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German Pages 211 [152] Year 2022
SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRALINSTITUT FÜR ALTE GESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR
BAND 24,3
FRÜHGRIECHISCHE LYRIKER DRITTER TEIL
SAPPHO, ALKAIOS, ANAKREON
DEUTSCH VON ZOLTAN FRANYÖ UND PETER GAN GRIECHISCHER TEXT BEARBEITET VON BRUNO SNELL 2., unveränderte Auflage
AKADEMIE-VERLAG 1981
BERLIN
Redaktor der Reihe: Günther Christian Hansen Redaktor dieses Bandes: Hadwig Helms
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1976 Lizenznummer: 202 • 100/136/81 Herstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 752 501 5 (2066/24/3) • LSV 7385 Printed in GDR DDR 2 0 , - M
INHALT
Einführung
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Sappho 7 — Alkaios 10 — Anakreon 13 — Korinna 13 — Erinna 14 — Abkürzungen 14 Die monodischen Dichter
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Sappho
16
Alkaios
64
Anakreon
100
Korinna
132
Erinna
140
Erläuterungen
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EINFÜHRUNG Neben die in den beiden ersten Bänden zusammengestellten Elegiker und Jambographen1, also neben die Dichtet, die in sogenannten „Sprechversen", in Distichen oder Trimetern (oder auch Tetrametern) dichteten, treten hier die „monodischen" Dichter, wie man sie heute — übrigens nicht ganz treffend — nennt, die „Lyriker" im eigentlichen Sinne des Wortes, die meistens ihre Lieder persönlich zur Lyra vortrugen. Ein vierter Band wird die Reste frühgriechischer „Chorlyriker" bringen, die ihre Gedichte vorwiegend durch einen Chor aufführen ließen. Wie oft in der Weltliteratur Vertreter einer bestimmten Dichtgattung zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zu mehreren auftraten, so beginnt die große monodische Lyrik bei den Griechen um 600 v. u. Z. auf der Insel Lesbos mit Sappho und Alkaios. Wie auch sonst zeigt solche Duplizität, daß gewisse neue Ideen sozusagen in der Luft lagen. Sappho und Alkaios gehen aus von volkstümlichen und religiösen Liedern. Wir besitzen nichts mehr von diesen, aber die konventionellen Formen schimmern aus den Kunstgebilden der beiden Dichter so deutlich hervor, daß es reizvoll ist zu fragen, wie sie das Alte zu Neuem verwandelt haben — sie taten es auf verwandte und. doch verschiedene Art.
SAPPHO Sappho hatte einen Kreis von Mädchen um sich, denen sie Lieder zum Gottesdienst, wie etwa auf die Musen (Fr. 90), einstudierte, vor allem aber dichtete sie Hochzeitslieder, die sie von den Mädchen vortragen ließ. Aber solche auf bestimmte Gelegenheiten zielende Gedichte wurden bald zum Vorwand, um mit den Mädchen zu singen und zu tanzen, festlich geschmückt in schöner Umgebung, zwischen duftenden Blumen, wie es die Ode an Aphrodite Fr. 5.6 spüren läßt. Ein solches Tun verknüpfte den Kreis der Freundinnen durch ein festes geistiges Band. Die Erinnerung hieran zu wahren, mahnt Sappho immer aufs neue durch ihre Lieder. Schon vor ihr galten die Musen als Töchter der Mnemosyne. Für die epische Dichtung bedeutete das, die Erinnerung wachzuhalten an die großen Geschehnisse 1 Diese Reihe, Bd. 24,1: Frühgriechische Lyriker, Erster Teil: Die frühen Elegiker, Berlin 1971 und Bd. 24,2: Frühgriechische Lyriker, Zweiter Teil: Die Jambographen, Berlin 1972.
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der Vergangenheit und die Taten der Helden. Sappho aber beansprucht, daß das Persönliche wert sei besungen zu werden — nicht die große Tat, sondern „das. Viele und Schöne", wie sie es nennt (Fr. 34 A ; vgl. auch Fr. 96,11), das mit den Freundinnen zusammen Erlebte und Empfundene: Klang, Licht, Duft und alles Zarte. Der persönliche Charakter ihrer Gedichte zeigt sich vollends darin, daß sie immer wieder von der leidenschaftlichen Liebe zu einzelnen Mädchen ihres Kreises spricht. Wie dadurch die konventionellen Formen ihres Dichtens sich verschieben, zeigt am eindringlichsten unser zweites Gedicht (S. 18). Sie beginnt damit, einen Mann selig zu preisen, ein übliches Motiv der Hochzeitslieder. So heißen etwa am Schluß von Fr. 55b Hektor und Andromache „göttergleich". Zur Hochzeit gehört ferner, daß der gottähnliche Mann nahe bei dem Mädchen sitzt. Überraschenderweise folgt nun aber statt des herkömmlichen Segenswunsches an das Brautpaar, wie er etwa in Fr. 129 und 135 steht, Sapphos Klage über ihre eigene Hilflosigkeit. Heißt es am Anfang konventionell „er erscheint mir den Göttern gleich", so setzt sie ganz unkonventionell am Ende des Gedichts dem Glück des Bräutigams ihr eigenes Unglück entgegen: „ich erscheine mir fast als eine, die stirbt." Auch in anderen Gedichten erweckt die Hochzeit einer Geliebten in Sappho die Trauer des Abschieds — vgl. etwa Fr. 96 —, oder sie ermahnt sich, ihr Schicksal zu tragen. Mit diesem Gedanken endet das Gedicht 2. Sein eigentlicher Inhalt aber ist das sachliche Aufzählen der körperlichen Symptome ihrer Leidenschaft. Wird das Gedicht so getragen von ihrem starken Gefühl, verhindern der konventionelle Rahmen und die nüchterne Beschreibung dennoch, daß es sich im Vagen verliert. Am prägnantesten bezeichnet Sappho solche Not, die sie immer wieder erlebt und in ihren Versen darstellt, mit den Worten (Fr. 46): „Ich weiß nicht; was ich beginnen soll, die Gedanken sind zwiefach mir." Ihre Vorstellung ist „geteilt": ein starkes, von ihr als göttlich empfundenes Gefühl erstrebt ein Ziel, das, wie sie weiß, unerreichbar ist. Sie muß resignieren. In unserem ersten Gedicht (S. 16) benutzt Sappho ebenfalls konventionelle zweckgebundene Motive, um ihr Inneres zu offenbaren, aber diesmal auf eine ganz andere Weise. Es ergibt sich so geradezu ein Wunderwerk der „Motiv-Verschränkung", das noch deutlicher zeigt, wie Sappho Altes kombiniert und eben dadurch unerhört Neues sagt. Das erste Motiv ist ein Gebet an Aphrodite, an dessen Anfang und Ende, als Ring das. Ganze umschließend, der Hilferuf an die Göttin steht: „ K o m m , . . . rette mich aus der Not." Diese Bitte verstärkt Sappho durch das zweite Motiv: die alte Gebetsformel „wie du auch früher geholfen hast". Dieser Appell an ein gleiches Handeln der Gottheit in gleicher Lage soll die Hilfe erzwingen. Das dritte Motiv, das die Dichterin übernommen hat, ist die Epiphanie Aphrodites. Daß eine Göttin einem Menschen erscheint und ihn tröstet „Beruhige dich, es wird schon wieder besser werden für dich", lesen wir am Anfang der Ilias. Als der zornige Achill dem Agamemnon zuleibe gehen will, erscheint ihm Athene und beredet ihn, sein Schwert einzustecken; er würde später reichlich entschädigt werden für die ihm widerfahrene Kränkung.
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Sappho nun läßt Aphrodite sagen: „Was wünschst du dir diesmal wieder? Wer soll dich diesmal lieben? Es wird sich alles erfüllen." Damit kommt ein weiteres überliefertes Motiv ins Spiel, das uns bei Archilochos begegnete (Fr. 67): man muß erkennen, wie Freud und Leid im menschlichen Leben wechseln, wie ein Rhythmus alles beherrscht. Sappho schließt dann das Gedicht mit einer Kampf-Metapher: „Sei mir selbst Mitkämpferin, Bundesgenossin." All diesen Motiven gibt Sappho einen neuen Sinn. Das Gebet läuft nicht primitiv geradeaus auf den Zweck los: „Laß die Geliebte mich lieben"; vielmehr wird durch die anderen Motive etwas anderes Persönliches zum Hauptinhalt des Gedichts. Immerhin ist für Sappho das Beten soweit sinnvoll, als ihr die Liebe noch Gabe der Göttin ist und nicht etwa nur ein menschlich-psychologischer Zustand. Andererseits tritt das Psychologische dadurch hervor, daß Sappho nicht einfach um die Liebe des Mädchens betet, sondern verhaltener sagt: „Erlöse mich von den schweren Sorgen und vollende mir, was mein Gemüt zu vollenden wünscht"; und wenn sie zum Schluß sagt: „Stehe mir in meinem Kampf bei, sei mein Bundesgenosse", so setzt sie ihre eigene Tätigkeit neben die der Göttin. So hat denn auch die Epiphanie der Gottheit einen anderen Sinn als in der AchillSzene der Ilias: Dort griff Athena in das H a n d e l n ein; die ganze Ilias wäre anders verlaufen, wenn sie Achill nicht auf einen anderen Weg gebracht hätte. Bei Sappho jedoch greift die Göttin nicht in ein Handeln des Menschen ein; vielmehr macht sie Sappho nur klar, wie es um sie bestellt ist. Das weitere herkömmliche Gebetsmotiv: „Komm, wie du auch früher gekommen bist", schafft Raum für die Worte der Göttin: „so war's doch auch sonst schon". Sappho braucht nicht selbst ihr eigenes Leid zu beklagen, sondern überläßt das Sprechen der Göttin. Wenn Aphrodite dann ihre Rede schließt: „Wenn sie flieht — bald wird sie dich v e r f o l g e n , . . . wenn sie nicht liebt — bald wird sie lieben, selbst gegen ihren Willen", ist dieser „Trost im Wechsel" zwar verwandt mit dem, was Archilochos gesagt hatte, aber doch wieder auf charakteristische Weise verschieden. Archilochos spricht von Freud und Leid bei Sieg und Niederlage, Sappho von Schwankungen der Gesinnung. Bei ihr steht nicht so sehr der äußere E r f o l g im Vordergrund, der unsicher ist, sondern das Auf und Ab, dem das E m p f i n d e n ausgesetzt ist, ja, das dem Gefühl sein Leben gibt. Wenn Sappho auf solche Weise alte Motive miteinander verschränkt, hat sie natürlich nicht absichtsvoll alte Stücke zusammengebastelt, um neue Effekte zu gewinnen; der Prozeß liegt tiefer: sie wird sich an den ihr überkommenen Gedanken ihres eigenen Empfindens bewußt. Darin liegt ihre geistesgeschichtliche Bedeutung wie auch der poetische Reiz ihrer Gedichte. Wie Sappho mit den Mädchen ihres Kreises die Erinnerung an alles Schöne wachhält, das sie gemeinsam erlebt haben, zeigt am deutlichsten ein weiteres Gedicht (98); vielleicht enthält es sogar mehr, als man beim ersten Lesen merkt. Es ist an das Mädchen Atthis gerichtet (Vers 16). Zwei andere Bruchstücke (Fr. 40 und 137) zeigen, daß Sappho diese Atthis geliebt hat, ohne die erhoffte Gegenliebe zu finden. Jetzt erzählt Sappho ihr, daß ein Mädchen namens Arignota, das zu Sapphos Kreis
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gehörte, in Sardes lebt: „Früher, als sie noch bei uns war", sagt Sappho zu Atthis, „pries sie dich als göttergleich und liebte am meisten deinen Gesang." Dies ist ein Kompliment der Sappho an Atthis, aber zart und mittelbar durch den Mund der Arignota. Auch der fernen Arignota, die so sehnsuchtsvoll an Atthis denkt, sagt Sappho Freundliches, kann aber über die in der Ferne Weilende unverblümter sprechen: „In Lydien strahlt sie als die Schönste . . . und verzehrt sich das Herz in Sehnsucht nach dir." Zum Schluß heißt es: „Sie ruft uns: kommt herüber zu mir!" Dieses „uns" — wie eng verbindet es Sappho und Atthis, und nicht nur in den Gedanken der fernen Arignota.
ALKAIOS Auch Alkaios geht in vielen seiner Gedichte von konventionellen Liedformen aus. Erhalten sind uns Stücke aus Hymnen auf verschiedene Götter (Fr. 1—9), die kaum Persönliches oder Originelles erkennen lassen. Die meisten Bruchstücke sind aus einem Hymnos erhalten, der erzählt, wie Dionysos unter die olympischen Götter aufgenommen wird (Fr. 9). Dieses Lied wurde vermutlich beim Symposion vorgetragen, zur Feier des Weingottes. Trinklieder gab es in Fülle bei Alkaios. „Laßt uns trinken" oder ähnlich beginnen mehrere Gedichte: „Trinken wir, es ist so heiß" oder „es ist so kalt, also trinken wir" oder „wir sind so traurig" oder „wir sind so froh — ergo bibamus". Zu den Symposionliedern gehören auch die Liebesgedichte (Fr. 66 und 99). Einige der erhaltenen Bruchstücke beziehen sich nun aber nicht auf ein bestimmtes Fest (z. B. Fr. 73—74 B); sie behandeln Sagen, zumal aus dem Umkreis homerischer Epen, und heben eindrucksvoll den moralischen Gehalt des Geschilderten hervor: daß auf ein begangenes Unrecht Unglück und Strafe folgen. Sisyphos muß für einen Betrug büßen (Fr. 73); die treulose Helena bringt Unheil über Troja (Fr. 74); Paris, der Schänder des Gastrechtes, stürzt seine Brüder ins Verderben (Fr. 74 A); Aias, der die Seherin Kassandra vom Altar der Athena raubt, wird von der Göttin gestraft (Fr. 74 B). Auch diese Gedichte wird man sich am ehesten beim Gelage gesungen denken welchen Sinn sie jeweils hatten, erklärt sich wohl aus dem politischen Zustand der Zeit. Die Zechgenossen des Alkaios waren seine politischen Freunde. Mytilene war damals zerrissen von leidenschaftlichen Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppen des Adels. Schon die Brüder des Alkaios waren darin verwickelt und hatten als Parteigänger des Pittakos geholfen, den Tyrannen Melanchros zu stürzen. Alkaios kämpfte dann an der Seite des Pittakos gegen die Athener um das am Eingang des Hellespont liegende Sigeion. Nach diesem Kriege machte sich Myrsilos, der Kleanaktide, zum Tyrannen von Mytilene. Gegen ihn verschworen sich Pittakos und seine Aristokraten-Gruppe. Offenbar in dieser Zeit ist Alkaios zum ersten Mal verbannt worden: er lebte in dem berühmten Heiligen Bezirk von Pyrrha auf Lesbos (vgl.
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Fr. 24 A und C). In einem wilden Trinklied (Fr. 39) feierte Alkaios später den Tod des Myrsilos. Nun wählte das Volk Pittakos zum „Aisymneten", zum Schiedsrichter, der die Parteigegensätzfe ausgleichen sollte. Daß sein alter Mitstreiter diesen Auftrag annahm, empfand Alkaios als Verrat und hat ihn deswegen schonungslos bekämpft. Er beschimpft ihn (Fr. 87), er sei aus schlechtem Hause (Pittakos war sicher von Adel, stammte aber aus Thrakien), und ärgert sich besonders, daß die Stadt ihn jubelnd aufgenommen habe. Dieser Jubel war eigentlich ein Zeichen dafür, daß Pittakos nicht gegen den Willen des Volks die Macht gewonnen hatte, aber Alkaios nennt ihn dennoch Tyrann und Monarch. Der Dichter sagt nicht, was für ihn freiheitliche, demokratische Ideen seien (wie sie etwa zu gleicher Zeit Solon in Athen darlegt). Gewiß sagt er einmal (Fr. 24 C), daß er sich am Ort seiner Verbannung, fern der Stadt, nach dem Ruf des Herolds sehnt, der Volk und Rat zusammenrief, als hätte es damals schon eine echte, verantwortliche Vertretung der Mytilenäer gegeben. „Tyrann" heißt bei Alkaios kaum anderes als „Haupt der Gegenpartei, die uns nicht zur Macht kommen läßt". Übrigens hat Pittakos an der Spitze seiner Stadt offenbar segensvoll gewirkt; jedenfalls zählte man ihn (wie Solon von Athen) zu den Sieben Weisen. So wenig überzeugend die politischen Äußerungen des Alkaios klingen, so wenig sie auch die wirtschaftlichen oder sozialen Interessen seiner Gruppe oder der des Pittakos erkennen lassen - in seinen Versen treten zum ersten Mal Männer auf, die zu politischen Gruppen gehören. Homer kennt nur Gruppen, in die man hineingeboren ist: die Familie, den Stamm, die Kultgemeinschaft. Selbst wenn ein „Fremder" in solche Gemeinschaft aufgenommen werden konnte, änderte das nichts an der durch die Tradition geheiligten Form. In nachhomerischer Zeit entstehen Religionsgemeinschaften, in die man eintreten kann, etwa dadurch, daß man sich „einweihen" läßt. Solche „Mysterien" versprechen vor allem ein seliges Leben nach dem Tode. Bei Alkaios begegnen wir zum ersten Mal einer Gruppe, die irdische Ziele verfolgt. Trotzdem ist ein religiöses Motiv für ihn und seine Freunde entscheidend: durch heilige Eide haben sie sich verpflichtet zusammenzustehen. Der Verrat des Pittakos ist Eidbruch, deswegen muß ihn die Rache der Erinnyen treffen (Fr. 24 A, 13-24). Für die „Verschworenen" — sie waren es im wörtlichen Sinne — hatte das Symposion mit seinen Liedern besonderen Sinn. Wenn Alkaios Begebenheiten des Epos moralisch scharf verurteilt, prangert er eben das an, was seiner Gruppe gefährlich werden konnte - die UnZuverlässigkeit: Paris ist der „Schänder des Gastrechts", und Helena hat die Ihren verraten — so kommt Unheil über die Brüder des Paris (Fr. 74 und 74 A); solcher „Verrat" würde auch den Kreis der Verschworenen sprengen. Aias hat Kassandra aus dem Heiligtum der Athena gerissen (Fr. 74 B) — Alkaios könnte das gedichtet haben, als er selbst im Heiligtum von Pyrrha Schutz gefunden hatte. Ein wenig anders ist die Situation in dem Sisyphos-Gedicht (Fr. 73), die unmittelbar dem Zechgelage entspringt: „Betrink dich mit mirl Hoffe nicht, daß du vom Tode zurückkehren kannst. Das hat Sisyphos durch Betrug fertiggebracht und hat dafür büßen müssen."
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Alle diese Gedichte zielen auf Ehrlichkeit, bisweilen etwas rauhbeinig, aber immer ritterlich. Wie wichtig dem Alkaios und seinen Freunden das gemeinsame Trinken war, zeigen die Sätze : „Der Wein ist Wahrheit" (Fr. 66) und „Der Wein ist der Spiegel des Menschen" (Fr. 104). So oft man dies später wiederholt oder variiert — es hat für niemanden die Bedeutung gehabt wie für Alkaios, von dem wir es zum ersten Mal hören. Beim Wein, der die Zunge lockert, verriet sich am ehesten, wer nicht zuverlässig war, und an der persönlichen Zuverlässigkeit hing alles in solcher Gruppe. So verschieden die Welten des Alkaios und der Sappho sind — in einem sind beide einig : ihr Dichten gilt einem festen Kreis von innerlich zusammengehörigen Freunden. Man hat wohl mit Recht vermutet, daß in Mytilene schon vor der Zeit der beiden Dichter sowohl für Jünglinge wie für Mädchen kultische Vereinigungen bestanden, Hetairien oder Thiasoi, und daß die Gruppen um Sappho und Alkaios daraus hervorgewachsen sind. Wichtiger aber ist, was beide daraus gemacht haben. Sappho schilt eine reiche, ungebildete Frau (Fr. 58), daß sie nicht an dem „Musischen" teilgenommen hat: so wird keiner ihrer gedenken. Ein anderes Mal gesteht sie, das Schönste sei nicht das allgemein Anerkannte, Prächtige, sondern das, was einer liebt, sei es auch schlicht (Fr. 27). Das sind zwei deutliche Absagen an die Konventionen der aristokratischen Gesellschaft, in der sie lebt, sind zwei Bekenntnisse zu dem Kreis, den ein geistiges Leben verbindet. Damit taucht etwas auf, was grundlegende Bedeutung für die zukünftige Kulturentwicklung Griechenlands und Europas gewinnen sollte. Hieraus rührt der literarische Anspruch, mit dem etwa Pindar sagt (Ol. 2,85): ich dichte 9C0vàevTCt ctuvetoIcti, „was zu den Verständigen spricht", oder Bakchylides (3,85): 9povéovri o v v e t ò yapOoc), „ich künde dem Denkenden Verständliches". Von den sich im 6. Jahrhundert bildenden Philosophenschulen bis hin etwa zu den französischen Salons des 18. Jahrhunderts ließe sich dises Motiv verfolgen. Entsprechendes gilt für Alkaios: bei ihm treten im politischen Leben zum ersten Mal gleichgesinnte Gruppen hervor; solchem Anfang der Parteibildung ist das politische Leben bis in unsere Tage hinein verpflichtet. Alkaios fühlt sich als Angehöriger der Aristokratie, so sehr, daß er den Pittakos beschimpft, er sei „nicht aus guter Familie" (KOCKOTTCCTpiSas, Fr. 87); aber das kann kein absoluter Wert für ihn gewesen sein, denn Pittakos war früher sein Gefährte. Das Verschworensein für ein bestimmtes Ziel war offenbar wesentlicher als die Abstammung; wie Sappho trat Alkaios damit für das ein, was ihm das Beste oder das Schönste zu sein schien. Uns mögen die Verse Sapphos mehr ansprechen als die des Alkaios — auf die Literatur hat letzterer größeren Einfluß gewonnen. Ich nenne dafür nur die Art, wie er die alten Mythen in die von Archilochos begründete persönliche Lyrik einführt. Mythen haben ihren traditionellen Platz in Kultliedern. So erzählt Sappho in einem Hochzeitslied von der Hochzeit Hektors (Fr. 5 5) oder Alkaios in einem Dionysos-Hymnos von der Aufnahme des Gottes in den Olymp (Fr. 9). Stücke alter Sagen erfüllt aber Alkaios dadurch mit neuem Leben, daß er sie mit einem empfindlicher gewordenen moralischen Bewußtsein ansieht und die Figuren als Menschen
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nimmt, die den gleichen Gefährdungen ausgesetzt sind wie die Menschen seiner Zeit; solche „mythischen Exempla" konnten etwa zeigen, wie gebrochenes Vertrauen Strafe findet. Vor allem für die Tragödie des 5. Jahrhunderts wurde es wichtig, daß die Sagengestalten tiefere moralische Probleme vergegenwärtigen konnten.
ANAKREON Anakreon stammte aus Teos, einer Stadt an der ionischen Küste Kleinasiens. Unter dem Druck der Perser ging er ungefähr um das Jahr 545 v. u. Z . nach Abdera (Thrakien) und lebte später am Hofe des Polykrates in Samos, nach dessen Sturz ihn der Peisistratide Hipparch nach Athen holte. Schon dieses Leben an Tyrannenhöfen bezeugt, daß Anakreon nicht politisch engagiert war wie Alkaios. Was er beim Symposion vortrug, war liebenswürdig, anmutig, witzig. In vielem wurde er Vorläufer des Hellenismus, so daß eine erhaltene Sammlung von Trink- und Liebesliedern aus dieser späteren Zeit unter seinem Namen überliefert werden konnte. Diese „anakreontischen" Gedichte haben im Frankreich des 16. Jahrhunderts und bei uns im 18. Jahrhundert (Hagedorn, Gleim usw.) den Namen des Dichters lebendig erhalten.
KORINNA Korinna aus dem böotischen Tanagra soll eine Schülerin der Dichterin Myrtis gewesen sein. Von dieser sagt sie (Fr. 15), sie habe sich auf einen Wettstreit mit Pindar eingelassen. Falls diese (und ähnliche) Nachrichten zuverlässig sind, würde sie im 5. Jh. v. u. Z . gelebt haben. Aber erwähnt wird sie erst im 1. Jh. v. u. Z . ; so hat man auch vermutet, sie gehöre erst dem 3. Jh. an. Sicher entscheiden läßt sich die Frage nicht, aber das frühe Datum ist doch wohl wahrscheinlicher. Die erhaltenen Fragmente zeigen, daß sie ausführlich Lokalsagen für die Choraufführungen ihrer Heimat behandelt hat. Was sie erreichen möchte, beschreibt sie selbst in der Einleitung eines großen Gedichts, das böotische Lokalsagen enthält (Fr. 2): „Sagen aus der Väterzeit möchte ich ausschmücken mit eigenen . . . " . Leider ist das folgende Substantiv auf dem Papyrus nicht erhalten, und wir wissen nicht, ob sie sich „Kunst" oder „Wort" oder sonst etwas als Eigenes zugeschrieben hat. Jedenfalls zeigen die erhaltenen Fragmente, daß sie sich auch in der Form an das Einfache, Volkstümliche gehalten hat. Sie ist ein in der erhaltenen griechischen Literatur seltenes Beispiel für den Reiz naiver Frische; ein Streit um ihre Lebenszeit ist daher recht müßig.
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ERINNA Erinna von Telos, einer kleinen Insel bei Rhodos, lebte nicht, wie ihre Biographie (Suda) meint, zur Zeit Sapphos, sondern wohl gegen Ende des 4. Jhs. v. u. Z. Sie starb mit 19 Jahren. Von ihren Gedichten sind vollständig nur die drei Epigramme erhalten (3—5). Das erste Fragment stammt aus einem kleinen Epos „Die Spindel", das Jugenderinnerungen enthält an die noch vor ihr verstorbene Freundin Baukis (siehe Fr. 4 und 5).
ABKÜRZUNGEN (...) (abc) [...] [abc] abc erg. Hss. v. 1. | fö
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angenommene Lücke Ergänzung einer angenommenen Lücke überlieferte Lücke Ergänzung einer überlieferten Lücke unvollständige, unsichere Buchstaben ergänzt von handschriftliche Überlieferung varia lectio (Variante der Überlieferung) Verderbnis Anfang bzw. Ende eines Gedichtes
DIE MONODISCHEN DICHTER
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