Frieden schreiben im Spätmittelalter: Vertragsdiplomatie zwischen Maximilian I., dem römisch-deutschen Reich und Frankreich 9783110493115, 9783110490572

During the reign of Maximilian I, relations between the Holy Roman Empire and France were marked by conflict. The peace

272 64 1MB

German Pages 298 Year 2017

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477
4. Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493)
5. Reformreichstage als Zäsur?
6. Ein Waffenstillstand mit dem Reich?
7. Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen
8. Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau: Akteure und Etappen der Vertragsproduktion
9. Der Vertrag von Cambrai: Das Reichskammergericht als parlement de Paris?
10. Synthese
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Gedruckte Quellen
Archivarische Quellen
Personenregister
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Frieden schreiben im Spätmittelalter: Vertragsdiplomatie zwischen Maximilian I., dem römisch-deutschen Reich und Frankreich
 9783110493115, 9783110490572

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Gesa Wilangowski Frieden schreiben im Spätmittelalter

Ancien Régime Aufklärung und Revolution

| Herausgegeben von Rolf Reichardt und Hans-Ulrich Thamer

Band 44

Gesa Wilangowski

Frieden schreiben im Spätmittelalter | Vertragsdiplomatie zwischen Maximilian I., dem römisch-deutschen Reich und Frankreich

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-049057-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049311-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-049085-5 ISSN 2190-295X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Vertragsdokument von (1504): „Ewiges Bündniß des Königs Ludwig in Frankreich mit dem römischen König Maximilian“; Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien. Signatur AT-OeStA/HHStA UR AUR 1504 IX 22. Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die Ergebnisse meiner im Winterse­ mester 2015/16 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommenen Dissertationsschrift, welche für die Buchausgabe geringfügig überarbeitet wurde. Ich freue mich an dieser Stelle meinen Dank an all jene formulieren zu können, die mir während meiner Forschungsarbeit mit Rat und Tag beiseite gestanden haben und ohne die dieses Projekt nicht hätte verwirklicht werden können. An erster Stelle ist mein Doktorvater Martin Kintzinger zu nennen, der trotz allen mir gewährten Freiräumen das Gesamtprojekt immer genau im Blick hatte. Als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl habe ich fachlich und persönlich sehr viel von ihm lernen dürfen. Hierfür und für seine uneingeschränkte Unterstützung bin ich ihm sehr dankbar. Christina Lutter und Christoph Dartmann danke ich für die freundliche Übernahme der Zweitgutachten, für das große Interesse an dieser Arbeit sowie für den fachlichen und persönlichen Beistand. Die Rolle des Nebenfachprüfers übernahm dankenswerterweise Michael Sikora. Reinhard Seyboth und Dietmar Heil von der Abteilung „Deutsche Reichstagsak­ ten unter Kaiser Maximilian I.“ bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gilt mein Dank für die Beantwortung meiner fachlichen Fragen, weiterführende Anregungen und für die großzügige Bereitstellung von unveröffentlichtem Material. Forschung entsteht in der Diskussion. Für den produktiven wissenschaftlichen Austausch und die anregende, bisweilen heitere Arbeitsatmosphäre danke ich mei­ nen derzeitigen und ehemaligen Kollegen und Freunden am Historischen Seminar: Nils Bock, Christina Brauner, Manuela Brück, Jan Clauß, Julia und David Crispin, Torsten Hiltmann, Tobias Hoffmann, Torben Gebhardt, Georg Jostkleigrewe, Theo Riches, Christian Scholl, Sita Steckel, Thomas Tippach, Bastian Walter-Bogedain und Elise Wintz. Hanna Goyer möchte ich für die gründliche und gewissenhafte Korrektur meines Typoskriptes danken ebenso wie Annalena Brüggemann, die mit ihrem professionellen Lektorat der Druckversion den letzten Schliff verpasst hat. Meiner Familie danke ich für ihre Geduld und moralische Unterstützung, allen voran meinen Eltern Elke und Bernd Wilangowski. Ohne Julian Hofrichter würde ich noch heute verzweifelt nach den von mir produzierten LATEX-Fehlern suchen. Ihm danke ich von Herzen für die jahrelange Unterstützung meiner Forschungsarbeit, für die Diskussionen, kritischen Rückfragen und zahllosen Ermutigungen. Leipzig/Münster, im März 2017

DOI 10.1515/9783110493115-202

Inhalt Vorwort | V 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4

Einleitung | 1 Forschungsstand | 3 Außenpolitikforschung: Geschichtswissenschaftliche Konzepte | 7 Konstruktivismus als Theorie der Internationalen Beziehungen und Kulturgeschichte des Politischen | 11 Grundannahmen | 12 Übertragbarkeit | 15 Methodisches Vorgehen und Quellen | 18 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477 | 22 Das Mémoire des Jean d’Auffay | 25 Sukzession der princesse naturelle | 26 Parlamentsbeschlüsse als Grenzdefinition | 28 Verträge als Begründungsstrategie | 29 Das Mémoire des Guillaume Cousinot | 34 Apanage | 35 Innen oder außen? Abgrenzung von Herrschaften | 36 Der Vertrag von Arras 1435. Eine Dekonstruktion | 39 Das Mémoire des Kanzlers D’Oriole | 40 Zusammenfassung | 43 Aushandlung – Festschreibung: Waffenstillstandsversuche 1478–1480 | 46 Waffenstillstand als Konfliktlösung – Grundzüge | 46 Auf dem Weg zum paix finale? | 49 Friedensstifter: Eduard von England und die Reichsstände | 51 Lokale Wirkungen und Grenzen von Waffenstillständen am Beispiel der Stadt Tournai | 56 Die neutrale Stadt | 56 Integration Tournais in den Waffenstillstand | 57 Sonderabkommen mit Maximilian | 60 Zusammenfassung | 64

VIII | Inhalt 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8 4.4.9 5 5.1 5.1.1 5.1.2

Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) | 66 Neuordnung des Herrschaftsbereiches Karls des Kühnen im Vertrag von Arras | 67 Unterhändler und Vertragspartner | 67 Verhandlungen | 70 Vertrag von Arras 1482 | 71 Kompromissregelungen am Beispiel St. Omer | 75 Abolition général | 77 Sicherung, Umsetzung, Ratifikationen | 77 Vertrag von Arras: Rezeption und Perspektivwechsel ins Reich | 82 Politische Entwicklungen nach 1482 | 82 Die Generalständeversammlung von 1484 | 83 Integration – Desintegration: Der „fremde“ Herrscher wird vertragsbrüchig | 87 Parlement de Paris | 91 Perspektivwechsel: Reichsversammlungen | 92 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung | 100 (Ehe-)Vertragsbruch | 101 Die Bedeutung des Vertrages in Kriegsbegründungen: Contra falsas francoru[m] litteras | 103 Resonanz im Reich | 114 Zwischenresumé | 116 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis | 118 Rahmenbedingungen und Unterhändler | 119 Vorspruch: Inszenierung französischer Königsherrschaft | 122 Freunde, Brüder, Verwandte | 124 Verbündete und Vertragspartner | 127 Regelungen und Sonderregelungen | 127 Die Untertanen – Herstellung des bien commun | 131 Eid und Ratifikation | 134 Exekution des Friedens | 137 Zusammenfassung | 139 Reformreichstage als Zäsur? | 142 Italien als neuer Konfliktherd | 142 Das Wissen über den Anderen: Reichsreform als europäisches Phänomen | 143 Freiburger Reichstag 1498: Wer vertritt das Reich nach außen? | 149

Inhalt

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.7 8.2.8 8.3 8.3.1 8.3.2 8.4 8.5

| IX

Ein Waffenstillstand mit dem Reich? | 152 Die Reichsakteure | 152 Neue Wege der Diplomatie. Aushandlung der Instruktion zwischen Reichsregiment und Maximilian | 154 Wahrnehmung der Reichsgesandtschaft | 157 Inhalte der Verhandlungen | 159 Neue Lösungsstrategien | 163 Konsequenzen des Waffenstillstandes | 164 Ein französischer Gesandter beim Reichsregiment? | 168 Kontaktaufnahme: Das Reichsregiment und Ludwig XII. | 170 Zusammenfassung | 171 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen | 173 Verhandlungen und Ergebnisse | 174 Außenwahrnehmung der Reichsbedeutung | 175 Reichstag als Ratifikationsinstanz? Grenzen vertraglicher Normierung | 177 Interpretation der Artikel von Trient in Blois | 182 Zusammenfassung | 185 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau: Akteure und Etappen der Vertragsproduktion | 186 Akteure der Verhandlungen – Akteursinteressen | 187 Instruktion und Vollmacht | 190 Textkonstruktion: Der Instruktionstext | 193 Sprache der Diplomatie | 195 Das diplomatische Journal des Andera del Burgo | 198 Handlungsspielraum in der mündlichen Verhandlung | 199 Strukturelle und institutionelle Hintergründe im Reich und in Frankreich | 202 Schriftliche Fixierung von Reichsrechten | 203 Die falsche Formel | 206 Abfassung der Urkunden | 207 Friedensschluss und Ritual | 208 Blois: Rituelle Beeidung | 208 Der Tag von Hagenau: Konsens im Ritual? | 210 Vertragsbruch: Exklusivität des französischen Königtums | 213 Vertragsbruch: Juristische Begründungsstrukturen | 217

X | Inhalt

8.6 8.6.1 8.6.2 8.7 9 9.1 9.2 9.3 10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 | 219 Inszenierter Konflikt | 222 Reichsständische Reaktion | 226 Zusammenfassung | 228 Der Vertrag von Cambrai: Das Reichskammergericht als parlement de Paris? | 230 Liga von Cambrai: Greifbarkeit partikularer Interessen im Reich | 230 Reichskammergericht | 235 Zusammenfassung und Ausblick | 239 Synthese | 241 Wandel der Praxis | 241 Friedensverträge: Grundelemente | 241 Identität-Differenz – Akteur-Struktur | 246 Konstruktion – Dekonstruktion: Vertragsschluss und Vertragsbruch | 249 Friedensverträge: Völkerrecht avant la lettre? | 252

Abkürzungen | 255 Literaturverzeichnis | 256 Gedruckte Quellen | 278 Archivarische Quellen | 282 Personenregister | 284

1 Einleitung „Die ersten tzwen atrickel ob die fursten im anfang benenet werden sullen . . . “?¹ In dieser Randbemerkung und der einfachen Frage, die sich der Schreiber offenbar im Zuge seiner Textabfassung stellt, versinnbildlicht sich gleichsam die Problematik des spätmittelalterlichen Reiches: Wo nämlich die Fürsten, vorrangig natürlich die Kurfürsten, zu stehen hätten? Mit der Goldenen Bulle war 1356 bereits eine Antwort auf diese Frage formuliert worden. Säulen des Reiches sollten diese sein. Im Gegensatz zum Königreich Frankreich, in dem sich eine monarchische Herrschaftsverdichtung entwickelte, konsolidierte sich mit der verfassungsmäßigen Etablierung der Kurfürsten im Reich das Wahlkönigtum. Der Grundstein war gelegt für einen Prozess, den Peter Moraw 1989 als eine Entwicklung von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung beschreibt und an dessen Ende sich ein in Europa singulärer ständischer Dualismus etablieren sollte. An der Wende zur Neuzeit institutionalisierte sich die Mitwirkung der Stände an der Herrschaft im Reich und aus dem bis dahin königlich beherrschten Hoftag konstituierte sich über die Tagsatzungsform des königslosen Tages der Reichstag, auf dem die Reichsstände mit den Kurfürsten an der Spitze beanspruchten ihrerseits das Reich zu repräsentieren, auch ohne und bisweilen sogar gegen den König.² Frankreich stand, soviel lässt sich für das ausgehende Mittelalter zunächst feststellen, ein in seinen inneren Strukturen gewandelter Nachbar gegenüber, was sich entsprechend auf die diplomatische Praxis beider Länder auswirkte.³ Wie agierten die Protagonisten eines sich dualistisch ausdifferenzierenden Rei­ ches bei politischen Kontakten, welche die Grenzen des eigenen Ordnungsgefüges überschritten? Jene Randnotiz, die von der Unsicherheit des Schreibers über die „Stellung“ der Kurfürsten zeugt, befindet sich am Rande eines Vertragsentwurfes, genauer der Erneuerung eines Bündnisses zwischen Kaiser Friedrich III., den

1 Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, HHStA, AUR, 1475 IV. 17. 2 Moraw, Peter: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250–1490. Frankfurt/M. [u. a.] 1989. Ausführlich zur prozessualen Entwicklung verschiedener Tagsatzungsformen Annas, Gabriele: Hoftag – Gemeiner Tag – Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349–1471). 2 Bde. Köln 2004 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 68). 3 Zu diesem Themenkomplex vgl. Moeglin, Jean-Marie: Kaisertum und allerchristlichster König. 1214 bis 1500. Darmstadt 2010 (Deutsch-französische Geschichte 2); Blockmans, Willem Pieter: Citizens and their rulers. In: Empowering interactions. Political cultures and the emergence of the state in Europe 1300–1900. Hrsg. von dems. [u. a.]. Farnham 2009, S. 281–291, 284–286. DOI 10.1515/9783110493115-001

2 | 1 Einleitung

Kurfürsten des Reiches und Ludwig XI. von Frankreich vom 17. April 1475.⁴ Die simpel anmutende Frage des Verfasser verweist den aufmerksamen Leser auf eine Überlappung zweier Prozesse. Sowohl das Reich selbst als auch die normativen Grundlagen zwischen den Mächten befanden sich in einem Prozess der Ausformung und Aushandlung. Der Vertragstext, die vermeintlich „positiv-rechtliche Basis internationaler Beziehungen“,⁵ wird zum Schauplatz dieses Phänomens. Anhand der spätmittelal­ terlichen diplomatischen Kontakte zwischen dem Reich und Frankreich sollen daher Gestaltung und Überwindung der Grenzen zwischen den Herrschaftsbe­ reichen am Beispiel diplomatischer Verträge und im Kontext eines strukturellen Wandels im Reich, der Reichsreform, untersucht werden. Hierbei wird von der Annahme einer sukzessiven Veränderung der im Text repräsentierten Verfahrens­ formen ausgegangen. Der Bearbeitungszeitraum wird dazu im Wesentlichen auf die Regierungszeit Maximilians I.⁶ begrenzt, denn diese erlaubt die Anwendung besonders günstiger Untersuchungsparameter: Seine Ehe mit Maria von Burgund und deren früher Tod führten bald zu Verwicklungen in den ohnehin umstrittenen Verhältnissen in den burgundischen Erbländern. Verträge und Waffenstillstände sollten das ehemalige Herrschaftsgebiet Karls des Kühnen neu ordnen, auf das sowohl Ludwig XI. als auch Maximilian als Herzog von Burgund Ansprüche erhoben. Ein Höhepunkt der Reformentwicklungen des Reiches war 1495 mit dem Worm­ ser Reichstag erreicht. Reichsregiment und Reichskammergericht sind hier ebenfalls als Ergebnisse temporärer oder dauerhafter Verdichtung greifbar. Fast zeitgleich ist der Beginn der Italienkriege als Ausgangspunkt für eine weitgehend auf Frankreich fixierte und intensivierte Vertragspolitik des römisch-deutschen Reiches anzuset­ zen. Inwiefern der Statuswandel Maximilians zum römisch-deutschen König und die Entwicklungen des Reiches Auswirkungen auf die Vertragsdiplomatie hatten und haben konnten, lässt sich somit anhand der Verträge aus dem Kontext des Italienkrieges analysieren und in eine direkte Relation zu den Vereinbarungen des vorangegangenen Erbschaftskonfliktes stellen. Der Vertrag von Cambrai 1508 und nicht das Ende der Regierungszeit Maxi­ milians soll den Abschluss dieser Untersuchung bilden, da dieser Pakt mit der

4 Der gesamte Urkundenkomplex HHStA, AUR, 1474 XII. 31; HHStA, AUR, 1475 IV. 17, wie Anm. 1. 5 Tischer, Anuschka: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunika­ tion in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis. Berlin 2012 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 34), S. 139. 6 Dazu allgemein Hollegger, Manfred: Maximilian I. Herrscher und Mensch einer Zeitenwende. Stuttgart 2005 (Urban-Taschenbücher 442).

1.1 Forschungsstand | 3

von nun an gegen Venedig gerichteten Bündnispolitik einen deutlichen Bruch markiert.⁷ Mit der Reichskammergerichtsordnung von 1507 war im Vorjahr die Neuaufrichtung des Zentralgerichts vollzogen und eine dauerhafte Institution als Eckstein der Reichsreform geschaffen worden.⁸

1.1 Forschungsstand Die neuere mediävistische Forschung bietet zahlreiche Einzeluntersuchungen zu den verschiedensten Aspekten und Akteuren außenpolitischen Handelns. Vertrags­ texten wurde in dieser Forschungslandschaft bislang weder eine Gelenkstellen­ funktion zugesprochen noch wurden sie als Schauplatz diplomatischer Strategien analysiert. Der zentrale Quellenwert von friedensstiftenden Verträgen für völkerrechtliche Grundlagenforschung sowie für die Erforschung der Geschichte internationaler Be­ ziehungen kann kaum überschätzt werden. Eine aktuelle Untersuchung von Theorie und Praxis spätmittelalterlicher Vertragsdiplomatie stellt jedoch, Alfred Kohler be­ mängelt dies 2008,⁹ noch immer eine Forschungslücke dar. Ältere Untersuchungen hierzu stammen aus dem Bereich einer Diplomatik der Vertragsurkunden von Lud­ wig Bittner (1924)¹⁰ und Heinrich Fichtenau (1957).¹¹ Eine universalgeschichtliche Studie hat 1979 Jörg Fisch vorgelegt.¹² Für die aktuelle Forschung ist die Studie von Nicolas Offenstadt von zentralem Wert. Die Untersuchung zum Themenkomplex des Friedensschlusses in der Zeit des Hundertjährigen Krieges liefert einige wichtige Ansatzpunkte zur Erforschung

7 Lutter, Christina: Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495–1508). Wien [u. a.] 1998 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 34), S. 16. 8 Dazu ausführlich Diestelkamp, Bernhard: Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich. Frankfurt/M. 1999. 9 Kohler, Alfred: Expansion und Hegemonie. Internationale Beziehungen 1450–1559. Paderborn 2008 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen 1), S. 9. 10 Bittner, Ludwig: Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden. Berlin 1924. 11 Fichtenau, Heinrich: Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformen. Graz [u. a.] 1957. 12 Fisch, Jörg: Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses. Stuttgart 1979. Vgl. als allgemeinen und übergreifenden Problemaufriss zur Friedensthematik Fried, Johannes (Hrsg.): Träger und In­ strumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter. Sigmaringen 1996 (Vorträge und Forschungen 43).

4 | 1 Einleitung

vormoderner Friedensverträge.¹³ Im Rahmen einer 2010 erschienenen, programma­ tisch als Beziehungsgeschichte zwischen dem Reich und Frankreich angelegten Veröffentlichung greift auch Jean-Marie Moeglin die Vertragsthematik auf. Den Versuch, eine stabile Beziehung zweier Königreiche auf „staatsvertraglicher“ Basis herzustellen, hebt er als roten Faden in der Entwicklung während des 13. und 14. Jahrhunderts hervor.¹⁴ Weitere grundlegende Forschungsergebnisse zur Quellenba­ sis der Vertragsurkunden entstehen gegenwärtig auf dem Arbeitsfeld der Frühen Neuzeit. In Anbindung an das Mainzer Institut für Europäische Geschichte wird seit 2000 unter Leitung von Heinz Duchhardt ein großangelegtes Forschungsprojekt gesamteuropäischer Dimension durchgeführt: Langfristiges Ziel ist die historischkritische Edition frühneuzeitlicher, europäischer Friedensverträge zwischen ca. 1450 und der Französischen Revolution. Die mediale Realisierung durch eine Online-Datenbank ermöglicht es schon jetzt, Teile eines einzigartigen Bestandes frei zugänglich einzusehen.¹⁵ Eine eingehende, systematische Beschäftigung mit Friedensverträgen erfolgte bislang von Seiten der Rechts- und Völkerrechtsgeschichte. 2005 erschien unter der Herausgeberschaft Randall Lesaffers ein grundlegender, epochenübergreifender Band zu Friedensverträgen und ihrer völkerrechtlichen Entwicklung.¹⁶ Randall Lesaffer verortet auf der Grundlage einer Analyse rechtswirksamer Bestandteile der Vertragsurkunden zwischen 1450 und dem Westfälischen Frieden eine wichtige Beschleunigungsphase in der Entwicklung des modernen europäischen Staaten­ systems und seines internationalen Rechts.¹⁷ Diese Tatsache macht die Frage nach dem völkerrechtlichen oder normativen Status von Verträgen auch für die Zeit vor dem Westfälischen Frieden relevant, welcher von der älteren Forschung als

13 Offenstadt, Nicolas: Faire la paix au Moyen Âge. Discours et gestes de paix pendant la guerre de Cent Ans. Paris 2007. 14 Moeglin, Kaisertum, wie Anm. 3, S. 55–56. 15 Einblicke in das Digitalisierungsprojekt „Europäische Friedensverträge der Vormoderne online“ sind über die Website des IEG Mainz möglich, welche eine Datenbank der Verträge zur Verfügung stellt. http://www.ieg-friedensvertraege.de/de/vertraege (03.03.2017). 16 Lesaffer, Randall (Hrsg.): Peace treaties and international law in european history. From the Middle Ages to World War One. Cambridge 2004. Für die vorliegende Arbeit grundlegend: Lesaffer, Randall: Peace treaties from Lodi to Westphalia. In: Peace treaties and international law in european history. From the Middle Ages to World War One. Hrsg. von dems. Cambridge 2004, S. 9–44; Ziegler, Karl-Heinz: The influence of medieval roman law on peace treaties. In: Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 147–161. Zur rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Frieden Steiger, Heinhard: Friede in der Rechtsgeschichte. In: Pax. Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens. Hrsg. von Wolfgang Augustyn. München 2003 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 15), S. 11–62. 17 Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 11.

1.1 Forschungsstand | 5

zentrale Zäsur in der Geschichte der Verträge und des internationalen Rechts gesehen worden ist.¹⁸ Grundsätzlich soll in der vorliegenden Arbeit die Notwendigkeit betont werden, einen Vertrag über seine rechtliche Fundierung hinaus als facettenreiches Instru­ ment der Diplomatie zu begreifen, um die funktionierende diplomatische Praxis des ausgehenden Mittelalter zu beschreiben. Wie relevant die Betrachtung des Ineinandergreifens mündlicher, zeremonieller und schriftlicher Formen sowie die Wiederverwendungssituation von Urkunden ist, haben grundlegend die Arbeiten aus dem Umfeld Hagen Kellers, maßgeblich für Italien, gezeigt.¹⁹ Die Schrift fungiert gleichsam als Protokoll konstitutiver zeremonieller Handlungen. Ausgehend von dem hier geplanten Versuchsaufbau lässt sich feststellen, dass sich in den Verträgen und deren Verbindlichkeitsgarantien eine potentiell funktionale Deckungsmenge zweier divergenter politischer Verfassungen verdichtet. In diesem Zusammenhang ist die textliche Umsetzung gemeinsam von Reich und Frankreich akzeptierter Rituale und deren mögliche konstitutive Relevanz für den Friedensschluss sowie die schriftliche Inszenierung der jeweiligen (Völkerrechts-)Subjekte zu untersuchen. Als Endpunkt komplexer Entscheidungsfindungs- und Kommunikationsprozes­ se erfahren Vertragstexte also eine kulturwissenschaftliche Perspektivierung: Politi­ sches Handeln ist immer auch kommunikatives Handeln. Von dieser Voraussetzung ausgehend, sind Vertragsurkunden nicht lediglich als durchformalisierte Zeugnisse politischer Beschlüsse zu verstehen. Ebenfalls soll ihre Aussagekraft hinsichtlich der Perspektiven und Entwicklungsstadien sozialer Realitätsinterpretation und ihr bislang unterschätztes Potential für die Beschreibung politischer, grenzüber­ greifender Prozesse insgesamt gewürdigt und erkenntnisleitend genutzt werden.

18 Dagegen Duchhardt, Heinz: Das „Westfälische System“. Realität und Mythos. In: Akteure und Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Hrsg. von Hillard von Thiessen u. Christian Windler. Köln [u. a.] 2010 (Externa 1), S. 393–401. 19 Exemplarisch und aktuell dazu Dartmann, Christoph [u. a.] (Hrsg.): Zwischen Pragmatik und Performanz. Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur. Turnhout 2011 (Utrecht studies in medieval literacy 18), S. 2–10; Dartmann, Christoph: Innere Friedensschlüsse in den italienischen Stadtkommunen. Öffentliche Interaktion und schriftliche Fixierung. In: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 355–369. Für das späte Mittelalter Herold, Paul: Das Ringen um den Text. Die Lehensurkunden von 1446/47 für Herzog Philipp von Burgund als Beispiel für Genese, Wirkungs­ weise und Scheitern von Urkundentexten. In: Vom Nutzen des Schreibens. Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz. Hrsg. von dems. u. Walter Pohl. Wien 2002 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 5), S. 321–354. Als Text und Realie untersucht Herold die Lehnsurkunden für Herzog Philipp von Burgund als diskursives Ereignis im engen Wechselverhältnis mit den ihrer Veröffentlichung vorausgehenden Verhandlungen und belegt dabei eindrucksvoll die Korrelation zwischen gescheiterten Verhandlungen und gescheitertem Urkundentext, welcher letztendlich im Reichsregister mit dem Zusatz „non transvisit“ vermerkt wird.

6 | 1 Einleitung

Die Bedeutung der diplomatischen Verhandlung ist in einer inhaltlich wie methodisch grundlegenden Studie bereits 1998 von Christina Lutter als zentral herausgestellt und für die Beziehungen zwischen Maximilian und Venedig er­ forscht worden.²⁰ Daran anschließend lässt sich hier die Frage aufwerfen, inwiefern textliche Innovationen in Verträgen durch ihre normierende Wirkung die Grenzen politischer, kommunikativer Handlungsspielräume in der Praxis verschieben konn­ ten und nicht lediglich im legitimatorischen Nachvollzug bereits abgeschlossene Veränderungen beschreiben. Bedeutung und Funktionalität von vertraglichen Normierungsversuchen lassen sich nach diesen Kriterien bewerten.²¹ Das sich im Rahmen der Untersuchung entfaltende Spannungsfeld zwischen Innen und Außen ist von der Forschung bereits aus verfassungsgeschichtlicher Perspektive betrachtet worden, mit der Untersuchung von Vertragstexten wird jedoch eine eigene Quellengattung zu dieser Problemstellung erkundet und nutzbar gemacht. Das Reich als heterogenes Gebilde sowie der stetige Interessensgegensatz zwischen den Akteuren der Reichspolitik erschweren Untersuchungen mit der kategorischen Vorannahme und Trennung von Innen- und Außenpolitik.²² Petra Ehm-Schnocks illustrierte 2003 am Beispiel der Beziehungen zwischen England und den Hansestädten die negativen Auswirkungen von Systemdivergenzen für das diplomatische Verhältnis.²³ Eine solche Problematik soll nun, ausgehend von der

20 Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7. Weiter gewinnbringend zum Aspekt der Verhandlung Ferrer i Mallol, María Teresa [u. a.] (Hrsg.): Negociar en la Edad Media/Négocier au Moyen Âge. Actas del coloquio celebrado en Barcelona los dias 12, 13 y 14 Octubre del 2004. Paris 2004. Neuerdings Häberlein, Mark u. Jeggle, Christof (Hrsg.): Materielle Grundlagen der Diplomatie. Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Konstanz [u. a.] 2012. 21 Im Rahmen einer kulturwissenschaftlich akzentuierten Betrachtung von Politik sind in dieser Hinsicht bereits erste empirische Ergebnisse über Konstruktionen politischer Strukturen und Prozesse erzielt worden. Was beispielsweise eine strukturierte Textanalyse und systematische Politikbetrachtung an Mehrwert bringen kann, hat erfolgreich Willibald Steinmetz in seiner 1993 veröffentlichten Dissertation zu Wahlrechtsdebatten in England vom späten 18. bis zum 19. Jahrhundert bewiesen. Methodisch konzentriert sich seine Untersuchung auf elementare Sätze, wobei Steinmetz den Nachweis erbringt, dass semantische Innovationen auch die Grenzen des Machbaren verschieben. Steinmetz, Willibald: Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Entscheidungsspielräume. England 1780–1867. Stuttgart 1993. 22 Sabine Wefers stellte bereits 1995 die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Außenpoli­ tik und Reichsverfassung beziehungsweise nach der Außenpolitik unter Rahmenbedingungen werdender Staatlichkeit. Neuerdings dazu: Wefers, Sabine: Das Primat der Außenpolitik. Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert. Berlin 2013 (Historische Forschungen 99). 23 Ehm-Schnocks, Petra: Praxis, Form und Inhalt. Diplomatie und Völkerrecht im Spätmittelalter. In: Autorität der Form, Autorisierung, institutionelle Autorität. Hrsg. von Wulf Oesterreicher [u. a.]. Münster 2003 (Pluralisierung und Autorität 1), S. 257–276.

1.1 Forschungsstand | 7

Analyse der Vertragstexte und insbesondere vor dem Hintergrund der Verfassungs­ reform im Reich, betrachtet werden. Die im Wandel befindliche Reichsverfassung wird dabei, dem etablierten Ansatz von Ernst Schubert folgend, als dynamisches Zusammenspiel institutioneller, personeller und rechtlicher Elemente verstanden. In seiner für die Forschung noch immer substanziellen Habilitationsschrift von 1974 bedient Schubert sich wort- und begriffsgeschichtlicher Methoden, um die dualistische Ausprägung des Reiches nachzuvollziehen. Er geht damit über eine rein politikgeschichtliche Analyse hinaus und macht Wandel im Spiegel von Spra­ che deutlich, wie es auch in dieser Analyse angestrebt wird. Anders als bei Ernst Schubert richtet sich der Blick hier jedoch nicht auf die innere Ausbildung des ständischen Dualismus, sondern nach außen, auf die Wechselwirkung zwischen dem Reich und seinem diplomatischen Gegenüber. So lässt sich über Schubert hinausgehend ermitteln, inwiefern durch Diplomatiebeziehungen motivierte „in­ tersystemische“ Ausgleichstendenzen bei der Entwicklung der Reichsverfassung eine Rolle spielten. Weiterführend können daraus Aussagen zu einem möglichen „diplomatischen Kulturtransfer“ abgeleitet werden.

1.1.1 Außenpolitikforschung: Geschichtswissenschaftliche Konzepte „Wie stellt sich Außenpolitik in einer Zeit dar, in der es sie eigentlich nicht geben kann, weil der Staat, auf dessen Handeln nach außen sie sich bezieht, in der entsprechenden Ausprägung noch gar nicht existiert?“²⁴ Mit dieser Frage umreißt Sabine Wefers 2007 ein Dilemma und trifft damit den Kern einer fortwährenden programmatischen Diskussion,²⁵ die ihren Widerhall zum einen in ausweichenden Neuschöpfungen wie „außenpolitisches Handeln“ oder zum anderen in der direkten 24 Wefers, Sabine: Handlungsträger, Aktionsfelder und Potentiale von Außenpolitik im Spätmit­ telalter. In: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele. Hrsg. von Sonja Dünnebeil u. Christine Ottner. Köln [u. a.] 2007 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer Regesta Imperii 27), S. 59–72, 60. 25 Grundlegend für die weitere Forschung Berg, Dieter [u. a.] (Hrsg.): Auswärtige Politik und Internationale Beziehungen im Mittelalter (13.-16. Jahrhundert). Bochum 2002 (Europa in der Geschichte 6). Programmatisch und methodisch wichtig Thiessen, Hillard von u. Windler, Christian (Hrsg.): Akteure und Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln [u. a.] 2010 (Externa 1); Dünnebeil, Sonja u. Ottner, Christine (Hrsg.): Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele. Wien 2007. Zur städtischen Außenpolitik Jörg, Christian u. Jucker, Michael (Hrsg.): Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Wiesbaden 2010 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 1). Für das westeuropäische Spät­ mittelalter Reitemeier, Arnd: Aussenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377–1422. In: Paderborn [u. a.] 1999 (Veröffentlichungen des

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Thematisierung der außenpolitischen Mittel – Diplomatie, Gesandtschaftswesen, Verhandlung – findet.²⁶ Doch auch die Instrumente vormoderner „Außenpolitik“ unterliegen der Gefahr anachronistischer Übertragungen, so bezieht sich auch ein kodifiziertes Völkerrecht als Rechtsordnung meist auf unabhängige, souveräne Staaten, welche wir für die Vormoderne freilich nicht in ihrer vollen Ausprägung voraussetzen können.²⁷ In der neueren Forschung herrscht dahingehende Einigkeit: „A written international law, systematically arranged within a collection of juridical definitions and normative orders, did in fact not exist before 1648.“²⁸ Außenpolitik und auch Völkerrecht des späten Mittelalters sind, so Martin Kintzinger, in allen Bereichen ein Phänomene avant la lettre. Ohne zeitgenössisches Fachvokabular oder theoretische Reflexion bleiben sie ein Feld der Praxis.²⁹ Auch

Deutschen Historischen Instituts London 45); Kintzinger, Martin: Westbindung im spätmittelal­ terlichen Europa. Auswärtige Politik zwischen Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds. Stuttgart 2000 (Mittelalter-Forschungen 2). Neuerdings Bastian, Corina [u. a.] (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Köln [u. a.] 2014 (Externa 5); Jostkleigrewe, Georg: Expansion – Macht – Legitimität. Diplomatie und grenzüberschreitende Kommunikation zwischen „staatlichen“ und „nicht-staatlichen“ Akteuren. In: Europas Aufstieg. Eine Spurensuche im späten Mittelalter. Hrsg. von Thomas Ertl. Wien 2013, S. 63–83. 26 Eine Ausführliche Bibliographie liefert dankenswerterweise Péquignot, Stéphane: Europäische Diplomatie im Spätmittelalter. Ein historiographischer Überblick. In: Zeitschrift für historische Forschung 39 (2012), S. 65–96. 27 Steiger, Heinhard: Zwischen-Mächte-Recht im Frühmittelalter. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Jucker [u. a.]. Berlin 2011 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 45), S. 47–74. Einen Überblick und Problemaufriss gibt Jucker, Michael: Mittelalterliches Völkerrecht als Problem. Befunde, Methoden, Desiderate. In: Jucker, Rechtsformen, s. Anm. 27, S. 27–46; Epochenübergreifend Lappenküper, Ulrich u. Marcowitz, Reiner: Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen. Paderborn 2010 (Wissenschaftliche Reihe 13); Ziegler, Karl-Heinz: Völkerrechtsgeschichte. Ein Studienbuch. München 2 2007. Immer noch das Standardwerk: Grewe, Wilhelm G.: Epochen der Völkerrechtsgeschichte. Baden-Baden 1 1984. Zu den staatlichen und eben auch nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekten aus juristischer Perspektive exempl. Dahm, Georg [u. a.]: Völkerrecht. Der Staat und andere Völkerrechtssubjekte, Räume unter internationaler Verwaltung. Neubearb. Aufl. 2 Bde. Berlin 2 2012. 28 Kintzinger, Martin: From the late Middle Ages to the Peace of Westphalia. In: The Oxford Handbook of the history of international law. Hrsg. von Bardo Fassbender u. Anne Peters. Oxford 2012, S. 607–627, 607. Auch in der Frühneuzeit-Forschung herrscht kein Konsens über die 1648 gesetzte Epochengrenze. Dazu Duchhardt, Westfälisches System, wie Anm. 18. 29 Kintzinger, Martin: Europäische Diplomatie avant la lettre? Außenpolitik und internationale Beziehungen im Mittelalter. In: Aufbruch im Mittelalter? Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Studien zu Ehren von Rainer C. Schwinges. Hrsg. von Christian Hesse u. Klaus Oschema. Ostfildern 2010, S. 245–268. Für die Frühe Neuzeit Duchhardt, Heinz: Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit. Aspekte und Schlaglichter. In: Europa im späten

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wenn eine abschließende Diskussion zum Umgang mit den umstrittenen Begrifflichkeiten noch aussteht,³⁰ hat sich eine breite Forschungslandschaft um dieses Feld, eben jenes Feld der Praxis, etabliert und zahlreiche Arbeiten hervorgebracht, denen in aller Regel ein weites Verständnis internationaler Beziehungen zugrunde liegt.³¹ Wenn schon nicht von der Existenz eines „Staates“ ausgegangen werden kann und vormoderne politische Ordnungsgefüge sich in einem stetigen Prozess ihrer Aus- und Verhandlung darstellen, muss entsprechend auch die Sichtweise auf die Außenbeziehungen angepasst werden. Ausgehend vom klassischen historischen Vergleich³² hält sich seit den 1990er Jahren eine rege Debatte, in der unter dem Signum transnationaler Geschichts­ entwürfe³³ verschiedene Konzepte von Vergleich und (Kultur-)Transfer bis hin zu neuen welt- und globalgeschichtlichen Entwürfen diskutiert und als Erweiterung

Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur. Hrsg. von Rainer Schwinges [u. a.]. München 2006 (Historische Zeitschrift. Beiheft NF 40), S. 605–614. 30 Ansätze dazu von Wefers, Sabine: Versuch über die „Außenpolitik“ des spätmittelalterli­ chen Reiches. In: Zeitschrift für Historische Forschung 22 (1995), S. 291–316; Wefers, Primat der Außenpolitik, wie Anm. 22. 31 Vgl. dazu Péquignot, Europäische Diplomatie, wie Anm. 26, S. 65–96. Zu ergänzen ist neuerdings der Sammelband von Häberlein u. Jeggle, Materielle Grundlagen, wie Anm. 20. Daraus besonders wegen seiner theoretischen Überlegungen der Aufsatz von Ewert, Ulf Christian u. Hirschbiegel, Jan: Mehr als nur der schöne Schein. Zu einer Theorie der Funktion von Luxusgegenständen im zwischenhöfischen Gabentausch des späten Mittelalters. In: Häberlein u. Jeggle, Materielle Grundlagen, wie Anm. 20, S. 33–58. 32 Die vergleichenden Untersuchungen der 1970er Jahre basieren auf älteren Vorarbeiten Marc Blochs. Grundlegend hier: Bloch, Marc: Pour une histoire comparée des sociétés européennes. In: Revue de synthèse historique 26 (1928), S. 15–50. 33 Auslöser dieser Debatte war der in einem Vortrag geäußerte Vorwurf Michel Espagnes, ein naiver Gebrauch der komparatistischen Methode stärke die Nationalisierung in der Geschichtswis­ senschaft, statt sie zu überwinden. Espagnes setzt sich in diesem Zusammenhang verstärkt für eine weitere Etablierung der Transferuntersuchungen in der Geschichtswissenschaft ein. Espagnes, Mi­ chel: Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle. In: Genèse 17 (1994), S. 112–121; Kaelble, Hartmut: Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt? url: hsozkult.geschichte.huberlin.de/forum/id=574& (besucht am 03. 03. 2017). Für die deutsche Forschung haben Jürgen Os­ terhammel und Jürgen Kocka die „transnationale Herausforderung“ angenommen und damit u. a. zu einer regen Rezeption und Etablierung dieses Ansatzes beigetragen. Vgl. Osterhammel, Jürgen: Transferanalyse und Vergleich im Fernverhältnis. In: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Hartmut Kaelble u. Jürgen Schriewer. Frankfurt/M. 2003, S. 439–466. Eine aktuellere Zusammenschau und Orientierung im breiten Feld der unterschiedlichsten Strategien zum Umgang mit dem umfangreichen Themenfeld der Transnationalität bietet die Festschrift für Jürgen Kocka: Budde, Gunilla [u. a.] (Hrsg.): Trans­ nationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 2006. Auf die zahlreiche weitere Forschungsliteratur zum Themengebiet der Transfergeschichte kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

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zur Gesellschaftsgeschichte erprobt werden.³⁴ Gemeinsam ist allen Ansätzen eine grenzüberschreitende Perspektive, die immer auch eine komparative Dimension beinhaltet, deren Gefahr aber darin besteht, dass sich nationale Bedeutungsrah­ men vor dem Hintergrund der Fremdheit mehr verfestigen als objektiv auflösen. Der Zugang einer Histoire croisée stellt hierzu einen gegenwärtigen Ansatz dar, mit dem das Problem des Transnationalen methodisch neu gedacht werden kann.³⁵ Während der Vergleich Erkenntnisse durch eine Reduktion der Komplexität und Ausblendung der Nebenumstände herbeiführt und die Kulturtransferforschung vom Beobachter ausgewählte Kontexte fokussiert, zielt die Programmatik der His­ toire croisée auf die faktische Untersuchung aller, historischer sowie gegenwärtiger, Zusammenhänge bzw. Verflechtungen³⁶ zwischen Beobachterposition, Blickwinkel und Objekt. Die Grundlage dazu bildet ein induktives Vorgehen. Die Untersuchung geht da­ bei nicht von vorher festgelegten Kategorien oder Modellen, sondern von konkreten Objekten und insbesondere von den situativen Handlungsebenen und Interaktio­ nen der Akteure aus. Durch die Fokussierung von Handlungssituationen und deren Bezug auf langfristige Strukturen wird die Dynamik historischer Prozesse nicht ignoriert, sondern aktiv in den Analysevorgang mit integriert.³⁷ Um dem Problem der Transnationalität gerecht zu werden, müssen folglich die Interaktionen und Verflechtungen zwischen Innen und Außen möglichst genau und als dynamischer Prozess nachvollzogen werden. Auch wenn sich die gegenwärtige Forschungslandschaft weitgehend diesen An­ forderungen anpasst, soll noch einmal der Blick auf jene theoretischen Grundlagen

34 Eine chronologische Übersicht über die Forschungsdebatte und die Abgrenzung von Weltund Globalgeschichte bei Drews, Wolfram: Transkulturelle Perspektiven in der mittelalterli­ chen Historiographie. Zur Diskussion welt- und globalgeschichtlicher Entwürfe in der aktuellen Geschichtswissenschaft. In: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 31–59. 35 Programmatisch Werner, Michael u. Zimmermann, Bénédicte: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636. Die Histoire croisée steht damit in enger Verbindung zu den Konzepten einer entangled und shared history. Auch diese legen transnationale Verflechtungen jenseits von Nationalgeschichte frei. Die Perspektive reicht bei der Untersuchung direkter und indirekter Transfers bis über die Grenzen Europas hinaus und insbesondere der Transfer zwischen Kolonien und Mutterländern stellt einen Forschungsschwerpunkt dar. Conrad, Sebastian u. Rande­ ria, Shalini (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichtsund Kulturwissenschaften. Frankfurt/M. 2002. 36 Middell, Matthias: Rezension zu: Werner, Michael und Zimmermann, Bénédicte (Hrsg.): De la comparaison à l’histoire croisée. Paris 2004. In: H–Soz–u—Kult (2005). url: www.hsozkult. geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-075 (besucht am 03. 03. 2017). 37 Werner u. Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung, wie Anm. 35, S. 617–624.

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gerichtet werden, die als Motor einer aktuellen Historiographie der Außenbezie­ hungen fungieren.

1.1.2 Konstruktivismus als Theorie der Internationalen Beziehungen und Kulturgeschichte des Politischen Im Theoriespektrum der politologischen Teildisziplin der Internationalen Be­ ziehungen haben sich konstruktivistische Ansätze in den letzten 15 Jahren fest etabliert.³⁸ Die Auflösung der Machtblöcke nach 1989/90, der steigende Einfluss nichtstaatlicher Akteure auf internationale Politik, Terrorismus als internationale Herausforderung – all diese Phänomene erfordern neue Erklärungsansätze jenseits der fest definierten Koordinaten Staat, Macht und Militär. Das Bild eigennutz- und machtorientierter, nach Nutzenkalkülen handelnder Staaten wird durch konstruk­ tivistische Analysen erweitert und ausdifferenziert.³⁹ Dabei handelt es sich nicht um eine bestimmte Perspektive, vielmehr stehen sich diverse konstruktivistische Ansätze und überaus heterogene Herangehensweisen gegenüber,⁴⁰ deren Mini­ malkonsens sich als Akteur-Struktur-Prinzip zusammenfassen lässt. Handelnde Akteure und handlungsbegrenzende Strukturen stehen in einem Wechselverhältnis, aus dem heraus die Welt, speziell die internationale Politik, sozial konstruiert wird. Die Sprache fungiert in diesem Prozess als Träger sozialer Konstruktionen. Dieses konstruktivistische Grundgerüst stellt mit Akteuren, Strukturen und Texten nicht nur neue „Protagonisten“ zur Erklärung internationaler Politik bereit, es wirft vor allem auch neue Fragen- und Erkenntnishorizonte auf. Prozesse werden erklärbar, Normen, Identitäten, Weltbilder und Interessen werden als Wandel beeinflussende Faktoren wichtig.⁴¹

38 Vgl. generell als Einführung in konstruktivistische Theorien internationaler Beziehungen: Ulbert, Cornelia u. Weller, Christoph (Hrsg.): Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Constructivist Research in International Politics. Wiesbaden 2005. 39 Weller, Christoph: Internationale Politik und Konstruktivismus. Ein Beipackzettel. In: Welt­ Trends 41 (2003/2004), S. 107–123, 107–109. 40 Vgl. dazu beispielsweise: Guzzini, Stefano: The reconstruktion of constructivism in internatio­ nal relations. In: European Journal of International Relations 6/2 (2000), S. 147–182; Fierke, Karin u. Jørgensen, Knud Erik (Hrsg.): Constructing International relations. The next generation. London 2001. 41 Ulbert, Cornelia: Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Theoretische Ansät­ ze und methodische Herangehensweisen. In: Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Constructivist Research in International Politics. Hrsg. von ders. u. Christoph Weller. Wies­ baden 2005, S. 9–34; Ulbert, Cornelia: Sozialkonstruktivismus. In: Theorien der Internationalen Beziehungen. Hrsg. von Siegfried Schiedler u. Manuela Spindler. Opladen [u. a.] 2006, S. 409–411.

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Eine ähnlich gerichtete Umfokussierung hat auch in der Geschichtswissen­ schaft stattgefunden. Kulturgeschichtliche Arbeiten brechen das Feld der politi­ schen Geschichte auf, mit dem Anspruch, eine „Kulturgeschichte des Politischen“ zu erforschen. Kultur wird in diesen Ansätzen über die fundamentale Fähigkeit der Akteure zur Symbolerzeugung definiert. Historische Phänomene sind folglich immer nur in ihrer symbolisch vermittelten Form fassbar und die Kultur ist nicht länger Gegenstand der Forschung, sondern wird zu ihrer analytischen Perspektive. Jenseits von objektiven historischen Fakten rückt der Konstruktionscharakter von Politik in den Forschungsmittelpunkt. Konkurrierende Bedeutungszuschreibungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen der Zeitgenossen sowie handlungsleitende Nor­ men eröffnen neue Untersuchungsperspektiven und werden als politikbestimmend angesehen.⁴² Neuer Kulturgeschichte und konstruktivistischen Theorien internationaler Beziehungen⁴³ liegt also die gleiche ontologische Vorstellung zugrunde: Die Welt wird sozial konstruiert. Der Rückblick auf konstruktivistische Ansätze aus dem Feld der Politikwissenschaft bietet nun die Chance, diesen analytischen Minimal­ konsens theoretisch stärker zu einer „Kulturgeschichte des Außenpolitischen“ auszudifferenzieren und ein Grundgerüst speziell zur Erforschung vormoderner Außenbeziehungen zu entwickeln. Dabei wird der Blick noch einmal für die zen­ tralen Grundannahmen des Konstruktivismus geschärft mit dem Ziel, ein klar strukturiertes Wechselverhältnis der relevanten Variablen herzustellen.

1.1.3 Grundannahmen Kodetermination von Akteur und Struktur Der Beginn einer konstruktivistischen Wende im Bereich der Erforschung Internatio­ naler Beziehungen wird meist mit der Debatte um die wechselseitige Konstituierung von Akteuren und Strukturen markiert. Dieser theoretische Ausgangspunkt der

Schon im Bereich des sozialwissenschaftlichen Konstruktivismus unterscheidet Jørgensen vier unterschiedliche Ebenen: Den philosophischen Konstruktivismus, Konstruktivismus als Metha­ theorie, konstruktivistische Theorie, und konstruktivistische empirische Forschung. Vgl. dazu Jørgensen, Knud Erik: Four levels and a discipline. In: Constructing international relations. The next generation. Hrsg. von dems. u. Karin Fierke. London 2001, S. 36–53. 42 Stollberg-Rilinger, Barbara: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005 (Zeit­ schrift für historische Forschung. Beiheft 35), S. 9–12. Als Stand der Forschung und Bilanz Stollberg-Rilinger, Barbara [u. a.] (Hrsg.): Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommunikation. Köln 2013 (Symbolische Kommunikation in der Vormo­ derne). 43 Im Folgenden IB-Theorie.

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1980er Jahre ist auch heute immer noch essentielle Kernannahme konstruktivisti­ scher Ansätze. Grundlegend ist der Gedanke der Kodetermination von Akteuren und Strukturen, d. h. Strukturen sind einerseits konstitutiv für Akteure und de­ ren Interessen, Akteure auf der anderen Seite reproduzieren diese Strukturen durch ihr Handeln oder verändern sie.⁴⁴ Die Hinzuziehung einer zweiten Grundan­ nahme eines IB-theoretischen Konstruktivismus schafft nun über den Konsens des Akteur-Struktur-Prinzips hinaus die Spezifikation für die Erklärung grenz­ überschreitender politischer Prozesse und ein tieferes Verständnis strukturellen Wandels im internationalen System. Die soeben beschriebenen Strukturen sind zwar die Voraussetzung für die Handlungen der Akteure, dabei determinieren sie diese jedoch nicht. Grundlegend ist daher der Gedanke, dass sich AkteursInteressen und Identitäten als zentrale Faktoren ihrer Handlungsmotivation erst endogen im Prozess der wechselseitigen Konstituierung von Akteur und Struktur herausbilden und dann Einfluss darauf nehmen, welche strukturell möglichen Handlungsvarianten von den Akteuren tatsächlich gewählt werden. Um Wandel zu verstehen, muss die Herausbildung von Interessen und Identitäten daher näher fokussiert werden.⁴⁵ Identitätsstiftung durch Differenz Wie kann struktureller Wandel erklärt werden? Wie kommen die dahinter ste­ henden unterschiedlichen, handlungsleitenden Weltvorstellungen der Akteure zustande? Interessen und der Frage, wodurch diese geformt werden, kommen in vielen Ansätzen eine Schlüsselrolle bei der Erklärung des außenpolitischen Handelns zu. Während neorealistische Ansätze von einer Formung einheitlicher nationaler Interessen durch das internationale System ausgehen, propagieren liberale Theorien eine Interessenformung durch gesellschaftliche Akteure. Beiden zugrunde liegt eine materialistische Ontologie und der hinter den Interessen ste­ hende Wunsch nach Nutzenmaximierung.⁴⁶ Wandel von Interessen ist in diesen Modellen zwar nicht ausgeschlossen, allerdings lässt er sich auch nicht näher erklären. Konstruktivistische Ansätze verkennen zwar nicht den Stellenwert von In­ teressen bei der Wahl außenpolitischer Handlungsmöglichkeiten, allerdings stellen

44 Ulbert, Konstruktivistische Analysen, wie Anm. 41, S. 8. Vgl. als theoretischen Ausgangspunkt Giddens, Anthony: The constitution of society. Outline of the theory of structuration. Cambridge 1984. 45 Ulbert, Sozialkonstruktivismus, wie Anm. 41, S. 418–419. 46 Bienen, Derk [u. a.]: Gesellschaftliche Interessen und Außenpolitik. Die Außenpolitiktheorie des utilitaristischen Liberalismus. Tübingen 1999 (Tübinger Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Friedensforschung 33). url: nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-1466 (besucht am 03. 03. 2017).

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sie jeglichen utilitaristischen Kalkülen ideelle und normative Kontexte voran,⁴⁷ d. h. Identitäten sind konstitutiv für Interessen. Der Akteur wird damit im soziologischen Sinne als homo sociologicus und nicht oeconomicus verstanden,⁴⁸ dessen außenpo­ litisches Handeln von einer entsprechenden Angemessenheitslogik bestimmt wird. Ständige Selbstreflexion und Reinterpretation der zugrundeliegenden Normen und Ideen führen zu einer endogenen Herausbildung von kollektiv geteilten, nicht dauerhaft fixierten Akteurs-Identitäten. Wandeln sich diese Identitäten, ist auch eine Redefinition und Neuformulierung der Interessen und damit Wandel der au­ ßenpolitischen Praxis möglich.⁴⁹ Interessen sind demnach nicht allein aus Machtund Wirtschaftsstrukturen ableitbar oder „vom Strukturenhimmel“⁵⁰ gefallen, vielmehr basieren sie auf der Wirklichkeitsinterpretation der Akteure und werden in interaktiven, kommunikativen Prozessen konstruiert. Somit stellt sich die Frage nach den Kausalmechanismen von Identitätskon­ struktion und -wandel.⁵¹ Zurückgegriffen wird dabei auf poststrukturalistische Denkinhalte Derridas, nach dessen Schema jegliche Identität einer Differenz bedarf. Auf staatlicher Ebene bedeutet dies, dass Staaten eigentlich erst in Auseinan­ dersetzung mit anderen Staaten sozial konstruiert werden. Dieses Modell wird in postmodernen IB-Theorien insofern weitergedacht, als dass der Staat als sol­ cher nicht vorausgesetzt werden kann, sondern seine Identität erst durch eine Grenzziehung zwischen Innen und Außen und gegen dieses Außen möglich ist. Über diese rein ontologische Annahme hinaus stellt sich nun die Frage, wie auf Basis dieses Modells Erkenntnis möglich ist bzw. wie Wandel konkret erklärt und begriffen werden kann. Aus konstruktivistischer Sicht spielt hierbei die Sprache die zentrale Rolle, denn durch sie wird Realität zugänglich und gleichzeitig im Sprechakt konstruiert. Bedeutung ist daher variabel und ständiger Verschiebung ausgesetzt. Daraus ergibt sich auch die methodische Konsequenz der vorliegenden Arbeit, Texte als Ereignisrepräsentation anstelle des Ereignisses selbst zu untersu­ chen und Realität im einzig möglichen, einem diskursiven Kontext zu erfassen.

47 Ulbert, Konstruktivistische Analysen, wie Anm. 41, S. 9–10. 48 Schaber, Thomas u. Ulbert, Cornelia: Reflexivität in den Internationalen Beziehungen. Litera­ turbericht zum Beitrag kognitiver, reflexiver und interpretativer Ansätze zur dritten Theoriedebatte. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1/1 (1994), S. 139–169, 140. 49 Ulbert, Konstruktivistische Analysen, wie Anm. 41, S. 9–10. 50 Risse-Kappen, Thomas: Reden ist nicht billig. Zur Debatte um Kommunikation und Rationalität. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/1 (1995), S. 171–184, 175. 51 Alexander Wendt liefert den entscheidenden Gedanken zu einer durch Differenzen hervorge­ brachten Identitätsstiftung, indem er von Identitätsbildungsprozessen in Interaktion mit anderen Akteuren ausgeht. Wendt, Alexander: Identity and structural change in international politics. In: The return of culture and identity in IR Theory. Hrsg. von Yosef Lapid u. Friedrich Kratochwil. Boulder 1996, S. 47–64.

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Staatliche Identität bildet sich somit erst im Moment ihrer Artikulation heraus. Die Außenpolitik ist dabei der Ort, an dem solche Artikulationen stattfinden und Identität gegenüber dem Fremden, beeinflusst von wechselseitigen Erwartungen und Rollenzuweisungen, immer wieder (re)konstruiert wird.⁵² Feststellen lässt sich also eine doppelte soziale Konstruktion: Zum einen entwickelt sich ein Staat mit Zielen, die über die eigene Gesellschaft hinausgehen, zum anderen entsteht eine internationale Umwelt dieses Staates.⁵³ Ergebnisse dieser doppelten Konstruktion sind dann als innen- und außenpolitischer Wandel beispielsweise anhand von diskursiven Verschiebungen analysierbar.

1.1.4 Übertragbarkeit Diese Grundgedanken lassen sich ebenfalls an Formen vormoderner politischer Organisation herantragen, da – geht man von einer sozialen Weltkonstruktion aus – nicht primär der Staat, sondern seine Akteure untersucht werden müssen. Im Sinne einer modernen Kulturwissenschaft werden Akteursidentitäten im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdzuschreibungen definiert. Identität kann damit niemals als starr begriffen werden, sondern unterliegt vielmehr stetigen oder situativen Veränderungen.⁵⁴ So wird, wie die vorliegende Arbeit zeigt, das Wissen über kon­

52 Identität ist damit unlösbar verstrickt in ein Netzwerk von Beziehungen zwischen Identität und Differenz. Außenpolitik kommt damit die zentrale Funktion einer ständigen Reproduktion instabiler staatlicher Identität nach innen und die Beschränkung der Herausforderung dieser Identität nach außen zu. Campbell, David: Writing security. United States foreign policy and the politics of identity. Minneapolis 1992; Campbell, David: Politics without principle. Sovereignty, ethics, and the narratives of the Gulf War. Boulder 1993, S. 84. Zusammenfassend Diez, Thomas: Postmoderne Ansätze. In: Theorien der Internationalen Beziehungen. Hrsg. von Siegfried Schiedler u. Manuela Spindler. Opladen [u. a.] 2006, S. 476–481. 53 Weller, Politik und Konstruktivismus, wie Anm. 39, S. 113. Auch Staaten sind somit nichts anderes, als gesellschaftlich konstruierte Strukturen, die auf eine ständige Reproduktion sowohl nach innen als auch nach außen angewiesen sind. Berger, Peter u. Luckmann, Thomas: Die gesell­ schaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M. 24 2012, S. 31–55; Weller, Christoph: Perspektiven eines reflexiven Konstruktivismus für die Internationalen Beziehungen. In: Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Hrsg. von dems. u. Cornelia Ulbert. Wiesbaden 2005, S. 35–64, 51. 54 Dartmann, Christoph u. Meyer, Carla: Einleitung. In: Identität und Krise? Zur Deutung vor­ moderner Selbst-, Welt- und Fremderfahrungen. Hrsg. von dens. Münster 2007 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 17), S. 1–22, 17ff; Borgolte, Michael [u. a.]: Einleitung. In: Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. Hrsg. von dens. Berlin 2011 (Europa im Mittelalter 18), S. 9–16; Dücker, Julia u. Müllerburg, Marcel: Bilanz eines Aufbruchs. In: Borgolte [u. a.], Einleitung, wie Anm. 54, S. 570–571.

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träre Verfassungsstrukturen (bspw. Wahlkönigtum versus Erbkönigtum) einerseits wertend zur Abgrenzung vom jeweils Anderen verwendet, andererseits aber auch neutral vergleichend zur Ermittlung fremder Erwartungshaltungen oder gar zur Betonung von Gemeinsamkeiten rezipiert. Gerade für die deutsch-französischen Konflikte unter Maximilian bietet es sich an, Grenzziehungen über Differenzen zu verstehen, denn letztere verweisen auf Grenzen jenseits von geographischen bzw. Territorialgrenzen, deren Verän­ derungen dann variabel und aus den jeweiligen Handlungszusammenhängen heraus erforschbar werden. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation lässt sich bekanntlich nicht als geschlossenes System mit gemeinsamer Interessenvertretung nach außen bezeichnen.⁵⁵ Vielgestaltige überregionale Verflechtungen erschweren sowohl die Grenzziehungen als auch eine eindeutige Unterscheidung von Innenund Außenpolitik. In den burgundischen Erblanden bleibt Maximilian partiell der „fremde Herrscher“. Die Belehnung mit Mailand soll die französischen Könige zu Vasallen des Reiches machen in einem Gebiet, welches zwar lehnrechtlich dem Reich angehört, nicht jedoch reichsständisch auf dem Reichstag repräsentiert wird.⁵⁶ Ebenso schwer fassbar wie die Grenzen des Reiches sind auch seine nach außen hin wirkenden Akteure. Im Gegensatz zu Frankreich, welches sich seit dem Hundertjährigen Krieg zunehmend monarchisch-zentralistisch verfestigte, konsolidierte sich mit der verfassungsmäßigen Etablierung der Kurfürsten im spätmittelalterlichen Reich das Wahlkönigtum. Utilitaristische, etwa territoriale oder monarchische Interessen sind sowohl für Kaiser als auch (Kur-)Fürsten⁵⁷ zwar nicht von der Hand zu weisen, mitzudenken ist aber immer das zeitgenössische Bild eines Reiches, dessen Kopf der Kaiser und dessen Glieder die Fürsten bilden, die die gemeinsame Reichsverantwortung tragen, wenn sie „umb des heiligen romischen

55 Peter Moraw bezeichnet diese reichstypische innere Differenziertheit als Kohärenzproblem: Die Differenziertheit in königsnahe, königsoffene und königsferne Landschaften führt zu einer ständigen Überforderung des Herrschers mit der Integration des Reichsganzen. Ständisches politi­ sches Verhalten ist unter diesen Gegebenheiten als raumübergreifende Kooperation in Form von Lehnsbindungen und Bündnisssystemen zu verstehen. Moraw, Peter: Organisation von Funktion und Verwaltung im ausgehenden Mittelalter (ca. 1350–1500). In: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Im Auftrag der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e. V. Hrsg. von Kurt G. A. Jeserich [u. a.]. Bd. 1. Stuttgart 1983, S. 21–65. Vgl. zusammenfassend zur Verfassungsentwicklung im späten Mittelalter und mit weiterführender Literatur Krieger, Karl-Friedrich: König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter. München 2 2005 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 14). 56 Siehe S. 142. 57 Speziell zur Stellung und wachsenden Reichsverantwortung der Kurfürsten vgl. Schubert, Ernst: Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975), S. 97–128.

1.1 Forschungsstand | 17

Riches“ [und] „eyns gemeynen nutzes und noitdorrft willen“⁵⁸ handeln. Aus dem einstmals synonym zur Bezeichnung des Herrschers verwendeten Reichsbegriff hat sich bis ins 15. Jahrhundert hinein ein kollektiv geteilter, handlungsleitender Reichsgedanke entwickelt, der auf ein zumindest zeitweise kollektives Akteursin­ teresse schließen lässt, welches sich über den eigenen Machtbereich hinaus auf ein zumindest ansatzweise korporativ abstraktes Reich bezieht.⁵⁹ Einher mit diesem Identitätswandel geht seine verfassungsmäßige Verfestigung in den Institutionen der Reichsreform.⁶⁰ Über diese kulturgeschichtliche Perspektivierung der Verfassungsreform hin­ ausgehend bieten konstruktivistische Denkansätze nun die zusätzliche Möglichkeit, innen- und außenpolitischen Wandel unter der Prämisse eines Identitätswandels funktional zu verknüpfen und Außenbeziehungen in ihrer nach innen und außen wirkenden Dynamik zu beschreiben.⁶¹ Was nun als Innen- oder Außenpolitik aufgefasst werden kann, lässt sich unter Annahme der hier zugrunde liegenden

58 Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel. Dritte Abtheilung. 1397–1400. Bearb. von Julius Weizsäcker. München [ND Göttingen 1956] 1877 (Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe 3), S. 117, Nr. 69. 59 Als Problemaufriss zum Thema Königtum und Königsherrschaft und als erster Forschungs­ überblick bietet sich an: Krieger, Reichsreform, wie Anm. 55. Vertiefend ist immer noch aktuell: Schubert, Ernst: König und Reich. Studien zur mittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschich­ te. Göttingen 1979 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), S. 245–276, zum Reichsbegriff und zur Entwicklung der Formel König und Reich. Zur Entwicklung eines Staatsgedankens S. 276–280. 60 Als Reichsreform wird der von Peter Moraw als eine Entwicklung von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung beschriebene Prozess verstanden, an dessen Ende sich ein in Europa singulärer ständischer Dualismus etablierte: Diese komplexe Verfassungsbewegung wird allgemein als „Reichsreform“ bezeichnet. Gerade die neuere Forschung tritt diesem Begriff kritisch gegenüber. Den Forschungsstand zur Reichsreform sowie eine gute Einführung liefert Krieger, Reichsreform, wie Anm. 55. Immer noch das Standardwerk: Angermeier, Heinz: Die Reichsreform. 1410–1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart. München 1984; Moraw, Offene Verfassung, wie Anm. 2. Anders dazu Lanzinner, der von einem ab 1495 einsetzenden Staats­ bildungsprozess des Reiches ausgeht. Lanzinner, Maximilian: Ein Sicherheitssystem zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Landfriedens- und Sonderbünde im Heiligen Römischen Reich. In: Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation. Hrsg. von Christoph Kampmann u. Ulrich Niggemann. Köln [u. a.] 2013 (Frühneuzeit-Impulse 2), S. 107–108. Neuerdings auch Tischer, Anuschka: Alte Ordnung oder neue Ordnung? Die Reichsreform von 1495. In: Neue Modelle im alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung der Frühen Neuzeit. Hrsg. von ders. [u. a.]. Köln [u. a.] 2013, S. 37–48. 61 Zur Fixierung „nationaler“ Identitäten in Formen symbolischer Kommunikation und deren Reproduktion in grenzübergreifenden Kontakten Thiessen, Hillard von u. Windler, Christian: Einleitung. In: Akteure und Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Hrsg. von dens. Köln [u. a.] 2010 (Externa 1), S. 1–12.

18 | 1 Einleitung

Prämissen nicht im Vorfeld festlegen, sondern kann allenfalls situationsbezogen, akteursabhängig und auf diskursiver Ebene erfasst werden. Der Übergang zwischen den divergenten Herrschaftsgefügen Reich, Frankreich und später Italien soll grund­ sätzlich als fließend und variabel angenommen werden, zumal die Festlegung und Neuordnung von territorialen und (lehns)rechtlichen Konstellationen eben den Friedensverträgen und deren späterer Exekution oblag. In Konfliktfällen ist zwangsläufig ein Schwebezustand anzunehmen, der eine strikte Trennung von innen und außen obsolet macht.

1.2 Methodisches Vorgehen und Quellen Diese theoretischen Grundannahmen sollen als Leitfaden dieser Arbeit stets mitge­ dacht werden und prägen diese in Aufbau und Methode, wenn im Folgenden das Wechselverhältnis vorstaatlicher politischer Ordnungen analysiert werden soll. Anhand der spätmittelalterlichen diplomatischen Kontakte zwischen dem Reich und Frankreich sollen Gestaltung und Überwindung der als variabel anzuneh­ menden Grenzen zwischen den Herrschaftsgefügen⁶² sowie Entwicklungsprozesse der diplomatischen Praxis untersucht werden. Greifbar wird dieser Wandel, und dies ist die methodische Konsequenz der konstruktivistischen Vorüberlegungen, in Texten als Ereignisrepräsentation. Schon Randall Lesaffer hat betont: „Peace treaties are a microcosmic reflection of the law of nations as it exists and is un­ derstood and applied at a given time.“⁶³ Grundlegend ist dabei die Annahme, dass sich vor dem Hintergrund eines Verfassungswandels auch die gegenüber anderen politischen Ordnungen präsentierte Verfassung wandelt und somit in Rechtstexten wie dem Friedensvertrag eine veränderte Repräsentation findet. Rückwirkend ist wiederum die Stabilisierung jener im diplomatischen Kontext artikulierter Strukturen zu hinterfragen. Vor diesen Hintergründen soll es Ziel der Arbeit sein, die (Vertrags-)Text gewordene Schnittstelle von zwei institutio­

62 Vgl. exemplarisch zur Grenzthematik Schneidmüller, Bernd: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200–1500. München 2011; Moeglin, Kaisertum, wie Anm. 3, S. 18–42, 191ff. Bock, Nils [u. a.] (Hrsg.): Faktum und Konstrukt. Politische Grenzziehungen im Mittelalter. Verdichtung – Symbolisierung – Reflexion. Münster 2011 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 35). 63 Lesaffer, Randall: The three peace treaties of 1492–1493. In: Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne. Hrsg. von Heinz Duchhardt u. Martin Peters. Mainz 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1), S. 41–52. url: www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/01--2006.html (besucht am 03. 03. 2017), Abschn. 42.

1.2 Methodisches Vorgehen und Quellen | 19

nell asymmetrisch entwickelten politischen Ordnungsgefügen anhand folgender Fragestellungen zu untersuchen: Was waren die gemeinsamen Standards der spätmittelalterlichen Vertragsdiplomatie zwischen dem Reich und Frankreich und in welchem Wechselverhältnis stand deren Entwicklung zum politischen Wandel in beiden Reichen? Wie und mit welchen Intentionen wurden diese Texte von wem ausgehandelt und implementiert? Wie sind schließlich diese Verträge als Teilaspekt eines sich ausprägenden Völkerrechts – auch vor dem Hintergrund ihres Bruches – als funktional und verbindlich zu bewerten? Wie und inwiefern sind Normen zwischen den Mächten von den Akteuren der Diplomatie überhaupt verhandelbar? Im Fokus der Untersuchung stehen dem Anspruch nach friedensstiftende Verträge, insbesondere Friedens- und Waffenstillstandsverträge sowie deren Prä­ liminarien.⁶⁴ Während der Waffenstillstand eindeutig als „trève“ benannt wird und die zeitweilige Waffenruhe bezeichnet, lassen sich Friedensverträge nicht immer eindeutig definieren oder von Bündnissen, Ehe- und Freundschaftsverträgen abgrenzen. Terminologisch können verschiedene Bezeichnungen wie etwa „paix, union, alliance, amitié“ zusammentreffen,⁶⁵ auch in Verträgen, denen inhaltlich wichtige Elemente eines Friedensvertrages, wie beispielsweise umfassende Amnes­ tiebestimmungen, fehlen.⁶⁶ Ziel der Arbeit soll nicht sein, den Friedensvertrag für das Spätmittelalter zu definieren oder zu kategorisieren. Die Auswahl der Quellen richtet sich hier, gemäß der Fragestellung, nach den diskursiven Kontexten, den beteiligten Akteuren und dem Gehalt der Vertragstexte selbst. Der Arbeit zugrunde liegt damit ein Corpus aus Vertragsurkunden sowie Quellen ihrer diskursiven Produktion. Die synchrone und diachrone Erfassung der Urkunden aus dem Zeitraum von 1478 bis 1510⁶⁷ verschafft eine Übersicht über die

64 Zu Waffenstillständen vgl. Duglaiczyk, Martina: Fälschlich sogenannte Friedensschlüsse – Der Waffenstillstand. In: Der verweigerte Friede. Der Verlust der Friedensbildlichkeit in der Moderne. Hrsg. von Thomas Kater u. Albert Kümmel. Bremen 2003, S. 179–198. 65 Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63; Duchhardt, Heinz: Art. Friedensvertrag. In: Hand­ wörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). Hrsg. von Albrecht Cordes. 2. neubearb./erw. Aufl. Bd. 1. Berlin 2008, Sp. 1821–1824. 66 Vgl. etwa den Vertrag von Frankfurt 1489, der trotzdem als „paix finale, union, intelligence et alliance perpétuelle“ bezeichnet wird, gleichsam aber in seinen Artikeln Bestimmungen zu weiteren Ausgleichsverhandlungen enthält. Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 1488–1490. Bearb. von Ernst Bock. Bd. 3,2. Göttingen 1973 (im Folgenden zit. als RTA MR, 3,2), S. 1138ff, Nr. 292c. Mehr zu diesem Vertrag S. 96. Zur Amnestie Fisch, Krieg und Frieden, wie Anm. 12, S. 74–75. 67 Zudem zeigte sich im Falle des burgundischen Erbkonfliktes, dass Verträge oft über lange Zeiträume rezipiert wurden. Die großen Vertragsschlüsse von Arras 1435 und Troyes 1420 oder auch Abkommen des Flandernkrieges bildeten Verhandlungs- und Diskussionsgrundlagen in Arras 1482

20 | 1 Einleitung

Standards einer konstitutiv wirkenden Vertragssicherung, etablierte Begriffe und Normen.⁶⁸ Der Wandel dieser gemeinsamen Standards wird nunmehr in seiner Prozess­ haftigkeit differenziert dargestellt und anhand der zugrunde liegenden Kommuni­ kationsprozesse erklärt. Insbesondere Gesandtenberichte, Instruktionen, Vertrags­ entwürfe und Korrespondenzen werfen Schlaglichter auf die Verhandlungen selbst, auf Konflikte bei der Textfassung sowie auf die beteiligten Personen und machen nachvollziehbar, wie normativ wirkende Strukturen aktiv und intentional konstru­ iert wurden. Während sich insbesondere für Maximilians Gesandtschaften auch die entsprechenden Instruktionen auffinden lassen, stellen Abschlussrelationen, welche bereits zum festen Repertoire venezianischer Diplomatie gehörten, sowohl für das Reich als auch für Frankreich noch eine Ausnahmeerscheinung dar. Die Relation der Reichsgesandtschaft aus dem Jahr 1500 sowie der ausführliche Bericht des Andrea del Burgo aus dem Jahr 1504 sind als solche besonders in den Blick zu nehmen. In anderen Fällen müssen auch Berichte venezianischer Gesandtschaften ergänzend hinzugezogen werden.⁶⁹ Aus Vertragsverhandlungen und Vertragstexten wird dabei zunächst ersicht­ lich, welche Strukturen von den jeweiligen Akteuren in grenzüberschreitenden Kontakten reproduziert werden. Gleichzeitig geben die Quellen aber auch Auskunft darüber, aus welcher Richtung die Akteure sowie deren Identitäten und Interessen strukturell beeinflusst werden und was ihre Kommunikation determiniert. Für das Reich sind hier die Reichstagsverhandlungen auszuwerten, für Frankreich sind partiell die Generalständeversammlungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind gerade für die Zeit der beginnenden Italienkriege gedruckte Propagandaschriften

und Senlis 1493. Dies macht eine partielle Erweiterung von Corpus und Untersuchungszeitraum erforderlich, bietet aber zugleich die Möglichkeit, Aussagen über eine langfristige Bewertung und Wirksamkeit vormoderner Verträge zu treffen. 68 Seresse, Volker: Zur Praxis und Erforschung politischer Sprachen. In: Die Sprache des Politi­ schen in actu. Hrsg. von Angela De Benedictis [u. a.]. Göttingen 2009 (Schriften zur politischen Kommunikation 1), S. 163–184, 170. 69 Ein Teil der Berichte aus dem Jahr 1495 findet sich als Übersetzung in den Reichstagsakten. Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495. Bearb. von Heinz Angermeier. Bd. 5,2. Göttingen 1981 (im Folgenden zit. als RTA MR, 5,2), Nr. 1881. Ich danke zudem Christina Lutter für die freundliche Bereitstellung von der reproduzierten Relationen vom Juni 1508 und der dispacci. Ein Teil der im Folgenden verwendeten Berichte findet sich in sehr ausführlicher Übersetzung in Böhmer, J. F., Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1499–1501. Bearb. von Hermann Wiesflecker [u. a.]. Bd. 3,2. Köln [u. a.] 1996–1998 (im Folgenden zit. als RI XIV, 3,2), RI XIV, 3,2 und Böhmer, J. F., Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1499–1501, 1502–1504. Bearb. von Hermann Wiesflecker [u. a.]. Bd. 4,1. Köln [u. a.] 2002–2004 (im Folgenden zit. als RI XIV, 4,1).

1.2 Methodisches Vorgehen und Quellen | 21

sowie erste Kriegsbegründungen zu erfassen.⁷⁰ Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang insbesondere Vertragsbrüche und die entsprechen­ den Rechtfertigungsmuster. Defizite einer gemeinsamen Rechtsordnung und das Scheitern gesetzter Normen werden somit erforschbar und eine abschließende Bewertung von Verträgen als Methode des vormodernen Völkerrechts ist möglich. Die damit zusammenhängende Erforschung des Akteurkreises beschränkt sich auf die gut überschaubare Anzahl der wichtigsten, mit umfassender Vollmacht ausgestatteten Funktionsträger und die hier prägenden Kontexte: Einerseits die Teilnahme an vorhergegangenen Vertragsverhandlungen und die damit verbun­ dene Kenntnis der Erwartungshaltung des politischen Gegenübers sowie älterer Vertragstexte als Kommunikation auf „außenpolitischer“ Ebene, andererseits das Verhältnis zu Reformbestrebungen und Institutionen im Reich wie auch konkrete kaiserliche Instruktionen sind in diesem Fall identitäts- und strukturbildend. Im Wechselverhältnis und Spannungsfeld Frankreich – Kaiser – Reich werden hier Im­ pulse für einen Wandel gemeinsamer Standards lokalisiert und es wird ersichtlich, ob und inwiefern außenpolitisch, auf Vertragsebene festgestellte Interferenzen auch Identität nach innen stiften konnten.

70 Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5; Seyboth, Reinhard: Reichstag und politische Propaganda. Die Auseinandersetzungen König Maximilians I. mit König Karl VIII. von Frankreich um die Bretagne im Spiegel zeitgenössischer Medien. In: Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. Hrsg. von Maximilian Lanzinner u. Arno Strohmeyer. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73), S. 239–257.

2 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477 Der Streit um das territoriale Erbe Karls des Kühnen von Burgund wurde zum brisantesten deutsch-französischen Konflikt des ausgehenden Mittelalters. Über Jahre hinweg konkurrierte der Erzherzog von Österreich und spätere römisch-deut­ sche König Maximilian I. mit den französischen Königen, bis 1483 mit Ludwig XI., anschließend mit dessen Nachfolger Karl VIII., um das Erbe des burgundischen Herzogs.⁷¹ Karl der Kühne hinterließ bei seinem Tod am 5. Januar 1477 ein in Ver­ waltung, Gericht und Finanzen weitgehend zentralisiertes Gebilde,⁷² welches von außen betrachtet als burgundischer Einheitsstaat erscheinen konnte, sich aber im Inneren als heterogene Städtelandschaft und damit als potentiell konfliktträchtig beschreiben lässt.⁷³ Die nun folgenden Versuche Ludwigs XI. als Pate der Erbin sein

71 Zu Burgund und dem Verhältnis zwischen Burgund und Reich in Auswahl: Kamp, Hermann: Burgund. Geschichte und Kultur. München 2007; Noflatscher, Heinz: Von Maximilian zu Karl V. Der Fall „Burgund-Österreich“. In: La cour de Bourgogne et l’Europe. Le rayonnement et les limites d’un modèle culturel. Hrsg. von Werner Paravicini. Ostfildern 2013, S. 721–743; Müller, Heribert [u. a.] (Hrsg.): Frankreich, Burgund und das Reich im späten Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze. Tübingen 2011 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 56); Pfaffenbichler, Matthias: Maximilian und Burgund. In: Der Aufstieg eines Kaisers. Maximilian I. von seiner Geburt bis zur Alleinherrschaft 1459–1493. Wiener Neustadt 2000, S. 49–63; Blockmans, Willem Pieter: Maximilian und die burgundischen Niederlande. In: Kaiser Maximilian I. Bewahrer und Reformer. Hrsg. von Georg Schmidt von Rhein. Ramstein 2002, S. 51–68; Weiss, Sabine: Die Habsburger und das burgundische Erbe. Österreichs Aufbruch nach Europa. In: Europäische Dimensionen österreichischer Geschichte. Hrsg. von Ernst Bruckmüller. Wien 2002 (Schriften des Instituts für Österreichkunde 65), S. 8–49; Neubauer, Hansgeorg: Die burgundische Frage vom Tod Karls des Kühnen bis zum Frieden von Senlis (6. Januar 1477 bis 23. Mai 1493). Ein Beitrag zur Geschichte des deutsch-französischen Gegensatzes. Diss. Erlangen 1929. Landlau/Pfalz 1930; Bock, Dieter: Maximilian als Herzog der Niederlande (1477–1493). Diss. phil. masch. Graz 1970. Künftig Seggern, Harm von: Geschichte der Burgundischen Niederlande. Stuttgart [vorauss.] 2014. 72 Vgl. exemplarisch zu Karl dem Kühnen Dubois, Henri: Charles le Téméraire. Paris 2014; den Sammelband Oschema, Klaus u. Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft. Zürich 2010; Ehm, Petra: Burgund und das Reich. Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls des Kühnen (1465–1477). München 2002. Zur institutionellen Organisation und Entwicklung vgl. Schnerb, Bertrand: L’État bourguignon 1363–1477. Paris 1999, S. 228–262; Cauchies, Jean-Marie: Un état inventeur de formes d’organisation? In: La cour de Bourgogne et l’Europe. Le rayonnement et les limites d’un modèle culturel. Actes du colloque international tenu à Paris les 9, 10 et 11 octobre 2007. Hrsg. von Werner Paravicini. Ostfildern 2013 (Beihefte der Francia 73), S. 109–116. 73 Schnerb, L’ État bourguignon, wie Anm. 72, S. 364–406. Vgl. als allgemeinen ereignisgeschicht­ lichen Abriss: Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der DOI 10.1515/9783110493115-002

2 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477

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Kronlehen zurückzuerobern⁷⁴ bauten bald einen stetigen Druck auf den ehemaligen Herrschaftsbereich Karls auf, dessen Stände nach dem Ende der tyrannischen Herrschaft des Burgunder Herzogs zwar seine Tochter als Herzogin anerkannten, zugleich jedoch nach einer Wiederherstellung des ursprünglichen provinziellen Partikularismus strebten, der ihnen auf der Generalständeversammlung am 11. Februar 1477 in Form des Großen Privilegs von Maria bestätigt wurde. Das hier­ mit unter anderem bewilligte Selbstversammlungsrecht der Stände ermöglichte zugleich die Schaffung einer Kontrollinstanz gegenüber der Landesherrin⁷⁵ und dem späteren Landesherrn Maximilian, der in den folgenden Jahren immer wieder mit Aufständen der niederländischen Stände zu kämpfen hatte. Nach dem frühen Tod der natürlichen Erbherrin verlangten diese die Regentschaft⁷⁶ im Sinne einer Vormundschaft über den Erbprinzen Philipp und drängten Maximilian schließlich 1482 zum Friedensschluss mit Frankreich. Zum grundlegenden Verständnis dieses Friedensschlusses bedarf es einer Rückschau auf den Rechtsdiskurs, der unmittelbar nach dem Tod Karls des Kühnen zwischen dem französischen König und dem Herzogspaar einsetzte und neben den kriegerischen Auseinandersetzungen das faktenbasierte Rüstzeug für die Besitzan­ sprüche beider Parteien darstellte. Wie zu zeigen ist, zielte der Rechtsdiskurs zwar auf die Regelung des aktuellen Erbkonfliktes, gleichzeitig stellte er aber auch ein Konglomerat zeitgenössischer Herrschafts- und Rechtsvorstellungen dar, die bereits zur Zeit des Hundertjährigen Krieges argumentative Anwendung fanden oder im

Wende zur Neuzeit. 5 Bde. Wien u. München 1971–1986, Bd. 1, S. 113ff Speziell zu den Integrations­ versuchen Maximilians in Burgund Prietzel, Malte: Imitation, Inspiration und Desinteresse. Die Auseinandersetzung Maximilians I. mit den politischen Traditionen Burgunds. In: „Das kommt mir spanisch vor“. Eigenes und Fremdes in den deutsch-spanischen Beziehungen des späten Mittelalters. Hrsg. von Klaus Herbers u. Nikolas Jaspert. Münster 2004 (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 1), S. 87–106. 74 Vgl. dazu und zur Vorgeschichte allgemein: Paravicini, Werner: Einen neuen Staat verhindern. Frankreich und Burgund im 15. Jahrhundert. In: Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft. Hrsg. von Klaus Oschema u. Rainer Christoph Schwinges. Zürich 2010, S. 23–40. 75 Lademacher, Horst: Die burgundisch-habsburgischen Niederlande. Bemerkungen über Ferment und Impulse zur Konfliktlage einer Landschaft im Nordwesten Europas. In: Der europäische Nordwesten. Historische Prägungen und Beziehungen. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Nicole Eversdijk [u. a.]. Münster [u. a.] 2001, S. 14–15. 76 Entgegen dem Testament Marias von Burgund, die Maximilian die Regentschaft bis zu Volljäh­ rigkeit ihrer Kinder überträgt sowie deren Vormundschaft. Dazu Spieß, Karl-Heinz: Unterwegs in ein fremdes Land. „Internationale“ Heiraten im Mittelalter. In: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Hrsg. von Michel Pauly. Luxemburg 2013 (Publications du CLUDEM 38), S. 19–21.

24 | 2 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477

Zuge dieses Konfliktes entstanden. Aus diesem Fundus französisch-burgundischer Geschichte schöpften nun die Gelehrten und Juristen und schufen damit die Grund­ lage für zukünftige vertragliche Fixierungen ausgehandelter Rechtsansprüche. Diskutiert werden hier plurale Rechtsvorstellungen und Gewohnheiten, welche eben auch die Kerngedanken späterer Vertragsschlüsse ausmachen. Die Urheber der entsprechenden Texte werden auch als Akteure des späteren Vertragsschlusses von Arras 1482 auftreten und diesen entsprechend inhaltlich prägen: Jean d’Auffay,⁷⁷ ehemaliger Jurist des Parlaments von Mechelen sowie Berater und maître des requêtes Marias und Maximilians, verfasste zwischen 1477 und 1479 ein Traktat zur Klärung der burgundischen Erbschaftsansprüche,⁷⁸ dessen Argumentationen die Diskussionsgrundlage der folgenden Jahre bis zur vorläufigen Konfliktbeilegung in Arras lieferten. Auch zwischenzeitliche Friedensschlüsse, wie der Waffenstillstand 1480, basieren auf den Ausführungen d’Auffays, wie die entsprechenden Verhandlungsinstruktionen Marias belegen.⁷⁹ Auch die opponierende Partei, in diesem Fall der französischen König, war an der argumentativen Aufarbeitung des Erbfalles Burgund interessiert, die von Lud­ wig seit 1478 veranlasst worden war und deren schriftliche Ergebnisse als Gegenpol zu d’Auffays Ausführungen zu lesen sind.⁸⁰ Nachdem mit Maximilian ein Waffen­ stillstand über ein Jahr geschlossen worden war (11. Juli 1478), beauftragte Louis das parlement de Paris entsprechendes Material zur juristischen Absicherung der könig­ lichen Rechte für die weiteren Verhandlungen zusammenzustellen. Insbesondere relevante Registereinträge des „parlement“, der „chambre des comptes“ und des

77 Als einzige neuere Studie dazu: Daly, Kathleen: Jean d’Auffay. Culture historique et polémique à la cour de Bourgogne. In: Le Moyen Age 12/3–4 (2006), S. 603–618; Daly, Kathleen: French pretensions to Valois Burgundy history and polemic in the fifteenth and early sixteenth centuries. In: Marguerite de York et son temps. Rencontres de Malines (25 au 27 septembres 2003). Hrsg. von Jean-Marie Cauchies. Neuchâtel 2004 (Publication du Centre Européen d’Études Bourguignonnes 44), S. 9–22. Vgl. auch Hennebert, Fr.: Art. Jean D’Auffay. In: Biographie nationale de Belgique 1 (1948), S. 471–473. 78 Im Folgenden wird sich auf das Original bezogen, Bibliothèque nationale de France, BNF, MS fr. 18730. Der Druck von Leibnitz, Gottfried Wilhelm Frhr. von (Hrsg.): Mantissa codicus juris gentium diplomatici. Bd. 2. Hannover 1700, S. 1–63 entspricht nicht den Ansprüchen einer modernen Edition. Eine solche wird zur Zeit von Kathleen Daly vorbereitet. 79 Archives départementales du Nord, ADN, B 343, 18284. 80 In Lille befindet sich eine Serie von Dokumenten, die um das Jahr 1478 auf Anweisung von königlichen Kommissaren zusammengestellt wurde. ADN, 9B, 241. Daly vermutet, dass es sich bei d’Auffays Traktat um eine Antwort auf die darunter befindlichen Memoiren des Jean Jaquelin handelt, dessen Dossier in Lille gemeinsam mit einer Version des Textes von Jean d’Auffay archiviert wird. ADN, 9B. Genauer dazu Daly, Jean d’Auffay, wie Anm. 77, S. 605ff.

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay |

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„trésor des chartes“⁸¹ sollten in Abschrift als Grundlage für weitere Verhandlungen dienen. Es wird zu zeigen sein, dass speziell die Verträgen von Arras (1435), Conflans (1465) und Péronne (1468) als zentrale Festschreibungen burgundischer Rechte eine wichtige Rolle in königlicher und burgundischer Beweisführung spielten. Mit dem französischen Kanzler Pierre d’Oriole wurde dazu ein erfahrener Akteur auf den Plan gerufen, der bereits zur Zeit Karls des Kühnen als Protagonist französisch-burgundischer Vertragsschlüsse agiert hatte. Im aktuellen Fall des Erbkonfliktes steuerte er nun eine Abhandlung zur Negierung burgundischer Ansprüche bei. Ein weiteres Kernstück anti-burgundischer Agitation liefert das Mémoire des erfahrenen Kanzlers Guillaume Cousinot de Montreuil, welches sich alte Argumen­ tationen aus den englisch-französischen Thronstreitigkeiten zu eigen machte.⁸² Bereits während des englisch-französischen Konfliktes war Cousinot als Schlüsselfi­ gur in der Verteidigung französischer Thronansprüche tätig und wurde beschrieben als „l’agent principal des relations diplomatiques qui eurent lieu, pendant le cours des trêves, entre la France et l’Angleterre.“⁸³ Craig Taylor macht die Vermutung stark, dass es sich bei Cousinot um den Verfasser des berühmten „Pour ce que plusieurs“ von 1464 handelt, welches in Rhetorik und Struktur dem Mémoire ähnelt und als zentrales Thema die weibliche Sukzession diskutiert. In mehr als zwanzig Handschriften wurde diese berühmte Polemik gegen den englischen Rivalen verbreitet und diente so auch inhaltlich als Grundlage für die erneuten Herrschaftskonflikte in Burgund.⁸⁴

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay D’Auffay stützt seine schriftliche Beweisführung auf eine Kompilation aus ar­ chivarischen Quellen, Gesetzestexten und Chroniken und greift dabei auf die institutionelle Infrastruktur Burgunds als Informationspool zurück.⁸⁵

81 Vaesen, Joseph u. Charavay, Etienne (Hrsg.): Lettres de Louis XI roi de France, publiés d’après les originaux pour la société de l’histoire de France. 12 Bde. Paris 1883–1909, Bd. 7, S. 112ff. 82 Daly, French pretensions to Valois Burgundy, wie Anm. 77, S. 15. 83 De Viriville, Auguste Vallet (Hrsg.): Chronique de la Pucelle, ou Chronique des Cousinot, suivie de la Chronique Normandie de P. Cochon, relatives aux règnes de Chrales VI et Chrales VII. Paris 1859, S. 25; Taylor, Craig David (Hrsg.): Debating the Hundred Years War. Pour ce que plusieurs (la loy salicque) and a Declaracion of the trew and dewe title of Henry VIII. London 2006 (Camden fifth series 29), S. 8. 84 Taylor, Debating the Hundred Years War, wie Anm. 83, S. 1–11. 85 Dazu genauer Daly, Jean d’Auffay, wie Anm. 77, S. 603–609.

26 | 2 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477

Jay peu entendre et retenir des actions, discordz et querelles qui sont entre le roy et mesdicts sieur et dame. Et ce que par longue et laborieuse investigacion et inquisicion de verité tant par lettres, anchiens registres et autres ensseignemens que ez chartes des contes, des eglizes et vielles de païs et contes de Flandres et Arthoys, et aussy par vraye cronique tenue et reputtee par les gens du roy j’en ai trouvé au vray . . . .⁸⁶

2.1.1 Sukzession der princesse naturelle Kernpunkt seiner nun folgenden Argumentationen ist der Nachweis der rechtlichen Legitimität weiblicher Erbfolge und insbesondere der Beleg, dass die umstrittenen Länder Maria von Burgund zustünden und zwar „corporelle, naturelle et civile“.⁸⁷ Der Status der „princesse naturelle“ war Maria bereits von einigen Mitgliedern ihrer Länder in Briefen bestätigt worden⁸⁸ und reihte sie damit in die auf Philipp den Kühnen zurückführende Genealogie ein. Dessen Belehnung des Jahres 1363 wurde als Grundlage sämtlicher männlicher und vor allem weiblicher Erbansprüche bezüglich Burgunds interpretiert.⁸⁹ Die Bezeichnung der princesse naturelle erlaubt neben der genealogischen Absicherung auch den Seitenblick auf das französische Königtum. In Krisenzeiten 1328 war dem Franzosen gegenüber dem englischen Plantagenêt der Vorteil eingeräumt worden, er sei naturel. Als naturel seigneur verstand sich der Herrscher seitdem als rechtmäßiger Erbe aus ein und derselben legitimen (französischen) Linie. Es war ein Konzept der Abgrenzung geschaffen worden, welches die Herrschaft eines fremden Königs als chose desnaturelle aus­ schloss.⁹⁰ Es ist naheliegend, dass d’Auffay mit seiner Begriffswahl auf dieses Konzept abzielte, da seine Argumentation an späterer Stelle auf eine gänzliche Abkopplung Burgunds von Frankreich zielen sollte. Neben der Hervorhebung einer genealogisch legitimen Erbfolge von Frauen, diente ihm das Konzept der princesse naturelle damit als argumentativer Gegenentwurf der Apanageregelung.

86 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 1r. 87 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 2v. 88 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 2v. 89 Münch, Ernst Hermann Joseph von (Hrsg.): Die Fürstinnen des Hauses Burgund-Österreich in den Niederlanden. Aus Quellen. Bd. 1. Leipzig 1832, S. 102ff. 90 Krynen, Jacques: L’empire du roi. Idées et croyances politiques en France XIIIe -XVe siècle. Paris 1993 (Bibliothèque des histoires), S. 331–332. Krynen stützt sich hier auf die ideengeschichtlichen Grundlagen von Nicolas Oresme. Margue, Michel: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender Perspektive. In: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Hrsg. von Michel Pauly. Luxemburg 2013 (Publications du CLUDEM 38), S. 27–44, 28ff.

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay |

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Maßgeblich in der pro-burgundischen Argumentation war daher der Beweis möglicher weiblicher Sukzession entlang einer Reihe von Präzedenzfällen. Bei­ spielsweise legten „lettres“ über die gültige Erbschaft der Johanna von Burgund Zeugnis ab, die nach Meinung der Gelehrten sowohl nach dem „droit commun“ als auch dem „coustume du royaume de France“ volle Gültigkeit hätten. Als di­ rekte Nachfolgerin aus der Linie Philipps des Kühnen galt Maria als genealogisch abgesichert und trat das Erbe der Schenkung König Johanns aus dem Jahre 1362 an, das sich ausdrücklich an männliche und weibliche Erben aus der Linie seines Sohnes Philipps richtete und somit nicht als Apanage, sondern als vollgültiges Lehen vergeben worden war. Es hat somit nie eine Veräußerung Burgunds an fremde Erben stattgefunden, das Land sei, so also der Argumentationsschluss d’Auffays, von Natur aus („de sa nature“) übertragbar an Frauen und Männer. Damit wurde dem Naturrecht ein Vorrang gegenüber dem Salischen Recht eingeräumt. Auch wenn das Lehnrecht das Gegenteil behaupten möge, das „droit commun“ missbillige die Unterscheidung der Geschlechter, so d’Auffay.⁹¹ Die strittige Vorstellung der Apanage entschärfte d’Auffay weiter, indem er ihrer Anwendbarkeit einen expliziten Ausschluss weiblicher Erbfolge voraussetzte, die Apanageregelung also nicht greifen könne, „si par expres les dictes femelles non estoient pas excluses“.⁹² Untermauert werden konnte diese Aussage mittels prominenter Beispiele weiblicher Nachfolge aus Monstrelets Chronique de France und Froissarts Chronique sowie durch ein Parlamentsurteil des bretonischen Erbfol­ gekrieges im umstrittenen Erbschaftsfall um das Herzogtum Bretagne: Das Gericht entschied damals zu Gunsten des Karl von Blois, dem die Herzogswürde über seine Ehe mit Johanna von Dreux zufiel. Diese Tatsache, so nun die Schlussfolgerung d’Auffays, „clairement conclud et demonstré que la dicte cour de parlement tenuit pour vray et certain que la dicte duché pouvoir succeder sur femme“.⁹³ D‘Auffays Beweisführung zur Thematik weiblicher Sukzession umfasste aber nicht nur große Zeiträume, sondern wies unter Hinzuziehung von Fällen weiblicher Nachfolge aus Gebieten jenseits des Rheins, wo eigentlich das Salische Recht hätte gelten müssen, welches in Frankreich lediglich königlicher Willkür unterlag, auch über räumliche Grenzen hinaus. Bewusst wurden die englisch-französischen Streitigkeiten ausgeklammert und damit der Erbfolgestreit, der die lex salica und den Ausschluss weiblicher Erbfolge erstmals zur Anwendung gebracht hatte.⁹⁴

91 „. . . le droit commune reprouve la difference du sexe . . . “. (l. Maximum virtium. C. De liber. Praet. Vel ex haer.) BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 19r. ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 10. 92 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 22v. 93 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 25v. 94 Giesey, Ralph E.: Le rôle mèconnu de la loi Salique. La sucession royale XIVe –XVIe siècles. Paris 2007, S. 27–43; Poly, Jean-Pierre: Le premier roi des Francs. La loi salique et le pouvoir royal à

28 | 2 Tradition – Rezeption: Die burgundische Erbschaftsfrage im Rechtsdiskurs ab 1477 2.1.2 Parlamentsbeschlüsse als Grenzdefinition Die Argumentationen d’Auffays zielen immer auch darauf ab, Burgund außerhalb des französischen Königreiches zu verorten. Es handle sich bei den umstrittenen Ländern somit nicht um Krongut, welches als Apanage zurückgegeben werden müsse.⁹⁵ Durch die Saône wurde das Krongut zunächst räumlich bzw. geographisch begrenzt und dann als Verwaltungsraum definiert, der durch den Fluss in einen französischen und einen burgundischen Zuständigkeitsbereich einzuteilen war. Als bekanntestes Beispiel dazu wurde Flandern angeführt, welches als französisches Lehen zum Großteil außerhalb von französischer Zuständigkeit und Souveränität lag und nach dem Vertrag von Péronne einen eigenen Rechtsraum darstellte.⁹⁶ Die Saône-Grenze des französischen Rechtsraumes machte d’Auffay mithilfe eines Parlamentsurteils sichtbar. Dieses war aus Paris an den Herzog von Burgund zurückdelegiert worden mit der Begründung, dass die Pariser Juristen keine Urteile über Sachverhalte außerhalb des Königreiches fällen könnten.⁹⁷ Wie das Beispiel zeigt, dienten Parlamentsbeschlüsse und die damit mögli­ che Definition von Rechtsräumen d’Auffay als wichtige Quelle zur Stützung und rechtlichen Legitimation burgundischer Interessen und wurden auch als Verhand­ lungsgrundlage in spätere Instruktionen Marias⁹⁸ miteinbezogen: So stünde Maria die Grafschaft Artois zu, die einst mangels direkter männlicher Nachkommen Mathilde, der Tochter des verstorbenen Grafen Robert, via Parlamentsurteil zu­ gesprochen worden war. Auch wenn die Leute des Königs nun diesen Beschluss anzweifelten, so wäre es doch unmöglich, dass ein Parlamentsurteil gegen die Rechte des Königreiches gefällt worden wäre, zumal der König dabei anwesend war. Hätte also das Apanage-Recht im Fall der Artois gegolten, wäre das Erbe anstelle von Mathilde Robert von Artois als nächstem männlichen Erben zugesprochen la fin de l’Empire. In: Auctoritas. Mélanges offerts à Olivier Guillot. Hrsg. von Giles Constable u. Michel Rouche. Paris 2006 (Cultures et civilisations médiévales), S. 97–128; Viennot, Eliane: La France, les femmes et le pouvoir. Bd. 1: L’invention de la loi salique. Ve –XVIe siècle. Paris 2006. 95 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 11. Generell bezweifelte d’Auffay den zwingenden Rückfall einer Apanage an die Krone. 96 Tatsächlich war es Karl dem Kühnen mit diesem Vertrag gelungen, die Macht des parlement de Paris einzudämmen und Flandern aus dem königlichen Zuständigkeitsbereich herauszulösen. Diese vertragliche Forderung gipfelte schließlich in der Einrichtung des Parlaments von Mechelen 1473, einem institutionalisierten Höhepunkt burgundischer Souveränitätsbestrebungen. Dauchy, Serge (Hrsg.): Recueil de l’ancienne jurisprudence de la Belgique. Les arrêts et jugés du Parlement de Paris sur appels flamands conservés dans les registres du Parlement. Bd. 3: Introduction historique aux appels flamands au Parlement de Paris (1320–1521). Brüssel 2002, S. 476–481, S. 37, 56. 97 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 32. 98 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 6v. ADN, B 343, 17732, fol. 3r.

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay |

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worden, so der Beweisgang. Die von d’Auffay kritisierte Auslegbarkeit von Recht tritt hier deutlich zu Tage, da in dem geschilderten Fall offensichtlich königliche In­ teressen einer Apanageregelung vorgezogen worden waren.⁹⁹ Auch im Nachhinein habe keine Aufhebung des Urteils über die Artois stattgefunden, was zahlreiche Privilegien späterer Könige beweisen. Mittels dieser Schriftstücke konstruierte d’Auffay eine rechtliche Kontinuität über 165 Jahre, der zufolge sich die Ansprüche Marias im Artois nicht verleugnen ließen.¹⁰⁰ Deutlich wird, welche argumentative Relevanz dem Rückgriff auf vergan­ gene Rechtsakte im Streitfall um die burgundische Erbschaft zukam. Als besonders ertragreich sollten sich folglich Vertragstexte erweisen, in denen Rechtsansprüche nach Konfliktfällen geregelt und festgeschrieben worden waren.

2.1.3 Verträge als Begründungsstrategie Getragen wird d’Auffays Text neben Privilegien und Parlamentsurteilen durch ein Gerüst von Verträgen und Waffenstillständen, denen eine besondere argumentative Bedeutung zugemessen wird. Dabei wird offensichtlich, inwiefern systematisch mit Texten, insbesondere Vertragstexten gearbeitet worden war und welcher Wert der Quelle von den Zeitgenossen in juristischen Kontexten zugesprochen wurde. Die archivierten Schriftstücke dienten als Wissensspeicher und rechtlicher Status quo, auf den sich im Zweifelsfall berufen werden konnte.¹⁰¹ So verwies d’Auffay direkt zu Beginn seines Traktates auf den Waffenstillstand über neun Jahre (13. Sept. 1475), der zwischen König Ludwig XI. und Karl dem Kühnen geschlossen und beschworen worden war und dessen Geltung sich auch auf die Erben und Nachfolger übertragen sollte, „comme le texte de la dicte treve le porte“.¹⁰² Von Seiten des Königs war dieser Vertrag als gebrochen deklariert worden: Kriegerisch sei Karl der Kühne in der Schweiz vorgegangen, obwohl der Herzog von Lothringen auf Seiten des Königs in den Vertrag eingebunden war. D’Auffay verweist an dieser Stelle auf die vertragliche Regelung zum Umgang mit Verstößen und Friedensbrechern, die allerdings im Falle Karls des Kühnen nicht anwendbar

99 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 23vff. 100 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 23vff. 101 Vgl. dazu Teuscher, Simon: Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftlichung und Traditi­ onsbildung im Spätmittelalter. Frankfurt/M. 2007 (Campus Historische Studien 44), S. 256–270. 102 Druck: Du Mont, Jean (Hrsg.): Corps universel diplomatique du droit des gens, contenant un recueuil des traitez d’alliance, de paix, de trêve . . . depuis le Regne de l’Empereur Charlemagne jusques à présent. 13 Bde. Amsterdam [u. a.] 1726–1731 (im Folgenden zit. als Du Mont, Corps universel), Bd. 3,1, S. 508–509; BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 4r.

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wären. Dieser habe entgegen der königlichen Behauptung nicht vertragswidrig gehandelt, da ihm das Recht auf Kriegsführung mit der Eidgenossenschaft durch königliche „lettres“ eigens zugebilligt worden war. Auch das kritisierte Vorgehen Karls in Savoyen sei gerechtfertigt, umfasse der Vertragstext doch nur den Herzog von Savoyen, nicht jedoch seine Frau oder das Haus Savoyen, welche Alliierte von Seiten Karls seien. Ein Vertragsbruch sei wenn, dann nur dem König selbst zur Last zu legen, da dieser, anders als im Vertragstext festgehalten, die Frist zur Deklaration an den Herzog von Savoyen hatte verstreichen lassen, sich somit nicht an die formalen Voraussetzungen der Abmachung gehalten hatte.¹⁰³ Die weitere Geltung des Waffenstillstandes voraussetzend, sei nun auch die Erbin Maria in diesen mit einbezogen, ebenso souverän wie ihr Vater und damit berechtigt, Burgund als Lehen zu übernehmen. Auf dieses Recht und die allgemeine Gewohnheit in Frankreich berief sich auch Maria in einer Instruktion des Jahres 1480. Ausgestellt worden war das Schriftstück als Leitfaden für Friedensverhand­ lungen mit dem französischen König. Unter den Gesandten Marias befanden sich auch Jean d’Auffay sowie Guy Rochefort. Beide werden als diplomatische Prot­ agonisten in den folgenden Jahren häufiger auftreten.¹⁰⁴ Es ist naheliegend, dass die Argumentation der Instruktion auf den juristischen Ausführungen d’Auffays basiert, der diese später als Gesandter auch persönlich vertrat. Stärker als noch das Mémoire d’Auffays, machte die Instruktion Marias den königlichen Vertragsbruch zum tragenden Argument. Unmittelbar nach dem Tod Karls des Kühnen habe dieser gegen den Waffenstillstand verstoßen und die Länder der rechtmäßigen Erbin besetzt, deren sofortige Rückgabe nun eingefordert werden sollte.¹⁰⁵ Wie es für Instruktionen üblich war, berücksichtigten ihre Anweisungen auch die Position des Verhandlungsgegners sowie die passenden Gegenargumente: Falls die Unterhändler des Königs einwerfen sollten, der König könne als Souverän nicht der Spolierung seiner Untertanen bezichtigt werden, sei darauf hingewiesen, dass der Vertrag nicht zwischen Herrscher und Untertanen, sondern zwischen zwei Fürsten („princes“) geschlossen worden war, da Karl und seinen Erben für

103 Vgl. exemplarisch zu den Burgunderkriegen: Walter, Bastian: Informationen, Wissen und Macht. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik. Bern, Straßburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege (1468–1477). Stuttgart 2012 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschafts­ geschichte. Beiheft 218); Sieber-Lehmann, Claudius: Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 116). 104 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79. Rochefort wechselte später die Seite zu Ludwig XI. und stellte seitdem eine Verbindungslinie zwischen Paris und der burgundisch-flandrischen Kultur her. McNeil, David Ogden: Guillaume Budé and humanism in the reign of Francis I. Stanford 1972, S. 13. 105 „. . . contrevenant directement a ladicte trêve . . . “. ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 2ff.

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay | 31

die Vertragslaufzeit volle Souveränität über ihre Länder zustehe.¹⁰⁶ Der Vertrag diente hier als Souveränitätsbeweis Karls des Kühnen, stellte dabei aber weniger ein Novum als den zitierfähigen, schriftlichen Endpunkt vorheriger Entwicklungen dar. Bereits bei seinem Regierungsantritt hatte Karl dem König die Anrede „mon souverain seigneur“ verweigert und seit 1474 war in Mechelen ein eigenes souverä­ nes Parlement errichtet worden, womit die Loslösung der burgundischen Länder aus dem Rechtsraum des parlement de Paris weiter begünstigt wurde.¹⁰⁷ Grenzen königlicher Souveränitätsabtretung waren jedoch schon früher, im Vertrag von Arras (1435), ausgelotet worden, dessen Vereinbarungen auch 50 Jahre später noch neben den Verträgen von Conflans (1465) und Péronne (1468) zur Sicherung von Marias Besitzungen angeführt werden sollten.¹⁰⁸ Das Abkommen des Jahres 1435, dessen Einhaltung eigens kirchlicher Zensur unterstellt worden war, wurde jetzt als sehr gerecht und heilig hervorgehoben.¹⁰⁹ D’Auffay schließt unter Heranziehung des Vertragstextes,¹¹⁰ dass Philipp der Gute erstens und generell das Recht auf die Boulogne hatte, zweitens am Tag des Vertragsschlusses im Besitz der Grafschaft war und drittens der Rechtsstatus des Vertrages von Arras bis zu seiner juristischen Aushebelung Bestand habe, da von einer Rückgabe im Vertragstext nicht die Rede sei:¹¹¹ Item et faict bien a notter que le dict traictie d’Arras use de ces motz: et apres demeurera et sera icelle comté . . . . Et n’use point de ce mot, retournera, qui en effect n’estoit que reserver le droict et action de la propieté à ceux qui droict y pretendoient.¹¹²

Maria sei nun Nachfolgerin dieser Rechte. Nicht beachtet wurde an dieser Stelle, dass die Grafschaft laut Vertragstext zwar Philipp zugesprochen worden war,

106 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 4–5. 107 Paravicini, Staat verhindern, wie Anm. 74, S. 30ff. 108 Auch Maximilian beruft sich in den folgenden Jahren zur Verteidigung seines Erbes explizit auf diese Verträge: „Le droit peut estre congnea“ [sic!] „par le texte desdits traictez par exprez . . . “ Tiroler Landesarchiv, TLA, Max IVa 168, fol. 26. 109 Du Mont, Corps universel, Bd. 2,2, S. 314, § 30. 110 „Item et pour ce que mondit sieur ledit duc Philippe pretend avoir droict en la comte de Boulogne sur la Mer, laquelle il tient et possede, et pour bien de paix, icelle comte de Boulogne sera et demeura a mon dict sieur de Bourgogne et en jouira en tous proffitz et emoluementz par luy et ses enfans et hoirs masles procreez de son corps seulement. Et apres ce, sera et demeura icelle comté à ceux qui droict y ont ou aurant. Et sera tenu le roy d’appaiser et contenter les dictes parties pretendans avoir droict en icelle comté tellement qu’en cependant ilz ne demandent ny querellent riens et n’enface aucune poursuite a l’encontre de monsieur le duc de Bourgogne et ses enfans masles.“ BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 49vf. 111 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 50r. 112 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 50r.

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als Erbschaft jedoch auf nur eine weitere männliche Generation begrenzt war.¹¹³ Die Argumentation richtete sich hier grundlegend gegen den Vorwurf, Philipp der Gute habe sich unrechtmäßig und mit Gewalt der Boulogne bemächtigt, der durch den Vertrag entsprechend aufgehoben werden konnte. Durch die bestätigte Rechtmäßigkeit der Besitzansprüche sei, so zumindest d’Auffays Beweisgang, die Beschränkung des Erbrechtes hinfällig. Generell veranschaulicht der Vertrag von Arras die flexible Handhabung von Erbrecht und damit die Staffelung königlicher Souveränitäts- und Gebietsverluste. Die von Burgund besetzten Gebiete wurden zwar abgetreten, blieben jedoch abhängig von der königlichen Oberhoheit, z. B. bezüglich der Steuereinnahmen und der Einsetzung von Beamten und waren weiterhin dem Ressort des parlement de Paris unterstellt. Auch blieb ihre Abtretung auf Generationen beschränkt und sah nur im Einzelfall die Möglichkeit weiblicher Nachfolge vor. Deutlich wird hier die Spekulation auf einen späteren Rückfall der Lehen an die Krone.¹¹⁴ In Antithese zum Vertrag von Arras greift d’Auffay auch auf Verträge zurück, die sich weder als Leitfaden burgundischer Argumentation eigneten noch als gerecht und richtig bewertet wurden. In der Zeit der französisch-flandrischen Kriege sei 1305 ein schlechter Vertrag („mauvais traicte“)¹¹⁵ zur Verpfändung der Orte Lille, Douai und Béthune an die französische Krone geschlossen worden. Als Grundlage aller weiteren Verträge übertrage sich die Ungültigkeit eines unter Zwang geschlossenen Abkommens, „qui est la naissance et origine de tous les aultres traicties ensuivans“¹¹⁶, auch auf die folgenden Übereinkünfte. Erst unter Karl V. wurden die Länder an Flandern zurückgegeben¹¹⁷ und Karl VI. verzichtete schließlich auf seine dortigen Ansprüche,¹¹⁸ was von der Seite Ludwigs XI. auf dessen Geisteskrankheit zurückgeführt wurde. Schließlich sei von diesem Herrscher

113 Vgl. Du Mont, Corps universel, Bd. 2,2, S. 313, § 25. 114 Paravicini, Staat verhindern, wie Anm. 74, 26ff; Du Mont, Corps universel, Bd. 2,2, S. 309ff. 115 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 56r. 116 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 65r. Zur Hinfälligkeit von unter Zwang geschlossenen Verträgen Nussbaum, Arthur: Forms and observance of treaties in the Middle Ages and the early Sixteenth Century. In: Law and politics in the world community. Essays on Hans Kelsen’s pure theory and related issues in international law. Hrsg. von George Arthur Lipsky. Berkeley 1953, S. 194. 117 Zu Flandern vgl. BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 53v–65v. 118 Brun-Lavainne, Elie: Les sept siéges de Lille contenant les relations de ces siéges, appuyées des chartes, traites, capitulations et de tous les documents historiques que s’y rattachent avec trois plans aux époques de 1667, 1708 et 1792. Paris 1838, S. 200. Auch wenn offensichtlich eine Abschrift des königlichen Verzichtes vorhanden ist, bleibt die Originalität des Vertrages von Troyes (6. Mai 1420) ungesichert. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem folgenschweren Vertrag von Troyes vom 20. Mai 1420.

2.1 Das Mémoire des Jean d’Auffay |

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auch der Vertrag von Troyes geschlossen worden, der bekanntlich die französische Krone an England veräußert hatte. Des Weiteren mangele es auch an Formalitäten, da die Rückgabeurkunden nicht wie üblich und notwendig registriert oder verifiziert worden seien. Im Interesse der burgundischen Partei lag nun die Vertretung der Gegen­ position und vor allem die Kompensation fehlender schriftlicher Beweise: Die Nähe zwischen dem König und Herzog Philipp dem Guten ersetze möglicherweise versäumte Zeremonien und Feierlichkeiten.¹¹⁹ Zudem habe es sich nicht um eine Veräußerung gehandelt, sondern lediglich um einen königlichen Verzicht, der keiner großen Formalitäten bedurft habe, denn, da die Teilung Flanderns einst durch aufgezwungene Verträge stattgefunden habe, sei durch den Verzicht ledig­ lich die „natürliche“ Ausgangsform wiederhergestellt worden. Zudem hätten die Regelungen auch problemlos in den Vertrag von Arras inseriert werden können, wären sie für wichtig gehalten worden. Offensichtlich wird an dieser Stelle versucht, mangelnde Legitimation und formale Nachvollziehbarkeit des königlichen Verzich­ tes durch das Argument der „freundschaftlichen“ Nähe zu kompensieren, was zugleich die dringende Notwendigkeit schriftlicher Beweisführung demonstriert. Am Beispiel des Umgangs mit den Verträgen von Arras, Conflans und Péronne bei d’Auffay und in der Instruktion des Jahres 1480 wird dies ersichtlich. Eine mögliche Unterstellung, dass die drei Verträge Ergebnisse burgundischen Zwangs waren, sollte bei Verhandlungen mit den Franzosen ausgeschlossen wer­ den. Schließlich war der Herzog von Burgund nicht so mächtig, als dass er den König zu einem Vertragsschluss hätte nötigen können. Sollte dies doch vorgeworfen werden, gäbe es die entsprechenden schriftlichen Gegenbeweise: Der König habe diese Verträge beschworen, bestätigt und ratifiziert unter Zeugenschaft der „princes du sang“. Nach dem Vertragsabschluss von Péronne habe Karl eigens Unterhändler zum König geschickt, um dessen Einverständnis zu gewährleisten, welches ihm die königliche Räte und Prinzen von Geblüt zusicherten, ebenso wie die feierliche Veri­ fizierung des Paktes.¹²⁰ Eigens seien unter Zustimmung des königlichen „procureur“ Schriftstücke¹²¹ zur Aufrechterhaltung der Verträge ausgestellt worden. Schließlich

119 „. . . la proximité et affinité qui estoit entre le roy et monsieur le duc qui peult suppleer a l’obmission de plusieurs menues, ceremonies et solemnitez . . . “. BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 60r. 120 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 13–14. 121 Ediert bei Commynes, Philippe de: Mémoires. Hrsg. von Lenglet du Fresnoy. 4 Bde. Paris 1747, Bd. 3, S. 47; Blanchard, Joël: Pouvoir, péril, Péronne. In: La légitimité implicite. Hrsg. von Jean-Philippe Genet. Rom 2014 [im Druck]. Ich beziehe mich im Folgenden und in Absprache mit Herrn Blanchard auf die Vorabversion, welche unter dem Titel: Du nouveau sur Péronne: l’histoire revisitée par minutes et procès über die Website der Lamop zugänglich war.

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fand die ordnungsgemäße Hinterlegung und Registrierung des Schriftstückes beim „parlement de Paris“, der „chambre des comptes“, „chambre du tresor“ und im „grand conseil“ statt. „Considerons pour Dieu quelles cérémonies ou solemnitez pouvoit on plus faire“¹²², schloss d’Auffay und fixierte die Maßstäbe gültiger Ver­ tragsabschlüsse, denen die pro-königlichen Vertreter sich nun stellen mussten. Deutlich tritt hier das zeitgenössische Bewusstsein für einen formal korrekten und damit abgesicherten Vertragsschluss zutage. Wie sich dieses zwischen zwei institutionell divergenten politischen Ordnungen gestaltete, wird zu zeigen sein.

2.2 Das Mémoire des Guillaume Cousinot Unter Federführung des Guillaume Cousinot¹²³ entstand als Antwort auf die durch d’Auffay juristisch untermauerte Situation ein Memorandum zur Darlegung der Rechtslage in Burgund,¹²⁴ welches hier entsprechend dem französischen Königshaus zugeschrieben werden sollte: „Et par ansi appert clerement, que la duché de Bourgoigne est partie et yssue de la très chretiene maison de la France par laisne filz du roy loys le debonnaire filz du roy sainct Charlemaigne.“¹²⁵ Der Herzog von Burgund sei als einer der zwölf Pairs von Frankreich untrennbar mit der Krone verbunden, so heißt es, und deshalb wurde er argumentativ mit der politischen Ordnung des Königreiches verknüpft.¹²⁶ Anders als von der Gegenseite behauptet, wurde er jedoch nicht als gleichberechtigter Souverän, sondern als Untertan der Krone behandelt. Als historische Grundlage wurde auf das Jahr 1361 zurückgegriffen, in dem König Johann II. dem Sachverhalt eine rechtliche Form gegeben hatte: Nach dem Tod des Herzogs Philipp I. fiel Burgund an den französischen König. Mit der Begründung, dass Burgund in der Vergangenheit von der Krone veräußert worden war, fasste dieser den eidlich besiegelten Beschluss, das Herzogtum nun untrennbar mit der Krone zu verbinden. Die Erneuerung des Schwurs sollte von nun an allen zukünftigen Königen obliegen. Die Beweismittel für diese Ereignisse seien schriftlich fixiert, in der „chambre des comptes“ registriert und im Original im „trésor des chartes“ archiviert worden, was ihre Nachprüfbarkeit

122 BNF, MS fr. 18730, wie Anm. 78, fol. 67r. 123 Daly, French pretensions to Valois Burgundy, wie Anm. 77, S. 14–15; Taylor, Debating the Hundred Years War, wie Anm. 83, S. 11ff. 124 BNF, MS fr. 5042, fol. 105–115, 122–166. BNF, MS fr. 5079 und eine spätere Abschrift BNF, MS fr. 19796. Das Wappen dieses Stückes weist auf Antoine Duprat als Auftraggeber hin. Ich danke an dieser Stelle Nils Bock für den Hinweis. Duprat war seit 1507 Präsident des Pariser Parlaments. 125 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 11v. 126 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 13v; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 112.

2.2 Das Mémoire des Guillaume Cousinot | 35

in der aktuellen Situation garantieren sollte.¹²⁷ Unter diesen Voraussetzungen ließ sich die von der Gegenpartei proklamierte Belehnung Philipps I. mit Burgund durch die königliche Seite nun nicht als Veräußerung, sondern lediglich als ein Versprechen „par appanage“ bewerten und interpretieren.¹²⁸

2.2.1 Apanage Durch eine Reihe von Präzedenzfällen demonstriert Cousinot das kontinuierliche Greifen der Apanageregelung und den dadurch erfolgten Rückfall von Krongut. Explizit fand dabei eine Abgrenzung zu anderen Ländern und Rechtsbereichen statt, in denen weibliche Sukzessionen infolge von Testamentsbeschlüssen, Schen­ kungen, Gewohnheit oder Verkauf üblich waren.¹²⁹ Die Einführung des Salischen Rechtes machte dies in Frankreich hingegen unmöglich.¹³⁰ Als Schlüsselsituation wurde die Lage nach dem Tod Ludwigs X. nachgezeichnet, in der aufgrund von feh­ lenden männlichen Erben einer Tochter, Johanna, die Krone hätte zufallen können. Diese Ansprüche waren jedoch auf einem Treffen der Pairs und der drei Stände negiert worden, mit der Begründung, dass eine Tochter nicht erben könne.¹³¹ König Philipp V. stellte die Legitimität Johannas auch aufgrund der engen Verwandtschaft ihrer Eltern in Frage, trat selbst das Erbe an und erließ die lex salica, die Frauen dauerhaft von der Erbfolge ausschließen sollte.¹³² Dieses Recht sei, so zumindest die Behauptung Cousinots, nie verletzt worden¹³³ und begründe, warum Maria von Burgund nicht rechtmäßig erben könne. Der von ihr erhobene Anspruch, sie sei „princesse naturelle“, wurde zwar nicht explizit verneint, aber dennoch inhaltlich 127 „. . . enregistrees en la chambre des comptes et dont l’original est au tresor des chartes.“ BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 15v. Fehlt in BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124. 128 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 16r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 114r. 129 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 35. BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 130v. Vgl. dazu die juristischen Ausführungen des Jean de Terrevermeille zu den Erbschaftsansprüchen Karls VI. aus dem Jahr 1419. Dazu Giesey, Loi Salique, wie Anm. 94, S. 129–135. 130 „Et touteffoys au royaulme de France elles ne succedent jamais des le temps de la loy salique qui fut la premiere loy des Francoys.“ BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 16r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 131v. Dazu Giesey, Loi Salique, wie Anm. 94, S. 119–125. 131 „. . . les pers et les troiz estatz de France furent assemblez et parites oyes fut dit que la couronne de France ne tumboit . . . en fille . . . “. BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 28r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 127r. 132 Genauer dazu insbesondere zum Ständebeschluss und der lex salica siehe Töpfer, Bernhard: Die letzten Kapetinger. Ludwig X. (1314–1316), Philipp V. (1316/17–1322), Karl IV. (1322–1328). In: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888–1498. Hrsg. von Joachim Ehlers [u. a.]. München 1996 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 5), S. 237–245. 133 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 35–36v; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 131v.

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entkräftet: „Les ungs sont naturelz seulement et non legitimes lesquelz ne peulent succeder a leur parens silz ne sont legitimes . . . “¹³⁴. Wie schon bei d’Auffay beobachtet, nutzte auch die königliche Partei Parla­ mentsurteile als Beleg für geltendes Recht. Eine Auseinandersetzung mit den Fallbeispielen der Gegenpartei fand hingegen nicht statt. Parlamentsbeschlüsse dienten somit eher zur Stützung der eigenen Interessen als zur gezielten Dementie­ rung konträrer, ebenfalls auf Urteilen basierter Ansprüche.

2.2.2 Innen oder außen? Abgrenzung von Herrschaften Über den rechtlichen Bereich hinausgehend berief sich Cousinot im Unterschied zu d’Auffay auf abstrakte Ordnungen und Grundlagen des französischen Königtums. Deutlich differenziert der Text zwischen König, Krone und Königreich. Entspre­ chend der zeitgenössischen Auffassung sei der König der Krone und dem Königreich als eine Art Verwalter untergeordnet.¹³⁵ Die Unsterblichkeit der Krone erfordere eine Apanageregelung und den Rückfall von Krongut, da jeder neue Herrscher sein Königreich von der Krone erhalte, deren Vorrechte nicht angegriffen werden dürften, so die Argumentation.¹³⁶ Nach Baldus sollten Veräußerungen, Gesetze und Ordonnanzen eines Königs von seinen Nachfolgern gewahrt werden, voraus­ gesetzt diese seien sinnvoll und schadeten dem Königreich nicht. Im Gegenzug dazu müsse der König die Rechte der Krone bewahren, was er bei seiner Krönung feierlich beschwöre. Alles was dem widerspreche habe keinerlei Geltungsanspruch. Demzufolge müssten auch die Veräußerungen des einstigen Kronguts Burgund von den nachfolgenden Herrschern nicht geduldet werden, da sie sowohl König und Krone als auch der öffentlichen Sache, „chose publique“,¹³⁷ schaden würden.¹³⁸ Der Imperativ des öffentlichen Interesses und Wohls ergänzte die zeitgenössisch stereotypen Herrschaftsvorstellungen. Der souveräne Herrscher unterstehe überge­ ordneten Interessen. Gleichzeitig wurde dabei kaiserliches Recht, die Digesten, auf den französischen König angewendet, er wurde zum „empereur en son royaume“ und damit auch nach außen hin souverän.¹³⁹ 134 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 4r 135 Krynen, Jacques: Idéal du prince et pouvoir royal en France à la fin du moyen âge (1380–1440). Étude de la littérature politique du temps. Paris 1981, S. 308–309. 136 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 20r. 137 Vgl. zum Zusammenhang zwischen königlicher Autorität und „chose publique“ Daubresse, Sylvie: Le Parlement de Paris et le roi au XVIe siècle. Intérêt général ou nécessité publique? In: Histoire et archives 19 (2006), S. 113–130. 138 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 21v. Zusatz fehlt bei BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124. 139 Dauchy, Introduction historique, wie Anm. 96, S. 67. Vgl. dazu Eberhard, Winfried: Herrscher und Stände (Verfassungsdualismus in Europa im 14./15. Jh.) In: Pipers Handbuch der politischen

2.2 Das Mémoire des Guillaume Cousinot | 37

Im Interesse des vom König zu wahrenden Gemeinwohls stehe auch der Zusam­ menhalt des Königreiches. Langfristig bestünde jedoch die Gefahr einer gänzlichen Entfremdung Burgunds.¹⁴⁰ Jene Fremdheit, von der d’Auffay Maria von Burgund als „princesse naturelle“ explizit losschrieb, wird hier als Gefahr gesehen, die von der Ehe der Erbtochter mit dem zukünftigen Kaiser ausging. Dabei fand eine explizite Abgrenzung zu anderen Herrschaften statt, die sich in ihrer politischen Ordnung nicht mit dem französischen Königreich vergleichen ließen. Konstituie­ rende Elemente des Königtums seien dort, eben in den „fremden“ Herrschaften, Wahlen, aber auch Usurpation oder Enterbung. Die Kritik zielte hier auf die anderen christlichen Königreiche ab, aus denen die französische Krone in besonderer Weise hervorragen sollte als „si precellent tous les roys et autres couronnes et nacions de la chretienté“.¹⁴¹ Teilung und damit die „destruction du royaulme“ müssen daher abgewendet werden, was durch ein Verbot weiblicher Erbfolge gewährleistet würde. Ziel sei stets das Wohl der „chose publique du royaulme“, für das nicht nur der Herrscher durch seinen Krönungseid, sondern auch seine Vasallen in der Verantwortung stünden.¹⁴² Die Notwendigkeit eines unteilbaren Königreichs wurde durch das Negativbei­ spiel der Normandie unterstrichen, auf die auch d’Auffay in seinen Ausführungen verweist, allerdings entsprechend seiner Tendenzen als Beleg dafür, dass das Krongut nicht zurückfallen müsse. Dementgegen wurde nun in den pro-franzö­ sischen Argumentationen durch das „droit imperiale“ konstatiert: Was von der Krone kommt, kann nicht geteilt werden.¹⁴³ Untrennbar mit der Krone verbunden sei auch Burgund, welches zwar nach einer Versammlung des Rates, der Prinzen, Prelaten und Adeligen als Lehen von König Philipp dem Schönen an Herzog Robert gegeben worden war. Nachvollziehen ließe sich das anhand von „lettres patentes“ Philipps, die in Paris in den Registern der „chambre des comptes“ erhalten seien.¹⁴⁴ Burgund war mit diesem Akt aber nicht aus dem Königreich herausgelöst worden, sondern lediglich als Lehen an Robert gefallen. Dieser blieb als „comte Palatin“ fester Bestandteil des politischen

Ideen. Hrsg. von Iring Fetcher u. Herfried Münkler. Bd. 2. München [u. a.] 1993, S. 467–478. Zum Kai­ serrecht vgl. Dilcher, Gerhard: Kaiserrecht. Universalität und Partikularität in den Rechtsordnungen des Mittelalters. In: Normen zwischen Oralität und Schriftkultur. Studien zum mittelalterlichen Rechtsbegriff und zum langobardischen Recht. Hrsg. von dems. [u. a.]. Köln 2008, S. 171–200. 140 „. . . viendra la chose en estrange main . . . “. BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 45v. 141 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 49v; BNF, MS fr. 5079, wie Anm. 124, fol. 29r. Vgl. zur Fremdheit Dauphant, Léonard: Le Royaume des quatre rivières, L’espace politique français (1380–1515). Seyssel 2012, S. 139ff. 142 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 51ff. 143 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 54v. 144 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 60ff.

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Gefüges,¹⁴⁵ was sich bei genauerer Betrachtung der Parlamentsregister belegen ließe: Es wird geschrieben, dass zur Zeit Philipps des Schönen der Herzog von Burgund für einige Ausschweifungen gegenüber königlichen Offizieren vor das parlement de Paris berufen worden und verurteilt worden war. Damit sei belegt, dass die Grafschaft Burgund immer noch zum Rechtsbereich von Frankreich gehörte.¹⁴⁶ Offensichtlich wird hier die zweifache Bedeutung des parlement de Paris, dessen Verwaltungsstrukturen als eine Art Wissensspeicher nachträglichen Zugriff auf vergangene Rechtssprechung ermöglichten. Dadurch ließen sich außerdem Grenzen definieren, die in diesem Falle der Inklusion bestimmter Gebiete in den kö­ niglichen Herrschaftsbereich dienten, von der auch der Titel des comte Palatin nicht entband. Der Seitenblick auf das Reich war angeführt worden, um zu zeigen, dass der dortige „comte Palatin“ zwar eine Sonderstellung als Königswähler innehaben möge, dabei aber immer auch Vasall und Untertan des Königs bzw. Kaisers bleibe.¹⁴⁷ Hinsichtlich des Lehnrechtes verweist Cousinot vermehrt auf das Reich und die Reichsrechte. Als Antwort auf die umstrittene weibliche Erbfolge heißt es: „Il fault regarder ce que les drois en dient“.¹⁴⁸ Besonders betont wurde die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Argumentation. Eine etwaige Berufung der Burgunder auf die Digesten oder Pandecten sei wenig hilfreich, da diese sich weder auf das Lehnrecht bezögen noch in anderer Weise bei der aktuellen Thematik anwendbar seien. Die Behauptung gleichberechtigter Erbschaftsansprüche für Männer und Frauen sei nur durch altes Recht gestützt, welches aber mittlerweile korrigiert worden sei. „[T]ous les droiz la sont corriges en tant q’il touche la matiere des fiefz par les constitucions imperiales depuis faictes par les empereurs en ceste partie.“¹⁴⁹ Angespielt wurde hier auf die Libri feudorum, die, Mitte des 12. bis 13. Jahrhunderts entstanden, in das Corpus iuris civilis aufgenommen wurden.¹⁵⁰ Häufig kommentiert,¹⁵¹ wurden sie zu einem wichtigen Bestandteil europäischen Lehnrechtes. Zur Untermauerung französischer Argumentation zitierte das Memorandum Friedrich Barbarossas

145 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 63. 146 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 63v. 147 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 75r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 143. „Le comte Palatin du Rin est electeur de l’Empire et neantmoins il ne laisse pas estre subgect, homme et vassal de l’empereur . . . pourquoy le nom du comté Pallatin ne exempte point le comté de Bourgoigne q’il ne soit subgect en plain fief du duc de Bourgoigne et en arrière fief du roy de France.“ 148 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 37v. 149 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 44v. 150 Iblher von Greiffen, Norberto: Die Lehenserbfolge in weiblicher Linie unter besonderer Berück­ sichtigung der Libri feudorum. Frankfurt/M. 1990 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 2 946). 151 Im Memorandum wird als Kommentator Baldus angeführt, der sich auch direkt mit dem Begriff der „sucession“ auseinandersetzt, so heißt es in fol. 37v.

2.2 Das Mémoire des Guillaume Cousinot | 39

Verbot der Lehnsveräußerung.¹⁵² Wie schon beim Verweis auf die Ähnlichkeit des „comte Palatin“ im Reich und Frankreich wurde auch im Falle der Lehnsmutung die rechtliche Grenze zwischen beiden Herrschaften aufgelöst, da sich beide Länder auf das gleiche Lehnrecht beriefen und folglich jeder Vasall im Erbfall den Kaiser oder König um eine erneute Investitur bitten müsse. Weibliche Vasallen seien nicht zugelassen, es sei denn, es gäbe explizite vertragliche Regelungen dazu.¹⁵³ Dennoch beanspruche Maria für sich natürliche und legitime Rechte der Nachfolge und behaupte mit und ohne Testament nachfolgen zu können.¹⁵⁴ Diese Argumenta­ tion ließe sich durch das oben Gesagte, eben das Lehnrecht, allerdings juristisch außer Kraft setzen.¹⁵⁵ Diese ausführliche Darstellung trägt der Tatsache Rech­ nung, dass gerade das Lehnrecht und dessen situative Auslegbarkeit Kernpunkt der Herrschafts- und Besitzstreitigkeiten der kommenden Jahre werden würde. Das Lehnrecht ist damit auch zentraler Bezugsrahmen der zu untersuchenden vertraglichen Regelungen.

2.2.3 Der Vertrag von Arras 1435. Eine Dekonstruktion Verträge spielten in der königlichen Argumentation allerdings auch eine explizite Rolle. Entsprechend wurde die im Vertrag von Arras beschlossene Abtretung der Mâ­ connais in männlicher und weiblicher Linie als Verstoß gegen die Apanageregelung und damit als unrechtmäßig bewertet. Es sei zudem klar, so die weitere Erklärung, dass jeder wichtige Friedensvertrag für beide Vertragspartner zufriedenstellend und perfekt sein müsse, ohne in der einen oder anderen Weise zu „hinken“: . . . quant aucun traictie se faict mesmement de chose de grand importance et consequence soit pour cause de paix ou autrement, il fault que ledict traictie soit parfaict et entier dune part et daultre sans ce quil claudique de ca et dela. Autrement ce nest traictié iuste ne vaillable et qui soit a garder ne entretenir ne oblige lune des parties plus que lautre de le observer sil ne lui plaist.¹⁵⁶

152 „De prohibita feudi alienatione per Fridericum“. 153 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 38–39; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 133v. Zu den burgundischen „comtes Palatins“ Le Hête, Thierry: Les comtes palatins de Bourgogne et leur descendance agnatique. Histoire et généalogie d’une dynastie sur huit siècles (IXe -XVIIe siècles). La Bonneville-sur-Iton 1995. 154 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 42v. 155 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 42–43. Zur Frau im Lehnswesen Vgl. Goetz, Werner: Der Leihezwang. Eine Untersuchung zur Geschichte des deutschen Lehenrechts. Tübingen 1962, S. 29–50. Allgemein zum Lehnswesen und zum Leihezwang Patzold, Steffen: Das Lehnswesen. München 2012, S. 96–107. 156 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 84r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 150r.

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Zudem sollte laut Vertrag eine „abolition générale“ stattfinden und wie im Nachhin­ ein festgestellt werden könne, seien wichtige Streitpunkte aus dem Hundertjährigen Krieg nicht beigelegt worden, insbesondere mangle es an Satisfaktionen für König, Dauphin und „chose publicque“¹⁵⁷. Die Kritik richtet sich hier an die Einseitigkeit des Vertrages und die offensichtlichen Vorteile, die Philipp dem Guten für seinen Seitenwechsel von England zu Frankreich in der Situation des Hundertjährigen Kriegs zugestanden worden waren und die zugleich eine Art königlicher Sühne für die Ermordung Johanns Ohnefurcht darstellten.¹⁵⁸ Auf diese besonderen Umstände des geteilten Königreiches zur Zeit des Krieges greift Cousinot in seiner Abhandlung zurück. Der Vertrag weise zudem Mängel in der Schrift auf, weswegen er weder vertretbar sei noch gehalten oder überwacht werden müsse.¹⁵⁹ Die Verbrechen des Herzogs Johann Ohnefurcht seien durch den Vertrag nicht getilgt worden, was den Einzug der königlichen Güter, die Grafschaft und das Herzogtum Burgund, die Grafschaft Flandern, das, was Maria von der Grafschaft Artois beanspruche, die Länder und Herrschaften von Isle, Douay und Orchies, rechtfertige. Offensichtlich ließen sich zur Negierung des gesamten Vertrages weder konkrete formale Fehler ausmachen noch der Vorwurf des Zwangs anwenden. Dafür war die Zufriedenheit beider Vertragsparteien zum Kriterium geworden, die durch eine mangelhafte „abolition générale“ nicht gewährleistet werden konnte.

2.3 Das Mémoire des Kanzlers D’Oriole Anders als die eher knappe Abhandlung im Mémoire Cousinots vermuten lässt, spielen die Verträge von Arras, Péronne und Conflans eine übergeordnete Rolle im Gesamtkonflikt um das burgundische Erbe. Seit Mai 1478 wurde Karl dem Kühnen der Prozess „post mortem“ gemacht. Ziel war die Konfiskation der Grafschaften Burgund und Hagenau sowie der Besitzungen Verdun und Cambrai, gegen den Protest Maximilians.¹⁶⁰ Der französische Kanzler d’Oriole fertigte im Zuge dessen ein Mémoire zur Widerlegung der drei Verträge an. Dem Bündnis von Péronne kam dabei eine Sonderstellung zu, da dieses in einem ersten Teil die Verträge von Arras und Conflans sowie deren Beschlüsse bestätigte und in einem weiteren,

157 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 88v. Zum Hundertjährigen Krieg grundlegend: Curry, Anne: Der Hundertjährige Krieg (1337–1453). Darmstadt 2012. 158 Paravicini, Staat verhindern, wie Anm. 74, S. 26–27. 159 BNF, MS fr. 19796, wie Anm. 124, fol. 89r; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 154r. „. . . quil y avoit vice en lescripture ou qu’elle ne seroit pas soustenable ne ne deveroit estre gardee entretenue ne observee . . . “. 160 BNF, MS fr. 10187, fol. 155; Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121.

2.3 Das Mémoire des Kanzlers D’Oriole |

41

so Blanchard, exeptionellen Akt, die Untertanen von allen Pflichten gegenüber dem König entband, für den Fall seiner Vertragsbrüchigkeit oder eines Verstoßes. Generell war der Vertrag in seinen einzelnen Artikeln Zeugnis und Festschreibung eines königlichen Souveränitätsverlustes, den es nun aufzuheben galt. Alle drei Verträge sollten als gebrochen deklariert werden, womit die Erbschaftsansprüche Marias und Maximilians ihre vertragliche Grundlage verloren hätten, die Jean d’Auffay so betont hatte.¹⁶¹ Ce sont les faiz, causes et raisons pour lesquelz appert clerement que tractez faiz tant entre le roy Charles . . . ou ses commys et deputez a Arras, et le duc Phelippe de Bourgongne lors vivant ou moys d’octobre l’an mil cccc xxxv come a puys entre le roy nostre souverain seigneur qui a present est et le feu duc Charles de Bourgongne derrenier trespassé a Conflans pres Paris ou moys d’octobre l’an mil cccclxv et pareillement le tracté qu’on veult dire avoir esté faict a Peronne le xiiiie jour d’octobre l’an mil cccc lxviii ont esté notoyrement et manifestement rompuz et enfrainctz par lesdictz feuz ducs Phelippe et Charles, en contrevenant contre les teneur d’iceulz traictez et autrement, et que, tant pour lesdites contravencions que par plusieurs autres moyens la fille heritiere ou ayans cause desdits feux duc Philippe et Charles ne le duc Maximilien d’Autriche qui est a present mary de ladicte fille, ne s’en porroit jamays ayder ne avoir aucun prouffit d’iceulz tractez . . . .¹⁶²

Chronologisch wurden nun die Verträge abgehandelt. Der Pakt von 1435 entspräche nicht dem, was für einen Vertrag zwischen souveränem Herrscher und Untertan rechtens sei, so die Kritik. Durch die dort geforderten Reparationsleistungen seien unrechtmäßig Länder abgezogen worden. Dessen ungeachtet wird an dieser Stelle die formelle Legitimität des Vertrages nicht angezweifelt. Auch die burgundische Bewertung qualifizierte den Vertrag stets als besonders heilig.¹⁶³ Ein Vertragsbruch sei gegen den päpstlich legitimierten Vertrag niemals von Seiten der französischen Könige, wohl aber durch die Burgunder Herzöge begangen worden. Demzufolge sei auch der König von allen vertraglichen Bindungen befreit. Der Vertrag von Conflans sei vom König, der zum Wohle seines Volkes weiteres Blutvergießen habe verhindern müssen, schlichtweg ergaunert und erzwungen worden. Die Untertanen hätten durch diesen Pakt bewusst ihren König geschwächt, weswegen das Schriftstück nun als besonders verbrecherisch und schändlich bewertet wurde. Ein Vertrag, der schon generell auf einer Rebellion der Untertanen

161 Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121. 162 Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 67. 163 Vgl. auch S. 31. „. . . toutesfoys por ce que ledit tracté fut fait si sollempnellement et par si grans parsonnaiges, authorizé par le Sainct Siege apostolique et le concile general, ainsi que le roy Charles, que Dieu absoille a tousjours observé, gardé et entretenu ledict tracté d’Arras, le roy son filz nostre seigneur a present ne le veut point arguer de nullité.“ Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 67v.

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gegen den Souverän basiere, sei aufgrund dieser widrigen Umstände unrechtmäßig, erzwungen und nicht wirkkräftig. Die schärfste Kritik d’Orioles zielte auf das Abkommen von Péronne. Schon die Umstände seiner Aushandlung bieten ein Fundament für spätere Kritik. D’Oriole zitiert dazu einen Zettel, mit dem Ludwig zu einem Treffen in Péronne zur Beilegung der Streitigkeiten aufgefordert worden war. Mit seiner Unterschrift, deren Originali­ tät d’Oriole garantiert, gewährleistete der Burgunder die Sicherheit des Königs bei den Verhandlungen, auf die bekanntlich aber die Gefangennahme Ludwigs folgte. Seine Freilassung gelang nur unter der Bedingung des Vertragsabschlusses, der den französischen Teil Flanderns (Gent, Ypern, Brügge und die Franc de Bruges) von jeglicher Jurisdiktion des Parlaments entband.¹⁶⁴ Was genau der Vertrag im Detail beinhaltete, wusste der König nicht, als er diesen bestätigte und auch bei späteren Vertragsbestätigungen handelte es sich um offensichtliche Fälschungen, die mit dem königlichen Siegel gesiegelt, von jemand anderem unterschrieben und umdatiert wurden. „Item et lequel tracté qu’on veult appeller le tracté de Peronne par raison ne peut et ne porroit jamays estre valable.“¹⁶⁵ Doch auch nach dem Vertragsschluss kehrte keine Ruhe im Königreich ein. Um den Krieg nicht weiter zu schüren, wehrte sich der König nicht gegen den aufgezwungen Pakt und bestätigte diesen, ebenso wie das parlement de Paris, das sein Einverständnis aber auch nur unter Zwang und Protest des procureuer generale und weiterer Juristen gab. Item et cognoissant ledit de Bourgongne que la court de parlement n’eust jamais receu ne publié ung si faulx, mauvays et inique tracté que celuy de Peronne, par ses subtilz moyens des troubles et cedicions qu’il conduysoit tint le roy en telle craincte qu’il luy convint mander toute sa court de parlement venir de Paris à Senlys devers luy, auquel lieu il leur dist et commanda qu’ils publiassent les lectres dudit tracté et pareillement le leur fit dire par ledict cardinal Balue qui avoit conduyt les matieres, et fit puy ledict duc de Bourgongne.¹⁶⁶

Offensichtlich erkannte Karl der Kühne das Problem mittels Zwang einen mögli­ cherweise nicht legitimen Vertrag abgeschlossen zu haben. Dies erklärt zumindest die nachträgliche Forderung weiterer königlicher Bestätigungen, die als Quelle burgundischer Argumentation und Beweis für die Geltungskraft des Vertrages auch Jahre später noch angeführt werden sollten.¹⁶⁷ Der Diskurs um das Erbe

164 Cauchies, Jean-Marie: Louis XI et Charles le Hardi. De Péronne à Nancy (1468–1477). Le conflit. Brüssel 1996 (Bibliothèque du moyen âge 8), S. 15–33. 165 Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 75v. 166 Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 77v. 167 TLA, Max IVa 168, wie Anm. 108, fol. 26.

2.4 Zusammenfassung |

43

Burgunds und insbesondere der Diskussionsbedarf über den vertraglich beschlos­ senen Machtgewinn Karls des Kühnen in Arras, Conflans und Péronne strahlte bis ins 16. Jahrhundert in die Zeit Karls V. aus, der sich zur Rückgewinnung seines burgundischen Erbes auf eben diese Verträge berief.¹⁶⁸ Ungeachtet aller Bestätigungen und Formalitäten habe der Burgunderherzog, im Gegensatz zum König, gegen den Vertrag verstoßen, da er anschließend Alli­ anzen mit den Engländern einging – offensichtlichen Feinden des Königreiches. Der König sei sogar gewillt gewesen, die vertraglich abgemachten Restitutionen zu leisten, welche Karl der Kühne jedoch nicht annehmen wollte, sondern sich dieser selbst bemächtigte.¹⁶⁹ Damit setzte er das eindeutige Signal, dass er weder die Gültigkeit des Vertrages annahm noch sich länger als Teil der französischen Krone sah.

2.4 Zusammenfassung Die hier skizzierten Ausführungen d’Auffays, Cousinots und d’Orioles bringen die divergenten Standpunkte beider Parteien zum Vorschein, jeweils eingebettet in einen argumentationsstützenden Abriss burgundisch-französischer Geschichte und zeitgenössischer Rechtsauffassung. Zentral ist die Frage weiblicher Erbfolge, die, wie die zahlreichen Beispiele illustrieren, in der Vergangenheit situationsbezogen und interessengestützt gelöst wurde. Die Verträge von Arras, Conflans und Péronne erwiesen sich als wichtige schriftliche Fixierung von Rechten und Besitzansprüchen. Von burgundischer Seite aus diente der Vertrag von Arras im teils wörtlichen Zitat der Beweisführung, der von königlicher Seite aus nur mit vermeintlicher Ungültigkeit des gesamten Vertragswerks begegnet werden konnte. Deutlich treten hier Möglichkeiten der Vertragstilgung zu Tage. Erfolgte ein Vertragsschluss unter Zwang („contrainte“), so musste dieser weder gehalten noch bewahrt werden und verlor damit seine Gültig­ keit.¹⁷⁰ Allerdings galt es, den Vorwurf des Zwangs glaubhaft zu belegen. So wehrten sich die Burgunder gegen die Anschuldigung, dem König Verträge aufgezwungen zu haben. Nie habe der Burgunderherzog über so große Macht verfügt.¹⁷¹

168 Kohler, Alfred: Karl V. 1500–1558. Eine Biographie. München 2001 (Bibliothèque du moyen âge 8), S. 176. 169 Blanchard, Pouvoir, péril, Péronne, wie Anm. 121; BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 79r–81r. 170 Nussbaum, Treaties, wie Anm. 116, S. 194. Zur Gültigkeit erpresster Eide Kolmer, Lothar: Promissorische Eide im Mittelalter. Kallmünz 1989 (Regensburger historische Forschungen 12), S. 339–342. 171 ADN, B 343, 18284, wie Anm. 79, fol. 12–13.

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Besonders ist in diesem Zusammenhang noch auf die Rolle des parlement de Paris und die Bedeutung der dortigen Registrierung von Rechtsakten zu verwei­ sen.¹⁷² Diese ermöglicht einmal die nachträgliche Definition von Rechtsräumen durch den Rückgriff auf vergangene Parlamentsurteile. Des Weiteren bezeugt die Behandlung von Vertragstexten in späteren Konfliktfällen, wie dem hier vorlie­ genden Erbschaftsstreit, den Stellenwert der Registrierung und Überprüfung der Abkommen durch parlement und procureur générale. Der formal nicht durch Regis­ trierung und Verifizierung der Rückgabeurkunden abgesicherte Verzicht auf Lille, Douai und Béthune wurde von Ludwig XI. als Grund für die Zurückweisung der burgundischen Ansprüche ausgespielt. Karl der Kühne hatte auf der anderen Seite die besondere Absicherung des umstrittenen Vertrages von Péronne durch das parlement eingefordert, was nun der Beweisführung d’Auffays diente.¹⁷³ Wie die Gegenseite zeigte, bestand aber immer noch die Möglichkeit, ein Abkommen durch die Unterstellung des Vertragsbruchs zu entkräften. Im Falle des vermeintlich gebrochenen Waffenstillstandes des Jahres 1475 bedurfte es einer ge­ nauen Textbetrachtung, um zu demonstrieren, dass Karl der Kühne, beispielsweise in Savoyen, im vertraglich möglichen Rahmen gehandelt hatte. Argumente wurden hier auf Textebene gesucht und gefunden. Gleichwohl schreibt die Präambel des Vertrags den Status der Vertragspartner fest. Karl der Kühne schloss das Bündnis als Souverän und gleichberechtigter Ver­ tragspartner. Die Entwicklungen der letzten Jahre waren an dieser Stelle schriftlich fixiert und von Maria als Beleg für die Souveränität ihres Vaters zitiert worden, dem sie als princesse naturelle rechtmäßig nachfolgen wollte. Anders als der Text des burgundischen Lagers integrierten die königlichen Ausführungen Zusammen­ hänge, die sich einmal auf die Grundlagen französischer Königsherrschaft beriefen und in einem weiteren Schritt über die Grenzen des Königreiches hinauswiesen. Deutlich wird eine gesteigerte Sensibilität für konstitutionelle Ähnlichkeiten und Unterschiede der christlichen Nachbarländer, insbesondere des Reiches. Juristisch basierte das Memorandum unter anderem auf den entsprechenden Reichsrechten, da das Lehnrecht länderübergreifend gesehen und interpretiert wurde. Auch dem comte Palatin kam in beiden Herrschaften eine herausragende Stellung zu, doch sowohl die Kurfürsten des Reiches als auch der französischen

172 Vgl. dazu Famiglietti, Richard C.: The role of the Parlement de Paris in the ratification and registration of royal acts during the reign of Charles VI. In: Journal of medieval history 9 (1983), S. 217–225. Wie Famiglietti darlegt, müssen aber nicht zwingend alle Rechtsakte auch im Parlament registriert werden. Ebensowenig lässt die Tatsache einer nicht durchgeführten Registrierung auf die Ungültigkeit von Ordonnanzen schließen, ebd., S. 221. 173 Dazu auch Famiglietti, Role of the Parlement, wie Anm. 172, S. 222. In kontroversen Fällen konnte die Registrierung im Parlament zusätzlich Sicherheit bringen.

2.4 Zusammenfassung |

45

comte Palatin bleiben immer Untertanen und Vasallen des Kaisers bzw. Königs und damit untrennbar mit der Krone verbunden. Es lässt sich nicht belegen, dass die Ausführungen der königlichen Juristen auf die Anforderungen auswärtiger politischer Ordnungen eingingen, die sich durch Maximilian als Herzog stellten. Die Differenz zwischen den Herrschaftsgebieten wurde hingegen formuliert und kündigt weitere Konflikte mit dem „fremden“ Herzog an. Es lässt sich bereits erahnen, dass sich im späteren Vertrag von Arras die Frage doppelter Verfassungs­ integration implizit stellen wird. Explizit werden diesem Abkommen jene pluralen Konzepte zugrunde liegen, welche auch die Rechtsdebatten im Vorfeld prägten: Lehnrecht, genealogische Erbfolgen, Gerichtsurteile, Grundlagen französischer Königsherrschaft sowie alte Verträge dienten als Orientierungshilfe zur Klärung der Ansprüche.

3 Aushandlung – Festschreibung: Waffenstillstandsversuche 1478–1480 3.1 Waffenstillstand als Konfliktlösung – Grundzüge Zeitgleich mit den juristischen Bemühungen zur Klärung der Rechtslage fanden Versuche statt, die Kampfhandlungen durch Waffenstillstände zumindest zeitweise zu unterbinden und einen Friedensschluss und dessen Verhandlung vorzubereiten. Wie ernst diese Kriegsunterbrechungen gemeint waren, erscheint zunächst fraglich, zeugen die Quellen doch von wechselseitigen Unterstellungen des Vertragsbruchs. So heißt es bei Robert de la Marche, der französische König wolle nichts mehr von einem Waffenstillstand wissen und schon gar nicht für seine Umsetzung eintreten.¹⁷⁴ Die Gegenseite unterstellte entsprechend Maximilian einen Bruch der Waffenstillstandsabkommen.¹⁷⁵ Welche Konflikte bereits bei der Umsetzung und Interpretation der Waffenstill­ standsvereinbarungen zum Bruch führen konnten, wird sich an den folgenden Beispielen verdeutlichen lassen. Mit dem Vorwurf der Vertragsverletzungen stellt sich zunächst die Frage nach der Form und dem Inhalt der Waffenstillstandsver­ einbarungen. Formal weisen die verschiedenen Vertragsschriftstücke der Jahre 1478–1480 die weitgehende Einheitlichkeit von Standardverträgen auf, was nicht zuletzt an der Aushandlung durch bekannte Akteure liegen mochte. Von Seiten Maximilians war Jean d’Auffay als Unterhändler bevollmächtigt, dessen intensive Auseinandersetzung mit der Thematik bereits beschrieben wurde.¹⁷⁶ Inhaltlich formulierten die Texte aber Möglichkeiten der institutionellen Frie­ denswahrung und Aushandlung, welche offensichtlich von beiden Vertragspart­ nern gleichermaßen anerkannt wurden. Die wechselseitige Akzeptanz aller Verein­ barungen schlägt sich formelhaft in der Parallelisierung Ludwigs und Maximilians nieder, deren Zusagen und Pflichten stets „d’une et autre part“¹⁷⁷ fixiert wur­ den.

174 „. . . ne voulut ouyr parler de celle tresve ne de celle execution.“ La Marche, Olivier de: Mémoires d’Olivier de La Marche, maître d’hôtel et capitaine des gardes de Charles le Téméraire. Hrsg. von Henri Beaune u. Jules D’Arbaumont. 4 Bde. Paris 1883–1888, Bd. 3, S. 248. 175 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 135. 176 Vollmacht Maximilians an Jakob von Savoyen, Gofwin Hardinc, Paul de Banest, Jehan d’Auffay, Gerard Numan. Gedruckt in: Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 592. Eine Instruktion Maximilians an den Grafen von Romont ist ebenfalls bei Commynes überliefert, Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 589. 177 ADN, B 343, 17739. DOI 10.1515/9783110493115-003

3.1 Waffenstillstand als Konfliktlösung – Grundzüge |

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Ziel eines jeden Waffenstillstandes war die „abstinence de guerre“, die es für den festgesetzten Zeitraum einzuhalten galt. Handel und Kommunikation der Untertanen sollten während des Waffenstillstandes uneingeschränkt möglich sein und Kriegsleuten war der Zugang zu Städten und befestigten Plätzen nur mit Erlaubnis gestattet.¹⁷⁸ In dieser Phase sollten die Voraussetzungen zur endgültigen Herstellung eines „paix finale“ geschaffen und ausgehandelt werden.¹⁷⁹ Inwiefern sich im Verlauf der festgesetzten Friedenszeit auch wirklich jeglicher Kampfhandlungen enthal­ ten wurde, muss im Einzelfall nachvollzogen werden. Zumindest war es der im Vertragstext niedergeschriebene und immer wieder betonte Anspruch, dass ein sol­ cher vorläufiger Frieden auch eingehalten werden solle. Wird der Waffenstillstand zwischenzeitlich gebrochen, so verliert der Friedensbrecher alle Ansprüche auf die Streitsachen, heißt es im Vertragstext.¹⁸⁰ Des Weiteren waren ausführliche Regelun­ gen zur institutionellen Friedenswahrung Teil der schriftlichen Vereinbarung. Zur Exekution des Friedens und Bestrafung möglicher Friedensbrecher hatten beide Vertragspartner spezielle „conservateurs de paix“ zu benennen. Diese wurden dazu verpflichtet sich auf einer Versammlung aller Streitigkeiten, die sich aufgrund des Waffenstillstandes ergaben, anzunehmen, diese zu verhandeln und zu klären und sich um die Durchsetzung der Waffenruhe und anfallender „réparations“ zu kümmern.¹⁸¹ Für die Verhandlung eines endgültigen Friedensschlusses sollten beide Par­ teien sechs Personen als Schiedsrichter und Mediatoren („Arbitres & amiables mediateurs“)¹⁸² benennen, die diesen binnen sechs Monaten auszuhandeln hat­ ten. Mit dem Einsatz von Schiedsrichtern zur Klärung von Streitfragen wurde auf ein etabliertes Verfahren mittelalterlicher Schlichtungspraxis zurückgegriffen. Begünstigt durch die Defizite königlicher Gerichtsbarkeit waren Schiedsgremien bereits seit dem 13. Jahrhundert auf allen politischen Ebenen zur Konfliktbei­ legung eingesetzt worden und gehörten auch zum Standartrepertoire bei der Schlichtung herrscherlicher Auseinandersetzungen. Bereits 1299 war im Ver­ trag zwischen Albrecht I. und dem französischen König ein Schiedsgremium zur Konfliktbeilegung aufgeführt worden. Die Bestimmung einer gleichen An­ zahl von Schiedsleuten, oftmals aus dem Gefolge der Konfliktparteien, etablierte

178 Waffenstillstand 1478 in Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 540–542. 179 ADN, B 343, 17739, wie Anm. 177. 180 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 545. 181 Waffenstillstand 1478 in Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 544. 182 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 548.

48 | 3 Aushandlung – Festschreibung: Waffenstillstandsversuche 1478–1480

sich zu einer gängigen Praxis,¹⁸³ die sich auch im Waffenstillstand des Jahres 1478 wiederfindet. Sollte es beim Schiedsverfahren Probleme geben, heißt es im Vertrag, war ein „sur-arbitre“ einzusetzen, den beide Parteien zusammen auswähl­ ten.¹⁸⁴ Deutlich machen diese Regelungen, die stets für beide Vertragspartner glei­ chermaßen aufgeführt wurden, dass Maximilian nicht als auswärtiger, sondern burgundischer Herrscher in die Exekution und Durchsetzung der Waffenstillstands­ vereinbarungen eingebunden worden war. Bei den „conservateurs“ seiner Seite handelt es sich entsprechend um Verwaltungspersonal der von ihm beanspruchten Gebiete.¹⁸⁵ Von französischer Seite aus wurde der Vertrag unter Zustimmung der Herren königlicher Linie und dessen Geblüts, dem „grand conseil“ und vom König ak­ zeptiert und versprochen und körperlich beschworen auf das Heilige Evangelium und den mit der Hand berührten „canon de la messe“, unter Verpflichtung all seiner herrscherlichen Güter. Es wird sich zeigen, inwiefern in Friedensverträgen diese Formelhaftigkeit zugunsten individueller Versprechungen, Forderungen und Formen der Vertragssicherung aufgebrochen wurde. Für die französische Seite markieren die im Vertrag fixierten Formeln den weiteren üblichen Weg des Schriftstückes durch die Verwaltung sowie dessen weitere Exekution.¹⁸⁶

183 Garnier, Claudia: Amicus amicis – inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert. Stuttgart 2000 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 46), S. 233–277. Kamp, Hermann: Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter. Darmstadt 2001 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 240–247. Vgl. zu spätmittelalterlichen Schiedsverfahren auch Walter, Bastian: Die Verhandlungen zur Ewigen Richtung (1469–1474/75). Das Schiedsgericht und die Diplomatie zwischen der Eidgenossenschaft, Frankreich und dem Hause Habsburg. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Jucker [u. a.]. Berlin 2011 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 45), S. 109–146 und aus rechtshistorischer Perspektive Grewe, Völkerrechtsgeschichte, wie Anm. 27, S. 119ff und Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, wie Anm. 27, S. 102–103, 130. Für die Frühe Neuzeit Kampmann, Christoph: Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit. Paderborn [u. a.] 2001 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte). 184 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 547. 185 Siehe dazu die Instruktion Maximilians bei Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 591. Beispielsweise wird dort Josse de Lalain als „grand-bailli“ von Flandern auch als „conservateur“ eingesetzt. 186 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 545–546.

3.2 Auf dem Weg zum paix finale? |

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3.2 Auf dem Weg zum paix finale? Inwiefern konnte nun der hier skizzierte Idealzustand erreicht werden? Welche Auswirkungen hatte ein Waffenstillstand auf die Friedenswahrung in den um­ strittenen Gebieten und den weiteren Einigungsprozess? Mehrfach ist Ludwigs Forderung der „notification“ des Waffenstillstandes von 1478 überliefert. Dem Parlament wurde bereits am 13. Juli der Vertragsschluss mitgeteilt sowie das darin beschlossene Verfahren weiterer Streitbeilegung, für das beide Parteien jeweils sechs Schiedsrichter bestimmen sollten, die im September in Cambrai zur Ver­ handlung eines endgültigen Friedensschlusses zusammenzutreffen hatten. In „parlement“, „chambre des comptes“ und „trésor des chartes“ waren dafür die notwendigen Vorbereitungen zu treffen und die Register nach allen Informationen zu durchsuchen, die zur Untermauerung der königlichen Rechte dienen konnten.¹⁸⁷ Ziel war es, eine gut instruierte¹⁸⁸ Gesandtschaft nach Cambrai schicken zu können. Ein weiterer Brief ging an den Bischof von Abli, der als einer der Delegierten in Cambrai für Ludwig verhandeln sollte und sich vorher in Paris zur entsprechenden Instruierung einfinden sollte.¹⁸⁹ Der von allen Seiten viel propagierte „paix finale“ wurde durch solche Lö­ sungen zwar weiter verhandelt, aber nicht abgeschlossen, da es offensichtlich mehr um die argumentativ geschickte Durchsetzung der eigenen Ansprüche und weniger um die Einigung auf einen Ausgleich ging. Die Instruktionen Maximilians verdeutlichen neben einem noch immer ungebrochenen Misstrauen auch dessen Unzufriedenheit mit den im Waffenstillstand vorgesehenen Konditionen der finalen Friedensaushandlung. Deutliche Worte wurden zur Instruktion seiner commissaires, Jehan de Berghes und Jehan de la Bouverie, für einen Tag in St. Quentin 1481 gefunden. Der Text, wie für Instruktionen üblich, antizipierte bereits den Verhandlungsverlauf und die zu befürchtenden unliebsamen Taktiken der Gegenpartei. Es sei zu erahnen, dass Ludwig die „pers de France“ und den „cour de parlement“¹⁹⁰ zur weiteren Klärung der Sachlagen einbeziehen würde. Eine solche Vorgehensweise wurde von Maximilian als parteiisch und damit inakzeptabel verurteilt. Schließlich seien doch die pairs in der Hand des Kontrahenten und auch das Pariser Parlament

187 „. . . tout ce qui pourra servir a l’esclaircissement de noz droiz . . . “. Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 112–113. 188 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 114. 189 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 114–115. 190 Commynes, Philippe de: Mémoires de messire Philippe de Comines, Seigneur D’Argenton. Contenans l’histoire des Rois des rois Louis XI. & Charles VIII. Depuis l’an 1464 jusques en 1498. Hrsg. von Denis Godefroy. 5 Bde. Brüssel 1723, Bd. 5, S. 247.

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würde sich in der Urteilsfindung nicht gegen den französischen König wenden. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang auch die separate Stellung der Grafschaft von Burgund, die außerhalb des französischen Königreiches lag und damit implizit auch einen anderen Rechtsraum darstellte. Weder das parlement noch die pairs würden daher anerkannt und es müssten andere Richter gefunden werden, „non suspectz aux parties“. Wenn auch implizit schwingt in dieser Aussage die Forderung einer neutralen, zumindest unparteiischen Rechtsinstanz mit.¹⁹¹ Auch später, im Vorfeld des paix finale von Arras, erscheint das Problem der parteiischen Richter noch nicht gelöst. In einer Instruktion für Jean Lannoy und Jean d’Auffay im März 1481 griff Maximilian dieses vielmehr in differenzierter Form wieder auf. Die anvisierte Rechtssprechung durch pairs und parlement sei weiterhin nicht akzeptabel, insbesondere im Kontext eines endgültigen Friedensschlusses. Die Unterhändler sollten für den Einsatz neutraler Richter plädieren, wie dies auch üblich sei. Eine solche neutrale Situation konnte nach Ansicht Maximilians offenbar auch durch die Hinzuziehung weiterer Akteure gewährleistet werden. Das offene Problem der Zugehörigkeit von Lille, Douay und Orchies könne zwar von den pairs behandelt werden, aber nur unter Konsultation der Kurfürsten. Auch für Burgund und Auxerre wies die Instruktion die Unterhändler an, auf die Kurfürsten als potentielle Konfliktlöser zu rekurrieren. Sollte Ludwig weiterhin eine eigene Verhandlung der Probleme an einem extra Tag im Beisein der pairs wünschen, so sei dieser daran zu erinnern, dass dann ja Maximilian gleich selbst erscheinen könne. Als Herzog von Burgund sei er schließlich selber ein „pair“.¹⁹²

191 Das Konzept der Neutralität kann, wie Klaus Oschema herausstellt, für das späte 15. Jahr­ hundert als Handlungsoption vorausgesetzt und in seiner Entwicklung vor allem im flandrischniederländischen Raum verortet werden, auch wenn die neutrale Haltung eines Akteurs von den Zeitgenossen wie dem burgundischen Chronisten Chastellain durchaus negativ bewertet werden konnte. Wer zwischen zwei Parteien stand, war neutral im Sinne fehlender Loyalität oder eines Nichtentscheidens zwischen den Polen Freundschaft und Feindschaft. Oschema, Klaus: Auf dem Weg zur Neutralität. Eine Kategorie politischen Handelns im spätmittelalterlichen Frankreich. In: Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Hrsg. von dems. Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), S. 81–108. Zur Parteilichkeit von Schiedsleuten im 13. Jahrhundert vgl. Garnier, Amicus amicis, wie Anm. 183, S. 278–308. 192 Aus der Instruktion bei Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 255–256. „. . . offriront que ce soit pardevant les pers de France, joints avec ceulx de les princes esliseurs de l’Empire. . . . [I]l est aparent qu’ils vouldront laditte connoissance de cause estre mise devant le roy & les pers de France, ou en la cour de parlement & non ailleurs. L’on pourra a ce respondre par forme de remonstrance, que veu que ladite connoissance de cause est fin & determination de la guerre, c’est bien raison qu’il y ait aucuns juges neutres & non suspects, & n’est pas chose nouvelle . . . que le roy par traitté de paix avec aucun princes du royaume ait prins

3.3 Friedensstifter: Eduard von England und die Reichsstände | 51

Wie diese Episode zeigt, waren Verfahren zur Friedensvermittlung weder fixiert noch unverhandelbar. Wenn man sich in Waffenstillstandsverträgen abstrakt auf gemeinsame Verfahren zur Friedensfindung und finalen Konfliktbeilegung einigte, erweisen sich diese Vorschläge in der politischen Realität als problematisch. Umstrittene Gebietsansprüche konnten nicht von den Institutionen geklärt werden, aus deren Rechtsraum sie eigentlich herausgelöst werden sollten. Maximilian als Herzog vom Burgund bediente sich bei seinen Lösungsvorschlä­ gen an strukturellen Voraussetzungen verschiedener Ordnungsgefüge und brachte sie miteinander in Verbindung. Er selbst integrierte sich als pair in die strukturellen Gegebenheiten Burgunds und Frankreichs. Als ausgleichender Faktor sollten für die Klärung umstrittener Gebietsansprüche aber die Wähler des Reiches agieren, die an dieser Stelle funktional als Pendant zu den französischen pairs gesehen und in den Aushandlungsprozess als neutrale oder zumindest ausgleichende Instanz integriert werden sollten.

3.3 Friedensstifter: Eduard von England und die Reichsstände Inwiefern wurde nun die weitere Konfliktbeilegung durch die Vermittlung und Beteiligung Außenstehender vorangetrieben? Von besonderem Interesse ist hier die Rolle der Kurfürsten des Reiches und deren Wahrnehmung von Seiten des französischen Königs. Kaiser und Kurfürsten waren bereits als Verbündete („allyez“) von beiden Sei­ ten in den Waffenstillstand integriert worden, dies hatte Maximilian ausdrücklich eingefordert.¹⁹³ Doch auch von Seiten des französischen Königs wurde über eine Teilnahme von Kurfürsten und Kaiser bei der Konfliktbeilegung nachgedacht. In einem undatierten Fragment eines Mémoires,¹⁹⁴ in dem er sich mit dem Streit­ fall Burgund auseinandersetzt, wird folgendes Angebot thematisiert: Auf einer Versammlung in Paris, Orleans oder Tours seien die burgundisch-französischen Differenzen zu verhandeln. Von Seiten Ludwigs sollten daran die „gens de son

juges neutres autres que les pers ou court de parlement . . . . [E]n connoissance de cause la comté de Bourgonge & vicomté d’Auxerre, qui ne sont du royaume, de tant est plus fondee l’ouverture de prendre les dits eliseurs de l’Empire. . . . [S]i seroit il bien raison que monsieur comme duc de Bourgogne premier duc & doyen de pairs & comme comte de Flandres premier comte, & comme comte d’Artois subroguié en parrie denommast & subrogast aucuns autres princes en son lieu.“ 193 Instruktion an Monseigneur de Romont, Jakob von Savoyen. Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 589–590. 194 BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 169–172v.

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grant conseil et de sa court de parlement et autres notables gens de son royaume“¹⁹⁵ beteiligt werden. Zudem könnten auch der „roi des Rommains et les electeurs de l’Empire“ ihre Boten und Gesandten schicken, um aktiv an der Versammlung teilzuhaben und ihre Meinung als gleichwertige Mitglieder zu vertreten.¹⁹⁶ Systematisch wurden hier die Verfassungsstrukturen von Frankreich und dem Reich parallelisiert. So wie der französische König auf seine obersten Behörden zurückgriff, sollte zur Repräsentation der Seite Maximilians dem Kaiser sowie den Kurfürsten ein aktives Mitspracherecht in den burgundischen Auseinander­ setzungen eingeräumt werden. Maximilian als Kontrahent wurde damit nicht ausschließlich als Herzog von Burgund behandelt, sondern die Forderung des französischen Königs wies auf dessen Zukunft als König des römisch-deutschen Reiches hin, dessen Strukturen nun bemüht werden sollten und den Erbkonflikt grenzübergreifend werden ließen. Durch die beidseitige Integration von Kaiser und Reich in den Waffenstillstand konnten diese aber auch als vermeintlich neutrale Instanz betrachtet werden, was sie, ähnlich wie den englischen König, als Beteiligte im Friedensstiftungsprozess qualifizierte. In einem Brief an König Eduard von England formuliert Ludwig aus­ drücklich, dass trotz der Konflikte mit dem Herzog von Burgund sein Verhältnis zum Reich weiterhin ungebrochen sei. Als Akteure der Streitbeilegung eigneten sich Kaiser und Reich damit ebenso wie der englische König, der im selben Schreiben als Schiedsrichter („arbitre“) rekrutiert werden sollte.¹⁹⁷ Thematisiert wurde in diesem Zusammenhang auch die lange, konfliktreiche englisch-französische Ver­ gangenheit. Während der Auseinandersetzungen waren ebenfalls Schiedsrichter bemüht worden. Auch wenn der englische König es vielleicht als problematisch ansehen könnte, jetzt für die Rechte des ehemaligen Feindes einzutreten, so sei doch mit Einverständnis der Räte beider einst ein Frieden geschlossen worden, heißt es in Ludwigs Anschreiben.¹⁹⁸ Mit dem Schiedsgericht wurde auf erprobte Konfliktlösungsstrategien des Hundertjährigen Krieges zurückgegriffen. Der auf diesem Weg gestiftete Frieden galt offenbar als so stabil, dass dem ehemaligen Feind jetzt sogar die Deutung französischer Königsrechte zugebilligt werden konnte.

195 BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 172r. 196 „. . . leurs opinions soyent d’autant effect valleur . . . “ BNF, MS fr. 5042, wie Anm. 124, fol. 172v. 197 Während für den Kaiser die universale Pflicht der Herstellung eines Friedens der Christenheit hervorgehoben wurde, lässt sich die Rolle der Kurfürsten im Umfeld richterlicher Tätigkeiten verorten, welche über Boten wahrgenommen werden konnten. Zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten in Kontext von Friedensstiftungen durch Dritte grundlegend Kamp, Friedensstifter, wie Anm. 183, S. 4–27. 198 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 8, S. 195–196.

3.3 Friedensstifter: Eduard von England und die Reichsstände |

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Die politische Realität sah hingegen anders aus. Auch wenn Eduards Mittelpo­ sition zwischen Ludwig und Maximilian offensichtlich war, blieb diese geprägt von dessen eigenen politischen Interessen und parallelen Bündnisverhandlungen mit Frankreich und Burgund. Von einer neutralen Tätigkeit Ludwigs kann somit nicht ausgegangen werden.¹⁹⁹ Trotzdem enthält der Brief an den englischen König weitere interessante Details darüber, wie Ludwig seinen Kontrahenten Maximilian im Verhältnis zu Kaiser und Kurfürsten wahrnahm. Die Grenze zwischen Burgund und dem Reich wurde hier noch einmal deutlich gezogen und der Konflikt explizit als Erbkonflikt zwi­ schen dem Herzog von Burgund und Ludwig kategorisiert. Dennoch thematisiert Ludwig offen die Sonderrolle Maximilians und differenziert dabei klar zwischen Hausmacht und Imperium. Maximilian unterstünde noch immer seinem Vater, dem Kaiser, der nicht für die Vergrößerung des Hausgutes, sondern für höhere Ziele einstehen solle. Daher sei auch nicht akzeptabel, dass dieser nun, nicht unter der Prämisse des „bien de l‘Empire“,²⁰⁰ sondern zum Nutzen seines Hau­ ses Österreichs und seines Sohnes große Teile der französischen Krone für sich beanspruche,²⁰¹ Ländereien, die Ludwig gemäß „droit de succession naturelle“²⁰² zustünden. Zudem solle der Kaiser für den Frieden in der Christenheit eintreten, weswegen Streitigkeiten mit dem christlichsten König von Frankreich unangebracht seien.²⁰³ Bezeichnenderweise formuliert Ludwig hier die Ansprüche an den Kaiser, die dessen eigenen Rechtfertigungsmustern in den reichsinternen Reformdiskursen entsprachen. Dies bietet Anlass den Blick von Burgund in das Reich zu richten. Wie stellte sich das Verhältnis von Reich und Frankreich zu dieser Zeit dar und wie war die vorherrschende Stimmung bezüglich der kriegerischen Bedrohung des Thron­ folgers? Im Reich war die Lage angespannt. Kaiser Friedrich schilderte im Juni

199 Zur politischen Position Eduards und den Bündnisversuchen Burgunds vgl. Ross, Charles: Edward IV. London 2 1974, S. 251–293. 200 Dass die Herstellung eines Friedens, als dessen Vorbereitung ja auch ein Waffenstillstand gesehen wurde, auch dem gemeinen Wohl dienen sollte, drückte Maximilian gegenüber den Reichsfürsten aus, die er 1481 zu Friedensverhandlungen mit dem französischen König nach Metz zur Beilegung der Differenzen lud, „pour le bien commun de tout la chéstiennité“. Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 241. Vgl. zum Konzept des bien commun und den damit verbundenen Ansprüchen an das Königtum in Reich und Frankreich in den Reformdiskursen des ausgehenden Mittelalters Naegle, Gisela: D’une cité à l’autre. Bien commun et réforme de l’État à la fin du Moyen Âge (France/Empire). In: Revue française d’Histoire des idées politiques 32 (2010), S. 325–338. 201 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 198. 202 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 8, S. 195. 203 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 8, S. 197.

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1480 seinem Kämmerer und Rat der Stadt Regensburg die Gefahren, die seinen Erblanden von Seiten der Türken und durch König Matthias von Ungarn drohten.²⁰⁴ Die Schwierigkeiten Maximilians waren lediglich ein dritter Problemherd. Auf einem königlichen Tag zu Nürnberg Ende 1480, an dem der Kaiser nicht persön­ lich beteiligt war, wurde eine Botschaft zu Verhandlungen mit dem König von Frankreich und dem Erzherzog von Burgund abgefertigt. Nicht vom Kaiser, sondern von Seiten der „Churfürsten Fürsten und ander diser versamnung“²⁰⁵ sollte der Bote die Aufwartung machen, wie aus der Abfertigung hervorgeht. Dass es sich bei der Durchsetzung der Gesandtschaft um ein gezielt kurfürstliches Interesse handelte, belegt die Tatsache, dass der kaiserliche Anwalt Haug sich während der Versammlung gegen eine solche Delegation aussprach. Der Kaiser betrachte es als kritisch „ainen solichen mechtigen kunig mit wortten zu bedingen oder zu bericht zu bewegen“.²⁰⁶ Gefördert durch die Anstrengungen Albrechts von Sachsen²⁰⁷ setzten die Fürsten ihre Botschaftsforderungen in ihrem Sinne durch und stellten zugleich die Akteure der Verhandlungen. Albrecht von Sachsen selbst und Bischof Johann von Augsburg wurden nach Frankreich abgeordnet.²⁰⁸ Ziel der Botschaft war dabei nicht primär die Beilegung des Erbschaftsstreits, wie sich aus der gewählten Rhetorik der Abfertigung für die Gesandten entnehmen lässt. Vielmehr wurden die Völker der Christenheit dazu aufgerufen, gemeinsam den Türken Widerstand zu leisten. Die „widerwertikaitt vnd Irrung zwischn¯ der könig­

204 Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet. H. 15: Die Urkunden und Briefe aus den Beständen „Reichsstadt“ und „Hochstift“ Regensburg des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in München sowie aus den Regensburger Archiven und Bibliotheken. Bearb. von Franz Fuchs u. Karl-Friedrich Krieger. Wien [u. a.] 2002 (im Folgenden zit. als RI XIII, H. 15), n. 367. 205 Chmel, Joseph (Hrsg.): Monumenta Habsburgica. I. Abt. Aktenstücke und Briefe zur Geschichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilians I. 3 Bde. Wien 1854–1858, Bd. 3, S. 127. 206 Chmel, Monumenta Habsburgica, wie Anm. 205, Bd. 3, S. 146. 207 Chmel, Monumenta Habsburgica, wie Anm. 205, Bd. 3, S. 148. 208 Der Bischof von Augsburg war bereits bei der Reichsversammlung anwesend. Über die Gesandtschaft liegt ein Bericht vor in Form eines Schreibens des Bischofs Johann von Augsburg, des Grafen Jost Niklas von Zollern und des Dr. Bernhard Frowis, der sich an die Kurfürsten und Fürsten des Reiches richtet. Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar, ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 25, fol. 9r–10v. Brisanter und härter umfochten war auf dem Nürnberger Tag die Gesandtschaft nach Ungarn, die ebenfalls entgegen dem kaiserlichen Willen durchgesetzt werden konnte. Eine aktuelle Edition der Akten zu den Reichstagen zwischen 1471–1485 steht noch aus. Vgl. daher noch die Dissertation von Küffner, Karl: Der Reichstag von Nürnberg anno 1480. Würzburg 1892, S. 62–73. Zur Bedeutung der Reichstagsakten über die Reichsgeschichte hinaus Müller, Heribert: Die Reichstagsakten (Ältere Reihe) und ihre Bedeutung für die europäische Geschichte. In: Frankreich, Burgund und das Reich im späten Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von dems. [u. a.]. Tübingen 2011 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 56), S. 126–155.

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lichn¯ würd von Frankreich und dess Ertzhertzogen“²⁰⁹ würden dieses Vornehmen behindern und sollten aus der Welt geräumt werden. Die dualistischen Strukturen des Reiches prägen bereits hier die politische Stellungnahme zum Erbschaftskonflikt. Österreichische Hausmachtpolitik war nicht im Interesse der Reichsstände und primär der Kurfürsten. Wichtiger erschien eine schnelle und friedliche Einigung. Maximilians Reaktion auf diese Reichsge­ sandtschaft lässt sich in der Instruktion erfassen, mit der er eine Gesandtschaft²¹⁰ zu den Reichsfürsten ausstattete. Der Bischof von Augsburg, der Graf von Zollern und ein Doktor Petras²¹¹ hatten ihn bereits im Mai in Bois-le-Duc²¹² angetroffen und den Türkenzug sowie die Zusammenarbeit der christlichen Herrscher pro­ klamiert. Den Wunsch nach Einheit in der Christenheit, insbesondere unter den beiden mächtigsten christlichen Herrschern, hatten diese zuvor auch vor dem französischen König vorgetragen.²¹³ Sowohl Maximilian als auch Ludwig zeigten sich einverstanden mit den Versöhnungsversuchen von Seiten des Reiches.²¹⁴ Zugleich kommunizierte Maximilian aber auch seine Erbansprüche. Bei einer Streit­ beilegung sei zu beachten, was schon ausführlich in den juristischen Diskursen der letzten Jahre betont worden war. Der König von Frankreich habe keinerlei Rechte auf die Besitzungen des burgundischen Herzogspaares, da diese zu großen Teilen zum Reich gehörten.²¹⁵ Gegebenenfalls sollten die Fürsten auch auf die Vertragsbrüchigkeit des französischen Königs hingewiesen werden. Deutlich wird das Misstrauen gegenüber den Reichsfürsten in einer Instruk­ tion an Maximilians Botschafter in England, Pierre Puissant. Bei der geplanten Verhandlung in Metz sei zu befürchten, dass der französische König die Fürsten 209 Chmel, Monumenta Habsburgica, wie Anm. 205, Bd. 3, S. 128. 210 Die Instruktion ist ausgestellt für Claude Thoulongeon, Jean d’Auffay, Guillaume de Rochefort und Gilles de Bustleyden. 211 Unter den Gesandten zum französischen König hatte sich anstelle des Petras ein Dr. Bernhard Frowis befunden, der in späteren Jahren noch als Anwalt für den Pfalzgrafen tätig sein sollte. Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, B 503 I U 873. 212 Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 239. 213 ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 25, wie Anm. 208, fol. 9v. 214 „. . . tres joeulx, que lesdits princes voulsissent [sic!] entreprendre de cognoistre & appaiser les differens . . . “. Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 240. Ludwig XI. hatte sich der Gesandtschaft gegenüber zunächst nicht sonderlich aufgeschlossen gezeigt. Zum Empfang weiter unten S. 158. Erst als die Diplomaten betonten, „daz kein parthÿlichkeit uber gnad . . . und befolhen, noch in unselbs sy . . . “ konnten sie das Anliegen eines gemeinsamen Türkenkrieges vortragen. Der französische König entschuldigte sich darauf hin, dass er in „dere nacht plod wer gewest und begerten an unz daß wir es nit im ubel zunemen . . . “. ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 25, wie Anm. 208, fol. 9v–10r. 215 „. . . dont une grant partie est en l’Empire . . . “. Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 240.

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auf seine Seite ziehe und von seiner Sache überzeuge. Als letzter Beweis für die Anrechte auf die strittigen Länder wurde der neunjährige Waffenstillstand Karls des Kühnen und dessen unbestrittene Gültigkeit herangezogen.²¹⁶ Das Ringen um die Gunst der Reichsfürsten, welches sich hier bereits anbahnt, wird sich in den folgenden Jahren noch intensivieren. Es ist zu zeigen, wie und inwiefern gerade Vertragsbruchvorwürfe in Kriegsbegründungen gegenüber dem Reich relevant werden sollten.

3.4 Lokale Wirkungen und Grenzen von Waffenstillständen am Beispiel der Stadt Tournai 3.4.1 Die neutrale Stadt Waffenstillstände legten nicht nur einen Grundstein für die weiteren Friedens­ verhandlungen und die endgültige Konfliktbeilegung zwischen den Herrschern. Vielmehr sollte bereits durch den Waffenstillstand selbst ein vorläufiger Frieden geschaffen werden, der sich konkret auf die betroffenen und umstrittenen Gebieten auswirkte. Wie wurde die temporäre Kriegsbeilegung also praktisch umgesetzt und welche Personengruppen profitierten von der Umsetzung der Waffenstillstände? Greifbar werden vor allem jene, die schon in den Vertragstexten selbst benannt wurden. Im Falle des Erbkonfliktes waren dies vorrangig Städte, deren Zugehörigkeit sich in der Zeit fortwährender Friedensverhandlungen stets ändern konnte. Ziel der Waffenstillstandsabkommen war neben dem Schutz vor Zerstörung und Gewalt innerhalb der Stadtmauern die gewährleistete Funktionalität von Handel und Wirtschaft. Ohne Störungen sollten die dortigen Geschäfte ablaufen können und Landwirtschaft betrieben werden, heißt es in der Formulierung des Vertrages.²¹⁷ Eine solche friedliche Existenz innerhalb der Städte sowie gesicherte Handels­ beziehungen konnten dadurch gewährleistet werden, dass Städte mit umstrittenem Zugehörigkeitsstatus vertraglich als neutral bezeichnet wurden. Anders als für ade­

216 Instruktion an Pierre Puissant bei Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 198. Der Verweis auf den Waffenstillstand bei Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 242. 217 „Et durant icelle tresve les subjects de l’un & de l’autre party, soit gens d‘eglise, marchands ou autres . . . pourront communiquer, marchander, & faire toutes leurs négociations & besoignes les uns avec les autres, aller, venir, sejourner . . . sans que aucun mal empeschement ou destourbir . . . .“ Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 542. Vgl. dazu auch die Forderungen für die Niederlande in der Instruktion Maximilians Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 591.

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lige Akteure war das Verhältnis zwischen den korporativ organisierten Städten und Herrschaftsträgern weniger strikt an die personellen Operanden „Freundschaft“ und „Feindschaft“ geknüpft.²¹⁸ Seit den Konflikten des Hundertjährigen Krieges und den habsburgisch-französischen Streitigkeiten lässt sich der Neutralitätsge­ danke vermehrt im städtischen Bereich finden und als pragmatische Reaktion der hier stetig im Prozess der Aushandlung begriffenen Besitzansprüche verstehen.²¹⁹ So wurde gerade in den burgundisch-französischen Gebietsstreitigkeiten einigen Städten der Zustand der Neutralität gewährt.²²⁰ Maximilian definiert diesen Status wie folgt: Gewisse Städte „seront durant cettedite abstinence tenus en neutralité, en telle façon qu’ils ne seront taillés, composés ne appatis par l’un ou l’autre des parties“²²¹. Städte konnten sich folglich nicht selbst als neutral bezeichnen und positionieren. Vielmehr waren es die Herrscher, die sich vorübergehend darauf einigten die Zugehörigkeit der betroffenen Stadt nicht auf dem militärischen Weg zu regeln. Anhand des folgenden Fallbeispiels lässt sich demonstrieren, wie ein Waffen­ stillstand von unten, also in einer Stadt selbst und durch die dortigen Verwaltungs­ strukturen, umgesetzt werden konnte. Gleichzeitig wird sich dabei zeigen, wie der Text eines Waffenstillstandes von den Herrschern zu eigenen Gunsten ausgelegt wurde. Der finale Bruch des Waffenstillstandes erfolgte nicht abrupt, sondern war vielmehr das Ergebnis eines komplexen Prozesses, in den auch das städtische Verwaltungspersonal eingebunden war.

3.4.2 Integration Tournais in den Waffenstillstand Die städtische Neutralität war im Kontext des Waffenstillstandes von 1478 ein viel verhandeltes und vor allem nicht unstrittiges Thema. Das Beispiel der Stadt Tournai verdeutlicht dies. Als französische Exklave befand sich Tournai bereits seit der Herrschaft Karls des Kühnen in einer strategisch prekären Position inmitten des burgundischen Einflussraumes und Herrschaftsgebietes. Die städtischen Handels­ beziehungen mit den umliegenden Orten waren im Konfliktfall in besonderem

218 Oschema, Klaus: Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Spannungsfeld von Emotion und Institution. Köln [u. a.] 2006 (Norm und Struktur 26), S. 276. 219 Vgl. dazu Oschema, Neutralität, wie Anm. 191, S. 97–101 mit einigen Quellenbeispielen u. a. aus der Chronik Chastellains, S. 96–97. 220 Oschema, Freundschaft und Nähe, wie Anm. 218, S. 276–277. Hier das Beispiel der Stadt Lüttich, deren Neutralität 1492 anerkannt wurde. 221 Instruktion vom 12. August 1480. Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 591.

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Maße gefährdet und brachten Tournai und seine Händler immer wieder an den Rand der eigenen Existenz. Bereits im Zuge der Aushandlung des Waffenstillstandes vom Juli 1478 meldeten sich die Räte der Stadt mehrfach zu Wort, denn schon im Vorfeld des Vertragsschlus­ ses schien die gewünschte Festschreibung ihrer Neutralität gefährdet. Insbesondere der französische König wollte keine eindeutigen Aussagen treffen und von einer Neutralität Tournais wurde nur im allgemeinen Sinne gehandelt. Ausreichend definiert wurde der Status in den Vertragsverhandlungen jedoch nicht.²²² Vom burgundischen Herzog wurden die Räte der Stadt zwar schriftlich über die laufenden Vertragsverhandlungen und den vorgesehenen Neutralitätsstatus für Cambrai und Tournai informiert,²²³ dennoch löste die fehlende schriftliche Zusage des französischen Königs allgemeine Verunsicherung aus.²²⁴ Tournai konnte sich damit nach Abschluss des Waffenstillstandes nicht in der gewünschten Sicherheit wiegen.²²⁵ Insbesondere wurde von den burgundi­ schen Unterhändlern weiter Druck aufgebaut: Monseigneur de Lannoy betonte eindringlich, dass der Frieden der Stadt sowie die ungestörte Kommunikation mit den Nachbarstädten nur dann gewährleistet werden könne, wenn Tournai auch wirklich für neutral erklärt würde.²²⁶ Die Abmachungen des Waffenstillstandes 222 „. . . estoit leur advis que pur ce que les lettres du Roy faisans mention de ladite neutralité estoient obscures . . . . Quant a la neutralité dont les lettres du duc d’Ostriche font mencion, ceux de la ville ne sceuvent aultre chose que ils sont neutres en termes generaux, sans avoir nulle declaration de la forme et maniere ne du temps quelle averoit a durer, par quoi est pure necessité qu’ilz envoyent, a celle cause, devers le Roy pour en avoir ample declaracion et savoir comment ilz se y ont a conduire.“ Mémoires de la société historique et littéraire de Tournai. 25 Bde. Tournai 1853–1895, Bd. 3, S. 156–157. 223 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 161. Cambrais Neutralität wurde 1482 bestätigt. ADN, B 346, 17756. Einen interessanten literarischen Dialog zum Neutralitätsstatus und zur Zugehörigkeit Cambrais ediert und analysiert Haye, Thomas: Cambrai zwischen Frankreich, Burgund und dem Reich. Ein unbekannter Dialog des Johannes de Luwere aus dem Jahre 1478. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 122 (2014), S. 336–380. Es handelt sich um ein auf das Jahr 1478 zu datierendes Stück aus BNF, MS fr. 18730 mit dem Titel „Super stupro civitatis Cameracensis des Johannes de Luwere“, fol. 135r– 146r. Zur Einordnung der Quelle Haye, Cambrai, wie Anm. 223, S. 339–342. Auf die Vergleichbarkeit der Städte Tournai und Cambrai verweist der lateinische Dialog selbst und bezeichnet diese als „urbes unius nature“. Haye, Cambrai, wie Anm. 223, S. 373. 224 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 165ff. 225 Vgl. allgemein zum Untertanenvölkerrecht für das 18. Jahrhundert. Steiger, Heinhard: Was haben die Untertanen vom Frieden? In: Utrecht – Rastatt – Baden 1712–1714 Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV. Hrsg. von Martin Espenhorst u. Heinz Duchhardt. Göttingen 2013, S. 141–166. 226 „. . . [L]edit duc d’Austrice, ne aussi ceux de Flandres, n’esotient pas bien contens de ladite ville de Tournai. Et leur faisoit ledit duc signiffier qu’ilz declairaissent leur intencion sur ladite neutralité,

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seien wenig ausschlaggebend, da die Stadt dort nicht explizit einbezogen worden war,²²⁷ was auch ein Blick in den Vertragstext belegt. Dieser war nur „generalle entre le Roy, ses pays et subgez, et ledit duc d’Osterice, ses pays et subgez“²²⁸ geschlossen worden, wie die allgemein gehaltene Formulierung zeigt. Diese unvorteilhafte Auslegung des Waffenstillstandes führte zum Protest bei der Versammlung in Tournai, der sich vor allem gegen Monseigneur de Lannoy richtete, der als Unterhändler an der Textfassung des Vertrages beteiligt gewesen war. Im Vertragstext seien neben Ludwig und Maximilian alle Untertanen der beiden Parteien miteinbezogen worden, weswegen auch Tournai als Stadt und Untertan des französischen Königs nicht aus dem Abkommen heraus interpretiert werden könne, sondern zwangsläufig in den Waffenstillstand zu integrieren sei.²²⁹ Offensichtlich konnten diese Argumente aber keinen Statuswandel der Stadt her­ beiführen, deren Position ungesichert blieb. Alsbald stellte diese daher den Kontakt zum französischen König her, um sich von diesem den Neutralitätsstatus bestäti­ gen zu lassen. Die Dringlichkeit der Angelegenheit wurde durch eine gleichzeitig vorgebrachte Klage über den Herzog von Burgund unterstrichen. Dieser habe ent­ gegen des von ihm versprochenen und beschworenen Waffenstillstandes Tournais Lebensmitteleinfuhr aus Lille und anderen Nachbarstädten unterbunden.²³⁰ Jehan Leleu, der procureur général der Stadt, wurde daraufhin nach Lille geschickt, wo er vor dem dort anwesenden Maximilian die Durchsetzung des Waffenstillstandes in lokalen Konflikten einforderte.²³¹ Der Herzog wurde gebeten, trotz der ungeklärten Lage nichts gegen die Stadt zu unternehmen und die königliche Antwort zur Neutra­ litätsfrage abzuwarten.²³² Noch im selben Monat erreichte Monseigneur de Lannoy Tournai und unterbreitete im Auftrag Maximilians den Vorschlag eines separaten

laquelle ledit de Lannoy disoit estre tres prouffitable et utile pour ladit ville, car par ce moyen elle seroit tenue paisible, recouvreroient les habitans la joissance de leurs biens, communiqueroient paisiblement avec leurs voisines . . . “. Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 174. 227 „. . . Tournai ny estoient pas comprins . . . “. Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 174. 228 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 175. 229 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 175. 230 Der Waffenstillstand war in Tournai am 17. Juli 1478 veröffentlicht worden. Nicolay, Jehan: Kalendrier des guerres de Tournai (1477–1479). Hrsg. von Frédéric Hennebert. Brüssel 1853–1856 (Mémoires de la Société d’histoire et littérature de Tournai 2), S. 291ff, 305–309. Die entsprechende Aufforderung Ludwigs XI. an seinen Kanzler sich der Sache anzunehmen folgt am 8. August 1478. Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 7, S. 134–135. 231 Nicolay, Kalendrier, wie Anm. 230, S. 303. Maximilian schickt einen Herold zur Klärung der Angelegenheit. 232 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 178.

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Vertragsschlusses, der, in Anlehnung an vergangene Abkommen unter Karl dem Kühnen, die ersehnte Neutralität der Stadt festschreiben sollte, welche dieser endlich den Handel mit den umliegenden Besitzungen des Burgunderherzogs ermöglichen würde.²³³

3.4.3 Sonderabkommen mit Maximilian Tatsächlich wurde ein entsprechender „tractiet de hantise et communication“ zwischen dem städtischen procureur générale Jehan Leleu und den Unterhändlern Maximilians ausgehandelt und in zwei Schriftstücken festgehalten und regis­ triert.²³⁴ Die Veröffentlichung erfolgte vor der versammelten Stadtgemeinschaft.²³⁵ Die colleges et bannieres Tournais akzeptierten den Vertrag aber nur unter der Bedingung des königlichen Einverständnisses.²³⁶ Der französische König wurde in einem Schreiben über den Vertragsabschluss informiert. Sein Einverständnis wurde mit dem drängenden Zusatz nahezu antizipiert, dass bei seiner Ablehnung die Zerstörung der Stadt bevor stünde.²³⁷ Damit die gewünschte Ordnung nun bald in Tournai greifen konnte, wurde das Sonderabkommen zur Veröffentlichung an die Räte von Brabant und Flandern, den gouverneur von Lille und Douai, den grand bailli von Flandern, den bailli von Flandern sowie weitere Richter und Beamte weitergeleitet.²³⁸ Wie wichtig die Exekution des Abkommens für die Stadt sein sollte, zeigte sich schon bald anhand von einigen Konfliktfällen, die nun gemäß und vor dem Hintergrund des geschlossenen Sonderabkommens gelöst werden sollten. In zwei Fällen war es zu Auseinandersetzungen zwischen Bürgern der Stadt und Untertanen des Herzogs von Burgund gekommen. Diese wurden zwar noch nicht als Bruch des Waffenstillstandes gewertet, trotzdem entsandte Maximilian Jean d’Auffay zur Überprüfung der Angelegenheiten nach Tournai. Im ersten Fall waren Gilles Vraux und Aert Scraper, zwei Händler aus dem Lager des burgundischen Herzogs, in Tournai in Streitigkeiten verwickelt worden. Es war nun die Frage, wie dieser Konflikt vor Ort zu lösen sei. Tournai konnte in diesem

233 Nicolay, Kalendrier, wie Anm. 230, S. 305–309. 234 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, App., S. 195–210. 235 Lesort, André: Un document inédit concernant la diplomatie de Louis XI à propos de la neutralité de Tournai (1477–1479). In: Bibliothèque de l’Ecole des Chartes 62 (1901), S. 22. 236 „. . . accordent ledit traitié, a condicion que soit le plaisir du Roy . . . “. Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, App., S. 120. 237 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, App., S. 211. 238 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, App., S. 6.

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Fall lediglich mit der Entschuldigung aufwarten, dass Rechtsprechung eigentlich nur mit Zustimmung des Königs möglich sei. Bezüglich der Händlerstreitigkeiten könne man aber die conservateurs des Waffenstillstandes als Richter einsetzen.²³⁹ Deutlich führt dieser Fall vor Augen, dass Tournai immer noch der französischen Krone unterstand und damit als Appellationsinstanz das parlement de Paris zuständig war. Das Sonderabkommen mit dem Herzog von Burgund änderte daran freilich nichts. In einem weiteren Fall zeigt sich aber, wie hoch das gute Verhältnis Tournais auch zu Maximilian eingeschätzt wurde und vor allem, welche Bedeutung der Einhaltung des Sonderabkommens zugemessen wurde. Am 5. Juni 1479 versam­ melten sich die vier consaulx der Stadt mit einigen Domherren („chanoines de l’eglise“), Gesandten des Stadtkapitels unter namentlicher Nennung von Thiery de Lesdernay²⁴⁰, Jehan Quentin, Doktor der Theologie, Jehan de Manuy und Nicolles Deswastines²⁴¹ mit dem „lieutenant de bailli, procureur, advocat“ und anderen Räten und Offizieren des Königs sowie einigen Bürgern und Händlern aus jeder Pfarrgemeinde der Stadt. Das friedliche Verhältnis zum Herzog von Burgund wurde, so der Vortrag der städtischen consaulx, von einem gewissen Guillaume de Thouart gefährdet. Dieser war in Konflikt mit einigen Untertanen des Herzogs geraten, die sich unter dem Schutz des Vertrages in der Stadt aufgehalten hätten. Darüber hinaus habe der Beschuldigte eine große Anzahl an Bürgern bewaffnet und damit gedroht die Stadt mit der kriegerischen Versammlung zu verlassen.²⁴² In Anbetracht der misslichen geographischen Lage Tournais, eingeschlossen von feindlichen Ländern, sei der Fall unbedingt zu besprechen, da das Verhalten des Guillaume de Thouart den Frieden offensichtlich gefährde.²⁴³ Nicht nur die Einwohner Tournais, sondern auch die Vertreter des Königs stimmten zu, dass der Vertrag unter allen Umständen eingehalten werden müs­

239 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, App., S. 221. 240 Doyen de Thoul. 241 „. . . hostellier, et lescolatre de ladite eglise . . . “. 242 „. . . Guillemme de Thouart qui est natif de cestdite ville, avoit fait pluseurs exces et entreprises en ceste ville, a lencontre de pluseurs des subgés dudit duc conversans en icelle ville soubz la confidence et sceurté dudite traictié . . . . Et avec ce eslevoit et retenoit compaignons de la ville en grand nombre, lesquelz il armoit et leur donnoit hoquetons et armures, soy vantant qu’il les menroit en France et se partiroit de ceste ville en assemblée d’armes.“ Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 234. 243 „. . . actendu leur scituacion et quelle est enclose de toutes pars de fortes villes et pays adversaires au roy . . . “ „Se ainsi estoit que le tracitié feust rompu, ceste ville seroit en grant peril, attendu son enclavement . . . “. Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 234–236.

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se, damit die Sicherheit der Stadt, freilich unter ungebrochener Herrschaft des französischen Königs, erhalten bliebe.²⁴⁴ Der Vertrag solle daher in allen Punkten genausten befolgt werden. Guillaume sei demzufolge zu bestrafen und einzu­ sperren, genauso wie alle anderen, die gegen die veröffentlichten Anweisungen bezüglich Bewaffnung und Versammlung verstoßen hätten.²⁴⁵ Auch der Herzog von Burgund wurde schriftlich über den Fall informiert und ihm damit der Beleg erbracht, dass die mit ihm geschlossenen Vereinbarungen auch innerhalb der Stadt durchgesetzt und vor allem Verstöße juristisch geahn­ det und bestraft wurden.²⁴⁶ Gleichsam wurden aber auch Beschwerden über die Nachbarstädte an den Burgunderherzog adressiert.²⁴⁷ Auffällig ist hier die Haltung und Position des französischen Königs, dessen Vertreter offensichtlich ebenso für die Einhaltung des Waffenstillstandes stimmten, wie die städtischen Funktionäre. Ein städtisches Protokoll verdeutlicht hingegen, dass dieses königliche Einverständnis weder selbstverständlich noch dauerhaft war. Vielmehr offenbart sich in den Ausführungen das stete Ringen um die kö­ nigliche Zustimmung, die nie in schriftlicher Form gewährt worden war. Den Städtevertretern blieb nichts anderes übrig, als davon auszugehen und vor allem beständig zu betonen, dass der Separatvertrag mit dem Herzog von Burgund im besten Einvernehmen mit ihrem „souverain et naturel seigneur“²⁴⁸ geschehen war. Ludwigs Bedingung sei lediglich gewesen, dass ein solcher Vertrag auf keinen Fall das Wort „Neutralität“ enthalten durfte, da dieses sowohl für ihn als auch für die Stadt unehrenhaft wäre und Tournai schließlich einzig zum französischen König gehöre.²⁴⁹ Bezeichnend ist nun, dass Ludwig den Gesandten der Stadt zwar offen­ sichtlich zum Vertragsschluss mit seinem burgundischen Kontrahenten geraten

244 Zum Verhältnis von Sicherheit und Herrschaft in Konfliktzeiten Tischer, Anuschka: Sicherheit in Krieg und Frieden. In: Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation. Hrsg. von Christoph Kampmann u. Ulrich Niggemann. Köln [u. a.] 2013 (Frühneuzeit-Impulse 2), S. 76–88. 245 „. . . que le traictié fait avec le duc d’Austrice et ses pays soit entretenu de point en point, et que nulz des manans et habitans de ladite ville ne savance de faire, dire ne procurer chose, de bouche, par escript ne autrement, contraire ou preiudiciable audit traictié, sur peine cappital, etc. . . . Guillemme et tous ceulx qui ont transgressé ou transgresseront les ordnonnances et publicacions faictes de par les consaulx, touchant lesdits armées et assemblées, soient emprisonnez et pugnis selon lexigence des cas.“ Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 237. 246 Mémoires de la Société historique, wie Anm. 222, Bd. 3, S. 238. 247 Nicolay, Kalendrier, wie Anm. 230, S. 361–365. 248 Lesort, Un document inédit, wie Anm. 235, S. 21. 249 „. . . ou traitié qui s’en feroit, ne feust point parlé de neutralité, car se ne seroit point chose honnourable pour le roy ni pour la ville, attendu que icelle ville estoit unement au Roy . . . “. Lesort, Un document inédit, wie Anm. 235, S. 20.

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hatte und auch im Konfliktfall des Prozesses um Guillaume de Thouart über seine Gesandten keine gegenteilige Position eingenommen wurde. Dementgegen steht die konsequente Verweigerung einer schriftlichen Zustimmung und Bestätigung des Sonderabkommens.²⁵⁰ Die undurchsichtige Haltung des französischen Königs führte unmittelbar zu innerstädtischen Auseinandersetzungen. Bald kursierten Gerüchte, dass das eigen­ mächtige Abkommen nie im Sinne des Königs gewesen sei.²⁵¹ Bei einer Beratung der vier consaulx wird die allgemeine Uneinigkeit sichtbar. Die Klage richtete sich allgemein gegen den Rat und die ciefs der Stadt. Diese hätten unter Täuschung der ganzen Stadtgemeinschaft und ohne die Erlaubnis Ludwigs einen Vertrag mit dem Burgunderherzog geschlossen.²⁵² Letztendlich löste der König selbst die Situation auf. Alle Einwohner der Stadt Tournai wurden von dem Vergehen des unerlaubten Vertragsschlusses freigespro­ chen: Obwohl Tournai in den Waffenstillstand zwischen ihm und Maximilian aufgenommen worden war, womit die Sicherheit von Bürgern und Handel hätte gewährleistet werden müssen, habe sich Tournai bald in einer Zwangslage befun­ den, heißt es in den entsprechenden „lettres d’abolition“. Unter Missachtung des Abkommens habe der Burgunder die Lebensmitteleinfuhr in die Stadt verhindert und damit eine Notsituation erzwungen, die weder die zuständigen conservateurs noch die Mitglieder des grand conseil hätten lösen können. Angebote seien aus­ drücklich abgelehnt worden. Mit Gewalt und Zwang sei so ein Vertrag geschlossen worden, der von königlicher Seite nie akzeptiert worden wäre. Als treue Untertanen hatten nun die Funktionäre und Bewohner der Stadt um Verzeihung gebeten und ihre ungebrochene Loyalität gegenüber der französischen Krone bekundet. Prägnant für die königliche Abhandlung ist die minutiöse schriftliche Darlegung und Versicherung des Untertanenstatus und der beständigen und lange währenden Loyalität der Stadt und jedes einzelnen Bürgers. Unter Verletzung von Ehre, Eid und Versprechen sei es letztlich der Herzog von Burgund gewesen, der gegen den Waffenstillstand mit dem französischen König verstoßen hatte.²⁵³

250 Lesort, Un document inédit, wie Anm. 235, S. 23. 251 Lesort, Un document inédit, wie Anm. 235, S. 23. 252 „. . . [L]es dits consaulx furent plainement advertis que les ciefs et conseil les avoient decuez, illuisez et abusez avoecq toutte la communauté, eulx disans et maintenans, avant le dit traictiet fait, avoir grasce, congiet et liscense du roy, ce que ne pas avoient . . . .“ Nicolay, Kalendrier, wie Anm. 230, S. 360. Vgl. die Gegenposition im Rechtfertigungsschreiben von Jehan Leleu, Jaques Alegambe, Jehan de Haveron und Olivier de Temploeve bei Lesort, Un document inédit, wie Anm. 235, S. 17–24. 253 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 557–560.

64 | 3 Aushandlung – Festschreibung: Waffenstillstandsversuche 1478–1480 3.4.4 Zusammenfassung Gerade Waffenstillstände markieren gleichsam eine Zäsur wie einen unfertigen Einigungsvorgang. Auch wenn in den ausführlichen Waffenstillstandsvereinbarun­ gen im Vorfeld des Vertrages von Arras die Regeln zur Lösungsfindung festgehalten wurden, so führte deren Interpretation doch zu weiteren Problemen. Könnte man mit Lesaffer zunächst folgern, dass mittelalterliche Vertragstexte zwar noch nicht im Sinne eines Völkerrechtes gelten, aber dennoch das beinhalten, was von beiden Vertragspartnern zu dieser Zeit als gültiges Recht angenommen wurde,²⁵⁴ zeigt sich im nächsten Schritt auch hier das Konfliktpotential und der Bedarf weiterer Aushandlung. Auch ein schiedsrichterlicher Austrag konnte nur funktionieren, wenn sich beide Seiten über dessen Akteure einig waren. Es musste gewährleistet werden, dass die Interessen beider Seiten durch die Schiedsrichter gleichermaßen vertreten wurden. Die Unterschiede zwischen den Ordnungsgefügen Reich und Frankreich kommen dabei besonders zum Tragen. Neben dem parlement de Paris und den pairs de France kamen mit den Kurfürsten des Reiches Akteure ins Spiel, deren Verhältnis zur österreichischen Hausmachtpolitik bereits von den reichs­ ständischen Reformbestrebungen und dualistischen Ausdifferenzierungen der vergangenen Jahre geprägt war. Von einer bedingungslosen Unterstützung habs­ burgisch-burgundischer Interessen konnte bei ihnen nicht ausgegangen werden. Dennoch konnte eine finale Konfliktlösung nur über die Bemühung bekann­ ter und vorhandener Strukturen und Institutionen vorangetrieben werden. Eine neutrale, internationale Gerichtsbarkeit gab es freilich nicht. Die eingeforderten „juges neutres & non suspects“ waren hier mit den Kurfürsten des Reiches eine Personengruppe, die von beiden Parteien als Verbündete im Waffenstillstand benannt worden war. Ihre Neutralität ist als positive Verbindung zu beiden Parteien zu verstehen. Hervorzuheben ist hier, dass die Kurfürsten bereits als Kollektiv aufgeführt, verstanden und angesprochen wurden. Städten konnte der Status der Neutralität vertraglich zugesichert werden. Diese wurden damit als Konfliktfeld ausgenommen, was nicht nur aus Sicherheits-, sondern auch aus Wirtschaftsaspekten positive Konsequenzen hatte. Dabei spielte die schriftliche Fixierung des neutralen Status eine zentrale Rolle. Im Falle von Tournai wurde aufgrund der allgemeinen Vertragsformulierung um die neutrale Position auch nach Abschluss des Waffenstillstandes gerungen und der Kontakt zu beiden Vertragsparteien aufrecht erhalten. Was zur Seite Ludwigs hin als Un­ tertanenverhältnis bestehen blieb, sollte mit der burgundischen Partei durch ein Sonderbündnis gefestigt und kompensiert werden. Dieser Versuch Neutralität

254 Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 42.

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zu erlangen sollte letztlich am französischen König scheitern. Noch 1668 sollte das Neutralitätsgesuch der Franche-Comté mit dem Argument abgelehnt werden, zwischen einem Fürsten und seinen Untertanen könne es keine Neutralität geben.²⁵⁵ Die wirtschaftliche Zwangslage Tournais gibt einen Eindruck von der lokalen Exekution eines Waffenstillstandes. Die Inhaftierung eines Friedensbrechers und die Einschätzung seines Verhaltens durch lokale Funktionsträger und Vertreter des Königs lässt sich ebenso greifbar machen, wie das finale Scheitern eines Waffenstill­ standes und die Grenzen schriftlicher Fixierbarkeit. Letztlich herrschte zwischen Ludwig und Maximilian noch immer jene Uneinigkeit über den Status von Tournai, welche sich bereits in den allgemeinen Formulierungen des Waffenstillstandes ver­ barg. Eine Fortsetzung des Konfliktes war trotz der lokalen Ausgleichsbemühungen buchstäblich vorprogrammiert.

255 Oschema, Neutralität, wie Anm. 191, S. 101.

4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) Mit dem plötzlichen Tod Marias von Burgund am 27. März 1482 änderten sich die Verhältnisse um einen Faktor, der die burgundische Landesherrschaft noch weiter in Frage stellen sollte. Die Lage schildert Commynes: Les Allemans sont fort au contraire ; car ils sont rudes, & vivent rudement. Et ne fais nul doute qu’avec grand & sage conseil, & encores aidant la grace de dieu, fut faite cette loy & oidonnance en France, que les filles n’heriteroient point audit Royaume, pour éviter qu’il ne fut en la main de prince de nation estrange, & d’estrangers . . . . Ledit duc Maximilian n’avoit connoissance de rien, tant pour sa jeunesse que pour estre en pays estrange . . . . [F] it dieu grande grace au royaume de France de cette ordonnance, dont j’ay parlé cy – dessus, c’est à sçavoir que les filles n’heritent point . . . . La premiere qu’il luy sembloit qu’un roy a plus de force & vertu en son royaume, où il est oingt & sacré, qu’il n’a dehors son royaume . . . .²⁵⁶

Ehevertrag und Testament Marias wurden durch die Regelung des Ausschlusses der erblichen Weitergabe von Thronansprüchen wirkungslos gemacht. Zudem sei Maximilian auf Grund seiner Fremdheit in Burgund ein unfähiger Regent, der mit dem Protest oder zumindest wenig Akzeptanz der Untertanen zu rechnen habe. Besonders der Vorwurf der Fremdheit durchzieht auch die flandrische Argu­ mentation der nächsten Jahre und somit den Konflikt zwischen Maximilian und seinen Erblanden.²⁵⁷ Stärker als zu Lebzeiten der Erbtochter griffen nun neben den erbrechtlichen auch strukturelle Problem: Wie waren Landesherrschaft und Regierungsgewalt auszuüben, wenn Verwaltung und Verfassung sich nicht mit den Strukturen des Reiches vergleichen ließen und welche Möglichkeiten bestanden für den „fremden“ Herzog die lokalen Kräfte zu delegieren und zu regieren? Entsprechend lokaler Gewohnheit berief Maximilian nach dem Tod seiner Frau die Generalstände nach Gent.²⁵⁸ Dort wurde der Ehevertrag zwischen ihm und Maria geprüft, der einst mit Zustimmung der Mitglieder Flanderns geschlossen worden war. Diese hielten sich auch jetzt an die vertraglichen Vereinbarungen

256 Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 1, S. 361–364. 257 Koenigsberger, Helmut Georg: Monarchies, states generals and parliaments. The Netherlands in the fifteenth and sixteenth centuries. Cambridge [u. a.] 2001, S. 57. 258 Blockmans, Willem Pieter: Autocratie ou polyarchie? La lutte pour le pouvoir politique en Flandre de 1482 à 1492, d’après des documents inédits. In: Bulletin de la Commission royale d’Histoire 140 (1974), S. 262. DOI 10.1515/9783110493115-004

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und nicht an das Testament der Herzogin, laut dem Maximilian als Vormund der gemeinsamen Kinder die Regierungsgewalt inne haben sollte. Auch das Feh­ len von Präzedenzfällen zur Sukzessionsregelung sowie die Abhängigkeit²⁵⁹ der Flandern vom Königreich Frankreich erschwerten die Lage und verschaffte den flandrischen Ständen weitgreifende Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeit. Die französische Bedrohung des Landes auf der anderen Seite ermöglichte Maximilian seine Hilfeleistungen als Verhandlungsbasis zur Durchsetzung seiner Forderun­ gen – Regierung und Vormundschaft über seine Kinder – einzusetzen. Zudem war auch unter den einzelnen Städten Flanderns keinesfalls von einer einheitlichen Meinung zur umstrittenen Landesherrschaft auszugehen. Gent sollte sich stets als dauerhafter Gegner der Regentschaft Maximilians hervortun. De facto blieb Maximilian aber der Landesherr und die „membres“ Flanderns stellten eine Re­ gierung,²⁶⁰ die den Herzog immer wieder zum Frieden mit Frankreich drängte. Betrachtet man nun die Aushandlung des Friedens von Arras, muss zunächst das Kräftefeld der Verhandlungsführer deutlich gemacht werden.

4.1 Neuordnung des Herrschaftsbereiches Karls des Kühnen im Vertrag von Arras 4.1.1 Unterhändler und Vertragspartner Mit dem Vertrag von Arras sollte 1482 eine Neuordnung der seit Karl dem Kühnen umstrittenen Besitztümer und Herrschaftsrechte fixiert werden. Ein Heiratsbündnis zwischen dem Dauphin und Erzherzogin Margarete sollte diesen Frieden stiften.²⁶¹ Die niederländischen Stände hatten sich im Oktober 1482 in Alost versammelt und Maximilian die Einwilligung zum Ehebündnis seiner Tochter abgerungen. Der

259 Zur Position Flanderns insbesondere dem Verhältnis zum französischen König vgl. Blockmans, Willem Pieter: La position du comté de Flandre dans le royaume à la fin du XVe siècle. In: La France de la fin du XVe siècle. Renouveau et apogée. Economie – Pouvoirs – Arts – Culture et consciences nationales. Actes du colloque international du CNRS. Tours 3–6 oct. 1983. Hrsg. von Bernard Chevalier u. Philippe Contamine. Paris 1985, S. 71–89, 71ff. 260 Vgl. hierzu Blockmans, Autocratie, wie Anm. 258, S. 265–277. 261 Die niederländischen Generalstände hatten sich bereits Ende April in Gent versammelt und dort gefordert, Maximilian möge dem Wunsch Ludwigs XI. nachkommen und seine Tochter mit dem Dauphin verloben. Cauchies, Jean-Marie: Maximilien d’Autriche et le traité d’Arras de 1482. Négociateurs et négociations. In: Arras et la diplomatie européenne. XVe –XVIe siècles. Hrsg. von Denis Clauzel [u. a.]. Arras 1999, S. 143–144. Zu den Verhandlungen und einzelnen Positionen auf den niederländischen Generalständeversammlungen Blockmans, Autocratie, wie Anm. 258, S. 262–312.

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Frieden sollte über diese dynastische Verbindung besonders gesichert werden, wie es auch später im Vertragstext formuliert wurde.²⁶² Die Ständeversammlung beschränkte sich aber nicht nur auf die Erteilung dieses Ratschlages, sondern sorgte bereits im Vorfeld für dessen unmittelbare Umsetzung und Integration in den Friedensvertrag von Arras, indem sie die dortigen Verhandlungen durch eigene Unterhändler beschickte. Die ungesicherte Herrschaftsposition Maximilians hatte ein heterogenes Kräf­ tefeld von Handlungsträgern erzeugt, welche ihre Interessen durch den künftigen Vertrag gewahrt wissen wollten. Strukturell sollte sich dieses auch auf Gestal­ tung und Komplexität des Textes auswirken, der zwar formal zwischen den in der Präambel benannten Herrschaftsträgern geschlossen wurde, faktisch jedoch pluralistische Anliegen bündelte. Blickt man auf die Konstellation der namentlich aufgeführten Unterhändler, zeichnet sich deutlich der Charakter des Vertrages ab, der sich in seinen Artikeln bestätigen wird. Es handelt sich bei dem Abkommen nicht um einen reinen Herrschaftsvertrag, auch wenn in der Präambel wie üblich als Vertragspartner die Konfliktparteien Ludwig von Frankreich, sein Sohn der Dauphin, das Königreich, ihre Länder, Herrschaften und Untertanen und auf der anderen Seite Maximilian als Herzog von Österreich, seine Kinder Herzog Philipp und Margarete von Österreich sowie ihre Länder, Herrschaften und Untertanen benannt werden. Anschließend folgt die namentliche Auflistung der Unterhändler, von denen vier in Vertretung des französischen Königs verhandelt haben, 48 weite­ re im Namen der Gegenparteien.²⁶³ Diese beachtliche Anzahl spiegelt schon im Vorfeld die unterschiedlichen Interessengruppen der Gegenseite, nicht allein die Positionen des österreichischen Herzogs, sondern vielmehr auch die Belange der einzelnen Herrschaften und Städte, deren Zugehörigkeit nun neu geregelt werden sollte.²⁶⁴ Das Bild wird ergänzt durch zwei Vollmachten, die beide in Alost ausgestellt worden waren. Die Vollmacht des Herzogs von Österreich datiert vom 6. November.

262 Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 158–163; Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 2. 263 Alle Unterhändler finden sich entsprechend im Vertragstext: Ediert bei Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 100ff. Ein Unterhändlerinstrument befindet sich in Paris, ANF, II, 512 dort auch die collationierte Abschrift in den Parlamentsregistern, ANF, X1a, 8608. Eine weitere Abschrift befindet sich in Wien HHStA, UR, FUK 774. Eine Auflistung der Unterhändler mit einigen Zusatzin­ formationen zu deren Werdegang gibt es bei Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 158–163. 264 Die Zusammenkunft der niederländischen „états généraux“ belegt die Teilnahme von Reprä­ sentanten, die sich entsprechend auch als Unterhändler des Vertrages wiederfanden. Namentlich die Vertreter der Städte Saint-Omer, Louvain, Gent, Brügge, Ypres, Lille, Mons, Valenciennes, Anvers und Douai. Es handelt sich dabei meist um qualifiziertes Personal der städtischen Ad­ ministration.

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Eine weitere, ausgestellt von den Ständen und Städten am 18. Dezember 1482, beauftragt dieselben 48 Unterhändler.²⁶⁵ Zur Durchsetzung der Positionen Maximilians selbst agierten Diplomaten, die auch in die Verwaltungsstrukturen der von ihm beanspruchten Länder ein­ gebunden waren. Allen voran sei auf Jean d’Auffay verwiesen, der durch seine ausführlichen juristischen Abhandlungen sicherlich als Experte auf dem zu behan­ delnden Konfliktgebiet galt und in den Vorjahren immer wieder an diplomatischen Missionen zur Durchsetzung der burgundischen Erbansprüche beteiligt war. Eben­ so wie der Kanzler des Ordens vom Goldenen Vlies, Jean de Lannoy, der Abt von St. Bertin, der ebenfalls über eine langjährige diplomatische Erfahrung verfügte und, wie gezeigt worden ist, bereits maßgeblich in Verhandlung und Exekution der Waffenstillstände der Vorjahre involviert und ebenso am diplomatischen Aus­ tausch mit dem englischen König beteiligt war.²⁶⁶ Als weitere Ordensritter vertraten Maximilian Jean de la Bouverie, Seigneur de Bierbeek und Wierre und Jean de Berghes, Seigneur de Walhain. Beide waren bereits zu Vorverhandlungen in St. Quentin instruiert worden²⁶⁷ und sollten mit d’Auffay und Lannoy den späteren Vertrag unterzeichnen.²⁶⁸ Die Gruppe der übrigen Beteiligten und Unterhändler war keineswegs homogen. So fanden sich unter den Repräsentanten der Städte auch Antagonisten des Herzogs, unter ihnen Guillaume de Rijm, welcher bereits die Ehevereinbarung zwischen Dauphin und Margarete mit vorbereitet hatte. In Arras erschien er als Repräsentant Gents.²⁶⁹ Wenn auch am Ende der Versammlung von Alost die Unterhändler als „ambassadeurs de mondit seigneur le duc et sesdits pays“ bezeichnet wurden, verweist ein späterer Brief Maximilians auf die Differenzen, die dazu geführt hatten, dass er einige Unterhändler „en son nom, non pas ou nom des etats“ nach Arras geschickt hatte.²⁷⁰

265 Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 310–321. 266 Cools, Hans: Mannen met macht. Edellieden en de moderne staat in de Bourgondisch-Habs­ burgse landen (1475–1530). Zutphen 2001, S. 349–350; Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 119–128, 153. Die Instruktion Maximilians für Lannoy und d’Auffay ebd., S. 250–259. 267 Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 243–250. 268 Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 149, 158–160. Als weitere Unterzeichner führte Maximilian in Alost Gossuin Herdinckx, den Bischof von Affligem, den Ordensritter Jean de Lannoy, Rumes und Sebourg, Baudouin de Lannoy, Seigneur von Molembaix, Jean de la Bouverie, Seingeur von Bierbeek und Wierre, Jaques de Gouy, Seingeur d’Auby, Godefroid Roelants und Jacob Steenwerpere auf. 269 Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 161. 270 Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 152. Der Brief des Jahres 1488 benennt als solche Jean de Lannoy, Jean de Lannoy de Rumes et Sebourg, Jean de Berghes, Baudouin de Lannoy, Jean de

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Eindeutiger gestaltete sich die Position des französischen Königs, vertreten durch eine vierköpfige Delegation besetzt durch Oliver de Coëtman, Jean Guérin, Philippe de Cèvecœr und Jean de la Vacquerie. Oliver de Coëtman war ehemaliger „gouverneur“ und „capitaine“ in Auxerre sowie königlicher lieutenant in Arras. Jean Guérin entstammte als maître d’hotel dem direkten Umfeld des Königs. Als wichtigste Unterhändler Ludwigs sind jedoch Philippe de Cèvecœr und Jean de la Vacquerie hervorzuheben. Vacquerie besaß als Jurist und Präsident des parlement de Paris die nötige Expertise und war bereits 1480 als Unterhändler nach England geschickt worden. Philippe de Cèvecœr, Seigneur d’Esquerdes und Lannoy, hatte einst beratend und militärisch den Burgunderherzögen Philipp und Karl gedient, wechselte dann aber die Seite zu Ludwig XI. Im Krieg gegen Maximilian wurde er zu einem der zentralen Akteure des französischen Lagers und wirkte schließlich maßgeblich an der Unterwerfung der Stadt Ayre mit. Als lieutenant und capitaine général war er zum Kenner der Artois und von Flandern geworden, was ihn für die Verhandlungen des Friedensvertrages besonders qualifizierte.²⁷¹

4.1.2 Verhandlungen Die Verhandlungen in Arras finden keinen Niederschlag in den zeitgenössischen Chroniken. Commynes, der neben Vertragstexten auch Instruktionen in seine Mémoiren aufnahm, berichtet nicht über die Gespräche, die unmittelbar zum Ab­ schluss des Vertrages in Arras führen sollten. Zwei Briefe²⁷² der Unterhändler Jean d’Auffay, Jean de Lannoy²⁷³ und Godefroid Roelants vom 23. Oktober 1482 geben hingegen Aufschluss. Das eine Schreiben ist adressiert an die in Alost versammelten Stände, das andere, die gespaltenen Lager zeichnen sich hier ab, an den Herzog von Österreich. Hauptthema und Hauptverhandlungspunkte, welche wohl maß­

la Bouverie, Paul de Banest, Jean d’Auffay, Jean de Beere. Gachard, Louis Prosper (Hrsg.): Lettres inédites de Maximilien d’Autriche sur les affaires des Pays-Bas (1478–1508). 2 Bde. Brüssel 1851–1852, Bd. 1, S. 127. Zu den einzelnen Ämtern vgl. Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 158–161. 271 Dubois, Henri: Autour du traité d’Arras de 1482. Les négociateurs de Louis XI. In: Arras et la diplomatie européenne. XVe –XVIe siècles. Hrsg. von Denis Clauzel [u. a.]. Arras 1999, S. 140–141. 272 Die Kopien liegen vor unter BNF, MS fr. 17909, fol. 56v–59. 273 Dass es sich bei Jean d’Auffay und Jean de Lannoy, dem Abt von St. Bertin, um die Verhand­ lungsführer handelte, bestärkt einmal die Instruktion vom März 1481. Jean Marie Cauchies verweist zudem auf zwei Schriftstücke aus dem ADN, B 2127, fol. 178, 151. Anfang Dezember wurde Jean d’Auffay zur Verhandlung geheimer Aufgaben nach Arras abbestellt (ADN, B 2127, wie Anm. 273, fol. 178). Darüber wurde Mitte des Monats am 18. September auch Lannoy informiert und ebenfalls zum Vertragsabschluss nach Arras beordert (ADN, B 2127, wie Anm. 273, fol. 151). Dazu Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 150–151.

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geblich mit Philippe de Crèvecœr (D’Esquerdes) und Philippe Guérin als Vertretern des französischen Königs debattiert wurden, waren Ehe und Mitgift Margaretes sowie der Streit um die Stadt St. Omer. Von den Verhandlungen wird berichtet, dass die Eheschließung inklusive der entsprechenden territorialen Mitgift für den Friedensschluss unumgänglich sei. Um den Druck zu verstärken wurde darauf verwiesen, dass dem Dauphin noch einige weitere Heiratsoptionen in England, Spanien oder der Bretagne offen stünden. Die Artikel bezüglich der Ehe mit Marga­ rete müssten daher verbessert werden, da sie bislang nur ungenügend formuliert seien.²⁷⁴ Dass gerade allgemeine Formulierungen später zu einem schnellen Bruch der Abmachungen führen konnten, hatte sich bereits am Beispiel der Stadt Tournai gezeigt. Detailreicher hatte man sich im Vorfeld hinsichtlich der Stadt St. Omer geeinigt. Den Unterhändlern war es gelungen eine Sonderregelung zu vereinbaren, welche sie in ihren Briefen mitteilten. Der französische König bestand darauf, die Stadt in die Mitgift zu integrieren, da diese ihm als wichtiger strategischer Stützpunkt gegen die Engländer dienen sollte. Die flandrischen Stände waren hingegen der Ansicht, diesen Posten auch selber gegen etwaige Feinde verteidigen zu können. Es konnte sich in der Verhandlung nun darauf geeinigt werden, dass St. Omer erst beim Abschluss der Ehe zur Mitgift fallen würde.²⁷⁵ Im späteren Vertragstext schlagen sich die Sonderregelungen für St. Omer in zahlreichen Artikeln nieder, die zur Organisation der Übergangszeit bis zur endgültigen Eheschließung dienen sollten. Was war nun das Ergebnis der Verhandlungen? Welche Regelungen sollten den Erbschaftsstreit beenden?

4.1.3 Vertrag von Arras 1482 Am 23. Dezember 1482 wurde der Vertrag von Arras²⁷⁶ geschlossen, durch den der dauerhafte Frieden im ehemaligen Herrschaftsbereich Karls des Kühnen geregelt und gesichert werden sollte. Schon in Form und Länge zeugt der Vertragstext von den verschiedenen beteiligten und integrierten Parteien und bildet damit die Situation seiner Verhandlung ab. Der Anschein, dass nicht Maximilian selbst, sondern seine Kinder als rechtmäßige Erben und damit auch Vertragspartner

274 BNF, MS fr. 17909, wie Anm. 272, fol. 58v. 275 BNF, MS fr. 17909, wie Anm. 272, fol. 58v. 276 ANF, AEII 512, J 573; HHStA, UR, FUK 774, wie Anm. 263 (Kopie). Die Ratifikationsurkunde Ludwigs XI. Archives et patrimoine Accords et Traites, AAE, M.A.E. Traités Bourgogne 14820001. Druck: Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 100ff.

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rangierten, verfestigte sich in den einzelnen Artikeln und war in der Form bereits von den flandrischen Membres beschlossen worden.²⁷⁷ Es sei die Meinung des Herzogs und der Stände, dass für den Fall, dass die Ehe zwischen Margarete und dem Dauphin nicht zustande komme, er, Maximilian, die Mitgift während der Minderjährigkeit seiner Kinder verwalten, Philipp aber der Haupterbe bleiben solle.²⁷⁸ Der Ehevertrag zwischen den beiden Herrscherkindern stellt daher das Kern­ stück des Vertrages dar, ermöglichte dieser doch über die Mitgift Margaretes sämtliche Verschiebungen der Besitzverhältnisse nachhaltig zu regeln. Konkret handelte es sich um die Grafschaften Artois und Burgund und die Länder und Herrschaften Masconnois, Auxerrois, Salins, Bar sur Seine und Noyers, die von Margarete mit in die Ehe gebracht werden sollten. Dies haben der Herzog und die Stände für sich und den noch unmündigen Philipp beschlossen, heißt es im entsprechenden Artikel.²⁷⁹ Wie die lange Vorgeschichte des Vertrages, insbesondere die kontroversen Ausführungen über die burgundischen Besitzansprüche bereits gezeigt haben, konnte es nicht bei einer alleinigen, temporären Zuweisung und Regelung von Besitz bleiben. Vielmehr waren es daher verschiedene mögliche Konstellationen und Ereignisse, die in den folgenden Artikeln durchdacht und geregelt werden mussten. Unmittelbar nach der Vertragsveröffentlichung sollte sich Margarete nach Arras in die Obhut des Herrn de Beaujeu begeben.²⁸⁰ Im Beisein der drei Stände der Artois würde sie dann zur Gräfin von Burgund und Artois erklärt unter Auflage aller Pflichten, die für Länder des französischen Königreiches zu erfüllen seien.²⁸¹ Zudem wurden die Besitzregelungen für den Todesfall eines der beiden Ehepartner sowie für den Fall geschlossen, dass die Ehe nicht zustande kommt. Die Minderjährigkeit der beiden potentiellen Ehepartner machte das Vertragswerk zu einer Zukunftsregelung, welche, der Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen entsprechend, verschiedene Besitzszenarien zur Option stellen musste. Diesem unklaren Ausgang standen die teils detaillierten Vereinbarungen entgegen, die für die einzelnen Gebiete getroffen und festgeschrieben wurden. Wie

277 Koenigsberger, Monarchies, wie Anm. 257, S. 58. 278 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 102, § 28. Die zeitgenössischen Urkunden weisen keine Paragraphierung auf. Ein neuer Artikel wird durch eine Veränderung der Schriftgröße optisch hervorgehoben und durch „Item“ eingeleitet. Im Folgenden wird die Paragraphierung von Du Mont übernommen. 279 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 6. 280 Dazu ein entsprechendes Schreiben an Herrn de Beaujeau BNF, MS. fr. 15597, fol. 38r. 281 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 6.

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bereits anhand der Waffenstillstandsregelungen sichtbar wurde, war es besonders in den Herrschaftsgebieten selbst wichtig, auf klare vertragliche Abmachungen zurückgreifen zu können. Neben den eindeutigen Grenzziehungen und Benennungen von Gebietszugehö­ rigkeiten waren es abstrakte Regelungen, die das politische und verwaltungstech­ nische Bild der Region als Folge des Vertragsschlusses prägen sollten. Der ständige Hinweis auf das Wohl der Untertanen, vor allem die Sicherheit des Handels, ist im praktischen Sinne zu verstehen und war ebenso zu regeln. Grob wurden im Vertrag zwei verschiedene Typen von Herrschaften unterschieden. Die, die zum Königreich gehörten und jene, die außerhalb verortet werden konnten. Wie schon der Konfliktaufbau zeigt, spielten die außerhalb liegenden Regionen eine unterge­ ordnete Rolle, wurden aber doch von den Ausführungen des Vertragstextes erfasst. So könnte sich die Konstellation ergeben, dass Margarete oder ihre Nachkommen durch den plötzlichen Tod Philipps dessen Besitzungen erben würden, die damit de facto an die französische Krone fielen. Diese Länder seien in einem solchen Fall nach ihrer Natur und ihren alten Rechten und Gebräuchen zu behandeln. Auch die Städte sollten in einem solchen Fall ihre Privilegien und Freiheiten sowie die gewohnte Regierung und Ordnung behalten. Dies implizierte auch die Lösung aus dem Einflussbereich des parlement de Paris sowie des königlichen grand conseil.²⁸² Der Status, welcher diesen Gebieten zugedacht wurde, war ein „freundschaftlicher“. „Comme amis“ sollten diese zur Einhaltung des Friedens beitragen.²⁸³ Was nun innerhalb und außerhalb des französischen Königreiches lag, wurde mithilfe des Vertragstextes auf verschiedene Weise definiert. Neben der Benennung der Herrschaften und Städte aus Margaretes Mitgift, markierten auch Vasallität und Gefolgschaft sowie insbesondere die Gerichtsbarkeit die Zugehörigkeit des Territo­ riums zum jeweiligen Herrscher. Besondere Bedeutung kam der Gerichtsbarkeit in Flandern zu, für welche im Vertrag von Arras neue Regelungen gefunden wurden. Die partikularen Interessen Flanderns wurden durch eine Anerkennung vergan­ gener Privilegien gewahrt. Diese sollten durch neue „lettres“, aber im Zweifelsfall auch durch den Vertrag selbst belegbar werden.²⁸⁴ Dies implizierte auch die Bestä­ tigung des Großen Privilegs vom 11. Februar 1477, mit dem der Rat von Flandern seine Monopolstellung als Rechtsmittelinstanz zurückerhielt. Reformations- und Appellationsprozesse waren damit an den Rat zurückgefallen, das Parlament von

282 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 103, § 33. „Et quant aux pays qui sont hors du royaume que les sujets d’iceux ne sereont traitez par appellation, ne autrement en la cour de parlement de Paris, grand conseil du Roy, ne ailleurs hors desdits pays.“ 283 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 103, § 34. 284 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 67.

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Mechelen, der lokale Konkurrent zum parlement de Paris, musste aufgegeben werden.²⁸⁵ Urteile, die während der Regierungszeit der burgundischen Herzöge vom Rat in Mechelen gefällt worden waren, sollten soweit beibehalten werden, wie diese nicht königliches Recht betrafen.²⁸⁶ Noch ungeklärte Prozesse, die einst vor dem „grand conseil & cour de Malines“ von den einstigen Parteigängern Karls des Kühnen geführt worden waren, sollten vom „cour de parlement“ rückgängig gemacht werden. Dort sollten die Konfliktparteien nun ihr Recht suchen.²⁸⁷ Serge Dauchy als Kenner der Parlamentsakten verweist auf den Niederschlag dieser vertraglichen Regelungen in diesen. Kurz nach der Veröffentlichung des Abkommens klagte Henri de Lorraine, Bischof von Thérouanne, jene Vorrechte ein, die ihm vor den Konflikten zustanden und verwies dabei auf den Vertragstext und die Tyrannenherrschaft, unter der die für ihn ungünstigen Regelungen getroffen worden waren.²⁸⁸ Auch wenn mit dem Vertrag von Arras nun der Rat von Flandern wieder als höchste Gerichtsinstanz der Grafschaft anerkannt wurde, deren Implikation sich in den Parlamentsakten der kommenden Jahre niederschlug,²⁸⁹ verzichtete Ludwig nicht auf seine dortigen Souveränitätsansprüche, welche er vertraglich ebenso festschreiben ließ, wie die Beibehaltung Flanderns im Ressort des parlement de Paris.²⁹⁰ Nicht immer hatten Gebietszuschreibungen auch eine klare, territoriale Entspre­ chung. So konnten Untertanen des Königs in Grenzstädten Maximilians leben.²⁹¹ Diese Untertanen der Krone sollten ihre Klagen an das parlement de Paris oder andere königliche Juristen richten.²⁹² Wer hingegen Partei des Herzogs ergriffen 285 Nève, Paul Lucien: Die Entstehung der Solliciatur am Reichskammergericht. Zum Einfluss des Parlement de Paris und des Hohen Rats von Mechelen. In: Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten Bilanz und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Friedrich Battenberg u. Bernd Schildt. Köln [u. a.] 2010 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Reihe B. Forschungen 57), S. 260–261. 286 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 65. 287 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 66. 288 Dauchy, Introduction historique, wie Anm. 96, S. 122. 289 Alle Berufungen („appel“) wurden annulliert und im Zuge der Exekution des Vertrages von Arras an den Rat von Flandern weitergeleitet. Vorher war dessen Kompetenz nicht anerkannt worden. Dauchy, Introduction historique, wie Anm. 96, S. 38, 56, 167–168. 290 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 103, § 39–40. Erst im Jahr 1526 im Frieden von Ma­ drid verzichtete der französische König Franz I. auf seine Rechte in Flandern und im Artois und insbesondere auf die Zuständigkeit des parlement de Paris. Bis dahin sollte der Zuständigkeitskon­ flikt zwischen dem Großen Rat von Flandern und dem parlement bestehen bleiben und sich in zahlreichen Urteilsberufungen niederschlagen. Nève, Solliciatur, wie Anm. 285, S. 260–261. 291 Zum Fremdenrecht Steiger, Untertanen, wie Anm. 225, S. 148–150. 292 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 69.

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hatte, konnte mit seinen Besitzungen nicht Gesetzen oder Stauten der französischen Krone unterworfen werden. Diese hätten sich vor gemeinsamen Richtern in den Ländern des Herzogs zu verantworten, nicht außerhalb.²⁹³

4.1.4 Kompromissregelungen am Beispiel St. Omer St. Omer gehörte zum Artois und damit zur Mitgift Margaretes. Für die Stadt galt allerdings eine Übergangsregelung, da diese erst nach der Eheschließung zur Mitgift fallen sollte. Ihren Unmut darüber äußerten die Gesandten der Stände in einem Schreiben über die Verhandlungen in Alost. Es sei ihnen nicht gelungen, St. Omer aus der Mitgift herauszulassen. Der König sei lediglich zu einer Sonderregelung bereit.²⁹⁴ Schon bei der Generalständeversammlung in Gent war die Einbehaltung von St. Omer gefordert worden.²⁹⁵ Die nun getroffene Übergangsregelung macht deutlich, wie für die Stadt eine temporäre aber faktisch neutrale Position hergestellt wurde.²⁹⁶ Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatten die Herzöge und Stände in Vertre­ tung für Philipp die Aufsicht in St. Omer inne. Diese sollten sie bis zur vollzogenen Hochzeit beibehalten. Niemand anderem als den Ständen sollte die Regierung der Stadt obliegen, bis zur finalen Übergabe an den Dauphin und Margarete.²⁹⁷ Auch mögliche Änderungen und Erneuerungen des Rechts blieben den Ständen vorbehalten, insbesondere Ordonnanzen zur inneren Sicherheit seien von den

293 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 70. Wie die Rechtssprechung in solchen „Mischge­ bieten“ umgesetzt werden konnte, bliebe anhand von Einzelstudien zur städtischen Gerichtsbarkeit zu zeigen. Dazu Dauphant, Royaume des Quatre Rivières, wie Anm. 141, S. 134–138. 294 BNF, MS fr. 17909, wie Anm. 272, fol. 56v. 295 Analectes historiques. 8e série. Hrsg. von M. Gachard. In: Bulletin de la commission royale d’historie. 3e série 1 (1860), S. 331. 296 Der Begriff „Neutralität“ wird im Vertragstext nicht gebraucht. Anders als im Fall Tournais wurden die Regelungen für St. Omer aber so genau getroffen, dass dadurch eine faktische Neutralität generiert wurde, die auch in den folgenden Jahren als solche und unter der Verwendung des Neutraltitätsbegriffes bemüht wurde. Vgl. dazu den Brief Maximilians mit der Beschwerde über die Einnahme St. Omers durch den französischen König. Diese sei unrechtmäßig, habe man sich doch vertraglich auf die „neutraelscip“ der Stadt geeinigt. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 63. In den Instruktionen für die französische Gesandtschaft zur Verhandlung des Frankfurter Friedens von 1489 heißt es, die Stadt St. Omer solle bis zur persönlichen Aussprache zwischen den beiden Herrschern in Besitz Maximilians bleiben, auch wenn sie laut Vertrag für neutral erklärt worden war. RTA MR, 3,2, Nr. 265b, S. 1040. Im Nachvollzug wurde die Neutralität St. Omers dann mit dem Vertrag von Senlis 1492 festgeschrieben. Dazu Oschema, Neutralität, wie Anm. 191, S. 102. 297 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 11.

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örtlichen Kräften zu verabschieden.²⁹⁸ Ein Eid, und damit wird die neutrale Po­ sition der Stadt zwischen den zwei Konfliktparteien festgeschrieben, sei sowohl Maximilian, dem Herzog von Österreich, als auch dem französischen König zu leisten.²⁹⁹ Eine faktische Neutralität wurde hier, wie auch bei Fällen beidseitiger Verbündeter üblich, durch die eidliche Verpflichtung gegenüber beiden Parteien gewährleistet. Im Kriegsfall bedeutete dies entsprechend, dass keiner der beiden Parteien Waffenhilfe zu leisten war. Der Einfluss der Konfliktparteien wurde aber auch in St. Omer nicht vollstän­ dig aufgegeben. Beide sollten sich an der Einsetzung der städtischen Beamten beteiligen. Maximilian durch die „nomination“ und der Dauphin durch die „institu­ tion“.³⁰⁰ Auch manifestierte sich der Zustand der Stadt nicht in einer Abriegelung, sondern vielmehr in einer Öffnung zu beiden Seiten hin. Beide Vertragsparteien und deren Länder sollten den Händlern St. Omers offenstehen.³⁰¹ Anders als im Fall Tournai war hier also eine klare Handelslösung gefunden und vertraglich vereinbart worden, welche eine Abschottung der Stadt von den umliegenden Gebieten verhinderte. Entsprechend wurde St. Omer auch eigens in die Vertragsexekution einbezogen. Wenn die Stände mit dem allgemeinen Frieden einverstanden seien, würden diese von beiden Vertragspartnern eigene lettres zur Gewährleistung des Schutzes ausgestellt bekommen.³⁰² Diese Regelung sollte die Bewohner und Bürger gleichsam zur Einhaltung des Vertrages verpflichten, die vor Ort für die Bestrafung etwaiger Vertragsbrecher zu sorgen hatten. Die Bindung an den Vertrag sollte durch Eid bestätigt werden, den es anschließend zu registrieren gelte.³⁰³ Diese umfassenden Regelungen für die Stadt St. Omer stellen eine Art Vertrag im Vertrag dar. Im Gegensatz zu den meist allgemein gehaltenen Waffenstillstands­ vereinbarungen, die in den Vorjahren zwischen König und Herzog getroffen worden waren, wurden nun im Friedensvertrag die Regelungen genau ausformuliert. Die Durchsetzung des Friedens wurde im Fall von St. Omer an die Stadt selbst delegiert und damit konkretisiert. Nicht nur die Herrscher und Vertragspartner selbst, son­ dern auch die Untertanen wurden durch ihren Eid an die Vertragsexekution vor Ort gebunden. Es waren somit letztlich nicht überregionale, sondern regionale administrative Instanzen, die den Frieden zu sichern hatten.

298 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 102, § 16. 299 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 12. 300 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 102, § 15. 301 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 102, § 19. 302 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 102, § 19. 303 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101, § 13.

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4.1.5 Abolition général Zur umfassenden Beendigung der Konflikte wurde in den Vertragstext die wechsel­ seitige „abolition général“ für alle Untertanen integriert. Diese implizierte auch eine Rückkehr zu den einstigen Besitzungen. Regelungsbedarf bestand aufgrund der veränderten Herrschaftsverhältnisse nun im Hinblick auf die Gefolgschaft der jeweiligen Untertanen. Exemplarisch zeigt dies schon der Fall der Unterwerfung der Stadt Aire. In der königlichen Ratifikation der städtischen Kapitulation wurde allen Kriegsleuten, aber auch Bürgern, freigestellt entweder dem französischen König den Eid zu leisten oder sich nach der Unterwerfung mit ihren Gütern in das Gebiet des Herzogs von Österreich zu begeben. Der König gewährte ihnen dazu Sicherheit und freies Geleit, „bonne seureté & loyal saulfconduit“.³⁰⁴ Auch der Vertrag von Arras gewährleistet die Rückkehr der Untertanen. Die „abolition général“ beinhaltet, dass eine erneute Eidleistung gegenüber dem jeweiligen Herrscher im Einzelfall nicht notwendig sei. Unabhängig vom Herr­ schaftsgebiet sollte jeder zu seinen Gütern zurückkehren und diese auch behalten können. Ausgenommen wurden Lehen, für welche der Treueid zu erneuern sei. Wie schon anhand der Gerichtsbarkeit gezeigt, manifestiert sich auch am Beispiel der Untertanen, dass Grenzziehungen und Gebietszugehörigkeiten nicht immer eindeutig waren. Einzelne Personen konnten eben Lehen sowohl in den Ländern des Herzogs als auch in denen des Königs haben.³⁰⁵ Diese Problematik wurde in den Vertrag von Arras bereits aufgenommen, auch wenn umfassende Regelungen für die Fälle von Mehrfachvasallitäten erst mit dem Abkommen von Senlis getroffen wurden.³⁰⁶

4.1.6 Sicherung, Umsetzung, Ratifikationen Wie konnte der Pakt nun von Seiten der Vertragspartner garantiert und abgesi­ chert werden und welche Rolle spielte die konkrete Absicherung in den einzelnen Gebieten? Die Idealvorstellung wurde in den entsprechenden Artikeln sowie den Ratifikationen ausformuliert, anhand derer sich auch das Interesse der Parteien an der Vertragsdurchsetzung und Einhaltung ablesen lässt. Bekanntlich waren die Vertragsinhalte besonders zu Gunsten des französischen Königs formuliert worden, für den sich die Einhaltung und Umsetzung der Bestimmungen entspre­ chend lohnte und die daher formal bestens garantiert wurden. Wie schon in den

304 Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 263. 305 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 64. 306 Dazu S. 131.

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Waffenstillständen zu beobachten war, galt es nun auch im Friedensvertrag die Möglichkeiten der Friedenswahrung und Vertragsumsetzung aufzuzeigen. Jeder wurde entsprechend für seine Seite für die Beendigung des kriegerischen Zustandes und Verkündung des Friedens verantwortlich gemacht.³⁰⁷ Friedensbre­ cher waren von der geschädigten Partei dem nächsten Richter zu melden. Ebenso sollten Unklarheiten den Vertrag betreffend von Richtern, nicht durch weitere krie­ gerische Auseinandersetzungen, gelöst werden, so der vertragliche Anspruch.³⁰⁸ Ein Friedensbruch konnte dementsprechend nicht nur vom Herrscher, sondern insbesondere von seinen Untertanen begangen werden, für deren Verhalten der Vertragspartner in die Verantwortung gezogen wurde. Formal war für Ludwig XI. vorgesehen, das Abkommen für sich, seine Nach­ folger und den Dauphin mit grün gesiegelten lettres zu bestätigen („consentira, ratifera, approuvera, confirmera“) und alle Punkte und Artikel einzuhalten („garder et observer“). Zur Überwachung unterstellen sich dieser, der Dauphin und das Königreich kirchlichen Zensuren.³⁰⁹ Zudem sei der Vertrag und die Ehe jeweils vom König und dem Herzog in Anwesenheit der Gesandten der Gegenpartei feierlich, auf das Kreuz und auf den „canon de la messe“ oder das Evangelium zu beschwören und in allen Punkten und Artikeln zu halten.³¹⁰ Für noch größere Sicherheit sei der Friedensvertrag zu registrieren und zu verifizieren in Gegenwart und mit dem Einverständnis des königlichen „procureur générale“ im „parlement de Paris“ und der „chambre des comptes & du tresor“.³¹¹ Persönlich bürgte der König für die Einhaltung des Vertrages in allen Artikeln und Punkten „par bonne foy & parolle“ sowie mit Unterschrift und Siegel.³¹² Auch die Stände des Königreiches sollten sich zur Einhaltung und Überwa­ chung des Vertrages verpflichten und dem König, Dauphin oder sonstigen Nach­ folgern im Falle eines Vertragsbruch die Unterstützung entziehen und ihre Hilfe

307 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 106, § 78. 308 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 106, § 82. 309 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 85. 310 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 87. Zu dieser Form der Ratifikation siehe Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 22–23; Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 257–274; Offenstadt, Nicolas: Le serment de paix dans le royaume de France a la fin du Moyen Âge. Remarques sur une pratique politique. In: Serment, promesse et engagement. Rituels et modalités au Moyen Âge. Hrsg. von Françoise Laurent. Montpellier 2008 (Les cahiers du CRISIMA 6), S. 489–504. 311 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 88. 312 Inseriert nach dem Vertragstext ins Parlamentsregister als collationierte Abschrift. ANF, X1a, 8608, wie Anm. 263. Die Ratifikationsurkunde Ludwigs XI. AAE, M.A.E. Traités Bourgogne 14820001, wie Anm. 276 mit dem Hinweis Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 323.

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der Gegenpartei anbieten.³¹³ Sowohl dem Herzog als auch den Ständen des fran­ zösischen Königreiches sollten entsprechende Briefe dazu ausgestellt werden, in der die jeweiligen Personen oder Städte die Einhaltung des Vertrages in allen Artikeln garantieren.³¹⁴ Spiegelbildlich war durch die Prelaten, Adeligen, Städte und Gemeinden des Herzogs von Österreich das Gleiche zu garantieren.³¹⁵ Dass diese Forderungen und die Delegation der Vertragsumsetzung und Ein­ haltung in die einzelnen Gebiete mehr war, als eine durch den Vertragstext einge­ forderte Idealvorstellung, lässt sich anhand der guten Quellenlage bezeugen. Der Herzog von Österreich forderte in einem Schreiben den grand bailli und das conseil des Hennegau auf, die entsprechenden Briefe bezüglich der Einhaltung des Vertrages von Arras auszustellen.³¹⁶ Komplementär dazu finden sich auch zahl­ reiche Appelle des französischen Königs zur Ratifikation. In einem Schreiben an die Einwohner von Compiègne heißt es, man habe sich auf eine neue Formulierung der Ratifikation geeinigt, welche den Einwohnern der Stadt übermittelt worden sei. Diese mögen nun die Ratifikation bestätigen, ohne etwas am Text zu ändern.³¹⁷ Die Aufforderung zur schnellen Ratifikation unter exakter Einhaltung der gewünschten Form erging an zahlreiche weitere Untertanen und Parteien.³¹⁸ An die „bonnes

313 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 89. Zur Selbstverpflichtung Garnier, Amicus amicis, wie Anm. 183, S. 202–210. 314 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 89. Die Herzöge von Orleans, Angoulême, Burbon, der Kardinal von Lion, der Graf von Nevers, die Herren Beaujeu und Vendôme. Aus den Reihen der Prinzen von Geblüt der Erzbischof und Herzog von Reims, die Bischöfe und Herzöge von Laon und Langres, die Bischöfe und Grafen von Nyon, Châlons, Beauvais, von der Pariser Universität sowie von den Städten, Gemeinden von Paris und von den Städten Rouen, Orleans, Tournai, Lion, Troyes, Bordeaux, la Rochelle, Angers, Portiers, Toulouse, Reims, Amiens, Abbeville, Montreüil, St. Quentin, Péronne, Arras, Hesdin, Theroüenne, Aire, Bethume, Boulogne, Salins, Dole, Poligny, Arbois sowie Adelige und Prälaten der Grafschaften Artois und Burgund. Eine Auflistung der „lettres“ mit dem entsprechenden Datum ihrer Unterzeichnung findet sich in einer Inventarliste ADN, B 347, 17746. 315 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 90. Gemeint sind die Länder und Herzogtümer Brabant, Limburg, Luxemburg, Geldern sowie die Grafschaften Flandern, Hennegau, Holland und Zeeland und Namur. Eine entsprechende Inventarliste der Siegel der Stände und Länder von Seiten des Herzogs vom 19. Mai 1483 bei Commynes, Mémoires, zit. nach Godefroy, wie Anm. 190, Bd. 5, S. 330–332. 316 Erfolgt am 6. März 1482 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 43. 317 „. . . vous passez et accordez ladicte ratiffication selon ladicte fourme, sans rien y nover . . . “. Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10, S. 36–37. Das Schreiben wird auf den 18. Dezember 1482 datiert. 318 Ediert in Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10. Hier finden sich die Stücke an den Herzog der Einwohner von Bourbon, S. 37–38, von Amiens, S. 40–41, der Universität von Paris, S. 85ff.

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villes“ richtete sich die Bitte, den Frieden zu veröffentlichen und auszurufen, ihn mit Prozessionen zu feiern und ein „te deum“ anzustimmen.³¹⁹ Dass es sich dabei nicht nur um eine theoretische Forderung handelte, verdeutlicht ein Schreiben an den „sénéchal“ von Beaucaire. Der König fordert diesen darin auf, die Adeligen, Kleriker und Männer des „tiers commun estat“ zu versammeln und die Einhaltung des Vertrags zu garantieren. Offensiv wurde die Befürchtung angesprochen, die Partei des Herzogs könnte die ständische Bestätigung später anzweifeln, weswe­ gen das Schriftstück besonders deutlich und vor allem unverzüglich abzufassen sei.³²⁰ Diese Stücke sowie eine Inventarliste über alle Bestätigungsschreiben zur Einhaltung des Vertrages von Arras bezeugen den großen administrativen Aufwand, der zur Vertragsumsetzung betrieben wurde. Wenn der Pakt formal durch seine Präambel die Herrscher als Vertragspartner auswies, wurde seine Funktionalität nicht allein im Sinne einer bilateralen herrschaftlichen Bindung gewahrt. Vielmehr basierte der Vertrag auf einem Geflecht von Verpflichtungen der Untertanen und Herrschaften, welche diese schriftlich bestätigten.³²¹ Von Seiten beider Vertragspartner bestand zudem ein großes Interesse an der eigenen administrativen Vertragsgarantie und Ratifikation. Der bailli von Rouen wurde beauftragt, diese beim Parlament durchzusetzen.³²² Er überbrach­ te dem Gericht seinen Auftrag, das entsprechende Schriftstück sei vom Parla­ ment zu verlesen und uneingeschränkt und unverändert zu veröffentlichen und

319 Die gleiche Aufforderung ging an die Städte Péronne, Lyon, Tournai. Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10, S. 41–42. 320 Das Stück datiert auf den 3. Dezember 1482 und wurde damit bereits vor Abschluss des Vertrages ausgestellt. Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10, S. 28–29. Hier auch der Verweis zu einem ähnlichen Stück an die Stände von Ponthieu. 321 Die Verpflichtungen erfolgten „en bonne foy“. Von einer Ratifikation ist in den Bestätigungs­ schreiben keine Rede. Vgl. dagegen die Urkunde Ludwigs XI. AAE, M.A.E. Traités Bourgogne 14820001, wie Anm. 276. Weitere Bestätigungen der einzelnen Städte und Gebiete unter ADN, B 347. Dort unter anderem die Bestätigungsurkunde der Stadt Tournai, ADN, B 347, 16342. Zahlreiche weitere Stücke gesammelt in BNF, MS fr. 15597. Weitere im Druck bei Münch, Ernst Hermann Jo­ seph von: Margaretha von Österreich, Oberstatthalterin der Niederlande, Biographie und Nachlass. Bd. 1. Stuttgart 1833, S. 369–380. 322 Als Grundlage dieses Verfahrens der Registrierung königlicher Akte kann der Gedanke einer ständischen Kontrolle und Mitverantwortung gesehen werden. Parlement und procureur bestätigten damit, dass die königliche Beschlussfassung nicht dem öffentlichen Interesse und Gemeinwohl widersprach. Entsprechend der politischen Theorie der Zeit wurde also eine Verbindung der „l’autorité royale“ und der „chose publique“ und damit eine Absicherung beider Seiten hergestellt. Daubresse, Parlement, wie Anm. 137, S. 115; Eberhard, Herrscher und Stände, wie Anm. 139, S. 510.

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zu registrieren, „leues, publiées et enregistrées“.³²³ Zudem enthielt der Vertrag einen Artikel, der die Zustimmung des königlichen procureur einforderte, wel­ che bislang fehlte und von den anwesenden Gesandten des Herzogs, an erster Linie d’Auffay,³²⁴ eingeklagt wurde. Nach einigen Auseinandersetzungen über die zu registrierende Formel konnte man sich schließlich auf den Wortlaut „lec­ ta, publicata et registrata, presente et consentiente procuratore generali regis“ einigen.³²⁵ Die juristische Aufarbeitung der burgundischen Erbansprüche, an der Jean d’Auffay maßgeblich mitwirkte, hat gezeigt, welche Bedeutung Verträ­ ge bei der späteren Klärung der Rechtslage spielen konnten. Eine anzweifel­ bare Registrierung im parlement konnte durchaus als Argument für den Bruch des Abkommens genutzt werden.³²⁶ Vor diesem Hintergrund wird das Auftreten d’Auffays interpretierbar,³²⁷ den man im Gegenzug darauf hinwies, dass noch die entsprechenden lettres seines Auftraggebers fehlten. D’Auffay garantierte darauf­ hin die unverzügliche Verifizierung der geforderten lettres durch die chambre de Gand. Welche Möglichkeiten der Ratifikation bestanden für den Vertragspartner, der nicht über die etablierten administrativen Möglichkeiten eines französischen Königs verfügte? Auffällig im Vertragstext sind die entsprechend kürzer und weniger ausführlich gehaltenen Verpflichtungen für den Herzog von Österreich. Maximilian sowie die Stände seines Landes sollten für ihre Seite den Vertrag auf dieselbe Art und Weise bestätigen und ratifizieren wie der französische König.³²⁸ Welche Institutionen nun als Pendant zum parlement de Paris die etwaige Registrierung der Urkunde vornehmen sollten, wurde nicht vorgegeben. Vielmehr integrierte und verpflichtete der Text partikulare Gewalten, sodass eine Verbreitung und Überwachung des Vertrages praktisch den einzelnen Städten oblag und nicht einer einzigen, zentralen Institution. Hier manifestiert sich der noch immer umstrittene Herrschaftsanspruch Maximilians, dessen Konflikte mit den niederländischen Ständen in den folgenden Jahren, den Friedensbestimmungen des Vertrages zum Trotz, weiter eskalieren sollten.

323 „. . . en la forme et maniere que lesdictes lettres le contenoient, sans y faire aucune restrinction ou difficulté . . . “ Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10, S. 57–58. 324 Inwiefern die Anwesenheit von Juristen der Gegenpartei bei der Vertragsregistrierung üblich, war lässt sich anhand dieses Einzelbeispieles nicht belegen. 325 Im Gegensatz zu „presente et non contradicente“. 326 Vgl. so z. B. der Vertrag von Hagenau. Dazu S. 213. 327 Vaesen u. Charavay, Lettres de Louis XI, wie Anm. 81, Bd. 10, S. 59. 328 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 107, § 86.

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4.2 Vertrag von Arras: Rezeption und Perspektivwechsel ins Reich 4.2.1 Politische Entwicklungen nach 1482 Mit dem Vertragsschluss von Arras war bekanntlich kein Frieden erreicht. Unmit­ telbar nach Abschluss beschwerte sich Maximilian durch Olivier de la Marche über den nachteiligen Vertrag, der ihm aufgezwungen worden sei.³²⁹ Als Maximilian nach seiner Krönung 1486 wieder in den Niederlanden eingetroffen war, kam es in einem Schriftwechsel zu regen Beschuldigungen zwischen ihm und Karl VIII. Beide warfen sich den Bruch des Vertrages von Arras durch das Eingreifen des jeweils fremden Herrschers in die eigenen Lande vor. Die Krönung Maximilians zum römisch-deutschen König konnte diesen Konflikt nur verschärfen und bis ins Reich hinein ausweiten. In den scharfen Anschuldigungen, welche gegen ihn gerichtet wurden, fand sich immer wieder die Aufforderung zur Einhaltung des Friedens.³³⁰ Es war also die Rückbesinnung auf alte Verträge und nicht das Streben nach vollständig neu­ en Friedensregelungen, welche die Phasen kriegerischer Auseinandersetzungen prägte. Der wechselseitig vorgeworfene Vertragsbruch war damit nicht absolut, sondern temporär zu sehen und konnte offensichtlich durch Vertragserneuerungen getilgt werden. Nach wochenlangen Verhandlungen kam es zum Entwurf eines allgemeinen Friedens, der auch die Erneuerung des Vertrags von Arras in allen Punkten beinhaltete.³³¹ Für den Verzicht auf Regentschaft und Vormundschaft war eine jährliche Abfindung für Maximilian vorgesehen. Den Vertrag von Brügge un­ terzeichnete dieser am 12. Mai 1488. Der Frieden sollte bekanntlich nicht von Dauer sein, da das Reichsheer später unter Herzog Albrecht von Sachsen zum erneuten Feldzug in die Niederlande aufbrach, nicht zuletzt, um die dortige Gefangennahme Maximilians zu rächen. Schon im Vorfeld des Abkommens deutete sich seine Validität in einer Aussage an, die im Kontext der vorliegenden Untersuchung relevant ist. Maximilian verwies auf seine Zwangslage und die fehlende Zustimmung von Kaiser, Kurfürsten und

329 Lettenhove, Kervyn de u. Constantin, Joseph M. B. (Hrsg.): Histoire de Flandre. 6 Bde. Brüssel 1847–1850, Bd. 5, S. 359–360, 544. 330 Der genaue Ablauf der Konflikte bei Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 167–224. Sowie eine Darstellung des Konfliktes in RTA MR, 3,2, S. 45–96. 331 Molinet, Jean: Chroniques. Hrsg. von Jean-Alexandre Buchon. 5 Bde. Paris 1827–1828, Bd. 3, S. 306ff Bis auf das Bündnis mit dem Herzog von der Bretagne. Vgl. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 216.

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Reich³³² und damit auf die Problemstellung der kommenden Jahre. Welche Rolle spielte das Reich im Kontext künftiger Vertragsschlüsse? Die Weiterführung des Abkommens von Arras wurde 1489 auf dem Frankfurter Reichstag verhandelt und in die Form einer neuen Vertragsurkunde gebracht. Die reichsständische Beteiligung bei diesem Akt ist vertiefend zu eruieren. Komplementär dazu lässt sich die Frage nach ständischer Beteiligung auch auf das französische Königreich übertragen. Den dortigen Regierungswechsel begleitete 1484 eine Generalständeversammlung. Von diesem Ereignis ausgehend lässt sich für Frankreich erfassen, wie Vertrag und Vertragsbruch in neuen, ständischen Kontexten diskutiert wurden. Wie und von wem war in den Jahren nach dem Abschluss von Arras die Aufrechterhaltung und Weiterführung des Vertrages eingeklagt worden, welche Argumentationsstränge wurden verfolgt und welcher Wert wurde der Vertragseinhaltung beigemessen?

4.2.2 Die Generalständeversammlung von 1484 Der Tod Ludwigs XI. am 30. August 1483 löste in Frankreich eine Regierungskrise aus. Der verstorbene König hatte keinen Nachfolger benannt und sein Sohn Karl war noch nicht volljährig. Drei Parteien namentlich die Mutter Karls, Charlotte von Savoyen, die Schwester Anne mit ihrem Mann Pierre von Beaujeu sowie Louis von Orleans erhoben nun Anspruch auf den Thron. Bei einer Versammlung der Gene­ ralstände³³³ sollte die Nachfolge Ludwigs geklärt werden. Entgegen der Tradition waren bei dieser Zusammenkunft alle Delegierten zu wählen, die dann als Repräsen­ tanten ihres Verwaltungsbezirkes auftreten sollten. Die Generalständeversammlung wurde am 15. Januar 1484 in Anwesenheit des minderjährigen Thronfolgers eröffnet

332 Diegerick, Isidore Lucien Antoine (Hrsg.): Correspondance des magistrats d’Ypres députés à Gand et à Bruges, pendant les troubles de Flandre sous Maximilien, duc d’Autriche, roi des Romains [. . . ] 3 Bde. Brügge 1853–1856, Bd. 3, S. 229–232. Vgl. Lademacher, Burgundisch-habsburgische Niederlande, wie Anm. 75, S. 23; Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 216. 333 Über Ablauf und Inhalt der Versammlung informiert das Journal des Masselin, Jean: Journal des États Généraux de France tenus a Tours en 1484 sous le règne de Charles VIII. Hrsg. von A. Bernier. Paris 1853. Zu den Reden und der besonderen Rolle der oratorischen Kommunikation bei Generalständeversammlungen vgl. Feuchter, Jörg: Zur Oratorik der französischen Generalstände im späten Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit (1302–1561). In: Politische Redekultur in der Vormoderne. Hrsg. von dems. u. Johannes Helmrath. Frankfurt/M. [u. a.] 2008 (Eigene und fremde Welten 9), S. 189–218. Zur Darstellung der Ständeversammlungen in den französischen Chroniken Weferling, Sandra: Spätmittelalterliche Vorstellungen vom Wandel politischer Ordnung. Französische Ständeversammlungen in der Geschichtsschreibung des 14. und 15. Jahrhunderts. Heidelberg 2014 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 20).

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und zog vor allem durch die dort verhandelten und angesprochenen Positionen zur grundsätzlichen Funktion und Kompetenz der Generalstände das Interesse der For­ schung auf sich. Eindrucksvolles Zeugnis ist die berühmte Rede des burgundischen Repräsentanten Philippe Pot.³³⁴ Nach der nicht unkritisch reflektierten Regierungszeit Ludwigs XI. wurden nun Forderungen laut, die vor allem in der Grundidee eines erweiterten und institutionalisierten ständischen Mitspracherechtes an die Reformforderungen im römisch-deutschen Reich erinnern. Die Ansprüche gingen so weit, dass bei Minderjährigkeit des Thronfolgers die Generalstände die oberste Autorität darstel­ len sollten. Die eigentliche Macht gebühre auch nicht dem König, sondern dem souveränen Volk, welches einen König lediglich zur Vertretung seiner Interessen wählte. Weiter gingen die Forderungen, dass die Stände bei der Einsetzung eines königlichen Rates beteiligt werden sollten, in dem sie auch selbst durch Reprä­ sentanten zu vertreten seien. Zudem sollten die Generalstände in regelmäßigem Abstand von zwei Jahren tagen, womit eine weitestgehende Institutionalisierung des ständischen Gremiums erreicht worden wäre.³³⁵ Neben diesen umfangreichen Einforderungen ständischer Regierungsbeteili­ gung fanden aber auch diverse Themen ihren Niederschlag in dem thematisch nicht festgelegten Curriculum der Versammlung, welches im Wesentlichen von den Delegierten gestaltet wurde. Entsprechend wurden auch Fragen zur Exekuti­ on der Vertragsinhalte von Arras vorgebracht und in einen Kontext generellerer Reflexionen über die Einhaltung von Verträgen gestellt. Auslöser für die Behandlung der Vertragsthematik waren die von den flan­ drischen Gesandten Seigneur de Bièvres und Philippe Conrault vorgebrachten Beschwerden über die nicht erfolgten Restitutionen der Güter des Seigneur de Croÿ, dem Grafen von Porcien, und des Jakob von Savoyen, dem Grafen von Romont.³³⁶ In seiner Rede verweist der Genter auf die Waffenstillstände und den Frieden, der schließlich zwischen Maximilian und Ludwig und deren Untertanen geschlossen worden war. Wieder erwies sich, dass die vertragliche Benennung und Integration der Untertanen auch im Nachhinein mehr als nur formale Züge angenommen hatte. Der Repräsentant von Gent, welcher selbst als Rat Maximilians an der Aushandlung

334 Bulst, Neithard: Die französischen Generalstände von 1468 und 1484. Prosopographische Untersuchungen zu den Delegierten. Sigmaringen 1992 (Beihefte der Francia 26), S. 49–58; Leguai, André: Philippe Pot et les états généraux de 1484. In: Mémoires de l’Académie (Dijon) 136 (2006), S. 271–284; Gosman, Martin: Les sujets du Père. Les rois de France face aux représentants du peuple dans les assemblées de notables et des États géneraux 1302–1625. Groningen 2007 (Mediaevalia Groningana NS 8). 335 Bulst, Generalstände, wie Anm. 334, S. 55–56. 336 Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 325–343.

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des Vertrages von Arras beteiligt gewesen war, setzte sich nun aktiv für dessen Exekution ein.³³⁷ Neben der offensichtlichen parteilichen Nähe zum Herzog, aus der heraus sein Auftreten bewertet werden muss, betont Conrault aber auch die generelle Verantwortung der Untertanen für einen Frieden, den die Städte letztlich selbst beschworen und veröffentlicht hatten. Konkret verweist der Abt in seiner Rede nun auf jenen Vertragsartikel, in dem die Rückkehr der Untertanen zu ihren Gütern im Gebiet der Gegenpartei geregelt worden war.³³⁸ Die Flandern hätten sich direkt um die Exekution des Artikels bemüht, sodass alle königlichen Untertanen zu ihren Besitzungen im herzöglichen Territorium zurückkehren konnten. Die Erbschaften der Flandern würden hingegen hartnäckig zurückgehalten, nicht vom König, sondern von den drei Ständen, die diesen Besitz nicht ausreichend begründen könnten.³³⁹ Explizit stellt sich die Problematik für die Erbschaft des Grafen von Romont dar,³⁴⁰ dessen Fall man bereits vergeblich beim königlichen conseil vorgebrachte habe. Tätig seien dort, so die grundsätzliche Kritik, jene Usurpatoren, gegen die sich nun, im Rahmen der Generalständeversammlung, die Beschwerden richteten.³⁴¹ Diese Personen, so die Kritik, würden sich jene Vertragsartikel zu eigen machen, welche die Rückgabe der Erbschaften nicht in aller Eindeutigkeit festlegten. Der Blick auf den Vertragstext belegt, dass in zwei Artikeln die Rückgabe der Güter für Jakob von Savoyen und Philippe de Croÿ zwar gefordert, aber nicht geklärt worden war. Vielmehr wurde die Frage vertagt und sollte später beim König nochmals vorgebracht werden.³⁴² Die Versammlung antwortete nun auf die Bitten der flandrischen Gesandten mit der Zusage, sich um den Fall zu kümmern, der hier unter dem Verweis auf einen allgemeinen Friedenswunsch und die entsprechenden Vertragsartikel vorgebracht

337 Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 158. 338 „Quae pactiones, quae pacisve conditiones, inter regem defunctum, et ducem Maximilianum, suosque subditos intervenere novistis omnes. Illae enim non modo in civitatibus publicari, verum etiam jurari debuerunt. Inter eas autem una expressissima fuit: quod regis, ducisque subditi suas utrinque possessiones et bona reciperent, eas scilicet quas haberent in aliena obedientia sitas. Hunc pactionis articulum protinus curavimus adimplere; et jam quisque regi subditus in territorio ducis id assecutus est.“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 322. 339 Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 322. 340 Es geht um das Erbe seiner Frau, Maria von Luxemburg, der Enkelin Ludwigs I. von Luxemburg. Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 325. 341 „. . . quae res a nobis jam in regio consilio rogata, in ipso consilio multum possunt, nec sciunt aut volunt diu possessis carere.“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 324. 342 „Ea enim, etsi non tunc adeo expresse pacta sit, ut lege pacis contrario fieri deberet, tamen quod tunc aliae materiae tractarentur, restitutio dilata est, non negata, et nihilominus fieri promissa, rebus aliis necessariis absolutis.“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 326. Vgl. den entsprechenden Artikel des Vertrages von Arras Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 104, § 53–54.

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worden war. Es sei notwendig, so der Tenor, dass öffentliche Vereinbarungen auch eingehalten würden, vor allem jene, die von allen beschworen worden waren.³⁴³ Mit dieser Äußerung artikuliert sich der pacta sunt servanda Gedanke als Grundlage vormodernen Vertragsrechtes, der sich in den Verträgen selbst im rö­ misch-rechtlichen Konzept des bona fides wiederfindet. Bereits unter den römischen Juristen war der Grundsatz einer moralischen Verpflichtung zur Vertragseinhaltung verbreitet.³⁴⁴ Über dieses naturrechtliche Prinzip hinaus wurde hier aber auch die eidliche Bindung angeführt, welche nicht nur den König, sondern in diesem Fall auch die Untertanen verpflichtete. Es blieb jedoch nicht bei diesen allgemein geäußerten Einforderungen der Vertragseinhaltung. Bereits am folgenden Tag, dem 20. Februar 1484, sollte eine Antwort für die Kläger gefunden werden. Jean Masselin war auserwählt den Vorsitz zu führen. Offen warnte er die Versammlung davor, dass es zu Unruhen kommen würde, gäbe man den zu Recht vorgetragenen Bitten nicht statt.³⁴⁵ Dann folgte ein Appell an die allgemeine Verantwortung der Versammlung, welche von den Gesandten der Herzöge Maximilian und Philipp gebeten worden war, die Ver­ tragsartikel zu überwachen. Wenn man nun die Bitte um die Rückgabe der Güter des Grafen von Romont und des Seigneur de Croÿ abschlagen werde, wäre der Friedensvertrag nicht eingehalten, wohingegen die Gegenseite diesen mit großer Genauigkeit exekutiert habe.³⁴⁶ Gegen einen Vertrag, auf den sich die Ansprüche der Kläger ja stützten, dürfe nicht verstoßen werden. Über diesen Grundsatz hinaus brachte Masselin aber auch konkrete Vorschläge zur Auslegung des Vertrages ein. Unklare Artikel, wie sie im Falle der Grafen Romont und de Croÿ formuliert worden waren, könnten entsprechend positiv 343 „Responsum est autem ipsis Flandriae legatis, . . . quod ex beneficio pacis, et foederis contractu petebatur. Rei enim publicae necessarium est pacta publica servari, praesertim quae, ut aitis, ab universis jurata sunt.“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 328. 344 Tuori, Kaius: The Reception of ancient international law in the Early Modern Period. In: The Oxford Handbook of The History of International Law. Hrsg. von Bardo Fassbender u. Anne Peters. Oxford 2012, S. 1012–1033, S. 1027–027; Ziegler, Karl-Heinz: The influence of medieval roman law on peace treaties. In: Peace treaties and international law in european history. From the Middle Ages to World War One. Hrsg. von Randall Lesaffer. Cambridge 2004, S. 158–160; Bauer, Dominique: The importance of medieval canon law and the scholastic tradition for the emergence of the Early Modern international legal order. In: Peace Treaties and International Law in European History. From the Middle Ages to World War One. Hrsg. von Randall Lesaffer. Cambridge 2004, S. 198–221. 345 „Imo vero negata petitio in discrimen rempublicam vertere videtur. Quod si his maximis viris, qui tantum amicis et dignitate possunt, denegetur justitia, si rectae petitionis repulsam patiantur, quid sperare possunt exilis et obscurae domus homines, qui ad aliquid simile prosequendum pauca auxilia habent?“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 342. 346 „. . . alias, pacis et concordiae tractatus non servatur, tametsi suo ex latere magna cura id adimpletum est.“ Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 340.

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interpretiert werden,³⁴⁷ was langfristig sicher von Vorteil wäre. Schließlich handle es sich bei den Bittstellern um wichtige Leute adeliger Herkunft, die dem König auf Dauer von Nutzen sein könnten.³⁴⁸ Bei der Versammlung fand die Rede Masselins wenig Anklang. Der Fall solle beim königlichen conseil vorgebracht werden.³⁴⁹ Wie schon die reformerischen Ausführungen Pots, die zwar in voller Länge in das Journal Masselins aufgenom­ men worden waren, als Rede aber wohl nie in der Form vor den versammelten Generalständen gehalten worden sind, fanden auch die Ansätze Masselins, die sich in ihrer Tendenz mit den Inhalten Pots vereinbaren lassen, wenig Zuspruch. Eine stärkere Verrechtlichung oder in diesem Fall sogar Rechtsprechung von Seiten der Stände konnte nicht umgesetzt werden, sondern wurde wieder an das königliche conseil³⁵⁰ delegiert. Anderseits verdeutlichen die Einblicke in die generalstän­ dischen Verhandlungen aber den zeitgenössischen Umgang, insbesondere die Rezeption und Exekution des Vertrages von Arras, auf den sich die Untertanen mit ihren Ansprüchen konkret bezogen. Uneindeutig verfasste oder offen konzipierte Artikel führten zu konkreten Problemen bei der Umsetzung. Der von Masselin formulierte Anspruch, Verträge seien auch einzuhalten, scheiterte damit schon an der Auslegbarkeit der Vertragsinhalte. Als weiteres Problem mag hinzukom­ men, dass es sich nicht in erster Linie um die Durchsetzung königlichen Rechtes handelte, sondern um die Rückgabe von Gebieten, die von partikularen Mächten beansprucht wurden. Eine „neutrale“ Institution und Gerichtsbarkeit, welche den Vertrag gemäß dem Grundsatz pacta sunt servanda auch wirklich durchsetzte, gab es nicht.³⁵¹ Diskussions- und Argumentationsgrundlage blieb der situativ auslegbare Vertragstext.

4.2.3 Integration – Desintegration: Der „fremde“ Herrscher wird vertragsbrüchig Die Einhaltung des Vertrages von Arras blieb jedoch nicht allein ein Problem der Untertanen. Die Jahre nach 1482 waren geprägt von Vertragsbruchvorwürfen,

347 „. . . interpretatione levi mitigandum . . . “. Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 342. 348 Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 342. 349 Masselin, Journal, wie Anm. 333, S. 345. 350 Zur Verhandlung des Falles beim conseil am 6. Dezember 1484 vgl. Bernier, A. (Hrsg.): Procès-verbaux des séances du conseil de régence du roi Charles VIII. Pendant les mois d’août 1484 à janvier 1485. Paris 1836, S. 207ff. 351 Noch Bynkershoek konstatierte Anfang des 18. Jahrhunderts die ethische, rechtlich jedoch nicht erzwingbare Verpflichtung zur Vertragseinhaltung. Tuori, Reception, wie Anm. 344, S. 1027.

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welche Maximilian und der französische König gegeneinander richteten. Im Vorfeld des Friedensschlusses von Frankfurt 1489 wird die wechselseitige Polemik der letzten Jahre besonders deutlich und ausführlich in zwei Briefen von Juli und August des Jahres 1488 dargelegt. In dem einen Schreiben richtet sich Maximilian an die Stände des Hennegau zur Darlegung seiner Position, der andere Brief enthält die Gegenstimmen und damit die Zurückweisungen der Beschwerden Maximilians aus dem königlichen Umfeld.³⁵² Maximilian formuliert an die Stände eine lange Begründung seiner Waffengän­ ge, durch welche der Vertrag von Arras zwangsläufig verletzt worden war. Dieser sei, so die Rechtfertigung, nur unter Zwang der Stände zustande gekommen,³⁵³ womit wie üblich das contrainte-Argument bemüht werden konnte. Auch inhaltlich lehnt sich die weitere Argumentation an die Rechtsdiskurse des burgundischen Herrschaftsantrittes an und stellt die französischen Herrscher in eine Tradition aus Siegel-, Eid- und Versprechensbrüchen gegenüber dem Haus Burgund.³⁵⁴ Nach dem Tod Ludwigs hätte sich die neue Regierung nun nicht mehr an den in Arras beschworenen und versprochenen Frieden gehalten, sondern vielmehr versucht, Maximilian aus dem Land zu jagen, während sich seine Kinder noch immer in ihrer Gewalt befänden. In dieser Situation habe sich eine offene Rebellion erst in Gent, dann in ganz Flandern gegen ihn erhoben. Soweit die Schilderungen der bekannten Sachverhalte. Die nun von Maximilian eingesetzte Waffengewalt und der damit vermeintliche Vertragsbruch konnten jetzt mit der Vertragsbrüchigkeit der Gegenpartei und als Mittel zur Wiederherstellung des Friedens legitimiert werden. Dieses wiederum wurde als Vertragskonform bewertete, da das Abkommen von Arras bekanntlich das Vorgehen gegen „infracteurs de ladite paix“³⁵⁵ in seine Artikel integriert hatte.³⁵⁶ Es wird noch zu zeigen sein, dass den eigenen Begrün­ dungsmustern zufolge Vertragsbrüche stets als Antwort auf ein vorhergehendes nonkonformes Verhalten der Gegenpartei gewertet werden sollten.

352 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 111–144. Vgl. zum Konflikt Maximilians mit den flandrischen Ständen Haemers, Jelle: Un régent „qui est à l’origine de tous les maux et du désordre du pays“ ou „Das ungetreu volck zur Flanndren“? A propos de la politique d’un prince „étranger“ dans des pays ïnfidèles. Maximilien d’Autriche aux Pays-Bas bourguignons, 1477–1492. In: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Hrsg. von Michel Pauly. Luxemburg 2013 (Publications du CLUDEM 38), S. 241–162. 353 „. . . nous avons esté conseillez, par forme de contrainte, par les estas de nosdits pays, de faire une paix . . . “. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 112. 354 „. . . ilz ont rompu par six fois leurs seellez, serment et promesses.“ Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 112–115. Siehe S. 25. 355 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 106, § 79. 356 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 114.

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Im Brief an die Hennegauer Stände fällt aber auch die Tatsache ins Gewicht, dass immer noch ein Interessenskonflikt bezüglich der niederländischen Gebiete vorlag. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die von Maximilian formulierte Selbstbezeichnung als „roy de Rommains, sommes vostre souverain, et, comme père et mambour de nostredit filz, vostre prince et seigneur“. Stilistisch wurde hier noch einmal der Versuch unternommen, die Argumente der Gegenpartei umzukehren. Er, Maximilian, sei der natürliche Herrscher, der französische König „estraingier“.³⁵⁷ Rhetorisch setzte Maximilian hier an dem Punkt an, der in den letzten Jahren zum Kern der gegen ihn selbst gerichteten Polemik geworden war. Eine ausführliche Zurückweisung seiner Herrschaftsansprüche enthielt auch das Antwortschreiben der „Philalités“, welches dem Umfeld Karls VIII. zuzuordnen ist und im französi­ schen Königreich als Propaganda verbreitet wurde. Deutlich erfolgt die Abgrenzung der von Maximilian beanspruchten Gebiete vom Reich. Die Burgunder seien stets Vasallen der französischen Krone gewesen, auch wenn sie sich in der Vergangen­ heit gegen diese erhoben hätten.³⁵⁸ Der Vorwurf der fremden Herrschaft könne demzufolge nur gegen Maximilian selbst, nicht aber gegen den französischen König gerichtet werden. Als römischer König wäre Maximilian Souverän im Reich, in den Ländern seines Sohnes aber lediglich Fürst. Brabant, der Hennegau, Holland und Seeland seien definitiv nicht im Reich gelegen.³⁵⁹ Zur Darlegung der rechtmäßigen Herrschaft des französischen Königs wurden in verkürzter Form die Fakten aus den Rechtsdebatten der 1470er Jahre herangezogen und erneut eine Argumentation unter Bezugnahme auf den Vertrag von Arras von 1435 aufgebaut. Auch wenn es sich hier eindeutig um die Rezeption bekannter Argumente handelte, hatte sich die Situation gewandelt. Anders als im unmittelbar nach dem Tod Karls des Kühnen entbrannten Erbstreit, war Maximilian mittlerweile zum römisch-deutschen König gekrönt worden. Die Argumentation verwies demzufolge über die selbst definierten Grenzen Frankreichs und Burgunds hinaus in das Reich und auf dortige Verhältnisse, über die sich die „Philalités“ wohl informiert zeigten. Wenn Maximilian seine Hausmacht schützen wolle, möge er sich an den König von Ungarn wenden und nicht das Erbe seines Sohnes zerstören. Soweit der Hinweis auf die Konflikte an der Ostgrenze des Reiches, mit denen der König quasi aus seinen westlichen Erblanden heraus komplimentiert werden sollte.³⁶⁰ Die Abgrenzung vom Reich erfolgte aber nicht nur aus herrschaftlicher Sicht, sondern auch aus der Perspektive der Untertanen. Es sei nicht denkbar, so der 357 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 115–116. 358 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 123ff. 359 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 140–142. 360 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 141.

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zusammenfassende Höhepunkt der Kritik, die französischen Fürsten unter das Gesetz deutscher Fürsten zu stellen. Sie seien in ihrem ganzen Wesen so sehr an die französische Krone gebunden, dass sie sich dem König gegenüber nicht so verhalten könnten, wie es die deutschen Fürsten und Ritter dem Kaiser gegen­ über täten.³⁶¹ Von dualistischer Ausdifferenzierung des Reiches und fürstlichen Reformbestrebungen setzte man sich hier bewusst ab. Offen wurde die allgemeine Polemik von einer Kritik am Reich und den dortigen Strukturen untermauert und damit nicht nur eine geographische, sondern auch eine strukturelle und personelle Abgrenzung vollzogen. Die Identität der Niederländer definierte sich als Differenz zum Reich.³⁶² Was das Reich sei, wurde an personellen Bindungen und Konflik­ ten festgemacht. Anders als die Untertanen der französischen Krone, zeichneten sich die Reichsfürsten durch die Aufgabe der Königswahl und die gegenwärtig oppositionelle Haltung gegenüber dem Herrscher aus. Neben der Abgrenzung von Maximilian und dem Reich griff der Brief aber auch die Hauptkonfliktpunkte der letzten Jahre auf, die sich um den Vertragsschluss von Arras 1482 entspannen. Den an die Stände gerichteten Vorwurf des aufgezwun­ gen Vertrages galt es dabei zu dekonstruieren. In Alost hätte eine Versammlung stattgefunden, bei der man Maximilian die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines Friedensschlusses „par vives et urgentes raisons“ nahegelegt hatte.³⁶³ Daraufhin habe der Herzog die Instruktionen für die Unterhändler freiwillig („libérallement“) unterzeichnet und später den Frieden feierlich in Anwesenheit des Bischofs von Rouen und weiterer königlicher Gesandter in der Kirche St. Johann in Gent beschwo­ ren, der, schaut man auf die Artikel, nicht sonderlich nachteilig für Maximilian sei.³⁶⁴

361 „Et, s’il cuide mectre les princes du royaulme de France à la loy des princes d’Allemaigne . . . il s’abuse, car les princes de France sont, de leur estre, de leur nourreture, estat et entretènement, si submiz et obligiez à la couronne, qu’ilz ne peuvent ainsi jouer du roy, comme font les princes et ruttures d’Allemaigne, de l’Empereur.“ Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 135–136. „[Les] princes d’Allemaigne, qui chascun jour, à leur plaisance . . . envoyent deffier l’Empereur, et font, en ung an, dix deffiances et dix appointemens [. . . ].“ Der französische König hingegen unterscheidet sich bereits hinsichtlich seiner Nachfolge „par vraye et légitime succession, non pas par élection, n’a jamais esté en tutelle, mais tousjours en sa plaine et franchise liberté . . . “. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 135–137. 362 Vgl. zum Konstruktionscharakter der Fremdheit Scior, Volker: Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck. Berlin 2002 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 4), S. 18; Haemers, Régent, wie Anm. 352, S. 241–162. 363 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 126. 364 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 126, 130.

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Über die Auslieferung der jungen Margarete habe sich dieser schon kurze Zeit später beschwert, ebenso wie über den vermeintlich aufgezwungen Vertrag.³⁶⁵ Die gewünschte und gegenseitige Bestätigung und Ratifikation des Vertrages war dann bekanntlich von Maximilian verzögert und durch die öffentliche Verbreitung des contrainte-Arguments zunichte gemacht worden.³⁶⁶ Ebenso wurde der an den französischen König gerichtete Vorwurf der gebro­ chenen Versprechen und Siegel abgewehrt. Wenn man sich schon auf Ereignisse beziehe, die mehr als hundert Jahre zurückliegen, müssten auch konkret die Ver­ träge und Vorfälle dargelegt werden.³⁶⁷ Ob die Verfasser des Textes hier wirklich die volle Ausbreitung der rechtlichen Sachverhalte verlangten, ist fraglich, vielmehr ließ sich das Argument des Eid- und Siegelbruches durch die ungenaue Darstellung Maximilians schnell und einfach abschmettern. Wie ließ sich nun ein Ausgleich zwi­ schen den Parteien finden? Der gerichtliche Austrag, welcher sich schon auf Ebene der Untertanen als kompliziert erwiesen hatte, eignete sich nicht für die Konfliktlö­ sung zwischen den Herrschern, auch wenn sich Versuche im Ansatz greifen lassen.

4.2.4 Parlement de Paris Eine Sonderrolle im Streit um die Durchsetzung und Interpretation des Vertrages von Arras kam sicher dem parlement de Paris zu.³⁶⁸ Das Verhältnis Maximilians zum obersten französischen Gerichtshof erwies sich als gespalten. Dauchy verweist auf einen Fall zur Klärung der Zollansprüche der Margarete von York, welcher Ende 1483 vor dem Parlament behandelt wurde. Wie sich herausstellt, standen hinter den finanziellen Interessen der Klägerin auch politische Ziele. So hieß es, dass die Zollfrage ja auch durch eine Anerkennung Maximilians als mambour geklärt würde. Über die Zollfrage sollte dessen Status in den Niederlanden indirekt durch Parlamentsurteil gefestigt werden. Dieses Ziel bleib auch vom Anwalt der Gegenpartei, dem flämischen conseil de régence, nicht unbemerkt. Der Advokat

365 Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 130–131. 366 Die Beeidung des Abkommens fand erst 1483 statt. Molinet, Chroniques, ed. Buchon, wie Anm. 331, Bd. 2, S. 373ff. „. . . fist dire et déclairer, par le docteur Eynattes, publicquement, en la maison de la ville de Bruxelles, que il avoit esté constraint de faire paix . . . “. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 131. 367 „. . . [P]uisqu’ilz veuillent parler de si ancien temps, l’en les requiert qu’ilz nomment quelz traictiez et quelz promesses ont esté rompus . . . “. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 129. 368 Vgl. grundlegend zum Pariser Parlament und dessen Entwicklung im Spätmittelalter Autrand, François: Naissance d’un grand corps de l’état. Les gens du Parlement de Paris, 1345–1454. Paris 1981 (Publications de la Sorbonne. Série NS Recherche 46).

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Pierre Michon machte die Anspielung „car elle n’y a nul interest mais on le fait pour venir a autres fins, qu’on ne declaire . . . “. Im Endeffekt entzog sich das Parlament einer endgültigen und klärenden Beschlussfassung.³⁶⁹ Bezeichnend bleibt aber die Tatsache, dass die Bestätigung Maximilians als mambour durch das parlement offensichtlich als vorteilhaft eingestuft wurde, die gerichtliche Klärung aber nur unter dem Vorwand der Zollansprüche eingeleitet werden konnte. 1488 lehnte Maximilian als römisch-deutscher König eine Behandlung des Flandern-Konfliktes vor dem parlement gänzlich ab. Dieses Mal hatten die Flandern dem französischen König den Vorschlag unterbreitet, die Streitigkeiten vor dem parlement de Paris beilegen zu lassen.³⁷⁰ Tatsächlich hatten sich bereits 1485 einige Herren von Geblüt, die drei Glieder Flanderns sowie die Städte Gent, Brügge und Ypern mit der Bitte an den französischen König gerichtet, sie in den Vertrag von 1482 zu integrieren. Er möge sie als Souverän bei der Bekämpfung des rechtswidrigen Verhaltens Maximilians unterstützen.³⁷¹ Dass Maximilian die Verhandlung vor dem parlement ablehnte, versteht sich aus seiner Position heraus. Wer für sich selbst die Souveränität über Flandern beanspruchte, konnte sich keiner französischen Gerichtsbarkeit unterstellen.

4.2.5 Perspektivwechsel: Reichsversammlungen Nach der Gefangenschaft Maximilians in Brügge im Winter 1488 hatte sich die Lage in den Niederlanden zugespitzt. Die Festsetzung des mittlerweile gekrönten rö­ misch-deutschen Königs konnte somit auch nicht von den Reichsständen ignoriert werden und wurde vom territorialen, habsburgischen Konflikt zur Reichsange­ legenheit.³⁷² Zudem hatte der französische König am 23. Mai 1488 das Lütticher Domkapitel sowie die Stadt und das Land Lüttich unter seinen Schutz genommen, was das alte Reichsbistum zu einem französischen Stützpunkt in unmittelbarer

369 Dauchy, Introduction historique, wie Anm. 96, S. 124–126. 370 Das gegen Maximilian gerichtete Rundschreiben geht auf diesen Vorschlag ein und verweist auf vergleichbare Fälle. Die Ansprüche des Louis, des Grafen von Nevers, seinem Onkel Robert Cassel, Mathieu de Lorraine und Madame de Couchy waren einst vom parlement zugunsten Louis entschieden worden war. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 1, S. 132–133. 371 Montfaucon, Bernard de (Hrsg.): Les monuments de la monarchie Françoise. Qui comprennent L’histoire de France. Avec les figures de chaque regne que l’injure des temps a épargnées. 5 Bde. Paris 1729–1733, Bd. 4, S. 19. 372 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 1488–1490. Bearb. von Ernst Bock. Bd. 3,1. Göttingen 1972 (im Folgenden zit. als RTA MR, 3,1), S. 198–199, Nr. 22c, S. 204, Nr. 26b.

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Nähe zum Reich machte.³⁷³ Der politischen Lage entsprechend ließen auch die Forderungen nach reichsständischen Hilfeleistungen nicht lange auf sich warten und wurden zum prägenden Diskussionspunkt der Reichsversammlungen. Der Blick auf die Reichsversammlungen der 1480er Jahre verdeutlicht gleich­ sam den sich zuspitzenden Entwicklungsprozess der Tagsatzungen, die bald zu einer Institution des zunehmend ausdifferenzierten Reichs wurden.³⁷⁴ Seit der Frankfurter Reichsversammlung 1486, an der auch auswärtige Gesandte teilnah­ men, war Berthold von Henneberg verfassungspolitisch für die Reichsstände aktiv geworden.³⁷⁵ Diese Entwicklungen im Reich, insbesondere die zunehmenden oppositionellen Bestrebungen der Fürsten waren, der französische Beschwerde­ brief über Maximilian dokumentiert dies, auch in Frankreich wahrgenommen worden. Wie wurden nun die Konflikte des römisch-deutschen Königs im Reich aufgenommen und behandelt? Die Reichsstände als neuer Akteur? Kaiser Friedrich III. bezog 1489 in seinem Ladungsschreiben zur Reichsversamm­ lung in Speyer eindeutig die Position seines Sohnes. Es ginge um „die lande, [Brabant, Flandern, der Hennegau, Holland und Seeland,] [die] von uns und dem

373 Besonders betroffen waren Kurfürst Hermann von Köln sowie Herzog Wilhelm von Jülich-Berg, die entsprechend militärisch und diplomatisch reagierten. Vgl. dazu RTA MR, 3,1, S. 277, Anm. 319. Zur Lütticher Stiftsfehde Harsin, Paul: La principauté de Liège à la fin du règne de Louis de Bourbon et sous celui de Jean de Hornes, 1477–1505. Lüttich 1957. 374 Seyboth, Reinhard: Die Reichstage der 1480er Jahre. In: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter. Hrsg. von Peter Moraw. Stuttgart 2002 (Vorträge und Forschungen 48), S. 519–545; Neuhaus, Helmut: Der Reichstag als Zentrum eines „handelnden“ Reiches. In: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. Hrsg. von Hans Ottomeyer u. Jutta Götzmann. Bd. 2. Dresden 2006, S. 42–52. Zur Entwicklung der Reichsversammlungen und dualistischen Ausdifferenzierung des Reiches grundlegend Annas, Hoftag, wie Anm. 2; Martin, Thomas Michael: Auf dem Weg zum Reichstag. Studien zum Wandel der deutschen Zentralgewalt 1314–1410. Göttingen 1993 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 44). Unter den zahlreichen einschlägigen Studien Peter Moraws exemplarisch Moraw, Peter: Versuch über die Entstehung des Reichstags. In: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich. Hrsg. von Hermann Weber. Wiesbaden 1980 (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs 2), S. 1–36; Isenmann, Eberhard: Kaiser, Reich und deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahrhunderts. In: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter. Hrsg. von Joachim Ehlers. Sigmaringen 1988 (Nationes 8), S. 145–246. 375 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 1486. Bearb. von Heinz Angermeier unter Mitwirkung von Reinhard Seyboth. Bd. 1,1. Göttingen 1989 (im Folgenden zit. als RTA MR, 1,1), S. 50–52.

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hl. Reich zu lehen rürende und zum Hauß von Burgundi gehorig, in fremde . . . hende zu stellen . . . “³⁷⁶. Den Vertrag von Brügge,³⁷⁷ durch den die Verhältnisse in Flandern und den Niederlanden vermeintlich geregelt worden waren, erklärte der Kaiser aufgrund seiner eigenen Machtvollkommenheit für ungültig. Der Pakt resultiere aus der Notsituation der Gefangenschaft und verletze offensichtlich Reichsrechte.³⁷⁸ Es waren jedoch nicht allein der Kaiser und der römisch-deutsche König, welche ihren Appell an die Reichsstände richteten. Auch die Gegenseite wandte sich an die versammelten Fürsten, zur Darstellung der eigenen Position. In Speyer erhielten die dort anwesenden Kurfürsten und Fürsten des Reiches ein Rechtfer­ tigungsschreiben³⁷⁹ der drei Glieder Flanderns Gent, Brügge und Ypern, in dem diese den Streit mit Maximilian vom Zeitpunkt des Todes Marias von Burgund an darlegten, um sich gegen die Anschuldigungen des Herzogs zu wehren. Dieser habe den Frieden von Arras gebrochen und Flandern an den Rand des Ruins getrieben.³⁸⁰ Aus diesem Grund und in dieser Notlage hatte man sich an Karl VIII. als obersten Lehnsherren und dessen Parlament gewandt. Entgegen den Behauptungen Ma­ ximilians hatte man nicht versucht die Hoheitsrechte des Reiches zu verletzen. Dieser solle sich vielmehr dem Spruch des parlement beugen und seine Truppen aus dem flandrischen Städten zurückziehen.³⁸¹ An die Vertreter der Städte und Grafschaften richtete sich Philipp von KleveRavenstein mit einem eigenen Rechtfertigungsschreiben. Die Reichsstände sollten noch einmal prüfen, ob wirklich triftige und wahrheitsgemäße Gründe vorlägen, die einen Krieg gegen die Flamen rechtfertigen würden. Der Kaiser habe diese in seiner Ausschreibung beschuldigt, sie seien gegen ihren natürlichen Landesherren vorgegangen und wollten sich in fremde Herrschaft begeben. Eine Appellation

376 RTA MR, 3,1, S. 149, Nr. 9g Ladungsschreiben zum Speyerer Tag am 6.1.1489. Das Schreiben selbst datiert auf den 16.-24. Oktober 1488. Die Zugehörigkeit der Niederlande zum Reich betonte der Kaiser auch in einer Rede auf dem niederländischen Provinziallandtag in Antwerpen am 4. September 1488. RTA MR, 3,1, S. 116–117, Nr. 4a. 377 12. Mai 1488. Maximilian verzichtet auf seine Regentschaft über seinen noch minderjährigen und als prince naturel anerkannten Sohn Philipp. Dazu Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 216–218. 378 RTA MR, 3,1, S. 67–69. 379 Vom 23. Dezember 1488. 380 Zu den Maximilian vorgeworfenen Brüchen von Eiden und Versicherungen gegenüber den Flamen vgl. den Briefwechsel mit Philipp von Ravenstein bei Molinet, Jean: Chroniques. Hrsg. von Georges Doutrepont u. Omer Jodogne. 3 Bde. Brüssel 1935–1937, Bd. 2, S. 46–56, 264–285. 381 RTA MR, 3,1, S. 210–212, Nr. 27a.

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an den französischen König verstoße aber nicht gegen Reichsrecht, da dieser schließlich der oberste Lehnsherr in Flandern sei.³⁸² Die Argumentation Ravensteins und der Flamen entspricht den Regelungen des Vertrages von 1482, mit dem Flandern in den Rechtsraum des parlement de Paris integriert worden war. Dies erschwerte nun die Rechtslage, als Maximilian, in der Polemik der Gegenpartei in den vergangenen Jahren immer als fremder Herrscher bezeichnet, sich nun einem Spruch des französischen Gerichts beugen sollte. Offensichtlich war im Vertrag keine Lösung zum Umgang mit der Doppelrolle des Herzogs von Österreich und künftigen römisch-deutschen König gefunden worden. Ein Blick in die Parlamentsregister zeigt, dass sowohl die Flamen als auch Maximilian in den Jahren seit dem Friedensschluss von Arras durchaus Gebrauch von der Möglichkeit einer Appellation vor dem parlement de Paris machten und diese mit der Hoffnung verbanden, ihre jeweiligen Positionen durch ein Urteil der obersten Berufungsinstanz stärken zu können.³⁸³ Mit den Reichsständen war nun aber ein weiterer Akteur, oder besser eine neue, nicht homogene Akteursgruppe, auf den Plan getreten. Diese wurden nicht nur von Seiten ihres Königs zur Reichshilfe aufgefordert, die aufständischen Niederländer nahmen diese als eigenen, von König und Kaiser unabhängigen Verhandlungspart­ ner wahr. Dabei ging es weniger um einen aktiven Einbezug der Reichsstände in die Konfliktlösung, zentrales Anliegen war eine Schwächung der finanziellen Basis des römisch-deutschen Königs. Auch die Reichspolitik des französischen Königs sollte sich in den kommenden Jahren an die zunehmend verfestigten dualistischen Verfassungsstrukturen anpassen. Zwangsläufig erschienen bald schon Gesandte des westeuropäischen Nachbarn auf den noch im Prozess der Ausformung begriffe­ nen Reichsversammlungen. Die folgenden Jahre sollten zeigen, inwiefern sich die institutionellen Entwicklungen im Reich auf die deutsch-französische Vertragspoli­ tik auswirkte und vor allem, wie die Reichsstände die ihnen neu zugedachte, von französischer Seite künftig immer wieder betonte Rolle des eigenständigen Akteurs wahrnahmen.

382 RTA MR, 3,1, S. 212–214, Nr. 27c. 383 Dauchy verweist auf einen Fall zur Klärung der Zollansprüche der Margarete von York, welcher vor dem Pariser Parlament behandelt wurde. Wie sich herausstellt, standen hinter den finanziellen Interessen der Klägerin auch politische Ziele. So hieß es von Seiten der Kläger, dass die Zollfrage ja auch durch eine Anerkennung Maximilians als mambour geklärt würde. Diese Ziele bleiben auch vom Anwalt der Gegenpartei, dem flämischen conseil de régence, nicht unbemerkt. Der Advokat Pierre Michon macht die Anspielung: „car elle n’y a nul interest mais on le fait pour venir a autres fins, qu’on ne declaire . . . .“ Im Endeffekt entzieht sich das Parlament einer endgültigen und klärenden Beschlussfassung. Dauchy, Introduction historique, wie Anm. 96, S. 124–126.

96 | 4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) Die Verhandlungen zu Frankfurt 1489 Auf der Reichsversammlung von Frankfurt sollte das Vertragswerk zwischen Maxi­ milian und Karl VIII. beschlossen werden, in dem es im Wesentlichen um eine Neubearbeitung des Vertrages von Arras 1482 ging. Hinzu kam der verschärfte Konflikt zwischen Maximilian und Flandern. Anwesende von Seiten des Reiches waren der König selbst sowie die Kurfürsten von Mainz, Trier und der Pfalzgraf. Als Repräsentanten und Unterhändler des französischen Königs waren Jean de Villiers de la Grôlaye, der Bischof von Lombez und Abt von St. Denis, Jean de Pontville, Vicomte de Rochechouar sowie Pierre de Sacierge, Dechant von Langres, entsandt worden, die basierend auf Vorverhandlungen³⁸⁴ mit dem Grafen Engelbert von Nassau, Philibert de Veyre (La Mouche) sowie Franz von Busleyden³⁸⁵ ihre Artikel dem Reichstag vorlegten. Zur Beratung der französischen Vorschläge wurden die drei oben bereits genannten und mit dem Sachverhalt vertrauten Räte Maximilians beauftragt.³⁸⁶ Wie die regen Debatten der vergangenen Jahre gezeigt hatten, ging es nicht um eine Auflösung der in Arras verschriftlichten Artikel und Verpflichtungen. Trotz der gegenseitigen Anschuldigungen des Vertragsbruchs sollte vielmehr die Einhaltung und erneute Publikation des Vertrages durchgesetzt werden. Diese Forderungen gehen auch aus den Weisungen des französischen Königs für seine Gesandten hervor.³⁸⁷ Mehr als die Inhalte des Friedensschlusses, welcher sich als Fortschreibung des Abkommens von 1482 verstehen lässt, interessiert die Tatsache der vorübergehenden, aber erstmaligen Ortsverlegung der Vertragsverhandlungen in das Reich. Hatten schon Ravenstein und die Flamen ihre Positionen gegenüber den Reichsständen stark gemacht, so lässt der Auftrag des französischen Königs keinen Rückschlüsse auf eine gewünschte Sonderverhandlung mit den Reichsständen zu.³⁸⁸ Lediglich an der Sicherung des neu zu treffenden Abkommens sollte des 384 Anfang April 1489. 385 RTA MR, 3,2, S. 1043, Nr. 265c. Zur politischen Laufbahn Engelberts von Nassau siehe De Win, Paul: Engelbert II graaf van Nassau-Dillenburg en Vianden heer van Breda (1451–1504). In: Handelingen van de Koninklijke Kring voor Oudheidkunde, Letteren en Kunst van Meche­ len. Bulletin du Cercle Archéologique, Littéraire et Artistique de Malines 95,2 (1991), S. 88–97; Heinig, Paul-Joachim: Akteure und Mediatoren burgundisch-österreichischer Beziehungen im 15. Jahrhundert. In: Pays bourguignons et autrichiens (XIVe –XVIe siècles). Une confrontation institutionnelle et culturelle. Rencontres d’Innsbruck (29 septembre au 2 octobre 2005). Hrsg. von Jean-Marie Cauchies. Neuchâtel 2006 (Publication du Centre Européen d’Études Bourguignonnes 46), S. 127–135. 386 RTA MR, 3,2, S. 1043, Nr. 265c. 387 Vgl. dazu die Weisung der französischen Gesandten RTA MR, 3,2, S. 1309–1042, Nr. 265b. 388 Verwiesen sei aber auf die Tatsache, dass die französische Delegation vor ihrem Eintreffen in Frankfurt einen Zwischenstopp in Heidelberg vornahm. Über die dort stattfindenden Verhandlun­

4.2 Vertrag von Arras: Rezeption und Perspektivwechsel ins Reich | 97

Reich beteiligt werden. Der französische König selbst wollte nach Vertragsabschluss standardmäßig Brief und Siegel geben und zudem die Bestätigungen der Prinzen von Geblüt und der Städte einholen. Der römisch-deutsche König wurde aufge­ fordert, dem gleich zu tun. Siegeln sollten neben ihm der Kaiser, die Kurfürsten, Erzherzog Sigmund von Österreich, Maximilians Statthalter, sowie andere Fürsten und Herren des Reiches. Die Forderung einer reichsständischen Beteiligung an der Sicherung des herrscherlichen Abkommens ging hier ganz offensichtlich von der französischen Seite aus und erfolgte in Anlehnung an den dort üblichen Einbezug der Prinzen von Geblüt.³⁸⁹ Schon hier sei vorgegriffen, dass die in der französi­ schen Weisung gestellte Forderung weder umgesetzt noch in die betreffenden Vertragsartikel aufgenommen wurde. Die Gründe dafür liegen sicher in der Beschaffenheit der Reichsversammlung selbst. Allein die Einforderung einer reichsständischen Vertragsbestätigung oder das an diese gerichtete Rechtfertigungsschreiben der Glieder Flanderns lassen noch nicht darauf schließen, dass Reichsstände auch wirklich an der Vertragsaushand­ lung beteiligt waren oder die ihnen von den auswärtigen Parteien zugedachte Rolle der Streitfallprüfer bekleideten. Die Entscheidungsgewalt der Versammlung lag viel­ mehr auf der finanziellen Ebene der Hilfsleistungen, wie aus Verhandlungsakten und letztendlich auch aus dem Umfeld des Vertragsschlusses hervorgeht. In einem Ladungsschreiben an Kurfürst Philipp von der Pfalz bat Maximilian diesen nach Frankfurt zu kommen, um die französischen Gesandten in Gegenwart

gen mit dem Pfalzgrafen liegen keine Informationen vor. Bekannt ist der Bündnisvertrag, der drei Jahre später zwischen dem Kurfürsten und dem französischen König geschlossen werden sollte. Dazu Zeller, Gaston: Alsace, France et Palatinat au temps de Wimpheling. In: Revue d’Alsace 87 (1947), S. 34. Über den Heidelberger Aufenthalt RTA MR, 3,1, S. 943–945, Nr. 254. Künftig zu den pfälzisch-französischen Beziehungen in dieser Zeit Müsegades, Benjamin: Diplomatie und Reprä­ sentation. Ludwig V. und die pfälzisch-französischen Beziehungen am Vorabend des Landshuter Erbfolgekriegs. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 163 (2015). Zur Kontextualisierung und fürstlichen Frankreichpolitik der Zeit, maßgeblich aber ab 1519 Winterhager, Wilhelm Ernst: „Verrat“ des Reiches, Sicherung „deutscher Libertät“ oder pragmatische Interessenpolitik? Be­ trachtungen zur Frankreich-Orientierung deutscher Reichsfürsten im Zeitalter Maximilians I. und Karls V. In: Französisch-deutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift für Jean Laurent Meyer zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Klaus Malettke u. Christoph Kampmann. Berlin 2007 (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit 10), S. 17–66. 389 RTA MR, 3,2, S. 1402, Nr. 265b. Die Einbeziehung von hochrangigen Fürsten und Adeligen in Friedensverträge hatte bereits eine lange Tradition und war als solche nicht unüblich oder innovativ. Vor dem Hintergrund der Reformentwicklungen, insbesondere der späteren Gründung des Reichs­ regimentes, werden sich jedoch neue Handlungsspielräume für die Reichsstände ergeben. Vgl. zur Beteiligung des Herrschaftsverbandes an Friedensschlüssen Schwedler, Gerald: Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen – Rituale – Wirkungen. Ostfildern 2008 (Mittelalter-Forschungen 21), S. 284–295.

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anderer Fürsten zu empfangen und vor allem deren schnelle Abfertigung zu ge­ währleisten. Auf den Inhalt der Verhandlungen oder mögliche Positionen wurde hingegen nicht eingegangen.³⁹⁰ Weiter belegt auch das Protokoll der kurmainzer Kanzlei, dass die Reichsstände nicht unmittelbar an den Vertragsverhandlungen beteiligt gewesen waren.³⁹¹ Die Frankreichfrage war unter den Ständevertretern lediglich unter dem Aspekt der Reichshilfe verhandelt worden, wohingegen der unmittelbare Vertragsabschluss dem eigens dazu bevollächtigten Sonderausschuß um Engelbert von Nassau oblag, der als Statthalter Flanderns bereits die Vorverhandlungen bestritten hatte.³⁹² Auch aus französischer Perspektive wurde der Reichsversammlung nur eine geringe Performanz attestiert. Von der unmittelbaren Wahrnehmung der Versamm­ lung zeugt ein Bericht der anwesenden Gesandten.³⁹³ Diese fanden Maximilian in Frankfurt „à une assemblée“, wo sich viele Herren des Reiches zusammengefunden hatten, um über innere und äußere Angelegenheiten, Belange des Reiches und Friedensfragen zu verhandeln.³⁹⁴ Irritiert schilderten die Franzosen das Wesen der Tagsatzung sowie Organisation und Ablauf. So heterogen wie die Zusammen­ setzung der Versammlung, bei der offensichtlich eine große Anzahl deutscher Fürsten zusammengekommen sei, so pluralistisch seien auch die Interessen der Anwesenden. Die einen sprächen sich für den Frieden, die anderen für den Krieg aus und jeden Tag bekäme man eine andere Antwort, heißt es im Bericht.³⁹⁵ Auf konkrete Reformbestrebungen der Reichsstände, die besonders auf und in den Reichsversammlungen der Zeit sichtbar und hörbar wurden, gehen die

390 RTA MR, 3,2, S. 1039, Nr. 265a. 391 Der Vertrag datiert auf den 19. Juli 1489. In dem Protokoll vom 23. wird lediglich Maximilians Unzufriedenheit über den zwischen ihm und den Franzosen abgeschlossenen, „nachteyligen vertragk“ erwähnt. RTA MR, 3,2, S. 1175, Nr. 299b. 392 RTA MR, 3,2, S. 1043, Nr. 265c. 393 Zur Außenwahrnehmung des Reichstages vgl. Lanzinner, Maximilian u. Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73). 394 Commynes, Philippe de: Histoire de Charles VIII roy de France et des choses mémorables advenues de son règne depuis l’an 1483 jusques à 1498 par Guillaume de Jaligny, secrétaire de Pierre II duc de Bourbon, André de La Vigne, secrétaire d’Anne royne de France et autres. Hrsg. von Théodore Godefroy. Paris 1617, S. 80ff. Der Bericht der französischen Gesandten ist nur als spätere Abschrift erhalten BNF, MS fr. 15597, wie Anm. 321, fol. 80v-82bis . Übersetzt und ediert in RTA MR, 3,2, S. 1139–1141, Nr. 292d. 395 „. . . nous avons ici trouvé le roi des Rommains à une assemblée, par l’advis de laquelle il a voulu conduire & expedier les affaires . . . en ladite assemblée, qui est la plus grande en nombre des grands princes . . . se font trouves gens de diverses opinions . . . .“ Commynes, Histoire de Charles VIII., wie Anm. 394, S. 81.

4.2 Vertrag von Arras: Rezeption und Perspektivwechsel ins Reich | 99

Diplomaten hingegen nicht ein. Die Brisanz der Situation oder zumindest den politischen Nutzen, der sich aus dieser Uneinigkeit innerhalb des Reiches ziehen ließ, fasste der päpstliche Nuntius Peraudi als selbsternannter Experte deutscher Sitten in seinem Bericht zusammen. Im Gegensatz zu anderen Ländern hätte das Reich kein Oberhaupt, dessen Entscheidungen sich die Untertanen beugten. Wer also Schwierigkeiten mit dem Kaiser oder König habe, solle sich an die Fürsten wenden, seien diese doch meist anderer Meinung, heißt es weiter.³⁹⁶ Als weniger nutzbringend empfanden offenbar die französischen Gesandten die Situation. Wegen der ständigen Uneinigkeit bliebe ihnen eigentlich nur üb­ rig die Hilfsforderungen des römisch-deutschen Königs an die Reichsstände zu untergraben.³⁹⁷ Von einer detailreichen Schilderung der Verhandlungen sahen die Gesandten aus praktischen Erwägungen ab. Da sie befürchteten ihren Leser zu langweilen, wurde der Bericht auf das Wesentliche reduziert und endete doch mit der Erfolgsbekundung über den geschlossenen und beschworenen Frieden zwischen Maximilian, Philipp und Karl VIII. Zur Exekution des Abkommens habe man den Herzog von Sachsen als Statthalter Maximilians sowie den Marschall d’Esquerdes informiert, dass die Kriegshandlungen einzustellen seien.³⁹⁸ Ratifikation Der Vertragstext selbst und seine Ratifikation verdeutlichen, dass die Vereinbarun­ gen zwar auf einer Reichsversammlung getroffen wurden, aber noch immer im Kontext des Erbschaftskonfliktes zu verstehen sind, an dem sich die Reichsstände zwar finanziell beteiligten, den sie jedoch nicht zur unmittelbaren Angelegen­ heit des Reiches erklärten. Die Vertragsartikel wurden am 19. Juli 1489 von den Unterhändlern des französischen und römisch-deutschen Königs vereinbart.³⁹⁹ Die Beglaubigung des Vertrages sollten neben den beiden Königen durch noch zu benennende Fürsten und Städte in Form von Siegeln stattfinden. Die eingangs in der französischen Instruktion geforderte Beteiligung von Kaiser, Kurfürsten und Reichsständen findet sich in den Artikeln des späteren Abkommens nicht wieder. Auch die Ratifikation Maximilians macht noch einmal deutlich, inwiefern der Frankfurter Vertrag in burgundischen Strukturen verhaftet blieb. Formelhaft entband Maximilian für den Fall eines Vertragsbruches die Herren von Geblüt

396 RTA MR, 3,2, S. 1085, Nr. 280. „. . . quot sunt hi principes, tot sunt capita, tot voluntates, et quilibet vel quantumcumque pauper in sua patria dominari vult.“ 397 „. . . empécher l’octroy d’aide . . . .“Commynes, Histoire de Charles VIII., wie Anm. 394, S. 81. 398 Commynes, Histoire de Charles VIII., wie Anm. 394, S. 81ff. 399 Für den französischen König Grôlaye, Pontville, Sacierge, für Maximilian Engelbert von Nassau, Philibert de Verye, Franz von Busleyden.

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sowie die Stände und Untertanen von ihrer Gehorsamspflicht. Der Befehl zur Vertragsregistrierung erging an den großen Rat von Mechelen sowie die zuständigen Beamten. Lediglich die Veröffentlichung sollte, und hier erfolgte die Differenzierung, sowohl in den erzherzöglichen als auch in den königlichen Landen erfolgen.⁴⁰⁰

4.3 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung Erst in den Jahren 1491–1493 wurde die Frankreichthematik zum akuten Problem im Reich, ausgelöst von dem berühmten Vorfall des „bretonischen Brautraubes“. Maximilian hatte im Dezember 1490 die Erbtochter des bretonischen Herzogs geheiratet. Diese Heiratspläne wurden bekanntlich von Karl VIII. durchkreuzt, der ungeachtet der nur prokuratorisch abgeschlossenen Ehe dieses Bündnis sprengte und sich selbst im Spätherbst 1491 mit Anna vermählte, nachdem er zuvor Nantes erobert und die Herzogin in militärische Bedrängnis gebracht hatte. Die Bretagne, seit jeher ein wichtiger Stützpunkt gegen die Engländer, konnte so wieder an die französische Krone gebunden werden, auch wenn dazu Maximilians Tochter Margarete verstoßen und das Heiratsversprechen von Arras gebrochen wurde. Dieser zweifellos beleidigende Akt veranlasste den römisch-deutschen König zur Entfachung eines Flugschriften- und Propagandakrieges.⁴⁰¹ Karl VIII. hatte sich hingegen unmittelbar nach Vollzug der Ehe um die schriftliche Darlegung und Rechtfertigung dieses Schrittes und Verhaltens bemüht. Mehr als der persönliche Konflikt zwischen den beiden Herrschern soll hier anhand des Brautraubes illustriert werden, inwiefern dieser in der propagandisti­ schen Auseinandersetzung als Bruch des Eheversprechens und damit des Vertrages von Arras bewertet wurde. Schließlich war sowohl in der Vertragsvorbereitung von den Ständen als auch anschließend im Vertragstext selbst die Eheverbindung als verbindlichkeitssteigernde und damit unabdingbare Maßnahme hervorgehoben worden. Welche Auswirkungen nun der Wegfall dieser familiären Verbindung der Herrscherhäuser für die weitere Rezeption, Einhaltung und diskursive Behandlung des Vertrages von 1482 hatte, wird im Folgenden zu behandeln sein, insbesonde­

400 RTA MR, 3,2, S. 1137–1138, Nr. 292b, S. 1138–1139, Nr. 292c. Eine Übersendung der Artikel erfolgte an Albrecht von Sachsen als Generalstatthalter in den Niederlanden zur dortigen Veröffentlichung. Dass die Archivierung des Vertrages aber tatsächlich auch im Reich stattgefunden hat, belegen zwei Abschriften und Übersetzungen des Vertrages. Dazu RTA MR, 3,2, S. 1136–1137, Nr. 292aa, 292ab. 401 Seyboth, Reichstag und Propaganda, wie Anm. 70, S. 239–257; Wiesflecker, Hermann: Der bretonische Brautraub. In: Der Aufstieg eines Kaisers. Maximilian I. Von seiner Geburt bis zur Alleinherrschaft 1459–1493. Hrsg. von Norbert Koppensteiner. Wiener Neustadt 2000, S. 115–118.

4.3 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung |

101

re vor dem Hintergrund der nun aktiv eingeforderten Reichshilfe. Maximilians propagandistische Darstellung und Verbreitung des Sachverhaltes gibt implizit Aufschluss darüber, welche Argumentationsketten als angemessen und wirksam erachtet wurden, um die Reichsstände zur gewünschten finanziellen Unterstützung zu bewegen.

4.3.1 (Ehe-)Vertragsbruch Über das Zustandekommen der Ehe mit Herzogin Anna von der Bretagne äußert sich Karl VIII. selbst in einer Verlautbarung, die in Burgund verbreitet wurde und in übersetzter Form ins Reich gelangte.⁴⁰² Die Zurückweisung der im Jahr 1482 beschlossenen Ehe zwischen Karl und Margarete begründet der König nun damit, das Maximilian von jeher gegen diese Ehe gewesen sei.⁴⁰³ Dass es sich bei dem Eheversprechen um eine vertragliche Vereinbarung handelte, wird nicht erwähnt, lediglich darauf verwiesen, dass zu Lasten des französischen Königreiches „ain gross zal främbds, tutschs volks“ Ansprüche auf Britannien und Burgund mit kriegerischen Mitteln erhoben habe.⁴⁰⁴ Im Rückblick auf die Diskurse der letzten Jahre ist es auffällig, dass dieses Verhalten nicht mit einem Vertragsbruch oder Friedensbruch gleichgesetzt wurde und die vertraglichen Regelungen keinerlei Erwähnung fanden. Deutlich zeichnet sich an dieser Stelle ein vorübergehender Wandel der diskursiven und argumentativen Praxis ab, welche sich sicherlich auf die unklare rechtliche Situation zurückführen lässt. Mit dem nun endgültig gescheiterten Ehevorhaben zwischen Karl und Marga­ rete war die Frage zum Verbleib ihrer Mitgift, über die in Arras 1482 fast sämtliche territorialen Verschiebungen geregelt worden waren, erneut offen. Folglich müssten

402 Seyboth, Reichstag und Propaganda, wie Anm. 70, S. 245. Nach dem Vollzug der Ehe hatte der französische König die Kundschaft darüber explizit verbreiten lassen. Dazu Deutsche Reichs­ tagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichsversammlungen 1491–1493. Bearb. von Reinhard Seyboth. Bd. 4,1. München 2008 (im Folgenden zit. als RTA MR, 4,1), S. 169, Nr. 40. Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in RTA MR, 4,1, S. 161–164, Nr. 37. Die französische Fassung, welche unmittelbar nach der Eheschließung an das parlement und die chambre des comptes geschickt worden war, bei Pélicier, Paul (Hrsg.): Lettres de Charles VIII, roi de France, publiées d’après les originaux. 5 Bde. Paris 1898–1905, Bd. 3, S. 414–418, 215–216. 403 „. . . so hab auch der röm. Kg. offenlichen merken laussen, an allen enden, das er nie in solich abredung des gemelten kunftigen hyrats gehollen oder dem verwilligung geben hab . . . “. RTA MR, 4,1, S. 162, Nr. 37. Der Rechtscharakter von Eheverträgen verstetigt sich in der Frühen Neuzeit. Vgl. dazu Bastl, Beatrix: Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der frühen Neuzeit. Wien [u. a.] 2000, S. 43–44. 404 RTA MR, 4,1, S. 162, Nr. 37.

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nun die Artikel greifen, die den Fall einer nicht zustande gekommenen Ehe regelten, was für den französischen König de facto einen Gebietsverlust nach sich gezogen hätte.⁴⁰⁵ Die jüngsten Ereignisse, die Ehe zwischen Maximilian und Anna von der Bretagne, werden im Rechtfertigungsschreiben des französischen Königs schlicht als ungültig bezeichnet, „als man denn auch durch die procuracion derselben siner [Maximilians] sendboten wol sehen mag, das das mer ain erdichte sach ist dann anders“.⁴⁰⁶ Karls Eheschluss mit der Herzogin sei somit rechtens.⁴⁰⁷ Etwas ausführlicher fielen die Begründungsversuche gegenüber Papst Inno­ zenz VIII. aus, bei dem schließlich eine französische Gesandtschaft den Dispens der Ehe einforderte.⁴⁰⁸ Wie aus dem Bericht des Jakob von Baden hervorgeht, der zeitgleich mit den französischen Gesandten bei der Kurie weilte, sei von fran­ zösischer Seite aus der Ehevertrag zwischen Maximilian und der Herzogin von der Bretagne vorgebracht worden, der „unformlich und von kain kreften“⁴⁰⁹ sei. Zu einer Einschätzung dieses Vertragswerkes war der Papst offensichtlich nicht bereit, der, hätte man das Abkommen von Arras als gebrochen angenommen, hier zur Appellationsistanz geworden wäre. Friedensbrecher, so war es vereinbart worden, unterstünden der Kirchenstrafe und auch die eidliche Bindung an den Vertrag hätte einer päpstlichen Lösung bedurft.⁴¹⁰ Seit jeher waren die pontifikalen Einflussmöglichkeiten auf Rechtsverhältnisse der europäischen Herrscher genutzt

405 Artois und die Freigrafschaft Burgund. 406 RTA MR, 4,1, S. 163, Nr. 37. 407 Vgl. dazu auch die Ausführungen des Humanisten und Beraters Karls VIII. Robertus Gagu­ nius in der Auseinandersetzung mit Jakob Wimpfeling. Es seien zwei ganz verschiedene Dinge voneinander zu trennen. Einmal die Verstoßung Margaretes und König Karls Heirat mit Anna, der angeblichen Gattin Maximilians. Margarete hätte sich infolge eines Heiratsvertrages am französischen Hof aufgehalten, ihre Rücksendung nach dem Tod von Karls Vater, Ludwig, sei rechtlich einwandfrei, da Maximilians negative Haltung gegenüber dem Projekt bekannt sei, welches von den Flandern ausgehandelt worden war. Die Ehe zwischen Karl und Anna sei ebenfalls gerechtfertigt. Die Prokuratoren Maximilians seien mit ungenügenden Vollmachten ausgestattet gewesen, weswegen dieser Eheschluss nicht gelte. „Et ne forte nescias, rex Romanus Margaretae pater pactum de nuptiis semper improbavit: tum quod a Flamingis se inconsulto et reclamante conflatae coniurataeque essent, tum quod plus aequo grandis erat dos filiae designata et quae accessione hereditatis, si filiae frater archidux prae sorore moreretur, augeri posset.“ Herding, Otto u. Mertens, Dieter (Hrsg.): Jakob Wimpfeling. Briefwechsel. Kritische Ausgabe mit Einleitung und Kommentar. 2 Bde. München 1990 (Jacobi Wimpfelingi opera selecta III, 1,2), Bd. 1, 185ff. Dazu und mit weiterführender Literatur Seyboth, Reichstag und Propaganda, wie Anm. 70, S. 247–248. 408 RTA MR, 4,1, S. 164–168, Nr. 38. 409 RTA MR, 4,1, S. 169, Nr. 39. 410 Nussbaum, Treaties, wie Anm. 116, S. 193–195.

4.3 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung |

103

worden.⁴¹¹ Auf den Vertragsschluss wurde aber auch hier in keinem Satz verwiesen. Zentral war die Frage der Eheschließung zwischen Karl VIII. und der Herzogin von der Bretagne. Schwerer als die mutmaßliche Verletzung vertraglicher Regelungen wog wohl der potentielle Ehebruch, von dem der französische König durch den aggressiv eingeforderte Dispens entlastet werden sollte. Interessant ist hier auch der juristische Eingriff in das wechselseitige Werben um die päpstliche Gunst. Dr. Ulrich Molitor wandte sich an Maximilian mit dem Ratschlag, dem Papst gegebenenfalls Zugeständnisse zu machen, um dafür im Gegenzug eine Abweisung des Ehedispenses durchsetzen zu können. Auch der französische König habe sich bereits durch großzügige Angebote hervorgetan, um das Gegenteil zu bewirken. Molitor berief sich nun auf die Möglichkeit mithilfe von Büchern nachweisen zu können, dass der Papst auf die Versuche des französischen Königs nicht eingehen dürfe. Der Tenor seines Schreibens klingt jedoch wenig zuversichtlich, dass eine juristische Argumentation besonders fruchtbar sein würde.⁴¹² Eine Durchsetzung supranationaler Autoritätsansprüche konnte zu dieser Zeit weder vom Papst noch vom Kaiser angenommen werden.⁴¹³ Die Präsentation des Falles legt nun die vorschnelle Vermutung nahe, der Bruch des Eheabkommens sei von der vertraglichen Vereinbarung des Jahres 1482 getrennt behandelt worden oder habe diese gar obsolet gemacht. Der Blick ins Reich zeigt hingegen, dass das Abkommen von Arras präsenter Hintergrund der Eheproblematik blieb und der Bruch des Vertrages bzw. seiner Fortsetzung seit Frankfurt (1489) vielmehr zum zentralen Bestandteil königlicher Kriegswerbung wurde.

4.3.2 Die Bedeutung des Vertrages in Kriegsbegründungen: Contra falsas francoru[m] litteras Wie gestaltete nun Maximilian seine Propaganda gegen den französischen König im Reich und welche Motive wurden als tragend erachtet? Wie Reinhard Seyboth herausgearbeitet hat, entfachte sich anhand des Brautraubdeliktes ein beachtlicher 411 Mit Beispielen zur Dispenspraxis bei königlichen Vertragsschlüssen vgl. Schwedler, Herr­ schertreffen, wie Anm. 389, S. 164–166; Kolmer, Eide, wie Anm. 170, S. 342–353; Prodi, Paolo: Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents. Berlin 1997 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 11), S. 146ff. 412 RTA MR, 4,1, S. 170, Nr. 41. Offenbar war von französischer Seite aus der Vorschlag unterbreitet worden. 413 Lesaffer, Randall: War, peace, interstate friendship and the emergence of the ius publicum Europaeum. In: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. Hrsg. von Ronald G. Asch [u. a.]. München 2001, S. 92–93.

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Propagandakrieg gegen den französischen König. Die Drucktechnik machte es möglich, die Argumente an eine größere Öffentlichkeit zu richten, was auch durch die hohe Anzahl an überlieferten Texten belegt wird.⁴¹⁴ Wie Seyboth hervorhebt, waren es vorrangig – und befördert durch die konzeptuelle Mitwirkung von Hu­ manisten – Argumente, die sich an ein kollektives Reichsinteresse der Stände richteten, dieses befördern und damit die finanzielle Hilfsbereitschaft im Reich ankurbeln sollten.⁴¹⁵ Der nun schon Jahre währende, ursprünglich hausmachtpo­ litische Konflikt zwischen Maximilian und dem französischen Königtum sollte diskursiv umgedeutet und ins Reich getragen werden. Welche Rolle konnte unter diesen Gegebenheiten der Vorwurf des Vertragsbruches spielen und für welche Teilöffentlichkeit, welche Adressaten, war dieses Argument relevant? Eine umfangreiche Zusammenfassung der Klagen über Karl VIII. und zugleich die Antwort auf die von ihm vertretene Hochzeitsbegründung fand ihre Verbrei­ tung in gedruckter Form in lateinischer und deutscher Sprache im Reich sowie in ganz Europa.⁴¹⁶ Das auf den Monat Mai des Jahres 1492 zu datierende Stück⁴¹⁷ mit

414 Eine Systematik zum Verhältnis von Propaganda und Öffentlichkeit sowie eine Begriffs­ bestimmung für das Mittelalter bei Studt, Birgit: Geplante Öffentlichkeiten. Propaganda. In: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. Hrsg. von Martin Kintzinger u. Bernd Schneidmüller. Ostfildern 2011 (Vorträge und Forschungen 75), S. 203–237. Im Kontext von frühneuzeitlichen Kriegsbegründungen Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 56, 79–89. Vor dem Hinter­ grund prominenter, vormoderner Völkerrechtstheorie Klesmann, Bernd: Der Friedensvertrag als Kriegsgrund. Politische Instrumentalisierung zwischenstaatlicher Abkommen in europäischen Kriegsmanifesten der Frühen Neuzeit. In: Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträ­ ge der Vormoderne. Hrsg. von Heinz Duchhardt u. Martin Peters. Mainz 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1), S. 109–121. url: http://www.iegmainz.de/Beihefte-online------_site.site..ls_dir._nav.72_supplement.3_article.8_likecms.html (besucht am 03. 03. 2017). 415 Seyboth, Reichstag und Propaganda, wie Anm. 70, S. 239–257. 416 „Contra falsas francoru[m] litteras 1491 pro defensione honoris serenissimi Romano[rum] Regis semper Augusti“. General Collection, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University (im Folgenden zit. als „Contra falsas francorum“). Tischer verweist auf die Exemplare aus Paris BNF, Res GM18 (1) = M10588 (1) und Käsmark Lyzealbibliothek, Slowakei N 66954 sowie auf weitere lateinische oder lateinisch-deutsche Ausgaben aus Bamberg, Zürich, Basel, Uppsala, Moskau und der Bibliotheca Palatina. Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 86, Anm. 31; S. 270. Eine zeitgenössische lateinische Abschrift befindet sich in Lille ADN, B 362, 16453. Eine deutsche Version befindet sich ediert in Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichsversammlungen 1491–1493. Bearb. von Reinhard Seyboth. Bd. 4,2. München 2008 (im Folgenden zit. als RTA MR, 4,2), S. 848–862, Nr. 697. Dort Hinweise zu weiteren Stücken und ältere Editionen. 417 Diese Datierung bezieht sich auf den zweiten Teil des Stückes. Eine Datierung des ersten Teiles erschließt sich nicht aus der Quelle selbst.

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dem Titel Contra falsas francoru[m] litteras⁴¹⁸ führt Anuschka Tischer als erstes nachweisbares internationales Kriegsmanifest⁴¹⁹ auf und betont seinen stark orato­ rischen Charakter. Zeitlich fügt sich der Text in die Phase der regen Kriegswerbung Maximilians und diente in diesem Kontext als Legitimationsgrundlage für den geplanten Frankreichfeldzug.⁴²⁰ Bereits im August 1491 hatte sich Maximilian mit einer Beschwerde über den vertragsbrüchigen Franzosenkönig an die niederländi­ schen Amtsträger und Gerichtsbeamten gewandt.⁴²¹ Im Mai 1492 richteten sich die Statthalter und Räte des Rates zu Mechelen⁴²² mit einer deutschsprachigen Version der oben genannten Kriegsbegründung an das Reich.⁴²³ Die argumentativen Grundmuster, welche Anuschka Tischer für frühneuzeit­ liche Kriegsbegründungen herausgearbeitet hat, werden in dem vorliegenden Manifest sichtbar. Der Aufruf zur Kriegshilfe erfolgte in passiver Form, als eine unausweichliche Verteidigung gegen Vertrags- und Rechtsbruch sowie als Reaktion auf eine erfolgte Ehrverletzung.⁴²⁴ Ein gerechter Krieg, bellum iustum, war nach

418 Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 23. 419 Tischer unterscheidet hier zwischen Kriegserklärungen mit Gesetzescharakter und Mani­ festen als offiziellen Regierungsverlautbarungen. Von der Propaganda unterscheiden sich die Schriftstücke durch ihren offiziellen, legitimierenden Charakter. Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 25–42, 86 Anm. 31. 420 Die Idee eines bellum iustum stellte die Basis der Kriegslegitimation dar. Tischer, Kriegsbe­ gründungen, wie Anm. 5, S. 31. Johnson, James Turner: Ideology, reasons and the limitation of war. Religious and secular concepts 1200–1740. New York 1975. Zum gerechten Krieg. Kintzinger, Martin: Bellum iustum. Gerechter Krieg oder Recht zum Krieg? In: Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen. Hrsg. von Ulrich Lappenküper u. Reiner Marcowitz. Paderborn 2010 (Wissenschaftliche Reihe Otto-von-Bismarck-Stiftung 13), S. 3–30; Benziger, Wolfram: Zwischen bellum iustum und modernem Völkerrecht. Überlegungen zum Denken über Krieg und Frieden am Ende des Mittelalters. In: MGZ 65 (2006), S. 131–151; Lesaffer, War, peace, interstate friendship, wie Anm. 413, S. 91ff; Ziegler, Karl-Heinz: Art. Gerechter Krieg. In: HRG. Hrsg. von Albrecht Cordes. Bd. 2. Berlin 2011, Sp. 118–122. Allgemeiner zur Kriegsbegründung im Mittelalter Brunner, Horst: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht. Wiesbaden 1999 (Imagines medii aevi 3), Sp. 118–122. 421 RTA MR, 4,1, S. 159, Nr. 35. 422 Offenbar hatte eine französische Gesandtschaft im Februar 1492 vor dem Rat von Mechelen eine Rechtfertigung der Eheschließung Karls versucht. Das Stück selbst liegt nicht vor, wird aber erwähnt in RTA MR, 4,2, S. 915, Nr. 734. Vgl. dazu RTA MR, 4,2, S. 849, Nr. 697, Anm. 1. 423 RTA MR, 4,2, S. 848–849, Nr. 697. „Allen und yeglichen Kff. und Ff., geistlichen und weltlichen, prelaten, Gff., freyen, Hh., rittern, knechten, Bmm., richtern, räten, burgern, gemainden und ganzer teutscher nacion . . . .“ Dass es sich inhaltlich de facto um die Kriegsbegründung Maximilians handelt, belegt beispielsweise die Nähe zu seiner Denkschrift. RTA MR, 4,2, S. 1007, Nr. 862. 424 Die Ehrverletzung wird direkt zu Beginn des Schriftstückes als Argument für die weiteren Ausführungen eingesetzt. RTA MR, 4,2, S. 849–850, Nr. 697. Vgl. zu den argumentativen Grundlagen von Kriegsbegründungen Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 151ff Zur Ehre als politischem

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der zeitgenössischen Theorie nur möglich, diente er der Wiedererlangung von Verlorenem und der Verteidigung des Vaterlandes, nicht jedoch der Ausweitung des eigenen Machtbereiches. Ziel des Krieges war immer die Herstellung von Frieden und Gerechtigkeit.⁴²⁵ Eben dort setzt auch die Anklage gegen Karl VIII. an. Es sei eben kein „gerechte[r] krieg“, welchen dieser führe, sondern ein Vorgehen geprägt von „verreterey und pöse, geschwynde, und ungetreue listigkait“.⁴²⁶ Diese Anschuldigungen wurden, wie für Kriegsbegründungen üblich, in einen größeren Kontext gestellt und als Bruch innerhalb der christlichen Gemeinschaft ausgelegt, der dem übergeordneten Ziel, dem gemeinsamen Kampf gegen die Türken, im Wege stünde. Der französische König habe den Titel „christianissimus“ wahrlich nicht verdient, so die Polemik.⁴²⁷ Die Vertragsbrüchigkeit Karls VIII. stellt im Verlauf des Manifests einen zentra­ len Anklagepunkt dar. In Frankfurt sei im Jahr 1489 in Anwesenheit der Kurfürsten und Fürsten des Reiches ein Frieden geschlossen und von beiden Parteien besiegelt geworden. Die dort zur Verhandlung anwesende Gesandtschaft des französischen Königs sei mit allen Vollmachten ausgestattet gewesen. In Ulm sei der Vertrag nochmals bestätigt worden.⁴²⁸ Trotz der dargelegten formalen Korrektheit des unter Zeugenschaft der Reichs­ fürsten geschlossenen Paktes, habe der französische König diesen nicht eingehalten. Entgegen der Vertragsartikel habe er den Herzog von Orléans nicht aus dem Gefäng­ nis entlassen sowie den Untertanen Maximilians ihren Besitz nicht wiedergegeben, so wie es „nach laut und inhalt des tractats und fridens“ beschlossen war.⁴²⁹ Der

Faktor seit der frühen Neuzeit vgl. Donelan, Michael D.: Honor in foreign policy. A history and discussion. New York 2007; Kesper-Biermann, Sylvia [u. a.] (Hrsg.): Ehre und Recht. Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne. Magdeburg 2011 (Editionen und Dokumentationen 5); Schreiner, Klaus u. Schwerhoff, Gerd (Hrsg.): Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Köln [u. a.] 1995. 425 Vgl. Benziger, Bellum iustum, wie Anm. 420, S. 136. 426 RTA MR, 4,2, S. 850, Nr. 697. 427 RTA MR, 4,2, S. 856, Nr. 697. Vgl. dazu und zu der Handhabung dieser Thematik bei den Humanisten auch Collard, Frack: La royauté française et le renvoi de Marguerite d’Autriche. Remarques sur la rhétorique de la paix et du rex pacificus à la fin du XVe siècle. In: Frie­ den schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter. Faire la paix et se défendre à la fin du Moyen Âge. Hrsg. von Gisela Naegle. München [u. a.] 2011 (Pariser historische Studien 98), S. 343–356, 347ff. Zum Topos des Türkenkrieges in der europäischen Politik des Spätmittel­ alters Döring, Karoline Dominika: Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert. Mit einem Katalog der europäischen Türkendrucke bis 1500. Husum 2013 (Historische Studien 503). 428 RTA MR, 4,2, S. 860, Nr. 697. 429 RTA MR, 4,2, S. 855, Nr. 697. Vgl. Vertrag von Frankfurt § 14. RTA MR, 3,2, S. 1134, Nr. 292a.

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Vorwurf einer aktiven Schädigung der Untertanen schwingt auch implizit in der Anschuldigung der Handelsbeschränkung mit.⁴³⁰ Zentrales Thema des Manifestes war aber die Einnahme der Stadt Nantes, mit der faktisch die in Frankfurt festgehaltene Friedensvereinbarung zwischen Karl und Anna von der Bretagne gebrochen worden war.⁴³¹ Karl habe zunächst versucht die Verträge von Frankfurt und Ulm⁴³² zum Nachteil der Herzogin mit neuen Artikeln zu modifizieren, welche diese verständlich nicht angenommen habe. Die Annahme ihrer „fridbrief“ hatte Karl VIII. daraufhin verweigert und wohl nur ein mündliches Friedensversprechen gegeben.⁴³³ Ein Vertragsbruch der Anna von der Bretagne, nämlich die Tatsache, dass sie die englischen Söldner nicht wie in Frankfurt vereinbart aus dem Land geschickt hatte,⁴³⁴ liege damit definitiv nicht vor, da Karl selbst den Frieden durch die Einnahme von Nantes gebrochen habe. Der Vertrag habe aufgrund dieses Vergehens keine Wirkung mehr gehabt, somit sei auch der Truppenabzug nicht notwendig gewesen.⁴³⁵ Die Art der Argumentationsführung belegt deutlich die Verknüpfung von Schuldzuweisungen, Fristen und Zeiträumen. Mit der Frage des Vertragsbruches verband sich die Ermittlung eines Initialdeliktes, welches nachfolgende Vergehen der geschädigten Partei offensichtlich legitimieren konnte. So war diese Thematik auch zwischen den beiden Königen relevant, für die es ebenso galt den ersten Friedensbrecher ausfindig zu machen und damit kriege­ rische Reaktionen als Verteidigung und zur Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden als bellum iustum zu legitimieren.⁴³⁶ Das Manifest entwickelt hier eine klare, chronologische Argumentationskette: Es sei zu merken, dass . . . die Franzosen mit kainer warhait mügen reden, das die röm. kgl. Mt. mit einnemung der stat Terwan, des 86. iars . . . zum ersten den obgemelten friden zerprochen oder verletzt hab,

430 Vgl. dazu Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 148–151. RTA MR, 4,2, S. 859, Nr. 697. 431 Vertrag von Frankfurt § 15. RTA MR, 3,2, S. 1134, Nr. 292a; RTA MR, 4,2, S. 850–852, Nr. 697. 432 Der Vertrag selbst ist nicht auffindbar. 433 „Der solich fridbrief nit hat wollen annemen noch seine dagegen geben, sunder geantwurt, er wolle den friden halten. . . . Aus dem allem zaigt die ordnung und handlung der geschicht an, wie hoch die Franzosen wider die warheyt geredt und geschriben haben, daz die Hg.in zu Britani den friden nit angenomen hab.“ RTA MR, 4,2, S. 853, Nr. 697. 434 Vertrag von Frankfurt § 15. RTA MR, 3,2, S. 1134, Nr. 292a. Das Begründungsschreiben verdichtet seine Argumentation mit der genauen Nennung des Stichtages, „22. tag des monets May“, für den vorgesehenen Truppenabzug. Dieser ist im Vertragstext nicht zu finden. 435 RTA MR, 4,2, S. 854, Nr. 697. 436 Benziger, Bellum iustum, wie Anm. 420, S. 137

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so doch die Franzosen denselben friden lengst vor im 84. und 85. iar genzlichen zerprochen⁴³⁷ und vernichtet haben. Die Franzosen sind auch in solicher irer pösen, herbrachten gewonhait mit zerbrechung irer treu und zusagens und mit zerrüttung und swechung des eingegangen fridens und püntnus für und für bis auf das 89 iar verharret.⁴³⁸

Diese minutiöse zeitliche Darlegung der Friedensstörung diente nicht nur der Anklage des Gegenübers, sondern auch der Wiederherstellung der eigenen po­ litischen Ehre und des guten Rufes Maximilians.⁴³⁹ Verträge basierten auf der Rechtskategorie der bona fides. Die fehlende Glaubwürdigkeit Karls disqualifiziert diesen damit implizit, aber generell, als Vertrags- und Bündnispartner.⁴⁴⁰ Basierte die Bindegewalt von Verträgen auf der Integrität der Vertragspartner, wurde diese Karl VIII. nun auf allen Ebenen abgesprochen. Aus dem allem mag meniglich merken und abnemen, was den Francosen weiter zu glauben und zu vertrauen sey, dieweil sy ir glübd, eyde, die sy auf das hl. creuz tun, auch ir versprochen

437 Durch die Unterstützung der Rebellion in Flandern und der Lütticher in den Jahren 1484–1485. 438 RTA MR, 4,2, S. 859, Nr. 697. Auch die Maximilian vorgeworfenen Vertragsbrüche wurden in dem Erklärungsschreiben widerlegt. So sei das von ihm mit den Engländern eingegangene Bündnis nicht vertraglich ausgeschlossen worden und habe zudem schon vor Abschluss des Vertrages Bestand gehabt. Die Ehe mit Anna von der Bretagne sei ebenfalls rechtens, da die Ehe nach geistlichem und weltlichem Recht frei sei. Argumentativ wird hier auf den Vertrag von Verger (1488) verwiesen, mit dem Franz II. von der Bretagne die Eheverbindung seiner Tochter an die Zustimmung des französischen Königs gebunden hatte. Vgl. RTA MR, 4,2, S. 851–852, Nr. 697. Siehe zum Vertrag von Verger Bulst, Neithard: König Karl VIII (1483–1498). In: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888–1498. Hrsg. von Joachim Ehlers [u. a.]. München 1996, S. 368. Vgl. RTA MR, 4,2, S. 851–852, Nr. 697. 439 Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 155. Zur Ehre als Kapital vgl. Moeglin, Jean-Marie: Fürstliche Ehre und verletzte Ehre der Fürsten im spätmittelalterlichen Deutschen Reich. In: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Schreiner u. Gerd Schwerhoff. Köln [u. a.] 1995, S. 77–91. 440 Mit der Verbreitung von Kriegsbegründungen wäre auch eine Analyse deren Rezeption gewinnbringend. Zu fragen wäre beispielsweise, inwiefern sich ein länderübergreifend anerkannter Klagenkatalog etablierte. In dem hier vorliegenden Material fällt die Werbung Heinrichs VII. bei Maximilian und den Kurfürsten und Fürsten auf, welche gezielt gegen die Vertragsbrüchigkeit der französischen Könige gegenüber England, der Bretagne, Burgund und dem römisch-deutschen König klagen. RTA MR, 4,2, S. 1017–1019, Nr. 828. Zur Bedeutung des guten Rufes vgl. Bettoni, Antonella: Die Diffamatio und die Wahrung des guten Namens in der Rechtslehre der ius commune. In: Ehre und Recht. Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne. Hrsg. von Sylvia Kesper-Biermann [u. a.]. Magdeburg 2011 (Editionen und Dokumentationen 5), S. 41–57. Auch in der Territorialpolitik des Reiches stellte die nach Siegel und Treuebruch vorgeworfene Ehrlosigkeit im Konflikt zwischen Markgraf Albrecht Archilles, dem Burggrafen von Nürnberg, und Herzog Ludwig dem Reichen von Bayern-Landshut ein wichtiges Element der wechselseitigen Polemik dar. Dazu Moeglin, Fürstliche Ehre, wie Anm. 439, S. 90.

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und gegeben gelayt, brief und sigl und darzu ander ir versprechen, zusagen und vertrösten der Hg.in zu Britani nit gehalten haben.⁴⁴¹

Indirekt zeichnete das Manifest also das Bild eines für die Zusammenarbeit in­ kompatiblen französischen Königs. Wem die Fähigkeit abgesprochen wurde, Ver­ pflichtungen eingehen zu können, der eignete sich auch nicht als verlässlicher Bündnispartner. Der Vorwurf der Ehrlosigkeit und Eidbrüchigkeit konnte somit realpolitische Wirkung entfalten,⁴⁴² denn im steten Ringen um die Hilfe auswärtiger Mächte sind diese degradierenden Informationen sicher nicht zu unterschätzen.⁴⁴³ Auch unter Bedingungen der besonderen Vertragssicherung konnte diese offensichtlich nicht gewährleistet werden, was sich anhand des gebrochenen Eheversprechens zwischen Karl und Margarete verdeutlichen ließ. Das Manifest verweist auf die speziellen Umstände des Vertrages von Arras (1482), der nicht nur vom damaligen König, sondern auch von den Fürsten und Ständen des französi­ schen Königreiches versprochen worden war und dies „bey weltlichen zwang und geistlichen pann“.⁴⁴⁴ Der Beistandsentzug als ständische Selbstverpflichtung für den Fall des Vertragsbruches hatte offensichtlich weder Wirkung gezeigt noch war er in die Realität umgesetzt worden. Explizit wurde nun in der Anschuldigung auf die Pariser Universität verwiesen, deren Briefaustausch im Zuge der Vertragsbe­ stätigung vorläge.⁴⁴⁵ Der Bruch eines unter besonderen Absicherungsmaßnamen geschlossenen Vertrages wurde hier als besonders schwerwiegend bewertet und

441 RTA MR, 4,2, S. 861, Nr. 697. Den engen Zusammenhang von Ehre und Treue stellt Moeglin dar und verweist auf die Glosse zum Sachsenspiegel: „. . . daß alle ehre von der trewe und glauben herkompt. . . “. Moeglin, Fürstliche Ehre, wie Anm. 439, S. 84 mit Anm. 35, 37. 442 Moeglin, Fürstliche Ehre, wie Anm. 439, S. 77–85. 443 So erreichte das Manifest vermutlich auch den englischen Königshof. Dass ein Bündniswech­ sel des englischen Königs nicht auszuschließen war, belegt der Ende 1492 geschlossene Vertrag von Étaples, mit dem sich Heinrich VII. und Karl VIII. verbanden. Ein ähnlicher Sachverhalt lässt sich im Nachklang des Vertragsabschlusses von Senlis, im Juli 1497, beobachten. Die Bündnis­ partner der Liga lassen Maximilian über seine Gesandten warnen, dass der französische König immer wieder vertragsbrüchig wurde, seine Versprechen von Senlis nicht einhalten werde und auch bei kommenden Friedensverhandlungen unaufrichtig sein würde, um die Mitglieder der Liga zu täuschen. Böhmer, J. F., Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1496–1498. Bearb. von Hermann Wiesflecker [u. a.]. Bd. 2,1. Köln [u. a.] 1993 (im Folgenden zit. als RI XIV, 2,1), n. 5081. Zum Vertragsbruch als überregional anerkanntem Anklagepunkt vgl. die Werbung Heinrichs VII. RTA MR, 4,2, S. 1017, Nr. 828. 444 RTA MR, 4,2, S. 858, Nr. 697. 445 „Und dieselben Ff., prelaten, die universitet zu Paris, die edeln auch stet, merkt und comun in Frankreich haben all versprochen und zugesagt und mit irn briefen und sigln bestätet, das der delphin zu volbringung und volziehung des gemelten heyrats mit freulin Margarethen . . . durch sey darzu gehalten solt werden . . . .“ RTA MR, 4,2, S. 858, Nr. 697.

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entsprechend hervorgehoben. Es wäre nun die Frage, „wie er [Karl VIII.] dise artikln [Arras 1482] verantwurten vermaine, do Kg. Ludwig, sein Vater, mit allen Ff. in Frankreich gelobt und versprochen haben“⁴⁴⁶? Weitere Kriegsbegründungen für das Reich Wie unterscheidet sich nun die direkte Kriegswerbung im Reich von der des weit verbreiteten Manifestes? Ein anonymer Augenzeugenbericht fasst die Werbung Ma­ ximilians bei den deutschen Fürsten aus vermutlich niederländischer Perspektive zusammen. An die Anwesenheit der Reichsstände beim Vertragsschluss des Jahres 1489 wurde hier unmittelbar die Forderung der Reichshilfe geknüpft, denn für den Fall des Friedensbruches hätten diese ihm ihre Hilfe zugestanden, welche nun auch einige Anwesende zusicherten.⁴⁴⁷ Maximilian selbst äußert sich zu den Vorgängen unter anderem in einem Ent­ wurf zur Ausschreibung zum Tag von Metz im Mai 1492.⁴⁴⁸ Neben der beständigen Kritik an dem Verhalten des französischen Königs wurden nun, anders als in dem auf eine „internationale“ Rezipientengruppe angelegten Manifest, vermehrt die Sorgen im Reich geschürt, Karl VIII. könnte sich einen Weg über die Grenzen bis in das Reichsgebiet bahnen. Als Mehrer des Reiches forderte Maximilian nun die Unterstützung der Kurfürsten, Fürsten und Untertanen, die als vorderste Glieder und eidlich dem Reich verpflichtet seien.⁴⁴⁹ Die tatsächliche kaiserliche Ausschreibung war dann wesentlich knapper gehalten als der eben geschilderte Entwurf Maximilians und verzichtete auf polemi­ sche Ausführungen. Im Kern blieb aber doch der Tenor enthalten, die Reichsstände

446 RTA MR, 4,2, S. 857, Nr. 697. Zudem habe der französische König die vertraglich vorgesehene friedliche Einigung zwischen ihm und der Herzogin von der Bretagne vereitelt, die auf einem dafür angesetzten Tag in Tournai hatte stattfinden sollen. RTA MR, 4,2, S. 854, Nr. 697. 447 RTA MR, 4,1, S. 150–152, Nr. 26. Ähnliche Begründungsstrukturen finden sich auch in den Ausführungen der Humanisten im Zusammenhang mit der prokuratorisch geschlossenen Ehe Maximilians mit Anna von der Bretagne, die auch von den Fürsten des Reiches im Kontext des Nürnberger Reichstages nach eingehender Prüfung nicht angezweifelt worden war. Herding u. Mertens, Jakob Wimpfeling. Briefwechsel. Kritische Ausgabe mit Einleitung und Kommentar, wie Anm. 407, Bd. 1, S. 195. „Quam verum id sit, audiat rex tuus non regem nostrum, sed universos principes, qui superioribus diebus de hoc connubio ceterisque rebus tractaturi Nurembergae convenerunt.“ 448 RTA MR, 4,2, S. 888, Nr. 751. Enthält den von Maximilian eigenhändig korrigierten Entwurf und die später im Reich verbreitete und damit archivarisch breit überlieferte Ausschreibung an die einzelnen Reichsfürsten- und Stände. 449 „Ermanen und gebieten demnoch deiner lieb als einem deutschen F. und vordristen glid, auch liebhabern des hl. Reichs, daz du bey den pflichten und ayden, damit du uns und dem hl. Reich verbunden pist . . . “. RTA MR, 4,2, S. 891–892, Nr. 751.

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sollten ihre Verantwortung für das Reich annehmen. Vor allem blieb die Warnung vor einem französischen Eindringen ins Reichsgebiet bestehen, womit der so schwer beklagte Brautraub von unmittelbarem Interesse auch für die Untertanen werden musste und sollte. Die Vertragsbrüchigkeit des französischen Königs wurde hingegen nicht ausge­ schmückt. War in Maximilians Entwurf noch ausgeführt worden, dass der Vertrag von Frankfurt im Beisein und „nach rate“⁴⁵⁰ der Kurfürsten und Fürsten geschlossen worden war, verzichtete die finale kaiserliche Ausschreibung auf diesen Hinweis. Von einem unmittelbaren Interesse der Reichsstände an der Einhaltung des Vertra­ ges war offenbar nicht ausgegangen worden, was sich auch in den Verhandlungen widerspiegelte. Die Kriegswerbung für die Reichsstände war inhaltlich an deren Interessen ausgerichtet worden. Nicht die Ehre des Königs, sondern die Ehre des Reiches und der Nation galt es zu bewahren. Das Abstraktum eines gegenüber dem König gebrochenen Vertrages eignete sich offensichtlich zur Kriegsrechtfertigung und -legitimation, nicht aber als konkreter Anlass für eine reichsständische Waf­ fenhilfe. Die Anwesenheit der Reichsstände beim Frankfurter Vertragsabschluss ließ offenbar keine Gegenreaktion oder gesteigerte Handlungsbereitsschaft der Kurfürsten und Fürsten erwarten und daher wurde auf diese verzichtet. Erst an späterer Stelle erlangten die Vertragsschlüsse argumentative Bedeutung, dies jedoch nicht im Zusammenhang mit einer Kriegswerbung und -begründung, sondern bei der Herleitung der Rechtsansprüche Maximilians.⁴⁵¹ Wenn auch die Rückforderung der burgundischen Erbländer nicht zum festen Repertoire der maximilianischen Propagandaschriften zu zählen ist, kann die Rückgabe der Mitgift doch als beständige Forderung mitgedacht werden.⁴⁵²

450 RTA MR, 4,2, S. 889, Nr. 751. 451 Der französische König beanspruchte das Herzogtum Burgund als heimgefallenes Lehen. Diesen Forderungen setzte Maximilian eine Argumentation zugunsten des weiblichen Erbrechtes entgegen, wie sie inhaltlich den juristischen Abhandlungen der 1470er Jahre entspricht. Der rechtmäßige Herzog von Burgund sei Philipp, „dem dieses von siner mutter her erblich zugebürt . . . “. RTA MR, 4,2, S. 1015, Nr. 827. 452 Auf dem Nürnberger Reichstag 1491 verknüpfte dieser beispielsweise seine Reformvorschläge geschickt mit den aus dem Arrasser Vertrag resultierenden Gebietsansprüchen. Der dort unterbrei­ tete Vorschlag, dass Reich in sechs Friedensbezirke einzuteilen, umfasste auch Burgund und die Bretagne. Ständischen Reformforderungen der institutionell geregelten Landfriedenswahrung wurde damit entgegengekommen, gleichzeitig aber der Anspruch auf die Mitgiftländer erhoben, die im unwahrscheinlichen Falle der Umsetzung des Vorhabens auch institutionell dem Reich angegliedert worden wären. Weinrich, Lorenz (Hrsg.): Quellen zur Reichsreform im Spätmittelalter. Darmstadt 2001 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 39), Nr. 44; Seyboth, Reichstag und Propaganda, wie Anm. 70, S. 242.

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Im Vorfeld des Tages zu Koblenz, im September 1492, verfasste Maximilian eine Denkschrift, welche als Grundlage der später den Ständen vorgebrachten Beschwerde gesehen werden kann. Dort heißt es: „Item der röm. Kg., ksl. anwelde, auch die Kff. und Ff. sullen weiter wissen“⁴⁵³, wie der französische König auf die Ansprüche Maximilian reagieren würde. Die Vertragsbrüche der Abkommen von 1482 und 1489 würden, so die Befürchtung Maximilians, von französischer Seite ihm angelastet werden, insbesondere die Ehe mit der Herzogin von der Bretagne sowie das Bündnis mit den Engländern. Der Hinweis auf die Vertragstexte wurde nun bemüht, um die Unrechtmäßigkeit dieser zu erwartenden Vorwürfe zu belegen, denn „[e]s stet auch nicht im tractat oder frid“, dass der französische König über die Ehe der Herzogin zu bestimmen habe und auch England sei als Verbündeter im Vertrag aufgenommen, wenn auch nicht explizit, so sei es doch „clar [, dass] der Kg. von England und dy ganz cron darin als des röm. Kg. puntgenossen begriffen [sein]“. Das Verhältnis zwischen Maximilian und England könne damit nicht als Vertragsbruch gewertet werden, so das Fazit für die Reichsstände.⁴⁵⁴ Auf der Grundlage dieses Vertrages, dessen Einhaltung der römisch-deutsche König eigens belegt hatte, begründeten sich nun seine Gebietsansprüche. Dies stellte sich als nicht unproblematisch heraus, da der Vertrag von Arras im Hinblick auf die Somme-Städte lückenhaft geblieben war.⁴⁵⁵ Eine weitere Regelung dieser Angelegenheiten war laut Vertrag vor dem parlement de Paris zu suchen. Offenbar war Maximilian nun versucht mit Unterstützung der Reichsstände seine Besitzan­ sprüche, die aus der Zeit Karls des Kühnen abgeleitet wurden, geltend zu machen. Um zukünftig Unklarheiten zu vermeiden, so der angedachte Aufruf, mögen diese eine entsprechende Regelung finden.⁴⁵⁶ Bezeichnend ist nun, dass die fragwürdige Regelung über die Somme-Städte zwar in der Denkschrift aufgeführt, im späteren, den Ständen vorgetragenen Beschwerdeschreiben aber nur in vereinfachter Form wiedergegeben wurde. Allein auf den Friedensbruch Karls VIII. führt Maximilian dort seine Ansprüche zurück.⁴⁵⁷

453 RTA MR, 4,2, S. 1010, Nr. 826. 454 RTA MR, 4,2, S. 1012, Nr. 826. Bezüglich der Bündnispartner ist der Vertragstext allgemein gehalten. Die Verbündeten beider Parteien sollten in den Vertrag miteinbezogen werden. Von England ist nicht explizit die Rede. 455 RTA MR, 4,2, S. 1013, Nr. 826. 456 Im entsprechenden Artikel des Vertrages wurde die Klärung der noch umstrittenen Besitzun­ gen der Artois und der Somme-Städte den Gerichten überlassen und damit nicht endgültig geklärt. Vgl. Vertrag von Arras Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 105, § 66. 457 „Item us der ursach, das obgemeler frid, wie obstat, durch den Kg. von Frankrich verbrochen . . . ist, wurdet abermals dem röm. Kg. ein rechtlich [ge]grund ansprach geschöpft des lands halb von dem wasser der Somm . . . .“ RTA MR, 4,2, S. 1016, Nr. 827.

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Expliziter gestaltet sich die Bitte um Überprüfung der Vertragsbrüchigkeit des französischen Königs an den Kaiser, dem die relevanten Artikel in Übersetzung zugesandt wurden.⁴⁵⁸ Gegenüber den Reichsständen blieb der Hinweis auf die lückenhafte Vertrags­ regelungen unter Verkürzung der Argumentationskette aus.⁴⁵⁹ Eine intendierte Überprüfung der Vertragstexte durch die Reichsstände kann nicht belegt werden und entspricht auch nicht der argumentativen Gestaltung der Beschwerdeschrift. Trotz der expliziten Benennung vergangener Abkommen bezog sich diese allein auf allgemeine Inhalte, nicht auf einzelne Artikel und Details. Beispielsweise die in Aussicht gestellte gerichtliche Prüfung der Somme-Frage gelangte nicht vor die Reichsstände. Es blieb allein bei der Betonung der besonderen Absicherung des Arrasser Vertrages durch die Selbstverpflichtung der jeweiligen Untertanen Frankreichs sowie des Hauses Burgund und des perlament zu Paris.⁴⁶⁰ Die Zusammenschau der Werbung gegenüber den Reichsständen ergibt nun folgendes Bild. Spielen Vertragsschluss und -bruch in den Entwürfen Maximilians noch eine gewisse Rolle, finden sich diese in den späteren Veröffentlichungen an die Reichsstände nur noch in reduzierter und verkürzter Form wieder. Im Kontext von Gebietsfragen wurden die vertraglichen Abkommen lediglich auf das Argument ihrer Existenz reduziert. Eine konsequente Argumentation ent­ lang von Vertragsartikeln wurde vor den Reichsständen weder betrieben noch veranlasst.

458 „Und wie der heyrat mit gedachter unser tochter furgenommen sey, dieselben artikel schicken wir seinen ksl. Gn. von welchisch in teutsch transferiert . . . “. Dezember 1491. RTA MR, 4,1, S. 578, Nr. 433. 459 Ohne die Vertragsbrüchigkeit Karls nun weiter zu vertiefen und zu beweisen, waren es vielmehr die daraus resultierenden Besitzansprüche, welche ausführlich dargelegt wurden. Anders als in dem begründenden Manifest wurde nun auf die Mitgiftländer Margaretes, die Maximilian nach Auflösung des Eheversprechens entsprechend dem Vertrag von Arras zu­ rückzustellen seien, rekurriert. Vgl. die direkte Werbung des Gesandten Maximilians beim Herzog Wilhelm von Jülich-Berg. Dieser sah sich aufgrund der geographischen Lage unmit­ telbar von den propagierten französischen Vorstößen bedroht und verlangte Hilfe bei Kö­ nig und Kaiser. In der Werbung des Gesandten Maximilians findet sich entsprechend auch ein Hinweis auf die beim Herzog von Jülich-Berg vorzutragende Klage, der französische Kö­ nig habe ihm durch den Vertragsbruch auch die Mitgift Margaretes wiederzugeben. Vgl. RTA MR, 4,1, S. 174, Nr. 42. „. . . mit dem Kg. von Frankrich ind des röm. Kg. dochter sy so verde­ dingt, verbrieft ind versieglet, dat der Kg. von Frankrich de lande, so he innehait, dem röm. Kg. billich zostain sulden . . . dan de lande mit der dochter [dem röm. Kg.] weder zo overge­ ven.“ 460 RTA MR, 4,2, S. 1014, Nr. 827.

114 | 4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) 4.3.3 Resonanz im Reich Fraglich ist nun, welche Resonanz die umfangreichen Schilderungen im Reich fanden und wie die umstrittenen Rechts- und Besitzverhältnisse dort bewertet wurden. Ersichtlich wird die Reaktion des Reiches aus dem reichsstädtischen Protokoll über die Verhandlungen des Koblenzer Tages im Herbst 1492. Nachdem Maximilian die Vertragsbrüchigkeit und Unchristlichkeit des französischen Königs eingehend bemängelt hatte,⁴⁶¹ schildert das Protokoll, welches vermutlich der Feder der Frankfurter Gesandten Dr. Ludwig zum Paradies und Walther von Schwar­ zenberg entstammt,⁴⁶² die Reaktion der Reichsstände, genauer der Kurfürsten und Fürsten. Diese beriefen sich zunächst auf den Abschied des Nürnberger Tages, laut dem „alle des Rychs stende“⁴⁶³ gemeinsam über die Reichshilfe zu beraten hätten. So eilig wie der König es vorhabe, könne die Hilfe nicht gestellt werde, da diese in übereilter Form auch mehr Schaden als Nutzen brächte. Der königliche Appell an die Verantwortung der Stände zerschlug sich in der Verhandlungsrealität der Versammlung, welche die Heterogenität des Reiches gleichsam repräsentierte und betonte. Besonders betroffen von den Auseinandersetzungen wäre ja nicht das ganze Reich, sondern primär die rheinischen Kurfürsten und Fürsten, welche dem Konfliktherd am nächsten lägen und mit entsprechenden Gegenschlägen des französischen Königs zu rechnen hätten.⁴⁶⁴ Die „kleynen hilf“ brächte dem Reich mehr Schaden als Nutzen, insbesondere der Adel und die Ritterschaft müssten ihre Anklagepunkte zunächst schriftlich in einem „vehedebrief“ darlegen, wovon jedoch abgesehen worden sei, da der französische König als Gegner zu mächtig sei.⁴⁶⁵ Eine schriftliche Mahnung in der Form, wie sie von Maximilian verfasst und verbreitet worden war, ließ sich von den Reichsständen also nicht erwarten.⁴⁶⁶ Der Wunsch,

461 „Daruf von der kgl. Mt. wegen ein schone, lang rede in der somm mit herkomen aller vertrege, eynung, verschribung, glubden, eyden, vermahelung zwischen der kgl. Mt., auch Kg. Ludwigen und Kg. Karlen von Frankrich, unsers gnst. H., des Kg., dochter, desglichen Britanien, und wie unglaublich uncristenlich von Kg. Karlen in dem allen wider obgemelt verschribung, vertrage, glubde und eyde gehandelt . . . .“ RTA MR, 4,2, S. 1059, Nr. 848. 462 Vgl. dazu RTA MR, 4,2, S. 1058, Nr. 848n mit Anm. 1. 463 RTA MR, 4,1, S. 515, Nr. 366. 464 RTA MR, 4,2, S. 1060, Nr. 848. 465 RTA MR, 4,2, S. 1061, Nr. 848. „. . . so werde die vehede zwischen dem Kg. von Frankrich und inen angehen . . . “. 466 Zur Verbindung von Absage und Kriegsrecht vgl. Landolt, Oliver: Die Kriminalisierung von Kriegsverbrechen. Das Beispiel der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft. In: Kriminalisieren – Entkriminalisieren – Normalisieren. Criminaliser – décriminaliser – normalisier. Hrsg. von Claudia Opitz [u. a.]. Zürich 2006 (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 21), S. 94–96.

4.3 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung |

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den Zustand der Fehde zu verhindern, entspricht vielmehr dem Stand der Reform­ verhandlungen der vergangenen Jahre. Die Überwindung und Delegitimierung der Fehde und die Herstellung eines dauerhaften Landfriedens waren Kernpunkte der Reformparteien und die mit der Gründung des Reichskammergerichtes und mit der Aufrichtung eines absoluten Fehdeverbotes 1495 schließlich auch eine institutionelle Lösung gefunden hatten.⁴⁶⁷ Bezeichnend ist hier auch, dass die Reichshilfe und dadurch eine de facto ausgelöste Fehde mit dem französischen König zwar mit allen Mitteln vermieden werden sollte, aber auch keine entsprechenden Gegenvorschläge zur etwaigen gerichtlichen Beilegung des Streitfalles gemacht wurden, wie es in den Verträgen angedacht gewesen war. Zur Option stand vielmehr ein Schlichtungsverfahren. Als Vermittler hätte sich Pfalzgraf Philipp angeboten, dessen gesonderte Verhandlun­ gen mit dem französischen König ein offenes Geheimnis waren. In einem Brief an Herzog Albrecht von Bayern unterbreitete der Kurfürst selbst den Vorschlag, „zuschen röm. und frankerischen Kgg. gutlich zu suchen und zu teydingen“.⁴⁶⁸

467 Auf dem Reichstag von Frankfurt 1486 war es zu einer Bestätigung des Fehdeverbotes für weitere zehn Jahre gekommen. Berthold von Henneberg kann als einer der zentralen Federführer der Forderungen gesehen werden, die auch in einem Entwurf zur Reichskammergerichtsordnung ihre schriftliche Form fanden, welche letztlich die Herauslösung des Kammergerichtes aus der kaiserlichen Verfügungsgewalt implizierte. Maximilian hatte jüngst 1491 selbst einen Entwurf zur Neuordnung der Reichsverfassung vorgelegt, in dem es ebenfalls um die Errichtung einer Reichs­ friedensordnung ging und mit der der Reichsfrieden von 1486 „auf ewig zeit erstreckt und erlengt“ werden sollte. Der Entwurf bei Wagner, Friedrich: Das dritte kaiserliche Buch des Markgrafen von Brandenburg. In: Forschungen zur deutschen Geschichte 24 (1884), S. 552–554; Fischer, Mattias G.: Reichsreform im Reichsinteresse? Die Diskussion über eine Reorganisation der Reichsjustiz und die Gründung des Reichskammergerichts im Spannungsfeld kaiserlicher und reichsständischer Interessenpolitik. In: Europa und seine Regionen. 2000 Jahre Rechtsgeschichte. Hrsg. von Andreas Bauer u. Karl H.L. Welker. Köln [u. a.] 2006, S. 263–286. Vgl. Lanzinner, Sicherheitssystem, wie Anm. 60; Schmitz, Bernhard: Vom Hofgericht zum Reichskammergericht. Maximilian I. (1459–1519) als Schöpfer der Judikative in Deutschland? In: Kaiser Maximilian I. (1459–1519) und die Hofkultur seiner Zeit. Hrsg. von Sieglinde Hartmann. Wiesbaden 2009 (Jahrbuch der Oswald von Wolken­ stein-Gesellschaft 17), S. 397–409; Seyboth, Reinhard: Kaiser, König, Stände und Städte im Ringen um das Kammergericht 1486–1495. In: Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte – Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln [u. a.] 1989 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 21), S. 5–23; Smend, Rudolf: Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung. Weimar 1911. Speziell zum Landfrieden und der Entwicklung des Landfriedensgedankens in den Reformschriften des 15. Jahrhunderts vgl. Fisch, Matthias G.: Reichsreform und „Ewiger Landfriede“. Aalen 2007 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 34). 468 RTA MR, 4,1, S. 833–834, Nr. 690. Das „teydingen“ lässt sich hier am ehesten als Vermittlung verstehen. Von einem sanktionsfähigen Urteilsspruch Philipps kann hier nicht ausgegangen werden. Kamp, Friedensstifter, wie Anm. 183, S. 10. Über ein Zusammentreffen zwischen Pfalzgraf

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Auf die Werbung Maximilians meldete sich mit einer abschließenden Be­ urteilung Berthold von Henneberg zu Wort.⁴⁶⁹ Wie das Protokoll verdeutlicht, standen die königlichen Argumente und Anschuldigungen gegen den vertrags- und eidbrüchigen französischen König nicht zur Debatte und fanden keine herausgeho­ bene Erwähnung, auch wenn sie zur Darlegung von Maximilians Position referiert wurden. Eine rechtliche Prüfung des Sachverhaltes durch die versammelten Reichs­ vertreter war aber offenbar nicht erfolgt. Deren Reaktion und Beschlussfassung gründete sich vielmehr auf Reichsinteressen, zu deren Nutzen eine möglichst klare Ablehnung von Kosten und Gefahren als vorteilhaft erachtet wurde. Die von Maximilian propagandistisch behauptete Schmach, die der Verlust von Reichsgut an die französische Krone brächte, spielte bei diesen Erwägungen keine Rolle. Nicht die burgundischen Erbländer, sondern das Kerngebiet des Reiches, eigens verortet und definiert durch die Besitzungen der rheinischen Fürsten, „so an den grenezen gelegen“,⁴⁷⁰ sollte vor Verlusten geschützt werden. Ein Ausgleich zwischen den beiden Herrschern blieb das Mittel der Wahl, welches Berthold von Henneberg in seinen Ausführungen propagierte.

4.3.4 Zwischenresumé Anfang der 1490er Jahre hatten die französischen Konflikte Maximilians ihren Weg ins Reich gefunden. Vor den Hintergrund der viel propagierten und von der Forschung rezipierten Brautraubthematik sind die Vertragsschlüsse zu stellen, welche den Vorwurfkatalog des römisch-deutschen Königs prägten. Diesen gilt es differenziert zu betrachten. Der Vertragsbruch konnte argumentativ zur Schwä­ chung der politischen Position Karls VIII. und zur theoretischen Rechtfertigung eines bellum iustum genutzt werden. Die europaweit verbreitete Kriegsbegründung von Mai 1492 disqualifizierte den französischen König aus multiplen Gründen als Bündnispartner. Eine zentrale Rolle spielte im Kontext des Vertragsbruches die Verletzung des christlich-kulturellen Codes und normativer Grundlagen durch den implizit begangenen Eidbruch. Den Bezugspunkt stellte die christliche Glaubensge­

und französischem König berichtet ein kurzes Schreiben Graf Eberhard von Württembergs vom 1. Oktober 1491. RTA MR, 4,1, S. 160, Nr. 36. Vgl. mit Hinweisen zum Bündnis zwischen dem Kurfürsten und Karl VIII. RTA MR, 4,2, S. 922–923, Anm. 8. Zu den Vermittlungsversuchen des Pfalzgrafen Commynes, Philippe de: Lettres. Hrsg. von Joël Blanchard. Genf 2001 (Textes littéraires français 534), S. 180–182. Zu den Aktivitäten des Kurfürstensohnes am französischen Hof künftig Müsegades, Diplomatie, wie Anm. 388. 469 RTA MR, 4,2, S. 1062–1063, Nr. 848. 470 RTA MR, 4,2, S. 1061, Nr. 848.

4.3 Vertragsbruch zwischen Propaganda und Kriegserklärung |

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meinschaft dar, zu deren Wohl und Schutz die Verbindung der Herrscher dienen sollte. Generell beinhaltete der Vertragsbruchvorwurf aber jegliches nicht artikel­ konformes Handeln. Dem französischen König wurden militärische Friedensbrüche und ausbleibende Amnestie- und Reparationsleistungen angelastet. Die zeitgleich direkt an die Reichsstände gerichtete Kriegswerbung unterschei­ det sich in ihren Inhalten von denen des Manifestes Contra falsas francoru[m] litteras. Stärker betont wurden hier die Reichsinteressen, konkrete Waffenhilfen der Stände sollten durch explizite Bedrohungsszenarien bewirkt werden. An den geäußerten Befürchtungen der rheinischen Fürsten lässt sich ablesen, dass ledig­ lich das Schreckgespenst einer Grenzverschiebung ins Reichsgebiet potentielle Wirkung und Handlungsbereitschaft erzielen konnte. Die Teilöffentlichkeit der Reichsversammlung urteilte nicht über die Gerechtigkeit oder Angemessenheit der gestellten Forderungen.⁴⁷¹ Anders als dies im burgundischen Umfeld zu beobachten war, wurden die Rechtsansprüche Maximilians nicht anhand von zugrunde lie­ genden Vertragstexten oder schriftlichen Begründungsversuchen geprüft. Bereits von Seiten Maximilians wurden die genauen Sachverhalte den Ständen nur in gekürzter Form vorgelegt. Eine eingehende Prüfung des Arrasser Vertrages und die Übersendung der übersetzten Artikel wurde ausschließlich beim Kaiser beantragt. Letztendlich konnten die allgemeinen Werbungen Maximilians keine Wir­ kung erzielen. Maßgebliche Sprecher der Opposition waren der Pfalzgraf, selbst in Bündnisverhandlungen mit Frankreich stehend, sowie Berthold von Henne­ berg.⁴⁷² Die Unterstützung eines Feldzuges gegen Frankreich wäre einer Fehde gleichgekommen, welcher wiederum die Landfriedensbestrebungen der Reformzeit entgegenstanden. Auch wenn sich die Reichsstände nicht von einem Waffengang gegen Frank­ reich überzeugen ließen, kam den Vertragsschlüssen der Vorjahre noch eine weitere Bedeutung zu. Die Abkommen sollten Gebietsansprüche rechtlich untermauern, die militärisch nicht durchsetzbar waren. Tatsächlich fand aber im Rahmen der Reichsversammlungen auch hier keine eingehende Prüfung der Vertragsgrundlagen statt. Bezeichnend ist unter anderem die Tatsache, dass selbst der Jurist Dr. Molitor kirchenrechtliche Maßstäbe ansetzte, um dann als Vergehen des französischen Königs den Eheschluss mit Anne de Bretagne und eben nicht den Vertragsbruch hervorzuheben. Auch der Vertragsschluss im Rahmen einer Reichsversammlung konnte den seit Jahren schwelenden Erbschaftskonflikt nicht zum politischen Interesse der Reichsstände machen.

471 Zur Entwicklung in der Neuzeit Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 56; Lesaffer, War, peace, interstate friendship, wie Anm. 413, S. 92, 108–109. 472 Zur Beratung des gemeinsamen Vorgehens der Kurfürsten vgl. RTA MR, 4,2, S. 920, Nr. 740.

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Anders als in den Debatten der 1470er Jahre wurde die formale Gültigkeit der Vertragsabkommen von Arras und Frankfurt nicht angezweifelt. Die besondere Absicherung des Ehevertrages von Arras 1482 durch die französischen Stände und Untertanen wurde vielmehr eigens erwähnt, um die besonderen Umstände der Ver­ tragssicherung hervorzuheben. Allein der Unwillen Maximilians zur Verheiratung seiner Tochter sei, so die Rechtfertigung Karls VIII., als Argument für die Auflösung des Eheversprechens zu werten, welche nun beim Papst bewirkt werden sollte. Praktisch fand hier von französischer Seite eine funktionale Trennung des Ehe- und Friedensvertrages statt. Der Tatsache, dass mit dem aufgelösten Eheversprechen auch die Mitgift Margaretes gemäß der vertraglichen Abmachung an Maximilian zurückzustellen sei, sollte nicht Rechnung getragen werden. Vertragsbrüche, so lässt sich festhalten, wurden situtaions- und rezipienten­ abhängig ausgelegt. Für die Herrscher galt es das eigene Vorgehen, gemessen an den Vergehen der Gegenpartei, zu legitimieren. Die gesteigerte Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung kann zwar hier erst rudimentär erfasst, für das 16. Jahrhundert aber belegt werden.⁴⁷³

4.4 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis Die mangelnde Hilfsbereitschaft im Reich sowie der durch zwei Vertragsschlüsse⁴⁷⁴ besiegelte Abfall des ehemaligen Bündnispartners England und des für Heiratsver­ bindungen stets einkalkulierten spanischen Königshauses, beförderten schließlich eine zügige und diplomatische Konfliktbeilegung. Nach geheimen Verhandlungen hatten sich England und Frankreich im November 1492 mit dem Vertrag von Étaples verbunden. Auch die Spanier hatten sich Karl VIII. angenähert und diese Tendenz in einem Bündnisvertrag Anfang des Jahres 1493 verfestigt.⁴⁷⁵

473 Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 56–57. 474 Es handelt sich einmal um den Vertrag von Étaples, geschlossen am 3. November 1492 zwischen Karl VIII. und Heinrich VII. und den Vertrag von Barcelona vom 19. Januar 1493, geschlossen ebenfalls zwischen dem französischen König und dem katholischen König Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien. Ediert bei Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 291ff, 297ff. Vgl. Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 41–52. Labande-Mailfert, Yvonne: Trois traités de paix 1492–1493. In: Le Moyen Âge 60 (1954), S. 379–401. 475 Zu den politischen Vorgängen vgl. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 340–341. Zu den drei Verträgen Étaples, Barcelona und Senlis vgl. Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 41–52.

4.4 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis |

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Das Abkommen von Arras musste nun an die neuen Bedingungen angepasst werden, denn es war der im Vertragstext bereits vorhergesagte Fall einer nicht zustande gekommenen Ehe zwischen Karl und Margarete eingetreten, der die Rückgabe der Mitgift vorsah. Anders als 1482, als es galt verschiedene Parteien und Interessen in einem Vertrag zu integrieren, gestaltete sich der Vertrag von Senlis wesentlich kürzer, dessen Aushandlung so gut wie nicht überliefert ist. Selbst Philippe de Commynes, der in Senlis persönlich anwesend war, schildert das Ereignis nur beiläufig, ohne auf Inhalte oder gar Konflikte einzugehen.⁴⁷⁶ Die Annahme, dass diese zumindest von Seiten Maximilians komplett überwunden seien, wäre allerdings ein Fehlschluss. Bereits nach Abschluss des präliminaren Waffenstillstandes äußerte er sich durchaus kritisch gegenüber den Reichsständen und Berthold von Henneberg. Die Friedensbereitschaft des französischen Königs sei lediglich ein Vorwand zur Eroberung der Niederlande. Stärker wurde nun auf die Rückgewinnung der Grafschaft Burgund, als „glid des hl. Richs und schild und porten gegen Frankreich“ gepocht und damit die Inhalte des späteren Vertrages von Senlis vorweggegriffen,⁴⁷⁷ der im Folgenden als Rechts- und Regelwerk zu analysieren ist. Anhand des inhaltlich auf dem Abkommen von Arras aufbauenden Vertrages sollen die Formalitäten eines Vertragsschlusses sowie deren rechtliche Bedeutung und Grundlage fokussiert werden.

4.4.1 Rahmenbedingungen und Unterhändler Bereits im Januar 1493 trafen in Besaçon französische Unterhändler mit Wolfgang Polheim zusammen und unterbreiteten dort erste Friedensvorschläge. Anfang März wurde ein viermonatiger Waffenstillstand geschlossen,⁴⁷⁸ der als Vorbereitung des finalen Friedensschlusses gesehen werden kann und auch so bewertet worden war. Von Seiten des Schwäbischen Bundes wurden schon jetzt Vermutungen über die Rückgabe Margaretes und der Erbländer angestellt.⁴⁷⁹

476 Commynes, Lettres, wie Anm. 468, S. 168, 182ff, 324. Wiesflecker schließt daraus, dass es bei den Verhandlungen zu Senlis offenbar zu keinen größeren oder berichtenswerten Auseinan­ dersetzungen zwischen den Parteien kam. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 341. 477 Vgl. dazu die Instruktion RTA MR, 4,2, S. 1258–1259, Nr. 1061. 478 Maximilian informiert darüber Sigmund von Tirol und die Vertreter der eidgenössischen Orte. RTA MR, 4,2, S. 1216–1217, Nr. 1023, 1024. 479 So in einem Schreiben der Gesandten des Schwäbischen Bundes an den Bundeshauptmann Wilhelm Besserer vom 14. März 1493. RTA MR, 4,2, S. 1269–1270, Nr. 1064.

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Neben Wolfgang Polheim waren als Unterhändler Jean de Berghes,⁴⁸⁰ Dr. Franz Busleyden, der Propst von Lüttich sowie Jean de Montfort bauftragt worden. Von Seiten des französischen Königs agierten der Prinz von Orange, namentlich Graf Jean de Chalon, der Gubernator Baudricourt, der königliche Rat Markgraf Philipp von Baden Hachberg und Gilemann de Farrse.⁴⁸¹ Mit Polheim wurden die Verhandlungen von einem in den letzten Jahren diplomatisch aktivem Akteur geleitet, so war der Hofmarschall und Kämmerer bereits jener Prokurator gewesen, der die Ehe mit Anna von der Bretagne stell­ vertretend eingegangen war.⁴⁸² Nach dem Abschluss des Waffenstillstandes wirkte er auch an den Verhandlungen zu Senlis mit und wurde im Vertragstext als einer der Unterhändler aufgeführt, ebenso wie die Ritter Jean de Montfort und Jean de Berghes,⁴⁸³ letzterer als Kenner und Unterhändler des Vertrags von 1482. Zur Beendigung des lange währenden Konfliktes erschien er jetzt als Hauptunter­ händler und Interessenvertreter Philipps.⁴⁸⁴ Der einstige Erzieher des Herzogs, Franz Busleyden, findet sich ebenfalls unter dessen späteren Vertretern. Busleyden kannte die Thematik und hatte sich bereits beim Vertragsschluss des Frankfurter Reichstages 1489 hervorgetan. Auch der königliche Generalstatthalter in den Nie­ derlanden, Engelbert von Nassau, und der Ordensritter Philippe de Veyre, genannt de la Mouche, waren sowohl am Vertragsschluss von Frankfurt als auch jetzt in Senlis beteiligt.⁴⁸⁵ Wilhelm von Reichenau, Bischof von Eichstätt, der uns in den Vorverhandlun­ gen zu Senlis nicht begegnet, findet sich später und zusammen mit Eitelfriedrich von Zollern in der Liste der Vertragsunterhändler.⁴⁸⁶ Wie die vergangenen Jahre gezeigt hatten, war der humanistisch gebildete Jurist Wilhem von Reichenau mit der deutsch-französischen Problematik bereits merklich vertraut gemacht worden.

480 In den RTA vom Editior als Jan de Bherges, von den schwäbischen Gesandten als Johann vom Berg bezeichnet. RTA MR, 4,2, S. 1270, Nr. 1064. Es ist aber naheliegend, dass es sich um Jean de Berghes, den Herrn Walhain handelte, da dieser auch im späteren Vertrag von Senlis als Unterhändler benannt wurde. 481 RTA MR, 4,2, S. 1270, Nr. 1064. 482 RTA MR, 4,1, S. 59. Die Instruktion an die Gesandtschaft nach England S. 1022–1023, Nr. 829. 483 Im Vertrag als Seigneur de Walhain. 484 Vgl. dazu Cauchies, Maximilien, wie Anm. 261, S. 159. 485 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 180. RTA MR, 3,2, S. 1043, Nr. 265b. 486 Als weitere Unterhändler im Vertragstext: Der Markgraf Christoph von Baden, der Statthal­ ter in Luxemburg, der Seigneur von Aimeries, der Abt von Maroilles, der Präsident des grand conseil Thomas de Plannes. Vgl. generell zur diplomatischen Tätigkeit Eitelfriedrichs von Zol­ lern und zu dessen Verhältnis zu Maximilian Dressel, Martin: Graf Eitelfriedrich II. von Zollern (1452–1512). Kaiserlicher Rat Maximilians I. und erster Richter am Reichskammergericht. Wetzlar 1995, S. 109–119.

4.4 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis |

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Als Anwalt für Maximilian und den Kaiser war er auf den Reichsversammlungen zu Frankfurt (1489), Nürnberg, Koblenz und Colmar (1491–1493) aktiv gewesen.⁴⁸⁷ Zusammen mit dem kaiserlichen Kammerrichter Eitelfriedrich von Zollern⁴⁸⁸ war er von Maximilian mit der Aufgabe betraut worden, sich mit der Thematik eines bevorstehenden Friedensschlusses mit Frankreich auseinanderzusetzen.⁴⁸⁹ Hinsichtlich der Reformforderungen der Zeit lassen sich die beiden Unterhänd­ ler eindeutig dem königstreuen Lager zuordnen, eine Position aus der heraus vor allem Eitelfriedrich von Zollern noch in Zukunft Karrierechancen im Dienste des Königs erwachsen sollten. Bereits 1495 wurde er Vorsitzender des neu gegründeten Reichskammergerichts.⁴⁹⁰ Entsprechende Opponenten fanden sich als Unterhändler des französischen Königs wieder. Graf Jean de Chalon hatte bereits zu den Sondierungsgesprächen zur Ehe zwischen Karl VIII. und der Herzogin der Bretagne beigetragen und damit klar eine anti-habsburgische Position eingenommen.⁴⁹¹ Auch die anderen französischen Akteure waren keine Unbekannten: Jean de Baudricourt war im Waffenstillstand zwischen Ludwig und Maximilian des Jahres 1478 einer der benannten conservateurs des französischen Königs. An der Seite von Philippe Crèvecœr kommandierte er die königlichen Truppen in der Schlacht von Guinegatte, war seit 1480 königlicher lieutenant von Arras und seit 1481 Gouverneur von Burgund.⁴⁹² Der königliche Rat Markgraf Philipp von Baden Hachberg hatte im Januar 1493 in Kolberg an Vorverhandlungen mitgewirkt.⁴⁹³

487 RTA MR, 4,2, S. 1352; Wendehorst, Alfred: Das Bistum Eichstätt. Bd. 1: Die Bischofsreihe bis 1535. Berlin 2006 (Germania Sacra – Neue Folge 45), S. 220–241. 488 Dieser war bereits an einer Gesandtschaft zu Friedensverhandlungen mit Wladislaw II. von Böhmen beteiligt gewesen. RTA MR, 4,1, S. 203, Nr. 78. 489 RTA MR, 3,2, S. 1277, Nr. 1068. „Dieweil dann unser gn. H. und freund, der Bf. von Eystet etc., und wir [Eitelfriedrich von Zollern] als anweld . . . das best helfen furzunemen . . . das wir uns der sachen . . . mitsambt ander irer kgl. Mt. und ires sons [Philipp] reten zu dem Kg. von Frankreich fugen sollen, alda der kgl. Mt. und irem son zu ersuchen und zu erfordern, was in derselb Kg. von Frankenreich von Got und rechts wegen zu tun schuldig ist.“ 490 Gönner, Eberhard: Art. Eitel Friedrich II. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 4, 1960, S. 423; Dressel, Graf Eitelfriedrich II., wie Anm. 486, S. 92–95. 491 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 1, S. 330–331. 492 Dubois, Traité d’Arras, wie Anm. 271, S. 133. Dieser beschreibt ihn unter anderem als Spezialist für die Beziehungen mit der Schweiz. Vgl. auch Olland, Hélène: La Baronnie de Choiseul à la fin du Moyen Âge (1485–1525). Nancy 1980, S. 50; Dauphant, Royaume des Quatre Rivières, wie Anm. 141, S. 353–356. 493 RTA MR, 4,2, S. 1200, Nr. 1012. „. . . zue Kolenberg sol von ainem anstand gehandelt werden zwissen paiden Kgg.“ Offensichtlich forderte Maximilian auch die Kurfürsten von Pfalz und Mainz auf, sich nach Kolenberg zu begeben.

122 | 4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) 4.4.2 Vorspruch: Inszenierung französischer Königsherrschaft Blickt man nun auf den Vertragstext, erscheint der einleitende Vorspruch als besonders markant.⁴⁹⁴ Grundlagen des französischen Königtums wurden hier mit dem Ziel des universalen Friedens verbunden und dabei implizit die kriegs­ begründenden Vorwürfe der vergangenen Jahre negiert und ausgeräumt. Die Krönung verpflichte den französischen König Frieden und Wohl der Untertanen zu gewährleisten.⁴⁹⁵ Die durch das Kriegsgeschehen der vergangenen Jahre erhobenen Vorwürfe wurden nun mit dem Vorspruch ins Gegenteil gewendet, da der ersehnte Friedenszustand zwischen den „Rois & Princes de la Chretienté“⁴⁹⁶ durch den Vertrag erneut hergestellt werden sollte,⁴⁹⁷ womit Karl VIII. seine Funktion als „très-chrétien Roi de France“ wieder ausfüllte. Speziell diese Eigenschaft hatten die polemischen Ausführungen der vergangenen Jahre mehrfach in Frage gestellt.⁴⁹⁸

494 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 303–308. Ratifikation Maximilians HHStA, Ma 2, fol. 134; HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 98. Drei Abschriften des Vertrags HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 66–134. Die Separatartikel: AAE, M.A.E. Traités. Empire 14930001. Vgl. dazu und im Folgenden Steiger, Heinhard: Vorsprüche zu und in Friedensverträgen der Vormoderne. In: Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne. Hrsg. von Heinz Duchhardt u. Martin Peters. Mainz 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beiheft online 1), S. 6–40. url: www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/01--2006.html (besucht am 03. 03. 2017). 495 Dahinter lässt sich die Idee des bien commun erkennen, welche in anderen Vorsprüchen explizit angeführt wird. Vgl. Steiger, Vorsprüche, wie Anm. 494, Abschn. 31. Auch die hier un­ tersuchten Waffenstillstände werden mit dem Ziel begründet, das Leiden der Bevölkerung zu mindern. Commynes, Mémoires, zit. nach du Fresnoy, wie Anm. 121, Bd. 3, S. 540. Dahinter steht die allgemeine Verpflichtung des Königs gegenüber seinen Untertanen und darüber hinaus auch gegenüber der ganzen Christenheit. Dieser waren sowohl der französische König als rex christianissimus als auch der zukünftige römisch-deutsche König und Kaiser verpflichtet. Der gemeine Nutzen war seit Beginn des 14. Jahrhunderts zu einem legitimatorischen Leitmotiv des französischen Königs geworden und findet sich als entsprechende Begründung seiner Ordon­ nanzen. Parallel dazu fand das Konzept auch seine Verbreitung in der kaiserlichen Kanzlei und schlug sich bezeichnenderweise in den Arengen der Landfrieden nieder. Zeitgleich wurde der Anspruch auf die Vertretung des Gemeinwohls auch zum legitimatorischen Kernpunkt ständischer Regierungs- und Herrschaftsansprüche im Reich, ebenso wie in Frankreich, in der politischen Theorie ebenso wie in der Praxis ständischen Handelns. Vgl. dazu Eberhard, Herrscher und Stände, wie Anm. 139, S. 476–491; Naegle, Cité, wie Anm. 200, S. 325–338. So ist es wenig erstaunlich, dass die Idee des Gemeinwohls auch ihren Weg in die Friedensschlüsse und Waffenstillstände der burgundischen Erbschaftskonflikte fand. Vgl. dazu auch die Abhandlungen d’Auffays S. 25. 496 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 303. 497 Vgl. zu den Argumentationsmustern von Kriegsbegründungen Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5. 498 RTA MR, 4,2, S. 856, Nr. 697. Siehe S. 103.

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Der Bezugsrahmen des Friedens erhält hier bereits durch den Vorspruch eine zweifache Dimension. Er integriert einmal konkret die vom Kriegszustand geschä­ digten Untertanen („pauvre peuple“)⁴⁹⁹ in den jeweiligen Herrschaftsgebieten sowie gleichsam die gesamte Christenheit, die bis in die Neuzeit hinein als ein einheitli­ cher Friedens- und Rechtsraum verstanden wurde⁵⁰⁰ und deren Abgrenzung von der militärischen Bedrohung durch die Osmanen bereits in den Kriegsbegründungen der vergangenen Jahre als höheres Ziel eingefordert worden war. Der Vertragsvorspruch war von Karl VIII. nun zur Inszenierung seiner Pflichter­ füllung genutzt worden. Sein Handeln beruhe nicht auf Tyrannei, sondern diene allein dem Wohle des Volkes und der Herstellung der „pax christiania“.⁵⁰¹ Geographisch wurde der Friedensraum dann durch die Regelungen für einzelne Städte und Herrschaften in den entsprechenden Vertragsartikeln definiert, auch wenn der Vorspruch des römisch-deutschen Königs bereits seine Herrschaftstitel einzeln auflistete und damit vorab umstrittene Besitzansprüche klärte.⁵⁰² Für Karl VIII. mag die Wiederherstellung der propagandistisch angefochtenen Ehre die zentrale Aussage und Funktion des Vorspruches gewesen sein. Dem­ entsprechend wurde auch die Abwicklung des Konflikt beladenen Eheschlusses nicht im Vertrag selbst geregelt, sondern in Separatartikel ausgelagert.

499 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 303. 500 Zur res publica christiana vgl. Steiger, Vorsprüche, wie Anm. 494, Abschn. 34; Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 58; Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 29–34. 501 Zur Bedeutung des bien commun in den Ordonnanzen Karls VIII.: Rigaudière, Albert: Les ordonnances de police en France à la fin du Moyen Âge. In: Policey im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Stolleis. Frankfurt/M 1996 (Ius Commune. Sonderhefte), S. 97–161. Vgl. auch Collard, Royauté française, wie Anm. 427, S. 352–355. 502 „Maximilian par la grace de dieu roi des Rommains toujours auguste de Hongrie, de Dalmacie, de Croacie . . . et Phillipe par la mesme grace archiduc d’Autriche duc de Bourgogne, de Lothier, de Brabant, de Lembourg, de Luxembourg et de Geldres, comtes de Flandres de Tyrol, d’Artois, de Bourgogne Palatins de Haynault de Hollande, de Zellande, de Namurs, de Zutphen et de Malines, marquis du Saint Empire seigneur de Frise et Salins . . . “ HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 89r. Steiger verweist darauf, dass eine gemeinsam vereinbarte Präambel, nach dem Muster des Vertrages zwischen Maximilian I. und Karl I. mit Franz I. von 1517, erst seit dem 16. Jahrhundert zum Bestandteil von Vertragstexten wurde. Die spätmittelalterlichen Vorsprüche beziehen sich stets einseitig auf Namen und Stellung desjenigen, der publiziert. Die Nennung erfolgte bis in das 18. Jahrhundert im pluralis majestatis mit Namen und allen Herrschaftstiteln und Rangstellungen, vom Kaiser oder Königstitel oft bis zur letzten Grafschaft und Herrschaft des jeweiligen Partners. Vgl. Steiger, Vorsprüche, wie Anm. 494, Abschn. 12.

124 | 4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) 4.4.3 Freunde, Brüder, Verwandte „Bonne Paix, Union, Alliance & Amitie à toûjours“⁵⁰³ waren mit dem Vertrag be­ schlossen worden zwischen dem König von Frankreich, dem Dauphin sowie deren Ländern, Herrschaften und Untertanen auf der einen Seite und dem römischen König, seinem Sohn dem Herzog Philipp und der Tochter Margarete von Österreich sowie für ihre Länder, Herrschaften und Untertanen auf der anderen Seite. Wie Klaus Oschema hervorhebt, unterscheiden sich auf unbefristete Zeit ausgelegte Verträge in der Auswahl dieses Freundschaftsvokabulars von den temporär befris­ teten Waffenstillständen, die auf dieses verzichten.⁵⁰⁴ Auffällig ist die in Senlis bemühte, wörtliche Inszenierung von Freundschaft und Familienbanden.⁵⁰⁵ Die Könige seien wie Brüder und Freunde („Freres & bons amis“) und ihre Kinder wie Verwandte („pares“), heißt es im Vertrag.⁵⁰⁶ Dabei konstituierte der vorliegende Vertrag eher das Gegenteil einer Verwandtschaftsbeziehung, nämlich die Auflösung des Eheabkommens von Arras. Dieses hatte seine friedenstiftende und vertragsga­

503 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304. 504 Oschema, Freundschaft und Nähe, wie Anm. 218, S. 313. 505 Zur amicitia in staatlichen Bindungen des Früh- und Hochmittelalters vgl. Althoff, Gerd: Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter. Darmstadt 1990, insb. S. 88–119. Für den Stellenwert der amicitia in außenpolitischen Bindungen des Frühmittelalters vgl. Epp, Verena: Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter. Stuttgart 1999 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 44), S. 176–233. Zur amicitia im Völkerrecht Steiger, Heinhard: Die Ordnung der Welt. Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741–840). Köln [u. a.] 2010, S. 652–698; Oschema, Klaus (Hrsg.): Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Berlin 2007 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 40); Schmidt, Johannes F. K. [u. a.] (Hrsg.): Freund­ schaft und Verwandtschaft. Zur Unterscheidung und Verflechtung zweier Beziehungssysteme. Konstanz 2007; Appuhn-Radtke, Sibylle u. Wipfler, Esther Pia (Hrsg.): Freundschaft. Motive und Bedeutungen. München 2006 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 19). Eine Begriffsgeschichte für das Reich bei Müller, Mario: Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgi­ schen Erbeinigungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter. Göttingen 2010 (Schriften zur politischen Kommunikation 8), S. 41ff. Als Standortbestimmung zum Verhältnis der Bezugssysteme Freundschaft und Verwandtschaft Rexroth, Frank u. Schmidt, Johannes F. K.: Freundschaft und Verwandtschaft. Zur Theorie zweier Beziehungssysteme. In: Freundschaft und Verwandtschaft. Zur Unterscheidung und Verflechtung zweier Beziehungssysteme. Hrsg. von dems. [u. a.]. Konstanz 2007, S. 7–13. 506 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304. Die Brüderlichkeit zielte auch hier auf wechselsei­ tig zu beachtende Verhaltensweisen. Eickels, Klaus van: Der Bruder als Freund und Gefährte. Fraternitas als Konzept personaler Bindung im Mittelalter. In: Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters. Hrsg. von Karl-Heinz Spieß. Ostfildern 2009 (Vorträge und Forschungen 71), S. 204–206.

4.4 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis |

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rantierende Wirkung, wie oben dargestellt wurde, nicht entfalten können. Auf der Grundlage des Abkommens von 1482 sollten Frieden, Liebe und ein Verhältnis der Freundschaft und wechselseitigen Hilfe in der Zukunft und auf Basis des Eheschlusses erwachsen.⁵⁰⁷ In Senlis war nun die amitié bereits beschlossener und charakterisierender Bestandteil des Vertrages. Was hier konstituiert werden sollte, war ein politisch wirksamer Zustand der amitié, der sich nicht auf schlichtende Eheverbindungen der Parteien gründen konnte.⁵⁰⁸ Als Rechtsgröße⁵⁰⁹ trat die Freundschaft nun neben die Verwandtschaftsbeziehung, welche realitier nicht mehr bestand, textuell aber umso stärker betont und hervorgehoben wurde. Das nun geschaffene Verhältnis zwischen den Konfliktparteien formuliert vielmehr den Anspruch eines Idealzustandes. Durch die Konstellation der Freundschaft konnten die in den vergangenen Jahren nur zu deutlich hervorgetretenen ambiva­ lenten Strukturen von Verwandtschaftsbeziehungen ausgeklammert werden.⁵¹⁰ Frieden ließ sich nur durch die Herstellung guter, aktiver Loyalitätsbeziehungen gewährleisten, welche sich unter dem Konzept der Freundschaft fassen ließen,⁵¹¹ das Hass, Groll und Feindseligkeiten ausschloss.⁵¹²

507 Vertrag von Arras Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 103, § 34. „. . . pour la conservation de la paix, amour & union perpetuelle, procedant de ladite alliance & mariage, ayderont & assisteront l’un l’autre, comme amis . . . “. 508 Vgl. zu dem Verhältnis von Ehevertrag und amicitia Spieß, Karl-Heinz: Familie und Verwandt­ schaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1993 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beiheft 111), S. 76–80. 509 Zur amicitia in zwischenstaatlichen Beziehungen Althoff, Verwandte, wie Anm. 505, S. 85–119. 510 Zum Vertrag zwischen Friedrich III. und Matthias Corvinus von 1477 in diesem Zusammenhang Müller, Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgischen Erbeinigungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter, wie Anm. 505, S. 46–48, 55. 511 Oschema, Klaus: Einführung. In: Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Hrsg. von dems. Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), S. 8. Sowie zur Klärung und Abgrenzung der Begrifflichkeiten Oschema, Freundschaft und Nähe, wie Anm. 218, S. 255–263. Zu den semantischen Beziehungen von Freundschaft, Verwandtschaft und Liebe vgl. Kühner, Christian: Politische Freundschaft bei Hofe. Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts. Göttingen 2013 (Freunde – Gönner – Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage 6), S. 106–117. Des Weiteren ließ sich auch das zwischen Philipp und Karl VIII. vertraglich konstituierte Lehensverhältnis durch den Begriff der amicitia abdecken, der gleichzeitig den Verpflichtungshorizont von Vasall und Lehnsherr mit einschloss. Garnier, Claudia: Politik und Freundschaft im spätmittelalterlichen Reich. In: Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Hrsg. von Klaus Oschema. Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), S. 63. Vgl. ebd. den Beitrag zur amicitia in Friedensschlüssen von Offenstadt, Nicolas:

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Die so vertraglich zwischen den beiden Herrschern geregelte Beziehung war eindeutig nicht neutral, sondern aus der Feindschaft wurde unmittelbar eine auf „aide & aissistance“ beruhende Bündnispartnerschaft,⁵¹³ die sich der konkreten, praktischen Durchsetzung des inneren sowie der abstrakten Herstellung des uni­ versalen, christlichen Friedens verpflichtete.⁵¹⁴ Im Umfeld der Vertragsratifikation im Dezember 1493 definiert eine Urkunde Maximilians die Verbindung zwischen den beiden Herrschern nochmals genau als ewiges brüderliches Freundschaftsver­ hältnis („fraternieté et amitié“). Handel und Wandel in den jeweiligen Königreichen sollten von beiden Seiten geschützt werden.⁵¹⁵ Die „negative Treue“ als Verpflich­ tung den Freund, Verwandten oder Getreuen nicht zu schädigen, anzugreifen oder dessen Feinde zu unterstützen, wurde hier weiter zu einer Beistandsverpflichtung der Vertragspartner ausgebaut, die in den folgenden Jahren auch eingefordert werden sollte.⁵¹⁶

Freundschaft, Liebe und Friede im Krieg (Frankreich, 14.-15. Jahrhundert). In: Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Hrsg. von Klaus Oschema. Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), S. 67–80. Schon in den englisch-französischen Friedensschlüssen des Hochmittelalters und den französischen Bürgerkriegen gehörte die amicitia sowie auch die union zum grundlegenden Repertoire. Vgl. dazu Eickels, Klaus van: Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt. Die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter. Stuttgart 2002 (Mittelalter-Forschungen 10). 512 „. . . toute rancune, haine, & malveillance des uns envers autres sont abolies & éteintes, & toutes injures de fait ou paroles oubliées & remises . . . “. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 1. 513 Zum auf dem verpflichtenden Prinzip des do-ut-des beruhenden Verhältnis von Freundschaft und Bündnispartnerschaft Garnier, Amicus amicis, wie Anm. 183, S. 297. 514 Auch wenn die Türkenkriegsthematik stets prägend für die Argumentation Maximilians war und blieb, findet sich im Vertragstext selbst kein Hinweis auf eine konkrete Umsetzung dieser Kreuzzugspläne. 515 HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 97–98. 516 Vgl. dazu allgemein Eickels, Vom Konsens zum Konflikt, wie Anm. 511, S. 20–21. Vgl. den Fall Robert von der Marck. Im Juli 1494 instruiert Maximilian seinen Gesandten Forest zu Verhandlungen mit Karl VIII., um die vertraglich zugesicherte Hilfe gegen Herzog Karl von Egmond einzufordern, der durch die Einnahme der Länder Geldern und Zutphen zum Friedensbrecher geworden war. Der König von Frankreich sei nun aufgrund des Friedens von Senlis verpflichtet, Maximilian zu unterstützen. HHStA, Ma 3, fol. 43–48. Zum Verhältnis zwischen Maximilian und Geldern Rotthoff-Kraus, Claudia: Geldern und Habsburg zur Zeit Maximilians I. als Herzog von Burgund, 1477–1492. In: „Ein guter Nachbar ist ein edel Kleinod“. Das Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Bündnis und Konkurrenz an Maas, Rhein und Ijssel. Hrsg. von Ralf G. Jahn [u. a.]. Geldern 2005, S. 111–125.

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4.4.4 Verbündete und Vertragspartner Neben dem Verhältnis der Herrscher untereinander diente der Vertrag auch der Integration weiterer Parteien. Wurden diese von beiden Seiten einbezogen, war ihnen ein Zustand faktischer Neutralität⁵¹⁷ zugesichert, aus dem heraus sich später unter Umständen auch Schiedsrichtertätigkeiten ergeben konnten. Gleichsam definierten die Verbündeten einen Friedensraum, welcher, in Annä­ herung an einen universalen christlichen Frieden, über die Herrschaftsgebiete der vertragsschließenden Parteien hinausging. Im Falle des Vertrages von Senlis sticht die getrennte Benennung von Kaiser und Reich in der Auflistung der „alliez“ ins Auge. Von Seiten Karls werden die Kurfürsten des Reiches separat aufgezählt. Für Maximilian wird weiter differenziert zwischen Kurfürsten, Fürsten und Städten des Reiches.⁵¹⁸ Ein zumindest partiell korporatives Verständnis der einzelnen Reichsstände lässt sich hier mit deren vertraglicher Integration fassen, ohne dass deren Bindung an den Vertrag als eine verpflichtende, im Sinne einer Bündnispart­ nerschaft interpretiert werden kann. Inwiefern diese zumindest partiell als solche auftreten konnten, ergibt sich in den Folgejahren.

4.4.5 Regelungen und Sonderregelungen Vor dem Hintergrund der nun im Entstehen begriffenen Freundschaft regelt der zweite Artikel des Vertrages von Senlis die Rückgabe Margaretes an ihren Vater, wohingegen die Brautraubthematik gänzlich unerwähnt blieb und in einem Se­ paratvertrag beigelegt wurde. Die Hauptkonfliktpunkte der vergangenen Jahre waren damit reguliert. Mit dem Vertrag von Senlis wurde die geplante Ehever­ bindung zwischen Königstochter und Dauphin offiziell aufgelöst und damit die Versprechen und Siegel, von denen alle Beteiligten nun vertraglich freigestellt wurden. Dies machte die minutiös geplante „Rückabwicklung“ der Ehe möglich, die zeitlich mit der Übergabe Margaretes verknüpft wurde. Diese sollte direkt nach ihrer Auslieferung einen Eid ablegen, der die Auflösung der Verlobung bestätigte.⁵¹⁹ Demzufolge wurde mit dem Vertrag die eingeforderte Rückgabe der Mitgiftlän­ der geregelt. Auxerre, Bar-Sur-Seine und Macon wurden dem französischen König zugesprochen.⁵²⁰ Die Freigrafschaft Burgund, Noyers, Artois und Charolais sollten mit sofortiger Wirkung und auf alle Zeit dem römisch-deutschen König und seinem

517 Vgl. Oschema, Neutralität, wie Anm. 191, S. 105. 518 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 307. 519 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 3. 520 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305, § 12.

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Sohn dem Erzherzog zurückgegeben werden. Betont wurde dabei aber nochmal Maximilians Stellung als „Pere & Mainbourg“ seines Sohnes Philipp zur definitiven Klärung seiner herrschaftlichen Stellung in Burgund und der Erbschaftsfrage. Karl VIII. behielt sich zudem alle seine königlichen Rechte und seine Souveränität vor.⁵²¹ Dieses Detail ist nicht ohne Belang, zeigt es doch den doppelbödigen Charakter des Vertrages, der faktisch nicht nur zwischen zwei souveränen Herrschern, sondern implizit auch zwischen Lehnsherr und Vasall, in diesem Fall Philipp, geschlossen worden war.⁵²² Festgeschrieben wurde für Philipp, dass dieser in seinem zwanzigs­ ten Lebensjahr dem französischen König den Lehnseid für alle Gebiete leisten sollte, die der königlichen Souveränität unterstanden.⁵²³ Betont wurde diese Bindung dann besonders im Vertrag von Paris 1498,⁵²⁴ der unmittelbar an das unbrüchig zu haltende Bündnis von Senlis anschloss und Philipp oder einen Stellvertreter zur Leistung des Lehnseides („foi & hommage“) für die Grafschaften Flandern und Artois sowie alle anderen französischen Kronlehen verpflichtete.⁵²⁵ Die Ansprüche auf das Herzogtum und die Freigrafschaft Burgund sowie die Grafschaften Maçon, Auxerre und Bar-sur-Seine sollten auf Lebenszeit von beiden Teilen weder gericht­ lich noch mit Gewalt, sondern nur im Sinne eines freundschaftlichen⁵²⁶ Vergleichs

521 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 5. 522 Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 49. Den Abschluss eines Separatvertrages mit Philipp und den Niederlanden hatte Maximilian dem französischen König verweigert. Einen Hinweis darauf gibt Maximilian bereits in seiner Denkschrift vom September 1492. RTA MR, 4,2, S. 1010, Nr. 826. „Und ist am lesten inen zu versten geben, wo Ehg. Philipp mitsambt sein landen welle sich verainen und verpinden zum Kg. von Frankreich und verlassen seinen vater und dy Deutschen . . . . Und pegert an die potschaft, sy solten solchs pacticieren.“ Vgl. dazu Uytven, Raymond van: Crisis als cesuur, 1482–1494. In: Algemene geschiedenis der Nederlanden. Bd. 5. Haarlem 1980, S. 420–442. 523 Flandern, Artois und Conflans fallen laut Vertrag ebenfalls zurück an den römisch-deutschen König (Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 10.), wofür Philipp ebenfalls den Lehnseid zu leisten habe. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305, § 11. 524 Molinet, Chroniques, ed. Buchon, wie Anm. 331, Bd. 5, S. 90–93. 525 Eine Abschrift der Ratifikation der Gesandten Thomas de Plaine, Graf Engelbert von Nassau, Philibert de Veyre, Cornelius de Berghes und dem Propst von Lüttich Franz von Busleyden. BNF, MS fr. 3912. Dort auch die Abschrift der Ratifikation Philipps inseriert in den Vertragstext, sowie ein ausgestellter Brief über die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des parlement de Paris für Flandern sowie der ausführliche Bericht des königlichen Sekretärs Jean Amys über den Lehnseid Philipps, der nicht vor Ludwig XII. selbst, sondern vor seinem Kanzler Guy de Rochefort in Arras geleistet worden war. BNF, MS fr. 3912, wie Anm. 525. 526 „. . . par voie de fait ni de justice, mais bien par humble requeste & voir amiable . . . “. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 4. Vgl. den entsprechenden Artikel im Vertrag von Paris Léonard, Fréderic (Hrsg.): Recueil des traitez de paix, de trève, de neutralité, de conféderation, d’alliance et de commerce, faits par les rois de France, avec tous les princes et potentats de l’Europe, et autres, depuis près de trois siècles. Paris 1693, Bd. 1, S. 406.

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verfolgt werden. Anders als in den bislang betrachteten Verträgen wurde hier das Gericht als Instanz zur Beilegung eventueller Streitigkeiten ausgeschlossen, auch wenn Philipp sich bald formal der Jurisdiktion des parlement de Paris unterstellte.⁵²⁷ Verwiesen wird auf das besondere Treue- und Vertrauensverhältnis, vor dessen Hintergrund sich die Konfliktlösungsmechanismen von jenen zwischen souverä­ nen Vertragspartnern unterschieden. Entsprechend großen Raum nimmt im Text die Beschreibung des von Philipp zu leistenden Eides ein, welcher das Rangver­ hältnis⁵²⁸ zum französischen König definierte und die Grundlage für die künftige Umsetzung der vertraglichen Vereinbarungen legte. Dieses wurde im Reich wie eine Lösung Philipps aus dem Reichsverband rezipiert. Gerónimo Zurita schildert später die Klage Maximilians, dass sein Sohn „era muy Frances“, zusammen mit der Weigerung der Reichsfürsten, Reichsgelder an Philipp zu verschwenden, der sich wohl ganz Frankreich zuneige anstatt die Freundschaft und das Bündnis der Reichsfürsten zu suchen.⁵²⁹ Die vorgesehene Integration Philipps in das französische Herrschaftsgefüge⁵³⁰ blieb aber nicht nur ein theoretisches im Vertragstext verankertes Konstrukt. Das künftige Lehnsverhältnis erforderte schon in Senlis die Festlegung komplexer Regularien für die einzelnen besetzten Gebiete, für die bis 1498 eine Art Über­ gangszustand geschaffen werden musste. Die Städte Hesdin, Aire und Béthume sollten bis zum zwanzigsten Lebensjahr Philipps in französischer Hand bleiben. Monseigneur d’Esquerdes und die zuständigen capitaines wurden für die Über­ wachung sowohl der Rechte Philipps als auch Karls VIII. während dieser Zeit

527 BNF, MS fr. 3912, wie Anm. 525. 528 Dendorfer, Jürgen: Was war das Lehnswesen? Zur politischen Bedeutung der Lehnsbindung im Hochmittelalter. In: Empowering interactions. Political cultures and the emergence of the state in Europe 1300–1900. Hrsg. von Eva Schlotheuber u. Maximilian Schuh. München 2004, S. 43–64, S. 60–61. 529 Zurita y Castro, Jerónimo de (Hrsg.): Anales de la corona de Aragón. Historia del rey don Hernando el Catolico : De las empresas y ligas de Italia. 5 Bde. Saragossa 1670, Bd. 5, S. 148v. „. . . y que non querian, que con el dinero del Imperio ze le hiziesse guerra : pues el archiduque, cuya era la querella, se satisfacia, y queria la paz : mayormente, que lo veìa inclinado a ser del todo Frances, antes que a procurar la amistad, y union con los principes del Imperio . . . “. Vgl. auch den Bericht des Philippe de Valperge bei Documents sur la première année du règne de Louis XII tirés des Archives de Milan. Hrsg. von Léon G. Pélissier. In: Bulletin historique et philologique du Comité des Travaux Historiques et Scientifiques, Section d’Histoire et de Philologie. Ministère de l’Instruction Publique, des Beaux-Arts et des Cultes 1 (1890), S. 47–124, S. 51–52. 530 Der Vertrag von Senlis kann hier nicht als Initialereignis gesehen werden. Schon 1487 wurde die Teilnahme Philipps an der königlichen lit de justice vorgesehen. Als Herzog von Flandern galt er als pair de France. Saint-Marie, Anselm de (Hrsg.): Histoire généalogique et chronologique de la maison royale de France, des pairs, grands officiers de la Couronne, de la Maison du Roy et des anciens barons du royaume. 9 Bde. Paris 1726–1733, Bd. 3, S. 828.

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verantwortlich gemacht und hatten die spätere Übergabe der Einnahmen an den Erzherzog zu gewährleisten. Ein weiterer Artikel löste diese Regelung von der Person d’Esquerdes. Im Falle seines Todes sollten Personen aus seinem oder dem königlichen Umfeld mit der Überwachung der drei Städte betraut werden und seine Aufgaben übernehmen bis es eine neue Administration gäbe. Auch die neuen Verantwortungsträger seien, wie d’Esquerdes, eidlich und durch Besiegelung an ihre Aufgaben zu binden und damit verpflichtet, den König zur Rückgabe der Städte an Philipp anzuhalten.⁵³¹ Diejenigen officiers de justice sowie andere officiers, denen gegenwärtig die Verfügung über die Grafschaft Artois oblige und die sich zur Zeit noch in den drei Städten befänden, sollten ihre Aufgaben dort bis zur Volljährigkeit Philipps fortsetzen und ihm den Eid leisten.⁵³² Vertraglich sind für die eroberten Gebiete praktisch Übergangsregelungen geschaffen worden, deren Einhaltung an den ortsansässigen Beamtenapparat gekoppelt wurde. Eidliche Bindungen verpflichteten diesen gegenüber den Ob­ rigkeiten und zur späteren Exekution der vertraglichen Regelungen. Dass diese gerade hinsichtlich der Gebietsabtretungen an Philipp nicht reibungslos verliefen, zeigte sich in den kommenden Jahren. Neben der Herstellung neuer oder zukünftiger eidlicher Bindungen erforderte der Vertragsschluss aber auch die Lösung von vergangenen Zusagen als Legi­ timationsgrundlage der Restitutionen. Nach Übergabe Margaretes sollten alle Fürsten, Herren, Städte und Gemeinden von ihren einstigen Siegeln entbunden werden,⁵³³ was auf der Rückseite der Vertragsurkunde zu vermerken war. Damit galt der Vertrag von 1482 nicht gänzlich als aufgelöst, sondern wurde lediglich fortgeschrieben und ermöglichte den „kontrollierten“ Eidbruch.⁵³⁴ Der Vertrag von

531 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 7. 532 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304, § 8. Schnabel-Schüle, Helga: Sovereignty change – On the potential of a research category. In: Strangers and poor people. Changing patterns of inclusion and exclusion in Europe and the Mediterranean world from classical antiquity to the present day. Hrsg. von Andreas Gestrich [u. a.]. Frankfurt/M. 2009 (Inklusion, Exklusion 13), S. 86. In der Zeit der Revolutionskriege wurde die französische Souveränität nach Eroberungen durch Rechts- und Verwaltungsreformen gekennzeichnet. Die Herrschaftsübernahme wird also auch dann über lokale Strukturen gesteuert und durch ihre Veränderung markiert. 533 So verhielt es sich auch mit den Sonderartikeln zum Herzogtum Bretagne, welche separat verfasst wurden, inhaltlich jedoch in den Vertrag von Senlis zu integrieren waren, wie es in den Artikeln selbst heißt. Die Untertanen der Bretagne wurden von allen Eiden und Pflichten gegenüber Maximilian entbunden, der gleichsam auf den Titel des Herzogs von der Bretagne verzichtete, ebenso wie seine Tochter Margarete auf alle Ansprüche der Heiratsangelegenheit. AAE Paris: M.A.E. Traités. Empire 14930001. 534 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305, § 13. Vgl. zum Umgang mit Urkunden sowie zur Bedeutung ihrer Materialität Herold, Ringen um den Text, wie Anm. 19, S. 321–354.

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Senlis stellte also keine komplette Neuregelung dar, sondern baute auf den durch Arras vorbereiteten Bindungen auf, welche nun mit der materiellen Veränderung der Urkunden nachträglich angepasst, aber nicht grundlegend aufgelöst wurden.

4.4.6 Die Untertanen – Herstellung des bien commun Diese praktizierte Beibehaltung vergangener Regelungen betraf insbesondere auch die wechselseitige Generalamnestie, welche die Amnestie vergangener Verträge nicht relativieren sollte. Als zentrales Anliegen formulierte man eine alle Unterta­ nen umfassende Amnestie im Sinne einer „silence perpetuel“, welche einerseits etwaige Straftaten aus der Zeit des Kriegs vergessen machte, andererseits aber auch Schenkungen zum Wohl des Friedens für nichtig erklären konnte.⁵³⁵ Der Verwaltungsaufwand einer individuellen Abbitte durch die Untertanen war durch diese Regelungen der Generalamnestie umgangen worden, wenn auch auf speziellen Wunsch hin die Möglichkeit bestand, die Absolution mittels ausgestellter lettres zu bestätigen.⁵³⁶ Alle Untertanen sollten nun zu ihren Gütern zurückkehren können, ungeachtet neuer und alter Gebietszugehörigkeiten, sei es innerhalb oder außerhalb des Königreiches. Jeder habe Anspruch auf seine Güter in dem Maße, wie er oder sein Vorgänger dies vor dem Krieg gehabt habe.⁵³⁷ Eng verflochten mit der praktischen Umsetzung der Generalamnestie blieb aber die Frage der Zugehö­ rigkeit der Untertanen, welche nicht allein eine Umsiedlung, sondern auch eine Neuregelung der Lehnsbindungen erforderte. Die zu Kriegszeiten erfolgte Vergabe von Lehen oder Benefizien sollte die Untertanen nicht an den Herrschaftsbereich eines bestimmten Herrschers binden, so die vertragliche Regelung.⁵³⁸ Unbedingt vorausgesetzt wurde aber die Integration eines jeden Untertanen in einen Herr­ schaftsverband. Harte Strafen waren für diejenigen, etwa Piraten oder Vogelfreie, vorgesehen, die sich nicht einfügen wollten, da diese eine Gefahr für den Handel und die Sicherheit darstellten.⁵³⁹ Dieser Artikel verdeutlicht, wie allumfassend die Wiederherstellung des Friedenszustandes im Sinne einer gesellschaftlichen Neuordnung und der Herstellung eines Idealzustandes verstanden wurde.⁵⁴⁰ Auch wenn dies nicht explizit erwähnt wird, kann dieser durchaus den Zustand einer

535 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305, § 21. 536 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305, § 19–20. 537 Die logistische und finanzielle Umsetzung dieser Rücksiedelung wurde ebenfalls vertraglich geregelt. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 306, § 24–26, § 28. 538 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 306, § 27. 539 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 308, § 44. 540 Dazu Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 49.

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Mehrfachvasallität beinhalten, welcher in Grenzregionen nicht nur üblich war, sondern diese maßgeblich prägte und damit auch die Unmöglichkeit einer klaren Grenzziehung implizierte.⁵⁴¹ Friedensverträge dienten damit nicht der Auflösung lehnsrechtlicher Bindung zugunsten von klaren Grenzdefinitionen. Sie belegen vielmehr den Versuch, sich auf einen befriedeten Raum zu einigen. Praktisch findet sich dieser Anspruch auch in den Formeln der Vertragsgarantie wieder, in der beide Herrscher für den Fall ihres Friedensbruches bestimmte, namentlich genannte Untertanen von ihren Eiden entbanden. Die Unterstützung im Sinne von „consilium“ und „auxilium“ hatten diese dann dem Gegner zu leisten. Eine potentielle Auflösung bzw. Änderung lehnsrechtlicher Bindungen fand damit ihre rechtliche Begründung im Vertragstext. Weitgehend unabhängig vom Herrschaftsgebiet sollte entsprechend auch der Handel in dem befriedeten Gefüge ablaufen können. In Konfliktzeiten waren Handelseinschränkungen, wie das Beispiel Tournais gezeigt hat, als Grundlage des Leides der Bevölkerung beschrieben worden. Im Zuge der Wiederherstellung des „bien commun“ sollte der Handel nun nicht nur gefahrlos, sondern auch ohne administrative Einschränkungen⁵⁴² zwischen den Untertanen, ohne gesonderte Geleitvereinbarungen vonstatten gehen können.⁵⁴³

541 Vgl. zu der Problematik der Grenzziehung und Grenzdefinition im Mittelalter Bock [u. a.], Faktum, wie Anm. 62. Zur Mehrfachvasallität Jäschke, Kurt-Ulrich: Mehrfachvasallität in Grenzre­ gionen – ein Forschungsdesiderat? In: Granice i pogranicza. Jezyk i historia. Hrsg. von Stanisław Dubisz u. Alicja Nagórko. Warschau 1994, S. 65–117. Zum Fall der geteilten Souveränität durch die Belehnung Karls V. durch seinen kaiserlichen Onkel Karl IV. mit der Dauphiné Weiß, Stefan: Das Papsttum, Frankreich und das Reich. Die Goldene Bulle und die Außenpolitik Karls IV. In: Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption. Hrsg. von Ulrike Hohensee [u. a.]. Bd. 2. Berlin 2009 (Berichte und Abhandlungen. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Sonderband 12), S. 920–925. Zu René von Anjou und dem Versuch die Zugehörigkeit Lothringens zum Reich zu sichern Stollberg-Rilinger, Barbara: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches. München 2008, S. 76–78. 542 Zu den wirtschaftlichen Vorteilen von Freundschaftsverträgen des 16. Jh. vgl. Foa, Jérémie: Gebrauchsformen der Freundschaft. Freundschaftsverträge und Gehorsamseide zu Beginn der Religionskriege. In: Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Hrsg. von Klaus Oschema. Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), S. 127. 543 Die Sicherstellung des Handels galt nicht nur auf dem Land, sondern auch auf Flüssen und dem Meer. Bereits im Spätmittelalter war die Frage der Gewässernutzung ein logistisches Kriterium der Handelsbeziehungen. (Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 305–306, § 15, § 29.) Auch Lesaffer hebt die Bedeutung des Handels im Zusammenhang von Frieden und Freundschaft am Beispiel des Vertrages von Etaples hervor: „What ‚peace and friendship‘ entailed was quite well elaborated in the peace instrument of Etaples: the immediate cessation of hostilities (Article 2), free movements of persons and goods under the protection of the law in one another’s territories, without having to

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Zur Überwachung des reibungslosen Handels benannten beide Vertragspartei­ en als conservateurs des Friedens für Märkte und Bezirke jeweils ortsansässige Beamten, die von beiden Seiten namentlich genannt und im Vertrag aufgeführt wurden.⁵⁴⁴ Ihre Zuständigkeit lag in der sofortigen Umsetzung der Reparations­ leistungen. Wenn diese auch der Oberhoheit des souveränen Gerichtes unterstellt wurden, war ihren Beschlüssen zunächst Folge zu leisten.⁵⁴⁵ Exemplarisch für die Umsetzung dieser Regelung ist der Befehl Engelberts von Nassau als General­ einnehmer von Flandern, die Steuerlasten in der kriegsgeplagten burgundischen Grenzregion zu mildern sowie zerstörte Deiche und Schleusen wieder herzurichten, um die vertraglich im Zuge der Reparationsleistungen vorgesehene Heimkehr abgewanderter Einwohner auch für diese selbst attraktiv zu gestalten.⁵⁴⁶ Zusammenfassend dienten diese Regelungen der schnellen und praktischen Wiederherstellung des Wohls der Untertanen, welchem beide Herrscher gleicherma­ ßen und über den Rechtsweg⁵⁴⁷ verpflichtet waren. Dieser allumfassende Anspruch wurde auch im Vertragstext ausgedrückt, so betrafen die Regelungen alle und wurden an keinerlei Bedingungen geknüpft. Sie basierten vielmehr auf dem wie­ derhergestellten, eben als Freundschaft bezeichneten Normalzustand zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern. Greifen konnten die vertraglichen Regelungen aber nur, wenn sie auch ein reales Abbild der gegenwärtigen politischen Situation darstellten. Dies lässt sich am Beispiel der Handelsfreiheit verdeutlichen, deren alleinige vertragliche Be­ kräftigung an sich noch keine Wirkung zeigen musste, wie das Beispiel der Stadt Tournai deutlich gemacht hatte. Letztlich bot die inhaltliche Offenheit und In­ terpretierbarkeit des Vertragstextes immer die Möglichkeit, diesen faktisch und argumentativ auszuhebeln.

pay any special taxes and tolls (Articles 3–4), the promise not to harm one another (Article 5) and the exclusion of general reprisals (Article 9).“ Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 50. Brisant und von gesteigerter, globaler Bedeutung wird der völkerrechtliche Status des Meeres mit der Entdeckung Amerikas und der Erschließung neuer Seewege nach Indien. Zu den publizistischen Debatten darüber Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 189ff Insbesondere galt dies auch für die Händler und andere Untertanen der Stadt Arras, die während der Belagerung nicht in der Stadt waren. Diese sollten jetzt zu ihren Gütern zurückkehren und ihren Handel weiter betreiben. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 306, § 30. So auch die Bürger der neutralen Stadt St. Omer. Ebd., § 31. 544 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 307, § 41. 545 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 308, § 43. 546 Delepierre, Octave (Hrsg.): Chronique des faits et gestes admirables de Maximilien I. durant son mariage avec Marie de Bourgogne. Brüssel 1839, S. 454–461. 547 Für die Umsetzung der Restitutionen seien Richter vor Ort jeder Partei zuständig. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 306, § 22.

134 | 4 Festschreibung des Friedens: Von Arras (1482) bis Senlis (1493) 4.4.7 Eid und Ratifikation Der Charakter vormoderner Verträge und das, was man als „Völkerrecht“ bezeich­ nen könnte, verdeutlicht sich in konzentrierter Form in den vertragsgarantieren­ den Regelungen. Weniger ein „Völkerrecht“ als ein Pluralismus verschiedener Rechtsbereiche machen das Wesen dieser Bestimmungen im Spannungsfeld von Kirchenrecht, römischem Recht, Lehnrecht und Gewohnheitsrecht aus. Als verbindendes Konzept lässt sich das wechselseitige Vertrauen anführen. Sowohl der Eid als auch die Ratifikation erfolgten bona fide. Dieser Grundsatz verbindet und impliziert gleichermaßen das Vertrauen in personelle Verbindungen wie auch das Vertrauen, welches auf einem gemeinsamen religiösen Glauben beruht, der seinen symbolisch-rituellen Ausdruck im Akt des auf das Evangelium zu leistenden Eides fand.⁵⁴⁸ Als konstitutive Elemente enthält auch der Vertrag von Senlis den Hinweis auf die von den Vertragspartnern zu leistenden Ratifikationen und Eide.⁵⁴⁹ Der Eid band nicht nur die Vertragspartner, sondern auch ihre Nachfolger und Herrschafts­ gebiete, womit der Vertrag praktisch auf eine generationsübergreifende Dauer gestellt wurde. Wie die Argumente zur Kriegsbegründung belegt haben, standen der Eid und dessen potentieller Bruch in engem Zusammenhang mit zeitgenössischen Ehrkonzepten. Auf den drohenden Ehrverlust im Falle eines erneuten Kriegsausbru­ ches oder nicht fristgemäß durchgeführter und veranlasster Reparationsleistungen, verweist der Vertrag von Senlis explizit. Notorischen Friedensbrechern würde dieser Ruf anhaften, mahnt der Text.⁵⁵⁰ Die soeben wiederhergestellte Ehre der beiden Herrscher wurde damit konkret an die genaue Einhaltung der Vertrags­ artikel geknüpft. Der Eidende verpflichtete sich also gleichsam auf die Wahrung des Friedens wie auf die praktische und vor allem rechtliche Organisation des Friedenszustandes⁵⁵¹ Wie diese zumindest theoretisch aussah, belegen die entsprechenden Artikel. Ist der Eid als obligatorischer und formal konstanter Bestandteil von Vertrags­ schlüssen zu nennen, werden strukturelle Differenzen der Herrschaftsgefüge in den 548 Weinfurter, Stefan: Lehnswesen, Treueid, Vertrauen. Grundlagen der neuen Ordnung im hohen Mittelalter. In: Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellen­ befunde – Deutungsrelevanz. Hrsg. von Jürgen Dendorfer u. Roman Deutinger. Ostfildern 2010 (Mittelalter-Forschungen 34), S. 449; Söller, Alfred: Bona fides – guter Glaube? In: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 122 (2005), S. 1–61. 549 Dazu Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 22–29. 550 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 307, § 38. 551 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 304–307, § 37, § 4. Was vertraglich nicht geregelt werden konnte, sollte entweder durch das Band der Liebe oder durch das Recht, nicht aber anders zu regeln sein.

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institutionellen Ratifikationsmethoden abgebildet. Dem Usus des 15. Jahrhunderts entsprechend erfolge der Vertragsschluss nach dem zusammengesetzten Verfah­ ren,⁵⁵² welches die Aushandlung des Textes durch Unterhändler und die spätere Ratifikation der oft nicht anwesenden Vertragspartner vorsah. Da Karl VIII. in Senlis persönlich vor Ort war, erfolgte seine Ratifikation unmittelbar nach Vertragsschluss. In schriftlicher Form verpflichtete sich dieser, „par bonne foi“ und „en parole de Roi“, den Vertrag unbrüchig zu halten sowie dessen Registrierung beim parlement de Paris und die Veröffentlichung und Verifizierung durch die dortigen Räte und Richter zu veranlassen.⁵⁵³ Maximilian bestätigte in seiner Ratifikation die gesie­ gelten „lettres patentes“ seines Bruders und Cousins, des französischen Königs, erhalten zu haben und legitimierte nachträglich die Aushandlung und Beeidung des Vertrages durch seine Unterhändler. Im Anschluss findet sich ebenfalls die Selbstverpflichtung „par bonne foi en parole de roy“, es fehlt jedoch der Verweis auf die institutionelle Registrierung des Vertragstextes, welche in der französischen Ratifikation an zentraler Stelle nochmals erwähnt wurde und schon zuvor Eingang in den Vertragstext selbst genommen hatte, wo sie in einem eigenen Artikel geregelt und festgelegt wurde.⁵⁵⁴ Wie üblich verweist schon der in Senlis abgefasste Vertrag in seinen Artikeln auf die gewünschten Modi der späteren Ratifikation. Die institutionelle Bestätigung⁵⁵⁵ sollte durch die Registrierung im parlement de Paris im Beisein des „procureur“ und in der „chambre des comptes“ erfolgen. Von Seiten Maximilians und Philipps war selbiges zu leisten vom „grand conseil“ in Anwesenheit des „procureur gé­ nérale“ und in der „chambre des comptes“ von Lille. Das Reich wurde hingegen in den Vertrag nicht institutionell eingebunden. Wie schon die Vorjahre gezeigt hatten, handelte es sich noch immer um einen Erbschaftskonflikt zwischen den beiden Herrschern und deren Familien, der nun, ohne die Beteiligung des Reiches, vertraglich beendet wurde. Bemerkenswert sind hingegen die genauen Vorgaben zur Registrierung des Vertragstextes im Pariser Parlament. Für spätere Fragen, also konkret für spätere Rückgriffe auf den Vertragstext, sollte der Vidimus einen Ausschnitt der Artikel enthalten. Diese Praxis und auch die spätere Benutzung der Vertragstexte war durchaus üblich, wie bereits die schriftlichen Abhandlungen der 1470er Jahre

552 Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, wie Anm. 10; Steiger, Hein­ hard: Art. Vertrag (staatsrechtl.–völkerrechtl.) In: HRG. Hrsg. von Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann. Bd. 5. Berlin 1998, S. 842–852. 553 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 308. 554 Ratifikation Maximilians HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 134. Unvollst. HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 98. 555 Vgl. dazu Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 46–47.

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belegt haben. Neu ist die Tatsache, dass nun die spätere Verwendung der Artikel explizit in den Ratifikationsformeln Karls VIII. mitgedacht wurde.⁵⁵⁶ Die Vertragsregistrierung gehörte neben der herrscherlichen Beeidung und Ratifikation zum festen Bestandteil französischer Vertragsdiplomatie, der sich bereits in den Abkommen des Hundertjährigen Kriegs in ausgeprägter Form belegen lässt.⁵⁵⁷ Für den römisch-deutschen König als Vertragspartner schien das Pendant, die Erfassung in Lille, hingegen nicht obligat zu sein. Schon die Ratifikations­ formel erwähnt die Registrierung nicht mehr. Den Verwaltungsakt des Pariser Parlaments hingegen, der formelhaft als „lecta, publicata & registrata Parisii in parlamento“⁵⁵⁸ bestätigt wurde, ließ Maximilian durch den Anwalt Pierre Michon vor Ort kontrollieren. Ersichtlich wird dadurch, welche Relevanz dem Vorgang auch von Habsburger Seite zugedacht wurde.⁵⁵⁹ Im Folgenden wird die Entwicklung der Ratifikation speziell in Relation zu den institutionellen Ausgestaltungen des Reiches berücksichtigt werden müssen. Neben der institutionellen sowie eidlichen Vertragsbestätigung lässt der Ver­ tragstext aber noch auf eine weitere Form der Ratifikation schließen, die Lesaffer als Co-Ratifikation beschreibt. Es handelt sich bei diesem Element um ein Garantie­ versprechen ausgewählter und einflussreicher Untertanen und Städte, welche für den Fall eines Vertragsverstoßes oder nicht fristgerecht geleisteter Restitutionen von ihren Eiden entbunden werden sollten, um der Gegenseite Hilfe zu leisten.⁵⁶⁰ Die entsprechenden Verpflichtungen finden sich in separaten Schreiben. Mit dem Hinweis auf das Wohl des Friedens band sich beispielsweise die Stadt Arras an die Einhaltung des Vertrages. Auf einer repräsentativen Versammlung war von den Ver­ tretern der Stadt gleichsam beschworen worden, dass im Falle des Vertragsbruches Maximilian und Philipp die Hilfe zu entziehen sei.⁵⁶¹

556 Wie Randall Lesaffer betont, soll die Tatsache der institutionellen Ratifikation zwar nicht anachronistisch als moderne Ratifikation durch eine Legislative bewertet werden, könnte jedoch als erster Schritt hin zur Staatsvertraglichkeit gesehen und angenommen werden. Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 47. 557 Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 252–255. 558 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 308. 559 Aubert, Félix: Histoire du Parlement de Paris de l’origine à François Ier . 1250–1515. 2 Bde. Paris 1894, Bd. 1, S. 353. In den Registern der Rechnungskammer findet sich kein Hinweis auf die Vertragsregistrierung. 560 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 307, § 39. Vgl. exemplarisch das Versprechen des Philippe de Bourgogne, Seigneur de Beures in: Münch, Margaretha von Österreich, wie Anm. 321, S. 408ff. Dort auch weitere Stücke. 561 „. . . nous en ce cas serons tenus et avons promis d’abandonner et delaisser nosdits seigneurs et chacun d’eux, et devrons audit cas faveur, aise, et assistance a icelui roi tres-chretien . . . ansi que nosdits seigneurs par leurdites lettres nous ont commandé et ordonné ce faire . . . et a ce fin,

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Auch wenn die Herrscher als Vertragspartner auftraten, wurden die Unter­ tanen auf der Grundlage ihrer lehnsrechtlichen Bindungen zum funktionalen Bestandteil der Vertragsgarantie und entsprechend von den Vertragspartnern dazu aufgefordert, ihre Vertragseinhaltung schriftlich zu garantieren.⁵⁶² Neben dem symbolischen Aspekt ist sicher auch der praktische Nutzen dieser Regelung nicht zu verkennen, handelte es sich wie im Fall des Vertrages von Senlis um Untertanen der jeweiligen Konfliktregionen, welchen, vor Ort ansässig, die Friedenswahrung oblag. So bildete faktisch ein Netz von multilateralen, personellen Verpflichtungen die Grundlage eines friedenstiftenden Vertrages. Auch wenn es sich de facto um einen Herrschaftsvertrag handelte, wurde dessen Exekution auch von unten her gedacht.⁵⁶³

4.4.8 Exekution des Friedens Die Konflikte der folgenden Jahre zeigen den konkreten Umgang mit dem vertraglich festgelegten Friedensgerüst. Trotz des dicht gesponnenen Netzes aus Verpflichtun­ gen und Verbindlichkeiten war der Vertrag von Senlis nicht die endgültige Zäsur des burgundischen Erbkonfliktes. Seine Exekution bedurfte vielmehr weiterer Aushandlungs- und Einigungsversuche, basierend auf dem Vertragswerk von 1493. Diese sollen aber im Folgenden weniger als Indiz für eine defizitäre Vertragspra­ xis, sondern im Hinblick auf die diskursiven, personellen und institutionellen Möglichkeiten der Vertragsexekution betrachtet werden. Eine Instruktion im Namen Philipps und Maximilians gibt Aufschluss. Zur Einforderung der Grafschaft Artois sowie der Städte Hesdin, Aire und Béthune wurde eine Gesandtschaft um Monseigneur de Bèvres, den Statthalter und General­ kapitän der Artois, welcher vertraglich sowohl als „conservateur“ als auch zur Co-Ratifikation aufgeführt worden war,⁵⁶⁴ für Verhandlungen mit den Gesandten

esdits cas de contravention et rupture nous ont tenus et tiennent dechargez desdits sermens que nous leur devrons . . . .“ 26. August 1493. ADN, B 363, 16448. 562 Vgl die Aufforderung Karls VIII. an die Stadt Tournai vom 12. November 1494. Pélicier, Lettres de Charles VIII, roi de France, publiées d’après les originaux, wie Anm. 402, Bd. 4, S. 116, Nr. 819.). Sowie für die Gegenpartei die Aufforderung Philipps an den grand bailli des Hennegau. Gachard, Lettres inédites, wie Anm. 270, Bd. 2, S. 76–77. 563 Bemerkenswert ist, dass die Aufforderung der Vertragseinhaltung an die Untertanen bereits vor der Ratifikation Maximilians, die erst am 18. Dezember 1493 erfolgte, datiert. Vgl. eine Abschrift der Ratifikationsurkunde HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 89–97. 564 Weiter setzte sich die Gesandtschaft zusammen aus: Seigneur d’Aymeries, Grand Bailli vom Hennegau, Seigneur de Maigny, Präsident des Großen Rats von Burgund, Seigneur de Vornselle,

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des französischen Königs in Amiens instruiert.⁵⁶⁵ Von einer reibungslosen Durch­ setzung der Abmachungen von 1493 wurde aber offenbar nicht ausgegangen. Es bestanden schon vorab grundsätzliche Zweifel, ob den Gesandten um de Bèvres überhaupt das Recht zur Einberufung der Stände zugestanden würde. Zudem war es unklar, wie handlungsfähig die französischen Unterhändler aufgrund ihrer Vollmachten sein würden.⁵⁶⁶ Die Instruktion erhellt dann die konkreten Vorstellungen von der praktischen Umsetzung der Gebietsabtretung. Gegen Ende des Tages von Amiens sollte den Ständen der Artois im Idealfall die erfolgreiche Lösung ihrer Eide vom französischen König und vom Herzog von Luxemburg verkündet werden, damit anschließend die neue eidliche Bindung an Herzog Philipp hergestellt und durch die Übergabe von Urkunden besiegelt werden konnte.⁵⁶⁷ Die gleiche Instruktion beinhaltete neben der Gebietseinforderungen eine vorzulegende Beschwerde über den Friedensbrecher Robert von der Marck, der sich durch kriegerische Übergriffe, vor allem auf Gebiete des Herzogtums Luxemburg, schuldig gemacht hatte und damit die vertraglich vereinbarte Friedenswahrung verletzte. Explizit richtete sich die Kritik damit gegen die Herren von Bourbon, Orval und Granville, die auf schriftliche Beschwerden über den Friedensbrecher nicht reagiert hatten. Aufgrund des durch den Vertrag von Senlis hergestellten Verhältnisses befände sich der französische Vertragspartner nun in der Pflicht, in diesem Konflikt die Seite Philipps zu stärken und ein gerichtliches Vorgehen zu veranlassen.⁵⁶⁸ Der Vertrag von Senlis diente hier als Folie, vor der einerseits weiter disku­ tiert, auf deren Grundlage andererseits aber auch Rechte beansprucht wurden. Dies impliziert jedoch nicht, dass es dadurch zwangsläufig zu einer Durchset­

Präsident von Flandern, Seigneur de Forest, Statthalter von Arras, Maitre Estrienne Thiart, Richter von Charolais, und Maitre Jean de Sauvage sowie Maitre Florens Haubbel als Sekretär. 565 ADN, B 364, 17819; Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495. Bearb. von Heinz Angermeier. Bd. 5,1,1. Göttingen 1981 (im Folgenden zit. als RTA MR, 5,1,1), S. 169–174, Nr. 97. 566 ADN, B 364, 17819, wie Anm. 565; RTA MR, 5,1,1, S. 170–174, Nr. 97. 567 ADN, B 364, 17819, wie Anm. 565; RTA MR, 5,1,1, S. 170–174, Nr. 97. 568 RTA MR, 5,1,1, S. 170–174, Nr. 97. Vgl. parallel dazu die Bestimmung zum Landfrieden im Reich z. B. die Artikel des Augsburger Reichstagsabschiedes des Jahres 1500 bei Schmauß, Johann Jacob (Hrsg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kaiser Konrads II. bis jetzo (1736) auf den teutschen Reichs-Tagen abgefasset worden. 4 Bde. Frankfurt/M. 1747, Bd. 2, S. 63–91. Vgl. auch Carl, Horst: Landfrieden als Konzept und Realität kollektiver Sicherheit im Heiligen Römischen Reich. In: Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter. Hrsg. von Gisela Naegle. München 2012 (Pariser historische Studien 98), S. 121–138.

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zung der Ansprüche kommen musste. Vielmehr wurde der Grundstein für weitere Aushandlungen im vertraglich gesteckten Rahmen gelegt. Die Reaktion des französischen Königs muss daher differenziert betrachtet werden. Einmal erfolgte der Befehl Karls VIII. an Pierre von Bourbon, sich der Klage über den Friedensbruch des Robert de la Marck anzunehmen und einen entsprechenden Schadenersatz zu leisten. Der französische König wünschte auf keinen Fall eine Verletzung des Vertrages.⁵⁶⁹ Diese Aussage ist sicher vor dem Hintergrund des geplanten und am Abkommen von Senlis hängenden Italienzuges zu bewerten.⁵⁷⁰ Weitaus schwieriger gestaltete sich die Gebietsrückstellung an Philipp, was sich erst in den Nachklängen des Tages von Amiens manifestiert. Wie sich aus einer Anmerkung des burgundischen Gesandten de la Forest⁵⁷¹ gegenüber dem Venezianer Contarini ergibt, hätten die diesbezüglichen Diskussionen leere Worte, aber keine Tatsachen geschaffen.⁵⁷²

4.4.9 Zusammenfassung Die politische Ausgangslage hatte sich in den Jahren zwischen den Friedensschlüs­ sen von Arras und Senlis verändert. Maximilian als römisch-deutscher König begann die Konflikte mit Frankreich aktiv ins Reich zu tragen. Nach dem Tod der princesse naturelle von Burgund wurde seine „Fremdheit“ in den beanspruchten Gebieten diskursiv stark und zu einem Kernaspekt der französischen Propaganda gemacht. Vice versa schürte der römisch-deutsche König im Reich die Stimmung gegen den drohenden Wegfall Burgunds in „fremde“, französische Hände. Die Unterschiede der Verfassungsgefüge Reich und Frankreich wurden in diesem Zusammenhang erstmals artikuliert oder zumindest greifbar. Sie traten hervor in der Weigerung Maximilians, sich dem von den Flandern geforderten Rechtsspruch des parlement de Paris zu stellen, oder in den propagandistischen Ausführungen des französischen Königs, die sich eindeutig von den verfassungsge­ 569 „[J]e ne voudrois pour rien contrevenir au traité de la paix, mais celuy conserver, garder et entretenir de tour mon pouvoir . . . et si ledict messire Robert a fait au contraire, il m’en displaît. . . . et qu’il ait à reparer ce quil a fait . . . .“ Pélicier, Lettres de Charles VIII, roi de France, publiées d’après les originaux, wie Anm. 402, Bd. 4, S. 252–253. 570 Schmid, Peter: Die Reformbeschlüsse von 1495 und ihre politischen Rahmenbedingungen. In: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451–1527). Hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln [u. a.] 2003 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 45), S. 122–123. 571 Philipp Le Jeune, Seigneur de Forest et de Contay. 572 RI XIV,2, n. 4040a.

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mäßen Umwälzungen der Reichsreform distanzierten. Umstrittene Grenzen wurden an dieser Stelle zumindest diskursiv generiert und verstärkt. Das Reich selbst avancierte bis 1493 zum Verhandlungsort des Erbkonfliktes, wobei die Reichsstände als Akteur aktiv eingebunden wurden. Die Appelle beider Parteien richteten sich unmittelbar an ihre Versammlung, welche schließlich bei der Abfassung einer Vertragserneuerung allein das Forum bot, nicht aber aktiv in die Aushandlung und Textfassung eingebunden wurde. Wenn auch von französischer Seite eine Integration der Reichsstände in die Urkundenartikel von 1489 befördert wurde, fanden diese dort keine Erwähnung. Der baldige Bruch des Abkommens bot den Reichsständen folglich wenig Handlungsbedarf und die Kriegswerbung des römisch-deutschen Königs musste sich an die vorherrschenden Interessen anpassen. Nicht die Ehre oder Hausmacht des Königs, sondern die in Zeiten der Reichsreform tragenden Argumente zur Wahrung des Reichswohls kamen zur Anwendung. Wenn sich der Konflikt nun diskursiv und örtlich verlagerte, ergänzen sich mit den Verträgen von Arras und Senlis zwei Abkommen, welche funktional immer noch an das System des burgundischen Herrschaftsgebietes gekoppelt blieben. Die lokalen Kräfte fungierten nicht nur formal als Garanten der Abkommen, ihnen unterlag auch die praktische Exekution des Friedens. Inwiefern diese letztlich von Erfolg gekrönt war oder der Vertragsgrundlage entsprach, hing freilich immer noch am Willen der Herrscher selbst. Gebietsabtretungen erwiesen sich konsequenter Weise als konfliktreicher als die Abmahnung singulärer, lokaler Friedensbrecher. Als Vertragspartner standen sich in den Abkommen bis 1493 stets die in ihrem eigenen Namen handelnden Souveräne gegenüber,⁵⁷³ auch wenn die Einfluss­ nahme insbesondere der flandrischen Stände in Arras nicht übersehen werden kann. Neben der Vertragssicherung durch personelle oder institutionelle Co-Rati­ fikationen waren in Arras und Senlis familiäre und freundschaftliche Bindungen zwischen den Herrschern zur Sicherung des Friedens hergestellt und geregelt worden. Die Idealvorstellung eines finalen Friedens der gesamten Christenheit wurde als Leitmotiv französischer Königsherrschaft zwar in den Vertrag von Senlis integriert, seine Durchsetzung und Wahrung musste allerdings lokal vollzogen und durch die einzelnen Artikel geregelt werden. Der Papst erfüllte hier keine auf den Vertrag bezogene Richterposition. Ihm wurde im Nachgang des Vertra­ ges von Arras nicht die Auflösung des Abkommens, sondern nur die Ehedispens angetragen.

573 Dazu Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 17–19.

4.4 Annäherung durch Waffenstillstand und Vertragsschluss von Senlis |

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Die Pluralität der Rechtsvorstellungen lässt sich exemplarisch in der Neuord­ nung der Besitzverhältnisse erfassen. Diese ließen sich durch Mitgift, Gefolgschafts­ versprechen und über die jeweilige Gerichtsbarkeit verschieben. Eine Grenzziehung musste insbesondere durch die Heterogenität der Gefolgschaftsversprechen und etwaige Mehrfachvasallitäten immer dem jeweiligen Blickwinkel unterworfen bleiben.⁵⁷⁴ Speziell die Frage der Vasallität wird in den Konflikten der kommenden Jahre zum zentralen Streitpunkt zwischen den Mächten. Wie sich dessen vertragli­ che Beilegung von jener des Erbschaftskonfliktes unterschied, wird vor allem vor dem Hintergrund reichsinterner Reformergebnisse zu eruieren sein.

574 Speziell in Flandern wird die Lehnsherrschaft Maximilians nicht anerkannt. Die Konflikte münden immer wieder in Aufständen. Die von Maximilian beanspruchte Herrschaft wird folglich von den Untertanen nicht getragen, anders als jene Philipps, welche über den Weg der Integration partiell möglich wird.

5 Reformreichstage als Zäsur? 5.1 Italien als neuer Konfliktherd Bekanntlich war mit dem Vertrag von Senlis die Grundlage für den Italienzug Karls VIII. gelegt worden. Der florentinische Gesandte Francesco délia Casa berichtet dem Piero de Medici von der Unsicherheit der Ratifikation des Friedens von Senlis, von dem letztlich das Unternehmen gegen Neapel abhänge.⁵⁷⁵ Seit 1494 stellten die französischen Könige Karl VIII. und später Ludwig XII. Maximilian I. vor die Herausforderung militärischer Interventionen in Italien. Im Zentrum des Interesses lag die Durchsetzung französischer Erbansprüche auf Neapel und Mailand, welche in einem Machtkonflikt der europäischen Mächte münden sollte. Ferdinand von Aragon führte seine Anwartschaft auf Neapel auf Alfonso V. zurück und trat damit in einen Interessenskonflikt mit Karl VIII. und später Ludwig XII. Zudem hatten die französischen Könige mit Mailand ein Reichslehen ins Visier genommen. Im April des Jahres 1500 nahm Ludwig XII. Herzog Ludovico Sforza gefangen und forderte für sich selbst die Belehnung mit Mailand durch den römisch-deutschen König, deren Durchsetzung die Konflikte und Verträge der kommenden Jahre prägen sollte.⁵⁷⁶ In Zeiten innenpolitischen Reformdrucks musste Maximilian nun auch Reichsrechte in den italienischen Kammergütern und Lehen bewahren und seinen Herrschaftsanspruch zur Geltung bringen. Die Bindung Oberitaliens an das Reich war vor allem lehnsrechtlicher Natur. An den maßgebliche reichsständisch geprägten Institutionen wie dem Reichstag partizipierten die italienischen Reichsvasallen ebenso wenig wie an der Reichsre­ gierung. Bis in die Neuzeit wurde allerdings jener Grundkonsens gewahrt, der auch in den Debatten um die Mailänder Belehnung Ludwigs XII. aufrechterhalten blieb und von reichsständischer wie königlicher Seite artikuliert wurde: Die Reichsrechte in Italien sollten bewahrt bleiben.⁵⁷⁷

575 Canestrini, Giuseppe u. Desjardins, Abel (Hrsg.): Négociations diplomatiques de la France avec la Toscane. Paris 1859, Bd. 1, S. 265–266. 576 Mallet, Michael u. Shaw, Christine: The Italian Wars 1494–1559. War, state and society in Early Modern Europe. Harlow 2012; Steiger, Heinhard: Völkerrecht versus Lehnsrecht? Vertragliche Regelungen über reichsitalienische Lehen in der Frühen Neuzeit. In: L’Impero e l’Italia nella prima età moderna. Das Reich in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Matthias Schnettger u. Marcello Verga. Berlin 2006, S. 115–128. Aus frühneuzeitlicher Perspektive Winterhager, „Verrat“ des Reiches, wie Anm. 388, S. 18–27. 577 Schnettger, Matthias: Das Alte Reich und Italien in der Frühen Neuzeit. Ein institutionenge­ schichtlicher Überblick. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 79 (1999), S. 344–420. DOI 10.1515/9783110493115-005

5.1 Italien als neuer Konfliktherd |

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Für die Vertragsschlüsse bis zur Liga von Cambrai 1508 richtet sich das Augen­ merk hier besonders auf die Interessen und Handlungsspielräume der Reichsstän­ de. Ihre Beteiligung insbesondere an der herrscherlichen Vertragspolitik war in den vergangenen Jahren von französischer Seite gefordert und gefördert worden. Spätestens seit Worms hatten die Stände mit dem Reichstag ein Forum ihres in­ stitutionalisierten Auftretens gefunden. Welches Potential der Reichstag für die grenzübergreifenden Mitwirkungsansprüche haben sollte, wird zu zeigen sein. Die stets als partikular zu denkende Interessenlage im Reich wird dann abschließend anhand des Ligaschlusses von Cambrai herausgearbeitet werden.

5.1.1 Das Wissen über den Anderen: Reichsreform als europäisches Phänomen Auf dem Reformreichstag zu Worms verdichteten und überlagerten sich 1495 die Ereignisse, sodass eine neue Beobachtungsgrundlage für die deutsch-französi­ sche Vertragspolitik der kommenden Jahre gelegt wurde. Mit dem Vordringen des französischen Königs in Italien bahnte sich ein Konflikt an, der auch die Reichs­ stände als Bewahrer der Reichsrechte involvieren sollte und deren Beteiligung an Vertragsschlüssen implizieren wird. Zeitgleich und im Wechselspiel mit der Italienproblematik haben die ständischen Reforminteressen im ersten sogenannten Reichstag ihre institutionalisierte Organisationsform des neuen dualistischen Prinzips gefunden. In einem Ewigen Landfrieden, der Reichskammergerichtsord­ nung, der Forderung eines Reichsregimentes, den Ansätzen einer Handhabung des Friedens und des Rechts und der Einführung einer Reichssteuer – des Gemeinen Pfennigs – verdichteten sich die Debatten der vergangenen Jahren zu ersten, wenn auch nicht in jedem Fall dauerhaften Ergebnissen.⁵⁷⁸ Hinsichtlich einer zukünftigen, ihrem Wesen nach zwangsläufig auch institu­ tionell geprägten Vertragspolitik zwischen Reich und Frankreich soll hier einleitend der Frage nach der Fremdwahrnehmung französischer Institutionen und deren etwaiger Vorbildfunktion nachgegangen werden. Welche Rolle kam den divergen­ ten französischen Strukturen im Umfeld der Reichsreformvorstellungen zu? Und andersherum: Wie wurde das Reich von außen wahrgenommen? Die Frage nach der Vorbildfunktion des westlichen Nachbarn ist von der For­ schung immer wieder gestellt worden. Im 15. Jahrhundert hatte sich in Frankreich ei­ ne Zentralmonarchie verfestigen und das parlement de Paris als oberstes Berufungs­

578 Schmid, Reformbeschlüsse, wie Anm. 570, S. 117; Tischer, Alte Ordnung, wie Anm. 60, S. 44–36. Allgemein zur Reichsreform und deren Bewertung in der neueren Forschung vgl. Krieger, Reichsreform, wie Anm. 55. Immer noch als Standardwerk zur Reichsreform vgl. Angermeier, Reichsreform, wie Anm. 60.

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gericht etablieren können.⁵⁷⁹ Die Einflüsse des französischen Verfassungsgefüges auf inhaltliche und formale Aspekte vertraglicher Regelungen wurden Maximilian und seinen Unterhändlern während der Abkommen des burgundischen Erbschafts­ streites sichtbar gemacht. Mit der Vorstellung eines „historischen Erinnerns und Ar­ gumentierens“⁵⁸⁰ lässt sich die Vorbildfunktion Frankreichs aber nicht in Einklang bringen. Die dortige, tendenzielle Beschneidung ständischer Freiheiten im Zuge der Etablierung einer Zentralmonarchie widerspricht den Interessen der ständischen Reformparteien, die sich, so der bekannte Stand der Forschung, zwar durch die Ziel­ setzung der Ordnungsstiftung auszeichneten, deren innovativer Charakter aber we­ der intendiert, noch reflektiert wurde. Anuschka Tischer sei hier in dem Maße zuge­ stimmt, dass mit den pluralistischen Reformbestrebungen sicher keine Etablierung eines Ordnungsgefüges nach französischem Vorbild intendiert worden war. Weder aus den literarischen Zeugnissen noch aus den politischen Diskursen geht dies in prägnantem Maße hervor. Trotzdem kann ein Wissen über das französische Ord­ nungs- und Verfassungsgefüge vorausgesetzt werden, welches insbesondere in den frühen Reformschriften gelegentlich rezipiert wurde. Auch wenn sich diese Rezepti­ on auf theoretischer Ebene abspielte, gibt diese doch Einblicke in einen „kollektiven Denkprozess“,⁵⁸¹ in welchem der Zusammenhang zu unter anderem französischen Institutionen, insbesondere zum parlement de Paris, durchaus hergestellt wurde. Ein Beispiel findet sich in Heinrich Tokes „Concilia“ von 1542 in der Forderung, ein einziges oberstes Reichsgericht mit festem Sitz in einer bestimmten Stadt, nach dem Vorbild von Frankreich, England oder Savoyen zu errichten.⁵⁸² Ein weiteres Beispiel liefert der Erzbischof Jakob von Sierck. In seiner Vorlage für die geistlichen Kurfürsten von 1453 heißt es: Item, das eyn gericht ordiniert werde, mit eyner nemlicher zale personen von allem stande, die stediß alle sachen ußrichten, im rechten, in glycher wyste als an dem perlament zu Paryß, als von alters dick gescheen ist, und man die forme davon noch woil findet.⁵⁸³

579 Autrand, Naissance, wie Anm. 368; Heckmann, Marie-Luise: Stellvertreter, Mit- und Ersatz­ herrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert. 2 Bde. Warendorf 2002 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 9). 580 Tischer, Alte Ordnung, wie Anm. 60, S. 48. 581 Märtl, Claudia: Der Reformgedanke in den Reformschriften des 15. Jahrhunderts. In: Reform von Kirche und Reich. Zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Hrsg. von Ivan Hlavácek u. Alexander Patschovsky. Konstanz 1996, S. 98. 582 Vgl. dazu Heimpel, Hermann: Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländi­ schen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel. 3 Bde. Göttingen 1982 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 52), Bd. 2, S. 858. 583 Weinrich, Quellen zur Reichsreform im Spätmittelalter, wie Anm. 452, S. 306.

5.1 Italien als neuer Konfliktherd |

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Wie Claudia Märtl betont, handelte es sich bei diesen und anderen Autoren des sogenannten Reformschrifttums bis auf wenige Ausnahmen um Gelehrte, welche aus dem Mittelpunkt des politischen Geschehens heraus formulierten, in welches sie als Diplomaten oder Gesandte eingebunden worden waren. So lassen sich auch Sierck und Toke als Teilnehmer des Basler Konzils von 1432 belegen.⁵⁸⁴ Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auswärtige, französische oder italienische, Strukturen zumindest im Kontext der Reformüberlegungen von den Akteuren rezipiert worden sind, welche über ihre Dienste in engem Kulturkontakt standen.⁵⁸⁵ Sicher hatte sich das politische Bild Ende des 15. Jahrhunderts gewandelt und auch das überlieferte Reformschrifttum entstammt jetzt dem Umfeld Maximilians. Der Traum des Hans von Hermansgrün⁵⁸⁶ stand bereits unter dem Leitgedanken des Italienfeldzuges. Eine Vorbildfunktion wäre den Franzosen als propagierten Friedensbrechern und Verletzern der Reichsrechte an dieser Stelle sicher nicht zugeschrieben worden. Dennoch wurde im Umfeld des Wormser Tages der Vergleich zur französischen Institutionalisierung artikuliert. Der veneziansiche Gesandte Zaccaria Contarini äußert sich als Augenzeuge des Reichstages und als aufmerksamer Beobachter eines Formierungsprozesses sowie von Debatten, die keine rechte Einigung zulassen wollten. Denn der König, so Contarini, wünsche ein Regiment, welches ihm durch Deutschland nachfolge, die Fürsten hingegen wollten einen festen Ort, ähnlich dem Parlament in Paris.⁵⁸⁷ Ob und inwiefern dieser Wunsch auch wirklich von ständischer Seite geäußert wurde, lässt sich nicht belegen. Von einer Besichtigung des obersten französischen Gerichtes durch eine Gesandtschaft des Reiches zeugt deren entsprechender Abschlussbericht aus dem Jahr 1500.⁵⁸⁸ Auch wenn sich keine konkrete Vorbildfunktion Frankreichs im Kontext der Reformgedanken abzeichnet, so muss zumindest von einer gewissen Kenntnis

584 Märtl, Reformgedanke, wie Anm. 581, S. 95–97. 585 Zum Kontakt mit fremden Kulturen Kintzinger, Martin: Curia und Curiositas. Kulturkontakt am Hof im europäischen Mittelalter. In: Konfrontation der Kulturen? Saladin und die Kreuzfahrer. Hrsg. von Heinz Gaube [u. a.]. Oldenburg [u. a.] 2005, S. 20–33. 586 Märtl, Claudia: Zum „Traum“ des Hans von Hermansgrün. In: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 257–264. 587 RTA MR, 5,2, S. 1762. Bericht vom 23. Juni 1495. 588 Vgl. dazu die Finalrelation der Gesandtschaft, die im Folgenden noch näher behandelt werden wird. HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, fol. 26r–27r. Zudem hatte die Gesandtschaft während der Verhandlungen die Kenntnis der Schriften Jean Gersons angeführt. Zu Gerson und französischen Reformbestrebungen vgl. Naegle, Cité, wie Anm. 200, S. 328ff. Über einen gemeinsamen Ausritt mit einem Doktor des parlement de Paris berichtet schon die Gesandtschaft um den Bischof von Augsburg aus dem Jahr 1481. ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 25, wie Anm. 208, fol. 9v–10r.

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französischer Strukturen und politischer Ideen ausgegangen werden, insbesondere bei jenen Gesandten und Diplomaten, die grenzübergreifende Kontakte pflegten. Welches Bild gab nun das Reich ab, das seine Ordnung in Worms nicht nur für und vor sich selbst, sondern gleichsam auch vor den auswärtigen Gesandten inszenierte, verhandelte und austarierte?⁵⁸⁹ Die Mailänder Belehnung, Kernstück deutsch-französischer Konflikte, wurde Ludovico Sforza in Worms unter Zustimmung der Kurfürsten zugestanden, um das Band zwischen Mailand und Reich enger und demonstrativ öffentlich zu knüpfen. Wer das Reich und die relevanten Handlungsträger waren, musste durch diesen Akt auch nach außen hin sichtbar werden.⁵⁹⁰ Folglich wird 1501 auch die Forderung einer kurfürstlichen Beteiligung an der Mailänder Belehnung des französischen Königs vertraglich festgehalten.⁵⁹¹ Die Szenerie, welche die Investitur Sforzas überschreiben sollte, bedurfte der gleichen Personenkonstellation. Das Mitspracherecht der Stände überschritt spätestens in Worms die Frage finanzieller Unterstützung. Als nicht monarchische Kräfte beteiligten sich diese bald im Kontext diplomatischer Vertretung und nahmen aktiv Einfluss auf die Gestaltung der Frankreichpolitik. Fünf Jahre nach dem Wormser Reichstag agierten Gesandte des Reiches als unparteiische Vermittler⁵⁹² zwischen römisch-deutschem und französischem König.⁵⁹³

589 Zu diesem Ansatz Stollberg-Rilinger, Alte Kleider, wie Anm. 541, S. 23–93. 590 Die Belehnung Ludovicos wurde dreimal und vor unterschiedlichem Publikum vollzogen. Dazu Stollberg-Rilinger, Alte Kleider, wie Anm. 541, S. 66–69. mit dem Hinweis zu RTA MR, 5,1,1, S. 281–304, Nr. 256–275. Die Belehnung selbst wurde mehrfach wiederholt und ist bereits für September 1494 belegt. Lünig, Johann Christian (Hrsg.): Codex Italiae diplomaticus, quo non solum multifaria investiturarum literae ab augustissimis romanorum imperatoribus Italiae principibus et proceribus concessae atque traditae, verum etiam alia insignia varii generis diplomata, tam edita quam multa anecdota, ipsos concernentia continentur, quae omnia collegit ac elencho indiceque reali instruxit. 4 Bde. Frankfurt/M. 1725–1735, Bd. 1, S. 484ff. Die Belehnungsurkunde aus Worms ebd., S. 494–498. Der spätere kurfürstliche Protest gegen die vermeintliche Erblichkeit des Lehens unter RTA MR, 5,1,1, S. 300–303, Nr. 273. 591 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16–17. Das Original ist nicht auffindbar. Weitere Stücke und Editionen in Böhmer, J. F., Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1499–1501. Bearb. von Hermann Wiesflecker [u. a.]. Bd. 3,1. Köln [u. a.] 1996–1998 (im Folgenden zit. als RI XIV, 3,1), n. 12570. Zu ergänzen noch eine spätere Abschrift: Ministerio de Cultura, AG Simancas: Estado Leg. K 1639. 592 „. . . daz wir als mitler der sach keiner parthey . . . “. HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 10v. Im selben Zusammenhang bezeichnen sich diese auch als „teydinger“. HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 15r. 593 Separat dazu ist die seit Worms belegte, rege Beteiligung der Kurfürsten an der Lösung der Geldernfrage zu betrachten. Die Räte des Erzbischofs von Köln agierten als Vermittler für einen Vertragsschluss zwischen Karl von Egmond und Maximilian, laut dem der Streit um die

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Nicht nur die Vertretung nach außen, auch die Einbindung der Reichsstände in die königliche Vertrags- und Bündnispolitik stand bereits in Worms zur direkten Disposition. Im März 1495 war zwischen Maximilian, Papst Alexander VI., Venedig, Mailand und Spanien die Heilige Liga gegen den französischen König geschlossen worden. Bis zum folgenden Jahr standen die Verhandlungen zur gemeinsamen Rüstung gegen Karl VIII. aus. Contarini und Benedetto Trevisano waren zu diesen diplomatischen Vorbereitungen sowie zur Ratifikation des Ligavertrages ins Reich entsandt worden, von wo aus Contarini als Augenzeuge des Wormser Reichstages berichtet.⁵⁹⁴ Der ständische Einfluss manifestierte sich jedoch nicht nur in den zähen Verhandlungen um die Geldhilfen, sondern konkretisierte sich in einer Beschwerde des Kölner Kurfürsten über den Ausschluss der Königswähler bei der Vereinbarung der Heiligen Liga.⁵⁹⁵ Die kurfürstliche Klage war von den auswärtigen Gesandten nicht überhört worden. Contarini berichtet über ein diesbezügliches Gespräch mit den Gesandten von Neapel und Mailand. Der Neapolitaner vertrat die Ansicht, die Liga sei mit dem König und nicht mit dem Reich abgeschlossen worden, was Contarini zu einer bemerkenswert energischen Reaktion verleitete: Bei allen Kontakten mit den Franzosen müsse das Reich befragt und zu Rate gezogen werden.⁵⁹⁶ Die Relevanz der Reichsstände, insbesondere der Kurfürsten, war Contarini also mehr als präsent, auch wenn man diesen Akteur durchaus kritisch beäugte. Die fürstlichen Kontakte zum französischen König kursierten als offenes Geheimnis.⁵⁹⁷

Zugehörigkeit Gelderns durch die sechs Kurfürsten beurteilt werden sollte. RTA MR, 5,2, S. 867, Nr. 1076. Vgl. dazu auch die Instruktion an die Reichsgesandtschaft an Herzog Karl von Geldern, RTA MR, 5,2, S. 872–874, Nr. 1088. Ebenso wurde in Worms die Frage nach einer Reichsgesandtschaft aufgeworfen, welche die königlichen Räte in Frankreich unterstützen sollte. Die Verhandlungen darüber stagnierten offensichtlich, da man sich nicht über die Instruierung einigen konnte und die Reichsstände sich weigerten, ihre Gesandtschaft unbekannten Instruktionsartikeln zu verpflichten. RTA MR, 5,2, S. 1296–1302, Nr. 1732. 594 Als weitere auswärtige Gesandtschaften sind für Worms Spanien, Neapel, Schottland, Mailand, Savoyen, Ferra, Montferat belegt. Vgl. die Teilnehmerliste Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495. Bearb. von Heinz Angermeier. Bd. 5,1,2. Göttingen 1981 (im Folgenden zit. als RTA MR, 5,1,2), S. 1164, Nr. 1594. 595 Wiesflecker, Hermann: Die diplomatischen Missionen des venezianischen Gesandten Zaccaria Contarini an den Hof Maximilian I. Seine Berichte über den Wormser Reichstag 1495. In: Römisch Historische Mitteilungen 31 (1989), S. 162. Dazu auch künftig Seyboth, Reinhard: Reichsreform und Reichstag. In: Maximilians Welt. Unveröffentl. Tagungsband zur Tagung vom 19.–22. März 2009 in Berlin. Ich danke Herrn Seyboth für die vorab Bereitstellung seines Aufsatzes. 596 RTA MR, 5,2, S. 1743, Nr. 1881. Auch später erforderte der Ausschluss insbesondere der Kurfürsten von der Liga noch Erklärungen des Venezianers. Ebd., S. 1778. 597 Wer relevant und an den Entscheidungen beteiligt war, ergab sich auch aus den Personenkon­ stellationen. Contarini berichtet, dass alle entlassen wurden bis auf die Kurfürsten, den Markgrafen

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Wie sich zeigt, ist die kurfürstliche Klage über den Ligavertrag nicht als for­ male Einforderung der Integration in den Vertragstext selbst zu verstehen. Es ging vielmehr um den Einbezug der Reichsstände in die königliche Politik, als um eine gemeinschaftliche und vertragstextlich fixierte Einheit von König und Reich im Ligavertrag. Mehr noch, so berichtet der Venezianer Foscari vom Som­ mer 1496, verweigerte das Reich letztendlich den Beitritt zur Liga und die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen. Maximilian habe den Ligavertrag daraufhin korrigieren und das Reich implizit ausschließen müssen, indem er auf die Titulatur des Erzherzogs von Österreich und Herzogs von Burgund aus­ wich.⁵⁹⁸ Nichtsdestotrotz artikulierten die Reichsstände nach Worms vermehrt den Anspruch, das Reich neben dem römisch-deutschen König auch nach außen zu vertreten, sei es in Briefkontakten oder eigenen Delegationen. Diese Ambitionen wurde von den auswärtigen Akteuren durchaus wahr- und ernst genommen, was die Äußerungen Contarinis exemplarisch belegen.⁵⁹⁹ Die strukturellen Änderungen im Reich verdeutlichten sich in Worms aber auf vielfältige Weise. Neben den ständischen Forderungen und bekannten institu­ tionellen Neuerungen lassen sich Veränderungen auch auf formaler schriftlicher Ebene, belegen. Der Wormser Abschied ist in zahlreichen ständischen Abschrif­ ten enthalten. Hinzu kommt das mit dem königlichen Siegel versehene Original, welches die wesentlichen Ergebnisse der gemeinsamen Verhandlungen darstellt und zusammenfasst. Die Inhalte seien auf Basis der Übereinkunft von König und Ständen in „nachfolgenden artikel[n] vereint, vertragen und beslossen“.⁶⁰⁰ Neben dem König bestätigte auch der Reichskanzler Berthold von Mainz den Abschied mit seiner Unterschrift und signalisierte damit eine formale Gleichstellung von König und Ständen, zumindest auf dem Papier.⁶⁰¹ Es ist wohl kein Zufall, dass der Abschied formal einem Vertragsschluss zwischen Kaiser und Ständen gleicht, welcher alle Beteiligten zur Einhaltung des Vereinbarten verpflichtete. Für die Verbindlichkeit des Abschiedes gilt, was sich auch für territorial übergreifende

Friedrich von Brandenburg, den Bischof von Worms und den Grafen von Zollern, welche weiter mit den Gesandten der Ligamächte und Contarini über die Lage in Italien berieten. RTA MR, 5,2, S. 1741, Nr. 1881, RTA MR, 5,2, S. 1743, Nr. 1881. Insbesondere der Pfalzgraf Philipp und die Bayerischen Herzöge stünden der Partei des französischen Königs nahe. RTA MR, 5,2, S. 1737ff, Nr. 1881. 598 Foscari, Francesco: Dispacci al senato Veneto di Francesco Foscari e di altri oratori presso l’imperatore Massimiliano I nel 1496. In: Archivio storico italiano 7,2 (1844), S. 721–948, S. 774–775. 599 Seyboth, Reichsreform und Reichstag, wie Anm. 595. 600 RTA MR, 5,1,2, S. 1142, Nr. 1593. Seyboth, Reichsreform und Reichstag, wie Anm. 595. 601 Seyboth, Reichsreform und Reichstag, wie Anm. 595.

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Verträge als Maßstab anlegen lässt: Ergebnisse eines Einigungsprozesses mussten immer noch durchgesetzt werden.⁶⁰² Was sich bekanntlich mit dem Abschied von Worms etablierte und gleichsam die neue Qualität des Tagungstypus implizierte, war dessen Bezeichnung selbst. Der „Hoftag“ war nun ein „Reichstag“.⁶⁰³ Diese neue Institution erschien 1501 als „dieta imperiali“ und als Forum weiterer deutsch-französischer Ausgleichsverhand­ lungen in den Artikeln des Vertrages von Trient.⁶⁰⁴ Dessen Vorbereitungsphase ist jetzt genauer und vor dem Hintergrund reichsinterner Aushandlungs- und Formierungsprozesse zu betrachten.

5.1.2 Freiburger Reichstag 1498: Wer vertritt das Reich nach außen? Das eigenständige Agieren einer Reichsgesandtschaft lässt sich bereits an den Reichstag von 1498 zurückbinden.⁶⁰⁵ Es handelte sich um den Beginn eines Aus­ handlungsprozesses, an dessen Ende schließlich eine Reichsgesandtschaft nach Frankreich möglich sein sollte. Wie die Akten belegen, war es jedoch Maximilian, der sich von den eigenständigen Versuchen einer reichsständisch-französischen Politik wenig überzeugen ließ und sich gegen eine eigene Abordnung des Reiches aussprach. Auch wenn politische Bande zwischen Fürsten und auswärtigen Herr­ schern sicher keine Neuerung waren, hätte die Entsendung einer Gesandtschaft durch den Reichstag durchaus eine innovative Komponente, würde diese doch auch im Namen des Herrschers agieren und in korporativer Repräsentation des dualistischen Reiches auftreten. Die Instruierung einer potentiellen Reichsgesandtschaft sollte daher nur im Beisein königlicher Räte geschehen. Allgemein hielt der römisch-deutsche König aber an dem Wunsch fest, selber nach Frankreich zu ziehen. Von reichsständischer Seite wurden hingegen weitere Informationen zur Abfassung der Instruktion eingefordert. Maximilian möge den Ausschuss über die Verträge mit Frankreich und den Stand seiner Verhandlungen mit dem französischen König unterrichten. Ein Reichskrieg ohne vorhergehende Verhandlungen sei gegen das Herkommen.⁶⁰⁶ Die durchaus differenzierten und eigenen Standpunkte der Reichsstände zur Italienpolitik gehen aus dem Bericht Bertholds von Mainz hervor, der die Bera­ tungsergebnisse der Kurfürstenkurie darlegt: Man dürfe Maximilian weder raten

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So auch Stollberg-Rilinger, Alte Kleider, wie Anm. 541, S. 87–88. Dazu sehr ausführlich Annas, Hoftag, wie Anm. 2, Bd. 1, S. 98–136. Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16–17. Das Protokoll unter Stadt Archiv Freiburg StA, C1, Nr. 1. Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 30v–32r.

150 | 5 Reformreichstage als Zäsur?

auf französische Ausgleichsangebote einzugehen noch sei die Provokation eines Krieges anzustreben, der letztlich zu finanziellen Lasten des Reiches gehe.⁶⁰⁷ Die Entsendung einer Reichsgesandtschaft machte der Mainzer als einzigen Lösungs­ weg stark. Es entspräche zudem dem Herkommen im Reich nur gegen jemanden Krieg zu führen, den man zuvor vergeblich um Ausgleich ersucht habe. Erst wenn sich der französische König weigere den geschlossenen Verträgen nachzukom­ men, könnten die Reichsstände dies als Handlungsgrund anerkennen. Diesen Ausführungen schlossen sich die Städte uneingeschränkt an. Differenzen ergaben sich hingegen aus den Antworten der geistlichen und weltlichen Reichsfürsten sowie des Adels, welche dem Plädoyer des Mainzer Kurfürsten nicht zustimmten. Man solle sich weitgehend neutral äußern, einen Verlust Genuas und Neapels notfalls in Kauf nehmen. „Denn was gieng das die dewtsch nation an, was hetten sie damit zu schaffen?“⁶⁰⁸ Vielmehr sollten weitere Entscheidungen, wie nun mit dem französischen Angebot umzugehen sei, dem König überlassen werden. Offen zu Tage tritt hier die Ungeschlossenheit der Reichsstände, an der die kur­ fürstlichen Überzeugungsversuche scheitern sollten. In weiteren Debatten hielten diese an ihren Ausführungen fest⁶⁰⁹ und rieten insbesondere dem Reichsoberhaupt von einem diplomatischen Alleingang ab. Es sei spöttlich, würde das Haupt als Botschafter seiner Glieder agieren. Maximilian sei zudem nicht neutral, sondern parteiisch und könne daher nicht in der Position eines Vermittlers für das Reich agieren. Von kurfürstlicher Seite aus hielt man an der Ausgangsforderung fest. Eine Reichsgesandtschaft, so das Fazit, solle nach Frankreich abgeordnet werden. Allerdings, und hier manifestieren sich die Spezifika der Reichsreform im Kontext länderübergreifender Entscheidungen, ist auch innerhalb der Kurfürsten­ kurie nicht von einer gemeinsamen getragenen Entscheidung auszugehen. Die drei

607 Es stand die Rückstellung burgundischer Gebiete für die Überlassung Genuas und Neapels im Raum. Genua sei eine Reichsstadt und „ain aingang“ nach Italien, das Königreich Neapel-Sizilien ein Lehen der Römischen Kirche. Eine Eroberung durch Frankreich ginge zu Lasten des Papstes, der Kirche und auch des Reiches. Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 36v–39. 608 Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 36v–37r. 609 Die Eroberung eines Lehens der römischen Kirche, so die weitere Argumentation, brächte die Gefahr mit sich, dass bald Papst und Kirche vom französischen König beherrscht würden, was eine Gefahr für Reich und Kaiserkrone mit sich brächte. Der römisch-deutsche König sei Advokat und Schützer der römischen Kirche und zudem in der Heiligen Liga mit Papst und Italien in besonderer Weise verbunden. Eine Unterstützung der französischen Vorhaben würde zwangsläufig zum Bruch des Ligavertrages führen. Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 36v–39v.

5.1 Italien als neuer Konfliktherd |

151

persönlich anwesenden Kurfürsten⁶¹⁰ erklärten, nicht allein die Verantwortung für eine Stellungnahme bezüglich des französischen Ausgleichsangebotes tragen zu können. Die Gesandten der anderen Kurfürsten seien nur zu Verhandlungen über den Wormser Abschied bevollmächtigt, ihnen fehlte also die umfassende Handlungsbefugnis. Zudem habe man noch nicht alle notwendigen Informationen zu Maximilians italienischer Bündnispolitik.⁶¹¹ An diesem Punkt stagnierte die finale Entscheidungsfindung. Eine Reichsge­ sandtschaft sollte ihren Weg erst Ende 1500 nach Frankreich finden. Die Freiburger Verhandlungen demonstrieren, dass sich diese nicht spontan formierte, sondern als Ergebnis eines Aushandlungs- und Einigungsprozesses zu sehen ist, der hier maßgeblich von kurfürstlicher Seite angetrieben wurde. Die bekannten, reformty­ pischen Formierungsversuche prägten auch Entscheidungen, welche die Thematik der Reform selbst überschritten und in diesem Fall das grenzübergreifende Agieren eines Reiches betrafen, dessen Haupt und Glieder in einem neuen Verhältnis zueinander standen.

610 Neben Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen und der Erzbischof von Köln. Der Pfalzgraf und der Kurfürst von Brandenburg waren über Botschafter vertreten. Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 77r. 611 Freiburg StA, C1, Nr. 1, wie Anm. 605, fol. 40r–44r.

6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich? Zur Vermittlung zwischen den beiden Herrschern schickte das Reichsregiment die Gesandten Adolf von Nassau, Georg Lamparter und Heinrich von Bünau nach Frankreich. Das Ergebnis lässt sich als Waffenstillstand greifen, den Ludwig XII. als Vertrag zwischen sich und dem Reich interpretieren sollte. Der bereits im August 1500 heimlich zwischen ihm und dem römisch-deutschen König geschlossene Waffenstillstand⁶¹² sollte seine Wirkung zugunsten dieses Abkommens verlieren. Unmittelbar nach Gründung des neuen Regierungsorgans, so könnte man nun an­ tizipieren, hatten die Reichsstände als Vertragspartner eine neue Stufe politischen Agierens erreicht. Dass es sich faktisch um eine Ausnahmeerscheinung handelte, wird der nähere Blick auf die Ereignisse belegen. Das Reich als Vertragspartner bleibt eine propagandistisch genutzte Fiktion des französischen Königs. Von dieser ausgehend lassen sich aber ein zunehmend organisiertes, diplomatisches Ein­ greifen des Reiches und eine neue Form der Aushandlung grenzübergreifender politischer Beschlüsse auf der Quellenbasis erster Finalrelationen erfassen. Diplomatische Aktivitäten lassen sich anhand von Abschlussberichten nach­ vollziehen, welche für Venedig in extensiver Form überliefert sind.⁶¹³ Die vene­ zianischen Gesandtschaften am römisch-deutschen Hof, unter ihnen der bekannte Zaccharia Contarini, dokumentierten ihre Aktivitäten und Verhandlungen fast täglich. Der Abschluss von Missionen wurde in ausführlichen Finalrelationen dar­ gelegt, welche inhaltlich die politische Lage, einzelne Akteure und Parteibildungen analysierten. Diese Informationsdichte sucht für das westliche Europa des ausge­ henden Mittelalters ihresgleichen. Erst unter Karl V. lassen die Archivbestände auch für das Reich ein Anschwellen gesandtschaftlicher Dokumentation beobachten, dessen Anfänge 1500 mit der Finalrelation der Reichsgesandtschaft greifbar werden.

6.1 Die Reichsakteure Die Entsendung einer Reichsgesandtschaft ist vor allem vor dem Hintergrund der Reformentwicklungen im Reich zu verstehen. Auf dem Augsburger Reichstag des 612 Bereits im August 1500 hatte Maximilian über seinen Gesandten Wilhelm von Vergy heimlich einen Waffenstillstand bis März geschlossen. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 79. 613 Christina Lutter hat anhand des venezianischen Materials bereits Grundlegendes vorgelegt. Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7. Für die Italienpolitik Maximilians siehe: Petzi, Nicole: Polit-Kommunikation am Hof Maximilians I. Marburg 2011 (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag. Reihe Geschichtswissenschaft 15). DOI 10.1515/9783110493115-006

6.1 Die Reichsakteure |

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Jahres 1500 war mit der Augsburger Ordnung die Grundlage des Reichsregimentes geschaffen worden, welche zugleich die legitimatorische Basis für das Handeln des Reiches am französischen Hofe legte. So legt Maximilian fest, dass bestimmte Vertreter des Reiches . . . von Uns volkomen Gewalt, Macht und Bevelch haben sollen, den Wir Inen auch hiemit in e e Krafft diß Briefs geben, alle und jede Unsere als Romischen Konigs und des heiligen Reichs Sachen, Recht, Fried und ihrer beyder Vollnziehung und Hanthabung, auch Wiederstand gegen den Unglaubigen und andern Anfechtern der Christenheit, deß Reichs, und das an dem Frieden, Rechten, ihrer Hanthabung und dem Wiederstand obgemelt hanget oder darzu dienstlich oder erschießlich seyn mag, antreffen, und wie die von des Reichs Underthanen oder andern an sie langen oder entstehen werden, in solchen vorgeschriebenen Artickeln e zu verhuten, für sich zu fordern, zu handeln, mit Fleiß zu betrachten, zu rahtschlagen und e e endlich zu beschliessen, nach ihrem besten Verstandtnuß auf ihr nachgemelte Pflicht zu Unserm und des heiligen Reichs Ehr, Nutz und Mehrung etc.⁶¹⁴

Die Entscheidung über Krieg und Frieden wurde damit in die Hände des Reichs­ regimentes gelegt. In steter Rücksprache mit dem Regierungsorgan konnte jetzt eine ständische Gesandtschaft in Frankreich diplomatisch aktiv werden. Die kö­ nigliche Macht war durch die Augsburger Ordnung zwar eingedämmt, durch die Einrichtung seines Ehrenvorsitzes im Regiment aber nicht vollständig beschnitten worden. Dieser ausgleichenden Regelung entspricht auch die Zusammensetzung der Reichsgesandtschaft. Adolf von Nassau, Georg Lamparter und Heinrich von Bünau, alle drei Teilnehmer des Augsburger Tages, waren keine Opponenten des Königs, sondern potentiell neutrale Vertreter von Reich und Herrscher. Der württembergische Kanzler Dr. Gregor Lamparter empfing noch im August 1500 finanzielle Zuwendungen Maximilians und kann dem Herrscher damit nicht allzu fern gestanden haben.⁶¹⁵ Der kurfürstliche Rat Heinrich von Bünau agierte anstelle des ursprünglich vorgesehenen und in Vermittlertätigkeiten bereits erfah­ renen Friedrich von Sachsen. Der Kurfürst selbst sollte auf Maximilians Wunsch hin das Amt seines Statthalters im Regiment bekleiden, worin sich ein zumindest „gewsises Grundvertruen“ des Herrschers artikulierte, welches sich wohl auf dem stets gemäßigten Vorgehen des sächsischen Kurfürsten begründen mag.⁶¹⁶ Der dem Humanismus nahestehende Heinrich von Bünau hatte Friedrich von Sachsen bereits auf dem Wormser Reichstag 1497 vertreten.⁶¹⁷ Auch die Kontaktaufnah­ me zu Berthold von Mainz im Dezember 1498 erfolgte über Bünau, der von der

614 Schmauß, Reichs-Abschiede, wie Anm. 568, Bd. 2, S. 56. 615 RI XIV, 3,1, n. 10816. 616 Ludolphy, Ingetraut: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525. Leipzig 2 2006, S. 177–179. 617 Ludolphy, Friedrich der Weise, wie Anm. 616, S. 155.

154 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

Unterredung ausführlich berichtet.⁶¹⁸ Der politische Einsatz Bünaus lässt darauf schließen, dass der Rat bestens informiert in Frankreich eintreffen werde, ohne jedoch eine radikal anti- oder prokönigliche Position zu vertreten. Als Generalstatthalter von Geldern, Kämmerer, Marschall und Hofmeister gehörte der dritte Gesandte im Bunde, Adolf von Nassau, zum engeren Kreis Ma­ ximilians. Der künftige oberste Kammerrichter⁶¹⁹ fungierte bei Zeiten als dessen gerichtlicher Vertreter und wurde nach der Volljährigkeit Philipps an die Seite des Herzogs in die Niederlande berufen. Während der Wormser Reichstagsverhand­ lungen trat Nassau ebenfalls als Wortführer auf und blieb auch in den folgenden Jahren einer der führenden Vertreter des Grafenstandes. In Worms stach er jedoch durch eine Positionierung zwischen König und Reichsständen hervor, was die Missstimmungen zwischen Maximilian und ihm in den folgenden Jahren erklärt,⁶²⁰ sich aber für die hier dargelegte Charakterisierung der Gesandtschaft als konform erweist. In der Finalrelation definieren die Diplomaten ihr Handeln als eine dem Reichswohl verpflichtete Vermittlertätigkeit⁶²¹ zwischen den Herrschern.

6.2 Neue Wege der Diplomatie. Aushandlung der Instruktion zwischen Reichsregiment und Maximilian Als auswärtiger Berichterstatter äußert sich der venezianische Sekretär Sanudo über die ungewöhnliche und wenig hochrangige Delegation sowie die vorbereitenden Beratungen des Augsburger Reichstages. Zunächst seien Herzog Friedrich von Sachsen, der Bischof von Konstanz und der Graf von Nassau abgeordnet worden. Abgereist seien aber nur der Graf von Nassau und ein Heinrich von Bünau.⁶²²

618 Der Brief ist ediert bei Ludolphy, Friedrich der Weise, wie Anm. 616, S. 170–171, Anm. 165. 619 Ab 1501. Schon in Worms beteiligte er sich als königlicher Rat an den Debatten zur Reichs­ kammergerichtsordnung. Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496–1498. Bearb. von Heinz Gollwitzer. Bd. 6. Göttingen 1979 (im Folgenden zit. als RTA MR, 6), S. 200ff, Nr. 121, Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 5, S. 47–48. 620 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 5, S. 47–48. Schon vorher hatte es zwischen den beiden Auseinandersetzungen gegeben. Der päpstliche Legat Leonello Chieregati berichtete Papst Alexander VI. von der Reichsversammlung, dass Adolf von Nassau im Namen des Königs mit dem französischen König den Frieden von Paris geschlossen habe. Maximilian reagierte auf diese Nachricht bekanntlich unerfreut und hielt Nassau vor, seine Instruktion falsch gedeutet zu haben. Teiled. RTA MR, 6, S. 689ff, Nr. 83a. 621 Siehe die entsprechende Anmerkung auf S. 146. 622 Fulin, Rinaldo [u. a.] (Hrsg.): I Diarii. 40 Bde. Venedig 1879–1894 (im Folgenden zit. als Sanudo, Diarii), Bd. 3, Sp. 714–715.

6.2 Neue Wege der Diplomatie |

155

Aufschlussreich ist bereits die Instruktion der Gesandtschaft. Die überlieferten Textfassungen und Konzeptpapiere zeugen von einer nicht ganz reibungslosen und vor allem etappenweise, im Prozess stetiger Aushandlung stattfindenden Abfassung der Instruktion. Diese wurde von dem ständischen Regierungsorgan, unter maßgeblicher Mitwirkung Bertholds von Henneberg, ausgehandelt und produziert, dem römisch-deutschen König anschließend zur Redaktion übergeben. Über den Mainzer Erzbischof sollte die überarbeitete Version dann den Gesandten, die sich bereits in Trier befanden, nachgeschickt werden. Die Anreise der Reichsabordnung lief ohne belegbare Komplikationen ab. Schriftlich signalisierte der französische König seine Verhandlungsbereitschaft.⁶²³ Herolde und Boten geleiteten die Delegation durch Frankreich, welche dann schließ­ lich am 22. November 1500 in Plessis-les-Tours mit Ludwig XII. zusammentraf. Vom 23. November bis zum 7. Dezember fanden die eigentlichen Verhandlungen statt, die mit einem Waffenstillstand und Abschied am 13. Dezember endeten.⁶²⁴ Offensichtlich war man im Reich noch nicht von einem so zeitigen Abschluss der Gespräche ausgegangen. Maximilian und das Nürnberger Regiment debattierten noch über weitere, neue Instruktionen für die Gesandten, als diese bereits ihren Abschied nahmen. Es war wohl vorgesehen, dass die Diplomaten nach der Antwort auf ihre erste Werbung auf eine zweite Instruktion hinweisen sollten, anhand derer sie bis zur Ankunft Herzog Friedrichs von Sachsen weiter verhandeln sollten.⁶²⁵ Überliefert sind zwei inhaltlich abweichende Instruktionen, von denen nur die erste in die spätere Relation der Gesandtschaft inseriert worden war und damit wohl auch die Verhandlungsgrundlage bildete. Die ergänzenden Punkte datieren auf die Zeit des Abschieds in Frankreich, weswegen deren dortige Behandlung chronologisch unmöglich war. Als Kernargument der ersten, der September-Instruktion, welche als Auftrag­ geber die Reichsstände und nicht den König benennt, diente das höhere Ziel des gemeinsamen Türkenkrieges. Der Abzug der französischen Kriegstruppen in Italien, vornehmlich aus Neapel, sollte maßgeblich der Einheit der christlichen Könige dienen. Dazu sei vor allem Mailand als Kammer des Reiches sowie die durch König und Reich durchgeführte Belehnung Herzog Ludovicos vom französischen König

623 Maximilian zeigte sich sichtlich Unzufrieden über diese Zusage des französischen Königs, welche der Gesandtschaft noch unterwegs übermittelt werden sollte. 16. September 1500. TLA, Max I/40, fol. 94. 624 Kraus, Viktor von: Das Nürnberger Reichsregiment. Gründung und Verfall 1500–1502. Ein Stück deutscher Verfassungsgeschichte aus dem Zeitalter Maximilians I. Nach archivalischen Quellen dargestellt. Innsbruck 1883, S. 208. 625 TLA, Max XIV/1500, fol. 107r-113r. Weitere Instruktionspunkte fol. 114. Ed. Kraus, Reichsregi­ ment, wie Anm. 624, S. 200ff.

156 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

anzuerkennen und damit auf Mailand zu verzichten. Erinnert wurde in diesem Zu­ sammenhang auch an die vergangenen Verträge zwischen dem römisch-deutschen und dem französischen König, in denen festgehalten worden war, dass keiner von beiden den Untertanen des anderen seine Herrschaft aufzwingen dürfe. Sollte es zu keiner Einigung kommen, sah die Instruktion einen Waffenstillstand als Minimalziel vor.⁶²⁶ Umfassender fielen die neuen, im Dezember ausgearbeiteten und von Maximi­ lian zur weiteren Verhandlung an das Regiment gesandten Instruktionspunkte aus, die aufgrund der günstigen Überlieferungslage Einblicke in die Produktion von Instruktionstexten gewähren. Die königlichen Räte Walter von Stadion und Georg Neudeck erhielten die entsprechenden Punkte, welche im Regiment verhan­ delt werden sollten.⁶²⁷ Für den Fall, dass die Reichsgesandtschaft Ludwig nicht von seinen Mailandplänen abbringen könne, stand nun als Entgegenkommen die Belehnung zur Debatte.⁶²⁸ Im Gegenzug solle der König von Frankreich den gefangenen Herzog Ludovico und dessen Bruder Ascanio Sforza freilassen und den Vertrag von Novara⁶²⁹ einhalten. Weiterhin wurde daran festgehalten, dass der Krieg in Neapel sofort einzustellen sei, bis die Anrechtsfrage durch einen Urteilsspruch geklärt werden könnte.⁶³⁰ Anders als in der September-Instruktion stand jetzt auch die Anerkennung vergangener Abkommen im Raum. Die Erb­ schaftsverträge zu Burgund seien einzuhalten, im Gegenzug gestand Maximilian ein, den zwischen Ludwig und Philipp geschlossenen Pariser Vertrag von 1498 zu bestätigen.⁶³¹ Ein letzter Instruktionspunkt spezifizierte die Handhabung der Türkenfrage. Der französische König möge das Reich und die Deutsche Nation

626 Inseriert in HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 1–27v. 627 Maximilians Meinung war zuvor vom Regiment durch Eitelfriedrich von Zollern erbeten worden. 628 Der König von Frankreich solle mit Mailand belehnt werden, den erforderlichen Eid leisten, eine entsprechende Summe entrichten und fortan als Reichsfürst dem Reich dienen. Weiter wurde das Lehen nur auf die Lebenszeit des Königs beschränkt und damit unvererblich. Das schrittweise Vorgehen Maximilians lässt sich hier deutlich anhand der vorliegenden, konzeptartigen Entwürfe erkennen. Die Belehnung, als Artikel a gekennzeichnet, wird hier mehrfach variiert und um den Ausschluss der Nachkommen ergänzt. TLA, Max XIV/1500, wie Anm. 625, fol. 108v-116v. TLA, Max XIII/302, fol. 3; Kraus, Reichsregiment, wie Anm. 624, S. 205ff. 629 Am 10. Oktober 1495 zwischen Karl VIII. und Ludovico Sforza geschlossen und impliziert von Seiten des französischen Königs auch die Einhaltung des Vertrages von Senlis. RTA MR, 5,1,1, S. 237–243, Nr. 181. 630 Dieser Vorschlag findet sich bereits in der September-Instruktion und wird auch von der Reichsgesandtschaft unterbreitet, wie wir noch sehen werden. 631 TLA, Max XIV/1500, wie Anm. 625, fol. 111v, 115r–116v.

6.3 Wahrnehmung der Reichsgesandtschaft |

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bei der Einberufung eines Konzils und dem geplanten Türkenzug unterstützen.⁶³² Die zunehmend versöhnliche Haltung fand ihren finalen Ausdruck hier in der Konkretisierung gemeinsamer Ziele.

6.3 Wahrnehmung der Reichsgesandtschaft Diese neuen Punkte sollten, so war es zumindest vorgesehen, von den Reichsge­ sandten nach der Antwort auf ihre erste Werbung vorgebracht werden.⁶³³ Allerdings erreichte diese neue Instruktion die Diplomaten in Frankreich, wenn überhaupt, frühestens am 13. Dezember 1500, der Waffenstillstand war bereits abgeschlos­ sen. Inseriert in den späteren Bericht der Gesandten und somit vermutlich auch Grundlage ihrer Verhandlungsarbeit war und blieb die September-Instruktion des Regiments, in der dieses bzw. das Reich und nicht der König als Vollmachtgeber ausgewiesen wurde,⁶³⁴ was nicht ohne Irritationen blieb. Dass es sich bei dieser Gesandtschaft nicht um eine Selbstverständlichkeit handelte, ergibt sich zunächst aus der Instruktion⁶³⁵ selbst, in der die Diplomaten zu einer Rechtfertigung ihres Erscheinens angehalten werden. Der Kurfürst Friedrich von Sachsen sei als Stadthalter des Regiments verhindert, heißt es dort. Als eines der vordersten Glieder des Reiches beschäftige er sich zur Zeit mit der Türkenfrage, darum er „dismals zu komen verhindert were“. Schon im Vorfeld habe man daher Kontakt mit dem französischen König aufgenommen, der die Ankündigung der Botschaft offenbar positiv aufnahm und dieser das Geleit gab.⁶³⁶ Erst darauf hin hatten die „churfursten fursten und ander stende . . . dise botschaft zu sinen kon. wirden abgefertigt“,⁶³⁷ mit dem Ziel, die Zwistigkeiten zwischen den beiden

632 TLA, Max XIV/1500, wie Anm. 625, fol. 112r, 114v–116v. 633 TLA, Max XIV/1500, wie Anm. 625, fol. 112r. „Graff Adolff und die andren raet die erst anttwort auff ir erste werbung haben sollen sy sagen inen sy noch ain instruction nachbekommen, die etwas anders sey, dann die voreig instruction . . . “. 634 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 1–29. 635 Diese ist inseriert in die Relation der Gesandtschaft HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 1–3v. 636 Vgl. zur Bedeutung des Ranges von Gesandten in der Frühen Neuzeit Krischer, André: Souve­ ränität als sozialer Status. Zur Funktion des diplomatischen Zeremoniells in der Frühen Neuzeit. In: Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Ralph Kauz. Wien 2010, S. 1–32. Auch in der Frühen Neuzeit sollte es nicht selbstverständlich sein, dass ein König die Gesandten eines Nichtsouveräns empfing. Krischer, Souveränität, wie Anm. 636, S. 19ff. 637 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 2v.

158 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

christlichen Herrschern beizulegen, um gemeinsam den Kampf gegen die Türken aufnehmen zu können. Unbemerkt blieb die Besonderheit der Reichsgesandtschaft jedoch nicht, zumindest nicht vom Venezianer Sanudo, der sich zeitgleich in Frankreich aufhielt und über die Gesandten berichtet, welche für die „re di romani et l’imperio“ auch im Namen der Kurfürsten agierten. Über die unzulänglichen Vollmachten der Delegation informierte ihn am Tag darauf der Kardinal von Rouen.⁶³⁸ Auch während der Verhandlungen blieb die Instruktion Thema. Es hielt sich das Gerücht, die Diplomaten seien nur zur Erkundung der Angelegenheit geschickt worden und andere Botschafter des Reiches mit Verhandlungsvollmacht befänden sich noch auf dem Weg. Bünau, Nassau und Lamparter mussten eigens betonen, gemäß ihrer Instruktion über volle Verhandlungsfreiheiten zu verfügen.⁶³⁹ Nicht ersichtlich ist hingegen eine gesonderte oder gar untreffliche Behand­ lung der Reichsgesandtschaft, die ganz im Gegensatz stand zu jenem Empfang, welcher einer Delegation um den Augsburger Bischof 1481 gemacht worden war. Der französische König ließ sich damals zunächst als unpässlich entschuldigen und schickte seine Räte vor.⁶⁴⁰ Die Abordnung des Jahres 1500 äußerte sich ganz anders und mit entsprechend lobenden Worten über den französischen Empfang und späteren Abschied. Die Audienz selbst lief zunächst vor den Räten, schließlich aber auch im Beisein des Königs selbst ab.⁶⁴¹ Ein ausführlicher Bericht über die anlässlich des Waffenstillstandes begangenen Feierlichkeiten findet sich am Ende der Relation. Im Rahmen inszenierter Selbstdarstellungen des französischen Königtums wurden bei dieser Gelegenheit gleichsam Zusatzinformationen jenseits des Verhand­ lungskontextes vermittelt. Die Königin präsentierte den Gesandten ihre Tochter Claudia, deren Verlobung mit dem späteren Karl V. bald im Kontext des Friedens­ schlusses von Trient (1501) von Bedeutung sein wird. Es liegt nahe, dass eine mögliche, erneute Eheverbindung der Herrscherhäuser Habsburg und Valois hier bereits angedeutet und beworben wurde. Weiter erhielten die Diplomaten Einblicke 638 Sanudo, Diarii, Bd. 3, Sp. 1138–138. „[Q]uesti oratori non haver comission larga, ma verà una altra ambasata.“ 639 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 18v. 640 ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 25, wie Anm. 208, fol. 9v. In dem Bericht heißt es: Vier Bischöfe und Herren des Ordens sind uns entgegen geritten und haben uns „im feld empfangen“. Der König ließ dann in unserer Gegenwart unsere Kredenz vom Kanzler empfangen und hörte sie an. Nach kurzem Bedenken hat er dann seinen Kanzler und zwei Bischöfe zu uns „heraus geschickt und darauff lassen sagen wo daz sin koniglich gnad krangk und besunder in denselben nacht und uff den tag blode und swach gewest sÿ.“ Die Gesandten merkten in ihrem Bericht an, dass dies „sonder die warheit gewest“. 641 Kraus, Reichsregiment, wie Anm. 624, S. 208–209.

6.4 Inhalte der Verhandlungen |

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in das parlement de Paris, womit ihnen das Funktionieren französischer Verwaltung geläufig sein musste.⁶⁴²

6.4 Inhalte der Verhandlungen Überliefert ist uns neben den Reiseberichten die 27 Blatt starke Relation der Bot­ schafter Nassau, Lamparter und Bünau, welche, bis in die einzelnen Argumentati­ onsstränge hinein, Einblicke in die Verhandlungen gibt, die sich am französischen Hof abgespielt haben. Die Qualität des Textes fassen die Gesandten am Ende selbst zusammen: . . . daz ist der hanndel ungeverlich begriffen, wie wir gehanndlt haben doch nicht die ordnung alle tage so eigentlich und hanndlung derselben von wort zu wort . . . [a] ber die substantia und summa der hanndlung . . . der notturfft nach aufgeschriben [.]⁶⁴³

Im Falle des diplomatischen Wirkens des neu gegründeten Regiments diente der umfangreiche Bericht sicher der nachträglichen Absicherung der konfliktreichen Gespräche, die sich zu einem Grundlagenstreit über Verfassungsstrukturen und Lehnrecht auswuchsen und in ihrem Ergebnis nicht ohne Konsequenzen bleiben sollten. Wie zu erwarten war, verursachte allein die Frage des Türkenkrieges wenig Reibungspunkte. Die Betonung des programmatischen Friedens der Christenheit bildete den Verhandlungsauftakt und die konsensuale Basis beider Verhandlungs­ partner.⁶⁴⁴ Weitaus problematischer gestaltete sich hingegen die Italienfrage. Den Abzug des Kriegsvolkes verweigerten die Räte Ludwigs XII. aber mit dem Hinweis auf den berechtigten Selbstschutz des französischen Königs sowie der Schutz­ verpflichtung gegenüber seinen Untertanen. Dieser Argumentation verweigerte sich die Reichsgesandtschaft ebenso wie der Rechtsanmaßungen Ludwigs in Itali­ en. Die dort ansässigen Untertanen⁶⁴⁵ unterstünden allein der Rechtsprechung Maximilians, der in Italien ja eigens gekrönt würde. Auch nach langer Verhandlung konnte keine Einigung bezüglich der französi­ schen Truppen erzielt werden. Die Instruktion, auf welche sich die Gesandten stets beriefen, war hingegen für diesen Fall sehr offen abgefasst und beinhaltete die

642 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 26r–27r. 643 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 27v. 644 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 3ff. 645 Konkret geht es um die Fälle des Markgrafen von Mantua, des Grafen von Mirandola und des Herzogs von Ferrari.

160 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

Möglichkeit, die Truppen in Italien notfalls zu dulden, allerdings ohne Schaden für Maximilian oder Reichsangehörige.⁶⁴⁶ Kompliziert gestalten sich die Verhandlungen in der Mailandfrage. Im April des Jahres 1500 hatte Ludwig XII. Herzog Ludovico Sforza gefangen genommen und forderte für sich selbst die Belehnung mit Mailand durch den römisch-deutschen König. Ludwig stützte seine Mailänder Ansprüche auf den Heirats- und Erbver­ trag von 1386 zwischen Valentiene Visconti, der erstgeborenen Tochter Johann Galeazzo Viscontis und Ludwig von Orléans. Demzufolge wäre Mailand väterliches Erbe des französischen Königs.⁶⁴⁷ Die Reichsgesandten versuchten nun diesen Vertrag auszuhebeln, der ihnen schlussendlich, nach heftigen Debatten und einer Beschwerde beim Kardinal d’Amboise von Rouen, vorgelegt und dann kritischen Schlussfolgerungen unterzogen wurde: Bereits aus dem Vertragswortlaut gehe hervor, dass Galeazzo Visconti nie Herzog von Mailand, sondern nur Vikar gewesen sei.⁶⁴⁸ Die päpstliche Vertragsbestätigung sei hinfällig, denn dieser habe keine Macht zur Vergabe von Reichslehen während einer Thronvakanz im Reich. Kaiser Karl IV. habe in seiner Goldenen Bulle ausdrücklich festgelegt, dass die Verleihung fürstlicher Lehen dem künftigen König vorbehalten bleibe. Die Reichsgesandten verneinten zudem, dass ein Lehnsherr verpflichtet sei, heimgefallene Lehen wieder zu verleihen. Auch in Frankreich sei dies nicht der Brauch, und Kammergut, mit dem das Reich erhalten werde, brauche ein König schon gar nicht zu vergeben.⁶⁴⁹ Von französischer Seite erfolgte dazu die entsprechende Gegendarstellung: Bei Thronvakanz im Reich habe der Papst mehr Macht als ein römischer Kaiser und alle Kurfürsten, denn dann kehre das von Papst und Kirche übertragene Imperium zu seinem Ursprung zurück. Ein römischer König sei somit in besonderer Weise dem Papst verpflichtet, der ihn approbieren, krönen und auch absetzen könne. Dadurch habe der Papst im Reich viel mehr Gewalt als in anderen Königreichen. Das Recht besage zudem, dass heimgefallene Lehen nicht beim Reich blieben, sondern weiterverliehen werden sollen. In Frankreich würden Herzog- und Fürstentümer

646 „Wann one das daz das volkh wie abgemelt abgefordert werde, nichtz fruchtpers oder verfenngklichs zuhanndlung sein in kheinem wege [. . . .] mit andern dergleichn fugklichen frundt­ lichen wortten und reden die, die botschafft wol und vernunfftigklich wirt wissen zufinden . . . . [W]o der kunig die beswerung gegen den stennden in ytalia nit abschaffen und sein volk abfordern wolt, sol die botschafft doch vleyssz furkeren daz der kunig mit demselben volk in ytalia gegen den stennden daselbst stil stee und die nit weytter beswere . . . .“ HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 5r–8r. 647 Petzi, Polit-Kommunikation, wie Anm. 613, S. 49. 648 Die Passage wurde in den Gesandtenbericht inseriert. Dort heißt es: „Johann Galeazzo vicecomes und comes virtutum, generalis vicarius Imperii per Ytaliam“. HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 20v. 649 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 13v.

6.4 Inhalte der Verhandlungen |

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selten einbehalten, denn habe ein König mehrere Kinder, so folge das älteste auf den Thron und die anderen erhielten Fürstentümer und Grafschaften. Nur wenn ihre Inhaber ohne Erben stürben, fielen diese Lehen wieder an den König zurück.⁶⁵⁰ Aus diesen Gründen blieben die Räte des französischen Königs bei ihren früheren Ausführungen und hofften auf die Belehnung. Hinsichtlich des französischen Lehnsverständnisses zeigt sich die Reichsgesandtschaft verunsichert: . . . wir nit biecher bey hannden gehabt auch nit sovil bericht, als wol notturfftig gewesen unns ausser unns kleines verstenndtnuiß und etlichen hystorien so wir die zeit zuvertreiben gelesen, behelffen mussen . . . .⁶⁵¹

Offensichtlich ist, dass ihr Instruktionstext an dieser Stelle nicht mehr handlungs­ leitend war, da die Debatten den Informationsgehalt der schriftlichen Anweisungen thematisch überschritten, ebenso wie das Wissen der Diplomaten. Es gab keine ausführliche und juristische Argumentationsgrundlage, wie sie einst von Jean d’Auffay ausgearbeitet worden war und die auch die Instruktionen jener Zeit syste­ matisch geprägt hatte. Begründete sich die Reichsgesandtschaft zunächst durch ihre Vermittlerrolle, standen nun aber trotzdem Ehre und Grundlagen des Reiches auf dem Spiel, deren Diskussion in einem wohl heftigen Streit mündete.⁶⁵² Die französischen Ausführungen widersprächen, so der Ansatz der Gesandten, der Meinung des Papstes und der Kirche. Die Beschränkung der pontifikalen Macht war auf den Konzilien zu Konstanz und Basel bestätigt und vom französischen König in der pragmatischen Sanktion von Bourges angenommen worden.⁶⁵³ Im thematischen Zusammenhang päpstlicher Machtbeschränkung verwiesen die

650 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 14ff. Zur Kaiserwürde als päpstliches beneficium vgl. Kintzinger, Martin: Zeichen und Imaginationen des Reichs. In: Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa. Hrsg. von Bernd Schneidmüller u. Stefan Weinfurter. Dresden 2006, S. 356. Vgl. generell zum Verhältnis zwischen französischem Königtum und Kaisertum Moeglin, Jean-Marie: Der Blick von Frankreich auf das mittelalterliche Reich. In: Schneidmüller u. Weinfurter, Heilig – Römisch – Deutsch, s. Anm. 650, S. 251–265. Zu den französischen Thronansprüchen Ende des 15. Jahrhunderts vgl. Le Fur, Didier: Louis XII 1498–1515. Un autre césar. Paris 2001, S. 172–173. 651 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 15r. 652 Zur Einordnung in die superioritäts-Konflikte zwischen Königen und Kurie vgl. Kintzinger, Martin: Rex superior. Die Internationalität der Hofkultur und die Regionalität ihrer Konfliktlösung im westeuropäischen Spätmittelalter. In: Les conflits entre peuples. Hrsg. von Serge Dauchy. Baden-Baden 2011 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts 24), S. 47. 653 Dazu exemplarisch Krynen, Jacques: Le roi „très chrétien“ et le rétablissement de la Pragma­ tique Sanction. Pour une explication idéologique du Gallicanisme parlementaire et de la politique religieuse de Louis XI. In: Eglises et pouvoir politique. Actes des journées internationales d’histoire du droit d’Angers, 30 mai -1er juin 1985. Paris 1987, S. 135–149. Zum Verhältnis von Kaiser und

162 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

Reichsgesandten auch auf den Konziliarismusgedanken Jean Gersons,⁶⁵⁴ um dar­ auf aufbauend die Sonder- und Vormachtstellung des römisch-deutschen Königs zu begründen. Die sakrale Sonderstellung des Reiches für die gesamte Chris­ tenheit prägte stets auch die theoretischen Reflexionen über die Reichsreform, deren Anfangsphase im Zusammenhang mit der Kirchenreform gedacht werden muss.⁶⁵⁵ Doch auch zeitnah war die Positionierung des Reiches als Führungs­ macht der Christenheit noch im Umfeld des Wormser Reichstages im „Traum des Hans von Hermansgrün“ propagiert und im Zusammenhang mit einer not­ wendigen, antifranzösischen Abwehrhaltung deutlich national formuliert wor­ den.⁶⁵⁶ Darüber hinaus wurde nun in Frankreich auch auf Rolle und Relevanz der Reichsstände in diesem Konzept verwiesen, denn erst durch die Wahl der Kur­ fürsten erhalte der König die volle Regierungsgewalt im Reich. Nicht der Papst, sondern die Wahl der Kurfürsten approbiere den König. Konsequent argumen­ tierten die Reichsgesandten also gegen die französische Auffassung päpstlicher Machtansprüche und die pontifikale Vergabe von Reichslehen.⁶⁵⁷ Das durch die Goldene Bulle schriftlich fixierte Wahlverhältnis von König und Reich, welches

Papst und insbesondere zur Reform Mierau, Heike Johanna: Kaiser und Papst im Mittelalter. Köln [u. a.] 2010, S. 185–188. 654 Eberhard, Herrscher und Stände, wie Anm. 139, S. 512–516. 655 Das breite Themenfeld der Konzilien soll hier nur in Auswahl tangiert werden: Buck, Thomas Martin u. Kraume, Herbert: Das Konstanzer Konzil (1414–1418). Kirchenpolitik, Weltgeschehen, Alltagsleben. Ostfildern 2013; Hlavácek, Ivan u. Patschovsky, Alexander (Hrsg.): Reform von Kirche und Reich. Zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Konstanz 1996; Märtl, Reformgedanke, wie Anm. 581; Boockmann, Hartmut: Über den Zusammenhang von Reichsreform und Kirchenreform. In: Hlavácek u. Patschovsky, Reform, wie Anm. 655, S. 203–214. Helmrath, Johannes: „Geistlich und werntlich“. Zur Beziehung von Konzilien und Reichsversamm­ lungen im 15. Jahrhundert. In: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter. Hrsg. von Peter Moraw. Stuttgart 2002 (Vorträge und Forschung 48), S. 477–517. Zum Konzil von Basel im europäischen Kontext vgl. Müller, Heribert: Das Basler Konzil (1431–1449) und die euro­ päischen Mächte. Universaler Anspruch und nationale Wirklichkeiten. In: Historische Zeitschrift 293 (2011), S. 523–629; Müller, Heribert u. Helmrath, Johannes (Hrsg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Institution und Personen. Ostfildern 2007 (Vorträge und Forschung 67); Dendorfer, Jürgen u. Märtl, Claudia (Hrsg.): Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450–1475). Berlin [u. a.] 2008 (Pluralisierung und Autorität 13); Keupp, Jan Ulrich u. Schwarz, Jörg: Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Darmstadt 2013. 656 Tischer, Alte Ordnung, wie Anm. 60, S. 44–45; Märtl, Hans von Hermansgrün, wie Anm. 586, S. 257–264. 657 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 16r. Die päpstliche Krönung mache ihn zum Herrn aller Reiche, nicht jedoch den Papst zum Herrn über den römisch-deutschen König, denn, so die weitere Argumentation, dann wäre der Erzbischof von Reims auch Herr des Königs

6.5 Neue Lösungsstrategien |

163

just seit Worms auch institutionell sichtbar war, kommunizierte man jetzt vor dem französischen König und dessen Räten.⁶⁵⁸ Welche taktischen Auswirkungen dieser neu beanspruchte Status der Reichsstände auf die Politik Ludwigs XII. haben wird, bleibt jetzt zu zeigen.

6.5 Neue Lösungsstrategien Der Streit um Mailand macht zweierlei deutlich: Einmal lag der Gesandtschaft die im Dezember neu ausgehandelte, handlungsraumerweiternde Instruktion mit dem Entgegenkommen einer möglichen, auf Lebenszeit begrenzten Belehnung des französischen Königs nicht vor. Andererseits befanden sich die Gesandten in einer Zwickmühle. Argumentativ bewegten sie sich auf dünnem Eis, aber ohne „zuretten im [des Reiches] sein wirde und ere“⁶⁵⁹ konnten sie die Verhandlungen auch nicht auf sich beruhen lassen. Die Instruktion der Gesandten hatte für den Fall bestehender Uneinigkeit den Lösungsvorschlag formuliert, der französische König möge das Herzogtum „in ein gemein hand stellen und umb sein vermeint gerechtigkeit recht vor der ko. Mt. und stenden des Reichs nemen . . . “.⁶⁶⁰ Die Interpretation und Ausdifferenzierung dieses Instruktionsartikels fand dann in der Verhandlung selbst statt und lässt die Hand­ lungsspielräume der Diplomaten erahnen. Diese setzten die Instruktion nicht wort­ wörtlich um, sondern erlaubten sich folgenden Lösungsvorschlag: Ludwig möge das Herzogtum Mailand als Eigentum des Reiches zu unparteiischen Händen stellen und sein Recht vor dem römisch-deutschen König selbst und den Reichsständen oder aber, dies ist neu, vor dem „camergericht“ oder dem „regiment“ und [den] „rete[n] zu Nuremberg“ suchen.⁶⁶¹ Von der Person des Königs selbst wurde in diesem Vorschlag zwar kein Abstand genommen, ergänzend hinzu kamen jetzt neu geschaffene, in­ stitutionelle Möglichkeiten der Rechtssprechung und -auslegung. Damit wurde der dauerhafte Reformpunkt – der gerichtlich geregelte Austrag von Fehden und Kon­

von Frankreich und der Erzbischof von Köln, Herr des römisch-deutschen Königs, weil er ihn vor dem Papst kröne. 658 Zur Rezeption der Goldenen Bulle in Frankreich vgl. Kintzinger, Martin: Das inszenierte Imperi­ um. Kaiser Karl IV. und König Karl V. von Frankreich. In: Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption. Hrsg. von Ulrike Hohensee [u. a.]. Bd. 1. Berlin 2009 (Berichte und Abhandlungen. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Sonderband 12), S. 312–313. 659 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 15r. 660 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 17v. 661 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 17v.

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flikten⁶⁶² – auch gegenüber auswärtigen Mächten geäußert und als Konfliktlösungs­ strategie angeboten. Zu Bedenken gilt allerdings weiter, dass es sich bei der Italien­ frage, so auch die durchgängige Argumentation der Gesandtschaft, um einen Kon­ flikt des Reiches im Reichsgebiet handelte. Von einer außenpolitisch beanspruchten Wirksamkeit innovativer Austragsverfahren kann damit nicht die Rede sein.⁶⁶³ Wie realistisch nun die beanspruchte Regelung der Mailandfrage vor den Institutionen des Reiches war, bleibt fraglich. Fest steht, dass es sich keinesfalls um stabile, sondern um mitten in einem Aushandlungsprozess befindliche Strukturen handelte, auf die hier zurückgegriffen werden sollte. Vielmehr war die Existenz von Reichsregiment und Reichskammergericht höchst unsicher: Das am 19. März 1501 in Nürnberg wieder eröffnete Reichskammergericht stellte seine Tätigkeiten bereits im Winter des Jahres wieder ein. Die Auflösung des Regiments folgte Anfang 1502.⁶⁶⁴ Wie reagierten nun die französischen Räte auf den Vorschlag der Reichsge­ sandtschaft? Offensichtlich hatte dieser zunächst keinen besonderen oder nennens­ werten Eindruck hinterlassen. Den Gegenvorschlag, einen schiedsrichterlichen Austrag in einer päpstlichen, unparteiischen Stadt mit dem Papst als Obmann, lehnten die Reichsgesandten ab und beendeten damit die Diskussion.⁶⁶⁵

6.6 Konsequenzen des Waffenstillstandes Da die Reichsgesandten nichts weiter erreichen konnten, brachten sie, um Schwie­ rigkeiten für das Reich zu vermeiden, den letzten Artikel ihrer Instruktion vor, nämlich den Abschluss eines Waffenstillstandes zwischen den beiden Herrschern bis zum 1. Juli 1501. Damit endeten die Verhandlungen und der Bericht mit der fina­ len Bezeugung, alles sei nach strenger Einhaltung der Instruktionen abgelaufen.⁶⁶⁶

662 Vgl. zum Konzept des Landfriedens neuerdings Carl, Landfrieden, wie Anm. 568, passim. Mit der Einrichtung des Kammergerichtes wurde auf die Herstellung und Sicherung des Rechtsfriedens im Reich abgezielt. Diestelkamp, Recht und Gericht, wie Anm. 8, S. 198. 663 Auch im Konfliktfall mit Karl von Egmond fordert Maximilian Berthold von Mainz auf, ein Verfahren vor dem Reichskammergericht einzuleiten. Bei Geldern handelte es sich ebenfalls um beanspruchtes Reichsgebiet. Als Vertreter Maximilians sollte bezeichnenderwiese u. a. Adolf von Nassau fungieren. RI XIV, 1, n. 2679. 664 Hausmann, Jost: Die wechselnden Residenzen des Reichskammergerichts bis Speyer. In: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451–1527). Hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln [u. a.] 2003 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 45), S. 150–151. 665 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 17v–18r. 666 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 25v.

6.6 Konsequenzen des Waffenstillstandes |

165

Ebenso aussagekräftig wie die Relation ist ihr Überlieferungskontext. Bereits im Januar war der Waffenstillstand zum Konfliktpunkt zwischen Regiment und Maximilian geworden.⁶⁶⁷ Der spanische Geschichtsschreiber Zurita fasst einige Jahre später zusammen: Als sich der König von Frankreich in Burgund aufhielt, schlossen die Kurfürsten des Reiches mit ihm Waffenstillstand, worüber sich Maximilian sehr beklagte; einerseits, weil das Abkommen ohne seine Zustimmung abgeschlossen worden sei, und anderseits, weil sich die Kurfürsten die Autorität angemaßt haben, sich im Vertrag „gobernadores del Imperio“⁶⁶⁸ zu nennen. Was war passiert? Der mit den Reichsgesandten geschlossene Waffenstillstandsvertrag wurde von Ludwig so ausgelegt, dass er, so teilt er Maximilian mit, mit dem Reich einen ein „pessren bestannd“⁶⁶⁹ geschlossen habe, als zuvor mit dem Reichsoberhaupt, da dieser, zieht man den Vertragstext hinzu, nun einen ungestörten Italienzug legitimierte oder zumindest nicht explizit ausschloss. Maximilian wandte sich an das Regiment mit dem Vorwurf, die Reichsgesandten hätten wohl bei der Abfassung des Vertrages einige wichtige Dinge übersehen, denn darin seien „Italia wie sein Majestät . . . nit mit ausgedruckten worten sondern allein das Reiche und doch nur in der gemein begriffen“.⁶⁷⁰ Er verweigert folglich die Ratifikation, weil der französische König den Vertrag zu seinen Gunsten interpretierte,⁶⁷¹ der Vertragstext nicht mit der Instruktion übereinstimme und zudem so „finster und dunckel“⁶⁷² sei, dass Ludwig ohne einen Vertragsbruch zu begehen nach Italien ziehen könne und offensichtlich die Reichsgesandten „zu solchem tractat betrogen hatte“.⁶⁷³ Richtet man nun den Blick auf den Vertragstext selbst, so lässt sich die von Maximilian angebrachte und von Zurita einige Jahre später zugespitzte Kritik der reichsständischen Anmaßung nicht an der formalen Abfassung des Vertrages festmachen. Die Reichsgesandten weisen sich lediglich als Unterhändler, „oratores & nuncii“ des Waffenstillstandes aus, den sie „inter serenissimos & excelsos Romanorum & Francorum reges“⁶⁷⁴ abgeschlossen hatten. So wird es auch in der französischen Vertragsausfertigung geschildert: Nach „medio oratorum“ der

667 Müller, Johann Joachim (Hrsg.): Des Heil. Römischen Reichs, Teutscher Nation, Reichs-TagsStaat von anno MD. biß MDIIX. So wohl unter Keysers Maximiliani I selbsteigener höchsten Regierung. Jena 1709, S. 66ff. Das Verhandlungsprotokoll der Regimentsdebatten ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 47, fol. 3r–53r. 668 Zurita y Castro, Anales, wie Anm. 529, Bd. 5, S. 207v. 669 ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 47, wie Anm. 667, fol. 12r. 670 HHStA, Ma 10, fol. 44–45. 671 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 79. 672 HHStA, rrb MM (Reichsregister), fol. 57v–59v. 673 HHStA, rrb MM (Reichsregister), wie Anm. 672, fol. 45vf. 674 Die Abschrift des Waffenstillstandes findet sich integriert in das Protokoll zur Regimentssit­ zung. ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 47, wie Anm. 667, fol. 18v.

166 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

Kurfürsten und anderer Fürsten des Reiches sei ein Waffenstillstand zwischen den beiden Herrschern geschlossen worden.⁶⁷⁵ Anhand des Textes nachvollziehbar wird hingegen der zweite Kritikpunkt Maximilians; der nur allgemeine Verweis auf Italien. Wie bemängelt wurde, war nur das Reich allgemein und in obligatorischer Formelhaftigkeit im Waffenstillstand erfasst worden.⁶⁷⁶ Der Fall der Stadt Tournai hatte gezeigt, welchen Interpretati­ onsspielraum vage Benennungen für etwaige Vertragsinterpretationen und damit Überschreitungen ließen. Übertroffen wurde diese allgemeine Formulierung aber noch von einer direkten. Ludwig betitelte sich im Urkundentext bereits als „dux Mediolani“ und schrieb sich die Belehnung mit Mailand im wahrsten Sinne des Wortes selbst zu.⁶⁷⁷ Die Verhandlungen zu Plessis selbst belegen, dass die Unterhändler für die Problematik der genauen Textprüfung und -interpretation sensibilisiert waren. Die „pacta dotalia“, der von der Reichsgesandtschaft in Frankreich immer wieder zur Einsicht geforderte Heiratsvertrag als Basis französischer Lehnsansprüche sowie seine spätere päpstliche Bestätigung, wurde vor Ort und auf Grundlage der vorgenommen Prüfung als ungültig deklariert und zwar nicht nur, weil der Papst ein Schismatiker gewesen sei, sondern unter anderem mit folgender Begründung: Mailand werde im Vertrag überhaupt nicht erwähnt und Gian Galeazzo Visconti, auf dessen älteste Tochter und deren Ehe mit Ludwig von Orléans sich der französische Lehnsanspruch gründet, sei auch nicht Herzog von Mailand, sondern nur Vikar gewesen.⁶⁷⁸ Wie ging man nun im Reich mit den französischen Interpretationen des Waffen­ stillstands um? Maximilian richtete sich mit einer Frage an das Regiment, in der sich bereits die Spaltung des Reiches niederschlug. Das Regiment möge mitteilen, ob es den Waffenstillstand halten wolle, an den sich der römisch-deutsche König nicht

675 ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. E 47, wie Anm. 667, fol. 19r. 676 „. . . eorum Regna, ducatus, patrias . . . “. Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 63. 677 Vgl. für die Frühe Neuzeit Dauser, Regina: Der Friede und der Kampf um die Begriffe? Friedens­ verträge als Authentisierungsstrategien im europäischen Mächtesystem. In: Publikationsportal Europäische Friedensverträge. Hrsg. von Institut für Europäische Geschichte. Mainz 2008, S. 1–6. url: www.ieg-friedensvertraege.de/publikationsportal/dauser12200801/index.htm (besucht am 03. 03. 2017). 678 HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588, fol. 21v. Dass die in Vertragstexten an die Person geknüpften Herrschaftsansprüche nicht ohne Gewicht waren, belegt auch die Rückschau. In Senlis verzichtete Maximilian in einem Zusatzartikel auf den Herzogtitel der Bretagne, den er selbst zuvor in den schriftlichen Beilegungsversuchen des Erbschaftskonfliktes stets betont hatte. Selbst in den Vollmachten seiner Unterhändler habe er diesen Titel noch geführt und sich damit auf vergangene Verträge berufen, was er nun schriftlich revidierte. HHStA, Ma 2, wie Anm. 494, fol. 133–134.

6.6 Konsequenzen des Waffenstillstandes |

167

gebunden sah.⁶⁷⁹ Wie sich zeigt, antizipierte Maximilian bereits die vertragstreue Haltung des Regiments, welches sich nun der Sache annahm. Die Gesandten seien auf Befehl Maximilians, nicht in eigenem Interesse nach Frankreich gegangen und hätten sich bestimmt an die Instruktion gehalten, in deren Text der Einbezug Italiens ja nicht ausgeschlossen sei. Das wir nit anders merkhen oder vernemen, dann das Italia in dem bestandt nit auwsge­ schlossen ist, wiewol es mit sundern worten nit ausgedruckht ist, als ewr. Mt. Aus abschrift des bestands . . . on zweyfel nun wol vernomen hat.⁶⁸⁰

Auf einer Sitzung des Regiments wurde der Sachverhalt ausführlicher und im Hin­ blick auf eine französische Gesandtschaft behandelt, welche sich Ende Januar zur Lösung der Belehnungsfrage im Reich aufhielt.⁶⁸¹ Der Vertrag solle, hier war man sich einig, von Seiten des Reiches eingehalten werden, da dieses, wie Maximilian schon vorher angenommen hatte, um seine diplomatische Ehre fürchtete. Eine Aufhebung des Abkommens würde „mercklichen Schimpf, Nachgeschrey unnd Mißglauben dem heiligen Reiche und Dewtscher Nation bey den Franzosen unnd meniglichen in ewig zeit . . . geberen“.⁶⁸² Für die Einhaltung des Waffenstillstan­ des setzte sich maßgeblich Berthold von Henneberg ein, was aus dem Protokoll der Regimentssitzung hervorgeht. Die Gesandten seien sowohl von Maximilian als auch vom Regiment zum Vertragsabschluss bevollmächtigt gewesen. Diese Einheit des Reiches sollte auch nach außen kommuniziert werden. Zur Klärung der verzwickten Lage wurde vorgeschlagen, die Ankunft der Diplomaten abzuwarten und diese einem Verhör zu unterziehen, auch wenn man davon ausging, dass diese korrekt gehandelt hatten. Als Abschlussplädoyer formuliert Kurfürst Friedrich von Sachsen einen Kompromiss: Sollte der französische König den Frieden brechen, würde auch das Reichsregiment Abstand vom Waffenstillstand nehmen.⁶⁸³ Ein voreiliger Vertragsbruch, so antwortet man Maximilian, würde einmal den König und Initiator der Gesandtschaft nach außen hin unglaubwürdig erscheinen las­ sen. Darüber hinaus würde ein Alleingang Maximilians die Spaltung unter den Ständen des Reiches weiter befördern.⁶⁸⁴ Das Eintreffen der Reichsgesandtschaft Ende Februar 1501 wirkte sich nicht auf diese Einschätzung aus. Vielmehr wies man Nassau, Bünau und Lamparter ein strikt instruktionsgemäßes Handeln nach,

679 HHStA, Ma 10, wie Anm. 670, fol. 46ff. 680 Kraus, Reichsregiment, wie Anm. 624, S. 213. 681 HHStA, AUR, 1501 I. 14. 682 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 72. 683 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681. 684 HHStA, rrb MM (Reichsregister), wie Anm. 672, fol. 47v–49.

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weswegen der abgeschlossene Waffenstillstand weiterhin und unzweifelhaft zu gelten habe.⁶⁸⁵ Selbst die mittlerweile im Reich angelangte Information über ein weiteres Vor­ gehen der Franzosen in Italien wurde nicht zum Anlass für eine Aufkündigung der Vereinbarungen genommen. Vielmehr sei es die von Maximilian nicht eingehaltene Ratifikationsfrist, die als Bruch gewertet werden könne und nun das Verhalten Ludwigs rechtfertige. Der Ausgleich zwischen den Herrschern blieb auch jetzt das zentrale Interesse des Regimentes, welches unter Berufung auf den Waffenstillstand durchgesetzt und artikuliert wurde. Reichshilfe- und Rüstungsforderungen ließen sich so argu­ mentativ ausräumen.

6.7 Ein französischer Gesandter beim Reichsregiment? Die Probleme fehlgeschlagener Koproduktion der Instruktionen hatten sich offen­ sichtlich im Waffenstillstandsvertrag verdichtet, der nun zum weiteren Schauplatz dualistischer Ausdifferenzierung des Ordnungsgefüges Reich wurde. Gewandelte Strukturen wurden grenzübergreifend reflektiert. Ludwig funktionalisierte den Vertrag nicht nur als Argumentationsgrundlage für seine weitere Besetzung Italiens, sondern nutzte diesen darüber hinaus auch als diplomatische Handlungsraumer­ weiterung: Das Reich avancierte, über den Vertragstext hinaus, zum Hauptansprechund Verhandlungspartner. In der Zeit des Wartens auf die Reichsgesandtschaft⁶⁸⁶ erschien der französische Gesandte Charles de Hautbois beim Regiment, was Maximilian mit großem Unwillen aufnahm: Es war bisher nicht üblich, dass er und die französischen Könige einander Botschaften sandten ohne Vorwissen und Geleit des anderen.⁶⁸⁷ Die Problematik enthält nun also eine weitere Dimension. Das Reichsregiment sollte sich an der Verhandlung der Belehnungsfrage aktiv beteiligen. Ein Vorschlag, der bereits von der Reichsgesandtschaft in Plessis zur Sprache gebracht worden war. Auch in der Gesandtschaftsfrage trat Berthold von Mainz mit seinem König in Kontakt. Hautbois habe ihm selbst, dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen und dem Erzbischof von Magdeburg jeweils seine Kredenz vorgelegt. Aus der gehe hervor, dass dieser die Erneuerung der alten Verträge zwischen Reich und Frankreich, die Belehnung Ludwigs mit dem Herzogtum Mailand sowie die vertragliche Einigung über die 685 25. Februar 1501. HHStA, rrb MM (Reichsregister), wie Anm. 672, fol. 56–57; TLA, Max I/40, wie Anm. 623, fol. 106–107. 686 Januar bis Februar 1501. 687 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681.

6.7 Ein französischer Gesandter beim Reichsregiment? |

169

Bedingungen mit Maximilian und dem Reich durchsetzen sollte.⁶⁸⁸ Die direkte Verhandlung mit dem Reichsoberhaupt war dabei nur von sekundärem Interesse.⁶⁸⁹ Wie wurde nun die Belehnungsfrage geklärt und wie formierte sich das Ak­ teursdreieck Maximilian, Regiment, Ludwig? Ein Alleingang des Regiments zu Gunsten eines schnellen Friedensschlusses lässt sich nicht beobachten. Selbst die rege Werbung Ludwigs unmittelbar beim Regiment konnte die Entscheidungsfin­ dung nicht beschleunigen. Die Verhandlungen mit Hautbois fanden stets in enger Rückbindung an Maximilian statt. Schriftliche Freundschaftsbekundungen, die Ludwig über seinen Unterhändler an das Regiment übermitteln ließ, wurden von den Reichsständen an Maximilian weitergeleitet.⁶⁹⁰ Dennoch sind Einlenkungsversuche und ein partiell eigenständiges Handeln des Regierungsorgans nicht zu übersehen. Entgegen dem königlichen Wunsch, Hautbois direkt und ohne Verhandlung abzuweisen, forderte dieses zumindest eine Anhörung des Gesandten.⁶⁹¹ Die freundliche Aufnahme der Reichsgesandtschaft in Frankreich beförderte offensichtlich das Wohlwollen des Regiments. Mitte Mai zeugen die Berichte dann von ersten Lösungsversuchen, die eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Regiment und Maximilian vorsahen. Bisweilen woll­ te sich der römisch-deutsche König sogar einer Antwort des Regierungsorgans anschließen.⁶⁹² Über umfassende, von Ludwig auf Basis des Vertragsschlusses antizipierte Handlungsspielräume verfügten die Stände hingegen nicht. „Bey so gestalten Sachen“⁶⁹³ wollte das Regiment sich einer eigenverantwortlichen Replik für den französischen Gesandten nicht ermächtigen und stützte sich stattdessen auf die mit dem König abgesprochenen Punkte. Hautbois hingegen forderte explizit die Meinung des Regiments ein und bat um Geleit für den nächsten Reichstag. Trotz des parallel stattfindenden regen Schriftverkehrs mit dem französischen König verweigerte das Regiment eine eigene Antwort und regte als Ausflucht eine Verlän­

688 HHStA, Ma 11, fol. 13. 689 HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 87. 690 Vgl. z. B. HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 83. Darüber hinaus wandte sich der französische König aber auch direkt an Einzelpersonen. Belegt ist ein Brief vom 27. Februar 1501 an den Kurfürsten von Köln, mit welchem dieser um die Unterstützung der Mailänder Belehnung gebeten wurde. Lacomblet, Theodor Josef (Hrsg.): Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Köln, der Fürstentümer Jülich und Berg, Geldern, Moers, Kleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden. 4 Bde. Essen 1840–1858, Bd. 4, S. 608. 691 HHStA, rrb MM (Reichsregister), wie Anm. 672, fol. 57v–59v. 692 HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 80. 693 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 89.

170 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

gerung des Waffenstillstandes an.⁶⁹⁴ Über die Einbeziehung Neapels wurde man sich mit Hautbois hingegen nicht einig. Ohne königliche Zustimmung, heißt es wieder, könne man keinen Beschluss fassen.⁶⁹⁵ Bemerkenswert unversöhnlich wurde Hautbois am 22. Mai 1501 der Abschied gemacht: Das Reichsregiment verwies ihn mit seinen Anliegen auf den künftigen Reichstag. Erst dort und in Absprache mit Maximilian könne eine Antwort gegeben werden. Hautbois äußert sich bekümmert, dass es zu keinem Friedensschluss zwischen den beiden Herrschern gekommen war und bemühte noch einmal das gemeinsame Ziel des Türkenwiderstandes. Gleichzeitig hielt er sich auch die weiteren Verhandlungsoptionen offen und bat um Geleit für den kommenden Reichstag.⁶⁹⁶

6.8 Kontaktaufnahme: Das Reichsregiment und Ludwig XII. Hinter den Kulissen präsentiert sich noch ein anderes Bild. Entschuldigend richtet sich das Regiment direkt an den französischen König. Die lange Abwesenheit Maximilians habe die Stände daran gehindert, die französischen Anfragen zügig zu behandeln. Nun habe der römisch-deutsche König seine Fürsten für den 25. Juli nach Nürnberg bestellt, um in der Sache weiter zu beraten. Das Regiment werde sich aktiv für den Frieden zwischen den beiden Herrschern einsetzen, so die Zusage an Ludwig, dem auch „interna“ über das Wesen der Reichsversammlung vermittelt wurden. Es wird die Hoffnung geäußert, dass die Mehrzahl der deutschen Reichsstände sich in Nürnberg einfände, um das Regiment zu unterstützen.⁶⁹⁷ Bereits seit Anfang des Jahres hatte es einen schriftlichen Austausch zwischen Regiment und Ludwig gegeben. Der Einfluss des Gremiums dürfte dem König dabei nicht entgangen sein, konnte dieses doch seine Zusage einlösen und den von Maximilian ratifizierten Waffenstillstand übermitteln.⁶⁹⁸ Den Empfang der Ratifikation bestätigte Ludwig dem Regiment und verband diese Information mit der Bitte, den Frieden weiter voranzutreiben. Ausdrücklich formuliert er den Wunsch nach einem ewigen Freundschaftsbündnis mit dem römischen Reich und

694 „. . . und von des Reichs regiments wegen gleichfals antwort verlanget. Als aber das regiment zur zeit selbige suspendirte und nur auf die erstreckung des stillstands biß Sanct Michaelis antrug . . . “. HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 87. 695 HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 87ff. 696 Damit die Kommunikation mit dem Reich gewahrt blieb, sollte sein Bruder in Nürnberg bleiben. HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 94–98v. 697 Das Schreiben datiert auf den 25.Mai 1501. HHStA, Ma 11, wie Anm. 688, fol. 99. 698 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681.

6.9 Zusammenfassung |

171

dessen Fürsten. Das Reichsoberhaupt findet dabei keine Erwähnung, womit die volle Verantwortung den Reichsständen zugesprochen wird.⁶⁹⁹ Aus diesem Grunde wurde auch die Anwesenheit des Hautbois beim nächsten Reichstag gesichert, für den Ludwig um Geleit bat.⁷⁰⁰ Die Annäherung Ludwigs an die Reichsstände ist verständlich, stilisiert sich dieser doch in zahlreichen Schreiben selbst als Reichsfürst und begründet damit seine Ansprüche auf Mailand. Durch seine Verwandtschaft und alte Freundschaft zu Mailand betonte er, ein „sacri Imperii mebrum“ und Verwandter der Reichsfürsten zu sein. Die Kriegswerbung Maximilians bei den Eidgenossen konnte somit weder in seinem, noch im Interesse des Regiments sein, dass zu diesem politischen Schachzug nicht befragt worden war.⁷⁰¹ Offensichtlich versuchte Ludwig hier sein Wissen über die gespannte Situation im Reich für sich nutzbar zu machen.

6.9 Zusammenfassung Hermann Wiesflecker betont in seiner Studie das Scheitern des Reichsregimentes in ganzer Linie. Allein an den politischen Ergebnissen des Regimentes gemessen, ist dies sicher keine Fehleinschätzung. Will man nun aber einen Wandel diploma­ tischer Beziehungen feststellen, so manifestiert sich dieser in den quellenreich belegten Vorgängen wie ein Paradebeispiel. Die dualistische Ausdifferenzierung des Reiches artikulierte sich auch im Kontext grenzübergreifender Politik. Mit dem französischen König trat den Reichsständen ein Akteur entgegen, der aufgrund der divergenten Verfasstheit seines Herrschaftsbereiches als außenpolitisches Gegenüber bezeichnet werden kann. Die Veränderungen im Herrschaftsgefüge des Reiches wusste dieser für seine Zwecke zu nutzen, indem er die Kommunikation mit jener Partei verstärkte, die er am empfänglichsten für seine Ziele hielt. Der Waffenstillstand mit der Reichsgesandtschaft ist in diesem Zusammenhang mehr als Aufhänger zu sehen. Schon die Vorjahre hatten gezeigt, dass Interpretations­ spielräume in Vertragstexten genutzt wurden, es andererseits auch unmöglich

699 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681. Maximilian selbst wurde darüber hinaus, wenn auch indirekt, der Lüge bezichtigt. Niemals habe sich Ludwig an den Rechten des Reiches in Italien vergriffen, wer das Gegenteil behauptet, sei ein Lügner, heißt es weiter in dem Schreiben. 700 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681. 701 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681. In einem späteren Schreiben geht Ludwig noch weiter, so zumindest das Verständnis des Protokollanten Peter von Aufseß. Über seinen Gesandten auf dem Nürnberger Reichstag ließ dieser offensichtlich den Wunsch verkünden, nach seiner Belehnung mit Mailand selbst ein Kurfürst zu werden, damit er auch an der Wahl beteiligt würde. RI XIV, 3,2, n. 15564.

172 | 6 Ein Waffenstillstand mit dem Reich?

war, einen Text zu konzipieren, der alle Eventualitäten abdeckte. Das vorschnelle Urteil, die Reichsgesandtschaft habe aufgrund von mangelhaften Kenntnissen und Erfahrungen einen defizitären Text ausgehandelt, würde daher zu kurz greifen. Wichtiger ist die Tatsache, dass die Spaltung des Reiches nun auch in einem Do­ kument der Diplomatie über die Grenzen des Reiches hinaus sichtbar geworden war. Dies mochte Ludwig zum Anlass nehmen, seine weiteren Verhandlungen mit dem Reich und Maximilian als Interaktion mit zwei getrennt zu denkenden Akteuren zu handhaben. Neu ist hierbei sicherlich, dass es sich nicht um separate Verhandlungen mit einzelnen Reichsfürsten handelte, sondern Ludwig durchaus auf den korporativen Charakter des in Nürnberg tagenden Regimentes einging. Seine Schreiben richtete dieser nicht an namentlich genannte Einzelpersonen, sondern an „ipsius principum, quorum primores estis“.⁷⁰² In Abgrenzung zum römisch-deutschen König forderte er deren Meinung gezielt ein. Handelte es sich bei den hier beobachteten Phänomen nun um eine Ausnah­ meerscheinung, oder sollte sich der Status der Reichsstände im Umgang mit dem französischen König dauerhaft ändern?

702 HHStA, AUR, 1501 I. 14, wie Anm. 681.

7 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen Im Sommer 1501 wandelten sich die politischen Bedingungen. Im Juni war Ludwig XII. vom Papst Alexander VI. mit Neapel belehnt worden und in eine Liga mit diesem und Spanien eingetreten. Erzherzog Philipp hatte sich währenddessen zwischen seinen Vater und Ludwig geschaltet und war selbst in die Verhandlungen über einen Ehevertrag zwischen seinem Sohn Karl und der französischen Königstochter Claudia eingetreten, der im August 1501 zum Abschluss kam.⁷⁰³ Vorerst bildete der Vertrag die Grundlage für ein Abkommen, welches in Trient am 13. Oktober 1501 von Maximilian persönlich mit dem Kardinal Georges d’Amboise,⁷⁰⁴ als Vertreter Lud­ wigs, geschlossen wurde.⁷⁰⁵ Maximilian wurde begleitet von seinem treuen Sekretär Matthäus Lang, einem zentralen Handlungsträger der Diplomatie kommender Jahre.⁷⁰⁶ Die Reichsstände, Hauptakteure des vergangenen Waffenstillstandes und der Verhandlungen mit Hautbois, waren von den in Trient stattfindenden Unterredungen gänzlich ausgeschlossen. Handelte es sich bei ihrer diplomatischen Tätigkeit also nur um ein kurzes Intermezzo? Als stark prägendes Element der Trienter Berichte sticht die Herrschaftsinsze­ nierung Maximilians hervor. Bemerkenswert pompös war die Begegnung zwischen König und Kardinal, wie Sanudo von Contarini erfährt. Anders als Maximilian

703 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 78–88. Bekanntlich beabsichtigte Ludwig XII. nicht diesen Ehevertrag bis zu seiner Realisierung zu verfolgen. Dass Claudia eigentlich als Braut des Franz von Angoulême vorgesehen war, wusste auch Maximilian. Er berichtet darüber dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen in seiner Beschwerdeschrift über den französischen König. HHStA, Ma 12, fol. 231–238v. 704 Begleitet wurde dieser von Charles de Hautbois, der ja bereits in der Vergangenheit mit der Durchsetzung der Mailänder Belehnung betraut gewesen war. Burchard, Johannes: Diarium sive rerum urbanorum comentarii (1483–1506). Hrsg. von L. Thuasne. 3 Bde. Paris 1883–1885, Bd. 3, S. 165–166. Über die von d’Amboise offensichtlich verfolgten Eigeninteressen informiert der Florentiner Geschichtsschreiber Guicciardini. Verhandelt wurde über die Einberufung eines allgemeinen Konzils, um Haupt und Glieder der Kirche zu reformieren. Der Kardinal hatte daran Interesse, da er selbst Papst werden wollte. Guicciardini, Francesco u. Panigada, Costantino (Hrsg.): Istoria d’Italia. 5 Bde. Bari 1929, Bd. 2, S. 28ff. 705 Im Beisein des päpstlichen Legaten Gurk und des spanischen Gesandten Juan Manuel. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 90–91. Cauchies, Jean-Marie: Philippe le beau. Le dernier duc de Bourgogne. Turnhout 2003 (Burgundica 6), S. 144–147. 706 Zu Langs späterem Wirken an der Kurie Metzig, Gregor M.: Der gescheiterte Frieden. Matthäus Lang als kaiserlicher Sondergesandter an der römischen Kurie (1553/1514). Ein Beitrag zu Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. Hrsg. von Sieglinde Hartmann. Wiesbaden 2009 (Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17), S. 349–366. DOI 10.1515/9783110493115-007

174 | 7 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen

erwartet hatte, reiste der französische Kardinal mit einem stattlichen Gefolge an.⁷⁰⁷ Dem begegnete der König mit einer ebenso aufwendigen Herrschaftsinszenierung, der man die Spaltungen des Reiches nicht anmerken konnte.⁷⁰⁸ Am 13. Oktober empfing Maximilian d’Amboise thronend.⁷⁰⁹ Vor den Augen des Kardinals wurde der Gegenentwurf zum misslungen Waffenstillstand vom Dezember 1500 nicht nur verschriftlicht, sondern auch inszeniert.⁷¹⁰

7.1 Verhandlungen und Ergebnisse Der Venezianer Priuli berichtet in seinem Tagebuch von einer öffentlichen Audienz, die am 12. Oktober 1501 zwischen Maximilian und d’Amboise stattfand und in deren Anschluss man sich zu den eigentlichen Gesprächen zurückzog.⁷¹¹ Über die wesentlichen Punkte hatte man sich vorher bereits in Briefen geeinigt. Nun in Trient erfolgte die Abfassung der Artikel teilweise so geheim, dass Maximilian und d’Amboise „propriis manibus“ für deren Verschriftlichung sorgten.⁷¹² Schnell kamen die Verhandlungen zu einem Ergebnis, welches, ungeachtet der feierlichen Inszenierung, nicht als dauerhafter Friedensschluss zu werten ist. Der Florentiner Geschichtsschreiber Guicciardini berichtet, man einigte sich, dass Anhänger und Bundesgenossen im Vertrag eingeschlossen sein sollen, und zwar unbeschadet der Rechte des Reiches. Die größte Schwierigkeit machte jedoch die Investitur, weil Maximilian sich weigerte, Ludwig eine männliche Erbfolge auf das Lehen zuzugestehen. Zudem gab es Differenzen bezüglich der Rückstellungen für die

707 Vgl. den Bericht des Contarini, hier in der Übersetzung aus: RI XIV, 3,2, n. 15671. 708 Er hielt als Jäger Einzug, ausgestattet mit Jagdhorn und Hundeleinen. Voran fuhr ein Wagen mit einem selbst gefangenen Bären und einem Hirschen, so die Schilderung Contarinis. Sanudo, Diarii, Bd. 4, Sp. 149–150. 709 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 91. Eine ausführliche Beschreibung des Begrüßungszeremoniells liefert Spagnolo an Francesco Gonzaga von Mantua. Regestenartig und übersetzt in RI XIV, 3,1, n. 12572. 710 D’Amboise war bekanntlich anwesend, als die Reichsgesandtschaft in Frankreich vorsprach. Sanudo, Diarii, Bd. 3, Sp. 1237–237. HHStA, Frankreichberichte, Karton 1, wie Anm. 588. Begleitet wurde d’Amboise vom Präsidenten des Pariser Parlaments Charles de Hautbois. Burchard, Diari­ um, wie Anm. 704, Bd. 3, S. 166. Höflechner, Walter: Die Gesandten der europäischen Mächte, vornehmlich des Kaisers und des Reiches 1490–1500. Wien [u. a.] 1972 (Archiv für österreichische Geschichte 129), S. 188–189. 711 Segrè, Arturo u. Cessi, Roberto (Hrsg.): I Diarii di Girolamo Priuli (AA. 1494–1512). Città di Castello 1912–1921 (Rerum Italicarum Scriptores. Nuova Edizione 24,3), S. 182. 712 Burchard, Diarium, wie Anm. 704, Bd. 3, S. 166.

7.2 Außenwahrnehmung der Reichsbedeutung |

175

Mailänder Vertriebenen. Auch über die von Maximilian geforderte Befreiung des Kardinals Ascanio und des Ludovico Sforza konnte kein Konsens erzielt werden.⁷¹³ Restitutionen, wie sie in den Verträgen von Arras und Senlis in umfassender Weise geregelt worden waren, ließen sich also hier noch nicht beschließen. Es fehlt daher ein wichtiger Bestandteil eines Friedensschlusses.⁷¹⁴ Im Vertrag wurden die Artikel offen formuliert und die endgültige Entscheidung vertagt,⁷¹⁵ was Ludwig die Möglichkeit zu einer späteren Vertragsinterpretation offen ließ, in der er dann die Freilassung des Ludovico Sforza endgültig negierte. Die Belehnung mit Mailand wurde hingegen von den Vertragsartikeln vor­ bereitet, die festhielten, dass beide Könige die Untertanen des anderen in ihren Dienst nehmen durften.⁷¹⁶ Die Möglichkeit der Mailänder Belehnung wurde damit generell eingeräumt, auch wenn die Einigung über die zu leistenden Siegeltaxen verschoben und in der späteren Interpretation zu Ungunsten Maximilians ausgelegt werden sollte.⁷¹⁷

7.2 Außenwahrnehmung der Reichsbedeutung Handelte es sich bei dem Trienter Vertrag also eher um vorläufige Bestimmungen und um einen ersten Schritt der Einigung, ist das hier vertraglich fixierte weitere Vorgehen dennoch bemerkenswert. Vorgesehen war der künftige Einbezug des Reiches nicht nur in die Friedensfindung, sondern auch in das Vertragsschlussver­ fahren selbst. Eingang in den Vertragstext nahm die Bestimmung, dass die Fürsten und Reichsstände diesen Frieden auf dem nächsten Reichstag ratifizieren,⁷¹⁸ über

713 Guicciardini u. Panigada, Istoria, wie Anm. 704, Bd. 2, S. 28ff. 714 Die Amnestie impliziert auch materielle Rückstellungen. Offenstadt spricht von „l’economie de l’oubli“ Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 50–54. 715 Die collationierte Abschrift Robertets befindet sich laut den RI in der Freiburger Kantons­ bibliothek, Coll. Girard V, 157ff RI XIV, 3,1, n. 12570. Die Datenbank des IEG Mainz verweist auf folgendes Stück: Spanien, Ministerio de Cultura, AG Simancas: Estado Leg. K 1639 (Kopie). Eine unvollständige Abschrift unter HHStA, AUR, 1501 X. 13. Eine spätere Abschrift Archives nationales de France, ANF, J 610–612. 716 „. . . poterunt tamen nihilominus ambo reges subditos utriusque regni, ad omnia aliqua sua servitia in servitores accipere.“ Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16. 717 Vgl. dazu die Artikel der Interpretation bei Haneton: HHStA, Ma 16, fol. 17v–18. Das Siegelgeld für die Belehnung wurde von 80.000 „écus d’or“ auf zunächst 50.000 Francs zu reduzieren versucht. 718 „Quod principes atque status sacri romani Imperii pacem illam approbent, ratificent, atque confirment in prima dieta imperiali . . . “.

176 | 7 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen

die noch offenen Punkte zum Besten beider Könige beraten und die Belehnung mit Mailand zusammen mit dem Reichsoberhaupt vornehmen würden.⁷¹⁹ Von der Besonderheit dieser Reichsintegration zeugt deren Erwähnung in weiteren Berichten. Aus dem Tagebuch des päpstlichen Zeremonienmeisters Jo­ hannes Burchard erfahren wir, das am kommenden Katharinentag in Frankfurt die Kurfürsten des Reiches mit Maximilian zusammenkommen würden, um dem Kardinal von Rouen als Stellvertreter des französischen Königs den ratifizierten Friedensvertrag zu übergeben.⁷²⁰ Die tatsächliche Umsetzung der Trienter Kapitel erfordert eine eigene Be­ handlung und sei zunächst dahingestellt. Festhalten lässt sich vorerst, dass die Verhandlungsrealität des vergangenen Jahres eindeutig ihren Niederschlag im Vertragstext gefunden hatte. Die Reichsstände waren nicht nur als Akteure am französischen Hof diplomatisch tätig gewesen, zeitweise zog Ludwig XII. auch die Interaktion mit dem Regiment vor. Eine reichsständische Beteiligung an der weiteren Aushandlung und Umsetzung des Friedensschlusses ist als logische Konsequenz zu werten und zeugt zugleich von der inhaltlich offenen Gestaltung des Vertragstextes, der seine Gültigkeit erst in Abhängigkeit vom Reichstag erlangen sollte. Formal hebt sich das Trienter Abkommen von den umfassenden Friedens­ schlüssen von Arras und Senlis ab. Anders als dort, wurden die Fürsten nicht einzeln als Zeugen oder Garanten aufgeführt, vielmehr war es das korporativ verstandene Gremium der „principes atque status sacri romani Imperii“ und die Institution des „dieta imperiali“,⁷²¹ welche textliche Erwähnung fanden. In den zuvor beobachteten Vertragsschlüssen stand eine solche Benennung immer im

719 „Quod . . . in proxima Dieta Francfordiensi, una cum Electoribus, & cæteris Principibus Romani Imperii, solenniter & ut moris est, Christianissmum Francorum Regem . . . de ducato Mediolani investiat . . . .“ Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16. 720 Burchard, Diarium, wie Anm. 704, Bd. 3, S. 166. Auch in weiteren Berichten wird der geplante Frankfurter Reichstag und der dort vorgesehene Abschluss des Friedens unter Teilnahme der Kurfürsten erwähnt: Tolomeo Spagnolo berichtet an den Markgrafen Francesco Gonzaga von Mantua über die Verhandlungen und die Tatsache, dass der feierliche Friedensschluss auf dem Reichstag in Frankfurt stattfinden werde. RI XIV, 3,1, n. 12575. Auch Zuritia erwähnt diese Sach­ verhalte in seiner Schilderung und verweist auf die geplante Belehnung. Maximilian sollte auf dem Frankfurter Reichstag zusammen mit den Kurfürsten den König von Frankreich mit dem Herzogtum Mailand belehnen, und zwar entsprechend den Gewohnheiten des Reiches, sodass der französische König oder dessen Stellvertreter zuerst den Mannschaftseid zu leisten hätte. Dieser Friede sollte durch die deutschen Fürsten und Reichsstände auf dem nächsten Reichstag bestätigt werden. Das wurde über die Friedensverhandlungen öffentlich bekannt gegeben. Zurita y Castro, Anales, wie Anm. 529, Bd. 5, S. 221ff. 721 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16–17.

7.3 Reichstag als Ratifikationsinstanz? Grenzen vertraglicher Normierung |

177

Kontext eines Herrscher–Untertanenverhältnisses. Die Co-Ratifikation durch ausge­ wählte Vasallen implizierte deren möglichen Seitenwechsel bei Vertragsbruch.⁷²² Mit diesen Verpflichtungserklärungen, wie sie für die Verträge von Arras und Senlis zahlreich überliefert sind, banden sich Städte oder Fürsten wortwörtlich an den Vertragstext. In dem hier vorliegenden Fall wird dessen finaler Beschluss hingegen von den weiteren Verhandlungen und der anschließenden Ratifikation der Fürsten und Stände des Reiches abhängig gemacht. Schon der präliminare Charakter der Trienter Artikel verbietet es, diese Beob­ achtung als Umbruch zu werten. Vielmehr ist von einer punktuellen Verdichtung als von einer Zäsur auszugehen. Dass es sich beim Vertrag von Trient weitgehend um eine schriftlich fixierte Verhandlungsgrundlage handelt, belegen die kommenden Ereignisse. In Blois unterzog man den Text einer Neuinterpretation, welche zwischen Phil­ ipp⁷²³ und dem französischen König ausgehandelt wurde. Es entstand ein weiterer Vertragstext, dem, wie auch der Ursprungsversion, der Hinweis auf eine Ratifikation im Rahmen französischer Institutionen fehlte. Parlement de Paris oder chambre des comptes werden nicht als Instanzen der Vertragsprüfung aufgenommen. Die gewünschte Bestätigung und Ratifikation durch Fürsten und Stände des Reiches fehlt ebenfalls in den Artikeln der Interpretation. Dort heißt es lediglich, die französischen Gesandten mögen auf dem kommenden Frankfurter Reichstag die alten Freundschafts- und Bündnisverträge zwischen Kaiser und Reich sowie König und Königreich erneuern.⁷²⁴ Wurden nun die kontroversen Bestimmungen der beiden Verträge von Trient und Blois im Reich umgesetzt?

7.3 Reichstag als Ratifikationsinstanz? Grenzen vertraglicher Normierung Die weitere Verhandlung offener Vertragspunkte sowie die auf dem kommenden Reichstag durchzuführende Vertragsratifikation durch das Reich haben sicherlich

722 Vgl. dazu das Verständnis von Co-Ratifikation bei Lesaffer, Three peace treaties, wie Anm. 63, Abschn. 47. 723 Als burgundische Unterhändler treffen wir Bekannte an: Busleyden und Henri de Berghes, Jean de Berghes, Guillaume de Croÿ und den Legisten Ruter. Vgl. Cauchies, Philippe le beau, wie Anm. 705, S. 146. 724 „. . . renouveller les anciennes amitiez & alliances entre l’empereur & l’Empire, le roi & le roiaume.“ Eine Abschrift der Interpretationsartikel findet sich in der Darstellung des ersten Sekretärs Philipps, Philippe Hanetons. HHStA, Ma 16, wie Anm. 717, fol. 16v–18v.

178 | 7 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen

innovativen Charakter. Was passierte aber nun, wenn der formale Anspruch auf die politische Realität im Reich traf? Anders gefragt: Inwiefern konvergierten die im Vertrag repräsentierten formalen Ansprüche mit der politischen und institu­ tionell-strukturellen Realität des Reiches? Bestand überhaupt von irgendeiner Seite ein Interesse an der Umsetzung der Vertragsartikel, welche die unmittelbare Beteiligung des Reiches vorsahen? Bereits die Verhandlungsrealität in Trient stand im starken Kontrast zum Auftreten der Reichsgesandtschaft in Frankreich. Maximilian erschien selbst als Verhandlungspartner in einem Umfeld, was nur als offensichtliche Inszenierung seines Königtums gelesen werden konnte. Dem Reichsregiment stand mittlerweile die Selbstauflösung drohend bevor⁷²⁵ und Erzkanzler Berthold von Henneberg ergriff die Initiative. Auf einem Kurfürstentag in Gelnhausen im Juli 1502 kam sogar die Absetzung des Königs ins Gespräch.⁷²⁶ Auch die französischen Gesandten wur­ den Augenzeugen dieser Differenzen und berichten über die Probleme Maximilians nach Frankreich.⁷²⁷ Selbst die reichsständischen Kontakte zum französischen König zeugen nicht mehr von jenen Aktivitäten, welche sich im Anschluss an den Waffenstillstand des Jahres 1500 hatten beobachten lassen, auch wenn noch vom Juni 1502 durch Contarini berichtet wird, dass von französischer Seite durchaus Bemühungen um die Gunst der Fürsten, insbesondere die Unterstützung Bertholds von Mainz stattfanden.⁷²⁸ Von der konkreten Umsetzung der in Trient geforderten Vertragsrati­ fikation war an dieser Stelle schon nicht mehr die Rede. Die weitere Verhandlung der Mailänder Investiturfrage ist nicht zuletzt durch den Bericht des Zaccharia Contarini gut dokumentiert.⁷²⁹ Auch die französische Gesandtschaft,⁷³⁰ welche

725 Anstatt einen Statthalter für das Regiment zu bestellen, forderte er vom Mainzer Erzbischof das Siegel zurück. Kraus: Reichsregiment, wie Anm. 622, S. 144. 726 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 20–26. 727 „Je desireroye fort que ladicte paix faicte à Tridente se observast; . . . [B]ruyt est desjá en Alemagne, consideré que suys en quelque dissension aveques les ellecteurs et prince de l’empire . . . .“ Le Glay, André J. G. (Hrsg.): Négociations diplomatiques entre la France et l’Autriche durant les trente premières années du XVIe siècle. 2 Bde. Paris 1845, Bd. 1, S. 55. 728 RI XIV, 4,1, n. 16701. 729 Vgl. zu den venezianischen Gesandtschaften ausführlich Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7, S. 26–58. Zu Contarini auch Wiesflecker, Missionen des Zaccaria Contarini, wie Anm. 595, S. 155–179. 730 Die Gesandtschaft traf am 15. Februar in Tirol ein. Geführt wurde diese von Louis de Halewin Seigneur de Piennes. Wortführer war Charles Geoffroy, der Präsident des Parlaments der Dauphiné. Des Weiteren befanden sich im Gefolge Charles du Hautbois, Etienne Petit und Jean Guérin. Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 38. Der französische Schatzmeister Florimond Robertet verließ den Hof Maximilians bereits vor Eintreffen der Gesandtschaft Mitte Januar 1502. Maximilian

7.3 Reichstag als Ratifikationsinstanz? Grenzen vertraglicher Normierung |

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eigens zur Erlangung der Investitur abbestellt worden war, liefert eine ausführliche Dokumentation. Bekanntlich kam der Frankfurter Reichstag in der vertraglich gewünschten Form nicht zustande. Die Schuld dafür wurde von den auswärtigen Gesandten eindeutig Maximilian zugeschrieben, auch wenn die Fürsten den Reichstag nur am­ bitionslos beschickten.⁷³¹ Ein kurfürstliches Interesse an der weiteren Verhandlung noch offener Vertragspunkte lässt sich ebenso wenig erkennen, wie die Erhebung ihres Anspruches auf die Ratifikation. Wo nun der Vertragstext den Anschein erwe­ cken mag, im Reich würde sich ein Ratifikationsusus ähnlich dem des parlement de Paris etablieren, so ist ein solcher an dieser Stelle unhaltbar. Vielmehr traf der im Vertragstext gesetzte Anspruch im Reich auf zu liquide, im Ausformungsprozess begriffene Strukturen. Das Reichsregiment war im Begriff auseinanderzufallen und auch der Reichstag und dessen Realisierung waren von der divergenten Interes­ senslage seiner Akteure abhängig. Zudem gab Maximilian, wie wir später erfahren, dem französischen König die Schuld an den akuten Oppositionsbestrebungen der Kurfürsten.⁷³² Von seiner Seite aus kann kein Interesse an einer reichsständischen Vertragsratifikation bestanden haben. Die auswärtigen Stimmen, die sich nun im Kontext der Vertragsumsetzung gegen Maximilian erhoben, sind differenziert zu betrachten. Nicht die Reichsfürsten, sondern die päpstlichen und venezianischen Gesandten vor Ort versuchten offenbar mit verschiedenen Mitteln, Maximilian zur Abhaltung und die Kurfürsten zur Beschickung des Frankfurter Reichstages zu bewegen, der schließlich den Frieden mit Frankreich sichern und den Kreuzzug gegen die Türken vorantreiben sollte. Offen klagte man über die Verzögerungstaktiken des römisch-deutschen Königs, welche Contarini und dem päpstlichen Legaten Peraudi nicht verborgen blieben. Contarini zeigt sich bestens informiert über die Gepflogenheiten im Reich. Sei Maximilian wirklich an einer raschen Durchführung des Reichstages gelegen, müssten er und Berthold von Mainz sich als erste nach Frankfurt bewegen, was aber nun nicht der Fall war. Scharf analysieren Contarini und Peraudi im Gespräch

wollte die Gesandtschaft erst abfertigen, wenn dieser mit der Antwort des französischen Königs zurückkehrte. Dazu Kraus, Reichsregiment, wie Anm. 624, S. 171. 731 Kraus, Reichsregiment, wie Anm. 624, S. 165 Bis Ende Dezember hatten nur die Kurfürsten von Mainz und Köln eine Herberge bestellt. 732 Dies äußert er im Geheimen vor den städtischen Ratsboten in Ulm: „Dazu hab der könig von Frankreich durch sein listigkait sonder gearbait, das durch die reichsstend uff dem tag zu Augspurg fleiss beschehen, das von irer kais. Mt. nit mer als ein röm. könig zu handeln hett[.] Der könig von Frankreich hab sich auch aus falschem bösem grund erbotten gegen dem reichsregiment wider das reich mit zu tun [.]“ Klüpfel, Karl A. (Hrsg.): Urkunden zur Geschichte des schwäbischen Bundes (1488–1533). 2 Bde. Stuttgart 1846–1853, Bd. 1, S. 470.

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die Positionen und fürchten um ein Zustandekommen des Friedens, welcher ja laut Vertrag an den Reichstag gebunden war. Diese Verbindung versuchte Maximilian nun offensichtlich zu lösen und unabhängig vom Reichstag zu agieren. Ohne die Zustimmung der Fürsten werde der französische König jedoch nicht zu einem Friedensschluss breit sein, so die Vermutung des Legaten.⁷³³ Dementgegen stand die unübersehbare Uneinigkeit im Reich. Contarini und seine Informanten zweifelten daran, dass Maximilian die Einstellung der Fürsten zu Friedensartikeln, Romzug und Türkenkrieg überhaupt wissen wollte und aus diesem Grund auch wenig Interesse an einem Besuch des Reichstages hatte.⁷³⁴ Zu Tage treten auch die Versuche des Königs, die auswärtigen Unterhändler für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Laut Augsburger Ordnung, so verkündete er den Gesandten, dürfe er das Reich nur zu einem Kriegszug aufbieten, wenn dieser durch den Reichstag beschlossen würde. Diesen wiederum könne er nur mit Zustimmung des Regiments berufen. Der institutionelle Weg zum Beschluss des von Peraudi so dringend geforderten Kreuzugsaufgebotes sei damit sehr lang. Zur Umgehung der Formalitäten bat Maximilian daher Peraudi, Kurfürsten und Fürsten von einem „unbürokratisch“⁷³⁵ legitimierten Waffengang zu überzeugen. Die Ungewöhnlichkeit dieser Bitte, welche faktisch den Versuch darstellte, auswärtige Gesandte zu eigenen Gunsten vermittelnd ins Reichsgeschehen ein­ zubinden, beachtet Contarini durchaus kritisch. Die Entsendung auswärtiger Unterhändler zu den Fürsten sei ein ungewöhnlicher Weg, den Reichstag zu beru­ fen. Ein solches Vorgehen sei außerhalb der Reichsverfassung und werde keine Wirkung haben, ergänzt der französische Unterhändler.⁷³⁶ Insgeheim mochte man die Beteiligung auswärtiger Diplomaten an Reichsan­ gelegenheiten aber nicht gänzlich verwerfen. Contarini und Peraudi diskutierten Szenarien zur Durchsetzung der eigenen Ziele. Peraudi könne, so der Vorschlag Contarinis, den Reichstag versammeln, um dann den gewünschten Kreuzzug zu beschließen. Geistliche Zensuren könnten den König zur Teilname zwingen.⁷³⁷ Anhand solcher Überlegungen wird deutlich, inwiefern sich die politischen Realitäten und Strukturen des Reiches zumindest in der auswärtigen Wahrnehmung verfestigt und etabliert hatten. Auch wenn das, was vertragstextlich gesetzt worden war, Ratifikation und weitere Aushandlung des Trienter Abkommens auf dem Reichstag, nicht in der antizipierten Form umgesetzt wurde, zeugen die entspre­ chenden Artikel doch von einer Außenwahrnehmung des Reiches als dualistisches 733 734 735 736 737

RI XIV, 3,1, n. 12648. RI XIV, 3,1, n. 12667. Ohne Zustimmung des Reichstages. RI XIV, 3,1, n. 12731. RI XIV, 3,1, n. 12731. RI XIV, 3,1, n. 12671.

7.3 Reichstag als Ratifikationsinstanz? Grenzen vertraglicher Normierung |

181

Gefüge. Kaiser und Reich wurden getrennt voneinander gedacht, neue Institutionen als funktional angenommen. Dass dabei die Formalität der Vertragsratifikation auf dem Reichstag nicht von zentralem Interesse der auswärtigen Mächte war, ist nachvollziehbar, handelte es sich doch weniger um einen finalen Friedensschluss als um Präliminarien. Stärkeres Interesse bestand hingegen an der konkreten Belehnungsfrage. Auch hier war vertraglich die Beteiligung der Reichsfürsten vorgesehen. Neben dem Vorrecht der Mitwirkung am Belehnungszeremoniell müssen vor allem munizipale Interessen bedacht werden. Für den römisch-deutschen König bedeutete die Mit­ wirkung der Fürsten bei der Investitur auch deren Beteiligung an den Geldsummen, welche der französische König für den Akt zu leisten hatte. Von französischer Seite war offensichtlich vorgesehen, alle Kurfürsten und Fürsten des Reiches, unabhängig von ihrer Meinung, im Rahmen der Investitur zu honorieren. Die Rolle der Reichsfürsten war offensichtlich von beiden Seiten als tragend angesehen worden, womit sich die Uneinigkeit zwischen Maximilian und dem französischen Gesandten Charles Geoffroy über die Geldsumme erklären lässt.⁷³⁸ Rege Debatten gab es um die Form der Belehnung. Contarini erfuhr von den französischen Gesandten, dass, basierend auf dem Vertrag von Trient, die Mailän­ der Investitur auf dem Frankfurter Reichstag in Gegenwart der Fürsten vollzogen werden sollte. Nun stellte sich das Problem, dass Maximilian die alleinige Autorität zur Belehnung für sich beanspruchte. Die französischen Gesandten zeigten sich verunsichert ob dieser Abänderung des Vertragsbeschlusses. Nur in Rücksprache mit Ludwig XII. konnte geklärt werden, ob dieser die Investitur von Maximilian allein annehmen werde.⁷³⁹ Im Austausch mit dem spanischen Unterhändler äußer­ ten sie den Wunsch, dass die Belehnung so sicher wie möglich gehalten werden sollte.⁷⁴⁰ Dementgegen kursierte das Gerücht, der römisch-deutsche König wolle die Investitur nicht öffentlich, sondern „secretement en sa chambre“⁷⁴¹ abhalten, auch wenn er vertraglich dazu verpflichtet war, diese „en solemnité à Francfort avec ques les électeurs“⁷⁴² durchzuführen.

738 RI XIV, 4,1, n. 16055. 739 RI XIV, 4,1, n. 15865. 740 . . . „[N]ous converçasmes avecques ledit ambassadeur d’Espaigne et parlasmes du fait de l’investiture, où il nous demanda en quelle sorte la voulions avoir; auquel nous declarasmes que desirons la recouvrer en la plus ample forme et seureté pour le roi que seroit possible: c’est assavoir pour masles et femelles en droicte ligne . . . cassant et anullant celle du sieur Ludovic . . . .“ Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 38–39. 741 Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 39. 742 Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 40.

182 | 7 Trient (1501): Ein Vertragsschluss unter gewandelten Bedingungen

Generell stellte sich unter den anwesenden Vertretern auswärtiger Mächte die Frage, wie eine korrekte Belehnung im Reich ablief. Charles Geoffroy erkundigte sich bei Contarini, ob dieser schon einmal eine Investitur erlebt habe, woraufhin dieser Antwort gab, dass Maximilian gewöhnlich öffentliche Investituren feierlich, „in regalibus“ vornehme, aber mitunter auch private oder geheime. Die Fürsten nähmen die Belehnung persönlich oder durch Vertreter entgegen.⁷⁴³ Auf dem Reichstag zu Worms 1495 war der Venezianer Zeuge einiger Belehnungen geworden.⁷⁴⁴ Trotzdem stellte sich ihm die Frage, ob bei der Investitur alle Länder und Orte einzeln oder nur allgemein genannt würden. Charles Geoffroy entgegnete, dass der König von Frankreich und seine Nachfolger genannt werden und dass er glaube, dass sich die Investitur auf alle dem Reich unterstellten Orte in Italien erstrecke. Diese Vermutung basiere auf einer Kopie der Investitur des Ludovico Moro, welche er gesehen habe.⁷⁴⁵ Der Austausch zwischen den beiden Diplomaten verdeutlicht die potentielle Unsicherheit und Interpretierbarkeit des Aktes. Das Textzeugnis der vergangenen Belehnung wurde als Maßstab prüfend und zur Einschätzung der Situation herangezogen.

7.4 Interpretation der Artikel von Trient in Blois Wie bereits festgestellt wurde, spielte die institutionelle Absicherung der Artikel von Trient und Blois eine untergeordnete Rolle. Auf einer ständischen Ratifikation wurde nicht bestanden und auch die Bestätigung der Artikel vom parlement de Paris ist nicht belegt und im Text auch nicht gefordert. Im Vordergrund steht hingegen die zeremonielle Akzentuierung des Vertragsschlusses oder genauer, der beiden Vertragsschlüsse. Wie erwähnt fand in Blois durch Philipp und Ludwig die für Maximilian ungünstige Interpretation der Trienter Artikel statt:⁷⁴⁶ Die Lehnstaxe der Franzosen war reduziert worden und die Herausgabe Ludovicos wurde ebenso wenig in Aussicht gestellt wie die Freilassung der Mailänder Exilanten.⁷⁴⁷ 743 RI XIV, 4,1, n. 16055. 744 In dem entsprechenden Bericht schildert er die prunkvolle und öffentliche Belehnung der Kurfürsten von Mainz, Köln, Pfalz und Sachsen. Bei den übrigen Fürsten fanden die Belehnungen gelegentlich auch privat statt, so der Bericht. RTA MR, 5,2, S. 1776. 745 RI XIV, 4,1, n. 16055. 746 Dass diese ohne weiteres möglich war, weil der Vertrag durch Maximilians Vereitelung des Frankfurter Reichstages bereits als gebrochen angesehen wurde, ist eine Vermutung Wiesfleckers, welche sich anhand der Quellen weder belegen noch widerlegen lässt. Die nicht umgesetzte ständische Ratifikation findet schlicht keine Erwähnung. 747 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 17–18.

7.4 Interpretation der Artikel von Trient in Blois |

183

Ein rituell angemessener Kontext war bei beiden Vertragsschlüssen gegeben. Das Trienter Abkommen hatten Maximilian und d’Amboise feierlich beeidet und unterzeichnet. Philipp beschwor die Interpretation von Blois auch im Namen seines Vaters und in die Hände des Bischofs von Cambrai. Einen Tag zuvor, am 12. Dezember, hatte Ludwig die Ratifikation der Trienter Artikel veröffentlicht.⁷⁴⁸ Die Verhandlungen mit den französischen Gesandten im Reich, die dann im Frühjahr und Sommer des Jahres 1502 stattfanden, waren gesäumt von Feierlich­ keiten. Der wahre Kern des Friedensschlusses scheint vor diesen Hintergründen mehr zu verblassen, als bestätigt zu werden. Bereits bei den Verhandlungen traten unüberwindbare Differenzen zutage. Jetzt, im Kontext der Feierlichkeiten, herrschte weiterhin Unklarheit darüber, von welcher Textgrundlage man eigentlich ausging. Zweifel verbreiteten sich auch unter den Diplomaten am römisch-deutschen Hof. Contarini berichtet am 6. Januar 1502 aus Innsbruck, wie sich Maximilian in Beglei­ tung der Gesandten und des ganzen Hofes in die Kirche begab, wo der Bischof von Seckau eine Messe las. Im Anschluss daran wurde der Friede unter Trompeten und Trommelschlag durch Georg von Neudegg öffentlich verkündet und in deutscher Sprache wiederholt. Die Freude über die vermeintliche Einigung blieb aber trotz aller öffentlichen Inszenierungen getrübt. Die französischen Gesandten zeigten sich gegenüber Contarini irritiert, denn sie waren nicht sicher, ob es hier nur um die Trienter Artikel gehe, oder doch um die in Blois vereinbarten Einzelheiten.⁷⁴⁹ Tatsächlich sollte die Frage, auf welche Friedensartikel man sich nun geeinigt hatte, im Folgenden relevant bleiben, waren die diesbezüglichen Ansichten doch durchaus konträr. Matthäus Lang, der bei der Abfassung der Trienter Version zugegen gewesen war, verkündete der französischen Delegation schließlich, dass die Interpretation von Blois nichtig sei.⁷⁵⁰ Die Franzosen hingegen hielten an der Interpretation fest, auf der auch ihre Instruktionen basierten. Der Abschied im März 1502 lässt erkennen, dass keine weitere Einigung zu erzielen war. Die französischen Gesandten durften die Investitur in der zu Trient beschlossenen Form, ohne Nennung der Erben, nicht annehmen. Maximilian wiederum hielt an der Ursprungsversion fest und verweigerte die Ratifikation der Artikel von Blois. Er bestand vielmehr darauf, bereits mit dem Eid in die Hand des Kardinals d’Amboise alle formelle Vertragsbestätigung geleistet zu haben. Wenn die Artikel von Blois denen von Trient gleichwertig wären, so die Schlussfolgerung, müsste der Eid ja seine Geltung behalten. Wichen die Kapitel hingegen ab, könne er keine zwei Eide leisten.⁷⁵¹ 748 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 96–97. 749 RI XIV, 4,1, n. 15865. 750 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 99. 751 RI XIV, 4,1, n. 16181.

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Die bestehende Uneinigkeit hinsichtlich der Textgrundlage wird auch im Um­ feld der Veröffentlichung deutlich. Für die Verkündung wählte man wie üblich eine verkürzte Form des Textes. Welcher Vertrag nun die Grundlage war, wurde daraus nicht offenkundig. Die Gesandten äußerten unmittelbar nach der Veröffentlichung ihre Unsicherheit darüber.⁷⁵² Die Ereignisse illustrieren in prägnanter Weise die Differenz von Text und Ritual. Mit der Einbindung der französischen Gesandten in die Feierlichkeiten,⁷⁵³ der Veröffentlichung des Friedens sowie der in Trient erfolgten Beeidung durch Ma­ ximilian selbst, hätte der Vertrag formal als geschlossen gelten können. Auch von Seiten Ludwigs XII. hatte die Ratifikation der Trienter Artikel einen Tag vor der In­ terpretation stattgefunden. Letztlich blieb dieser rituell-formale Vertragsabschluss jedoch eine leere Hülle. Es fehlte der Bezug auf eine eindeutige Textgrundlage, denn letztlich standen die Artikel von Trient und Blois in einem ungeklärten, von beiden Parteien konträr ausgelegten Verhältnis nebeneinander. Vielmehr lief die rituelle Inszenierung der textlichen Einigung voraus und verlor damit jeden Bezugspunkt. Das Bild der Reziprozität von Text und Ritual gilt es an dieser Stelle zu überdenken. Wenn auch indirekt, lieferte die doppelte Abfassung der Artikel für Maximilian eine gute Gelegenheit, sein Eingehen auf die französischen Belange zu verzögern. Hervorzuheben bleibt auch die Tatsache, dass er sich weiterhin auf einen Text berief, der von Matthäus Lang unter Verschluss gehalten und den übrigen Gesandten nicht zugängig gemacht wurde. Contarini erfuhr nur auf mündlichem Weg über die verschiedenen Artikel. Kopien wurden erst im Juni an die auswärtigen Gesandten ausgegeben.⁷⁵⁴ Das gegenseitige Ringen um die richtigen Artikel kann nicht darüber hinweg­ täuschen, dass letztlich und in wichtigen Kernpunkten keine Einigung erzielt werden konnte. Eine weitere Prüfung der Texte und konkrete Ausgleichsversuche wurden weitgehend unterbunden. Maximilian hielt die Trienter Paragraphen zu­ rück und von Seiten der französischen Gesandtschaft war zunächst verschleiert worden, um welche Textfassung es ihnen eigentlich ging. Es kündigt sich damit an, dass die Einigung auf einen umfassenden Friedensvertrages noch auf sich warten lassen sollte.

752 Vgl. zu Formen der Vertragsveröffentlichung Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 239–256, insbes. S. 248. 753 Zur Feier des Friedens vgl. Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 287–302. Zur Beteiligung von auswärtigen Gesandten an höfischen Feierlichkeiten Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7, S. 141–45. 754 RI XIV, 4,1, n. 16582.

7.5 Zusammenfassung |

185

7.5 Zusammenfassung Nach dem umstrittenen Waffenstillstand der Reichsgesandtschaft des Jahres 1500 war in Trient ein Abkommen geschlossen worden, das auch durch den zeremoniel­ len Kontext die Vertragspartnerschaft des römisch-deutschen Königs betonte. Die Rolle der Reichsstände wurde im Umfeld des Vertrages von Trient mehr von außen artikuliert, als real ausgefüllt. Neben einer gewünschten politischen Beteiligung des Reiches waren es auch reichstypische Praktiken und Gewohnheiten, welche von den auswärtigen Gesandten diskutiert wurden. Zentral war die Frage nach Ablauf und Personal eines Belehnungszeremoniells, welches insbesondere im Hinblick auf die gewünschte Mailänder Investitur des französischen Königs von Interesse sein musste. Des Weiteren zeigten sich Contarini und Peraudi sensibilisiert für die formalen Voraussetzungen der Einberufung des Reichstages, dessen Rolle für die politische Beschlussfassung die auswärtigen Diplomaten offensichtlich als wichtig einschätzten. Durch den Vertrag von Trient und seine Interpretation von Blois konnte in besonderer Weise die Relevanz des Urkundentextes greifbar werden. Feier und zeremonielle Inszenierung des Friedensschlusses verwiesen nicht zwangsläufig auf einen gelungenen Einigungsprozess. Vielmehr fand 1502 in Innsbruck die Feier zweier partiell widersprüchlicher Vertragstexte statt, ohne dass Einigkeit in Bezug auf die Textgrundlage hergestellt worden war. In diesem Zusammenhang verwies Maximilian selbst auf das Wechselverhältnis von Eid und Text, indem er betonte, dass sich sein Gelübde auf die Textgrundlage von Trient und nicht auf die Interpretation von Blois bezog. Der Eid verpflichtete hier folglich nicht zum Frieden allgemein, sondern zur Einhaltung einer bestimmten Textgrundlage. Der Verlesung der Urkunde im zeremoniellen Rahmen ihrer Beeidung kommt damit ein neuer Stellenwert zu.

8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau: Akteure und Etappen der Vertragsproduktion Auch wenn der Vertrag von Trient nie final ratifiziert worden war, bildeten seine Artikel doch die Verhandlungsgrundlage für weitere Friedensverhandlungen in Frankreich, welche sich zwischen 1503 und 1505 hinzogen und ein aus mehreren Einzelverträgen zusammengesetztes Vertragswerk ergeben sollten. Ab Anfang Dezember 1503 suchte Ludwig XII. den Ausgleich mit den Spaniern, welche das Königreich Neapel an sich gebracht hatten. Mit Zyprian von Serntein, Phillibert Naturelli und Kaspar von Mörsperg wurde auch eine Gesandtschaft Maximilians Anfang des Jahres 1504 nach Lyon beordert, welche dort einen Präliminarvertrag aushandelte. Wesentliche Inhalte waren ein finaler Friedens- und Freundschaftsver­ trag zwischen Maximilian und Ludwig XII., die Mailänder Belehnung für den König und seine Erben, ein gemeinsamer Kriegszug gegen Venedig sowie die Hochzeit zwischen Maximilians Enkel Karl und der französischen Königstochter Claudia.⁷⁵⁵ In leicht geänderter Konstellation, Andrea del Burgo war an die Stelle des Mör­ sperg getreten, verhandelte die Gesandtschaft dann auch den Frieden von Blois im Spätsommer 1504. Den Abschluss sollte das Vertragswerk dann in Hagenau mit der Ratifikation am 4. April 1505 und der Belehnung Ludwigs am 6. und 7. April 1505 finden.⁷⁵⁶ Dieses auch in sich aus mehreren Urkunden bestehende Vertragswerk von Lyon, Blois und Hagenau ist von mehrfachem Interesse. Einmal bietet sich zur Erfassung der Vertragsverhandlungen eine außergewöhnliche Quellendichte. Her­ vorzuheben ist der rege Briefverkehr zwischen Matthäus Lang und Zyprian von

755 Die Artikel von Lyon sind im HHStA nicht auffindbar. Eine Rekonstruktion der Artikel er­ möglicht die auf dem Abkommen von Lyon basierende Instruktion Maximilians vom 18. Juli 1504 HHStA, Ma 14, fol. 35–39; Wiesflecker-Friedhuber, Inge: Das Vertragswerk von Lyon-Blois-Hagenau 1503/1505. Die Diplomatie Maximilians I. zwischen Frankreich, dem Papst, Spanien und Venedig. In: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele. Hrsg. von Sonja Dünnbeil u. Christine Ottner. Köln [u. a.] 2007 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 27), S. 192. 756 Eine genaue Abfolge der Ereignisse Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755. Der Vertrag von Blois vom 22. September 1504 ist mehrfach überliefert. HHStA, AUR, 1504 IX. 22 (Original Ludwigs XII.). AAE, M.A.E. Traités. Empire 15040001 (Kopie der Urkunde Philipps). Die Ratifikationsurkunde Maximilians vom 4. April 1505 in Hagenau ANF, J 658/9; Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Der Reichstag zu Köln 1505. Bearb. von Dietmar Heil. Bd. 8,1. München 2008 (im Folgenden zit. als RTA MR, 8,1), S. 222–226, Nr. 75. Ebd. ediert die Belehnungsurkunden für Ludwig und Philipp vom 7. April 1505. RTA MR, 8,1, S. 237–240, Nr. 86, 87. DOI 10.1515/9783110493115-008

8.1 Akteure der Verhandlungen – Akteursinteressen |

187

Serntein, welcher tiefe Einblicke in das Agieren der königlichen Diplomaten gibt und die Verhandlungen damit als Gegensatz zu denen der Reichsgesandtschaft von 1500 erfassbar macht. Hinzu kommt das Journal des Andrea del Burgo, welches neben den Debatten die Probleme der Textfassung genauestens dokumentiert. Wie noch auszuführen ist, handelte es sich bei den Akteuren maßgeblich um enge Vertraute Maximilians, eine direkte Einflussnahme durch die Reichsstände wird nicht greifbar. Welche Rolle dem Reich im Vertrag zugemessen wird, ist ebenso zu erörtern, wie die Handlungsspielräume der Diplomaten bei der Textkonstruktion. Die Differenz zwischen Eigeninteressen der Akteure, schriftlicher Instruktion und deren Anwendung in konkreten Verhandlungssituationen lässt sich dank der guten Quellenlage ermessen.

8.1 Akteure der Verhandlungen – Akteursinteressen Der Hofkanzler Zyprian von Serntein ist zum intimsten Vertrautenkreis Maximi­ lians zu zählen.⁷⁵⁷ Zusammen mit Matthäus Lang, dem engsten herrscherlichen Berater, zählt er zu dessen Unterstützern gegen Berthold von Mainz. An den Re­ formentwicklungen war Serntein unmittelbar beteiligt. Ihm oblag unter anderem die Errichtung des Innsbrucker Regimentes und die Besetzung der Ämter, zu denen er auch Wolkenstein und Liechtenstein verhalf.⁷⁵⁸ Die beiden Finanzexperten und Vertrauten des Hofkanzlers erwiesen sich als praktische Helfer bei der Vorbereitung der Gesandtschaftspapiere für die Verhandlungen in Blois, mittels derer nicht nur ein für den König günstiger Frieden, sondern auch eine für die beteiligten Diplomaten ausreichende Entlohnung erzielt und deren guter diplomatischer Ruf etabliert und gewahrt werden sollte. Naturelli lässt sich nicht unmittelbar der Gruppe um Lang und Serntein zu­ ordnen. Wie sich sein Verhältnis zu Serntein gestalten sollte, übermittelte Lang

757 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Handlungsträgern der Diplomatie Maximilians bei Metzig, Gregor M.: Kommunikation und Konfrontation. Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. (1486–1519). Berlin, Boston 2016 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 130). Die Dissertation konnte bei der Fertigstellung der Druckfassung leider noch nicht eingesehen und berücksichtigt werden. 758 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 5, S. 230–239. Allgemein zum Gesandt­ schaftswesen unter Maximilian vgl. Hollegger, Manfred: Anlassgesandtschaften – ständige Ge­ sandtschaften – Sondergesandtschaften. Das Gesandtschaftswesen in der Zeit Maximilians I. In: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele. Hrsg. von Sonja Dünnbeil u. Christine Ottner. Köln [u. a.] 2007 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 27), S. 213–225.

188 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

seinem Freund schriftlich.⁷⁵⁹ Naturelli war Doktor der Rechte und ab 1484 Mitglied des geheimen Rates der Niederlande.⁷⁶⁰ Unter dem diplomatisch für Maximilian aktiven Personal nahm er eine Sonderposition ein, da er als einziger den Status eines ständigen Gesandten an der römischen Kurie innehatte⁷⁶¹ und sich 1495 unmittelbar am Abschluss der Liga beteiligt hatte.⁷⁶² Seinen jetzigen Verhandlungs­ partner d’Amboise kannte Naturelli bereits durch seine Tätigkeiten im Umfeld des französisch-spanischen Friedens in Rom 1503, wo auch die Vorbereitungen für die Liga gegen Venedig getroffen worden waren.⁷⁶³ Der Kardinal von Rouen, Georges d’Amboise, war der erste Berater Ludwigs XII. und unbestritten die zentrale Gestalt in der auf Italien fixierten Diplomatie. Zeitge­ nossen betitelten ihn als zweiten König und verliehen damit seiner prominenten Stellung Ausdruck. Auch die lokale Politik und Administration im umstrittenen Mailand lag bald in der Hand seiner Familie. Sein Neffe, Charles d’Amboise, war seit 1501 Statthalter des Herzogtums. Den allgemein vorteilhaften Umständen ent­ sprechend oblag dem Kardinal die Aushandlung der Mailänder Belehnung in Trient 1501, Blois 1504 und Hagenau 1505. In den Folgejahren 1508–1509 partizipierte er an den Verhandlungen der Liga von Cambrai.⁷⁶⁴ Der königliche Rat Florimond Robertet hatte ebenfalls diplomatische Erfah­ rungen, unter anderem im Reich, gemacht.⁷⁶⁵ Zusammen mit Georges d’Amboise und dem Kanzler Guy de Rochefort agierte er als zentraler Charakter bei den

759 Genauer bei Wiesflecker-Friedhuber, Inge: Matthäus Lang und die Verhandlungen von Lyon und Blois 1503/04. Beiträge zur Geschichte der Diplomatie zu Beginn der Neuzeit. In: Festschrift Othmar Pickl zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Herwig Ebner. Graz 1987, S. 111–120. Zu Langs diplomatischer Tätigkeit Sallaberger, Johann: Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540). Staatsmann und Kirchenfürst im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Bauernkriegen. Salzburg [u. a.] 1997, S. 51–58. 760 Höflechner, Gesandten, wie Anm. 710, S. 69. 761 Hollegger, Gesandtschaftswesen, wie Anm. 758, S. 214; Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7, S. 43, 67, 79. 762 RTA MR, 5,1,1, S. 196, Nr. 116. 763 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 107, 118. 764 Dumont, Jonathan u. Fagnart, Laure: Introduction. In: Georges Ier d’Amboise 1460–1510. Une figure plurielle de la Renaissance. Actes du colloque international tenu à l’Université de Liège, les 2 et 3 décembre 2010. Hrsg. von dens. Rennes 2013, S. 13; Michon, Cédric: Georges d’Amboise, principal conseiller de Louis XII. In: Dumont u. Fagnart, Georges Ier d?Amboise, s. Anm. 764, S. 23–30; Vissière, Laurent: Georges d’Amboise, le rêve de l’equilibre. In: Dumont u. Fagnart, Georges Ier d?Amboise, s. Anm. 764, S. 51–59. 765 Weiterführend Mayer, Claude A. u. Bentley-Cranch, Dana: Florimond Robertet (? –1527) homme d’état français. Paris 1994 (La Renaissance française 6). Zusammen mit Charles Geoffroy war er 1502 als Gesandter in Innsbruck Sanudo, Diarii, Bd. 4, Sp. 214.

8.1 Akteure der Verhandlungen – Akteursinteressen |

189

Verhandlungen in Blois und empfing ebenfalls die Kredenzen der auswärtigen Gesandtschaft.⁷⁶⁶ Guy de Rochefort war zuvor als Diplomat im Erbfolgestreit um Burgund aufge­ treten⁷⁶⁷ und hatte sich 1504 in Lyon an den Verhandlungen beteiligt.⁷⁶⁸ Zusammen mit d’Amboise agierte er im Krankheitsfall des Königs als Verhandlungsführer⁷⁶⁹ und war in Blois die zentrale Person bei der Textfassung der Urkunden und Über­ prüfung der jeweiligen Verhandlungsvollmachten.⁷⁷⁰ Fragt man nun nach den jeweiligen Interessen der Akteure, wirft nur die ausführliche Korrespondenz zwischen Lang und Serntein einige Schlaglichter ins „Hinterzimmer“ der Diplomatie.⁷⁷¹ Nicht umsonst hatte Lang sich selbst mit der Durchsetzung der Gesandtschaftsreise einen Gefallen getan. Neben den er­ forderlichen Aufgaben der Mission war Serntein angehalten, den Einfluss Langs, der seine eigene Karriere stets mitbedachte, am französischen Hof auszubauen. Darüber hinaus sollte ein erfolgreicher Abschluss der Gesandtschaft in Absprache mit den französischen Unterhändlern finanziell belohnt werden.⁷⁷² Insbesondere Florimond Robertet lässt sich mit dem Empfang von finanziellen Zuwendungen Maximilians in Verbindung bringen.⁷⁷³ Die persönlichen Interessen der Diplomaten selbst treten hier dem politischen Auftrag gegenüber und prägen diesen bereits in seiner Konzeption. Die königlichen Räte,⁷⁷⁴ welche die Gesandtschaftspapiere ausarbeiteten, empfingen ebenso wie

766 TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 27v–32. 767 McNeil, Guillaume Budé, wie Anm. 104, S. 13. 768 Sanudo, Diarii, Bd. 5, Sp. 963. 769 Godefroy, Jean (Hrsg.): Lettres du roi Louis XII, et du cardinal George d’Amboise. Avec plusieurs autres lettres, Mémoires et Instructions écrites depuis 1504 jusque 1514. 4 Bde. Brüssel 1712, Bd. 1, S. 2. 770 HHStA, Ma 14, Journal, fol. 25v-28r. 771 Zu diesem „Grundgedanken des Mitunternehmertums“ vgl. Heinig, Paul-Joachim: Römischdeutscher Herrscherhof und Reichstag im europäischen Gesandtschaftssystem an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. In: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa. Hrsg. von Rainer Christoph Schwinges u. Klaus Wriedt. Stuttgart 2003 (Vorträge und Forschungen 60), S. 241. Der Themenkomplex des Gesandtschaftswesens soll hier nicht weiter vertieft werden, auch wenn der Briefverkehr zwischen Lang und Serntein hier sicher einige Einblicke gewährt. Vgl. grundsätzlich und weiterführend: Jörg u. Jucker, Spezialisierung, wie Anm. 25. 772 Wiesflecker-Friedhuber, Matthäus Lang, wie Anm. 759, S. 111–120. Vgl. dazu allgemein Walter, Informationen, Wissen und Macht, wie Anm. 103. 773 Aus der Korrespondenz zwischen Lang und Serntein geht hervor, dass Maximilian Robertet zunächst Geschenke aus Silber und Gold machte. Gerade die Goldgeschenke schienen im Kontext der nahenden Verhandlungen wichtig zu sein. HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 43–46, TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 27v-32, TLA, Max XIII/256/IV, fol. 61. 774 Liechtenstein und Lang.

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Serntein burgundische Pensionen. Das Drängen Philipps auf einen friedlichen Ausgleich mit Frankreich konnte folglich bereits die Instruktion beeinflussen. Das spätere Ringen um die richtige, instruktionskonforme Wortwahl des Vertragstextes muss dann ebenfalls in einen unmittelbaren Wirkzusammenhang mit munizipalen Vorteilen gestellt werden.⁷⁷⁵

8.2 Instruktion und Vollmacht Der Charakter einer Gesandtschaft manifestiert sich nicht nur in ihren Akteuren, sondern auch formal in deren Instruierung.⁷⁷⁶ Anders als im Falle der Reichsge­ sandtschaft von 1500 wurden diese hier nicht in Rücksprache mit dem inzwischen aufgelösten Regiment oder den Reichsständen formuliert. Der Instruktionstext ergab sich aus den in Lyon vorverhandelten Artikeln und wurde im Zwiegespräch zwischen Lang und Maximilian abgeändert. Lang hatte einen ersten Textentwurf eigenhändig verfasst und dem König zur Überarbeitung gegeben.⁷⁷⁷ Im Wesentlichen umfasst die Instruktion vier Hauptpunkte: Der Vertrag von Trient sollte bis auf einige Ergänzungen und Präzisierungen eingehalten und die Heirat zwischen Karl und Claudia gesichert werden. Hinsichtlich der Italienfrage sollten die Gesandten bei den Verhandlungen gemeinsam und in Absprache mit den spanischen Diplomaten vorgehen. Größere Änderungen, welche Maximilian in der Instruktion aufführte, ergaben sich im Bezug auf das Königreich Neapel. Die Situation dort hatte sich nach der Rückkehr Langs von den Verhandlungen in Lyon verändert und bedurfte weiterer Hinweise.⁷⁷⁸

775 RTA MR, 8,1, S. 98–99, Anm. 148, 149. 776 Zu Instruktionen als Quellengattung Hipfinger, Anita [u. a.] (Hrsg.): Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Wien 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 60). Künftig Péquignot, Stéphane: Figure et normes de comportement des ambassadeurs dans les documents de la pratique. Un essai d’approche comparative (ca. 1250 –ca. 1440). In: De l’ambassadeur. Les écrits sur les ambassadeurs et l’art de négocier de la fin du Moyen Âge à la fin du XVIIIe siècle. Hrsg. von dems. [u. a.]. Rom [vorauss.] 2014. 777 HHStA, Ma 13, fol. 48. 778 Der spanische König Ferdinand hatte mittlerweile signalisiert auf die Wiedereinsetzung Friedrichs I. in Neapel zu verzichten, auf welche er bei den Verhandlungen in Lyon noch bestanden hatte. Serntein wurde nun instruiert das Königreich Neapel sowie den Titel an Karl von Luxemburg und Claudia zu bringen. Die französischen und spanischen Könige sollte zugunsten Karls und Claudias auf ihre Rechtsansprüche verzichten. HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 35–39. Vgl. zu den politischen Hintergründen Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 118–122. Das Problem des Bayrisch-Pfälzischen Erbfolgekrieges wurde laut Instruktion ebenfalls an den

8.2 Instruktion und Vollmacht |

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Ausgestattet waren die Gesandten also mit einer umfassenden Generalvoll­ macht zur Behandlung aller Fragen, Differenzen oder Beschwerden in Bezug auf das Herzogtum Mailand, den Trienter Vertrag sowie den Krieg zwischen Frankreich und Spanien um Neapel. Erklärtes, übergeordnetes Ziel der Gesandtschaft sollte der Abschluss eines ewigen Friedens- und Freundschaftsbündnisses zwischen Maximilian und dem König von Frankreich sowie Herzog Philipp und deren Bun­ desgenossen sein. Sie sollten Freund ihrer Freunde und Feind ihrer Feinde sein, wie es auch später im Vertragstext formelhaft geschrieben stehen wird.⁷⁷⁹ Die Abfassung des Textes wird den Gesandten in der Vollmacht zugestanden, die damit über die Verhandlungen hinaus befugt waren Verträge abzuschließen, alles im Namen Maximilians zu beschwören und darüber gültige Urkunden auszustellen. Zur Betonung dieser Vollmacht verzichtete Maximilian auf etwaige Einsprüche und verpflichtete sich mit Unterschrift und Siegel zur Einhaltung der Vereinba­ rungen.⁷⁸⁰ Wie Lang immer wieder betonte, war die Vollmacht im besten Sinne abge­ fasst. Dies war nicht unerheblich, ließ sich doch die Stagnation der Innsbrucker Verhandlungen auf die mangelnden Befugnisse der französischen Gesandten zurückführen. Aus dem Journal del Burgos geht hervor, dass nun in Blois auch die Autorisation Sernteins und Naturellis auf das Genauste geprüft wurde.⁷⁸¹ Wel­ che Details zum Verhängnis werden konnten, lässt sich anhand der Vollmachten Philipps feststellen, welche dieser für seine „oratores boni et fideles“ ausgestellt hatte. Diese Klausel hielt der französischen Prüfung nicht stand und bedurfte einer Erneuerung, könnte ja Philipp später behaupten, die Gesandten seien weder gut noch treu.⁷⁸² Der Willen zum Friedensschluss und die Qualität der Gesandtschaft wurde dem Verhandlungspartner also schon indirekt mit den Instruktionen übermittelt. Bereits bei der Prüfung konnte damit festgestellt werden, ob ein Friedensschluss wirklich im Kompetenzbereich der Botschafter lag oder ob ihre Entsendung ausschließlich auf eine weitere diskursive Annäherung, nicht jedoch einen finalen Konsens abzielte.

französischen König herangetragen, der von jeglicher direkter oder indirekter Unterstützung des Kurfürsten Philipp von der Pfalz Abstand nehmen sollte. 779 Garnier, Amicus amicis, wie Anm. 183, S. 20. 780 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 43–46; Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 69ff. 781 Die Vollmacht wurde vom Kanzler in der Gegenwart des Königs verlesen und für gut befunden. Sicherheitshalber sollten aber noch weitere Prüfungen vorgenommen werden. HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 27–28r. 782 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 34r.

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Den Ernst der Angelegenheit dokumentiert auch ein weiteres Schriftstück aus dem Kontext präventiver Garantien. Die zukünftige Ratifikationsurkunde bzw. das, was die spätere Ratifikationsurkunde werden sollte, führte Serntein als Blankoformular⁷⁸³ in seinen Unterlagen mit. Die vergangenen Jahre hatten gezeigt, dass insbesondere die Ratifikationen herausgezögert oder nie vollzogen wurden. Der Generalvollmacht lag daher, offenbar auf Verlangen des französischen Königs hin, ein von Maximilian unterschriebenes, ratifizierendes Schriftstück bei. Nach Abschluss der Verhandlungen war Andrea del Burgo damit beauftragt, diese Ratifikationsurkunde zu vervollständigen, deren erster Entwurf bereits in Lyon verfasst und von Serntein zusammen mit dem Präliminarvertrag zur weiteren Überarbeitung ins Reich gebracht worden war. Zum Nachvollzug der Textgenese verfügten die Unterhändler in Blois dann über zwei Vertragsversionen. Verhandlungsgrundlage waren die Artikel von Lyon und die inhaltlichen Änderungen des römisch-deutschen Königs. Diese mussten jetzt in Blois im Abgleich mit den Artikeln der Vorverhandlung in eine für beide Seiten akzeptable Vertragsform gebracht werden. Die Ratifikationsurkunde für die Eheverbindung zwischen Karl und Claudia wurde dabei offensichtlich separat behandelt. Sie war in Innsbruck bereits in Reinschrift ausgeführt und an das parlement de Paris geschickt worden.⁷⁸⁴ Dem Blankoformular für den in Blois abzuschließenden Frieden kam hingegen eine besondere Bedeutung zu. Obwohl Lang davon ausging, dass die Verhandlungs­ vollmacht für die Gesandten sehr frei und in bester Form ausgestellt worden war, legte er die Ratifikationsurkunde als Ausdruck besonderen Wohlwollens bei.⁷⁸⁵ Ein­ drucksvoll, wenn auch ein wenig bürokratisch, belegt diese Schilderung den hohen Stellenwert von Schriftlichkeit und symbolischer Kommunikation im Kontext von Vertragsschlüssen. Inhaltlich galt es, die Ratifikationsurkunde mit dem Vertragstext abzustimmen. Die vorgefertigten Zeilen entsprachen offensichtlich den formalen Standards, der Rest oblag weiterer Aushandlung. Diese konnte Maximilian zwar durch seine Instruktionen steuern und anleiten, letztlich lag die Ergebnisfindung aber in der Hand der vor Ort agierenden Diplomaten. Damit ist die halb ausgefertigte und unterschriebene Ratifikationsurkunde auch als symbolisches Zeugnis einer umfassenden Handlungsvollmacht zu werten. Die finale Ergänzung politischer Entschlüsse vertraute man den Gesandten an.

783 Nur fünf bis sechs Zeilen waren bislang von Andrea del Burgo ausgefüllt worden, so heißt es in der Vollmacht. 784 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 43–46. 785 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 43–46.

8.2 Instruktion und Vollmacht |

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8.2.1 Textkonstruktion: Der Instruktionstext Die außergewöhnlich gute Quellenlage erlaubt eine vertiefende Analyse von Details und Akteuren der Vertragstextproduktion. Handlungsspielräume und unmittelbar an die Gestaltung der Vertragsartikel geknüpfte Interessen der Diplomaten lassen sich ermessen.⁷⁸⁶ So ist es nicht nur der von Lang und Maximilian verfasste Text der Instruktion, welcher bei den Verhandlungen in Frankreich als Grundlage diente. Wie sich zeigt, brachten auch Serntein, Paul von Wolkenstein und Paul von Liechtenstein eigene Vorstellungen ein, wie die Instruktion und damit auch der spätere Vertragstext abzufassen sei. Entwürfe dazu wurden Lang und dem König zur weiteren Bewertung übermittelt.⁷⁸⁷ Paragraph für Paragraph stellte sich Maximilian den Artikeln und legte dabei ei­ ne größere Kompromissbereitschaft als seine Gesandten an den Tag. Den Vorschlag, die Investitur mit Mailand auf die leiblichen Söhne des französischen Königs zu beschränken, lehnte er als unhöflich ab, ebenso wie die Abänderung des InvestiturArtikels. Die Anregung der Diplomaten, dass die Belehnung mit Mailand für Karl und Claudia „vnuerschaydenlich“ sein sollte, wurde als unnötig abgehandelt, da das in der königlichen Instruktion verwendete Wort „coniunctim“ gleichbedeutend wäre. Auch die generelle Frage nach der Qualität des Vertragswerkes war zur Disposition gestellt worden. Serntein, Wolkenstein und Liechtenstein schlugen vor, dass der Frieden explizit ein „ewiger stetter und unwiderruefflicher“⁷⁸⁸ sein möge. Laut Maximilian ergäbe sich diese Interpretation aber bereits aus dem ersten Artikel des Vorvertrages von Lyon, auf den er auch in seiner Instruktion verwies.⁷⁸⁹

786 Präliminarien von Lyon: Regestanartig bei Ulmann, Heinrich: Kaiser Maximilian I. 2 Bde. Stuttgart 1884–1891, Bd. 2, S. 143ff. Das Original aus dem HHStA ist verschollen, die Inhalte gehen aber auch aus der Instruktion Maximilians vom 18.07.1504 hervor. HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 35–39. Kommentar zur Instruktion Maximilians von Lang Legers, Paul: Kardinal Matthäus Lang. Ein Staatsmann im Dienste Kaiser Maximilians I. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 46 (1906), S. 437–517, 515–516, Beilage V. Änderungen der Instruktion durch Serntein, Liechtenstein und Wolkenstein TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 27v-32. Antwortschreiben Maximilians auf die Artikelvorschläge Sernteins vom 27. August 1504 Wien HHStA, Ma 36/V, fol. 38–39. 787 TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 27v-32. 788 TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 30r. 789 TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 27v-32; HHStA, Ma 36/V, wie Anm. 786, fol. 38–39; HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 35–39. Später wird sich der von Maximilian vorgeschlagene Wortlaut zur Definition des Freundschaftsverhältnisses weitgehend gleichlautend im Vertragstext wiederfinden. „Tamquam una anima in tribus corporis, erunt amici amicorum & inimici inimicorum . . . .“ Instruktion vom 18.07.1504 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 37r. Hier heißt es noch abweichend „duobus“. Dagegen HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756.

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Aus all den Änderungsvorschlägen der Gesandten spricht der Wunsch, ein mög­ lichst sicheres Abkommen zu schließen, dabei auch im gegebenen Fall nochmals auf die Artikel des Vertrages von Trient⁷⁹⁰ zurückzukommen, um schlussendlich einen späteren Disput zu vermeiden. Beispielsweise würde eine ungenaue Defi­ nition der Erben Ludwig den Spielraum lassen, auch nicht leibliche Nachfolger in Mailand einzusetzen. Dass genau dieser, von Serntein als bearbeitungswürdig gekennzeichnete Artikel noch spätere Auseinandersetzungen in der Verhandlung mit d’Amboise provozieren wird, sei hier vorweggenommen. Aus dem vorliegenden Material lässt sich neben der genauen Vorbereitung des späteren Vertragstextes aber noch mehr erschließen. Die Zielsetzung, einen möglichst sicheren Vertrag abzuschließen, entsprang offensichtlich nicht allein dem stets mitschwingenden Wunsch, die Ehre und das Ansehen der Diplomaten Serntein und Lang zu steigern. Letztgenannter ließ immer wieder seine persönlichen Grüße an das französische Königspaar, aber auch an d’Amboise ausrichten, um zumindest diskursiv präsent zu sein.⁷⁹¹ Neben der Wahrung des guten Rufes waren es hier wieder finanzielle Interessen, welche in politischer Hinsicht nicht unterschätzt werden dürfen, da sie merklichen Einfluss auf die Konstruktion der Vertragsartikel nehmen sollten. Dies belegt ein separates Erläuterungsschreiben Langs zur königlichen In­ struktion. Lang wies in seiner ganz persönlichen Instruktion darauf hin, dass der 13. Artikel der königlichen Anweisungen, welcher sich mit der Amnestie und Resti­ tution für die verbannten Mailänder befasst, auch den Diplomaten Geld einbringen könne.⁷⁹² Sernteins diesbezügliche Bemühungen werden in seinen Artikelvorschlä­ gen sichtbar.⁷⁹³ Dem König wurde eine ergänzende Passage nahegelegt, welche den Mailänder Exilanten im Zuge der Amnestie Geldzahlungen an den französischen König und auch Maximilian auferlegte.⁷⁹⁴ An anderer Stelle legte Lang Serntein das Potential des Begnadigungsartikels⁷⁹⁵ für die italienischen Fürsten und Kommunen nahe. De facto, so die Interpretation

790 Der Artikel betreffend die Ungarnhilfe sollte noch weiter präzisiert werden. Auch der Papst, der zwar in Trient als Verbündeter genannt worden war, sollte sicherheitshalber auch nochmal in dem neuen Vertrag erwähnt werden. TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 29v. 791 HHStA, Ma 36/V, wie Anm. 786, fol. 59. 792 „Der XIII artigkl betreffend die vertrieben mailender mag uns auch wol gelt tragen . . . “. Legers, Matthäus Lang, wie Anm. 786, S. 515, Beilage V. 793 Legers, Matthäus Lang, wie Anm. 786, S. 515–516, Beilage V. 794 HHStA, Ma 36/V, wie Anm. 786, fol. 38–39. Der König lehnte diesen Vorschlag jedoch ab. 795 Es handelt sich um den achten Artikel in Maximilians Instruktion, welcher auf die Prälimina­ rien von Lyon antwortet. Maximilian erklärt sich auf Bitten des französischen Königs bereit, dem Herzog von Ferrara, den Markgrafen von Montferrat und Mantua, den Florentinern, Lucchesen, Sienesen, den Herren von Carpi und dem Johannes de Gonzaga alle Verfehlungen zu verzeihen

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Langs, handle es sich um einen Feloniefall. Ludwig habe bewirkt, dass Maximilian die entsprechenden Fürsten wieder in Gnade und Schutz des Reiches aufnehmen würde, was er sich sicher gut bezahlen ließ. Auch Serntein und Lang erhofften, an diesem „praten“ teilzuhaben und ihren Profit aus der Neuinvestitur der Italiener zu schlagen.⁷⁹⁶ Auch der allgemeine Wunsch nach weiteren Präzisierungen der späteren Vertragsartikel hat finanzielle Hintergründe. Lang listete genau auf, mit welchen Artikeln finanzieller Gewinn zu machen sei, und auch für den Abschluss des Friedens war Serntein angehalten, für sich, Naturelli und Lang Verhandlungs­ geld einzufordern und sich sogar die Investitur des französischen Königs extra bezahlen zu lassen.⁷⁹⁷ Folglich war auch die Sicherstellung der Belehnung zum erklärten Ziel der Diplomaten geworden. Es sollte eigens ein Konzept für die Voll­ macht erstellt werden, welche Ludwig demjenigen Stellvertreter mitgeben sollte, der für ihn die Investitur im Reich entgegen nähme. Die Probleme, welche sich in Innsbruck ergeben hatten, sollten sich nicht wiederholen.⁷⁹⁸

8.2.2 Sprache der Diplomatie Am Beispiel der ersten Begriffsunklarheiten zwischen Maximilian und seinen Diplomaten, die nun darum kreisten, ob die Investitur für Mailand auf Karl und Claudia „vnuerschaydenlich“ lauten sollte oder doch, wie Maximilian meinte, mit

und sie wieder in Gnaden und Schutz des Reiches aufzunehmen, auch wenn sie aufgrund ihres Verhaltens gegen König und Reich eigentlich ihr Reichslehen verwirkt hätten. Alle Genannten sollten, entsprechend dem Vertrag von Trient, auch Verbündete und Schutzbefohlene des französi­ schen Königs bleiben dürfen. Maximilian ist mit diesem Artikel weitgehend einverstanden, es solle aber noch eingefügt werden, dass die genannten Fürsten dem französischen König anhingen. Der Begriff confederati solle wie auch im vorhergehenden Artikel weggelassen werden, weil er im Vertrag von Trient nicht vorkommt. HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 35–39. 796 „Um ersten der achten artigkl der absolution halben der welhischen fürsten und communen, glaubt mir, das die französischen rät gut praten daraus schneiden[.] Dornach, wenn unser zeit kombt, wellen wir mit den welhischen fursten umb ir ubergriff und verhandlung (und new investitur) wol wissen nach unsrem nutz zu handeln . . . .“ Legers, Matthäus Lang, wie Anm. 786, S. 515, Beilage V. 797 „Und hüet euch, zieht die Investitur nit darein, dann das sol ein sunders gelt sein. und [sic!] macht ein appunctament yetz auch mit den franzosen umb die investitur fur uns [.]“ Legers, Matthäus Lang, wie Anm. 786, S. 516, Beilage V. Das Problem der Legitimität solcher eigennützigen Verhaltensweisen wurde für die Frühe Neuzeit diskutiert. Grüne, Niels u. Slanicka, Simona (Hrsg.): Korruption. Historische Annäherungen an eine historische Grundfigur politischer Kommunikation. Göttingen 2010. Zur Bedeutung und Rolle der Geschenkpraxis Vgl. Häberlein u. Jeggle, Materielle Grundlagen, wie Anm. 20. 798 TLA, Max XIII/302, wie Anm. 628, fol. 30v.

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dem für ihn gleichbedeutenden Wort „coniunctim“ zu bezeichnen sei, eröffnet sich der Blick auf ein ebenso banales wie wichtiges Problem. Wenn es offensichtlich auf die genaue Wortwahl ankam, erklärt sich der Sinn und Zweck exakt abgefass­ ter Instruktionen. Diese liefern ein kleines Baukastensystem zur Abfassung des späteren Vertragstextes, was sich exemplarisch anhand von einigen Formulierun­ gen oder späteren, diesbezüglichen Streitigkeiten nachvollziehen lässt.⁷⁹⁹ Damit stellt sich auch die Frage nach der Sprache der Diplomatie. Als Arbeitsmaterial wurde Serntein nach Frankreich sowohl die lateinische als auch die französische Fassung seiner Artikel aus Lyon mitgegeben.⁸⁰⁰ Wie wir erfahren, war der Kanzler der französischen Sprache nicht mächtig und musste auf die Dolmetschertätig­ keiten seiner Kollegen vertrauen.⁸⁰¹ Sogar auswärtigen Diplomaten waren die verhältnismäßig geringen Sprachkompetenzen Sernteins bekannt, wie aus einer Bemerkung Sanudos hervorgeht.⁸⁰² Es musste nun das oft erwähnte besondere Vertrauen Maximilians und Langs sein, welches ihn für die Gesandtschaftsreise nach Frankreich qualifizierte. Die mangelnde Sprachkompetenz konnte von Natu­ relli und del Burgo ausgeglichen werden und erwies sich in den Verhandlungen

799 Exemplarisch das von Maximilian in der Instruktion HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 37 gewünschte „. . . tamquam una anima in duobus corporis, erunt amici amicorum & inimici inimicorum . . . “. 800 Legers, Matthäus Lang, wie Anm. 786, S. 515–516, Beilage V. 801 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 36v. Zusammenhang von Sprache und Diplomatie neuerdings bei Jankrift, Kay Peter: Diplomaten, Dolmetscher und Übersetzer. Sprachwahl in Friedensprozessen des 15. bis 18. Jahrhunderts. In: Utrecht – Rastatt – Baden 1712–1714. Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV. Hrsg. von Martin Espenhorst u. Heinz Duchhardt. Göttingen 2013, S. 261–274; Schmidt-Rösler, Andrea: Die „Sprachen des Friedens“. Theoretischer Diskurs und statistische Wirklichkeit. In: Utrecht – Rastatt – Baden 1712–1714 Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV. Hrsg. von Martin Espenhorst u. Heinz Duchhardt. Göttingen 2013, S. 235–260; Schnettger, Matthias: Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? Die Rolle der Italiener und des Italienischen in der frühneuzeitlichen Diplomatie. In: Frieden durch Sprache? Studien zum kommunikativen Umgang mit Konflikten und Konfliktlösungen. Hrsg. von Martin Espenhorst. Göttingen [u. a.] 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beiheft 91), S. 33. Zum Stellenwert des Lateinischen in der Diplomatie Haye, Thomas: Die lateinische Sprache als Medium mündlicher Diplomatie. In: Gesandschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa. Hrsg. von Rainer C. Schwinges u. Klaus Wriedt. Göttingen [u. a.] 2003 (Vorträge und Forschungen 60), S. 15–32; Haye, Thomas: Lateinische Oralität. Gelehrte Sprache in der mündlichen Kommunikation des hohen und späten Mittelalters. Berlin [u. a.] 2005. Vgl. ebenfalls Heinig, Herrscherhof und Reichstag, wie Anm. 771, S. 249–250. Für die Verhandlungssprachen des Hundertjährigen Krieges vgl. Autrand, Françoise: L’écrit et l’oral dans les négociations diplomatiques entre France et Angleterre, XIVe –XVe siècles. In: Negociar en la Edad Media. Négocier au Moyen Âge. Actas del coloquio celebrado en Barcelona los dias 12, 13 y 14 Octubre del 2004. Hrsg. von María Teresa Ferrer i Mallol [u. a.]. Paris 2005, S. 303–320, S. 311–312. 802 Sanudo, Diarii, Bd. 5, Sp. 707,

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bisweilen als praktisch und entschleunigend. Serntein äußerte sich erst abseits der Debatten und im Kreis seiner eigenen Leute zu den Beschlüssen und konnte damit auch im Nachhinein noch als kritisches Korrektiv auf den weiteren Verlauf der Ergebnisfindung einwirken.⁸⁰³ Der Bericht del Burgos macht deutlich, dass Französisch die eigentliche Ver­ handlungssprache war, nicht nur in den offiziellen Audienzen, sondern erst recht in den Unterredungen, welche im kleinsten Kreis geführt wurden. Das Ergebnis und Ziel der Verhandlungen hingegen, der Vertragstext, wurde in Latein, der neu­ tralen Drittsprache,⁸⁰⁴ verfasst, sodass sich die Begriffsstreitigkeiten ausschließlich auf den lateinischen Text bezogen. Trotzdem spielte die Gesandtschaftssprache immer wieder eine Rolle und wurde meist eigens erwähnt. Naturelli hielt zu Beginn der Verhandlungen eine Ansprache in „lingua gallica“.⁸⁰⁵ Die Verwendung des Französischen wurde als Marker der Kooperationsbereitschaft zum Bestandteil des Begrüßungszeremoniells selbst.⁸⁰⁶ Auseinandersetzungen über die zu verwendende Sprache lassen sich anders als in Berichten des Hundertjährigen Krieges nicht greifen. Auffällig ist hingegen die Reziprozität zwischen Vertragssprache und Verhandlungsinhalten, welche immer wieder um Begrifflichkeiten und Textgestaltung kreisten. Mit der Wahl der neutralen Drittsprache Latein war zumindest theoretisch eine gleichberechtigte Ausgangssituation für die Textfassung geschaffen worden und den Franzosen die Möglichkeit genommen, in ihrer Muttersprache bestimmte Sachverhalte zu verschleiern oder unpräzise und damit anfechtbar auszuformulieren.⁸⁰⁷ War man sich nun also über die Vertragssprache einig, lassen sich noch immer die Probleme erahnen, denen sich die Diplomaten in der mündlichen Verhandlung zu stellen hatten. War der ihnen mitgegebene Leitfaden nicht zur Zufriedenheit des politischen Gegenübers abgefasst worden, musste das Ringen um Formeln, Konstruktionen und Begriffe von ihnen vor Ort bestritten werden. Hier lag sicherlich

803 Auf die entsprechende Episode aus dem Bericht del Burgos wird hier noch einzugehen sein HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 34–38. 804 Schnettger, Weg in die Bedeutungslosigkeit, wie Anm. 801, S. 53. Dazu der Hinweis, dass das Lateinische auch als zweite Reichssprache des römisch-deutschen Reiches verstanden werden konnte. Ebd., S. 55. 805 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 23. 806 Schnettger, Weg in die Bedeutungslosigkeit, wie Anm. 801, S. 38. 807 In den englisch-französischen Friedensverhandlungen in Aleçon 1418 kam dieses Problem offen zur Sprache. Das Französische sei zu unpräzise und ein Mittel des Betruges, so die Kritik der Engländer. Haye, Lateinische Sprache, wie Anm. 801, S. 25–27. Dass es sich bei der Frage der zu verwendenden Sprache auch um eine Frage der Vormachtstellung handelte, liegt auf der Hand. Der Vertrag von Troyes wurde 1420 in französisch abgefasst, ohne dass es von englischer Seite aus Klagen gegeben hätte. Autrand, L’écrit et l’oral, wie Anm. 801, S. 311–315.

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ein Handlungsspielraum der Diplomaten, welcher in den umfassenden Vollmachten seine Legitimation fand. Darüber hinaus befanden sich mit den Unterhändlern Philipps, dessen Weisungen sich immer als letzte Entscheidungsinstanz erweisen sollten, weitere Akteure vor Ort. Die Grenzen eines Textes, welcher vorab nicht jede politische Wendung berücksichtigen oder gar antizipieren konnte, wurden damit durch die zeitnah gefällten und eingeforderten Beschlüsse Herzog Philipps kompensiert. Philibert Naturelli und Zyprian von Serntein richteten sich schriftlich an diesen und erbaten klare Anweisungen, denn sie hatten mit Schrecken festgestellt, dass sich die Situation seit den Verhandlungen von Lyon und der Instruierung durch Maximilian verändert hatte, es zu einigen Verzögerungen gekommen war und allgemeine Unklarheit herrschte.⁸⁰⁸ Schon vor Beginn der Verhandlungen steht also fest, wer auch vor Ort auf die Entscheidungen der Diplomaten einwirken und die etwaige Überschreitung der schriftlichen Instruktionen rechtfertigen konnte, sollten sich diese im Aushand­ lungsprozess als unhaltbar erweisen.

8.2.3 Das diplomatische Journal des Andera del Burgo Was bereits bei der Vorbereitung der Instruktionen deutlich geworden ist, fin­ det sich in potenzierter Form in den Vertragsverhandlungen wieder, welche das Journal des Andrea del Burgo in den einzelnen Schritten wiedergibt. Stilistisch und inhaltlich unterscheidet sich der Text del Burgos in vielerlei Hinsicht von der nur vier Jahre jüngeren Finalrelation der Reichsgesandtschaft, was auch auf die jeweiligen Kontexte zurückzuführen ist. Die Reichsgesandtschaft sah und bezeichnete sich selbst als Vermittler zwischen den beiden Herrschern. Wie auch im Nachhinein bemängelt worden war, agierten und argumentierten diese eher frei, der klare Leitfaden eines instruierenden Textes geht aus den Schilderungen der Relation nicht hervor. Zudem spielte sich das Argumentationsniveau auf einer übergeordneten Ebene ab, auf der es galt, Reichsverfassung und Reichsrechte vor den konträren Ansichten des französischen Königs zu verteidigen. Auch das Ergebnis der Verhandlungen war ein anderes, so kam die Reichsgesandtschaft zur Erneuerung eines Waffenstillstandes. Wenngleich nicht vergessen werden soll, dass trotz der gebotenen Kürze und starken Formgebundenheit von Waffenstillständen der spätere Konflikt gerade an einem Detail des Vertragstextes festgemacht wurde, handelte es sich nicht um einen umfassenden Friedensvertrag. Der Entstehungs­ 808 HHStA, Ma 14, wie Anm. 755, fol. 2–3. Dieses Schreiben findet sich inseriert im Bericht Andrea del Burgos und sichert zugleich die Handlungen der Diplomaten ab.

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prozess eines solchen und die komplizierten Verhandlungsgänge wurden jetzt in Blois durch das Journal del Burgos dokumentiert. Formal ist der lateinische Bericht chronologisch gegliedert, die Verhand­ lungstage und die Ereignisschilderungen sind mit Datierungen versehen und erlauben den genauen Nachvollzug der Verhandlungen. Eingebettet in den übli­ chen festlich-formalen Rahmen aus Freundschaftsbekundungen der Antrittsrede, Instruktionsprüfungen und dem zeremoniellen Abschluss des Friedens, erweist sich die Kommunikation in Blois als ausgesprochen textbasiert. Der Vertrag von Trient und die Präliminarien von Lyon lieferten die eindeutige Verhandlungsgrund­ lage, zu der nun die in der königlichen Instruktion abgefassten Änderungswünsche den Gegenpol bildeten. In diesem Spannungsfeld galt es, Artikel für Artikel zu konstruieren und auszuhandeln. Das Verhältnis von realer Debatte und schriftlicher Fixierung lässt sich anhand des Journals detailliert erfassen. Zu Tage treten die Probleme der Diplomaten, die komplexen Vorgänge ihrer mündlichen Interaktion in einen Text zu fassen, der die Ergebnisse für beide Parteien gleichermaßen unverfälscht darzustellen vermochte.⁸⁰⁹ Der von Lang und Maximilian unter allen Umständen als Unterhänd­ ler gewünschte Serntein erwies sich bei den Verhandlungen als hartnäckigster Verfechter der Anliegen seines Auftraggebers. Seine Weigerung, den durch die Instruktion abgesteckten Handlungsspielraum zu überschreiten, führte beinahe zum Erliegen der gesamten Mission.

8.2.4 Handlungsspielraum in der mündlichen Verhandlung Schnell hatte man sich in Blois auf die noch offenen Verhandlungspunkte geeinigt. Als problematisch sollte sich der Artikel betreffend der Ehe und Mailänder Investitur Claudias und Karls erweisen. Von französischer Seite aus weigerte man sich, eine Änderung der Ergebnisse von Lyon anzunehmen. Eine Belehnung für Ludwig und seine Erben war das angestrebte Ziel. Es wurde lediglich die Möglichkeit einge­ räumt, den Artikel mittels zusätzlicher Schriftstücke zu interpretieren und damit die geforderte Absicherung der Ehe und des Erbes zu gewährleisten, oder auch die weitere Entscheidung über den Artikel zu vertagen und den Vertrag trotzdem zum Abschluss zu bringen.⁸¹⁰ Serntein verweigerte sich allen Vorschlägen und brachte damit die Verhandlungen zum Erliegen und sogar die Gefahr einer endgültigen

809 Keller, Hagen: Schriftgebrauch und Symbolhandeln in der öffentlichen Kommunikation. Aspekte des gesellschaftlich-kulturellen Wandels vom 5.-13. Jahrhundert. In: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 22. 810 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 28v–29v.

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Pattsituation herbei. Sicher brachte eine Erschwerung und Verzögerung der Ver­ handlungen für die Diplomaten auch gewisse Vorteile mit sich. Komplikationen ließ man sich letztlich besser entlohnen als eine schnelle Einigung. Dass in Blois – trotz der teilweise dramatischen Auseinandersetzungen – die Kommunikation zumindest unter den Diplomaten selbst nicht abbrach, belegt der Bericht über informelle Treffen mit Kardinal d’Amboise.⁸¹¹ Weiter galt es mit einer geschickten Taktik, die einer gewissen Dramatik nicht entbehren konnte, das Beste für den eigenen Auftraggeber auszuhandeln. Nicht zu verachten ist dabei die Tatsache, dass das, woran man sich aufrieb, wirklich Vertragsartikel und deren genaue Formulierung waren. Deutlich machen das die Vorschläge der Franzosen: Eine Abänderung und Interpretation der Artikel von Lyon war zwar außerhalb des Vertrages mit zusätzlichen Schriftstücken möglich, in der eigentlichen Vertragsurkunde sollten diese hingegen unangetastet bleiben.⁸¹² Der Wert des Vertragstextes wurde also durchaus geschätzt und die jeweiligen Artikel und deren Ausformulierung hart verteidigt. Wie berichtet wird, stellte Naturelli den Versuch an, einen Kompromiss zur Abänderung der Mailandartikel auszubuchstabieren, um damit zu klären, wem die Investitur zu erteilen sei, in welcher Reihenfolge das Erbrecht zu gelten habe und wie die Lehnstaxe zu entrichten sei. Dazu wurde auch der Vertrag von Trient zu Rate gezogen, dessen Artikel als Arbeitsmaterial offensichtlich zur Verfügung standen.⁸¹³ Anders als die Franzosen wünschten Maximilians Unterhändler eine stärkere vertragliche Verankerung der Erbrechte Claudias und Karls sowie die Beschränkung des Erbes auf die männlichen Leibeserben Ludwigs. Ziel war immer die Erhaltung der habsburgischen Ansprüche auf Mailand.⁸¹⁴ Nach abschließender Prüfung zeigte sich Serntein mit dem Entwurf Naturellis zufrieden, stellte aber die Bedingung, sein Vorschlag sei von den Franzosen „de verbo ad verbum“ anzunehmen. Es sei besser den Wünschen Maximilians eine gute Auslegung zu geben, als die Verhandlungen abzubrechen, so seine Schluss­ folgerung.⁸¹⁵ Diese „bona interpretatio“ wurde auch im Gespräch mit d’Amboise hervorgehoben, mit der Zusatzinformation, man habe bereits „contra commis­ sionem et instructionem“ gehandelt.⁸¹⁶ Dem Kardinal wurde durch eine solche Aussage zweierlei signalisiert: Einerseits der dringliche Wunsch ein gemeinsames

811 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 35v. Allgemein zu Informalitäten in der Diplomatie Walter, Informationen, Wissen und Macht, wie Anm. 103. 812 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 28v–29v. 813 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 29v. 814 Dazu auch: Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 198. 815 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 30v. 816 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 31r.

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Ergebnis zu finden, andererseits die enge Begrenztheit des Handlungsspielraumes, welcher durch die königlichen Anweisungen definiert wurde und dessen Rahmen nicht weiter überschritten werden konnte. Dass alles gerade an Begrifflichkeiten und Genauigkeiten des Wortlautes scheitern konnte, macht der Streitfall des Erbrechtes offensichtlich, schloss doch die Formulierung, die auch später im Vertragstext erscheinen sollte, – „haeredibus suis masculis, ex suo corpore descententibus“⁸¹⁷ – den Herzog von Angoulême als Erben aus. Eine spätere Quelle berichtet sogar von der Kritik an d’Amboise, der sich hatte täuschen lassen, als er das Wort „descendans“ anstelle von „successeurs“ im Vertragstext zuließ.⁸¹⁸ Aus dem Bericht del Burgos wird deutlich, dass d’Amboise noch versucht hatte den Entwurf mit seinen eigenen Glossierungen abzuändern, um eine allgemeingültige Erbschaftsregelung durchzusetzen, was bei Serntein und Naturelli in neuen Diskussionen und Textentwürfen mündete.⁸¹⁹ Es war also in der Tat die bestmögliche Textkonstruktion, welche die Zähigkeit der Verhandlungen ausmachte. Immer wieder überarbeiteten die Diplomaten die Entwürfe der Gegenseite, um schließlich einen akzeptablen Artikel zu formulie­ ren. Im Falle Sernteins sollte dies nicht gelingen. Er sah keine Möglichkeit mehr, zwischen der königlichen Instruktion und den Wünschen der Gegenpartei eine angemessene Lösung zu konstruieren. Immer wieder bezeugte er auch vor den eige­ nen Leuten, dass er keine Vollmacht habe, gegen Maximilian zu handeln. Bezüglich der Artikel von Lyon gelten die Änderungen des Königs als Grundlage der Verhand­ lungen von Blois.⁸²⁰ Deutlich wurde hier gegen eine etwaige Rechtsgültigkeit der Artikel von Lyon argumentiert. Nicht der Unterhändler, sondern ausschließlich der König war befugt einen Vertrag abzuschließen, die vorverhandelten Artikel konnten lediglich eine Grundlage für seine weiteren Entscheidungen bilden. Erst der Befehl Philipps, dessen Anweisungen Maximilians Botschafter Folge zu leisten hatten, brach den Widerstand Sernteins, der zuvor noch prinzipielle Dinge betont hatte. Es gehe dabei nicht um Geld, sondern darum, dass er die königliche Instruktion nicht umdeuten dürfe. Allein das Wort Philipps vermochte nun die Situation aufzulösen und eine Überschreitung der Instruktion auch für Serntein zu rechtfertigen.⁸²¹ Der Instruktionstext war also genau in dem Moment

817 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 55. 818 „On dit q’il se laissa tromper . . . q’il souffrit que l’Empereur mît le mot descendans en place de celui de successeurs . . . .“ Varillas, Antoine (Hrsg.): Histoire de Louis XII. 3 Bde. La Haye 1689, Bd. 3, S. 69. 819 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 31–32. 820 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 34r–35v. 821 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 34.

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nicht mehr handlungsleitend, in dem eine vom König befugte höhere Instanz – in diesem Fall Philipp – dessen Überschreitung und Umdeutung genehmigte.

8.2.5 Strukturelle und institutionelle Hintergründe im Reich und in Frankreich Die Verhandlungsposition der Gegenseite war ebenfalls schwierig. D’Amboise verriet den Delegierten Maximilians, dass deren Sorge um die Heirat zwischen Claudia und Karl nicht unbegründet sei. Im königlichen Rat gebe es viele Gegner, die auf ein Scheitern der Verhandlungen abzielten. Wenn auch d’Amboise als Hauptverhandlungspartner Naturellis und Sernteins hervortat, war er nicht allein befugt eine Entscheidung zum Wohle des Königs zu treffen. Auch im königlichen Rat, so erfahren wir, wurden die Investiturartikel diskutiert. Der Admiral von Frankreich als Gegner der Beschlüsse musste dazu eigens von den Beratungen ausgeschlossen werden. Der König hielt sich mit ihm in einer Kirche außerhalb der Stadt auf, sodass im Rat nur Herren zurückblieben, die den Heiratsvertrag förderten.⁸²² Die Entscheidungssituation in Frankreich war damit eine andere. Nicht Instruk­ tionen beschränkten den Handlungsspielraum, sondern personelle Gegenspieler konnten die Einigung auf einen gemeinsamen Vertrag verhindern oder erschweren. Der Grund für den späteren Vertragsbruch fand an dieser Stelle bereits seine An­ deutung: Die Garantien von französischer Seite waren nicht gewährleistet. Allen voran das parlement de Paris und die dortige Prüfung und Registrierung fand ihren Weg nicht in die Klauseln des auszuhandelnden Vertragswerkes. Von der Gegen­ seite hingegen, von Seiten des Reiches, verlangte d’Amboise eigens Sicherheiten, welche zunächst vehement abgelehnt wurden,⁸²³ später aber doch im Vertragstext niedergeschrieben waren.⁸²⁴ Die umstrittene Einbeziehung des Reiches zielte – betrachtet man die zukünftigen Ereignisse – mehr auf die Garantie der Belehnung für Ludwig XII., welche in Hagenau im Beisein der Reichsstände vollzogen werden sollte. Eine möglichst gute Absicherung des gesamten Vertrages war dabei nicht von Interesse, vielmehr wurde durch die Auslassung der sonst obligatorischen Registrierung durch das parlement der legitimierende Grundstein für den späteren Bruch gelegt. Bereits in Trient hatte man auf diese Formel verzichtet. Dass der

822 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 33v–34r. 823 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 37v. 824 „. . . quod sacri romani Imperii principes electores et ipsum universum Romanum Imperium, sint hujus pacis, unionis, foederum, & concordiae, & singulorum in eis contentorum conservatores, ita & taliter quod possint & debeant totis viribus assistere ei, qui praedicta observaverit contra alia non observantem.“ HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756.

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Vertrag von 1501 auch in Blois als Textvorlage gedient hatte, geht sowohl aus dem Journal del Burgos als auch aus dem späteren Vertragstext hervor, der unmittelbar auf das Vorgängerwerk referenziert.⁸²⁵ Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den in Blois agierenden Akteuren um eine königliche Delegation handelte, welche – folgt man den Ausführungen del Burgos – in ihren Debatten nicht auf bestimmte, im Vertragstext zu repräsentieren­ de dualistische Ausgestaltungen des Reiches abzielten, ja sogar die Einbeziehung des Reiches ablehnten, ist es bemerkenswert, dass die Repräsentation dualistischer Reichsstrukturen wieder von Frankreich angestoßen, eingefordert und schlussend­ lich auch durchgesetzt wurde. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vertraglich verankerten Strukturen nicht wirklich die aktuellen politischen Realitäten des Reiches widerspiegelten. Bis zum Tag von Hagenau sollte die treibende Kraft der Reformpartei, Berthold von Henneberg, nicht mehr leben. Die oppositionellen Strukturen des Reiches waren damit weitestgehend stagniert, die Herrschaft Maximilians hatte sich stabili­ siert. Verglichen mit der Ausgangslage des Jahres 1500 hatte sich die Situation nun vollkommen gewandelt. Kontakte zwischen Reichsfürsten und Ludwig XII. lassen sich ebenso wenig feststellen wie die diskursive Behandlung der Frank­ reichthematik auf dem folgenden Reichstag zu Köln. Zwar war dort der französische Gesandte Robertet zugegen, handelte aber nur in einer nebensächlichen Mission.⁸²⁶ Auf dem Tag zu Hagenau ist die Anwesenheit und aktive Rolle Jakobs von Trier nachgewiesen.⁸²⁷ Bei einer, wie es gefordert worden war, reichsfürstlichen Vertrags­ bestätigung war dieser hingegen nicht anzutreffen, geschweige denn, dass eine solche wirklich stattgefunden hätte. Wie noch zu zeigen ist, wirkten Maximilian und sein Parteigänger Jakob von Trier in Hagenau in symbiotischer Eintracht.

8.2.6 Schriftliche Fixierung von Reichsrechten Ein weiterer Punkt der Debatten von Blois zielte auf die vertraglich zu repräsen­ tierende Definition und Abgrenzung des Reiches. D’Amboise bestand darauf, die Florentiner im Text nicht als „subditi“, sondern „confederati“ des Reiches zu

825 „Tractatum est, quod praefatus christianissimus Francorum rex, non vult neque intelligit se ingerere, neque intromittere se subditis, feudis, & rebus Imperii sive in Italia, sive extra Italiam, nisi secundum quod supra dictum est, & formam tractatus apud Tridentum . . . “. HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 826 RTA MR, 8,1, S. 111. 827 RTA MR, 8,1, S. 215–216, Nr. 69. Die königliche Aufforderung an den Erzbischof in Hagenau zu erscheinen. Die Rolle des Erzbischofs geht aus den diversen Berichten zum Hagenauer Tag hervor.

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bezeichnen. Das Kapitel über die Entfremdung von Reichslehen wurde in diesem Zusammenhang zum Stein des Anstoßes. Eine Tilgung der Worte „de illis qui alienassent feuda“ kam für die Gegenseite, insbesondere Serntein, nicht in Frage. Die in Italien beanspruchten Reichsrechte durften nicht durch ihre Auslassung im Vertragswerk verloren gehen. Weiter blieb bestehen, dass die Franzosen auch in Zukunft von einer Einmischung in die „rebus Imperii“ abzusehen hatten. Die Reichsrechte sollten in Italien ihre Gültigkeit behalten. Von französischer Seite führte man jenen Aushandlungsprozess weiter, den man mit der Reichsgesandt­ schaft 1500 begonnen hatte. Die kriegerischen Interventionen in Italien gingen einher mit dem Versuch, im diplomatischen Kontakt neue Rechtsverhältnisse für Italien auszuhandeln und anschließend schriftlich und vor allem vertraglich zu fixieren. Ziel war eine Neujustierung der Verhältnisse. Mit der Ersetzung des Begriffes „subditi“ durch „confederati“ wären auch die feudalrechtlichen Ansprü­ che des römisch-deutschen Königs in den entsprechenden Gebieten erloschen, oder zumindest ein Präzedenzfall geschaffen worden, der diesen Verlust weiter vorantreiben konnte. Die Qualität des auszuhandelnden Vertragswerkes als finaler Frieden zeichnet sich in der Einigung auf Amnestieklauseln ab. Dabei handelte es sich hier nicht um eine Generalamnestie. Vielmehr musste eine Amnestie vereinbart werden, welche das Verhältnis des jeweiligen Herrschers zu bestimmten Personengruppen, konkret den Mailänder Exilanten und den italienischen Unterstützern Ludwigs XII., regelte. Diese Klausel musste so formuliert werden, dass sie mit den neu ausgehandelten Rechtsansprüchen in Deckung gebracht werden konnte. Für die italienischen Herren, welche sich während der Kriegszüge der Felonie schuldig gemacht hatten, wurde daher eine doppelte Konstruktion gewählt: Auf die Bitte des französischen Königs hin wurde ihnen die Verzeihung Maximilians zugesichert. Sie sollten wieder unter den Schutz des Reiches aufgenommen werden, durften dabei aber Verbündete Ludwigs bleiben.⁸²⁸ Die Wahrung der Reichsrechte wurde im Anschlussartikel nochmals eigens bestärkt. Das in Trient formulierte „. . . nihilominus ambo reges subditos utriusque regni, ad omnia aliqua sua servitia in servitores accipere, . . . “⁸²⁹ sollte diese nicht relativieren, denn, so hieß es, im Konfliktfall und bei einem Verstoß der italienischen Herren gegen König und Reich seien die Italiener nach Reichsrecht zu bestrafen⁸³⁰ und dürften vom französischen König nicht weiter unterstützt werden.

828 Die gegenseitige Erlaubnis die Untertanen des anderen in den Dienst zu nehmen wurde bereits im Vertrag von Trient festgehalten, auf den dieser Artikel auch eigens verweist. HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 829 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 16. 830 „. . . aut legem Imperii punire . . . “ HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756.

8.2 Instruktion und Vollmacht |

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Auch die Amnestieklausel für die Gegenseite war politisch brisant für die Bewahrung von Reichsrechten. Ludwig garantierte zunächst, die verbannten Mai­ länder, bis auf namentlich aufgeführte Ausnahmen, in Gnade wieder aufzunehmen, ihre Güter zurückzustellen und auf Bestrafungen zu verzichten. Die heimkehrenden Verbannten hätten vor den örtlichen Behörden in Mailand den Untertaneneid gegenüber dem französischen König abzulegen. Die Amnestie integrierte die Mailänder damit in die neu ausgehandelten Rechtsverhältnisse ihrer Heimat, welche nun nach der zugesagten Belehnung Ludwigs Gültigkeit erlangen sollten. Dass dieser nicht unerhebliche Punkt erst im Laufe der Vertragstextproduktion von französischer Seite aus integriert worden war, lässt die Überlieferung erkennen. In einem Entwurf der Ratifikationsurkunde Ludwigs findet sich als Randnotiz der Zusatz: . . . tenebuntur tamen omnes & singuli, qui redibunt ad ducatum Mediolanensem, & caetera christianissimi Regis trans Alpes dominia, praestare juramentum ad sancta dei evangelia, in manibus officialium locorum ad quae redibunt, quod de caetero ipsi erunt boni & fideles subditi Regiae Majestatis . . . .⁸³¹

Mit der Amnestieklausel, welche – wie wir aus del Burgos Bericht erfahren – rege debattiert wurde, konnten die territorialherrschaftlichen Ansprüche Ludwigs auf Mailand weiter gefestigt und bestätigt werden. Der Artikel sollte in ungeänderter Form in allen weiteren Urkunden erscheinen. Neben der zugestandenen Belehnung durch den römisch-deutschen König, dem zwar weiterhin in Mailand die nötigen Ehren zu erweisen seien, wurde auch das Verhältnis zu den dortigen Untertanen als künftiges Lehnsverhältnis definiert, welches durch den Huldigungseid zu bestätigen war.⁸³² Wie diese Konstruktionen zeigen, beruhte eine Amnestie in ihrer Grundstruktur auf Wechselseitigkeit. Auf diese Symmetrie legte man bereits bei der Aushandlung Wert. Eine schonende Behandlung sollte der französische König den Mailändern im Exilanten-Artikel zusichern. Mit diesen Worten war auch Maximilians Umgang mit den abfälligen Italienern zu beschreiben.⁸³³ Die Wiederaufnahme in Schutz und Gnade findet sich später in beiden Amnestieartikeln.⁸³⁴ Die Grundlagen für einen

831 BNF, MS fr. 3087, fol. 91r. 832 Die original von Maximilian unterzeichnete Urkunde ANF, J 658/9, wie Anm. 756. Ediert und übersetzt in: RTA MR, 8,1, S. 222–226, Nr. 75. Das Gegenstück Ludwigs befindet sich unter HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. Integriert in den Bericht del Burgos ist der genaue Wortlaut der Vertragsurkunde und Ratifikation Ludwigs HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 11. 833 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 834 Für das Verhältnis Ludwigs zu den Mailändern heißt es: „[R]ex est contentus remittere & remittit eis bona eorum et absolvit eos ab omnibus delictis . . . illos in gratiam suam redire permittit

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dauerhaften Friedensschluss waren damit auch im Verhältnis zu den Untertanen geklärt. In anderen Bereichen bedurfte es weiterer Verhandlung.

8.2.7 Die falsche Formel Dass es sich bei der Konstruktion von Verträgen nicht um ein bloßes Zusam­ menfügen bestehender Formeln handelte, belegt ein Punkt in prägnanter Weise. Die Verbindung zwischen den Vertragspartnern fand in Blois ihren formelhaf­ ten Ausdruck in der Wendung „amicus amicorum et inimici inimicorum“.⁸³⁵ Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation, die Spanier hatten sich aus den Verhandlungen zurückgezogen, kam dieser Formulierung eine neue, un­ liebsame Bedeutung zu. Von Maximilian in der Instruktion noch ausdrücklich gewünscht, implizierte der Ausschluss der Spanier vom Vertrag in Kombination mit der Bündnisformel die Generierung eines potentiellen Angriffspaktes gegen Spanien, was vor allem für Philipp nicht akzeptabel sein konnte. Eine Tilgung der Klausel ließ sich bei allem Protest aber nicht durchsetzen. Lediglich ihre Relativierung durch einen zusätzlichen Passus wurde angedacht, im späteren Vertragswerk aber nicht realisiert.⁸³⁶ Im Prozess der Urkundenfassung blieb das ungewollte „inimici inimicorum“ bestehen und wurde immer wieder in den Text „eingeschmuggelt“.⁸³⁷ Die Neutralität Philipps⁸³⁸ gegenüber Spanien wurde letzten Endes zwar an­ erkannt, hatte aber keinen Einfluss auf den eigentlichen Vertragsartikel. Weder ein eigener Passus noch der Zusatz der Neutralität gegenüber Spanien wurde berücksichtigt.⁸³⁹ Der Vertragstext wird somit während seiner Verhandlung zum Ort funktionaler Verdichtung. Hinter jedem Wort steht bestenfalls ein Einigungsprozess, ebenso

. . . .“ Entsprechend ist auch die Wortwahl für Maximilian: „Romanorum rex vult indulgere & indulget . . . eis absolvit & permittit redire in gratiam . . . .“ HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. Die Wortwahl weicht nur im Ausdruck der Vergebung ab. Für Ludwig wird „remittere“ für Maximilian „indulgere“ gewählt. Beide Ausdrücke gehören zum üblichen Repertoire der Vertragssprache. Remittere gründet sich dabei auf eine Vergebung der Sünden nach kirchenrechtlicher Tradition, indulgere hingegen hat römisch-rechtliche Wurzeln. Fisch, Krieg und Frieden, wie Anm. 12, S. 78–80. 835 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 836 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 837 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 37v–39r. 838 „. . . starent neutrales . . . “ HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 45r. 839 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756.

8.2 Instruktion und Vollmacht |

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lassen sich an anderer Stelle Versuche erkennen, ungewollte Inhalte beizubehalten, in der Hoffnung, dies würde bei der Redaktion der Gegenseite unentdeckt bleiben. Schriftfassung und Verhandlungen gingen dabei stets Hand in Hand.

8.2.8 Abfassung der Urkunden Der Bericht del Burgos gibt genaue Auskunft über die Abfassung des finalen Ver­ tragstextes. In der Wohnung des d’Amboise fanden sich Serntein, Naturelli und der französische Kanzler Robertet zum gemeinsamen Abgleich der Verhandlungsergeb­ nisse mit den Lyoner Artikeln ein. Nach erneuten Auseinandersetzungen übernahm Robertet die Textfassung, sodass am 21. September 1504 zwei Abschlussurkunden zur wechselseitigen Übergabe ausgefertigt vorlagen. Eine im Namen des Königs von Frankreich für Maximilian und Philipp, die andere im Namen der Gesandten für Ludwig XII. Insgesamt waren aber nicht eine, sondern vier Urkunden unterschiedlichen Inhaltes in Blois ausgestellt worden.⁸⁴⁰ Neben dem Friedens- und Freundschafts­ vertrag⁸⁴¹ hatte man in einer separaten Urkunde die Ehevereinbarung zwischen Karl und Claudia niedergeschrieben.⁸⁴² Anders als in Arras 1482 wurde der Hei­ ratsvertrag, der bereits zum Zeitpunkt seines Abschlusses fragwürdig war, nicht in den Hauptfriedensvertrag integriert, sondern in eine gesonderte Urkunde aus­ gelagert.⁸⁴³ Insgeheim hatten sich mit einer weiteren Urkunde Papst Julius II., Maximilian und Ludwig gegen Venedig verbündet.⁸⁴⁴ Der französische König hatte sich in einer vierten Urkunde verpflichtet, kein Bündnis mit den Eidgenossen ohne den römisch-deutschen König einzugehen.⁸⁴⁵

840 Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 201. 841 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. 842 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 56ff. 843 Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 204. Die Gesandten besuchten zum Abschluss des Vertrages auch die Königin Anna, welche große Freude über das Abkommen bekundete. HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 46r. Die Königin hielt auch nach dem späteren Bruch des Abkommens an der Verbindung fest, sodass die Ehe zwischen Claudia und Franz von Angoulême erst nach ihrem Tod geschlossen werden konnte. Dazu Minois, Georges: Anne de Bretagne. Paris 1999, S. 466–470. 844 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 58–59. 845 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 14r.

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8.3 Friedensschluss und Ritual Hatten sich die Verhandlungen und die Textfassungen noch im Verborgenen und kleinsten Diplomatenkreis abgespielt, besiegelte der Eid den Pakt nun nicht al­ lein vor Gott, sondern öffentlich. Ein Friedensschluss konnte sich nicht allein darauf begründen, dass ein rechtsgültiges Dokument abgefasst worden war. Erst im Wechselspiel mit öffentlich vollzogenen symbolischen Akten konnte das neue Verhältnis Geltung und Wirksamkeit erlangen.⁸⁴⁶ Konflikt und Verhandlung sind dabei untrennbar mit dem Gesandtschafts- und Friedenszeremoniell verknüpft. Ansprüche, die kriegerisch und diskursiv ausgefochten und neu definiert wor­ den waren, bedurften neben der schriftlichen Fixierung einer symbolischen Re­ präsentation im Ritual.⁸⁴⁷ Diplomatie kann letztlich nur funktionieren, wenn alle Parteien die gleiche „diplomatische Sprache“ sprechen. Dies gilt bei der Einigung auf einen Vertragstext ebenso wie bei dessen zeremonieller Inkraftset­ zung.⁸⁴⁸

8.3.1 Blois: Rituelle Beeidung Wie aus der Analyse der Vertragsverhandlungen hervorgeht, hing die Konstruktion eines Vertragstextes an Begrifflichkeiten und Formeln, welche auf umkämpfte Rechtsansprüche hinweisen. Wenig umstritten scheint hingegen die Eidesformel, zumindest bei ihrer schriftlichen Fixierung im Vertragstext. Erwiesen sich die Nennung bestimmter Beglaubigungs- und Ratifikationsmethoden als fakultativ, so gibt es keinen Vertragsschluss, in dessen Text auf die Schilderung des zu leistenden

846 Dartmann, Friedensschlüsse, wie Anm. 19, S. 355–369. 847 Stollberg-Rilinger, Barbara: Völkerrechtlicher Status und zeremonielle Praxis auf dem Westfä­ lischen Friedenskongreß. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis zum 18. Jh. Hrsg. von Martin Kintzinger u. Michael Jucker. Berlin 2011 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 45), S. 147–164; Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2013, S. 85–104. 848 Kintzinger, Martin: Kontakt und Konflikt. Herausforderungen der Diplomatie im Spätmittelal­ ter. In: Bereit zum Konflikt. Strategien und Medien der Konflikterzeugung und Konfliktbewältigung im europäischen Mittelalter. Hrsg. von Oliver Auge [u. a.]. Ostfildern 2008, S. 283–284. Zur vermin­ derten Funktionalität und Verbindlichkeit von Ritualen in inter- und intrakulturellen Kontakten vgl. Jostkleigrewe, Georg: Ritual – Kultur – Grenze. Kulturelle Differenz und grenzüberschreitender Ritualgebrauch. In: Grenzen des Rituals. Wirkreichweiten – Geltungsbereiche – Forschungsper­ spektiven. Hrsg. von Andreas Büttner [u. a.]. Köln 2014, S. 109–124.

8.3 Friedensschluss und Ritual |

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Eides verzichtet wurde.⁸⁴⁹ Wie die Benennung der Vertragspartner gehörte der Eid zum festen Normenrepertoire von Vertragsschlüssen.⁸⁵⁰ Anders als institutionelle Elemente der divergenten Herrschaftsgefüge Reich und Frankreich, welche im Kontext der Ratifikationen zum Einsatz kamen, gründet sich der Eid auf das gemeinsame, übergreifende Normensystem des Christen­ tums. Ebenso wie die „pax christiania“ als gemeinsamer, höherer Konsens bei einem westeuropäischen Friedensschluss nicht wegzudenken war, wurde diese auch unter Rückgriff auf den gemeinsamen christlich-rituellen Code besiegelt. Einem potenziell defizitären Vertragstext und diversen, nicht obligaten Formen der Ratifikation stand also der unumstößliche Eid vor Gott gegenüber. Fehlende übergeordnete Institutionen zur Exekution grenzübergreifender Rechtsfälle wurden somit potentiell von Gott als übergeordneter Instanz ersetzt.⁸⁵¹ Die Eidleistung wurde für den Tag nach der Textfassung angesetzt. Nach der Messe sollte der Akt in Gegenwart der italienischen Gesandten erfolgen.⁸⁵² Der Vertragstext griff diesem Ereignis logischer Weise vor: Et insuper promittimus & juramus ad dominum Deum nostrum & ejus sanctam crucem & sacnta quatuor evangelia, manibus nostris corporaliter tacta, bona fide, & in verbo regio, & sub censuris apostolicis . . . .⁸⁵³

Vorab sicherte man durch diesen Artikel die Archivierung des Aktes, bei dessen späterem Vollzug die Akteure der Textfassung eine tragende Rolle spielen sollten. D’Amboise hielt im Abschlusszeremoniell das Messbuch, der Kanzler, welchem stets die genaue Textprüfung oblag, verlas die Eidesformel, die zunächst der König, dann die Gesandten beschworen.⁸⁵⁴ Wiedergegeben wurde in Blois ausschließlich die Eidesformel, nicht aber die Vertragstexte oder deren Kurzzusammenfassung. Den anwesenden venezianischen Gesandten blieben damit der Inhalt des Vertrages und vor allem das gegen sie gerichtete Bündnis verborgen. Der rituelle Weg vermittelte ihnen allein die Tatsache, dass zwischen den beiden Herrschern eine Übereinkunft getroffen worden war, deren Inhalte und Konsequenzen man im Verborgenen hielt.

849 Dies bestätigt Lesaffer für die Verträge aus dem Zeitraum zwischen 1454 und 1648. Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 23. 850 Vgl. zum Eid Offenstadt, Faire la paix, wie Anm. 13, S. 257–267. 851 Schwedler, Herrschertreffen, wie Anm. 389, S. 146. 852 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 45. 853 HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. Zum Eid des Königs vgl. Schwedler, Herrschertreffen, wie Anm. 389, S. 153–154. 854 HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 45v–46r.

210 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau 8.3.2 Der Tag von Hagenau: Konsens im Ritual? Anfang April 1505 sollte der Vertrag dann auch von Maximilian in Hagenau in Anwesenheit einer französischen Delegation beschworen und final geschlossen werden. D’Amboise, der die Investitur stellvertretend annehmen sollte, spielte wie schon in Blois eine zentrale Rolle. Eingerahmt von Erzherzog Philipp und dem Kurfürsten von Trier, welcher eigens zum Erscheinen in Hagenau angewiesen wor­ den war,⁸⁵⁵ empfing Maximilian den Kardinal von Rouen und seine Begleiter.⁸⁵⁶ Es folgte eine Rede des Bischofs von Paris, die Übergabe der Beglaubigungsschreiben sowie die Bitte um Belehnung. Diese Szene erinnert, bis auf die Belehnungsbitte, an den Beginn der Verhandlungen in Blois. Tatsächlich führte man jetzt in Hagenau die Investitur nicht unmittelbar durch, es folgten weitere Verhandlungen über den bereits in Frankreich beeideten Vertrag, insbesondere den ersten Artikel.⁸⁵⁷ Der in Blois geleistete Eid markierte damit weder den vollständigen Friedens­ schluss – es fehlte noch die Ratifikation durch Maximilian – noch das Ende der Textfassung. Die Tatsache, dass man sich über den Text noch nicht vollständig einig war, kann ein weiterer Grund für dessen Geheimhaltung in Blois gewesen sein, die letztlich dazu geführt hatte, dass nie ein Eid auf einen wortgetreu einzu­ haltenden Urkundentext geleistet worden ist. Gerade diese Wortwörtlichkeit war bei vergangenen Verträgen eigens betont worden.⁸⁵⁸ Im vorliegenden Fall war der Einigungsprozess noch nicht abgeschlossen. Die Frage, ob und inwiefern Philipp im Vertragstext genannt werden sollte, beschäftigte nun auch die Unterhändler in Hagenau und manifestiert sich gleich­ sam in der Überlieferung, die leichte Abänderungen, unter anderem des ersten Vertragsartikels, erkennen lässt.⁸⁵⁹ Erst der verbesserte Text, der die familiäre Verbindung Philipps zu Spanien bereits im ersten Artikel augenscheinlich macht, konnte nun auch in Hagenau seine rituelle Beglaubigung finden. Der Festakt fand dort in der Franziskanerkirche statt. Nach der Messe trat Maximilian mit Kardinal d’Amboise und den anderen französischen Unterhändlern 855 RTA MR, 8,1, S. 215–216, Nr. 69. 856 Louis de Halewin, Rigault d’Oreille und den Bischof Étienne Poncher von Paris. HHStA, Ma 16, wie Anm. 717, S. 26v–27v. 857 RTA MR, 8,1, S. 221–222, Nr. 74. 858 Siehe S. 177. 859 In der original von Ludwig ratifizierten Urkunde wurde Philipp nur als „archiduc“ aufgeführt. HHStA, AUR, 1504 IX. 22, wie Anm. 756. Ein beiliegender Entwurf zeigt, dass Philipp erst später, im Laufe der Verhandlungen von Blois, in den Text eingefügt wurde. Aus den „duobus“ wurden „tribus“. HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 15–16. Philipp wurde als „Castellae rex, nunc tunc vero archiduc Austriae . . . “ in der zu Hagenau ausgestellten Urkunde aufgeführt. ANF, J 658/9, wie Anm. 756.

8.3 Friedensschluss und Ritual |

211

vor den Altar, wo der Kanzler eine Rede auf die Freundschaft der beiden Königreiche hielt. Nochmals wurde darauf hingewiesen, dass die Belehnung mit Mailand nur unter Wahrung der Lehnsherrlichkeit des Reiches vorgenommen werden könnte. Dass Misstrauen gegenüber den Franzosen wurde der abschließenden Beeidung nochmal vorausgeschickt. Unerwähnt blieben, und dies fiel dem Berichterstatter auf, der Papst und das Eheabkommen zwischen Karl und Claudia.⁸⁶⁰ Abschließend wurde der Eid vom Trierer Erzbischof verlesen und von Maximili­ an und Philipp abgelegt, der in seiner Form „piu reservato et libero“ war als dies von französischer Seite gewünscht sein konnte.⁸⁶¹ Dass in der Realität keine wirkliche Einigung erzielt worden war, verdeutlicht sich im Zusammenspiel von Text und Ritual. Hatte letzteres keine Beanstandung der Anwesenden gefunden, war es wieder ein Text, der den Unmut der französischen Gesandten auf sich zog. Hatte der Eid formal wie vertraglich vorgesehen „super sanctam eius crucem sanctaque Dei quattuor evangelia manibus nostris personaliter tacta“ abgeleistet werden können, ist der Verweis auf die Inhalte selbst in aller Kürze gefasst: Beeidet wurden das ewige Freundschaftsverhältnis sowie die „tractat[us] inter nos Tridenti et Blesis conventis“.⁸⁶² Zieht man in Betracht, dass die Textausfertigungen von Blois und Hagenau nicht identisch waren, so kommen spätestens an dieser Stelle Zweifel auf, dass die dauerhafte Einhaltung des Abkommens intendiert war. Wie die weiteren Be­ richte aus Hagenau zeigen, war dies ein offenes Geheimnis. Nach der Beeidung fanden immer noch Gespräche mit den französischen Gesandten statt. Von Sei­ ten Spaniens wurde sofort Kritik am Vertragswerkswerk verübt, welches, so die Beschwichtigungen Maximilians, nur halten würde, bis die Tinte trocken sei.⁸⁶³ Auch wenn ein Kernpunkt des Vertragsabkommens, die feierliche Belehnung, wirklich am 6. April vorgenommen wurde, reiht sich diese in ihrer rituellen Form

860 „. . . nella qual non fu nominata in parte alcuna la santita pontificia ne manco facta mentione del matrimonio de madama Claudia et principe Karlo . . . .“ Höfler, Constantin von: Die Depeschen des venetianischen Botschafters bei Erzherzog Philipp, Herzog von Burgund, König von Leon, Castillien, Granada, Dr. Vincenzo Quirino 1505–1506. In: Archiv für österreichische Geschichte 66 (1855), S. 64. 861 Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 64; Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 203. Zur Bedeutung der Kompromissformel vgl. Schwedler, Herrschertreffen, wie Anm. 389, S. 156–157. Vgl. zum Verhältnis von Schrift und Ritual im Kontext von Investituren das Beispiel der Belehnung des René von Anjou auf dem Reichstag von 1495 bei Stollberg-Rilinger, Alte Kleider, wie Anm. 541, S. 76–78. 862 RTA MR, 8,1, S. 227, Nr. 77. 863 Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 205–206. Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 64.

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nahtlos in die bereits geschilderten Vorgänge ein.⁸⁶⁴ Nachdem das schlichte Ze­ remoniell⁸⁶⁵ vollzogen war und d’Amboise den Treueid geleistet hatte, folgte die Belehnung für Philipp, für den Fall dass der französische König söhnelos stürbe. Wieder blieb Claudia im Eidspruch unerwähnt.⁸⁶⁶ Von Seiten der Kurfürsten war nur der Erzbischof von Trier vertreten, ohne aber eine aktive Rolle zu spielen oder gar die Belehnung von Seiten der korporativen Königswählerschaft eigens zu bestätigen, wie dies noch 1501 im Vertrag von Trient gefordert worden war. Das Kontrastprogramm zu der schlichten Parallelinvestitur Ludwigs und Phil­ ipps wurde anschließend mit der Belehnung des Kurfürsten Jakob von Trier ge­ boten.⁸⁶⁷ Bereits vor den venezianischen Gesandten hatte Maximilian verkündet, dass der Akt für Reichsfürsten wesentlich feierlicher abliefe, als das, was ihnen im Falle der Mailänder Belehnung geboten worden war.⁸⁶⁸ Entsprechend prunkvoll, die Reichsinsignien waren eigens nach Hagenau gebracht worden, erfolgte dann die Investitur des Kurfürsten, welche die vorangegangenen Ereignisse zumindest visuell in den Schatten stellte. Der Bericht des Erasmus Topler präsentiert die Ereignisse in einer besonders prägnanten Gegenüberstellung:

864 Mehrere Schilderungen des Ereignisses sind überliefert. Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 63–64, Nr. 7. Die italienischen Berichte sind ediert und übersetzt in RTA MR, 8,1, S. 227–228, Nr. 78–79, S. 233–235, Nr. 84. Die Lehnseide des Georges d’Amboise und Philipps ebd., S. 232, Nr. 82–83. Der Bericht des mantuanischen Gesandten ebd., S 235–236, Nr. 85. Eine weitere detaillierte Darstellung der Ereignisse findet sich bei Molinet, Chroniques, ed. Buchon, wie Anm. 331, Bd. 5, S. 243–247, sowie eine etwas kürzere Aufzeichnung des Sekretärs König Philipps, Philippe Haneton HHStA, Ma 16, wie Anm. 717, fol. 26v–27v. 865 Vgl. dagegen die Belehnung des Ludovico Sforza, welche mit einem öffentlichen Festakt begangen wurde. Lünig, Codex Italiae diplomaticus, wie Anm. 590, Bd. 1, S. 483–494, Nr. 37. 866 Die beiden Lehnseide RTA MR, 8,1, S. 232, Nr. 82–83. In der Belehnungsurkunde selbst wird lediglich darauf verwiesen, dass die Investitur in der üblichen Form stattgefunden habe. Ludwig sei mit Rat von Fürsten und Adel und Kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit belehnt worden, nachdem er den gewöhnlichen Treue- und Lehnseid geleistet hätte. „. . . ac in hujusmodi præstari folito fidelitatis & homagii juramento, quod is in animam ipsius regis sui in præsentia nostra rite & de more cæsareæ curiæ nostræ præstit sano adhoc accedente principum, comitum, baronum, & procerum nostrorum consilio, ex certa scientia & ac de plenitudine nostræ cæsareæ potestatis . . . .“ Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 61. Weiter wird dann die genaue Regelung im Erbschaftsfall inklusive der Erbansprüche Claudias beschrieben. Auch für Philipp wurde eine ähnliche Urkunde zu seiner Eventualbelehnung ausgestellt. Dort wurde auch die Bestimmung aus dem nicht ratifizierten Heiratsvertrag integriert, dass Ludwig und dessen Nachfolger im Falle einer nicht zustandekommenden Ehe mit Claudia auf ihre Mailänder Ansprüche zu verzichten haben. Diese Urkunde solle alle anderen, widersprüchlichen Verfügungen kassieren können. HHStA, AUR, 1505 IV. 7. 867 Ausführliche Darstellung bei Molinet, Chroniques, ed. Buchon, wie Anm. 331, Bd. 5, S. 247–248. Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 72–75, Nr. 13. 868 Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 67–68, Nr. 10.

8.4 Vertragsbruch: Exklusivität des französischen Königtums |

213

. . . [N] ach der messe hat der röm. Kg. der franzosischen potschaft in seiner eßstuben [sic!] daß Hm. von Mailand gelihen . . . . Darnach am eretag [8.4.] hat man von Strasburg sein kgl. kron und kleinat gebracht, furwar kostlich; sie mochten furware eines Kgr. wert sein, die er seinem sune, die franzosische potschaft hat sehen lassen . . . . Und heut [9.4.] hat sein kgl. Mt. offentlich in seiner kgl. zierde dem Bf. von Trier seine regalia in gegenwertikeit seines suns, der franzosischen potschaft geliehen . . . .⁸⁶⁹

Dass diese Inszenierung dazu dienen konnte, die Mailänder Belehnung später für ungültig zu erklären, ist naheliegend. Darüber hinaus war der Heiratsvertrag zwischen Claudia und Karl nicht ratifiziert worden, und die Belehnungsurkunde für Philipp relativierte den Inhalt der Abmachung. Für den Fall, dass ohne Ver­ schulden der habsburgischen Partei keine Eheverbindung zwischen den beiden Herrscherhäusern zustande käme, sollte Mailand nicht an die Erben Ludwigs, sondern an Philipp und dessen Nachfolger fallen.⁸⁷⁰ Die Klagen Maximilians über die Unzulänglichkeit⁸⁷¹ der Belehnung beriefen sich ein Jahr später aber weder auf die zeremonielle Form der Investitur noch auf die Belehnungsurkunde. Als eine von vielen Möglichkeiten der Vertragsdementierung deklarierte dieser die Vollmachten des Kardinals als unbefriedigend.⁸⁷²

8.4 Vertragsbruch: Exklusivität des französischen Königtums Schon in Blois waren die Vermutungen laut geworden, dass der geschlossene Frieden zwischen Valois und Habsburg nicht von Dauer sein würde. Der Heirats­ vertrag war nie ratifiziert und das Bündnis zwischen Claudia und Karl in den Beeidungsformeln umschifft worden. Es wundert daher wenig, dass Ludwig schon im Mai 1505 ein geheimes Testament aufsetzte, dass die Ehe zwischen Claudia und Franz von Angoulême vorsah. Dass Eheabkommen zwischen Karl und Claudia wurde annulliert mit der Begründung, es widerspreche dem Krönungseid. Die Hauptverantwortung für die Auflösung des Eheabkommens übertrug man aber den Ständen. Dazu inszenierte man im April 1506 in Tours eine General­

869 RTA MR, 8,1, S. 246–247, Nr. 93. 870 Wiesflecker-Friedhuber, Vertragswerk, wie Anm. 755, S. 205–207. 871 Zu diesem Themenkomplex vgl. Kintzinger, Martin: Panne oder Provokation. Gewollte Regel­ brüche in Politik und Diplomatie des Spätmittelalters. In: Wertekonflikte – Deutungskonflikte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster 19.–20. Mai 2005. Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger u. Thomas Weller. Münster 2007 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 16), S. 85–104. 872 RTA MR, 8,1, S. 237, Anm. 1.

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ständeversammlung unter Anwesenheit aller princes du sang, des Präsidenten des parlement de Paris und des Kardinals d’Amboise. Bezeichnend ist auch die Teilnahme des Pariser Bischofs, der in Hagenau als französischer Orator bei jenem Vertragsabschluss mitgewirkt hatte, welchen man nun im Rahmen der Versamm­ lung wieder auflöste.⁸⁷³ Das Wort ergriff zunächst Thomas Brico. Die Reformen von Steuer und Gericht, insbesondere des parlement de Paris sowie die Schaffung eines dauerhaften Frie­ dens seien dem König zu verdanken, der sich als „pere du peuple“ erwiesen habe.⁸⁷⁴ Anschließend an diese Ehrung wurde die dringende Bitte vorgetragen, „pour le general bien de vostre royaume“ die Tochter Claudia mit Franz von Angoulême zu vermählen. Nachdem sich der König mit den princes du sang und weiteren Herren, unter anderem dem Erzbischof von Paris, beraten hatte, wurde das ständische Anliegen für „bonne, juste & raisonable“ befunden und die Eheverbindung be­ schlossen, nicht als alleiniger Wunsch des Königs, sondern betont als „commun acord“.⁸⁷⁵ Was sich in Blois und Hagenau angekündigt hatte, bestätigte sich nun 1506. Die Vereinbarung zwischen Valois und Habsburg wurde von Seiten des französischen Königs zwar nicht ignoriert, aber nur am Rande und nicht explizit erwähnt. Darüber hinaus bezeichnete man die schriftlichen Vereinbarungen auch nicht als Vertrag, sondern lediglich als Worte, denn die Frage der Vertragsbrüchigkeit stellte sich nicht, wenn es offensichtlich keinen Vertrag gab. In dieses Narrativ fügt sich auch die Begründung, das parlamento de Paris und die französischen Fürsten seien gegen den Heiratsvertrag gewesen.⁸⁷⁶ Ihre Haltung war bereits seit Blois bekannt

873 Étienne de Poncher hatte in Hagenau eine Rede auf die Freundschaft der beiden Könige gehalten und auf seinen Auftrag hingewiesen, den Friedens- und Heiratsvertrag zu bestätigen. RTA MR, 8,1, S. 221, Nr. 74. Zur Anwesenheit des Georges d’Amboise und Poncher Gillet, Isabelle: Église, humanisme et droit. L’influence des élites lettrées sur la politique de Georges d’Amboise. In: Georges Ier d’Amboise 1460–1510. Une figure plurielle de la Renaissance. Actes du colloque international tenu à l’Université de Liège, les 2 et 3 décembre 2010. Hrsg. von Jonathan Dumont u. Laure Fagnart. Rennes 2013 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 16), S. 122–123. 874 Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 43ff. 875 „. . . Eh combien que par ci devant a esté pourparlé du mariage de maditte dame Claude avec autre. Toutesfois il n’y a eu chose traittée qui puisse nuire ou empescher ledit mariage, car il n’y a eu que parolles.“ Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 47. 876 „Ma che el parlamento de Paris: et li principi de Franza sono stati quelli che contra el voler suo li feceno mandar dicta anbasata perche sono mal contenti chel duca Carlo habia ad esser suo sucessore ne volleno permeter che madama Claudia sia maritata fora de Franza . . . “. Höfler, Depeschen, wie Anm. 860, S. 153.

8.4 Vertragsbruch: Exklusivität des französischen Königtums |

215

und der Vertrag kam ohne die Formel über eine Vertragsregistrierung im Parlament oder die Garantieversprechen einzelner Zeugen aus. Dementgegen wurde jetzt die Ehe zwischen Claudia und Franz von Angoulême textlich und rituell in Szene gesetzt und die Verbindung zu Karl, deren mangelnde Validität sich schon in Hagenau abgezeichnet hatte, förmlich überschrieben. Die Inhalte des ursprünglichen Ehevertrages von 1501⁸⁷⁷ waren nie vollständig in das Friedensabkommen von Blois und Hagenau integriert worden, denn die Ehe war nur im Kontext der Belehnung relevant und damit auch mit den entsprechenden Artikeln verwoben. Die Absicherung der Verbindung war hingegen in eine andere Urkunde ausgelagert worden und fiel förmlich aus dem eigentlichen Vertragsschluss heraus.⁸⁷⁸ Die Artikel des neuen Ehevertrages für Claudia und Franz, welchen die Eltern als Stellvertreter für ihre Kinder abschlossen, wurden hingegen auf der Generalständeversammlung laut verlesen und damit zum integralen Bestandteil der Verlobungszeremonie selbst. Anders als bei der Beeidung von Hagenau verbarg sich das neue Ehebündnis nicht hinter einer allgemein gehaltenen Formel.⁸⁷⁹ Jetzt in Tours wurden die Fürsten des Königreiches zur Absicherung und Garantie des Abkommens herangezogen. Gerade dieser Konsens einer breiten Öffentlichkeit fand sich in besonderem Maße durch den Vertragstext hervorgehoben, dessen Inhalte man beschlossen habe: Comme par l’avis & meûre deliberation des princes, & seigneurs de nôtre sang & lignage, prelats & gens de nôtre conseil, & autres grands & notables personnages, assemblez en grand nombre . . . .⁸⁸⁰

Regelungen für den Fall eines nicht zustande kommenden Eheschlusses, in den deutsch-französischen Heiratsverträgen der vergangenen Jahre waren diese stets raumgreifend gewesen, finden sich hingegen nicht. Die Sicherheit des neuen Ehe­ abkommens sollte einmal durch seine umfassende Bestätigung und zum anderen durch die ausführlichen Garantien von Dauer sein. Die in Tours anwesenden Gene­ ralstände verpflichteten sich in diesem Zusammenhang eidlich, den Beschluss auch in ihren Städten bestätigen zu lassen. Nach dem Tod Ludwigs sollten die Untertanen ausschließlich den Sieur de Vallois als ihren „vray Roi Prince & souverain Seigneur“ anerkennen.⁸⁸¹

877 Der Ehevertrag zwischen Claudia und Karl, geschlossen in Lyon 1501. Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 28–34. 878 Dennoch wurden auch die Sicherungsartikel vom französischen König und der Königin ratifiziert. HHStA, Ma 16, wie Anm. 717, fol. 23v–26r; Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 56ff. 879 Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 49–51. 880 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 88. 881 Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 47.

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Die Umstände verdeutlichen, dass es sich bei dem Ehevertrag für Claudia und Franz um eine besondere Form des Abkommens handelte. Darauf deutet schon der Beginn der Ständeversammlung und der Verweis auf die schwere Krankheit Ludwigs hin – „il avoir esté moult griefvement malade“ – , welcher einen unmittel­ baren Anknüpfungspunkt an die Nachfolgefrage bot, vor deren Hintergrund der Ehevertrag zu bewerten ist.⁸⁸² Strukturell war das Abkommen und damit auch seine vertragliche Regelung nämlich eng gekoppelt an die Grundideen französischer Kö­ nigsherrschaft, deren Nachfolge und Ausübung zum Wohl der eigenen Untertanen und des Königreiches eine andere Wertigkeit hatte als die Einhaltung und Umset­ zung dynastischer Eheverträge.⁸⁸³ Formelhaft spielten in Tours Akklamationen wie „Vive vive le roy, & apres son regne luy doint Dieu le royaume de paradis“ auf die transpersonale Herrschaftsvorstellung an.⁸⁸⁴ Der französische König war durch seinen Kroneid der Bewahrung des Reichsgutes und dem Wohl seiner Untertanen verpflichtet.⁸⁸⁵ Claudias Mitgift hätte in der Verbindung mit dem Habsburger einen wesentlichen Teil des Reichsgutes an einen fremden Herrscher preisgeben, was nicht akzeptabel war. Dass diesen Regeln und Grundgedanken französischer Kö­ nigsherrschaft mehr Geltung zugesprochen wurde als einem Vertrag, hatte sich bereits in den Argumentationen zum Erbe Burgunds gezeigt. 882 Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 43. 883 „[Q]ue les rois de Fransse, quand ils siègent à la couronne, font ung serment sy fort et sy inviolable que tout che q’ilz accordent ou promettent après n’est nulle valeur pour sy que che soit chose qui puisse touchier le bien et utylité du realme.“ Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 138–139. Nach der Aufhebung des Ehevertrages zwischen Claudia und Karl von Luxemburg entsandte Ludwig XII. Claude de Seyssel nach England zu Heinrich VII., der in einer Rede die Begründungen für den Bruch des Vertrages von Blois (1504) darlegt. Ein späterer Eid könne den Krönungseid nicht aufheben oder etwas bestätigen, was diesem zuwider laufe, hieß es in der Rede. Dieser Text ist in lateinischer und französischer Sprache gedruckt und verbreitet worden. „Ad. . . Angliae regem Henricum Septium Oratior, Paris 1506“, gedruckt in: Seyssel, Claude de: La Monarchie de France. Hrsg. von Jacques Poujol. Paris 1961. „La proposition et harengue. . . “, gedruckt bei Godefroy, Théodore (Hrsg.): Histoire de Louis XII roy de France depuis l’an 1498 jusque a l’an 1515. 2 Bde. Paris 1615, Bd. 1, S. 205–236, insbes. S. 229. Dazu Bakos, Adrianna: Images of kingship in Early Modern France. Louis XI. in political thought, 1560–1789. London u. New York 1997, S. 20–21. Inhaltliche Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit der Rede vor Heinrich: Seyssel, Claude de: Les Louenges du roy Louys XIIe de ce nom (1508). Hrsg. von Patricia Eichel-Lojkine u. Laurent Visière. Genf 2009 (Les classiques de la pensée politique 21); Boone, Rebecca A.: War, domination, and the monarchy of France. Claude de Seyssel and the language of politics in the Renaissance. Leiden 2007, S. 39–41. Zur politischen Idee Eichel-Lojkine, Patricia (Hrsg.): Claude de Seyssel (c. 1450–1520). Écrire l’histoire, penser le politique en France, à l’aube des temps modernes. Rennes 2009. 884 Godefroy, Lettres du roi Louis XII, wie Anm. 769, Bd. 1, S. 48. 885 Jackson, Richard: Vive le Roi! A history of the French coronation from Charles V. to Charles X. Chapel Hill [u. a.] 1984, S. 69–85.

8.5 Vertragsbruch: Juristische Begründungsstrukturen |

217

Aus diesem Grund war in Tours der Konsens zwischen König und Ständen inszeniert und in Form des neuen Ehevertrages verschriftlicht worden. Der notwen­ digen Legitimität und Stabilität der Thronfolge des Franz von Angoulême war damit und durch den hervorgehobenen Einbezug der pares ein Grundstein gesetzt worden, der keinen legitimen Widerstand mehr erlaubte.⁸⁸⁶ Eben dieser inszenierte Konsens für die Nachfolge Franz’ fand seinen Ausdruck in dem vertraglich aufgesetzten Heiratsabkommen, welches in seinem Text eigens auf die Zustimmung der Großen rekurrierte. Damit verweist schon der Ehevertrag auf jenen symbolischen Akt des coronam sustentare,⁸⁸⁷ welcher traditionell französische Königsherrschaften und eben auch jene des Franz I. begründen sollte.⁸⁸⁸

8.5 Vertragsbruch: Juristische Begründungsstrukturen Auch wenn die Inszenierung Ludwigs sicher seine Wirkung entfaltet hatte, wurde trotz der Vorhersehbarkeit der Ereignisse Verwunderung laut: [Nous] sommes bien esmerveillez des choses qui se font. . . . Ce cas est bien nouveau audit tresorier, pourtant q’il y a si peu temps que le roy très-chrestien . . . commence à rompre icellui traictié par ledit mariaige . . . ,

heißt es in einem Brief an Philipp.⁸⁸⁹ Auch von Seiten der niederländischen Juristen aus dem Umfeld der Universi­ tät von Leuven wurde der Fall diskutiert. Als Urheber der folgenden Gedanken

886 Vgl. zur Thronfolge in Frankreich und zum Krönungszeremoniell des Livre du sacre: Kintzinger, Martin: Sakralität und Krönungen in Frankreich im Spätmittelalter. In: Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs. Hrsg. von Ludolf Pelizäus. Frankfurt/M. 2008 (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 23), S. 23–39. 887 Kintzinger, Martin: Coronam sustentare. Krönung und Konsens in Frankreich und im deut­ schen Reich im Spätmittelalter. In: Ritualisierung politischer Willensbildung. Polen und Deutsch­ land im hohen und späten Mittelalter. Hrsg. von Wojciech Falkowski [u. a.]. Wiesbaden 2010 (Quellen und Studien. Deutsches Historisches Institut Warschau 24), S. 47–66. 888 Zur späteren Rezeption des Tages von Tours als Tag der Königswahl vgl. Jackson, Vive le Roi, wie Anm. 885, S. 120–121 und das Stück „Discours par lequel il apparoistra que le royaume de France est electif, et non hereditaire, 1591“. Zur Krönung Franz I. „Lordre du Sacre et couronnement du Roy treschrestien notre sire Francoys de valoys, premier de ce nom : fait en leglise Nostre dame de Reims, le jeudi XXV jour de janvier, l’an mil cinq cens et quatorze“. Bibliothèque nationale de France, département Philosophie, histoire, sciences de l’homme, Rés. 8-Lb30-21 (im Folgenden zit. als „Lordre du Sacre“). 889 Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 137.

218 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

lassen sich die Professoren Nicolaus Everardi⁸⁹⁰ und Gabrieli de Mera, die Juris­ ten Nicolao de Amsterdamis, Johann de Loemel⁸⁹¹ sowie Balthasar de Vlierden ausmachen. Ihre Überlegungen referieren zunächst den Sachverhalt: Im August 1501 sei der Ehevertrag geschlossen worden, welcher dann in Blois 1504 noch einmal mit Zusatzartikeln eigens abgesichert worden war, die Karl unter anderem Burgund und Mailand zugestanden hatten für den Fall, dass die Ehe „non fiat“. Im Anschluss daran referiert die Aufzeichnung die Ratifikationsformel von König und Königin,⁸⁹² um dann die Ereignisse von Tours mit dem bekannten Ausgang kurz nachzuzeichnen und dabei besonders die Beteiligung und Bestätigung durch die Stände hervorzuheben. Dieser beschriebene Sachverhalt, so heißt es, werfe drei juristisch relevante Fragen auf: Erstens, haben sich König und Königin des Eidbruchs schuldig gemacht? Zweitens, ist ihr Versprechen richtig und valide, dass, im Falle des von ihnen verschuldeten Nichtzustandekommens der Ehe, Karl Burgund, Mailand und Asti zustehen sollen? Und, so drittens, könne Karl in diesem Fall Ansprüche stellen?⁸⁹³ Stringent ist die Argumentation der Antwort und damit die juristische Bewer­ tung des Falles. Momentan könne das Herrscherpaar nicht des Eidbruchs bezichtigt werden, da die Verlobten noch nicht volljährig seien und die versprochene Ehe noch in der Zukunft liege. Bis dahin bestünde zumindest rein theoretisch die Möglichkeit, dass die Ehepläne aus Gründen scheitern würden, die nicht vom französischen Königspaar verschuldet seien, wie exemplarisch der Todesfall eines zukünftigen Ehepartners. Die Ehe wäre dann zwangsläufig hinfällig. Bezüglich der Besitzansprüche Karls verhielt es sich nach Auffassung der Juristen wie folgt: Rein rechtlich sei eine für die Zukunft anberaumte Ehe nicht möglich, dies gelte aber nicht für souveräne Fürsten oder Gemeinschaften, die keinem Souverän unterstehen. Für die Ansprüche Karls war dies damit nicht relevant, und solche könnten auch aktuell noch nicht erhoben werden, da der potentielle Eheschluss in der Zukunft, also der Zeit seiner Volljährigkeit lag.⁸⁹⁴ Als maßgeblich erwies sich also die Tatsache der Minderjährigkeit der Ver­ lobten, die weitere Rechtsentscheidungen auf die Zukunft verschob.⁸⁹⁵ Zieht man 890 Später Präsident des höchsten Gerichts zu Mechelen. 891 Kanzler des Bischofs von Cambrai. 892 Le Glay nimmt den von den Juristen wiedergegebenen Wortlaut zwar auf, kann diesen jedoch nicht mit der Ratifikation Ludwigs abgleichen, die bei Du Mont nicht abgedruckt ist. Eine Abschrift des identischen Ratifikationstextes findet sich hingegen im Journal des Andrea del Burgo, HHStA, Ma 14, Journal, wie Anm. 770, fol. 16r. 893 Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. S. 195–199. 894 Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 195. 895 Zum Zusammenhang von Minderjährigkeit und Vertragsabschluss im Kontext von Reichskam­ mergerichtsprozessen vgl. Amend-Traut, Anja: Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammer­

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 |

219

die juristischen Debatten um das burgundische Erbe vergleichend hinzu, erweist sich die Argumentationsgrundlage 1506 als durchaus divergent. Vertragliche Rege­ lungen, vor allem aber Vertragsbrüche, konnten nur nachträglich attestiert und herausgearbeitet werden. Der potentielle Eheschluss zwischen Karl und Claudia als zentraler Vertragsinhalt lag hingegen noch in der Zukunft, ebenso wie die daran geknüpften Besitzansprüche Karls. Nichtsdestotrotz war es die aktuelle Gültigkeit des Vertrages, welche die Juristen bei ihrer Prüfung als relevanten Parameter einbezogen. Dem auf der Ständeversammlung von Tours generierten Konsens wurde die Ratifikationsurkunde von König und Königin entgegengestellt, mit der alle Artikel des Heiratsvertrages bestätigt und deren Einhaltung beeidet worden war. Der Ratifikationstext diente nun im juristischen Kontext als Beweis für diese Beeidung, welche als visuelles Ereignis nicht mehr rekonstruierbar war. Was auf den ersten Blick den Anschein einer neuartigen Reflexion vormoder­ nen Vertragsrechtes erweckt, entspricht in seinem Ergebnis eigentlich nur den zeitgenössischen Realitäten. Je länger ein Ehevertrag vor der Volljährigkeit der zu vermählenden Kinder geschlossen wurde, desto höher war auch die Wahr­ scheinlichkeit, dass dieser aufgrund der zukünftigen politischen Bedingungen und Konstellationen nie zustande kommen würde.⁸⁹⁶ Prägnant ist die Tatsache, dass auch für den vermeintlich geschädigten Karl bereits 1506 neue, potentielle Eheverbindungen ausgelotet worden sind.⁸⁹⁷ Eine tatsächliche Durchsetzung der Ehe stand realpolitisch nicht im Raum. Wie behandelte man den Sachverhalt nun im Reich?

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 Die Versammlung in Hagenau, auf der das Vertragswerk zwischen den beiden Herr­ schern abgeschlossen worden war, erfüllte nicht die Kriterien eines Reichstages,

gericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit. Köln [u. a.] 2009 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), S. 248ff; Wunderlich, Steffen: Das Protokollbuch von Mathias Alber. Zur Praxis des Reichskammergerichts im frühen 16. Jahrhundert. Köln [u. a.] 2011 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 58), S. 913. 896 Vgl. als Themenaufriss zu Erbtochterheiraten Spieß, Unterwegs, wie Anm. 76, S. 29–25. 897 Philipp trat bereits 1506 in mündliche Heiratsverhandlungen für Karl und Mary von Eng­ land ein. Diese Gespräche wurden von französischer Seite ebenfalls als Vertragsbruch gewertet. Schlegelmilch, Anna Margarete: Die Jugendjahre Karls V. Lebenswelt und Erziehung des bur­ gundischen Prinzen. Köln 2011 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 67), S. 142–144 mit Anm. 349.

220 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

sondern ist vielmehr nur in dessen Vorfeld anzusiedeln. Auf dem Kölner Reichstag von 1505 spielte die Frankreichpolitik eine untergeordnete, gar nebensächliche Rolle. Reichs- und Frankreichpolitik waren entkoppelt, zumindest was ihre Behand­ lung auf der Versammlung anging, welche nach dem Tod Bertholds von Henneberg ihr oppositionelles Gewicht eingebüßt hatte.⁸⁹⁸ Somit erstaunt es ein wenig, blickt man auf den diskursiven Nachhall des nun offiziell hinfälligen Eheabkommens von Hagenau auf dem Konstanzer Reichstag 1507. Die Agitation gegen den französischen König nahm hier propagandistische Ausmaße an, Flugschriften sicherten ihre weite Verbreitung.⁸⁹⁹ Interessante Einblicke ergibt die Ausschreibung selbst, welche die reichsständische Rolle beim Hagenauer Vertragsschluss schon im Vorfeld des Tages in ein neues Licht zu rücken vermochte: Als wir nun in den obestimpten krieg gegen den hungern am sweristen zů veld lagen, kamen e vnns ware potschafft, wie der konig von Franckreich die rachtigung, zwischen vnser vnd e sein jungst zů Hagnaw in beywesen ettwievil kunig vnd kuniglicher potschafften, Auch e zwayer babstlicher Legaten, darzů Churfursten, Fursten vnd ander des Reichs Stennde vnd vnser beider hewser Osterreich vnd Burgundi vnderthanen, so in mercklicher anzal daselbs versamelt gewesen, gemacht, zerbrochen het . . . .⁹⁰⁰

Von einer, in „mercklicher anzal“ anwesenden Ständevertretung kann für Hagenau nicht ausgegangen werden, lediglich der Erzbischof von Trier spielte eine aktive Rolle beim zeremoniellen Vertragsabschluss und der Belehnung mit Mailand. Die von französischer Seite gewünschte Vertragsbestätigung durch das Reich war weder in schriftlicher Form gegeben worden, noch lässt sich der Tag von Hagenau als reichsständisch repräsentative Zusammenkunft beschreiben.⁹⁰¹ De facto richtete sich der Wunsch nach Vertragsbestätigung an ein Gebilde, welches, anders als das parlement de Paris, als feste Institution gar nicht existierte.

898 RTA MR, 8,1, S. 111ff. Zudem hatte Maximilian seine Stellung im Reich durch den für ihn posi­ tiven Ausgang im bayerisch-pfälzischen Erbfolgekrieg stabilisieren können. Winterhager, „Verrat“ des Reiches, wie Anm. 388, S. 27. Die Macht der Reichsfürsten wird auch von Machiavelli gering geschätzt, der sich über seine Legation ins Reich (Dezember 1507–Juni 1508) nur wenig umfassend äußert. Rösemeier, Hermann: Niccolò Machiavellis erste Legation zum Kaiser Maximilian. Und seine drei Schriften über Deutschland. Bückeburg 1894, S. 22. 899 Dazu Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 223. 900 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Der Reichstag zu Konstanz 1507. Bearb. von Dietmar Heil. Bd. 9,1. München 2014 (im Folgenden zit. als RTA MR, 9,1), S. 105, Nr. 5. Ich danke Dietmar Heil für die freundliche Bereitstellung seiner noch ungedruckten Editionsarbeit. 901 Wer letzten Endes das Reich repräsentiert und darstellt wurde letzten Endes immer auf den Tagsatzungen selbst ausgehandelt. Exemplarisch für den Reichstag von Worms Stollberg-Rilinger, Alte Kleider, wie Anm. 541, S. 23–93.

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 |

221

Nun, wo in Konstanz der Vertragsbruch Ludwigs offen ausgesprochen wurde, galt es trotzdem, das Reich mit in die Verantwortung zu ziehen. Vor allem der Rom­ zug Maximilians war durch die immer noch akuten Probleme in Italien gefährdet. Auch das Herzogtum Geldern sollte dem Reich durch Gewalt entzogen und der französischen Krone unterworfen werden. Es drängte sich daher der Verdacht auf: . . . das der Franczosen wil vnd meinung von hertzen nie gewesen, vns den Tractat, wie obsteet, zů Hagnaw aufgericht, zů halten, Sonder allein durch handlung desselben Tractats die jnuestitur [mit] Mayland zů erlangen vnd ferrer ettwievil land vnd lewt, vnd nemlich ytalien vnd des land zů Lüttich, dem heiligen Reiche vnd teutscher nation zů empfrenden vnnd vnder jr gehorsam zu bringen.⁹⁰²

Argumentativ wurde das jetzt in Konstanz versammelte Reich mit in den Fall des Vertragsbruches eingebunden. Nicht allein Maximilian, sondern das ganze Reich würde durch den Vertragsbruch geschädigt, folgt man der Darstellung in der Aus­ schreibung. Das vereitelte Eheversprechen spielte diesmal eine untergeordnete Rolle und fand keine propagandistische Verwendung als königliche Ehrverletzung. Allein die Belehnung mit Mailand sollte als ungewollte Entfremdung von Reichsgut dargestellt und als Akt rückgängig gemacht werden. Schließlich waren die ver­ traglich gesetzten Bedingungen von Hagenau nicht erfüllt worden, deren Ziel es gewesen war, dass Mailand durch Karl an „. . . ein glid des heiligen Reichs keme vnd bey dem heiligen Reiche belib . . . “.⁹⁰³ Vor diesem Hintergrund wurden die Reichsstände nun aufgefordert, sich mit den durch den Vertragsbruch aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen. Ziel waren wie immer finanzielle Unterstützungen der Belange Maximilians,⁹⁰⁴ welche nur über den Weg der Identifikationsstiftung befördert werden konnten. Letztendlich spielte das Vertragswerk von Hagenau in den Debatten des Kon­ stanzer Reichstages nur eine indirekte Rolle. Die vermeintliche Zeugenschaft zahlreicher Kur- und Reichsfürsten beim Vertragsschluss wurde weder dementiert noch konnte eine Identifikation der Reichsstände mit dem Vertragswerk selbst nachgewiesen werden. Die Möglichkeiten, die man in Hagenau zur späteren Ver­ tragsaufhebung geschaffen hatte, erweisen sich ebenfalls als nicht relevant. Die nicht vollzogene Ratifikation des ausgelagerten Ehevertrages und das schlichte Belehnungszeremoniell, mit welchem dem Kardinal von Rouen die Investitur stell­ vertretend zuteil geworden war, fanden keinerlei Anwendung in den Konstanzer Argumentationen zur Rückgewinnung Mailands. Eine nachträgliche juristische

902 RTA MR, 9,1, S. 106, Nr. 5. 903 RTA MR, 9,1, S. 107, Nr. 5. 904 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 354–389.

222 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

Dekonstruktion oder zumindest Diskussion des Vertrages, wie sie zumindest in Ansätzen von Seiten der Leuvener Universitätsgelehrten angestrengt worden war, ist für das Reich nicht nachzuweisen.

8.6.1 Inszenierter Konflikt Trotzdem spielten die Reichsstände auch im Nachgang des Vertragswerkes eine nicht unwesentliche Rolle in der Argumentation beider Herrscher, deren Positio­ nen vor der Konstanzer Versammlung in eine Art inszenierten Dialog traten. Der französische Gesandte Crivelli war auf dem Reichstag inhaftiert worden, da er, so berichtete Girolamo Morone nach Mailand an den französischen Statthalter, zu unklug und kühn gesprochen hatte.⁹⁰⁵ Crivelli selbst beschrieb, wie er im Anschluss an seinen Vortrag vor der Reichsversammlung verhaftet worden war.⁹⁰⁶ Wie aus seiner Instruktion hervorgeht, hatte Crivelli den Auftrag gehabt, erneut in Kontakt mit den Reichsständen zu treten und diese auf einen pro französischen Kurs zu bringen. Die offene Agitation gegen den römisch-deutschen König rechtfertigte wohl den harten Angriff auf den eigentlich immunen Diplomaten.⁹⁰⁷ Bei der Gefangennahme hatte man Crivelli auch seine Instruktion abgenom­ men.⁹⁰⁸ Diese wurde ins Deutsche übersetzt⁹⁰⁹ und ergab in dialogischer Inszenie­ rung den Gegenentwurf zu den Positionen Maximilians und den Beweis französi­ scher Intrigen gegen König und Reich. Welche konträren Standpunkte der beiden Herrscher präsentierten sich jetzt auf dem Konstanzer Reichstag? Die Schilderung, welche die Instruktion zur Be­ schreibung der Lage Ludwigs XII. vorsah, folgte einem bestimmten Schema: Der

905 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Der Reichstag zu Konstanz 1507. Bearb. von Dietmar Heil. Bd. 9,2. München 2014 (im Folgenden zit. als RTA MR, 9,2), S. 1023, Nr. 707. 906 RTA MR, 9,2, S. 1020–1022, Nr. 706. 907 Zur Immunität allgemein Plöger, Karsten: Begründungsmodelle diplomatischer Immunität im europäischen Mittelalter. Ein diskursgeschichtlicher Versuch. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Jucker [u. a.]. Berlin 2011 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 45), S. 91–108. 908 HHStA, Ma 41, fol. 30–31. Die zeitgenössische Übersetzung ins Deutsche findet sich gedruckt in: Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 566–576. 909 Die Verbreitung und Rezeption von belastendem Material gegen Ludwig war offensichtlich höchst wichtig. Nachdem die französische Instruktion nicht von allen Anwesenden verstanden wurde, veranlasste Maximilian daher die Übersetzung. Dazu den Bericht von Johann von Lunen und Johann Frosch an den Frankfurter Rat, abgedruckt bei Janssen, Johannes (Hrsg.): Frankfurts Reichscorrespondenz 1376–1519. 4 Bde. Freiburg 1863–1872, Bd. 2, S. 711.

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 |

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französische König inszenierte sich ganz als Reichsfürst.⁹¹⁰ Dabei blieb einmal die Belehnung mit Mailand ein zentraler Bestandteil der Argumentation, wurde jedoch durch die Rückschau auf eine lange Traditionslinie deutsch-französischer Bündnisse seit Karl IV., insbesondere die Privilegien von 1377/78, untermauert, die zum Präzedenzfall wurden.⁹¹¹ Betont wurde dabei immer auch die Verbindung mit den Kurfürsten und Fürsten des Reiches, welche nicht nur auf vertraglichen, sondern auch verwandtschaftlichen Beziehungen beruhte.⁹¹² In diesem Sinne legitimierte Ludwig sein ganzes Handeln im Kontext geltenden Reichs-, insbe­ sondere Lehnrechtes, welches den Adressaten, den in Konstanz versammelten Reichsständen, bekannt sein musste. Die kritisierte Unterstützung des Karl von Egmond habe Ludwig nicht als König von Frankreich, sondern als Lehnsmann des Reiches gewährt. Unrechtmäßig hätte nur Maximilian gehandelt, denn ein König dürfe seinen eigenen Vasallen nicht bekriegen. Unter solchen Umständen,

910 Dementgegen stehen die Eingriffe in die lokalen Strukturen innerhalb Italiens. Ludwig besetzte die örtlichen Parlamente mit den eigenen Leuten und schuf damit infrastrukturelle Fakten seiner Belehnung. Dazu ausführlich und differenziert: Hamon, Philippe: Aspects administratifs de la présence française en Milanais sous Louis XII. In: Louis XII en Milanais, XLIe colloque international d’études humanistes, 30-juin-3 juillet 1998. Hrsg. von Philippe Contamine u. J. Guillaume. Paris 2003, S. 111–127. 911 HHStA, Ma 41, wie Anm. 908, fol. 30. „Le premierement sera remonstré lancienne alian­ ce qui a esté entre les empereurs rois de Romains et electeurs de Saint Empire et les roys de France treschretiens dont il ya bulle qu’on appelle la bulle dore sera respondre laquelle a esté entretennue jusques a present. . . . Item que par ycelle aliance il se trouvra que de toute an­ cienité lesdits electeurs et autres princes dudit Saint Empire comme parens et alliez desdits roys treschretiens . . . .“ Angespielt wurde hier auf die Übertragung des Reichsvikariats für das Arelat und die Dauphiné an den späteren Karl VI. von Frankreich. Die Verleihung stand am Ende einer Reise Kaiser Karls IV. im Jahr 1377/78. Bereits auf dem Metzer Hoftag 1356 hatte Karl IV. die Lehnshuldigung seines Neffen entgegengenommen. Dieser wurde auch in der zeitgleich verkündeten Goldenen Bulle als Dauphin tituliert. Man kann also davon ausgehen, dass die Lehnshuldigung vor dem versammelten Hoftag stattgefunden hat. Weiß, Papsttum, wie Anm. 541, S. 921. Eine Edition der Diplome bei Heckmann, Marie-Luise: Das Reichsvikariat des Dauphins im Arelat 1378. Drei Diplome Kaiser Karls IV. aus dem Pariser Nationalarchiv. In: Manipulus florum. Festschrift für Peter Johanek zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Ellen Widder [u. a.]. Müns­ ter 2000, S. 63–98; Seibt, Ferdinand: Zum Reichsvikariat für den Dauphin 1378. In: Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981), S. 129–158; Thomas, Heinz: Frankreich, Karl IV. und das Große Schisma. In: Bündnissysteme und Außenpolitik im späteren Mittelalter. Hrsg. von Pe­ ter Moraw. Berlin [u. a.] 1988 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 5), S. 69–104. Zu der Begegnung zwischen Karl IV. und Karl V. Kintzinger, Martin: Der weiße Reiter. Formen in­ ternationaler Politik im Spätmittelalter. In: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 315–353, S. 331ff. 912 In diesem Kontext wird sich die Anspielung auf Bonne, die Schwester Karls IV. und Mutter Karls V., beziehen. Weiß, Papsttum, wie Anm. 541, S. 919.

224 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

so die Spitze der Argumentation, hätten auch die Kurfürsten zu befürchten, vom römisch-deutschen König abgesetzt zu werden.⁹¹³ Die stetig schwelenden Kon­ flikte um die dualistische Ausgestaltung des Reichs macht sich Ludwig hier zu eigen und stellt sich gleichsam und als Fürst des Reiches auf die Seite der Kurfürs­ ten. Wie konnte aber nun den offensichtlichen Vertragsbruchvorwürfen begegnet werden? Die Schuld daran sollte eindeutig Maximilian zugesprochen werden, hatte dieser doch durch seine Hilfeleistungen an Neapel erst den Vertrag von Trient gebrochen, sich dann in Blois als Feind der Feinde mit dem französischen Kö­ nig verbündet, um anschließend und widerrechtlich den König von Aragon zu unterstützen. Drittens könnte auch der Vertrag von Hagenau wegen der Verlobungs­ verhandlungen Philipps in England als hinfällig gelten.⁹¹⁴ Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, Eid, Gelübde und Glauben verletzt zu haben, versuchte Ludwig durch diesen Argumentationsaufbau in Konstanz komplett zurückzuweisen. All diese Punkte der französischen Instruktion ließ Maximilian in übersetzter Form öffentlich verlesen, um darauf in Form einer Schutzschrift⁹¹⁵ zu antworten, welche, wie zu erwarten ist, die genauen Gegenpositionen bereithält. Ziel konnte es dabei nicht sein, die Wirksamkeit der in Blois und Hagenau ausgehandelten und zeremoniell vollzogenen Belehnung anzuzweifeln und auf etwaige Formfehler hinzuweisen. Mehr noch wurde die Behauptung einer nie so dagewesenen Zeugen­ schaft zahlreicher Kurfürsten und Fürsten des Reiches aufrecht erhalten. Nur so konnte das, von französischer Seite selbst angestoßene, Narrativ weitergeführt werden. Diskursiver Rahmen blieb die von Ludwig angenommene und legitimierte Rolle als Vasall des Reiches, welche durch die Zitation des von d’Amboise geleisteten Lehnseides nur untermauert werden konnte. Im weiteren Verlauf des Textes offenbart sich dann die Taktik hinter der beton­ ten Rechtmäßigkeit der Belehnung. Ludwig XII. sei ein Fürst des Reiches, habe als solcher aber seine Lehnspflicht verletzt, seinen Eid gebrochen und gegen König und Reich gehandelt. In Mailand habe er sich als Tyrann verhalten und weder zur Mehrung noch zum Erhalt des Reiches beigetragen, wie es seine Pflicht gewesen wäre.⁹¹⁶ Weiter offenbart sich die praktische Unvereinbarkeit der beiden benachbarten Ordnungsgefüge: Wie kann der König von Frankreich Vasall des Reiches sein, wenn ihn die Theologen und Mitglieder des Parlamentes von seinen Eiden entbinden

913 914 915 916

Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 569–572. Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 573. Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 576–612. Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 596, 607.

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 |

225

können?⁹¹⁷ Dem Krönungseid wurde hier eine Wirkung zugesprochen, die es dem französischen König zu jeder Zeit ermöglichte, andere Eide zum Wohl des eigenen Königreiches zu brechen. Die verbindlichkeitssteigernde Wirkung des Eides war damit praktisch hinfällig geworden. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass insbesondere die Eidbrüchigkeit Ludwigs in den Ausführungen Maximilians besonders betont wurde. Die Lösung der Eide durch die französischen Stände wurde damit nicht anerkannt. Ausgehend von einer immer noch bestehenden Lehnsbindung lautete der Vorwurf: Eidbruch, Felonie und Majestätsverbrechen – Vergehen, die mit weltlichen und geistlichen Strafen geahndet werden müssten. Mailand gehöre folglich und konsequenterweise wieder zum Reich.⁹¹⁸ Den Vorwurf der eigenen Vertragsverletzung konnte der römisch-deutsche König nach dem alten Muster quia cessante causa cessaret effectus⁹¹⁹ begegnen. All sein Handeln legitimiere sich durch die Hinfälligkeit der Verträge, die sich aus den Vergehen Ludwigs ergab.⁹²⁰ Faktisch gab es keine Instanz, die sich des Falls weiter angenommen hätte. Vielmehr wurden die Verträge so ausgelegt, dass beide Herrscher den Bruch des Abkommens vor den eigenen Untertanen argumentativ rechtfertigen konnten. Diese Rechtfertigung spielte vor allem für Maximilian eine entscheidende Rolle, hing doch bekanntlich sein Italienzug von der Unterstützung der Stände ab. Für Ludwig auf der Gegenseite bedurfte es wohl keines besonderen Aufwandes, die Generalständeversammlung und seine kollektiv beglaubigte Entbindung vom Eid zu inszenieren. Die Aufgabe der französischen Stände war es bekanntlich, die Veräußerung von Krongut zu unterbinden. Selbst in innerfranzösischen Konflikten war dieses Argument zum Stereotyp geworden. Die Ehevereinbarung zwischen Claudia und dem „fremden“ Fürsten war entsprechend nie auf große Akzeptanz gestoßen, was deren baldige Auflösung nahelegte.

917 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 606. 918 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 596. Zur crimen laesae maiestatis im Zusam­ menhang mit spätmittelalterlicher Friedenswahrung Schubert, König und Reich, wie Anm. 59, S. 139ff. 919 So wurde es in der Instruktion für die Reichsgesandtschaft zu den Eidgenossen formuliert. Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 705. Zur scholastischen Lehre und Völkerrecht vgl. Kintzinger, Late Middle Ages, wie Anm. 28, S. 607–627. Für die Frühe Neuzeit Decock, Wim: Theologians and contract law. The moral transformation of the ius commune (ca. 1500–1650). Leyden 2013 (Studies in the History of Private Law 4), S. 344ff. 920 Zur Verbindlichkeit von rituellen Eiden vgl. Schwedler, Herrschertreffen, wie Anm. 389, S. 162–166.

226 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau 8.6.2 Reichsständische Reaktion Die versammelten Reichsstände waren nun in Konstanz zu Zeugen und aktiven Rezipienten herrschaftlicher Propaganda geworden. Die von beiden Seiten ausge­ schmückten Vorwürfe stellten sie nun wieder vor eine altbekannte Aufgabe. Vor dem Hintergrund der wechselseitigen Anschuldigungen, die von Seiten Maximili­ ans in mündlicher und schriftlicher Form als offizieller Aufruf zum Krieg verstanden werden mussten,⁹²¹ lag es nun an den Reichsständen, über die finanzielle Unter­ stützung des Waffenganges zu beraten. Inwiefern reagierten nun die Stände auf die an sie herangetragenen Forderungen und wie bewerteten diese bei ihrer Entschei­ dungsfindung den Vorwurf der Vertragsbrüchigkeit? Zumindest der Kurfürst von Trier war aktiv am zeremoniellen Vertragsabschluss in Hagenau beteiligt gewesen. War Ludwig also auch gegenüber dem Reich vertragsbrüchig geworden oder wurde der Konflikt als ein rein herrschaftlicher rezipiert und gehandhabt? Zum Vorwurf des Vertragsbruches Ludwigs XII. adaptierten die Reichsstände in wesentlichen Punkten die Darstellungen des römisch-deutschen Königs, dessen Klagenkatalog weder angezweifelt noch in seinen Details ausdiskutiert wurde. Für die Darstellung der Sachverhalte entsandte man eine Delegation aus königlichen und reichsständischen Beauftragten zu den Eidgenossen, um Hilfe gegen die Franzosen zu erbitten. Deutlich manifestieren sich die ersten strukturellen Verfesti­ gungen des auf dem Reichstag repräsentierten Reiches auch in dieser Delegation, welche sowohl die Interessen Maximilians durch den Bischof von Trient, Christoph von Limburg und Zyprian von Serntein vertrat als auch jene der Kurfürsten durch den kurmainzer Hofmarschall Thomas Kuttn und Eitelwolf von Stein. Der Dom­ probst von Magdeburg, Adolf von Anhalt, und Hans von Emershofen vertraten in der Abordnung die weltlichen Kurfürsten und Fürsten, und der Frankfurter Schultheiß Johann Froschel ergänzte die Gruppe als Repräsentant der Städte.⁹²² Laut Instruktion sollte die Vertragsbrüchigkeit Ludwigs den Eidgenossen dar­ gelegt werden, skizziert durch den Verweis auf die aufgelöste Verlobung und die daraus resultierende Hinfälligkeit der Mailänder Belehnung.⁹²³ Eine unmittelbare Beteiligung der Reichsstände am Vertragsschluss wurde dabei nicht hervorgehoben. Beklagt wurde von ihrer Seite aus eine Verletzung der Ehre der deutschen Nation durch die von Ludwig anvisierte Kaiserkrone und dessen potentielle Gewaltbereit­ schaft gegenüber dem Papst. Darüber hinaus hob man das Vorgehen gegen Glieder

921 Auch Anuschka Tischer ordnet die Verteidigungsschrift Maximilians den Kriegsbegründungen zu. Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 223. 922 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 554. 923 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 557.

8.6 Bewertung des Hagenauer Vertrages auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 |

227

und Kammern des Reiches als inakzeptabel hervor.⁹²⁴ Die Vorwürfe richten sich, ähnlich wie auch in der kriegsbegründenden Schutzschrift des römisch-deutschen Königs, nicht auf eine abstrakte, durch den Vertragsbruch begangene Rechtsverlet­ zung, sondern vielmehr auf einen potentiellen Angriff des französischen Königs auf die bestehenden Ordnungsvorstellungen und -gefüge. Die zu beklagende Eidbrüchigkeit Ludwigs hatte keine rechtlichen Konse­ quenzen, weder im Bezug auf den Vertragsbruch noch im Hinblick auf verletztes Reichsrecht. Über einen souveränen Herrscher musste Gott als oberster Richter walten, welchem damit gleichsam der Schutz von Verträgen unterstand.⁹²⁵ Die Darstellung, konkret vor den Eidgenossen, diente primär dazu, Ludwig als potenti­ ellen Bündnispartner zu diffamieren, da dieser offensichtlich nicht in der Lage war, sich an gemeinsame Regeln und Konventionen zu halten.⁹²⁶ Wie sich zeigt, verfestigten sich die dualistischen Strukturen des Reiches zunehmend auch auf dem Terrain der Diplomatie. Die Klage über den Vertrags­ bruch wurde gegenüber den Eidgenossen nicht nur von Maximilian, sondern auch von den Reichsständen vorgebracht, ohne dass diese hingegen als geschädigter Vertragspartner selbst auftraten. Der Vertrag von Hagenau blieb, auch wenn mit dem Erzbischof von Trier ein kurfürstlicher Vertreter der Beeidung beigewohnt hatte und der Wunsch nach einer Vertragsgarantie durch Kurfürsten und Reich im Text des Paktes selbst zum Ausdruck gebracht worden war, ein Vertrag zwischen zwei souveränen Herrschern.⁹²⁷ Die Ausgestaltung der weiteren Politik gegen Frankreich war auch in Konstanz an die reichsständische Finanzhilfe gekoppelt, welche diese wiederum von der königlichen Bereitwilligkeit zur strukturellen Reform des Reiches abhängig mach­ ten. Auf dem Reichstag wurde so das Reichskammergericht wieder und dauerhaft aufgerichtet. Wenn auch die Fronten zwischen König und Ständen nicht so verhärtet waren wie zu Hochzeiten kurfürstlicher Opposition durch Berthold von Mainz, war die Interessenlage längst nicht homogen. In den Debatten um eine Gesandtschaft nach Frankreich plädierte der reichsständische Ausschuss für die Absendung einer

924 Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 704. 925 Maximilian selbst dazu in „Eyn Rede der gesandten Botschaffter der Venediger an Maximilia­ num gethane zu Memmingen 1508, c iii“. Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 J. publ. g. 420, Beibd. 1. (im Folgenden zit. als „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“). Gott als „Recher des Mainaydes . . . “. Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 51. 926 Dieses Argument wurde bereits in Zusammenhang mit dem Vertrag von Arras 1435 während der Gelehrtendebatten zum Sonderfrieden zwischen dem französischen König und Philipp von Burgund klar artikuliert. Schneider, Friedrich: Der europäische Friedenskongreß von Arras, die Friedenspolitik Papst Eugens IV. und des Basler Konzils. Greiz 1919, S. 202. 927 Zum Problem der Souveränität in der Zeit vor Bodin Krischer, Souveränität, wie Anm. 636.

228 | 8 Die Verträge von Lyon – Blois – Hagenau

trefflichen Botschaft, um eine gütliche Einigung zwischen den beiden Herrschern voranzutreiben, und artikulierte damit beständig Mitwirkungsansprüche auf dem Feld der Diplomatie.⁹²⁸

8.7 Zusammenfassung In die Aushandlung des Vertragswerkes von Lyon, Blois und Hagenau waren die Reichsstände nicht aktiv eingebunden worden. Die Abfassung und Verhandlung des Textes oblag Diplomaten aus dem engsten Beraterkreis Maximilians, deren Handlungsspielraum zwischen Instruktion und vor Ort stattfindender face to face Kommunikation sowie der Variable des Eigeninteresses bemessen werden muss. Im Kontext dieser Verhandlungen lässt sich vor allem der Stellenwert des Textes selbst einschätzen, wenn um einzelne Formeln und Formulierungen gerungen wird. Auch einer rituellen Vertragsbeeidung konnte potentiell die Grundlage entzogen werden, bezog sich diese auf einen Text, der den Unwillen der Beteiligten erkennen lässt. Anders herum konnte ein vertraglich vereinbartes Eheabkommen durch die rituelle Inszenierung einer kollektiv akzeptierten neuen Eheverbindung förmlich überschrieben werden. Mit dem Abkommen zwischen Claudia und Franz von Angoulême lässt sich die Relevanz „innenpolitischer“ Strukturen hinsichtlich des Vertragswerkes und dessen Rezeption erfassen und ausloten. Die Generalständeversammlung von Tours hatten das ursprüngliche Ehebündnis zugunsten des französischen Königreiches aufheben können und mit dem Hinweis auf die kroneidlichen Verpflichtungen des Königs legitimiert. Den Regeln des eigenen Ordnungsgefüges wurde augenscheinlich Vorrang eingeräumt. Die Schädigung, welche Maximilian als Vertragspartner durch diese Eheauflösung erfuhr, versuchte dieser wiederum in seinen eigenen Herrschaftsbereich, auf das Reich, zu übertragen. Die Anwesenheit des Kurfürsten von Trier in Hagenau wurde zum Konsens der Reichsstände stilisiert und als solcher gewertet. Ein Bruch des Vertrages, so zumindest die Annahme, musste damit auch in das Interessenfeld nicht-monarchischer Akteure rücken. Auch der französische König hatte immer wieder die Beteiligung der Reichsstände am Vertragsabschluss eingefordert, zielte dabei aber primär auf eine Absicherung seiner Belehnung. Vor diesem Hintergrund ist auch seine intendierte Integration in die Strukturen des Reiches zu verstehen: Im 928 Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 724–732. Wie sich zeigt, wurde die Reichsversammlung zu Konstanz auch von ständischer Seite aus als ausreichend repräsentativ erachtet, um eine angemessene Botschaft nach Frankreich zu entsenden. Ebd., S. 742.

8.7 Zusammenfassung |

229

Kontext mit der Mailänder Belehnung inszenierte er sich ganz als Reichsfürst. Auch der normative Bezugsrahmen in der Argumentationsführung des römisch-deut­ schen Königs blieb auf der Ebene des Reichsrechtes verhaftet. Konnte die Auflösung des Eides durch die états généraux zwar kritisiert werden, waren Konsequenzen allenfalls für einen Eidbruch im lehnsrechtlichen Sinne und mit Hilfe des Begriffes „Felonie“ formuliert worden.⁹²⁹ Eidbruch und Vertragsbruch fanden hier keine differenzierte Verwendung, sondern wurden als Vergehen wieder „Ehr, Eyd, Brieff, Sigel, Handzeichen und versprechen“ und im Kontext des begangenen „crimen laese majestatis“ beklagt.⁹³⁰ Die von beiden Vertragspartnern umworbenen Reichsstände folgen in ihrer späteren Bewertung des Vertragsbruches in wesentlichen Zügen dem Reichsober­ haupt. Zentral war für sie aber der konkrete und drohende Angriff auf das eigene Ordnungsgefüge. Der Vertragsbruch schwang in ihren Ausführungen zwar als Topos mit, erlangte aber keine rechtliche Relevanz. Auch sind die Reichsstände bekanntlich nicht bedingungslos als korporativ agierende Einheit zu sehen. Vor den Eidgenossen fand sich eine heterogene Delegation ein, welche das Reich vom Kaiser bis zu den Städten repräsentierte. Dabei erweist sich der artikulierte und hier umgesetzte Anspruch auf reichsständische Teilnahme an territorial übergreifender Politik als auszumachende Konstante.

929 Vgl. dazu Weinfurter, Lehnswesen, wie Anm. 548, S. 449–462. 930 Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 585, 596.

9 Der Vertrag von Cambrai: Das Reichskammergericht als parlement de Paris? Bereits auf dem Konstanzer Reichstag 1507 waren die Spannungen zwischen Maxi­ milian und Venedig unübersehbar. Die Signorie lavierte zwischen den Mächten und versperrte den Weg nach Rom.⁹³¹ Der Italienkrieg trat damit in eine neue Phase ein und erwuchs sich spätestens jetzt zu einem Konflikt gesamteuropäischer Di­ mension.⁹³² Mit der Liga von Cambrai wurde am 10. Dezember 1508 daher zwischen Ludwig und Maximilian ein gegen Venedig gerichtetes Bündnis geschlossen, dem sich auch Papst Julius II., Ferdinand von Aragon, Vladislav II. von Ungarn und der englische König Heinrich VII. anschlossen.⁹³³ Der Charakter dieses multilateralen Vertragswerkes soll hier nicht weiter verfolgt, sondern vielmehr zum Anlass genom­ men werden, den Blick erneut auf die Haltung der Reichsstände zu richten. Diese zeigten sich gegenüber der schwankenden Bündnispolitik des Reichsoberhauptes wenig aufgeschlossen.

9.1 Liga von Cambrai: Greifbarkeit partikularer Interessen im Reich Schon vor dem Friedensschluss von Cambrai hatte Kurfürst Friedrich von Sachsen seine oppositionelle Haltung gegen Maximilian verfestigt. Der Bitte zur Abhaltung eines Kurfürstentages, der eine unbürokratische Reichshilfe versprechen mochte, wurde auf sein Anraten hin schlicht nicht entsprochen, sondern die Notwendigkeit eines Reichstages angeführt.⁹³⁴ Nur über den Weg des Reichstages, so der Kurfürst, könnten solch wichtige Entscheidungen getroffen werden. Erst im April 1509

931 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 3, S. 338–345. 932 Mallet u. Shaw, Italian Wars, wie Anm. 576, S. 75–116. 933 Waffenstillstand zwischen Ludwig, Karl von Egmond, Maximilian und Margarete vom 18. Ok­ tober 1508 bei Le Glay, Négociations, wie Anm. 727, Bd. 1, S. 218–219. Friedens- und Freundschafts­ vertrag zwischen Maximilian und Karl einerseits und Ludwig und Karl von Egmond andererseits, in den auch der Papst und die Könige von England, Ungarn und Aragon als Bundesgenossen eingeschlossen wurden. Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 109–113. Entwurf unter ADN, B 370, 17988 A–B. Abschrift der französischen Ratifikation HHStA, AUR, 1508 XII. 10. Original ADN, B 370, 17988 E. Allianzvertrag zwischen Papst, Maximilian, Ludwig, Ferdinand von Aragon gegen Venedig. Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 113–116. 934 Ludolphy, Friedrich der Weise, wie Anm. 616, S. 195–197. DOI 10.1515/9783110493115-009

9.1 Liga von Cambrai: Greifbarkeit partikularer Interessen im Reich |

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erschien der Kaiser⁹³⁵ dann zum Reichstag in Worms, die Liga war bereits im Dezember des Vorjahres abgeschlossen worden.⁹³⁶ In den Debatten des Reichstages manifestiert sich erneut das zunehmend verfestigte Selbstverständnis der Stände, die ein Mitspracherecht auch in der europäischen Bündnispolitik gewahrt wissen wollten.⁹³⁷ Diese Ansprüche wurden nun unter anderem verhandelt. Der kaiserlichen Hilfsbitte erteilte man hingegen eine Absage mit der Begründung: e

Verrer ermessen die stendt, als ob sie dyser hylffe zuthun nie schuldig weren . . . . Das unnser ainnigung, vertrag, krieg, und furnemen on yr Rath, wyssen und willen furgenomen und auffgericht, wie dann notturfft des hayligen Reychs in sulchen grossen, schweren und dapffern e e sachen hohlich that erfordern, auch also im hayligen Reych wo yrer hylff begert, loblich herkummen enn gepraucht sey . . . .⁹³⁸

Beansprucht wurde hier das Recht, bei Vertragsschlüssen des Kaisers zu Rate gezogen zu werden, insbesondere dann, wenn es um Geldhilfen ginge. Bereits auf dem Reichstag zu Konstanz hatte das ständische Angebot im Raum gestanden, eine Gesandtschaft zum französischen König zu schicken, um über Mailand zu verhan­ deln.⁹³⁹ Diesen Mitwirkungsansprüchen widersprach Maximilian aus vermeintlich praktischen Erwägungen, zielte aber auf die Erhaltung seiner Souveränitätsrechte ab.⁹⁴⁰ Die Vergangenheit habe gezeigt, wie lange sich das Zustandekommen eines Reichstages hinziehen konnte. Diese Zeit habe man nun im Falle des Ligaschlusses nicht gehabt. Zudem sei die ständische Partizipation indirekt gewahrt gewesen, da

935 Zur Kaiserproklamation Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit. Bd. 4: Gründung des habsburgischen Weltreiches. Lebensabend und Tod. 1508–1519. Wien [u. a.] 1981, S. 6–15. 936 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 4, S. 259–260. 937 Vor allem die Städte hatten unter dem eingeschränkten Handel mit Venedig zu leiden. Auch von Seiten der anwesenden Kurfürsten war die Opposition bis auf den Kurfürsten von Brandenburg geschlossen gegen den Kaiser gerichtet. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., wie Anm. 73, Bd. 4, S. 49–50. Herzog Friedrich von Sachsen erschien demonstrativ spät in Worms. Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 761–762. Zu den anwesenden Ständen ebd., S. 756. Die Kurfürsten zeigten sich in Worms weitgehend als Einheit und erneuerten den in Gelnhausen 1502 geschlossenen Kurverein, indem die Verstorbenen durch Uriel von Mainz, Philipp von Köln und Pfalzgraf Ludwig V. ersetzt wurden. Ludolphy, Friedrich der Weise, wie Anm. 616, S. 198. 938 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“; Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 764. 939 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. 940 Krischer, Souveränität, wie Anm. 636, S. 1–32; Stollberg-Rilinger, Barbara: Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jh. In: Majestas 10 (2002), S. 125–150.

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diese ihre Meinung zu Frankreich bereits auf dem Konstanzer Reichstag kundgetan hatten und dort klar für eine friedliche Einigung mit dem Nachbarn plädierten, die nun ja auch zustande gekommen sei. Deutlich machte der Kaiser aber auch, dass sein Handeln einer Legitimierung durch den Reichstag nicht bedurfte: So aber die ainigung und vertrag dem hayligen Reych und Tewtscher Nation zu hohen eren, lobe, auffnemen, rue und frid raichet. Darzu ist der stendt bewilligung nit not gewest, sunder e wir haben des als regierender Romischer Kayser . . . auß uns selbs wol fueg unnd macht gehabt . . . .⁹⁴¹

Die aktive Beteiligung der Stände in der europäischen Bündnispolitik wurde damit von Seiten des Kaisers nicht vorgesehen, auch wenn er ihnen das Recht eine Botschaft zu entsenden nicht direkt absprach. Die vorgesehene Delegation sei nicht stattlich genug gewesen, begründete dieser sein Handeln.⁹⁴² Auch der Ligavertrag selbst wird in Abhängigkeit von der Person Maximilians formuliert. Der Pakt gelte „duratura ad vitam utriusque ipsorum, videlicet sacratissimi imperatoris & christianissimi regis Franciae, & per unum annum post“.⁹⁴³ Die Debatten zwischen Kaiser und Ständen, insbesondere die Hauptkonflikt­ punkte und Argumente, wurden so in Dialogform gedruckt und verbreitet.⁹⁴⁴ Trotz der kaiserlichen Argumentation zeigten sich die Reichsstände wie schon in den vergangenen Jahren wenig kooperativ hinsichtlich der zu leistenden Unterstützung. Diese müsse zudem auf das ganze Reich abgewälzt werden. Im Wesentlichen erteilten sie aber eine deutliche Absage und verweigerten die finanzielle Hilfe. Sicher waren die kaiserlichen Begründungen weniger konsistent, als jene gegen Ludwig XII. gerichteten des Jahres 1507. Auf dem Konstanzer Reichstag war Maxi­

941 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. 942 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. In der Tat war es in Konstanz zu einer Ausein­ andersetzung über die zu entsendende Botschaft gekommen. Dort war es, anders als in der Darstellung von 1509, Maximilian gewesen, der eine untreffliche Botschaft nach Frankreich entsenden wollte, was die Reichsstände als wenig gewinnbringend erachteten. Dazu Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 726, 732. 943 Du Mont, Corps universel, Bd. 4,1, S. 111. 944 Zur gedruckten Propaganda Maximilians Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 108–111. Tischer, Anuschka: Der Wandel politischer Kommunikation im Kriegsfall. Formen, Inhalte und Funktionen von Kriegsbegründungen der Kaiser Maximilian I. und Karl V. In: Militär und Ge­ sellschaft in der frühen Neuzeit 9 (2005), S. 7–28; „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. Der Druck setzt sich aus mehreren Teilen zusammen und enthält einmal die Rede des venezianischen Botschafters anlässlich des Kriegsausbruches (Memmingen 1508), die Gegenrede Maximilians und die päpstliche Bannbulle gegen die Serenissima. Des Weiteren enthält der Druck die Debatten um die Reichshilfe sowie zuletzt die Reichskriegserklärung gegen Venedig.

9.1 Liga von Cambrai: Greifbarkeit partikularer Interessen im Reich |

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milian eine verhältnismäßig großzügige Reichshilfe zugesprochen worden.⁹⁴⁵ Der dort beklagte Bruch des Hagenauer Vertrages erzielte offensichtlich eine größere Wirkung bei den Reichsständen, als die nun 1509 von Maximilian vorgebrachten Meineidsvorwürfe gegen Venedig.⁹⁴⁶ Die unübersehbaren imperialen Ansprüche des Kaisers, welche nun in einem Feldzug gegen Venedig durchgesetzt wurden, wollten diese finanziell nicht stemmen, auch wenn der Argumentation des Kaisers wenig widersprochen und der bevorstehende Bruch des Waffenstillstandes mit Venedig nicht offen thematisiert wurde.⁹⁴⁷ Die päpstliche Bannbulle gegen Venedig, welche in den Propagandadruck des Kaisers integriert worden war, mochte den plötzlichen Bündniswechsel mehr als rechtfertigen.⁹⁴⁸ Widersprüchlich erscheint trotzdem die Kriegserklärung der Reichsstände, welche im Zusammenhang mit der kaiserlichen Propagandaschrift gedruckt und pu­ bliziert worden war.⁹⁴⁹ Diese erging nicht im Namen von Kaiser und Reich, sondern erschien als Form der Absag von Fursten, Graven, Freyen Herren, Rittern, Knechten e und Dienstleuten des hayligen Romyschen Reychs⁹⁵⁰. Diese Absage, datiert auf den 28. Mai 1509, erschien damit einen Tag bevor die in Worms versammelten Stände in

945 Der Reichsanschlag für den Romzug bei Schmauß, Reichs-Abschiede, wie Anm. 568, Bd. 2, S. 104–111. 946 Die 1508 geschlossene Liga wurde von den Reichsständen in Worms als Weiterführung und Erneuerung des Hagenauer Vertrages interpretiert. Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 763. „Es wirdt gemelt der tractat zu Hagenaw, verschiner zeit uffgericht und itzo widerumb erneuwet, dergleichen die verstentnus und einung der obgemellten stende . . . “. 947 Tischer, Wandel politischer Kommunikation, wie Anm. 944, S. 22. 948 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. Zudem bestand offenbar der Konsens auch zwischen den neuen Bündnispartnern, dass der Bruch des Waffenstillstandes von Venedig ausgegangen war. Vgl. dazu den französischsprachigen Bericht über die weiteren Kriegshandlungen der Bündnis­ partner insbesondere Ludwig und Maximilian, TLA, Max I/44, fol. 57v. Die Vertragsbrüchigkeit Venedigs findet sich im gleichen Druck integriert als die „Form der Absag“. Auch hier wurde der Versuch unternommen, die Vertragsbrüchigkeit auch als Vergehen gegenüber den Reichsständen darzustellen, welche auf Wunsch des Kaisers hin in den Waffenstillstand einbezogen worden waren. „Wiewol der bestandt des verschynen Jars zu Reyff am Gartsee . . . [s]ye auch dem hayligen e Reich schuldig gewest sein, so haben sie doch dem selben in manche weg zu wider gehandelt. . . . Zusambt dem das sich die Venediger gegen des hayligen Reychs Camergericht und in annder weg e e nach dem berusten bestand dermassen unerberlich verachtlich und ungepurlich gehalten und bewysen, das die der Camerrichter und die beysytzer des Kayserlichen Camergerichts in die Acht erkent und publicirt haben.“ „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. Zu diesem Waffenstillstand vgl. Lutter, Politische Kommunikation, wie Anm. 7, S. 77ff. Alle Dokumente zum Waffenstillstand ebd., im Anhang S. 220–221. 949 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. Vgl. zur mittelalterlichen Kriegsbegründung Landolt, Kriminalisierung, wie Anm. 466, S. 94–96. 950 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“.

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ausführlicher Form und vor allem einheitlich die Kriegshilfe verweigerten.⁹⁵¹ Dem zufolge kann die Urheberschaft der Absage weder auf den Wormser Reichstag noch auf einen süddeutschen Bundestag⁹⁵² zurückgeführt werden, sondern der Druck muss als Fiktion und Propagandamaterial der Reichskanzlei eingestuft werden, wel­ ches möglicher Weise auf eine Spaltung unter den Ständen abzielte.⁹⁵³ So verweist die Absage jener „geselschafft“⁹⁵⁴ trotz ihrer offensichtlich propagandistischen Ausrichtung auf die innere Differenziertheit des Reiches, welche stets mitgedacht werden muss und durch den Druck auch der Wormser Reichsversammlung in Erinnerung gerufen worden war. Diese divergente Interessenlage lässt sich bis auf die Ebene der Mindermächti­ gen nachvollziehen. Als Argument gegen Venedig greift der Druck unter anderem die Reichsacht auf, welche vom Kammergericht gegen Venedig auf dem Bundestag zu Augsburg verhängt worden war.⁹⁵⁵ Die Reichsacht und damit die Isolierung Venedigs lässt sich auf regionalpolitische Konstellationen, genauer, die wirtschaft­ lichen Interessen der in Bayern ansässigen Herren von der Leiter,⁹⁵⁶ zurückführen,

951 Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 762–766. Die Antwort der Reichsstände verweist explizit darauf, dass alle Stände in der ablehnenden Haltung überein­ stimmten. Auf Anfrage der kaiserlichen Räte: „Ob die itzig der stende meynung allein von den churfursten, fursten und stett, der rethe und bottschafft dieselben also furgetragen haben, oder von aller stende wegen einhelliglich geschehen sey [gaben die kaiserlichen Räte zu erkennen, dass] die itzig und alle vorgegeben atwurt oder meynung von allen stenden, so alhie gewest, gemeinlich und einhelliglich beslossen . . . sey.“ Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, wie Anm. 909, Bd. 2, S. 779. 952 Vgl. generell zur Bedeutung des Bundestages in der Politik Maximilians Carl, Horst: Identische Akteure, unterschiedliche Kommunikationsprofile: Schwäbische Bundestage und Reichstage in der Epoche Maximilians I. im Vergleich. In: Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. Hrsg. von Maximilian Lanzinner u. Arno Strohmeyer. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73), S. 29–54. 953 Für die Hinweise zu diesem Stück und dem Wormser Reichstag 1509 gilt mein besonderer Dank Herrn Dietmar Heil. 954 „Eyn Rede der gesandten Botschaffter“. 955 Johann Fugger erwies sich als einer der Geldgeber zur Kriegsfinanzierung. Fugger, Johann Jacob von: Spiegel der Ehren des Höchstlöblichsten Kayser- und Königlichen Erzhauses Oesterreich. Hrsg. von Sigmund von Birken. Nürnberg 1668, S. 1259. „In Teutschland hatte underdessen K. Maximilian eine bundesversammlung zu Augsburg angestellet . . . . Es ward unter andern fuer gut befunden, daß wider den venedischen Staat, durch daß camergericht zu Regenspurg des reichsacht und uberacht aufs neue ausgesprochen wuerde. Weil das Reich zu diesem kriege weder mit volk noch mit geld behuelflich seyn wollen.“ 956 Die Herren von der Leiter erhoben Anspruch auf die Rückerstattung ihrer früheren Besit­ zungen. Brunoro Della Scala hatte von Kaiser Sigismund den Titel eines kaiserlichen Vikars von Verona und Vicenza erhalten. Simonsfeld, Henry: Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die deutsch-venezianischen Handelsbeziehungen. 2 Bde. Stuttgart 1887, Bd. 2, S. 121–122. Neuerdings

9.2 Reichskammergericht |

235

welche den Spruch gegen die Serenissima vor dem Reichskammergericht in Regens­ burg erwirken konnten. Dieses Urteil wiederum stand in klarem Kontrast zu den Handelsinteressen der Städte des Schwäbischen Bundes, insbesondere Augsburgs. Als Schirmherr des Bundes konnte Maximilian dessen Bedürfnisse nicht ignorieren. Auf Bitten der Städte hin versuchte dieser auf das Kammergericht einzuwirken und die Ausführung der Acht zu verzögern. Dieses ließ sich wiederum seine Kompetenz nicht streitig machen. Letztlich waren es besondere Geleitvereinbarungen, durch welche der Handel mit Venedig neben dem Ligavertrag von Cambrai weiter aufrecht erhalten werden konnte.⁹⁵⁷ Das Spannungsfeld zwischen Kaiser und Reich muss an dieser Stelle um die mit den Herren von der Leiter greifbaren partikularen Interessen der Mindermächtigen sowie die Geltungsansprüche neuer Institutionen erweitert werden. Bezeichnender Weise hatte das hier zur Kriegsbegründung herangezogene Kammergericht bereits zuvor seinen Weg in den Ligavertrag von Cambrai gefunden. Waren es seit dem Vertrag von Trient Reichstag und Kurfürsten, welche zur Absicherung oder Wei­ terverhandlung in die Urkunden deutsch-französischer Verträge aufgenommen wurden, war es nun 1508 die erst im Vorjahr neu aufgerichtete Institution, welche den Vertrag registrieren sollte. Dort heißt es: . . . quod hujusmodi tractatus pacis et concordiae publicetur in Imperio, ac regnis et dominis utriusque partis, et registretur in camera Imperiali et Parisiis in curia parlamenti, et in camera computorum . . . .⁹⁵⁸

Inwiefern und ob das Reichskammergericht nun eine tragende und vor allem langfristige Funktion im Umfeld von Vertragsschlüssen einnahm, ist im Folgenden zu diskutieren.

9.2 Reichskammergericht Kern der Reformbestrebungen im Reich war die Aufrichtung eines zentralen Ge­ richtes zur Wahrung von Frieden und Recht, welche untrennbar mit der Person des Erzkanzlers⁹⁵⁹ Berthold von Mainz verknüpft war. Das Ringen um die Ein­

zum Verhältnis von Handel und Justitz Cordes, Albrecht u. Dauchy, Serge (Hrsg.): Eine Grenze in Bewegung. Une frontière mouvante. Private und öffentliche Konfliktlösung im Handels- und Seerecht. München 2013. 957 Simonsfeld, Fondaco dei Tedeschi, wie Anm. 956, Bd. 2, S. 121–122. 958 HHStA, AUR, 1508 XII. 10, wie Anm. 933. 959 Zur Entwicklungsgeschichte des Amtes Schubert, Ernst: Der Mainzer Kurfürst als Erzkanzler im Spätmittelalter. In: Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler. Funktionen, Aktivitäten, Ansprüche

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flussnahme auf die Gerichtsbarkeit im Reich stand stets im Zusammenhang mit der Diskussion um die Kanzleihoheit. Bekanntlich hatte der römisch-deutsche König den Versuch unternommen, die Reichskanzlei durch seine Hofkanzlei zu verdrängen, womit auch der Einfluss des Kanzlers auf das Reichskammergericht geschmälert worden wäre.⁹⁶⁰ Praktisch manifestierten sich die Vorteile der Kanzleileitung schon unmittelbar im Vorfeld des Reformreichstages von Worms. Beim Abschluss der Heiligen Liga von 1495 hatte sich der Kurfürst von Köln beklagt, dass das Bündnis ohne Absprache mit den Königswählern geschlossen worden sei. Einzig Berthold von Mainz sei informiert gewesen, nicht jedoch als Kurfürst, sondern in seiner Funktion als Reichskanzler.⁹⁶¹ Deutlich werden hier die strukturellen Verflechtungen von Institution, Ak­ teuren der Reichsreform und Politik. Mit dem Amt des Erzkanzlers verband sich zwangsläufig der Zugang zu gewissen Informationen und die unmittelbare Partizi­ pation an den Verwaltungsvorgängen königlicher Politik.⁹⁶² Diese Beteiligung zählte aber offenbar wenig im Sinne der reichsständischen bzw. im Wesentlichen kurfürstlichen Reformbestrebungen. Beklagt wurde, dass der Ligaschluss nicht etwa auf einer Reichsversammlung besprochen worden war. Das Amt des Erzkanzlers und dessen gleichzeitige Position als Kurfürst auf dem Reichstag wurden strikt voneinander getrennt. In diesem Falle war es der Kurfürst von Köln, der das fehlende Mitspracherecht beim Ligaschluss monierte, welches er nicht für einzelne Personen, sondern für die Kurfürsten beanspruchte. Auch wenn für den Wormser Reichstag das Kurkolleg nicht als geschlossene Einheit

und Bedeutung des zweiten Mannes im alten Reich. Hrsg. von Peter Claus Hartmann. Stuttgart 1997 (Geschichtliche Landeskunde 45), S. 77–97. 960 Diestelkamp, Recht und Gericht, wie Anm. 8, S. 311ff. Mit dem Reichstag von 1495 wurde die Trennung von Kammergericht und herrscherlichem Hoflager festgelegt. Der Mainzer Kurfürst versuchte im Anschluss daran, die Kanzlei des reformierten Kammergerichtes wieder in sein Klientelsystem einzugliedern. Der König wiederum begünstigte in den folgenden Jahren seinen Hofrat gegenüber dem Reichskammergericht. Ausführlich dazu Diestelkamp, Recht und Gericht, wie Anm. 8, S. 309–315. 961 „. . . la Regia Maestá ha facto questa liga cum la Beatitudine del Pontiefice et altri confoederati senza intervento di alcuno de li principi electori . . . salvo l’archiepiscopo Magunito non tamquam elector sed simlpiciter tamquam cancellarius per Germaniam.“ Aus Contarinis Bericht vom 17. Juli 1495. Zitiert nach Wiesflecker, Missionen des Zaccaria Contarini, wie Anm. 595, S. 162, Anm. 31. 962 Dass Berthold als Kanzler bei der Registrierung des Ligavertrages beteiligt war, belegen die Kanzleivermerke. So wusste dieser unter anderem auch, wer die Gesandten waren, welche von Seiten Maximilians zum Abschluss der Liga bevollmächtigt wurden. Vgl. dazu Böhmer, J. F., Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1495. Bearb. von Hermann Wiesflecker. Bd. 1,1. Köln [u. a.] 1990–1993 (im Folgenden zit. als RI XIV, 1,1), n. 1372.

9.2 Reichskammergericht |

237

betrachtet werden kann, kommt in der Aussage des Kölners zumindest in Ansätzen ein korporatives Verständnis zum Ausdruck.⁹⁶³ Wieder in Worms, 1509, wurde dieser Anspruch deutlicher ausformuliert und die finanzielle Unterstützung des Kriegszuges gegen Venedig vom Mitsprache­ recht der Reichsversammlung abhängig gemacht. Der Kaiser reagierte darauf empflindlich mit der Darlegung der Nachteile eines institutionellen Vorgehens. Die Vergangenheit hatte gezeigt, wie zäh die Reichstagsverhandlungen liefen und wieviel Zeit schon zwischen Einberufung und tatsächlicher Zusammenkunft der Reichsversammlung vergehen konnte. Eine schnelle Reaktion auf die sich ständig wandelnde Bündnispolitik konnte daher nicht gewährleistet werden. Die Einwände der reichsständischen Seite verdeutlichen wieder, dass ein politisches Mitspracherecht durchaus als kollektives Recht und nicht als Recht einzelner, wie im Falle Bertholds von Mainz, verstanden wurde. Dahinter sind weniger ideelle als auch finanzielle Gründe zu sehen, implizierte der Ligaschluss 1508 doch wieder eine finanzielle Belastung, zumindest derjenigen, die sich durch ihre Anwesenheit in Worms direkt angesprochen fühlen mussten. Inwiefern erklärt sich der Ausschluss der Reichsstände vom Ligavertrag nun vor den institutionellen Hintergründen der Zeit? Der Vertragstext formuliert wie bereits erwähnt ein Bündnis zwischen den Herrschern. Reich und Reichstag wurde keine Funktion zugeschrieben. Als Innovation lässt sich hingegen die Integration des Reichskammergerichts hervorheben, welches, parallel zum parlement de Paris, die Vertragsregistrierung garantieren sollte.⁹⁶⁴ Die Neuaufrichtung des Zentralgerichts war spätestens mit der Reichskammer­ gerichtsordnung von 1507 vollzogen worden.⁹⁶⁵ Generell hatte der Kaiser seinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Rechtsinstanz verstärken kön­ nen.⁹⁶⁶ Nach der Auflösung des Reichsregimentes 1502 hatte Maximilian auch das Siegel des Erzbischofes eingefordert und übernahm damit die Kanzleihoheit

963 Roll, Christine: „Sin lieb sy auch eyn Kurfurst . . . “ Zur Rolle Bertholds von Henneberg in der Reichsreform. In: Kurmainz, das Reichserzkanzleramt und das Reich. Hrsg. von Peter Claus Hartmann. Stuttgart 1998 (Geschichtliche Landeskunde 47), S. 5–43, 14–43 zum Verhältnis der Kurfürsten untereinander. 964 Zur Thematik der „Freiwilligen Gerichtsbarkeit“, zu der auch die Hinterlegung von Verträgen beim RKG zu zählen ist Baumann, Anette: Frauen vor dem Reichskammergericht. In: Das Reichs­ kammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Friedrich Battenberg u. Berndt Schildt. Köln [u. a.] 2010 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 57), S. 109–110. 965 Dazu Smend, Reichskammergericht, wie Anm. 467. 966 Zu der Parteizugehörigkeit der Prokuratoren Baumann, Anette: Die Prokuratoren am Reichs­ kammergericht in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens. In: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451–1527). Hrsg. von Bernhard

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über Reichskanzlei und Reichskammergerichtskanzlei. Erst 1509 wurde das Siegel wieder dem Mainzer übertragen. Die Kanzleibeamten wurden zu dieser Zeit zwar unter Beteiligung der Stände, aber ohne Mitwirkung des Mainzers bestellt, wodurch sein Einfluss auf die Reichskammergerichtskanzlei drastisch reduziert worden war.⁹⁶⁷ Kurz: Anders als 1495 war der Kurfürst von Mainz nicht an der Registrierung des Ligavertrages von Cambrai beteiligt gewesen. Weiterhin finden sich keine Indizien, dass das Reichskammergericht auch wirklich die Funktion des parlement de Paris übernahm, wie es laut Vertrag vorge­ sehen war. Die Kanzleivermerke verweisen auf die Hauptunterhändlerin Margarete oder ihren Sekretär Louis Barangier, deren Vollmacht vom königlichen Hofrat Johann Renner ausgestellt worden war.⁹⁶⁸ Die Akteure der Vertragsaushandlung, Margarete von Österreich, Matthäus Lang und Mercurin de Gattinara, lassen ebenfalls nicht vermuten, dass diese die Integration des Reiches in den Prozess des Vertragsabschlusses über das kaiserlich-reichsständische Gericht befördert haben. Es lässt sich nur annehmen, dass Gattinara als Präsident des Gerichtshofes in Dôle bei seiner Mitwirkung am Vertragstext⁹⁶⁹ die Rolle der Gerichtsbarkeit befördert haben mag und damit die Integration des Reichskammergerichts auf ihn zurückgeht. Belegen lässt sich dies jedoch nicht. Ein weiterer Anschlusspunkt ergibt sich über den Vertragsinhalt, welcher einen Ausgleich mit Geldern und eine Einigung über die Gebietsansprüche vorsah. 1495 waren die Stände von Geldern und Zütphen bereits unmittelbar nach der Gründung des Reichskammergerichtes mit einer Klage gegen Karl von Egmond und dessen Territorialherrschaft aktenkundig geworden.⁹⁷⁰ Abschließend wird die sich aufdrängende Frage, wie und vor allem durch wen das Reichskammergericht seinen Weg in den Vertragstext fand, nicht aus dem Vertragskontext zu erklären sein. Der Vertrag von 1508 sowie eine spätere Erneue­ rung der Ratifikation von 1510 blieben letztlich die einzigen Stücke, welche die Institution in ihre Klauseln integrierten. Temporär an die gleiche Funktionsstelle

Diestelkamp. Köln [u. a.] 2003 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 45), S. 163–185. 967 Diestelkamp, Recht und Gericht, wie Anm. 8, S. 311–312. 968 Ortlieb, Eva: Vom Königlichen/Kaiserlichen Hofrat zum Reichshofrat. Maximilian I., Karl V., Ferdinand I. In: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451–1527). Hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln [u. a.] 2003 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 45), S. 232. 969 Kohler, Alfred: Zur Bedeutung der Juristen im Regierungssystem der „Monarchia universalis“ Kaiser Karls V. In: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Hrsg. von Roman Schnur. Berlin 1986, S. 659. 970 Diestelkamp, Recht und Gericht, wie Anm. 8, S. 227.

9.3 Zusammenfassung und Ausblick |

239

wie das parlement de Paris gesetzt, etablierte sich das Reichsgericht nicht in der Vertragspraxis zwischen Souveränen. Die singuläre Registrierungsformel hebt dafür den privatrechtlichen Charakter solcher Abkommen hervor.⁹⁷¹ Im Kontext von Privatverträgen des 16. Jahrhunderts wiederum schlugen sich gerichtliche Vertragshinterlegungen und Prüfungen in den Akten des Reichskammergerichtes nieder. Die Unmöglichkeit einer Trennung von „Innen-“ und „Außenpolitik“ wird damit deutlich. Entwicklungen des Reiches, erfassbar hier in den Verfahren des Reichskammergerichtes sowie die Normierungsversuche zwischen den Ordnungs­ gefügen befinden sich im Prozess der Aushandlung. Sie entwickeln sich nach dem Trial-and-Error-Prinzip und sind dabei untrennbar miteinander verknüpft.

9.3 Zusammenfassung und Ausblick Im Umfeld des Bündniswechsels und Ligaschlusses von Cambrai wird die Differen­ ziertheit des Reiches partiell erfassbar. Die als Propaganda verbreitete Absage an Venedig, mit welcher die Legitimierung aber vor allem Finanzierung eines Krieges gegen die Republik vorangetrieben werden sollte, nennt als vermeintliche Urheber „Fursten, Graven, Freyen Herren, Rittern, Knechten und Dienstleute“ und erhebt damit den Anschein, eine Kriegserklärung der Mindermächtigen wiederzugeben. Dementgegen steht die ablehnende Haltung des Reichstages, welche bewusst als Position aller anwesenden Stände gekennzeichnet wurde. Die Interessen hinter der verweigerten Reichshilfe mögen vielfältig gewesen sein. So lassen sich bei den süddeutschen Städten klar wirtschaftliche Nachteile herausfiltern, welche sich durch die Reichsacht gegen Venedig ergaben. Der ständische Anspruch auf die Entsendung eigener Gesandtschaften und Beteiligung an Vertragsabschlüssen befand sich hingegen noch im Prozess der Verhandlung. Bekanntlich wird sich dieses Anrecht erst mit dem Westfälischen Frieden auch in schriftlicher Form durchsetzen.⁹⁷² Anders verhält es sich mit dem Reichskammergericht, welches als Instanz zur Registrierung von Herrschaftsverträ­

971 Diese Beobachtung stützen auch die Untersuchungen Randall Lesaffers, welche die Re­ gistrierungsklauseln als Alleinstellungsmerkmal französischer und spanischer Vertragspraxis identifizieren. Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 20. 972 Die Westfälischen Friedensverträge vom 24. Oktober 1648. Texte und Übersetzungen (Acta Pacis Westphalicae. Supplementa electronica, 1), Instrumentum Pacis Osnabrugensis. www.paxwestphalica.de. besucht am (03.03.2017) (im Folgenden zit. als IP0), § II, Instrumentum Pacis Monasteriensis. www.pax-westphalica.de. besucht am (03.03.2017) (im Folgenden zit. als IPM). Vgl. IP0, § II.

240 | 9 Der Vertrag von Cambrai: Das Reichskammergericht als parlement de Paris?

gen ein singuläres Phänomen bleibt.⁹⁷³ Beim Abschluss des Westfälischen Friedens waren es personelle Konstellationen, welche die Absicherung des Vertrages ga­ rantieren und umsetzten sollten.⁹⁷⁴ Es agierten natürliche Personen, für die als Maßstab Ehre und Reputation angesetzt werden können.⁹⁷⁵ Phänomene, wie die parallele Benennung des Reichskammergerichts zum Pariser Parlament verweisen aber umso mehr auf den Aushandlungscharakter von Verträgen. Wie sich schon an früheren Beispielen gezeigt hat, werden neue Institutionen des Reiches unmittelbar auf dem Feld grenzübergreifender Poli­ tik kommuniziert und erprobt. Eine Differenzierung einer etwaigen Innen- und Außenpolitik lässt sich diesbezüglich nicht anstellen.

973 Eine umfassende Einschätzung müsste durch eine Studie der RKG-Akten für die Frühe Neuzeit erstellt werden. Vgl. folgende Stichprobe für die Hinterlegung von Testamenten: Baumann, Frauen vor dem Reichskammergericht, wie Anm. 964. 974 „Pacem hoc modo conclusam promittunt caesarei et regii ordinumque Imperii legati et plenipotentiarii respective ab imperatore et christianissimo rege sacrique Imperii Romani electori­ bus, principibus et statibus ad formam hic mutuo placitam ratihabitum iri seseque infallibiliter praestituros, ut solennia ratihabitionum instrumenta intra spacium octo septimanarum a die subscriptionis computandarum Monasterii praesententur et reciproce riteque commutentur.“ IPM, § 111. 975 Stollberg-Rilinger, Völkerrechtlicher Status, wie Anm. 847, S. 153.

10 Synthese 10.1 Wandel der Praxis Die vorliegende Untersuchung ging von dem Grundgedanken aus, dass sich ein Wandel innerhalb von Ordnungsgefügen auch auf die Politik, insbesondere die Vertragspolitik, zwischen diesen auswirkte. Diese Idee bestätigt sich zunächst in der Tatsache, dass Verträge stets als stark kontextgebundene Konstrukte zu verstehen sind: Rechtliche Grundlagen und Inhalte sind aufs Engste miteinander und mit den Strukturen der entsprechenden Ordnungsgefüge verwoben. Wandeln sich diese Strukturen, können diese zur Vertragssicherung und Exekution eingebunden und auf Vertragsebene greifbar werden. War im Kontext des Erbfolgekonfliktes die lokale Administration in den Prozess der Absicherung involviert, sieht man in dieser Position nach 1495 Kurfürsten und Reichstag. Dieser Wandel konnte hier weniger als lineare Entwicklung verstanden werden, sondern ist als zeitgebundene, zum Teil singuläre Innovation stets kontextabhängig zu analysieren und unter diesen Umständen als ständige Neukonstruktion im Rahmen beständiger formaler Grundzüge etablierter Vertragspraxis zu begreifen.

10.2 Friedensverträge: Grundelemente Inwiefern repräsentieren nun die untersuchten Verträge zeitgenössische normative Ordnungsvorstellungen und deren Wandel? Als grundlegende Funktion eines jeden Vertrages kann auch für die Vormoderne eine doppelte angenommen werden.⁹⁷⁶ Die hier untersuchten Friedens- und Waffenstillstandsverträge sollten Kriege, zumindest jene zwischen den benannten Vertragspartnern, beenden und gleichfalls den Frieden dauerhaft sichern und organisieren. Durch die schriftliche Willensbekundung definiert sich der Frieden als jenes persönliche Verhältnis zwischen den Vertragspartnern, welches als Zustand von paix, union, alliance, & amitié beschrieben wird. Der christliche Frieden, dem sowohl der französische als auch der römisch-deutsche König verpflichtet war, blieb für den untersuchten Zeitraum eine Art topischer Konsens zwischen den Herrschern, auch wenn die Integration dritter Parteien in die Friedensschlüsse auf die Herstellung umfassenderer, über die souveränen Vertragspartner hinausge­

976 Vgl. dazu Fisch, Krieg und Frieden, wie Anm. 12, S. 8–14 und Schmidt-Rösler, Sprachen des Friedens, wie Anm. 801, S. 240, Anm. 25. DOI 10.1515/9783110493115-010

242 | 10 Synthese

hender Friedensbeziehungen verweist. Die neue, innere Ausdifferenzierung des Reiches lässt sich in diesen Artikeln fassen, wenn Kaiser und Kurfürsten separat als Verbündete benannt werden. Für die Frühe Neuzeit bleibt zu zeigen, inwiefern sich die aus den Abkommen erwachsenden Verpflichtungen durch innovative mediale Möglichkeiten wandelten. Für den untersuchten Zeitraum bleiben und agierten speziell die Reichsstände zunächst als Verbündete (alliez), ohne an den Vertrag gekoppelte Verpflichtungen wahrzunehmen. Vertragspartner blieben folglich allein die Herrscher. Als Grundkonstante der untersuchten Verträge und als schriftlich fixierter und zeremoniell inszenierter Ausdruck ihres Friedenswillens zeugt der Eid von dem, in vertraglichen Regelungen verschmolzenen, Pluralismus aus römischem, kanonischem und Gewohnheitsrecht, dem sich die Vertragspartner unterstellten.⁹⁷⁷ Im Vertragstext selbst kommt der Beschreibung des Eides eine Sonderstellung zu, referiert dieser nicht nur auf die Tatsache der Schwurhandlung, sondern auch auf deren genaue Umsetzung als „serment solemnel sur le fust de la vraie corix, canon de la messe & Saints Evangiles touchez corporellement“.⁹⁷⁸ Die rituelle, jedoch in der Flüchtigkeit des Augenblicks verhaftete Ausführung des Eides wurde durch seine Beschreibung im Vertragstext auf Dauer gestellt und damit rezipier- und überprüfbar. Eine integrative Verpflichtung der Reichsstände, auch vor dem Hintergrund ihrer zunehmend, insbesondere auch von den auswärtigen Mächten und Vertragspartnern betonten Bedeutung, ließ sich aus diesem Akt hingegen nicht herleiten. Beispielsweise die Partizipation des Trierer Kurfürsten bei der Beeidung in Hagenau konnte später nicht als integrierende Verbindlichkeit für Kurfürsten und Reich genutzt werden. Variabler als das konstante Element der Beeidung stellte sich die obliga­ torische Ratifikation durch die souveränen Herrscher und Vertragspartner dar. Diese ließ sich durch institutionelle und personelle Co-Ratifikationen zu einem, durchaus als evolutionär zu verstehenden, „set of promises“ ausbauen.⁹⁷⁹ Institu­ tionen und persönliche Bindungen sicherten dann ergänzend zum obligatorischen, herrscherlichen Eid die Verträge und integrierten zugleich Elemente der betroffenen Herrschaftsbereiche. Ein Wandel oder eine Verfestigung von Strukturen, wie er im Falle der Reichsreform beobachtet werden kann, fand an dieser Stelle seine Repräsentation in den deutsch-französischen Verträgen. Für die Ratifikation als Grundkonstante bedeutet dies, dass sie zwar im Rahmen des etablierten zusam­ mengesetzten Vertragsschließungsverfahrens bestehen blieb, als solche aber einem Wandel, bedingt durch strukturelle Veränderungen, unterzogen werden konnte.

977 Zum Zusammenhang von Eid und amicitia vgl. Kolmer, Eide, wie Anm. 170, S. 215–222. 978 Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 307, § 37. 979 Lesaffer, Peace Treaties, wie Anm. 16, S. 19–20.

10.2 Friedensverträge: Grundelemente |

243

Mit dem Reichstag, den Reichsständen oder dem Reichskammergericht fanden zumindest partiell und vorübergehend institutionelle und korporative Verdichtun­ gen des Reiches als Instanz der Co-Ratifikation ihren Weg in die Friedensverträge zwischen Maximilian und den französischen Königen. Auch hier agierten diese aber nicht im rechlich-bindenden Sinne als Vertragspartner, sondern füllten mehr eine situativ zu vergebene Rolle im Vertragsschlussverfahren aus. Eine zunehmende Sensibilität ließ sich nicht nur für formale Bestandteile und Aspekte des Vertragsschlusses, sondern auch im Bereich von Text und In­ halt ausmachen. Öffentlich war 1501 in Trient ein Pakt beeidet und der Frieden gefeiert worden, ohne dass dieser wirklich als abgeschlossen gelten konnte. Die mit der Schwurhandlung intendierte Wirksamkeit des Vertrages war gebunden an eine valide und eindeutige Textgrundlage, welche im vorliegenden Fall nicht ausgemacht werden konnte, standen sich doch nach eingreifenden Interpreta­ tionen zwei abweichende Vertragstexte gegenüber. Dem Ritual fehlte damit die Referenzgrundlage. Geht man nun von einer gesteigerten Bedeutung des Vertragstextes aus, stellt sich dieser vielmehr als Produkt seiner Aushandlung und nicht nur als formgebun­ dene Urkunde dar. Aus diesem Grund soll hier auf eine zweite, handlungsprak­ tisch-ordnungsstiftende Dimension der untersuchten Friedensverträge verwiesen werden. Was beispielsweise der Vertrag von Arras in 92 Artikeln darlegt, erschließt sich nicht allein aus einem juristischen Kontext. Es sind konkrete Handlungsan­ weisungen, die, so zumindest die Idealvorstellung, einen Zustand des Friedens in den umstrittenen Herrschaftsgebieten etablieren sollten, wobei sie sich freilich im Rahmen anerkannter Normen bewegten. Diese konnten rechtlicher, aber eben auch religiöser oder sozialer Natur sein.⁹⁸⁰ Als Hauptgegenstand eines Friedensvertrages lässt sich die Beendigung des Kriegszustandes durch die schriftliche Neudefinition von Herrschaftsbereichen erfassen, welche, fragt man nach den zugrunde liegenden Ordnungsvorstellungen, sowohl von „oben“ aus der Perspektive der Vertragspartner als auch „von unten“ aus jener der Untertanen im Kontext lokaler Exekution erfassbar wird.⁹⁸¹ Für den Herrscher boten sich zunächst diverse Möglichkeiten vertraglicher Gebietsabgrenzung. Ansprüche konnten mit den Herrschertiteln artikuliert, in konkreten Artikeln zugewiesen, als Mitgift vergeben oder über Lehnsbindungen und Gerichtsbezirke definiert werden.⁹⁸²

980 Steiger, Zwischen-Mächte-Recht, wie Anm. 27, S. 50. 981 Dazu Kintzinger, Rex superior, wie Anm. 652, S. 27. 982 Exemplarisch die Zuschreibung der Mailänder Belehnung durch den Titel des „dux Mediolani“.

244 | 10 Synthese

Dem parlement de Paris kam im Kontext der vorliegenden Verträge eine beson­ dere Bedeutung zu. Zu Beginn des Erbschaftskonfliktes machte Jean D’Auffay die Grenzen des französischen Rechtsraumes und Geltungskraft des Vertrages von Péronne mithilfe eines Parlamentsurteils sichtbar. Im Vertrag von Arras diente das Gericht der Grenzdefinition Flanderns, wenn es als oberste Berufungsinstanz bestehen blieb und damit als Zeichen königlicher Souveränitätswahrung fungier­ te. Umfangreiche Neuregelungen von Gebietszugehörigkeiten und -ansprüchen ließen sich von Seiten der Vertragspartner über Mitgift und Erbschaft durch per­ sonelle Verbindungen der Nachkommen realisieren.⁹⁸³ Welche pluralistischen Rechtsvorstellungen und Interpretationsspielräume das Erbschaftsrecht mit sich brachte, manifestiert sich deutlich in den Rechtsdiskursen um die burgundische Nachfolge. Durch minutiöse Wenn-Dann-Regelungen wurde in den späteren Ver­ trägen (Arras, Senlis) der Versuch einer textlichen Annäherung an zukünftige Eventualszenarien unternommen. Auch wenn diese Fusion der Herrscherhäuser explizit der besonderen Sicherung der Abkommen dienen sollte, waren es gerade die Eheversprechen zwischen minderjährigen Kindern, welche sich bald in neuen Verbindungen auflösten. Generell und über persönliche Verbindungen hinaus gilt, wer nun in einem definierten und benannten Gebiet Herrschaft ausüben wollte, musste implizit mit der Ordnung auch die Sicherheit der Untertanen garantieren.⁹⁸⁴ Die Reichsstände äußerten diesen Wunsch in ihrer Entscheidung gegen eine Kriegsfinanzierung zur Absicherung der Fürsten im rheinischen Grenzgebiet. Schon vor Bodin zeichnet sich dieser Gedanke ganz handlungspraktisch ab, wenn in den Bestimmungen zur Generalamnestie von Senlis artikuliert wird, dass Piraten und Vogelfreie eben keinen Platz in der gewünschten Neuordnung finden,⁹⁸⁵ Friedensbrecher wie jener Guillaume de Thouart im Kontext eines Sonderabkommens⁹⁸⁶ verurteilt und Adolf von Nassau als Reaktion auf die Reparationsbestimmungen von Senlis Schleusen und Deiche zur Sicherung der rückkehrenden Untertanen wiederherstellen lässt.⁹⁸⁷ Friedensregelungen konnten so unter Einsatz entsprechender conservateurs auf lo­ 983 Jussen, Bernhard [u. a.]: Erbe, Erbschaft, Vererbung . . . Eine aktuelle Problemlage und ihr historischer Kontext. In: Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur. Hrsg. von dens. Berlin 2013, S. 7–36. 984 Bodin, Jean: Sechs Bücher über den Staat. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Bernd Wimmer. Hrsg. von Mayer-Tasch. P. C. 2 Bde. München 1981–86, Bd. 1, S. 187–204; Kleinschmidt, Harald: Legitimität, Frieden, Völkerrecht. Eine Begriffs- und Theoriegeschichte der menschlichen Sicherheit. Berlin 2010 (Beiträge zur politischen Wissenschaft 157), S. 21; Tischer, Sicherheit, wie Anm. 244, S. 76. 985 Siehe S. 131. 986 Siehe S. 61. 987 Siehe S. 133.

10.2 Friedensverträge: Grundelemente |

245

kaler Ebene greifen, wenn an anderer Stelle noch um eine Einigung oder Umsetzung des Vereinbarten gerungen wurde. Welche Rolle kam dabei den Untertanen selbst zu und inwiefern ist ein Frie­ densvertrag auch von „unten“ zu erfassen? Zentral war zunächst der örtliche, durch eidliche Bindungen dem Herrscher verpflichtete Beamtenapparat, welcher der Durchsetzung der Vertragsbestimmungen dienen sollte. Im Fall von St. Omer war es die lokale Administration, welche den Übergangszustand bis zur Übergabe an den Dauphin und Margarete aktiv mitgestalten sollte.⁹⁸⁸ Der Vertrag von Hagenau sicherte Ludwig XII. zwar die Belehnung mit Mailand, sah aber vor, dass Statthalter und Amtleute dem römisch-deutschen König Ehrerbietungen und Höflichkeiten erweisen.⁹⁸⁹ Auch wenn Italien damit weiterhin als Teil des Reiches definiert wur­ de, widersprach der Vertragsartikel nicht der örtlichen Ämterbesetzung durch den französischen König, welche, als Schlüssel zur territorialen Herrschaft, rege betrieben wurde.⁹⁹⁰ In Flandern war eben jener fehlende Einfluss auf die lokale Verwaltung das Hauptproblem der Herrschaftsartikulation Maximilians gewesen, und auch die vertragliche Regelung der Einflussnahme der obersten französischen Gerichtsbarkeit lässt sich in diesem Zusammenhang verstehen. Inwiefern die insti­ tutionelle Exekution von Verträgen auf lokaler Ebene umsetzbar war, wurde hier am Beispiel von Tournai gezeigt. Keine überterritoriale, sondern eine territoriale, eigene (Rechts)Ordnung kann hier als funktional ausgemacht werden. Eben dort findet die Beendigung des Krieges statt. Von primärem Interesse war dabei die Sicherung des Handels, welche so­ wohl in Friedensverträgen als auch Waffenstillständen eigens als Aspekt eines bien commun hervorgehoben wurde. Der Handel sollte ungestört zwischen den Herrschaftsbereich und ohne einschränkende Geleitvereinbarungen⁹⁹¹ vonstatten gehen. Die wachsende Einflussnahme betroffener Kommunen selbst ließ sich am Beispiel der schwäbischen Städte ermessen. Das Bündnis gegen Venedig ließ sich bezogen auf den Handel durch Sondergeleitvereinbarungen zugunsten der Städte relativieren. Die explizite Benennung neutraler Städte war 1478 insbesondere für die Enklave Tournai und deren Handel ein überlebenswichtiges Vertragselement.

988 Vgl. Du Mont, Corps universel, Bd. 3,2, S. 101. 989 ANF, J 658/9, wie Anm. 756. 990 Hamon, Akteure und Mediatoren, wie Anm. 910, S. 111–127. Auf den von Weber hergestellten Zusammenhang von Administration und Autorität im Zusammenhang von Herrscherwechseln verweist Schnabel-Schüle, Sovereignty change, wie Anm. 532, S. 85. 991 Kintzinger, Martin: „Cum salvo conductu“. Geleit im westeuropäischen Spätmittelalter. In: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa. Hrsg. von Rainer Christoph Schwinges u. Klaus Wriedt. Stuttgart 2003 (Vorträge und Forschungen 60), S. 313–363.

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Wie der Handel sollten auch Untertanen nicht an neu gezogene Grenzen gebunden werden. Ging es um die Neuordnung vormals umstrittener Gebiete, durch Amnestie- und Reparationsartikel, wurde das Lehensrecht und damit personelle Bindungen zur Grundlage. Die Rückkehr der Untertanen zu ihren Besitzungen und die Wiederherstellung eines status quo ante bellum konstruierte faktisch Zustände der Mehrfachvasallität. Grenzen, die mit den vertraglichen Neuregelungen des Herrschaftsbereiches konstruiert wurden, verwischen oder werden unscharf. Das Verhältnis der Herrscher zu einzelnen, namentlich erwähnten Untertanen regelten die Amnestieklauseln von Blois, welche aufzählten, wer in Gnade wieder aufgenommen wurde und wer davon ausgeschlossen blieb. Den Versuch, seine Reparationen auf Basis des Vertrages von Arras einzuklagen, unternahm Seigneur de Croÿ ohne weitere Konsequenzen vor der Generalständeversammlung von 1484. Allgemeine Amnestie- und Reparationsbestimmungen standen in den untersuchten Verträgen immer auch der Regelung konkreter Einzelfälle gegenüber, welche lokal und eben nicht durch übergeordnete- oder gar grenzübergreifende Rechtsinstanzen zu klären waren. Wie sich beobachten ließ, war es gerade die Friedenswahrung im Einzelfall, welche im Interesse der Vertragspartner stand. Auch wenn auf globaler Ebene noch Uneinigkeit über die Vertragsinhalte bestehen konnte, ahndete man Beschwer­ den über singuläre Friedensbrecher wie Robert von der Marck. Die Monarchen stilisierten sich als Wahrer des Friedens und der Ordnung und konnten mit dem Abschluss eines Friedens ihre Herrschaft nach innen, vor den eigenen Untertanen, stabilisieren und legitimieren. Verpflichtet waren die Herrscher demnach nicht durch ein national übergreifendes Recht, sondern vor dem Hintergrund ihrer legitimen gerechten Herrschaft im eigenen Machtbereich.⁹⁹²

10.3 Identität-Differenz – Akteur-Struktur Inwiefern entsprechen die Strukturen, die in die Vertragstexte als potentiell funktio­ nal integriert wurden, der politisch-strukturellen Realität? Und wer konnte welchen Einfluss auf die Vertragstextproduktion nehmen? Welche Akteure reproduzierten also welche Strukturen? Der Vertrag von Arras kann sicher als Sonderfall angesehen werden. Aufgrund der diversen Machtzentren im ehemaligen Herrschaftsbereich Karls des Kühnen hatten insbesondere die niederländischen Stände maßgeblichen Einfluss auf den späteren Vertrag nehmen können. Unmittelbar waren sie neben Herzog Maximilian an der Instruktion der Gesandten beteiligt und konnten, auch

992 Zum inneren Frieden Kintzinger, Westbindungen, wie Anm. 25, S. 348–359.

10.3 Identität-Differenz – Akteur-Struktur |

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gegen dessen Willen, den Gedanken des Eheschlusses zwischen Margarete und dem Dauphin vertraglich verankern. Ein ähnlicher Fall doppelter Instruierung ist mit der Reichsgesandtschaft von 1500 greifbar. Diese kommunizierte unter anderem Strukturen des dualistisch ausdifferenzierten Reiches nach Frankreich mit dem Vorschlag, einen Ausgleich über die dortigen Institutionen wie Kammergericht oder dem Reichsregiment⁹⁹³ zu suchen. Die Unterhändler selbst, die weder eindeutig dem reichsständisch-oppositionellen Lager noch dem römisch-deutschen König zuzuordnen sind, handelten hier basierend auf ihrer vom Reichsregiment entworfe­ nen Instruktion, welche in einigen Punkten durchaus Interpretationsspielraum ließ. Über die Instruktionen wurden die Befugnisse und „diplomatischen Qualitäten“ des Unterhändlers definiert, die mündliche Verhandlung erforderte, aber immer auch eine Vor-Ort-Interpretation und Anpassung an die aktuellen Gegebenhei­ ten.⁹⁹⁴ Das Modell einer Identitätsstiftung im Angesicht der Differenzen, welche auf französischem Boden in die Verhandlungspolemik mit einflossen, kann in der späteren Relation partiell begriffen werden. Die zeitgenössischen Vorstellungen von König und Reich wurden in Abgrenzung zu der von französischer Seite behaupteten päpstlichen Vormachtstellung besonders betont und artikuliert. Der Verweis auf eine Problemlösung vor den Institutionen des Reiches entsprang nachweislich einer im Verlauf der Verhandlung stattfindenden Auslegung der Instruktionen. Eine Stärkung der Reformbestrebungen oder gar deren Ergebnisse ist wenn dann nicht von Seiten der grenzübergreifend agierenden Diplomaten, sondern von den Herrschern selbst betrieben worden, welche die mehr oder weniger im Prozess der Ausformung und Stabilisierung begriffenen Strukturen für ihre eigenen politischen und finanziellen Ziele zu nutzen vermochten. Anhand der Quellen lässt sich explizit der an die Reichsstände und Institutionen des Reiches gerichtete Appell des französischen Königs erfassen. Konkret wandte sich dieser bevorzugt an die „electores“, die nicht nur korporativ, sondern auch einzeln kontaktiert wurden. Die Antwort an die Reichsgesandtschaft adressierte man von französischer Seite aus an alle in Nürnberg versammelten Stände.⁹⁹⁵ Der Vertrag von Blois integrierte die „principes electores & ipsum universum Romanum Imperium“ als Garanten des Friedens.⁹⁹⁶ Die französische Reaktion auf die politische Situation im Reich lässt sich zweifelsfrei nachvollziehen. Auf die begriffliche Differenzierung folgte prakti­ sches Handeln: Gesandte wurden zu den Reichsständen geschickt, der Reichstag

993 Siehe S. 163. 994 Dazu Kintzinger, Cum salvo conductu, wie Anm. 991, S. 318–319. 995 „. . . sacri Romani Imperii Electoribus, ceterisque Dominis Statuum ac Regimini & consilio Imperii, prefectis Nüremberge congregatis . . . “. Müller, Reichs-Tags-Staat, wie Anm. 667, S. 143. 996 ANF, J 658/9, wie Anm. 756.

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sollte als Forum weiterer Konfliktbeilegung agieren und den Schauplatz für die fürstliche Vertragsratifikation bieten. Zeitgleich lassen sich neue Ansprüche der Reichsstände fassen, welche bald auf eine eigene Entsendung von Gesandtschaften oder die Beteiligung an Vertragsabschlüssen abzielten und diese Vorstellungen beispielsweise in der Augsburger Ordnung verfestigten. Erst mit dem Westfälischen Frieden sollte das Recht der Reichsstände zur Beteiligung an Reichsbündnissen final anerkannt und fixiert werden.⁹⁹⁷ Auch wenn die Archivbestände von Vertragsregistrierungen im Reich zeugen⁹⁹⁸ oder das Reichskammergericht im Vertragstext temporär an die selbe Funktions­ stelle wie das parlement de Paris oder die chambre des comptes gestellt wurde, ist nicht von einer Linearität der Akteur-Struktur- und Identitäts-Differenz-Rela­ tionen auszugehen. Auf Basis der Vertragstexte lassen sich vielmehr temporäre und partielle Überschneidungen parallel ablaufender Prozesse greifen, die in jedem Einzelfall in ihren Bedingungsstrukturen nachvollzogen werden müssen. Der Vergleich mit dem politischen Gegenüber lässt sich zwar in Einzelfällen erfassen, langfristig beobachtbarer Wandel wird aber nicht ohne die Gewichtung partikularer Interessen erfassbar. Eine Interpretation und Reaktion auf Vertragsschlüsse und Vertragsbrüche ist von Seiten der Kurfürsten oder der Reichsversammlungen nicht auszumachen, hätte diese auch gegebenenfalls die Leistung konkreter finanzieller Unterstützung gerechtfertigt. Allein der Mitwirkungsanspruch im Vorfeld von Vertragsschlüssen war im Kontext der Ligaverträge von Venedig und Cambrai artikuliert worden. Konkrete Veränderungen hingegen lassen sich für das Reich auf dem Gebiet diplomatischer Vertretung greifen. Seit den 1490er Jahren war die Entsendung eigener Gesandtschaften rege gefordert, diskutiert und 1500 auch umgesetzt worden. Die zu den Eidgenossen entsandte Delegation des Jahres 1507 repräsentierte neben dem Kaiser auch die drei Stände.⁹⁹⁹

997 Buschmann, Arno: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Reichsverfassung nach 1648. In: 350 Jahre Westfälischer Frieden. Verfassungsgeschichte, Staatskirchenrecht, Völker­ rechtsgeschichte. Hrsg. von Meinhard Schröder. Berlin 1999 (Schriften zur Europäischen Rechtsund Verfassungsgeschichte 30), S. 65. Auch das Bündnisrecht der Reichsstände mit auswärtigen Mächten wurde durch den Westfälischen Frieden anerkannt, gründete sich aber auf Bestimmungen der Goldenen Bulle und des Wormser Reichstages von 1495. Ebd., S. 66. 998 Exemplarisch der Vertrag von Frankfurt und die deutschen Übersetzungen des Textes RTA MR, 3,2, S. 1136ff, Nr. 292a–292ac. 999 Anhand der Fallbeispiele lässt sich allenfalls eine Tendenz feststellen. Wie sich diese nach der Regierungszeit Maximilians und vor dem Hintergrund konfessioneller Spaltungen entwickelte, bleibt zu zeigen.

10.4 Konstruktion – Dekonstruktion: Vertragsschluss und Vertragsbruch |

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10.4 Konstruktion – Dekonstruktion: Vertragsschluss und Vertragsbruch Die Verträge spiegeln zwar die innenpolitische Realitäten des Reiches wieder, diese sind aber nicht funktional im Sinne eines „Völkerrechts“. Unabhängig davon sind sie aber immer auch Ergebnisse von Handlungsspielräumen der aktiven Unterhänd­ ler. Diese lassen sich anhand von Instruktionen, Finalrelationen und Vertragstexten ermessen.¹⁰⁰⁰ Äußerte sich bei der Reichsgesandtschaft die reformtypische Reichs­ verantwortung, waren bei den Gesandten aus dem engsten Umfeld Maximilians, insbesondere bei Serntein, eigene finanzielle Interessen und eine weitgehend starre Fixiertheit auf die kaiserliche Instruktion ausschlaggebend. Wo jedoch die Verhandlungen zu Scheitern drohten, musste er, aber auch der Kardinal d’Amboise, sich auf Kompromisse einlassen, welche sich dann im Vertragstext wiederfanden. Gerade das minutiöse Vorgehen bei der Textproduktion zeugt von der Bedeutung des späteren Schriftstückes. Die Debatten aus dem Umfeld Jean d’Auffays haben verdeutlicht, welche Rolle Vertragstexte bei späteren Rechtsstreitigkeiten spielen konnten, aber nicht mussten.¹⁰⁰¹ Selbst vermeintliche, zum Stereotyp geronnene Formeln wie die amicus amicis, inimicus inimicis-Bekundung bargen, wie sich im Falle des Vertrages von Blois und Hagenau gezeigt hat, reales politisches Potential. Inwiefern sich dieses entlud, hing aber mehr von der politischen Gesamtsituation als von einer nachträglichen, zielgerichteten Überprüfung des Vertragstextes ab. Was waren also die zentralen Konfliktpunkte bei der Aushandlung von Ver­ trägen und der impliziten Einigung auf gegenseitig anerkannte Regelungen und Vertragselemente. Eine Bestätigung des Vertrages von Blois (1504) durch die Reichs­ fürsten gehörte zwar zu den umstrittenen, aber nicht zentralen Punkten der Ver­ handlungen. Auch die vom Vertrag von Trient vorgesehene und nicht umgesetzte Ratifikation durch die Reichsstände und die Abhaltung eines Reichstages wur­ de zwar von den auswärtigen Gesandten bemerkt, nicht jedoch als Bruch des Abkommens gewertet. Eine vertiefende Untersuchung und verallgemeinerbare Kategorisierung der bei Vertragsverhandlungen strittigen Punkte lässt sich auf­ grund des spätmittelalterlichen Quellenmaterials nicht anstellen. Als umstritten stechen lediglich jene Formeln heraus, denen das Potential inne lag, neue Rechts­ verhältnisse zu schaffen. So könnte eine Änderung von „subditi“ in „confederati“ Auswirkungen auf die feudalrechtlichen Ansprüche nehmen. Auch die Präzision

1000 Eine vertiefende Untersuchung könnte aufgrund der unter Karl V. anschwellenden Material­ dichte Aufschluss bringen. 1001 Siehe S. 25.

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von Begriffen oder die Ausführlichkeit der Artikel stellte sich als verhandelbar dar. Die allgemeine Integration Italiens in den Waffenstillstand und die Unterschlagung der expliziten Benennung wurden der Reichsgesandtschaft im Anschluss an den Waffenstillstand 1501 zum Vorwurf gemacht. Einige Jahre zuvor musste die Stadt Tournai um ihren Neutralitätsanspruch ringen, da dieser nicht wortwörtlich im Vertrag ausformuliert worden war. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die ausführliche Aufzählung und Integration von Verbündeten. Die „Inimicus-Ini­ micis“-Formel konnte 1504 das Vertragswerk zum Angriffspakt gegen Spanien umdeuten. Entsprechend vehement waren die Versuche Philipps, die Formel aus der Urkunde zu verbannen oder durch Zusatzartikel abzuschwächen. Die Brisanz der Verträge lag also nicht immer in den Artikeln selbst, sondern in dem, was nicht gesagt wurde. Was macht die oft in wochenlanger Aushandlung konzipierten Verträge also brüchig und angreifbar? Die vorliegenden Verträge können allesamt mehr als eine Zäsur im Rahmen eines langfristigen Aushandlungs- und Einigungsprozesses denn als wirklicher paix finale bezeichnet werden. Egal wie lang und wie ausführlich ein Vertrag gestaltet wurde, es kann sich immer nur um die Annäherung an eine nie zu erreichende Vollständigkeit handeln. Da, wo der Vertragstext zwangsläufig an seine Grenzen gerät, lassen sich inhaltliche Differenzen verbergen. Es werden gleichsam Räume für den Bruch des Vertrages geschaffen. Ebenso viel Gewicht wie Vertragsschlüssen kommt also Vertragsbrüchen zu, die, wie sich gezeigt hat, wie ein Vertragsschluss nie als absolut zu werten sind. Ein Vertragsbruch erscheint in den verschiedenen Quellen stets als Vorwurf, nicht als rechtlich zu ahndendes Delikt. Bewerten die Ausführungen d’Orioles konkret und primär den Vertragsbruch als Vergehen,¹⁰⁰² wurden in anderen Zusam­ menhängen Vertragsbruch, Friedensbruch und Eidbruch ergänzend aufgelistet.¹⁰⁰³ Die pluralen Rechtsgrundlagen der Verträge artikulierten sich dann auch in der diskursiven Darstellung des Konfliktfalles. Vertrags- und Friedensbruch stehen dabei, wenn auch semantisch nicht immer klar getrennt, auf unterschiedlichen Ebenen. Die Friedenswahrung gehörte zur Aufgabe der Vertragspartner. Dieser Frieden konnte hingegen nicht nur von den Herrschern selbst im Zuge kriegerischer Handlungen, sondern auch auf Ebene der Untertanen, wie der Fall des Guillaume de Thouart oder Robert von der Marck gezeigt hatte, verletzt werden.¹⁰⁰⁴ Anders als

1002 Vgl. S. 41. 1003 Vgl. S. 107. 1004 Fisch spricht hier vom individuellen Friedensbruch, für den der Vertragspartner schuldig gemacht wird. Fisch, Krieg und Frieden, wie Anm. 12, S. 182, 195.

10.4 Konstruktion – Dekonstruktion: Vertragsschluss und Vertragsbruch |

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der Vertragsbruch konnte die Verletzung und Störung des friedlichen Zustandes rechtliche Konsequenzen, speziell für die Untertanen, nach sich ziehen.¹⁰⁰⁵ Parallel zu wechselseitigen Vertragsbruchsanschuldigungen wurde gleichsam der Wunsch auf Vertragseinhaltung und Erneuerung geäußert. Wie passt dies zusammen und wie wurde ein Vertrag diskursiv dekonstruiert? Insbesondere in der Argumentation d’Orioles erwies sich das Argument des „contrainte“ als zentral für die Aufhebung vertraglicher Bindungen. Maximilian sollte dieses im Falle des Ehevorhabens zwischen Margarete und dem Dauphin wiederaufnehmen. Wie sich gezeigt hat, diente das Argument des contrainte in der Praxis aber mehr der Rechtfertigung des eigenen Verhaltens als der umfassenden Rechtsetzung. In den untersuchten Fällen wurde ein Vertrag nie wegen seines erzwungenen Abschlusses aufgehoben. Auch wechselseitige Vertragsbruchvor­ würfe konnten am Ende in den Abschluss eines neuen Vertrages münden, der das vermeintlich brüchige Werk integrierte und fortführte. Gerade Vertragsbrüche führen vor Augen, dass auch ein Vertragsschluss, der vermeintliche paix finale, zwar als Zäsur, aber auch als Teil eines Aushandlungsprozesses gesehen werden muss, der eben nicht mit der Abfassung der Urkunde als beendet angesehen werden kann. Fragt man nach vorsätzlich eingebauten Sollbruchstellen in Vertragstexten, so lässt sich anhand des untersuchten Materials keine klare Systematik ausmachen. Vielmehr können Vertragsbruchsbegründungen so individuell sein, wie die Artikel selbst. Als markant lässt sich nur der Einzelfall der fehlenden Benennung des parlement de Paris im Vertragswerk von Blois und Hagenau identifizieren. Eben jene Instanz sollte später dem französischen König die Absolution einer neuen, konträr zum Vertrag stehenden Eheverbindung zwischen Claudia und Franz von Angoulême erteilen. Eine juristische Relevanz der durch die Auslassung des par­ lement im Vertrag geschaffenen „Leerstelle“ lässt sich hingegen nicht belegen. Vielmehr erinnert diese Episode an ein Ineinandergreifen verschiedener Normund Ordnungsvorstellungen. Innenpolitisch, von den versammelten französi­ schen Ständen unter Anwesenheit des Präsidenten des Pariser Parlaments, konnte der Vertragsbruch legitimiert werden. Seine Verantwortung für das französische Königreich wurde dabei als übergeordnete Verpflichtung bewertet. Hatten die Herrscher beim Bruch eines beeideten Abkommens also überhaupt Sanktionen zu befürchten? Anhand des Quellenmaterials greifbar werden diese

1005 Heinhard Steiger differenziert für das Frühmittelalter nicht zwischen Friedens- und Vertrags­ bruch. Steiger, Ordnung der Welt, wie Anm. 505, S. 446–447. Für das Spätmittelalter ist allerdings die Parallele zu den zeitgleichen Landfriedensbestimmungen zu ziehen, welche das Konzept des „Friedensbrechers“ explizit machen. Ein Bruch des Friedens konnte allerdings die Konsequenz des Vertragsbruches haben.

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Sanktionen lediglich auf Ebene der Untertanen im Falle des friedensbrüchigen Guillaume de Thouart. Im Zuge von Reparationsleistungen äußerte Jean Masselin als Vorsitzender der Generalständeversammlung von 1484 zwar die Forderung einer Vertragsumsetzung, deren Exekution lässt sich hingegen nicht greifen. Auch das parlement de Paris hielt sich mit einer klaren Urteilsfällung zurück, wie der Fall der burgundischen Erbschaft gezeigt hat. Warum wurden also überhaupt Verträge geschlossen? Folgten Vertragsab­ schlüsse stets einer wahren, von Bernard de Rosier geforderten Friedensabsicht, die jeder Gesandtschaft zugrunde liegen musste?¹⁰⁰⁶ Insbesondere der römischdeutsche König und Kaiser musste seine Kriegsabsichten spätestens seit den Reformmaßnahmen der Reichsstände vor diesen rechtfertigen. Zur Erlangung der notwendigen finanziellen Unterstützung musste entsprechende Überzeugungsar­ beit geleistet werden. Die Vertragsbrüchigkeit des französischen Königs diente dabei als Topos auch in der europaweit verbreiteten Propaganda. Wer Verträge bricht, so die implizite Aussage, hält sich nicht an den losen Kanon eines unge­ schriebenen Völkerrechtes und ist als Bündnispartner zu meiden. Inwiefern diese Vorwürfe Bündnisinteressen- und Möglichkeiten tatsächlich beeinträchtigen oder eine Zunahme von Verbindlichkeit bedingen konnten, bleibt am umfangreichen Quellenmaterial der Frühen Neuzeit zu zeigen.¹⁰⁰⁷

10.5 Friedensverträge: Völkerrecht avant la lettre? Die hier untersuchten Vertragstexte sind Produkte einer Anpassung an sich verän­ dernde strukturelle Gegebenheiten. Adaptionen, wie etwa die funktionale Integra­ tion des Reichstages in einen Vertragstext, fanden im Prozess der Aushandlung statt. Als maßgeblicher Impulsgeber ließ sich immer wieder der französische König ausmachen, welcher Innovationen zu seinen politischen Gunsten nutzen wollte. Handlungsspielräume der aktiven, meist über längere Zeiträume im Zuge des diplomatischen Austausches agierenden, Unterhändler lassen sich anhand von Instruktionen, Finalrelationen und Vertragstexten ermessen. Strukturelle Veränderungen, insbesondere des Reiches, wurden unter anderem in den Ver­ tragsverhandlungen kommuniziert, welche damit zum diskursiven Spannungsfeld von Eigen- und Fremdwahrnehmung wurden. Insbesondere die sich etablierende schriftliche Dokumentation diplomatischer Kontakte des Reiches, hervorzuheben

1006 Kintzinger, Kontakt und Konflikt, wie Anm. 848, S. 287–292. 1007 Zur Verbreitung von Kriegsmanifesten und deren Einordnung in ein vormodernes Völkerrecht Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 48–108.

10.5 Friedensverträge: Völkerrecht avant la lettre? |

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ist die Finalrelation des Jahres 1500, erlaubt nun, an der Wende zur Neuzeit, die Untersuchung und Auswertung neuer Akteursperspektiven. Nicht nur die Stimme des Herrschers, auch die Partizipationsbestrebungen der an Instruktionen und di­ plomatischen Gesandtschaften zunehmend konzeptionell beteiligten Reichsstände sowie die Eigeninteressen aktiv handelnder Diplomaten werden vernehmbar. Wie sind schließlich Verträge als Teilaspekt einer sich ausprägenden Zwi­ schen-Mächte-Normativität zu bewerten? Der ratifizierte und zeremoniell bestätigte Vertrag erwies sich als dekonstruierbar. So konnte der Text auf einer Täuschung oder Unachtsamkeit der Unterhändler basieren – wie im Fall der Reichsgesandtschaft –, der Eid durch einen anderen Eid aufgehoben werden oder schlicht Uneinigkeit über den ausgehandelten Text bestehen, sodass der formalen Vertragsratifikation die eigentliche Textgrundlage fehlte. Die einzelnen Artikel ließen zudem immer Spielräume bei der Umsetzung, welche insbesondere vor dem Hintergrund der Differenziertheit der Ordnungsgefüge ausgelotet werden konnten. Eine vertraglich zugesicherte Belehnung konnte bei Bedarf entsprechend rudimentär umgesetzt werden. Aufgrund der fehlenden Durchsetzungsmechanismen ist der Rechtscharakter des Völkerrechts auch gegenwärtig nicht unumstritten. Für die hier untersuchten Verträge lässt sich zunächst festhalten, dass sie auf der Ebene der Herrscher nicht einklagbar waren. Langfristig blieb der Krieg das probate Rechtsfindungsmittel. Auch wenn Verträge durch übergreifende, christlich-kulturell kodierte Techniken wie die Beeidung garantiert wurden, mussten diese letztlich nach innen, vor den eigenen Untertanen, legitimiert werden. Ein Pakt, der gegen den Krönungseid verstieß, war damit eben ungültig. Auch wenn Friedensverträge regional übergrei­ fende Machtverhältnisse regeln sollten, waren die Abkommen in ihrer Stoßrichtung immer auch nach innen, auf den eigenen Herrschaftsbereich gerichtet, dessen Schutz und Sicherheit dem Herrscher oblag, was sowohl auf den Reichstagen als auch auf französischen Generalständeversammlungen aktiv eingefordert wurde. Der Bruch eines Vertrages markiert dabei nicht zwangsläufig eine Zäsur. So kann der Frieden lokal umgesetzt werden, wenn an anderer Stelle noch um eine Einigung oder Durchsetzung des Vereinbarten gerungen wird. Verträge wurden ratifiziert und zeitgleich im Hinterzimmer nachverhandelt. Man war sich darüber im Klaren, dass nicht alle beurkundeten Artikel jenen Konsens beinhalteten, den man soeben im Begriff war nach außen – schriftlich und rituell – zu postulieren. Eine administrativ organisierte Exekution von Verträgen lässt sich allenfalls auf lokaler Ebene, beispielsweise für die Stadt Tournai, fassen. Keine überterrito­ riale, sondern eine städtische Rechtsordnung kann hier als funktional ausgemacht werden, wenn der Verstoß gegen Einzelbestimmungen der jeweiligen Verträge als gerichtliches Vorgehen gegen singuläre Friedensbrecher fassbar wird. Weiterfüh­ rende, vertiefende Studien zur Darstellung systematischer Zusammenhänge von

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Vertragsexekution und Gerichtsverfahren bieten sich sowohl für den städtischen Bereich als auch im Hinblick auf das extensive Material der frühneuzeitlichen Reichskammergerichtsakten an. In der Frühen Neuzeit wird aber noch eine weitere, außergerichtliche Instanz Kontrollfunktionen übernehmen. Seit dem 16. Jahrhundert wurde vermehrt auf die Untertanen in dieser Rolle verwiesen.¹⁰⁰⁸ Derartige Verschiebungen lassen sich anhand der vorliegenden Untersuchung bereits im Ansatz erkennen. Erste gedruckte Kriegsbegründungen adressierten eine erweiterte Öffentlichkeit. Als Rezipienten für das ausgehende Mittelalter lassen sich die auf dem Reichstag versammelten Stände fassen, die zu den konkreten Vorwürfen des Vertragsbru­ ches aber keine Stellung bezogen. Artikuliert wurden diesbezügliche Positionen allenfalls auf der Versammlung der französischen Generalstände 1484. Die dort programmatisch geforderte Pflicht zur Vertragseinhaltung blieb jedoch im Bereich des Ideengeschichtlichen verhaftet. Neben den Untertanen richteten sich Kriegsbegründungen aber an eine weitere Zielgruppe: Vor potentiellen Bündnispartnern musste der Bruch freilich unkodifi­ zierter Normen gerechtfertigt oder beklagt werden. Dazu angewandte argumentative Muster finden sich dann bei den systematisch-theoretischen Ausführungen späterer Völkerrechtsautoren wieder.¹⁰⁰⁹ Sah Wilhelm Grewe die Basis mittelalterlichen Völkerrechtes in der Gemeinsam­ keit verbindlicher Normen,¹⁰¹⁰ so ist es weniger das Fehlen dieser Normen, als ein Mangel an Verbindlichkeit, welcher bei den hier vorliegenden Vertragsschlüssen attestiert werden konnte. Verbindlichkeit ist für Verträge des Spätmittelalters nicht anzunehmen, deren Geltungskraft muss und musste vielmehr von Fall zu Fall geprüft werden. Entwicklungen setzten dann da ein, wo vermeintlich Verbindliches ausgetestet, hinterfragt, verhandelt oder gebrochen wurde. Zentral muss es daher besonders für das ausgehende Mittelalter sein, Völkerrechtsgeschichte als eine Geschichte der Praxis und Aushandlung zu schreiben und zu beschreiben.

1008 Tischer, Kriegsbegründungen, wie Anm. 5, S. 56–57. 1009 Dazu Klesmann, Friedensvertrag als Kriegsgrund, wie Anm. 414. Für das Spätmittelalter in Vorbereitung: Wilangowski, Gesa: Perfekter Pakt? Herausforderungen der Diplomatie zur Zeit Maximilians I. 1010 Grewe, Völkerrechtsgeschichte, wie Anm. 27, S. 26.

Abkürzungen AAE ADN ANF BNF HHStA Freiburg StA TLA ThHStAW RTA RI rrb MM AUR MAX Ma Ms. fr. HRG

Archives et patrimoine Accords et Traites Archives départementales du Nord, Lille Archives nationales de France, Paris Bibliothèque nationale de France, Paris Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Stadt Archiv, Freiburg Tiroler Landesarchiv, Innsbruck Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar Reichstagsakten Regesta Imperii Reichsregisterbücher Allgemeine Urkundenreihe Maximiliana Maximiliana Manuscrits français Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

DOI 10.1515/9783110493115-011

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Personenregister A Adolf III. von Nassau-Idstein-Wiesbaden 152–154, 158, 159, 164, 167, 244 Adolf von Anhalt-Zerbst 226 Albrecht Achilles von Brandenburg, Albrecht I. Markgraf von Ansbach und Kulmbach, Albrecht III. der dritte Kurfürst von Brandenburg 108 Albrecht der Beherzte, Herzog von Sachsen 54, 82, 99, 100 Alegambe, Jaques 63 Alexander VI., Papst 147, 150, 154, 173, 194 Alfons V., König von Aragón (1416–1458), Neapel (1442–1458) 142 Amboise, Charles II. de 188 Amboise, Georges de, Kardinal von Rouen 160, 173, 174, 183, 188, 189, 194, 200–203, 207, 209, 210, 212, 214, 224, 249 Amboise, Jean de, Kardinal von Rouen 188 Amsterdamis, Nicolao de 218 Amys, Jean 128 Anne de Beaujeu 83 Anne de Bretagne, Herzogin der Bretagne, Königin von Frankreich (1491–1498), (1499–1514) 100–102, 107, 108, 110, 120, 207 Auffay, Jean de 24–34, 36, 37, 41, 43, 44, 46, 50, 55, 60, 69, 70, 81, 161, 244, 249 Aymeries, Seigneur de 137 B Baldus de Ubaldis 36, 38 Banest, Paul de 46, 70 Barangier, Louis 238 Baudricourt, Jean de 120, 121 Beere, Jean de 70 Berghes, auch Bergues, Henri de 177 Berghes, Cornelius de, Cornelius de Glymes 128 Berghes, Jean de, Seigneur de Walheim 49, 69, 120, 177 Berthold von Henneberg, Erzbischof von Kurmainz, Reichserzkanzler und Kurfürst 93, 115–117, 119, 148–151, 153, 155, 164, DOI 10.1515/9783110493115-015

167, 168, 178, 179, 187, 203, 220, 227, 235–237 Bèvres, Seigneur de 137, 138 Bourbon, Jacques de 79 Bourbon, Jean II. de, Herzog von Bourbon 79 Bouverie, Jean de la 49, 69, 70 Brunoro Della Scala 234 Bünau, Heinrich von 152–154, 158, 159, 167 Burchard, Johannes 176 Burgo, Andrea del 20, 186, 187, 191, 192, 196–199, 201, 203, 205, 207, 218 Busleyden, Franz von, Erzbischof von Besançon 96, 99, 120, 128, 177 Bustleyden, Gilles de 55 C Cassel, Robert de 92 Chalon-Arlay, Jean IV. de 120, 121 Charlotte von Savoyen, Königin von Frankreich (1461–1483) 83 Chastellain, Georges 50 Chieregati, Leonello 154 Christoph I., Markgraf von Baden 120 Christoph von Limburg, Bischof von Trient 226 Christoph von Zach, Bischof von Seckau 183 Claudia von Frankreich, Königin (1515–1524) 158, 173, 186, 190, 192, 193, 195, 199, 200, 202, 207, 211–213, 215, 216, 219, 225, 228, 251 Coëtman, Oliver de 70 Commynes, Philippe de 46, 66, 70, 119 Conrault, Philippe 84 Contarini, Zaccaria 139, 145, 147, 148, 152, 173, 174, 178–185, 236 Coucy, Jeanne de 92 Cousinot de Montreuil, Guillaume 25, 34–36, 38, 40, 43 Crèvecœr d’Esquerdes, Philippe de 70, 71, 99, 121, 129, 130 Crivelli, Gian Antonio 222 Croÿ, Guillaume de 177 Croÿ, Philippe I. de, Graf von Porcéan 84–86, 246

Personenregister |

D Deswastines, Nicolles 61 Duprat, Antoine 34 E Eduard IV., König von England (1461–1470) und (1471–1483) 52, 53 Emershofen, Hans von 226 Engelbert II., Graf von Nassau-Breda. 96, 98, 99, 120, 128, 133 Everardi, Nicolaus 218 F Farrse, Gilemann de 120 Ferdinand, gen. der Katholische, Ferdinand V., König von Kastilien und León (1474–1504), Aragón (1479–1516), Neapel (1504–1516) 118, 142, 190, 230 Forest, Philipp le Jeune, Seigneur de Forest et de Contay 126, 138, 139 Francesco Gonzaga, Markgraf von Mantua 176 Franz II., Herzog der Bretagne 108 Franz von Angoulêm, Franz I. König von Frankreich (1515–1547) 74, 123, 173, 207, 213–217, 228, 251 Friedrich I. Barbarossa, Römisch-deutscher König (1152–1190), Kaiser (1155?1190) 38 Friedrich I. von Aragón, König von Neapel (1496–1500) 190 Friedrich III., Römisch-deutscher König (1440–1493), Kaiser (1452–1493) 1, 53, 93, 125 Friedrich V., gen. der Ältere, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 148 Friedrich von Sachsen, Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen (1486–1525) 151, 153–155, 157, 167, 168, 173, 230, 231 Froissart, Jean 27 Frosch, Johann 222 Froschel, Johann 226 Frowis, Dr. Bernhard 54, 55 Fugger, Johann 234 G Gagunius, Robertus 102 Gattinara, Mercurin de 238 Geoffroy, Charles 178, 181, 182, 188

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Gerson, Jean 145 Girolamo Morone 222 Gonzaga, Johannes de 194 Gosselet, Jean 120 Gouy, Jaques de 69 Granville, Seigneur de 138 Guérin, Jean 70, 178 Guérin, Philippe 71 Guicciardini, Francesco 173 H Hachberg-Sausenberg, Markgraf Philipp von 120, 121 Halewin, Louis de 178, 210 Haneton, Philippe 175, 177, 212 Hardinc, Gofwin 46 Haubbel, Florens 138 Hautbois, Charles de 168–171, 173, 174, 178 Haveron, Jehan de 63 Heinrich VII. Tudor, König von England (1485–1509) 108, 109, 118, 216, 230 Herdinckx, Gossuin 69 Hermann von Hessen, Hermann IV. Erzbischof von Köln, Kurfürst 93, 146, 151, 163, 169, 179 I Innozenz VIII., Papst 102 Isabella I., Königin von Kastilien und León (1474–1504), Aragón (1479–1504) 118 J Jakob II. von Baden, Erzbischof von Trier, Kurfürst 102, 203, 210–212, 220, 226–228, 242 Jakob von Savoyen, Graf von Romont 46, 51, 84–86 Jakob von Sierck, Erzbischof von Trier, Kurfürst 144, 145 Jaquelin, Jean 24 Johann II. der Gute, König von Frankreich (1350–1364) 27, 34 Johann II. von Burgund, Graf von Nevers 79 Johann II. von Werdenberg, Bischof von Augsburg 145 Johann von Augsburg, Bischof 54

286 | Personenregister

Johanna II., Königin von Navarra (1328–1349 35 Johanna von Dreux, Herzogin der Bretagne 27 Jost Niklas Graf von Zollern 54, 55 Julius II., Papst (1503–1513) 207, 230 Jutta von Luxemburg, Bonne de Luxembourg 223 K Karl der Kühne, Herzog von Burgund 2, 22, 23, 25, 28–31, 33, 40–44, 56, 57, 60, 67, 71, 74, 89, 112, 246 Karl I. der Kühne, Herzog von Burgund 70 Karl IV., Kaiser (1355–1378) 223 Karl V., König von Frankreich (1364–1380) 223 Karl VI., gen. Wahnsinnige, König von Frankreich (1380–1422) 35, 223 Karl VI., Kaiser (1711–1740) 32 Karl VII., König von Frankreich (1422–1461) 41 Karl VIII., König von Frankreich (1483–1498) 22, 82, 83, 89, 94, 96, 99–110, 112–114, 116, 118, 119, 121–123, 125–129, 135–137, 139, 142, 147, 156 Karl von Blois, Herzog der Bretagne 27 Karl von Egmond, Herzog von Geldern 126, 146, 164, 223, 230, 238 Karl von Luxemburg, später Karl V., Kaiser (1500–1558) 32, 43, 173, 186, 190, 193, 195, 199, 200, 202, 207, 211, 213, 215, 216, 218, 219, 230, 249 Kuttn, Thomas 226 L Lalain, Josse de 48 Lamparter, Georg 152, 153, 158, 159, 167 Lang, Matthäus 173, 183, 184, 186, 187, 189–196, 199, 238 Lannoy, Baudouin de 69 Lannoy, Jean III. de 58, 59, 69 Lannoy, Jean, Abt von St. Bertin 50, 69, 70 Leiter, Johann von der 234, 235 Leleu, Jehan 59, 60, 63 Lesdernay, Thiery de 61 Liechtenstein, Paul von 187, 189, 193 Loemel, Johann de 218 Lorraine, Mathieu de 92

Lorraine-Vaudémont, Henri de, Bischof von Thérouanne 74 Ludovico Maria Sforza, Herzog von Mailand 142 Ludwig I. von Luxemburg 85 Ludwig IX. der Reiche, Herzog von Bayern-Landshut 108 Ludwig V. von der Pfalz, Pfalzgraf, Kurfürst (1508–1544) 231 Ludwig von Dampierre, Graf von Nevers 92 Ludwig X., König von Frankreich (1314–1316) 35, 88, 102 Ludwig XI. König von Frankreich (1461–1483) 2, 22, 24, 29, 30, 32, 42, 44, 46, 49–53, 55, 59, 62–65, 68, 70, 71, 74, 78, 80, 83, 84 Ludwig XII., König von Frankreich (1498–1515) 79, 83, 128, 142, 152, 155, 156, 159, 160, 163, 165, 166, 168–176, 181–184, 186, 188, 194, 195, 199, 202–207, 210, 212, 213, 215–218, 221–227, 230, 232, 233, 245 Lunen, Johann von 222 M Machiavelli, Niccolò 220 Maigny, Seigneur de 137 Manuy, Jehan de 61 Marche, Olivier de la 82 Marche, Robert de la 46 Marck, Robert von der 126, 138, 139, 246, 250 Margarete von Österreich 67–69, 71–73, 75, 91, 100–102, 109, 113, 118, 119, 124, 127, 130, 230, 238, 245, 247, 251 Margarete von York 91, 95 Maria I. Tudor, Königin von England (1553–1558) 219 Maria von Burgund, Herzogin von Burgund 2, 23, 24, 26–31, 35, 37, 39–41, 44, 66, 85, 94 Masselin, Jean 86, 87, 252 Matthias Corvinus, König von Ungarn (1458–1490) 54, 89, 125 Mera, Gabrieli de 218 Michon, Pierre 92, 95, 136 Molitor, Dr. Ulrich 103, 117 Monstrelet, Enguerrand de 27

Personenregister |

Montfort, Jean de 120 Mörsperg, Kaspar von 186 N Naturelli, Phillibert 186–188, 191, 195, 196, 198, 200–202, 207 Neudegg, Georg von 183 Numan, Gerard 46 O Ohnefurcht, Johann, Herzog von Burgund 40 Oresme, Nicolas 26 Oriole, Pierre de 25, 40, 42, 43, 250, 251 Orval von 138 P Paradies, Dr. Ludwig 114 Peraudi, Raimund, Kardinal und Bischof von Gurk und von Saintes 99, 179, 180, 185 Petit, Etienne 178 Petras, Dr. 55 Philipp Eberhard von Kleve, Herr zu Ravenstein 94–96 Philipp I. von Habsburg, gen. der Schöne, Herzog von Burgund 23, 68, 72, 73, 75, 120, 124, 125, 128–130, 135–139, 141, 173, 177, 182, 183, 186, 190, 191, 198, 201, 202, 206, 207, 210–213, 217, 219, 224, 250 Philipp I., gen. Philipp von Rouvres, Herzog von Burgund 34, 35 Philipp II. der Kühne, Herzog von Burgund 26, 27 Philipp III., gen. der Gute, Herzog von Burgund 31–33, 40, 41, 70, 227 Philipp IV., gen. der Schöne, König von Frankreich 1285–1314 37, 38 Philipp V., König von Frankreich (1317–1322) 35 Philipp von Daun-Oberstein, Erzbischof von Köln, Kurfürst (1508–1515) 231 Philipp, gen. der Aufrichtige, Pfalzgraf, Kurfürst (1476–1508) 96, 97, 115–117, 148, 151 Pierre de Beaujeu, Herzog von Bourbon 72, 79, 83 Pierre II. von Bourbon, Herzog von Bourbon 138, 139 Plannes, Thomas de 120 Polheim, Wolfgang 119, 120

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Poncher, Étienne de 210, 214 Pontville, Jean de 96, 99 Pot, Philippe 84, 87 Priuli, Girolamo 174 Puissant, Pierre 55, 56 Q Quentin, Jehan 61 R Rijm, Guillaume de 69 Robert III., Graf von Flandern 37 Robertet, Florimond 175, 178, 188, 189, 203, 207 Rochefort, Guillaume de 55 Rochefort, Guy de 30, 128, 188, 189 Roelants, Godefroid 69, 70 Rolin, Antoine 120 Rosier, Bernard de 252 Ruter, Legist 177 S Sacierge, Pierre de 96, 99 Sanudo 158 Sauvage, Jean de 138 Savoyen, Jakob von 46 Schwarzenberg, Walther von 114 Scraper, Aert 60 Serntein, Zyprian von 186, 187, 189–202, 204, 207, 226, 249 Seyssel, Claude de 216 Sforza Visconti, Ascanio Maria 156, 175 Sforza, Ludovico Maria, Herzog von Mailand 146, 156, 160, 175, 182, 212 Sigismund, Römisch-deutscher König (1411–1437), Kaiser (1433–1437) 234 Sigmund von Österreich, Erzherzog von Österreich 97, 119 Spagnolo, Tolomeo 176 Steenwerpere, Jacob 69 Stein, Eitelwolf von 226 T Temploeve, Olivier de 63 Terrevermeille, Jean de 35 Thiart, Estrienne 138 Thouart, Guillaume de 61, 62, 250, 252 Thoulongeon, Claude 55

288 | Personenregister

Toke, Heinrich 144, 145 Trevisano, Benedetto 147 U Uriel von Gemmingen, Erzbischof von Mainz, Kurfürst 231 V Vacquerie, Jean de la 70 Valois, Charles de, Graf von Angoulême 79 Valperge, Philippe de 129 Veyre, Philibert de, gen. La Mouche 96, 99, 120, 128 Villiers de la Grôlaye, Jean de 96, 99 Visconti, Gian Galeazzo, Herzog von Mailand 160, 166 Visconti, Valentiene 160 Vladislav II., König von Böhmen (1471–1516), Ungarn, Kroatien 1490–1516 230

Vlierden, Balthasar de 218 Vornselle, Seigneur de 137 Vraux, Gilles 60 W Wilhelm von Jülich-Berg, Wilhelm III. Herzog von Berg, Wilhelm IV. Herzog von Jülich 93, 113 Wilhelm von Reichenau, Fürstbischof von Eichstätt 120 Wimpfeling, Jakob 102 Wladislav II. König von Böhmen (1471–1516) 121 Wolkenstein, Paul von 187, 193 Z Zollern, Eitelfriedrich II. von Hohenzollern 120, 121, 156 Zurita, Gerónimo 129, 165, 176