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German Pages [301] Year 2018
Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung
Band 22
Herausgegeben vom Vorstand des Forums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit mit der Redaktion des Forums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit, Berlin
Johannes Helmrath / Ursula Kocher / Andrea Sieber (Hg.)
Maximilians Welt Kaiser Maximilian I. im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition
Mit 24 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6223 ISBN 978-3-7370-0884-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Humboldt-UniversitÐt zu Berlin und der UniversitÐt Passau. 2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Der junge Weisskunig und Maria von Burgund im Garten, zw. 1510 und 1515: Abb. 52, Faksimile aus: Der weiss Kunig: e. Erzehlung von d. Thaten Kaiser Maximilians d.1./Von Marx Treitzsaurwein auf dessen Angeben zusammengetragen, nebst d. von Hannsen Burgmair dazu verfertigten Holzschn. Hrsg. aus d. Ms. d. Kaiserl.-Kçnigl. Hofbibliothek (Neudr. d. Ausg. Wien, Kurzbçck, 1775, Kommentar u. Bildkatalog von Christa-Maria Dreissinger. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft mbH 1985).
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Hofkultur Jan-Dirk Müller Imperiale Hofkultur im Blick der Gelehrten. Riccardo Bartolinis Hodoeporicon vom Wiener Fürstentag (1515) . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christina Lutter Zur Repräsentation von Geschlechterverhältnissen im höfischen Umfeld Maximilians I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Claudius Sieber-Lehmann Maximilian I. in astronomisch-astrologischen Druckwerken und Prophezeiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gedächtnis Björn Reich Maximilian und die Leerstelle: Einige Gedanken zur Poetik von Maximilians gedechtnus-Werken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Schubert Maximilian und das Ambraser Heldenbuch. Konzeption und Kontingenz im kaiserlichen Buchprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Elke Anna Werner Des Kaisers neue Bilder. Strategien der Vergegenwärtigung in Maximilians Gedechtnus-Werken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
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Inhalt
III. Außenpolitik und Krieg Mustafa Soykut Mutual Perceptions of Europe and the Ottoman Empire . . . . . . . . . . 139 Heinz Noflatscher Stereotype und Fremdbilder im politischen Verhalten Maximilians I.
. . 159
Manfred Hollegger „Damit das Kriegsgeschrei den Türken und anderen bösen Christen in den Ohren widerhalle.“ Maximilians I. Rom- und Kreuzzugspläne zwischen propagierter Bedrohung und unterschätzter Gefahr . . . . . . . 191 Malte Prietzel „Letzter Ritter“ und „Vater der Landsknechte“. Fürstliche Gewaltausübung als Praxis und Inszenierung . . . . . . . . . . . . . . . . 209
IV. Innenpolitik / Verfassung Reinhard Seyboth Reichsreform und Reichstag unter Maximilian I. . . . . . . . . . . . . . . 227 Reimer Hansen Maximilian I. und die Seelande in der Verfassung des Alten Reiches . . . 259 Gregor M. Metzig Maximilian I. und das Königreich Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Personen- und Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Einleitung*
Manche mögen mit dem Titel Maximilians Welt den Titel eines populärphilosophischen Buches (Sophies Welt) assoziieren. Diese Assoziation auszulösen war sicher nicht die Hauptintention, aber doch ein semantischer Nebenaspekt des Tagungstitels. Denn wenn man über Kaiser Maximilian spricht, geht es tatsächlich um eine ,Welt‘, eine ,reale‘ wie vorgestellte Welt, und eine Welt, die uns nur indirekt durch überlieferte Imaginationen und Wahrnehmungen zugänglich ist. Maximilian I. von Habsburg (1459–1519) ist eine europäische Figur, die in europäischen Dimensionen dachte und plante sowie denken und planen musste. Als einzig überlebender Sohn und Nachfolger Kaiser Friedrichs III. und der Eleonore von Portugal wurde er 1486 Mitkönig vivente imperatore, 1493 Alleinregent als König, 1508 Kaiser. Er gilt als Persönlichkeit, bei der ein überschießender, die tatsächlichen Herrschaftsmittel nicht selten transzendierender ,Möglichkeitssinn‘ der Ideen und Pläne mit pragmatischem ,Wirklichkeitssinn‘ einherging. Intensiv hat man auch den höfischen Humanismus die aktive Geschichts- und Gedächtnispolitik, die systematische Pflege der dynastischen Memoria des „Medienkaisers“ (Heinz Noflatscher) in Texten, Bildern und Zeremonien in den Blick genommen – man denke an die bahnbrechende Gedechtnus-Studie von Jan-Dirk Müller.1 Ein besonderes Faszinosum stellen nach wie vor die dabei entstandenen Bücher und Bilder dar, der Weißkunig, der Theuerdank und der Freydal, ebenso die monumentalen Kupferstichwerke
* Der Band präsentiert die Vorträge, die auf der Berliner Tagung „Maximilians Welt. Kaiser Maximilian I. im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition“ am 19. bis 22. März 2009 anläßlich des 550. Jahrtags der Geburt Maximilians gehalten wurden. Die Tagung kam in Zusammenarbeit des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter-Renaissance-Frühe Neuzeit der Freien Universität, des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zustande. 1 Jan-Dirk Müller : Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der Älteren deutschen Literatur 2), München 1982.
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Einleitung
Dürers und anderer Künstler, der Triumphzug Kaiser Maximilians und die Ehrenpforte. Maximilians ,Reisehof‘ wird im Laufe der Zeit immer mehr als Zentrum vielseitiger multinationaler Akkulturationsprozesse wahrgenommen. Die diplomatische Kommunikation der europäischen Staaten intensivierte sich, erweiterte ihren Radius und prägte die Grundlagen des frühneuzeitlichen Mächtekonzerts aus. Der Habsburger steht ebenso für eine Zeit der Neuorganisation sowohl territorialer Konfigurationen als auch von Wissenssystemen. Hinsichtlich seiner Reformversuche zur Erhöhung der Effizienz von Territorialverwaltung, Finanz- und Militärwesen muss man fragen, wie ,Modernisierung‘ qua Innovation damals überhaupt durchsetzbar war. Hinzu kommt der Umstand, dass Maximilian und seine Zeitgenossen jene atemberaubende Expansion Europas in eine unbekannte ,Neue Welt‘ ebenso erlebten wie die fundamentalen religiösen Umbrüche. Die Anfänge der Reformation fanden noch zu Lebzeiten Maximilians statt. Da die Geschichte selbst aus Wandel und Übergang besteht, liebte es die forschende Nachwelt – und in angemessener Reflexion findet sich dergleichen auch in diesem Band, Brücken- und Übergangsfiguren zu profilieren, etwa auf geistesgeschichtlichem Feld einen Nikolaus von Kues (†1464), auf politischem eben Maximilian, die „Limesfigur“ (Malte Prietzel), den „Mensch an der Zeitwende“ (Manfred Hollegger). Dass der Habsburger seit dem 19. Jahrhundert als rückwärtsgewandter ,letzter Ritter‘ (die Bezeichnung stammt bezeichnenderweise aus dem Jahr 1830) und zugleich als moderner ,Vater der Landsknechte‘ bzw. innovativer erster Kanonier des Reiches betrachtet wurde – und sich wohl auch selbst so sah –, bildet geradezu den Inbegriff der angedeuteten Spannung. Es kommt den Herausgebern und Beiträgern dieses Bandes darauf an, die Paradoxien, Aporien, und Brüche herauszuarbeiten, die sich um 1500 in Europa beispielhaft an der Person Maximilians I. und an seinem Hof angeblich ausmachen lassen, sie aber von den Typisierungen des Geschichtsbildes aus dem 19. Jahrhunderts zu lösen. Es interessiert jenes Changieren zwischen Tradition und Innovation in der Welt eines Kaisers zu hinterfragen, der den Wandel förderte und sich doch mit dem Vergangenen so fest verbunden fühlte. Maximilian wird hier mithin als Kristallisationspunkt einer Diskussion um Reform, Bewahrung und die Installation von Neuem präsentiert. Ein zentrales Thema des politischen und oratorischen Konzerts in Europa bildeten spätestens seit Ende des 14. Jahrhunderts immer wieder ,die Türken‘. Selbst wenn der Schock des Jahres 1453, ausgelöst vom Fall Konstantinopels, des Zweiten Roms, abgeklungen war, blieb vor allem in Süd- und Südosteuropa die Bedrohung durch das expandierende Osmanenreich konstant (1471 Fall von Negroponte/Euböa, 1480 Besetzung von Otranto in Apulien, 1499 bis 1503 türkisch-venezianischer Krieg usw.). Sie vermittelte das Bewusstsein einer steten
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Einleitung
Labilität scheinbar gesicherter Machtverteilungen, zugleich aber einen Sinn für pragmatische modi vivendi. Alle römisch-deutschen Herrscher sahen sich mehr oder weniger mit dem Expansionswillen der Osmanen konfrontiert; so auch Maximilian in der Nachfolge seines Vaters Kaiser Friedrich III. – ein Erbe, das Maximilian neu in seine Herrscherinszenierung, nämlich als Heidenkrieger und Kreuzfahrer in großer Ahnen-Tradition, zu integrieren verstand.2 Dies als Widerspruch zu der tatsächlich geübten pragmatischen Realpolitik Maximilians gegenüber den Osmanen im diplomatischen Spiel der Mächte zu empfinden, wäre anachronistisch. ***
Der vorliegende Band bündelt ausgewählte zentrale Themen, interdisziplinäre Methoden, vor allem der Geschichts- und Bildwissenschaft, der Philologie und Kodikologie und vereint dabei maßgebliche Forscher einer äußerst regen Maximilian-Forschung, die stetig fortschreitet. Sie geht mittlerweile über manche 2 Genannt seien in enger Auswahl: Carl Göllner : Turcica (Bd. I–II: Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts, Bd. III: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert), Bukarest u. a. 1961–1978; Robert Schwoebel: The Shadow of the Crescent. The Renaissance Image of the Turk (1453–1517), Nieuwkoop 1967; Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann (Hgg.): Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000; Almut Höfert: Den Feind beschreiben. ,Türkengefahr‘ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600, Frankfurt a. M. u. a. 2003; Nancy Bisaha: Creating East and West. Renaissance Humanists and the Ottoman Turks, Philadelphia 2004; Margaret Meserve: Empires of Islam in Renaissance Historical Thought, Cambridge/Mass. 2008; Thomas Kaufmann: ,Türckenbüchlein‘. Zur christlichen Wahrnehmung ,türkischer Religion‘ in Spätmittelalter und Reformation, Göttingen 2008; Hartmut Bobzin: Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa, Beirut 2008; Karoline Dominika Döring: Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert. Mit einem Katalog der europäischen Türkendrucke bis 1500 (Historische Studien 503), Husum 2013; Benjamin Weber : Lutter contre les Turcs. Les formes nouvelles de la croisade pontificale au XVe siHcle (Collection de l’Pcole FranÅaise de Rome 472), Rom 2013; Florian Schaffenrath: Riccardo Bartolinis ,Austrias‘ (1516) oder : Wie ein Herrscher zum Feldherrn gegen die Türken wird, in: Portraying the Prince in the Renaissance. The Humanist Depiction of Rulers in Historiographical and Biographical Texts (Transformationen der Antike 44), hg. v. Patrick Baker, Ronny Kaiser, Maike Priesterjahn und Johannes Helmrath, Berlin/Boston 2016, S. 193–213. – Siehe auch: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Ältere Reihe. Deutsche Reichstagsakten. Bd. 19: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. 5. Abt., 2. Teil: Reichsversammlung zu Frankfurt 1454. Bearb. v. Johannes Helmrath, München 2013, besonders S. 34–60 und S. 461–476. Sowie: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe. Bd. 19: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. 5. Abt., 3. Teil: Reichsversammlung zu Wiener Neustadt 1455. Bearb. v. Gabriele Annas, München 2013; in beiden Bänden: Editionen der Türkenreden des Enea Silvio Piccolomini 1454/55. Wenig wahrgenommen werden die älteren Ausstellungskataloge: Gereon Sievernich und Hendrik Budde (Hgg.): Europa und der Orient. 800–1900, Berlin 1989; Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.): Im Lichte des Halbmonds. Das Abendland und der türkische Orient. Vorwort v. Werner Schmidt undWenzel Jacob, Leipzig 1995.
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Einleitung
Fragestellungen und Perspektiven der – freilich nach wie vor unverzichtbaren – fünfbändigen Monumentalbiographie von Hermann Wiesflecker3 weit hinaus, insbesondere was die Bewertung von Hofkultur, Zeremoniell und Herrscherinszenierung angeht.4 Nach Auffassung der Herausgeber hat der Kairos des Zusammenfindens von Forscherpersönlichkeiten nicht bloß eine Addition, sondern eine neuartige Kohärenz historischer Forschung hervorgebracht, von der zu hoffen ist, dass sie wiederum den Ausgangspunkt für neue Fragen, Erkenntnisse und Ideen darstellt. 3 Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., München 1971–1986. Siehe jetzt Manfred Hollegger : Maximilian I., 1459–1519. Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005; Hermann Schreiber : Ritter, Tod und Teufel. Kaiser Maximilian I. und seine Zeit, Gernsbach 2008. 4 Hervorzuheben, da thematisch besonders eng mit der Berliner Tagung verbunden, steht die wesentlich kulturgeschichtlich, auf Austauschprozesse am Hof Maximilians und dessen Gedächtniskultur ausgerichtete Tagung des Wirth Institut for Austrian and Central European Studies der University of Alberta im Oktober 2009 in Edmonton zum Thema Emperor Maximilian I. Perceptions, Transfers, Comparisons. Der entsprechende Band: Heinz Noflatscher, Michael Chisholm und Bertrand Schnerb (Hgg.): Maximilian I. (1459–1519). Wahrnehmung – Übersetzungen – Gender (Innsbrucker Historische Studien 27), Innsbruck 2011. Ebenso thematisch unserer Tagung präludierend: Sieglinde Hartmann und Freimut Löser (Hgg.): Kaiser Maximilian I. (1459–1519) und die Hofkultur seiner Zeit (Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 [2008/ 2009]), Wiesbaden 2009. – Die jüngere Maximilianliteratur kann hier nur punktuell aufgeführt werden. Von besonderer Bedeutung sind die neuen Bände der Deutschen Reichstagsakten: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Bd. 4, Teil 1–2: Reichsversammlungen 1491–1493, bearb. v. Reinhard Seyboth, München 2008, 2 Bde.; dasselbe. Bd. 8, Teil 1–2: Der Reichstag zu Köln 1505, bearb. v. Dietmar Heil, München 2008, 2 Bde.; dasselbe Bd. 9, Teil 1–2: Der Reichstag zu Konstanz 1507, bearb. v. Dietmar Heil, München 2014, 2 Bde; ebenso die mittlerweile bis zum Jahr 1504 vorgerückten Regesten Kaiser Maximilians I. in Abteilung XIV der Regesta Imperii: zuletzt Bd. IV, Teil 1–2: 1502–1504, bearb. v. Hermann Wiesflecker, Inge Wiesflecker-Friedhuber, Manfred Hollegger und Christa Beer, Köln u. a. 2002–2004. Zu Problemen der Edition von Reichstagsakten: Eike Wolgast (Hg.): „Nit wenig verwunderns und nachgedenkens“. „Die Reichstagsakten – Mittlere Reihe“ in Edition und Forschung, Göttingen 2015. Jüngere Sammelbände zu Maximilian: Georg Schmidt-von Rhein (Hg.): Kaiser Maximilian I., Bewahrer und Reformer. Katalog zur Ausstellung in Wetzlar, August–Oktober 2002, Ramstein 2002; Thomas Kuster und Monika Frenzel (Hgg.): Ausstellungskatalog. Maximilian I. Triumph eines Kaisers. Ein Herrscher mit europäischen Visionen. Innsbruck 2005/2006; Eva Michel und Marie Luise Sternath (Hgg.): Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit: [zur gleichnamigen Ausstellung, Albertina Wien, 14. September 2012 bis 6. Januar 2013], München/ London 2012; Udo Friedrich, Matthias Müller, Karl-Heinz Spieß (Hgg.), Kulturtransfer am Fürstenhof. Höfische Austauschprozesse und ihre Medien im Zeitalter Kaiser Maximilians (Schriften zur Residenzkultur 9), Berlin 2013; Sabine Haag, Alfred Wieczorek u. a. (Hgg.): Kaiser Maximilian I. Der letzte Ritter und das höfische Turnier. Regensburg 2014; Jan-Dirk Müller und Hans-Joachim Ziegeler (Hgg.): Maximilians Ruhmeswerk. Künste und Wissenschaften im Umkreis Kaiser Maximilians I., Berlin/Boston 2015. Jan Hendryk de Boer : Unerwartete Absichten – Genealogie des Reuchlinkonflikts (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 94), Tübingen 2016, darin auch zur Rolle Maximilians und seiner Humanisten.
Einleitung
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Der Band weist vier thematische Teile auf: I. Hofkultur, II. Gedächtnis, III. Außenpolitik und Krieg sowie IV. Innenpolitik/Verfassung.
I.
Hofkultur
Jan-Dirk Müller eröffnet den Band mit einem Beitrag zur Verzahnung von Politik und Poesie in der frühneuzeitlichen Hofkultur. Am Beispiel von Riccardo Bartolinis Beschreibung der Reise des Kardinals Matthäus Lang zum Wiener Fürstenkongress von 1515 und dessen Verlauf zeigt er, wie sich das Netzwerk zwischen Machthabern und Gelehrten in einer Phase gesellschaftlicher und höfischer Neustrukturierung gestaltete. Dabei wird deutlich, dass der Humanismus und seine Redekultur „in den höfischen Ritualen randständig“ bleiben, was das Hodoeporicon von Langs Sekretär Bartolini durch Polyfunktionalität und Mehrfachadressierung im Druck zu kompensieren versucht. Die docti am Hof sind in erster Linie Historiographen und Lobredner, stoßen aber gerade durch ihre Traditionsanbindung an Grenzen, die sie durch geschickte Präsentation ihrer Texte und Vernetzung untereinander zu überschreiten suchen, um im höfischen Gratifikationssystem Aufmerksamkeit und Wohlwollen der Fürsten zu erlangen. Aus der Perspektive der Frauen- und Geschlechtergeschichte fokussiert der Beitrag von Christina Lutter transitorische Momente in den Biographien von Maximilians Ehefrauen Maria von Burgund und Bianca Maria Sforza und gewährt neue Einblicke in die Repräsentation von Geschlechterverhältnissen an Maximilians Hof. Während Maria von Burgund zu Lebzeiten in medialen Selbstinszenierungen als aktive und emanzipierte Herrscherin dargestellt wird, erfährt dieses Bild eine sukzessive Korrektur, um idealtypisch in Maximilians memoria-Konzept integriert werden zu können. Durch den frühen Tod der Mutter avanciert Margarete von Österreich letztlich zu einer Transgressionsfigur, die selbständig die genealogischen und religiösen Dispositive des Vaters neu auszuloten weiß. Im Gegensatz zu Maria und Margarete wird der zweiten Gattin Maximilians, Bianca Maria Sforza, von der Forschung meist Defizienz in den Bereichen Bildung und Haushaltsführung oder diplomatische Inkompetenz unterstellt. Dennoch ergibt sich in der Synopse der unterschiedlichen monarchischen Entfaltungsmodelle ein bemerkenswertes Spektrum weiblicher Repräsentationsmöglichkeiten. Publizistischen Ambitionen Kaiser Maximilians widmet sich der Beitrag von Claudius Sieber-Lehmann. In den Blick genommen wurden visuelle Propagandatechniken in astrologisch-astronomischen Drucken etwa der Prognosticatio (1488) von Johannes Lichtenberger oder des Pseudo-Methodius mit einer Einleitung von Sebastian Brant und einem Kommentar von Wolfgang Aytinger. Die
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Einleitung
Drucke wurden mit paradigmatischen Holzschnitten angereichert, die durch Neukontextualisierung nachdrücklich Maximilians unterschwellige Legitimierungsbedürfnisse illustrieren. Insbesondere Elemente aus dem Bereich der Tierallegorese werden dabei für die Fortschreibung innen- und außenpolitischer Feindschaftsstereotype produktiv gemacht. Auch wenn die Bestseller grundsätzlich die Relevanz magischen Denkens indizieren, agierte Maximilian in seine eigenen Entscheidungen unabhängig von den prognostischen Techniken der Astrologie und konzentrierte sich in seiner politischen Propaganda vor allem auf die Nativitätsfrage.
II.
Gedächtnis
Der Beitrag von Björn Reich verweist auf signifikante Details im gedechtnusWerk Maximilians, die sich als Lücken oder Leerstellen charakterisieren lassen: In der Erstausgabe des Theuerdank werfen drei leere Seiten anstelle des vorletzten Kapitels Fragen nach beabsichtigten Brüchen und Leerstellen in der kaiserlichen Selbststilisierung auf. Der historisch nicht stattgefundene, aber in der Erzählung für diesen Punkt angekündigte Türkenfeldzug Maximilians könnte als Signal fungieren, dass diese Aufgabe noch aussteht und damit der Nachwelt übertragen wird. Eine ähnliche Leerstelle im Bildprogramm des Erstdrucks der Ehrenpforte fundiert diese Deutung. Der unterbliebene realpolitische Vollzug des Türkenfeldzugs, der in beiden Werken als Leerstelle markiert wird, verweist nach Reich weniger auf geläufige historiographische Praktiken als vielmehr auf mediale Problemstellen in Maximilians Selbstinszenierungen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Vielschichtigkeit und Unübersichtlichkeit des unvollendeten Weißkunig, in dem historische Fakten so verdichtet und marginalisiert werden, dass der Text einer ironischen Selbstdemontage des Kaisers zuzuarbeiten scheint. Der Beitrag von Martin J. Schubert ist Kontingenzen in der medialen Selbstdarstellung Maximilians im Ambraser Heldenbuch gewidmet. Während sich die Sammelhandschrift zunächst auf den ersten Blick als außerordentliche Hinterlassenschaft von Maximilians Traditionspflege der mittelalterlichen Buchkultur präsentiert, erweisen sich bei genauerem Hinsehen die retroprojektiven Bemühungen als nachhaltig ,gestört‘. Kodikologische Merkmale, autographe Dokumente über enorme verwaltungstechnische Begleitumstände sowie ein inkohärentes Sammlungskonzept indizieren, dass dem Heldenbuch im GedechtnusWerk Maximilians eine Sonderstellung zukam, die autopoietische Dimensionen angenommen hatte und einen beinahe subversiven Charakter entfaltete. In einem gleichsam ,wilden Archiv‘ wurden unikale und disparate Erzählungen unterschiedlichsten Umfangs versammelt, die jenseits der Überblendung von
Einleitung
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Altem und Neuem als etwas bisher undefiniertes Drittes zwischen Innovation und Tradition allererst zu bestimmen wären. Elke Werner geht in Des Kaisers Bilder der Verschiebung vom Text zum Bild anhand des Weisskunigs, der Ehrenpforte und des Triumphzuges nach und bringt dieses Phänomen mit dem Wechsel von der Handschrift zum Druck in Verbindung. Dem Herrscher Maximilian I. bieten sich durch die Druckgraphik neue Möglichkeiten visueller Repräsentation seiner Herrschaft. Das Bild erreicht, wie sich am Beispiel des Weisskunigs zeigen lässt, bei anderer Funktion eine mindestens ebenso wichtige Bedeutung wie der Text. Die großformatigen Bildwerke steigern die räumliche Dimension herkömmlicher Herrschergaben und zeichnen sich durch Festlichkeit und Präsenzeffekte aus. Inwiefern diese ,Gaben‘ allerdings tatsächlich ihren Weg zu den Räumen der Adressaten fanden und damit das Ziel erreichten, gleichzeitig Präsenz des Herrschers und Gedechtnus auszuweisen, ist nicht mehr zu ermitteln.
III.
Außenpolitik und Krieg
Mustafa Soykut weitet den Blick von Maximilian auf ein breiteres Panorama wechselseitiger transkultureller Wahrnehmung des christlichen Europas und des Osmanischen Reiches vom 14. bis in das frühe 19. Jahrhundert aus. Daneben geht es Soykut auch um die Frage nach den historischen Kohärenz- und Erfolgsbedingungen des Osmanischen Staates in seinem Aufstieg vom regionalen Stammesfürstentum zum Weltreich, in steter Wechselwirkung zwischen den durchaus maßgebenden Persönlichkeiten der Sultane mit ihrer Gesetzgebung und der islamischen Shariah. Als Eroberer des byzantinischen Reiches sahen sich vor allem die frühen Sultane, allen voran die Zeitgenossen Maximilians I., Mehmed II. (†1481) und Bayezid II. (†1512), als Nachfolger der römischen Kaiser. Die folgende schlaglichtartige Untersuchung wenig bekannter diplomatischer Berichte europäischer, vor allem venezianischer bzw. päpstlicher, und osmanischer Akteure (letztere existieren freilich erst ab dem späten 17. Jahrhundert), die Paris, Wien und Berlin besuchten und davon berichteten, erhellt die Art und Weise wechselseitiger Wahrnehmung. Trotz der 400jährigen Konfrontation bleibt diese sehr beschränkt, insbesondere jeweils in den Phasen militärischen Überlegenheit der einen oder anderen Seite. Hieran knüpft unmittelbar Heinz Noflatscher an, der allerdings ein systematischeres Stereotypenmodell als Interpretament für die Vorstellungen Maximilians von seinen Gegnern verwendet. Noflatscher stößt dabei auf durchaus individuelle Formen rhetorischer Freund-Feind-Stereotypisierung und Fremdwahrnehmung. Sein Untersuchungsgegenstand ist unter dieser Frage erstmals Maximilians private Korrespondenz mit seiner Tochter, der Erzherzogin Mar-
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Einleitung
garete von Österreich, die sich etwa über den Zeitraum von 1506 bis 1515 erstreckte. Der Briefwechsel ist dominiert von Maximilians kollektivierenden Feindvorstellungen gegenüber Frankreich und Ungarn, wogegen die Türkengefahr lediglich als randständiges Thema in Erscheinung tritt. Ebenfalls suspekt sind ihm die Gemeinde- bzw. die republikanischen Strukturen der Eidgenossen und der Republik Venedig. Die im familiären Kreis konstruierten Feindbilder können freilich nicht generalisiert werden, sind sie doch überformt von Prestigehabitus ebenso wie von pädagogischen Intentionen gegenüber der Tochter. Dennoch lassen sich – unabhängig von Maximilians tagespolitisch wechselnder Rhetorik – anhand der in den Briefen verwendeten Semantik und Metaphorik, etwa aufgrund der antithetischen Argumentationsweisen und des Wiedergebrauchs des Tyrannen-Stereotyps, aus dem Briefwechsel bei entsprechender methodischer Sorgfalt komplexe Wahrnehmungsprofile gegenüber Franzosen und Venezianern ableiten. Manfred Hollegger bringt einleitend ein differenziertes Panorama der Osmanenpolitik Maximilians. Er sieht dabei drei Hauptphasen: a) 1493/94, b) 1495 bis 1507, und c) 1516/17 bis 1518, die er vor allem diplomatiegeschichtlich diachron untersucht und dabei auch wenig bekannte Schriftstücke wie die Korrespondenz Maximilians mit dem Woiwoden Stefan von Moldau präsentiert. Die schon von Enea Silvio Piccolomini (†1464) bedienten Feindbilder, Topoi und Katastrophenszenarien vom Vordringen der Türken bis an den Rhein, werden propagandistisch genutzt, de facto betreibt Maximilian pragmatische Realpolitik, die Verhandlungen und sogar Bündnisangebote an die Osmanen (so 1504 an Bajezid) einschließt, wie sie dann im Mächtekonzert üblich wurden. Im venezianisch-türkischen Krieg von 1499–1503 blieb Maximilian dann tatenlos, spielt die türkische Karte doch gerade in seiner Politik gegenüber dem nach Italien expandierenden Frankreich und gegenüber Venedig eine wichtige instrumentelle Rolle. Versuche, die Türkengefahr als ein lösbares Lokalproblem und die periodischen Kreuzzugsaufrufe als reines Geldbeschaffungsmittel zu betrachten, scheinen quer zum offensichtlichen Zweck der Kreuzzugspläne zu stehen, gerade in Italien und bei der Kurie Maximilians Anspruch auf die Kaiserkrone Nachdruck zu verleihen. Hollegger arbeitet dabei Propagandastrategien der Immunisierung, des Hinterbühnenverhaltens und der medialen Zuspitzung etablierter Topoi heraus, wodurch sich eindeutige Polarisierungen stark relativieren. Fürstliche Inszenierung Maximilians am Beispiel seiner Zweikämpfe und Turniere einerseits, seiner Tätigkeit als Heerführer moderner Kriege mit Kanonen und Landsknechten andererseits untersucht Malte Prietzel. Er problematisiert dabei das Kulturmodell ,Ritterschaft‘ und die Wandlungen seines Wertekanons in maximilianeischer Zeit. Das archaisch anmutende Ritual des Turnierkampfes konnte eben auch an der Schwelle zum 16. Jahrhundert als so-
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zialpragmatisches Handeln politische Wirksamkeit entfalten Den Wahrnehmungskategorien des 19. Jahrhunderts und seinem Etikett des „letzten Ritters“ musste es freilich als anachronistisch oder als ,bloß zeremoniell‘ erscheinen. Prietzel hebt den Zweikampf Maximilians mit dem Ritter Claude de Vauldrey anlässlich des Reichstags zu Worms 1495, den Zeitgenossen wie Ludwig von Eyb ausführlich beschrieben, exemplarisch ins Zentrum. Der Kampf diente der Bestätigung der adlig-ritterlichen Normen und zugleich der öffentlichen Visualisierung herrscherlicher Macht und Gewaltfähigkeit. In der Art, wie der Habsburger Turnier und Fest in die aktuelle Herrschaftsinszenierung einband, sieht Prietzel ihn auf einer Schnittstelle zwischen Tradition und Innovation. Das Praktizieren alter Zeremonien und Rituale geschah mit einem hohen Maß an Reflexivität, mit der überkommene Formen mit zeitgenössischen Inhalten gefüllt und zugleich durch diese Aktualisierung innovativ transformiert werden. Diese Umcodierung wird am Beispiel des Ritterschlags evident, der unter Maximilian nicht mehr als Initiationsritus am Beginn einer ritterlichen Karriere galt, sondern verdienten Kämpfern nach der Schlacht als Auszeichnung verliehen wurde.
IV.
Innenpolitik/Verfassung
Unter dem etablierten, aber nicht zeitgenössischen Stichwort ,Reichsreform‘ beleuchtet Reinhard Seyboth, Editor der Maximilian betreffenden Mittleren Reihe der Deutschen Reichstagsakten, zentrale Kategorien des politischen Systems und deren Umstrukturierung mit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, die er maßgeblich mit der Machtu¨ bernahme durch Maximilian I. verknüpft sieht. Das entscheidende Forum ist der Reichstag, dem Seyboth einen entscheidenden „Modernisierungsschub“, auch in Richtung verstärkter ständischer Partizipation, attestiert. Im Zentrum stehen der Wormser Reichstag von 1495 und seine vielfältigen und fundamentalen Reformgesetze und Neuerungen, wobei Seyboth die Verfassungsentwicklung über die folgenden Reichstage bis 1518 weiterverfolgt. Das Charisma des neuen Monarchen ermöglichte nicht nur eine dynamischere Europapolitik, sondern eröffnete den Reichsständen im Zuge der latent dualistischen Ausformung der Versammlung vom Hoftag zum Reichstag neue Möglichkeiten der Autoregulierung und Ausübung von Partikulargewalt etwa über die Polizeigesetzgebung, die Bettler- und Armenpolitik oder das Münzwesen. Mit dem innenpolitischen Strukturwandel korrespondieren nicht zuletzt ein exponentieller Anstieg des Verwaltungsschrifttums sowie eine spezifische Ambiguität der Reichsstände. Deren Doppelposition als ständische Opponenten gegenüber dem Kaiser, die sich mehr politische Partizipation sicherten, und als Landesfürsten gegenüber den eigenen Ständen habe bisher noch wenig Beachtung gefunden.
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Einleitung
Der Beitrag von Reimer Hansen verfolgt anhand einschlägiger Quellen, wie sich während der Regierungszeit Maximilians I. der historisch-geographische und topographische Begriff der Seelande regional etabliert, und in welchen Kontexten er die Konturen einer reichspolitischen bzw. historisch wirkungsmächtigen Kategorie gewann. Die Argumentation präpariert heraus, dass sich die Urkunden Maximilians über die Einsetzung Herzog Albrechts von Sachsen als Gubernator der Friesischen Lande einer unpräzisen Terminologie bedienen, die zum Teil territorial-grenzüberschreitende Ambitionen des Kaisers widerspiegeln. Machtpolitische Strategien und wirtschaftliches Kalkül verweisen dabei insgesamt auf Sollbruchstellen von Maximilians potestas, dessen praktische Reichspolitik in den Folgegenerationen letztlich an der genossenschaftlichen Herrschaftsbildung ,scheitert‘, was mit dem Ausscheiden der Vereinigten Niederlande aus dem Reichsverband im Westfälischen Frieden sinnfällig wird. Der Beitrag Maximilian I. und das Königreich Portugal von Gregor M. Metzig schließlich beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen dem Haus HabsburgBurgund und der Dynastie Avis. Metzig geht dabei der Frage nach, wie weit ,Maximilians Welt‘ reichte und betrachtet seine machtpolitischen und ökonomischen Überlegungen (neben einer gewissen emotionalen Verbundenheit mit Portugal), die schließlich zur weltweiten Präsenz des Herrschers, respektive der Habsburger, in der Frühen Neuzeit führten. Neben diesen politischen und geostrategischen Betrachtungen wird des Weiteren der Kulturaustausch thematisiert, der neben gegenseitigen Geschenken auch in der höfischen Literatur zu finden ist. Schließlich blieb das enge habsburgisch-portugiesische Verhältnis nach Maximilians Tod bestehen; zum einen durch die doppelte Heiratsverbindung seiner Enkel mit den Avis und zum anderen durch die Herrschaftsübernahme Karls V. im Reich und in den spanischen Königreichen. Wie leicht erkennbar ist, hat sich die Drucklegung des Bandes erheblich verzögert, was die Nerven aller Beteiligten enorm strapaziert hat. Es ist daher an dieser Stelle besonders der Redaktion der Reihe ,Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung‘ sowie allen Beiträgern zu danken, die die Hoffnung auf eine Veröffentlichung nicht verloren haben. Dass nicht alle Beiträge gleichmäßig / jour gehalten wurden, haben die Herausgeber, nicht die Autoren zu verantworten. Berlin / Wuppertal / Passau im März 2018 Johannes Helmrath, Ursula Kocher, Andrea Sieber
I. Hofkultur
Jan-Dirk Müller
Imperiale Hofkultur im Blick der Gelehrten. Riccardo Bartolinis Hodoeporicon vom Wiener Fürstentag (1515)
1. Reichs- und Fürstentage sind Begegnungsstätten für die humanistische Bildungselite im Fürstendienst. Hier trifft sie auf die tatsächlichen Machthaber im frühneuzeitlichen Staat, kann ihre Nähe zu ihnen und ihren Einfluss auf sie demonstrieren. Sie nutzt die neue mediale Situation, die mit der Erfindung des Buchdrucks gegeben ist, um ihre Rolle vor der gelehrten Welt insgesamt sichtbar zu machen.1 Der bloß virtuelle, Raum und Zeit übergreifende Kommunikationskreis der res publica litteraria überschneidet sich dann mit dem institutionell, zeitlich und räumlich begrenzten Kommunikationskreis einer Versammlung von Reichs- und Landständen oder Fürsten und Diplomaten, die face-toface miteinander kommunizieren. Reichs- und Fürstentage sind insofern literaturgeschichtliche Ereignisse. Dem bei dieser Gelegenheit entstehenden und darauf bezogenen Schrifttum haben weder Historiker noch Literarhistoriker allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet, weil es inhaltlich als Quelle meist unergiebig ist und rhetorisch sowie poetologisch Dutzendware darstellt, eine Spielart vormodernen Gebrauchsschrifttums und vormoderner Kasualpoesie. Erst in jüngerer Zeit hat man gesehen, wie eng Politik und Poesie in der frühneuzeit1 Dieter Mertens: Der Reichstag und die Künste, in: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock, hg. v. Wolfgang Harms und Jan-Dirk Müller, Stuttgart/Leipzig 1997, S. 295–314. Eine solche Bedeutung haben Hof- und Reichstage auch schon im Mittelalter – man denke an Barbarossas Hoftag 1184 –, aber der Aufstieg von Gelehrten im Hofdienst seit dem 15. Jahrhundert verstärkt diese Funktion. Der Beitrag führt Überlegungen fort aus JanDirk Müller: Maximilian und die Hybridisierung frühneuzeitlicher Hofkultur. Zum Ludus Dianae und der Rhapsodia des Konrad Celtis, in: Kaiser Maximilian I. (1459–1519) und die Hofkultur seiner Zeit. Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 3–21. Zu Cuspinian vgl. weiterhin: Jan-Dirk Müller: Johannes Cuspinians ,Diarium‘ über den Pressburg-Wiener Fürstentag 1515. Ein Beitrag zum politischen Humanismus in Deutschland, in: Maximilians Ruhmeswerk. Künste und Wissenschaften im Umkreis Kaiser Maximilians I., hg. v. Jan-Dirk Müller und Hans-Joachim Ziegeler, Berlin/Boston 2015, S. 57–68.
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lichen Hofkultur miteinander verknüpft sind2 und wie wichtig diese Verknüpfung für die Erkenntnis des sozialen und kulturellen Gefüges des frühneuzeitlichen Fürstenstaats und des Selbstverständnisses seiner literarischen und politischen Eliten ist.3 Am Beispiel des Hodoeporicon von Riccardo Bartolini4 soll diese Verknüpfung dargestellt werden. Der Gegenstand ist die Reise des Kardinals Matthäus Lang zum Wiener Fürstenkongress (1515) und sein Wirken dort.5 Das Hodoeporicon ist in lateinischer Prosa verfasst, die eine Reihe panegyrischer Versdichtungen rahmt.6 Bartolini war Langs Sekretär und gehörte als solcher zum weiteren Gefolge Kaiser Maximilians I.7 Von ihm stammt neben kleineren poetischen Werken ein monumentales vergilisierendes Epos über den bayrisch-pfälzischen Erbfolgekrieg (1504/1505) und Maximilians Siege darin, die Austrias (zuerst 1516). Sie ist, mehr ihrem Anspruch als ihrer poetischen Qualität nach, ein Specimen humanistischer Erneuerung der höchsten Gattung antiker Dichtung 2 Dieter Mertens: Zu Sozialgeschichte und Funktion des poeta laureatus im Zeitalter Maximilians I., in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18), hg. v. Rainer Christoph Schwinges, Berlin 1996, S. 327–348, bes. S. 334f., 347f.; Albert Schirrmeister : Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert (Frühneuzeitstudien NF 4), Köln u. a. 2003. 3 Vgl. Jan-Dirk Müller : Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982. 4 Odeporicon id est Itinerarium Reuerendissimi in Christo patris et Domini D. Mathei Sancti Angeli Cardinalis Gurcensis coadiutoris Saltzburgensis Generalisque Imperii locumtenentis, Quaeque in conuentu Maximiliani Caesaris Augusti Serenissimorumque regum Vladislai Sigismundi ac Ludouici, memoratu digna gesta sunt per Riccardum Bartholinum perusinum ædita. Cum Gratia et priuilegio, Wien 1515. Benutzt wurde das Exemplar der BSB, Signatur 4 P. lat. 862. Ich verwende die eingeführte Gattungsbezeichnung, nicht die Schreibung des Titels. Anders als das Diarium Cuspinians zum selben Ereignis (s. Anm. 10) wurde der Text nicht in die Volkssprache übersetzt. Zum literarischen Typus Hermann Wiegand: Hodoeporica. Studien zur neulateinischen Reisedichtung des deutschen Kulturraums im 16. Jahrhundert. Mit einer Bio-Bibliographie der Autoren und Drucker (Saecvla spiritalia 12), Baden-Baden 1984. Wiegand nennt Bartolinis Hodoeporicon ein „Prosimetrum“ und vergleicht es mit der menippeischen Satire (wenn auch nicht „herkömlicher [!] Art“, S. 42). Beides ist unrichtig, denn die Verse erscheinen durchweg als selbständige Einschübe in einen Prosatext. 5 Zum politischen Zusammenhang, den schwierigen Verhandlungen und zum Ablauf der Festlichkeiten Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 4: Gründung des habsburgischen Weltreiches. Lebensabend und Tod 1508–1519, München 1981, S. 160–162, 181–204. 6 Eine ausführliche Paraphrase des Textes, die Ermittlung der darin erwähnten Personen und Sachverhalte, eine Beschreibung des politischen Kontextes sowie eine Lebensbeschreibung und Würdigung Bartolinis gibt Stephan Füssel: Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Kaiser Maximilians I. (Saecvla spiritualia 16), Baden-Baden 1987. Für all dies und für die ältere Literatur sei auf diese gründliche Studie verwiesen; vgl. auch Müller (s. Anm. 3), S. 53f. 7 Vgl. Füssel (s. Anm. 6), S. 39–41.
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im Dienste frühneuzeitlicher Herrscher und gibt sich als Kompendium historischen, mythologischen, moralphilosophischen und kosmologischen Wissens.8 Lang stammte aus dem Augsburger Bürgertum, war über geistliche Würden zum Bischof von Gurk und schließlich zum Kardinal aufgestiegen und stand kurz davor, das Erzbistum Salzburg zu übernehmen; vor allem aber war er neben Cyprian von Nordheim, dem Sernteiner, der mächtigste Mann am Hof Kaiser Maximilians I., der in den letzten beiden Jahrzehnten seiner Regierung die Politik maßgeblich bestimmte. Entsprechend bedeutend war sein Anteil am Zustandekommen des Fürstentags.9 Anlass der Schrift war ein Treffen zwischen dem Kaiser und den Königen von Polen und Ungarn, auf dem die Heiratsbündnisse beschlossen wurden, die ein Jahrzehnt später den Habsburgern die Herrschaft über Böhmen und Ungarn einbrachten und damit, zusammen mit der im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts geschlossenen dynastischen Verbindung zu den katholischen Königen von Aragon und Kastilien, die Weltmacht der Casa de Austria begründeten. Die Heiratsverträge waren Teil eines Bündnisses der drei Monarchen, das gemeinsame Aktionen gegen die ,perfiden‘ Türken, die Feinde der Christenheit, zum Ziel hatte. Der ,Kreuzzug‘ gegen die Ungläubigen war bis zuletzt zentrales Vorhaben der kaiserlichen Politik, und so suchte Maximilians Propaganda auch den Wiener Fürstentag durch volkssprachige Lieder und Flugschriften und lateinische Berichte im Reich publik zu machen.10 8 Zur Austrias Füssel (s. Anm. 6), S. 141–206; Müller (s. Anm. 3), S. 174–179. Das Hodoeporicon spielt auf Bl. I2v auf das Werk an („poetice admodum, quamquam sparsim hystoria tractata est“). Zu einer wesentlich positiveren Einschätzung des neulateinischen Epos als gelungene imitatio Vergils kommt Elisabeth Klecker : Kaiser Maximilians Homer, in: Sphairos. Festgabe Hans Schwabl, hg. v. Eugen Dönt, Wien 1994/1995, S. 613–637 sowie dies.: Impius Aeneas – pius Maximilianus. Wiener humanistische Blätter 37 (1995), S. 50–65. 9 Grundlegend mit der älteren Literatur Johann Sallaberger : Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540). Staatsmann und Kirchenfürst im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Bauernkriegen, Salzburg/München 1997; zum Jahr 1515 S. 126–135; zu der von Bartolini geschilderten Reise vgl. S. 128–130. 10 Vgl. Füssel (s. Anm. 6), S. 75. Parallel erschien von Johannes Cuspinian ein Diarium des Treffens [Congressvs ac celeberrimi conventvs Caesaris Maximiliani et Trium Regum Hvngariae, Boemiae, et Poloniae. In Vienna Panoniæ, mense Ivlio. Anno M.D.XV facti, breuis ac uerissima descriptio, Wien 1515. (BSB Res/4 Eur. 331,2). Der eigentliche Text ist überschrieben: Diarium Joannis Cuspiniani prefecti Vrbis Viennensis De congressu Caesaris Maximiliani Augusti et Trium Regum, Hungarie, Boemiæ, et Poloniæ, Vladislai, Lvdovici, ac Sigismvndi. In Vrbe Viennensi facto. XVII. Iulii. Anno Christi. M.D.XV.]. Zu Cuspinian: Hans Ankwicz-Kleehoven: Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Gelehrter und Diplomat zur Zeit Kaiser Maximilians I., Graz/Köln 1959; zum Fürstenkongress S. 78–88; Winfried Stelzer : Cuspinianus, Johannes, in: Verfasserlexikon. Deutscher Humanismus 1480–1520, Bd. 1, Berlin 2006, Sp. 519–537; zum Diarium Sp. 529f. – Es lässt sich schwerlich sagen, dass Cuspinians Bericht dem Bartolinis „sehr weitgehend ähnelt“ (Sallaberger, s. Anm. 9, S. 128). Bei Cuspinian steht die politische Dimension im Vordergrund, die bei Bartolini eine untergeordnete Rolle spielt. Beide Schriften verbucht Wiegand (s. Anm. 4), S. 48 unter
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Lang war einer der Architekten dieser Verbindung. Er bereitete das Treffen zusammen mit den Jagiellonenkönigen in Pressburg vor, vollzogen wurde der Vertragsschluss dann in Anwesenheit des Kaisers in Wien. Der politische Ertrag war zunächst eher karg. Es blieb eine Anzahl ungeklärter Fragen. Maximilian musste, um standesgemäß auftreten zu können, sich erneut bei den Fuggern beträchtlich verschulden. Er stellte wie üblich seine Teilnahme am Türkenkrieg unter eine Reihe von Vorbedingungen. Während die Hochzeit von Maximilians Enkelin Maria mit dem ungarischen Thronfolger Ludwig schon vorher beschlossen worden war, war das Heiratsbündnis eines Habsburgers mit dessen Schwester Anna eher ein Rahmenvertrag, indem Anna entweder mit einem von Maximilians Enkeln (Karl V. bzw. Ferdinand I.) verheiratet werden sollte oder aber – sollte sich beides zerschlagen – der Großvater Maximilian selbst einspringen wollte. Welche Konsequenzen die Abmachungen tatsächlich hatten, zeigte sich erst nachträglich, als König Ludwig von Ungarn 1526 in der Schlacht von Moh#sz fiel, seine Reiche keinen männlichen Erben mehr hatten und die nächsten weiblichen Erben Habsburgerinnen bzw. mit einem Habsburger – Ferdinand I. – verheiratet waren. 1515 befanden sich im Gefolge der Monarchen zahlreiche gelehrte Sekretäre, z. T. mit geistlichen Weihen und manchmal wie etwa Johannes Dantiscus auf dem Sprung zu einer großen kirchlichen Karriere.11 Diese Gruppe war von ähnlichen Treffen her miteinander bekannt und pflegte am Rande der eigentlichen politischen Ereignisse, vor allem wenn diese wieder einmal Leerlauf produzierten, regen Umgang miteinander. Sie agierte aber in einer Umgebung, die noch stark von den alten Machteliten, ihren Lebensformen und politischen Ritualen geprägt war. So berichtet Bartolini vom Nebeneinander der ritterlichadligen und der gelehrten Hofkultur. In diesem Rahmen muss sich das Selbst„Staatshodoeporica“. – Das Diarium wurde noch im gleichen Jahr in die Volkssprache übersetzt. Es lag auch der poetischen Bearbeitung des Benedikt Chelidonius, dem Jakob de Banissis gewidmeten, nur handschriftlich überlieferten De conuentu Diui Caesaris Maximiliani, Regumque Hungariae Boemiae et Poloniae, caeterorumque Sacri Ordinum Jmperii, Principumque, Viennae in Pannonia habito […] F. Benedicti Chelidonii Libri duo, zugrunde; vgl. hierzu Claudia Wiener : Der ,Wiener Kongreß‘ von 1515 als literarisches Doppelprojekt. Zum Verhältnis von Benedictus Chelidonius’ Epos De conventu Divi Caesaris zu Johannes Cuspinians Diarium, in: Iohannes Cuspinianus (1473–1529). Ein Wiener Humanist und sein Werk im Kontext (Singularia Vindobonensia 2), hg. v. Christian Gastgeber und Elisabeth Klecker, Wien 2012, S. 349–373. 11 Zu Johann Dantiscus (1485–1548): Theodor Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie 4, S. 746–750; Markus Krzoska: Johannes Dantiscus (1485–1548) – ein Humanist und Politiker von europäischem Rang, in: „Mein Polen …“ Deutsche Polenfreunde in Porträts, hg. v. Krzysztof Ruchniewicz und Marek Zybura, Dresden 2005, S. 29–54 (mit neuerer Literatur); über ihn und die übrigen am Wiener Kongress beteiligten Gelehrten Füssel (s. Anm. 6), S. 76–78. Dantiscus wirkte vor allem als Diplomat im Dienst des polnischen Königs. Bartolini nennt ihn dessen Sekretär (Bl. D4r).
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verständnis der frühneuzeitlichen Intelligenz im fürstlichen Dienst artikulieren.12 Für beides ist das Hodoeporicon eine noch unerschlossene Quelle. Es ist weiter Symptom des Wandels literarischer Öffentlichkeit als Folge des Medienumbruchs seit Erfindung des Buchdrucks. Unter diesen drei Aspekten soll die Schrift im Folgenden betrachtet werden. Sie entwirft ein Netzwerk von Beziehungen zwischen den Poeten/Oratoren und den Machthabern. Sie suggeriert „politische Einflussnahme“,13 offenbart tatsächlich aber die abhängige Stellung der Humanisten am Hof. Sie beansprucht offiziösen Charakter. Deshalb ist der Titel mit dem Wappen des Kaisers und dem des Kardinals geschmückt.14 Sie versucht mehrere Ziele zugleich zu erreichen; die Schrift als ganze und die vielen in sie eingefügten Verstexte haben unterschiedliche Adressaten, den Kardinal Bibbiena, den Vizekanzler des Königreichs Polen, den Bischof von Breslau u. a., und sie richtet sich zugleich an eine literarische und politische Öffentlichkeit. Darin ist sie typisch für die literaturgeschichtliche Situation um 1500.
2. Bartolinis Bericht setzt mit Langs Reise von Augsburg nach Österreich ein; es schließen sich der Aufenthalt in Pressburg (Posonium) und schließlich das Treffen in Wien an. Es entsteht ein farbiges Bild des frühneuzeitlichen Südostdeutschland, mit einer Fülle von Personen (Fürsten, Adlige, geistliche Würdenträger, Bartolinis Freunde), einer Fülle von Orten, die man berührt, teils mit genauen Beschreibungen, sehenswerten Bauten, wichtigen Reliquien oder Bildwerken; es gibt Nachrichten über Tanzvergnügen, ländliche Feste, hübsche Mädchen und ihren Aufzug, Neidhart und den Veilchenschwank, religiöse Bräuche, Unfälle, unzureichende Sicherung gegen Feuersbrünste, selbst über das Wetter. Hinzukommen bei der Begegnung mit den Fremden aus dem östlichen Mitteleuropa Bemerkungen zu ungewohnten Bräuchen, nationalen Eigentümlichkeiten, fremdartiger Kleidung usw.15 Im Ganzen überwiegt eine rühmende Darstellung, doch finden auch die bekannten Themen der miseria curialium 12 Hierzu Müller (s. Anm. 3), S. 48–55. 13 Füssel (s. Anm. 6), S. 91 spricht von einem „Mittel politischer Einflussnahme“. 14 Durch solche Herrschaftszeichen suchen humanistische Poeten und Oratoren an der Aura der Macht zu partizipieren, so auch Cuspinians Diarium (s. Anm. 10) oder Konrad Celtis’ Ludus Diane (Müller, s. Anm. 1, S. 9). Der offiziöse Charakter zeigt sich auch, wenn gelegentlich diese Herrschaftszeichen ausgetauscht werden. Ein Exemplar des Hodoeporicon für den König von Ungarn z. B. setzt dessen Wappen an die Stelle desjenigen von Lang (Füssel, s. Anm. 6, Farbtafeln 2 und 3). 15 Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung Füssel (s. Anm. 6), S. 102–115, 126–132. Füssels genaue Paraphrase verzeichnet die vielen Beobachtungen Bartolinis zu seiner Umgebung.
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Erwähnung [die für gebildete Ohren schreckliche Musik (Bl. A4v), der grässliche Lärm, den die exotischen Völker für Musik halten (Bl. C2r/v), das elende Quartier (Bl. C3r)]. Insgesamt spiegelt das Hodoeporicon eine Haltung gegenüber der Welt, die Bartolini als charakteristisch für seinen Herrn hervorhebt; er nennt ihn „omnibus in rebus curiosus“ (Bl. A4r), und das lässt sich ebenso über Bartolinis eigenes Interesse an den nebensächlichsten Dingen sagen, angefangen beim Kartenspiel als Zeitvertreib bis zu Details der Salzgewinnung in Reichenhall und dem Salzburger Schnürlregen. Das Hodoeporicon ist Zeugnis einer umfassenden Neugier auf die Welt16 und als solches ein Beispiel humanistischer Historiographie und Ethnographie. Bartolini will wie viele seiner Generation die immer wieder beklagten Versäumnisse des Mittelalters beim Aufzeichnen der eigenen Geschichte wettmachen, indem er ein bedeutendes diplomatisches Ereignis protokolliert. Er greift dabei in die Vergangenheit aus, indem er frühere Großtaten der Beteiligten – etwa Sigismunds gegen die Moskowiter oder Vorkommnisse in Ungarn – erzählt (Bl. C2v–C3r ; D1r ; D2r–D3v). Dazu notiert er aus der leichten Distanz des Ausländers, was einem internationalen Publikum bemerkenswert und fremdartig scheinen könnte.17 So erwähnt er deutsche Ausdrücke, die unbekannt sein könnten, oder übersetzt Ortsnamen ins Lateinische [„ad Vestendorph, nos occidentis uillam dicere possumus“ (Bl. A4r); „Presburgium (Posonium eruditiores uocant)“ (Bl. A4v)]. Er erläutert den uralten Ursprung von Bräuchen wie dem Turnierkampf (Bl. P1r). Besonders interessieren ihn die exotischen Gewänder der Osteuropäer (Bl. C1v ; C2v). Der humanistische Gelehrte ist Zeitzeuge, in dessen verfremdendem Blick sich die zeitgenössische Umgebung zum zeitüberdauernden monumentum formt. Politisch ist das Hodoeporicon nicht allzu aufschlussreich. Wie in den volkssprachigen Propagandaschriften ist das Tauziehen im Hintergrund, sind die mühsam bewältigten Spannungen und die genauen Abmachungen ausgespart. Nur gelegentlich werden Fortgang oder Verzögerung der Beratungen angedeutet (Bl. H2r ; B4v), der Übergang zu Geheimverhandlungen (Bl. C3v) oder die 16 Das Motiv der curiositas findet sich in Cuspinians (s. Anm. 10) Widmung seines Diarium an Jacob Villinger : Allen Menschen gemeinsam sei eine „cupiditas cognoscendi non modo mundana, sed et quae supra nos sunt, et quae vix capere intellectu nostro possumus“ (Bl. A2r). Das ist eine explizite Zurückweisung der Warnung des Augustinus vor weltverfallener curiositas: „quae supra nos nihil ad nos“; sie scheint typisch für das frühneuzeitliche Weltverständnis; vgl. hierzu Jan-Dirk Müller : Curiositas und erfarung der Welt im frühen Prosaroman, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981 (Germanistische Symposien, Berichtsbände V), hg. v. Ludger Grenzmann und Karl Stackmann, Stuttgart 1984, S. 252–271. 17 Trotzdem ist sein Bericht nicht wie die meisten zeitgenössischen aus der Feder von Italienern aus der Außenperspektive gegeben (Füssel, s. Anm. 6, S. 101); er richtet sich wohl an die lateinisch sprechende Öffentlichkeit im Reich.
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Ausarbeitung und Verkündigung der Verträge (Bl. P2r ; Q3v). Der eigentliche politische Anlass – das Bündnis mit zwei ostmitteleuropäischen Nachbarn mit dem Fernziel eines Krieges gegen die Türken – tritt hinter dem dynastischen Ereignis, der Fürstenhochzeit, zurück.18 Dieses Ereignis wird von repräsentativen Auftritten, wechselseitigen Empfängen, Mählern, Gottesdiensten, Turnieren sowie Tanzvergnügen begleitet. Bartolini konzentriert sich auf die Treffen der Großen und ihre wechselseitigen Aufmerksamkeiten. Dazu gehören immer wieder Festreden, vor allem zu Ehren des Kardinals, doch scheinen sie auch sonst selbstverständlicher Bestandteil höfischer Zeremonien zu sein. Mit dem Auftreten der Könige verschiebt sich dann der Hauptakzent aufs Protokoll, auf die unablässig detailliert beschriebenen Sitzordnungen19 bei Tisch, bei der Messe, auf die Rangfolgen bei Begrüßungen, Empfängen, Aufzügen, mit gelegentlichen Hinweisen auf wechselseitige Höflichkeiten. Die Aufmerksamkeit gilt der Erscheinung und Kleidung der kirchlichen und weltlichen Akteure und ihres Gefolges, den ritterlichen Vergnügungen, ob Lanzenstechen, Reiterkampf, Pferderennen oder Jagd, und den Auszeichnungen von Rittern, die sich besonders hervortun. Nur gelegentlich klingt hier die Distanz des – sozial – Außenstehenden an.20 Allerdings erscheint die spätmittelalterliche Hofkultur in gelehrtem Gewand und vor einem veränderten Horizont. Bartolini hebt auch bei repräsentativen Auftritten auf die urbanen Umgangsformen der Mächtigen ab. Wenn er die Gefolgschaften der einzelnen Machthaber miteinander vergleicht, dann kommen andere Kriterien als die der feudalen Kriegergesellschaft ins Spiel. So übertrifft etwa das Gefolge des Kardinals „moribus uitaeque elegantia atque urbanitate“ (Bl. C4r) die Hofleute des ungarischen und polnischen Königs und erregt deren Bewunderung. Bartolini feiert auch weniger die erlauchte lignage der fürstlichen Akteure als die emotional aufgeladenen Familienbande – etwa die 18 Das ist anders bei Cuspinian (s. Anm. 10), der von Anfang an einen Überblick über die kaiserliche Politik gibt und die allgemeine politische Lage erörtert (Bl. a3r/v), auch immer wieder die Schwierigkeit und Langwierigkeit der Verhandlungen, an denen er selbst beteiligt ist, betont (Bl. a6v). Im Übrigen verzeichnet er aber gleichfalls genau Namen, Rang und Aufzug der beteiligten Großen. – Zu Cuspinians Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung des Treffens vgl. Ankwicz-Kleehoven (s. Anm. 10), S. 47–88; Wiesflecker (s. Anm. 5), S. 160, S. 182. 19 Ihnen widmen auch volkssprachige Festbeschreibungen die Hauptaufmerksamkeit; vgl. Michail A. Bojcov : Qualitäten des Raums in zeremoniellen Situationen: Das Heilige Römische Reich, 14.–15. Jahrhundert, in: Zeremoniell und Raum (Residenzenforschung 6), hg. v. Werner Paravicini, Sigmaringen 1997, S. 129–153; ders.: Höfische Feste und ihr Schrifttum. Ordnungen, Berichte, Korrespondenzen, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung 15/III), hg. v. Werner Paravicini, Ostfildern 2007, S. 179–184, insbes. S. 182. 20 So äußert er sich ironisch über die Lächerlichkeit der Teilnehmer an einem Turnier (Bl. B4v ; vgl. Füssel, S. 120).
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Bruderliebe im jagiellonischen Herrscherhaus (Bl. E3r ; E4r), die Umarmungen, die pietas, die Freudentränen brüderlicher Eintracht (Bl. C1v ; L1v) –, die Liebesbekundungen zwischen den Fürsten während der Staatsakte oder die allerhöchste Rührung bei Abschluss der Eheversprechen (Bl. O3v). Die dynastische Politik erhält einen nahezu privaten Zug. Es geht um die humanitas, nicht den Stand der Beteiligten.21 Ein humanistisch geprägtes Menschenbild wird auf die Adelswelt projiziert. Vor allem der Kardinal verkörpert das neue Menschenbild, das auf Bildung, Klugheit, Fleiß, angenehme Umgangsformen gegründet ist.22 Trotzdem sind es letztlich die Rituale dieser Adelswelt, die die imperiale Hofkultur prägen. Die Gelehrten erscheinen manchmal geradezu als Anhängsel: Nach einem Turnier z. B. werden nicht nur verdiente Kämpfer ausgezeichnet, sondern auch einige wenige aus ihrer Gruppe – wenige zwar, doch nicht zu vernachlässigen, wie Bartolini betont: „ut numero impares ita et rebus gestis et doctrinis et studio nullis post ponendi“ (Bl. P1v/P2r).23 Er nennt dies eine weitere Ruhmestat des Kaisers, die ihn antiken Vorbildern an die Seite stelle. Die Auszeichnung der docti – und zwar „militari ornamento“ – scheint sich freilich an den gewöhnlichen Auszeichnungen bei Hof zu orientieren; eine Dichterkrönung hat bei dieser Gelegenheit nicht stattgefunden.24 Doch werden auch andere Formen ,höfischer‘ Geselligkeit erwähnt, Treffen der docti bei Hof und gebildete Unterhaltungen in diesem Kreis. Sie finden ganz buchstäblich am Rande der Zeremonien der Herrschaftsträger statt. Es ist eine andere Welt, in der man sich an der musarum suauitas erfreut (Bl. H2r). Während die Fürsten zeremoniös tafeln, begegnet man sich anderswo „ubi satis et disputando et propinando multo quam ueneramus hilariores discessimus“ (Bl. I3r). So treffen sich beim Vorsteher des Wiener Poetenkollegs Georg Tannstetter (Collimitius) Gelehrte aus dem Umkreis der österreichischen Regierung und konversieren gebildet miteinander (Bl. O4r). Im offiziösen Diarium Cuspinians findet sich nichts von dieser Welt, obwohl Cuspinian doch eigentlich zu 21 In ähnlicher Weise ,vermenschlicht‘ auch Cuspinian (s. Anm. 10) die Vorgänge, betont die Emotionen bei der Begegnung der Fürsten (Bl. A5r), humanissime ablaufende Empfangsszenen (Bl. A5v), die Rührung, die sich beim Abschied allen Umstehenden mitteilt (Bl. d3v). Eine Rede Maximilians beeindruckt selbst seine Kritiker, die gestehen, „eam humanitatem, prudentiam ac dexteritatem nunquam in Caesare ac tanto principe expectasse“ (Bl. c2v). Am Machthaber interessiert die humanitas. 22 Bartolini lobt seine „industria, prudentia, animique excellentia“ (Bl. A2v), seine „summa hilaritas“ (Bl. A3v); nennt ihn „elegantissimus“ (Bl. A5v), rühmt seine Umgangsformen („pacatissimo uultu“, ebd.), seine Sorge („dilectio“) für die Seinen (Bl. B1r), seine Hartnäckigkeit (Bl. H2v) usw. 23 Cuspinian (s. Anm. 10) weiß von solch einer Auszeichnung nichts. Sein Interesse gilt der politischen Teilhabe. 24 Das ist anders bei den Festspielen des Celtis, die umgekehrt die Dichterkrönung zum Zentrum des Panegyricus auf den Fürsten machen [vgl. Müller (s. Anm. 1)]. Zur Dichterkrönung vgl. Schirrmeister (s. Anm. 2).
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ihr gehört und von Bartolini ausdrücklich als vir litteratus apostrophiert wird (Bl. C1r). Die Verschmelzung beider Kulturen bleibt uneingelöstes Programm. Ständische Barrieren scheinen zwar insgesamt weniger hoch,25 doch nicht so sehr die docti bei Hof insgesamt als nicht-fürstliche Mitglieder des Regierungsapparats profitieren davon, zumal wenn sie durch Fachkenntnisse, etwa im Bereich des Rechts oder der Finanzverwaltung, ausgewiesen sind. Der höfische Humanismus bleibt in den höfischen Ritualen randständig, und die Veröffentlichung der Schrift ist ein Versuch, diese Randständigkeit zu kompensieren.
3. Damit komme ich zur zweiten Funktion: das Hodoeporicon als Medium humanistischer Selbstdarstellung. Die Routinetätigkeiten, Schreib- und Kopierarbeiten, die meist auch gelehrte Literaten als Sekretäre und Amanuenses zu erfüllen hatten, finden in Bartolinis Bericht keine Aufmerksamkeit, anders als im Diarium des kaiserlichen Rats Cuspinian, der eine herausgehobenere Position bekleidete, aber von der Wichtigkeit dieser Arbeiten wusste.26 Galten sie als zu subaltern? Waren andere von außerhalb der Gruppe damit befasst?27 Wenn bei Bartolini zuletzt von Entlohnung der oratores, Sekretäre, Amanuenses die Rede ist (Bl. Q3v), wird nicht klar, inwieweit Bartolini und seine Freunde dazugehörten. Bartolini interessiert nur der fürstliche Gesamtaufwand an Geschenken. Er sieht die Aufgabe der Gelehrten woanders, nämlich in der Ausübung der ars rhetorica, die sich in den Dienst des Fürsten, seiner aktuellen Politik wie seiner 25 So wird etwa die Hochzeit Sigmunds von Dietrichstein mit der Tochter Georg Rottals in Anwesenheit der Monarchen gefeiert (Bl. O4v). Bei einem riesigen Festmahl in der Wiener Burg wechseln fürstliche und sonstige vornehme Gäste in bunter Reihe. Weniger etablierte Gelehrte aber – Bartolini, Krachenberger, Stabius, Stiborius, Aegidius Rem – tafeln derweil bei ihrem ,Mäzen‘ Georg Collimitius (Bl. O4r). 26 Cuspinian (s. Anm. 10) erwähnt sie mehrfach, weil für das Vertragswerk wichtig. Die Ergebnisse der Vorverhandlungen „sunt in articulos redacta et scripta, ac ultro citroque pensitata“ (Bl. b1r); nach Abschluß der Hauptverhandlungen mit Maximilian mussten die „litterae contractus“ noch geschrieben werden, was zwei Tage dauerte (Bl. d2r); durch wen, wo und wie das geschah, ist Cuspinian freilich keine Zeile wert, wohl aber dass er das Hauptschriftstück laut auf Deutsch und Latein vor den versammelten Herrschaftsträgern vorliest (Bl. d2v). 27 Ein Fall wie der des Blasius Hölzl zeigt, dass Karrieren von unten sehr hoch hinauf führen konnten und die Grenzen durchlässig waren: überliefert ist ein Streit zwischen Hölzl und einem Adligen über die Ausführung subalterner Routinetätigkeiten, die der Adlige für unter seiner Würde erachtete; hier scheint Hölzl noch in der Defensive. Später dagegen ist er einer der einflussreichsten Amtsleute Maximilians, um dessen Gunst auch gelehrte Literaten sich bemühen; sie tun das, indem sie ihn als einen der ihrigen feiern: Kanzleitätigkeit, Regierungsamt und Gelehrsamkeit werden in der Sammlung von Huldigungen an Hölzl als zusammengehörig dargestellt. Vgl. Müller (s. Anm. 3), S. 34–40, S. 292.
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memoria stellt. Durch eine an klassischen Vorbildern geschulte Redekunst bestimmt die Gruppe ihre Identität. Sie soll nicht nur das Bild für Mit- und Nachwelt formen, sondern sich auch im politischen Alltag bewähren. Die docti bei Hof sind vor der Nachwelt für die Aufzeichnung von res praeclare gestae verantwortlich, als Historiographen. Vor der Mitwelt begleiten sie bedeutsame Ereignisse durch Reden in genere demonstrativo, sind sie Lobredner. Beides kann in Vers und Prosa erfolgen. Doch beanspruchen sie auch, mittels der Macht der paränetischen Rede, Mitgestalter der Politik zu sein. Während der Zusammenhang zwischen der ersten und zweiten Aufgabe fließend ist – die gegenwartsbezogene Rede ist ebenfalls historisches monumentum – ist der Anspruch auf Mitwirkung prekär. Aus der Perspektive Bartolinis und seiner Freunde aber gehören diese Aufgaben zusammen. Man projiziert sich mit Klassikerzitaten ins augusteische Zeitalter und beweist durch geschickt eingebaute Zitate seine Bildung,28 doch immer auch mit dem Ziel, deren politische Relevanz zu erweisen. Eine poetische Sylva des Dantiscus fügt beim Empfang des Kardinals von Esztergom den Scharen ritterlicher und fürstlicher Würdenträger auch die „doctorum clara Virorum/ Concio“ an, wobei er die Grenzen zwischen einflussreichen Politikern und gelehrten Literaten verwischt (Bl. F2r/v): Maximilians Rat Johannes Cuspinianus verdankt ihm zufolge seinen politischen Einfluss seiner Redegabe. Bei Sebastian Sperantius, der ein Jurastudium absolviert hatte, damals zu Langs Mitarbeitern gehörte (vgl. Bl. A5r) und später zum Bischof von Brixen aufstieg,29 hängen Dichtergabe und praktisch-politisch verwertbares Fachwissen zusammen: „Ingenio promptus multum facundus et ore/ Seu leges uel iura patrum uel carmina dicat.“ Es folgen mit Hieronymus Balbus und Jacob Piso zwei am ungarischen Hof einflussreiche Gelehrte, während Riccardo Bartolini – „Egregius Vates“ – und Caspar Ursinus Velius – „Vates et Praeco Caesaris ingens“ – vor allem Dichter sind und gewiss nicht zum inneren Machtzirkel zählen. Auch Dantiscus selbst tritt im Hodoeporicon vornehmlich als Dichter auf, aber als Sekretär des Königs von Polen hat er schon einige bedeutsame politische Missionen hinter sich.30 Ähnlich nennt Caspar Ursinus Velius gelehrte Poeten und einflussreiche Politiker in einem Atemzug, angefangen mit Cuspinian: „mellito fundit ab ore/ Dulcia uerba quibus mollescunt pectora regum“ (Bl. G4r). In der 28 Belege bei Füssel (s. Anm. 6), z. B. S. 76, 90 (Horaz), S. 78 (Apuleius), S. 111 (Plautus), S. 90 (Ovid), S. 93 (Cicero), Vergil (S. 96) u. ö. 29 Sperantius (Sprentz) stammte aus Dinkelsbühl; er starb 1525; er wurde von Lang protegiert, war Jurist, Propst, dann Bischof von Brixen, 1516 zum Priester geweiht. Zu seiner Karriere: Ekkart Sauser : Sebastian II Sprenz, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 17, Hamm 2000, Sp. 1281f. (mit weiterer Literatur); Josef Gelmi: Die Brixner Bischöfe in der Geschichte Tirols, Bozen 1984, S. 116–120. 30 Krzoska (s. Anm. 11), S. 36–39.
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Selbstwahrnehmung handelt es sich um eine geschlossene Gruppe aus Politikern und Literaten. Politik hängt, so wird suggeriert, von den Reden der Politiker und Verhandlungsführer ab. Besonders brilliert Bartolinis Dienstherr Lang. Er habe wahrgenommen, sagt Bartolini, „ut praeponit breuiter ac dilucide ut ornate diuidit. Disputatque subtiliter. Ut resumpcionem rerum in fine faelicissime prosequitur“ usw. (Bl. K2v) Demzufolge wäre Lang nicht nur ein maßgeblicher Politiker, sondern vor allem ein Redner aus dem Lehrbuch, an dem die klassischen Erfordernisse kunstgerechter Rede vorgeführt werden können. Die Kunst politischer Rede ist einer der loci epideiktischer Panegyrik.31 Auch Maximilians Rede wird mit „ornate acuteque“ charakterisiert (Bl. M3r). Allerdings, wie die meisten übrigen politischen Reden, werden diejenigen Langs und Maximilians nur sinngemäß wiedergegeben. (Bl. M2r–M3r).32 Rhetorik wird als entscheidendes Mittel der Politik behauptet; allerdings in actu vorgeführt wird sie in dieser Funktion nicht.33 Das Gewicht liegt eindeutig auf epideiktischer Rede. Die Lob- und Prunkreden der docti thematisieren natürlich ebenso die politischen Ziele des Treffens, so dass sie passagenweise als Beratungsreden in aktueller politischer Auseinandersetzung (suasoria) auftreten. Bartolinis Rede vor den versammelten Fürsten z. B. gibt sich entsprechend als dem genus deliberativum zugehörig, doch die eingefügten „drei parallel gebaute[n] epideiktische[n] Partien zum Lobe des Monarchen“34 enthüllen diesen Anspruch als Camouflage. In ähnlicher Weise kommentieren die übrigen, in die Prosa eingeschobenen Verse die politischen Vorgänge und fordern zu bestimmten Entscheidungen auf, aber das geschieht immer von außen, ist nicht Teil der politischen Willensbildung. In ihrem Kern sind sie deshalb epideiktisch, politischpersuasiv allenfalls in dem Sinne, dass sie die Befähigung der jeweils Angeredeten zum Erreichen just der allgemein als politisch notwendig erachteten Ziele rühmen, indem sie die zu diesem Ziel führenden Wege beschreiben.35 Gegenüber 31 Vgl. Müller (s. Anm. 3), S. 48–50 zur Bedeutung der Rhetorik im politischen Alltag und zu deren Zusammenhang mit der Aufwertung humanistischer Rhetorik. 32 Nur einmal ist ein offizielles Schriftstück inseriert, eine Art Beglaubigungsschreiben König Vladislaus’ II. für seine Gesandten, das vor dem Kaiser verlesen werden soll (Bl. K1r). 33 Das ist anders in Cuspinians Diarium (s. Anm. 10). Cuspinian ist nicht nur Augenzeuge (Bl. A2v), sondern einer der Akteure, der sich selbst ein Denkmal durch die Schrift setzen will, ein Zeugnis seines Lebens „quibusdam monimentis quae extant“ (Bl. A2r). Er hat das Treffen durch zahlreiche Gesandtschaften in Ungarn vorbereitet. 34 Füssel (s. Anm. 6), S. 138. 35 Das zeigt sich erst recht in einer Sammlung von weiteren Reden, die von Gelehrten der Wiener Universität beim Wiener Fürstentag zu Ehren der anwesenden Fürsten gehalten wurden (Orationes Vienna Austriae ad Diuum Maximilianvm Caes. Aug. aliosque illustrissimos Principes habitæ. In celeberrimo trium Regum ad. Caes. conuentu. Anno M.D.XV, Wien 1516). Die 22 Reden spiegeln nicht Diskussionen, die dem Bündnis vorausgehen, sondern rühmen die vornehmen Teilnehmer, angefangen mit den drei Monarchen. Der
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den eigentlichen politischen Verhandlungen sind sie in einer Position der Nachträglichkeit, d. h. sie vollziehen nur nach, was anderwärts längst beschlossen wurde. Was man über den Erfolg solcher Reden erfährt, entspricht kaum dem Bild, das sich die Humanisten von der Kraft und Notwendigkeit der Rede machten: Den politischen Verantwortlichen sind sie hauptsächlich zu lang. Der Kult der Rede scheint in der spätmittelalterlichen Feudalwelt eher auf Unverständnis zu stoßen. Bartolini beklagt sich über die Fürsten seiner Zeit, die Digressionen und allzu viel Schmuck nicht liebten, selbst wenn sie ihr eigenes Lob hörten, und eher Kürze und viele Sentenzen erwarteten; folge man den Vorschriften einer ciceronianischen Beredsamkeit, täten sie etwas anderes oder schliefen; sei eine Rede aber allzu konzis, dann laute der Vorwurf Ignoranz, oder sie gelte als dürr (Bl. B2r). Als er den ehrenvollen Auftrag erhält, eine umfangreiche Rede zu dem großen Anlass vor dem Kaiser vorzutragen, muss er diese Erfahrung selbst machen. Die Zeit Maximilians ist knapp, und so wird Bartolini gleich ein Zeitlimit vorgegeben. Trotzdem kommt er wegen des Lärms der barbarischen Zuhörer und wegen des Krachs wegen eines Umbaus nur dazu, ein Drittel der vorbereiteten Rede vorzutragen; dann bricht er entnervt ab: „tantus deperditorum strepitus increbruit, tanta dissonarum gentium, uocum uarietas inualuit (neque enim fabri lignarii, qui ad concinnandum pro Caesare suggestum uenerat, fragorem numerauerim)“ (Bl. M4r).36 Immerhin, wenigstens der König von Polen habe aufmerksam zugehört, tröstet sich Bartolini – und fügt die Rede seinem Hodoeporicon ein, um ein größeres und günstiger gestimmtes Publikum zu erreichen. Joachim Vadian, der im Namen des Wiener Poetenkollegs sprechen soll, wird gleich bedeutet, er solle seine Rede niederschreiben und, statt sie vorzutragen, schriftlich überreichen (Bl. O4v).37 Die allergnädigste Antwort auf Bezug zum politischen Anlaß geht nicht völlig verloren, tritt jedoch hinter weitschweifigem Lob a persona, a rebus gestis, a maioribus usw. und langen Ausflügen in antike Geschichte und Mythologie ganz in den Hintergrund. 36 Ähnlich schildert Cuspinian den Vorfall (s. Anm. 6, Bl. c3v): „strepitu nobilium, quia audiri non potuit, in medio destitit.“ 37 Sie ist gesondert veröffentlicht (Diuo Maximiliano Ces. Augusto Principi Magnanimo et inuicto. Oratio nomine Gymnasii Viennensis per Ioachimum Vadianum Helueticum […] in celebri summae nobilitatis præsentia exhibita, Wien 1515), findet sich aber auch in der unter Anm. 16 zitierten Sammlung unter dem Titel Ad invictissimvm et magnanimvm Imperatorem Diuum Maximilianvm Cæs. Aug. P.P.F.P. oratio nomine Gymnasii Vienensis per Ioachimum Vadianum Helueticum. Poetam a Cæs. Laureatum XI. KaleÇ. Augusti Anno M.D.XV. exhibita. In der Sammlung umfasst sie 19 Seiten in Quarto (Bl. A3r–B6r). Sie zählt Maximilians Taten, zumal im Krieg auf, greift weit in die antike und mittelalterliche Geschichte aus, rühmt die Tapferkeit der Germani, an die das Imperium gefallen ist (translatio imperii), kommt dann auf das Treffen der Könige zu sprechen, schildert vor allem den prächtigen Einzug der Monarchen und ihres Gefolges in Wien und endet mit einem Ausblick auf künftige Erfolge, indem sie nach den Taten des Vaters Friedrichs III. und Maximilians selbst auf den
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diese Rede, in der Vadian u. a. die Leistungsfähigkeit des Kollegs unter Beweis stellen wollte, gibt ein Sekretär. Er bescheidet, Maximilian werde das Kolleg stets fördern. Das ist offenbar eine eher lästige Pflichtübung, die der Kaiser irgendwelchen Stellvertretern überlässt. So ist die Einschätzung der Rhetorik durchaus zwiespältig: Sie gilt in ciceronianischer Tradition als wesentliches Instrument politischen Handelns, doch wo sie von den docti tatsächlich virtuos gehandhabt wird, ist sie hauptsächlich Schaustück, das manchmal zu viel Zeit kostet. Für die politische Bedeutung, die die öffentliche Rede in der Antike hatte, fehlen die Institutionen, in denen sie ihre Wirkungskraft entfalten könnte.38 Der große rhetorische Auftritt ist nur um den Preis faktischer Wirkungslosigkeit zu haben, als Repräsentationsakt, der neben die übrigen Herrschaftsrituale des frühneuzeitlichen Staats treten kann und bei dessen Vertretern mäßig beliebt ist. Neben die reale Hofkultur, von der Bartolini erzählt, tritt daher eine virtuelle, die vor allem im Medium des Drucks für eine größere Öffentlichkeit die Bedeutung der docti festhält. Die Diskrepanz zwischen tatsächlicher Funktion und Selbsteinschätzung ist noch deutlicher, wo es um poetische laudes geht. Sie werden ausdrücklich gegenüber allen Alltagsgeschäften abgesetzt; sie verdanken sich dem angeblich absichtslosen Spiel des poetischen ingenium. Natürlich sind auch die laudes darauf berechnet, im Gratifikationssystem des Hofs Erfolg zu bringen, einen Erfolg, wie er mit den Routinetätigkeiten eines gewöhnlichen Sekretärs nicht zu gewinnen ist. Das Hodoeporicon stellt diese widersprüchliche Konstellation deutlich aus. Es fingiert einerseits Absichtslosigkeit und berichtet andererseits von zielgerichtetem Handeln, das das vermeintlich spontane poetische Lob zum Vorteil des Dichters bei den Großen bekannt macht. Im Gang der diplomatischen Ereignisse tritt ein Stillstand ein, da Maximilian nicht kommt, um das vorbereitete Bündnis zu vollziehen.39 Man hat also Zeit; die künftigen Ruhm der Enkel verweist. Dass der allzeit ungeduldige Maximilian Besseres zu tun hatte, als sich all dies anzuhören, ist verständlich. 38 Vgl. Müller (s. Anm. 3), S. 49, 296 (mit Literatur). Erasmus von Rotterdam z. B. lässt in seinem Ciceronianus Bulephorus nach dem Nutzen der Redekunst fragen, die weder vor Gericht noch in Ratsversammlungen eine Bedeutung habe, wo Entscheidungen auf ganz andere Weise, und vor allem ohne Beteiligung von litterati zustande kämen [Dialogus cui titulus Ciceronianus sive de optimo dicendi genere […], übersetzt eingeleitet und mit einem Kommentar versehen von Theresia Payr (Ausgewählte Schriften 7), Darmstadt 1972, S. 206, 208]. Wie eine Erneuerung der antiken Redepraxis aussehen könnte, zeigt Cuspinian (s. Anm. 10), wenn er die Versammlung der miteinander verhandelnden und Argumente austauschenden Machthaber als wieder erstandenen römischen Senat feiert (Bl. c2v ; c3r). 39 Das war für den Erfolg des Treffens beinahe verhängnisvoll. Cuspinian (s. Anm. 10) zufolge löste das wiederholte Hinauszögern der Ankunft Maximilians bei den Königen erhebliche Ungeduld aus, die diplomatisch neutralisiert werden musste (Bl. b1r/v). Dieser latente Konflikt deutet sich bei Bartolini allenfalls an, etwa in der Form poetischer Adressierungen an den Kaiser, doch bald zu kommen (Bl. F2v, H1r; vgl. D1v). Auch das Epos des Chelidonius
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Geschäfte ruhen; man erfreut sich an den Musen („musarum suauitate delectamur“, Bl. H2r). Doch wie sieht das aus? Bartolini berichtet, er habe den Tag mit Johannes Dantiscus verbracht, diskutierend, trinkend, der Musik zuhörend („disputando potandoque et festiua Moschorum acromata auscultando“, Bl. D4r). Dantiscus habe ihm – was tut der gute Höfling in seiner Freizeit? – von den Taten seines Herrn, des polnischen Königs, erzählt. Davon sei er, Bartolini, so beeindruckt gewesen, dass er zuhause über das Gehörte sogleich Verse verfasst, genauer : extemporiert habe.40 Doch bleibt es nicht beim selbstgenügsamen Spiel. Er schreibt die Verse auf und fügt sie seinem Hodoeporicon ein. Damit sie schon vorher den König erreichen, schickt Bartolini sie mit einem Widmungsbrief an dessen Vizekanzler, einen Mann „et moribus et litteris elegantissimus“ (Bl. D4r): So greifen Improvisation und Karriereplanung ineinander.41 Wenn Bartolini die ,spontan extemporierten‘ Verse dem Dantiscus zeigt, zieht dieser gleichfalls Verse über König Sigismunds (und seine) Reise von Polen aus der Tasche.42 Um Bartolini neugierig zu machen, sagt er, dass sie auch „Diuini Gurcensis“ laudes enthielten, ein Lob also von Bartolinis Dienstherrn, dem Kardinal Lang. Das interessiert dessen familiaris Bartolini natürlich brennend und veranlasst ihn, auch die Sylva des Dantiscus seinem Hodoeporicon zu inserieren, denn ihm sei darum zu tun, jedes Lob seines Herrn an den Tag zu bringen („ne uspiam Principis mei laudes in occulto delitescerent“, Bl. E2r). So geht das weiter ; am nächsten Tag trifft Bartolini am Donauufer, ganz zufällig und über dies und das nachdenkend („nescio quid nugarum meditans“, Bl. F3r), wieder seinen Kollegen Dantiscus, der ihm diesmal ein poetisches Apophoreticum übergibt, das noch einmal die Weltlage erläutert und ihre Akteure preist; diese Dichtung nimmt er ebenfalls in seinen Bericht auf (Bl. F3v–G3r). Kaum hat er die Verse abgeschrieben, kommt der Poeta und coaulicus Caspar Ursinus Velius mit einer Epistola in Hexametern (Bl. G3r), die ein weiteres Mal den Stoff des Hodoeporicon poetisch verarbeitet: die Reise von Augsburg, das Treffen in Preßburg, das Erscheinen der Könige und Fürsten. All dies ist wieder Anlass, die begnügt sich mit einer knappen Bemerkung, die die Abwesenheit des Kaisers entschuldigt; vgl. Wiener (s. Anm. 10), Ms. S. 6. Beide Male ist der prekäre politische Sachverhalt nicht erkennbar. Solch verunklärende Periphrase ist typisch für die Panegyrik der gelehrten Hofliteraten und setzt sie scharf vom im engeren Sinn politischen Schrifttum ab. 40 „Domum abii uersiculosque quos apposui extemporaliter exaraui“ (Bl. D4r). Die Verse greifen weit aus, sprechen von der Ordnung der Natur (concordia), der Unordnung in der Welt des Menschen, die zur Sicherung des Friedens den starken Fürsten verlangten, eben Sigismund, den Sieger über die Völker des Ostens. Seinem Verständnis nach arbeitet Bartolini mit seinem poetischen Entwurf einer geordneten Welt dem künftigen Bündnis vor. 41 Man kann hier den Bericht schwerlich wörtlich nehmen wie etwa Füssel (s. Anm. 6), S. 123: „Kennzeichnend für die Umgangsformen der litterati ist es, daß sie sich auch im otium allein mit den laudes ihrer Herren befassen.“ 42 De profectione […] Sigismvndi […] post uictoriam contra Moscos in Hungariam Ioannis Dantisci Sylva (Bl. E2v–F3r).
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Beteiligten (Lang eingeschlossen) ausführlich zu rühmen; die Epistola schließt mit einem Appell an Maximilian, bald zu erscheinen (Bl. F3v–H1v). Auch diesen Text inkorporiert Bartolini seinem Werk, zusammen mit weiteren 18 Distichen zum Ruhm des Kaisers als Jäger und Feldherrn. Adressiert ist die Epistola an einen weiteren Großen, Johannes Thurzo, den Bischof von Breslau (Bl. G3v– H1v). Zuletzt fügt Bartolini noch ein Idyllium in matrimonio, eine Dichtung auf die Heirat des ungarischen Kronprinzen mit der Habsburger Prinzessin, ein (Bl. P2v–Q3v). Diesmal gelingt es ihm sogar, es direkt an König Vladislaus zu vermitteln. Allerdings geht seine Rechnung nicht auf, denn er erhält dafür, wie er bitter bemerkt, kein Geschenk (Bl. Q3r). Es ist immer wieder derselbe Stoff, der in Vers und Prosa traktiert wird: die Siege des Polenkönigs, das Lob der Großen, die Notwendigkeit des Bündnisses, der Kampf gegen die Türken, deren Tyrannei, die Einheit einer respublica Christi (Bl. F1r), und es sind immer wieder dieselben Mittel: philosophische Raisonnements über den Kosmos, mythologische Anspielungen, Spolien aus den römischen Klassikern, die die Bildung der Verfasser und ihren gewandten Umgang mit der lateinischen Sprache dokumentieren und einen augusteischen Literatenkreis neu erschaffen sollen. Das soll absichtslos scheinen und gehört doch zur Karriereplanung (Wehe, wenn der Coup misslingt!); es gibt sich anspruchslos und setzt doch den ganzen Apparat humanistischer Bildung in Gang (metrisch korrekte Verse und gesuchte Vergleiche sind umso bewunderungswürdiger, wenn sie vorgeben, improvisiert zu sein). Die Verse geben den aktuellen Entscheidungen kosmische Dimensionen, stilisieren sie z. B. zum Kampf zwischen Chaos und Ordnung, Krieg und Frieden, Zwietracht und Eintracht. Vor allem sollen sie zeigen, wie das freie Spiel des ingenium sich noch dort in den Dienst der res publica stellt, wo der Zwang zum Broterwerb im Hofdienst eine Zeit lang suspendiert ist. Was tatsächlich hinter jener Inszenierung spontaner Epideixis steht, zeigt sich sogleich, wenn der Erfolg bei präsumptiven Gönnern ausbleibt. Im sozialen Zusammenhang des Hofs bleiben selbst die scheinbar spontanen Kunstübungen immer instrumentell.
4. Was bedeutet es, wenn solch ein Text im Druck erscheint? Das Medium verspricht große Reichweite, und so wendet sich das Hodoeporicon an entsprechend viele Adressaten. Es ist ein kompositer Text: Bericht von einem wichtigen politischen Ereignis, Rückblick auf historische Geschehnisse, kulturgeschichtlich interessierte Darstellung von der Umgebung des Treffens und von den Mitspielern, Dokumentation der Teilnehmer und einiger offizieller Akte, Lob der Hauptakteure in Vers und Prosa, Sammlung der angeblich bei dieser Gelegenheit
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entstandenen Dichtungen. Diese Polyfunktionalität ist für viele Drucke im 16. Jahrhundert typisch.43 Über weite Strecken dominiert der Reisebericht mit geographischen, ethnographischen, volkskundlichen, personengeschichtlichen u. ä. Details: Wegbeschreibungen, Ortsnamen, Heiligtümer, besondere Vorkommnisse usw. Hinzutreten, in Vers und Prosa mehrfach rekapituliert, Rückblicke auf die jüngst vergangene Geschichte: Siege des polnischen Königs, Wirren in Ungarn, die Niederlage eines Prätendenten um die Hand der ungarischen Königstochter, die vielen Kriegsschauplätze des Kaisers, von Fall zu Fall auch Nachrichten über die Geschichte einer Stadt, einer Institution, eines Heiligtums. Das Hodoeporicon dient der memoria als typisches Produkt humanistischer Historiographie, Geographie und Ethnographie. Zugleich wirbt es für eine politische Konstellation. Dies geschieht in Konkurrenz zu volkssprachigen Liedern und Flugschriften. Für sie hat sich seit Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem die Preise für Druckerzeugnisse immer weiter gefallen sind, ein Markt geöffnet, auf dem die politischen Mächte sich in der Meinungskonkurrenz zu behaupten haben. Maximilian hat die Chancen, hier für seine Politik zu werben, früh erkannt.44 Dem kommt das Selbstverständnis der humanistischen Gelehrten entgegen. Sie verstehen sich als Wortführer der öffentlichen Meinung, Verwalter des Ruhms und Hüter des Bildes der Geschichte.45 Damit befinden sie sich in einer Medienkonkurrenz mit anderen Organen der entstehenden öffentlichen Meinung, die sich zunehmend der Nationalsprache bedienen. Bartolini trägt am Ende seines Hodoeporicon die Argumente für das gelehrte Latein noch einmal zusammen (Ad lectorem): Nam ea, quae magnifice, excellenterque gesta sunt, nisi eorum dignitatem, atque amplitudinem uerborum cultu, atque ornatu prosequare, idem contingat necesse est, ut pro Elephanto Culicem depingas, atque ea dum leguntur magis risum quam admirationem afferunt, ac tantum abesse arbitror ut res illustres/ inerudite/ incompteque scribi debeant, ut etiam cultissimus in iisdem ornatus requiratur alioqui et nos iudicio caruisse censeremur, et facta dictaque memoratu digna in tenebras a nobis coniici, nedum illustrari uiderentur, Quaquidem in parte uideo complures errare, quippe qui, magis
43 Besonders naturkundliche Werke mit Abbildungen, etwa Tier- oder Kräuterbücher, richten sich nicht nur an Naturkundige, sondern immer auch an allerlei Kunsthandwerker. 44 Jan-Dirk Müller : Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. v. Ute Frevert und Wolfgang Braungart, Göttingen 2004, S. 95–122. 45 Müller (s. Anm. 1), S. 5–9, S. 14–16; (s. Anm. 3), S. 55–65, bes. S. 56; Mertens (s. Anm. 2), S. 337. Das Hodoeporicon wird immer wieder durchsichtig auf Geschichte: das deutsche Frühmittelalter oder die römische Kaiserzeit (Bl. A5r), die Feldzüge des Matthias Corvinus (Bl. B3v), Feldzüge des polnischen Königs gegen die Moskowiter (Bl. D1r u. ö.) oder Unruhen in Ungarn (Bl. D2r–D3r).
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uernaculis suis et iisdem indoctis non citra famæ iacturam consulere, quam rerum præstantia suma [!] cum laude prosequi uelint (Bl. Q4v). (Denn wenn man Wert und Bedeutung hochherziger und glänzender Taten nicht durch kunstvolle und ausgezierte Rede darstellt, wird man statt eines Elefanten einen Floh malen, und sie werden, wenn man das liest, eher Gelächter als Bewunderung erregen. Und so scheint es mir äußerst abwegig, wenn ruhmvolle Geschehnisse ohne Gelehrsamkeit und Kunst beschrieben werden; vielmehr verlangen sie den erlesensten Schmuck. Man würde uns jedes Urteil absprechen, wenn erinnerungswürdige Taten und Aussprüche von uns verfinstert statt in strahlendem Licht ausgestellt würden. In dieser Frage befinden sich meiner Meinung nach viele im Irrtum, die zum Schaden für ihren Ruhm mehr für volkssprachige und ungelehrte Sprecher sorgen, als dass sie für die Vortrefflichkeit der Taten sich um höchstes Lob bemühen.)
Damit stellt Bartolini sich zum einen gegen lateinisch schreibende Autoren wie Cuspinian, der argumentiert, die Taten seien an sich schon so groß, dass sie nicht rhetorisch aufgeblasen werden müssen (Diarium, Bl. d4r). Bartolinis Schrift betont dagegen, dass sich der litteratus bei Hof damit nicht zufrieden geben könne: Er muss Zeitzeuge und Lobredner in einem sein und auf allen Ebenen die Leistung der Redekunst zeigen, daher die Kombination von Prosa-Bericht, Prosa-oratio und Vers.46 Vor allem aber stemmt er sich gegen eine Entwicklung, die schon in der Reformationszeit die Meinungsführerschaft der lateinisch schreibenden Humanisten bedroht. Bartolini sucht die Konkurrenz volkssprachiger Berichte aus dem Feld zu schlagen: Diejenigen irrten, die den Ungelehrten solch eine Aufgabe anvertrauten. Ihm war Konrad Celtis vorausgegangen, der gegen die rhematarii – volkssprachige Verseschmiede bei Hof – polemisierte, deren Werke nur wenige, gewiss aber nicht die europäische Öffentlichkeit, auf die es ankommt, erreichten.47 Die sodalitas eruditorum dagegen ist international. Im Zeitalter der entstehenden Nationalstaaten erweist sich dieses Argument als schwach. Wirksamer ist volkssprachige Publizistik. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts, zumal mit der Entwicklung der süd- und westeuropäischen Nationalsprachen, setzt sich gegen die Aura des Latein die Breitenwirkung des Massenmediums durch. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist das noch nicht absehbar, und Deutschland steht in dieser Entwicklung insgesamt zurück. Während in Burgund, Frankreich, Italien die adlige Hofkultur Domäne der Volks46 Die Verschränkung der Aufgaben zeigt sich schon, wenn einleitend Dantiscus das Hodoeporicon als „historia probata“ empfiehlt, die eine Wahrheit statt bloßer Fiktion zum Gegenstand habe, dies jedoch in Distichen tut, in denen er Gelegenheit hat, den ganzen poetisch-mythologischen Apparat aufzurufen, der in solch einer historia nicht zum Zuge komme (Bl. A1v). Auch sein Lob Bartolinis hebt auf die Doppelfunktion ab: „Seu stricto incedit Vates pede, siue soluto/ Orator, nemo cultior esse potest“ (Bl. A2r); zu der zitierten Stelle vgl. auch Füssel (s. Anm. 6), S. 79. 47 Zu dieser Konkurrenz vgl. Müller (s. Anm. 1), S. 18f.
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sprache ist, wird sie im Reich überwiegend in lateinischen Schriften beschrieben, an deren Stelle erst im 17. Jahrhundert durchweg volkssprachige treten; im 16. Jahrhundert sind sie noch die Ausnahme.48 Volkssprachige Beschreibungen um 1500 sind in Deutschland zunächst noch stärker pragmatisch-registrierend, verzeichnen Gästelisten, Kosten, Umfang des Gefolges und dergleichen.49 Diese pragmatische Funktion hat im Hodoeporicon noch ihre Spuren hinterlassen, wenn Bartolini etwa eine Namensliste der beteiligten Fürsten, Ritter und Honoratioren bringt (Bl. L2v–L4v). Aufzählungen dieser Art finden sich viele, wenn auch in den übrigen Fällen nicht in Listenform (vgl. Bl. C4r ; C4v ; D1r u. ö.). Dadurch und indem er die ritterliche Standeskultur im Umkreis des Hofes beschreibt, konkurriert Bartolini mit der höfischen Laienkultur auf deren ureigenstem Feld, überbietet aber die dürre Nüchternheit volkssprachiger Festbeschreibungen. Weit ausführlicher als die gleichzeitigen volkssprachigen Texte nimmt das lateinische Hodoeporicon barocke Festbeschreibungen vorweg, die der Selbstdarstellung des frühmodernen Staats dienen. Im 17. Jahrhundert stehen für diese Aufgabe die Nachfahren der humanistischen Bildungselite zur Verfügung, deren rhetorische Gewandtheit sich jetzt allerdings in der Volkssprache artikuliert. Insofern lässt sich im Umkreis des Kaiserhofes mit seinem internationalen Personal von einem echten Konkurrenzverhältnis zwischen volkssprachiger und gelehrter Hofliteratur sprechen. Als deren Specimen bietet das Hodoeporicon eine Blütenlese epideiktischer Rhetorik und Poesie am frühneuzeitlichen Hof und zeigt sie als Bestandteil höfischer Kultur : als Produkte von Nebenstunden, als Repräsentationsakte oder auch als politische Beratung. Die Prunkreden werden nur zum Teil gehalten und unter ungeeigneten Umständen. Die poetischen Ergüsse finden vornehmlich im Kreis der docti selbst Interesse und müssen mühsam und manchmal erfolglos erst in den Aufmerksamkeitshorizont der Machthaber eingespeist werden. Der Druck muss es kompensieren, wenn die Verse auf dem Weg zu ihren fürstlichen Adressaten verloren zu gehen drohen oder wenn die Reden nur bruchstückhaft oder gar nicht vorgetragen werden. Mit Hilfe des Drucks kann das Netzwerk50 sichtbar gemacht werden, in dem 48 Hermann Wiegand: Deutsch und Latein in der Dichtung der Frühen Neuzeit. Zu zwei poetischen Bearbeitungen des Heidelberger Schützenfestes von 1554, in: Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklärung, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Amsterdam 1995, S. 119–147, hier S. 146f. 49 Die Typen dieses Schrifttums sind dargestellt und in Auszügen veröffentlicht in: Höfe und Residenzen (s. Anm. 19), insbes. bei Michail A. Bojcov (s. Anm. 19), S. 179–184; vgl. den gesamten Abschnitt ,Höfische Feste‘, S. 179–284, sowie weiteres pragmatisches Schrifttum, S. 525–530. Ähnliches berichten auch die Flugschriften über den Wiener Kongress, vgl. Füssel (s. Anm. 6), S. 75. 50 Eine andere Gelegenheit, ein Netz von Kontakten öffentlich sichtbar zu machen, waren Sammelpublikationen aus Anlass von Dichterkrönungen: „Sie verbinden mit dem Herr-
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die gelehrten Poeten und Oratoren sich durchzusetzen hoffen und das sich in den rüde abgekürzten rhetorischen Festakten und den mit halbem Ohr wahrgenommenen Prunkreden tatsächlich oft als brüchig erweist. Das Netzwerk schließt die weltlichen und geistlichen Fürsten, die hohen, meist geistlichen Funktionsträger der frühneuzeitlichen Territorien und die vielen eruditi in Kanzlei, Universität, persönlichem Gefolge, die bei ihnen weiterzukommen hoffen, zusammen. Mit Reden und carmina suchen die letzteren auf sich aufmerksam zu machen. Wichtiger noch als die Adressaten selbst sind diejenigen, die es von einer ähnlichen Ausgangsposition aus schon geschafft haben, in ein hohes geistliches Amt, in eine wichtige politische Stellung, in die Nähe der Machthaber zu gelangen. Daher gibt es neben der direkten Adressierung an einen der Großen oft noch weitere Paratexte, vor allem die Widmung an jemanden in dessen Umgebung, der das Werk weitervermitteln soll, weil er selbst sich einmal in einer ähnlichen Position wie der Verfasser befunden hat. Bartolinis Hodoeporicon enthält eine ganze Anzahl solcher Doppeladressierungen. Ganz ähnlich ist das in der Sammlung von Begrüßungsreden der Wiener Universität für die Teilnehmer am Wiener Fürstenkongress. Die Sammlung insgesamt ist Kardinal Lang gewidmet, der dank seinen rhetorischen Fertigkeiten ein besonders würdiger Adressat ist.51 Die erste Rede gleich (Vadian an Maximilian) ist zusätzlich Slatkonia, dem Bischof von Wien, zugeschrieben; in der Widmung an ihn wird das Interesse eines weiteren Amtsträgers Maximilians erwähnt, Jakob Spiegels, „iureconsultus et Cæsareis a secretis“; dieser habe Vadian gedrängt, die Rede für den Druck freizugeben (Orationes, Bl. 2v). So baut die Sammlung von Anfang an ein Netzwerk auf, schließt eine der mächtigsten Personen in der Umgebung des Kaisers (Lang), einen geistlichen Fürsten (Slatkonia) und einen der führenden Hofjuristen (Spiegel) mit dem Literaten und Leiter des Poetenkollegs (Vadian) zusammen. Wie ein solches Netzwerk funktioniert, zeigt sich, wenn einige Jahre später ein Teil der subalternen Rhetoren und Poeten – Johannes Dantiscus etwa oder Sebastian Sperantius – einen Bischofsstuhl besitzen, wie ihn 1515 diejenigen innehaben, um deren Gunst und Mittlerdienste sie sich bemühen. Schließlich geht es auch um eine Art Ausstellung humanistischer eruditio. scherpanegyricus eine königlich-höfische Namensschicht und eine gelehrt literarische. Letztere Namensschicht zeigt, dass die Postulanten nicht als isolierte Individuen, sondern als Angehörige einer untereinander kommunizierenden Gelehrtenschicht auftreten“; die Namen der Höherrangigen andererseits belegen – aus der Sicht der Poeten – einflussreiche Freundschaften und bedeuten für jene selbst einen Prestigegewinn, indem sie sich „durch Protektionsgewährung eine Klientel schaffen, die für ihre Stellung […] am Hofe von Bedeutung ist.“ Mertens (s. Anm. 2), S. 342f. 51 Vgl. die Vorrede des Wiener Rektors Christoph Culber (Orationes, s. Anm. 35, Bl. 2r). Es sind wieder die üblichen Tugenden, die an Lang herausgestrichen werden, vor allem seine humanitas.
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Bartolinis abgebrochene und schon zuvor unter Zeitdruck verkürzte Rede erscheint im Druck als Lehrstück kunstvoller Rhetorik. Marginalien verweisen auf den kunstgerechten Aufbau der Rede, die einzelnen Punkte der Argumentation, die necessitas und die vtilitas des Unternehmens, auf die loci der laus der Herrscher und übrigen Protagonisten (Bl. N1r–O3r), alles Dinge, die beim Vortrag untergegangen wären. Insofern ist das Hodoeporicon auch ein rhetorischer Lehrtext. An den zeremoniösen Begrüßungsreden, die zu den Ritualen höfischen Empfangs gehören, werden rhetorische Qualitäten beurteilt, einmal weniger günstig (Bl. A3v), einmal mehr (Bl. C2r). Der Bischof von Fünfkirchen z. B. redet „nimis Asiatice id est copiose“ (Bl. K1v). Damit werden rhetorische Stilnormen zur Diskussion gestellt. Bartolini denkt über die Deutschen als Redner nach; sie seien den römischen Rednern in Ausführung, Disposition, Argumentationstechnik durchaus vergleichbar, doch in ihrer copia eher asianisch als attisch (Bl. B1v),52 und das gelte von lateinischen Rednern heutzutage überhaupt. So trägt der Band zur humanistischen Stildiskussion bei. Schließlich kann die Prosaerzählung wie die eingeschobenen Versdichtungen die Gruppe der docti bei Hof einem größeren Publikum vorstellen. Die intellektuelle Elite hält ihre Nähe zu den Herrschern fest und macht die Öffentlichkeit zum Zeugen ihrer urbanen Umgangsformen am Rande des Kongresses. So feiert Ursinus Velius in seiner Epistola auch die „consuetudo suauis/ Doctorum“, den Umgang mit Cuspinian, Aegidius Rem, Vadian, Cospus, Rudolf Agricola d. J. Auch Dantiscus’ Sylva begnügt sich nicht mit dem Aufzug der Großen, sondern fügt die Gelehrten hinzu: „Venerat huc etiam doctorum clara Virorum/ Concio“, und es folgen Namen: der orator und Arzt Johannes Cuspinian, der Jurist und Sekretär Sebastian Sperantius, der Theologe und ungarische Historiograph Hieronymus Balbus, der ungarische Sekretär Johannes Piso, Bartolini selbst und Caspar Ursinus Velius (Bl. F2r–v). Nicht durch ihre praktischen Fertigkeiten, die die Könige für Routinetätigkeiten brauchen, sind sie rühmenswert, sondern wegen ihrer rhetorischen und poetischen Fähigkeiten, stricto pede siue soluto, am besten in beiden Sprachen Graio et sermone latino. In der Frühgeschichte des Drucks bereitet sich eine Funktionsdifferenzierung zwischen unterschiedlichen Textsorten erst vor. Bartolinis Hodoeporicon muss noch vieles zugleich sein: zeitgeschichtliches Dokument, Historiographie, Reisejournal, Panegyrik, Sammlung humanistischer Hofrhetorik und -poesie und Medium der Selbstdarstellung humanistischer Gelehrter bei Hof. Nicht zuletzt ist es auch ein Dokument der Versuche der frühneuzeitlichen Intelligenz, Posi-
52 Anlässlich einer Rede Sebastian Binderls namens der Universität. Bartolini rühmt, dass Binderl sie nicht „indigena, ut illa in regione animaduerti potest, prolatione“ (Bl. B1v) – also dialektal gefärbt – vorträgt; hierzu Füssel (s. Anm. 6), S. 113.
Imperiale Hofkultur im Blick der Gelehrten
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tionen im spätmittelalterlichen Staat zu besetzen, in den Worten Ulrichs von Hutten: hochzukommen (emergere):53 aliquos iam enim coegimus pudore sui benefacere nobis, qui si nihil aliud, hoc iam acceperunt, quod favere literis, id sit principe dignum. quare consilium est meum, benevolentiam istiusmodi generis hominum modis omnibus captare, ac ubiubi licuerit favori principum retia tendere, et ob id illis adhærere ac publica incunctanter munera obire, ut nos ibi conformemus aliis, præsertim nulla alia via emergere cum videamus eos qui leges profitentur, et theologi qui vocantur, quos et ipsos hæc alit ambitio.54 (Einige haben wir nämlich schon gezwungen, um ihr Gesicht zu wahren, unsere Wohltäter zu sein; wenn sie sonst nichts verstanden haben, dann wenigstens das: dass es einem Fürsten anstehe, die litterae zu fördern. Deshalb ist mein Rat, auf jede erdenkliche Art das Wohlwollen dieses Typs Menschen zu erringen, und wo immer es geht, der Mäzenatengunst der Fürsten Fallen zu stellen [eig.: Netze aufzuspannen] und deshalb in ihre Nähe zu drängen und ohne zögern öffentlich Ämter zu übernehmen, damit wir uns bei Hof anderen anpassen, zumal wir sehen, dass Juristen und Theologen, die derselbe Ehrgeiz beflügelt, auf keine andere Weise emporkommen.)
Das liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für die docta caterva in Preßburg und Wien, die, unentbehrlich für den Geschäftsgang, um weiterzukommen, ihre Netze aufspannen.
53 Vlrichi de Hutten equitis ad Bilibaldum Pirckheymer patricium Norisbergensem epistola vitæ suæ rationem exponens, in: Ulrichs von Hutten: Schriften, hg. v. Eduard Böcking, Erster Band: Briefe von 1506 bis 1520, Leipzig 1859, S. 195–216, wörtlich S. 199f., 205, 208. 54 Hutten (s. Anm. 53), S. 200; typische Aufsteigerkarrieren bei Müller (s. Anm. 3), S. 53f., 297f.; zu Hutten S. 52.
Christina Lutter
Zur Repräsentation von Geschlechterverhältnissen im höfischen Umfeld Maximilians I.
Am 8. Dezember 1477 schreibt Maximilian bald nach der Hochzeit mit Maria von Burgund an seinen Vertrauten Sigmund Prüschenk: Ich hab ein schöns froms tugenhafftigs weib, daz ich mich benuegen laß und danckh gott; sie ist so lang als die Leyenbergerin, von leib klein viel kleiner den die Rosina und schneeweis; ein prauns haar, ein kleins naßl, ein kleins heuptel und antlitz, praun undt grabe augen gemischt, schön undt lauter ; dann daz unter heutel an augen ist etwas herdann gesenkt, gleich als sie geschlaffen hiet, doch es ist nit wol zumerckhen. Der mund ist etwas hoch doch rein und rot. Sonst viel schöner iungfrowen alls ich all mein taag bey einer gesehen hab und frölich.1
Ende November 1494 zitiert der Mailänder Gesandte Pirovano in einem Schreiben an Ludovico Sforza Maximilians Urteil über seine zweite Frau Bianca Maria Sforza: Sie sei nicht weniger schön als die erste, habe aber weniger Erfahrung, doch er hoffe, dass sie sich machen werde. Maximilian, so der Gesandte weiter, sei aber oft nicht da, verbringe den ganzen Tag mit Geschäften und treffe die Königin erst zur Schlafenszeit. Er halte sie in Ehren, soweit ihn die Ehe dazu verpflichte.2 1512, knapp zwei Jahre nach dem Tod Bianca Marias, antwortet Maximilian seiner Tochter Margarethe, Regentin der habsburgischen Niederlande, die ihn hinsichtlich einer neuerlichen Eheschließung beraten hatte, mit einiger Vehemenz: Er wolle sich unter gar keinen Umständen erneut vermählen, sondern habe sich dazu entschieden, keine nackte Frau mehr zu berühren.3
1 Victor von Kraus (Hg.): Maximilians I. vertraulicher Briefwechsel mit Sigmund Prüschenk Freiherrn zu Stettenberg nebst einer Anzahl zeitgenössischer das Leben am Hofe beleuchtender Briefe, Innsbruck 1875, S. 27f. 2 Maffeo Pirovano an Ludovico Sforza vom 23. 11. 1494, Antwerpen, zitiert nach Regesta Imperii (http://regesten.regesta-imperii.de/), hier RI XIV 1, n. 1162, Zugriff vom 05. 05. 2017. 3 Marcel Le Glay (Hg.): Correspondance de l’Empereur Maximilien Ier et de Marguerite d’Autriche, sa fille, gouvernante des Pays-Bas, de 1507 / 1519, Paris 1839 (repr. 1966), Bd. 2, n. 411 vom 18. 9. 1512, S. 37–39, hier S. 37: „Et nous trouvons point pur nulle r8sun bon que
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Solche Erzählungen sind fraglos in mehrfacher Hinsicht attraktiv, aber auch charakteristisch für die anekdotische Darstellungsweise vieler Biografien Maximilians, wo sie als Beispiele für sein Verhältnis zu „den Frauen“ dienen.4 Gegen einen anekdotischen Zugang zur Darstellung historischer Phänomene ist nichts einzuwenden, solange er exemplarische Funktion hat, also dazu dient, über das jeweilige Diktum oder Faktum hinaus das kontextuell und strukturell Symptomatische sichtbar zu machen. Mehr noch: Die angesprochenen Szenen eignen sich hervorragend, Vorstellungen und Darstellungen von Geschlechterrollen und -beziehungen zu analysieren. Sie sind Repräsentationen von Geschlecht aus der Perspektive Maximilians, deren Konstruktion und Artikulation in und von ihrem spezifischen historischen Kontext geformt ist. Ich verstehe Repräsentationen hier in einem semiotischen Sinn als „Bedeutungsproduktionen“, als Herstellungen, Darstellungen und Vorstellungen von Bedeutung. Repräsentationen umfassen also Prozesse der Herstellung von Bedeutung ebenso wie ihre „Ergebnisse“, die in Form von Texten, Bildern, Artefakten überliefert sind. Vorstellungen und Darstellungen bedingen einander wechselseitig. Sie haben Auswirkungen in der kulturellen Praxis, indem Menschen kulturelle Muster als Vorbilder verwenden, sie umformen und dabei Spuren in der Überlieferung hinterlassen.5 Schön, fromm, tugendhaft – und fröhlich nennt der 18-jährige Maximilian seine 20-jährige Ehefrau Maria; 17 Jahre später beschreibt der 35-jährige König die 22-jährige Bianca Maria im Vergleich mit Maria als nicht weniger schön, dafür aber unerfahren. Welche Rollenbilder kommen hier zum Ausdruck? Welche Vorstellungen von Schönheit und Tugend? Inwieweit sind sie geschlechtlich markiert? Im ersten Brief Maximilians fallen die Details der physischen Darstellung Marias auf – bis hin zum leicht gesenkten unteren Augenlid. Der Bericht des mailändischen Gesandten thematisiert recht offen die gemeinnous nous devons franchement marier, maHs avons plus avant mys nostre d8lib8ration et volont8 de jamHs plus hanter faem nue.“ 4 So etwa in der grundlegenden Biografie von Hermann Wiesflecker : Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., Wien 1971–1986, Bd. I, S. 122–136 zur Hochzeit mit Maria v. Burgund sowie zu Bianca Maria Sforza, S. 363–377; vgl. auch den Titel von Paul-Joachim Heinig: Maximilian und die Frauen. In den Fängen der dynastischen Politik, in: Kaiser Maximilian I. Bewahrer und Reformer, hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein 2002, S. 69–81. 5 Roger Chartier : Einleitung: Kulturgeschichte zwischen Repräsentationen und Praktiken, in : Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, hg. v. Roger Chartier, Frankfurt a. M. 1992, S. 7–23; vgl. etwa Horst Wenzel: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter (Philologische Studien und Quellen 216), Berlin 2009, Kap. 4. In diesem Zusammenhang auch Christina Lutter : „An das Volk von Venedig“. Propaganda Maximilians I. in Venedig, in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit vom 11.–16. Jahrhundert (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6), hg. v. Karel Hruza, Wien 2002, S. 235–253.
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samen Nächte des Königspaares. Maximilians Brief an seine Tochter ist überhaupt sehr explizit und wirft wie die anderen Quellenbelege Fragen nach Repräsentationen von Intimität auf: Sind diese Beispiele außergewöhnlich oder entsprechen sie zeit- und milieuspezifischen Konventionen? Solche Überlegungen sind seit langem Gegenstand der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Während aber Fragestellungen zu Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnissen gerade für die Frühe Neuzeit eine kaum mehr überschaubare Forschungsliteratur hervorgebracht haben, ist zu diesen Themen für das Umfeld Maximilians I. immer noch vergleichsweise weniger bekannt.6 Während „Maximilians Welt“ aus literatur- und teilweise auch aus kunsthistorischer Perspektive schon seit den 1980er Jahren unter einem im weitesten Sinn kultur- und diskurstheoretischem Blickwinkel betrachtet wurde,7 haben die Abwendung von der traditionellen Politikgeschichte und die Hinwendung zu sozial- und kulturhistorischen Fragestellungen in den deutschsprachigen Geschichtswissenschaften dazu geführt, dass politikgeschichtlich besetzte Felder lange Zeit aus dem Fokus des Interesses geraten sind. Eine Neubewertung des Politischen unter Aspekten von Macht und Repräsentation hat aber seit den 1990er Jahren auch für Forschungen zu „Maximilians Welt“ eine Reihe von Arbeiten zu Strukturfragen seiner Politik, zur personellen Zusammensetzung seines Hofes, zu Selbstbildern und Fremdwahrnehmungen im höfischen Umfeld 6 Aktuell z. B. Allyson M. Poska u. a. (Hgg.): The Ashgate Research Companion to Women and Gender in Early Modern Europe, Farnham 2013; oder der etwas ältere Überblick von Heide Wunder : Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Arbeitsgebiete, Probleme, Perspektiven (100 Jahre Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte), hg. v. Günther Schulz, Stuttgart 2004, S. 305–324; immer noch grundlegend: Georges Duby u. a. (Hgg.): Geschichte der Frauen, 5 Bde., Frankfurt a. M. 1993–1995, Bd. 3, 1994, Frühe Neuzeit. Für Maximilian I. vgl. den Befund von Heinz Noflatscher (Hg.): Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert (Archiv für Österreichische Geschichte 138), Wien 2005, hier S. 18. Auch die Beiträge des von Jan Hirschbiegel herausgegebenen facettenreichen Bandes: Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Residenzenforschung 11), Stuttgart 2000 enthalten wenig zum höfischen Umfeld Maximilians. Jetzt allerdings Heinz Noflatscher, Michael A. Chisholm und Bertrand Schnerb (Hgg.): Maximilian I. 1459–1519. Wahrnehmung – Übersetzungen – Gender (Innsbrucker Historische Studien 27), Innsbruck 2011, besonders Abschnitt III. Gender und Handlungsspielräume, S. 251–301. Vgl. außerdem den anlässlich des 500. Todestages von Bianca Maria Sforza erschienenen, reich ausgestatteten Band von Sabine Weiss: Die vergessene Kaiserin. Bianca Maria Sforza. Kaiser Maximilians zweite Gemahlin, Innsbruck/Wien 2010, sowie die in Anm. 22 genannte Literatur. Zu Maria von Burgund und Margarethe von Österreich vgl. unten S. 49ff. und S. 55f. 7 Grundlegend ist Jan-Dirk Müller : Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982. Aktuell z. B. die Beiträge in Sieglinde Hartmann und Freimut Löser (Hgg.): Kaiser Maximilian I. (1459–1519) und die Hofkultur seiner Zeit, Wiesbaden 2009, sowie in Eva Michel u. a. (Hgg.): Katalog zur Ausstellung Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit in der Albertina, Wien, 14. September 2012 bis 6. Januar 2013, Albertina, München 2012.
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des Königs oder zur politischen Kommunikations- und Konfliktkultur im frühmodernen Europa hervorgebracht.8 Auch die historische Frauen- und Geschlechterforschung hat ihr Frageinteresse längst von ihrem ursprünglichen Fokus auf Frauen als lange unberücksichtigte Gruppe der jeweils betrachteten historischen Gesellschaft auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Normen, Konstruktionen von geschlechtlich markierten Rollenbildern und der sozialen Praxis historisch situierter Männer und Frauen hin erweitert. Hinsichtlich der Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen Geschlecht, Herrschaft und Politik geht es in historischer Perspektive daher nicht mehr darum, „Ausnahmefrauen“ zu porträtieren, sondern strukturelle und diskursive Grenzen und Möglichkeiten des politischen Handelns von Frauen und Männern unter dem Aspekt von Geschlechterordnungen zu analysieren.9 Der Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Frauen und Männern und ihren jeweiligen Bewertungen liegen komplexe und langfristig wirksame kulturelle Konstruktionen zu Grunde. Diese haben ihrerseits den Effekt, dass gerade Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen dort am meisten den Eindruck erwecken, „selbstverständlich“ zu sein, wo sie am erfolgreichsten innerhalb von historischen Diskursen und Machtbeziehungen geformt worden sind und als „verkörperte“ soziale Beziehungen und Identitäten wirken. Es gilt 8 Grundlegend Barbara Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2005. Hier z. B. Heinz Noflatscher : Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480–1530 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte 161), Mainz 1999. Christina Lutter: Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit am Beispiel der diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495–1508) (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 34), Wien 1998. Michael Rohrschneider und Arno Strohmeyer (Hgg.): Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 31), Münster 2007, sowie die Beiträge in diesem Band und in Noflatscher u. a., Maximilian (s. Anm. 6) und Nicole Petzi: Polit-Kommunikation am Hof Maximilians I. Der Zusammenbruch der Pentarchie im Spiegel der Diplomatie (1494–1500), Marburg 2011. 9 Einen guten Überblick bietet Claudia Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen 2005. Grundlegend ist Heide Wunder: „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. Für die hier aufgeworfenen Fragestellungen etwa Regina Schulte (Hg.): The Body of the Queen: Gender and Rule in the Courtly World, 1500–2000, New York u. a. 2006; Letizia Arcangeli und Susanna Peyronel (Hgg.): Donne di potere nel rinascimento (Atti del convegno a Milano, 29.11.–2. 12. 2006), Roma 2008; Katrin Keller (Hg.): Gynäkokratie. Frauen und Politik in der höfischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit (zeitenblicke 8, Nr. 2, Zugriff vom 05. 05. 2017, URL: http:// www.zeitenblicke.de/2009/2/editorial/index_html); Bertrand Schnerb u. a. (Hgg.): Femmes de pouvoir, femmes politiques durant les derniers siHcles du Moyen ffge et au cours de la premiHre Renaissance, Bruxelles 2012; Caroline Levin und Alicia Meyer : Women and Political Power in Early Modern Europe, in: Poska u. a. (wie Anm. 6), S. 341–359.
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daher zu untersuchen, in welchen Prozessen die Wahrnehmung von geschlechtlich markierten Unterschieden zwischen Menschen zur Grundlage für weitere symbolische Klassifikationen wird und wie diese in sozialen Beziehungen und Machtverhältnissen wirksam werden. Geschlecht als soziale Kategorie steht dabei immer in Bezug zu anderen Kategorien der Wahrnehmung, Erfahrung und Bewertung sozialer Beziehungen. Lebensbedingungen und Handlungsspielräume von Menschen werden durch das Zusammenwirken verschiedener Kategorien bedingt, die einander manchmal verstärken, meistens aber entgegengesetzt wirken.10 Gerade diese Widersprüche, Ambivalenzen und Konflikte machen die Konstruktionen sozialer Kategorien und die Prozesse, in denen sie Bedeutung erhalten, überhaupt erst sichtbar. Fragt man nach den zeitspezifischen Bedeutungen von Geschlecht, so stößt man als Leitkategorie dynastischen Denkens zunächst auf das semantische Feld des genealogischen Begriffs „Geschlecht“.11 Dieser unterscheidet sich nur auf den ersten Blick von unserer modernen Fragekategorie, auf den zweiten Blick eröffnet sich eine Reihe von Bezugsfeldern. Politisches Handeln in „Maximilians Welt“ ist über weite Strecken dynastisches Handeln, geprägt von den einander teilweise überlappenden Kategorien Haus, Familie, Verwandtschaft und Freundschaft. Über diese Kategorien wird Herrschaft, werden territoriale, ökonomische und symbolische Machtansprüche nicht ausschließlich, aber doch maßgeblich verhandelt. Die Frage der burgundischen Erbfolge nach dem Tod Karls des Kühnen (1477) führt mitten hinein in dieses komplexe Kategoriengeflecht aus Dynastie und Verwandtschaft und verweist auf die Rolle, welche Geschlecht dabei spielt. Die Konflikte um männliche oder weibliche Sukzession gehörten zu den wesentlichen Gründen für die „hundertjährigen“ Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich: Nachdem die Kapetinger in der männlichen Linie 10 Grundlegend Joan Scott: Gender. A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (1986), S. 1053–1075. Ähnlich bereits Natalie Zemon Davis: Gesellschaft und Geschlechter. Studien über Familie, Religion und die Wandlungsfähigkeit des sozialen Körpers, Berlin 1986; vgl. auch Andrea Griesebner und Christina Lutter (Hgg.): Die Macht der Kategorien. Perspektiven historischer Geschlechterforschung (Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2/2), Innsbruck 2002, besonders Michaela Hohkamp: Im Gestrüpp der Kategorien. Zum Gebrauch von Geschlecht in der Frühen Neuzeit, S. 6–17. 11 Zum Folgenden etwa die Beiträge in Schmidt-von Rhein (s. Anm. 4), v. a. Heinz Noflatscher : Maximilian im Kreis der Habsburger, S. 31–48. Übersicht bei Manfred Hollegger: Maximilian I. (1459–1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive vgl. Heide Wunder (Hg.): Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 28), Berlin 2002, S. 9–27, sowie Michaela Hohkamp: Sisters, Aunts, and Cousins. Familial Architectures and the Political Field in Early Modern Europe, in: Kinship in Europe. Approaches to Long-term Development (1300–1900), hg. v. David W. Sabean, Simon Teuscher und Jon Mathieu, New York/Oxford 2007, S. 91–104.
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ausgestorben waren, ging es darum, englische Ansprüche auf den französischen Thron über die weibliche Linie durch deren grundsätzlichen Ausschluss unter Berufung auf die frühmittelalterliche Lex Salica zu unterbinden.12 Ernst Kantorowicz hat in seiner typologischen Analyse mittelalterlichen Herrschaftsverständnisses anhand der „zwei Körper des Königs“ – des menschlich-leiblichen und des corpus mysticum, aus dem seine dignitas regia hergeleitet wurde – darauf hingewiesen, dass das corpus mysticum zunächst nicht geschlechtlich markiert verstanden worden sei. Erst im französisch-englischen Streit um die Thronfolge sei dieses Verständnis im Zuge der Argumentationen gegen eine kognatische Erbfolge zu Gunsten einer geschlechtsspezifischen hierarchischen Differenzierung aufgegeben worden.13 Unabhängig davon, ob man diesen Prozess der Definition des biologischen Geschlechts als dynastisch maßgebliche Differenzkategorie an diese Ereignisse binden oder als Konfliktfeld im Europa um 1500 sehen will, veranschaulicht die Situation in Burgund, wo seit dem 14. Jahrhundert eine Nebenlinie des französischen Königshauses die Herrschaft innehatte und eine weibliche Erbfolge möglich war, die Brisanz der Frage. Auch im burgundischen Herzogtum war ungeachtet dieser spezifischen Erbfolgeregelung die Nachfolge Marias trotz ihres Status als princesse naturelle nach dem Tod ihres Vaters umstritten.14 Bereits 1473 war klar, dass Karl der Kühne keinen Thronfolger haben würde. Daher wollte der Herzog französischen Thronansprüchen durch eine Verbindung seiner Tochter mit dem habsburgischen Prinzen Maximilian zuvorkommen. Als 12 Martin Kintzinger : Die zwei Frauen des Königs. Zum politischen Handlungsspielraum von Fürstinnen im europäischen Spätmittelalter, in: Hirschbiegel (s. Anm. 6), S. 377–398, hier S. 381. 13 Ernst H. Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 (engl. 1957), hier S. 392. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive die Beiträge in Schulte (s. Anm. 9). 14 Aus der umfangreichen Literatur zur Geschichte Burgunds seien besonders die Arbeiten von Wim Blockmans und Walter Prevenier, etwa: The Promised Lands. The Low Countries under Burgundian Rule, 1369–1530, Philadelphia 1999, sowie von Werner Paravicini genannt, z. B. ders.: Menschen am Hof der Herzöge von Burgund. Gesammelte Aufsätze, hg. von Klaus Krüger u. a., Stuttgart 2002; sowie aktuell ders. u. a. (Hgg.): La cour de Bourgogne et l’Europe. Le rayonnement et les limites d’un modHle culturel, Ostfildern 2012; vgl. weiters Bertrand Schnerb: L’Etat bourguignon 1363–1477, Paris 2005; zusammenfassend z. B. Wim Blockmans: Une Cour, XVII Principaut8s, in: Paravicini, La Cour, S. 783–794, sowie ders., Maximilian und die burgundischen Niederlande, in: Schmidt-von Rhein (s. Anm. 4), S. 51–67; zum Folgenden zudem im Detail: Sonja Dünnebeil: Handelsobjekt Erbtochter – zu den Verhandlungen um die Verheiratung Marias von Burgund, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele (Regesta Imperii, Beihefte 27), hg. v. Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, Wien 2007, S. 159–184. Vgl. Susan Marti u. a. (Hgg.): Karl der Kühne (1433–1477). Kunst, Krieg und Hofkultur (Katalog zur Ausstellung Karl der Kühne (1433–1477), Stuttgart 2008; sowie Jelle Haemers: For the Common Good. State Power and Urban Revolts in the Reign of Mary of Burgundy (1477–1482) (Studies in European Urban History 17), Turnhout 2009.
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Karl aber vier Jahre später ohne Nachfolgeregelung fiel, begann Ludwig IX. prompt mit der Invasion Burgunds. Zwar wurde Maria in dieser Zwangslage als princesse naturelle von den niederländischen Generalstaaten als Herzogin anerkannt, allerdings um den Preis weitreichender Privilegien und nicht ohne dass sich fast alle über die Notwendigkeit ihrer raschen Verheiratung mit dem habsburgischen Thronfolger einig gewesen wären. Maximilian wurde von den Generalstaaten erst 1480 anerkannt, regierte zunächst im Namen seiner Gemahlin und führte in dieser Rolle Krieg gegen Frankreich. Die entscheidende Frage der längerfristigen Nachfolgeregelung und damit des Bestandes sowohl des burgundischen wie des habsburgischen Hauses blieb aber so lange offen, bis das Herrscherpaar sein dynastisches Glück durch die Geburt eines gesunden männlichen Kindes unter Beweis stellen konnte. Bezeichnend ist die Darstellung einer anonymen Chronik, welche die öffentlich in Brügge begangene Taufe des kleinen Philipp am 22. Juni 1478 schildert: Margarethe von York, seine Stiefgroßmutter und Patin, habe den nackten Knaben dem Publikum präsentiert und dabei „seine Hoden in die Hand genommen und gesprochen: ,Kinder, seht hier den neu geborenen Herrn Philipp aus der Linie des Kaisers‘. Als das Volk sah, dass es ein Sohn war, war es überglücklich und dankte und pries unseren geliebten Herrn für den jungen Prinzen.“15 Solche Texte gewähren Einblicke in die Konstruktionsprozesse von Geschlecht, von denen oben die Rede war. Vormoderne Herrschaft erfordert öffentliche Präsenz, um anerkannt zu werden. Sie ist charakterisiert durch eine Kultur der Sichtbarkeit.16 Fürst und Fürstin müssen sich in ihren öffentlichen Selbstdarstellungen als das zeigen, was man von ihnen erwartet, um als legitime Herrscher Akzeptanz zu finden. Diese Erwartungshaltungen orientieren sich an langfristig wirksamen Rollenbildern, die durch ihre Bestätigung in Worten und Taten stabilisiert und durch Abweichungen von ihnen modifiziert werden. Bei15 Zitiert nach Peter Arnade: Realms of Ritual: Burgundian Ceremony and Civic Life in Late Medieval Ghent, Ithaca 1966, S. 22. Dazu Andrea Pearson: Envisioning Gender in Burgundian Devotional Art, 1350–1530. Experience, Authority, Resistance, Abingdon 2005, S. 1f. mit umfassenden Literaturangaben zu Arbeiten aus den Women’s and Gender Studies mit Schwerpunkt auf die burgundischen Niederlande am Beginn der Frühen Neuzeit. Zu Philipp dem Schönen vgl. Jean-Marie Cauchies: Philippe le Beau. Le dernier duc de Bourgogne (Burgundica 6), Turnhout 2003. 16 Vgl. Gerhard Göhler (Hg.): Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht, Baden–Baden 1995; darin v. a. Karl-Siegbert Rehberg: Die Öffentlichkeit der Institutionen. Grundbegriffliche Überlegungen im Rahmen der Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen, S. 181–211; sowie Herfried Münkler : Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, S. 213–230; Barbara Stollberg-Rilinger : Symbolische Kommunikation in der Vormoderne: Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, hier S. 513f. und Horst Wenzel: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005; sowie ders. (s. Anm. 5).
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des, Stabilisierung und Veränderung, erfolgt im Rahmen der performativen Inszenierung öffentlichen Herrschaftshandelns, welches – wie das Beispiel zeigt – gerade auch den physischen der „zwei Körper des Königs“ betrifft. Indem Margarethe explizit das anatomische Geschlecht des Kindes sichtbar macht und bezeichnet, bestätigt sie gleichzeitig seinen symbolischen und tatsächlichen Stellenwert in der in diesem Punkt gerade umstrittenen Geschlechterordnung.17 Wie fragil diese Ordnung jedoch war, wurde durch den Unfalltod Marias 1482 deutlich. Zwar hatte sie in ihrem Testament Maximilian die Regentschaft im Namen des unmündigen Philipp übertragen, aber ohne die Zustimmung der Generalstaaten konnte diese nicht umgesetzt werden. Ohne princesse naturelle als dynastisches Bindeglied konnte weder der männliche Prinzgemahl geschweige denn der zwar dynastisch privilegierte, aber minderjährige Thronfolger viel ausrichten, und es dauerte Jahre, bis es Maximilian gelang, die Situation in den Niederlanden zu stabilisieren. 24 Jahre später (1506) machte der Tod Philipps die Situation erneut prekär. Zwar hatte er mit Juana von Kastilien sechs Kinder, von denen zwei männlich, jedoch erst sechs und drei Jahre alt waren.18 Dass nun die 27-jährige Margarethe, Tochter des Römischen Königs, Schwester des verstorbenen Thronfolgers und Tante des dynastischen Hoffnungsträgers, zur Generalstatthalterin (1507) und bald zur Regentin (1509) der Niederlande bestellt und von den Generalstaaten akzeptiert wurde, hat mit dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren zu tun: Nun selbst princesse naturelle, verfügte Margarethe über den notwendigen dynastischen Hintergrund, als zweifache Witwe stand ihr ein akzeptiertes Rollenmodell christlicher Tradition zur Verfügung, wie auch ein Argument gegen eine Wiederverheiratung. Beides war Voraussetzung für ihre neue Funktion, die sie in den 20 Jahren ihrer Regentschaft zu einem Herrscherinnentypus integrierte, der über mehrere Generationen Modell bildend wirken sollte.19 17 Wie oben Anm. 13; zur performativen Erzeugung von Geschlecht bei der Konstruktion von geschlechtlichen Identitäten und ihren Repräsentationen vgl. grundlegend Judith Butler : Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991 und dies.: Körper von Gewicht, Frankfurt a. M. 1997 (engl. 1993). 18 Zusammenfassend zu den politischen Auseinandersetzungen Maximilians mit den Generalstaaten vgl. Blockmans: Maximilian (s. Anm. 14), S. 61–64. 19 Dazu besonders die Beiträge in Dagmar Eichberger, Anne-Marie Legar8 und Wim Hüsken (Hg): Women at the Burgundian Court: Presence and Influence (Burgundica 17), Turnhout 2010; Dagmar Eichberger (Hg.): Women of Distinction. Margaret of York, Margaret of Austria (Exibition: Women of Distinction, Margaret of York and Margaret of Austria, Mechelen, Lamot, 17.9.–18. 12. 2005), Leuven 2005; Lorraine Attreed: Gender, Patronage, and Diplomacy in the Early Career of Margaret of Austria (1480–1530). in: Mediterranean Studies 20/1 (2012) 3–27; sowie William Monter : An Experiment in Female Governance. The Habsburg Netherlands 1507–1567, in: History Research 3/6 (2013), S. 441–452. Vgl. auch Ursula Tamussino: Margarete von Österreich – Diplomatin der Renaissance, Graz/Wien 1995.
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Die Regentinnen der habsburgischen Niederlande, Margarethe von Österreich, aber auch ihre Nichte und Nachfolgerin in diesem Amt, Maria von Ungarn, vermitteln in zeitgenössischen m8moires und Gesandtschaftsberichten, in Dokumenten ihres Herrschaftshandelns, panegyrischen Würdigungen und Briefwechseln sowie in einer Fülle an bildlicher und materieller Überlieferung und Quellen pragmatischer Schriftlichkeit20 – ein vielschichtiges und oft auch ambivalentes Profil als gendered subjects, das in einer Reihe von neueren Arbeiten eingehend und subtil analysiert wurde.21 Demgegenüber ist das Bild Marias von Burgund vergleichsweise homogen und blass. Dies gilt vor allem für die Perspektive aus „Maximilians Welt“. Ich werde nun diesen Unterschieden nachgehen und die beiden Figuren der Maria von Burgund und ihrer Tochter Margarethe anhand einiger Beispiele als alternative „Idealtypen“ für zeitspezifische Repräsentationsmodelle von Geschlecht vorstellen. Abschließend werde ich einige Überlegungen zur zweiten Ehefrau Maximilians, Bianca Maria Sforza, als Kontrastmodell der zeitgenössischen Überlieferung, aber auch der historischen Forschung anstellen und nach den Gründen für die lange dominierende Reduktion ihres Bildes auf ein misslungenes dynastisches Projekt fragen.22 20 Z. B. Mandate und Hofordnungen, Register und Inventare, Rechnungs– und Gedenkbücher. Eine gute Übersicht über die Quellenlage zum Hof Margarethes bietet Dagmar Eichberger : Leben mit Kunst, Wirken durch Kunst. Sammelwesen und Hofkunst unter Margarete von Österreich, Regentin der Niederlande (Burgundica 5), Turnhout 2002; zu Maria vgl. Martina Fuchs und Orsolya R8thelyi (Hgg.), Maria von Ungarn, eine europäische Persönlichkeit zu Anbruch der Neuzeit. Münster 2007, sowie Orsolya R8thelyi, Ambiguous Loyalties? Mary as Queen of Hungary (1521–1526) In: Marie de Hongrie, hg. v. Bertrand Federinov, Mariemont 2008, S. 13–24. Außerdem den Ausstellungskatalog Mary of Hungary. The Queen and her Court 1521–1531. Exhibition catalogue, hg. v. O. R8thelyi u. a., Budapest: Budapest History Museum, 2005. 21 Z. B. Eichberger (s. Anm. 20), dies. (s. Anm. 19); Barbara Welzel: Widowhood. Margaret of York and Margaret of Austria, ebd., S. 103–113 und dies.: Die Macht der Witwen. Zum Selbstverständnis niederländischer Statthalterinnen, in: Hirschbiegel (s. Anm. 6), S. 287–309; Pearson (s. Anm. 15); dies. (Hg.): Women and Portraits in Early Modern Europe. Gender, Agency, Identity, Aldershot 2008. 22 Vgl. allerdings Weiss (s. Anm. 6) sowie Daniela Unterholzner : Königin Bianca Maria Sforza (1472–1510). Herrschaftliche Handlungsspielräume einer Königin vor dem Hintergrund von Hof, Familie und Dynastie, ungedr. phil. Diss., Innsbruck 2015 (https://danielaunterholzner. wordpress.com/2016/01/16/koenigin-bianca-maria-sforza/; letzter Zugriff am 05. 05. 2017). Zur hier aufgeworfenen Frage vgl. Christina Lutter : Geschlecht, Beziehung, Politik. Welche Möglichkeiten und Grenzen ,erfolgreichen‘ Handelns hatte Bianca Maria Sforza, in: Noflatscher u. a. (s. Anm. 6), S. 251–266; vgl. außerdem die Beiträge von Sabine Sailer, Christina Antenhofer und Daniela Unterholzner in demselben Band, S. 171–189, S. 267–286 und S. 287–301; Patrizia Mazzadi: Bianca Maria Sforza und die Beziehungen des Innsbrucker Hofes zu den wichtigen italienischen Höfen der Renaissance, in: Hartmann/Löser (s. Anm. 7), S. 367–381, sowie Christina Lutter und Daniela Unterholzner : Fürstin ohne Ort. Vom Scheitern der Bianca Maria Sforza, in: Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der
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Vor dem Hintergrund der burgundisch-habsburgischen „Gründungsgeschichte“ erwartet man eine Fülle von Auskünften über Selbst- und Fremdbilder Marias. Die zu ihren Lebzeiten entstandenen bildlichen Repräsentationen wie jene in ihrem berühmten Stundenbuch geben über die Bedeutung religiöser Erziehung, höfischer Frömmigkeit und geistlicher Identifikationsangebote für seine Besitzerin Auskunft.23 Aber die burgundische Überlieferung informiert nicht nur über traditionelle Rollenmodelle christlicher Tugendhaftigkeit, die zum selbstverständlichen Repertoire einer burgundischen Fürstin des 15. Jahrhunderts gehörten. Ebenso wurde Maria als Erbprinzessin mit Vorbildern starker Herrscherinnen konfrontiert, wie etwa die tableaux vivants demonstrieren, die bei den Herrschereinzügen (joyeuses entr8es) Margarethes von York und Marias aufgeführt wurden und die neben anderen die alttestamentarische Judith als Rollenmodell – übrigens auch ein Identifikationsmodell für Männer – präsentierten.24 Maria selbst ließ sich in den wenigen Jahren ihrer Herrschaft mehrfach auf Münzen und in Miniaturen als Reiterin und Jägerin zu Pferd und mit einem Falken in der Hand portraitieren – Darstellungen, die ausdrücklich auf Vorstellungen einer aktiven Herrschaftskonzeption verweisen.25 Die politische Bedeutung der Hochzeit zwischen Maria und Maximilian wurde bereits von den Zeitgenossen hoch eingeschätzt und entsprechend inszeniert. Darüber geben neben den burgundischen chroniques und m8moires in ausdifferenzierter höfischer Tradition auch zahlreiche andere Berichte Auskunft, etwa von Gesandten unterschiedlicher europäischer Provenienz.26 Überall
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Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des IÖG, Band 64), hg. v. Bettina Braun, Katrin Keller und Matthias Schnettger, Wien 2016, S. 65–83. Wien, ÖNB, Cod. 1857, fol. 14v ; dazu Franz Unterkircher (Hg.): Das Stundenbuch der Maria von Burgund. Codex Vindobonensis 1857 der Österreichischen Nationalbibliothek, Graz 1993; Ann M. Roberts: The Horse and the Hawk: Representations of Mary of Burgundy as Sovereign, in: Excavating the Medieval Image: Manuscripts, Artists, Audiences, hg. v. David S. Areford und Nina A. Rowe, Aldershot 2004, S. 135–150; dies.: The Posthumous Image of Mary of Burgundy, in: Pearson (s. Anm. 21), S. 55–70. Welzel: Widowhood und dies.: Macht der Witwen (beide s. Anm. 21) sowie Birgit Franke: Female Role Models in Tapestries, in: Eichberger (s. Anm. 19), S. 155–165 zur burgundischen Tradition dieser Darstellungen auf Bildteppichen. Roberts: The Horse and the Hawk, und dies.: The Posthumous Image (beide s. Anm. 23), S. 56. Überblick bei Wiesflecker (s. Anm. 4), S. 130–135. Für die burgundische Perspektive sind besonders Jean Molinet, Olivier de la Marche und Jean Lemaire de Belges zu nennen. Vgl. Marie Madeleine Fontaine, Olivier de la Marche und Jean Lemaire de Belges: The Author and his Female Patron, in: Eichberger (s. Anm. 19), S. 221–229. Aus der reichen Literatur zum burgundischen Hof im 15. Jahrhundert vgl. die Beiträge in den rezenten Bänden von Anne van Oosterwijk (Hg.): Staging the Court of Burgundy, London/Turnhout 2013 und Paravicini (s. Anm. 14). Vgl. auch Andrew Brown (Hg.): Court and Civic Society in the Burgundian Low Countries (ca. 1420–ca. 1530), Manchester 2007.
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dominieren topische Darstellungen des idealisierten Paares, die Herkunft, Schönheit und Jugend der Brautleute. Diese Topoi haben aber einen ganz konkreten „Sitz im Leben“, da es angesichts pragmatisch dynastischer Prioritäten auffiel, wenn genealogisch und politisch kompatible Partner auch nach lebensweltlichen Gesichtspunkten zueinander „passten“: Ein nahezu gleichaltriges, junges und hübsches Paar war bemerkenswert, gerade weil eine Annäherung an das Ideal dynastischer Verbindung selten erreicht wurde. Gleichzeitig fällt die Offenheit der geschlechtsspezifischen Referenzmodelle auf: Maria ist – wie auf ihren Münzbildern – eine ebenso leidenschaftliche Reiterin wie ihr Bräutigam. Umgekehrt teilt der Prinz die Freude seiner Braut an der burgundischen Fest- und Tanzkultur und das Interesse an den ihr zugrunde liegenden höfischen Rollenmodellen. Einmal erwähnt er die Freizügigkeit des dortigen Frauenzimmers, das anders als in den österreichischen Erbländern bei Tag und Nacht zugänglich sei. Später hat sich Maximilian beim Frauenzimmer Bianca Marias von den burgundischen Gepflogenheiten distanziert. Solche widersprüchlichen Vorstellungen von Geschlechterräumen sind für den „österreichischen Hof“ Maximilians noch im Detail zu erforschen.27 Abweichende Vorstellungen von jenen Marias weisen auch mehrere Porträts auf, die Maximilian lange nach dem Tod seiner Gemahlin, vermutlich im Zeitraum zwischen 1500 und 1510, anfertigen ließ. Alle diese Darstellungen, so Ann M. Roberts, zeigen Maria im Profil – ein Porträttypus, der in der Tradition römischer Kaiserdarstellungen steht und mit dieser imperialen Konnotation auch die entsprechende Autorität annimmt.28 Die posthumen Portraits Marias sind programmatisch. Sie entfernen sich von den Darstellungen ihrer vielfältigeren Rollen zu Lebzeiten zugunsten jenes zeitlosen Typus, dessen Andenken bewahrt werden sollte: Maria bleibt die für immer junge, schöne und tugendhafte, aber auch passive königliche Gefährtin an der Seite des Herrschers. Sowohl der Aspekt der emotionalen Gemeinsamkeit in den zeitnahen Darstellungen des Brautpaares als auch jener der selbständig Herrschaft ausübenden princesse naturelle in den burgundischen joyeuses entr8es und in frühen Porträts Marias treten hinter die programmatische Aussage der Profilbilder zurück. Nun wird Marias Bild als vollkommene Gefährtin ihres königlichen Gemahls idealisiert, auf ein begrenztes Spektrum an Bedeutungen reduziert und dieses festgeschrieben.29 Von den schriftlichen Quellen aus dem Blickwinkel von „Maximilians Welt“ 27 Vgl. Maximilians Bericht aus Brügge vom 8. 12. 1477 an Sigmund Prüschenk in: Kraus (s. Anm. 1), hier S. 28. Vgl. Hirschbiegel (s. Anm. 6) sowie die in Anm. 22 genannte Literatur. 28 Abb. 1: Maria von Burgund (1458–1482), Halbfigur im Profil, um 1500, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie (GG_4400). Vgl. dazu Roberts: The Posthumous Image (s. Anm. 23), S. 60f. 29 Vgl. Roberts: The Posthumous Image (s. Anm. 23), S. 64.
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Abb. 1: Maria von Burgund (1458–1482), Halbfigur im Profil, um 1500, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie (GG_4400).
gibt neben der schmalen Korrespondenz seiner burgundischen Jahre zu Lebzeiten Marias vor allem das sogenannte „Ruhmeswerk“ des Herrschers Auskunft über die Repräsentation seiner ersten Ehefrau und das damit verbundene, kanonisierte Beziehungsmodell.30 Insgesamt ist es mit seinen vielfach aufeinander bezogenen Darstellungen, die im Zusammenwirken der gelehrt-höfischen Umgebung Maximilians über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten recherchiert und ausgearbeitet wurden, ein „Maximalprogramm“ dynastischen Denkens und Handelns.31 Gedechtnus dient der Sicherung von Ruhm und Gedenken bei den Zeitgenossen wie in der Nachwelt. So sehr dabei der Herrscher selbst im Zentrum steht, so maßgeblich geht es um die Einbettung seiner „gedechtnus“ in die historische Tradition, fokussiert darauf, wo „ain jedes kuniglich und furstlich geschlecht herkhumen were“, und hier v. a. auf das „mandlich geschlecht“.32 30 Zum Ruhmeswerk Müller (s. Anm. 7), sowie die Beiträge im Abschnitt II dieses Bandes, besonders jene von Björn Reich und Elke Werner mit weiteren bibliographischen Angaben. 31 Zum Begriff vgl. Noflatscher (s. Anm. 11), S. 40. 32 Müller (s. Anm. 7), S. 80f, Zitate aus: Der Weisskunig nach den Dictaten und eigenhändigen
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Maria wird daher ähnlich wie bei ihren Portraits ex post als Idealtypus konstruiert.33 Die schon bei der Hochzeit vorhandenen Elemente werden durch den genealogisch maßgeblichen Aspekt, die Geburt eines Thronfolgers, gesteigert. Marias früher Tod leistete der Idealisierung auch hier Vorschub. In den Bilderchroniken Freydal, Theuerdank und Weißkunig ist der Preis für die Fokussierung auf den Herrscher und die ihn legitimierende dynastisch-genealogische Tradition, dass die handelnden Personen, die Motive und Kontexte ihres Handelns, ebenso wie ihr gesellschaftlicher Ort letztlich „holzschnittartig“ bleiben. Ob es im Freydal die sich wiederholende Abfolge von Turnieren, im Theuerdank jene der geuerlichkaiten oder im Weißkunig die der Kriege des Helden sind – überall bilden zwar die Motive der mittelalterlich-höfischen Tradition von Ritterfahrt und Turnier, Frauendienst und Minne den Bezugsrahmen, es fehlt ihnen aber sowohl die narrative Kohärenz wie auch die symbolische Sinnfälligkeit ihrer Vorbilder.34 Durch den Zweck des Ruhmeswerks, vor allem anderen das Bild Maximilians als frühmoderner Fürst im Kontext seines Hauses, seines Amtes und seiner Funktion zu konturieren, geraten alle anderen Personen und Motive, so auch die histori der lieb in den Hintergrund und bleiben ihrerseits konturenlos, und das gilt dementsprechend auch für die beiden Liebenden.35 Selbst wenn im Weißkunig Maximilian und Maria in den Tagen nach der Hochzeit beginnen, die Sprache des jeweils anderen zu lernen und die Figuren damit ansatzweise Profil gewinnen, wird die Geschichte sogleich wieder auf die dem Herrscherlob geschuldete Aufzählung dessen zurückgelenkt, was der junge Weißkunig alles kann.36
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Aufzeichnungen Kaiser Maximilians I. zusammengestellt von Marx Treitsaurwein von Ehrentreitz (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses VI, 1888), hg. von Alwin Schultz, hier S. 225f.; zusammenfassend vgl. Noflatscher (s. Anm. 11), S. 32f. Zur Überlieferung Harald Tersch: Maximilian I, in: Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (1400–1650). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen, Wien 1998, S. 111–149, hier S. 117–122 sowie Stephan Füssel: Der Theuerdank von 1517. Eine kulturhistorische Einführung, Köln 2003. Diese Beobachtungen korrespondieren mit der Interpretation Müllers (s. Anm. 7), z. B. S. 121f., dort allerdings ohne Fokus auf Geschlechterverhältnisse. Müller (s. Anm. 7), besonders S. 134–136, auch S. 207. Vgl. Weisskunig (s. Anm. 32), v. a. S. 244. Ebd., S. 245. Vgl. dazu Abb. 2: Der junge Weisskunig und Maria von Burgund im Garten, zw. 1510 und 1515: Abb. 52, Faksimile aus: Der weiss Kunig: eine Erzehlung von den Thaten Kaiser Maximilian des Ersten. Von Marx Treitzsaurwein auf dessen Angeben zusammengetragen, nebst den von Hannsen Burgmair dazu verfertigten Holzschnitten. Hrsg. aus dem Manuscripte der kaiserl. königl. Hofbibliothek (Neudr. d. Ausg. Wien, Kurzböck, 1775, Kommentar u. Bildkatalog von Christa-Maria Dreißiger, Weinheim 1985).
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Abb. 2: Der junge Weisskunig und Maria von Burgund im Garten, zw. 1510 und 1515: Abb. 52, Faksimile aus: Der weiss Kunig: e. Erzehlung von d. Thaten Kaiser Maximilians d.1./Von Marx Treitzsaurwein auf dessen Angeben zusammengetragen, nebst d. von Hannsen Burgmair dazu verfertigten Holzschn. Hrsg. aus d. Ms. d. Kaiserl.-Königl. Hofbibliothek (Neudr. d. Ausg. Wien, Kurzböck, 1775, Kommentar u. Bildkatalog von Christa-Maria Dreissinger. – Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft mbH 1985).
Im Unterschied zur mittelalterlichen Epenüberlieferung und ihrem vielschichtigen Rollen- und Bedeutungsangebot bleiben die Narrationen allein den res gestae des Herrschers und seiner großartigen Vorgeschichte verpflichtet.37 37 Eine Diskussion der mittelalterlichen Überlieferung und der Dissoziation traditioneller Sinnzusammenhänge bietet Müller (s. Anm. 7), v. a. Kap. V 2. und 3.
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Das Ruhmeswerk ist aber für Wechselbezüge zwischen der Konstruktion von Rollenmodellen und performativer Praxis hochinteressant: Dies betrifft besonders die Sammlungs- und Produktionsprozesse der gedechtnus, wie sie etwa in den Gedenkbüchern Maximilians dokumentiert sind, und ihr Bezug zur gerade aktuellen Gegenwart.38 Turniere, die im Freydal in 64 gleichartigen Szenen auf Farben und Allegorien reduziert erscheinen, hatten sowohl am burgundischen wie am Innsbrucker Hof einen maßgeblichen Stellenwert. Und wenn Maximilian im Freydal in 25 Turnieren mit Eselsohren als Helmzier auftritt, steht dies zwar symptomatisch dafür, dass höfische Repräsentation hier nicht mehr auf vorbildliches ritterliches Leben verweist, aber der Gedenkbucheintrag, wonach „die Ursach der Örl, die kunigl. Majestät in XXV gestechen gefuert hat, ist, das die Hertzogin von Burgundi irem Puelen die Orlein zu fueren vergunt hat“, gibt dafür einen der wenigen Hinweise auf gelebte Beziehungskultur zwischen den Fürstenkindern.39 Im Unterschied zu ihrer Mutter Maria spielt Margarethe im „Ruhmeswerk“ ihres Vaters kaum eine Rolle. Umso prominenter war sie als seine Ratgeberin. Davon zeugt der Briefwechsel zwischen den beiden, der bald nach ihrer Bestellung zunächst als Generalstatthalterin der Niederlande (1507) einsetzt und bis 1518 reicht. Liest man auch hier die bildliche gedechtnus im Kontext des Prozesses ihrer Entstehung, so zeigt sich, dass Margarethe an der Redaktion der Ehrenpforte maßgeblich beteiligt war. Im Jänner 1516 bittet Maximilian seine Tochter um Mithilfe bei der Fertigstellung des Werkes. Sie soll es nach ihrem Gutdünken korrigieren, ergänzen oder kürzen, sodass es ihrem und seinem ewigen Ruhm diene.40 Margarethes Rolle im Dienst der Dynastie scheint von einem gemeinsamen Einverständnis getragen und findet sich auch in anderen Symbolen ihrer herrscherlichen Repräsentation.41 Bemerkenswert ist aber, wie gezielt Margarethe diesen Bezugsrahmen – ohne 38 Österreichisches Staatsarchiv, Finanz- und Hofkammerarchiv, Alte Hofkammer, Gedenkbücher Maximilians I, 1498–1510; z. B. Gedenkbuch 1502, HHStA, Hs blau 376, fol. 25–153, ausführliches Regest siehe RI XIV 4 (s. Anm. 2), n. 16338, Zugriff am 05. 05. 2017. 39 Freydal. Des Kaisers Maximilian I. Turniere und Mummereien, hg. von Quirin von Leitner. Wien 1880–1882. Das Zitat aus Gedenkbuch 1505, nach Heinrich Fichtenau: Der junge Maximilian (1459–1482), Wien 1959, S. 46, Anm. 94. 40 Le Glay (s. Anm. 3), Bd. 2, n. 634 vom 18. 1. 1516, S. 339–342, hier S. 341: „Nous vous avons puis aucun temps envoy8 en painture la porte d’honneur que avons faite et conceute / celle fin que corrigiez, augmentez ou diminuez de ce que vous sembleroit y estre bon, propice et duysable. […], telle que / perp8tuit8 elle devra demourer pour nostre et vostre perp8tuelle gloire.“ 41 Zu Margarethes Selbstverständnis vgl. Gisela Naegle, Pcrire au pHre, 8crire au prince: relations diplomatiques et familiales dans la correspondance de Maximilien Ier et de Marguerite d’Autriche, in: N8gotiations, trait8s et diplomatie dans l’espace bourguignon (XIVe–XVIe siHcles (Publication du Centre Europ8en d’Ptudes Bourguignonnes, XIVe–XVIe s., n. 53, 2013), S. 219–234. Zur Porträtgalerie vgl. Eichberger (s. Anm. 20), S. 153–166.
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Widerspruch zum dynastischen Programm – auch für ihre eigene Selbstdarstellung nutzte. Besonders deutlich wird dies an der Verwendung des österreichischen Erzherzoghuts in ihrem Wappen, den sie einerseits als wichtigsten Ehrentitel des Hauses Habsburg trug, damit aber andererseits auch – in Ermangelung einer „eigenen“ Krone – ihre persönliche Rolle aufwertete.42 Die Inschrift Margarita Cesarum Austriae unica filia et amita auf einem Portraitmedaillon benennt sie als Mitglied der kaiserlichen Dynastie, hebt dabei aber ihre Rolle als einzige Tochter und Tante der beiden Kaiser hervor.43
Abb. 3: Conrad Meit: Medaillon: Erzherzogin Margarethe von Österreich (1480–1520), Regentin der Niederlande, 1528 datiert, Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer (KK_3150).
Diese Akzentuierung ihres persönlichen Beitrags zu den Geschicken der Familie wird auch daran deutlich, dass sie sich ein eigenes Motto gab, was zeitspezifisch durchaus üblich, aber bei Frauen relativ selten war.44 Ihre Devise Fortune – Infortune – Fort une ist doppelt lesbar und spielt einerseits auf die in der Renaissance aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Schicksal (fortuna) und seiner Wechselhaftigkeit an. Anderseits hebt die zweite Lesart die aktive Rolle der Regentin hervor, dem Schicksal standhaft, als starke Frau (fort une) zu
42 Eichberger (s. Anm. 20), S. 23 und 41. 43 Abb. 3: Conrad Meit: Medaillon: Erzherzogin Margarethe von Österreich (1480–1520), Regentin der Niederlande, 1528 datiert, Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer (KK_3150). Vgl. dazu Eichberger (s. Anm. 20), S. 34–36. 44 Ebd., S. 25–27 mit Vergleichsbeispielen.
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trotzen. Beide Lesarten spielen auch im „Ruhmeswerk“ Maximilians, hier allerdings nicht geschlechtlich markiert, eine wesentliche Rolle.45 Aktuelle Studien zu den Objekten visueller und materieller Kultur, mit denen sich die Regentin umgab, zeigen, dass es Margarethe wie kaum eine andere frühneuzeitliche Fürstin verstand, die ihr zur Verfügung stehenden Modelle für ihre Selbstdarstellung bewusst und kontextspezifisch, und dabei gleichzeitig integrativ einzusetzen. Das christliche Rollenmodell der Witwe erlaubte ihr trotz insgesamt dreier im dynastischen Verständnis gescheiterter Eheprojekte eine alternative politische „Karriere“.46 In der spezifischen Situation der burgundisch-habsburgischen Niederlande und in Ermangelung dynastisch prioritär gereihter Personen stand ihr damit als Vertreterin ihres Vaters ein Leitbild zur Verfügung, für das es in Frankreich und Burgund, etwa mit ihrer Stiefgroßmutter Margarethe von York, bereits erfolgreiche Vorbilder gab.47 Diese personellen Vorbilder fanden eine Reihe von gleichzeitigen, aber auch nachträglichen Darstellungen in unterschiedlichen Medien. So besaß Margarethe sowohl eine Ausgabe des Schatzes der Stadt der Frauen von Christine de Pizan wie von Boccaccios De mulieribus claris. In Texten eines Olivier de la Marche oder Agrippa von Nettesheim wie auch in Bildwerken wurden sowohl mittelalterlichchristliche Tugenden aktualisiert als auch die Herrschertugenden der Regentin im Stil humanistischer Panegyrik gefeiert.48 Margarethe gelang es in ihrer langen Regierungszeit, die vorhandenen Leitbilder auszubauen. Das dynastische „Scheitern“ ihrer Ehen wurde zur Erfolgsgeschichte, indem sie sich in ihren verschiedenen Rollen Handlungsspielräume schuf, die ihrer Mutter durch den frühen Tod, aber auch durch ihre Position an der Seite Maximilians nicht offen gestanden waren. Ihre gedechtnus hat Margarethe ebenso effektiv betrieben wie ihr Vater und dabei Geschlechterrollen erfüllt ebenso wie überschritten und verändert. Ganz anders wirkte lange Zeit das Bild der Bianca Maria. Wurde in der historischen Forschung überhaupt auf sie eingegangen, dann vorwiegend kurz und negativ. Maximilians Biograf, Hermann Wiesflecker, resümiert: „Sie war eben 45 Müller (s. Anm. 7), S. 234–238. 46 Welzel: Die Macht der Witwen, und dies.: Widowhood (beide s. Anm. 21); Eichberger (s. Anm. 20), S. 33–42; vgl. Allison Levy (Hg.): Widowhood and Visual Culture in Early Modern Europe. Aldershot u. a. 2003. Für das mittelalterliche Rollenmodell vgl. Bernhard Jussen: Der Name der Witwe. Erkundungen zur Semantik der mittelalterlichen Bußkultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 158), Göttingen 2000. 47 Vgl. die Beiträge in Eichberger : Women of Distinction, und Eichberger et al: Women at the Burgundian Court (beide s. Anm. 19). 48 Christine de Pisan: Der Schatz der Stadt der Frauen. Weibliche Lebensklugheit in der Welt des Spätmittelalters, hg. von Claudia Opitz, Freiburg im Breisgau, Wien 1996; dazu Welzel (s. Anm. 21), S. 105; Fontaine (s. Anm. 26); zu Boccaccio und Nettesheim vgl. Eichberger (s. Anm. 20), S. 45, Anm. 75, und S. 50, Anm. 85.
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nicht gescheit genug, sich eine höhere Aufgabe zu stellen; so verdämmerte ihr Leben in völliger Bedeutungslosigkeit und in unerfüllten Sehnsüchten.“49 Irgendwie, so vermitteln die älteren Darstellungen, ist hier alles schief gelaufen, und dafür wird Bianca Maria zumindest teilweise selbst verantwortlich gemacht. Das liegt zum Teil an den eingangs problematisierten biografischen Zugängen und ihrer Tendenz, scheinbar individuelle Motive, Fähigkeiten und Handlungen gegenüber strukturellen und diskursiven Zusammenhängen zu privilegieren. Liest man die quellennahe Darstellung Wiesfleckers genauer, vermittelt die Schilderung von Bianca Marias Eheschließung und der ersten Jahre danach konform mit der Überlieferung zunächst ein differenzierteres Bild: Die Mailänder Hochzeit, die Ende 1493 ohne den König stattfand, wurde prunkvoll begangen, die Braut wie üblich und nicht anders als Maria panegyrisch überschwänglich gefeiert und nach der beschwerlichen Reise umso freundlicher in Innsbruck empfangen. Während man dort wochenlang auf Maximilian wartete, wurden Turniere und Feste für sie gegeben. Sie machte, so ganz unterschiedliche Berichte, allenthalben einen guten Eindruck. Als der König endlich eintraf, wurde wieder gefeiert und die Ehe vollzogen. Auch in den Monaten danach ist von Zeichen der Liebe die Rede: Maximilian überhäuft seine Frau mit Geschenken, das Paar verbringt seine Nächte miteinander ; Bianca schreibt nach Mailand, die Liebe des Königs zu ihr wachse jeden Tag. Es gibt Gerüchte über eine Schwangerschaft, die sich aber nicht erfüllen, während 1498 das erste Kind Philipps und Juanas geboren wird – und zwei Jahre später der ersehnte männliche Thronfolger.50 Spätestens in diesem Jahr 1500, nach dem totalen Misserfolg des Mailänder Bündnisses gegen Frankreich, wurde, so Wiesflecker, das ganze Ausmaß der Misere deutlich: Es gab keine Nachkommen, die riesige Mitgift war verbraucht, der Hofstaat zu teuer, die Königin verschwenderisch, launisch und gleichzeitig langweilig. Auch diese Einschätzungen korrespondieren mit zeitgenössischen Urteilen: Besonders ab 1500, aber auch schon davor, befassen sich die Quellen mit den Finanzproblemen von Bianca Marias Hofstaat, und immer wieder gibt es auch negative Bewertungen und Polemiken von Höflingen und Gesandten.51 Dennoch: Finanzielle Probleme hatte der König überall in seiner Verwaltung. Debatten um das „Frauenzimmer“ gab es bereits am Hof Sigmunds von Tirol 49 Wiesflecker (s. Anm. 4), S. 371; ähnlich der Grundtenor des ganzen Abschnitts, sowie, S. 363–377, v. a. ab S. 369. Vgl. allerdings Weiss und Unterholzner (s. Anm. 22). Ein explizit geschlechtergeschichtlicher Zugang charakterisiert die Beiträge von Antenhofer, Lutter und Unterholzner (alle s. Anm. 22). 50 Vgl. dazu Regesta Imperii, hier RI XIV 1 (s. Anm. 2), z. B. nn. 2668 (15. 12. 1493), 2898 (13. 1. 1494), 477 und 478 (15./16. 3. 1494), 824 (25. 6. 1494). Zum Folgenden vgl. Lutter (s. Anm. 22). 51 Wiesflecker (Anm. 4), I, S. 369; dazu RI XIV 2, z. B. nn. 7194 (24. 7. 1496), sowie 3, 13533 (10. 4. 1499).
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ebenso wie später unter Karl und Ferdinand.52 Und Auseinandersetzungen zwischen höfischen Parteien, die bereits um 1497 zur Entlassung des italienischen Hofstaates Biancas führten, betrafen Männer wie Frauen und hatten vielfältige Gründe. Die Kritiken an der Römischen Königin und ihrem Hofstaat fallen auch recht widersprüchlich aus. Beschweren sich die einen über die zu hohen Kosten der Hofhaltung, beklagen andere das unattraktive Hofleben Biancas.53 Insgesamt bietet die Überlieferung also ein vielschichtiges Bild. Woran liegt es dann, dass die Ehe Maximilians mit Bianca Maria allmählich von den Zeitgenossen, und nochmals verdichtet durch die biografische Forschung, lange ausschließlich auf einen dynastischen Misserfolg reduziert wurde? Welche neuen Perspektiven können hier geschlechtergeschichtliche Fragestellungen bieten? Welche Handlungsspielräume hatte Bianca Maria im Unterschied zu Maria und Margarethe? Wie bei wenigen Fürsten der Zeit kann man an Maximilians Herrschaftsrepräsentation und -praxis die Ambivalenz von maximalen Ansprüchen und mangelnder Umsetzung, die Gleichzeitigkeit alter und neuer Ordnungen beobachten. Sie lassen sich weit über das Anekdotische hinaus als Symptome für die Inkongruenz „seiner Welt“ begreifen: res publica Christiana und politische Projekte scheiterten an der Finanzierung von Heer und Verwaltung. Rauschende Herrschereinzüge endeten mit der Verpfändung des Hofstaates der Königin.54 Parallelität und Konkurrenz von Traditionellem und Innovativem gelten auch für die höfische Umgebung Maximilians. Noch weit von einer „höfischen Gesellschaft“ entfernt, setzte sich die soziale Formation Hof aus heterogenen Gruppen zusammen.55 Adelige Normen verloren einerseits ihre Gültigkeit, wie andererseits ein humanistischer Habitus nur Teilen der Umgebung Maximilians eigen war. Vor allem hatte sein Hof keine feste Residenz, fehlte der Ort, der die konkurrierenden Aspekte in Form von gemeinsamen Rollenbildern integriert hätte. Dieser Mangel an verbindlichen Modellen gilt auch für Geschlechterrollen. Spielte Maria aufgrund ihres dynastisch herausragenden Status und ihres frühen Todes eine deutlich weniger aktive Rolle als ihre Tochter, konnte Margarethe 52 Vgl. z. B. die Beiträge von Paul Joachim Heinig: „Umb merer zucht und ordnung willen.“ Ein Ordnungsentwurf für das Frauenzimmer des Innsbrucker Hofs aus den ersten Tagen Kaiser Karls V. (1519), (s. Anm. 4), S. 311–323, und Michail A. Bojcov : „Das Frauenzimmer“ oder „die Frau bei Hofe“, S. 327–337, beide in: Hirschbiegel (s. Anm. 6). 53 Wiesflecker (s. Anm. 4), V, S. 370f. und V S. 382f.; dazu z. B. RI XIV 2, nn. 1162 (23. 11. 1494), 7429 (24. 9. 1496), 7493 (3. 10. 1496), diskutiert bei Lutter (s. Anm. 22), S. 257–259; sowie ausführlich die Dissertation von Daniela Unterholzner (wie Anm. 22). 54 Z. B. RI XIV 2, n. 4210 (vor 14. 8. 1496). 55 Vgl. Müller (s. Anm. 7), Kap. VII. Vgl. dazu etwa die Beiträge in Claudia Opitz (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln/Wien 2005.
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gerade aus der dynastisch schlechteren Position geschlechtlich markierte und „neutrale“ Elemente frühneuzeitlicher Herrschaft zu einem neuen Typus verbinden. Beiden stand am burgundischen Hof ein sozialer Raum zur Verfügung, der die vorgestellten Entwürfe und ihre Ausgestaltung begünstigte. Diese Möglichkeiten fehlten Bianca Maria im höfischen Umfeld Maximilians. Es war nicht zuletzt eine männlich dominierte Umgebung und primär auf den Fürsten hin orientiert. Maximilians Denken war der dynastischen Politik verpflichtet. Sein „Familienverständnis“ bezieht sich auch auf seine engere Umgebung.56 So verheiratete er Hofdamen wie Höflinge, achtete darauf, dass das Frauenzimmer nicht „überalterte“ und versorgte Nahestehende mit günstigen Eheverbindungen. Hier äußern sich adeliges Selbstverständnis wie das des guten Landesvaters, moralische Vorstellungen wie handfeste ökonomische Interessen. Gerade diese Widersprüche und Ambivalenzen der höfischen Umgebung Maximilians lassen es lohnend scheinen, nach den konfligierenden Repräsentationen von Geschlecht und ihren konkreten Auswirkungen in der Praxis zu fragen, sowie danach, welche Modelle sich hier längerfristig in Wechselwirkung mit und in Abgrenzung zu anderen Formen von Geschlechterrepräsentationen in Europa durchgesetzt haben.57
56 Vgl. dazu Noflatscher (s. Anm. 11) und Lutter (s. Anm. 22). 57 Exemplarisch etwa die Sektion Gender and Power Relations in the Renaissance (14th–16th c.) bei der European Social Science History Conference, 11.–14. April 2012, Glasgow, die Tagung Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit?, 26.–28. März 2014 in Wien, deren Ergebnisse 2016 in den Veröffentlichungen des IÖG, Band 64, veröffentlicht wurden, oder das International Research Workshop Power-Relationships in Court Societies. Marriage, Concubinage, Friendship, Kinship, and Patronage in Historical Perspective, veranstaltet von der Forschergruppe Practices of Power and Interpersonal Relationships at Dynastic Centres, 1500–1800, 5.–6. März 2015, Deutsches Historisches Institut, Paris.
Claudius Sieber-Lehmann
Maximilian I. in astronomisch-astrologischen Druckwerken und Prophezeiungen
Seit jeher gilt Maximilian I. als Fürst, der verschiedene mediale Kanäle seiner Zeit zu nutzen versuchte, so dass die Forschung von einem „politischen Publizisten“ mit einem wachen Sinn für das einpilden (das zeitgenössische Verb für „informieren“) spricht.1 Dabei setzte er auf verschiedene Multiplikatoren: Sein Sinn für Öffentlichkeitspolitik regte die Humanisten an, für das expandierende Druckgewerbe zu schreiben und die Vorstellungen eines mächtigen Reichs zu verbreiten2, und er selber förderte die bildenden Künste, denen es oblag, auf 1 Peter Diedrichs: Kaiser Maxmilian I. als politischer Publizist, Jena 1932; Edeltraud Hönig: Kaiser Maximilian I. als politischer Publizist. Diss. masch. Graz 1970; Jan-Dirk Müller: Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. v. Ute Frevert und Wolfgang Braungart, Göttingen 2004, S. 95–122; Manfred Hollegger: „Erwachen und aufsten als ein starcker stryter.“ Zu Formen und Inhalt der Propaganda Maximilians I., in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert) (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl., Denkschriften 306: Forschungen zur Geschichte des Mittelalter 6), hg. v. Karel Hruza, Wien 2002, S. 223–234. Zur Person Maximilians vgl. die Biographie von Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., München 1971–1986. Zur Verwendung des Ausdrucks einpilden bereits unter Friedrich III. und zur Fortsetzung unter Maximilian vgl. Albert Schröcker : Die Deutsche Nation. Beobachtungen zur politischen Propaganda des ausgehenden 15. Jahrhundert. (Historische Studien, Heft 426), Lübeck 1974, S. 32, mit einer Reihe von Archivbelegen. Es handelt sich vermutlich um eine wörtliche Übertragung von in (ein) und formare (bilden) ins Deutsche; zum mittellateinischen informare vgl. das entsprechende Lemma in DuCange (Ausgabe 1883–1887), Bd. 4, S. 356. Nach 2008 erschienene Literatur konnte im vorliegenden Artikel nur vereinzelt eingearbeitet werden. 2 Jan-Dirk Müller: Gedechtnus: Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. München 1982, bemerkt, dass Maximilian I. weder bibliophil noch belesen war ; die von ihm geförderte Literatur sollte die Formierung einer erst in Ansätzen bestehenden Hofgesellschaft vorantreiben, die sich vom „gemeinen Mann“ abhob (S. 268–280). Andererseits wollte er als Fürst seine Untertanen repräsentieren, wozu er auf sein Charisma setzte (S. 262–268). Die Kontakte zu den oberrheinischen Humanisten blieben eher lose. Die Humanisten verfassten aus eigenem Antrieb panegyrische Texte, von denen sie annahmen, dass sie die Aufmerksamkeit des Reichsoberhauptes auf sich ziehen könnten, wie das im Folgenden zitierte Beispiel Sebastian Brants zeigt. Zur Rolle der Humanisten bei der Konstruktion einer deutschen Vergangenheit
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visueller Ebene die Vorrangstellung des Hauses Habsburg zu markieren.3 Aufwand und Ertrag klafften bei Maximilians Bemühungen allerdings häufig auseinander, wie in der einschlägigen Literatur ebenfalls immer wieder festgestellt wird. Festzuhalten bleibt aber, dass die mediale Präsenz Maximilians stark ausgeprägt war, denn er ließ eine große Zahl von Mandaten, Flugschriften und Manifesten drucken.4 Im Folgenden soll eine Textsorte vorgestellt werden, die häufig übersehen wird, obwohl sie bei den Zeitgenossen auf großes Interesse stieß: Die astronomisch-astrologischen Druckwerke.5 Der Doppelname ergibt sich aus der Zwitterstellung, in der sich die Lehre von den Gestirnen im ausgehenden 15. Jahrhundert befand. Einerseits stand die Astronomie – immerhin ein Teil des Quadriviums – seit jeher in hohem Ansehen, da sie auf wissenschaftlicher Ebene einen Einblick in den göttlichen Weltplan versprach.6 Humanismus und Renaissance förderten andererseits die Kenntnis und Rezeption antiker astronomischer Kenntnisse, die wiederum mit astrologischen Praktiken verknüpft waren.7 Zwar hatte die Kirche die Astrologie als tendenziell häretische Wissen-
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vgl. Caspar Hirschi: Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005. Vgl. Larry Silver : Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor, Princeton 2008. Hönig: Maximilian als politischer Publizist (wie Anm. 1), S. 11f. zählt folgende Textsorten auf: Mandate, Achtserklärungen, Kriegsaufgebote, Verbot fremder Kriegsdienste, Reichstagsausschreiben, Reden, Kriegsberichte, neue zeitungen. Da bestimmte Formulierungen immer wieder auftauchen und eine stilistische Einheitlichkeit feststellbar ist, geht Hönig davon aus, dass Maximilian I. bisweilen selber an der Konzipierung der Texte beteiligt war ; denkbar ist auch die Herausbildung eines spezifischen Stils der Hofkanzlei. Zum Interesse Maximilians für die „reproduzierenden Medien“ des Buchdrucks und der Holzschnittkunst vgl. Jan-Dirk Müller : Literatur und Kunst unter Maximilian I., in: Kaiser Maximilian I., Bewahrer und Reformer. Katalog zur Ausstellung in Wetzlar, August–Oktober 2002, hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein 2002, S. 140–150, insbes. S. 143: „Es ging ihm nicht um Kunst und Literatur als solche, sondern um Kunst als Instrument seiner Herrschaft, Medien seiner Selbstdarstellung und seines Nachruhms.“ Zur „Medienrevolution“ des 15. und 16. Jahrhunderts vgl. Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte 85), München 2009. Zur Wichtigkeit von Astronomie und Astrologie vgl. die richtungsweisende Arbeit von Gerd Mentgen: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 53), Stuttgart 2005, mit weiterführender Literatur ; Christine Reinle: Geheimwissenschaften und Politik. Mantik, Magie und Astrologie an den Höfen Kaiser Friedrichs III. und Pfalzgraf Friedrichs des Siegreichen, in: König, Fürsten und Reich im 15. Jahrhundert (Regesta Imperii Beihefte 29), hg. v. Franz Fuchs, Paul-Joachim Heinig und Jörg Schwarz, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 319–347. Einen guten Überblick bietet Stanley Jim Tester: A History of Western Astrology, New York 1989, insbesondere S. 98–204, wo das Verschwinden astrologischer Kenntnisse im Frühmittelalter und deren Wiederaneignung im Hoch- und insbesondere im Spätmittelalter geschildert wird. John David North: Horoscopes and History, London 1986: Horoskope zum Zweck der Ge-
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schaft verworfen, da sie Gottes Heilsplan zu ergründen versuche, aber dies hinderte die damaligen Intellektuellen nicht daran, den Lauf der Gestirne zu beobachten und daraus Schlüsse für die nahe Zukunft zu ziehen.8 Wie sehr dies zutrifft, zeigen eindrücklich die Aufzeichnungen des Basler Münsterkaplans Johannes Knebel, der eine Art „Diarium“ in den Jahren 1473–1479 verfasste.9 Neben Meldungen vom Krieg gegen Karl den Kühnen flechtet Knebel immer wieder astronomische Beobachtungen ein, er sammelt oder kopiert Druckwerke mit astronomisch-astrologischen Prophezeiungen und deutet selber die Ereignisse anhand der Position von Gestirnen.10 Die Herausgeber des Diariums übernahmen zwar die persönlichen Eintragungen, sie edierten aber die von ihm kopierten Passagen aus Inkunabeln nicht und erwähnten nur in Anmerkungen die von Knebel gesammelten Druckwerke, da sie darin keine wissenschaftliche Relevanz sahen.11 Diese auch anderweitig belegbare Editionspraxis erklärt sich aus dem Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts, das in der Astrologie nur ein „wretched subject“12 der Geschichte sah; dabei wurde allerdings ein wichtiger Aspekt der Kulturgeschichte des 15. Jahrhunderts übersehen. Seit einiger Zeit wendet sich aber die Wissenschaftsgeschichte vermehrt der spätmittelalterlichen Astronomie/Astrologie zu und erkennt in ihr eine der wichtigen Voraussetzungen für die naturwissenschaftliche Revolution der Frühen Neuzeit. Gleichzeitig erweisen sich Texte aus dem astrologisch-astronomischen Bereich mit ihren Prophezeiungen als wichtige Seismographen für die
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schichtsdeutung verbreiten sich seit dem 12. Jahrhundert (S. 104ff.), das 15. Jahrhundert zeigt einen massiven Zuwachs (S. 149–153). Zur Wichtigkeit der Horoskope für die damaligen Fürsten vgl. ebd., S. 159–163, mit Verweis auf Maximilian I. Am Beispiel von Pierre d’Ailly zeigt Laura Ackerman Smoller : History, Prophecy and the Stars. The Christian Astrology of Pierre d’Ailly, 1350–1420, Princeton 1994, dass Astrologie dazu dienen konnte, die Furcht vor dem nahenden Weltende intellektuell zu bewältigen (S. 123–130, mit Hinweis auf die „natural theology“ von d’Ailly ; vgl. auch ebd., S. 78–83 die Hinweise auf den wissenschaftlichen Anspruch der Astrologie). Johannis Knebel capellani ecclesiae Basiliensis Diarium, hg. von Wilhelm Vischer, Heinrich Boos und August Bernoulli, in: Basler Chroniken 2, Leipzig 1880, Basler Chroniken 3, Leipzig 1887, S. 1–271. Zu Knebels Tätigkeit als Astrologe vgl. Mentgen: Astrologie und Öffentlichkeit (wie Anm. 5), S. 151f.; S. 262; S. 266ff. Die in der Edition nicht vorhandenen Traktate finden sich an folgenden Stellen: Knebel, Diarium, Basler Chroniken 3 (wie Anm. 9), S. 175, 14f. [Traktat des Tilman aus Regensburg für 1478]; S. 228, 10f. [Traktat des Julianus de Blancis für 1479]; S. 229, 1f. [Traktat des Hieronymus Manfredi für 1479]; S. 256, 27f. [Traktat des Johannes Laet für 1479]. Auf der Innenseite des Buchdeckels des zweiten Originalbandes findet sich eine 1472 in Rom gedruckte Schrift über einen Kometen, vgl. den Hinweis bei Knebel, Diarium, Basler Chroniken 3 (wie Anm. 9), S. 594, 3f. Zu Otto Neugebauer, der bereits 1951 für das Studium von „wretched subjects“ plädierte, vgl. Smoller : History (wie Anm. 8), S. 4.
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„öffentliche Meinung“ im 15. Jahrhundert,13 und ihre enorme Verbreitung durch die neue Drucktechnik zeigt, dass es sich um Gebrauchsliteratur mit einem hohen Marktwert handelte.14 Dabei fällt es schwer, die Textsorten zu differenzieren, denn gerade die häufig gedruckten „Kalendergedichte“ vereinen technische Hinweise zu den Mondphasen – wichtig für Aussaat, Aderlass usf. – mit expliziten politischen Hinweisen.15 Das habsburgische Herrscherhaus zeigte dabei ein besonderes Interesse an der Beobachtung der Gestirne und an den entsprechenden Rückschlüssen für das politische Handeln. Friedrich III., der Vater Maximilians, kann geradezu als „astrologiebesessener Kaiser“ bezeichnet werden. Sein Sohn übernahm zwar nicht gänzlich die väterliche Passion, förderte aber sehr wohl die astronomisch/ astrologische Forschung an seinem Hof sowie die Publikation entsprechender Druckwerke.16 Zu nennen sind sternkundige Berater wie Joseph Grünpeck, Konrad Celtis sowie weitere Gelehrte, die sich im Umkreis des Hofes bewegten oder an der Wiener Universität angestellt waren. Viele von ihnen produzierten jährlich Almanache oder astronomisch-astrologische Judicia, die sich auf zukünftige Ereignisse bezogen. Der Inhalt dieser Texte war immer auch mit dem habsburgischen Herrscherhaus verknüpft.17 Den zeitgenössischen Intellektuellen und Humanisten entging das Interesse des habsburgischen Herrscherhauses für Astronomie und Astrologie keineswegs. Das zeigt bereits der Best- und Longseller (der letzte Druck erschien 1812!)
13 S. zum Thema den Band der Reichenau-Tagung 2008: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter, hg. von Martin Kinzinger und Bernd Schneidmüller (Vorträge und Forschungen LXXV) Ostfildern 2011. 14 Mentgen: Astrologie und Öffentlichkeit (wie Anm. 5), S. 216–274. 15 Zum Typus „Kalendergedicht“ vgl. Martin Steinmann: Ein politisches Kalendergedicht auf das Jahr 1466 von Johannes Erhart Düsch, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 70 (1970) S. 119–130; Pierre L. van der Haegen: Ein Kalendergedicht auf das Jahr 1471, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 83 (1983) S. 183–192; Eckehard Simon: The ,Türkenkalender‘ (1454) Attributed to Gutenberg and the Strasbourg Lunation Tracts (Speculum Anniversary Monographs 14), Cambridge (Mass.) 1988; Claudius Sieber-Lehmann: Eine neue Version eines Mondtraktates/Kalendergedichtes auf das Jahr 1475, in: Daphnis 22 (1993), S. 701–710. 16 Friedrich III. ließ zur Geburt Maximilians ein Horoskop erstellen, vgl. Silver : Marketing Maximilian (wie Anm. 3), S. 136ff. Zur Person Friedrichs III. vgl. Heinrich Koller: Friedrich III (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2005. Zum „astrologiebesessenen“ Friedrich III. und Maximilian I. vgl. Mentgen: Astrologie und Öffentlichkeit (wie Anm. 5), S. 235–247. 17 Zur Situation am Hofe Maximilians vgl. Darin Hayton: Astrologers and astrology in Vienna during the era of emperor Maximilian I. (1493–1519), Diss. Notre Dame, Indiana 2004; Darin Hayton: Astrology as Political Propaganda: Humanist Responses to the Turkish Threat in Early-Sixteenth-Century Vienna, in: Austrian History Yearbook 38 (2007), S. 61–91. Auf diesen Artikel wies mich freundlicherweise Manfred Hollegger (Graz) hin.
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von Johannes Lichtenberger, der seine Pronosticatio 1488 publizierte und darin Friedrich III. sowie seinem Sohn einen wichtigen Platz einräumte.18 Die Lektüre von Lichtenbergers Text bereitet einer heutigen Leserschaft allerdings typische Schwierigkeiten, die auch bei anderen astronomisch-astrologischen Texten auftauchen: Seitenweise werden frühere Prophezeiungen übernommen, wobei die Quelle nicht angegeben ist; viele Formulierungen sind absichtlich dunkel gehalten, um dem Text eine Aura des Geheimnisses zu verleihen und eine große Bandbreite der Interpretationen zuzulassen; die Schilderungen schrecklicher bevorstehender Ereignisse wechseln unvermittelt mit Versprechungen zukünftigen Trostes ab. Dank der Forschungen von Dietrich Kurze sind im Falle Lichtenbergers immerhin die Quellen nachfollziehbar und auch der Inhalt über weite Strecken verständlich. Als Einstieg in die Textgattung der astrologisch-astronomischen Traktate empfiehlt sich deshalb eine eingehende Behandlung der Pronosticatio.19 Das Jahr 1488 brachte für das habsburgische Herrscherhaus eine Reihe von Herausforderungen. Zwar war Maximilian bereits 1486 zum römisch-deutschen König gewählt worden, aber die Auseinandersetzungen mit dem französischen Könighaus dauerten weiterhin an. Lichtenbergers Pronosticatio schildert die Situation folgendermaßen, wobei er auf die Prophezeiungen der Hl. Brigitta (1303–1373) zurückgreift:20 Eß wirt uff sten eyn konig mit eym küschen angesicht. Eyn deil sprechen, eß solle syn Fridericus der dritte. Aber ich wil, eß sy Maximilianüs, dan under ym wirt nider getreten die kyrche und die geistlichkeit betru˚bet umb und thüm.21 Werden auch die Beyerschen gereitzt widder die kirchen, die mere [die Mehrzahl der Bayern] werden 18 Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf einer Lehrveranstaltung, die Alfred Andrea Schmid (Universität Basel) und der Schreibende zu Johannes Lichtenberger im Sommersemester 2007 durchführten. Für mannigfaltige Hilfestellung in astronomisch-astrologischen Fragen danke ich Alfred Schmid herzlich. 19 Dietrich Kurze: Johannes Lichtenberger (†1503). Eine Studie zur Geschichte der Prophetie und der Astrologie (Historische Studien Heft 379), Lübeck/Hamburg 1960; Dieter Kurze: Popular Astrology and Prophecy in the fifteenth and sixteenth Centuries: Johannes Lichtenberger, in: „Astrologi hallucinati“. Stars and the end of the world in Luther’s time, hg. v. Paola Zambelli, Berlin 1986, S. 177–193. Vgl. ders.: Johannes Lichtenberger, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 5, Berlin/New York 1977ff., Sp. 770–776. 20 Die folgenden Zitate sind dem Erstdruck von 1488 entnommen; die Vorlage für den deutschen Text sowie die Abbildungen im vorliegenden Artikel bildet die Inkunabel aus der Bayerischen Staatsbibliothek, München, 28 Inc. s. a. 790. Da die deutsche Übersetzung des lateinischen Originals manchmal schwer verständlich ist, wird in den folgenden Anmerkungen bisweilen die lateinische Version angegeben; zitiert wird dabei aus der digitalen Version der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (vgl. http://diglib.hab.de/inkunabeln/ 1-quod-3/start.htm, Zugriff am 05. 05. 2017). Zur Rolle des Reichs in Lichtenbergers Text vgl. Kurze: Johannes Lichtenberger (wie Anm. 19), S. 21–28. 21 Lateinisches Original: sub eo conculcabitur ecclesia clerusque turbabitur ubique.
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getrüen haben in yre tiranny dan in die crafft gods. Eyn Frantzose wirt uberwintlich vil Dütschen slagen. Züm letzten wirt der Frantzose underlygen und der ku˚sche am angesicht wirt regneren an allen enden, wirt ingen in das nestgyn syner müter des adlers und wirt halten die monarchie, das ist alleyn halten das regiment von oriente biß in occident.22
Die Charakterisierung Maximilians als „König mit einem keuschen Angesicht“ bedeutet eine besondere Ehre, auch wenn er gleichzeitig den Klerus knechtet. Letzteres ergibt sich aus der Grundtendenz von Lichtenbergers Werk, der kirchliche Übelstände scharf kritisiert und eine grundsätzliche reformation fordert. Auch für die Vorgeschichte zur Reformation empfiehlt sich demnach die Lektüre der Pronosticatio.23 Dass dieses Werk trotz seines größtenteils hermetischen Inhalts zu einem Bestseller wurde, lag zweifellos auch an den vielen Bildern.24 Die soeben geschilderte, heikle Situation Friedrichs III. und seines Sohnes wird mit einem Adlerpaar verdeutlicht, dessen Legende lautet (vgl. Abb. 1): „Hie sal sten ein dru˚rich [trauriger] adler mit wenig federn und ein iunger by yme.“ Die folgenden Seiten zeigen allerdings, dass sich der Adler samt seinem Jungen am Ende erfolgreich gegen den Wolf zur Wehr setzt (vgl. Abb. 2).25 Erwartungsgemäß wird Maximilian als Oberhaupt des Reichs in der verschlüsselten Sprache Lichtenbergers als „Adler“ bezeichnet, der häufig mit den Löwen (den Wittelsbachern) und den Lilien (dem französischen König) kämpfen muss.26 Lichtenberger spricht Maximilian bisweilen direkt an und prophezeit ihm Schwierigkeiten mit dem französischen König oder mit einem „Volk ohne Haupt“, worunter wohl die Eidgenossen – als scorpionistae charakterisiert – zu verstehen sind.27 Letztlich darf das Reich aber nicht verschwinden, denn dies 22 Lichtenberger : Pronosticatio (1488), Kapitel 3 (die Seitenangabe ist nicht leicht nachzuvollziehen, da das Original nicht paginiert ist. Auf dem Mikrofilm handelt es sich um die Seiten 24ff.). 23 Vgl. Bob Scribner : Antiklerikalismus in Deutschland um 1500, in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, hg. v. Ferdinand Seibt; Winfried Eberhard, Stuttgart 1987, S. 368–382. 24 So Kurze: Johannes Lichtenberger (wie Anm. 19), S. 29–33. 25 Lichtenberger : Pronosticatio (1488), Kapitel 3, (S. 24ff., siehe Anm. 22). Der Wolf symbolisiert gemäß dem Lollarden Reinhard, einem Gewährsmann Lichtenbergers, die „Erde“: „Davon in der uffenbarüngen bruder Reynhartz des Lolhartz also stet geschreben: Der wolff, das ist die erde, vom occident wirt verwerffen den adler …“ Gemeint sind hier die Fürsten in den östlichen Reichsteilen. Zum „Lollarden Reinhard“ vgl. Kurze: Johannes Lichtenberger (wie Anm. 19), S. 37f. 26 Zur Schilderung der Situation des Reichs bei Lichtenberger vgl. eingehend Kurze: Johannes Lichtenberger (wie Anm. 19), S. 21–28. 27 Lichtenberger : Pronosticatio (1488), fol. 21: „Wirt zu˚ versten geben [die Hl. Brigitta in ihren Prophezeiungen], wie die du˚tsch scorpionisten [lat.: Scorpioniste confederatores] werden ein verbüntniß in gen mit dem konge von Franckrich, under welchem die kirche wirt fulen
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Abb. 1: [Johannes Lichtenberger], Pronosticatio zu Theutsch [1488], Bayerische Staatsbibliothek, München, 2o Inc. s. a. 790, fol. 48v [nachträgliche handschriftliche Paginierung, das Original enthält keine Seitenzahlen]. Digitalisat: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12bsb00008265-3, S. 24.
[lat.: probabit = fühlen] das crützs des iamers uff irer eigen achseln bij dem Ryne…“ Zu den scorpionistae vgl. unten Anm. 52.
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Abb. 2: [Johannes Lichtenberger], Pronosticatio zu Theutsch [1488], Bayerische Staatsbibliothek, München, 2o Inc. s. a. 790, fol. 49r [nachträgliche handschriftliche Paginierung, das Original enthält keine Seitenzahlen]. Digitalisat: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12bsb00008265-3, S. 25.
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würde den Weltuntergang bedeuten. Lichtenberger parallelisiert die Situation Maximilians mit derjenigen Octavians, der trotz der Wirren des Bürgerkriegs letzten Endes das römische Weltreich begründete. Maximilian wird zwar mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, aber letztlich wird er die bösen Franzosen und vor allem den türkischen Sultan besiegen. Lichtenberger prophezeit sogar einen zukünftigen Krieg des „Adlers“ gegen den Papst und die Eroberung Roms. Während Lichtenbergers Prognosticatio vergleichsweise gut erforscht ist, sind gedruckte Prophezeiungen, die rund zehn Jahre später entstanden und sich ebenfalls auf Maximilian bezogen, weniger bekannt. Es sind dies die Voraussagen des Pseudo-Methodius mit einem Kommentar des Augsburger Klerikers und Juristen Wolfgang Aytinger28, die Sebastian Brant herausgab; gedruckt wurden sie zum ersten Mal 1498 bei Michael Furter in Basel. Auch hier handelt es sich um einen Beststeller, denn Furter druckte den Text zwei Mal nach; bis ins ausgehende 16. Jahrhundert lassen sich weitere Basler Drucke mit Methodius samt Aytinger-Kommentar nachweisen.29 Dass sich Sebastian Brant dieser Texte annahm und sie für den Druck vorbereitete, überrascht nicht. Brant war damals Dozent für Jurisprudenz und Poesie an der Universität Basel; gleichzeitig fungierte er als Anwalt für verschiedene Gerichte in Basel und Umgebung.30 Daneben publizierte er immer wieder Gelegenheitsgedichte zu auffälligen Ereignissen; besonders bekannt ist sein Flugblatt zum „Donnerstein von Ensisheim“.31 In diesen Texten verknüpfte Brant häufig verschiedene Prodigien mit politischen Handlungsanweisungen. Daneben benützte er auch astrologisches Wissen, um – unabhängig von aktuellen Wundern – sein Publikum auf bevorstehende Wechselfälle vorzubereiten.32 28 Zur Person Aytingers vgl. Friedrich Zoepfl: Wolfgang Aytinger – ein deutscher Zeit- und Gesinnungsgenosse Savonarolas, in: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte 1 (1935) S. 177–187. 29 Zur Ausgabe von Brant vgl. Walther Ludwig: Eine unbekannte Variante der „Varia Carmina“ Sebastian Brants und die Prophezeiungen des Pseudo-Methodius, in: Daphnis 26 (1997), S. 263–299. Zu den späteren Drucken vgl. Zoepfel: Aytinger (wie Anm. 28), S. 181. 30 Zu Brant vgl. den Sammelband von Hans-Gert Roloff (Hg.): Sebastian Brant, 1457–1521 (Memoria Weidler 9), Berlin 2008, mit weiterführenden Literaturangaben. 31 Zum „Donnerstein“ vgl. Odile Kammerer : Un prodige en Alsace / la fin du XVe siHcle. La m8t8orite d’Ensisheim, in: Miracles, prodiges et merveilles au Moyen Age. XXVe CongrHs de la S.H.M.E.S. (Orl8ans, juin 1994), hg. v. Soci8t8 des Historiens M8di8vistes de l’Enseignement Sup8rieur Public, Paris 1995, S. 293–316, mit weiterführender Literatur. 32 Vgl. Dieter Wuttke: Sebastian Brants Verhältnis zu Wunderdeutung und Astrologie, in: Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Hugo Moser zum 65. Geburtstag, hg. v. Werner Besch, Günther Jungbluth, Gerhard Weissburger und Eberhard Nellmann, Berlin 1974, S. 272–286; neuerdings Hayton: Astrology as Political Propaganda (wie Anm. 17), S. 64–73. Zum Engagement Brants für Maximilian I. vgl. Dieter Wuttke: Sebastian Brant und Maximilian I., in: Die Humanisten in ihrer politischen und sozialen Umwelt, hg. v. Otto Herding; Robert Stupperich, Boppard 1976, S. 141–176; Silver : Marketing Maximilian (wie Anm. 3), S. VIII; 20; S. 117f.; S. 232.
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Der Text des Pseudo-Methodius samt Kommentar von Aytinger kam diesen Schreibintentionen Brants entgegen. Das Werk von Pseudo-Methodius entstand ursprünglich in Syrien, wo gegen Ende des 7. Jahrhunderts ein Autor das Vordringen des Islams mit Endzeitprophezeiungen verknüpfte. Die Verbreitung von Pseudo-Methodius ist überwältigend; über 200 Handschriften sind nachgewiesen; 1475 wurde das Werk gedruckt, seit 1496 erschien sein Text meistens mit dem Kommentar von Aytinger (ca. 1460–1508).33 Erst der Basler Druck von 1498 enthielt aber auch Bilder. In seiner Vorrede, die einen auf den 1. November 1497 datierten Brief an den Basler Franziskanerprediger Johannes Meder enthält, erläutert Brant ausführlich, warum er die Aussagen von Pseudo-Methodius und den Kommentar von Aytinger visualisieren ließ: Er wolle den Text dank Holzschnitten auch den Schriftunkundigen zugänglich machen, denn hier werde prophezeit, dass die Christen und insbesondere der invictissimus christianissimus rex noster Maximilianus demnächst über die Türken triumphieren würden.34 Die Bilder sind sehr dramatisch gestaltet. Im Folgenden werden nur diejenigen Holzschnitte vorgestellt, die in einem Bezug zum Reich und somit zu Maximilian stehen. Die Reproduktionen stammen aus dem Druck von 150035 ; sie tauchen in gleicher Form sowohl im Druck von 1498 als auch von 1504 auf. Bereits im Text von Pseudo-Methodius taucht ein Kapitel auf, worin ein römischer König die Ungläubigen vertreibt (vgl. Abb. 3): „Quomodo regnum Romanorum et Christianorum supprimet Ismahelitas, hoc est Thurcos.“36 Dieser römische König entspricht – gemäß der Abfolge der translatio impe-
33 Vgl. den Artikel „Pseudo-Methodius“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage Berlin/New York 1977ff., Bd. 11, Sp. 995–1002 (erschienen 2004, Christine Stöllinger-Löser). 34 Zitiert bei Ludwig: Brant und Prophezeiungen (wie Anm. 29), S. 281ff. Die Titulatur als christianissimus rex versteht sich als Herausforderung gegenüber dem roi trHs chr8tien des französischen Königreichs. Zur Türkengefahr und Sebastian Brant vgl. Sebastian Schünicke: Zu den Antiturcica Sebastian Brants, in: Sebastian Brant. Forschungsbeiträge zu seinem Leben, zum „Narrenschiff“ und zum übrigen Werk, hg. v. Thomas Wilhelmi, Basel 2002, S. 37–81. Antje Niederegger : Das Bild der Türken im deutschen Humanismus am Beispiel der Werke Sebastian Brants (1456–1521), in: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie (Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung, Ergänzungsband 48), hg. v. Marlene Kurz, Wien 2005, S. 181–204. Grundlegend Almut Höfert: Den Feind beschreiben. ,Türkengefahr‘ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600 (Campus historische Studien 35). Frankfurt am Main 2003. 35 Das Exemplar findet sich auf der Universitätsbibliothek Basel, Signatur : AM IV 15:2. Der Text von Pseudo-Methodius geht bis fol. 28v ; ab fol. 29r folgt der Kommentar von Wolfgang Aytinger. 36 Fol. 10v [Pseudo-Methodius]. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/e-rara-11121, S. 20 (letzter Zugriff am 05. 05. 2017).
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Abb. 3: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 10v. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 20.
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rii – dem letzten Fürsten der vier Weltreiche, die von Pseudo-Methodius anschließend vorgestellt werden.37 Der bevorstehende Sieg des Römischen Reiches über die Türken wird von Wolfgang Aytinger verstärkt. Er benützt ein Bild, das bereits im Text von PseudoMethodius erschien,38 und kommentiert es folgendermaßen (vgl. Abb. 4): Quomodo post victoriam Thurcorum rex quidam Romanus eosdem letantes et convivantes occidet. Et post hec deuincentur a regno celesti et Romanorum, quod est Christianorum. Etenim subjicientur ei. Hec dicta sunt a beato Methodio et sumuntur pro exordio presentis quarti capituli. Nota, quae post hec debet intelligi, id est, postquam Turci vicerunt regna Christianitatis ac populum Christinanum captiuauerunt per octo septimanas, hoc est lvj annos, ut supra dictum est, et postquam honor tolletur a sacerdotibus anno eodem tempore, ergo Methodius dicit:. Et post hec deuincentur a regno celesti, ut supra.39
Das Bild zeigt einen jugendlichen König, der mit dem Reichsbanner, auf dem ein Adler zu sehen ist, die tafelnden Türken angreift. Angesichts der vielen Hoffnungen, die auf Maximilian als Türkenbezwinger gesetzt wurden, kann kein Zweifel bestehen, dass Wolfgang Aytinger den König aus der Prophezeiung des Pseudo-Methodius mit Maximilian gleichsetzt. Der Siegeszug des Königs lässt sich Aytinger zufolge auch in der Folge nicht aufhalten (vgl. Abb. 5): Quomodo rex quidam Romanus Hierosolymam recuperabit et Saracenos interficiet. Daniel de destructione Turcie ac imperij Saracenorum in suo xi. c[apitulo] inter cetera sic dicit:40 Conuertetur rex aquilonis, id est rex Romanorum, et preparabit multitudinem multo maiorem – supple: in recuperanda terra promissionis et deliberatione fidelium – quam prius, quasi diceret, quam Eraclius fecit et Karolus magnus vel Gotfridus, de quibus superius dictum est.41
37 Fol. 11v [Pseudo-Methodius]: „Quod quattuor monarchie Assyriorum, Persarum, Grecorum et Romanorum coniuncte fuerunt“ Das Bild zeigt einen jugendlichen Monarchen mit lockigem Haar, der ein Banner mit dem Reichsadler trägt; es handelt sich vermutlich um ein Porträt Maximilians I. 38 Fol. 23r [Pseudo-Methodius] = Fol. 54r. 39 Fol. 54r (Kommentar Aytinger). Deutsch: „Wie nach dem Sieg der Türken ein römischer König dieselben, die sich freuen und tafeln, umbringt. Sie werden anschließend vom himmlischen Königreich der Römer, d. h. der Christen völlig besiegt. Und sie werden ihm unterworfen werden. Dies wurde bereits vom heiligen Methodius gesagt und wird hier zum Anfang des vierten Kapitels zitiert. Beachte, was darunter verstanden werden muss: Nachdem die Türken die Königreiche des Christentums besiegt und das christliche Volk gefangen genommen hatten für acht Wochen, das heißt 56 Jahre, wie bereits erwähnt, und nachdem die Ehre von den Priestern genommen worden war zum gleichen Zeitpunkt, sagt Methodius sonach: Sie werden anschließend vom himmlischen Königreich gänzlich besiegt, wie erwähnt.“ Die Abbildung gibt das gleiche Bild auf Fol. 23r wieder. 40 Daniel 11, 13. 41 Fol. 59v (Kommentar Aytinger). Deutsch: „Wie ein römischer König Jerusalem zurück-
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Abb. 4: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 23r. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 45. erobern wird und die Sarazenen töten wird. Daniel sagt über die Zerstörung der Türkei und des Reichs der Sarazenen im 11. Kapitel unter anderem: Der König der Mitternacht (des Nordens), d. h. der König der Römer, wird sich hinwenden, und er wird eine viel größere
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Abb. 5: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 59v. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 118. Menge bereitstellen – das bedeutet: für die Eroberung des Heiligen Landes und die Befreiung der Gläubigen – als früher, wie wenn er [=Daniel] sagte, als Herakles es vollbrachte oder Karl der Große oder Gottfried von Bouillon, von denen oben die Rede war.“
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Maximilian, der sich selber gerne als Herakles abbilden ließ,42 wird hier in eine Reihe mit Karl dem Großen und Gottfried von Bouillon gestellt. Folgerichtig wird von Aytinger auf den folgenden Seiten die Rückeroberung Konstantinopels geschildert, was im Gegensatz zu den früheren Kreuzzügen steht, die allesamt scheiterten. Das letzte Bild, auf dem der rex Romanorum abgebildet ist, zeigt sein Kampf gegen das Untier mit den sieben Köpfen, wie es die Apokalypse erwähnt (vgl. Abb. 6): Quomodo quidam rex Romanorum bestiam cum vij capitibus et decem cornibus suppeditabit43, adiutus celesti praesidio. Secunda pars huius xvij capituli Johannis continet prosperitatem Turcie ad tempus, quod patet, cum angelus dixit ad eum: Qua re, o Johannes, miraris? Ego exponam tibi sacramentum sive significatum. Primo mulieris et secundo bestiae, que portat mulierem habentem capita vij et cornua decem. Per mulierem primo Johannes intellexit Turciam ebriam de sanguine Christianorum et martyrum Jesu. Secundo modo exponam significatum bestie. Bestia igitur, quam vidisti, persona Machometi est, qui fuit, et non est, sed sua secta. Et hec secta est ascensura se eleuando super omnia Christianorum regna, usquequam venit in ultimam summam et abyssum.44
Der Vergleich mit dem originalen Text der Apokalypse45 zeigt, wie Wolfgang Aytinger in die Vorlage seine eigene Interpretation verwebt, um das Tier mit den sieben Köpfen mit Mohammed und seiner secta gleichsetzen zu können. Die auf dem Bild nicht gezeigte Hure Babylon entspricht der vom Christenblut betrunkenen Türkei, während der Drache mit der Sekte Mohammeds gleichgesetzt wird. Der heldenhafte Kämpfer wird dieses Mal nicht mit der Adlerfahne gezeigt, aber das lockige Haupthaar entspricht den offiziellen Porträts Maximilians. Der Kampf mit dem Drachen erinnert überdies an den Hl. Georg, den Adelsheiligen par excellence und Vorbild des habsburgischen Reichsoberhaupts.46 42 Zu Maximilian I. als Hercules Germanicus vgl. die Abbildung in: Der Aufstieg eines Kaisers. Maximilian I. von seiner Geburt bis zur Alleinherrschaft 1459–1493. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum von Wiener Neustadt, 25. März – 2. Juli 2000, Wiener Neustadt 2000, S. 227. 43 suppeditare = superare, vgl. DuCange, Bd. 7 (wie Anm. 1), S. 635. 44 Fol. 65r (Kommentar Aytinger). Deutsch: „Wie ein König der Römer das Tier mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern überwinden wird, unterstützt von himmlischem Schutz. Der zweite Teil dieses 17. Kapitels von Johannes behandelt das Gedeihen der Türkei zum Zeitpunkt, als der Engel zu ihm sagt: Warum, Johannes, wunderst du dich? Ich werde dir das Geheimnis oder die Bedeutung erklären. Zuerst betreffend Frau, danach betreffend Tier, das die Frau trägt und sieben Köpfe sowie zehn Hörner hat. Unter der Frau verstand Johannes die Türkei, betrunken vom Blut der Christen und der Märtyrer für Jesus. An zweiter Stelle erläutere ich die Bedeutung des Tiers. Das Tier, das du sahst, ist Mohammed, der nicht mehr lebt und anwesend ist, aber seine Sekte. Diese Sekte aber befindet sich im Aufstieg, indem sie sich über alle Königreiche der Christen erhebt, bis sie zu ihrem letzten Höhepunkt und Abgrund gelangt.“ 45 Apoc. 17, 7ff. 46 Zum Vorbild des Hl. Georg vgl. Silver : Marketing Maximilian (wie Anm. 3), S. 112–118.
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Abb. 6: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 65r. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 129.
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In den folgenden Abschnitten geht der Kommentar Aytingers auf die Fähigkeiten ein, worüber die Fürsten Europas beim Kampf gegen die Ungläubigen verfügen müssen. Am Ende ist seiner Meinung nach vor allem der König mit dem Anfangsbuchstaben „P“ in der Lage, die Ungläubigen zu besiegen; seine Mutter stamme aus Francia. Es ist deshalb anzunehmen, dass hier auf Philipp den Schönen (1478–1506) angespielt wird, der im Jahre 1496, als Aytingers Traktat zum ersten Mal erschien, 18 Jahre alt war ; seine Mutter war bekanntlich Maria von Burgund, auf die die Herkunftsbezeichnung ,Francia‘ zutrifft. Aytinger erwägt nebenbei auch den Jagiellonen Wladislaw II., den Sohn Kasimirs IV. von Polen, als möglichen Endkönig und Sieger über die Türken. Die Bilder – vor allem auch im Lichte von Brants Einleitung – sprechen aber eine andere Sprache. Die Bilder sehen in erster Linie im rex Romanorum denjenigen Fürsten, der die Türken in die Schranken weisen kann.47 Die hier besprochene Pseudo-Methodius-Aytinger-Edition von Brant zog weitere Kreise. Sebastian Brant sah in Maximilian den versprochenen Endkönig und trug 1502 in Innsbruck vor dem Reichsoberhaupt persönlich eine Exhortatio zum Türkenkrieg vor, wofür er reichlich beschenkt wurde.48 In dieser Exhortatio bezog sich Brant direkt auf seine Methodius-Aytinger-Edition und baute sie aus, indem er Maximilian noch einmal die Bekämpfung der Ungläubigen ans Herz legte. Dank der in den Prophezeiungen kursierenden Zahlen berechnete er den endgültigen Sieg auf das Jahr 1510. Zwei Aspekte von Sebastian Brants Publizistik im Dienste Maximilians verdienen abschließend noch eine besondere Beachtung. Wolfgang Aytinger preist in seinem Kommentar zu Pseudo-Methodius nicht nur das habsburgische Herrscherhaus, sondern nimmt auch die Gegner eines geeinten Reiches aufs Korn. So lesen wir bei Aytinger : Et sic videat ipsa ecclesia occidentalis, ne sit sibi baculus arundineus potentia Gallicana, in qua confidit, cui si quis innititur, perforatur manus eius.49 Et potest convenienter intelligi, quod Almani scorpioniste confederationem inibunt cum rege Francie, sub quo ecclesia crucem lamentationis humeris proprijs portabit. Et videbuntur mala inaudita sub nouella,50 ut quidam mathematici ex magna coniunctione Saturni et Jouis opinantur, qui fuit anno domini mcccclxxxiiij [1484], durans plurimos annos. Qui vere et bene praedixerunt, quod hec coniunctio suam magnam operationem habebit anno domini m. cccccvj [1506]. Tunc instabunt tempora periculosa in ecclesia Sancti Petri.51 47 Ludwig: Brant und Prophezeiungen (wie Anm. 29), S. 289ff. betont ebenfalls, dass Maximilian I. für Brant den eigentlichen Retter der Christenheit darstellt. 48 Ludwig: Brant und Prophezeiungen (wie Anm. 29), S. 273f. 49 Das Bild des „welschen“ Schilfrohres, das die vertrauensselige Hand durchbohrt, begegnet bereits bei Lichtenberger (wie Anm. 20), fol. 21. 50 Von „novella“, vgl. DuCange Bd. 5 (wie Anm. 1), S. 614, gleich wie „nouvelle“. 51 Fol. 46v (Kommentar Aytinger). Deutsch: „Und so soll die westliche Kirche darauf achten, dass die gallische Macht für sie nicht ein Schilfrohr ist, worauf sie vertraut: Wenn sich jemand
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Mit den scorpioniste sind im ausgehenden 15. Jahrhundert meistens die Eidgenossen gemeint.52 Sie gelten als die bösen Aufwiegler im Dienste des Planeten Mars und als Verbündete des französischen Königs. Bereits Lichtenberger erwähnt die scorpioniste,53 und die vorliegende Passage prophezeit für das Jahr 1506 erneut Schwierigkeiten mit den unbotmäßigen Almani superiores, den „Oberländern“.54 Bezeichnenderweise enthält das Druckexemplar der Basler Universitätsbibliothek mit Brants Edition von Pseudo-Methodius/Aytinger gerade auf der Seite mit den scorpioniste deutliche Benutzungsspuren (vgl. Abb. 7a, 7b): Am Rande stehen Berechnungen und Vermerke wie Mars oder Planetenzeichen.55 Diese Randnotizen zeigen, wie sehr die Lektüre der Brantschen Edition die Leserschaft faszinierte und zu einer aktiven Aneignung des Textes veranlasste. Dieses Interesse verweist indirekt auf die damalige Situation Basels. Der Erstdruck von Brants Edition erfolgte 1498, zu einem Zeitpunkt, als die Beschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 noch nicht umstritten waren und Basel beispielsweise den Gemeinen Pfennig bezahlt hatte.56 Ein Lob Maximilians war in Basel demnach durchaus möglich. Als die zweite Auflage im Jahre 1500 erschien, hatte sich die Situation völlig verändert. Der Schwaben- oder Schweizerkrieg lag rund ein Jahr zurück, und die Stadt Basel, die neutral geblieben war, befand sich in einem hässlichen Kleinkrieg mit den oberrheinischen Kleinadligen, die auf der Seite Habsburgs ge-
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auf dieses Rohr stützt, wird seine Hand durchbohrt. Und es lässt sich damit passend verstehen, dass die deutschen Skorpionisten ein Bündnis mit dem König von Frankreich eingehen werden, wodurch die Kirche das Kreuz der Klage auf den eigenen Schultern tragen wird. Und es werden bei dieser Neuigkeit unerhörte Bösartigkeiten erscheinen, wie einige Mathematiker aufgrund der Konjunktion von Saturn und Jupiter vermuten, die im Jahre 1484 stattfand und mehrere Jahre dauerte. Diese sagten wahr und gut voraus, dass diese Konjunktion ihren großen Einfluss im Jahre 1506 haben wird. Dann drohen gefährliche Zeiten in der Kirche des heiligen Petrus.“ Bei Ulrich von Hutten treten die Eidgenossen unter dem Banner des Skorpions auf, in gleicher Weise wie übrigens die Aufständischen des Bundschuhs. Vgl. dazu die Bilder bei Tom Scott: Freiburg und der Bundschuh, in: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg. Aufsatzband und Katalog zur Ausstellung des Stadtarchivs Freiburg vom 17. Mai–31. Juli 1998, hg. im Auftrag der Stadt Freiburg im Breisgau von Hans Schadek, Freiburg 1998, S. 332–354. Zum ambivalenten Bild des Skorpions in der abendländischen Astrologie vgl. Luigi Aurigemma: Le Signe Zodiacal du Scorpion dans les traditions occidentales de l’Antiquit8 gr8co-latine / la Renaissance, Paris/La Haye 1978. Lichtenberger (wie Anm. 20), fol. 32; fol. 90. Zur Bezeichnung Almani (superiores) für die Eidgenossen vgl. Claudius Sieber-Lehmann: Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 116), Göttingen 1995, S. 204ff. Fol. 46v und 47r (Kommentar Aytinger), Randbemerkungen. Brigitte Degler-Spengler : Der gemeine Pfennig und seine Erhebung in Basel, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 74 (1974), S. 237–258.
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Abb. 7a: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 46v. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 92.
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Abb. 7b: [Revelationes divinae] / [Pseudo-)Methodius]. Daran: [Tractatus super Methodium] / [Wolfgangus Aytinger]; [ed: Sebastian Brant]. [Basel: Michael Furter], [14. Feb. 1500]. Universitätsbibliothek Basel, AM IV 15:2, fol. 47r. Digitalisat: http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/erara-11121, S. 93.
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standen hatten und nun Revanche suchten. 1501 entschloss sich Basel kurzfristig und überraschend, der Eidgenossenschaft beizutreten.57 In der Folge verließ Sebastian Brant 1501 die Stadt und wurde 1503 Stadtschreiber in Straßburg. Sein Drucker Michael Furter legte im Jahre 1504 zum letzten Mal die Ausgabe Brants von Pseudo-Methodius samt Aytinger-Kommentar auf, wobei er die gleichen Illustrationen benutzte. Als gewiefter Geschäftsmann passte sich Michael Furter aber den neuen Gegebenheiten an. 1507 gab er die erste Druckfassung einer gesamteidgenössischen Chronik heraus, nämlich Petermann Etterlins Kronica von der loblichen Eydtgnoschaft, jr harkomen und sust seltzam strittenn und geschichten. Für den Sieg der Berner bei Laupen 1339 über Freiburg von Üechtland mit seinen adligen Verbündeten und für den Krieg der Eidgenossen mit Habsburg im Jahre 1385 verwendete Furter zwei Mal den gleichen Holzschnitt, mit dem er im Druck von Pseudo-Methodius/Aytinger zuvor den Sieg des römisch-christlichen Reichs über die Türken abgebildet hatte (vgl. Abb. 3).58 Nun waren die Eidgenossen zu Vertretern des Reichs geworden, und ihre Gegner mussten sich mit dem Part der Ismaeliten und Türken abfinden. Die vorliegende Untersuchung der Texte von Johannes Lichtenberger, PseudoMethodius, Wolfgang Aytinger sowie Sebastian Brant versuchte zu zeigen, dass sich astronomisch-astrologische Massendrucke aus den damaligen Offizinen besonders dafür eignen, um Vorstellungen, Ängste und Wünsche der damaligen Bevölkerung kennenzulernen. Auch wenn die krausen Prophezeiungen nur ein beschränktes Lesevergnügen bieten, so verweisen sie doch auf eine gemeine rede – der zeitgenössische Ausdruck für „Öffentlichkeit(en)“59 –, in der Neuigkeiten zirkulierten und alte Texte wie derjenige von Pseudo-Methodius unbekümmert mit aktuellen Prophezeiungen verquickt wurden. Dass Maximilian mit einem 57 Claudius Sieber-Lehmann: Neue Verhältnisse. Das eidgenössische Basel zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Identit/ territoriali e cultura politica nella prima et/ moderna – Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit. (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 9 = Jahrbuch des italienisch-deutschen Instituts in Trient. Beiträge 9), hg. v. Marco Bellabarba, Reinhard Stauber, Bologna/Berlin 1998, S. 271–300. 58 Vgl. zum Druck der Etterlin-Chronik die Ausgabe in der Universitätsbibliothek Basel, Signatur : Geigy 455, fol. 22v ; 45v. Dass die Eidgenossen zwischen dem (verehrungswürdigen) Reich als Institution und den (unbeliebten) habsburgischen Reichsoberhäuptern unterschieden, wies bereits Karl Mommsen: Eidgenossen, Kaiser und Reich. Studien zur Stellung der Eidgenossenschaft innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 72), Basel 1958, nach. Zur Verschiebung der Kreuzzugspropaganda in den säkularen Kontext spätmittelalterlicher Nationenkonflikte vgl. Claudius Sieber-Lehmann: An Obscure, but Powerful Pattern: Crusading, Nationalism and the Swiss Confederation in the Late Middle Ages, in: Crusading in the Fifteenth Century. Message and Impact, hg. v. Norman Housley, Houndmills, New York 2004, S. 81–93. 59 Zur gemeinen rede und dem Phänomen spätmittelalterlicher Öffentlichkeit(en) vgl. SieberLehmann: Spätmittelalterlicher Nationalismus (wie Anm. 54), S. 347–362.
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derartigen Publikum rechnete, zumal er selber an Astrologie und Astronomie interessiert war, steht außer Zweifel. Gerade die gewollte Mehrdeutigkeit der Texte musste für das habsburgische Reichsoberhaupt, dessen Regierung durch viele überraschende Wendungen geprägt war, besonders attraktiv sein. In den Prophezeiungen und Traktaten werden die Zeitebenen ineinander geblendet, wobei Älteres sehr oft einfach abgeschrieben und umgedeutet wird; das gilt auch für den Bereich der Bilder, die unbekümmert in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden. Dieser flexible Umgang mit Vergangenem und Gegenwärtigem, von astronomischen und somit wissenschaftlichen Berechnungen begleitet, erlaubte es dem habsburgischen Herrscherhaus, Unvorhergesehenes als falsch Verstandenes in den Prophezeiungen zu erklären, ohne die Glaubwürdigkeit der vorhandenen Aussagen zu entkräften. Damit sind auch die besonderen Schwierigkeiten angedeutet, mit denen die Erforschung dieser Textsorten zu kämpfen hat. Übernahmen und Verschiebungen in neue Zusammenhänge müssen erkannt werden, um die zum Teil chiffrierten Angaben entschlüsseln zu können. Gleichzeitig gilt es, das Publikum, für das diese Texte bestimmt waren, ernst zu nehmen, zumindest so ernst wie die riesige Leserschaft, die bis heute das Raunen der astrologischen „Wissenschaft“ jede Woche in den Massenblättern gerne zur Kenntnis nimmt.
II. Gedächtnis
Björn Reich
Maximilian und die Leerstelle: Einige Gedanken zur Poetik von Maximilians gedechtnus-Werken1
In der Forschung besteht kein Zweifel darüber, dass Kaiser Maximilian I. mit seinen zahlreichen vollendeten und unvollendeten Kunstprojekten, mit dem deutschsprachigen Ruhmeswerk, mit der lateinischen Biographie, mit den verschiedenen Holzschnittproduktionen oder mit den Bronzefiguren rund um das Innsbrucker Grabmal, vor allem eines wollte: gedechtnus sichern und die memoria an ihn, den Kaiser, lebendig zu halten; wenigstens auf literaturwissenschaftlicher Seite gibt es kaum einen Aufsatz, der nicht jenen berühmten Satz aus dem Weißkönig zitiert, nach dem das Leben des Menschen, der sich zu Lebzeiten kein gedechtnus errichte mit dem glockendon vergessen sei.2 Die Frage, wie diese gedechtnus-Kultur Maximilians genau konzipiert sei, ist allerdings, trotz eines 1 Dieser Beitrag entstand 2009 im Rahmen der Tagung ,Maximilians Welt‘ und konnte seither nur in Ansätzen auf den aktuellen Forschungsstand gebracht werden. Ich bitte dies zu entschuldigen. 2 Vgl. Jörg Jochen Berns: Maximilian und Luther. Ihre Rolle im Entstehungsprozess einer deutschen National-Literatur, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Garber, Tübingen 1989, S. 640–668, hier S. 654; Stephan Füssel: Kaiser Maximilian und die Medien seiner Zeit. Der Theuerdank von 1517. Eine kulturhistorische Einführung, Köln u. a. 2002, S. 7; Sigrid-Maria Größing: Maximilian I. Kaiser – Künstler – Kämpfer, Wien 2002, S. 224; Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der Älteren Deutschen Literatur), Bd. 2, München 1982, S. 82; Meinrad Pizzinini: Kaiser Maximilian I. – Ein Porträt, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 473–480, hier S. 473; Peter Strohschneider : Ritterromantische Versepik im ausgehenden Mittelalter. Studien zu einer funktionsgeschichtlichen Textinterpretation der Mörin Hermanns von Sachsenheim sowie zu Ulrich Fuetrers Persibein und Maximilians I. Teuerdank (Mikrokosmos), Bd. 14, Frankfurt a. M./Berlin/New York 1986, S. 371; Hartmut Schmidt: Literatur und Kunst unter Maximilian I., in: Kaiser Maximilian I. Bewahrer und Reformer, hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein: 2002, S. 325–348, hier S. 331 und 334; Helga Unger : Nachwort zum Teuerdank, in: Kaiser Maximilian I.: Teuerdank. Die Geferlichkeiten und eins Teils der Geschichten des loblichen streitbaren und hochberümbten Helds und Ritters Herr Teurdanks, hg. von Helga Unger, München 1968, S. 315–349, hier S 323; Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 5: Der Kaiser und seine Umwelt; Hof, Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, München 1986, S. 307.
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auch literaturwissenschaftlichen Forschungsaufschwungs in jüngerer Zeit, noch näher zu untersuchen.
1.
Die leeren Seiten im Theuerdank
Ich möchte mit einigen Gedanken zum Theuerdank beginnen,3 der gemeinhin als einziger vollendeter Text aus dem Kreis des deutschsprachigen Ruhmeswerks gilt.4 Bekanntlich ließ der Kaiser mehrere Exemplare drucken und in Truhen verwahren, um sie nach seinem Tod an einen ausgesuchten Kreis seiner Höflinge verteilen zu lassen.5 Obwohl der Theuerdank vollendet und gedruckt wurde, finden sich kurz vor Schluss drei leere Seiten.6 Auf diesen Seiten „fehlt“ der im Text angekündigte Türkenfeldzug des Helden, den Maximilian mehrfach in seinem Leben plante, aber immer wieder verschieben musste.7 Warum aber blieben die Seiten leer? Die oft nachlesbare Erklärung, innerhalb des biographisch geprägten Theuerdanks hätte nichts erzählt werden können, was einer historischen Grundlage entbehre,8 befriedigt nur zum 3 Zitiert nach: Maximilian I. (s. Anm. 2). 4 Vgl. Jan-Dirk Müller : Kaiser Maximilian I. und Runkelstein, in: Schloss Runkelstein – Die Bilderburg, hg. von der Stadt Bozen unter Mitwirkung des Südtiroler Kulturinstitutes, Bozen 2000, S. 459–468, hier S. 460; Karl Rudolf: Illustration und Historiographie bei Maximilian I.: Der „Weisse Kunig“, in: Rheinisches Museum 25 (1983), S. 35–108, hier S. 37; Schmidt (s. Anm. 2), S. 326; Ursula Schulze: Dietrich von Bern und König Artus – Maximilian/Theuerdank, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 23–33, hier S. 31; Unger (s. Anm. 2), S. 341; Horst Wenzel: Höfische Geschichte, literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte), Bern/Frankfurt a. M./Las Vegas 1980, S. 309. 5 Vgl. Müller (s. Anm. 2), S. 77; Larry Silver: „Die guten alten istory“: Emperor Maximilian I. Teuerdank, and the Heldenbuch Tradition, in: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 2 (1986), S. 71–106, hier S. 98. 6 Vgl. die Faksimilie-Ausgabe des Theuerdank: Maximilian I.: Theuerdank. Faksimile der Erstausgabe von Hans Schönsperger, Augsburg 1517 (2 Bde.), Plochingen/Stuttgart 1968. 7 Wiesflecker bezeichnet den Türkenfeldzug als „Leitmotiv seines wirklichen wie stilisierten Lebens“ Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 308. Ähnliches gilt daher auch für die Maximilian gewidmeten Werke, in denen der Türkenfeldzug immer wieder thematisiert wird; vgl. Jan-Dirk Müller : Maximilian und die Hybridisierung frühneuzeitlicher Hofkultur. Zum Ludus Diane und der Rhapsodia des Konrad Celtis, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 3–21, hier S. 6. 8 Vgl. „Und diese Wirklichkeitsnähe in den Theuerdank-Erzählungen geht schließlich so weit, daß ein Ereignis [der Türkenfeldzug], von dem im Theuerdank gehandelt werden sollte, eben darum nicht erzählt wird, weil die entsprechende Erlebnisgrundlage bei Maximilian fehlte.“ (Heinz Engels: Der Theuerdank als autobiographische Dichtung, in: Kaiser Maximilians Theuerdank. Kommentarband, Plochingen/Stuttgart 1968, S. 5–12, hier S. 7); ähnlich: Folkhard Cremer : „Kindlichait, Junglichait, Mandlichait, Tewrlichait“ – Eine Untersuchung zur Text-Bild-Redaktion des Autobiographieprojektes Kaiser Maximilians I. und zur Einordnung
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Teil: Denn es hätte eine Vielzahl an Möglichkeiten gegeben, um diese Lücke dennoch zu umgehen.9 Am einfachsten wäre es sicher gewesen, das letzte Kapitel vorzuziehen und die Türkenkriegsthematik einzusparen oder sie mit einem kurzen Verweis auf den Weisskunig als geplanten Folgetext (der in der Clavis Melchior Pfinzings auch erfolgt)10 zu verschieben. Eine andere Möglichkeit wäre die Gestaltung eines allegorisch verbrämten Kapitels gewesen, wie sie 1553 durch Burkard Waldis geschah.11 Keine dieser Möglichkeiten wurde genutzt und so bleibt eine vermeidbare, hier jedoch augenfällige Lücke, drei leere Seiten, die den Leser daran erinnern, dass ausgerechnet die Hauptaufgabe des Helden fehlt – denn Theuerdanks Auserwählte Ehrenreich lässt keinen Zweifel daran, dass der Erziehungsgeschichte des Weisskunig, Egelsbach/Frankfurt a. M./St. Peter Port 1995, S. 100; Martin Schubert: Funktionen der Vergangenheit in Maximilians medialer Selbstdarstellung, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 275– 289, hier S. 280; Schulze (s. Anm. 4), S. 29; Silver (s. Anm. 5), S. 95. 9 Zu den Begriffen Leerstelle und Lücke: Den Begriff „Lücke“ verwende ich im Folgenden gemäß der Editionsphilologie, wie er etwa bei Hofmeister oder Schubert zu finden ist (vgl. Werner Hofmeister : Der Mut zur Lücke. Auf den Spuren von Textnachträgen in der Manessischen Liederhandschrift. Ein Beitrag zu einer ,Überlieferungs-Philologie‘ des Mittelalters, in: Entstehung und Typen mittelalterlicher Lyrikhandschriften. Akten des Grazer Symposions 13.–17. Oktober 1999, hg. v. Anton Schwob und Andr#s Vizkelety, Bern 2001, S. 76–106; Martin Schubert: Sprechende Leere. Lücke, Loch und Freiraum in der Großen Heidelberger Liederhandschrift, in: editio 22 (2008), S. 118–138). „Lücken“ bezeichnen einen klaren, objektiven Befund, leer gebliebene Stellen innerhalb eines Buches/Codex (oder hier des Holzschnittwerkes Ehrenpforte). Der Begriff „Leerstelle“ meint hingegen einen interpretativ zu füllenden Leerraum für den Rezipienten. Lücken können prinzipiell immer zu Leerstellen werden, wenn sie vom Rezipienten deutbar sind (daneben gibt es weitere Formen von Leerstellen, wie z. B. „informative Leerstellen“, die hier wenig relevant sind; vgl. Michael Titzmann: Strukturelle Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation, München 1977, S. 238). Für diese Form der Rezeptionslenkung durch unbestimmte Leerstellen wird man nicht extra Iser bemühen müssen (vgl. dennoch die beiden grundlegenden Aufsätze Isers zur Leerstelle als Interpretationsfreiraum: Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, in: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, hg. v. Rainer Warning, München 1975; S. 228–252 und Wolfgang Iser : Der Lesevorgang. Eine phänomenologische Perspektive, in: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, hg. v. Rainer Warning, München 1975, S. 253–276), ist der Leerraum doch bereits in der phantasmatologischen Poetik des Mittelalters klar verankert als ein Unbestimmbarkeitsraum, der den Imaginationsfluss der Rezipienten anregen kann und soll (vgl. Lothar Bornscheuer : Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt a. M. 1976, S. 98f., und speziell zur Informationsleerstelle durch Namenlosigkeit: Hartmut Bleumer : Die narrative Interferenz. Schritte einer historischen Narrativistik im literarischen Feld um Dietrich von Bern, Hamburg 2002, S. 403, sowie Björn Reich: Name und maere: Eigennamen als narrative Zentren mittelalterlicher Epik. Mit exemplarischen Einzeluntersuchungen zum Meleranz des Pleier, Göttweiger Trojanerkrieg und Wolfdietrich D, Heidelberg 2011). Wenn daher die Lücken in Theuerdank und Ehrenpforte bewusst als Lücken inszeniert werden, so werden sie, der mittelalterlichen Poetik gemäß, bewusst als fruchtbare imaginationsanregende Leerstellen für den Rezipienten eingesetzt. 10 Vgl. Cremer (s. Anm. 8), S. 38 u. 55; Füssel (s. Anm. 2), S. 39. 11 Vgl. Engels (s. Anm. 8), S. 7; Füssel (s. Anm. 2), S. 38.
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seine bisherigen Abenteuer weitgehend sinnlos waren und dass allein die Profilierung im Kampf für den rechten Glauben ritterlich gerechtfertig ist. Der Held habe, so sagt die Königin Ehrenreich, die bisherigen Gefahren nur von wegen der welt eer durchgestanden; zu eim Ritter auszerkorn / Der billich füeren will gelb sporn gehöre aber mehr, nämlich der Schutz des christlichen Glaubens.12 Dies aber leistet der Held nicht oder eben allenfalls auf dem Holzschnitt, und die Lücke in der Handschrift deutet überdeutlich darauf hin. Dass das Kapitel im Falle eines noch stattfindenden (und erfolgreichen) Türkenfeldzugs Maximilians nachgetragen worden wäre, ist durchaus möglich, obwohl dann immerhin erstaunlich ist, warum nur drei Seiten für die Hauptaventiure des Textes frei geblieben sind. Jedenfalls wurde der Theuerdank auch so als abgeschlossen betrachtet und gedruckt. Es scheint angesichts dessen bedenkenswert, ob die Lücke im Theuerdank nicht absichtlich, als Lücke (und damit als Leerstelle), inszeniert wird. Dafür spricht auch, dass sie sogar hervorgehoben wird, indem – hierin ist der Text im Anklang an Maximilians Biographie ganz und gar nicht historisch – der genealogische Fortbestand von Theuerdanks Dynastie von diesem Türkenfeldzug abhängig gemacht wird: Der Held muss dem Engel und seiner errungenen Frau nämlich schwören, dass er erst nach dem Feldzug mit Letzterer das Lager teilt (Kap. 116).13 Der fehlende Türkenfeldzug wird im Theuerdank geradezu herausgestellt und dem Leser überdeutlich vor Augen geführt. Was aber soll diese Lücke, wenn sie tatsächlich absichtlich inszeniert oder wenigstens bewusst in Kauf genommen wird?
2.
Die geferlichkeit als Heldentat?
Man muss die folgende Interpretation des Theuerdanks nicht in allen Einzelheiten teilen, um meine schlussendliche These zu diesen leeren Seiten anzunehmen; sie stellt den Versuch einer Textdeutung dar, die einige der Besonderheiten dieses seltsamen späten Ritteromans zu erklären versucht. Zunächst scheint mir die Lücke als Leerstelle auf die heilsgeschichtliche Dimension des Textes zu deuten, die im Rahmen der Interpretierbarkeit des Theuerdanks gemäß des vierfachen Schriftsinns eine zentrale Position einnimmt. Peter Strohschneider hat in seiner Untersuchung zur spätmittelalterlichen Ritterromantik die Lesbarkeit des Textes vor allem nach den ersten drei Ebenen des vierfachen Schriftsinns herausgearbeitet,14 demzufolge 12 Strohschneider (s. Anm. 2), S. 379. 13 Vgl. Manfred Hollegger : Maximilian I. (1459–1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005, S. 246; Schulze (s. Anm. 4), S. 29; Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 308. 14 Vgl. Strohschneider (s. Anm. 2), S. 443. Literalsinn und sensus historicus (der die Geschichte
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1. der Text nach dem Literalsinn eine Ansammlung von Abenteuern rund um den Helden Theuerdank sei, 2. der sensus historicus direkt auf die Biographie Maximilians verweise und 3. der sensus allegoricus Bezüge der drei Hauptleute auf die drei Lebensalter15 oder auch auf ungünstige Planeteneinflüsse erkennen lasse, die in der Clavis entschlüsselt werden.16 Die weitere Deutung der drei Hauptleute – zumindest im Falle von Fürwittig und Neidelhart – als Hauptsünden des Helden, überschreitet bereits vorsichtig den sensus allegoricus hin auf die heilsgeschichtliche, heilswirksame vierte Deutungsart:17 Darüber hinaus bleibt quasi ,anagogisch‘ die Notwendigkeit, die ritterliche Heldentat an den rechten christlichen Glauben (und die heilsgeschichtlich relevante Tat des Türkenkrieges) rückzubinden. Und diese Rückbindung leistet der Held, die leeren Seiten am Ende machen das deutlich, trotz seiner Exzellenz gerade nicht: Der Verweis Ehrenreichs auf die mangelnde Effizienz der bisherigen Taten (Kap. 113), der Abbruch von Theuerdanks Genealogie aufgrund des nicht erzählbaren Türkenfeldzugs (Kap. 116), ja selbst die Clavis, die betont, dass „die vorigen Getaten [des Helden] weltlich gewesen sein“,18 stellen in ihrem Zusammenspiel dem Leser vor Augen, dass die weltliche Heldentat überragt wird von der heilsgeschichtlichen Aufgabe des Protagonisten, das Christentum zu wahren und zu beschützen. Müller bemerkt, dass Theuerdank die drei Versuchungen des Teufels am Anfang des Textes (Kap. 10) – stets die fleischliche Begierde zu stillen, das Gesetz des Stärkeren durchsetzen und vor allem aufgrund weltlicher Ehre das Leben zu wagen – zwar in der Rede ablehnt, diese Ablehnung aber „rein deklamatorisch“ sei,19 da er sich in der Folgehandlung häufig nach der letzten dieser Lehren verhalte.20 Dabei handelt es
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auf die hinter der Erzählung liegenden Fakten hin versteht) sind auch bei Strohschneider begrifflich getrennt. Es geht mir im Übrigen ebensowenig wie Strohschneider um eine genaue Zuordnung und Festlegung der Schriftsinne als vorgegebene Lesarten, sondern vielmehr darum zu zeigen, wie der Text zwischen verschiedenen Lesarten changiert. Vgl. Silver (s. Anm. 5), S. 93; Strohschneider (s. Anm. 2), S. 442f. Dazu vor allem: Hans-Joachim Ziegeler : Der betrachtende Leser. Zum Verhältnis von Text und Illustration in Kaiser Maximilians I. Teuerdank, in: Literatur und bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Die Iwein-Fresken von Rodenegg und andere Zeugnisse der Wechselwirkung von Literatur und bildender Kunst, hg. v. Egon Kühebacher, Innsbruck 1982, S. 67–110, hier S. 87. Wenzel betont: „Die heilgeschichtliche Dimension durchzieht das ganze Werk.“ (Wenzel, s. Anm. 4, S. 311) und geht dabei vor allem auf die Gespräche Theuerdanks mit dem Teufel und dem Engel ein. Maximilian I. (s. Anm. 2), S. 313. Müller (s. Anm. 2), S. 126, vgl. S. 230. Vgl. Wenzel (s. Anm. 4), S. 310; Ernst W. Wies: Kaiser Maximilian I. Ein Charakterbild, München/Esslingen 2003, S. 40; Ziegeler (s. Anm. 16), S. 76.
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sich vielleicht nicht zwingend um eine Inkonsequenz des Textes. Er zeigt, dass Theuerdank – „ein Mensch und doch nit mer“ (Kap. 118) – dem Streben nach weltlicher Ehre zumindest zu erliegen d r o h t , dass er seine Kraft beinahe in sinnlosen Aventiuren (die Brautwerbung steht bereits fest) vergeudet, während Ehrenreich längst auf ihn wartet, um ihm ein wichtigeres Ziel zu weisen. Die weltlichen Taten mögen großartige Heldentaten sein, aber in letzter Instanz sind sie unzureichend für die Vollkommenheit des Helden. Die Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts ist in ihrer Poetik noch der spätantiken und mittelalterlichen Textgenese verpflichtet, die sich einerseits aus dem Wissen um die innere Verbildlichung,21 andererseits von einer topisch-kombinatorischen Textkonzeption her versteht.22 Es handelt sich letztlich um eine „Intensitätsästhetik“,23 die das Erzeugen von enargeia anstrebt.24 Dies geschieht vor allem an intensivierten Textstellen (Ekphrasen),25 die prägnant aus einem Text hervortreten, die für die Rezipienten besonders eindrücklich sind, an denen der Gehalt eines Textes topisch gebündelt wird und von denen her der Text 21 Vgl. Giorgio Agamben: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich/Berlin 2005; Ioan Petru Culianu: Eros und Magie in der Renaissance, Frankfurt a. M./Leipzig 2001; Hans Jürgen Scheuer : Die Wahrnehmung innerer Bilder im Carmen Buranum 62. Überlegungen zur Vermittlung zwischen mediävistischer Medientheorie und mittelalterlicher Poetik, in: Das Mittelalter 8,2 (2003), S. 121–136. 22 Vgl. Bornscheuer (s. Anm. 9), S. 19; Rüdiger Bubner: Dialektik als Topik. Bausteine zu einer lebensweltlichen Theorie der Rationalität, Frankfurt a. M. 1990, S. 60; Uwe Hebekus: Topik/ Inventio, in: Einführung in die Literaturwissenschaft, hg. v. Miltos Pechlivanos u. a., Stuttgart 1995, S. 82–96, hier S. 82; Hans Jürgen Scheuer : Farbige Verhältnisse. Zur Topik kultureller und literarischer Farbkonzeption in Texten des 12.–14. Jahrhunderts und bei Heinrich von Kleist, Göttingen 2000, S. 11; Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft (Paradeigmata 1), Hamburg 1983, S. 10. 23 Vgl. Hans Jürgen Scheuer : Bildintensität. Eine imaginationstheoretische Lektüre des Strickerschen Artusromans Daniel von dem Blühenden Tal, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 122 (2003), S. 23–46; sowie Reich (s. Anm. 9). 24 Vgl. Reich (s. Anm. 9), S. 35. 25 Zum spätantik-mittelalterlichen Ekphrasis-Begriff und zur enargeia-Produktion vgl. Niklaus Largier : Der Körper der Schrift. Bild und Text am Beispiel einer Seuse-Handschrift des 15. Jahrhunderts, in: Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent, hg. v. Jan-Dirk Müller und Horst Wenzel, Stuttgart/Leipzig 1999, S. 241–271, hier S. 266; Raphael Rosenberg: Inwiefern Ekphrasis keine Bildbeschreibung ist. Zur Geschichte eines missbrauchten Begriffs, in: Bildrhetorik (Saecula Spiritalia 45), hg. v. Joachim Knape, Baden-Baden 2007, S. 271–282, hier S. 273; Ruth Webb: Ekphrasis Ancient and Modern. The Invention of a Genre, in: Word and Image 15 (1999), S. 7–18, S. 11; Hans Jürgen Scheuer : Cerebrale Räume. Internalisierte Topographie in Literatur und Kartographie des 12./13. Jahrhunderts (Hereford-Karte, ,Straßburger Alexander‘), in: Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, Germanistische Symposien, Berichtsbd. 27, hg. v. Hartmut Böhme, Stuttgart 2005, S. 12–36, hier S. 12; Haiko Wandhoff: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters (Trends in Medieval Philology 3), Berlin 2003, S. 23.
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erinnerbar ist.26 Sieht man sich den Theuerdank jedoch näher an, so wird evident, dass besonders herausragende Szenen nahezu fehlen, nicht einmal eine klare Ordnung der Episoden wird zur Orientierung der Rezipienten geboten.27 Die Raum- und Zeitstruktur des Textes ist völlig wirr, „ein leitender Faden [lässt] sich nicht entdecken“,28 „auf die Darstellung eines üblichen epischen Kontinuums haben die Autoren herzlich wenig Wert gelegt. Sommer und Winter wechseln in kunterbunter Folge“.29 In immer neuen, kaum voneinander unterscheidbaren Jagden und Kriegsabenteuern beweist der Held sein Glück.30 Allenfalls einige wenige Episoden ragen heraus, die in der Forschung am häufigsten thematisiert werden, weil sie etwas Besonderes berichten, wie etwa das Abenteuer mit dem Schleifrad (Kap. 21)31. Gerade in diesen Episoden macht der Held jedoch häufig keine allzu glückliche Figur. Daraus ergibt sich die Frage, wie diese Geschichten von Maximilian und seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurden. Liegen sie nur für uns „auf der Grenze zum unfreiwillig Komischen“?32 Auch den Zeitgenossen wird es kaum als kluge oder heldenhafte Handlung erschienen sein, mit einer geladenen Armbrust herumzurennen und dabei fast zu Tode zu kommen (Kap. 30). Die „Krankheitsabenteuer“, in denen der Held entgegen dem Rat seiner Ärzte einen Eimer Wasser trinkt und so sein Leben fristet (Kap. 67 oder 70), oder die Schlachten, in denen Theuerdank „simply ducks his head“33 um einem Geschoss auszuweichen, dürften ebenfalls nur sehr bedingt als heldische Großtaten wahrgenommen worden sein. Oder doch? War in Maximilians eigener Wahrnehmung und der seiner Zeitgenossen der Bruch zwischen den Taten der Ritter in den mittelalterlichen Romanen und Epen und dem dezidiert 26 Vgl. dazu Reich (s. Anm. 9), S. 62. 27 Dass Maximilian das Prinzip der Gedächtnissicherung durch loci und imagines, als zentralen Kategorien der mnemotechnischen Topik, durchaus kannte, zeigt Manns für die Ehrenpforte; vgl. Stefan Manns: Topik und Gedächtnis. Text-Bild-Relationen und symbolische Kommunikation in der Ehrenpforte, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/ 2009), S. 215–229, hier S. 217f. 28 Müller (s. Anm. 2), S. 122; vgl. Schulze (s. Anm. 4), S. 27; Joseph Strobl: Studien über die literarische Tätigkeit Kaiser Maximilian I., Berlin 1913, S. 20; Strohschneider (s. Anm. 2), S. 388f. 29 Ziegeler (s. Anm. 16), S. 76; vgl. Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 314. 30 Vgl. Füssel (s. Anm. 2), S. 38; Müller (s. Anm. 2), S. 121; Wies (s. Anm. 20), S. 34. 31 Vgl. Strohschneider (s. Anm. 2), S. 405; Silver bezeichnet die Handlungen des Helden als „naively“ [Silver (s. Anm. 5), S. 92]. Auch die geferlichkeit, bei der Theuerdank bei einer Gämsenjagd abzustürzen droht und nur von seinen Sporen gerettet wird, wird mehrfach als herausragend diskutiert, aber die Volkserzählungen zu diesem historischen Ereignis, in denen Maximilian bereits die letzte Ölung erhalten soll und schließlich von einem Engel gerettet wird [vgl. Größning (s. Anm. 2), S. 230], sind im Theuerdank erstaunlicherweise geradezu marginalisiert. Das außerordentliche Geschehen reiht sich hier nahtlos in die Reihe anderer Jagdunfälle ein. 32 Strohschneider (s. Anm. 2), S. 407; vgl. Hollegger (s. Anm. 13), S. 248. 33 Silver (s. Anm. 5), S. 92.
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auf diese heldenpuech verweisenden Theuerdank34 tatsächlich nicht spürbar? Das ist denkbar, aber es ist auch durchaus möglich, dass dieser Bruch, obwohl oder gerade weil der Text jede Aktion der Titelfigur als heldische Leistung proklamiert, beabsichtigt war. Theuerdank erscheint dabei keineswegs als klägliche Figur, aber ebenso wenig als „idealer“ Ritter. Die Taten des Helden werden nicht geschmälert, sie wirken durchaus großartig, aber zugleich auch seltsam-belanglos,35 weil ihnen das fehlt, was als Lücke am Ende des Textes auf der leeren Seite visualisiert wird: die heilsgeschichtliche Relevanz, die hinter jeder Heldentat stehen muss, um ihr Sinn zu verleihen.
3.
Die Lücke als Politikum
Unabhängig davon, ob man einer solchen Interpretation des Theuerdank zustimmen möchte oder nicht, scheint mir wichtig, dass es dem Kaiser keineswegs um Selbstkritik gegangen sein dürfte, sondern eben um die Lücke als heilsgeschichtliches Faktum und als Politikum. Denn die Nachkommen und Anhänger Maximilians, die nach dessen Tod eine Ausgabe des Theuerdanks erhalten sollten, werden durch diese Leerstelle daran erinnert, dass es noch etwas zu tun gibt: nämlich für den christlichen Glauben zu kämpfen. Die Lücke sollte von ihnen wohl nicht nur schriftlich, sondern auch ,in der Realität‘ nachträglich gefüllt werden. Dies gilt insbesondere für Maximilians direkte Nachkommen, denn mit der dezidiert abgebrochenen Genealogie am Ende des Theuerdanks wird diesen Nachkommen eine Daseins- und gedechtnus-Berechtigung erst nach dem erfolgreichen Türkenkrieg eingeräumt. Wenn es stimmt, dass Maximilian seinem Enkel Karl bereits 1517, also noch zu Lebzeiten, ein Exemplar des Theuerdank überreichen ließ,36 so geschah dies möglicherweise, um ihn zur Unterstützung bei dem geplanten Türkenfeldzug aufzufordern. Die Lücke als Leerstelle hat damit politisch-didaktische Relevanz, die Maximilians Nachkommen an diese wichtige Aufgabe gemahnen sollte. Ob Maximilian im Falle eines noch stattgefundenen Türkenfeldzugs die leeren Seiten nachträglich gefüllt hätte, ist angesichts dessen irrelevant: Jedenfalls erinnert er so an die Pflicht, für Gott einzutreten, füllt damit die Lücke sozusagen posthum und erwirbt sich 34 Vgl. Engels (s. Anm. 8), S. 5; Füssel (s. Anm. 2), S. 38; Gerold Hayer: Teuerdank auf der Bühne. Maximilians Brautfahrt in Schauspiel und Oper des 19. Jahrhunderts. Eine Bestandsaufnahme, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), S. 439–451, hier S. 439; Hollegger (s. Anm. 13), S. 246; Müller (s. Anm. 2); Schulze (s. Anm. 4), S. 23; Silver (s. Anm. 5), S. 90; Strohschneider (s. Anm. 2), S. 421; Wiesflecker (s. Anm. 1), S. 312; Ziegeler (s. Anm. 16), S. 73 und 89. 35 Vgl. Wenzel (s. Anm. 4), S. 309f. 36 Vgl. Ziegeler (s. Anm. 16), S. 91.
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allererst gedechtnus, aber eben nicht nur jenes rein weltliche, dass der Teufel dem jungen Theuerdank vor Augen stellt, sondern, indem die weltlichen Taten Theuerdanks/Maximilians den christlichen untergeordnet werden und Maximilian noch über seinen Tod hinaus darauf aufmerksam macht, auch wirkliches, ewiges gedechtnus vor Gott.
4.
Die Leerstelle an der Ehrenpforte und das „gedechtnus nach vorne“
Noch einmal hat Maximilian diese Leerstelle thematisiert und seinen Untergebenen und Nachkommen vor Augen gestellt: Bei der Konzeption der Ehrenpforte, jenem „Holzschnittmonstrum“37 von „drei mal dreieinhalb Meter[n]“,38 blieb ein Quadrat frei, ein weißes Blatt mitten auf der Ehrenpforte, die den Türkenfeldzug hätte aufnehmen sollen, ein leeres Blatt, das erst später nachträglich gefüllt wurde:39 „Die letzte Tafel über der Portenn des Adels ist noch frei, die gedechtnus Maximilians noch nicht abgeschlossen“.40 Auf diese Weise wird der erste Blick des Rezipienten keineswegs „auf das große Mittelportal der dreitorigen Pforte“ gelenkt,41 wie es bei einer vollständigen Ehrenpforte der Fall wäre, sondern auf die Lücke. Leicht hätte hier eine andere Tat vorläufig eingeschoben werden können (wie es in den späteren Fassungen geschehen ist); auch wurden Holzschnitte häufig nachträglich korrigiert42 und sogar ein kompletter Foliobogen der Ehrenpforte hätte problemlos ausgetauscht werden können – aber genau dies ist ursprünglich nicht geschehen – die Lücke ist, wie beim Theuerdank, als Lücke da. Tatsächlich werden Theuerdank und Ehrenpforte erst dadurch zu Werken, „die freie Stellen reservieren, an denen das Vergangene in die Zukunft fortzuschreiben wäre“,43 und gerade diese nach Vorne gerichtete gedechtnus-Vorstellung findet sich bei Maximilian immer wieder. Wer die Lücke füllt, ist nicht mehr notgedrungen Maximilian selbst, sondern seine Nachfolger, die durch deren Betrachtung ihre eigene Aufgabe erkennen sollen.
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Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 368. Manns (s. Anm. 27), S. 215. Vgl. Füssel (s. Anm. 2), S. 18; Schmidt (s. Anm. 2), S. 338; Schubert (s. Anm. 8), S. 280. Manns (s. Anm. 27), S. 220. Eine Abbildung dieser ersten lückenhaften Fassung der Ehrenpforte findet sich in: Füssel (s. Anm. 2), S. 19. 41 Manns (s. Anm. 27), S. 220. 42 Vgl. H. Th. Musper : Die Holzschnitte im Theuerdank, in: Kaiser Maximilians Theuerdank. Kommentarband, Plochingen/Stuttgart 1968, S. 13–21, hier S. 19; Ziegeler (s. Anm. 16), S. 72. 43 Schubert (s. Anm. 8), S. 280.
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5.
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Auflösungserscheinungen: Der Weißkönig
Um die Konzeption von Maximilians gedechtnus-Werken näher zu beleuchten, möchte ich noch einen Blick auf den Weißkönig werfen, dessen Deutung aufgrund des fragmentarischen Charakters schwierig ist.44 Waren bei der Ehrenpforte die Taten Maximilians in einem großen, summarischen Überblick dem Betrachter vor Augen gestellt, wirkt der Weißkönig wie eine topische Entfaltung dieses konzentrierten Bilderschatzes.45 Die Eigentümlichkeit der Ehrenpforte, die sich der Betrachtung beinahe entzieht, weil „beim Anblick des Ganzen das Einzelne verschwindet und das Einzelne kaum einen Blick auf das Ganze gestattet“, so dass vor lauter Details fast gar nichts mehr wahrnehmen kann,46 scheint im Weißkönig fortgesetzt. Auch hier gehen die Taten des Helden im Textgefüge unter. Während der erste Teil, die Jugendgeschichte des Weißkönigs, noch recht einheitlich entworfen ist, wird es im zweiten Teil zumindest für ein gedechtnus-Werk wahrhaft skurril, denn eines leistet dieser Text auf den ersten Blick nicht: Erinnerung zu bewahren. Während im Theuerdank die einzelnen geferlichkeiten zwar die Exzellenz des Helden hervorkehrten, aber kaum spezifische memoria transportieren – sie bieten „keine historische Information und verweisen nicht über die einzelne Gelegenheit hinaus“47 – sind im Weißkönig wesentlich mehr konkrete geschichtliche Ereignisse integriert; allerdings im Stadium ihrer Auflösung. Die Verschlüsselung der Namen – in „heraldische Namen“ bei den Personen und anagrammatische Umstellungen bei den Ortsnamen48 – hatte schon im Theuerdank stattgefunden, war dort aber leicht durchschaubar. Hier im Weißkönig erscheint die Verrätselung dominant. Zwar bleiben der junge Weißkönig als Maximilian sowie der blaue König als der König von Frankreich erkennbar, und auch die anderen Potentaten kann man, trotz des einheitlichen Titels „künic“, ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich zuordnen, aber genauere Ereignisse sind schwer entschlüsselbar. Selbst der Verfasser Marx Treitzsaurwein ist bekanntlich an der enigmatischen Codierung gescheitert.49
44 Zitiert nach: Der Weiß Kunig. Eine Erzehlung von den Thaten Kaiser Maximilian des Ersten. Von Marx Tretzsaurwein auf dessen Angeben zusammengetragen, nebst den von Hannsen Burgmair dazu verfertigten Holzschnitten. Hrsg. aus dem Manuscripte der kaiserl. königl. Hofbibliothek, Wien 1775. 45 Vgl. Manns (s. Anm. 27), S. 222; Rudolf (s. Anm. 4), S. 61. 46 Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 368. 47 Schubert (s. Anm. 8), S. 280. 48 Vgl. Clemens Biener : Entstehungsgeschichte des Weisskunigs, in: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 44 (1930), S. 83–102, hier S. 93. 49 Vgl. Cremer (s. Anm. 7), S. 18 und 29; Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 316. Das führte wohl auch dazu, dass noch Maximilian eine Neubearbeitung mit „echten Namen“ initiierte; vgl. Rudolf (s. Anm. 4), S. 39.
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Um etwa Kapitel 154 des Weißkönigs geschichtlich korrekt zuordnen zu können, braucht man mehr als nur eingeweihtes Wissen:50 Als Nun der Jung weiß kunig, weg getzogen was, dem Gruenen kunig zu hilf, wider die Unglaubign, da viel die groß prawn geselschaft (k) widerumb, als des weisn kunigs hauptman, der verruembt furst, (l) solich vmbfallen ersach, Rueffet Er an den Roten weisen kunig (m) umb hilf, der Ime dann von des Jungen weisen kunigs wegen Zway tausend man zu hilf (n) schicket, Derselb hauptman der tailet sein kriegsfolck in Zwen tail, Er selbs Zoch mit dem ainen taill, auf die graw geselschafft, (o) vnnd den anndern tail schicket Er, mitsampt des Roten weisen kunigs hilf volck, durch seinen Stathalter, (p) auf die groß Praun geselschaft, derselb Stathalter Zoch der praunen geselschaft gestracks in Ir lanndt, und gewann Inen ab, etlich Sloß vnnd Stet, die sich ains tails willigclichn an Ine ergaben, und die sich also ergaben, die theten den andern widerwertigen grossen schaden, alsdann kriegsgewonnhait ist, das mocht die prawn geselschafft nit erleiden, Und versamelten sich, vnnd Zochen gegn der weisn geselschafft der maynung Sy aus dem veld Zu Slagen […] Aber die weiß und die Rot weiß geselschaft warttetn nit auf den beschluß, der praun Ratslag, sonnder Sy zugen den nechstn zu Inen, und griffen Sy an zwayen endn, gleich mit ain ander an, vnd schluegen die in die flucht, vnd schluegen der prawnnen, bey Zwaytausend zu todt, Aber der weisn und Rot weisn geselschaft bayd hauptleut waren erschossn. (a) (WK, Kap. 154)
Was sind das für Hauptleute? Und um welche Schlachten handelt es sich überhaupt? Obwohl das Kapitel noch eine Reihe weiterer recht detaillierter Kriegsbewegungen und Bündnisse schildert, bekennt selbst der 1775 hinzugefügte umfassende Erklärungsapparat: „Dieser Muthmassung (denn es ist ja nur Muthmassung) zu folge scheint hier von jenen Scharmützeln die Rede zu seyn, die sich kurz vor der letzten Übergabe der Sluis ereignet hatten“.51 Alles in allem erweist sich der Text als ein kaum durchschaubares Durcheinander. Das hat seine Ursache primär in der Entstehungsgeschichte des Weißkönigs, hatte Treitzsaurwein doch die undankbare Aufgabe, aus den Sammelnotizen Maximilians gelegentlicher Diktate52 einen mehr oder weniger homogenen Text zu erstellen, eine Aufgabe, die ihm genauso wie Maximilian über den Kopf gewachsen ist, so dass der Weißkönig letztlich nicht viel mehr als eine unvollendete Materialsammlung darstellt.53 Dieser seltsame Sammelsurium-Charakter ist daher wohl auch das spezifischste Merkmal des Textes. Nichtsdestotrotz gibt es einige Besonderheiten, die sich nicht ohne weiteres nur mit der Überforderung der 50 Vgl. Hermann Schreiber : Ritter, Tod und Teufel. Kaiser Maximilian I. und seine Zeit, Gernsbach 2008, S. 289. Dagegen Biener, der von Maximilians System spricht, „das es ermöglicht, fast alle beteiligten Personen mit Sicherheit zu identifizieren.“ Biener (s. Anm. 48), S. 92. 51 Anmerkung zum Weißkönig, S. 252. 52 Biener (s. Anm. 48), S. 84. 53 Hollegger (s. Anm. 13), S. 245.
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Textschaffenden oder der Notizenunordnung erklären lassen und die gerade deshalb bedenkenswert sind: 1. Warum werden die Namen innerhalb dieses gedechtnus-Werkes verschlüsselt? Zwar war dieses Verfahren auch im Theuerdank zur Anwendung gekommen, dort stellte es aber aus zwei Gründen kein Problem dar : Erstens war die Anzahl der Figuren überschaubar, zweitens war der spezifisch historische Gehalt eher gering, so dass eine allegorisierende Umdeutung des Geschehens ohne Probleme möglich war. Der Weißkönig, der sich viel stärker an der politischen Vita Maximilians orientiert, hatte es da sicher schwerer54 und man musste von Anfang an damit rechnen, dass der historische Gehalt teilweise unterzugehen drohte. Ist das noch erklärbar, mit der Tatsache, dass Maximilian seine memoria auf einen bestimmten okkulten Adelskreis beschränkt wissen wollte und dem gemainen man bescheinigt, es tue nicht Not, dass er alles verstehe?55 Dagegen spricht, dass die ,verkehrten Namen‘ in späteren Teilen des Weißkönigs zum Teil wieder aufgelöst wurden. 2. Die Kapitelüberschriften sind geradezu erstaunlich unspezifisch: Die monotonen Allgemeinformulierungen wie „Wie der Jung weyß kunig unnd der Plab kunig weiter mit krieg an ainander angriffen“ (Kap. 171), „Wie der Jung weiß kunig aber ainem hauptman ausschicket dem plaben kunig ain land zu ueberfallen“ (Kap. 172) oder „Wie der Weiß kunig sich fur ain grosse Stat legert, die auch an not wider abgefallen was“ (Kapitel 205) liefern wohl auch einem Eingeweihten keine Möglichkeit sich schnell im Text zurechtzufinden. 3. Während diese beiden ersten Punkte auf den unfertigen Charakter zurückgeführt werden können, erscheint der dritte Punkt schwerwiegender : Wer eine Geschichte, die sich an der Biographie eines Herrschers orientiert und zu seinem Ruhm beitragen soll, erzählen will, und sei dies auch allegorisch verklärt und mit verkehrten Namen, wird doch nicht umhin kommen, wenigstens die wichtigsten Leistungen und Taten dieses Herrschers herauszustreichen. Aber im Weißkönig wird nichts davon realisiert. Alles ist zwar irgendwie da, aber nichts deutlich hervorgehoben. Selbst wenn vieles im Wust der Diktate Maximilians untergegangen sein sollte, selbst wenn Marx Treitzsaurwein mit seiner Arbeit hoffnungslos überfordert war, so ist auffällig, dass die großen politischen und militärischen Leistungen Maximilians, wie etwa die Gründung der Heiligen Liga oder die Krönung zum König von Italien, genauso marginalisiert oder gar verschwiegen werden, wie seine Niederlagen (was in einem Ruhmeswerk plausibel erscheint). Dass gerade 54 Ob bzw. inwieweit auch beim Weißkönig eine allegorische Umdeutung geplant war, lässt sich nicht mehr exakt nachvollziehen. 55 Vgl. Berns (s. Anm. 2), S. 665; Füssel (s. Anm. 2), S. 39; Schmidt (s. Anm. 2), S. 326; Silver (s. Anm. 5), S. 93; Strohschneider (s. Anm. 2), S. 435ff. und 470f.; Unger (s. Anm. 2), S. 333.
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diese Schlüsselmomente Maximilianischer Politik den Verfassern und Bearbeitern des Weißkönigs entfallen sein sollten, ist durchaus seltsam. Statt biographisch-historiographische Präzision zu leisten, wird die Handlung überwuchert von einem kaum durchschaubaren Meer von Farben. Das Konzept, topische Sinnzentren und besonders intensivierte Textstellen zu erschaffen, wird, noch deutlicher als im Theuerdank, geradezu unterlaufen.
6.
Spielbewegungen
Eine Deutung des Weißkönigs erweist sich demnach als weitaus schwieriger als beim Theuerdank. Nichtsdestotrotz kann man ein klares Merkmal des Weißkönigs festhalten, dass sich ausgehend von den topischen Auflösungserscheinungen auch dann konstatieren lässt, wenn man den Text für eine unglücklichunfertige Notizenkompilation hält. Denn bemerkenswert ist, dass der Text – wie auch immer das fertig redigierte Werk ausgesehen hätte – ganz auf die Auseinandersetzung der beiden Hauptfiguren, den weißen und den blauen König, konzentriert bleibt. Der blaue König agiert, indem er die Truppen des Weißen aufwiegelt oder besticht, der weiße König reagiert darauf. Auch dort, wo es zu Auseinandersetzungen mit anderen Herrschern kommt, wird die Schuld, oder vielleicht müsste man besser sagen, die Erstursache, dem blauen König angelastet, der die fremden Könige zum Aufruhr angestiftet hat. Dies ist grundsätzlich politisch-historisch nicht immer korrekt, insgesamt verschwindet die historische Tat in diesen ungezählten Actio-Reactio-Handlungen des blauen und weißen Königs. Selbst die Maximilian sonst doch so wichtige Genealogie wird aufgelöst, denn der blaue König ist, wie Müller bemerkt, stets der blaue König, egal ob es sich dabei um Ludwig XI., Karl VIII. oder Ludwig XII. handelt.56 Gerade das scheint kein „Fehler“, sondern ein absichtliches Merkmal des Textes zu sein, denn ein ähnliches Verfahren, die seltsame Auflösung der geschichtlichen Gegner Maximilians in ein buntes, aber unspezifisches Personenkontinuum, kam auch in der Ehrenpforte zur Anwendung, bei der ebenfalls „alle Feinde durch die gleichen Wappen und Standarten signifiziert“ werden.57 Exakte Historie wollte der Weißkönig sicherlich nie nachbilden. Auch sein grundlegendes Desinteresse an wirklichen politischen Geschehnissen, die eben nicht nur teilweise zwischen den Diktatsnotizen untergegangen sind, sondern allgemein überhaupt nicht thematisiert werden, macht dies deutlich: „Dargestellt werden die historischen Ereignisse in starker Reduktion ohne politische und diploma-
56 Müller (s. Anm. 2), S. 133. 57 Manns (s. Anm. 27), S. 220.
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tische Hintergründe“.58 Stattdessen scheint die Historie auf eine plakative Signifizierung der Konkurrenz zweier Könige hinauszulaufen, blau gegen weiß. Biener und Wiesflecker deuten die weiße Farbe als Farbe des Guten und liefern damit eine mögliche Interpretation für diesen Text: Sich selbst nennt er den w e i ß e n König – nicht den w e i s e n , wie die Schmeichelei oder orthographische Unsicherheit mancher Schreiber die Bezeichnung abändert. – Der Name ist von seiner glänzenden weißen Rüstung genommen, doch hat Maximilian gewiß auch Sinn für den – fast möchte man sagen – mythologischen Begriff des Wortes. Alles was mit ihm zusammenhängt, erscheint als das weiße, lichte, helle, gute Prinzip.59
Ist der Kampf Weiß gegen Blau ein schlichter Kampf Gut gegen Böse?60 Stärker als die Dichotomien von Gut und Böse erinnert die Struktur des Textes an die Geschehnisse auf einem Schachbrett, umso mehr als Maximilian den blauen König ursprünglich entgegen der üblichen heraldischen Namensgebung als „schwarzen König“ titulierte.61 Auch das lässt sich natürlich moralisch-allegorisch umdeuten, aber es spricht in der ganzen Anlage des Textes doch einiges dafür, dass die historischen Bewegungen auf der Landkarte Mitteleuropas auf die Bewegungen der Figuren auf einem Schachbrett projiziert werden sollen, wobei Maximilian als weißer und der französische König als blauer König die zentralen Positionen einnehmen.62 Indem die europäischen Weltmächte zu „Turniergesellschaften“ degradiert erscheinen,63 wird der spielerische Charakter der Geschichte verstärkt. Weltgeschichte und adlige Herrschaft, so könnte man vorsichtig deuten, bleiben reduzierbar auf die kombinatorischen Spielbewegungen auf dem Schachbrett Gottes und nur so ist Politik zu machen, wenn man sich als Spielfigur auf den Gott als Spieler einlässt, auf Gott, der den Weißkönig ebenso wie Theuerdank trotz aller widrigen Horoskope und missgünstigen Neider am Leben erhält. Das Weiß-Schwarz/Blau des Textes verweist in seiner Farbigkeit noch auf ein weiteres Bedeutungsfeld: auf den heraldischen Code – und dabei wird erkenn58 59 60 61 62
Hollegger (s. Anm. 13), S. 245. Biener (s. Anm. 48), S. 92; vgl. Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 317. Vgl. Cremer (s. Anm. 8), S. 83. Vgl. Biener (s. Anm. 48), S. 92. Die Engführung von literarischem Text und Schachspiel ist zur Zeit Maximilians nicht neu; bereits der klassische Artusroman weist Parallelen dazu auf, wie etwa Wehrli und Scheuer betonen; vgl. Max Wehrli: Strukturen des mittelalterlichen Romans – Interpretationsprobleme, in: Max Wehrli. Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze, Zürich/Freiburg i.Br 1969, S. 25–50, hier S. 45; Hans Jürgen Scheuer : Vorlesungsdispositionen zur Vorlesung „Paradigmen des Romans im Mittelalter“ Unveröffentlichtes Vorlesungsmanuskript, Universität Stuttgart WS 2001/2002, hier S. 79. Vgl. au ßerdem Nikolaos Karatsioras : Das Harte und das Amorphe. Das Schachspiel als Konstruktions- und Imaginationsmodell literarischer Texte. Berlin 2011. 63 Hollegger (s. Anm. 13); S. 245; Wiesflecker (s. Anm. 2); S. 308.
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bar, dass auch der Weißkönig keine „neue Bescheidenheit“ Maximilians als „gespielter König“ demonstriert, denn es fällt bei all dem spielerischen Charakter des Textes doch auf, dass unter den heraldischen Namen nur Maximilian als Weißkönig konstant nach einer heraldischen Metallfarbe benannt ist, während alle seine Widersacher „nur“ durch Tinkturen bezeichnet werden:64 Immer wieder sind es „die vier heraldischen Farben Rot, Blau, Grün und Schwarz, die abgewandelt werden“.65 Da aber einem korrekten Wappen stets ein heraldischer Wechsel zugrunde liegt, ist keines der Wappen (auch das des Weißkönigs nicht) vollständig: Korrekte Wappen ergeben sich erst in der feindlichen oder freundschaftlichen Auseinandersetzung des Weißkönigs (weiß) mit den Königen von Frankreich (blau), Ungarn (grün) oder England (rot). Zwar zeigt sich auch der Weißkönig abhängig von Wechselwirkungen mit den anderen Mächten, nimmt dabei aber als stets zweite konstante (Metall-)Farbkomponente die zentrale Stellung ein. Geschichte erhält ihre Berechtigung (oder wird erst zur Geschichte) durch das Mit- und Gegeneinanderagieren der verschiedenen Mächte, wobei der Weißkönig die Schlüsselposition innehat. Alle anderen Weltmächte bleiben heraldisch rückbezogen auf ihn und gewinnen erst von seiner Zentralposition aus ihre Legitimität als Verbündete und Widersacher. Dabei werden, so könnte man schließlich spekulieren, wie im Theuerdank die Geschehnisse von Gott getragen, einerseits, indem die politischen Ereignisse in ihrem Spielzugcharakter eine göttliche Vogelperspektive implizieren, andererseits indem der Weißkönig als eine Art zweiter Christus und Gottessohn in der Jugendgeschichte hervorgehoben wird66 und die geschichtlichen Handlungen der Habsburger so zu heilsgeschichtlich bedeutsamen Geschehnissen umcodiert werden. Ähnlich wie im Theuerdank sichert sich Maximilian auch hier durch die Transzendierung seiner Heldentaten neben dem weltlichen ein göttliches gedechtnus.
7.
Fazit
Die gedechtnus-Werke Maximilians hinterlassen einen gespaltenen Eindruck: Während sich der Held Theuerdank zwischen naiver Tat und Heldentum bewegt, wird im Weißkönig Historie zugleich nachgezeichnet und aufgelöst. Diese inhaltliche Zwitterhaftigkeit setzt sich auf formaler Seite fort, wie sich noch einmal an Ehrenpforte und Theuerdank zeigen lässt. An beiden Werken wird das ma64 Einige andere Herrscher, wie z. B. der Schwarze und der Rote König werden allerdings, der Text ist hier bisweilen inkonsequent als Schwarz-weißer bzw. Rot-weißer König bezeichnet (wie auch das Zitat aus Kapitel 154 oben belegt). Wie sich diese Namensgebungen in einer abschließenden Endredaktion entwickelt hätten, lässt sich nicht verifizieren. 65 Rudolf (s. Anm. 4), S. 72. 66 Vgl. Cremer (s. Anm. 8), S. 92; Schubert (s. Anm. 9), S. 276; Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 316.
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ximilianische Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation deutlich, beide Werke erweisen sich als seltsame Grenzgänger zwischen monumentalem Triumphbogen und potemkischer Fassade einerseits, zwischen Handschrift und Druck andererseits. Wieso zum Beispiel entscheidet sich ein Herrscher einen Triumphbogen ganz als Holzschnitt „zu errichten“? Dafür lassen sich durchaus vernünftige Gründe benennen, ist doch der Holzschnitt billig und vor allem reproduzierbar.67 Andererseits ist es evident, dass die Ehrenpforte bei all ihrer Monumentalität68 doch eben das nicht ist, was sie angeblich sein möchte – nämlich ein Triumphbogen. Dafür sorgt gerade nicht nur die papierne Zweidimensionalität, sondern auch die eigens verkleinerte Pforte, die bei einer steinernen Umsetzung einen Durchzug unmöglich machen würde.69 Diese bewusste Unproportionalität macht dem Betrachter klar, dass dies eben kein Triumphbogen mehr im Sinne der antiken Kaiser ist. Maximilian schreibt mit seiner Ehrenpforte zwar eine antike Tradition fort, schafft aber zugleich etwas Neuartiges. Ähnlich verhält es sich bei den nachträglich linierten Pergamentdrucken des Theuerdanks und des Gebetbuchs, die sich vordergründig den Anschein einer Handschrift zu geben suchen und es doch gerade nicht sind.70 Es sieht aus, als hätte Maximilian ganz bewusst eine Art innovativer Traditionalität forciert und dazu absichtlich gebrochene Darstellungsmodi gewählt, um sich im Einsatz alter und neuer Medien71 vielleicht bewusst als einerseits rückwärtsgewandter „letzter höfischer Epiker“72 und „letzter Ritter“,73 andererseits als humanistischer Erneuerer zu inszenieren. Vergleicht er sich nicht selbst gerne mit Umbruchfiguren wie Alexander dem Großen, der am Übergang zur Zeit des Heils,74 67 Vgl. Jan-Dirk Müller: Literatur und Kunst unter Maximilian I., in: Schmidt-von Rhein (s. Anm. 2), S. 141–150, hier S. 149. Das „Preis-Argument“ wird man freilich nicht allzu hoch einschätzen dürfen, hat Maximilian bei seinem gedechtnus-Werk doch selten hohe Kosten gescheut. 68 Sie ist mit 36 Foliobögen der größte europäische Holzschnitt (vgl. Füssel, s. Anm. 2, S. 17). 69 Vgl. Müller (s. Anm. 67), S. 149; Schmidt (s. Anm. 2), S. 338. 70 Vgl. Engels (s. Anm. 8), S. 11; Füssel (s. Anm. 2), S. 53; Elisabeth Geck: Der Theuerdank als typographisches Kunstwerk, in: Kaiser Maximilians Theuerdank. Kommentarband, Plochingen/Stuttgart 1968, S. 23–27; Jan-Dirk Müller (s. Anm. 1), Schreiber (s. Anm. 49), S. 262. 71 Vgl. Füssel (s. Anm. 2), S. 7. 72 Vgl. Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 306; Hermann Wiesflecker : Österreich im Zeitalter Maximilians I. Die Vereinigung der Länder zum frühmodernen Staat. Der Aufstieg zur Weltmacht, Wien/München 1999, S. 411. 73 Vgl. Berns (s. Anm. 2), S. 642; Biener (s. Anm. 48), S. 88; Cremer (s. Anm. 8), S. 117; Engels (s. Anm. 8), S. 6; Füssel (s. Anm. 2), S. 38; Hayer (s. Anm. 34), S. 441; Hollegger (s. Anm. 13), S. 248; Peter Moraw: Kaiser Maximilian I (1493–1519). Bewahrer und Neuerer, in: Schmidtvon Rhein (s. Anm. 2), S. 17–29, hier S. 17; Müller (s. Anm. 2), S. 11ff. und 212ff.; Müller (s. Anm. 4), S. 460; Müller (s. Anm. 67), S. 141; Müller (s. Anm. 7), S. 4; Wenzel (s. Anm. 4), S. 308; Wiesflecker (s. Anm. 2), S. 306. 74 Geschichtstheologisch markiert Alexander im Ablauf der vier Weltreiche (wie sie Hieronymus nach Dan. 2,1–45 als translatio imperii gedeutet hatte) nach Nebukadnezar und Darius
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oder mit Julius Caesar, der zwischen Republik und Kaiserreich stand?75 Maximilian lebte zu einer Zeit, die wie kaum eine andere als Zeitenwende spürbar gewesen sein dürfte.76 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er sich dieser Umbrüche bewusst war und dass er sie in seinen Werken inszenierte. Offensichtlich hat Maximilian kalkuliert, dass ihm gerade die so oft widersprüchliche und wenigstens zum Teil sogar absichtlich fragmentarische Selbststilisierung (wie zum Beispiel die leeren Seiten im Theuerdank) ein ewiges gedechtnus sichern würde – zumindest in der Maximilianforschung, die noch längst nicht alle Tiefen dieses seltsamen Kaisers ausgelotet hat.
das kupferne, dritte Weltreich (Dan. 2,39). Damit nimmt Alexander eine Schlüsselstellung ein: Er ist der letzte Großherrscher, bevor die Zeit des vierten Reiches sub gratia anbricht. Damit wird er nicht nur zum Vorläufer der europäischen Herrscher, sondern in der mittelalterlichen Literatur auch zu einem Vorbereiter des Zeitenendes, etwa durch die vorläufige Einkerkerung der zehn israelitischen Stämme oder der ismaelitischen Stämme Gogs und Magogs; vgl. Erich Köhler : Mittelalter I. Vorlesungen zur Geschichte der Französischen Literatur, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1985, S. 108; Stefanie Schmitt: Alexander monarchus. Heilsgeschichte als Herrschaftslegitimation in Rudolfs von Ems Alexander, in: Herrschaft, Ideologie und Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters, hg. v. Ulrich Mölk u. a., Göttingen 2002, S. 290–331. 75 Vgl. Wenzel (s. Anm. 4), S. 317. 76 Dass diese Zeitenwende vermutlich kaum als Wende von „Mittelalter zu Neuzeit“, sondern als Wende hin zur Endzeit wahrgenommen wurde, ist insofern unerheblich, als in jedem Fall der völlige Neubau des Weltbildes spürbar war ; vgl. Wiesflecker (s. Anm. 72), S. 11ff.
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Maximilian und das Ambraser Heldenbuch. Konzeption und Kontingenz im kaiserlichen Buchprojekt
Maximilian I. war auf jeden Fall, das zeigen mehrere Beiträge dieses Bandes sowie weitere der in jüngerer Zeit wieder reichlich fließenden Untersuchungen,1 ein Meister der Selbstdarstellung. In seiner Wendung an die Öffentlichkeit hat er es verstanden, in zahlreichen Projekten seine kaiserliche Person herauszustellen und für ein anhaltendes Gedenken zu sorgen. Unter Einsatz moderner Medien wie des Holzschnitts, unter Zuziehung der bedeutendsten Künstler seiner Zeit widmete Maximilian sich der medialen Selbstdarstellung, durch Werke der bildenden Kunst wie auch durch Texte. Hinter dieser Selbstdarstellung stehen Konzepte, die nicht explizit benannt werden, aber in der Mehrzahl der Fälle, so bei den pseudo-biographischen Werken Theuerdank, Weisskunig und Freydal,2 gut nachvollzogen werden können. Die panegyrische Darstellung der Erlebnisse eines allegorischen Vertreters des Herrschers kann im Theuerdank über den beigegebenen clavis entschlüsselt werden; der Schlüssel zum Schlüsselroman erhellt nicht nur die indirekte Darstellung, sondern konstituiert auch ein vorgebliches Arkanwissen, das den Leser des Texts konspirativ einbezieht. Die Stilisierung als ritterlicher Abenteuerheld in diesen Werken hat dazu beigetragen, dass Maximilian wiederholt als Limesfigur angesehen wurde, als Vertreter einer Epochenschwelle, der in der Rückschau mittelalterliche Denkstrukturen rezipiert und im Rahmen moderner technischer Mittel für die Zukunft transformiert. Die rückerinnernde Verpflichtung an die Ahnen und die beispielgebende Vorzeit sowie der Auftrag zur Tradierung an die Nachfahren 1 Siehe besonders die Sammelbände: Waltraud Fritsch-Rößler (Hg.): cristall%n wort. HartmannStudien 1 (2007); Sieglinde Hartmann und Freimut Löser (Hgg.): Kaiser Maximilian I. (1459–1519) und die Hofkultur seiner Zeit. Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 17 (2008/2009), Wiesbaden 2009; Heinz Noflatscher u. a. (Hgg.): Maximilian I. (1459–1519). Wahrnehmung – Übersetzungen – Gender, Innsbruck 2011. 2 Stephan Füssel (Hg.): Die Abenteuer des Ritters Theuerdank, Köln 2003; Heinrich Theodor Musper u. a. (Hgg.): Kaiser Maximilians I. Weißkunig, Stuttgart 1956; Quirin von Leitner (Hg.): Freydal. Des Kaisers Maximilian I. Turniere und Mummereien, Wien 1880–1882.
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sind Teil des Konzepts der gedechtnus, mit dem Maximilians Gedächtniswerk umschrieben wird.3 Den Konzepten hinter diesem Gedächtniswerk, die teils mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entziffern sind, treten allerdings auch Kräfte entgegen. Im Getriebe der vielfältigen Projekte kommt es zu Zufälligkeiten, welche den Fortgang und die Fertigstellung beeinträchtigen oder gar verhindern können.4 In beredter Form geben die freigehaltenen Stellen im Theuerdank und in der Ehrenpforte5 davon Zeugnis, dass die Darstellung unvollständig ist. Negativ verstanden markiert der Raum, der hier für den geplanten Türkenzug freigehalten blieb, dass die Erfüllung und Abrundung der Erzählung zurückgestellt und auf ewig vertagt wurde. In positivem Sinne ließe sich auch anmerken, dass die Werke vorausschauend frühzeitig begonnen wurden und dass sie für die Zeitgenossen durch den Verweis auf unerfüllte Pläne als Ansporn wirken konnten. Eindeutig zur medialen Selbstdarstellung zählen neben den genannten Epen jedenfalls die Bildzyklen des Triumphzugs und die Ehrenpforte.6 Von beiden wurden zum einen besonders ausgestattete kaiserliche Exemplare erstellt, zum anderen wurde eine Verbreitung durch Buchdruck und Holzschnitt angestrebt. Das zweigeteilte Verfahren betont das doppelte Anliegen: Neben der – wenn auch exklusiven – weiteren Verbreitung soll das kaiserliche Referenz-Exemplar die Inhalte nochmals überhöhen.
1.
Das Ambraser Heldenbuch und sein ,Sitz im Leben‘
Zwischen diesen Werken Maximilians steht das Ambraser Heldenbuch wie ein erratischer Block, der sich nicht ohne weiteres einfügt.7 Ohne jeden Verweis auf die Person des kaiserlichen Sammlers und ohne jeden Hinweis auf eine mögliche 3 Nach wie vor Jan-Dirk Müller : Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982. 4 Vgl. Johannes Janota: Ambraser Heldenbuch, in: Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. und völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 1, Berlin/New York 1978, Sp. 323–327, hier Sp. 324, der beim Ambraser Heldenbuch von „störenden Zufällen und kleinen Verschiebungen im Lauf der langen Entstehungszeit“ spricht. 5 Siehe zu diesen Stellen im Theuerdank Ursula Schulze: Dietrich von Bern und König Artus – Maximilian/Theuerdank. Ein verändertes Heldenbild und die intermediale Kohärenz des Buches, in: Hartmann/Löser (s. Anm. 1), S. 23–33, hier S. 29. 6 Franz Winzinger : Die Miniaturen zum Triumphzug Kaiser Maximilians I. Faksimileband und Textband (Veröffentlichungen der Albertina 5), Wien 1972; Thomas Schauerte: Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I. Dürer und Altdorfer im Dienst des Herrschers, München/ Berlin 2001. 7 Franz Unterkircher : Ambraser Heldenbuch. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis Series Nova 2663 der Österreichischen Nationalbibliothek. Faksimile und Kommentarband, Graz 1973, Codices selecti 43.
Maximilian und das Ambraser Heldenbuch
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Vervielfältigung8 tritt uns die handschriftliche Sammlung mittelalterlicher Epen vor allem des 13. Jahrhunderts als ein letzter Höhepunkt mittelalterlicher Buchkultur entgegen. Häufiger wurde bereits versucht, dieses Projekt auf der Folie der anderen Werke zu erhellen. Handelt es sich um einen Teil von Maximilians Bestrebungen, das Wissen vergangener Epochen enzyklopädisch zu erfassen,9 oder zählt es zum kaiserlichen Gedächtniswerk?10 Solche Fragen nach dem ,Sitz im Leben‘ der Handschrift wurden in früherer Forschung meist vom genuin altgermanistischen Interesse überschattet,11 das in der Handschrift vor allem einen wichtigen Textzeugen für 25 Werke der mittelhochdeutschen Zeit erkannte, von denen 14 nur hier überliefert sind.12 Die Anlage und die Leistung des Schreibers Hans Ried wurden dann daran gemessen, dass er den Wunsch nach solider Weitergabe des mittelalterlichen Textes nicht erfüllte; Urteile auf dieser Wahrnehmungsgrundlage mussten abwertend ausfallen. Die Bewertungen seitens der Germanistik reichen von Hochachtung vor der sehr geordneten Schreibleistung bis zur Beschimpfung als „raffinierter Faulpelz“13 – was sicherlich damit zu tun hat, dass er die Texte nach bestem Wissen und Vermögen in sein eigenes Idiom übertragen hat; für die unikal überlieferten Werke natürlich ein unwiederbringlicher Verlust. Erst in jüngerer 8 Erich Egg: Der Maler des Ambraser Heldenbuches, in: Der Schlern 28 (1954), S. 136; vgl. Martin Wierschin: Das Ambraser Heldenbuch Maximilians I., in: Der Schlern 50 (1976), S. 429–441, 493–507, 557–570, hier S. 430 und S. 496. 9 Vgl. hierzu Müller (s. Anm. 3), S. 190–197. 10 Explizit ins gedechtnus-Werk rechnet es beispielsweise Frank Fürbeth: „Historien“ und „Heldenbücher“ in der Büchersammlung Kaiser Maximilians in Innsbruck, in: Hartmann/ Löser (s. Anm. 1), S. 151–165, hier S. 151. Fürbeths Nachweis, dass in den Büchersammlungen die höfischen Dichtungen in der Historiographie gesammelt, aber den im engeren Sinn historiographischen Werken nachgestellt werden (S. 154f. und S. 157), weist darauf hin, dass die Textsammlung des Ambraser Heldenbuchs kausal mit den historiographischen Studien verbunden war. Damit würde die Hypothese gestärkt, das Heldenbuch scheine die „Sammlung desjenigen zu sein, was bei den historiographischen Studien und den bibliothekarischen Streifzügen der Fachleute übrigblieb“; siehe Martin Schubert: Funktionen der Vergangenheit in Maximilians medialer Selbstdarstellung, in: Hartmann/Löser (s. Anm. 1), S. 275–289, hier S. 284. 11 Vgl. hierzu Judith Klinger: Unsichtbare Unikate. Zur Historizität der Texte im Ambraser Heldenbuch, in: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert, Bd. 5 (Mediävistik und Kulturwissenschaften), hg. v. Peter Wiesinger u. a., Bern/Berlin u. a. 2002, S. 255–260; hier S. 255 und 258: „Im 20. Jahrhundert hat man die Materialität des Ambraser Heldenbuchs ausgeblendet, um durch das Buch hindurch auf die verlorenen Urtexte und das imaginäre 13. Jahrhundert zu blicken“. 12 Vgl. die eingehende Diskussion der Zählung bei Nicola Kaminski: Die Unika im Ambraser Heldenbuch: ein überlieferungsgeschichtlicher „Vnfalo“?, in: Hartmann/Löser (s. Anm. 1), S. 179–199, hier S. 180f. 13 Edward Schröder: Der Ambraser Wolfdietrich. Grundlagen und Grundsätze der Textkritik, in: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, Berlin 1931, S. 210–240, hier S. 213.
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Zeit sind die Fragen nach der Konzeption der Sammlung und nach den Einzelheiten des Schreibvorgangs stärker in den Vordergrund getreten.14 Dabei fiel ein Missverhältnis auf. Einerseits sind viele archivalische Nachrichten über die Herstellung des Buches erhalten:15 Die fortentwickelte Verwaltungspraxis hat dazu geführt, dass von manchen Einzelheiten gleich mehrere Nachrichten vorliegen, die aber einander nicht unbedingt erhellen. Es ist nachvollziehbar, wie der Schreiber Hans Ried, Zolleinnehmer am Eisack bei Bozen in Südtirol, von 1504 bis zu seinem Tod 1516 mit der Niederschrift betraut war und in dieser Zeit 237 großformatige Blätter in einer kalligraphischen spätgotischen Kanzleischrift16 niedergeschrieben hat. Die Kenntnisse über den Schreiber werden noch erweitert: Unlängst publizierte Angela Mura eine persönlich geprägte Stellungnahme Rieds zu seinem Zollamt.17 Andererseits ist, im Gegensatz zu anderen von Maximilian angeregten Werken, über die Konzeption des Bandes nichts bekannt.18 Alle Nachrichten – über das wiederholte Eingreifen des Kaisers, um das Projekt in Gang zu bringen, über die Höhe der Gehaltszahlungen, über Hans Rieds Sommerfrische im Inntal im Jahre 1505 – lassen offen, welches Anliegen hinter dem Projekt stand und an welchem Anspruch das Ergebnis gemessen werden könnte. Während wir etwa beim Theuerdank mehrfach durch die Gedenkbücher19 informiert werden, dass und wie Maximilian auf den Fortgang des Projekts Einfluss nimmt, schweigen die Quellen im Fall des Ambraser Heldenbuchs. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Maximilian ein ambitioniertes Projekt auf die Spur setzte, ohne in den nächsten zwölf Jahren noch einmal darauf zurückzukommen, und dass ihm Resultate erst in abgeschlossener Form vorgelegt wurden. Eine Erwägung über Sinn und Zweck des Heldenbuchs gerät daher leicht in die Gefahr eines argumentativen Zirkelschlusses: Aus dem vorliegenden Buch wird eine These über Maximilians Ziele aufgestellt, an der dann wiederum der 14 Siehe Angela Mura: Spuren einer verlorenen Bibliothek. Bozen und seine Rolle bei der Entstehung des Ambraser Heldenbuchs (1504–1516), in: Fritsch-Rössler (s. Anm. 1), S. 59–128; Martin J. Schubert: Offene Fragen zum Ambraser Heldenbuch, in: exemplar. Festschrift für Kurt Otto Seidel, hg. v. Rüdiger Brandt und Dieter Lau, Frankfurt a. M. u. a. 2008, S. 99–120; Kaminski (s. Anm. 12). 15 Siehe Wierschin (s. Anm. 8); ergänzend Helmut Weinacht: Archivalien und Kommentare zu Hans Ried, dem Schreiber des Ambraser Heldenbuches, in: Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters, hg. v. Egon Kühebacher, Bozen 1979, S. 466–489; Mura (s. Anm. 14). 16 Siehe zur Schrift Mura (s. Anm. 14), Anhang II: „Mit meiner aigen hannd geschriben …“ Bemerkungen zum Charakter der Schrift des Schreibers Hans Ried, S. 96–120 und Abb. 1–7. 17 Mura (s. Anm. 14), S. 111f. 18 Siehe Schubert 2008 (s. Anm. 14), S. 100; Kaminski (s. Anm. 12), S. 188, Anm. 26. 19 Zu dieser Form der kaiserlichen Projektkladden vgl. Theodor Gottlieb: Büchersammlung Kaiser Maximilians. Mit einer Einleitung über ältere Bücherbesitze im Hause Habsburg (Nachdruck), Amsterdam 1968 [Leipzig 1900], S. 54–65.
Maximilian und das Ambraser Heldenbuch
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Inhalt gemessen und danach eingestuft wird, inwiefern er zu der Annahme passt. Ein solches Vorgehen kann nicht zu eindeutigen Beweisen führen, da der Inhalt des Bandes sich nicht unter eine einheitliche Sichtweise bringen lässt: Stets wirken einige Elemente disparat. Im Bewusstsein dieser Problematik sollten Hypothesen möglich sein. Belastbare Fakten, die in die Untersuchung eingehen müssen, können aus der handschriftennahen Analyse des Schreibzeugnisses gewonnen werden. Zu den ungeklärten Fragen gehören schlichte wie die, ob das Ambraser Heldenbuch vollendet ist, obwohl der letzte Text, der Brief des Priesterkönigs Johannes, unvollständig eingetragen ist,20 und schwierige wie die, inwieweit aus der Handschriftenanalyse etwa auf Vorlagen geschlossen werden kann. Denn die Frage, wie aus vorliegenden Texten ausgewählt wurde und wie das Heldenbuch in seiner jetzigen Gestalt zustande kam, ist unmittelbar mit der Frage nach Zahl und Art der Vorlagen verbunden. Offensichtlich sind die Texte, wenn auch locker, thematisch in vier Bereiche gruppiert. Der erste Teil enthält höfische Literatur (Nr. 1–7, Texte wie Iwein und Erec, aber auch Mauritius von Cra0n), danach folgt Heldenepisches (Nr. 8–15, darunter Nibelungenlied und -klage), Kleinepisches vor allem aus dem österreichischen Raum (Nr. 16–23, darunter Herrand von Wildonie und Ulrich von Liechtenstein) und ein meist ,Anhang‘ genannter Wurmfortsatz, der Wolframs Titurel-Fragment (Nr. 24) und den Brief des Priesterkönigs Johannes (Nr. 25) enthält.21 Sowohl der Gesamtentwurf als auch die Ausreißer innerhalb der Gruppen verursachen den Seufzer des Literaturwissenschaftlers: ,Es gibt kein Ordnungsprinzip zu erkennen, das irgend mit einer literaturwissenschaftlichen Systematik zur Deckung zu bringen wäre.‘22
20 Siehe z. B. Bettina Wagner : Die Epistola presbiteri Johannis lateinisch und deutsch. Überlieferung, Textgeschichte, Rezeption und Übertragungen im Mittelalter. Mit bisher unedierten Texten (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 115), Tübingen 2000, S. 540: „Am Abschluß der Handschrift wurde Ried vermutlich durch den Tod gehindert: Als letzter Text blieb der Priester-Johannes-Brief fragmentarisch“. Vgl. die Aufstellung der Argumente für den Abschluss bei Mura (s. Anm. 14), S. 109f., Anm. 9. 21 Siehe die Kritik am Begriff „Anhang“ bei Wagner (s. Anm. 20), S. 543f. und in: Heimo Reinitzer (Hg.): Mauritius von Cra0n (Altdeutsche Textbibliothek 113), Tübingen 2000, S. IX. 22 Peter Strohschneider : Ritterromantische Versepik im ausgehenden Mittelalter. Studien zu einer funktionsgeschichtlichen Textinterpretation der Mörin Hermanns von Sachsenheim sowie zu Ulrich Fuetrers Persibein und Maximilians I. Teuerdank, Frankfurt a. M./Bern/New York 1986, S. 422. Vgl. die Erörterung möglicher Ordnungsprinzipien mit Literaturhinweisen bei Schubert 2008 (s. Anm. 14), S. 111–114.
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2.
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Die leidige Vorlagen-Frage
Eher störend für die Frage nach dem Konzept des Buches wirkte die bekannte mehrdeutige Mitteilung aus einem Brief Maximilians von 1502, er benötige einen Schreiber, um das helldenpuch an der Etsch ausschreiben zu lassen.23 Unstrittig ist, dass sich die Notiz auf das Projekt des Ambraser Heldenbuchs bezieht. Unklar, und Anlass für eingehende Streitigkeiten, ist aber, ob hier vor allem der Ort der Abschreibtätigkeit benannt wird oder ob helldenpuch an der Etsch die Bezeichnung der Vorlage sei,24 ob helldenpuch für die Vorlage oder die Abschrift benutzt wird und letztlich auch, was der Terminus helldenpuch eigentlich genau bedeuten soll. Zu der letzten Frage ist unstrittig, dass sich der Ausdruck nicht mit dem heutigen literaturgeschichtlichen Begriff deckt.25 Frank Fürbeth hat anhand der Ordnung von Maximilians Büchersammlung gezeigt, dass verschiedene Formen der „Chroniken poetischer Art“, also auch höfische Epen wie Willehalm und Jüngerer Titurel, als helden buech bezeichnet werden, während heldenepische Werke wie beispielsweise der Wolfdietrich ausnahmslos als histori aufgelistet sind.26 Unsere Vorstellung, welcher Teil des Werkes auf eine Vorlage zurückgehen könnte, die als helldenpuch angesprochen wurde, müsste dadurch modifiziert werden. Angela Mura versteht die Berichte zur Genese vor allem so, dass der Ausdruck „Heldenbuch“ tendenziell für das zu erstellende Buch benutzt worden sei, während nicht klar werde, ob jemals von einem Heldenbuch als Vorlage die Rede sei.27 Mit der genaueren Begriffsbestimmung wäre bei dieser Deutung nichts anderes gewonnen als die Erkenntnis, dass der Begriff im Falle der Abschrift wieder unschärfer als bei der Anordnung der Büchersammlung verwendet worden wäre. Insgesamt schafft der Beleg zum helldenpuch an der Etsch mehr Probleme als Erkenntnis. Mura konstatierte im Umgang mit dem Beleg eine germanistische Form des „,Stille-Post-Spiel[s]‘“28. Ohne den Streit nochmals aufrollen zu wollen, halten wir als unstrittig fest: Hans Ried benötigte für sein Schreiben Vorlagen; die Ortsangabe ist jedenfalls für das Projekt grundlegend.29 Das heißt, dass entweder die Vorlagen oder eine Form der professionellen Betreuung nur hier 23 Hofkammerarchiv Wien, Gedenkbuch XII, fol. 283, v. 15. 4. 1502 (Signatur nach Wierschin (s. Anm. 8), S. 568, Abschnitt A); zit. n. Tafel I/2 bei Unterkircher (s. Anm. 7), S. [31]. 24 Nachdem ich die Verwendung von „ausschreiben“ im Kanzleistil der frühen Neuzeit überprüft habe, neige ich wieder zu der letzten Meinung; vgl. Schubert 2008 (s. Anm. 14), S. 103, siehe auch die Diskussion auf S. 102–104 und bei Kaminski (s. Anm. 12), S. 187. 25 Siehe Müller (s. Anm. 3), S. 322, Anm. 7. 26 Fürbeth (s. Anm. 10), S. 156f., 159; Zitat S. 156. 27 Mura (s. Anm. 14), S. 64. 28 Mura (s. Anm. 14), S. 63. 29 Ebenso Wierschin (s. Anm. 8), S. 496.
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gegeben waren. Dass an der Etsch nicht präzise auf eine Lage am Fluss hinweist, sondern ein gebräuchlicher Terminus für die weitere Region Bozens sein kann, ist mittlerweile anerkannt.30 Für die Frage nach den betreuenden Fachleuten bietet sich ein ähnlicher Zirkel: Die Suche unter lokalen Personen sollte diejenigen aufzeigen, die wiederum eine Verlagerung des Projekts in die Region begründen müssten. Der Verdacht bezog sich bislang auf zwei Adlige: Martin Wierschin vermutete Florian Waldauf und nach dessen Tod 1510 Paul von Liechtenstein; aus dem Übergang der Betreuung leitete er Unterschiede der Gattungswahl und der Themen im Buch ab.31 In interessanter Weise verknüpft Mura das Argument der Betreuung und der Vorlagen, indem sie auf Georg I. von Frundsberg verweist, den Pfleger von Runkelstein, aus dessen Familie eine große Bibliothek mit mittelalterlichen Wurzeln belegt ist.32 Über solche Personen könnten Wege zu alten Beständen gefunden worden sein. Wenn Teile dieser Bibliothek auf Runkelstein verwahrt wurden, dann war es in der Tat angebracht, einen Schreiber hierhin zu beordern. Ein weiteres Problem für die Diskussion der Vorlagen ist der Umstand, dass kaum eine Handschrift erhalten ist, die als Vorlage Rieds gelten könnte. Das Berliner Fragment des Nibelungenlieds (Fragment O)33 kommt aufgrund seiner textlichen Nähe und der dreispaltigen Einrichtung, die im Ambraser Heldenbuch gespiegelt sein könnte, als Teil eines Vorlagencodex in Frage. Ein Fragment mit dem Anfang von Dietrichs Flucht, das aus Meran stammt (Fragment K, Innsbruck, UB, B III), bietet ebenfalls einen eng mit dem Ambraser Heldenbuch verwandten Text.34 In einer anregenden Studie zur Überlieferung im Ambraser Heldenbuch bietet Nicola Kaminski eine plausible Erklärung für das Verhältnis von Dietrichs Flucht K und dem Ambraser Heldenbuch. Beide stimmen in Textvarianten und Textfehlern überein; sie weisen sogar eine „ausnahmslos übereinstimmende, wie30 Siehe Mura (s. Anm. 14), S. 64. 31 Wierschin (s. Anm. 8), S. 558; vgl. Mura (s. Anm. 14), S. 62. Zur Frage nach ihrem Status als eventuelle Literaturspezialisten weist Wierschin (s. Anm. 8), S. 567, Anm. 218, darauf hin, dass in ihren Testamenten keine Bücher vererbt werden. 32 Mura (s. Anm. 14), S. 74. 33 Berlin, jetzt in Krakau, Biblioteka Jagiellon´ska, Berol. Mgq 792. Siehe Klaus Klein: Französische Mode? Dreispaltige Handschriften des deutschen Mittelalters, in: Scrinium Berolinense. Tilo Brandis zum 65. Geburtstag (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz 10), hg. v. Peter Jörg Becker u. a., Berlin 2000, Bd. 1, S. 180–201, hier S. 190 (Nr. 28); Klaus Klein: Beschreibendes Verzeichnis der Handschriften des Nibelungenliedes, in: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, hg. v. Joachim Heinzle, Klaus Klein und Ute Obhof, Wiesbaden 2003, S. 213–238, hier S. 223f. 34 Siehe zu den Fragmenten Christa Bertelsmeier-Kierst: Tiroler ,Findlinge‘, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 123 (1994), S. 334–340, hier S. 338–340 und Abb. 3; Mura (s. Anm. 14), S. 73; Kaminski in der hier folgenden Anmerkung.
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wohl weder sinngemäße noch regelhafte Setzung von Initialen“ auf; dennoch hat das Heldenbuch acht Verse, die in K fehlen.35 Daraus folgert Kaminski, dass Hans Ried zwei Vorlagen kombiniert haben müsse. Durch ein Arbeiten mit nach Möglichkeit mehreren Handschriften würde sich auch erklären, warum Hans Ried im Nibelungenlied Freiraum ließ, den er offenbar aus einer weiteren Handschrift zu füllen suchte.36 Indem die jeweilige „gute alte Handschrift“,37 die hinter der Ambraser Überlieferung vermutet wird, durch eventuell mehrere Vorlagen ersetzt würde, müsste man auch bei Hans Ried von Kontamination ausgehen. Der Vergleich mit Dietrichs Flucht Kweist darauf hin, dass es sich auch hier nicht um den Typus einer fortlaufenden Vergleichung gehandelt haben dürfte (,philologische Kontamination‘), sondern um das Nebeneinander einer weitgehend kopierten Haupthandschrift mit gelegentlichem Abweichen in die Zweithandschrift.38 In die Diskussion der Vorlagen hat Ulrich Seelbach ein buchkundliches Indiz eingebracht: Das Layout des Ambraser Heldenbuchs passt weitgehend zum Nibelungen-Fragment O. Die heldenepischen Texte Nibelungenlied bis Wolfdietrich (Nr. 10–15) teilen dieses Layout. Kleine Unterschiede, so der Initialgrößen, heben die Texte vor und hinter diesem Teil ab, so dass Seelbach eine Vorlage *O erschließt, die diese heldenepischen Texte umfasste.39 Ansonsten gruppieren sich mehrere höfische Texte (Nr. 2–7: Mauritius von Cra0n bis Erec) im Layout zueinander. Kaminski demontiert eine weitere von Seelbach angesetzte Gruppe, indem sie auf Unterschiede der Buchgestaltung zwischen Herrand von Wildonie 35 Kaminski (s. Anm. 12), S. 191f., Zitat: S. 192. Kaminskis These, dass Maximilian durch die Vernichtung der Vorlagen den Status seiner Abschrift habe steigern lassen, würde in mustergültiger Weise den sonderbaren Befund erklären, dass das Ambraser Heldenbuch so viele Unika enthält. Allerdings bleibt offen, warum es eine lokale Bindung für das HeldenbuchProjekt gab, wenn man über die Vorlagen frei verfügen konnte; vgl. die in die gleiche Richtung zielende Bemerkung Kaminskis S. 190, Anm. 33. 36 Kaminski (s. Anm. 12), S. 182f., Anm. 12; hier auch eine mögliche Erklärung, warum neben der Erkenntnis, dass Text in der Hauptvorlage fehlte, nicht auch Text aus der Zweitvorlage übernommen wurde: aufgrund eines „Auswahlkriteriums“, also wohl der Einschätzung der Zweitvorlage als zwar vollständigerem, aber ansonsten mangelhaftem Text. 37 So zur Vorlage der Klage-Überlieferung im Ambraser Heldenbuch: Joachim Bumke: Die vier Fassungen der Nibelungenklage. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 8), Berlin/New York 1996, S. 261–270, Zitat: S. 263. 38 Zu den Typen der Kontamination: Bumke (s. Anm. 37), S. 11–30. Sehr aufschlussreich zu dem mehrfachen Kontaminationsgang im Rappoltsteiner Parzifal, den Bumke, S. 23–26, anspricht, jetzt Gabriel Viehhauser-Mery : Die Parzival-Überlieferung am Ausgang des Manuskriptzeitalters. Handschriften der Lauberwerkstatt und der Straßburger Druck (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 55), Berlin/New York 2009, S. 110–147. 39 Ulrich Seelbach: Späthöfische Literatur und ihre Rezeption im späten Mittelalter. Studien zum Publikum des Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere (Philologische Studien und Quellen 115), Berlin 1987, S. 103.
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(Nr. 17–20) und der Gruppe Ulrich von Lichtenstein bis Pfaffe Amis (Nr. 21–23) verweist.40 Nun ergibt sich der Befund, dass die Layout-Unterschiede mehr oder weniger die inhaltlichen Gruppen unterstützen, die anfangs festzustellen waren. Es ist zwar überaus wahrscheinlich, dass sich anhand von variierenden Merkmalen der Auszeichnung Phasen in der Herstellung einer Handschrift unterscheiden lassen. Allerdings bleibt unsicher, ob die Unterschiede jeweils eine Anlehnung an Vorlagen ausdrücken. Auch bei der Auswertung vieler Vorlagen wird es gruppenbildende Merkmale geben, die allein auf zeitlich getrennte Entstehungsphasen hinweisen; man denke hier an die verschiedenen Initialgrößen, die der Schreiber As der Manessischen Liederhandschrift in der ,Ursammlung‘ und im weiteren Verlauf vorsieht.41 Natürlich ließe sich das Argument retten, wenn man annimmt, dass verschiedene Herstellungsphasen ursächlich mit der mühsamen Vorlagenbeschaffung zusammenhängen. Es reicht vielleicht aus, auf das Problem hingewiesen zu haben.
3.
Schriftzeugnis und Entstehungsreihenfolge
Das Schriftzeugnis bietet eine Reihe von Indizien, die nach wie vor nicht abschließend ausgewertet sind. Aus den bisherigen Untersuchungen ist bekannt, dass die sehr gleichmäßige Schrift keine Rückschlüsse auf die Entstehungsreihenfolge bietet. Der fortschreibende Eintrag der Texte greift fast immer über den Lagenwechsel hinweg; der Lagenplan bietet nur eine einzige mögliche Scharnierstelle. Mit einer neuen Lage beginnt nur ein Text (Die böse Frau auf fol. 215), damit zugleich eine Gruppe, die kleinepischen Texte. Minimale kodikologische Unterschiede segmentieren Entstehungszeiträume (Doppelpunkt anstatt des punctum elevatum, passagenweise die rote Auszeichnung von Majuskeln), ohne dass hieraus auf eine Abweichung vom linearen Fortschreiben zu schließen wäre. Die Frage, ob der Codex als abgeschlossen angesehen werden kann, lässt sich vom Inhaltsverzeichnis aus erörtern. Eigentlich würde man erwarten, dass ein Inhaltsverzeichnis beim Abschluss der Arbeiten erstellt würde. Ein fortlaufendes Eintragen der Titel, parallel zur Texterstellung, wäre dem geschlossenen Schriftbild des Inhaltsverzeichnisses abträglich. Angela Mura schließt daraus: 40 Seelbach (s. Anm. 39), S. 106; Kaminski (s. Anm. 12), S. 187f. 41 Gisela Kornrumpf: Die Anfänge der Manessischen Liederhandschrift, in: Deutsche Handschriften 1100–1400 (Oxforder Kolloquium 1985), hg. v. Volker Honemann und Nigel F. Palmer, Tübingen 1988, S. 279–296; ergänzter Wiederabdruck in: Gisela Kornrumpf: Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift. Aspekte der Überlieferung, Formtraditionen, Texte, Bd. I: Untersuchungen (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 133), Tübingen 2008, S. 1–31, hier S. 8f.
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Wenn das Inhaltsverzeichnis aber erst nach dem Abschluss verfasst worden ist, haben wir anzunehmen, dass für Ried und seine Auftraggeber die Arbeit beendet war und dass der Text des Priester Johannes-Briefs schon in der Vorlage nur als Fragment erhalten war.42
Eine bislang ungelöste Zwickmühle ergab sich dabei aus den Datierungen. Die Randillustrationen folgten, wie üblich, nach der Schrift, was durch übermalte Schriftverzierungen bewiesen ist. Der Miniator datiert seine Arbeit auf fol. 215r auf 1517 (vgl. Abb. 1), also ein Jahr nach Rieds Tod. Da die Seitenzahlen den Miniaturen ausweichen, dürften auch sie nach Rieds Tod eingetragen sein; es ist also nicht ohne weiteres eine „vom Schreiber Hans Ried vorgenommene Blattzählung“43 zu erkennen. Daraus ergab sich die Frage, ob die Tabula am Anfang – das Inhaltsverzeichnis, das Titel und diese Seitenzahlen enthält – überhaupt zu Rieds Lebzeiten entstanden sein könne. Die Tabula wurde, wie ebenfalls üblich, erstellt, bevor der Band gebunden war. Dies belegt ein aufschlussreicher Fehler im Inhaltsverzeichnis (vgl. Abb. 2).44 Offenbar wurde eine Lage des Nibelungenlieds falsch positioniert: die Aventiurenüberschriften stehen gemischt, allerdings mit den korrekten Zahlen aus dem Band, so dass die Zahlenreihe drei Sprünge aufweist. Der Fehler muss also aufgefallen sein, wurde aber nicht behoben. Handelt es sich hier um eine immense Schlamperei, die beim Fortschreiben zwar bemerkt, aber an besonders exponierter Stelle im Codex schlicht stehengelassen wurde? Hätte Ried die Seite nicht neu schreiben können – falls er überhaupt die Tabula geschrieben hat? Während Martin Wierschin noch meinte, das Inhaltsverzeichnis aufgrund von Kennbuchstaben Ried absprechen zu können, hat die neueste, erstmals über das Heldenbuch hinausgehende paläographische Untersuchung Riedscher Schriftstücke durch Angela Mura überzeugend belegt, dass der Text des Inhaltsverzeichnisses von Ried stammt.45 Die unterschiedlichen Kennbuchstaben sind dann auf verschiedene Schriftniveaus zurückzuführen, die dem Schreiber zur Verfügung standen.46 Nach Erwägung aller anderen Hypothesen (Datumfehler des Miniators, Überschneidung von Schrift- und Miniatureneintrag) kann nun eine als die wahrscheinlichste vorgetragen werden. Wir müssen davon ausgehen, dass das Buch abgeschlossen wurde – auch wenn der letzte Text unvollständig ist – und dass der Schreiber selbst die Überschriften in die Tabula eintrug. Die Illustrationen 42 43 44 45
Mura (s. Anm. 14), S. 109, Anm. 9. Bumke (s. Anm. 37), S. 186, Anm. 197. Schubert 2008 (s. Anm. 14), S. 108f. Mura (s. Anm. 14), S. 109. Siehe Wierschin (s. Anm. 8), S. 566 und Anm. 210; Schubert 2008 (s. Anm. 14), S. 107f. 46 Siehe Mura (s. Anm. 14), S. 96 zu den verschiedenen, im Lauf der Zeit in sich konstanten „Stilebenen“ der Schrift Rieds.
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Abb. 1: Wien, Österreichische Nationalbibl., Cod. Ser. nova 2663, fol. 251r. Maler „VF“, 1517. Abbildung nach dem Faksimile (s. Anm. 7).
wurden erst nach dem Tod des Schreibers abgeschlossen und an einer Stelle signiert. Anschließend wurden von einer zweiten Hand die Seitenzahlen auf die Blätter und in das vorhandene Inhaltsverzeichnis eingeschrieben. Vom Schriftduktus her ist dies durchaus möglich: die lateinischen Ziffern, eine strenge, nicht besonders elegante Antiqua mit Serifen, zeigen kaum persönliche Prägung.
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Abb. 2: Wien, Österreichische Nationalbibl., Cod. Ser. nova 2663, fol. II*r. Hans Ried, um 1516. Abbildung nach dem Faksimile (s. Anm. 7).
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Dass die Seitenzahlen im Register nachträglich eingetragen sind, beweisen jene Ziffern, die zwischen die vorhandenen Spalten gequetscht werden (vgl. nochmals Abb. 2). Wenn dies durch einen zweiten Schreiber geschah, klärt sich auch, warum die falsche Reihenfolge im Register nicht korrigiert wurde. Der Fehler war beim Ausschreiben der Zwischenüberschriften geschehen, als die Seiten noch gar nicht gezählt waren und Lagen leichter verlegt werden konnten. Dem zweiten Schreiber fiel dies zwar auf, aber er konnte die Seite nicht neu schreiben lassen, weil Hans Ried bereits verstorben war.
4.
Überlieferungsgruppen
Es ist sehr gut möglich, dass in die Großsammlung bereits andere Sammelhandschriften eingingen, eventuell eine Gruppe alter Sammlungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, was dann zur blockweisen Verschiebung des Aspekts beigetragen hätte. So kann sich hinter dem ersten, höfischen Teil eine Autorsammlung verbergen: mit dem großen Anteil an Hartmann- und PseudoHartmann-Texten handelt es sich hier um „einen ausgesprochen[en] ŒuvreBlock“.47 Auch die von Seelbach und Kaminski erarbeiteten Unterschiede der Auszeichnung fügen sich zur gattungsmäßigen Trennung der Textgruppen: Was an gemeinsamen Vorlagenhandschriften erschlossen wird (für Text Nr. 2–7, 8f., 10–15, 17–20, 21–23),48 würde jeweils ein Segment vertreten. Der heldenepische Teil bildet dabei, zumindest für die Texte 10–15, buchtechnisch und inhaltlich eine geschlossene Gruppe.49 Eine Rechtfertigung der Anwesenheit der ersten beiden Blöcke, der höfischen Epik und Heldenepik, ist rasch bei der Hand. Die Sammlung dieser Teile wird im Zusammenhang der vom Kaiser gepflegten Sammlung von Wissensbeständen, von alter Kultur und der zur Selbstvergewisserung gepflegten Beschäftigung mit höfischer und ritterlicher Überlieferung gesehen.50 Die alten Überlieferungen werden archiviert und eventuell zur Anregung für eigenes Forterzählen in den ,autobiographischen‘ Epen genutzt, womit eine über das Einzelexemplar hinausgehende Verbreitung unterbleiben kann. 47 Kurt Gärtner : Hartmann von Aue im Ambraser Heldenbuch. In: Fritsch-Rößler (s. Anm. 1), S. 199–212, hier S. 200; vgl. Kaminski (s. Anm. 12), S. 181. 48 Kaminski (s. Anm. 12), S. 187f. 49 Kaminski (s. Anm. 12), S. 182f. und 188 möchte zwischen Nibelungenlied und Nibelungenklage einen Unterschied sehen, da sie diese zu verschiedenen Fassungen zählt. Allerdings ist Bumke (s. Anm. 37), S. 214f. zu entnehmen, dass in beiden Fällen die Handschriften B und d (= Ambraser Heldenbuch) zusammengehen und je zur Gruppe *B zählen. 50 Vgl. z. B. Klinger (s. Anm. 11), S. 257: das Heldenbuch dient „der Bewahrung einer dynastische Identität stiftenden Tradition im Bewußtsein historischer Differenz.“
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In diesem Zusammenhang lassen sich die beiden Texte am Schluss, Titurel und Priesterkönig Johannes, ebenfalls rechtfertigen. Sie transportieren Vorbilder und Modelle, die für die mittelbare Umsetzung in die eigenen Werke geeignet waren. Auf die Rechtfertigung dieser beiden Texte wurde bereits viel Energie verwendet. Besondere Aufmerksamkeit gewann der Brief des Priesterkönigs Johannes, jenes sagenhafte Schreiben des obersten Christen in Indien, der von den Reichtümern und Wundern seines Landes berichtet. In neueren Beiträgen wird nahegelegt, dass sich dieser Text durchaus im Rahmen von Maximilians gedechtnus-Projekt deuten lässt, dass die Einheit von geistlicher und weltlicher Macht des Priesterkönigs als Vorbild für den sogenannten „Papstplan“ von 1511 zu sehen sei und dass er sich überdies in den Rahmen der Suche eines Seewegs nach Indien einordnen könnte.51 In Anbetracht dieser Deutungen mag es beinahe scheinen, als ob vor allem dieser Text eine äußere Rechtfertigung verrät, warum er in den Sammelband geraten ist.52 Gemessen an dem Begriff helldenpuch waren einige aufgenommene Texte nicht eigentlich zu erwarten. Unabhängig davon, ob dieser Begriff für Vorlage oder Abschrift genutzt wurde, muss er in irgendeiner Form die aufgenommenen Texte spiegeln. Anhand der Untersuchung von Fürbeth53 können wir jetzt feststellen, dass dieser Begriff wohl eher auf den ersten, höfischen Block hinweist als auf den im heutigen Verständnis eher naheliegenden zweiten Block.54
5.
Fazit
Während sich höfische Epik, Heldenepik und Titurel zwanglos, der Priesterkönig Johannes mit wenig Mühe unter das Thema der Ritter und Helden in einem Buch zusammenfügt, stechen die kleinepischen Texte hervor: sie sind kürzer, minder ständisch, satirisch, schwankhaft.55 Außer durch das Argument, dass die Texte alt 51 Siehe Klaus Amann: Kaiser Maximilians erfolgreiches alter ego im Kampf um weltliche und geistliche Macht. Zum Priesterkönig Johannes im Ambraser Heldenbuch, in: Fritsch-Rößler (s. Anm. 1), S. 129–148, bes. S. 132; vgl. Wagner (s. Anm. 20), S. 524–548, bes. S. 547; Cordula Politis: Das „lanndt der frawen“ im Priester Johannes des Ambraser Heldenbuches: Zur Verwendung des Amazonenmotivs und seiner Bedeutung für das mythologische Selbstverständnis Maximilians I., in: Hartmann/Löser (s. Anm. 1), S. 47–59. 52 Bereits Wierschin (s. Anm. 8), S. 563 nahm an, dass nur die letzten beiden Texte von Maximilian persönlich für das Heldenbuch ausgewählt wurden; vgl. Amann (s. Anm. 51), S. 145. 53 Siehe Fürbeth (s. Anm. 10). 54 Mit Fürbeths Feststellung öffnet sich zugleich eine neue Diskussion der Layout-Ähnlichkeit mit Nibelungenlied O. Wenn helldenpuch auf den ersten Block des Heldenbuchs bezogen ist, warum hatte dann die Vorlage des zweiten Blocks einen solchen Einfluss auf das Layout? 55 Max Schiendorfer : Das Ambraser Heldenbuch und die deutsche Schwankliteratur, in: Fritsch-Rößler (s. Anm. 1), S. 149–171, weist darauf hin, dass weitere aufgenommenen Texte wie der Mauritius von Cra0n, Der Mantel und das Zweite Büchlein schwankhafte Züge haben,
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sind, können wir uns ihre Anwesenheit im Band nicht erklären. Wenn ich also nicht unterstellen will, dass Maximilian einen diffusen Sammelauftrag vergeben habe, um dieses Buch zu arrangieren, dann imaginiere ich Konzept und Kontingenz in der Genese so: 1. Maximilian fand in Südtirol, vielleicht in Runkelstein, ein bedeutendes Vorlagenbuch, das er in imperialer Form abschreiben lassen wollte. Zugleich wünschte er, ähnliche Texte möglichst umfassend zu sammeln. 2. Die Arbeit begann mit einer höfischen Sammlung und setzte sich mit einer heldenepischen Sammlung fort. 3. Unterhalb des kaiserlichen Radars gingen Schreiber und Betreuer dazu über, weiteres Material einzubeziehen. Aus lokalen Überlieferungen, vielleicht aus Familienbibliotheken, wurden kleinepische Werke beigesteuert. Hier hat sich der frühmoderne Gestus des Archivs, das ohne Ansehen alles und jeden registrieren will,56 in die Sammlung eingeschrieben. Auffällig ist, dass genau am Anfang dieses Abschnitts die benannte kleine Scharnierstelle im Codex ist. Sie markiert auf subtile Weise den Unterschied, der besser unmarkiert geblieben wäre. 4. Gegen Ende rundete sich das Projekt, indem noch zwei Texte zugefügt wurden, die gut ins Konzept passten. Nun konnte nichts passieren, egal ob der Kaiser vorne oder hinten zu lesen begann. 5. Nach dem Tod des Schreibers wurde darauf verzichtet, die eigentlich noch geplante Verfüllung von Lücken (im Nibelungenlied und am Ende des Johannes-Briefs) vorzunehmen. Die Blätter wurden dem Miniaturenmaler übergeben, anschließend die Seitenzahlen in Buch und Inhaltsverzeichnis eingetragen. Mit dieser Lesart wird ein angenommenes Konzept untergraben,57 wobei natürlich unsicher bleibt, ob dieses Konzept hier treffend isoliert wurde. Wenn die was aber vielleicht weniger Spur der Konzeption, sondern ein allgemeiner Zug mittelalterlicher Literatur ist. 56 Vgl. zum frühmodernen Archiv bei Maximilian Jan-Dirk Müller: Archiv und Inszenierung. Der ,letzte Ritter‘ und das Register der Ehre, in: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter (Beihefte der Francia 43), hg. v. Ingrid Kasten, Werner Paravicini und Ren8 P8rennec, Sigmaringen 1998, S. 115–126; ders.: Archiv und Monument. Die Kultur der Sekretäre um 1500, in: Europa. Kultur der Sekretäre, hg. v. Bernhard Siegert und Joseph Vogel, Zürich/Berlin 2003, S. 13–27. 57 Die Formulierung lehnt sich an Nicola Kaminski: Erec der wunderære, die schwarzen Witwen und die Unterminierung von Maximilians heldenpu˚ch-Konzept. In: Fritsch-Rößler (s. Anm. 1), S. 241–259. Die Unterminierung sieht Kaminski hier allerdings nicht auf Seiten des Schreibers, sondern im Subtext der eingegangenen Texte, namentlich des Erec, dessen Heldenbild sie als gebrochenes erläutert. Ein solches Heldenbild fügt sich freilich nicht in unsere Vorstellung eines Heldenbuchs; glücklicherweise ist der Umstand in den letzten Jahrhunderten unbemerkt durchgegangen.
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Hypothese stimmt, dann läge das Gepräge des vorliegenden Buches an einer einmal auf den Weg gebrachten und über ein Jahrzehnt lang weiterdieselnden Archivierungsmaschine, gewissermaßen einem ,wilden Archiv‘, in das sich ein braver Schreiber und seine Betreuer hineingesteigert hatten. Für die Isolierung von Konzepten ist dies fatal. Von Seiten der Altgermanistik sei ihnen gedankt.
Elke Anna Werner
Des Kaisers neue Bilder. Strategien der Vergegenwärtigung in Maximilians Gedechtnus-Werken
Die Erfindung des Buchdrucks und seine Etablierung im Kommunikationssystem der frühneuzeitlichen Gesellschaft gehören zu den bedeutenden Innovationen, die die Regierungszeit Kaiser Maximilians I. maßgeblich prägten. Maximilian kann als der erste europäische Herrscher gelten, der die neuen Möglichkeiten dieser Medienrevolution gezielt für seine politische und dynastische Repräsentation nutzte. Nicht nur für politische Aufrufe und Streitschriften, sondern auch für sein amtliches Schrifttum und bei den umfangreichen, mehrteiligen Gedechtnus-Werken verwendete er in zunehmendem Maße die Drucktechnik.1 Mit diesem Übergang von der Handschriften- zur Druckkultur waren spezifische Phänomene verbunden, wie das Nebeneinander von Traditionsgebundenheit und Innovation sowie besonders dynamische, experimentelle oder hybride Entwicklungen.2 Auch das Verhältnis von Text und Bild war auf grundlegende Weise davon betroffen. Dies resultierte aus Veränderungen des Werkprozesses, denn bei Druckwerken konnte, anders als bei handschriftlichen Büchern, an Texten und Bildern räumlich getrennt voneinander und gleichzeitig gearbeitet werden. Bedeutete dies zum einen eine Rationalisierung und Ökonomisierung des Arbeitsprozesses, so blieb die getrennte Herstellung der beiden, in einem Werk wieder zu vereinenden Medien, zum anderen nicht ohne Folgen für das Zusammenspiel von Text und Bild. Diese mit der Drucktechnik verbundenen neuen Produktionsbedingungen und -möglichkeiten beeinflussten die Genese und formale Ausprägung der 1 Vgl. Jan-Dirk Müller : Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. v. Ute Frevert und Wolfgang Braungart, Göttingen 2004, S. 95–122; er untersucht vor allem die Kommunikationsstrukturen und -akte mit einem besonderen Fokus auf den Text, spezifische Bildphänomene blieben bisher unberücksichtigt; s. a. Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982, mit älterer Literatur. 2 Vgl. Jan-Dirk Müller : Der Körper des Buches. Zum Medienwechsel zwischen Handschrift und Druck, in: Materialität der Kommunikation, hg. v. Hans-Ulrich Gumbrecht und Karl-Ludwig Pfeiffer, Frankfurt a. M. 1988, S. 203–217; Gerd Dicke und Klaus Grubmüller (Hgg.): Die Gleichzeitigkeit von Handschrift und Buchdruck, Wiesbaden 2003.
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Gedechtnus-Werke Maximilians. Für sie ist eine signifikante Verschiebung vom Text zum Bild zu konstatieren, da für die in Auflagen von 200 bis 700 Exemplaren gedruckten Werke dem Bild zunehmend der Vorrang vor dem Text eingeräumt wurde. Während des Entstehungsprozesses der verschiedenen Werke nahm nicht nur die Zahl der bildlichen Darstellungen deutlich zu, sondern neben die als Bücher konzipierten Werke wie den Weisskunig oder den Theuerdank traten bald auch Arbeiten, deren Erscheinungsform selbst vorrangig ikonisch war, wie die Ehrenpforte und der Triumphzug.3 Diese monumentalen gedruckten Bildwerke markieren mit ihrer innovativen Form eine Zwischenstellung zwischen Buch und Bild, zwischen Text und ikonischer Darstellungsform. Der folgende Beitrag möchte anhand der genannten Werke dieser Verschiebung vom Text zum Bild im Zusammenhang mit dem Wechsel von der Handschrift zum gedruckten Werk genauer nachgehen.4 Nur am Rande werden dabei die Veränderungen im komplexen Wechselverhältnis zwischen Text und Bild behandelt.5 Im Mittelpunkt stehen vielmehr Fragen zur Funktion und Semantik der Bilder und allgemeiner zu den Wirkungszusammenhängen von Visualität und Medialität in den Werken Maximilians. Für Kaiser Maximilian eröffnete die mediale und vielfache materielle Präsenz 3 Zu Maximilians Gedächtnis-Werken vgl. zuletzt aus kunsthistorischer Sicht Larry Silver (Hg.): Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor, Princeton/Oxford 2008; immer noch maßgeblich dazu die Darstellung von Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), bes. S. 104–179; zu Ehrenpforte und Triumphzug vgl. zuletzt Eva Michel: „Zu Lob und ewiger Gedechtnus“. Albrecht Altdorfers Triumphzug für Kaiser Maximilian I., in: Ausstellungskatalog Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürer-Zeit, hg. v. Eva Michel und Maria Luise Sternath, Wien, Albertina 2012, S. 48–66 und der Katalogteil „Triumph des Kaisers“, S. 210–276. 4 Das Verhältnis von Text und Bild wurde schon früh diskutiert vgl. Ludwig Baldass: Der Künstlerkreis Maximilians, Wien 1923, S. 15–17; Hinweise auf die Vorgängigkeit oder Dominanz des Bildes finden sich bereits bei Karl Rudolf: „Das gemähl ist also recht“ Die Zeichnungen zum Weisskunig Maximilians I. des Vaticanus Latinus 8570, in: Römische Historische Mitteilungen 22 (1980), S. 165–206; ders.: Illustration und Historiographie bei Maximilian I., in: Römische Historische Mitteilungen 25 (1983), S. 35–108; Jan Dirk Müller : Kaiser Maximilian I., in: Deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, Berlin 1987, Bd. 6, S. 209; zum Theuerdank s. Hans Joachim Ziegeler : Der betrachtende Leser. Zum Verhältnis von Text und Illustration in Kaiser Maximilians I. „Theuerdank“, in: Literatur und bildende Kunst im Tiroler Mittelalter (Germanistische Reihe 15), hg. v. Egon Kühlebacher, Innsbruck 1982, S. 67–110. 5 Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zur spezifischen Bild-Text-Problematik der Ehrenpforte vgl. zuletzt Stefan Manns: Topik und Gedächtnis. Text-Bild-Relationen und symbolische Kommunikation in der Ehrenpforte, in: Kaiser Maximilian und die Hofkultur seiner Zeit (Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 17), hg. v. Sieglinde Hartmann und Ulrich Müller, Wiesbaden 2008/09, S. 215–229; zu verschiedenen Text-Bild-Relationen und Untersuchungsmethoden siehe Wilhelm Voßkamp und Brigitte Weingart (Hgg.): Sichtbares und Sagbares: Text-Bild-Verhältnisse, Köln 2005; aus kunst- und vor allem bildwissenschaftlicher Sicht findet sich ein Überblick zu dieser Frage in Hans Belting (Hg.): Bilderfragen: die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007
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der druckgraphischen Werke neue Optionen für die visuelle Repräsentation seiner Herrschaft. Neuere kultursoziologische und geschichtswissenschaftliche Forschungen haben die Bedeutung der persönlichen Anwesenheit politischer Akteure und ihrer Beteiligung bei symbolisch-rituellen Akten hervorgehoben.6 Insbesondere in der Frühen Neuzeit als einer Epoche erst rudimentär ausgebildeter politisch-sozialer Ordnungen und Institutionen war die körperliche Gegenwart des Regenten von eminenter Bedeutung für die Errichtung und den Erhalt der Herrschaft. Indem die Person Maximilians, sein Leben und seine Taten in den Büchern und mehr noch in den monumentalen Bildobjekten an zahlreichen politisch signifikanten Orten präsent sein und von einem großen Rezipientenkreis wahrgenommen werden konnten, konstituierten diese Werke als Stellvertreter der realen Person des Herrschers eine eigenständige Wirkmacht.7 Aufgrund dieser Wirkungszusammenhänge werden im Folgenden die Bücher und Bilder der maximilianischen Gedechtnus-Werke als Medien der Vergegenwärtigung verstanden, die durch ihre Materialität die Präsenz des Herrschers, seiner Dynastie und seiner Taten im Medium des Bildes konstituieren. Ihre unmittelbare Gegenwärtigkeit als reale Objekte verleiht ihnen eine eigene Evidenz, mittels derer spezifische politische Botschaften mit dem Ziel der ,ewigen Gedechtnus‘ kommuniziert werden sollten.
1.
Zur Werkgenese des Weisskunig – Verschiebungen vom Text zum Bild
Die Anfänge der später sich zu beträchtlichem Umfang erweiternden autobiographischen und histographischen Werke Kaiser Maximilians I. setzten bereits in den 1480er Jahren mit zunächst handschriftlichen Aufzeichnungen ein.8 Diese entstanden während des niederländischen Krieges, als der soeben zum römischen König gewählte 29-jährige Maximilian in Gefangenschaft geriet und erst durch das Eingreifen seines Vaters mit einem Reichsheer befreit wurde. Es handelte sich dabei um eine lateinische Autobiographie, die im Wesentlichen die Ereignisse des niederländischen Krieges zum Gegenstand hatte. Die Fortsetzung der Arbeit an diesem Werk lässt sich in einem weiteren Moment der politischen wie auch persönlichen Krise greifen: Nach der Niederlage im Schweizer Krieg 6 Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger (Hg): Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, Frankfurt a. M. 2007. 7 Zur Stellvertreter-Funktion des Bildes vgl. Martin Warnke (Hg.): Bildwirklichkeiten, Göttingen 2005, S. 22ff; vgl. auch Wolfgang Brückner (Hg.): Bildnis und Brauch, Berlin 1966. 8 Vgl. Hermann Wiesflecker : Joseph Grünpecks Redaktionen der lateinischen Autobiographie Maximilians I., in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtforschung 78 (1970), S. 416–431; Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 96ff.
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gegen die Eidgenossen in der Schlacht von Dorneck 1499 soll Maximilian die aktuellen Geschehnisse während einer Überfahrt über den Bodensee Josef Grünpeck diktiert haben, der inzwischen die Aufgabe übernommen hatte, die bisher vorhandenen Texte der Autobiographie zu redigieren.9 Aus diesen frühen handschriftlichen Aufzeichnungen der herrscherlichen Biographie gingen in den folgenden zwei Jahrzehnten eine ganze Reihe von Werken hervor, die thematisch überaus dicht beieinander liegend eine idealisierende, gleichwohl an den historischen Fakten und politischen Ereignissen orientierte Darstellung des Lebens und der Taten Kaiser Maximilians I. sowie seiner Dynastie zum Gegenstand hatten.10 Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmungen präsentieren sich die Werke jedoch in höchst unterschiedlicher Form, indem sie auf bemerkenswert variable Weise Text und Bild, Sprache und ikonische Repräsentation miteinander verknüpfen, sodass für jedes Werk eine ganz spezifische Text-Bild-Relation charakteristisch ist, die durch den Wechsel zur Drucktechnik eine zusätzliche Dynamisierung erfahren sollte. Bei der lateinisch begonnenen und deutsch weitergeführten, handschriftlichen Autobiographie folgte das Verhältnis von Text und Bild noch der Tradition spätmittelalterlicher Chroniken.11 Zuerst wurde der Text niedergeschrieben, in dem bestimmte Felder für die Bilder frei gehalten wurden. Die Illustrationen führte der Maler in einem zweiten Bearbeitungsschritt nach der Vorgabe schriftlicher Anweisungen im Manuskript aus. Für die Darstellung der Belagerung von Arras 1477 lautete etwa die Anweisung für den Maler: „Malen Frankreich im veld pey Arras und Maximilian mit puxen vor ainer stat.“12 Während der Text die Ereignisgeschichte mit den Bewegungen der Heere, den diplomatischen Kontakten und dem Ausgang der Belagerung referierte, sollte das Bild eine Stadtansicht von Arras mit dem französischen Heer und den habsburgischen Belagerern zeigen, die mit Geschützen die Stadt attackieren. Obwohl das Bild im Produktionsprozess dem Text nach-, diesem auf der Seite aber unmittelbar zugeordnet sein sollte, ergänzten sich beide Medien hinsichtlich ihres Informationsgehaltes, wenn etwa die politische Geschichte im Text durch topographisches Wissen über Arras und die taktische Disposition der beiden Heere im Bild erweitert wurde. 9 Vgl. Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 96ff. 10 Vgl. Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), bes. S. 80–94; ders. (s. Anm. 4), S. 208f. 11 Vgl. Rudolf: Illustration und Historiographie (s. Anm. 4), S. 49f., dort auch zu den möglichen burgundischen und schweizerischen Vorbildern; diese frühen autobiographischen Texte mit vorgesehenen Bild sind abgedruckt in: Maximilian I.: Der Weisskunig, bearb. von Marx Treitzsaurwein von Ehrentreitz, in: Alwin Schultz (Hg.): Jahrbuch Der Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 6 (1888) (im Folgenden Weisskunig 1888); s. a. Theodor Musper in Verbindung mit Rudolf Buchner (Hgg.): Kaiser Maximilians I.: Weisskunig, Bd. I: Textband, hg. v. Heinz Otto Burger und Erwin Petermann, Stuttgart 1956 (im Folgenden Weisskunig 1956). 12 Weisskunig 1888, S. 428.
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Eine Vorstellung von diesen nicht ausgeführten Chronikillustrationen können Albrecht Altdorfers kolorierte Federzeichnungen geben, die dieser um 1508–10 für die Historia Friderici et Maximiliani von Joseph Grünpeck anfertigte, ein auf eben diesen frühen autobiographischen Diktaten Maximilians basierendes Lehrbuch für den Thronfolger Karl V. Die Belagerung der Wiener Burg (1462) zeigt die durch Kanonenbeschuss zum Teil zerstörte Burg mit ihren Befestigungsanlagen und einer Kampfszene im Vordergrund.13 Während Friedrich III., ausgezeichnet durch eine Krone, vom erhöhten Standpunkt vor dem Burgturm die Verteidigung leitet, werden die Angreifer am vorderen Bildrand erfolgreich vom Einfall in die Stadt abgehalten. Die Komposition in ihrer klar gegliederten räumlichen Staffelung bietet von oben nach unten Informationen über den Zustand der Wiener Burg, die Verteidigungsmaßnahmen sowie das taktische Vorgehen der Angreifer und ihrer Bewaffnung, also vor allem bio- und topographische sowie militärisch-taktische Informationen. Die bildliche Darstellung wird bestimmt von tradierten, oft symbolhaft verkürzten und zeitlich verdichteten Formen wie dem Sturm auf die Stadtmauer oder die Kennzeichnung des Königs mit der Krone. Obwohl die Grundstruktur des Bildes aus typisierten Elementen zusammengesetzt ist, kann dennoch in der Differenzierung von Einzelheiten, etwa der Architektur, und der kompositorischen Binnenstruktur eine Spezifizierung des jeweiligen Bildes im Sinne einer individuellen Darstellung eines realen Ereignisses erkannt werden. Im Unterschied zu den nicht ausgeführten Illustrationen der Autobiographie, bei der die Bilder in die Texte eingefügt und somit auch räumlich enger mit dem Text verbunden waren, nehmen die 46 erhaltenen Zeichnungen von Altdorfer in der Historia jeweils eine ganze Seite ein, so dass die Bilder hier mehr Raum beanspruchen und den Texten bereits gleich geordnet erscheinen. Auch der Weisskunig war wohl ursprünglich als illustrierte Handschrift geplant, doch um 1510 entschied sich Maximilian für eine gedruckte Publikation.14 Die schwierige und immer noch nicht hinreichend aufgearbeitete Werkgenese dieses unvollendet gebliebenen Buchprojektes kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Der Fokus soll vielmehr auf die Folgen dieses Medienwechsels von der handschriftlichen zur gedruckten Fassung und dem damit einhergehenden Wechsel vom Text zum Bild gerichtet werden. Der Text wurde vom kaiserlichen Geheimsekretär Treitzsaurwein auf der Grundlage der älteren autobiographischen Diktate des Kaisers seit 1510 in eine neue Form gebracht, in der nach dem Vorbild mittelalterlicher Heldenbücher die historischen Ereignisse und Personen allegorisch überformt und mit Decknamen verschlüsselt 13 Ausst.-Kat. Albrecht Altdorfer. Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik, bearb. von Hans Mielke, Berlin 1988, S. 68–83, bes. Abb. 30b. 14 Vgl. Rudolf: Illustration und Historiographie (s. Anm. 4), S. 53.
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wurden.15 Für diese Decknamen wurden meist heraldische oder auf andere Weise symbolische Farben verwendet (blau für den französischen König, weiß für Maximilian), so dass die ,verkerten namen16‘ dennoch leicht zu entschlüsseln waren. Während Treitzsaurwein auf diese Weise in Innsbruck die Textfassung der ersten beiden Teile erstellte, änderte der Kaiser für den dritten Teil des Weisskunig, der die jüngst vergangenen Ereignisse dokumentierten sollte, das Verhältnis von Text und Bild grundsätzlich. Er erhöhte nicht nur drastisch die Zahl der Bilder – die ersten beiden Teile enthalten zusammen 73 Bilder, der dritte Teil allein 180 –, sondern diktierte auch nur noch die Bildanweisungen für die Illustrationen, nach denen Treitzsaurwein dann, so der neue Plan, den Text verfassen sollte.17 Dadurch wurden nun die Bilder gleich zweifach zu den wichtigsten Informationsvermittlern: Zum einen auf der Ebene der Produktion, indem der Text auf der Grundlage der bildlichen Darstellungen verfasst werden sollte, zum anderen auf der Ebene der Rezeption, in dem nicht nur mehr, sondern auch ganzseitige Darstellungen die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich ziehen sollten. Diese Bilder wurden als Holzschnitte unter der Leitung von Konrad Peutinger in Augsburg von Hans Burgkmair, Leonard Beck, Hans Schäuffelein und Hans Springinklee angefertigt, während Treitzsaurwein in Innsbruck mit den Redaktions- und Textarbeiten beschäftigt war.18 Die Entscheidung für die Illustration des Weisskunig mit Holzschnitten hatte eine zusätzliche Arbeitsteilung zur Folge, nämlich die zwischen Zeichnern und Holzschneidern. Der Entstehungsprozess der Holzschnitte lässt sich seit der Wiederentdeckung von Klebebänden mit Vorzeichnungen für die WeisskunigIllustrationen in der Biblioteca Vaticana gut nachvollziehen.19 Bei den Zeichnungen handelt es sich sowohl um querformatige Entwurfsskizzen als auch um hochformatige Reinzeichnungen, die den Formschneidern für die Holzschnitte als Vorlage dienten. Am Beispiel der Belagerung von Padua 1509 lassen sich exemplarisch für den Weisskunig das Verhältnis von Text und Bild sowie die wichtigsten Veränderungen von der Skizze über die Reinzeichnung zum Holzschnitt rekonstruieren. Aus den ungeordneten Fragmenten für den dritten Teil 15 Zum Verfahren der Verschlüsselung vgl. Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 203ff; Müller (s. Anm. 4), S. 217f. 16 Zit. nach: Der weiss Kunig: eine Erzehlung von den Thaten Kaiser Maximilian des Ersten.. Von Marx Treitzsaurwein auf dessen Angeben zusammengetragen, nebst den von Hannsen Burgmair dazu verfertigten Holzschnitten Hrsg. aus dem Manuscripte der kaiserl. königl. Hofbibliothek. Neudr. d. Ausg. Wien, Kurzböck, 1775, mit e. Kommentar u.e. Bildkatalog von Christa-Maria Dreißiger, Weinheim 1985, S. 75. 17 Vgl. Rudolf: Illustration und Historiographie (s. Anm. 4), S. 54f. 18 Zu Publikation und Zuschreibungen der Holzschnitte vgl. Weisskunig 1956, Bd. 1, darin auch der Aufsatz von Erwin Petermann: Die Formschnitte des Weisskunig, S. 57–147. 19 Vgl. Rudolf: „Das gemähl ist also recht“ (s. Anm. 4); Rudolf: Illustration und Historiographie (s. Anm. 4).
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des Weisskunig ist vermutlich dieser Text dem Ereignis und den zugehörigen Bildern zuzuordnen: Der Zug vor Padua; als der blaue König mit dem König von Fisch Krieg führte, da entschloss sich auch der Weisskunig einzugreifen; nach der Niederlage des Königs vom Fisch gegen den blauen König, konnte der Weisskunig ohne große Gegenwehr viele Städte des Königs vom Fisch einnehmen.20
Was sich dem Leser dieses verschlüsselten Textes als erfolgreicher Feldzug Kaiser Maximilians gegen die Republik Venedig darbietet, entspricht nicht dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse. Zwar gelang es Maximilian, einige Orte in der Umgebung Paduas einzunehmen, aber bei der von den Venezianern besetzten, strategisch wichtigen Stadt blieb seine mehrmonatige Belagerung aufgrund eines zu schwachen, zerstrittenen Heeres erfolglos. Die querformatige, mit „Badua“ überschriebene Skizze zeigt aus der Vogelperspektive die strategisch-taktische Konstellation: Detailliert ausgeführt sind die Befestigungsanlagen von Padua, gegen die die kaiserlichen Geschütze machtvoll in Stellung gebracht sind. Die Stadt selbst, das Lager Maximilians im Vordergrund und die nähere Umgebung sind dagegen nur flüchtig umrissen. Auf der Reinzeichnung nun, unten beschriftet mit „belegerung von Badua“ und dem (Künstler-)Namen Hans (Burgkmair), sind nicht nur Lager und Umgebung differenzierter wiedergegeben, die Ansicht Paduas und die Geschützstellungen weisen ebenfalls bedeutsame Veränderungen auf. Während der Zeichner sich für die Darstellung des Lagers typisierter Szenen aus dem zeitgenössischen Soldatenleben bediente, kommt die Stadtansicht der realen Topographie Paduas näher als die Skizze. So ist etwa der markante quergelagerte Bau des Palazzo della Ragione, des mittelalterlichen Rathauses, mit seinem Tonnengewölbe im Stadtzentrum deutlich zu erkennen. Eine auffällige Veränderung stellen auch die Fahnen dar, die dem Betrachter das Identifizieren der gegnerischen Parteien und der verschiedenen Heeresabteilungen erleichtern, während die kaiserlichen Geschütze stärker in die Landschaft integriert sind. Im Holzschnitt dann sind die genannten Elemente, die Befestigungsanlagen, Geschütze, Heerlager, Fahnen und die Stadtansicht weitgehend präziser und detaillierter dargestellt worden. Gegenüber der Reinzeichnung kann die Komposition besser mit einem Blick erfasst werden, wozu die markanten Konturlinien des Holzschnittes, aber auch eine Reduzierung und stärkere Ordnung der Bildgegenstände beitragen. Durch das Anschneiden der Komposition am unteren Bildrand rückt die Darstellung näher an den Betrachter heran und erzielt so 20 Weisskunig 1956, Kap. 157.
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Abb. 1: Unbek., Belagerung von Padua (1509), um 1512, Zeichnung, Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Vat. Lat. 8570. Aus dem Archiv der Verfasserin.
eine größere Unmittelbarkeit. Dieser neuen Übersichtlichkeit fiel jedoch die perspektivische Verkürzung zum Opfer. Der Holzschnitt zeigt deutlicher als die Zeichnungen eine, die Höhe des Blattes ausnutzende, übereinander gestaffelte Komposition mit nur wenig tiefenräumlicher Wirkung. Während die, möglicherweise von einem Teilnehmer des Feldzuges erstellte erste Skizze vor allem grundlegende militärische Informationen enthielt, ergänzte der Zeichner des Holzschnitts dieses Spezialwissen mit topographischen Kenntnissen, etwa authentischen Ansichten von städtischen Gebäuden, und mit topischen Sujets, etwa aus dem zeitgenössischen Soldatenleben.21 Trotz dieser offenkundigen Ausrichtung auf sachliche Wissensbestände gibt die Darstellung jedoch nicht den historischen Sachverhalt, die militärische Niederlage des Kaisers, wieder, sondern vermittelt – so wie der Text – ein Bild der Stärke und Macht des kaiserlichen Heeres. Und eine weitere Diskrepanz tritt in den Bildern für den 21 Die Überarbeitung in der Reinzeichnung zeugt von einer gewissen Kenntnis der Denkmäler der Stadt, besonders des Palazzo della Ragione, während die vieltürmigen Basiliken nicht genauer erfasst wurden. Offensichtlich diente nicht die Schedelsche Weltchronik als Vorlage, weil deren Ansicht Paduas deutlich von der für den Weisskunig vorgesehenen abweicht, vgl. Elisabeth Rücker (Hg.): Hartmann Schedels Weltchronik – das größte Buchunternehmen der Dürer-Zeit, mit einem Katalog der Städteansichten, München 1988, Nr. 85.
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Abb. 2: Unbek., Belagerung von Padua (1509), Vorzeichnung für den Holzschnitt, um 1512, Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Vat. Lat. 8570. Aus dem Archiv der Verfasserin.
Weisskunig klar hervor: Während der Text noch mit der Verschlüsselung der Figuren operiert, zeigen die Holzschnitte ein konkretes Ereignis mit einer individuellen Stadtansicht und den spezifischen Feldzeichen der beteiligten Heere. So setzt sich auch in den Illustrationen die Zwischenstellung des Weisskunig zwischen Chronik und mittelalterlichem Heldenbuch fort: Im Sinne der Chronistik wurden zwar auch Niederlagen und Misserfolge als Ereignisse mit aufgenommen, diese aber in den Bildern als Repräsentationen der kaiserlichen Überlegenheit und Klugheit umgedeutet. Die detailgenauen Stadtansichten und Maximilians zahlreiche Korrekturen lassen das Bemühen um dokumentarische Darstellungen erkennen, es wurden jedoch auch zahlreiche visuelle Stereotypen verwendet, mit der Folge, dass die Holzschnitte, die oft ohne Bildtitel nach Innsbruck geliefert wurden, nicht mehr eindeutig identifiziert werden konnten.22 Weder Maximilian noch Treitzsaurwein gelang eine vollständige Zuordnung der Bilder zu den Ereignissen und bereits vorhandenen, unterschiedlichen 22 Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 137 führte für die stereotypen Bildformen im Weisskunig den Begriff der ,Situationstypen‘, ein, da für spezifische Situationen, Ereignisse oder Begebenheiten bestimmte Bildtypen entwickelt und wiederholt verwendet wurden; vgl. auch Hans-Martin Kaulbach (Bearb.): Neues vom Weisskunig. Geschichte und Selbstdarstellung Kaiser Maximilians I. in Holzschnitten, A.-Kat. Stuttgart 1994.
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Abb. 3: Hans Burgkmair, Belagerung von Padua (1509), um 1512, Holzschnitt. Aus dem Archiv der Verfasserin.
Textfassungen – eine Aufgabe, die trotz mehrfacher Editionsversuche bis heute nicht gelöst ist. Hatte also die mit dem Medienwechsel von der Handschrift zum gedruckten Buch einhergehende Verlagerung der Priorität vom Text hin zum Bild einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass der Weisskunig letztlich Fragment blieb, so erweist sich gerade diese Störung im Produktionsprozess als besonders aufschlussreich für die dem gesamten Gedechtnus-Werk zugrundeliegenden Motive und Intentionen des herrscherlichen Auftraggebers. Die hohe Wertschätzung Maximilians gegenüber dem Medium des Bildes ist explizit in seiner eigenen, weithin bekannten Erklärung zu Beginn des Weisskunig formuliert: „Und damit ich anfang meines puechs ain erklerung zu machen, so hab ich zu der geschrift gestelt figuren, gemalt, damit das der leser mit mund und augen mag versten den grund dieses gemeldes meines puechs […]“.23 Die Häufung der Begriffe figur, figurirt, gemeld, gemalt in diesem Zitat und die zirkulär erscheinende Formulierung „gemeldes meines puechs“ deuten auf den mindestens gleichberechtigten Rang des Bildes gegenüber dem Text hin. Die Bedeutung des Bildes wird mit der Rezeption durch den Leser/Betrachter begründet, der lesend und 23 Rudolf: Illustration und Historiographie (s. Anm. 4), S. 42; Kaulbach (s. Anm. 22), Kat. Nr. 2.
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betrachtend den Inhalt des Werkes wahrnehmen und verstehen soll. Die idealtypische Visualisierung dieses, Bild und Text verbindenden historiographischen Konzepts bietet der Holzschnitt von Hans Springinklee, der den Kaiser im Kreis von Geschichtsschreibern und einem Maler zeigt.
Abb. 4: Hans Springinklee, Maximilian ehrt das Andenken der Vorväter, um 1514, Holzschnitt. Aus dem Archiv der Verfasserin.
Diese Darstellung einer harmonischen Gleichzeitigkeit der Medien erweist sich im Hinblick auf die Werkgenese des Weisskunig als ein Konzept, das unter den realen Produktionsbedingungen des innovativen Mediums der Drucktechnik zunächst dynamisiert und schließlich gesprengt wurde. Wenn der zunehmende Vorrang des Bildes gegenüber dem Text durch den Medienwechsel begünstigt wurde, so soll der Blick auf zwei monumentale Bildwerke aus Maximilians Gedechtnus-Programm zeigen, in welchem Umfang Maximilian die Vorzüge der spezifischen Erscheinungsform von Bildern für seine politischen Interessen zu nutzen gedachte und an welche Grenzen er dabei stieß.
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Triumphzug und Ehrenpforte – Papiermonumente zwischen Bild und Buch
Während der Arbeiten an den umfangreichen Buchprojekten Maximilians in den 1510er Jahren wurde auch mit der Ausführung zweier monumentaler Werke begonnen, die auf höchst innovative Weise eine signifikante Position zwischen Bild und Buch einnehmen. Der Triumphzug und die Ehrenpforte wurden jeweils in einer gemalten Prachtfassung auf Pergament für das Kaiserhaus selbst angefertigt. Parallel dazu wurde eine gedruckte Edition im Holzschnitt auf Papier vorbereitet, die in einer Auflage von 700 Stück (Ehrenpforte) zur Verteilung an die Funktionselite des Reiches und an auswärtige Höfe vorgesehen war.24 Erste Konzepte Maximilians für diese Werke lassen sich bereits bis in die Zeit um 1507 zurückverfolgen. Zwischen 1513 und 1515 schufen Albrecht Altdorfer und die Mitarbeiter seiner Regensburger Werkstatt zunächst den Triumphzug auf Pergament, koloriert mit Deckfarben und Goldhöhungen, der bei einer Höhe von etwa 45 cm durch das Zusammenmontieren von ursprünglich 90 Bögen die beachtliche Gesamtlänge von knapp 100 Metern erreichte.25 Auch für die Ehrenpforte ist eine Ausführung auf Pergament nachgewiesen, die sich jedoch nicht erhalten hat. Ab 1515 arbeiteten mehrere Künstler, darunter Dürer, Burgkmair, Altdorfer und Springinklee, an der Holzschnitt-Version des Triumphzugs, die inhaltlich weitgehend dem gemalten Zug folgt, aber formal durch eine stärkere Orientierung an der Antike und italienischen Renaissance von dieser leicht abweicht. Die Montage der 137 Papierbögen fällt im Vergleich zur Prachtausgabe deutlich kürzer aus, ergibt aber immerhin noch eine Gesamtlänge von etwa 56 m. Bereits etwas früher müssen Dürer und seine Mitarbeiter mit den Arbeiten für die gedruckte Ehrenpforte begonnen haben, die nach mehreren Probeabzügen 1518 vom kaiserlichen Auftraggeber akzeptiert und noch zu seinen Lebzeiten 24 Überblick zur Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte beider Werke s. Müller (s. Anm. 4), S. 223–226; neuere Literatur zur Ehrenpforte: Thomas Schauerte: Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I. Dürer und Altdorfer im Dienst des Herrschers, Berlin/München 2001; Sven Lüken: Kaiser Maximilian und seine Ehrenpforte, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 61 (1998), S. 449–490; zu Triumphzug und Ehrenpforte s. Larry Silver : Paper Pageants: The Triumphs of Emperor Maximilian I., in: „All the World’s a stage…“ Art and Pageantry in the Renaissance and Baroque, hg. v. Barbara Wisch und Susan Scott Munshower, Pennsylvania 1990, Bd. I, S. 293–331. 25 Da die originalen Pergamentbögen an den Rändern alte Klebespuren aufweisen – in der Wiener Albertina sind als Fragment 50 Bögen erhalten –, ist davon auszugehen, dass dieses Werk zeitweilig als fortlaufender Fries montiert war, vgl. Dagmar Eichberger : Illustrierte Festzüge für das Haus Habsburg-Burgund. Idee und Wirklichkeit, in: Hofkultur in Frankreich und Europa im Spätmittelalter, hg. v. Christian Freigang und Jean-Claude Schmitt, Berlin 2005, S. 89.
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gedruckt wurde. Die am Sockel der Seitentürme zu lesende Jahreszahl 1515 bezeichnet also nicht das Jahr der Fertigstellung, sondern das Ende der Vorbereitungen, nach denen mit der ,Grundsteinlegung‘, d. h. der konkreten Ausführung, begonnen werden konnte.26 Im montierten Zustand präsentierte sich der aus 192 Blättern zusammengesetzte Triumphbogen mit etwas über 3 m Breite und 3,50 m Höhe in Wand füllenden Format und zählt zu den größten Holzschnitten, die jemals geschaffen wurden. Ohne hier eingehender die komplexe Entstehungsgeschichte von Triumphzug und Ehrenpforte in den verschiedenen Ausführungen zu verfolgen, sollen im Folgenden die höchst innovativen Formen dieser monumentalen druckgraphischen Bildwerke auch im Hinblick auf die zeitgenössische Festkultur und damit verbundene Intentionen des Auftraggebers, seiner Berater und der beteiligten Künstler in den Blick genommen werden. Aus gattungs- und medienhistorischer Perspektive knüpfen beide Werke an die wenigen früheren, gemalten und druckgraphischen Triumphdarstellungen größeren Formats an. Als besonders einflussreich kann der Triumphzug Caesars von Andrea Mantegna gelten, ein neunteiliger Gemäldezyklus, der 1486 für den Palazzo Ducale der Gonzaga in Mantua fertiggestellt wurde, von den Zeitgenossen für das antiquarische Wissen antiker Triumphe überaus bewundert und in druckgraphischen Wiederholungen rasch verbreitet wurde.27 Zur Rezeptionsgeschichte Mantegnas zählt Tizians Triumph Christi, der – um 1510/11 als Holzschnittfolge von 8 Blättern mit den Gesamtmaßen von 38 x 273 cm geschaffen – das Sujet des antiken Triumphs in die christliche Thematik transponiert. Maximilians Triumphzug übertrifft diese zeitnahen Vorläufer nicht nur durch seine außergewöhnliche Länge.28 Diese Monumentalität der Form kann gerade angesichts der inhaltlichen Ausrichtung auf die Person Maximilians und seine Dynastie als eine Überbietungsstrategie gegenüber den genannten Bildfolgen verstanden werden. Auch wenn deren Hauptfiguren, Caesar und Christus, von Maximilian verschiedentlich für die Herleitung und Legitimation seiner Herrschaft in Anspruch genommen wurden,29 so zielte der neuzeitliche Kaiser in seinen Werken zugleich darauf ab, das Leistungsvermögen des innovativen Mediums der Druckgraphik vor Augen zu führen, indem er monumentale reproduzierbare Kunstwerke aus Papier konzipierte, die geeignet waren, große Räume wirkmächtig zu gestalten. 26 Lüken (s. Anm. 23), S. 455f. 27 Thomas Arlt (Hg.): Andrea Mantegna „Triumph Caesars“. Ein Meisterwerk der Renaissance in neuem Licht, Wien 2005. 28 Vgl. Henri Zerner : Looking for the Unknowable: The Visual Experience of Renaissance Festivals, in: Europa Triumphans. Court and Civic Festivals in Early Modern Europe, hg. v. J. R. Mulryne, Helen Watanabe-O’Kelly und Margaret Shewring, Aldershot 2004, S. 75–102, bes. S. 80–83. 29 Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 169–172.
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Für die Ehrenpforte ist bislang kein unmittelbar vergleichbares zweidimensionales Vorbild bekannt. Wie Stabius selbst im Text unterhalb des Sockels der Ehrenpforte erläuterte, wurde aber durchaus der Vergleich mit den antiken kaiserzeitlichen Triumphbögen gesucht: „… in der gestalt wie vor alten zeiten die arcus triumphalis den romischen kaisern in der stat rom, der etlich zerbrochen sein und etlich noch gesehen werden, [….] aufgericht.“30 Als Bezugspunkte müssen zudem die realen Architekturen des eigenen Umfelds gesehen werden, wie etwa der Wappenturm der Innsbrucker Hofburg, und insbesondere die ephemeren Triumphbögen, die bei Festen und triumphalen Einzügen städtischen Fassaden zur Dekoration vorgeblendet wurden.31 Sowohl antike als auch zeitgenössische, dauerhafte wie ephemere Triumphbauten waren den Zeitgenossen zunehmend durch Buchpublikationen visuell präsent, etwa durch die Darstellung und Beschreibung antiker Triumphbögen in Roberto Valturios Traktat De re militari oder durch die Dokumentationen zeitgenössischer Feste in schriftlichen und bildlichen Berichten. Im Unterschied zur visuellen Dokumentation realer Feste, von denen sich erste Beispiele nur wenig früher in nächster Umgebung des habsburgischen Kaiserhauses finden lassen,32 handelt es sich bei Maximilians Triumphzug und Ehrenpforte um fiktive Konstrukte, die die gleichen Kernthemen wie die anderen Werke des Gedechtnus repräsentieren, jedoch umfassender und komplexer konzipiert sind:33 Maximilians Genealogie, seinen Hofstaat und anderes Gefolge, seine Heldentaten und Geschicklichkeit in den höfischen Disziplinen sowie die Tugendhaftigkeit seiner göttlich legitimierten Herrschaft sind nun in bildlicher Form miteinander verknüpft. Angesichts der inhaltlichen Nähe der verschiedenen kaiserlichen Kunstprojekte liegt der Schluss nahe, dass der Entscheidung für eine bestimmte Form, für die Art und Weise der visuellen Präsenz dieser Werke, eine besondere Bedeutung zukommt. Sowohl die zweidimensionalen Bildwerke als auch die dreidimensionalen Vorbilder real gebauter oder ephemerer Architekturen verweisen dabei auf die intendierten Präsentations- und Wirkungsabsichten von Maximilians monumentalen Papierwerken: In montierter Form konnten und sollten sie die Räume derjenigen schmücken, die mit diesen Kunstwerken als eine besondere kaiserliche Auszeichnung bedacht worden waren. Damit steigerten sie das Prinzip der herrscherlichen Gabe, für die in der Renaissance oft Porträts, in Form von Gemälden und Bronzemedaillen oder auch in gedruckter Form verwendet wurden, in die räumliche Dimension. Durch die dauerhafte Präsentation dieser großformatigen Bildwerke, die in 30 Zitiert nach: Inge Wiesflecker-Friedhuber (Hg.): Quellen zur Geschichte Maximilians I., Darmstadt 1996, S. 240. 31 Vgl. Lüken (s. Anm. 23), S. 457ff. 32 Eichberger (s. Anm. 25), S. 73–84. 33 Müller : Gedechtnus (s. Anm. 1), S. 148.
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kolorierter Fassung ähnlich wie Gemälde aussahen, in den Wohn- oder Amtsräumen der Beschenkten, sollten Maximilian und die in festlich-triumphaler Form zur Anschauung gebrachte Verherrlichung seines Lebens und seiner Taten an vielen Orten des Reiches und darüber hinaus dauerhaft präsent sein. In Bezug auf Maximilians Wahl von Sujets aus dem Bereich der zeitgenössischen Festkultur eröffnen sich mit Blick auf die spezifische Funktion von Festen für die Konstitution politisch-sozialer Gemeinschaften weitere semantische Ebenen für den Triumphzug und die Ehrenpforte. Feste und andere theatrale Inszenierungen präsentierten sich zu Beginn der Frühen Neuzeit als komplex konfigurierte, multimediale Gebilde, die mittels Sprache, Bildern und Musik, Zeremoniell, Mimik und Gestik, Kostüm, Dekoration und Akustik die zentralen Begriffe und Definitionen der politisch-sozialen Verfasstheit eines Gemeinwesens in konkreter, körperlicher Präsenz vermittelten.34 Die Verfahrensweisen dieser Vermittlung gründeten nicht unerheblich auf einer Ebene der Metakommunikation, in der die Übergänge zwischen Zuschauern und Akteuren oftmals noch fließend waren. Innerhalb des Prozesses der vormodernen Staatsbildung boten festliche Ereignisse einen institutionalisierten politischen ,Aktionsraum‘, in dem Zugehörigkeit und Bindungen demonstriert und zugleich die Normen und Werte eines Gemeinwesens symbolisch ausgehandelt werden konnten. In der herausgehobenen Sphäre dezidierter Außeralltäglichkeit wurden im Fest Konzeptionen und Selbstbilder der eigenen idealen Ordnung inszeniert und ein symbolisches Bild von der eigenen sozialen, politischen oder kulturellen Kohärenz entworfen. Hier legitimierten Regenten ihre Machtansprüche gegenüber den Untertanen, hier vermittelten sie mit festlichem Gepränge den Festteilnehmern in sinnlicher Form ihr politisches Programm. Da die organisatorische Vorbereitung von Herrschereinzügen oft in den Händen der Städte lagen, die den Herrscher empfingen, hatten diese bei der Ausgestaltung des Festprogramms auch ihrerseits die Möglichkeit, politische Forderungen zu artikulieren und an den Regenten zu richten. Und auch während des Ereignisses selbst waren die Zuschauer aktiv am Geschehen beteiligt, insofern als sie das Dargebotene positiv verstärken oder ablehnen konnten. Es waren vor allem das Zusammenspiel von persönlicher Teilhabe und emotionalem Erleben, von körperlicher 34 Zerner (s. Anm. 28); zur politisch-gesellschaftlichen Bedeutung der frühneuzeitlichen Festkultur vgl. Klaus Krüger und Elke Anna Werner : Zur visuellen und theatralen Inszenierung von Gemeinschaft in der Festkultur der Frühen Neuzeit, in: Theater und Fest in Europa. Perspektiven von Identität und Gemeinschaft, hg. v. Erika Fischer-Lichte, Matthias Warstatt und Anna Littmann, Tübingen 2012; s. a. Barbara Stollberg-Rilinger : Verfassung und Fest. Überlegungen zur festlichen Inszenierung vormoderner und moderner Verfassungen, in: Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur, hg. v. Hans-Jürgen Becker, Berlin 2003, S. 7–49; Christel Meier, Heinz Meyer und Claudia Spanily (Hgg.): Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, Münster 2004.
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Wahrnehmung und Präsenzerfahrung sowie die Unmittelbarkeit politischer Akte, die sich im festlichen Zeremoniell konstituierten und die als spezifische mediale Effekte eines performativen Ereignisses politisch wirksam werden konnten. Die künstlerisch-formale Ausgestaltung von Maximilians Triumphzug und Ehrenpforte spricht dafür, dass es gerade diese mit dem Fest verbundenen Phänomene der Vergegenwärtigung und Anschaulichkeit politischer Macht waren, die vom Ephemeren in das dauerhafte und zudem reproduzierbare Medium des gedruckten Bildes transferiert werden sollten. Als einziges Beispiel eines in einem öffentlichen Raum präsentierten Teilstückes von Maximilians Triumphzug hat sich Dürers Triumphwagen im Nürnberger Rathaus erhalten, den dieser im Auftrag des Rates 1521/22 ausführte.35 Das monumentale Wandbild an der Nordseite, der den Fenstern gegenüber liegenden Längswand des großen Ratssaales, stellt durch seine räumliche Ausdehnung, durch die Bewegtheit der Komposition sowie durch die im Bild präsente Erscheinung des Kaisers einen beherrschenden Eindruck im Raum dar. Damit erwies der Nürnberger Rat dem verstorbenen Kaiser die besondere Ehre, mit der komplexen Darstellung seines imperialen Ruhmes dauerhaft im politischen Zentrum der Reichsstadt gegenwärtig zu sein und durch die bewegten Formen des fahrenden Wagens seinen Triumph im Medium des Bildes visuell zu perpetuieren. Neben den festlichen Sujets sind es besonders die Fülle von Bewegungsmotiven, wie die tanzenden und Kränze schwingenden Frauen, die unruhig laufenden Pferde oder die arabeskenartigen Ornamentlinien, die auf unterschiedliche Weise in Beziehung zur Bewegtheit realer Feste stehen. Nicht nur Dürers Triumphwagen verfügt über solcherart visuelle Strategien der Verlebendigung und Vergegenwärtigung, auch andere Teile des druckgraphischen Triumphes markieren diese mediale Grenze zwischen Bild und Realität bzw. versuchen sie zu überwinden, um mit visuellen Mitteln die Dynamik eines realen Festereignisses zu inszenieren. So kündigt etwa der an der Spitze auf einem Fabelwesen reitende Herold den nachfolgenden Zug mit kräftigen Trompetenstößen an, deren Schallwellen als wolkiger Luftstrom dem Instrument entweichen. Die wie vom Wind bewegten Spruchbänder der Programmautoren oder die in besonders vielfältigen Haltungen gezeigten Landsknechte können ebenfalls als mediale Formen der Vergegenwärtigung verstanden werden, mit denen im Bild eine vergleichbare Wirkung wie bei einem realen Festereignis evoziert werden sollte. Wer den montierten Triumphzug mit einer Länge von über 100 bzw. 50 m sehen wollte, musste ihn abschreiten, wobei der Betrachter dann eine Bewegung analog zum realen Festzug ausführte. 35 Matthias Mende (Hg.): Das alte Nürnberger Rathaus. Baugeschichte und Ausstattung des großen Saals und der Ratsstube, Bd. 1, bearb. von Matthias Mende, Nürnberg 1979, S. 224ff.
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Die Ehrenpforte involviert den Betrachter mit anderen visuellen Mitteln. Die große, mit einer überbordenden Fülle kleinteiliger, jedoch inhaltlich komplexer Bilder geschmückte Schauwand operiert mit einer Rhetorik der Überwältigung, die ebenfalls zum grundlegenden Erfahrungspotential zeitgenössischer Festveranstaltungen zählte. Staunen und Bewunderung sollten die prächtigen ephemeren Bauten und performativen Inszenierungen bei den Teilnehmern frühneuzeitlicher Feste auslösen, um über diese emotionale Wirkung eine gemeinschaftliche Erfahrung zu konstituieren und so Aufnahme und Akzeptanz der vermittelten politischen Botschaften zu fördern. Genau an diesen wirkungsästhetischen Rahmen eines Festes knüpft die spezifische Form von Maximilians Ehrenpforte an, die im Bild selbst wiederum mit anschaulichen Mitteln der Verlebendigung einen unmittelbaren, wenn auch notwendig fiktiven Bezug zu realen Ereignissen und Bauten herstellt. So fingieren die Torbögen einen Durchgang zu einer dahinter sich öffnenden Landschaft (Abb. 5), oder Stabius, der Programmautor des gesamten Werkes, steht oberhalb des Kramsgesims auf dem Mittelturm in Begleitung eines kräftig in seine Fanfare blasenden Musikers und scheint mit seinem Körper die Bildgrenze zu durchstoßen.
Abb. 5: Albrecht Dürer, Ehrenpforte Kaiser Maximilians I., 1515–18, Holzschnitt, 3,41 x 2,92 m, Wien, Graphische Sammlung Albertina. Aus dem Archiv der Verfasserin.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für das Verständnis und für die intendierte Rezeption von Maximilians Gedechtnus-Werken die medialen Strategien visueller Vergegenwärtigung von zentraler Bedeutung sind. Diese werden auf vier Ebenen wirksam: 1. durch die Wahl der Drucktechnik, die eine große Verbreitung und damit Vervielfachung der realen Präsenz der Werke sicherte; 2. durch den Vorrang des Bildes gegenüber dem Text, dessen ikonische Eigenschaft der Anschaulichkeit im Vergleich zum Text eine unmittelbarere Wahrnehmung förderte; 3. durch die Verwendung von Motiven bzw. Elementen aus der Festkultur und schließlich 4. durch visuelle Inszenierungen von Lebendigkeit und Monumentalität, die das Medium des Bildes mit unterschiedlichen Formen der Bewegung – mit Präsenzeffekten – auflud. In dieser innovationsfreudigen Phase des Übergangs von der Handschriftenzur Druckkultur suchte und erprobte Maximilian die durch die Drucktechnik sich eröffnenden vielfältigen Vorteile und neuen künstlerischen Möglichkeiten. Die Umsetzung erwies sich dabei, vor allem aufgrund des gigantischen Umfangs, oftmals als problematisch. Es waren nicht nur Schwierigkeiten bei der Vollendung der Werke auf der Seite der Produzenten, sondern wohl auch seitens der Adressaten wurden die Werke nicht in der von Maximilian vorgesehenen Form präsentiert und rezipiert. Nur so lässt sich der Umstand bewerten, dass die meisten Exemplare des Triumphzuges und der Ehrenpforte heute in gebundener Form als Bücher in den Bibliotheken aufbewahrt werden.36 Wie viele der als monumentale Bilder konzipierten Werke ihre ursprüngliche Bestimmung in den Räumen der Adressaten fanden, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.
36 Für die Ehrenpforte sind die erhaltenen Exemplare dokumentiert bei Schauerte 2001.
III. Außenpolitik und Krieg
Mustafa Soykut
Mutual Perceptions of Europe and the Ottoman Empire
1.
Introduction
The main Ottoman sources documenting their perceptions of Europeans date back to the eighteenth century when the first ambassadorial reports were being sent to the Ottoman capital. Prior to this, the main sources are European and contain only a few hints here and there culled from diplomatic correspondence during the Renaissance. Important milestones defining the perceptions between the Islamic and Western civilisations include the victory by the Seljuk Turks at the battle of Manzikert (Malazgirt) over the Eastern Romans in 1071 and the latter’s subsequent retreat and decline in face of the rising Muslim power. A year later, in 1072, the city of Palermo in Sicily was reconquered by the Normans from the Arabs, after having been an Arab emirate for three hundred years. Another significant date is the year 1492, when the Genoese Cristoforo Colombo discovered America under the auspices of Isabella of Castile, who, that same year, following the fall of Granada, expulsed the Spanish Jews from Andalusia, which was the last bastion of Arab Muslim presence on the Iberian Peninsula after eight hundred years of coexistence with the Christians. The latter half of the fifteenth century marked not only the peak of the Renaissance in Italy and the apex of the humanism, but also the fall of Constantinople in 1453 and of Trebizond in 1461, the last house of Byzantine royalty in Asia Minor. Thus, in a sense, the Muslim power represented by the Arabs in Europe for eight hundred years gradually passed into the hands of the Ottoman Turks, a process that was completed by the fall of Constantinople. For these reasons, Western European historiography, which considered Byzantium to be a “despotic oriental” state, came to regard the Ottoman State in a similar manner. The Eastern Roman Empire was stripped of the glorious adjective “Roman”, and the new name “Byzantium” was given to this so-called “caesaropapist” empire, a name never used by the Eastern Romans themselves. In fact, the Byzantine emperors gave themselves the title basike}r ja· autojq\tyq qyla_ym (emperor and autocrat of the Romans).
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In the same fashion, the “infidel” Ottomans were largely, albeit not exclusively, perceived as “Asiatic despots” in Renaissance literature. Although Mehmed II, the conqueror of Constantinople, and even his grandfather Bayezid I, called themselves “kayser-i diya¯r-ı Ru¯m” (Cæsar of the Roman lands), the title “Roman emperor” ceased being used after the reign of Mehmed II, the conqueror of the “second Rome”. In his book Gli Annali Turcheschi overo Vite de’ Principi della Casa Othomana (The Turkish Annals, and the Lives of Princes of the House of Osman), published in Venice in 1573, Francesco Sansovino, the famous Venetian historiographer and son of the architect of St. Mark’s Library, describes the Ottomans as follows: I have always retained […] that the greatness and power of the Turkish nation deserves much consideration. As a result of seeing their ancient military institution and the order of their civil government, one must conclude – as it is evident – that they are men of valour, and not at all rough [people]. As to the military, I do not see any other people among ours, which has better order, and more reminiscent of the Roman order, than the Turkish one. Considering that they – almost as successors of the aforementioned Romans – are abstinent in war, resistant to fatigue and obedient to their superiors […].1
This tradition of continuity was, at least officially, abandoned in the following centuries by Mehmed’s successors, especially after his grandson Selim, the conqueror of the title “caliph” from the Mamluks of Egypt in 1517. Coincidentally, that same year Luther rose against the Pope and the Roman Catholic Church, that leading to an irrevocable division of Europe. Although the official rhetoric of the Ottoman sultans did not emphasize continuity with Byzantium, a number of Turkish historians, including Halil Inalcık, have clearly demonstrated a carryover of Byzantine institutions in Ottoman taxation, legislation, and court traditions, as well as state philosophy.2 This continuity, however, never became 1 Original Italian quote: “Ho sempre tenuto […] che la grandezza & la potenza della nation Turchesca, sia degna di molta consideratione, percioche vedendosi qualsia l’institutione della loro antica militia, et qual l’ordine de governi civili, si de[v]e far giuditio si come si vede per pruova, che siano huomini di valore, & non punto rozzi. Percioche quanto alla militia, io non so veder qual gente fra la nostra sia meglio regolata & piF somigliante agli ordini de Romani della Turchesca, attento che eßi, quasi come successori de predetti Romani, sono astinenti nelle guerre, sofferenti nelle fatiche, obedienti a lor capi […]” in foreword of Francesco Sansovino’s: Gli Annali Turcheschi overo Vite de’ Principi della Casa Othomana, (Venetia: n. p., 1573); English translation in: Mustafa Soykut: Image of the “Turk” in Italy. A History of the “Other” in Early Modern Europe: 1453–1683, Berlin 2001. On Mehmed II. siehe: Franz Babinger: Mehmed the Conqueror and His Time (Bollingen Series 96), hg. v. William Hickman, Princeton 1992. 2 Halil Inalcık: The Problem of Relationship Between Byzantine and Ottoman Taxation, in: idem, Akten des XI. Internationalen Byzantinisten-Kongresses 1958, München 1960, S. 237– 242, again: Halil Inalcik, The Ottoman Empire: Conquest, Organization and Economy (CS 87), London 1978, Nr. II; idem., The Policy of Mehmed II Toward the Greek Population of Istanbul and the Byzantine Buildings of the City, in: Dumbarton Oaks Papers 23/24(1969/70),
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part of the official historiography of the Turkish Republic, which sought to find its origins in the steppes of Central Asia and the recently discovered ancient Hittites rather than in the most recent Byzantine-Ottoman tradition. From this point of view, Inalcık refutes the thesis of his own professor, the renowned Fuat Köprülü of the 1930s, who in his book Bizans Müesseselerinin Osmanlı Müesseselerine Tesiri (The Influence of Byzantine Institutions on those of the Ottoman Empire) claimed that the origins of the institutions of the Ottoman Empire were to be found not in Byzantium but in the Turco-Islamic tradition.3 The relationship between the Ottomans – and thus the Turks – and Europe is directly influenced by their historical past. To gain a better understanding of this relationship, one must turn to the period when the Ottoman Empire was founded. In terms of intellectual, scientific and artistic achievement, Islamic civilisation was at its height between the eighth and the eleventh centuries. According to Bernard Lewis, shariah had already crystallised in the first one hundred and fifty years of Islam when a final triumph and a world conquest was imminent, given that Islamic armies had conquered territory deep into Europe, Spain, Africa, India and China in the East.4
2.
The Ottoman State
The emergence of the Ottoman State from its humble origins at the end of the thirteenth/beginning of the fourteenth centuries falls roughly two hundred years after the beginning of this so-called scholastic period of the Islamic world. As to the role of Islam in the Ottoman Empire, two points must be kept in mind. First, for Islam to serve the purposes of the state, a firmly authoritative interpretation of religion was necessary, but not an ultra-orthodox one, since the Ottoman ruling class derived its recruits from among non-Muslims as well as converts, and the empire in its classical age had more non-Muslim than Muslim subjects. Second, since the state and religion merged, and, paradoxically enough, also remained distinct, at times when there was a succession of weak sultans, the ‘ulema¯ undermined the power of the state. Thus the empire was kept from adapting intellectually to the world with which it interacted. Although the Ottoman Empire reached tremendous military and political success in its first three S. 231–249, again: idem., The Ottoman Empire Nr. VI; Halil Inalcik: The Question of the Emergence of the Ottoman State, in: International Journal of Turkish Studies 2 (1980), S. 71–79, again: Studies in Ottoman Social and Economic History (CS 214), London 1985, Nr. I. See also Halil Inalcık: Dog˘u Batı Makaleler, Ankara 2005. 3 Mehmet Fuat Köprülü: Some Observations on the Influence of Byzantine Institutions on Ottoman Institutions, Ankara 1999. 4 Bernard Lewis: The Muslim Discovery of Europe, New York 1982, S. 61–62.
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hundred years, in the absence of charismatic leadership, the Ottoman interpretation of Islam, having reached its classical and most powerful institutionalisation at the time of Süleyman the Magnificent, was devoid of speculative thought, the motor of progress. The ideas of one of the most important Ottoman ‘ulema, Tas¸köprülüzade (1495–1561) hint at this weakness of the Ottomans, which politically and militarily crippled the empire following the Renaissance and particularly during the Age of Enlightenment, despite compensation attempts during the modernization period of the late eighteenth and nineteenth centuries: “Tas¸köprülüzade accepted al-Gazali’s moderate views, believing that, like religious fanatics, Batinites and philosophers were in error. The Batinites sought to destroy the shariah, while the philosophers worked from principles unacceptable to Islam.”5 Thus the Ottoman Empire not only did not participate in the Renaissance, the subsequent Age of Reason or in industrialization, but also believed that it could live in an imagined static world, which it perceived along the classical Islamic lines of Da¯r al-Isla¯m and Da¯r al-Harb. Following the initial glory and victories of Islam on three continents, the euphoric belief in an imminent conquest and conversion of the whole world was conceptualised by Islamic jurists in the notion of Da¯r al-Sulh or Da¯r al ‘Ahd, House of Truce or House of Covenant, an intermediary state between the House of War and the House of Islam.6 The belief in the triumph of Islam gave the Ottomans a sense of superiority vis-/-vis Europe, until the military and political failures of the seventeenth century and the beginning of the end marked by the 1699 Carlowitz and 1718 Pozˇarevac (Passarowitz) Treaties. The static worldview which assumed that the perfect practice of Islam and its laws would eventually result in the final victory of the Ottomans was also reflected in the Ottoman judicial system. The Islamic judge, or qa¯dhı¯’s competence extended from the civil and penal codes to lonca (guilds), kale (citadel) and army inspections, as well as inspections of the tekkes (sufi monasteries) and of various tarı¯qas (religious orders) and fiefdoms.7 It is also interesting to note that the qa¯dhı¯ had as his superior and inspector not the sancak beyi, member of the kalemiye (Ottoman bureaucratic class), but the kadıasker (military judge) of the ilmiye class of religious scholars or the chief of the religious judicial system, the S¸eyhülislam.8 In other words, although a member of the religious judicial institution could inspect administrative affairs, a secular administrative figure could not interfere
5 Halil Inalcık: The Ottoman Empire. The Classical Age 1300–1600, London 1994, S. 183. See also: Klaus Kreiser: Der ottomanische Staat 1300–1922 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 30), Munich 2001. 6 Lewis (s. Anm. 4), S. 62. 7 Ilber Ortaylı: Hukuk ve I˙dare Adamı Olarak Osmanlı Devletinde Kadı, Ankara 1994, S. 26–29. 8 Ortaylı (s. Anm. 7).
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with the affairs of the qa¯dhı¯. Taner Timur describes the situation of the Ottoman fuqa¯ha and the Islamisation process of the örfi, or sultanic laws: The most renowned Ottoman book of jurisprudence was Multeka el-Ebhur, written in the sixteenth century at the time of Süleyman […] In order to grasp the importance of this book, we must bear in mind that the Ottoman Empire gave more importance to judicial order and organisation than it did to philosophical thinking […] In the empire, every qa¯dhı¯ in every court had a copy of the Multeka, although it is difficult to conceive most of the Ottoman qa¯dhı¯s fully capable of understanding this work. Furthermore, in the complex social life of the empire, there were always cases that the Multeka had not foreseen.9
This shift from the predominance of sultanic law to that of the shariah occurred with the redefinition of the empire under Islam, according to which in all Muslim nations, Christians and Jews, the Ahl al-Kita¯b (people of the book), were classified as dhimmı¯s. While this was a necessary measure in the transition period of the Ottoman state from a Turkic principality to an empire, it was most successfully implemented during the enlightened reign of Mehmed the Conqueror, the first promulgator of the örfı¯ law codex and perhaps the only enlightened Renaissance ruler of the Ottomans. Later, the importance of sultanic law came to be replaced in public law by another wave of Islamisation particularly after the seventeenth century, the period when the empire most urgently needed to keep up with the technologies and world trends of the Age of Reason.10 It is no coincidence that notable Turkish sovereigns who founded states were promulgators of law codes (kanunname). According to the early Ottoman chroniclers, who strongly reflect old Turkish traditions, after he had declared his independence Osman Gazi established laws. Sultan Mehmet the Conqueror (1451–81), the true founder of the Ottoman Empire, promulgated two law codes, one for the subjects and one concerning state administration. Finally, Süleyman the Law Giver (1520–66), who made the Ottoman state a world empire, also published a law code. These codes were a collection of laws relying solely from imperial decrees and had nothing to do with the Shariah; in other words they can thus be considered a result of Turkish state tradition.11
It would be incorrect, however, to simply equate Ottoman law with shariah. Alongside shariah, there was sultanic law which derived from ancient Turkic traditions and, in its ad hoc Ottoman version, represented the sovereign’s absolute power as it was inherited from the Byzantine tradition, referred to in the West as caesaropapism. This system of law unified the earthly and the religious authorities in the hand of the sultan, in stark contrast to the Western system of 9 Taner Timur: Osmanlı Kimlig˘i, Istanbul 1986, S. 62–64 (my translation). 10 Timur (s. Anm. 9), S. 55. 11 Halil I˙nalcık: Turkish and Iranian Political Theories in Kutadgu Bilig, in: Halil I˙nalcık (Hg.): The Middle East and the Balkans Under the Ottoman Empire. Essays on Economy and Society, Bloomington 1993, S. 12.
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the division of these powers in the figures of pope and emperor. The Hanbali and Maliki interpretations of Sunni Islam emphasise the strict following of the Koran and the Hadith. Hence within an orthodox interpretation of Islam, the sultan or the caliph would not have had the power to promulgate laws, and his authority would have been restricted to guarding the shariah. But what are the sources of shariah? The Koran, the Hadı¯th, Ijma¯‘ and Qiya¯s – the holy book, the sayings of the prophet, the consensus of Islamic scholars, and comparisons between the Koran and the Hadith. While the first and the second were fixed, the latter were open to interpretation, which gave the Ottoman State, with its Hanafi interpretation of Islam, sufficient margin to empower the sultan as supreme authority. This was a novelty compared to ancient Turkic tradition as well as to classical Islamic practice. While they conformed sultanic laws to shariah, the Ottomans always tried to increase the power of the sultan through the fatwa¯ system. Fatwa¯ was an opinion issued by the Islamic scholars, the ‘ulema¯, stating that a “sultanic law” was in conformity with shariah. This system of state jurisprudence reached its zenith during the reign of Süleyman the Magnificent, whom the Turks called Kanuni Sultan Süleyman – Kanuni meaning the law-giver, a word of Greek origin (“canon”) which passed into Arabic as qanun. The most celebrated ‘a¯lim or scholar of the Kanuni era was the famous Ebussuud Efendi, who gave Ottoman jurisprudence its classical form. The reign of Süleyman the Magnificent was marked by an intellectual conservatism in the Ottoman Empire, which was in clear contrast to the foundation period of the Ottoman state between 1300–1450 under the dynamic leaders of the ghazi (holy warrior) tradition. The ghazi first fought the Byzantines and expanded the small Ottoman principality into their lands; but then he went on to conquer the other Turkish Muslim Anatolian principalities. On the other hand, Ottoman contacts in Europe until the eighteenth century remained restricted to diplomacy and trade. Unlike their European counterparts, the Ottomans lacked a professional corps diplomatique in the European sense and sent only non-resident envoys to the European capitals. Their mission was merely to convey the message of the sultan and not to observe and report back to Istanbul about the affairs of these nations. In fact, in accordance with the Islamic division of the world into House of Islam and House of War, a sojourn in the house of War fell under the category not of hara¯m (prohibited) but of makru¯h (reprehensible). Jurists for the most part agreed that the only legitimate reason for a Muslim to travel to the House of War was to ransom captives. Even trade was not an acceptable purpose, though some authorities permitted the purchase of food supplies from Christian lands in case of dire necessity.12 12 Lewis (s. Anm. 4), S. 61.
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Furthermore, the Ottomans saw trade – the motor of many discoveries as in the case of Marco Polo, the discovery of the new world and even the spread of Buddhism through the Silk Road – as a low engagement to be left to nonMuslims. Even the dragomans of the diplomatic service were mostly Phanariots from Istanbul and other non-Muslim subjects of the empire.
3.
The Renaissance and the Ottomans
Certainly, some of the most ardent military and diplomatic relations between the Ottomans and the European powers occurred during the reigns of Mehmed II (1444–1446, 1451–1481) and his son Bayezid II (1481–1512). The period between the Fall of Constantinople in 1453 and the end of the Ottoman-Venetian War in 1503 correspond roughly to the earlier part of Emperor Maximilian I’s reign.13 Although Maximilian was still in power when Bayezid II’s son Selim I became sultan, Maximilian chiefly interacted with the former, due to the largely non-European political agenda of Selim I, who concentrated his military campaigns against the other Anatolian principalities, the Mamluks of Egypt and against Iran to counteract the Shia heresy. After his gradual withdrawal from state affairs following the Ottoman-Venetian peace of 1503, Bayezid dedicated himself to religion, learning and mystic contemplation. Unlike his energetic and eccentric father Mehmed, who reputedly was an agnostic and was interested in Italian humanists as well as in Islamic learning, he came under the influence of the mullahs and a more traditional Islamic way of life. The famous Italian historiographer of the Ottomans, Giovanni Maria Angiolello, who was a prisoner of the Ottomans in 1470 during the fall of Negroponte, a servant to Mehmed’s son S¸ehzade Mustafa and court treasurer to Mehmed, wrote about the latter that contemporaries including his own son Bayezid thought Mehmed did not believe in any religion. He also reports that Bayezid II sold some of the erotic pictures of the court women by the Venetian artist Gentile Bellini because he considered them indecent. The main events concerning the Ottomans and Emperor Maximilian I took place after the death of the King of Hungary Matthias Corvinus in 1490, the major force of resistance against the Ottomans in fifteenth century Central Europe. The lack of a strong resistance to the Ottomans after his death facilitated Bayezid II’s military campaigns in Bulgaria and Albania. The Ottomans had already made several incursions into Central Europe and the Venetian territory adjacent to the Habsburg-controlled Friuli in the 1470s during the reign of Mehmed II, and had 13 On Maximilian see Manfred Hollegger : Maximilian I. (1459–1519). Herrscher und Mensch einer Zeitwende, Stuttgart 2005. See also the article by Hollegger in this volume.
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crossed the Tagliamento and the Isonzo rivers into the Venetian heartland.14 This resulted in the Ottoman-Venetian peace treaty of 1479, one year before the Ottoman capture of Otranto from the Kingdom of Naples in the south Adriatic. Although the conquest of Otranto undertaken by Gedik Ahmed Pasha had huge repercussions in Europe as a sign of Mehmed’s ambitions to conquer Rome, the latter’s death in 1481 marked the abandonment of such aspirations. In the aftermath of Mathias Corvinus’ death, Emperor Maximilian along with the Pope became the major actors in the anti-Ottoman resistance. Bayezid’s military campaigns in Albania included incursions into Hungary and the Venetian lands. In 1492, the year of the discovery of America and the arrival of thousands of Spanish Sephardic Jews in the Ottoman Empire, Hadim Ahmed Pasha invaded Transylvania and Mihalog˘lu made advances into the surroundings of Ljubljana. These incursions, in addition to giving rise to crusades against them, did not much benefit the Ottomans as they lost 15,000 men and all of their booty. While Mihalog˘lu initially captured 20,000 prisoners around Ljubljiana, Emperor Maximilian’s counter-offensive meant that he had to fight a battle against the Habsburg army in which he lost 10,000 men. Another 7,000 were taken prisoner when the Ottoman’s Christian prisoners turned against them. This in return encouraged the King of Hungary to ask for help from the Pope and ordered his lords to attack the Ottomans in Bosnia. The same years also witnessed numerous Ottoman incursions into Steiermark in Austria and Timis‚ oara in the Banat. Although the incursions into Steiermark were repelled by Emperor Maximilian’s armies, the Ottomans still managed to capture 7,000 slaves. In response, the Hungarians attacked Smederevo in Serbia and captured a huge amount of booty and a large number of slaves. In 1495, the Ottomans concluded a peace with the Hungarians for the next thirty years, ending the major Ottoman incursions into Austria and Hungary. Instead the Ottomans concentrated their military efforts on Zara in Dalmatia and Ljubljiana,
14 Soykut (s. Anm. 1), S. 54–55. There is meanwhile a rich literature about European perceptions of Turks during the Renaissance period: Robert Schwoebel: The Shadow of the Crescent: The Renaissance Image of the Turk (1453–1517), Nieuwkoop 1967; Franz Reiner Erkens (Hg.): Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 20), Berlin 1997; Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann (Hg.): Europa und die Türken in der Renaissance, (Frühe Neuzeit 54), Tübingen 2000; Almut Höfert: Den Feind beschreiben. “Türkengefahr” und europäisches Wissen über das osmanische Reich 1450–1650 (Campus historische Studien 35) Frankfurt/New York 2003; G8raud PoumarHde: Pour en finir avec la Croisade. Mythes et r8alit8s de la lutte contre les Turcs aux XVIe et XVIIe siHcles, Paris 2004; Franz Fuchs (Hg.): Osmanische Expansion und europäischer Humanismus (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 20), Wiesbaden 2005; Nancy Bisaha: Creating East and West. Renaissance Humanists and the Ottoman Turks, Philadelphia 2004; Margaret Meserve: Empires of Islam in Renaissance Historical Thought (Harvard Historical Studies 158), Cambridge, Mass. 2008.
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in addition to capturing the last four important castles in Bosnia, most of which had already come under Ottoman rule by the time of Mehmed II. The year 1499 saw yet another incursion into Friuli by Sancak Beyi, or governor of Bosnia Iskenker Bey, later called Iskender Pasha. These incursions into Friuli resulted in the capture of 8,000 slaves. The Ottomans also invaded Carniola and Carinthia, yet again gathering large sums of booty and many slaves. These incursions led to the Ottoman-Venetian war. Ludovico Sforza of Milan, Florence and the Kingdom of Naples provoked the Ottomans with the consent of Maximilian and the Pope, and the Ottomans attacked the Venetian territories in the eastern Mediterranean in what they hoped would be a decisive blow. The Ottoman-Venetian war resulted in yet another crusade against the Ottomans, ending, however, with serious losses for the Venetians. Not only was this the last Venetian attempt to wage war against the Ottomans in a direct confrontation, the peace of 1503 also marked the withdrawal of Bayezid II from the scene of political affairs. His son Selim I engaged in warfare with the Eastern powers, giving Europe a respite until the time of Süleyman the Magnificent. In the fifteenth century, some of the most important records of Italian perceptions of the Turks were left by Byzantine expatriates who fled from Anatolia and took refuge in Italy, especially in Venice. Theodoro Spandugino was one of these expatriates of Cantacuzine origin, whose great-grandfather had served the last Byzantine Emperor Constantine XI Palaiologos. Spandugino wrote one of the first reliable histories of the Ottoman family and their state, rightly tracing their origins back to the Oghuz tribe of the Turks, rather than perpetuating the myth that the Turks were Scythians or Teucres, that is, inhabitants of Troy, as was believed by many Renaissance writers.15 Another important figure pertinent to the crusader idea against the Ottomans was Cardinal Bessarion of Trebizond (1403–1472). Bessarion came to Constantinople, became a clergyman and was then given the title Bishop of Nicaea (I˙znik). He represented the Byzantine clergy at the Council of Ferrara-Florence 15 The most reliably annotated edition of the work is by Donald M. Nicol: Theodore Spandounes: On the Origin of the Ottoman Emperors, Cambridge 1997. The text in Nicol’s book is translated from the edition of Constantine N. Sathas: Documents in8dits relatifs / l’histoire de la GrHce au moyen .ge, IX Paris 1890, S. 133–261: Theodoro Spandugnino, Patritio Constantinopolitano, De la origine deli Imperatori Ottomani, ordini de la corte, forma del guerreggiare loro, rito, et costumi de la natione. Another smaller, undated version in manuscript form is in Citt/ del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Barb. Lat. 5342: Theodoro Spandugino, Relatione di Theodoro Spandugino patritio costantinopolitano. Ordine de la origine de principi de Turchi et della corte e costumi loro et della natione. Cf. Deniz S¸engel: Sources and Context of the Renaissance Historiography Concerning the Origin of Turks, in: Historical Image of the Turk in Europe from the Fifteenth Century to the Present: Political and Civilisational Aspects, hg. v. Mustafa Soykut, Istanbul 2003, S. 45–116. See also n. 14.
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on the unification of the Eastern and the Western churches. The reason for the unification was political – the hope was that the Catholic world would provide political and military aid against the expanding Ottoman armies. On April 13–14, 1439, Bessarion read the Oratio dogmatica pro unione, which proclaimed the short-lived union of the Roman and Byzantine Churches. This union, although declared by the bull ‘Laetentur caeli’ (July 6, 1439), was never ratified by the Synod in Constantinople. Bessarion’s strategy became a model that was to be proposed by propagators of crusades against the Turks until 1683. This lineage of political strategists, most of whom were high-ranking men of the papacy, began with Bessarion in the 1470s and continued with Lazzaro Soranzo in 1598,16 Marcello Marchesi in the following years,17 Angelo Petricca da Sonnino in 1640,18 and Friar Paul de Lagny in 1679, on the eve of the second siege of Vienna.19 It is important to note that the perception of the Turk in Italy throughout the Renaissance as well as in the sixteenth and seventeenth centuries was different in Venice and the other Italian republics than it was in the Pontifical State and southern Italy. Venice had most political and commercial interactions with the Ottomans, as opposed to Rome, which was the head of Catholic Christendom and had been the head of European Christendom until the Reformation. While most of the time Venice was careful not to irritate the Ottomans, preferring to maintain a peaceful co-existence with them, the Roman Church sounded the crusader rhetoric at every possible occasion. A state of continual war was evidently detrimental to the commercial life of Venice. Hence Venice mostly found itself opposing the papacy in favour of the Ottomans in a spirit of Realpolitik. The naval defeat at Lepanto (Nafpaktos) in 1571 was another milestone, together with the Fall of Constantinople and the second siege of Vienna, that affected how the Ottomans were perceived in Europe. The battle of Lepanto changed what until then had been the image of the invincible Turk. Ironically enough, UluÅ Ali Reis (known as Occhial' in Italy), who showed excellent re-
16 Lazzaro Soranzo: L’Othomanno, Ferrara 1598. 17 Monsignor Marcello Marchesi: Five Treatises on “The war against the Turk” (17th century): 1) Alla Santit/ di nostro Signore Papa Paolo Quinto Beatissimo Padre, 2) Alla Maest/ del Re Catholico Filippo III. Sacra Catholica Maest/, 3) All’Illustrissimo et Eccellentissimo Signore Duca di Lerma, 4) Alla Maest/ del Re d’Ungheria Mathia II. Sacra Maest/, 5) Del detto quinto trattato proemio, divisione, et ordine, (Citt/ del Vaticano: Biblioteca Apostolica Vaticana: Cod. Barb. Lat. 5366). 18 Giovanni Pillinini: Un discorso inedito di Paolo Paruta in: Archivio Veneto, ser. V, vol. 74 (1964), S. 5–27. See also n. 28. 19 Fra Paolo da Lagni: Memoriale di fr/ Paolo da Lagni cappuccino al pontefice Innocenzo XI. nel quale si dimostra la necessit/ de’ Principi Cristiani di prevenire il Turco col dichiarargli la guerra, 1679 (Citt/ del Vaticano: Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. lat. 6926).
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sistance against the Genoese fleet at Lepanto, was a Calabrese convert. His battalion was the only one in the Ottoman fleet to remain intact.20
4.
The seventeenth century and the subsequent crusades
Europe, which identified itself with Christendom and Pax Romana until the Renaissance, saw all of these peoples of “foreign” descent as a threat par excellence to Christianitas. According to Kenneth Setton, the special position the Ottomans held in this perception was due to the fact that “from the later fourteenth century to the beginning of the twentieth, Europeans tended to identify Islam with the Ottoman Empire.”21 As the official head of Christianity until the Reformation, the papacy made several attempts at eradicating this foreign presence from Europe. These efforts were institutionalised in a series of holy wars which were called, again, ‘crusades’. In the seventeenth century, the Holy See launched the idea of such crusades against the Ottomans, during the Thirty Years War and after the Westphalian settlement, in order to incite war against the Turks. The following two persons and authors were prominent, yet little known, members of the Holy See, Monsignor Marcello Marchesi and Angelo Petricca da Sonnino, mentioned above. These men, along with a certain Paolo da Lagni (Paul de Lagny, originally a French Capuchin friar), who presented a manuscript to Pope Innocent XI in 1679,22 are important as papal authors of a series of bellicose exhortations in the seventeenth century, inspiring the Holy See to undertake – and finance, as in the case of Poland23 – a defence of Christendom against the Turks, which culminated in the defence of Vienna in 1683.
20 Lucetta Scaraffia: Rinnegati. Per una storia dell’identit/ occidentale (Quadrante 64), Roma/ Bari 1993, S. VIII. 21 Kenneth M. Setton: Western Hostility to Islam and Prophecies of Turkish Doom, (Memoirs of the American Philosophical Society, 201), Philadelphia 1992, S. 17. On the following see also Mustafa Soykut: Das Osmanische Reich im Prozeß der europäischen Identitätsbildung. Ein politikgeschichtlicher Blick auf das Zeitalter des Westfälischen Friedens, in: Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, hg. v. Klaus Bussmann und Eva Anna Werner, Weimar 2004, S. 77–97. 22 Vgl. Fra Paolo da Lagni (s. Anm. 19). 23 Gaetano Platania: Venimus, Vidimus et Deus vicit. Dai Sobieski ai Wettin. La diplomazia pontificia nella Polonia di fine seicento, Cosenza 1992; ders.: Innocent XI Odescalchi et l’esprit de “croisade”, in: XVI siHcle. Revue publi8e par la Soci8t8 d’Etude du XVII siHcle, 199, 50, 2, 1998, S. 247–270; ders.: Diplomazia e guerra turca nel XVII secolo. La politica diplomatica polacca e la ‘lunga guerra turca’ (1673–1683), in: I Turchi, il Mediterraneo e l’Europa, hg. v. Giovanna Motta, Milano 1998, S. 242–268; Gaetano Platania: Santa Sede e sussidi per la guerra contro il turco nella seconda met/ del XVII secolo, in: Il Buon Senso o la
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A very important seventeenth-century representative of pontifical policies vis-/-vis the Turks was Angelo Petricca da Sonnino. What we know about the figure of da Sonnino derives mainly from the office he held as ‘vicar apostolic’ in Istanbul, that is, the representative of the Congregation of ‘Propaganda Fide’ in the Ottoman Empire. The Congregatio de Propaganda Fide (The Congregation for the Propagation of the Faith) was the pontifical institution intended to bring all the Catholic missions of the world under the centralised authority of Rome. Petricca da Sonnino, who belonged to the Franciscan order – one of the most influential Christian orders in the Ottoman Empire –, served as ‘vicar apostolic’ in Istanbul between 1636 and 1639. A little known fact about Petricca’s mission is that he had come to Istanbul in 1628 as part of a legacy to the Shah of Iran, and was later appointed as Commissary General of the missions of Propaganda Fide in Walachia, where he remained in this office until 1633. The Propaganda Fide archives in Rome indicate that Petricca came into severe conflict with the Patriarch of Constantinople, Kyrillos Loukaris, because of the latter’s ‘Calvinist’ tendencies, which he presumably acquired during his studies in Switzerland. In a series of delicate intrigues involving European ambassadors in Istanbul and the Patriarch’s rival, Kyrillos Kontaris, Petricca played an active role in the dethronement and subsequent execution of Loukaris by decree of Sultan Murad IV (1612–1640). With the support of Kyrillos Kontaris and Pope Urban VIII, Petricca also managed to achieve a second so-called ‘union’ of the Greek Orthodox Church with Rome, reminiscent of the efforts undertaken by Cardinal Bessarion in the Council of Ferrara-Florence in 1439, in order to counteract the Ottoman influence on the Greek Church.24 Petricca often referred to the necessity of ecognising the primatus of the pope in his treatise on his mission. His efforts had significant consequences in the seventeenth century. He not only contributed to the anti-Protestant league, which was extremely important in the Thirty Years War, and encouraged the conversion of a significant number of Christian Ottoman subjects to Catholicism, including Armenians, but also enabled the enthronement of a series of Catholic-friendly patriarchs.25 This was also made possible by the pes¸kes¸ system, which required a certain amount of money to be paid to the sultan on the occasion of each enthronement of a new patriarch. What Petricca achieved during his few years in office in Istanbul is indicative of the seventeenth-century relations between the Holy See and the Ottoman Empire, a Ragione, Miscellanea di studi in onore di Giovanni Crapulli, hg. v. Nadia Boccara und Gaetano Platania, Viterbo 1987, S. 103–138. 24 Archivio Storico. Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli o “de Propaganda Fide”, Fondo: SOCG/1639, Volume: 162, ff. 133–134, 153, 167–168, 181–182, 186–188, 192–198, 206, 214–229. 25 See Charles A. Frazee: Catholics and Sultans. The Church and the Ottoman Empire. 1453–1923, Bristol 1983, S. 93–94.
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period whose implications invite further research. One of these implications was that the Patriarchate of Constantinople, which since 1453 had been left to operate autonomously, witnessed a restriction of its privileges and historical prerogatives at the end of the seventeenth century, in part because of a series of alliances and cooperations with the Propaganda Fide, which of course did not go unnoticed by the Ottoman state. The result was a more direct control of the Patriarchate by the sultans. Another historical pattern of the Patriarchate of Constantinople since 1439 was its tendency to ally with the Catholic Church in order to regain its privileges and powers within the Muslim-controlled state. Echoes of this tendency can be seen in the recent visit of Pope Benedict XVI to Istanbul and the rapprochement between the Ecumenical Patriarchate and the Holy See in an attempt to regain the former’s rights within the Turkish Republic, and, from the Vatican point of view, to undermine the influence of the Patriarchate of Moscow in the Orthodox world by emphasising the ecumenical role of Constantinople. In 1639, Petricca da Sonnino “claimed that [sultan] Murad IV had lost control over the armed forces and that the opportunity was open for a united Christian Europe to push the Turks back into Asia”.26 This claim was probably voiced in the collection of relazioni Petricca wrote during his stay in Istanbul. It seems that he formed these relazioni into a treatise, which he presented to Cardinal Antonio Barberino in 1640, himself a most important advocate of the crusade idea.27 The treatise is entitled Trattato del modo facile d’espugnare il Turco, e discacciarlo dalli molti Regni che possiede in Europa (Treatise on the easy way of defeating the Turk, and of expelling him from the many kingdoms he possesses in Europe) and is dated May 10, 1640.28 Petricca’s political and military aim during the religious wars was to divert attention from the ongoing war in Europe to the Ottomans, thus creating a completely different war front. This would have been possible only by giving a false image of Ottoman reality and would have served a threefold function: 26 Frazee (s. Anm. 25), S. 97. The memoir quoted is: G. B. Cervellini (Hg.): Relazioni da Costantinopoli del Vicario Patriarcale Angelo Petricca, 163639, in: Bessarione ser. 3, 9, 16 (1912), S. 15–53, 320–333; see also E. Dallegio d’Alassio: Quelques relations de Fra Angelo Petricca da Sonnino, vicaire patriarcal de Constantinople (1637–1639), in: Pchos d’Orient 37 (1938), S. 163–176. 27 Cardinal Antonio Barberino belonged to the influential Barberini family in Rome; in his youth he had himself written a treatise of war against the Turks. 28 Angelo Petricca da Sonnino, Trattato del modo facile d’espugnare il Turco, e discacciarlo dalli molti Regni che possiede in Europa. Composto dal padre Maestro Angelo Petricca da Sonnino Min: Conven., gi/ Vicario Patriarcale di Constantinopoli, Commissario g(e)n(era)le in Oriente, e Prefetto de Missionarij di Valacchia, et Moldavia. (Dedicated to Cardinal Antonio Barberino. 10 Maggio 1640); Citt/ del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Barb. lat. 5151.
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ending enmity between the Christians; defeating and conquering Ottoman lands, and hence its riches; and, finally, reasserting the unifying and supreme ancient role of the Mother Church. As far as Venice was concerned, the Serenissima was mainly concerned with perpetuating trade relations with the Ottomans. As a general rule, when the balance books showed that war brought more profit than trade, the Venetians did not hesitate to take part in war. On the other hand, the Venetian ambassador to Rome, Paolo Paruta, in 1594 opposed Clement VIII (1592–1605), who wanted to take advantage of the perceived weakness of the new sultan Murad III compared to his predecessors and the draining effects of the long Turco-Persian War (1578–1590) and wage war against the Ottomans.29
5.
Ottoman diplomatic relations from the Renaissance to the eighteenth century
The Ottomans had regular diplomatic relations with the European states, among which the Italian states were particularly important. The first agreement on record was the Turco-Italian peace treaty at Cupertino (1220) during the reign of I˙zzettin Keykavus (1211–1220), the Seljuk sultan.30 Of the Ottoman Sultans, Mehmed I is the first on record to have sent an envoy to Venice, in 1417.31 According to Luigi Bonelli, the best-known foreign language among the Ottomans was Italian until as late as the nineteenth century, and many of the European loanwords in Turkish relating to politics, mechanics, tailoring and, naturally, navigation, are in their Italian form.32 In fact, some of the place names in Halet Efendi’s early nineteenth-century Paris report are in Italian form, such as Francie (sic) or Francia instead of France.33 Furthermore, documents involving Turkish and European parties were drawn up in Latin as long as this was the formal, legal, diplomatic language of Europe. Thus the treaties of Carlowitz of 1699 and of Passarowitz of 1718 are in Latin and, of course, in Turkish. Italian was however gaining ground and later treaties in the eighteenth century, such as the treaty of KüÅük Kaynarca of 1774, are in that language.34
29 Vgl. Pillinini (s. Anm. 18). 30 S¸erafettin Turan: Türkiye-I˙talya ilis¸kileri. SelÅuklular’dan Bizans’ın sona eris¸ine, Istanbul 1990. 31 Faik Res¸it Unat: Osmanlı Sefirleri ve Sefaretnameleri, Ankara 1987, S. 221. 32 Luigi Bonelli: Elementi italiani nel turco ed elementi turchi nell’italiano, in: L’Oriente 1 (1894), S. 178–196, cited in: Lewis (s. Anm. 4), S. 84–85. 33 Enver Ziya Karal: Halet Efendinin Paris Büyük ElÅilig˘i (1802–1806), Istanbul 1940. 34 Lewis (s. Anm. 4) S. 84–85.
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Although much of the fifteenth-century Venetian correspondence with the Ottomans was destroyed by fires in Venetian archives in 1479, 1483 and 1577, we nevertheless know that the first correspondences with Venice at the time of Mehmed II and his son Bayezid were in Greek and Latin (probably when the lingua franca was still Greek due to the chancery of Phanariot origin) in addition to Turkish. The Ottomans then went over to using almost only Turkish, except for the occasional letter in Latin, while the Venetians often wrote to Istanbul in Italian. Manlio Cortelazzo reports that Turkish for trade purposes was taught in Venice as early as the sixteenth century.35 However, until the Passarowitz Treaty was concluded in 1718, the Ottomans kept a low profile in their diplomatic relations and sent mid–level or low-ranking envoys rather than ambassadors to the European capitals. The concept of modern diplomacy became part of the Ottoman system beginning with the modernisation efforts of Selim III, who ascended the throne the year of the French Revolution and was dethroned by a Janissary uprising,. During his reign, in 1792, the first ‘resident ambassadors’ were sent to Europe, although the system did not become fully established until the reign of Mahmud II. in 1834. One of the most important, and perhaps the only work of travel literature produced by Turks is the Seyah.tn.me (travel accounts) by Evliya C ¸ elebi (1611–1684?). According to Faik Res¸it Unat in his comprehensive work Osmanlı Sefirleri ve Sefaretnameleri on Ottoman ambassadorial reports, Evliya C ¸ elebi accompanied the Ottoman ambassador Kara Mehmed Pasha on his 1655 mission to Austria.36 C ¸ elebi’s descriptions were so accurate that Kara Mustafa Pasha was able to make logistical use of them during the second siege of Vienna in 1683. The first Ottoman to be called an ambassador in the European sense was Yirmisekiz Mehmed C ¸ elebi. ‘Yirmisekiz’ means ‘twenty-eight’ in Turkish and refers to the Janissary division to which he belonged, while ‘Åelebi’ was an honorific title.37 It is curious that although the original report Mehmed C ¸ elebi ˙ presented to Sultan Ahmed II and Grand Vizier Damat Ibrahim Pasha no longer exists, of the few manuscripts remaining in Istanbul libraries, perhaps the most detailed and best annotated is Julien-Claude Galland’s 1757 French translation. 35 Manlio Cortelazzo: La conoscenza della lingua turca in Italia nel 500, in: Il Veltro 23 (1979), S. 133–142; again in: Manlio Cortelazzo Venezia, Il Levante e Il Mare, Pisa 1989, S. 437–446. For a broader look at the subject, see: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.): Im Lichte des Halbmonds. Das Abendland und der türkische Orient, Leipzig 1995. 36 Faik Res¸it Unat (s. Anm. 31). 37 The main source for the following is Gilles Veinstein (Hg.): I˙lk Osmanlı Sefiri 28 Mehmed C ¸ elebi’nin Fransa Anıları. “Kafirlerin Cenneti”, Istanbul 2002 (first published in French, Paris 1981, following Julien-Claude Galland’s translation of 1757. The quotes below are from Veinstein’s edition of Galland’s translation. See also Neslihan Asutay-Effenberger und Ulrich Rehm (Hgg.): Sultan Mehmet II. Eroberer Konstantinopels – Patron der Künste, Köln/Weimar/Wien 2009.
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Mehmed C ¸ elebi was the first Ottoman ambassador to be given negotiating powers. He was a military man and a bureaucrat, but also a scholar, and was sent on this mission to the French court in part because of his role in negotiating the Carlowitz and Passarowitz treaties. Mehmed C ¸ elebi was to represent the Ottomans as an experienced bureaucrat. He was about fifty years old when he went to France upon the initiative of the French ambassador Marquis de Bonnac in Istanbul (1716–1724) who referred the matter to the Grand Vizier Damat I˙brahim Pasha, for it was in the best interest of France to counterbalance the Habsburgs in the new political situation in Europe after the Passarowitz Treaty. Mehmed C ¸ elebi’s sef.retn.me reflects the mood and cultural background of the Ottoman Empire at the time. His report, which was written in the form of a diary, recounts his voyage by sea to France and all the cities where he sojourned along the way. Oddly enough, it lacks acute analytical observations and commentary on French civil, intellectual and cultural life. The ambassador was received with great fanfare and met a stupendous amount of important and not so important people who were curious to ‘meet a Turk’ for the first time. Most of his report focuses on the character of these individuals as well as on detailed descriptions of the material things he saw around him. Compared to the Venetian relazioni, there is a noteworthy lack of analysis and curiosity about the unique life and culture of an alien country. Nevertheless, the sef.retn.me should not be underestimated. Articles at the time in the French press show that Mehmed C ¸ elebi was regarded by his hosts as very cultivated and courteous. He helped overcome many of the French prejudices about the ‘Muslim infidels’ as ‘rough people’, which Mehmed C ¸ elebi certainly was not. The question, however, is how Mehmed C ¸ elebi perceived the European world of his time. Perhaps the only observations of a somewhat sociological nature included in his report are about the place of women in French society and about the wonders of the spectacle called the ‘opera’! There is a place in Paris where wonderful spectacles are performed called the Opera. There is great competition among people to go there at all times, all the aristocrats were going there. I also decided to go there. […] I cannot say how many men and women were there. There were more than one hundred musical instruments […] It was a spectacular place. The staircase, the columns, the ceiling and the walls were all gold plated […] Later on, things beautiful and singular beyond amazement were shown: there were thunders and lightening. It is impossible to find sufficient words to recount all of these. One would not believe these things unless one sees them.38
The second ambassadorial report was made up of Ahmed Resm% Efendi’s ideas about the West recorded in his two reports of his missions to Vienna and Berlin in 1757–1758 and 1764–1765, respectively. Ahmed Resm% departed for Vienna in 38 Veinstein (s. Anm. 37), S. 66.
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October 1757 to announce the ascendance to the throne of Mustafa III. The first part of his report describes his presentation to Maria Theresa and her husband Francis I Stephen; the second consists of a short history of the Habsburgs and an account of noteworthy things occurring in Austria at the time of his visit.39 Ahmed Resm% makes interesting and quite objective comments about Maria Theresa, free from the usual Ottoman prejudice against the European nations. Thus he writes that she was a devout mother to her remaining thirteen children and was devoid of any ambitions for war ; she was personally devastated by the war with Brandenburg-Prussia and with Bohemia in 1740–1748 and then after 1756 and had to resort to borrowing money from the Church because of empty imperial coffers. Although the Hungarians were seemingly on good terms with the Austrians, Ahmed Resm% observes, deep down they hated them and there were occasional conflicts such as when Hungarian noblemen like R#kjczy took refuge with the Ottomans.40 Ahmed Resm% delivers his acute observations with humour, describing the Viennese nobility as leading a life of typical wienerische Gemütlichkeit, the equivalent of an “Oriental easiness”, where they would wake up at midday and spend their time with pomp and entertainment. He comments on the complaints of the Viennese aristocracy that instead of enjoying the dolce vita, they had to take action against hostile Brandenburg-Prussia.41 Ahmed Resm% also draws analogies between Ibn Khaldun’s Muqaddimah and the methods of conquest employed by new rulers such as Friedrich II of Prussia.42 Precisely because of Brandenburg’s hostile aims towards Austria, Friedrich the Great sought an alliance with the Ottomans against their eternal rival, the Austrians. With this goal in mind, Friedrich invited the Ottomans to Berlin in 1754. Mustafa III responded by appointing Ahmed Resm% as ambassador to Berlin in 1763. Ahmed Resm% remained in Berlin for ten months and made very articulate observations about the Prussian court, perhaps the most objective and informed comments to be made by an Ottoman statesman on this subject until the late nineteenth century. He reported that the people of Berlin are Lutherans and that no sectarian conflict existed among them. They were proud of being monotheists and bred great enmity towards the Catholics; they did not reject the prophecy of Muhammad and would not hesitate to convert to Islam.43 This was obvious wishful thinking, with perhaps some misunderstanding along with a dose of classical Protestant opportunism, given the prospects of a possible alliance between the Prussians and the Muslim Ottomans. 39 Virginia Aksan: Savas¸ta ve Barıs¸ta Bir Osmanlı Devlet Adamı. Ahmed Resmi Efendi, Istanbul 1997, S. 51–54. 40 Aksan (s. Anm. 39), S. 62. 41 Aksan (s. Anm. 39), S. 66. 42 Aksan (s. Anm. 39), S. 64. 43 Aksan (s. Anm. 39), S. 86–87.
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Protestants played the ‘Muslim-Protestant brotherhood’ card whenever it suited them, which was quite often. Luther, on the contrary, was of the conviction that Catholics and Turks (Muslims) were similar. They both, he claimed, believed that God gave help only to the pious, and that like the pope, the Turks were also not going to ascend to the Father through Christ – the Turks because they did not recognise Christ’s divine nature, the pope because he had betrayed him.44 Strangely enough, for Elisabeth I of England, another Protestant and opponent of the pope, the Turks and Protestants were quite similar. In 1583, Elisabeth I sent her ambassador William Harborne to Sultan Murad III (1574–1595), whom Gianfrancesco Morosini, the Venetian bailo in Istanbul, described as a “totally lost Calvinist”45, in order to promote England’s trade interests in the Orient. In the letter she gave to the ambassador, she wrote that friendship between Turkey and England was natural. Since France and Spain and especially the pope were idol worshippers, and England abhorred sacred images as much as the Muslims, their religion was as similar to the Turkish one as a Christian confession could be.46 Of course, these historical examples escaped Ahmed Resm%. Nevertheless, he gives an excellent analysis and detailed description not only of the Emperor’s nine electors, but also of the post-Westphalian balance of power that Brandenburg knew very well how to use to its advantage. Ahmed Resm% also provides a very interesting description of Friedrich the Great: Friedrich, he writes, was a very knowledgeable man but also a great risktaker. He had read about the deeds of Alexander the Great and Tamburlaine and aspired to be like them. He was not distracted by thoughts of family and children, was free from the bigotry of religion and dedicated all of his energies to war.47 This description seems to repeat the stereotype of a great ruler as it was held until modern times and can also be found in Francesco Sansovino’s description of Mehmed II. It is also interesting to note the secular tone in which Ahmed Resm% made his comments. The historical context in which Ahmed Resm% wrote his report can be seen as setting the stage for the future German-Ottoman alliance and the entering of the Ottoman State into World War I as an ally of the Germans under the Young Turks’ Committee of Union and Progress government. Nevertheless, Ahmed Resm% is a prime example of a diplomat and intellectual who had a more accurate 44 Franco Cardini: Studi sulla storia e sull’idea di crociata, Rome 1993, S. 222. 45 Ricoldi Ordinis: Prædicatorum Contra sectam Mahumeticam non indignus scitu libellus. Parisiis, off. Henrici Stephani, 1511, quoted in: L’Islamismo e la Cultura Europea, hg. v. Aldobrandino Malvezzi, Florence 1956, S. 261–262. Cf. recently Günter Baum: “… daß ihnen der Türck aus den Augen sehe”. Der Islam als Motiv in der antireformierten Konfessionspolemik um 1600, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 123 (2012), S. 65–94. 46 Vgl. Baum (s. Anm. 45). 47 Aksan (s. Anm. 39), S. 75.
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understanding of the world he lived in than his predecessors and many of his successors. In fact, as a sign of his success he was elevated to the office of ‘ministerial scribe’ in August 1764.48 My final example of an Ottoman diplomat is in striking contrast to Ahmed Resm%. Halet Efendi’s ambassadorial report of his Paris mission between 1802 and 1806 reflects perhaps the worst image of the West as the Ottomans enter the nineteenth century. In contrast to Mehmed C ¸ elebi’s admiration and Resm% Efendi’s distanced and humorous descriptions of the Parisian and Viennese opera houses, Halet Efendi sees the opera with disgust as a place for men and women of loose morals.49 His description of a Paris brothel and the sight of various “whores” and “homosexuals” further sickens him, convincing him and his audience in Istanbul of the “evil” of these “infidels” and that there is nothing valuable or admirable in their land.50 Of course, the French occupation of Egypt, which had just recently come as a “sudden surprise” to the Ottomans was also a reason for Ottoman antipathy against the French. But Halet Efendi goes so far as to describe the France of Napoleon as a “congregation of dogs” in the absence of a proper king.51
6.
Historical Continuity
The strength of the Ottoman Empire derived from the strength of its individual rulers and their innovativeness in legal, military and state matters. Once conservatism under the guise of Islam undermined these innovations, the bigotry with which the Ottoman state was ruled led to its ineptness in the modern era. Mehmed the Conqueror and Süleyman the Lawgiver were exceptionally innovative during the rise of the empire. There were other able sultans during the stagnation and decline period of the Ottomans, such as Murad IV and even Abdülhamid II (1842–1918), who propagated a pan-Islamic ideology to save the empire in the post-Balkan Wars period when it was suffering under the nationalisms of various Christian subject nations (Abdülhamid was dethroned by the Young Turks in 1908). It can be argued that the historical heritage of the Ottoman and pre-Ottoman past still bears its influence in a Turkey which itself has not decided where it belongs. While Kemalist ideology includes a clear break with the Ottoman and Islamic past, it equates the ‘civilised world’ with the West. Opposed to this, Islamist tendencies in contemporary Turkey completely reject 48 49 50 51
Aksan (s. Anm. 39), S. 101. Ziya Karal (s. Anm. 33), S. 32. Ziya Karal (s. Anm. 33), S. 34. Ziya Karal (s. Anm. 33), S. 35.
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Mustafa Soykut
the Byzantine and pre-Byzantine political and cultural values, to which the Ottomans, as well as of course the Turkish Republic, owed plenty. As Suraiya Faroqi elaborates: Turkish historians of the Republican period generally assume the existence of a clear break between the Turkish Republic and the Ottoman Empire. But at the same time they regard the Turkish Republic as a ‘successor state’ to the Empire in a sense that is quite different from the manner in which Yugoslavia Hungary or Greece are also ‘successor states’. Therefore Ottoman and beylik [Anatolian principalities] period history are defined as a part of the national history of the Turkish Republic. However, this does not apply to classical Greek, Roman or Byzantine history, even though major sites of these civilizations are located in Anatolia and Thrace.52
The political identity of the Ottoman Empire, therefore, was not the sum or a bricolage of these diverse cultural forces – Iranian and Arabic-Islamic, Byzantine or Eastern Roman, Persian and Inner Asian. It was not a monolithic entity without variation and transformation. Political culture, like religious or social culture, is a phenomenon that undergoes change and transformation, and Ottoman political culture was no exception. This political culture or Weltanschauung was a synthesis of the foreign cultural influences that the Ottomans imbibed and made their own, despite various periods and trends of conservatism that ruled their history. We can thus conclude that Ottoman political culture was sui generis – cosmopolitan with an Oriental Weltanschauung.
52 Suraiya Faroqi: In Search of Ottoman History, in: New Approaches to State and Peasant in Ottoman History, hg. v. Suraiya Faroqi and Halil Berktay, London 1992, S. 228–229.
Heinz Noflatscher
Stereotype und Fremdbilder im politischen Verhalten Maximilians I.
Die historische und allgemein kulturwissenschaftliche Stereotypenforschung der letzten Jahre hat die Chancen einer Zusammenarbeit mit den Humanwissenschaften intensiv genutzt. Sie bezog vor allem die Sozialpsychologie, weniger die Hirnforschung, sowie weiterhin die Politik- und Medienwissenschaft mit ein. Demnach beeinflussen Stereotypen und Vorurteile Wahrnehmung, Informationsverarbeitung sowie Verhalten1 und damit politisches Handeln2 von Einzelnen und sozialen Gruppen. Umgekehrt wirken sie nicht nur auf den Wahrnehmenden und Beurteilenden, sondern ebenso auf den Empfänger als Teil der stereotypisierten Gruppe. Seit den Achtzigerjahren hat sich in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft3 neben dem Begriff des Vorurteils jener des Stereotyps durchgesetzt. Stereotyp4 versteht sich hier als ein Oberbegriff, als kognitives Schema, das 1 Vgl. Lars-Eric Petersen und Bernd Six (Hgg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen, Basel 2008, S. 17–22. Aus neurowissenschaftlicher Sicht: zur Funktion subliminaler Prozesse im Entscheidungshandeln vgl. Christoph Engel und Wolf Singer (Hgg.): Better than conscius? Decision making, the human mind, and implications for institutions, Cambridge MA./London 2008. 2 Michael Jeismann: Was bedeuten Stereotypen für nationale Identität und politisches Handeln? In: Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hg. v. Jürgen Link und Wulf Wülfing, Stuttgart 1991, S. 84–93; sowie die Forschungen von Hans Henning Hahn, zuletzt: ders.: Stereotyp – Geschichte – Mythos. Überlegungen zur historischen Stereotypenforschung, in: Erinnerungsorte, Mythen und Stereotypen in Europa, hg. v. Heidi Hein-Kircher, Jarosław Suchoples und Hans Henning Hahn, Wrocław 2008, S. 237–255, hier S. 239, Anm. 2 (Bibliographie). 3 Vgl. Ludwig Schmugge: Über „nationale“ Vorurteile im Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 38 (1982), S. 439–459: im Titel „Vorurteil“, im Text (synonym) meist „Stereotyp“, mit Begründung in Anm. 18; Winfried Schulze: Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Zur Kultur der Wahrnehmung fremder Nationen in der europäischen Frühen Neuzeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46 (1995), S. 642–665; Hans Henning Hahn (Hg.): Historische Stereotypenforschung. Methodische Überlegungen und empirische Befunde, Oldenburg 1995. 4 Vgl. Hans-Jürgen Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, Stuttgart/Weimar 22008.
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gleichfalls den Topos und vor allem das Vorurteil umfasst. Freilich ist die begriffliche Trennschärfe eher gering.5 Zum Reduktionismus des Stereotyps käme noch der affektive, konative und mitunter ideologische Charakter des Vorurteils hinzu – eine Definition, die vorwiegend die Sozial- und neuerdings die Kulturwissenschaften verwenden.6 Fremdbilder und deren Extreme, die Feind- und Freundbilder,7sind wie Stereotypen Wahrnehmungsformen des Anderen. Zum Unterschied von diesen sind sie komplexer, enthalten daher eine Vielzahl von Vorstellungsbildern. Stereotypen und Fremdbilder äußerten sich in unserem Zusammenhang im Umfeld von Propaganda, Ehre, also Status und Anerkennung, teils der Erziehung und nicht zuletzt von Gefühlsausbrüchen (Zorn, Hass), sodass zudem die Emotionsforschung8 relevant wird. Selbstverständlich stehen wir ebenso hier vor dem alten Dilemma, inwieweit wir neben eigenen auch Wissenschaftsbegriffe anderer Disziplinen historisch anwenden können. Insofern hat etwa der dichotome Ansatz „Fremdes–Eigenes“ beziehungsweise derjenige der „Alterität“ nur methodisch-analytischen Charakter, ohne a priori kulturelle Grenzen zu ziehen. Auch die Frage nach der Reichweite von anthropologischen Konstanten zumal im diskursiven Kontext wird diskutiert.9 Dennoch wären heutige empirische Studien (mit adaptierten Bedingungen und Fragestellungen) zur Stereotypisierung und Vorurteilsbildung mit zeitgenössischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern überwiegend anwendbar.10 Wesentliche Voraussetzung ist die spezifische Quellenlage. Die in unserem Fall zur Verfügung stehenden Quellengattungen ähneln erstaunlicherweise jenen, die auch historische Studien zu modernen Staatsoberhäuptern heranziehen. Für die „Testperson“ Maximilian reicht das Spektrum von persönlichen, sogar eigenhändigen Briefen über mehr oder weniger wörtliche Berichte von Verhand5 Vgl. Lüsebrink (s. Anm. 4), S. 87, 92; Petersen (s. Anm. 1), S. 17–24, 109. 6 Lars-Eric Petersen und Iris Six-Materna: Stereotype, Stereotypes, in: Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, hg. v. Hans-Werner Bierhoff und Dietrich Frey, Göttingen u. a. 2006, S. 430–436, hier S. 430; Petersen und Six (s. Anm. 1), S. 17f., 24, 109; Ruth Florack: Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotypen in deutscher und französischer Literatur, Stuttgart/Weimar 2001, S. 7–32; Lüsebrink (s. Anm. 4), S. 91f. 7 Lüsebrink (s. Anm. 4), S. 83–87; Martin Wrede: Feindbild, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3, hg. v. Friedrich Jaeger, Stuttgart 2006, Sp. 878–890; Änne Ostermann und Hans Nicklas: Vorurteile und Feindbilder, Weinheim/Basel 31982, S. 44–50. 8 Siehe etwa Birgit Aschmann (Hg.): Der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005, S. 9–32. 9 Hans-Werner Goetz: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster als methodisches Problem der Geschichtswissenschaft, in: Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, hg. v. Hans-Werner Goetz und Anna Aurast, Bochum 2007 (Erstdruck 2003), S. 19–32, hier S. 26. 10 Vgl. etwa die 33 Beispielstudien in: Petersen und Six (s. Anm. 1).
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lungsgesprächen und öffentlichen Reden bis hin zu Manifesten und zum autobiografischen Werk, das zudem meist reich bebildert ist. Unter den Briefen ist vor allem Maximilians Korrespondenz mit seiner Tochter Margarete zu nennen, die vorwiegend für die Jahre ihrer ersten niederländischen Regentschaft von 1507 bis 1515 erhalten ist. Den Briefwechsel führte ein persönlicher Sekretär Maximilians, dem er die Inhalte im Wesentlichen vorgab. Zudem ist, wie gesagt, eine beträchtliche Anzahl von eigenhändigen,11 selbst konzipierten Briefen vorhanden.12 Mit Blick auf das zeitgenössische Herrschereuropa besteht eine epistemologisch günstige „Laborsituation“. Beim Korrespondenzpartner handelte es sich nicht um einen Sohn oder Bruder mit meist politischen Eigeninteressen, sondern um eine verwitwete Tochter, die im Sinne des Hauses tätig war. Als Frau und Tochter, der Maximilian eine Regentschaft zutraute, glaubte er, er dürfe und müsse sie als Senior besonders belehren, sodass in seinen Briefen – neben mehr zufälligen Assoziationen – verstärkt Fremd- und Selbstbilder sichtbar werden. Aufgrund deren zudem edukativen Charakters ist ihre Ortung13 zusätzlich erleichtert. Bei den diplomatiegeschichtlichen Quellen handelt es sich vorwiegend um Berichte italienischer und teils spanischer Gesandter, mit denen Maximilians Kontakte meist eng waren, sodass eine gewisse Beobachtungskontinuität besteht. Die Informationsqualität dieser Berichte ist besonders hoch. Sie beschrieben nicht nur die Gesprächssituation und das Zeremoniell, sondern gaben auch wichtige Aussagen möglichst wörtlich wieder, wenn der Monarch ore proprio14 eingriff. So 11 Heinz Noflatscher : Zur Eigenhändigkeit der Herrscher in der politischen Kommunikation des Ancien R8gime (16. bis 18. Jahrhundert), in: Briefe in politischer Kommunikation vom Alten Orient bis ins 20. Jahrhundert, hg. v. Christina Antenhofer und Mario Müller, Göttingen 2008, S. 141–167. 12 42 Stück. Vgl. Hans Goebl: Die Autographen französischer Briefe Kaiser Maximilians an seine Tochter Margarete. Eine kurzgefasste linguistische Analyse, in: Pays bourguignonnes et autrichiens (XIVe–XIVe siHcles): une confrontation institutionelle et culturelle, hg. v. JeanMarie Cauchies und Heinz Noflatscher, Neuch.tel 2006, S. 259–272; Heinz Noflatscher : „Italien“ in der politischen Wahrnehmung Maximilians I., in: La proclamazione imperiale di Massimiliano I d’Asburgo (4 febbraio 1508) (Studi Trentini di Scienze storiche 87, Sez. I), hg. v. Lia de Finis, Trento 2008, S. 685–705, hier S. 688f.; Claudia Kruzik: Margarete von Österreich – Statthalterin der Niederlande und Tochter Kaiser Maximilians I. aus dem Blickwinkel der Korrespondenz mit ihrem Vater, Dipl.-Arb. Wien 2010 (online: othes.univie. ac.at/9206). – Seit der Abgabe des Beitrages erschienen: Gisela Naegle: Pcrire au pHre, 8crire au prince: relations diplomatiques et familiales dans la correspondance de Maximilien Ier et de Marguerite d’Autriche, in: N8gociations, trait8s et diplomatie dans l’espace bourguignon (XIVe–XVIe siHcles), hg. v. Jean-Marie Cauchies, (Publications du Centre europ8en d’8tudes bourguignonnes 53), Neuch.tel 2013, S. 219–234. 13 Dazu grundsätzlich: Michael Rohrschneider und Arno Strohmeyer (Hgg.): Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, Münster 2007, S. 19–21 und passim. – Ich danke Johannes Helmrath für die Diskussion der Thematik. 14 Johann Friedrich Böhmer : Regesta Imperii XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreichs
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betonte etwa der Diplomat Fuensalida, dass ihm der König das Geschriebene por su boca mitgeteilt habe und weiter: en su presenÅia yo lo escriuia.15 Im Vergleich dazu enthalten die gleichfalls gut überlieferten Frankfurter Berichte erst in Maximilians Spätzeit vermehrt wörtliche Äußerungen von maßgeblichen Hofleuten – sofern die Gesandten beim Kaiser überhaupt Audienz bekamen.16 Der Untersuchung kommt die Persönlichkeit Maximilians entgegen. Er verhandelte vielfach selbst, griff stark ein und pflegte einen offenen bis expressiven Stil. Mitunter bat er die Diplomaten ausdrücklich um wörtliche Berichterstattung.17 Er diskutierte gerne oder freute sich an den mitunter kontroversen Gesprächen der Gesandten. Fallweise hielt er öffentliche Reden.18 Diese für Zeitgenossen eher ungewöhnliche Praxis musste er legitimieren, denn normalerweise würden deutsche Kaiser und Fürsten mittels ihrer Räte zu ihren Untertanen sprechen.19 Die Gewohnheit seines Vaters Friedrich III., nur schriftlich mit den Reichsständen zu verkehren, genügte ihm nicht mehr, wie er selbst betonte.20 Unsere Studie ist keineswegs umfassend oder abschließend. So können wir vorab Kognitionsprozesse in Interaktionssituationen und die gemeinsame Herstellung von Selbst- und Fremdbildern21 hier nicht weiter überprüfen. Die relevanten Verhandlungen fanden im kleinsten Kreis, im Beisein von Räten und/ oder Sekretären, von anderen Gesandten oder nur unter vier Augen statt. Ziel des Beitrages ist es, einige Stereotypen (im weiteren Sinn) mit entsprechenden Verhaltensweisen, Fremd- und Selbstbilder eines „Letztentscheiders“, deren Inhalte, Intensitäten und sonstige Strukturen sowie Wandel und Instrumentalisierung in einer Umbruchszeit ansatzweise zu untersuchen. Dabei werde ich zwischen der „individuellen“ Sprache Maximilians (Selbstaussagen) und der
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unter Maximilian I. 1493–1519, bearb. von Hermann Wiesflecker u. a., bisher 4 Bände, Wien 1990–2007 (online: www.regesta-imperii.de), n. 1998 [künftig: RI XIV]. Vgl. auch Christina Lutter: Selbstbilder und Fremdwahrnehmung des habsburgischen Kaisertums um 1500 am Beispiel der venezianisch-maximilianischen diplomatischen Kommunikation, in: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, hg. v. Heinz Duchhardt und Matthias Schnettger, Mainz 1999, S. 25–42, hier S. 28. 22. 2. 1498; Duque de Berwick y de Alba (Hg.): Correspondencia de Gutierre Gomez de Fuensalida, Madrid 1907, S. 18f. Vgl. Johannes Janssen: Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376–1519, Bd. 2, Freiburg im Breisgau 1872. Vgl. Noflatscher (s. Anm. 12), S. 689. Vgl. Johannes Helmrath: Reden auf Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Licet preter solitum. Festschrift Ludwig Falkenstein, hg. v. Lotte K8ry, Dietrich Lohrmann und Harald Müller, Aachen 1998, S. 265–286, hier S. 281f., 284. Einstündige Rede vor der Landschaft in Ensisheim; Bericht vom 4. 9. 1498, RI XIV n. 6674. 26. 6. 1509, Druckschrift; Peter Diederichs: Kaiser Maximilian I. als politischer Publizist, Jena 1932, S. 9. Vgl. dazu Lüsebrink (s. Anm. 4), S. 125–127.
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seiner Umwelt, besonders der Kanzlei, soweit als möglich trennen.22 Natürlich lebte und handelte die „Testperson“ in einem Diskurszusammenhang, das heißt generelle soziale Kategorisierungen flossen in seinen Wahrnehmungsprozess ein. Eine Unterscheidung von individuellen und kollektiven Perzeptionsmustern und deren Entstehung ist daher nur bedingt möglich. Insofern bildeten seine Stereotypen wichtige Indikatoren von „Maximilians Welt“, in der er lebte. Die Studie untersucht vorwiegend nur die politische Wahrnehmung des Monarchen, somit nicht die Kategorisierungen in dessen näherer Umgebung. So kam es am Hof seiner zweiten Frau, der Italienerin Bianca Maria Sforza wegen unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeit zu beträchtlich negativen Effekten und Spannungen. Das Hofmeisterpaar Niklas und Paula von Firmian versagte sozusagen als „Diversity Manager“.23 Einzelne Hofmitglieder wurden Opfer von Voreinstellungen. Der Stellenwert der Sozialisation Maximilians am Hof des Vaters24 für den Erwerb und die „Anwendung“ von Stereotypen und Vorurteilen kann in diesem Zusammenhang nicht geklärt werden. Inwieweit ältere Voreinstellungen, etwa zu den Osmanen oder Ungarn in seine Welt hineinreichten, lässt sich nur vermuten. Sehr wahrscheinlich blieben wichtige kognitive Strukturen der Sozialisation langfristig erhalten oder wurden nach der Rückkehr aus den Niederlanden reaktiviert. So rechnete Maximilian gegenüber Margarete zum Beispiel nicht in französischen, sondern in deutschen Meilen.25 Der zeitliche Schwerpunkt des Beitrages liegt, auch forschungsbedingt, auf den Jahren nach 1489 und besonders nach dem Tode Friedrichs III. im Jahre 1493 Da es sich um rund ein Vierteljahrhundert handelt, ist ein möglicher Wandel von kognitiven Schemata mitunter überprüfbar. Um Empathieeffekte, zumal im Umfeld von Emotionen, soweit möglich zu vermeiden, werde ich Maximilian gelegentlich anonymisieren und mit Testperson, Akteur oder ähnlich bezeichnen. 22 Insofern versteht die Forschung Maximilian meist „nur“ als Symbol bzw. als Herrscherfigur. Vgl. aber Caspar Hirschi: Wettkampf der Nationen. Konstruktion einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005, S. 168, 172 („seine Kanzlei“ bzw. „Kanzleistil“). 23 Zum Begriff vgl. Lars-Eric Petersen und Jörg Dietz: Diversity Management, in: Petersen und Six (s. Anm. 1), S. 311–319. 24 Vgl. Heinrich Fichtenau: Der junge Maximilian (1459–1482), Wien 1959; Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bde. 1–5, Wien/München 1971–1985, hier Bd. 1, S. 65–87. 25 [10.] 1515, eigenhändig: IIc lius d’Almaingne; A. J. Gh. Le Glay, Correspondance de l’empereur Maximilien Ier et de Marguerite d’Autriche, sa fille, gouvernante des Pays-Bas de 1507 / 1519, publi8e d’aprHs les manuscrits originaux, Paris 1839, 2 Bände, hier Bd. 2, S. 300; zu Datierungsfragen vgl. Hubert Kreiten: Der Briefwechsel Kaiser Maximilians I. mit seiner Tochter Margareta. Untersuchungen über die Zeitfolge des durch neue Briefe ergänzten Briefwechsels, in: Archiv für österreichische Geschichte 96 (1907), S. 191–318.
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1.
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Inhalte, Intensitäten und Entstehung
In einer Umbruchszeit wurden Stereotypen verstärkt wirksam. Sie bezogen sich in der politischen Kommunikation nach wie vor auf religiöse und vor allem auf neuere, zivilisatorische sowie protonationale Bereiche, wobei die religiöse Alterität meist stark emotionalisiert war. Sie betraf in Zentraleuropa neben den Juden gerade die Häretiker, dort seit dem 15. Jahrhundert vor allem die Tschechen als Hussiten. Häretikerstereotypen waren allerdings bei Maximilian anscheinend nicht sehr präsent, was vermutlich durch ihre Normativität, über die er sich als Kaiser leichter hinwegsetzen konnte, bedingt war. Gegen den Protest des Brixner Bischofs lud er zum Beispiel die russischen Gesandten zum Gottesdienst mit seiner Hofkantorei ein.26 Auch religiöse Stereotypen manipulierte der Akteur bedarfsweise. So behandelte er nach der Schlacht am Wenzenberg (1504) die böhmischen Gefangenen gut, wobei er betonte, sie seien Nachbarn und daher Freunde. Im selben Zusammenhang teilte er aber der Witwe des Gegners, des jungen Pfalzgrafen mit, sie verdiene keinen Schutz und Schirm, da sie die ungläubigen böhmischen Ketzer in ihren Dienst genommen habe.27 Hingegen finden sich die verbreiteten Vorurteile und Feindbilder gegen die jüdische Minderheit bei den zeitgenössischen Habsburgern in dieser Intensität anscheinend nicht so eindeutig. War Friedrich III. als Gönner der Judenheit bekannt, so änderte sich dies unter Maximilian beträchtlich, der vor allem aus finanziellen Gründen Vertreibungen aus Innerösterreich und den meisten größeren Reichsstädten zustimmte.28 Er hatte aber mit Veyel aus Speyer einen jüdischen Leibarzt, den er gegen die Stadt in Schutz nahm. Selma Stern wies zudem auf Josel von Rosheims Kontakte zu Maximilian hin.29 Politisch-stereotypes Denken, Vorurteile und Assoziationen bezogen sich nicht nur auf religiöse, sondern auch auf kulturelle Alterität sowie generell auf soziale Schichten und Gruppen. Es richtete sich daher ebenso nach innen, wie im Falle der Testperson besonders gegen die Reichsstände, eine Eigengruppe. In 26 Palmsonntag 1518; vgl. Michail A. Bojcov : Maximilian I. und sein Hof 1518 – von den russischen Gesandten her (nicht?) gesehen, in: Maximilian I. (1459–1519). Wahrnehmung – Übersetzungen – Gender, hg. v. Heinz Noflatscher, Michael A. Chisholm und Bertrand Schnerb, Innsbruck 2011, S. 45–69, hier S. 60. 27 1504; RI XIV n. 19141. 28 Vgl. etwa: Heinz Angermeier (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5,1,2, Göttingen 1981, S. 627–629; Selma Stern: Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Stuttgart 1959, S. 34–36; Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 2, S. 412 und Bd. 5, S. 592–597; Inge Wiesflecker-Friedhuber : Die Austreibung der Juden aus der Steiermark unter Maximilian I., in: Juden im Grenzraum. Geschichte, Kultur und Lebenswelt der Juden im burgenländisch-westungarischen Raum, hg. v. Rudolf Kropf, Eisenstadt 1992, S. 47–64. 29 RI XIV n. 2384; Stern (s. Anm. 28), S. 13, 48–50, 54f., 191.
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erregter Gesprächssituation bezeichnete Maximilian jene gegenüber ausländischen Gesandten mitunter als Bestien, somit als bornierte, wilde Tiere: Isti Alemani sunt bestie, et plus quam bestie.30 Dabei spitzte er vermutlich deshalb derart zu, um die Diplomaten von finanziellen oder militärischen Erwartungen abzulenken. Die Bestienmetapher verwendeten Zeitgenossen beispielsweise auch für Papst Alexander VI., die Bauern oder den Krieg allgemein. So bezeichnete der Venezianer Priuli die eigenen ländlichen Untertanen Friauls als apathische, dumme gente bestial,31 Maximilian die angeblich nur geldgierigen Schweizer als (französische) Kronenfresser32 und wilde Tiere33. Wenn also der Kaiser gegenüber italienischen Gesandten die deutschen Fürsten und die Eidgenossen als böse oder wilde Tiere beschimpfte, so übernahm und transformierte er ein Stück romanisch-topischer, monarchischer Zivilisationskritik. Mit Blick auf den Einfluss der maßgeblichen Repräsentanten des Reiches sowie auf das west- und südeuropäische Staatsverständnis kritisierte er die politische Kultur und Herrschaftsstruktur des Reiches als wenig entwickelt.34 Dabei trugen seine spezifisch humanistische Erziehung sowie burgundische Bildungserfahrung zu diesem Überlegenheitsgefühl bei. Das zeitgenössische Denken in (variablen) Stereotypen von Völkern, Landsmannschaften und Regionen war seit dem Hochmittelalter ausgeprägt, in nationaler Hinsicht innerhalb der christlichen Eigengruppe jedoch eher gering emotionalisiert. Insofern hatten die gentes und nationes35 (im soziologischen Sinn) residualen Charakter. In das Selbstverständnis der Oberschichten passte eine gewisse Pluralität, die man als positiv und weltoffen empfand. So gab Anne de Bretagne, Gattin des französischen Königs und vormalige Braut Maximilians, bei Abschluss des Heiratsvertrages zwischen ihrer Tochter Claude und König 30 Gesprächssituation: Worms, Maximilian allein mit den zwei venezianischen Gesandten in der Hauskapelle, spätabends (Bericht vom 5. 6. 1495); RI XIV n. 1858. – Vgl. auch 8. 1. 1496 (RI XIV n. 4186): queste bestie di Alemani; Francesco Foscari, Dispacci al senato Veneto di Francesco Foscari e di altri oratori presso l’imperatore Massimiliano I nel 1496, in: Archivio Storico Italiano 7,2 (1844), S. 721–948, hier S. 797; auch: 18. 8. 1496: questi bestiali Alemanni, S. 809. 31 Tagebucheintrag zum 28. 9. 1499; RI XIV n. 13780. 32 Diederichs (s. Anm. 20), S. 51. Zu entsprechenden Sozialkonflikten vgl. Arnold Esch: Wahrnehmung sozialen und politischen Wandels in Bern an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hg. v. Jürgen Miethke und Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, S. 176–193, hier S. 184–193. 33 2. 8. 1495; RI XIV n. 2222. 34 Zur Frage der „Monarchisierung des Reiches“ vgl. Georg Schmidt: „Aushandeln“ oder „Anordnen“. Der komplementäre Reichs-Staat und seine Gesetze im 16. Jahrhundert, in: Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten, hg. v. Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer, Göttingen 2006, S. 95–116. 35 Vgl. Schmugge (s. Anm. 3).
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Karl (V.) ein großes Fest, une nouvelle danse / maniHre de mommerie. Ein französisch, ein deutsch, ein spanisch und ein italienisch gekleidetes Paar tanzten nach ihren diversitez de pais.36 Ebenso ließ Maximilian Mummereien mit Nationenkleidern veranstalten37 – mitunter in politisch-propagandistischer Absicht, wenn etwa im Umfeld einer Kreuzzugsdebatte der Hof in türkischer Tracht erschien.38 Auch die fernabseits entdeckten Heiden der Alten und Neuen Welt gliederte er (wie im Triumphzug) seinem christlich-abendländischen Kosmos ein. Aus dem harmonischen Reigen blieb der benachbarte Türke, der osmanische Sultan39 bewusst ausgeschlossen, wie Anne de Bretagne auf ihrem Fest demonstrieren ließ: Beim Mummentanz trat ein einzelner, großer Tänzer mit trotziger Miene auf, der fremdartig, aber reich gekleidet war und dessen Werbungen von allen Damen abgewiesen wurden. Die fremde Gestalt sollte den Sultan darstellen, der Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien bedrohte, gegen die Einigkeit und den Frieden zwischen diesen aber nichts auszurichten vermochte.40 Im Folgenden stelle ich solche protonationale Stereotypen einzeln vor, wobei sie in etwa nach ihrer Intensität (Häufigkeit und/oder Drastik) gereiht sind. Den Schluss wird dann Maximilians universales Autostereotyp bilden. Unter den protonationalen Stereotypen ist vorwiegend das Feindbild Frankreich zu nennen. Die Forschung ist sich in der negativen Grundeinstellung des Habsburgers zu den Valois einig. Die Gegnerschaft blieb während seiner gesamten Regierungszeit mehr oder weniger aufrecht erhalten, was zunächst überrascht, da noch unter Friedrich III. und Sigmund von Tirol soweit freundschaftliche Beziehungen bestanden hatten. Zudem war generell die mittelalterliche gegenseitige Wahrnehmung zwischen dem Reich und Frankreich „weit weniger“ durch die Vorstellung eines politischen oder nationalen Gegensatzes beeinflusst als bisweilen angenommen.41 36 J.A. Buchon (Hg.): Jean Molinet, Chroniques, Bd. 5, Paris 1828, S. 151f.; RI XIV n. 15543. 37 Siehe die Darstellungen im Freydal und Triumphzug; Claudia Schnitzer : Höfische Maskeraden, Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999, S. 62, 84, 87, 96, 402 (Auszug aus Joseph Grünpecks Historia Friderici et Maximiliani). 38 Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 5, S. 393f. 39 Vgl. den Beitrag von Manfred Hollegger in diesem Band. 40 Buchon (s. Anm. 36) 41 Vgl. Georg Jostkleigrewe: Das Bild des Anderen. Entstehung und Wirkung deutsch-französischer Fremdbilder in der volkssprachlichen Literatur und Historiographie des 12. bis 14. Jahrhunderts, Berlin 2008, S. 398; ähnlich Jean-Marie Moeglin: ,Welches‘ et ,Allemands‘ dans l’espace bourguignon, germanique et suisse du XIIIe au XVe siHcle, in: Cauchies und Noflatscher (s. Anm. 12), S. 45–75, hier S. 65, 73–75; Wilhelm Ernst Winterhager : ,Verrat‘ des Reiches, Sicherung ,deutscher Libertät‘ oder pragmatische Interessenpolitik? Betrachtungen zur Frankreich-Orientierung deutscher Reichsfürsten im Zeitalter Maximilian I. und
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Wir können an diesem Fall die Entstehung eines dominanten, stark diskursiven und instrumentalisierten Feindbilds gut rekonstruieren. Maximilian bewunderte in den Niederlanden die zivilisatorische Blüte des benachbarten Königreichs: so etwa die französische Mode oder Plattnerkunst. Damals wie später erkannte er die Sozialisation und Verwurzelung seiner Kinder, Enkel und Enkelinnen in der französischen Umwelt als selbstverständlich an. Hingegen nahm er vor allem den außenpolitischen Handlungsspielraum westeuropäischer Monarchien, zumal Frankreichs, mitunter neidvoll wahr. Die Konkurrenzlage prägte sein Verhalten, Handeln und seine politischen Ideale. Während seiner niederländischen Jahre (1477–1489) hatte offenbar ein Wandel seiner Wahrnehmungswelt eingesetzt, die sich erweiterte und zugleich verengte. Der veränderte Interessenhorizont ließ neue Voreinstellungen entstehen. Zu den alten, hauseigenen Feindbildern über die Osmanen und teils Ungarn kamen neue hinzu, mit Frankreich eindeutig an der Spitze. Das neue Muster, das sich alsbald verstetigte, war durch subjektive Erfahrung, besonders die niederländische Konflikterfahrung geprägt. Durch die persönliche Kriegsteilnahme in jungen Jahren hämmerte sich eine antifranzösische Voreinstellung in seinen Körper und dessen Gedächtnis sozusagen ein, sodass wir statt von einem „burgundischen Erlebnis“ auch von einem „Trauma“ sprechen können. So empfand er nach dem misslungenen Italienzug von 1496 noch später geradezu Brechreiz, nauseam […] attulit, wenn er sich an die Vorgänge erinnerte.42 Hinzu kam der Eklat der Heirat seiner Braut Anne de Bretagnes mit Louis XII.: Der Akteur wurde dadurch in seiner frühen politischen Sozialisationsphase zur europäischen Spottfigur, – wenn auch nicht unverschuldet, nachdem selbst Friedrich III. seine politische Maßlosigkeit gerügt hatte. Nicht zufällig blieb die Beziehung zwischen den beiden formell Verheirateten Anna und Maximilian auch weiter emotionalisiert. Aus der Sicht des Binnenreiches bestand kein direkter Anlass für die antifranzösische Haltung. Reichsversammlungen widersetzten sich wiederholt Bündnissen und entsprechenden Finanzierungsanfragen Maximilians, da man mit Frankreich nicht im Krieg stünde und der eigentliche Zankapfel, das Herzogtum Burgund, kein Reichsglied sei. Hingegen verstärkten sich gegenüber der osmanischen Expansion Voreinstellungen, Phobien und Interessen Maximilians, der Dynastie sowie der benachbarten Regionen und Stände gegenseitig zum kollektiven Feindbild. Der Akteur manipulierte nach Möglichkeit auch dieses Fremdbild, wobei er sich Karls V., in: Französisch-deutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift Jean Laurent Meyer, hg. v. Klaus Malettke, Berlin 2007, S. 17–66, hier S. 21–27, 66. 42 [Maximilian I.]: Fragmente einer lateinischen Autobiographie Kaiser Maximilians I., in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. 6, hg. v. Alwin Schultz, Wien 1888, S. 421–446, hier S. 444. Die Autobiographie war für seinen Sohn Philipp geschrieben. Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 2, S. 119.
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durch starre Muster anscheinend nicht binden ließ; seit etwa 1473 hatte ein angeblicher Halbbruder Mehmeds II. mit ihm am väterlichen Hof gelebt.43 Dennoch wurden bereits beim Zeremoniell und besonders beim Empfang eines osmanischen Gesandten Handlungsgrenzen sichtbar. Maximilian hatte 1496 im mailändischen Vigevano den Diplomaten mit Seitenblick auf Venedig zum Ritter geschlagen. Als dieser ein knappes Jahr später vom Sultan zurückkehrte, plante er einen Empfang uffs trefflichst in Gegenwart von Kurfürsten und Fürsten.44 Schließlich distanzierte er sich aber, da die Gesandtschaft nit so treffenlich war, wie er vorab erfahren hatte. Er inszenierte nur eine nachrangige Begrüßung, in campagna, bei der Jagd in der Nähe des Klosters Stams und mit entsprechender Kleidung.45 Als ihm bei der folgenden Audienz der Diplomat die Hand entgegenstreckte, um den Händegruß zu erzwingen (so die Wahrnehmung des päpstlichen Legaten), reichte er sie ihm nicht,46 obwohl der Gesandte – ein Grieche – sich als Christ bekannt hatte. Wurde ein Stereotyp beziehungsweise ein folgendes stereotypes Verhalten bewusst oder unbewusst aktiviert, hier in der Wahl eines bestimmten Zeremoniells? Wahrscheinlich das erste, da ebenso Vertreter von Republiken und Reichsstädten – wie von Venedig47 oder Frankfurt48 – das jeweilige Grußverhalten des Kaisers sorgfältig beobachteten. Jedenfalls wurde im oben geschilderten Fall ein symbolisches Vorurteil eines christlichen Herrschers deutlich. Dies mag angesichts des vertretenen Großreiches überraschen, zumal die Testperson die osmanische Übermacht oder zumindest Gleichrangigkeit grundsätzlich eingestand.49 Nicht nur öffentlich, sondern auch gegenüber der Tochter nannte Maximilian den Sultan Turckischer keyser50 beziehungsweise Turcemperor.51 Die verweigerte Geste entsprach dem Exklusionscharakter eines ausgeprägten Fremd- und Feindbildes, zumal der päpstliche Legat mit zwei weiteren ita43 1448–1496; Franz Babinger : „Bajezid Osman“ (Calixtus Ottomanus). Ein Vorläufer und Gegenspieler Dschem-Sultans, in: Aufsätze und Abhandlungen zur Geschichte Südosteuropas und der Levante, Bd. 1, hg. v. Franz Babinger, München 1962, S. 297–325, hier S. 312. 44 Janssen (s. Anm. 16), S. 621; Johann Gröblacher : König Maximilians I. erste Gesandtschaft zum Sultan Baijezid II., in: Festschrift Hermann Wiesflecker, hg. v. Alexander Novotny und Othmar Pickl, Graz 1973, S. 73–80, hier S. 75f. 45 Vgl. Federico Stefani u. a (Hgg.): I diarii di Marino Sanuto, 58 Bde., Venezia 1879–1902, hier Bd. 1, Sp. 699; RI XIV n. 5080, 5092, 5107. 46 RI XIV n. 5109. 47 Vgl. RI XIV, online (s. Anm. 14) (Stichwort „Hand*“ u. ä.), n. 155, 157 und passim. 48 28. 3. 1494: hait uns auch die handt gebotten; Janssen (s. Anm. 16), S. 581; RI XIV n. 2969. 49 Vgl. Manfred Hollegger : Maximilian I. (1459–1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005, S. 267. 50 Vgl. etwa 27. 6. 1497 (an die Reichsstände); Janssen (s. Anm. 16), S. 621f. 51 23. 3. 1511, eigenhändig: cumme le Turc-emperor veult estre mon grand amy ; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 2, S. 379.
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lienischen Diplomaten anwesend war und das von den Osmanen bedrohte Italien in der Nähe lag. Danach wollte in Innsbruck niemand den Gesandten aufnehmen, da er – so der mailändische Vertreter – sehr unkultiviert sei und angeblich mit den Stiefeln zu Bett gehe.52 So wohnte er in der Nebenresidenz und Wirtschaftsstadt Hall, in deren Nähe es jedoch gute Jagdgebiete gab. Maximilian verabschiedete den Diplomaten zwar erst nach drei Monaten, eine weitere Zusammenkunft hatte aber geheim stattfinden müssen.53 Das Verhaltensmuster setzte sich fort. Sechs Jahre später platzierte er den osmanischen orator in Antwerpen beim Gottesdienst nachrangig, hinter dem Kölner Kurfürsten, wobei er ihm die Situation auf dem Ritt zum Dom aber persönlich erklärte. Ansonsten lege er Wert darauf, dass er an seiner Seite sei.54 Hier waren auch einem Monarchen mit tendenziell leutseligem Verhalten Grenzen gesetzt. Von dieser Einstellung setzte sich die Aufnahme der russischen Gesandten ab. 1518 traf Sigmund Herberstein zusammen mit der Gesandtschaft in Innsbruck ein. Herberstein ist der Nachwelt wegen seiner russischen Landesbeschreibung – und der darin enthaltenen Stereotypen – bekannt. Noch vor der Audienz hatte er Maximilian über seine Gesandtschaft nach Moskau persönlich berichtet. Inwieweit er ihn nicht nur über Politik und Zeremoniell, sondern auch über das Land informierte und dabei seine wirkungsmächtigen Assoziationen55 vermittelte, muss offen bleiben. Die Gesandten erhielten eine gute Unterkunft und wurden nach ihrer Aussage mit großer Ehre empfangen und ehrenhaft behandelt .56 Maximilians Bild und Rede von Italien57 und England waren insgesamt positiv, was der politischen Logik entsprach. So referierte er im Gespräch mit den venezianischen Gesandten zum einen die deutschen Fürsten: dicono che in Italia sono assai danari.58 Zum anderen übernahm er deren Meinung und rühmte die schwerreiche welsche nacion, die hochs reychthumbs und vermugens sein.59 Im
52 Bericht des mailändischen Gesandten; RI XIV n. 5145. 53 Gröblacher (s. Anm. 44), S. 78. 54 1503; Christina Lutter : Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495–1508), Wien/München 1998, S. 157f. 55 Wolfgang Eismann: Der barbarische wilde Moskowit. Kontinuität und Wandel eines Stereotyps, in: Europäischer Völkerspiegel. Imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts, hg. v. Franz K. Stanzel, Heidelberg 1999, S. 283–297, hier S. 288–296. 56 Bojcov (s. Anm. 26), S. 51. 57 Vgl. Noflatscher (s. Anm. 12). 58 9. 6. 1495; RI XIV n. 1880. 59 6. 3. 1510, Reichstagsproposition; Janssen (s. Anm. 16), S. 793; vgl. Heinrich Ulmann: Der Traum des Hans von Hermansgrün. Eine politische Denkschrift aus d. J. 1495, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 20 (1880), S. 67–92, hier S. 90: immensa pecunia (1495).
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Reich sei es nicht so wie in Italien mit seinen molti gentelhomini danarosi, die einem Geld leihen würden.60 Wenn es um Hilfeleistungen für Italien gegen Frankreich ging, waren die Erwartungen und Vorwürfe (teils von französischen Parteigängern) nördlich und südlich der Alpen anscheinend wechselseitig. Die Reichsfürsten sagten, so Maximilian, die Italiener hätten dem Reich niemals auch nur einen Esel zu Hilfe gesandt und verweigerten jede Unterstützung;61 die Alemanni würden den stato di Milano hassen, portano grande odio.62 Der Pfälzer Kurfürst betonte, er habe nie gehört, dass sie den Deutschen je im Krieg geholfen hätten.63 Auch dieser Einstellung schloss sich Maximilian im Gespräch mit den Diplomaten mitunter an oder benutzte sie für Hilfsforderungen: Die Italiener erinnerten sich ihrer Zugehörigkeit zum Reich nur, wenn ihnen das Wasser bis an die Kehle stehe64 bzw. auf sie sei kein Verlass;65 das letzte Argument gebrauchte er vorwiegend gegenüber den Franzosen und Osmanen. Umgekehrt waren sich der spanische und mailändische Gesandte 1498 einig, dass Maximilians ständige Umgebung das Misstrauen schüren (und damit Vorurteile generieren) würde.66 Sofern man nicht einen Topos bemühte, sei dies dem – neuen, aus Reichsmitgliedern bestehenden – Rat zuzuschreiben, der keine Ausländer wünsche und den Kaiser gegen die Italiener verhetze.67 Zuletzt sei ein weiteres einflussreiches Fremdbild, die „Leyenda negra“, genannt. Obwohl es antispanische Vorbehalte bereits im Spätmittelalter gab, war das klassische Stereotyp um 1500 zumindest in Zentraleuropa noch nicht präsent.68 60 61 62 63
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3. 8. 1495; RI XIV n. 2227. 1495; RI XIV n. 2694. 18. 8. 1496; Foscari (s. Anm. 30), S. 809. 1495; RI XIV n. 1845. Ähnlich der Kölner Kurfürst: ebd., n. 2122 (1495); ferner ebd., n. 1831, 2247; vgl. auch Alfred Schröcker : Maximilians I. Auffassung vom Königtum und das ständische Reich. Beobachtungen an ungedruckten Quellen italienischer Herkunft, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 50 (1971), S. 181–204, hier S. 189. Gespräch am 21. 1. 1499, anwesend: Sekretäre Pietro Bonomo (auch als Vertreter Ludovico Sforzas) und Matthäus Lang; L8on G. P8lissier : L’alliance milano-allemande / la fin du XVe siHcle. L’ambassade d’Herasmo Brasca / la cour de l’empereur Maximilien (Avril–D8cembre 1498), in: Miscellanea di storia italiana, ser. 3, 4 (1898), S. 333–492, hier S. 435. 28. 8. 1497; RI XIV n. 5220. 25. 4. 1498, mailändischer Bericht: RI XIV n. 6099; 7. 7. 1498, spanischer Bericht: Berwick (s. Anm. 15), S. 68, und RI XIV n. 6363. RI XIV n. 6099. – Vgl. ferner RI XIV, etwa n. 1798, 1831, 1845, 9014; Alfred Schröcker : Die Deutsche Nation. Beobachtungen zur politischen Propaganda des ausgehenden 15. Jahrhunderts, Lübeck 1974, S. 109–111. Vgl. Wolfgang Reinhard: „Eine so barbarische und grausame Nation wie diese“. Die Konstruktion der Alterität Spaniens durch die Leyenda Negra und ihr Nutzen für allerhand Identitäten, in: Geschichtsbilder und Gründungsmythen, hg. v. Hans-Joachim Gehrke, Würzburg 2001, S. 159–177, hier S. 165; Thomas Weller : Andere Länder, andere Riten? Die
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Wenige Jahrzehnte später wäre das Motiv der spanischen Moriskentänzer an der Loggiabrüstung des Goldenen Dachls in Innsbruck69 wegen der seither gewachsenen Ressentiments, auch gegen die spanischen Truppen und Räte Karls V. und Ferdinands I., kaum mehr möglich gewesen. Wenn es Maximilian noch in das Fassadenprogramm aufnahm, wird daher eher ein Autostereotyp deutlich: jenes des universalen Monarchen. Der Akteur inszenierte sich darin als Herrscher über Reiche, Sprachen und Kulturen. So ließ er unter anderem, synkretistisch und verfremdet, Schriftzeichen aller großen Kulturen seit der Antike aufnehmen. Später kamen in den autobiografischen Werken die 1.500 Inseln sowie Ethnien der Alten und Neuen Welt hinzu. In der Ehrenpforte wurde im sogenannten Misterium,70 in der Kammer des Kaisers, dieser hieroglyphisch verherrlicht. Der vberwundene gallische Hahn und der Markuslöwe nahmen zu seinen Füßen Platz. In diesem mundialen Programm erhielten „nationale“ Wappen und Anspielungen eine andere Dimension. Die Existenz von Fremdem, von Alterität und räumlichen Stereotypen war im universalen Kontext legitimiert. Sie sollten gegenüber der Christenheit und deren weltlichem Oberhaupt freilich nur einen minderen Rang einnehmen. Auch die Liebes- und erotischen Elemente und Themen im Laubengewölbe, Fresko und an der Brüstung sowie der Kleidung der Herrscherinnen unterstützten den universalen Charakter und Anspruch eines Friedensherrschers.
2.
Weiche und variable Deutungsmuster, Realitätsgehalt und Verzerrung
Ein subtiles und langlebiges Feindbild, das gegenseitig, obgleich meist nicht sehr wirksam war und anscheinend nur selten angesprochen wurde, entsprang der Rivalität zwischen den Habsburgern und den (älteren) Wittelsbachern als Territorialherren und Königsdynastien. Der mailändische Gesandte beispielsweise sprach gegenüber Maximilian umstandslos von den Herren Bayerns sowie dem Pfalzgrafen, aber auch vom König Böhmens und Ungarns als emuli et inimici des Wahrnehmung Spaniens und des spanischen Hofzeremoniells in frühneuzeitlichen Selbstzeugnissen aus dem deutschsprachigen Raum, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hg. v. Andreas Bähr, Peter Burschel und Gabriele Jancke, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 41–55, hier S. 41. 69 Vgl. zuletzt Franz-Heinz Hye: Das Goldene Dachl Kaiser Maximilians I. und die Anfänge der Innsbrucker Residenz, Innsbruck 1997; Schnitzer (s. Anm. 37), S. 99–106; Lukas Morscher, G. Ulrich Grossmann und Anja Grebe (Hgg.): Das Goldene Dachl in Innsbruck, Regensburg 2004; ideenreich: Herwig Brätz: Neues zum Goldenen Dachl, Münster 2006. 70 Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982, S. 157f.; Thomas Ulrich Schauerte: Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I. Dürer und Altdorfer im Dienst des Herrschers, Berlin 2001, S. 173, 248.
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Hauses Österreich.71 Dies mag um so mehr überraschen, als der Kaiser mit Herzog Albrecht von Bayern-München verschwägert und Herzog Georg von Bayern-Landshut zeitweise sein Hofmeister war. Offenbar hatte sich das spätmittelalterliche Konkurrenzschema, die Rivalität der Häuser Wittelsbach und Habsburg, ungeachtet mancher familiärer Nahverhältnisse beträchtlich verstetigt. Starre Vorstellungen lösten sich durch die rastlose Aktivität und den Nomadismus der Versuchsperson, ex negativo durch Maximilians Hang zum politischen Hasardieren (ein von ihm selbst gerne verwendeter Ausdruck). So war er sich der Fremden-Stereotypen im traditionsreichen Italien bewusst, ohne sich anscheinend daran sehr zu stoßen. Die Rede seines Diplomaten Pietro Bonomo, der soeben von Mailand zurückgekehrt war, erwiderte er mit einem Lob auf den Herzog. Lodovico Sforza habe gegenüber seinen Gesandten stets eine bella e ornata risposta (di che lui H ottimo artifice) gegeben. Hingegen habe er selbst nicht emparata tanta eloquentia e che siamo nati in paesi silvestri e (come Italiani dimandano), barbari.72 Nun entsprach die Formulierung nicht ganz Maximilians Rede- und Argumentationsstil, wie wir ihn aus anderen italienischen Gesandtenberichten kennen.73 Es lässt sich aber eine Tendenz interkulturellen Verstehens feststellen, wobei bezeichnenderweise der Triestiner Humanist Bonomo vermittelte. Hier war das Barbarenstereotyp weich interpretiert. Sowohl die Umgebung Maximilians als auch die französischen Könige bewunderten um 1500 Italien als ein irdisches Paradies; vor allem die Landschaft und die Städte faszinierten. Non volo Italia que mea est deveniat ad manus aliena (!)74 – die Aussage Maximilians gegenüber französischen Diplomaten erscheint als beträchtlich emotional, und blieb es. Dennoch können wir zudem eine Veränderung der Voreinstellungen, Bilder und Stereotypen nicht nur bei den Zeitgenossen, sondern auch bei der Testperson, damit in einer relativ kurzen Zeitspanne, beobachten. Im Unterschied zu seinen Assoziationen zur Landschaft und zum sonstigen Reichtum waren Maximilians Wahrnehmung der Bevölkerung Italiens vom politischen Wandel beeinflusst.75 Gegenüber Frankreich blieben die Stereotypen in beträchtlichem Ausmaß, gegenüber dem Osmanischen Reich öffentlich und durchgehend konstant. Freilich milderte sich Maximilians antifranzösische hate speech in den wenigen 71 72 73 74 75
7. 4. 1498; P8lissier (s. Anm. 64), S. 441. Miscellanea di storia italiana (s. Anm. 64), S. 434. Bonomo schränkte ein: mi rispose fere in questo modo (s. Anm. 64). 1499: Sanuto (s. Anm. 45), Bd. 2, Sp. 1172. Vgl. auch RI XIV n. 5205. Vgl. Nicole Hochner : Visions of war in the ,terrestrial paradise‘. Images of Italy in Early sixteenth-century French texts, in: Italy and the European powers. The impact of war, 1500–1530, hg. v. Christine Shaw, Leiden/Boston/Tokyo 2006, S. 239–251; Noflatscher (s. Anm. 12).
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Jahren politischer Annäherung nach dem Abschluss der Liga von Cambrai in der Öffentlichkeit76 und teils im engsten Familienkreis. In der persönlichen Korrespondenz mit Margarete nannte Maximilians Sekretär nun gleichfalls den französischen König wie die übrigen Monarchenkollegen frHre.77 In seinen eigenhändigen, wenngleich relativ formlosen Briefen an die Tochter gab Maximilian die Anrede selbst in dieser Entspannungsphase nie – hin und wieder aber dem aragonesischen und englischen König.78 Offenbar bestand weiterhin ein mentales Problem. Maximilians individuelle ethnische Kollektivbezeichnung les FranÅois umfasste ein gewisses Bedeutungsspektrum: So bezogen sich les FranÅois – oder singulativ-abstrahierend: France – in erster Linie auf die Dynastie der Valois und allenfalls deren Höfe, also die politische Elite, teils aber auch auf das Pariser Parlament und die französischen Truppen.79 Indes kannte er im Zustand hoher Entrüstung oder Enttäuschung (der venezianische Gesandte betonte: In der Tat, e invero, Majestät habe diese Worte beinahe mit Tränen in den Augen ausgesprochen) keine Schranken: Der französische König und alle Franzosen, tutti i Francesi, hätten eine fraudolente natura.80 Wenn Maximilian aber an Margarete von den schrecklich bösen Ungarn schrieb,81 waren damit die Stände und nicht die jagiellonische Königsdynastie gemeint. Der Akteur war in späteren Jahren in der Geschäftsführung anscheinend überfordert. Er wurde ye lenger ye mer mistrewig und wollte möglichst alles selbst erledigen, wie sein langjähriger Kanzler Serntein bedauerte.82 Der sehr kritische spanische Gesandte Conchillos hielt ihn 1511 für ohne Verstand und hegte starke Zweifel an seiner Gedächtnisleistung. Der Kaiser habe nicht den Kopf, so viele Angelegenheiten zu behalten, nicht einmal der Hälfte könne er sich erinnern.83 Entsprach diese Einschätzung der Realität oder gab sie mehr die Meinung von dessen Alter ego, des Favoriten und persönlichen Sekretärs Matthäus Lang wieder? Nun können wir der Aussage des Diplomaten keine Schätzung des IQ 76 Vgl. etwa die Rede vor den Reichsständen, 22. 4. 1509: Janssen (s. Anm. 16), S. 751; ebenso Hirschi (s. nm. 22), S. 172. 77 Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 137–496; Bd. 2, S. 136. 78 Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 293; Bd. 2, S. 278. 79 Zu Italien vgl. Noflatscher (s. Anm. 12), S. 696f. 80 Foscari (s. Anm. 30), S. 797f. 81 Vgl. [10.] 1515; Le Glay (s. Anm. 25); Bd. 2, S. 300f. 82 3. 4. 1509; Victor von Kraus (Hg.): Maximilians I. vertraulicher Briefwechsel mit Sigmund Prüschenk Freiherrn zu Stettenberg, Innsbruck 1875, S. 121. – Zum Misstrauen vgl. ebenso Peter Krendl: Spanische Gesandte berichten über Maximilian I., den Hof und das Reich, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 87 (1979), S. 101–120, hier S. 110f. 83 19. 7. 1511: „… no tiene cabeÅa de perÅibir tantas cosas en la memoria ni se le scordara de la meytad …“; zit. bei Krendl (s. Anm. 82), S. 111.
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und weiterer Eigenschaften wie intellektuelle Brillanz und Offenheit gegenüberstellen, wie sie für die amerikanischen Präsidenten seit Washington durchgeführt wurde. Immerhin hielt die Testperson noch 1518 auf dem Augsburger Reichstag ain vast schöne, lange rede,84 wie der nüchterne Tiroler Historiograf Kirchmair beeindruckt und ohne zweifl wissend berichtete. Offenbar erreichten zuletzt sogar Tochter Margarete Zweifel an Maximilians kognitiven Fähigkeiten, da Gattinara ihr gegenüber beteuerte: et vos asseure, qu’il a un terrible cerveau.85 Wie auch immer, die Forschung ist sich anscheinend einig, dass bei kognitiver Belastung Stereotypen (freilich nur aktivierte) das Verhalten in stereotype Richtung besonders beeinflussen.86 Somit stellt sich die Frage nach dem Realitätsgehalt bzw. nach möglichen Verzerrungen von Maximilians Wahrnehmung: dies nicht nur mit Blick auf eigene Macht- und Differenzinteressen, sondern vor allem hinsichtlich der Folgen für die Makropolitik und Zivilgesellschaft. Zeitgenossen, wie bereits sein Vater Friedrich III., tadelten Maximilians Maßlosigkeit im politischen Verhalten, d. h. seiner Pläne beziehungsweise konkret seiner Hilfsforderungen. Gesandte wiederum kritisierten seine falsche oder übertriebene Selbsteinschätzung etwa bezüglich Frankreichs,87 beziehungsweise den angeblich engen politischen Horizont der deutschen Fürsten. Den Diplomaten fiel er mitunter durch prahlerische und exzessive Aussagen auf, die wegen ihrer ausgeprägten Affektivität stereotype Äußerungen und Texte in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. Eine scharfe Rede, vn habla asaz severa, vor den italienischen Gesandten – in Anwesenheit des spanischen – beendete er wie folgt: „Lieber züchtige ich euch mit Worten, als euch mit dem Stock über den Kopf zu schlagen“.88 Mit Blick auf den verunsicherten Ludovico Sforza, betonte er einmal, selbst wenn der französische König ganz Italien besitze, müsse er darauf achten, bono amico de Alamanni zu sein. Demnach schätzte er Deutschland gegenüber Frankreich militärisch wenn nicht als überlegen, so jedenfalls als ebenbürtig ein, wobei er historisch argumentierte: Er erinnere sich, gelesen zu haben, dass die Römer nicht nur ganz Italien, sondern 84 Inge Wiesflecker-Friedhuber (Hg.): Quellen zur Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte der Neuzeit. FStGA XIV), Darmstadt 1996, S. 286. 85 1516; vgl. Heinz Noflatscher : Maximilian im Kreis der Habsburger, in: Kaiser Maximilian I. Bewahrer und Reformer, hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein 2002, S. 31–49, hier S. 38. Die Redaktion der Katalogbeiträge sah keine Fußnoten vor (vgl. die etwas missverständliche Formulierung bei Kruzik, Anm. 66, 67, 221, 249; s. Anm. 12). 86 Petersen und Six (s. Anm. 1), S. 28 und 36 (Beiträge von Karl Christoph Klauer bzw. von Marianne Schmid Mast, Franciska Krings). 87 22. 12. 1493, Kardinal Raimund Peraudi; RI XIV n. 236 und 237. 88 14. 5. 1498, Berwick (s. Anm. 15), S. 34: Mas os quiero reprehender de palabra que no daros con el baston en la cabeÅa; vgl. auch RI XIV n. 6158 und Krendl (s. Anm. 82), S. 111.
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auch Asien, Afrika und magior parte de la Europa, aber nie Deutschland beherrscht hätten.89 Das hier sichtbar werdende Autostereotyp gründete in einem Rivalitätsdiskurs.90 Maximilian griff eine politische Rede zur militärischen Über- oder Unterlegenheit gegenüber Frankreich an den zeitgenössischen Reichsversammlungen auf und intensivierte sie, oder er hatte sie ausgelöst. So betonte er einerseits die Stärke des Reiches, vor allem seine eigene Kampferfahrung und die seiner (deutschen) Söldner.91 Ähnlich, jedoch defensiv, erklärte der Kölner Kurfürst: Das Reich habe die Franzosen niemals gefürchtet. Hätte der Papst den französischen König zum Kaiser erhoben, würde es dies nie hingenommen haben. Ohne Furcht vor der Macht der Franzosen hätte das Reich dem Papst die obedientia entzogen.92 Andererseits tadelte Maximilian die Fürsten, die eine präventive Hilfe in Italien gegen den französischen König mit dem Argument verweigerten: Sie seien selbst stark genug, potenti da per loro a resister et opprimer el re de Francia. Denn er wisse, dass sie sich täuschten, se inganano; dies sei vielmehr iactantia, Prahlerei.93 Ein Wandel der Wahrnehmung erfolgte auch über das neue raumvisualisierende Medium der Karten, das Maximilian intensiv nutzte. Anscheinend trugen sie dazu bei, Räume verkürzt wahrzunehmen sowie Voreinstellungen des Habenwollens, also territoriale Ansprüche zu fixieren, wie sich am Beispiel Gelderns zeigte.94 Offen bleibt, inwieweit die Wahrnehmung des Akteurs aufgrund von individueller Erfahrung durch entsprechende Muster nicht nur vorgeprägt, sondern vielmehr fixiert war, was die beträchtlichen Instrumentalisierungen von Stereotypen durch den Akteur anders beleuchten würde: Tatsächlich war Maximilians äußere Politik von seiner Phobie geprägt, die Kaiserkrone an Frankreich zu verlieren,95 was die politische Kommunikation und die Handlungsspielräume einschränkte. Dabei hatte der römisch-deutsche gegenüber dem französischen 89 Vgl. Gespräch am 21. 1. 1499 (s. Anm. 64), S. 435. 90 Vgl. Rolf Sprandel: Frankreich im Spiegel der spätmittelalterlichen Historiographie Deutschlands, in: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter, hg. v. Ingrid Kasten, Werner Paravicini und Ren8 P8rennec, Sigmaringen 1998, S. 35–45, hier S. 37. 91 Vgl. etwa RI XIV n. 1480, 1986, 6363 sowie 2090. 92 17. 7. 1495, Gespräch mit den venezianischen Gesandten; RI XIV n. 2122. 93 13. 12. 1495: ausführliches Zitat bei Schröcker (s. Anm. 63), S. 189; vgl. auch RI XIV n. 2694 und 14408. 94 Vgl. RI XIV n. 1476. 95 Vgl. etwa RI XIV n. 1889, 6363, 16839; Hermann Wiesflecker : Einleitung, in: WiesfleckerFriedhuber (s. Anm. 84), S. 10; ders.: Der Traum des Hans von Hermansgrün, eine Reformschrift aus dem Lager des Königs Maximilian I., in: Festschrift Karl Eder, hg. v. Helmut J. Mezler-Andelberg, Innsbruck 1959, S. 13–32, hier S. 26f. Zur französischen Imperialpublizistik unter Louis XII. vgl. Didier Le Fur: Louis XII. Un autre C8sar, Paris 2001, S. 211–221 und passim.
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König aufgrund des Wahlcharakters des Reiches einen strukturellen Vorteil: Der päpstliche Gesandte und wohl auch andere italienische Staaten befürchteten, dass die von Frankreich unterworfenen Gebiete Reichsitaliens dann erblich würden.96 Ebenso wären die mehrfachen Pläne eines Treffens mit dem französischen König zu nennen.97 So lehnte Maximilian sogar nach dem Sieg von Agnadello über Venedig 1509 eine Begegnung mit dem Bündnispartner Louis XII. ab, obwohl er sich in der Nähe aufhielt: Die üblichen Prestigegründe – sein Hof war weniger gut ausgestattet – waren hierfür nur teilweise maßgeblich. Vielmehr befürchtete er anscheinend einen französischen Handstreich gegen seine Person. Louis jedenfalls war darob tief verstimmt,98 zumal er das Treffen bereits eingeplant hatte. Nicht nur die politische Lage, sondern auch die individuelle Beziehungsstruktur waren somit durch Feindbilder vorgeprägt. Aus der Sicht Maximilians war eine nachhaltige Verbesserung anscheinend unmöglich. Erst im folgenden Jahr dachte er dann seinerseits an eine persönliche Begegnung in Burgund, die dann genauso wenig zustande kam. Neben diesen verzerrten oder fixierten Wahrnehmungsfeldern beeinflussten kleinere Topoi die tägliche Kommunikation, etwa solche zum Klima. In kritischer Argumentationslage verwendete beziehungsweise erinnerte sich der Akteur an den Gemeinplatz, dass die Deutschen (die Germanen), im Winter lieber als im Sommer Krieg führen würden: En el invierno es mejor guerrear que no en el verano para la gente alemana.99 Dass dem eigentlich nicht so war, hatten die Reichsstände Ende September 1492 dargelegt, als sie einen Feldzug gegen den König von Frankreich zumal gegen den winther ablehnten.100 Der spanische Gesandte wiederum nahm Maximilian das Toposargument anscheinend ab.
3.
Modi, Medien und Legitimationen
Die Wahrnehmung Maximilians von Frankreich und Italien oder besser : ihre öffentliche Darstellung war nicht zuletzt durch die Adressaten bestimmt. In der politischen Debatte differenzierte er seine Rollen als Dynast oder römischdeutscher König/Kaiser je nach Örtlichkeit und Situation nach Bedarf extrem. Solche Distanzierungen betrafen vor allem die „Nationen“, aber auch kleinere Regionen, und richteten sich nach außen und nach innen. So projizierte Maxi96 26. 8. 1497; RI XIV n. 5205. 97 Vgl. etwa RI XIV n. 301, 1869, 1880, 1913; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 297, 309; Janssen (s. Anm. 16), S. 582; Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 2, S. 139. 98 Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 4, S. 53f. 99 2. 10. 1498, Berwick (s. Anm. 15), S. 103. 100 Janssen (s. Anm. 16), S. 560.
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milian im Theuerdank die tödlichen Listen seiner drei Gegner Fürwittig, Unfalo und Neidelhart vor allem auf die Gesellschaften Flanderns und der nördlichen Niederlande: Auf sie bezogen sich immerhin 17 von etwa 67 jener Fälle, in denen der Clavis eine Region nannte. Dabei erschien Flandern als ein Land von Meuchelmördern. Hingegen hatten die drei Feinde in Brabant und in den österreichischen Ländern mehr die Tierwelt (Wildschweine, Hirsche, Gämsen) für die Unglücksfälle benützt, denen der Held dann nur knapp entging.101 Seinen Sohn beziehungsweise den Mainzer Kurfürsten Henneberg beschuldigte er, ein guter Franzose zu sein.102 Vielmehr, alle Reichsfürsten würden sich mit Frankreich verbünden wollen, tutti s’accordariano con franza ad venire ad sachezare la Italia.103 Im Wettlauf um das als Reich wahrgenommene Italien warf Kardinal Amboise, die rechte Hand des französischen Königs, Ähnliches Maximilian vor.104 Jedoch richtete sich das Argument des Fremden auf Maximilian und dessen Hof selbst. So weigerte sich der Ausschuss der Lindauer Reichsversammlung im Konflikt um Diskurshoheiten, Maximilians wälsche räte (die Gesandten seiner Verbündeten), so von fremder nacion seien, in die Verhandlungen einzubeziehen.105 Der hansische Historiograf Krantz monierte, dass die Höflinge des Königs die sibilos Italorum ihrer patriae linguae vorzögen; dabei spielten unterschiedliche Erfahrungsräume und Interessenhorizonte herein.106 Gleichfalls tadelte man den an Maximilians Hof erfolgten Wechsel zu einem welschen Zeremoniell.107 Und Kardinal Peraudi warnte die Venezianer : An Maximilians Hof gebe es nicht nur exploratori, sondern auch Parteigänger, fautori, des osmanischen Sultans.108 101 Vgl. betreffend Flandern: Der Theuerdank von 1517. Eine kulturhistorische Einführung von Stephan Füssel (Begleitband), Köln 2003, Clavistexte zu Nr. 7, 23, 64, besonders 86, 95 und 96. Zum Theuerdank siehe auch den Beitrag von Björn Reich in diesem Band. 102 RI XIV n. 4611 (vgl. aber n. 2293); Diederichs (s. Anm. 20), S. 69; Winterhager (s. Anm. 41), S. 23f. 103 Bericht des mailändischen Gesandten, 9. 2. 1498; zit. nach Schröcker (s. Anm. 63), S. 197. 104 Blois, 10. 2. 1506: Derselbe zum Florentiner Gesandten; Maximilians Italienzug diene nicht der Krönung, sondern per rubare e taglieggiare; Abel Desjardins (Hg.): N8gociations diplomatiques de la France avec la Toscane, Bd. 2, Paris 1861, S. 158f. 105 14. 10. 1496; Heinz Gollwitzer (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, Göttingen 1979, S. 192; Schröcker (s. Anm. 67), S. 109. 106 Zit. bei Markus Völkel: „Romanität“/„Germanität“, in: Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert, hg. v. Wolfgang Schmale, Innsbruck 2003, S. 249. Zur Hanseperspektive vgl. Ernst Riegg: Gemeinsamkeit oder Trennung der kulturellen Erfahrungsräume? Ein Vergleich des thematischen Horizonts ober- und niederdeutscher Stadtchroniken, in: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500–1850, hg. v. Thomas Fuchs und Sven Trakulhun, Berlin 1996, S. 385–387, 398–403. 107 Paul-Joachim Heinig: Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Teile, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 31; vgl. auch Schröcker (s. Anm. 67), S. 111. 108 22. 12. 1493; RI XIV n. 236.
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Im Gespräch geäußerte Stereotypen hob der Akteur in der Regel nicht auf oder relativierte sie – dies hatte wesentlich mit der häufig angespannten Atmosphäre zu tun. Gegenüber seiner Tochter wahrte Maximilian vielmehr das Recht des abschließenden Urteils, wie über die Eidgenossen: MHs en summarum il sount meschans, villains, prest pour tra"re France ou Almaingnes.109 Maximilian propagierte seine Vorstellungen und Stereotypen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Medien,110 sowohl sprachlich, bildlich als auch performativ. Er artikulierte sie bedarfsweise offen oder versteckt. Literate und orale Klischees finden wir in gedruckter oder handschriftlicher Form, wie in kleinund großformatigen Manifesten, Patenten, Mandaten und sonstigen Denk- und Flugschriften, die teils vorzulesen waren, sowie im autobiografischen Werk,111 beziehungsweise in seinen Gesprächen und Reden. Zu diesen Texten wie gleichfalls zu den Reichstagsausschreiben haben sich eigenhändige Korrekturen des Akteurs erhalten.112 Wie eingangs definiert, entsprachen Wertung und Affektivität der Struktur von Vorurteilen und Feindbildern. Maximilian verstärkte ihre Wirkung bewusst oder unbewusst durch Gefühls-, vor allem Zornausbrüche,113 die insofern medialen Charakter hatten; bekannt waren die Ausbrüche eines anderen Zeitgenossen, Julius II. Wie auch Machiavelli interessierten sich die Gesandten für emotionale Regungen des Monarchen. Sein affektives Verhalten ist für die Forschung ein Glücksfall, da sich gerade im Umfeld solcher Szenen Voreinstellungen Maximilians finden. Die Diplomaten berichteten darüber anscheinend regelmäßig. Im Mittelalter beziehungsweise vor der Reformation waren in der Politik expressiv gezeigte, unbefangene Emotionen noch durchaus üblich gewesen.114 Somit ist es nicht ganz sicher, inwieweit Maximilians Ausfälle bei Besprechungen 109 18.8.(1507), eigenhändig; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 7. 110 Zum Medieneinsatz vgl. zuletzt Manfred Hollegger : Erwachen vnd Aufsten als ein starcker stryter. Zu Formen und Inhalt der Propaganda Maximilians I., in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert), hg. v. Karel Hruza, Wien 2002, S. 223– 234. 111 Vgl. Hruza (s. Anm. 110) und Diederichs (s. Anm. 20), S. 18, 105–115. Nach Heinrich Ulmann (Schreiben an denselben) beruhte „der Gedankeninhalt der Manifeste in allen Hauptpunkten ganz auf Maximilians Eingebung“; zitiert nach Diederichs (s. Anm. 20), S. 24. 112 Vgl. Diederichs (s. Anm. 20), S. 18–24, 112f. 113 Vgl. Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 5, S. 639; ders.: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, Wien/München 1991, S. 360. 114 Vgl. die Arbeiten von Gerd Althoff, zuletzt: Freiwilligkeit und Konsensfassaden. Emotionale Ausdrucksformen in der Politik des Mittelalters, in: Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, hg. v. Klaus Herding und Bernhard Stumpfhaus, Berlin 2004, S. 145–161, hier S. 146f., 158. Grundsätzlich und interdisziplinär : Birgit Aschmann: Vom Nutzen und Nachteil der Emotionen in der Geschichte. Eine Einführung, in: Dies. (s. Anm. 8), S. 9–32.
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in kleiner Runde oder mitunter selbst in der breiteren Öffentlichkeit natürlich, gespielt oder beides waren. Freilich vermehrten sich im Laufe der Jahre seine Wutausbrüche und sein Misstrauen,115 sodass eher von Ersterem auszugehen ist. So halte er sich gegenüber dem Katholischen Königspaar, so deren Gesandter, für gewöhnlich zurück und übe mas tenplanÅa – verwende aber doch manchmal Worte, die in der Seele wehtun.116 Jedenfalls unterschied er sich in der öffentlichen Affektivität wesentlich von seinen Enkeln. Ein Politiker des 19. Jahrhunderts bemerkte einmal, man könne politische Entschließungen zorniger Leute beiderlei Geschlechts eben so wenig vorhersagen wie das Wetter.117 Die Übereinstimmung überrascht, obwohl schneller Meinungswechsel auch dissimulativ und taktischer Natur sein konnte. Tatsächlich sind mehrfach Berichte über die Wankelmütigkeit, die inconstantia et mutabilit/, des Monarchen überliefert, nachdem (so Kardinal Peraudi) bereits sein Vater darüber sowie über dessen Eigensinn geklagt habe.118 Auch mit der Tochter musste Maximilian sich über seine variabilit8 auseinandersetzen.119 Der Akteur suchte einzelne Feindbilder überdies zu legitimieren, was der Brisanz der Lage sowie seiner Diskussionsfreudigkeit und politisch bedingten Tendenz, sich zu rechtfertigen,120 entsprach. Wenn Gesandte oder Margarete Zweifel an seiner Einschätzung der Franzosen äußerten, argumentierte er in der Regel, dass er sie und ihre Hinterlist kenne.121 Sein persönlicher Sekretär formulierte dies wie folgt: Congnoissons mieulx et avons plus d’experience des FranÅois que vous.122 Maximilian begründete somit sein Vorurteil nicht nur kraft königlicher Autorität, sondern auch mit seiner experience, der subjektiven Primärerfahrung in den Niederlanden. Die eigene Erfahrung befähige ihn zu anzaigen und under115 Beispiele in den RI XIV online (s. Anm. 14) (Stichwort „Zorn*“ u. ä.); Kraus (s. Anm. 82), S. 121: „ir mt. wirt von tag zu tag ellter zornig und ungeduldig […] ye lenger ye mer mistrewig wirt“ (1509); Berwick (s. Anm. 15), S. 43; Krendl (s. Anm. 82), S. 111; Hollegger (s. Anm. 49), S. 265. 116 7. 7. 1498; Berwick (s. Anm. 15), S. 68; Krendl (s. Anm. 82), S. 111. 117 Bismarck: Zitat bei Aschmann (s. Anm. 114), S. 10. 118 1501: far ogni cosa de suo capo; zit. nach RI XIV n. 12671 bzw. Schröcker (s. Anm. 63), S. 203. Vgl. u. a. auch die Zitate bei Heinrich Ulmann: Kaiser Maximilian I. Auf urkundlicher Grundlage dargestellt, Bd. 1, Stuttgart 1884, S. 200, 335. 119 (7. oder 8.1511, eigenhändig); Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 2, S. 205. 120 Diederichs (s. Anm. 20), S. 73 (mit Zitaten). Vgl. ebenso Jan-Dirk Müller : Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Medien und Medialität in der Geschichte, hg. v. Ute Frevert und Wolfgang Braungart, Göttingen 2004, S. 95–122, hier S. 111–117. 121 1495, RI XIV n. 1913; ferner auch, n. 236. – Berwick (s. Anm. 15), S. 43 (1498): conoÅiendo la natura de los franÅeses, que nunca servauan cosa que prometian. Vgl. ähnlich auch dort, S. 50, 68, 71; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 42, 74, 88f., sowie Bd. 2, S. 320 [eigenhändig: que cognossuns trop leur traysons et faussit8s; 11.1515 (?)]. 122 Maximilan an Margarete, 1. 10. 1508; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 87.
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weisung, heißt es im Weißkunig.123 In Wirklichkeit kannte er diesen politischen Gegner nur aus Kriegen und Verhandlungen. Landschaft, Gesellschaft und den französischen Königshof kannte er zum Unterschied von seiner Tochter oder später von Philipp und Karl nicht oder nur indirekt, da er nie engeres französisches Gebiet betreten hatte. Dieser Umstand steigerte die negative Wahrnehmung eher und erschwerte die Kommunikation, sodass für die tägliche politische Praxis Informationen aus dritter Hand (und damit verbundene Filterungen) wichtig wurden. Diese Rolle erfüllten für die äußere Politik nicht zuletzt die befreundeten ausländischen Gesandten. Die meist intensiven Debatten mit ihnen vermittelten, prägten und erzeugten somit ebenso Bilder, Voreinstellungen und politische Denkstrukturen – vermutlich verstärkt, da sie auf mentale terrae incognitae trafen. Freilich war beim Feindbild Frankreich die längerfristige Begründung mit einem Ursprungsmythos oder einer nur mittelfristigen Gegnerschaft offenbar schlecht möglich. Noch Maximilians Vater und Sigmund hatten die Kontakte zum französischen Königshaus gepflegt. Seine Abstammung von den Trojanern legitimierte der Habsburger zwar ebenfalls über den Westen Europas, die Franken und Merowinger, umging dabei aber die Kapetinger. Solche historische Argumentation war bei der outgroup der Osmanen wegen ihrer Ungläubigkeit, also ihrer nichtchristlichen Herkunft schon gar nicht nötig.
4.
Instrumentalisierung, Aufbau von Feind-Freundbildern
Maximilian manipulierte Fremdbilder und Stereotypen stark. Vielmehr sollten Freund- und Feindbilder (mit ihrer totalitären Tendenz) im familiären Kreis, bei den Mitgliedern des Hofes, bei den Ständen, aber auch beim Gemeinen Mann eine uniforme, monarchische Identität bilden. Anscheinend änderte sich dies in den späteren Jahren. Maximilians Propaganda zielte zum Lebensende „fast nur mehr auf die Nachwelt“124 ab, sodass sich die Themen auf seine Person hin verengten. Die Manipulationen seien im Folgenden am Beispiel der Stereotypen böse christen, Erbfeind sowie am Begriff Deutsche Nation erläutert. In der Tat instrumentalisierte Maximilian auch die Nichtchristen, indem er den Kampf gegen die französische Krone damit untermauerte, dass die Franzosen (und sogar sein – frankophiler – Kardinal Peraudi) schlechte Christen seien. Gegen sie müsse man 123 Zit. bei Jan-Dirk Müller : Zwischen Repräsentation und Regierungspraxis: Transformation des Wissens in Maximilians Weißkunig, in: Knowledge, science and literature in early modern Germany, hg. v. Gerhild Scholz Williams und Stephan K. Schindler, Chapel Hill NC 1996, S. 49–70, hier S. 62. 124 Hollegger (s. Anm. 110), S. 231.
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wie gegen die Türken ins Feld ziehen.125 Der Vorwurf wog um so schwerer, da sich Louis XI. mit päpstlichem Konsens den Titel rex christianissimus zugelegt hatte. Ein vom Sultan zurückkehrender Gesandter bezeichnete in einem Schreiben an Maximilian ebenso die Venezianer als bösse krijsten.126 War dies die Diktion seines Herrn? Seit dem Spätmittelalter war der Ausdruck böse Christen für die gelehrten Juristen üblich, worunter man Vieles subsumieren konnte: fehlende christliche Solidarität, das Ausscheiden aus dem Verband des Heiligen Römischen Reiches, die Abstammung von Mauren und Juden (trotz Konversion) wie angeblich die Spanier127 oder gar das Paktieren mit den Feinden der Christenheit. Allerdings pflegte der Akteur teils selbst Bündniskontakte mit den Osmanen. So habe er, berichtet die Zimmersche Chronik, sich die entsprechende Korrespondenz stets nachführen lassen und sie ganz haimlich128 gehalten. Der junge Ferdinand I. ließ später die Eselstruhen öffnen und die Akten verbrennen – anscheinend, ohne sie selbst durchgesehen zu haben.129 Maximilians stereotype Äußerung gegenüber dem politischen Gegner, ein schlechter Christ zu sein, war daher eindeutig instrumentalisiert. Vielmehr suchte er während des Krieges gegen Venedig, seit Juni 1510, den Sultan für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Wenig vorher hatte er der Augsburger Reichsversammlung die Beseitigung der Türkengefahr als seine vornehmste Herrscherpflicht hingestellt.130 Der exkludierende Vorwurf des schlechten oder bösen Christen galt außerdem ungehorsamen Untertanen131 oder den Eidgenossen, die zu ihrer Schande die kristenheit [das Reich] also spotlich und jämerlich verlassen. Schlimmer als Türken und Heiden hätten sie sich über alle Kriegsbräuche hinweggesetzt.132 125 1495; vgl. RI XIV n. 1889, ferner 1383 und 5109. Vgl. auch Diederichs (s. Anm. 20), S. 83. 126 9. 3. 1505, Trient; zit. bei Ralf C. Müller : Der umworbene „Erbfeind“: Habsburgische Diplomatie an der Hohen Pforte vom Regierungsantritt Maximilians I. bis zum „Langen Türkenkrieg“ – ein Entwurf, in: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, hg. v. Marlene Kurz u. a., Wien/München 2005, S. 251–279, hier S. 257. 127 Reinhard (s. Anm. 68), S. 164. 128 Karl August Barack (Hg.): Zimmerische Chronik, Bd. 1, Tübingen 1869, S. 504. 129 Vgl. Barack (s. Anm. 128); Franz Babinger : Zwei diplomatische Zwischenspiele im deutschosmanischen Staatsverkehr unter B.jez%d II. (1497 und 1504), in: ders. (s. Anm. 43), S. 254–269, hier S. 265. 130 1. 6. 1510, [Augsburg] (eigenhändig unterzeichnete Instruktion für den Gesandten); vgl. Franz Babinger : Kaiser Maximilians I. „geheime Praktiken“ mit den Osmanen (1510/11), in: ders. (s. Anm. 43), S. 270–296, hier S. 275–294. – Das informierte Venedig kommentierte im Schreiben an den Papst: cossa […] non solum absurda ma abhominanda eines Imperador de Christianit/; ebd., S. 287. 131 1496; RI XIV n. 3869. 132 Manifest von 1499; Auszug bei Claudius Sieber-Lehmann und Thomas Wilhelmi (Hgg.): In Helvetios – wider die Kuhschweizer. Fremd- und Feindbilder von den Schweizern in antieidgenössischen Texten aus der Zeit von 1386 bis 1532, S. 88–91. – Vgl. ebenso Guy P. Marchal: Über Feindbilder zu Identitätsbildern. Eidgenossen und Reich in Wahrnehmung
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Auch diese Äußerung erfolgte spiegelbildlich, da sich die Eidgenossen häufig als allerbeste cristenmenschen kategorisierten.133 Die Steigerung des Feindbildes böse christen war erbfeind. Die in den deutschsprachigen Frühbelegen noch nicht nachweisbare religiöse Beziehung trat seit etwa 1300 in den Vordergrund, wobei „Erbfeind“ den absolut christlichen Gegner, den Teufel als Antichrist meinte. So schrieb etwa der bayerische Arzt Hartlieb 1456 vom Satan als erbfeind alles menschlichs geschlächtz. Seit dem 16. Jahrhundert begegnet der Ausdruck als Bezeichnung für je nach nationalen Feindbildern wechselnde politische Gegner, zunächst besonders der osmanischen Türken.134 Bezüglich Frankreich hat vor Kürzerem erneut Caspar Hirschi mit Dieter Mertens auf die bereits frühe Genese des Ausdrucks hingewiesen; demnach fand die Vorstellung von Frankreich als Erbfeind der deutschen Nation über Maximilians Reden und Texte Eingang in den politischen Diskurs.135 Der Entstehungsvorgang kann hier etwas differenziert werden: Der römische König nationalisierte nicht unbedingt nur allgemein christliche Erbfeindrhetorik. Vielmehr fand er einen säkularen Feinddiskurs im Reich und – während seiner entscheidenden politischen Sozialisationsphase – auch in den Niederlanden im Umfeld vor allem des burgundisch-französischen Konfliktes bereits vor. In bestehende deutsch- wie französischsprachige Reden vom Feind griff er intensiv ein und instrumentalisierte sie, besonders gegenüber dem französischen König und den Franzosen. Infolge einer soweit zweisprachigen politischen Bildung begegnen im persönlichen Sprachschatz daher parallele Wendungen: So gebrauchte er 1498 in Ensisheim in einer Rede an die Stände gegenüber Frankreich den Ausdruck uwer rechter natürlicher feind.136 In einem eigenhändigen Schreiben an die Tochter nannte er die Venezianer nous anciens et naturels ennemys,137 wobei anciens wie rechter verstärkende Funktion besaß.
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und Propaganda um 1500, in: Vom „Freiheitskrieg“ zum Geschichtsmythos. 500 Jahre Schweizer- oder Schwabenkrieg, hg. v. Peter Niederhäuser und Werner Fischer, Zürich 2000, S. 114. Sieber-Lehmann und Wilhelmi (s. Anm. 132), S. 11. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Neubearbeitung, Bd. 8, Stuttgart 1999, Sp. 1596f. Reichstagsladung, 31. 5. 1508: „unser aller Erbfeind“; Hirschi (s. Anm. 22), S. 170. Vgl. auch Diederichs (s. Anm. 20), S. 52, 89, 95; sowie Janssen (s. Anm. 16), S. 897: der französische König bzw. die Franzosen als erbfeinde des Hl. Reichs und der deutschen Nation (1513; Schreiben an die Stadt Frankfurt); ferner : Fritz Behrend: Im Kampf mit dem Erbfeind, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 25 (1915), S. 6–17. Vgl. hingegen Martin Wrede: Erbfeind, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3, hg. v. Friedrich Jaeger, Stuttgart 2006, Sp. 396f.: Frankreichbezug erst im späten 17. Jahrhundert. Zitiert bei Hirschi (s. Anm. 22), S. 170. 1. 9. 1512; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 2, S. 30. Vgl. auch Diederichs (s. Anm. 20), S. 89, Anm. 4
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In der Propaganda wider das französische Königreich oder Venedig verwendete er den Ausdruck Erbfeind adaptiv, indem er auf dessen weltliche Nuance zurückgriff: den Erbfeind als angestammten, seit Langem bekämpften Gegner, als politischen Erz- oder Todfeind.138 Insofern kam erbfeind französischsprachigen Ausdrücken der zeitgenössischen Propaganda und Chronistik weitgehend gleich, wie ancien ennemi, ennemi naturel, auch ennemi capital, adversaire mortel oder ihren Kombinationen.139 Es handelte sich somit weniger um eine Übertragung des Teufels als Erbfeind auf ein christliches Königreich. Daher waren der französische König auch kein Antichrist, sondern nur ein boeser crist, und der frantzosen boßheit nur ein Zeichen für das Kommen des anticrists.140 Im säkularen Bereich war um 1500 ebenso die monarchische, ständische und humanistische Rede von der deutschen Nation erstmals üblicher. Begriff und Thematik wurden in den letzten Jahrzehnten ausgiebig untersucht, zuletzt im diskursanalytischen Ansatz.141 In unserem Zusammenhang war der Kollektivsingular Deutsche Nation vor allem Autostereotyp einer Eigengruppe. Besonders die deutschen Habsburger als römisch-deutsche Könige instrumentalisierten den Begriff bedarfsweise, vorwiegend um Mittel zu lukrieren, wobei ihn die Fürsten und Städte übernahmen – sich also zunächst anscheinend mehr reaktiv verhielten. Indem man den Ausdruck betonte und überwiegend propagandistisch verwendete, erhielt er stereotype und ideologische Züge. Besonders Maximilian verstärkte als rex Germaniae im reichspolitischen Umfeld die Nationsrhetorik,142 die er wiederum persönlich und wesentlich mitgestaltete. Für ihn als Kaiser, Großdynasten und jemand, der nicht aus dem Binnenreich stammte, war „deutsche Nation“ letztlich ein nachrangiges Selbstbild. Sowohl in der persönlichen Korrespondenz mit seiner Tochter als auch in den Berichten
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(14. 7. 1508, Reichstagsladung: Venezianer und Franzosen als unser aller natürlichen Feind). Vgl. Grimm (s. Anm. 134) , Sp. 1596. Belege aus den Jahren 1470–1514 – am Beispiel der Bretagne – bei Laurence Moal: Pas de nation sans ennemi! L’exemple de la Bretagne ducale / la fin du Moyen ffge, in: Ennemi jur8, ennemi naturel, ennemi h8r8ditaire. Construction et instrumentalisation de la figure de l’ennemi. La France et ses adversaires (XIVe–XXe siHcles), hg. v. Jörg Ulbert, Hamburg 2011, S. 34–55, hier S. 51f., sowie S. 34 (naturellement). Vgl. auch die Synonymbildungen dort, S. 55: „l’ennemi majeur, voire l’ennemi h8r8ditaire“; sowie bei Ulbert (Hg.): Ennemi jur8 (Buchankündigung, DOBU-Verlag): „,l’ennemi jur8‘, ,l’ennemi naturel‘, voire ,l’ennemi h8r8ditaire‘“. Vgl. zu Letzterem den Hassbrief, den Maximilian 1507 auf dem Konstanzer Reichstag kursieren ließ; Hollegger (s. Anm. 110), S. 233. Schröcker (s. Anm. 67); Ulrich Nonn: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Zum Nationen-Begriff im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 9, 1982, S. 129–142; Hirschi (s. Anm. 22). Hirschi (s. Anm. 22), S. 159–161, 166–174.
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der italienischen Gesandten spielten gleichwertige Ausdrücke kaum eine Rolle. In den eigenhändigen Briefen an Margarete verwendete er den Nationsbegriff im Zusammenhang mit dem Reich überhaupt nicht: So schrieb er im politischen Kontext kurz von empire, saint-empir oder empire d’Almaigne, im mehr geographischen Sinn singulativ oder pluralisch von Almaingne beziehungsweise Almaingnes.143 Hingegen gebrauchte er in gleichfalls autografen Schreiben an Friedrich den Weisen, der mit ihm entfernt verschwägert und damals befreundet, aber eben auch Kurfürst war, wie bei Margarete die Kurzformen Reich, Hl. Reich144 – sowie deutsche und welhische Nation.145 Dabei nahm er sich letztlich als über den „Nationen“ des Reiches stehend wahr. Diesen zweiten eigenhändigen Brief hatte er während des Italienzuges in der Lombardei verfasst, wobei er Friedrich überdies mit dem Argument um Hilfe bat: es liegt alles an Euch deutschen.146 Hier fällt die wahrscheinlich unbewusste Formulierung euch statt uns auf: Der instrumentalisierte Appell an eine Wir-Gruppe wäre effektiver gewesen. Die gruppenbildende und -festigende Manipulation von Fremdbildern war bei einzelnen Hofmitgliedern offenbar erfolgreich. Die eigenen Gesandten, sonstige Diener und nahe stehende Poeten setzten Feindbilder des „Chefs“ ein, erfüllten somit stereotype Erwartungen, was vorteilhaft, aber auch unpassend sein konnte. Im Singspiel Ludus Dianae nannte Celtis in wenigen Sätzen alle Hauptgegner des anwesenden Maximilian und feierte ihn als Sieger über Türken, Franzosen, Venezianer und die helvetische Plebs;147 gegenüber einigen deutschen Fürsten äußerte Maximilian einige Jahre später : Er habe vier Teufel, und zählte genau die vier Gruppen auf.148 Umgekehrt kamen etwas ferner stehende Diener bei einem taktischen oder kurzfristigen Wechsel seiner politischen Meinung womöglich nicht immer mit.149 Mitunter wurden im diplomatischen Disput Vorstellungen glatt erfunden. So empfahl Maximilians päpstlicher Gesandter de Renaldis dem venezianischen Kollegen, Venedig möge sich den König zum Freund halten. Denn dieser habe eine naturale inclinazion gegen die Signorie, jedoch odio a Franzesi und nur die
143 Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 1, S. 7, 10, 131, 241, 280; Bd. 2, S. 38, 300. 144 Imst, 11. 7. 1496; Johann Joachim Müller: Reichs-Tags-Theatrum Maximiliani I., Teil 2, Jena 1719, S. 175. 145 Beim Comosee, 21. 8. 1496; ebd. 146 Ebd. 147 Aufführung Linz 1. 3. 1501 zum Fasching; Konrad Celtis: Ludus Dianae in modum comedie [….] actus, Nürnberg 1501, fol. 3r (2. Akt); vgl. auch Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 3, S. 83f.; Jörg Robert: Celtis, Konrad, in: Deutscher Humanismus 1480–1529. Verfasserlexikon, Bd. 1, Lieferung 2, Berlin/New York 2006, Sp. 410f. 148 1507; Wiesflecker (s. Anm. 24), Bd. 3, S. 441f. 149 Vgl. RI XIV n. 19547: Äußerung des Dieners des obersten Zeugmeisters.
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necessit/ erfordere (1503) eine Annäherung.150 Der Verweis auf eine natürliche Neigung ist kaum oder nur mit einer gemeinsamen Gegnerschaft gegen die benachbarten Osmanen zu erklären. Nicht nur im mehr öffentlichen Bereich wie bei den Gesandten und Reichsständen, sondern gerade im engsten Familienkreis trieb Maximilian eine antifranzösische Dauerpropaganda, indem er die Gegnerschaft nadelstichartig thematisierte und wachhielt. Er suchte somit Stereotypen und Feind-Freundbilder aufzubauen. In den persönlichen und vor allem eigenhändigen Briefen an seine Tochter finden sich mitunter sehr kräftige Äußerungen gegen die Franzosen und den französischen König. Einem künftigen Frieden mit Frankreich misstraute er 1516 zunächst und begründete dies hochgradig emotional. Diese würden nur abusions, dissimulations et fictions gebrauchen; wie sie das seit hundert Jahren getan und noch weitere hundert Jahre tun würden.151 Selbst nach dem Brüsseler Frieden suchte er seinen Enkel Karl gegen Frankreich zu indoktrinieren. Nach einer Audienz mit den französischen Gesandten empfahl er Karl, anscheinend etwas schwerhörig geworden: Mon filz, vous ales trumper les FranÅois, et moy je va trumper les Anglois – wobei er letzteres gleich wieder zurücknahm, was der englische Gesandte dann als eine seiner (üblichen) dissimulations interpretierte.152 (Hier war sozusagen der Effekt des nicht abgeschalteten Tonbands eingetreten, ein Diplomat hatte die Äußerung mitbekommen). Karl war damals erst siebzehn gewesen, ein altes Muster wurde teils erfolgreich vererbt. In der Tat setzte sich hier eine politische Redeweise fort: Bereits in seiner niederländischen Zeit hatte er, so der Vorwurf der Gegenseite, mit den faulsetez et tromperies der französischen Könige und mit den Franzosen beziehungsweise dem König als den anciens ennemis des Hauses Burgund argumentiert153 – oder bestehende Stereotypen übernommen. Hingegen malte er den polnischen König Zygmunt, den er seit einigen Monaten persönlich kannte, und dessen Land in leuchtenden Farben. Tochter Margarete sollte ihre Nichte Eleonore von der Heirat nach Polen überzeugen. In das eigenhändige Schreiben154 spielten nicht nur mehrere fremdländische, vor allem osteuropäische Stereotypen, sondern auch monarchische Selbstbilder hinein. Offenbar vor allem jene galt es abzuwehren. So habe der König ung visage 150 Pasquale Villari (Hg.): Dispacci di Antonio Giustinian. Ambasciatore veneto in Roma dal 1502 al 1505, Bd. 2, Florenz 1876, S. 325. 151 18. 1. 1516; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 2, S. 340. 152 Brüssel, 16. 2. 1517; John Sherren Brewer (Hg.): Letters and papers, foreign and domestic, of the reign of Henry VIII., Bd. 2,2, London 1864, n. 2930. 153 o. D., 8.1488 (?); [Louis Prosper] Gachard: Lettres in8dites de Maximilien, duc d’Autriche, Roi des Romaines et empereur, sur les affaires des Pays-Bas, Bd. 1, Brüssel/Gent/Leipzig 1851, S. 125, 138f., 142. 154 Maximilian an Margarete, [10.] 1515; Le Glay (s. Anm. 25), Bd. 2, S. 299–301.
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et cors blank, et les mains fort blans […] car sa visage est cler et fort honeste, repr8sentant ung roy entre tous ses serviteurs. Mit anderen Worten, Sigismund sei kein dunkelhäutiger Wilder und habe Königsmanieren. Er besitze einen schönen und roten Mund. Waren die Äußerungen zur Hautfarbe protorassistisch oder sollten sie nur eine junge Prinzessin, die Vorurteile noch schlecht zu kontrollieren vermochte, beruhigen? Vom polnischen Reich hob er dessen Größe, militärische Stärke und Bevölkerungsreichtum hervor. Maximilian entfaltete somit ein weiteres Freundbild, das zugleich einem innerfamiliären Selbst- und Wunschbild entsprach. Der König sei am8 fort de ses subg8s. Es gebe keine ordentliche Steuer, dagegen zeige son peuple grand ob8dience (gefährliche Aufstände wie anderswo, beispielsweise in den Niederlanden, seien daher auszuschließen). Es gebe eine grand noblesse, sie seien fort honnestes, liebten die Deutschen und kleideten sich wie sie. Sigismund und alle seine Großen am Hof sprächen neben ihrer naturel langaige ebenso Deutsch und Latein. Um die Vorzüge des Landes noch aufzuwerten, holte der bejahrte Monarch sein altes Feindbild über die Ungarn hervor und suchte als gebürtiger Österreicher und Nachbar die politisch eigentlich erfahrene Tochter zu belehren. Die Polen, also die adelige Oberschicht, würden die Ungarn hassen, qui est le plus mav8s et d8piteulx pople de monde. Zum Unterschied von Polen tient diese ihren König pour riens. Die Aussage verblieb nicht im engsten Familienkreis. Maximilian verbreitete sein ungarisches Feindbild überdies öffentlich und performativ, indem er bei Mummereien die Ungarn wie die Türken mit diffamierenden Vogelmasken, also mit einer asiatischen Klischeephysiognomie (Hakennase) versehen ließ.155 Nach außen hin, gegenüber dem Sultan degradierte er sogar den ungarischen König, aufgrund der bestehenden Personalunion mit Böhmen, zu seinem Kurfürsten und prägte damit eine Voreinstellung.156
5.
Geltungs- und Wirkungskreise?
Ich schließe mit der Frage nach möglichen Auswirkungen der politischen Wahrnehmungen, Stereotypen und Feindbilder Maximilians. Mit Blick auf seine Haus- und kaiserliche Universalpolitik ergibt sich ein relativ spezifisches Muster seiner politischen „Alteritäten“. So bildeten nationale Stereotypen für die Testperson kein wesentliches Handlungsschema,157 Maximilian setzte diese Kate155 Durch ihre Hauben waren diese teils zudem als Janitscharen gekennzeichnet; vgl. Schnitzer (s. Anm. 37), S. 93–97, Abb. 54–57. 156 15. 9. 1504; Barack (s. Anm. 128), S. 501. 157 Ähnlich Hirschi (s. Anm. 22), passim; Noflatscher (s. Anm. 12).
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gorien bedarfsweise und opportunistisch ein. Eine Kontinuität ist insgesamt nicht erkennbar, sodass ihn nationale Voreinstellungen wohl nur nachrangig beeinflussten. Partikulare Stereotypen widersprachen der Kaiseridee, an der er wie spätere Habsburger im Interesse des Hauses festhielt. So lassen sich sein Kaisertum sowie seine universalen Wahrnehmungskategorien in einem sich pluralisierenden Europa zunächst kaum als Symbol beziehungsweise Indikatoren für einen Wandel des Denkrahmens interpretieren, allenfalls kollektiv, wie hinsichtlich der europäischen Expansion in die Neue Welt. Zudem waren im diskursiven politischen Umfeld, bei den Reichsständen und deutschen Publizisten beziehungsweise Humanisten, protonationale Stereotypen anscheinend mehr gegen Italien und das päpstliche Rom158 als gegen Frankreich gerichtet. Davon sind die maximiliannahen elsässischen Autoren wie Jakob Wimpfeling und Sebastian Brant oder Heinrich Bebel auszunehmen. Wenn Maximilian verstärkt nationale, vorwiegend antifranzösische Stereotypen und Feindbilder oder auch deutsche Eigenkategorien verwendete, so erfolgte dies vor allem aus politischem Kalkül und weniger aufgrund von „national“ geprägten Bedingungen. Die Intensität und Wirkung von Vorurteilen und Feindbildern waren bei religiösen Monarchen bezüglich der ingroup, bei universalen Herrschern vermutlich per se eingeschränkt. So forderte der französische Kronjurist Seyssel, dass ein König sich durch religion, justice und police zügeln (r8fr8ner oder brider) lasse.159 Wenn der venezianische Gesandte unter den auch guten Seiten Maximilian als religioso und human160 charakterisierte, so sprach er wahrscheinlich ebenso eine normative Hemmschwelle an. Der Kontrast ergibt sich vor allem zu Diktatoren des 20. Jahrhunderts, deren Vorstellungswelt massenhaft lebensverachtende Vorurteile enthielt.161 Maximilian milderte sein Feindbild „Frankreich“ mitunter, indem er die europäische Monarchienlandschaft anscheinend ironisierend verglich. So kursierte in den Jahrzehnten nach seinem Tod in politisch interessierten Kreisen eine Anekdote zu ihm als „König der Könige“. Humanisten, Historiografen und Theologen hielten sie fest. Auch in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war sie, wie in Rankes Französischer Geschichte, ein beliebtes Sujet: 158 Vgl. Hirschi (s. Anm. 22), S. 143–156; Reinhard Stauber : Nation, Nationalismus, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 8, hg. v. Friedrich Jaeger, Stuttgart 2008, Sp. 1056–1082, hier Sp. 1065. 159 Claude de Seyssel: La monarchie de France et deux autres fragments politiques, hg. v. Jacques Poujol, Paris 1961, S. 113, 143. 160 3. 2. 1503; Sanuto (s. Anm. 45), Bd. 4, Sp. 695; RI XIV n. 20250. 161 Vgl. Edmund Dmitrjw: Adolf Hitlers Stereotyp des Russen als „Sklaven“ und sein Platz in der Propaganda von „dem Russen“, in: Der Fremde im Dorf. Überlegungen zum Eigenen und Fremden in der Geschichte, Festschrift Rex Rexheuser, hg. v. Hans-Jürgen Bömelburg, Lüneburg 1998, S. 323–336.
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Demnach gebe es – so Luther in seinen Tischreden – drey Könige in der Welt. Ihn den Kaiser, den König von Frankreich und den König von England. Er sei ein König der Könige; denn wenn er seinen Fürsten etwas auferlege, da es ihnen gefiele, so täten sie es; wo nicht, so ließen sie es. Luther kommentierte: da ihm die Fürsten niemals gehorsam wären gewest, sondern taten, was sie wollten. Hingegen sei der französische König ein König der Esel; denn alles, was er die Seinen hieße, das müssten sie tun wie die Esel, dem müssten seine Fürsten gehorsam sein. Der König von England wiederum sei ein König der Leute. Denn was er ihnen auferlege, das täten sie gerne, und sie hätten ihren Herrn lieb wie gehorsame Untertanen.162 Maximilians Tiervergleich war ebenso FranÅois I. bekannt. Bei einem Besuch des venezianischen Gesandten zitierte er ihn (fast wörtlich) lachend, um die Stärke seines Königtums zu beweisen: […] e il re di Francia essere il re delle bestie, perch8 in qualunque cosa che comandi o voglia, H ubidito subitamente come l’uomo dalle bestie.163 Inwieweit beeinflussten Maximilians Voreinstellungen und stereotypen Geschichtsbilder die engsten Nachkommen und die spätere Nachwelt? Ihre Wirkung war anscheinend größer als die politischen Maximen des anerkannten Fürstenlehrers Erasmus. Aufgrund seines Status waren die Wahrnehmungs- und Verhaltensvorgaben des Akteurs zunächst per se dominant, sie „verflüssigten“164 sich nur teilweise. So schlief Urenkel Felipe II. 1549 auf seiner jugendlichen Grand Tour in Binche in einem Zimmer, das nicht zufällig mit einer Tapisserie zur Schlacht von Pavia und Gefangennahme von FranÅois I. geschmückt war.165 Maximilian legte seinen Nachfahren seine Geschichtsbilder entschieden vor, wobei er sich überhaupt als Anweiser aller künftigen Könige und Fürsten stilisierte. Die lange und „kontinuierliche“ Dauer der feindlichen Einstellungsmuster war zudem durch dessen lange Regierungszeit bedingt. In dieser geringeren Chance zu vergessen, äußerten sich Nachteile dynastischer Herrschaft. Die Bilder sollten orientieren, die familiale Identität verfestigen und hauseigene Herrschaft stabilisieren, wenngleich aus pragmatischen Gründen keinen starren Habitus erzeugen. Ein Beispiel dafür war die rigide Reaktion des jungen Ferdinand, als er die erwähnte Korrespondenz seines Großvaters und anscheinend auch Urgroßvaters mit den Osmanen vorfand. Das Verhalten war vermutlich durch die Sozialisation im Umfeld der Reconquista ausgelöst. Maxi162 Martin Luther : Werke. Kritische Gesamtausgabe, Tischreden, Bd. 6, Weimar 1921, Nr. 6953. 163 Finalbericht vom 20. 8. 1542; Eugenio Alberi: Relazioni degli ambasciatori Veneti al senato, ser. 1,4, Florenz 1860, S. 32. 164 Zygmunt Baumann: Liquid Modernity, Cambridge 2000; das Paradigma wird diskutiert bei Wolfgang Schmale: Kulturaustausch und kultureller Transfer in der Frühen Neuzeit, in: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, hg. v. Michael North, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 11–14, hier S. 12f. 165 Alfred Kohler : Karl V. 1500–1558. Eine Biographie, München 22000, S. 109.
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milian hätte es in dieser Form nicht erwartet. Aber ungeachtet von dessen persönlicher Indoktrination betrieben der in den Niederlanden erzogene Philipp und Karl gegenüber Frankreich eine offenere Politik. Die Spielräume für eine gezielte Formierung von politischen Vorstellungen waren offenbar geringer als erwartet. Hingegen hatte der Akteur bei der späteren Repräsentation seiner Geschichtsbilder mehr „Erfolg“: So sind auf dem Innsbrucker Kenotaph, das man in der Mitte des 16. Jahrhunderts an Ferdinands Hof konzipiert hatte, wie im autobiografischen Werk zahlreiche Kriegs- und Kampfszenen dargestellt. Auch Teile des Repräsentationswerkes behielten für die Habsburger und einzelne deutsche Fürsten ihren sowohl historisierenden und unterhaltenden als auch normativen Wert bei. Langfristig gesehen trug Maximilian dazu bei, den Mythos von der Unbesiegbarkeit Deutschlands zu verstetigen. Er prägte die Idee von der Entscheidungsschlacht, des grossen veldstreits, zwischen den Franzosen und Deutschen vor.166 Ebenso langfristig wurde die anfangs vor allem „nur“ instrumentalisierte Dauerrede von den Franzosen als Feinden anscheinend und nach Rückzug der universalen Kaiseridee und später des partikularen Reiches verstärkt wirksam. Darunter ist wohl besonders der neue, stereotype und suggestive Kampfbegriff des (französischen) Erbfeinds zu nennen. Die Verstetigung der Abstraktion war auch im Deutschen um 1500 zwar noch nicht absehbar. Jedoch konnte man sich später des Stimulus mühelos erinnern und ihn rasch aktivieren, weil es ein öffentliches Vorverständnis gab.
166 Vgl. u. a. H. Th. Musper (Hg.): Kaiser Maximilians I. Weisskunig, Bd. 1, Stuttgart 1956, Nr. 190 (Zitat) bzw. S. 295 und 460; Janssen (s. Anm. 16), S. 556 (1492): alle macht uff eyn flecken.
Manfred Hollegger
„Damit das Kriegsgeschrei den Türken und anderen bösen Christen in den Ohren widerhalle.“ Maximilians I. Rom- und Kreuzzugspläne zwischen propagierter Bedrohung und unterschätzter Gefahr
Gibt man den Suchbegriff „Türken“ in die Suchmaske der Regesta Imperii Online1 ein und lässt die bisherigen vier Bände der Maximilian-Regesten2 damit durchforsten, erhält man für die Jahre 1493 bis 1504 rund 1200 Treffer. Die „Türken“3 waren also zweifellos eine causa prima der damaligen Politik. Eine andere Frage ist jedoch, ob sie in der Zeit Maximilians I. tatsächlich eine konkrete Bedrohung darstellten. Während zum Beispiel Eduard Fueter4 eine solche nicht sah, meinte Hermann Wiesflecker,5 dass unter Maximilian I. nicht nur 1 http://regesten.regesta-imperii.de/ [Zugriff: 05. 05. 2017]. 2 Johann Friedrich Böhmer (Begr.): Regesta Imperii. Hrsg. v. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – Regesta Imperii – und der Deutschen Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1393–1519, bearb. v. Hermann Wiesflecker u. a., Band 1, Teil 1 und 2, Wien/Köln 1990; Band 2, Teil 1, Wien/Köln/Weimar 1993; Band 2, Teil 2, Wien/Köln/Weimar 1993; Band 3, Teil 1, Wien/Köln/Weimar 1996; Band 3, Teil 2, Wien/Köln/Weimar 1998; Band 4, Teil 1, Wien/Köln/Weimar 2002; Band 4, Teil 2, Wien/Köln/Weimar 2004. 3 Zu dem in den zeitgenössischen Dokumenten durchwegs undifferenziert verwendeten Begriff „Türken“ für alle Ethnien des Osmanischen Reiches vgl. Almut Höfert: Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600, (Campus Historischer Studien 35), Frankfurt/New York 2003; sowie Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann (Hgg.): Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000. Für die Dokumente im Steiermärkischen Landesarchiv vgl. Leopold Toifl: Stephan Graswein zu Weyer. Ein Judenburger als Kontrahent des Paschas von Bosnien, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 98 (2007), S. 149–190, hier 152, Anm. 9. 4 Eduard Fueter : Geschichte des europäischen Staatensystems von 1492–1559, (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. II), Berlin/München 1919, S. 153, 188ff. 5 Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Band 1: Jugend, burgundisches Erbe und Römisches Königtum bis zur Alleinherrschaft 1459–1493, Wien 1971, S. 358, 401f.; ders.: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Band 2: Reichsreform und Kaiserpolitik 1493–1500. Entmachtung des Königs im Reich und in Europa, Wien 1975, S. 154; ders.: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Band 3: Auf der Höhe des Lebens 1500–1508. Der große Systemwechsel, Politischer Wiederaufstieg, Wien 1977, S. 384; ders.: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur
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bereits erste Ansätze der späteren Militärgrenze zu erkennen sind, sondern der oft propagierte Kreuzzug auch ein echtes Anliegen Maximilians I. war und daher zeitlebens eine der politischen Konstanten dieses Herrschers blieb, eine These, die in ihren Arbeiten zur maximilianeischen Propaganda auch Georg Wagner und Edeltraut Hönig vertraten, während Peter Diederichs sie wiederum ablehnte.6 Zur Lösung dieser Frage drängt sich aufgrund der im folgenden Text näher ausgewerteten primären Quellen ein Modell auf, das drei Phasen unterscheidet und dadurch wohl auch die unterschiedlichen Positionen in der Literatur miteinander versöhnen kann: Eine erste Phase von 1493–1494, in der Maximilian I. ein Türkenkrieg bzw. Kreuzzug tatsächlich ernst gemeint gewesen zu sein scheint, zumindest im Sinne seines als „burgundisches Erbe“ bezeichneten IdeoRealismus.7 Dann eine zweite Phase von 1495–1507, in der als Immunisierungsstrategie gegen die ständischen Einwände zur königlichen Expansionsund vor allem Italienpolitik und deren Kosten ein „Kreuzzug als gottgewolltes heiliges Unternehmen“ propagiert und damit nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt wurde, wie das in Maximilians Politik öfter zu beobachten ist, während auf der Hinterbühne diplomatische Verhandlungen liefen, die auf eine friedliche Koexistenz bis hin zu einem Bündnis mit dem Osmanischen Reich abzielten.8 Und schließlich eine dritte Phase nach dem Ende des Venezianerkrieges von 1516/17–1518, in der die Kreuzzugspropaganda wieder aufgenommen wurde, diesmal als Mittel zum Zweck, Maximilians Romzug zur Kaiserkrönung doch Neuzeit, Band 5: Der Kaiser und seine Umwelt, Hof, Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, Wien 1986, S. 195. 6 Manfred Hollegger : Erwachen vnd aufsten als ein starcker Stryter. Zu Formen und Inhalt der Propaganda Maximilians I., in : Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert), (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften, Band 307: Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Band 6), hg. v. Karel Hruza, Wien 2002, S. 223–234, hier S. 230 (in den Anm. 59–61 die Belegstellen zu Diederichs, Wagner und Hönig). 7 Vgl. dazu Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 1, S. 240–247 und Band 5, S. 638, 641f. sowie Manfred Hollegger : Maximilian I. (1459–1519), Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, (Kohlhammer Urban Taschenbücher 442) Stuttgart 2005, S. 39, 41. 8 Allgemein zur Geschichte des Osmanischen Reiches: Wegen der vielfachen Benützung als „Steinbruch“ vor allem auch kultur- und wissenschaftsgeschichtlich noch immer interessant ist Joseph von Hammer [ab 1835 Hammer-Purgstall]: Geschichte des Osmanischen Reiches, großentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven, 2. verbesserte Ausgabe, Band 1: Von der Gründung des Osmanischen Reiches bis zum Tode Selim’s I., Pesth 1834. Als erstes umfassendes Standardwerk ist nach wie vor Nicolae Jorga: Geschichte des Osmanischen Reiches, nach den Quellen dargestellt, 5 Bände, (Allgemeine Staatengeschichte, Abt. 1, 37. Werk), Gotha 1908–1913, heranzuziehen, und als modernes Standardwerk Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1985, inzwischen 5. Aufl. 2008. Den neuesten Stand der Forschung samt umfangreicher Literatur bietet Klaus Kreiser : Der Osmanische Staat, 2. aktualisierte Aufl., (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 30), München 2008.
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noch durchzubringen und so die Wahl Karls V. zum Römischen König noch zu Lebzeiten Maximilians argumentieren zu können, um die habsburgische Nachfolge im Reich zu sichern.
1.
Zur ersten Phase
Der Fall Konstantinopels im Mai 1453 veranlasste Enea Silvio Piccolomini (nachmals Papst Pius II.), als kaiserlicher Kommissar auf dem Frankfurter Reichstag im Oktober 1454 zur gesamteuropäischen Türkenabwehr aufzurufen, indem er die Begriffe „Christenheit“, „Europa“ und „Vaterland“ miteinander verknüpfte und dafür instrumentalisierte: Wenn wir die Wahrheit gestehen wollen, hat die Christenheit seit vielen Jahrhunderten keine größere Schmach erlebt als jetzt; denn in früheren Zeiten sind wir nur in Asien und Afrika, also in fremden Ländern geschlagen worden, jetzt aber wurden wir in Europa, also in unserem Vaterland, in unserem eigenen Haus, an unserem eigenen Wohnsitz aufs Schwerste getroffen.9
Auffällig, wenngleich vielleicht auch nur Zufall, ist, dass er von Europa als „unserem eigenen Haus“ spricht, was an den arabischen Begriff D.r al-H.rb (das Haus des Krieges) erinnert, womit im Islam alle nicht unter seiner Herrschaft stehenden oder ihm vertraglich tributpflichtigen, sondern noch zu erobernden Gebiete der Welt gemeint sind.10 Mit dem Tod Mehmeds II. (1481) aber schien die unmittelbare Bedrohung Mitteleuropas durch eine weitere Expansion des Os9 Zitiert nach: Rolf Hellmut Foerster : Europa – Geschichte einer politischen Idee, München 1967, S. 86f. Zweisprachig bei Johannes Helmrath: Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) – Ein Humanist als Vater des Europagedankens?, in: Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/2007/Article=118, [Zugriff: 05. 05. 2017], zugehörige Quellen: Enea Silvio Piccolomini über Europa und die Türken. Auszüge aus Asia, De Europa, Constantinopolitana clades, Epistula ad Mahometem, 1454–1461, in: Themenportal Europäische Geschichte (2006), URL: http://www.europa.clio-online.de/2006/Arti cle=96 [Zugriff: 05. 05. 2017], hier Quelle 3: Enea Silvio Piccolomini, Constantinopolitana clades, Abschnitt A: „Neque, si verum fateri volumus, multis ante seculis maiorem ignominiam passa est quam modo Christiana societas. retroactis namque temporibus in Asia atque in Affrica, hoc est in alienis terris, vulnerati fuimus, nunc vero in Europa, id est in patria, in domo propria, in sede nostra percussi cesique sumus.“. S. jetzt die Edition der Rede in: Deutsche Reichstagsakten XIX,2: Reichsversammlung zu Frankfurt 1454, bearb. von Johannes Helmrath, München 2013, hier S. 495f. 10 Diese Anregung verdanke ich dem Vortrag von Herrn Kollegen Mustafa Soykut. Zu den zwei Sphären, in die nach islamischem Recht die Welt aufgeteilt ist, nämlich D.r-al-Isl.m (das Haus des Islam) und D.r-al-H.rb (das Haus des Krieges), sowie zur nur von wenigen Juristen anerkannten dritten Kategorie D.r-al-’Ahd (das Haus des Bundes) vgl. Emrah Safa Gürkan: Die Osmanen und ihre christlichen Verbündeten, in: European History Online (EGO), hg. v. the Institute of European History (IEG), Mainz, URL: http://www.ieg-ego.eu/gurkane-2010de [Zugriff: 05. 05. 2017], Anm. 46.
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manischen Reichs vorbei, da Mehmeds II. Sohn und Nachfolger Bajezid II. seine Herrschaft erst gegen seinen Bruder Cem durchsetzen musste, was Frankreich, Rhodos, der Heilige Stuhl, Florenz, Pisa, Mailand, Neapel und Venedig zum Versuch nutzten, die Brüder gegeneinander auszuspielen, um sich insbesondere Bajezids Wohlverhalten oder Hilfe zu versichern.11 Möglicherweise um durch Säbelrasseln den Druck zusätzlich zu erhöhen, berief Papst Innozenz VIII. für Juni 1490 zwar einen gesamtchristlichen Türkenzugskongress nach Rom, wo jene Angriffsstrategie entwickelt wurde, wie sie sich Maximilian als Krönung seines Lebens erträumte,12 nämlich vom Vorstoß von zwei Landheeren über den Balkan bzw. über Nordafrika und einem gleichzeitigen Flottenunternehmen,13 aber es blieb alles nur auf dem Papier, was Johannes Trithemius später treffend auf den Punkt brachte: Gegen die Türken geredet und beschlossen worden sei viel, geschehen aber ist nichts, weil alle ihre eigenen Interessen verfolgten und sich um die Notlage der Christenheit nicht kümmerten.14 Tatsächlich als Gefahr wahrgenommen wurden die „Türken“ erst wieder im Spätsommer 1493 durch den Beutezug des bosnischen Sandschak-Beys HadumJakub Pascha, der mit ca. 8000–9000 Reitern bis nach Cilli (Celje) und Pettau (Ptuj) in die damalige Untersteiermark vorstieß15 und auf dem Rückmarsch am 9. September auf dem Krbava-Feld bei Udbina den kroatischen Heerbann vernichtete.16 Das veranlasste Maximilian nicht nur, den von seinem Vater Kaiser Friedrich III. zur Türkenabwehr gegründeten St. Georgs-Ritterorden auf Vorschlag des Hochmeisters um eine weltliche Bruderschaft zu erweitern, deren Statuten zu bestätigen und dem Orden die Grenzstadt Rann (Brezˇice) an der Save zu übertragen,17 sondern auch, die Begräbnisfeierlichkeiten für seinen Vater in 11 Hammer (s. Anm. 8), S. 647f. Auch Maximilian beschäftigte sich damit, wie Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 571 zeigt, und wenn man dem Kardinal Raimund Peraudi glaubt, stand Papst Alexander VI. im Zentrum dieser Aktivitäten, wie aus Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 3184 hervorgeht. 12 Man denke etwa an den Schluß des Theuerdank: Die letzte und höchste Aufgabe, die auf Theuerdank (Maximilian) noch wartet, ehe er Ehrenreich (Maria von Burgund) heimführen kann, ist die Befreiung des Heiligen Landes und die Eroberung Jerusalems. 13 Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 1, S. 346f. und Band 2, S. 24, 153. 14 Hollegger (s. Anm. 7), S. 251. Zur allgemeinen Meinung, dass die Zwietracht unter den Christen einen Kreuzzug verhindere vgl. z. B. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 236, 237; dass Bajezid diese für sich zu nützen suchte, zeigt Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 3362: In der Nacht der Verkündung der Heiligen Liga gegen Frankreich erschien ein türkischer Gesandter beim französischen Gesandten in Venedig und schlug ihm ein Freundschaftsbündnis zwischen dem Sultan und dem König von Frankreich vor. 15 Zur Reaktion Maximilians vgl. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 23, 25, 27, 29 und 1/2, Nr. 2760. 16 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 2762, 2764, 2777, 2820, 2827. 17 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 42, 215, 1043, 1110, 1130, 1155, 1156. Grundsätzlich vgl. Inge Wiesflecker-Friedhuber : Maximilian I. und der St. Georgs-Ritter-
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Wien zu verschieben, um zur Sicherung der Steiermark und Krains an die südöstliche Grenze zu ziehen und ihren Schutz einer Söldnertruppe zu übertragen.18 Deren Plünderungen richteten dann allerdings gleichviel Schaden an wie die türkischen Renner und Brenner, gegen die sie sich als nutzlos erwiesen19 und deren Einfälle bis zum 17. Jahrhundert eine ständige Bedrohung blieben.20 Im Nachhall der sogenannten „Kroatenschlacht“ malte der königliche Rat Veit von Wolkenstein im Dezember 1493 in Anlehnung an Enea Silvio Piccolominis Reichstagsrede von 145421 erneut das Schreckensszenario von den „Türken am Rhein“ an die Wand, sollten die zwei Einfallspforten nach Europa, nämlich Belgrad und Kroatien, verloren gehen, denn nach neun Jahren Krieg mit dem konig Soldan – gemeint ist der Mamluken-Sultan von Ägypten, Quaid Bay (auch Kait-Bay) – wende sich Bajezid II. nun wieder gegen die Christen.22 Tatsächlich war man also am Hof Maximilians gut informiert, denn der 1481 durch die Flucht von Bajezids Bruder Cem zum Mamluken-Sultan ausgelöste Krieg war 1491 durch einen Friedensvertrag beigelegt worden. Auch die nach damaliger Meinung große strategische Bedeutung Belgrads23 sollte sich nicht einmal 20 Jahre später, durch den Fall der Stadt 1521, bestätigen, denn 1526 folgte die folgenreiche Niederlage der Ungarn in der Schlacht bei Mohacs und 1529 die erste Türkenbelagerung Wiens. Wie die Dokumente24 zeigen, versuchte Maximilian vom April bis Juni 1494 nicht nur die Türkenabwehr in seinen Erbländern zu organisieren, sondern
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orden, in: Studien zur Geschichte von Millstatt und Kärnten, (Archiv für Vaterländische Geschichte und Topographie 78), hg. v. Franz Nikolasch, Klagenfurt 1997, S. 431–453. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 72, 73, 75, 76, 78, 80, 94, 123 und 1/2, Nr. 2765, 2776, 2805, 2808, 2811, 2820, 2827, 2835 sowie Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 1, S. 356; Hermann Wiesflecker : König Maximilians I. Türkenzug von 1493–94, in: Jahrbuch des Ostdeutschen Kulturrates 5 (1958), 152–178 und Hollegger (s. Anm. 7), S. 82. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 3114, 3115. Daher war die Türkenabwehr und Söldnerproblematik neben den Juden Gegenstand des Herbstlandtages der innerösterreichischen Länder in Marburg (Maribor); dazu Regesta Imperii XIV, 1/1, Nr. 984 und 1/ 2, Nr. 3117. Art und Umfang der einzelnen Einfälle bei Toifl (s. Anm. 3) und Hildegard Leitgeb: Die Türkeneinfälle in der Steiermark und in Kärnten vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, (Militärhistorische Schriftenreihe 64), Wien 1991. Helmrath (s. Anm. 9), Quelle 3: Enea Silvio Piccolomini, Constantinopolitana clades, Abschnitt C: „Sive vincitur Hungaria sive coacta iungitur Turcis, neque Italia neque Germania tuta erit neque satis Rhenus Gallos securos reddet.“ S. Deutsche Reichstagsakten XIX,2 (s. Anm. 9), hier S. 523. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 158. Nach Rückeroberung war die Stadt Belgrad wieder österreichisch 1688–1690, 1719–1739 und 1789–1791, serbisch 1806–1813 und 1815. Endgültig endete die 346-jährige Herrschaft der Osmanen in Belgrad erst mit dem Fall der Festung 1867. Zum folgenden Absatz soweit nicht anders angeben Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 335, 423, 558, 571, 586, 608, 629, 658, 769, 797, 816, 991 und 1/2, Nr. 2904, 2991, 3039, 3057, 3059–3062, 3067, 3072, 3132.
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strebte für den Herbst 1494 offenbar tatsächlich ernsthaft einen ein- bis zweijährigen Türkenzug an, für dessen Planung man sich zu Pfingsten 1494 zu einem gesamteuropäischen concilium in Köln25 treffen sollte, während die Franziskaner durch Predigten dafür Stimmung machen und die Spendenbereitschaft erhöhen sollten. Die Vorverhandlungen dafür nahm Maximilian noch während den Begräbnisfeierlichkeiten für seinen Vater Kaiser Friedrich III. in Wien Ende 1493 auf und führte sie dann bis ins Frühjahr 1494 fort, vor allem mit den Gesandten Ungarns und Venedigs,26 da beide Staaten als Eckpfeiler des Unternehmens vorgesehen waren: Ungarn als Aufmarschraum für das Landheer, wobei sich allerdings rasch Diskussionen über den Oberbefehl und die Subsidien entwickelten,27 und Venedig für die Führung der Flotte, die während des Winters den Nachschub besorgen sollte, da die Donau während dieser Jahreszeit nicht schiffbar war. Bei den Besprechungen mit den venezianischen Gesandten, die im Auftrag der Signorie eine ausweichende und vorsichtig ablehnende Haltung zu vertreten hatten,28 entwarf Maximilian an Hand von Karten29 seine Vormarschpläne. Obwohl er von einer gewaltigen Kriegsanstrengung sprach, mit der er den Türken Hände und Füße abschneiden wollte, so dass sie keinen Schaden mehr anrichten können, stellte er es zugleich als leichtes Unternehmen dar, weil die europäischen Reiter den Türken haushoch überlegen seien, so dass 12 seiner Reiter genügten, um es auf dem Schlachtfeld mit 100.000 Türken aufzunehmen,30 außerdem werde ein Bündnis mit dem Mamluken-Sultan von Ägypten einen Zweifrontenkrieg ermöglichen.31 Der Vorstoß Karls VIII. von Frankreich nach Neapel im Jahr 1494 veränderte jedoch die Prioritäten.32 Der französische König, der seinen Zug nach Neapel
25 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 332. 26 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 149, 158, 167, 175, 176, 236, 237, 318, 332, 337, 359, 369, 433, 435, 446, 479, 484. 27 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 141, 237. 28 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 2854, 2856, 2914, 2919; vgl. dazu auch 1/1, Nr. 142 und 1/2, Nr. 2888. 29 In Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 318 ist von einer Seekarte die Rede, in Nr. 359 anscheinend von einer Landkarte. Laut Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/1, Nr. 15862 legte der königliche Kabinettsekretär Matthäus Lang 1502 einen Plan des gesamten Donauraumes von Deutschland bis Konstantinopel samt allen Häfen von der Adria bis zu den Dardanellen und eines Großteils von Anatolien vor, den Maximilian hatte zeichnen lassen. 30 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 318, 359. Björn Reich ist für den Hinweis in der Diskussion zu danken, dass Maximilian sich mit den 12 Reitern, die gegen 100.000 Türken genügten, auf eine Stelle in Wolfdietrich 4 bezieht, also eines seiner geliebten Heldenepen zitiert. 31 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 571. 32 Dazu Manfred Hollegger: Die Grundlinien der Außenpolitik Maximilians I. und der Wormser Reichstag von 1495, in: 1495 – Kaiser, Reich, Reformen: Der Reichstag zu Worms, Katalog zur Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt
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„natürlich“ auch damit begründete, sich eine Basis für einen Kreuzzug verschaffen zu müssen, hatte sich nämlich weder von Maximilian noch von Papst Alexander VI. davon abbringen lassen, nach Italien zu ziehen.33 Dass Karl VIII. in Neapel bald Münzen mit der Umschrift „Carolus Imperator“ prägte und sich von Andreas Paleologus die Anrechte auf das byzantinische Kaisertum übertragen ließ,34 alarmierte Maximilian nicht nur, sondern ließ ihn später behaupten, Frankreich habe ihm das gegen die Türken erhobene Schwert aus der Hand geschlagen. Tatsächlich war das Ausschreiben des Wormser Reichstages zunächst noch auf die Vorbereitung eines Türkenkrieges zugeschnitten gewesen, aber wegen der französischen Erfolge in Italien nun schon verknüpft mit einem vorausgehenden Romzug zur Kaiserkrönung.35 Auch der Traum des Hans von Hermannsgrün, eine politische Denk- und zugleich eine publizistische Agitationsschrift, die kurz vor Beginn des Wormser Reichstag von 1495 erschien,36 stellt nun als die zwei tödlichen Feinde des Reiches neben die Türken im Osten die Franzosen im Westen, was seitdem ständiges Axiom maximilianeischer Politik blieb. So wird nicht verwundern, dass auch bei den folgenden Reichstagen bis 1507 die Türkenfrage immer wieder ins Spiel gebracht wurde, wenn Maximilian ein Argument für eine Geldhilfe brauchte, das niemand offen ablehnen konnte. So etwa schon auf dem Freiburger Reichstag 1498, als nach dem Friedensschluss Erzherzog Philipps mit Frankreich unter dem Titel der französischen Bedrohung kein Geld mehr zu erhoffen war. Sofort mussten wieder die „Türken“ herhalten, und Maximilian ließ die polnischen und ungarischen Gesandten sowie Graf Nikolaus Frangepan von Kroatien mit Hilfsbitte gegen die Osmanen vor dem Reichstag auftreten.37 Der Reichstag von Worms-Köln 1498/99 war überhaupt als gesamtchristlicher Türkenreichstag ausgeschrieben,38 auf demjenigen von Augsburg 1500 wieder der Kampf gegen Franzosen und Türken miteinander verknüpft,39 in Köln 1505 ein Kreuzzug zu gegebener Zeit angekündigt40 und selbst noch auf dem Konstanzer Reichstag 1507, am Vorabend des großen europäischen Krieges um Italien (1508–1516),41 wurde auf das Motiv des gottge-
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Worms (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Katalogreihe), hg. v. der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Koblenz 1995, S. 39–55, hier S. 40f. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 446 und 1/2, Nr. 2906, 2951, 2954, 2955, 2966, 2974. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 3126 und Hollegger (s. Anm. 31), S. 41 und S. 49f., Anm. 56. Hollegger (s. Anm. 31), S. 42. Hollegger (s. Anm. 6), S. 233 sowie Hollegger (s. Anm. 31), S. 43. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 2/1, Nr. 6402–6405, 6412 und Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 2, S. 294, 297ff. Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 2, S. 301ff. Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 2, S. 364ff., 369, 374. Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 3, S. 217. Zum sogenannten Venezianerkrieg Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 4, S. 1–153, 233–258.
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wollten Kreuzzuges gegen die Ungläubigen im Anschluss an die Kaiserkrönung nicht verzichtet,42 wenngleich der König von Frankreich als Konkurrent um die Vorherrschaft in Italien und die Kaiserkrone den Hauptfeind abgab. Aus der Zeit des Wormser Reichstages stammt auch das als Titel für diesen Vortrag gewählte Zitat, nämlich aus einem Schreiben Maximilians an Erzherzog Sigmund von Tirol,43 er wolle den Reichstag abkürzen und in das Gebirge zu den wilden Gemsen verlegen, damit das Kriegsgeschrei den Türken und anderen bösen Christen44 in den Ohren widerhalle. Um gegen die „bösen Christen“, nämlich die Franzosen und ihre Parteigänger, in Italien freie Hand zu haben, riet der in seinen politischen Mitteln ganz im Sinne Machiavellis skrupellose Mailänder Herzog Ludovico Sforza zu einem Waffenstillstand mit der Hohen Pforte,45 eine Linie, auf die Maximilian ab 1495 tatsächlich einschwenkte.46
2.
Zur zweiten Phase
Aus dem zehnjährigen Waffenstillstandsangebot, das Sultan Bajezid II. im Frühjahr 1495 König Wladislaw II. von Ungarn machte und das mit einer Beitrittsoption auch an Maximilian weitergeleitet wurde47, ließ sich nämlich schließen, dass sich der Sultan nicht mit aller Macht gegen Europa wenden konnte. Auf seinem erfolglosen Italienzug 1496 nahm Maximilian über Vermittlung Herzog Ludovico Sforzas im September 1496 in Vigevano erste Kontakte mit dem türkischen Gesandten Andreas Graecus Pontcaracce auf,48 der
42 Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 3, S. 358f., 375f. 43 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 1383. 44 Ein besonders gutes Beispiel in Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 2/1, Nr. 5109. Neben Frankreich und seinen italienischen Verbündeten konnten sogar die Eidgenossen zu „Türken“ werden, wie der kurbrandenburgische Gesandte Eitelwolf von Stein 1507 berichtet: Wenn die Eidgenossen nicht die Partei des Reiches nehmen, ist man entschlossen, den krieg gegen inen fürzunemen und sie für unser Thürcken zu halten (vgl. dazu das entsprechende Regest im kommenden Band 5/1 der Maximilian-Regesten unter 1507 Mai 6 Konstanz). 45 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 2972; dazu auch Hollegger (s. Anm. 31), S. 40f. und Anm. 41 (dort weitere Literatur). 46 Schon 1493 behauptete Kardinal Raimund Peraudi, dass das Osmanische Reich am Hof Maximilians nicht nur Spione, sondern auch Parteigänger besitze; vgl. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 236. 47 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 3336, 3353, Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 2, S. 153, 155, 165 und Johann Gröblacher : König Maximilians I. erste Gesandtschaft zum Sultan Baijezid II., in: Festschrift Hermann Wiesflecker zum 60. Geburtstag, hg. v. Alexander Novotny und Othmar Pickl, Graz 1973, S. 73–80, hier 73ff. 48 Dazu und zum folgenden Gröblacher (s. Anm. 46), S. 74–80. Die von Gröblacher verwendeten Dokumente sind inzwischen in Regestenform ediert und lassen sich über das bei Gröblacher stets angegebene Kopfdatum in den Maximilian-Regesten leicht finden, so dass
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1497 mit dem Angebot eines Freundschaftsbündnisses (bona amicitia et liga) von Bajezid II. in Stams in Tirol erschien, worauf Maximilian seinerseits Hans von Thurn und Francesco Bonomo als Gesandte nach Konstantinopel schickte. Wie ernst Maximilian den „vermessenen Streit“, den er Bajezid II. anbot, also einen Zweikampf im alten gerichtlichen Sinn eines Gottesurteils, tatsächlich meinte, ist nicht eindeutig zu beantworten, aber dahinter steckt wohl die Idee, damit als Oberhaupt der Christenheit das Gesicht zu wahren. Ergebnis der diplomatischen Verhandlungen war jedenfalls ein einjähriger Waffenstillstand bis August 1499, der dann offensichtlich für drei weitere Jahre verlängert wurde. Daher sah Maximilian dem venezianisch-türkischen Krieg von 1499–1503 tatenlos zu; nur Papst Alexander VI. und König Ferdinand von Aragon ab 1501 sowie König Wladislaw II. von Ungarn mit päpstlichen Subsidien ab 1502 unterstützten Venedig.49 Dieser Krieg machte es der Markusrepublik unmöglich, nach dem Tod des letzten Grafen von Görz etwas gegen die blitzartige Besetzung der Grafschaft durch Maximilian zu unternehmen. Wohl um in dieser bedrohlichen Situation den von den venezianischen Gesandten als unberechenbar und gefährlich eingeschätzten Römischen König nicht zusätzlich zu reizen, wurde 1500 in Venedig ausdrücklich verboten, zu behaupten, jemand habe die Türken gegen Venedig gehetzt, obwohl man dort tatsächlich schon im August 1499 vom Erzbischof von Lepanto vor einer Absprache zwischen Maximilian, Herzog Ludovico Sforza von Mailand und König Federico von Neapel50 mit Sultan Bajezid gewarnt worden war. Die ganze Tragweite erfuhr man allerdings erst im November 1501, als der venezianische Gesandte Zaccaria Contarini die Kapitel dieser Absprache berichtete,51 die ihm Kardinallegat Raimund Peraudi im Ärger über Maximilian eröffnet hatte: Ziel der Absprache sei die Aufteilung der italienischen Besitzungen Venedigs zwischen Maximilian, Mailand und Neapel gewesen, wobei der Sultan für seinen Angriff auf Venedig alle Eroberungen über Dalmatien hinaus behalten dürfen sollte. Als Contarini die Beteiligung Maximilians bezweifelte, weil die Türken 1499 in Friaul doch auch 4.000 von dessen Untertanen in die Sklaverei verschleppt hätten, erwiderte der Kardinallegat, Maximilian habe damals gesagt, das sei ein Versehen gewesen, für das sich die Türken mehrmals entschuldigt hätten.52 Tatsächlich hatte Maximilian den Wo-
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hier nur auf die wichtigsten Stücke verwiesen wird, nämlich Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 2/1, Nr. 4914, 5109 sowie 2/2, Nr. 8671. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/2, Nr. 20625 (zeitgenössische Darstellung des Sigismondo dei Conti). Hammer (s. Anm. 8), S. 649 führt zusätzlich noch Florenz an und spricht auch von einer Zustimmung des Papstes. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/1, Nr. 12671. Gemeint ist der Raubzug gegen Pordenone; vgl. dazu Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/2, Nr. 13783, 13795, 13796, 13806a und 4/1, Nr. 16357. Angeblich schrieb der Sultan an
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iwoden der Moldau, Stefan den Großen (S¸tefan cel Mare), gebeten, er möge auskundschaften, ob die Türken einen längeren Krieg oder nur einen Streifzug gegen Venedig unternehmen und ob sie dabei den Waffenstillstand mit Maximilian einhalten wollen.53 Gedacht war das alles wohl, um Venedig vor Augen zu führen, womit Maximilian der Markusrepublik schon 1494 gedroht hatte, nämlich dass er jederzeit zu ihrem Nachteil mit den Türken Frieden schließen könne54 und sich zurückziehen werde, wenn sie Venedig angriffen.55 Nun handelte er auch entsprechend, um Venedig unter Druck zu setzten, damit die Signorie ihr 1499 geschlossenes Bündnis mit Frankreich wieder aufgibt und in sein Lager zurückkehrt. Zeitgleich mit den diplomatischen Verhandlungen mit der Hohen Pforte liefen auch Verhandlungen mit dem Woiwoden der Moldau, Stefan dem Großen.56 Ein Anonymus weiß sogar von einer Verschwörung der beiden zum Schaden König Wladislaws von Ungarn und König Johann Albrechts von Polen, einem Gegner des Woiwoden,57 zu berichten.58 Als Beleg fügt der anonyme Schreiber, der aus dem Umfeld von Thomas Bakjcz, Erzbischof von Gran (Esztergom) stammt, seinem Text ein undatiertes Schreiben des Woiwoden an Maximilian und dessen darauf folgende, ebenfalls undatierte Instruktion ein. Weil beide inserierten lateinischen Texte sehr interessant sind und bisher unbekannt waren, sollen sie hier in Übersetzung bzw. Paraphrase wiedergegeben werden: Durchlauchtigster König, Woiwode Stefan zeigt eurer Majestät an, dass es keinen geeigneteren Moment für die Inbesitznahme des Königreichs Ungarn gibt als jetzt, weshalb seine Majestät [im folgenden aufgelöst mit Maximilian] rasch handeln möge. Den König von Polen fürchte ich [Woiwode Stefan] nicht, da ich ausreichende Unterstützung des Sultans (a Cesare Turco) habe. Die Könige (von Ungarn und Polen) werden sich gegenseitig nicht zu Hilfe kommen, weil sie sich nicht gut verstehen. Vom König von Ungarn halte ich [Woiwode Stefan] nicht viel, weil ihn die Ungarn nicht schätzen: freilich ist es nötig, einen gewandten Mann zu Verhandlungen nach Ungarn zu schi-
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Maximilian, dass sich sein Angriff nur gegen Venedig richte; vgl. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/2, Nr. 13783a. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/1, Nr. 9368. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 318. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/1, Nr. 433. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 2/1, Nr. 6001 und 3/1, Nr. 9368. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 8371, 2/1, Nr. 6404 und 2/2, Nr. 8506. Ioan-Aurel Pop und Alexandru Simon: Moldova s¸i cela˘lalt Imperiu: Preliminariile s¸i consecint¸ele conspirat¸iei lui Maximilian I de Habsburg s¸i S¸tefan cel Mare (1497) [Die Moldau und das andere Reich: Die Vorgeschichte und die Auswirkungen der Verschwörung Maximilians I. von Habsburg und Stefans des Großen (1497)], in: Vocat¸ia istoriei, Prinos profesorului [Festschrift für Professor] S¸erban Papacostea, hg. v. Ovidiu Cristea und Gheorghe Laza˘r, Bra˘ila 2008, S. 331–406; im Anhang edieren die Autoren den von ihnen im Slowakischen Nationalarchiv (Slovensky´ N#rodny Archiv) in Bratislava gefundenen lateinische Text des Anonymus.
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cken. Maximilian möge sich daher mit den auf der Hand liegenden Verhandlungen beeilen und dem Woiwoden sagen, was er tun soll. Da die zwischen ihnen hin und her gesandten Nuntien nicht so viele Schreiben überbringen können, ohne dass sie durcheinandergebracht und damit die Verhandlungen gestört würden, möge auch über Leute in Ungarn, denen Maximilian vertraut und die das mehr und mehr lockt, zusammengearbeitet werden. Maximilian möge den Woiwoden bei ihnen beglaubigen, damit sie auf diese Weise die Sache vertraulich behandeln können, zugleich jedoch weiter Nuntien schicken, die aber nicht mit einer Geleitmannschaft, sondern mit wenigen Begleitern reisen sollen. Weil der Woiwode öfters einen Arzt brauche, war es optimal, dass Maximilian den Branca sandte, denn unter diesem Anstrich können sie alle ihre Verhandlungen führen, so dass keiner ihrer Feinde von den Verträgen etwas merken wird.
In Reaktion darauf lässt Maximilian in seiner Instruktion zunächst viele Grüße an den Woiwoden ausrichten und dankt Gott für dessen Sieg über den König von Polen, um dann sofort zum Kern zu kommen: Der Woiwode möge in seinen Bemühungen gegen den König von Polen im engsten Einvernehmen sowohl mit den Tataren als auch mit den Türken und deren Sultan fortfahren, soweit dies das Pflichtgefühl gegenüber der Christenheit zulässt. Er soll im Einvernehmen mit den Türken bleiben, bis Maximilian seine Angelegenheiten geordnet hat und über Österreich zurückkehrt. Weiters soll er mit jenen, die er kennt und die ihm mit Namen schon bestimmt sind, Obsorge haben, dass es zwischen König Wladislaw von Ungarn und König Johann Albrecht von Polen zu keinerlei Union oder Eintracht kommt, wie das einige Prälaten in Ungarn betreiben, während andere dagegen sind, weil sie wissen, dass dies für den Palatin, den Bischof von Eger [Ippolito d’Este], den Bischof von Pecs [Sigismund Ernst de Cs#ktornyai], den Herzog Lorenz [Uljaki], den Herzog [Johannes] Corvinus und den Woiwoden von Siebenbürgen [Bartholomäus Dragfy] den Untergang bedeuten würde. Deshalb schwor der Bischof von Eger, als er mit Nikolaus B#nffy bei Maximilian in Wien war, auf das heilige Sakrament, Maximilian könne sich ihrer Treue sicher sein. Alle genannten, vor allem der Bischof von Eger und der Woiwode von Siebenbürgen, sollen in die Verhandlungen und Planungen einbezogen werden. Die Ungarn werden einen Reichstag in Hathwan [?] abhalten, aber es wird, wie immer, alles auf später verschoben werden. In Ungarn fehlt es an Ordnung und es mangelt am jetzigen König. Hofleute und Militärs, die unter früheren Königen bestens versorgt und in Ehren gehalten wurden, müssen jetzt Hunger leiden, da sie weder Amt noch Ehren haben. Die Burgen sind verwahrlost und sehr schlecht versorgt, so dass die dortigen Besatzungen hungern. Maximilian hat bedeutende Abmachungen mit dem König von Ungarn, die auch bestens beeidet sind, so dass das Königreich Ungarn schließlich ihm gehören wird. Aber öffentlich brechen kann er seinen Ausgleich mit dem ungarischen König nicht, denn ein solcher Treubruch ohne besonderen und nachvollziehbaren Grund wäre mit seiner Ehre unvereinbar. Aber wenn Maximilian eine besondere Gefahr für das Königreich Ungarn sieht und es evident ist, dass es sich um eine Gefahr nicht nur für Ungarn, sondern auch für Maximilian und die ganze Christenheit handelt, würde es notwendig, dass er Sorge trägt, das Königreich Ungarn zu erhalten und aus dieser Gefahr zu retten, besonders dann, wenn
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öffentlich würde, dass der König von Ungarn nicht einhielt und einhält, was er den Magnaten und allen Ungarn versprochen hat, nämlich sie, wie es ihm gebührt, zu verteidigen, weshalb die Ungarn nicht länger verpflichtet seien, ihn als ihren Herrn zu behalten. Deswegen sollen sie [Maximilians Parteigänger] in diesem Sinn daran zu arbeiten beginnen und untereinander völlige Einigkeit herstellen, damit zwischen ihnen Treu und Glauben herrscht. Sollte es zwischen den beiden Brüdern, den Königen von Ungarn und Polen, zu Ausgleichs- und Bündnisverhandlungen kommen, sollen sie sich bemühen, diese so zu stören, dass es zu keinem Pakt kommt, denn sonst könnten beide Könige ihre Hilfsmittel zusammenlegen, die Türken von ihren Grenzen vertreiben und beim Angriff auf sie zusammenarbeiten. Von der Türkengefahr befreit, könnten die Könige nämlich gegen einen nach dem anderen von ihnen vorgehen, bis sie alle beseitigt hätten. Daher soll der Woiwode den Königen nicht trauen, sondern sofort Maximilian benachrichtigen, wenn sie ihre Angelegenheiten gemeinsam zu betreiben beginnen; Maximilian wird ihm dann sofort mit allen seinen Kräften zu Hilfe eilen und alle seine anderen Angelegenheiten aufschieben, um seinem Königreich Ungarn zu Hilfe zu kommen. Inzwischen sollen der Woiwode und alle vorgenannten ungarischen Herrn, die Maximilians geheime Mitwisser sind, gemeinsam nach Kräften so viele Parteigänger wie möglich in den ungarischen Komitaten für sich zu gewinnen versuchen, dabei jedoch sehr klug, vorsichtig und mit höchster Geheimhaltung agieren. Damit sie der Anhängerschaft in den Komitaten sicher sein können, schicke Maximilian einen Gesandten an den Sultan [Cesarem Turcorum], um für eine gewisse Zeit Waffenstillstand zu schließen, damit ihm nicht während der Durchführung dieser Angelegenheiten das Hindernis der Türken entgegensteht. Ein von den Venezianern geführter Gesandter des Sultans war bereits bei Maximilian. Auch der Woiwode soll einen Gesandten zum Sultan schicken. Weil Maximilian den Woiwoden jetzt in der Gunst des Sultans weiß, kann er durch dessen Mithilfe erreichen, dass der Sultan Waffenstillstand schließt, so dass Maximilian sich bis zur Beendigung der jetzigen Vorhabens keine Sorgen vor einem Einfall oder Angriff der Türken zu machen braucht und seine Pläne um so leichter umsetzen kann. Ebenso seine anderen Sachen, die er zur Zeit betreibt, damit er sich nicht im Netz anderer Aufgaben verfängt, während er diese vollbringt. Maximilian verhandelt nämlich mit den Kurfürsten, damit demnächst sein Romzug stattfinden kann. Er wird den Woiwoden informieren, wann der Romzug stattfindet, damit es der Woiwode nicht verabsäumt, seine Gesandten und Männer nach Rom zur Krönung des Römischen Königs [zum Kaiser] zu schicken. Man kann sich, da demnächst Maximilians Romzug durchgeführt werden muss, mit den Kurfürsten darauf einigen, die Rüstungen dafür bis zum kommenden Reichstag in Freiburg aufzuschieben, um dort alles mit den Kurfürsten und Fürsten zu besprechen und in die Wege zu leiten, so dass sie Maximilian bei der Durchführung voll unterstützen. Er wird allen Fleiß aufwenden, alles vorzubereiten, indem er sich mit ihnen völlig einigt und alle Meinungsverschiedenheiten im Reich ordnet. Des weiteren hat er gewisse sehr schwierige Sachen mit dem König [von Frankreich] zu ordnen, die nach Ende des Reichstags erledigt oder zumindest gut eingegrenzt sein werden. Diese notwendigen Regelungen hindern Maximilian derzeit daran, in Ungarn einzugreifen, aber danach wird er sich Ungarn widmen und alles endgültig festsetzen. Aus den zwischenzeitlichen beiderseitigen Beratungen und Mitteilungen über viele Internuntien wird sich ergeben, wann dann der beste Zeitpunkt zum Handeln sein wird. Da der Woiwode nun Maxi-
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milians Absichten kennt, möge er inzwischen mit den anderen genannten [ungarischen Magnaten] für sich selbst, seinen Sohn und seine Erben und Nachfolger Sorge tragen, um die Gefahr von sich und seiner Herrschaft abzuwenden. Nun ist die Zeit, da er leicht aus allen Schwierigkeiten kommen und sich, seinem Reich und seinen Nachfolgern ewige Freiheit sowie ein ruhiges und sicheres Leben verschaffen kann. Der Woiwode und alle ungarischen Parteigänger Maximilians sollen dafür sorgen, dass im Königreich Ungarn niemand Subsidien [Steuern] leistet, so dass König Wladislaw, vom Hunger gezwungen, freiwillig das Königreich Ungarn verlässt; das beste wäre, wenn wir ihn als Hungerleider [famescentem] vertreiben könnten. Demnächst wird Maximilian zum Reichstag nach Freiburg ziehen, wo auch die Kurfürsten sein werden und der Reichs[erz]kanzler, der Maximilians großes doppeltes Majestätssiegel führt. Maximilian wird mit ihm, dem Kanzler, der ein besonderen Erzbischof des Reiches ist [Berthold von Henneberg, Erzbischof von Mainz und Kurfürst], handeln, dass unter Maximilians großem Majestätssiegel dem Woiwoden eine Urkunde ausgestellt wird, in der ihn Maximilian samt seinem Reich Moldau in seinen und seiner Erbländer Österreich und Steiermark besonderen Schutz und Schirm nimmt und erklärt, den Woiwoden und alle dessen Erben samt dem ganzen Fürstentum Moldawien gegen alle Angreifer zu verteidigen. Maximilian wird seine Gesandten, vor allem den Branca, beim Woiwoden haben, die ihm alles vortragen werden und mit denen er alles, was er will, besprechen und über sie dann wieder an Maximilian gelangen lassen kann.59
Dass Maximilian 1497 mit Stefan dem Großen diplomatische Kontakte hatte, steht zweifelsfrei fest.60 Ob diese beiden Texte tatsächlich echt sind, ließ sich zwar bisher nicht zweifelsfrei klären, aber selbst wenn der Anonymus hier etwas kompiliert haben sollte, um Maximilian und den Woiwoden bei der Signorie von Venedig, für die sein Bericht gedacht war, zu desavouieren, dürfte er sich doch nicht allzu weit vom Tatsächlichen bewegt haben.61 Zumindest die grobe Richtung könnte auf alle Fälle stimmen, denn als sich Anfang 1502 in den durch Petrus Martyr von Anghiera (Angleria) im Auftrag des Katholischen Königspaars Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien geführten Verhandlungen herausstellte, dass sich der Mamluken-Sultan Quansuh II. al-Ghuri (auch Kansuh-el-Ghury) nicht als Bündnispartner gewinnen ließ,62 scheint Maximilian auch gegenüber dem Osmanischen Reich auf den Gedanken eines Umsturzes der Bündnisse gekommen zu sein, wie er es gerade gegenüber Frankreich vollzog. Denn sollte nicht der Druck, den einerseits die Mamluken von Ägypten und anderseits der gerade 1502 in der Entscheidungsschlacht von Shurur in Persien 59 Vgl Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 1/2, Nr. 8371, 2/1, Nr. 6404 und 2/2, Nr. 8506. 60 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 2/1, Nr. 4914, 5150, 5151, 5158, 5205, 5235, 5356, 6539, 2/2, Nr. 8205, 3/1, Nr. 9368 (dort wird auch der Arzt Dr. Prancky erwähnt) und 4/1, Nr. 15943. 61 Dies zeigt die auf viele Quellen und die einschlägige Literatur gestützte Untersuchung zur Vorgeschichte und den Auswirkungen dieser „Verschwörung“ durch Ioan-Aurel Pop und Alexandru Simon (s. Anm. 57). 62 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/2, Nr. 15645.
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an die Macht gekommene Ismail-al-Safi, Begründer der Safawiden-Dynastie, auf das Osmanische Reich ausübten,63 Bajezid II. noch verhandlungsbereiter machen und Maximilian die Option eines Bündnisses mit ihm bieten? Oder bot sich hier nicht sogar eine doppelte Option? Folgerichtig drohte Maximilian 1502 gegenüber Frankreich, sich mit dem Sultan zu verbünden und diesem Italien als Beute zu überlassen, wenn es mit Frankreich zu keiner Verständigung komme.64 Dass Maximilian zugleich als eine seiner Forderungen diejenige nach einer französischen Flotte für einen Türkenkrieg aufstellte, zeigt, dass auch gegenüber dem Sultan Gültigkeit haben sollte, was in der europäischen Politik damals gang und gäbe war, nämlich dass man Verträge bereits wieder brach, ehe die Tinte noch trocken war,65 wenn es opportun erschien. Trotzdem stellt das Bündnisangebot Maximilians an Sultan Bajezid II. im September 1504 die Spitze der beiderseitigen Annäherung dar, falls die einzige Quelle dazu, nämlich die Zimmersche Chronik, tatsächlich verlässlich ist, die sich auf ein eingesehenes Original einer lateinischen Instruktion für Galeazzo Maria Sforza, Graf von Melzo, und Hans von Königsegg beruft:66 Die Gesandten sollen dem Sultan sagen, dass Maximilian als Römischer Kaiser (!) für das Reich, für seine Erbländer und für die Grenzgebiete dem zwischen Ungarn-Böhmen und dem Osmanischen Reich abgeschlossenen siebenjährigen Waffenstillstand beigetreten ist, dem Sultan Maximilians Ratifikationsurkunde aushändigen und diesen auffordern, ihnen seine eigene Ratifikation mit dem Versprechen zu übergeben, den Waffenstillstand auch durch seine lokalen Paschas und Beys der Grenztruppen einhalten zu lassen. Maximilian wurde berichtet, dass Bajezid mit dem Sultan von Babylon und Ägypten in dauerndem Krieg steht. Da Maximilian nun im Reich Frieden macht und mit den meisten christlichen Königen und Mächten verbündet ist, kann er Bajezid seine Hilfe gegen den Sultan von Babylon und Ägypten anbieten; um die Bedingungen eines Bündnisses auszuhandeln, möge Bajezid eine Sondergesandtschaft zu Maximilian schicken. Durch den neuen Schifffahrtsweg (um das Kap der Guten Hoffnung) hat der König von Portugal dem Sultan von Babylon und Ägypten den größeren Teil der Einnahmen aus dem indischen Gewürzhandel entzogen. Wenn sich Bajezid mit Maximilian und dem König von 63 Wie aufmerksam auch die Entwicklung in Persien verfolgt wurde, zeigen die Nennungen des „Sofi“/„Sophi“ in den Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/2, Nr. 15641, 15645, 16725 und 4/2, Nr. 19614–19616, 19636, 20670. 64 Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/1, Nr. 19620. 65 Hammer (s. Anm. 8), S. 649 und seine Quellen gehen davon auch bei Bajezid II. aus, indem sie die Ausstellung eines Friedensvertrages in Latein als absichtlichen Formfehler werten. 66 Zum Verlauf ihrer Mission Johann Gröblacher : König Maximilians I. zweite Gesandtschaft zu Sultan Bayezid II. (1504/1505), in: Domus Austriae. Eine Festgabe Hermann Wiesflecker zum 70. Geburtstag, hg. v. Walter Höflechner, Helmut Jodok Mezler-Andelberg und Othmar Pickl, Graz 1983, S. 159–169; vorliegende Instruktion dort S. 160f. und Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/1, Nr. 19143.
Maximilians I. Rom- und Kreuzzugspläne
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Portugal verständigt, wollen diese ihm die Gewürze billiger als der Sultan von Babylon und Ägypten und als die Venezianer liefern. Abschließend sollen die Gesandten mitteilen, dass Maximilian und der König von Frankreich nach langen Kriegen gegeneinander nun einen ewigen Frieden geschlossen und diesen durch eine Heiratsvereinbarung zwischen seinem Enkel Karl von Österreich und der Tochter des französischen Königs, Claudia von Frankreich, abgesichert haben. Diese Mitteilung lasse Maximilian machen, damit Bajezid weiß, dass er ihm umso besser gegen den Sultan von Babylon und Ägypten Hilfe leisten kann. Bajezids Reaktion auf dieses Bündnisangebot ist bis heute unbekannt. Den Grund für das Fehlen eines derartigen Dokuments könnte ebenfalls die Zimmersche Chronik liefern, derzufolge die Verhandlungen Kaiser Friedrichs III. bzw. Maximilians I. mit Bajezid II. sehr heimlich geführt worden seien, so dass nur wenige Räte an beiden Höfen davon gewusst hätten. Nach dem Tod Maximilians habe man einige eselstruchen67 gefunden, die er sich immer nachführen ließ und deren Inhalt er stets geheimhielt. König Ferdinand I. habe diese Truhen öffnen lassen und es hätten sich alte Schriften betreffend die türkische Heirat (von Maximilians Schwester Kunigunde?) gefunden. Nachdem Ferdinand darüber berichtet worden war, habe er all diese Schriften verbrennen lassen. Vor diesem Hintergrund wird man vermutlich nicht weit fehlgehen, wenn man die Kreuzzugsproganda, die Maximilian mit Hilfe Kardinal Peraudis ab 1501 entfachte68 und bei der man alles einsetzte, was sich nur als Wunderzeichen und Plagen69 im Sinne göttlicher Mahnungen zum Kreuzzug dafür eignete,70 zuvorderst als Versuch betrachtet, über Ablass und Kreuzzugszehent die leeren königlichen Kassen zu füllen. Immerhin erwartete man sich aus den Spenden der Gläubigen rund 300.000 Gulden, also annähernd die gleiche Summe, wie die Jahreseinnahmen aus dem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt der österreichischen Länder71 oder seinerzeit aus dem Gemeinen Pfennig.72 Auch wenn Peraudi 1501 gegenüber dem Nürnberger Reichsregiment das Schre67 Zu diesen Truhen vgl. Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 4, S. 421. 68 Dazu und zum folgenden Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 3, S. 39–58. 69 Das Land- oder Gottesplagenbild, ein heute stark verwittertes Fresko an der Südseite des Grazer Domes, mit den drei Plagen Heuschrecken, Türken und Pest, hat Maximilian sicher gekannt. Ein späteres Gemälde, das den ursprünglichen Zustand rekonstruiert, war bis vor einiger Zeit im Grazer Stadtmuseum ausgestellt, wurde inzwischen aber abgehängt, weil es beim Besuch von Schulklassen mit türkischstämmigen Kindern immer wieder zu Diskussionen kam. 70 Hollegger (s. Anm. 6), S. 234. 71 Er ergibt sich aus den Verträgen mit Sigmund Gossembrot und Heinrich Wolf von Wolfstal; vgl. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/1, Nr. 12393 und 4/1, Nr. 15842, 16073. 72 Peter Schmid: Der Gemeine Pfennig von 1495, Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische und finanzielle Bedeutung, (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 34), Göttingen 1989, S. 192f.; zum tatsächlichen Ertrag S. 564f.
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ckensszenario des Veit von Wolkenstein von 1493 ganz ähnliche wiederholt, nämlich dass die Türken über Ungarn und Österreich bis nach Bayern vorstoßen, die Donau überschreiten und Nürnberg erobern könnten,73 war er vermutlich der Einzige, der das glaubte. Maximilian jedenfalls glaubte seine Länder durch hohe Berge geschützt, und die Türken würden auch deshalb mit keinem großen Heer angreifen können, weil es weithin an Lebensmitteln mangle. Die Erwiderung des venezianischen Gesandten Contarini, die Türken seien sehr wohl über die Berge nach Friaul eingefallen und hätten dort die Lebensmittel gefunden, die sie brauchten, ließ Maximilian nicht gelten, denn es seinen nicht mehr als 5.000 Türken gewesen, von denen keiner zurückgekehrt wäre, wenn die Venezianer tüchtige Männer gewesen wären.74 Trotzdem hielt Maximilian nach außen nicht nur im Reich, sondern z. B. auch gegenüber England75 natürlich daran fest, dass er gegen den „Großtürken“ Krieg führen müsse. Insgeheim aber fügte er hinzu, wenn er von den vier Teufeln seines Lebens – Franzosen, Venezianer, Türken und Eidgenossen – sprach: aber die Türken halten wenigstens die Verträge.76
3.
Zur dritten Phase
Die letzte große propagandistische Anstrengung Maximilians war das Antwortschreiben auf die Türkenzugsvorschläge Papst Leos X. 1517/18, dessen Titelholzschnitt den Kaiser mit der Reichsfahne gleichsam auch bildlich zum Kreuzzug auffordernd zeigt. Natürlich „musste“ auch dieser geplante Kreuzzug zunächst nach Rom zur Kaiserkrönung führen, was die Wahl Karls (V.) zum Römischen König noch zu Lebzeiten Maximilians I. insofern wesentlich erleichtert hätte, als das Gegenargument weggefallen wäre, es könne doch keine zwei Römischen Könige geben. Aber selbst ein weiterer öffentlicher Akt, die Übersendung des geweihten Schwertes und Hutes aus Rom, verfing auf dem Augsburger Reichstag 1518, auf dessen Hinterbühne es ja wesentlich um die Königswahl Karls (V.) ging, nicht mehr.77 Das Thema war propagandistisch zu sehr abgenutzt und die Waffe stumpf geworden, wie die Reaktion der Reichsstände auf die Kreuzzugswerbung des päpstlichen Legaten78 zeigt: zwar begrüße man den Plan eines allgemeinen Kreuzzuges mit grossem frolocken und biete Hilfe zum Vollzug dieses heilligen, loblichen, cristlichen und notdurfftigen wercks 73 74 75 76 77 78
Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 3/2, Nr. 15504. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/1, Nr. 15862. Regesta Imperii XIV (s. Anm. 1 und 2), 4/1, Nr. 20265a. Hollegger (s. Anm. 7), S. 267. Hollegger (s. Anm. 6), S. 234. Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 4, S. 394ff.
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an, doch zuvor sei die Behebung der Gravamina der deutschen Nation unabdingbar, damit man diese Hilfe auch leisten könne.79
4.
Zusammenfassung
Dass ein Kreuzzug zu den lebenslangen politischen Leitideen Maximilians I. zählte,80 ist unbestritten, die Echtheit dieses Anliegens jenseits von Propaganda und Selbstdarstellung sowie als Mittel zur Geldbeschaffung jedoch diskutabel. Ein Vergleich der in Reichstagsausschreiben und -propositionen entworfenen Katastrophenszenarien – vom Vordringen der Türken an den Rhein bis hin zu Gottesplagen – mit dem späteren Verhandlungsverlauf und den Beschlüssen selbst zeigt nämlich gerade bei Türkenpropaganda und Kreuzzugswerbung samt dem damit verknüpften Ablass ein augenscheinliches Missverhältnis zwischen dem vorgeblichen und dem wirklichen Zweck, denn ebenso wie die „Kreuzzüge“ der Könige von Frankreich und Spanien sollte auch jener Maximilians über Italien und Rom führen, zunächst also die „bösen Christen“ botmäßig machen und ihm die Kaiserkrone bringen. Noch schärfere Konturen, auch als Immunisierungsstrategie, gewinnt die Instrumentalisierung von Türkengefahr und Kreuzzug aus dem Blickwinkel der diplomatischen Kontakte zur Hohen Pforte und verschiedener Gesandtenberichte, die nicht nur Maximilians tagespolitischen Pragmatismus im Umgang mit den „Feinden der Christenheit“ zeigen, sondern auch seine Einschätzung der Türkengefahr als lösbares lokales Problem – eine Fehleinschätzung, wie sich schon wenige Jahre nach des Kaisers Tod herausstellen sollte. Aus den Dokumenten ergibt sich also ein wesentlich differenzierteres Bild als das damals öffentlich propagierte und dann lange tradierte einfache schwarz-weiß Schema von Freund–Feind, Christen–Muslime, Gläubige–Ungläubige. Der zu allen Zeiten viel komplexeren politischen Wirklichkeit näher kommt wohl, dass mit dem Ausgreifen des Osmanischen Reiches nach Europa ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur ein Feind und Machtkonkurrent, sondern auch ein potentieller Bündnispartner als zusätzlicher „Player“ ins Spiel kam, um diesen Modeausdruck zu bemühen. Dass dann eine 300-jährige Konfrontation zwischen der habsburgischen Donaumonarchie und dem Osmanischen Reich folgte, hat vielschichtige Ursachen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Während der Regierungszeit Maximilians I. aber war diese Konfrontation noch nicht so absolut, jedenfalls nicht hinter der öffentlichen politischen Bühne, wo deutlich Versuche eines friedlichen Interes79 Ulrich Köpf (Hg.): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Band 3: Reformationszeit 1495–1555, Stuttgart 2001, S. 52–57 und Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 4, S. 397f. 80 Wiesflecker (s. Anm. 5), Band 5, S. 642.
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senausgleichs bis hin zu geheimen Bündnissen festzustellen sind. Auch in diesem Zusammenhang bestätigt sich also, dass Maximilian I. bei allen Übertreibungen und Übersteigerungen auch „Züge eines genialen Realpolitikers besaß“ und über einen „bereits von einem Schuss Machiavellismus durchsetzten politischen Pragmatismus“ verfügte.81
81 Paul-Joachim Heinig, Maximilian I. und die Frauen. In den Fängen der dynastischen Politik, in: Kaiser Maximilian I. Bewahrer und Reformer (Katalog der gleichnamigen Ausstellung der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung in Wetzlar), hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein 2002, S. 69–81, hier S. 75.
Malte Prietzel
„Letzter Ritter“ und „Vater der Landsknechte“. Fürstliche Gewaltausübung als Praxis und Inszenierung
Immer wieder präsentierte sich Kaiser Maximilian I. seiner Mitwelt nachdrücklich und effektvoll als adliger Mann, der Waffen führte und Gewalt ausübte: als Zweikämpfer, als Soldat, als Feldherr.1 Auch in seinem „Ruhmeswerk“ nahm dieser Aspekt einen unübersehbaren Platz ein.2 Begreiflicherweise haben diese Bemühungen auch im Maximilian-Bild späterer Zeiten einen deutlichen Niederschlag gefunden. Noch heute wird dieser Sachverhalt oft durch die Schlagworte vom „Letzten Ritter“ und „Vater der Landsknechte“ umrissen.3 Dabei spielt das erstgenannte Epitheton, das tatsächlich erst von 1830 stammt, auf die traditionelle, wenn nicht rückwärts gewandte Seite seines Wirkens an, ja sogar auf bloßes Theater, nämlich auf die Wertschätzung des Rittertums, das sich scheinbar schon längst überlebt hatte. 1 Hierzu grundlegend: Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., München 1975–1986, hier vor allem Bd. 5, S. 391–393, 501–562. Zu Maximilians Leben insgesamt auch die neueste, solide Biografie: Manfred Hollegger : Maximilian I. Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005. Zur demonstrativen Gewaltausübung von Herrschern zählt selbstredend auch die Jagd auf unterschiedlichste Arten von Tieren. Hierzu in Bezug auf Maximilian zuletzt: Martina Giese: Über die Gamsjagd im 13. bis 18. Jahrhundert, insbesondere unter Kaiser Maximilian I., in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 117 (2009), S. 51–73, bes. S. 63f. zur Selbstinszenierung Maximilians als Jäger. 2 Zum Ruhmeswerk vor allem: Jan-Dirk Müller : Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2), München 1982, sowie der Beitrag von Elke Werner in diesem Band. Zur Darstellung von Turnieren im Ruhmeswerk und in Kunstwerken aus Maximilians Umkreis: Larry Silver : Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor, Princeton 2008, S. 147–168 (Kap. 5). Weitgehend derselbe Text: ders.: Shining Armor. Emperor Maximilian, Chivalry and War, in: Artful Armies, Beautiful Battles. Art and Warfare in Early Modern Europe (History of Warfare 9), hg. v. Pia F. Cuneo, Leiden 2006, S. 61–85. Silver vereinfacht jedoch zu sehr den Zusammenhang zwischen Turnier und Kriegführung und berücksichtigt vor allem zu wenig die ideologische und sozial-kulturelle Bedeutung des Turniers. 3 Zum Schlagwort „letzter Ritter“: Müller (wie Anm. 2), S. 11f.; vgl. Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Enzyklopädie deutscher Geschichte 32), München 2 1999 [1994], S. 108f. und, S. 108–112, zu Maximilians Hang zur ritterlichen Kultur.
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Das letztgenannte, zeitgenössische Schlagwort aber soll sich auf die innovativen, fortschrittlichen, rationalen Aspekte seiner Taten beziehen, nämlich auf den Heerführer, der die Infanterie förderte, sich für Artillerie auch unter technischen Gesichtspunkten interessierte und die militärischen Strukturen des Reichs und der Erblande zu modernisieren versuchte. Beide Schlagworte verdanken ihre Beliebtheit also dem Umstand, dass sie die vorgeprägten Meinungen der älteren Forschung eindrucksvoll illustrieren. Maximilian erscheint dank ihrer als Mensch in einer Zeitenwende.4 Für die Zeitgenossen aber müssen Maximilians Taten als Ritter und als Heerführer gleichermaßen sinnvoll gewesen sein. Außerdem müssen sie in einem plausiblen Bezug zur militärischen, sozialen und politischen Praxis gestanden haben. Wo aber lagen der faktische Nutzen und die propagandistische Wirkung der fürstlichen Gewaltausübung? In welchem Verhältnis standen dabei die Taten als solche zu ihrer Inszenierung?
1.
Maximilians Zweikampf gegen Vauldrey „Inmitten dieser frohen Ereignisse kam die Römische Kaiserliche Majestät mit Claude de Vauldrey überein, einen Kampf auszutragen.“5
Mit diesen Worten beginnt Ludwig von Eyb d. J. in seiner Biografie des Ritters Wilwolt von Schaumburg seine Erzählung über den Zweikampf König Maximilians I. gegen den burgundischen Adligen Claude de Vauldrey, der während des Reichstags von Worms 1495 stattfand. Es handelt sich um eine der be4 Typisch z. B.: „Man nennt ihn bekanntlich den ,letzten Ritter‘ und den ,Vater der Landsknechte‘, worin der tiefgreifende Wandel ausgedrückt wird, der sich im Kriegswesen seiner Zeit und unter seiner maßgebenden Mitwirkung vollzog.“ Wiesflecker (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 503. 5 „Under sölcher frolicheit vereinigt sich die romisch kuniklich. majestat mit Clau de Wadre, einen kampf zu tun.“ Ludwig von Eyb d. J. von Hartenstein: Die Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumburg, hg. v. Adelbert von Keller (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 50), Stuttgart 1859, S. 156–158; dieses Kapitel über den Zweikampf auch in: Deutsche Reichstagsakten, mittlere Reihe: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5: Reichstag von Worms 1495, bearb. v. Heinz Angermeier, 2 Tle., Göttingen 1981, hier Tl. 2, S. 1708–1711 (Nr. 1857). – Im Folgenden: RTA MR 5. – Zum Autor : Helgard Ulmschneider: Art. Ludwig von Eyb d. J. von Hartenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. und völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 5, Berlin/New York [1933] 1985, Sp. 1006–1015. Das Datum des Zweikampfs lässt sich nicht genau feststellen. Er fand jedenfalls in den letzten August- oder ersten Septembertagen 1495 statt. Thomas Zotz: Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichtswissenschaft 86), hg. v. Josef Fleckenstein, Göttingen 1985, S. 450–499, hier S. 459.
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rühmtesten Waffentaten des Herrschers. Dennoch hat sich die historische Forschung mit dem Ereignis bislang kaum näher beschäftigt,6 weil sie sich durch ihre Grundannahmen das Verständnis für viele Waffentaten Maximilians verstellte. Das Augenmerk galt der Politik, allenfalls noch den strategischen Aspekten der Kriegführung, während turnierähnliche Kämpfe bestenfalls als eine Art Kuriosum erwähnt wurden. Ganz typisch ist, wie der Herausgeber des entsprechenden Bandes der Deutschen Reichstagsakten mit dem Bericht Ludwigs von Eyb über den Zweikampf umging. Sein Interesse galt vor allem den politischen Verhandlungen und Entscheidungen im engeren Sinn. Obwohl Ludwigs Text zu diesen Aspekten traditioneller Politikgeschichte nichts beiträgt, wurde er immerhin aufgenommen, wenn auch offenbar nur der Vollständigkeit halber. Er findet sich ganz am Ende der Edition in einem Abschnitt mit dem Titel Verschiedene Berichte über Belehnungen und Turniere.7 Eine ähnliche Haltung gegenüber dem Ereignis verrät auch Wiesflecker in seiner monumentalen Maximilian-Biografie. In die Darstellung des politischen Geschehens in Worms fügt er recht unvermittelt drei Absätze ein. Der erste gilt den feierlichen Belehnungen, die auch Aufnahme in die Reichstagsakten gefunden haben. Sie erscheinen dem Autor nicht als wichtige Akte, sondern nur als inhaltsleeres Decorum. Darauf folgen zwei Absätze über den Zweikampf gegen Vauldrey. Sie beschränken sich auf eine geraffte Wiedergabe des Geschehens und stehen dem Zweck des Zweikampfs ratlos gegenüber.8 Ludwig von Eyb d. J. hingegen fand den Zweikampf überaus wichtig. Dies zeigt sich schon daran, dass er ihm ein eigenes Kapitel widmete – unter der Überschrift: „Wie Röm. Kgl. Mt. mit Cloi de Wadre zu Wurms in Frankreich [d. h. Franken] kempft.“ Hingegen sind für ihn die politischen Geschehnisse, die heutige Historiker mehr interessieren, weniger berichtenswert. Er beginnt das Kapitel mit kurzen, eher oberflächlichen Bemerkungen zur politischen Bedeutung des Wormser Tages.9 Mit der Absicht, einen Zug gegen die „unglaubigen“ 6 Der Zweikampf zwischen Maximilian und Vauldrey wird in der Forschung verschiedentlich erwähnt. Eingehend hat das Ereignis bislang nur Thomas Zotz analysiert. Er konzentriert sich dabei auf die Traditionen, in denen das Turnier steht, und auf die Verbindungen zwischen Turnier und Stadt. Zotz (wie Anm. 5), S. 458–462. Zu Maximilian als Turnierkämpfer : Paravicini (wie Anm. 3), S. 109; Wiesflecker (wie Anm. 1), S. 391–393. Zur Darstellung des Zweikampfs im Ruhmeswerk siehe Anm. 16. 7 RTA MR 5, Tl. 2, S. 1688–1712 (Nr. 1854–1858). 8 Wiesflecker (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 238. 9 Zum Reichstag von Worms 1495 zuletzt: Paul-Joachim Heinig: Der Wormser Reichstag von 1495 als Hoftag, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 337–357; Sabine Wefers: Der Wormser Tag von 1495 und die ältere Staatswerdung, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. v. Paul-Joachim Heinig u. a., Berlin 2000, S. 287–304; Claudia Helm (Bearb.): 1495 – Kaiser, Reich, Reformen. Der Reichstag zu
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(gemeint sind selbstredend die Türken) zu initiieren, habe Maximilian alle Kurfürsten, Grafen und anderen Stände des Reichs nach Worms geladen. Dort sei auch über die „ordnung des Reichs“, einen Landfrieden und den Gemeinen Pfennig verhandelt worden. Die Wertung dieser Ereignisse bleibt oberflächlich und sprachlich wenig präzise. Das Vorhaben sei kein Erfolg geworden, den niederen Ständen seien daraus Nachteile entstanden, andere hingegen hätten daraus Vorteile gezogen. Der Gemeine Pfennig sei erst auf dem Kölner Tag (1505) tatsächlich eingeführt worden; daher wolle der Autor darüber nicht mehr schreiben. Unmittelbar nach diesen knappen Worten zum allgemeinen Vorhaben wendet sich der Verfasser einem einzelnen Ereignis zu: „Aber auf denselben reichstag wart Gf. Eberhart von Wirtemberg erstlichen zu Hg. zu der Deck [Teck] und Wirtenberg gemacht.“ Diese Formulierung könnte Anlass zu der Vermutung bieten, dass der Verfasser die Rangerhöhung des Württembergers wegen ihrer politischen Wichtigkeit erwähnt. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn im nächsten Satz bezeichnet er den Vorgang, wie schon erwähnt, als „frolicheit“. Es geht ihm also um die Feierlichkeiten, welche die Rangerhöhung begleiteten, und die fröhliche Stimmung, die sie hervorrief. In Anschluss an diese knappe Bemerkung wendet sich von Eyb dem Zweikampf Maximilians gegen Claude de Vauldrey zu – und zwar in aller Ausführlichkeit. Sein Bericht darüber ist fast vier Mal so lang wie seine Worte über die politischen Ziele des Reichstags. Zunächst beschreibt er detailliert, wie der Schauplatz des Kampfes hergerichtet worden war. Zäune grenzten den eigentlichen Kampfplatz ab. Auf seinen beiden Seiten standen Tribünen, die für die Zuschauer bestimmt waren: die eine für die Königin, Maximilians Ehefrau Bianca Maria Sforza, ihr weibliches Gefolge und weitere Frauen, die andere für Graf Rudolf von Anhalt-Zerbst, Rat sowie Oberstallmeister des Königs, und die männlichen Adligen. Beide Tribünen waren mit golddurchwirkten Tüchern und Tapisserien behängt. In den Ecken des Kampfplatzes befanden sich zwei Zelte, die für die Vorbereitung der Kämpfer bestimmt und daher eigens mit einem Zaun umgeben waren. Anschließend erzählt der Autor von den Geschehnissen unmittelbar vor dem Kampf. Die Kontrahenten betraten ihre Zelte, die Königin und alle anderen Zuschauer nahmen ihre Plätze auf den Tribünen ein. Dann ritt ein Herold aus dem Zelt des Königs hervor und mahnte alle mit lauter Stimme, niemand dürfe die Kämpfer beeinflussen oder irritieren. Als Erster ritt Vauldrey aus seinem Zelt Worms. Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms zum 500jährigen Jubiläum des Wormser Reichstages 1495, Koblenz 1995. Zum Gemeinen Pfennig: Peter Schmid: Der Gemeine Pfennig von 1495. Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische und finanzielle Bedeutung (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 34), Göttingen 1989.
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hervor, im vollen Harnisch, die Lanze auf den Sattel gestützt. Ludwig von Eyb charakterisiert ihn an dieser Stelle kurz, aber sehr positiv als einen sehr gut aussehenden, starken Mann. Dann betrat Maximilian den Kampfplatz, ebenfalls im Harnisch und mit der Lanze. Sobald die Trompeter geblasen hatten, begann der Kampf mit den Lanzen. Als dieser kein Ergebnis brachte, setzten die beiden Kontrahenten ihre Auseinandersetzung mit dem Schwert fort. Maximilian gelang es schließlich, seinem Gegner die Waffe abzunehmen, worauf dieser sich ihm ergab. Daraufhin brach der Graf von Anhalt, der als Schiedsrichter amtierte, seinen Stab und seine Helfer auf dem Platz, die so genannten Grieswarte, trennten die Kämpfer. Nun folgte ein Schwertkampf zwischen zwei Gruppen von Fürsten, Grafen und Herren, die schon vor dem Zweikampf in voller Rüstung am Rand des Kampfplatzes aufmarschiert waren. Jetzt nahmen sie Aufstellung, eine Gruppe innerhalb, die andere außerhalb der Schranken, und drangen aufeinander ein. Dabei versuchten sie, die Schranken zu übersteigen. Der Kampf war so erbittert, dass viele Kontrahenten schließlich in einem Ringkampf auf dem Boden lagen. Der Kampf wurde abgebrochen. Danach geleitete die Königin mit ihren Damen Maximilian „mit großem Gepränge“ in seine Herberge. Ein großes Bankett wurde gehalten, im Anschluss fand ein Tanz statt, den König und Königin eröffneten. Den Kurfürsten, Fürsten und anderen wurde, jedem nach seinem Rang, Ehre erwiesen, insbesondere dadurch, dass sie mit der Königin tanzen durften. Auffallender Weise widmet Ludwig von Eyb d. J. nur ungefähr ein Zehntel seines Kapitels, das laut Überschrift doch dem Zweikampf zwischen Maximilian und Vauldrey gilt, der eigentlichen Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten. Außerdem schildert der Verfasser den Kampf in schmucklosen Worten und ohne jedes Bemühen, Spannung zu erzeugen. Weitaus wichtiger ist ihm alles, was um den Zweikampf herum geschieht. Seine Beschreibungen vermitteln den kundigen zeitgenössischen Lesern bewusst, wenn auch nicht immer explizit den Eindruck, dass alles so war, wie es sich bei einem solchen Anlass gehörte. Der Kampfplatz war vorbereitet worden, wie es üblich war. Grieswarte und ein Schiedsrichter sorgten dafür, dass der Kampf gemäß den gängigen Regeln durchgeführt wurde. Ein Herold verkündete dem Publikum Anweisungen für sein Verhalten während des Kampfs und verpflichtete es damit zur Beachtung der geltenden Normen. Die Zuschauer waren zahlreich und von hohem Rang, was dem Rang der Kämpfenden entsprach und zugleich die soziale Relevanz des Ereignisses unterstrich. Nach der Auseinandersetzung wurde Maximilian als Sieger geehrt, doch die Feiern am Abend galten sicherlich auch dem Unterlegenen, wie man aus Schilderungen anderer Zwei-
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kämpfe schließen muss.10 Denn Vauldrey hatte zwar nicht gewonnen, aber sich gemäß den üblichen Normen verhalten und damit deren Geltung sowie den Wertekatalog des Adels insgesamt bekräftigt. Doch das Fest erfüllte auch für die anderen Gäste, wohl hauptsächlich die ranghöheren Zuschauer des Zweikampfs, wichtige Funktionen. Wie beim Kampf, so belegten sie auch jetzt zum einen durch ihre Anwesenheit und ihren Rang die soziale Relevanz des Geschehnisses, zum anderen bestätigten sie sich selbst die Gültigkeit jenes Verhaltenscodex, der hinter dem Zweikampf und vor allem hinter der Art und Weise stand, wie diese Auseinandersetzung inszeniert wurde. Die tiefere Bedeutung von Maximilians Zweikampf lag auch für Ludwig von Eyb d. J. nicht in der eigentlichen gewalttätigen Auseinandersetzung, sondern darin, was diese Auseinandersetzung und ihre Inszenierung für die Gesellschaft bedeutete. Diese Feststellung bestätigt das Kapitel über den Kampf zwischen dem Herzog von Sachsen und Wilwolt von Schaumburg, das in der Biografie des zuletzt Genannten unmittelbar auf den Abschnitt über den Kampf zwischen Maximilian und Vauldrey folgt. In vielen Aspekten ähnelt es dem vorhergegangenen Kapitel.11 Die Vorgeschichte des Kampfes wird wiederum in aller Breite erzählt. Mehr noch: Der Kampf wird zum Teil einer umfassenderen Inszenierung. Maximilian, einige Fürsten und Adlige ahmten, wie Ludwig von Eyb d. J. berichtet, König Artus’ sagenhafte Tafelrunde nach, indem sie sich mit Namen von Rittern der Tafelrunde anredeten und gegeneinander Zweikämpfe austrugen. Im Rahmen dieser Inszenierungen spielte außerdem „die allerschönst junkfrau aus dem frauenzimmer“ eine Rolle. An ihr lag es, in das gesellige Spiel nun Herzog Albrecht von Sachsen einzubeziehen. Sie forderte ihn auf, am Nachmittag des nächsten Tages einen Zweikampf auszutragen. Den Gegner solle er selbst bestimmen. Der Herzog antwortete formvollendet, er sei zwar einen solchen Ehre nicht würdig, werde sich aber bemühen, die Bitte zu erfüllen. Daraufhin wies er seinen Hauptmann Wilwolt an, gegen ihn anzutreten. Dieser sträubte sich erst, weil er seinen Harnisch und sein Streitross gar nicht nach Worms mitgenommen hatte. Der Herzog aber versprach, dass für eine Rüstung wie für ein Pferd gesorgt werde. Tatsächlich traten die Kontrahenten zum festgelegten Zeitpunkt in prächtiger Kleidung vor den Augen von König und Königin an. Wieder wird der Zweikampf nur kurz beschrieben. Die Lanzen brachen bald, der Kampf ging mit den Schwertern weiter, und zwar nach den Worten Ludwig von Eybs so lange und so ritterlich, wie es das in einem Zweikampf noch nie gegeben habe. Schließlich 10 Zu den Gepflogenheiten, die bei Turnieren und Zweikämpfen in dieser Zeit üblich waren, vgl. Anm. 21. 11 Von Eyb (wie Anm. 5), S. 158–161; danach in RTA MR 5, S. 1710f. (Nr. 1857).
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entschieden König und Königin, dass es genug sei, und ließen die Gegner von den Grieswarten trennen. Wie schon auf die Auseinandersetzung zwischen Maximilian und Vauldrey folgte auch diesmal am Abend ein Fest mit Tanz. Dem Herzog wurde die Ehre zuteil, mit der Königin einen Vortanz vollführen zu dürfen. Außerdem erhielt er einen Kranz mit einem schönem Kleinod. Wilwolt selbst hingegen musste sich, wie sein Biograf missmutig notiert, mit einem Vortanz begnügen. Die Erzählungen Ludwigs von Eyb über die beiden Wormser Zweikämpfe sind selbstredend von seinen eigenen Einstellungen geprägt. Sein Blick ist derjenige eines fränkischen Adligen, welcher die Biografie eines anderen fränkischen Adligen, Wilwolts von Schaumburg, schreibt und diesen unter anderem deswegen als Vorbild für Adlige ausgewählt hat, weil Wilwolt solche Zweikämpfe durchführt. Es ist nicht zu erwarten, dass alle Zeitgenossen die Geschehnisse genauso aufgefasst haben. Aber die Haltung des Autors dürfte doch derjenigen Wilwolts selbst, Maximilians und vieler anderer Adliger zumindest nahe gekommen sein, denn der Verfasser spiegelt hier insgesamt Meinungen über Turniere und Zweikämpfe, die im Adel allgemein verbreitet waren.12 Auch in anderen Quellen fanden die Zweikämpfe in Worms Beachtung, auch wenn diese Zeugnisse auf das Ereignis meist deutlich kürzer als Ludwig von Eyb eingehen. Die venezianischen Gesandten Zaccaria Contarini und Benedetto Trevisano konzentrierten sich zwar in den Depeschen, die sie in ihre Heimatstadt sendeten, auf politische Vorgänge im engeren Sinn, aber sie sprachen dreimal vom Zweikampf zwischen Claude de Vauldrey und Maximilian I. Beim ersten Mal schrieben sie nur, dass das Ereignis bevorstehe. Beim zweiten Mal berichteten sie von einem Tjost Maximilians gegen den Kurfürsten von Sachsen und erwähnten abermals den bevorstehenden Kampf gegen Vauldrey. Beim dritten Mal schließlich schilderten sie dessen Ablauf.13 Leonhard Buchel, Prokurator der Stadt Rottweil, berichtete dem Rat seiner Heimatstadt ebenfalls, dass dieser Zweikampf stattfinden solle.14 Auch Reinhart Noltz, Bürgermeister von Worms, schrieb über den Zweikampf Maximilians gegen Vauldrey. Er erzählte sogar über die Vorbereitungen zum Kampf und dessen festlichen Rahmen eine ganze Reihe von Details, die von Eyb nicht mitteilt. Außerdem erwähnte er auch den Zweikampf gegen Kurfürst Friedrich von Sachsen. Darüber hinaus merkte er an, dass fast täglich und insbesondere, wenn ein Fürst seine Regalien empfangen habe, scharfe Rennen und Stechen stattgefunden hätten. Auch habe der König viele Ritterschläge an Deutsche und Wel-
12 Zu Turnieren und Zweikämpfen in dieser Zeit vgl. Anm. 21. 13 RTA MR 5, S. 1803 (16. Aug. 1495), S. 1810 (28. Aug. 1495), S. 1812 (3. Sept. 1495). 14 RTA MR 5, S. 1117 (Nr. 1549), 29. Aug. 1495.
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sche erteilt, öffentlich auf dem Königsstuhl sitzend. Über die politischen Vorgänge im engeren Sinn schrieb Noltz, wie Ludwig von Eyb, nur sehr wenig.15 Auch einige von Maximilian inspirierte literarische Werke schildern den Zweikampf. Im Teuerdank wird darüber berichtet. Ein Bild des Freydal stellt dieses Ereignis ebenfalls dar. Petrus Bonomus verfasste lateinische Verse über den Kampf. Ferner sicherte Maximilian die Erinnerung an seinen Sieg offenbar durch eine Trophäe: In der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer ist ein Fußkampfharnisch erhalten, der schon 1555 in einem Inventar als derjenige Vauldreys bezeichnet wurde.16 Vor allem die beiden ausführlichsten historiographischen Quellen, die Schilderungen Ludwig von Eybs und Reinhart Noltz’, verweisen darauf, in welche Zusammenhänge der Zweikampf Maximilians gegen Vauldrey einzuordnen ist. Ebenso wie die Hoftage, aus denen sie hervorgingen, waren Reichstage nicht nur Treffen, auf denen politische Verhandlungen stattfanden und die damit der traditionellen Politikgeschichte Stoff liefern. Reichstage waren auch Feste, sie boten Gelegenheiten, Pracht zu entfalten, Geselligkeit zu pflegen, den Anwesenden Unterhaltung zu bieten, und zwar am besten ungewohnte, spektakuläre Ereignisse. In dieser Eigenschaft als Fest liegt eine wesentliche Funktion des Reichstags, welche die ältere Forschung nicht erfasst hat.17 Auf Reichstagen stellte man z. B. politische Sachverhalte durch feierliche Rituale und Zeremonien dar. Beim Wormser Reichstag 1495 betraf dies vor allem die Belehnungen. Bezeichnenderweise schildern sie jene zeitgenössischen Berichte, die schon bald nach der Reichsversammlung gedruckt wurden, recht ausführlich.18 Oft gab es Tanzveranstaltungen, die der Geselligkeit dienten. Ge15 Tagebuch des Reinhart Noltz, Bürgermeisters der Stadt Worms 1493–1509, mit Berücksichtigung der offiziellen Acta Wormatiensia 1487–1501, in: Monumenta Wormatiensia. Annalen und Chroniken, (Quellen zur Geschichte der Stadt Worms, Tl. 3: Chroniken), hg. v. Heinrich Boos, Berlin 1893, S. 371–584, hier 396f.; auch in RTA MR 5, S. 1681 (Nr. 1851). 16 Helga Unger (Hg): Theuerdank. Die Geferlichen und eins Teils der Geschichten des loblichen, streitbaren und hochberümbten Helds und Ritters Herrn Theurdanks, München 1968, S. 189 (Kap. 77); Quirin von Leitner (Hg.): Freydal. Des Kaisers Maximilian I. Turniere und Mummereien, Wien 1880–1882, fol. 39v ; vgl. Müller (wie Anm. 2), S. 170; nach ihm Zotz (wie Anm. 5), S. 458. Der Fußkampfharnisch: Wien, Kunsthistorisches Museum, Hofjagd- und Rüstkammer, Inv.-Nr. B 33. 17 Unter Bezug auf die Reichstage um 1500: Thomas Zotz, Der Reichstag als Fest: Feiern, Spiele, Kurzweil, in: Katalog der Ausstellung „Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498“, hg. v. Hans Schadek, Freiburg i. Br. 1998, S. 146–170. Zur Rolle der Feiern auf der Frankfurter Reichsversammlung von 1442: Hartmut Boockmann, Geschäfte und Geschäftigkeit auf dem Reichstag im späten Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 297–325. 18 RTA MR 5, S. 1689–1706 (Nr. 1855). Wiegand Gerstenberg schildert in seiner Hessischen Landeschronik die Zeremonien besonders ausführlich die Belehnung des hessischen Landgrafen. Ebd., S. 1707f. (Nr. 1856). Zur Wichtigkeit der Belehnungen als Darstellung der politischen Ordnung: Heinig (wie Anm. 9), S. 348.
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rade um 1500 gehörten zum Reichstag auch – wie zu jedem größeren Fürstentreffen und ähnlichen Veranstaltungen – ritterliche Kämpfe, seien es Turniere oder Zweikämpfe. Sie waren rein äußerlich eine spannende Attraktion. Ihr tieferes Ziel aber bestand darin, dass demonstrativ nach den ritterlichen Normen gehandelt wurde. Auf diese Weise versicherten sich die Akteure und das Publikum der Gültigkeit dieser Normen. Der ritterliche Wertekanon aber hatte sich im Lauf der Zeit gewandelt. In diesem Zusammenhang ist zu allererst festzuhalten, dass „Rittertum“ sinnvollerweise nicht als eine soziale Kategorie zu verstehen ist, sondern als eine kulturelle. Das Rittertum bestand nicht primär in einer Gruppe von Leuten, die den Rittertitel trugen, sondern in einer Anzahl von standestypischen Normen und Verhaltensweisen, denen sich eine Schicht – der Adel – grundsätzlich verpflichtet fühlte und die daher die Taten von Adligen und deren Bewertung durch die Zeitgenossen beeinflussten. Die Zusammengehörigkeit dieser Normen und Verhaltensweisen wurde nicht zuletzt dadurch geschaffen, dass sie im Begriff des Ritters gedanklich zusammengefasst wurden. Der Ritter war also vor allem ein Leitbild.19 Dieses Leitbild veränderte sich im Lauf der Zeit, weil es auf Veränderungen in der Umwelt und in den Wünschen der Zeitgenossen reagierte. Es entsprach also im Großen und Ganzen stets dem, was die Zeitgenossen von ihm erwarteten. Daher ist es unangemessen, von einer „Blütezeit“ oder einem „Niedergang“ des Rittertums zu sprechen, denn dies würde voraussetzen, dass es die eine, wahre Art von Rittertum gab, der man mit Hilfe eines aus der Biologie entlehnten Bildes Vorstufen und Verfallsformen zuordnen kann.20 Ebenso wenig sollte man Turniere in „richtige“ Turniere und in solche einteilen, die nur mehr eine „Verfallsform“ dargestellt hätten. Denn entsprechend dem Ritterbild insgesamt veränderte sich selbstverständlich auch das Turnier, d. h. die demonstrative Inszenierung ritterlicher Tapferkeit, und es musste sich verändern, damit die Inszenierung dem zu Inszenierenden gemäß blieb. Im 12. Jahrhundert handelte es sich bei jenen Veranstaltungen, die eine Vorform der Turniere ausmachten, wie dann bei den eigentlichen Turnieren selbst, die stärker durch Regeln geordnet waren, um die praxisnahe Nachstellung eines wirklichen Gefechts, denn dabei traten zwei Gruppen von gepanzerten 19 Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen und Bedeutungen (Der Krieg in der Geschichte 32), Paderborn 2006, S. 241–243; anknüpfend an Roger Sablonier: Rittertum, Adel und Kriegswesen im Mittelalter, in: Fleckenstein (wie Anm. 5), S. 532–570. 20 Zu diesen suggestiven Darstellungsschemata: Klaus Grubmüller: Jahreszeiten, Blütezeiten: Meistererzählungen für die Literaturgeschichte?, in: Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen (Beiheft zur Historischen Zeitschrift N. F. 46), hg. v. Frank Rexroth, München 2006, S. 57–68.
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Reitern gegeneinander mit scharfen Waffen an. Einzelkämpfe (Tjoste) blieben lange eine Ausnahme, wurden allenfalls als Auftakt vor dem eigentlichen Höhepunkt, dem Gruppenkampf (Buhurt) veranstaltet. Erst seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden Tjoste beliebter. Zugleich änderten sich auch andere Aspekte des Turniers. Nicht mehr nur der Sieg, sondern auch der regelgerechte, tapfere Kampf wurde geschätzt und trug Ehre ein. Außerdem versuchte man, bei vielen Auseinandersetzungen die Risiken für die Kontrahenten zu vermindern, indem man sie mit stumpfen Waffen ausführte. Ferner setzten sich für das Turnier spezielle Rüstungen durch, die ihre Träger besonders gut schützten, allerdings zugleich deren Beweglichkeit und Sichtfeld stark einschränkten und daher für den Krieg nicht geeignet waren.21 Maximilian selbst trug zum Wandel des Turniers bei, indem er den Langspieß in das Turnierwesen einführte.22 Dieses Vorgehen findet eine Parallele im Umgang mit der Streitaxt. Zunächst handelte es sich um normale Äxte, die ausnahmsweise nicht zum Fällen von Bäumen, sondern zum Kampf gegen Menschen benutzt wurden. Dann wurden zu diesem Zweck spezielle Streitäxte hergestellt und schließlich, ungefähr seit 1380, wurde auch diese Waffe im Turnier und im Zweikampf verwendet.23 In beiden Fällen, der Axt wie des Langspießes, 21 Zum Turnier im Spätmittelalter : Juliet Barker und Maurice Keen: The Medieval English Kings and the Tournament, in: Fleckenstein (wie Anm. 5), S. 212–228, später in: Maurice Keen: Nobles, Knights and Men-of-Arms in the Middle Ages, London/Rio Grande 1996, S. 83–99; Philippe Contamine: Les tournois en France / la fin du moyen .ge, in: Fleckenstein (wie Anm. 5), S. 425–449; Ortwin Gamber : Ritterspiel und Turnierrüstung im Spätmittelalter, in: Fleckenstein (wie Anm. 5), S. 512–531; Claude Gaier : Technique des combats singuliers d’aprHs les auteurs „bourguignons“ du XVe siHcle, in: Moyen Age 91 (1985), S. 415–457, Moyen Age 92 (1986), S. 5–40; Maurice Keen: Chivalry, New Haven 1984, S. 200–212; Malcolm G. A. Vale: War and Chivalry. Warfare and Aristocratic Culture in England, France and Burgundy at the End of the Middle Ages, London 1981, S. 66–87, S. 9–99. – Zum Turnier um 1500 und später : William Henry Jackson: The Tournament and Chivalry in German Tournament Books of the Sixteenth Century and in the Literary Works of Emperor Maximilian I, in: The Ideals and Practice of Medieval Knighthood, Bd. 1 (Papers of the 1st and 2nd Strawberry Hill Conference), hg. v. Christopher Harper-Bill und Ruth Harvey, Woodbridge 1986, S. 49–73; Matthias Pfaffenbichler: Das Turnier zur Zeit Maximilians I., in: Katalog der Ausstellung „Der Aufstieg eines Kaisers. Maximilian I. von seiner Geburt bis zur Alleinherrschaft 1459–1493“, hg. v. Norbert Koppensteiner, Wiener Neustadt 2000, S. 81–89; Helen Watanabe-O’Kelly : Triumphall Shews. Tournaments at German-Speaking Courts in their European Context 1560–1730, Berlin 1992; dies.: Chivalry and Professionalism in Electoral Saxony in the Mid-Sixteenth Century, in: The Chivalric Ethos and the Development of Military Professionalism (History of Warfare), hg. v. John D. J. B. Trim, Leiden 2003, S. 213–234. 22 Thomas Menzel: Der Fürst als Feldherr. Militärisches Handeln und Selbstdarstellung bei Reichsfürsten zwischen 1470 und 1550. Dargestellt an ausgewählten Beispielen, Berlin 2003, S. 131. Turnierkämpfe mit dem Langspieß sind im Weißkunig dargestellt: Heinrich Theodor Musper (Hg.): Kaiser Maximilians I. Weisskunig, 2 Bde., Stuttgart 1956, hier Bd. 2, Abb. 46f. 23 Christiane Raynaud: „f la hache!“ Histoire et symbolique de la hache dans la France m8di8vale (XIIIe–XVe siHcles), Paris 2002.
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wurden Waffen in das Repertoire des ritterlichen Kampfes aufgenommen, die zunächst als nicht standesgemäß, nämlich als Waffen von Nicht-Adligen und Fußtruppen gegolten hatten. Doch ihre militärische Effektivität führte dann doch zu ihrer Akzeptanz. Obwohl Turniere und turnierähnliche einzelne Kämpfe in der Zeit um 1500 mit dem Geschehen im Krieg äußerlich kaum mehr etwas gemein hatten, waren sie doch militärisch immer noch relevant. Denn sie führten dem Publikum die Ausübung einer bestimmten Art von Gewalt als legitim vor, und sie präsentierten Adlige als Männer, die in legitimer Weise Gewalt ausübten und dabei an Ansehen unter Ihresgleichen gewannen. Damit aktualisierten sie ein etabliertes Rollenbild, das für das Verhalten Adliger im Krieg höchst wichtig war, denn auch im Krieg durften, ja sollten Adlige in legitimer Weise Gewalt ausüben und auf Gewinn an Ansehen hoffen.24 In Worms ließ König Maximilian nicht nur die Gültigkeit der adlig-ritterlichen Normen demonstrieren, er bekräftigte sie selbst durch seinen Zweikampf – und zwar vor vielen Reichsfürsten und Abgesandten der Reichsstände. Ihm selbst brachte das Prestige ein. Außerdem trug er dem Umstand Rechnung, dass der Reichstag auch ein Fest sein und spektakuläre Unterhaltung bieten musste. Maximilian handelte also angesichts der zeitgenössischen Normen und Wertvorstellungen sozial sinnvoll, ja durchaus pragmatisch. Auf diese Weise nutzte er Spielräume, die er besaß. Keineswegs aber musste er so handeln. Er folgte vielmehr auch persönlichen Vorlieben. Einige Reichsfürsten wie Kurfürst Friedrich von Sachsen und Herzog Albrecht von Sachsen versuchten in ähnlicher Weise, ihrerseits durch Zweikämpfe an Prestige zu gewinnen. Andere Adlige hofften gewiss, durch Teilnahme an den erwähnten Gruppenkämpfen ihren Bekanntheitsgrad und ihr Ansehen zu vergrößern. Schon an der weit verbreiteten Vorliebe für solche ritterlichen Auseinandersetzungen zeigt sich, dass Maximilian nicht der „Letzte Ritter“ war, wie man schon seit längerem weiß. In gewissem Sinne war er hingegen durchaus, wie Werner Paravicini in Anlehnung an Jan-Dirk Müller sagt, der „einzige Ritter“ – insofern nämlich, als im Weißkunig nur dem Fürsten noch die Ungebundenheit und die Autonomie des Handelns zugesprochen wird, die in früheren Zeiten den Ritter ausmachte.25 Dies betraf freilich die Stilisierung von Maximilians Taten, allenfalls noch indirekt den politischen und militärischen Spielraum der anderen Adligen, der durch die Ansprüche des Herrschers beschnitten wurde. Die Orientierung an Normen und Bräuchen des Rittertums blieb jedoch bestehen und 24 Zur militärischen Relevanz des Turnier für die Zeit Maximilians bzw. in der Renaissance: Silver : Marketing Maximilian (wie Anm. 2), S. 147–168, und ders.: Shining Armor (wie Anm. 2); Watanabe-O’Kelly : Triumphall Shews (wie Anm. 21), S. 13–35. 25 Paravicini (wie Anm. 3), S. 108–112, in Anlehnung an Müller : Gedechtnus (wie Anm. 2), S. 212–228.
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wurde nur langsam abgelöst. Dies betrifft z. B. die Turniere, die noch mehrere Jahrzehnte an deutschen Höfen üblich blieben.26 Noch länger war es für männliche Adlige, zumal Fürsten, prestigeträchtig, sich in Rüstung als Ritter zu präsentieren. Die Bestände der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer legen davon noch heute ein beredtes Zeugnis ab, stammen doch die meisten der ausgestellten Stücke aus der Zeit nach 1500. Die Tradition, die auf diese Weise geehrt wurde, war jedoch nur mit Leben zu füllen, weil die Zeitgenossen sie an ihre veränderten Wünsche und Normen anpassten und auf diese Weise ständig erneuerten. Diese Innovation ihrerseits konnte wiederum nur erstrebenswert sein, weil sie auf einer ehrwürdigen Tradition gründete und durch sie legitimiert wurde. So sind in Maximilians Umgang mit adlig-ritterlichen Wertvorstellungen und deren Inszenierungen Innovation und Tradition untrennbar verbunden.
2.
Maximilian als Heerführer
Ebenso wenig wie Maximilians Hang zur ritterlichen Kultur kann seine Vorliebe für das Leben als Soldat und Heerführer übersehen werden. Der Habsburger stand oft selbst an der Spitze seines Heeres, und zwar ausgesprochen gerne. In nicht weniger als 27 Feldzügen habe er sein Heer geführt, gab er selbst an. Außerdem setzte er sich im Gefecht willentlich Gefahren für Leib und Leben aus. Das berühmteste von vielen Beispielen betrifft sicherlich jenen Moment in der Schlacht von Guinegate 1479, als er samt seinen Begleitern absaß und mit dem Langspieß in der Hand in den Reihen der Landsknechte kämpfte.27 Es kam auch in anderen Fällen vor, dass ein Herrscher persönlich das Heer kommandierte oder dass er in der Schlacht selbst als Kämpfer eingriff. Karl der Kühne von Burgund, den Maximilian in höchstem Maße bewunderte, hatte mehrfach sein Heer in die Schlacht geführt und war dabei hohe persönliche Risiken eingegangen. In der Schlacht von Montlh8ry 1465 wurde er verwundet, bei Nancy 1477 fiel er schließlich. Auch sein Vater Philipp der Gute griff selbst 26 Watanabe-O’Kelly : Triumphall Shews (wie Anm. 21); dies.: Chivalry (wie Anm. 21). 27 Wiesflecker (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 148f.; Bd. 5, S. 527. Zu Maximilian als Heerführer vor allem auch, S. 501–562; Menzel (wie Anm. 22), S. 71–208; ders.: Kaiser Maximilian I. und sein Ruhmeswerk. Selbstdarstellung als idealer Ritter, Fürst und Feldherr, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 401–427; Anuschka Tischer : Reichsreform und militärischer Wandel. Kaiser Maximilian I. (1493–1519) und die Reichskriegsreform, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 678–705; Volker Schmidtchen: Maximilian und das Kriegswesen, in: Katalog zur Ausstellung „Kaiser Maximilian I., Bewahrer und Reformer“, hg. v. Georg Schmidt-von Rhein, Ramstein 2002, S. 117–123; Gerhard Kurzmann: Kaiser Maximilian I. und das Kriegswesen der österreichischen Länder und des Reiches, (Militärwissenschaftliche Dissertationen österreichischer Universitäten 5), Wien 1985.
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mehrfach in ein Gefecht ein und die burgundischen Hofchronisten stellten sein Verhalten als vorbildhaft heraus. Aus dem englischen Königshaus wären Eduard III. und sein gleichnamiger Sohn, der als „Schwarzer Prinz“ bekannt ist, sowie Heinrich V. als Anführer ihrer Heere zu nennen. Unter den französischen Königen hatten Philipp VI. und Johann II. persönlich das Heer kommandiert – insbesondere bei den fatalen Schlachten von Cr8cy 1346, in welcher der Erstgenannte eine vernichtende Niederlage davontrug, und von Poitiers 1356, in welcher der Letztgenannte für Jahre in Gefangenschaft geriet. Karl VIII. exponierte sich am Ende des 15. Jahrhunderts auf seinem Italienzug wiederum selbst. Franz I. schließlich stellte bewusst – ganz ähnlich wie Maximilian – seine Rolle als Anführer des Heeres heraus; im Übrigen betonte auch er die Befolgung ritterlicher Wertvorstellungen.28 Trotz dieser Beispiele waren Könige und Fürsten, die im 15. und 16. Jahrhundert selbst ein Heer anführten, eine Ausnahme, und auf Herrscher, die bewusst das Schlachtgetümmel suchten und ihr Leben riskierten, traf dies mit Sicherheit noch in viel stärkerem Maße zu. Es war gewiss kein Zufall, dass die französischen Könige von Karl V. bis Ludwig XI., also von der Mitte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, die Kriegführung ihren Hauptleuten überließen und sich weitgehend von Schlachtfeldern fernhielten. Die schweren Folgen, welche das Heldentum Johanns II. für Frankreich gezeitigt hatten, wirkten lange nach. Noch ungewöhnlicher ist Maximilians Interesse an Kriegstechnik. Vor allem galt seine Aufmerksamkeit dem Guss und Einsatz von Kanonen, aber auch den Befestigungsanlagen. Überhaupt kümmerte er sich darum, dass Kriegsmaterial aller Art in den Zeughäusern vorhanden war. Auch veranlasste er den Aufbau und den Einsatz einer kampfkräftigen und disziplinierten Infanterie: der Landsknechte. Ferner stellte er in Österreich eine Reitertruppe auf (genannt „Kürisser“), deren Mitglieder für den schnellen Kriegseinsatz bereitstanden. Weitere grundlegende Anordnungen, deren berühmteste das Tiroler Landlibell von 1511 ist, sollten für die angemessene Organisation der Kriegsanstrengungen sorgen.29 Wie bei seiner Teilnahme an Turnierkämpfen nutzte Maximilian auch bei seiner Betätigung im Krieg Möglichkeiten, die ihm seine Stellung als Fürst bot und die mit der Rolle des Fürsten nach zeitgenössischen Vorstellungen vereinbar waren, und er folgte dabei seinen individuellen Neigungen. 28 Zu diesen Herrschern vgl. deren einschlägige Biografien. 29 Wiesflecker (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 556–562 (Kanonen, Befestigungen, Kriegsmaterial), S. 545–554 (Landsknechte), S. 515f. (Kürisser und Landlibell). Zur burgundischen Artillerie, dem Vorbild für Maximilians Geschütze, und damit zum technischen Stand der Entwicklung: Robert Douglas Smith und Kelly DeVries: The Artillery of the Dukes of Burgundy, 1365–1477, Woodbridge 2005.
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Seine Wertschätzung für die Fußtruppe und sein Interesse für Kanonen waren ungewöhnlich, was ihre Zurschaustellung angeht, standen aber keineswegs im Widerspruch zu den adligen Verhaltensweisen der Zeit.30 Denn die Adligen standen den neuen Entwicklungen im Kriegswesen nicht so ablehnend entgegen, wie es den Anschein haben könnte. Die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat hier einiges überzeichnet, teils aufgrund nicht repräsentativer Quellenzeugnisse, teils weil sich das Bild von rückwärtsgewandten Adligen gut zu den politischen Ambitionen des Bürgertums im 19. Jahrhundert fügte. Adlige passten sich auch hinsichtlich des Kriegswesens an die sich wandelnde Umwelt an, indem sie z. B. als Hauptleute die Infanterie führten. Auch Maximilian stand eine ganze Reihe erfahrener Adliger und sogar Fürsten zur Verfügung, die seine Truppen führten und selbstredend Infanterie und Artillerie sachkundig einsetzten, ohne dies als rufschädigend oder gar ehrenrührig zu empfinden. Im Übrigen konnten Adlige durchaus noch, wenn sie es wünschten, als Panzerreiter kämpfen. Die Rolle der schwer gepanzerten Reiter endete nämlich nicht schon am Ende des 15. Jahrhunderts durch den gestiegenen taktischen Wert der Infanterie, sondern erst einige Jahrzehnte später, in der Mitte des 16. Jahrhunderts, durch die Verbreitung der Reiterpistole, denn diese machte die schwere Panzerung weitgehend obsolet.31 Maximilian und seine Heerführer konnten die Neuerungen in Kriegstechnik und Taktik auch deswegen anwenden, weil sie ihre Rolle als Adlige im Krieg an diese Veränderungen anpassen konnten. Aus dem Panzerreiter wurde der Anführer von Fußsoldaten und Artilleristen, aus dem Ritter nach und nach der Offizier. Gefordert blieben vom Einzelnen persönliche Tapferkeit und Versiertheit im Umgang mit Waffen, dazu auch Respekt vor dem gleichrangigen Gegner – also Eigenschaften, die das Bild des Ritters bestimmt hatten und nun, wenn auch mit Akzentverschiebungen, weiterhin bestimmend blieben. Genau diese Eigenschaften waren es auch, die in Turnieren und Zweikämpfen zur Schau gestellt wurden. Für die Zeitgenossen gehörten Turnier und Schlacht daher insofern zusammen, als es für den adligen Mann hier wie dort darum ging, dass er sich gemäß den geltenden Normen verhielt und diese damit bestätigte. Wie bei Maximilians Einsatz als Turnierteilnehmer und Zweikämpfer, stehen also auch bei seinen Tätigkeiten als Soldat und Heerführer Innovation und Tradition unauflösbar nebeneinander. Wiederum verlangte die Fortführung der Traditionen ihre Anpassung an die neuen äußeren Gegebenheiten, zugleich gründete der Umgang mit den Innovationen darauf, dass sie durch die Traditionen gedeckt erschienen. 30 Paravicini (wie Anm. 3), S. 112. 31 Claude Gaier : L’opinion des chefs de guerre franÅais du XVIe siHcle sur les progrHs de l’art militaire, in: Revue internationale d’histoire militaire 29 (1970), S. 723–746.
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Maximilian als Propagandist seiner selbst
Maximilians Auftreten als Zweikämpfer wie als Heerführer ist also gleichermaßen wirkungsvoll, aber in mehrfacher Hinsicht nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. In beiden Fällen tat er etwas, was nicht alle, aber einige seiner fürstlichen Standesgenossen taten, und was er nicht tun musste, aber tun konnte. Ein Herrscher musste nicht Zweikämpfe bestehen und sein Heer persönlich anführen, er durfte vielmehr auf beides verzichten. Wegen solcher vorsichtigen und womöglich auch wirkungsvollen Zurückhaltung konnte man ihn nicht tadeln, allerdings auch nicht lang und breit rühmen. Dies ging nur, wenn ein Fürst die Erwartungen, die an einen adligen Mann herangetragen wurden, in hohem Maße erfüllte, vor allem wenn er heldenhaft kämpfte, ob auf dem Turnierplatz oder auf dem Schlachtfeld. Dieser Sachverhalt entspricht ganz allgemein der Logik des Umgangs mit allgemein akzeptierten Normen. Wer sie demonstrativ erfüllt, wird von den Zeitgenossen oft geliebt und bewundert, pragmatische Effektivität hingegen ruft weit nüchternere Reaktionen hervor. Maximilian entschloss sich also stets für das Verhalten, das ihm gemäß den zeitgenössischen adligen Wertvorstellungen Prestige einbrachte. Zum Teil waren seine Entscheidungen gewiss darin begründet, dass das Kämpferische, auch das Riskante, seinem Charakter entsprach. Doch wusste Maximilian sehr wohl zu berechnen, dass ihm seine Taten als Ritter wie als Heerführer hohes Ansehen einzubringen versprachen und er dieses in politische Vorteile umzumünzen hoffen konnte. Der Habsburger suchte daher bewusst die Aufmerksamkeit weiterer Kreise für seine Taten – und er konnte ihrer desto mehr gewiss sein, als ihm schon aufgrund seines hohen Ranges mehr Aufmerksamkeit als anderen zukam. Wegen dieses wohlkalkulierten Strebens nach Publizität kann man gar nicht unterscheiden, ob Maximilians Taten als solche wirkten oder nur durch ihre publizistische Verbreitung, denn seine Taten können von vornherein nicht von ihrer Darstellung isoliert werden. Die Ausführung war immer schon die Inszenierung. Dies galt umso mehr, als Maximilian das Wissen um diese Geschehnisse in vielen Fällen gezielt und propagandistisch wirksam verbreiten ließ.32 Diese ge32 Hierzu zuletzt: Jan-Dirk Müller : Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. v. Ute Frevert und Wolfgang Braungart, Göttingen 2004, S. 95–122; Manfred Hollegger : „Erwachen und aufsten als ein starcker stryter.“ Zu Formen und Inhalt der Propaganda Maximilians I., in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert) (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl., Denkschriften 306: Forschungen zur Geschichte des Mittelalter 6), hg. v. Karel Hruza,
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wollte Publizität erhöhte den Eindruck auf die Zeitgenossen verständlicherweise. Vor allem aber wurden diese Taten als Gegenstand des Ruhmeswerks, das unter den Herrschern dieser Zeit nichts Vergleichbares kennt, literarisch umgeformt und dabei überhöht. Aus Handlungen im Rahmen tatsächlicher, konkreter Politik wurde die idealisierte, vorbildliche Erfüllung standestypischer Normen. Auf diese Weise schuf Maximilian ein Bild von sich, das die Zeitgenossen durchaus beeindruckte, auch wenn es keinesfalls politischen Erfolg garantierte. Der Zweikampf von Worms führte nicht dazu, dass der Herrscher seine Vorstellungen auch in den Verhandlungen mit den Reichsständen vollkommen durchsetzen konnte. Ebenso wenig vermochte der gesamte propagandistische Aufwand dazu zu führen, dass das politische Lebensziel des Habsburgers, der große, siegreiche Türkenkrieg, auch nur in realistische Nähe rückte. Aber die Zurschaustellung adliger Tugenden, unermüdlichen, oft riskanten Einsatzes im Krieg und intensiver Sorge um seine Soldaten sowie ihre Ausrüstung war doch nicht nur leeres, nutzloses Theater. Dass der Herrscher sich als Gewalt ausübender adliger Mann zeigte, im Turnier wie im Krieg, verschaffte ihm den Respekt seiner Gegner und die Achtung vieler Standesgenossen. Messbar ist der Einfluss dieser Faktoren auf die politischen Entscheidungen und Entwicklungen nicht. Aber Freund wie Feind mussten damit rechnen, ja sie setzten sich im Grunde nicht nur mit Maximilian auseinander, sondern auch mit dem Bild, das er von sich schuf. Letztlich gilt das auch noch für die heutige Forschung. Das Bild, das Maximilians emsige Propaganda und sein ausuferndes Ruhmeswerk entwarfen, kann man auch heute nicht ausblenden, weil es die tatsächlichen Vorgänge überstrahlt.
Wien 2002, S. 223–234; Christina Lutter : „An das Volk von Venedig!“ Propaganda Maximilians I. in Venedig, in: ebd., S. 235–253. Vgl. auch immer noch: Peter Diederichs: Kaiser Maximilian I. als politischer Publizist, Heidelberg 1932.
IV. Innenpolitik / Verfassung
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Reichsreform und Reichstag unter Maximilian I.
Es gibt kaum einen anderen Abschnitt der deutschen Geschichte, in dem Tradition und Innovation, Beharrung und Fortschritt enger beieinander lagen bzw. in dem sich ältere Zustände und Erscheinungsformen rascher in modernere, zukunftsorientierte verwandelten als an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Dieser tiefgreifende, wenn auch nicht immer leicht fassbare Veränderungsund Entwicklungsprozess wurde in seiner jeweils spezifischen Ausprägung auf vielen Gebieten schon recht eingehend untersucht. Dies gilt allerdings nur bedingt für einen zentralen Bestandteil der deutschen Reichsverfassung, den Reichstag. Dass sich aus dem noch in den 1470er und 1480er Jahren stark vom Monarchen dominierten, in seiner äußeren Gestalt weitgehend offenen (spät-) mittelalterlichen Hoftag an der Wende zum 16. Jahrhundert der stark ständisch geprägte, formal weitgehend standardisierte Reichstag herausbildete, ist zwar eine grundsätzlich bekannte Tatsache, doch warum es zu dieser Entwicklung kam, wie sie sich im einzelnen vollzog und wer ihre politischen Initiatoren und Triebkräfte waren, darüber gibt es noch erheblichen Klärungsbedarf. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Verlauf des genannten Wandlungsprozesses in der Ära König (ab 1508) Kaiser Maximilians I. und geht vor allem der Frage nach, in welcher Weise er durch die markante Persönlichkeit dieses Monarchen und seine nicht minder außergewöhnliche Politik mit hervorgerufen und geprägt wurde. Wie im ganzen vorausgehenden Mittelalter, so wurden die Reichsversammlungen auch im 15. Jahrhundert noch lange Zeit weitgehend vom Reichsoberhaupt dominiert, das Zeit und Ort einer Zusammenkunft festlegte, bestimmte, wer geladen wurde und wer nicht, die Beratungsthemen vorgab, den Gang der Verhandlungen steuerte und nach der Tagung deren Ergebnisse oftmals nach Gutdünken interpretierte, da sie nicht schriftlich fixiert waren. Der ausgeprägt monarchische Charakter der Zusammenkünfte spiegelt sich im Quellenterminus „kaiserlicher/königlicher Tag“ sowie in der Bezeichnung „Hoftag“1 deutlich 1 Zu beiden Begriffen vgl. die grundlegende Studie von Gabriele Annas: Hoftag – Gemeiner Tag
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wider. Erst in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Kaiser Friedrichs III. (1440–1493) erfuhren dann die Reichsversammlungen gewisse Impulse in Richtung auf eine Modernisierung, deren erste Ergebnisse sich auf dem Regensburger Reichstag 1471 andeuteten.2 Danach dauerte es allerdings bis zur Frankfurter Reichsversammlung 1486, ehe der Mainzer Erzbischof und Reichserzkanzler Berthold von Henneberg als neuer, charismatischer Lenker einer ständischen Reformbewegung eine weitere, nunmehr entscheidende Entwicklungsphase des Reichstags einläutete. Zwei Jahre nach seiner Bischofswahl, auf seinem ersten Reichstag, machte sich Berthold sofort zum Sprecher der Stände und begann damit, die bisher nur vereinzelt und eher unscharf formulierten ständischen Forderungen nach Teilhabe an der Reichsgewalt zu einem stringenten Programm zusammenzufassen und dieses energisch artikuliert dem kaiserlichen Machtanspruch entgegenzuhalten. In seinem Konzept spielte zweifellos das Verlangen nach einem vom Monarchen weitgehend unabhängigen obersten Reichsgericht nach außen hin die markanteste Rolle.3 Doch spätestens 1495, als diese zentrale Forderung mit der Schaffung des Reichskammergerichts erfüllt war, trat ein weiteres Ziel Bertholds deutlich hervor, ja, rückte nunmehr geradezu ins Zentrum seiner verfassungspolitischen Bestrebungen. Ihm war es von Anfang an darum gegangen, den Charakter der Zusammenkünfte des Reichsoberhaupts mit den versammelten Ständen grundlegend zu verändern. Sie sollten nicht länger dem Willen des Monarchen unterworfene, in ihren äußeren Formen unbestimmte Veranstaltungen sein, sondern zu einer klar strukturierten, nach festen Regeln arbeitenden Institution des Reiches werden, in der sich Reichsoberhaupt und Stände auf Augenhöhe, also gewissermaßen gleichberechtigt begegneten.4 Der – Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349–1471), 2 Bde. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 24), Göttingen 2004, hier Bd. 1, S. 77–122. 2 Die Quellen zum Reichstag 1471 sind ediert bei Helmut Wolff (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Friedrich III., 8. Abt., 2. Hälfte (Deutsche Reichstagsakten 22,2), Göttingen 1999. Zur Bedeutung der Versammlung von 1471 für die Genese des Reichstags vgl. auch Peter Moraw: Hoftag und Reichstag von den Anfängen bis 1806, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, hg. v. Hans-Peter Schneider und Wolfgang Zeh, Berlin/New York 1989, S. 3–47, hier S. 17f. 3 Vgl. dazu Reinhard Seyboth: Kaiser, König, Stände und Städte im Ringen um das Kammergericht 1486–1495, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.): Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte. Stand der Forschung, Forschungsperspektiven (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 21), Köln/Wien 1990, S. 5–23; Ders.: Kontinuität und Wandel. Vom mittelalterlichen Reichshofgericht zum Reichskammergericht von 1495, in: Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, hg. v. Ingrid Scheurmann, Mainz 1994, S. 68–74. 4 Zur Reichstagskonzeption Bertholds von Henneberg vgl. Reinhard Seyboth: Die Reichstage der 1480er Jahre, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter (Vorträge und Forschungen 48), hg. v. Peter Moraw, Stuttgart 2002, S. 519–545, hier S. 524ff.;
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mit dieser Zielsetzung verbundene Veränderungsprozess war mühsam und hart umkämpft, konnte deshalb ab 1486 auch nur in kleinen Schritten vorangebracht werden. Auch hatte Berthold von Henneberg sicherlich weder einen detaillierten „Fahrplan“ für den angestrebten Wandel noch eine präzise Vorstellung von einem möglichen „Endergebnis“. Dies erklärt auch, warum er zwar beispielsweise die Idee eines neuen Reichsgerichts in seinem 1486 konzipierten Entwurf einer Kammergerichtsordnung festhielt, seine Vorstellungen vom Reichstag aber nie in einem bestimmten Dokument konkret und unmittelbar darlegte.5 Sie können deshalb nur gleichsam indirekt anhand anderer Quellen erschlossen werden. Dank deren Fülle ist es dennoch möglich, nicht nur ein recht genaues Bild der auf den Reichstag bezogenen Absichten Bertholds, sondern letztlich auch von der Entwicklung dieses Verfassungsorgans ab 1486 zu entwerfen. Soweit in der Anfangszeit schon erkennbar, enthielt das Bertholdsche Reichstagskonzept folgende Hauptziele und methodische Elemente:6 Um die Reichsversammlungen der kaiserlichen Obergewalt zu entziehen, verlangte der Erzkanzler, dass dazu nicht nur eine bestimmte Auswahl von Teilnehmern – oftmals ein regional begrenzter Kreis oder solche Stände, von denen der Kaiser sich in besonderer Weise Unterstützung erwartete –, sondern möglichst alle Reichsglieder geladen wurden. Die dann zahlreich versammelten Partikulargewalten sollten ihre unterschiedlichen Auffassungen zu einem gemeinsamen Votum vereinen und dieses der kaiserlichen Meinung entgegenhalten. Die vielen Reichsstädte, deren Vertreter auf Reichsversammlungen selten eine eigenständige Entscheidung treffen durften, sondern meist erst beim heimischen Rat rückfragen mussten (das so genannte „Hintersichbringen“) und die der Kaiser deshalb bei der Ladung gerne überging, wurden vom Erzkanzler seit 1486 gezielt stärker in das Tagungsgeschehen eingebunden, die Beratung in Kurien und Ausschüssen entwickelte sich zu einem festen Bestandteil des Verfahrensganges, auch der sonstige technische Ablauf einer Versammlung wurde weitgehend fixiert, und schließlich gab es 1489 in Frankfurt den ersten Ansatz eines Reichsabschieds, der die wichtigsten Beratungsergebnisse festhielt. Kaiser Friedrich III. setzte sich jedoch sowohl gegen das ständische Verlangen Ders.: Gestalt und Wandel des Reichstages in der Ära Maximilians I., in: Handlungsräume. Facetten politischer Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Albrecht P. Luttenberger zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz Hederer, Christian König, Katrin Nina Marth und Christina Milz, München 2011, S. 57–90, hier S. 67–84. Vgl. auch Julia Dücker: Reichsversammlungen im Spätmittelalter. Politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland (Mittelalter-Forschungen 37), Ostfildern 2011, S. 207–210. 5 Diese spezifische Quellenproblematik bei Berthold betont auch Henry J. Cohn: The Electors and Imperial Rule at the End of the Fifteenth Century, in: Representations of Power in Medieval Germany 800–1500 (International Medieval Research 16), hg. v. Björn Weiler und Simon MacLean, Turnhout 2006, S. 295–318, hier S. 308f. 6 Zum Folgenden vgl. die Einzelheiten bei Seyboth: Reichstage (s. Anm. 4), S. 529–544.
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nach einem vom kaiserlichen Hof unabhängigen Kammergericht wie auch gegen die Bestrebungen Bertholds zur Umgestaltung der Reichsversammlungen in der ihm eigenen Art und Weise geschickt zur Wehr : nicht durch ein offen zur Diskussion gestelltes Gegenkonzept, sondern durch wesentlich schwerer angreifbaren passiven Widerstand. An ihm prallten letztlich alle ständischen Vorstöße ab. Doch auf Dauer wollte sich der greise Monarch der verhassten persönlichen Konfrontation mit den Ständen nicht aussetzen. Deshalb fasste er einen konsequenten Entschluss: Nachdem der Nürnberger Reichstag 1487 seine Forderung nach einer Kriegshilfe gegen König Matthias von Ungarn nicht im erhofften Umfang erfüllt hatte, zog Friedrich III. sich voll Zorn in seine Linzer Residenz zurück und kam bis zu seinem Tod nie mehr ins Reich. Auf den folgenden Reichsversammlungen ließ sich der Kaiser durch Kommissare vertreten, die zusammen mit König Maximilian die monarchische Spitze des Reiches repräsentierten. Argwöhnisch beobachtete Friedrich, ob sein Sohn den Ständen irgendwelche Zugeständnisse machte. Als dieser auf dem Nürnberger Reichstag 1491 über eine Kriegshilfe gegen die Könige von Ungarn und Frankreich verhandelte, erinnerte ihn der Kaiser mit scharfen Worten an seine eigenen Erfahrungen mit den Ständen im Jahr 1487 und warnte davor, als Gegenleistung monarchische Positionen preiszugeben. Die ständischen Forderungen – so Friedrich – dienten einzig und allein dazu, ihn selbst und Maximilian als seinen Nachfolger „weerlos zu machen und in verderben zu setzen.“ Der junge König solle deshalb unbedingt darauf achten, dass wir beid in disem handel mit worten, die im grund kein verfolgung auf in tragen, nit aufgehalten noch in ferrer verderben gesetzt werden noch auch dem hl. Reiche zu eingang künftiger ungehorsam, zerruttung und nachteil nichts begeben, als aus billichen ursachen wol beschechen mag und ir uns beiden und dem hl. Reiche zu tund schuldig seid und uns ungezweifelt zu euch versehen.7
Als Maximilian es dennoch wagte, am Ende des Nürnberger Tages eigenmächtig für den 11. November 1491 eine weitere Reichsversammlung nach Frankfurt anzuberaumen,8 verweigerte der Kaiser seine Zustimmung. Offenkundig habe Maximilian seine Warnungen in den Wind geschlagen, denn der Plan einer neuerlichen Zusammenkunft erwachse eindeutig „aus übung und raytzung der, so unser beider eer und wolfart ganz widerwertig sein“, und diene „zu nichte dann unser beider zerrüttung und verderben.“9 Zum Zeichen, dass er sich sein exklusives Recht, Ort und Termin eines Reichstages zu bestimmen, auch von 7 Friedrich III. an Maximilian, Linz, 1. 5. 1491, in: Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 4. Bd.: Reichsversammlungen 1491–1493, 2 Tle. (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 4), München 2008, Nr. 421, S. 555. 8 Vgl. Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 367, S. 517. 9 Friedrich III. an Maximilian, Linz, 2. 9. 1491, in: Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 430, S. 571.
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seinem Sohn nicht aus der Hand nehmen lassen wollte, verbot Friedrich kurzerhand die Durchführung des Frankfurter Tages.10 Als Ergebnis der Verfassungsdiskussion im Zeitraum 1486–1493 bleibt festzuhalten, dass die Stände bei ihren Reformbemühungen keinen entscheidenden Erfolg erzielen konnten. Zu energisch und hartnäckig weigerte sich Kaiser Friedrich III., als Gegenleistung für gewährte Kriegshilfen politische Zugeständnisse zu machen, die seine monarchischen Kompetenzen wesentlich eingeschränkt hätten. Doch die genannte Periode war auch geprägt durch eine herrscherliche Einmaligkeit in der deutschen Geschichte: die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und seinen Sohnes Maximilian I.11 Diese Tatsache schuf für die reformpolitische Diskussion insofern eine besondere Konstellation, als die Stände bei ihrem Ringen mit dem Kaiser dessen jungen Sohn als Hoffnungsträger gleichsam stets in der Hinterhand hatten.12 Von ihm erwarteten sie, dass er dereinst ein umgänglicheres, flexibleres und kompromissbereiteres Reichsoberhaupt werden würde als sein greiser Vater. Mit hoher Wahrscheinlichkeit spielte dieser Aspekt schon bei Maximilians keineswegs völlig unumstrittener Königswahl vivente imperatore eine wichtige Rolle. Die Hoffnungen schienen sich denn auch gleich auf dem Frankfurter Wahltag 1486 zu erfüllen, denn Maximilian nahm die in der ersten Reichstagssitzung vorgebrachten ständischen Wünsche, „daz bestentlicher friede werd gemacht, auch die gericht ufgericht […] darzu auch mit der monz ein aufrichtiger weg werd furgenommen“, persönlich entgegen und sagte bereitwillig zu, namens des Kaisers mit den Kurfürsten und Fürsten darüber zu verhandeln.13 Doch weder in Frankfurt 1486 noch in den folgenden Jahren kam es wegen des massiven kaiserlichen Widerstands zu der von Maximilian in Aussicht gestellten Vermittlung. Aus diesem Grund war er in seiner Anfangszeit als König auch nie gezwungen, seine Haltung zur Reformthematik genauer zu erläutern. Erst sein so genannter „Reichsordnungsplan“ von 1491 gibt hierüber scheinbar einigen Aufschluss.14 Die Denkschrift entstand unmittelbar nach Beendigung eines Reichstags in Nürnberg, auf dem Maximilian versucht hatte, von den Ständen eine möglichst 10 Vgl. Friedrich III. an Frankfurt, Linz, 2. 9. 1491, in: Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 431. 11 Vgl. dazu die umfassende Studie von Susanne Wolf: Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486–1493) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters – Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 25), Köln/Weimar/Wien 2005. 12 Vgl. Sabine Wefers: Der Wormser Tag von 1495 und die ältere Staatswerdung, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), hg. v. Paul Joachim Heinig u. a., Berlin 2000, S. 287–304, hier S. 296. 13 Heinz Angermeier und Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 1. Bd.: Reichstag zu Frankfurt 1486, 2 Teile (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 1), Göttingen 1989, Nr. 311, S. 314. 14 Vgl. Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 367.
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umfangreiche Hilfe für seine geplante militärische Auseinandersetzung mit den Königen Wladislaw II. von Ungarn-Böhmen und Karl VIII. von Frankreich zu bekommen. Mit dem erzielten Ergebnis konnte er jedoch nicht zufrieden sein. Um eventuell doch noch ans Ziel zu gelangen, bot er den Ständen unter anderem eine unbefristete Verlängerung des zehnjährigen Landfriedens von 1486 an, für dessen Handhabung ein am Kaiserhof etabliertes Kammergericht zuständig sein sollte. Zudem sprach er sich dafür aus, dass alle jar ainist ain versamlung im Reich der kurfürsten und fürsten oder ir volmechtigen sandboten sein an ainem gelegen end. Da die kaiserliche maiestät oder königliche wirde auch, namlich die ersten drew jar personlich, sein und erscheinen sol. […] Da soll furgenomen und betracht werden, alle unbilliche irrung, trang und gwalt, die in oder am hl. Reich beschehen oder furgenommen mugen werden, durch wen oder wie das beschehen mag, abzustellen und hinzulegen und der teutschen nacion und des hl. Reichs recht, frid und ainikait zu handhaben.
Es gibt in der Forschung etliche Stimmen, die diese Vorschläge als Zeichen echter Bereitschaft Maximilians werten, zentrale verfassungspolitische Forderungen der Stände aufzugreifen, ja, die darin gar ein förmliches „Reformprojekt“ des Königs mit erstaunlich weit reichenden Vorschlägen sehen. Zudem wird die neuartige Idee von der jährlichen Reichsversammlung als Indiz für eine im Vergleich zur starr ablehnenden Haltung Friedrichs III. wesentlich freiere und positivere Einstellung Maximilians gegenüber dem Reichstag gewertet.15 Von dieser These bleibt allerdings nicht viel übrig, wenn man die Quelle genau und vollständig liest und zudem ihren Entstehungskontext berücksichtigt. Dann zeigt sich nämlich, dass Maximilians Vorschlag bezüglich des Kammergerichts kein ehrliches Zugeständnis war, denn die Stände verlangten ja seit 1486 gerade ein vom Kaiserhof unabhängiges Gericht. Dass offensichtlich auch das Angebot einer turnusmäßigen Reichsversammlung nicht wirklich aufrichtig gemeint war, wurde – wie noch zu sehen sein wird – ab 1495 deutlich, als der König alles daran setzte, den in der Wormser „Handhabung Friedens und Rechts“ vereinbarten jährlichen Reichstag zu Fall zu bringen. Man darf deshalb davon ausgehen, dass es sich beim königlichen „Reichsordnungsplan“ von 1491 nur um eines der vielen berühmt-berüchtigten Blend- und Täuschungsmanöver Maximilians handelt, erdacht in dem Bemühen, nach dem enttäuschenden Nürnberger Reichstag vielleicht doch noch die erhoffte Kriegsunterstützung der Stände zu bekommen. Als Kaiser Friedrich III. am 19. August 1493 starb, keimte im Reich neue und diesmal deutlich realistischere Hoffnung auf, Maximilian werde sich jetzt, endlich befreit von väterlicher Bevormundung und im Vollbesitz der monarchischen 15 Zur Diskussion um die Bedeutung des „Reichsordnungsplans“ Maximilians vgl. Seyboth (s. Anm. 7), S. 86ff.
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Gewalt, ernsthaft mit den ständischen Anliegen auseinandersetzen. So sah man denn auch allenthalben der ersten Reichsversammlung, die Maximilian als neues Reichsoberhaupt für den 2. Februar 1495 nach Worms einberief, mit großen Erwartungen entgegen, umso mehr, als diesmal nicht, wie früher so oft, nur eine beschränkte Zahl von Teilnehmern geladen wurde, sondern tatsächlich alle Reichsglieder (Abb. 1).16 Diese überraschende Erfüllung einer ihrer zentralen Forderungen wurde von den Ständen durchaus als positives Signal des Königs an ihre Adresse verstanden und nährte die Erwartung, der bevorstehende Reichstag könnte den Auftakt zu einer neuen politischen Ära bilden. Der umfassende Reformvorstoß der Stände auf dem Wormser Reichstag 1495 hatte jedoch auch noch einen anderen Hintergrund: die enorm dynamische und ausgreifende Politik, die Maximilian bis dato schon betrieben hatte. Sie war ausgesprochen europäisch orientiert, stark dynastisch geprägt und zielte vor allem darauf ab, den Einfluss und Ruhm des Hauses Habsburg zu mehren. Das Kernreich mit seinen spezifisch deutschen Belangen hingegen spielte darin keine besondere Rolle, im Gegenteil, nur zu deutlich erinnerten sich die Stände daran, wie Maximilian in den vergangenen Jahren von ihnen mehrfach hohe Hilfeleistungen verlangt hatte für Kriege, die zwar den habsburgischen Interessen dienten, dem Reich aber keinerlei Nutzen brachten. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen stellten sie dem neuerlichen Ersuchen des Königs um Unterstützung für seinen geplanten Italienfeldzug gegen König Karl VIII. von Frankreich eigene Forderungen entgegen. Diese bezogen sich einmal mehr auf die Schaffung eines vom königlichen Hof unabhängigen, stark ständisch geprägten obersten Reichsgerichts sowie – als ganz neuartiges Verlangen – auf ein Reichsregiment, das zentrale monarchische Kompetenzen übernehmen sollte. Wollte Maximilian die ihm äußerst wichtige Hilfe für den Italienfeldzug bekommen, musste er bei den Verhandlungen zu Zugeständnissen bereit sein. Mehrfach und unmissverständlich hatte er aber auch die Grenzen seiner Konzessionsbereitschaft klar gemacht: Er wolle sich „seiner königlichen maiestät oberkait hierin allzeit vorbehalten“.17 Angesichts dieser beiderseits eindeutigen Positionen konnte bei den Wormser Verhandlungen nichts anderes als ein Kompromiss herauskommen: 16 Königliches Ladeschreiben, Antwerpen, 24. 11. 1494, in: Heinz Angermeier (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 5. Bd.: Reichstag von Worms 1495, 2 Bde. in 3 Teilen (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 5), Göttingen 1981, Nr. 27. In der Reichsstädtischen Registratur zum Wormser Reichstag heißt es, dass „alle stende des Reichs durch sein maiestät zu disem königlichen tag ervordert“ worden seien. Ebd., Nr. 1797, S. 1509. 17 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1797, S. 1519. Ähnlich berichteten auch die kurbrandenburgischen Räte, Maximilian habe nach der Entgegennahme der ständischen Entwürfe zum Landfrieden, zum Kammergericht und zum Gemeinen Pfennig drei ihm nahe stehende Fürsten befragt, wie er sich dazu stellen solle, „damit der kaiserlichen und königlichen obrickait nicht zu nahen gegriffen wurd“. Ebd., Nr. 1793, S. 1313.
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Als Gegenleistung für eine Kriegshilfe von 150.000 Gulden stimmte Maximilian der Schaffung des ständisch dominierten Kammergerichts mit Sitz in Frankfurt zu. Hingegen vermochte er 1495 das seiner monarchischen Machtfülle noch wesentlich gefährlichere Reichsregiment vorläufig zu verhindern. In der langen Abfolge spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Reichsversammlungen nimmt der Wormser Reichstag von 1495 in der Tat eine ganz besondere Stellung ein. Wie unmittelbar hier traditionelle und neuartige Elemente aufeinander trafen, wurde den beteiligten Zeitgenossen allerdings nicht wirklich bewusst, sondern offenbart sich erst in der historischen Rückschau. Paul-Joachim Heinig hat überzeugend gezeigt, dass Maximilian mit der selbstgewissen Überzeugung nach Worms kam, die dortige Versammlung im Stil eines herkömmlichen Hoftags durchführen zu können, und dass diese in der Tat, vor allem in den ersten Verhandlungswochen, eine ganze Reihe hoftagstypischer Merkmale aufwies.18 Gemäß Peter Schmids Studie über das Zustandekommen der Wormser Reformbeschlüsse19 wichen Maximilians Erwartungen aber schon bald wachsender Enttäuschung und Frustration, als die Stände seiner Forderung nach einer Hilfe für den Krieg gegen König Karl VIII. von Frankreich unmissverständlich ihre bekannten Reformwünsche entgegenstellten. Seit diesem Zeitpunkt verlor der Wormser Tag mehr und mehr seinen Charakter als Hoftag und entwickelte sich insofern allmählich zum „Reichstag“, als jetzt „das Reich“, also die Gemeinschaft der versammelten Stände, seine politischen Vorstellungen und Wünsche deutlich zu artikulieren begann und am Ende tatsächlich wichtige Erfolge vorzuweisen hatte (Abb. 2). Die schrittweise Durchsetzung des Wunsches der Stände nach mehr Teilhabe an der Reichsgewalt verbunden mit dem Verlangen nach Vergrößerung ihres Einflusses auf die traditionell stark monarchisch dominierten Reichsversammlungen in der Maximilian-Ära lässt sich an kaum einem anderen Beispiel deutlicher verfolgen als anhand der Reichsabschiede.20 Naturgemäß musste es im Zuge des verfassungspolitischen Ringens mit dem Reichsoberhaupt immer ein Anliegen der Stände sein, die bei den Beratungen erzielten Resultate in 18 Vgl. Paul-Joachim Heinig: Der Wormser Reichstag 1495 als Hoftag, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), S. 337–357, hier S. 339. 19 Vgl. Peter Schmid: Die Reformbeschlüsse von 1495 und ihre politischen Rahmenbedingungen, in: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451–1527) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 45), hg. v. Bernhard Diestelkamp, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 117–144. 20 Zu den Anfängen der Reichsabschiede in der Maximilian-Ära vgl. auch Wolfgang E. J. Weber : „Bekennen und thun hiemit kunth und offentlich.“ Bemerkungen zur kommunikativen Funktion der Reichsabschiede des 16. Jahrhunderts, in: Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73), hg. v. Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer, Göttingen 2006, S. 281–311, hier S. 288–292.
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irgendeiner Form schriftlich zu fixieren. Nur so verfügte man über eine zuverlässige, belastbare Grundlage für weitere Verhandlungen. Sowohl das Reichsoberhaupt als auch die abwesenden, also nicht an der Entscheidungsfindung beteiligten Reichsglieder konnten nunmehr die Verbindlichkeit eines Beschlusses nicht mehr ohne weiteres in Frage stellen. Es dauerte immerhin ein volles Jahrzehnt, bis die Stände dieses für sie so wichtige Ziel erreicht hatten. Am Ende der Frankfurter Versammlung 1486 kam noch kein Dokument mit der Bezeichnung „Abschied“ zustande. Stattdessen wurde den kurfürstlichen und fürstlichen Räten ein „receß […] in schriften geben“, der in fünf knappen Sätzen die wichtigsten Vereinbarungen bezüglich Reichshilfe, Reichseinung, Landfriede, Kammergericht und Münze formulierte.21 Der nur in einer einzigen entlegenen Abschrift überlieferte Text spiegelt eindeutig die ständische Sichtweise wider, dürfte also keinesfalls mit dem Kaiser abgestimmt worden sein. In Nürnberg 1487 gab es überhaupt keine Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse, was wohl darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Stände nicht bereit waren, auf die weit reichenden Hilfsforderungen des Kaisers einzugehen. Dadurch entwickelte sich gegen Versammlungsende eine ziemlich spannungsgeladene Atmosphäre, in der keine Einigung auf ein Ergebnisprotokoll möglich war. Auf dem Frankfurter Reichstag 1489, der erstmals nicht von Kaiser Friedrich III., sondern von König Maximilian geleitet wurde, entstand dann auch das erste Schlussdokument einer Reichsversammlung, das (in der Überschrift) explizit als „Abschied“ bezeichnet wurde.22 Der Entwurf des in diversen Papierkopien überlieferten Stücks stammt eindeutig von Erzbischof Berthold von Henneberg, was einmal mehr dessen maßgeblichen Einfluss im Umgestaltungsprozess des Reichstags widerspiegelt. Umrissen werden darin vornehmlich die getroffenen Vereinbarungen zur Organisation der Eilenden Hilfe in die Niederlande, am Schluss ist aber auch die Rede vom Auftrag an Maximilian, seinen Vater zur raschen Aufrichtung des Kammergerichts gemäß den ständischen Ordnungsentwürfen von 1486 und 1487 sowie zur Handhabung des Landfriedens zu veranlassen – beides seit Jahren zentrale Anliegen der Stände. Auf den beiden folgenden Reichstagen in Nürnberg 1491 und Koblenz 1492 hatte sich Bezeichnung „Abschied“ für die zustande gekommenen Beratungsergebnisse bereits etabliert, wenngleich die entsprechenden Texte noch immer recht knapp gehalten waren und kaum wirklich alle auf der Tagung behandelten Materien erfassten.23 Zudem sind von beiden Abschieden erneut nur einfache Papierkopien überliefert. 21 Angermeier/Seyboth (s. Anm. 13), Nr. 338. 22 Ernst Bock (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 3. Bd.: 1488–1490, 2 Teile (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 3), Göttingen 1972/1973, Nr. 305c. 23 Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 366 (Nürnberg 1491), 842 (Koblenz 1492); der Begriff „Abschied“ ebd., S. 1052.
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Auch in Sachen Abschied brachte schließlich der Wormser Reichstag von 1495 einen aus ständischer Sicht großen Schritt nach vorn. Der Abschied dieses Tages24 unterscheidet sich von den früheren in vielerlei Hinsicht fundamental. Dies gilt bereits für die äußere Form. So gibt es – neben etlichen ständischen Abschriften auf Papier – ein mit dem Siegel König Maximilians versehenes Original auf Pergament. Der Text selbst ist erheblich umfangreicher und benennt ausführlich die wesentlichen Verhandlungsergebnisse. Der wichtigste Unterschied besteht aber zweifellos darin, dass der König einleitend erklärt, er habe sich auf dem Wormser Reichstag mit den „kurfürsten, fürsten und gemeyner besamblung diser nachfolgenden artikel vereint, vertragen und beslossen“. Die erzielten Resultate werden also explizit als gemeinsame Übereinkunft von König und Ständen apostrophiert. Unterstützt wird diese Charakterisierung dadurch, dass der Abschied am Schluss vom Reichserzkanzler Berthold von Henneberg gegengezeichnet ist, was bedeutet, dass die Stände neben dem König als gleichberechtigte Miturheber der Bestimmungen auftreten. Diese erlangen durch die gemeinsame Willensbekundung und Verantwortlichkeit aller politischen Kräfte im Reich hohe Verbindlichkeit und gleichsam Gesetzescharakter. Auf dieser 1495 geschaffenen Grundlage wurden die Abschiede der folgenden Reichstage nochmals weiterentwickelt. Ab Lindau 1496/97 sind sämtliche auf dem Reichstag persönlich anwesenden oder durch Gesandtschaften vertretenen Reichsstände namentlich genannt und damit als Mitträger der Vereinbarungen gekennzeichnet. An die Stelle der Gegenzeichnung durch den Reichserzkanzler trat die Mitsiegelung durch eine mehr oder weniger große Anzahl von Vertretern aller Ständegruppen, wobei in Freiburg 1498 die Höchstzahl von nicht weniger als 17 Sieglern erreicht wurde.25 24 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1593. 25 Abschied Lindau 1496/97: Heinz Gollwitzer (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 6. Bd.: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496–1498 (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 6), Göttingen 1979, S. 338–352; Regest: J. F. Böhmer : Regesta Imperii XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519, 2. Bd.: 1496–1498, 2 Teile, hg. v. Hermann Wiesflecker u. a., Wien/Köln/Weimar 1993, Nr. 7902; Abschied Worms 1497: Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 479–487; Regest: Wiesflecker 2, Nr. 8262; Abschied Freiburg i. Br. 1498: Gollwitzer, S. 718–746, Regest: Wiesflecker 2, Nr. 8812; Abschied Augsburg 1500: Johann Jakob Schmauß, Heinrich Christian von Senckenberg: Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads II. bis jetzo auf den teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, Theil 2: Reichsabschiede von dem Jahr 1495 bis auf das Jahr 1551 inclusive, Frankfurt a. M. 1747, Neudruck Osnabrück 1967, S. 63–91; Abschied Köln 1505: Dietmar Heil (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 8. Bd.: Der Reichstag zu Köln 1505, 2 Teile (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 8), München 2008, Nr. 366, S. 525–531; Abschied Konstanz 1507: Dietmar Heil (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 9. Band: Der Reichstag zu Konstanz 1507, 2 Teile (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 9), München 2014, Nr. 268, S. 524–539; Abschied Augsburg 1510: Schmauß/Senckenberg, S. 132–136, künftig: Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 11. Band: Die Reichstage
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Die Position des Wormser Reichstags von 1495 unmittelbar an der Nahtstelle zwischen der älteren „Hoftagsära“ und dem neuen „Reichstagszeitalter“ wird auch unterstrichen durch einen augenfälligen terminologischen Befund. So belegen die zeitgenössischen Quellen, dass die Wormser Zusammenkunft vor ihrem Beginn und in den ersten Monaten der Beratungen stets und ausschließlich mit den herkömmlichen, ihren monarchischen Charakter teilweise stark betonenden Begriffen „Tag“, „gemeiner Tag“, „königlicher Tag“, „gemeiner königlicher Tag“ oder „gemeine Versammlung“ bezeichnet wird, und zwar sowohl durch Maximilian als auch von ständischer Seite.26 Hingegen taucht der zuvor praktisch niemals gebrauchte Terminus „Reichstag“ erstmals in einem von Erzbischof Berthold von Mainz und Kurfürst Philipp von der Pfalz gesiegelten Schreiben der Reichsversammlung an Luzern vom 5. August 1495 auf.27 Dieser Verwendungsort scheint nicht zufällig, sondern durchaus bewusst gewählt zu sein und lässt ein weiteres Mal die Handschrift des Mainzer Erzkanzlers erkennen. Offensichtlich sollte dadurch die versammelte Gemeinschaft aller nichtmonarchischen Kräfte des Reiches als eigenständig agierende Kraft terminologisch zur Geltung gebracht werden. Ähnliches darf für den Ausdruck „Reichsstände“ vermutet werden, der im Zeitraum zwischen 1486 und 1492 aufkam und sich ab 1495 fest etablierte.28 Auch der Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung des Terminus „Reichstag“ in Worms dürfte wohl kalkuliert sein, denn nur zwei Tage nach dem genannten Schreiben, am 7. August, wurde der Abschied der Versammlung publiziert, in dem diese gleich zu Beginn als „gezu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 11), München 2017, Nr. 125; Abschied Trier/Köln 1512: Schmauß/Senckenberg, S. 136–146 (= Reichsordnung oder Großer Abschied), S. 147–151 (= Kleiner Abschied), künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 1011, 1592. 26 Vgl. die Liste der entsprechenden Termini bei Christine Göbel: Der Reichstag von Worms 1495. Zwischen Wandel und Beharrung. Eine verfassungs- und institutionengeschichtliche Ortsbestimmung (Edition Wissenschaft, Reihe Geschichte 18), Marburg 1996, S. 363, Anm. 152, 154, 155. 27 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1237, S. 964. Zu zwei frühen, aber sicherlich nicht mit ähnlichen verfassungspolitischen Intentionen wie 1495 verknüpften Erwähnungen des Terminus „Reichstag“ in Quellen von 1315 und 1439 vgl. Annas (s. Anm. 1), S. 124–127. In Worms 1495 wurde der Begriff „Reichstag“ zum allerersten Mal von König Maximilian gebraucht, und zwar in einer Erklärung für die Gesandten der Stadt Passau vom 23. Juni (Angermeier, Nr. 1515, S. 1096). Zwar bezieht sich der Monarch darin nicht auf die laufende Wormser Versammlung, sondern auf einen „gehalten reichstag“, zu dem Passau durch Kaiser Friedrich III. geladen worden war, dennoch erscheint diese Nennung durchaus bemerkenswert. Vgl. dazu die Überlegungen von Annas (s. Anm. 1), S. 131f. 28 Vgl. Eberhard Isenmann: Kaiser, Reich und deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahrhunderts, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter (Nationes 8), hg. v. Joachim Ehlers, Sigmaringen 1989, S. 145–246, hier S. 191f. Ähnlich Ernst Schubert: König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 340.
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meiner Reichstag“ bezeichnet wird.29 In einer Zeit, in der Zeichen und Begriffen hohe politische Bedeutung zukam, war dieser Wechsel in der Wortwahl zweifellos überaus symbolträchtig. Verfolgt man die weitere Entwicklung, so zeigt sich, dass der neue Terminus „Reichstag“ (auch in den Varianten „des Reichs Tag“ und „gemeiner Reichstag“) seit August 1495 zunehmend häufiger und ab Beginn des 16. Jahrhunderts nahezu ausschließlich verwendet wurde.30 Verfassungsmäßig besonders wichtig erscheint es dabei, dass es auch in den Reichsabschieden ab 1498 stets heißt „Geben und gescheen uf des hl. reichs dag zu …“ bzw. (ab 1507) „der geben und gescheen ist uf dem reichstag hie zu …“.31 Dass daneben die älteren Begriffe „Tag“ „königlicher Tag“, „Versammlung“, „Tagfahrt“ und sogar „königlicher Reichstag“ noch einige Jahre in Gebrauch blieben, lässt sich wohl weniger mit einem bewussten Festhalten an älteren verfassungspolitischen Positionen, sondern mit dem Nachwirken von Traditionen erklären.32 Der wachsende Anspruch des Reichstags auf politische Mitsprache und Mitgestaltung kommt in der Maximilianzeit nirgends so deutlich zum Ausdruck wie im Bereich der „Außenpolitik“. Zuvor hatten die Kaiser und Könige die diplomatische Vertretung des Reiches gegenüber auswärtigen Mächten, das Anknüpfen und Unterhalten entsprechender Beziehungen, den Abschluss von Bündnissen usw. stets als ihr Reservatrecht und Monopol betrachtet (Abb. 3).33 Nichtmonarchischen Kräften gestanden sie auf diesem Feld keinerlei eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten zu, allenfalls eine beratende Funktion ohne Anspruch auf Verbindlichkeit. Hingegen wurden die Stände gerne und oft aufgefordert, sich durch Truppen- oder Geldhilfen an den von den Monarchen angezettelten Kriegen zu beteiligen. Auch zu Beginn der Ära Maximilians I., d. h. zwischen 1486 und 1495, gibt es beispielsweise nur wenige Fälle, in denen sich die auf einem Reichstag versammelten Stände per Brief oder Gesandtschaft an eine außerdeutsche Macht wandten.34 29 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1593, S. 1142. 30 Zahlreiche Beispiele zu 1495 bei Annas (s. Anm. 1), S. 133, Anm. 228; zu 1496 bei Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 100, 173; zu 1498 ebd., S. 692, 697, 709, 717f. 31 Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 746 (Freiburg 1498); Schmauß/Senckenberg (s. Anm. 25), S. 91 (Augsburg 1500); Heil 8 (s. Anm. 25), S. 530 (Köln 1505); Heil 9 (s. Anm. 25), S. 539 (Konstanz 1507); Schmauß/Senckenberg, S. 136 (Augsburg 1510); ebd., S. 146 sowie S. 151 (Trier/ Köln 1512). 32 Beispiele: Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 416, S. 525: Nr. 456, S. 569; Nr. 1662, S. 1216; Nr. 1710, S. 1252; Nr. 1715, S. 1258 (Tag); Nr. 884, S. 764; Nr. 905, S. 778; Nr. 1178, S. 925; Nr. 1512, S. 1089; Nr. 1653, S. 1207; Nr. 1704, S. 1239 (königlicher Tag); Nr. 1639, S. 1199 (Versammlung); Nr. 1639, S. 1199 (Tagfahrt); Nr. 1702, S. 1236 (königlicher Reichstag). 33 Paul-Joachim Heinig: Römisch-deutscher Herrscherhof und Reichstag im europäischen Gesandtschaftssystem an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa (Vorträge und Forschungen 60), hg. v. Christoph Schwinges und Klaus Wriedt, Ostfildern 2003, S. 225–263, hier S. 252. 34 Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., 2. Bd.: Reichstag
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Der Wormser Reichstag 1495 brachte auch hier insofern eine wesentliche Veränderung, als die immer selbstbewusster auftretenden Stände damit begannen, den Anspruch des Königs, das Reich in außenpolitischen Fragen allein zu vertreten, in Frage zu stellen und Mitwirkungsrechte zu beanspruchen. Als Maximilian am 6. August im Rahmen der Verhandlungen über eine Reichshilfe für den von ihm geplanten Kriegszug gegen König Karl VIII. von Frankreich auf sein im März 1495 geschlossenes Bündnis mit dem Papst, Venedig, Mailand und Spanien, die so genannte Heilige Liga, zu sprechen kam, monierten die Stände, dass das Reich darin nicht berücksichtigt sei, obwohl Maximilian „dasselb Reich mit hilf, ir zu tun, all tag anficht. Der königlichen maiestät wirt solchs vast ubel ausgelegt.“35 Darüber hinaus sind aus dem Zeitraum ab August 1495 diverse Schreiben der versammelten Stände an auswärtige Mächte bekannt.36 Auch in Form eigener Gesandtschaften oder durch Beteiligung an Delegationen gemeinsam mit König Maximilian artikulierte der Reichstag von 1495 seinen Anspruch, gleichberechtigt neben dem Monarchen das Reich zu repräsentieren.37 Diese Entwicklung setzte sich auf den folgenden Tagen nahtlos fort.38
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zu Nürnberg 1487 (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 2), Göttingen 2001, S. 929f. Anm. 2, Nr. 407, 408 (Schreiben des Nürnberger Reichstags 1487 an Papst Innozenz VIII. und an das Kardinalskolleg); ebd.: Nr. 399 (Antwortschreiben der Kurfürsten im Namen der ganzen Reichsversammlung 1487 an König Matthias von Ungarn); Bock (s. Anm. 22), Nr. 277c (Schreiben der Frankfurter Reichsversammlung 1489 an die einzelnen eidgenössischen Orte, Appenzell und den Abt von St. Gallen, Ulrich Rösch); ebd.: Nr. 308a, b (Schreiben der Reichsversammlung 1489 an König Heinrich VII. von England und Herzogin Anna von der Bretagne); Seyboth (s. Anm. 7), Nr. 829, 830 (Instruktion und Kredenz der Koblenzer Reichsversammlung 1492 für eine Gesandtschaft zu König Heinrich VII. von England). Bericht der kurbrandenburgischen Räte. Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1733, S. 1306. Vgl. Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 244 (an Herzog Ludovico von Mailand), 245 (an Markgräfin Maria von Montferrat), 318 (an Papst Alexander VI.), 977 (an Papst, Kardinalskolleg und verschiedene Kardinäle), 1021 (an Papst), 1201 mit Anm. 1 (an Papst und Kardinalskolleg), 1237 (an Luzern). Vgl. Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1797 (Instruktion der Wormser Reichsversammlung zu einer Werbung bei König Karl VIII. von Frankreich, Gesandtschaft wohl nicht abgegangen), 1243, 1244, 1248 (Kredenzen und Werbung einer königlich-ständischen Gesandtschaft zu den Eidgenossen), 1722 (Instruktion König Maximilians und „der ganzen versamlung T[eutscher N[ation] hie auf dem königlichen tag zu Wormbs“ für Gesandte zu König Wladislaw II. von Ungarn-Böhmen), 1723 (gemeinsame Instruktion für eine Gesandtschaft zu den Eidgenossen), 1724 (Ratschlag der Reichsversammlung für eine gemeinsame Gesandtschaft zu den Friesen). Beispiele: J. F. Böhmer : Regesta Imperii XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519, 3. Bd.: 1499–1501, 2 Teile, hg. v. Hermann Wiesflecker u. a., Wien/ Köln/Weimar 1996/1998, Nr. 10180, 10186, 10265 (Schreiben und Gesandteninstruktion des Augsburger Reichstags 1500 und aus dem Jahr 1501, z. T. gemeinsam mit König Maximilian, an Herzog Philipp von Burgund und König Ludwig XII. von Frankreich); Heil 9 (s. Anm. 25), Nr. 216, 231 (Instruktionen des Konstanzer Reichstags 1507 für Gesandtschaften zu den Eidgenossen).
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Umgekehrt wurde nunmehr auch der Reichstag von den europäischen Mächten zunehmend als politische Kraft und damit als potentieller Verhandlungspartner wahrgenommen.39 Dass man ihm dabei ein hohes Maß an politischer Vernunft, Einfluss und Durchsetzungsvermögen zutraute, zeigte sich besonders deutlich 1510, als die mit Maximilian im Krieg liegende Signorie von Venedig sich wegen einer Friedensvermittlung an die in Augsburg tagende Reichsversammlung wandte, nachdem der Kaiser kurz zuvor ein Verständigungsangebot rigoros zurückgewiesen hatte.40 Zweifellos liegt die historische Bedeutung des Wormser Reichstags von 1495 hauptsächlich in der Schaffung der vier großen Reformgesetze „Ewiger Landfriede“, „Reichskammergerichtsordnung“, „Handhabung Friedens und Rechts“ sowie „Ordnung des Gemeinen Pfennigs“. Weniger bekannt ist, dass diese Versammlung auch den entscheidenden Anstoß gab für ein weiteres wichtiges Themenfeld, das künftige Reichstage noch auf lange Sicht intensiv beschäftigen sollte: die so genannte „Reichspoliceygesetzgebung“, also die Summe all jener Gesetze und Verordnungen, mit deren Hilfe seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert versucht wurde, die Ordnung und Wohlfahrt im Reich zu wahren bzw. zu verbessern. Bezeichnenderweise war es augenscheinlich auch in diesem Fall der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg, der in Worms 1495 das Thema Policey erstmals auf einem Reichstag zur Diskussion stellte.41 Den Zeitpunkt dafür wählte er geschickt. Am 27. Juli erklärte er in der Vollversammlung, es sei nunmehr praktisch eine Einigung mit dem König über die großen Reformvorhaben erzielt worden, doch gebe es darüber hinaus noch weitere „irrung, mangel und geprechen, so sich noch an etwievil orten und stucken hielten“ und „in besser wesen und ordnung zu richten wärn.“42 Berthold präsentierte auch sofort eine Liste von Problemen, bei denen Verbesserungs- und Regulierungsbedarf bestand. Genannt werden unter anderem die umstrittene Rechtsprechung der heimlichen oder westfälischen Freigerichte, die Regellosigkeit des Reichsmünzwesens, Laster wie Gotteslästerung, leichtfertiges Schwören und übermäßiges Zutrinken, ferner die Nichteinhaltung der Fürstenkonkordate durch die Kurie sowie die unklare Haltung der Eidgenossen gegenüber dem Reich. In der Schlussphase des Wormser Reichstags wurde über diese so unterschiedlichen 39 Beispiel: Wiesflecker (s. Anm. 38), Nr. 10425 (Bitte des Königs von Frankreich an König Maximilian und die Augsburger Reichsversammlung 1500, mit Mailand belehnt zu werden). 40 Signorie von Venedig an den Augsburger Reichstag, Jan. 1510, Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E 57, fol. 66. 41 Vgl. den gerafften Überblick von Karl Härter : Policeygesetzgebung auf dem Wormser Reichstag 1495, in: 1495 – Kaiser, Reich, Reformen. Der Reichstag zu Worms. Katalog zur Ausstellung des Landeshauptarchivs, hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Koblenz 1995, S. 81–93, hier S. 83 über Erzbischof Berthold von Mainz als vermutlichem Initiator der Wormser Beratungen über das Thema Policey. 42 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1597, S. 1573.
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Themen recht eingehend diskutiert, in puncto Gotteslästerung, Sonntagsheiligung/Kirchenzucht, fahrende Leute/Zigeuner, Kleidung, Zutrinken, Bettel, Warenqualität und Münzwesen kam man auch bereits zu konkreten Vereinbarungen, die im Abschied niedergelegt wurden.43 Auf der nächsten Versammlung am 2. Februar 1496 in Frankfurt wollte man weiter darüber beraten. Außerdem erließ Maximilian Mandate zur Neuordnung der westfälischen Freigerichte sowie gegen Gotteslästerung,44 die Kurfürsten legten den Entwurf einer Goldmünzordnung vor,45 König und Stände verfassten zusammen ein Schreiben an den Papst mit der Bitte, die bestehenden Konkordate einzuhalten,46 und schickten eine gemeinsame Gesandtschaft zu den Eidgenossen, die diese zur Annahme der Wormser Reformgesetze auffordern sollte.47 Durch die Festschreibung des nächsten Beratungstermins in Sachen Policey im Wormser Abschied wollten die Stände den König binden und vermeiden, dass die ihm nicht sonderlich am Herzen liegende Materie gleich wieder von der Tagesordnung verschwand. Zwar kam der geplante Frankfurter Reichstag dann doch nicht zustande, aber einige Monate später hielt die Lindauer Versammlung den Vertretern Maximilians konsequent genau jene Punkte „auß dem abschid zu Worms verzaichnet“ vor, „davon auf den tag zu Franckphurt verer gehandelt sein solt“.48 Dieses hartnäckige Insistieren der Stände war ausschlaggebend dafür, dass auf den Reichstagen in Lindau 1496/97, Freiburg 1498 und Augsburg 1500 die „Policeygesetzgebung“ zu den am intensivsten behandelten Materien gehörte.49 In den entsprechenden Reichsabschieden nehmen die Bestimmungen über Bettelmönche, fahrendes Volk, Juden, Zigeuner, Kleiderluxus, Zutrinken, Bettel, Warenqualität, Münzwesen, Wucher, Gotteslästerung und den Fürkauf von Waren breiten Raum ein.50 Nach längerer Pause wurden auf dem Reichstag in
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Vgl. Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1593, S. 1142ff. Vgl. Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 457 (vom 7. 8. 1495), 458 (vom 20. 9. 1495). Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 464 (von Ende Juli 1495). Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 460 (vom 18. 8. 1495). Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1723 (zwischen 7. und 22. 8. 1495). Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 202. Vgl. die exemplarische Studie von Bernhard Oeschger : Von der „Überflüssigkeit der Kleydung“. Kulturgeschichtliche Aspekte der Policeygesetzgebung des Freiburger Reichstags, in: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498, hg. v. Hans Schadek, Freiburg i. Br. 1998, S. 135–145. 50 Lindau 1496/97: Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 342–347; ebd.: S. 731–738; Augsburg 1500: Schmauß/Senckenberg (s. Anm. 24), S. 77–81. Vgl. auch die Übersicht über die „Policeygesetze“ des Reiches in der Zeit Maximilians I. bei Karl Härter (Hg.): Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit, Bd. 1: Deutsches Reich und geistliche Kurfürstentümer (Kurmainz, Kurköln, Kurtrier) (Jus commune, Sonderheft 84), Frankfurt am Main 1996, S. 51–53.
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Trier/Köln 1512 zu etlichen der genannten Fragen sowie zum neuartigen Problem der Wirtschaftsmonopole weitere Vereinbarungen getroffen.51 Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Indem die Stände die Obsorge für die „gute Policey“ derart nachdrücklich zu einer Angelegenheit des Reichstags machten, erweiterten sie nicht nur dessen Kompetenzbereich erheblich, sondern förderten auch gezielt seinen Gestaltwandel. War er früher ein Instrument, das von den Monarchen gerne zur Förderung ihrer außenpolitisch-dynastischen Ziele eingesetzt wurde, so lag nach dem Willen der Stände sein primäres Aufgabenfeld ab 1495 eindeutig im Reichsinneren. An die Stelle hitziger Debatten mit dem Kaiser über Kriegshilfebewilligung trat nun zunehmend sachliche Arbeit zu Fragen der Rechts- und internen Friedenswahrung, der Ordnungsaufsicht, der Wohlfahrtspflege und der Wirtschaftskontrolle. Damit war der weitere Weg des Reichstags vorgezeichnet. In dem Maße, wie er als versammelte Gemeinschaft aller Reichsstände an eigenständigem Gewicht gewann, rückte der Reichstag auch als politische Kraft ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, ja der gesamten Bevölkerung. Zunehmend deutlicher kristallisierte sich das Bild einer Instanz heraus, von der man Rückhalt und Unterstützung bei Problemen und Anliegen aller Art erwarten konnte. Lange Zeit war auf Reichsebene als Adressat von Bitten und Eingaben nur der König/Kaiser als Quelle aller Gnade und Gerechtigkeit in Frage gekommen. Er entschied darüber nach eigenen, nicht immer klar nachvollziehbaren Kriterien. Ab ca. 1500 ist zunächst vereinzelt, dann immer häufiger zu beobachten, dass Petitionen – jetzt meist „Supplikationen“ genannt, wobei zwischen Gnaden- und Justiz-Supplikationen zu unterscheiden ist52 – auch oder sogar ausschließlich an den Reichstag gerichtet wurden (Abb. 4). Über ihre Gesamtzahl lassen sich für die Zeit Maximilians I. ebenso wenig zuverlässige Angaben machen wie darüber, bei wie vielen von ihnen der König/Kaiser, der Reichstag oder beide Instanzen gleichzeitig der Adressat waren, denn das weit verstreute Quellenmaterial zu dieser Thematik kann von den großen Quelleneditionen zur Maximilian-Ära naturgemäß nicht systematisch erfasst und vollständig publiziert werden.53 Zwei 51 Reichsordnung des Reichstags zu Trier/Köln 1512: Schmauß/Senckenberg (s. Anm. 24), S. 141–145, hier S. 142–144, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 1011. Zu den Verhandlungen und Beschlüssen des Reichstags von 1512 über die Monopole vgl. auch Bernd Mertens: Im Kampf gegen die Monopole. Reichstagsverhandlungen und Monopolprozesse im frühen 16. Jahrhundert (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 81), Tübingen 1996, S. 15–23. 52 Vgl. Helmut Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Schriften zur Verfassungsgeschichte 24), Berlin 1977, S. 97f. 53 Beispiele für Supplikationen an die auf dem Reichstag versammelten Stände: König Johann I. von Dänemark (Augsburg 1510), Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E 57, fol. 62–63, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 351; Reichsstadt Regensburg
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Aspekte zeichnen sich dennoch recht deutlich ab: Zum einen die kontinuierliche quantitative Zunahme der Supplikationen, die schließlich dazu führte, dass auf dem Reichstag ein erstmals auf der Augsburger Versammlung 1510 nachweisbarer eigener Supplikationsausschuss eingerichtet wurde, der ausschließlich mit der Prüfung und Entscheidung der zahlreichen Eingaben betraut war,54 zum anderen eben die Tatsache, dass sich immer mehr Supplikanten – von der großen Reichsstadt bis zum kleinen einzelnen Untertan – (auch) an den Reichstag wandten. Über die Gründe für diese zweifellos interessante Entwicklung kann man vorläufig nur Vermutungen anstellen. Erwarteten sich die Bittsteller von der Ständeversammlung mehr Interesse und Aufmerksamkeit für ihr Anliegen oder eine raschere, vielleicht auch objektivere Entscheidung ihrer Eingaben als durch das viel beschäftigte, oftmals abwesende Reichsoberhaupt? Vieles deutet jedenfalls darauf hin, dass die Arbeit des Reichstags, seine Leistungen und Möglichkeiten in weiten Bevölkerungskreisen wesentlich deutlicher als früher wahrgenommen und auch gewürdigt wurden. Man anerkannte ihn zunehmend als eine vom Reichsoberhaupt emanzipierte Instanz mit eigenständigem Gestaltungs- und Durchsetzungswillen. Auch wenn die Stände mit ihren Bestrebungen zur Umgestaltung der Reichstagsverfassung 1495 einen entscheidenden Durchbruch erzielt hatten, so waren sie doch realistisch genug zu wissen, dass der geschickte Taktierer Maximilian seine Zugeständnisse nicht aus innerer Überzeugung, sondern nur aufgrund der für ihn in Worms bestehenden Zwangslage gemacht hatte. Sobald sich die Gelegenheit bot, würde er alles daransetzen, für ihn ungünstige Veränderungen rückgängig zu machen. Dies suchten die Stände unbedingt zu verhindern. So setzten sie in Bezug auf den Reichstag durch, dass in der „Handhabung Friedens und Rechts“ vom 7. August 1495 eine jährlich abzuhaltende Reichsversammlung festgeschrieben wurde.55 Damit nahmen sie dem König im Grunde das traditionelle Recht aus der Hand, autonom darüber zu bestimmen, ob und wann ein Reichstag durchgeführt wurde. Um Maximilian darüber hinaus noch stärker zu binden, wurden auch sofort Zeit und Ort der nächsten Zusammenkunft festgelegt: Am 1. Februar 1496 sollte in Frankfurt über aufgetretene Fälle von Landfriedensbruch und Nichtbeachtung von Kammergerichtsurteilen (Augsburg 1510), Hauptsstaatsarchiv München: Gemeiners Nachlass 28, fol. 77–82, künftig: Seyboth (wie Anm. 25), Nr. 296; Reichsstadt Straßburg (Trier/Köln 1512), Archives municipales Straßburg: AA 336, fol. 95 bzw. AA 337, fol. 20, 22, künftig: Seyboth (wie Anm. 25), Nr. 1497, 1545. Zur Berücksichtigung von Bitten und Beschwerden aller Art in den Reichstagsaktenbänden der Maximilianszeit vgl. auch Helmut Neuhaus: Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. Zahl, Inhalt und Funktion, in: Lanzinner/Strohmeyer : Der Reichstag (s. Anm. 20), S. 149–161, hier S. 152ff. 54 Kaspar Nützel an Nürnberg, Augsburg, 22. 3. 1510, Nürnberg, StA., Rst. Nürnberg, Ratskanzlei A-Laden Akten 126 Nr. 2, fol. 83b–84b, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 537 [3.]. 55 Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 356.
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sowie über anderes, „so zu hanthabung frids, rechts und gemeinen nutz dienen mag“, beraten, zudem sollten gleich wieder „tag und malstat des nagstkunftigen jerlichen zusamenkumens“ fixiert werden. Die Vereinbarung bezüglich des Reichstags am 1. Februar 1496 wurde auch in den Wormser Reichsabschied aufgenommen und damit verbindlich gemacht.56 Dennoch suchte und fand Maximilian genügend Ausflüchte, um nicht in Frankfurt erscheinen zu müssen, so dass diese Zusammenkunft nicht zustande kam.57 Bei den Ständen weckte dies den nicht unberechtigten Verdacht, Maximilian wolle mit der gezielten Vereitelung des Frankfurter Tages die ungeliebten Wormser Beschlüsse unterlaufen und versuchen, sie auf längere Sicht aufzuheben. Als daher die Vertreter des Königs auf dem Lindauer Reichstag 1496/97 erneut diverse Forderungen stellten, erinnerte die Versammlung an die Abmachungen von 1495 und an den ausgefallenen Tag zu Frankfurt und verlangte eindeutig zu wissen, ob der König und sein Sohn Erzherzog Philipp in ihren Ländern die Wormser Ordnung einhalten und „nichtz dawider aißgen oder handeln lassen wollten.“ Erhalte sie bejahende Antworten, werde sie in Lindau so verhandeln, „wie zu Frankphurt bescheen sein solt.“58 Wie im Fall des verhinderten Frankfurter Reichstags 1496 versuchte Maximilian auch beim obersten Reichsgericht eine einschlägige Bestimmung des Wormser Reichsabschieds von 1495 zu Fall zu bringen. Das Kammergericht hatte gemäß einer langjährigen Forderung der Stände in Frankfurt seinen festen Sitz erhalten und war dort seit Herbst 1495 tätig.59 Im November 1496 befahl dann aber der König plötzlich den Beisitzern, sich nach Lindau zum Reichstag zu begeben und dort Gericht zu halten.60 Diese Eigenmächtigkeit wiesen die Stände energisch zurück, sahen sie darin doch den gezielten Versuch Maximilians, die Wormser Vereinbarungen zu unterlaufen und sich wieder mehr Zugriffsmöglichkeiten auf das Kammergericht zu verschaffen. Er negierte zwar den Vorwurf, „als hetten wir uns in etlichen artikeln dem abschid zu Worms nit gleichmessig […] gehalten“ und „als wolten wir das kammergericht ganz von Franckhfurt verrücken und damit aus dem abschid zu Worms geen.“61 Doch als er auch in den beiden folgenden Jahren mehrfach versuchte, das Kammergericht „nach Freiburg, Kolmar oder anderswo abzufordern“, schließlich sogar unverhohlen an-
Angermeier (s. Anm. 16), Nr. 1593 (mehrfache Erwähnung). Vgl. Wiesflecker 2 (s. Anm. 25), Nr. 3712f., 3750, 3760, 3763, 3766, 3787, 3802. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 193. Vgl. Ingrid Scheurmann: Die Installation des Gerichts in Frankfurt und die Speyerer Zeit, in: Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, hg. v. Ingrid Scheurmann, Mainz 1994, S. 89–108, hier S. 89. 60 Vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 236, 241f. 61 Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 328f.
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kündigte, es eine Zeit lang an seinen Hof zu ziehen,62 verlangten die auf dem Freiburger Reichstag 1498 versammelten Stände unmissverständlich zu wissen, „ob die königliche maiestät dasselbig aldo oder sust an eym bleiblichen ende im reich nach vermöge der ordnung wolle bleiben lassen.“63 Sie selbst wollten sich, was das Kammergericht betreffe, auf alle Fälle an die Wormser Ordnung halten.64 Der von Maximilian vereitelte Tag zu Frankfurt gab den Ständen auch wiederholt Veranlassung, das monarchische Recht zur Reichstagsberufung in Frage zu stellen. So erklärte Erzbischof Berthold auf dem Lindauer Reichstag 1496/97 gegenüber den Vertretern des abwesenden Königs, die Versammlung wisse natürlich, das in der königlichen maiestät macht stee, ins reich außzuschreiben nach irem gefallen und ir nymants darein zu reden hat. aber die versamlung geben ir im besten zu erkennen, das königliche maiestät bedenke, was solch ausschreiben guts oder böses geberen mag.65
Der Erzkanzler zielte damit auf die von den Ständen als äußerst misslich betrachtete Wahl von Lindau als Tagungsort ab. Die Stadt galt als verkehrsungünstig, beengt und krankheitsträchtig, außerdem war der dortige Aufenthalt mit besonders hohen Kosten verbunden.66 Der König bestritt, dass seine Ortswahl der Grund für den schlechten Besuch des Reichstags sei, lehnte dessen Neuansetzung ab und bot stattdessen eine Verlegung der Versammlung nach Basel an. Von dort aus könnten die Stände ihn an seinen italienischen Aufenthaltsorten rasch erreichen, so sein fast dreist anmutender Kommentar.67 Abgesehen davon, dass sowohl Lindau als auch Basel völlig unübliche Schauplätze von Reichsversammlungen waren, zeigt Maximilians Verhalten, dass er in puncto Ortswahl sein Entscheidungsrecht offensichtlich ohne Rücksicht auf die Interessen und die praktischen Möglichkeiten der Stände durchzusetzen gedachte. Generell legten die Stände in ihrem Bemühen, die seit 1495 erzielten verfassungspolitischen Erfolge gegen die königlichen Revisionsbestrebungen zu verteidigen, ein ganz neues Selbstbewusstsein an den Tag. So verwahrte sich die Lindauer Reichsversammlung im Oktober 1496 energisch gegen den scharfen Ton einiger Schreiben Maximilians, der „hievor im reich dermassen nit her-
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Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 648. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 639. Vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 649. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 307. So die Klage Kurfürst Philipps von der Pfalz gegenüber Bischof Johann von Worms, 29. 9. 1496, vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 171f. 67 Vgl. König Maximilian an den Lindauer Reichstag, Genua, 1. 10. 1496, Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 176ff.
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kommen“. Man bitte die königliche Majestät, „solichen ernst und scherpfe in irn königlichen briefen gnädiclich fallen zu lassen.“68 Das reichlich gespannte Verhältnis zwischen Maximilian und den Ständen in den Jahren nach 1495 ist nicht zuletzt daran abzulesen, dass der König in dieser Zeit zwar mehrere Reichsversammlungen einberief, auf ihnen aber entweder gar nicht erschien (wie in Lindau 1496/97 und Worms 1497) oder (wie in Freiburg 1497/98) erst mit großer Verspätung eintraf. Zwischenzeitlich hielt er sich überwiegend in Italien auf, auf den Reichstagen ließ er sich durch Räte vertreten. Dies behinderte naturgemäß die Kommunikation zwischen Monarch und Ständen deutlich und schränkte die Entscheidungs- und Beschlussmöglichkeiten der Tagungen stark ein, zumal etliche Stände ihr dortiges Erscheinen bzw. Verweilen von der persönlichen Präsenz des Königs abhängig machten. Offenkundig wollte Maximilian durch dieses provozierende Verhalten nicht nur Druck ausüben, sondern auch demonstrieren, dass der Erfolg von Reichstagen nach wie vor an seine Person gebunden war.69 Den königlichen Absichten stellte sich vor allem Erzbischof Berthold von Henneberg entgegen. Als geistigem Urheber des Reichstags neuen Stils ging es ihm darum, zu beweisen, dass die Ständeversammlungen auch ohne den König handlungs- und leistungsfähig waren und positive Ergebnisse erzielen konnten. Berthold war nicht nur auf allen drei Tagungen vom Anfang bis zum Ende persönlich zugegen, sondern setzte sich auch in kritischen Momenten, als die Zusammenkünfte wegen des Ausbleibens Maximilians und des dadurch bedingten schleppenden Verhandlungsganges zu scheitern drohten, mit viel Engagement und Überzeugungsarbeit dafür ein, dass die meisten Teilnehmer trotz der hohen Aufenthaltskosten am Tagungsort blieben und nicht heimreisten.70 Anfang Mai 1498 warnte er mit „vielen scharfen worten“, wenn man jetzt, da Maximilian endlich zum Freiburger Reichstag aufgebrochen sei, diesen vorzeitig beende, wäre dies für König und Reich von großem Nachteil. Aufgrund dieses Appells beschloss die Versammlung, noch einige Zeit beisammen zu bleiben.71 Auch sonst trat Berthold unermüdlich als Lenker, Koordinator und treibende Kraft in Erscheinung. Er legte Vorschläge zu diversen Beratungsthemen vor, fasste den Inhalt von Gesandtenwerbungen für deren Erörterung in der Vollversammlung zusammen, formulierte Entwürfe für Schreiben des Reichstags an den König und andere Adressaten und steuerte so die Reichstage gemäß seinen Vorstellungen. Letztlich übernahm er damit auch zu einem nicht geringen Teil
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Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 192. Vgl. Schubert (s. Anm. 28), S. 330. Vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 551. Vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 570f.
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jene maßgebliche Aufgabe, die auf einer Versammlung herkömmlicher Weise eigentlich dem König oblag. Aufgrund der rastlosen Bemühungen Bertholds blieben die Reichstage der Jahre 1496–1498 trotz der langen Abwesenheit Maximilians stets handlungsfähig und arbeiteten vor allem auf dem Feld der reichsinternen Konfliktregelung und Friedenswahrung durchaus erfolgreich. In zahlreichen akuten ständischen Streitfällen, wie z. B. Erzbischof von Köln gegen Stadt Köln, Bischof von Worms gegen Stadt Worms, Bischof von Chur gegen Stadt Chur, Kurfürst von der Pfalz gegen Stadt Weißenburg im Elsass sowie im so genannten „Streitberg-Handel“ und bei anderen Zwistigkeiten bemühte sich die Ständeversammlung nach Kräften um einen gütlichen Ausgleich.72 Damit der Reichstag möglichst alle seine Kräfte auf diese Arbeit konzentrieren konnte und sich nicht selbst schwächte, griff Berthold in verschiedenen Konflikten vermittelnd ein. So bat er 1496 angesichts der Sessionsstreitigkeiten zwischen den Erzbischöfen von Magdeburg und Salzburg bzw. dem Markgrafen von Baden und dem Landgrafen von Hessen, man möge sich doch mit Rücksicht auf die schwierigen Beratungsmaterien des laufenden Reichstags mit einem täglichen Wechsel beim Obsitzen einverstanden erklären.73 Dem in Italien weilenden König war das wachsende Selbstbewusstsein des Reichstags sowie dessen rascher Zugewinn an politischer Potenz und Handlungsfähigkeit eindeutig ein Dorn im Auge. Besonders ärgerten ihn die ständigen Aufforderungen der Stände, doch persönlich zum Reichstag zu kommen, denn eine Verpflichtung zur Teilnahme wollte er für sich keinesfalls gelten lassen. Entsprechende Appelle entbehrten jeder Grundlage, ließ Maximilian der Lindauer Versammlung gereizt wissen, „dann nit not noch wir pflichtig sein, in eigner persone uf solichen tag zu kommen, inmassen dann die andern stende des rychs auß schuldiger pflicht tun sollten.“74 Dass sein Fernbleiben in gewisser Weise auch eine Revanche für die als Affront betrachtete Praxis der Stände war, ihn von bestimmten Beratungen auszuschließen, zeigt eine weitere Äußerung gegenüber dem Reichstag in Lindau: Wir haben auch solichs, als meniclich weyst, oft müntlich erklert in ansehung der kleinen eren, so uns uf denselben tagen bescheen, nachdem wir, so des reichs sachen gehandelt werden, vor der tür steen müssen, das doch nye erhört ist, das ein bürgermeister in einer comun vor der tür steen sol.75
Auch bei späteren Gelegenheiten kommentierte er den in seinen Augen völlig überzogenen Kompetenz- und Machtanspruch des Reichstags mit plastischen 72 73 74 75
Vgl. hierzu die zahlreichen Aktenstücke bei Gollwitzer (s. Anm. 25). Vgl. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 186. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 272. Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 273.
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Vergleichen. Er wolle sich nicht „hend und füsse binden lassen und sich an ein nagel henken lassen“, erklärte er 1498 in Freiburg,76 und auf dem Augsburger Reichstag 1500 verstieg er sich gar zu der Drohung: „Wo man nit anderß thue, das bijther gescheen sy, so wol er nit leiden ader warten syn, daß man ime die krone vom heupt nem, sunder wolle sie selbst vor syn fusse werffen und nahe den stucken griffen.“77 Durch die geschickten Steuerungsmaßnahmen des Mainzer Erzkanzlers gewann der Reichstag im kurzen Zeitraum von Mitte 1495 bis Ende 1498 enorm an Profil. Er bewies, dass er auch in Abwesenheit des Königs handlungsfähig war und etablierte sich dadurch zunehmend als eigenständige politische Kraft. Dieses neue Selbstverständnis bewahrte der Reichstag im weiteren Verlauf der Maximilian-Ära, auch wenn es dem Monarchen vorübergehend gelang, die rasante Entwicklung vom Ende des 15. Jahrhunderts zu verlangsamen und wenigstens einen Teil der verfassungspolitischen Initiative im Reich zurück zu gewinnen. Wie gezeigt, hatte König Maximilian den Ständen seit 1495 fortwährend vorgeworfen, sie wollten ihn im Rahmen ihrer Reformforderungen und ihres Verlangens nach Mitbeteiligung an der Reichsgewalt seiner monarchischen Oberhoheit berauben. Dafür, dass die Reichstage seine Wünsche nach Hilfeleistung nicht ohne weiteres erfüllten, sondern Gegenleistungen verlangten, machte er hauptsächlich den Führer der ständischen Bewegung, Erzbischof Berthold von Mainz, verantwortlich. In einem Schreiben vom Jahresanfang 1503 schleuderte Maximilian dem Erzkanzler seinen Zorn förmlich ins Gesicht: Wir tragen zu dir etwas einen unlust aus den ursachen, das vil jar her auff den reichstägen, die wir all personlichen mit unserm überswengklichen schaden und costen besucht haben, nichts fruchtbarlichs gehandelt worden ist, darum der türkenzug, das heilig reich und die kais[erlich] cron yez in irrsall steen, wie du selbs waist und sichst. In dem wir dich dann am maisten verdencken, das du als das oberst glid im reich, so allzeit in des reichs stenden zuvorderst gehandelt hat, in denselben swern sachen unserm anzaigen nicht volgen hast wollen und nit gnugsamlich bedacht hast das end und gelegenheit der welt, sonder dich selbs in solhem zu vil angesehen und bedacht und uns zurugkgeschlagen hast.78
Nach Berthold Tods am 21. Dezember 1504 war für Maximilian die Zeit gekommen, endgültig mit seinem großen Gegenspieler abzurechnen und dessen politische Pläne für die Nachwelt in Misskredit zu bringen. Dabei zielte er insbesondere auf das von Berthold 1495 erdachte und in Augsburg 1500 aufge76 Gollwitzer (s. Anm. 25), S. 614. 77 Bericht des Frankfurter Gesandten Johann Reysse an den Rat von Frankfurt, Augsburg, 17. 8. 1500, in: Quellen zur Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit 14), hg. v. Inge Wiesflecker-Friedhuber, Darmstadt 1996, Nr. 31, S. 110. 78 Wiesflecker-Friedhuber (s. Anm. 76), Nr. 38.
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richtete Reichsregiment ab, indem er auf dem Kölner Reichstag 1505 behauptete, dass der Erzkanzler solch ordnung und regement durch die federn dannen gericht hat sonder verstant der königlichen maiestät oder des Reichs stende und darinnen subtilitet gebraucht, der meynung, die königliche maiestät von irer königlichen ere, macht und regirung zu stellen.
Darüber hinaus existiere ein Schriftstück, das beweise, „das derselb bischof zu Menz sein maiestät heimlich verloegen und veronglimpft hat mit zweiundzwanzig artikeln“. Diese werde er (der König) zu gegebener Zeit vorlegen, „domit die in geheym bleiben, dieweil er [d.i. Erzbischof Berthold] von dißer welt geschiden ist.“79 Zwei Jahre später, auf dem Konstanzer Reichstag, desavouierte Maximilian Bertholds Rolle bei der Regimentsgründung ebenfalls bedenkenlos. In Augsburg 1500 sei ein Wesen eins Regiments fürgenommen, dadurch die königliche maiestät des mehrern Theil Regierung in deutschen Landen indirecte entsetzt gewesen wäre. Solch Fürnehmen ging abermals langsam von Statten, denn ein Person (wie man wol wissen mag), die solchs zugericht hatte, mußte Zeit und Weile haben, das durch ein seltsame Practik, die eine lange Zeit währet, zu vollbringen.80
Maximilian hatte dem Reichsregiment von Anfang an die Zusammenarbeit verweigert, wies jedoch dezidiert jede Mitschuld zurück, als es sich im März 1502 auflöste. Stattdessen nützte er das Scheitern sofort dazu, noch im Herbst desselben Jahres Regiment und Kammergericht in Augsburg auf eigene Kosten und damit natürlich auch nach seinen Vorstellungen wieder aufzurichten – nicht ohne den ausdrücklichen Hinweis, er tue dies zum Beweis dafür, wie viel ihm an der Wahrung von Friede und Recht im Reich gelegen sei.81 Auf dem Kölner Reichstag 1505 präsentierte er schließlich den Ständen den Plan für ein ganz neues, weitgehend von ihm dominiertes Reichsregiment. „Dasselb regement mag königliche maiestät allezeit nach irer maiestät und des Reichs nodturft zu irer maiestät selbst person an ander ort im Reich erfordern. Des sol das regement königliche maiestät auch gehorsamlich verfolgen.“ Über wichtige Angelegenheiten „soll dasselb regement nit bslissen, sundern allewege zuvor an die königliche maiestät gelangen lassen. Und was inen darauf durch ire maiestät angezeigt und bevolhen wirdet, dasselb und nichts anders sullen sie handeln und 79 Heil 8 (s. Anm. 25), Nr. 348, S. 482. 80 Denkschrift Maximilians an die Reichsversammlung, Heil 8 (s. Anm. 25), Nr. 44, S. 158. 81 Vgl. Erklärung Maximilians, Innsbruck, 22. 9. 1502, J. F. Böhmer : Regesta Imperii XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519, 4. Bd.: 1502–1504, hg. v. Hermann Wiesflecker u. a., Wien/Köln/Weimar 2002, Nr. 16922; Maximilian wohl an Kurfürst Friedrich von Sachsen, 18. 11. 1502, ebd.: Nr. 17078.
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volnziehen.“82 Die Stände – ohnehin mehrheitlich nie Freunde des Reichsregiments – antworteten hierauf, Maximilian habe bislang „auß hoer vernunft und schickerlichait loblich, erlich, gnedig und wol regirt“, so dass für ein neues Regiment eigentlich kein Bedarf bestehe.83 Damit war der Regimentsgedanke für den Rest der Regierungszeit Maximilians definitiv erledigt. Auch auf das zweite wichtige ständische Reforminstrument, den Reichstag, versuchte Maximilian nach Bertholds Tod wieder mehr Einfluss zu gewinnen, indem er vor allem sein monarchisches Einberufungsrecht verstärkt zur Geltung brachte. Dies gilt insbesondere für die Zeit seines großen Konfliktes mit Venedig ab 1508. Die zahlreich anberaumten und wieder abgesagten Reichstage dieser Periode, etliche überraschende Termin- und Ortswechsel, Maximilians nur kurzzeitige Beteiligung an manchen Versammlungen oder sein völliges Fernbleiben erweckten nicht nur den Eindruck von Planlosigkeit und Willkür, sondern auch von weitgehender Gleichgültigkeit gegenüber den berechtigten Interessen der Reichsstände. So verschob er beispielsweise den für den 16. Juli 1508 nach Worms anberaumten Reichstag gleich zweimal.84 Nachdem die Beratungen dann am 21. April 1509 endlich begonnen hatten, reiste Maximilian schon nach drei Tagen wieder ab.85 Ähnliches geschah mit der Reichsversammlung, die gemäß Reichsabschied von 1510 an Lichtmess 1511 in Augsburg beginnen sollte. Wegen seines dringenden Geldbedarfs zog Maximilian jedoch den Einberufungstermin auf den 25. November 1510 vor, zudem änderte er mehrfach den Tagungsort (erst Straßburg, dann Freiburg im Breisgau).86 Längst waren die Stände aber nicht mehr bereit, all diese monarchischen Eigenmächtigkeiten ohne weiteres hinzunehmen. Sie nutzten dazu das stärkste ihnen zu Gebote stehende Instrument, nämlich ihr Bewilligungsrecht bei Reichshilfen. Als der Habsburger auf dem Wormser Reichstag 1509 Unterstützung für seinen Krieg gegen Venedig verlangte, verweigerten die Stände dies kategorisch mit der Begründung, er habe die maßgebliche politische Voraussetzung für den geplanten Feldzug, das am 10. Dezember 1508 in Cambrai vereinbarte, gegen Venedig gerichtete Bündnis mit dem Papst, Frankreich und Aragon, ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung abgeschlossen, obwohl es erforderlich sei, „in solichen schweren hohen sachen, sonderlich wo die das hailig 82 Erster königlicher Entwurf einer neuen Regimentsordnung, vgl. Heil 8 (s. Anm. 25), Nr. 347. Ähnlich auch der zweite Entwurf, ebd.: Nr. 354. 83 Heil 8 (s. Anm. 25), Nr. 353, S. 492. 84 Vgl. Janssen (s. Anm. 38), Nr. 941f., 951. 85 Vgl. Janssen (s. Anm. 38), Nr. 954, S. 755. 86 Vgl. Ausschreiben Maximilians an die Reichsstände, Feldkirch, 9. 9. 1510, Staatsarchiv Nürnberg, Fürstentum Brandenburg-Ansbach, Reichstagsakten Nr. 8, fol. 387, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 732; Ausschreiben Maximilians an die Reichsstände, Freiburg i. Br., 14. 11. 1510, ebd.: fol. 397, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 747.
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reiche etwas betreffen, [..] der churfursten, fursten und stende des reichs rate und willen zu geprauchen, wie dann solichs von alter und loblich im reiche herkomen.“87 Hinzu komme, dass aus den beiden letzten Hilfen, die ihm 1505 in Köln und 1507 in Konstanz bewilligt worden seien, „dem hailigen reiche kein nutz, sonder allein nachtheil, schimpf und schade deßhalb erwachsen“ sei.88 Maximilian reagierte auf diese Ablehnung nicht nur mit „mercklich befrembdens und beswerung“,89 sondern setzte in der Folgezeit alles daran, die verfassungsmäßige Entscheidungskompetenz des Reichstags bei Reichshilfen auszuhebeln. So griff er, nachdem die ihm von der Augsburger Reichsversammlung 1510 bewilligte Kriegshilfe wieder nur zum Teil eingegangen war, zum überkommenen Mittel des Aufgebots, indem er den Ständen unter Androhung massiver Sanktionen befahl, zum 1. April 1511 möglichst stark gerüstet auf einem „Reichstag“ in Trient (!) zu erscheinen und von dort aus mit ihm gegen die Venezianer zu ziehen.90 Als so gut wie niemand dieser Anordnung Folge leistete, reagierte Maximilian empört und mit massiver Polemik: Den Ständen sei bekannt, „das die reichstäge in manigfaltigen guten sa[c]hen mer costen und versaumbnus dann fruchtberkait bracht haben.“ Da jedoch der Kriegszug gegen Venedig „kainen verzug aines reichstags […] gedulden noch erleiden kann“, hoffe er, dass sie „nit in gedechtnus fasset die alt gewonheit der vil gehalten reichstage versaumbnus und unerschießlicheit“, sondern ihm die verlangte Hilfe unverzüglich in Form von Bargeld zur Verfügung stellten.91 Diese und andere kaiserliche Attacken lösten im Reich allenthalben starke Irritationen aus. Die spannungsgeladene Stimmung, die Mitte des Jahres 1511 zwischen Kaiser und Ständen herrschte, beschrieb der Eichstätter Bischof Gabriel von Eyb treffend mit den Worten, Maximilian sei „mit zornigem gemüt gegen den fürsten des Reichs erfüllt. […] Meines bedünkens wachsen dy hendel von einem pösen noch zu einem pösern.“92 Erst dem einflussreichen kaiserlichen Kanzler Zyprian von Serntein gelang es, Bewegung in die festgefahrene Situation zu bringen, indem er unter Hinweis darauf, „daz die fürsten alle hilf abschlagen und sich allain auf den reichstag
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Janssen (s. Anm. 38), Nr. 968, S. 763f. Janssen (s. Anm. 38), Nr. 970, S. 769. Janssen (s. Anm. 38), Nr. 969, S. 767. Vgl. Mandat Maximilians an die Reichsstände, Freiburg i. Br., 27. 1. 1511, Hauptstaatsarchiv München, Hochstift Freising, Kasten blau 200/10, o. Fol., künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 754. 91 Mandat Maximilians an die Reichsstände, Weilheim in Bayern, 20. 5. 1511, Staatsarchiv Augsburg, Reichsstadt Nördlingen, Münchener Bestand B 991, Prod. 19, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 763. 92 Bischof Gabriel von Eyb an den Würzburger Bischof Lorenz von Bibra, 8. 6. 1511, Staatsarchiv Würzburg, Historischer Saal VII 451a, fol. 12, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 766.
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waigern“, die Ansetzung einer neuen Versammlung dringend empfahl.93 Endlich reagierte Maximilian und berief für den 16. Oktober 1511 einen Reichstag nach Augsburg ein.94 Doch die wenigen Stände, die der Ladung Folge leisteten, warteten Monate lang vergeblich auf den Monarchen. Ende Februar 1512 wurden sie dann von ihm kurzfristig nach Trier umdirigiert.95 Obwohl dort noch nie zuvor ein Reichstag stattgefunden hatte und die mit einer derartigen Veranstaltung verbundenen Organisationsprobleme entsprechend groß waren, hatte Maximilian sich allein deshalb für Trier als Tagungsort entschieden, weil er seinen niederländischen Besitzungen und dem Krieg gegen Herzog Karl von Geldern nahe sein wollte. So überraschte es auch kaum jemand, dass er schon knapp vier Wochen nach Verhandlungsbeginn erklärte, er müsse sich unverzüglich in die Niederlande begeben, um dort den Abwehrkampf gegen Herzog Karl zu organisieren. Der Reichstag solle nach Antwerpen oder Hertogenbosch (beide Orte nicht auf Reichsgebiet gelegen) verlegt und dort fortgesetzt werden.96 Die Stände lehnten dies jedoch strikt ab und bestanden darauf in Trier zu bleiben. Erst Anfang Juli folgten sie Maximilians Ruf an den neuen Versammlungsort Köln,97 wo der Reichstag fortgesetzt und Mitte September abgeschlossen wurde. Dass 1512 die wachsende Entfremdung zwischen Kaiser Maximilian und den Ständen auch in der inhaltlichen Diskussion deutlich zutage trat, zeigt vor allem das Ringen um eine neue Ordnung für das Reich. Von diesem schon auf dem Augsburger Reichstag 1510 ins Auge gefassten, aber nicht realisierten Projekt hatten beide Seiten recht konträre Vorstellungen. Den Ständen ging es, wie ihr Ordnungsentwurf vom Mai 1512 zeigt,98 in erster Linie um Lösungen für reichsinterne Probleme, insbesondere die Handhabung des Landfriedens, die Finanzierung entsprechender Friedensschutzmaßnahmen sowie die Durchsetzung und Ausweitung „polizeylicher“ Verordnungen (Gotteslästerung, Zutrin93 Ratschlag Zyprians von Serntein, ca. Juni/Juli 1511, Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Maximiliana I 44/20, I. Teil, fol. 273r, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 770. 94 Vgl. Ausschreiben Maximilians an die Reichsstände, Innsbruck, 20. 7. 1511, Staatsarchiv Augsburg, Reichsstadt Nördlingen, Münchener Bestand B 991, Prod. 17, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 771. 95 Maximilian an Herzog Wilhelm IV. von Bayern, Frankfurt, 28. 2. 1512, Hauptstaatsarchiv München, Kurbayern Äußeres Archiv 3138, fol 112, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 940. 96 Die Frankfurter Gesandten Jakob Heller und Jakob Stralenberg an Frankfurt, Trier, 14. 5. 1512, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Reichstagsakten Bd. 29, fol. 9–10, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 1705. 97 Der Frankfurter Gesandte Jakob Heller an Frankfurt, Trier, 30. 6. 1512, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Reichstagsakten Bd. 29, fol. 27–29, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 1716. 98 Von dem in den Quellen als „ungeferlicher poß“ bezeichneten Stück existieren mehrere Fassungen. Die Textgenese lässt sich am besten verfolgen anhand der Exemplare im Archives municipales Straßburg, AA 337 Fasz. 2, fol. 14–43, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 989/ I–III.
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ken, Monopolbildung der Kaufmannsgesellschaften usw.). Mit dieser klaren Ausrichtung der neuen Ordnung auf innerreichische Bedürfnisse war Maximilian allerdings überhaupt nicht einverstanden. In seiner Stellungnahme erklärte er zwar, er lasse sich die ständischen Vorschläge meherertails woll gefallen, doch mit etlichen zusatz und besserung, die ir keyserliche maiestät als die trefflichsten und nechsten, ain die auch beroirt ordnung und enschlos nyemant zu frucht dienen noch bestant haben noch in vollentzog reichen mag, […] bedacht und ermessen hait.99
Anschließend entfaltete er ein umfassendes Panorama seiner gegenwärtigen Außenpolitik, die mit dem Papst, Frankreich, Spanien, England und Venedig praktisch alle großen europäischen Mächte umspannte, skizzierte die damit verbundenen Probleme und verlangte zu guter Letzt von den Ständen eine möglichst umfangreiche Hilfe für sein momentan größtes Anliegen, die Gewinnung von Geldern. Damit offenbarte sich einmal mehr, was vor allem im letzten Lebensjahrzehnt des Habsburgers immer deutlicher wurde, nämlich dass er nicht mehr bereit war, zwischen den supranationalen Interessen seines Hauses auf der einen sowie den spezifischen Belangen des Reiches und seiner Glieder auf der anderen Seite zu unterscheiden und deshalb glaubte, das Reich ohne weiteres für alle seine ausgreifenden, oftmals abenteuerlichen und eigensinnigen Pläne in Dienst nehmen zu können. Doch die Stände waren immer weniger bereit ihm auf diesem Weg zu folgen. Die am 26. August 1512 in Köln beschlossene neue Reichsordnung100 stimmt in großen Teilen mit dem ständischen Entwurf vom Mai überein, von den Erfordernissen der maximilianeischen Außenpolitik ist darin mit keinem Wort die Rede. Zugleich war dieses Dokument das letzte bedeutende Resultat des großen verfassungs- und reformpolitischen Ringens zwischen Monarch und Ständen in der Ära Maximilians I. Als Ergebnis der Betrachtung bleibt Folgendes festzuhalten: Im Rahmen der fundamentalen Diskussion um einen größeren Anteil der Stände an der Reichsgewalt ausgangs des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfuhr auch der Reichstag einen großen Modernisierungsschub, der sein Erscheinungsbild, seine konkreten politischen Möglichkeiten und damit auch seine Rolle im Rahmen der Reichsverfassung maßgeblich veränderte. Seit Worms 1495, das diesbezüglich geradezu Signalwirkung hatte, trat neben die Legitimität des Herrschers die eigenständige Legitimität des Reichstags.101 Auch wenn Maxi99 Nürnberg, StA., Fürstentum. Brandenburg-Ansbach, Reichstagsakten Nr. 9, fol. 153a–168b, das Zitat fol. 153a, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 990 [1.]. 100 Druck: Schmauß/Senckenberg (s. Anm. 25), S. 136–146, künftig: Seyboth (s. Anm. 25), Nr. 1011. 101 Vgl. Moraw: Hoftag (s. Anm. 2), S. 20. Ähnlich Ders.: Die Reichsreform und ihr verwaltungsgeschichtliches Ergebnis, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmit-
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milian nach dem Tod Bertholds von Henneberg 1504 nochmals versuchte, das Rad der Entwicklung zurückzudrehen und nach altem Muster möglichst ohne Beiziehung des Reichstags zu regieren, so zeigt allein schon die bemerkenswerte Zahl von 39 anberaumten (davon immerhin 20 durchgeführten) Reichsversammlungen zwischen 1486 und 1518, dass dies faktisch nicht mehr möglich war.102 Spätestens seit 1495 übernahm der Reichstag mit großer Selbstverständlichkeit immer mehr Aufgaben, die vor allem das Funktionieren des Reiches in seinem Inneren betrafen. Maximilian I. war der letzte Monarch, der dieser Verselbständigung und Kompetenzerweiterung des Reichstags nachhaltigen Widerstand entgegensetzte. Nach ihm endete der frühere Dualismus und beide Teilgewalten bemühten sich weitgehend einträchtig um das Wohl des Reiches.
telalter bis zum Ende des Reiches, hg. v. Kurt G. A. Jeserich u. a., Stuttgart 1983, S. 58–65, hier S. 62. 102 Vgl. die von Dietmar Heil und Reinhard Seyboth zusammengestellte Liste der Reichstage und Reichsversammlungen in der Regierungszeit Maximilian I. unter www.historischekommission-muenchen.de/…/reichstage1486–1518 (letzter Zugriff am 05. 05. 2017).
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Abb. 1: Hauptstaatsarchiv München, Kurbayern Äußeres Archiv 3134, fol. 227.
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Abb. 2: Staatsarchiv Nürnberg, Fürstentum Ansbach, Reichstagsakten Nr. 5, unfol.
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Abb. 3: Die Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513, hg. von Alfred A. Schmid u. a., Luzern 1981, S. 357.
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Abb. 4: Bayerische Staatsbibliothek München, Res/2 A.lat.b 284 Beiband 5.
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Reimer Hansen
Maximilian I. und die Seelande in der Verfassung des Alten Reiches
Das Thema birgt zwei zentrale Aspekte der Regierungszeit Maximilians I. bezüglich ihrer historischen Implikationen, Folgen und Bedeutung. Zunächst einen regional- und sodann einen allgemeingeschichtlichen Aspekt. Beide sollen im Folgenden an Hand der einschlägigen Quellen im Diskurs mit der maßgeblichen Literatur in ihren Grundzügen skizziert und danach in ihrem wesentlichen Gehalt erörtert, eingeordnet und beurteilt werden. Der regionalgeschichtliche Aspekt konzentriert sich auf die so genannten Seelande im Alten Reich, das in seiner offiziellen Selbstbezeichnung unter Maximilian endgültig und dauerhaft bis an sein Ende 1806 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wird. Mit dem historisch-geo- und -topographischen Begriff der Seelande verbindet sich indes keine einhellige räumliche Kennzeichnung. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: die singularischen Namen der inselreichen niederburgundischen Grafschaft und niederländischen Provinz Zeeland im Delta der Rhein-, Maas- und Scheldemündung oder der dänischen Hauptinsel Sjælland haben außer der etymologischen Übereinstimmung nichts mit ihnen gemein. Sucht man sie näher zu lokalisieren, so wird man zunächst auf den kleinen friesischen tractaet fan da saun zelanden des gansen landis fan Freesland mei syn tobiheer ende eylanden verwiesen, der nicht vor 1417 entstanden sein kann.1 Die so genannten Sieben Seelande von ganz Friesland erstrecken sich dem Traktat zufolge mitsamt ihrem Zubehör und ihren Inseln von der Nordwestküste der Zuiderzee entlang der Südostküste der Nordsee über West- und Ostfriesland bis zum Land Hadeln zwischen Weser- und Elbmündung sowie schließlich dem Lande Dithmarschen an der südlichen Ostküste der Nordsee zwischen dem Nordufer der Elbmündung und der westlichen Nordgrenze des Reiches an Mündung und Unterlauf der Eider. Bereits an dieser geographischen Bestim1 Karl Freiherr von Richthofen: Untersuchungen über friesische Rechtsgeschichte, Teil 2, 1. Bd., Berlin 1882 [Neudruck 1970], S. 4. Der terminus post quem ergibt sich aus inhaltlichen Konstellationen. Ebd.: S. 8f.; Text des Traktats: ders.: Friesische Rechtsquellen, Berlin 1840 [Neudruck 1960], S. 110–112.
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mung wird eine offenkundige Ungereimtheit deutlich: Dithmarschen und Hadeln waren keine friesischen, sondern niederdeutsch-sächsische Lande. Gleichwohl werden sie – auch in den einschlägigen Urkunden Maximilians – in der Regel einem erweiterten oder großen Friesland subsumiert. In seiner auf dem Reichstag von Freiburg am 20. 7. 1498 ausgestellten Urkunde teilt der Römische König Maximilian seinen und des Reichs getreuen Grafen, Prälaten, Adligen, Städten, Kommunen und Einwohnern des Landes Friesland mit, dass er Herzog Albrecht von Sachsen, dessen Erben und Nachkommen mit Rat der versammelten Reichsstände „von vnser vnd des Heiligen Reichs wegen zu Gubernatorn vnd potestaten“ eingesetzt und mit „notturftigen gebots brifen“ an sie versehen, „darzu macht vnd gewalt beuolhen vnd gegeben“ habe. Er hält die Adressaten der Urkunde unter Androhung der Reichsacht an, den Herzog als „vnser vnd des Heiligen Reichs Gubernator vnd potestat“ anzunehmen und ihm „des Heiligen Reichs gewonlich Huldigung, glübde, Eyde vnd gehorsam“ zu leisten. Das zunächst allgemein als Friesland bezeichnete Herrschaftsgebiet Albrechts wird im einzelnen in seinen Teilen bezeichnet, die – wie es wörtlich heißt – „dieser Zceit Ostergew, Westergew, Siebenwalden, Gruningen gebiette, Dittmarsen, Strandfriesen, Wurstfriesen, Stellingewerff genant werden“. Um Missverständnisse möglichst auszuschließen, umreißt die Urkunde sie noch einmal ausdrücklich allgemein mitsamt „solicher Lande, Inseln vnd gebiett vnd aller andre Irer zugehörigen flecken vnd ende derselben Frießlande, die dem Reich von alder vnd recht vnderworffen vnd zugehörig sein“.2 Viereinhalb Jahre nach Albrechts Tod konnten seine in Bedrängnis geratenen Söhne Georg und Heinrich ein Mandat Maximilians zu ihren Gunsten erwirken, in dem er unter dem Datum des 25. 4. 1505 „vnser vnd des hailigen reichs acht und aber acht“ über die Stadt Groningen verhängte. In der Begründung des – im Unterschied zu der nur handschriftlich als Transsumpt überlieferten Urkunde von 1498 – im Druck veröffentlichten Mandats rekapitulierte er noch einmal den wesentlichen Inhalt der Urkunde. Er habe – heißt es dort – vnserm lieben oheimen hertzog Albrechten zu˚ Sachsen vnd seinen Erben die Reigierung vnd Gubernation aller Friesischen Lande vnd nemlich Ostergaw, Westergaw, Siebenwalden, Grueningen vnd vmbland vmb Grüeningen, Stellingwürff, Dietmarschen, Strantfriesen, Würstfriesen, Bütigerland, Stadeland mit allen Insulen, Eylendern vnd allen andern Friesischen Landen, wie die mit sonderlichen Namen mögen genent werden, mit sambt allen vnd ieglichen der selb Prelaten, Grauen, herren, Edlen, Stetten vnd allen iren Einwonern vnd vnderthonen so von altersher zu dem heiligen Reich gehörn von vnser vnd deß heiligen Reichs wegen beuolhen vnd zugestelt, damit die in 2 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, O.U. 9254 (Transsumpt). Hierzu: Heinz Gollwitzer (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496–1498 (Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe, Bd. 6), Göttingen 1979, Nr. 53, S. 669f.
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ein Erlich. nutzlich Reigierung bracht auch bey vns vnd dem heiligen Reich behalten vnd nit in ander frömd gewalt kommen würden, vnd daruff ernstlich Mandata vnd gebotsbrieff an die selben vnderthanen ausgen lassen dem gemelten hertzog Albrechten zu˚ Sachsen vnd seinen erben gehorsam, pflicht vnd Eyde zu˚ tu˚n, alles Inhalt vnser verschreibung vnd gebots brieff darüber ausgegangen vnd die gemelten Friesischen lande vnd derselben Einwoner ains tails auff solch vnser gepot gehorsam getan.3
Anders als der Traktat von den Sieben Seelanden von ganz Friesland und das auf Veranlassung des Grafen Edzard I. zusammengestellte Ostfriesische Landrecht4 bezeichnen die einschlägigen Urkunden Maximilians die übergeordnete geographisch-territoriale Region ausschließlich als Friesland oder die Friesischen Lande. Die einzelnen landschaftlichen Gebiete stimmen jedoch großenteils überein und reichen ebenfalls deutlich, zum Teil sogar noch weiter über das eigentliche Friesland zwischen Zuiderzee und Wesermündung nach Osten und Norden hinaus. Das den albertinischen Herzögen von Sachsen als Gubernatoren und Potestaten zur Regierung übertragene Gebiet beginnt jedoch erst mit dem westfriesischen Westergo an der nördlichen Ostküste der Zuiderzee und der sich ihr ostwärts anschließenden Südküste der Nordsee. Es scheint sich indes auf den ersten Blick über das in den Urkunden Maximilians nicht ausdrücklich erwähnte, aber den Sieben Seelanden von ganz Friesland zugerechnete, zum Herzogtum Sachsen-Lauenburg gehörige Land Hadeln noch weiter ostwärts an der südlichen Elbmündung bis Stade im Territorium des Erzbistums Bremen zu erstrecken, sofern mit der ansonsten unüblichen Ortsbezeichnung Stadeland die Flussmarschen links und rechts der Stadt Stade gemeint sein sollten. Und nach Norden sogar über die Reichsgrenze an der Westküste des Herzogtums Schleswig bis zu den Strandfriesen. Diese offenkundige Grenzüberschreitung verdient besondere Beachtung. 3 Stadtarchiv Lüneburg, UAa, gedruckter Achtbrief Maximilians I. vom 25. 4. 1505. Hierzu: Dietmar Heil (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 8: Der Reichstag zu Köln 1505, Teil 1 (Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe 8), München 2008, Nr. 230, S. 370f., sowie das Mandat bzw. der Gebotsbrief an die Grafen Edzard und Uko von Ostfriesland: Nr. 231, S. 371. Allgemein hierzu: Oskar Sperling: Herzog Albrecht der Beherzte von Sachsen als Gubernator Frieslands, in: Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums zu Leipzig für das Schuljahr 1891 bis 1892, Leipzig 1892, Beigabe, S. 1–52; Günther Wartenberg: Die Albertiner in Friesland, in: Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V. (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, Reihe A 35), hg. v. Bernhard Sicken, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 105–112; Paul Baks: Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat Frieslands. Beweggründe und Verlauf seines friesischen „Abenteuers“, in: Andr8 Thieme (Hg.): Herzog Albrecht der Beherzte (1443–1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2), S. 103–141; Saksers yn Frysl.n. Saksisch Bestuur in Friesland 1498–1515. Catalogus bij de tentoonstelling in het Fries Museum, Leeuwarden 1998, S. 19–74. 4 Vgl. Richthofen 1840/1960 (wie Anm. 1), S. 110–112.
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Auch wenn sie innerhalb der Friesischen Lande im ethnischen Verständnis bleibt, verstößt sie doch offenkundig gegen die explizite Selbstbeschränkung beider Urkunden durch die verfassungsrechtliche Begrenzung Frieslands auf Land und Leute, die dem Reich von alters her zugehörig und rechtmäßig unterworfen seien. Die unsystematische, wenn nicht geradezu willkürliche Aneinanderreihung der einzelnen Teile des als Friesland umrissenen Herrschaftsbereichs der albertinischen Herzöge von Sachsen mag auf unzureichende Ortskenntnis der Kanzlei Maximilians zurückzuführen sein. Der Ausgriff über die Nordgrenze könnte indes auch andere Gründe haben, da er nicht singulär ist. 1517 bekräftigt Maximilian eine Anwartschaft des Markgrafen von Brandenburg Joachims I. auf Grund seiner Ehe mit der dänischen Königstochter Elisabeth auf das Herzogtum Schleswig.5 Der Name Stadeland ist möglicherweise ein bloßer Schreib- oder besser : Druckfehler, da die links und rechts der Stadt Stade am Ufer oder – um die Etymologie zu bemühen – am Gestade der Unterelbe gelegenen Lande die historischen Namen Kehdingen und Das Alte Land tragen und überdies nicht mehr als See-, sondern wie die Wilster-, Kremper- und Haseldorfer Marsch am gegenüberliegenden nördlichen Ufer der Unterelbe als Flußlande oder – noch präziser – als Elbmarschen zu bezeichnen wären. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass der Druck Stadeland aus Hadeler Land, das bereits im Traktat unter den friesischen Seelanden erscheint, verballhornt haben könnte. Man dürfte daher wohl gut beraten sein, es vorerst nicht allein auf Grund des gedruckten Wortlauts schon den Friesischen Landen des Mandats zuzurechnen. Im übrigen erfährt das so genannte Friesland 1505 gegenüber 1498 eine deutliche Erweiterung. 1498 besteht es aus acht, 1505 dagegen aus elf Teilgebieten. Werden 1498 nur die Gruningen gebiette, mithin das Umland oder die Ommelande Groningens erwähnt, so wird 1505 außer dem vmbland vmb Grüeningen auch die geächtete Stadt Groningen selbst mit in die Friesischen Lande einbezogen. Darüber hinaus finden sich 1505 auch das Bütingerland, mithin das zwischen Jade- und Wesermündung gelegene friesische Butjadingen, sowie das sächsisch-niederdeutsche Stadeland oder – vielleicht wohl richtiger – Hadeler Land als Teile des der albertinischen Regierung unterstellten Frieslands. Ordnet man die einzelnen Friesischen Lande entlang der südöstlichen Nordseeküste in der geo- und topographischen Reihenfolge von der Zuiderzee bis Nordfriesland, dann bilden sie eine geschlossene Region von Wester- und Ostergo mit Siebenwalden und Stellingwerf, über das Umland Groningens, die Grafschaft Ostfriesland, Butjadingen, Wursten, Hadeln und Dithmarschen bis zum Strand, der bis zur verheerenden Sturmflut 1634 aus einer großen zusammenhängenden Insel vor der südlichen Nordseeküste des Herzogtums Schleswig bestand, die die 5 Nicolaus Falck (Hg.): Sammlung der wichtigsten Urkunden, welche auf das Staatsrecht der Herzogthümer Schleswig und Holstein Bezug haben, Kiel 1847, S. 429f.
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heutigen Inseln Nordstrand und Pellworm mit den umliegenden Halligen durch einen geschlossenen Seedeich umfasste.6 Paul Baks rechnet zu den Strantfriesen das gesamte Nordfriesland zwischen den Mündungen der Eider und der Wiedau mit den übrigen davor liegenden Inseln und Halligen.7In diesem Zusammenhang erscheint die Albrechts Regierung unterstellte Region weit triftiger mit dem alten Begriff der Seelande umschrieben, den Karl von Richthofen aus den einschlägigen Quellen in die moderne Historiographie zurückgeholt und auf den Kranz kleiner freibäuerlich-genossenschaftlich verfasster Landgemeinden an der südöstlichen Nordseeküste übertragen hat.8 Der niederländische Historiker Bernard Hendrik Slicher van Bath hat sie vor mittlerweile mehr als sechs Jahrzehnten erstmals des näheren historisch bestimmt und eingeordnet,9 sie geound topographisch als „de langs de kust gelegen kleilanden“, „waterrijke kustlanden langs de Nordzee“, „Friese kustlanden“, „Friese landen“ oder „Nordzeelanden“,10 sowie verfassungs- und politikgeschichtlich als „landjes langs de Nordzee“, „autonome boeren republiekjes“ oder „onafhankelijke staatjes“,11 mithin als kleine autonome oder unabhängige Bauernrepubliken, Lande oder Staaten entlang der Nordsee bezeichnet. Albrecht und seine Söhne Georg und Heinrich haben in ihren Urkunden den Titel „Römischer kuniglicher majestat und des heiligen Romischen Reichs ewiger Gubernator in Friesland“ geführt.12 Der Widerspruch zu der größeren Herrschaftsregion beider Urkunden ist in der politischen Wirklichkeit ihres am Ende kläglich gescheiterten Versuchs, das de iure übertragene Amt des Gubernators und Potestaten de facto durchzusetzen und zu behaupten, nie offen zu Tage getreten, da es ihnen nicht einmal gelang, die Friesischen Lande des Reichs ihrer Regierung zu unterwerfen. Potestas oder Macht und Gewalt, wie es in der normativen Urkundensprache heißt, haben sie nur vorübergehend in Westergo, Ostergo, Siebenwalden, Stellingwerf und im Umland Groningens ausüben können. Die herrschaftliche Funktion des Potestaten war ursprünglich kein 6 Dirk Meier : Die Nordseeküste. Geschichte einer Landschaft, Heide 22007, S. 126–141. 7 Kartographische Darstellung des Amtsgebiets Herzog Albrechts des Beherzten in: Baks (wie Anm. 3), S. 105. 8 von Richthofen: Rechtsquellen (wie Anm. 1), S. 110; ders.: Rechtsgeschichte (wie Anm. 1), S. 1ff. 9 Bernard Hendrik Slicher van Bath: Problemen rond de Friese middeleeuwse geschiedenes, in: Herschreven Historie. Schetsen en studien op het gebied der middeleeuwse geschiedenis, hg. v. Bernard Hendrik Slicher van Bath, Leiden 1949, S. 259–280. Hierzu in kritischer Auseinandersetzung: Hermann Aubin: Von den Ursachen der Freiheit der Seelande an der Nordsee, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I. PhilologischHistorische Klasse 1953, Nr. 1, Göttingen 1953, S. 29–45. 10 Slicher van Bath (wie Anm. 9), der Reihenfolge nach: S. 260, 279, 265 (272, 277), 275, 274. 11 Vgl. Slicher van Bath (wie Anm. 9), S. 259f. 12 Ernst Friedlaender (Hg.): Ostfriesisches Urkundenbuch, Bd. 2: 1471–1500, Emden 1881, Nr. 1638, S. 614f.; Nr. 1642, S. 618f; Nr. 1643, S. 620; Nr. 1666, S. 637f.
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ewiges, mithin unbefristetes, sondern ein nach dem Zusammenbruch der Grafengewalt im ausgehenden Hochmittelalter zunächst für ein Jahr eingerichtetes Wahlamt der neuentstehenden Landgemeinden, unter Friedrich III. und Maximilian I. jedoch ein ebenfalls vom Reich beanspruchtes und auf Zeit verliehenes Amt unter dem Privileg der friesischen Freiheit, das zum einen die weitgehend herrschaftsfreie Reichsunmittelbarkeit und zum anderen die genossenschaftlich-korporative Selbstorganisation der freibäuerlichen Landgemeinden beinhaltete. In diesen boerenrepublikjes, staatjes oder landjes waren alle erbgesessenen Bauern und Grundbesitzer prinzipiell gleichberechtigt. Die genossenschaftlich gebildeten Führungs- und Herrschaftsfunktionen, insonderheit das Richteramt, lagen indes bei der überkommenen adlig-großbäuerlichen Oberschicht, für deren korporative Repräsentanten sich im 14. und 15. Jahrhundert die Bezeichnung hovetling, hovetscap oder hovether, hochdeutsch: Häuptling durchsetzte.13 Die Sozialstruktur der friesischen und sächsischen Seelande war stark differenziert und auch in der Eidgenossenschaft ihrer Landgemeinden alles andere als egalitär.14 Maximilians Urkunde 1498 richtet sich an Grafen, Prälaten, Adel, Städte, Kommunen und Einwohner der bezeichneten Gebiete. Ostfriesland war seit 1464 am weitesten in die Reichsverfassung integriert, als Kaiser Friedrich III. den führenden Häuptling Ulrich aus dem Hause Cirksena zum Grafen des Reiches erhoben hatte.15 Mit den 1498 von Maximilian angesprochenen Grafen waren namentlich seine regierenden Söhne Edzard und Uko gemeint, mit den Prälaten die höhere Geistlichkeit und mit dem Adel die Häuptlinge. Die geordnete Rang- und Reihenfolge der Adressaten verdeutlicht, dass alle sozialen und politischen Voraussetzungen auch für die Ausbildung von Territorialständen gegeben waren. In Ostfriesland haben sich in der Tat während der Herrschaft Edzards I. – wie es in der Deichordnung aus dem Jahre 1515 heißt – „Prelaten, Hovetlinge und ehrbare Mannschop als Stende der Landen“ formiert, die dann unter seinen Nachfolgern als Prälaten, Ritterschaft und Einwohner auf den Landtagen in Erscheinung treten.16 Die deutliche soziale Differenzierung galt nicht minder für die genossenschaftlich-korporativen Landgemeinden, die weder adlige noch hörige Einwohner kannten, wie namentlich die kleine, durch starke natürliche Grenzen abgeschiedene terra oder universitas der Bauernre13 Vgl. Friedländer (wie Anm. 12), passim; Jurrien R.G. Schuur : Die spätmittelalterliche „Friesische Freiheit“ und ihr Untergang zur Zeit Karls V., in: Sicken (wie Anm. 3), S. 89–104. 14 Schuur (wie Anm. 8), S. 97. 15 Walter Deeters: Kleinstaat und Provinz. Allgemeine Geschichte der Neuzeit, in: Ostfriesland. Geschichte und Gestalt einer Kulturlandschaft, hg. v. Karl Ernst Behre und Hajo van Lengen, Aurich 1996, S. 135f. 16 Harm Wiemann: Materialien zur Geschichte der Ostfriesischen Landschaft (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 58), Aurich 1982, S. 16–18.
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publik Dithmarschen zwischen Elb- und Eidermündung, die der Traktat zu den friesischen Seelanden und Maximilian zu den Friesischen Landen zählte. Heinz Stoob unterscheidet in seiner sozialhistorischen Analyse ihrer spätmittelalterlichen Bevölkerung die „scharfe Abstufung“ von fünf gesellschaftlichen Schichten, die von der quasipatrizischen Oberschicht der Großbauern bis zu den persönlich freien Landbesitzlosen reicht.17 Der alte Hauptort des Landes, die civitas Meldorf, besaß seit der Mitte des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht des Erzbischofs von Bremen. Im 15. Jahrhundert lief der neue Hauptort des Landes, das oppidum oder der Flecken und zentrale Marktplatz Heide, ihr den Rang ab, und ihr Konkurrent im Norden des Landes, der Flecken Lunden, erhielt 1529 nach ihrem Vorbild das Stadtrecht. Das Land Dithmarschen dürfte die wohl stärkste Ausprägung einer herrschaftlichen Eigenentwicklung aus genossenschaftlicher Wurzel und föderativer Verfassungsbildung unter den Seelanden hervorgebracht haben, die schließlich eines fürstlichen Landesherrn faktisch nicht mehr bedurfte. Sie unterstand der formalen Landesherrschaft des Erzbischofs von Bremen, hatte aber seit dem Hochmittelalter auf der Ebene der Kirchspiele eine nahezu autonome Gemeindeverfassung ausgebildet und befand sich seit dem 14. Jahrhundert auf dem Weg zu einer selbständig regierten – wie der Regionalhistoriker Nis Rudolf Nissen es einmal treffend formuliert hat – „Bundesrepublik, bestehend aus bäuerlichen Kirchspielen“.18 Im Spätmittelalter bildeten sich als zentrale Organe dieser Föderation von 20 Kirchspielen die rund 500 Köpfe zählende Landesversammlung und das Gremium der radgever oder consules aus, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Kollegium der achtundeveertich man seinen äußeren Abschluss erhielt. Es wurde in der Folgezeit durch beständigen Autoritäts- und Kompetenzzuwachs zur eigentlichen Landesregierung der Bauernrepublik. Die 48er treten erstmals aus Anlass der Aufzeichnung des Dithmarscher Landrechts im Jahre 1447 ins Licht der Geschichte. Heinz Stoob hat ihren Aufstieg zur korporativ-föderativen Landesherrschaft anhand ihrer offiziellen Titel untersucht. Erscheinen sie 1447 noch als Richter und Ratgeber, so werden sie im letzten Viertel des 15. und im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts als Verweser und im letzten halben Jahrhundert der Geschichte der Bauernrepublik als Regenten und Herren tituliert, nach der Reformation auch als Obrigkeit.19 Ihre kollegial ausgeübte Gerichts- und Regierungsgewalt blieb dabei an Rat und Votum der Landesversammlung gebunden und bezog ihre herrschaftliche Legitimation ausschließlich aus gemeindlich-genossenschaftlicher und föderativer Wurzel.20 17 18 19 20
Heinz Stoob: Geschichte Dithmarschens im Regentenzeitalter, Heide in Holstein 1959, S. 378. Nis R. Nissen: Staat und Kirche in Dithmarschen, Heide in Holstein 1994, S. 19. Stoob (wie Anm. 17), S. 40–137. Hierzu: Heinz Stoob: Landausbau und Gemeindebildung an der Nordseeküste im Mittelalter,
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Auch blieb sie weiterhin durch die Zuständigkeiten der Kirchspiele und darüber hinaus durch die althergebrachte Stellung der Geschlechterverbände in der Rechtsform von Schwur- und Fehdegemeinschaften eingeschränkt.21 Das normative Fehdeverbot des Ewigen Reichslandfriedens Maximilians I. ist im Lande Dithmarschen erst mit über 40jähriger Verspätung nach der Reformation durch einen Beschluss der Landesversammlung 1537 durchgesetzt worden. Und zwar unter dem maßgeblichen Einfluss der lutherischen Geistlichkeit und ihrer reformatorischen Lehre von den beiden Regimenten, die das Gewaltmonopol der weltlichen Obrigkeit evangelisch oder sola scriptura begründete und gentilizische Eideshilfe und Blutrache strikt ausschloss.22 Die historische Entwicklung der Seelande war sicherlich nicht zwangsläufig durch die umrissenen kommunalistischen Grundzüge determiniert, aber tendenziell zweifellos stärker vorgeprägt als in den landständischen Territorialverfassungen, die durchweg – wie das Reich selbst – im Wege konsensualer Herrschaft funktionierten, nichtsdestoweniger aber auch das Potential zu korporativer und föderativer Herrschaftsbildung enthielten, wie insbesondere die nördlichen habsburgischen Niederlande einschließlich ihrer friesischen Seelande im Verlauf des 16. Jahrhunderts erweisen sollten. Die Grafschaft Ostfriesland möge exemplarisch verdeutlichen, dass Seelande sich ebenfalls – wenn auch mit erheblicher Verzögerung – aus eigener Kraft zu landständischer Verfassung ausbilden konnten. Graf Edzard I. sollte indes – nicht zuletzt aus dieser potentiellen Konkurrenz – entgegen der Anweisung Maximilians nach anfänglicher Unterordnung und partieller Kooperation zum Gegenspieler der albertinischen Gubernatoren und Potestaten werden. Fragt man nach den Motiven Maximilians, Herzog Albrecht mit der Regierung der Seelande zu beauftragen, so in: Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, Bd. 1 (Vorträge und Forschungen 7), hg. v. Theodor Mayer, Konstanz/Stuttgart 1964, S. 365–422; ders.: Das alte Dithmarschen und die Bauernstaaten der Nordseeküste, in: Dithmarschen 1965, S. 4–10 sowie 53–55; William L. Urban: Dithmarschen. A Medieval Peasant Republic (Mediaeval Studies 7), Lewiston/ Queenston/Lampeter 1991; Reimer Hansen: Dithmarschen 1500–1559. Zankapfel und Unruheherd in Nordmitteleuropa, in: Dithmarschen 2001, S. 30–41. Dazu: ders.: Die spätmittelalterliche Bauernrepublik Dithmarschen als Teil der Seelande an der südöstlichen Nordseeküste, in: Dithmarschen 2011, S. 6–17. Dieser Beitrag folgt im Wesentlichen – konzentriert auf das Beispiel Dithmarschen – den hier mitgeteilten Ausführungen. 21 Heinz Stoob: Die dithmarsischen Geschlechterverbände. Grundfragen der Siedlungs- und Rechtsgeschichte in den Nordseemarschen, Heide in Holstein 1951, insbesondere S. 157–167; ders.: Dithmarschens Kirchspiele im Mittelalter, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 77 (1953), insbesondere S. 109–112. 22 Stoob (wie Anm. 17), S. 193–218; Reimer Hansen: Die geschichtliche Bedeutung Heinrichs von Zütphen, des Märtyrers der Reformation in Dithmarschen, in: Dithmarschen 1990, S. 1–16, wieder abgedruckt in: ders.: Aus einem Jahrtausend historischer Nachbarschaft. Studien zur Geschichte Schleswigs, Holsteins und Dithmarschens (Veröffentlichungen des Beirats für Geschichte 22), Malente 2005, S. 93–118.
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wird sicherlich zu Recht auf seine notorische Geldnot verwiesen. Seine und seines Sohns, Erzherzog Philipps, Schulden gegenüber Albrecht hatten 1498 die Summe von 350 648 Gulden und 4 Stübern erreicht. Sie bezeichnen zudem die ursprünglich auf 100 000 Gulden festgesetzte Rückkaufsumme, die die Habsburger ihm hätten auszahlen müssen, wenn sie die Regierung der Friesischen Lande wieder für sich reklamieren wollten. Sie erklären überdies, weshalb Albrecht das Amt nicht als temporärer, sondern als ewiger und erblicher Gubernator erhielt und ausübte. Wie Maximilian verband auch er das Geschäft mit eigenen und zwar dynastischen Interessen. Er erstrebte das neue Amt vor allem in der Absicht, die Seelande als reichsunmittelbare Landesherrschaft für seinen Sohn Heinrich von Kaiser und Reich zu erwerben, um ihn ohne eine Teilung der sächsischen und thüringisch-meissnischen Erblande standesgemäß versorgen zu können. Auch wenn es so gut wie ausgeschlossen erscheinen mochte, dass Maximilian und Philipp die Rückkaufsumme in absehbarer Zeit hätten aufbringen können, und selbst, wenn es Albrecht gelungen wäre, die Seelande dauerhaft zu unterwerfen, hätte er sein Ziel damit noch nicht erreicht gehabt. Denn Maximilian führte auch weiterhin, namentlich in der Urkunde vom 20. 7. 1498 den Herrschaftstitel, den er dafür hätte erwerben müssen: her zu Frislandt. In der zeitgenössischen politischen Diskussion erscheint Friesland verschiedentlich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den schweizerischen Eidgenossen. Und es wird wohl kaum dem Zufall zuzuschreiben sein, dass Maximilian zu eben dem Zeitpunkt zum Schweizerkrieg schritt, als er Albrecht von Sachsen zum Gubernator und Potestaten von Friesland bestellte. Sein großer Gegenspieler in der Reichspolitik, der Reichserzkanzler per Germaniam, Kurfürst und Erzbischof von Mainz, Berthold von Henneberg, dachte bereits auf dem Reichstag zu Worms 1495 daran, Friesland und die Eidgenossen im Wege der Reichsreform, namentlich der Einrichtung eines Reichsregiments und der Handhabung Friedens und Rechts der neuen Reichslandfriedensordnung, aus dem Verband der habsburgischen Hausmacht und der Territorialdynastien zu lösen und als Reichsländer der geplanten ständischen Reichsgewalt zu unterstellen.23 Maximilian sah ihre Unterwerfung und Befriedung dagegen als seine 23 Das 1495 schließlich gescheiterte ständische Reichsregimentsprojekt sah analog der Behandlung heimgefallener Lehen Beratungen vor, „wie die Eydgnossen, Frieslender und andere zum Reich gehorig, so ein zeit lang davon gewest, wieder mit fugen zu bewegen weren, sich anderen ime Reich gleichmessig zu halten, wie dann derselbig wege am fuglichsten zu finden were.“ in: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5: Reichstag von Worms 1495 (Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe, Bd. 5), bearb. v. Heinz Angermeier, Göttingen 1981, S. 340. Hierzu auch: Ebd., S. 57, 1419, 1463; Eduard Ziehen: Mittelrhein und Reich im Zeitalter der Reichsreform 1356–1504, Bd. 2: 1491–1504, Frankfurt am Main 1937, S. 481, 489. Das mit der Regimentsordnung Maximilians I. vom 2. 7. 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg eingerichtete und schon bald darauf gescheiterte Reichsregiment hat hierin nichts weiter bewirkt. S. auch den Beitrag von Reinhard Seyboth in diesem Band.
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königlich-herrscherliche und habsburgisch-dynastische Angelegenheit und Aufgabe an. Deutlicher noch als 1498 begründete er 1505 die Betrauung der Albertiner mit der „Reigierung vnd Gubernation aller Friesischen Lande“ damit, dass sie „in ein Erlich, nutzlich Reigierung bracht, auch bey vns vnd dem heiligen Reich behalten vnd nit in ander frömd gewelt kommen würden.“ Was anders, wenn nicht die Herrschaftsbildung aus genossenschaftlich-korporativer und föderativer Wurzel konnte hiermit gemeint sein, denn akute auswärtige Feinde, die sie in andere fremde Gewalt hätten bringen können, waren 1505 tatsächlich nicht auf dem Plan. Selbst nicht der König von Frankreich, mit dem Maximilian sich zeit seiner Regierung im Konflikt um das burgundische Erbe befand und dem sogar Albrecht sich ein Jahrzehnt zuvor in taktischer Weise vorübergehend genähert hatte.24 Legitime Landesherrschaft gründete sich im Heiligen Römischen Reich ausschließlich auf den Akt der Belehnung durch den Römischen König oder Kaiser mit den Regalien, die der Landesherr in seinem Territorium an Stelle des Lehnsherrn wahrnahm. In den Seelanden wurde sie großenteils nicht vom nominellen Landesherrn, sondern von den Organen und Institutionen der freibäuerlich-genossenschaftlichen Landgemeinden, Kirchspiele, Landschaften oder Lande ausgeübt. Die Herzöge von Sachsen scheiterten zwar, aber ihr ursprünglicher Verbündeter, Graf Edzard von Ostfriesland, erreichte schließlich die Unterwerfung fast aller Landschaften zwischen Dollart und Jadebusen. Die letzten folgten bis zum Ende des Jahrhunderts, teils unter ostfriesische, teils unter oldenburgische Landesherrschaft. Dithmarschen, das sich lange erfolgreich gegen seine holsteinischen Nachbarn zur Wehr gesetzt hatte, wurde 1559 von den Herzögen von Holstein erobert und unterworfen. Freilich unter Wahrung bedeutender innerer Autonomie und landschaftlicher Partizipation. Das gilt im Großen und Ganzen auch für die bereits früher unterworfenen Landschaften der Weser- und Elbmarschen sowie die außerhalb der Reichsgrenzen gelegenen nordfriesischen Landschaften oder Seelande.25 Die in diesem Zusammenhang in der Forschungsliteratur erörterten machtpolitisch-strategischen und wirtschaftlichen Motive sind unübersehbar, werden 24 Baks (wie Anm. 3), S. 124. 25 Deeters (wie Anm. 15), S. 136–146; Bernd-Ulrich Hucker : Adel und Bauern zwischen unterer Weser und Elbe im Mittelalter, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 45 (1973), S. 97–113; Detlef Detlefsen: Geschichte der holsteinischen Elbmarschen, 2 Bde., Glückstadt 1891–92 (ND Kiel 1976); Geschichte Nordfrieslands, hg. vom Nordfriisk Instituut in Zusammenarbeit mit der Stiftung Nordfriesland, Heide in Holstein 21996; Kersten Krüger: Die landschaftliche Verfassung Nordelbiens in der Frühen Neuzeit: Ein besonderer Typ politischer Partizipation, in: Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, Teil 2, hg. v. Helmut Jäger u. a., Köln/ Wien 1984, S. 458–487; wieder abgedruckt in: ders.: Formung der frühen Moderne. Ausgewählte Aufsätze (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 14), Münster 2005, S. 199–224.
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aber weder von Maximilian noch von Albrecht und seinen Söhnen, aber auch den Fürsten, die – sei es wie in Ostfriesland durch Belehnung oder wie in Dithmarschen durch Eroberung und Unterwerfung – die Landesherrschaft über die genossenschaftlich-korporativ und föderativ verfassten Seelande antraten, nicht ausdrücklich angeführt. Am Küstensaum der südöstlichen Nordsee gelegen, waren die Seelande in der Lage, die Mündungen von Eider, Elbe, Weser und Ems zu kontrollieren und gegebenenfalls zu blockieren. Darüber hinaus besaßen sie im Schutz der Deiche und landeinwärts nur schwer passierbarer, wenn nicht unzugänglicher Niederungen einen breiten Saum fruchtbarsten Marschlandes, das beste Voraussetzungen für eine äußerst ertragreiche Landwirtschaft bot. Slicher van Bath betont die Bedeutung der Viehzucht und des Handels mit Viehprodukten, der großen Reichtum ins Land gebracht und die Geldwirtschaft maßgeblich befördert habe.26 Diese wirtschaftlichen Umstände bezeichnet er als die historische Voraussetzung der friesischen Freiheit. In der ökonomischen Freiheit – führt er aus – habe der Keim für die politische Selbständigkeit und Unabhängigkeit gelegen.27 Hermann Aubin weist darüber hinaus auch auf das Geestland der ostfriesischen, sächsischen und nordfriesischen Seelande sowie einen bedeutenden, insbesondere auch in den Marschen neben der Viehwirtschaft betriebenen Ackerbau hin und hält die Begründung der Freiheit allein aus wirtschaftlichen Ursachen für unzureichend.28 Der Anbau von Getreide in den Marschen, insbesondere von Weizen, war in der Tat äußerst ertragreich und erbrachte namentlich in Dithmarschen und Nordfriesland ein Vielfaches des durchschnittlichen Ertrages. Die erheblich überschüssige Produktion floss in den gewinnbringenden Getreidehandel mit den traditionellen Kornimportgebieten Westeuropas, allen voran den Niederlanden. Nach Aldo de Maddalena wurde in Nordmitteleuropa im 16. Jahrhundert auf ein ausgesätes Weizenkorn ein durchschnittlicher Ertrag von 3,5 Körnern geerntet.29 Slicher van Bath gibt für Deutschland und Skandinavien im 16. und 17. Jahrhundert 4,2 Körner an.30 Der Chronist des Landes Dithmarschen Neocorus berichtet indes zu Ende des 16. Jahrhunderts über eine Rekordernte im Kirchspiel Büsum von 66 Körnern.31
26 27 28 29
Slicher van Bath (wie Anm. 9), S. 271f. Slicher van Bath (wie Anm. 9), S 274, 280. Aubin (wie Anm. 9), S. 36f., 43f. Aldo de Maddalena: Das ländliche Europa 1500–1750, in: Europäische Wirtschaftsgeschichte. The Fontana Economic History of Europe (Deutsche Ausgabe hg. von Knut Borchardt), Bd. 2: Sechzehntes und siebzehntes Jahrhundert, hg. v. Carlo M. Cipolla, Stuttgart/ New York 1978, S. 381. 30 Fernand Braudel: Civilisation mat8rielle et capitalisme (XVe–XVIIe siHcle), Bd. 1, Paris 1967, S. 91. 31 „Van 12 T. Sades 33 T. Weten gearnet.“ Johann Adolfi’s, genannt Neocorus: Chronik des Landes
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Und Heimreich, der Chronist Nordfrieslands im 17. Jahrhundert, hat ein analoges Beispiel für Nordstrand von 60 Körnern überliefert. In beiden Fällen dürfte es sich um extrem seltene Ausnahmen handeln, zumal die spätmittelalterlichvormoderne Chronistik mit Vorliebe das Außergewöhnliche notierte. Andere von Nordstrand erhaltene Nachrichten wissen von 20 und 24 Körnern.32 Das dürfte wohl eher der Wirklichkeit der überdurchschnittlich hohen Ernteergebnisse auf fruchtbarem Marschboden nahe kommen, zugleich aber auch verdeutlichen, an welch einem Reichtum die Reichsgewalt oder die Landesherrschaft partizipieren konnte, wenn sie die Seelande erst einmal in ihre Gewalt gebracht und ihrem Regiment unterworfen hatte.33 Dieser zweifellos wichtige Gesichtspunkt hat freilich nicht mehr als zusätzliche, ergänzende Bedeutung und nimmt der verfassungsgeschichtlichen Erklärung der Begründung Maximilians 1505 nichts von ihrer argumentativen Triftigkeit. Im Gegenteil! Genossenschaftliche Herrschaftsbildung hat es im Alten Reich auch andernorts gegeben, namentlich in der schweizerischen Eidgenossenschaft und in den Niederlanden. Dort waren während des Spätmittelalters und des Übergangs zur Frühen Neuzeit ebenfalls im Verlauf markanter Eigenentwicklungen der ständischen wie der landschaftlichen genossenschaftlichen Verfassung korporative und föderative Sonderformen republikanischer Herrschaft entstanden, die schließlich keiner Legitimation in Form der Belehnung mit den Regalien und damit auch keiner Partizipation an der Reichsverfassung mehr bedurften. Das Ergebnis ist bekannt: die schweizerische Eidgenossenschaft und die Vereinigten Niederlande schieden schließlich als selbständige republikanische Staatsgebilde mit einer bemerkenswert vitalen, stabilen Verfassungsorganisation im Westfälischen Frieden aus dem Reichsverband aus.34 Letztere mit den See- oder Friesischen Landen Westergo, Ostergo, Siebenwalden, Stellingwerf, Groningen und Ommelande. Wie die ausdrückliche Verdeutlichung der Begründung von 1505 belegt, ist Maximilian sich – jenseits des Spannungsverhältnisses von Tradition und Innovation – dieser prinzipiellen Problematik in seiner praktischen Reichspolitik durchaus bewusst gewesen. Er setzte dabei unter geschickter Nutzung möglicher Entlastungen seiner beständigen Finanznot auf die bewährten traditionellen Integrationsmechanismen der konsensherrschaftlichen und lehnsrechtlichen Verfassungsordnung des Reiches Dithmarschen. Aus der Urschrift, hg. v. Friedrich Christoph Dahlmann, 2 Bde., Kiel 1827, Bd. 1, S. 222. 32 Hubert Stierling: Der Silberschmuck der Nordseeküste hauptsächlich in Schleswig-Holstein, Neumünster 1935, S. 41. 33 Hansen 2001 (wie Anm. 20), S. 37, 41. 34 Olaf Mörke: Der „schwache“ Staat als Erfolgsrezept? Die Niederländische Republik und die Schweizer Eidgenossenschaft, in: Quantität und Struktur. Festschrift für Kersten Krüger zum 60. Geburtstag, hg. v. Werner Buchholz und Stefan Kroll, Rostock 1999, S. 45–62.
Maximilian I. und die Seelande in der Verfassung des Alten Reiches
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und konnte im Unterschied zu seinen Urenkeln Philipp II. und Maximilian II., aber auch entgegen seinen expliziten Bedenken die friesischen Seelande dem Reich unspektakulär erhalten. Dies dürfte jedoch weit mehr auf ihre landschaftliche Beharrungsmentalität als auf seine politischen Anstrengungen zurückzuführen sein, zumal die albertinische Gubernation kläglich gescheitert ist und offene oder gar akute Sezessionsentscheidungen der friesischen und sächsischen Seelande während seiner Regierungszeit nicht in Erscheinung getreten sind. Hierfür ermangelte es – um es in kontrafaktischer Analogie zu verdeutlichen – allein schon eines entsprechend massiven gewaltsamen Außendrucks auf die Seelande, wie er von den Habsburgern gegenüber der Schweizer Eidgenossenschaft und den Vereinigten Niederlanden ausgeübt worden ist, der zunächst ihre sekundäre Integration zum Zwecke einer koordinierten Verteidigung und schließlich auch ihre genossenschaftlich-föderative Verfassungsordnung in republikanischer Unabhängigkeit hätte veranlassen können.
Abb. 1: Amtsgebiet Albrechts des Beherzten als Gubernator und Potestat in Friesland. Der Herzog konnte seine Herrschaft nicht im ganzen Gebiet durchsetzen, sondern nur in Westergo (April 1498), Ostergo (Oktober 1498), Siebenwalden (teilweise Oktober 1498 und Juli 1500), Stellingwerf (Juli 1500) und Ommelande (teilweise nach Juli 1500). In den übrigen friesischen Gebieten hatte er keine Macht. Aus: Paul Baks, Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat Frieslands.
Gregor M. Metzig
Maximilian I. und das Königreich Portugal
Als Kaiser und Senior des vermeintlich vornehmsten abendländischen Herrscherhauses sah sich Maximilian I. (1459–1519) im Zentrum eines gesamteuropäischen Netzwerks von Monarchen. Seine Diplomatie und Außenbeziehungen orientierten sich demzufolge keineswegs nur an den Bedürfnissen eines rational funktionierenden Mächtesystems, sondern folgten allzu oft der Eigenlogik dynastischer Grundsätze. Als sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Kontakte zwischen den christlichen Herrschern intensivierten, beteiligte er sich maßgeblich an diesem Verdichtungsprozess und legte mittels einer erfolgreichen Heirats- und Bündnispolitik die Grundlage für die weltweite Präsenz der Habsburger in der frühen Neuzeit. Im Zentrum des Interesses stand die Suche nach Bundesgenossen und Koalitionen, es ging ihm aber auch um wirtschaftlich und religiös motivierte Kontaktaufnahmen. Denn wie kaum ein anderer mittelalterlicher Kaiser vor ihm verstand sich Maximilian I. als Universalherrscher, dessen ideelle Vorstellung von der Ausdehnung des Heiligen Römischen Reichs im Kontext der Wandlung des spätmittelalterlichen Weltbilds stand. So strebte er über seine Verbindung zu den iberischen Königshäusern eine dynastisch begründete ideelle Oberherrschaft über die durch die europäische Expansion nach Übersee neu erschlossenen Gebiete zu Lande und zu Wasser an.1 Während die Beziehungen der Habsburger zu den Königreichen Aragon und Kastilien aufgrund der dort erfolgreich realisierten Sukzession stets das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben, sind die wohl mindestens ebenso intensiven Kontakte zur aufstrebenden Seemacht Portugal bis heute nur unzureichend aufgearbeitet worden.2 Wie weit reichte ,Maximilians Welt‘? Bis in das 1 Harald Kleinschmidt: Ruling the Waves. Emperor Maximilian I, the Search for Islands and the Transformation of the European World Picture c. 1500, Utrecht 2008, S. 163–208. 2 Peter Krendl: Kaiser Maximilian und Portugal, in: RelaÅles entre Portugal e a ]ustria. Testemunhos histjricos e culturais. Beziehungen zwischen Portugal und Österreich. Historische und kulturelle Zeugnisse, hg. v. Ludwig Scheidl und Jos8 A. Palma Caetano, Lissabon 2002, S. 111–135. ders.: Kaiser Maximilian I. und Portugal. Die dynastisch-politischen Beziehungen und einige der entdeckungs- und kulturgeschichtlichen Denkmale und Zeugnisse, in: Auf-
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Gregor M. Metzig
am äußersten Westrand Europas gelegene Königreich Portugal? Oder ging der kaiserliche Blick darüber hinaus sogar bis in die überseeischen Gebiete nach Afrika, Asien und Amerika? Wie gestaltete sich das wechselseitige Verhältnis zwischen den Herrscherhäusern und welche politischen und ökonomischen Überlegungen standen dahinter?
1.
Das Haus Habsburg-Burgund und seine politisch-dynastischen Beziehungen mit Portugal
Dem Rat des burgundischen Herzogs folgend heiratete Kaiser Friedrich III. (1442–1493) am 16. März 1452 in Rom die portugiesische Infantin Eleonore (1434–1467).3 Ihm gelang damit als erstem Vertreter der jüngeren österreichischen Erzherzöge die Verbindung mit einem europäischen Königshaus. Seine Braut war eine Tochter König Eduards (1391–1438) und entstammte der AvisDynastie, die in Portugal untrennbar mit dem ,Goldenen Zeitalter‘ von Expansion und Aufstieg verbunden ist. Rückblickend betrachtet bildete diese Heirat jedoch nur den Auftakt: Vier Eheschließungen zwischen der Casa de Austria und der Casa de Avis folgten allein in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In der stark personenorientierten mittelalterlichen Gesellschaft konnten solche Eheschließungen und verwandtschaftlichen Beziehungen auch über weite Entfernungen politische Bündnisse festigen und gemeinsam agierende Gruppen zusammenführen. Am 22. März 1459 gebar Eleonore in Wiener Neustadt einen Sohn, den späteren König Maximilian I. Der Junge verbrachte die ersten Jahre seines Lebens in der als kaiserliche Residenz fungierenden Neustädter Burg, in der bis heute eines der Gemächer im Gewölbe einen Schlussstein mit dem portugiesischen Wappen trägt.4 Von der iberischen Mutter habe er „wohl den Zug ins Weite und Große“, sätze zur portugiesischen Kulturgeschichte 17, Portugiesische Forschungen der Görres-Gesellschaft (im Folgenden abgekürzt als PFGG) 1 (1981/1982), S. 165–189. Speziell zu den außereuropäischen Aspekten im Weltbild Maximilians I.: Gregor M. Metzig: Maximilian I. (1459–1519), Portugal und die Expansion nach Übersee, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 11 (2011), S. 9–44. 3 Zu Eleonore und den nicht zuletzt auf Vermittlung Enea Silvio Piccolominis (1405–1465) zu Stande gekommenen Heiratsverhandlungen in Neapel und Portugal vgl: Achim Hack: Eleonore von Portugal, in: Die Kaiserinnen des Mittelalters, hg. v. Amalie Fößel, Regensburg, 2011, S. 306–326 (dort auch die wichtigste ältere Literatur). Antonia Hanreich: Eleonore von Portugal, Gemahlin Kaiser Friedrichs III. (1436–1467), in: Scheidl/Palma Caetano (s. Anm. 2), S. 45–86. 4 Norbert Koppensteiner : Wiener Neustadt zur Zeit des jungen Maximilian I., in: Der Aufstieg eines Kaisers: Maximilian I. von seiner Geburt bis zur Alleinherrschaft (1459–1493), hg. v. Norbert Koppensteiner, Wiener Neustadt 2000, S. 15–28, hier S. 23.
Maximilian I. und das Königreich Portugal
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urteilte Hermann Wiesflecker am Anfang seiner fünfbändigen Kaiserbiographie über Eleonore.5 Auch wenn bei solchen romantisch-klischeeartigen Charakteristika ganzer Völker eher Zurückhaltung angebracht sein sollte – zweifellos übte die Kaiserin mit ihrer tiefen Frömmigkeit, ihrer Vorliebe für Heldengeschichten und ihren humanistischen Interessen großen Einfluss auf den heranwachsenden Thronfolger aus.6 Maximilians ,Tafel-Lehrbuch‘ und seine lateinische Grammatik nach Donatus wurden neben dem kaiserlichen auch mit dem Wappen Portugals ausgeschmückt.7Eleonore gebar neben ihm noch weitere Kinder – bis auf eine Tochter überlebte jedoch keines von ihnen das Kindesalter. Friedrich III. warf seiner Frau später vor, die Kinder seien an der ungesunden Ernährung mit portugiesischen Süßigkeiten gestorben. Es überrascht kaum, dass es in einer Ehe zwischen zwei so ungleichen Partnern aus unterschiedlichen Kulturen zu derlei Spannungen kam.8 Mit ihrem Sohn Maximilian, nicht mit ihrem Ehemann Friedrich, ließ sich die Kaiserin in ihrem Gebetbuch als Stifterin abbilden.9 Beim Tod der Mutter 1467 in Wiener Neustadt war der kleine Maximilian gerade einmal acht Jahre alt. Doch lernte der junge Habsburger spätestens mit seiner burgundischen Heirat 1477 in gesamteuropäischen Dimensionen zu denken. Die Herzöge von Burgund unterhielten traditionell enge diplomatische und dynastische Beziehungen zum Haus Avis. Als Erzherzog in den Niederlanden förderte Maximilian I. aktiv die Präsenz iberischer Kaufleute und begründete durch seine umfangreiche Privilegienvergabe die rechtliche Grundlage für den wirtschaftlichen Aufstieg Antwerpens zum wichtigsten Umschlagsplatz für
5 Hermann Wiesflecker : Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., Wien 1971–86, hier Bd. 1, S. 65. 6 Katherine Walsh: Deutschsprachige Korrespondenz der Kaiserin Leonora, in: Kaiser Friedrich III. (1440–1493) in seiner Zeit. Studien anlässlich des 500. Todestags am 19. August 1493/ 1993, hg. v. Paul-Joachim Heinig, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 399–447. Hanreich (s. Anm. 3), S. 80f. 7 Heinrich Fichtenau: Die Lehrbücher Maximilians I. und die Anfänge der Frakturschrift, Hamburg 1961, S. 6f. 8 Ein früher Kritiker der ambitionierten habsburgischen Heiratspolitik war der in den Niederlanden wirkende Humanist Erasmus von Rotterdam (1469?–1536). Er schrieb in seinem 1515 für den jungen Erzherzog Karl verfassten Fürstenspiegel Institutio Principis Christiani in: Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften, hg. v. Werner Welzig, Darmstadt 1986, 8, S. 327: „Dabei will ich noch gar nichts darüber sagen, wie unmenschlich man mit den Mädchen selbst verfährt, die manchmal in weit entfernte Länder wie in die Verbannung zu Menschen geschickt werden, die an Sprache, Aussehen, Charakter und Anlagen gänzlich verschieden sind; sie würden bei ihren Landsleuten glücklicher leben, wenn auch mit weniger Prunk.“ 9 Gebetbuch für Kaiserin Eleonore, Cod. Vindob. 1942, um 1465, Österreichische Nationalbibliothek, Wien. Vgl. Andreas Fingernagel: Gebetbuch für Kaiserin Eleonore von Portugal, in: Koppensteiner (s. Anm. 4), S. 176, Nr. 11.
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portugiesische Waren wie Zucker, Gewürze, Sklaven und überseeische Exotika.10 Später bezogen sein Sohn, Erzherzog Philipp, und seine von ihm 1508 als Statthalterin eingesetzte Tochter Margarethe für ihren Hof zahlreiche Luxusgüter aus der portugiesischen Faktorei in der Scheldestadt, unter anderem Perlen, Korallen und Holzgefäße aus Indien, aber auch chinesisches Porzellan oder wertvolles Sapi-portugiesisches Essbesteck aus dem westafrikanischen Sierra Leone.11 In ihrem Umfeld in Mechelen lebten und wirkten Portugiesen wie der Gelehrte und Übersetzer Vasco de Lucena, die Ärzte Dr. Fernando Duarte und Lopo da Guarda oder der Jagdmeister Cristjv¼o Barroso, der später noch unter Karl V. als Gesandter in Portugal dienen sollte.12 Im Gegenzug für die weitreichenden Handelsprivilegien in den Niederlanden unterstützte der portugiesische Herrscher Johann II. (1481–1495) Maximilian in seinem Kampf um das burgundische Erbe seiner Frau. Ein wichtiger Prestigegewinn in diesen Auseinandersetzungen war dessen in Frankfurt erfolgte Wahl zum römisch-deutschen König am 16. Februar 1486, die auch in der portugiesischen Residenzstadt Lissabon mit Glockenläuten und einer feierlichen Prozession begangen wurde.13 Da sich Brügge und Gent dennoch mehrfach gegen die Herrschaft des österreichischen Erzherzogs erhoben, verhängte Johann II. einen vorläufigen Handelsboykott für Flamen in Portugal und wies seine eigenen Kaufleute an, in den Niederlanden nur die dem Habsburger treu gebliebenen Hafenstädte anzulaufen.14 Als Maximilian I. im Zuge dieser inneren Auseinandersetzungen von Brügger Bürgern 1488 in ihrer Stadt arretiert wurde, zeigte sich der portugiesische König dem Bericht des Chronisten Garcia de Resende
10 Hans Pohl: La pr8sence portugaise / Anvers, in: Flandre et Portugal. Au confluent de deux cultures, hg. v. John Everaert und Eddy Stols, Anvers 1991, S. 53–80. 11 Henri Michelant: Inventaire des vaisselles, joyaux, tapisseries, peintures, manuscrits, etc. de Marguerite d’Autriche, regente et gouvernante des Pays-Bas, dresse en son palais de Malines, le 9 juillet 1523, in: Compte rendue des s8ances de la Comission royale d’histoire. Acad8mie royale des Sciences des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique (Bruxelles), Bulletin de la comission d’histoire, Bruxelles, 3e ser., 12 (1871), S. 93f.; S. 106ff.; S. 134. Dazu: Joris Capenberghs: Margaret of Austria, the Hof van Savoyen and the New World, in: Women of Distinction. Margaret of York – Margaret of Austria, hg. v. Dagmar Eichberger, Leuven 2005, S. 297–309. Ders.: Decorative Spoon and Fork, in: ebd., S. 325, Nr. 137. Thorsten Eichhorn: Laquered Bowl, in: ebd., S. 335, Nr. 148b. 12 Joaquim V. Serr¼o: Portugal e o mundo nos s8culos XII a XVI, Madrid 1992, S. 201f. Jacques Paviot (Hg.): Portugal et Bourgogne au XVe siHcle (1384–1482). Recueil des documents extraits des archives bourguignonnes, Lisboa/Paris 1995, S. 85–131. 13 Jean Aubin: Duarte Galv¼o, in: Arquivos do Centro PortuguÞs 9 (1975), S. 43–85, hier S. 58. 14 Königliches Verbot an alle Portugiesen, Brügge oder Gent anzulaufen und Suspension aller Privilegien für die in Lissabon residierenden flämischen Kaufleute, in: Jo¼o Martins da Silva Marques (Hg.): Descobrimentos portugueses. Documentos para a sua Histjria, 5 Bde., Lissabon 1944–1988, hier Bd. 3, S. 277, Nr. 183. Dazu: Krendl, Maximilian I. (s. Anm. 2), S. 168f.
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(ca. 1470–1536) zufolge tief betroffen und schien zu einem besonderen Zeichen der Solidarität entschlossen: Diese Mitteilung erfüllte den König mit tiefer Trauer und ebenso den ganzen Hof. Und deswegen hüllten sich der König und seine Höflinge in schwarze Tücher, und die Königin und der Prinz legten sofort ihre wertvollen Kleider ab, die sie eigens für das Fest angezogen hatten. Und von da an gab es weder Musik, noch Tanz, noch irgendein anderes Vergnügen. Und so blieb es, bis die Nachricht von seiner [Maximilians I.] Freilassung kam.15
Während der über drei Monate dauernden Gefangenschaft des Habsburgers in Brügge setzte sich Johann II. aktiv für dessen Freilassung ein und war sogar bereit, ein Lösegeld von 10.000 Goldkronen (coroas d’ouro) für ihn zu entrichten. Auch später noch half er dem in chronischen Geldnöten steckenden Maximilian des Öfteren aus dessen finanziellen Engpässen heraus.16 Zum Abschluss eines diplomatischen Beistandsvertrages mit dem römisch-deutschen König und seinem nun in den Niederlanden herrschenden Sohn Philipp dem Schönen kam es allerdings erst im Jahre 1494, als sich Johann II. im Zuge seiner stärker werdenden Rivalität mit Kastilien nach neuen Bündnispartnern umsah.17 Durch den Tod des portugiesischen Königs im Jahr darauf und den nun einsetzenden Thronwirren kühlten sich die habsburgischen Beziehungen nach Portugal aber vorläufig ab. Der aus einer Seitenlinie stammende Manuel I. trat die Nachfolge Johanns an. Maximilian I. erkannte jedoch dessen Sukzession vorläufig nicht an und entsandte sogar zur Vertretung seiner Ansprüche einen diplomatischen Bevollmächtigten an den portugiesischen Hof, über dessen Mission jedoch nichts Näheres bekannt ist.18 Noch drei Jahre später erklärte der Habsburger diesbezüglich einem spanischen Gesandten: 15 Garcia de Resende: Crjnica de D. Jo¼o II e miscel.nea, hg. v. Joaquim V. Serr¼o, Lissabon 1973, S. 105f. (Übersetzung des Verfassers). 16 De Resende (s. Anm. 15), S. 105f.; S. 251. Anselmo B. Freire: Not&cias da Feitoria de Flandres, Lissabon 1920, S. 54; S. 77f.; S. 159, Nr. 18; S. 176f., Nr. 34. Vgl.: Jürgen Pohle: Deutschland und die überseeische Expansion Portugals im 15. und 16. Jahrhundert, Münster/Hamburg/ London 2000, S. 91ff. 17 Vertrag zwischen König Maximilian, Erzherzog Philipp von Burgund und König Johann II. von Portugal, Köln, 23. Juni 1494, BibliothHque Nationale de France, Paris, manuscrits portugais Nr. 20, fls. 60–66. Eine weitere Abschrift befindet sich in Biblioteca da Ajuda Lissabon (im Folgenden abgekürzt als BA), BA 51-VI38, fls. 114–117v. Vgl.: Pohle (s. Anm. 16), S. 93ff. 18 Dr. Heinrich Haiden an Maximilian I., Antwerpen, 1. Oktober 1495, in: Johann Friedrich Böhmer (Begr.): Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreichs unter Maximilian I. 1493–1519, hg. von Hermann Wiesflecker und Manfred Hollegger, I, 1–3 (1493–1495), Wien/Köln 1990–1996; II, 1–3 (1496–1498), Wien/Köln/Weimar 1993–2007; III, 1–2 (1499–1501), Wien/Köln/Weimar, 1996–1998; IV, 1–2 (1502–1504), Wien/Köln/ Weimar, 2002–2004, hier und im Folgenden als: Regg. Max. Nr. 3570.
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Das Königreich Portugal gehöre nach Recht und Gerechtigkeit ihm, weil Kaiserin Eleonore, seine Mutter, die Schwester des Königs Alonso [V.] von Portugal, und die Tochter des Königs Don Juan von Portugal [Johann II.] war, die ohne Widerspruch als Könige regierten. Nach Aussterben der männlichen Linie folgten nach portugiesischem Erbrecht die Töchter […]. König Juan hatte keine Söhne, so daß Kaiserin Eleonore, seine [Maximilians I.] Mutter, bei Lebzeiten das Erbrecht zugestanden wäre und in weiterer Folge ihm als ihrem Sohn, der dem Hauptstamm näher stehe als irgendein anderer.19
Allerdings gestand Maximilian, der die realpolitische Aussichtslosigkeit seiner Erbfolge in Portugal erkannt hatte, Dom Manuel20 bald ein Thronrecht auf Lebzeiten zu. Sein Interesse an einer Sukzession in den iberischen Reichen nahm auch in der Folgezeit nicht ab, sondern verstärkte sich sogar noch mit den tragischen Todesfällen in der spanischen und portugiesischen Dynastie um die Jahrhundertwende. Im August 1505 sandte Valentim Fernandes (†1518)21, ein aus Mähren stammender deutscher Drucker und Verleger in Lissabon, eine Genealogie aller Könige und Fürsten der iberischen Halbinsel an den Augsburger Humanisten und Berater Maximilians, I. Konrad Peutinger (1465–1547).22 In dem 1507 entstandenen Entwurf zu einem Wappen Puech bekräftigte der Habsburger seine Rechte und 19 Bericht des spanischen Gesandten Gutierre Gomez de Fuensalida an die katholischen Könige, Freiburg, 7. Juli 1498, in: Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber (Hg.): Quellen zur Geschichte Kaiser Maximilians I. und seiner Zeit (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr-von-Stein-Gedächtnisausgabe 14), Darmstadt 1996, S. 98; Regg. Max. Nr. 5899. Die hier wiedergegebene Genealogie der portugiesischen Könige ist falsch, Namen und Generationen gehen durcheinander. Die portugiesische Krone ging in direkter Linie von König Eduard (†1438) über Alfons V. (†1481) auf Johann II. über. Erst als dieser 1495 ohne Kinder starb, folgte ihm Manuel I. nach, der ein Sohn Herzog Ferdinands, eines Bruders von Alfons V. und Kaiserin Eleonore, war. 20 Der portugiesische Adels-, Herrscher- und Höflichkeitstitel Dom leitet sich von lat. dominus ab. Die feminine Form Dona hat sich bis heute in Portugal als höfliche Anrede erhalten. 21 Valentim Fernandes (Moravus) gelang in Portugal eine Karriere als Drucker. Später wurde ihm am Hof das Amt eines escudeiro da casa der Königin D. Leonor verliehen. Gleichzeitig fungierte er als Mittelsmann zwischen den deutschen Kaufleuten und der portugiesischen Krone, vgl. Yvonne Hendrich: Valentim Fernandes – Ein deutscher Buchdrucker in Portugal um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert und sein Umkreis, Frankfurt/Main 2007, S. 261f. 22 Valentim Fernandes an Konrad Peutinger, Lissabon, 16. August 1505, in: Konrad Peutingers Briefwechsel, hg. v. Erich König, München 1923, S. 56–59, Nr. 32–33. Zu Peutinger, seinem Werk und speziell sein Verhältnis zur portugiesischen Expansion vgl. Metzig, Maximilian (wie Anm 2), S. 25ff. Heinrich Lutz: Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie, Augsburg 1958, S. 56–64; S. 384. Für Peutingers konzeptionelle Rolle bei den Arbeiten an den panegyrischen Großprojekten Maximilians (Genealogie, Triumphzug, Theuerdank und Weisskunig) ist eine handschriftliche Notiz des Kaisers im Weisskunig aufschlussreich: Maximilian I.: Der Weisskunig. Nach Dictaten und eigenhändigen Aufzeichnungen Kaiser Maximilians I. zusammengestellt von Marx Treitzsauerwein von Ehrentreitz, hg. v. Alwin Schultz, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (im Folgenden abgekürzt als JbKSAKH) 6 (1888), S. 448: „Doctor Peutinger sol kay(serlicher) M(ajestä)t anzaigen, wie der kayserin Leonora vater gehaissen hat.“
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Ansprüche auf die „sieben christliche Königreiche“, darunter auch Portugal.23 Von seiner Tochter Margarethe in den Niederlanden ließ er sich 1511 Pieter van Aelsts Entwürfe für einen Wandteppich mit der Genealogie der portugiesischen Herrscher schicken.24 Später entstandene und sehr aufwendig gestaltete Kunst- und Propagandawerke wie die Ehrenpforte oder der sogenannte Triumphzug Kaiser Maximilians I. spiegeln dieses genealogische Wissen wider. Sie dienten keinesfalls nur dem Zeitvertreib des Herrschers, sondern waren im dynastischen Denken der Zeit tief verankert. Nur wer sich auf eine illustre Ahnenreihe stützen und wichtige verwandtschaftliche Verbindungen nachzuweisen vermochte, konnte seine herausragende Stellung und seinen Anspruch auf Herrschaft legitim zur Geltung bringen. Mit dem Tod Isabellas von Kastilien trat für die Habsburger im November 1504 erstmals der Erbfall in einem der iberischen Reiche ein. Nachdem Maximilians I. Sohn Philipp I. die kastilische Sukzession vorläufig geglückt war, intensivierte der portugiesische König seine diplomatischen Kontakte zu ihm. Nach Philipps frühem Tod 1506 gab er dessen erbberechtigtem Sohn Karl seine Tochter Isabella zur Frau. Im Zuge dieser iberisch-nachbarschaftlichen Beziehungen wurde der portugiesische König im Dezember 1518 in den habsburgisch-burgundischen Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen.25 Fortan unterstützte Manuel den jungen spanischen König auch bei seiner Kandidatur um die römisch-deutsche Königskrone nach dem Tod Maximilians I. im Jahre
23 Wappen Puech [Kaiser Maximilians I.] (1507), Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (im Folgenden abgekürzt als HHStA Wien), Hausarchiv Familienakten 4, Ron. 3 fls. 8–25. Die Zahl Sieben ist programmatisch aufgrund ihres symbolischen Gehalts gewählt worden. Die Quelle für diese Idee in Maximilians heraldischem Programm lässt sich nicht genau ermitteln. Die Schrift nennt tatsächlich neun Königreiche in hierarischer Ordnung, vgl. Anna Coreth: Ein Wappenbuch Kaiser Maximilians I., in: Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien, hg. v. Leo Santifaller, Bd. 1, Wien 1949, S. 291–303, hier S. 297f.: „Das Reich, Hunngern, Dallmatien, Croatien, Constantinopel, Enngellannd, Portigal, Wossen [Bosnien], Beheim, Österreich, Burgundj.“ 24 Thomas P. Campbell: Tapestry in the Renaissance. Art and Magnificence, New York 2002, S. 139. Manuel selbst übersandte ebenfalls einen prächtig illustrierten Kodex mit den Wappen der Könige und des portugiesischen Adels als diplomatisches Geschenk an den Kaiserhof, vgl. Dami¼o de Gjis: Crjnica do felic&ssimo rei D. Manuel, hg. v. Martins Teixeira de Carvalho, 4 Bde., Coimbra 1926, hier Bd. 4, Kap. 86, S. 210. 25 De Gjis (s. Anm. 24), Bd. 4, Kap. 34, S. 78. Manuel I. trat dem Orden durch einen Gesandten im Dezember 1518 in Barcelona bei und wählte in Anspielung auf seine nautischen Erfolge als Wappen eine Armillarsphäre und eine Erdkugel mit der Devise: Primus circumdedisti me. Vgl. Fr8d8ric A. de Reifenberg: Histoire de l’ordre de la toison d’or depuis son institution jusqu’a la cessation des chapitres g8n8raux, tir8e des archives mÞmes de cet ordre et des 8crivains qui en ont trait8, Bruxelles 1830, S. 310; S. 343 und S. 544. Vgl. auch das Wappen Manuels im Statutenbuch des Ordens von 1517: Theodor Frimmel/Joseph Klemme (Hgg.): Ein Statutenbuch des Ordens vom Goldenen Vließe, in: JbKSAKH 5 (1887), S. 263–338, hier S. 311, Nr. 140.
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1519.26 Für seinen Sohn Johann bat der alternde Portugiese um die Hand von Karls Schwester Eleonore, heiratete die Zwanzigjährige jedoch nach dem Tod seiner eigenen Frau zu Beginn des Jahres 1519 kurz entschlossen selbst.27
2.
Das gemeinsame Kreuzzugsprojekt mit König Manuel I.
In der universal ausgreifenden Herrschaftspolitik Maximilians I. spielte das Königreich Portugal mit seinem globalen Aktionsradius eine strategisch wichtige Rolle. Mit dem Aufbau des direkten Seewegs nach Südasien gewann der alte Traum eines christlichen Umfassungsangriffs gegen das Osmanische Reich mit Hilfe der Truppen des legendären orientalischen Priesterkönigs Johannes unerwartete Aktualität.28 Im Oktober 1510 sandte Maximilian I. ein Schreiben an seine Tochter Margarethe, die als seine Statthalterin in den Niederlanden residierte. Darin berichtete er ihr von dem spektakulären Vorhaben der Portugiesen, mit einer Armada im Roten Meer die Stadt Mekka einzunehmen, das heilige Zentrum des Islam gründlich auszuplündern und anschließend brandzuschatzen.29 Sein erfahrener Diplomat Hans von Königsegg, der nach einer Gesandtschaft in das Osmanische Reich durchaus einen Einblick in die globalen Kräfteverhältnisse gewonnen hatte, riet seinem Monarchen bereits zu Beginn des Jahres 1506, sich über den Erwerb von Mailand und Italien eine günstige Ausgangsposition für die kommende Weltherrschaft zu sichern. Nur so könne er sowohl den Türken als auch dem ägyptischen Mamlukensultan erfolgreich
26 In einem Schreiben an die deutschen Kurfürsten ignorierte Manuel I. den Einspruch des Papstes und setzte sich explizit für die Wahl seines habsburgischen Schwagers entgegen den Ansprüchen des französischen Königs ein, vgl. König Manuel an die deutschen Kurfürsten, Almeirim, 3. April 1519, in: BA Lissabon, BA 51-VI-25 fls. 161v–162v. 27 PÞro Correa an König Manuel I., Brüssel, 13. Januar 1517, in: Freire (s. Anm. 16), S. 225, Nr. 62. 28 Wilhelm Baum: Die Verwandlungen des Mythos vom Reich des Priesterkönigs Johannes. Rom, Byzanz und die Christen des Orients im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 273–302. Lu&s Filipe Thomaz: L’id8e imp8riale manueline, in: La d8couverte, le Portugal et l’Europe. Actes du colloque, hg. v. Jean Aubin, Paris 26.–28. mai 1988, Paris 1990, S. 35–105, hier S. 55–61. 29 Der genaue Wortlaut des kaiserlichen Schreibens ist nicht erhalten, doch wird es im Bericht des portugiesischen Faktors Brand¼o aus Antwerpen an König Manuel kurz paraphrasiert. Vgl. Jo¼o Brand¼o an König Manuel I., Antwerpen, 1. November 1510, in: Freire (s. Anm. 16), S. 166. Vgl. auch das undatierte Glückwunschschreiben Maximilians I. an Manuel, in: Rolf Nagel: Ein Brief König Manuels I. an Kaiser Maximilian I., in: Aufsätze zur portugiesischen Kulturgeschichte 11, PFGG 1 (1971), S. 201–205. Dazu: Metzig (s. Anm. 2), S. 18f. Der portugiesische Admiral Albuquerque dachte zeitweise auch an eine Umleitung des Nils, um die ägyptische Landwirtschaft zu ruinieren. Der Traum einer Eroberung Mekkas scheiterte endgültig 1517 mit der Niederlage der Flotte Lopo Soarez de Albergaria vor der Hafenstadt Dschiddah, etwa 72 km westlich von Mekka.
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entgegentreten und erstmals seine Ansprüche als Herrscher über die Kontinente formulieren: … vnd ist nit allain kain her also gewössen, sonder och kain kumen, dan üwer M[ajestä]t mag die erbunen vnd rechten land inn Affrica, Assia und Erropa haben, mer dann je jemand gehöpt hätt.30
Abgehobene Hegemonialphantasien oder durchaus noch im Rahmen der dynastischen Realpolitik? Unter dem Eindruck der sich festigenden Herrschaft seines Sohnes Philipps I. in Kastilien im Verlaufe des Jahres 1506 konnte Maximilian I. zumindest auf eine erhebliche Ausweitung des habsburgischen Einflussbereichs berechtigte Hoffnungen setzen. Aber auch wenn sich diese Ansprüche nach dem unerwarteten Tod Philipps am 25. September desselben Jahres vorerst nicht verwirklichen ließen, blieb das Interesse am Kampf gegen die ,Ungläubigen‘ eine Konstante in der kaiserlichen Politik. Der portugiesische Gesandte Tom8 Lopes berichtet nach einem Gespräch mit dem Kaiser und den Fuggern in Augsburg 1515 an Dom Manuel: Der Kaiser nimmt sich viel Zeit, um über die Ereignisse aus Indien zu erfahren und über die Könige, die eurer Majestät [Manuel I.] untertan sind; und er fragte mich alles über die großen Heldentaten im Afrikakrieg als auch im Königreich Fez und in Marokko. Es gibt nichts, worüber die Herren und das Volk häufiger sprechen als über die Eroberungen eurer Hoheit.31
Zunächst ging es Maximilian I. jedoch um eine Schwächung der Republik Venedig, die durch ihre privilegierte Beziehung zum ägyptischen Mamlukenreich bis dahin über das Monopol auf den Orienthandel verfügte. Erst mit dem Aufbau und der Behauptung der portugiesischen Carreira da 2ndia ab 1499 als direkte Route um Afrika herum konnte man diese dominante Stellung der Venezianer dauerhaft durchbrechen. Zeitweise stand Maximilian sogar in geheimen diplomatischen Verhandlungen mit dem osmanischen Sultan, der sich an einer Beschränkung der venezianischen Vorherrschaft im östlichen Mittelmeerraum interessiert gezeigt hatte. Der Habsburger bot Bayezid II. im Jahre 1503 an, ihm über seine guten Kontakte zum portugiesischen Königshaus die Spezereien zu einem weit günstigeren als den venezianischen Preis verschaffen zu können.32 30 Hans von Königsegg an Maximilian I., Arlberg, 28. Januar 1506, Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Max. I/40, fol. 160. 31 Tom8 Lopes an König Manuel I., Augsburg, 23. Mai, 1515, in: Freire (s. Anm. 16), S. 105 (Übersetzung des Verfassers). 32 Regg. Max. Nr. 19143. Zu den Verhandlungen Maximilians I. mit dem König von Portugal und dem osmanischen Sultan: Johann Gröblacher : König Maximilians zweite Gesandtschaft zu Sultan Bayezid II. (1504–1505), in: Domus Austriae. Eine Festgabe Hermann Wiesflecker zum 70. Geburtstag, hg. v. Walter Höflechner, Helmut J. Metzler-Andelberg und Othmar Pickl, Graz 1983, S. 159–169, hier S. 161.
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Doch dann bedrohte die osmanische Expansion die spanischen und portugiesischen Stützpunkte in Nordafrika unmittelbar. Ein militärischer Gegenschlag der verbündeten lateinischen Christenheit schien angesichts dieser Bedrohung im Mittelmeer dringend erforderlich. Maximilian I., dessen Enkel Karl 1516 die Nachfolge in Aragon und Kastilien angetreten hatte, plante im Bündnis mit den iberischen Reichen für das Jahr 1517 einen groß angelegten Zangenangriff.33 Als gleich nach dem Papst rangierender oberster Schirmvogt der Christenheit beanspruchte er den Oberbefehl für sich und wollte innerhalb von drei Jahren bis nach Konstantinopel vorstoßen. In der großen militärischen Denkschrift Kayser Maximilian Anslag wider die Türcken 1517–1518 wird dem portugiesischen König in diesem Unternehmen eine entscheidende Führungsrolle zugedacht: Und desselben ersten zugs in Affricam ditz angenden jars sollen heubter sein die kay[serliche] m[ajestä]t und der kunig von Portigal, die auch damit fürter das ander und dritt jar bis zue ende der expedition im krieg bleyben.34
Maximilian I. plante mit dem zahlenmäßig stärksten Teil des Kreuzfahrerheers und mit Unterstützung der kampferprobten iberischen Flotten eine Landung in Nordafrika. Deutsche Landsknechte würden zusammen mit portugiesischen und spanischen Truppen in den folgenden Jahren Ägypten erobern, „… und mit solhem her sollen die Kay(serliche) M(ajestä)t und der Kunig zue Portigal zue wasser und lannd stats ungetailt beyainnander bleyben.“35 Im weiteren Verlauf des Feldzugs sollten sich die Könige von Frankreich und Polen vor Konstantinopel mit dem Kreuzfahrerheer des Kaisers vereinen. Manuel I. war von Maximilian durch ein nicht erhaltenes Schreiben über den ,Großen Plan‘ unterrichtet worden. Am 14. März des Jahres 1518 stimmte er dem ehrgeizigen Konzept zu und ließ in der Folgezeit sogar mehrmals zum Aufbruch mahnen.36 Der von starkem messianischem Impetus beseelte König war wohl der einzige abendländische Herrscher, der bereit gewesen wäre, dem Kreuzzugsaufruf wirklich Folge zu leisten. Die portugiesische Expansion ist als Fortsetzung der iberischen Reconquista sowie als Suche nach Christen und Gewürzen zu 33 Georg Wagner : Der letzte Türkenkreuzzugsplan Kaiser Maximilian I. aus dem Jahre 1517, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 77 (1969), S. 314–353. Thomaz (s. Anm. 28), S. 61–65. 34 Kayser Maximilians Anslag wider die Türcken, Maximiliana Fz 30b (1517) 2, fls. 131r–140v., HHStAWien. In der späteren lateinischen Fassung Consultatio Germanica erscheint auch der junge spanische König Karl neben dem Kaiser und dem König von Portugal als dritter Oberbefehlshaber. Maximilian I. unterrichtete Manuel regelmäßig über den Stand seiner Beratungen mit den Ständen und übermittelte ihm eine frühe Fassung der consultatio im Januar 1518 unter Bezugnahme auf die vorangegangene päpstliche Denkschrift. Vgl. Maximilian I. an König Manuel I., Linz, 23. Januar 1518 in: BA Lissabon, BA 51-VI-25, fol. 166r. 35 Zit. nach: Nagel (s. Anm. 29), S. 202. Vgl. Metzig (s. Anm. 2), S. 20f. 36 König Manuel an Kaiser Maximilian, 14. März 1518, in: Nagel (s. Anm. 29), S. 204.
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verstehen, mit dem Endziel der Zerschlagung des muslimischen Blocks und der Wiedereroberung Jerusalems.
3.
Interessen im Überseehandel: Maximilian I. und die portugiesische Expansion
Am 14. Juli 1493 schrieb der Nürnberger Arzt und Kartograph Hieronymus Münzer (†1508) im Auftrag Maximilians I. an den portugiesischen König Johann II.37 Im Namen des Habsburgers lobte Münzer die Entdeckungsfahrten und den Missionseifer der Portugiesen in Afrika, um dann dem König den Vorschlag einer gemeinsamen Westexpedition, wie sie der Florentiner Paolo dal Pozzo Toscanelli (†1482) knapp zwanzig Jahre zuvor angeregt hatte, über den Atlantik zu machen: In Erwägung dieser Umstände hat Maximilian, der unbesiegbare König der Römer, durch meinen, wenn auch noch so schmucklosen Brief, deine Majestät einladen wollen, das östliche Land des sehr reichen Cathay aufzusuchen.38
Das Schreiben Münzers wurde in der Forschung unter verschiedenen Aspekten heftig diskutiert. Bis heute konnte nicht abschließend geklärt werden, ob der Nürnberger von der kurz zuvor erfolgten Atlantiküberquerung Christoph Kolumbus’ unter kastilischer Flagge zum Zeitpunkt der Abfassung seines Schreibens Kenntnis hatte, da er sie mit keinem Wort erwähnt.39 Als gesichert gilt 37 Von dem auf Latein abgefassten Original Münzers ist heute nur eine unvollständige Abschrift Hartmann Schedels in der Staatsbibliothek München erhalten. Darüber hinaus findet sich in Portugal in Druckausgaben des frühen 16. Jahrhunderts eine portugiesische Übersetzung mit dem vollständigen Wortlaut: Hieronymus Münzer (Monetarius) an König Jo¼o II., Nürnberg, 14. Juli, 1493, in: Hermann Grauert: Die Entdeckung eines Verstorbenen zur Geschichte der großen Länderentdeckungen, in: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 29 (1908), S. 304–333. Dazu: Pohle (s. Anm. 16), S. 87–90. Münzer war als Teilhaber der Holzschuher-Gesellschaft und über seinen in Lissabon arbeitenden Schwiegersohn Hieronymus Holzschuher persönlich am Portugalhandel beteiligt, vgl.: Hermann Kellenbenz: Die Beziehungen Nürnbergs zur iberischen Halbinsel besonders im 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs 1 (1967), S. 456–493, hier S. 469. 38 Grauert (s. Anm. 37), S. 315: „Considerando estas cousas Maximilian, inuictissimorey de Romanos, quis conuidar tua magestade a buscar a terra orientall de catay muy rica.“ Der Name Cathay ist die alte, von Marco Polo (1254–1324) gebrauchte Bezeichnung für China, insbesondere Nordchina (Übersetzung von Grauert). 39 Allerdings hätte die Nachricht von der Entdeckung einiger Inseln im Westatlantik Münzers Hoffnung, Cathay über eine Westfahrt zu erreichen, sogar noch bestärken können. In Portugal blieb das Schreiben Münzers im Vorfeld des Vertrags von Tordesillas 1494 entgegen der Vermutung Krendls keineswegs unberücksichtigt, wie auch die Übersetzung und Aufnahme in den Druck der Guias N#uticos beweist. Vgl.: Krendl, Maximilian I. (s. Anm. 2), S. 170.
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hingegen, dass sich der römisch-deutsche König materiell und personell an einer portugiesischen Weltumsegelung zu dem bereits bei Marco Polo beschriebenen Cathay beteiligen wollte. Der Nürnberger Kaufmann und Nautiker Martin Behaim (1459–1507) sollte als königlicher Gesandter die Expedition begleiten.40 Behaim war bereits 1484/85 nach Portugal übergesiedelt und hatte die Tochter eines flämischstämmigen Gouverneurs auf den Azoren geheiratet. Vermutlich hatte er an einer portugiesischen Erkundungsfahrt entlang der Westküste Afrikas teilgenommen, auf jeden Fall wurde er von Johann II. für seine Verdienste zum Ritter geschlagen. Seine erstaunlichen geographischen Kenntnisse spiegeln sich in einem von ihm selbst bei Nürnberger Handwerkern 1492/93 in Auftrag gegebenen einzigartigen kulturhistorischen Gegenstand wider : Sein sogenannter Erdapfel gilt als der älteste erhaltene Globus der Welt. Neben den handschriftlichen Eintragungen Behaims auf seiner Weltkugel gilt ein Zitat Maximilians I., in dem er den Nürnberger Patriziersohn als den am weitesten Gereisten seiner Untertanen bezeichnet, als wichtiges Indiz für die in der Behaim-Forschung heftig umstrittenen Ausmaße seiner Reisen.41 1493 war Behaim im Auftrag des portugiesischen Königs als Gesandter und Kaufmann auf dem Weg in die habsburgischen Niederlande. Der mit ihm in Kontakt stehende Nürnberger Humanist Münzer bereiste 1494/95 von Antwerpen aus selber die iberische Halbinsel, führte mit Johann II. detaillierte Tischgespräche über kosmographische Probleme und die europäische Expansion und erstattete darüber ausführlich Bericht. In dessen Nürnberger Bibliothek lassen sich gleich mehrere Werke nachweisen, die wohl während des Portugalaufenthalts erworben wurden, darunter auch Schriften des am dortigen Königshof wirkenden Humanisten Giovanni Cataldo Parisio (†1517). Als Beilage zu dem von Münzer verfassten Tagebuch zeugt der Bericht De inventione Africae maritimae et occidentalis ut Geneae per Infantem Heinricum Portugaliae von dessen großem Interesse an den portugiesischen Explorationsfahrten entlang der afrikanischen Westküste.42 Auf das empirisch vertiefte Fachwissen Münzers gehen mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Portugal-Bezüge in der Weltchronik seines Humanistenfreundes Hartmann Schedel (1440–1514) zurück. In ihr erfolgt eine positive Würdigung der durch den Infanten Heinrich initiierten Ent40 Grauert (s. Anm. 37), S. 319: „Wenn du [Johann II.] diese Expedition aber durchführst, wird man dich wie Gott erheben oder wie einen zweiten Herkules, und du wirst, wenn es dir beliebt, für diese Fahrt auch einen von unserm Könige Maximilian abgesandten Gefährten haben, den Herrn Martin Behaim, ganz besonders um dies durchzuführen, und viele andere kundige Seeleute, welche die Breite des Meeres durchsegeln werden …“ 41 Ulrich Knefelkamp: Das Bild der portugiesischen Welt auf dem Behaim-Globus (1492), in: Portugal, Indien und Deutschland. Akten der V. Deutsch-Portugiesischen Arbeitsgespräche Köln 1998, hg. v. Helmut Siepmann, Köln/Lissabon 2000, S. 45–62. 42 Eduard P. Goldschmidt: Hieronymus Münzer und seine Bibliothek, London 1938, S. 79.
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deckungsfahrten, wobei die Rolle des Nürnbergers Martin Behaim auf diesen Expeditionen wohl übertrieben dargestellt wird. Doch statt einer Atlantiküberquerung nahm der neue portugiesische König Manuel I. nach seinem Machtantritt 1495 wieder die Versuche einer Umrundung Afrikas auf. Auf diesem Weg gelang im Frühjahr 1498 seinem Kapitän Vasco da Gama (†1524) die Einfahrt in den Indischen Ozean und die Landung im westindischen Handelszentrum Kalikut (Kozhikode). Dies bedeutete die erste unmittelbare Berührung Europas mit Asien auf dem Seeweg. Mit der Einrichtung der Gewürzstraße nach Indien drängten die Portugiesen gewaltsam auf den um 1500 weltweit größten Warenmarkt: den Indischen Ozean. Das kleine Königreich Portugal stieg zur ersten See- und Handelsmacht in Europa auf, während in Venedig der Pfefferpreis binnen kurzer Zeit um mehr als die Hälfte seines vorherigen Wertes sank.43 Wenig bekannt ist, dass Manuel I. etwa einen Monat nach der erfolgreichen Rückkehr seines Kapitäns am 26. August 1499 ein Schreiben über die Expedition an seinen Vetter Maximilian I. richtete, das sich im Bestand Familienkorrespondenz des Haus-, Hof-, und Staatsarchivs Wien erhalten hat: König Manuel, von [Gottes] Gnade König von Portugal und der Algarve dies- und jenseits des Meeres in Afrika, Herr von Guinea und der Eroberung, Schifffahrt und des Handels mit Äthiopien, Arabien, Persien und Indien, entbietet dem allersiegreichsten und großmächtigsten Fürsten Maximilian, von Gottes Gnaden Kaiser der Römer und allzeit Mehrer des Reichs, unserm teuren Vetter, einen herzlichen Gruß und [wünscht ihm] ruhmvolle Siege über die Ungläubigen.44
Die aus Sicht der Diplomatik bemerkenswerte Intitulatio ist Ausdruck des neuen, geradezu imperialen Herrschaftsanspruchs der portugiesischen Krone. Entgegen früherer Annahmen wurde sie wohl erstmals in dem hier zitierten Dokument verwendet.45 Zugleich ist dieses Schreiben ein deutlicher Beleg für die diplomatische Wiederannährung zwischen den Häusern Habsburg und Avis, 43 Teotjnio Rodrigues de Souza und Jos8 M. Garcia (Hgg.): Vasco da Gama e a 2ndia. ConferÞncia Internacional, Paris 11.–13. Mai, 3 Bde., Lissabon 1999, Bd. 1. 44 König Manuel I. von Portugal an König Maximilian, Lissabon, 26. August 1499, HHSta Wien, Habsburgisch-Lothringisches Familienarchiv, Familienkorrespondenz A 1, fol. 14, ediert bei: Peter Krendl: Ein neuer Brief zur ersten Indienfahrt Vasco da Gamas, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33 (1980), S. 20: „Victoriosissimo ac potentissimo principi Maximiliano Dei gratia Romanorum imperatori semper Augusto consobrino nostro carissimo Emanuel eadem gratia rex Portugallie et Algabiorium citra et ultra mare in Aphrica dominusque Guinee et conquiste navigationis ac commertii Ethopie, Arabie, Persie atque Indie plurimam salutem et gloriosos de infidelibus trihumphos.“ Die dt. Übersetzung des Schreibens nach: Eberhard Schmitt: Die Anfänge der europäischen Expansion (Historisches Seminar – Neue Folge 2), Idstein 1991, S. 119ff. 45 Jos8 Manuel Garcia: A carta de D. Manuel a Maximiliano sobre o descobrimento do caminho mar&timo para a 2ndia, in: Oceanos 16 (1993), S. 28–32.
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nachdem sich die Beziehungen nach dem Regierungsantritt Manuels zwischenzeitlich abgekühlt hatten. Nun versprach der Portugiese aber, dass der direkte Kontakt mit den Völkern und Reichtümern Indiens und Afrikas künftig auch für den römisch-deutschen König von Nutzen sein werde.46 Leider ist eine Antwort Maximilians I. auf das Schreiben Manuels nicht überliefert. Eine oberdeutsche Reaktion auf die kolonialen Erfolge der Portugiesen in Asien ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Mit Recht kann vermutet werden, dass die wichtigsten königlichen Kreditgeber, die Augsburger Handelshäuser Fugger und Welser, unter Vermittlung der Habsburger über Antwerpen ihre ersten Kontakte nach Portugal aufbauten.47 Am 13. Januar 1505 drängte der Augsburger Stadtschreiber Dr. Konrad Peutinger48 im Auftrag seines Schwiegervaters Anton Welser des Älteren (†1518) in der königlichen Kanzlei auf eine beschleunigte Ausfertigung von Empfehlungsschreiben für die aus Portugal aufbrechenden Augsburger Indienfahrer: Meins schwehers brief wollen auch vertigen, dan die scheff zu Portengall schier gen India faren werden. Und uns Augspirgern ains groß lob ist, als für die ersten Teutschen, die India suchen. Und ku[niglicher] M[ajestä]t zu eren hab ich in die brief gesetzt, wie er als der erst Romisch kunig die schickt: dan solchs von kainem Romischen kunig vor nie geschehen ist. Mocht auch woll leiden, das in briefen stund, das anwalt des kunigs von Portegall in India die Teutschen, ku[niglichen] M[ajesta]t zugehorig, den indianischen kunegen von wegen seiner ku[niglichen] M[ajestä]t anzeiget etc.49
Aller Entdeckereuphorie und dem humanistischen Augsburger Bürgerstolz zum Trotz: Konrad Peutinger irrte. Bereits an der zweiten Reise Vasco da Gamas 1502/ 03 in den Indischen Ozean und an der Expedition Afonso de Albuquerques 1503/ 46 Krendl, Brief (s. Anm. 44), S. 21: „… Ceterum orientalium mertium que per universum disperguntur orbem, cynnammoni scilicet gariofali piperis zinziberis nucis nuscate musci menzoi thuris et omnis generis aromatum nec non gemarum lapillorum et omnium aliarum preciosarum mertium nostri copiam ex Indicis emporis nobis reportarunt, […] Reliquum sit, potentissime princeps consobrine carissime, ut vestra maiestas sibi persuadeat et hoc presens Dei beneficium et quidquid reliqui in nobis est eritque in posterum, id omne accessionem quandam firmissimam status et imperii vestri semper fore.“ 47 Hermann Kellenbenz: Die Fugger in Spanien und Portugal bis 1560. Ein Großunternehmen des 16. Jahrhunderts, 2 Bde., München 1990, Bd. 1, S. 49. Donald J. Harreld: High Germans in the Low Countries. German Merchants and Commerce in Golden Age Antwerp, Leiden/ Boston 2004. 48 Zu Peutingers Rolle als Sammler von Artefakten, Karten und Informationen über die portugiesischen Entdeckungsfahrten vgl. Metzig (s. Anm. 2), S. 25f. 49 Konrad Peutinger an den königlichen Sekretär Blasius Hölzl, Augsburg, 13. Januar 1505, in: Peutinger, Briefwechsel (s. Anm. 22), S. 50, Nr. 27. Vgl. auch die Schreiben Anton Welsers und Blasius Hölzls an Peutinger vom 11. Dezember 1504 bzw. vom 28. Dezember 1504, in: Ebd., S. 45–49, Nr. 25–26. Regg. Max. Nr. 21766 und Nr. 21712. Peutinger beteiligte sich wohl auch persönlich, wenigstens aber über das Vermögen seiner Frau, an dem Indienunternehmen. Darüber hinaus erwirkte er für die Welser eine Genehmigung für die Ausfuhr von Silber aus den habsburgischen Niederlanden. Vgl.: Lutz (s. Anm. 22), S. 56–64; S. 384 mit Anm. 97.
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04 lassen sich deutsche Teilnehmer, vor allem Nürnberger Kaufleute, anhand ihrer Berichte nachweisen.50 Auf eine indirekte Mitwirkung Maximilians I. durch Empfehlungsschreiben lässt sich aber erst bei den im Auftrag der Welser reisenden Handelsagenten auf ihrer Fahrt nach Goa und Kalikut unter dem ersten portugiesischen Vizekönig Francisco de Almeida 1504/05 schließen. Die Abgesandten der Reichsstädte sollten dort im Auftrag des römisch-deutschen Königs eigene Verhandlungen mit den indischen Machthabern aufnehmen.51 Die Ausweitung seiner diplomatischen Aktivitäten und die damit verbundene Chance einer christlichen Mission in den von den Europäern neu erschlossenen Gebieten entsprachen sicherlich dem universalen Herrschaftsverständnis Maximilians I.52 An der portugiesischen Indienexpedition von 1504/05 waren neben der Augsburger Welser-Vöhlin-Gesellschaft auch Vertreter der Fugger sowie italienische Kaufleute beteiligt. Das deutsch-italienische Konsortium rüstete drei der insgesamt 22 Schiffe aus. Nach der Rückkehr der erfolgreichen Expedition brach allerdings ein Rechtsstreit um die von der portugiesischen Krone in der Casa da 2ndia zurückgehaltenen Gewürzbestände aus. Maximilian sollte sich hierbei über seine Kontakte zu dem dort herrschenden König für die Interessen der oberdeutschen Kaufleute einsetzen.53 Trotz dieser Differenzen profitierte insbesondere Augsburg wie kaum eine andere Reichsstadt von dem immer stärker boomenden Fernhandel mit der iberischen Halbinsel. Maximilian billigte ausdrücklich die Einfuhr der über Portugal ins Reich strömenden Gewürze, weil hierdurch die traditionelle Monopolstellung Venedigs im Orienthandel entscheidend geschwächt wurde.54 Da die süddeutschen Handelshäuser neben ihrer Dominanz auf den großen mitteleuropäischen Absatzmärkten gleichzeitig auch als die wichtigsten Erzlieferanten ihrer Zeit fungierten, waren sie als Rohstofflieferanten für den Schiffsbau und im Geschützguss für die Portugiesen von elementarer Bedeutung. Um neue Erzlieferungen aus den Fuggerminen in Ungarn und Tirol zu erhalten und gleichzeitig kompetente einheimische Metallgießer und Feuerwaffenspezialisten für den Rüstungssektor anzuwerben, entsandte. Manuel mehrfach seine Bevollmächtigten zu Maximilian I. und in die Reichsstädte.55 Der kaiserliche General50 Pohle (s. Anm. 16), S. 189–204. Kuzhipalli S. Mathew: The Germans and Portuguese India, in: Rodrigues de Souza / Garcia (s. Anm. 43), Bd. 1, S. 281–293, hier S. 282f. 51 Kleinschmidt (s. Anm. 1), S. 183f. Lutz (s. Anm. 22), S. 59f. 52 Zu Wahrnehmung der außereuropäischen Welt im Umfeld Maximilians I.: Metzig (s. Anm. 2). 53 Aufgrund des hohen finanziellen Ertrags der Indienexpedition befürchtete König Manuel wohl einen Preiseinbruch beim Pfefferhandel und hielt deshalb die Gewürzbestände für längere Zeit in Lissabon zurück, vgl. Kellenbenz (s. Anm. 47), Bd. 1, S. 50f. 54 Francesco Capello an den Dogen von Venedig, Innsbruck, 28. November 1504, Regg. Max. Nr. 19377. 55 Gregor Metzig: Kanonen im Wunderland – Deutsche Büchsenschützen im portugiesischen
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schatzmeister Jakob Villinger (ca. 1480–1529), der enge verwandtschaftliche Beziehungen zur Augsburger Kaufmannselite unterhielt, stieg nach anfänglichem Zögern sogar selbst in den lukrativen Erzhandel mit den iberischen Großabnehmern ein. Denn schließlich sei er sich als Finanzspezialist über die große Nachfrage und den Wert des Kupfers auf dem indischen Markt vollkommen im Klaren, erklärte er selbstbewusst den Gesandten Manuels im Mai 1515 in Augsburg.56 Es war wohl gerade diese nur schwer zu durchschauende Verflechtung zwischen Kaiserhof und Augsburger Handelselite, die der Zeitgenosse Wilhelm Rem in seinem nach dem Tod Maximilians 1519 verfassten Tagebuch mit folgenden Worten kritisierte: … die selben kafleut gewunen vil gelt an im [Maximilian I.], dan er was frum und hielt in die keff redlich. So kunden die kaffleut wol scheren. und wan der kaiser kupfer oder silberkeuff macht mit den kauffleutten, so lagen zu zeitten des kaisers rätt ettlich mit den kauffleuten auch an mit irem gelt, doch nur in gehaim.57
4.
Maximilian I. als Mäzen und Mediator: Kulturaustausch zwischen Portugal und dem Reich
Die Schwester König Manuels und Frau seines Vorgängers Johann II., D. Leonor (1458–1525), gilt bis heute als die meistverehrte Königin Portugals. Über sie berichtet der portugiesische Chronist Dami¼o de Gjis (1502–1574) in seiner Crjnica do felic&ssimo rei D. Manuel: Denn sie verehrte sehr die Heilige Ursula, Anführerin und Haupt der tugendhaften elftausend Jungfrauen, und bat in ihren Briefen Kaiser Maximilian, ihren Vetter, weil sie es so sehr wünschte, dass er ihr einige Reliquien der Heiligen Jungfrauen zuschicken möge, was er ihr ohne Umstände gewährte; und er befahl unter all diesen die der glückseligen Heiligen Auta aus dem Kloster S. Ursula der Stadt Köln auszuwählen, wo all diese Überreste beerdigt sind.58
Die Heilige Au(k)ta gilt nach einer auf das 10. Jahrhundert zurückgehenden Legende als eine der elftausend Jungfrauen und Gefährtin der Heiligen Ursula, Weltreich (1415–1640), in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14 (2010), S. 267–298, S. 273f. 56 Tom8 Lopes an König Manuel I., Augsburg, 23. Mai 1515, in: Freire (s. Anm. 16), S. 105. 57 Wilhelm Rem: Cronica newer geschichten, 1512–1527, in: Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg, Bd. 5 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert 25), Leipzig 1896, S. 101. 58 De Gjis (s. Anm. 24), Bd. 4, Kap. 26, S. 60f. (Übersetzung des Verfassers) Dazu: Gregor M. Metzig: The Cloister as a Crossroads of Diplomacy between Emperor Maximilian I (1486–1519) and Portugal, in: Casa perfeitiss&ma. 500 anos da Fundażo do Mosteiro da Madre de Deus 1509–2009, hg. v. Alexandra Curvelo, Lissabon 2009, S. 342–345.
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die mit ihr den Märtyrertod in Köln erlitt.59 Maximilian I. berichtet in dem Begleitschreiben an D. Leonor, er habe die Reliquien eigenhändig der Sammlung seines Vaters Friedrichs III. entnommen und sie dem portugiesischen Gesandten übergeben.60 De Gjis beschreibt auch die Überfahrt und die Ankunft der Reliquien der Heiligen Auta 1513 im Kloster Nossa Senhora dos Prazeres (Madre de Deus) bei Lissabon.61 Die Szene ist in dem von D. Leonor in Auftrag gegebenen prachtvollen Altarretabel zum Martyrium der Elftausend Jungfrauen festgehalten, das in der Sankt-Auta-Kapelle des Konvents aufgestellt wurde (vgl. Abb. 1).62 Mit den Reliquien gelangte wohl auch das figuren- und szenenreiche Gemälde Die Passion Christi mit dem Panorama von Jerusalem in das Kloster.63Auf dem etwa 2 x 2 Meter großen Altarbild eines unbekannten flämischen Meisters sind die Stationen des Leidensweges Christi vor dem Hintergrund einer stilisierten Stadtansicht von Jerusalem dargestellt. Auf der linken unteren Bildseite hat man ex post – vermutlich nach dem Eintreffen der Tafel in Portugal – die Königin in Adorantenstellung im dunklen Ordensgewand vor einem Pult hinzugefügt.64 Der Klarissenkonvent Madre de Deus diente ihr als Witwensitz und bewahrt bis heute eine stark verehrte Devotionalie auf, die neuzeitlichen Quellenberichten zufolge 59 Filippo Caraffa: Autta, vergine, in: Bibliotheca Sanctorum. Enciclopedia dei Santi 2 (1962), S. 637. D. Leonor bat Papst Leo X., den 12. September als Gedenktag der Reliquientranslation der Heiligen Auta in der Kirchenprovinz Lissabon festzusetzen. Der königlichen Bitte kam Papst Hadrian VI. 1522 durch die Ausstellung eines Privilegs nach. 60 Schreiben Kaiser Maximilians an D. Leonor (Kopie), Breda, 8. April 1517, BA Lissabon, BA 51-VI-25 fol. 160v. Der Wortlaut des Schreibens mit der dazugehörigen Antwort D. Leonors an Maximilian fand auch Eingang in die Chronik eines portugiesischen Mönches aus dem 18. Jahrhundert. Frei Jerjnimo de Bel8m: Chrjnica Ser#fica da Santa Provincia Dos Algarves. Da regular Observancia do Nosso Serafico Padre S. Francisco, em que se trata da sua origem, progressos, e fundaÅles de seus conventos, Lisboa 1750, Bd. 3, Buch 13, Kap. 9, S. 33f. 61 De Gjis (s. Anm. 24), Bd. 4, Kap. 26, S. 60f. Fünf Jahre später wurde in der Klosterkirche auf Befehl D. Leonors eine eigene Kapelle für die Gebeine der Heiligen errichtet. Vgl. Jerjnimo de Bel8m (s. Anm. 60), Bd. 3, Buch 13, Kap. 9, S. 34f. Vgl. Metzig (s. Anm. 58), S. 342–345. Ivo C. de Sousa: A Rainha D. Leonor (1458–1525). Poder, Misericjrdia, Religiosidade e espiritualidade no Portugal do Renascimento, Lissabon 2002, S. 499f. 62 Fünfteilige Retabel der hl. Auta, um 1520, Öl auf Holz, Museu de Arte Antiga, Lissabon. Das Klarissen-Kloster Madre de Deus in Xabregas wurde auf Initiative D. Leonors 1509 unweit des Flusses Tejo, aber außerhalb der Lissaboner Altstadt, im Baustil der manuelinischen Epoche erbaut. Die Königin verbrachte ihre Witwenjahre im Konvent und liegt dort auch begraben (†1525). Unter den die Prozession andächtig verfolgenden Franziskanerinnen wird sie auch selbst auf der linken Bildseite im Ordensgewand dargestellt, vgl. Jos8 A. Seabra de Carvalho: Ret#bulo de Santa Auta, in: Curvelo (s. Anm. 58), S. 224–229, Nr. 15. 63 Die Passion Christi mit dem Panorama von Jerusalem, Öl auf Holz, ca. 1517, Brügge (?), Museu Nacional do Azulejo, Lissabon. Vgl. dazu: Jerjnimo de Bel8m (s. Anm. 60), Bd. 3, Buch 13, Kap. 11, S. 44f. 64 Alexandre Pais und Alexandra Curvelo: Panorama de Jerusal8m, in: Curvelo (s. Anm. 58), S. 216–220, Nr. 13. Till-Holger Borchert: Passion Christi, in: ders. (Hg.): Jan van Eyck und seine Zeit. Flämische Meister und der Süden 1430–1530, Ausstellungskatalog, Amsterdam/ Stuttgart 2002, S. 228, Nr. 3.
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ebenfalls als Geschenk Maximilians I. deklariert wird: Das sogenannte Sudarium gilt als eine Kopie des Schweißtuchs der Veronika, jenes Grabtuch, das angeblich die Züge Jesu Christi auf seinem Totenbett wiedergibt. Demnach habe der Kaiser holländische Maler mit der Anfertigung einer originalgetreuen Abbildung des in Savoyen befindlichen Sudariums beauftragt und es im Jahre 1508 als diplomatisches Geschenk nach Portugal übersandt.65 In einer anderen Niederlassung der Klarissen, im Convento de Jesus in der südportugiesischen Stadt Setfflbal, lassen sich ebenfalls nordeuropäische Kunstwerke wie das sogenannte Rheinische Triptychon um 1500 nachweisen.66 Einen Hinweis zu dessen Provenienz findet sich in dem von einer Nonne verfassten Traktat über die alte und merkwürdige Gründung des Convento de Jesus in Setfflbal aus dem Jahre 1630: Sehr prächtiges Retabel; diese und jene, letztere ein Geschenk [Manuels I.] an Königin D. Leonor, seine Schwester, dienten der Ausschmückung der Hauptkapelle; darunter eines der schönsten der prachtvollen Andachtsstücke, die Kaiser Maximilian, ein Vetter des genannten königlichen Geschwisterpaares, geschenkt hat.67
Der Bericht wird durch einen weiteren Hinweis bestätigt, der im Zusammenhang mit einem Marienbild von Hans Memling steht. Die Übersendung beider Gemälde lässt sich demnach als habsburgische Freundschaftsgeste gegenüber der portugiesischen Königsfamilie interpretieren, die die Werke später dem 1489 gegründeten Nonnenkloster überließ.68 Auf die guten Beziehungen Maximilians I. zu Johann II. und seiner Frau D. 65 Not&cia da fundażo do Convento da Madre de Deos de Lisboa das Religiosas descalÅas da primeira Regra da Nossa Madre Santa Clara. E De algumas couzas, q’ainda se puderaj descobrir com certeza das vidas, e mortes de muitas Madres Santas, que houve nelle: escritas por huma Freya do mesmo convento, e dirigadas a todas as mais delle no Anno de 1639, Biblioteca Nacional de Lisboa (im Folgenden abgekürzt als BNL), Lissabon, Cod. 10998 (Kopie), fls. 31–33. Jerjnimo de Bel8m (s. Anm. 60), Bd. 3, Buch 13, Kap. 20, S. 69. Dazu: Alexandre Pais: Sud#rio, in: Curvelo (s. Anm. 58), S. 213ff., Nr. 12. 66 Kölner Schule, Rheinisches Triptychon Passion Christi, Anfang 16. Jahrhundert, Öl auf Holz, Convento de Jesus, Setfflbal. Dazu: Dagoberto L. Markl: Rheinisches Triptychon Kölner Schule, in: Die großen Sammlungen 8: Das Museu Nacional de Arte Antiga Lissabon, Ausstellungskatalog 26. März–11. Juli 1999 Bonn, hg. v. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, München 1999, S. 112f. 67 Madre Soror Leonor de S¼o Jo¼o: Tratado da antiga e curiosa fundażo do Convento de Jesu de Setuval, 1630, BNL, Lissabon, Cod. 11404, Kap. 8, 17v–18: „… e mui ricos retabalos que com os que deu a Rainha donna Leanor sua Irm¼ se fez o da Capella mir, hu¼ das fermosas peÅas que se podem ver por serem assi Ricos, como deuotas, mandados de presente pello emperador Maximiliano primo dos ditos Rey & Rainha …“ (Übersetzung des Verfassers). 68 Hans Memling: Jungfrau mit Kind, 2. Hälfte 15. Jahrhundert, Öl auf Holz, Convento de Jesus, Setfflbal. Dazu: Dagoberto L. Markl: Hans Memling, Jungfrau mit Kind, in: Museu Nacional (s. Anm. 66), S. 101. Noch im Jahre 1516 hatte Jakob Fugger im Auftrag des Kaisers ein angemessenes Ehrengeschenk für König Manuel I. zu besorgen: Norbert Lieb, Die Fugger und die Kunst im Zeitalter der Spätgotik und der frühen Renaissance, München 1952, S. 79.
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Leonor, ist im Verlauf dieser Studie schon mehrfach hingewiesen worden. So überrascht auch die Bitte des portugiesischen Königs um die Anfertigung und Übersendung eines Prunkharnischs aus den berühmten Plattnerwerkstätten in Mühlau bei Innsbruck nicht. Maximilian, der sich im Herbst 1488 noch in den Niederlanden aufhielt, schrieb daraufhin an seinen Vetter Sigmund von Tirol: „Unser lieber brueder der kunig von Portugal sendet yetz zu den harnachmeistern von Mülan von wegen etlichs harnasch, den er im für sein selbs person daselbs machen und bereiten will lassen.“69 Der Austausch hochwertiger Geschenke oder die Translation von Reliquien sind Beispiele für die visuelle und materielle Bekräftigung der bestehenden Verbindung zwischen den Häusern Avis und Habsburg-Burgund. Darüber hinaus finden sich auch in der höfischen Literatur Spuren gegenseitiger Wahrnehmung. Der Weisskunig, Maximilians I. literarisch stilisierte Autobiographie, beginnt mit einer ausführlichen Schilderung des „alten weiß kunigs“ (Friedrichs III.) Brautwerbung in Portugal und dessen Hochzeit mit der jungen Infantin Leonora in Rom.70 Der aus dieser Verbindung hervorgegangene Sohn, der nach seiner blanken Rüstung benannte „jung weiß kunig“, ist niemand anderes als Maximilian I. selbst. Weitere europäische Monarchen treten unter Decknamen auf, die häufig auf ihre heraldischen Farben oder Figuren Bezug nehmen. Wohl in Anspielung auf die durch ihn eingerichtete Carreira da 2ndia um Afrika herum bekommt Manuel I. auf kaiserliche Empfehlung hin den Titel eines „kunig von der neuen fart“ verliehen.71 Ausgewählte Teile von Maximilians Ruhmeswerk wie dessen lateinische Autobiographie, die Genealogie und vermutlich auch Teile des Theuerdank wurden nach dessen Tod von dem portugiesischen Gesandten an den königlichen Hof nach Portugal übermittelt.72 Umgekehrt löste dort wohl auch die Person des Kaisers einen literarischen Reflex im Kontext der europäischen Renaissanceromane aus: In der Lissaboner Nationalbibliothek findet sich eine fiktive Crjnica do Imperador Maximiliano aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der der nur noch schwach an sein historisches Vorbild erinnernde Protagonist heldenhafte Ritterabenteuer in einer fast gänzlich verklärten nordalpinen Phantasiewelt besteht.73 Schon frühzeitig trug Maximilian I. Sorge für seine gedechtnus im Sinne des 69 Zit. nach: David Schönherr : Die Kunstbestrebungen Erzherzogs Sigmunds von Tirol, in: JbKSAKH 1 (1883), S. 182–212, hier S. 197; S. 199. 70 Weisskunig (s. Anm. 22), S. 4–46. 71 Weisskunig (s. Anm. 22), S. 448. 72 Rui Fernandes de Almada an König Manuel, Antwerpen, 10. November 1520, in: Maria Themudo-Barata: Rui Fernandes de Almada. Diplomato portuguÞs do s8culo XVI, Lissabon 1971, S. 231f., Nr. 28. 73 Crjnica do Imperador Maximiliano, BNL, Lissabon, Cod. 490 Coleżo Pombalina. Leider existiert bislang noch keine kritische Edition der Handschrift. Vgl.: Crjnica do imperador Maximiliano, hg. v. Jo¼o Palma-Ferreira und Lu&s Carvalho Dias, Lissabon 1983.
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spätmittelalterlichen memoria–Gedankens und gab ein monumentales Grabmal in Auftrag, das noch unter seinen Erben mit einigen Abstrichen für die Innsbrucker Hofkirche ausgeführt wurde. Sein leergebliebenes Hochgrab wird flankiert von 28 (von insgesamt 40 geplanten) überlebensgroßen Bronzestatuen; darunter legendäre Könige der Frühzeit sowie antike und mittelalterliche Kaiser, österreichische Landesfürsten aber auch die innerhalb der habsburgischen Dynastie besonders verehrten Heiligen. Nicht zufällig finden sich Vertreter der „sieben christlichen Königreiche“, auf die Maximilian I. Erbansprüche erhob, unter den königlichen Ahnen.74 So wie Rudolf IV. (I.) als Stammvater der Habsburger die väterliche Linie vertritt, steht der Avis-König Johann I. (1367–1433) als Begründer der mütterlichen Verwandtschaft mahnend am Grab seines Urenkels.75 Die Statue Eleonores, der portugiesischen Mutter des Kaisers, war bei beim Tod Maximilians I. nur zu Hälfte fertig gestellt und wurde später aufgrund von Gussfehlern wieder eingeschmolzen.76 Bekanntlich befindet sich das tatsächliche Grab des Kaisers jedoch nicht in Innsbruck, sondern in der St. Georgskirche in Wiener Neustadt. Ganz in der Nähe, in der Zisterzienserabtei Neukloster, fand auch seine portugiesische Mutter Eleonore unter einer durch den Niederländer Niclaus Gerhaert van Leyden (†1473) aufwendig gestalteten Grabplatte ihre letzte Ruhestätte.77 Aus einer eigenhändig von Maximilian I. verfassten Anweisung wissen wir, dass er großen Wert darauf legte, den gotischen Grabstein bei seinem nächsten Aufenthalt in Wiener Neustadt persönlich aufzusetzen.78
5.
Schlussbetrachtungen
Peter Krendl beklagte in seinem für die Thematik grundlegenden Aufsatz zu Kaiser Maximilians I. Portugalpolitik aus dem Jahre 1981 noch den vermeintli74 Coreth (s. Anm. 23), S. 296. Kleinschmidt (s. Anm. 1), S. 165f. 75 Statue Johann (Ferdinand) von Portugal, Bronzeguss, 1508–1516, Gilg Sesselschreiber, Innsbruck. Dazu: Lukas Madersbacher : Johann (Ferdinand) von Portugal, 1508–1516, in: Eleonore Gürtler und Gert Ammann (Hgg.): Ruhm und Sinnlichkeit. Innsbrucker Bronzeguss 1500–1650. Von Kaiser Maximilian bis Erzherzog Ferdinand Karl, Ausstellungskatalog Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, Innsbruck 1996, S. 154ff. Das Wappenschild Johanns I. mit dem Lilienkreuz des Ordens von Avis steht heute fälschlicherweise neben der Statur Elisabeths von Görz. 76 Vinzenz Oberhammer : Die Bronzestandbilder des Maximiliansgrabes in der Hofkirche zu Innsbruck, Innsbruck 1935, S. 178f.; S. 319. 77 Das Epitaph, hergestellt aus dem gleichen Adneter Rotscheck wie das Grabmal Friedrichs III. im Wiener Stephansdom, zeigt die Kaiserin als lebensgroßes Reliefstandbild unter einem Baldachin. Vgl.: Hack (s. Anm. 3), S. 318f. 78 Maximilian I. an den Hauptmann von Wiener Neustadt, Melchior von Maßmünster, Augsburg, 18. Februar 1504, Regg. Max. Nr. 18244.
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chen Quellenmangel.79 Die in diesem Beitrag aufgeführten Dokumente, aber auch die zahlreichen Hinweise in bildlichen Darstellungen und literarischen Werken lassen allerdings auf eine bemerkenswerte wechselseitige Wahrnehmung schließen. Aus den ersten Kontakten entwickelten sich regelmäßige Korrespondenzen zwischen den Habsburgern und den Avis; Gesandtschaften wurden ausgetauscht, Bündnisverträge und Eheabsprachen getroffen. Über Genealogien in Stammbäumen und Kunstwerken visualisierten beide Herrscherhäuser ihre sich allmählich verdichtenden Beziehungen. Exklusive diplomatische Geschenke wie Bildwerke, Prunkharnische und Reliquien brachten die gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck und konnten zugleich auch über weite Distanzen hinweg repräsentative Funktionen erfüllen. Dabei wird deutlich, dass die Allianz keinesfalls nur auf emotionaler Verbundenheit Maximilians I. mit dem Haus Avis beruhte. Vielmehr standen machtpolitische und geostrategische Überlegungen im Vordergrund, zunächst in Burgund, später im Hinblick auf die iberische Sukzession und eines gemeinsam geplanten Kreuzzugunternehmens. Hinzu kam die Förderung ökonomischer Interessen durch den Ausbau der wechselseitigen Handelsbeziehungen. Die Habsburger begünstigten durch die Einräumung weitreichender wirtschaftlicher Vorteile den Aufbau der portugiesischen Faktorei in Antwerpen. Die Scheldestadt entwickelte sich damit zum bedeutendsten nordeuropäischen Umschlagplatz für Überseewaren aus Afrika, Asien und Amerika. Gleichzeitig förderten beide Herrscherhäuser den Einstieg der oberdeutschen Kaufmannsgesellschaften in den lukrativen Portugalhandel, wo sie vor allen Dingen in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielten. Deutlich tritt die mediatorische Funktion der habsburgischen Niederlande auf nahezu allen Gebieten hervor. Das burgundische Erbe ermöglichte nicht nur den politischen Aufstieg der Casa de Austria, sondern vermittelte zudem kulturelle und wirtschaftliche Kontakte. Der in Brüssel oder Mechelen residierende Hof fungierte gleichsam als habsburgisches Nachrichtenzentrum: Hier wurden die Meldungen von den portugiesischen Eroberungen und Entdeckungsfahrten und das sich dadurch verändernde Weltbild vielfach rezipiert und weitergeleitet. Zugleich war dies das durch vielfältige kulturelle Einflüsse geprägte Umfeld, in dem die Enkel des Kaisers, Karl und Eleonore, heranwuchsen. Ihre doppelte Heiratsverbindung mit den Avis sowie die Herrschaftsübernahme Karls im Reich und in den spanischen Königreichen begründeten nach dem Tod Maximilians I. ein neues Kapitel in den habsburgisch-portugiesischen Beziehungen, die fortan durch engen nachbarschaftlichen Austausch, aber auch durch die wachsende iberische Rivalität in Übersee geprägt waren. 79 Krendl, Maximilian I. (s. Anm. 2), S. 165.
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Abb. 1: Unbekannter Meister, Lissabon, Ankunft der Reliquien der Hl. Auta, um 1520, Öl auf Eichenholz, Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.
Personen- und Werkregister Abkürzungen: Bf. = Bischof, Hg. = Herzog, Hl. = Heilige(r), Kard. = Kardinal, Kg. = König, Kg.in= Königin, Ks. = Kaiser, Mg.in = Markgräfin. – Viele der aufgeführten hochmittelalterlichen Texte stehen im Zusammenhang mit dem von Hans Ried zusammengestellten Ambraser Heldenbuch.
Abdülhamid II., Sultan 157 Agricola, Rudolf d.J. 38 Ahmed II., Sultan 153 Ahmed Resm% Efendi 154–157 Ailly, Pierre d’, Kard. 63 Albrecht – IV., Hg. v. Bayern-München 172 – III. (der Beherzte), Hg. v. Sachsen 16, 214, 219, 260f., 263, 266–269, 271 Albuquerque, Afonso de 280, 286f. Alexander VI., Papst 165, 194, 197, 199, 239 Alexander der Große 100f., 156 Alfons V., Kg. v. Portugal 278 Al-Gazali 142 Almeda, Rui Fernandez de 291 Altdorfer, Albrecht 123, 130, 171 Ambraser Heldenbuch, s. Ried, Hans Angiolello, Giovanni Maria 145 Anna v. Österreich 22 Anne de Bretagne 165–167, 239 Au(c)ta, Hl. 288f., 294 Aytinger, Wolfgang 11, 69–81 Bakjcz, Thomas, Ebf. v. Gran 200 Balbus (Balbi), Hieronymus 28, 38 B#nffy, Nikolaus 201 Barberino, Antonio, Kard. 151 Barroso, Christjv¼o 276 Bartolini, Riccardo 9, 11, 19–38 – Hodoeporicon (1515) 11, 19–24, 27–38 – Idyllium in matrimonio (1515) 33 – Austrias (1516) 9, 20f. Bayezid I., Sultan 140
Bayezid (Bajezid) II., Sultan 13f., 145–147, 153, 168, 194f., 198f., 204f., 281 Bebel, Heinrich 187 Beck, Leonard 124 Behaim, Martin 284f. Bellini, Gentile 145 Bessarion, Basileios, Kard. 147f., 150f. – Oratio dogmatica pro unione (1439) 148 Bibbiena, Bernardo Dovizi, Kard. 23 Bibra, Lorenz v., Bf. v. Würzburg 251 Binderl, Sebastian 38 Birgitta (Brigitta) v. Schweden, Hl. 65f. Boccaccio, Giovanni 57 – De mulieribus claris (1474) 57 Bonnac, Marquis de 154 Bonomo (Bonomus), – Francesco 199 – Pietro 170, 172, 216 Branca, Arzt 201, 203 Brand¼o, Jo¼o 280 Brant, Sebastian 11, 61, 69–81, 187 Brief des Priesterkönigs Johannes, s. Johannes, s. Ried, Hans Buchel, Leonhard 215 Burgkmair, Hans 124f., 128, 130 Caesar, C. Julius 101, 131 Capello, Francesco 287 Celtis, Konrad 19, 23, 26, 35, 64, 184 – Ludus Dianae (1501) 19, 23, 184 Chelidonius, Benedikt 22, 31f.
296 – De conventu Divi Caesaris Maximiliani (1505) 22 Cem, osman. Prinz 194f. Christine de Pizan 57 Claude (Claudia) de France, Kg.in v. Frankreich 165, 205 Collimitius, s. Tannstetter, Georg Colombo, Cristoforo (Christoph Kolumbus) 139, 283 Contarini, Zaccaria 199, 206, 215 Cortelazzo, Manlio 153 Corvinus, s. Johannes, s. Matthias Cospus, Johannes 38 Crjnica do Imperador Maximiliano 291 Cs#ktornyai, Sigismund Ernst de, Bf. v. P8cz 201 Cuspinian, Johannes 19–31, 35, 38 – Diarium (1515) 19–29, 35 Dalberg, Johann III. v., Bf. v. Worms 245 Damat I˙brahim Pasha, Großwesir 153f. Dantiscus, Johannes 22, 28, 32, 35, 37f. – Apophoreticum (1515) 32 – Sylva (1529) 28, 32, 38 Darius, Kg. der Perser 100 De la Marche, Olivier 50, 57 Dietrichs Flucht 109f. Dietrichstein, Sigmund v. 27 Dragfy, Bartholomäus (Wojewode) 201 Duarte, Fernando (Arzt) 276 Dürer, Albrecht 8, 104, 130, 134f. – Triumphwagen (1521/22, Druck 1526) 134; s. Maximilian I., Triumphzug Ebussuud Efendi 144 Eduard (Edward, Duarte) – III., Kg. v. England 221 – I., Kg. v. Portugal 274, 278 – der ,Schwarze Prinz‘ 221 Eitelwolf v. Stein 198 Eleonore (Leonor) – v. Portugal, Kaiserin 7, 274f., 278, 291f. – Gebetbuch 275 – v. Habsburg, Schwester Karls V. 185, 280, 293
Personen- und Werkregister
– Kg.in v. Portugal 278, 288–290 Elisabeth – I., Kg.in v. England 156 – v. Dänemark, Kf.in v. Brandenburg 262 – v. Görz, Gräfin 292 Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) 9, 14, 193, 195, 274 Erasmus von Rotterdam 31, 188, 275 – Ciceronianus (1528) 31 Este, Ippolito d’, Kard., Ebf. v. Eger (Erlau) 201 Edzard I., Graf v. Ostfriesland 261, 264–268 Evliya C ¸ elebi 153 Eyb – Gabriel v., Bf. v. Eichstätt 251 – Ludwig (d. Jüngere) v. 15, 210–216 Ferdinand – I. dt. Kg. u. Ks. 22, 59, 155, 171, 181, 188f., 205 – v. Aragon, Kg. v. Spanien 199, 203 – Hg. v. Portugal 278 Fernandez, Valentim (Moravus) 278 Firmian – , Niklas v. 163 – , Paula v. 163 Frangepan, Nikolaus, Gf. 197 Franz I. (FranÅois I), Kg. v. Frankreich 188, 221 Friedrich – III., Ks. 7, 9, 30, 61–66, 123, 162–167, 174, 177, 194, 196, 205, 228–232, 235, 237, 264, 274f., 289–292 – I. (Federico), Kg. v. Neapel 199 – II., Kg. v. Preußen 155 – d. Weise, Kurfürst v. Sachsen 184, 214f., 219, 249 Frundsberg, Georg I. v. 109 Fuensalida, Gutierrez Gomez de 162, 278 Fugger (Familie) 22, 281, 286f., 290 – , Jakob 290 Furter, Michael 69, 71, 73–76, 79–81 Fürwittig (Figur im Theuerdank) 89, 177
Personen- und Werkregister
Galland, Julien-Claude 153 Gattinara, Mercurino Arborio di 174 Gedik Ahmed Pascha 146 Georg (Georges) – (der Reiche), Hg. v. Bayern-Landshut 172 – (der Bärtige), Hg. v. Sachsen 260, 263 – d’Amboise, Kard. 177 – Hl. 75, 194 Gerstenberg, Wiegand 216 Gjis, Dami¼o de 279, 288 – Crjnica do felic&ssimo rei D. Manuel 279, 288 Gonzaga (Familie) 131 Gossembrot, Sigmund 205 Gottfried v. Bouillon 74f. Grünpeck, Joseph 64, 121–123, 166 – Historia Friderici et Maximiliani (1514) 123, 166 Hadim Ahmed Pasha 146 Hadith 144 Hadum-Jakub Pascha 194 Haiden, Heinrich 277 Halet Efendi 152, 157 Harborne, William 156 Hartlieb (Arzt) 182 Hartmann von Aue 115 – Erec (1180/90) 107, 110 Heimreich (fries. Chronist) 270 Heinrich – V., Kg. v. England 221 – VII., Kg. v. England 239 – (der Seefahrer), Infant v. Portugal 284 – (der Fromme), Herzog v. Sachsen 260, 263, 267 Heller, Jakob 252 Henneberg, Berthold v., Ebf. v. Mainz 177, 203, 228f., 235f., 240, 246, 254, 267 Herberstein, Sigmund 169 Hermannsgrün, Hans v. 197 Herrand von Wildonie 107, 110 Hölzl, Blasius 27, 286 Holzschuher, Hieronymus 283 Hutten, Ulrich v. 39, 78
297 Ibn Khaldun 155 – Muquaddimah 155 Innozenz VIII., Papst 194, 239 Innozenz XI., Papst 149 Isabella von Kastilien, Kg.in v. Spanien 139, 203, 279 Iskender Pasha (Iskenter Bey) 147 Ismail-al-Safi, Gründer der Safawiden 204 Joachim I., Mgf. v. Brandenburg 262 Johann (Johannes, Jean, Jo¼o, Juan) – I., Kg. v. Dänemark 242 – II. (Jean le Bon), Kg. von Frankreich 221 – Albrecht, Kg. v. Polen 200f. – I., Kg. v. Portugal 292 – II., Kg. von Portugal 276–278, 283f., 288, 290 – III., Kg. v. Portugal 280 – Priesterkönig 107, 112, 116f., 280 Johanna (Juana), Kg.in v. Spanien 48, 58 Josel von Rosheim 164 Julius II., Papst 178 Kara Mehmed Pasha 153 Kara Mustafa Pasha 153 Karl – d. Große, Ks. 74f. – V., Ks., Kg. v. Spanien 16, 22, 59, 92, 123, 166f., 171, 180, 185, 188f., 193, 205f., 275f., 279f., 282, 293 – V., Kg. v. Frankreich 221 – VIII., Kg. v. Frankreich 97, 196f., 221, 232–234, 239 – der Kühne, Hg. v. Burgund 45–47, 63, 220 – (v. Egmond), Hg. v. Geldern 252 Kasimir IV., Kg. v. Polen 77 Keykavus, Izzettin, Sultan 152 Kirchmair, Georg 174 Knebel, Johannes 63 – Diarium (1473–79) 63 Königsegg, Hans v. 204, 280f. Konstantin XI. Palaiologos, byzantin. Ks. 147
298 Kontaris, Kyrillos 150 Krachenberger, Johann 27 Krantz, Albert 177 Kues, s. Nikolaus Kunigunde v. Österreich 205 Ladislaus, s. Vladyslav Lagny, Paul de OFM 148f. Lang v. Wellenburg, Matthäus (Kardinal) 11, 20–23, 28, 32f., 37 Lemaire de Belges, Jean 50 Leo X., Papst 206, 289 Leonor, s. Eleonore Leyden, Niclaus Gerhaert van 292 Lichtenberger, Johannes 11, 65–69, 77f., 81 – Prognosticatio (1488) 11, 69 Lichtenstein (Liechtenstein) – , Ulrich v. 107, 111 – , Paul v. 109 Lopes, Tom8 281, 288 Lopo da Guarda 276 Lopo Soarez de Albergaria 280 Loukaris, Kyrillos 150 Ludwig (Louis) – XI., Kg. v. Frankreich 97, 181, 221 – XII., Kg. v. Frankreich 97, 239 – II., Kg. v. Ungarn 22 Luther, Martin 140, 156, 188 Machiavelli, Niccolk 178, 198, 208 Mahmud II., Sultan 153 Mantegna, Andrea 131 – Triumphzug Caesars (1484–92) 131 Manuel I., Kg. v. Portugal 277–282, 285–291 Marchesi, Marcello 148f. Marco Polo 145, 283f. Margarete (Margaret) – v. Österreich, Tochter Maximilians I. 11, 41, 48f., 55–59, 161, 163, 173f., 179, 184f., 276 – v. York 47, 50, 57 Maria – Hg.in v. Burgund 4, 11, 41–43, 46–55, 58f., 77, 194
Personen- und Werkregister
– v. Ungarn 22, 49 – Mgf.in v. Montferrat 239 Maria Theresia, Kaiserin 155 Martyr v. Anghiera, s. Petrus Martyr Matthias Corvinus, Kg. v. Ungarn 34, 145f. Mauritius (Moritz) von Cra0n (um 1200) 107, 110, 116 Maximilian I., Ks., passim – Ambraser Heldenbuch, s. Ried, Hans – Anslag wider die Türcken (Consultatio Germanica) (1517/18) 282 – Theuerdank (1517) 7, 12, 53, 86–106, 120, 177, 194, 216, 278, 291 – Weisskunig (Weisskönig) (1514) 4, 13, 52–54, 87, 94, 103, 120–129, 278, 291 – Freydal (o. J.) 7, 53, 55, 103, 166, 216 – Triumphzug (Druck 1526) 8, 13, 104, 120, 130–136, 166, 278f. – Ehrenpforte (Druck 1526) 8, 12f., 55, 87, 91–94, 97–100, 104, 120, 130–136, 171, 279 – Gebetbuch 100 – II., Ks. 271 Meder, Johannes OFM 70 Mehmed II. C ¸ elebi, Sultan 13, 140, 143, 145–147, 153, 156f., 168, 193f. Meit, Conrad 56 Melchior v. Maßmünster 292 Memling, Hans 290 Mihalog˘lu Ali Bey 146 Mohammed (Prophet) 75 Molinet, Jean 50, 166 Morosini, Gianfrancesco 156 Münzer, Hieronymus 283f. – De inventione Africae maritimae et occidentalis (1494) 284 Multeka el-Ebhur 143 Murad – III., Sultan 152, 156 – IV., Sultan 150f., 157 Mustafa III., Sultan 155 Nebukadnezar 100 Neidelhart (Figur im Theuerdank) 89, 177
299
Personen- und Werkregister
Neocorus (fries. Chronist) 269 Nibelungenlied 107, 109f., 112, 115–117 Nikolaus v. Kues, Kard. 8 Noltz, Reinhart 215f. Nordheim, Zyprian von, s. Serntein Nützel, Kaspar 243 Octavianus (Augustus), röm. Ks. Osman Gazi, Sultan 143
69
Palaiologos (Paleologus), s. Konstantin XI. – Andreas 197 Parisio, Giovanni Cataldo 284 Paruta, Paolo 148, 152 Peraudi, Raimund, Kard. 174, 177–180, 194, 198f., 205 PÞro Correa 280 Petrus Martyr v. Anghiera 203 Peutinger, Konrad 124, 278, 286 Pfinzing, Melchior 87 Philipp (Philippe, Felipe) – VI., Kg. v. Frankreich 221 – I. der Schöne, Erzhg., Kg. v. Spanien 47f., 58, 77, 167, 180, 189, 197, 239, 244, 267, 276–281 – II., Kg. v. Spanien 188, 271 – der Gute, Hg. v. Burgund 220, 239 – I., Pfalzgraf 237, 245 Pieter van Aelst 279 Pirovano, Maffeo 41 Piso – , Jacob 28 – , Johannes 38 Pius II., Papst, s. Enea Silvio Piccolomini Pontcaracce, Andreas Graecus 198 Priuli, Gerolamo, Doge v. Venedig 165 Prüschenk, Sigmund 41, 51, 173 Pseudo-Methodius 11, 69–81 Quaid (Kait) Bay, Sultan 195 Quansuh II. al-Ghuri, Sultan 203 R#kjczy, Georg 155 Reinhard (Lollarde) 66 Rem – , Aegidius 27, 38
– , Wilhelm 288 Resende, Garcia de 276f. Reysse, Johann 248 Ried, Hans 105–115 – Ambraser Heldenbuch (1504–1516/ 17) 12, 103–118 Rösch, Ulrich, Abt. v. St. Gallen 239 Rottal, Georg 27 Rudolf – IV., Hg. v. Österreich 292 – v. Anhalt-Zerbst, Graf 212 Sansovino, Francesco 140, 156 – Gli Annali Turcheschi overo Vite de’ Principi della Casa Othomana (1573) 140 Schäuffelein, Hans 124 Schedel, Hartmann 126, 283f. – Weltchronik (1492) 126, 284 Schilling, Diebold 257 S¸ehzade Mustafa 145 Selim I., Sultan 140, 145, 147, 192 Selim III., Sultan 153 Serntein, Zyprian v. (v. Nordheim), Kanzler 21, 173, 251f. Seyssel, Claude de 187 Sforza – Bianca Maria, Ks.in 11, 41–43, 49, 51, 57–60, 163, 212 – Galeazzo Maria, Hg. v. Mailand 204 – Ludovico, Hg. v. Mailand 41, 147, 170, 172, 174, 198f., 239 Sigismund (Sigmund, Zygmunt) – v. Luxemburg, Ks. 180 – I. (der Alte), Kg. v. Polen 24, 32, 185f. – v. Österreich, Hg. v. Tirol 58f., 166, 198, 291 Sonnino, Angelo Petricca da 148–151 – Trattato del modo facile d’espugnare il Turco (1640) 151 Soranzo, Lazzaro 148 Spandugino, Theodoro 147 Sperantius (Sprenz), Sebastian 28, 37f. Spiegel, Jakob 37 Springinklee, Hans 124, 129f. Stabius, Johannes 27, 132, 135
300 Stefan d. Große v. Moldau, Wojewode 14, 200, 203 Stiborius, Andreas 27 Stralenberg, Jakob 252 (Stricker) Der Pfaffe Amis, s. Ried, Hans 111 Süleyman I. (der Prächtige, the Magnificent), Sultan 142–144, 147, 157 Tannstetter, Georg (Collimitius) 26f. Tas¸köprülüzade, Achmed 142 Thurn, Hans v. 199 Thurzo, Johannes, Bf. v. Breslau 33 Titurel, jüngerer (1260–75), s. Ried, Hans 107f., 116 Tizian 131 Toscanelli, Paolo dal Pozzo 283 Treitzsaurwein, Marx 4, 53f., 94–96, 122–124, 127 Trevisano, Benedetto 215 Trithemius, Johannes OSB 194 Uko, Gf. v. Ostfriesland 261, 264 Uljaki, Lorenz 201 Ulrich v. Cirksena, Gf. v. Ostfriedland 264 UluÅ Ali Reis (,Occhiali‘) 148 Unfalo (Figur im Theuerdank) 177 Urban VIII., Papst 150 Ursula, Hl. 288 Vadian, Joachim 30f., 37f. – Oratio nomine Gymnasii Viennensis (1515) 30
Personen- und Werkregister
Valturio, Roberto 132 – De re militari (1472) 132 Vasco da Gama 285f. Vasco de Lucena 276 Vauldrey, Claude de 15, 210–216 Velius, Caspar Ursinus 28, 32, 38 – Epistola (1515) 32f., 38 Vergil 20f., 28 Villinger, Jakob 24, 288 Vladyslav (Ladislaus, Wladyslaw) II., Kg. v. Böhmen u. Ungarn 29, 33, 77, 198–201, 203, 232, 239 Waldauf, Florian 109 Waldis, Burkard 87 Welser (Familie) 286f. – , Anton 286f. Wilhelm IV., Hg. v. Bayern 252 Wilwolt von Schaumburg 210, 214f. Wimpfeling, Jakob 187 Wladislaw, s. Vladyslav Wolfdietrich (1250) 108, 110, 196 Wolfram von Eschenbach 107 – Willehalm (1217) 108 – Titurelfragment, s. Titurel Wolfstal, Heinrich Wolf v. 205 Wolkenstein, Veit v. 195, 206 – Türkenrede (1493) 195 Yirmisekiz Mehmet Celebi
153f.
Zimmernsche Chronik (1540/1558–1566) 181, 204f.