast alle Ihre Gedichte.
213
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
Es gibt also zwei Grenzen: Hagedorn verteidigt sich nach außen gegen den Vorwurf der Verbalgelehrsamkeit. Und er kann sich im Innern wiederum zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden oder mit diesen Möglichkeiten argumentativ jonglieren. Wie bei der Verteidigung seiner Gelehrsamkeit stellt Hagedorn seine Interessen in den Vordergrund, deutet auf diese Weise seine Gelehrsamkeit um und vollzieht zumindest programmatisch den poetologischen Umbruch seiner Zeit in der Anmerkungstheorie nach.214 Die Anmerkungen übernehmen anstelle ihrer gleichsam mnemotechnischen Funktion literarische Aufgaben.215 Wenn Hagedorn seine Anmerkungen wie seine Poesie verbessert, dann stellt er beide auf eine Ebene (Wl, XXI). Anmerkungen sind dann eine bloße Abwechslung, sie sind nicht wirklich vom Text getrennt (Wl, XVI).216 Von daher wird verständlich, daß für Hagedorn die Anmerkung wie das poetische Produkt aus der (wiederum nach individuellen Dispositionen zusammengestellten) Exzerptensammlung emergiert. Fußnoten setzen die Poesie mit anderen Mitteln fort und schlagen dem Text keine „Wunden" (Wl, 112). Umgekehrt akzeptiert die Kritik, daß Hagedorns Anmerkungen eine individuelle Handschrift haben.217 Harmonie der Redeteile und inhaltliche, nicht bloß formale Verknüpfung mit den Mitteln traditioneller Topik oder Syllogistik kommen in einem Textmodell zusam-
214
215 216
217
Aber für die Einfalt singen Sie so wenig, als die Nachtigall. Ich freue mich, daß ich es verstehe, und danke Ihnen für das Vergnügen [...]" (EschV 283). Mit der im Schreiben an einen Freund formulierten Apologie der Fußnote kommt Hagedorn einem eigenen Wunsch nach: „Ich wollte, nicht ohne Eigennutz, daß jemanden einfiele, die Befugniß eines Dichters, seinen Gedichten Anmerkungen hinzuzufügen, in einer besondern Abhandlung ausführlich zu rechtfertigen. Ich finde sie so oft nützlich und angenehm, daß ich einige Verächter derselben für ungerecht und undankbar ansehe. Meine Glossen schränke ich in enge Gränzen ein, und der wenigste Leser erräth was ich, auch ohne sehr weitläuftig zu sey, ihm bey diesem oder jenen Vers zu sagen gehabt hätte. Ist denn nur die Prose, mit gänzlicher Ausschliessung der gebundenen Rede, geschickt, Anmerkungen zuzulassen, oder erfodert eine schwerere Schreib-Art nicht mehrere Erläuterungen, als jene: ja beantwortet man nicht dadurch gleichsam zum Voraus viele irrige Ausleger? Ich würde einen solchen Aufsatz, als eine Schutz-Schrift meiner Anmerkungen ansehen und dahin die Tadler derselben verweisen können" (an Giseke; 24. 9. 1747; Β 224f.). Vgl. zum Thema auch: Β 127, 341. Generell dazu: Grafton: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, S.13. Vgl. zum poetologischen Imperativ der Monotonievermeidung fürs Lehrgedicht: Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.74f. Vgl. zum Wechsel zwischen Vers und Prosa und zur Auflösung der Gattungsformen im „Rokoko": Martens: Die Botschaft der Tugend, S.72; Anger: Literarisches Rokoko, S.52ff. Über Horaz schreiben die Franckfurtixhen Gelehrten Zeitungen (Num. LIV. 6. Iul. 1751): „Es ist dieses ein neues Gedicht aus der Feder des Lieblings der deutschen Musen, und diejenigen, welche seine Oden und Lieder und seine moralischen Gedichte gelesen haben, werden ihn so gleich aus den erhabenen Gedancken, aus den meisterhaften Zügen, die ihm nur eigen sind, und aus den gelehrten Anmerkungen leicht erkennen, ohne daß wir seinen Namen dabey öffentlich anzeigen".
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men, das sich aus einer so definierten natürlich verfahrenden Denk- und Dichtungsweise ergibt.218 Text und Fußnote vereinigen sich theoretisch im Autor, der sie über seine Vorlieben zum Werk zusammenschließt, auch wenn sie de facto und offensichtlich getrennt bleiben.219 An die Stelle umfangreicher Sammlungen setzt Hagedorn programmatisch die immer wieder behauptete Konzentration und das beurteilende Sortieren im Blick auf ein „Ganzes": [...] weil ich von der Treue eines zu veränderlichen Gedächtnisses nicht versichert bin, so sammle ich mir zuweilen Nachrichten, die zu meiner nachherigen Wahl und Einrichtung des Ganzen dienen. Aus diesen kleinen Nachrichten, die ich sehr unvollständig, und nur für mich selbst entwerfe, ist folgends der kleine Commentarius, ich weiß kaum wie, erwachsen. (Wl, [ x p o v f . )
Die mnemotechnische Funktion der Exzerpte begründet Hagedorn gerade mit der Schwachheit seiner memorativen Fähigkeit, die umgekehrt die Stärke des indicium anzeigt. Ohnehin beurteilt man innerhalb des „iudiciösen Paradigmas" eigenständig zusammengestellte Kollektaneen positiver als die vorgefertigten Sammlungen,220 und Hagedorns kritisches Verhältnis zu seinen Exzerpten war legendär. Der zurückgestellten memoria sollen durch die Anmerkungen zugleich Deutungsmöglichkeiten entzogen werden, die sich nur der Gedächtniskraft der Leser verdanken und auf einen Plagiatvorwurf hinauslaufen.221 Die „Gedanken" bleiben dem Autor „eigentümlich", auch wenn sich Parallelstellen anführen lassen (Wl, XVIII; vgl. Kap. 4.2). Zugleich geht es um die Konstruktion von Deutbarkeit: „[...] je mehr ich den Horaz lese; je schöner, aber auch schwerer wird er mir an vielen Stellen" (an Giseke; 27. 12. 1746; Β 195). Bücher sind nicht einfach nur verständlich, sondern mindestens vielfäl218
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Beetz: Rhetorische Logik, S.153ff.; Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.466. Auch wenn Hagedorn sich bemüht, zwischen Bedeutungsfülle und Einfachheit zu lavieren, um weder als Pedant noch als Ignorant zu erscheinen, viele seiner Anmerkungen stehen in der antiquarischen, polyhistorischen Tradition der Annotation, die deutlicher noch in den Patriot-Sauren und den Anmerkungen zum Versuch einiger Gedichte zu sehen ist. Dazu gehören die abgekürzten Literaturnachweise, die Ableger einer kuriosen Belesenheit und nicht zuletzt die Altsprachlichkeit vieler Anmerkungen - in einem Fall tauscht Hagedorn in einer späteren Auflage die deutsche Ubersetzung wieder gegen das lateinische Original (Wl, 18, Anm.9). Beetz: Rhetorische Logik, S.154f. Zu Hagedorns Selektionsverfahren vgl. Schmid: Nekrolog, S.313f.; vgl. auch: ders.: Biographie der Dichter, S.399; ders.: Zusätze und Berichtigungen zu dessen Nekrolog, S.1023; Lessing: Werke. Bd.5, S.728; Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.353. Vgl. zu diesem feststehenden Verfahren: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.176. Vgl. zu den Anmerkungen in bezug auf die Antike: Klein: Die Lust den Alten nachzustreben, S.116ff.
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tig lesbar.222 Oder mit Hagedorn: „Beklagt des Grüblers trocknen Fleiß, / Der in der Alten besten Werken / Nur eine Les=Art zu bemerken, / Nur Wörter auszusichten weiß" {Auf gewisse Ausleger der Altert·, W l , 92; vgl. Kap. 4.2). Aber eben diese Deutbarkeit nimmt Hagedorn als Gefahr für den Autor wahr: Die Leser könnten seinem Werk einen der intentio auctoris widerläufigen Sinn beilegen (an Giseke; 12. 4. 1747; Β 206f.). Der paradoxen Logik der Nebenstundenpoesie folgend haben die Anmerkungen nicht nur autoritative Funktion durch Bedeutungsverengung, sondern sie sollen - auch im Anschluß an Wernicke - die Denktätigkeit anregen (Wl, XXVII). Dem zeitlichen Abschluß gegenüber der Vergangenheit entspricht somit die futurische Eröffnung des Deutungshorizonts. Dichtung, und zwar auch „scherzhafte" Dichtung, gewinnt an Deutungstiefe.223 Dabei deutet schon die spärliche Kommentierung der Oden auf deren Vergänglichkeit hin („sie wollen nicht unsterblich seyn". An die Dichtkunst. W3, 23). Sie entziehen sich ζ. B. derjenigen Selbstkommentierung, die im Gefolge der humanistischen Klassikerkommentare das eigene Werk unter Klassizitätsverdacht stellt und Deutungsschwierigkeiten der Nachwelt abhelfen will,224 und sie entziehen sich der Kommentargefahr durch ein zeitlich später auftretendes Publikum. Die Oden sind zunächst für den Gesang gemacht, nicht für Schriftlichkeit konzipiert. Umgekehrt annotiert Hagedorn neben den Fabeln ausführlich den Werkteil, der als „monumentum" überleben soll (WG1, 212), also die Moralischen und die Epigrammatischen Gedichte (vgl. Kap. 1.2). Für den strengen Blick des Gelehrten nun sollen die Anmerkungen nur nebensächliche „Kleinigkeiten" sein, die aus einer momentanen Neigung heraus entstehen: „Die Kleinigkeiten aber, die oft, für mich, auf einige Augenblicke es zu seyn aufhören, verdienen nicht ihre (der Gelehrten, S. M.) philosophische Aufmerksamkeit" (Wl, XXVI). Diese Poetik der Kleinigkei-
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A u c h dies ist ein Argument gegen die Kasualpoesie, der Eindeutigkeit unterstellt wird: Beetz: Rhetorische Logik, S.22. Georg Friedrich Meier hat diese Situation in das Bild v o m Sinn gefaßt, der einem Abgrund gleicht, u n d zwar gerade hinsichtlich „scherzhafter" Literatur: „Man kan auch mit wenigen W o r t e n sehr viel sagen. Genug, w e n n man es n u r sagt: Man m u ß seinem Z u h ö r e r n u r ein weites Feld eröfnen, die Ubereinstimmungsstücke selbst zu errathen [...]. Unser Schertz [...] m u ß einem Abgrunde ähnlich seyn, in welchem m a n immer m e h r erblickt, je länger man in denselben hinein sieht" (Meier: Gedancken von Schertzen, S.65Í.; vgl. zur „'Fruchtbarkeit' des Sinnes" in der Meierschen Ästhetik: Beetz: Nachgeholte H e r m e n e u t i k , S.611; kritisch zum T h e m a in bezug auf Klopstocks Messias Hagdorns Brief an Giseke v o m 25. 12.1747 (B 227)). G r a f t o n zu Dante, Petrarca u. a.: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, S.40. Vgl. zur antiken Kommentartradition: Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, S.60.
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ten gilt für alle Gattungen, und sie gilt nicht nur für Hagedorn.225 Als „Kleinigkeit" ist Hagedorns Werk unauffällig und auffällig zugleich: Die Gelehrten sollen sich nicht dafür interessieren,226 sehr wohl aber die Freunde. Mit den Worten Bodmers: „[...] die Kleinigkeiten selbst sind in den Augen meiner gütigen Freunde merkwürdig" (EschV 158; vgl. Kap.4.1 u. 4.3). Die Merkwürdigkeit - und das ist Hagedorns Problem - besteht aber eben nicht nur für die Freunde. Mit anderen Worten: Der Text muß Deutungstiefe haben, damit er interessant ist, und er muß transparent sein, um Mißverständnisse zu vermeiden. Das entspricht den beiden Aufgaben der Anmerkungen: Sie sollen Deutungsmöglichkeiten einengen und ermöglichen. Die Freunde zeichnen sich dabei durch die Nähe zum Autor aus, sie betrachten den Text aus seiner Perspektive und verstehen ihn so wie er. Wenn sie das tun, dann dürfen sie Deutungstiefen entdecken, dann dürfen Bodmer oder andere Leser aus seinem Umkreis Hagedorn-Gedichte kommentieren. Die Textentfaltung von seiten unfreundlicher Leser läßt sich jedoch nicht mit Sicherheit vermeiden, und sie nimmt zu, weil der publizierte Text nicht durch Auswahl der Rezipienten davor geschützt werden kann. Die „Gelehrten" kann man nur inständig darum bitten, nicht hinzusehen. Verständlich wird Hagedorns Theorie der Anmerkung vor dem Hintergrund der Opitz-Edition von Bodmer und Breitinger, die einem Werk ex post Beobachtungsverhältnisse eintragen. Wie der Patriot die Bürger observiert, betrachten hier die Anmerkungen den Autor. Der Kommentarbedarf ergibt sich bei der Zürcher Opitz-Edition aus dem Abstand zwischen Poet und Publikum, den der Kritiker zu überbrücken hat.227 Dazu muß er die „Umstände des Lebens" und die „absonderliche Gemühtesbeschaffenheit" beschreiben, die das Gedicht hervorgebracht haben und durch die es seine „besondere Art" erhält. Am Ende der Kommentierung kann dann ohne Schwierigkeiten das Leben Opitzens dargestellt werden. Ebenso handeln Bodmer und Breitinger die Varianten der Opitzschen Werke nicht als beliebige Versatzstücke, wie die „Variantibus der Classischen Ausleger", sondern sie wollen „würckliche Schreibarten des Verfassers" bieten, „welche er aus besondern Ursachen von Zeit zu Zeit verändert hat". Sie dienen dazu, „den Wachsthum, den Opitz in seiner Kunst, vornehmlich in den äusserlichen Stücken derselben, von Zeit zu Zeit genommen hat, zu bemerken zu geben [...]" - immerhin hatte Opitz die Fehler des Frühwerks seiner Jugend angela225 226
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Vgl. in epistolographischer Hinsicht Martens: Geselligkeit im „Geselligen", S.184. Hagedorn will sich nicht „in den critischen Wirbel der herrschenden Lehrer [...] vertiefen: da ich überhaupt wenig, und dieses wenige mit geringer Selbstzufriedenheit schreibe, und also es nicht wagen muß, der Prüfung der gelehrten Welt etwas mehr, als Fabeln, Erzehlungen und Lieder, mithin solche Kleinigkeiten überlassen, die (zu ihrem Vortheile) weder grosses Lob noch grossen Tadel verdienen" (3. 7. 1742; Β 77f.). Bfodmer] / Bfreitinger]: Vorrede der Herausgeber, unpag.
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
stet u n d in seiner P o e t i k deren Verbesserung in Aussicht gestellt. 228 U n d auch bei der Behandlung v o n H a g e d o r n s Der Weise verbindet die entstehende „Kritik" „ W e r k " und „ H e r z " ; 2 2 9 sie zeigt an, w a r u m bestimmte W o r t e und F i g u r e n gewählt wurden, welche „Wahrscheinlichkeit" der K o n s t r u k t i o n zugrundeliegt, bietet Parallelstellen u n d verteidigt den
Metaphernge-
brauch. D i e „Gottschedianer" hingegen - so zumindest der V o r w u r f der Schweizer - verschließen sich der Ausdeutbarkeit, indem sie „die Schreibart [ablehnen], die allmählich bey uns einschleichen will, die m e h r gedencken läßt, als sie wircklich sagt, u n d d a r u m den Leser ermüdet". 2 3 0 Die nachträglic h e A n n o t a t i o n , also eine F r e m d b e o b a c h t u n g in Gestalt einer Selbstbeobachtung, zeigt, daß m a n den T e x t deuten kann u n d wie m a n ihn deuten kann. Sie verleiht i h m W e i t e u n d grenzt ihn zugleich ein. Tatsächlich vertraut das K o n k u r r e n z u n t e r n e h m e n des Gottschedianers Daniel W i l h e l m Triller 2 3 1 bei der Edition der O p i t z s c h e n T e x t e auf den ersten Blick der intentio
auctoris,
die der Bedeutung des W e r k s S c h r a n k e n
auferlegen soll, u n d lehnt die Auslegung d u r c h den Leser als Einlegung ab. D e m genealogischen Verfahren der Schweizer stellt Triller die Idee einer statischen V o l l k o m m e n h e i t gegenüber:
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Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.367f. Critische Betrachtungen über des Herrn von Hagedorn Ode auf den Weisen, S.21. „Indem der Poet uns die erhabenen Entschlüsse seines Weisen entdecket, und zeiget wie er sich dadurch von dem niedrigen Pöbel entfernet, und seine Glückseligkeit bey sich selbst findet, läßt er uns sein eigenes großmüthiges Hertz gleichsam offen sehen und bewundern; er giebt dadurch seiner philosophischen Beschreibung ein grosses Gewicht der Glaubwürdigkeit [...]" (ebda., S.23). So kann dann das Faktum, daß jemand seinem „Charakter" gemäß geschrieben hat, zum ästhetischen Kriterium werden, wie im Fall von Bodmers Verteidigung von Canitz und Besser gegen Gottsched (Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.351,356). Critische Betrachtungen über des Herrn von Hagedorn Ode auf den Weisen, S.30, vgl. auch S.28. Vgl. zu Hagedorns Kritik an der Trillerschen Opitzausgabe den Brief an Bodmer vom 13. 4. 1748 (B 233). Wenn Hagedorn die Vorrede zum „Lobgesang auf den H. Anno" „ungemein vergnüget" hat, wie er gegenüber Bodmer meint (28. 9. 1745; Β 163), dann könnte er dabei auf die Kritik der Schweizer an der Triller-Einleitung zu dem Gedicht anspielen. Sie nennen zwar den Gottschedianer nicht, greifen aber deutlich dessen Kritik an (Martin Opitzens Von Boberfeld Gedichte. Von J. J. B. und J. J. B. besorget, S.157ff.; Triller: Vorrede, unpag.). Umgekehrt könnte Triller Hagedorn ungenannt in der Neuen Vorrede zu dem Trauerspiel Hugonis Grotii Leidender Christus kritisieren: „[...] zumal, das dieses [...] Trauerspiel solcher weitläufigen Anmerkungen allerdings weit mehr von nöthen hätte; als etliche schlüpfrige und wollüstige Trinck- oder Buhlenlieder, weil deren deutliche Zweydeutigkeit und nackendes Geheimniß auch ohne beygesetzte Erklärungen, nur allzubald und leicht verstanden werden kann, und daher mehr einer Verdunckelung, als Erklärung, benöthiget zu seyn scheinet [...]" (zitiert nach BK 614). Vgl. Argumente zur Beschränkung des Anmerkungsapparats bei Gottsched, Kästner, Grund, G. F. Meier: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.718f.
Wissen und Handeln
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Denn aus allen alten Auflagen die Druck« Schreibe- und Jugend-Fehler mühsam zusammen zu tragen, und den Leser zum Verdruß, Eckel und Gelächter, diese nichtswürdigen Schätze unter den Text zu setzen [...], war kein Werck für einen Mann, der das kostbare Geschenck der unwiederbringlichen Zeit besser anzuwenden hat [...].232
Triller zielt nicht auf die Darstellung der Autor-Entwicklung, sondern auf die Darstellung möglicher Perfektion, und so verbessert er das Material nach vorhandenen Ausgaben und, wo diese fehlen, nach Maßgabe der eigenen „wahrscheinlichen Muthmassung" ,2'3 Steht die Anmerkung für Allgemeinheit und das Bemühen um Verständlichkeit, so die Auflösung der Anmerkung für Individualität und die Gefahr oder Möglichkeit von Unverständlichkeit. Das erklärt dann auch die Verschiebung in den Notationsverfahren zwischen Wissenschaft und Poesie im 18. Jahrhundert. Wissenschaftliche Fußnoten zu machen, bedeutet auch, sich gegenüber mißtrauischen Lesern zu rechtfertigen und sich von seinem Material zu distanzieren,234 ganz im Gegensatz zur literarischen Vertrauensbildung. Freilich findet diese in einer von doppelter Kontingenz geprägten Situation statt, und das heißt bei Hagedorn: Sie ist von Mißtrauen begleitet. Zusammenfassung Die Beobachtungsordnung der Aufklärung nähert Wissen und Handeln durch Verzeitlichung einander an. Sie synchronisiert Wissen und Handeln unter Voraussetzung einer Ganzheit, in der alles zusammenhängt. Aus einem Ereignis, einem „Punkt", entfaltet sich eine (Lebens-)„Linie", wie Hagedorn es in seiner „Betrachtung" der „Menschlichen Seele" in der Matrone ausführt. Dem korrespondieren die Einarbeitung eines verschwiegen arbeitenden Gewissens und Durchsichtigkeiten verschiedenster Art: Durchsichtigkeit des Körpers, des Stils, der Wörter. Dahinter erscheint der Autor. Aber auch er wird wieder unsichtbar, stellt sich nicht vor sein Werk (ζ. B. in Form eines aufwendigen Kupferstichs).
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Triller: Vorrede, unpag. Während Bodmer und Breitinger den Text gleichsam von außen unter Kontrolle zu bringen versuchen, füllt Triller den Text von innen mit seinem Geist, den er demjenigen Opitz' assimiliert und so anstelle des Autors und als Autor das Werk vollendet. Zwar gilt Trillers Interesse in erster Linie der intentio auctoris, weswegen er keine Erklärungen geben mag, „welche unser Opiz wohl nimmermehr gedacht, als er ein und anderes Gedichte aufgesetzet". Gleichwohl holt Triller die Maxime des Besser-Verstehens durch die Tilgung der Fehler ein, die Opitz „sonderlich in seiner Jugend" unterlaufen seien. Diejenige Verbesserungsarbeit, die die Schweizer in Opitzens Werk selbst schon entdecken, verlängert Triller bis in seine Zeit und amalgamiert so auf eigentümliche Weise die Absage an autorschaftliche Autorität mit der (Re-)Konstruktion des Autors. Vgl. ζ. B. zum Paradigma der Verbesserung Plumpe: Kunst ist Kunst, S.67. Grafton: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, S.34, 148f.
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
Poesie und Autor verleihen sich vielmehr wechselseitig Sichtbarkeit, rücken in verschiedenen Varianten vor- und hintereinander. Der Rückzug auf den Autor verdeckt die Poesie, sie wird zu einem wenig bedeutsamen Beiwerk. Aber die umfassenden Ansprüche des einen Lebens, wie sie die Hofkultur, theologische oder utilitaristische Argumente formulieren, rückt die Poesie (ζ. B. in Form einer nützlichen Dichtung) wieder ins Zentrum. Marginalisierung und Anspruchssteigerung, Individuelles und Allgemeines gehören zusammen. Das vage Verhältnis von Autor und Poesie entspricht der Beziehung von Wille und Verstand, wie Hagedorn sie im Matronen-Auiszxz darstellt. Unabhängigkeit, Synchronisation und Uberschneidung - jeweils ergeben sich deutlich auf polemische Verhältnisse bezogene argumentative Möglichkeiten. Dabei vollzieht die Betrachtung ihr eigenes Programm, das Handlung als Form des Wissens vorschreibt, anders formuliert: Freude an der Erkenntnis. Denn die Freude selbst ist ja (wie Lust oder Vergnügen) gleichsam punktuelle Konzentration einer Einsicht in die Ganzheit und Vollkommenheit der Welt. Die Versenkung von Wissen in einen Kern menschlicher Natur verlangt neue Formen der Visualisierung. Das Identitätsmodell, in dem Individualität Zeit zur Entfaltung benötigt und sich in der Zeit zeigt, ersetzt das Heterogenitätsmodell der Privatpolitik. An die Stelle einer stratifikatorischen Hierarchie setzt Hagedorn eine biographische Einteilung und etabliert zugleich eine dichtere Beobachtungsordnung, die - dem Ganzheitsgebot folgend - immer auch den Beobachtenden umgreift. Der Autor will seine Texte sicher und zugleich deutbar machen, sie (ζ. B. durch Anmerkungen) eng und weit zugleich erscheinen lassen. Er grenzt sein Publikum auf die Freunde ein, wohlwissend, daß eben das nicht möglich ist und daß der Buchmarkt entsprechende Autorkompetenzen fordert. Die Verbesserungsästhetik nun bietet ein Verfahren der Invisibilisierung. Sie synchronisiert Werk und Leben und stellt wie die Nebenstundenpoetologie variable Interpretationsmöglichkeiten zur Verfügung, weil sich in der Differenz von Einsicht und Vermögen die Marginalisierung der Poesie und die Steigerung des poetischen Anspruchs spiegeln. Sie läuft bei Hagedorn letztendlich aufs Schweigen hinaus, denn im Schweigen ersetzt das Leben die Poesie, und zugleich markiert es ein uneinlösbar hohes Niveau poetischer Vollkommenheitsansprüche.
Verbesserungsästhetik
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3.2 Verbesserungsästhetik Die poetische Absage an die Poesie macht Hagedorn neben anderem zu einer Ikone der frühaufklärerischen Dichtung. Man muß dabei mit kritisierbarer Dichtung beginnen und mit guter Dichtung enden, denn das Leben zeigt sich nicht nur in der Dichtung selbst, sondern in der Dichtung als Handlung, in der Verbesserung oder Kritik des eigenen Werks. Entsprechend der Ambivalenz von autorbiographischer Kontinuität und werkbiographischer Spaltung in ein zu kritisierendes Jugendwerk und ein einsichtsvolles Hauptwerk übernimmt Hagedorn in die Sammlungen der vierziger und fünfziger Jahre nur wenige der Gedichte aus der Zeit vor dem Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen (1738)2" (vgl. W l , 96, Anm.*; vgl. Kap. 1.2). Noch an seinem Lebensende sorgt Hagedorn sich um die Erscheinung seines Werks: Er verbrennt Manuskripte236, sieht die bisher erschienenen Sammlungen durch und ordnet die Werkausgabe. Für Hagedorn war das eine wichtige Autoraufgabe, da er glaubte, an Günther und König die Folgen nichtautorisierter Edition sehen zu können. Die Werkordnung soll den „Geschmack und Character" des Poeten widerspiegeln (an Bodmer, 13. 4. 1744; Β 119; auch Β 137; vgl. Kap. 5.2).237 Aus diesem Grund betont Bohn in der postumen Werkausgabe, daß die Edition in allem auf den Gestaltungswillen Hagedorns zurückgehe. Hagedorn habe die „Gedichte selbst auf das genaueste durchgesehen, an manchen Stellen verbessert, und mit einigen neuen Gedichten und Zusätzen vermehret".258 Ein Brief Christian Ludwig von Hagedorns vom 4. 9. 1742 deutet schließlich an, wie Werkordnung, privatpolitische Vorsicht und Satire zusammenhängen: „Ich glaube H. R. König thäte auch besser, wenn er auf eine Edition seiner Gedichte und den Ausschuss der ungerathenen Kinder und deren Desaven bedacht wäre, damit er sich selbst vor der Satire ins künftige frey stelle, als dass er die miseram rixam mit Gottsched aufzuwärmen suchet" (vgl. dazu Kap. 4.2).239 Zu dieser politisch motivierten
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Mit der ersten Sammlung beginnt Hagedorn die öffentlichen kritischen Verweise auf sein Frühwerk (W2, 4). Wie wichtig ihm das war, sieht man auch daran, daß er sich sowohl im ersten Brief an Gottsched (7. 4. 1730) als auch im ersten Brief an Bodmer (3.7.1742) vom Versuch einiger Gedichte distanziert (B 14, 79; vgl. auch Β 98). Dabei geht es bei Gottsched noch um eine falsche Edition, bei Bodmer jedoch um die Geschmacksentwicklung. Schmid: Nekrolog, S.313f. Vgl. zur chronologischen Anordnung von Gedichten als „eine Art von einer Lebensbeschreibung des Verfassers": Schwabe: Vorrede zur ersten Ausgabe, S.482; ders.: Nachricht wegen der neuen Auflage, S.492ff. Bohn: Nachricht des Verlegers (Wl, unpag.). Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.133, Anm.l. Der Brief vom 29. 3. 1744 sieht dann die Befürchtungen bestätigt (HN 168). An anderer Stelle kann man verfolgen, wie die poli-
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
Werkkonstruktion gehört auch das Äußere der Gedichtausgaben. Selbst die Vignetten haben den decorum-Vorschriften zu gehorchen.240 Die Verbesserungsästhetik im 'Versuch einiger Gedichte' Hagedorn spiegelt im Schreiben an einen Freund in Horaz' Autorbiographie seine Verbesserungsästhetik. Du weißt, wie sehr auch mich des Flaccus Kunst gereizt, Der, edlen Griechen gleich, nach nichts als Ruhm gegeizt, Und endlich doch begriff, nach Ruhm und Lorbeer streben, Sey minder unsre Pflicht, als recht vernünftig leben [···]· (Wl, 30)
Die Perspektive auf das Jugendwerk, die Hagedorn im Medium der Horazhagiographie vorstellt und beglaubigt, fügt sich in ein dichterisches Konzept, das auf Perfektibilierung aufbaut.241 Vollkommenheitsanspruch und Bescheidenheitsgeste kommen dabei in der Ambivalenz von gewissenhafter und langwieriger Ausarbeitung vor der Veröffentlichung und Korrektur des Veröffentlichten in den folgenden Ausgaben und Auflagen in einer Ästhetik der Verbesserung überein. Die Selektion gewinnt in der Aufklärung gegenüber der Kombination an Gewicht.242 Bereits im Versuch einiger Gedichte hatte Hagedorn das ästhetische Prinzip der Verbesserung propagiert.243 In Der Poet: Satyre entlarvt sich der schlechte Poet durch seine Sorglosigkeit: „Zu läuffig ist sein Kiel, zu eilend seine Hand" (VeG 58). Damit greift Hagedorn in kritischer Hinsicht den
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tische Verhaltenslehre auf die äußere Gestalt des Buchs und aufs Geschriebene angewendet wird, um einen anonymen Autor zu entlarven (HN 141). Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.47. Vgl. auch zu einem Plagiatvorwurf gegen Wagner, den Stecher der Vignetten der Fabel und der Oden H N 151. Vgl. dazu die entsprechenden Stellen aus Horaz' Ars Poetica (V.408ff., 438ff.). Die biographischen Darstellungen wiederholen, mit welcher Akribie Hagedorn sein Werk „ausgefeilt" habe: Schmid: Nekrolog, S.313; Eschenburg in EschIV 35, 41, 51, 75ff. Vgl. weiterhin auch Keith-Smith: Friedrich von Hagedorn, S.159; Schmitt: Friedrich v. Hagedorn, S.91. Einen Uberblick über die positive Rezeption der Zeitgenossen Hagedorns sowie der folgenden Generation gibt Stix: Friedrich von Hagedorn, S.16ff. Skeptisch hingegen verhält sich Ramler gegenüber Hagedorns Perfektion: Pick: Uber Karl Wilhelm Ramlers Änderungen Hagedornscher Fabeln. Zur Gerstenbergs Kritik aus Sicht der Individualästhetik: Anger: Nachwort. In: Ramler: Lieder der Deutschen, S.10*. Vgl. dazu auch EschIV, 102ff. sowie zum Thema allgemeein: Gleim / Ramler: Briefwechsel. Bd.2, S.223; Ramler: Lieder der Deutschen, unpag. (Vorbericht). Anz: Literarische N o r m und Autonomie, S.75. Vgl. zur Schwierigkeit, in diesem Zusammenhang einen „Fehler" überhaupt als solchen zu identifizieren: Β 11.
Verbesserangsästhetik
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Topos von der „fliegenden Feder" der Kasualdichtung auf 44 („[...] die Feder wird gespitzt, / Die Hand eilt fliegend fort"; VeG 61). Die Ästhetik der Verbesserung leitet sich insofern polemisch aus der Kritik der Gelegenheitspoesie her, wovon die eigenen Kasualcarmina natürlich ausgeschlossen bleiben (vgl. Kap. 1.2). Diese polemische Konstitution führt dazu, daß innerhalb weniger Zeilen sowohl zeitintensive poetische Arbeit wie auch enthusiasmierte Dichtung propagiert werden kann (wiederum analog zur Verteidigungsmöglichkeit der Nebenstundenpoesie): „Man ist zu Regeln = scheu, man macht sich selber schwach, / Streicht offt was schönes aus, und zeigt in keinem Wercke / Der Sprache der Natur uns angebohrne Stärcke" (VeG 61).245 Beide Argumente, das Votum für Zurückhaltung und Bedächtigkeit wie das für Enthusiasmus, verteidigen die (eigene) Poesie gegen das Publikum, jenes wilde „ungehirntef ] Thier" (VeG 3).246 Im Blick auf den „wortreichen Uberfluß so vieler teutschen Pelletiers" erklärt Hagedorn in der Vorrede zum Versuch einiger Gedichte: Sowohl die Nachwelt als auch die „vernünftigen Leser", die mit „Gründen" und „bescheiden" ihre Kritik vorbringen, erfordern eine selbstkritische Haltung (VeG 4ff.). [...] meine Eigen-Liebe war nie leichtgläubig genug, um sich mit der süssen Einbildung zu schmeicheln, daß ich diese Stuffen würcklich beschreiten können. Je seltener ich in dergleichen Betrachtungen mit meiner Schreib- und Dicht-Art zufrieden war: je seltener durfte ich auch die Feile ruhen, und den mir vorkommenden Anstoß heben lassen. (VeG 6).
Die auf eine zeitliche Achse verlegte poetische Hierarchie („Stuffen") bleibt auf eine Rangordnung bezogen, denn der Gedanke poetischer Vollkommenheit ist an die Erhabenheitsästhetik der Odendichtung gebunden, die sich gerade gegen das Verbessern, also gegen die Vervollkommnung, sperrt. Damit untergräbt sie den Anspruch eines kritischen Publikums: Schönheit gefällt, und das muß ausreichen. „Von dem eigentlichen Wesen der Schönheit lassen sich keine durchgängige Regeln geben. Es zeiget sich von selbst, 244
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Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.348ff., 368. Vgl. zum Verbot der Kasualcarmina in Hamburg: Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1745, 85. St., unpag.). Hagedorn verweist in diesem Zusammenhang auf den Biedermann (VeG 62): Gottsched: Der Biedermann. 23. St.., vgl. insbesondere S.89f. In einem Brief an Weichmann schreibt Hagedorn, er verwende zwar seine „Nebenstunden" auf die Poesie - nicht auf unstatthafte Vergnügungen -, „[jJedoch habe ich nicht die Muße, meine Gedichte so vollkommen zu machen, als ich es wohl wünschen, und vielleicht einigermaßen erlangen möchte, wenn ich nicht nöthigere Geschäfte zu besorgen hätte. Wiewohl ich auch bemerkt habe, daß das viele Ausbessern demjenigen lebhaften Feuer, worauf das Salz und die Höhe der Gedanken beruht, oft mehr schadet als nutzet" (25. 10. 1726; Β 4f.). Vgl. ähnlich Horaz: Ep. 1,1, 76.
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
und gefällt, so bald es sich gezeiget" (VeG 7). Ihr Wesen kann durch Regeln nicht berührt werden, so daß sich der Leser dem Autor assimilieren muß: „Es ist verwegen, mit kaltsinnigem Gemühte, mit einer schläfrigen Unempfindlichkeit von Wercken zu urtheilen, die mit aufgewecktem Geiste geschrieben worden" (VeG 7). In diesem Zusammenhang kann Unvollkommenheit die enthusiasmierte Stimmungslage des Dichters signalisieren, so daß der Blick auf die Kriterien des zuvor hofierten 'vernünftigen Lesers' einer 'Verstümmelung' gleichkommt (VeG 9).247 Neben allen polemischen Gründen, die den Abgesang auf Regularität legitimieren, weil diese mit dem „Maaß = Stabe des Schul=Witzes" zusammenhängt, steigert die Umstellung der Schönheit auf die Tautologie „schön ist, was schön ist" die selbstinspiratorische Poetologie. Vollends undurchsichtig wird die Mischung von Enthusiasmus und Kalkulation in der Wendung gegen poetischen „Schwulst", der ein üppiges Formenrepertoire mit der hohen Stillage sowie dem entsprechenden furor verbindet. Im Gegensatz dazu prozessualisiert die „ungeschminckte[ ] Hoheit" die Poesie: Diese Qualität ist nur „den wenigsten gegeben, weil nicht viele ein wildes und sinnreiches Feuer gebührend zu unterscheiden, und auszuschweiffen gelernet, ohne sich zu versteigen" (VeG 8). Die kategoriale Unordnung von Enthusiasmus und iudicium, von furor und exercitium spiegelt die komplizierte Einheit von ars und ingenium,248 Begeisterung und Perfektibilierung passen nicht recht zueinander. Begeisterung überträgt sich augenblicklich in Schrift, und der Leser überträgt die Schrift ebenso augenblicklich wieder in Begeisterung. Perfektibilierung hingegen braucht Zeit und kann in der Zeit vom Leser „entwickelt" werden. Eine theologisch ausgerichtete, inspiratorische Poetologie beispielsweise argumentiert daher mit frühreifen Gedichten gegen die auf Selbsterziehung basierende Eigeninspiration.249 Aus diesem Grund stellt Hagedorn im Versuch einiger Gedichte dichterische Perfektibilierung nur im Poetischen Sendschreiben an Herrn J. D. P. ausführlich und unabhängig von einer kritischen Intention vor, denn dort verknüpft er sie mit einer Autorbiographie: Poetologisch legitimiert sich die Satire wie die Gelehrsamkeit durch Naturalisierung, aus dem „Trieb, [...] / Der andern Narrheit stets in meine Verse [zu] ziehe[n]" (VeG 86; vgl. Kap. 3.1). Das Ich des Sendschreibens erlebt an sich selbst, „daß ein erhitzter Muht, / Weit mehr, als Fleiß und Kunst bey Stachel = Schrifften thut" (VeG 87).
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Boileau bemüht in diesem Fall den Kritiker als Vermittler: L ' A r t poétique, S.71.
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Vgl. zu ähnlichen Konstruktionen bei Hagedorns Gewährsmännern in Sachen Theorie: Longinus: V o m Erhabenen, 2; Boileau: L'Art poétique, S.11; la Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XVI.
249
Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.lOff.
Verbesserungsästhetik
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Dann aber stellt sich unvermittelt die prekäre Frage: „Entfällt mir denn so gar, wie ich beschaffen bin?" Damit entlarvt sich das satirische Erlebnis als Topos, wodurch der folgenden autorbiographischen Konfrontation von jugendlicher Unbekümmertheit und wachsender Skrupulosität zumindest der Schein von Authentizität vermittelt wird, auch wenn es sich nur um eine biographische Imitation gleichsam auf zweiter Stufe handelt, die ihr Vorbild in Neukirchs Palinodie250 auf sein Frühwerk einerseits und Canitz' Legitimation der Satire andererseits hat. Bevor der von Hagedorn beschriebene juvenile Dichter noch schreiben oder gehen kann, „empfindet" er schon dichterische Ambitionen, die durch den Vater unterstützt werden und die eine ungehemmte Produktivität freisetzen.251 Ein Eifer trieb mich an, in ungestillten Zügen, Den innerlichen Ruf zum Dichten zu vergnügen: Ich mahlte sonder Ruh auf Banck und Tafel ab, Was mir mein wildes Feu'r an W o r t und Einfall gab. (VeG 88)
Man kann also Enthusiasmus und Verbesserung auf einer biographischen Achse anordnen, indem man die Jugend zum Ort der (verbesserungsbedürftigen) enthusiastischen Dichtung erklärt und das Alter zur Zeit des gereiften Urteilens. Hagedorn folgt damit nicht bloß Horaz, sondern verschränkt auch die autorbiographischen Schemata seiner Zeit. Canitz begründet die Satire wie Hagedorn sein (satirisches) Dichten.252 Schon als Schüler sperrt sich der junge Autor „Canitz" gegen die Zumutungen einer einseitigen Ausbildung der memoria mit satirischer Bloßstellung. Das literarische Talent mußte allerdings noch in einen Prozeß der Geschmacksbildung eingelagert werden, bis das „unschuldige" Vergnügen der Satire entstehen konnte.253 „Einfalt" und „Natur" verbinden sich in der Le250 251
Vgl. Gottsched: Vorrede, unpag. So auch Pope: Epistel an den Dr. Arbuthnot, S.189. Vgl. zum Interesse an frühesten kindlichen Erlebnissen im Zusammenhang mit der Ablösung der Temperamententheorie durch ein genealogisches Modell: Goldmann: Topos und Erinnerung, S.666.
252
Vgl. zur Musterhaftigkeit der Canitzschen Dichtungsbegründung Gottscheds Vorrede zur ersten Auflage der Dichtkunst: Versuch einer critischen Dichtkunst.. Anderer besonderer Theil, S.397f. Vgl. zur charakterlichen Disposition als Begründung für die Satire bei Liscow z. B. den Grundsatz: „Ein jeder muß schreiben, wie es seyn Naturell
mitbringet"
(Unparteyische Untersuchung, S.182). 253
„In meinem Schüler-Stand, auf den bestaubten Bäncken / Hub sich die Kurtzweil an. [...] / Biß, nach und nach, die Zeit den Vorhang weggeschoben, / U n d mir, was schelt e n s - werth, hingegen was zu loben, / Was Hof und Kirch und Land, und Stadt für Wunder hegt / Und was mir selber fehlt, getreulich ausgelegt" (Canitz: Von der Poesie. In: ders.: Gedichte, S.94).
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
bensgeschichte mit Selbsterkenntnis und Verselbständigung. Für Canitz' Biographen Johann Ulrich König spiegelt das Werk einen Prozeß der Vervollkommnung. 254 Er setzt ein genealogisches Autormodell durch, wobei die Intention auf stabile Vorbildlichkeit den Autor Canitz zugleich heroisiert. Denn die Jugend des Heros ist nichts anderes als die Vorwegnahme seiner späteren Taten, und seine Biographie ist Weissagung, wie Hagedorn panegyrisch am Beispiel Peters II. zeigt (VeG 15).255 Repräsentativität bedeutet Vollkommenheit 256 , die Autorbiographie bedeutet aber zugleich einen Prozeß der Vervollkommnung, der Zeit benötigt und dem die Amtsgeschäfte Zeit rauben. Die poetische Vollkommenheit des Autors bedarf ausreichend müßiger Stunden, andernfalls hat sein Werk Fehler. Dabei kann es sich zwar nur um „Kleinigkeiten" handeln, die König aber immerhin „Critische[ ] Anmerckungen" wert sind257 - denn die Biographie besteht ja aus Fehlern, die man zu vermeiden lernt. Für König - wie zuvor bereits für Neukirch im Falle Lohensteins258 - entschuldigt den Autor hier der Tod, die Steigerung von poetischer Bescheidenheit und Geschäftigkeit, bei der definitiv keine Zeit mehr zum Dichten bleibt.259 Während Canitz und König autorbiographische Kontinuität konstruieren, stellt Neukirch ein Autorbild bereit, das zwar auf den gleichen Prämissen beruht, sich jedoch in eine andere polemische Richtung orientiert. Canitz legt zur Legitimation der Satire den Akzent auf die natürliche Anlage zum Dichten, indem er Zeit einbezieht und so seinem Werk eine gleichsam horizontale Wertachse einbildet. Neukirch bewegt sich - wie Hagedorn im Versuch einiger Gedichte - auf der vertikalen Achse von guter Poesie und schlechter (Gelegenheits-)Dichtung. Da Neukirch auch diese Hierarchie in
254
„Der Leser gewinnt dadurch (durch „Zeit-Bemerckungfen]", S. M.) den Vonheil, daß er sehen kan, wie sich der Poete von Jahren zu Jahren vollkommener gemacht; aber auch schon in früher Jugend [...] rein, vernünfftig und wohlfliesssend geschrieben [...]" (König: Vorbericht Bey dieser neuen Auflage, S.52). Vgl. zur Edition auch: Niefanger: Sfumato, S.llOff.
255
König parallelisiert den „frühzeitige[n] Trieb zur Dicht-Kunst" mit den Anzeichen, die Canitz einen „grossen Antheil bey [...] hohen Staats-Versammlungen voraus verkündigt hatten" (König: Leben Des Freyherrn von Canitz, S.84). Vgl. zur puer-senex-Metiphet: Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.108ff., 179ff. König: Vorbericht bey dieser neuen Auflage, S.LXV. Neukirch: Vorrede, S.16f. „Es gereicht inzwischen dem Verfasser allemahl zur Entschuldigung, daß dessen Wercke, erst nach seinem Tode, der Presse untergeben worden, und er, zu Ausputzung derselben, wegen seiner andern hohen Geschaffte, weder die Zeit, noch den Willen gehabt, auch in seinem Leben niemahls den Vorsatz gehegt, solche durch den Druck gemein zu machen [...]" (König: Vorbericht bey dieser neuen Auflage, S.LXV).
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Verbesserungsästhetik
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die Werkgenealogie verlegt, erzählt er eine diskontinuierliche Lebensgeschichte. Im Jahr 1700 blickt Neukirch zu einem zweifellos biographiestrategisch günstigen Zeitpunkt auf sein Werk zurück und sieht sich in eine neue Altersstufe eintreten:260 Mein reim klingt vielen schon sehr matt und ohne krafft, Warum? Ich tränck' ihn nicht in muscateller-safft; Ich speis' ihn auch nicht mehr mit theuren a m b e r - k u c h e n : Denn er ist alt genung, die nahrung selbst zu suchen. Zibeth und bisam hat ihm manchen dienst gethan: N u n will ich einmahl sehn, was er alleine kan. Alleine? fraget ihr: Ja, wie gedacht, alleine. D e n n was ich ehmals schrieb, war weder mein noch seine [...]. {AufdieLinck-
undRegiußische Vermählung, den 8]uniianno
/700). 261
Neukirch eröffnet in diesem Epithalamium im Mißverhältnis von Urteilskraft und poetischem Vermögen einen biographischen Raum: Die poetischen Vermögen sollen sich durch Selbstverbesserung dem Niveau der Urteilskraft annähern. Dem Altern und dem Zuwachs an Erfahrung entspricht die Autonomisierung der Findekunst (inventio); die akkumulierende, punktuelle Lektüre wird von der intensiven, auf Nutzen bedachten und selektierenden Lektüre verdrängt, und nicht zufällig provozieren wieder Horaz' Werke die neue Lesart262 und steigern dabei den poetischen Anspruch so weit, daß der gereifte Dichter widersinniger Weise gerade noch den Status eines „schüler[s]" erreicht. Neukirch gewinnt dem Geiz als topischem Charakteristikum des Alters in der Alterslehre positive Qualitäten ab, indem er die Bedächtigkeit im Dichten gegen die jugendliche Schnellreimerei ausspielt. Dabei ist - so die selbstironische Pointe - auch das dichtungskritische Epithalamium selbst als Kasualcarmen „flüchtig hingereimt". 2 " Neukirch bindet Poesie an Zeit und wehrt Gelegenheitsdichtung ab, die bei Bedarf produziert werden muß. Der dichterische Anspruch steigert sich 260
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263
Vgl. zum ambivalenten Verhältnis Neukirchs zu diesem Epithalamium: Metzger / Metzger: Einleitung. In: Benjamin Neukirchs Anthologie [...] Sechster Theil, S.XXVff. Benjamin Neukirchs Anthologie [...] Sechster Theil, S. 152f. „O grausamer Horaz! was hat dich doch bewegt, / Daß du uns so viel last im tichten aufgelegt? / So bald ich nur dein buch mit nutz und ernst gelesen; / So ist mir auch nicht mehr im schreiben wohl gewesen" (ebda., S.153). In diese Tradition Neukirchs stellt sich Gottscheds kommentierte Horazübersetzung als Einleitung der Dichtkunst (Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.35ff.). Boileau läßt H o r a z bereits in der Jugend einflußreich sein. Daraus entsteht dann das Konzept der L'Art poétique (L'Art poétique, S.80). Benjamin Neukirchs Anthologie [...] Sechster Theil, S.153, 155.
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
durch die Divergenz von kritischer Einsicht und produktivem Unvermögen, wodurch den eigenen Gedichten der Status des Unvollkommenen eingeräumt wird, der aber zugleich die Spuren poetischer Vollkommenheit an sich trägt. Dichterische Tätigkeit und dichterische Möglichkeit kommen in der Biographie zusammen. Dieser Prozeß der Anspruchssteigerung vollzieht sich im Medium der Alterslehre als Vergeistigung, als Entwicklung der Erkenntnisvermögen: „Und also bin ich nicht mehr nach der neuen weit: / Denn ich erfinde nichts, was in die äugen fällt".264 Dem entspricht die Abwehr der bilderfreudigen heidnischen Mythologie, die das Material für die Epithalamiendichtung geliefert hatte, sowie das Votum für die „kluge liebe", deren „exempel" natürlich der „bräutigam" vorstellt.265 Selbstkritik, Literaturkritik und Moralkritik bilden eine Einheit und kommen zu jener Figuration zusammen, die die poetischen Sünden der Schriftsteller unter Realitätsverdacht stellt. Was bei Canitz als positive Entwicklung der Geschmacksausbildung verläuft, das stellt für den Autor in Hagedorns Sendschreiben einen biographischen Bruch dar, hervorgegangen aus der Unvereinbarkeit von inspiratorischer Poetologie und biographisch fundierter Verbesserungsästhetik. Das Schema dazu hatte Neukirch bereitgestellt. Itzt aber muß ich selbst Gedicht' und Satz bestreiten. Da schien mir, was ich schrieb, noch schön und lesens wehrt, N u n sich anitzt mein Geist oft gegen sich empört, Und ich so manchen Vers, die Frucht von meinem Fleisse, Mit murr'scher Ungedult bald andre, bald zerreise; Weil mir ein jeder Tag mit Uberführung zeigt, Wie klein die Anzahl sey, die den Parnaß ersteigt, Wie viel mir noch an Kunst, Natur, und Zeit gehöre, Bevor ich diese Zahl mit meinem Eins vermehre. Ach! wünsch' ich schertzend dann, ach! wärst du eben so, Wie in der Kindheit noch, ob deiner Schreib = Art froh! Wie mancher Dinten -= Strich verschonte deiner Lieder, Kam nur der Selbst-Betrug der ersten Jugend wieder! So gehts. Die Einsicht nimmt mit Zeit und Alter zu, Und raubt der Poesie die sonst genossne Ruh. (VeG 88f.)
Zwei Gedankenfiguren sind hier wichtig: zum einen der Ubergang von der Fremdinspiration zur Selbstinspiration266, zum anderen die Divergenz von 264 265 266
Ebda., S. 153. Ebda., S.154. In nie wiederholter Deutlichkeit schreibt Hagedorn über sein Interesse am Neuen in einem Brief vom 23.9.1727 an Weichmann: „Der Mensch ist eins der unauflöslichsten Geheimnisse. Wir gleichen sehr oft den alten Leuten, die aus blossem Eigensinn, und der neuen Welt zum Trotz, in derselben Tracht einherziehen, die in ihrer Jugend gebräuchlich war. Die
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Einsicht und poetischer Kompetenz. Die Inspiration, die andernorts von den Musen, der Natur oder den antiqui kommt, verlagert sich gleichsam ins eigene Werk, dem der Autor durch die Zeit gegenüber tritt, in der sein Geschmack sich entwickelt und das er sich dann durch Änderung oder Streichung wieder aneignet. Während die Kategorie der „Neuheit" den aristotelischen, teleologischen Zeitbegriff aus der historischen Konstruktion verabschiedet, demzufolge zu jedem Zeitpunkt die Perfektion schon präsent ist,267 erscheint er nun in der Biographie. Neukirch hat wie Canitz seinen Biographen, der das Autormodell entfaltet. Er legt mit seiner Palinodie Spuren aus, die Gottsched beinahe ein halbes Jahrhundert später in der Vorrede zur Ausgabe von Neukirchs Gedichten (1744) entziffert. Dabei steht dem Editor kein anderes Material zur Verfügung, „als was aus seinen (Neukirchs, S. M.) Gedichten und Schriften selbst erhellet"268. Gleichwohl sortiert er das vorhandene Material aus und macht dabei die Autorbiographie zum Programm der auserlesenen Gedichte. Die Sammlung nimmt die Gedichte in „Lohensteinischem Geschmack" nicht auf, und die Autor biographie sucht ausgehend vom Projekt des Epithalamiums Auf die Linck= und Regiußische Vermählung die Ursprünge des Geschmackswandels avant la lettre bereits im Arminius (1689) und Herrmann (1690): Die Biographie, die Geschmackswandel an den Autor bindet, braucht - neben schwulstkritischer Alterität - Kontinuität. Diese Kontinuität stellt Gottsched aus dem Geist des Autors her, als dessen verlängertes Urteil sich der Herausgeber begreift. Denn „manche Gedichte [...], die Neukirch in seiner Jugend, und vor der in Berlin erfolgten Änderung seines Geschmacks gemacht" habe, würde dieser selbst verworfen haben269 - Neukirch allerdings hält das Epithalamium über ein Jahrzehnt hinweg zurück und legt noch an seinem Lebensende in den Gedancken von Richtigkeit und Vollkommenheit der teutschen Sprache ein gegenläufiges Programm vor.270 Das Handeln des Lesers assimiliert sich dem vorbildlichen Autor, indem es seine Entwicklung nachvollzieht und sogar vollendet - translatio imperii in der res publica litteraria: Daher gibt Gottsched Neukirch auch einen Ort in
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Neuigkeiten sind uns verhaßt; unsre Fehler sind uns Tugenden: abundamus dulcibus vitiis. Neue Erfindungen in den Wissenschaften sind der menschlichen Trägheit und Einbildung entgegen" (B 8f.). Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S.323. Gottsched: Vorrede, unpag. Vgl. auch Junckers Argumente gegen die Veröffentlichung Neukirchscher Gedichte durch Hancken: Neukirch selbst habe dagegen votiert, da er keine „unzeitige[n] Geburthen" drucken lassen wolle, die noch nicht verbessert seien (Untersuchung Herrn Gottfried Benjamin Hanckens Weltlicher Gedichte, S.15). Metzger / Metzger: Einleitung. In: Benjamin Neukirchs Anthologie [...] Sechster Theil, S.XXVff. Vgl. zu Argumenten Neukirchs für die Verbesserung vor 1700: Neukirch: Vorrede, S.7, 16f., 21.
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seiner Biographie und läßt den jugendlichen Literaturrichter durch Pietschs Neukirch-Referat vor dem „unsinnigen Schwulst" warnen, so daß die Edition der Neukirchschen Gedichte selbst ihren biographischen Grund erhält.271 In der besten Welt der Literaturkritik ist jeder Beobachter ein virtuell Beobachteter. Sowohl Canitz als auch Neukirch beschäftigen sich nicht selbstgenügsam mit ihrer eigenen dichterischen Entwicklung, sondern diese Entwicklung gewinnt ihre besondere Bedeutung im Licht eines progressiven literaturgeschichtlichen Schemas, das das eigene Werk als Einschnitt in der Geschmacksgeschichte zu etablieren versucht. Canitz und sein Biograph König können eine kontinuierliche Autorbiographie präsentieren, indem sie das Werk an den Nullpunkt der neuen Entwicklung setzen und dabei sukzessive und bedächtige Vervollkommnung als genuine Qualität der neuen Poesie vorstellen. Neukirch hingegen vollzieht den literaturgeschichtlichen Bruch selbst in seinem Werk nach und muß daher auch seine Autorbiographie diskontinuierlich gestalten. Neukirchs Biograph Gottsched hingegen versucht wieder, Kontinuität zu installieren, und drängt so das Frühwerk aus der Autorbiographie heraus oder findet die Spuren des Geschmackswandels bereits im Frühwerk. Hagedorn verwendet die Schemata je nach polemischer Ausgangslage: Gegen die schnelle und öffentlichkeitsorientierte Produktion von Kasualcarmina setzt er die gewissenhafte Ausarbeitung272, gegen die Kritik der (satirischen) Poesie deren Vollkommenheit und moralische Legitimität im inspirierten Augenblick. Alterslehre und Selbstkritik Hagedorn beginnt mit der Herausgabe seiner Sammlungen Ende der dreißiger Jahre, das Prinzip der Verbesserung aus der Opposition zur Kasualdichtung sowie aus der problematischen Beziehung zur enthusiasmierten Dichtung öffentlichkeitswirksam273 zu lösen. Nun fällt nahezu alles, was vor dem Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen veröffentlicht worden war,
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Vgl. auch Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.190f. Vgl. zum Topos: Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht, S.215. Vgl. ζ. B. die Anmerkungen als Vorbild der Verbesserungsästhetik in: Gleim / Uz: Briefwechsel, S.32, 46, 79; vgl. auch die Rezension der Oden und Lieder in fünf Büchern im Hamburger Correspondenten: „Es sind dieses keine Lieder, die auf den Kauf gemacht sind [...]. Es sind Lieder, die der Dichter in Stunden aufgesetzt hat, da sich sein Herz eben zu dem Gegenstande geschickt befunden, den er sich erwählet, und er hat denselben Monate, Jahre, und wohl länger ruhen lassen, bis eine gleiche Empfindung sein Herz wieder belebet" (Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1747, 57. St., unpag.).
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unter das Rubrum „jugendliche Übereilung" (Wl, XI, 96).274 Der biographische Umschwung, der Wechsel vom Früh- zum Hauptwerk, gewinnt für Hagedorn geradezu religiöse Qualitäten: Niemals hat ein Buch den Titel eines Versuchs mehr verdient, als diese Sammlung von 16. unreiffen Gedichten. Es stecket so voller Fehler, daß ich der Welt, für ein öffentliches Versehen, auch eine öffentliche Busse schuldig, aber auch eben so ungeneigt bin, meine Erstlinge wieder vorzunehmen und zu versuchen, wie weit sie zu verbessern stehen, (an Bodmer, 3.7.1742; Β 79; vgl. auch Β 98)
An anderer Stelle schreibt Hagedorn über seine frühen Gedichte als „JugendSünden" (an Giseke; 7. 8. 1745; Β 162) und über die Vernichtung von Gedichten, er habe sie mit der „Straffe der Ketzer" bedacht (an Gleim; 23. 6. 1745; Β 158; vgl. auch Β 214; vgl. Kap. 5.2). Die existentielle Beziehung zum Text, die das religiöse Schriftverständnis nahelegt,275 verschränkt sich mit der narrativen Struktur der Bekehrung. Man muß handeln und sein Leben ändern, um wirkliche Reue zu zeigen, nicht nur heuchlerisch viele Worte verlieren.276 Beides fällt in Brockes' Autorinszenierung zusammen:277 Er erklärt das Scheitern seiner höfischen Laufbahn kurzerhand zur providentiellen Fügung (nach dem ersten Erfolg des Irdischen Vergnügens) und wendet die Verfahren seiner poetischen Weltdeutung auf sich und seine Familie an.278 Kein Wunder, daß Scheibel bei der Entlarvung poetischer Sündhaftigkeit gerade Brockes zum positiven Gegenbild erklärt.27' Prekärer als für Hagedorn und Brockes stellt sich diese Situation für Hunold dar: Ihm wird nach seiner Berufung nach Halle280 das Autormodell, wie er es ζ. B. in seiner Vorrede zur Poetologie Neumeisters vertreten hatte, zum Verhängnis. Die enge Verknüpfung von Poesie mit dem „Naturell" des Poeten („Denn um die Liebe schön auszudrücken / ist wol etwas ein Poet / das meiste aber verliebt zu seyn")281 macht in der Vorrede zu den Academischen Neben=Stunden (1713) Buße ebenfalls notwendig:
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Diese Kritik unterscheidet sich durch ihre Globalität von der gattungsgebundenen Kritik des Jugendwerks als Liebesdichtung, wie ζ. B. in Opitz' Zlatna (Gesammelte Werke. Bd.n.l, S.89). Stenzel: „Si vis me fiere ...", S.670. Der Patriot. Bd.m, S.308. Hagedorn bemerkt diese Inszenierung (an Bodmer; 3. 9. 1747; Β 214f.; vgl. Kap. 6). Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.212ff.; ders.: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5/Π, S.112f.; Ketelsen: Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung, S.25ff. Vgl. Widmung und Vorrede in: Die Unerkannte Sünden der Poeten, unpag. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5/1, S.65. Hunold: Vorrede, unpag.
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Die Poesie, wie sie von mir und vielen andern getrieben worden / hat mehrentheils einen geringen Nutzen und noch weniger Tugend in sich; und da ich in einigen Jahren manche Stunden damit zugebracht; nun aber den Nahmen Menantes, einem neuen Poetischen Buche vorsetze: so steiget bey nahe eine Rothe in mein Gesicht. Man wird mich nach meinen längst herausgegebenen Gedichten urtheilen; oder sagen: daß mir die Poesie nicht weiter gezieme. [...] Tugendhaffter Leser / ich wünschte / daß viele meiner Schrifften in ihrer ersten Gebührt erstickt wären.282
Die Umkehr des Sünders macht diesen zum Exempel. Menantes kann gerade aufgrund seiner Vergehen den poetologischen Lehren, die er erteilt, eine besondere Uberzeugungskraft zumessen. Sie sind aus eigener „Erfahrung" gewonnen, so daß er „heilsame[ ] Nachricht" darüber mitteilt, was ihm „selber die Tugend vorgehalten / und was mir die Liebe zu anderer Besserung zu melden befiehlet". Veränderung ist das Zeichen der Menschlichkeit, sie ist „vernünftig und Christlich". Bezeichnenderweise verwendet Menantes die Muster der Alterslehre.283 Das metaphorische Bindeglied zwischen der Kritik der Kasualpoesie im Versuch einiger Gedichte und der Kritik des Frühwerks als ein Produkt der Jugend bildet der Topos der „Übereilung" sowie der aus der Temperamentenlehre sich herleitende Begriff der „Hitze". 284 Poetologische und anthropologische Modelle verbinden sich in der Theorie der Selbstverbesserung mit weiteren Klassifikationssystemen (charakterliche und physiologische Eigenschaften, soziale Kompetenzen etc.) in der Alterslehre, die dem lebens-, literatur- und werkgeschichtlichen Aufbau zugrundeliegt.285 Die Alterslehre bildet die begriffliche, bald bloß noch metaphorische Schnittstelle für kosmologische, anthropologische oder moralphilosophische Erörterungen. Denn der starre Schematismus der Altersstufen kommt nicht mit der Vielfalt
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Menantes: Academische Neben = Stunden, unpag. Scheibel behandelt dieses Schema wie selbstverständlich an verschiedenen Stellen, so z. B. Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.142. Vgl. Iulius Caesar Scaliger zu den Silven: Poetices libri Septem. Bd.HI, S.62f., im folgend: Opitz: Buch von der deutschen Poeterey, S.368. Vgl. auch die Vorrede von Nüßler zur Edition von Opitz' Silvae (1631), in der Nüßler von dem vergeblichen Bemühen berichtet, von Opitz auch die lateinischen Carmina zu erhalten: „Als Begründung führte er (Opitz, S. M.) besonders folgendes an: einmal seien die meisten Gedichte in seiner Jugendzeit oder nebenbei und zu irgendeiner Gelegenheit entstanden, zum andern gebe es so bedeutende Poeten aus alter und jüngerer Zeit, daß man jetzt auf seine Verse getrost verzichten könne" (zitiert nach: Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, S.196). Die Unterteilung schwankt dabei zwischen den gewöhnlichen vier Stufen (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, Alter) und drei, fünf, sieben oder zwölf Einheiten (vgl. bei Ariès: Geschichte der Kindheit, S.74ff. Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.80). Vgl. bei Hagedorn: Der Jüngling, Der Mann, Der Alte (Wl, 120ff.) und Das Kind, Der Jüngling, Die Alte und Der Alte (W3,71ff.).
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der Entwicklungen überein, „darinnen bey den Menschen ein gar grosser Unterscheid bemercket wird"286. Bisweilen erhält die „moralische Betrachtung" von Jugend, Erwachsenenalter und Alter die ikonologischen Wurzeln der Alterslehre (Jahreszeitenund Beschäftigungsbilder sowie Lasterdarstellungen).287 Die Beschreibung und Auslegung der Kindheit (pueritia) folgt in der Aufklärung jedoch auch einer anderen Einteilung: Denn Kinder wollen immer was zu spielen haben, weil die Spiel-Sachen in die äusserlichen Sinne fallen, und die Imagination stärcken, und dabey kan man sie bald böse, bald gut machen, welches durch sinnliche Sachen geschehen muß, weil bey ihnen der Gebrauch der Vernunfft noch nicht da ist.288
Die Kindheit erlangt den Status des Nullpunktes einer zukünftigen Entwicklung.289 „Die Fähigkeit neugebohrner Kinder ist zu allem gleichgültig".290 Kindheit wird nicht durch bestimmte festgelegte Charakteristika definiert, sondern ist ein der Zeit offener Möglichkeitsraum.291 Dabei avanciert die „Vernunfft" zum Ordnungskriterium der Alterslehre im Rahmen einer genealogischen Erkenntnistheorie und mit Hilfe einer juristischen Bestimmung von Mündigkeit: „Inzwischen hat man in den Gesetzen gar weißlich das Alter in seiner Unmündigkeit, Minderjährigkeit und Vogdbarkeit betrachtet, und gewisse Gräntzen gesetzet, nachdem meistentheils sich der rechte Gebrauch der Vernunfft einstellet".292 Hatte zuvor z. B. die soziale Stellung die rechtlichen Kriterien zur Bestimmung der Altersstufen festgelegt, die den Raum der Kindheit durch Abhängigkeitsverhältnisse eingrenzt und auch den nach Jahren Herangewachsenen noch als Diener oder Soldat zum Kind machen konnte,293 so verlagern sich jetzt die Kriterien in den einzelnen hinein und orientieren sich an der intellektuellen Reife (die natürlich wiederum sozialen Bestimmungen und Ausgrenzungen offensteht). 286 287 288 289
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293
Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp. 81. Vgl. Klibansky / Panofsky / Saxl: Saturn und Melancholie, S.415ff. Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.82. Dadurch lösen sich dann auch die temperamententheoretischen Schemata auf: Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.386. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.178. Luhmann: Frühneuzeitliche Anthropologie, S.194, 210. Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.81. Gottsched definiert „minderjährig" ähnlich: „So lange nun die Kinder, in ihrem Thun und Lassen, noch einer fremden Anleitung nöthig haben, und sich selbst nicht versorgen können: so lange werden sie minderjährig und unmündig genennet" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.244). Aries: Geschichte der Kindheit, S.83. Daneben spielen äußeres Erscheinungsbild und soziale Nützlichkeit noch eine Rolle (vgl. Hagemann: Alter, Sp.l34ff. Ogris: Mündigkeit, Sp.738ff.).
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„Denn das Wachsthum oder Alter des Verstandes ist eben so wohl unterschiedlich / als das Alter des Leibes". 2 ' 4 Der metaphorische Ubergang zur Dichtung gelingt u. a. durch das Bild vom Buch als Kind des Poeten. Auch Bücher bedürfen bisweilen der Erziehung, d. h. der langwierigen und sorgfältigen Formung. 295 Die Theorie der Geschmacksentwicklung setzt an diesem Punkt an: Der mündige Poet tritt aus einem Abhängigkeitsverhältnis heraus, indem er sich durch eigene Urteilsfähigkeit von vorgegebenen Mustern befreit. Wolff gibt als Ziel der Erziehung an, sich selbst „regieren" und „versorgen" zu können, 296 für den Poeten heißt das: sich selbst kritisieren und seine eigenen Gedichte erfinden zu können. Damit verbindet sich der Wechsel vom rhetorischen zum philosophischen Paradigma, die Abstandnahme von den Lexika und das Vertrauen in die automatische Folge von Sachkenntnis und (poetischen) Wörtern. 297 Wenn Hagedorn in seinen Patriot-Satiren die gesellschaftliche Spitzenposition durch einen lebensgeschichtlichen Anfangspunkt ersetzt, also den Adel mit der Jugend vertauscht, dann findet er dadurch eine „Quelle" für Laster: „Erziehung, die Unerfahrenheit, die Geblüts = Hitze, der falsche Begriff vom wahren Vergnügen und der rechten Ehre" (P 57f.). Diese „Quellen" bilden keine substantiellen Merkmale der Person, sondern gründen in einem Erkenntnisproblem, der „Tohrheit" (P 52). Die „Tohrheit" bezeichnet nicht den Ort des Menschen im Kosmos, denn Erziehung kann die Jugend aufklären. Vielmehr verzeitlicht Hagedorn die „Tohrheit" und fügt den Menschen in einen Perfektibilierungsprozeß ein, der „Irrthümer" zu einem Signum der „unreiffen Jahre" erklärt und die Reifung allererst möglich macht. 298 Wie aus wolffianischer Perspektive verweisen Fehler auf Zeit. m 295
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Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.196. Vgl. einen Brief an Giseke vom 25. / 26. 9. 1746: „Ein Autor hat eine unumschränkte Gewalt über sein Schriften und gleichsam ein Jus vitae et necis. Ich sehe gewisse unrichtige Ausdrücke, die sich in meine Gedichte einschleichen dürfen, als Wechselbälge an, die ich Verstössen und nicht erkennen muß; auch gedenke ich einigen Dichtern ein gutes Exempel zu geben, die, wie es scheinen könnte, die Auslöschung einer ihrer Zeilen für einen KinderMord ansehen" (B 175). Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen, S.55, auch S.58ff. Vgl. Gottscheds Kommentar zu Horaz' Alterslehre: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.87f. Hagedorn vermischt zwei sich widersprechende pädagogische Modelle der Jugend: Zum einen scheint die Verankerung in Unerfahrenheit und Temperament vorauszusetzen, Alterung sei Läuterung einer ursprünglichen menschlichen Verderbtheit. Zum anderen aber macht Hagedorn die Erziehung für diese Verderbtheit verantwortlich, die somit einen eigentlich neutralen Zustand erst beschädigt (Herrmann: „Kinderzucht" oder „Pädagogik"?). Der zweite Ansatz wird üblicherweise im Patrioten vertreten (ζ. B. Der Patriot. Bd. I, S.51). Allerdings kann ursprüngliche Torheit auch im Sinne der menschlichen Instinktschwäche
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Wenn ein Werk durch Verbesserung entsteht, muß folglich im jeweils vorangegangenen Werk ein heimlicher Verweis auf das spätere enthalten sein; und wenn das Alter durch „Entwicklung" der Jugend entsteht, muß es Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen ihnen geben. In der Ode An die Freude wurde bereits gezeigt, wie variabel Jugend und Alter ineinander übersetzbar sind (vgl. Kap. 2.4). Dafür gibt es verschiedene Verfahren: Steigerung, verdeckte Übernahme, Kritik. In den epigrammatischen Altersgedichten29', die mit Einschränkungen das männliche Alter bevorzugen, stellt Hagedorn durch Steigerung einen Ubergang zwischen den Altersstufen her: Der Jüngling „wählt unüberlegt, bleibt keiner Wahl ergeben", wohingegen Der Mann „bestimmter wählt" (Wl, 120). In den Oden und Liedern hingegen, die traditionell der Jugend zugetan sind, übernimmt Hagedorn mehr oder weniger verdeckt die Qualitäten des Alters in die Jugend und wandelt die Vorliebe fürs Gegenwärtige in einen Lernprozeß: „Zwar lehren wir und lernen beyde (der „Jüngling" und das „Mädchen", S. M.); / Doch unsre Wissenschaft ist Freude / Und unsre Kunst Gefälligkeit" (W3, 73). Die derart „mit Vernunft" begabte Jugend weist dann dem Alter „dunk[le]", „verkehrtfe]" oder „widersinnisch[e]" Schlüsse nach.300 In dieser Situation legt sich der Schriftsteller wieder eine jugendliche Attitüde zu, allerdings in Gestalt einer gleichsam erwachsenen, kenntnisreichen Jugendlichkeit: So behauptet der Jüngling, der sein Motto dem gleichnamigen Gedicht Hagedorns entnimmt, das Alter eines Dichters sei nach einer eigenen Zeitrechnung zu bemessen, entscheidend sei der innere Wert.301 Ubergänge zwischen den Altersstufen werden umso plausibler, je mehr im Vorgriff und im Rückblick schon Spuren anderer Zeitpunkte bemerkbar sind - wofern Plausibilität etwas mit Kontinuität zu tun hat. Während die Jugend auf diese Weise Fortschritte machen kann, wird umgekehrt jugendliches Gebaren im Alter problematisch. So wendet sich der Zuschauer insbesondere gegen die Abwertung des Alters durch die Jugend, sei es als Spott der Jugend selbst oder als vergeblicher Versuch des Alters, sich jugendlich zu geben. Beides zeigt eine „unnatürliche Neigung gegen dasjenige, was in dem ordentlichen Laufe der Vorsehung" angelegt ist.302 Wer bereits in der Jugend das Alter vorbereitet und die Voraussetzungen dafür schafft, daß er im Alter vergnügt auf seine Jugend zurückblicken kann, handelt gemäß „Natur und Vernunft" und verkehrt die „natürliche Einrich-
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interpretiert werden und die Bedeutung von Erfahrung und Empfindung in den Vordergrund rücken (Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.9). Vgl. zu den Altersgedichten: Hillmann: Friedrich von Hagedorn, S.192ff. Der Zuschauer. Fünfter Theil, Leipzig 1741, 336. St., S.103f. Der Jüngling, 1. St., S.6ff., vgl. auch die Vorrede (ebda., unpag.). Vgl. Β 206. Der Zuschauer. Zweyter Theil, Leipzig 1740,153. St., S.335.
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tung unserer Seelen" nicht „in ein Hirngespinst und in eine Verwirrung". 3 0 3 Hinter diesen Ordnungsprinzipien steckt deutlich erkennbar das nicht nur kausal, sondern auch final organisierte narrative Prinzip der Wahrscheinlichkeit, das den Zusammenhang der Welt als Vervollkommnungsprozeß vorstellt. Daraus folgt dann auch das „reine[ ] und edle[ ] Vergnügen in dem Gemüthe" bei der Betrachtung eines solchen Lebenslaufs. 304 Zu dieser Diskursformation tritt in der Theorie der Geschmacksentwicklung noch ein zweiter, von Walch ebenfalls nur nebenbei erwähnter Aspekt hinzu: Die Alterslehre war bis ins 18. Jahrhundert in die großen Analogien eingebunden, die dem Menschen seinen O r t im Kosmos zugewiesen hatten, etwa in der Analogie von Altersstufen und Planeten oder Sternbildern. 305 Unter dem Rubrum „weitläufftige[r] Verstandf ]" erwähnt Walch in seinem Artikel zur Alterslehre immerhin noch die parallele Einteilung von Lebensalter und Weltalter oder Lebensalter und Geschichte. 306 Gerade die Poeten, die kritisch mit ihrem eigenen Werk umgehen, werden so für König Leitfiguren einer schwulstkritischen Literaturgeschichte (Neukirch, Canitz, Wernicke). 3 0 7 Tatsächlich vereint auch Wernicke geradezu idealtypisch die Konstruktionsweisen von Autorbiographie und Literaturgeschichte. Was Neukirch im singulären Gebilde entwirft und Gottsched erweitert, das hat Christian Wernicke selbst in umfassender Weise am eigenen W e r k durchgeführt. Wernicke ist dabei nicht nur Hagedorns Gewährsmann für die Theorie der Anmerkung. 308 Hagedorn adaptiert auch dessen literaturgeschichtliche Konstruktion sowie die topische Einordnung Wernickes als Ursprung von Dichtung. 309
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Ebda., S.337. Zur geistlichen Variante vgl. das Exempel „Canitz": „Gedencke zu sterben / weil du noch lebest / damit du ewig leben mögest" (Canitz: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte, unpag. (Vorrede)). Vgl. auch: Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.235f.
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Der Zuschauer. Zweyter Theil, Leipzig 1740,153. St., S.336. Aries: Geschichte der Kindheit, S.75ff.
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Art. Alter. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.79. Vgl. dazu: Müller: Art. Lebensalter, Sp.ll2ff. König: Untersuchung Von dem guten Geschmack, S.236ff. König folgt hier dem literaturgeschichtlichen Schema des Ahnherrn der Schwulstkritik, Morhof (Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.393). Vgl. dazu Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.545Í. Vgl. zu Hagedorns Hilfe für Bodmers Wernicke-Edition: Β 117, 143. Vgl. zum Topos der Kritik an Wernickes Versifikation und dem entsprechenden Lob des Inhalts (als Distanzierung von der Form): Althaus: Epigrammatisches Barock, S.326.
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Wernicke. Wer hat nachdenklicher den scharfen Witz erreicht, Und früher aufgehört durch Wortspiel' uns zu äffen? An Sprach und Wohllaut ist er leicht, An Geist sehr schwer, zu übertreffen. (Wl, 85)
Wernicke nimmt das Verfahren Hallers sowie der Opitzedition von Bodmer und Breitinger vorweg, in den Fußnoten die Werkgeschichte auszubreiten. Dabei bietet er im „Untergeschoß" seiner Epigramme ( 3 1704) meist Varianten der vorhergehenden Auflagen. Zudem macht er in ihnen den Prozeß der elocutio zugänglich und bindet den Leser in die Urteilstätigkeit ein, die der Autor zu leisten hat, denn „Critique" und „Vollkommenheit" von Dichtung hängen zusammen. 310
In dem Einleitungsepigramm zu Der Überschritte Drittem Buch wendet
sich Wernicke wie Neukirch („Ich tränk ihn [den Reim, S. M.] nicht in muscateller=safft") im Medium einer Kritik kulinarischer Metaphorik pro-
grammatisch An den Leser:
Man muss auf meinem Blatt nach keinem Amber suchen, Und meine Mus' im Zorn bäckt keine Biesem-Kuchen; Ich folge der Natur, und schreib' auf ihre Weis': Vor Kinder ist die Milch, vor Männer starcke Speis'.>n
In den Anmerkungen erläutert Wernicke die literaturkritische Intention des
Vierzeilers: Die kulinarische Metaphorik der „heutigen Schlesischen Poeten
d. h. der Lohenstein- und Hoffmannswaldau-Epigonen, 312 behandelt die Leser als JKinder", beachtet dabei jedoch nicht den „Ursprung" und den „Fortgang" der „Dichtkunst". Dabei verzeitlicht Wernicke die parataktische Bildlichkeit der ornatus-Lehre Quintilians, der mit der Dichotomie Mann / Frau und der Metapher der Schminke gearbeitet hatte, 313 indem er die Dichotomie Jugend / Alter verwendet. Das biographische Gegenstück zur Alterslehre als Literaturhistorie legt Wernicke in der Vorrede zu seinen Epigrammen vor. Dort erzählt er seine Bildungsgeschichte und bettet die Veröffentlichung seiner Gedichte in das 310
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Wernicke: Epigramme, S.123. Vgl. dazu Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.414, 539. Wernicke: Epigramme, S.211. Das Epigramm ist noch nicht in den Ausgaben von 1697 und 1701 enthalten. Zur Erläuterung des Epigramms vgl. Beetz: Die kupierte Muse. Vgl. zu Lohenstein und Hoffmannswaldau ζ. B. die Vorrede zu den Epigrammen: Wernikke: Epigramme, S.122. Beetz: Die kupierte Muse, S.31f. Ahnliche Wertungen bei Canitz: Die dritte Satyre. Von der Poesie. In: ders.: Gedichte, S.96. Am Ende der Anmerkungen zitiert Wernicke aus der Institutio Oratoria VIII, 3, 6, wobei hier die Altersstufe „Mann" eingebunden wird in die Dichotomie Mann - Frau.
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
Modell der Nebenstunden ein, was einerseits aufgrund der theoretischen Widersprüchlichkeit zwischen Publikation und Nebenstundenpoesie zu einem Zusammenspiel von Zufälligkeiten führen muß und andererseits wieder Nebenstunden und poetische Vervollkommnung absichtsvoll verknüpft314. Der Schüler Morhofs kehrt von seinen Aufenthalten in Frankreich und England zurück, findet sein Jugendwerk, veröffentlicht es und weckt dabei seinen „Poetischen Geist" wieder auf. Wernickes frühe Poesie verbindet sich mit der Poesie des erfahrenen Mannes bruchlos in einem virtuell präsenten „Geist", der sich durch die Lektüre des eigenen Werks selbst inspiriert. Auch das ist ein Aspekt der Kritik am furor poeticus, wie sie das Epigramm An den Leser formuliert.315 Wernicke unterzieht die Epigramme „wegen vieler müssigen Zeit" einer Überarbeitung und schreibt dem Werk temperamententheoretisch und kognitionsgenealogisch die Biographie ein: Die Affektlage der Jugend mäßigt sich in den später geschriebenen Epigrammen, der „Witz" weicht „Verstand und Absehen". Und auch die Themenbehandlung zeigt die Autorentwicklung an, indem die satirische, auf Erfahrenheit" basierende Perspektive die bloß historische ablöst. Zu den programmatisch im „Werk" belassenen Resten zählt auch das Lob Auf die Schlesischen Poeten, das Wernicke zuvor unter dem Titel Auf den Teutschen Poeten (d. i. Hoffmannswaldau) geführt hatte.316 In einer langen Anmerkung, die sich metaphernkritisch mit Hoffmannswaldaus dichterischen Verfahren beschäftigt, gibt Wernicke dem Lob eine biographische Erklärung mit: „Der grosse Ruhm, den man allhier den Schlesischen Poeten zuleget, stimmet mit einigen vorhergehenden Uberschrifften und deren Anmerckungen nicht allerdings überein; und dieser Unterscheid im Urtbeilen rühret von dem grossen Unterscheid des Verfassers Jahre her".317 Aus dieser Anmerkung zitiert nun Hagedorn seinerseits in der Anmerkung zu
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„Man verwunderte sich gleich Anfangs dass die barmhertzige Motten der hinterlassenen Schafften so lange verschonet; und weil man unter denselben insonderheit die Uberschriffte unversehret vorgefunden, so hat man erstlich nur einige derselben gleich als zum Versuch in die Welt geschicket: hernachmahls aber wegen vieler müssigen Zeit alle insgesamt übersehen, viele ausgesondert, viele verbessert, und gleich als ob hiedurch der längst entschlaffene Poetische Geist wiederum erwecket worden wäre, viele neue hinzugesetzet, so dass aus den sechs Büchern erstlich acht, und nun gar zehn geworden sind. Die Erste sind mit mehr Hitze, die neue wie man hoffet, mit mehr Nachdencken; jene mit mehr Witz, diese mit mehr Verstand und Absehen geschrieben worden. Die Historische Uberschriffie gehören meistens der ersten Jugend, die Satyrische meistens den reifem Jahren zu. [...] dasjenige zu erkennen [...] was man verspotten soll, dazu gehöret viel Erfahrenheit" (Wernicke: Epigramme, S.117). Beetz: Die kupierte Muse, S.28ff. Wernicke: Epigramme, S.314. Ebda., S.315.
Verbesserungsästhetik d e m E p i g r a m m Hofmann
von Hofmannswaldau,
161 in der er gegen T h o m a s i u s
das differenzierte U r t e i l W e r n i c k e s empfiehlt. 3 1 8 Es war damals so lächerlich als gewöhnlich, in einem Schriftsteller alles, als gut und richtig, anzunehmen, oder gegentheils nichts gelten zu lassen: so sehr wurden grosse Bewunderer einfältig, grosse Verächter ungerecht, beyde verführt und verführerisch. (Wl, 113) Biographisch inspirierte Kritik m u ß sich auf das individuelle W e r k einlassen, w o b e i die Pluralisierung der Alterslehre ohnehin die regelhafte Erfassung erschwert. 3 1 9 Mit der üblichen Praxis, den A u t o r n a m e n zur M e t o n y m i e eines Stils zu erklären 3 2 0 , verträgt sich das genealogische Verfahren nicht. V i e l m e h r geht es u m einen sorgfältig abwägenden Leser oder, anders formuliert, u m die Disziplinierung des Lesers. E r soll auf den A u t o r vertrauen u n d sich u m den T e x t b e m ü h e n , so daß eine neue F o r m der Reziprozität entsteht, nachd e m Lesen u n d D i c h t e n sich getrennt haben. H a g e d o r n s Bericht über seine literarische Sozialisation in einem Brief an B o d m e r variiert die T o p o i : Der erste Poet der mir gefallen ist Rachel gewesen und der zweyte Hofmannswaldau, den mir mein Mentor wegnahm, aber dadurch mich nur veranlaßte, ihn heimlicher zu lesen. Es ist kein Wunder, daß in den grünenden Jahren seine Heldenbriefe mir angenehm waren. Hunold und Feind sind vorzeiten meines Vaters Parasiten gewesen: doch weiß ich nicht, ob als Poeten. Jenen habe ich nimmer, diesen aber, so viel ich mich errinnere, nur ein paar mal gesehen. Aber in denen Jahren las ich mehr französische als deutsche Dichter, und ich hatte Recht. Andräas Gryphius ist, wie mir eben beyfällt, damals auch einer meiner Poeten gewesen. Ich erwiedere mit dieser Nachricht was Sie mir melden, daß Hunold und Neukirch ihre ersten Bekannten vom deutschen Parnaß gewesen sind: so wie Lohenstein dH. von Haller zuerst zur Poesie anfeuerte. (19. 5. 1753; Β 373f.) A n anderen Stellen k o m m e n weitere typische V o r b i l d a u t o r e n wie O p i t z (B 151) 3 2 1 oder Boileau 3 2 2 hinzu, so wie es überhaupt viel u m T y p i k geht: E s ist 318 319 320 321
322
Vgl. Wernicke: Epigramme, S.319 Fabricius: Philosophische Oratorie, S.171. Jaumann: Die deutsche Barockliteratur, S.66f. Vgl. zu Opitz als Vorbildautor: Ketelsen: Auf den Flügeln des patriotischen Eifers über das Gestrüpp der Sätze, S.275. Boileau habe Hagedorn noch vor der Lektüre Popes gegen Petrarca, Tasso, Ariost und Marino „einen Ekel" erweckt. In den „welsche[n] Poeten", die den Schwulststil selbst in der neutralen Literaturgeschichte der Ode in der Vorrede zu den Oden und Liedern geradezu personifizieren, habe Hagedorn „mehr Figuren als Natur angetroffen" (An Bodmer, 30. 3. 1746; Β 169). Dabei ist es für Hagedorn im schwulstkritischen Versuch einiger Gedichte keine Schwierigkeit, sowohl Boileau als auch Marino und Petrarca anzuführen. Die Bewunderung Boileaus war eben - das zeigen schon die Einordnungen Königs bzw. Canitz' und Wernickes - Teil der frühaufklärerischen Idolatrie. Die Zitation Marinos war durch Brokkes' Marino-Ubersetzung legitimiert. Auch Telemann lobt Brockes in einem frühen Lobgedicht in einer Reihe mit Lohenstein, Hofmannswaldau und der Sammlung Des Schlesi-
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Hagedom - ein Autor der Frühaufklärung
in der Tat „kein Wunder", daß dem jugendlichen Hagedorn die Heldenbriefe Hoffmannswaldaus gefallen haben, und es ist ebensowenig ein „Wunder", daß Hunold und Neukirch für Bodmer und Lohenstein für Haller Ursprünge der Autorbiographie bilden. Haller macht die Leser der Alpen darauf aufmerksam, wie viele „Nebenstunden" notwendig waren, um das Gedicht auszuarbeiten. Noch immer aber sei dem Gedicht der „Lohensteinische[ ] Geschmack[ ]" anzumerken323, dem es seine Entstehung verdanke. Die Alpen tragen ihre Mängel als Signatur des in den Anmerkungen dokumentierten langen Entstehungsprozesses an sich und zeigen so den biographischen Zusammenhang an, der das verbesserte Gebilde mit seinen unzureichenden Anfängen in einem Kontinuum verbindet. Die Morgen = Gedanken (1725) hingegen, die das als zentrales Moment der Hallerschen Autorbiographie inszenierte Autodafé von 1729 überstanden haben, sind „die Frucht einer einzigen Stunde, und deswegen auch so unvollkommen, daß ich ein billiges Bedenken getragen habe, es (das „kleine Gedicht", S. M.) beyzubehalten"324. Wenig Zeit bedeutet schlechte Dichtung. Je nach Anspruch und Poetologie bedarf es zur Vervollkommnung vieler müßiger Stunden, manchmal sogar eines ganzen Lebens. Der Wert von Dichtung bemißt sich jedoch nicht nur an der bereits investierten Zeit, sondern auch daran, ob das Gedicht gleichsam einen Keim enthält, der Entwicklung verspricht.325 Das Unvollkommene muß man mit „Geschmack" sammeln bzw. sortieren. Aber unvollkommene Dichtung und unvollkommener „Geschmack" bilden - zumindest zum Zeitpunkt der Produktion - ein Paar, so daß der Konstruktion eine Ambivalenz von Zeitbedarf und Zeitlosigkeit eigentümlich ist. Ex post kann es zwar Zeichen der Vervollkommnung sein, wenn man sich selbst nicht „ähnlich" ist {Eine, vor dem Jahre 1732, seltene Sache-, W l , 96, Anm.*), aber erst die Spuren zukünftiger Vollkommenheit machen das Gedicht zum Teil des Werks. Nur das, was der Autor vervollkommnen kann, gehört auch zum Autor - er kann es seiner Biographie einordnen: „Ich hoffe von der Billigkeit meiner Leser, daß sie
sehen Helikons auserlesene Gedichte. Über seine eigenen Hochzeitsgedichte in der Tradition der Schlesier merkt Telemann dann aber 1739 an: Er würde deren „Freiheit" und deren „gar zu schmackhaffte[s] Saltzf ]" nicht mehr verantworten können (Härtung: Telemann und seine Dichter, S.15). 323 324
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Haller: Die Alpen. In: ders.: Versuch Schweizerischer Gedichte, S.25. Haller: Morgen = Gedanken. In: ders.: Versuch Schweizerischer Gedichte, S.l. Vgl. zum Werkzusammenhang: Guthke: Literarisches Leben, S.158f. Haller: Versuch Schweizerischer Gedichte, unpag. (Anhang zur Vorrede aus der Auflage des 1751. Jahres). Bei Heineken, der wieder Neukirch und Günther als Exempel anführt, verweisen gerade die poetischen Ausschweifungen auf einen großen Geist (Heineken: Untersuchung Von dem Was Longin eigentlich durch das Wort Erhaben verstehe? S.360Í.).
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nichts mir zuschreiben werden, als was ich mir selber zuschreibe [...]".526 Werkherrschaft, Autorschaft und Vervollkommnung gehen eine Symbiose ein, die mit der Wölfischen Denkordnung insofern korreliert, als in ihr schon im Anfang voraussagbar ist, was am Ende der Perfektibilierung entstanden sein wird. Pierre Coste, der von Hagedorn gelobte MontaigneHerausgeber, schreibt von den „Spuren", denen man im Werk folgen könne (vgl. Kap. 4.1 u. 5.2).327 Haller, der Fachmann für Nebenstundenpoetologie, schreibt Hagedorns Biographie, liest aufmerksam die „Spuren" im Werk und verdichtet die verstreuten Hinweise auf die Autorschaft Hagedorns.328 Dabei machen die Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten die Bedeutung des Vergleichs aus: Haller beschreibt kein Leben, sondern er vollzieht die Konstruktion der Autorbiographie nach, die Hagedorn für sich empfiehlt. Immerhin legitimiert Haller seine Darstellung durch die enge Beziehung, die zwischen ihm und Hagedorn bestanden habe.329 Seine eigene und Hagedorns Geburt läßt Haller in die Todeszeit der deutschen Poesie fallen.330 Der Lebensbeginn wird so zum literaturgeschichtlichen Datum, zum literaturgeschichtlichen Nullpunkt, von dem die Biographik ausgehen kann: „Beyde kamen wir in eine Zeit, da die Dichtkunst aus Deutschland sich verlohren hatte".331 Der frühe Dichtungsbeginn entspricht dem frühen Stadium der Literaturge5c/?ic/>ie, in dem der „Geschmack" gleichsam die Möglichkeitsform der „Kraft" zu dichten ist. Zwischen beiden besteht - wie bei Neukirch - ein Mißverhältnis. Die Verbesserung der Gedichte gleicht „Geschmack" und „Kräfte" einander an. Für sich selbst läßt Haller dabei das Mißverhältnis bestehen, um in Vollkommenheitsphantasien am Beispiel Vergils eine Perfektion zu entdecken, „die in meinen Gedanken
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Haller: Versuch Schweizerischer Gedichte, unpag. (Anhang zur Vorrede aus der Auflage des 1751. Jahres). Vgl. auch am Ende des Versuchs Schweizerischer Gedichte: Der Verfasser an den Leser (unpag.). Coste: Vorrede des Herrn Coste zu der Ausgabe von 1724, S.XIX. Haller: Hagedorn und Haller gegen einander verglichen. Vgl. zu Hallers eigener Herstellung seiner Biographie: Guthke: Literarisches Leben, S.79. Haller: Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen, S.120. Im Hagedorn-Nachlaß liegen drei Briefe Hallers (HN 75 - 77), die sich unter anderem mit der Frage beschäftigen, wie von der English Church ein Spende für einen „Reformirten Kirchenbau[ ]" zu bekommen sei. Vgl. zum Topos: Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.llf. Gleiches tat Morhof im Fall Opitz' (Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S.212). Vgl. den Brief Hagedorns an Haller vom 17. 7. 1745 (B 160). Haller: Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen, S. 119.
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
noch niemand nachgeahmt hat".332 Das Motiv des „Künstlers ohne Werk" steigert die Bindung von Autor und Poesie in einem Höchstmaß. 333 Die Englandreisen Hallers und Hagedorns schließen an die Einsicht in die historische Situation an und bekommen so die paradigmatische Bedeutung, die Hagedorn selbst seinem Aufenthalt in England zumißt (vgl. Kap. 1.3). Im übrigen findet Hagedorn seine England-Idolatrie samt seiner Bewunderung für Horaz in Thomas Blackwells Memoirs of the Court of Augustus, die er Bodmer empfiehlt (26. 6. 1752; Β 337).334 Für Haller bewegt sich der Englandaufenthalt auf der Ebene literarischer Biographie: „Wir fühlten, daß man in wenigen Worten weit mehr sagen konnte, als man in Deutschland bis hieher gesagt hatte; wir sahen, daß philosophische Begriffe und Anmerkungen sich reimen Hessen [...]".335 Die historische Situation geht wieder als Versinnlichung des Urteils in die Erzählung ein, denn dem „Fühlen" der neuen poetischen Prinzipien entspricht die Vorbildlosigkeit: „[Wir] strebten beyde nach einer Stärke, dazu wir noch keine Urbilder gehabt hatten".336 „Fühlen" und „Stärke" verhalten sich zueinander wie „Geschmack" und „Kraft". Den Parallelen in seiner und Hagedorns literarischer Biographie stellt Haller Unterschiede entgegen, die letztendlich seine Dichtung - gegen die „Anakreontiker" - als die mittlerweile zeitgemäße begründen. Die Ernsthaftigkeit von Hallers Poesie verhinderte als „bittere Arzney[ ]" die Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung im „Vergnügen".337 Die „Lebensart" der beiden Dichter begründet dabei die Unterschiede und bestimmt den „Ton" der Dichtung: Unser Herr v. Hagedorn war von einem fröhlichen Gemüthe, er trank ein Glas Wein, und genoß der freundschaftlichen Freuden des Lebens. [...] die Frölichkeit und die Kenntniß der Welt breitet über alle Gedichte, auch über die Lehrgedichte meines Freundes, eine Heiterkeit aus, wodurch er sich dem Horaz nähert, und den Boileau übertrifft. [...] Die lächelnde Freude aber habe ich nie gefühlt, die Hagedorn so lebhaft empfand, und so angenehm abzumahlen wußte. 338
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Ebda., S. 120. Zum Motiv vgl. Plumpe: Autor und Publikum, S.38 lf.; ders.: Kunst ist Kunst, S.68f. Blackwell will eine Verfallsgeschichte des römischen Reiches schreiben, um verstehen zu können, wie ein freiheitliches, blühendes Land untergehen kann, und zwar im direkten Vergleich von Rom und England (Blackwell: Memoirs of the Court of Augustus, S.5). Zu Horaz ζ. Β. ebda., S.7. Haller: Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen, S.121; dazu auch Β 152 und Kap. 4.2 sowie Schmid: Biographie der Dichter, S.404, Anm.*. Haller: Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen, S.121. Ebda., S.130f. Ebda., S.124,129f.
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Der Zentralaffekt der Dichtung bezeichnet den Autor und erzeugt das Werk jenseits gattungstheoretischer Differenzierungen oder Hierarchien.339 Die „Freude" bestimmt „alle Gedichte". Der „Ton" der Dichtung, ihr biographisches Substrat, markiert den Ort des Autors in den Diskursen, den Haller entgegen aller Ursprünglichkeitsrhetorik schließlich doch mit den Koordinaten Horaz, Boileau und Pope bestimmt, nicht ohne jedoch die Mängel des Dreigestirns anzumerken und dadurch wieder jene Leerstelle zu schaffen, die der Autor „Hagedorn" ausfüllen kann. Das Leben Hagedorns gerät so durch „Ton" und „Lebensart" zu einer einzigen langen Nebenstunde, während Haller „frühe von andern Berufsarbeiten gedruckt" wurde.340 Poetisches Leben und reales Leben verschmelzen zuletzt völlig, wenn Haller den Tod Hagedorns - auf 1753 vordatierend - mit dem Ende seines eigenen „poetische[n] Lebens" zwar nicht zeitlich, aber doch typologisch zusammenfallen läßt. Noch das Sterben findet seinen literaturgeschichtlichen Ort: Hingegen dichtete der Herr v. Hagedorn bis an seinen zwar frühen Tod, der schon An. 1753. einfiel; und dennoch ist mein poetisches Leben noch kürzer gewesen; denn nach 1748. finde ich kaum vier neue Seiten in meinen Gedichten. Beyde haben wir glücklich zu der Zeit geschwiegen, da die Natur nicht mehr redet, und die gedämpfte Einbildung der Vernunft keine Zierde mehr verleihet. 341
Tatsächlich bildet auch für Hagedorn, anders als Haller es darstellt, das Schweigen des poetischen Ausdrucks ein zumindest konzeptionelles Ziel wenn man den Rückzug auf das Epigramm in den letzten Lebensjahren nicht schon in der Manier Hallers als dichterisches Verstummen auszulegen bereit ist. Aber das Schweigen der Poesie fällt keinesfalls mit dem Tod zusammen, sondern gerade mit dem Leben, so daß sich der Tod des Autors nicht mit dem des Verfassers verbindet. Im Sehen und Schweigen des Satirikers war das Motiv bereits angedeutet worden, und die Klimax dessen ist Hagedorns Befürchtung, nicht früh genug das Schreiben zu beenden und sich so als Autor zu überleben, oder doch zumindest die Absicht, zur Darstellungsweise des „moralischen Briefs" zu wechseln.342 Diese Verschiebung
339
340 341 342
Vgl. zum „Ton" und vergleichbaren Konzeptionen, die das traditionelle Gattungssystem aufheben: Scherpe: Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, S.165. Haller: Hagedorn und Haller gegeneinander verglichen, S.127. Ebda., S.128. Haller adaptiert hier die Theorie vom „Stufenjahr" (vgl. Kap. 3). Hagedorn glaubt bisweilen wegen seiner Zweifel und seiner den philosophischen Kriterien der Zeit nicht genügenden Ausdrucksweise, den Darstellungsanforderungen für „moralische Materien" nicht entsprechen zu können (an Bodmer; 26. 12, 1746; Β 189). Hagedorn imaginiert in diesem Brief im Irrealis die Folgen, die ein solcher Versuch mit sich bringt. Er formuliert damit das politische Pendant zur unten ausgeführten philosophischpoetologischen Begründung des Verstummens. Auch von den „moralischen Briefen"
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
fällt mit der Steigerung des Autormodells zum Weisen zusammen, die sich allerdings selbst - wie im Falle der Hallerschen Perfektionsphantasie - als Imagination auf poetisches Terrain verliert, und zwar in wirkungsästhetischer Hinsicht mit großem Erfolg.343 Schon zur Zeit der Sammlung und Veröffentlichung des zweiten Teils der Oden und Lieder kokettiert Hagedorn in Adaptation der antiken Idealbiographie gegenüber der jungen Dichtergeneration damit, seine „nugas canoras"544 nicht zu veröffentlichen oder nicht fortzusetzen.345 An Gleim berichtet er am 17. 1. 1745 von seiner Sorge, sich in der Dichtkunst zu überleben, und von der Kunst, zur „rechten Zeit" das Schreiben zu beenden (B 142).34' Schlegel antwortet am 8. 2. 1744 auf einen Brief Hagedorns mit der Bitte, die Oden zum Druck zu befördern: „Sie sind gewiß nicht zu alt dazu" (EschV 298). Und Ebert darf sich von Hagedorn geschmeichelt fühlen, da Hagedorn seine Lieder nur als Appendix zu Eberts Ubersetzung von de la Nauzes Abhandlungen von den Liedern der alten Griechen veröffentlicht. Dabei präsentiert Hagedorn seinen Lesern den Übersetzer wieder in den Kategorien der Alterslehre, die für Hagedorns prätendierte Selbstzweifel die argumentative Folie bilden (W3, XIX). nimmt Hagedorn sogleich wieder Abstand, u. a. weil er Rücksicht auf Freunde bei Hof nehmen müßte. Wobei das Horaz-Gedicht seine Freimütigkeit gleichwohl unter Beweis stellt (an Bodmer; 17. 9. 1752; Β 343). Zuvor schon hatte Hagedorn dieses Argument auf die Satire angewendet - dort liegt es traditionell näher, zumal wenn man sich die Auseinandersetzungen um Pope, Swift und Liscow ansieht (B 218). Die Argumente finden sich versammelt in: Pope: Epilogus zu den Satiren in zwey Gesprächen. In einem Brief vom 19. 5. 1753 nimmt Hagedorn sich dann tatsächlich Horaz zum Vorbild: Wie Horaz will Hagedorn der „Versuchung" widerstehen (auch hier wählt Hagedorn einen religiösen Begriff), weiter Gedichte zu verfassen (B 371). 343
Viele der Hagedorn-Rezensionen spielen auf die Vorgaben Hagedorns an, insbesondere die Rezension des zweiten Teils der Oden und Lieder im Hamburgischen Correspondenten: „Der Herr Verfasser der gegenwärtigen Oden und Lieder hat seit zimlicher Zeit seine Poesie bekannter massen auf ernsthafte und zum Theil moralische Vorwürfe gerichtet. Hievon zeugen sein Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen, sein Weise, und sein scharfsinniges und philosophisches Gedichte von der Glückseligkeit u. a. m." (Staats= u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1744, 167. St., unpag.); weiterhin: Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1739, 13. St., S.108; Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie überhaupt, 1745, 16. St., S.126; ebda., 1747, 31. St., S.244; Jenaische gelehrte Zeitungen, 1750, S.280; Crito, 1751, 6. St., S.21CL
344
Horaz: Ars poetica, V.322. Müller: Nachwort, S.205f. Vgl. auch in Briefen an Bodmer: Β 330; Β 378. Vgl. auch an Fuchs; 16. 5. 1751; Β 312f. Auch in bezug auf die Fabel äußert sich Hagedorn im Kontext der Nebenstundenpoetologie (gute Dichtung bedarf vieler Mußestunden): an Giseke; 24. 9. 1747; Β 224. Die Furcht, seine Epigramme könnten nicht gefallen, formuliert Hagedorn gegenüber Ebert und nennt daher Bohn als Motor der Publikation (14. 2. 1753; Β 349).
345 346
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Zwar spielt Hagedorn hier, teils als captatio benevolentiae, teils in Reaktion auf Kritik an seiner ersten Liedsammlung, nur mit einem Topos 347 , den die fortgesetzte Produktion als Topos entlarvt. U m es mit Hagedorn zu sagen: Man glaube nicht, was mancher Dichter spricht: Nun ruht mein Kiel; nun schreib' ich ferner nicht. Wie selten weiß ein Dichter aufzuhören! Apollo darf uns auch im Schlafe stören. (Der Ursprung des Grübchens im Kinne·, W2,109)
Aber andere Äußerungen sekundieren der poetologischen Alterslehre. Hagedorn erweitert 1747 seine Oden und Lieder ein letztes Mal, faßt die neuen Gedichte mit den Sammlungen von 1742 und 1744 zusammen und ordnet das ganze Material in fünf Büchern. Im Schreiben an einen Freund (1752) nimmt Hagedorn in einem scherzhaft-satirischen Passus gegenüber „gewisse[n] jugendliche[n] [!] Erzehlungen" sowie den Liedern im ganzen eine ähnliche Haltung ein wie zuvor gegenüber den Juvenilia:348 Er drängt sie aus seinem Werk und greift der Zensur durch Selbstzensur vor (Wl, XrVf.). 349 Freilich bleiben die Oden in der Werkausgabe, es kommt zu weiteren Auflagen, und Görner vertont (ohne Vorrede Hagedorns) auch den dritten Teil der Oden und Lieder. Hagedorn folgt damit spät einem Ratschlag seines Bruders: Christian Ludwig hatte schon früh geraten, von der Odendichtung Abstand zu nehmen, und zwar aus literaturpolitischen, gezielt nicht-ästhetischen Gründen, die sich auf die „äusserlichen Umstände" beziehen: Ich würde zum Exempel gerne gesehen haben, dass Dein Name in der Zeitung vorerst verschwiegen, der mit andern dergl. Sammlungen confundirende Titel: Sammlung etc. weggeblieben und an derenstatt, der simple Titel Oden und Lieder gebraucht worden wäre, hiernächst die Composition besonders herausgekommen seyn möchte. [...] Die Oden und Lieder aber würden einen grossen Abgang haben, da hingegen hier (am Dresdener Hof, S. M.) kein Mensch die Sammlung etc. kaufete. Ein Liebhaber der Poesie ohne Musik wird lieber deine Chansons nur und wohlfeiler haben etc.350
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Vgl. ζ. B. die Übersetzung von Horaz' Carm. 1, 31 (W3, 25); zum Topos: Β 94, Β 203; W3, 109 sowie Gellerts Die Nachtigall und die Lerche (Werke. 1. Bd., S.29f.) und Canitz' Von der Poesie (Gedichte, S.95). Vgl. zur Rezeption der Oden und Lieder: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.34ff. Vgl. zur Metaphorik der Alterslehre in der Anakreontik-Kritik: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.64ff. Hagedorn beteuert Bodmer, er halte „Lieder von der Art nicht für Gedichte [...], die Ihre Aufmerksamkeit verdienen" - freilich nachdem er ihm ein Exemplar der Oden und Lieder versprochen hat (29. 9.1744; Β 133). Brief vom 28. 2. 1742, zitiert nach: Schuster: Friedrich von Hagedorn, S.80, Anm.*.
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Immerhin stellt Giseke fest, daß Hagedorns „Schriften an jedem Hofe Deutschlands in hohem Ansehen stunden",351 andernfalls hätte Christian Ludwig von Hagedorn die Oden wohl auch kaum in Dresden verteilt. Einige Monate später kommt Christian Ludwig von Hagedorn noch einmal auf die Odendichtung und die Werkordnung zu sprechen. Wiederum ist seine Perspektive aufschlußreich: Den ersten Theil der Breitinger'schen critischen Dichtkunst habe ich gesehen und die Schweizerische Sammlung fast ganz durchgelesen. Ich erinnere Dich treulich, Dich durch die Oden nicht abhalten zu lassen, ein würklicher Schöpfer einiger Fabeln zu werden, weil Du schon jetzo voraussiehst, wohin die Unheile künftig fallen werden, (cf. das Vte Stück der Sammlung) Lass auch immer eine erfundene Fabel Dir doppelt so viel Zeit kosten, als eine eingekleidete. Es schadet nichts. Nun halt ich davon, dass die Erfindungskraft besser bei Spatzierengehn, als in der Studirstube würcket, daher ich Dir unmassgeblich rathen wollte, so oft möglich allein oder mit einem guten Freunde den Hamburger Wall oder Gärten zu besuchen. Mit einem Worte, Du musst zur Ehre der Teutschen schöpfen. 352
Dabei durchkreuzt Hagedorn gattungstheoretisch nicht nur den theologischmoralischen oder poetologischen Diskurs mit seiner Lieddichtung, sondern auch die politische Funktion von Poesie. Er unterstützt nicht die Hamburger Selbstdarstellung im Medium der Musik; er schreibt keine Serenaten, Oratorien, Kantaten, mit denen sich die weltliche Fraktion der Hamburger Obrigkeit feiert.353 Und er nähert sich zweitens zum Leidwesen seines Bruders in keiner Weise der höfischen Repräsentativität. Das mag dem kritischen Urteil des Höflings über die Vertonungen Gräfes zugrundeliegen. Vielleicht aber zweifelt Christian Ludwig wirklich nur an der Musikalität seines Bruders (vgl. auch Β 305): „Es ist besonders, daß ein Mensch, der weder singen noch Ton halten kann, Chansons schreibt. Liskov meldet, daß, um die Andacht der Gemeine nicht zu stören, die englische Gemeine in Hamburg bloß deinetwegen eine Orgel habe bauen müssen, damit man deine Stimme nicht hören dürfe" (EschrV,99).354 Der beobachtete Autor „Hagedorn" kann sich nur unbeobachtbar machen, indem er schweigt. Das ist aus naheliegenden Gründen für einen Autor gar nicht so einfach. Hagedorn perspektiviert sein Werk daher so, daß eine Leerstelle mit Zeichenfunktion entsteht, die auf sein Alter bzw. auf den Fortschritt seiner Urteilskraft und seiner Geschmacksfähigkeit verweist. Das nicht mehr (fort-)geschriebene Werk kann nun aber seine Zeichenfunktion
351 352 353 354
Brief vom 2. 12. 1754 an Schlegel, zitiert nach: ebda., S.22, Anm.*. Brief vom 2. 6. 1742, zitiert nach: ebda., S.51f. Vgl. die entsprechenden Rubriken in der Poesie der Niedersachsen. Das einzige Urteil Hagedorns über die Vertonungen Görners trifft jedenfalls eine musikalische Geschmackswertung (an Ebert vom 2. 7. 1744; Β 128). Vgl. musikgeschichtlich zu Gräfes Sammlungen: Kross: Geschichte des deutschen Liedes, S.71.
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nur durch den Hinweis darauf erwerben - denn wo nichts ist, kann auch nichts bezeichnet werden -, mithin durch ein weiteres Zeichen, so daß es eine ambivalente Stellung zwischen Signifikat und Signifikant einnimmt, sich durchsichtig macht und dennoch bedeutsam ist, so wie der Autor als stilkritischer Heros seine Schrift - im Unterschied zum 'Schwulst' - transparent macht und sie dadurch zum Vorbild erhebt, ihr also weithin strahlende Sichtbarkeit verleiht. Abstinenz von einer Gattung erwirbt semantischen Wert als Zeichen der „Weisheit".355 Nach der Lektüre von Wielands Schreiben von der Würde und der Bestimmung eines schönen Geistes schreibt Hagedorn am 19. 5. 1753 an Bodmer im Kontext der Anakreontikkritik (Kap. 5.2): Der Dichter predigt edle, und solche Wahrheiten, die gar vielen heutigen Poeten heilsam und nöthig sind, welche nur von Wein und Liebe singen und denen ich, in einem Epigr. an Celsus [Wl, 100] und sonst, um so mehr meine Gesinnung, insonderheit aber durch meinen Abtritt von dieser muthwilligen Schreibart, bezeuget habe, als ich nicht nur mit dem Alter weiser zu werden suche, sondern auch immer mit Verdruß bemerket, wie weit und wie unerlaubt die jugendlichen Freyheiten in dieser Schreibart von einigen getrieben und bis auf die Hefen erschöpft werden [...]. (B 372; vgl. Kap. 5.2).
Damit präludiert Hagedorn tatsächlich die forcierte Auslegung Hallers, der Hagedorns Tod, sein eigene dichterische Abstinenz und die anakreontische Mode in Beziehung gesetzt hatte. Auch Hagedorn würde sich von den „Dichter[n] voller Jugend" wünschen, daß sie sich „selbst im Scherzen, / Den Namen echter Weisen" verdienen (W3, 65; vgl. Kap. 5.2).356 Nur so können sie die selbstkritische Perspektive auf das Jugendwerk vermeiden und, wie der Zuschauer es propagiert hatte, autorbiographische Kontinuität stiften.357 Hagedorn fordert damit nicht nur ein gutes Leben wie die Tradition der Anakreon- und Epikurapologie, die auf extreme Fälle autordiffamierender Schriften (ζ. B. derjenigen Spinozas)358 angewendet werden konnten und die Hagedorn in Fabel adaptiert (vgl. Kap. 3; vgl. auch W3, 95f.). Während das tugendhafte Leben dort die Schriften verdeckt, verdrängt bei Hagedorn der (jugendliche) Weise den „Meister in der Dichtkunst" nicht völlig (Wl, 101).359 Vielmehr soll das moralische Handeln auch in die Poesie, ins „Scherzen", eindringen. Sicherer (und vor allem: weiser) aber scheint doch zu sein, gefährliche Gattungen auszusparen.
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Vgl. auch Günthers Auf des Herrn Christian Jacobi Symbolum: Spe et silentio (Werke in einem Band, S.342ff.). Vgl. dazu das Modell „Anacreon als Weiser" (Wl, 101; W3, XX). „Alter und Erfahrung werden den Verfassern solcher Gedichte diesen wilden Auswuchs des Witzes dereinst nothwendig verhaßt machen" (an Gleim, 12.5.1747. Β 209). Kimmich: Epikuräische Aufklärung, S.84f., 114; Kondylis: Die Aufklärung, S.368. Vgl. zu Hagedorns Funktion als Vorbild-Weiser: Crito. 1. Bd., 1751, 6. St., S.214.
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
Das Schweigen kann so auch auf die Zurückhaltung in den gelehrten Grabenkämpfen bezogen werden. Gerade darin, daß man nichts schreibt, zeigt sich die „Fähigkeit" derjenigen Schriftsteller, „die Ehre suchen und finden, zum Schreiben sich nicht entschliessen, sondern mit einer vergnügenden, guten Einsicht, Wahl und Belesenheit im Stillen zufrieden sind [...]" (an C. L. Hagedorn, 23. 11. 1753; Β 387) - das stille Lesen setzt sich zugleich mit der Trennung von Lesen und Schreiben durch.360 „Einsicht, Wahl und Belesenheit" sowie die „Stille", das sind die Eigenschaften des Weisen und auch Eigenschaften Gottes (vgl. Kap. 2.4, 3.1 u. 5.1), es sind aber die Fehler eines politicasi auch wenn sie aus einer politischen Sicht der Dinge hervorgehen. Der Weise personifiziert das reine Sein, indem Handeln und Wissen im Schweigen übereinkommen. Wie die bekehrten Charaktere der Moralischen Wochenschriften bietet er ein „stilles" Exempel.362 Der Weise kann sich nur auf diese Weise aus den Diskursen ausgliedern. Das war die Position des Nebenstundenpoeten, bei dem Schauen und Schreiben erst eins sind, sich dann aber in der Reflexion auf das der (gedruckten) Sprache implizite Moment des Öffentlichen trennen. Dabei fällt sich der Satiriker selbst ins Wort, kommentiert und semiologisiert die entstehende Leerstelle365 und bleibt so außerhalb des Diskurses - aber nur im Augenblick des Schreibens oder des Lesens. Auch das Sprechverbot wird von der Öffentlichkeit eingeholt, so daß die Lösung nur die Leerstelle sein kann, die nicht mehr gefüllt wird. Das ist die Vollkommenheit als Vollkommenheit, auf die das Properz-Zitat zur „mens bona" auf der Titelvignette der Moralischen Gedichte sowie der Werkausgaben anspielt (vgl. Kap. 1.3). [...] nun ich bejahrter werde, opfere ich der bonae menti, cujus me in sacrarla dono, viele feurige Einfalle der Einbildungs-Kraft auf, die vielleicht andere für recht poetisch und der Erhaltung würdig ansehen würden, dergleichen ich auch selbst, als Leser, willigst gelten lasse. So ist meine itzige Gesinnung, in Ansehung meiner Dichterey, beschaffen und ich stelle mir einen Poeten fast in der Vollkommenheit vor, nach welcher die stoischen Lehrer ihren unerfindlichen Weisen bildeten, ja, so lange ich dieser Idee mich überlasse, bereue ich, als unpoetisch, alles was ich bisher meiner Feder entfallen lassen, und gerathe mit Gedanken und Wünschen in Sphären, in welche die meisten meiner deutschen Mitbrüder im Apollo sich nicht gewagt haben und, wohin zu dringen, mir weder Jahre noch Zeit, noch Kräfte zulassen. Alsdann scheint mir nichts so rathsam zu seyn, als die Welt mit Kleinigkeiten zu verschonen, (an Bodmer, 16. 9. 1753; Β 378f., vgl. auch Β 182)
Das ungeschriebene Werk, dem die Varianten sich nähern und das die Streichungen umgrenzen, ist in der Kontrolle des Autors, von keinem Leser zu
360 361 362 363
Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit, S.99ff. Heumann: Der politische Philosophus, S.19. Vgl. die Beispiele bei: Martens: Die Botschaft der Tugend, S.239, 251, 535, 537. Vgl. Popes Epilogus zu den Satiren in zwei Gesprächen (S.297f.)
Verbesserungsästhetik
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entziffern und von keinem Kritiker mißzuverstehen. Es bedeutet den Sieg der intentio auctoris über die intendo operis und die intentio lectoris - wenn man den Aussagen des Autors vertraut. Was Hagedorn hier entwirft - eine Poetologie des Schweigens - trennt eine deutliche Grenze von den modernen Entwürfen einer Poesie bzw. einer Poesiologie des Schweigens. Hagedorns Überlegungen richten sich ganz auf den Autor (poeta), nicht auf die Dichtung (poesis). Immerhin: Hagedorn schreibt bis zu seinem Lebensende, und neben den entmutigenden Beispielen Boileaus oder Corneilles, deren Karrierekurve sich am Ende der poetischen Laufbahn senkt, kennt er doch auch noch Dichter wie Vergil, die „allererst nach ihrem männlichen Alter, durch ein besonderes Glück, zu Poeten, und zu berühmten Poeten, geworden" (B 379; vgl. auch Β 340, 392).
Zusammenfassung Autorschaft zeigt sich zunächst in der Arbeit an den Gedichten. Die Gedichte werden nicht einfach inhaltlich auf einen Autor umgerechnet, aber ganz ablehnen läßt sich dieser Schluß doch auch nicht. Daher kritisiert der Autor sich selbst und gelangt so wieder auf eine transverbale Ebene, zur der das Außere des Werks (Vignetten, Titulaturen etc.) ebenso gehört wie die Werkordnung. Verbesserung und Kritik verweisen auf die Entwicklung des Autors. Er wird mündig, verselbständigt sich und kann mit der Zeit (!) auf Außenanregung (durch Florilegien, Aerarien, Lektüre, Regelpoetiken etc.) verzichten. Die Verbesserungsästhetik adaptiert die ambivalent nutzbaren Grenzziehungen der Nebenstundenpoetologie: In ihr verbindet sich die Maximierung des poetischen Anspruchsniveaus mit Fehlerhaftigkeit auf einer zeitlichen Schiene, also durch skrupulöse Ausarbeitung vor und genaue Verbesserung nach der Veröffentlichung. Fehler sind Zeichen der Zeit, sie sind unvermeidbar (man muß sich entwickeln) und vermeidbar zugleich (man muß sich verbessern). Wie in der besten Welt zeigt sich das gelungene Leben an seiner Fähigkeit, mit Problemen umzugehen und sie letztendlich auszuschalten. Und wie in der besten Welt fallen Satire, literarische und moralische Kritik zusammen. Beoachter sind immer auch Beobachtete. In der Wendung gegen die Gelegenheitsdichtung (d. i. schlechte Dichtung) kann man noch Enthusiasmus (Anspruchssteigerung) und Kalkül (Marginalisierung) zugleich in Anschlag bringen und das mit der Autorvita verbinden (jugendlicher Enthusiasmus vs. Altersweisheit), um sich vor einem kritischen Publikum abzusichern. Natürliche Anlage zum Dichten (Canitz) und distanzierende Reflexion auf die Juvenilia (Neukirch) sind zwei Seiten einer Medaille. Der Autor tritt sich selbst durch die Unterscheidung von Früh- und Hauptwerk gegenüber, er inspiriert sich selbst und stellt sein eigenes Programm auf. Durch Temporalisierung entzweit er sich und bleibt
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Hagedorn - ein Autor der Frühaufklärung
sich gleichwohl vergleichbar. Er muß sich selbst „ähnlich" sein (vgl. Kap. 5 · 2 )··· Ähnlichkeit bedeutet (wie in der Witz- bzw. Mimesis-Theorie) Unterschiedenheit und Vergleichbarkeit (vgl. Kap. 4.2), und es ist eine Frage des Interesses bzw. der polemischen Situation, worauf man den Akzent legt. Verbindungen jedenfalls sind notwendig. Mit anderen Worten: Ohne Wahrscheinlichkeit kommt man in der Aufklärung nicht aus. Und zur Entzifferung dieser wahrscheinlichen Entwicklung muß man sich auf einen individuellen Autor einlassen, wie Wernicke das vorschlägt. Hagedorn ist ein Autor der Frühaufklärung. Er stellt hohe Anforderungen an die Poesie und begegnet ihr (zunehmend) mit Skepsis. Das zeichnet eine Zeit aus, die mit Schrift das Leben (ζ. B. im „History"-Roman) konstruiert und in der Schrift, d. h. ein repräsentierendes Zur-Schau-Stellen, in Verdacht steht, das Leben zu verdecken; für eine Zeit, die von der Privatpolitik gelernt hat, vorsichtig zu sein, und die jene Vorsicht durch eine tiefgreifende Moralisierung unnötig machen will. Auch hier entwickelt Shaftesbury umfassend und aufschlußreich die verhandelten Themen. In seinem Advice to an Author, der Autorschaft als Soliloquy entwickelt, verknüpft er Selbstbezug, Selbstmäßigung und Gewissensbildung mit der Formierung des Dichters. Die Disziplinierung der Phantasie korrespondiert der Ausbildung des moralischen und poetischen Geschmacks. Dieser Einheit von Handeln und Poesie entspricht die Vereinheitlichung der Person, die Shaftesbury mit der Verinnerlichung der Inquisition vergleicht.364 Die Anrufung der Freude erhält so eine weitere poetologische Konnotation als Selbstbeobachtung und damit zugleich Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung des Autors: „Wer seine Lustbarkeit besingen will, muß sie in einer Gestalt vorstellen, die besingens werth ist, in einer Gestalt, welche die Tugend und die keuschen Musen ohne Erröthen anschauen dörfen". 365 Wenn dem Dichter empfohlen wird, nicht nur die Kritik, sondern auch die Geselligkeit im Selbstgespräch zu antizipieren, dann beleuchtet das weiterhin die poetischen Aspekte von Hagedorns Geselligkeitskonzeption: Der Freund, der zugleich idealer Leser ist, gerät zum Spiegelbild des Autors. Das folgende Kapitel versucht, dieses Spiegelbild zu entziffern.
364 365
Shaftesbury: Soliloquy, S.82, 84f., 194, 252. Hagedorn: Schreiben an einen Freund. In: Die neuesten Sammlungen vermischter Schriften, S.191.
4. Hagedorns poetische Gesellschaft Das 18. Jahrhundert ist nicht nur das Jahrhundert des Autors und der Individualisierung, es ist auch das Jahrhundert der Leser und der Allgemeinheit, es ist das gesellige JahrhundertDer Autor übt sich in Selbstkritik, die publizistischen Bemühungen unterstützen ihn von außen dabei; er inspiriert sich selbst, die Freunde bieten ihm Rückhalt, Sujet und Publikum; sein Werk wird individuell, der kompetente Leser entziffert es und bestätigt die Einzigartigkeit - so in etwa lauten (sich steigernde) Fiktionen der Harmonie, an die das gesellige Jahrhundert zu glauben vorgibt.2 Aber bisweilen fehlt nicht nur die Zeit für ein großes Werk, sondern es fehlen auch die Nebenstunden für die Freunde (ζ. Β. Β 11, 22). Seit seiner Rückkehr aus England und einem letztmaligen Treffen mit seinem Bruder in Halle (1732)3 finden Hagedorns Reisen beispielsweise in der Vorstellung, im (empfindsamen) Irrealis, statt.4 Wieder ist es die fehlende Muße, die ihm die Zeit nimmt, ohne daß man erfährt, welche Tätigkeiten ihm denn die Reise-„Zeit" derart „verkürzen".5 Der Poet bricht zur imaginierten Reise zu einem Freund oder zur imaginierten Begegnung und Unterhaltung im Brief auf, und die imaginäre Qualität stellt sicher, daß nicht neuerdings bedrohliche Situationen entstehen. Hagedorn lobt entsprechend die „entfernte[n] Freunde"; gleichermaßen lobt er aber auch die „wohlgewählte[n] Freunde", also die Beziehungen, die So im Hof: Das gesellige Jahrhundert; umfassend zur Freundschaft im 18. Jahrhundert: Meyer-Krentler: Der Bürger als Freund; mit wichtigen Zweifeln an der Neuentdeckung der Freundschaft im 18. Jahrhundert: Barner: Gelehrte Freundschaft im 18. Jahrhundert. Vgl. zur Entdeckung von „Geselligkeit" als Kontrastmotiv zur „Gesellschaft" in der Aufklärung, speziell in der Poesie des „Rokoko": Richter: Geselligkeit und Gesellschaft in Gedichten des Rokoko. Schmid: Nekrolog, S.293. Vgl. zu nachfolgenden, kleineren Reisen: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.33. Vgl. ζ. B. die Briefe vom 20. 4. 1743 (B 81), 13. 4. 1748 (B 235), 18. 6. 1748 (B 239), 9. 8. 1748 (B 242), 19. 9. 1748 (B 247, 249), 7. 6. 1749 (B 273), 27. 9. 1749 (B 276), Aug. / Sept. 1750 (B 295), 10. 10. 1751 (B 321), 5. 4. 1752 (B 330), 15. 9. 1752 (B 338f.), 15. 5. 1753 (B 365), 5. 8. 1753 (B 376). Selbst Bodmer beschwert sich, er habe von Hagedorn eigentlich nur wenige „Nachrichten" (19. 9. 1848; Β 247). Vgl. auch die Bezugnahmen Bodmers auf diesen Topos bei Hagedorn (SK2 7. 12. 1747 u. 7. 1. 1752). Zur Sekretärstätigkeit vgl. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.28.
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Hagedorns poetische Gesellschaft
mit judiziösem Feinsinn hergestellt werden (EschIV, 126, 144). Die Bedachtsamkeit in der Wahl der Freunde6 schreibt sich aus der politischen Konstruktion der Gesellschaft als einer potentiell bedrohlichen Situation her „Wahl" und „Entfernung" sind hier wechselseitig ersetzbar, weil damit die Distanz bezeichnet wird, aus der heraus der Freund immer auch als Figur im sozialen Spiel erscheint. Zwar setzt sich die gesellige Freundschaft der gesellschaftlichen Konkurrenzsituation entgegen, aber die Schutzbedürftigkeit des Individuums, deren Merkmal die Vorsicht bei der Entscheidung für ein freundschaftliches Verhältnis ist, bleibt erhalten.7 Die Entdeckung des Individuums und seines Komplements, der Gesellschaft, hat keinen harmonischen Ursprung, sondern schreibt sich aus den Bedrohungen und Zwängen her, die den „homo clausus" bei Hof entstehen lassen.8 Das 18. Jahrhundert versucht diese Tradition mit einer „antimachiavellistischen" Einstellung abzustreifen, erzeugt aber gerade dadurch Unstimmigkeiten. In welcher Weise das Harmonie-Programm mit divergierenden Beschreibungen zusammenstößt, wurde im vorangegangenen Kapitel insbesondere an zwei Momenten gezeigt: Der Autor - zumal der Satiriker - behauptet zwar, der Gesellschaft dienlich zu sein, aber er rechnet doch immer mit einem potentiell bedrohlichen Umfeld nach dem Modell der Hofgesellschaft. Zugleich und in der Gegenbewegung arbeitet er an seiner Inkommensurabilität. Die in die Poesie hineingenommenen Einsprüche9 sowie das Projekt 6
Die „Wahl" ist ein traditionelles Element der Freundschaftsphilosophie, wenn es darum geht, den einen besonderen, wirklichen Freund zu finden (vgl. z. B. Cicero: Laelius, XVIIff.). Das Konkurrenzmodell zur „Wahl" ist die selbstevidente, gleichsam vorherbestimmte Freundschaft. Beide Modelle geraten in einer Umbruchzeit in Konflikt, in der die Hierarchisierungen der Freundschaftstheorie eingeebnet werden, aber gleichwohl noch kein stabiles neues Modell gefunden ist. Man kann einerseits sagen: „Wenn die Vernunft sich mehr in unsrer Seel erweitert, / Und, durch die Weisheit stark, die Leidenschaften läutert: / So wünschen wir ein Herz, das unsrer Ruhe fehlt, / Das man begierig sucht, doch selten glücklich wählt" (Die Freundschaft. In: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd., 2. Aufl., Bremen / Leipzig 1747, 2. St., S. 115). Aber, sobald man nur nach „Redlichkeit" strebt, gilt auch: „Dann wird der Himmel dir schon einen Freund gewären / Er wird, wenn er dich sieht, sich schnell für dich erklären" (ebda., S.124). Charakteristischerweise wird die Schnelligkeit dadurch gesichert, daß der „Himmel" die Wahl übernimmt und daß der Freund sich „schnell" erklärt.
7
Thomasius geht von der notwendigen Gegenwärtigkeit des Freundes aus: Lange Abwesenheit schwächt die Liebe, kurze Abwesenheit macht sie größer, ständige Anwesenheit zerstört sie. Der Freund ist für ihn u. a. eine Schachfigur im Kampf gegen die Feinde (Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.100, 142f.). Selbst gegenüber dem Freund offenbart man sich folglich nie so vollkommen, wie in der Einsamkeit mit sich selbst (ebda., S.155f. Vgl. auch Heumann: Der politische Philosophus, S. 12, 15,18).
8
Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Zweiter Bd., S.351ff. Vgl. zur Kontinuität der politischen Anthropologie: Geitner: Die Sprache der Verstellung. Pope zerlegt den Einspruch in Dialogen bei der Diskussion seiner Satiren und ihrer Kritik. Während der eine Dialogpartner offen seine satirischen Prinzipien benennt, läßt Pope den
5
Hagedorns poetische Gesellschaft
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der Gewissensbildung führen zum transverbalen Modell des schweigenden Weisen und haben ihren Ort eher in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, Einzigartigkeit soll hingegen paradoxerweise (auch) verschriftlicht werden und weist in die zweite Jahrhunderthälfte. Das einfache Faktum menschlicher Geselligkeit steht in der Frühaufklärung - zumal für einen juristisch gebildeten und anglophilen Aufklärer nicht prinzipiell in Frage. Diskussionswürdig aber bleibt, an welchem Ort die Geselligkeit entsteht und welche anthropologischen Annahmen ihr zugrundeliegen. Ist der Mensch schon immer gesellig und entwickelt nur im Zustand geschichtlicher Depravierung misanthropische Qualitäten, oder ist er gerade aufgrund seiner wesentlichen Egomanie gezwungen, gesellig zu sein, um den Bürgerkrieg zu vermeiden? In beiden Fällen hält sich zudem, manchmal nur untergründig und verschwiegen, eine gewisse Skepsis aufrecht, die sich aus der Auslieferung des einzelnen an sein Umfeld ableitet. Gerade das soziale Feingespür des Satirikers reagiert auf dieses Problem und läßt bei ihm eine beständige Furcht vor den „Auslegern" entstehen (vgl. ζ. B. Β 218). Die Satire überragt die Privatangelegenheiten, 10 auch wenn sie nur dem Selbstvergnügen dienen soll. Ein zentrales Harmoniemodell konstituiert sich als Theorie der Freundschaft. Die Kontrolle des sozialen Umfelds ist nicht nur in der un- oder gegenpolitischen Sphäre der Geselligkeit notwendig, sondern bisweilen auch in der Intimität der Freundschaft - der Natur schreibt sich auf jeden Fall eine Reflexionsschleife ein. In der Freundschaftstheorie verschränken sich im 18. Jahrhundert eine Fülle von Traditionen und Diskursangeboten, die die Freundschaft teils in Opposition zu anderen Gesellschaftsbeziehungen geraten lassen, teils zum Gesellschaftsmodell selbst promovieren. Die aristotelische Trias von gut, nützlich und angenehm bietet ein breites Spektrum 11 , das je nach Interesse akzentuiert, hierarchisiert oder gekürzt werden kann. Dabei wird die ursprüngliche Einheit von Gesellschaft und Freundschaft, die durch die Hierarchisierung hergestellt oder gerettet werden sollte, im Ubergang vom 17. zum 18. Jahrhundert immer brüchiger. 12 Ein Freund kann tugendhaft und offen sein und damit das moralische Individuum exemplifizieren, das das Jahrhundert der Aufklärung in vielfältiger anderen immer wieder Sätze wie „Still, Sie kommen zu hoch" einwerfen (vgl. Pope: Epistel an Dr. Arbuthnot, S.186Í.; ders.: Epilogus zu den Satiren in zwey Gesprächen, S.266f., 270, 285). Vgl. auch: Art. Satyre. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.34 [1742], Sp.235ff.; Canitz: Von der Poesie. In: ders.: Gedichte, S.94. 10
Liscow: Schriften. Bd. I, S.XXI.
11
Müller / Nitschke / Seidel: Art. Freundschaft, Sp.1106.
12
Luhmann: Interaktion in Oberschichten, S.146f. Vgl. zu den Problemen, die sich aus der Diskrepanz zwischen dem hohen Anspruch der Freundschaft und ihrer geringen Verbindlichkeit ergeben: Vollhardt: Freundschaft und Pflicht.
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Hagedorns poetische Gesellschaft
Weise fasziniert - u. a. eben auch auf politischer Ebene, wo ihm theoretisch die Modelle von Wolff und Gottsched und literarisch die Staatsromane von Loens den Weg ebnen.13 Der Gedanke, daß gutes und wahrhaftiges Handeln nicht nur im kleinsten Kreis oder gar nur in der Zweierbeziehung auch erfolgreiches Handeln bedeuten könnte, war neu. Aber auch von Loen empfiehlt die Einsamkeit, und Wolff rät zu klugem Verhalten.14 Wenn daher Hagedorns „Freund" im folgenden in besonderer Weise interessiert, dann ist davon immer auch das betroffen, was man später „Gesellschaft" nennt. 15 Um die historischen Bestimmungen zu Wort kommen zu lassen: Freundschafft, ist eine solche Einrichtung und Geschicklichkeit des Gemiiths, da verschiedene einander diejenigen Pflichten und Gefälligkeiten willig leisten, die die gesellschafftliche Liebe erfordert. Geselligkeit, ist eine Pflicht mit andern Menschen eine friedliche und dienstfertige Gesellschafft zu unterhalten, damit alle durch alle ihre Glückseligkeit erlangen mögen. Gesellschafft, ist eine wiirckliche Vereinbarung der Kräffte vieler zu Erlangung eines gemeinschafftlichen Zweckes. 16
Es geht im vorliegenden Kapitel also darum, die Brüche in den Blick zu bekommen, die Hagedorns „Gesellschaft" durchziehen. Die Textbeobachtungen loten nicht die sozialhistorischen oder soziologischen Dimensionen des Themas aus, die in kanonischer Weise dargestellt worden sind,17 sondern sie versuchen, die poetische Relevanz der Modelle zu begreifen. Die Komplexität des Gegenstandes reduziert sich daher nicht durch die Annahme eines Wandels von der stratifikatorischen zur funktional differenzierten Gesellschaft oder durch die Entstehung bürgerlicher Intimität und Privatheit, die als Ordnungsmuster die relevanten von den zu vernachlässigenden Momenten trennt, sondern das Interesse liegt umgekehrt gerade in der Wahrnehmung der (poetischen) Komplexität des Themas, wie sie sich in den poetischen Bildern und Entwürfen (4.1), in Hagedorns Selbstbeschreibung im Kontext des Literaturbetriebs (4.2) sowie in den Briefen (4.3) darstellt. Was Shaftesbury in The Moralists skeptisch der enthusiastischen Feier der Freundschaft als einer menschheitsumfassenden Empfindung entgegnen läßt, scheint jedenfalls auch auf Hagedorn zuzutreffen: „For tho a Poet may pos13 14 15
16
17
Martens: Der patriotische Minister, S.12ff., 105ff. Vgl. die Bspp.: ebda., S.19f., 65ff., 113f. Luhmann vermutet etwa seit der Französischen Revolution: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S.823. Art. Freundschafft. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 9 [1735], Sp.l837f.; Art. Gesellschafft. In: ebda., Sp.l260f.; Art. Geselligkeit. In: ebda. Bd.10 [1735], Sp.1260. Vgl. als neueren Überblick: Möller: Vernunft und Kritik, S.212ff.
Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft
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sibly work up such a single Action, so as to hold a Play out; I can conceive but very faintly how this high Strain of Friendship can be so manag'd, as to fill a Life"" - und selbst die Durchhaltefähigkeit des Dichters kann im Fall Hagedorns befragt werden.
4.1 Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft Im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen die Moralischen Gedichte, insbesondere das große Freundschaftsgedicht von 1748, und damit die Modelle des „Weisen" und des „Freunds". Teils ergänzende, teils kontroverse Ansichten von Geselligkeit bieten andere Gattungen." Auf sie wird immer wieder einzugehen sein, wobei die Moralischen Gedichte eine Art Mittel zwischen dem Skeptizismus der Fabeln und Epigramme und der Harmoniefiktion der geselligen Lieder bilden. In Die Freundschaft bietet Hagedorn ein geradezu überbordend umfangreiches und ausführlich mit Anmerkungen versehenes Panoptikum moralischer Charaktere, Freundschaftsmodelle und Freundschaftstheorien. 20 Es können daher nur einige neuralgische Punkte dieses Gedichts genauer untersucht werden. Vor dem Hintergrund anderer Freundschafts-, Geselligkeits- und Einsamkeitsbilder aus den Moralischen Gedichten sieht man, daß es sich dabei um argumentative Schaltstellen handelt. Geschriebene Freundschaften Die Zweideutigkeiten, mit denen Hagedorn arbeitet, lassen sich schon im Einleitungsexempel seines umfangreichen „Abriß" der „Freundschaft" (Wl, 56) entdecken: Den heimkehrenden Odysseus, „entstellt und ausgezehrt von tausendfachen Sorgen" (Wl, 40), erkennen weder seine Sklaven noch Penelope. Lediglich sein alter Jagdhund wird aufmerksam: 18 19
20
Shaftesbury: The Moralists, S.100. Im Unterschied zu Meyer-Krentlers Verteilung der Freundschaftskonzeptionen auf Gattungen wird im folgenden der inszenatorische Charakter in allen Gattungen beachtet. Bei genauer Hinsicht kann man nämlich zweifeln, ob „Briefe - echte und fingierte - und Lyrik, als Ausdruck von Freundschafts-Haltung, expressive Texte, die reale Freundschaften im Vollzug zeigen", zu verstehen sind (Meyer-Krentler: Freundschaft im 18. Jahrhundert, S.14). Zur Reihung als Verfahren der Lehrdichtung vgl. Siegrist: Fabel und Lehrgedicht, S.112. Vgl. in bezug auf Hagedorn: S[chultheiß]: Anmerkungen zu dem Schreiben Herrn von Hagedorn, an einen Freund, S.179. Schultheiß hebt die Ordnung, die „unter" dem ornatus verborgen sei, im Anschluß an die logische Auflösung von Horaz-Gedichten bei Petrus Ramus hervor (vgl. u. a. zur Analyse der Syllogistik eines Horaz-Gedichts in der Logik von Port Royal Beetz: Rhetorisches Textherstellen als Problemlösen, S.173f.).
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Hagedoms poetische Gesellschaft
Der Argus, dem es längst an Kraft zum Gehn gebrach, Hebt sich zum letztenmal, und hinkt dem Bettler nach, Naht sich mit regem Ohr, riecht, wedelt, züngelt, schmeichelt, Und, da der Fremdling ihn, mit nassen Augen, streichelt, Da seine Neigung ihm noch diesen Dank erwirbt, Ächzt, heult er, siehet auf, erkennt Ulyß, und stirbt. (Die Freundschaft-, Wl,41)
Hagedorn spiegelt die Schicksalskurven von Herr und Hund ineinander wie Odysseus ist auch Argus inzwischen von der fürstlichen Tafel verjagt und wird von den Knechten verspottet. Das entsprechende Einverständnis von Mensch und Tier kann sich nur körpersprachlich zeigen, denn Worte stehen nicht zur Verfügung, und genau das soll das Exempel illustrieren: die später in einer Anmerkung mit Wollaston angeführte Bestimmung der „moralischen Tugend" als „Bedeutlichkeit der Wahrheit in den Handlungen" (Wl, 52, Anm. 25; s. u.). Simulationstechniken spielen hier keine Rolle; die Träne bezeichnet traditionell Wahrhaftigkeit. Damit wird der „Neigung" eine Natürlichkeit eingeschrieben, die selbst Wolff in seiner Politik immer wieder zu Tierexempeln greifen läßt, um die Naturgesetzlichkeit seiner Ausführungen zu bestätigen.21 Hagedorn verkehrt auf diese Weise den Stellenwert der AnagnorisisSzene im Zusammenhang der Erkennungsfolge, die Odysseus' Einkehr nach Ithaka strukturiert. Wie Hermann Rohdich in einer Interpretation der Anagnorisis-Reihe deutlich macht,22 hat Argus am einen Ende der Skala die Funktion, die Überlegenheit des Menschen über das Tier, die Abhängigkeit des Hundes von seinem Herrn zu demonstrieren. Am anderen Ende steht dann Penelope. Sie treibt die 'klugen' Verhaltensweisen des Odysseus so weit, daß der Listige selbst seine tatsächliche Identität nicht mehr beglaubigen kann. Erst der von der Gattin provozierte emotionale Ausbruch hebt die Möglichkeit der Verstellung auf. Der Hund repräsentiert hier nicht die Stimme der Natur, sondern wartet nur darauf, seinem heimkehrenden Herrn die Verhaltensweisen wieder zu zeigen, die ihm bei der Erziehung zum Jagdhund auf- und eingeprägt wurden. Er bleibt so lange funktionslos, bis er wieder als Spiegel der herrschaftlichen Gewalt in Aktion treten und die Stabilität des gesellschaftlichen Kosmos deutlich machen kann, die Odysseus durch seine Rache an den Freiern restituieren wird. Hagedorn stellt statt dessen das Alter des Hundes in den Vordergrund: Weil Argus zu alt ist, kann er nicht mehr jagen - das ist ein 'natürliches', kein 'soziales' Argument.
Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, S.10, 11, 15, 29, 303. Rohdich: Der Hund Argos und die Anfänge bürgerlichen Selbstbewußtseins.
Selbstsorge und Fürsorge: Die
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Hagedorn muß sich jedoch mit der Schwierigkeit auseinandersetzen, daß das Argus-Exempel gerade nicht oder nicht für jeden die unbefragte Beweiskraft der Natürlichkeit hat.23 Denn Perrault hatte in seiner Homer-Kritik behauptet, kein Hund erreiche ein Alter von zwanzig Jahren, folglich könne Argus auch nicht die Heimkehr seines Herrn erleben. Hagedorn verweist daher in einer Anmerkung auf Popes Odyssee-Ubersetzung24 und auf Boileaus Réflexions Critiques (Wl, 41, Anm.l). Beide werfen Perrault mangelnde Sachund Literaturkenntnis vor und begegnen seinen Vorwürfen mit Autoritäten wie Aristoteles, Plinius und anderen, modernen „Naturalists" oder den Kommentaren von Eusthasius und Dacier. 25 Beide Belege sind wichtig, weil sie die Dimensionen entfalten, die Hagedorn im Exempelgebrauch verschränkt: Boileau akzentuiert die textuelle Komponente, Pope die anthropologische. Boileau muß - und das ist auch für die Autortheorie interessant - auf zwei Ebenen agieren: Zum einen gilt es, die Einheit des homerischen Werks sowie der einzelnen Gedichte über die Einheit des Autors zu verteidigen, die „unité de dessein"26, zum anderen, die inhaltliche Sachrichtigkeit der Werke darzulegen. Jeweils bewegt Boileau sich dabei auf der Textebene, indem er die Interpretationen Perraults entweder als Mißverständnisse oder seine Sekundärbelege als Verfälschungen entlarvt. Pope verfährt bei der Verteidigung des Exempels in ähnlicher Weise, nur daß er am Ende der Anmerkung zusätzlich auf seine eigene Erfahrung verweist.27 Das ist kein Zufall, denn Pope interessiert - wie Hagedorn - paradoxerweise die anthropologische Aussagekraft des Hundes. Zuerst wendet er die Kritik an Perraults Vorwurf des decorum-Verstoßes („Dunghill" und „vermin" haben im Epos keinen Platz) ins Positive: Im Unterschied zur Ilias „descends [the Odyssey] to the Familiar, and is calculated more for common than heroic life". Das führt zu dem Effekt, auf den Hagedorn zielt: „What Homer says of Argus is very natural, and I do not know any thing more beautiful or more affecting in the whole Poem [...]". 2i Die höchstmögliche Steigerung der Affekterregung sind dann die Tränen des Odysseus, die mehr als militärische Erfolge - sein Heldentum bestätigen, denn ein „great Hero" ist ein „good Man". Wieder beglaubigt Pope durch die eigene Erfahrung die Wirkmächtigkeit und Legitimität des Beispiels und übersteigt da-
24 25
26 27
28
Vgl. zu verschiedenen Verarbeitungen des Exempels: Most: Ansichten über einen Hund. Vgl. auch Popes /Irgws-Gedicht (Minor Poems, S.51). Pope: The Odyssey of Homer. Books ΧΠΙ - XXIV, S.151. Boileau: Réflexions Critiques, S.507Í. Boileau: Réflexions Critiques, S.500. „[...] and the Translator, not to fall short in these illustrious examples, has known one that died at 22, big with puppies" (Pope: The Odyssey of Homer, S.151). Ebda., S. 148.
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Hagedorns poetische Gesellschaft
durch - in umgekehrter Weise, aber mit dem gleichen Effekt - den Text durch Anmerkungen: „I confess my self touch'd with the tenderness of these tears in Ulysses, I would willingly think that they proceed from a better principle than the weakness of human nature, and are an instance of a really virtous and compassionate disposition".29 Die freundschaftlichen Tränen verweisen auf die Fähigkeit, in das „Herz" zu sehen, also Äußerlichkeiten - und damit sowohl die Körpersprache im Text wie auch den Text selbst - hinter sich zu lassen (Wl, 53f.): Denn der „alte Herr" und der „alte Hund" müssen ja über die fehlenden sichtbaren Merkmale hinweg, die den Sklaven das Erkennen unmöglich machen, zueinander finden, so wie Pope durch sein Exempel die translitérai Wahrheit des homerischen Exempels bezeugt. Text und körperliche Gestalt interessieren diese Hermeneutik der Tugendhaftigkeit und Sympathie nur am Rande oder nur dann, wenn sie sich so durchsichtig auf das von ihnen Bedeutete machen wie Argus' Verhaltensweisen. Es geht um der „Seelen Reiz", der „innern Sinnen Glück" (Wl, 50): Dem Freund „gebührt das Recht, in unser Herz zu sehn" (Wl, 53). Im Unterschied zu den meisten Menschen - so wird Klopstock in seinem Essay Von der Freundschaft (1759) erklären - verstehen Freunde sich durch ein „halbes Wort". Anders formuliert: Freundschaft gründet auf hermeneutischer Exklusivität und auf Entliteralisierung (vgl. Kap. 4.2). Traurig betrachtet der Freundschaftstheoretiker daher diejenigen, denen die Freundschaft „nichts, als ein Wort ist, das sie, des Wohlstandes wegen, bisweilen mit aussprechen, von ungefähr so, wie das andre Wort Tugend".30 Der Hund - so funktionalisiert die anschließende applicatio Hagedorns das Exempel - ist hier der bessere Mensch: „So hündisch lieben nicht die Klugen unsrer Zeiten, / Die Meister in der Kunst verstellter Zärtlichkeiten" (Wl, 41). Allerdings lieben auch die Menschen der damaligen „Zeiten" nicht so „hündisch" wie Argus: Odysseus wird weder von „den Seinen" noch von Penelope erkannt (Wl, 40), sondern nur von einem Hund und natürlich vom Leser. Die Instinktschärfe des altersschwachen Hundes übertrifft die sympathetischen Fähigkeiten der Menschen, deren Schwäche somit nicht auf einer zeitlichen Achse abgebildet und aufgelöst werden kann.31 Zwar will Hagedorn den geselligen Instinkt als ursprünglich menschlich installieren, aber die Komplexität des Exempels widerspricht der Auslegung bzw. applicatio. 29 30
31
Ebda., S. 149. Klopstock: Ausgewählte Werke. 2. Bd., S.934. Der „Wohlstand" ist das decorum, die Kunst, zu gefallen (vgl. Der galante Stil, S.6). Vgl. auch W l , 45 sowie unten zu W l , 49f. Es gibt einige Stellen, in denen Hagedorn das Problem durch Temporalisierung löst, indem er sich auf den Verrechtlichungsprozeß bezieht, ζ. B. in Ben Haly (W2, 63).
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Das ganze Gedicht über die Freundschaft ist von eben dieser Ambivalenz durchzogen, einem tiefliegenden Mißtrauen gegenüber der menschlichen Begabung zur Sympathie und dem Willen, eben diese Sympathie so weit als möglich zu naturalisieren. Wenn Hagedorn am Ende von Die Freundschaft im Gedichttext fordert, einem Freund sei „nichts" zu verhehlen, dann schränkt die Anmerkung dies in Form einer Montaigne-Korrektur ein: „Doch übereilt sich Montaigne, der so vollkommene Freund seines E S T I E N N E de la B O E T I E , indem er dieser Pflicht keine Gränzen setzet" (Wl, 54, Anm.31). Zweierlei ist an der Bezugnahme auf Montaigne, den Hagedorn neben Horaz zum Vorbild wählt,32 bemerkenswert: die Gedankenfigur, mit der Montaigne seine Vorstellung idealer Freundschaft vorträgt, sowie seine Freundschaftstypologie. Montaigne unterscheidet die ideale und einzigartige Freundschaft zu de la Boétie von Freundschaften und gesellschaftlichen Beziehungen, die man mit mehreren Personen oder ohne Wahlmöglichkeit (ζ. B. Familienbande) aufrecht erhält. Nur in der einen idealen Freundschaft, mit der sich Montaigne in die Nachfolge der Ciceronischen Freundschaftsidealität stellt33, können und sollen sich die Freunde völlig offenbaren. In allen anderen Fällen gilt es, der freundschaftlichen Beziehung wiederum eine reflexive und zeitliche Ebene einzuschreiben, die die Zuneigung durch die gedankliche Vorwegnahme einer möglichen späteren Entzweiung beschränkt. Als Verhaltensregel gilt: „Aymés le [...] comme ayant quelque jour à le haïr; haïssez le, comme ayant à l'aymer"34 - ein Satz, den Hagedorn mit Cicero dem richtigen Verständnis von Freundschaft gerade diametral entgegensetzt (Wl, 45).35 Hagedorn übergeht jedoch diesen Unterschied zwischen der einen idealen Freundschaft und den anderen, eingeschränkten Freundschaften. Das zweite Charakteristikum von Montaignes Beschreibung der Freundschaft ist die Konstruktion der Freundschaft als Selbstbeziehung. Montaigne macht die Idealität der Freundschaft zu de la Boétie an einer bestimmten reflexiven Form der Beziehung fest. Er kann sich dem nicht bloß durch „occasion" oder „commodité" gefundenen Freund gegenüber deswegen völlig bloßlegen, weil er sich mit dem Freund bis zu Ununterscheidbarkeit 32
„Ich habe mich ihm (Schultheiß, S. M.) gezeigt, wie ich bin; und es fällt mir schwer, mich anders zu zeigen. D e m Montagne bin ich wenigstens darinnen ähnlich, ob ich gleich in diesem Jahrhunderte es nicht für rathsam erachte, so oft und so viel von mir zu reden, als er gethan hat: w o f ü r ich ihm aber sehr danke" (an Bodmer; 24. 9. 1750; Β 302).
33
Cicero: Laelius, IV, 15. Montaigne: Essais. Livre I, S. 199. Montaigne zitiert hier Chilon (oder Bias) (Essais. Livre I, S.206). „Liebe ihn [...], als w e n n du ihn einmal hassen würdest: hasse ihn, als w e n n du ihn dereinst lieben würdest" (ders.: Essais [Versuche], Erster Theil, S.336f.). Auch Gottsched empfiehlt diese Regel: Erste G r ü n d e der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.407f.
34
35
Cicero: Laelius, XVI, 59.
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verbindet („un melange [...] universel"). Der Freund verliert die Qualität des potentiell bedrohlichen Anderen: „Par ce que c'estoit luy; par ce que c'estoit moy".36 Damit stellt Montaigne eine Gedankenfigur vor, die der stoischen Konzeption des Freundes als personifiziertem Gewissen folgt (s. u.). Der Weise internalisiert den Freund, so daß der andere nicht mehr als Person, sondern bloß noch in der Figur der Selbstreflexivität auftritt. Aus diesem Grund kann Montaigne nicht nur die Freundschaft feiern, sondern auch die Einsamkeit empfehlen. Das Kapitel De la solitude, in dem Montaigne die gesellschaftliche Bestimmung des Menschen wiederholt,37 ist nichts als eine große Einübung in die freundschaftliche Beziehung mit sich selbst: „Ii se faut reserver une arriere boutique toute nostre, toute franche, en laquelle nous establissons nostre vraye liberté et principale retraicte et solitude. En cette-cy faut-il prendre nostre ordinaire entretien de nous à nous mesmes, et si privé que nulle acointance ou communication estrangiere y trouve place [...]".38 Aber damit nicht genug: Zur Erläuterung von Montaigne verweist Hagedorn weiterhin auf die Letters of Sir Thomas Fitzosborne on Several Subjects (1749) von William Melmoth. Melmoth - das merkt Hagedorn an - ordnet dort Montaigne „unter die Enthusiasten in der Lehre von der Freundschaft" (Wl, 54, Anm.31).39 Der Engländer entdeckt diesen Freundschaftsenthusiasmus jedoch in der gesamten antiken Uberlieferung der Freundschaftstheorie, auch in Ciceros Laelius, Hagedorns zentralem Prätext.40 Hagedorn fordert also im Kontext der Montaigne-Kritik am Ende des Freundschaftsgedichts (im Gegensatz zur Mißbilligung der „Klugen" in der Einleitung) einen „klugen" Freund.41 In Form eines Epigramms formuliert Hagedorn entsprechend:
36
Montaigne: Essais. Livre I, S.204.
37
„II n'est rien si dissociable et sociable que l'homme: l'un par son vice, l'autre par sa nature" (Montaigne: Essais. Livre I, S.268; „Es ist nichts so ungesellig und nichts so gesellig als der Mensch, ienes wegen seiner Fehler, und dieses seiner Natur nach"; ders.: Essais [Versuche], Erster Theil, S.427). Auch die freundschaftliche Beziehung hat hier ihren Ort (ders.: Essais. Livre I, S.279).
38
Ders.: Essais. Livre I, S.271 („Man muß sich einen Hinterhalt vorbehalten, der völlig unser und völlig frey ist, in welchen wir unsere wahre Freyheit, und unsere vornehmste Zuflucht und Einsamkeit suchen. Hier müssen wir ordentlich mit uns selbst, und zwar so vertraut reden, daß kein Umgang oder Gemeinschaft mit einer fremden Sache Platz finde"; ders.: Essais [Versuche], Erster Theil, S.432f.).
39
Melmoth: Letters of Sir Thomas Fitzosborne, S.73.
40
Ebda., S.68f.
41
Das ist ein typisches Verfahren der Freundschaftstheorie, vgl. z. B. bei Heumann: Der politische Philosophus, S.282 i. U . zu S.308.
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Alcest und Philint. Alcest. Ein wahrer Freund sagt alles frey, E r hasst die stumme Heucheley. Philint. Ganz recht! die lieb ich nicht; Doch auch ein kluger Freund gefällt, Der uns nicht immer, vor der Welt, Entscheidend widerspricht. ( W l , 111)
Die Deutungsgeschichte der Protagonisten von Molières Le misanthrope Alceste und Philinte - skizziert eine kleine Geschichte des Verhältnisses von anthropologischem Skeptizismus und Optimismus. Während im 17. Jahrhundert der Menschenfeind eine lächerliche Figur ist, kritisiert das 18. Jahrhundert Philinte und promoviert Alceste zum tragischen Helden.42 Hagedorn gibt beiden Positionen recht: Alcestes Maxime der Aufrichtigkeit ist zwar legitim, aber er hat die Forderungen des gesellschaftlichen decorum zu beachten, wie es die Thomasianische Freundschaftslehre als Teil der conservano sui empfiehlt.43 Die offen formulierte Skepsis gegenüber einem einfachen Harmoniemodell findet sich bei Hagedorn immer wieder, insbesondere in den Fabeln (aber auch in den Epigrammen), die traditionell nicht allzuviel Vertrauen in Altruismus, Selbstlosigkeit und Offenheit setzen.44 Bezeichnenderweise faßt Hagedorn das situationsgebundene Votum der Jenaer Studenten für Lange (vor den Professoren) oder Wolff (unter den Kommilitonen) in dem einfachen „Es lebe Wolf! Es lebe Lange!" zusammen (W2, 20; vgl. Kap. 3.1). Um nur einige weitere Fälle zu nennen: Der dumme Bock wird vom Fuchs im Brunnenschacht zurückgelassen, nachdem er diesem vertrauensselig geholfen hat (W2, 20f.); von zwei Hunden hat der ein gutes Leben, der „klüglich" treu zu sein versteht (W2, 28); nicht der unschuldige Aal, sondern die wehrhafte Natter kann sich verteidigen (W2, 31); die schlechten Freunde des Hasen demonstrieren, daß Freundschaft mindestens so wundersam ist wie der „Stein der Weisen" (W2, 33); in der von Giseke in seine HagedornHommage aufgenommenen45 Fabel vom Bär und dem Liebhaber seines Gartens veranschaulicht Hagedorn, daß ein „dumme[r] Freund" ebenso schadet wie ein ,,kluge[r] Feind" (W2, 38); und in Ulysses und seine Gefährten zitiert
42
Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S.151ff.
43
Vgl. zur Freundschaftslehre ausgehend vom decorum:
Stolle: Anleitung Zur Historie der
Gelahrheit, S.659. Vgl. zur direkten Konfrontation der von Hagedorn stillschweigend gleichzeitig verwendeten Modelle Klopstocks Essay Von der Freundschaft
(Ausgewählte
Werke. 2. Bd., S.939ff.). 44 45
Siegrist: Fabel und Satire, S.251. Giseke: Schreiben an den Herrn von Hagedorn, Über den Einfluß des Geschmacks in das menschliche Leben. In: ders.: Poetische Werke, S.68.
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Hagedorn endlich auch den Ahnherrn dieser skeptischen Anthropologie, Hobbes, und läßt den in einen Wolf verwandelten Menschen sagen: „Wo giebt es Menschenfreunde? / Die Menschen selber sind der Menschen ärgste Feinde, / Und einer ist dem andern Wolf und Bär", oder um es anders zu formulieren: „Was unser Thun bestimmt, ist Wahn und Leidenschaft" (W2, 117). Der „Freund" stellt sich immer wieder als der eigentliche „Feind" heraus.46 Witz und Herz Die Freundschaftsgrammatik Hagedorns geht von einer grundlegenden Dichotomie aus, die die Widmung des Freundschaftsgedichts an seinen Bruder markiert: Christian Ludwig vereine, so Hagedorn abschließend, „mit der Höfe Witz das beste Herz" (Wl, 56). Im Spannungsfeld von „Witz" und „Herz", von Strategie und Tugend, bewegen sich Hagedorns Gesellschaftsbeobachtungen zeit seines Lebens. Und auch diese Differenz läßt sich auf die Dichotomien der Nebenstundenpoetologie abbilden: Der Freund vermittelt den Zugang zu einem allgemeinen Sozialen und wehrt dessen Ansprüche ab. Freundschaft kann wie die Poesie der gesellschaftlichen Fürsorge und der individuellen Selbstsorge dienen. Um es mit Hagedorn zu sagen: Wie ruhig ist ein Herz, das seine Pflichten kennt! Das jede seine Lust, wie seine Richtschnur, nennt! Von ihm, und nur von ihm, wird Freundschaft recht geschätzet, Die, wahrer Dichtkunst gleich, so bessert, als ergetzet. (Wl, 49)
Aber: Wen „bessert" die Dichtung, und wen „ergetzt" sie? „Bessert" und „ergetzt" die Freundschaft den anderen oder das Ich? Die Poetologie und die Freundschaftslehre halten für die Antwort mehrere Theorie-Angebote (oft innerhalb eines Modells) bereit, die sich aus der aristotelischen Einheit von „nützlich", „lustvoll" und „gut" ergeben: Die Freundschaft ist erstens neben der Gerechtigkeit der Sozialkitt für die politische Gemeinschaft; sie manifestiert sich zweitens in der Liebe zum Freund um dessen selbst willen sowie drittens in der Liebe zu sich selbst.47 Auch Cicero läßt in Laelius, dem wichtigsten antiken Orientierungstext von Hagedorns Gedicht über Die Freundschaft, die Variationen der Freundschaft auftreten, um dann selbst eigene Akzente zu setzen: „unam, ut eodem modo erga amicum adfecti simus quo erga nosmet ipsos, alteram, ut nostra in amicos benevolentia illorum erga nos benevolentiae pariter aequaliterque respondeat, tertiam, ut, quanti quisque se ipse facit, tanti fiat ab amicis. harum trium sententiarum nulli prorsus 46 47
Vgl. auch W2, 22, 59, 61, 66, 73,120,121,129f„ 132f„ 134. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1155a, 1156b, 1159a, 1166a.
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adsentior". 48 Der Biedermann empfiehlt in diesem argumentativen Dickicht die sophistische Differenzierung: „Allein man unterscheide nur eine vortheilhaffte Freundschafft von einer gewinnsüchtigen oder eigennützigen Hagedorn bündelt die traditionellen Ausrichtungen der Freundschaftslehre in Die Freundschaft·. Der Herzen Einigkeit, die sich auf Wahrheit gründet, Stets gleiche Tugenden, oft gleiche Sitten, findet, Kennt keinen Eigennutz, der sie zu Diensten treibt, Weil nur des Wohlthuns Lust der Großmuth Ziel verbleibt, So oft wir recht gewählt, und dann mit edlem Willen In des Geliebten Wunsch auch unsern Wunsch erfüllen. (Wl, 52f.)
Die ersten drei Verse inszenieren die Einheit einer Zweiheit, die folgenden Verse die Zweiheit einer Einheit. Zwei „Herzen" bilden eine „Einigkeit", indem sie von sich ablenken und sich auf eine einheitsstiftende „Wahrheit" beziehen, die selbst - wie die aristotelische Tugend - beziehungslos ist. Die eine Wahrheit zerlegt sich dann in die Pluralität von Tugenden. Wahrheit ist an dieser Stelle in sich geschlossen und bedeutungslos, anders als die bedeutende, nach außen geöffnete Tugend. Mit Wollaston erklärt Hagedorn die „moralische Tugend" als „SlGNIFICANCY of Truth in Actions" (Wl, 52, Anm.25). Die Polemik gegen die Spaltung der Tugend, ihre Bedeutsamkeit, liegt jedoch Hutchesons tiefgreifender Kritik an Wollaston zugrunde, die Hagedorn lapidar mit den Worten einbringt, Hutcheson finde in den Worten Wollastons „eine nicht geringe Zweydeutigkeit" (Wl, 52, Anm.25) - eben diese „Zweydeutigkeit" findet sich auch bei Hagedorn. Wollaston geht - mit einigen Einschränkungen, die Hutcheson anmerkt von einer einfachen Bedeutsamkeit von Handlungen aus,50 betrachtet aber zugleich den Kontext: „it must be considerd not only what it is in it self or in one respect, but also what it may be in any other respect [...]".51 Auf diese Zweideutigkeit von Selbstevidenz und ausgreifender Beobachtung scheint
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„Die eine besagt, daß wir gegen den Freund ebenso gesinnt sein sollen wie gegen uns selbst; die zweite, daß unser Wohlwollen gegen die Freunde dem Wohlwollen der Freunde gegen uns in Ausmaß und Art genau entsprechen soll; die dritte, daß jeder von den Freunden so hoch geschätzt werden soll, wie er sich selbst einschätzt. Von diesen drei Ansichten kann ich durchaus keiner beipflichten" (Cicero: Laelius, XVI, 56). Gottsched: Der Biedermann, 1727, 2. St., S.5. „[...] if this signification is natural and founded in the common principles and sense of mankind, is not this more than to have a meaning which results only from the use of some particular place or country, as that of language doth?" (Wollaston: The Religion of Nature Delineated, S.10). Ebda., S.18.
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Hutcheson zu reagieren. Wollastons Konsistenzforderung begründet aus dieser Perspektive die Tugendhaftigkeit eher von außen, und zwar als einen in sich stimmigen Handlungszusammenhang, kann sich damit aber nicht von der politischen Verhaltenslehre abgrenzen, denn auch der politicus muß darauf bedacht sein, seine wahren Absichten nicht durch Brüche in der Selbstinszenierung zu entlarven. Hutcheson hingegen begründet die Tugendhaftigkeit von innen heraus. In seiner verwickelten, implizit wohl auf Wollastons Behauptung der schlichten, aber daher um so überzeugenderen Beweiskraft seiner Argumente52 zurückgehenden sprachphilosophischen Kritik wiederholen sich die zuvor von Hutcheson im Treatise II des Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections entfalteten Argumente: Tugendhaftigkeit ergibt sich demzufolge weder aus dem Rekurs auf „Truth or Reason" noch auf „Fitness or Unfitness of Actions"53. Hutcheson versucht, die Tugend dem Menschen so zu implantieren, daß tugendhaftes Handeln menschlich und natürlich wird, um die Zweiheit, die etwa die politische Theorie zwischen innerer Einstellung und äußerem Verhalten behauptet,54 zu überwinden. Dem korrespondieren eine monistische Anthropologie und - das ist entscheidend - der Versuch, den Egoismus als Movens zu beseitigen.55 Durch die Grundlegung im „moral sense" zieht sich das Modell „Mensch" gleichsam auf einen Punkt zusammen und umgeht so die strategischen Notwendigkeiten, die sich dann ergeben, wenn man vom bedrohten, d. h. beobachteten und sich beobachtenden Individuum ausgeht. Wie kompliziert die polemischen Verhältnisse sind, zeigt sich auch daran, daß der an anderer Stelle von Hagedorn zitierte William Melmoth (Wl, 44, Anm.6) gegen Wollaston Stellung bezieht, eben weil dieser für „the love of Fame" wenig übrig habe.56 Er nimmt dabei, wie Hagedorns Gewährsmann Hume 57 (Wl, 44, Anm.6), der ebenfalls Wollaston kritisiert,58 eine irenische Haltung ein, die zugleich den Introspektionismus der moral-senseLehre59 hinterfragt: Die Motivationsvielfalt der Menschen macht die Ent-
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Wollaston: The Religion of Nature Delineated, S.7. Die Einfachheit und Verständlichkeit der Argumente reklamiert freilich auch Hutcheson für sich (An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, S.VI, IX, 2). Hutcheson: An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, S.213ff., 245ff. Heumann: Der politische Philosophus, S.2; für die Freundschaft: ebda., S.265f. Kondylis: Die Aufklärungx, S.399. Melmoth: Letters of Sir Thomas Fitzosborne, S.35Í. So im Essay Of the Dignity of Human Nature (Hume: The Philosophical Works, insbes. S.155f.). Vgl. zur Kritik der moral-sense-Philosophie (Hutcheson, Hume) an der rationalistischen Ethik (Clarke, Wollaston): Schräder: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S.169ff. Vgl. dazu: Leidhold: Einleitung, S.XXV, XXXVIII.
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Scheidung über den individuellen Antrieb von tugendhaftem Handeln schwer. Sicher ist nur, daß es tugendhaftes Handeln gibt und daß dieses Handeln mit Ehrgeiz nicht konfligiert.60 Die Schattierungen der Freundschaftstheorie, die Hagedorn durch seine Anmerkungen einbringt, spiegeln sich gewissermaßen im zitierten Passus: Die potentiell problematische Einheit in der Vielfalt der „Tugenden" hält Hagedorn zwar temporal noch zusammen, lockert sie jedoch weiter auf („oft"), wenn es um die „Sitten" geht. Hagedorn stellt also eine Reihe vor, deren Einheiten sich vervielfältigen und analog dazu von einem innersten Kern zu einer akzidentiellen Bestimmung überleiten. Zur Einheit führt sie der folgende Vers zurück, der im Singular wieder auf „der Herzen Einigkeit" Bezug nimmt („kennt"). Die „Einigkeit" schließt die Anwendung von „Eigennutz" aus, da sie die Frage „Eigennutz für wen?" nicht erlaubt. Darin liegt die Pointe des anschließenden Relativsatzes („[...] der sie zu Diensten treibt"), dessen Objekt sowohl die „Herzen" als auch die „Einigkeit" sein kann. Der „Eigennutz" braucht als Bezugsmöglichkeit ein solitäres Selbst in Gesellschaft, das ihm die Einheit in der Zweiheit nicht bietet. Umgekehrt kommt aber auch die „Lust" am „Wohlthun[ ]" nicht ohne Selbstbezug aus (anders als die affektfreie Wahrheit). Hagedorn muß daher die „Einigkeit" erneut auflösen, sie in eine reziproke Entsprechung verwandeln und damit der Freundschaft ihre Selbstlosigkeit unauffällig nehmen. Die Funktion der Wahrheit in der Folge „Wahrheit" - „Tugenden" „Sitten" ist in diesem Zusammenhang wichtig: Typologisch liegt die (thomasianische) Ordnung von justum, decorum („Sitten") und honestum („Tugenden") dieser Reihe zugrunde, die durch das wolffianische Interesse um das justum verkürzt und um die „Wahrheit" erweitert wird. Wahrheit hat aber ihren Ort im „Bewußtsein", von dem das wolffianische System ausgeht. Das „Bewußtsein" ist die in sich gespaltene Einheit,61 die das System Nicht nur dieser von Hagedorn verschwiegene Konflikt der Prätexte macht deutlich, daß Hagedorns Anmerkungsautoritäten nur wenig stabile Pfeiler seiner Konstruktion sind. Auch wenn Hagedorn - wie im Falle Wollastons und Hutchesons - auf einen PrätextKonflikt hinweist, scheint fragwürdig, ob ihm die Tragweite der Differenzen zwischen den Positionen deutlich ist. Jedenfalls geht er von punktuellen Gewißheiten aus, nicht von einem systematisch durchgearbeiteten Text. Wollaston als Beleg zu zitieren und gleichwohl auf Hutchesons Radikalkritik zu verweisen, kann andernfalls nur bedeuten, einen der Texte nicht gelesen zu haben. Das scheint auch deswegen nahezuliegen, weil die für Wollastons Position angeführte Definition der Wahrheit als „SlGNIFICANCY of Truth in Actions" wörtlich nicht bei Wollaston, sondern nur bei Hutcheson zu finden ist (An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, S.253). Für die Aussagekraft der Konstellationen spielt das allerdings keine Rolle. Die Definition von Gottsched lautet: „Das Bewußtseyn ist, unserer Empfindung nach, eine solche Veränderung in uns, die ihren Grund in uns selber hat [...]" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Theil, S.512).
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in zweierlei Weise begründet: Es schließt den infiniten Begründungsregreß durch Letztbegründung ab und kann aus sich heraus die Vielfalt der Systembezüge entfalten - u. a. die Gesellschaft. Die Wahrheit macht sich völlig transparent, weil sie selbstbezüglich organisiert ist. Fremdbezüglichkeit führt opake Momente mit sich - u. U. durch die „Sinne" -, die sie in der Ethik auch bewahren soll. Wolff erteilt den politisch klugen und philosophisch begründeten Ratschlag, sich selbst völlig zu durchschauen, gegen andere aber immer ein wenig „fremd" zu bleiben.62 Die „Wahrheit" als reflexiver Ausgangspunkt der Wölfischen Philosophie reinigt das Selbst vom Firnis der Buchgelehrsamkeit und der Sinne und erreicht so die ihr auch von Hagedorn bescheinigte Lichthaftigkeit (vgl. Kap. 3.1). Wörter verdunkelten dieses Licht nur, so daß Wolff nicht zur Metapher des Selbstgesprächs greift, denn dadurch würde die Selbstentzweiung und damit auch die Selbstformung auf eine Weise deutlich werden, die fraglose Evidenz gerade nicht entstehen läßt. Umgekehrt geht Thomasius bei seiner Fundierung der Erkenntnistheorie im Selbstgespräch von einer negativen Anthropologie aus (s. u.). Und Shaftesburys Soliloquy vergleicht die Bildung von Selbstbewußtsein und damit auch von Autorschaft mit einem inquisitorischen Prozeß (Kap. 3.2). Die „Lust" am „Wohlthun" und die wechselseitige Wunscherfüllung, also der möglicherweise bedrohliche Fremdbezug, wird aufgrund dieser Implikationen von Hagedorn im zitierten Passus in zweifacher Weise begrenzt: Man muß „richtig" wählen und einen „edle[n] Willen" haben. Im Hintergrund steht als ein Kardinalthema des 18. Jahrhunderts die Diskussion um die richtige „Selbstliebe", und das heißt immer auch um das 'richtige' Verhältnis von Selbstbeschränkung und Selbsterhaltung63 sowie um den Grad an Auffälligkeit, der für die Selbstbearbeitung angemessen er-
62 63
Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.134, 586. Im Anschluß an die Unterscheidung zwischen der „vortheilhaffte[n]", der „gewinnsüchtigen" und der „eigennützigen" Freundschaft fährt Der Biedermann fort: „Die Begierde glücklich zu werden ist unserm Wesen so fest eingeprägt, daß man ihr nicht wiederstehen kan: Ja man muß ihr nicht wiederstehen; sondern sie auf alle Weise befördern. Sie ist gleichsam die einzige Feder, die das gantze Menschliche Geschlecht in Bewegung setzet, und einen jeden ins besondere treibet, das Gute zu thun und das Böse zu lassen". Zur moralischen Versicherung unterscheidet Der Biedermann dann zwischen einem „Vortheil" (dieser betrifft „Geld und Gut, Essen und Trincken, oder ander[e] dergleichen Dinge[ ]") und einem „reinere[n] Vortheil[ ]" (dieser betrifft „die Vermehrung meiner Gemüths-Kräffte, und alle Belustigungen des Verstandes, die aus dem Umgange mit vernünfftigen, gelehrten, tugendhafften und redlichen Leuten entspringen"). „Zwey Personen müssen sich einander glücklicher machen können: wenn sie Freunde werden sollen" (Gottsched: Der Biedermann, 1727, 2. St., S.5f.). Vgl. in klareren Worten: Art. Eigenliebe. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.657ff. Vgl. zur Darstellung der empfindsamen Doktrin in Sachen „Selbstliebe": Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit, S.49ff.
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scheint (vgl. Kap. 3.1) - ob der Satiriker, ein Freund oder das Gewissen spricht oder ob das Innere des Menschen wortlos ist, macht einen Unterschied. Gegen den „Eigennutz" nun, den „Zauberer in täuschenden Gestalten", läßt Hagedorn die Natur bzw. das Naturrecht sprechen:64 Die Liebe zu uns selbst, allein die weise nur, Ist freylich unsre Pflicht, die Stimme der Natur; Doch sie verknüpft sich auch mit den Bewegungsgründen, In andern, wie in uns, das Gute schön zu finden, Dem Schönen hold zu seyn. (W1.45)
Vielleicht antwortet Hagedorn damit auf eine Einsicht La Rochfoucaulds, ohne diese restlos verdrängen zu können. Der Moralist hatte nämlich skeptisch angemerkt: „Der Eigennutz spricht alle Sprachen und spielt alle Rollen, selbst die des Uneigennützigen".65 Entscheidend ist jedoch zunächst, daß die „Natur" den Menschen nicht automatisch treibt, sie redet mit ihm und wird dadurch in den Prozeß der Selbstbildung eingebunden - es geht nicht um die Selbstliebe schlechthin, sondern um die „weise" Selbstliebe. Diese Selbstentzweiung erlaubt dann auch, daß dem Beobachter nicht der Freund, sondern das „Gewissen" applaudiert (Wl, 45). Der „innerliche[ ] Beyfall", wie Thomasius es formuliert hatte,66 vereinsamt den Erkennenden. Aber der Applaus ist noch ein Nachhall der kommunikativen Situation, aus der ihn Thomasius hervorgehen läßt, indem er den „Zweifel", also den Anfang des Erkenntnisprozesses, als Gespräch inszeniert. Die Vernunftlehre, die dem Schüler das Denken beibringt, und das Erkennen selbst vollziehen sich wie „ein Gespräch zweyer Freunde".67 Bei Wolff hingegen scheint - wie gesagt - die stille Wahrheit auf.68 Thomasius stünde dem wohl skeptisch ge-
Vgl. zu „Pflicht" als Zentralbegriff der von Pufendorf sich ableitenden Naturrechtsdiskussion: Vollhardt: Freundschaft und Pflicht, S.300f. Die sprechende Natur tritt beispielsweise bei Tschirnhaus so auf: Was gut oder schlecht, wahr oder falsch ist, erkennt der Mensch „aus sich selbst". Daraus folgt nun für Tschirnhaus, „daß jeder Begriff oder, wie andere es nennen, jede Idee nicht etwas Stummes ist wie ein Gemälde auf einer Tafel, sondern daß er stets notwendigerweise entweder eine Bejahung oder eine Verneinung in sich schließt" (Tschirnhaus: Medicina mentis, S.73f.). 65 66
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La Rochefoucauld: Reflexionen oder Moralische Sentenzen und Maximen, S.67. Thomasius: Ausübung der Vernunftlehre, S.46. Thomasius schreibt auch vom „natürlichen Beyfall" (ebda., S.48). Ebda., S.131. Vgl. dazu auch die Behandlung des Gewissens bei Gottsched: Das Gewissen urteilt, aber es spricht und applaudiert nicht. Die Personalisierungen des Gewissens („Kläger", „Richter", „Henker") werden unter „Redensarten" gehandelt, haben aber in der Darstellung keine Funktion mehr (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.120ff.). Im Unterschied dazu schreibt Geliert noch: „Wahr ist's, ich find in mir noch redendes Gewis-
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genüber, da man zur Konstitution des „Bewußtseins" als Rückgang auf ein letztes Prinzip „ale Gedancken ausschmeissen / und folglich sich einbilden müsse / der Kopff sey mit Gritze angefüllet / oder habe doch zum wenigsten kein Gehirne mehr".69 Hagedorns Freundschaftskonstruktion jedenfalls laviert in komplizierter Weise zwischen einem geselligen und einem einsamen Individuum. Seine Poesie der Freundschaft ist das Experimentierfeld für Formen der Fremd- und der Selbstbezüglichkeit. Natürlichkeit und Lust der Freundschaft Der „Natürlichkeit" von Freundschaft steht Hagedorn, ob gewollt oder nicht, unsicher gegenüber. Die Ambivalenzen der Nebenstundentheorie verlagern sich dabei in die Bestimmungen der Selbstliebe und deren vielfältige sophistische Differenzierungen und Abgrenzungen - auch die Selbstliebe umfaßt ein Spektrum von der einsamen Selbstsorge bis zur gesellschaftlichen Fürsorge. Unter den Moralischen Charakteren Gellerts etwa findet sich das Exempel vom regelmäßige[n] Müßiggänger, der als „Mann ohne Laster und ohne Tugend" vorgestellt wird: Auf den ersten Blick scheint Erast das Ideal einer weisen, selbstzufriedenen Lebensart zu verwirklichen. Er ist „Herr seiner Zeit", weil er „mehr einsiedlerisch als gesellschaftlich" lebt: „Dieser Mann hat den Ruhm der Eingezogenheit und einer ordentlichen Lebensart. [...] Erast ist mäßig und haushälterisch; kein Freund der Wollust und tobender Vergnügungen. Er spricht von niemanden Böses; läßt jeden in seinen Würden; bezahlt, was er zu geben schuldig ist, richtig; und lebt stille für sich".70 Geliert geht jedoch in der zweiten Hälfte des Charakterbildes daran, die Zufriedenheit als falsche Zufriedenheit und die einsiedlerische Lebensweise als unmenschlich darzustellen:71 „Er soll zufrieden leben als ein Mitbürger, nicht als ein träumerischer Einsiedler. Er darf seine Bequemlichkeit suchen, aber er lebt nicht für sich allein, sonst würde ihn der Schöpfer in eine Höhle eingeschlossen und mit den nötigen Lebensmitteln umringt haben".72 Der Mensch ist zur Tätigkeit geschaffen - aber auch Erast füllt seinen Lebenslauf nach einer peinlich genauen Zeiteinteilung mit Beschäftigungen an, die keine Minute dieser ,,methodisierte[n] Trägheit" unbeachtet läßt. Daher gerät Geliert hier in Argumentationsnotstand: Erast beweist zwar, daß die „Seele des Menschen ein geschäftiges Wesen ist, weil er ihr in jeder Stunde eine Art
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sen, / In der Vernunft noch Kenntnis meiner Pflicht" (Das natürliche Verderben des Menschen. In: ders.: Werke. 1. Bd., S.237). Thomasius: Ausübung der Vernunftlehre, S.32. Gellen: Werke. 1. Bd, S.350f. Vgl. zur Vergesellschaftung der Tugendhaftigkeit bei Geliert: Hasubek: Tugendspiegel und Lasterschelte, S.159. Geliert: Werke. 1. Bd., S.352.
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der Unterhaltung gibt"; warum es aber besser sei, „ein nützlicher und arbeitsamer Mann zu sein", kann Geliert nicht in gleicher Weise plausibel machen. Er zentriert daher Erasts Verhalten in der „Mühe", die dieser „auf das Vergnügen seiner Sinne" verwende, obwohl dem „geschäftigen Müßiggänger" zuvor noch ein wollustfeindlicher Lebenswandel bescheinigt worden war, zu dem das morgendliche und abendliche Beten genau so gehörte wie das ordentliche Begleichen von (gesellschaftlichen) Schuldigkeiten. Erast müssen Unruhegefühle zugeschrieben werden, die er offensichtlich nicht hat. „Wenn Erast nachdenkt (und er kann doch nicht alle ernsthaften Gedanken durch Trägheit ersticken), macht ihm sein Herz wegen seiner sinnlichen Lebensart gar keine Vorwürfe?" - wie gesagt: Erast betet regelmäßig, führt Tagebuch, liest die neueste Literatur ebenso wie „anmutige[ ]" Schriften und die Zeitung. Sein Lebenswandel hat also - wie Geliert konzediert - Methode und macht die Vermutung von Reflexionslosigkeit nicht gerade plausibel. Wie im Falle Hagedorns kommen sich auch bei Geliert Bildlichkeit und Argumentationsziel in die Quere, und auch hier sind die Differenzen aussagekräftiger als die Ubereinstimmungen. Während Geliert bei der Begründung der Soziabilität scheitert, weil er das Argument des (sinnlichen) Vergnügens schon zur Diffamierung verbraucht hat, führt Hagedorn in Die Freundschaft damit von Beginn an seinen Beweis zugunsten einer prinzipiell sozialen Neigung des Menschen. Er gerät allerdings in eine ähnliche Lage wie Geliert, als er eine Reihe von exemplarischen Charakteren anführt, die in widernatürlicher Weise ihre Fähigkeiten ungenutzt lassen. Stertin etwa bringt seine Zeit mit „schlaffen Freuden" zu, wobei ihm - anders als Gellerts Eurast - keine Zufriedenheit gegönnt ist: Der Herbst sei ihm zu kalt, der Frühling zu warm (Wl, 42f.). Er verhalte sich wie die Fliege, die ihre Flügel nicht verwendet. Damit naturalisiert Hagedorn jedoch das Laster, nicht die „angebohrnen Gaben" zum geselligen Verhalten.73 In der umfangreichsten Anmerkung des Gedichts, die Hagedorn zudem sorgfältig verbessert hat, zitiert er eine Passage aus Réaumurs mehrbändiger insektologischer Untersuchung. Réaumur fordert aber gerade zur Zurückhaltung auf, was das Urteil über die Zweckbestimmung der Körperteile von Tieren angeht: „Les ailes de ces Papillons femelles, &c celles de plusieurs autres, nous apprennent combien nous devons être réservés en general à porter des jugemens sur les causes finales & en particulier à en poner sur les usages auxquels sont destinées les parties des animaux" (Wl, 43, Anm.5). An anderer Stelle setzt Réaumur daher auch seine Methode von dem Verfahren eines
Für Hagedorn gehört diese Fliege zu den „Faullenzerinnen unter den Fliegen" (Wl, XXVI).
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Weisen ab, der „long ago" einen „sluggard" zu den Ameisen geschickt habe, um diesen zu bessern.74 Dieser Skeptizismus gegenüber teleologischer Theoriebildung, dem von einem tiefen physikotheologischen Vertrauen in die Ordnung der Welt die Waage gehalten wird,75 ist ein Pfeiler des baconianischen Wissenschaftsprogramms, das sich gegen den Aristotelismus als Form scholastischer Buchstabengelehrsamkeit wendet und zu einer empiristischen Ausrichtung der Wissenschaften führen soll.76 Mit Reaumur ließe sich die These von der natürlichen Pflicht oder gar Neigung in Ubereinstimmung mit einer moralisch organisierten Ontologie, also einer Art natürlicher Teleologie und Moralität, nur schwer stützen. Dies mag der Grund dafür sein, daß Hagedorn die Anmerkung in der Erstausgabe des Freundschaftsgedichts von 1748 sowie in den Moralischen Gedichten von 1750 später verändert: Ganze Nester dieser Fliegen werden in der Hirnschale der Schafe gefunden. (Die Freundschaft, Hamburg 1748; MG u. 2 MG, 65) Ganze Nester dieser Fliegen werden als Würmer in der Hirnschale kranker Schafe gefunden. (Wl, 43)
74 75
76
Réaumur: The Natural History of Ants, S.131. Vgl. zur Bedeutung der Teleologie für die Physikotheologie: Ketelsen: Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung, S.75, Krolzik: Säkularisierung der Natur, S.146f. Krohn: Francis Bacon, 123f.; mit Betonung der Ambivalenzen: Krolzik: Säkularisierung der Natur, S.145. An Réaumurs Vortragsmanuskript über die Histoire des Fourmis läßt sich deutlich die Unentschiedenheit erkennen, die sein empiristisches Programm prägt. Er wendet sich einerseits gegen die anthropomorphe Betrachtung der Ameise, gegen deren Vorbildfunktion und damit auch gegen die überlieferten antiken Texte (ebda., S. 13 Iff.). Gleichwohl schreibt Réaumur nur einen Absatz weiter: „All are born for social life [...]. But the societies of ants of different species behave differently. Some of them, like civilized peoples, have fixed abodes [...]. Ants of several other species have only temporary abodes and may be compared with the Tartars" (ebda., S. 135). Gleiches gilt für die Behandlung der geflügelten Ameisen (ebda., S.161ff.). Den entscheidenden Durchbruch bei der Beobachtung dieser Ameisen leitet Réaumur in der Manier physikotheologischer Überlegungen in den Wochenschriften ein: Er geht aufs Land, von der schönen Gegend und den milden Temperaturen überwältigt kommt er vom Weg ab und macht dann durch einen Zufall seine Beobachtungen. Die über weite Strecken deskriptiven Passagen werden entsprechend von teleologischen Überlegungen durchbrochen (z. B. ebda., S.167f., 171f.). Er hält aber noch immer merkliche Distanz zu der von ihm referierten traditionellen Überzeugung, die Ameisen würden erst im Alter Flügel entwickeln (und nicht, wie Réaumur durch Beobachtung nachweist, bereits mit Flügeln geboren), weil man sich die Flügel nur als Beiwerk eines würdevollen Todes im Alter vorstellen konnte (ebda., S.163). Dem entspricht Hagedorns Anmerkung zu der Fabel Die Ameise und die Grille (W2, 117ff.). Dort macht er deutlich, daß die Anthropomorphisierung der Ameise als ein Vorbild für Vorratshaltung mittlerweile widerlegt ist: „Itzo würde also kein Philosoph mit dem Horaz" dergleichen mehr behaupten. Aber: „Hingegen darf ein Dichter, insonderheit ein Fabulist, dieses noch immer sagen [...]" (W2, 118, Anm.; vgl. auch W l , 89).
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Die Parasiten entwickeln sich innerhalb einer „kranken" Umgebung und können so die Störung des Zusammenhangs verbildlichen. Gleichwohl: Der anschließende Ubergang zu einer unbekümmerten Teleologie („Dem menschlichen Geschlecht zum Dienst und Unterhalt / Belebt der Thiere Heer Luft, Wasser, Feld und Wald"; W l , 43) ist doch empfindlich gestört. Das betrifft noch die Folgethese. Die „moralische Natur" des Menschen sei so Hagedorn nach Hume - ins rechte Licht zu setzen, da gerade sie „im Gemüthe den edelsten Eindruck behaupten sollte" (Wl, 44, Anm.6). Hume und Reaumur treffen sich im Skeptizismus bezüglich der Moralität bzw. der Erkennbarkeit von Moralität in der Natur. Aber wie Hagedorn Reaumur problemlos in sein letztlich teleologisch organisiertes Modell einbauen kann, so kann auch Hume seinen Skeptizismus aufgeben, wenn es um die Verankerung der Moralität in der menschlichen Natur geht.77 Hagedorns Auslegung des einleitenden Argus-Exempels im Freundschaftsgedicht wird dadurch freilich ein weiteres Mal untergraben, denn die einzige unbefragte Verherrlichung des Menschen gelingt Hume im Vergleich von Mensch und Tier.78 Es ist bezeichnend, daß Hagedorn sich bemüht, Freundschaft und Vergnügen zusammenzuführen, indem er der eigenen „Lust" soziale Qualitäten implantiert: Des „Wohlthuns Lust" erfüllt „in des Geliebten Wunsch auch unsern Wunsch" (Wl, 52f.; s. o.). Die Illustrationen freundschaftlicher Selbstlosigkeit im Anschluß an diese Verse betonen dann auch nicht die mögliche „Lust" des Freundes, sondern immer die eigene, durch die Freundschaft empfundene „Lust": Einem Kosmologen wäre alle Erkenntnis freudelos, könnte er sie nicht mitteilen; 7 ' die vita solitaria in amoener Landschaft wird durch ein freundschaftliches Gespräch verschönt; vor dem Freund muß man keine Geheimnisse haben, und schon „sein blosser Anblick wirkt ein zärtliches Ergetzen" (Wl, 53). Die Rolle des Ich innerhalb der Beispiele dominiert derart, daß Selbstlosigkeit gerade nicht zum Vorschein kommt: Das Bild des Kosmonauten, aus Ciceros Dialog über die Freundschaft übernommen, 80 hat sein Pendant im 77 78
Vgl. zu den Unstimmigkeiten bei Hume: Kondylis: Die Aufklärung, S.499ff. Hume nimmt die Frage nach der Dignity of Human Nature mit der sprachphilosophischen Überlegung, daß sich über „Würde" nur im Vergleich etwas sagen läßt, sowie mit der Unterscheidung von drei Vergleichsmöglichkeiten in Angriff: Der Mensch kann mit dem Tier verglichen werden, dann ist er eine überragende Erscheinung; er kann mit einem höheren Wesen verglichen werden, dann scheint er eine mindere Kreatur zu sein; oder er kann mit anderen Menschen verglichen werden - das ist die Hume einzig interessierende Betrachtungsweise (Hume: The Philosophical Works, S.152ff.).
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Brockes macht sich bei derselben Vorstellung in Die Sonne keine Gedanken um einen Freund (Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.199).
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J a , stieg ein Sterblicher in die entferntsten Sphären, / Und sähe Welten selbst, wovon die Räthsel lehren, / Und sah, im öden Raum, von Menschen abgewandt, / Die Werkstatt der
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Bild des Satirikers, der nicht die kosmologischen, sondern die moralischen „Räthsel" löst und in seiner Funktion als Beobachter so einsam ist wie jener. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß der Kosmologe sich erst beim Erzählen, der Satiriker sich (gezwungenermaßen) bereits beim bloßen Betrachten vergnügt 81 , denn die Lust zur Satire soll zwar als soziales Ereignis verstanden werden (ζ. B. W2, 57) - natürlich kommt zum individuellen delectare auch das soziale docere hinzu -, aber die gesellschaftliche Feindseligkeit, die fehlende Akzeptanz für die Soziabilität der Kritik, läßt den Satiriker wieder vereinsamen (z. B. VeG 52, 57f.; vgl. Kap. 3.1). Hume hatte in dem von Hagedorn zitierten Essay Of the Dignity of Human Nature auf einen ähnlichen Vorwurf zweierlei geltend gemacht:82 Wer überall nur „self-love" am Werk sehe, verdrehe entweder Begriffe oder kenne sich selbst nicht wirklich. Das Problem der richtigen Selbsterkenntnis fällt mit dem der petitio principii der ganzen Sozialanthropologie sowie mit dem Problem der Kommunikation von Individualität zusammen - beides hilft hier nicht weiter. Interessanter ist das sprachliche Argument: Während der Apologet der „selfishness" glaube, man schließe Freundschaften, weil sie „pleasure" mit sich bringen, akzentuiert Hume die Formulierung in anderer Weise: „I feel a pleasure in doing good to my friend, because I love him; but do not love him for the sake of that pleasure".83 Aber Hume muß eingestehen, daß sich in der Betrachtung der lobenswerten Tat nicht immer wirklich sagen läßt, ob „virtue" oder „vanity" Movens der Handlung sind, so daß er auf individuelle „mixture[s]" verweist,84 selbst wenn er am Ende des Essays dekretiert: „To love the glory of virtuous deeds is a sure proof of the love of virtue" 85 - auch bei Hagedorn geraten, wie gezeigt, Auslegung und Akzentuierung mit dem Exempelmaterial in Konflikt. Das zweite Beispiel macht das zugrundeliegende Problem deutlicher:
81 82
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Natur, der Sonnen Vaterland; / So würde doch zu bald der Kenntniß Freude fehlen, / Träff er nicht jemand an, ihm dieses zu erzehlen" (Wl, 53). Vgl. Cicero: Laelius, ΧΧΙΠ, 88. Am deutlichsten bei Liscow (Schriften. Bd.I, S.XVI, XXI). In der Auflage von 1748, die Hagedorn zitiert, hatte Hume zusammenfassend auf Shaftesburys An Inquiry Concerning Virtue, or Merit verwiesen und erst später das Problem selbst behandelt (Hume: The Philosophical Works, S.154). Ebda., S. 155. In gleicher Weise handelt der von Hagedorn angeführte William Melmoth das Problem ab: Letters of Sir Thomas Fitzosborne, S.40). Daß Melmoth damit u. a. vehement gegen die Position Wollastons in der von Hagedorn an wichtiger Stelle zitierten The religion of nature delineated (Wl, 52, Anm. 25) vorgeht, sei dabei nur angemerkt (ebda., S.35f.). Hume: The Philosophical Works, S. 156.
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Der langen Einsamkeit giebt alles Überdruß; Doch wie verschönert sich Dissens kleiner Fluß, Des hohen Ahorns Dach, des Achelous Quelle, Der Hauch der Sommerluft, und jede Ruhestelle, Wann dort ein Socrates von unsrer Neigung Pflicht, Von Schönheit, Lieb' und Reiz mit seinem Phädrus spricht! (Wl, 53)
Die amoene Landschaft „verschönert" sich nicht für Sokrates und Phädrus, sondern für den, der sie betrachtet - und das ist der Leser. Das Bild folgt der Topik des humanistischen „hohen Geistergesprächs", das zur Konstellation der vita solitaria gehört86: Der Gelehrte zieht sich auf das Land zurück, umgibt sich mit seinen Büchern und unterhält sich mit den Autoren und Figuren der antiken und humanistischen Literatur.87 Ganz abgesehen davon, daß die Freundschaft mit Toten auch etwas über das Verhältnis zu den Lebenden aussagt88, ist an dieser Stelle wichtig, daß Hagedorn bloß als Zuschauer und lediglich im Medium der Darstellung in Erscheinung tritt. Er betrachtet die Freundschaft, aber ist nicht in sie involviert - die Freundschaft „ergetzt" wie die Poesie. Ganz anders formuliert das ein Freundschaftsgedicht in den Bremer Beyträgen·. Von Hügeln mag der Lenz in junge Thäler lachen, Er wird die Thäler froh, und froh die Hügel machen; Doch alles ist uns matt, was nicht die Freundschaft schmückt, Und das entzückt uns nur, was unsern Freund entzückt. 89
Geselligkeit und Freundschaft In Dichtung und Freundschaft vereinen sich „Triebe[ ] und Gedanken" im „Geschmack" {Die Freundschaft; W l , 41). Im Schreiben an Herrn von Hagedorn, Über den Einfluß des Geschmackes in das menschliche Leben (1746) - das im übrigen eine ganze Reihe von Widmungsgedichten zum Thema „Geschmack" einleiten sollte90 - macht Giseke auf die Distanzierungsfunktion des Geschmacks aufmerksam: „Doch, kluger Hagedorn, was ist ein Freund mir werth, / Wenn ihn nicht der Geschmack die Kunst der Freund86 87 88 89
90
Vgl. Enenkel: Kommentar, S.287ff., 506ff. Vgl. dazu: Brogsitter: Das hohe Geistergespräch. Heumann: Der politische Philosophus, S.302. Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes. 1. Bd., 2. Aufl., Bremen / Leipzig 1747, 2. St., S.115. Vgl. in diesem Sinnn bei Hagedorn Der Bär und der Liebhaber seines Gartens: „Nicht wahr? die Einsamkeit ist nicht auf ewig schön. / Unmitgetheilte Lust muß Überdruß erwecken [...]" (W2, 37). Giseke schreibt Hagedorn, er plane ein Gedicht an Wilkens über die „Beschwerlichkeit des Geschmacks", eines an von Bar über die „Grösse des Geistes, die zum Geschmack erfordert wird", und eines an Zimmermann „über den Einfluß des Geschmacks in die Theologie" (SKII 13. 5.1747).
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schaft lehrt?"91 Zur Illustration verweist Giseke auf Hagedorns Erzählung von der Freundschaft zwischen Eremit und Bär: Als der Bär aus übergroßer und daher unkontrollierter Freundschaft eine Raupe auf der Stirn des Eremiten mit einem Steinwurf beseitigt, beseitigt er zugleich seinen Freund. Er holt den grössten Stein; und, weil ers treulich meynt, So muß durch einen Wurf so Raup als Greis erkalten. Fürwahr, den klugen Feind muß man für schädlich halten; Doch ja so sehr den dummen Freund. {Der Bär und der Liebhaber seines Gartens-, W2, 38)
Hagedorn hat innerhalb dieser Konstellation mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich aus der Diskussion um den Geschmack ergeben. Der Geschmack gewinnt seine Bedeutung daraus, daß sich mit ihm Normen naturalisieren lassen, ohne daß man auf den cartesianischen Intellektualismus und seine angeborenen Ideen zurückgreifen muß, indem Normen sich an das Gefühl binden.92 Gleichwohl muß dem Geschmack Intellektualität eingepflanzt werden, um die Gefahr von Beliebigkeit einerseits, von Determinismus andererseits zu vermeiden. Bei Hagedorns Versuch, die Probleme in Die Freundschaft prinzipiell unter Rückgriff auf einen Naturzustand zu lösen, entfaltet die Vereinigung von „Trieben und Gedanken" ihre Interpretationsspielräume: Im Stande der Natur, als, zu der Menschen Ruhm, Noch keine Herrschaft war, kein Rang, kein Eigenthum, Da wollte die Vernunft, und selbst die Triebe wollten, Daß wir gesellig seyn, daß wir gefallen sollten; Dann war, zu gleichem Glück, im menschlichen Geschlecht Der Zweck gemeinschaftlich, und allgemein das Recht. Dann schmückten jeden Tag die Freyheit und der Friede. Wer wird, wo diese sind, des längsten Lebens müde? Als aber Stolz und Neid den frechen Schwung erhub, Gewalt das Recht bestürmt', und List es untergrub, Als Krieg und Raub und Wut der Schwächern Brust zerfleischte, Und vieler Sicherheit auch vieler Bund erheischte; Ward die Geselligkeit, die erste Zuversicht Der neu-erschaffnen Welt, ihr immer mehr zur Pflicht. Jedoch, wie übertrifft die freundschaftliche Liebe Dieß allgemeine Band, und die Erhaltungstriebe! [...] Es stammt die Freundschaft nicht aus Noth und Eifersucht: Sie ist der Weisheit Kind, der reifen Kenntniß Frucht, Ein Werk der besten Wahl, und kann nur die verbinden, Die in der Seelen Reiz die grösste Schönheit finden. (Wl, 49f.)
92
Giseke: Poetische Werke, S.68. Erstdruck in den Bremer Beyträgen (1747). Kondylis: Die Aufklärung, S.313ff.
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Bedauerlich ist zunächst, daß Hagedorn gerade an dieser Stelle keine Belege anführt, zumal einem Jurastudenten die entsprechenden kanonischen Werke von Grotius, Pufendorf, 93 Thomasius oder Wolff bekannt sein mußten. Aus Ciceros Laelius zitiert Hagedorn immerhin eine Stelle, die die Freundschaft aus der Natur ableitet und zugleich den sensus amandi der utilitaristischen cogitatio gegenüber bevorzugt (Wl, 50, Anm. 18). Mehrere Passagen des Einleitungsteils verweisen in einer allgemeinen und wenig differenzierten Weise94 auf Thomasius' Theorie des geselligen Naturrechts: Wie Grotius' Erzählung beginnt auch die von Thomasius bei einem Zustand natürlicher Geselligkeit in der von Hagedorn skizzierten idyllischen Art.95 Für die Begründung des Staatsrechts bleibt dieser Zustand jedoch ohne Bedeutung, denn hier setzt der Theoretiker beim gefallenen Menschen und seinen beschränkten Mitteln an.96 Ausschlaggebend ist der von Hagedorn am Ende des ersten Abschnitts zitierte anthropologische Ansatz, der vom menschlichen Wunsch nach einem langen und glücklichen Leben ausgeht: „Wer wird, wo diese („Freyheit" und „Friede", S. M.) sind, des längsten Lebens müde?"97 Der zweite Abschnitt, der den Gedanken der Gemeinschaftsbildung aus Not formuliert und den Ubergang von der zwecklosen Neigung zur zweckhaften Pflicht der Geselligkeit darstellt, sowie die anschließende Differenzierung von „Erhaltungstrieb" und „freundschaftlicher Liebe" weisen schon in der Terminologie - von „Liebe" ist im Freundschaftsgedicht kaum die Rede neben Cicero auf die thomasianische Unterscheidung von honestum, justum und decorum. Während Ehrenhaftigkeit und Anständigkeit - wie die „Liebe" - nicht erzwingbar sind, ist das Recht per Sanktion durchsetzbar.98 Walch referiert in seinem Artikel über das „Eigentums = Recht" Thomasius' An-
94
95 96
An anderer Stelle erklärt Hagedorn das Vorhaben, Grotius „zu der Freyheit Ruhm" zu überwinden, für längst geleistet (Momar und Sophron-, W l , 125). Pufendorf wird von Hagedorn nicht erwähnt. Vgl. zu den Umbrüchen und Verwerfungen innerhalb der Theoriebildung bei Thomasius: Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.226ff. Auf diese Diskontinuitäten wurde von Thomasius selbst hingewiesen. Vgl. auch: A n . N a t u r - R e c h t . In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 25 [1740], Sp.1199,1203. Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.62ff., 107ff. Wolff kämpft mit einer ähnlichen Schwierigkeit: Er imaginiert sich zwar nicht an einen geschichtlichen Ursprungsort, aber an einen systematischen Anfangsort zurück. Er will einerseits eine vernünftige Staatstheorie vorlegen, die als Maßstab für die existierenden Staatsgebilde dienen kann. Andererseits will er vom Menschen ausgehen, so wie dieser ist, und nicht, wie dieser sein sollte (Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, unpag. (Vorrede), auch S.26, 29, 128).
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Thomasius: Vorrede von der Historie des Rechts der Natur bis auf Grotium, S.l. Zippelius: Geschichte der Staatsideen, S.137; Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.88, 242f.
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sieht, derzufolge die „vollkommenste Freundschafft" sich im „Stand der Unschuld" verwirklicht habe und Eigentum, Mühsal der Arbeit, „Neid" und „Zänckerey" erst nach dem Sündenfall entstanden seien." Gleichwohl bedeutet die Differenz, die Hagedorn zwischen dem Naturzustand und der Freundschaft entstehen läßt, eine optimistische Wende. Denn die einzigartige Vollkommenheit des Naturzustandes konnotierte bei Thomasius die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Harmonie von Gott. Auch die Position, „im Stande der Natur" gebe es „kein Eigenthum", verweist auf Thomasius, der wie Pufendorf im Unterschied zu Grotius (und auch im Unterschied zu Cicero) keine Gütergemeinschaft (communio positiva), sondern Eigentumslosigkeit {communio negativa) voraussetzt.100 Das eigentlich problematische Verhältnis von Naturzustand und Freundschaft läßt sich insofern nicht über die Adaptation eines konsistenten Modells klären. Hagedorn grenzt zwar die Freundschaft von dem Zweckbündnis zur Selbsterhaltung ab, die Beziehung zur uranfänglich zwecklosen Soziabilität bleibt jedoch wie bei vielen Staatstheoretikern unklar.101 Zudem 99 100 101
A n . Eigenthums - Recht. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.674. Ebda., Sp.672ff. Brocker: Arbeit und Eigentum, S.32ff., 75. Entscheidend ist die Auslegung des Passus' „Dies allgemeine Band, und die Erhaltungstriebe!". Die „Erhaltungstriebe" beziehen sich auf die Zeit nach dem Naturzustand; das „allgemeine Band" kann aber sowohl auf die Geselligkeit aus Einsicht in Notwendigkeit von Sicherheit wie auch auf die natürlich begründete Geselligkeit bezogen werden. Im Patrioten werden z. B. in unterschiedlichen Stücken teils die Verwandtschaft aller Menschen und die daraus sich ergebende „Liebe", teils die menschliche Not oder beides zusammen als Begründung der Soziabilität angeführt (Bd.II, S.346, Bd.III, S.79ff., 290). Ausgeschlossen erscheint mir Wolfram Mausers Deutungsvorschlag: Freundschaft „führt zu 'Freyheit' und 'Friede[n]'; in 'Krieg und Raub und Wut' erweist sie sich als die 'erste Zuversicht'" (Geselligkeit, S.5). Möglicherweise führt die Freundschaft zu „Freyheit" und „Friede" - sicher ist das nicht. Keinesfalls aber ist sie die „erste Zuversicht" in bedrohlichen Zeiten, denn gerade davon grenzt Hagedorn sie ja ab. Zudem meint Hagedorn mit der „erste[n] Zuversicht" nicht diejenige Geselligkeit, die sich gegen „Krieg und Raub und Wut" entwikkelt, sondern die Geselligkeit im Naturzustand, die sich unter dem Eindruck von „Krieg und Raub und Wut" gerade verliert und zur „Pflicht" wandelt. Ahnlich problematisch im Anschluß an Mauser: Vollhardt: Freundschaft und Pflicht, S.299f. Überzeugend hingegen: EschrV, 82: „Ihn (den „Charakter wahrer Freundschaft", S. M.) darzustellen, wurde der Übergang durch das kleine Gemälde der ersten Menschenwelt weislich gewählt, und daraus Anlaß genommen, das Bedürfniß der Geselligkeit, und den hohen Vorzug der Freundschaft vor dieser, zu zeigen". Vgl. ebenso signifkant in Gisekes Unvollendetem Schreiben an Herrn G..r. Vom Einfluß des Geschmacks in die Freundschaft die Abgrenzung der Freundschaft, die nur aus „Eigennutz, Noth oder Zufall" entsteht, von der wahren Freundschaft: „Der Freundschaft Nam' ertönt auf tausend schlechten Zungen; / Doch ihn verdient nur die, die Hagedorn besungen. / Er sang; sie stärkte selbst sein Lied, sie zu erhöhn, / Und, wo ein Herz sie fühlt, das lehrt sie es verstehn. / / E s ist die Freundschaft nicht die Tochter blinder Triebe, / Der Neigung ohne Wahl, der Klugheit ohne Liebe. / Sie wohnt im Innersten der tugendhaften Brust, / Erzeugt von dem Verdienst, und vom Gefühl der Lust, / Die ein selbst edles Herz bey fremdem Werth empfindet, / Wie Gott sich freut' wenn er bey Men-
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verwendet Hagedorn die Unterscheidungen und Hierarchisierungen, die er hier trifft, im übrigen Gedicht nicht mehr.102 Bereits in der Antike bilden sich Vermittlungsformen zwischen dem Modell eines positiven und negativen status naturalis heraus, die für Hagedorn interessant sein konnten. Seneca etwa skizziert einerseits ein dreistufiges Modell, das in der LukrezNachfolge von einem primitiven Naturzustand ausgeht, darauf einen vollkommenen Mittelzustand folgen läßt, in dem die moralische und kulturelle Entwicklung auf einen Höchststand angelangt, um schließlich einen Niedergang in allen Bereichen durch übermäßige Verfeinerung und Luxus einkehren zu lassen. Andererseits neigt er dazu, Urzustand und Mittelzustand im Ideal der vita simplex zu verschmelzen.103 Hagedorn könnte zudem an die drei historischen Stufen der „Eigenliebe" bei Walch anschließen, den „Stand der Natur", der von Gott eingesetzt wurde, den „Stand des Verderbens", der sich durch widergöttliches Handeln auszeichnet, sowie den „Stand der Verbesserung", der durch die „Vernunfft, mithin nach dem göttlichen Willen", die Eigenliebe in eine wünschenswerte Richtung lenkt.104 Auch die Anfangsund Endepochen von Popes fünfteiligem Schema (vom Naturzustand über Zivilisierung zur bewußten Übernahme der Naturgesetze, von dort zur Tyrannei und zur Wiedererrichtung des Naturzustands in freier Wahl) bieten ausreichend Anhaltspunkte.105 Im Versuch einiger Gedichte jedenfalls adaptiert Hagedorn ein einfaches, zweistufiges Modell von ursprünglicher Simplizität und nachfolgender Verderbnis durch Luxus (VeG 42), und auch an anderen Stellen greift er immer wieder auf Verfallstheorien zurück (z. B. W3, 58). Allerdings kann derlei Pessimismus auch scherzhaft gewendet werden, wenn beispielsweise der durch den Sündenfall in die Welt gekommene Argwohn dazu anhalten sollte, Ebert zu unterstützen (B 180), wenn der Wein die Korruption des Menschen zu überwinden hilft oder wenn die Einfalt der Schäferwelt mit der Liebesvirtuosität der Gegenwart nicht mithalten kann (vgl. Kap. 7.2). Wie auch immer die Filiationen zu konstruieren sind: Durch ihre polemische Orientierung bleiben die ursprüngliche, auf die Gattung bezogene Geselligkeit und die historisch zu situierende und konkret auf den Einzelnen ausgerichtete Freundschaft verbunden. Selbst wenn also die Vorlagen nicht genannt werden und somit nicht ganz klar ist, für wen Hagedorn sich ein-
102
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schen Tugend findet. / Sie liebt; doch wen sie liebt, ist ihr nicht einerley, / Und ihre Wagschaal ist der Wahrheit stets getreu" (Giseke: Poetische Werke, S.70f.). Vgl. zur Enthierarchisierung der Freundschaftstheorie im 18. Jh. Luhmann: Interaktion in Oberschichten, S.146ff.; ders.: Wie ist soziale Ordnung möglich? S.220Í., 228. Baudach: Planeten der Unschuld - Kinder der Natur, S.59f. Art. Eigenliebe. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.658ff. Brockes: Untersuchung des Menschen, S.39ff. Vgl. dazu: Otten: „A well-mix'd state", S.109ff.
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setzt - die Gegnerschaft ist deutlich: Hagedorn bezieht Stellung gegen die sich aus der demokritisch-epikuräischen Tradition ableitende und in Hobbes fokussierte Diskussion um die Begründung von Staatsgewalt und damit geordneter Geselligkeit aus der Notwendigkeit, die egoistische Triebnatur des Menschen zu kontrollieren.106 Hagedorn geht von einer maßvoll optimistisch konzipierten Anthropologie aus, bei der der Mensch zwar einen Zustand der Depravierung durchläuft, aber die Möglichkeit zur Annäherung an die ursprüngliche Geselligkeit als „Pflicht"107 behält und zudem auf einer höheren Stufe Freundschaften zu schließen versteht. Freilich - und das war schon oben charakteristisch für Hagedorns Modell - fällt der Schatten des Egoismus, über dessen Abkunft sich Hagedorn hier weitgehend ausschweigt, auf den selbstlosen Menschen. Zwar bewahrt der Mensch die Möglichkeit zur Selbstlosigkeit, aber auch der Verdacht, potentiell bedroht zu sein, verliert sich nicht. Hagedorn nutzt daher die Ambivalenz, die sich aus der Vereinigung von „Vernunft" und „Trieb" ergibt, und akzentuiert zur Veredelung der „Erhaltungstriebe" die vernünftigen Kompetenzen „Weisheit", „Kenntnis" und „Wahl". Zu den von Gott gegebenen „Natur=Triebe[n]", so Zedlers Universal=Lexikon, gehört auch der „Lust = Trieb sich untereinander zu lieben". Aber nicht nur dürfen die „natürliche[n], von Gott gegebenen Lust = Triebe" nicht mit negativen vermischt werden, auch gilt: Um „glückselig zu seyn, müsse man denen Lust = Trieben mit gehöriger Mäßigung nachhängen £
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Die variantenreiche Verknüpfung von Natur und Zeit bietet unterschiedliche Möglichkeiten, „Triebe" und „Vernunft" zusammenzuführen, den Menschen als „Natur" zu begreifen und ihm gleichwohl Verbesserung als Programm vorzuschreiben. Sie gewährleistet damit die Formbarkeit der Natur - es kommt schließlich immer wieder vor, daß jemand sich auf eine „falsche" Natur beruft, „falsche" Lust empfindet etc. Das mindert die Natürlichkeit der sozialen Neigung. Hagedorn selbst unterstützt diesen Eindruck durch eine Korrektur des Freundschaftsgedichts:
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Vgl. zum Zusammenhang: Baudach: Planeten der Unschuld - Kinder der Natur, S.56f., 61ff.; Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.77. Vgl. hingegen zu Hagedorns Einschätzung von Hobbes als Gelehrtentypus Kap. 4.2. Vgl. zum Begriff der „Pflicht" als Zentralterminus der durch Pufendorf begründeten Naturrechtsdiskussion: Vollhardt: Freundschaft und Pflicht, S.300f. Art. N a t u r - T r i e b e . In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 25 [1740], Sp.l225f.
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O Land! der Tugend Sitz wo zwischen Trift und Auen [...] Redlichkeit ein Ruhm, und Treu' ein Erbgut ist, Zum mindsten ehmals war. [...] (Die Freundschaft; Hamburg 1748) O Land! der Tugend Sitz, wo zwischen Trift und Auen [...] Redlichkeit ein Ruhm, und Treu ein Erbgut ist, Wie in Arcadien. [...] (Wl, 48)109
Die eindeutige historische Fixierung natürlicher Tugendhaftigkeit, wie sie auf dem Land den Topoi der laus ruris zufolge zu herrschen hat, überführt Hagedorn in einen Schwebezustand von eigentümlicher Unbestimmtheit. 110 Einerseits löst er die Vergangenheitsform auf und macht das Land zum Ort von „Tugend", „Redlichkeit" und „Treu", andererseits verweist er auf die bukolische Tradition und nähert das Ideal damit einem rein poetischen Zustand an."1 In bezug auf Horaz schreibt Hagedorn entsprechend offen über die imaginative Selbstbehandlung: Seine „Verdrüßlichkeiten" habe er nicht besser zu zerstreuen gewust, als durch die unempfundene Zufriedenheit und Ruhe, deren Character ich in meinem Horatz angenommen und so entworffen habe, als ich von dem Stein der Weisen schreiben würde, den wir beyde (Hagedorn und Giseke, S. M.), und zehn tausend andere nicht besitzen. Zu meinem Zwecke war es mir genug, daß mein Horaz, ein weit angenehmerer Gegenstand, als meine tägliche Bemühungen, meine Gedanken erleichterte und mir erträglicher machte, (an Giseke; 2. 7. 1751; Β 313)
Der Jüngling, herausgegeben von Cramer und Giseke und auf der Titelseite mit einem Hagedorn-Zitat und einer Personifikation der Freude ausgestattet, merkt in vergleichbarer Weise die poetische Konstruktion der Geselligkeit an: „Ich lebe in der Welt, als ob sie eine aufgeräumte Gesellschaft guter Freunde wäre, die sich zusammen gefunden hätte, um guter Dinge zu seyn, und die Sorgen [...] durch ein gemeinschaftliches Vergnügen zu verbannen".112 Als Stimulans wird der Wein eingesetzt: „Der Wein bringt die Menschen ihrem ursprünglichen Zustande wieder näher, und giebt ihnen, wenn er sich ihrer einmal bemächtigt hat, die guten Eigenschaften auf eine Zeit109
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Gleichermaßen in der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte. Vgl. ähnliche Formulierungen in bezug auf den Landmann (Wl, 23, 72). Vgl. auch bei Lohmeier: Beatus ille, S.455, 459. Vgl. zum ambivalenten Verhältnis zwischen „Arkadien" und der „Welt": Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, S.66ff. Vgl. zur „Arkadisierung" Siziliens bei Vergil: Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.197. Rod: Geometrischer Geist und Naturrecht, S.5. Vgl. zu den literaturgeschichtlichen Zusammenhängen: Schneider: Einleitung, S.48ff. Der Jüngling, 2. St., S.9. Vgl. auch: an Giseke; 7. 4. 1749; Β 271.
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Hagedoms poetische Gesellschaft
lang zurück [...]".113 Auch der Freund ist Teil dieser Poetisierung (vgl. Kap. 7.2).114 Die Mahler hatten auf die Poesie der Freundschaft noch anders reagiert: Sie lassen innerhalb der Discourse eine ideale Freundschaft, eine „Chimäre" wie Rubeens Beschreibung des „Lands der F R E U D E " , zerbrechen." 5 „Der Mensch / das stoltze Thier / liebet von Natur nichts so sehr / wie sein eigen Wohl=seyn". 116 Die Harmonie der Weltordnung bleibt hier erhalten, indem der Discours von der Ähnlichkeit als Prinzip der Vergesellschaftung auf Unterschiedenheit umschaltet, durch die sich die Menschen gegenseitig ergänzen." 7 Gegenbilder Die verwirrende Perspektivenvielfalt der Freundschaftstheorie versucht die Frühaufklärung ζ. B. durch die Theorie der „langen" bzw. „kurzen Einsamkeit" zu ordnen: „Der langen Einsamkeit giebt alles Uberdruß" (Wl, 53; s. o.). Weder wertet man auf diese Weise die Einsamkeit grundsätzlich ab, noch ist die Geselligkeit uneingeschränkt positiv - alles hat seine Zeit und ist zu seiner Zeit gut und richtig, wie im Fall der Nebenstunden. Der Aufenthalt in der Einsamkeit kann der Selbstsorge mit dem Ziel dienen, (wahres) Vergnügen zu empfinden." 8 Uneingeschränkt gut ist diese Selbstsorge dann, wenn man sich damit aus den moralisch verdächtigen Zusammenhängen alltäglicher Anforderungen löst. Die Einsamkeit wird aber problematisch, wenn die täglichen Anforderungen nicht mehr negativ, sondern positiv konnotiert sind: Der Solitär entzieht sich somit seinen Pflichten, und in diesem Fall tendiert die Einsamkeit zu (falscher) Wollust oder zur Gefähr113 114
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Der Jüngling, 2. St., S.9. Ebda., S.12f. Auch Giseke erklärt: „Freund, was man davon schwatzt, das schmückt nur unsre Reime, / Fällt prächtig in das Ohr. Ein Kluger nennt es Träume. / Verlaß einmal den Wahn. Er bringt dir doch nichts ein. / Sey deines Reichthums werth, lern unempfindlich seyn". Bei dieser Empfehlung bleibt Giseke natürlich nicht stehen. Er verwendet sie nur als Tiefpunkt, um danach zu empfehlen: „Auf mein geliebter L**\ Trotz unsrer wilden Zeit [...]" ([Giseke]: Schreiben über die Zärtlichkeit in der Freundschaft, an Herrn L""1". In: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 3. Bd., Bremen / Leipzig 1746, 4. St., S. 249, 254). Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil, S.25. Das Stück bezieht sich auf die Freundschaftsbeschreibung im 2. Discours des Ersten Theils. Der geträumte Gang ins Land der Freude leitet den Zweyten Theil der Discourse ein. Ebda. Zweyter Theil, S.28. Vgl. dazu Gellerts Der Blinde und der Lahme (Werke. l.Bd.,S.50). Vgl. zum Zusammenhang von Säkularisierung der Einsamkeit und Entwicklung des Konzepts von „Selbstgenuß": Emmel / Dierse: Art. Einsamkeit, Sp.408. Vgl. zu einem Uberblick über mögliche Formen der Einsamkeit (Einsamkeit des Einsiedlers, Einsamkeit aus Lust an der Einsamkeit, Einsamkeit aus hochmütigem Eigensinn etc.): Art. Einsamkeit. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.696f; Art. Einsamkeit. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 8 [1734], Sp.574.
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dung des Selbst (meist in Form der Melancholie). 1 " Einsamkeit und Geselligkeit müssen auch innerlich so modelliert werden, daß sie sich ergänzen. Einsamkeit und Nebenstunden können sich ζ. B. als Zeit der Rekreation für die Gesellschaft und für die Arbeit legitimieren. Dann dürfen aber die lustvollen Beschäftigungen nicht derart erschöpfen, daß man sich ausruhen muß. Umgekehrt kann sich die Arbeit legitimieren, indem sie die Grundlage für unbeschwerte Nebenstunden bietet (vgl. Kap. 3.1). Eine andere Möglichkeit, die Gebrochenheit der Freundschaftskonzeption zu verdecken, bietet der Bezug auf Gegenbilder, der die inneren Widersprüche nach außen verlegt. Im folgenden geht es vor dem Hintergrund des Freundschaftsgedichts um diese polemischen Beziehungen, die die Behandlung von Freundschaft, Geselligkeit und Einsamkeit untergründig bestimmen. Die Frühaufklärung bewahrt dabei insbesondere ein Gegenbild, das eine positive Einsamkeitsauffassung geradezu provoziert: die vita aulica.110 Im Medium der Hofkritik kann man auch im 18. Jahrhundert Positionen des Rückzugs entwickeln, die in anderen Zusammenhängen der Doktrin von der menschlichen Geselligkeit entgegenlaufen würden: „Die Höfe können den Weisen und Guten anders nichts geben, als die Verachtung des Gepränges, und die Liebe zur Einsamkeit". 121 Ein weiteres ambivalentes Modell stellt die Gelehrtenkritik bereit.122 Die innere Zwiespältigkeit des Gelehrtentums, seiner Kritik und Apologie wurde bereits erwähnt (vgl. Kap. 3.1), und auch im Zusammenhang mit der Geselligkeitstheorie ist sie zu entdecken. Man kritisiert den (Stuben-) Gelehrten („schulfüchsische[r] Eigensinn"; VeG 5), weil er sich in unnütze Fragestellungen vertieft und gesellschaftsuntauglich lebt (Einsamkeitskritik). Der Zurückgezogenheit des Gelehrten korrespondiert ein falsches gesellschaftliches Verhalten in zweifacher Hinsicht: Gegenüber den lebenden Gelehrten verhält er sich entweder polemisch oder schmeichlerisch; gegenüber den toten Gelehrten verhält er sich parasitär, indem er im Sinne der Buchstabengelehrsamkeit überkommene Inventionstechniken verwendet (Geselligkeitskritik) (vgl. Kap. 3.1 u. 4.2). Das heißt aber zugleich: Die Kritik der variierenden und akkumulierenden Inventionstechniken führt eine positive Theorie gelehrter Einsamkeit („Meditation") mit sich (s. u.). Der pedantische Gelehrtenkrieg hat sein Gegenbild nicht nur in den friedlichen, um Wahrheit bemühten gelehrten Gesprächen und Assoziatio-
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Schings; Melancholie und Aufklärung, S.220ff. Vgl. die Beispiele bei Lohmeier: Beatus ille, S.469, 471f., 473f., 479ff. Vgl. bei Hagedorn z. B. VeG 53, W l , 34f„ 47. Young: Die Ruhmbegierde, S.17f. Der Art. Einsamkeit verweist in Zedlers Grossem vollständigen Universal-Lexikon (Bd.8 [1734], Sp.574) auf Erdmann Uhse: De Solitudine Eruditorum, Leipzig 1708.
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nen,123 sondern auch in dem Gelehrten, der sich zurückzieht und die Gelehrsamkeit für sein Leben nutzt. Zum einsamen Gelehrtenleben gehören Bücher, die sowohl Inbild des in sich zirkulierenden, nutzlosen Wissens wie auch gelehrter Geselligkeit sein können (vgl. Kap. 4.2). Die Programmatik der cartesianischen Meditation etwa wird - jedenfalls in einer Ubergangsphase - durchschaut. Gottlieb Stolle hält die Befreiung der eigenen Gelehrsamkeit von der Last der Bücher bei den „meisten" für eine „Prahlerey". „Es ist bekannt", erläutert er, „daß Cartesius seine Wissenschafft blos seinem Nachdencken zugeschrieben. Inzwischen weiset sein Lebenslauf: Daß er die alten Autores auf der Schule zu la Fleche fleißig gelesen, und ein gut Gedächtnis gehabt".124 Zwei der bedeutendsten und zugleich gefährlichsten Gegner der (früh-) aufklärerischen Geselligkeitstheorie sind der Weise und der (Schein-) Fromme. Stoische Philosophie und christliche Theologie und Frömmigkeit werden dann als Einsamkeitstheorie interpretiert.125 Beide Positionen treffen sich 123
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Vgl. z. B. die Eröffnungsrede Hallers vor der Göttinger Akademie (1751) (Sammlung kleiner Hallerischer Schriften, S.202f.). Stolle: Anleitung zur Historie der Gelahrheit, S.4. In Kap. 4.2 werden am Beispiel von Pierre Costes Montaigne-Verteidigung Möglichkeiten vorgestellt, diesem Vorwurf zu begegnen. Man sieht die Probleme, die sich ergeben, sehr deutlich in Johann Adolf Hoffmanns Zwei Bücher von der Zufriedenheitt (^1731). Hoffmann begründet seine Zufriedenheitstheorie mit säkularen und religiösen Argumenten, durch „Vernunft und Gnade" (ebda., S.59). Einerseits fordert Hoffmann, man solle sich in „einsame[m] Nachsinnen" üben: „Dis Nachsinnen erfordert, daß wir in uns selber gehn, und unser Gemüth dem Getöse und Schwärm der Welt entreissen [...]", z. B. indem man aufs „Land" in die „stillef ] Einsamkeit" als Gegensatz zum „Hoff-Leben[ ]" zieht (ebda., S.127f.). Andererseits ist es „nicht gut, daß der Mensch immer alleine sey [...]. So ist auch das vernünfftige Geschöpff vornehmlich nicht weniger zur Geselligkeit, als zur Arbeit und Nachsinnen gebohren; Ein vernünfftiger Umgang ist das beste Gewürtz dieses Lebens, auch erleichtert das Gemüth nichts so sehr, als ein treuer Freund". Aber sofort merkt Hoffmann an, daß „auch die, so nichts als Liebe und Treue von ihrem Freund zu rühmen wissen, dennoch mit der Zeit erfahren können, daß ihr bester Freund eine Gelegenheit zu ihrem grösten Verdruß worden sey" (ebda., S.138, auch S.141, 143). Hier wird die „stoische" Unscharfe zwischen der solitären und der sozialen Konzeption des Menschen deutlich. Danach geht Hoffmann zur religiösen Aufhebung der Geselligkeit über: „Die Gunst der wandelbahren Menschen wird mit ihrem Sterben in uns einen Tod gebähren, und wir werden so unstät als sie selber werden, daferne wir uns auf sie zu viel verlassen" (ebda., S.204). Deswegen soll man sich nur auf Gott konzentrieren (ebda., S.207). Aber auch die stoische und die religóse Einsamkeitstheorie harmonieren nicht. Während Hoffmann zuvor die Selbsterkenntnis als wichtigstes Ziel genannt hat, formuliert er nun: „Darum ist es kein Wunder, daß der Mensch immer unruhiger oder schwindlichter wird, je mehr er auf sich selbst, das ist, in eine Tieffe der Nichtigkeit siehet" (ebda., S.326). Dann nämlich wird die Selbstsorge zur „Eitelkeit" und zur „unmäßigen" Selbstliebe (ebda., S.335). Die christliche Selbsterkenntnis dient dann auch anders als die „stoische" nicht der Erleichterung, etwa in dem sie aus der Naturanschauung eine „liebliche Erquickung" gewinnt (ebda., S.128), sondern der Einsicht in die eigene Nichtigkeit und in
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in einer skeptischen oder gar pessimistischen Anthropologie, die den Menschen durch Geselligkeit in Gefahr sieht, von den wahren Idealen des Mensch-Seins (ζ. B. Selbstsorge, Gottesverehrung) abgelenkt zu werden (vgl. Kap. 5.1).126 Zugleich unterhält die Frühaufklärung deutliche Affinitäten zu stoischen Philosophemen, und sie kann sich natürlich auch nicht (oder nur auf Umwegen) den Ansprüchen der Theologie verschließen. Wesentliche Elemente der christlichen Einsamkeitsauffassung,127 die für Hagedorn keinen positiven und kaum einen polemischen Grund bietet, nennt seine Mutter in einem Brief an Christian Ludwig von Hagedorn: übrigens liebster Ludewig recommandire ich dir die einsahmkeit, als welche so viel kluge Gottesgelehrte Männer so nützlich geachtet, zu deinen Besten zu gebrauchen, dich zu erholen deine gedancken zu samlen und das gemüthe zu beruhigen, damit der liebe Gott ein bequemes lediges, oder ruhiges Hertze finde, in welches Er wirken und gute gedancken einflösen könne, und wie würde dir sodan die Zeit kurtz und die einsahmkeit angenehm vorkommen, auch im geistlichen zu nehmen, den die Sonne in keinen trüben Waßer kan gesehen werden, auch die geringste Kunst nicht recht gelernet werden, man wende den allen Fleis und sinne daran, beydes ist bekant, du verstehst mich wol, und weist, daß der nutz aus dem letzteren mit der Zeit nicht aufhöret. Gott gebe mir und dir die Gnade unsere einsahmkeit so zu gebrauchen, so sint wir nicht beklagenswehrt. 128
Die institutionalisierte Kontemplation in Gestalt des monastischen Lebens war - und zwar gerade aufgrund ihres unsozialen und einsamen Lebens bereits an prominenten Stellen von Luther bis Thomasius einer harschen Kritik unterzogen worden. Gefährlicher war die Kritik der Frömmigkeit in der Gemeinde, zumal in der spannungsvollen Beziehung zwischen kirchlicher Orthodoxie und Aufklärung in Hamburg.129 Der kritische Standpunkt muß in die Kirche selbst hineingetragen werden. Hagedorn läßt daher an kirchenkritischen Stellen immer wieder die Figur des Scheinfrommen auftreten: Im Medium des Scheinfrommen kann die Kirche gegen sich selbst ausgespielt werden, indem sie sich in eine gute Kirche - über die man dann weder
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die Nichtigkeit der Welt (ebda., S.339, 342). Während zuvor „Leib und Seel" eine Geschenk des Schöpfers waren - mit dem Schwergewicht auf der Seele - und jeweils in dem ihnen zustehenden Maß versorgt werden sollten (ebda., S.61, auch S.136f.), gilt nun: „Mein Leib ist Staub und Asche, Fäule und Kranckheit, eine stetige Verwesung und ein lebendiges Todten=Hauß. Würmicht und kothig ist mein Fleisch um und um [...]" etc. (ebda., S.340). Vgl. zur pietistischen Variante Zinzendorfs Gedanken vom Reden und Gebrauch der Worte (Die Kunst des Gesprächs, S.189f.). Vgl. zum Zusammenhang von höfischer und pietistischer Selbstbeobachtung: Schings: Melancholie und Aufklärung, S.107. Vgl. zur gegenläufigen christlichen Tradition, die die Moralisierung des Politischen im 18. Jahrhundert beeinflußt: Martens: Der patriotische Minister, S.lOff., 142ff. Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.155f. (26. 1. 1732), vgl. auch ebda., S.100 und im Unterschied dazu ebda., S.95f., 98,151. Whaley: Religiöse Toleranz und sozialer Wandel, als Überblick insbesondere S.31ff.
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Negatives noch Positives zu hören bekommt - und in eine schlechte Kirche spaltet. Im Gedicht über Die Freundschaft kommt Hagedorn nur im Vorübergehen auf das ungesellige Verhalten des (falschen) Christen zu sprechen: Er bezweifelt, daß man ein Christ nur durch Vermeidung negativen Handelns sei, und führt gleichsam als Unterlassungssünde die nicht vollbrachte gute Tat an (Wl, 43). 130 Unter diese Rubrik gehört auch das Exempel des scheinchristlichen Kaufmanns, der Mildtätigkeit mit Gewinnstreben verbindet („Mein alter Wahlspruch bleibt: Zins und Provision!"; W l , 4 4 ) . m Wesentlich schärfer formuliert Hagedorn seinen Vorwurf in dem Gedicht über Die Glückseligkeit und verknüpft damit das Thema der Mönchskritik. Verloren ist der Tag, [...] Wann Mitleid, Lieb und Huld mit Seufzern sich verschleichen, In enge Winkel fliehn, und dir, an Falschheit, gleichen, Du Rath der Heiligen, die stolze Demuth krümmt! Zunft! die den Brüdern schenkt, was sie den Menschen nimmt: Die mit der frommen Hand, die sich zur Andacht faltet, Nach ihrem innern Licht das Zeitliche verwaltet, Die Jünger feister macht, sonst alle von sich stösst, Die Nackenden bekleidt, Bekleidete entblösst, Nur philadelphisch liebt, in allem, was geschiehet, So schlau, als Saint - Cyran, den Finger Gottes siehet, Sich für sein Häuflein schätzt, und, falscher Bilder voll, Die Welt ein Babel nennt, dem man nichts opfern soll. (Wl, 20f.)
Dabei sichert Hagedorn durch die Bezugnahme auf die Jansenisten und die Philadelphia-Gemeinde132 seine Kritik gegen etwaige Einsprüche der Orthodoxie ab und vertieft diesen Punkt in einer Anmerkung. An dieser Stelle bleibt lediglich, auf Hagedorns Shaftesbury-Kritik hinzuweisen: Shaftesbury hatte in Sensus Communis bezweifelt, daß (Privat-)
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Wollaston formuliert das so: „What has been said of acts inconsistent with truth, may also be said of many omissions, or neglects to act: that is, by these also true propositions may be denied to be true; and then those omissions, by which this is done, must be wrong for the same reasons with those assigned under the former proposition" (The Religion of Nature Delineated, S.16). Allerdings gesteht Wollaston hier einige Unschärfen in der Beurteilungsmöglichkeit ein.
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Vgl. zur Konzeption von Fürsorge in Hamburg: Der Patriot. Bd.I, S.309ff., 405f., Bd.II, S.420ff. (hier auch aus christlicher Perspektive begründet). „Philadelphische Gesellschaft, Philadelphi, eine Quackerische Gesellschaft, vom Jahre 1694, anfangs in Engelland, da Joh. Pordage und Joh. Leade die vornehmsten Glieder derselben gewesen, hernach aber auch in Deutschland gar bekannt, indem die so genannten Rosencreutzer und andere Enthusiasten alle dazu gehören" (Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.27 [1741], Sp.1792).
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Freundschaft ein wesentliches Moment des Christentums sei, da die Aussicht auf Belohnung im Jenseits die Zwecklosigkeit der freundschaftlichen Tat untergrabe. „Private Friendship, and leal for the Publick, and our Country" seien für den Christen nur unwesentliche Bestandteile seiner „Charity"1" das hat im übrigen nicht einmal Hutcheson auf sich beruhen lassen.134 Hagedorn referiert diese Position in einer Anmerkung und macht auf die „bündige Untersuchung dieser so irrigen Gedanken" aufmerksam (Wl, 52, Anm. 24). Vor- und Gegenbild: Der Weise Der Weise gehört zu den durch die Polemik vagierenden Gegenbildern der aufklärerischen Freundschaftstheorie. Er kann ohne Schwierigkeiten von verschiedenen Standpunkten aus integriert oder kritisiert werden, je nachdem, welche polemische Intention die Argumentation antreibt. Das Interesse an der Selbstsorge verhindert auf der einen Seite die Attraktivität der Geselligkeit. Auf der anderen Seite kommt der Weise gerade aufgrund erfolgreicher Selbstsorge allererst für das Modell selbstloser Freundschaft in Frage. Man findet dabei im wesentlichen drei der vier logischen Möglichkeiten verwirklicht: Entweder ist die Selbstsorge des Weisen schlecht und die Gesellschaft gut; oder die Selbstsorge des Weisen sowie die Gesellschaft sind gut; oder die Selbstsorge ist gut und die Gesellschaft schlecht. Eine negative Einschätzung von Geselligkeit und von Selbstsorge hingegen ist verständlicherweise für eine diesseitige Glückseligkeitslehre nur wenig bzw. nur für eine asketische Religiosität attraktiv. In Über den Ursprung des Übels (1734) zitiert Haller in der 6. Auflage seines Versuchs Schweizerischer Gedichte (1751) Maupertuis' Essai de Philosophie Morale (1749) als Beleg für die These, der schlechteste Staat sei derjenige „von eitel Weisen": „Dans une Isle remplie de parfait Stoïciens chaque Philosophe ignorant les douceurs de la confiance et de l'amitié, ne pense qu'à se séquestrer des autres humains".135 Die stoische ataraxia, die zusammen mit der Selbstmordlizenz Gegenstand der Kritik am Stoizismus in der Aufklärung wird, verhindert Gefühle und damit auch Soziabilität.136 Demgegenüber
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Shaftesbury: Sensus Communis, S.66. Hutcheson: Eine Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend, S.8. Vgl. dazu: Leidhold: Einleitung, S.XXXII. Haller: Gedichte, S.132. In seinem Epithalamium auf das Lastrop-Beselerische Ehe-Bündniß bezieht Hagedorn Stellung gegen „der Weisen strenge Schar" mit ihrem Lehrer Zenon (PdN4, 139), aktualisiert also die Tradition des Weisen, wie ihn die Gegner des Stoizismus' als polemisches Modell entwerfen (Cancik / Cancik-Lindemaier: Senecas Konstruktion des Sapiens, S.208). Genau besehen zerlegt er aber nur seine andernorts formulierte Bestimmung des Weisen
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Hagedorns poetische Gesellschaft
verbindet Maupertuis „confiance" und „amitié" mit „douceurs". Die „Lust" wie Hagedorn es formuliert hatte - an den sozialen „douceurs" öffnet gleichsam die Verschlossenheit des Menschen und macht seine Sinne für die Umgebung empfänglich. Die Sensualisierung der Aufklärung kann mit dem radikalen Verdikt der Leidenschaften nicht mehr arbeiten, auch wenn sie diverse Strategien entwirft, die ataraxia durch die Hintertür wieder in ihre systematischen Gebäude zu integrieren (ganz abgesehen davon, daß stoische Entwürfe nur selten die völlige Stillstellung der Leidenschaften fordern bzw. selbst schon die Kritik der ataraxia leisten)137. Geliert beispielsweise pointiert in seinem Gedicht über Die Freundschaft die affektkritischen Prämissen: „Um einen Freund von edler Art zu finden, / Mußt du zuerst das Edle selbst empfinden, / Das dich der Liebe würdig macht". Sehr deutlich formuliert er dann ein Programm der Affektdämpfung, das das Ich verkleinert, gleichsam beiseite rückt, um einen Raum für den Freund zu schaffen: Ein Herz, das nie sich selbst mit Ernst bekämpfet, Nie Stolz und Neid und Eigensinn gedämpfet, Liebt dieses Herz wohl dauerhaft? Wie bald wird's nicht durch kleine Fäll' ermüden! Es fühlet sich und stört der Freundschaft Frieden Durch ungezähmte Leidenschaft.
Die Funktion des Freundes wird dann aber internalisiert. Er wird zum testis imaginarius Senecas138, zum personifizierten Gewissen in Gestalt des imaginierten Freundes: Wenn, ungewiß bei meiner Pflicht, ich wanke, Wie stärkt mich oft der selige Gedanke: Was tat' Arist bei dieser Pflicht? Verfahre so, als wär' er selbst zugegen!139
Dieses Programm ist rigider als das von Hagedorn, in dem die „Lust" an der Freundschaft eine größere Rolle spielt. Aber gerade deswegen macht es die Argumentationsfigur des Freundschaftskonzeptes deutlicher - auch bei Ha-
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auf zwei Personen, die „in sich zufrieden sind" und sich „selbst beglückt" machen (PdN4, 141). Entscheidend ist der richtige Umgang mit den Leidenschaften (Cicero: Laelius, XIII, 47f.). Seneca: Ad Lucilium Epistulae morales, 25, 5ff. Geliert: Werke. 1. Band, S.336. Auch in Die Freundschaft in den Bremer Beyträgen wird das íejíts-Argument mit der Empfehlung zur richtigen Selbstliebe in Zusammenhang gebracht: „Und stets bestrebe dich dein eigner Freund zu werden! / [...] Dein Leben bilde stets nach eines Cato Leben! / Befürcht, ietzt würde dir dein Freund Verweise geben" (Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd. 2. Aufl., Bremen / Leipzig 1747, 2. St., S.124).
Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft
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gedorn applaudiert das Gewissen der guten Tat und ersetzt so die Fremdbeobachtung (Wl, 45). Die Freunde lenken von der Gefahr der Melancholie und vom Gewissen ab, wobei bereits die Zusammenführung von Melancholie und Gewissen auf ein schlechtes Gewissen, das heißt auf einen falschen Selbstbezug verweist.140 Die verschwiegene 'stoische' Egozentrik der Freundschaftstheorie findet ihre ästhetisierende Metapher im Freund als dem „besseren Bild" des Selbst141: Der Freund „bessert" und „ergetzet" gleich der Dichtkunst. 142 Der Komparativ des „besseren Bildes" markiert grammatikalisch den Ubergang in die Reflexion, auf die Ebene der Selbstbetrachtung. Der Freund als Spiegel verweist auf den Anteil der Selbstliebe an der Freundschaft.143 Das Modell hat aber immer zwei Seiten, und es ist wiederum eine Ermessensfrage, welche der beiden Seiten hervorzukehren ist. Im Unterschied zu den Gedichten, die Weisheit und Einsamkeit als Programm verbinden und Geselligkeit ausblenden (Der Weise, das Schreiben an einen Freund und die Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund, s. u. und Kap. 3.1), stellt Hagedorn in Die Glückseligkeit und Horaz sowohl Geselligkeits- als auch Einsamkeitsmodelle vor. Der Weise - so erklärt Hagedorn in Die Glückseligkeit - handelt uneigennützig und philanthropisch, standhaft und wahrhaftig, und diese soziale Perspektive entspricht zugleich einer zeitlichen Perspektive, dem Gedanken an die Nachwelt und der Beförderung von deren Glück. Der Mensch kann - in problematischer Beziehung zur vergänglichen Poesie der Freude (Kap. 2) - seinem Handeln eine überblikkende, ausgreifende Sichtweise einarbeiten (Wl, 15f.). Die dem Modell des Weisen eingeschriebene Figur der Einsamkeit stellt Hagedorn durch die Bezugnahme auf Leibniz' Theodizee heraus, auf die er in der Anmerkung zu folgenden Versen eingeht: „Ist nicht des Weisen Herz ein wahres Heiligthum, / Des höchsten Guten Bild, der Sitz von seinem Ruhm?" (Wl, 15). Hagedorn muß vom in sich ruhenden „Bild" des „Guten" Abstand nehmen und interpretiert daher „bonté" in der Passage „le suprême degré de la bonté", die er anfangs nach einer deutschen Ubersetzung durch „den höchsten Grad des Guten" wiedergibt, in der zweiten Auflage des Ge-
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Sak: Gespräch zwischen Zweyen Freunden. Es geht im übrigen bei Sak um die Bestimmung der „wahren Freude" (ebda., S.18,22). Cicero: Laelius, IV, 15 und VII, 23. Vgl. dazu Hagedorn: Die Freundschaft, W l , 45, 50f. Geliert kann daher auch in Die Freundschaft die Funktion des Freundes der Funktion seiner poetischen Charaktere angleichen: „Hast du das Herz, mit dem du dich verbunden, / Dem deinen gleich, der Liebe wert gefunden, / So tue, was die Weisheit spricht. / Sie heißt in ihm dich jede Tugend ehren, / Wie sehr du liebst, durch Taten ihn belehren, / Und macht sein Glück zu deiner Pflicht. / / Sie legt dir auf, sein Gutes nachzuahmen" (Werke. 1. Bd., S.336). Grabes: Speculum, Mirror und Looking-Glass, S.128.
Hagedorns poetische Gesellschaft
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dichts (1750) durch „Güte, bonitate" und entgegnet damit zugleich Walchs Leibniz-Kritik, der Hagedorn zufolge diese „Gütigkeit" eingeklagt hatte (Wl, 15, Anm.4).144 In das Bild Gottes, dem der Weise in vielem gleicht, muß man also die Geselligkeit selbst einbringen. Dabei kann mystisches Gedankengut adaptiert werden, wie Haller beim Argument des Offenbarungswillens Gottes145; man kann auf Jesu Geselligkeit zurückgreifen wie Der Gesellige146; oder man kann Gottes Barmherzigkeit herauskehren, also wie Hagedorn die „bonté" als „bonitas" begreifen (vgl. Kap. 5.1). Die Weisheit durchdringt so das Weltgebäude („Ihr Geist ist stark, und geht durch alle Geister"; Der Weise-, Wl, 13) und verbindet Gott mit dem Weisen: Er weiß, sein Gott kennt, wählt und wirkt das Beste: Das einzusehn, ist seine Lust und Pflicht
[...]. (jOer Weise-, W l , 13) Was ist die Weisheit denn, die wenigen gemein? Sie ist die Wissenschaft, in sich beglückt zu seyn. Was aber ist das Glück? Was alle Thoren meiden: Der Zustand wahrer Lust und dauerhafter Freuden; Empfindung, Kenntniß, Wahl der Vollkommenheit [...]. (Die Glückseligkeit-, W l , 15)
Auch ohne ins Detail zu gehen, ist augenscheinlich, welche dogmatischen Schwierigkeiten die Analogie von Weisem und Gott mit sich bringt: Denn so, wie zu Gott wesentlich Unabhängigkeit und Barmherzigkeit gehören147, changiert der Weise zwischen Selbständigkeit und Geselligkeit (vgl. Kap. 5.1). Unauffällig wird dieser innere Sprung wiederum durch die Orientierung an Gegenbildern, die in ihrer negativen Dynamik das Vorbild des Weisen in all seinen Facetten positivieren. Als Opposition des Weisen fungieren in diesem Sinn der Pedant (Wl, 16ff.), der geizige Kaufmann (Wl, 18f.), der Scheinfromme (Wl, 20f.) sowie der Aufsteiger (Wl, 21ff.) - alles Modelle, deren Kritikwürdigkeit eindeutig ist. Immer aber stellt sich die Frage, wie die Unabhängigkeit des Weisen sich mit seiner Außenorientierung verbindet, wie der Weise das wesentliche Glück in der Freundschaft oder im mit144
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Hagedorn gibt keine genaue bibliographische Angabe für seine Walch-Kritik. In der hier verwendeten Ausgabe des Philosophischen Lexicon von 1726 findet sich unter dem von Hagedorn angegebenen Beleg keine Stelle, auf die er sich beziehen könnte. Im Artikel „Güte GOttes" (Sp.1373 - 1375) jedenfalls zitiert Walch die Theodizée von Leibniz zustimmend. In Über den Ursprung des Übels (Die Alpen und andere Gedichte, S.60). Vgl. Martens: Geselligkeit im „Geselligen", S.176, recte 174. Vgl. zu dieser Ambivalenz im aufklärerischen Gottesbegriff: Kondylis: Die Aufklärung, S.361ff.
Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft leidigen H a n d e l n u n d zugleich unabhängig v o n äußeren
211 Vorkommnissen
finden kann. Freunde
in der
Einsamkeit
I m U n t e r s c h i e d zu Die Glückseligkeit
und Horaz,
die Einsamkeits- u n d Gesel-
ligkeitsmodelle direkt konfrontieren, behandelt Der in indirekter Weise, w ä h r e n d das Schreiben
Weise die Problemlage
an einen Freund
3.1) sein V o t u m für die Einsamkeit wie Horaz
(vgl. auch K a p .
i m M e d i u m der H o r a z i s c h e n
H o f - und Stadtflucht abgibt. W e i t e r führt die Verbindung v o n inventio
und
vita solitaria in Wünsche, aus einem Schreiben
1733
an einen Freund,
vom Jahre
(Erstausgabe u n t e r d e m Titel: Ruhige Lebens = Art; P d N 6 , 386f.). A n den R ä n d e r n der Geselligkeit tastet sich H a g e d o r n dort i m Einleitungsteil entlang. Gerade hier pointiert er den T e x t in b e m e r k e n s w e r t e r Weise: Um diese Pilgrimschaft vergnüglich zu vollenden, Die mich von der Geburt bis zur Verwesung bringt, Darf Ehre, Schein und Wahn nie meine Seele blenden, Die nicht mit Träumen spielt, und nach dem Wesen ringt. Es sey mein Uberfluß, nicht vieles zu verlangen; Mein Ruhm, mein liebster Ruhm, Vernunft und Billigkeit: Soll ich ein mehres noch, bald oder spät, empfangen, So steh ein Theil davon zu andrer Dienst bereit. (Wl, 27) In der Poesie der Niedersachsen
lautete der sechste Vers: „Mein R u h m , m e i n
liebster R u h m , V e r n u n f t u n d Menschlichkeit" ( P d N 6 , 386). H a g e d o r n verschiebt also das gesellige Verhalten - hier als fürsorgliche T a t - v o n der „Menschlichkeit" zur „Billigkeit", v o n der A n t h r o p o l o g i e in R i c h t u n g einer juristischen Bestimmung, 1 4 8 v o n spontaner Geselligkeit zu vernünftiger u n d pragmatischer Einsicht in das Gebotene. 1 4 9 148
„Billigkeit, es wird dieses Wort in unterschiedenem Verstände angenommen. Wir finden dahero sowohl in dem Rechte der Natur als in der Moral des lateinischen Wortes xquitatis Erklärung. Wenn wir in dem natürlichen Rechte von der Billigkeit reden, so geschiehet solches sonderlich in der Abhandlung derer Gesetze, wobey man in der Application und Interpretation fraget, was die Aequitttt und Billigkeit mit sich bringe? Man betrachtet also die Billigkeit einmahl absolute, da sie denn so viel heist, als die Gerechtigkeit [...]. Zum andern wird die Billigkeit auch nur respective betrachtet, wenn ich die Gesetze in Ansehung einer oder der andern That erkläre. [...] In sittlichen Verstände heisset die Billigkeit eine Haupt-Tugend, die man gegen andere inacht zu nehmen hat. Sie wird eingetheilet in Universalem, welche die allgemeine Zuneigung gegen andre ist [...], und in particularem, welche wieder eingetheilet wird in diejenige Gerechtigkeit, so fern sie ein Bemühen, einem jeden das Seinige zu geben, und in die Billigkeit in engern Verstand" (Art. Billigkeit. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. B.3 [1733], Sp.l847f.). Walch unterscheidet zwischen der Billigkeit im Recht und in der Ethik, beschäftigt sich aber vor allem mit deren
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Hagedoms poetische Gesellschaft
Mit der Akzentverlagerung, die Hagedorn in der zweiten Auflage vornimmt, wird Geselligkeit zu etwas Beiläufigem150 und gerät nicht mehr mit der Selbstsorge in Konflikt, die das Gedicht im übrigen propagiert: Die Gegend reizt mich noch, wo bey den hellen Bächen Und in dem grünen Hayn sich Ruh und Freyheit herzt. Dort könnt ich mit mir selbst vertraulich mich besprechen, Wo keine Falschheit lacht, und keine Grobheit scherzt. Dort lebt ich unerreicht von Vorwitz und von Sorgen; Durch keinen Zwang gekrümmt, durch keinen Neid berückt: Der stillen Wahrheit treu, der Welt, nicht mir, verborgen, Und, Lust der Einsamkeit! genug durch dich beglückt. (Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund·, W l , 28)
Auch hier lohnt sich ein Vergleich mit der Erstfassung: Mich reizt kein Segens-Stand, als wo bey hellen Bächen, Und zwischen Wald und Thal sich Lust und Unschuld herzt, Wo ich mich mit mir selbst vertraulich kann besprechen Und meiner Dicht-Kunst Lied in frohem Schatten scherzt, Da leb ich unumschränkt von Zeugen und von Sorgen, Durch keinen Richter=Spruch noch Menschen = Furcht berückt, Der echten Weisheit hold, der Welt, nicht mir, verborgen, Durch Schul-Witz nicht berühmt, durch die Natur beglückt. (RuhigeLehens=Art\ PdN6, 386)
Das Selbstgespräch in amoener Szenerie, das Hagedorn in der zweiten Auflage in den folgenden Zeilen um das Motiv des hohen Geistergesprächs er-
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rechtlicher Qualität. Dort hat die Billigkeit die Aufgabe, die Anwendung und Auslegung der Gesetze zu steuern (Art. Billigkeit. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.270 272). Daß König „Geschmack" und „Billigkeit" zusammenführt, verwundert in diesem Zusammenhang nicht (Untersuchung Von dem Guten Geschmack, S.280). Mit der Differenz zwischen Rechtspflichten und Menschlichkeit bzw. Liebe greift Hagedorn eine Differenz auf, die sich bei Hobbes und Grotius, in Anschluß an diese bei Pufendorf und dann auch bei Thomasius findet. Rechtspflichten können erzwungen werden, nicht aber die Menschlichkeit (Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S.86ff., Zitat S.88). Hagedorn nimmt damit auch Abstand von einem Konzept der englischen moral-sensePhilosophie. Shaftesbury etwa läßt in The Moralists Palemón auf Philokles' Vorwurf der Misanthropie entgegnen: „[...] can you think of me in earnest, that being MAN, and conscious of my Nature, I shou'd have yet so little of Humanity, as not to feel the Affections of a Man? O r feeling what is natural towards my Kind, that I shou'd hold their Interest light, and be indifferently affected with what affects or seriously concerns them? Am I so ill a Lover of my Country? O r is it that you find me indeed so ill a Friend? For what are all Relations else? What are the Ties of private Friendship, if that to Mankind be not obliging?" (S.42). Das entspricht der Verrechtlichung, denn das Naturrecht bezieht sich nur auf die äußerlichen, erzwingbaren Verhaltensweisen (Art. N a t u r - R e c h t . In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.25 [1740], Sp.1192,1194, 1198).
Selbstsorge und Fürsorge: Die Freundschaft
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weitert,151 bezieht sich in Ruhige Lebens = Art auf die inventio, auf das Selbstgespräch als Grund der Dichtkunst. Die Wünsche ziehen sich hingegen auf die einfache Selbstbezogenheit des Solitarius zurück, die „Natur" wird zur „Einsamkeit" und diese zur „Mutter der Gedanken" aus der Theorie der Meditation (Wl, 71), wie Hagedorn das in Horaz formuliert.152 Hagedorn faßt die Verfahren der Selbstbeschränkung erneut metaphorisch als „Stille", die in der eigentümlichen Verknüpfung „stille Wahrheit" erscheint.153 Zunächst fällt die Frontstellung gegen das auf, was Hagedorn in Die Freundschaft propagiert: Nichts weist hier darauf hin, daß der Einsame unglücklich sei, weil er seine Einsichten keinem andern mitteilen kann. Die Wahrheit genügt sich selbst - daher ist sie auch „still". „Stille" signalisiert Selbstbezüglichkeit (s. o.), auch wenn das Selbstgespräch und das Gespräch mit den Geistern und ihren Büchern nicht nur die Stille, sondern auch die Einsamkeit grundiert. Aber die Verschiebung der Wahrheit im Diskurs (z. B. ihre oben dargestellte Funktion in der Freundschaftstheorie) arbeitet ja gerade an der Dämpfung dieser Grundtöne. Die essentialistische Bestimmung des Gegenstandes in Philosophie (Wolff) oder Poesie (Gottsched) verdrängt die Bücher und macht den Platz frei für die ruhige, selbstevidente, unverstellte Natur. Daher beginnt Cronegks in der Nachfolge von Hagedorns Ode An die Freude geschriebene Einladung aufs Land (vgl. Kap. 2.4) mit dem Verstummen der städtischen Töne und dem Selbstempfinden: „[...] Es wird die Seele hier so ruhig, als die Flur; / Sie fühlet hier sich selbst, den Lenz und die Natur, / Die nie der Thor gefühlt [...]".154 Diesen konzeptionellen Hintergrund hatte die Satyre von dem unvernünftigen Bewundern im Versuch einiger Gedichte (vgl. Kap. 3.2) noch deutlicher gemacht. Die Sozialverträglichkeit des Satirikers, über die sich dieser legitimiert, und sein Rückzug in die schweigende, beobachtende Einsamkeit - der letzte Satz der Satire lautet: „So muß ich ja mit Recht die meisten Leute 151
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Vgl. zu den Topoi den Brief des Wahrmund Treulieb von Aufrichtig, der vom Hof enttäuscht die Einsamkeit sucht (Gottsched: Der Biedermann. Erster Theil, 33. St., S. 132). Zedier definiert: „Meditation, ist die Bemühung der gesunden Vernunfft, da man die Wahrheit zu erkennen sucht" (Art. Meditation. In: Zedier: Grosses vollständiges UniversalLexikon, Bd.20 [1739], Sp.132; gleichlautend im A n . Meditation. In: Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.1745). Zwar gibt es keine genauen Regeln für den Ort zur Meditation, „so viel aber ist doch gewiß, daß ein einsamer, frischer und anmuthiger Ort, ingleichen die Früh-Stunden dem meditiren sehr beförderlich sind" (Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd.20 [1739], Sp.l33f.; Walch: Philosophisches LEXICON, Sp.l746f.). Vgl. zur Meditations-Theorie ausgehend von Walch: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.473ff. Vgl. zur poetischen Umsetzung dieses Programms Hallers Über den Ursprung des Übels (Gedichte, S.121). In Horaz formuliert Hagedorn: „Ein Weiser ist, auch in der Stille, groß" (Wl, 71; vgl. auch Kap. 3.2). Cronegk: Schriften. Zweyter Bd., S.90.
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scheuen" (VeG 58)155 - gewinnen dabei wiederum durch die Position, gegen die sich die Satyre wendet, an Kontur: So tröstet sich Cleant, sehr mit sich selbst zu frieden, Daß sein galanter Witz die Wissenschaft vermieden. Er setzt dem eiteln Putz des Lernens Ungemach, Und seinem Müßiggang den Fleiß der Klügsten, nach. Wie würden die sein Thun nicht unvergleichlich schätzen Den oft sich spiegelnden Narcissen wol verletzen! [...] So hält sich jeder klug, so sehr er auch bethört, Und glaubet, däß auch er die Zahl der Weisen mehrt. So sieht man jederzeit die neuen Egoisten Sich in dem süssen Traum der Eigen - Liebe brüsten. Sie rührt kein ander Ding, als nur ihr eignes Ich: Sie finden auf der Welt nichts treflichers denn Sich. (VeG 56)
Hagedorn skizziert gleichsam die Folgen einer ins Soziale übertragenen Form der „Meditation", die soziale Rückseite der Erkenntnistheorie. Der Galante ordnet das „Lernenf ]" und den „Fleiß der Klügsten", d. h. die Arbeit an der Akkumulation des Uberlieferten, der Selbstsorge nach. Anders formuliert: Hagedorn verdeutlicht die gesellschaftlichen Folgen einer bestimmten epistemologischen Einstellung, die sich durch Selbstbespiegelung auszeichnet. Der Spiegel des Galanten unterhält mehrere affine Beziehungen zum Denken der Aufklärung (vgl. Kap. 3.1). Innerhalb der galanten Theorie fungiert der Spiegel als protosoziale Einrichtung der Selbstbeobachtung, die den Blick der Gesellschaft simuliert und die möglichst perfekte Einhaltung des aptum bzw. - in strategischer Hinsicht - die möglichst umfassende Verwirklichung der eigenen Ziele garantieren soll.156 Er gehört zur Ikonographie der prudentia (und der Eitelkeit).157 Der Spiegel ist das nach außen verlegte Gewissen der Aufklärung,158 nur daß mit der Annahme einer naturhaften mora-
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Die Freunde des Weisen zeichnen sich im Gegenteil dadurch aus - so entwickelt es Hagedorn später in Die Freundschaft -, daß sie Kritik ebenso zu akzeptieren, wie zu üben verstehen (Wl, 54). Auch das gehört zu den Topoi der Freundschaftstheorie, vgl. ζ. B.: Cicero: Laelius, XXIVff. Geitner: Die Sprache der Verstellung, S.98ff. Ripa: Des berühmten italiänischen Ritters Caesaris Ripae allerley Künsten und Wissenschafften dienliche Sinnbilder und Gedancken, S.179. Vgl. zum Zusammenhang von „Spiegel" und „prudentia": Gomille: Gedächtnisbilder der Klugheit, S.230ff. Vgl. zur Tradition der Schmeichel- und Korrekturfunktion des Spiegels: Grabes: Speculum, Mirror und Looking-Glass, z. B. S.176ff., 182ff. sowie Abb. 51 u. 52. Gracián bemerkt: „Spiegel gibt es für das Antlitz, aber keine für die Seele; daher sei ein solcher das verständige Nachdenken über sich: allenfalls vergesse man sein äußeres Bild,
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lischen Strukturierung des Verhältnisses zum Spiegel vorsichtiger umgegangen wird. Aus dieser Vorsicht - ausgelegt als Kritik der Eitelkeit - zieht dann die Polemik gegen den Galanten ihre Energie. Die Polemik kann ihre Gestalt wieder in einem Spiegel finden, nämlich im Spiegel der Satire (vgl. Ρ 52; VeG 86; vgl. Kap. 3.1). So, wie der Spiegel des Galanten durch die Vorbereitung auf die Gesellschaft, d. h. durch die Vorwegnahme von Schamgefühlen, in der spiegelnden Selbstbeziehung, Schamgefühle verhindern soll, so will die Satire der Aufklärung die Sensibilität für einen neuen Normenkatalog durch Schamgefühle in der Bespiegelung wecken. Augenscheinlich hat die Aufklärung viel vom Galanten gelernt, augenscheinlich ist aber auch, daß sie mit aller Mühe Abstand von ihm zu gewinnen sucht. Sie diffamiert beispielsweise den Galanten als Egoisten, indem sie dem (galanten) Spiegel zwar seine Eigenart beläßt, den Betrachter sich selbst zu zeigen, aber jegliche soziale Ausrichtung streicht. Der Spiegel wird so zum Medium der Selbstbestätigung des Galanten, nicht der Selbstbefragung (P 53). Ihm fehlt der kritische Aspekt des (aufgeklärten) Spiegels: „Die Spiegel sind zu keinem andern Endzweck erfunden worden, als daß man die Würde des menschlichen Geschlechts, und des allmächtigen Schöpffers unaussprechliche Weißheit darinnen betrachten möge" - so erklärt Zedlers Universal=Lexikon. Aber nicht nur wendet sich der Artikel damit gegen den „Aberglauben", Kinder würden durch einen frühzeitigen Blick in den Spiegel „stoltz und hoffärtig", sondern er empfiehlt anschließend auch den Spiegel weniger zur Bestätigung der „Würde" des Menschen als vielmehr zur selbstkritischen Kontrolle. 15 ' Die Aufklärung muß den Spiegel vom reinen Selbstbezug über den Umweg der Geselligkeit auch in der Bildlichkeit entzerren: Denn der Spiegel soll ja nicht nur einfach ein Bild zurückwerfen, sondern er soll zugleich eine moralische Interpretation liefern, also dem Bild etwas hinzufügen. Die Wirklichkeit als Wirklichkeit reicht nicht aus, sie muß interpretiert werden, allerdings ohne daß diese Interpretation als Interpretation den Rahmen des Natürlichen verließe. Genau das leistet der Freund als das „bessere Bild" des Selbst (und auch die Satire): Beide geben die Wirklichkeit wieder und betten die Wiedergabe in eine verdeckt kontrollierende, werthafte Ordnung der Wirklichkeit ein. In der Epistemologie läßt sich Ahnliches beobachten, wobei Hagedorn wie immer - die erkenntnistheoretische Fragestellung sogleich in Hinsicht auf ihre moralphilosophische Brauchbarkeit abtastet. Damit bietet er allerdings keine Fehldeutung, sondern expliziert lediglich den immer vorhande-
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aber erhalte sich das innere gegenwärtig, um es zu verbessern, zu vervollkommnen [...]" (Handorakel, S.46 ( - Nr.89)). Art. Spiegel. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 38 [1743], Sp.1586.
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nen und in der Aufklärung auch immer verwendeten moralischen und gesellschaftlichen Grund der Erkenntnis, wenn er das satirische Bildfeld des galanten Narziß mit dem philosophischen Bildfeld des Traums in der oben zitierten Passage zusammenführt („süsse[r] Traum der Eigen = Liebe"; VeG 56). Zur Vorgeschichte dieser Moralisierung gehört Thomasius' Versuch, das Innere des Menschen der Gesellschaft in einem umfassenden Sinn zu öffnen. Thomasius hatte aufgrund seines primär gesellschaftspolitischen Interesses darauf beharrt, daß der Mensch nicht nur in irgendeiner Weise in seinen Handlungen gesellig (Moralphilosophie), sondern daß auch seine Vernunft gesellig strukturiert sei (Erkenntnistheorie). Er wählt dafür das unter Melancholieverdacht stehende Bild des Selbstgesprächs160, das die Vernunft mit sich unterhalte und das Geselligkeit voraussetze:161 „Die Gedancken sind eine innerliche Rede. [...] Diese innerliche Rede prxsupponiret eine äusserliche".162 Auch Wolff beginnt in der Metaphysik mit einem Selbstgespräch, nämlich mit der Kommunikation des Ich mit sich selbst, die er „Bewußtsein" nennt. Anders als Thomasius verdeckt er jedoch die Sprachlichkeit des Bewußtseins und seine Abkunft aus einer kommunikativen Situation, um Selbstevidenz herzustellen (s. o.). Wolff gerät damit in den Verdacht der philosophischen Eitelkeit und hat allen Grund, sich von den Anhängern Malebranches kritisch zu distanzieren. Eben das sind die von Hagedorn in der Satyre genannten „neuen Egoisten", die „sich in dem Traum der Eigen = Liebe brüsten", jene von Wolff am Anfang der Metaphysik als Gegner in den Blick genommenen Skeptiker gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung.163 Selbst die „Secte der Egoisten, die vor weniger Zeit in Paris entstanden", kann - so Wolff - das Bewußtsein ihrer selbst und anderer Dinge nicht leugnen. Indem man vom sich selbst bewußten Ich ausgeht, findet das System eine Grundlage ohne den Umweg verbalgelehrter Exegese. Zugleich liegt der Kern der Welt(-Erkenntnis) im Selbstbewußtsein.164 Das Ich ist sich zugleich 160
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Vgl. dazu: Β 226. Stanitzek: Blödigkeit, S.42. Vgl. im Unterschied das Gespräch mit Freunden als Melancholietherapie: Β 258. In den Discoursen der Maklern bedeutet „Raisoniren" so viel wie „Selbstgespräch" (Zweyter Theil, S.89), und das Selbstgespräch entspricht der „Meditation": „Das Meditiren ist eine Conversation mit sich selbst / es heißt sich selber fragen / und die Begriffe seines Gemühtes hervor ruffen" (ebda., S.41). Die Voraussetzung ist allerdings ausführliche Lektüre. Der Ort der Discourse in der Geschichte der Gelehrsamkeit wird so deutlich (ebda., 7. Discours, unpag.). Hagedorn gibt seinem Bruder in einem Brief vom 19. 9. 1730 Ratschläge zur Meditation: Hagedorn empfiehlt, das „Gehirn[ ]" zu füllen und iudicium und Geschmack als Filter vorzulagern. Auf eine Stunde Lesen sollten zwei Stunden Meditation folgen (B 15). Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S.89. Vgl. dazu: Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum, S.60ff. Vgl. zu diesem Projekt: Wolff: Vernünfftige Gedanken Von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen, S.lff. Malebranches Traum-Argument soll so unschädlich gemacht werden.
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seiner selbst und anderer Dinge bewußt. U m die „Egoisten" zu widerlegen, vergesellschaftet Wolff gleichsam die Erkenntnistheorie: Ein Egoiste ist zugleich ein Idealiste, und räumet demnach der Welt keinen weitern Raum ein als in seinen Gedancken [...]. Da er nun aber sich mehrere menschliche Leiber als einen vorstellet, und von seinem begreifen kan, daß dadurch die Art seiner Vorstellungen determiniert wird, die in eine andere sich verkehren würde, wann er einen von den andern Leibern hätte [...]; so kan er nicht leugnen, daß Seelen, die sich die Welt vorstellen nach dem Zustande der übrigen Leiber, sowohl möglich sind als seine. Und also ist falsch, daß er nur allein seyn kan, und nichts anders [...].165
Die „Demonstration", also die systematische Darstellung des Weltzusammenhangs aus der Einheit von Selbst- und Weltbewußtsein, ist nichts anderes als die Entfaltung einer bereits ursprünglich in sich vervielfältigten Einheit. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche systematische Bedeutung Hagedorns wechselnde Bestimmung von Einsamkeit und Geselligkeit in dem großen //oraz-Gedicht hat. In der ersten Auflage von Horaz (Hamburg 1751) stehen die konventionellen Motive der laus ruris sowie die damit verbundene Abwehr von (falscher) Geselligkeit und die Empfehlung der Einsamkeit im Vordergrund des Gedichts und werden an einer Reihe von moralischen Charakteren exemplifiziert. Das Einsamkeitslob legitimiert sich dabei bereits aus der Topik der laus ruris. Im Unterschied zum 16. und 17. Jahrhundert dringt das Gegenbild des Landlebens im 18. Jahrhundert bis aufs Land vor: Die Geizigen und die Wollüstigen, die Emporkömmlinge und die Höflinge halten sich ebenfalls dort auf (Wl, 69ff.).166 Angesichts dieser Nachbarn ergibt sich das Lob der Einsamkeit und der Stille zwar noch immer von selbst, aber der Aufenthaltsort kann nicht mehr wie „vorlängst" per se ein gutes Leben symbolisieren:
Vgl. dazu die Vorrede der zweiten Auflage von 1721 in: ebda., unpag. In dieser Vorrede stellt Wolff ein kleines System der philosophischen Positionen vor: Die erste Unterscheidung ist die zwischen „Scepticos oder Zweifeler[n]", die lieber alles bezweifeln, bevor sie Position beziehen, und den JDogmaticos oder Lehrreiche[n]", die sich an Erklärungen versuchen. Die „Dogmáticos" teilen sich in „Monisten" und „Dualisten". Die „Monisten" wiederum bestehen aus „Idealisten" und „Materialisten" und die „Idealisten" aus „Pluralisten" und „Egoisten". Uber die „Idealisten" schreibt Wolff: „Jene geben blosse Geister oder auch solche Dinge zu, welche nicht aus Materie bestehen, und unter diejenigen gehören, die von uns einfache Dinge genennet werden, dergleichen die Leibnitzsche Einheiten sind; halten aber die Welt und die darinnen befindliche Cörper für blosse Einbildungen der einfachen Dinge und sehen sie nicht anders als einen regulirten Traum an". 165 166
Ebda., S.583. Vgl. zu dieser Entwicklung: Lohmeier: Beatus ille, S.410ff.
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Es war vorlängst der schattenreiche Wald, Der Auen Schmelz, der Weisen Aufenthalt. W o wohnt so gern die Feindinn banger Schranken, Die Einsamkeit, die Mutter der Gedanken, Wann der Verstand, weil ihn kein Amt bezirkt, Uneingesperrt und ungefesselt wirkt? [...] Hier wird man, froh, von Wahn und Zwang entbunden, Herr seiner Zeit, und König seiner Stunden. Ein Thor eilt stets auf neue Wirbel los: Ein Weiser ist, auch in der Stille, groß. (Wl, 71)
Bezeichnenderweise beruft Hagedorn sich in einer Ergänzung auf Montaigne und dessen Leitgedanken „de mesnager sa volonté" (Wl, 71, Anm.10). Im gleichnamigen Kapitel der Essais legt Montaigne Rechenschaft über sein Verhältnis zum öffentlichen Leben ab und betont dabei, er sei immer bei sich geblieben. Die Welt erscheine ihm als Komödie, in der er seine Rolle spiele, die aber mit seiner Selbstsorge nichts zu tun habe.167 Die Umwelt dient Montaigne gleichsam als Medium der Selbstempfindung. Daher muß die „Stille" auch gegebenenfalls der „Tätigkeit" weichen, da man in Bewegung sich selbst durch anderes oder durch andere wahrnimmt, auch wenn umgekehrt die Stille Voraussetzung für ungestörten Selbstbezug ist (Kap. 3.2).168 Das ganze //oraz-Gedicht erscheint aus diese Perspektive wie eine in sich vervielfältigte Selbstbespiegelung169, die ihr Negativ ausgrenzt: Hagedorn spiegelt sich in Horaz (Wl, 68), die Natur spiegelt sich in sich (Wl, 68), Horaz spiegelt sich in Büchern (Wl, 69), die Bücher in der Natur (Wl, 68f.), das Landleben spiegelt den Naturstand (Wl, 72) etc. (vgl. Kap. 6). In allen Fällen schließt sich die Selbstgenügsamkeit durch Verdoppelung auf, so daß Einsamkeit und Geselligkeit sich bis zur Ununterscheidbarkeit überlagern in den Discoursen der Mahlern war von der Freundschaft als einer „reciprocirlichen Ergetzung" die Rede.170
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Montaigne: Essais. Livre III, S.252Í. So zumindest in der zeitgenössischen Übersetzung: „Ich habe genug zu thun, wenn ich den innerlichen Lärm, den ich in meinen Eingeweiden und in meinen Adern habe, in Ordnung bringen will; ohne noch ein anderes Gedränge hinein zu bringen, und mich damit zu überladen" (Montaigne: Essais [Versuche]. Dritter und letzter Theil, S.214Í.). Im Original: „J'ay assez affaire à disposer et renger la presse domestique que j'ay dans mes entrailles et dans mes veines, sans y loger, et me fouler d'une presse estrangere [...]" (ders.: Essais. Livre III, S.244). Einige Beispiele reflexiver Stilfiguren führt Weisgerber an: Open and Closed Structures in Rococo Art and Literature. Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Erster Theil, 2. Discours, unpag.
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Bemerkenswerterweise stärkt Hagedorn durch Erweiterungen in der zweiten Auflage nicht nur die Position der vita solitaria, sondern auch die der Geselligkeit.171 Von hier aus bekommt die Darstellung des freundschaftlichen „Freudenfeste[s]"172 in enger Anlehnung an Horaz (Ep. 1, 5), die Hagedorn 1753 hinzufügt, besondere Bedeutung: Doch bist du Wirth an einem Freudenfeste, So wählst du dir erkannte, gleiche Gäste, Nur wenige, nur die sich gerne sehn. O mögte doch Biber die Kunst verstehn! Durch diese Kunst verbrüdern sich die Herzen: Kein falscher Freund verräth von unsern Scherzen Wort' oder Thon. [...] Bey dir, wo nichts die Nase runzlicht macht, Verlängert ihr, beredt, die Sommernacht: Wo Reinlichkeit den Tisch bestellt und decket, Kein Schmutz, kein Staub den Spiegelglanz verstecket, Der Tischgeschirr und Trinkgefässe schmückt, In welchen man sich, ungesucht, erblickt
[...]. (Wl, 77)
Hagedorn nennt die Kernpunkte seines Freundschaftsmodells: Die Gäste müssen „erkannt" und ausgewählt werden; sie gleichen sich - somit liegt ein kleiner Kreis nahe - und sehen sich (daher) gern; die kunstvolle Komposition der Geselligkeit führt dann zur Vereinigung der „Herzen", so daß nichts aus diesem abgeschlossenen Kreis nach außen dringt. Nicht nur für den einsamen Satiriker, auch für die Oden-Geselligkeit gilt: „Doch halt = = Ihr kennt der Eifrer Weise: / Ihr Anhang horcht und rächet sich" (Die Vorzüge der Thorheit, in einem Rund=Gesange; W3, 52). Die Beziehung zwischen Gast und Gedeck verbildlicht die Geselligkeit: Der Gastgeber organisiert die Geselligkeit so, wie er den materiellen Rahmen ordnet. Die Widerständigkeit des Materials reduziert sich auf Zeichen des Städtischen, damit aber auch des Gesellschaftlichen, auf „Schmutz" und „Staub" (vgl. auch Wl, 32), also eine Hülle, die einfach abgenommen werden kann. Hinter dieser Hülle kommt kein eigenständiger Gegenstand zum Vorschein, sondern das Bild desjenigen, der den Gegenstand betrachtet. Der Gegenstand wird zu einem bloßen Spiegel umfunktioniert, zu einem Spiegel
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Auch die gesellschaftliche Zweckbestimmung des Dichters (Wl, 81) fügt Hagedorn hinzu: „Ein Dichter lehrt das menschliche Geschlecht / Der Tugend Reiz und ihrer Thaten Recht" (vgl. Kap. 4.2); ebenso die Empfehlung an die „Großen", sich besingen oder von einem Weisen loben zu lassen (Wl, 82). Das Fest legt in der barocken Bildlichkeit Spiegelungen nahe: Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S.251ff.
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Hagedorns poetische Gesellschaft
allerdings, dem nach allen Präparationen, nach aller „Kunst", wieder das Signum des Natürlichen entlockt wird: Man erkennt sich „ungesucht", im Unterschied zur eitlen Selbstbespiegelung des Galanten (vgl. auch Kap. 7.2).173 Festlichkeiten sind im Kontext der Hamburger Offentlichkeitskultur Projektionen vollkommener Gesellschaft.174 Die von Hagedorn beschriebene Szene - wie erwähnt weitgehend von Horaz übernommen - liest sich so als Gegenbild zu den politischen Selbsterhebungen der Stadt, die gerade vom Kreis der Pdinoi-Herausgeber gefördert wurden. Das öffentliche Fest will das tatsächliche städtische Leben zum Abglanz der festlichen Illumination erheben; das Fest als Medium der Freundschaft hingegen schließt sich in sich ab. Insofern verbildlicht der Besuch auf dem Land die sich als Geselligkeit entfaltende in sich verdoppelte Einsamkeit. Der „brüderliche Schertz" ist ein „Fremdling bey den grossen Schmäusen" (PdN4, 400). Gastereyen. Die Wissenschaft, ein Gastmahl anzustellen, Wo zwanzig sich, als wie durchs Loos, gesellen, Geliebte Stadt! die war dir längst bekannt; Allein, die Kunst, drey, die von gleichen Sitten Und Herzen sind, auf Ein Gericht zu bitten, Die fremde Kunst wird Reichen nie genannt. Der einen kann es nicht an Schmeichlern fehlen; Die andre wird mit Sorgfalt Freunde wählen. O stolzes Geld, ach hättest du Verstand! (Wl, 127f).
Aber „Kunst" und „Wissenschaft" sind nicht gar so weit voneinander entfernt: In Hamburg steht Hagedorn im Zentrum geselliger Kreise.175 Man trifft sich fast täglich im „Dresserschen Kaffeehaus"176 oder jeden Freitag zum
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Heumann sagt: „Ein treuer Freund ist ein Spiegel der Wahrheit" (Der politische Philosophus, S.274). Whaley: Religiöse Toleranz und sozialer Wandel, S.194ff.; zu Beispielen von großen Festessen: ebda., S.206f., 224f. Vgl. dazu die Abteilungen mit Lob-Gedichten in der Poesie der Niedersachsen. Der Beitrag von Dieter Narr zum Thema hilft hier nicht weiter (Fest und Feier im Kulturprogramm der Aufklärung). Dazu Β 201; EschlV 13ff.; Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, S.305ff.; Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.34ff. Vgl. zur Gartenkultur, gegen die Hagedorn anschreibt: [Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. 2. Bd., S.56ff. Mylius berichtet darüber: „Auf Dressers Kaffehause kommen die besten Kaufleute und Gelehrten täglich um diese Zeit (gemeint ist die Börsenzeit von 12 bis 14 Uhr; K[opitzsch]) zusammen [...]. Unter denen, welche ich hier kennen gelernt, nenne ich erstlich den Herrn von Hagedom, welcher ein rechtschaffener Mann, ein Menschenfreund und ein lustiger Compagnon ist" (zitiert nach: Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung
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Mittagstisch. Die Ungezwungenheit läßt es dabei zwar „nicht immer im strengen Verstände sokratisch" zugehen (EschIV 15). Aber gleichwohl wollen die Regeln einer inszenierten paritätischen Geselligkeit eingehalten sein notfalls wird ein „Schwätzer" engagiert, um einen Vielredner zum Schweigen zu bringen.177 Das politische Sensorium und Beschreibungsniveau erhält sich bis weit ins 18. Jahrhundert, auch wenn es mit dem Bild konfligiert, das das Jahrhundert von sich macht. Zusammenfassung Hagedorns Werk vollzieht (auch) in der Freundschaftstheorie den Ubergang von einer hierarchisch strukturierten und in vielfältiger Weise akzentuierbaren Ordnung zu einer Ordnung der Identität und Ganzheitlichkeit. Auf der einen Seite erzeugt er auf diese Weise zwar Brüche, die aber andererseits in Reflexionsformen übergehen. Was die Tradition verschiedenen Typen von Freundschaft zugeordnet hatte, dekliniert Hagedorn an dem einen Freund durch. Dessen fragile Identität setzt sich aus der eingeschränkten, aber noch immer vorhandenen Vielfalt von Perspektiven zusammen, deren Engführung nun Widersprüche erzeugt. Der Freund entsteht im Spannungsfeld von Natürlichkeit und Selbstbearbeitung, von Realität und Fiktion. Worin genau seine Qualitäten bestehen, ist ebenso offen wie sein Status. Hagedorn muß den Freund allererst erschaffen. Er selbst ist dabei, wie im folgenden zu sehen sein wird, eine wichtige Orientierungsfigur für die Konstruktion des Freunds.
in Hamburg und Altona, S.307f.). Geßners Biograph Hottinger beschreibt die Ordnung der Geselligkeit um Hagedorn als Zubereitung einer Mahlzeit (Salomon Gessner, S.63f.). Zur positiven Rolle des gemeinsamen Kaffeetrinkens aus der Sicht des Patnoten vgl. Bd. II, S.250. Auch Wolff ist überzeugt, „daß die Ca^ee-Häuser bey der Einrichtung, die man in Engelland hat, eine den Gelehrten geziemende Ergötzlichkeit geben [...]" (Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, S.232). Für Herold gilt noch Ende des Jahrhunderts, daß die Versammlung im Dresserschen Kaffeehaus eine Form der Englandimitation ist (Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.347). Vgl. zu Hagedorns Bekanntenkreisen: ebda., S.354. Vgl. zu den englischen Kaffeehäusern: BK 433, sowie: Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S.59ff. Vgl. auch die Beschreibung von Klopstocks Aufenthalt in Hamburg (B 306f.). 177
Lessing: Aus den Kollektaneen, S.729. Vgl. zu einer Affaire um das Freundschaftsgedicht: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.36. Der „Schwätzer" ist eine der bedeutendsten Negativfiguren der politisch-galanten Konversations- und Geselligkeitslehren. Vgl. Die Kunst des Gesprächs, S.124, 127, 130, 150. Vgl. auch Martens: Geselligkeit im „Geselligen", S.178f.; vgl. überblickend: Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.349ff. Für Gottsched verstößt der Schwätzer gegen das „Gesetze der Natur im Schweigen ein Gnügen zu thun": „Ein Plauderer, oder Schwätzer, redet also unbedachtsam in den Tag hinein, ohne zu erwägen, was ihm selbst, oder andern für Nachtheil daraus erwachsen kann" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.412).
222
Hagedorns poetische Gesellschaft
Eine Möglichkeit, mit den Brüchen in der Konzeption des Freundes umzugehen, ist die Orientierung an Gegenbildern: am Stubengelehrten beispielsweise, am (Schein-)Frommen oder am Höfling. Hagedorn begegnet den konzeptionellen Problemen zudem mit einer Hermeneutik der Freundschaft, die sich nicht mehr für explizite, potentiell unaufrichtige Freundschaftsbeweise, sondern für den Geist interessiert, der hinter den Wörtern agiert und der sich in Gestalt eines individuellen Autors personifiziert (vgl. Kap. 4.2 u. 3). Der im Prozeß der Sensualisierung nur schwer erträgliche Verlust an Sinnlichkeit wird so kompensiert. „Auf den Tod des Buchstabens folgt die Auferstehung des Geistes", wie Albrecht Koschorke es formuliert. Die „Vergeistigung" ist dabei ein „Struktureffekt des Kommunikationssystems",178 und zwar (auch) der höfischen Kommunikation, die strategisches Denken, den Umgang mit Distanz und die Inszenierung von Natürlichkeit erprobt.179 Der Einsamkeit des Dichters kann auf vielfältige Art ein geselliges Moment mitgegeben werden - andernfalls könnten die Dichterfreundschaften nicht an das Modell anschließen (Kap. 4.2). Eine Vorlage bietet ζ. B. das stoische íesízs-Modell, das den Freund zum internalisierten Beobachter erklärt, dadurch aber auch seine reale Gegenwart unnötig macht. Komplizierter, aber formal ähnlich begründet sich die Bewußtseinsphilosophie aus der in sich gespaltenen Einheit. Sie bringt die Stimme des Gewissens zum Verstummen und deutet damit auf eine Konsequenz voraus, mit der sich die Poesie auseinandersetzen wird. Anders als das so konzipierte Bewußtsein hat die Poesie mit der Sprache zu tun, so daß ihr das Schweigen größere Probleme bereitet.
4.2 Freundschaft und Kritik Hagedorn betrachtet das gesellschaftliche Getriebe aus der Perspektive des „Unpartheyischen", der als Beobachter urteilt und sich als Satiriker und Weiser personifiziert. Der Satiriker ist dabei die Vorstufe zum Weisen, seine sich verschriftlichende Form, die das weise Schweigen noch als Einspruch im Gedicht selbst geltend gemacht hatte. Der Weise hingegen inszeniert sich als schweigendes Exempel und kann nur auf zweiter Stufe sich selbst als Schweigenden beschreiben.180 Die Schwierigkeit für den Schweigenden ist 178 179 180
Koschorke: Alphabétisation und Empfindsamkeit, S.608, 616. Vgl. Koschorkes Bezugnahmen auf Elias (ebda., S.607, 613). Gottsched bringt im Unterschied dazu den Weisen und den Satiriker durchs Sprechen (nicht durchs Schweigen) in Verbindung: „Der Weise soll geschickte Mittel anwenden, sich oder andere glücklich zu machen. [...] daher ist es die Pflicht derer, die eine Gabe besitzen,
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dabei, daß sich bei ihm aus einer bestimmen Perspektive Wissen und Handeln wieder trennen, denn er hatte ja zuvor an der Einheit von Handeln und Schreiben gearbeitet (nur wegen dieser Einheit war er zum Schweigen gelangt). Bodmers Votum gegen die Neutralitätserklärung Zinks ist hier einschlägig: „Wenn nur zwei Parteien sind, des Schönen und des Abgeschmackten, so kann kein Verständiger neutral bleiben" (6. 9. 1744; EschV 173). Hagedorn formuliert das in einem frühen Brief positiver: „Die Wahrheit muß nicht nur ihre Kenner, sondern auch ihre Fürsprecher haben [...]" (an Weichmann; 25. 10. 1726; Β 6; vgl. auch Β 180). Und im Freundschaftsgedicht schreibt er über den Freund: [...] sein gesetzter Muth wird unsern Namen schützen. Wer meinen Ruhm berupft, stiehlt zwar sich selbst nicht reich: Mich aber stiehlt er arm. Den Freund rührt das sogleich: Sein früher Widerspruch hemmt in den Sittenrichtern Der Zungen wilde Wut, und macht Pernellen 181 schüchtern. (Wl, 54)
Gleichwohl kann Hagedorn zum Vorbild werden, etwa für Gleim, der auf Bodmers Forderung nach einer Stellungnahme zurückhaltend reagiert und an Uz schreibt: „So ist der HE. v. Hagedorn auch gesinnt [...]", obwohl Gleim eine Satire Hagedorns auf Gottsched handschriftlich vorgelegen hat.182 Bodmer meldet Gleim entsprechend: „Hagedorn hält hinterm Berge".183 Auch gegenüber Hagedorn scheint Bodmer deutlich geworden zu sein, jedenfalls schreibt Hagedorn im Kontext der Hexameter-Diskussion: „Ich [...] melde dieses, wie so vieles, nur um von Ihnen nicht mehr beargwöhnt zu werden, daß ich, wie Sie mir schreiben, hinterhaltig sey" (an Bodmer; 17. 9. 1752; Β 345f.). Wer in den Diskussionen schweigt, kann immer auf zweierlei Positionen festgelegt werden: auf die des unbescholtenen Weisen und auf die des Gegners. Mit anderen Worten: Das Schweigen setzt die Kritiker ins Unrecht, bezeichnet deren Diskussionsunwürdigkeit, gibt ihnen aber auch die Möglichkeit an die Hand, das Schweigen als Eingeständnis eigener Fehler,
181 182
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solche Betrachtungen anzustellen, andern mündlich und schriftlich Anleitung dazu zu geben: wie in England der Zuschauer, in Deutschland aber der Patriot, die Tadlerinnen, der Biedermann, die Matrone, der alte Deutsche, der Freymäurer, u. a. m. gethan haben" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.330). „Die bekannteste Pernelle ist die Mutter des Orgon im Tartüffe" (Wl, 54, Anm.34). Uz schreibt am 17. 2. 1744: „Ich erinnere mich auch, daß Sie mir versprochen haben, verschiedene Stücke des Herrn von Hagedorn, die Sie im manuscript besitzen, unter andern auch eine Satyre auf Gottscheden, wornach ich sehr begierig bin, zu schicken" (Gleim / Uz: Briefwechsel, S.49). Brief vom 6. 3. 1746; Gleim / Uz: Briefwechsel, S.94, vgl. auch ebda., S.108.
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die nicht mehr verteidigt werden können, darzustellen.184 Immerhin gilt traditionell die Dissimulation als moralisch (noch) integer, während sich erst die Simulation als Lüge disqualifiziert.185 Hagedorns Beschreibung gesellschaftlicher Beziehungen in Der Gelehrte setzt das Politische - signifikanterweise im Medium der Kriegsmetaphorik in Szene. Zwar gibt der Gelehrte vor, sich weder für „Pracht, noch Kriegs = und Staatsgeschäfte" zu interessieren, d. h. er hält sich von „Höfen", von der „Schlacht" und vom „geheimen Rath" fern, aber auf metaphorischer Ebene widmet er sich genau diesen Handlungsbereichen: Sein oberstes Ziel ist, sich in seinem mit Kupferstichen geschmückten Buch zu betrachten („Pracht"); er führt einen „schwerefn] Federkrieg" („Kriegsgeschäfte"); und er strebt die Position eines Souveräns im „Reich der Wahrheit" an („Staatsgeschäfte") (Wl, 57ff.). Auch in der literaturpolitischen Prosa hält sich diese Metaphorik durch, etwa in der Verteidigung gegen einen Spionageverdacht Bodmers186 oder in Bodmers Rede von seinen „Spione[n] in Leipzig", die ihm Geheimnisse aus dem Lager des Feindes hinterbringen (EschV 195). Lange schreibt beispielsweise am 12. 4. 1745 an Bodmer: Es war ein glückliches Schicksal für die Feinde des guten Geschmacks, daß Ihre Zuschrift an uns von 1740. aufgefangen worden; denn wenn sie uns richtig zugekommen wäre, so hätten ohne Zweifel unsere vereinigten Arbeiten in den critischen Sammlungen einen noch weit grausamem Riß in den Heerzeugen des Midas und der Dummheit gemacht, als ohne das geschehen ist.187
Allseitige Bedrohung, Bündnisschlüsse, Verteidigungspakte und Angriffsstrategien - diese Themen verhandeln die Briefe Hagedorns immer wieder, denn auch für ihn gilt: „Die poetische Welt liegt in dem Umfange der grössern politischen" (an Bodmer, 13. 4. 1748; Β 232). So muß ihm auch Rabener in einem Brief vom 17. 4. 1752 bestätigen, zwei Besucher aus der Schweiz seien keine „Kundschafter, welche das Land durchziehen, und die Sekten des Witzes ausspähen".188 Bereits im Versuch einiger Gedichte war Hagedorn davon ausgegangen, daß in der gegenwärtigen Zeit kein Fehler unentdeckt bleiben
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187 188
Vgl. zu den diversen Möglichkeiten: Wolff: Erinnerung, wie er es künftig mit den Einwürfen halten will. Müller: Ironie, S.196. Β 171, auch: 220, 367. In einer von Eschenburg gekürzten Stelle (EschV, 179) schreibt Bodmer von einem von „feindlichen Händen" abgefangenen Schreiben (HN 29). Lange: Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe, S. 113. Rabener: Briefe, S.213.
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könne (VeG 6)189; seine beständige Furcht vor dem „Leser" (z. B. W l , X) versetzt den Poeten in eine virtuelle vita aulica. Unparteiische Perspektiven Das Schreiben des (falschen) Gelehrten hat sich selbst zum Gegenstand. Es bezieht sich nur beim Vernichten des Gegners oder beim Lob des Gönners auf etwas außerhalb seiner selbst. Die Schriften der Vorgänger assimiliert der Gelehrte seinem persönlichen Ruhm. So wie ein Bach, der trag und dürftig quillt, Durch Kies und Schlamm trüb und verächtlich fliesset, Sich krümmt und schleicht, von fremden Wassern schwillt, Dann rauscht und glänzt, sich stolz ins Land ergiesset, Dort Bächen folgt, hier Bäche selbst regiert, Und endlich gar des Stromes Namen führt. {Der Gelehrte-, W l , 58) 190
Hagedorn summiert hier wie in der Anmerkungstheorie die negativen Aspekte der Selbstinspiration - der eigensinnige Gelehrte „trifft in Sich mehr, als neun Musen, an, / Er wird in Sich mehr, als den Phöbus, finden" (Wl, 58). Entscheidend ist die Perspektive, die Hagedorn die Flußmetaphorik wählen läßt. Hagedorn überblickt die gelehrte Szenerie sowohl synchron als auch diachron von der überschauenden Warte aus. Er versetzt sich an die Quelle und sieht damit immer im einzelnen Bildausschnitt den Zusammenhang mit dem Ganzen der Bildungsgeschichte. Das ist die Position des aufklärerischen Beobachters schlechthin, wie sie beispielsweise Bodmers geträumter Ausflug mit Opitz ins Land der „ F R E U D E " exemplifiziert, in das die beiden Autoren von einem Berg aus blicken. Opitz hatte erfolgreich für sich die Leistung reklamiert, die deutsche Literatursprache aus dem Geist des Klassizismus auf das Niveau der Bildungssprachen gebracht zu haben. N u n legt er dem von der Uberschau verwirrten Rubeen den Zusammenhang der Flüsse dar und zeigt ihm, „daß alle diese Canale und Bäche sich endlich wi189
Gottsched erklärt im Versuch einer critischen Dichtkunst: „Ein einzig Wort kann ihn (den Poeten, S. M.) also in Hochachtung oder in Verachtung setzen [...]" (Erster allgemeiner Theil, S.155). Bereits Boileau unterscheidet zwischen dem Vorlesen und dem Druck durch den Unterschied an Kritisierbarkeit (L'Art poétique, S.68f.; vgl. auch Geliert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.139).
190
Vgl. Horaz, Sat.I, 4, 11; vgl. zur von Eusthasius' Homer-Kommentar abgeleiteten (Most: Ansichten über einen Hund, S.156) Metapher z. B. Pope über Homer: „Die wunderbare Abwechslung seiner Kenntnisse läßt sich mit dem Ocean vergleichen, der in seinem weiten Umfang nicht nur eine gewisse Anzahl von Flüssen, sondern alle Ströme, und alle Gewässer der Welt in seinen Schoos aufnimmt" (Von Homers Leben, S.323; vgl. auch Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.383.
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der in einen Strohm versammlen / und in einem Arme in dise See sencken j-
j « 191
Die gleiche Position nimmt Hagedorn ein, als er Bodmer in dem Vorhaben bestärkt, über den Gelehrtenbetrieb einen komischen Roman 192 in Art von Fieldings The History of the adventures of Joseph Andrews zu schreiben (26. 12. 1744; Β 136). Hagedorn selbst habe sich daran „fast" versuchen wollen, sei aber dadurch abgeschreckt worden, daß die academischen Gebräuche, welche einen grossen Stoff zur Belachenswürdigkeit gewisser Schulgelehrten ausmachen, mir lange nicht so bekannt sind, als zu einem solchen Werke, das, vor andern, academischen Lesern gefallen soll, wohl erfoderlich ist, und, hiernächst, daß mir mehr die Bücher, als die Personen und Umstände des itztschreibenden Deutschland kund geworden, und jedoch aus einem guten Vorrathe solcher Nachrichten und anecdotes des Saltz und die Würze entliehen werden muß, die Schriften dieser Art [...] gegen Fäulniß verwahren. [...] Aber, wie viele Personen beyderley Geschlechts müste man nicht gantz genau kennen, um ihre geheime Geschichte zum Spiel des satirischen Witzes zu machen. (B 136)
Ganz abgesehen davon, daß Hagedorn sich immer wieder mit Beschreibungen von Gelehrten versorgen läßt und selbst die Funktion einer Verteilerstelle von Nachrichten aus dem Gelehrtenleben übernimmt (u. a. für Bodmer), sind hier drei Momente bedeutend: Hagedorn zielt auf die „geheime Geschichte", er fordert Bodmer dazu auf, mit der moralischen Legitimation des Satirikers (Trennung von besonderer Person und Laster) zu brechen, und er verwendet genau diese Trennung für sich als Grund, den Roman nicht schreiben zu können. Die Argumentationsfigur ist derjenigen vergleichbar, die der Satiriker bei der Selbstzensur verwendet: Es geht darum, sich die Fähigkeit zur Satire zuzuerkennen und sich gleichzeitig die moralische Dignität zu erhalten. Daß Hagedorn dafür den „comischen Roman" wählt, ist kein Zufall, denn während dessen Autor ironische Distanz hält, stellt der Autor der Clarissa oder Pamela seine autorschaftlichen Qualitäten durch die Affizierung des Zuschauers unter Beweis, die umgekehrt wieder auf ihn zurückdeutet (B 28lf.). Gleichwohl bleibt auch die Unabhängigkeit des satirischen Autors immer bezugsfähig.193
191
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Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil. Zürch 1722, 1. Discours, S.3. Auch Rabener scheint er zu einem satirischen Roman angestiftet zu haben: Rabener: Briefe, S.217 (22. 3. 1752), 222f. (25. 5. 1753). Typisch für die Ausweichbewegungen Hagedorns ist ζ Β. seine Antwort an Bodmer mit der Beurteilung eines Anonymus, der offensichtlich „den Wahrheiten, die aus Zürich kommen, so wie vielen andern Wahrheiten, feind sey" (20. 4.1743; Β 85). Diese Einsicht gilt es nun wieder von der eigenen Person zu entfernen, da andernfalls der Anspruch von Seiten der literaturpolitischen Freunde gestellt werden könnte, eine Verteidigungsschrift zu verfassen: Er kenne jemanden, fährt Hagedorn fort, der die Narrheit des Anonymus beweisen könn-
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In einem Brief an Giseke analysiert Hagedorn Bodmers Kontroverse mit Klopstock und nimmt das Geschehen von der Autorperspektive aus ins Visier: Was den Vorfall in Ziirch anbetrift, so ist er, wie ich schon gesagt habe, dem Laufe der Welt gantz gemäß. Die gröste Liebe, die nicht die größte Gegenliebe wirket und erhält, verändert sich in den grösten Haß und in die bittersten Empfindungen, die mit den ersten Neigungen im äussersten Widerspruche stehen. Sehe ich also den bewusten Mann (Bodmer, S. M.) als einen Menschen an, wie ich denn nimmer geglaubt habe, daß die Affecten ihn verlassen, so finde ich was er gethan hat, möglich und natürlich, ob ich gleich gestehen muß, daß ich ihm feine Klugheit zugetraut hätte, sich, als er den H Klopstock für einen abtrünnigen Freund hielte, zu verstellen, und, aus einer gewissen Achtung für den einmahl angenommenen Character, solchen ferner zu behaupten und aus Grosmuth des Verstandes nichts von den unphilosophischen Gemüths-Bewegungen zum Ausbruch kommen zu lassen. (12. 4. 1751; Β 308)
Hagedorn läßt die stoische, polar organisierte Affektmaschinerie vor sich ablaufen194 (im Anschluß wird er Giseke auf Conrad Arnold Schmids Erklärung der Gemühtsbewegungen nach den Sätzen der stoischen Weisen (1751) ansprechen; Β 308) und bearbeitet sein Material, bis es den poetologischen Imperativen des „Möglichen" und „Natürlichen" entspricht. Die empirisch vorgehende, gleichwohl gezielt interpretierende Obduktion entdeckt Widersprüche in Handlungsweisen Bodmers. Auch an den Kritiker werden poetologische Kriterien angelegt, nämlich das Kriterium des selbstidentischen, final und kausal organisierten Charakters (die Affektkontrolle hat auch den pragmatischen Zweck, das Einvernehmen der Bundesgenossen in Zukunft zu ermöglichen). Da diese Episode mit den literaturpolitischen Beziehungen vernetzt ist, zeigt sie eine Schwachstelle, die die ganze Position der Schweizer Front gefährdet. Die Geschehnisse lassen zwar zweierlei Interpretationen zu: Entweder hat Bodmer recht oder Klopstock. Letztlich aber stehen beide auf einer Seite, sie stabilisieren sich wechselseitig, wenn das Lob einer allererst im Lob als begrifflich und regulativ kaum mehr faßbar inszenierten Dichtung auf der Affinität zwischen Autor und Leser beruht (vgl. Kap. 5.2). Daher fordert Hagedorn auch von Bodmer Nachrichten über Klopstocks „poetischen Lebens-Lauf" an (10. 10. 1751; Β 321) und schreibt am am 10. 9. 1748 an Bodmer: „Das Gemüth desselben (Klopstocks, S. M.) ist so groß, daß man selbst te. Sich selbst hält Hagedorn aus dem Spiel: „Es ging mir nahe daß ich ihn nicht widerlegen konnte". Aber auch dieses Zugeständnis ist gefährlich, daher fügt Hagedorn hinzu: „Ich will, [...] was ich schreibe nur Ihnen und Ihren besten Freunden geschrieben haben [...]" (B 194
8 5 )
·
Vgl. zum Uberblick über die stoische Affektenlehre, die sich an den entgegengesetzten Koordinaten von „Gut" und „Übel" sowie von „Gegenwart" und „Zukunft" orientiert: Bormann: Zur stoischen Affektenlehre, S.96ff.
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ein mehr als gewöhnlich großes Gemüth haben muß, seine Größe zu erkennen" (EschV 208). Die narrative Logik der Vereinheitlichung würde zudem auch alle vorangegangenen Einschätzungen sowie die bestehenden literaturpolitischen Verbindungen unter Verdacht stellen.195 Es gilt also, die Ganzheit der einmal begonnenen Erzählung zu erhalten. Hagedorn schlägt zwei Strategien vor: Entweder solle die ganze Angelegenheit „platterdings geläugnet" oder - wenn es sich um einen informierten Beobachter handelt - als ein „Spiegelfechten" ausgegeben werden, unter dessen „Vorwande sie (Bodmer und Klopstock, S. M.) am glücklichsten die geheimsten Gesinnungen anderer erfahren würden" (B 308). Auch hier wird deutlich, welch inszenatorischer Aufwand zur Herstellung und Wahrung narrativer Einheitlichkeit notwendig und wie fein noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Linie ist, die die aufklärerische Sozialanthropologie der Natürlichkeit von der Einsicht politischer Moralistik in die Künstlichkeit der Natur trennt. Der „Lauf der Welt" verträgt sich offensichtlich nicht so recht mit den Vorgaben.196 Zuvor hatte Hagedorn von einer Unterredung mit Klopstock geschrieben, „in welcher er (Klopstock, S. M.) mir viele unerwartete Nachrichten von Zürch ρ gab, die ich mehr dem Laufe der Welt, als meinen bisher gehabten Begriffen gemäß befand" (B 307). Im übrigen scheint Klopstock Hagedorn nicht ganz vertraut zu haben: In einem Brief gibt er zu bedenken, wie weit Hagedorn eingeweiht werden könne. Auf der anderen Seite hofft Klopstock, Bodmer möge sich gegenüber Hagedorn „auf neuen Seiten" zeigen,197 was allerdings lustspielartigen Charakter bekommt, wenn man bedenkt, daß Bodmer dieselben Zweifel gehabt hat. Neben Giseke hat im übrigen J. G. Sulzer Hagedorn genauer unterrichtet.198
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196
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Vgl. ζ. B. Hagedorns Urteil für das strategisch ungeschickte Verhalten Caroline Neubers nach ihrem Bruch mit Gottsched (an Bodmer; 13. 4. 1744; Β 118). Vgl. dazu ζ. B. die hermeneutische Maxime Thomasius': „Betrachte das vorhergehende und nachfolgende / oder was ein Autor anderswo geschrieben mit Fleiß / so wirstu seine Meinung desto besser verstehen" (Ausübung der Vernunftlehre, S.184). Bodmer gegenüber verwendet Hagedorn ebenfalls die Metapher vom „Lauf der Welt", nur daß er sich diesmal - in der Beurteilung von Klopstocks Aufenthalt in Dänemark - kritisch gegenüber dem Messias-Dichter äußert (24. 9. 1754; Β 402). Vgl. auch die Metapher in den Briefen vom 17. 11. 1741 (B 73), 25. 7. 1748 (B 241), 12./13. 4. 1751 (B 307), 25. 9. 1753 (B 384) sowie die gleichnamige Ode (W3, 31ff.; vgl. auch W3, 55 sowie W l , 86, 103; W2, 32, 59). Gottsched bestimmt den „Lauf der Natur": „Es kömmt also die Ordnung einer Welt auf die oberwähnten Gesetze der Bewegung, und auf andere solche Regeln an, die man in derselben wahrnimmt. Alle nach ihrer Vorschrift erfolgende Begebenheiten aber, nennet man den Lauf der Natur" (Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Teil, S.296). Vgl. dazu VeG 51. Klopstock: Briefe 1751 - 1752, S.3f. Ebda., S.243.
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Wie gezeigt wurde, hinterläßt der Widerspruch zwischen der Einschätzung des Weltlaufs und der poetischen Arbeit am Begriff schon in den Brüchen und Sprüngen der skizzierten Gesellschaftsbeziehungen seine Spuren (Kap. 4.1). Diese Spur läßt sich als Zeichen einer noch unausgemachten Spannung zwischen historischen Diskursformationen lesen, etwa zwischen politischer und aufklärerischer Gesellschaftsbeschreibung oder zwischen den systematischen Ungereimtheiten der Theodizee-Konstruktionen. Hagedorn trägt diese Spannung in seiner Werk- und Autorbiographie aus, versucht sie aber im Sinne des aufklärerischen Paradigmas aufzuheben (etwa im Lebensmodell der Verbesserung), so ζ. B. in dem Brief an Giseke, in dem Hagedorn seinen „Lebenslauf" skizziert und zugleich eine Erklärung für die Poesie der Freude bietet: Ich habe viel Freude nöthig. Ich kan die Ursachen meiner Unzufriedenheit so wenig zählen, als sagen. Mit Herrechnung der Ursachen meines seltenen Vergnügens würde ich desto leichter fertig werden. [...] Weder mein Temperament, noch meine Art zu dencken machen mich mit der Schickung zänkisch: obwohl ich beweisen könnte, wie sehr die Begebenheiten meiner Jahre eine Reihe nicht ungereimter, aber unerfüllter Hofnungen gewesen sind. Aber, das Alter (vom Podagra und dessen Folgen nichts zu erwehnen,Q] und die Ehe machen auch einen vergnügsamen habsüchtig, folglich ärmer. Bestraft ihn der Himmel mit dem, was man Geschmack heißt; so erhält er eine neue Art Empfindungen, einen neuen Sinn, den tausend so wenig kennen und errathen, als sie ihn besitzen [...]. (B 309; vgl. auch Β 258)
Hagedorn fährt mit den Erörterungen zum Geschmack fort - er antwortet damit implizit auf Gisekes Schreiben an den Herrn von Hagedorn, Über den Einfluß des Geschmacks in das menschliche Leben (1747) und konterkariert eine optimistische Einschätzung, die den Geschmack als gesellschaftsstiftendes Vermögen begreift. Nicht umsonst stimmt Hagedorn Hallers Abhandlung über die Nachtheiligkeit des Geistes zu (B 377), in der die Nachteile des Geistes angesichts der Qualen des Sensibilisierten in einer schlechten Welt die Vorteile überholen: „Ein großer Geist [...] siht den ganzen Zusammenhang verdrießlicher Möglichkeiten als Mitwesend ihrer Quelle an und dähnet seinen schmertzenden Vorwurff in tausend Umstände aus".199 Drei Momente sind im Giseke-Brief bedeutsam: Die Inszenierung einer kausal geordneten Wahrnehmungsweise, der Versuch, Schicksalsverfallenheit und narratives Prinzip zu harmonisieren, sowie die Rolle des Geschmacks. Die „Ursachen" der „Unzufriedenheit" sind zahllos. Hagedorn kann sie zwar narrativ nicht erfassen, aber er weiß um sie, man kann ergänzen: aufgrund seines Geschmacksvermögens, das ja gerade nur undeutlich erkennbare Phänomene beurteilt. Hagedorn steht daher nicht mehr einem Schicksal gegenüber, das sich aus der Sicht des Menschen mit dem Zufall 1,9
Haller: Gedichte, S.377. Vgl. in diesem Sinn auch Rath (Wl, 103).
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verbündet. Das solchermaßen narrativ zwar nicht bewältigte, aber doch konzeptionell unter Kontrolle gebrachte Schicksal steht unter Anklage, da es keine Residuen der Hoffnungen mehr bietet. „Temperament" und die „Art zu dencken" versichern Hagedorn gegen diese häretische Möglichkeit. Und doch: Sein Leben stellt sich im Rückblick als eine „Reihe nicht ungereimter, aber unerfüllter Hofnungen" dar, und „Alter" und „Ehe" steigern die Verdrießlichkeit des Briefschreibers weiter - am Ende des Briefes wird Hagedorn im übrigen ein „Compliment" seiner erkrankten Frau ausrichten, „die ich nie ohne Mitleid erblicke" (B 311). Wie aber könnten „Hofnungen" „ungereimt" sein? Hier treffen zwei nur schwer vereinbare semantische Formationen aufeinander: Die Hoffnung gehört einer Weltbeschreibung an, die aus der Binnenperspektive des Handelnden mit den vielfältigen Unwägbarkeiten der Fortuna zu rechnen hatte.200 Sie verläßt sich hier jedoch nicht im Sinne einer interpretatio Christiana auf die Sicherheit der Providenz, denn dieses Vertrauen kennt kein Scheitern im eigentlichen Sinn, sondern nur Zeichen der göttlichen Fürsorge oder Strafe, so daß die Ablenkung von den selbstgesetzten Lebenszielen auf die Providenz verweist.201 Das Kriterium der „Gereimtheit" („Ursachen") hingegen gehört einem Denksystem an, das die Fortuna aus dem Weltlauf verdrängt, indem es diesen als geordnetes und einsehbares Ganzes konstruiert.202 Beide Ansätze zur Bewältigung von Wirklichkeit haben einen Berührungspunkt. Sie treffen sich in der politischen Gesellschaftskonzeption, die sich aus dem Vertrauen auf die Durchschaubarkeit der gesellschaftlichen Spiele und der beständigen Vorsicht auf das Scheitern dieser Durchschaubarkeit zusammensetzt. Daher weist Giseke in seiner poetischen Abhandlung Von den Beschwerden über die Einrichtung der Welt nicht nur die „philosophischen
200
„Hofft meine Sehnsucht nicht vergebens, / Du Trost und Kleinod meines Lebens; / So trennt den Bund der Zärtlichkeit / Kein steigend Glück, kein stürzend Neid" (Liebe und Gegenliebe; W2, 86). Vgl. zur Problematisierung des Zufalls im 18. Jahrhundert duch das Umschalten von Providenz auf Begründung sowie zur historiographischen Funktion des Zufalls: Koselleck: Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung.
201
Sak: Betrachtung der göttlichen Vorsehung über die Menschen, S.45ff. Allerdings muß dafür „am Ende" etwas Gutes herauskommen. Werner Frick setzt keine Differenz zwischen Fortuna und Providentia an, sondern läßt immer schon die Providentia als herrschende Macht wirksam sein (Providenz und Kontingenz. Teil 1, S.96ff.). Der Held unterwirft sich dabei zunächst der Providentia gegen den „Augenschein[ ]" der Fortuna, der Augenschein aber bleibt erste Evidenz (ebda., S.47), auch wenn in der ex post eingesehenen Wirklichkeit die Providentia in keiner Weise durch die Fortuna eingeschränkt sein sollte (ebda., S.98). Bei Hagedorn streiten von hier aus gesehen Wissen und Augenschein oder Teilnehmer und Beobachterperspektive miteinander. Hagedorn arbeitet sowohl mit dem von Boëthius inaugurierten rota-fortunae-Bììd (VeG 52; W l , 14) wie auch mit der alten Frau-Welt-Vorstellung, die dem Betrachter den Rücken zuwendet (VeG 41; W l , 12).
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Projectmacher" zurecht, sondern auch die „politischen Projectmacher[ ]", die die weltliche Regierung kritisieren.203 Der Geschmack hat hier - wie von Giseke entworfen und im 17. Jahrhundert als Standardsemantik etabliert - die Funktion eines nicht nur poetischen, sondern auch gesellschaftlichen Sensoriums, dessen Empfindlichkeit fürs Mißlungene durch die Erzählung zumindest narrative Kohärenz erhalten soll. Eine Erzähleinheit stellt sich leichter ein, wenn man sich aus der lediglich irritierenden Gesellschaft zurückzieht und in ungestörter Selbstbezogenheit sein Leben ordnet. Hagedorn gelingt es, die eine Seite der aufklärerischen Erzähltheorie zu aktualisieren: die Kausalität. Ihr sekundiert aber in der besten aller möglichen Welten zunächst immer auch die Finalität diese jedoch muß Hagedorn sich erst noch in der Verkehrung der Prosa der Wirklichkeit zur Poesie der Freude erschaffen: „Ich habe viel Freude nöthig" (B 309; vgl. auch Β 342, 345). Hagedorn aktualisiert in diesem Brief ein melancholietherapeutisches Schema: Unter die legitimen Formen der Melancholie fällt eine kurzzeitige, durch einen wirklichen Mißstand ausgelöste Trauer. Uber die moralische Wertigkeit der Melancholie entscheiden daher die Nachweisbarkeit eines äußerlichen, möglichst tugendaffinen Anlasses sowie die Versuche, die Trauer zeitlich zu begrenzen. Anrüchig ist die grundlose, zu lange Trauer. Seine Tugendhaftigkeit stellt man daher durch Selbstverbesserung, durch Melancholietherapie, unter Beweis.204 Die Probe aufs Exempel macht Hagedorn - so zumindest die Brieffiktion - noch während des Schreibens, denn das briefliche Gespräch mit Giseke nutzt er dazu, sich von einem überraschenden Besucher (vgl. auch Β 162), der an seinem Kamin sitzt und ihm „vorschwatzt", abzuwenden. Zuvor hatte er nicht anzumerken vergessen, daß sein „Philosophiren [...] etwas dunkel sey und ich besser gedacht, als mich ausgedrückt habe [...]" (B 310). Hagedorns Sache ist nicht der Begriff, sondern das Exempel, und als solches präsentiert er sich auch hier. Der Akzent liegt nicht so sehr auf dem, was Hagedorn sagt, sondern darauf, wie er es sagt oder eben nicht sagt oder vorgibt, es nicht sagen zu können, weil seine Gedanken nicht in Schrift übergehen wollen, sich gegen die Veröffentlichung sträuben und beim Autor bleiben, der nur sagen kann, daß er gedacht hat, aber nicht genau, was er gedacht hat. Dem Briefleser wird insofern ein ausgeprägtes Geschmacksvermögen abverlangt, da er sich divinatorisch den Gedanken nähern oder doch zumindest die Schrift vergessen, sich jedenfalls in seinem Vertrauen auf den Autor vom Brief nicht stören lassen soll.
203
204
Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 3. Bd., Leipzig / Bremen 1746, 3. St., S.209. Müller: Rhetorik und bürgerliche Identität, S.118ÍÍ.
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Auch in der am folgenden Tag geschriebenen Fortsetzung des Briefs kommt Hagedorn geradezu obsessiv wieder auf das Thema zu sprechen: [...] wollte der Himmel, daß ein reicher und milder Fürst mir nur halb so gewogen wäre, als Sie! Wie viele Bürden würden mir leichter werden! Wenn ich Ihre vorteilhaften Jahre, oder noch weniger hätte; ich würde gewiß viele Neigungen, in Ansehung des Geschmacks, aufopfern und für mein Glück eigennütziger seyn, als ich jemahls gewesen bin, da ich für die anmuthigste Kenntniß, die nur den Verstand bereichert und nur das Herz veredelt, zärtlicher gewesen, als so viele deren curae coelestium inanes sie emporgebracht haben. Itzo aber ists für mich zu spät und ich muß in meinen Einschränkungen bleiben. (B 311)
Offensichtlich führt Hagedorn an dieser Stelle seine poetischen Standardmotive ad absurdum, angefangen vom Streben nach Fürstengunst (vgl. Kap. 1.3) über das Verlangen nach Geld bis hin zur Abstandnahme von Selbstverbesserung. Und nicht nur die von Hagedorn hier bezogene Position bringt Probleme mit sich, sondern auch der Zusammenhang, aus dem heraus Hagedorn seine resignative Sicht der Welt als Hof vorstellt. Immerhin waren Bodmers und Klopstocks Zwistigkeiten das Zentralthema des Briefs. Hagedorn muß daher einige Vorsichtsmaßnahmen treffen: „Ich bitte dieses Pinseln ja für keine Philosophie, sondern für nichts als Grillen anzusehen, welche die erste Lesung eines guten Buchs wird zerstreuen, aber nicht verhindern können, in meine Soliloquia (wohin ich auch fast das rechne was ich Ihnen, aber NB. auch nur Ihnen, itzo vertraulich beichte) sich wieder einzuschleichen" (B 311). Man kommt kaum umhin, die Vorstellung von der Wiederkehr des Verdrängten zu verwenden, nicht aber als Teil einer Biographik, sondern als Bild für die Bewegung von Abwehr, Wiederkehr, Metamorphose und Widerständigkeit semantischer Formationen, der Hagedorn sich hier ausgesetzt sieht und als deren Spielfeld er seinen Lebenslauf wahrnimmt. Die zum Selbstgespräch gesteigerte Intimität des Zwiegesprächs versucht - wie das Schweigegebot - der Schrift und deren vom Autor unkontrollierbaren Publikations- und Lektüremöglichkeiten jene nur vage Zeugenschaft des mündlichen Gesprächs zu geben, in dem die gesprochenen Worte nur einmal autorisiert formuliert werden und sich danach in einer sekundären, immer anzweifelbaren Weise dem Gedächtnis, nicht der Positivität der Schrift einprägen205 (die dann ihrerseits ausdeutbar werden wird). Zudem 205
Heumann rät: „Entdecke deinem Freunde deine Heimlichkeiten mündlich, und nicht schrifftlich. Denn wie leicht kan auch ohne deines Freundes Schuld die Schrifft in fremde Hände gerathen, und dich in grosses Unglück bringen? Träget sichs aber vollends zu, daß dein Freund mir dir zerfället, so ists am Tage, daß er mit Vorzeigung deiner Handschrifft dir deine Treuhertzigkeit gewaltig versaltzen kan" (Der politische Philosophus, S.311). Vgl. ebenso Geliert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.139. Vgl. dazu ζ. Β. Β 26,256, 350.
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erhebt die Intimisierung die brieflichen Bemerkungen in den Rang von confessiones. In den Briefen an seinen Bruder gewinnt diese Seite des Hagedornschen Werks Kontur, die in der Poesie immer nur am Rand und in Abschweifungen, in Widersprüchen und Diskontinuitäten greifbar wird. Die Briefe sind, wie Hagedorn das an verschiedenen Stellen behauptet, die Fortsetzung des Werks mit anderen Mitteln (vgl. Kap. 4.3). Biographien Die Stelle in seiner Biographie, von der aus Hagedorn seine mißlungene Lebensgeschichte schreibt und die den Anfang einer Entwicklung bildet, die nur noch das resignative „zu spät" erlaubt, ist die undurchsichtige Konstellation nach seiner Rückkehr aus England (vgl. 1.3). Ruhige Lebens=Art bzw. Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund (vgl. Kap. 4.1), einem Gedicht das Hagedorns anfangs der 30er Jahre verfaßt hat, läßt sich die bewußte Inszenierung eines Neuanfangs ablesen. Mit einer Ausschließlichkeit, die Hagedorn in der späteren Version als Rückblick einschränkt,206 behauptet dort das Ich: „Mich reizt kein Segens=Stand, als wo bey hellen Bächen, / Und zwischen Wald und Thal sich Lust und Unschuld herzt / [...] Da leb ich unumschränkt von Zeugen und von Sorgen [...]" (PdN6, 386). Die Topoi der laus ruris etablieren sich in der Wendung gegen die Stadt und gegen den Hof und werden von Hagedorn zu dem Zeitpunkt adaptiert und transformiert, als er seine neue Biographie durch die Anstellung am English Court in Hamburg entwirft und schreibt. Zuvor aber hatte er seine Lektion in Sachen höfisches Leben zu nehmen. Hagedorn kann die Geschehnisse während seiner Englandreise und nach seiner Rückkehr nach Hamburg, also den vergeblichen Versuch, eine Stellung bei Hof zu finden, nicht anders als in den Strukturen des höfischen Lebens wahrnehmen. Von hier aus nun schreibt er eine neue, nicht von einer harmonischen aufgeklärten Geselligkeit ausgehende, sondern politisch gesicherte und strategisch geplante Biographie für seinen Bruder,207 die von einer grundlegenden Einsicht ausgeht: „Deine (C. L. von Hagedorns, S. M.) application aufs J[us] P[ublikum] ist unvergleichlich. Verachte aber ja nicht gantz u. gar die A[uream] Praxin wie ich zu itzigen meinem merklichen Schaden gethan" (20. 8. 1732; Β 35).208 Den Hintergrund bildet Hagedorns Einsicht in die Bedeutung eines stabilen Beziehungsgeflechts für einen aus206
„Die Gegend reizt mich noch, wo bey den hellen Bächen / Und in dem grünen Hayn sich Ruh und Freyheit herzt. / [...] Dort lebt ich unerreicht von Vorwitz und von Sorgen [...]"
207
Vgl. auch den Brief vom 6. 3. 1732: Hagedorn formuliert dort die „Prophezeyung" für das Leben seines Bruders, dieser solle „nicht nur gelehrter, sondern auch glücklicher in der Welt" sein als Hagedorn selbst (B 25; vgl. auch Kap.5.1). Auflösung der Abkürzungen nach EschV, 29.
( W l , 28).
208
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reichenden Rückhalt bei Hof. Es bedarf ,,besondere[r] obligation und Schuldigkeit" (an C. L. v. Hagedorn; 6. 3. 1732; Β 26). Christian Ludwig findet seinen Bruder - wie dieser es in bezug auf Bodmer formuliert hatte - einigermaßen „unphilosophisch". Friedrich von Hagedorn schreibt über sich: „Indeßen bedencke ich oft, daß wir so wohl und fast mehr zum Verdruß, als zur Freude gebohren zu seyn scheinen, und man vorlieb nehmen muß, biß uns der Tod schlachtet" (B 27). Auch diese Einstellung geht in die Ruhige Lebens=Art ein („Soll ich dann von der Noth, die Leben heisst, genesen, / So stelle sich der Arzt, doch ohne Schrecken, ein"; PdN6, 387) und wird in der späteren Fassung korrigiert („Darf ich mir noch ein Glück zum letzten Ziel erlesen; / So stell' im Scheiden sich bey mir kein Schrecken ein"; W l , 29) (vgl. Kap. 4.1). Vor diesem Hintergrund entwirft Hagedorn in einem langen Brief vom 20. 8. 1732 den Plan, Christian Ludwig einen Wechsel des Studienorts von Altdorf nach Straßburg zu ermöglichen, und formuliert zugleich eine kleine Einführung in politisches Denken. Im wesentlichen geht es darum, Christian Ludwig von der Legitimität strategischen und dissimulierenden Verhaltens zu überzeugen. Daß Hagedorn damit gegen einen zumindest oberflächlichen Konsens etwa unter den Hamburger Aufklärern verstößt, zeigen die vielen rhetorischen Volten, die das Unbehagen des jüngeren Bruders zu antizipieren und zu widerlegen versuchen.209 Hagedorn leitet seinen Plan mit den Worten ein: „Du weißt zuförderst, wie ein jedes Mittel, auf eine erlaubte, ordentliche und außerordentliche Weise sich zu helfen, zur Pflicht wird, daher auch ein ungemeiner Weg, seine Glückseligkeit zu erreichen, in Ermangelung der viae regiae, gleichfalls zu betreten und zu versuchen ist [...]" (B 31). Gerade diese Behauptung einer gleichsam naturrechtlich legitimierten Privatpolitik aber desavouiert der rhetorische Schein als petitio principii der fortlaufenden Argumentation, auch wenn Hagedorn Exempel („Cicero, ein homme d'honneur"; Β 32) zur Legitimation der offensichtlich problematischen Prämissen anführen kann. Der Entwurf „gescheudter wolüberlegter Entdeckung" steht dabei im Zentrum des Aufbaus einer geordneten Versuchsanordnung, die die Unwägbarkeiten der Praxis ausschalten soll. Die Inszenierung folgt auch hier poetologischen Vorgaben, wenn es darum geht, Herel, der die zwei Prämissen der Zielperson erfüllt („1. dich lieb hat und 2. reich ist"; Β 32), mit der „Anführung wo nicht wahrer, doch wahrscheinlicher Umstände" (B 32) zu einer Spende oder einem Darlehen zu bewegen.
209
Vgl. zur ungemütlichen Situation des politischen Aufklärers auch den Versuch von Heumann, die gleichsam tugendhafte Handlungsklugheit von einer machiavellistischen zu trennen (Der politische Philosophus, S.2ff).
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Hagedorn rät seinem Bruder, die Persönlichkeit als Sicherheit für einen „Credit" einzubringen (B 31). Die Gründe, die Christian Ludwig vorzutragen hat, um seine Geldnot zu motivieren und sie in den zwar durchschaubaren, vom einzelnen aber nicht kontrollierbaren Zusammenhang der Geschehnisse einzuordnen, müssen dann auch der Charakterstimmigkeit wegen den decorum-Geboten einer aufrichtigen Situation entsprechend dargelegt werden: Wie du nun dieses bey einer Gelegenheit, da Wein und Vertraulichkeit frey machet und die mollissima fandi tempora sich einstellen, dir gleichsam entfallen und den H. Dr. (d. i. Herel, S. M.) um Raht in so pointilleusen Umständen befragen konntest, so kannstu ihm auf eine ferme und höfliche Art entdecken, wie dir nur ein Freund fehle, der durch baaren geheimen Vorschuß [...] dir vorschöße [...]. (B 32f.)
Hagedorn macht sich die Verfahren der Gemütserkennungskunst zunutze, indem er sie verkehrt: Während Thomasius empfiehlt, sein Gegenüber durch ein Gespräch zu erkunden, weil jede Simulation nicht umfassend und nicht auf Dauer gelingen könne, so daß „aus einem von ungefähr entfallenen Wort" oder „aus einem heimlichen Blick" die wahren Absichten hervorleuchten,210 rät Hagedorn zur Simulation gerade dieser die Simulation aufhebenden Zeichen. Auch dabei soll die Situation durch Gründe motiviert sein, die dem Charakter des Bittstellers entsprechen: „kindliche Pflicht u. Prudence" gegenüber der Mutter (B 33). Zudem folgt Hagedorn mit seiner Empfehlung den Maßgaben der Pathologie, denn der Wein verstärkt die Zuneigung, und man braucht bloß noch die sich ergebende „Gelegenheit" zu ergreifen: „Man kan nicht leichter Freundschaft und Liebe zwischen zwey Personen stiften, als bey einem Glase Wein, wenn sie lustiger und guter Dinge sind" (vgl. Kap. 7).m Von hier aus gleitet Hagedorn tatsächlich in den poetischen Möglichkeitsraum und wechselt grammatikalisch vom Indikativ in den Konjunktiv, den er in der fiktiven Rede an Herel schon angewendet hatte. Auf diese Weise kann Hagedorn sich selbst in die fiktive Szenerie hinein versetzen und durch eine Folge von Konsekutivsätzen eine kausale Handlungsordnung konstruieren. Die Kausalität kommt durch die richtige Versuchsanordnung, die der Moralität eines aufklärerischen Romans vorausliegt und somit nicht explizit gemacht wird, auch final zum erwünschten Ergebnis, nämlich der glücklichen Beförderung des prima facie tugendhaften Individuums innerhalb eines für Tugend empfänglichen Gesellschaftsraums:
210 211
Thomasius: Die neue Erfindung, S.69. Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.285.
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Könntestu dis so vorbringen, wie ich selbst in pari passu es zu thun mir getraute, wenn neml. mit einem so ehrlichen Manne als dein wehrter H. Dr. ist zu thun hätte: so wollte ein Juramentum Credulitatis schwören, er würde, als ein alter Deutscher etwas risquiren, zumahl wann du dich verpflichten wolltest, die 2. à 300. duc. bey seinem Sohne zu verzehren oder [...] ihn auf academien und in Reisen brüderlich an Hand zu gehen [...]. (B 33)
Die Substitution des Bruders durch das eigene Ich macht - wiederum jenseits aller Ersatzphantasie - deutlich, daß es hier um einen poetischen Entwurf geht bzw. um eine rhetorische Strategie, die in den Bereich der Simulation als Verfahren der Ethopoeie, also der Erfindung einer fiktiven Rede, bzw. allgemeiner der sermocinano gehört, der Technik, sich als Redner an die Stelle eines anderen zu setzen.212 Entscheidend ist, daß Christian Ludwig seine Umgebung, in diesem Fall Herel, „zur Anhörung dieser Umstände bestens praeparir[t]" (B 33). Die zweite Hälfte des Briefes soll schließlich das Befremden, das die Vorschläge bei seinem Bruder mutmaßlich provozieren werde, in Zustimmung verwandeln. Er setzt damit die einleitende Legitimationsarbeit fort: [...] wo alles zu verlieren stehet, [ist] auch alles zu wagen [...], warum, liebster Bruder, willtu nicht dein eigener Freund seyn und um einer verdrüßlichen Stunde willen, in der du freylich mit einiger renitentz und blödigkeit, die, (wann du sonst nur weist was und wie du alles sagen willt,) oft NB: der beste Fürsprecher ist, deine Angelegenheiten vortragest, warum willtu nicht um so einer Stunde willen dir viele verdrüßliche Stunden ersparen [...]. (B 34)
Der für einen politicus grundlegenden Empfindlichkeit für den rechten Augenblick, der immer zugleich auch die einzige Möglichkeit gewesen sein kann - dieser Fähigkeit versucht Hagedorn eine kontrollierbare Ausgangsbasis zu geben. „Blödigkeit" bezeichnet dann nicht mehr eine verpaßte Chance, sondern ein strategisches Mittel innerhalb eines geordneten und tugendaffinen Zusammenhangs.213 Allen freundschaftlichen Beziehungen, die hier ohnehin nur strategische Bedeutung haben, geht daher die Selbstsorge voraus, daher rät Hagedorn seinem Bruder, nicht nur sein „eigener Freund", sondern sein „bester Freund" zu sein (B 34). Auch dieser Gedanke war in die Ruhige Lebens=Art in moralisierter Weise eingegangen („Wer dieses Heil erhält, sein eigner Freund zu werden"; PdN6, 386). Alles aber steht unter dem einen Vorbehalt, der sich zwar in politische Handlungsbereitschaft umschreiben, aber nicht auflösen läßt: „[...] Dreistigkeit und Muht ist nöhtig, zumahl da man nicht alles Voraussehen kann" (B 35)2H - man bewegt sich 212 213
214
Vgl. dazu: Müller: Ironie, S.199, 202. Vgl. zu den Wandlungen in der Beurteilung der Blödigkeit, sowie zur Tradition des politischen Denkens im 18. Jahrhundert in diesem Zusammenhang: Stanitzek: Blödigkeit, S.50ff., 99ff. Dem „Edelmuth" setzt Gottsched die „Kleinmüthigkeit, oder Blödigkeit entgegen [...]; eine Gemüthsart, die aus unnöthiger Zaghaftigkeit nichts unternimmt, weil sie ihren Kräften
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nun einmal im Bereich des Möglichen („regionem possibilium"; Β 35), dort gehören „Ursachen" und „wahrscheinliche Muhtmaaßungen", wie Hagedorn im folgenden Brief schreibt, zusammen (B 37). Zwei Wochen darauf (5. 9. 1732) unternimmt Hagedorn erneut den Versuch, seinen Bruder in einen Finanzierungsplan einzubinden. Scheinbar auf Entgegnungen seines Bruders reagierend, betont er, dessen „Conduite" keinen „Schandfleck" versetzen zu wollen. Er bittet ihn, seinen „pudorem infamem bey Seite zu setzen" (B 36). Weiter rät er ihm, zu handeln, auch wenn ein solches Vorhaben „on ne laisse pas que de rougir et d'etre embarrase" - beide Reaktionen zeigen im politischen Verhaltenskanon das Scheitern innerhalb einer Situation an. Hagedorn hat, um dergleichen zu minimieren, mit einem Brief an Herel das Unternehmen vorbereitet: „Cependant Votre embarras ne doit pas etre fort grand, puisque par la lettre ci-jointe je viens de preparer les machines qui doivent jouer et que vous n'avez qu'à vous declarer simplement sur les propositions qu'on vous fera: ce qui avance assez vos affaires" (B 38).215 Die Maschinen-Metapher macht Hagedorn endgültig zum Autor seines Bruders, in dem dieser nur noch ein Rädchen in einem vom überblickenden Koordinator eingestellten Mechanismus ist. Auch die moralische Wertigkeit der Rollen wird von Hagedorn verteilt: „Je ne vous conseille pas de jouer le rôle indigne d'un escroc [...]" (B 38). Zugleich entmoralisiert Hagedorn den ganzen Vorgang durch die MaschinenMetapher. Die Schamhaftigkeit Christian Ludwigs darf daher auch keine natürliche Eigenschaft sein: „Infans pudor heist die Schaam die a fando absterriret" (B 39), sie ist ein gesellschaftliches Erzeugnis und kann von daher je nach Umständen ausgesetzt werden. Fast ein Jahrzehnt später diskutiert Friedrich von Hagedorn in einem Brief vom 17. 11. 1741 an seinen Bruder die Möglichkeiten, die Nachfolge des englischen Gesandten in Hamburg anzutreten. Auch wenn Hagedorn gegen Ende des Briefs die deutschen Höfe und Höflinge gegen die englischen Verhältnisse ausspielt, fügt sich das Bild, das er von dem Beziehungs- und Einflußgeflecht bei der Vergabe von Amtern am englischen Hof zeichnet, nicht in sein Modell vom „freien" Engländer ein (vgl. Kap. 1.3 und 3.2). Weder sein eigener noch Christian Ludwigs Rückhalt bei den machthaben-
gar nichts zutrauet. Auf der anderen Seite aber steht ihr die Unbesonnenheit entgegen [...]" (Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Praktischer Teil, S.391; vgl. auch Stanitzek: Blödigkeit, S.57Í.). „Jedoch muß deine Verlegenheit nicht sehr groß sein, da ich durch diesen beigefügten Brief soeben die Maschinen vorbereitet habe, die spielen müssen, und, da du dich nur einfach zu den Vorschlägen, die man dir machen wird, erklären mußt, was deine Geschäfte ziemlich voranbringt" (BK 443).
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den Familien und Lords läßt hier hoffen.216 Hagedorn hat drei Koordinaten im Blick: „Die Möglichkeit eines plans in Absicht auf einen Dienst beym Englischen Hof muß sich überhaupt aus der heutigen Art, solche Dienste zu vergeben, und, in Betracht meiner, aus den besondren Umständen des Gebers und Annehmenden entscheiden" (B 71). Wenn eine der Konstituenten ausfällt, zerbricht das Gefüge, das heißt: Hat man die Parlamentsangehörigen nicht auf seiner Seite, nutzt weder ein Gönner noch der eigene Wille. Oder: Wenn die äußeren Bedingungen und ein Förderer einer Anstellung günstig sind, dann können noch immer Ressentiments oder Rücksichtnahmen auf Seiten des Einzelnen den Plan durchkreuzen. Weder will Friedrich von Hagedorn sich auf eine „basse Art erniedrigten]" noch dem „anwachsenden Ansehen und Glücke" seines Bruders an deutschen Höfen schaden (B 74). Friedrich von Hagedorn wird sich jedenfalls Zeit seines Lebens um eine Stelle bei Hof bemühen (vgl. Kap. 1.3). Jeweils ergibt sich also eine Formation, die den individuellen Plan übersteigt, ohne die überindividuellen Bedingungen zugleich einer transzendenten Bedingung - etwa der Providenz - zu unterstellen. Es ist die Gesellschaft selbst, die eine kausale Ordnung durchkreuzt. Aus dem Geist des Politischen entdeckt auch Hagedorn das Soziale in einer Weise, die Norbert Elias systematisch als die des Höflings beschrieben hat.217 Noch immer aber hält sich die Position des Autors einer Lebensgeschichte bei Hagedorn durch, der entscheidet, wer ein „Werkzeug meines Glückes seyn" kann (B 74), auch wenn der Autor sich auf langweiligen Festivitäten seiner (potentiellen) Gönner herumtreiben muß: „Ich habe kein Sonderling seyn dürfen noch wollen [...]" (B 75). Die Formulierung bezeichnet die neue Rolle, die Hagedorn sich auf den Leib schreibt: Im Unterschied zur Selbstverleugnung mit Blick auf die Selbstbeförderung in den Briefen, die Hagedorn seinem Bruder zur Studienzeit schreibt, stabilisiert Hagedorn nun seine Autoridentität. Wenn ihn demnach schon die Rücksichtnahme auf seinen Gönner zwingt, auf einen Ball zu gehen, dann tut er das auch aus eigenem Willen zur Geselligkeit. Auf dem Ball jedoch nimmt er sogleich wieder die Rolle des (einsamen) Beobachters ein: „Ich bin Spectator tantum, so lange man tantzt" (B 75).2IS Zwar kann er verantworten, seinem Gönner die Zeitung zu bringen, aber das darf 216
217 218
Vgl. zur Stellung der Patronage in der Hofliteratur Martens: Der patriotische Minister, S.104. Vgl. dazu auch Β 219, 303, 366, 388. Vgl. insbesondere: Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Zweiter Bd., S.351ff. Vgl. auch den Brief vom 16. 5. 1732 an Christian Ludwig von Hagedorn: „Augen-Lust, und hoffärtiges Leben aber leider! keine Fleischeslust legen durch verschiedene Balls, durch mehrentheils schlaflose Nächte und verdrießliche Tage mir so vieles in den Weg, daß nicht viel schreiben und gleichsam nur die Materien bemerken kan, worüber künftig ein mehreres dir melden will" (B 28).
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nicht die eigene Persönlichkeit vom amorphen Typus des devoten Schmeichlers überzeichnen: „Hingegen bin ich nicht sein Schwartz und verdiene desfals von dir keine Vorwürfe" (B 73). Hagedorn erniedrigt sich nicht (mehr) auf eine „basse Art" (B 74). Die Autorposition bezieht Hagedorn auch in der die Ratschläge an den Bruder abschließenden Formulierung: „Das übrige erkläret sich aus dem Lauffe der Welt und dem 3.ten u. 4.ten Theile des GilBlas" (B 73) - an dessen Ende steht die Einsicht, daß das Leben bei Hof nicht wünschenswert sei. Aber nicht nur nimmt Hagedorn wieder die identitätsbewahrende Haltung seines Bruders ein, die er diesem zuvor auszureden versucht hatte. Hagedorn muß in späteren Jahren seinen Bruder auch nicht mehr von der Legitimität der politischen Sichtweise überzeugen. Christian Ludwig von Hagedorn hatte diese Perspektive bereits übernommen. 219 Er selbst wird zum Beobachter seines älteren Bruders aus höfischer Sicht,220 als dieser ein Autorbild durchzusetzen beginnt, das offensichtlich auch den Bruder irritiert. [...] mache dir Lüders zum Freunde, bevor du ihn brauchest, denn hernach bey Nothfällen hat es üble Grace. Sich sua virtute involviren und zu nichts geniren zu wollen, sich mit Büchern der vorigen Welt zu trösten, und über die gegenwärtige Welt zu wimmern, ist ein Trost, der uns beiden, sofern wir das otium literarium lieben, und unfruchtbare Schwätzer hassen, freilich anklebt, aber der beste Trost ist, wenn man sich an einer gewissen politischen Klugheit, neben der Moral, nichts vorzuwerfen hat. (Baden 89)221
Genau hier, hinsichtlich der „politischen Klugheit", hatte sich Friedrich von Hagedorn etwas vorzuwerfen gehabt. Für seinen Bruder übernimmt er daher auch die Funktion eines Negativexempels. Während er in seiner Poesie den Weisen propagiert und als Autor die Figur des Weisen darstellt, also Vorbildfunktion beansprucht, präsentiert Hagedorn in den Briefen an seinen Bruder die Rückseite der Medaille, jenes Gesellschaftsmodell, von dem die 219
Vgl. z. B. den Plan, von dem Christian Ludwig von Hagedorn seinem Bruder berichtet: Er will sich anonym eine Kritik seiner Radierung von Harms erbitten, der seine Antwort wiederum an Borgheest schicken soll. Harms werde sich bei Pahmann, dem Christian Ludwig von Hagedorn ein Exemplar der Radierungen unter seinem Namen gegeben habe, nach dem Künstler erkundigen, und dieser werde dann Auskunft geben können. So scheint Christian Ludwig von Hagedorn bei dieser „Charlatanerie", wie er es nennt, als einer, der sich wirklich um unparteiische Kritik bemüht (HN 168).
220
Vgl. zur Arbeit Christian Ludwig von Hagedorns an einem adligen Habitus: Cremer: Hagedorns Geschmack, S.14, 18, 36, 42, 62, 67, 104ff. Christian Ludwig von Hagedorn hätte sich auch - weniger elegant freilich - auf Heumann berufen können: „[...] erweise deinem Freunde mit gutem Rath und in der That alle möglichste Dienste. Du darffst aber nicht gar zu genau ausrechnen, ob du mehr von ihm, oder er von dir zu gemessen habe. Ja es ist dein Vortheil, wenn du ihm mehr Wohlthaten erweisen kanst, als er dir. Denn also obligtreslu ihn desto mehr gegen dich. Noch besser ist es, wenn du dich kanst necessair machen, daß er deine Freundschafft ohne seinen Schaden nicht quittiren kan" (Der politische Philosophus, S.305).
221
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Aufklärung analytisch profitiert, von dem sie sich aber abzustoßen versucht und das sie als Gegenbild weitertransportiert. Der erfahrene Höfling hat jedoch den Eindruck, Hagedorn könnte zu viel von seinem aufklärerischen Programm bereits habitualisiert haben. Christian Ludwig von Hagedorn schreibt seinem Bruder am 6. 1. 1742 mit Bezug auf den sich dem Hofleben anpassenden Liscow: [...] mithin möchte er (Liscow, S. M.) zu dem Hofleben fast biegsamer seyn, als nun ein gewisser Fabulist, der die Ruhe zu sehr geschmeckt hat. Denn, den bewußten Plan (über eine Anstellung Hagedorns am Dresdener Hof, S. M.) betreffend, fürchte ich, wenn die Umstände auch noch so favorabel fielen, daß der Fabulist die Fatiguen der so nöthigen Aufmerksamkeit bey Hofe nicht mehr würde ausstehen können [...].
Ein Jahr zuvor hatte Christian Ludwig von Hagedorn seinen Bruder zurechtgewiesen, weil dieser in einigen literarischen Veröffentlichungen das „von" aus dem Namen gestrichen habe, was für die Karriere doch von großer Bedeutung sei (14. 2. 1741; H N 144). Mit einem Wort: „Aber wie wenig praktische Zeitlichkeit ruht in deinem Herzen. Du bist généralement bon et c'est tout".223 Freundschaft und Moral Den überschreibenden Transport des privatpolitischen Diskurses in den aufklärerischen dokumentiert Hagedorns Briefwechsel mit Ebert über die Affaire um Eberts Hochzeitskantate Das Vergnügen von 1743, in dessen Verlauf die Rhetorizität des Freundschaftspathos in der Abwechslung von Vertrauen und Mißtrauen zum Ausdruck kommt. Das Vergnügen bringt die Hamburger Geistlichkeit gegen den Theologiestudenten auf, und deren Eingabe beim Hamburger Rat war so erfolgreich, daß Ebert sich glücklich schätzen mußte, die Stadt bereits verlassen zu haben.224 An Ebert schreibt Hagedorn: „[...] nôtre Clergé et les animae coelestes de cette bonne Ville viennent tous se dechaîner saintement contre Vôtre serenade" (13. 5. 1743; Β 86). Der Hamburgische Correspondent hingegen empfiehlt die Kantate, auch wenn der Dichter nicht genannt werden darf.225 Für „le chaste Görner", den Komponisten seiner eigenen Lieder, hat Hagedorn nur Spott übrig - „malgré la Virtù de Vôtre Orphée" (Β 86). Auch angesichts einer möglichen Verstimmung der Gönner rät Hagedorn Ebert, dem weiteren Vorgehen gegen ihn zuvorzukommen.
222 223 224 225
Neue Irene. May 1806, S.144f. Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.96. Eschenburg: Über Johann Arnold Ebert, S.XII. Stats= u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1743, 64. St., unpag.
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Im September berichtet Hagedorn von der Beruhigung der Lage und vom Beifall für Ebert, der die Kritiker übertöne - hier macht Hagedorn dann auch einen bezeichnenden Einschub: „contre Vous, ou plutôt contre Vos vers" (15. 9. 1743; Β 90), den er einige Zeilen weiter noch einmal wiederholt: „Vous sentés, Monsieur, qu'on ne saurait pointiller sur la Morale de Vos vers sans passer condannation sur celle de plusieurs Poetes, ou plutôt de leurs ouvrages, et que se declarer contre Vous, ce seroit compromettre la reputation de quelques auteurs, dont les vers sont lus et chantés comme les Vôtres et ceux de Votre ami (d. i. Hagedorn, S. M.)" (B 90).226 Als Hagedorn erfährt, Ebert wolle sich auf den „Chemin de la Grace" begeben, rät er seinem Schützling, die eigenen Interessen zu kennen, die Zeit für sich arbeiten zu lassen und Freunde dauerhaft durch „Sentiments" und „Pouvoir" an sich zu binden. Mit La Fontaine faßt Hagedorn zusammen: „Aide-toi et Dieu t'aidera [...]" (Β 90; vgl. auch Β 236, 289, 303 bzw. 5.1). Noch aber sind einige Gerüchte aus dem Weg zu räumen, die Ebert zu Ohren gekommen sind. Hagedorns Selbstverteidigung bezieht sich wohl auf den Vorwurf, er habe gegen Eberts Gedichte Stellung genommen. Hagedorn hält dagegen, daß Ebert die Lügen sofort als Verleumdungen hätte erkennen müssen.227 Ein Angriff auf Ebert würde ihm selbst schaden, da er dessen Ubersetzung von de la Nauze mit dem zweiten Teil der Oden und Lieder veröffentlichen will. Zudem könnten gegen Hagedorns Verse die gleichen Vorwürfe wie gegen Ebert erhoben werden. Der Adressat ist mit den Beteuerungen vollauf zufrieden, „welche mich nun in der Meinung, welche ich immer von der Aufrichtigkeit Ihrer Freundschaft gehegt habe, so bestärkt hat, daß ich inskünftige niemandem, und Ihnen selber, nicht glauben würde, wenn Sie mich des Gegentheils versichern wollten" (6. 11. 1743228; EschV 232f.). Nicht nur Gerüchte von dritter Seite sind irrelevant, die Verschränkung von Ich und Anderem macht auch den Briefpartner letztendlich unbedeutend - allerdings erst, nachdem das Vertrauen sich durch strategisch überzeugende Argumente eingestellt hat. Als Verlängerung des Briefes wirken dabei Hagedorns beigelegte Ansichten über Die Glückseligkeit. „Ich bin" - so schreibt Ebert - „nachdem ich es gelesen, viel zufriedener und vergnügter, viel weiser, und also auch viel glücklicher geworden, als ich vorher gewesen bin" (EschV 233). Ebert 226
227 228
„Sie merken, mein Herr, daß man nicht abfällig über die Moral Ihrer Verse reden könnte, ohne diejenige mehrerer Dichter zu verdammen oder vielmehr die ihrer Werke, und daß, sich gegen Sie auszusprechen, bedeuten würde, den Ruf einiger Autoren zu kompromittieren, deren Verse gelesen und gesungen werden wie die Ihrigen und die Ihres Freundes" (BK 496). Vgl. zum Topos: Cicero: Laelius, XVIII, 65. Im handschriftlichen Entwurf wird am Ende des Briefs der 16. 11. 1743 als Datum angegeben (HN 38).
242
Hagedoms poetische Gesellschaft
schließt seinerseits an das Gedicht Hagedorns an. Er entwirft ein Gedicht gleichen Inhalts, jedoch mit einigen bemerkenswerten Einschränkungen: Während nämlich Hagedorns Verse über Die Glückseligkeit sofort auf den Autor zurückgerechnet werden können, muß Ebert in Widerspruch zu seinem „Alter", seiner „Neigung" und seinet „natürlichen Fähigkeit" sich mit der Gattung der „moralischen Gedichte" auseinandersetzen, um die durch Das Vergnügen verstimmte Geistlichkeit wieder zu versöhnen (EschV 233f.). Ebert kann dabei die Form der Selbstkritik, wie sie oben entwickelt wurde (Kap. 3.2), bereits strategisch einsetzen, d. h. überspitzt formuliert: Ein moralisches Gedicht zu schreiben, bedeutet Kritik des Jugendwerks. Dabei entwickelt er explizit die Paradigmenverschiedenheit zwischen seiner Position und der seiner Kritiker so, daß ein und dasselbe Kritikensemble in entgegengesetzter Weise bedeutsam wird: Ich werde ernsthaft und als ein Philosoph, aber nicht melancholisch und als eine bußfertige Seele denken. Ich will durch den Inhalt und durch die Verschiedenheit der Sachen selber zeigen, daß ich mit dem Vergnügen eben nicht zufrieden bin; (ob ich gleich andere Ursachen dazu habe, als meine Feinde) aber ich werde es nicht widerlegen. Und mein Gedicht wird also vielleicht mehr einer Vertheidigung meiner selbst, als einer Abbitte ähnlich sehen. Bisher habe ich noch nicht Nebenstunden genug dazu gehabt, oder haben wollen. Nachem ich aber Ihr Gedicht gelesen, habe ich die schon angefangene Arbeit gar liegen lassen, und dieses rechne ich mit unter die Vortheile, die ich demselben zu danken habe. (EschV 234)
Bezeichnenderweise liest Ebert Hagedorns Art, moralische Gedichte zu schreiben, als teilweise Affirmation der geistlichen Position, als Vermittlung zwischen der Orthodoxie und der aufklärerischen Poesie - in einem vorangegangenen Brief hatte Hagedorn die Autorhaltung in ähnlicher Weise umschrieben, wie Ebert sie hier für sich zu inszenieren beabsichtigt: „Vous jugés aisement que j'y parle plus en Philosophe que dans mes Chansons" (B 91 >· Im folgenden Brief von Ebert (29.1.1744) und in den Antwortbriefen Hagedorns (3.4.1744; 27.5.1744) umgehen die Briefpartner das Thema - allenfalls die Frage Hagedorns, ob Ebert auch nicht vergesse, sich seinen Gönnern brieflich in Erinnerung zu halten, mag in den hier interessierenden Zusammenhang gehören (B 126f.). Erst am 2. 7. 1744 kommt Hagedorn dann wieder auf Das Vergnügen zu sprechen229: 229
Ein letztes Mal referiert Hagedorn auf die hier verhandelten Zusammenhänge am 23. 8. 1744, wenn er mutmaßt, Ebert werde wohl kaum als Ubersetzer von Steeles The Conscious Lovers genannt werden wollen, „so moralisch die Komödie" auch sei (B 131). Und ebenfalls vor diesem Hintergrund wird Hagedorns Geständnis im Brief vom 8. 2. 1745 verständlich, demzufolge Hagedorn „Anzüglichkeiten lieber unterdrückft]", wenn es ihm möglich ist (B 145). Auch das ist ein Aspekt der Verbesserungsästhetik, die bei Hagedorn u. a. durch die Furcht vor den Tadlern motiviert sein kann (Stentor; W2, 57).
Freundschaft und Kritik
243
Ich weiß was Sie von H. Pastor Z. unlängst verlangt haben, und glaube, daß der kleinste Zusatz zu dem Vergnügen, der wider die Lüste und Eitelkeit der im Argen liegenden Welt wäre, ihn wieder gewinnen würde: denn ich vernehme nicht, daß von einem besondern Gedichte oder einem poetischen Widerruffe mehr erwehnt wird. Können Sie nun durch eine solche Kleinigkeit einen so hochaufgenommenen Fehler gut machen, den Sie, wie mich deucht, nicht begangen haben, so würde ich rathen, solches zu thun, doch ja ohne zweideutige Ausdrücke, die empfindlich sein könnten. Wir wallen in einer Welt, da man etwas heucheln muß [...]. (B 128)
In seiner Antwort legt Ebert Zeugnis für die erfolgreiche Selbstinszenierung seines Mentors ab: „Wie glücklich ist doch derjenige, der, wie Sie, den Rath, daß man der Welt heucheln müsse, denn Sie mir neulich gegeben haben, nicht nöthig hat; der von Natur frei und zärtlich ist, und sich nicht scheuen darf, es zu seyn; dem der Himmel Spiritum Graiae • Gamoenae - ded.it, ac malignum spernere valgus! Vielleicht würde ich, wenn ich in solchen Umständen wäre, meine Sünden eher häufen, als bereuen, und weder der Doris, noch der Phylis, noch der Liebe und dem Bacchus ein Lied versagen" (EschV 247). So aber kann Ebert nur Hagedorn an seine Stelle treten lassen und an die Liebe die Zeilen richten:230 Wie laut mich Hagedorn verehret, Der eurem Hamburg, das ihn höret, Mir und dem Bacchus Ehre bringt; Wie er, durch ihn und mich beseelet, Von mir bald, wie Fontain', erzählet, Bald, wie Horaz, von beiden singt. [..·] Singt Hagedorn; was brauchst du mich? Die Dichtkunst hab' ich längst verschworen. [...] Geh, Hagedorn zu überwinden, Und laß die Liebe mit dir gehn. Die Muse wirst du bey ihm finden; Und euch wird er nicht widerstehn; Dann soll sein Lied, euch zu Gefallen, Aus meinem Mund' oft wiederschallen.231
Ebert macht explizit, unter welchen moralischen Druck die Kirche die Nebenstunden stellt, die intensiver als die poetologischen Entwürfe an einem konsistenten Autorbild gearbeitet hat, das nicht nach Haupt- und Neben230
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Eben bezieht sich im zitierten Brief auf ein Gedicht mit dem Titel 1744 (Ebert: Episteln und vermischte Gedichte. [Erster Teil], S.243ff.): Das Ich des Gedichts wehrt sich darin standhaft gegen das Ansinnen der Liebe, besungen zu werden, u. a. unter Bezugnahme auf „das Volk, das sie (die „Leyer", S. M.) verdammt" (ebda., S.243) und auf die Verbannung Ovids (ebda., S.246). Ebda., S.247ff.
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Hagedorns poetische Gesellschaft
stunden, nach weltlichen und geistlichen Liedern oder Gattungen differenziert. Der Verweis auf die Tradition der Hochzeitskantaten, also die Entschuldigung der Frivolität durch ein poetisches System, greift in diesem Kontext nicht;232 der Text kann sich aus Sicht der Geistlichkeit nicht durch die virtuose Variation bereitstehender und etablierter Muster erklären, sondern er bleibt transparent auf die Autorpersönlichkeit - eine Ansicht, an der Hagedorn und Ebert an anderer Stelle und mit anderer polemischer Absicht selbst arbeiten. Hier aber setzte Authentizität die berufliche Zukunft aufs Spiel: Es ist dem blossen Glücke zuzuschreiben, daß der Eifer, den man wider ihn geäussert, ihn nicht um die ihm, seinen Umständen nach, fast unentbehrliche Gewogenheit einiger Hamburger gebracht hat, bey welchen die Aussprüche der Cantzel-Redner von grossem Gewichte sind, β 97)
Wegen der Aufrichtigkeitsforderung seiner Vorgesetzten muß Ebert sich verstellen und sehnt sich nach der Aufrichtigkeit, die ihm Hagedorn zu verkörpern scheint. Hagedorns Aufrichtigkeit liegt nun - Ebert zufolge wiederum darin, daß er seiner eigenen Aufforderung zur Verstellung nicht nachkommen muß. Diese Mehrdeutigkeiten in Hagedorns Verhalten blendet Ebert jedoch zunächst aus. Er kann aber auch in Zukunft den Verdacht, Hagedorn verhalte sich auch ihm gegenüber strategisch oder zumindest inszenatorisch, nicht ganz verdrängen (s. u.). Zürich • Hamburg • Leipzig Aus dieser strategischen Perspektive lohnt es sich, Hagedorns Verhalten im großen Literaturkrieg zwischen Leipzig und Zürich noch einmal kursorisch zu beschreiben. Der Uberblick kann dabei im wesentlichen Karl S. Guthke folgen233, soweit es um den Briefwechsel Hagedorns mit Gottsched und Bodmer geht - hier hat Guthke einen der wichtigsten Beiträge zur HagedornForschung geleistet. Gerade die weitestgehende Beschränkung auf die beiden Briefpartner macht jedoch Neuakzentuierungen notwendig. Bereits 1730 eröffnet Hagedorn von London aus den Briefwechsel mit Gottsched mit dem Glückwunsch zur Berufung und einer Danksagung für Gottscheds Würdigung des Versuchs einiger Gedichte (B 14). Gottsched rea252
„Das Vergnügen des jungen Ebert hat ihm den Beyfall vieler vernünftigen Leute erworben, aber auch einige Homileten dergestalt wider ihn erbittert, daß die meisten ihn öffentlich, und von der Cantzel bestraffet und verdammet haben, da doch stadtkündig ist, daß diese Serenate bey ihm zu einer Hochzeit bestellet worden und man nur die Poesien der NiederSachsen nachschlagen darf, um zu sehen, wie hier die Hochzeiten auf eine weit freyere Art besungen worden, ohne daß man sonst über solche Freyheiten zürnen oder auch nur erröthen wollen" (B 97).
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Guthke: Literarisches Leben, S.96ff.
Freundschaft und Kritik
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giert darauf mit dem Vorhaben, Hagedorn für die Deutsche Gesellschaft in Leipzig zu gewinnen.234 Hagedorn lehnt, die Nebenstunden-Apologie nutzend, mit Dank und Lob für die Deutsche Gesellschaft ab und erbittet sich die Fortsetzung des Briefwechsels (B 16ff.). Zeugnisse über Hagedorns Einschätzung Gottscheds, die sich nicht dirakt an einen in die Streitigkeiten Involvierten wenden, haben sich dann nur noch in der Rezension des Sterbenden Cato in den Nieder=Sächsischen Nachrichten von 1732, mit der Hagedorn eine andere, weit schärfere Kritik verhindert (an Wilkens; 3. 10. 1732; Β 45), sowie in den Notizen über die Zusendung von Die Glückseligkeit an Gottsched und seine Ehefrau (B 91) und in dem Schreiben einer Hamburgischen, unverheiratheten Frauenzimmer=Gesellschaft an die Gottschedin (B 149, 162) erhalten - das Paar läßt Hagedorn seine Empfehlung ausrichten (SKII 25. 5. 1745). Daß Hagedorn Gottsched nicht mehr wie im Versuch einiger Gedichte (VeG 61) erwähnt, statt dessen aber Bodmer in einem Epigramm (Über das Bildniß des Herrn Professor Bodmers; Wl, 85) und ihn - wie dieser sich das gewünscht hat235 - als Vorgänger für Adelheid und Henrich lobt (W2, 167; dazu Β 211, 249f., 358, 396), ist das äußerste, was an öffentlicher Parteinahme von ihm erwartet werden darf. Das Bild Hagedorns wurde dabei nicht wenig durch Eschenburgs Briefausgabe beeinflußt. So kürzt der Herausgeber beispielsweise aus Eberts Brief vom 14. 12. 1744 einen für die literaturpolitischen Konstellationen äußerst aufschlußreichen Passus (EschV, 255): Hr. Prof. Gottsched, der E. Hochedelg. immer mit einem Lobe erwähnt, hat neulich in einer Gesellschaft erzählt, daß M. Kästner eine beissende Critic über den von der Fr. Gottschedinn übersetzten Lockenraub an Hrn. Zink geschickt, deren Druck Sie verhindert hätten. Die boshafte Leichtfertigkeit des Hern M. Kästners, und Ihre Liebe zum Frieden machen mir diese Geschichte sehr wahrscheinlich. Kästner ist Gottscheds alter Freund. Ich bitte mir zu schreiben, ob dieser Streich wahr sey. (HN 44)236
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Brief vom 19. Mai 1730, abgedruckt in: Ebda., S.96f. Bodmer fordert in einem Brief vom 15. 3. 1747 (SK2) eine öffentliches Bekenntnis Hagedorns zu ihm. Später bedankt er sich dann für das Lob in Adelheid und Henrich (SK2 7. 12. 1747). Hagedorn antwortet darauf: „Was die scharfe Beurtheilung einer gewissen Übersetzung anbetrift, die man hier gerne gedruckt gesehen hätte, so habe ich den Freund, den Sie mir genannt, nicht in Verdacht gehabt, aber freylich sehr widerrathen, den Aufsatz einzurükken" (an Ebert; 8. 2. 1745; Β 145). Diese weitaus unverfänglichere Passage druckt Eschenburg (EschV, 141). Hagedorn hatte den Kontakt zu Kästner, der sich in den 40er Jahren wegen seiner Wertschätzung Hallers von Gottsched distanziert, über Ebert geknüpft (B 124, 127; EschV, 255), vielleicht infolge des Lobs Kästners für Haller und Hagedorn im Kometen-Gedicht (März 1744 in den Belustigungen·, Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. 1. Bd., 2. Teil S.73; vgl. dazu Β 155f.). Vgl. zu Kästners retrospektiver, ausgewogener Einschätzung der Bedeutung Gottscheds: Betrachtung über Gottsched's Charakter, insbesondere S.168f. Bodmer hält Kästners „Geschmack" für
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Hagedorns poetische Gesellschaft
Auch eine andere Briefstelle Eberts, die Hagedorn als unsicheren Kandidaten vorstellt und die Eschenburg nicht publiziert, macht die Genauigkeit, mit der man Publikationen beobachtet, sowie die Vielfalt der Bezugspunkte deutlich: Am 6./16. 11. 1743 berichtet Ebert, wohl im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Allgemeinen Gebeths in Der Bewunderer, der Herausgeber der Wochenschrift Barthold Joachim Zink, den Ebert anfangs noch verteidigt habe, werde für einen „Überläufer" gehalten. Bereits zuvor hatte Ebert von Gottsched in militärische Metaphorik berichtet, man greife ihn „in seinen eigenen Provinzen an[ ]", die Schweizer rückten mit ihren „Alliirten" nach, er sei sich keines „Unerthan[s]" mehr sicher, es werde geworben, gekapert und geplündert (EschV, 235f.). Hagedorn hält über Dritte zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch Kontakt zu Gottsched.237 Da Zink Hagedorns Gedichte als einer der ersten publiziert und sich zudem Hagedorns Freundschaft gerühmt habe, sei zugleich über Hagedorns Unterstützung für Zink spekuliert worden (HN 38). Auch drei Jahre später ist das Verhältnis zwischen Zink und Hagedorn nicht geklärt: Johann Elias Schlegel berichtet am 9. 4. 1746 von dem mißglückten Versuch, eine „Correspondentenstelle in Hamburg" zu besetzen. Johann Adolph Schlegel habe in einer Ode geschrieben, ein Lob von Zink komme einem Fluch gleich, woraufhin Zink interveniert habe. Unglücklicherweise verbreite Zink, er habe die Ode von jemandem erhalten, dem sie wiederum von J. E. Schlegel zugänglich gemacht worden sei. An Hagedorn richtet sich nun die Frage, ob dieser von Zink nicht wirklich über die Zusammenhänge informiert worden sei oder ob er nur nicht mehr darüber schreiben wolle (HN 100). Hagedorn gerät lediglich in drei Fällen ohne eigenes Zutun in Konflikt mit Gottschedianern: In den Belustigungen des Verstandes und des Witzes, die als Organ Gottscheds gelten, wird 1741 ohne Autorisierung Hagedorns Der Weise publiziert. Bodmer und Breitinger reagieren auf diese „corsarenmässige Caperey" mit der Veröffentlichung des ihnen von Hagedorn zugesandten Lehrgedichts (B 79) in einer kommentierten Fassung in der Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften (vgl. Kap. 3.1). Schwabe, der Herausgeber der Belustigungen, wehrt seinerseits den Vorwurf in einer Vorrede seiner Zeitschrift ab. In einem anderen Fall vergleicht ein Rezensent in Gottscheds Critischen Beiträgen Hagedorns Fabeln kritisch mit denen des Gottschedianers Stoppe - Hagedorn entrüstet sich gegenüber erklärten Gottsched-Gegnern wie ζ. B. Liscow, verhält sich aber öffentlich ruhig. Schließ-
„zweydeutig" - er wolle weder den Gottschedianern noch deren Gegnern zugerechnet werden (SK2 Michaelis 1746). 237
A m Ende bedauert in einem Brief vom 27. 5. 1743, daß er Gottsched bei seinem Besuch eine Nachricht Hagedorns nicht ausrichten konnte, weil Hagedorns Brief ihn nicht rechtzeitig erreicht habe ( H N 18).
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lieh rechnet Schönaich in seinem Neologischen Wörterbuch Hagedorn, der doch für seine Oden und Lieder grammatikalische Freiheiten eingeklagt hatte, sprachkritisch Versäumnisse vor.238 Wieder rüstet Hagedorn verbal in einem Brief an Bodmer auf, überläßt es aber dem Schweizer, Schönaich in die Schranken zu weisen.239 In den Briefen an Bodmer fällt Hagedorns Urteil über Gottsched, wie zu erwarten, deutlich aus. Guthke beobachtet eine sich steigernde Aversion. Hagedorn scheint umgekehrt in gewissen Kreisen um Gottsched nicht gerade beliebt gewesen zu sein, auch wenn Gottsched noch 1754 eine positive Rezension der Oden und Lieder in Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit einrücken läßt. Im Raum steht hier das bereits genannte ManteuffelZitat, wonach man bei Hagedorn mit „schweinischem Epikureismus" zu rechnen habe - Gottsched widerspricht nicht und will Hagedorn die Interpretationshoheit über den Begriff der „Weisheit" nicht überlassen.240 Auch die Gottschedin konstatiert, Hagedorn werde wohl kaum „von dem Lobe der Epikurischen Lebensart" abzubringen sein.241 Im Hinblick auf die Anerkennung, die Hagedorn von Johann Elias Schlegel in einem Brief an seinen Mentor Gottsched erhält,242 wäre aber vor der Differenzierung in offizielle (neutrale bis positive) und private (negative) Meinung in Betracht zu ziehen, daß Gottscheds Urteile adressatenorientiert auszulegen sind,243 ebenso wie man Bodmer oder Johann Adolf Schlegel folgend Gottsched Kalkül beim Lob Hagedorns unterstellen kann (die Irritation in Zürich bestätigt das, obwohl Gottsched damit nur eine Strategie der Schweizer verkehrt)244. Was Hagedorn betrifft, darf man jedenfalls nicht vergessen, daß er - ähnlich wie im Fall seiner Cdio-Rezension - Kritik an Gottsched verhindert hat (B 89; vgl. oben zu H N 44). Gottsched selbst beweist zumindest Taktgefühl, wenn 238
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Vgl. dazu: Waniek: Gottsched, S.589ff. Dabei ist Schönaich sehr vorsichtig mit Hagedorn, schreibt dessen Namen ζ. B. nicht ganz aus und nennt ihn - wohl unironisch - einen „großefn] Kenner des Schönen" (Die ganze Ästhetik in einer Nuß, S.384). Guthke: Literarisches Leben, S.110. „Die Beurtheilung Ew. Excellenz über die Hagedornische Fabel ist so wohl begründet, daß ich nichts hinzusetzen kann. Freilich ist die französische Fabel noch erträglicher, weil sie wenigstens den wollüstigen Einsiedler nicht für einen Weisen ausgiebt. Die Weisheit wäre sehr übel daran, wenn solche Leute wie Hagedorn ihren Charakter bestimmen wollten" (22. 10. 1740; zitiert nach: Waniek: Gottsched, S.446f.). Die Briefstelle bezieht sich auf ein Gedicht, vermutlich auf Der Eremit und das Glück, der die „Kunst der schlauen Wollust lernet" (W2, 54). Schon von daher sollte man den Bezug auf das Gesamtwerk nur mit Vorsicht herstellen. Brief vom 13. 10. 1740 an Manteuffel, zitiert nach: Waniek: Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit, S.446. Guthke: Literarisches Leben, S.101. Darauf weist auch Steinmetz in einer Anmerkung hin: Nachwort, S.21*. Guthke: Literarisches Leben, S.102. Vgl. den Brief von J. E. Schlegel an Bodmer vom 30. 10. 1745 (Litterarische Pamphlete, S.83f.; vgl. auch EschV 195).
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er nach Hagedorns Tod dessen Bruder kondoliert. Christian Ludwig von Hagedorn antwortet ihm nicht weniger konziliant: „Mein seeliger Bruder hat Dero Verdiensten und vieljährigen rühmlichen Bemühungen allezeit Gerechtigkeit widerfahren lassen".245 Und nachdem Gottsched ihm 1754 einen Beitrag zu Friedrich von Hagedorn im Neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit246 gesendet hatte, schickt er dem Leipziger ein Exemplar seiner Radierungen mit Versicherung der „Hochachtung und Ergebenheit [...], auf welcher ich unablässig beharre".247 Hier spricht mit Sicherheit der versierte höfische Stratege, aber immerhin überliefert Friedrich von Hagedorns Protege Gottlieb Fuchs Ahnliches: Im Hamburgischen Correspondenten antwortet Fuchs auf eine von Gottsched veranlaßte Streitschrift, bei der Gottsched die Ausfälle gegen Hagedorn korrigiert zu haben scheint, mit der Versicherung, Hagedorn habe seine Unterstützung keinesfalls an die Bedingung geknüpft, daß er, Fuchs, sich von Gottsched zu trennen habe.248 Bodmer nimmt erst 1741 mit Hagedorn Kontakt auf.249 Ausgehend von den Fabeln Hagedorns erkennt Bodmer - so die Dichter-Kritiker-Fiktion -, daß zwischen ihm und Hagedorn eine sympathetische Beziehung bestehe.250 Er inszeniert damit jene Entsprechung zwischen Autor und Leser, die es ihm ermöglichen sollte, mit räumlich und zeitlich entfernten Autoren in ein direktes Verhältnis zu treten. Hagedorn wird „Freundschaft und Liebe, als eine natürliche Folge meiner (d. i. Bodmers, S. M) Hochachtung" angetragen. Die eine Natur verbindet alle - so zumindest der Oberflächenrhetorik zufolge. Von den Verwerfungen innerhalb dieses Konzepts war bereits die Rede. Anschließend kommt Bodmer zur Sache: O b Hagedorn ihm nicht Kontakt zu den Hamburger Autoren ermöglichen könnte, so fragt er, und weiter: „Ein vertrauter Briefwechsel unter uns würde vielleicht dienen, der Herrschaft des schlimmen Geschmakes immer mehr und mehr Abbruch zu 245 246
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Guthke: Literarisches Leben, S.106. Entweder die Rezension von Hagedorns Oden (Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Herbstmond 1754, S.714 - 715) oder von Bars Soliloque, a l'occasion de la Mort prématurée de Mr. de Hagedom (ebda. Christmond 1754, S.925 · 930). Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.79. Vgl. Ladendorf: Einleitung, S.XIIf. Vgl. zu Fuchs ebda., S.VII. Ladendorf begreift die Bremer Beyträge nicht per se als Produkt der Gegnerschaft zu Gottsched (ebda., S.III), erst dessen Angriffe gegen den in den Beyträgen veröffentlichten Messias habe zum Bruch geführt. Der gegen Gottsched gerichtete Nachruf auf Hagedorn von Zachariä (Gedicht dem Gedächtnisse des Herrn von Hagedom gewidmet, 1754), der die Fuchs-Affaire in einer Anmerkung (verfälschend) darstellt, sowie die folgenden Polemiken haben dann das ihre dazu getan, eine Gegnerschaft zwischen Gottsched und den Beyträgem zu provozieren (ebda., S.XV). Brief vom 11. 9. 1741, abgedruckt in: Guthke: Literarisches Leben, S.98. Vgl. zur humanistischen Gelehrtenbrieftradition, die ein sorgfältig austariertes System von Beziehungen zum Zweck hat: Barner: Gelehrte Freundschaft im 18. Jahrhundert, S.40ff.
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thun". Bodmer bemerkt wohl die Fragilität der argumentativen Folge und fügt daher hinzu: „Ich will Ihnen mit diesem (Briefwechsel, S. M.) doch keine Ligue wider denselben ('schlimmen Geschmack', S. M.) antragen, denn ich habe einen Abscheu das Aufnehmen der Geschiklichkeit mit Mechanischen Mitteln zu befördern". Der gute Geschmack erhebt sich von selbst sonst wäre es nicht weit her mit der Natürlichkeit. Hagedorn erbittet sich daraufhin die Fortsetzung des Briefwechsels, lehnt aber auch hier die öffentliche Parteinahme mit einer Folge von Gründen ab, die der Nebenstundentopologie im Sinne der Abwehr eines Anspruchs von außen durch den Rückzug auf individuelle Dispositionen entspricht (B 77f.; vgl. Kap. 2.1 u. 3Λ)· Es ist nun aber, um nur dies anzumerken, keinesfalls so, daß Hagedorn sich mit den Streitigkeiten im kulturellen Leben nicht befassen würde und keinen Einblick in die literaturpolitischen Zusammenhänge hätte, wie er es auch später wieder gegenüber Bodmer behaupten wird, als er sich für unfähig erklärt, einen satirischen Roman über die Gelehrtenkriege zu schreiben (s. o.). Vielmehr zeigt Hagedorn sich bestens über die Positionen informiert und steht - auch zu Beginn der vierziger Jahre - mit den bedeutendsten Köpfen der Zeit in Verbindung. Die Beschreibung Hagedorns in einem Brief Johann Elias Schlegels scheint um einiges plausibler zu sein, als Hagedorns apologetisches Selbstbild: „Sie (Hagedorn, S. M.) leben unter einem Haufen beaux esprits, ich bekomme deren sehr wenig zu sehen. Sie haben Bücher, ich habe kaum drei oder vier. Sie wissen welche zu bekommen, ich weiß Niemanden, von dem ich etwas borgen sollte [...]. Sie sind Herr Ihrer Zeit [...], meine ledigen Stunden werden beständig durch kleine Verhinderungen unterbrochen. Und endlich, mein Herr, haben Sie viel mehr Kenntniß von guten Büchern, als ich [...]" (26. 10. 1743; EschV 289). Es verwundert daher nicht weiter, daß Schlegel sich von Hagedorn intime Einblicke in das Beziehungsgeflecht und - entsprechend den Kriterien der poetischen Charakterologie - von den „heimlichen Quellen der Handlungen" verspricht: „Haben Sie doch die Gütigkeit und überschreiben mir etwas von dem Zustande der poetischen Streitigkeiten [...]" (EschV 291). Hagedorn verbessert im übrigen Schlegels Diclo, damit sie Gottsched übergeben werden kann (von Schlegel; 10. 8. 1743; HN 91), und fungiert als Kontaktmann für die Sendung nach Leipzig - auch diese Briefstelle streicht Eschenburg (von Schlegel; 4. 9. 1743; HN 92). Hagedorn nimmt neben direkten kritischen Äußerungen, wie ζ. B. gegen das Widmungsgedicht in Gottscheds Neukirch-Ausgabe (s. u.) oder gegen dessen Deutsche Sprachkunst (ζ. Β. Β 266f., 272), immer wieder implizit Bezug auf Gottsched, wenn er etwa Bodmers Klopstock-Enthusiasmus unterstützt, die Bemühungen zur Beförderung der Critik und des guten Geschmacks angreift, sich für die Oper ausspricht, Georg Friedrich Meier oder Samuel Gotthold
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Lange lobt. Dabei arbeitet Hagedorn im Hintergrund nicht nur schlichtend, sondern auch gezielt den Kampf anstachelnd (B 193, 220, 331.f.) - beides kann sich sogar auf ein und dasselbe Werk beziehen, wenn Hagedorn etwa Bodmer kritische Anmerkungen über die Literaturstreitigkeiten zur Ubersetzung von Popes Dunciad nahelegt, dann aber wieder aus Sorge, die Anmerkungen könnten selbst den Gegnern Gottscheds mißfallen, von dem Vorhaben abrät. Hagedorn macht den Schweizer auf Gottscheds Kritik am Programm eines biblischen Epos aufmerksam, er greift in die Affaire um die gefälschte Milton-Kritik von William Lauder ein (ζ. Β. Β 349), aber er kann sich auch geradezu „sachlich und neutral" über den Leipziger äußern, ja scheinbar mitfühlend auf den Bedrängten blicken.251 Zu Recht hebt Guthke hervor, Hagedorn habe sich in Streitfragen, die aus heutiger Perspektive bisweilen marginal erscheinen mögen, tatsächlich aber ins poetologische Zentrum der Zeit weisen, seine Eigenständigkeit bewahrt; das gilt für die Verwendung lateinischer Lettern, die Diskussion um den Reim und um den Hexameter. Guthke formuliert zusammenfassend: „[...] solche Versuche zur Eigenständigkeit [lassen], im Zusammenhang aller Äußerungen über den Literaturstreit, nicht übersehen, daß Hagedorn im allgemeinen entschieden mit Bodmer sympathisiert, Gottsched hingegen in mancherlei Hinsicht, in sachlicher wie ethischer, ebenso entschieden abgelehnt hat".252 Wenn man mehr Faktoren als Zürich und Leipzig einrechnet, verschiebt sich allerdings Hagedorns O r t in den literarischen Diskursen. Dresden In einem Schreiben an Weichmann entwirft Hagedorn sein Programm: Indeß wäre es billiger und besser, wenn die streitenden Mächte in Leipzig und Zürich einander nicht so lächerlich zu machen suchten. Gottsched hat seine Verdienste; Bodmer und Breitinger haben die ihrigen auch. Es ist eine große Schwachheit, die Fähigkeit, die zur Dichtkunst und Kritik erfodert wird, nur sich und seinen Freunden zutrauen und beilegen zu wollen, und Andre davon auszuschließen. [...] man muß ein Professor seyn, um sich allein des kritischen Richteramts anzumaßen, und zur Verwaltung der dabei vorfallenden unzähligen Händel und Geschäfte aus getreuen Anhängern gewisse Unterrichter einzusetzen, welchen wir, aus höherer Macht, Stimmen und Ansehen verleihen. [...] Es scheint aber, daß (in den Belustigungen, S. M.) Alles, was einen Schweizer zum Verfasser hat, getadelt werden soll; und da weiß ich nicht, wo die Billigkeit und Wahrhaftigkeit der Kritik zu finden steht. Doch weiß ich, daß ohne diese Eigenschaften die Kritik, anstatt den guten Geschmack zu befördern, zum Werkzeuge des Neides, des Grolls und des Stolzes wird, und daß man in Leipzig sich eben der Unart schuldig macht, die man nur in den Zürchern zu suchen pflegt. In diesen gelehrten Zänkereien kann man nicht besser verfahren, als jener Schiedsmann, der nichts weiter von seiner Meinung äußerte, als dieses: 'Einige sagen Ja, Andre Nein; ich sag Beides'. (8. 9. 1741; Β 70f.)
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Guthke: Literarisches Leben, S.112. Ebda., S. 116.
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Die Schlußformulierung hatte Hagedorn bereits in Die Fledermaus und die zwo Wiesel (W2, 20) als die Position des „Klugen" vorgestellt, der die Erfordernisse des decorum zu wahren versteht: „Er ruft mit gleicher Fertigkeit: / Es lebe Wolf! Es lebe Lange!" Hagedorn adaptiert damit die studentische Strategie in den Streitigkeiten um Wolff in Jena, die dem Prüfling rät, vor den Professoren das „Pereat Wolff! Vivat Lange!" vorzutragen, in studentischen Kreisen aber in das Lob der Systemphilosophie einzustimmen: „Vivat Wolff! Pereat Lange!" (vgl. Kap. 3.1). Hagedorn reklamiert also weniger die Tugenden des Unparteiischen für sich als vielmehr die des klugen Strategen, der sich in Selbstbewahrung übt. Im übrigen gehört die Position des Unparteiischen in Hamburg zu den angesehenen Posten. Michael Richey schreibt ζ. B. 1745 über seinen „Pegasus": „Er kennet weder Schweitz noch Sachsen, / Und läßt sich selbst die Regeln wachsen / Zum ungezwungnen sanften Schritt" 253 - freilich belegen diese Verse eher, daß manchen Versen die Kenntnis der „Schweitz" oder „Sachsen[s]" nicht geschadet hätte. Man muß auch sehen, daß Hagedorn im Frühjahr 1742, noch bevor er die Verbindung mit Bodmer aufgenommen hatte254, sich von seinem stilistischen Berater Wilckens eine Kritik von Gottscheds Horaz-Ubersetzung sowie eine Kritik der Critischen Beyträgen, in denen der für Hagedorn verletzende Vergleich mit Stoppe enthalten war, ausbittet (B 76), 255 daß Hagedorn also seine im Eröffnungsbrief an Bodmer zur Schau gestellte Unparteilichkeit zwar nicht erst im Brief an Bodmer entwickelt, seine „Neutralität" aber deswegen gleichwohl nicht mehr (aber auch nicht weniger) als eine diskurspolitische Strategie ist. Vielleicht sind auch die Horaz-Ubersetzungen und -Nachahmungen am Anfang der Oden und Lieder als „Dichterwettstreit" mit Gottsched zu verstehen. 256 Gegenüber Bodmer gibt Hagedorn im übrigen fünf Jahre später vor, eine Kritik von Freundesseite an einer Gottschedschen Horaz-Ubersetzung verhindert zu haben - nachdem er Bodmer mit kritischen Bemerkungen versorgt hat (10. 4. 1747; Β 203f.). Hagedorns „Unabhängigkeit" geht dann auch so weit, daß er sich gegen Bodmer stellt. Implizit tut er das, wenn er sich in Briefen an Gottlieb Fuchs vorsichtig von Klopstock distanziert257, wobei er auf die durchaus zwiespäl-
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Richey: Deutsche Gedichte. 1. Theil, S.134 {Aufdie Martens - und Brockesische Verbindung in Hamburg. 1745). Das spricht gegen Guthkes These von der sich verhärtenden Haltung gegenüber Gottsched (Literarisches Leben, S.112). Guthke kommt auf diese Konstellation kurz zu sprechen, ohne ihnen allerdings in dem ihn interessierenden Zusammenhang Bedeutung zuzumessen (ebda., S.101). Vgl. positiv zu Gottschedschen Horaz-Übersetzungen: Β 17, 53. Vgl. dazu Β 203. Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.249. Guthke erwähnt auch die Hexameter-Kritik im Briefwechsel mit Fuchs (Literarisches Leben, S.114; vgl. dazu: Β 312, 339, 382). Vgl. zur Klopstock-Kritik Kap.5.2. Vgl. auch die
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tige Beurteilung Klopstocks im Umkreis der Bremer Beyträger bauen konnte.258 Explizit kritisiert Hagedorn Bodmer im Zusammenhang mit der Klopstock-Affaire (s. o.) - Giseke ist freilich einer der engsten Freunde Klopstocks! Jedenfalls vermittelt Hagedorn den Messias an Bodmer (vgl. Kap. 5.2) und plaudert auch im folgenden Interna aus, etwa über die Liaison zwischen Klopstock und Meta Moller (B 363f.), deren Vertrauen Hagedorn sich erarbeitet hat.259 Man sieht: Die Lage ist kompliziert. Die Komplikationen ergeben sich aus Hagedorns strategischen Rücksichten, sie ergeben sich aber auch aus der Konstellation, in die Hagedorn eingebunden ist und die sich nicht nur durch die Koordinaten „Zürich" und „Leipzig" bestimmen läßt: Hagedorns Verbindungen zur Gottsched-Kritik in Dresden (insbesondere Christian Ludwig Liscow und Christian Ludwig Hagedorn) sowie zu den Bremer Beryträgern kommen hinzu. 260 Bevor nämlich der Literaturkrieg zwischen Leipzig und Zürich beginnt, muß Gottsched bereits auf die Angriffe aus Dresden reagieren.261 Beide Konstellationen legen die Rolle des Unparteiischen nahe, einmal jedoch aus höfisch-politischer, das andere Mal aus „aufklärerischer" Sicht. Zwar ist es auf den ersten Blick tatsächlich kein sonderlich „weises" Verhalten, die Rolle des „Friedfertigen" für sich zu reklamieren und gleichzeitig zur Kriegführung anzustacheln. Auf den zweiten Blick aber inszeniert Hagedorn sich gerade in den rhetorischen Volten und argumentativen Ambivalenzen als der Weise, dessen Verwandtschaft mit dem Satiriker immer mitzudenken bleibt. Beide, der Satiriker und der Weise, müssen zwei sich widersprechende Aufgaben erfüllen: Sie müssen erkennen und damit die Partei der Vernunft, der Natur oder der Wahrheit ergreifen, sie müssen aber zugleich ihre Neutralität wahren und sich nicht durch ihre Kritik in die Händel der „Narren" involvieren lassen. Christian Ludwig von Hagedorn meint dazu: „Das Bodmerische Raucher=Pulver ist [...] dir und mir zuträglich, solange wir nur aus Controversen bleiben" ( H N 159). Im Hintergrund der Argumentation steht immer die von Bodmer in wünschenswerter Klarheit formulierte Ansicht (s. o.), daß es bei zwei Parteien, der des guten und der
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Beschwerden Hagedorns über eine mutmaßliche Kritik seines Abstandes zur hexametrischen Dichtung im Crito: Β 322, dazu: BK 661, vgl. auch Β 330. Vgl. ζ. B. Klopstock: Der Messias. Bd.3, S.200. Meta Moller schreibt ζ. B. am 23. 11. 1751 an Klopstock: „Ich soll Sie grüssen von Hagedorn. Er hat sich sehr bey mir eingeschmeichelt. Neulich, in einer Gesellschaft, machte er, als ein galanter junger Herr die Tour des Tisches beym Frauenzimmer. Man spricht bey dieser Gelegenheit gerne mit jedem Mädchen was ihr am angenehmsten ist. Er sprach mit mir von Ihnen" (Klopstock: Briefe 1751 - 1752, S.106, vgl. auch die Briefstellen ebda., S.25, 28, 96, 98, 100,104,108,122). Vgl. zu Dresden die Bemerkungen bei: Waniek: Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit, S.309ff„ S.443ff. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.14, 16.
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des schlechten Geschmacks, keine Neutralität geben könne. Wenn daher Bodmer durch Hagedorn veranlaßt zur Feder greift, dann erfüllt er die Wirkungsstrategie der Satire, die ja den Leser zum Handeln aufruft. Der Leser ist nur ein „Rad" im großen Zusammenhang, der das Erkennen, Schreiben und Schweigen verschiedener Personen zur Einheit zusammenbindet. Zunächst zur Konstellation in Dresden mit den Protagonisten Johann Ulrich König,262 Christian Ludwig Liscow, 2 " Johann Christoph Rost, Christian Ludwig von Hagedorn und Heinrich Graf von Brühl. Zwei Problemkreise werden zu Beginn der vierziger Jahre in den Briefen von Liscow, Friedrich und Christian Ludwig von Hagedorn behandelt: zum einen die berufliche Karriere Liscows264, zum anderen die Aufstellung der Schlachtordnung gegen Gottsched. Schon im Zusammenhang mit Liscows Religionskritik 265 war es den Brüdern Hagedorn mehr darum zu tun, Liscows beeindruckend direkte Handlungsweise, die diesem letztendlich die „Gunst der Grossen seines Hofes" rauben wird (B 286), zu kaschieren und ihn zur (strategischen) Vernunft zu bringen - daran wird auch die Freundschaft zerbrechen.266 Hagedorns Briefe lesen sich hier geradezu als Fortsetzung der Korrespondenz mit seinem Bruder, wobei Liscow ein widerständiger Charakter ist. So schreibt Christian Ludwig von Hagedorn, der Liscow in seinen Briefen gewöhnlich den „Ketzer" nennt, 267 an seinen Bruder: „Ich bin zu schwach, ihn (Liscow, S. M.) zu bekehren [,..]".268 Wenn Liscow - so Hagedorn weiter - „seine Freydenkerey in Dresden nicht einstellet, und aus der Kirchenhistorie Weisheit zu pflegen meint, so wird er, wenn man dahinter kommt, sich ärger schaden, als er wohl glaubt. Die bienséances wollen observirt seyn [...]. Ich rede, wie es in der Welt hergehet; zumal an einem Hofe, wo die Gebrechen eines Fremden eher, als eines Einheimischen, betrachtet
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Bereits 19. 9. 1730 schreibt Hagedorn aus London an seinen Bruder: „Ich habe die Absicht, daß du schertzweiße an König sagtest, du habest unter meinen Concepten etwas gefunden, welches ich auf den Κ. v. P. angefangen: und wie ein Wort das andre giebt, so wirstu Gelegenheit haben, es ihm zu zeigen, weil er, wie ich glaube, es zu sehen curieux seyn wird" (B 16). Vgl. zu König als Mentor Christian Ludwig von Hagedorns: Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.4f., 44.
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Hagedorn versucht 1740 über Bielfeld für Liscow eine Anstellung am Berliner Hof zu finden (Neue Irene. April 1806, S.259). Vgl. zu dieser Konstellation: Stübel: Christian Ludwig von Hagedorn, S.27f., 34. Vgl. gegen David Otto Wahrendorffs Die Übereinstimmung vernünftiger und geoffenbahrter Gründe gerichtet einen Brief an Hagedorn vom 12. 3. 1741, in dem Liscow gegen die Vermischung von Theologie und Philosophie Stellung bezieht: Neue Irene. April 1806, S.261ff. Neue Irene. April 1806, S.277ff. Neue Irene. May 1806, S.132. Neue Irene. May 1806, S. 137.
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werden" - man kann hinzufügen: zumal an einem Hof, an dem von Brühl die Fäden zieht. 269 Der Widerspruch zwischen aufklärerischem Programm und strategisch zu bewältigender Wirklichkeit führt zu der paradoxen Forderung: „Ich rathe ihm (Liscow, S. M.) also, ehrbarlich in die Kirche zu gehen, ohne deshalb zu heucheln [...]". 270 Auch Friedrich von Hagedorn bemüht sich um die Bekehrung Liscows, verwendet dazu aber weniger politische Gründe als vielmehr ein Glas Wein. Allerdings will er auf der anderen Seite auch unter der Obhut Liscows seine „apprentissage d'Heresie" vollenden (an Liscow; 4. 3. 1740; Β 59f.). Das ihm offenbar von Liscow nahegelegte und später von ihm in den Fabeln zitierte (W2, 43) Buch Reinbecks über die Unsterblichkeit der Seele hat Hagedorn zu diesem Zeitpunkt zwar nicht gelesen, in seiner Umgebung seien jedoch mehrere Menschen zu finden, so erklärt er, deren Seelen er nicht des Überlebens für Wert befinde (B 60). Wie auch immer: Die Konstellation verhält sich gegen Gottsched so kritisch 271 , daß die Sammlung Criti-
scher, Poetischer und anderer geistvollen Schriften im Complot der herrschenden
Poeten u. Kunstrichterm (1742) den bemitleidenswerten „Schottged" (Gottsched) sich den Schlaf durch die Vorstellung rauben läßt, Liscow und Hagedorn könnten öffentlich gegen ihn Position beziehen - allerdings gehört das in den Kontext der Forderung Bodmers an Hagedorn, ein öffentliches Bekenntnis abzulegen.273 Hagedorns taktierende Überlegung, ob Gottscheds Name in der Vorrede zu den Oden und Liedern zu erwähnen sei, beantwortet Liscow eindeutig: „He! de par tous les diables rayez le nom du Professeur de Leipzic et faites réimprimer la feuille ou il se trouve". Hagedorn solle doch einen „digne homme" wie König nicht zum Erröten bringen. Liscow sichert ihm seinen 269
Neue Irene. May 1806, S. 138; vgl. auch Β 232). Hagedorn steht in Briefkontakt mit von Brühl (vgl. die Bemerkung in einem Brief von F. A. von König vom 1. 5. 1750; H N 85), Rost schickt ihm im Auftrag von Brühls einen Band des Bibliothekskatalogs des Ministers ( H N 90), und immerhin ein Brief von Brühls an Hagedorn (vom 21. 1. 1739) ist überliefert: „Monsieur, Je Vous suis infiniment obligé de la belle lettre, compagne du Livre, que Mr: le Conseiller de la Cour Koenig a bien voulu m'addresser de Vôtre part. L'Attention que Vous me marqués par là, est si obligeante, que je serais toujours fort empressé à y répondre: et comme la Lecture des Poëtes Allemands fait le principal amusement, de mes heures perdües, j'ai mis Vôtre Livre entre mes Auteurs favorits, non seulement parcequ'il est le premier que nous avons parmi nos Poëtes, mais principalement pour qu'il me souvienne, combien je Vous dois une marque de la Consideration parfaite, avec laquelle j'aime à me nommer, Monsieur Vôtre très humble et très obéissant serviteur [...]" (Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv in Marbach, Manuskript mit der Signatur 1585).
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Neue Irene. May 1806, S.138.
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Vgl. als Überblick: Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S.47ff.
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Den Bezug darauf streicht Hagedorn in seinem ersten Brief an Bodmer (B 78 / BK 482).
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Das Complot der herrschenden Poeten u. Kunstrichter, S.170. Vgl. Guthke: Literarisches Leben, S.102.
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Schutz zu.274 Kurz zuvor hatte bereits Christian Ludwig von Hagedorn seinen Bruder aufgefordert, seine Oden Brühl zu schicken, aber in der Vorrede den Namen Gottsched nicht zu erwähnen. Andernfalls werde Brühl das Buch sogleich aus der Hand legen.275 Im folgenden dreht sich die Diskussion dann um die Kritik an Gottsched und seinen Schülern, die Liscow in der von König veranlaßten276 Neuen Vorrede zu Heinekens Longin-Ubersetzung formulieren wird. Hagedorn hatte - wie erwähnt - Johann Arnold Wilckens dazu aufgefordert, ihm Material gegen Gottscheds Horaz-Ubersetzung sowie den Vergleich von Hagedorn und Stoppe in den Critischen Beyträgen zu liefern - auch gegen Anmerkungen zur Critischen Dichtkunst hat Hagedorn nichts einzuwenden (B 76). Er sichert Wilckens zu, alles vertraulich zu behandeln und nach Anfertigung einer Abschrift das Manuskript wieder zurückzuschicken. „Ich will dich nicht verrathen und so gar gegen B. u. M.277 nicht, damit alles desto geheimer bleibe, wenn die Mine in Dreßden den critischen Nachbaren aufs Haupt gesprengt wird" (B 76). Tatsächlich droht Heineken in einer Passage, die Liscow seiner Neuen Vorrede zu Heinekens Longin-Ausgabe einrückt, Gottscheds Ubersetzungen könnten noch weit mehr kritisiert werden, als es geschehen sei. Ihm liege die entsprechende Kritik eines Freundes vor.278 Am 21. 10. 1742 hatte Hagedorn eine gegen Gottsched gerichtete Materialsammlung an Liscow geschickt, wobei Liscow sich erstaunt zeigt, daß Hagedorn die Notizen sogleich wieder zurückgesandt haben möchte.279 Die Neue Vorrede muß sich aber nicht nur gegen die Kritik von Seiten der Gottschedianer verteidigen, sie muß auch die Kritik der Schweizer abwehren.280 Dabei sind weniger die Anmerkungen zur Ubersetzung selbst von Belang als vielmehr die Vermutung, die Longin-Ubersetzung stamme aus dem Kreis der Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Liscow nimmt das zum Anlaß, die Belustigungen für ein Produkt „ohne Verstand, und ohne Wissenschafft" zu erklären281 - auch gegen Reinbeck führt er einen Seitenhieb.282 In diesem Zusammenhang verteidigt Liscow Hagedorn: Die Einordnung Hagedorns in den Kreis der Belustiger sei ebenso abwegig wie der Ver-
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Brief vom 24.12. 1741 in: Neue Irene. April 1806, S.282f. Gottsched hatte Liscow noch mit Material für den Angriff gegen Philippi versorgt. Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.32. Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.133. Gronemeyer vermutet hinter den Siglen Brockes und dessen Schwiegersohn Jacob Nicolaus Martens (BK 478). [Liscow]: Neue Vorrede, S. 19. Brief vom 21. 10.1742 in: Neue Irene. April 1806, S.284f. Vgl. zum Verhältnis zwischen Bodmer und Liscow: Neue Irene. April 1806, S.287ff. [Liscow]: Neue Vorrede, S.32. Ebda., S.36.
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gleich mit Stoppe - das vermeintlich Gottschedianische Organ habe Der Weise unrechtmäßig publiziert.283 Christian Ludwig hatte seinem Bruder am 4. 9. 1742 diese Verteidigung angekündigt, aber kein Verständnis für die Fortsetzung der direkten Auseinandersetzung mit Gottsched gezeigt.284 Noch 1743 wird Hagedorn von seinem Bruder davor gewarnt, den Belustigungen zu nahe zu kommen. Er bezieht sich dabei vermutlich auf Schlegels Schreiben, an den Herrn von Hagedorn, das 1743 in den Belustigungen erscheint, „welche vom Ministre in Dreßden [d. i. von Brühl, S. M.] und sonst so wenig goutiret werden, daß du dich und per reflexionem mich, einem gewaltigen: Qu'en dira-t-on? aussetzen würdest" (ΗΝ 156).285 Deutlicher als Liscow macht Christian Ludwig von Hagedorn, daß honestum und decorum eine Einheit bilden. Auch der Satiriker hatte die thomasianische Einheit von justum, honestum und decorum ins Spiel gebracht - „kein rechtschaffen gelehrter, kluger und angesehener Mann" habe an den Belustigungen Anteil286 -, ohne freilich die strategischen Überlegungen so offen ins Zentrum zu stellen wie Christian Ludwig von Hagedorn privatim und anonym in der sich an die „kleinen Geister" richtenden Satire Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden (1736) in der Nachfolge von Liscows Briontes des Jüngeren Rede vor der Gesellschaft der kleinen Geister (1732).287 Hagedorn empfiehlt dort, sowohl das Thema als auch die „Umstände" eines Werks zu bedenken, die „dessen allgemeine geneigte Aufnahme, und wohl gar des Verfassers Sicherheit", verhindern. Mächtigere Gelehrte seien zu loben, „kleine Geister" zu tadeln; am sichersten erscheine der Angriff auf einen toten Gelehrten. Er rät, sich durch „weitläufiges Rühmen und Bewundern" des „Schutzes, und Beyfalls anderer Gelehrten" zu versichern.288 Die Ankündigung dieser Gelehrtensatire im Hamburgischen Correspondenten endet im übrigen mit Versen aus Hagedorns Satyre von dem unvernünftigen Bewundern (VeG 55).289 So vorsichtig Christian Ludwig von Hagedorn auch agiert, nach dem Tod von Johann Ulrich König am 14. 3. 1744 hat er eine vordringliche Sorge: „Wer übernimmt jetzo das Commando der Armée etra Gottsched?"290 Zu 283 284 285 286 287
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Ebda., S.39f. Brief vom 4. 9. 1742, abgedruckt bei Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.132ff., 136. Brief vom 6. 6. 1743, vgl. auch bei Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.129f. [Liscow]: Neue Vorrede, S.38. Die Ankündigung der Satire im Hamburgischen Correspondenten nennt diese in einem Zug mit Liscows Die Nothwendigkeit der elenden Scribenten (Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1737,10. St., unpag.). [C. L. v. Hagedorn]: Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden, S.45, 79ff. Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1737, 10. St., unpag. Undatierter Brief, abgedruckt bei Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.142. Die Namensnennung neuerer Autoren in Hagedorns Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu
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diesem Zeitpunkt verläßt Hagedorn, der selbst Interesse an einer Anstellung am Dresdener Hof hat, 2 " erstmals gegenüber Bodmer die Haltung des zwar gegenüber Gottsched reservierten und kritischen, gleichwohl aber zurückhaltenden Unparteiischen und drängt den Schweizer dazu, auf Gottscheds Kritik an König im Widmungsgedicht der Neukirch-Ausgabe eine Replik zu veröffentlichen. 2 ' 2 Christian Ludwig von Hagedorn hatte seinen Bruder kritisch gegen zu offensichtliche Parteilichkeiten gerichtet - bereits Mitte der 30er Jahre von Bodmers Versuch informiert, mit König Kontakt zu halten, wobei Bodmer heimlich zur gleichen Zeit bei Gottsched gegen König intrigiert und zwischen Zürich und Dresden bereits in den zwanziger Jahren ein literaturpolitisches Bündnis gescheitert war2'3: „Herr Prof. Bodmar, der vor einigen Monath Hr. Hofrath König übel wollte, hat jetzt seine Untersuchung von dem poetischen Geschmack nebst der Abhandlung von der poetischen Gerechtigkeit [...] dem Hr Koenig zum geneigten Urtheil zu geschickt [...]" (um 1736/37; H N 141). Christian Ludwig von Hagedorn ordnet Bodmer in diesem Kontext zu den parteilichen Streitenden, deren Affekte (insbesondere der Neid) vernünftige Urteile unmöglich machten, so daß sie eine „wanckelmüthige[ ] Gewogenheit" an den Tag legten. Aus dieser Perspektive werden Hagedorns oft nur nebenbei formulierte Bemerkungen zur Literaturpolitik der Dresdener in den Briefen an Bodmer bedeutsam: Am 20. 4. 1743 schreibt Hagedorn scheinheilig, es sei ihm aus dem 7. Stück von Bodmers Sammlung deutlich geworden, daß in „Sachsen" noch mehr Feinde Gottscheds zu finden seien als nur Heineken und Rost (B 81). Hamburg und Dresden werden dann als Städte vorgestellt, in denen Gottscheds Einfluß wenig bedeutet, denn jeweils seien dessen Klagen bei der städtischen Obrigkeit - einmal gegen Zink, das andere Mal gegen Rost 294 -
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werden ist hier interessant: Neben den antiken Autoritäten werden von deutschen Autoren Neukirch, Canitz, Besser, der Patriot, Brockes und eben auch König genannt. Friedrich von Hagedorn erwähnt König, der zeitweise in Hamburg tätig war, mehrmals im Versuch einiger Gedichte (VeG 18, 38, 58). Vgl. auch W3, XVII. Neue Irene. May 1806, S.144f. Vgl. zusammenfassend: Guthke: Literarisches Leben, S. 108f. Vgl. dazu: Briefwechsel Gottscheds mit Bodmer und Breitinger, S.360f. sowie die Briefe Königs an Bodmer in Brandl: Barthold Heinrich Brockes, S.139ff. Rost scheint dann allerdings doch unter Gottsched gelitten zu haben. Vgl. seinen Brief vom 4. 12. 1743 an Bodmer in: Litterarische Pamphlete, S.66ff. Brühl sei - so Rost - wegen der Neuberin-Affaire gegen Gottsched aufgebracht gewesen, habe deswegen die Publikation des Vorspiels unterstützt und Rost seinen Schutz zugesichert, dann aber lediglich das äußerste Haft und „Inquisition" - verhindert. Rost fragt daher bei Bodmer an, ob sich in Zürich für ihn Möglichkeiten zum beruflichen Fortkommen ergeben könnten. Liscow sei derzeit nicht in der Lage, ihm weiterzuhelfen: Er sei nicht mächtig genug und zudem in Diensten von Brühls. Bodmer veröffentlich das Vorspiel ein weiteres Mal (vgl. dazu und zu den Zusammenhängen BK 487).
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folgenlos geblieben (B 82f.). Am 3./5. 10. 1743 flüstert Hagedorn seinem Briefpartner geheimnisvoll ein, Rost allein hätte wohl ohne „seine Freunde in Dresden" keine derart bissige Gottsched-Satire verfaßt (B 97). Seinen Bruder will Hagedorn jedoch aus dem Spiel halten: „Ich weiß nicht, wie, nach Ewr. HochEdelgb. Briefe, mein Bruder in den geringsten Verdacht wegen des Vorspiels gezogen worden. [...] ich bin überzeuget, daß er von dem Vorspiele nichts gesehen, ehe es öffentlich verkauffet worden, daß er solchen Fehden nur zusiehet und daß er auch in seinem Dienste [...] zu beschäftiget ist, um zu Aufsätzen von einer solchen Art Zeit übrig zu haben" (B 98) ohne Nebenstunden keine Satire. Christian Ludwig hatte seinem Bruder übrigens genaue Richtlinien gegeben, wie er gegenüber Bodmer dargestellt zu sein wünscht: Das Verhältnis zu Bodmer sei nützlich, solange man nicht in die Kontroversen hineingezogen werde. „Daher kann ich wohl leiden, daß du mich ihm nicht bloß als einen hominem mere politicum, sondern auch als einen Liebhaber der belles lettres caracterisirest, der wenigstens durch die Mittel (d. i.: Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden, S. M.) seine Neigung bloßgegeben [...]" (HN 159). Auch im Brief vom 13. 4. 1744 an Bodmer, in dem Friedrich von Hagedorn erstmals den Tod Königs erwähnt (B 119), kommt er auf die Dresdner Verhältnisse zu sprechen: Er nennt Liscow und Rost als die Verfasser der Dreßdenschen Nachrichten295 und formuliert sein Bedauern über die Einstellung der Zeitung. Auch hier war Hagedorn durch seinen Bruder am 26. 1. 1743 eingeweiht worden, der jedoch von Beginn an die „prudentia" des Unternehmens in Frage gestellt hatte.296 Rosts Satire auf Gottsched kritisiert Christian Ludwig von Hagedorn 1742 im übrigen ebenfalls in einer Satire und Privatpolitik feinsinnig verbindenden Weise: „Der Leser siehet, daß man auf Gottsched böse ist, und dies macht einige Stellen klein. [...] Schreibt man mit aigreur, so gewinnt man den klugen Leser schwerlich so, daß er in unsern Affect entrirt".297 Neben den Äußerungen, die sich kritisch auf Gottsched beziehen lassen (s. o.), stehen bis 1744 immer versöhnliche Bemerkungen: Hagedorn macht sich - nicht ohne Ironie - Sorgen um den in die Enge getriebenen Gottsched (B 81f.). Er formuliert ohne viel Aufhebens seinen Dank für den Austrag des Streits um Der Weise (B 95), was zur Klärung der keinesfalls eindeutigen Rolle Hagedorns in dieser Affaire nicht gerade beiträgt. Denn die Behauptung des Herausgebers der Belustigungen, ihm sei das Lehrgedicht, wie die meisten seiner Beiträge, zugesandt worden, und er habe es daraufhin veröf2,5
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Vgl. dazu: Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S.47ff.; Litzmann: Christian Ludwig Liscow, S.137ff. Brief vom 26. 1. 1743 in: Neue Irene. May 1806, S.136. Neue Irene. May 1806. S.116.
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fentlicht, ist plausibel298, zumal Christian Ludwig von Hagedorn seinen Bruder, wie erwähnt, auch 1743 noch vor einer zu großen Nähe zu den Belustigungen warnt. Geschickterweise leitet Schwabe im übrigen die Vorrede mit zwei Zitaten Hagedorns gegen die „Parteylichkeit oder Tadelsucht" ein. Auch Hagedorns Kritik an Stoppes Fabeln ist mißverständlich, denn entgegen aller Unzulänglichkeiten hatte Hagedorn gleichwohl „verschiedene von seinen (Stoppes, S. M.) Einfällen nicht ohne Vergnügen gelesen [...]" (B 97f.). Er variiert damit die Argumente aus der von ihm als Beleidigung eingeordneten Rezension in den Critischen Beyträgen. Während dort Stoppes „pöbelhafte Wahl" (B 97), wie Hagedorn es formuliert, damit entschuldigt worden war, daß Stoppe als Zielpublikum die Jugend anvisiert habe259, verkehrt Hagedorn diese Erklärung, indem er im Sinne der Poetik der Verbesserung die Jugendlichkeit von der Seite der Rezeption auf die der Produktion verschiebt und die Fehlerhaftigkeit verzeitlicht bzw. die Qualität der Fabeln ins Imaginäre verlagert. Er erkennt in „ihm (Stoppe, S. M.) ein poetisches Naturell, dem nur Kunst und Reife fehlet" (B 98). Und schließlich verteidigt Hagedorn Gottsched gegen die Angriffe in den Critischen Betrachtungen (B 117) und empfiehlt den Schweizern die Selbsterhaltungsstrategie des Leipzigers, der die Schriften gegen sich schon gar nicht mehr zur Kenntnis nehme: „Mit gleichem Rechte könnten also Ew: HochEdelgb. das zwey und dreyßigste Stück der Beyträge ungelesen, mithin unbeantwortet lassen" (B 118; vgl. auch Β 319 und in bezug auf den Lessing-Lange-Streit Β 397) andernorts schürt er den Streit allerdings auch wieder (ζ. Β. Β 33If.). In Reaktion auf Gottscheds gegen die Hofpoeten gerichtetes Widmungsgedicht zur Neukirch-Ausgabe schlägt Hagedorn einen neuen, schärferen Ton an. Am 29. 9. 1744 beginnt Hagedorn sein Projekt mit nur einem lapidaren Satz: „Die Art, womit er den Grafen Gotter [in der Widmung, S. M.] in die Verfolgung hineinziehet, welche er in seiner Vorrede zum Neukirch über die bündige Schreib-Art ergehen lässet, kan ja wohl so wenig diesem Ministre gefallen, als die Anzüglichkeiten wider den damahls eben verstorbenen König in Dreßden rechtschaffenen Leuten angenehm seyn können" (B 134). Hagedorn verläßt dabei - wie im Zusammenhang mit dem Plan eines satirischen Gelehrtenromans nach dem Vorbild von The History of the adventures of Joseph Andrews - die zumindest behauptete Diskursethik, wenn er nicht mehr nur die Schriften, sondern auch die Person Gottscheds einer Kritik ausgesetzt wissen will. Das steht zwar immer als Möglichkeit im Hin-
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Schwabe: Vorrede. In: Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1743.
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Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 1739,
Heumonat, Leipzig 1743, unpag. 22. St., S.302ff.
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tergrund, aber das Verbot der Personalsatire verdeckt diese Option normalerweise. Ich weiß kaum, wie es möglich ist, an [einen] Minister, und überhaupt, eine solche Zuschrift aufzusetzen, a[ls] diejenige ist, die vor dem neuen Drucke des Neukirchs stehet und einem poetischen Manifeste so ähnlich ist. Sie wird auch wohl in den Freymüthigen Nachrichten [...] ihrem Werthe nach, bemerket worden seyn. So schreibt keine Franzose noch Engelländer. Ich weiß nicht, ob nicht auch die NB moralische Betrachtung dieser Zuschrift eine Stelle in den Sittenmahlern verdienet, sowohl als die Vorrede. (B 143)
In einem Brief an Ebert gibt Hagedorn in der rhetorischen Figur der Praeteritio zu bedenken, es sei aufgrund des Widmungsgedichts nicht ratsam, „von den Neigungen, oder, wie die Schweitzer es geben, von den HertzensMeinungen des H. Professors [zu] urtheilen", andernfalls wäre diesem mangelnde „Weltweisheit" und „unphilosophisch[es]a Betragen vorzuhalten (27. 5. 1744; Β 125). Am 11. 5. 1745 kommt Hagedorn dann letztmals auf diese Zusammenhänge zu sprechen. Auch jetzt hält er an der Notwendigkeit einer Entgegnung fest: „Einige Betrachtungen über die Zuschrift vor Neukirch, die kein gutes Hertz, auch keinen feinen Verstand verräth, können allerdings mit gutem Fug eingestreuet werden, und würden auch in denen Amusemens de Misodeme statt finden" (B 151). Am Ende des Briefs übernimmt Hagedorn dann endlich wieder seine Rolle. Programmatisch verkündet er den Rückzug aus der Arkanpolitik: ,,[D]och kenne ich überhaupt die eigentliche Gesinnung der Pleiß-Athenienser so wenig, und sie sind mir auch so gleichgültig, daß ich die Geheimnisse ihrer Eintracht und Zwietracht nicht errathen kan" (Β 154). Leipziger Bremer Ein zweiter Diskursstrang, der sich durch die Briefe an Bodmer in dieser Zeit rankt, betrifft die sich herausbildende neue Konstellation um die Bremer Beyträge.m Die Rezension der König-Gedichte im Hamburgischen Corresfondenten stellt diesen Zusammenhang her.301 Der Rezensent betont, in Hamburg lasse man sich von einem „abgedankte[n] Pächter des guten Geschmacks und ein[em] kurzsichtige[n] Anti=Hallerianer' < nicht beeinflussen. Gerade das Lob von Brockes und Richey, also der das offizielle Hamburg repräsentierenden Poeten, mache deutlich, daß König zwar nicht allemal Meisterstücke abgeliefert habe, aber gleichwohl ein guter Dichter sei - zumal König einige der Gedichte an Hamburger gerichtet habe. Im übrigen zeigten die abgedruckten Briefe und Lobgedichte Gottscheds an und auf König, daß 300
Vgl. zur Rezeption Hagedorns bei den „jüngeren Autoren": Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.54ff.
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Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1745, 96. St., unpag., s. o.
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die unterstellte Feindschaft Gottscheds mit König nichts weiter als üble Nachrede sei: „Der Inhalt gereicht dem Herrn Gottsched zu einer besondern Ehre, und vertheidiget ihn öffentlich wider diejenigen, welche öffentlich behaupten wollen, daß der Herr Professor sich für einen Feind des Herrn von Königs erkläret habe". Wichtig ist dann die Verteidigung einiger literarischer Zeitschriften gegen das Verdikt des König-Herausgebers: Es gehet zu weit, wenn die Schweitzer oder die Freunde der Vernunft meynen, daß alle, welche in Leipzig Deutsch schreiben, zu einer gewissen Secte gehören. Selbst unter den Belustigern sind noch viele, welche ihre Knie vor dem Baal nicht gebeuget haben; daß sogar Schüler von dem Vater dieser Secte des vierten Gebothes so vergessen, daß sie Hallern ihm zur Schmach loben.
Man hat demnach von Hamburg aus einen die eigene Position betreffenden Zusammenhang gesehen zwischen Dresden, Leipzig, Zürich und den verschiedenen, nicht eindeutig zuordenbaren Positionen, aus denen die Bremer Beyträger hervorgehen. Auch hier war Hagedorn informiert und im Hintergrund vermittelnd tätig. Vielleicht erklärt sich daraus auch Bodmers Mutmaßung, die Bremer Beyträge stammten von Hagedorn, Gleim, Kleist und Rost.302 Im April 1744 berichtet Hagedorn Bodmer von dem gerüchteweise bevorstehenden Ende der Belustigungen und einer möglichen Fortsetzung (B 117). Im Dezember desselben Jahres tastet er sich vage an das Verfassergremium heran, das aus „Beeiferern der Belustigungen und heimlichen Feinden dererselben" bestehe. Uber die Beyträge selbst bemerkt er lapidar: „Sie sind artig" (B 137). Tatsächlich ist Hagedorn von Anfang an in die Personalbewegungen um die Belustigungen und die Beyträge durch die Briefwechsel eingeweiht, die er mit beinahe allen Mitarbeitern der sich neu formierenden Wochenschrift 0. E. Schlegel, Ebert, Gärtner, Giseke, Geliert, Cramer, Rabener, Fuchs) führt. Nur am Rand sei bemerkt, daß Hagedorn durch die von ihm vermittelte Perspektive Bodmers Wahrnehmung der Beyträge wenn nicht geprägt, so doch unterstützt haben dürfte.303 Denn Bodmer sieht in den Beiträgen ganz eindeutig eine Opposition zu Gottsched304, was die Reaktionen der Gottschedianer auch bestätigt, etwa Der Witzling (1745) der Gottschedin oder Kästners (mutmaßliche) Abrechnung mit den Beyträgern im letzten Teil der Belustigungen {Der Schriftsteller), die zudem eine Parodie auf 302 303
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Brief von Gleim an Kleist vom 12. 9. 1745 (Kleist: Werke. Zweiter Theil, S.16). Er bringt ζ. B. die Beyträger als Anmerkungsliferanten für die als Satire auf Gottsched gedachte deutschsprachige Adaptation von Popes Dunciad ins Spiel (B 220). In einem Brief vom 15. 3. 1747 (SK2) hatte Bodmer seinen Plan ausgeführt, die Dunciad zu übersetzen und dann seine Freunde Anmerkungen im Hinblick auf die deutschen Verhältnisse machen zu lassen. Vgl. die bei Schröder abgedruckten Briefstellen (Die „Bremer Beiträge", S.126f.).
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Hagedorns Die Verleumdung (W3, 56ff.) ist.305 Aber die Rezensionen zu den Beyträgen sind quer durch die Zeitungslandschaft positiv, was auf die ehemalige Anbindung an Gottsched, die sich auch zur Zeit der Beyträge erhalten hat, auf die programmatische Unabhängigkeit oder auf die Heterogenität der Gruppe zurückgeführt werden kann.306 Während etwa die Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen vermuten, die Beyträge seien aus Unbehagen über das „Gezanke", in das die Belustigungen eingebunden waren, entstanden,307 funktionalisieren die Freymüthigen Nachrichten aus Zürich - und mutmaßlich der Rezensent Bodmer308 - die neue Zeitschrift für den Literaturkampf.309 Die stabile Verfassergruppe der Belustigungen zerbricht nicht direkt an der Opposition gegen Gottsched, sondern vielmehr an den diskurspolitischen Folgen der Mitarbeit an einer Zeitschrift, die - man sieht das an der Wertschätzung Miltons oder Hallers in den Belustigungen - nicht unbedingt zu Recht als Parteiorgan Gottscheds gilt.310 Der Herausgeber Schwabe reagiert auf diese Situation mit diversen Neutralitätserklärungen, die seine Mitarbeiter in ein besseres Licht setzen sollen - immer aber baut er kleine Widerhaken ein. 1742 betont er in der Vorrede, die Belustigungen seien keinesfalls „nur nach dem Leipziger Geschmacke" eingerichtet. „Wir haben hier keine geschlossene Zunft".311 Zugleich aber kündigt er den Beitrag eines Schweizer „Schulhalters" an, der behaupten wird, die Schweizer wollten die Belustigungen nur loben - der „Schulhalter" ist kein anderer als Schwabe selbst.312 Auch in der Vorrede von 1743 betont Schwabe, jeder könne sich an der Zeitschrift beteiligen. „Sie ist kein Werk einer besondern und geschlossenen Gesellschaft, die zu einer gewissen Fahne geschworen [...]".313 Im selben Jahr beschäftigt er sich dann mit dem Vorwurf von Seiten Bodmers und Breitingers, die Belustigungen hätten Hagedorns Der Weise „gekapert". Wie
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Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.132ff. Hagedorn hat die Zusammenhänge analysiert: Β 164. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.44, 67, 115ff., 138f., 141f. Am 11. März 1745, auszugsweise abgedruckt in: ebda., S.116. Vgl. zur Frage der Herausgeberschaft: Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S.41. Am 10. März 1745, auszugsweise abgedruckt in: Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.122ff.). Vgl. auch J. E. Schlegels Position zwischen den Fronten (an Bodmer, 30. 4. 1746; Β 172; von J. E. Schlegel, 4. 9. 1743; EschV 285f.). Vgl. zur Vorgeschichte der Bremer Beyträge·. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.17ff. Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S.18ff., 51f. Schwabe: Vorrede. In: Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1742. Heumonat, 2. Aufl., Leipzig 1744, unpag. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.21. Schwabe: Vorrede. In: Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1743. Jenner, 2. Aufl., Leipzig 1744, S.7.
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erwähnt, betont er die Normalität des Vorgangs - Hagedorns Beitrag sei ihm wie die meisten Beiträge per Post zugekommen - und leitet zugleich die Vorrede mit Hagedorns Versen gegen die parteiischen Splitterrichter ein. Wirklich problematisch wird die Beziehung zwischen Schwabe und den späteren Bremer Beyträgern erst zu dem Zeitpunkt, als Schwabe sein Versprechen, die Belustigungen zu beenden, aus buchhändlerischen Erwägungen heraus bricht. Gleichwohl werden weiterhin Beyträger an den Belustigungen mitarbeiten. Hagedorn wird über diese Bewegungen im Land der Literatur informiert (und hält auch Bodmer zumindest rudimentär auf dem laufenden): An Johann Elias Schlegel schreibt er bereits im April 1744 von dem bevorstehenden Ende der Belustigungen und von einer Fortsetzung unter anderem Namen (B 122). Gleichwohl fragt er bei Ebert im Juli scheinbar unwissend nach: „Werden die Belustigungen nicht fortgesetzet? Sie haben einen so grossen Beyfall daß ich nicht absehe warum man damit aufhören sollte" (B 127). Von Ebert hatte Hagedorn bereits im Februar desselben Jahres Erkundigungen („geheime Nachricht") über die Verfasser der Bemühungen eingeholt (B 105). Zwar kann Ebert hier nicht weiterhelfen, informiert statt dessen aber über die problematische Konstellation, die zur Sezession der Beyträger von den Belustigungen führt (EschV 248f.). Auch ohne Namen zu nennen, läßt Ebert seinem Hamburger Mentor Nachrichten von den neuesten Truppenbewegungen zukommen: „Sie (die „Verfasser der häll. Bemühungen", S. M.) haben eine den Belustigungen sehr nützliche Diversion gemacht. Ich sehe im 7 und 8ten Stücke entsetzliche Zurüstungen zu einem recht blutigen Kriege". Schwabes Strategie der Unparteilichkeit wird dabei ebenfalls - in bezug auf sein Angebot an Pyra zur Mitarbeit und dessen Tod - als Ironie entlarvt (29. 7. 1744; EschV 249). Beinahe zwei Wochen zuvor hatte Gärtner, die treibende Kraft bei der Neuformation, Hagedorn genauer über die Pläne zur Gründung der Beyträge informiert, die Hagedorn bereits mit dem Verleger Sauermann, vor dem er später warnt (an Giseke; H N 63; 25. 11. 1748),314 bis hin zur Namensgebung besprochen hatte (EschV 215f.). Obwohl seine „Mitarbeiter verlangen verborgen zu bleiben", nennt Gärtner die Namen von Schlegel, Straube, Rost und Rabener. Zwei der Beyträger werden im übrigen auf Vermittlung Hagedorns zu Autoren: Giseke wird von Hagedorn direkt mit einem Empfehlungsschreiben für Gärtner versehen (an Gärtner und Giseke, 29. 4. 1745; Β 148)315 und Hagedorns Protégé Gottlieb Fuchs kommt in die Obhut Ra314 315
Auch diese Passage wurde von Eschenburg gekürzt (EschV, 278). An Fuchs, 13. 4. 1748; Β 236; vgl. auch Brief von Rabener, 9. 5. 1747; EschV 222ff. Vgl. auch Gisekes Bericht über seine Initiation in die Beyträger-Zirkel - in demselben Brief berichtet er noch von einem Treffen mit den Gottscheds (SKII 25. 5. 1745). Giseke rät Hagedorn, keine Spenden über Breitkopf zu senden, weil dieser sie Gottsched übergeben würde, welcher ein furchtbarer Wohltäter sei (SKU 5. 10. 1746 u. 25. 10. 1746). Wilke: Literarische
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beners, publiziert in der Fortsetzung der Bremer Beyträge und scheint infolgedessen auch Gottsched verstimmt zu haben. Uber den Leipziger schreibt Rabener: „Er kann es gar nicht verschmerzen, daß ihm diese Beute aus den Klauen entrissen ist" (EschV 226). Neben der Wertschätzung der Hallerschen Gedichte erklären die Beyträger insgesamt ihr Faible für Hagedorn zum Grund für die Spaltung von den Belustigungen,316 In einem Brief an Bodmer beschreibt J. E. Schlegel, der mit Sicherheit weiß, wie er seinen Briefpartner gewinnen kann, die katalysatorische Funktion Hagedorns: „Hrn. D. Hallers und des Hrn. von Hagedorn Poesie [machten], daß die Gottschedischen Gedichte auf den Repositorien bestäubt stehen blieben [...]"317 - allerdings hatte Schlegel sein Schreiben, an den Herrn von Hagedorn in den Belustigungen publiziert.318 Ende der vierziger Jahre treten die Verfasser Anstellungen an verschiedenen Orten an, und auch die Differenzen zwischen ihnen dürften zur Zerstreuung und zur Auflösung der Beyträge geführt haben, die in einer von den originären Beyträgern nicht akzeptierten Form von Dreyer fortgesetzt werden. Hagedorn hatte Giseke über dieses Unternehmen - wie zuvor über die Arbeit an den Beyträge«319 -, das scheinbar insgeheim vom Verleger der Beyträge, Sauermann, vorbereitet worden war, berichtet (9. 8. 1748; Β 243). Sauermann war es auch, der das Gerücht verbreitet hatte, Hagedorn arbeite an den Dreyerschen Beyträgen mit.320 Tatsächlich steht Hagedorn lange Zeit mit Dreyer in Verbindung, bleibt aber immer bei seiner Einschätzung, man habe es zwar mit einem begabten, aber zu unruhigen Geist zu tun, einem „rechte[n] Günther" eben (B 136; vgl. auch Β 105). Giseke schreibt daher an Hagedorn: „Sie werden wohl herzlich gelacht haben, als Seip Ihnen gesagt hat, daß man in Leipzig von Sauermanns Seite aussprengte, Sie arbeiteten an den Dreyeri-
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Zeitschriften des 18. Jahrhundens, S.56. Vgl. zur privatpolitischen Beratung Gisekes: Β 178f. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.25. Brief vom 30. 10. 1745 in: Literarische Pamphlete, S.80. J. E. Schlegel schreibt unter dem Pseudonym „Orontes" an Bodmer aus Angst, der Brief könnte in falsche Hände gelangen (ebda., S.81). Auch zur Anonymität der Beyträger äußert Schlegel sich ausführlich und stellt die Beziehung zur Verbesserungsästhetik her (ebda., S.85f.). Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1743. Brachmonat. Zweyte Auflage, Leipzig 1744, S.547ff.; vgl. auch Β 97. Am 30. 4. 1746 schreibt Hagedorn Aufschlußreiches zum Zusammenhang von Literatur- und Privatpolitik: „In seinen itzigen Umständen, da er suchen muß, ein homo politicus zu werden, wird er schwerlich seinem Bruder folgen und öffentlich mit G. anbinden, mit dem er sonst unzufrieden zu seyn scheinet" (B 172). In Gisekes Briefen finden sich immer wieder Auflösungen der Autorschaft einzelner Beiträge (SKII 25. 5. 1745, 25. 10. 1746, 16. 1. 1747, 13. 5. 1747) - meistens nennt Giseke dabei, wie in einem Brief an Brockes (SKII ohne Datum, ca. 1745), seine eigenen Werke. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.177ff.
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sehen Beiträgen" (25. 11. 1748; EschV 278) - Hagedorn scheint nicht einmal geschmunzelt zu haben (B 257). Kurzum: Hagedorn ist eine zentrale Figur in den Spielzügen, die die Positionen auf dem literarischen Feld wenn nicht neu verteilt, so doch an wichtigen Punkten verschoben haben. Dabei bindet ihn die Inszenierungsform, mit der die Beyträger sich als „Freunde" aufführen, in die neue Konstellation ein. Die Selbstdarstellung als freundschaftlich konstituierter Kreis, in die insbesondere Ebert viel poetische Arbeit investiert321, führt auch hier - wie bei Hagedorns Selbstentzweiung in den aktuellen Autor und sein antikes Vorbild Horaz - zu einer Verbesserungsästhetik. Schmid beispielsweise habe beinahe die Dichtkunst aufgegeben, wie Ebert Hagedorn am 29. 7. 1744 berichtet, weil in den Belustigungen eine seiner Oden mit einem Druckfehler erschienen sei; in Zukunft wolle er vor Druckfehlern sicher sein (HN 42). Die wechselseitige Kritik bringt aber nicht nur Variationen in den zweiten Auflagen der Beyträge322 hervor, auch die Spannungen innerhalb der Verfassergruppe werden dadurch nicht unwesentlich gefördert323 - die Kritik durch einen verstorbenen Autor ist da schon weniger brisant. Hagedorn selbst wird mit der Kritikbereitschaft der Beyträger konfrontiert, als er die Ubersetzung eines Anonymus aus Lukians Totengesprächen einreicht (B 144; BK 536). Gärtner vergleicht im Frühjahr 1745 die gerade erschienene Gottschedsche Ubersetzung des Lukian mit der „Hamburgischen" und kommt zu dem irenischen Urteil, beide Ubersetzungen seien in manchen Teilen ihrem Gegenstück voraus. Von Lukian selbst aber würde er sich wünschen, „daß das Original selbst hin und wieder artiger, die Satire darin etwas feiner, und mehr nach unsern Zeiten eingerichtet wäre" (17. 2. 1745; EschV 218). Er bittet sich daher die „Freiheit" aus, „einige Stellen darin ändern zu dürfen, wenn ich auch dabei von dem Original abweichen, und solche nach der Ubersetzung des d'Ablancourt einrichten sollte" (EschV 218), was eine Anmerkung zu dem betreffenden Stück in den Beyträgen dann auch anführt.324 Hagedorn stimmt Gärtner hier im übringen zu (B 145). Noch für Wieland war Der Verkauf der Philosophischen Secten in seiner Lukian-Ubertragung ein Skandalon, wobei Wieland gegen das erklärte Lob „alle[r] mir bekannten Übersetzer" votiert und das satirische Verfahren Lukians verwirft, das „Lächerliche" nicht aus der „Sache" selbst zu entwickeln, sondern es in diesem Fall erst durch Verbiegungen des Materials in die „Sache" hineinzulegen.325 321 322 323 324
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Ebda., S.48. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.77. Ebda., S.139. Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S.53. Ausruf der philosophischen Sekten aus dem Lucían. In: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd., 2. Aufl. 1748, 5. St., S.471. Lukian: Lügengeschichten und Dialoge, S.327.
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Für Gärtner nun ist die Übersetzung ein friedensstiftendes Moment. Uber die manifesten Unterschiede hinweg - Hagedorn würde sagen, über die „Wörter" hinweg - wird ein Gemeinsames gefunden: der „Geist". A m Ende seiner programmatischen Einleitung zu den Beyträgen schreibt Gärtner, eine Briefstelle an Hagedorn nahezu wörtlich wiederholend (EschV 215): Wir nehmen uns auch vor, alle Partheylichkeit zu vermeiden. [...] Da wir auch nicht willens sind, das Maaß und die Gränzen des deutschen Witzes durch unsre Versuche zu bestimmen, sondern unsern Lesern nützlich zu seyn, und dieselben zu vergnügen: So werden wir bisweilen einigen Ubersetzungen, oder freyen Nachahmungen ausländischer Schriftsteller den Platz nicht versagen. Wenn die Stücke nur gefallen: So wird es dem Leser sehr gleichgültig seyn, ob er dieselben einem Griechen, einem Römer, einem Engelländer, einem Franzosen, einem Schweitzer, einem Niedersachsen, oder einem Leipziger zu verdanken hat. 326
Die weitere Entwicklung der Beyträger unter dem Einfluß Klopstocks macht allerdings deutlich, daß das nur eine Seite der Medaille ist. Denn nicht nur scheitert die geistige Kritikgemeinschaft in ihrem Innern an der Beharrung auf individuellem Geschmack - gerade Geliert scheint wenig einsichtig gewesen zu sein -,327 sondern auch nach außen legt sie in der Arbeit an einem neuen Autorbild328 zunehmende Arroganz und Ignoranz an den Tag, deren Verwandtschaft mit der satirischen Perhorreszierung des „Pöbels" zumindest im Blick bleiben sollte. Wichtig war dabei die Aura, die um die Beziehung zwischen den Beyträgern und Hagedorn beschworen wird. Ebert bindet ihn gleichsam als testis imaginarius in die Verfasserschaft ein: Meine Freunde wünschen sehr oft in Hamburg zu seyn, um sowohl durch Ihren Umgang ihr Leben vergnügter zu machen, als auch durch Ihre Kritiken ihre Schriften zu verbessern. Wir sind schon einigemal im Scherze auf den Einfall gekommen, alle nach Hamburg zu ziehen; und Hr. Rabener hat die Unkosten, die wir darauf wenden müßten, schon berechnet. Vielleicht würden unsre Beiträge dann nicht allein dadurch einen merklichen Vortheil erhalten, wenn wir sie Ihrer Censur unterwerfen könnten, sondern auch dadurch, daß sie der Leipziger Censur entgingen.
Die Begegnung mit Hagedorn imaginiert Ebert als poetisches Erlebnis, in dem Vergnügen und Kritik zusammenfinden. Das kann vor allem im Scherz geschehen, dessen Virtualität gemeinschaftsstiftend wirkt, und zwar gerade
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Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd. 3. Aufl., Bremen / Leipzig 1750, 1. St., S.6f. Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.139ff. Vgl. dazu Schröder: Die „Bremer Beiträge", S.163ff.
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in bezug auf Hagedorn, der die prekäre Mitte zwischen Poesie (Schrift) und Leben (Handeln) hält." 9 Sich Hagedorns „Censur" zu „unterwerfen",330 bedeutet daher nichts anderes, als eine Autorität anstelle Gottscheds zu setzen, die mit der eigenen Position derart konvergiert, daß sie sich als Autorität dem Kreis einverleiben läßt, ohne ihre autoritative Funktion innerhalb des Kreises faktisch auszuüben. Der Freund - so wird Klopstock in seinem Briefwechsel Von der Freundschaft schreiben - kommt durch Selbstkritik der Kritik von Seiten des Vertrauten zuvor, oder er beugt sich den „stärkern Gründen" und erfreut sich an der Tatsache, mit dem Freund einig zu sein, ohne den inhaltlichen Verlust seiner Position zu bemerken.331 Anders als in dem sich von Horaz herschreibenden Topos, man solle die Poesie durch Freunde überprüfen lassen, bei dem es um die Poesie selbst geht, erfüllt sich die Kritik, wie Klopstock sie darstellt, in der transverbalen Inszenierung von Gemeinsamkeit. Hagedorn liefert dabei das Medium der Gemeinschaftsbildung: „Ich singe Ihre Oden sehr oft unter meinen Freunden, die sie auch von mir singen lernen" (EschV 256). Hagedorn repliziert durchaus angemessen, indem er eine besondere hermeneutische Kompetenz für sich in Anspruch nimmt, die aus der Vertrautheit mit Ebert entspringt: „Ich bilde mir ein, fast immer errathen zu können was Sie in dieser beliebten Sammlung (den Bey trägen, S. M.) verfertiget haben" (8. 2. 1745; Β 144).332 Am 12. 4. 1745 hatte Bodmer ja Lange berichtet, daß Hagedorn ihm gegenüber nur Andeutungen über die Verfasser der Beyträge gemacht habe, die Beyträge würden „von Beeiferern der Leipziger Belustigungen und heimlichen Feinden derselben verfasset". Und auch er ordnet Hagedorn den Beyträgern zu: „Ich dürfte schier muth-
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Vgl. Johann Elias Schlegels Beschreibung Hagedorns in An den Herrn von Hagedorn (1743), in der sich poetische und transliterale Motive einerseits, politische und empfindsame Motive andererseits verschränken: Gegen die gelehrten Anmaßungen repräsentiert Hagedorn ein „ungelehrtes Wissen, / Wo gut zu reden ist und wo wir schweigen müssen, / Wie man die Wahrheit sagt, und nicht zu meistern scheint, / Im Nothfall sich verstellt, und es doch redlich meynt, / Bey Vorsicht ohne Zwang nicht eilet und nicht zaudert, / Nicht schweigt, nicht mürrisch spricht, viel redet, doch nicht plaudert, / Der Arbeit Runzeln sich durch edlen Scherz vertreibt, / Und alle Lust gebraucht, und doch in Schranken bleibt, / Und was der alten Welt bejahrte Schriften sagen, / Weis als sein Eigenthum im Scherze vorzutragen. / Gewiß, der Umgang giebt die beste Wissenschaft, / Die mehr die Herzen trift, als Schriften ohne Kraft". Das Fazit ist dann: „Und jeder hat umsonst den Büchern sich ergeben, / Der nicht vergnügter lebt, als andre Leute leben" (Werke. Bd.IV, S.115f.).
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Vgl. zur Kritikerfunktion der „Freunde" ζ. Β. Β 10, 128, 138 (dazu: EschV, 173), 159 (dazu: BK 547), 224, Β 369 (dazu: BK 691), EschIV, 62ff. Klopstock: Ausgewählte Werke. 2. Bd., S.937, 941. Vgl. zur Lektürekompetenz auf Seiten der Beyträger den Brief Gisekes vom 28. 6. 1751 (EschV 283).
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maßen, daß er selbst einer der Verfasser wäre"333 (vgl. auch EschV 189). Für die Beyträger war Hagedorns Poesie ein minderwertiger Ersatz für den Verfasser, um es mit Zachariae zu sagen: „So groß der Dichter war, war nicht der Mensch noch grösser?" Das bedeutet umgekehrt, daß Hagedorn (potentiell) von seiner Autorschaft abgedrängt wird, wobei der Verfasser augenblicklich wieder als Autor begriffen wird, der reine Poesie verkörpert: „Sein Umgang war dennoch ein steter Unterricht, / Und was er lachend sprach, war oft ein Sinngedicht".334 Die empfindsamen Ansätze in Eberts Schreiben bestimmen vier Jahre später dessen Briefstil vollkommen. Am 8. 4. 1748 formuliert er eine kleine Theorie der Freundschaft aus Anlaß der Reise Gisekes zu Hagedorn. In einer komplizierten Konstruktion, die auf mehreren Ebenen agiert, überlagert er seine eigene Person mit den Personen Hagedorns und Gisekes. Giseke soll als „Zeuge[ ]" - als testis - für die Wertschätzung Hagedorns durch Ebert fungieren. Das Wagnis, einem anderen dieses Unternehmen anzuvertrauen, entschärft Ebert, indem er Giseke gleichsam zum potenzierten Selbst erklärt: „Ich bin ja sicherer, als wenn ich selbst bei Ihnen wäre" (EschV 266). Die Klage darüber, daß Giseke Hagedorn wieder verlassen muß - noch ist er gar nicht bei ihm angekommen -, also die empfindsame Erzeugung des Imaginären durch die grammatische Figur der vollendeten Zukunft, hält sich mit dem Neid im einfachen Futur die Waage, „daß er (Giseke, S. M.) jetzt die glückliche Gelegenheit hat, von einem Manne umarmt zu werden, dessen Umarmung meine Seele noch empfindet; mit einem Manne aufs vertrauteste zu reden, von dem ich mir fast alle Worte so genau gemerkt habe, wie seine Gesichtszüge; und mit dem man selbst so sorglos und frei reden darf, wie man bei sich selber redet" (EschV 266). Gerade der Abschied eines Freundes läßt Ebert „den Zusammenhang, in welchem ich mit allen rechtschaffenen Herzen stehe", bewußt werden - erinnert sei an Hagedorns Trinkspruch auf die abwesenden Freunde (vgl. Kap. 4.). Der bedeutende Ubersetzer Ebert überträgt sich hier in seine Freunde, indem er „Seele" und „Körper" unterscheidet (nur die „Seele" kann die vergangene Umarmung als gegenwärtige empfinden), ebenso wie der Übersetzer die Sprachen durch die Trennung von „Geist" und „Wort" zusammenführt (s. u.). Jeweils genießt man sich selbst im Fremdgenuß.335 Der Andere vertritt die eigene Person 'besser', so daß das Gespräch mit dem imaginierten Anderen das Selbstgespräch variiert. Das ersetzt den direkten Umgang ebenso wie die poetische Schrift. Uber Fuchs schreibt Ebert an Hagedorn: „Er
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Brief vom 11. 4. 1745 in: Lange: Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe. Erster Theil, S.115. Vgl. auch die Mutmaßungen über Verfasserfragen Β 179f., 257, 271. Zachariä: Gedicht dem Gedächtnisse des Herrn von Hagedorn gewidmet, S.7f. Dazu: Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, ζ. B. S.85.
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hat die meiste Zeit gewiß besser gedacht, als er sich ausgedrückt hat" (15. 1. 1748; EschV 261). Zwar grundiert die rhetorische Idee von der Einkleidung der Gedanken die Unterscheidung zwischen Denken und Dichten, aber im Gegensatz zur Rhetorik, die die Gedanken nur in der mehr oder weniger wirksamen Einkleidung zugänglich macht, übersteigt Ebert gerade den Ausdruck. Er benötig daher transverbale Zeichen, am besten einige Tränen: „Sein Gefühl ist sehr gut, und ich habe gesehen, daß ihm bei einem edlen Sentiment, bei einem neuen und kühnen Gedanken, wie mir, die Augen plötzlich von Thränen aufgeschwollen sind" (EschV 261).336 Die Beyträger schließen mit der Inszenierung von Freundschaft an Hagedorns „Traum" 337 an, mit dem er seine Jugend wiederholt (vgl. Kap. 2.4). In den Briefen an Giseke arbeitet Hagedorn wie nur noch in den Briefen an seinen Bruder den Bruch in seiner Biographie auf, zu dessen positiver Vorgeschichte auch die Vorstellung zwar nicht vollkommener Freundschaft, aber doch unbeschwerter Geselligkeit gehört. „Hernach gab mir, wie andern, das Glück und die immer nöthigere Sorgfalt so viel zu schaffen, daß mein voriges Leben mir fast selbst wie ein Traum zu seyn schien" (25. 7. 1748; Β 241). Für die literarische Arbeit hatte Hagedorn das ja bereits im Versuch einiger Gedichte formuliert (VeG 89; vgl. Kap. 3.2). Hagedorn will hier den Leipzig verlassenden Giseke über den Verlust der Freunde hinwegtrösten und übernimmt eine gleichbleibende Formel dafür aus dem Erklärungsmuster, mit dem er seine Biographie zu beschreiben pflegt: „Das ist der Lauf der Welt" (B 241). Von nun an bleibt Giseke wie Hagedorn nur noch die freundschaftliche Uberwindung der Distanz im „Brief-Wechsel" (B 241f.), dessen „Klagen" nicht wirklich beim Wort zu nehmen sind - andernfalls hätten Giseke wie Hagedorn doch Grund, sich in ihrer freundschaftlichen Bedeutung gemin-
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Im übrigen werden diesen Briefen (noch) nicht die von Albrecht Koschorke als spezifisch empfindsam bezeichneten Qualitäten der Stellvertreterschaft übertragen: Man umarmt keine Briefe, küßt sie auch nicht oder spricht mit ihnen (Koschorke: Alphabétisation und Empfindsamkeit, S.610), sondern man umarmt einen andern Freund anstelle des eigentlich umarmten, oder man umarmt im Geist: „Ich umarme sie in Gedanken so oft ich Gärtnern persönlich umarmen werde [...]" (von Giseke; 4. 4. 1749; H N 64).
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Die Entrealisierung, die das Traumargument bewirkt, hat seinen Grund. Denn die Studentenfreundschaft gehört nicht zu den Freundschaften, die der Freundschaftstheorie, zumal der neueren, angemessen ist. Sie ist eine „amicitia falsa": „Zum Exempel ein paar Studenten machen Brüderschafft mit einander, fressen und sauffen etc. mit einander in bona caritate, lauffen auf die Dörffer mit einander, singen und springen mit einander, tumultuiren mit einander, und lernen darbey nichts mit einander, sondern kommen wieder nach Hause als inutilia patria pondera. Und gleichwohl pflegen solche Leute nach vielen Jahren noch zu sagen: Ich und Titius was waren wir nicht vor gute und vertraute Freunde mit einander auf der Vniuersitiú Da doch keinesweges einer des andern Bestes befördert [...]" (Heumann: Der politische Philosophus, S.262f.).
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dert zu sehen. Vielmehr gilt es, das Faktum des Klagens selbst als Zeichen der Freundschaft zu lesen, die eben immer über oder hinter den Buchstaben zu suchen ist und sich von Worten nicht irritieren lassen darf: „Sie dürfen Sich nicht entschuldigen, daß Sie gegen mich Ihre Klagen ausschütten. Auch diese sind mir Merkmahle Ihres Vertrauens, und ich bitte, solches gegen mich niemahls aufhören zu lassen" (B 242). Lamentieren zum Zweck der Affektdämpfung gilt als anerkannter Freundschaftsdienst.338 In diesen Zusammenhang der sentimentalen Erinnerung der Jugend gehört dann noch ein weiteres Zeugnis von Hagedorns Wirkung und Funktion: Die von Cramer und Giseke 1748/49 herausgegebene Wochenschrift Der Jüngling wählt sich nicht mehr ein Horaz-Zitat oder ähnlich gesicherte Klassizität zum Motto, sondern schreibt sich zwei Verse aus Hagedorns Der Jüngling aufs Titelblatt („[...] [U]nsre Wissenschaft ist Freude, / Und unsre Kunst Gefälligkeit"; W3, 73). Das Programm der Freundschaft entspricht dabei dem Programm der Titelvignette, die eine Lzeí2í¿í-Personifikation zeigt. Die Freude löst ja durch Hagedorn mitverantwortet das Inspirationsmodell der Musen durch das der Selbstinspiration ab, hier also durch die Inspiration des Dichters durch das „bessere Bild" seiner selbst (Kap. 4.1). Traditionsverhalten I: Nachruhm, Aemulatio, Auslegung, Übersetzung Hagedorns Status als testis imaginarius der Beyträger etabliert ihn auf einer zugleich exponierten und marginalisierten Ebene - wie im Fall der Nebenstunden können auch hier die jeweils brauchbaren Momente akzentuiert werden. Freundschaftliche Begegnung setzt sich wie das Schreiben immer dem Risiko des Mißverstehens aus. Die Empfehlung, nicht auf die Wörter oder die Handlungen zu schauen, sondern die Freundschaftlichkeit auf einer anderen, nicht sichtbaren, sondern nur durch (Vor-)Wissen konstruierbaren Ebene zu suchen (Kap. 4.1), ist zwar anspruchsvoll, mindert aber das Risiko. Wenn es dann doch einmal um Worte und weniger um den „Geist" geht, kommt es leicht zu Verstimmungen, etwa bei der gegenseitigen Kritik.339 Freilich können Bedeutungen noch problematischer werden, wenn der Leser kein von der Integrität des Autors überzeugter Freund ist. Da der Text nicht mehr unter der Kontrolle des Autors steht, bleibt diesem nur noch, antizi338 339
Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.137. Daraus ergeben sich entsprechende Vorsichtsmaßnahmen: „Entdecken Sie uns Ihre Urtheile aufrichtig, als Schriftstellern, welche sich von Kennern gern tadeln lassen, um auch einmal ihr Lob zu verdienen. Oder, wenn Sie zuweilen Bedenken tragen sollten, dieses zu thun, so entdecken Sie dieselben doch mir, als einem Freunde, auf dessen Verschwiegenheit Sie sich auch hierin eben so sehr verlassen können, als er sich auf die Ihrige verließ, da er Ihnen die Einrichtung und Grundgesetze unsrer Gesellschaft meldete. Mit dem Vertrauen auf eben diese Tugend werde ich Ihnen die Namen der Verfasser eines jeden Stücks entdekken, wenn Sie dieselben zu wissen verlangen" (14. 12. 1744; EschV 254f.).
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pierend um den Text herum die Lauterkeit seiner Absichten darzulegen - z. B. in einem Vorbericht zu den moralischen Gedichten - und auf Wörtlichkeit zu beharren: „Der Verfasser einer Schrift, die den Menschen lebhaft und sehr ähnlich abschildert, ist gewiß glücklich, wenn die gefährlichen Leser, deren Erleuchtung nicht über die Dämmerung gehet, ihm nicht gar bald heimliche Absichten beymessen, die ihm nicht einfallen können, und endlich Schriften andichten, welche sie selbst gemacht zu haben verdienten" (W1,X). Der Autor bleibt nur singular, solange er sich still verhält, denn Sprechen macht vergleichbar. Gleichwohl stehen ihm einige Verfahren zur Verfügung, Einzigartigkeit über Vergleichbarkeit zu inszenieren. Er bezieht sich dann durch etwas anderes bzw. durch einen anderen auf sich selbst, verwendet den anderen als Medium der Selbstdarstellung und Selbstbezüglichkeit. Das Geheimnis der in sich gespaltenen Singularität inszeniert Hagedorn in seiner Beziehung zu Horaz, und jedem der Beyträger steht offen, Gleiches mit Hagedorn zu versuchen, wobei immer mit Irritationen zu rechnen ist. Wie gesagt: Ein toter Autor ist ungefährlicher für Deutungen als ein lebender. Die ambivalente Bewertung von Autonomie und Heteronomie begründet Hagedorns schwieriges Verhältnis zum Nachleben der Texte. Die „Nachwelt" tritt dabei in zwei entgegengesetzten Rollen auf: Sie bestätigt einmal die Selbstbedeutsamkeit des Textes, ein anderes Mal seine Abhängigkeit. Uber Bücher, die an sich gelesen zu werden verdient hätten, wird nur geschrieben, wenn „Gottsched oder Bodmer ihre Aussprüche ergehen lassen" (an C. L. v. Hagedorn, 28. 11. 1753; Β 387). Die Unsicherheiten steigen aber mit der Zeit derart, daß nicht einmal die parteipolitischen Versicherungen weiterhelfen. Das Buch braucht dann schon einen Schutzgeist, ohne den es in der Flut der Schriften untergeht. Weder „Ordnung, noch Geschmack", weder „Fleiß, noch Gründlichkeit", weder Lehre noch Widmung geben „der Dauer Sicherheit" {Die Schriftsteller-, Wl, 128). Bereits der Versuch einiger Gedichte spielt Verschriftlichung und Handeln gegeneinander aus: Der in sich selbst zufriedene Weise handelt richtig und liest diesen „wahrhaftig[en]" Nutzen zwar nicht in einem „Zeiten=Buch", aber „in aller Hertzen" {Die Grösse eines weislich = zufriedenen Gemähtes·, VeG 45). Die Herzensschrift überschreibt die sichtbare Schrift, die erst mühsam als Handeln interpretiert werden muß. In diesem Sinn setzt Hagedorn dann die bezuglose, in sich ruhende „Wahrheit" (vgl. Kap. 4.1) und die „Nachwelt" gegeneinander {Stentor, W2, 57). Die Autonomie der Wahrheit wie des ihr verpflichteten Dichters ist das eine; ein anderes ist die Lektüre der Alten und die Skrupulosität der Selbstkritik, die sich aus dem Antrieb herleitet, das „Werk der Tadelsucht [zu] entziehn". Die Nachwelt tritt dann als unparteiischer Richter auf: „Jahre
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sind es, die den eigentlichen Werth der Werke des Witzes festsetzen. Freunde und Feinde sind partheyisch. Nur die Nachwelt entscheidet ohne Vorurtheile" ( W l , X). Gerade bei den Werken der Alten (vgl. z. B. W l , 28 oder 104f.), die das praeiudicium antiquitatis vor Schmeichlern, Parteilichkeiten und dergleichen ohnehin schützt, verweist der Nachruhm auf ihre Qualität. Wie auch immer: Hagedorn unternimmt auffällige Anstrengungen, sein Werk für die Nachwelt aufzubereiten (vgl. Kap. 3.2) - „exegi monumentum" läßt er unter sein Werk setzen (vgl. Kap. 1.2). Was aber geschieht mit den weniger durchgearbeiteten Werken, ζ. B. den Briefen, nach dem Tod? Ehe ich schliesse, wiederhohle ich aufs inständigste meine Bitte, wenn ich, unter 2 Medicis wie itzo wahrlich so möglich ist als jemals, mit Tode abgehen sollte, meine, in der vertrautesten Offenherzigkeit, Unordnung und Nachlässigkeit, an Sie geschriebenen Briefe, keinen ausgenommen, weder gantz noch, als halb-verrätherisch, extractsweise der Gefahr bloßzustellen, ans Licht zu kommen, als wozu ich unter keiner Bedingung einwilligen kan noch werde, (an Bodmer; 24. 9. 1754; Β 403f.; vgl. schon Β 395)
Auch das verträgt sich mit der politischen Vorsicht, wie Sulzer bemerkt, als Christian Ludwig von Hagedorn noch 1774 die Briefe seines Bruders zurückhält. 340 Gisekes Schreiben an den Herrn von Hagedorn beschäftigt sich in signifikanterweise mit Vor- und Nachbildlichkeit. 341 Der Autor hat hier als Vorbild auf den ersten Blick den bedeutenderen Ort im Diskurs: Ohne ihn gibt es keine Poesie. Aber gibt es Poesie ohne Leser? Und wenn es Leser gibt: Verstehen sie das, was sie lesen? Verstehen sie es richtig? Und vor allem: Was heißt „richtig verstehen"? Die Unsicherheit und damit auch die Vielfalt der Möglichkeiten liegt auf Seiten der Leser. Das haben sie dem Autor voraus. Bei Giseke tritt der sich der Kontrolle des Autors entziehende Leser in Gestalt des pedantischen Schulgelehrten auf. Ihm empfiehlt Giseke Hagedorns lehrreiche Poesie, ohne jedoch letztlich auf deren Darstellungstechnik zu vertrauen. Der geschmacklose Leser kann das Gedicht, das ihm Ge-
340
„Ich habe keine Hoffnung, ihre Briefe an Hagedorn von seinem Bruder zu bekommen. Cet honnête-homme
est le plus minutieux
et le plus ombrageux
des mortels·, und jetzt, da er meist
ganz blind ist, müßte er, um diese Briefe aus seinen papierenen Schätzen herauszufinden, einen Fremden über sein Pult lassen, wozu ihn gewiß kein Mensch bereden wird" (Sulzer an Bodmer; 24. 12. 1774 in: Briefe der Schweizer, Bodmer, Sulzer, Geßner, S.426). 341
„Du weißt viel kräftiger, als einer unsrer Weisen, / Was Menschen glücklich macht, den Menschen anzupreisen, / Du, dessen starkes Lied den aufmerksamen Geist, / Durch alle Neigungen, als Sieger, mit sich reißt [...] / Dem edlen Weisen gleich, den Du uns abgemalt, / Hegst Du in Deiner Brust, was Dir kein Schatz bezahlt, / Ein Herz, das von dem Streit der Wünsche nicht empöret, / Allein der Menschenlieb' und Großmuth zugehöret. / Du bist so, wie Dein Vers, gefällig, lehrreich, frey, / Und Deinem Freunde stets noch mehr, als nur getreu" (Giseke: Poetische Werke, S.61).
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schmack vermitteln soll, fatalerweise nicht goutieren.342 Gisekes Metapher vom wächsernen Herz des Lesers343, das Hagedorn bearbeitet, hat dabei zweierlei Funktion: Die Metapher führt Lektüre und Wirkung zur Einheit zusammen, und sie verweist auf eine Natürlichkeit, die die Schrift gerade nicht besitzt: An die Stelle des Dichters, der sich in das Herz eingeschrieben und sich in die Wachstafel des Gemüts eingetragen hat (VeG 45), rückt der Bildner, der das Herz direkt (schriftlos) in Form bringt.344 Der Autor dringt in den Leser ein, und umgekehrt assimiliert sich der Leser dem oder den Autor - aber wie finden die beiden zusammen? Giseke gibt Hagedorns Publikum Anweisungen, wie es sich dem Werk gegenüber zu verhalten hat. Der Autor braucht einen kompetenten Leser (einen „Freund"), er braucht eine Komplementärrolle (Kap. 3.1). Lichtenberg hat das auf seine Art formuliert: „Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich kein Apostel heraus sehen. Wir haben keine Worte mit dem Dummen von Weisheit zu sprechen. Der ist schon weise der den Weisen versteht".345 Mit einem Wort: Es geht um die Paradoxic der Geschmacksbildung. Wie soll jemand ohne Geschmack die guten Bücher finden, die seinen Geschmack bessern? Geschmacksbildung bedeutet für den Autor die Erschaffung eines Lesers, nachdem die Poesie sich immer weiter von einer in der mehr oder weniger direkten Interaktion kontrollierten kommunikativen Situation verabschiedet hat, seitdem sie also (Druck-) Schrift geworden ist und in einem unkontrollierbaren Markt nach der Publikation verschwindet und in Kritiken (oder Verkaufszahlen) wieder auftaucht. Als Beiträge dazu lassen sich Hagedorns Bemerkungen zum Traditionsverhalten verstehen, zu Fragen der Auslegung, Nachahmung und Uber-
342
„Versuch es, Hagedorn, und sing ihm, Hallern gleich, / Dein unvergänglichs Lied, an weisen Sprüchen reich, / Das Tugend, die es nicht langwierig definiret, / In einem Lichte zeigt, in welchem sie uns rühret, / Dadurch du den Verstand mit Wahrheit bald erfüllst, / Und unser wächsern Herz so bildest, wie du willst. / Er wird, so viel du singst, doch nichts als Reime hören, / Und nirgends Wahrheit sehn, und gründlich es beschwören" (ebda., S.66).
343
Vgl. zur Rolle des paulinischen Topos von der Herzensschrift im 18. Jahrhundert durch das neue Verständnis von Unmittelbarkeit: Pfotenhauer: Einführung, S.557. Vgl. zum cartesianischen Bild eines Wachsgehirns Behrens: Die Spur des Körpers, S.566f. Vgl. zur Beschriftung der Seele als Verfahren einer von „Reden und Bildern" beherrschten Kultur: Koschorke: Seeleneinschreibeverfahren. Vgl. auch Gellerts Polemik: „Was sind Buchstaben im Herzen? Wie kann man sie sehen? Soll der Gedanke einen Verstand haben, so muß er so viel heißen: Sie kennen mein Herz, und wissen, daß ich alle die Empfindungen habe, die zu einer aufrichtigen Danksagung, nicht aber zu einer Rede überhaupt, nötig sind" (Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S. 147). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Koschorke: Piaton / Schrift / Derrida, S.44f.
344
345
Lichtenberg: Schriften und Briefe. 1. Bd. Sudelbücher I, S.394.
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setzung. Hagedorn versucht an diesen Stellen sozusagen Autorbildung bzw. Selbstsorge und Leserbildung bzw. Soziabilität zu synchronisieren. Hagedorn schlägt vor, die Literatur selbst schon als geselliges Ereignis zu konstruieren, im Sinne einer Auseinandersetzung mit Vorgängern im Blick auf den Leser. Wenn man Lehrgedichte schreiben, Wahrheiten oder Wahrscheinlichkeiten poetisch, und etwa so vortragen will, wie ich einige, ζ. E. von der Glückseligkeit und von der Freundschaft, abgehandelt zu haben wünsche; so ist es, wie mich deucht, nicht genug, daß wir, in einer stillen, aufmerksamen und wiederholten Unterredung mit uns selbst, unsre eigenen Begriffe bestimmen. Ein Dichter macht nicht immer die beste Figur, wenn er das Ansehen haben will, daß er die Gesundheit und Stärke seiner Einfalle nur seinen Kräften zu danken hat, und sie gleichsam mit seinem eigenen Witze nähret. Es gereichet auch zu seinem Wachsthum und zu seiner Reife, daß er weiß, was vor ihm über die Lehren, die er entwirft, gedacht, und welche Bildung solchen Gedanken gegeben worden. Weil die Kunst zu gefallen von der Dichtkunst untrennbar seyn sollte; so ist er auch verpflichtet, in den anmuthigen Gefilden der Fabel, der Geschichte, der Erzehlungen etc. vieles kennen zu lernen, das seinen Unterricht angenehmer, lebhafter und poetischer machen kann. (Wl, ΧΧΠΙ)
Das Kunstwerk nimmt an einem Gespräch teil. Nicht umsonst zitiert Hagedorn im folgenden das Diktum: „La lecture est une partie des devoirs d'un honnête-homme". Und er fügt hinzu: „Weit mehr gehöret diese Verbindlichkeit zu den Pflichten eines Schriftstellers, der selbst will gelesen werden" (Wl, X[X]IV). Wer gelesen werden will, sollte selbst lesen. Zugleich geht es aber um „Wachsthum" und um „Reife", also ums Erwachsenwerden, und das bedeutet „Mündigkeit" und „Selbständigkeit", „Urteilsfähigkeit" und „Selbstverbesserung" (vgl. Kap. 3.2). Mit Blick auf die Fabeln und Erzehlungen schreibt Hagedorn: „Ich mögte auch so nachahmen, wie Horaz und Boileau. Alle sehr gute Muster werden meine Lehrer. Diese sind anfangs Wegweiser, und endlich glaubwürdige Zeugen, daß auch wir auf dem rechten Wege sind" (La=Motte; W l , 104). Die Unbestimmtheit des historischen Orts von Vorbildlichkeit (Horaz als Vertreter der Antike, Boileau als Vertreter der Anciens in der 'Moderne'), ihre Universalität („alle sehr gute Muster"), korrespondiert der biographischen Unbestimmtheit durch das „mögte" und das „werden". Vorbildlichkeit verlegt sich so paradoxerweise auch in die Zukunft. Dabei geht Hagedorn vom Text („Muster") zum Autor („Lehrer") über, der sich wiederum vom „Wegweiser" zum „Zeugen" wandelt. Der testis imaginarius der stoischen Selbstformung zieht jedoch in der Aufklärung tief in den Menschen ein und verschwindet dort beinahe (vgl. Kap. 3.1 u. 4.1). Die Alten werden zum literarischen Gewissen wie der Freund zum imaginierten „Zeugen", und die gelungene Gewissensbildung bringt die innere Stimme zum Verstummen. N u r das schlechte Gewissen rumort.
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Hagedorn zeichnet damit in nuce einen Prozeß nach, den Fontenelle entworfen hatte, wobei der Ubergang vom 'Ich' zum 'Wir' bei Hagedorn wie bei Fontenelle Autorbiographie und Literaturgeschichte überlagert. Fontenelle baut in der Digression die Fiktion eines Autors auf, der sich „aus alle den guten Köpfen der vorigen Zeiten zusammen[ ]setzt". In seiner „Kindheit" habe sich dieser Musterautor mit den „äußerlichen N o t w e n d i g keiten" beschäftigt, in seiner „Jugend" seine „Einbildungskrafft" und rudimentär die „Vernunft" ausgeprägt. Augenblicklich befinde er sich im „männlichen Alter", in dem er „mit mehrerer Stärcke urtheilet und schließet; und wo er mehr Einsicht hat als jemahls".346 Aufgrund der naturalen Bildlogik bricht Fontenelle an dieser Stelle die Biographie ab, denn eigentlich müßte der Alterungsprozeß zum Tod führen. 347 Traditionell faßt man das Verhältnis zwischen Kunstwerken oder Künstlern untereinander als poetischen Wettstreit auf (aemulatio), also durchaus als konfrontatives und wenig freundschaftliches Verhältnis.348 Die Feindschaftlichkeit steigert sich, wenn man zum Konzept der Originalität übergeht, wenn also die Verbundenheit mit der Tradition poetische Schwäche bezeichnet. Für Hagedorn ist zunächst wichtig, daß der Blick auf die Poesie als Gespräch leicht das Horaz-Modell untergräbt, weil es sich zu sehr für die Poesie und zu wenig für das Leben interessiert. Denn Horaz und in seiner Nachfolge Hagedorn waren ja gerade zu der Einsicht gelangt, daß die annulierende Auseinandersetzung mit der Tradition gegenüber der handlungsrelevanten Rezeption zu vernachlässigen sei (Wl, 30; Kap.3.2). Das bedeutet im Kern: Minimierung dichterischer Anstrengung (im Gedicht) sowie produktive, erkenntnisfördernde Rezeption der „Alten" (im Leben). Und wie bei Horaz stellt der Weg durch die „Schriften" der Alten nur einen Umweg zu sich selbst dar (Wl, 32). Diese Art der Schriften lenkt den Blick nicht ab oder blockiert ihn sogar, sondern steigert die Wahrnehmungsfähigkeit. Freund, sey mit mir bedacht, die Kenntniß zu vergrössern, Die unsern Neigungen die beste Richtschnur giebt; Sonst wirst du den Verstand, und nicht das Herz, verbessern, Das oft den Witz verwirrt, und nur den Irrthum liebt. [..·] Wer dieß von Weisen lernt, sein eigner Freund zu werden, Mit der Versuchung 349 nicht sich heimlich zu verstehn; Der ist (ihr Grossen, glaubts) ein grosser Mann auf Erden, Und darf Monarchen selbst frey unter Augen gehn. {Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund; W l , 28)
346 347 348 349
Fontenelle: [Digression sur les anciens et les modernes], S.155. Gottsched benennt u. a. diese Schwierigkeiten in einer Anmerkung (ebda.). Heumann: Der politische Philosophus, S.291f., auch S. 306. In Ruhige Lebens-A rt steht: „Begierden".
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Hagedorn kehrt also von der Kritik am Selbstgespräch („in einer stillen, aufmerksamen und wiederholten Unterredung mit uns selbst"; W l , ΧΧΠΪ) wieder zum nur leicht entzerrten Programm des Selbstgesprächs zurück. Die Schriften erfüllen die gleiche Funktion wie der Freund. Wenn das eigentliche Ziel darin besteht, „sein eigner Freund zu werden"350, schrumpft der Freund auf die paradoxe semantische Vereinigung von Allgemeinem und Besonderem zusammen: Das beginnt im Schreiben an einen Freund mit der Briefsituation selbst, in der sich Nähe und Distanz vereinen (vgl. Kap. 4.3), und geht bis zur Se/fetverbesserung durch die Schriften anderer. Die Schriften, die diese Selbstverbesserung unterstützen, werden gleichsam entliteralisiert: Nur so können sie der „Wissenschaft", ihrer „Belesenheit" und der „Gedächtnißbürde" (memoria) entgegengesetzt werden (Wl, 28). Sie gehen so jedenfalls Giseke - augenblicklich auf im „Herzen", in der „Seele[ ]", in der „Kenntniß", kurzum: im Leser, dessen Herz der Autor wie Wachs formt. Genau das macht eben den neuen Autortypus - wie Canitz oder Besser (VeG 59), wie Brockes oder Wernicke - zum Vorbild (vgl. Kap. 3.2). Der qualitative Unterschied zwischen den Alten und den Neuen besteht darin, daß Hagedorn die Alten nicht als Literatur begreift und sie ihm mit ihren Büchern die Welt nicht verstellen. Statt dessen befördern sie die translitérai Funktion der Selbsterkenntnis und der Entwicklung und Ausbildung von Beurteilungskraft. Sie können dem neuen Typus von Gelehrsamkeit angeglichen werden (vgl. Kap. 3.1), wie ihn beispielsweise Hobbes personifiziert.351 Bei Hobbes ist weiterhin wichtig, daß nur die Form seiner inhaltlich suspekten Thesen verwendet werden darf. Stolle, auf dessen Ausführungen Hagedorns Epigramm Hobbes sich berufen könnte, schreibt: „Er konnte alles, was ihm vorkam, leicht begreiffen: er war im Nachdencken unermüdet. Wenn er über eine Materie kam, blieb er dabey beständig. Er hielt nichts von denen, die andern blindlings folgten, und ungerne sahen, daß andre ihren Verstand nicht so incarceriren lassen".352 Eben darum geht es, 350
351
352
Vgl. zur Theorie, man sei niemals weniger einsam, als wenn man allein ist: Shaftesbury (Soliloquy, S.63), der Zuschauer (Erster Theil, 1739, 4. St., S.18) und die Discourse der Mahlern (Erster Theil, VII. Discours, unpag.). Vgl. auch Heumann über den Weisen: Der politische Philosophus, S.269. Hobbes (W2, 152). Nebenbei bemerkt, sieht man hieran auch, daß Hagedorn es mit seinen Quellen nicht besonders genau nimmt: Seine Hommage an Hobbes entspringt nämlich nicht, wie die Anmerkung nahelegt, allein der Vita Thomae Hobbes, sondern einem Gedicht Günthers, aus dem Hagedorn im Versuch einiger Gedichte noch folgende Verse als Motto verwendet hatte: „[...] Und Hobbes hat fast Recht: Wofern er mehr gelesen, / So war' er, wie er spricht, mit andern blind gewesen" (VeG 67). Danach referiert auch Stolle die Passage der Hobbes-Biographie, auf die sich Hagedorn bezieht (Anleitung Zur Historie der Gelahrheit, S.414). Auch im Zusammenhang mit der Diskussion von Hobbes' Staatslehre formuliert Stolle gleichermaßen sein Bedauern über die
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wenn Hagedorn in der Verbesserung eines Briefes an Bodmer von den Gedanken der Engländer zu ihrer „Art zu denken" übergeht (B 78 / BK 482; vgl. Kap. 3). Hagedorn wechselt konzeptionell (nicht faktisch!) von der Exemplarität des Textes zu der des Autors, insbesondere zur Vorbildlichkeit einer bestimmten, reduktiven Betrachtung von Horaz. Damit hängt zunächst die Wandlung im Verständnis von Exemplarität zusammen, der Bestimmung dessen, was zum Exempelkanon gehören kann.353 Denn die Wahrheit muß ja nicht nur dauerhaft und zeitimmun sein, sondern sich auch - wie von Horaz351 - individuell anverwandeln lassen. Horaz wird selbst zum Exempel, indem er sich der Exemplarität der „Grossen" verschließt und so seine Identität wahrt. „Freyheit", die Fähigkeit zu „herrschen" und die Fähigkeit des Weisen, der „würdig sich regieret", gehören wie poetische Unabhängigkeit und Selbstinspiration zusammen (Horaz; W l , 78). Diese Identität durchdringt auch die Poesie, die sich daher an die „Natur" bindet, sich von der buchgelehrsamen inventio ab- und der „Zeit" zuwendet. Sie vollzieht den biographischen Wandel des Autors mit: Der Dichter nimmt „Natur und Zeit zu seinen Führern" (Wl, 80). Hagedorn läßt Horaz auf den von Neukirch gebahnten poetologischen Pfaden wandeln (vgl. Kap. 3.2). Die eigene Urteilsfähigkeit entfernt den Autor von der akkumulierenden Traditionsanverwandlung. Mit dieser Autorbildung wiederum geht auch eine autorschaftliche Legitimation der Exempel einher. Denn im Anschluß an die zitierte Passage formuliert Hagedorn (seit der zweiten Auflage) das poetologische Programm, demzufolge der Dichter „Exempel" aufzustellen habe (Wl, 81). Noch kann der Monarch - wenn auch nur in wenigen Momenten im Werk Hagedorns - Exempel sein, und zwar dann, wenn er sich von seiner menschlichen Seite zeigt, wenn er also als pater patrias auftritt, und - was vielleicht noch wichtiger ist - wenn er für den Dichter als Mentor in Frage kommt, 355 wie „Braunschweigs CARL", „der väterlich regieret" (vgl. Kap. 1.3).356
353 354
355
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falschen „principia", im übrigen gilt wiederum: „Belesen war er nicht [...]; er kunte aber wohl nachdencken" (ebda., S.633). Vgl. Kruckis: „Ein potenziertes Abbild der Menschheit", S.37. „Allein, so sehr der Grossen Beyspiel rührt, / Und ihr Geschmack oft Klügere verführt, / So durftest du dir treu und ähnlich bleiben, / Und nicht mit ihm zu unnatürlich schreiben. / Der ist beglückt, der seyn darf was er ist, / Der Bahn und Ziel nach eignen Augen misst, / Nie sklavisch folgt, oft selbst die Wege weiset, / Ununtersucht nichts tadelt und nichts preiset, / Und, wenn sein Witz zum Dichter ihn bestimmt, / Natur und Zeit zu seinen Führern nimmt. / Du bist vergnügt, und lehrest das Vergnügen / [...]." (Horaz; W l , 80) Hagedorn läßt Carl I., Herzog zu Braunschweig-Lüneburg(-Wolfenbüttel) über Jerusalem seine Moralischen Gedichte sowie einen Brief überreichen (an Jerusalem; 25. 4. 1753; Β 356 / BK 681, vgl. auch Β 375). Im Unterschied dazu: Schreiben an einen Freund, Hamburg 1747, S.12.
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Vorbildlichkeit vereint Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit oder „Wort" und „Geist", wie Hagedorn es im Vorbericht zu den moralischen Gedichten formuliert: Die hinzugefügten Fabeln und Erzehlungen bestehen aus eigenen und nachgeahmten. Diesen habe ich, in Ansehung ihrer Muster, mehr Ähnlichkeit als Gleichheit zu geben gesucht. Die schönste Ubereinstimmung zwischen zweenen Dichtern beruhet so wenig auf Worten, als die edelste Freundschaft. Geist und Herz sind in den besten Alten und Neuern die lebendigen, oder vielmehr die einzigen Quellen des glücklichen Ausdrucks gewesen. Er leidet zum öftern unter dem Joche einer blinden Folge und kümmerlichen Knechtschaft. Man sollte nachahmen, wie Boileau und La-Fontaine nachgeahmet haben. Jener pflegte davon zu sagen: Cela ne s'appelle pas imiter; c'est jouter contre son original. (Wl, VII; vgl. auch W2,
3) Mit dem Boileauschen aemulatio-Konzept empfiehlt Hagedorn eine Form der imitatio, die er in den Augen seiner Leser selbst verwirklicht.357 Hagedorn verdrängt den vorgängigen Ausdruck und inthronisiert den eigenen in vier Argumentationsschritten: Zuerst führt er Unterschiedlichkeit durch den Begriff des „Ahnlichen" ein, die Zentralvokabel der Witz-Definition. Im Begriff des Ahnlichen verschwistern sich Gleichheit und Verschiedenheit in einem unklaren und daher vielfach diskutierbaren Verhältnis. Dieses Verhältnis legen die folgenden drei Stationen aus. Die Verschiedenheit wird auf die Seite der „Worte" geschoben; für die Gleichheit sind „Geist und Herz" zuständig, die dem „Ausdruck" vorgängig sind, ihn hervorbringen. Aus diesem Spannungsverhältnis von „Geist und Herz" auf der einen und „Ausdruck" auf der anderen Seite entwickelt Hagedorn schließlich ein Konkurrenzverhältnis, das „jouter contre son original". Die Anmerkungen sollen in diesem Zusammenhang den annotierten Text zu einem individuellen Gebilde machen, indem sie den Bezug zu anderen Texten herstellen, damit zugleich ihre Nachfolge ablehnen358 und nebenbei eine eigenständige, nicht-autorisierte Auslegung verhindern {Schreiben an einen Freund·, W l , XXV; Wl, 104, Β 298, 342). Dabei genügt es nicht einfach, (nachträglich) Anmerkungen zum Text hinzuzufügen.359 Es bedarf 357
358
359
Vgl. den Brief von Ebert vom 29. 7. 1744 (EschV 251) sowie Zincks Einleitung zu Hagedorns Allgemeinem Gebet in Der Bewunderer (1742, 46. St., unpag.) und im Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten (1743, 60. St., unpag.). Zur Tradition dieses Verfahrens vgl.: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.176. Schwabe bemerkt in bezug auf Boileau, der seinen Text erst nach einem Plagiatvorwurf annotiert: „Dieß heißt bey mir nichts anders, als wenn ich eines Fremden Gedanken nehme, und sie so anwende und vorbringe, daß ich dem andern, der sie höret und liest, durch nichts zu erkennen gebe, wie solche nicht in meinem Gehirne erzeugt sind, sondern ich sie entlehnet habe. Es braucht nicht, daß ich von solchen angenommenen Gedanken ausdrücklich sage, sie sind mein eigen: Ich darf sie nur so einkleiden und sie mit den wirklich meini-
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aufwendigerer Konstruktionen, um sich Texte assimilieren und zugleich den Plagiat-Vorwurf abwehren zu können. Man sieht die Möglichkeiten, die die Berufung auf „Geist und Herz" bereithalten: Die Wertschätzung der Anciens war ebenso wichtig wie die Infiltrierung der Nachfolgeschaft mit Neuheit. „Geist und Herz" bilden gleichsam die Öffnung für Originalität, die (zunächst) als Klassizität verteidigt werden kann.360 Referenz hat eine zweifache Funktion: Sie bescheinigt dem Autor Epigonalität, wenn er problematische Dinge formuliert,361 und sie bescheinigt ihm Originalität, wenn er Vorbildliches formuliert. Es geht weniger um Worte als um Geist, um Interpretationen und deren Durchsetzung. Unter dem Druck der Ganzheitsästhetik hatte Hagedorn seine Anmerkungen so interpretieren müssen, daß sie als Teil der Gedichteinheit erscheinen, und unter dem Druck der Pedanteriekritik muß er die Anmerkungen als gesellige Aufweichung des solipsistischen Selbstgesprächs auslegen.362 Für die vorbildlichen Gelehrten bezeichnen Anmerkungen Dankbarkeit dem Vorbild gegenüber. Für die „kleinen Geister" hingegen dienen sie nur dazu, ihren Text gelehrt erscheinen zu lassen.363 Wenn also beispielsweise Kritiker die Textindividualität („Je veus qu'on m'y voie en ma façon simple, naturelle et ordinaire, sans contantion et arti-
gen in eine solche Verbindung bringen, daß sie einer, der kein genauer Kenner ist, oder der sich nicht erinnert, sie schon anderwärts gesehen zu haben, nicht von einander zu unterscheiden weis" (Schwabe: Vorrede. In: Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Leipzig 1743, Heumonat, unpag). Es ist bemerkenswert, daß Christian Ludwig die Empfehlung des Plagiierens in seiner Satire Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden u. a. mit Boileaus nachgeholter Annotation in Beziehung setzt (S.59f.). Vgl. zum Thema: an Bodmer 14. 9. 1747; Β 220. 360
Vgl. dazu die Varianten: Es sei „unwidersprechlich, daß die Vollkommenheiten der Kunst zu erzehlen von uns weder zu entdecken, noch zu erreichen stehen, wenn wir nicht den Alten, jenen ersten Schülern der Natur, auch diese Kunst sorgfältig ablernen" (LwMotte; W l , 104). „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten [...]" (Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung, S.2). „Der Britte, der die Fremden schätzt, / Will einen jeden sich verbinden; / Der stille Franzmann übersetzt, / Wir muntern Deutschen, wir erfinden" (Lob unsrer Zeiten; W3, 106). „'Nachahmen soll ich nicht, und dennoch nennet / Dein lautes Lob mir immer Griechenland?' / Wenn Genius in deiner Seele brennet, / So ahm dem Griechen nach. Der Griech' erfand" (Klopstock: Ausgewählte Werke. 1. Bd., S.180).
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„Ein Nachahmer hat [...] auch den Vortheil, daß solche claßische, durch ihn verjüngte, und die nach dieser Art entworfene Fabeln einer Wahrheit zum Schutz gereichen, die man sonst anfechten würde" (La=Motte; W l , 105) Der anonyme Fortsetzer von Heumanns Politischem Philosophus schreibt: „Wer keine allegata machet, der redet alleine. Wer aber andere allegtret, der stellet gleichsam eine gelehrte Versammlung an, in welcher bald dieser, bald jener das Wort führet, einer die affirmatiuam, der andere negatiuam sententiam behauptet" (A. S. P.: Neue Vorrede, unpag.). [C. L. v. Hagedorn]: Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden, S.24, 27, 52f., 67.
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fice"364) wegen der Überfülle an Exempeln in Frage stellen,365 dann kann Pierre Coste, der Herausgeber der auch von Hagedorn verwendeten und gelobten Montaigne-Ausgabe (B 251), dagegen mehrerlei geltend machen: Erstens zitiere Montaigne so oft falsch, daß die memoriale Unfähigkeit ausreichend beglaubigt werde.366 Zudem - das machen die vom Herausgeber beigefügten Quellen offensichtlich - gebe Montaigne den Zitaten einen „ganz andern Verstand", und zwar entgegen dem erklärten Willen zur Vorlagentreue.367 Der kritische Rückgang auf den Urtext, der „in der Hitze des Schreibens" entstanden sei, hat dieselbe Funktion: Erst „bey müßigen Stunden" nämlich habe Montaigne seine Selbstverschriftlichung mit Exempelmaterial überhäuft. Im Rückgang auf die ursprüngliche Textfassung lassen sich im übrigen die „Spuren" des „Zusammenhangts]" - so Costes Einwand gegen die Kritik an der (scheinbaren) Diskontinuität von Montaignes Stil ein - auch in den späteren Ausgaben entdecken.368 Hagedorn wechselt hier die Bezugsebenen. Er geht von der textkritisch hergestellten Literalität zur Transliteralität über: „Ich habe mit dem Montagne nichts ähnlicher, als die Nachlässigkeit, womit wir unsere Briefe aufs Papier eilen lassen: fast so flüchtig und unordentlich, als das Sand auf unsere Buchstaben und Zeilen zerstreut wird" (an Bodmer; 19. 5. 1753; Β 371)36' - diese „Nachlässigkeit" bezeichnet dann „Freundschaft" bzw. Offenheit und Wahrhaftigkeit (vgl. Kap. 4.3). Das Beharren auf Wörtlichkeit in der Textkritik und die hermeneutische Entdeckung von Singularität, die Wörtlichkeit transzendiert, ergänzen sich. Beide sind an das Paradigma der Druckschrift gebunden. Dabei gibt es zwei Modelle für Individualität: ein prozessualisiertes, das sich für den Fortgang der Verbesserung interessiert, sowie ein ätiologisches, das an der Verbesserung entlang zum Ursprung zurückführt. Beide hängen zusammen, so wie Anspruchssteigerung und Anspruchsminderung in der Nebenstundenpoetologie zusammenhängen (vgl. Kap. 3.1). Man sieht dann nicht mehr bloß „Wörter", sondern „Geist, Geschmack und Unterricht", und entdeckt mehr als eine „Les=Art", wie Hagedorn es in seinem Epigramm Auf gewisse Ausle364 365 366 367 368 369
Montaigne: Essais. Livre I, S.l. Coste: Vorrede des Herrn Coste zu der Ausgabe von 1724, S.XVI. Ebda., S.XVII. Ebda., S.XXin, XVf. Ebda., S.XVIIIf. Daher fehlt alles, was die Verbesserung hinzufügen würde (B 371f.). Vgl. auch das Epigramm Montagne: „Montagne, Günstling der Natur, / Es sollte dich nur der, den Witz und Freyheit adeln, / Weil er dir rühmlich gleicht, erheben oder tadeln; / Dem sey ein Socrates; wo nicht, ein Epicur! / Du bist, zu aller Lust, in dem, was du geschrieben, / Nachläßig schön, und lehrreich zweifelhaft, / Unwissend voller Wissenschaft: / Auch der dich meistert, muß dich lieben: / Und heisst wohl der mit Recht gelehrt, / Dem nicht dein Buch Geschmack und Kenntniß mehrt?" (Wl, 123f.).
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gerder Alten fordert (Wl, 92f.). Der Vor-Schleichermacherschen Hermeneutik entsprechend370 geht Hagedorn davon aus, daß nicht die verständlichen Stellen umfangreich zu erläutern seien, sondern die unverständlichen. Man solle nicht an „gewissen Worten oder ihren Fügungen kleben, und durch allerhand Glossen witzigem Lesern vorarbeiten". Dagegen setzt Hagedorn die Leser, die sich mit „Geschmack und Geist" an die Texte machen und in „Verwandschaft" mit der „besten Alten schönsten Art zu denken" geraten, die sich nicht nur „etwas aus der gelehrten Sprache des Jahrhunderts, in welchem ihr Autor geschrieben hat, [...] schülerhaft bekannt machen, sondern, in edlern Absichten, dessen Character und Verhältnisse, die ihm eigene Sprache, den Ton, die Richtschnur seiner Gedanken und Gesinnungen, mit einem Worte, seine Welt kennen lernen: ein Vergnügen, das eine Wortgelehrter weder suchet noch findet" (Wl, 93) - auch hier also geht Hagedorn vom Text zum Autor über.371 Gute Leser beobachten Autoren genau. Dazu gehört - wie Meier erklärt auf der einen Seite Sachkenntnis („Sitten und Gewohnheiten", „Mythologie, von der Göttergeschichte, von dem Wahne, ja so gar von den gemeinen Sagen unter den Alten"). Auf der anderen Seite „muß ein Kunstrichter in das Innerste der Schriftsteller eindringen können. Es muß in seiner Gewalt stehen, sich bald in die alten, bald in die neuern Zeiten zu setzen, ohne daß er von einer Parthey gewonnen werde". Meier zielt auf eine umfassende Observation der Autoren, der „Absichten, mit welchen jeder sein Buch geschrieben, und d[er] unterschiedne[n] Anwendung der Gemüthskräfte der Alten und Neuern bey Verfertigung ihrer Werke [...]".372 370 371
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Frank: Einleitung, S.lOff. Das sind genau die Stichworte, die in der englischen Aufklärung die Herausbildung eines neuen Stilbegriffs - u. a. in Auseinandersetzung mit der Aneignung der Antike - begleiten (vgl. Assmann: „Opting in" und „opting out"), und es ist insofern nicht verwunderlich, daß Hagedorn mit dem Verweis auf Pope, Spence und Mallet schließt. Wenn Hagedorn im Vorbericht zu den Oden und Liedern die hermeneutische Differenz zwischen den antiqui und den moderni betont - „die Alten, deren Sitten und Geschmack wir nicht aus den unsrigen beurtheilen müssen" (W3, XVII) -, dann verweist er entsprechend auf Blackwells paradigmatisches Enquiry into the Life and Writings of Homer. Meier: Gedanken von den Eigenschaften eines Kunstrichters, S.85ff. Ähnliches hatte auch Thomasius bei der Darlegung seiner hermeneutischen Maximen in der Ausübung der Vernunftlehre anvisiert: Man solle den „Stand" des Autors betrachten, das Ziel seiner Schrift sowie die vorangegangenen und folgenden Äußerungen miteinbeziehen, den Vorgaben des Autors folgen, aber gegebenenfalls auch seinen geheimen Absichten nachspüren (S.181ff.). In allen Zweifelsfällen ist aber immer die allgemeingültige menschliche Vernunft zuständig. Damit stimmt auch die erste Empfehlung Thomasius' überein: Die Fähigkeit zum Verstehen steigert man durch die Lektüre möglichst vieler Schriften, wodurch man die „allgemeinen Regeln menschlicher Klugheit" sich zu eigen macht (S.180). Auch der politicus kreist also den Autor ein. Im Unterschied zur „aufklärerischen" Hermeneutik haben seine Überlegungen ihr Zentrum aber nicht im einzelnen Autor, sondern in einem zeitübergrei-
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Diese Kompetenz stellt Hagedorn bei allen biographisch mit ihm verbundenen Themen unter Beweis, in bezug auf Horaz (textuelle Kontakte), auf Hamburg (persönliche Kontakte), und auf England (Autorbiographie). So kann Hagedorn Horaz gegen den Langeschen Verdacht verteidigen, Horaz habe nur alkoholisiert, aus panegyrischen Erfordernissen oder um einer reich gedeckten Tafel willen gedichtet. Der Grund der Verteidigung ist einmal mehr Hagedorns inniges Verhältnis zu Horaz („Horaz, mein[ ] tägliche[r] Gefährte[ ]"; Β 190), nicht umsonst sympathisiert Hagedorn mit Lessings Yiorzz-Rettungen.373 Auch um von Bars Epitres diverses zu verstehen, hält Hagedorn persönliche Bekanntschaft für notwendig: „Hier kenne ich keinen, der so original in allem ist, als diesen Herrn von Bar. Man muß die Umstände wissen, in welchen er seine Epitres geschrieben, um sie recht zu verstehen" (B 154).374 Die Originalität375 der Person überträgt sich auf ihre Schriften und räumt diesen so jenen Kredit der Bedeutungsfülle ein, der wiederum, gleichsam gegen das eigentliche Medium der Tiefsinnigkeit (die Schrift) gerichtet, durch den Kontakt mit dem Autor einzulösen ist. Gleichfalls muß man in England gewesen sein, um Richardsons Pamela wirklich zu verstehen. Ein vorbildlicher Leser, der, ohne sagen zu können, was er versteht, richtig versteht, sei - so berichtet Hagedorn - außer Stand gewesen, seine „Thränen" zurückzuhalten und seine „GemüthsBewegungen" zu bändigen (B 152). „Doch ist auch dieses wahr, daß man länger, als die meisten Reisenden, in Engelland gewesen seyn und sich in Gedanken wieder dorthin versetzen muß, um alle Schönheiten und die gant-
fenden Allgemeinen. Anders formuliert: Thomasius ordnet den Autor ins Allgemeine ein, Meier - und auch Hagedorn - ordnen das Allgemeine auf den Autor zu und versuchen so individuelle Gebilde zu rekonstruieren. Nur bei „satyrischen Schrifften" und bei „Fabeln" geht Thomasius genauer auf den individuellen Autor ein. Da er hier u. U. „einen gantz andern Verstand als die Worte andeuten in Sinne gehabt habe", ist bisweilen die persönliche Kenntnis des Autors notwendig (ebda., S.220, 222). 373
374 375
Das berichtet Lessing in den Kollektaneen (Werke. Bd. 5, S.729). Interessant sind auch bei Lessing die argumentativen Sprünge: Im wesentlichen wehrt er den Rückschluß von der Dichtung auf das Leben oder den „moralischen Charakter" in den Rettungen ab - ein Dichter will seinen „Witz" zeigen, er will „Ruhm" erwerben, er hält sich an die „Mode". Von den Satiren oder Episteln aus darf Lessing jedoch wieder Rückschlüsse ziehen, und wenn es ihm ins Konzept paßt, auch von Oden aus (Werke. Bd.3, S.606, 616, 619, 627f.). Vgl. ähnliche Formulierungen: Β 173, 249, 379. Bei Hagedorn tauchen im Begriff des Originals die Elemente der Querelle wieder auf, so die Verbindung von Originalität und Neuheit (B 279) oder das Interesse an einem deutschen „original-Stück" (B 156). Als Lektürevoraussetzung aber, gleichsam als hermeneutische Maxime, gewinnt Originalität erst ihre Sprengkaft, denn an dieser Stelle kommen „Originalität" und „Unvergleichbarkeit" zusammen (B 89).
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ze Kunst, die in diesem Buche steckt, recht zu empfinden" (B 152f.).376 U m Horaz zu lesen, verwandle man Harvestehude imaginativ in Tarent (.Horaz; W l , 70, vgl. dazu Β 248 bzw. Kap. 6), und um Richardson zu lesen, versetze man sich imaginativ nach England. Jeweils verleiht Hagedorn den Lektürevoraussetzungen einen möglichst hohen Grad an Exklusivität, indem er einerseits Horaz in die ausschließliche Beziehung der Freundschaft einbindet und indem er andererseits die Reise nach England nicht nur als Lebenserfahrung präsupponiert, sondern auch durch das Kriterium der Aufenthaltsdauer die „meisten Reisenden" ausschließt. Den Autor erreicht man durch die Inszenierung einer individuellen Beziehung zum Text bzw. zum Autor. Nur dieser Kontext macht den Aufwand bei Hagedorns Widerlegung eines Plagiatvorwurfs gegen Pope verständlich. Hagedorn will die von ihm behauptete Besonderheit Popes377 (seines „Characters]") beglaubigen, indem er den Vorwurf, dieser habe sich aus Roger du Piles' Idée du Peintre parfait bedient, durch fortlaufend verbesserte philologische Überlegungen entkräftet.378 Die Auflistung der diversen Editionen hat keine Beziehung zum Text
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Vgl. auch Β 99f. Es ist vielleicht nicht verwunderlich, daß Hagedorn gerade anhand des englischen history-Komuns seine alteritäre Lesart expliziert. Schließlich erhebt der Roman die hermeneutischen Prinzipien der Kontextualisierung, der biographischen Genealogie und der individuellen Bildung zum ästhetischen Programm. „Humour" ist eine Qualität, die man nicht durch Bücher, sondern nur im gesellschaftlichen Umgang erwirbt (vgl. zu „humour" auch Β 115, auch Β 17 kritisch an Gottsched gerichtet). Breitingers Forderungen an den Übersetzer sind hier einschlägig: Critische Dichtkunst. Zweiter Bd., S.141f., 188.
377
Der Standpunkt des antiqui macht sich in einer Verschiebung geltend: Hatte Hagedorn in der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte noch geschrieben, Popes „Character" sei „gewiß nicht in der Nachahmung zu suchen" ( 2 MG XIX), so bewahrt er Pope in der Werkausgabe das imitative Moment, indem er nur noch von der „gewöhnlichen Nachahmung" schreibt, die man bei Pope vergebens zu finden hoffe (Wl, XIX). Zur literaturpolitischen Funktion der Nachahmungstheorie vgl. Gottscheds Positionsänderung (Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, z. B. S.131, 137, 194, 200, 372f.).
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In der zweiten Auflage der Moralischen Gedichte hatte Hagedorn noch mit einiger Mühe den Plagiatvorwurf verkehrt, indem er aufgrund der Editionsgeschichte des Essay on Criticism und seiner Ubersetzungen die Möglichkeit zu plausibilisieren versuchte, de Piles habe von Pope die diskutierte Formulierung entlehnt ( 2 MG XIX). In zwei Anzeigen muß Hagedorn diese Mutmaßung revidieren, denn er hatte die Auflage der Idée du Peintre parfait von 1707 in Kenntnis gebracht. In den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen räumt Hagedorn zwar ein, daß die Idée Pope hätte bekannt sein können, wendet aber lapidar ein biographisches Detail dagegen: „Er (Pope, S. M.) zeichnete und mahlte unter der Anführung seines Freundes Jervas" ([Korrektur des Schreibens an einen Freund]. In: Göttingische Anzeigen, S.616). Im Hamburgischen Correspondenten holt Hagedorn etwas weiter aus, indem er z. B. Drydens Ubersetzung der Idée zusätzlich anführt, die argumentative Richtung aber bleibt dieselbe (Stats- und Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1753, 78. St., unpag.; vgl. auch die entsprechenden Briefe: Β 362f.). In der Werkausgabe nennt Hagedorn endlich die erste Auflage der Idée von 1699, merkt seinen Irrtum an und verweist auf die beiden genannten Zeitungsartikel (Wl, XVIII, Anm.2).
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außer jene, die eigene Vertrautheit mit Pope zu markieren (vgl. dazu auch Β 99ff.). Selbst wenn man faktisch (in den häufigsten Fällen) den Text nur auf andere Texte hin übersteigt, verlieren diese doch als primäre Zeugnisse ihre textuelle Qualität, sie erhalten einen ähnlichen ursprünglichen Status wie die antiken Autoren, die Hobbes liest. Bereits zuvor hatte Hagedorn in der assoziativen Struktur der Gedankenfolge sein besonderes Verhältnis zu Pope markiert, indem er sich beim Referat eines weiteren Plagiatvorwurfs gegen Pope unvermittelt Popes GesichtsGleichnis einfallen läßt (Wl, XVIII): „[E]s könnten diejenigen, welche sagen dürfen, daß unsere Gedanken nicht eigenthümlich unser sind, weil sie mit den Gedanken der Alten eine Ähnlichkeit haben, eben so gut behaupten, daß auch unsere Gesichter uns nicht eigentlich zugehören, weil sie den Gesichtern unserer Väter gleich sehen" (Wl, XVIII). Ähnlichkeit hat zwei Seiten: Vergleichbarkeit und Unterschiedenheit. Daher kann das Gleichnis auch für die Ubersetzung verwendet werden: „Die Ubersetzung ist ein Conterfey, das desto mehr Lob verdienet, je ähnlicher es ist".379 Dieselben hermeneutischen Probleme, die Hagedorns Modelle von Auslegung und aemulatio bestimmen, tauchen in der Ubersetzungstheorie wieder auf, und auch hier personifiziert Horaz vorbildliches Traditionsverhalten.380 Wahr ist es, auch Horaz folgt andrer Weisen Spur, Entlehnet vom Chrysipp, und borgt vom Epicur: Alcäus, Archiloch sind dieses Schülers Meister, Und Pindar und Homer, das Muster grosser Geister. Man sagt: Er denket wahr; man sagt, daß er ergetzt; Was sagst denn du, Pantil? Du sagst: Er übersetzt!
(Wider den Horaz-, Wl, 87) Während die Anfangszeilen Musterautoren summieren, imitatives Verhalten also eingestehen, verschiebt Hagedorn in Vers fünf den Fokus auf die Person Horaz, dessen „Denken" und auf das „Ergetzen" der Leser. Hagedorn variiert die Horazsche Formel vom aut prodesse aut delectare volunt poetae, indem er sie auf zwei zeitliche und personale Ebenen entzerrt, die in der Hagedornschen Konstruktion dieselbe Funktion der Individualisierung haben. Denn sowohl das Denken (Kap. 4.1) wie auch das Ergetzen sind gegenwartsbezo-
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Breitinger: Critische Dichtkunst. Zweiter Bd., S.139. Vgl. zum Gleichnis: Fontenelle: [Digression sur les anciens et les modernes], S.143; König: Untersuchung Von dem guten Geschmack In der D i c h t - und Rede-Kunst, S.298; [Young]: Gedanken über die OriginalWerke, S.40. Vgl. zur Tradition der französischen, übersetzungskritischen Epigrammatik Mounin: Die Übersetzung, S.35Í. Vgl. bei Hagedorn auch Die Kinder Ruben (Wl, 124).
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gen, eignen sich Text nicht als antiquarisches Material (als Text) an, sondern verschmelzen ihn mit der Person (des Autors und des Lesers). In der Übersetzungstheorie findet man leicht zu der These von der Trennbarkeit von „Wort" und „Geist", die seit der Ciceronianischen Verabschiedung des „verbo verbum reddere" und der Horazischen Formel „Nec verbum verbo curabis reddere fidus interpres" zur Verfügung steht381 und in der imitatio-Thtorit ihr Potential entfaltet. Die zweite französische Querelle, die Querelle d'Homer ausgehend von der Auseinandersetzung zwischen de la Motte und Anne Dacier, beschäftigt sich in dieser Hinsicht mit dem Problem der richtigen Aneignung antiker Literatur.382 Das Selbstbewußtsein der französischen Ubersetzer formuliert sich im Stichwort der von Voltaire sogenannten „belle infidèle" der „eleganten Ubersetzer"383, die Anciens hingegen ordnen diese Untreue als Schwäche des Französischen im Vergleich mit den Bildungssprachen ein.384 Wie die Nachahmung arbeitet auch die Ubersetzung mit einem zweistufigen Modell: Zuerst muß die grundsätzliche Ubertragbarkeit, die Egalität der Sprachen, garantiert sein, dann gilt es, die Individualität der Ubersetzung aufzuzeigen. Analog zur Kategorie der „freyen Nachahmung" bildet sich so die Kategorie der „freyen Ubersetzung", die bereits in ihrer Benennung Unabhängigkeit und Anbindung verknüpft.385 Die Ubersetzung hat entsprechend mit den Schwierigkeiten der Nachahmungstheorie zu kämpfen. So erheben die Anciens gegen das Ubersetzen generell Einspruch, weil es die Vorbilder zerstöre.386 Aber Anciens und Modernes können auch gemeinsam die Ubersetzung verteidigen, streiten sich dann aber um die richtige Form der Ubersetzung bzw. um die Intention, die hinter der Ubersetzung steht. Gemeinhin votiert Hagedorn für die „freye Ubersetzung".387 Zink stellt ihm dabei in den Einleitungen zur „Übersetzung" des Universal Prayer (Kap. 5.1) Pope an die Seite.
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Mounin: Die Übersetzung, S.24. Breitinger beklagt, daß man den Horazischen Satz fälschlicherweise oft zur Begründung übersetzerischer Freiheit herangezogen habe (Critische Dichtkunst. Zweiter Bd., S.140Í.). Vgl. die Rezensionen zur Querelle d'Homer bei: Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.74ff. Mounin: Die Übersetzung, S.35, 39. Ebda., S.37. Vgl. zur Differenzierung des Begriffs der „freien Übersetzung": Apel: Sprachbewegung, S.37, 245. „Freiheit" beim Übersetzen kann demnach einerseits Ausdruck eines unproblematischen Übersetzungsverständnisses sein (Wörter sind Zeichen der Gedanken) und andererseits die historische Kluft zwischen Original und Übersetzung ins Bewußtsein bringen (Wörter und Gedanken bilden eine Einheit oder sind zumindest aneinander gebunden). Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.53. Vielleicht kennt Hagedorn den grundsätzlichen Zweifel an der Übersetzbarkeit, vgl. Β 217.
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Die Mühe, welcher sich der deutsche Herr Übersetzer, der sonst eben kein Freund von dergleichen Arbeiten ist, genommen hat, könte einem schon zum voraus einen Begriff von der Schönheit desselben beybringen. Dieser Mann schreibt selbst übersetzungswürdig. Und solche Leute können auch nur diejenigen recht verstehen und übersetzen, die ihres gleichen sind. Er hat ein paar etwas bedenkliche Stellen geändert, deren Verlust Pope niemals bedauren würde; die übrigen hat er so schön ausgedrücket, daß sich Pope darüber vergnügen sollte, wenn er es läse, weil er hierin so übersetzt ist, als er selbst andere zu übersetzen pflegt.388
Hagedorn rückt somit in eine Reihe mit Pope und gewinnt gerade in der Ubersetzung an Eigenart. Wichtig ist hierbei, daß Pope in seiner Ubersetzungstheorie im Vorwort zur //¿«-Übersetzung am Beispiel Homers sein Modell von autorschaftlicher Singularität entwickelt, viel deutlicher, als das etwa im Essay on Criticism der Fall ist.389 Homers „Genie" sei keine Regel angemessen, da er das „Unbegrenzte und Mannichfaltige der Natur" gestalte.390 Der Ubersetzer muß nun dieses singulare „Genie" „ganz und unverstümmelt" in seiner Sprache wiederholen - damit beginnen die Schwierigkeiten: Zwar soll man nicht wörtlich übersetzen, aber auch die Umschreibung sei nicht der richtige Weg. Zwischen beiden Extremen liegen die „Freyheiten", die „nothwendig sind, den Geist des Originals in die Ubersetzung überzutragen, und den dichterischen Styl zu unterstützen". Pope deklariert dann auch: „Es ist ein grosses Geheimniß im Schreiben, zu wissen, wenn man einfältig und ungekünstelt, und wenn man dichterisch und bilderreich seyn soll. Dieses wird uns Homer lehren [,..]". 391 W o die Regeln enden, beginnen die Beispiele, die nur erfahren, nicht mehr erklärt werden können. Individualität läßt sich nicht kommunizieren, und so ist es nicht verwunderlich, wenn man auf diesem emphatischen Grund konkret oft nicht allzu schwierige Fragen (ζ. B. des aptum) verhandelt.392 Auch im Fall der Übersetzung ist es daher erfolgversprechender, seine Übersetzerqualitäten zu zeigen, indem man nicht übersetzt, als sie tatsächlich unter Beweis zu stellen - dem Autor stehen nicht in ausreichendem Maß
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Der Bewunderer, 1742, 46. St., unpag. Beinahe gleichlautend wird das Allgemeine Gebeth im Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten eingeleitet (1743, 60. St., unpag). Assmann: „Opting in" und „opting out", S.134. Pope: Vorrede zu Homer's Ilias, S.217f. Ebda., S.256f. Auch Pope kennt einige Fehler Homers (ebda., S.261ff.). Ein beliebtes Ratespiel zwischen Bodmer und Hagedorn ist in bezug auf Luise Adelgunde Victorie Gottscheds Ubersetzung von Popes The Rape of the Lock die Frage, „ob die Treue der Übersetzung der Schamhaftigkeit der Übersetzerinn, oder diese jener aufgeopfert worden ist" (Brief an Bodmer vom 13.4.1744; Β 118. Vgl. auch den Brief Bodmers vom 6. Sept. 1744; EschV 169f.). An dieser Stelle sei nur darauf verwiesen, daß Hagedorn sich in der poetischen Praxis auch mit den Schwierigkeiten der Wörtlichkeit auseinandersetzt (ζ. Β. Β 119). Vgl. auch Horaz (Wl, 75, Anm.*); vgl. auch im Schreiben an einen Freund (Wl, XIX) sowie dazu Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.120; vgl. auch W2, 3, Anm.11.
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Nebenstunden zur Verfügung, so daß die Zeitnot auf die Schwierigkeiten der imaginären Ubersetzung und die Kompetenzen des Autors zugleich verweist. Uber Drollingers Verdeutschung von Popes Essay on Criticism schreibt Hagedorn an Bodmer: „Wir haben keine bessere, als diese: so schön auch die französische prosaische Silhoüette ist. Wenn ich mehr Zeit und Musse hätte, so wollte ich fast versprechen, diese Ubersetzung, mit Verbesserung einiger, vom Original etwas abgehenden Stellen, zurückzusenden und Ihnen zu überlassen was damit anzufangen" (26. 12 1744; Β 141; vgl. auch Β 176). Friedrich von Hagedorns Bruder hatte in seiner anonym veröffentlichten Schrift über Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden (1736) die Verhinderung des Schreibens als eine Möglichkeit empfohlen, sich einen guten Ruf zu erarbeiten. 393 Hagedorn geht mit seinen literarischen Vorläufern wie mit Freunden um. Das heißt: Er nutzt sie zur Legitimation, er individualisiert sie und damit sich selbst, und er erzeugt in ihrer Lektüre jenen „Geist", der dann seine eigenen Werke durchdringen soll. Es geht um den Versuch, die Wörter zu entwerten und zu vergeistigen, so daß der Text als besonderes Gebilde eines individuellen Autors gelesen werden kann. Vorbildlichkeit, Imitation und Übertragung beziehen sich dadurch auf einen Geist, der - und darin liegt die Pointe - sich wieder als Autor vergegenständlicht, die Bücher (sowie sein Buch) als Bücher entwertet und aus dieser Opposition zur Literalität sinnliche Qualitäten und eine neue Art von Exemplarität gewinnt. Auf der anderen Seite kann der Autor als Leser seine Eigenständigkeit gegen den „Geist" seiner Vorgänger besser entwickeln, u. U. sogar unter dem Schutzmantel der Nachfolge. Die Exklusivität der Lektüre überträgt sich dann als Exklusivität der Nachfolge auf den Text. In gleicher Weise verhalten sich Original und Ubersetzung ambivalent zueinander. Auch in der poetischen Geselligkeit, erhält sich eine reservatio mentis gegenüber Offenheit und Vertrauen, auch hier ist es sicherer, nicht zu übersetzen und nur zu behaupten, man könne übersetzen - mit einem Wort: Es ist besser, zu wenige Nebenstunden zu haben als zu viele.
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[C. L. v. Hagedorn]: Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden, S.104f. Heumann schreibt über die „geringste Gattung derer Politicorum": „Solche politische Quietisten sind auch diejenigen, welche ihre besonderen Meynungen bey sich behalten; ingleichen welche keine Bücher schreiben; wie auch, welche von niemanden frey tudicirea. Denn hierdurch entziehen sie sich der Gefahr und der Censur" (Der politische Philosophus, S.19).
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Traditionsverhalten II: Historia und Querelle Im frühen 18. Jahrhundert gelangt man an die Schwelle der Geschichte, also jener Formation, in der „Vergangenheit in ihrer grundsätzlichen Andersartigkeit" begriffen wurde394. In dieser Umbruchsituation stehen einige Modelle für Traditionsverhalten395 zur Verfügung. Auf der einen Seite orientiert man sich an zeitlosen Prinzipien (Natur, Mensch, Wahrheit u. ä.), auf der anderen an zeitlichen (Geschichte, Vervollkommnung, Relativität u. ä.). Beide Kategorien unterscheiden sich prima facie in ihren Grundannahmen, können aber innerhalb einer Argumentation verwendet werden. Unter Berufung auf die Natur entkommt man z. B. wie Bacon der statischen und erdrückenden Ubermacht des vorhandenen Wissens und ebnet damit zugleich der Relativierung und Verzeitlichung des Wissens den Weg. Gleiches gilt für das Verhältnis von Anciens und Modernes, denn beide treffen sich in einem entscheidenden Punkt: Sie arbeiten, ob gewollt oder nicht, an der stufenweisen Explikation von historischer Alterität.396 Selbst Perrault eröffnet sein Skandalgedicht über Le Siècle de Louis le Grand mit dem Zugeständnis der Größe an die Alten, aber zugleich mit dem Gedanken der Egalität zwischen ihnen und den Neuern: „Iis (les Anciens, S. M.) sont grands, il est vray, mais hommes comme nous".397 Auch der zweite kanonische Text der modernes, Fontenelles Digression sur les anciens et les modernes (1688), bleibt dem „klassischen Perfektionsbegriff verhaftet", gleichwohl bedeutete die Schrift „für eine ganze Generation von Autoren [...] in erster Linie eine Legitimation ihres Andersseins".398 Hagedorn partizipiert an beiden Diskursen, macht aber seinen Standpunkt nur selten explizit. Selbst wenn er sich einmal ausführlicher zur Fragestellung äußert, bezieht er einen Standpunkt zwischen allen Positionen. Prima facie haben Formen des „zeitlosen" Modells, die Vorbildlichkeit der literarischen Exempel sowie das Prinzip der historia magistra vitae, für Hagedorn Geltung.399 „Historia" und res fictae stellen vorbildliche Personen bereit, die jenen „kontinuierlichen Erfahrungsraum" von Literatur und Geschichte zu einem „Sammelbecken multiplizierter Fremderfahrungen" machen400, und halten Erfahrungen oder ein funktional vergleichbares Kon-
394
Koselleck: 'Neuzeit', S.327.
395
Zum Konzept vgl.: Barner: Einleitung.
396
Vgl. die Zusammenfassung der französischen Diskussion bei Jauß: Literarische Tradition
397
Perrault: Parallèle des Anciens et des Modernes, S.165.
und gegenwärtiges Bewußtsein der Modernität, S.32. 398
So Henschen in sanfter Korrektur von Jauß in: Fernglas-Phantasien, S.413.
399
Vgl. zum Topos Koselleck: Historia Magistra Vitae. Ebda., S.39. Vgl. zur Bedeutung der Exempel: Barner: Barockrhetorik, S.59ff., 285ff.
400
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strukt verfügbar.401 Historische Persönlichkeiten, moralische Charaktere und literarische Figuren geben auf vielfältige Weise ein sinnlich einprägsames Bild der „Wahrheiten".402 Interessant kann also nur sein, wie Hagedorn sich innerhalb dieses Modells bewegt, ob und wie er an jenem Prozeß teilhat, der durch fortschreitende Brechung und Verfremdung den Topos der „historia magistra vitae"403 und die Stabilität der Exempelgeltung entwertet. Mit anderen Worten: Es geht um die Konzeptionalisierung von Exemplarität oder - mit Hagedorns Worten - um „Herz" und um „Geist", um die Beständigkeit von Wahrheit und um die Probleme der situationsadäquaten applicatio, wie in der traditionsreichen „Fabel von der Fabel" Die Henne und der Smaragdί404 Was that die Henne hier? Sie fand. Sie fand; und finden ist die Kunst von vielen Erben; Doch beyder Fund wird übel angewandt: Denn jene scharrt den Stein in Sand, Und diesen kann ihr Gut kein * wahres Glück erwerben. Die Fabel von dem Huhn und von dem Diamant War mir und dir und tausenden bekannt. Mein Freund! den Einwurf kannst du sparen. Sie war bekannt vor tausend Jahren: Ihr ändert nur mein Reim die äussere Gestalt; Und keine Wahrheit wird zu alt. (W2,43f.)
Die Aussage der finiten Lehre ist eindeutig: Es gibt einen unveränderlichen Inhalt von Dichtung, es gibt eine Form von Dichtung, die den Inhalt kleidet, und diese Form ist variabel, ohne daß die Variabilität den Inhalt betrifft. Exemplarität hat bei Hagedorn oft keinen Zeitindex. In dem Epithalamium für das Lastrop=Beselerische Ehe=Bündniß expliziert er zur Illustration des „angebohrne[n] Trieb[s] der menschlichen Natur" gegen die „Einsamkeit" das Prinzip der Beweisführung: „Durchforscht Geschieht und Zeit, wo die geheime Kraft, / Die Lieb und Lust vereint, so oft den Meister spielet [...]" (PdN4, 140). Die Geschichte wird „durchforscht", man „hört", „sieht" und „lernt". Und so bestimmt Hagedorn dann auch in Horaz (jedoch 401
402 403
404
Vgl. für Historia die Untersuchung von Arno Seifert, die den Konflikt von „historia" und „scientia" sowie das Verhältnis der zu lesenden und der zu schreibenden Geschichte - beides ist historia - darstellt: Cognitio histórica. Vgl. zu diversen Formen der Exemplifizierung: Engler / Müller: Einleitung. Koselleck: Historia Magistra Vitae, S.47ff. Vgl. zur Kritik der Exempeltradition als Teil der „Schwulst"-Kritik und im Rahmen der Diskussion von „Originalitätsforderung" und „geistigem Eigentum", innerhalb derer die Exempeltradition auf eine „voreigentumsrechtliche Grundeinstellung" verweist: Schwind: Schwulst-Stil, S.258ff. Vgl. dazu: Speckenbach: Die Fabel von der Fabel.
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erst in der zweiten Auflage!) die Aufgabe des Dichters: „Ein Dichter lehrt das menschliche Geschlecht / Der Tugend Reiz und ihrer Thaten Recht. / Ein Dichter stellt für Zeiten, die entstehen, / Exempel dar, den Mustern nachzugehen [...]" (Horaz; W l , 81). Es war jedoch gerade diese Inventionstechnik, gegen die Neukirch in der Absage an sein Jugendwerk im Medium der Epithalamiendichtung Stellung bezogen hatte. Bei der Umstellung auf Selbstinspiration verfällt nicht nur die mythologiegesättigte und sinnbildreiche Sprache der Kritik, sondern auch die Exempeltechnik: „Hier hatte Seneca, dort Plato was gesagt; / Da hatt' ich einen sprach dem Plautus abgejagt; / U n d etwan anderswo den Tacitus bestohlen".405 Der Ganzheitsanspruch, der mit der Metapher vom Gedicht als Haus erhoben wird406, kann so nicht eingelöst werden. Daher verwendet Hagedorn die Fragefigur der satirischen Selbstunterbrechung (vgl. Kap. 3.2): „Doch was beruff ich mich noch auf Geschieht und Zeit? / Die Funcken sind in uns, in welche die entglommen" (PdN4, 140). Bereits die Tatsache, daß Hagedorn in der Fabel Die Henne und der Smaragd die Lehre von der Dauer der Wahrheit als Lehre einer Lehre formuliert, bleibt nicht ohne Wirkung auf die Lehre. Der Autor gelangt auf eine Beobachterposition zweiter Stufe, so daß zwei Lehren konkurrieren. Man könnte das für den Normalfall selbstreflexiver, poetologischer Poesie halten. Aber Hagedorn flicht an bemerkenswert vielen Stellen eine derartige Markierung ein, die die Exempel mit einen Zeitindex versehen:407 In dem Epithalamium auf das Lastrop=Beselerische Ehe= Verbündniß fährt Hagedorn nach den oben zitierten Versen fort:
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Neukirch: Auf die L i n c k - und Regiußische Vermählung, den 8 Junii anno 1700. In: Benjamin Neukirchs Anthologie [...] Sechster Theil, S.153. Zum Thema Schöberl: „liljen-milch und rosen=purpur", S.25ff., insbes. 50ff. „Auf diesem schwachen grund, ich sag es unverholen, / Baut' ich von versen offt damahls ein gantzes hauß, / Und ziert' es noch dazu mit sinne - bildern aus" (ebda.). Wolff formuliert im übrigen seine Ganzheitstheorie erstmals in einer Schrift zur Architektur: Anfangsgründe der Baukunst ( - Teil der Anfangsgründe aller Mathematischen Wissenschaften, 1710; vgl. dazu: Arndt: Einleitung, S.IX, Anm.17). Vgl. auch bei Pope: Versuch von der Kritik, S.202) sowie W l , XXV, Β 204. Häufig setzt Hagedorn - auch mit parodistischer Absicht - die Argumentationsfigur „früher" - „jetzt" ein. An anderen Stellen desavouiert Hagedorn die legitimierende Funktion der Exempel (W2, 145; vgl. auch W l , 105). Und wenn Hagedorn in der Anmerkung zur Fabel Die Henne und der Smaragd aus Reinbecks Philosophischen Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele das Beispiel eines Mischvogels, hervorgegangen aus der Verbindung von Hahn und Ente, anführt (W2, 43, als spätere Hinzufügung), dann scheint doch die Seriosität des naturalisierenden Exempelgebrauchs in Frage gestellt. Vgl. auch die Problematisierungen und Thematisierungen von Exemplarität in VeG 41; PdN5, 315f., 325; W l , 23, 102, 113; W2, 34, 57, 63, 65, 81f., 87, 115, 154f., 158; W3, 27, 55, 58, 97, 98, 100, 104.
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Der Sehnsucht holde Macht hat noch nicht abgenommen. Nein; man verkennt noch nicht das Wol, die Lust, den Preiß Der Seufzer, die man stillt, der Eintracht treuer Hertzen, Und man begreift noch itzt, daß ein vertrautes Schertzen Gram, Unruh und Verdruß leicht zu vertilgen weiß. (PdN4,140)
Das prekäre Moment der temporalen Konstruktion ist in der Doppeldeutigkeit des „noch" verborgen, das zweimal die Funktion hat, die Fragilität des Sozialen im Sinne eines „noch nicht, aber bald" zu bezeichnen, abschließend aber dessen Stabilität im Sinne eines „noch immer" anzeigen soll. Man kann bei Hagedorn also von einem gebrochenen, bisweilen von einem ironischen Verhältnis zur Exempeltradition sprechen, insofern er gleichsam in der Rede das System der Rede (ihre Ordnung) vorführt. Die Zweideutigkeit der Position Hagedorns läßt sich auch sehen, wenn man sie vor dem Hintergrund der Querelle des Anciens et des Modernes sieht. Hagedorn kannte die Diskussionen um das Verhältnis von Antike und Moderne in Frankreich, England, Italien und Deutschland. Die Namen, die man in diesen Zusammenhängen wie „Spielmarken" tauscht408, sind für ihn Fixpunkte in den literarischen Diskursen. Hagedorn zitiert Boileaus Réflexions Critiques und wird von seinem Bruder über Perraults Parallele des Anciens et des Modernes belehrt (Baden 1 lf.); er empfiehlt Bodmer Addisons Discourse on ancient and modern Learning (Β 83), nennt Blackwells Homer-Apologie, und seine Bewunderung Popes und Swifts ist offensichtlich; aber ebenso gehören Fontenelle oder La Motte zu seinem Repertoire. Inwieweit er die Diskussionen in den gelehrten Informationsblättern verfolgt hat, etwa in den von ihm oft zitierten Acta eruditorum,409 ist nicht genau nachvollziehbar. Sicher ist nur, daß Hagedorn sich innerhalb dieser Diskussionen frei bewegt. Und vor allem: Er kennt die erste Zusammenfassung der Diskussion in Deutschland, Georg Heinrich Ayrers Dissertatio de comparatione eruditionis antiquaeac recentioris (1735) (Wl, 105). Uber die starren Entgegensetzungen hinaus sind Hagedorn weiterhin die diplomatischen Positionen in Deutschland sowie einige der für die deutsche Diskussion typischen Argumente vertraut, etwa die Zusammenführung der Querelle mit der Verteidigung der deutschen Poesie (W3, XIXf.) in Reaktion auf die Angriffe von Bouhours. Auch hier darf man den Einfluß seiner Gymnasiallehrer, der Hamburger Aufklärer sowie der Jenaer Gelehrten nicht unterschätzen.410
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Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.25. Vgl. dazu ebda., S.14, 25. Die Rezeption der französischen Querelle nimmt in Deutschland ihren Anfang im gelehrten Disputierbetrieb. Auf Einladung von Hagedorns Lehrer Fabricius etwa werden bereits 1703 in drei Reden These, Antithese und Synthese der Positionen in der Querelle darge-
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In der Vorrede zum Versuch einiger Gedichte411 - und auch die Gedichte selbst bieten kein anderes Bild - sieht man deutlich Hagedorns vagierende Argumentation. Im Sinne der Neukirchschen Verabschiedung der Fremdinspiration bekennt sich Hagedorn zu den Kriterien „Vernunft und Wahrheit" (VeG 5). Dem korrespondiert die Eröffnung von umfassender Kritisierbarkeit auch in bezug auf die Spannung von Gegenwart und „Nachwelt": „Ich habe auf das sorgfältigste eingesehen, wie viel die Vollkommenheit eines geschickten Aufsatzes erfodert, und daß wir uns der Nachwelt, als einer Richterin, zeigen, die unerbittlich, und nicht weniger, als die jetzigen Zeiten, über uns zu erkennen, berechtiget ist" (VeG 5). Damit hängt dann auch die Konsequenz zusammen, die Hagedorn aus dem selbstinspiratorischen Konzept zieht: die Deutung von imitatio und Originalität nicht mehr (nur) in Hinsicht auf die Tradition, sondern auf Naturnachahmung, wobei sich der Poet seinen Freiraum erhält: Die Ode - so Hagedorn - „muß ein Original vorstellen, das zwar die Ähnlichkeit beobachten, dennoch aber kein gekünsteltes Nachgemählde seyn soll" (VeG 7). Schließlich kommt Hagedorn doch noch auf die antiken Vorbilder zu sprechen. Er holt die Erlaubnis ein, die „sonst unbrauchbare Fabeln des Alterthums" zu verwenden (VeG 9). Um dies aber gegen „Vernunft und Wahrheit" tun zu können, die ja die „Fabeln des Alterthums" allererst „unbrauchbar[ ]" gemacht haben, wechselt Hagedorn zur Legitimation eines Bacchuszugs wieder vom philosophischen ins rhetorische Paradigma. Hagedorn referiert hier eine ähnliche Position, wie sie Fontenelle als erklärter Parteigänger der Modernes in seiner im Versuch einiger Gedichte andernorts zitierten (VeG 32) Histoire des Oracles (1686) vertritt, wenn er vom „wunderbarefn] Nichts der heidnischen Religion" schreibt, das in der Antike Mittel der Regierungskunst gewesen sei (VeG 10) ,412 Vielleicht hat Hagedorn auch die Erweiterung der Gerichtsbarkeit auf die jeweils nachfolgende Zeit von Fontenelles Digression sur les anciens et les modernes (1688) übernommen („allein wir werden dermahleins auch alt seyn, und ist es nicht billig, daß unsre Nachkommenschafft uns wieder zurecht weise und übertreffe [...]"413). Hagedorns Mentor Gottlieb Stolle, der die Publikation der ersten Gedichtsammlung befördert hat, steht für das Traditionsverhalten im Versuch
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stellt, und Fabricius selbst referiert kenntnisreich über die Parteien, wobei er die englische Querelle einbezieht (ebda., S.26, 61). Vgl. auch das bereits zitierte Plädoyer für die Neuheit in einem Brief an Weichmann aus Jena (B 8f.). Fontenelle legt in seiner Histoire des Oracles die anthropologischen Ursachen (Unwissenheit etc.), die Motive (Machterhalt etc.) und Möglichkeiten (Betrug etc.) dar, die den Glauben an die Orakel wachgehalten haben (ζ. B. Geschichte der Orakel, S.164). Fontenelle: [Digression sur les anciens et les modernes], S.149.
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einiger Gedichte Pate.414 In der Kurtzen Anleitung Zur Historie der Gelahrtheit dokumentiert Stolle wohlinformiert den Stand der Querelle415. Zwar nimmt er einen vermittelnden Standpunkt ein, aber dem Vorurteil zugunsten der Alten gilt doch in besonderem Maß seine Kritik.416 Zudem lobt Stolle Fontenelle über alle Maßen: „Seine Art zu raisoniren ist so sonderbar, seine Schreibart so angenehm, und seine Gedancken so sinnreich, daß ich unter den Schrifften der Alten keines weiß, so ich diesem vorziehen könnte".417 Im Sinne von Fontenelles Digression merkt Stolle dann auch an, daß bereits die Alten über die unbegründete Bevorzugung ihrer Vorgänger geklagt haben. In Hagedorns folgenden Werken gewinnt das praeiudicium antiquitatis durch die Gleichsetzung von Anciennität und Natur bzw. Vernunft an Boden (ζ. Β. Β 212). An keiner Stelle aber votiert er für Ausschließlichkeit, d. h. er nutzt nicht den polemischen Rahmen der Querelle, und er ordnet weder sich in diesen Zusammenhang ein, noch sortiert er danach seine Beurteilungen.418 Umgekehrt reagiert Hagedorn eher implizit auf die Ergebnisse der Querelle, wenn er im zweiten Teil der Oden und Lieder seine „Erfindsamkeit in Kleinigkeiten" zeigen will und sich kaum eine Nachahmung erlaubt (an Ebert; 27. 5. 1744; Β 126; W3, XIX) oder wenn er in der Vorrede zu den Oden und Liedern die neuere europäische Lieddichtung abhandelt, die antike Odenpoesie jedoch nur nebenbei anspricht (einmal um die „satyrische Moral" der Lieddichtung, das andere Mal um ein freies Versmaß zu legitimieren) (W3, XVIf.).419 Hagedorn konfrontiert daher auch nicht die verschiedenen Positionen durch Namenskataloge. Er bezieht die Namen weniger diskriminierend als vielmehr positiv zu seinen Gunsten ein und nutzt die tatsächliche Vielschichtigkeit der Diskussion aus, ohne deswegen in argumentative Schwierigkeiten zu geraten. So beruft Hagedorn sich an zwei der programmatischen Stellen zur imitatio zwar auf Boileau, zitiert ihn aber gerade mit dem kämpferischen Argument des „jouter contre son original" (Wl, VII).420 La 414
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Stolle führt die kritisch-vermittelnde Tradition der Jenaer Gelehrten fort. Vgl. zu Buddeus und Walch: Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.119f., 343. Zu Stolles Quellenkenntnis: ebda., S.119, 166f. Stolle: Anleitung Zur Historie der Gelahrheit, S.15. Ebda., S.13. Wenn er also Tassoni, den er in den Oden und Liedern in fünf Büchern vom einfachen „Tadler" zum „sinnreichen Tadler des Homers und Petrarchs" promoviert (OLFB ΧΠ, A n m . l l , i. Ggs. zu O l unpag., Anm.9), ironisch die „Freude" gönnt, die italienische Sprache der griechischen und römischen an die Seite zu stellen, da er „es sich so sauer werden ließ, die alten zu verkleinern", dann ist das eine Ausnahmeerscheinung (W3, Vllf.). Die antike Odendichtung thematisiert die der Odensammlung beigefügte, von Ebert übersetzte Abhandlung de la Nauzes. Vgl. dort zur Natürlichkeit der Lieddichtung: W3,133f. Caspar Abel schreibt in der Vorrede zu Des berühmten Poeten NICOLAI D'ESPREAUX BOILEAU Satyrische Gedichte (1729): „[...] ob er wohl in dem grossen Streite unter den Ge-
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Fontaine hingegen, den Hagedorn im Vorwort mit Boileau wegen seiner vorbildlichen Nachahmung gleichsetzt, kritisiert er im gleichnamigen Epigramm wegen fehlender Originalität.421 Der dritte im Bunde, Horaz, verweist als Vorbild für Nachahmung (La= Motte; W l , 104) auf die eigentümliche Tatsache, daß bereits die Alten in eine Querelle mit ihren Vorläufern getreten waren und daß sich die Modernes und die Anciens der Neuzeit mit deren Argumenten versorgen.422 Hagedorn hält mit ironischen Einschränkungen (PdN5, 316) an der Vorbildlichkeit der Antike fest, aber er ist dennoch bereit, die Errungenschaften der Moderne zu akzeptieren und zu honorieren - er verteidigt den Reim ebenso, wie er den Roman oder die Oper (ζ. Β. Β 114) schätzt und die Arbeit an einem christlichen deutschen Epos kritisch, aber im Prinzip wohlwollend betrachtet. So kann er seinen Vorbericht zu den Fabeln und Erzehlungen mit der Gleichsetzung der „Alten und Neuern" einleiten: „Diese Sammlung enthält Versuche in der Kunst zu erzehlen, oder freye Nachahmungen der Alten und Neuern, welche sich in dieser Kunst hervorgethan haben" (W2, 3). Und in programmatischer Unparteilichkeit reklamiert er im Schreiben an einen Freund die Beschäftigung mit den „besten Muster[n] der Alten und Neuern" für sich (Wl, XXI). Hagedorn beharrt zwar darauf, daß nur derjenige Dichter seine Fähigkeiten richtig bildet, der die Alten studiert. Und er nutzt zugleich die suggestive Einheit von Mediokrität und Modernität, indem er einen Mißstand in der Gegenwart mit seiner Abwesenheit in der Antike parallelisiert. Aber er stellt zwischen den beiden Sachverhalten kein Folgeverhältnis her. Zusammenfassung Hagedorn entwickelt aus dem strategischen Wissen der Privatpolitik das Programm des unparteiischen und unstrategisch agierenden Beobachters wie in der politischen Freundschaftstheorie ist Offenheit eher eine Angelegenheit des Einsamen. Hagedorns Gesellschaftsbild konstruiert seinen Gegenstand nach den Maximen der Wahrscheinlichkeitspoetik und der Perspektive des aufklärerischen Autors (und Lesers). In den Briefen an Giseke und an Bodmer arbeitet Hagedorn an einer „wahrscheinlichen" Interpretation der Gelehrtenszenerie und an seiner eigenen Biographie. In den Briefen lehnen in Franckreich, wegen der alten und neuen Autoren, der ersten Parthey mit hefftigem Eifer wider den Herrn Perrault verfochten; so habe er doch durch sein eigen Exempel gerade das Gegentheil erwiesen, in Betrachtung keiner von den alten Satyricis im geringsten mit ihm zu vergleichen sey" (zitiert nach: Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.138). 421
Vgl. zu unterschiedlichen Beurteilungen La Fontaines: W l , X I V , Anm.8; W l , 99; W l , 105; W 2 , 3f.; auch Β 50, 253.
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Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.10.
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an Christian Ludwig von Hagedorn versucht er, seinem Bruder eine geordnete Biographie innerhalb einer strategisch bewältigbaren und auf Wahrscheinlichkeiten reagierenden Umgebung zu schreiben. Und in den Briefen an Ebert zeigt sich, wie die Selbstinszenierung Hagedorns ihrerseits eine wahrscheinliche Interpretation des Autors „Hagedorn" hervorbringt. Probleme entstehen, da die Lektüre sich nicht mit einem interesselosen Gefallen begnügen kann, sondern auch bessern soll, die Handlungen also von der Poesie in der einen oder anderen Weise berührt werden müssen (u. U. als Parteinahme). Ob und für wen Hagedorn Partei ergriffen hat, läßt sich nur schwer sagen. Das gilt insbesondere für seine Position im großen Literaturkrieg zwischen Zürich und Leipzig. Zwar ergibt sich aus den Briefen an Bodmer eine kritische Haltung gegenüber dem Leipziger, das muß aber angesichts des Adressaten nicht weiter verwundern. Wenn man die Vielfältigkeit der von Hagedorn gegenüber verschiedenen Briefpartnern eingenommenen Positionen einbezieht, muß offen bleiben, ob Hagedorn sich gegenüber Gottsched nicht mindestens affirmativ verhalten habe. Hagedorn orientiert sich an Dresden. Zwar belegen auch hier die betreffenden Quellen das Bild des Gottsched-Kritikers Hagedorn, aber die Affinitäten zu Gottschedianischen Kreisen bleiben erhalten. Zudem unterstützt Christian Ludwig von Hagedorn aus der Sicht des Hofstrategen die „unparteiische" Haltung seines Bruders. Schließlich illustrieren auch Hagedorns Beziehungen zu den Bremer Beyträgern, wie kompliziert die Konstellationen sind. Interessant ist daher in erster Linie, daß Hagedorn keine eindeutige Position einnimmt und gerade dadurch ein stabiles Autorbild zu etablieren versucht, indem er ζ. B. die Ambivalenzen der Nebenstundenapologie ausnutzt. Umgekehrt bestätigen die Bremer Beyträger das von Hagedorn anvisierte Autorbild, entmächtigen es aber zugleich in der Poetisierung von Freundschaft. Damit folgen sie in gewissem Sinn den Vorgaben Hagedorns zum Verhalten in literalen Beziehungsgeflechten. Entliteralisierung, Vergeistigung und Verkörperung bilden dort ein Ensemble von Praktiken. Die Schriften des vorbildlichen Autors stellen nicht sich selbst in den Vordergrund, sondern das Leben des Lesers und dadurch das Leben des Autors, der exemplarische Bedeutung erhält. Freilich hat man - zumal bei toten Autoren - nur Schriften vor Augen. Mit anderen Worten: Entliteralisierung führt zum Text, und zwar zu einem mit Bedeutung aufgeladenen, einem Werk. Der Autor macht sich demnach auch unkontrollierbar, d. h. individuell und originell, indem er andere Autoren auf besondere Weise liest. Das wiederum heißt, daß auch die Leser seines Werks sich regelhaften Vorgaben gegenüber skeptisch verhalten und sich ihnen entziehen. Es muß neue Lesekontrollen für den guten Leser geben. Der gute Leser muß sich vom schlechten, zumal vom pedantischen Leser, unterscheiden können, indem er ζ. B.
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nach England reist, ein persönliches Verhältnis mit Horaz behauptet, von Bar aus täglichem Umgang kennt oder indem er durch genaue philologische Betrachtung des Textes dessen Besonderheiten herausliest. Der Umgang mit Texten wird mit den Worten Popes über das Übersetzen ein „grosses Geheimnis". Dabei fallen schon beim ersten Blick auf Hagedorns Werk die konservativen Verfahren ins Auge, zumal der Exempelgebrauch und die Wertschätzung der antiken Autoren. In leichten Abweichungen und Ablenkungen, in komplizierten Neuinterpretationen, in Brüchen und ironischen Verdopplungen erst setzt sich bei ihm ein Prozeß der Verzeitlichung und Entwertung von Traditionalem durch. Er würde sein Werk eben nicht bloß von seinem Intimus Horaz korrigieren lassen, sondern auch einige Gedichte Horazens beseitigen (B 248; vgl. Kap. 4.3). Horaz verkörpert gleichsam die Gedankenfigur des internalisierten Beobachters. Heumann jedenfalls empfiehlt angesichts der Unwägbarkeiten des gesellschaftlichen Lebens und der Schwierigkeit, einen den Idealen der Freundschaftstheorie entsprechenden Freund zu finden: „Soltestu aber so unglücklich seyn, daß du keinen solchen Freund finden köntest, so gehe hin, und frage die Todten. Ich will so viel sagen: Liß die Schrifften weiser Leute. Diese sind die besten Rathgeber. Sie sind un interessiret, sie sind unpartheyisch. Sie sagen dir die Wahrheit trucken heraus, und verhehlen dir deine Fehler nicht".423
4.3 Hagedorns poetische Briefe Nicht nur (imaginierte) Zusammentreffen mit Hagedorn waren unter den „Jünglingen" begehrt, sondern auch seine Briefe: Cramer etwa schreibt an Giseke, er würde „verschmachten", schriebe Hagedorn ihm einen Brief, was wiederum Giseke in einem Brief an Hagedorn berichtet (25.11.1748; EschV, 279). Sehr viel realer geht es im Briefwechsel zwischen Hagedorn und Johann Christoph Stockhausen zu, dem zweiten großen Epistolographen der Frühaufklärung neben Geliert. In einem Brief an Giseke vom 16. 12. 1750 erkundigt sich Hagedorn nach Stockhausen: „Mir gefallen seine Grundsätze wohleingerichteter Briefe, die ich zu lesen, angefangen, so sehr, daß ich wünschen möchte, ihn zu kennen, um meine Gedancken wegen der von ihm verheissenen Sammlung erlesener Briefe ihm eröfnen und dazu wenigstens ein Dutzend aus den englischen und französischen Briefen vorzuschlagen, die ich als Meisterstücke ansehe und immer mit neuem Vergnügen lese" (B 305). Stockhausen bedankt sich am 17. 5. 1751 für dieses Kompliment, das 423
Heumann: Der politische Philosophus, S.302.
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ihm über Gärtner zugetragen worden sei, und bittet Hagedorn, ihm bei der zweiten, verbesserten Auflage seiner Briefe behilflich zu sein. Hagedorn solle die ganze Schrift einer eingehenden Kritik unterziehen, sich aber insbesondere um die Ubersetzung englischer Briefe kümmern, denn mit Stockhausens Englischkenntnissen sei es nicht weit her (HN 108). Aus einem anderen Brief (5. 7. 1751) läßt sich schließen, daß Hagedorn zugesagt und englische und französische Briefe zur Sammlung beigesteuert hat (HN 109). Mit einem Wort: Hagedorn war eine anerkannte epistolographische Größe.424 Briefe sind als Medium von Geselligkeit von besonderer Bedeutung, weil sie die theoretisch erst mühsam erarbeitete Voraussetzung jeglichen Schreibens, die Abwesenheit des Beschriebenen, schon seit jeher zum Anfang des Schreibens machen.425 Wie mit der Distanz und der Nähe, die die Gattung ermöglicht, umgegangen wird, bleibt freilich historisch zu verorten. Für Hagedorn ist das zentrale Problem von Briefen - und zugleich, wie sich zeigen wird, ihr einzigartiger Vorteil -, daß sie genau das als Bindeglied und damit zugleich als Trennung zwischen die Briefpartner legen, was freundschaftliche Begegnung am meisten stört: Wörter. Er muß daher eine Möglichkeit suchen, mit den Wörtern über die Wörter hinaus zu gelangen. Semiologisch kann man sich das so vorstellen, daß die Wörter nicht mehr als Differenz von Signifikat und Signifikant bedeutsam sind, sondern diese Differenz als Einheit selbst zum Signifikanten promoviert wird.426 Die Wörter weisen so in einer komplizierten und paradoxen Form der Selbstbezüglichkeit durch das Faktum des Schreibens selbst über sich hinweg auf den Briefschreiber. Schreiben ist dann nicht mehr als Schrift, sondern als Handlung zu interpretieren. Der Interpret muß das Persönliche in den Briefen entdecken wollen, er muß dem Briefschreiber vertrauen - mit Mühe, Belesenheit und (philologischem) Mißtrauen sind die Spuren des Allgemeinen in jedem Schriftstück zu entdecken. Der Briefschreiber seinerseits kann Zeichen der Aufrichtigkeit einbauen, mit deren Hilfe der Leser sein Vertrauen beglaubigen und der Rhetorik der Authentizität folgen kann. Niemals aber ist die Bedrohung durch die „gefährlichen Leser, deren Erleuchtung nicht über die Dämmerung gehet" (Wl, X), die den Brief nicht richtig verstehen und die Wörter nicht ordnungsgemäß in Geist übersetzen, ganz vermeidbar. Hier 424
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Stockhausen war wohl weniger kompetent. Er habe - so Giseke - für die Antwort an Hagedorn so lange gebraucht, weil er die meisten Autoren nicht kenne - „[sjonst ist er sehr bescheiden, gefällig, und ein Genie" (SKU 16. 1. 1752). Vgl. zu den antiken Brieftopoi wie etwa der Vergegenwärtigung durch den Brief, dem Brief als Gespräch zwischen Getrennten etc.: Thraede: Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik. Roland Barthes hat das als Struktur des „Mythos" dargestellt: Mythen des Alltags, insbesondere S.92ff.
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bleibt dem Autor nur die Hoffnung: „[...] ich suche mich auszudrücken, wie mir die Einfalle gerathen, und mehr der natürlichen als der blöden Schreibart nachzuhängen, und hoffe zugleich, Sie werden dieses vertrauliche Bezeugen meines ungekünstelten, freien Vortrages mir zum Besten auslegen" (an Weichmann; 13. 12. 1727; Β 10). „Blödigkeit" und „Natürlichkeit" 427 sind für einen mißtrauischen Beobachter, für den die Inszenierung von Individualität keinen Wert an sich darstellt, bisweilen eng verwandt. Für einen „von den[ ] guten und rechten Freunden" hingegen gewinnt die Unordnung des Briefes sogar Beweisqualität: „Ich schreibe also ohne Ordnung, ohne Zierlichkeit, ohne ängstliche Wörter-Wahl oder Wahl der Worte, alles frey hin, wann und wie es mir einfällt, weil meine und Ihre Briefe nur uns zu Gesicht kommen. In Ansehung dieser Unordnung, bitte ich daher so wenig um Verzeihung, daß ich solche vielmehr, als einen gültigen Beweis der schuldigen und vollkommenen Zuversicht und Ergebenheit, angebe [...]" (an Bodmer; 3. 9. 1747; Β 215).428 Wenn Hagedorn die immer wieder entschuldigte und damit ex negativo zum Beleg seiner Gesinnung erklärte Schreibhemmung überwindet - einmal mehr fehlt es an Muße -, kann auch das der Versicherung von Freundschaft dienen: „Bin ich nicht ein recht fleissiger Correspondent und überzeuge ich Sie nicht, daß es mir eine Freude ist, an Sie zu schreiben?" (an Bodmer; 18. 9. 1753; Β 381). Gespräche über Kleinigkeiten Hagedorn stellt den Zeitgewohnheiten entsprechend die Metapher vom Brief als Gespräch zwischen Entfernten und deren Bedeutungshof ins Zentrum seiner Epistolographie. Die Metapher selbst ist so alt wie die Epistolographie. Historisch wird sie durch den Bedeutungswandel von „Gespräch".429 Der Rede wurde schon früh, etwa bei Quintilian, 430 nachgesagt, sie gehe (auch) in der Tätigkeit selbst auf, sei also nicht (nur) auf den Erfolg ausgerichtet. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts holt die Konversationstheorie diese Ansicht auch begrifflich ein, indem sie mit der neuen Semantik der Selbstzwecklichkeit das Gespräch zu begreifen versucht.431 Wichtige Vorläufer hat dieses Modell im 17. Jahrhundert in der französischen Salonkultur, und auch in Deutschland versucht man sich an vielfältigen Beschreibungen. Das Gespräch gerät dabei in die Frontenbildungen der Geselligkeitsdiskussion und avanciert darin zu einem polemischen Kernstück. 427
Vgl. zum Verhältnis der beiden Konzepte: Stanitzek: Blödigkeit, S.99ff.
428
Vgl. zur brieflichen Unordnung, die freilich einen „gesunden Verstand" voraussetzt: Gel-
429
Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.108.
430
„Ita oratori bene dixisse finis est" („So ist es auch für den Redner das Ziel, gut gesprochen
iert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.156.
zu haben"; Quintilian: Die Ausbildung des Redners, Π, 17, 25). 431
Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.15ff.
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An dieser Stelle ist interessant, daß sich das Gespräch einem zweckhaften, d. h. an expliziter Nachrichtenübermittlung interessierten Kommunikationsmodell entgegensetzen kann, und zwar in Formen wie „lockeres Plaudern und flatterhafte[r] Klatsch im Gespräch der Kleinigkeiten".432 Es setzt sich in Opposition zu einem methodisch geordneten Sprechen und bevorzugt demgegenüber Offenheit und Unordnung. Die Grenzen zwischen Gespräch, Brief und Poesie sind dabei fließend. Hagedorn schreibt Giseke, dem Adressaten angemessen, Klopstock habe ihn so redselig gemacht, daß ich ihm gar nichts verschwiegen und mich in die Gefahr gesetzet habe, einen rechten Schwätzer abzugeben. So offenhertzig machte mich das unvermehrliche Vertrauen zu seiner rechtschaffenen Gemühts-Art, daß in den vielen Materien, worüber ich, meinem Vorhaben nach, ausführlich mit ihm sprach, eine mehr als lyrische Unordnung herrschte, und ich meynte, ihm noch eben so viel zu sagen zu haben, als er, mir viel zu früh, fortmuste. (12./13. 4. 1751; Β 307)
Das sind zweifellos die besten Voraussetzungen für die Fortführung des Gesprächs in Form eines Briefwechsels. Sowohl in seinen „vertrautesten Briefen" als auch in seinen „freundschaftlichsten Gesprächen" bedient Hagedorn sich einer „bequemen Unordnung" (an Bodmer; 8. / 9. 1750; Β 296). Der Begriff der „Kleinigkeiten" ist nun nicht nur ein allgemein angemessener Begriff für das Gespräch als zwang- und zielloses Kommunizieren, sondern der Begriff hat gerade bei Hagedorn seinen historischen Sinn (vgl. Kap. 3. 1). Er operiert wie der freundschaftliche Brief auf einer transverbalen Ebene und markiert eine bestimmte Einstellung zum Gegenstand - von Seiten des Autors die Verknüpfung mit der eigenen Person, von Seiten des Lesers das Interesse an der Person des Autors. Zugleich zeigt die Kommunikation von Kleinigkeiten jene Vertraulichkeit an, der nichts an manifesten Freundschaftsbeweisen liegt. N u r so können die Kleinigkeiten zugleich das Interesse vom Autor ablenken. Wenn sich nämlich das Interesse mit dem Wunsch nach Explikation der Verbundenheit verknüpft, wird daraus leicht Parteilichkeit in Form einer polemischen Verteidigung in den literaturpolitischen Auseinandersetzungen. Klopstock schreibt in seinem Dialog Von der Freundschaft: „Nur die Neigung zu dem, den wir lieben, kann eine Kleinigkeit, die er sagt, über ihre Sphäre erheben, und machen, daß wir Geschmack daran finden, sie zu hören"/ 3 3 Bodmer führt den Begriff der Kleinigkeiten in einem Schreiben an Hagedorn in die Brieftheorie ein: 432 433
Ebda., S.39. Klopstock: Von der Freundschaft [1759], In: ders.: Ausgewählte Werke. 2. Bd., S.942. Klopstock inszeniert hier einen Briefwechsel, in dem dem Lob der Freundschaft - „Es sollte meinen Freund und mich nicht wirklich glücklich machen, daß wir uns für alles, was uns angeht, bis zu der geringsten Kleinigkeit, interessieren?" (ebda., S.937) - eine Verteidigung des „Umgangfs] der großen Welt" entgegengesetzt wird, in der „Kleinigkeiten zu etwas
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Weil doch keine Hoffnung ist, daß ich jemals das Vergnügen haben werde, mit Ihnen in Person zu sprechen, so versäume ich nicht gern eine Gelegenheit, durch Schreiben mit Ihnen zu reden. Was ich Ihnen dießmal zu sagen habe, ist zwar ziemlich unmerkwürdig; doch die Kleinigkeiten selbst sind in den Augen meiner gütigen Freunde merkwürdig. (30. 3. 1744; EschV 158)
Man sieht: Es ist ziemlich gleichgültig, was Freunde sich zu sagen haben, wenn sie nur etwas sagen und dadurch „Freundschaft" kommunizieren, die sich jenseits der Worte vollzieht - die Empfindsamkeit wird sie dann auch folgerichtig gemeinsam schweigen lassen.434 Während das Sprechen sich jedoch im Moment der Aktion verflüchtigt, fixiert der Brief das Gespräch. Er vermerkt „Unmerkwürdiges", so daß ihm das Transitorische des tatsächlichen Gesprächs entweder hinzugefügt oder die Folgen der Niederschrift gemildert werden müssen. U m es mit Ebert zu sagen: „Einem verschwiegenen Freunde kann man alles schriftlich erklären" (EschV 25 lf.) - aber auch nur dem Verschwiegenen. Vor einem solchen Freund schüttet man sein „Herz" aus, was Ebert dadurch zum Ausdruck bringt, daß er „so weitläuftig und unordentlich" an Hagedorn schreibt, als ob er mit ihm „gesprochen haben würde" (EschV 265). Aber auch das Gespräch muß noch in besonderer Weise modelliert werden, um ihm jede Indiskretion zu nehmen. Ebert macht es zum Selbstgespräch. Mit Hagedorn kann man „so sorglos und frei reden [...], wie man bei sich selber redet" (EschV 266). Umgekehrt gilt für die Briefe Hagedorns an seine „Freunde": „Ich rede darinnen mit Ihnen, wie mit mir selber [...]" (an Bodmer; 19. 5. 1753; Β 372). Hagedorn ist in seinen Formulierungen etwas zurückhaltender als Ebert, 435 aber seine epistolographischen Anmerkungen fügen sich ins Bild: Er berichtet von sich mit „alt-deutscher Offenhertzigkeit" (B 247) (wie gezeigt, grenzt Hagedorns 'Altdeutsches' an die höfischen Tugenden strategischer Aktion); nur ausgewählten Personen schreibt er „deutsche, lange Briefe" (B 403); er führt „lange schriftliche Unterredung[en]" (B 221) und ergeht sich, ohne zu „künst[eln]" (B 235) in freundschaftlicher „wortreichefr] Vertraulichkeit" in einem „weitläuftige[n] Brief" (B 85); das „Vergnügen" brieflicher Konversation läßt ihn zu einem „weitläufigen Schwätzer" werden (B 120), „ohne Vorenthaltung eines einzigen Gedankens" (B 267); ja der Brief wird [ge]macht" werden müssen (ebda., S.939). Die oben zitierte Passage widerlegt diese Zurückstufung der Freundschaft. 434
„Es herrschte zwischen uns ein bedeutendes geistvolles Stillschweigen, das der Engländer 'a Silent Conversation' nennt - und welches man aus unsern faden Gesellschaftszirkeln immer mit Gewalt zu verscheuchen sucht - indem man dieses heilige Stillschweigen für eine Beleidigung des Wohlstandes hält.
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(Moritz: Andreas Hartknopf, S.426f.).
Die „Offenheit" scheint bei ihm wie bei Geliert mit einer Art kontrollierter Authentizität gleichzusetzen zu sein (Geliert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.180).
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gar zur Steigerung des Gesprächs, wenn er nicht nur so wie die Rede im vertraulichen Gespräch, sondern „vielleicht unordentlicher und schlechter" formuliert ist, „zumal an einen Herzensfreund, dem allein bekannt werden muß, was ich mit flüchtiger Feder nur für ihn entwerfe" (B 302). Natürliche Briefe In einem Brief an Fuchs nutzt Hagedorn dann selbst einmal Affektfiguren der empfindsamen Rhetorik, um dem Adressaten seiner Anteilnahme an dessen Heirat mit einer begüterten Bürgermeisterstochter zu versichern. Er läßt seine Tränen und die Tränen seiner Frau fließen; in Exklamationen preist er die Vorsehung und den Bräutigam, der aus einem Brief an den Vater „die ersten Wallungen" der „großen Freude" Hagedorns „abnehmen" kann (B 327f.). Plötzlich aber schaltet Hagedorn von Teilnahme auf Beobachtung um, vollzieht gleichsam im Brief jene doppelte Bewegung von Artifizialität und Natürlichkeit, die er in der Poesie in die kleinsten Wendungen einbaut und seinem Protege in epistolographischer Hinsicht empfiehlt. Ihr Brief ist ein recht guter Brief; und das sind alle, die Sie an mich geschrieben haben. Bleiben Sie immer bei dem Natürlichen Ihrer Schreibart. Das gesuchte Schöne, das Witzige, geht nicht so sehr zum Herzen, als was aus dem Herzen kömmt und die Worte mit sich bringt. Man empfinde, was man sagt; man sage, ohne Noth nichts als was man empfindet. Das ist, meines Erachtens, die Gewalt der Reden, die z. B. Reinbeck und Sack gehalten haben. Nec facundia deferet hunc, nec lucidus ordo. So wie im Sinnlichen der schönen Natur nichts ganz beikömmt, so muß auch in Werken der Kunst ihr die mühsamste nachstehen. (13.2. 1752; Β 328)436
Die epistolographische Adaptation biblischer Rhetorik hat ihre Tradition. Mit der Rede vom „Mund", der bei „vollem Herzen" übergehe, ersetzt die christliche Freundschaftsrhetorik die paganen Brief-Topoi von der Entzifferung der in den Brief eingeschriebenen Persönlichkeit. 437 Hagedorn weiß auch hier, welche Argumente bei seinen Adressaten wirksam sein werden Hagedorn nennt ihn: „mein lieber Herr Pastor" (B 327). Freilich bindet Hagedorn das Folgeverhältnis von Empfindung und Rede situativ ein. N u r „ohne Noth" ist die Sprache des Herzens angebracht. Dann aber gilt: „Sie wissen, nichts ist mir gleichgültig, was Sie angeht" (B 328). Das auf den ersten Blick Unbedeutende verbindet sich mit der Person, weil es scheinbar
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Das Binnenzitat: Horaz: Ars poetica, V.41, recte: „cui lecta potenter erit res, / nec facundia deseret hunc nec lucidus ordo" („Wer einen Stoff wählt nach dem Maße seiner Kraft, dem wird es weder an gutem Ausdruck fehlen noch an lichtvoller Ordnung"). Thraede: Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik, S.160. Vgl. Lk. 6, 45 sowie Mt. 12, 34.
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nicht durch den Filter rationaler Disposition hindurchgegangen ist. Wie Assoziationen ergibt es sich unwillkürlich und von daher auch ungeordnet. Den qualitativen Unterschied zwischen Teilnahme und Beobachtung visualisiert Hagedorn in einem anderen Brief an Fuchs geradezu. Dort schreibt er nicht mehr im Brieftext, sondern quer an den Rand:438 Wie angenehm und wesentlich gut ist Ihre ungekünstelte Schreibart! Ich bitte, lassen Sie Sich durch nichts verführen sie zu verlassen und gleichsam vor dem Spiegel zu schreib[en] um schön und witzig zu werden, an statt männlich und stark zu seyn. Folgen Sie hierin immer den Engelländern oder vielmehr der Natur. (15. 9. 1752; Β 340)
Die Aufforderung, sich an den „Engelländern" zu orientieren, die insbesondere durch Richardsons Briefromane den Brief literaturfähig gemacht haben,435 ist so ambivalent, wie Hagedorns, Winckelmanns oder Klopstocks Vorschlag, den Alten zu folgen (vgl. Kap. 4.2). Jeweils nämlich liegt das paradoxe Argument in der Originalität der Vorbilder, so daß man sowohl deren verschriftlichte Musterhaftigkeit wie auch deren inventionelle Idealität nachahmen kann. Gerade hier ist die Verbindung zur Poesie von besonderer Bedeutung. Denn der poetischen Epistel gesteht Gottsched in der Tradition Horaz' eine große Freiheit der Periodenbildung zu und wehrt die „künstliche Disposition" und damit auch die regulative Lehrbarkeit ab: „Die Vernunft weis ihm (dem Poeten, S. M.) schon, ohne solche Gängelwägen, eine natürliche Ordnung der Gedanken an die Hand zu geben. [...] und die Einfälle hängen gemeiniglich so am besten zusammen, wie sie hinter einander entstanden sind".440 Selbstverständlich sind die Briefe Hagedorns nur dann unordentlich, wenn man sie an den komplizierten Dispositionsschemata von Briefstellern mißt, die jetzt für antiquiert erklärt werden. 441 Die deutliche Verschiebung von den praecepta zu den exempta im Sinne der Empirisierung und Individualisierung von Vorbildlichkeit, wie sie die epistolographischen Schriften Gel-
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441
Vgl. auch die an den Rand notierten Bitten um Geheimhaltung Β 95,146. Vgl. zur Vorbildlichkeit der Engländer: Nickisch: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S.155, 162f. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.146, auch S.140. Auch Geliert schränkt die Formel, der Brief sei nichts weiter als ein niedergeschriebenes Gespräch, sogleich ein (Gedanken von einem guten deutschen Briefe, S.129f., 134; ders.: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.137, 139f.). Wenn es um die affektreiche Sprache des Herzens geht, vergißt Geliert seine Restriktionen dann aber wieder (ebda., S.159, 169). Er verwendet dabei die Argumente Gottscheds gegen die Natürlichkeit der Epicedien von Besser und Canitz: Die poetische Perfektion verweise auf eine vorangegangene Kalmierung und auf die poetisch erst hergestellte Affektlage (vgl. Kap.2.2).
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lerts sowie dessen Briefsammlungen dokumentieren,442 bestimmt dabei auch Hagedorn. Wenn er sich von Bodmer italienische Briefsteller ausbittet, dann natürlich nicht den „schwülstigen Loredano" oder den „schäzbaren Bentivoglio, sondern einen solchen, der [...] solche Briefe geschrieben, die etwa mit dem Bussy, dem Fleschier oder allenfalls mit dem Patin zu vergleichen, und nach der gegenwärtigen üblichsten Art sich auszudrüken eingerichtet wären, und mir zum Muster dienen könnten" (30. 3. 1746; Β 168). Eine anders motivierte Disposition empfiehlt Christian Ludwig von Hagedorn seinem Bruder. Sie folgt, wie zu erwarten, den Erfordernissen des strategischen Denkens: Er bittet um separate Notiz vertraulicher Nachrichten, die dann abgetrennt werden können. „Denn manchen Brief, den ich gern aufhöbe, muß ich wegen derjenigen Stellen, die aerumnas domesticas und andere pia deside· ria betreffen, verbrennen" (vgl. auch Β 35).443 Bereits die Tatsache, daß Hagedorn seine Briefe als Fortsetzung des Werks entwirft, verweist auf Hagedorns Gestaltungswillen, und von den Entwürfen und Vorarbeiten zu den Briefen läßt sich die Sorgfalt ablesen, die er darauf verwendet (BK 753; EschlV, 13). Nicht nur ordnet Hagedorn die Briefe der Verbesserungsästhetik unter, indem er Zeitbedarf reklamiert und die Briefe wie die Gedichte „ausfeilt" (EschlV, 13), auch umgekehrt sollen die Epigramme, wie bei Kästner,444 beim Adressaten des Schreibens an einen Freund „die Stelle eines Briefes vertreten" (Wl, XXVIII). Immerhin ein Beispiel ist auch dafür überliefert, daß Hagedorn, wie sein Bruder auf der Seite des Lesers, die (ausgewählte) Sammlung des Briefwechsels intendiert zu haben scheint. In einer für Hagedorn typischen Briefeinleitung entschuldigt er sich gegenüber Ebert ausführlich für die Verspätung seines Antwortschreibens. Wer glaube, Hagedorn würde „bey grösserer Müsset nicht augenblick442
Vgl. zur Kritik der Regel: Gellen: Gedanken von einem guten deutschen Briefe, S.131ff., 135f.; ders.: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.137, 142, 156f., 160, 177, 179f., 186f. Aber auch die Exemplarität hat nur gleichsam im Vorhof des Schreibens Platz: „Wenn man endlich selbst Briefe schreiben will, so vergesse man die Exempel, um sie nicht knechtisch nachzuahmen, und folge seinem eignen Naturelle" (ebda., S.166). Für die Rhetorik vgl. ζ. B. die Bemerkungen von Fabricius: Philosophische Oratorie, S.189f., 200f. Zur Ablösung der „gekünstelten" Briefsteller mit dem Schema „Anfang", „Mitte" und „Ende" vgl. Geliert: Gedanken von einem guten deutschen Briefe, S.131. Auch im Brief geht es nicht mehr um Worte, sondern um Gedanken: „Man sucht die Verbindung nicht stets in Worten, sondern in der Folge, in der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der Gedanken" (ders.: Gedanken von einem guten deutschen Briefe, S.133; vgl. auch: ders.: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, S.156f.). Geliert belegt diese Präferenz u. a. mit einem Hagedorn-Zitat: „Denn weil sie nichts zu groß und nichts unkenntlich machten, / So dachten sie sehr wohl, und schrieben, wie sie dachten" (Gedanken von einem guten deutschen Briefe, S.134; Hagedorn-Zitat: Der Poet: Satyre; VeG 59).
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Neure Irene. May 1806, S. 121. Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. Bd.l, 1. Teil, S.VIf.
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lieh geantwortet haben, stelle damit nur die Unkenntnis von Hagedorns Wertschätzung Eberts unter Beweis. Hagedorn schließt: „Ich lege die Ihrigen (Briefe, S. M.) bey, da ich so viele andere verbrenne, und Sie werden sie alle dereinst bey mir vorfinden, wann wir uns Wiedersehen" (27. 5. 1744; Β 124). Der Briefwechsel und die Briefe selbst zeigen die Freundschaft zwischen den Briefpartnern. Wenn die den Briefen eingeschriebene Freundschaft stabil ist, dann sind auch die Briefe bewahrenswert. Werk und Briefe treffen sich, von zwei entgegengesetzten Punkten ausgehend: Für das Werk rückt Hagedorn die Vergänglichkeit in den Vordergrund, bei den Briefen ihre Beständigkeit. Dem Werk wächst dadurch Persönliches zu, den Briefen Repräsentativität. Hagedorns Kriterien der Natürlichkeit oder der Unordnung sind nicht beim Wort zu nehmen, sondern gewinnen ihre Bedeutung als Gegenmodell zu einem in anderer Weise künstlichen und geordneten Briefstil. Gleiches gilt für die Performanz, also jene Ebene, auf der Hagedorn die Zeichen der Freundschaft wirksam sein läßt. Eine der zentralen Verschiebungen im Bereich von Performanz findet im Ubergang vom 17. zum 18. Jahrhundert, mit Vorläufern in der „altdeutschen" Komplimentenkritik, im Verständnis des Kompliments statt.445 Das Kompliment bringt keinen sachlichen Beitrag zu einem Gespräch oder einem Brief oder einem als Gespräch konzipierten Brief. Es repräsentiert vielmehr das Bewußtsein der gesellschaftlichen Beziehungen, in die der einzelne eingebunden ist und denen er sich in vielfältiger Weise anzupassen hat. Allgemeine Kriterien wie Stand, Alter oder der Grad von Vertrautheit müssen dabei mit zeitgebundenen Konstellationen, den je neuen Situationen und Gegebenheiten, in Ubereinstimmung gebracht werden. So, wie die Frühaufklärung je nach polemischem Interesse Metaphern beim Wort nimmt und deren Bedeutung diskreditiert, nimmt sie auch das Kompliment beim Wort und entlarvt es als inhaltsleeres und unsinniges Beiwerk - bereits die galanten Theoretiker hatten im Sinne der Theorie von der natürlichen Kunst elegante Formen des Komplimentierens gefordert. Gottsched ordnet in diesem Zusammenhang den literarischen Brief dem prosaischen vor: In der poetischen Epistel seien sowohl die Komplimente wie auch weitläufige Titulierungen zu vermeiden. Dabei überliefert er negatorisch die situative Einbindung des Kompliments, das gerade dem breiten Publikum einer poetischen Epistel unangemessen sei.446 Hagedorn sieht daher „die Complimenten [...] als einen Auswuchs oder als die sogenannten plantes parasites an, die der Staude und der Wurtzel nicht schaden" (an Bodmer; 11. 5. 1745; Β 154). Das Kompliment schlingt sich nur um das Wesentliche, ohne mit diesem wirklich verbunden zu sein. Freilich wurde dem Kompliment auch im Zeitalter perfektionierter Kom445
Vgl. zum folgenden: Beetz: Komplimentierverhalten im Barock.
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Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.139, 145f.
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plimentierkunst kein tiefergehender Sinn abverlangt, sondern seine Bedeutung lag im einfachen Vorhanden-Sein. Das Kompliment war Fiktion, aber es war deswegen doch keine Lüge. Ihm kommt damit jene symbolische Qualität zu, die Hagedorn seinen bedeutungsvollen Sätzen hinzufügt.447 Christian Friedrich Enderlein, den Hagedorn wie Gottlieb Fuchs zu protegieren versucht, gibt er die entsprechenden epistolographischen Ratschläge zur Abfassung eines freundschaftlichen Briefes: An mich bitte ich so oft zu schreiben, als Ihnen beliebt, in Ihren Briefen aber sich gegen mich, der ich, ohne Ruhm zu melden, ein halber Engländer bin, aller Komplimente in der billigen Zuversicht zu enthalten, daß ich auch ohne dieselbe Ihrem Herzen eine gute Meinung von mir zutraue. Melden Sie mir, womit Sie sich täglich beschäftigen, welche Gedichte Sie ausarbeiten, welche Bücher Sie gern hätten, mit welchen Freunden Sie vor andern umgehen, wie Ihre Gesundheit beschaffen ist, und dergleichen. Solche Nachrichten werden mir höchst angenehm seyn. Dafür schenke ich Ihnen alle die rednerischen Süßigkeiten, womit in Deutschland die meisten Briefe verlängert werden. Sonst aber können Sie mir nicht zu viel schreiben. (19.12. 1748; Β 259)
Hagedorn setzt hier offensichtlich wieder einen Stein auf das neue Wissensgebäude, das die vormaligen Gesellschaftstechniken in den Schatten stellen soll. Nicht diejenigen Briefe sind Hagedorn „angenehm", die Enderlein ihm aufgrund seiner (Schul-)Bildung schreiben würde, sondern nur jene Briefart, die sich theoretisch natürlicherweise aus der freundschaftlichen Offenheit ergibt. Es geht darum, neue ¿ecorwm-Standards festzulegen und einen angemessenen Sujet-Bereich einzugrenzen. Enderlein kann dabei auf die Unterstellung bauen, Hagedorn werde ihn auch ohne Worte schätzen. Interessant ist dann nicht wirklich, womit sich der Briefpartner beschäftigt, sondern daß er schreibt, womit er sich beschäftigt. Auf dieser Ebene treffen sich die Empfehlungen zur Themenwahl mit der Aufforderung, „oft zu schreiben", und mit der Versicherung, Enderlein könne „nicht zu viel schreiben". Der Brieftopos „Entschuldigung für einen zu lang geratenen Brief" reflektiert gerade vor dem Hintergrund fehlender Muße Erfordernisse der Zeitökonomie, unter deren Anspruch das Kompliment in gleicher Weise ein schlechte Figur macht.448 Nur nebenbei: Das Lob steht immer unter dem Verdacht, parteiisch zu sein. Wer andere lobt, tut dies mutmaßlich aus strategischen Erwägungen; 447
Auch die Aufklärungsgeselligkeit kann unter der Maxime der urbanitas am Kompliment festhalten, man darf nur nicht zu viel oder gar nicht Komplimentieren, denn das sind die „zwey Ausschweifungen": „Eine kurze, artige, schöne Rede, wodurch man eine gesellige Gemüthsbewegung ausdruckt, ist ein Compliment im guten Verstände; folglich ists unmöglich, daß ein Mensch, der gar nicht complimentiren kan und will, gesellig seyn solte. Das gute Complimentiren verhält sich gegen die Geselligkeit, als die Juwelen, womit ein Frauenzimmer seine Haare durchflicht" (Der Gesellige, 45. St., S.370).
448
Beetz: Negative Kontinuität, S.286f.
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wer sich selbst lobt, ist selbstverliebt. Anders verhält es sich mit der Kritik:449 Sie entwickelt eine produktive Kraft auf verschiedenen Ebenen. Die Kritik eines anderen trägt zum Fortschritt bei - immer unter dem Vorbehalt natürlich, sie sei vernünftig und begründet, also eine Kritik im eigentlichen Sinn und kein Pasquill und keine Polemik. Kritik befördert den Geschmack der Leser oder die Selbststeigerung, auch wenn sie nichts anderes als ein Lob ist. Während die Freude der Bremer Beyträger über ein Lob Hagedorns sich noch mit der Komplimentierkultur verbinden könnte, hat die Bitte um eine Kritik ihren Ort im sich davon absetzenden Paradigma450, und die Versicherung, die Kritik werde vertraulich behandelt, verweist auf die Anforderungen, die dieses neue Paradigma an die Affektkontrolle des einzelnen stellt. Etwas zu kritisieren und kritisiert zu werden, bedeutet, gesellig zu sein. Gleichermaßen hofft Hagedorn entweder auf stillschweigende Zustimmung zu seinen Gedichten oder auf eine „gegründete" Kritik, nicht aber auf ein öffentliches Lob, auch wenn er im Versuch einiger Gedichte die Fortsetzung der Sammlung davon abhängig macht (VeG 12). N u r die Selbstkritik bietet die Möglichkeit, sich unverdächtig auf sich selbst zu beziehen, nur sie hat daher innerhalb eines selbstinspiratorischen Modells Chancen, allgemein akzeptiert zu werden. Dabei kann auch die Selbstkritik auf einer nicht-wörtlichen Ebene vor sich gehen. Ebert versucht, eine Kantate gleichsam gattungsästhetisch durch ein Moralisches Gedicht wiedergutzumachen (vgl. Kap. 4.2), Hagedorn versucht, durch Schweigen für seine Oden und Lieder zu büßen (vgl. Kap. 3.2). Beide aber, Ebert und Hagedorn, kommen nicht ohne wörtliche Begleitschreiben aus, die explizit machen, was den Handlungen an Bedeutungsüberschuß (noch) nicht zugetraut wird. Damit bewegen sie sich auf einer Ebene mit den epistolographischen Bemerkungen in den Briefen. Sie bilden gleichsam Rahmen und Titel für ein Bild, dessen Bedeutung nicht mehr einfach in der Anschauung entziffert werden kann und dem seine Bedeutung von außen gegeben werden muß. Wenn die neue Semantik etabliert ist, entfällt die Notwendigkeit zu derlei Bedeutungssicherungen. Um auf den zitierten Brief zurückzukommen: Die Versicherung Hagedorns gegenüber Enderlein, persönliche Nachrichten werden ihm „höchst angenehm" sein, bezeugt die instabile Lage der Interessenverschiebung hin zum Individuellen. Die Konversationstheorie jedenfalls, die für die Konzeption des Briefs als Gespräch Geltung beanspruchen kann, warnt bis ins 18. Jahrhundert immer wieder vor der Odnis ausführlicher Zurschaustellung 449
450
Vgl. zur Tradition der wechselseitigen Kritik und der Bitte um Kritik an einen Höhergestellten in den humanistischen Gelehrtenbriefen: Barner: Gelehrte Freundschaft im 18. Jahrhundert, S.29, 32. Beetz: Negative Kontinuität, S.297f.
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persönlicher Belange:451 „Aber man läuft fast immer in Gefahr, lächerlich oder verdrüßlich zu werden, wenn man lange von sich selbst spricht [...]" (B 345; vgl. auch W l , XVI). Dabei geht es nicht nur um die Inkompatibilität von Individuellem und Allgemeinem, sondern auch um die Gefahr, der man sich durch ein Zuviel an Offenheit aussetzt, also um die Folgen einer den Realitäten nicht angemessenen optimistischen Anthropologie.452 Welche andere Funktion aber hat die immer wiederholte Versicherung in Briefen von und an Hagedorn, die Nachrichten seien vertraulich oder man werde die Nachrichten vertraulich behandeln? Man weiß letztendlich genau, daß die rückhaltlose Vertrautheit eine schöne, aber zeitgebundene Fiktion ist oder doch leicht zu einer solchen werden kann. Fehlt das Vertrauen, dann ist Wörtlichkeit - ζ. B. in Form von Lob und Kompliment - angebracht. Ebert, Giseke, Fuchs und Enderlein empfiehlt Hagedorn daher immer wieder, sich brieflich bei potentiellen Gönnern und Wohltätern in Erinnerung zu bringen.453 Er selbst versäumt es ebenfalls nicht, ein positives Urteil über ein Gedicht von Seiten des Hofes sogleich brieflich zu sekundieren, und man muß schon genau suchen, um in den entsprechenden Briefen jene Interesselosigkeit zu finden, die dem Weisen im Umgang mit dem Hof eignen sollte. Mit einem Brief vom 7. 4. 1749 beispielsweise sendet Hagedorn ein Spende an Enderlein mit den Worten: „Mir scheinet es keinen zu grossen Danck zu verdienen, wenn man rechtschafnen Leuten, die einer Hülfe bedürfen, allen möglichen Beystand leistet. Nichts ist menschlicher: nichts sollte allgemeiner seyn" (B 269). Hagedorns Theorie des Menschlichen wird wieder einmal von der Einsicht gekreuzt, daß die Menschen sich gemeinhin nicht menschlich verhalten, auch wenn sie dies tun „sollte[n]". Er markiert damit genau jenes Stadium =Ampt ordimrel / oder auch sonst Andere / so schon im Ministerio gelebet / daselbst eingeführet werden, S.115. Vgl. insgesamt: Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.212ff. Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.3f. Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.42. [Hudemann]: Gedanken über den Messias in Absicht auf die Religion, S.33. Daher ist auch Gottscheds Aufruf zur Kritik in bezug auf die Religion so gefährlich: Gottsched: Beschei-
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Die Verteidiger des Messias betonen im Unterschied dazu gerade die Bedeutung des Sujets für die Wirkung des Epos sowie die Wirkung des Epos zur Verbreitung der Religion. Meier etwa verweist - wie später Klopstock251 auf die gesteigerte Wirkung, die die biblischen Handlungen in poetischer Gestalt ausüben.252 Lessing schließlich steigert diesen Apologietopos, indem er ihn kritisch verkehrt: Vielleicht sei Klopstock kein Dichter, ein Verteidiger der Religion sei er auf jeden Fall, und zwar ein viel wirksamerer als „alle Schriftsteller sogenannter geretteter Offenbarungen oder untrüglicher BeweiseV53 Der Zürcher Johann Caspar Heß betont entsprechend die „Schriftmäßigkeit" des Messias, die ihm das Epos zum wichtigsten Werk nach der Bibel werden lasse.254 Bei Hagedorn findet sich keines dieser Argumente. Umgekehrt spielen allerdings auch die Kritikpunkte der theologischen Leser keine Rolle, wie Hudemann sie ζ. B. herausarbeitet (das Sujet eigne sich nicht für die Poesie, die Darstellung des Menschen vergesse zu oft dessen postlapsaren, korrupten Zustand, die vermittelte Moral entspreche nicht den biblischen Lehren.255 Selten stehen beim Lob Klopstocks, wie ζ. B. in Cramers Verteidigung des Messias gegen Gottsched,256 inhaltliche Erörterungen oder prinzipielle dogmatische Fragestellungen im Vordergrund, wie sie die dezidiert theologische Kritik vorbringt. Man interessiert sich eben wesentlich stärker für die formale Gestalt. Auch Klopstock wird so in seiner Selbstverteidigung Von der heiligen Poesie vorgehen. Die ganze Konstruktion kulminiert dort in der ausführlichen Darlegung der „Kunst des Plans"257. Strategisch ist das für Klopstock entscheidend, denn er muß das Vertrauen, das ihm die positiven Rezensionen schenken, jetzt theoretisch beglaubigen, d. h. er muß zu ver-
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denes Gutachten, was von den bisherigen christlichen Epopeen der Deutschen zu halten sey? S.71. Klopstock: Von der heiligen Poesie, S.195. Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.7, 73, 93. Auch die KlopstockGegner können Klopstock wegen des Sujets über Vergil stellen, ihn gleichwohl aber kritisieren, da die Bibel keiner Neufassung bedarf (Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.16f.). Vgl. dazu RJeichel]: Critik Uber den Wohlklang des Sylben Maases In dem Heldengedichte der Meßias, S.24. Besprechung aus Das Neueste aus dem Reiche des Witzes von 1751: Lessing: Werke. 3. Bd., S.102Í. [Heß]: Zufällige Gedanken über das Heldengedicht, der Meßias, S.3f., 8, 18ff., 62. [Hudemann]: Gedanken über den Messias in Absicht auf die Religion, S.15ff. [Cramer]: Gedanken über die Frage: Wie weit Erdichtungen in Epopeen, welche Begebenheiten in der Religion zum Gegenstande haben, zugelassen seyn können? (Gerichtet gegen: Gottsched: Bescheidenes Gutachten, was von den bisherigen christlichen Epopeen der Deutschen zu halten sey?). Klopstock: Von der heiligen Poesie, S.194.
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mittein versuchen, daß die publizierten Gesänge „Vorbereitung" zu einem „Endzweck" sind.258 Der antipoetische Zugang der theologischen Sichtweise hingegen wird eben im programmatischen Desinteresse für die „Kunst des Plans" deutlich. So verkündet Hudemann: „Ich werde auch daher nicht eigentlich das poetische Gewebe des Messias in seinem Zusammenhange zerlegen und beurteilen, sondern in diesem Entwurf vornehmlich das Schädliche dieses Gedichts in Absicht auf unsere seligmachende Glaubenslehre, in Erwägung ziehen"259 ganz abgesehen davon, daß die von der Literaturkritik entdeckte Ganzheit dem Messias gerade abgehe.260 Entsprechend kann Hudemann Meier vorwerfen, er habe seine ganze Philosophie vergessen, in der er sich immer wieder zu theologischen Streitfragen äußert, und nur noch die „Ästhetik" im Kopf behalten.261 Auch Hagedorn schreibt wie die Klopstock-Apologie und Klopstock selbst in fast allen Fällen sehr allgemein von religionspolitischen Gefährdungen, sieht man von der Erwähnung der vieldiskutierten Abbadona-Episode ab, die das Dogma von der „ewigen Strafe" unterläuft (B 342). Nur an zwei Stellen wird er etwas genauer: In einem oben bereits erwähnten Brief an Giseke kommt Hagedorn am 25. 12. 1747 wieder auf seine religionspolitischen Bedenken zu sprechen: „Werden die mystischen Vorstellungen nicht, ohne die glücklichste Sorgfalt, Gefahr lauffen, denen Neumeistern künftiger Zeiten anstössig zu seyn?" (B 227) - im Brief zuvor hatte Giseke von den „Mystischen Vorstellungen" geschrieben (SKII 8. 12. 1747). Deutlicher noch wird Hagedorn in einem Antwortbrief an Bodmer262: Die geneigte Meinung, welche Sie über den 'Messias' des Herrn Klopstok's äussern, bekräftigt mich in der meinigen. Sie haben Recht, indem sie sagen, es sey eben so arg, für einen Kezer angeschwärzt zu werden, als für einen Zauberer. Sollte K. nicht Gefahr lauffen, der Zauberkunst angeklagt zu werden, so lasse ich noch sehr dahin gestellt seyn, ob sein Gedicht ihn nicht einer Kezerei verdächtig machen kann. Er und jeder Kezer incedit per ignes suppositos cineri doloso. (13. 4. 1748; Β 234)
Nicht mit dem Messias, sondern mit Klopstocks geistlicher Lieddichtung beschäftigt sich dann eine Passage, in der Hagedorn Wieland als Gegenpart mit ins Spiel bringt. Betrachtet man Klopstocks Gebete, so „sagt man", er 258 255 260 261 262
Ebda., S.193f. [Hudemann]: Gedanken über den Messias in Absicht auf die Religion, S.6. Ebda., S. 1 Iff. Ebda., S.27. Bodmer hatte am 12. 9. 1747 geschrieben: „Wie werden die Gottschede wehklagen, daß mitten in ihrem Lande ein Milton aufgestanden ist! Villeicht werden sie den Verfasser selbst vor einen Zauberer, oder, was eben so arg ist, vor einen Ketzer anschwärzen" (SK2; auch zitiert: BK 602).
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müsse „allererst erlernen was Andacht ist". Einige „Unwiedergebohrne, denen der Messias eine Thorheit ist", halten die Gebete von Paul Gerhardt, Johann Arndt und Benjamin Schmolcke für „inbrünstiger" (22. 4. 1754; Β 398).2éî Die theologischen Eckpfeiler „Mystik" und „Unwiedergebohrne" bringen fast mehr Probleme mit sich, als daß sie begrenzend und festsetzend die Unbestimmtheiten aufheben würden. Mit „Mystik" wird Hagedorn auf die Elemente anspielen, die später in der Gottschedianischen Kritik den Vergleich von Klopstock mit Jacob Böhme ermöglichen.264 Die Nennung der „Unwiedergebohrne[n]" hingegen ist schwierig aufzulösen.265 Der Verweis auf die protestantischen Lieddichter spielt wohl auf die orthodoxen Gegner des Pietismus an, die sich gegen die pietistische Wiedergeburt aussprechen und zwar gerade im Zusammenhang mit den Drey Gebeten,266 Eine Furcht auf jeden Fall scheint Hagedorn nicht gehabt zu haben: daß Klopstock für einen Parteigänger der Neologie gehalten wird, wie das Klopstocks enge Beziehung zu Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, zu Johann Joachim Spalding oder August Friedrich Wilhelm Sack sowie die Forschung aus heutiger Sicht nahe legen könnte.267 Hagedorn mutmaßt im übrigen, weder Sack noch Johann Friedrich Jacobi würden an einer poetischen Erweiterung der Bibel im Sinne einer „geistlichen Epopee" arbeiten, und sie würden öffentlich nichts zur Verteidigung des Projekts beitragen (an Bodmer; 15. 5. 1753; Β 368). Zumindest hier irrt Hagedorn: Sack hatte 1752 eine Verteidigung der dichterischen Freiheit mit seinen Gedanken über die Erdichtungen in christlichen Epopeen (1752) in die Sammlung vermischter Schriften von den Verfassern der Bremischen neuen Beyträge eingerückt.
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Vgl. dazu bei Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, ζ. B. S.99. Ζ. B. Gottsched: Bescheidenes Gutachten, S.71. Vgl. auch: Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.104. Man zieht auch die Verbindung zu: „Freymäurer[n]", „Goldmachern]" und „Herrenhuter[n]" (ebda., S.53, auch S.61, 63). Gronemeyer verweist in seinem Kommentar zu den Briefen Hagedorns auf Zedlers Universal-Lexikon (BK 710): „Unwiedergebohrne, Lat. Irregeniti, werden, nach dem gewöhnlichen Sprach-Gebrauche, alle diejenigen genennet, welche sich nicht gegenwärtig in dem Stande der Wiedergeburt, Rechtfertigung, Gnade und Kindschafft GOttes befinden" (Art. Unwiedergebohrne. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 49 [1746], S.2500Í.). Selbst der Lexikonartikel will sich jedoch nicht genauer festlegen und referiert deswegen die Streitigkeiten um diesen Begriff, die insbesondere im Kontext der „Spenerianischen und sogenannten Pietistischen Streitigkeiten" zu verorten sind (ebda., Sp.2501). Vgl. Kaiser: Klopstock, S.164f. Ebda., S.31. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 6/1, S.424. Vgl. kritisch von Spaldings Seite aus: Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.4f., positiv: ebda., S.43f. Vgl. zu Sack: ebda., S.9, 17, Anm.78, 42f. Vgl. zu Jerusalem: ebda., S.43. Für eine Entgegenstellung von Klopstock und Neologie vgl. auch ebda., S.27, zur Affinität zu Deisten und Atheisten ebda., S.28. Vgl. zu einer Kritik von Reimarus: ebda., S.119, Anm. 267.
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Hagedorns Religion
Dem eigentlich interessanten hermeneutischen und ästhetischen Problem, das den Kritiken meist als Folie vorausliegt und nur ansatzweise thematisiert wird, widmet Hagedorn sich bereits in dem frühen Brief über den Messias an Bodmer, also bevor noch die Literaturkritik reagieren konnte später wird er nie wieder so genau darauf eingehen. Uber den schweren Innhalt mag ich mich nicht erklären. Incedit per ignes suppositos cineri doloso. Mich deucht, er stehet in weit grösserer Gefahr, angefochten zu werden, als Milton selbst. [...]. Er hat, von Jugend auf, den Homer gelesen. Ein schertzhafter Freund sagte mir, der Dichter würde Gefahr lauffen, daß man seine, im Anfange des Gedichts, beschriebene Erd-Sonne mit der Sonne im Klimm, den Sie gelesen haben werden, vergleiche. Ich vergleiche sie damit nicht, und lasse allen Dichtern ihre Schöpfung und ihr Gestirne, solemque suum, sua sidera norunt. Der weitere Verfolg wird zu erkennen geben, warum der Poet gleich anfangs eine solche, und keine andere, Sonne zu seinem Endzwecke gewählt habe, und, ehe man im Stande ist, das Ganze zu beurtheilen, kan man von diesem Stücke seiner epischen Welt auf das übrige so wenig einen hinlänglichen Schluß machen, als man ein Haus aus Einer Ziegel kennen lernet. (10. 4. 1747; Β 204; vgl. auch Β 207f.)
Hagedorn fundiert sein Kritikverhalten formal und inhaltlich. Formal stützt er sich auf die auch im zuvor zitierten Brief angeführten Verse aus einer Horaz-Ode, die eine Tiefenschicht des Werks unterstellen,268 inhaltlich beruft er sich auf Vergil, um die Sonnen-Darstellung zu legitimieren. Die Bezugnahme auf Vergil gehört in eine Reihe von fünf Prätextverweisen, die der einleitenden Unzulänglichkeitserklärung folgen - Milton, Homer, Horaz, Holberg und Vergil. Mit ihnen versucht Hagedorn ein Raster aufzustellen, in dem sich der Leser „Hagedorn" und der Autor „Klopstock" verorten lassen. So entlarvt sich die falsche Kritik durch den Vergleich mit Ludvig Holbergs Nicolai Klimii iter subterraneum (Nicolai Klimms unterirdische Reise).269 Diese Kritik ist weder inhaltlich, d. h. nach Maßgabe der exempla, noch formal, also hinsichtlich der regulae, angemessen, bzw. die falsche inhaltliche Zuordnung korrespondiert dem vorschnellen, dem Werkganzen nicht an-
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In bezug auf die politisch gefährliche Gegenwartshistoriographie schreibt Horaz: „Motum ex Metello consule civicum / bellique causas et vitia et modus / ludumque Fortunae gravisque / principum amicitias et arma / / nondum expiatis uncta cruoribus, / periculosae plenum opus aleae, / tractas et incedis per ignis / suppositos cineri doloso" („Der Streit, der begann unter Metellus, dem Konsul, zwischen den Bürgern, / des Krieges Gründe, Greuel, sein Verlauf, / das Spiel auch der Fortuna und die unheilvollen / Bündnisse der Führer, die Waffen / / besudelt mit noch ungesühntem Blut: / Ein Werk, gefährlich, voll Wagemuts, / beginnst du, schreitest hin durch Gluten, / die verborgen noch unter der Asche voll Trug") (Carm. 2, 1, 6ff.).
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Vgl. zu Hagedorns Beurteilung von Nicolai Klimms unterirdischer Reise Β 220.
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gemessenen Urteil. Daß Giseke gerade diesen Punkt an Klopstock weiterreicht, ist signifikant.270 Gleich einem Palimpsest unterlegt oder überschreibt Hagedorn diese Stelle mit dem ein Jahr später verfaßten, oben zitierten Brief an Bodmer, der dasselbe Horaz-Zitat mit dem Vorwurf der Ketzerei in Verbindung bringt (B 234). Diese „Tiefen" eines Gedichts versucht Hagedorn bei seinen eigenen Werken durch Bedeutungsverengungen zu beseitigen - so zumindest proklamiert es die Anmerkungstheorie.271 In dieser Weise annotiert Hagedorn Klopstocks Darstellung einer Sonne im Erdinnern, die die Kritik tatsächlich in besonderer Weise beschäftigen wird,272 und verweist auf Aeneas' Gang in die Unterwelt und auf die im Elysium scheinende Sonne.273 Das ist ein Analogon zum einfachsten Verfahren der Klopstock-Apologeten: Um die „Schriftmäßigkeit" zu belegen, verweist man auf entsprechende kanonische Textstellen.274 Zugleich kehrt Hagedorn die für einen „Ausleger" fruchtbare „Tiefe" in die Horizontale um, arbeitet sie in das Textgewebe ein. Daß Hagedorn in bezug auf Klopstocks Versmaß dann an einer Stelle von der „Richtung" der Worte und deren „Ordnung" spricht, ist raummetaphorisch bemerkenswert (B 281).
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„Dem H . Klopstock habe ich aus Ihrem Briefe nichts weiter gesagt, als daß Ihro Hochwohlgebohrnen noch nicht recht von seinem Gedichte urtheilen könnten, bis sie zum wenigsten ein Buch gelesen hätten" (SKII 13. 5. 1747). Am 8. 12. 1747 (SKII) schreibt Giseke dann, Klopstock sei über einen Brief Hagedorns zufrieden, der die Kritik eines Ungenannten enthalte. Auch die Beyträger hätten diese Kritikpunkte genannt. „Wenn er (Klopstock, S. M.) aber noch nicht alle Critiken des Ungenannten einräumen kann: So kömmt das wohl daher, daß derselbe unstreitig von der ganzen Einrichtung eines Gedichts, dessen Anfang er nur gesehen hat, zu urtheilen nicht im Stande gewesen ist. Die Fehler der Undeutlichkeit und anscheinenden Unordnung, die der ungenannte Hr. Verfasser anmerkt, sind vielleicht mehr Fehler der einzelnen Ausdrücke, der unrichtigen Perioden, der Mystischen Vorstellungen, als der Anordnung des Ganzen. Uberhaupt bin ich der Meynung, daß dieses ausserordentliche Gedicht noch zu neu ist, als daß man es ohne Nachtheil desselben beurtheilen könnte. Ich will sagen, wir müssen es, so weit es fertig ist, noch als ein grosses Werk ansehen, welches mit vielen Unvollkommenheiten aus den Händen seines Urhebers kömmt, und auch nicht anders daraus kommen kann"
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Johann Christoph Dommerich wünscht sich eine lateinische Übersetzung mit Anmerkungen für Anfänger (Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.102), und Paulli empfiehlt, den Rand der Kopenhagener Prachtausgabe des Messias zur Annotierung zu verwenden (ebda., S.118).
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Ebda., S.12. Ausführlich und kritisch äußert sich Breitinger dazu (ebda., S.133ff.). Vgl. Klopstock: Der Messias. Bd.3, S.268f. „largior hic campos aether et lumine vestit / purpureo, solemque suum, sua sidera norunt" („Fülle des Äthers umwebt das Gefild mit purpurnem Lichte, / eigene Sonne kennen sie hier und eigene Sterne"; Vergil: Aeneis, VI, 640f.). Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.87. Vgl. auch bei Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.20.
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Noch kann auf diese Weise Interpretation abgewehrt werden, denn das Ganze liegt nicht vor. Daß aber gerade die horizontale Verweisstruktur dem Text semantische „Tiefe" verleiht und den Verweis auf Prätexte kompliziert, kann so nur andeutungsweise formuliert werden, selbst wenn sich Form und Inhalt argumentativ ineinanderschlingen. Den Zusammenhang von semantischem Mehrwert und interner Verweisstruktur verpacken die Kritiken in der Empfehlung, man müsse den Messias mehrmals lesen, in die Behauptung, eine Textpassage lasse sich an dieser Stelle nur unzulänglich kritisieren, da sie zu reichhaltig sei, oder in die Abwehr von Sagbarkeit überhaupt.275 Entscheidend wird dann das „Daß" der Wirkung, das bloße Faktum. Dem entspricht die Hermeneutik des Schweigens, die gerade im Nicht-Gesagten viel zum Denken findet.276 Bei Hagedorn klingt das freilich etwas einfacher: „Uber den schweren Innhalt mag ich mich nicht erklären". Die Kritik reagiert auf diese Situation mit umfassenden Inhaltsangaben277 und Klopstock mit der kapitelweisen Zusammenfassung vor jedem Gesang in den MessiasAusgaben von 1751 - auch Milton hatte den einzelnen Büchern des Paradise Lost im übrigen Uberblicke vorangestellt. Die divinatorische Herstellung von Ganzheit - aus welchen Gründen auch immer - kann als Teilhabe am poetologischen Kernproblem des 18. Jahrhunderts begriffen werden. Keine andere Diskussion war so verworren und variabel, so argumentativ anschlußfähig und fruchtbar für die Entwicklung eines ästhetischen Eigensinns wie die Bestimmung poetischer Einheit. Dabei geht es zunächst weniger um die genaue Arbeit am Text. Ob eine Passage nun wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, den Zusammenhang fördernd oder störend ist, scheint zu oft dem Ermessen und rhetorischen Geschick des Kritikers anheimgestellt zu sein. Zunächst scheiden sich dabei die Kritik-Fraktionen in der Frage des Maßstabes überhaupt: Kritisiert man ein Werk nach den ihm eigenen (formalen) Strukturen, oder legt man einen Maßstab der (inhaltlichen) Allgemeinverständlichkeit an ein Werk an? Gerade Lessing hat diese Prämisse, die den Verteidigungen Klopstocks zugrunde liegt, immer wieder in seinen Klopstock-Kritiken expliziert.278
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Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.95, 158f.; Abhandlung von den Schönheiten des vierten Gesanges der Messiade. In: Crito. 1. Bd., 1751, 2. St., S.50. Insbesondere: [Heß]: Zufällige Gedanken über das Heldengedicht, der Meßias, S.20ff. Insbesondere die Kritik im Crito besteht beinahe vollständig aus Zusammenfassungen, die sich zudem an Klopstocks eigenen Angaben orientieren: Ohne diese Hilfsmaßnahme wäre es selbst dem Kritiker schwer gefallen, den Inhalt zu referieren. Entscheidend ist jedoch der Maßstab, denn es geht um die richtige Akzentuierung der Handlungselemente, um deren Gewichtung ([Über Klopstocks Messias], In: Crito. Bd.l, 1751,1. St., S.18). Vgl. insgesamt zu den literaturpolitischen Konstellationen: Muncker: Lessings persönliches und literarisches Verhältnis zu Klopstock, für die hier betreffende Zeit insbesondere S.49ff. Dazu: Rezension aus Das neueste aus dem Reiche des Witzes von 1751 in: Lessing: Werke. 3.
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Ironisch, aber folgerichtig, mutmaßt er in diesem Zusammenhang: Wenn Klopstock die Erwartung Meiers einst erfüllt haben wird - wie man mit Klopstock sagen könnte -, werde nicht nur der Messias „bis in den Himmel" erhoben, sondern auch ein eigenes Epos mit dem Titel Klopstocks Messias verfaßt werden.279 Man kommt um den Autor im Kontext der Ganzheitsästhetik nicht herum. Er ist das heimliche Zentrum des Werks. Gerade beim Messias wird das deutlich, denn hier muß die Wirklichkeit des Autors die Möglichkeiten des unvollendeten Epos beglaubigen. Der Autor muß dazu eine selbstidentische Persönlichkeit sein und sich - wie ζ. B. Meier das formuliert - in allem „gleich" bleiben,280 so „daß dieses Heldengedicht ein Meisterstück seyn werde, wenn die folgenden Gesänge den drey ersten ähnlich seyn werden".281 Nicht umsonst ist es Bodmers größte Sorge, die Hoffnungen, die der Anfang des Messias erweckt hat, könnten im folgenden enttäuscht werden, der Schluß aufs Ganze könnte ein Fehlschluß sein (SK2 12. 9. 1747).282 Hagedorn kommt immer wieder auf das Ganzheitsprinzip zu sprechen. Die oben zitierte Passage greift er in einem Brief an Giseke wieder auf (B 207Î.)·, bei der Ubersetzungsfrage stellt er die Ganzheit von Miltons Epos gegen die Fragmentarität von Klopstocks Messias (an Bodmer; 7. 4. 1749; Β 266); und am 10. 10. 1751 verteidigt er die poetischen Freiheiten Klopstocks, einer Kritik in Bodmers Wochenschrift Crito folgend: Allein eine derartige Kritik sei legitim, denn sie versetze den Leser in die Lage, „das Gantze eines grossen Gedichts, so wohl als einzelne Theile, zu übersehen und genau kennen zu lernen" (B 319). Auch Hagedorn war dabei in der oben zitierten Briefstelle unmerklich auf die autortheoretische Ebene übergegangen. Die kritische Verschränkung systematischer und temporaler Kriterien verlagert sich bei der Beurteilung des Autors auf die biographische Ebene: In der juvenilen Homer-Lektüre Klopstocks treffen sich Lebensgeschichte und Literaturgeschichte in der
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Bd., S.98; als anderes Beispiel: [Heß]: Zufällige Gedanken über das Heldengedicht, der Meßias, ζ. B. S.15f. Besprechung in der Berlinischen Privilegierten Zeitung von 1749 in: Lessing: Werke: 3. Bd., S.15f. Der Neigung zur Potenzierung entspricht, daß es nicht nur eine Kritik der Kritik gibt, sondern auch ein Lob des Lobs (vgl. Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.48f.). Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.61, 69f. Meier: Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, S.63. Daher rührt nur wenig später seine Erleichterung: „Klopstock prägt allen Zeilen seine eigene Denkart ein. Wie unrecht hat man ihm vor einem oder zweyen Jahren gethan, da man gefürchtet hat, er habe ein Werk unternommen, welches über seinen Kräften sey. Sein Werk ist nur über die Kräfte der Leser [...]. Wer nicht von Natur ein hohes Gemüthe hat, braucht Zeit dasselbe zu der Höhe des Messiade zu erheben" (SK2 Dez. 1749) - bezeichnend ist in diesem Kontext auch die Verzeitlichung der Urteilskraft.
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Konstruktion der Vergangenheit, indem die literarische Sozialisation bei den Ursprüngen der Dichtung beginnt. 283 Die dadurch erweckten Zukunftserwartungen kommen im Argument künftiger Ganzheit und im Vertrauen auf den Autorwillen zur Geltung, 284 werden aber zugleich gekreuzt von der durch Milton symbolisierten künftigen Gefährdung. Diesem ersten Versuch, den Autor „Klopstock" zu konstruieren, folgen weitere. Hagedorn sucht fortlaufend nach Material, bittet etwa Giseke, ihm alles über Klopstock zu schreiben (B 305f.), erkundigt sich bei Klopstock selbst (B 265) oder fragt bei Bodmer um Klopstocks „poetischen LebensLauf" nach, da er sich von hier Auskünfte über den Anlaß und damit wohl auch über die Intention des Messias-Projekts erhofft (B 321). D a ß die Klopstock-Kritik an historisch-kritischen Ausgaben arbeitet, paßt in den Autordiskurs. 285 Dazu gehört, daß man als Klopstockianer den Fehler beim Streit zwischen dem Messias·Dichter und seinem Zürcher Mentor nicht bei Klopstock, sondern bei Bodmer sucht. Fehler heißt aber hier: Unterbrechung einer wahrscheinlichen Verhaltensweise (vgl. Kap. 4.2).286 Heikel daran ist freilich, daß der Konflikt aus Bodmers Sicht durch den Wahrscheinlichkeitsverlust Klopstocks hervorgerufen wird. Wie für Meta Moller (vgl. Kap. 3) spaltet sich der Dichter in den Verfasser und in den Autor auf, nur daß Bodmer die Vereinigung beider auf zweiter Stufe nicht recht gelingen mag: „Er ist gleichsam zwei Personen in einem Leibe: der Messiasdichter und Klopstock". 287 Bodmer wünscht sich, die Freundschaftstheorie im oben entwickelten Sinn aufgreifend, er hätte Klopstock nie getroffen, „weil wir dann die süße Illusion von seiner Freundschaft und Größe länger behalten hätten" - wie gesagt: Materialitäten wie Worte oder Begegnungen irritieren Freundschaften (Kap. 4.1). Wenn Bodmer - wie H e ß in einer weitgehenden Steigerung der Ganzheitssemantik nahelegt 288 - den Au-
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Vgl. zu Homer als Ursprung der Dichtung ausgehend von der Fluß- und Meer-Metapher in Eusthasius Homer-Kommentar z. B. Pope: Von Homers Leben, S.323. Vgl. zur Metapher: Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.383. So auch bei Bodmer: „Ich stelle mir immer vor daß Klopstock der Nachwelt seyn wird, was Homer und Virgil uns ist, und was würden wir nicht für Homer und Virgil thun, wan wir sie bey uns hätten?" (SK2 20. 2. 1749). Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.91, 113f.; vgl. auch Klopstock: Der Messias. Bd.3, S.216, Anm.271,218 Z. B. Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S. 120. Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.9. Vgl. Bodmers Verwunderung über den Odendichter Klopstock: ebda., S.33f. Im Unterschied zu Bodmer freut sich Hudemann, der den Messias aus dogmatischen Bedenken kritisiert, über die Unvereinbarkeit von Werk und Verfasser: „Sein Umgang hat, Gottlob! nicht das geringste von seiner Schreibart an sich. Er ist wahrhaftig ein recht artiger und angenehmer Compagnon" (ebda., S.88). Vielleicht orientiert sich Heß an Bodmers Entwurf eines ungenannten Idealautors (d. i. Klopstock), der von dem Kritiker in den Neuen Critischen Briefen über gantz verschiedene Sa-
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tor des Messias vorhergesehen hat, dann fällt die Entzweiung auf den Wahrsager zurück, zumal in der Verbindung mit Wolffs Ganzheitsmetaphysik: „Und Wolf, dem die Natur die Weisheit vorgezählet, / Kan nichts darinnen sehn, das selbst sich widerspricht; / Und seine Meinung gilt nicht mehr als dein Gedicht".28' Klopstock wiederum schiebt - je nach Sichtweise - Autor und Gott übereinander, wenn er den Zeitpunkt seines Todes von der Fertigstellung des Epos abhängig macht: „[d]och dann erst, dieß hoff ich zu meinem Erlöser, / Wenn von ihm mein heiliges Lied zu Ende gebracht ist".290 Die Kritik von orthodoxer Seite reagiert auf dieses Autorbild. Hudemann sieht in der Verherrlichung des Menschen im allgemeinen einen Verstoß gegen dessen Korruptibilität;291 Triller hält bereits für blasphemisch, von einem schöpferischen Autor zu sprechen.292 Gleiches gilt dann natürlich für die Heiligung des Autors.293 Bezeichnenderweise stellt Der Liebhaber Der schönen Wissenschaften Hagedorn den sich selbst überschätzenden Autoren gegenüber, die sich für „Nachahmer der Gottheit und der Natur ausgeben".294 Eine Prämisse der Verbesserungsästhetik besteht in der Annahme, Fehler verwiesen auf künftige Verbesserung, so daß Vollkommenheit wie in der aristotelischen Teleologie immer schon an den Stationen der Verbesserung gegenwärtig ist. Klopstock spitzt den Widerspruch von Verbesserung und Vollkommenheit jedoch so zu, daß die Fraktur nicht mehr rhetorisch überspielt werden kann. Die Kritiker - und dann auch der Autor - erzeugen durch die Abschließung des unvollkommen-vollkommenen Epos einen ästhetischen Raum, der das Werk zu einem sich selbst die Regel gebenden Gebilde macht. Dieser Vorgabe folgt in besonderer Weise die Abhandlung von den Schönheiten des vierten Gesanges der Messiade295 in Bodmers Crito, indem sie den Ahnlichkeitsraum in alle Richtungen auslotet: textinterne Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Passagen und Versen, textexterne Ähnlichkeiten bei der Beur-
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chen in die Dichtung eingefühlt wird Klopstock jedenfalls erkennt sich in der Beschreibung wieder. Auch in der Hymne Verlangen nach Klopstocks Ankunft visioniert Bodmer (Großer: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.6ff.). [Heß]: Zufällige Gedanken über das Heldengedicht, der Meßias, S.47. Klopstock: Der Messias, S.71. Auch diese Passage zitiert [Heß]: Zufällige Gedanken über das Heldengedicht, der Meßias, S.59. Vgl. bei Hagedorn zu einer Beschreibung Klopstocks mit dessen eigenen Versen aus dem Messias·. Β 265. [Hudemann]: Gedanken über den Messias in Absicht auf die Religion, S.16, 19ff. Grosser: Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, S.54. Ebda., S.60. C. Ν. N.: Von den Dichtern. In: Der Liebhaber Der schönen Wissenschaften. 2. Bd., 1748, 3. u. 4. St., S.259ff. Die Fortsetzung {Abhandlung von den Schönheiten des vierten und fünften Gesanges der Messiade) in: Crito. Bd.l, 1751, 3. St., S.65 - 75. Bodmer war seit 1750 von einem geschlossenen „Plan" überzeugt (Klopstock: Der Messias. Bd. 3, S.180f.).
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teilung von Gleichnissen und intertextuelle Ähnlichkeiten beim Vergleich der „Geschichte der Erzväter" mit der Messiade. Aus dieser Beziehungsfülle ergeben sich Lesbarkeiten und bisweilen Undeutbarkeiten, die den Kritiker nur noch „stammeln" oder gar verstummen lassen. Der Leser kann den Weitblick des Autors und dessen Selbstidentität, die dieser in der Erfüllung des ästhetischen Versprechens unter Beweis stellt, nur noch bewundern. Hagedorn kennt dieses Verfahren selbstverständlich, bleibt ihm gegenüber aber skeptisch. Anders formuliert: Form und Inhalt gehen keine so enge Verbindung ein, daß Literarizität aus sich heraus begründet werden könnte. Religiöse Themen sollten entweder unverdächtig, d. h. ohne spezifisch poetische Ambitionen literarisch umgesetzt werden, oder man sollte sie aussparen. Die eigentümliche Akzentuierung der Nebenstundenpoetologie in der Sorge um die Beeinträchtigung der mäzenatischen Freigebigkeit des dänischen Hofs wird hier jedoch interessant: Hagedorn weiß um die faktische Gefahr, die das religiöse Sujet mit sich bringt, sorgt sich aber weniger um die Seele des Autors oder des Lesers als vielmehr um dessen politische Gefährdung. Die Hoffnung auf die Muße, die der Autor braucht, wird letztendlich zu einem Beleg für die zaghafte Freistellung des poetischen Themas. Vor diesem Hintergrund können dann selbst Verse Hagedorns tiefsinnig werden, wenn der Leser einen entsprechenden lebensgeschichtlichen Hintergrund zu applizieren vermag. Uber einige Zeilen aus Hagedorns Hoheit und Liebe, die Klopstock mit seiner Neigung zur grammatischen Figur der vollendeten Zukunft typologisch auf seine Zukunft mit Maria Sophia Schmidt (Fanny) deutet, schreibt er: „Von was für einen tiefen Inhalte sind diese Verse für den, der sie versteht".296 Was die Klopstock-Apologie in die textuelle Zukunft verlegt, kann man bei Hagedorn nur ins künftige Leben verlängern freilich in Klopstocks Leben, das sich als poetisches Ereignis zelebriert. Anakreontischer
Deismus
„Rokokodichtung und zustimmende Rokokokritik stellen einen immer neuen Akt der Selbstbehauptung dar in einer von strenger protestantischer Ethik geprägten Gesellschaft".297 Allerdings haben auch sogenannte RokokoAutoren ihre Zweifel an Spielarten der scherzhaften Lyrik. Nicht nur die Schweizer Patriarchendichter und deren Umkreis, die in den 50er Jahren ihre anfangs affirmative Haltung in eine kritische wandeln, und nicht nur die an einer inhaltlich ausformulierten Lehre oder Moral interessierten Leser 296 297
Klopstock: Briefe 1738 - 1750, S.54. Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.123. Vgl. zum Oppositionsverhältnis der Anakreontik zum Pietismus sowie zum philosophischen Hintergrund einer über Wolff hinausgehenden, sich an Baumgarten / Meier orientiertenden Haltung von Gleim u. a.: Verweyen: Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? insbesondere S.297ff.
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legen kritischen Widerspruch ein; sondern selbst ein Autor wie Hagedorn, der in seinem Werk die heilige Poesie nicht befördert und dessen sittliche Empfehlungen beim Wort genommen bisweilen eine entschieden libertine Lebenshaltung zur Folge hätten, nimmt Abstand von einer Dichtung, deren Hauptgegenstand Wein und Küsse sind, wenn sich religiöse Gründe dafür ergeben. Diese religiös motivierte Poesiekritik kann sich seit den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts auf die anakreontische Dichtung konzentrieren, die die Tendenzen der weltlichen Dichtung in vielerlei Hinsicht steigert. Die beiden berühmtesten Anakreontiker der Zeit sind Johann Peter Uz und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Johannn Nikolaus Götz, gemeinsam mit Uz der Ubersetzer der Anakreonteen, bleibt wegen seines kirchlichen Amts298 lange Zeit anonym. Freilich gilt die Kritik oft den Nachahmern dieses Dreigestirns. N u r Uz gerät in offenen Konflikt mit den Schweizern, insbesondere mit Wieland. Hagedorn gilt bis heute als Wegbereiter der Anakreontiker (vgl. Kap. 1.1).299 Gleichwohl hat der Hamburger Dichter mit Absicht nur drei im engeren Sinn anakreontische, d. h. für Hagedorn reim- und strophenlose, dreihebige, die Motive der Anakreonteen aufgreifende Gedichte verfaßt,300 von denen eines zu den beiden dezidiert Anakreontik-kritischen in seinem Werk gehört. Und auch in seinem Briefwechsel distanziert Hagedorn sich erklärtermaßen von der anakreontischen Dichtung. Interessant ist freilich, daß gerade Gleim und Uz sich auf Hagedorn berufen. Neben der pietistischen und orthodoxen301 und neben der sich gegen den Verzicht auf intellektuellen Anspruch richtenden Literaturkritik302 liegt hier also mindestens ein Fall vor, der keiner der Parteien ohne Rest zuzuordnen ist. Wenn Gleim, nachdem er eine Stelle als „DomSekretair" in Halberstadt angetreten hatte, an Uz schreibt, er scherze oft mit Kollegen über Hagedorns Verse, denenzufolge Geistliche ihre Pfründe gern in Rheinwein ausgezahlt erhielten,303 dann verweist das immerhin auf eine gewisse Affinität in Religionsangelegenheiten, die zu Hagedorns religiös motivierter Kritik an Gleim304 nicht ganz paßt. 298 299 300
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Paulus: Götz, (Johann) Nikolaus, S.260. Dagegen Brian Keith-Smith: Friedrich von Hagedorn, S.160. Anacreon (W3, 65), Chloris (W3, 66f.), Der Traum (W3, 67f.). Man könnte noch Die Empfindung des Frühlings hinzurechnen (W3, 68f.). Die Ode ist zwar strophisch, weist aber die Charakteristika Reimlosigkeit, Wiederholungen, Dreihebigkeit auf. Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.124ff. Ebda., S.131Ö. Gleim / Uz: Briefwechsel, S.198. Vgl. zu einer Liste in Frage kommender Gedichte Gleims, die sich auf den geistlichen Stand beziehen: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.92, Anm.16. Genannt werden: An Herrn von Kleist, Die Flucht, Der Gelehrte, Der
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Hagedorn und Gleim treten in drei überlieferten Briefen in Kontakt; diese direkten Berührungen sowie das offizielle Verhältnis zueinander kommentieren beide Autoren dann wiederum in Briefwechseln mit andern Partnern. Bis 1746, also nach Erscheinen des zweiten Teils von Gleims Versuch in scherzhaften Liedern (1745), ist die Beziehung zwischen Gleim und Hagedorn relativ unproblematisch. Erst 1746 beschließt Hagedorn, Gleim eine
Lehre zu erteilen und Anacreon in die Oden und Lieder in fünf Bücher (1747) einzurücken. Danach kompliziert sich verständlicherweise das Verhältnis. Beinahe zur gleichen Zeit äußert sich im übrigen auch Gleim, wohl ohne von Hagedorns Vorhaben etwas zu wissen, erstmals kritisch in einem Brief an U z über dessen Werk, genauer über Der Wein, in dem Hagedorn Gleim sogar erwähnt. Im April 1744 erhält Hagedorn von unbekannter Hand den anonym erschienenen Versuch in scherzhaften Liedern Gleims. E r nennt die Lieder „anacreontisch", d. i. „natürlich, feurig, schalckhaft, spielend", ja, Die Wahl kommt ihm wegen der homophilen Anspielungen beinahe „zu sehr" anakreontisch vor (B 119). Bodmer wird das entschuldigen, indem er ein weibliches lyrisches Ich einsetzt (EschV 171f.). Eine Woche darauf empfiehlt Hagedorn den Versuch bereits Johann Elias Schlegel und setzt ihn mit dem zweiten Teil seiner eigenen Odensammlung in eine positive Beziehung (B 122f.). Im Dezember dann kennt Hagedorn den Verfasser namentlich Gleim hatte brieflichen Kontakt zu ihm aufgenommen (B 136). Bevor Hagedorn in einem ausführlichen Brief die dichterischen Arbeiten Gleims lobt (B 159), erkundigt er sich zwischenzeitlich bei Giseke nach der Einschätzung der Anakreontik in Leipzig (B 149), lobt gegenüber Bodmer die Schäferstükke und die Lieder Gleims - es seien „Meisterstücke" darunter - (B 150; auch Β 151f.), konstatiert dessen strategische Bedeutung für den Zürcher (B 168) und bringt gegenüber Wilckens wiederum seine eigenen Oden mit den Liedern Gleims in Verbindung (B 156). Ende 1746 zeigt Hagedorn sich verwundert, daß die von Gleim gemeinsam mit Lange herausgegebenen Freundschaftlichen Briefe im Neuen Büchersaal positiv besprochen worden seien - zuvor hatte Hagedorn vermutet, Gleim werde der Gottschedianischen Zeitschrift mit einer eigenen Paroli bieten, wozu Bodmer den Anakreontiker aufgefordert hatte. 305 Gleim hält sich hier aber an Hagedorns Vorbild des neutralen Zuschauers. 306 Zudem - so Hagedorn weiter - habe Gleim nun schon einige Zeit Komet, Bitte um ein Amt, Der Lügner, Der Schöpfer, An die Stadt Prag, An Herrn ""•""', Die Säufer und die Trinker, Lysander. 305
Hagedorn erwarte, so schreibt er, eine von Bodmer insgeheim ihm angekündigte Zeitschrift Gleims, die dann auch „dazu dienen" soll, Urteile in Gottscheds „Büchersaal" zu revidieren (30. 3. 1746; Β 168). Gleim referiert U z Bodmers Aufforderung (Gleim / Uz: Briefwechsel, S.76).
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Gleim / Uz: Briefwechsel, S.80, 93f.
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nichts von sich hören lassen (B 193). In einem nicht näher datierten Brief aus demselben Jahr hatte Hagedorn sich gegenüber Wilckens bereits deutlich kritisch über Gleim und andere ungenannte Anakreontiker geäußert (B 197). Gleichwohl kann sich Hagedorn 1747 bei Gleim für von ihm gesandte Werke bedanken. Er versucht gleichzeitig, seine Anakreontik-Kritik von Gleim abzulenken (B 208ff.). Aber auch ein Jahr später muß Hagedorn sich in zwei Briefen an Bodmer über die ausbleibende Post aus Berlin beschweren - vielleicht, so mutmaßt Hagedorn, bestehe ja doch ein - freilich ungerechtfertiger - Zusammenhang zwischen Gleims versiegender Schreiblust und seiner eigenen Ode Anacreon (B 233, 251). Wiederum ein Jahr darauf ist es dann Lange, der Hagedorn nicht antwortet. Hagedorn hatte sich von ihm Nachrichten von Gleim, Kleist und anderen Berliner Autoren erhofft (B 264). Auf der anderen Seite konstatiert Gleim seine eigenen und Hagedorns Schreibversäumnisse; er mutmaßt seinerseits, es könnte - selbstverständlich auch hier ungerechtfertigt - mit seiner brieflichen Antwort auf Hagedorns Anacreon zusammenhängen.307 Erst 1753 erfährt man dann aus den Briefen Hagedorns wieder etwas über Gleim: Er habe geheiratet (B 370), ein Ereignis, das Gleim nicht weniger als seine Beobachter verwundert zu haben scheint: „Was sagen Sie hiezu, mein liebster Freund?", schreibt Gleim an Uz, „Haben Sie von Ihrem Gleim wohl geglaubt, daß er das einmahl seyn würde?"308 Noch zu diesem späten Zeitpunkt bietet Hagedorns Poesie Orientierung für das Selbstverständnis: Was für Freuden, mein liebster Freund, würden es seyn, wenn Sie auf meiner Hochzeit (o wie angenehm sind mir jetzt diese Wörter, Hochzeit, EheMann) wenn Sie auf meinem Liebesfest (dencken Sie dabey nur immer an Hagedorns Liebesfest) wenn Sie dabey gegenwärtig wären. 309
Der Briefwechsel Gleims mit Uz thematisiert Hagedorn immer wieder. In den Briefen zu Beginn der 40er Jahre bekunden beide ein nicht genauer ausgeführtes Interesse an der gerüchteweise bevorstehenden Publikation der Hagedornschen Liedsammlung.310 Hagedorn bezeichnet eine bestimmte Einstellung zur Poesie und der Freunde zueinander: Will man seine Werke verbessern, ist Hagedorn das Vorbild;311 will man einen Autor loben, dann setzt man ihn gleich hinter Hagedorn;312 will man seine Neutralität im Lite307 308 309
310 311 312
Ebda., S.122,170. Ebda., S.235. Ebda. Vielleicht spielt Gleim mit Hagedorns „Liebesfest" auf Der Ursprung des Grübchens im Kinne (W2,109) an. Ebda., S.4, 7,29,33. Ebda., S.32,46,69,75, 79 (dazu Β 158), auch für die Orthographie, vgl. ebda., S.160. Ebda., S. 91, auch 98; auch für das Urteil über andere Autoren, vgl. ebda., S.107, i. Ggs. dazu ebda., S . l l l .
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raturkampf bewahren, orientiert man sich am Vorbild des weisen Hamburgers, selbst wenn dieser einmal mehr zur Publikation bedenklicher Stücke auffordert; 313 und auf die Buchgestaltung achtet man „gut Hagedornisch".31'1 Insbesondere Gleim erhält die neuesten Stücke der „Hagedornschen Muse", und Uz bittet flehentlich um Abschriften. 315 Die literaturpolitische Bedeutung Hagedorns erkennt Gleim, wenn er Hagedorn eigene Werke und Werke von Uz zusendet (nicht immer mit dem gewünschten Erfolg) 31 ', Hagedorns Funktion als Verteiler englischer Bücher ausnutzt oder Informationen von ihm erhält.317 Noch lange nach Hagedorns Tod fügen die Briefeschreiber dessen Namen, Verse oder schriftstellerische Bedeutung als Bausteine in Briefe ein.318 An zwei Punkten setzt nun die Kritik oder die vorsichtige Distanzierung Gleims und Uz' von Hagedorn an: zum einen - von den Anakreontikern ausgehend und für Hagedorn sich wohl im Verborgenen abspielend - an der Diskussion um das Horazische Dichten, zum anderen an der Bestimmung poetischer Freiheit im Verhältnis zur Religion - hier beginnt Hagedorn die Auseinandersetzung. Das Bemühen um die Entwicklung einer deutschen Horazischen Dichtung durchzieht die Briefe Gleims. Bemerkenswert ist daran in bezug auf Hagedorn, der sich selbst ja zum deutschen Horaz stilisiert, daß er in den entsprechenden Passagen nicht genannt wird.319 Das mag dann der Grund dafür sein, daß Gleim zwar Hagedorns Ode Der Wein lobt, die - wie Hagedorn schreibt - den „deutschen" Anakreon nennt (Β 159)320, aber gleich anfangs „die Beschreibung eines Bachusfestes des Silens" vom Rest abhebt, eine Passage, zu der Hagedorn sich von Horaz hat inspirieren lassen (VeG 9f.). Später schreibt Gleim über die Ode: „Mir deucht, sie ist oft langweilig und matt. Ich will ihn (Hagedorn, S. M.) um eine Ode in Versen ohne Reime bitten. Aber er hat sich schon zu starck an den Reim gewöhnt". 321 Hier scheint sich das Langesche Verständnis der Horazischen Ode, also einer reimlosen Dichtung im hohen Stil, gegen Hagedorns Programm der „Kleinigkeiten" zu wenden. Im übrigen äußert sich auch Ewald
313 314 315 316 317 318 319 320
321
Ebda., S. 93f., 99, 108. Ebda., S.162,164,174,197, 205, 261, 267, 275, 278. Ebda., S . 3 3 , 4 1 , 4 4 , 4 9 , 54, 69f., 71, 78, 86, 90, 95, 100,102, 146, 153,162f., 166. Ebda., S.80, 100, 157, 160. Ebda., S.102, 119f. Vgl. dazu in den Briefen Hagedorns: Β 158. Ebda., S. 253,297, 345, 399, 403, 419. Ebda., S.80,, 93ff., 111. „Weit klüger war Anacreon, / Der seinen Most besang und lachte, / Der Weinberg war sein Helicon, / W o er, wie Gleim und Ebert, dachte" (W3, 126). G l e i m / U z : Briefwechsel, S.144.
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von Kleist ebenso kritisch über Hagedorns Oden und ordnet ihnen die von Uz und Gleim weit über.322 Hagedorns gegenüber Gleim formulierte Furcht, sich selbst als Autor zu überleben, wird auf eine für ihn unangenehme Art beim Wort genommen, nicht aber als Inszenierungsmuster des dem Horaz der Episteln folgenden Weisen ausgelegt: „[...] Hagedorn ist nicht mehr jung, und arbeitet langsam".323 Uz antwortet entsprechend: „Es dünkt mich in der That, daß Hagedorn in seinen Liedern manchmahl schläft".324 Gleichwohl verteidigt er Der Wein gegen Gleim, bestätigt aber den angelegten Maßstab: „Seine Ode über den Wein ist wohl nicht horazisch, aber doch fürtrefflich, obgleich nicht überall".325 Auch die Polemik gegen die Hagedornschen Anmerkungen fügt sich in dieses Poesieverständnis ein.326 Das Stichwort für die religiöse Kritik an der Anakreontik gibt Hagedorn insgeheim bereits im ersten Brief über Gleims Versuch in scherzhaften Liedern, in dem er dessen Empfang Bodmer gegenüber quittiert, denn als Verfasser vermutet er an dieser Stelle Dreyer (B 119). Dreyer wiederum verkörpert für Hagedorn den Autortypus „Günther",327 und Günther ist aus Sicht des religiösen Verdikts der Poesie, die sich, wie Gottfried Ephraim Scheibel, für Die Unerkannte Sünden Der Poeten[J Welche man Sowohl in ihren Schrifften als in ihrem Leben wahrnimmt Nach den Regeln des Christenthums und vernünfftiger Sittenlehre geprüfet, interessiert, das Negativexempel schlechthin, der poetische Gegenspieler Brockes'.328 Aus diesem Zusammenhang ergeben sich dann die Gegenüberstellung der Oden und der Schriftmäßigen Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes (BK 534) sowie Hagedorns Zweifel an der Wertigkeit seiner Oden und Lieder, selbst wenn er deren notwendige „Freyheiten" im Unterschied zu „unzählichen Schwachen" akzeptieren könnte. Als Hagedorn die Betrachtungen und seine Odensammlung an Gleim schickt, versucht er die Rezeption vorab autortheoretisch zu hierar322 323 324 325
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Kleist: Werke. Zweiter Theil, S.106,111, 280f. Gleim / Uz: Briefwechsel, S.147. Ebda., S.155. Ebda. Vgl. zur Abwehr des hohen Stils bei Uz: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.180f. Gleim / Uz: Briefwechsel, S.176,180. „Dieser Dreyer ist, seiner Lebens-Art nach, ein rechter Günther, unstät und flüchtig; und ist es immer Schade um diesen guten Kopf, daß er sich selbst verwahrloset, seinen Sinn, in Ansehung der vierten Bitte, auf nichts künftiges richtet, und das tägliche Brodt nur immer auf heute suchet: daher er auch noch nicht bedacht gewesen ist, auf eine academie zu kommen und durch ordentliches Studiren sich zu mehrerm Glücke und Ansehen fähig zu machen" (an Bodmer; 26. 12. 1744; Β 136f.; vgl. auch Β 192). Beide, Günther und Dreyer, werden von Uz und Gleim in ihren Briefen gelobt (ζ. B. Gleim / Uz: Briefwechsel, S.29). Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.258; vgl. auch ebda., S.37, 45,154,158, 166, 197,201,242,251,258.
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chisieren: Das religiöse Gedicht habe er zuletzt verfaßt, nicht die in demselben Jahr erschienenen Oden (an Gleim; 17. 1. 1745; Β 141f.). Auf kleinstem Raum beachtet Hagedorn so die zeitliche Ordnung des autorschaftlichen Modells, das die biographische Kurve von jugendlicher Leichtfertigkeit zu altersweiser Seriosität mitvollzieht, d. h. von der Lieddichtung zu den Moralischen Gedichten. Auch dem folgenden Brief legt Hagedorn ein Moralisches Gedicht bei, Die Glückseligkeit. Uber die Leserreaktionen auf Gleims Versuch weiß Hagedorn nur Gutes zu berichten, selbst „ziemlich strenge Leser [haben] nichts daran auszusetzen gefunden [...], als, hin und wieder, einige freye Einfalle in Ansehung des allgemeinen Glaubens" (an Gleim; 23. 6. 1745; Β 158). Der lobende Vorspann gerät im folgenden jedoch zur captatio benevolentiae für eine weiter angelegte Darlegung. Hagedorn setzt ab, lenkt unvermittelt auf seine eigenen Gedichte um, bleibt aber beim Thema: „Ich habe von meinen Gedichten zwar vieles mit der Straffe der Ketzer beleget und verbrannt, aber gleichwohl einige Lieder mit dem Feuer verschonet, die, ihrer jugendliche[n] Schreibart ungeachtet, dereinst dem Verleger der Sammlung dürften überlassen werden" (B 158). Daß Hagedorn daraufhin ausführlich dem Gerücht entgegnet, er wolle seinen Versuch einiger Gedichte wieder auflegen, zeigt nur um so genauer die Verbindung von Verbesserungsästhetik, biographischer Perfektibilierung und zur Moral säkularisierter religiöser Perspektive. Gleim transportiert dieses Autorbild weiter,329 und an einigen Stellen bedeutet auch bei ihm Verbesserung die Entschärfung zweideutiger Verse.330 Zunächst aber geht es zwischen Hagedorn, Gleim und Uz ums Beten. Im Frühjahr 1743 kündigt Gleim Uz die Abschrift eines „Model[s] [...], von der Art, wie der HE. v. Hagedorn betet", an.331 Vermutlich handelt es sich dabei um das 1742 erstveröffentlichte, dann im April 1743 in den Hamburgischen Correspondenten eingerückte Allgemeine Gebeth nach dem Pope. Im Herbst 1743 soll Uz dann zu einem von Kleist geplanten Gebetbuch einige Gebete beisteuern - Gleim muß beteuern, es sei eine ernstgemeinte Bitte.332 Beinahe ein Jahr später fragt Uz um das Gebet Hagedorns nach und bemerkt, er habe, wie gewünscht, ein Gebet verfertigt.333 Nachdem Uz von Gleim 1745
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330 331 332 333
Gleim / Uz: Briefwechsel, S.79. Bereits zuvor erwähnt Uz in einem Schreiben, das sich bei Gleim nach Neuerscheinungen von Hagedorn erkundigt und das zeigt, wie fest Hagedorns Ankündigung im Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen im Gedächtnis geblieben war (W2, 4), er werde seine frühen Gedichte verbessert herausgeben (Gleim / Uz: Briefwechsel, S.29). Ebda., S.100,119. Ebda., S.33. Ebda., S.56. Ebda., S.69.
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die Schriftmäßigen Betrachtungen Hagedorns erhalten hatte,334 schickt Gleim Hagedorn ein „Gebet" von U z und referiert dem Autor die Antwort: Noch vor einigen Tagen schreibt mir der HE. von Hagedorn, wegen ihres Morgengebeths der Schäfer, welches ich ihm nebst einigen andern Stücken von ihnen überschickt habe: „HE. Uz würde einen losen Cubach abgeben, fais er ein Gebetbuch für die Schäferwelt, verfertigen solte". 335
Tatsächlich hatte Hagedorn allerdings etwas schärfer über den ihm unbekannten Autor geurteilt: „Der lose Freund, dessen Morgen- und AbendGebeth Sie mir gesandt haben, würde einen ärgerlichen Cubach abgeben, wenn er viele Gebete aufsetzte, die jenen gleich wären" (B 159). Der „Cubach" ist eine zwischen 1654 und 1791 verbreitete Gebetsammlung336 (BK 547), die von der scherzhaften Lieddichtung verspottet und von den orthodoxen Kritikern der weltlichen Poesie verteidigt wird.337 Auch Hagedorn macht sich über das verstaubte Erbauungsbuch lustig: Die überfromme Protagonistin in Paulus Purganti und Agnese, die „heimlich" die „keusche[n] Reden gern mit Liebeswerken paart", läßt er den „Cubach" gleich drei Mal lesen (W2, 104).338 Schwerer als die Divergenzen, wie sie sich in den Briefwechseln darstellen, wiegt die öffentliche Stellungnahme Hagedorns in Anacreon: Anacreort. In Tejos und in Samos Und in der Stadt Minervens Sang ich von Wein und Liebe, Von Rosen und vom Frühling, Von Freundschaft und von Tänzen; Doch höhnt ich nicht die Götter, Auch nicht der Götter Diener, Auch nicht der Götter Tempel, Wie hieß ich sonst der Weise?
334 335 336 337
338
Ihr Dichter voller Jugend, Wollt ihr bey froher Musse Anacreontisch singen; So singt von milden Reben, Von rosenreichen Hecken, Vom Frühling und von Tänzen, Von Freundschaft und von Liebe; Doch höhnet nicht die Gottheit, Auch nicht der Gottheit Diener, Auch nicht der Gottheit Tempel. Verdienet, selbst im Scherzen, Den Namen echter Weisen. (W3,65)
Ebda., S.75. Ebda., S.79. Vgl. die Beschreibung in: Althaus: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur, S.158f. Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.129f. Vgl. zum „Cubach" auch: Martens: Botschaft der Tugend, S.437, Anm.65. In der früheren Auflage hatte Hagedorn im übrigen „Hunold" als Gegenüber Cubachs eingesetzt (PdN4, 411).
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In nur zwei Strophen formuliert Hagedorn nicht nur seine Lehre für die Anakreontiker, sondern appliziert sie sogleich aufs Material: Die erste Strophe formuliert die Vorgaben der Tradition, die zweite führt die Aemulatio vor: Der „Wein" wird zu „milden Reben", die Rosen zu „rosenreichen Hekken", die Kombinationen der Elemente „Freundschaft", „Tänze" und „Liebe" wechseln, der Polytheismus wird zum Monotheismus gewandelt, und der „Weise" avanciert zum „echte[n] Weisen". In An Celus, einen jungen anacreontischen Dichter wiederholt Hagedorn die Botschaft, bedient sich aber zusätzlich des religiösen Argumentationsmusters der Drohung: An Celus, einen jungen anacreontischen Dichter. Erheb und zeige dich dem deutschen Vaterlande! Doch, sollen itzt noch Kuß und Wein Der Inhalt deiner Töne seyn; So singe beyder Lob nicht zu der Sitten Schande! Wie dir Anacreon gefällt, So heisse stets der klugen Welt Ein Weiser, wie er hieß, in jeglichem Verstände! Auch folg einst einem Rath, der weder eilt noch irrt, Sey nicht der Grille gleich, die bis zum Tode schwirrt! (Wl, lOOf.)
Das abschließende Bild ist ein beliebtes Fabelbild. Hagedorn verwendet es in der Entgegensetzung von Ameise und Grille. Auch dort spielt er auf den anakreontischen Autortypus an, wenn die Ameise die Grille fragt: „Zur Zeit der Rosen, / Was hast du da gemacht?" (W2, 119)."' Die Besonderheit der Grille ist ihr Zeitverhalten, ihre unbedingte Gegenwärtigkeit im Vergleich mit dem „klugen" Verhalten der Ameise und deren zeitlicher „Langsicht". Daher bestimmt la Motte den „Character" Anakreons durch seinen Glauben an die Gegenwart, der eine Poesie hervorbringt, die aus der Situation heraus entsteht.340 In zwei Anmerkungen zu An Celsus belegt Hagedorn seine Position: Ein Philostratus-Zitat betrifft die letzte Zeile, eine andere Note belegt ausführlich die These von Anakreons Weisheit mit Stellen ζ. B. aus Aristoteles' Nikomachischer Ethik, aus Piatons Phädrus (beide konnte Hagedorn in dem ebenfalls angeführten Cicero-Kommentar finden) oder der AnakreonBiographie von Barnesius, die im übrigen auch Uz verwendet hat.341 Ent-
339 340 3,1
In der emblematischen Tradition gibt es dafür einen Vorläufer (Emblemata, Sp.934). La Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XXIX. List: Friedrich von Hagedorn und die antike Literatur, S.48, 51, 81, 86.
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scheidend ist nun die geheime Opposition zu Gleims Vorrede342 im zweiten Versuch in scherzhaften Liedern. Die Vorrednerin „Doris" verteidigt dort mit Dacier den griechischen Dichter gegen den häufig erhobenen Vorwurf der Sittenlosigkeit, indem sie eine komplizierte Verbindung zwischen Werk und Leben herstellt: Die Verbindung von Werk und Autor wird zuerst von der inhaltlichen Seite auf die Physiognomik des Textes abgelenkt. Nicht in den „Sitten", sondern im „Witz" treffen sich Schrift und Autor. Diese Vermittlung vollzieht Anakreon „auf die weiseste Art". Als Beweis kann innerhalb des autorbiographischen Rahmens gelten, daß Anakreon lange gelebt hat und daß sich die Art seines Todes harmonisch an sein Leben anschließt.343 Hagedorn hingegen gliedert - gleich welche Position er zum Wirklichkeitsbezug des Scherzes einnimmt - die Religion aus diesem poetischen Spiel aus, denn hier übertrifft die inhaltliche Relevanz leicht die poetische Qualität. Ungünstigerweise operiert jedoch die Vorrede zu den Scherzhaften Liedern durchgehend mit Bezügen auf Hagedorns Werk.344 Hagedorn selbst hatte ja anfänglich seine Oden den Lieder Gleims an die Seite gestellt. Und auch in der Kritik wird man Hagedorn neben (oder: vor) Gleim halten. Die Besprechung der Oden und Lieder in fünf Büchern von 1747 im Hamburgischen Correspondenten rückt dann - vielleicht in Reaktion darauf - unter Bezugnahme auf den zwei Stücke später an gleicher Stelle veröffentlichten Anacreon345 den Niveauunterschied in den Vordergrund: Aus Hagedorns Oden hätte der Rezensent den „witzigen Embryonen oder unausgebildeten Dichter[n]" noch einiges Lehrhaftes mitzuteilen; sie sollten sich an Hagedorns „Character" ein Beispiele nehmen und „die Liebe keusch, und den Bacchus nüchtern besingen".346 In der Vorrede zum zweiten Teil seiner Liedsammlug kopiert Gleim, gleichsam als Exordialtopos, den Beginn der kurzen Vorrede vor Hagedorns Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen: Wie Hagedorn fügt er einer kurzen, allgemein gehaltenen Bemerkung im Text eine ausführliche, u. a. La Fontaine verteidigende Note bei. Folgerichtig beendet Gleim die Anmer342 343
344
345
346
Zum Verfasser der Vorrede vgl.: Anger: Einleitung, S.XIXf. „Schliesset niemals aus den Schriften der Dichter auf die Sitten derselben. Ihr werdet euch betriegen; denn sie schreiben nur, ihren Witz zu zeigen, und solten sie auch dadurch ihre Tugend in Verdacht setzen. [...] Anakreon wäre nicht so alt geworden, wenn die Lehrsätze seiner frohen Muse, nicht auf die weiseste Art, die Vorschriften seines Lebens gewesen wären" (Gleim: Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, S.71Í.). Vgl. zum Argumentationsmuster auch La Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XXXII. Vgl. zu den poetischen Bezugnahmen auf Hagedorn auch Beispiele bei Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.58f. Staats - u. Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1747, 59. St., unpag. Ebda., 1747, 57. St., unpag. Dazu paßt auch, daß Anacron in den Freyen Ortbeilen und Nachrichten abgedruckt wird (Bd.4,1747, S.224).
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kung mit einem Hagedorn-Zitat aus Wünsche und Gesundheiten (ΟΠ 49ff.). Das Gedicht wird Hagedorn im übrigen nicht mehr in seine folgenden Liedersammlungen aufnehmen. Gegen Ende der Vorrede vergleicht Doris Anakreons Handlungsweise mit der von „Johann de[m] Seifensieder", der Figur aus Hagedorns gleichnamigem Gedicht.347 Das ist besonders wegen Hagedorns Kritik am Zeitverhalten der Anakreontiker wichtig, denn Johann arbeitet und singt wie die Grille nur für den Tag ohne (Vor-)Sorge um die Zukunft. Schließlich funktionalisiert das Zitat aus Eberts de-la-NauzeUbersetzung,348 die Hagedorns Oden beigefügt war, den Autor „Hagedorn" zur Selbstverteidigung. Die Rezension von Gleims Versuch im Hamburgischen Correspondents listet die intertextuellen Anbindungen auf und betont zugleich, Gleim würde an keiner Stelle „die Grenzen des Wohlstandes" überschreiten.349 Am weitesten hatte Gleims An Herrn von Hagedorn die anakreontische Seite des Werks betont: Dichter, du bist Amors Liebling! Wenn du Liebeslieder singest, Nimmt er schnell den Pfeil vom Bogen Lehnt sich müßig an die Mutter, Und wenn ihn die Mutter fraget: Sohn, bewegst du nicht zur Liebe? Spricht er: Liebste Mutter, horche! Hagedorn bewegt zur Liebe! [.·.] Dichter, du bist Amors Liebling! Wenn du mit dem Schönen scherzest, Schimpft er auf die Possenreisser. O wie hat er dich gepriesen, Als dich iüngst der Weingott lobte!
Konsistent interpretieren daher Gleim und Uz Hagedorns AnakreontikKritik als selbstwidersprüchliche Verteidigung der eigenen Dichtung. Hagedorn sieht den naheliegenden Vorwurf der Heuchelei, gegen den er sich in einem Brief an Bodmer mit einer rhetorischen Absage an die „Scheinfrömmigkeit" wehrt (s. u.). Gleim schreibt:
347 348 349
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Gleim: Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, S.71. Ebda., S.72. Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1745, 75. St., unpag. Gleim: Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, S. 87.
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Hagedorn hat auch drey anakreontische Oden ohne Reime versucht, wovon daß eine den Anakreons dieser Zeit verbietet der Priester zu spotten. Er hat es gethan, den Priestern, die wider ihn, aus einigen Uhrsachen aufgebracht sind, ein Compliment zu machen, und damit die Kenner dis mercken sollen, hat er gar kein ihm zukommendes Meisterstück gemacht. Läßt sich wohl sagen: Ihr Dichter, voller Jugend ρ und gleich wohl hat es der richtige Hagedorn gesagt, seine Absicht mercklich zu machen. Wenn ich ihm schreibe, so will ich Anakreons 1 B Ode nachahmen: Ich wolte jüngst das Lob der Priester singen, Doch meine Leyer thönte nur von Liebe. Schreiben sie mir doch was sie an den andern beyden ungereimten Stücken aus setzen.351
Damit verkehrt Gleim nach dem Vorbild der ersten anakreontischen Ode die Gedankenfigur des christlichen Anakreon, der aufgrund der gleichsam naturhaften Frömmigkeit des christlichen Autors zwar ein weltliches Lied singen will, dessen „Saiten-Spiel" aber wie von selbst ein geistliches Lied intoniert. 352 Vor diesem Hintergrund erscheint seine Differenzierung von „Verfasser", „Freund" und „Dichter" (vgl. Kap. 3) in einem neuen Licht: „Hab ich denn weniger verdient, das Gedicht von der Freundschaft aus s. Händen zu empfangen, ich, der ich in dem Verfaßer den Freund so sehr liebe, als ich den Dichter ehre?"353 Die Entkoppelung von „Freund" und „Dichter" über „Liebe" (privat) und „Ehre" (öffentlich) sowie die Trennung und Verbindung der beiden Konstrukte im gemeinsamen Bezugspunkt des „Verfassers" bildet letztendlich die Variabilität der Nebenstundenpoetologie ab, die es Hagedorn erlaubt, mit der Religion politisch umzugehen und zugleich deren Anspruch auf die Identität des Christen im Glauben zur Geltung zu bringen. Auch U z merkt den (scheinbaren) Selbstwiderspruch bei Hagedorn an: „Der Anfang seiner Ode an die Anakreontischen Dichter ist in der That nicht Hagedornisch und das Thema überhaupt ihm unanständig". 354 Noch 1756 läßt Uz, bezugnehmend auf Wielands christliche Kritikwut, Hagedorn mit Gleim und sich selbst eine Gruppe bilden.355 Wie Gleim hatte er seine Apologie mit Bezugnahmen auf Hagedorn durchsetzt. 356 In einer Anmerkung zu Die fröhliche Dichtkunst schreibt er ζ. B.: „Herr von Hagedorn hat mit einem vortrefflichen Liede die heutigen Encratiten zu bessern gesucht: aber diese Leute sind unverbesserlich. Wenn sie einen Schriftsteller aus an-
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Gleim / Uz: Briefwechsel, S.162f. So Trillers Übersetzung von Joshua Barnes, zitiert nach: Witkowski: Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung, S.28. Klopstock: Briefe 1738 - 1750, S.84. Es handelt sich dabei um einen Gemeinschaftsbrief von Klopstock, Gleim und Schmidt vom 12. 6. 1750 an Hagedorn. Gleim / Uz: Briefwechsel, S.166. Ebda., S.270. Uz: Sämtliche Poetische Werke, S.364, 366, 384.
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dern U r s a c h e n , u n d weil er sie vielleicht nicht bewundert, hassen: so r ä c h e n sie sich ganz bequem dadurch, daß sie ihn zur H ö l l e v e r d a m m e n " . 3 5 7 D i e vieldeutige H a l t u n g H a g e d o r n s bringt Kästner in seinen Parodien
auf
Lieder H a g e d o r n s in poetische Gestalt. 3 5 8 So, wie die A n a k r e o n t i k e r Haged o r n als F o l i e verwenden, überschreibt Kästner H a g e d o r n s Gedichte. D a ß er damit H a g e d o r n kritisieren will, ist keinesfalls sicher, 3 5 9 gerade w e n n m a n Kästners Anakreontische
Oden hinzuzieht. D e n n d o r t läßt er den schlechten
A u t o r singen: „Ich kann nicht, muntres Scherzen / M i t Wissenschaft zu zieren, / N a c h H a g e d o r n s E x e m p e l , / Viel lesen u n d viel denken" 3 6 0 - eben deshalb m u ß dieser ein A n a k r e o n t i k e r werden. G e r a d e die U n s i c h e r h e i t , die die Parodien
hinsichtlich ihrer kritischen O r i e n t i e r u n g auszeichnet, 3 6 1 bildet
die literarische Situation der Zeit ab. Später m a c h t H a g e d o r n Gleim deutlich, daß seine R ü g e in
Anacreon
ernstgemeint w a r , auch w e n n er G l e i m damit nicht konfrontiert: 3 6 2 In meinen Oden betrift sie nichts, als die 190te Seite (d. i. Der Wein, S. M.), der Anacreon, S. 82. niemanden insonderheit, so wenig als die Ode an die heutigen Encratiten. Meine Absicht in jener kleinen Ode kan auch keinem billigen Leser zur Beleidigung gereichen, so wenig als die Ausdrücke, welche ich dem Anacreon beylege. Die Lieder lebhafter junger Dichter sind mir so angenehm, daß ich gewünschet hätte, in einigen keine unanständige Freyheiten wider die Religion wahrgenommen zu haben, welche, meines Erachtens, mehr den Mangel der Erziehung, als den wahren Reichthum der Einbildungs-Kraft anzeigen, und von Eur. Hochedelg., ihren Freunden, dem H. Pastor Langen, dH. Sulzer und rechtschaffenen Männern nicht würden gebilliget, noch nachgeahmet werden. Alter und Erfahrung werden den Verfassern solcher Gedichte diesen wilden Auswuchs des Witzes dereinst nothwendig verhaßt machen. Sie werden mir im gantzen Anacreon, dem das Lächerliche in allen Ständen wohl nicht verborgen seyn konnte, nichts zeigen können, das wider die griechischen Gottheiten und Geistlichen gerichtet wäre. (12. 5. 1747; Β 209)
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Ebda., S.81. Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Bd. 1. Erster Teil, S.118ff., 129ff. Vgl. ζ. B. die Einzelveröffentlichung von Kästners Der Reimer (ohne Mitabdruck der Hagedornschen Vorlage Der Blinde, Ol, 18) mit folgendem Vorspann: „Der scharfsinnige Verfasser der neuen Oden und Lieder singet im ersten Theile seiner Sammlung: Ein Blinder ist glücklich zu schätzen etc. Man kann die Glückseeligkeit eines elenden Poeten in eben diesem Tone anstimmen" (Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1745, 98. St., unpag.). Dagegen Baasner: Abraham Gotthelf Kästner, S.321, 330, auch S.294. Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Bd. 1. Zweiter Teil, S.13. Vgl. Genette: Palimpseste, S.39ff. Zeman kürzt den Satz irritierenderweise so, daß Hagedorn Anacreon auf Gleim bezieht: „In meinen Oden betrifft Sie nichts, als die 190ste Seite, der Anakreon [...] Sie werden mir im ganzen Anakreon, dem das Lächerliche in allen Ständen wohl nicht verborgen seyn konnte, Nichts zeigen können, das wider die griechischen Gottheiten und Priester gerichtet wäre" (Die deutsche anakreontische Dichtung, S.87).
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Als Exempel führt Hagedorn einen französischen Dichter an, der seiner Freizügigkeiten wegen auf dem Scheiterhaufen endet. Im Bild des Scheiterhaufens treffen sich die politischen und religiösen Versäumnisse des immer jugendlichen Lebens, das keine biographischen Fortschritte macht und das weil es das Alter nicht gedanklich vorwegnimmt und somit keine lebensgeschichtliche Kontinuität stiftet (vgl. Kap. 3.2) - nicht mit dem natürlichen Tod, sondern einer gewaltsamen Unterbrechung schließt. Zum Finale der ganzen Passage wiederholt Hagedorn noch einmal seine Praeteritio: „Eur. Hochedelgeb. dieses zu sagen, würde überflüssig seyn; hingegen ist es nicht überflüssig, daß Sie und ich andere daran wohlmeinentlich zu erinnern, Gelegenheit nehmen" (B 210). Gleim referiert Hagedorns Schreiben in einem Brief an Uz und schließt das Thema mit den Worten ab: „Er meint im ganzen Anakreon nichts zu finden, daß wieder die griechischen Gottheiten gerichtet wäre. Sagen sie mir doch, ob das Lied auf die Grille nicht ganz deutlich die Meinungen von den Göttern ohne Fleisch und Blut verspottet u. d. g.".363 Das Ansehen einer Farce bekommt das Ganze, wenn man sieht, wie auf der anderen Seite Hagedorn seinen Vertrauten Wilckens mit dem genau gegenteiligen Unternehmen betraut. Er übergibt ihm eine Anakreon-Ausgabe und bittet ihn, die Religionskonformität Anakreons zu bestätigen.364 Uz ist sich sicher, daß Hagedorn Anacreon nicht auf den Freund bezogen habe. Auch wenn Hagedorn in seinem Schreiben an Wilckens diese Gutgläubigkeit erledigt, da er dort die kritische Ode direkt und in der Hauptsache auf Gleim bezieht (B 197), bleibt eine Bemerkung wichtig: Zwischen Gleim und Hagedorns Anacreon - so Uz - wäre nur in einem Fall eine Beziehung herzustellen: „[M]an müsste dann Religion und Ceremonien der Kirche, ja misbräuche, für einerley halten. Ich halte selbst nichts davon, wenn sich einige als Freygeister in Schriften aufführen: sie sind insgemein nicht weit her. Ich zweifle, ob man Anakreon für einen Spötter seiner Götter mit Grund halten könne".365 In gleicher Weise äußert Gleim sich gegenüber Kleist, dem er vom Vorwurf des Atheismus und sonstiger Kritik an seinen Scherzhaften Liedern berichtet hatte, so daß er im Gewand des Scherzes zum Streiter für eine neue Form der Religiosität avanciert.366 Bereits zuvor hatte 363 364
365 366
Gleim / Uz: Briefwechsel, S.177. „Ich setze einmahl voraus, daß Anacreon nichts wider die Religion seiner Zeit geschrieben hat. Mich darin zu bestärken, bitte ich dich, beygehenden Anacreon, in der Absicht, durchzulesen: denn in facto muß jenes seine Richtigkeit haben" (B 197). Gronemeyer liest die Passage so, daß Hagedorn das Gedicht Anacreon an Wilckens schickt (BK 579). G l e i m / U z : Briefwechsel, S.181. „Ich will Ihnen doch gleich ein scherzhaftes Lied abschreiben, worin er den deutschen Anakreons und vielleicht auch mir Lehren zu geben scheint. [...] Wenn er Anakreons kennt, die die Gottheit gehöhnt haben, so hätte er sie nicht kaltsinniger bestrafen können.
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U z seine Schwierigkeiten mit Gleims poetischen Freiheiten gehabt: „[I]ch bin wohl zu unschuldig und nicht lose genug dazu. [...] ums Himmels willen, Ist es Ihnen denn in Berlin nicht schädlich, wenn sie so frey und beißend schreiben, als Sie es in diesem Gedichte {Die Schäferwelt, S. M.) und auch in einigen Ihrer Lieder thun?"367 Mit der letzten Bemerkung schließt Uz an die politische Betrachtungsweise des Moralischen an, die für Hagedorn beim Messias eine wichtige Rolle gespielt hatte. In bezug auf Gleim verhält sich das nicht anders: Hagedorns hatte Gleim an anderer Stelle gewünscht, er möge am Dessauischen Hof eine Anstellung finden, „die mehr als ein anacreontisches Vergnügen gestatte" (B 159). Gleim schreibt an U z in diesem Sinne: „Wenn ich ihm („dem alten Fürsten von Deßau", S. M.) vorkommen werde, wie eine anakreontische Ode, so werde ich gewiß den Abschied kriegen".368 Jetzt empfiehlt Hagedorn, sich Besser zum Vorbild zu nehmen, der nicht entgegen, sondern gerade aufgrund der Vereinbarkeit seiner Poesie mit der Religion bei Hof erfolgreich war - andernfalls hätten ihm vielleicht „Klugheit und Kenntniß" nicht viel geholfen. Besser hat gezeigt, „daß er den Gott seiner Väter nicht als ein Deist verehret" (B 209f.). In einem Brief an Bodmer ist Hagedorn über ein Jahr später ausführlicher: Wie es Höfe giebt, an welchen man, sich befördert zu sehen, seufzen und fromm sprechen muß; so ist auch ein Hof vorhanden, bey dem öffentliche Merkmale des Unglaubens und der Kühnheit im Denken, mit und ohne Untersuchung, wie einige glauben, Kenntniß und Fähigkeit vorzustellen und fortzuhelfen, hinlänglich sind. In dieser Meynung, obwohl nicht immer mit dem gewünschten Erfolg, haben einige neueren Dichter, worunter ich aber gar nicht d. H. Gleim rechne, dem herrschenden Geschmack sich gemäß verhalten und, da sie die ganze Natur, die unerschöpfliche Quelle der Freuden und Belustigungen, vor sich haben, doch immer ihre Silvien deistisch besingen und ihre Becher, die doch mit dem Glauben und Unglauben in keiner Verwandtschaft stehen, mit einem Religions-Trotze, ausleeren wollen, mithin in ihre Ergetzungen fremde und rohe Ideen hineingebracht, die gar nicht zum Wesen des Vergnügens gehören, aller politischen Klugheit verboten und nicht immer so witzig sind, als die Herren glauben, für welche ich, aus redlicher Absicht, den kurzen Anacreon entworfen habe. O b ich aber in Verdacht einer Scheinfrömmigkeit oder augsspurgischen Confession-Knechtschaft zu ziehen stehe, werden Sie von allen erfahren können, die mich kennen. (B 251f.)
Ich würde solche Buben mit Dithyramben, mit der empfindlichsten Juvenalischen Satire bestrafen. Nein, eine Satire würde mir noch zu wenig scheinen. Ich würde eine ganz neue Dichtart wider diese Giganten aufbringen. Aber Die, welche unwürdige Diener der Gottheit verspotten, würde ich nur mehr aufmuntern. Ich bin in den Festtagen dreimal in der Kirche gewesen, und dreimal bin ich unerbaut und vielmehr geärgert herausgegangen. Die Geheimnisse des Christenthums wurden so kaltsinnig vorgetragen, daß man gezwungen merken mußte, der Priester spreche nur maschinenmäßig" (Brief vom 6. 4. 1747 in: Kleist: Werke. Dritter Theil, S.38f.). 367 368
Gleim / Uz: Briefwechsel, S.66. Ebda., S.74.
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„Vergnügen[ ]" und „politische[ ] Klugheit" - vielleicht auch der „Witz" sind die Orientierungspunkte: Sie gliedern die Religion aus, die keinen Bezug zur Poesie hat. „Natur" wäre dann ein legitimer Sujetbereich. Hagedorn empfiehlt den Anakreontikern nicht etwa eine Annäherung an das geistliche Lied - um einen Extremfall heranzuziehen -, sondern im Gegenteil die größtmögliche Entfernung dazu - auch wenn er Gleim hier explizit ausnimmt, hat er doch Anacreon auf eben diesen bezogen. Die so gezogene Grenze fällt mit der satiretheoretischen Ausgliederung der Religion zusammen. Tatsächlich haben ja die relevanten Texte Gleims eine eindeutig satirische Funktion und laufen damit der Liedpoetologie als Poetologie der selbstbezüglichen Freude entgegen. Auch bei Hagedorns Oden zieht die Kritik - wohl im Anschluß an entsprechende Bemerkungen (ζ. B. W3, XVIff.) - die Verbindung zwischen Lieddichtung und Satire.369 Dieses Gattungskonkubinat hat jedoch nicht nur die Sujetbeschränkung und deren theoretische Reflexion zur Folge - etwa in der erwünschten Publikumsbeschränkung in der Vorrede zu den Oden und Liedern. Wenn der satirische Bezug legitim ist, dann kann man damit auch den Vorwurf gegen die Lieder abwehren, sie seien nichts als sinnlose Feier von Wein und Liebe. Selbst die äußerst kritische Rezension der Oden und Lieder in den Franckfurtischen Gelehrten Zeitungen, die wieder einmal bedauern, daß Hagedorn seine poetischen Fähigkeiten an die Nachahmung der „jugendliche[n] Affecte[ ] zur Liebe" verschwendet, gestehen: „Die Satyrische Einfalle, welche hier mit untermischet sind, zeigen von dem aufgeräumten Kopf des Verfassers".370 Zweimal nun gibt Hagedorn das dogmatische Stichwort: Die Anakreontik scheint ihm deistische Einstellungen zu vertreten.371 Schon immer waren die Anakreonteen gegenwartsbezogen gedeutet worden372, und bei Hagedorn setzt sich unter Einfluß der politischen Sichtweise der Religion die Annahme durch, der Berliner Hof (bzw. Voltaires Einfluß dort) gäbe die Richtlinien für poetische Versuche vor - immerhin wählt Gleim für den zweiten Teil 369
Die Freymüthigen Nachrichten schreiben ζ. B.: „Auf diese Art wird der Poet sittlich, und lehrreich, da mancher glaubte, daß er nur bemühet wäre gefällig zu seyn" (1747, 31. St., S.244). Vgl. auch: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1747, No. XLV, unpag.; Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1747, 52. St., unpag. und 1747, 57. St., unpag.
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Franckfurtische Gelehrte Zeitungen, 1742, S.421. Baers Untersuchung von Gleims religiöser Einstellung kommt zu dem Ergebnis: „Gleim ist in der Hauptsache Deist: Gott ist, er hat[ ] alle Dinge geschaffen, aber er greift jetzt nicht mehr in den naturnotwendigen Ablauf der Geschehnisse ein, tut keine Wunder. In einigen Ausdrücken, wie ζ. B. dem, dass Gott Gefallen hat an der frohen Menschennatur lässt sich eine ganz leichte theistische Färbung des deistischen Gottesbegriffes aufzeigen. Sittlich handelt der Mensch nicht aus einem kirchlichen Gebot oder aus Furcht, sondern aus reiner Tugendliebe" (Der junge Gleim und die Hallische Schule, S.47). Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.3.
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seines Versuchs ein Voltaire-Motto, und Der Liebhaber Der schönen Wissenschaften meint: „Die Verse aus dem Voltaire auf dem Tittelblatte entdecken das Naturell und den Geschmak des Verfassers".373 Hagedorn verfolgt die Entwicklung der Beziehung zwischen Friedrich II. und Voltaire,374 viele Briefe aus deren Korrespondenz werden veröffentlicht und von Hagedorn zitiert (B 279, 370). Gerade die Auseinandersetzung zwischen Maupertuis und Voltaire interessiert ihn (B 360, 370f.).375 Selbstverständlich kennt Hagedorn die (ursprünglich) englische Tradition des Deismus: Collins, Woolston, Toland, Mandeville - nach seiner Rückkehr aus England will er gar zu ihrer Vermittlung beitragen, wie er an Pierre Desmaizeaux schreibt (vgl. Kap. 5). Er weiß, worauf er sich einläßt, wenn er von den „illustres Incrédules" schreibt (B 21). Aber der Begriff „Deismus" bleibt äußerst vage, nicht nur bei Hagedorn. Insgesamt läßt sich nur in einem sehr allgemeinen Sinn von einem geschlossenen deistischen Programm sprechen, das zudem oft von Seiten der Gegner aus definiert oder verwirrt wird376 - so setzt Hagedorn etwa an einer Stelle Deismus und Spinozismus ineins (Wl, 97). Gemeinsam ist den unter „Deismus" geführten Argumenten die Ablehnung der Offenbarung als unabdingbare Voraussetzung des Glaubens sowie das Vertrauen auf eine von Gott wohlgeordnete, dann aber allein gelassene Welt.377 Man kann nur mutmaßen, wie sich Hagedorns Vorwurf des anakreontischen Deismus verstehen läßt. Als Beispiel eignet sich (Pseudo-)Anakreons Auf die Grille. Gleim hatte die Ode als Kandidat für eine Religionssatire ins Spiel gebracht, sie mache sich über „die Meinungen von den Göttern ohne Fleisch und Blut" lustig.378 Nie beschweret dich das Alter, Weisheitsvolles Kind der Erde, Liederfreundin, die du Schmerzen, Die du Fleisch und Blut nicht kennest, Fast bistu den Göttern ähnlich. 379
373 374
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376 377 378 379
Der Liebhaber Der schönen Wissenschaften. 1. Bd., 1747,1. St., S.63. Vgl. zum friderizianischen „Deismus" Kantzenbach: Protestantisches Christentum im Zeitalter der Aufklärung, S.137ff. Maupertuis und die Berliner Akademie haben die Vorläuferschaft von Leibnizens Kontinuitätsprinzip für Maupertuis' These vom kleinstmöglichen Aufwand der Natur nicht anerkannt, die Samuel König angemerkt hatte. „Voltaire verspottete die Haltung der Akademie und Maupertuis' in seiner Diatribe du docteur Akakia" (Uberweg: Grundriß der Geschichte der Philosophie, S.421). Vgl. Gawlick: Art. Deismus, Sp.45. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.80ff. Gleim / Uz: Briefwechsel, S. 177. Götz: Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden, S.115f. Vgl. die Anmerkungen von Götz zu den mythologischen Hintergründen: ebda., S.117ff.
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Hagedorn hatte seinerseits die Grille zur Veranschaulichung des Anakreontikers Celsus gewählt. Die Annäherung von Grille und Göttern könnte man mit Gleim in der Tat für eine wenig fromme Anspielung halten. Formal aber verbirgt sich dahinter eine Gedankenfigur, die eine entschieden moderne Adaptation der Ode erlaubt und die deutlich macht, welches Interesse an der Widerlegung des grillenhaften Verhaltens bestehen konnte. Die Grille vereinigt, wie der Weise, die formalen Kriterien der Göttlichkeit: Autonomie und Selbstbezüglichkeit. Sie benötigt keinen Gott - höchstens als ursprünglichen Schöpfer, wie im Deismus. Daß für den Patrioten Anakreon daher die unvernünftige Eigenliebe ebenso exemplifiziert wie der nach Gottgleichheit strebende Alexander, verwundert nicht.380 Das kritische Gedicht Zimmermanns, das auf die Publikation des zweiten Teils von Hagedorns Oden und Lieder reagiert (vgl. Kap. 5), betont wie die Stoppe-HagedornRezension diesen zeitlichen Aspekt. Dabei überlagern sich religiöse und künstlerische Ewigkeitserwartung: [...] Edler Geist, du dichtest freilich schön; Allein was dichtest du? Warum ist solche Leyer, Die Weisheit lehren kann, der Wollust nicht zu theuer? Wie gar zu unachtbar ist Liebe samt dem Wein, Der Menschen höchstes Gut, Lust und Gesang zu seyn? Von wem, für was bist du, o großer Geist, entstanden? Ist nicht die Ewigkeit, ist sie nicht dir, vorhanden? (EschIV, 29f.)
Dagegen schreibt Bodmer 1747, Hagedorn habe als erster in Hamburg „Zärtlichkeit", „Witz" und „schlaue[n] Scherz" eingeführt: „Bei ihrer Ankunft floh der falschen Frommen Schein". Gleichwohl muß er die sittliche Wirkung von Hagedorns Dichtung betonen, die „dem Erhabenen selbst nur wenig nachzusetzen" sei (EschIV, 61f.). Auch Klopstock hebt Hagedorn zur gleichen Zeit in Auf meine Freunde gegen diesen Hintergrund ab: „Zu Wein und Liedern wähnen dich Priester nur / Allein geboren".381 Daß man diese Interpretationsmöglichkeiten der Anakreontik vor Augen gehabt hat, zeigt ein anderes Beispiel, die Bemühungen um eine Ubersetzung des ersten Verses des zweiten Anakreontikums: In der wirkmächtigen lateinischen Ubersetzung von Henricus Stephanus steht: „TAVRO ferire cornu / [...] Natura dat [,..]".382 Verständlicherweise beginnt Weckherlin in Gaistliche und Weltliche Gedichte (1641) die Ode mit dem Vers: „Die Natur hat ein 380 381
«2
Der Patriot. Bd. I, S.352f. Klopstock: Ausgewählte Werke. 1. Bd., S.20. Eschenburg zitiert die spätere WingolfVersion: „Zu Wein und Liedern wähnet der Thor dich nur / Allein geschaffen" (EschIV, 30)
:
Zitiert nach Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.114.
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iedes thier / Mit sonderbarer gaab und zier / Sorgfältiglich so wol versehen f...]". 383 Auch im folgenden gibt man den Vers ähnlich wieder: „ES hatte die Natur, die Mutter dieser Erden, / Dem Rind ein doppelt Horn [...] zuerkant" (Johann Burkhard Mencke), „LA Nature ayant donné les cornes aux taureaux" (Anne Dacier), „ N A T U R E with Guardian Horns o'erspread / The nervous Bull's majestic Head" (Addison).384 Gottsched, Gleim, U z und Götz setzen jedoch anstelle der „natura" den einen personalen „Gott" ein: „Den Rindern gab Gott Hörner" (Gottsched), 385 „Es schenckte der Schöpfer / Dem Rinde die Hörner" (Gleim), 386 „Gott gab den Stieren Hörner" (Götz / Uz). 387 Freilich ändert das nur wenig an den möglichen deistischen Implikationen: Denn noch der Gott der Deisten erschafft die Welt, zieht sich aber nach der Schöpfung zurück. Gleichwohl schränkt der Wechsel von der Natur zu Gott den Assoziationsraum ein. Diese Verschiebung bleibt um so bemerkenswerter, als man normalerweise keine großen Probleme damit hat, Natur und Gott beinahe gleichbedeutend zu verwenden, natürlich ohne spinozistische Hintergedanken. 388 Vielleicht war aber der Kontext der Anakreonteen derart vorbelastet, daß man lieber eine korrigierende Ubersetzung gewählt hat, die dogmatisch bedenkliche, u. U. deistische Assoziationen vermeidet. Immerhin fällt das mystische Interesse an den Anakreonteen von Seiten Harsdörffers und von Seiten Zesens auf, dessen Hamburger Anakreon-Adaptationen allerdings aufgrund der schlechten Reputation des Autors keine Bedeutung über längere Zeit gehabt haben.389 Beide, Mystik und Deismus, treffen sich, überspitzt formuliert, in der Teilhabe an göttlichen Qualitäten. Während die Mystik das aus einer direkten Verbindung herleitet, läßt der Deismus die Welt von Gott so gestalten, daß sie sein providentielles Eingreifen nicht mehr braucht, also selbst die Rolle der damit entmächtigten Providenz übernehmen kann.
383
Weckherlin: Gedichte, S.500. Auch Mörike übersetzt: „Es gab Natur die Hörner / Dem Stier [...]" (Werke und Briefe, S.456) Vgl. zu Weckherlin und seinen Vorbildern bei der Ubersetzung der zweiten Ode: Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.47f. Im Original steht „Physis" (ebda., S.113).
384
Zitiert nach: Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.59, 116, 117.
385
Gottsched: Ausgewählte Werke. Erster Bd., S.463.
386
Gleim / U z : Briefwechsel, S. 184.
387
Götz: Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden, S.5. Auch in der ersten Fassung von
388
Ketelsen: Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung, S.46, 48. Vgl. Beispiele aus
389
Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung, S.41ff., 52ff.
1746 wird so übersetzt. dem 17. Jahrhundert bei: Lüders: Die Auffassung des Menschen im 17. Jahrhundert, S.44f.
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Zusammenfassung
Klopstock und Gleim gehören zu den Autoren, die Hagedorn möglichst genau zu beobachten versucht - bei Klopstock gelingt ihm das durch die intensiven Beziehungen zu Bodmer sowie zu den Bremer Beyträgern, bei Gleim ist die Verbindung porös, bisweilen ganz unterbrochen. Beide bringen in den Augen Hagedorns die Poesie auf eine problematische Weise mit der Religion zusammen. Klopstock begibt sich in positiver Hinsicht zu weit auf poesiefremdes Gebiet, Gleim in kritischer. Jeweils ließ sich nur sehr schwach eine dogmatische Position konturieren, von der aus Hagedorn seine Bedenken äußert. Bei beiden Autoren richtet Hagedorn sein Augenmerk in besonderer Weise auf die politischen Implikationen der Zu- bzw. Abwendung von der Religion. Bei Klopstock kommt hinzu, daß die inhaltliche Betrachtung vor dem Hintergrund der Entwicklung einer Formkritik am Messias gesehen werden muß, die Hagedorn rezipiert und auf die er angespielt hat. Die politische Perspektive, also der strategische Umgang mit Dichtung und Kritik, muß sich beim Messias daher mit mindestens zwei Problemen auseinandersetzen: Zum einen ist für das biblische Sujet (auch) der theologische Diskurs zuständig, der poetologische Fragen immer eng an den Verfasser binden kann (Kap. 3.2, 4.2); zum zweiten braucht das über lange Zeit hinweg unvollkommene Epos den Autor, um die Vollkommenheit der Dichtung zu beglaubigen - die (jetzige) Ganzheitlichkeit des Autors garantiert die (spätere) Ganzheitlichkeit seines Werks. Da Klopstocks Messias zudem ein Literaturpolitikum ersten Ranges war, übt Hagedorn sich in Zurückhaltung bei seinen Äußerungen und macht seine Meinung an keiner Stelle öffentlich. Wie Hagedorn Religion und Autorbiographie zusammengedacht wissen will, zeigen seine Strategien gegenüber der Anakreontik, insbesondere gegenüber Gleim. Das Verhältnis zu den Anakreontikern wird dadurch erschwert, daß er aufgrund der Anlehnung Gleims an ihn öffentlich betroffen ist. Hier nimmt Hagedorn dann - anders als im Fall Klopstocks - coram publico Stellung. Die (anakreontik-kritische) Autorbiographie führt von der Odendichtung zur seriösen geistlichen und vor allem moralischen Dichtung. Hagedorn reagiert auf die religiösen Anforderungen mit einer „überdauernden Temporalstruktur". Wenn man diese fiktive zeitliche Ordnung, die das Werk dementiert, nicht glaubt, wenn man also sowohl die liedhaften wie die religiösen Gedichte auf den Autor zurückrechnet, erscheint der Standpunkt des Autors „Hagedorn" selbstwidersprüchlich. Die Aufgabe des Autors nun ist es, einen solchen Selbstwiderspruch von vornherein abzuwehren, d. h.: Der jugendliche Autor sollte so dichten, daß die aufgrund der Alterslehre zu erwartende Dichtung kontinuierlich mit den Juvenilia verbunden werden kann. Anakreontischem Deismus fällt das schwer.
6. Hagedorns Natur
„Natur" ist einer der Orientierungsbegriffe für das 18. Jahrhundert - Hagedorn macht hier keine Ausnahme. Was allerdings die Variable „Natur" meint, bleibt oft genug mißverständlich.1 Mit anderen Worten: „Natur" zählt zu jenen allgemeinen Begriffen, die jeder verwenden kann und in deren Namen sich viele ergiebige und viele sinnlose Streitigkeiten austragen lassen. Die Aufklärung kennt nicht die eine „Natur" - sie arbeitet allenfalls an deren Herstellung. Gleichwohl verwendet sie den Singular „Natur" und erzeugt damit Verwirrungen, denn die Natur ist in sich gespalten, sie liegt in zweifacher Ausfertigung vor2 - es gibt eine gute und vorbildliche Natur, und es gibt eine verbesserungsbedürftige Natur. So schreibt ζ. B. Behrmann von einer Exkursion an Hagedorn: „Aufrichtig zu gestehen wie mir Aachen gefällt, muß ich sagen, daß man darinnen sich wenig Vergnügen machen kan. Die Gegenden sind schön, aber unfruchtbar. Die Flüße und Teiche fehlen. Lebendige Fische sind überaus rar, und die wenigen Früchte die man findet, sind nur klein, von der allerschlechtesten Sorte [...]" (17. 7. 1749; H N 23). Es gibt zudem eine interessante Natur, und es gibt eine weniger interessante Natur. Für Hagedorn, wie für viele andere Aufklärer,3 ist z. B. der Mensch
Vgl. zur traditionellen, aufgrund der diversen Gegenbegriffe entstehenden Vieldeutigkeit des Naturbegriffs, die im 18. Jahrhundert zum Problem wird: Spaemann: Genetisches zum Naturbegriff des 18. Jahrhunderts. Vgl. zur „alteuropäischen", in eine vollkommene und eine korrupte Natur gespaltene Natur: Luhmann: Uber Natur. Vgl. die Hierarchie, die Bodmer seinen Kritischen Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter zugrundelegt. Addison teilt die „Pleasures of the Imagination or Fancy" in die, die von gegenwärtigen Gegenständen, und die, die von imaginierten Gegenständen ausgehen, und er teilt sie in die, die von Menschen ausgehen, und die, die nur von der Natur ausgehen. Aber das sind nur zwei von vielen einander sich widersprechenden Differenzierungen innerhalb der Spectator-Folge, die sich mit diesem Problem auseinandersetzt und die Schwierigkeiten unausgesprochen sehr deutlich vorführt (The Spectator. No. 411 - 421, S.593ff.). Vgl. zur Auseinandersetzung in der Literaturwissenschaft: Bruck / Feldmeier / Hiebel / Stahl: Der Mimesisbegriff Gottscheds und der Schweizer. Zu einem produktiven Umgang mit den Vieldeutigkeiten des Naturbegriffs vgl.: Kondylis: Die Aufklärung, insbes. S.119ff.
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ein bedeutsameres Sujet als die Landschaft. 4 Zu dieser Unterscheidung innerhalb der Natur kommt - zumindest bei Hagedorn an einigen Stellen - der Unterschied von Natur und Kunst hinzu. 5 Man kann also um die richtige Gewichtung innerhalb der Natur streiten, man kann sich mit dem Verhältnis von Natur und dem, was sich von ihr unterscheidet, auseinandersetzen, und man kann schließlich beide Diskussionen vermischen. Im Streit zwischen Gottsched, Liscow und Heineken, in den auch Hagedorn hineingezogen wird (vgl. Kap. 4. 2),6 spielen die Kontrahenten die polemischen Möglichkeiten durch: Gottsched verwendet in der Critischen Dichtkunst einerseits den einen, ungespaltenen Begriff von Natur als Maßstab der Dichtung, wenn er - mit den bekannten Problemen für die „Lyrik" - die Nachahmung der Natur als Definition der Poesie ansetzt. 7 Unglücklicherweise unterscheidet er aber in seiner Stiltheorie zwischen einer „natürlichen", einer „sinnreichen" und einer „kühnen und erhabenen Schreibart", 8 teilt also die eine poetische Natur auf, die er etwa dem „Schwulst" entgegensetzt. Heineken kritisiert diese Unterscheidungen in Gottscheds Redekunst und in der Dichtkunst und setzt in der Vorrede zur Longin-Übersetzung dagegen: Ein guter Stil sei in jedem Fall „natürlich". 9 Daraufhin appliziert Gottsched den Begriff der einen Natur auf seine Stiltheorie und weist - so Heinekens Interpretation - einerseits darauf hin, daß er „natürlich" als Unterschied zu „künstlich" verwendet habe, setzt aber andererseits das „Natürliche" nicht dem „Künstlichen", sondern dem „Unnatürlichen" entgegen.10 Darauf respondiert Heineken in Liscows Neuer Vorrede zur Longin-Übersetzung: Es gebe genau besehen keinen natürlichen 4
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So Kammerer: Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen achtzehnten Jahrhundert, S.66. Hatte Hagedorn 1744 noch über das Lied des Hirten geschrieben: „Sein muntres Lied ergetzet / Und scheut die Kenner nicht; / Gefälligkeit ersetzet / Was ihm an Kunst gebricht" {Die Land-Lust·, O i l 29), so verbessert er 1747: „Sein muntres Lied ergetzet / Und scheut die Kenner nicht; / Natur und Lust ersetzet / Was ihm an Kunst gebricht" (OLFB 89). Vgl. Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.45ff., 178ff. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.141; vgl. zu seiner Verteidigung gegen die „Klüglinge": ebda., S.431f. Probleme ergeben sich für Gottsched durch die Unangemessenheit der „Fabel"-Theorie für die „kleinen Gattungen der Gedichte" (ebda., S.140). Gleiches gilt für die in der Dichtkunst lange vernachlässigten Lehrgedichte (vgl. dazu: Siegrist: Das Lehrgedicht der Aufklärung, S.21ff.). Deutlicher und umfassender ist Gottsched in der Vorrede zur ersten Auflage der Dichtkunst·. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.400. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.12ff. Heineken: Untersuchung Von dem Was Longin eigentlich durch das Wort Erhaben verstehe? S.319. [Liscow]: Neue Vorrede, S.9f.
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Stil für die Poetik und die Rhetorik, beide beschäftigten sich mit dem Künstlichen.11 Liscow, der den ganzen Streit für eine müßige Angelegenheit erklärt, verkündet schließlich: Das „Natürliche" sei der „höchste Gipfel der Kunst [...]" - wenn man den Begriff auf „künstliche[ ] Handlungen" bezieht.12 Denn eben in diesem Bezug liege Gottscheds Problem: „Indessen mag der Herr Professor wohl einmahl gehöret haben, daß man auch natürlich schreiben könne, ohne zu wissen, was man damit sagen wolle. Dadurch ist er irre geworden".13 Für die Diskussion um die Naturnachahmung in historischer Perspektive heißt das: Man muß genau hinsehen, auf welche Natur sich ein Autor bezieht und wie er sich darauf bezieht. Das gilt gerade im Blick auf eine Zeit, in der Nachahmung sich noch sowohl auf die äußere Natur als auch auf die vorausliegende Dichtung bezieht und in der Moral und Erkenntnis noch eng beieinander liegen. Erst in der Dichtung nach Hagedorn kommt Natur als eine für sich bestehende Größe zur Geltung14 bzw. wird als solche inszeniert. Was auch immer man von einer solchen Trennung im Prinzipiellen halten mag, historisch und wissenschaftsgeschichtlich hat sie ihre Rolle gespielt. Wichtig scheint mir jedoch zu sein, die Konventionalität der Kategorienbildung zu sehen und zu erkennen, wie sie die interpretatorischen Maßstäbe und Blickwinkel bestimmt. Der locus amoenus ist eben nicht nur ein Topos der literarischen, sondern auch der literaturwissenschaftlichen Tradition. Die Natur kann gleichsam materielle Vorgabe sein, aber auch als „Natürliches" die Entfernung von der Natur legitimieren - das fällt in etwa mit der internen Unterscheidung der Natur zusammen. Und sie kann als „Natürliches" eine formale Vorgabe sein und auf diese Weise ζ. B. den „Ton" oder den „Stil" bezeichnen. „Natur" oder „Natürlichkeit" stellt sich dann nicht in den Wörtern ein, sondern zwischen ihnen, in ihrem Verhältnis zueinander. Auf dem Gebiet der Philosophie versucht Christian Wolff, ein vergleichbares Projekt in Gang zu bringen.15 Nicht umsonst interessiert er sich in besonderer Weise für Darstellungsfragen. Denn sein philosophisches System der vollständigen internen Verwiesenheit jedes Elements auf das Ganze der Elemente, die die fortwährende Angabe von parallelen, erklärenden und weiterführenden Stellen möglich und notwendig macht, wieder11 12 13 14
15
Ebda., S.lOf. Ebda., S.23. Ebda., S.22f.. So ζ. B. Grimm: Erfahrung, Deutung und Darstellung der Natur in der Lyrik, S.206f., 210, 227: Hier mit dem Fokus auf die Dichtung des Sturm und Drang, wo sich sowohl eine „radikale Aufwertung, ja Verabsolutierung des Subjekts" wie auch eine „Auffassung der Natur als einer lebendigen, eigenbewegenden Kraft" herausbilde. Vgl. zur Bedeutung von Wolff für die Poetik: Birke: Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie.
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holt die Struktur der besten Welt, in der jedes Element seine Funktion für das Ganze hat.16 Für Wolff besteht die Wahrheit nicht oder nur auf Umwegen in der Ubereinstimmung von Wahrnehmungen, von Sätzen über Wahrnehmungen oder von in Sätzen formulierten Wahrnehmungen mit der äußeren Natur, sondern in der bruchlosen Ineinanderfügung der Teile, in der wie Kästner es formuliert - „Ubereinstimmung der Vorstellungen mit einander selbst".17 Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich zunächst mit Hagedorns Gedicht Die Alster und plädiert für Detailgenauigkeit und Kontextualisierung in der Interpretation. Die frühe Beschreibung des Jenischen Paradieses aus dem Versuch einiger Gedichte ist ein erster Vorstoß Hagedorns, seine „Natur" zu erfinden. In Harvstehude und einigen anderen Gedichten gibt Hagedorn sein Programm vor, die - poetisch zugerichtete - Natur als Vorbild für den Menschen zu verstehen. Wie die Natur in den Dienst der Poesie und der Menschen genommen wird, führt Hagedorn in den Briefen vor. Die Funktion der freien Natur unterscheidet sich nämlich nicht wesentlich von der des geschlossenen Raums. Die Uberblendung von Innen und Außen hat ihr anthropologisches Pendant in der Herstellung des selbstidentischen Menschen. Auf dieser Ebene nun kann sich die poetische Natur Hagedorns in einem paradoxen Verhältnis zur Natur verselbständigen. In ihrer Geschlossenheit präsentiert sie ein Abbild der Natur und macht sich zugleich als eine exponiert poetische Erscheinung, wie in Der Frühling, von ihr unabhängig. Topo(s)graphie: Die Alster' Hagedorns Gedicht Die Alster gehört zu jenen komplizierten Gedichten, deren Schwierigkeit in ihrer Einfachheit besteht. Die opinio communis der Hagedorn-Darstellungen bringt Uwe-K. Ketelsen auf den Punkt: „Wenn Hagedorn 'Natur' beschreiben will, dann sieht er nicht aus dem Fenster seiner Poetenstube, sondern in die Bücher".18 Den entgegengesetzten Standpunkt nimmt Hartmut Böhme ein. Er interpretiert wie Ketelsen Hagedorns Die Alster, versucht jedoch durch den Vergleich mit zeitgenössischem Bild-
17 18
Es verwundert nicht, wenn Kästner daraus eine „erkenntniskritische" Position ableitet: „Die Körper außer mir kenne ich nur vermittelst meiner Sinne, wie ein Land, in das ich nie kommen werde, aus Reisebeschreibungen. Wie kann ich also wissen, ob mir meine Sinne die Körper so vorstellen, wie sie sind?" - so Kästner in seinem Aufsatz Über sinnliche Wahrnehmung und Erscheinung (1771) (Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. Bd. 2. 3. Theil, S.26). Ebda. Ketelsen: Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.106. Klein listet in seiner Monographie zur Antike-Rezeption Hagedorns (Die Lust, den Alten nachzustreben) unter dem Rubrum „Natur" vielfältige Bezüge zwischen Gedichten Hagedorns und antiken Gedichten auf.
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material, den Realitätsbezug des Gedichts deutlich zu machen." Die Gegenläufigkeit spiegelt zunächst kein Problem der Sache wider, sondern zwei unterschiedliche wissenschaftliche Gesichtspunkte: Auf der einen Seite steht ein kulturwissenschaftlicher Ansatz, der mit einem erweiterten Quellenmaterial die lebensweltlichen Bezüge herzustellen versucht; auf der anderen Seite steht ein philologischer Ansatz, der aus der wissenschaftsgeschichtlich begründeten Vorsicht, „Erlebnisdichtung" nicht dort zu suchen oder zu finden, wo ein rhetorisches Textverständnis vorliegt, die Bezüge nicht außerliterarisch ausdehnt, sondern zuerst an die Tradition der exempia, hier: der laus ruris, erinnert. Deskriptive Quellen - Griesheims Beschreibung Hamburgs von 1756 - dienen dann nur dazu, den Abstand von poetischem Bild und Realität darzulegen. Die Alster Befördrer vieler Lustbarkeiten, Du angenehmer Alsterfluß! Du mehrest Hamburgs Seltenheiten Und ihren fröhlichen Genuß. Dir schallen zur Ehre, Du spielende Fluth! Die singenden Chöre, Der jauchzende Muth.
O siehst du jemals ohn Ergetzen, Hammonia! des Walles Pracht, Wann ihn die blauen Wellen netzen Und jeder Frühling schöner macht? Wann jenes Gestade, Das Flora geschmückt, So manche Najade Gefällig erblickt?
Der Elbe Schifffahrt macht uns reicher; Die Alster lehrt gesellig seyn! Durch jene füllen sich die Speicher; Auf dieser schmeckt der fremde Wein. In treibenden Nachen Schifft Eintracht und Lust, Und Freyheit und Lachen Erleichtern die Brust.
Ertönt, ihr scherzenden Gesänge, Aus unserm Lustschiff um den Strand! Den steifen Ernst, das Wortgepränge Verweist die Alster auf das Land. Du leeres Gewäsche, Dem Menschenwitz fehlt! O fahr in die Frösche; Nur uns nicht gequält!
Das Ufer ziert ein Gang von Linden, In dem wir holde Schönen sehn, Die dort, wann Tag und Hitze schwinden, Entzückend a u f - und niedergehn. Kaum haben vorzeiten Die Nymphen der Jagd, Dianen zur Seiten, So reizend gelacht.
Hier lärmt, in Nächten voll Vergnügen, Der Pauken Schlag, des Waldhorns Schall; Hier wirkt, bey Wein und süssen Zügen, Die rege Freyheit überall. Nichts lebet gebunden, Was Freundschaft hier paart. O glückliche Stunden! O liebliche Fahrt! (W3, 115f.)
Die Alster spielt mit vier Bezügen: zur Natur, zur Bukolik, zur laus ruris und zur laus aquae der Hamburger Kasualdichtung. Der beliebteste Topos unter Hagedorn-Interpreten ist der locus amoenus, der sich - insbesondere der ka19
Böhme: Hamburg und sein Wasser im 18. Jahrhundert, S.79ff.
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nonischen Beschreibung von Ernst Robert Curtius zufolge - durch einen schattigen Naturraum mit Baum, Quelle, Vogelgesang, Lufthauch, Wiese und Blumen auszeichnet.20 Für Die Alster erklärt Ketelsen auf der einen Seite: Hamburg erscheint „im traditionellen Kleid des Locus amoenus"; und zugleich: „weil ein generelles Beschreibungsmodell vorhanden ist, können die Orte in ihrer jeweiligen Besonderheit literarisch beschrieben werden". Das Verfahren trägt den Titel der applicatio. Den Tenor seiner Interpretation zusammenfassend, schreibt Ketelsen: „Das ist nicht die Alster in Hamburg, wie sie realiter existierte, das ist der klassische literarische Ort mit den Zügen der Hamburgischen Lokalität".21 Man sollte zunächst einige einfache Dinge klarstellen: In Hagedorns Die Alster kommt kein Vogel, kein Windhauch und keine Wiese vor. Uber den Schatten könnte man sich streiten - vielleicht wäre er unter den Linden zu suchen. Zielte Hagedorn auf diese Assoziation, dann müßten die dort flanierenden „Schönen" vielleicht nicht auf das Schwinden von „Tag und Hitze" warten. Der für den locus amoenus typische Baum erscheint als „Gang von Linden" und die Blumen als „jenes" von „Flora" geschmückte „Gestade". Zweifellos beschäftigt sich Die Alster mit Wasser, aber es handelt sich dabei weniger um den zumal für die Dichtung Hagedorns charakteristischen amoenen Bach oder Quell, vielmehr - dabei überschreitet man allerdings schon die Text-Ebene - um die Binnen- und Außenalster, also ein seeförmiges Gebilde.22 Wie auch immer: Die drei Elemente, mit denen Hagedorn das Schema des locus amoenus noch erfüllt, sind gerade jene, die den dichtesten Realitätsbezug haben: der Jungfernstieg23 mit der Lindenallee, die Alster und der „Wall[ ]", der Hamburg umgibt.24 Ein erster Gang durch das Gedicht zeigt als aufdringliche Elemente des Traditionsbezugs die Folie der bukolischen Naturschilderung, die sich über eine zweite Ebene legt (oder umgekehrt): die „Natur". Vielleicht würde das Gedicht weniger Schwierigkeiten bereiten, wenn es einen anderen Titel hätte. So aber hat man sich mit dem direkten Bezug zwischen Die Alster und Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.202; Variationen bei Ketelsen: Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.104Í.; Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.142. 21 22
23
24
Ketelsen: Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.104f. Weichmann läßt Peleus singen: „Wie frölich seh' ich nicht bey ganzen Haufen / In diesem See die schnellen Fische laufen, / Der würklich weniger ein Strom ist, als ein See?" (Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig-Lüneburg. In: PdN6, 25). Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorn Leben und Karakteristik, S.371. [Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. 1. Bd., S.212ff. Vgl. zum „Wall": [Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. 2. Bd., S.14ff. Die Titelblätter von Michael Richeys Gedichten zeigen verschiedene Formen des Freizeitvergnügens auf dem Wasser (Deutsche und Lateinische Gedichte. 1. - 3. Theil).
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der Alster zu beschäftigen. Die ersten beiden Strophen trennen Elbe und Alster in der traditionellen, den lokalen Gegebenheiten entsprechenden Unterscheidung in locus oeconomicus und locus amoenus.2i Die wirtschaftlichen Interessen, etwa der Hafenausbau, hatten sich immer mehr auf die Elbe konzentriert, und die Alster war zum realen Lustgewässer der wohlhabenden Hamburger geworden, auf dem sie in „treibenden Nachen", die genug Platz ließen, um ein Glas Wein abzustellen, ihre Zeit verbringen konnten. Auch die Zeiteinteilung in Die Alster stimmt: Tatsächlich erstreckte sich die feuchte Freizeitunterhaltung bis spät in „Nächte[ ] voll Vergnügen" - der Patriot berichtet von der „Abend=Lust" auf der Alster.26 Bukolischer und realistischer Szenenaufbau verschränken sich in einem dritten Bezug: Hagedorn greift motivisch und formal auf die laus aquae zurück, die in der Kantatendichtung der Poesie der Niedersachsen zu den Topoi der Hamburg-Panegyrik gehört. Wenn man etwa eine Löbliche Admiralität besingen will, läßt man nicht nur einen Nymphen-Chor und Diana auftreten, man betont auch die Rolle der Elbe als Schauplatz des Handels.27 Noch deutlicher werden die Anleihen bei einem Beispiel panegyrischer Bukolik. Wieder erscheinen Chöre von Nymphen und Najaden, aber im Unterschied zur seriösen Feier der Admiralität 12 Jahre zuvor schreibt man das „Vergnügen" groß. Als Beispiel mag die Einleitungsarie dienen: Auf, zur Freude, zum Scherzen zum Klingen! Auf, zum Jauchzen, zum Lachen, zum Singen! Auf, Stimmen und Saiten, Dieß Fest zu begleiten! Auf, Schäfer! Najaden, auf, auf! Zeigt euch in lieblich-veränderten Chören! Lasst euch mit rauschendem Jubel-Klang hören! Preiset des Glückes gewogenen Lauf! Auf, zur Freude, zum Scherzen, zum Klingen! Auf, zum Jauchzen, zum Lachen, zum Singen! Auf, Stimmen und Saiten, Dieß Fest zu begleiten! Auf, Schäfer! Najaden, auf, auf!28
25 26 27
28
Böhme: Hamburg und sein Wasser im 18. Jahrhunden, S.78. Der Patriot. Bd.I, S.337f. Richey: Als eine Löbliche Admiralität der Republick HAMBURG das Gedächtniß Ihres vor hundert Jahren gestifteten COLLEGII Anno 1724. d. 6. April, mit einem ansehnlichen Jubel-Mahle feyerlich beging. In: PdN3, 70, 76. Erst am Ende, im Tutti, kommen dann „Alster und Elbe" gemeinsam vor (ebda., S.79). Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig-Lüneburg. In: PdN6,18.
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Das Motto für seine Formulierung von Hamburgs Freude entnimmt Weichmann bezeichnenderweise Theokrits Idyllen. Die Alsterbeschreibung Weichmanns hat offensichtliche Parallelen zu Hagedorns Alstergedicht, auch wenn Weichmann viel deutlicher als Hagedorn das Muster des locus amoenus unterlegt: Wie bei Hagedorn schlagen die Wellen an den Strand, „mancher Gondel=Kahn" und „viele wol=geschmückte Nachen" gleiten auf dem Wasser dahin; die „Wasser=Nymphen" übernehmen die Aufgabe der „Flora" und streuen Blüten und Schilf aus; der „Schwäne Heer" eilt herbei, der „Zephyr" bewegt die Fahnen. Kurzum: Die Alster ist ein „doppelt=schöne[r] Lust=Ort". 29 Zu dieser amoenen Szenerie kommt dann jedoch noch etwas hinzu, was nicht recht zum Topos paßt: das Knallen von „Geschützen", das „lärmende Getöne" der „Hirten=Söhne" und der „Jubel=Klang" der Nymphen, später dann auch eine „Feld=Musik".30 Das gehört zur Inszenierung des Schäferfestes einerseits, zum Vergnügungsprogramm „Alster" andererseits: Hagedorn schreibt von „singenden Chöre[n]" und von „der Pauken Schlag, des Waldhorns Schall". Man kann das also sehr wörtlich lesen. Und vielleicht blickt Hagedorn gar nicht in seine Bücher, sondern lauscht Telemanns Alster-Ouvertüre, in der die „kanonierende Pallas" auftritt. Eines der deutlichsten Zeichen für Hagedorns Anschluß an die Hamburger Panegyrik ist freilich der Anruf von „Hammonia", der Personifikation Hamburgs in der Kantatendichtung, die mit „Ergetzen" auf den „Wall" blickt. In den ersten vier Strophen schweift der Blick vom Land aus über die Szenerie. Als perspektivisches Zentrum bietet sich das Rathaus an, denn dort treffen Elbe und Alster zusammen. Es ist zugleich das Zentrum des öffentlichen gesellschaftlichen Lebens.31 Wenn dann in den beiden Schlußstrophen ein „wir" vom Boot aus die Blickregie übernimmt, kann damit eine implizite Abstandnahme von der politischen Ausrichtung verbunden sein. Noch ein Wort zu den Nymphen und Najaden: Zweifellos ist das Gedicht ein Fall für gebildete Leser. Die Anspielungen auf die antike Mythologie - zu Nymphen, Najaden und Diana kommen noch Ovids Metamorphosen hinzu - sind zwar kaum von erlesener Seltenheit, aber gleichwohl nicht von jedermann zu entziffern. In der dritten Strophe vermittelt die Mythologie jedoch die Alster-Darstellung nicht, sondern wird explizit als Vergleich eingeführt, gleichsam in der Funktion eines verkehrten Euhemerismus. Auch der Wunsch, es möge sich eine Metamorphose nach Ovidschem Muster
29
Ebda., S.21f. Vgl. auch ebda., S.25.
30
Ebda., S.22, 23, 24.
31
„Das Rathaus liegt in der Mitte der Stadt, an und über dem Bassin, wo sich E l b -
und
A l s t e r - W a s s e r vereinigt" ([Hess]: Hamburg topographisch, politisch und historisch beschrieben. 2. Theil, S.330).
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ereignen, hält schon grammatikalisch Abstand zur „Realität". Auffallenderweise verpackt Hagedorn die Mythologie in die ariosen Endverse der Strophen, die als formales Beziehungszeichen Die Alster mit der laus aquae der Selbstdarstellung Hamburgs verbindet. In der folgenden vierten Strophe greift die Mythologie dann über die „Hammonia" in den explikatorischen Teil der Strophe über und wird dabei tatsächlich Beschreibungsmedium, aber eben durch die Lokalmythologie sogleich transparent auf den realen Untergrund. Die erforderliche Bildung erstreckt sich nicht nur in einen antiken Traditionsraum hinein, sondern betrifft insbesondere die Programmatik der Hamburger Selbstdarstellung - auch später noch vergöttlicht man die „Schönen" auf dem Jungfernstieg, jetzt allerdings, weil sie in ein chinesisches Kaffeehaus gehen, das sogenannte „Kapitol der Göttinnen". 32 Die Hamburg-Panegyrik läßt Nymphen und Najaden gleich in Chören auftreten33, und den Naturraum „Alster" gestaltet man tatsächlich gartenkünstlerisch. Die fiktiven Nymphen bekommen auf diese Weise reale Grotten, und für Blumen sorgen weniger „Flora" oder „Wasser=Nymphen" als vielmehr die Hamburger Gärtner. 34 Selbst die „Frösche" gehören zur AlsterIkonographie - Telemanns Alster-Ouvertüre läßt sie beispielsweise gemeinsam mit Krähen „konzertieren[ ]". Die bewußte Herstellung einer geselligen Situation, wie sie sich aus der Hamburger Festkultur und Selbstdarstellung herschreibt, bildet den perennierenden intellektuellen Untergrund für Hagedorns Dichtung (vgl. Kap. 4.1). Es sagt nicht genug aus, wenn man feststellt, Hagedorn habe in seine Bücher, nicht aber in die Natur geschaut - welcher Dichter tut das nicht?35 Das heißt eher, daß man später vergessen hat, welche Rolle die Bücher spielen, oder daß man vergessen hat, wieviel aus den Büchern in Natur verwandelt wurde. Man kann Hagedorns Bezug zur Panegyrik im übrigen auch an der Temporalkonstruktion erkennen, an der zeitlichen Begrenzung. Hagedorn bindet die Vorgänge an den O r t mit dem dreimaligen „hier" der letzten Strophe, das freilich auch ein reflexives Moment enthält. Es sind „glückliche Stunden" einer „liebliche[n] Fahrt". Das gilt gleichermaßen für die Hamburger Panegyrik, die damit an der Nebenstundenpoetologie teilhat (oder umgekehrt):
[Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. Bd. 1, S.214. Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig-Lüneburg. In: PdN6, 22. Böhme: Hamburg und sein Wasser im 18. Jahrhundert, S.74. Vgl. zu den Ambivalenzen: Hillmann: Friedrich von Hagedorn, S.197. Zum prinzipiellen Problem vgl. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.61.
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Ihr aber, auserwehlte Stunden, Die mir hieselbst mit solcher Lust verschwunden, Verlängert euch, Und macht den Abend selbst dem besten Tage gleich!36
Wenn man vor diesem Hintergrund - und gerade in bezug auf die oben zitierte Einleitungsarie Weichmanns - Hagedorns Der Tag der Freude liest, werden die Verbindungslinien überdeutlich, insbesondere durch die appellative Ausrichtung: „Auf! ladet hier den Gott der Liebe, / Auf! ladet hier die Freuden ein" (W3, 30). Freilich kann sich die panegyrische Darstellung die mit der zeitlichen Begrenzung in der laus ruris verbundene Sprechweise, die definitio ex negatione, nicht leisten: Sie will ja gerade ihre Inszenierung nicht nur vom Tag in den Abend, sondern auch in die Alltäglichkeit hinein verlängern: „Schön'ster Tag, / Wie erfreut sind deine Stunden / Mir verschwunden! / Schön'ster Tag, / Gönne, daß dein Angedenken / Mir noch oft Vergnügen schenken, / Mich noch oft ergetzen mag!"37 Das bringt auch für Hagedorn Probleme mit sich: Die seiner Nebenstundenpoetologie eigenen Beschränkungen kann er nicht mehr einhalten, wenn er sich - wie in Die Alster - in die öffentlichen Belange einmischt. Dann muß er mit politischer Weit- oder Langsicht im Gedicht selbst an eine Zeit nach der Poesie denken. Hagedorn führt daher verschiedene, für ihn unübliche und problematische Grenzziehungen ein. Die erste Dichotomisierung ist die für Hamburg traditionelle Unterscheidung von Alster und Elbe in der zweiten Strophe. Sie entspricht der Trennung von Arbeitsstunden und Nebenstunden. Die zweite Dichotomisierung ist die von Wasser und Land in der fünften Strophe. Hagedorn weist nicht, wie Ketelsen meint, der Elbe die Pedanterie zu,38 sondern verbannt die Schwätzer aufs Land. Allerdings ergeben sich zwei Querungen dieser lokalen Dichotomien: Zum einen befinden sich die von der Elbe gefüllten „Speicher" auf dem „Land", zum anderen transzendiert die Geselligkeit die Wassergrenzen: Man schaut den auf dem Land flanierenden Damen zu, betrachtet den von „Flora" geschmückten „Wall[ ]" und läßt die Gesänge „um
Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig=Lüneburg. In: PdN6, 27. Auch Richey läßt am Ende singen: „Allein, je grösser uns're Lust, / Je schneller scheint ihr (die „angenemen Stunden", S. M.) uns verschwunden. / Verfliesse denn, o wolbegang'ner Tag!" (Als eine Löbliche Admiralität der Republick HAMBURG das Gedächtniß Ihres vor hundert Jahren gestifteten COLLEGE Anno 1724. d. 6. April, mit einem ansehnlichen Jubel=Mahle feyerlich beging. In: PdN3,79). PdN 6, 28. Auch hier die Parallele bei Richey: „O Tag, an welchem sich so manche treue Brust / Auf einmal kaum zu sättigen vermag! / Verfliesse, doch aus unsern Herzen nicht!" (PdN3,79). Ketelsen: Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.109.
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den Strand tönen". Es geht insgesamt weniger um eine räumliche als vielmehr um eine zeitliche Ordnung und um den Schwätzer, der die Einigkeit dieser kleinen Gruppe stört, indem er die Zeit- und Geselligkeitsregeln nicht erfüllt. Damit befindet sich Hagedorn „im Einklang mit der vorherrschenden Meinung seiner Zeit", und zwar gerade „in Hamburg". 3 ' Er schreibt sich in die Diskursordnung Hamburgs ein. Wenn Ketelsen aus Griesheims Beschreibung Hamburgs eine Passage anführt, in der Müßiggang und Armut verbunden und ein ungesunder jugendlicher, sich u. a. in „Partien auf der Alster" vollziehender Lebensstil angeprangert wird, dann ist das traditionell nur eine Seite. Auch der Patriot übt Kritik am Müßiggang und verbindet Faulheit und Armut (vgl. Kap. 5.1), hat aber zugleich seine eigene, positive Vorstellung von Alsterpartien: „Einige waren sittsam, und machten sich aus dem Spiegel=schönen Wasser und dessen so anmuhtig veränderlichen Ufern eine vernünfftige Augen=Weide". 40 Die Vernunft der Anschauung kann sich auf verschiedene Weisen erhalten: Weichmann etwa liest eine Beschreibung der Elbe von Brockes als Anweisung zum allegorischen Sehen.41 Bei Weichmann und bei Hagedorn bestimmt dabei die Vernunft die Konstruktion durch die Zeiteinteilung - darin treffen sie sich mit Brockes42 - sowie durch die applicatio literarischer Topoi, die die Naturanschauung mit dem politischen und literarischen Programm verbindet. 43 Eben deswegen druckt auch die Rezension der Hagedornschen Odensammlung im Hamburgischen Correspondenten gerade Die Alster ab. Denn die Ode fügt sich in die apologetischen Hinweise des Rezensenten ein - die Bezugnahme des Artikels auf die Wende Hagedorns zur ernsthaften Dichtung, die Anmerkung der frühen Entstehungszeit vieler Lieder, also ihres in der Autorbiographie nun mit Abstand zu betrachtenden jugendlichen Status, und den topischen Verweis44 auf die bekannte Tatsache, daß Hagedorn die Liedsammlung nur auf das
40 41 42
43
44
So könnte man das Gedicht gegen Ketelsens Interpretation lesen: ebda., S.110. Der Patriot. Bd.I, S.338. Ebda. Bd. ΙΠ, S.122ff.; vgl. auch ebda. Bd.I, S.338. Vgl. z. B. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.205, 595. Wenn Ketelsen die ästhetische applicatio der Griesheimschen Sittenpredigt in Zincks Verurteilung von „Narren und Anacreontisten" erkennt (Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.llOf.), dann sollte man vielleicht daran denken, daß Hagedorn für Zink im Vergleich mit den Anakreontikern einen vorbildlichen Autor repräsentiert (vgl. speziell für Zink: Pereis: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.44; vgl. Kap. 5.2). Vgl. z. B. die ironischen Bemerkungen von Christian Ludwig von Hagedorn: Die Mittel in der gelehrten Welt berühmt zu werden, S.65.
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Drängen von Freunden veröffentlicht habe.45 Wenn man, wie der Rezensent der Freyen Urtheile und Nachrichten, eher die literaturhistorische Bedeutung Hagedorns würdigt und eine unproblematische Einstellung zu einer „erlaubte[n] Wollust" hat, dann setzt man an die Stelle von Die Alster die Ode An die Freude, selbst wenn man im übrigen bis in die Fomulierungen hinein mit dem Hamburgischen Correspondenten übereinstimmt. 46 Die Eigenheit von Die Alster läßt sich nur schwer mit einem dichotomen Modell von Fiktion und Realität oder von imitatio bzw. aemulatio und Naturnachahmung erfassen.47 Das Gedicht bezieht sich auf die politische Selbstbeschreibung Hamburgs und auf das Alstervergnügen. Es verwendet dazu Elemente der bukolischen Tradition. Kompliziert wird das Ganze durch die Gegenläufigkeit der Elemente. Das poetische Material kann dadurch auf verschiedene Quellen mit unterschiedlichen Sinnanschlüssen bezogen werden: einmal auf die gegenpolitische Tradition der Bukolik, das andere Mal auf deren allegorische Funktion, gerade das Politische literarisch zu gestalten.48 Hagedorn läßt die Signifikate gegeneinander arbeiten. Dem entsprechen gattungstheoretisch die im 18. Jahrhundert entwickelten Bestimmungen der Schäferpoesie. Auf verschiedenen Ebenen hat man die Möglichkeit gewonnen, den locus amoenus von der literarischen Tradition abzukoppeln und der Realität näher zu bringen, ihn mit dem Etikett „natürlich" zu versehen: durch die Umdeutung der Hirtenkonfiguration in Gottscheds Critischer Dichtkunst von einem poetischen Ort zu einem historischen Ursprungsszenario, 49 durch die Entdeckung einer ursprünglichen, legitimen und moralischen Sinnlichkeit in der Lieddichtung, die die poetische Darstellung des bukolischen Handlungsraums zur Vergegenwärtigung eines Naturstandes macht, 50 und - allgemeiner formuliert - durch die Annäherung der „besten Welt" an einen paradiesischen Zustand oder einen Zustand, der paradiesfähig ist. Hagedorn läßt ζ. B. die von ihm und Wilckens herausgegebene Brockes-Auswahl mit dem platonischen Höhlengleichnis beginnen, einem fiktiven Wahrnehmungsexperiment: Dem aus der Höhle
Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1744, 167. St., unpag. 46
Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie
47
Vgl. dazu Isers „Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären" (Das Fiktive und das Imagi-
48
Ζ. B. Dedner: Topos, Ideal und Realitätspostulat, S.12.
überhaupt, 1745, 16. St., S.126Í. näre, S.19ff.). 49
Schneider: Einleitung, S.43ff. Vgl. zu vergleichbaren Positionen im 17. Jahrhundert bei Harsdörfer und Birken: Mähl: Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis, S.137f.
50
Pereis: Studien zur Kritik und Aufnahme der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.186ff.
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Tretenden erscheint die Welt wie ein Paradies oder sogar wie der Himmel. 51 Nicht jeder glaubt dabei an die mimetische Qualität der paradiesischen Landschaft. Aber selbst J. A. Schlegel, der das „hypothetisch" Wahrscheinliche der Schäfergedichte gegen das Nachahmungspostulat geltend macht, findet das Allgemeinmenschliche als „das Lebhafte und Innerste der Leidenschaften", wie er Saint-Mard zitierend schreibt.52 Damit erweitert Schlegel das mögliche literale Spektrum um eine translitérai Sichtweise. Weichmann steht mit seinem Panegyrikus in diesen Zusammenhängen: Für ihn kommt das zur bukolischen Kulisse gewandelte Hamburg einem Paradies auf Erden gleich, da der durch den Fürsten gesicherte Frieden einen „ew'ge[n] Ruhe »Stand" im „Segens=Land" begründet. 53 Deutlicher war Richey in seiner Kantate auf die Löbliche Admiralität geworden: Daß uns're Stadt ein ird'scher Himmel sey, Worin Gerechtigkeit Mit schön'ster Ruhe sich verbindlich küsse, Und daß die hohe Nachbarschaft Von nichts als Wolgewogenheit, Die Börse nichts von abgeleb'ter Kraft, Die Admiralität von keinem Unfall, wisse!
Darauf intoniert dann Hammonia: „O Wunsch, der mich verhimmelt machen kann!"54 Diese säkularisierte Paradiesversion läßt auch Hagedorns Die Alster in neuem Licht erscheinen, denn das Verhältnis von Elbe und Alster entspricht dem von Gott und Mensch, wie Hagedorn es im Allgemeinen Gebeth dargestellt hatte: Die Elbe bringt die Güter heran, auf der Alster verbraucht man sie im „fröhlichen Genuß". 55 In seinem Gebeth hatte Hagedorn eben dies für den der „Gaben Uberfluß" verteilenden Gott formuliert: „Der Gehorsam, den Er heischet, ist ein fröhlicher Genuß" (Wl, 2; vgl. Kap. 5.1). Der Handelskreislauf - und damit der zeitliche Zirkel von Arbeit und
52
53
54
55
Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.3. In den Patrioten rückt Brockes ein Stück ein, in dem er einen Träumer erwachen läßt, der seine paradiesische Vision in der realen Umgebung Hamburgs wiedererkennt (Der Patriot. Bd.n, S.358Í.). Q. A. Schlegel]: Von dem eigentlichen Gegenstande des Schäfergedichts, S.406, auch S.397. Vgl. zum Zusammenhang von Mimesis (bzw. „mimetischem Illusionismus") und Allgemeinmenschlichem: Willems: Anschaulichkeit, S.272ff. Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig-Lüneburg. In: PdN6,26 Richey: Als eine Löbliche Admiralität der Republick HAMBURG das Gedächtniß Ihres vor hundert Jahren gestifteten COLLEGII Anno 1724. d. 6. April, mit einem ansehnlichen Jubel-Mahle feyerlich beging. In: PdN3, 77. Vgl. zu Elbe und Alster in diesem Zusammenhang auch: Hillmann: Friedrich von Hagedorn, S.186ff.
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Rekreation - bindet das Vergnügen ein. Die Möglichkeit, eines der beiden Momente zu isolieren, ändert daran nichts. Auch beim Arbeiten findet man sein Paradies. U m noch einmal Richey zu zitieren: „In der Börse gepress'tem Getümmel / Find' ich meinen ergetzlichen Himmel [...]". 56 Jedenfalls war klar, welche konstruktiven Qualitäten sich hinter der amoenen Szenerie verbergen. Gottsched formuliert bekanntermaßen die von Geßner wiederholte57 Einsicht: Denn, die Wahrheit zu sagen, der heutige Schäferstand, zumal in unserm Vaterlande, ist derjenige nicht, den man in Schäfergedichten abschildern muß. Er hat viel zu wenig Annehmlichkeiten, als daß er uns recht gefallen könnte. Unsre Landleute sind mehrentheils armselige, gedrückte und geplagte Leute. Sie sind selten die Besitzer ihrer Heerden, und wenn sie es gleich sind: so werden ihnen doch so viel Steuren und Abgaben auferlegt, daß sie bey aller ihrer sauren Arbeit kaum ihr Brodt haben. Zudem herrschen unter ihnen schon so viel Laster, daß man sie nicht mehr als Muster der Tugend aufführen kann.58
Aus der Perspektive eines idealisierten Schäfertums werden die Defizite des realen Schäferstandes notiert. „Wir leben nicht mehr im Stande der Natur", für uns gelten die Vorgaben der Natur zusammen mit denen der ,,geoffenbarte[n] Religion", der „Staatsklugheit" und der „bürgerliche[n] Rechte, Ordnungen und Gewohnheiten". 59 Man hat nun gleichwohl versucht, für einen gewissen Zeitraum und für eine bestimmte, sicherlich privilegierte Gruppe diesen poetischen Zustand als Realität auszugeben, die Nymphen und ihre Grotten, den Schmuck der Flora und die musikalische Verdoppelung der Natur wahr werden zu lassen. Das inszenatorische Moment wird von Hagedorn deutlich formuliert: „Die Alster lehrt gesellig seyn". Sie ist es, die den „steifen Ernst, das Wortgepränge" ausschließt. Welche „Alster" aber ist damit gemeint? Bezieht Hagedorn sich auf die Alster oder Die Alster? Naturalisiert Hagedorn die Geselligkeit, oder poetisiert er sie? Eben diese durch die Verfahren des Gedichts erzeugten 56
Richey: Als eine Löbliche Admiralität der Republick HAMBURG das Gedächtniß Ihres vor hundert Jahren gestifteten COLLEGII Anno 1724. d. 6. April, mit einem ansehnlichen Jubel=Mahle feyerlich beging. In: PdN 3, S.66. Vgl. weitere Belege zur Hamburger Poesie des Geldes bei: Baasch: Der Einfluß des Handels auf das Geistesleben Hamburgs, S.22ff.
57
Geßner: Idyllen, S.16. Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer Theil, S.76. Vgl. dazu auch: Gottsched: Der Biedermann. Zweyter Theil. 65. St., S.58: Dort wird die Bukolik gegen den Traditionsbezug, also gegen die Definition über die Verwendung bestimmter Topoi, und durch den Bezug auf das Leben im „Stande der Unschuld" bestimmt, und zwar als Kehrseite der Satire. Schreiben über das zwanzigste und fünfzigste Blatt einer Wochenschrift, welche in B. unter dem Titel der W. in 52. Stücken bis zum Hornung dieses Jahrs, ausgegeben worden. In: Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 1742, 29. St., S.44f. Es geht um die Rezension von Lamprechts Der Weltbürger (vgl. dazu: Waniek: Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit, S.447).
58
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Unsicherheiten bilden den tatsächlichen Vorgang ab: Der Mensch formt die Natur (zur Natur), und diese Natur wirkt dann wieder auf den Menschen (z. B. als Vorbild des Natürlichen). Interessant ist, in welcher Weise Hagedorn den „fröhlichen Genuß" mit den für ihn charakteristischen Verfahren der Schäferpoesie darstellt, den Inszenierungsmustern einer selbstbezüglichen, amoenen Natur. In die große poetische Schleife, die sich zwischen dem Gedichttitel und dem dreimaligen „hier" der Schlußstrophe entspinnt, baut Hagedorn eine Fülle von kleinen Reflexionen und Verschachtelungen ein: Die „Chöre" besingen die Alster, aber auch die „Fluth" besingt die Alster, also sich selbst. Das „Ufer" wird von einer Lindenallee „[ge]ziert". In der Allee wiederum wandeln „holde Schöne[ ]", die auf einer temporalen Stufe mit „Nymphen" verglichen und vom Boot aus betrachtet werden. Hamburg beschaut sich selbst, die Wellen „netzen" den „Wall[ ]", der von „Flora" bearbeitet und vom Frühling „schöner" gemacht wird. Das sind typische Formen der Beobachtung in der Beobachtung, der mit sich selbst beschäftigten Natur oder der Selbststeigerung der Natur. Und es ist kein Zufall, daß die Nymphen im Werk Shaftesburys eine so große Rolle spielen. Sie vergegenständlichen die Natur als ein sich selbst bearbeitendes „seif",60 was wiederum als Strukturprinzip der selbstinspiratorischen Poesie und Poetologie der Freude gelten kann.61 Dazu kommen dann noch das intertextuelle Spiel, das Hagedorn entfaltet, sowie das Spiel zwischen Selbstbezug und Nachahmung, das - anders als bei Brokkes - nicht von expliziten Allegorisierungen durchbrochen wird. Auch Weichmann formuliert im übrigen diese Reflexionen: Hammopolis - die Personifikation Hamburgs - freut sich über den Besuch des Fürstenpaares, das sich wiederum an der Freude der erfreuten Hammopolis erfreuen soll: „Ergetzet Euch an meiner Freude". Die Chöre haben die Aufgabe, die Freude zu „verdoppeln]".62 Die Alster hat an dieser „Verdoppelung" Anteil:
60
Ζ. B. Shaftesbury: The Moralists, S.242. Vgl. dazu: Schräder: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S.22.
61
Über die Allegorien in Hagedorns Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund
schreibt
Schultheiß: „Der Poet zeigt uns nicht bloß eine schöne Gegend, sonder belebt sie mit solchen Einwohnern, die leicht unsere Gunst erhalten. E r macht die Ruh und Freyheit zu erdichteten Wesen, gibt ihnen Gestalt und Handlung, wie die Alten die Flüsse und Wälder mit Najaden und Dryaden bevölkert" (Die Wünsche aus einem Schreiben an einen Freund, vom Jahre 1733. In: Die neueste Sammlungen vermischter SchrÎfften, S.77). 62
Vgl. zu „Verdoppelungen" bei Brockes: Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, z. B. S.211, 346, 349. Vgl. zu Formen der rhetorisch fundierten Literarizität, bei der die Darstellung - wie in der Naturwissenschaft die Wahrnehmungstechnologien
(Mikroskop, Fernrohr) - für Brockes wichtig wird:
Egelhaaf: Gott und die Welt im Perspektiv des Poeten.
Wagner-
432
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Und hier der Alster Silber-Pracht, Die da und dort in ihrer Schooß Mit grünen Inseln sich gedoppelt groß, Gedoppelt schön, gedoppelt lieblich macht. 6 3
Die figurale Ebene unterstützt das Verweisungsspiel bei Hagedorn und bei Weichmann, also die Affektrhetorik (Ausruf, Frage, Ellipse etc.), ebenso wie die musikalische Rhetorik. Denn Die Alster erscheint erstmals im zweiten, also mit den Vertonungen von Görner veröffentlichten Teil der Oden und Lieder. Auch damit schließt sie an die Kantaten- und Lied-Tradition in Hamburg an. Telemann läßt in seiner erwähnten Alster-Ouvertüre das „Alster Echo" erklingen. Auf dieser Ebene realisiert die bukolische Ode ein zweites Mal ihren ins Historische verlagerten Ursprung: Denn die Hirtendichtung ergibt sich unmittelbar aus dem Leben des Hirten, aus dem Affekt der Freude, der sich von selbst in Gesang umsetzt. 64 Nicht umsonst merkt Hagedorn im Vorbericht zur Odensammlung an, der „gefällige[ ]" Typus der Ode sei der „älteste" (W3, III). Bezeichnenderweise kommt Leibniz, wenn er Gott als Künstler darstellt, neben der Malerei, die wegen des Schatten-Licht-Verhältnisses von Bedeutung ist (vgl. Kap. 5.2), auf die Musik zu sprechen. 65 Die Musik erlaubt eine Form von Harmonie, die dem Modell der besten Welt entspricht, denn - so kann man mit Batteux sagen - sie verweist nicht, wie die Sprache, sondern drückt unmittelbar aus, d. h. ihre Harmonie liegt im Vollzug, im realisierten Verhältnis der Töne zueinander. Zur musikalischen Harmonie, die sich gleichsam natürlich aus jedem einzelnen Ton entspinnt, gehören auch die „Mislaute", und ihre Töne geben sich wie die erscheinende Wahrheit von selbst zu erkennen. 64 Nach Telemann ist die Musik im übrigen die einzige Kunst, die ohne schädliche Folgen „Freude" vermittelt und „Sorgen" vertreibt. Die durch sie bewirkte Beständigkeit symbolisiert sie selbst: Denn sie steht das ganze Jahr und das ganze Leben lang durchgehend zur Verfügung
64
65 66
Weichmann: Hamburgs Freude über die hohe Gegenwart der durchleuchtigsten regierenden Herrschaften, zu Braunschweig-Lüneburg. In: PdN 6, 25. Vgl. z. B. Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. I, S.94f.; Fontenelle: Abhandlung über die Natur der Schäfergedichte, S.76; Pope: Abhandlung von der Schäferpoesie, S.33; Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.115ff.; ders.: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.75; Batteux / Ramler: Vom Schäfergedicht, S.107; [Krause]: Von der Musikalischen Poesie, S.2, 65. Diese These schreibt sich aus den Vergil-Kommentaren her: Schneider: Einleitung, S.22. Leibniz: Die Theodizee, S.8f. Batteux: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, S.227f., 243, 254f.
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und kann den Winter zum Frühling machen67 - ein Idealfall für jede Naturinszenierung. Wenn man sich für Formen interessiert, für Harmonie, Verhältnisse und Symmetrie, dann bietet sich die Musik als Kunst interner Beziehungen an. Daher kann Christian Gottfried Krause in seiner Abhandlung Von der Musikalischen Poesie auch Shaftesbury für sich vereinnahmen: Schaftesbury behauptet, als etwas unläugbares, daß die Bewunderung und Liebe der Ordnung und der Proportion, sie sey worinn sie wolle, natürlicher weise die Sinnesart verbessere, der geselligen Neigung zuträglich sey, und der Tugend zu einer sehr großen Hülfe gereiche, als welche letztere selbst nichts anders, als Liebe der Ordnung und Schönheit in der Gesellschaft sey; bey den geringsten Dingen in der Welt nehme der Anblick einer Ordnung das Gemüth ein, und ziehe unsere Neigung darauf. 68
Anders formuliert: Die Odendichtung, zumal wenn sie in Gesang umgesetzt wird, ist (auch) ein translitérais Ereignis. Sie spielt sich weniger auf der inhaltlichen Ebene ab als vielmehr in dem durch sie bewirkten Harmonieerlebnis, das sich in den Chorpartien gleichsam in die Geselligkeit überträgt. Auf dieser Ebene bilden Hagedornsche Naturgedichte die Natur ab, die ebenfalls ein in sich harmonisches Ganzes ist oder zumindest als solches wahrgenommen werden kann. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Beschreibungen „Perspektivenvielfalt" ist nicht nur eine metaphorisch applizierbare Beschreibung für die semiologische Schichtung von textuellen und realen Verweisen in Die Alster, sie prägt auch die Bildfolge des Gedichts selbst: Jede Strophe präsentiert einen Ausschnitt, der, teils ohne Verbindung, teils durch metaphorische oder thematische Ubergänge an andere Passagen geknüpft, in keinen kontinuierlichen, zentralperspektivisch oder anderweitig homogenisierten Bildraum eingeht.69 Die Suggestion einer für sich bestehenden Natur stellt sich nicht ein, sie kann sich nicht von einem Betrachter ablösen und bleibt auf die Beobachtung angewiesen.70 Entsprechend beschreiben die Wahrnehmungsverfahren die Szenerie als politische Projektionsfläche. Diese dient den sich in ihr bewegenden Menschen als Handlungsraum und übernimmt die Aufgabe von Menschen - sie „lehrt" und organisiert die Gesellig-
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Telemann: Die MUSIC. In: PdN3, 287ff.
68
[Krause]: Von der Musikalischen Poesie, S.43. Vgl. für Shaftesburys Lob der Ordnung,
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Vgl. Ketelsen: Alte Ausdrucksformen und neue Wunschträume, S.107
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Vgl. zu dieser Anschauungsform und zur Ablösung durch das Paradigma von
verbildlicht durch die Musik, z. B.: The Moralists, S.164ff. der
„unendlichen Landschaft": Koschorke: Die Geschichte des Horizonts, S.94ff., insbes. S.114f.
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keit, sie schmückt sich und nimmt an der musikalischen Gestaltung teil. Kurzum: Die Natur ist literarisch und anthropologisch kontrolliert. Die Ästhetik des vagierenden Blicks hält die Natur jedoch nicht nur in Abhängigkeit vom Beobachter, sondern sie zeigt auch den Stand ihrer Verselbständigung an, der sich vom Grad ihrer Beherrschung ableitet. Zwischen „szientifisch-ökonomischer Naturverdinglichung und ästhetischer Naturvergegenwärtigung" besteht nicht bloß ein „kompensatorisches", sondern ein „dialektisches Verhältnis".71 N u r die kontrollierte Natur, auf deren vielleicht überraschende, niemals aber gefährliche Ansicht man vertrauen kann, bietet dem Blick derart unbesorgt einen Bewegungsraum, und in diesem Sinn ist die Beschreibung des Jenischen Paradieses aus dem Versuch einiger Gedichte ein erster Ansatz Hagedorns, ein in sich geschlossenes Naturtableau zu bilden. Die Beschreibung des Jenischen Paradieses bietet ein sich über mehr als 300 Verse hin erstreckendes Kaleidoskop landschaftlicher und moralischer Skizzen. Hagedorn gibt dafür in den Paratexten drei Leseanweisungen: Der Titel verweist einerseits auf die rhetorischen Verfahren der descriptio (der erste Vers bezieht sich mit dem einleitenden „Dort" auf diese Bestimmung, einer Paraphrase des „Est locus" der Deskriptionsrhetorik). 72 Er verweist andererseits auf die zu erwartenden Motive des locus amoenus bzw. genauer des Tempetals („Jen'sche[ ] Tempe"; VeG 77):73 „Dort zeiget vor der Stadt dem frohen Anblick sich / Ein Lust=Ort, der mit Recht das Paradies genannt" (VeG 75). Zugleich ist „Paradies" tatsächlich der Name für die von Hagedorn beschriebene Landschaft.74 Der Untertitel der Beschreibung erweitert die rhetorische Strukturierung um die zeitliche Ordnung. Das „Jenische Paradies" soll so dargestellt werden, „wie es im Frühlinge oder Sommer beschaffen" ist. Die beiden Motti schließlich (aus Vergils siebter Ekloge und aus Horaz* zweiter Epode) perspektivieren das Gedicht literarisch.75 So, wie Hagedorn dem Leser in den Paratexten sagt, was und wie er lesen soll, so führt er im Gedicht den Blick eines imaginierten, immer wieder angesprochenen Lesers. Die Beschreibung selbst beginnt mit einem Landschaftstableau, wobie die Beschreibung im engeren Sinn deswegen tableauar-
72 73 74
75
Schneider: Utopie und Landschaft im 18. Jahrhundert, S.175. Vgl. auch Willems: Anschaulichkeit, S.260. Norbert Elias hat diesen Ansatz systematisch in sein Modell vom Zivilisationsprozeß eingebaut: Uber den Prozeß der Zivilisation. Bd.2, S.406. Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.150. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.205. 1665 schreibt eine Quelle darüber: „Das Paradiß ist die schöne Wiese am Neuthor [...]. Es wird die Wiese genennet Paradiß wegen seiner lustigen Spaziergängen unter den grünen Bäumen, darauf die Vögel lieblich singen, und von dem Saalstrohm, darinnen die Fische hin- und wieder schwimmen und auffspringen" (zitiert nach: Kammerer: Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen achtzehnten Jahrhundert, S.70, Anm.99). Vgl. dazu Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.147ff.
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tig ist, weil sie durch eine Folge binärer Ausschließungen ihren Gegenstand findet, ihn durch eine taxonomische Operation herstellt. Das beginnt bereits mit der zeitlichen Bestimmung „Frühling und Sommer" im Untertitel, die die vier Jahreszeiten auf eine Zweiteilung von auf- und absteigender Linie verteilt, also implizit Frühling und Sommer den Verfallszeiten Herbst und Winter konfrontiert. Das Land unterscheidet sich von der Stadt (Jena liegt nicht im, sondern vor dem „Paradies"),76 im Land unterscheidet sich ein „kleine[s]" von einem „[g]rossen" Paradies (VeG 75), im kleinen Paradies unterscheidet sich „durch zwo gedoppelte Alleen" eine kultivierte Gartenlandschaft („Gärten") von einer freien Landschaft („Raum"). Bevor der Blick diese freie Landschaft abtastet und sie dann mit moralischen Charakteren in einer parataktischen „Rahmenschau"-Reihe bevölkert,77 erlaubt sich Hagedorn noch einen kleinen „Unschweiff" (VeG 77). Mit dem voyeuristischen Auge des sittlich geläuterten Galanten betrachtet er „[d]urch die unordentlich = umzäunte Hecken" eine Phillis: „Vergaß man nicht, wann sie sich wies / Das unvergeßliche beliebte Paradies?" (VeG 77). Auch die Frau gehört zur Staffage der Natur und zu deren selbstbezüglichem Spiel: Phillis bricht eine Blume und schmückt damit ihre „halb=umfloorte[ ] weisse[ ] Brust", und der Wind ergreift umgekehrt ihr „gläntzend=schwartzes Haar" (VeG 76). Im übrigen wird gegen Ende des Gedichts den Gärten der zweite Rang nach dem „Paradies" zugewiesen (VeG 84). Das macht allerdings kaum etwas aus, denn die Funktion der unerwarteten Blickfreigabe erfüllt das „Paradies" in gleicher Weise (VeG 81). Die wahrgenommene Landschaft selbst zerlegt sich durch die Ordnung des „schnelle[n] Blickfs]", der auch weiterhin einer dichotomen Taxonomie folgend übergangslos von der Weite ins Detail umschwenkt und dabei „tausend Bilder[ ]" (VeG 79) und „tausend Seltenheiten" (VeG 84) „in lieblich = wechselnder Veränderung" (VeG 82) wahrnimmt. Das produktionsästhetische Modell entnimmt Hagedorn der Malerei: Es hat hier die Natur mit milder Hand Zur schönsten Schilderey von ihrem Seegens-Stand Der bunten Farben Schmeltz, der Lage Trefflichkeit, Des glatten Bodens blümicht Kleid, Der Bäume spielende und grüne Dunckelheit Verschwendrisch, doch vielmehr mit kluger Wahl verwandt, Die unsern Augen nur was auserlesnes gönnet. (VeG 75)
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Dazu kommen noch konkrete Ortsbestimmungen, wie die Nennung des „Teufel -Lochfs]" oder des „Fuchs-Bergs" (VeG 80f.). Vgl. auch die gelehrten Anmerkungen VeG 77f. Vgl. dazu in bezug auf Naturdarstellungen: Koschorke: Die Geschichte des Horizonts, S.115ff., 120,132.
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Leider hat Christian Ludwig von Hagedorn seinen Bruder zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Geheimnisse der Kunstkennerschaft eingeführt. Aber immerhin gibt es Brockes, der die Natur, dem ut-pictura-poesis-¥r'\nzvç>n folgend, ebenfalls nach dem Muster des Malers sich selbst verzieren läßt, 7 ' und es gibt die von Hagedorn zumindest später gegenüber Bodmer hochgelobten Discourse der Mahlern.'0 Der Fluß, der die Landschaft zerteilt, wird dabei zugleich zum Symbol der Einheit des Mannigfaltigen, indem Hagedorn - einen erhöhten Standpunkt einnehmend - verschiedene Flüsse sich in der Saale vereinen läßt.81 Daher kann die Saale auch den „Raum" auf drei Weisen berühren, um- und übergreifen: Sie beschützt, krönt und kühlt, und zwar sowohl mit ihrem Wasser wie auch - sich aufs Land ausdehnend - „mit dem schilffreichen M o o ß " (VeG 78). Auch Himmel und Erde verbinden sich schließlich wie bei Brockes 82 in der sich im Wasser spiegelnden Sonne und deren sich in den Zweigen brechendem Licht. Beide Motive setzen ein Reflexionsspiel fort, das Hagedorn bei der heimlichen Beobachtung von Phyllis begonnen hatte. Nachdem der Blick also Breite, Tiefe und Höhe der Landschaft durchmessen hat, folgt eine lange Reihe moralischer Charaktere: ein „Landmann", ein Betrunkener, ein „Bürger", zwei Geheimnistuer, Dichter, Gelehrte, junge Frauen und deren achtsame Mütter, Stutzer, ein spielendes Kind und ein Hundebesitzer. Das Fazit zieht Hagedorn im Sinn der laus ruris: „Mit so unschuldigen und selbstgemachten Freuden, / [...] Vergnügt das Paradies den Anblick und die Brust, / Zerstreut die Sorgen und das Leiden [...]" (VeG 83). An der therapeutischen Wirkung der Natur kann man freilich im einzelnen zweifeln. Hagedorn baut einige sorgenvolle Gespräche ein, analog zur Pointe von Horaz' Epode „Beatus ille", die nichts anderes als den Tagtraum eines Wucherers präsentiert. Von hier aus scheint es beinahe, als ob die Verselb-
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Vgl. zur Geschichte des Prinzips: Willems: Anschaulichkeit, S.216ff., speziell zum 18. Jahrhundert: ebda., S.293ff. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.13. Der Gärtner kann die Funktion der Natur übernehmen, er ist dann ein Maler, durch den die „bildende Natur" das „Form= und Bilder-leere Land" schmückt (ebda., S.96). Vgl. auch die Ausführungen dazu in dem auf 1730, also kurz nach dem Versuch einiger Gedichte datierten Gedicht auf Brockes: Hagedorn: Poetische Gedancken über Sr. Hoch-Weish. Des Herrn Brockes Gedichte. Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Erster Theil, unpag. (XX. Disc.). Modellartig praktiziert Opitz das im I. Discours des zweiten Teils der Discourse der Mahlern (unpag.). Vielleicht knüpft Hagedorn an das Vereinigungsmoment an, das sich bei Brockes aus der neuplatonischen Tradition herleitet. Die theologischen und skeptischen Implikationen - der Mensch nimmt nur einen „Schein" wahr - greift Hagedorn jedoch nicht auf (vgl. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.19, 21f., 211, 213, 346f., 376f., 612).
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ständigung der Natur an ein ruhiges, kontinuierlich disziplinierendes, einer regelmäßigen Natur entsprechendes Gewissen gebunden sei, und zwar nicht nur, wenn es um die Betrachtung des Gewitters geht (vgl. Kap. 3.1). Der „schnelle Blick" muß sicher sein, daß er keine unangenehmen, sondern nur angenehme Überraschungen erlebt, daß also die Natur, in der er umherschweift, eine gute und schöne Natur ist. Nur so kann der Weise seinen Beobachterposten einnehmen (vgl. Kap. 3.1 u. 5.1). Jedenfalls vergnügt eigentlich keinen der vorgestellten Charaktere der „Anblick" des „Paradies[es]": Der Landmann schläft ein, der Angetrunkene musiziert und schnitzt an „ein'ge[n] Wasser=Stauden", der „Bürger" und der „Gevatter" speisen, zwei andere tauschen Geheimnisse aus und trinken, die „Stutzer" kümmern sich um ihre weiblichen Objekte, die „Mutter" achtet auf ihre Tochter, das Kind erfreut sich an dem von ihm geworfenen Stein, der Hundebesitzer an seinem Hund. Nur die „Musen=Söhne" und die „Helden der gelehrten Welt" haben keine Beschäftigung, aber auch keinen Blick. Der einzige, dem dieses anschauende Vergnügen zuteil wird, ist an der Grenze des Gedichts der Beschreibende und außerhalb des Gedichts der Leser, der in den Anreden der Beschreibung auch im Gedicht eine Rolle spielt. Eine vergleichbare Situation hatte das Freundschaftsgedicht in Szene gesetzt: Der Beobachter delektiert sich am Anblick der Freundschaft, nimmt aber selbst nicht an ihr teil, sondern läßt sie auf sich wie die Poesie wirken (vgl. Kap. 4.1). Allerdings spricht Hagedorn in der Beschreibung noch einen fiktiven Leser an, hat den Freund noch nicht verinnerlicht. Der Subversion des Blicks auf die Landschaft durch und für die sich in der Landschaft aufhaltenden Personen entspricht schließlich am Ende der sich der Kantatendichtung nähernden Beschreibung eine eigentümliche Ambivalenz von Vergegenwärtigung und Literarisierung der Landschaft oder eine fortschreitende, immer wieder gebrochene Literarisierung bis hin zur Schlußpointe: Wie in den mit der Alster verglichenen Kantaten läßt Hagedorn es Abend werden. In der Dunkelheit kann zwar die Natur nicht mehr gesehen werden, aber ebensowenig die Liebespaare. Von der Anschauung geht Hagedorn zur auditiven Wahrnehmung über - auch das hat in der musikalischen oder pyrotechnischen Gestaltung des Alstervergnügens seine Parallele: Man hört oft, wie sich dann zum rauschenden Gezische Der an dem stillen Fluß gelegnen Bäum und Büsche Der ungestörte Laut verliebter Schmätzgen mische: Dieweil nicht selten Lieb' und Nacht Das Paradies zur sichern Zuflucht macht; [...]. (VeG 83)
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Der Tag und die Anschauung enden, wo die galante Dichtung ihr ureigenes metaphorisches Gebiet hatte. Zwar kehrt Hagedorn im Anschluß an die zitierten Verse gleich wieder zur Programmatik der Anschauung zurück („Pracht", „Augen = Weide", „blenden"; VeG 84), aber das ist nur ein Intermezzo: Mit dem sanften Ubergang vom freien Madrigalvers in einen geregelten ariosen Vers83 beginnt ein ausgeprägtes lautmalerisches Spiel mit Assonanzen, Alliterationen und umarmenden Reimbindungen, dessen Affektrhetorik sich konzeptionell in Vokabeln wie „reitzend", „Lust", „Schertz", „Gemüth und Sinn", „Hertz", „Vergnügen fühlen", „empfand" niederschlägt (VeG 84). Zugleich verwendet Hagedorn aber die Anschauung evozierende Figur der evidential die er im Vorwort zum Versuch einiger Gedichte (VeG 8) im Rahmen seiner Erhabenheitsästhetik zum Programm erklärt hatte (im übrigen rechnet Hagedorn das „Unerwartete" zu den vorzüglich illudierenden Mitteln, und in der Beschreibung erklärt er, der Eindruck der Natur „[l]ässt immer ein Vergnügen fühlen, / Das man noch nie zuvor empfand"; VeG 84). Diese rhetorisch als Einheit zu begreifende, tendenziell aber gegenläufige Verbindung von Laut und Anschauung zerbricht in den Schlußversen: Die Vögel übernehmen die melancholietherapeutische Arbeit, sie „[b]ezaubern lockend das Gehöre / Durch reicher Thöne Uberfluß", ihr „Schall betäub[t]" die Sorgen. Gleichsam an den Gedichteingang anknüpfend, der die Lektüre durch literarische Erwartungsvorstellungen präpariert hatte, ironisiert Hagedorn abschließend die rhetorischen Mittel, so daß die Beschreibung von Hinweisen auf das Beschreiben selbst eingerahmt wird. Du unvergleichlichs Paradies! Du darfst nur deine Gegend zeigen: So wird gewiß der Einwurff schweigen, Daß Phoebus mich dir schmeicheln hieß. (VeG 85)
Auch Brockes leitet im Madrigalvers von großen Szenerien bis hin zu den kleinen Lichtreflexen den Blick des Lesers. Einige Passagen bei Hagedorn erinnern deutlich an die „Manier Brockes", etwa Detaillierungen (VeG 82), Anspielungen auf Naturmechanismen 85 oder Lautmalereien wie in der Schlußpassage. Aber Hagedorn eröffnet erstens keine Doppelsinnigkeit von
84 85
Hagedorns Schweifreimstrophe ähnelt derjenigen, die Richey in seiner Kantate auf die Löbliche Admiralität in drei Arien verwendet (vgl. PdN3, 66, 73, 77). Vgl. Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen, S.503ff. Frank nennt auch Beispiele aus Hagedorns Werk. Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.150. „Der Bäume riechbare, dann rege, Nahrungs - Krafft, / Der Knospen dünstender erhitzter Safft, / macht oft des Laubwercks krumme Gänge / Dem schön-bereichertem und flücht'gen West zu enge [...]" (VeG 76). Vgl. dazu: Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.10.
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Immanenz und Transzendenz; er läßt zweitens keine geordnete, geradezu methodische Blickreihe entstehen; und drittens bevölkert Brockes die Natur im Normalfall nicht mit moralischen Charakteren. 86 Das liegt daran, daß seine Gedichte eben - aus Sicht Hagedorns - auf die Achse bzw. - aus der Sicht Brockes' - auf die Überschreitung oder Verschleifung der Achse Immanenz/Transzendenz zielen und nicht auf die Differenz Stadt/Land. 87 Dieses Programm bringt Hagedorn in der Variation seines auf 1730 datierten, also kurz nach dem Versuch einiger Gedichte verfaßten „Lob=Gedichts" auf Brockes in der Poesie der Niedersachsen mit einer feinen Korrektur ein, einer überarbeiteten Fassung der im dritten Band des Irdischen Vergnügens in Gott erschienenen Laudatio. Hatte er zuvor geschrieben, es sei „[n]ichts tauglicher zur Poesie" als das Lob Gottes,88 so schreibt er später, nichts sei dieser „wichtiger" (PdN6, 381). Einmal also begründet Hagedorn das Sujet aus der Poesie selbst heraus, das andere Mal wird es ihr als wirkungsästhetisches Programm nur äußerlich zugeordnet. Ahnlich verhält es sich mit der Gewichtung der Sinne: Für Brockes führt der Weg über alle Sinne zu Gott. Es ist von daher signifikant, daß Hagedorn innerhalb der Gartenbeschreibung, die in Anspielungen auf die innere Dynamik der Natur in einer mit Brockes vereinbaren Weise eingeht („Der Bäume riechbare, dann rege, Nahrungs=Krafft, / Der Knospen dünstender erhitzter Safft"; VeG 76), den Geruchssinn anspricht. Auch „des Frühlings fruchtbar Feuer" am Ende des Gedichts mag sich an die Brockessche Naturphilosophie anschließen.89 So zählt zwar das Gehör für Brockes ebenfalls zu den sinnempfänglichen Organen und kann wie das Auge ein Irdisches Vergnügen in Gott empfinden.90 Aber bezeichnenderweise läßt Brockes den Menschen durch Tierstimmen sprachlich auf die Wahrnehmung Gottes hinlenken: Das Quaken des Frosches - „Wreckeckeckecks" - sagt „merck'
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Ausnahmen von in Gedichten agierenden Personen bieten insbesondere Kasualcarmina, die die Arbeit des Dichters dadurch reflektieren: Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.158ff., 225ff. Ein Panoptikum moralischer Charaktere bietet Brockes in Die Welt (ebda., S.338ff.). Auch hier gibt es, wieder im Medium eines Kasualcarmen, Ausnahmen; vgl. ζ. B. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.414ff. Hagedorn: Poetische Gedancken über Sr. Hoch=Weish. Des Herrn Brockes Gedichte, unpag. Vgl. dazu: Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.31 Iff. Ζ. Β. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.5, 632ff. Vgl. zur Onomatopoetik als poetologisches Prinzip bei Brockes: Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S.123,125.
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es", und der Ruf des Kuckucks sagt „Guck! guck! des Frühlings Pracht!"' 1 Bei aller Wirkung der Töne an sich flößt einer Armee ein „eintzigs Wörtchen" mehr „Muth" ein als „Paucken und Trompeten".' 2 Hagedorn hat die Differenz und die darstellerischen Möglichkeiten von Anschaulichkeit und Lautlichkeit in seinem „Lob = Gedicht" auf Brockes unter Bezugnahme auf Die auf ein starkes Ungewitter erfolgte Stille reflektiert. Brockes lehrt nicht nur, „die Tieffen und die Höhen / Der Weisheits=vollen Allmacht sehen", er verwirklicht das Diktum Simonides' von Keos: Demzufolge präsentiert „[e]in jedes Bild ein stumm Gedicht, / Und also ein Gedicht hingegen / Nur eine Mahlerey, so spricht". Damit übertrifft die Poesie die Malerei, die nur den Sehsinn betrifft. Auch hier „teuschet" die Poesie durch Figuren der evidentia: „Mich deucht, ich seh das Firmament, / Mich deucht, ich hör der Winde = Blasen" - so in der ersten Fassung, und in der zweiten heißt es dann noch deutlicher: „Wie? seh ich nicht das Firmament? / Wie? hör ich nicht der Winde Blasen [...]" (PdN6, 380). Einen wichtigen Stellenwert bei Brockes und Hagedorn nimmt das ästhetische Prinzip der „Wahl" ein, das Hagedorn bei Brockes (VeG 66) und bei der Landschaftsgestaltung (VeG 75) am Werk sieht, das also die Natur bei Hagedorn und bei Brockes reguliert. Bei Brockes bildet diese Regulierung, die poetische Symbiose von Reflexion und Anschauung als methodische Grundlage der Naturlektüre, die Formierung der Idee durch die Sinnlichkeit ab.93 Bei Hagedorn garantiert die reflexive Brechung der Naturevokation moralisch legitime „wahre[ ] Freuden" (VeG 84). Gerade in dem durch die Figur der evidentia dominierten Schlußteil wechseln sich Repräsentation und Reflexion ab, die Hinwendung zur Natur und die Umkehrung des Blicks auf den Betrachter. Hagedorn setzt hier sehr direkt das Programm poetischer Perfektion oder Perfektibilierung um, wie es die Vorrede zum Versuch einiger Gedichte entwirft: Die Anmuht mit der Tiefsinnigkeit, das Feuer mit der Ordnung und Reiffe, die Schönheit wohlgewählter Worte mit der Schönheit neuer Gedancken, die Natur mit der Kunst zu verbinden, und hiebey Abwege und Ausschweiffungen zu vermeiden, schiene mir jederzeit nichts geringes [...]. (VeG 6)
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Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.9, 106. Für Kammerer dominiert bei Hagedorn der Hörsinn: Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen achtzehnten Jahrhundert, S.63. Brockes: Die fünf Sinne. In: ders.: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.638. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S.102; ders.: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.348.
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Die Ästhetik des „schnellen Blicks" bewegt sich innerhalb des eng mit Brokkes verbundenen, bis hin zu Ewald von Kleists Der Frühling reichenden Programms der Affekterregung durch die Anschauung bzw. die Vorstellung.94 Aber Hagedorn kürzt den Beziehungssinn der Anschauung, ihre - im umfassenden Sinn des Wortes genommene - Bedeutung. Er lenkt die zentrale rhetorische Figur der evidentia auf die Sprachlichkeit selbst um. Damit entfaltet oder akzentuiert Hagedorn sprachliche Potenzen der evidentia, die bereits Quintilian in seiner ausgreifenden Beschreibung sprachlicher Möglichkeiten angemerkt hatte: Die evidentia geht mit Affekterregung („adfectus") einher.95 Zwar glaube man - so Quintilian -, die zur Anschauung gebrachten Gegenstände eher zu sehen als zu hören. Aber im Unterschied zur perspicuitas mache die evidentia die Rede nicht durchsichtig, sondern sichtbar, verweise auch auf die Darstellung selbst.96 Das entspricht dem binären Schematismus, mit dem Hagedorn sich seinen Gegenstand, das Jenische Paradies, herausbildet. Hagedorn kann die Verweisungskraft der Veranschaulichung aufs Diesseits, auf die Natur und auf den Menschen darin beschränken; bei Brockes bleibt sie bei aller Detailverliebtheit und Versenkung ins Material immer transparent auf ein jenseits und innerhalb ihrer Befindliches.97 Die Selbstbespiegelung der Natur bei Brockes geht in eine progressive Reflexionsreihe über bis hin zur Selbstbespiegelung Gottes;98 bei Hagedorn bleibt die Bespiegelung auf einer Ebene als rekursive Bewegung. Für Hagedorn kann es einen Dualismus von Poesie und Religion geben, für Brockes ist beides immer in einer Ubergängigkeit zu sehen. Brockes tendiert, durch Locke und Thomasius inspiriert, zu einem erkenntnistheoretischen und naturphilosophischen Monismus, zu empiristischen und hermetischen Ansätzen;99 Hagedorn bewegt sich, insbesondere zur Zeit des Versuchs einiger Gedichte, unentschieden zwischen dualistischen und tendenziell monistischen Positionen (vgl. Kap. 3.1). Beide jedoch, Brok94 95
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Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S.lOOff., 167. Quintilian: Die Ausbildung des Redners, VI, 2, 32. Für Hagedorn, wie für die Reizpoetik des „Rokoko" im ganzen, mag dabei auch eine Rolle spielen, daß Quintilian an einer Stelle evidentia und iucunditas in einem Zusammenhang nennt (ebda., IV, 2,63). Ebda., IX, 2, 40; V m , 3, 61. Zur Tradition und Auflösung der Allegorese bei Brockes vgl.: Winkler: Nachwort, S.96. Willems sieht durch die Ausführlichkeit der Beschreibung die traditionelle Allegorese untergraben, denn diese verkürzt Abbilden auf ein notwendiges Maß zum Bezeichnen eines geistigen Sinns hinter den Phänomenen (Anschaulichkeit, S.322f.). Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S. 12 lf. Das gilt, auch angesichts von Brockes' immer wieder deutlichen Sympathien für die Ratio, etwa wenn er das Wort über die Musik oder den Klang stellt (s. o.) (Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.9, 106, 638). Vgl. auch unten zu einer eher cartesianischen Beschreibung des Hörvorgangs (ebda., S.636Í.). Vgl. zum Empirismus bei Brockes: Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Band 5/Π, S.101.
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kes und Hagedorn, stellen (poetische) Verfahren zur Verfügung, in denen sich Verweisungs- und Bedeutungskraft (ζ. B. als Selbstvergottung des Künstlers)100 mit Autonomisierung (ζ. B. als Literarizität) berührt. In der Beschreibung eines Ballets zeigt sich die Variabilität von Hagedorns Dualismus in der Praxis. Das Gedicht ist für die Beschreibung des Jenischen Paradieses auch deswegen von Bedeutung, weil es in besonderer Weise das Verhältnis und die Wirkung von Ton und Anschauung behandelt. Dabei kommt den Tönen die Priorität zu - sie „beleben" die Tänzer und den Betrachter, die dann wiederum auf zweiter Stufe auch durch das Zusammenspiel von Ton und Tanz affiziert werden (VeG 18f.). Zweitens beharrt Hagedorn einerseits auf der geistigen Qualität der Musik („Es fühlt mein Geist mehr, als das Ohr / Ihr Wirbeln, Schleiffen, Locken, Streiten") und zieht folgerichtig die allegorische Verbindung zur Sphärenmusik (VeG 18f.). Andererseits läßt er „Leib" und „Geist" aneinander grenzen:101 Der Täntze Kunst, der Geist im Thon Zeigt, reitzt, und bildet jedes schon Bey einem geistigen Empfinden, Um, wann sich beyder Kraft erweist, Durch Ohr und Augen Leib und Geist Und unsre Seelen zu entzünden. (VeG 21)
Die Beschreibung des Ballets ist dabei - anders als die Beschreibung des Jenischen Paradieses - ein entschieden literales Ereignis, denn der Tanz veranschaulicht die Bewegung des numerus, er repräsentiert die pedes. Poesie, Musik und Tanz verbinden sich im „Rhythmus". Der numerus ist „gleichsamb das Leben eines Carminis" und macht „andere Geister / die es hören oder lesen / gleichsamb lebendig". 102 Als vorzügliches Mittel zur Affekterregung übertrifft der Rhythmus sogar die „Rede". 103 Die „Rührung deren Sachen, so einen Laut von sich geben, und die Rührung der Lebens = Geister" assoziieren sich.104 So wird sogar das Weltall zu einer großen rhythmische Ganzheit mit einem einheitlichen Zweck. 105 Die Nähe von Tanz, Musik und Poesie läßt Tanz und Musik gemeinsam im „Schweigen" enden: „Schertz, Saiten, Thon und Muse schweigen" (VeG 22). 100 101
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Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S.121f. In diesen Zusammenhang gehören eine Reihe von Formulierungen Hagedorns, in denen er den Geschmackssinn gleichsam im Ohr verortet: Das Ohr urteilt über die Prosodie (ζ. Β. W2, 144; Β 120, 341, 364). Morhof: Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie, S.268. Ebda., S.269. Bodmer: Brief-Wechsel von der Natur des Poetischen Geschmackes, S.30. Shaftesbury: The Moralists, S.164ff.
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Theoretisch bezieht Hagedorn sich dabei auf die Cartesianische Affekttheorie. Descartes kennt die Theorie von der Affektregulierung und Affekterregung durch Vorstellungen (und Töne), darin besteht ja „le pouvoir de l'ame au regard de ses passions".106 Die Vokabeln „beleben" und „Geist"107 könnten auf die „Lebensgeister" anspielen, wie das auch das Bodmer-Zitat nahelegt. Immerhin läßt Hagedorn in Harvstebude scherzhaft den „Dudelsack" auf die „Zirbeldrüse" wirken (W3, 119), den Sitz der Seele, in dem die „Lebensgeister" als sublimierte Körperlichkeit mit der Seele vermittelt werden.108 Auch die Erwärmung von „Füsse[n], Hertz und Arm" durch „Liebe" und „Tantzen" (VeG 20) oder allgemeiner: durch die „Freude", die Hagedorn mit dem „Tantzen" gleichsetzt (VeG 19), stünde einer Cartesianischen Interpretation offen: „La Ioye" läßt zwar den Puls nicht so schnell schlagen wie die Liebe, aber sie entfaltet doch „une chaleur agreable" (die Liebe: „une douce chaleur") in der Brust und in allen Körperteilen; das entspricht dem „principe corporel de tous les mouvemens de nos membres".109 Brockes hatte ganz ähnlich den Vorgang des Hörens beschrieben: Der Ton durchdringe über die Nervenbahnen den ganzen Körper - daraus resultiere die große Wirkungsmächtigkeit von Musik.110 Gleichwohl „formiren" sich die Töne erst „durch die Seel' in unserm Ohr, / Und nicht auswärts [...]". Auch Descartes behauptet einen derartigen Hiatus zwischen Welt und Wahrnehmung, und so ergeben sich bei ihm letztendlich Unschärfen, die Brockes der allgemein anerkannten „Lehr'" von der Differenz zwischen Innen und Außen zwar folgen, aber die Darstellung der affektiven Wirkung mit einem „Doch" einleiten lassen.111 Noch eine letzte poetologische Divergenz zwischen Brockes und Hagedorn ergibt sich aus der 1742 veränderten Selbststilisierung Hagedorns: Während er Brockes im „Lob=Gedicht" als Nachfolger Vergils und des wegen seiner „Hoheit" gerühmten Horaz lobt,112 wird er in seiner späteren Odenpoetologie gerade von Vergil Abstand nehmen und sich dem als Vorbild der mittleren Stillage und des gemäßigten poetischen Anspruchs interpretierten Horaz zuwenden. Das hindert ihn jedoch nicht daran, Brockes auch weiterhin zum Vorbild zu erklären. Das Verhältnis von Brockes und Hagedorn ist also nicht so eindeutig negativ, wie Eschenburg es darstellt. Als 106 107 108 109 110
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Descartes: Die Leidenschaften der Seele, S.72ff. Descartes redet oft allein von „esprits" (ζ. Β. ebda., S.62). Ebda., S.50ff. Ebda., S.14Í., 152ff. Brockes: Die fünf Sinne. In: ders.: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdische Vergnügen in Gott, S.632. Ebda., S.636Í. Hagedorn: Poetische Gedancken über Sr. Hoch-=Weish. Des Herrn Brockes Gedichte, unpag.
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wesentliche, meist sogar einzige Quelle dienen in diesem Z u s a m m e n h a n g zwei Parodien auf B r o c k e s ' Darstellungsstil (EschIV, 115ff.). 1 1 3 Beide w ä r e n jedoch auch i m Hinblick auf H a g e d o r n s adressatenorientiertes Schreiben zu lesen, denn die Parodien beziehen sich u. a. auf Christian L u d w i g L i s c o w , der m i t seiner Satire Vitrea fracta
eine Parodie auf die B r o c k e s s c h e n Ausle-
gungsverfahren geschrieben hatte, und eine richtet sich als poetische Epistel an dessen Bruder. 1 1 4 Als zweiten Beleg für Divergenzen zwischen H a g e d o r n u n d B r o c k e s liest E s c h e n b u r g die B e m e r k u n g e n Christian L u d w i g v o n H a gedorns über die Herausgebertätigkeit seines Bruders: B r o c k e s habe Haged o r n beim Auszug
der vornehmsten
Gedichte
aus dem Irdischen
Vergnügen
in
Gott keine freie H a n d gelassen u n d ihn zur Selbstdarstellung ausgenutzt, z u d e m sei H a g e d o r n durch die Edition auf eine Stufe m i t anderen Herausgebern des Irdischen
Vergnügens
wie H a m a n n oder W e i c h m a n n gestellt w o r -
den. Christian Ludwig v o n H a g e d o r n fordert - zumindest in den Briefen an seinen B r u d e r - eine öffentliche E r k l ä r u n g v o n B r o c k e s u n d entwirft deren Inhalt (EschIV, 106f.). 1 1 5 D e m n a c h scheint Christian L u d w i g v o n H a g e d o r n 113
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EschIV, 108f.; ebda., 50f. u. 86f.; Schmid: Zusätze und Berichtigungen zu dessen Nekrolog, S.1022; Kammerer: Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen achtzehnten Jahrhundert, S.50; Klein: Die Lust, den Alten nachzustreben, S.288. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd.5/II, S.178. Als Vorlage bietet sich z. B. Das gefrorene Fenster aus dem ersten Band des Irdischen Vergnügens in Gott an (Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.476). Hagedorn bezieht sich andeutungsweise auf diese Satire Wl, X X . Die von Eschenburg referierten Briefe liegen im Hagedorn-Nachlaß der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Am 5. 1. 1741 schreibt Christian Ludwig von Hagedorn: „[...] [D]es Brockes irdisches Vergnügen in einer Nuß [...] hat sich noch nicht legitimirt, daß ich ihn vor beständig zu dulden gesonnen. Zwei Brief liegen schon bereit, die ich H. Brockes destinirt gehabt, und gewiß nicht durch Deinen Canal ihm würde zugefertigt haben. Doch um mir nichts vorzuwerfen zu haben, so will ich noch erstlich den gelindesten Weg gehen, hernach aber an allen Folgerungen unschuldig seyn, wenn deine Vorrede nicht weg kommt. Deine Timidität also beyseite gesetzt, so ist der gelaßenste Modus, wenn du per tertium, e. g. per Herr [unleserlich] P. Anckelmannum oder wenn du wilt, dem Hr. Brokkes, auch nöthigenfalls mit Vermeidung eines obligeuntesten Compliments von mir, bedeuten ließest, daß ich, wegen verschiedenen triftigen Ursachen, die zu detailliren zu weitläuftig, gerne sähe, daß deine Vorrede von dem Auszug bey künftiger Edition unterbliebe. Wäre der Auszug abgegangen, so wäre ohnedieß eine neue Auflage zu vermuthen, wobey die Änderung getroffen werden könne. Sey der Auszug aber nicht abgegangen, so lasse sich füglich der Titelbogen umdrucken, und wie man dergleichen Exempel mehr habe, die zweite Auflage je eher je lieber daraus machen". Christian Ludwig von Hagedorn will seinen Bruder nicht „hamannisiren" lassen. Er würde noch zugestehen, daß sein Bruder und Wilckens die „Wahl" getroffen haben - „(NB. aus Freundschaft)"-, aber nicht, daß sein Bruder mit der „Edition" selbst in Verbindung gebracht werde. Andernfalls wolle er sich nicht davon abhalten lassen, „deiner gemißbrauchten Reputation zu sacrificiren [...]". Die Pfeile seien geschnitzt und lägen zum Abschuß bereit, auch wenn er sonst alle „Hochachtung" vor Brokkes gehabt habe (HN 143). Vermutlich von 5. 2. 1742 datiert dann das Schreiben, das den Inhalt eines Gedichts entwirft, in dem Brockes die Freundschaft und die Gleichberechti-
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verärgert gewesen zu sein, auch wenn aus anderen Briefen seine Wertschätzung des Poeten und Kunstkenners Brockes 1 " hervorgeht und er über Brokkes an Friedrich von Hagedorn schreibt: Ich schriebe gern selbst an ihn, um ihn von meiner Hochachtung in männlichen Jahren mit eben dem Eifer zu versichern, als ich es in der ersten Jugend gethan, wo ich recht mit dieser Hochachtung aufgewachsen, die dann gewiss durch die Freundschaft, die er für dich hat, vermehrt worden. (Baden 93)
Wie also steht es mit Friedrich von Hagedorn? Hagedorn verbindet mit Brockes bis zu dessen Tod ein freundschaftliches Verhältnis: „Ich verliere an ihm einen recht vertrauten, wehrten Freund, mit dem, und zweenen andern, ich wöchentlich, wenigstens einmahl, etliche dazu bestimmte Stunden ordentlich zuzubringen pflag" (an Am Ende; 20. 3. 1747; Β 201). Gegen Hamann d. A. als Herausgeber des Irdischen Vergnügens scheint er keine Aversionen gehabt zu haben. Jedenfalls veröffentlicht er in einem von Hamann edierten Band, der auch die Zweitveröffentlichung117 von Hagedorns Epicedium auf den Tod von Brockes' Sohn (PdN6, 270) enthält, das bereits erwähnte „Lob=Gedicht" auf Brockes, das zwei Jahre später im sechsten Band der Poesie der Niedersachsen in einer revidierten Fassung noch einmal erscheinen wird (PdN6, 378): Poetische Gedancken über Sr. Hoch=Weish. Des Herrn Brockes Gedichte, Bey der zweyten Ausgabe des dritten Theils Des Irdischen Vergnügens in GOTT. Auch die Ubereinstimmung der Auswahl aus dem Irdischen Vergnügen in Gott mit Brockes' Favoriten scheint Hagedorn weniger Schwierigkeiten als seinem Bruder gemacht zu haben. Tatsächlich argumentiert Christian Ludwig hier auch gegen Friedrich von Hagedorn: „Ich bedaure aber, daß dieses unter einigen Brüdern das erste Mißverständnis veranlassen soll [...]" (14. 2. 1741; H N 144). Im Vorbericht zum Auszug schreibt Friedrich von Hagedorn, den Vorgang freilich verkehrend: „Die völlige Genehmhaltung Sr. Hochweish. bestätigte unsre Wahl und die Vorzüge dieser Gedichte [...]".11! Schon auf dem Titel war zu lesen, der Auszug sei „mit Genehmhaltung des Herrn Verfassers gesammlet" worden. Auffallend ist an dieser Auswahl, daß sie nur wenige der Gedichte Brokkes' aufnimmt, in denen der Autor sich selbst in besonderer Weise zum Thema macht, etwa die berühmten Neujahrsgedichte. Auch Kasualcarmina
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117 118
gung zwischem ihm und Friedrich von Hagedorn zum Ausdruck bringen soll: „Es muß aber vinculum amicitiae und aequalitas hervorleuchten" (HN 153). Vgl. zu Brockes' Gemäldesammlung: Cremer: Hagedorns Geschmack, S.75, 131. Vgl. auch den bei Cremer abgedruckten Brief von Ende 1743: ebda., S.441. Erstausgabe: Hagedorn: Ode auf das frühe Absterben des seel. Herrn J. B. Brockes. Hagedorn: Vorbericht, unpag.
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sind typischerweise in der Sammlung ein Rarum.119 Hagedorn schätzt die Person „Brockes", vielleicht weniger den Autor und vielleicht auch weniger dessen Gedichte oder die Verfahren seiner Gedichte - Belegstellen gibt es abgesehen von den beiden nicht einfach kritisch zu lesenden Parodien dafür nicht. An Bodmer schreibt er, „daß man es nur der aufmerksamsten Dankbarkeit gegen die Vorsehung, deren Fügung er (Brockes, S. M.) auch in allem zum Augenmerke hatte, zuschreiben muß, wenn er Neben-Dinge, die ihn betraffen, seinen Gedichten gar oft einverleibet hat" (3. 9. 1747; Β 214f.). Gerade die exemplarische Funktion, die Brockes seiner Vita zugemessen hat - Christian Ludwig von Hagedorn hatte von „dessen thörigte[r] Eigenliebe und Irdische[m] Vernügen in sich selbst und seine[ ] Schriften" geschrieben (HN 143) -, läßt den Ratsherrn am Ende von Horaz an die Stelle des römischen Dichtervorbildes treten.120 Und in Der Schwätzer ist Brockes der vorbildliche Organisator von Freundschaft und Geselligkeit.121 Das selbstidentische Verhalten von „Hammoniens Mäcen" teilt sich in Simulation und Dissimulation nach außen („Vielleicht verbirgt er sich im Reden und im Schweigen"; W l , 65) und inszenierte Freundschaftlichkeit nach innen („Der jeden, nach Verdienst, den Freunden zugesellt"; W l , 65). An anderer Stelle vergleicht Hagedorn daher Brockes mit einer „Nachtigall", die sich vom „Guckguck" unterscheidet, weil sie nicht von sich selbst, sondern vom Frühling singt {Der Guckguck·, W3, 99). Die Beschreibung des Jenischen Paradieses kann als erster Versuch gelesen werden, die Zeichen der Natur auf einer Ebene anzuordnen. Gerade im Vergleich mit Brockes war zu sehen, daß vergleichbare Formen verschiedene Konsequenzen haben können, anders formuliert: daß Formen vor dem Hintergrund bestimmter semantischer Entscheidungen gelesen werden müssen, die wiederum Formen begünstigen. Die Unterscheidungen, mit denen Hagedorn sich seine Landschaft erschafft, spielen sich auf einem Tableau ab bzw. erzeugen ein Tableau, auf dem sich Abgrenzungen in der Immanenz vollziehen und auf dem die Elemente frei verfügbar sind. Der satirische Blick und sein moralisches Interesse am Menschen verdrängt die auf diese Weise hergestellte Landschaft ebenso wie die moralischen Beschränkungen des Blicks - es wird Nacht.
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Vgl. zu den Brockesschen Gelegenheitsgedichten: Ketelsen: Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung, S.33f. „O zeige mir den Mann! ihm wünsch ich nachzuahmen. / Ihm geb ich, ehrfurchtsvoll, die allerschönsten Namen; / Die Namen, deren Ruhm mir immer heilig war: / Er ist mein Socrates, mein Brocks und mein von Bar" (Wl, 40). „Ich find und ehr in ihm den Weisen unsrer Zeiten; / Allein, er wird, daher, kein Freund von allen Leuten. / Er wählet, die er liebt, ist sinnreich ohne Tand, / Leutselig ohne Falsch, noch edler, als sein Stand [...]" (Wl, 64).
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Erst die beherrschte Natur, auf deren positiven Fortgang man vertraut, kann in die Immanenz entlassen und von transzendenten Bewältigungsstrategien befreit werden. Erst sie erlaubt auch eine Ästhetik des „schnellen Blicks", wie Hagedorn sie formuliert. Die „Pleasures of the Imagination or Fancy" stellen sich, so Addison, genau zwischen Naturwahrnehmung und Naturherstellung bzw. -Inbesitznahme ein.122 „Our Forefathers look'd upon Nature with more Reverence and Horrour, before the World was enlightened by Learning and Philosophy, and lov'd to astonish themselves with the Apprehensions of Witchcraft, Prodigies, Charms and Enchantments". 123 Überraschungen und plötzliche Einsichten haben nun keine negativen Folgen. 1 * Vorbildliche Natur Der Weise „folget der Natur, in deren schönen Werken / Wir weder Mangel sehn, noch Uberfluß bemerken" (.Die Glückseligkeit-, W l , 24). Vergleichbares gilt für den Poeten: „[...] we always find the Poet in Love with a CountryLife, where the Nature appears in the greatest Perfection, and furnishes out all those Scenes that are most apt to delight the Imagination". 125 Der Poet liebt nicht irgendeine Natur, sondern die perfekte Natur. Anders formuliert: Die Natur und die Art ihrer Beobachtung sind wichtig, Literalität und Transliteralität. Im Zeitalter der „Repräsentation", das das Tableau als Darstellungsform erfindet, verdoppelt sich das Abbild:126 Es bildet etwas ab, und es bildet ab, daß es etwas abbildet. Wenn keine transzendent gesicherten Beziehungen die Ordnung der Dinge stabilisieren, statt dessen arbiträre Verbindungen hergestellt werden, muß man das Verbinden vorführen. Hagedorn flicht daher die Natur in vielfältige, sich wechselseitig reflektierende Ähnlichkeitsketten ein. Der zweite Teil der Discourse der Mahlern beginnt mit Rubeens Ausflug aufs Land. In der amoenen Natur liest Rubeen die Landlebendichtung von Opitz und bemerkt die genaue „Ähnlichkeit" zwischen der Umgebung und der Poesie. Daraufhin schläft er ein, träumt das Gelesene („die Bildnissen die sich damalen in meine Imagination gemahlet / stellten sich mir nacheinander wieder vor") und begegnet Opitz, so daß nun „die lebende Person" an die Stelle der „Conversation [...] mit Opitzens Geist / der in sein Buch eingeschlossen mich unterhielte", tritt. Opitz führt Rubeen ins Land der „Freude", das die beiden Spaziergänger anfangs von einem Berg aus über122
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Vgl. dazu: ebda., S.176. Vgl. auch: Klimek: Zur Bedeutung von englisch 'Imagination' und 'Fancy', S.213ff. The Spectator. No. 419, S.604. Schneider: Utopie und Landschaft im 18. Jahrhundert, S.177, 180f. The Spectator. No. 414, S.597. Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.98ff.
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schauen und dessen ästhetische Einheit (das Zusammenspiel der einzelnen Teile zu einem Ganzen) Opitz darlegt. Als sie ins Land der „Freude" hinabgestiegen sind, begegnet ihnen eine Nymphe, die Rubeen vor dem statthabenden Betrug durch die „Freude" warnt und ihm - als er sich unbeeindruckt zeigt - ein Geschichte erzählt (eine Erzählung in einem Traum, der erzählt wird). Als Rubeen die Allegorie der Freude umarmen will, erwacht er desillusioniert („da ich mit so viel größerm Schmertzen gewahr wurde / daß alles was ich gesehen und empfunden ein blosses Werck der Imagination / und ein falscher Traum gewesen").127 Die narrativen Dupplizierungen, das Landschaftstableau sowie das schrittweise Erkunden der Szenerie entsprechen beinahe schon idealtypisch der „Ordnung der Dinge", die Foucault im Zeitalter der „Repräsentation" konstatiert. Wichtig an dieser Stelle ist zunächst, daß Bodmers Desillusionierung das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit mit dem Verhältnis von Schein und Sein, Lüge und Wahrheit faßt und dabei für den Schein wenig übrig hat - die Discourse erklären schließlich auch die Ideale der Freundschaftstheorie für realitätsferne Gedankenspiele (vgl. Kap. 4.1). Hagedorn kann diese Unterscheidungen nicht ignorieren, bewertet sie aber anders. In einem Brief an Giseke vom 2. 7. 1751 (B 313) über das großangelegte Landlob Horaz gesteht Hagedorn offensiv die Simulation ein (er habe sich dort so dargestellt, „als ich von dem Stein der Weisen schreiben würde, den wir beyde, und zehn tausend andere nicht besitzen"). Während er im Horaz-Gedicht also bloß ein Rollenspiel vorstellt,128 rechtfertigt die Melancholietherapie (Kap. 5.1) die Tatsache, daß er eine Rolle annimmt (er habe seine „Verdrießlichkeiten nicht besser zu zerstreuen gewust, als durch die unempfindliche Zufriedenheit und Ruhe, deren Character ich ein meinem Horaz angenommen" habe). Rubeen schmerzt die Lüge noch, bei Hagedorn lindert sie die Leiden, weil es weniger auf den Inhalt (die Lüge) als auf den Akt der Imagination ankommt. Auf dieser Ebene kann sich der Mensch mit der Natur vergleichen: Erkenne dich im Bilde Von jener Flur! Sey stets, wie dieß Gefilde, Schön durch Natur; Erwünschter als der Morgen, Hold wie sein Strahl; So frey von Stolz und Sorgen Wie dieses Thal! {Der Morgen-, W3, 110; vgl. auch W3, 88) 127 128
Bodmer/Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil, S.2, 8. Bodmer schreibt: „Denn das ist mir in ihrem Schreiben das widrigste, was sie von verdriesslichkeiten melden, die sie verfolgen. Ich hatte sie wegen Ihrer aufgewekten Schriften für den unbetrübtesten Mann gehalten" (SK2 7.1.1752).
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Die Natur stellt dem Menschen kein materiales Vorbild zur Verfügung (z. B. Wangen wie Rosen oder Zähne wie Perlen), sondern ein formales. Die akzidentiellen Bestimmungen der Natur, nicht die substantiellen Elemente, die Bewegungen, nicht das Bewegte spiegeln den, der in die Landschaft blickt und geben dem Spiegelbild zugleich eine moralische Interpretation mit (vgl. Kap. 3.1 u. 4.1). Das natürliche Spiegelbild kann dabei das Vergleichen selbst verdecken, das unter dem sprachlichen und moralischen Galanterieverdikt Schwulst oder Eitelkeit, in jedem Fall aber Unnatürlichkeit anzeigen würde. Allerdings muß man die geeigneten „Thäler" erst einmal „suchen" und finden, denn sie dienen als Versteck vor Jägern, die in eine amoene Szenerie einbrechen. Die Natur liegt nicht einfach vor Augen. Daher lobt Hagedorn nach dem Morgen die Sicherheit der Nacht (An den Schlaf), in deren Dunkel bereits die Landschaft des Jenischen Paradieses verschwunden war und die, wie das sichere Tal aus Der Morgen, vor fremden Blicken schützt.129 Wie Die Alster pendelt Harvstehude130 zwischen einer spröden papiernen Seinsweise und einem realen Ausflugsziel. In der Beschreibung von Harvstehude finden sich alle Ingredienzen des locus amoenus: „Vogel", „Linde"/„Eiche", „Weiden", „beblümte[ ] Triften", „der Alster Lauf"131 und „Wiese" (W3, 117ff.). Aber bereits die durch die Lektüre von Harvstehude angeregte Erkundigung von Uz nach dem Ort „Harvstehude"132 hat zwei Anschlüsse: Einerseits provoziert Hagedorns Gedicht Nachfragen für den Ortsunkundigen, weil es den im Titel geführten Gegenstand nicht veranschaulicht, andererseits ruft es das Interesse am realen Ort wach. Daher betont F. J. L. Meyer, daß die Linde, die in Harvstehunde vorkommt, Hagedorns Stammplatz in Harvstehude gewesen sei, auch wenn Hagedorn sie in den ersten Fassungen von 1746 und 1747 mit einer Eiche verwechselt.133 So durchflicht Hagedorn im Gedicht, das mit dem Auftritt „gelehrter Männer", einer „Hauptmannschaft" und eines „Schwätzerfs]" endet, die amoene To129
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„Nimm auch itzt was dir (Morpheus, S. M.) gehört; / Nur erlaub ein Flehen! / W a n e bis mein Glas geleert! / Wohl! es ist geschehen! / Komm nunmehr! O komme bald! / Eil und laß mich die Gestalt / Meiner Phyllis sehen!" (W3,112). „Harvstehude ist eine von den glückseligsten Gegenden unsrer Alster, allwo sich die Einwohner dieser Stadt des Sommers erlustigen" - so leiten die Freymüthige Nachrichten ihre Ankündigung von Hagedorns Harvstehude ein (1747, 20. St., S.154). Es ist bezeichnend, daß Hagedorn den Terminus „Nachahmung" auf das Verhältnis zur Tradition beschränkt. Das Mimesisprinzip handelt er - wenn überhaupt - unter dem Begriff „Ähnlichkeit" ab und verteidigt damit zugleich die poetischen Freiheiten unter Maßgabe einer wahrscheinlichen Darstellung. Vgl. W l , 50, Anm.9; W l , 89; W3,120; Β 88, 103. Diesmal tatsächlich in Flußform - so legt es zumindest Herold in seiner Beschreibung Harvstehudes dar (EschFV, 158). Gleim/Uz: Briefwechsel, S.153. [Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. Zweyter Bd., S.68; vgl. dazu Β 237, EschrV, 22.
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posgraphie mit der realen Topographie 1 3 4 - genannt w e r d e n ζ. B. das J o h a n n i ter-Kloster u n d der „Licentiaten = Berg". 1 3 5 D i e mit „ A r c h und N a c h e n " in H a r v s t e h u d e A n k o m m e n d e n
werden
v o n einem Gastwirt 1 3 6 verpflegt: Er spricht fast, wie Achill gesprochen: Herr Phoenix, Ajax und Ulyß - - Die Herren setzen sich - = - wir kochen, Und reiner Wein erfolgt gewiß. (W3,118) D i e k o c h e n d e n „Helden" gehören zu den v o n den M o d e r n e n u n d sogar v o n einer
Apologetin
der
Anciens
wie
Anne
Dacier
getadelten
decorum-
V e r s t ö ß e n H o m e r s . 1 3 7 H a g e d o r n fängt in seiner Poesie der Kleinigkeiten die aus d e m E p o s verstoßenen allzumenschlichen „ H e l d e n " auf u n d wiederholt damit poetisch die „Simplicity" einer n o c h nicht k o r r u m p i e r t e n Zeit. 1 3 8 Das Gedicht b e k o m m t d u r c h zwei Reflexionsreihen einen Richtungssinn: A u f erster Stufe u m s o r g t H a r v s t e h u d e in Harvstehude
die M e n s c h e n ,
die sich in die „poetische[ ] Gegendf ]" (B 3 2 1 ) begeben: Die Aste der Linde schützen „gegen wilde W i r b e l w i n d e " ( W 3 , 117); die „Sonne [...] lachet den beblümten Triften, / U n d sieht m i t Lust der Alster L a u f " ; m a n k a n n einen „schöne[n] S c h w i m m e r " sehen, der sich in „ihrer Strahlen Wiederschein [taucht]"; u n d ihr „erster S c h i m m e r " läßt „die T h i e r e fröhlich seyn" ( W 3 , 117). Das Gedicht thematisiert zudem auf zweiter Stufe die Situation, die sich bisher n u r aus der R e k o n s t r u k t i o n einer imaginären B e o b a c h t e r p o s i t i o n
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Auch durch zwei der drei Anmerkungen zu der Ode stellt Hagedorn über einen intertextuellen einen extratextuellen Bezug her. Die eine betrifft das Negativexempel Cornaro. Nach dem 195. St. des Spectator ist Lewis Cornaro der Autor von Sure and certain Methods of attaining a long and healthy Life. Er wird von Addison als Exempel für „Temperance" vorgestellt (The Spectator, S.282Í.). Die andere Anmerkung stellt die wohl nicht ganz ernstgemeinte Verbindung zwischen einem Gastgeber in Harvstehude und Daniel Stoppe her, der den „Sattler" („ein langgedehnter Berg voll Fichten und Tannen, an dem mit dem Zaaken vereinigten Bober") zum „Parnaß" erklärt hatte.
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Das ist ein „von Linden beschattete^] Hügel" in Harvstehude ([Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. Bd.2, S.70; vgl. auch [Hess]: Hamburg topographisch, politisch und historisch beschrieben. 3. Theil, S.64). Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.99. Vgl. die Anmerkung dazu bei: Pope: The Iliad of Homer, S.446f. Mounin: Die Übersetzung, S.38. Gegenüber Giseke verteidigt Hagedorn das Reimwort „kochen": Er verstehe darunter die „Zubereitung der Speisen" im allgemeinen. Er lasse Toppe nur „fast wie den Achill sprechen, denn sonst ist auch mir bekannt, daß die Helden des Homer Fleisch rösten liessen und so selten etwas Gekochtes, als Fische auf ihre dreyfüssigen Tische zu setzen pflegten". Er könne „beweisen", daß Vergil das Wort „kochen" so wie er selbst verwendet habe, andernfalls hätte er einen anderen Ausdruck gewählt (25./26. 9. 1746; Β 175). Pope: The Iliad of Homer, S.446.
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ergeben hatte. Über den Gastwirt schreibt Hagedorn: „Er selber siehet mit Ergetzen, / Daß diese Gegend uns gefällt" (W3, 118). Auch die Gäste versuchen, ihrem Aufenthalt einen Sinn zu geben: „Man übet hier auf freyer Wiese / Bald das Gesicht, bald den Geschmack" (W3, 119). Die poetische Natur bildet strukturell natürliche Geselligkeit ab. Daher stehen die Natur, der Blick auf die Natur, der Blick im Gedicht auf die naturbetrachtenden Menschen und die Erziehung des Sehsinns in einer Reihe. Hagedorn kehrt die von Brockes in den Himmel gerichtete Reflexionsreihe zur Erde um (s. o.). Brockes gibt vor, von der poetischen, geregelten Beobachtung der Erde den Schritt in die Transzendenz machen zu können; Hagedorn scheint eher nahezulegen, von der Poesie in die Welt zu schreiten. Selbst für Hagedorn hat dabei die Natur allegorische Qualitäten im Sinne einer verweisenden, methodischen Wahrnehmung, denn der Beziehungssinn oszilliert zwischen poetischen und menschlichen Referenzen. Der „Witz" erkennt als grundlegende Eigenschaft eines Dichters139 die Ähnlichkeit in beiden Richtungen, wobei die akzeptable bzw. wünschenswerte Variante des Witzes, die nicht „zu sinnreich" oder „spielend" ist, vor der Dominanz der horizontalen, intratextuellen Verweisungsstruktur endet - diese bringt im Extremfall klangvollen Unsinn hervor. 140 In dem Epigramm Vergleichung expliziert Hagedorn in diesem Sinn in einer dreiteiligen (emblematischen) Konstruktion die Verbindung von Wasserbewegung und Sozialverhalten, wobei im Hintergrund wieder das ökonomische Verhältnis von Gott und Mensch bzw. Elbe und Alster steht (s. o. und vgl. Kap. 5.1): Der Bach erzeugt Güter, die die Hirten im „fröhlichen Genuß" verbrauchen. Wie edel ist ein Herz, das reich an steter Liebe, Zum Wohlthun lebhaft ist, aus unerlerntem Triebe! So wirkt ein lautrer Bach, der durch zwo Wiesen schleicht, Nicht heftig schwillt, noch rauscht: dem nie die Kraft entweicht, Die Ufer fruchtbar macht: an dem, bey jedem Lenzen, Mit Blumen, die er nährt, die Hirten sich umkränzen. (Wl, 122)
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VeG 3; W l , 80; Β 70. Vgl. W l , x m , ΧΧΠ, 105f.; W2,51, 59; Β 100, 328, 368, 371, 373. Der polemischen Situation entsprechend ist auch eine Darstellung ohne „Witz" sinnentleert, so die „Puerilitäten" und „Tändeleien" der Bemühungen und der Belustigungen (von Bodmer; 6. 12.1744; EschV, 178). In seinem letzten Lebensjahr faßt Hagedorn seine Nachahmungspoetologie in An Omphus epigrammatisch zusammen: „Erdichte stets: man gönnt dir das Vergnügen. / Doch nur der Witz bringt der Erfindung Lob. / Du täuschest dich, statt andre zu betrügen. / Nimm Unterricht: dein Mährchen ist zu grob; / Beehre mich mit einer feinern Lügen" (Wl, 103).
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Hagedorns Natur
Den Gegenbegriff zu Natur bildet „Kunst", die die folgenden Versen im Bild des Springbrunnens verbildlichen und mit dem nur zaghaft wohltätigen Fürsten vergleichen. Der Springbrunnen als Bestandteil der höfischen Gartenarchitektur demonstriert maschinelle Macht als Gegensatz zu der von Hagedorn für den Menschen reklamierten „Freiheit", die dem verborgenen, aber um so stetiger wirksamen Automatismus des Gewissens ebenso entspricht wie dem reibungslosen Flottieren der Güter. 141 Andernfalls gilt: „Ein Rad, Ein Triebwerk stockt: Gleich fliesst sein (des Springbrunnens, S. M.) Schatz nicht mehr" (Wl, 123).142 Natur bedeutet zweierlei: Unauffälligkeit und Sozialverträglichkeit. Dabei muß man die Unauffälligkeit selbst markieren, sie muß wie das Gewissen sichtbar scheinen und transparent sein. Die Senkung der poetologischen Ebene, auf die das Motiv der kochenden Helden in Harvstehude anspielt, entwickelt Hagedorn hier stiltheoretisch: Bereits mit dem „Schwellen" und „Rauschen" der Einleitungspassage hatte Hagedorn auf die von Longin verwendete Metaphorik der Erhabenheitsästhetik angespielt143 und einen Passus verkehrt, den auch Boileau auf die Verbesserungsästhetik bezogen in seine Poetik einbaut144: „Daher bewundern wir aus einem natürlichen Trieb wahrhaftig nicht die kleinen Bäche, wenn sie auch klar und nützlich sind [...]".145 Aufgrund der Erhabenheit des Gegenstandes versagen folgerichtig die poetischen Darstellungsmittel („Kein Mahler, kein Poet kann ihren Wechsel schildern"; W l , 123). In Horaz gibt Hagedorn dann seine Referenzstelle an. Mit Blick auf das römische Vorbild schreibt er: „Ein lautrer Fluß, der Auen und Gefilde / Befruchtend ziert, ward deiner Kunst zum Bilde [...]" (Wl, 68).146 Kochende Helden und stilistische Mäßigung - das ist Hagedorns „Natur", die sich sprachlich zwar von der allegorischen Bedeutsamkeit durch Reflexionsformen auf sich selbst zurückzieht, diesen Rückzug aber zugleich un141
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Vgl. zum Zusammenhang von Naturverständnis und Maschinenbau: Mayr: Uhrwerk und Waage, S. 13. Vgl. dagegen die Beschreibung der Wasserspiele in dem „schönen Gottorpischen Garten" (an Giseke, 19. 9. 1751; Β 316). Longin: Vom Erhabenen, 12, 5 und 32, 1; Horaz: Carm. 4, 2, 5ff. In einem Epigramm An Hypsäus führt Hagedorn sein unpathetisches Programm, das Allgemeinmenschliche und die Naturdarstellung zusammen (Wl, 83). Boileau: L'Art poétique, S.16f. Longinus: Vom Erhabenen, 35, 4. Der von Longin angeführte „Ätna" (ebda.) muß dann mit Hagedorns Der Berg und der Poet zusammen gelesen werden. Auch hier die Parallelstelle bei Boileau: L'Art poétique, S.54f. Vgl. Horaz, Ep.2, 2, 120f. Im übrigen verbindet Bodmer an einer Stelle Schönheit und Nützlichkeit bei Naturschilderungen so, daß er die Nützlichkeit in der Schönheit und der durch sie bewirkten Erholung erkennt - allerdings muß auch Bodmer als oberstes Ziel derartiger Nachahmungen den Verweis auf den Schöpfer einsetzen (Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.145).
Hagedorns Natur
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sichtbar macht. Hagedorn stellt seine Poesie nicht vor die Natur. Werthers Lotte würde anstelle Klopstocks Namen nie den Hagedorns seufzen können, sie würde aber durch Hagedorns Oden motiviert auch nicht die göttliche Macht bewundern. Hagedorns Gedichte setzen Gott stillschweigend voraus. Gott, die Natur und der menschliche Witz arbeiten ebenso unauffällig wie kontinuierlich. Daher schlagen Walraffs übermäßig beschnittene Bäume in Walraff und Traugott auch nicht aus, denn er hat „durch Eile [und] Gewalt Ordnung und Natur" gestört. In Der Beleidiger der Majestät war das der Verstoß des Verräters gegen die göttliche Weltorganisation (vgl. Kap. 5.1). N u r die „Zeit" - so Traugott - bringe „Fruchtbarkeit"; seine Bäume hängen übervoll mit „unerzwungnen Früchten" und stehen „ungekünstelt prächtig" da. Die Moral von der Geschichte lautet: Diesen Bäumen gleicht der Witz; sucht ihn nicht zu übertreiben; Ehrt die wirkende Natur; lasst das Künsteln ferne bleiben. Soll die Sele sich entwickeln, und in rechter Grösse blühn, O so muß kein klügelnd Meistern ihr die Majestät entziehn.
(W2, 15)147 Gottvertrauen kann man sich vor allem dann leisten, wenn die Natur zuverlässig und ein Sturm weder eine Prüfung noch einen Schlag der fortuna darstellt.148 Die Tradition der (theologischen) Baumemblematik hält entsprechend mehr vom Beschneiden der Bäume.14' Die schöne Natur bezieht der „Witz" Hagedorns auf die Alterslehre, auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben und auf die Poesie. So, wie ein Zusammentreffen von Freunden der Zubereitung einer Mahlzeit (vgl. Kap. 4.1) und die ökonomische Versorgung einem fließenden Bach gleicht, so wird die Seele wie ein Garten bebaut: „Die Seele will, mit Wahl, gespeiset und immer unterhalten und angebauet seyn, sowohl als der Cörper" (an Enderlein; 5. 4. 1752; Β 334).150 Die Ahnlichkeitsnetze, die Hagedorn in seinen Briefen und Gedichten knüpft, demonstrieren dabei immer schon selbst die Tätigkeit des „Witzes" und verweisen auf „Weisheit". „Die Einfalt kann nicht sehen", wie Hagedorn in Horaz schreibt (Wl, 68). Freund, Natur und Poesie - sie alle haben die gleiche Funktion, die Selbstbezüglichkeit zu entzerren und unauffällig zu machen. Andernfalls spiegelte sich Hagedorn nur selbst wie der
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Vgl. zur Kritik am Baumstutzen in Hamburg: [Meyer]: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg. 1. Bd., S.212; ebda. 2. Bd., S.15ff. Vgl. Emblemata, Sp.l47ff. Ebda., Sp.l62ff. Daß Hagedorn in den Verdacht kommen konnte, die Natur zu verselbständigen, zeigt die Anmerkung, in der er den Ausdruck „natura maiestas" verteidigt (W2, 15, Anm.2). Zum Topos des Seelenanbaus vgl. Cicero: Gespräche in Tusculum, Π, 13.
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naturblinde Gryphin in seinen Münzen, deren Spiegelfunktion in Die Glückseligkeit weder korrigiert noch belehrt (Wl, 19). Die Reflexionsformen münden letztendlich im Programm des quasipoetischen Lebens (vgl. Kap. 3). In der Einleitung von Horaz stellt Hagedorn wie gehabt die 'Ähnlichkeit' von Poesie und Natur her („Ein lautrer Fluß [...] ward deiner Kunst zum Bilde [...]"; W l , 68) und adaptiert wenige Zeilen später den berühmten Wunsch aus Horaz' sechster Satire des zweiten Buchs („O rus, quando ego te adspiciam"): „Wann werd ich mich in jenen kühlen Gründen, / An jenem Quell, verneuert, wieder finden?" (Wl, 69). Die Schlußverse von Horaz variieren den Passus noch einmal: „Wann werd ich einst, in unbelauschter Ruh, / Nicht so berühmt; nur so vergnügt, wie du?" (Wl, 82). Hagedorn piaziert diese Zeilen nicht nur am Ende der HorazHommage, sie schließen auch die Moralischen Gedichte ab. Tatsächlich kann der Weise nur dann unbelauscht seine Ruhe finden, wenn er weiterhin keine Gedichte mehr veröffentlicht (vgl. Kap. 3.2). Die Moralischen Gedichte werden als einzige Gattung im Inhaltsverzeichnis der Werksausgabe durchgehend mit Daten versehen. Zwar ergibt sich keine kontinuierliche Folge, aber Horaz steht in jeder Hinsicht am Ende der Reihe. Die im letzten Vers gestellte Frage zielt von daher in einen Raum jenseits der Nebenstundenpoesie, auf den die Poesie Hagedorns als Poesie hinweist (vgl. Kap. 1.2 u. 3.2). Das Tableau und die Transparenz der Sprache, ihre konzeptionelle Nebensächlichkeit bei gleichzeitiger Steigerung der Ansprüche an die poetische Darstellung, gehören zusammen (vgl. Kap. 3.1).151 Theoretisch behandelt Hagedorn diese Konstellation im Briefwechsel mit seinem Bruder über die (poetische) Malerei:152 In einer Reihe von Briefen am Ende der 40er Jahre klärt Christian Ludwig von Hagedorn seinen Bruder über die Malerei auf, teils im Hinblick auf kunsthändlerische, teils im Hinblick auf kunsttheoretische Interessen.153 Die Rede kommt dabei auch auf die Landschaftsmalerei und auf die entsprechende Theorie von den „aufgeklärten Augen", den „oculi eruditi" oder „digni", mit denen man ein Bild, aber auch die Natur betrachten soll (Baden 35, 47, 84) - „der Beschauer des Bildes [muß] ungefähr so viel Verstand oder doch Disposition zum Bilde hinzutragen, als in dem Bilde und dessen Meister steckt oder gesteckt hat, wenn er sehen will, was darin ist" (Baden 33; vgl. Kap. 5.1).154 Die „gelehrten 151
Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.89.
152
Vgl. zum Thema auch Stierlings Dokumentation der Auseinandersetzung um Portraits Friedrich von Hagedorns von Balthasar Denner (Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.57ff.). Vgl. dazu Β 65, 80, BK 484f.
153
Vgl. zu den Unterschieden in den ästhetischen Grundsätzen: EschlV, 62f.
154
Vgl. auch: „Ein guter Kenner muss sich fast in die Stelle des Mahlers, dessen Gemähide er vor sich hat, setzen können. Denn da alles seine guten Ursachen hat, so kann man fast überall dem Meister nachgehn, und mit ihm gleich denken" (Baden 28).
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Augen" vereinen „Empfindung", regulae und exempta (Baden 35). Wenn der Bildbetrachter, der Ubersetzer oder der Leser (vgl. Kap. 4.2) so viel wissen muß wie der, der das Bild gemalt oder den Text geschrieben hat, dann führt das zu fatalen Konsequenzen für die Landschaftsmalerei oder die Naturpoesie - der Maler oder Dichter muß dann nämlich ein gleichsam göttliches Auge unter Beweis stellen. Als Hagedorn in Die Glückseligkeit einen Passus über Malerei einfügen will, schlägt sein Bruder einige Verse vor: Man sieht, wie die Natur in diesem Poussin spricht, Wie wohl er sie gemalt, und wie das höchste Licht Mit unzerstreuter Kraft durch jene Bäume bricht. Wer Fleiß und Anmuth liebt, mag jenen Breugel schauen; Wie schön vertheilt er nicht Berg, Wiese, Feld und Auen! (EschrV, 67)
Die Verse setzen die Maler als Natur dort ein, wo Hagedorn in der Beschreibung des Jenischen Paradieses die Natur hatte malen lassen (vgl. auch W2, 168). Der Künstler erschafft die Natur aus der Natur noch einmal neu als „wohlnachgeahmte Natur" (Baden 35; vgl. auch W3, 99). Christian Ludwig von Hagedorns Theorie von den „gelehrten Augen" muß dabei auch strategisch gesehen werden:155 Er arbeitet an der Verselbständigung des „Malerischen", indem er den „ländlichen Stil" der Landschaftsmalerei aufwertet und akademische Bildung mit Naturstudium verbindet. Die Landschaftsmalerei rückt der Historienmalerei näher, wenn es im wesentlichen auf die Ausbildung eines „Ganzen" ankommt. Im übrigen stellt Christian Ludwig von Hagedorn fest, daß die Landschaftsmalerei den Geschmack vor schwierigere Probleme stelle als die Historienmalerei, denn Landschaften fehle ein Beurteilungsraster für die Proportion. 15 ' Auch in der Naturbeschreibung wendet er sich verstärkt von einer inhaltlichen zu einer kompositionellen Analyse unter dem Gesichtspunkt der vergnüglichen Veränderung oder „Abwechslung". Ich kann mich [...] auf die Landlust, auf eine beblümte Wiese, auf einen Widerschein im Wasser, insonderheit auf einen Wald, und einen darin fallenden Sonnenstrahl, der die durch Hecken und kurzes Gebüsch schleichenden Heerden streift und erleuchtet, und zur Einfassung dieses Gemähides an beyden Seiten Schatten genug läßt, damit das Auge, mahlerisch zu reden, ruhen könne: auf dieses alles kann ich mich, bald als ein Mahler, bald als ein christlicher Philosoph, dem die Natur predigt, bald als ein kleiner Knabe, freuen; und ich glaube im Ernst, daß wir nicht am mißvergnügtesten sind, wenn wir vom Geschmack der Großen abgehen, und uns zuweilen mit kindischer Unschuld freuen. 157 155 156 157
Für C. L. von Hagedorn ist Betrug eine alltägliche Erscheinung im Kunstbetrieb (HN 170). Cremer: Hagedorns Geschmack, S.161, 163, 266ff., 271. Brief vom 13. 6. 1747 in: Neue Irene. May 1806, S.123
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Christian Ludwig überträgt die ganzheitsästhetischen Maximen mithilfe einer nunmehr bekannten Metapher auf Gedichte seines Bruder158: „Die ganze Vertheilung in Deinem Gedichte ist schön. Der Anfang klar und sanft, wie ein Bach, und führt den Leser unvermerkt in den Strom" (EschlV, 71f.). Er kann auf diese Weise einen nur scheinbaren Fehler erkennen, der tatsächlich zur „Verbindung mit Folgendem nothwendig" ist (EschlV, 72). Die ganze Diskussion gehört systematisch in den Kontext der Geschmacksdebatte, die darüber entscheidet, in welchem Verhältnis Wissen und Anschauen oder Empfinden verbunden werden sollten oder wie man beide so verbindet, daß man die Verbindung „natürlich" nennen kann. Christian Ludwig von Hagedorn nämlich hatte geglaubt, eine grammatische Ungenauigkeit in dem Vers „Wie die Vernunft Geschmack und Wahrheit ehret" zu entdecken. Man müsse die Stelle mehrmals lesen, um zu bemerken, daß „Vernunft" im Akkusativ stehe. Eschenburg vermutet umgekehrt, „Vernunft" sei hier tatsächlich im Nominativ verwendet, immerhin habe Hagedorn den Vers nicht geändert (EschlV, 63). Hagedorn korrigiert diese offensichtlich mißverständliche Stelle nicht. Die Briefe, die Hagedorn an den blinden Christian Friedrich Enderlein schreibt, zeigen entsprechend, wie 'vernünftig' Hagedorns Ästhetik sein kann und daß die Gelehrsamkeit der gelehrten Augen das Sehen bisweilen unnötig macht. Im Rahmen seines Förderungsprogramms läßt Hagedorn dem Blinden eine Spende von einem Ungenannten zukommen, „der von Ihnen ein Gedicht von Ihren Begriffen von dem schönen Geschlechte und dessen Vollkommenheiten sich ausbittet" (19. 12. 1748; Β 259). Zwei Monate zuvor hatte der Hamburgische Correspondent auf Betreiben Hagedorns ein Gedicht Enderleins veröffentlicht, das mit dem Vers beginnt: „Kommt,
158
In einem Brief schreibt er Ende 1743 seinem Bruder: „Ein flüchtiger Strich ist bey mir so wenig vergebens als bey deiner Poesie ein Ausdruck [...]. Also hat jedes seine Ursache [...]" (abgedruckt bei Cremer: Hagedorns Geschmack, S.443). Vgl. auch die Bezugnahmen auf die „unité" in verschiedenen Briefen, z. B. Cremer: Hagedorns Geschmack, S.441f., 448f. Ketelsen sieht die Neuerung der durch Hagedorn angeregten, sich von Brockes' Schilderung unterscheidenden und von Hirschfeld, Kleist und Geßner ausformulierten Naturpoesie in der Vorstellung eines sinnlichen Totaleindrucks, der nicht mehr Einzelheiten, sondern komplexe, Harmonie evozierende Sinneseindrücke in parataktischer Weise darstellt (Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung, S.113f.). In seinen Betrachtungen über die Mablerey von 1762 wird Christian Ludwig von Hagedorn feststellen: „Die Gesetze der Dichtkunst sind bey nahe so viel Lehrsätze für den Mahler [...]" (S.34). Die Landschaftsradierungen, die Christian Ludwig seit 1743 anfertigt und die auch Friedrich von Hagedorn kennt, unterschreibt er im übrigen mit Horaz- und Vergil-Zitaten und begreift sie sogar bisweilen als Illustrationen von Gedichten seines Bruders (B 108f.; dazu: Cremer: Hagedorns Geschmack., S.152Í-, 442, dazu: W l , 28; vgl. auch Β 407, dazu: BK 716 bzw. EschV, 45). Unter den Stichen der großen Werkausgabe ist dann auch eine Landschaft als Illustration von Horaz-Episteln konzipiert (WG1, 122).
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Menschen, seht jetzt die Natur" - die Blindheit des Verfassers war angemerkt worden. Der Blinde setzt den Tast- und Hörsinn an die Stelle des Sehsinns, er fühlt die Wärme der Sonne, hört den Bach fließen, betastet und riecht die Blumen etc.159 Bedeutsam sind Hagedorns Trostworte: So sehr es Ihnen empfindlich sein muß, das Unglück, nichts zu erblicken, mit nicht wenigen, ungemeinen und gemeinen Leuten zu theilen, und hierin dem Homer und Milton gleich zu seyn; so ist doch, zu Ihrem Trost, Ihr Verstand so fähig, daß Sie in dem großen Umfange unzähliger schöner Gedanken täglich der erlesensten gewahr werden, welche dem mehrentheils unerleuchteten Haufen der Sehenden fehlen, die, in Ansehung des Nachsinnens, ihre einfältigen Augen gleichsam nur der Ordnung wegen, und fast nur zu sinnlichen Handlungen, besitzen. (B 259)"°
Das sind gut gottschedianische Grundsätze: Der gemeine Mann nimmt mittels sinnlicher Empfindung wahr, der Kunstverständige kennt die Regeln, abgeleitet aus Vernunft und Natur,161 anders formuliert: Er hat einen guten Geschmack, seine Augen bleiben jedoch geschlossen. „Sehen" bezeichnet weniger einen physiologischen Vorgang als eine bestimmte Konstruktion von Natur.
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Staats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1748, 151. St., unpag. Vgl. auch das Gedicht Enderleins ebda., 1748,195. St., unpag. Im Folgebrief erklärt Hagedorn den Grund der Bitte: „Sein Ersuchen, Ihre Gedancken von den Schönen zu wissen, ist durch eine, aus einem alten Roman wiederhohlte, wichtige Frage veranlasset worden: O b es, für einen getreuen Corydon, besser sey, seine Phyllis zu sehen, ohne mit ihr sprechen zu können: oder mit ihr sich zu unterreden, wann sie ihm nicht sichtbar ist?" (7. 4. 1749; Β 269). Die Konsequenzen für die Naturwahrnehmung entwickelt Enderlein in einem handschriftlich überlieferten Gedicht an Hagedorn in der Art des im Hamburgischen Correspondenten veröffentlichten Gedichts: „Ich fühle seine (des Frühlings, S. M.) Lieblichkeiten; / Mir zum Geruch blühn Baum und Flur; / Es hört mein Ohr aus allen Saiten / Die holde Sprache der Natur" (3. 6.1749; H N 52). Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.144. Die Beschreibung der Natur - in welcher Weise auch immer - hat Gottsched bekanntermaßen wenig interessiert: Sie zählt zu den Übungen, mit denen man in der Jugend beginnen kann, und rangiert in der Hierarchie der Nachahmungsarten - wie die ihr zugehörigen kleinen Gattungen - als unterste (ebda., S.154, 195f., 222). Immerhin hierin ist Gottsched sich mit Bodmer einig, dessen poetisches System gleichermaßen geordnet ist, es reicht vom Schönen übers Große zum Heftigen, von der „materialischen Welt" über das „menschliche Gemüth" zur „unsichtbaren Welt der Geister", wie am Aufbau der Kritischen Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter zu sehen ist. Vgl. zur Lehre von der Hierarchie der drei Reiche: ebda., S.55f. Bodmer geht dabei vom Mimesispostulat aus, läßt aber die „lehrreiche[ ] und empfindliche[ ] Lust" von der von allem Unangenehmen befreiten Natur bewirken (ebda., S.31f.).
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Die Natur als Innenraum Sowohl das Interesse an der Natur wie auch das Desinteresse an ihr bezeichnen insgeheim etwas. Wenn in einer theozentrischen Sichtweise der Blick auf die Natur von Gott ablenkt, kann in einer anthropozentrischen der Blick auf die Natur vom Menschen ablenken. Daraus erklärt sich Hagedorns Umgang mit Natur in seinen Briefen. Die Verfahren, die epistolographisch zum Tragen kommen, reichen von der Verdrängung oder Uberschreibung der gegenwärtigen Natur durch die Einbildungskraft über die Ablenkung von der als Hintergrund präsenten Natur durch ein Buch bis zur Steigerung der Natur durch die Lektüre. 162 Das Desinteresse verkehrt gleichsam das curiositas-Verdikt ins Menschliche. Bisweilen modelliert Hagedorn daher die Natur zu einer Art zweitem Innenraum, wobei die Bearbeitung des Aufenthaltsorts für den Innenraum nicht weniger gilt als für den Naturraum. Eine Bibliothek etwa muß sorgfältig für den Poeten hergerichtet werden,163 wie ein von Herold überliefertes Billet Hagedorns an Johann Carl Bohn, dessen Bibliothek Hagedorn benutzt haben soll, belegt: „Heute Nachmittag um drei Uhr werde ich mich in Ihrer Bibliothek einfinden, um einige einsame Stunden daselbst zuzubringen. Ich bitte für mich bereit zu halten: drei Bouteillen Eutiner Bier, von denen die Pfropfe so gelöset sind, daß man sie leicht und gleich abziehen kann, und drei neue Pfeiffen, jede mit Kanaster leicht und gut gestopft". 164 Auch hier hat sich Hagedorns Selbstbild bei Herold durchgesetzt: Selbst wenn der Biograph einschränkend von einer „Sage" ausgeht, unterscheidet er doch verschiedene, den Gattungen zugehörige Räume. Die Sinngedichte seien in der erwähnten Bibliothek Bohns entstanden, die anderen Gedichte größtenteils an einem beschatteten Platz in Harvstehude. 165 Den Sinngedichten mit 162
Β 8 7 , 1 5 8 , 217, 292, 307, 310, 312, 326, 351, 356, 376.
163
Vgl. zur Einrichtung einer Bibliothek: Β 19, 45, 49, 75, 83f., 194, 314, 360, 384, 405. Eine kleine Bibliothek kann im Rahmen eines transliteralen Konzepts gewollt sein (ζ. Β. Β 109, 133, 248); dann muß man zwischen einer „Bibliotheck" und einem „Vorrathe guter, von mir selbst gesammleten Bücher" unterscheiden (B 248). Cum grano salis kann man Hagedorns Begriff von der Bibliothek auf das Konzept der Bibliotheca selecta bringen bzw. in deren Tradition stellen (vgl. insbesondere Β 401; dazu: Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S.125ff.).
164
Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.347. Vgl. zu Hagedorn und Bohn: Stierling: Leben und Bildnis Friedrichs von Hagedorn, S.49. Vgl. insgesamt: Gronemeyer: Friedrich von Hagedorn über Bücher, Buchhändler und Bibliotheken.
165
„Einige hundert Schritte von dem Harvstehudischen Wirthshause ist ein Pachthof, nahe an dem Landhause der Konventualinnen des hamburgischen Johannisklosters. Vor demselben ist ein ansehnlicher, mit vielen Bäumen besetzter Platz, die auch in der größten Mittagshitze die erfrischendsten Schatten geben, und eine angenehme Dämmerung verbreiten. Der Sage nach soll Hagedorn hier die meisten seiner Gedichte verfertigt haben. Den größten Theil seiner Sinngedichte hingegen schrieb er in einem einsam gelegenen kleinen Hinter-
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ihrer kritischen und satirischen, jedenfalls auf zwischenmenschliche Belange abzielenden Intention liegt ein anderer Erfahrungsraum zugrunde als beispielsweise den Oden. Für das Epigramm gilt der noch im Artikel „Bücher=Vorrath" in Zedlers Universal-Lexikon formulierte Begriff von der Bibliothek als Akkumulation von Fremderfahrung, die der Gelehrte im Rücken haben muß, weil er selbst nicht alle Erfahrungen sammeln kann: Ohne Bücher kan die Gelehrsamkeit nicht bestehen, wir brauchen zur Ergründung derer General^ Sätze mannichfaltige Erfahrung. Ein Mensch kan unmöglich alles in diesem Stükke wissen, sondern es muß einer dem andern hierinnen zu statten kommen. Alles was wir nun von der Erfahrung nöthig haben, das finden wir in denen Büchern.166
Allerdings müssen sich Natur und Bibliothek nicht direkt widersprechen. Zumindest die Natur ist auch ein Leseort. Sieht man einmal von den Büchern ab, so kann umgekehrt das Zimmer die Funktion der Natur übernehmen. Beide schützen vor den kritischen Blicken der Moralapostel und den ruhestörenden Worten der Schwätzer. Auf mehreren Ebenen sind sowohl Naturraum als auch Wohnraum Innenräume. Alkoholische Selbstinspiration und gebaute Natürlichkeit vereinen sich, wie in Das Gesellschaftliche. Dort wird die Gegenwart gefeiert, die „der Zeiten erste Jugend, / Als Thyrsis einer Phyllis sang", durch den Weingenuß übertrifft (vgl. Kap. 7.2). Diese Steigerungsbewegung gilt auch für den Austausch der Natur durch das Haus: Lockt uns kein Laub in ungewisse Schatten; So baut man Dach und Zimmer an, Die manchem Kuß mehr Sicherheit verstatten, Als Forst und Busch ihm leisten kann. (W3, 100)
Traditionell transportiert dieses Motiv das Genre 'Lob des Winters': 167 Zwar kann etwa Brockes der winterlichen Landschaft ihren Verweisungscharakter in der Betrachtung einer sonderbar=schönen Winter=Landschaft noch abgewinnen, aber es fällt ihm sichtlich schwer. „Jedoch muß ich dabey gestehn: /
166
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zimmer in dem Hause seines Freundes und Verlegers Bohn, worin dessen auserlesene Büchersammlung befindlich war, und wo er sich oft auf einige Nachmittagsstunden einzufinden und einzuschließen pflegte" (EschlV, 159f.). Art. Bücher "Vorrath, Bibliotheck. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.4 [1733], Sp.l838bf. Vgl. dazu: Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S.9. Als Unterkategorie der Hirtendichtung erwähnt bei: Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. ΙΠ, S.60f. Vgl. das Beispiel bei: Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, S.244. Vgl. auch: Günthers Lob des Winters (Werke in einem Band, S.60ff.).
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Daß alle Schönheit doch ein Etwas, welches wild, / Und rauh, und fürchterlich, zugleich uns zeigte".168 Daher konstruiert auch er die winterliche Landschaft als Saal. Er kann die Natur nur durch eine theodizeehafte Konstruktion retten: „Auf Erden bindet sich hingegen Lust und Leid / Fast allemahl".169 In dem Gedicht, das sich in Hagedorns Auszug daran anschließt, wendet Brockes sich dann dem Winter = Vergnügen im Zimmer zu. An Bodmer schreibt Hagedorn über die Sonne im Winter: „Hier muß man ihren Glanz annoch in Gemählden und Gedichten, und nicht an unserm Himmel suchen" (17. 4. 1754; Β 394, vgl. auch Β 351). Hagedorn führt die Ersetzung von Frühling und Sommer durch die Geselligkeit ζ. B. in Winter = Vergnügen durch, einer umfangreicheren Fassung des Trinklieds aus Telemanns Vier und zwanzig [...] Oden. In der Überarbeitung kürzt er die Natur sowie die literarischen Anspielungen aus der Ode, so daß man deutlich die Zusammensetzung der Gattungselemente erkennen kann. Auch die letzte Strophe fällt weg: Nichts kömmt vertrauter Eintracht bey: Ein Thor ist an die Zeit gebunden. Den weibischen geschminckten May Beschämen solche Winter-Stunden. Mein Freund, mir ist stets dein Gemach Viel wehrter, als ein Rosen-Garten. Dir setz ich billig Floren nach Und darf, vergnügt zu seyn, nicht auf den Frühling warten. (PdN4, 400f.)
Der Zusammenhang von Selbstinspiration, Dichtung und Naturwahrnehmung oder -ersetzung gehört zum geselligen Lied, zumal zum Trinklied. Aber der Wein zählt nicht nur tatsächlich in humoraltheoretisch inspirierten Poetiken zu den empfohlenen Stimulationsmitteln (vgl. Kap. 7.1), auch in der empfindsamen Selbststeigerung hat er noch seinen Ort. In dem Gemeinschaftsbrief der Zürichreisenden um Klopstock halten die Briefschreiber genau fest, wie aus der wahrgenommenen Natur die schöne Natur wird: „Wie schön kam uns, als wir aus diesem Glase getrunken hatten, die lange Reihe von Wäldern vor, durch die wir reisten und die unsre Einbildungskraft in Haine verwandelte".170 Hagedorn ist der Gewährsmann für diese „Kunst zu trinken".171 Die ganze Konstruktion, für die sich in dem Brief noch viele Analogien anführen ließen, gehört in den Kontext von der „Mutter Natur", deren „Erfindung Pracht" - der Einleitungsstrophe von 168 169 170 171
Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.460. Ebda., S.462. Klopstock: Briefe 1738 - 1750, S.113. Ebda., S.114, 120.
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Klopstocks Der Zürchersee zufolge - durch „ein froh Gesicht, / Das den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal denkt", verschönt wird.172 Hagedorn vollzieht diese autortheoretisch fundierten Ursprungsphantasien nicht mit, er gliedert die Natur aus, setzt sich aber nicht als deren Schöpfer ein. Eine Phyllis nimmt die Natur nicht reflektierend und potenzierend in sich hinein, sie läßt die Natur vielmehr vergessen, wie in der Beschreibung des Jenischen Paradieses oder in Die Schönheit: „Wie lieblich ist des heitern Himmels Wonne [...]! / Und doch ergetzt ein schön Gesicht weit mehr" (W3, 82). Noch einmal: Kein Werther und keine Lotte würde auf die Idee kommen, Hagedorn von der zweiten auf die erste Diskursstelle zu verschieben und sich bei der Naturwahrnehmung in Brockes' Manier auf einen Autor „Hagedorn" statt auf Gott verweisen zu lassen. In einem in diesem Zusammenhang äußerst aufschlußreichen Brief an Johann Elias Schlegel schreibt Hagedorn über die Schertzhafien Lieder Gleims: Sie sind so original, so anacreontisch und spielend, daß ich glaube, sie würden die Landlust, zu welcher Sie sich anschicken, vermehren, wenn Sie in einem stillen Gebüsch, auf grünem Rasen, an einer reinen Quelle, oder, in Ermangelung aller dieser schönen Gegenden, in einem Zimmer der Phyllis lesen könnten, von deren Artigkeit Sie mir an einem gewissen Abend, der mir unvergessen ist, so sehr eingenommen zu seyn schienen. (21. 4. 1744; Β 122)
Alle Steigerungserscheinungen beziehen sich auf die „Landlust" (die „Landlust" wird u. a. durch die Lektüre „in einem Zimmer" vermehrt). Das mag ein syntaktischer Konstruktionsfehler sein, aber gerade diese Ubergängigkeit von Natur und Zimmer ist entscheidend.173 Man kann dabei noch einmal an die naturinszenatorischen Maßnahmen denken: Die Alster war ja auch als Abbild der durch die Festlichkeit zur bukolischen Szenerie gemachten Natur zu lesen. Gleiches gilt für die Verwechslung von Natur und Zimmer: Brockes etwa vergleicht immer wieder die Natur mit „Tapeten"174 (freilich übertrifft die Natur ihre menschliche Abbildung). Bisweilen kann auch die „wirckende Natur" bzw. die „Spur" Gottes in ihr durch das Zusammenwirken der menschlichen Hand und der „Hand" des Frühlings die Tapetenkunst übertreffen, etwa in Der Garten. Dort schmückt die „bildende Natur" durch die „Hand" des Gärtners das „Form= und Bilder=leere Land".175 Die Blühenden Pfirsiche und Apricosen lassen ebenfalls die Tapeten
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Klopstock: Ausgewählte Werke. 1. Bd., S.53. Vgl. dazu insbesondere: Klopstock: Briefe 1738- 1750, S.124f. Vgl. zur Natur als abgeschlossenem Ort: Anger: Landschaftsstil des Rokoko, S.161ff. Vgl. zum Motiv in Sidneys Arcadia: Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, S.112f. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.89f., 96.
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verblassen.176 U m es mit Telemann zu sagen: „Ich sah in diesem Blat (von Brockes, S. M.) zwar kein Bäche fließen; / Doch aber stellt er uns ein sanftes Rauschen für, / Und, ob vier Wände mich in ihrem Umfang schließen, / So zeiget's mir im Geist der schönsten Gegend Zier".177 Eine strukturell interessante Variante führt Brockes in Der Wald vor, denn dort schaltet er die menschliche Hand aus, läßt aber die Natur sich selbst in anthropomorpher Manier modellieren und bringt auf diese Weise eine Fülle von Ambivalenzen und Synthesen hervor: Schon im Gedichteingang verdoppelt Brockes die literarische Situation, indem er ein Lied im Lied erklingen läßt. Die „gedoppelte Eigenschaft" der sich erst im Wasser spiegelnden, dann durch Schattenwurf sich vervielfachenden Blätterdächer erweckt „gedoppelte Triebe" für Gott. Die Schatten der Bäume situiert Brokkes zwischen Leib und Geist. Die Bäume erscheinen ihm im Anschluß an das Bild von den Blätterdächern als Säulen, wohl infolge des traditionellen Vergleichs von Baum und Haus.178 Alles das gemeinsam wirkt wie „lebende[r] Tapeten Pracht".179 Entsprechend öffnen sich in den dem Auszug aus Brockes' Gedichten beigefügten Stichen Fenster und Türen bisweilen in die Natur, so daß Innen- und Außenräume in einem gestuften und durchlässigen Verhältnis zueinander stehen. Auch Kleist verwendet im übrigen in Der Frühling ähnliche Formulierungen, wenn er von Gott sagt: „Mit güldnem Schimmer durchbrochen, sind deiner Sääle Tapeten", oder wenn er über die Natur einen „Teppich" gebreitet sieht.180 Diese Vergleiche von Innen- und Außenraum haben ihren realen Hintergrund in der Freskenkunst und in den Wandbespannungen 181 des 18. Jahrhunderts. 182 Nicht nur in den Deckenfresken der Sakralbauten des 18. Jahrhunderts verbinden sich Himmel und Erde, auch in der weltlichen
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Ebda., S. 102. Telemann: Gedanken über S. T. Herrn Brockes Sing-Gedicht. In: Valentin: Telemann in seiner Zeit, S.41. Vgl. dazu: Baltrusaitis: Imaginäre Realitäten, S.90ff. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.217ff. Kleist: Sämtliche Werke, S.14, 44. Vgl. Art. Tapeten, Tapete, Tapet, Tapezerey. In: Zedier: Grosses vollständiges UniversalLexikon. Bd.41 [1744], Sp.l771ff. Den Nutzen der Tapeten sieht der Zedler-Artikel u. a. in der Regulierung der Raumgestalt oder in der Abteilung von Räumen (ebda., Sp.1771). Vgl. für einen kurzen Uberblick über Antike, Mittelalter, Renaissance und 18. Jahrhundert: Leiß: Bildtapeten aus alter und neuer Zeit, S.13ff. Aldrian: Bemalte Wandbespannungen des XVIII. Jahrhunderts. Im Anhang der Arbeit sind Beispiele abgedruckt, die unter anderem auch die These belegen, daß zeitgenössische Kupferstiche und - über diese vermittelt - die Malerei der Zeit Vorbilder für die Gestaltung der Tapeten waren (vgl. im Textteil: ebda., S.20, 32). Die Motive der Tapeten finden sich dann auch in der Textilgestaltung, in der Porzellan- u. Glasmalerei, als Möbeldekors oder als Stuckarbeiten (ebda., S.33). Vgl. dazu: Eschenburg: Landschaft in der deutschen Malerei, S.83ff.
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(Herrschafts-)Architektur halten amoene Szenerien Einzug, etwa im Anschluß an Vitruvs Empfehlung, Villen mit landschaftlichen Dekorationen auszustatten, sowie im Anschluß an die antike Architekturtradition, wie sie bereits die Villen Palladlos mit ihren malerischen Raum- und Landschaftsöffnungen nachgeahmt hatten. Hagedorn kannte die herrschaftliche Innenraumarchitektur, und er kannte auch ihre bürgerlichen Nachahmer (Wl, 21f.).183 Die landschaftliche Ausgestaltung der Innenräume nimmt dabei auch in repräsentativen Bauten184 Abstand von der repräsentativen Funktion - in Haupt- und Festsälen sucht man sie vergeblich. Die Texte entspinnen sich also über die Seiten hinaus in das, was man Natur nennen kann, oder die Natur flicht sich in die Innenräume ein.185 Aber diese Natur steht nicht schlechthin im Gegensatz zur Kunst, sondern so, wie sich im Landschaftsgarten amoene Szenerie und landwirtschaftlicher Betrieb in sanften Ubergängen verbinden, 186 verbinden sich auch Literatur und Natur. Diese Form der nach innen genommenen Natur geht dann soweit, daß man in den Grotten, die zur englischen Gartenanlage gehören, Camera-Obscura-Effekte erzeugt, also in der Natur einen Innenraum herstellt, um dort die Natur anzusehen, oder daß man Grotten gleich mit Landschaftsbildern ausstattet.187 Dabei inszeniert man nicht nur die Natur im Innenraum, sondern auch die Geselligkeit in der Natur, etwa in der Darstellung von Gartenfesten. 188 Man sieht das ästhetische Äquivalent zu diesen Verdoppelungen, Uberblendungen und Spiegeleien, zum Vexierbild von Innen und Außen in Hagedorns Der Blumenkranz und im Kommentar Bodmers dazu. Die kleine Verserzählung enthält in nuce alle Verfahren von Naturalisierung und Literarisierung in Hagedorns Werk: Die Erzählung beginnt mit einer topographischen Situierung („Dort, wo die Alster sich in engen Ufern krümmt [...]"; W2, 81), sammelt dann die autarkischen und naturrechtlichen Topoi des
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Ein Beispiel wäre z. B. das Schloß Gottorf, auf dem Hagedorn bei von Saldern mehrmals zu Gast war (B 316, BK 657). Vgl. dazu als frühes Beispiel bei Schlee: Das Schloß Gottorf in Schleswig, S.34f., Abb. V und 29 („Hirschsaal"). Auch über die Prägung des Bildgedächtnisses durch die in den Parks aufgestellten Figuren (Putti, Faune und andere mythologische Figuren sowie Allegorien wie z. B. die vier Jahreszeiten etc.) wäre nachzudenken (vgl. ebda., S.56ff.).
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Beispiele dafür bei Müller: Natur-Illusion in der Innenraumkunst des späteren 18. Jahrhunderts. Vgl. auch mit Bildmaterial: Pieske: Lübecker Tapetengemälde nach Zuccarelli. Vgl. für einen Überblick in großem kunstgeschichtlichem Kontext: Börsch-Supan: Garten-, Landschafts- und Paradiesmotive im Innenraum, S.274ff. Eschenburg: Landschaft in der deutschen Malerei, S.96ff. Vgl. dazu: Baltrusaitis: Imaginäre Realitäten, S.119f. Vgl. hier auch zur Einbildung der Literatur in die Landschaft: ebda., z. B. S.126, 128, 136, 141f. Umgekehrt verdoppelt man auch die Villa selbst wieder, indem man sie auf ihre eigenen Wände malt (Bentmann / Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur, S.90f.). Leiß: Bildtapeten aus alter und neuer Zeit, S.16.
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Landlebens („Wo deutsche Treue sich beym deutschen Handschlag findet, / Des Landmanns froher Fleiß für sich die Garben bindet [...]"; W2, 81), um dann in eine bukolische Literaturlandschaft überzugehen: Da ist ein kühler Ort, dem keine Schönheit fehlet, Den Amor hundertmal der Eifersucht verhehlet, Und dem allein entdeckt, der ihn zum Führer wählet. Der Zephyr folgt mit Lust den kurzen Wellen nach, Die hier in grüne Tiefen fallen; Die Schäfer nennens einen Bach, Wir Dichter fliessende Crystallen. Ein dick Gesträuch umschränkt die innre Spur, Wohin oft Wunsch und Sehnsucht leiten, Auf diesen Platz lockt uns die Liebe nur, Und ihre Mutter, die Natur. Hier saß Matild'. Es eilet ihr zur Seiten Ein kleiner Schwärm verbuhlter Fröhlichkeiten: Der schlaue Scherz, die süsse Schmeicheley, Die Hoffnung selbst, und Reinhold kömmt herbey, Der sie so oft besingt [...]". (W2, 81f.).
Diese Passage formuliert eine Reihe von Ersetzungen sowie die Motorik, die hinter dieser Ersetzung arbeitet: Zum hortus conclusas führen „Amor", „Wellen" und „Crystallen", „Wunsch und Sehnsucht", „Liebe" und schließlich die „Natur". Hagedorn wechselt also durchgehend zwischen einer allegorischen und literarischen („wir Dichter"), einer anthropologischen und analysierenden sowie einer naturnachahmenden und betrachtenden Ebene. Auch der folgende Passus nimmt dieses Schema auf, indem er in einer syntaktischen Konstruktion von der allegorischen („Hoffnung") zur literalen Darstellung („Reinhold") springt. Nach einer kurzen Beschreibung Reinholds, die im übrigen von der Doris der Gleimschen Vorrede zu den Schertzhaften Liedern für ihren Geliebten verwendet wird,189 erzählt Hagedorn von Mathildes vergeblichem Versuch, einen Blumenkranz zu flechten: Seit sie Reinhold gesehen hat, brechen ihr die Stengel. Reinhold kündigt ihr an, er werde „durch öftern Kuß / Die Unvorsichtigkeit bey jeder Blume rächen" (W2, 82) - und tatsächlich: Der Blumenkranz reißt, und „Reinhold giebt nunmehr gerechter Strenge Raum":
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Gleim: Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, S.63. Der Hamburgische Correspondent schreibt: „Doris [...] macht uns eine Abbildung von ihrem Geliebten; und wie sie ihn ohnlängst einer eifersüchtigen Freundin kenntbar machen wollen, hat sie die Worte, womit ein scharfsinniger Dichter seinen Reinhold mahlet, etwas verändert" (1745, 75. St., unpag.). Die Zeitung nimmt die Wendungen aus der Vorrede Gleims auf, dort war Hagedorn allerdings noch ein ungenannter „liebenswürdige[r] Dichter".
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Er nähert sich, sie seufzt: er straft, sie murret kaum. Hier schliesst sich Busch und Wald, sie hülfreich zu verstecken. Man glaubt, sie thaten dieß, was einst Aeneas that, Als Dido und der Held in einer Höhle waren. Was aber thaten die? Wer das zu fragen hat, Der ist nicht werth, es zu erfahren. (W2, 83) 1,0
Bodmer greift aus dem Gedicht nur eine Episode heraus. Hagedorns Naturdarstellung kann für Bodmer wegen des Faibles fürs Große und Erhabene nicht von Interesse sein, ebensowenig die Literarisierungen, sehr wohl aber das anthropologisch genaue Detail. In Mathildes Verhalten stellt „[...] Herr Hagedorn [...] eben diese verliebte Unruh wie in einem Sinnenbilde vor [...]" - Bodmer zitiert aus Der Blumenkranz und führt dann noch eine andere Passage aus Phyllis an, in der Thyrsis durch die Zeichen der Liebe (Seufzen, gerötete Wangen, zuvor auch bewegende Rede und Gesang) Phyllis für sich gewinnt (W2, 78). Daran schließt sich ein weiterer Beleg an: „Dieser geistreiche Lehrer der Liebe hat dergleichen Ausdruck durch die Gebehrden so gar auch den Vögeln zugeeignet, wenn er von einem Sperlings=Weibgen sagt: Ein schneller Seiten=Blick / Verräth des Sperlings Glück. Und wie viel er auf der Wohlredenheit der Augen in Liebes = Sachen halte, sagen uns die vortreffliche Zeilen: Der trägen Schaar der Augen, die nichts sagen, / Wird hier kein Ammt von Amor aufgetragen" (W2, 113)."1 Bodmer ordnet diese Darlegungen dem Kapitel Von dem Ausdruck des menschlichen Gemüthes durch die Minen und Geberden unter. Interessant ist, welche Ahnlichkeitsketten Bodmer in diesem Kapitel knüpft, daß er Körper und Geist und dann auch Tier (Sperling) und Mensch verbindet. Denn er hat dabei einige Widerstände zu überwinden, zumal den, daß im „bürgerlichen Umgang" Verstellung herrscht, daß also durch konventionelle Zeichen die natürlichen Zeichen verdeckt werden. Wie in der privatpolitischen Simulationstheorie repräsentiert ein Höchstmaß an Affektion Natürlichkeit; insbesondere Entsetzen, Wut, Zorn oder Traurigkeit kommen für die Durchbrechung des zivilisatorischen Firniß in Frage: „Je ungestümer die Leidenschaften sind, destoweniger sind die Gebehrden betrüglich".1'2 Das Beispiel von Hagedorn setzt jedoch viel mehr die Tiefenanalyse der Gemütserkennungskunst ins Bild, die aus dem Widerstreit der Zeichen ihre Schlüsse zieht, als 1,0
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Mit dem abschließenden Satz begründen die Freimüthigen Nachrichten die für den Kenner aufgehobene Identität des Autors von Harvstehude bei Anlaß des Abdrucks der Ode: „Der Verfasser braucht nicht genannt zu werden. - - Wer dieß zu fragen hat, / Der ist nicht werth, es zu erfahren" (Freymüthige Nachrichten Von Neuen Büchern, und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen, 1747,20. St., S.155). Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.307f. Ebda., S.288.
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die Offensichtlichkeit der Affekte. Denn hier deuten „Wunsch und Sehnsucht" der Männer die Zeichen des Frauenkörpers - Seufzen und Murren sind dann typischerweise nur oberflächliche Negativzeichen eines inneren Einverständnisses. An dieser Stelle kann man sich auf den umfassenden Parallelismus konzentrieren, der die Natürlichkeit begründet: Denn was in Hagedorns bukolischer Szenerie und in seiner Darstellung des Schäferlebens sich mit Bodmers Analyse verbindet oder sich ihr öffnet, ist die Parallelität von Außen und Innen, die in der Natur als harmonisches Zusammenspiel der Elemente in der Außenwelt vorgestellt wird. Wenn die Analyse der Natur einmal Verfahren zur Verselbständigung der Natur durch Reflexionsformen zur Verfügung gestellt hat, dann kann man die expliziten Binnenverweise kürzen, der ins Werk gesetzte „Witz" des Autors wird zur aufdringlichen „Kunst" und vom „Witz" des Lesers ersetzt, der sich nun an einer natürlichen Natur erfreut. Bei aller „Gegenbildlichkeit" der in den Innenraum verlegten Natur sollte man daher das offensive Moment dieser Naturdarstellungen nicht vergessen, ihren vielfachen Zusammenhang mit dem, was kulturgeschichtlich als „Realität" angesehen werden kann und was unter Irritation der einfachen Dichotomie von „Kunst und Natur" und ihren Folgeunterscheidungen zur Bestimmung von spezifischer „Realität" beiträgt. Die Poesie der Natur und die Natur der Poesie Hagedorn wehrt die naturwissenschaftliche Neugier in erster Linie wegen seines Interesses am Moralischen ab, bezieht sich damit aber auch auf den Kontext der Querelle des anciens et des modernes, denn die wissenschaftlichen Neuerungen entmächtigen die antike Tradition oder spalten zumindest die ingenium- von den iudicium-DiszipYmen ab.193 Zwar integriert er wissenschaftliche Neuerungen also nicht mehr einfach affirmativ, wie noch im Versuch einiger Gedichte (VeG 51, 67). Selbst auf diesem Gebiet jedoch verschafft er sich Kenntnisse. Für den Weisen gilt noch als Negativfolie: Wie glücklich ist nicht der, so dieses Firmament, Der Sonnen Lauff und Bahn, der Sterne Grösse kennt, Dem auch die Schöpfungs-Art des Allmacht - Spruchs: Es werde! Der Wesen Zeugungs=Krafft, der Lauff, der Punct der Erde, Des Meeres Ebb' und Fluht, die Himmel=Lufft, der Wind, Der Zeiten Witterung nichts unerforschtes sind! Des Welt-Bau's weiter Raum, Blitz, Donner, Sturm und Keile, Der Cörper Krafft, Figur, Bewegung, Lage, Theile, Gesetze, Schwere, Druck, Verändrung, Widerstand, Schall, Wärme, Licht und Stral, nichts ist ihm unbekannt. (VeG 51) 1,5
Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S.378.
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Hagedorn nennt Standardwerke der naturwissenschaftlichen Populärliteratur, wie ζ. B. Francesco Algarottis II Newtonianismo per le Dame, Voltaires Elémens de la Philosophie de Neuton (Wl, 29)194 oder den Spectacle de la nature (W2, 17, 24). Die Zentralbegriffe des neuen Weltbildes wie „Raum" oder „Kraft" oder die Vorstellung der Pluralität der Welten tauchen ebenso auf wie die von Newton verdrängte Cartesische Wirbeltheorie (z. B. W l , 1, 4, 16f.).195 Das hat jedoch kaum weiterreichende inhaltliche Konsequenzen: Abgesehen von den genannten, oft satirisch gemeinten Auflistungen oder Anspielungen stellt Hagedorn kaum einmal konzise einen naturphilosophischen Zusammenhang dar. Gleichwohl sollte man sich im klaren darüber sein, welcher begriffliche Hintergrund ζ. B. die oft gebrauchte „Kraft"Metapher fundiert. Gerade die eindeutig literarischen Landschaften Hagedorns können aus dieser Perspektive vielleicht auch als poetische Umsetzungen einer idealen aufgeklärten Natur verstanden werden. 19 ' Im Sinne Bodmers könnt man die bukolischen Gedichte Hagedorns als Versuch verstehen, die „schweren und metaphysicalischen Grundwahrheiten so geschickt in sinnliche Farben und cörperliche Ausdrücke ein[zu]kleide[n] [...], daß das rohe Volk selbst sie begreiffen kan [...]".197 Aus der Perspektive Gottscheds wäre zu sagen: Die realistische Lektüre der Bukolik als Darstellung eines menschheitsgeschichtlichen Ursprungs schreibt sich nicht nur aus dem Zwang des Mimesisprinzips her, es könnte dafür zugleich formale Gründe in der bukolischen Darstellung selbst geben, die'gleichsam strukturhomologe Miniaturen der besten Welt hervorbringt. Das Vergnügen und die Freude, die immer wieder als Zentralaffekte der bukolischen Dichtung genannt werden, liegen damit auf einer Linie mit dem Erlebnis der menschlichen Freude, die auf niedrigerer Stufe die göttliche Freude beim Betrachten der Vollkommenheit der Welt wiederholt.198 Natur und Paradies rücken als Erkenntnis- und Anschauungsprogramm zusammen. Eine der Pointen besteht dann darin, daß sich gerade in der realistischen Lektüre Verfahren von Literarizität herausbilden, indem der innere Zusammenhang der besten Welt mit dem inneren Zusammenhang des besten oder zumindest eines guten Kunstwerks koinzidiert.
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Vgl. zur newtonianischen Populärliteratur: Schimank: Stand und Entwicklung der Naturwissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, S.44f., 67f. Vgl. dazu: Voltaire: Philosophische Briefe, S.56f. Richter stellt thematisch und motivlich den Bezug zwischen der Naturwissenschaft und der „Lyrik des Rokoko" her (Literatur und Naturwissenschaft, S.112ff.), ordnet dabei die thematischen Bezüge der „strukturelle[n] Kontrastierung" entgegen (ebda., S.123) und markiert dadurch die „Autonomie" von Dichtung und Naturwissenschaft (ebda., S.125). Im folgenden wird demgegenüber die formale Kontinuität beobachtet. Bodmer: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, S.140. Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.663.
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Auf geradezu idealtypische Weise stellt Hagedorn sein Naturbild in Der Frühling vor, einer mit Kantatenformen spielenden Ode aus den Oden und Liedern in fünf Büchern, die den inneren Zusammenhang der Natur sowohl in der Ordnung der Blickfolge wie in der literarischen Disziplinierung des Blicks und seiner temporalen Durchdringung gestaltet. Der Frühling. Der mahlerische Lenz kann nichts so sinnreich bilden, Als jene Gegenden von Hainen und Gefilden; Der Anmuth Uberfluß erquickt dort Aug und Brust: O Licht der weiten Felder! O Nacht der stillen Wälder! O Vaterland der ersten Lust! Dort läßt sich wiederum, in grünenden Tropheen, Des Winters Untergang, der Flor des Frühlings sehen; Sein schmeichelnder Triumph beglücket jede Flur: Die frohen Lerchen fliegen Und singen von den Siegen Der täglich schöneren Natur. Der Bach, den Eis verschloß und Sonn' und West entsiegeln, In dem sich Luft und Baum und Hirt und Herde spiegeln, Befruchtet und erfrischt das aufgelebte Land. Dort läßt sich alles sehen, Was Flaccus in den Höhen Des quellenreichen Tiburs fand. (W3, 86f.)
Die konzentrische Reflexionsreihe der drei ersten Strophen des Gedichts führt über analoge Formen den Blick vom Großen ins Kleine, von den „Gegenden" zu den „grünenden Tropheen" und von dort zum „Bach". Bereits innerhalb der ersten Strophe entfaltet Hagedorn ein komplexes Spiel mit Verschachtelungen und Verschiebungen: Der personifizierte Frühling läßt die Natur in sich zirkulieren und macht den Menschen zum Beobachter - nicht umsonst kann Addison die „Pleasures of the Imagination or Fancy", die sich von selbst einstellen, gegen die „Demonstration" ausspielen: „The Colours paint themselves on the Fancy, with very little Attention of Thought or Application of Mind in the Beholder". w Der Frühling entwirft sich selbst als Tableau, auf dem sich die „Gegenden" in „Haine[ ] und Gefil-
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The Spectator. No. 411, S.593. Die polemische Basis des Arguments wird jedoch spätestens dann deutlich, wenn Addison im Anschluß an Locke die Farben nicht mehr als Qualität der Dinge begreift, sondern als eine vom Beobachter hergestellte Erscheinung (ebda. No.413, S.596). Am Ende des Essays stellt Addison dann auch die Demonstration aufgrund ihrer weiteren Reichweite über die Imagination (ebda. No. 420, S.606).
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de[ ]" ordnen und „Licht" und „Schatten" sich verteilt. Diese Selbstzirkulation bringt einen „Uberfluß" an „Anmuth" hervor, die den Beobachter „erquickt", und zwar mit „Aug und Brust". Die therapeutische Wirkung der Natur hat Hagedorn an anderer Stelle deutlicher gefaßt, wenn er von einer „Dirne" sagt: „Gesundheit und Vergnügen / Belebt ihr Aug und Herz [...]" {Die Landlust·, W3, 70). Was Hagedorn mit „Aug und Herz" meint, nennt Addison „Body" und „Mind". „We might here add, that the Pleasures of the Fancy are more conducive to Health, than those of the Understanding [...]".20° Die in sich gespaltenen Einheiten erwachsen aus einem zeitlichen und zugleich affektiven Ursprung: der „ersten Lust". Und die Literaturgeschichte beginnt entsprechend mit der „Freude" und der Lieddichtung, die die Hirten beim Leben in der Natur spontan hervorbringen. 201 Jetzt therapiert die durch „Imagination" hervorgerufene „Freude" die Melancholie. 202 U m noch einmal an Harvstehude zu erinnern: Die kochenden Helden waren für Pope die Darstellung eines verlorenen, einfachen Zustandes, in dem die „corrupt Idea of modern Luxury and Grandeur" nichts zu suchen hatte.203 Die zweite Strophe schreibt sich räumlich den Anfangsversen ein, ordnet sich ihnen jedoch zeitlich über, indem sie die stillgestellte Ganzheit und die Selbstbewegung des Frühlingstableaus in die naturale Folge der Jahreszeiten überführt: Der Frühling malt nicht die Landschaft aus, sondern er streitet mit dem Winter. Zugleich schwenkt die wirkungsästhetische Zielrichtung vom Betrachter weg und läuft in die Natur zurück; die „Flur", nicht „Aug und Brust", wird „beglücket". Die Paradoxie der sich selbst bearbeitenden Natur exponiert der letzte Vers der Strophe augenscheinlich, denn die Natur hat keinen Gegenbegriff: Uber welchen Gegner kann die „Natur" siegen, wo sie als Objekt doch nur sich selbst hat? Die Natur ist demnach in sich hierarchisiert - der Frühling ist Natur, der Winter ist keine Natur oder nicht ganz so natürlich. N u r so läßt sich von einer sich verschönernden Natur reden. Indem der selbst der Natur zugehörige Vogel sich die Natur zum Objekt nimmt und sie besingt, verschleiert Hagedorn dabei die Verdoppelung der Natur - die „Lerchen" sind so „froh[ ]", wie die „Flur" vom Sieg des Frühlings „beglückt" ist. Nichts anderes als eine „Lerche" macht im übrigen Hagedorn. 200 201
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Ebda. No. 411, S.594. Noch einmal einige Belegstellen: Scaliger: Poetices libri Septem. Bd. I, S.94f.; Fontenelle: Abhandlung über die Natur der Schäfergedichte, S.76; Pope: Abhandlung von der Schäferpoesie, S.33; Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.115ff.; ders.: Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil, S.75; Batteux / Ramler: Vom Schäfergedicht, S.107; [Krause]: Von der Musikalischen Poesie, S. 2, 65. The Spectator. No. 411, S.594. Pope: The Iliad of Homer, S.446.
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Die dritte Strophe schließlich fokussiert den Blick auf den Bach und beobachtet dort die Wirkungen des Frühlings, das Spiel der Natur mit sich selbst: Das „Eis" verschließt den Bach, und „Sonn"* und „West" tauen ihn auf - eine Variation des Streits zwischen Frühling und Winter mit weitem Bedeutungshof. 204 Der Bach spiegelt die Umgebung, die zugleich durch den Bach „befruchtet" und „erfrischt" wird. Daß dieses „Spiegeln" durchaus nicht nur anschaulich gemeint sein kann, zeigt der Anfang der Reihe, die Spiegelung der „Luft". Man muß dabei vielleicht weniger an eine Luftallegorie denken. 205 Vielmehr lassen sich die Zeichen fast schon beliebig gegeneinander ersetzen, weil die Beziehung zwischen den Zeichen und ihre Bewegung die Bedeutung in den Hintergrund drängt.206 Mit dem Bezug auf Horaz („Flaccus") expliziert Hagedorn die poetische Selbstreflexion, die durch den Gesang der Vögel implizit formuliert worden war. Damit macht er die kontextabhängigen Verweise „jene" und „dort" mehrdeutig. Zugleich wirkt die Selbstherstellung der Natur auf die literarische Vorlage zurück, gibt ihr an realistischen Implikationen das, was diese der Natur an poetischen gibt. In der Anmerkung zu Horaz' „Tibur" spiegeln sich die Verfahren des Gedichts weiter, denn die Note zur Horazischen Natur teilt sich in literale und reale Bezugnahmen: „Tibur" ist einerseits ein literarischer Ort, den man in den Oden Horaz' findet, aber auch ein realer Ort, über den Addisons Remarks on several Parts of Italy - natürlich immer im Hinblick auf Literatur - informieren (W3, 87, Anm.*). Zunächst fällt auf, daß sowohl Horaz als auch Addison in ihren Darstellungen wenig für „Tibur"/„Tivoli" übrig haben und sofort von diesem Raum in imaginierte oder landschaftlich entfernte Räume abschweifen. Zweifellos ist die römische Villenstadt für Horaz ein wichtiger Ort. Aber Horaz' „Tibur" bleibt vage zwischen Literatur und Natur, zwischen poetologischer und persönlicher Bedeutungszuweisung stehen.207 Allenfalls auf 204
Brockes etwa verbindet das geschmolzene Eis mit „Handlung und Gewinn", wenngleich sich hier tendenziell eine Bewegung ergibt, die in eine Richtung, von den Flüssen ins Meer, verläuft (dem entspricht der Dank an Gott): „Die enteis'te Wellen rollen, / Von geschmoltznem Schnee geschwollen, / Itzt vermehrt zum W e l t = M e e r ' hin, / U n d vermehren, in den Waaren, / Die bald h i n = bald herwärts fahren, / Hamburgs Handlung und Gewinn: / Hamburg, laß denn, G O t t zu Ehren, / Auch dein Dancken sich vermehren!" (Das Wasser im Frühlinge. In: Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.19).
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Vgl. die Abbildung einer „Luft"-Allegorie als Wandmalerei und die Kupferstich-Vorlage
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Die „tändelnde" Anakreontik entzieht sich dadurch einem auf die Dichotomie wahr /
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Die von Hagedorn genannten Stellen (Carm. III, 4 und 29) geben bis auf eine Passage kaum
dazu bei Aldrian: Bemalte Wandbespannungen des XVIII. Jahrhunderts, Abb. 42 u. 43. falsch abzielenden Dichtungsverständnis (Verweyen: Emanzipation der Sinnlichkeit, S.277). landschaftliche Anhaltspunkte, und selbst Carm. I, 7 hat wenig mit dem in Hagedorns Gedicht Vorgeführten zu tun, ebensowenig wie die anderen Bezugnahmen Horaz' auf die Vil-
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einer sehr allgemeinen Ebene treffen sich Hagedorn und Horaz, der in Tibur die Topoi der Dichterlandschaft in einem realen Ort aufgehen läßt, in der Inszenierung der Natur als Ursprungsort von Dichtung. Bereits die Summation mehrerer Belege in der Anmerkung macht darauf aufmerksam, daß die einzelne Stelle nicht viel an Anschaulichkeit hergibt. Die Anmerkung zerlegt gleichsam die literarische Assoziation in ihre Einzelteile: Dem HorazKenner kommen bei der Nennung von „Tibur" so viele Stellen ins Gedächtnis, daß sich daraus eine Landschaft zusammensetzt. Damit führt Hagedorn literarisch die Herstellung der schönen Natur vor, also die eigenständige, die Natur verbessernde Neubildung der Landschaft mittels der im Bildgedächtnis gespeicherten Elemente.208 Addison verhält sich zu Horaz ungefähr so wie Pope zu Boileau in der ersten Anmerkung zu Die Freundschaft (vgl. Kap. 4.1) - einmal sieht man die Realität von der Literatur aus an, das andere Mal die Literatur von der Realität aus. Auch Addisons Beschreibung bewegt sich zwischen Literatur und Natur, rekurriert auf literarische Quellen, legt diese aber auf eine besondere Weise aus. Zunächst beschreibt Addison eine Landschaft als „Prospect" vor dem Hintergrund der literarischen Assoziation der Horazischen Odendichtung einerseits, der malerischen Verarbeitung der Gegend andererseits, dessen ganzheitliche Strukturierung sich durch die Aufteilungen des Bildraums, die Ordnung der Teile und dann insbesondere die Wasserfälle209 und das Zusammenspiel von Fluß und Landschaft ergibt.210 Addison zitiert nach
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lenstadt, etwa die Formulierung eines emphatischen Dichtungsverständnisses (Carm. 4, 3) oder die augusteische Panegyrik (Carm. 4, 2); vgl. dazu, auch weitere Belege aufzählend Troxler-Keller: Die Dichterlandschaft des Horaz, S.133ff. The Spectator. No. 417, S.601Í. Wasserfälle können gleichsam als vertikale Variante des Flußtals begriffen werden, wie Rubeen und Opitz es in den Discoursen der Maklern betrachten und interpretieren. Vgl. z. B. als Bildquelle aus einem andren Bereich bei Scheuchzer, auf den unten noch genauer eingegangen wird: Prospect des Rheinfahls ohnweit Schaffhausen [...] (Hydrographia Helvetica, Tab.n, vgl. auch ebda., Tab.I). „Tivoli is seen at a distance lying along the Brow of a Hill. Its Situation has given Horace occasion to call it Tibur Supinum, as Virgil perhaps for the same Reason intitles it Superbum. The Villa de Medicis with its Water-works, the Cascade of the Teverone, and the Ruins of the Sibyls Temple [...] are described in every Itinerary. I must confess I was most pleased with a beautiful Prospect that none of them have mention'd, which lies at about a Mile distance from the Town. It opens on one Side into the Roman Campania, where the Eye loses itself on a smooth spacious Plain. On the other Side is a more broken and interrupted Scene, made up of an infinite Variety of Inequalities and Shadowings that naturally arise from an agreeable Mixture of Hills, Groves and Valleys. But the most enlivening Part of all is the River Teverone, which you see at about a quarter of a Mile's distance throwing itself down a Precipice, and falling by several Cascades from one Rock to another, 'till it gains the Bottom of the Valley, where the Sight of it would be quite lost, did not it sometimes discover itself thro' the Breaks and Openings of the Woods that grow about it. The Roman
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dieser beschreibenden Passage die auch von Hagedorn angeführten Verse einer Horazischen Ode (Carm. 1, 7, 10 - 14). Die literarische Beziehung nimmt er aber nur zum Anlaß, die Erfahrung gegen ein aus der Schrift selbst heraus gewonnenes Verständnis der Schrift zu kehren, nämlich gegen die Interpretation von Dacier. Er findet dort einen Fehler, der nur dem unterlaufen kann, der die Gegend nicht mit eigenen Augen gesehen hat.211 Die folgenden zwei Strophen des Frühlings moralisieren die Natur. Sie präzisieren die zeitliche Dimension, die durch die Anbindung an den Naturzustand in der ersten, durch die jahreszeitliche Uberleitung in der zweiten und durch das literarische Vorbild in der dritten Strophe der Naturszenerie schon eingeschrieben wurde. Fast jeder Vogel singt; es schweigen Nord und Klage! Wie schön verbinden sich, zum Muster guter Tage, Die Hoffnung künftiger Lust, der itzigen Genuß! Ihr stolzen, güldnen Zeiten! Sagt, ob, an Fröhlichkeiten, Auch diese Zeit euch weichen muß. An Reizung kann mir nichts den holden Stunden gleichen, Da bey dem reinen Quell und in belaubten Sträuchen Die alte Freundschaft scherzt, die junge Liebe lacht. Am Morgen keimt die Wonne Und steiget mit der Sonne Und blüht auch in der kühlen Nacht. (W3, 87)
Die erste Strophe führt anfangs die Dichotomien „Frühling"/,,Winter", „Eis"/„Sonn' und West" in der Teilung von „VogelV„Nord und Klage" weiter und leitet dann zu Kontinuitäten zwischen Gegenwart („itzigen Genuß") und Zukunft („Hoffnung künftger Lust") über, in deren Dauer sich eine ungebrochene naturzuständliche „Fröhlichkeit" wiederfindet. Die folgende Strophe überführt die Spiegelung von spezifischer Situation und Weltzeit in die Spiegelung von Lebenszeit („alte Freundschaft", „junge Liebe") und Tageszeit („Morgen", „steiget mit der Sonne", „Nacht"). Damit wird zudem die hell/dunkel-Dichotomie der Einleitungsstrophe wieder aufgenommen. Freilich erzeugt hier die naturale Bildlogik einen Bruch, den man aus Zeit- und Lebensalterkonstruktionen kennt (vgl. Kap. 4.2): Im Unterschied zu „keimen", „steigen" und „blühen" als Kontinuität wäre in der Natur auch mit dem Verblühen zu rechnen. Aber die Aufgabe besteht gera-
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Painters often work upon this Landskip, and I am apt to belive that Horace had his eye upon it in those two or three beautiful Touches which he has given us of these Seats" (Addison: Remarks on several Parts of Italy, S.214f.). Ebda., S.216.
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de darin, die Wahrnehmung der Natur auch in einen anschauungslosen Raum zu retten. In seinem Nachtgedicht überträgt Hagedorn beispielsweise
die Dichotomien der laus ruris auf die Tageszeiten {Die Nacht·, W3, llOf.), und zwar in vergleichbarer Art wie in der Schlußpassage von der
Beschrei-
bung des Jenischen Paradieses (s. o.) In einer Folge von isomorphen Halbversen führt Hagedorn auch formal die Ahnlichkeitsbeziehungen vor: Es spielen Luft und Laub; es spielen Wind und Bäche; Dort duften Blum und Gras; hier grünen Berg und Fläche: Das muntre Landvolk tanzt; der Schäfer singt und ruht: Die sichern Schafe weiden, Und allgemeine Freuden Erweitern gleichfalls mir den Muth. (W3, 87)
Die vorgestellten „allgemeinen Freuden" wirken auch auf den Betrachter, der in einer letzten großen Reflexion die selbstinspiratorische Poetologie der Freude vorstellt: Es soll den Wald ein Lied von Phyllis Ruhm erfreuen; Den Frühling will ich ihr und sie dem Frühling weihen. Sie sind einander gleich, an Blüht und Lieblichkeit. Ihr frohnen meine Triebe, Ihr schwör' ich meine Liebe, Fürs erste bis zur Sommerszeit. (W3,87)
Zum dritten Mal läßt Hagedorn die Freude sich auf ein Objekt richten: In der ersten Strophe erfreut die Landschaft „Aug und Brust", in der zweiten Strophe beglückt der Frühling die „Flur" und in der letzten Strophe erfreut ein Lied den „Wald". Das Lied entfaltet im Lied seine Wirkung. Die Willensbekundungen („soll", „will") markieren den inszenatorischen Charakter der Veranstaltung. Daher kann dann auch der Chiasmus des zweiten Verses der letzten Strophe die metaphorische Gleichsetzung („Blüht und Lieblichkeit") des Folgeverses vorbereiten. Die Besonderheit der Schlußstrophe im Gedichtverlauf, wenn auch nicht im Gattungskontext,212 besteht in der Aufhebung der zeitlichen Kontinuität. Damit gibt das Gedicht seine naturale Logik und damit zugleich die Restitution des Naturstandes preis. Der Frühling dauert nicht länger als die Nebenstunde. Daß „Schönheit" in der „Verbindung" liegt und daß damit ein moralischer Anspruch verbunden ist („gute[ ] Tage"), wie Hagedorn es in der vier212
Vgl. zu den ironischen Enden der scherzhaften Lyrik: Perels: Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.201.
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ten Strophe formuliert, steht einer denkbar weiten Auslegung offen: Von Shaftesburys Kalokagathie-Ideal bis zu Wolffs Verbindung von Erkenntnis und Moral ließen sich Parallelen finden. Entscheidend ist aber nicht, ob Hagedorn sich an den einen oder anderen Denker anlehnt, sondern daß Hagedorn in der Poesie etwas gestaltet, was als gemeinsames Projekt vieler Aufklärer gelesen werden kann, und daß er dieses Projekt als Poesie gestaltet. Hagedorn stellt eine sich verselbständigende Natur dar, deren Formen auf viele Bereiche übertragbar sind. Er inszeniert ein Spiel der Zeichen, einen wechselseitigen Verweisungszusammenhang. Das auf mehreren Ebenen arbeitende Verwirrspiel der Zeichen läßt die Verweise zwischen den Ebenen hin und her laufen, so daß sich die Verweise nicht - wie etwa bei physikotheologischen Intentionen - in nur eine Richtung entfalten, wo die Zeichen gleichsam aufgesogen, in einem transzendenten Raum beruhigt werden. Was ζ. B. ist der „Lenz" eigentlich: Ist er der Frühling, eine Allegorie oder ein literarisches Motiv, oder ist er - wie der Zefir - für die Affekte „Metapher, Spiegel und Bewegungsgrund in der Natur"?213 Geht es in Die Alster um die Alster oder um Die Alster, in Harvstehude um Harvstehude oder um Harvstehude} Addison hatte die von Hagedorn hervorgebrachte Schönheit mit formalen Bestimmungen beschrieben: „This consists either in the Gaiety or Variety of Colours, in the Symmetry and Proportion of Parts, in the Arrangement and Disposition of Bodies, or in a just Mixture and Concurrence of all together".214 Das Vergnügen an Ähnlichkeiten nun führt Addison auf mehreren Ebenen durch: zwischen Natur und Kunstwerk, in der Natur und im Werk selbst.215 Wichtig sind die beiden letzten Momente, die Idee einer Wiederholung der Natur in sich selbst - etwa in Steinbildern - und die Idee der Wiederholung eines Kunstwerks in sich selbst - diese Verfahren finden sich auch in Hagedorns Natur. Daß Addison zur Exemplifizierung dieser These auf Landschaftsmalereien an Wänden und auf die Gartenkunst zu sprechen kommt und danach ein Stück zur Architektur einrückt, ist symptomatisch. Die Nachahmung zielt dann - nach J. E. Schlegel216 - auf das „Vergnügen" und bezieht sich auf die Natur nicht als einfaches Nachbild. Die 'natürliche'
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216
Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 5/II, S.167. The Spectator. No. 412, S.595. The Spectator. No. 414, S.597Í.; ebda. No. 416, S.600Í. Man begibt sich dabei in gefährliche Nähe zu dem, was auch Addison als „false Wit" bezeichnet, nämlich der sinnentleerten Vergleichung als Buchstabenspiele etc. Systematisch hat J. E. Schlegel diesen Gedanken als Grundprinzip der Poesie ausformuliert. Hagedorn wird auch diesen Ansatz gekannt haben, denn Schlegel veröffentlicht ihn in den Bremer Beyträgen ([Schlegel:] Abhandlung, daß die Nachahmung der Sache, der man nachahmet, zuweilen unähnlich werden müsse).
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Natur kann niemals so vollkommen sein, wie ihr Abbild.217 „The Poet seems to get the better of Nature [...]".218 Das steht im Hintergrund von Hagedorns Ästhetik des „schnellen Blick[s]": „The Action of Mind", die innerliche Bewegung des Lesers durch den vom Autor geleiteten umherschweifenden Blick, kommt durch die Distanz vom nachgeahmten Gegenstand zum Bewußtsein, und zwar nicht nur in „Suspense"-Erlebnissen, sondern auch in der Darstellung der amoenen Szenerie.2" Wolfgang Iser hat die bukolische Tradition von ihren Anfängen bis ins 17. Jahrhundert als poetische Darstellung der Poesie und ihrer Verfahren gelesen. Auf verschiedenen Ebenen - intertextuell, intratextuell, extratextuell - verfolgt er die Art und Weise, wie die Elemente der „Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären" zueinander in Beziehung treten.220 Als durchgängige Verfahren, denen ein immer neuer historischer Sinn abzugewinnen ist, stellen sich diejenigen von „Doppelung", „Spiegelung" und eines spielenden Umgangs mit Zeichenbeziehungen heraus, und zwar letzteres gerade nach der Infragestellung der analogischen Weltordnung, die Iser mit Foucault nach dem Zerbrechen einer ternären, durch Ähnlichkeiten in sich stabilisierten Zeichenbeziehung ansetzt. Dabei bildet die Bukolik einen Zwischenraum aus: „Historisch löst der Spielraum die ternäre Zeichenbeziehung ab, ohne dadurch schon eine binäre zu etablieren".221 Man könnte Isers an anderer Stelle angeführte Begründung für den Bedeutungsverlust der Bukolik, der einsetzt, wenn die „Funktion literarischer Fiktionalisierung nicht mehr der Veranschaulichung bedurfte", wohl so verstehen, daß dieser Zeitpunkt mit der Etablierung einer binären Zeichenbeziehung zusammenfällt. Anders formuliert: Wenn der Mimesisgedanke über die Gattungstradition der Bukolik dominiert, setzt eine die Gattung im Kern angreifende Transformation ein, die man als Annäherung der Schäferpoesie an die Realität verstehen kann222 - man muß nur wissen, was man als „Realität" verstehen möchte und was als „Annäherung" daran oder Bezugnahme darauf. Denn es gibt, wie gesagt, auch zu Zeiten Hagedorns noch mancherlei Weisen, die Schäferdichtung realistisch zu lesen: historisch als Abbild des Urzustandes, anthropologisch als Abbild des Menschen schlechthin oder naturnachahmend als Abbild bestimmter Gegenden, etwa der Schweiz.223 Die Grenzen der Neben-
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Ebda., S.507. The Spectator. No. 416, S.601. Ebda. No. 417, S.603Í. Vgl. zum zugrundegelegten theoretischen Ansatz: Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, S.19ff.; vgl. zur Interpretation der Bukolik: ebda., S.52ff. Ebda., S. 124. So legt es Burghard Dedner nahe: Topos, Ideal und Realitätspostulat, S.158f.. Ebda., S.4. Vgl. zu Geßner: ebda., S.23ff„ 160.
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stundenpoesie zeigen sich in diesem Fall bei Hagedorn zunächst daran, daß er die Zeichen offensichtlich nicht von ihrem literarischen Hintersinn befreit. Mit den zeittypischen224 darstellerischen Verfahren des Frühlings arbeitet Hagedorn noch in einigen anderen Gedichten.225 Interessant ist Die Empfindung des Frühlings (W3, 68), ein Gedicht, das Hagedorn im zweiten Teil der Oden und Lieder lediglich Der Frühling genannt hatte. Die Titeländerung mag werkinterne oder literaturpolitische Gründe haben - zwei Gedichte mit einem Titel wären nicht sehr einfallsreich, und das Signalwort „Empfindung" koppelt das Gedicht an die innovative Poetologie der Zeit an. Du Schmelz der bunten Wiesen! Du neu=begrünte Flur! Sey stets von mir gepriesen, Du Schmelz der bunten Wiesen! Es schmückt dich und Cephisen Der Lenz und die Natur. Du Schmelz der bunten Wiesen! Du neu-begrünte Flur! (W3, 68)
Die motivische Parallelität überträgt Hagedorn hier in die Versifikation. Die Strophenform lehnt sich eng an die anakreontische Versstruktur an, variiert diese aber durch den strophischen Aufbau sowie die Mischung von Reimung und Wiederholung. Der Inhalt affiziert den Leser, Hörer oder Sänger nurmehr sekundär, primär aber die formale Bewegung. Anders formuliert: Die Empfindung des Frühlings ist nicht das Thema des Gedichts, sondern sie ist das Gedicht.226 Der Titelwechsel verwundert dabei nicht weiter, denn die Bewegung der Empfindungen, die Bewegung der Verse und die Bewegung des Frühlings gleichen einander. Die Pedes der Metrik setzen sich in menschliche Bewegung um - ζ. B. im Tanz (s. o.).227 Der Realitätsbezug der Dichtung liegt auf dieser transliteralen Ebene. Hagedorn ersetzt gleichsam durch
224
225 226
227
Gerade Ebert benutzt die erwähnten Figuren in den Oden in Telemanns Vier und zwanzig [...] Oden, zu denen auch Hagedorn Beiträge geliefert hat. Vgl. ζ. B. Der Schäfer und Das Landleben. Vgl. ζ. B. Die Vögel (W3, 34), Landlust (W3,69), Der May (W3, 97), Der Morgen (W3,109). Pereis schreibt über die Natur in der Rokokolyrik: „Wir haben daher einen objektbezogenen Begriff des Natürlichen vor allem im Bereich der Affekte und Handlungen zu suchen" (Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.185). In Der May läßt Hagedorn die Natur sich auf bekannte Weise bewegen: Die Vögel verhalten sich wie der Schäfer und seine Herde, der Wind durchweht in gleicher Weise die Natur und die „jugendlich scherzende Liebe / Empfindet die Reizung der Triebe, / Empfindet die schmeichelnde Luft" (W3, 98). Aus dieser Situation entwickelt sich spontan ein Tanz, der wiederum das vormalige Verhalten des „braunefn] Sabinerfs]" wiederholt.
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den Titel die Musik, denn die Musik bezieht sich vornehmlich nicht auf etwas Sichtbares, sondern auf Affekte und Empfindungen. 228 Im Vergleich mit Christian Ewald von Kleists Der Frühling sieht man die Zwischenstellung von Hagedorns Gedicht. Der Frühling von Kleist stellt in mehrerlei Hinsicht eine avancierte Form von Naturdichtung dar, gerade wenn man an die metrische und sprachliche Innovation oder an den Zugewinn an Realitäts- und Authentizitätssignalen denkt. Auf der anderen Seite geht er auch an einigen Stellen hinter Hagedorn zurück. Und man könnte zumindest fragen, ob nicht, wie beim Vergleich von Brockes und Hagedorn, die Ansätze beider Dichter gemeinsam erst eine entscheidende Andersartigkeit begründen. Hagedorn schreibt über Kleists Gedicht in einem Brief an Bodmer: Haben sie nicht den 'Frühling' das mahlerische und angenehme Gedicht, mit ausserordentlichem Vergnügen gelesen? Doch daran zweifle ich nicht. Nur ist mir die Freiheit, womit er die Berge 'Brüste der Natur' nennt, zuweilen etwas anstössig und zu italienisch: zuweilen aber auch nicht. Wie würde Brokes sich an dem 'Frühling' vor vielen Lesern ergözet haben! (24. 9. 1750; Β 302)
Der Vergleich mit Brockes wird sich einerseits aus den expliziten physikotheologischen Passagen von Kleists Der Frühling herschreiben.229 Allerdings prägen dergleichen Stellen das Gedicht kaum so umfassend, daß der Vergleich sich als dominante Assoziation aufdrängt. Vielmehr könnte Brockes für ein Verfahren expliziten Vergleichens stehen, das von Kleist durchgehend verwendet wird. Daher bezieht Hagedorn sich auch auf das Bild der „Brüste", das das Vergleichen selbst in den Vordergrund rückt: „Gebürge die Brüste der Reben / Stehn frölich um ihn herum [...]".23° An anderer Stelle ist Kleist noch deutlicher: „Jedoch nun schiffen von neuem / Beladne Wolken vom Abend und hemmen wieder das Licht / Sie schütten Seen herab, und säugen die Felder wie Brüste. -~"231 Derartig explizite Hinweise auf das Verfahren („wie") durchziehen den Frühling, beginnend beim bukolischen Motiv der Natursympathie (die Töne des Dichters sollen sich „wie Zefirs Lispeln" und „wie die rieselnden Bäche" verhalten), über allegorische Konstruktionen („Lebensbach" oder „Bäche der Weisheit"), bis hin zur Reflexion von Verbildlichung (dem Betrachter zeigen sich „tausend farbige Scenen", „Bilder des Frühlings", oder eine „Hausfrau" gleicht einem „Bild der Anmut h").232 228
229 230 231 232
Vgl. zur Musik als Medium der Affekterregung im Unterschied zu einem malenden Begriff von Musik: [Krause]: Von der musikalischen Poesie, S.52ff. Vgl. auch: Batteux: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, S.232ff. Kleist: Sämtliche Werke, S.44, 46, 56. Ebda., S.18. Ebda., S.54. Ebda., S.10, 16, 30, 32.
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Hinzu kommen noch auffällige, der „Schwulst"-Kritik sich anbietende Bilder, wie der „Thron[ ] der Tugend", die Lilie als „Fürstin der Blumen", die von „Demant ähnlichen Tropfen" gezierte Wiese (auf Haller anspielend) oder die „Bühne des Himmels". 233 Bereits Vorrede und Gedichteingang stehen in einem schwierigen Verhältnis zueinander, denn die Vorrede behauptet den Realismus der Naturdarstellung, das Exordium jedoch macht die Natur sogleich zum Innenraum - die „Schatten" sind „Wohnungen", die Bäume bilden „Gewölbe". 234 Oben wurde bereits auf die Natur in Form eines „Teppich[s]" oder von „Tapeten" hingewiesen.235 Auffallend wird diese Pluralität der Ebenen gerade durch den Bezug auf ein sich als organisierendes Zentrum inszenierendes Ich, das in der sprachlichen Pluralität seine Einheit nicht gefunden hat. Formen der Inszenierung, die Hagedorn als Wiederholung der Naturtätigkeit integrieren kann, erzeugen auf diese Weise Brüche. Hagedorn rückt eher die Homologie und Ähnlichkeiten so in den Vordergrund, daß das Verglichene auf verschiedenen Punkten einer Achse zu liegen kommt, wie generell im 18. Jahrhundert die Zeichen der Natur gleichsam flach werden, ihre transzendente Höhen- oder Tiefendimension verlieren.236 Das Modell dafür bietet die Idee einer guten, in sich stimmigen und harmonischen Welt. Wenn in der Welt, wie Wolff es in der Teleologie formuliert, „eines um des andern will da" ist, dann erscheint sie damit, zumal in einer apologetischen Schrift, als „Spiegel" Gottes.237 Aber diese Spiegelbildlichkeit hat nicht nur fromme, jenseitsorientierte Konsequenzen: Sie erzeugt zwar ein „Vergnügen in Gott", sie macht aber auch die Welt für den Menschen nützlich.238 Der „Wind" beispielsweise, der in der Bukolik die Landschaft als Zephyr durchweht, erfüllt Funktionen wie Kühlung, Fruchtbarmachung, Lüftung, bewegt die Schiffe und die Mühlen und hygienisiert die Luft. Der Mensch muß dabei an Gott denken oder - wenn der Wind ausbleibt - eine Strafe Gottes vermuten.239 Deutlicher als Wolff in seiner apologetischen Schrift hatte Leibniz in der Theodizee Konsequenzen der Querlegung der Verweise herausgearbeitet: In der Auseinandersetzung um die Gewichtung von Macht und Weisheit Gottes präferiert Leibniz die 233
Ebda., S.10, 28, 54, 56.
234
Ebda., S.9f.
235
Ebda., S.14, 44.
236
Kemper zeigt am Beispiel des Bildfelds „Wasser", wie ein „hohes Maß an kompositioneller Verknüpfung in Aufbau und Motivgestaltung" die „Voraussetzung für das Gelingen dieses im Gedichtablauf dargestellten und in der Natur gespiegelten Prozesses" des Stimmungswechsels ist (Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 5/II, S.168f.; ders.: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.382).
237
Wolff: Vernünfftige Gedancken Von den Absichten Der natürlichen Dinge, unpag.
238
Ebda., unpag. (Vorrede), S.6.
239
Ebda., S.167ff.
(Vorrede), S.17.
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Weisheit und entmächtigt damit - zumal aus Sicht seiner Gegner - den providentiellen Handlungsspielraum Gottes. Plausibel wird diese Priorität der Weisheit durch den Aufbau des Weltgebäudes, in der alles füreinander seine Funktion erfüllt: „tous les règlements de toutes choses ayant une parfaite harmonie entre eux, et se déterminant mutuellement". 240 Wie in der Metaphysik die Horizontalisierung der Zeichen eine Autonomisierung der Welt hervorbringt, treibt auch die Horizontalisierung der poetischen Zeichen die Autonomisierung des Kunstwerks voran. Karl Philipp Moritz wird zeigen, daß die Applikation des in sich vollendeten Ganzen auf die Kunst vielfältige berührungslose Parallelitäten erzeugt, ζ. B. zwischen der Welt und dem Werk, aber auch zwischen dem malerischen und dem literarischen Kunstwerk. 241 Die Sprache kann das Ganze eines Gemäldes nachvollziehen, aber nicht beschreiben. Soweit ist Hagedorn freilich nicht. Bei ihm geht es zunächst einmal darum, den Blick zu disziplinieren und ihm eine bestimmte Perspektive einzuprägen. U m es mit Hagedorn in einer Variation der in Harvstehude empfohlenen Übung („Man übet hier auf freyer Wiese / Bald das Gesicht, bald den Geschmack"; W3, 119) zu sagen: Nichts darf den Weisen binden, Der alle Sinnen übt, Die Anmuth zu empfinden, Die Land und Feld umgiebt. Ihm prangt die fette Weide Und die bethaute Flur: Ihm grünet Lust und Freude, Ihm mahlet die Natur. (Die Landlust·, W3, 71)
Hagedorn formuliert damit Addisons Einsicht um: „A Man of Polite Imagination is let into a great many Pleasures, that the Vulgar are not capable of receiving". Wenn man seine Sicht geordnet hat, dann kam man auch die „most rude uncultivated Parts of Nature" für sein Vergnügen gebrauchen. 242 Das Verhältnis von schöner Natur und verschönerndem Blick bleibt ambivalent, und diese Ambivalenz wiederum ist an die Selbstverbesserung ge-
240 241
242
Leibniz: Die Theodizee, S.46. Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen; ders.: In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können? The Spectator. No. 411, S.593f. Addisons Artikelreihe zu den „Pleasures of Imagination" schwankt in ihren Beurteilungsmaßstäben stark. An anderer Stelle setzt er das Ungebildete des direkten, sichtbaren Genusses der ausgefeilten künstlichen Wiederholung entgegen (ebda. No. 414, S.597), während er am Ende wieder die imaginative Zusammensetzung und Vervollkommnung der Natur bevorzugt (ebda. No. 419, S.604f.).
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bunden: Zur Kontrolle der imaginativen Verbesserung der Natur muß „the Perfection of Imagination" angestrebt werden.243 Theoretisch liegt der „Dualismus des Schwankens" der empiristischen Wahrnehmungslehre zugrunde, in der der Frühling sich zwar gleich einer „·camera obscura" in die Augen malt,244 dessen Bildhaftigkeit sich aber nicht nur durch „sensation", sondern auch durch „reflection" 245 einstellt: Wir nehmen „les distances, les grandeurs, les figures, les situations" nicht wahr, sondern nur Farben und Licht - alles andere müssen wir erst durch Erfahrung lernen. Voltaire wählt dazu das Beispiel der politischen Verhaltenslektüre. Auch dort muß sich der Beobachter den Zusammenhang zwischen äußeren Zeichen und innerer Einstellung sukzessive aneignen. Deutlicher kann man die Erfindung der Identität und Natürlichkeit aus der Simulation und Dissimulation kaum machen.246 Die Funktion Hagedorns für die Neubestimmung oder Entdeckung von poetischer „Natürlichkeit" wie von „Natur" hat Bodmer paradigmatisch im 74. Brief der Neuen Critischen Briefe dargestellt: Bodmer bringt Hagedorn in persönlichen Briefen, dann auch in den Neuen Critischen Briefen mit der mittelhochdeutschen Poesie in Zusammenhang (z. B. EschV, 190ff.). Der Schweizer stellt damit eine Tradition für die neuere deutsche Poesie zur Verfügung, arbeitet also weiter an den Wertmaßstäben für die gegenwärtige Dichtung und versucht darüber zugleich, seinen Status als Literaturkritiker und -historiker zu verbessern. Die „Natürlichkeit", die er bei Hagedorn und den Minnesingern entdeckt, soll zugleich die „Natürlichkeit" seines eigenen Urteils sein. Die Natur spielt dabei in der Erzählung vom „Erdmännchen", das - hervorgelockt durch die Lieder Hagedorns - dem Briefschreiber der Neuen Critischen Briefe die Manessische Liederhandschrift übergibt, eine wichtige Rolle. Sie gibt die Szenerie für die märchenhafte Begegnung und das Sujet der gesungenen Lieder ab (der Briefschreiber zitiert von Hagedorn
243
Ebda. N o . 416, S.601.
244
Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, S.647ff„ 649f.
245
Kondylis: Die Aufklärung, S.289. Brocker: Arbeit und Eigentum, S.456f.
246
„Comment nous représentons-nous donc les grandeurs & les distances? De la même façon dont nous imaginons les passions des hommes, par les couleurs qu'elles peignent sur leurs visages, & par l'altération qu'elles portent dans leurs traits. Il n'y a personne, qui ne lise tout d'un coup sur le front d'un autre, la honte, ou la colère. C'est la Langue que la Nature parle à tous les yeux; mais l'expérience seule apprend ce langage. Aussi l'expérience seule nous apprend, que quand un objet est trop loin, nous le voyons confusément & faiblement. Delà nous formons des idées, qui ensuite accompagnent toujours la sensation de la vue" (Voltaire: Elémens de la Philosophie de Neuton S.82f.). „L'objet propre & immédiat de la vue, n'est autre chose que la lumiere colorée: tout le reste, nous ne le sentons qu'à la longue & par expérience. Nous apprenons à voir, précisément comme nous apprenons à parler & à lire. La différence est, que l'art de voir est plus facile, & que la Natur est également à tous notre Maître" (ebda., S.85).
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insbesondere die auch hier interessierenden Gedichte Die Schönheit, Der Frühling und die Empfindung des Frühlings). Der Erzähler holt aus der Natur die Schrift heraus, indem er sich durch die Natur der Hagedornschen Poesie einen Zugang zum unterirdischen Bereich erschlossen hat. Die Natur bildet gleichsam den Raum für ein literarisches Gedächtnis, denn auch Hagedorn so vermutet das „Erdmännchen" - muß in einem „verborgenen Gewölbe" die alten Lieder eingesehen haben und von ihnen inspiriert worden sein.247 Die oberflächliche Kontinuität der Naturszenerie entspricht somit der Diskontinuität einer Literaturarchäologie, die die Verwerfungen der Literaturgeschichte (Schwulst vs. Natürlichkeit) überwindet. Die Natur ist immer gleich, egal wie verschieden die auf sie verweisenden Zeichen sind. Beides zusammen erst sichert Hagedorn seinen literaturhistorischen Stellenwert. Man sieht, welche Funktion die mehrdeutige Position von Hagedorns Poesie zwischen Literatur und Natur ästhetikgeschichtlich hat: Sein Werk stellt die Möglichkeit bereit, zwischen Natur und Literatur hin und her zu wechseln und jeweils das eine durch das andere aufzuwerten - für beide Seiten kann man daher das Wort „Natur" verwenden. Die wissenschaftlichen Darstellungen der besten oder einer guten Welt, die auf einen gütigen Schöpfer direkt oder indirekt verweist, werden im Medium ähnlicher Verfahren formuliert, wie Hagedorn sie zur Darstellung einer in sich geschlossenen bukolischen Natur verwendet. Das baconianische Programm fußt ja ebenfalls auf der Zweiheit von Empirie und Theoriebildung, von Gesetzgebung durch die Natur und Regulierung der Natur. Auf poetische Verdoppelungen bei Brockes wurde bereits hingewiesen. Addison sieht die Wiederholung der Natur in sich selbst nicht nur als Äquivalent zur künstlerischen Tätigkeit, auch die durch Mikroskop und Fernrohr erforschte Welt zeigt sich als Wiederholung gleicher formaler Prinzipien auf allen Ebenen. 248 Wieland folgt in seinem literarischen Frühling dieser Darstellungsform instruktiv, denn dort stellt sich die „weise Natur" dem Weisen als Homologie Gottes oder seiner „Weisheit" dar.249 Der Weise spiegelt sich sowohl nach unten - in der Natur - wie auch nach oben - in Gott. 250 Die naturwissenschaftlichen Darstellungen der Zeit setzen sich mit den literarischen Formen auseinander und wirken auf die Poesie zurück. Der von Hagedorn zitierte Spectacle de la Nature beispielsweise beginnt am unteren Ende der Erkenntnisentwicklung (bei den Kindern) und am unteren 247
Neue Critische Briefe. 74. Brief, S.483.
248
The Spectator. N o . 420, S.605Í.
249
Wieland: Der Frühling, S.310.
250
Dabei gehört die Vereinheitlichung des Kosmos, die jedes Teil dem Ganzen oder einem anderen Teil vergleichbar macht, mit der methodologischen Abweisung des Analogiegedankens zusammen (Algarotti: Le Newtonianisme pour les dames. T o m e II, S.127f.; vgl. dazu: Kondylis: Die Aufklärung, S.308).
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Ende der Wesenskette (bei den Pflanzen und bei den kleinen Tieren der nächsten Umgebung) - daher verwendet Hagedorn den Spectacle als naturgeschichtliche Quelle für seine Fabeln (W2, 17, 24).251 Der Spectacle will der Ordnung der Natur folgen, nicht dem System einer Methode.252 Sein Ziel ist „instruction" und „plaisir", und die Natur, die er daraufhin befragt, gibt die entsprechenden Antworten: „Tout y est capable de plaire & d'instruire, parce que tout y est plein de desseins, de proportions, & de précautions". Die alte Metapher vom Buch der Welt bekommt hier einen neuen Sinn: Alle Körper - so der Spectacle - sind un langage qui s'adresse à nous, & même qui ne s'adresse qu'à nous. Leur structure particulière nous dit quelque chose. Leur tendance à une fin, nous marque l'intention de l'Ouvrier. Leurs rapports entre eux & avec nous sont autant de voix distinctes qui nous appellent, qui nous offrent des services; & qui par les avis qu'elles nous donnent, remplissent notre vie de commodités, notre esprit de vérités, notre cœur de reconnoissance. Enfin l'on peut dire que la Nature est le plus savant & le plus parfait de tous les livres propres à cultiver notre raison
Die „reconnoissance" in zweifacher Bedeutung (Erkenntnis und Wiedererkennung) macht die Natur zwar zum Buch, aber zu einem Buch, das den als neu propagierten Lektüreerfordernissen gerecht wird. Immerhin treiben auch hier - wie in anderen naturwissenschaftlichen Werken und in den mit Statuen durchsetzten Gärten - die Putti ihr Unwesen254 und überschreiten wie die Innenräume bebildernde Natur - im omnipräsenten Bilderkosmos die Grenzen. Wenn man es im Barock mit einer alles durchdringenden Emblematik, mithin einem „emblematischen Zeitalter" zu tun hat,255 dann wäre die Aufklärung in einem bestimmten Sinn als „natürliches" Zeitalter zu titulieren, das einer sich im Wechselspiel von Literatur und Natur entwikkelnden Natürlichkeit folgt.256 Johann Jakob Scheuchzers Natur=Histori des Schweitzerlands, die im 18. Jahrhundert für die literarische Schweizerkundigung von großer Bedeutung war257 und mit deren Hilfe auch Hagedorn seinen imaginierten Ausflug zu Bodmer unternimmt (B 295), ist mit anderer Intention und mit anderer Dar251 252 253 254
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Vgl. zu ähnlichen Belegen oder Elementen in den Fabeln: W2, 37, 46, 117f., 122, 124. Le Spectacle de la Nature, S.VI. Ebda., S.rVf. Ebda., S.352. Noch aufdringlicher sind die allegorischen Kupfer in Voltaires Elémens de la Philosophie de Neuton mit Putti gefüllt. Vgl. die Bemerkungen zur Omnipräsenz der Emblematik bei Schöne: Emblematik und Drama, S.58ff. Nicht umsonst markiert Hirschfeld die Grenzen der Theoriesprache in seiner Theorie der Gartenkunst durch den Übergang in die Poesie, in das Werk auch von Hagedorn (vgl. ζ. B. Theorie der Gartenkunst, S.178). Dürst: Johann Jakob Scheuchzer und die Natur-Histori des Schweitzerlands, S.32ff.
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stellungweise ein älteres, instruktives Beispiel. Scheuchzer polemisiert gegen die Stubengelehrten, plädiert für genaue Naturbeobachtung, die dann wieder mit „Mathematischen Grundsäzen" zusammengeführt werden muß, und er verbindet eine zergliedernde Darstellung mit dem zumindest programmatisch formulierten physikotheologischen Interesse.258 Die physikotheologischen Ausführungen verlieren sich allerdings zwischen den vielen Tabellen und Aufzählungen ebenso wie die hier interessierenden beschreibenden Passagen.259 Die göttliche Abkunft der Luft plausibilisiert Scheuchzer beispielsweise, indem er zeigt, wie diese das Leben ermöglicht. Ohne Unterbrechung gelingt dabei der Ubergang von der Naturphilosophie zur Naturästhetik: „Ohne diese Ausdehnung / ohne diesen Himmel Gen. I. 6. 7. kan nicht bestehen das Feuer / nicht fliessen das Wasser / nicht in demselben leben die Fische. Wie spielet die Luft so zierlich mit allerhand farbichten Wolken / in denen Abend = und Morgendemmerungen?"260 So finden sich dann auch die typischen Reflexionsformen: Die Schweiz beispielsweise ist funktional in den europäischen Kontext eingebettet als „Schatzkammer" von Wasser, Wolken und Winden, 261 und sie spiegelt in sich selbst das Außenverhältnis mehrfach wider: „Gleich wie die Schweitz ein kurzer Begriff ist von ganz Europa / also kan man wol sagen / der Canton Zürich seye ein Compendium oder kurzer Begriff des Schweitzerlands. Da finden sich Berge / Thäler / flache Länder / Acker / Weinberge / See / Flüsse / süsse und mineralische Wasser / ja fast alles / was zu des Menschen Leben kommlich und nothwendig ist".262 Freilich gehört auch die Kultivierung des Landes zur Herstellung eines „irdische[n] Paradeis[es]".263 Aber diese „Verhimmelung" ist nur eine Möglichkeit, und am anderen Ende der Skala steht die „Enthimmelung". Wenn Haller in Die Alpen in Teilen noch der Naturästhetik des wechselseitigen Verweises264 folgt, so übernimmt Kästner in seinem Philosophischen Gedicht von den Kometen das 258
Seine methodologische Ausrichtung illustriert der Erfolg, den er mit seinen Arbeiten bei der Royal Academy hatte - Newton gehörte beispielsweise zu seinen Förderern (vgl. zu Scheuchzers Lehrern und seinen wissenschaftlichen Verbindungen: ebda., S.lf., 5f., 17f., 33) -, sowie die Tatsache, daß er in die Natur-Historie des Schweitzerlands eine Arbeit Wolffs integriert, in der dieser eine außergewöhnliche Naturerscheinung analysiert gemäß seinem „Ambt[ ]", „die natürlichen Würkungen und Begebenheiten der Natur zu erklären" (Wolff: Gedancken über das ungewöhnliche Phoenomenon, S.51).
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Vgl. auch die Bibelexegese Scheuchzers in der Kupfer-Bibel, die als Komplement die naturwissenschaftliche Erklärung der Bibel unternimmt. [Scheuchzer]: Helvetia Stoicheiographia, S.4f. Scheuchzer: Meteorologia et Oryctographia Helvetica, S.l. [Scheuchzer]: Helvetia Stoicheiographia, S.35, 43. Ebda., S.63. Haller: Versuch Schweizerischer Gedichte, z. B. S.45f. Vgl. dazu bei Grimm: Erfahrung, Deutung und Darstellung der Natur in der Lyrik, S.214f.
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naturwissenschaftliche Verfahren von Beobachtung und Hypothesenbildung ohne Interesse an Korrespondenzen. 265 Auch avancierte naturwissenschaftliche Positionen, die wie Scheuchzer dem baconianischen Programm der Zusammenführung von Experiment, Beobachtung, Theoriebildung und mathematischer Methode folgen, blenden die Harmonie weitgehend aus. Peter von Muschenbroeck, in dessen Kompendium Hagedorn unerwartete „Schönheiten" entdeckt (an Bodmer; 27. 9. 1749; Β 277), wiederholt zwar wie sein Ubersetzer Gottsched -, es sei ihm um die Erkenntnis Gottes zu tun.266 Es bleibt aber bei dieser Absichtsbekundung, wenn man nicht gerade in einer argumentativen Sackgasse steckt (bei der letzten Ursache oder bei der Entkräftung einer Gegenmeinung). 267 Gleichwohl können die Formen überdauern, etwa im Prinzip der Einheit von Großem und Kleinem, dem Grundsatz „maxima in minimis".268 Die Vergleichbarkeit der Elemente in der Welt verweist jedoch nicht nur auf Strukturhomologien. Auch Mensch und Tier rücken sehr nahe zusammen.269 Vor diesem Hintergrund erscheint ein Gedicht wie Die Vögel (W3, 34) in einem neuen Licht: Wenn der Mensch von den Vögeln lernen kann, oder wenn er sich in vergleichbarer Weise verhält, dann läßt das auf tiefgehende Ubereinstimmungen zwischen Mensch und Tier schließen. Nicht umsonst werden für einen materialistischen Ansatz wie etwa denjenigen Johann August Unzers die Gedichte Hagedorns in verkürzender Rezeption als Belegstellen interessant.270 Selbst der Pflanze spricht man bisweilen Empfindungsfähigkeit zu.271 Hagedorn schreibt: „Es webet, wallt und spielet / Das Laub um jeden Strauch, / Und jede Staude fühlet / Des lauen Zephyrs Hauch" {Die Landlust·, W3, 69). Wielands von Hagedorn gelobtes272 Lehrgedicht über Die Natur der Dinge oder Die vollkommenste Welt interessiert dabei in zweifacher Weise: Zum einen deutet Wieland in einigen Passagen die bukolische Natur realistisch als
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Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. 1. Bd. 2. Theil, S.69ff. Muschenbroek: Grundlehren der Naturwissenschaft, unpag. (Vorrede des Hern Verfassers). [Gottsched]: Vorrede des Herausgebers, unpag. Muschenbroek: Grundlehren der Naturwissenschaft, S.10, 55ff., insbes. S.62f. Vgl. zur Kritik an Darstellungsformen ebda., S.245f. So ζ. B. bei: Krüger: Naturlehre, S.5. Vgl. zum Prinzip „maxima in minimis": Grimm: Erfahrung, Deutung und Darstellung der Natur in der Lyrik, S.211Í. „Was hier von dem Menschen gesagt worden, gilt mit einiger Veränderung von allen übrigen Thieren" (Krüger: Naturlehre, S.789). Finze: Empfindung, Vergnügen und Arkadien bei Johann August Unzer, S.239ff. Ingensiep: Der Mensch im Spiegel der Tier- und Pflanzenseele. Davor macht Krüger allerdings halt (Naturlehre, S.754). Vgl. Wieland: Die Natur der Dinge, S.9.
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Abbild der „besten Welt".273 Zum anderen weitet Wieland mit naturphilosophischem Anspruch das innerpoetisch wirksame Prinzip der Ähnlichkeit zu einer den ganzen Kosmos (ζ. B. als „Liebe") durchdringenden Kraft aus, die ein „Ganzes" bildet.274 Die Verweiskraft der Natur wird dabei durch die physikotheologische Rhetorik eingearbeitet, aber auch aus der Bildlichkeit selbst entwickelt: Die die Szenerie belebende Sonne verbildlicht die göttliche Tätigkeit, sie wird zur Einbruchstelle für die Transzendenz, zum die Reflexionen in eine Spirale umlenkenden Zeichen.275 Im vierten Buch seines AntiLukrez versucht Wieland dann, das gefährliche Thema einer vom Mineralienreich aufsteigenden Linie von Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit vorzustellen. Gefährlich ist das Thema vor allem deswegen, weil man damit nah an die denkfähige Materie mit ihren monistischen Implikationen herankommt.276 Reimarus diskutiert in seiner Abhandlung von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, die Hagedorn als Therapeutikum verwendet (B 406), die Schwierigkeiten, die sich aus den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben. Die Zweigeschlechtlichkeit muß die Selbsthervorbringung verhindern.277 Wie auch immer: Wieland fügt zur Illustration der durchgehenden Beseelung der Welt ein kleines Frühlingsgedicht in Hagedornscher Manier ein, das von der Empfindungsfähigkeit der Pflanzen überzeugen soll.278 Auch Shaftesbury hatte zur Illustration seiner Idee vom harmonisch organisierten, nach musikalischen Prinzipien geordneten Weltall die amoene
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Z. B. ebda., S.21f. Vgl. ζ. B. die Ganzheitsschau als Kompetenz des Weisen: ebda., S.54. Vgl. zur „Ähnlichkeit" als Prinzip der großen Kette der Wesen: ebda., S.60. Ebda., S.35. Freilich bleibt dieses Beispiel wie gehabt ambivalent. Wie in Hagedorns Allgemeinem Gebeth kann auch Wieland kurz aufeinanderfolgend sich Widersprechendes behaupten. Für Gott gilt: „[...] du kannst der Welt entbehren" (ebda., S.41), und zugleich: „Nein, der Vollkommenste kann ohne uns nicht seyn [...]" (ebda., S.42). Vgl. ζ. B. die Hagedorn bekannte Auseinandersetzung zwischen Reinbeck und Voltaire: Reinbeck: Philosophische Gedancken, S.321ff. Es geht um den 13. Brief aus Voltaire: Philosophische Briefe, S.45ff. Reimarus: Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, S.114ff. „Durch dich, o Pafia, durch dich lebt die Natur; / Auch Blumen fühlen dich, dein Trieb gebiert sie nur, / So bald dein warmer Hauch, den uns, auf lauen Schwingen, / Des Frühlings Erstlinge, die muntern Weste bringen, / Den rauhen Nord verjagt, und Schnee und Wolken flieh'n, / Dringt aus der Erde Schooss ein jugendliches Grün. / Die Samen dehnen sich, und fühlen deine Triebe, / Die ganze Erde haucht die eingeflösste Liebe. / Die Bäume schmückt ihr Kleid, der Vögel lüftges Heer / Ruft dir frohlockend zu, dir heitert sich das Meer; / Es glänzt, ich weiss nicht was, im Auge junger Schönen, / Und ihren Busen schwellt ein unbekanntes Sehnen. / Dies, Liebe, wirkest du, und so erhält durch dich, / Und deinen süssen Zwang, der ganze Erdkreis sich" (Wieland: Die Natur der Dinge, S.165; auch ebda., S.167).
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Szenerie bemüht.279 Wieland allerdings handelt seine Beseelung der Natur als poetische Hypothese: „Hier ist ein weites Feld den Dichtern aufgethan [...]; Doch krönt nur ein Vielleicht, was sie begeistert singen [...]".28° Voltaire macht umgekehrt auf die Grenzen der herkömmlichen Erkenntnis aufmerksam, um Raum für die Idee einer denkenden Materie zu gewinnen.281 Die Auslegung der selbstbezüglichen Natur wird an dem Punkt problematisch, an dem die Zeichen wechselseitig ersetzbar werden, an dem also die hierarchische Bildstrukturierung durch die Kette der Wesen nicht mehr gegeben ist. Die Abhängigkeit der Natur - diesmal vom Autor und seinen Nebenstunden - zeigt sich dann in ihrer ironischen Aufhebung als poetische Schöpfung, die die zeitliche Begrenzung markiert. Zusammenfassung Hagedorns Natur erweist sich als ein durch Ausschließungsverfahren gewonnenes und dann durch Selbstbezug verselbständigtes Gebilde, das aber nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums Geltung hat - eine Fahrt auf der Alster, einen Ausflug nach Harvestehude, ein Gedicht über. Dieses inszenatorische Moment verhindert, daß die Zeichen der Natur an sich interessant werden. Es ermöglicht aber auch, in dem vorgegebenen eingeschränkten Bereich vorausweisende Formen zu entwickeln. Gerade an einem Gedicht wie Die Alster, das unübersehbar mit traditionellen Versatzstücken arbeitet, konnte gezeigt werden, daß die Topoi (auch) einen bestimmten, kontextabhängigen Sinn haben und daß die Dynamik der traditionellen, vorgegebenen Semantik auf ein neu strukturiertes Landschaftstableau geleitet wird. Es geht um die Entwicklung eines Blicks, der keinen transzendenten oder utilitaristischen Maßgaben folgt, sondernsich in seiner Bewegung genießt und diese Bewegung als Natur begreifen kann - pleasures of imagination. Hagedorn entwickelt in Die Alster aus den Vorgaben des Hamburger Eigenlobs, der Bukolik und der laus ruris ein eigenes System von Unterscheidungen. Er legt über die Topographie ein literarisches Muster, das sowohl für die öffentlich-politische Darstellung Hamburgs als auch für die literarische Tradition anschlußbereit bleibt. Daraus ergeben sich Komplikationen,
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„All things in this World are united. For as the Branch is united with the Tree, so is the Tree as immediately with the Earth, Air, and Water, which feed it. As much as the fertile Mould is fitted to the Tree, as much as the strong and upright Trunk of the Oak or Elm is fitted to the twining Branches of the Vine of Ivy·, so much are the very Leaves, the Seeds, and Fruits of these Trees fitted to the various Animals·. These again to one another, and to the Elements where they live, and to which they are, as Appendices, in a manner fitted and join'd; as either by Wings for the Air, Fins for the Waters, Feet for the Earth, and by other correspondent inward Parts of a more curious Frame and Texture" (The Moralists, S.166ff.).
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Wieland: Die Natur der Dinge, S. 168. Voltaire: Elémens de la Philosophie de Neuton, S.186f.
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da der raumzeitliche Bezirk des Vergnügens dazu tendiert, sich über seine Grenzen hinweg zu verlängern. Offen bleibt damit, ob sich im Gedicht eine bloße literarische Inszenierung abspielt, ob Hagedorn am Programm der Kantatendichtung weiterschreibt oder ob er gar ein tatsächliches Ereignis abbildet. Auch in der Diskussion um die Schäferpoesie kommen die poetologischen Antworten auf ähnliche Fragestellungen nicht überein. Innerliterarische Reflexionsformen, rhetorische Figuren sowie die musikalische Umsetzung des Gedichts unterstützen dabei eine für die Poesie der Freude charakteristische Gegenwärtigkeit. Historisch einen Schritt zurückgehend, konnte an der frühen Beschreibung des Jenischen Paradieses beobachtet werden, wie Hagedorn sich seinen Gegenstand zurichtet, wie er in einem fortschreitenden Verfahren der Teilung das Paradies von der Umgebung abhebt und eine Ästhetik des „schnellen Blicks" entwickelt, die nicht den methodischen Vorgaben von Brockes' Beschreibungskunst folgt, auch wenn sie im einzelnen Darstellungsformen von dort übernimmt. Der binären Schematik der Landschaftsherstellung und der Blickästhetik - der frei umherschweifende Blick ist von der Kontrolle der Landschaft abhängig - entspricht die satirische Beobachtung, die sich für Menschen interessiert, die selbst keinen Blick für ihren Standort frei haben. Am Ende des Gedichts wird dann auch der Blick des Beobachters von der Nacht überschattet, und das Gedicht geht in sich selbst auf. Hagedorn überführt die Ästhetik des „schnellen Blicks" in eine Ästhetik der sprachlichen Bewegung, die - zumindest metaphorisch - Geist und Körper gleichermaßen betrifft. Harvstehude zeichnet sich vor dem Hintergrund der Beschreibung dadurch aus, daß nun die Beobachterrolle im Gedicht selbst auftaucht - wenngleich auch dort zunächst nicht die Natur, sondern die Menschen betrachtet werden, denen der beherbergende Beobachter ihren Ort zuweist. Der Blick auf die Natur muß erst noch erlernt werden, man übt „bald das Gesicht, bald den Geschmack" (W3, 119). Die (ausgewählte) Natur und ihre (auswählende) Wahrnehmung kann damit zum Exempel für die menschliche Selbstformung werden. Poetologisch unterschreitet Hagedorn damit wiederum die Ansprüche der hohen Stillage: In seinen Gedichten finden Szenen einen Ort, die vor den Ansprüche des Erhabenen nicht bestehen können. Allerdings darf man auch das Verfahren der Auswahl nicht zu weit treiben, denn die besondere Qualität der Natur ist schließlich ihre Natürlichkeit, d. h. ihre Unauffälligkeit. Die Ambivalenz von Natur und Beobachtung bzw. Auswahl der Natur kann man daran sehen, daß bereits die richtige Naturwahrnehmung Weisheit verrät - das Interesse verschiebt sich auf eine transliterate Ebene. Entscheidend ist der ganzheitliche Eindruck, den sich die gelehrten Augen verschaffen. Auf dem Gebiet der Kunstkritik arbeitet Christi-
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an Ludwig von Hagedorn an deren Schärfung und wirft mit ihnen einen Blick auf die Gedichte seines Bruders. In seinen Briefen legt Hagedorn offen, wie aus der Natur gewählt wird und welche Funktion sie hat bzw. an welchem Punkt sie für ihn überflüssig wird: Die Natur markiert die Entfernung zwischen den Freunden, nur so kommt sie zur Geltung. Geht man mit dem Freund in die Landschaft, verdrängt die Geselligkeit die Natur. Freund und Natur dienen als Spiegel, daher ersetzt Hagedorn den Freund durch ein Selbstgespräch und die Natur, im Einklang mit der Innenraumarchitektur seiner Zeit, durch ein Zimmer. Die Vergleichbarkeit der inhaltlich unterschiedlich gefüllten Formen macht plausibel, daß poetische Strukturen mimetisch ein Muster der Wirklichkeit wiederholen, auch wenn sie ihre bildhafte Oberfläche aus dem Arsenal der literarischen Topoi bestücken. Der Frühling führt auf verschiedene Weisen das Prinzip der formalen Geschlossenheit bei inhaltlicher Austauschbarkeit in einem literarischen Gebilde vor. Die variablen, potentiell verschiebbaren und in Bewegung befindlichen Zeichen (Licht und Schatten, Frühling und Winter) bilden gemeinsam ein Ganzes. Die Poesie wird daher für naturphilosophische Konstruktionen (ζ. B. Wielands Die Natur der Dinge) ebenso interessant wie naturwissenschaftliche Entwürfe für die Inspiration poetischer Formen. „Tout y est capable de plaire & d'instruire", erklärt, wie gesagt, der Spectacle de la Nature, „parce que tout y est plein de desseins, de proportions, & de précautions", und das gilt für das Buch der Poesie und das Buch der Natur gleichermaßen.
7. Die Poesie des Weins Das Zeitalter der Aufklärung beginnt weinseliger, als man denkt. Neben der Klage, die Trunksucht sei mittlerweile zum allgemeinen Laster geworden, 1 stehen emphatische Verteidigungen des Weins. Die Poesie spielt dabei eine besondere Rolle: Denn für sie ist der Wein nicht nur (werkästhetisch) ein bedeutendes Motiv, sondern auch (produktions- und rezeptionsästhetisch) eine poetologische Kategorie. Inspirationstheorien auf der einen, wirkungsästhetische Überlegungen auf der anderen Seite nehmen sich den Wein als Vor- oder Gegenbild. Der Wein läßt aber nicht nur innerhalb des literarischen Diskurses die Konturen verschwimmen, er führt auch an einem anderen Diskursort zu instruktiven Verschränkungen: Im Wein geht der physiologische Diskurs in den moralischen über und umgekehrt. Die Aufklärung sieht nicht nur auf eine neue Art in den Kosmos, in die Welt und in den Menschen, sondern auch bisweilen tief ins Glas, und dort entdeckt sie viel von dem, was ihr lieb und teuer ist: Sie sieht dort ehrliche Menschen, geselliges Zusammenleben und Harmonie von Körper und Geist. Sie sieht dort aber auch Laster, Streitigkeiten und den Triumph der Sinnlichkeit (und zwar durch ein Höchstmaß an Vergeistigung). Zwei Dinge sind dabei bemerkenswert: Zum einen ist die Poesie des Abendmahls 2 für die hier interessierende Konfiguration so gut wie bedeutungslos. Zwar lassen sich Ubergänge zwischen der Poesie des Weins und der Poesie des Abendmahls finden, aber die Poesie des Weins kommt ohne diese Ubergänge aus, zumal das Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Diskursformationen im Vordergrund steht. Zum zweiten darf man Begriffe wie „Rausch" und „Nüchternheit" nicht als Konstanten begreifen. Der Kaffee mag damals wie heute der große „Ernüchterer" des Bürgertums sein; und der Wein mag in rauschhafte Zustände versetzen, auch das ist keine unbekannte
Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen, S.368. Allerdings scheint Wolff nicht prinzipiell gegen Wein eingenommen zu sein, zumindest gilt seine Kritik an anderer Stelle lediglich dem gepanschten Wein (ebda., S.342). Vgl. zu den gesundheitsschädlichen Wirkungen des Weinpanschens mittels „Bley zucker": Krüger: Naturlehre, S.530f. Hörisch: Brot und Wein.
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Wirkung. 3 Viele Quellen des 18. Jahrhunderts sehen das zunächst nicht so: Für sie ist der Wein ein belebendes, vitalisierendes Getränk, das die Tätigkeiten des Trinkers auf allen Stufen unterstützt, handle es sich dabei um körperliche oder intellektuelle Arbeit. Gerade die Poesie macht hier keine Unterschiede: Inspirationstheoretisch stellt sie den Wein und den Kaffee - wenn sie ihn überhaupt erwähnt - in eine Reihe (vgl. Kap. 7.1). Die physiologische Beschreibung der Kaffeewirkung hat daher auch viel mit der Beschreibung der Weinwirkung gemeinsam (vgl. Kap. 7.2), und Krüger hält es immerhin für möglich, daß man sich mit einer großen Menge starken Kaffees betrinken kann. 4 Das führt auf die zentrale Schwierigkeit, die die Aufklärung mit dem Wein wie mit dem Kaffee5 hat: Man darf nicht zu viele Gläser oder Tassen davon trinken. Diese Problemstellung teilt der Wein mit der Poesie: Auch das Lesen ist empfehlenswert, aber man darf nicht zu viel lesen. Wein und Bücher versetzen in einen (Lese-)Rausch und in (Lese-)Wut. Mit anderen Worten: Es geht um das richtige Maß. Wäre der Wein generell einem Verdikt unterworfen - wie es tatsächlich bisweilen in der aufklärerischen Weinkritik verhängt wird -, gäbe es über ihn nicht allzuviel zu sagen. So aber lassen sich die Hauptworte der Aufklärung innerhalb der Grammatik des Weins durchdeklinieren. Daß die Poesie des Weins am Ende einer Arbeit über Hagedorn steht, hat seinen Grund auch im Werk Hagedorns selbst: Denn er läßt sowohl seine Odensammlung (1747) als auch seine Werkausgabe (1757) mit dem großen Gedicht Der Wein enden.6 Hagedorns Der Wein stellt - wie Opitz' bzw. Heinsius' Lobgesang Bacchi - eine Art Summa der Weintheorie und der Poesie des Weins vor. Umrahmt von Anrufungen des Weins, die prinzipielle Überlegungen enthalten, und durchsetzt mit weiteren poetisch-theoretischen Bestimmungen (Strophe 15 - 17) entfaltet das Gedicht einen Bilderbogen vom germanischen Weinanbau und -genuß (Strophe 3 - 6) über Szenen einer Weinlese (Strophe 7 - 14) und einzelne moralische Charaktere (Strophe 18 19/20) bis hin zur Darstellung eines Bacchanals und eines Bacchuszugs (Strophe 22 - 32/33). Der titulatorische Unterschied zwischen Opitz' und Hagedorns Weingedicht - „Bacchus" auf der einen, „Wein" auf der anderen Seite - hat dabei durchaus programmatische Bedeutung: Die Textstrukturierung insbesondere durch die aus der Bacchus-Mythologie abgeleiteten loci ex notatione bei 3 4 5 6
Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S.25ff. Krüger: Gedancken Vom Caffee, Thee und Toback, S.13f. Ebda., S.13,23. Drei Ausgaben von Der Wein werden im folgenden neben der Version im Versuch einiger Gedichte beachtet: Die Einzelausgabe (Hamburg 1745), die Version in Oden und Lieder in fünf Büchern sowie die Version der Werkausgabe letzter Hand.
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Opitz ersetzt Hagedorn durch eine illusionistischer Anschaulichkeit verpflichtete Darstellungsweise, die mit den - auch bei Opitz verwendeten rhetorischen Mitteln der evidentia einerseits, der für satirische und moralische Gedichte typischen parataktischen Folge moralischer Charaktere andererseits arbeitet. Der Wein stellt insofern nicht nur aufgrund seiner Länge, sondern auch aufgrund der Erhabenheitsästhetik und der Anleihen an die poetischen Techniken der Moralischen Gedichte einen besonderen Fall innerhalb des Odenkorpus dar. Gleichwohl gibt es viele deutliche Verbindungen zur Odenpoesie und zu den Fabeln und Erzehlungen. Mit anderen Worten: In Der Wein zieht Hagedorn nicht nur eine Summe der Weintheorie und der Poesie des Weins, sondern auch seiner eigenen Poesie.
7.1 Poesie und Wein Der Wein ist in der Dichtung Hagedorns omnipräsent. Er steht als Symbol der Grenzüberschreitung in poetischer Hinsicht (Inspiration), in anthropologischer Hinsicht (Vergeistigung) und auch in biographischer Hinsicht wohl kein Vorwurf und kein Kompliment wurde Hagedorn so oft zuteil wie die Behauptung, er habe den Wein nicht nur poetisch bewältigt, sondern auch getrunken. Herold schreibt mit Respekt: „Hagedorn gehörte nicht zu den Dichtern, die Wein und Liebe besingen und beide nicht kennen". 7 Weniger respektvoll hingegen kommentiert Lessing die Angelegenheit: „Hagedorn starb an der Wassersucht, die er sich allerdings durch sein unmäßiges Trinken zugezogen hatte"8 („Podagra" galt als die Weinkrankheit schlechthin)'. Die Äußerungen von Herold und Lessing begrenzen einen Raum, in dem sich moralisch und poetisch das Thema „Wein" im 18. Jahrhundert entfaltet. Herold macht darauf aufmerksam, daß sich Poesie nicht nur in Worten, sondern in Handlungen äußern soll, und Lessing macht darauf aufmerksam, welche Anforderungen das an den Autor stellt: Er muß zwischen Poesie und Leben unterscheiden und sich mäßigen. Einen ganz anderen drastischen Grund für die Ursachen, warum die Dichter vom Podagra frey sind, gibt übrigens Kästner an: „Das Schmerzenskind vom Bacchus und Cytheren" tötet die Poeten nicht, weil sie zuvor schon verhungern. 10
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Herold: Versuch eines Beitrages zu Friederichs von Hagedorns Leben und Karakteristik, S.354. Schmid: Nekrolog, S.311. So Lessing in den Kollektaneen·. Werke. 5. Bd., S.729. Dazu Β 211, 217; Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, S.49. Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke. Bd.l, Erster Teil, S.15.
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Unabhängig von den allgemeineren Befürchtungen, die sich mit dem Wein verbinden, etwa wenn Hagedorns Mutter ihren jüngeren Sohn bittet, „alle Sünden, welche ordinair aus die Brüderschaft trincken entstehen", zu meiden," hat die Wein-Kritik ihren Ort auch in einer im engeren Sinne poetologischen und poetischen Konstellation. Wie dringlich die Distanzierung vom weinseligen Autormodell in dem für seine Geselligkeit immer wieder gerühmten Hamburg war, zeigt eine undatierte poetische Epistel, die Weichmann an Hagedorn gerichtet hat: Glaubet mirs! Liebe, Music u. Wein Wollen nur mäßig gebrauchet seyn Anders gebähren sie Herzeleid Statt der gehofften Zufriedenheit. Aber Zufriedenheit macht allein Froher, als Liebe, Music u. Wein. Hagedorn, Teutscher Anacreon, Schreib ein begeistertes Lied hievon! (HN 114)
Weichmann mag damit seiner Moralität Ausdruck verliehen haben, ästhetisch hat er sich mit diesen Versen jedenfalls disqualifiziert. Der Patriot, dessen Herausgebergremium Weichmann zugehörte, verzeichnete es im übrigen als einen seiner Erfolge, daß die Weinhändler durch die Aufklärung der Moralischen Wochenschrift schwere finanzielle Einbußen erlitten haben.12 Hagedorn hat sich in seinem späten poetischen Autormodell in der Fabel (vgl. Kap. 3) im Sinne der Anakreon-Apologie geäußert und reagiert damit vielleicht auf Weichmanns Forderung. Für den vorbildlichen Autor gilt: „Nur Wasser trank er, und nicht Wein" (Wl, 129). U n d in An die heutigen Encratiten, seiner Epikur-Apologie, schreibt er: „Wie Kluge zu geniessen wissen / Verbleibt dem Pöbel unbewußt, / Dem Pöbel, der in Gift verkehret / Was unserm Leben Stärkung bringt, / Und der die Becher wirklich leeret, / Wovon der Dichter doch nur singt" (W3, 96). Das dürften Hagedorn nicht alle glauben. Zumal der Kreis der jüngeren Poeten sollte seine Zweifel haben, denn diese schwört Hagedorn auf den Wein ein: Behrmann beispielsweise wehrt sich gegen den Vorwurf Hagedorns, er würde zu wenig trinken. Er habe sich gebessert und hoffe in Zukunft Hagedorn zeigen zu können, „was ich für ein Bacchus Bruder geworden bin" (HN 23). Das Hamburger Dichteridol ist der Gewährsmann für die „Kunst zu trinken", z. B. für die Zürichreisenden um Klopstock, die die rauhe Landschaft durch 1 12
Brief vom 17. 5. 1732 in: Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.162. Der Patriot. Bd.n, S.279f.
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den Wein zur schönen Landschaft machen (vgl. Kap. 6).13 Und daß zu den wenigen überlieferten Aufsätzen Hagedorns gerade der antiquarische Versuch einer Abhandlung von den Gesundheiten und Trinkgeßßen der Alten gehört, ist wohl auch kein Zufall. Die Rollen Hagedorns als „Weingelehrter" und zugleich als moralisch integrer Weintrinker (oder bisweilen sogar Weinverächter) treffen sich in seiner Kritik an Langes Horaz-Bild: Neben einer Reihe anderer, wenig ehrenwerter Stimulantien (Schmeichelei bei Augustus oder Mäcenas) sei auch der Wein kein wesentlicher Antrieb des poetischen Schaffens bei Horaz, selbst wenn der römische Dichter diverse „Oden vom Weine" geschrieben habe. Zudem: Der von Lange gewählte Wein, der „caecubische Falern", sei dem Ubersetzer aus Sachunkenntnis heraus erwachsen: „Der caecubische Wein und der Falerner waren gantz unterschiedener Art und wuchsen an unterschiedenen Orten. Es brachte jenen ein sumpfichtes Erdreich, unweit dem heutigen Gaieta, diesen aber ein Berg hervor, unfern Sinope; und Horaz selbst trennet diese Weine ausdrücklich. L I. Carm: XX." (an Bodmer; 26. 12. 1746; Β 191). Dieses Argument hat einen interessanten Vorläufer: Juncker, der die Abkehr von der galanten Dichtung und die Zuwendung zur aufklärerischen Poetologie als Herausgeber der Neukirchschen Sammlung inszeniert, hatte in seiner umfangreichen Kritik an Hancke die Wissensform, die der neuen Poesie angemessen ist, mit einem Beispiel aus der Weingelehrsamkeit illustriert: Eine falsch übersetzte Weinsorte wird darin zum Beleg für das überkommene Literaturmodell.14 Die Spekulationen über Hagedorns Weinkonsum bis hin zu Lessings Mutmaßungen über die Ursache seiner todbringenden Krankheit verweisen wenn auch ungewollt - auf den kulturgeschichtlichen Stellenwert des Weins im 18. Jahrhundert. Der Wein war in allen Bereichen von Bedeutung, denn er bot die Möglichkeit, ein verschiedene Diskurse verbindendes Bild- und Begriffsfeld herzustellen. Der Artikel „Wein" in Zedlers Universal-Lexikon etwa umfaßt mehr als 100 Spalten, und allein dieser Umfang macht das Interesse deutlich, das man dem Wein entgegengebracht hat. Zum Vergleich: Der Artikel „Gott" bringt es gerade auf 70 Spalten. Zwar hat der Artikel „Wolf (Christian)" rund 30 Spalten mehr als der Wein-Artikel aufzubieten, und unter Hinzunahme des sich über rund 350 Spalten erstreckenden Artikels „Wolfische Philosophie" nimmt Wolff eine gewichtige Stellung im Universal-Lexikon ein. Zählt man aber die sich an den Wein-Artikel anschließenden, ihr Lemma mit „Wein" und einem Zusatz bildenden Artikel hinzu, ergibt sich ein Umfang von beinahe 700 Spalten. Die Artikel im Anschluß an das Lemma „Gott" bleiben dahinter mit etwas mehr als 100 Spalten weit 13 14
Klopstock: Briefe 1738 - 1750, S.113f., auch S.120f. Juncker: Untersuchung Herrn Gottfried Benjamin Hanckens Weltlicher Gedichte, S.56f.
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Die Poesie des Weins
zurück. 15 Der Wein nimmt eine vergleichbare Position in Hagedorns Werk ein: Nicht nur thematisieren Hagedorns Gedichte den Wein allenthalben, auch der Umfang des die Oden und Lieder und damit die Werkausgabe abschließenden großen Weingedichts spricht für sich - mit seinen 14 Seiten und 34 Strophen hält es den Längenrekord unter den Oden, unter den Moralischen Gedichten ist lediglich Die Freundschaft länger, und unter den Erzählungen kann nur Der Falke mithalten. Bereits die einleitende Bestimmung des Weins im Zedler-Artikel eröffnet ein weites Diskursfeld: Der eigentlich sogenannte Wein ist der aus der Frucht des Weinstocks ausgepreßte und vergohrne Safft, welcher den alleredelsten Tranck abgiebet, der wegen seiner Vortrefflichkeit nicht genug gepriessen werden kan. Denn, was das Wasser betrifft, ob selbiges schon den Durst, dem Weine gleich, und noch mehr stillet, so kan es doch nicht so gut nähren, noch die Dauung befördern, oder dem Hertzen eine so angenehme Krafft, als der Wein geben
Der Wein symbolisiert gleichsam eine natürliche Kultur, ein Naturprodukt mit den Attributen des Edlen, das die grundlegenden körperlichen Prozesse ebenso unterstützt wie die geistigen. Durch den „Naturtrieb", so betont das Lexikon immer wieder, entsteht kein Wein, er ist ein eminent kulturelles Produkt, im Unterschied etwa zum Most.17 Wenn man die Natur sich selbst überläßt, kommt gerade jene Vergeistigung nicht zustande, die den Wein auszeichnet. Der Wein ist nicht nur auf erster Stufe ein Kulturprodukt, auch auf zweiter Stufe, bei seinem Gebrauch, muß man enorme Kulturleistungen erbringen. Wenn der Trinker seinen Durst domestiziert, dann verwirklicht der Wein die Ziele der Aufklärung und entschädigt für die Mühen, die man seinetwegen auf sich nehmen muß: „Er giebet den Müden Kräffte und machet das gantze Gemüthe des Menschen frölich, bringet Ruhe und Schlaf, erwärmet den Magen, befördert die Dauung, schärffet die Sinne, Vernunfft und Verstand, vertreibet die Melancholey, Schwermüthigkeit, Angst, Traurigkeit und Sorgen [...]".18 Dem Wein kommt auf allen Stufen die Dignität des Ursprünglichen und zugleich Abgeleiteten zu, die ihm seinen außerordentlich hohen Symbolwert verleiht und die ihm auch im „Zeitalter der Repräsentation" noch immer
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Freilich taucht „Gott" in allen möglichen Zusammenhängen wieder auf, wie z. B. in Verbindungen wie „Verstand GOttes". Art. Wein. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54 [1747], Sp.354. Im folgenden wird nicht jeder der teilweise nur sehr kurzen und eigentlich nur eine Art Unterkapitel bildenden Artikel mit Lemma zitiert. Z. B. ebda., Sp.355, 382. Ebda., Sp.439.
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einen weiten Raum der Ähnlichkeiten eröffnet: Der Wein „muntert" das ganze Leben auf; er ist das Edelste im Pflanzenreich, wie der Mensch das Edelste unter den Tieren ist." Die „geheime[n] Deutungen des Weins" dürfen daher in den Wein-Artikeln in Zedlers Universal-Lexikon nicht fehlen: Der Wein hat insgemein die geheime Deutung der Frölichkeit und des Wohllebens. Seine Krafft truncken zu machen, bildet die Art weltlicher Lüste vor, wie sie zwar ergötzen, aber zugleich Schaden thun. Wenn er durch das Alter sich veredelt, zeigt er den Nutzen der Beständigkeit in Guten. Sein heilsamer Gebrauch und schädlicher Mißbrauch lehren in allen Dingen, so die Sinnen ergötzen, ein geziemendes Maaß halten. Der Most, so sich in den Faß nicht verhalten läßt, giebt eine Lehre, wie mit der wilden und rohen Jugend vorsichtig umzugehen, daß sie durch übrige Strenge nicht gereitzet, und alle Zucht zu hassen, veranlasset werde. 20
Die freie Analogiebildung der vorhergehenden episteme21 schränkt der Artikel jedoch experimentell ein: Die Gärung erkläre sich folglich weder aus einer „heimlichen Buhlerey" des Weins mit sogenannten „Weinblumen" noch aus der „Sympathie", einer „magnetischen Empfindung" oder Ahnlichem, sondern die Wärme und die durch sie forcierten chemischen Vorgänge setzen die Gärung in Gang.22 Das Motiv „Wein" gehört zur Poesie der Freude, denn der Wein hat eine „Freuden = reiche Kraft", wie Brockes es formuliert. 23 Dementsprechend kann der Wein auch in die Diskussion um die Freude hineingezogen werden, in positivem wie in negativem Sinn. So unterscheidet U z beispielsweise in Die Freude die „Freude", die eine anhaltende Gemütsdisposition bezeichnet, von der „ungestalte[n] Fröhligkeit", der „Tochter wilder Trunkenheit" (vgl. Kap. 2).24 Temperamententheoretisch ist der Wein eine Sache des Sanguinikers, 25 ein Antidot gegen Melancholie und Phlegmatik, freilich immer in Gefahr, seine Gegenbilder selbst heraufzurufen. Die durch den Wein erzeugten geistigen und körperlichen Bewegungen drohen im Fall der Unmäßigkeit in ihr Gegenteil umzuschlagen: Der Trunkene wird zornig, er schläft ein oder wird schwermütig, und der Dichter droht zum Anakreontiker zu werden und nur noch von „Wein und Liebe" zu schreiben (B 372).
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Ebda., Sp.359. Vgl. auch den Artikel „Wein im heiligen Abendmahl", Sp.636 - 640. Ebda., Sp.459. Foucault: Die Ordnung der Dinge, S.46ff. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.393f. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.325
(Die Wein-Rebe). 24 25
Uz: Sämtliche poetische Werke, S.102. Vgl. z. B. Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.79.
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Daher entschuldigen die jeweiligen Komplexionen auch nicht übermäßiges Trinken. 26 Der locus classicus der Verbindung von Wein und Temperament über das tertium comparationis „Wärme" und „Lufthaltigkeit" ist Aristoteles' Problem XXX, 1, jener für die Melancholietheorie so bedeutende Text, der die Verbindung von Genialität und Melancholie herstellt. Der Wein bringt in Reihenfolge verschiedene Charaktereigenschaften zutage. Der Schweigsame wird erst „geschwätzig", dann „übermütig", „frevelhaft und schließlich rasend". Am Ende dieser Kurve kommt der Trinker bei der Melancholie an27, so daß der Wein den Menschen den ganzen Kreis der Symptome, die die Temperamentenlehre bereithält, abschreiten läßt, und zwar auf Probe, für eine kurze Zeit. Deswegen tendiert die Weintheorie dazu, eine anthropologische Universaltheorie zu werden. Die gattungstheoretische Zuordnung der Poesie des Weins ist nicht eindeutig: Hauptsächlich wird man sie der liedhaften Dichtung zuordnen können. Die lyrica haben ihr thematisches Zentrum in „Liebe, Spiel und Trinken", wie Scaliger erklärt. 28 Und Johann Friedrich Löwen, der die „Freude" und „Empfindung" der Odenpoesie zum „Endzweck" setzt, rechnet „zu den lyrischen Liedern, wo die Freude herrschen muß, [...] eine zwiefache Gattung von Gedichten: Die Lobgedichte, und die Trinklieder der Griechen und Römer [...]". 29 Hagedorn steht mit seiner Bestimmung des „ J U V E N U M C U R A S E T L I B E R A V I N A R E F E R R E " (W3, III), das ja auch von dem die humanistische Poetik adaptierenden Opitz aufgenommen worden war, 30 in dieser Linie. Aber durch die Tradition der Horazischen Wein-Verehrung kann der Wein die niedere Stilebene in die hohe überführen. Mit Grund wird daher Hagedorns großes Wein-Gedicht, das in Teilen einen Horazischen Bacchuszug zum Vorbild hat, von Heineken der erhabenen Stillage zugeordnet. 31 Und durch Aristoteles' Problem XXX, 1 war ja die Verbindung von Wein und Enthusiasmus anthropologisch hergestellt worden. Zudem verbindet sich der Wein zwar hauptsächlich mit dem movere und delectare, aber auf26
Der Patriot. Bd.II, S.48ff.
27
Aristoteles: Problem X X X , 1, S.61Í.
28
Scaliger: De poetices libri Septem. Bd.I, S.394f.
29
Löwen: Anmerkungen über die Odenpoesie, S.10.
30
Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.369.
31
Heineken: Untersuchung Von dem Was Longin eigentlich durch das W o r t Erhaben verstehe? S.323. Diese Begründung aus der literarischen Tradition, die zudem durch die von Hagedorn verwendeten rhetorischen Mittel gestützt wird, übersieht Pereis, wenn er schreibt, Liscow und Heineken verstünden etwas anderes als Gottsched unter dem Erhabenen, weil sie Hagedorns Ode dieser Stilkategorie zuordnen (Studien zur Aufnahme und Kritik der Rokokolyrik zwischen 1740 und 1760, S.47). Die von Hagedorn als Vorlage verwendete Bacchusepiphanie von H o r a z exemplifiziert Erhabenes: Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord * * * * * , S.370f.; Von der Ode, S.340Í.
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grund der Dosierungsprobleme und Folgewirkungen ist er auch Gegenstand des docere, zumal in der berühmten Heinsius-Ubersetzung Opitz', die das ganze Arsenal der Weinmythologie und -themen ausbreitet: DANIELIS HEINSIIHYMNUS oder LOBGESANG BACCHI, darinnen der gebrauch vnd missbrauch des Weines beschrieben wird.11 Als poetologische Kategorie spielt der Wein hauptsächlich in der Inspirationstheorie eine Rolle." Die enthusiasmierende und vergeistigende Qualität des Weins hatte bereits Scaliger mit einem anthropologischen Argument formuliert. Neben der göttlichen Inspiration, die dem Poeten autochthon oder durch (Musen-)Anruf zuteil werde, inspiriere der Wein durch die Entfernung des Geistes vom Körper.34 Selbst Scheibel, der sich um Die Unerkannte Sünden der Poeten kümmert, zu denen das Weintrinken selbstverständlich gehört, zeigt sich hier generös. Neben Brandwein, Tabak, Kaffee, Tee oder Schokolade empfiehlt er den Wein als Stimulans: „Es ist wahr, zur Poesie gehört ein auffgeweckter Geist, und wer sich mit Grillen plaget, oder ein schleimichtes dickes Geblüthe hat, lasse das Dichten gar mit einander bleiben" - insofern scheint ihm ein Glas Wein durchaus erlaubt, zumal Bibelstellen die Empfehlung decken.35 Neben dem Universalmittel der Lektüre vorbildlicher Poeten rechnet auch Neumeister den Wein zu einer Reihe interessanter Stimulantien wie Tabak, Bier, Tee, Kaffee, der „einsamen Gelassenheit" eines Spaziergangs, dem Aufenthalt an einem „lustigen Orte eines Gartens oder Aue". Allerdings befreit nicht nur der Wein: Mir ist eine gewisse Person bekandt / welche alle ihre Verse / mit Respect zu melden / aussch - = - Denn wenn er sich nicht bey dem geheimden Bürgermeister befindet / wo man mit niedergelassenen Bein-Kleidern Audientz haben muß / so ists ihm nicht möglich / etwas auszusinnen. Zwar ob gleich der Ausfall garstig / so sind dennoch die Einfalle recht gut / und stincken nicht [...].36
Auf der anderen Seite gibt es jedoch eine Tradition, die den Kontrollverlust durch den Wein befürchtet und das iudicium gegen die alkoholische Inspiration ausspielt - Boileau wäre hier zu nennen, La Motte, Thomasius oder Gottsched.37 Wie die „sinnlichen Begierden" erzeugt der Wein eine Neigung
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34 35 36 37
Vgl. zu ähnlichen Lehren in emblematischer Form: Emblemata, Sp.273f., 1826f. Vgl. zur mittelalterlichen Tradition: Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S.439f. Scaliger: Poetices libri septem. Bd.I, S.84f. Scheibel: Die Unerkannte Sünden der Poeten, S.133f. [Neumeister]: Die Allerneueste Art / Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen, S.3. Boileau: L'Art poétique, S.34f.; La Motte: Gedancken Von der Poesie überhaupt, S.XVI; zu Thomasius: Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S.415; Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S.424.
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zu Dingen, von denen wir keine „deutliche" Vorstellung haben;38 wie ein „Vorurtheil[ ]" macht er betrunken. 39 Daher betont auch Stolle, der einen pragmatischen Mittelweg zwischen Hochschätzung und Mißachtung der Poesie sucht, zwar hätten Poeten wie Marino, Tasso, Homer oder Horaz im Zustand der „raserey" viel gedichtet, aber Opitz, Lohenstein, Hoffmannswaldau, Gryphius und Neukirch hätten „viel herrliche getichte ohne so seltsame entziickung, und beyhiilffe des Bacchi verfertiget".40 Hagedorn nimmt eine Mittelstellung ein. Er knüpft in einer der drei von ihm übersetzten Horaz-Oden (Telephus, nach der neunzehnten Ode des Horaz im dritten Buche) an die Poesie des Weins seines erklärten Vorbilds an, übersetzt aber gerade jene Ode, in der die Grazien den durch die Musen provozierten Weingenuß mäßigen, so wie er in der Ode An die Freude den Musenanruf durch den Anruf einer Grazie bzw. des entsprechenden Affekts ersetzt hatte (Kap. 2.1): Aus jenen Bechern wählt, die euch die besten dünken. Drey oder neunmal müßt ihr trinken. Der Dichter muß begeistert seyn. Er weiß, es sind der Musen neun. Bald wird er dem Bedienten winken, Der füll ihm von dem Dichterwein In den Pocal neun Stutzer ein. Die Huldgöttinn, zu der sich zum Vergnügen Die beyden nackten Schwestern fügen, Pflegt Zanklust und Verdruß zu scheun, Und sie erlaubt von solchen Zügen Nicht mehr als drey, euch andre zu erfreun. (W3,29)
Im Hintergrund stehen dabei diverse Trinkregeln, die die Zahl der zu trinkenden Becher festlegen. Drei Becher sind das Maß des „Verständigen", der wenig und nur „zur Nothdurfft und Gesundheit" trinkt. Den ersten Becher trinkt man auf die Gesundheit, den zweiten zur Stärkung, den dritten für einen guten Schlaf. Andere Einteilungen raten zu „Gesundheiten" auf „Durst", „Freude" und „Wollust" oder „Gesundheit", auf „Freundschafft" und „Schlaf". Der vierte Becher sei „überlästig", die folgenden führten erst zu „Geschrey", dann zur „Fresserey", zu „Wunden", zum „Gericht", zum „Speyen" und schließlich zur „Unsinnigkeit". Auch die Mythologie der Grazien ist in eine Reihenfolge eingebunden und rangiert am untersten Ende der Weinseligkeit: Apuleius Panyasis ordnet den ersten Becher den Grazien,
39 40
Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, S.266. Sak: Gespräch zwischen Zweyen Freunden, S. 17. Stolle: Vorrede, S.10.
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den zweiten Venus und den dritten der „Schande und dem Schaden" zu.41 Eine für Hagedorn schönere Ordnung der drei Becher schlagen Opitz bzw. Heinsius vor, indem sie diese auf die drei Grazien verteilen, die „genügen / freud' und lust" spenden.42 Vor diesem Hintergrund bekommt Hagedorns Eingriff in die Inspirationspoetologie gerade im Zusammenhang mit der Horazischen BacchusEpiphanie, dem paradigmatischen Fall enthusiasmierter Odendichtung 43 , eine besondere Bedeutung. Hagedorn arbeitet in Der Wein bewußt im Kontext der Mythologie-Kritik, denn in der Vorrede im Versuch einiger Gedichte hatte er die Verwendung der Mythologie unter Verweis auf Horaz verteidigt (VeG 9f.). Die Mythologie war nicht nur ein religiöses Problem wie noch im 17. Jahrhundert, sie war auch ein philosophisches Problem geworden.·" Dementsprechend gestaltet Hagedorn auch die Einleitungspassage des WeinGedichts neu. Er arbeitet die Selbstbezüglichkeit und die daraus resultierende Paradoxie heraus, wonach der Wein dichterisch erhoben werden und zugleich Inspirationsquelle sein soll, und er kürzt die Bacchus- und Musenmythologie. So brausender, als süsser Most! Du jährend Marek der schlancken Reben! Geschenck des Bacchus: Nectar=Kost! Laß Dein Verdienst den Reim erheben. Du feuerreicher Götter-Safft! Auf! gib allhier den Worten Kraft: Auf! laß mir Wort und Reim gelingen. Und, weil dein Einfluß, Trieb und Geist So oft und manche singen heist, Auch hier die frohe Muse singen. (VeG 22)
Du brausender und frischer Most, Du gährend Mark der milden Reben, Des Herbstes Ehre, Götterkost! Mein Lied will deinen Ruhm erheben. O feuerreicher Traubensaft! Gieb meinen Worten deine Kraft, Laß sie, wie du, ans Herze dringen, Und, weil dein Einfluß und dein Geist Dem Witze Muth und Glück verheißt, Auch mich von deinen Wundern singen. (W3, 119)
Im vierten Vers ermächtigt sich die Sprache über den Wein und bringt die Paradoxie der Konstruktion erst voll zur Geltung, das wechselseitige Bedingungsverhältnis von Wein und Poesie innerhalb der selbstinspiratorischen Poetologie (nicht mehr die „Musen", sondern das Ich des Gedichts singt). Der Austausch von Mythologie („Bacchus") gegen Natur („Herbst") (ebenso VeG 35 und W3, 132) entspricht dem Wechsel vom rhetorischen Schema
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44
Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.370. Im Lobgesang Bacchi (Gesammelte Werke. Bd.II. Erster Teil, S.35). Vgl. Von der Ode, S.340f. Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm to My Lord *****, S.370f. Vgl. zum Widerspruch zwischen der Enthusiasmus-Kritik der Ars poetica und der bacchischen Inspiration: Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike, S.119f. Vgl. dazu: Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit, S.107ff., 408; sowie Haufe: Die Behandlung der antiken Mythologie, S.169.
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(„Wort und Reim")45 zum wirkungsästhetisch-illusionistischen Paradigma („ans Herze dringen"). Die begriffliche Mäßigung (nun sind es „milde[ ]", nicht mehr „schlancke[ ] Reben") geht in die anthropologische über: Die Trias von „Einfluß, Trieb und Geist" kürzt Hagedorn um den „Trieb". Die folgende Strophe führt diese Tendenz fort, indem sie „Castalis", „Bacchus" und „Apoll" streicht (VeG 23; W3, 119f.). Wenn Hagedorn dann den Leser in der 21. Strophe doch noch auf den Olymp führt, erscheint die Szenerie eher wie eine jener geselligen Runden, die Hagedorn in seinen Liedern fordert: Zeus läßt sich von Ganymed Wein einschenken und trinkt auf das Wohl jeder einzelnen Göttin - im Versuch einiger Gedichte nur auf Juno (VeG 23) -, und Mars versucht Venus („Cythere[ ]") zum Wein zu verführen, sofern Vulkan gerade nicht in der Nähe ist (W3, 127). Zu dieser sich gleichsam im Vorraum des Poetischen, im Poetologischen, bewegenden Weintheorie kommen die Zweckbestimmungen hinzu, die im Gedicht formuliert werden. Beides fällt natürlich oft genug zusammen, so daß sich in der Anrufung des Weins wie im Musenanruf Autorschaft, Werk und Wirkung zur Selbstreflexion von Poesie verbinden. Die Freiheit der Bezüge, durch die die „Alster" zwischen Poesie und Realität schwebt (Kap. 6), läßt auch beim Wein offen, ob der im Gedicht beschworene Wein die literarische Tradition variiert, ob er sich mimetisch auf sein in Fässern lagerndes Vorbild bezieht oder ob man ihn als Element der Poesie zu verstehen hat, ob er also als eine Art Selbstanzeige der Poesie funktioniert. Unabhängig von den ästhetikgeschichtlichen Implikationen hat das seine apologetische Bedeutung: Gegenüber Bodmer kann man auf der Traditionalität des Motivs beharren und behaupten, realiter trinke man (fast) nur Wasser (vgl. Kap. 7.2); gegenüber den jüngeren Dichtern kann man sich als Sachverständiger in Sachen Wein darstellen; und beide Gruppen können von der Poesie profitieren, wenn sie als Substitut des Weins auftritt. Der Wein ist dabei eine nachträgliche Erscheinung, ein Phänomen der Geschichte nach dem Sündenfall, wie sich später zeigen wird, und diese Nachträglichkeit, die sich dem Wein als postlapsarem Getränk einschreibt, definiert seine wirkungsästhetische Ausrichtung: Bacchus wird auch als Lyaeus angerufen, was unter anderem von seiner Sorgen vertreibenden Macht abgeleitet wird,46 und so ist der Wein „der Freuden Wiederbringer" 47 Wie in der Vorrede stehen sich auch hier auf engstem Raum die rhetorische und die illusionistische Ästhetik gegenüber, denn in der folgenden Strophe konzentriert sich Hagedorn auf die „Wahrheit" und plädiert für die Stilmäßigung, die die veränderte Fassung also nicht begründet, sondern nur weiterführt (VeG 22f.). Hederich: Gründliches mythologisches Lexikon, Sp.1484. Telemann: Vier und zwanzig theils ernsthafte, theils scherzende Oden, S.20. Vgl. zur Tradition: Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, S.135f.
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dafür müssen die Freuden eben erst einmal verloren gegangen sein. In diesem Punkt trifft der Wein sich mit der Dichtkunst, der Hagedorn in ihrer die Oden einleitenden Apostrophe bescheinigt: „O Dichtkunst, die das Leben lindert! / Wie manchen Gram hast du vermindert, / Wie manche Fröhlichkeit vermehrt!" (W3, 23). Ubertragen auf die Jahreszeiten (und das Naturerlebnis) bedeutet das: Der Wein bringt im Winter die Empfindung des Frühlings hervor: „Vertrincke Frost und Ernst und Grillen" (PdN4, 399). Auf die Alterslehre übertragen lautet die Weinlehre: „Laßt uns singen, / Das Alter zu verjüngen, / Die Jugend zu erfreun. / Macht neue Freundschaftsschlüsse! / Ihr Kinder, gebt euch Küsse! / Ihr Väter, gebt euch Wein!" {Aufmunterung zum Vergnügen·, W3, 65).48 Anders formuliert: Der Sündenfall, das Alter oder die Melancholie ermöglichen die Poesie und machen sie notwendig. In einer verwickelten Konstruktion muß nämlich der Melancholiker sich als Weisen durch das Vertreiben der „Grillen" darstellen (vgl. Β 226, 258, 311 u. Kap. 4.2), wobei die Lieder, den Paradoxien der Selbstinspiration gemäß, Abbild der Stimmung sein sollen. Unmuth und Beschwerden Würden uns auf Erden Unerträglich werden, Unvergeßlich seyn: Könnten nicht, zu Zeiten, Treue Zärtlichkeiten Den Verdruß bestreiten, Und das Herz befreyn. (Nutzen der Zärtlichkeiten-, W3, 90)
Der Wein kann den Frühling ersetzen, weil er die gleichen „Reize" ausübt, die gleichen „Empfindungen" hervorruft. Frühling und Wein stehen daher in einem verwechselbaren und deswegen gegebenenfalls konfrontativen Verhältnis zueinander. Das ist beim Wort zu nehmen: Witterung und Medizin gehören zusammen (ζ. Β. Β 389, 392). Nicht umsonst läßt Hagedorn in Der Alte die „Kenner der Wetter und Winde" auftreten, gegen die sich der Alte durch Weingenuß wehrt. Wie der Wein stellt ein Gedicht „une certaine Allegresse d'Esprit et de Coeur" wieder her, die Winter und Husten verhindern (an von Bar; 23. 3. 1753; Β 351; vgl. Kap. 6). Man kann sagen, daß der Wein durch die Bewegung der Einbildungskraft die für die „angenehmen Empfindungen" wichtige äußere körperliche Bewe-
Vgl. dazu auch Aristoteles' Bemerkung: „Denn eine Menge Wein macht alle Menschen hoffnungsvoll, so wie Jugend die Kinder" (Problem, XXX, 1, S.73).
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gung (des Reisenden) ersetzt.49 Der affektkontrollierte und motorisch stillgestellte Mensch unternimmt poetische Ausflüge50 - er visioniert seine Freunde, oder er schaut sie mittels der Augen anderer an, wie Bodmer vorschlägt: „Wir können einander doch durch die Augen unserer jungen Freunde sehen" (SK2 Dez. 1749). Das Verhältnis von Wein und Frühling besteht in gleicher Weise zwischen Wein und Liebe bzw. Frauen: Telemann kann sich z. B. nicht entscheiden, ob der Wein oder seine Ehefrau inspirierende Wirkung auf seinen Arbeitseifer gehabt hat.51 Aber diese unentschiedene Harmonie ist nicht der gewöhnliche Zustand, denn Liebe/Frauen und Wein konkurrieren wegen ihrer wirkungsästhetischen Nähe. Wie strahlt das Feuer schöner Augen! Wie blinkt der helle Rebensaft! Aus Lippen soll man Liebe saugen Und aus dem Weine Heldenkraft. Die Weisheit lehret: Trinkt und liebet! {Das Heidelberger Faß; W3, 102)
Die begriffliche Verbindung zwischen Wein und Liebe, das „Feuer", profitiert dabei von der vornewtonschen Bestimmung des Sehvorgangs. Für die Medizin des 17. Jahrhunderts war das Sehen feuriger Natur. 52 Für die Liebe/Frauen und den Wein hat das wechselseitige Konsequenzen, schon deshalb, weil man mit dem Wein Schönheit erzeugen kann. Hier kommt die temporale Verzögerung durch die Verbindung von Alterslehre53 und Weinpoesie zustande („Itzt, da die Jugend noch verzieht, / Will ich allein von dir (Doris, S. M.), auch in der Lese, singen"; Doris und der Wein; W3, 94), oder durch die Verbindung mit den durch den Wein bewirkten physiologischen Folgen, etwa in der Anrufung des Schlafs: „Warte bis mein Glas geleert! / Wohl! es ist geschehen! / Komm, nunmehr! O komme bald! / Eil und laß mich die Gestalt / Meiner Phyllis sehen" (An den Schlaf-, W3, 112). Die Paradoxien, die man auf diese Weise erzeugen kann, stören dabei nicht. Wenn z. B. die in den Belustigungen anonym erschienene Ode über Die Begeisterung des Weins unter Einfluß des Weins mit „süßbenebel[ten]" Sinnen eine „Doris" phantasiert („Begeistert mich Burgunderwein; / Dann
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Vgl. als einen theoretischen Ansatz dazu das Kapitel Daß ein Vergnügen mit dem verbunden sey, was die Gliedmaßen des Körpers beschäftiget, ohne sie zu schwächen in: [Pouilly]: Lehre der angenehmen Empfindungen, S.15ff. Vgl. zu de Pouilly Β 243f. Vgl. zu dieser Entwicklung aus Sicht einer historischen Leseanthropologie: Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlung des Lesers, S.63ff. Telemann: Lebens-Lauff, S.98. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß, S.281. Vgl. auch Opitz' Lobgesang Bacchi (Gesammelte Werke. Bd.11,1, S.21).
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soll mein Haupt mit Blumen prangen, / Die ich von Doris Hand empfangen, / Und nur durch sie bekränzet seyn"), dann kann man gleichwohl am Ende der Ode darauf beharren, daß Wein und Liebe sich wechselseitig ergänzen müssen („Begeistert mich Burgunderwein: / Dann fehlt ein Mädchen noch zum Glücke"). 54 Die solchermaßen entstehenden Gedankenfiguren funktionieren wie die Paradoxien der Naturkonstruktion (Kap. 6): Die Bewegung der Zeichen und ihre Verwechselbarkeit interessieren, nicht ihr wortwörtlicher, moralisch meist eher bedenklicher Sinn. Die „Schönen" haben mehrere Möglichkeiten, in der Auseinandersetzung mit dem Wein die Vorherrschaft zu erringen: Sie können z. B. „Lust und Witz vereinen", also das geistige Moment des Weins mit ihrer visuellen Attraktivität kombinieren, dann sind sie „reizender als Wein" (W2, 113f.). Bisweilen reicht auch die bloße (literarische) Präsenz der Frau, um die gedanklich beschworenen Vorzüge des Weins vergessen zu machen: Das lyrische Ich kann sich vornehmen, den Wein zu besingen, dabei in die Vergangenheit ausgreifen und Elemente der Weintheorie präsentieren - sobald es die „Wangen" seiner Phyllis erblickt, verschwinden alle diese die Gegenwart überwölbenden Beziehungen." Das funktioniert allerdings nur, wenn man vergißt, daß die „Schönheit" der „Falschheit stolzer Sitz" ist und daß „jedes Jahr [...] ihre Stärke" mindert (Wein und Liebe-, W2, 93). Umgekehrt kann der Mann sich auch mit dem Wein zufrieden geben und dadurch die Gegenwart der Liebhaber seiner Frau übersehen (W3, 48). Der Wein führt also in diesen Konstruktionen nicht mehr zu Lüsternheit und Unsittlichkeit (vgl. Kap. 7.2), sondern er ersetzt die amouröse Erregung durch die alkoholische.56 Hinter diesen die sittlichen Imperative scherzhaft untergrabenden Verbindungen oder Entgegensetzungen von Wein und Liebe arbeitet eine feinsinnige Kontrolle von Weingenuß. Mein Mädchen und mein Wein, Die wollen sich entzweyn. Ob ich den Zwist entscheide, Wird noch die Frage seyn. Ich suche mich durch Beyde Im Stillen zu erfreun. Sie giebt mir grössre Freude: Doch öftre giebt der Wein. (Der Wettstreit-, W3,37)
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Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Leipzig 1745, Jenner, S.50f. Vgl. Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Auf das Jahr 1742. Aprilmonat. 2. Aufl. Leipzig 1742, S.384 und ebda. Herbstmonat, Leipzig 1743, S.271. Vgl. Schivelbusch zur Variante mit Kaffee: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S.47. Im Gegensatz dazu Krüger: Gedancken Vom Caffee, Thee und Toback, S.12f.
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Die Kontinuität und die Mäßigkeit des Alters sprechen für den Wein. Die temporale Struktur, die Entwicklung einer biographischen Weitsicht, wie sie für das Autormodell charakteristisch war (vgl. Kap. 3.2), zieht sich durch alle Konstruktionen. Ein anonym veröffentlichtes Epigramm im Musenalmanach für das Jahr 1770 äußert sich zu Fragen der Zeitlichkeit ebenfalls entschieden: „Mein Mädchen, meine Uhr, worinn vergleich' ich die? - / Die zeigt die Stunden an, bey der vergeß' ich sie".57 Der Spectator beispielsweise rät vor dem Hintergrund von Trinkwettbewerben den Gelehrten, die mit einer Abnahme der „Feuchtigkeit" aufgrund des Pflanzenwachstums rechnen, auch „die unzählige Menge vernünftiger Wesen" hinzuzuzählen, „die ihre hauptsächlichste Nahrung aus dem Getränke ziehen [...]". Ein „besoffener Mensch [ist] ein viel ärger Ungeheuer, als irgend eines in der Natur zu finden ist". Der Wein steigert die Leidenschaften der Menschen. Zwar verschönere der alkoholisierte Blick eine Frau, daraus gehen aber Liebe, Eifersucht und schließlich „Raserey" hervor; ein „gutgeartete[r] Mensch[ ]" wird durch Wein zum „Dummkopf", der Choleriker wird zum Mörder. 58 Mit anderen Worten: Es gibt plausible Modelle für planbare Lebensläufe. Der biographische Diskurs kennt unbewußte Anfänge für Tugenden und Laster („[...] der Wein belebet jeden verborgenen Saamen, und treibt ihn heraus") 5 ', die sich durch entsprechende Vorsorge kontrollieren lassen. Andernorts korrigiert der Spectator im übrigen die rigorosen Trinkregeln des Tatler·. Der habe nämlich das Glas mit der Flasche verwechselt.60 Gerade die Jugend ist immer wieder in Gefahr. 61 Ihr fehlt die zeitliche Dauer, um aus der Rückschau auf die eigene Biographie intellektuelle Kompetenzen zu erwerben (vgl. Kap. 3.2). Zudem fehlen ihr die physiologischen Voraussetzungen dafür. Der rege Kreislauf der Jugend bedarf keiner alkoholischen oder poetischen Nachhilfen. Biondinello, der von Hagedorn im Patriot vorgestellte „wollüstige Müssiggänger" (vgl. Kap. 3.2), geht mit dem Wein falsch um, er „macht seinen Magen gleichsam zu einem Schlauche verschiedener theils verfälschten, theils zu starcken Weine, wodurch sein Gehirn dergestalt beschwehret wird, daß alle kühlende Geträncke, die er in
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Musenalmanach, S.69. Der Zuschauer. Achter und letzter Theil, Leipzig 1743, 569. St., S.57f. Ebda., S.57. Der Zuschauer. Dritter Theil, Leipzig 1740,205. St., S.180f. Auch hier verhält sich der Wein wie der Kaffee: Krüger meint, es sei zwar ganz vernünftig, morgens zur Anregung der Transpiration Kaffee zu trinken. „Doch wolte ich eben nicht behaupten daß es gantz thöricht wäre, des Morgens an statt des Caffees ein Glas Wein, oder nachdem man vorher etwas gegessen, Bier zu trinken. Indessen mögte gleichwohl der Caffee zum wenigsten denen Studirenden eher zu rathen seyn" (Krüger: Gedancken Vom Caffee, Thee und Toback, S.22).
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Caffee=Häusern oder in der Opera einschlurpffet, ihm zwar die Hitze, nicht aber die Verwirrung, benehmen" (P 53, vgl. auch Ρ 57). Im Unterschied dazu muß man im Alter fürchten, daß die „innern" (OLFB 7) oder, wie Hagedorn später korrigiert, die „mindern Seelenkräfte" „vermind[ert]" werden (W3, 25), die der Jugend als „wachsenfde] [...] Triebe" oder als „Beruf der Sinnen" vor dem noch bloß „keimenden Verstand" in besonderer Weise eignen (Der Jünglinge W3, 73. Phryne; W3, 91). Die Qualität des Weins als Kulturprodukt gehört hierher: Wer den vom Vater angebauten Wein „wohl verpflegt, [...] [d]er ist werth zu leben!" (EschrV 127). Zedlers Universal-Lexikon rechnet unter die Geheime[n] Deutungen des Weins auch die Verbildlichung des „Nutzen[s] der Beständigkeit in Guten" durch die Veredelung im Alter." Umgekehrt verbildlicht der Most die „wilde[ ] und rohe[ ] Jugend".63 Der Rheinwein ist daher auch deswegen der beste Wein, weil seine ausgeglichenen Bestandteile allen Altersstufen bekommen." Der Zedler-Artikel rät, Piaton folgend, erst den über Vierzigjährigen, „den Wein mit grösserer Freyheit [zu] trincken [...]".M Während der Wein für die Jugend den ersten Schritt auf dem Weg in die Hölle bedeutet, bekommt er dem „mittlem Alter" in „arzneymässig[er]" Dosierung. „Dem hohen Alter ist er ein rechter Balsam [...]".66 Im Versuch einiger Gedichte hatte Hagedorns Wein-Gedicht in einer später gestrichenen Strophe dieses Thema behandelt: Man mag, o Wein! dich immerhin Dem Röm'schen Frauenzimmer wehren. Du labest doch der Menschen Sinn Und kanst die beste Wollust nähren. Wann es den Trunck gleich meiden muß; Ach! so berauscht es fast ein Kuß, Den Lieb' und Jugend Geister geben. Ihm schmeckt der Küsse süsse Kost Nicht anders, als wie uns der Most Und wie der Nectar süsser Reben. (VeG 34)
Die Verteilung von Liebe und Wein auf Jugend/Frauen und Alter/Männer spielt gleichsam auf diachroner und synchroner Achse die Rolle einer heimlichen Zugangskontrolle. Diejenigen, die mit ihrer Sinnlichkeit nicht richtig umgehen können, sollten keinen Wein trinken, sondern werden auf die 62 63 64 65 66
Zedier: Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.459. Ebda. Ebda., Sp.589f. Ebda., Sp.368. Ebda., Sp.437.
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Die Poesie des Weins
Liebe eingeschworen. Auch die Liebe hat ihre Gefahren, die jedoch die Ehe mildert. Das bedeutet weiterhin, daß (ledige) Frauen keine Autorinnen sind (vgl. Kap. 4. 3), sondern Objekte und Stimulantien des weinseligen Dichters. Im Hintergrund stehen das von Hagedorn entwickelte Autormodell und die Ästhetik der Selbstverbesserung. Nach Erscheinen der veränderten Version von Der Wein startet Hagedorn eine kleine Briefkampagne: In einem Brief an Gleim schreibt Hagedorn über die Verbesserung des von ihm auf fremdes Anraten hin veröffentlichten Versuchs einiger Gedichte (vgl. Kap. 3.2): „Indessen habe ich das darinnen befindliche Gedicht vom Weine, das bey ziemlichem Feuer die meisten Fehler enthielt, wieder vorgenommen, stark verändert und, wie ich hoffe, verbessert" (17. 7. 1745; Β 159). An Giseke schreibt er in gleichem Sinn: „Sie haben mich verführet, auf die Hefen des alten Weins von 1727 neuen zu füllen; und müssen ein Theil der Schuld tragen, wenn er dort (in Leipzig, S. M.) nicht nach dem Geschmack weingelehrter Kenner ausfällt. Diese Ode gehöret mit zu den poetischen JugendSünden meiner Muse und ich überlasse sie ihrem Schicksale" (7. 8. 1745; Β 162). Und auch gegenüber Bodmer ist von dem „Feuer" die Rede, das Leser in der Ode gefunden haben, und von der erlassenen „Straffe", ob „diese[r] jugendlichefn] und fehlerhafte[n] Arbeit": „Ich habe sie also, zum Theil aus Danckbarkeit, mit gehöriger Strenge verändert, oder, wie die Autores sich erklären, gar sehr verbessert [...]" (28. 9. 1745; Β 165). N u r auf den Rat einiger Freunde hin habe er „rohes Fleisch und Auswuchs" nicht abgeschnitten, erklärt Hagedorn noch mehr als ein halbes Jahr später (30. 4. 1746; Β 173). Eine ganze Kantate widmet Ebert dem Problemkreis, nämlich sein umstrittenes Werk über Das Vergnügen (vgl. Kap. 2.3 und 4.2). Dort setzen sich der „Liebhaber des Weins", die „Zärtlichkeit" und der „Freund des Vergnügens" auseinander. Der einleitende Chor formuliert die moralischen Direktiven: „Spielen und Lachen", d. h. das „Verkürzen" der Zeit, sollen das Leben verlängern. „Wir stärken den Leib, und erfreuen das Herz". 67 Auf diese Wirkung erheben der Wein und die Zärtlichkeit Anspruch. Zwar steht der Wein für das „wilde[ ] Verlangen" und richtet sich an „aller Männer harte Brust", gleichwohl „bezwingt" die Zärtlichkeit oftmals die Männer. 68 Das wiederum stellt der Liebhaber des Weins als poetische Fiktion unter Einfluß des Weins dar: „Ich trinke zwar noch manches Glas / Auf aller Schönen Wohlergehen. / Glaubst du, daß ich sie darum liebe?" Anders formuliert: Der Wein mäßigt die Liebe, indem er sie zu einem nurmehr verbalen Ereignis macht, und die Liebe mäßigt das „wilde Verlangen", indem sie es gleichsam übersteigt („bezwingt"). Sie regiert nicht wie „Tyrannen", sondern als Gott, ,,[g]elind und unumschränkt", wohingegen der Wein diktatorisch über
68
Ebert: Das Vergnügen. In: ders.: Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S.LXI. Ebda., S.LXIV, LXVII.
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„Leib und Seele herrscht"." Oder wie es der Freund des Vergnügens, in dem sich die beiden Kontrahenten vereinen sollten, ausdrückt: „In Trinken und Lieben vertheil' ich mein Leben, / Der Wein folgt der Liebe, die Liebe den Reben [...]". Dabei kommt es jedoch fast zwangsläufig zu oralen Konfusionen: „Und denk' ich mir alles auf einmal zu geben, / So küss' ich und trink ich zugleich"70 - daher geht der Streit nach dieser Intervention auch erst einmal weiter. Zunächst muß der Freund des Vergnügens die „Tyrannei" des Weins umgehen und das Selbstbewußtsein („Wer fröhlich ist, muß wissen können, / Daß er itzt fröhlich sey") gegen die „Lust" retten, die gut wolffianisch eine „Sklaverei" genannt wird.71 Hagedorn sagt von den Oden, sie könnten alles, „was wir empfinden und wissen", thematisieren (W3, XV). Ebert betont gleichsam die konjunktive Bedeutung des „und" zwischen „Wissen" und „Empfinden". Er verbindet daher unter der Direktive der Zärtlichkeit Liebe und Wein durch die Alterslehre: Der „Jüngling" überläßt der „Jahre Blüte" der Liebe „[u]nd des Alters Frost dem Wein", wo den Gealterten im „Gedächtniß dieser Zeiten" unter Alkoholeinfluß noch „Scherz und Lachen" begleiten.72 Dieses Bündnis affiziert den Liebhaber des Weins derart, daß er beitritt und nun explizit die mäßigende Wirkung der Liebe an sich erfährt: Der Blutkreislauf zeigt eine „sanfte[ ] Regung", das Herz schlägt „mit stillerer Bewegung", der ausgeübte Reiz bleibt sich zwar gleich, aber „vergnügt ]t vielleicht noch mehr". Der Wein wird nun zum wohldosierten MelancholieTherapeutikum: Durch „[m]äßig Trinken, kluges Lachen" und die „Zärtlichkeit" macht man sich das kurze Leben „zu Nutze", man vertreibt „[d]er schwarzen Sorgen Schwärm, / Die uns hier stets zur Seiten fliegen, / Durch ein beständiges Vergnügen". Von der Jugend bis zum Alter, ja bis in den Tod erstreckt sich eine gleichbleibende Fähigkeit zur Verachtung der „Gaben", die man nicht hat.73 Der abschließende Chor zieht ein Fazit: Auf, folge: uns alle mit billigem Neide Und suchet den Weg zur gebotenen Freude! Seht! Wein und Liebe zeigt die Spur. Wisst, so wie wir, klug und verschwiegen, Vergnügt zu seyn, und zu vergnügen; Und liebet und trinket, und folgt der Natur. 74
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Ebda., S.LXIX. Ebda., S.LXVin. Z. B. Wolff: Vernünfftige Gedancken Von der Menschen Thun und Lassen, S.260. Ebert: Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S.LXXI. Ebda., S.CXXinf. Ebda., S.CXXIV.
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Die Liebe arbeitet subtiler, heimlicher und zugleich kontrollierter als der Alkohol. Das funktioniert insbesondere dann, wenn man die Liebe, wie die Wahrheit, allegorisch verobjektiviert und sich gleichsam selbst zum Gegenstand des Begehrens werden läßt (vgl. Kap. 2. 1 u. 4.1) - auch das ist eine Variante und Konsequenz der Selbstinspiration. Der Wein gilt somit zwar als das vorzügliche Getränk schlechthin, gleichwohl müssen Zugangsbeschränkungen den Weinkonsum kontrollieren. Geschlechterdifferenzen, biographische Ordnungsmuster und Gesellschaftsmodelle werden in historischer Betrachtung auf den Weingenuß projiziert: Trinken, Schreien und Singen sowie der Umgang mit Frauen sind gleichermaßen schädlich.75 Kinder, Wahnsinnige und Betrunkene bilden eine Gruppe. 76 Kinder und Frauen sollten keinen Wein trinken, bei letzteren besteht die Gefahr der Unkeuschheit; Könige und Regenten (W3, 39) sowie Richter sollten nüchtern bleiben oder gerade auf mäßigen Genuß achten; junge Leute, Knechte und Sklaven können ebenfalls nicht mit dem Wein umgehen.77 Mit anderen Worten: In der Geschichte der Trinkregeln kann man all jene Bestimmungen finden, die den Wein zu einer Sache genau desjenigen Menschen machen, den sich die Aufklärung konstruiert. Der richtige Weintrinker wird durch Abgrenzung als freies Zentrum der Regularitäten umschrieben. Vom Weingenuß werden alle Personen ausgeschlossen, die keine vollwertig aufgeklärten Menschen sind (und umgekehrt klärt der Wein auf). Der Wein berührt alle Sinne, und er wirkt in allen anthropologischen Bereichen, in den oberen, mittleren und unteren, wobei die mittleren Wirkstoffe am wohltuendsten sind.78 Allerdings kann der Wein den Menschen nicht ausschließlich ernähren, denn er ist bereits zu „geistig". Wasser, gemeinsam mit der Milch das „unschuldigste[ ] natürliche[ ] Getränck[ ]", muß ebenfalls konsumiert werden. Andernfalls wandelt sich der Wein zum Gift und leitet zur „grösten Sünde und ewigen Verdammniß". 79 Sogar das Lob des Wassers in den Belustigungen, das zugleich eine Kritik des Weins ist, erlaubt den mit Wasser vermischten Wein, denn Wein allein führt zu Uberspannungen so wie Kaffee zu dickem Blut führt, wohingegen Wasser es verdünnt. 80 Der Wein veranschaulicht gleichsam die geistigen und körperlichen Vorgänge, wobei sich das zeigt, was man sehen will: Denn Meier beispielsweise ordnet dem Weingenuß (neurophysiologisch) keine Uberspannungs-, son-
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Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen, S.231. So Jacobi im Zusammenhang mit der Bestimmung verschiedener Bedeutungen von „Vernunft" (Betrachtungen über die Weisen Absichten GOTTES, S.6f.). Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.366ff., 429ff. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.410f. Ebda., Sp.423. Belustigungen des Verstandes und des Witzes. Wintermonat, Leipzig 1741, S.406.
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dem Erlahmungserscheinungen zu. Der Wein macht dennoch die Sinne weniger reizempfänglich (vgl. Kap. 7.2)." In diesen Zusammenhang gehören die Szenen der Weinlese, die Hagedorn in Der Wein beschreibt. Sie stellen teils den sozial konnotierten, teils den temperamententheoretisch unsachgemäßen Umgang mit dem Wein vor. Ein Winzer kann sich beim Tanz kaum mehr auf den Beinen halten (W3, 122); ein Ackerknecht tanzt „bäurisch" (W3, 123); ein „Grübler" wundert sich, daß der Wein seinen „Schwermuth" nicht vertreibt; und ein Prahler, der im Versuch einiger Gedichte noch den galanten Typus repräsentierte, provoziert eine Schlägerei, in der das ganze Weinfest untergeht. Der ZedlerArtikel zum Wein berichtet beispielsweise von der analogen antiken Praxis, Sklaven und Leibeigene sich betrinken zu lassen und die Alkoholisierten als abschreckendes Beispiel den Kindern des Hauses vorzuführen. 82 Zum Weintrinken muß man die richtigen Voraussetzungen mitbringen, andernfalls führt die Selbststeigerung zu cholerischen Ausbrüchen (bzw. zu einer Verstärkung und Habitualisierung der Melancholie). So gehts. Erweckt der Wein den Muth In ungestalten wilden Seelen; So weiß sich in entflammter Wuth Der Thracier nicht zu verheelen. (W3,124)
So gehts. Des Weines starcke Glüht Enflammt nicht selten die Gemüther. Des Streites Zorn, des Zanckens Wuht Vermehret sich durch Bacchus Güter. (VeG, 29)
Aber der Wein wird nicht nur wie in der politischen Verhaltenslehre für den Verlust der Selbstkontrolle verantwortlich gemacht (vgl. Kap. 7.2), sondern er dient auch dazu, Streit zu schlichten, wie zwischen dem jahrelang verfeindeten, sich beim Wein wieder versöhnenden „Paar" (W3, 125; VeG 30). Er fördert die Offenheit in einem wünschenswerten Sinn: Wie mancher, dem der Wein gefällt, Als war er Gift und Rügewasser, Entlarvt, wenn nichts sein Herz verstellt, Den Schalksfreund, Filz und Menschenhasser! Wer Tücke heckt, muß nüchtern seyn. (W3,125)
Wer sich daher nur für die „Wasserkunde" zuständig erklärt, macht sich verdächtig. Auch in anderen Fällen nähert der Wein die Trinkenden den Normen der Odendichtung: Ein „Altester der Zionsbrüder" setzt sich abseits, weil ihn der Wein „mehr als brüderlich" lieben läßt. Die Dispositionen der „Magister" hingegen lassen sie „[s]tatt Eintracht und Gefälligkeit" nur Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.194. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.431.
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„die Lust zu widersprechen" entdecken. Dabei könnte der Wein helfen, nicht nur - wie an anderer Stelle (vgl. Kap. 7.2) - die kopernikanische Kosmologie und die cartesianische Philosophie am und durch den eigenen Leib zu erfahren, sondern auch die Leibniz-Wölfische Grundlage der Aufklärung zu begreifen: Der Wein muß nie der Wahrheit schaden. Der Rausch beleuchtet itzt durch sie Die vorbestimmte Harmonie, Die beste Welt und die Monaden. (W3,126)
An die genanante Exempelreihe in Der Wein schließt die bereits erwähnte Strophe an, in der Hagedorn den vorbildlichen, nämlich bloß poetischen Weingenuß von Anakreon, Gleim und Ebert empfiehlt. Bemerkenswert ist immerhin, daß Gleim Hagedorns Ubersetzung Das Daseyn (W3, 47), also eine Parodie auf den cartesianischen Existenzbeweis, mit Die Monaden, einer Parodie auf die Monadenlehre, variiert." Der Wein zeitigt moralische und körperliche Folgen, und er ist auch in religiöser Hinsicht bedenklich: „[...] zugleich des Weins und auch des Heiligen Geistes voll seyn, ist unmöglich [...]".84 Ein angesehener Theologe wie Mosheim kann jedoch, wenn er die durch die Religion vermittelte Zufriedenheit durch das „Vergnügen" ergänzen möchte, ein Buch, einen Garten und den Wein zulassen.85 Und Hagedorn weiß in seinem Versuch einer Abhandlung von den Gesundheiten und Trinkgefäßen der Alten von einer stattlichen Zahl „fromme[r] Säufer", die „zu Ehren der Heiligen, der Märtyrer, ja sogar der Engel" getrunken haben, auch wenn er „Bedenken" trägt, deren „lächerliche Gesundheiten anzuführen" (EschIV, 149). Zudem versucht Hagedorn die aufklärerische Wirkung des Weins für die Sache der Religion einzusetzen, wenn er an Liscow von einem Treffen von „[l]e gros Liscow, trop savant Heretique" und „le gros Hagedorn, Convive un peu Bacchique" schreibt: „Votre ami, le Debauché, seroit charmé de Vous voir ici ou pour achever, sous vos auspices, son apprentissage d'Heresie ou pour Vous faire sacrifier quelques Doutes de Votre Scepticisme aux Vérités, qu'il tacheroit de Vous faire trouver dans les Eclairçissemens vineux [...]" (4. 3. 1740; Β 59f.).86 Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, S.123f. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.428; vgl. auch die „Betrachtung des Weins nach der Heiligen Schrifft" (ebda., Sp.454ff.). Mosheim: Gründe und Gedanken von der Zufriedenheit, S.39. „Ihr Freund, der ausschweifende Mensch, würde entzückt sein, Sie hier zu sehen, entweder, um unter Ihren Auspizien seine ketzerische Lehre zu beenden, oder, um zu veranlassen, daß Sie einige Zweifel Ihres Skeptizismus den Wahrheiten opfern, die er wohl versucht, Sie in den vom Wein verursachten Erhellungen finden zu lassen [...]" (BK 464).
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Neben den moralischen Implikationen des Weingenusses kommt für die religiöse Kritik im engeren Sinn noch ein zweiter Kritikgrund hinzu: die mit dem Wein verbundene Mythologie. Noch Bodmer und Breitinger weisen bei ihrer Kommentierung des Lobgesang Bacchi von Heinsius/Opitz darauf hin, daß die Weinmythologie hier nicht beim Wort zu nehmen sei. Wie bereits bei ihrer Erfindung stellten die antiken Göttergestalten allegorisch Tugendund Lasterpersonifikationen dar.87 Hagedorn hingegen begründet die Verwendung der später zurückgenommenen Weinmythologie im Versuch einiger Gedichte aus dem Prinzip der imitatio heraus: Er folge lediglich der Horazischen Bacchusepiphanie. Die Kürzung der antiken Mythologie in der verbesserten Version von Der Wein gehört dann in den Kontext der generellen Mythologie-Kritik der Frühaufklärung, verbunden mit der Stilreinigung und der selbstinspiratorischen Poetologie der Poesie der Freude (vgl. Kap. 2.1 und 4.2) Uber diesen Umweg ist der Wein in eine Form der natürlichen Kultur einbezogen, nämlich die poetische Frühzeit und damit zugleich Vorbildlichkeit. Daher wird im Rahmen des Wein-Artikels ein kleiner Kulturkampf um den „Ursprung des Weins" ausgetragen: Nicht die heidnischen Quellen zitiert werden Vergil und Ovid -, sondern die biblischen, genauer: mosaischen Schriften bilden die Tradition, an die man sich anlehnt. Noah erfindet den Wein, allerdings betrinkt er sich auch zugleich als erster.88 In Der Wein wählt Hagedorn die Konfrontation zwischen antiker und nordischer Weinerfindung: Die dritte Strophe erwähnt kurz ein Exempel für die friedensstiftende Macht des Weins in Griechenland, um dann in mehr als drei Strophen die Wirkung des Weins bei den Germanen (und Cheruskern) abzuhandeln, unterfüttert mit voluminösen Anmerkungen über germanische Götter und Rituale sowie zur Begründung des frühen Weinanbaus der Germanen: „Nicht ohne Grund getraue ich mir die poetische Freyheit zu verantworten, daß ich den Wein zu einem gewöhnlichen Getränke der alten Deutschen machen darf [...]" (W3, 120). Der Wein reanimiert die „Väter" und deren Tugenden: Auf! auf! Gebeine deutscher Helden. Verlaßt die Hügel eurer Gruft, Erhebt euch; suchet Sonn und Luft! Euch wollen Rhein und Mosel winken. Sie heissen euch nach alter Zeit, Treu, Anschlag, Wahrheit, Tapferkeit In ihrer Trauben Blute trinken. (W3, 120)
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Auf! auf! ihr Teutschen Helden » Beine: Auf! auf! und tretet an die Lufft Aus der durch euch geehrten Grufft, Euch wollen Rhein und Mosel wincken. Sie heissen euch, nach alter Zeit, Treu, Wahrheit, Anschlag, Tapferkeit, Aus ihrer Reben Blute trincken. (VeG 31f.).
Opitz: Gedichte, S.424, 43 lf. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 54, Sp.356f.
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Die Poesie des Weins
Das taciteische Germanenmodell legt eine bei Hagedorn meist von den Autarkie-Topoi der laus ruris verdeckte Traditionslinie für die Aufrichtigkeitsrhetorik und die Kritik an der Verrechtlichung frei. Wein und Scherz bilden die Umgebung für eine Auferstehung von der „alte[n] Treue teutscher Brust".89 Während Hagedorn die Formulierungen an dieser Stelle beinahe beibehält, wechselt der Ort des Passus: Im Versuch einiger Gedichte sind die historischen Exempel als positiver Kontrast zu Beispielen von Trunkenheit (und der später gestrichenen Galanterie) zur Zeit der Weinlese eingesetzt, später verschiebt Hagedorn sie an den Beginn des Gedichts. Vorbildlichen Weingenuß personifizieren nun Anakreon und in seinem Gefolge Gleim und Ebert. Anakreon besingt aber den „Most" bloß und lacht, er lobt die Reben, aber die Götter trinken den Wein (W3, 126f.). Zwei Passagen, in denen Hagedorn seine eigene poetische Tätigkeit abbildet, stellen jedenfalls die heldische Zeit in Frage: zum einen in der zweiten Strophe, wo Homer sich „zechend seine Helden wähl[t]" (W3, 120), zum anderen in der zwölften Strophe, wo ein Prahler unter Alkoholeinfluß von seinen Taten berichtet, sich in die „Heldenzeit" visioniert, dabei jedoch einen anderen bekleckert, der wenig freundlich reagiert: „Gevatter, hilf und wirf das Glas / Dem Eisenfresser ins Gesichte" (W3, 124). Der Wein ist vor dem Hintergrund der poetologischen, moralischen und religiösen Diskurse ein symbolträchtiges Motiv der Autortheorie, denn er tendiert dazu, in vielerlei Hinsicht Grenzen zu überschreiten, in wünschenswerter und in unbotmäßiger Weise. Wer über den Wein schreiben will, muß sich mit ihm auskennen, er muß ein „Weingelehrter" sein. Unter den empiristischen Auspizien der Gelehrsamkeit heißt das freilich auch: Er muß seine Erfahrungen mit dem Wein machen. Gleichwohl gilt es, diesen Anspruch einzuschränken, manchmal bis hin zu seiner Negation und damit zur Restitution von Verbalgelehrsamkeit. Hagedorn reagiert darauf mit teils feinsinnigen Variationen, teils deutlichen und programmatisch verkündeten Änderungen in der Konzeption der Poesie des Weins. Der Wein ist zugleich Objekt der invocatio und Motivation zum Anruf, Gegenstand der Poesie, ihre Ursache und ihr Anlaß. Der Wein erleichtert die Veranschaulichung dieser Paradoxien, weil er - wie die Natur - in sich gespalten ist, und zwar auf mehreren Ebenen als kultiviertes Gewächs und als kultiviertes Getränk. Überläßt man Weinanbau und Weingenuß der Natur, dann entstehen Most und Trunkenheit, lenkt man beides in kunstSo im Winter- Vergnügen in einer Ode an seinen wehrtesten Freund, Herrn M. A. Wilkens (PdN4, 400), und gleichlautend in der gekürzten Fassung: Trinklied (Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.12). Vgl. auch in Wein und Liebe (W2, 93).
Anthropologie und Wein
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volle Bahnen, entsteht der „gute, süsse Wein" und ein aufgeklärtes Gemüt. Die Poesie der Freude, so kann man analog sagen, erheitert, aber im Ubermaß gelesen oder gesungen, ließe sie Probleme entstehen, nicht verschwinden. Sie hat ihren O r t nun einmal in den Nebenstunden. Auf diese Weise spielt das docere unterschwellig immer eine Rolle. N u r der sich selbst kontrollierende Leser sollte sich der Poesie der Freude aussetzen, oder, wie Hagedorn es formuliert, der „Kenner". Der Kenner bedarf keines „Splitterrichters" mehr, denn er sieht selbst den Splitter in seinem Auge (vgl. Kap. 2.4). Der Weingenuß kann nicht nur in sich aufgeteilt werden in einen vorbildlichen und einen verwerflichen, er eignet sich auch dazu, weitere Dichotomisierungen zu formulieren, so ζ. B. in der Gegenüberstellung von Wein und Liebe, die wiederum von der Alterslehre und darin von den Begriffspaaren Jugend/Liebe und Alter/Wein unterstützt wird. Der vorbildliche Weintrinker stellt die Kompetenzen aufklärerischer Humanität unter Beweis, Kompetenzen des männlichen Erwachsenen, der mit Weitsicht die Folgen übermäßigen Weingenusses einsieht und sich aufgrund dieser Einsicht diszipliniert. Die liedhafte Poesie des Weins bezeichnet auf performativer Ebene den Weisen, den die Moralischen Gedichte explizit darstellen (wenn man singt, kann man auf jedenfalls nicht trinken).
7.2 Anthropologie und Wein Mit dem Wein ist im 18. Jahrhundert an vielen Stellen zu rechnen, insbesondere dann, wenn es um anthropologische Annahmen geht. Wie auch immer man zu einer ganzheitlichen Anthropologie steht: Der Wein bringt eine influxionistische Bildlichkeit und Theorie mit sich.90 Er bildet ein bisher noch nicht bemerktes Zwischenglied zwischen der (thomasianischen) Anthropologie der Wende von 17. zum 18. Jahrhundert und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der im Zuge des neuerwachten anthropologischen Interesses ältere anthropologische Ansätze wieder rezipiert werden."
Vgl. zur Bedeutung des insbesondere mit Descartes' Philosophie verbundenen influxus pbysicus für die Anthropologie im 18. Jahrhundert z. B. Finze: Empfindung, Vergnügen und Arkadien bei Johann August Unzer, S.121ff.; Schings: Melancholie und Aufklärung, S.24f., 34; Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung, S. 108. Der Zusammenhang von Körper und Seele im Zusammenhang mit dem Wein ist freilich ein altes Thema (Pseudo-Aristoteles: Der Text der pseudo-aristotelischen „Physiognomonica", S.13). Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert, S.93. Die Tradition der anthropologischen Betrachtung des Weins reicht natürlich weiter zurück und wird auch zuvor schon poetisch aufbereitet, etwa wenn Weckherlin die Motive von Geselligkeit, Leidverdrängung, alkoho-
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Die Poesie des Weins
Die Verwandtschaft des Weins mit den „esprits animaux"92 macht seine wichtigste Eigenschaft deutlich: Wie die Lebensgeister93 vermittelt er zwischen Geist und Sinnlichkeit. Er hat materielle Eigenschaften (hier insbesondere die Hefe) und geistige (insbesondere der Weingeist), und dieses Spektrum von Materialität bis zu Geistigkeit kann in verschiedener Weise gedeutet werden: Aufgrund des zeitlichen Index' überblendet es in komplizierter und variabler Weise die Alterslehre; die bildlichen und physiologischen Implikationen legen eine moralische Deutung nahe; und alles das kann sich mit der langen poetischen Tradition verschmelzen, die den Wein als Motiv einerseits, als poetologische Kategorie andererseits verwendet hat. Mit anderen Worten: Der Wein symbolisiert Sublimation und (Selbst-)Steigerung, er ist Gegenstand der Kritik und Vorbild. Der Gärungsvorgang läßt sich anthropozentrisch als Prozeß deuten, in dem die „gröbsten unreinen, und dem Menschen nicht viel dienenden Theile" ausgeschieden werden. 94 Zugleich bleibt er auf die elementaren Körpervorgänge bezogen. Das ideale Mittelmaß erreicht der „Rhein=Wein". Er übertrifft an „Güte und Geschmack alle andere Deutsche Weine [...], weil er, wegen wohl abgemessener Proportion der ihn zusammensetzenden Theilgen, sowohl alten, als jungen Leuten, auch ohne Unterscheid allen Temperamenten der Menschen, und fast in allen Kranckheiten des Leibes höchstnützlich und zuträglich ist [...]". Er kann sogar gegen die Weinkrankheit, das „Podagra", eingesetzt werden;95 er bringt insbesondere die inneren Körperbewegungen in Gang, indem er die Körpersäfte verdünnt und die Gefäße erweitert, „wodurch alle Unreinigkeiten aus dem Leibe geführet werden"; er „erfrischt" Körper und Gemüt - auch hier selbstverständlich nur „in einer wohlgeordneten Menge".96 Interessant am Wein war also genau das, was den verunreinigten Körper zum Verschwinden bringt. In dem schlechten Wein97 tobt „des Hefens Aufruhr" (W3, 46). Selbst Anna Maria von Hagedorn rät ihrem Sohn am Rand
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lischer Selbstinspiration mit der Reinigung von „lung und leber" zusammenführt (Witkowski: Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung, S.4). Zumindest an einer Stelle seiner Pathologie läßt auch Descartes den Wein in die Lebensgeister übergehen: Die Leidenschaften der Seele, S.28f. Wolff erläutert zwar auch die Lehre von den „Lebensgeistern", aber bei ihm vermitteln sie nicht zwischen Körper und Geist. Den ganzen Prozeß der Sublimation, der Vergeistigung, unterschlägt er, indem er die Lebensgeister immer zusammen mit dem „Nerven = Saffte" nennt, einer eher körperlichen Vorstellung also (Wolff: Vernünfftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflantzen, S.149ff., 456ff.). Vgl. z. B. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.439. Ebda., Sp.389. Ebda., Sp.589f., 593. Ebda., Sp.590f. Die Ode parodiert die Einleitungspassage von Horaz Carm. 2,13.
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eines Briefes, gleichsam die Position der Beobachterin epistolographisch ins (Schrift-)Bild setzend: „[D]en Wein mustu nur für die Gesundheit trincken", sie fügt aber auch in Klammern hinzu: „[I]ch vergeße nicht deine Gesundtheit auch zu trincken und hoffe du werdest es mercken"98 Der Wein regt im Körper das an, was er selbst im Gärungsprozeß durchgemacht hat: Er entwickelt den „Weingeist" - und der Mensch? Wenn der Mensch Wein getruncken hat, so werden in seinem Cörper des Weines Geister fast eben so aus einander gesetzt, wie bey der Destillirung geschieht. Denn die warmen Eingeweide erhitzen den zu sich genommenen Wein, und also zerstreuen sie seine geistreichen Theilgen, wenn sich nun diese Geister allenthalben ausgebreitet, so vermischt sich ein Theil derselben mit dem Gebliite, und verdünnet dasselbe; daher macht auch der Wein ein aufgeräumtes Gemüthe, und giebt dem gantzen Cörper neue Kräffte. Gleichwie aber die Geister allezeit von freyen Stücken sich in die Höhe begeben, also gehn sie auch im Cörper gröstentheils zum Gehirne, und vermehren dessen Bewegung, wovon der Mensch alsdann gantz lustig und aufgeweckt wird, und viel herrliche Gedancken vorzubringen weiß."
Immer aber besteht die Gefahr der Unmäßigkeit: Die Lebensgeister werden zu schnell, der Trunkene sieht doppelt, ihm schwindelt und schließlich schläft er ein, weil die „Lebensgeister" vom „zertheilten Schleim" eingewikkelt und an der weiteren Bewegung gehindert werden. Das ist zwar zunächst ein Problem der „Ehrbarkeit", kann aber bald zu einem habituellen Schaden führen: Die „Lebensgeister" verdicken die Säfte, „so an den Hypochondrien bewegt werden, und verursachen nach und nach die sogenannte Melancholey, welche eintzig und allein von den sauren Säfften entsteht. Daher kommt es auch, daß viele, wenn sie sich die Grillen und Melancholey zu vertreiben viel Wein trincken, das Übel ärger machen".100 Die belebende Wirkung des Weins führt Hagedorn im Anschluß an die cartesianische Anthropologie in der Beschreibung eines Ballets vor (vgl. Kap. 6):
[...] Droht Müdigkeit den Freuden-Sprüngen [...] So macht bald jener volle Tisch Die Geister matter Glieder frisch Und kan das vor'ge Feuer schencken: Ihn füllt in güldnen Schaalen Wein: Er flöst die reinsten Flammen ein: Er kan den Mund mit Nectar träncken. (VeG 21)
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Litzmann: Briefe von Anna Maria von Hagedorn, S.105. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.762. Ebda., Sp.763f.; vgl. dazu Aristoteles: Problem XXX, 1, S.72
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Ebenso wichtig ist für Hagedorn allerdings auch die kalmierende Wirkung des Weins. Er folgt mit positiver Beurteilung in einigen Gedichten der Kurve, die der Weingenuß durch Belebung und nachfolgende Ermattung durchläuft101 - auch die Ballettbeschreibung endet mit dem Schweigen und dem Schlaf. Eine poetisierte Fassung dieser Anthropologie bietet Bodmer mit seiner Zurechtweisung der Sänger des Weins (1751) im Crito, die für Hagedorns Anakreontik-Kritik wegen des relativ späten Datums des Bodmerschen Gedichts zwar nicht unmittelbar von Bedeutung war, aber noch einmal auf der poetologischen Landkarte die Grenzen zieht, innerhalb derer Hagedorn sich seinen Ort zu suchen hatte. Hagedorn schreibt darüber an Bodmer: „Die Ode zum Lobe des Wassers p, im Crito, ziehe ich gantzen Sammlungen vor, die ich von jenen („anacreontischen Oden", S. M.) angetroffen. Ich habe überhaupt Ursache, ein Freund mineralischer Wasser zu seyn, die ich, im Sommer mehr als alle Weine, liebe; und ich weiß von guter Hand, daß Noah und seine Nachkommen für Sie keinen Wein pflanzen dürfen" (an Bodmer; 10. 10. 1751; Β 321). In Alcetas102 an die Alsterschwäne hingegen läßt Hagedorn verlauten: Wie sehr ist euch das Schicksal hold, Ihr Schwäne, die ich fast beneide! Ihr Säufer trinkt so viel ihr wollt, Und bleibt auch dann der Schönen Freude. Ich weiß es, Bacchus schenkte mir Den Epheu, welcher ihm gehöret, Hätt ich so einen Hals, wie ihr, Den ihr durch Wasser doch entehret. (W3, 40)
Zunächst einmal desavouieren sich die Sänger des Weins selbst durch einen groben decorum-Verstoß, sie sind nämlich grölende Biertrinker. Das Bier versinnbildlicht eine Art Steigerung der negativen Eigenschaften des Weins, seiner Materialität („schlammichte[s] Bier").103 Johann Friedrich von Löwen legt dieses Urteil dann auch auf die literaturgeschichtliche Achse und schreibt 1757 in den Anmerkungen über die Odenpoesie über die Dichter des 17. Jahrhunderts: „Ihre Weinlieder, waren keine begeisterten Lieder des Bachus, es waren deutsche Bierchansons. Man sah es den Liedern gar nicht an, daß den Dichter der flüchtige Geist des Weins erhitzt hatte. Seine Verse 101
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Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.20. An den Schlaf (W3, 111), An den verlohnten Schiaffi, 63f.). Vgl. zum Thema auch: Der Traum (W3, 67). Vgl. zu Alcetas Hagedorns Versuch einer Abhandlung von den Gesundheiten und Trinkgefißen der Alten (EschlV, 147). Crito. 1. Bd., 1751, 2. St., S.61ff.
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taumelten und stolperten eben so schwer, wie ein guter Bauerlimmel, der sich mit zu vielem Merseburger überladen hat".104 Auch Kästner gibt - allerdings mit kritischer Intention - das Ideal einer zeitgemäßen Ode so an, daß jedes Gedicht einem „muntern Frauenzimmer" gleichen soll, „die Ode aber einem muntern Frauenzimmer, das ein Glas Wein getrunken hat". Wenn allerdings der von der Ode geforderte Affekt unmäßig wird, dann wird die Ode „einem Weibsbilde ähnlich, das zu viel Brantewein zu sich genommen hat".105 Diese literaturgeschichtliche Ordnung à la carte hatte die Rezension von Hagedorns erster Odensammlung im Hamburgischen Correspondents entworfen. So wie der Wein halten auch Hagedorns Oden die gattungstheoretisch erforderliche Mitte zwischen den zu „niedrigfen]" Studentenliedern und der Ernsthaftigkeit und Erhabenheit der moralischen Gedichte: Sie (die Studentenlieder, S. M.) zeugen von einem so groben Rausche, als das Bier giebt, und scheinen in demselben mehr ausgek-tz-t, als geschrieben zu seyn. Der Wein, welcher singet, wenn er redet, und Oden dichtet, wenn er dichtet, macht bey denen, welche ihn recht zu brauchen wissen, nicht allein das Herz redlicher und vertraulicher, sondern auch den Verstand heiterer und feiner. Er giebt über sich selbst sowol, als über die Liebe, deren Geist und Nahrung er ist, als über andere Dinge, einen Reichthum von schönen und feinen Gedanken. Er theilet den Einfallen und den Sitten eine gewisse Freyheit und Kühnheit mit, und belebet sie mit dem Feuer, womit er den Körper und das Geblüte erfüllet. Das Sinnreiche des Weins ist von der nüchternen Scharfsinnigkeit auch unterschieden. Es ist weniger gesucht, und daher noch angenehmer, wie das andere.106
Bodmer schließt sich in Sänger des Weins nach der Wein- und Bierkritik dem Pindarischen Wasserlob an,107 das auch das antikisierende Versmaß markiert. Die „Vernunft", die „stille, nicht brausende Lust", die sich durch Selbstbewußtsein und zeitliche Dauer auszeichnet, sowie das sich zu Luft „läuter[nde]" Wasser stehen dem von Sonnenwärme „durchbrannte[n]" Wein gegenüber, der sich aus dem nicht-wässrigen „Saft" bildet und der mit „Hefen" durchsetzt ist, „[d]ie ihn mit irdschen Theilen durchfahren".108 Das Wasser kühlt die „Adern" des Liebenden, wobei die innerlich erkalteten und nur durch Alkohol erwärmten Wein- oder Biertrinker dieses Gefühl gar 104 105
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Löwen: Anmerkungen über die Odenpoesie, S.9. [Kästner]: Nachricht für ein Frauenzimmer, von einigen Arten von Gedichten, S.281f. Bestimmung der Urheberschaft nach: Baasner: Abraham Gotthelf Kästner, S.302. Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1742, 6. St., unpag. Vgl. z. B. zur Entgegensetzung von Poesie des Weins und Pindarischer Poesie des Wassers: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd. 2. Aufl., Leipzig / Bremen 1747, 4. St., S.402: An Pindam. Vgl. auch Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S.352. Vgl. zur physiologisch ähnlich begründeten Entgegensetzung von Bier und Wasser: Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, S.48f.
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nicht kennen. Sie sind zu „[k]alt zu Werken des Geists und der Liebe". Die „feinere Wollust" verträgt sich nicht mit dem Wein, Bacchus verjagt die „Mädgen", dem Topos vom Streit zwischen Wein und Liebe folgend. Die Kritik gilt auch für „des Weins und der Tugend wenige Freunde": „Aus dem Becher Gedanken zu trinken", ist gefährlich. Bodmer macht sich das physiologische Modell zunutze, wonach der Wein dazu tendiert, auch seine positiven Wirkungen in negative zu verwandeln. Haben erst einmal „die Dünste des Weins das Blut in die Jährung getrieben", dann besteht immer die unkontrollierbare Möglichkeit, daß sie „über die Spitze wegstürzen, / In den schändlichen Abgrund des Unsinns!" - dort könnte man freilich auch Bodmers Gedicht liegen sehen. Die Schwäche, so Bodmer weiter, die der erste Schluck Wein signalisiert, macht die Rede vom mäßigen Weinkonsum zur eitlen Selbsttäuschung: Die folgenden Gläser sind schon programmiert, der Trinker wird zum „Vieh" werden. Erst vollendete Triebsublimation und biographischer Weitblick bringen den Autor hervor: Wenn ihr gelernt, euch an die Schooß des Mädgens zu schmiegen; Und nicht die öfnende Rose zupflücken; Alsdann mag die Frucht des Bacchus im Becher auch sprudeln, Und sie der Trinker aus Weisheit nicht saufen.
Geregelte Liebesbeziehung und systematischer Weingenuß gehören zusammen, sie bezeichnen die affektkontrollierte Persönlichkeit und deren methodisch durchgearbeitete Sinnlichkeit. Hagedorn hält dagegen scherzhaft, aber kenntnisreich die medizinische Wirkung des Weins in einem Brief an Liscow hoch (B 62f.). Eine „poetische Ausschweifung" allerdings, seine Les Sonnets, Conte, will Hagedorn Samuel Henzi bei einem „vin sans noeuds" zeigen, einem Wein also - so erklärt Gronemeyer - der kein Turbith gegen das Podagra enthält und dem somit keine medizinische Funktion zukommt (B 214; BK 589). Die Schärfe der Polemik gegen den Wein erklärt sich nur aus dessen Wertschätzung. Meier, der betont, er würde die „Besoffenheit" nur physisch, nicht moralisch betrachten,109 stellt die momentane Wirkung des Weins vor. Er behandelt den medikamentösen, sublimierten und kontrollierten Weingenuß im Kontext einer methodischen Lebensführung, die auch ohne Wein auskommt - Meier nennt die kreislauffördernde Wirkung eines häufigen, aber nicht übermäßigen Weingenusses und die „angenehme Empfindung", die daraus hervorgeht.110 Und er behandelt weiterhin die für den Poeten wichtige Wirkung des Weins, der seine Kräfte instantan steigern will. Meier
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Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.198. Ebda., S. 195.
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richtet sein Augenmerk hauptsächlich auf die Trunkenheit, bei der die Einbildungskraft in besonderer Weise tätig ist.111 Wenn man daher nicht in die Zukunft blickt, also nicht die moralische Brille aufsetzt und die möglichen Folgen bedenkt, dann dient der Wein zur Verdrängung und Ersetzung der Gegenwart, er bringt - so Hagedorn - den Frühling im Winter zurück, er verschönert Landschaften und Frauen: „Die Erfahrung lehrt, daß durch die Trunckenheit die unangenehmen Leidenschaften die sonderlich über gegenwärtige und vergangene Dinge entstehen, können ersäuft, und die angenehmen Leidenschaften in der Seele, wenn ich so reden darf, hervorgespühlt werden".112 Die physiologische Erläuterung dieses Phänomens geht nicht direkt von der Theorie der Lebensgeister aus, sondern von den neurophysiologischen Erkenntnissen, wie sie etwa Johann Gottlob Krügers Lehre von den Empfindungen verbreitet, der wie Meier in Halle lehrt.113 Der Alkohol erhitzt den Körper, die entstehenden Ausdünstungen vermindern die Spannung der Nerven, die sich daher bei einer äußeren Berührung nicht mehr heftig bewegen.114 Das kann freilich fatale Folgen haben, denn der derart auf sich selbst gestellte Mensch steigert sich ja nun selbst. Wenn er demnach schlechte Laune hat, dann steigert sich diese ebenfalls, bis hin zum Zorn des Betrunkenen. 115 Der Wein verstärkt seelische Affinitäten und hilft dabei - wie man an Hagedorns Empfehlungen an seinen Bruder sehen konnte (Kap. 4.2) -, in durchaus politischer Weise die „Gelegenheit" zu nutzen. Daß Meier gerade „Freundschaft und Liebe" als Beispiele heranzieht 116 , verweist noch einmal auf die poetischen Momente beider Konstruktionen. Hagedorn hat diese beiden Wirkungen des Weins, die Steigerung der Seelenvermögen und ihre Abkapslung von der Außenwelt, in zwei Oden auf die Heroen der neueren Philosophie und Naturwissenschaft eingebracht. In Lob des Weins läßt er den betrunkenen Kopernikus die Planetenbahnen entdecken 117 , und in Das Daseynm trägt er seine Version eines Existenzbeweises vor: 111 112 113 114 115 116 117
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Ebda., S. 196. Ebda., S.193Í. Vgl. ζ. B. Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, S.521ff. Vgl. zur Rezeption der „Dunst"-Theorie: Β 132. Meier: Theoretische Lehre von den Gemütsbewegungen überhaupt, S.194,197. Ebda., S.285. Telemann: Vier und zwanzig theils ernsthafte, theils scherzende Oden, S.20. Opitz im Lobgesang Bacchi (Gesammelte Werke. Bd.11,1, S.41), Kleist in den Gedanken eines betrunknen Sternsehers (Sämtliche Werke, S. 180). Vgl. auch Lessings Der neue Welt-Bau (Werke. 1. Bd., S.123). Friedlaender verweist auf eine von Hagedorn nicht angemerkte Vorlage, der Das Daseyn sehr genau folgt in: Nouveau Recueil de Chansons Choisies. A la Haye 1723 (Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. 2. Bd., S.23).
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Ein dunkler Feind erheiternder Getränke, Ein Philosoph, trat neulich hin Und sprach: Ihr Herren, wisst, ich bin. Glaubt mir, ich bin. Ja, ja! Warum? Weil ich gedenke. Ein Säufer kam und taumelt' ihm entgegen, Und schwur bey seinem Wirth und Wein: Ich trink; o darum muß ich seyn. Glaubt mir, ich trink; ich bin. Wer kann mich widerlegen?
(WS, 47) Hagedorn wechselt hierbei vom erkenntnistheoretischen Diskurs in den moralphilosophischen oder anthropologischen, 1 " indem er den Philosophen, der für die klare und deutliche Erkenntnis zuständig ist, zum „dunkle[n] Feind" des Weins erklärt, also zum Widersacher des die Gemütsverfassung erhellenden Getränks. Zugleich werden die philosophischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in Körpererfahrungen verwandelt: Im Taumeln entsteht das Planetensystem, beim Trinken wird man sich seiner selbst bewußt. In Der Eremit und das Glück bringt Hagedorn seinen anticartesianischen Standpunkt auf die Entgegensetzung von „Seyn" und „Leben": „Ihr Weisen, saget mir, heisst leben mehr, als seyn?" Zur „Kunst der schlauen Wollust", die der Eremit praktiziert, zum Leben also, gehört „[n]ichts, als ein Buch, ein Glas, und eine Schöne" {Der Eremit und das Glück; W2, 54). Der Wein transportiert in diesem Zusammenhang keine inhaltlich bestimmten Wirkungen, sondern er steigert Dispositionen, geht gleichsam im Körper und Geist des Trinkers auf. Mit anderen Worten gilt auch hier: Wer Wein zu trinken versteht, der darf Wein trinken. Der Wein ist nichts anderes als ein Modell des Menschen, der ihn trinkt. Daher kann auch der Tyrann so viel trinken, wie er will, sein schlechtes Gewissen wird dadurch nicht besser (VeG 53). Der Wein kann insofern eine methodische Einstellung zum Leben bezeichnen, so wie das Essen, die Vermeidung von Müßiggang und der Dank an den Schöpfer.120 Erst wenn der Wein zum Selbstzweck wird, sich nicht mehr als Mittel auf die Glückseligkeit bezieht, entfaltet er seine problematischen Seiten. Man bemüht sich hier mit sehr diffizilen begrifflichen Bestimmungen um die Funktion des Weins. Thomasius z. B. unterscheidet die medikamentöse Verwendung des Weins noch einmal in sich in eine (abgelehnte) zur Erhaltung der Gesundheit und eine (befürwortete) zur Verhütung und Abwehr von Krankheit. 121 119
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Friedlaender verweist auf eine anonyme deutsche Version des Gedichts, in dem anstelle des Philosophen ein Stoiker auftritt, den man im 18. Jahrhundert leicht mit einer melancholischen Disposition verbindet (ebda., S.25). Der Patriot. Bd.I,S.372f. Thomasius: Kurzer Entwurf der politischen Klugheit, S.230f.
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In Hamburg hat Brockes die positive Wirkung des Weins und die physiologischen Implikationen in Verse gebracht. Der Wein läßt keinen Schwermut zu, er sorgt für Redlichkeit und Vertraulichkeit und bringt den Scherz hervor - auch hier also entsteht der Mensch im Rausch. Süsser Unmuths Gegen-Gift, Unsers Lebens halbes Leben; Also nennt dich selbst die Schrift. Du wirst oft der Sinnen Meister; Deine Kraft erweckt die Geister, Daß man sich selbst übertrifft. Feuchtes Feuer, Lebens -Oele, Quelle der Zufriedenheit [.·.]· (Der Herbst)nl
Das Gedicht über die Wein-Rebe geht den äußerlichen Analogien nach, von den von Nahrungssäften durchströmten Adern des Blatts, die einem Baum im Kleinen gleichen, bis zu der sich auf der Beere spiegelnden Natur, die das Große im Kleinen abbildet.123 In dem Gelegenheitsgedicht über Das herrliche Geschöpf Des Tockayer= Weins124 legt Brockes seine Summe der Weinpoesie und -theorie vor. Wie in Der Herbst gilt ihm der Wein auch hier als „unsers Leben halbes Leben". Der Wein vermittelt dem „gantze[n] Wesen" eine „Lust", er „vergnügt[ ], rührt[ ], ergetzt[ ], [...] erfreut[ ], erfrischt[ ], erquickte ]". Die physiologischen Eigenschaften des Weins benennt Brockes teils metaphorisch, teils direkt, wenn er den Wein als „fliessende Flamme, voll reitzender Kraft!" oder als „Schmertzen und Traurigkeit lindernde Öle" bezeichnet.125 Aber erneut gilt, daß scheinbar eindeutig metaphorische Formulierungen einen präzisen begrifflichen Sinn gehabt haben. Der Wein wurde ja tatsächlich als den Körper erwärmendes Getränk in allen physiologischen Details durchdacht.126 Bei Brockes muß man dabei die Lehren der hermetischen Naturphilosophie mitdenken, die er für das Feuer im gleichnamigen Gedicht als „Meinungen" ausbreitet: Der „Saame" des Feuers, so eine verbreitete Ansicht, „stecket [f]ast in allem".127 Als Gegenkraft zum Feuer fungiert das
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Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, Ebda., S.327. Vgl. zum Thema auch: Art. Wein, (Tokayer). In: Zedier: Grosses vollständiges sal-Lexikon. Bd.54, Sp.623ff. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, Vgl. bereits Aristoteles: Problem XXX, 1, S.63 Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott,
S.318. UniverS.420f. S.514.
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Wasser128 - auch das steht im Hintergrund des Wein-Wasser-Dualismus, der im übrigen durch die gewöhnliche Praktik des Weinverdünnens von Bedeutung war.129 Den physiologischen Hintergrund für die positive Wirkung des Weins (Beschleunigung der diversen Kreisläufe) und negativen Wirkungen (Verstopfungen) entfaltet Brockes entsprechend im Gegensatz von „übermachte[m] Brand" und „Lebens=reiche[r] Wärme". 130 Die Statusveränderung durch den zeitlichen Abstand betrifft nicht nur das Verhältnis von Metapher und Begriff, wie es beispielsweise auch in den von Hagedorn als Motto zitierten Versen Wernickes aus Argents zu finden wäre: „In deren (der „Frucht" vom „Strand" von „Rhein und Necker", S. M.) frischem Safft, der immer aufwärts steiget, / Der Wollust Saamen sich in güldnen Körnern zeiget [...]" (VeG 22). Denn die Vorstellung von den „güldnen Körnern" beruht auf dem Glauben, es gebe tatsächlich Weinstöcke, deren Wurzeln, Reben oder Beeren Gold in Form von Körnern oder Fäden hervorbrächten. 131 Gleiches gilt für Hagedorns Apostrophe des Weins, in der es heißt: „Dein trinckbar Gold versüss't gewiß / Die Zungen singender Poeten" (VeG 23; vgl. W3,119). Auch die Scherzhaftigkeit bleibt an einen ernsten Hintergrund gebunden. Uber Noah, den „Wein = Erfinder", heißt es abschließend in einer kurzen Ode über den Wein: Deinetwegen Kam der Segen, Wuchs der beste Wein. Nach den Wasserfluthen Konnte nichts den Guten Grössern Trost verleihn. (W3, 45)
Noah gilt also als Erfinder des Weins. Aber woher nimmt Noah die Weinstöcke, die er pflanzt? Der Artikelschreiber in Zedlers Universal-Lexikon deutet die Weinerfindung daher so, daß Noah den Weinstock und den Gärungsvorgang veredelt, daß er also die entscheidende Kulturleistung vollbracht habe.132 Das scheint auch Hagedorn in einer Variante einzusehen: Hatte er in der Sammlung Neuer Oden und Liedern noch geschrieben, Noah haben den „erste[n] Wein" hervorgebracht (O II, 17), so ändert er das später in den ,,beste[n] Wein" um. Und weiter: Womit haben sich die die Warnun128 129
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Ebda., S.516. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.365f., 437, 447; Emblemata, Sp.273, 1826f.; Die Griechische Anthologie. Bd.2, IX 331. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.518f. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Sp.364. Ebda., Sp.358.
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gen mißachtenden und von der Sintflut verschlungenen Zecher belustigt, wenn „man beym lautern Wasser=Trincken wenig Freude und Kurtzweile haben" kann? Und sollten sich die vorzeitlichen Trinker doch auf das Wasser beschränkt haben: Müßte man nicht annehmen, es sei „eines viel bessern und anmuthigern Geschmacks vor der Sündflut [...] gewesen"?133 Der Wein ist in jeder Hinsicht ein postlapsares Phänomen, und es spricht nur für die beste Welt, wenn der Fall des Menschen durch die Erfindung des Weins Linderung erfährt. Denn die Verbindung von Wein und Korruption hat weitere Bedeutungsdimensionen: In kaum zu überbietender Deutlichkeit visioniert Brockes unter Einfluß des Weins die Überbleibsel des Naturzustandes im Menschen der Gegenwart, die zugleich durch den Wein hervorgerufen werden, und gibt der Vision durch die rhetorische Figur der evidentia diejenige Gestalt, die auch Hagedorn in seinem großen Wein-Gedicht massiert und in für sein Werk einzigartiger Weise verwendet: Wie wird mir? edles Naß, du Freuden-Feuers Quelle, Ich fühl', ich seh' in dir ein sonst nicht sichtbar Licht, Das durch des Schwermuths Duft und Unmuths=Nebel bricht. Der Argwohn, nebst der Furcht, der Menschen Plage = Geister, Sind durch dich weggejagt. Du machst, an ihrer Stelle, Dich aller meiner Sinnen Meister. Es wird in meiner Seele helle. Vertraulichkeit, Muth, Großmuth, holde Triebe Der fast erstorb'nen Nächsten=Liebe Beziehen mein Gemüth, beherrschen meinen Sinn. Kaum bin ich mehr derselbe, der ich bin.
Du zeigest [...], Daß noch in unsrer Brust ein Rest Von Menschen = Lieb' und Billigkeit verborgen, Die durch Gewohnheit gantz versteckt, Verhüllt gewesen und verdeckt. 134
Die übersteigerte Einbildungskraft entlockt dem Menschen seine vorzeitlichen Fähigkeiten, die der Wein sichtbar werden und entstehen läßt. Die Natürlichkeit verbindet sich auf diese Weise aufs engste mit der Künstlichkeit. Im zweiten Stück des Jünglings war zu lesen, wie der Wein die ursprüngliche Geselligkeit restituiert (vgl. Kap. 4.1): „Der Wein bringt die
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Ebda., Sp.357. Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott, S.422f.
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Menschen ihrem ursprünglichen Zustande wieder näher [...]".135 Oder wie Hagedorn es ausdrückt: „Wir Menschen sollen uns gesellen: / So lehrt uns täglich Syrbius. / Gesellt uns nicht, in tausend Fällen, / Des Freundes Wein, der Freundinn Kuß?" {Das Heidelberger Faß; W3, 101). Und tatsächlich: Bis heute bewahren Trinkrituale geradezu archaische, auf jeden Fall vormoderne Formen der Gemeinschaftsbildung, führen den Trinker in eine ideale Zeit des unstrategischen, paritätischen und (in bestimmten Hinsichten) konkurrenzfreien Agierens, gleichsam in eine zweite Jugend - nicht umsonst versetzt der Alkohol rechtlich teilweise wieder in die Situation der (Straf-) Unmündigkeit. Der Eintritt ins Wirtshaus entmächtigt das „abstrakte Tauschprinzip" auf einer Stufe (auf einer anderen bezahlt man dem Wirt diesen wirtschaftsfreien Raum); gesellige Trinkrunden schalten die Bedürfnisse gleich (wer früher aussteigt, gilt als unhöflich) und installieren ein fein austariertes, wechselseitige Verbindlichkeiten stiftendes System (z. B. von Regeln des Zutrinkens, Austrinkens, des Gebens, Nehmens und Dankens). 136 Dabei ist immerhin bemerkenswert, daß für Grotius der Wein Teil jener Luxusgüter ist, die den Abfall vom unschuldigen Leben provozieren. Wollust und Wein gehören zu dem wenig erstrebenswerten Ensemble von Eifersucht, Ehrsucht, Mord und dem Verlangen nach Arbeit, das Menschen in die Staatlichkeit treibt.137 Auch der Spectator vertritt die Theorie, daß der Trinker „Fähigkeiten in das Gemüth" bringe, „davon es in mäßigen Stunden nichts weis", meinte damit aber die Verlangsamung des Verstandes und die Schwächung des Gedächtnisses. Im Gegensatz zu Seneca, der den Wein nur als Katalysator begreift, hält der Spectator den Wein für eine Ursache der Sünde.138 Hagedorn nutzt die Wirkung des Weins zur bewußt ironischen Inszenierung von Freundschaft: Aus Anlaß einer brieflichen Einladung Gisekes kündigt er diesem an, er werde das Schweigen seines Gastes oder gar das Verschweigen „artige[r] Gedanken" notfalls bestrafen, „und zwar mit einem Strafglase von Weine der beredt und offenherzig macht, aber von einem Weine, den wir auskosten und den man einem Marschall von Franckreich, oder einem Verfasser epischer Gedichte, vorsetzen dürfte" (Januar 1752?; Β 326). Hagedorn wiederholt die alte Einsicht von der durch den Wein hervorgelockten Wahrheit, die den Politicus vor dem Wein warnen läßt.139 Wenn Hagedorn den „Splitterrichter" aus der geselligen Runde ausschließt, dann wird das ähnlich wie die Natur als in sich abgeschlossener O r t vor
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Der Jüngling, 2. St., S.9. Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S.179ff. Grotius: De jure belli ac pads libri tres, S. 147. Der Zuschauer. Achter und letzter Theil, Leipzig 1743, 569. St., S.58. Heumann: Der Politische Philosophus, S.17.
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diesem Hintergrund verständlich. Es bedarf einer unpolitischen, vorab als paritätisches Zusammentreffen abgesicherten Runde, wobei die Parität und Offenheit sich ja erst durch den Weingenuß einstellt. Auch in dieser Beziehung verbindet sich der Wein mit dem allgemeinen Menschen der Aufklärung: „O! nicht den Königen, nein, uns den starken Wein!" (EschlV, 143).140 Allerdings ließen sich die Staatsgeschäfte bei einem Glas Wein besser regeln, vermutet Hagedorn in Die Ursache der Kriege. Die Fürsten würden dann nämlich weniger „fechten", „[w]enn sie, wie wir, nur oft zusammen zechten; / Sie würden Freund und Brüder seyn" (W3, 47). In Der Spiegel, einer Ode, die in Telemanns Singe=, Spiel= und Generalbaß= Übungen (1733/34) erschienen ist, entwickelt Hagedorn die Funktion der Geselligkeit, die Selbstabschließung zu veranschaulichen und zugleich zu verdecken, wobei die Klarheit des Weins den vom Staub gereinigten Trinkgefäßen in Horaz entspricht (Kap. 4.1): Ein schäfer pfleg: in reinen quellen ihm seine bildung vorzustellen; dem thoren, der dem wucher hold, zeigt sein gesicht das blanke gold; ein schmeichelnd glas muss Doris lehren, sich selbst, als engel, zu verehren. Auf freunde! lasst und klüger seyn: bespiegelt euch in klarem wein, in klarem wein!141
Die Bremer Beyträge bringen in Die Freundschaft dagegen die Kritik an einem letztlich nur in rauschhafter Steigerung erfahrenen Freundschaftserlebnis zum Ausdruck.142 „Sinnlichkeit", „Trunkenheit" und das „Geräusch" der in Bewegung versetzten „Leidenschaft" steht der Stille als Zeichen der Identitätsbildung in selbstgenügsamer Konzentration auf die „Tugend" gegenüber (vgl. Kap. 4.1). Noch ein zweites Moment ist wichtig, nämlich die Entgegensetzung von „schäfer" und „reinen quellen" auf der einen, „freunde[n]" und „klarem wein" auf der anderen Seite. In der laus ruris kann der Wein Symbol und Gegenbild des ländlichen Lebens sein. Der Hirt trinkt Wasser,143 bisweilen sogar Bier,144 auf jeden Fall „[e]rstickt" derjenige, „der, beschwitzt, von sei140 141 142
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Vgl. auch: Die Helden (W3, 43ff.). Telemann: Singe», Spiel- und Generalbaß-Übungen, S.14. Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes. 1. Bd. 2. Aufl., Bremen / Leipzig 1747,2. St., S.119. So zumindest in Christoph Fürer von Haimendorfs Anweisung zur Vergnüglichkeit und Lob deßLand-Lebens (abgedruckt bei: Lohmeier: Beatus ille, S.467ff.). Bei dieser Form der Entgegensetzung raubt das Bier im Unterschied zum Wein nicht den Verstand (Zacharias Lund: Dafnis Hochzeit-Gedicht, abgedruckt in: Lohmeier: Beatus ille, hier S.463).
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nem Jagdgaul steigt", sein „Birkhuhn" nicht in „Falerner Wein". Der Tätige gibt sich vielmehr mit schlichten Speisen zufrieden, „[d]enn alles schmeckt, wo man Bewegung hat" (Horaz; Wl, 73, vgl. auch W l , 77).145 Cronegk hat in der in Nachfolge von Hagedorns Ode An die Freude geschriebenen Einladung aufs Land (vgl. Kap. 2.4) beide Funktionen des Weins aufgenommen: Der Wein symbolisiert - und zwar in direkter Frontstellung gegen die Hagedornsche „Freude", das „Himmelskind" - die falsche Freude der Stadt, die die Sinne betäubt. Der Wein kann den Menschen auf sich selbst stellen, der dann in unerwünschter Weise in sich ruht und das eigentliche Glück des Menschen nicht mehr verwirklicht, die „Menschlichkeit". Auf der anderen Seite gehört der Wein zur Geselligkeit auf dem Land dazu146, und zwar als Topos der laus ruris,w als Teil der außerordentlichen Situation einer Festinszenierung für Freunde, wo man „Falerner Wein" aus „kleine[n] Becher[n]" genießt {Horaz-, W l , 77, 110). In seiner heilenden Funktion konfrontiert Liscow den Wein der städtischen Medizin: Der Bauer verwendet ein wenig Wein anstelle der Tinktur eines Arztes, seine Wunden beachtet er nicht, wäscht sie allenfalls mit Wasser, Essig oder Brandwein. Das entspricht natürlichen Verfahren der Selbstsorge. Krankheiten - so Liscow - folgen aus falscher Lebensweise, nicht aus dem Sündenfall.148 In dem Wechselgesang Der Landmannn und der Winzer, den Hagedorn nur im ersten Teil der Sammlung Neuer Oden und Lieder veröffentlicht, macht er nicht nur die Steigerung der ländlichen Qualitäten im Weingenuß, sondern auch die imaginative Ersetzung des locus amoenus durch die alkoholisierte Einbildungskraft deutlich: Der Landmann lobt „ernsthaft" singend die Eichen und Birken, der Winzer, „munter" singend, die Weinberge, anstelle der Eicheln die Trauben und anstelle des Schattens den Wein; der Landmann lobt die „gesunden Säfte" der Birken, der Winzer würde dem nur zustimmen, wenn es dem Landmann gelänge, aus den Birken Wein zu „zapfe[n]" (Ol 22f.). In Das Gesellschaftliche, einer Ode, die in drei Varianten vorliegt, behandelt Hagedorn das Thema auf eine Weise, die in eine Welt der an dieser Stelle nur andeutbaren Bezüge führt (vgl. auch W3, 39f.): Die elf Strophen beginnen mit der selbstreferentiellen Aufforderung, ein „freyes Scherzlied" anzustimmen und dabei zu trinken, so daß der Gesang „heller" wird und der Wein „doppelt schön" schmeckt. Gesang und Wein steigern sich wechselseitig (W3, 99). Das Trinkritual wird dabei durch ein „Gesetz" festgelegt: „Und 145
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Vgl. zum Zusammenhang von Bewegung und Landleben Β 390f. Vgl. mit Absicht auf Prinzipien: Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. 2. Theil, S.144. Cronegk: Schriften. Bd. 2, S.90, 94, 98. Lohmeier: Beatus ille, S.214. Liscow: Anmerkungen in Form eines Briefes über den Abriß eines neuen Rechts der Natur, S.307.
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ein Gesetz, nur eines will ich geben: / Laßt nicht das Glas zu lange stehn" (W3, 99). Eine Regulierung des Trinkgenusses in dieser Art bietet immer wieder Anlaß für eine Kritik am Gesundheittrinken, d. h. an einem als Geselligkeit behandelten Trinken bis zur Besinnungslosigkeit. Shaftesbury ζ. Β. empfiehlt dagegen den ungeregelten, sich am jeweiligen individuellen Bedürfnis orientierenden Weingenuß.149 Tatsächlich müssen an dieser Stelle die „Freunde", die offensichtlich ihre Bedürfnisse unter Kontrolle haben, per Dekret zum Trinken gebracht werden. In der frühen Fassung in Telemanns Vier und zwanzig [...] Oden hingegen gilt ein solches Verhalten als „Heuchelei", dort lauten die Verse: „Uns soll der Durst des Heucheins überheben, / Das Glas so lange voll zu sehn".150 In der dritten Strophe beginnt Hagedorn einen Vergleich von Gegenwart, Vergangenheit und Vorvergangenheit: Die „Freunde" sollen wie ihre „Väter" zechen, die Streitigkeiten nicht durch rechtliche Regelungen kanalisieren, sondern sie im Wein „[e]rtränk[ ]en". Und nicht nur das: Bei den „Väter[n]" stehen auch Alkohol und Liebe in einer wechselseitigen Beziehung, der Wein begleitet also den Kuß („So gab dem Wein ein Schmätzchen das Geleite; / So ward ein Glas dem Kuß geweiht"; W3, 100). In der Erstausgabe des Gedichts in Telemanns Odensammlung hatte Hagedorn genau umgekehrt und formal analog zur ersten Version des U^ezw-Gedichts formuliert: „So gab ein Trunk den Küssen das Geleite, / Wie jedem Kuß die Lüsternheit". 151 Die enthemmende Wirkung des Weins nennt auch der WeinArtikel in Zedlers Universal-Lexikon, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der traditionellen Verbindung von Alkohol und Ehebruch 152 : In der Geschichte des Mündig-Werdens der Frauen zum Weintrinken verzeichnet der Artikel unter anderem die Vorstufe, auf der „Weibern an den Fest=Tagen, den Jungfrauen bey Ehe=Verlöbnissen, wegen des Beyschlaffs, beyden aber in Krankheit" der Weinkonsum gestattet war.153 Hagedorn hebt die Zusammenführung von „Wein" und „Lüsternheit" wieder auf, indem er den Wein in der verbesserten Fassung in den Mittelpunkt rückt. Im Gegensatz dazu nun die Vorzeit:
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Shaftesbury: The Moralists, S.116; zum Thema: Ebert: Das Gesundheittrinken. In: Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende Oden, S.24; Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S.38ff. Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.5. Ebda. Vgl. ζ. B. Opitz' Lobgesang Bacchi (Gesammelte Werke. Bd.II,l, S.23, 30); Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.366f. An dieser Stelle zitiert der Artikel die entsprechende Passage aus Opitz' Lobgesang. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.54, Sp.366.
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Die Poesie des Weins
Wie trostlos war der Zeiten erste Jugend, Als Thyrsis einer Phyllis sang; Und zum Geseufz von Leidenschaft und Tugend Mit ihr nur schwaches Wasser trank! Die Nüchternheit, die Einfalt blöder Liebe, Verlängerten der Schäfer Müh: Wir trinken Wein, befeuern unsre Triebe Und küssen muthiger, als sie. (W3, 100)
Auch hier verändert Hagedorn in den späteren Auflagen seinen Text in bemerkenswerter Weise: Das „nahe Wasser", das die Autarkie des Hirten, sein mühelos unmittelbares Verhältnis zur Natur bezeichnet, wird zum „schwache[n] Wasser";154 die „Mäßigkeit der ersten Schäferinnen" wird zur „Nüchternheit", zur „Einfalt blöder Liebe"; und die „Sinne" werden zu „Triebe[n]", also der Außenbezug wird auf Selbstbezug umgestellt. Im übrigen wandeln sich die „frommen Schäfer" von Telemanns Odensammlung zu den „ersten Schäfern" bei Hagedorn (W3, 100). Die alkoholische Selbststeigerung betrifft dabei die menschliche Natur und die äußere Natur: Wenn „Laub" und „Schatten" fehlen, „so baut man Dach und Zimmer an, / Die manchem Kuß mehr Sicherheit verstatten, / Als Forst und Busch ihm leisten kann" (W3, 100). Die folgenden drei Strophen - die ersten beiden fehlen bei Telemann blenden verschiedene temporale Modelle ineinander: Der süsse Reiz der ewig jungen Freude Wird stets durch Lieb und Wein vermehrt. Wenn ich den Scherz und den Tokayer meide, So sagt: Bin ich der Jugend wehrt?
Gesellt euch! stillt mit angeerbtem Triebe Den Durst nach Küssen und nach Wein. Es eifert schon der Weingott mit der Liebe, Den besten Rausch uns zu verleihn. (W3,100)
Wie eisern sind doch ohne dich die Zeiten, O Jugend, holde Führerinn! Bereite hier den Sitz der Fröhlichkeiten Und banne Frost und Eigensinn!
Hagedorn verkehrt die Zeitenfolge: Durch die vorangegangene Bindung der Abstinenz an die bukolische Frühzeit tritt die weinlose „eisern[e]" Zeit an den Beginn des Geschichtsverlaufs bzw. die jetzige Eisenzeit tritt mit der Frühzeit in eine Konstellation, so daß die geschichtlichen Epochen zum frei
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Die naturrechtliche Konstruktion liefert Hagedorn satirisch in Grämen der Pflicht: „Der Welt das Wasser anzupreisen, / Erlaubt man Ärzten oder Weisen, / Das will die Pflicht: / Allein des Vorrangs dich berauben, / Du freudenvoller Saft der Trauben! / Das will sie nicht" (W3, 61).
Anthropologie und Wein
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verfügbaren poetischen Material werden, analog zum zeitenthobenen anthropologischen Moment der „ewig jungen Freude" und der „Jugend". Damit macht Hagedorn die Jugend zu einer beliebig zelebrierbaren, inszenatorischen Veranstaltung. Sie verliert ihren naturalen Ort und avanciert zu einer verfügbaren Technik der Selbststeigerung eben durch Poesie und Wein. Der „Liebreiz" erneuert den „Bund der Jugend und der Lust" und bringt die „güldne Zeit" wieder {Der Jüngling; W3, 73). Umgekehrt macht Hagedorn den Tod dadurch zu einem medizinischen Problem und gliedert ihn aus der Ordnung der Vorsehung aus.155 Eine vergleichbare Bedeutungsunschärfe gilt auch für die „angeerbten Triebe", gerade vor dem Hintergrund der Kulturalität des Weins: Sind die Triebe von den „Vätern" geerbet, oder gehören sie zur anthropologischen Grundausstattung? An keiner Stelle des Gedichts hat Hagedorn in vergleichbarer Weise gearbeitet. Bei Telemann schreibt er von einem „gleichgesinnte[n] Triebe", in der Sammlung Neuer Oden und Lieder von „jugendlichem Triebe", bis er schließlich beim „angeerbte[n] Triebe" anlangt. Auch in der Ode Doris und der Wein schreibt Hagedorn über die „angeerbten Triebe": Wein und Doris (bzw. Liebe) wirken auf das „menschlich Herz", sie sind „[d]er wahren Menschlichkeit ein Grund vollkommner Freude" (W3, 93). Diese paritätische Verbindung von Wein und Liebe löst sich zum Ende der Ode hin auf in die Verteilung von Wein und Alter sowie Liebe und Jugend. In der vorletzten Strophe heißt es: Uns klopft ein Vorwitz in der Brust, Der stumme Rath ererbter Lust, Der Liebe Leidenschaft zu kennen. O lerne meine Holdinn seyn! Ich schwöre dir, bey Most und Wein, Mich soll auch Most und Wein von keiner Doris trennen. (W3, 94)
Zumindest die Liebe also gehört zur „Menschlichkeit" und an dieser Stelle wohl auch der Wein. Die „ererbte[ ] Lust" verbindet sich innig mit der menschlichen Natur, so innig, daß sie verstummt und zu einem bloß noch physiologischen Zeichen wird: Der beschleunigte Herzschlag des Verliebten (und des Berauschten) verweist auf die Ansprüche der menschlichen Natur. N u r in einem empfiehlt Das Gesellschaftliche, dem Schäfer zu folgen: in seiner Verschwiegenheit - dem könnte auch ein politicus zustimmen, würde ihm nicht der Wein als Beförderer der Redseligkeit erscheinen. Wenn das 155
In dieser Weise behandelt Hagedorn den Tod Brockes' (B 198f., 201f., vgl. auch Β 326). Er lastet alle Schuld der falschen ärztlichen Behandlung an, die den eigentlich zum Weiterleben fähigen und nur kurzzeitig erkrankten Körper in den Tod treibt.
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Die Poesie des Weins
Gedicht also mit der Empfehlung des Schweigens endet, dann heißt das zweierlei: Zum einen hat sich der Sänger offensichtlich unter Kontrolle. Zum zweiten sind „Wein" und „Poesie" aufs engste verschwistert. Die beschworene Wirkung des Weins endet zugleich mit dem Gedicht, er ist eine poetische Erscheinung. Daher streicht Hagedorn die Strophe, in der das Ich der Ode die „Erfahrung" von Küssen und Wein einfordert. Berauschet mich, ihr wiederholten Küsse! Berausche mich, du frischer Most! Damit ich itzt recht aus Erfahrung wisse, Was edler sei als Hirten-Kost. 156
Krause betrachtet die poetische Qualität des Weins für die Musikalische Poesie aus der umgekehrten Perspektive (und läßt dabei, wie das auch bei Hagedorn der Normalfall ist, die Hirten Wein trinken): In der Odendichtung müsse man „den Wein selbst schmecken, die Süßigkeit der Liebe empfinden, eine wahre Zufriedenheit und Gnügsamkeit fühlen, von allen Sorgen befreyet und selbst ein Schäfer zu seyn überredet werden"157 - immerhin als Frage könnte man hinzufügen: Nur in der Odendichtung? Bodmer und Breitinger erklären so am Ende des Lobgesang Bacchi beruhigt, der Poet sei gar nicht betrunken: Nachdem der Poet [Opitz/Heinsius, S. M.] 611. V. einen so starcken Rausch gewonnen, der in den folgenden Zeilen beständig fordauret, und ihn noch an dem Ende des Gedichtes nicht verlassen hat, so fällt er in den vier letzten Versen allzu hoch herunter, da er sich erst mit der Hoffnung kitzelt, bey dem Hrn. Schreiben einen guten Malvasier zu finden, er verrathet sich, daß der ganze Rausch, von dem er so viel geschwätzt hatte, nur in der Einbildung oder der Metapher bestanden hat, und er noch ganz nüchtern gewesen war. 158
Auch Hagedorn „verrathet" sich am Ende seines li^em-Gedichts. Dabei geht der Illusionsauflösung die (im rhetorischen System) größtmögliche Steigerung der Täuschung voraus, indem Hagedorn die bildschöpferische Kraft des Weins und seine affizierende Wirkung in Figuren der evidentia darstellt. Die halluzinatorische Wirkung des Weins ist gleichsam das transverbale Thema fast des gesamten Wein-Gedichts. Die Hinweise darauf verstärkt Hagedorn in der veränderten Fassung: Heißt es z. B. im Versuch einiger Gedichte „Dort trinckt, dort dichtet der Homer" (VeG 23), so schreibt Hagedorn später: „Mich deucht, ich sehe den Homer" (W3, 120); in der ersten Version führt Hagedorn ein Weinfest mit den Worten ein „Man jauchzet. Welch ein Freuden=Fest / Auf jenem 156 157 158
Telemann: Vier und zwanzig, theils ernsthafte, theils scherzende, Oden, S.5. [Krause]: Von der Musikalischen Poesie, S.113f. Opitz: Gedichte, S.462.
Anthropologie und Wein
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Trauben=vollen Hügel?" (VeG 34), in der späteren mit „O höret! Welch ein Freudenfest / Auf jenem traubenvollen Hügel?" (W3, 122). Hagedorn massiert rhetorische Elemente wie invocatici, direkte Rede oder syntaktische Verknappung, beispielsweise bei der Darstellung der Prügelei: N u r immer drauf! Nur unverzagt! Ihr Furien! Wie? Darfst du schelten? Das Bankbein her! Zerbläut ihn! Schlagt! Sein Maul soll jedes W o n entgelten. Er flucht und keicht und schreyt und schnaubt. Zum Henker! ist es hier erlaubt, Mit guten Freunden so zu scherzen? (W3, 124)
Das Stuhlbein her. Schlagt kratzet, reißt, Philister! — Wie? bist du noch muhtig? Wie schmeckt der Fuchs? Auf! fort und [schmeist Der vollen Sau die Fresse blutig. Thrax schreyt und wehret sich nicht hier: Wie? sagt er, ist dann dis Manier, So Cavallieren zu begegnen? (VeG 29)
In der Darstellung des Bacchanals und des Bacchuszugs verdichtet Hagedorn die m¿en£¿í-Rhetorik in einer Weise, die Heineken - wie erwähnt - dazu bringt, das Gedicht als ein Beispiel für die Ästhetik des Erhabenen anzuführen.159 U z und der seine Erwähnung im Wein-Gedicht verzeichnende Gleim (vgl. auch Β 159) rechnen die Bacchusepiphanie zu den gelungen Passagen, wohl weil sie ihrem Modell von der „horazischfen]" Poesie am nächsten kommt und nicht so „langweilig" ist, wie den beiden Anakreontikern das Gedicht über weite Strecken erscheint.160 Hagedorn selbst bemerkt die Uneinheitlichkeit der Wein-Ode in einem Brief an Bodmer161 - er vollzieht gleichsam poetisch die durch den Wein bewirkten Wandlungen des Trinkers nach. Zugleich wiederholt er bewußt den Fehler von Günthers Ode auf Prinz Eugen: Die Lobode gilt als Muster einer heroischen Ode (sie arbeitet mit den rhetorischen Techniken, die auch Hagedorns Wein-Ode prägen), wechselt aber thematisch zu einer Wirtshausszene.1" Entscheidend ist an 159
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Vgl. auch die Rezension im Hamburgischen Correspondenten: „In dieser Ode herrschet durchgehends das grosse Erhabene, welches uns Longin abbildet. Der Dichter besinget die Wunder und Wirkungen des Weins, unter abwechselnden Bildern und Persönlichen Aufzügen, mit einem solchen Feuer, daß ein Leser, der eine vernünftige Empfindung vom Schönen hat, eben so sehr dadurch erwärmet wird, als wenn er ihn trinket" (114. St. 1745). Gleim / Uz: Briefwechsel, S.79, 86, 95, 144, 155. „Nur der Wein selbst kan die Mischung des heroischen und comischen, oder vielmehr meinen dreisten Ubertritt aus diesem in jenes einigermassen entschuldigen, den ich in meiner Ode vom Weine wagen dürfen" (30. 4. 1746; Β 172f.). Auch Giseke scheint dies das einzig Tadelnswerte an der Wein-Ode zu sein (SKII15. Sept. 1745). Art. Ode. In: Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd.25 [1740], Sp.453. Vgl. auch Gottscheds Vorrede zu den Oden der Deutschen Gesellschaft (unpag.); Meier: Gedancken von Schertzen, S.144. Vgl. die gemeinte Stelle: Günther: Auf den zwischen ihro Kaiserl. Majestät und der Pforte An. 1718 geschlossenen Frieden. In: ders.: Werke in einem Band, S.116: Wie bei Hagedorn tritt ein Großredner auf, der seine Kriegserlebnisse berichtet (W3,123).
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Die Poesie des Weins
dieser Stelle jedoch nicht die Beschreibung selbst, sondern die teils implizite, teils explizite Poetologie des Weins, die Hagedorn entfaltet. Er beginnt die Passage unvorbereitet mit dem Satz: „Was seh ich? Was entdeckt sich mir? / Dort seh ich einen Tempel glänzen [...]", auf den einige Verse später noch zweimal ein „Ich sehe" folgt (W3, 127). Innerhalb des Bacchanals erscheint Bacchus, daraufhin Silen, unterbrochen von dem auktorialen Einschub: „Ich werde neuer Lust gewahr" (W3, 130). Die Fixierung auf den Augensinn hat dabei neben der Anbindung an die rhetorischen Verfahren seine Berechtigung in den Anmerkungsverweisen auf Bernard de Montfaucons mit Erläuterungen versehene Tafelwerke zur Kultur der Antike {L'Antiquité expliquée et représentée en figures). Dort konnte Hagedorn tatsächlich seinen Bacchuszug sehen und einige Details hinzufügen, etwa die den Wagen des Bacchus ziehenden Centauren (W3, 129).163 Die ganze Szene endet mit der Ernüchterung des lyrischen Ich: Will alles sich dem Aug entziehn? Verschwindet alles in die Lüfte? Der Gott und sein Gefolge fliehn In Schatten, Wolken, Dampf und Düfte. Ja! Bacchus eilt zur Oberwelt; Der Rauchaltar, der Tempel fällt, Und ihn verlieren meine Blicke. Sah ich auch wirklich? Ja! Doch nein! Ein Traum nahm Aug und Sinnen ein Und läßt mir nur sein Bild zurücke. (W3,131)
Doch welch ein Blitz? was seh ich don? Was? Wolcken, Schatten, Nebel, Düfte, Gott, Priester, Tempel, alles fort: Es flieht, es eilet in die Lüfte. Lyaeus steigt zur O b e r - W e l t . Das Opfer schwind't, der Tempel fällt, Und ihn verschlingen meine Blicke. Wir wird mir? Schwindelt mir? Nein. Nein. Ein Traum nahm Aug' und Sinnen ein: Ich seh noch jenes Bild zurücke. (VeG 27)
Wieder verschiebt Hagedorn den Ort der Strophe, diesmal in entscheidender Weise: Während sich im Versuch einiger Gedichte an diese Strophe eine neue Szenenfolge anschließt („Hier zeigt sich mir was neues dar [...]"; VeG 27), setzt Hagedorn nun die Strophe als vorletzte ein, so daß die Wirkung des Weins zu einem nurmehr poetischen Ereignis wird. In der ersten Fassung des Wein-Gedichts, das mit einer ähnlichen Strophe endet, hatte Hagedorn in den Versen zuvor und in den Varianten der letzten Strophe die sinnliche Wirkung betont: Das „hitzig[e] Kühlen" des Weins „stärckft]" und macht „gesund", er „erquick[t] meinen Mund" und läßt „[s]ich selbst die Seele fühlen" (VeG 34). Jetzt stellt Hagedorn die geistigen Qualitäten des Weins in den Vordergrund. Beim Träumen vergeistigt sich der Mensch nicht weniger als der Wein beim Gähren und Reifen: „[...] wenn uns träumet, so ist zwar Montfaucon: L'Antiquité expliquée et représentée en Figures. Tome premier. Seconde Partie. Hagedorn verweist allerdings nur auf den schriftlichen Teil (ebda., S.242f., 266), wobei entsprechende Tafeln zwischen den Seiten 242 und 243 eingeschoben und diesen Seiten zugeordnet sind (vgl. ebda., Tab. CLV, vgl. auch ebda., Tab.CLV]).
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der C ö r p e r unbeweglich, die Sinne sind gebunden, aber die Seele ist n u r desto w i r c k s a m e r , weilen sie, v o n der groben Materie des C ö r p e r s gleichsam abgesondert, den Stand ihrer F r e y h e i t fühlet [...]". 1 M Dabei denunziert die poetische Beredsamkeit die alkoholische Inspiration als Verstellung. 1 6 5 A u c h die k o k e t t e P h r y n e k a n n in d e m nach ihr benannten Gedicht die „sanfte Sprache schlauer L u s t " und die „ganze Redekunst der L u s t " einsetzen, solange sie sich ihrer selbst bewußt ist und sich kontrolliert. D i e nicht n u r inszenierte Lust hingegen läßt sie v e r s t u m m e n : „ D e n n ach! es wallt in ihrer Brust / D a s Unaussprechliche der L u s t " {Phryne-,
W 3 , 92). D e r Seufzer ist Aus-
d r u c k eines „Verlangens"," 6 das handelnd gestillt werden will. A m äußersten E n d e der Vergeistigung kann die Poesie wieder ins L e b e n zurücklenken, weil m a n u n t e r Beweis gestellt hat, daß m a n mit beidem u m zugehen versteht: mit d e m W e i n und der Kunst, der Gefahr des Rauschs in jeglicher Gestalt. E r s t jenseits der Sprache w i r d die Lust z u r H a n d l u n g , und erst jenseits der Poesie m a c h t der W e i n betrunken. O wie begeistertest du mich, Wein, der Entzückung Quell und Zunder! Du wiesest mir itzt sichtbarlich Der Alten fabelhafte Wunder. Du giebst auch nicht der Stille Raum, Und ich enthalte mich noch kaum, Daß ich dein Lob von neuem zeige. Du brausender und frischer Most, Des Herbstes Ehre, Götterkost! Mein Lied - - - allein ich trink und schweige. (W3,132)
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Bodmer / Breitinger: Die Discourse der Mahlern. 3. Theil, S.122. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Mausers Überlegungen zu Anakreon als Therapie? Folgerichtig antwortet der „Liebhaber des Weins" in Eberts Das Vergnügen dem „Freund des Vergnügens", der ein auf dem Prinzip der „Lust" und des „Vergnügens" basierendes Naturrecht verkündet: „Wahrhaftig, Freund, du plauderst mich ganz nüchtern. / Was ich von dir verstand, ist zwar / Noch gut genug, und wahr; / Nur machtest du es mir ein bischen gar zu lang. / Ja freilich muß man fröhlich seyn, / Wer räumt dir dieß nicht ein? / Allein, was thut dazu dein ewiger Gesang? / Ich bitte dich, was hilft es dir, / Von Lust und Fröhlichkeit erbaulich gnug zu singen, / Und dich nicht selber zu erfreun?" (Episteln und vermischte Gedichte. Zweiter Theil, S.LXIII). So bestimmt Johann August Unzer das „Seufzen der Sele": Abhandlung vom Seufzen, S.5f. Vgl. zum Seufzen aufgrund von „Verliebtseyn": ebda., S.15ff., 66ff. Physiologisch entlasten die Seufzer, so daß Unzer den Verliebten ironisch empfiehlt, gleich anfangs möglichst viel zu seufzen, damit sie ihre Leidenschaften mäßigen.
Literaturverzeichnis
Abkürzungen Β - Hagedorn, Friedrich von: Briefe. Hrg. von Hors: Gronemeyer. Bd.l: Text, Berlin / New York 1997. Baden - Briefe über die Kunst von und an Christian Ludwig von Hagedorn. Hrg. von Torkel Baden, Leipzig 1797. BK - Hagedorn, Friedrich von: Briefe. Hrg. von Horst Gronemeyer. Bd. 2: Apparat / Kommentar, Berlin / New York 1997. Eschl-V - Hagedorn, Friedrich von: Poetische Werke. Hrg. von Johann Joachim Eschenburg. 1 - 5. Theil, Hamburg 1800. H N - Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Hagedorn-Nachlaß. M G - Hagedorn, Friedrich von: Moralische Gedichte, Hamburg 1750. M G - Hagedorn, Friedrich von: Moralische Gedichte. Zweyte, vermehrte Ausgabe, Hamburg 1753. Neue Irene. April 1806 - Gramberg: Etwas über Liscow. In: Neue Irene. Eine Monatschrift. Hrg. von G. A. von Halem. April 1806, S.241 - 293. Neue Irene. May 1806 - Gramberg: Nachträge zum Etwas über Liscow. In: Neue Irene. Eine Monatschrift. Hrg. von G. A. von Halem, May 1806, S.109 -146. O l - Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder, Hamburg 1742. ΟΠ - Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer und Lieder. 2. Theil, Hamburg 1744. O L F B - Hagedorn, Friedrich von: Oden und Lieder in fünf Büchern, Hamburg 1747. Ρ - Der Patriot nach der Originalausgabe Hamburg 1724 - 1726 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch hrg. von Wolfgang Martens. Bd.III. Jg. 1726, St. 105 - 156. Register, Berlin 1970, N o . l l l , S.52 - 61. PdN - Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 - 1738. Bd. 1 6., München 1980 (Repr.). SK2 = Universitätsbibliothek Leipzig „Bibliotheca Albertina", Sammlung Kestner, Π C I X , 8. SKI! -= Universitätsbibliothek Leipzig „Bibliotheca Albertina", Sammlung Kestner, Π A IV, 593. VeG -
Hagedorn, Friedrich von: Versuch einiger Gedichte, Nendeln / Liechtenstein 1968
(Repr.). VFE - Hagedorn, Friedrich von: Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen. Im Faksimiledruck hrg. von Horst Steinmetz, Stuttgart 1974 (Repr.). Wl-3 - Hagedorn, Friedrich von: Sämmtliche Poetische Werke. In dreyen Theilen, Bern 1968 (Repr.). WG1-3 - Hagedorn, Friedrich von: Poetische Werke. 3 Theile, Hamburg 1757. ( - größere Ausgabe)
Literaturverzeichnis
536 Autographen
Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv Marbach: Brief von Heinrich Graf Brühl an Friedrich von Hagedorn vom 21. 1. 1739 (Signatur: 1585). Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Hagedorn-Nachlaß (Teil I, 1 - 16: Gedichthandschriften und Verwandtes; Teil Π, 17 - 130: Briefwechsel zwischen Friedrich von Hagedorn und seinen Zeitgenossen; Teil ΠΙ, 131 -196: Briefwechsel zwischen Friedrich von Hagedorn und seinem Bruder Christian Ludwig von Hagedorn sowie Manuskripte Christian Ludwig von Hagedorns). Universitätsbibliothek Leipzig „Bibliotheca Albertina": Sammlung Kestner, II A IV, 593 ( Briefe von Nikolaus Dietrich Giseke an Hagedorn). Universitätsbibliothek Leipzig „Bibliotheca Albertina": Sammlung Kestner, Π C IX, 8 ( - Briefe von Bodmer an Hagedorn).
Hagedorns Werke Im folgenden werden die in der Arbeit verwendeten Drucke von Hagedorns Werken genannt. Auszüge (etwa im Rahmen von Rezensionen) wurden nicht aufgenommen, ebensowenig die in den Bibliotheken nicht mehr nachweisbaren Drucke (vgl. Kap. 1.2). Wenn aus heute nicht mehr nachweisbaren Drucken Auszüge überliefert sind, wird darauf verwiesen. Vgl. insgesamt auch Horst Gronemeyers Bibliographie (BK 725ff.). Adelheid und Henrich oder die neue Eva und der neue Adam, Hamburg 1747. Alexander Popens Allgemeines Gebett / von Hrg. von Hagedorn übersezt. In: Die neueste Sammlungen vermischter Schrifften, Zürich 1749,2. St., S.65 - 76. Allgemeines Gebet. In: Der Bewunderer, 1742, 46. St., unpag. Allgemeines Gebet. In: Stats- u. Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1743, 60. St., unpag. Als der H. v. Hagedorn, des sei. v. H., dänischen Residenten, ältester Sohn, von der englischen Court in Hamburg 1733 zum Sekretair erwählt ward, entwarf er folgende Zeilen. In: Hamburg und Altona. Ein Journal zur Geschichte der Zeit, der Sitten und des Geschmaks. 5. Jg. 6. H., 1806, S.309. Als der Wohl-Ehrwürdige Hoch-Achtbahre und Hochgelahrte Herr, Herr Johann Jacob Wetken, Rechtmäßig erwählter Pastor an der Kirche zum heil. Geist in Hamburg am 25. April 1721 ordiniret und introduciret wurde, wolte in nachfolgenden Reimen seine Schuldigkeit beobachten des Herrn Pastoris Ergebenster Diener Friedrich von Hagedorn, Altona [1721] (Auszug in EschIV, 155f.). An den Schlaf. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 1738. Bd. 5, München 1980 (Repr.), S.327. An den Schlaf. In: Sammlung verschiedener und auserlesener Oden. Hrg. von Johann Friedrich Gräfe. 3. Theil, Halle 1741, Nr. 19. An die Freude. In: Freye Urtheile u. Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und der Historie überhaupt, 1745,16. St., S.126f. An Ephelien 1730. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 -1738. Bd. 5, München 1980 (Repr.), S.325 - 327.
Hagedorns Werke
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An Herrn Michael Richey, öffentlichen Lehrer am Gymnasio über den höchstschmerzlichen Hintritt Seines geliebten Sohnes, Herrn Johann Richey, der Stadt Hamburg gevollmächtig· ten Syndici am Rom. Kaiserl. Hofe, Hamburg [1738], [An Herrn Michael Richey, öffentlichen Lehrer am Gymnasio über den höchstschmerzlichen Hintritt Seines geliebten Sohnes, Herrn Johann Richey, der Stadt Hamburg gevollmächtigten Syndici am Rom. Kaiserl. Hofe]. In: Michael Richey: Deutsche und Lateinische Gedichte. Dritter und letzter Theil. Mit einer Vorrede Gottfried Schützens, Hamburg 1766, S.373 375. Anakreon. In: Staats- und Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1747, 59. St., unpag. [Apollo, ein Hirte]. In: Sammlung verschiedener und auserlesener Oden. Hrg. von Johann Friedrich Gräfe. 2. Theil, Halle 1740, Nr.6. Auf den Gothilas. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 - 1738. Bd. 4, München 1980 (Repr.), S.355. [Auf den Thrax]. In: Nieder-Sächsische Nachrichten, Von Gelehrten neuen Sachen, 1731, 88. St., S.720. Auf den Thrax. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 1738. Bd. 4, München 1980 (Repr.), S.355. Auf ein übel - gerathenes Bildniß. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 - 1738. Bd. 6, München 1980 (Repr.), S.279. Auf eine sehr lange und Thonrichtige Predigt. In: Nieder-Sächsische Nachrichten, Von Gelehrten neuen Sachen, 1731, 88. St., S.720. Aurelius und Beelzebub. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 - 1738. Bd. 4, München 1980 (Repr.), S.408 - 411. [Besprechung von Gottsched: Sterbender Cato]. In: Nieder-Sächsische Nachrichten Von Gelehrten neuen Sachen, 1732,78. St., S.675 - 678. Bey dem am 4. Jan. MDCCXXX. in Hamburg feyerlichst zu vollziehenden Lastrop-Beselerischen Ehe-Verbündniß wollte folgende eilige Zeilen zum Zeichen seiner Ergebenheit einsenden Beyder Verlobten Pflicht - schuldigster Diener und Vetter, Friederich von Hagedorn. In: Poesie der Niedersachsen. Hrg. von Christian Friedrich Weichmann 1721 - 1738. Bd. 4, München 1980 (Repr.), S.139 - 142. Bey der Lake- und Campbellschen in Hamburg glücklich vollzogenen Ehe-Verbindung reimte folgendes ein dem Herrn Bräutigam wohlbekannter Verwalter, unweit Silk, Aumühlen / Hamburg [1745], Briefe. Hrg. von Horst Gronemeyer. Bd.l: Text. Bd. 2: Apparat / Kommentar, Berlin / New York 1997. Critische Betrachtungen über des Herrn von Hagedorn Ode auf den Weisen. In: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften, Zur Verbesserung des Unheiles und des Witzes in den Wercken der Wohlredenheit und der Poesie, Zürich 1743, 8. St., S.21 -32. Das durch E h r - F u r c h t unterbrochene Jauchzen Der frolockenden Cimbrier Wolte Sr. Königlichen Hoheit / Dem durchlauchtigsten Printzen und Herrn / Herrn Christian dem VI. C r o n - und Erb-Printzen zu Dännemarck-Norwegen etc. Bey der Allerhöchsten Gebührt Eines Durchlauchtigsten Printzen Am 31. Martii 1723. In einem Gedicht zum Zeichen seiner unterthänigsten Devotion Vorstellen Dero Unterthänigst-gehorsamster Knecht und getreuester Unterthan Friederich von Hagedorn, Hamburg [1723], Das sein Glück vorher sehende Dännemarck / In der höchsten Vermählung des Durchlauchtigsten Cron-Printzens / Christians des Sechsten / zu Dännemarck / Norwegen / etc. etc.
538
Literaturverzeichnis
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Hagedorns Werke
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In der Ausgabe der Briefe des Hamburger Lyrikers Friedrich von Hagedorn (1708-1754) wird das gesamte überlieferte Corpus in kritischer Edition vorgelegt, darunter mehr als ein Drittel bisher unbekannte Texte. Die Briefe werden ausführlich erläutert, eine HagedornBibliographie und ein kommentierendes Register schließen sich an. Es entsteht das Bild eines gelehrten Dichters, der, gebildet an antiken Mustern, an der europäischen Literatur der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts regen Anteil nahm und eine bedeutende Vermitderrolle spielte. In den literarischen Fehden seiner Zeit versuchte er, wie aus den Briefen an Gottsched, Bodmer, Liscow, Gleim, Ebert, Giseke, Johann Elias Schlegel und anderen hervorgeht, sich einen unabhängigen Standpunkt zu bewahren. Ein durchgehendes Motiv ist die engagierte Förderung junger poetischer Talente. Von Fürsorge bestimmt sind auch die Briefe an seinen Bruder Christian Ludwig von Hagedorn, die neben Erörterungen zu Kunst und Literatur auch Äußerungen zu mannigfachen Alltagsfragen enthalten. Insgesamt gewinnt die Gestalt Friedrich von Hagedorns durch die Edition seiner Briefe schärfere Konturen.
Walter de Gruyter
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Berlin · New York