Früher Idealismus und Frühromantik: Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795–1805). Quellenband 9783787326716, 9783787309955

Wenige Epochen haben sich mit auch nur annähernd vergleichbarem Nachdruck sowohl in die Geschichte der Kunst als auch di

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German Pages 454 [474] Year 1995

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Früher Idealismus und Frühromantik: Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795–1805). Quellenband
 9783787326716, 9783787309955

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Früher Idealismus und Frühromantik Quellenband

Philosophisch-literarische Streitsachen

llerausgegeben von Walter Jaeschke

Band 1.1

Früher Idealismus und Frühromantik Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik

(1795-1805) Quellenband lienausgegeben von Walter Jaeschke

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. IsBN 978-3-7873-0995-5 IsBN eBook: 978-3-7873-2671-6

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1995. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Vorwort des Herausgebers ............. . ..............................................

VII

Zwischen Antike, Orient und Kirche W. v. Humboldt: Über das Studium des Alterthums, und des Griechischen insbesondre

( 1793) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

( 1 795/ 1 796) . . . . . . .

23

(1796/97) . . . . . . . . . . . . .

97

(1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

( 1 800) . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

.............................

147

( 1 803- 1 805) . . . . . . . . . . .

155

(1794) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251

Fr. Schlegel: Ueber das Studium der Griechischen Poesie Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus Fr. Schlegel: Gespräch über die Poesie

A. W. Schlegel: Der Bund der Kirche mit den Künsten Schelling: ÜberDante in philosophischer Beziehung

Fr. Schlegel: Gemäldebeschreibungen in der »Europa«

Theorie des Romans W. v. Humbo1dt: Jacobi-Rezension Jacobi an W. v. Humboldt,

2.

September

Fr. Schlegel: Recension von Jak:obi's Woldemar nach der Ausgabe von W.

v.

1796 ( 1 797) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Humbo1dt an Jacobi,

Novalis: [Über Goethe]

23.

(1798)

Januar

1797.

Auszug

............................

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fr. Schlegel: Über Goethe's Meister

27 1 275

(1798) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

(1809) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

Solger: Über die Wahlverwandtschaften Eckermann: Gespräche mit Goethe,

255

21.

Januar

1 827.

Auszug

. . .

.

. . . . . . . . .

.. . .

.

297

Inhalt

VI

Absolute Ästhetik

und Mimesis

Schelling: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst Nachschrift Henry Crabb Robinson .

. . . . .

.

. .

.

. . . . . .

.

(1 802/03)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 1

A. W. Schlegel: Über das Verhältniß der schönen Kunst zur Natur;

( 1 808) . . . . . . . .

329

(1 807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .

34 1

über Täuschung und Wahrscheinlichkeit; über Styl und Manier Schelling: Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur

Solger: Etwas über das Verhältniß des Ideals zur Nachahmung der Natur in der Kunst

( 1 8 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367

Rückblick auf die frühe Romantik Goethe: Epoche der forcirten Talente

( 1 8 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

( 1 8 1 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

[Meyer:] Neu-deutsche religios-patriotische Kunst Hegel: Solger-Rezension

Quellennachweis

.

(1 828)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

403

.......................................................................

443

...................................................................

446

Personenverzeichnis

.

Zum Inhalt von »Früher Idealismus und Frühromantik«, Textband

. . . . . . . . . . . . .

453

VORWORT

Als erster der Reihe •Philosophisch-literarische Streitsachen« ist vor fünf Jahren der Band mit den Referaten des Symposiums •Früher Idealismus und Frühroman­ tik« erschienen -gefolgt von drei Doppelbänden zu den Themen »Transzendental­ philosophie und Spekulation«, »Religionsphilosophie und spekulative Theologie« sowie »Philosophie und Literatur im Vormärz«. Als letzter Band erscheint nun die ­ den ersten ergänzende - Zusammenstellung von Schriften aus der Zeit der Wende vom

18.

zum

19.

Jahrhundert, die der Grundlegung und Ausgestaltung der Ästhe­

tik gewidmet sind. Die Überlegungen, aus denen das Projekt der •Streitsachen« mit seiner Dop­ pelung von Referat- und Quellenbänden erwachsen ist, sind in den Vorworten zu den Bänden

1

und - hinsichtlich der Konzeption der Quellenbände -

2. 1

skizziert

worden. Sie brauchen hier, beim zeitlichen Abschluß des Projekts, nicht nochmals wiederholt zu werden. Doch sei im Rückblick eine Bemerkung erlaubt. Am Ende des Projekts steht nur noch deutlicher vor Augen als an seinem Beginn, daß es für ein Verständnis der Texte der thematischen Epoche unverzichtbar ist, sie in einer autorübergreifenden, die mannigfachen literarischen und persönlichen Verflechtun­ gen verfolgenden und dennoch an der allgemeinen Problemlage der Epoche orien­ tierten Betrachtung zu erschließen. In einem anderen Zusammenhang hat Ludwig Feuerbach einmal gegen die tra­ ditionelle, insbesondere gegen die Hegeische Philosophie geltend gemacht, die

»wahre Dialektik« sei •kein Monolog des einsamen Denkens mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du«. I Aber auch die Werke der klassischen deutschen Philosophie sind keine Monologe einsamer Denker. Hierzu werden sie allererst durch die gängige Praxis der philosophiehistorischen Forschung verkürzt. Ur­ sprünglich sind sie einzelne Stimmen in einem um gemeinsame Probleme geführ­ ten, vielschichtigen Dialog. Erst das heute dominierende Vorgehen der Philoso­ phiehistorie erlaubt es nicht mehr, ihn auch alsDialog zu vernehmen. Früher ge­ führte Debatten um einen im Kern weitgehend gemeinsamen Problembestand wer­ den in eine Vielzahl von Monologen zerschlagen. Es verwundert nicht, daß die hierbei anfallenden Bruchstücke unverständlich bleiben - daß sie so zusammen­ hanglos und willkürlich wirken wie eine Reihe von Antworten auf eine nicht ge­ hörte Reihe von Fragen: wie eine Vielzahl von Mitschnitten einer Diskussion, die die Voten jeweils nur eines Sprechers aufzeichnen. Die Gründe der gegenwärtigen, unzureichenden Praxis sind vielfältig - teils philosophisch reflektiert, teils trivial, und sie sind auch nur zum Teil revidierbar. Der erste von ihnen liegt in methodologischen Entscheidungen - auch wenn sie heute weithin nicht mehr eigens ins Bewußtsein treten mögen. In der Absicht einer vollständigen Abschottung der Philosophie gegenüber •der Wissenschaft« seit den 1 Ludwig Feuerbach: EntwUrfe zu einer Neuen Philosophie. Hrsg. von Waller Jaeschke und Wemer Schuffenhauer. Harnburg 1995, 98.

VIII

Vorwort des Herausgebers

1920er Jahren ist die problemgeschichtlich verfahrende Philosophiehistorie als zu wissenschaftsnah und deshalb als der Philosophie unangemessen und abträglich ra­ dikal verworfen worden - bis hin zur Diffamierung des Wortes »Problem•. Die dialogische Struktur der Philosophiegeschichte - zumindest etlicher und vielleicht gerade ihrer herausragenden Epochen - ist jedoch eher einer problemgeschichtli­ chen Philosophiehistorie zugänglich als einer von der Hermeneutik inspirierten . Der gedankliche Gehalt solcher Epochen erschließt sich nur einem Fragen, das philosophische Werke aus ihrem gemeinsamen Problembezug versteht und nicht als letztlich isolierte, aus der Geschichtlichkeit einzelner Denker herausgeborene Ent­ würfe: einem Fragen , das den Begriff philosophischer Wahrheit als objektiven festhält und ihn nicht an die persönliche Existenz des Philosophen bindet. - Doch sind damit Fragen der Methodologie der Philosophiehistorie berührt, die hier nicht verfolgt werden können. Der zweite wie auch der dritte Grund sind nicht philosophisch diskutierbar und durch eine philosophiehistorische Neuorientierung revidierbar. Die Steigerung der Ansprüche an ein durch eigene Forschung vermitteltes Verstehen eines philosophi­ schen Werkes schließt es nahezu aus, solches Verstehen auf eine Vielzahl von ih­ nen auszuweiten und sich damit erst in die Lage zu versetzen, ihren dialogischen Charakter zu erkennen. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, daß dies nicht nur ein - als solches triviales - Problem philosophischer Lehre ist, sondern zunehmend auch eines der philosophischen Forschung. Somit verbindet sich die hermeneutisch legitimierte Orientierung am Sinngehalt je eines philosophischen Werkes mit einer wissenschaftspragmatisch begründeten Tendenz zum autorzen­ trierten Spezialistentum . Der dritte Grund verstärkt noch diese Tendenz: Die autorzentrierte Darbietung philosophischer Werke in Gesamtausgaben verkürzt die Entstehungssituation dieser Werke auf den verengten Horizont einer nur noch immanent rekonstruierten Ent­ wicklungsgeschichte. Allenfalls in der Einleitung und im Sachkommentar erhält das Dialogische ein Reservat zugewiesen, das ihm wohl ein Überleben, aber kein Le­ ben ermöglicht. Es wäre sicherlich illusorisch zu meinen, daß die - in anderer Hin­ sicht wohlbegründete und fruchtbare - Darstellungsform autorzentrierter Gesamt­ ausgaben revidiert werden könnte, und es wäre nicht einmal wünschenswert. Doch gilt es den Einseitigkeiten und Verkürzungen, die diese Präsentationsform unver­ meidlich mit sich bringt, bewußt entgegenzuwirken. Die »Philosophisch-literari­ schen Streitsachen• wollen einen Anstoß in dieser Richtung geben: Sie suchen die um 1 800 geftihrten Diskussionen über Ä sthetik, über Transzendentalphilosophie und Spekulation, über die »göttlichen Dinge« und über das Verhältnis von Literatur und Politik wenigstens partiell zu rekonstruieren und - über die hier in den Refe­ ratbänden behandelten Fragen und über die in den Quellenbänden einander zuge­ ordneten Texte hinaus - den Blick über die Einzelpersonen und ihr Werk hinausge­ hend wieder auf den ihnen vorgegebenen wie auch durch sie konstituierten Pro­ blemzusammenbang zu richten. Denn nur als Momente eines um gemeinsame wenn auch sicherlich nicht unwandelbare - Probleme geftihrten Dialogs lassen sich die Werke vergangener Epochen der Philosophie begreifen. ***

Vorwort des Herausgebers

IX

Die Denkwelt der Epoche zwischen dem Ende der Aufklärung und dem Erstarken der Erfahrungswissenschaften seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kann nur durch eine wohlausgestattete Bibliothek erschlossen werden, nicht durch eine begrenzte und sei es auch achtbändige - Reihe von Abhandlungen und Quellen. Dies gilt analog für den Versuch, eine der damaligen Disziplinen der Philosophie in einem Doppelband vorzustellen . Auch der hier vorgelegte Quellenband zur Ä sthetik der Frühromantik und des frühen Idealismus kann nur den Teil für das Ganze präsen­ tieren. Doch könnte auch ein solcher kleiner Ausschnitt aus den damals geführten Debatten als Einsatzpunkt für eine weiterführende, umfassende Thematisierung dienen. Ausgeschlossen werden mußten hier alle Zeugnisse, die einer •Vorgeschichte« der frühromantischen und -idealistischen Ä sthetik zuzuordnen sind - sowohl aus der späten Aufklärung als aus der Weimarer Klassik und ihrem Umkreis: nicht nur Lessing und Kant, sondern auch Herder, Moritz und Schiller. Aus Gründen der Umfangsbeschränkung mußte aber auch auf einen Themenkreis verzichtet werden, der durchaus unter den Haupttitel gehört hätte: auf die dichtungstheoretischen Schriften Hölderlins. Sie hätten jedoch einen zusätzlichen Schwerpunkt bilden müs­ sen - neben den vier im folgenden erläuterten. Gleiches gilt für Jean Pauls Vor­ schule der Ästhetik. Trotz ihrer Verflechtungen mit der zeitgenössischen Diskus­ sion 2 hätte ihr ebenfalls ein eigener Themenkreis gewidmet werden müssen - und dies hat der Rahmen des vorliegenden Bandes nicht gestattet. Einen dritten zusätz­ lichen Schwerpunkt - oder vielmehr das Zentrum der Quellensammlung - hätten schließlich die programmatischen Formulierungen des Lyceums3 und des Athe­ nliums4 bilden müssen. An ihnen hätte auch eine eigentümliche, in dieser Art viel­ leicht einmalige Form des dialogischen Philosophierens, ja des •Symphilosophie­ rens« veranschaulicht werden können. Doch wäre es nicht zu verantworten gewe­ sen, einzelne Aphorismen herauszulösen , und andererseits wäre es ihrer Bekannt­ heit wegen auch nicht opportun gewesen, sie in ihrer Gesamtheit nochmals aufzu­ nehmen. Der vorliegende Band beschränkt sich insofern darauf, das gängige, an diesen Fragmentsammlungen orientierte Bild der Frühromantik zu ergänzen. Der erste Teil der vorliegenden Quellensammlung - •Zwischen Antike, Orient und Kirche• - möchte nicht allein die Dreiheit der durch die Stichworte benannten Traditionen ins Bewußtsein rufen, sondern zugleich an den windungsreichen Denkweg der Frühromantik erinnern: Ihr Ausgangspunkt ist - wie auch der Höl­ derlins und der Weimarer Klassik - die griechische Antike. Er wird hier durch die beiden vom Ansatz her - der Frage nach dem Studium der Antike - parallelen, je­ doch grundverschiedenen und gleichwohl nicht zusammenhanglosen Studien WH­ helm von Humboldts und Friedrich Schlegels markiert. s Denn für die Frühro2 S. hierzu die Einleitung und die Anmerkungen zu Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. Nach der Ausgabe von Norbert Miller hrsg., textkritisch durchgesehen und eingeleitet von Wolfhart Henckmann. Hamburg 1990. 3 KFSA 11,147-163. 4 KFSA 11,164-272. s Humboldt selbst erwähnt gegenüber Jacobi seinen Kontakt mit Friedrich Schlegel über diese Fragen; s. vorliegenden Band, 272 sowie Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 18. No­ vember 1794 (allerdings im Blick auf seine Abhandlung •Von den Schulen der griechischen Poesie« von 1794: •Ueber den Inhalt habe ich einen weitläuftigen nicht unintereßanten Brief von Humbold

X

Vorwort des Herausgebers

mantik ist die Antike Ausgangspunkt nur im Sinne des Punktes, von dem sie sich abstößt und befreit. 6 Charakteristisch ist ihr Fortschreiten vom Klassischen zum Unklassischen und Antiklassischen:' zum Orient und zum Christentum . Diese Hinwendung zum •Orient• - wie sie sich auch i n Novalis' Chiffre •Indien• ausspricht - ist hier allerdings nur präsent im Hinweis Friedrich Schlegels auf die •Schätze des Orients« - in seiner Aufforderung , im Orient •das höchste Romantische« zu suchen. 8 Sie beschränkt sich aber keineswegs auf eine derartige bloße Programmatik, sondern sie etabliert in der Folge eine relativierende Neube­ wertung der griechischen Dichtung - auch noch zu einer Zeit, in der der frühro­ mantische •Orientalismus« bereits wieder verabschiedet ist. 9 Die indische Poesie erscheint zwar als •von der ältem griechischen so sehr verschieden nicht [ . . . ]; nur daß sie dasselbe, wenn ich so sagen darf, nach einem noch größem Maaßstabe dar­ bietet, indem theils die ursprünglich zum Grunde liegende Fabel ungeheurer und wilder, theils aber auch die spätere Milderung noch geistig sanfter und lieblicher, noch sinnlich und sittlich schöner ist als selbst in der Anmuth des Pindar und So­ phokles. «10 Dieses Urteil berührt sich zwar mit demjenigen Herders über Kalidasas Shakuntala: •Eine Menge erhabner sowohl als zarter Vorstellungen finden sich hier, die man bei einem Griechen vergebens suchen würde: denn der Indische Welt- und Menschengeist selbst hat sie der Gegend, der Nation, dem Dichter ein­ gehauchet. «11 Doch steht Herders Urteil nicht im Kontext der Programmatik einer vor mir. Ich verspreche mir eine intereßante Korrespondenz mit ihm weil er sich auch ganz mit dem Studium der Griechen beschäftigt. - Jetzt bin ich mit der Ausarbeitung von drey größern Ab­ handlungen beschäftigt; über das Studium der Griechen, über das Studium der Griechischen Poesie (dieß wird fast ein kleines Buch werden) und Beurtheilung des Aeschylus, Sophokles, Euripides.• KFSA XXIII, 2 1 2. - Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schlegel und Wilhelm v. Humboldt ist leider verschollen. - Nach dem Erscheinen von Humboldts Jacobi-Rezension, am 20. Januar 1 795, schreibt Friedrich Schlegel an August Wilhelm sehr distanziert über Humboldt: •Wenn er sich nur nicht immer selbst verläugnete. Er ist ein philosophischer Hofmann. Ich kann es nicht leiden, daß er einemjeden gerecht seyn will. Auch wird es ihm theuer zu stehen kommen, eine geistige Echo seyn zu wollen, alle einzelne Persönlichkeiten in sich zu vereinigen. Er wird seine Bestandheil zulezt verliehren, wenn es nicht schon geschehen ist, und entmannt, keinen Ton mehr geben können, als einen fremden. Er wird aus sittlicher Unmäßigkeit Bankrott machen.• KFSA XXIII,226. - Siehe ferner seine kritischen Bemerkungen in KFSA XXIII,248,269,325,332, aber auch seine Freude, bei einem bevorstehenden Besuch Humboldts in Jena im Oktober 1796 dessen persönliche Bekannt­ schaft machen zu können, ebd. 334. 6 S. bereits Schlegels Selbstkritik im Lyceumsfragment Nr 7, KFSA 11, 1 47: •Mein Versuch über das Studium der griechischen Poesie ist ein manierierter Hymnus in Prosa auf das Objektive in der Poesie.• 7 Friedrich Schlegel an Christian Gottfried Körner, 2 1 . und 30. September 1 796, KFSA XXII1, 332: •Ich bin sehr fleissig gewesen, habe mich aber fast nur mit den Neueren beschäftigt. Ich treibe es mit grossem Eifer und bin in sehr unklassischen oder antiklassischen Schriftstellern vergra­ ben. Ich war auf dem besten Wege von der Welt mich im Studium der Antiken zu petrifizieren. Doch hoffe ich, war es noch Zeit genung, um die Biegsamkeit des Geistes zu retten. • 8 S.u. 1 19. 9 Dieselbe Tendenz zeigt sich auch sonst in der damaligen stark christlich tingierten Literatur­ kritik; siehe etwa den Hinweis des Herausgebers in Hege!: Gesammelte Werke. Bd. 1 8.434. 10 Friedrich Schlegel: Ueber die Sprache und Weisheit der lndier. Ein Beitrag zur Begründung der Alterthumskunde. Nebst metrischen Uebersetzungen indischer Gedichte. Heide1berg 1 808, 163f; vgl. KFSA VIII,263. II Johann Gottfried Herder: Vorrede zu SakontaÜJ oder Der Entscheidende Ring. Ein Indisches Schauspiel von Kalidas. Aus den Ursprachen Sanskrit und Prakrit ins Englische und aus diesem ins ,

Vorwort des Herausgebers

XI

umfassenden geistigen Neuorientierung, auch nicht einer absichtlichen Abwertung des Griechischen. Die Anstöße der frühromantischen Wendung zum Orient zeigen sich hingegen noch in der späteren Ästhetik. Auch Hegels Begriff der symboli­ schen Kunstform ist ein Erbe - wenn auch ein kritisches Erbe - dieser Wendung. Und sie gehen bekanntlich weit über die Präsenz des •Orients« in der Ästhetik überhaupt hinaus - bis hin zur geschichtlichen Erforschung und philosophischen Rezeption orientalischer Mythen, Literaturen und Sprachen. Leichter faßbar und noch weit charakteristischer als die Wendung zum »Orient« ist die Rückbesinnung auf das Christentum und die christliche Prägung vor allem der Kultur des Mittelalters, aber auch noch der neueren Welt - eine Rückwendung, die sich gleichzeitig als ein europäisches Phänomen ereignet, wie auch Chateaubriands noch in London geschriebener Genie du Christianisme (1802) belegt. Das am Lyceum oder am Athenäum orientierte Bild der Frühromantik läßt oft vergessen, daß diese Wendung bereits für die späte Phase der Frühromantik nicht minder charakteristisch gewesen ist als für die Spätromantik ohnehin. Der Umschwung gegenüber dem Urteil des •Studiumsaufsatzes« über die Verkehrtheit der romantischen Poesie könnte nicht krasser ausfallen. 12 Das Mittelalter ist nun nicht mehr - wie dort - »das große barbarische Intermezzo, welches den Zwischen­ raum zwischen der antiken und der modernen Bildung anfülltc.13 Hier braucht nur an Bekanntes erinnert zu werden: an die Bedeutung, die Wackenroders Roman Henensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders sowohl für August WH­ helm wie auch für Friedrich Schlegel gehabt hat, ebenso an Ludwig Tiecks Franz Stembalds Wanderungen, 14 an Novalis' Die Christenheit oder Europa1s und an Schleiermachers Reden Ueber die Religion. August Wilhelms Gedicht »Der Bund der Kirche mit den Künsten« wie auch Friedrichs •Gemäldebeschreibungen in der Europa« sind einerseits das verzögerte Produkt dieser Rückwendung; andererseits bilden sie ein wirkungsmächtiges Movens ihrer geschichtlichen Durchsetzung. Auf Schlegels Gemäldebeschreibungen hat Schelling nicht mehr mit einer Neuauflage seines gegen Novalis gerichteten •Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Wieder­ porstsc1 6 repliziert. Sie sind für seine Philosophie der Kunst wichtig geworden, 17 und auch in seinem •Dante-Aufsatz« findet der Umschwung in der geistigen Orien-

Deutsche übersetzt Mit Erläuterungen von Georg Forster. Zweite rechtmäßige, von J.G. Herder be­ sorgte Ausgabe. Frankfurt am Main 1803, XXXI; vgl. Iohann Gottfried Herder: Stimmtliehe Werke. Hrsg. von Bemhard Suphan. Bd.24. Berlin 1 886, 577. 12 S. vorliegenden Band, 32. 13 S. vorliegenden Band, 33. 14 S. schon Rudolf Haym: Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes. Berlin 1 870. ND Darmstadt 1977, 1 13- 140. 15 S. auch Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd.3. 1,9-20. 1 6 S. auch ebd. 2 1-28. 17 Siehe SeheHing an Heget, ll.Iuli 1 803, in: Aus Schellings Leben. In Briefen. Hrsg. von G. L. Plitt. Bd.l. Leipzig 1 869, 466 , über zwei Gemälde von Georg Friedeich Eberbard Wächter: •Es hat mich beim Anblick dieser Werke sehr verdrossen, daß dieser gewiß jetzt einzige Kiinstler so unbekannt in manchen Gegenden ist; ich hatte nirgends von ihm gehört oder gelesen als in Fr. Schlegels Europa. Das Lob, das ihm da ertheilt wird, ist nicht übertrieben; [...]. « In Schlegels •Gemäldebeschreibungen in der Europac wird Wächter allerdings nicht erwähnt. -

XII

Vorwort des Herausgebers

tierung einen Niederschlag, der fortan bis in Schellings späte Schriften bestimmend bleibt.IB Als ein zweiter thematischer Schwerpunkt ist hier die Theorie des Romans ge­ wählt worden - des Romans, der damals nicht als eine unter vielen Literaturgattun­ gen gilt, sondern als die universelle und für die Modeme charakteristische literari­ sche Form schlechthin - als die sokratischen Dialoge unserer Zeit, in die sich die Lebensweisheit vor der Schulweisheit geflüchtet hat. 19 Am Beginn dieser Diskus­ sionen um den Roman stehen aber nicht die Fragmente des Lyceum und des Athenäum, sondern die beiden so gegensätzlichen Rezensionen der zweiten Fassung von Jacobis Woldemar- wiederum durch Wilhelm von Humboldt und durch Fried­ rich Schlegel -, die geradezu paradigmatisch für die Gegensätzlichkeit eines noch von der Empfindsamkeit und von der Klassik geprägten und eines zur Frühroman­ tik fortschreitenden ästhetischen Urteils stehen. 20 Fortgesetzt werden sie in den Ar­ beiten von Novalis, Friedrich Schlegel und Karl Wilhelm Ferdinand Solger zu Goethes Wi/helm Meister21 und zu seinen Wahlverwandtschaften. Zu diesem Thema sind natürlich auch die einschlägigen Partien aus Friedrich Schlegels Gesprlich über die Poesie aus dem ersten Kapitel heranzuziehen; verwiesen sei ferner auf das •XII. Programm. Über den Roman« in Jean Pauls Vorschule. 22 Der dritte Teil der vorliegenden Sammlung kontrastiert zwei Konzeptionen, die als Brennpunkte einer Philosophie der Kunst gelten können: •Absolute Ä sthetik und Mimesis•. Von den Autoren, die man dem »deutschen Idealismus« zuzurech­ nen gewohnt ist, kommt hier unter dem Stichwort »Absolute Ä sthetik« nur Schel­ ling zu Wort. Denn Fichtes Beitrag zur Ä sthetik ist bekanntlich marginal geblie­ ben. Seine nicht vollendeten Briefe Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie23 von 1 795 stehen zudem im gedanklichen und biographischen Umkreis von Schillers Briefen Ueber die listhetische Erziehung des Menschen, 24 die hier - der gebotenen thematischen Beschränkung wegen - nicht berücksichtigt werden konnten. Hegels Texte zur Ä sthetik hingegen gehören erst einer späteren Zeit an - den Jahren, in denen er nicht allein den Grund seines Systems gelegt, sondern es auch bereits in einer Vielzahl anderer Disziplinen entfaltet hatte. In der hier thematischen Epoche, d.h. in Hegels Frankfurter und Jenaer Jahren, hat sich seine Ä sthetik noch nicht von der Religionsphilosophie gelöst und zu einer eigenständigen Disziplin ausge­ staltet. Er hat deshalb zwar - mit Schelling - in einigen Passagen seines Werkes der

18 S. Philosophie und Religion (1804) sowie Denkmlll der Schrift von den göttlichen Dingen (1812), beide in Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd.3.1,100-13S bzw. 242-314, sowie ins­ besondere Schellings •Spätphilosophiec, die sich ausdrücklich als •christliche Philosophie« verstehl. 19 Friedrich Schlegel: Lyceumsfragment 26. KFSA 11,149. 20 W. v. Humboldt bezieht sich auf Jacobis Neubearbeitung des Woldemar, Königsberg 1794, Schlegel auf die •Neue verbesserte Auflage Königsberg 1796•. 21 S. auch Lyceum, Fragment Nr 120, und Athenilum, Fragment Nr. 216, KFSA 11,162 bzw. 198. 22 A.a.O. 248-271. 231.G. Fichte: •Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie-. In: J.G. Fichte: Gesamtaus­ gabe der Bayerischen Alaulemie der WISsenschqften. 1/6: Werke 1799-18()(). Hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky. Stuttgart-Bad Cannstatt 1981, 333-361. 24 S. hierzu die in der Einleitung zur genannten Edition mitgeteilte fragmentarische Korre­ spondenz zwischen Schiller und Fichte.

Vorwort des Herausgebers

XIII

Kunst den hohen Rang einer Anschauung des Absoluten zugesprochen , 2s doch hat er in die damaligen Auseinandersetzungen nicht mit eigenständigen Beiträgen ein­ gegriffen. So bleibt allein das Manuskript zur Philosophie der Kunst, das SeheHing für seine Vorlesungen in Jena (1 802/03) lind in Würzburg ( 1 804/05) ausgearbeitet hat. 26 Seines zu großen Umfangs wegen konnte es hier zwar nicht aufgenommen werden, doch wird es vertreten durch die Nachschrift der Jenaer Vorlesungen durch Henry Crabb Robinson. Parallel zur Ausarbeitung der •absoluten Ästhetik« ist in den fraglichen Jahren das Problem der Nachahmung der Natur debattiert worden - insbesondere zwischen August Wilhelm Schlegel, SeheHing und Solger. Schlegels Abhandlung ist hier an den Anfang gestellt worden; sie wurde zwar erst 1 808 veröffentlicht, doch gehört sie, wie zu ihrem Beginn vermerkt, 27 in den Kontext von Schlegels Berliner Vorle­ sungen des Jahres 1 802. 28 Sie hat jedoch nicht allein zeitliche Priorität: Schlegel hat das Manuskript seiner Vorlesungen SeheHing für dessen Ausarbeitung der Phi­ losophie der Kunst überlassen. 29 So muß man die Fußnote, in der Schlegel gegen2S Hege!: Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie. Jena 1801, 148ff; GW 4,7Sf. 26 F. W. I. Schelling: Philosophie der Kunst. SW 115. 27 S. vorliegenden Band, 329. 28 Siehe August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Hrsg. von Ernst Beh­ ler. Bd.1: Vorlesungen aber Ästhetik. Paderborn, München, Wien, Zürich 1989. 29 In diesem Zusammenhang hat Schelling sich auch über seine Philosophie der Kunst klar ausgesprochen; s. Schelling an A. W. Schlegel, 3. September 1802, in: Aus Schellings Leben (s. Anm. 17), Bd.1,397f: •Ich habe mich - theils zum Aerger der hiesigen Welt, theils wegen meines eignen Bedürfnisses meine Philosophie nach dieser Seite hin auszubilden und ihr höhere Formen aus dieser Region zu holen, doch noch entschlossen, kommenden Winter Aesthetik zu lesen. Erlauben Sie, daß ich Ihnen einiges von der Idee sage, die ich mir vorgesetzt habe dabei auszuführen. Ich be­ gebe mich zum voraus gänzlich, eine 'Iheorie der Kunst aufzustellen, welche mehr oder weniger der Philosophie nur untergeordnet und von Einer Seite nothwendig - vom speculativen Standpunct aus angesehen - empirisch sein muß. Wie es wirkliche oder empirische Dinge giebt, giebt es auch eine wirkliche oder empirische Kunst - auf diese bezieht sich die 'Iheorie; aber wie es intellectuelle Dinge, Dinge an sich giebt, giebt es auch eine Kunst an sich, von der die empirische nur die Er­ scheinung ist, und diese ist das, wodurch es eine Beziehung der Philosophie auf Kunst giebt. Sie se­ hen leicht, daß auf diese Weise meine Philosophie der Kunst mehr eine allgemeine, nur in dem höchsten Reflex der Kunst schwebende - Philosophie des Universums, als eine Theorie der Kunst, sofern sie ein Besonderes ist, sein kann , ebenso daß in derselben von empirischer Kunst auf keine Weise, sondern nur von der I Wurzel der Kunst, wie sie im Absoluten ist, die Rede sein kann, die Kunst also ganz bloß von ihrer mystischen Seite genommen wird. I Ich werde nicht sowohl die Kunst, als das Ein und Alles in der Form und Gestalt der Kunst ableiten. Es ist ganz einfach zu denken, daß das Universum, wie es als organisches Ganzes, ebenso auch als Kunstganzes und Kunstwerk im Absoluten liege. Die Musik, die Rede, die Malerei - alle Künste haben wie die Kunst überhaupt ihr An sich im Absoluten. I Die Form betreffend, ao werde ich auch hier dem Schema folgen, welches mich in der allgemeinen specul. Philosophie durch die schwersten Verwicklungen der Reflexion durchgeführt hat und am meisten geeignet scheint, um das Alles in Allem darzustel­ len. Ich werde auch hier die erste und absolute Einheit in die zwei Brennpuncte der realen Entge­ gensetzung der bildenden und redenden Kunst (wovon jene dem Realen, diese dem Idealen ent­ spricht) getrennt darstellen, aber in jeder Einheit für sich wieder die ideale Entgegensetzung der an­ tiken und modernen Kunst betrachten, die sich wieder wie Real und Ideal verhält. Auf diese Weise denke ich Alles zusammenzuhalten, so wie die Idee jeder einzelnen Kunst wieder für sich in ihrer Absolutheil zu fassen . I Verzeihen Sie diese - noch rohen - Bruchstücke von Ideen. - Gewiß würde mir Ihr Manuscript vortreffliche Dienste leisten, um mich immer zu orientiren, und von dem Empi­ rischen der Kunst, worauf Sie nach Ihrem Plan mehr Rücksicht genommen haben, zum Intellectuel-

XIV

VoJWort des Herausgebers

über der Akademie-Rede Schellings auf die frühe Entstehungszeit seiner Ab­ handlung verweist, als ausgesprochen moderat ansehen,3o Und Solgers Abhandlung ist als eine Antwort sowohl auf die ihm vertrauten Schellingschen Vorlesungen wie auch auf dessen Akademie-Rede und auf Schlegels Abhandlung geschrieben. 31 Mit den zuletzt genannten Quellen ist die zeitliche Grenze der Frühromantik und des frühen Idealismus bereits überschritten . Ergänzt werden sie durch einen wenig späteren dreifachen •Rückblick auf die frühe Romantik«, der zumindest ftir einen Strang der Rezeptionsgeschichte der frühromantischen Ä sthetik bestimmend geworden ist: Hegels Rezension der Nachgelassenen Schriften Solgers, die ebenso­ sehr eine Auseinandersetzung mit der Romantik überhaupt ist; die Notiz Goethes über die •Epoche der forcirten Talente« und die 2iUnächst ftir ein Werk Goethes ge­ haltene Abhandlung Johann Heinrich Meyers über die •Neu-deutsche religios-pa­ triotische Kunst.« Eingeschlossen wurden hier die wenig bekannten, selbst in der Weimarer Ausgabe nicht einmal erwähnten •Anmerkungen und Belege« zu Meyers Abhandlung , die sowohl durch die Erläuterungen zu den genannten Künstlern als insbesondere durch die Auswahl der zitierten Passagen aus den Schriften der Ro­ mantiker und die hier noch schärfer als im eigentlichen Text hervortretende pole­ mische Tendenz das Bild der damaligen Auseinandersetzungen vervollständigen. Zum einen wendet sich der Blick - wie das Beispiel Solgers zeigt - zurück auf das Verhältnis der romantischen Poesie und Gedankenwelt zur zeitgenössischen Philo­ sophie; zum anderen richtet er sich auf die erste Textgruppe - auf den Schritt zur Aufnahme christlichen Gedankenguts, oder, wie Goethe sagt, auf das Überband­ nehmen christlicher Kunstgegenstände und Gesinnungen. 32 Er nimmt somit eine Mittelstellung ein zwischen der Frühromantik und dem späteren, in den 1 830er und 1 840er Jahren geftihrten Streit um die Romantik, der das Thema von Band 4 . 1 der Philosophisch-literarischen Streitsachen bildet. In dieser zweiten, späteren Phase des Streits um die Romantik wird jedoch die Perspektive des ersten erheblich aus­ geweitet, und die bereits von Goethe, Meyer und Regel angeschlagenen kritischen Töne werden vielfach verstärkt. •••

Anders als in den bisherigen Quellenbänden sind hier zu einigen Texten editorische Hinweise erforderlich.

len zurückzuleiten - und mir manche Nachforschungen zu ersparen, die mich doch vielleicht nicht zum Ziel führen und auf jeden Fall an der Ausbildung des Speculativen verhindern. I Könnten Sie mir Ihr Manuscript in Berlin auf meine Kosten abschreiben lassen und gegen Mitte des folgenden Monats hierher schicken, oder auch es mir bis dahin iiberlassen, um hier eine Abschrift davon neh­ men zu lassen, so wiirde ich Ihnen dafür höchst verbunden sein.• - Nach Erhalt von Schlegels Heft bedankt Schelling sich am 4. Oktober 1802; s. ebd. 408f: •Ihr Heft der Aesthetik macht mir ein un­ nennbares Vergniigen; es I entzückt mich es zu lesen. Einen Theil davon lasse ich wirklich ganz ab­ schreiben, einen andem lese ich mit der Feder in der Hand.c 30 S. vorliegenden Band, 334. 31 Diese Zusammenhänge hat Wolfhart Henckmann erläutert in der ausführlichen Einleitung zu seiner Neuausgabe von Solgers Abhandlung: •'Etwas iiber das Verhältnis des Ideals zur Nachah­ mung der Natur in der Kunst', Ein Aufsatz Solgers zur Auseinandersetzung mit Schellingc. ln: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 16 (1972), 409-452. 32 S.u. 380.

Vorwort des Herausgebers

XV

W. v. Humboldts Abhandlung Ueber das Studium des Altenhums ist unverän­ dert aus der Ausgabe durch Albert Leitzmann übernommen worden, einschließlich der ersten Fußnote, in der Leitzmann die Quellenlage beschreibt, und auch der nicht ganz einheitlich gehandhabten - Auszeichnung der Randbemerkungen Dritter durch Kursive. Die beiden Fußnoten Humboldts sind recte gesetzt und durch zu­ sätzlich zur Fußnotenzählung eingefügte Asterisken kenntlich gemacht. Der anonyme, in Hegels Handschrift vorliegende, doch von seinem Entdecker Franz Rosenzweig für Schelling in Anspruch genommene und unter dem etwas un­ glücklich gewählten Titel Das ,4"/teste Systemprogramm des deutschen Idealismus bekanntgewordene Text33 wird zeilengetreu und mit zusätzlichem Zeilenzähler wiedergegeben. Streichungen sind nicht vermerkt, Kürzel und Abkürzungen ohne Nachweis aufgelöst. Die Edition von Schellings Vorlesungen aber die Philosophie der Kunst er­ folgte auf der Grundlage der Erstausgabe durch Ernst Behler. 34 Ihm ist nicht allein für diese Erstausgabe zu danken, sondern auch dafür, daß er dem Herausgeber freundlicherweise eine Kopie von Robinsons Manuskript überlassen hat. Die revi­ dierte Edition teilt keine Streichungen mit; im Original vorhandene Kürzel werden stillschweigend aufgelöst, die Schreibweise und Interpunktion des Originals werden beibehalten - trotz aller Eigentümlichkeiten, inst?esondere in der Kleinschreibung, die auf Robinsons Orientierung an seiner Muttersprache zurückzuführen sind. Beibehalten wird auch ein Schwanken in der Anordnung des Textes: Während Ro­ binson zunächst den Text der Corollarien gegenüber dem Paragraphencorpus ein­ zieht, rückt er statt dessen ab § 1 0 1 das Corpus ein. Dieser Wechsel ist dadurch bedingt, daß von hier ab auch das Verhältnis von Corpus und Corollarium sich wandelt: Während zuvor die Corollarien nur kurze Erläuterungen enthalten, bilden sie von hier ab den •eigentlichen• Text. Beibehalten wird ferner die - durch das Fehlen von § 1 19 fehlerhafte - Paragraphenzählung. Nur der erste Teil des Originals (im vorliegenden Band 30 1 -3 1 8) ist paginiert, und zwar fehlerhaft, da die Seite 7 zweifach vorkommt - hier gezählt als 7a und 7b. Der zweite und der dritte Teil (3 1 8-325 bzw. 325-327) sind ursprünglich nicht paginiert. Diesen letzteren Teil, den sog. •Anhang•, hat Robinson unter Umdrehen des Heftes vom Ende nach vom geschrieben, so daß S. 6 des •Anhangs• - auf dem Kopf stehend - an S . 20 des zweiten Teils anschließt. Nicht berücksichtigt werden hier die Tabellen am Ende von Robinsons Nach­ schrift, da es zweifelhaft ist, wieweit es sich hier wirklich um •Schelling' s Tables« handelt. Eine dieser Tabellen geht mit Sicherheit nicht auf Schelling zurück; es handelt sich bei ihr offensichtlich um eine Abschrift der Tafel, in der Carl August Eschenmayer in seiner Schrift Die Philosophie in ihrem Uebergang zur Nichtphilo­ sophie seine Systemkonzeption darstellt - und zwar als ein Gegenstück zu derjeni­ gen Schellings. 35

33 Franz Rosenzweig: Das iJlteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Ein handschrift­ licher Fund. Heidelberg 1917. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, 1917, Nr. 5. 34 Ernst Behler: »Schellings Ästhetik in der Überlieferung von Henry Crabb Robinsone. In: Philosophisches Jahrbuch 83 (1976), 153-178. 35 S. Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd.3.1,99.

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Vorwort des Herausgebers

Bei Schellings Akademie-Rede Ueber das Verhilltniß der bildenden Kanste zu der Natur - die hier nach der Ausgabe von 1 809 wiedergegeben wird - ist die Stel­ lung der Anmerkungen am Ende des Textes belassen worden. Schelling wollte hierdurch wohl zum Ausdruck bringen, daß er diese Anmerkungen der ursprüngli­ chen Rede von 1 807 nachträglich angefügt hat. •••

Der vorliegende Band umfaßt sowohl ursprünglich selbständig erschienene Werke als auch Abhandlungen und Briefe. Grundsätzlich beginnen die einzelnen Texte jeweils auf einer neuen Seite. Autor und Titel jedes Dokuments - bzw. bei Briefen die in der Kopfzeile genannten Briefpartner - werden in KAPITÄLCHEN MIT ANFANGSVERSALIEN hervorgehoben. Alle Quellen werden unter ihrem Originaltitel mitgeteilt - selbständig erschienene Texte also mit ihrem Titelblatt. Briefen wird eine einheitlich gebildete Kopfzeile vorangestellt. Im Inhaltsverzeichnis sind - wegen der leichteren Übersicht und der Einheit­ lichkeit mit der Verzeichnung der Briefe - den publizierten Texten die Erschei­ nungsdaten beigefügt worden. Nähere Auskunft über diese Daten sowie über die Herkunft der Texte bietet der Quellennachweis am Ende des Bandes. Die Texte - etliche von ihnen erstmals seit ihrem ersten Erscheinen - werden sämtlich in ungekürzter Form mitgeteilt. Ihre Edition folgt der Textgestalt der je­ weils zugrundegelegten und nachgewiesenen Quelle, d.h. im allgemeinen derjeni­ gen des Originals; sie bewahrt diese Textgestalt unter Einschluß auch solcher Ei­ gentümlichkeiten, die eher auf die jeweiligen Gestaltungsprinzipien der zu Grunde gelegten Edition als auf das Original zurückgehen, wie z.B. die Form der Nennung der Briefautoren (Initialen, ausgeschriebener Name, Normalschrift oder Hervorhe­ bung) . Sie versteht sich jedoch nicht als historisch-kritische Ausgabe: Druckfehler­ verzeichnisse werden bei der Textherstellung stillschweigend berücksichtigt; wei­ tere offenkundige Druckversehen (eindeutig fehlerhafte Schreibung von Wörtern , z.B. •Widersruch«, auf dem Kopf stehende Buchstaben u.ä.) und Dittographien werden ebenfalls stillschweigend berichtigt. Darüber hinausgehende Eingriffe des Herausgebers in den Text sind im Apparat verzeichnet. Die erste Stufe der Hervor­ hebungen wird einheitlich durch Kursive wiedergegeben , die zweite Stufe durch Kapitälchen. Etwaige weitere Formen der Hervorhebung (z.B. durch Kombination von Schriftgrad und Fettdruck) werden den beiden genannten Stufen zugeordnet. Schmuckelemente wie besonders gestaltete Zeilen werden einheitlich durch drei Asterisken wiedergegeben, soweit sie innerhalb des Textes stehen, da ihnen auch eine Aufgabe der Strukturierung des Textes zukommen kann; sie werden jedoch nicht bewahrt, wenn sie als bloß dekoratives Element am Beginn oder am Ende ei­ nes Textes stehen. •••

Auch für diesen zeitlich letzten Band der •Streitsachen« hat Dora Tsatoura die Texte erfaßt, das Personenverzeichnis erarbeitet und die Druckvorlage erstellt. Ohne ihre tatkräftige Mitwirkung wären die •Streitsachen« schwerlich zum guten

Vorwort des Herausgebers

XVII

Ende geführt worden. Deshalb sei ihr hier ein sehr herzlicher Dank ausgesprochen. Dankbar erwähnt seien auch hier noch einmal die Wemer Reimers-Stiftung , deren Förderung die vier in den Jahren 1988-1991 durchgeführten Symposien und damit das Projekt der »Streitsachen« überhaupt ermöglicht hat, ebenso wie der Felix Mei­ ner Verlag, der es vom Planungsstadium an sowohl mit einem kritischen und zu­ gleich aufmuntemden Blick begleitet als auch großzügig unterstützt hat. Berlin, im Februar 1995

Nach dem Abschluß des Vorworts hat den Herausgeber die Nachricht erreicht, daß der jüngste der Teilnehmer und Autoren des Colloquiums zur Ä sthetik, Thomas Lehnerer, verstorben ist. Er ist nicht allein dem philosophischen und theologischen Publikum durch seine Dissertation über die Grundlagen der Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers (1984) sowie durch seine Ausgabe einer Vorlesung Schleierma­ chers über Ä sthetik bekanntgeworden, sondern in den letzten Jahren zunehmend durch seine überaus eindrucksvollen Aquarelle und »Figuren«. 36 Der Erinnerung an Thomas Lehnerer möchte ich diesen Band widmen.

36 Thomas Lehnerer: Figuren.

Ostfildem-Ruit bei Stuttgart

1993: Edition Cantz.

ZWISCHEN ANTIKE, ORIENT UND KIRCHE

WILHBLM VON HUMBOLDT ÜBBR DAS STUDIUM DBS ALTBRTHUMS, UND DBS GRIBCHISCHBN INSBBSONDRE. +

1. Das Studium der Ueberreste des Altertbums - Litteratur und Kunstwerke - gewährt einen zwiefachen Nutzen, einen materialen und einen formalen. Einen 11Ullerialen, indem es andren Wissenschaften Stoff darbietet, den sie bearbeiten. Insofern ist dasselbe, und sind also die humanistischen Wissenschaften! Hülfswissenschaften von jenen, und wie wichtig dieser Nuzen auch an sich sein mag, so ist er ihnen ei­ gentlich fremd. 2. Der formale Nuzen kann wiederum zwiefach sein, einmal insofern man die Ueber­ reste des Altertbums an sich und als Werke I der Gattung, zu der sie gehören, be­ trachtet, und also allein auf sie selbst sieht; und zweitens indem man sie als Werke aus der Periode, aus welcher sie stammen, betrachtet, und auf ihre Urheber sieht. *2 Der erste Nuzen ist der llsthetische, · er ist überaus wichtig, aber nicht der Einzige. Darin dass man ihn oft für den einzigen gehalten hat, liegt eine Quelle mehrerer falscher Beurtbeilungen der Alten. 3. Aus der Betrachtung der Ueberreste des Altertbums i n Rüksicht auf ihre Urheber entsteht die Kenntniss der Alten selbst, oder der Menschheit im Alterthum. Dieser Gesichtspunkt ist es, welcher allein in den folgenden Säzen aufgefasst werden soll, theils seiner innren Wichtigkeit wegen, theils weil er seltner genommen zu werden pflegt. 4. Das Studium einer Nation gewährt schlechterdings alle diejenigen Vortbeile, wel­ che die Geschichte überhaupt darbietet, indem dieselbe durch Beispiele von Hand­ lungen und Begebenheiten die Menschenkenntniss erweitert, die Beurtbeilungskraft schärft, den Charakter erhöht und verbessert; aber es thut noch mehr. Indem es nicht sowohl dem Faden auf einander folgender Begebenheiten nachspürt, als viel-

+ Handschrift (38 halbbeschriebeM Quartseiten; auf den freigebliebenen Spalten stehen Rand­ bemerkungen von Schiller und Dalberg) im Archiv in Tegel. Ebenda ist ein tJlteres Konzept der Ab­ handlung (34 halbbeschriebeM Quartseiten) erhalten. Dazu kommt eine von drei verschiedenen Htlnden (dmunter Wolfs eigener) geschriebene Abschrift, der ein BlaJtfehlt, im Nachlass Wolfs in der K/Jniglichen Bibliothek in Berlin (vgl. K/Jrte, Leben und Studien Friedrich August Wolfs, des Philologen 2, 291): ihre teils unabsichtlichen, teils absichtlichen Abweichungen von Humboldts Text gehen auf Wolf zurtlck und haben keinerlei authentischen Wert; von Interesse sind dagegen Wolfs Randbemerkungen. - Erster Druck: Sechs ungedruclae AufsiJ.tze aber das ldassische Altertum von Wilhelm von Humboldt, herausgegeben von Albert Leitvnann S. 3-33 (1896). 1 •Besser alte classische Litteratur. So z.E. kann ja Geschichte eiM Htllfswissenschaft zur Me­ dicinischen Gelehrsamkeit oder zur Jurisprudenz seyn. So kann wieder medicinische Gelehrsamkeit subsidiarisch werden/flr alte Lineratur selbst. So alles - wie in der Welt - Zweck und Mittel. « Wolf. Diess unterscheide ich noch. 2 »Dahin vordlglich die IJussere Lineratur-Geschichte. « Wolf. •

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Zwischen Antike, Orient und Kirche

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mehr den Zustand und die gänzliche Lage der Nation zu erforschen versucht, lie­ fert es gleichsam eine Biographie derselben. 5.

Das Auszeichnende einer solchen Biographie ist vorzüglich das, dass, indem der ganze politische, religiöse und häusliche Zustand der Nation geschildert wird, ihr Charakter nach allen seinen Seiten, und in seinem ganzen Zusammenhange entwik­ kelt, nicht bloss die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Charakterzüge unter einander, sondern auch ihre Relationen zu den liussren Umstlinden, als Ursachen oder Folgen, einzeln untersucht werden; und die V ortheile dieses charakteristischen

Kennzeichens eines solchen Studiums verfolge ich hier allein, mit Uebergehung je­ ner übrigen, öfter berührten. I

6. Man pflegt Menschenkenntniss nur zum Umgange mit Menschen nothwendig zu halten , und man pflegt es Menschenkenntniss zu nennen, wenn man eine Menge einzelner Menschen beobachtet und dadurch eine Fertigkeit erworben hat, aus ih­ ren äussren Handlungen ihre inneren Absichten zu errathen, und umgekehrt durch künstlich ihnen gegebene Beweggründe sie zu Handlungen zu bestimmen, und in einem gewissen politischen Sinne mag beides wahr sein. Allein im philosophischen kann Menschenkenntniss - Kenntniss des Menschen überhaupt, wie der einzelnen wirklichen Individuen - nichts anders heissen, als die Kenntniss der verschiedenen intellektuellen, empfindenden, und moralischen menschlichen Krlifte, der Modifi­ kationen, die sie durch einander gewinnen, der miJglichen Arten ihres richtigen und unrichtigen Verhliltnisses, der Beziehung der liusseren Umstlinde auf sie, dessen,

was diese in einer gegebnen Stimmung unausbleiblich wirken müssen, und was sie nie zu wirken vermögen, kurz der Gesetze der Nothwendigkeit der von innen, und der MlJglichkeit der von aussen gewirkten Umwandlungen. Diese Kenntniss ist, oder vielmehr das Streben nach dieser - da hier nur Streben möglich ist - führt zur wahren Menschenkenntniss, und diess ist jedem Menschen, als Menschen, und lebte er auch ganz von Menschen abgesondert, nur in verschiedenen Graden der Intension und Extension unentbehrlich. 7. Zuerst - um vom Leichtesten anzufangen dem handelnden Menschen, dem ich in der Folge den nur mit Ideen Beschäftigten, so wie endlich beiden den bloss Genies­ senden entgegensezen werde. Alles praktische Leben, vom Umgange in der gleich­ gültigsten Gesellschaft bis zu dem Regieren des grössesten Staats, bezieht sich mehr oder minder unmittelbar auf den Menschen; und wer seiner moralischen Würde wahrhaft eingedenk ist, wird in keinem dieser Verhältnisse des höchsten Zweks aller Moralität, der Veredlung und steigenden Ausbildung des Menschen vergessen. Dazu ist jene Kenntniss ihm unentbehrlich, theils um jenen Zwek zu be­ fördern, theils, wenn sein Geschäft so heterogen ist - wie es denn auch sehr ach­ tungswürdige dieser Art geben I kann - dass es ihm von gewissen Seiten Ein­ schränkungen in den Weg stellen muss, doch immer das höchst mögliche Minimum dieser Einschränkungen zu bewahren. So lehrt sie ihn, was er moralisch untemeh-

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v.

Humboldt: Über das Studium des Altertbums

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men dürfe und politisch mit Erfolg unternehmen könne, und leitet dadurch seinen Verstand. - Aber auch zweitens seinen Willen, indem sie allein wahre Achtung des Menschen erzeugt. Alle Unvollkommenheiten lassen sich auf Misverhältnisse der Kräfte zurükbringen. Indem nun jene Kenntniss das Ganze zeigt, werden diese gleichsam aufgehoben , und es erscheint zugleich die Nothwendigkeit ihres Entste­ hens und die Möglichkeit ihrer Ausgleichung, so dass das, vorher einseitig be­ trachtete Individuum durch diesen allseitigen Ueberblik gleichsam in eine andre höhere Klasse versezt wird. 8. Der mit Ideen Beschäftigte ist - da ich mich hier der Genauigkeit logischer Ein­ theilungen überheben kann - Historiker im allerweitesten Sinne des Worts, oder Philosoph, oder Künstler. Der Historiker, insofern ich von dem im eigentlichsten Verstande - dem Beschreiber der Menschen und menschlichen Handlungen - ab­ strahire, bedarf jener Kenntniss vielleicht am wenigsten. Wenn indess auch der Forscher des am mindesten mit Menschenähnlichkeit begabten Theils der Natur nicht bloss die äussren Erscheinungen aufzählen , sondern auch den innern Bau er­ spähen will; so kann er derselben schlechterdings nicht gänzlich entbehren . Denn nicht bloss dass alle unsre Ideen von Organisation ursprünglich vom Menschen ausgehen; so herrscht auch durch die ganze Natur eine Analogie wie der äussren Gestalten, so des inneren Baues. Es lässt sich daher kein tiefer Blik in die Beschaf­ fenheit der Organisation auch der leblosen Natur ohne physiologische Kenntniss des Menschen thun, und diese ist wiederum nicht ohne psychologische möglich; und ebenso steigt umgekehrt mit dem Umfange dieser lezteren die Schärfe jenes er­ sten Bliks, wenn gleich freilich in oft sehr kleinen Graden. Endlich muss ich be­ merklich machen, dass ich hier den Blik auf den Zusammenhang der ganzen Natur, und die Beziehung der leblosen auf die menschliche - die kein grosser Naturkündi­ ger versäumen wird - ganz übergehe, wie es denn überhaupt meine Absicht ist, nur zu versuchen, das für sich minder Klare in ein helleres Licht zu stellen. I 9.

Diesem Grundsaze getreu, bleibe ich bei dem Philosophen nur bei dem abstrakte­ sten Metaphysiker stehen. Aber wenn auch dieser das ganze Erkenntnissvermögen ausmessen soll, wenn es ferner von dem Gebiete der Erscheinungen in das Gebiet der wirklichen Wesen keinen andren Weg, als durch die praktische Vernunft giebt, wenn Freiheit und Nothwendigkeit eines allgemein gebietenden Gesezes allein zu Beweisen für die wichtigsten , übersinnlichen Principien führen können; so muss die mannigfaltigste Beobachtung der, in andren und andren Graden gemischten menschlichen Kräfte auch diess Geschäft um vieles erleichtern, und am sichersten das sehen lassen, was allgemein ist und sich in jeder Mischung gleich erhält. 10. Des KunstZers einziger Zwek ist Schönheit. Schönheit ist das allgemeine, nothwen­ dige, reine Wohlgefallen an einem Gegenstand ohne Begriff. Ein Wohlgefallen, das nicht durch Ueberzeugung erzwungen werden kann und doch abgenöthigt sein soll, das allgemein sein muss, und dessen Gegenstand nicht durch den Begriff reizt, muss sich nothwendig auf die ganze Seelenstimmung des Empfindenden in ihrer

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grössesten Individualität beziehen, wie auch schon die unendliche Verschiedenheit in Geschmaksurtheilen zeigt. Wer es also hervorbringen will, muss sein Wesen mit den feinsten und verschiedenartigsten Wesen gleichsam identificirt haben , und wie ist diess ohne tiefes und anhaltendes Studium möglich?J - Auch ausser dieser, zwar allgemein beweisenden , aber auch abstrakteren Erörterung, gehört der Künstler gleichsam I zur Klasse der praktischen Menschen , und bedarf umsomehr alles desjenigen , was jenen unentbehrlich ist, als er unmittelbar auf das Höchste und Edelste wirkt. Nicht also bloss um als Mensch moralisch, sondern auch um als Künstler mit Erfolg zu wirken, muss er den Gegenstand tief kennen, auf welchen er wirkt. - Endlich ist sein Geschäft entweder Ausdruk oder Schilderung . Das Er­ stere bezieht sich allein und unmittelbar, das Leztere, da die Schilderung sonst nicht gefasst wird , mittelbar auf Empfindung, und so bleibt diese und der empfin­ dende Mensch überhaupt immer sein Hauptstudium. 11. Von dem bloss Geniessenden endlich liesse sich eigentlich nichts sagen, da der Ei­ gensinn des Genusses keine Regel annimmt. Aber ich stelle mich billig hier in · die Stelle nicht gerade der edelsten Menschen , aber der Menschen überhaupt in ihren edleren Momenten. In diesen nun sind die Freuden der höchsten Gattung die, wel­ che man durch sich und andre empfängt, durch Selbstbeobachtung, Umgang in al­ len Abstufungen, Freundschaft, Liebe. Je höher diese sind, desto eher sind sie zer­ stört ohne ein scharfes Auffassen des wahren Seins seiner selbst und andrer. 4 Diess aber ist nie möglich , ohne tiefes Studium des Menschen überhaupt. - Diesen Freu­ den an die Seite treten nicht unbillig diejenigen, welche der ästhetische Genuss der Werke der Natur und der Kunst gewährt. Diese wirken vorzüglich durch Erregung der Empfindungen , welche durch die äussren Gestalten, gleichsam als durch Sym­ bole gewekt werden. Je mehr lebendige Ansichten möglicher menschlicher Emp­ findungen nun das Studium des Menschen verschaft I hat, desto mehr äussrer Ge3 •Kanstler und Dichter Genie eines Schakespears, Ossians, Homers und so ITIIJncher andem waren durch kein anhaltendes Studium gebildet. Diese Mlfnner warden durch anhaltendes Studium an Vollendung gewonnen an Kraft aber etwas verlohren haben. Dem ungeachtet bin ich abeneugt dass ihre Werke vollkommener geworden wlfren - wenn sie mehr jedoch nicht zuviel studieret hlftten. Allzuvieles Studium fremder Muster ITIIJcht lfngstlich; und der Funken des eignen Genius erlischt alsdann. « Dalberg. - Dalbergs Arunerlalngen berahren sich hie und da in Wendungen und Beispie­ len, worauf hier nicht im einzelnen eingegangen werden soll, mit einigen Ausftlhl'llngen seiner •Commentatio de illustratione et amplificatione humani intellectus•, die 1 776 und 1 777 in den Acta academiae electoralis moguntinae scientiarum utilium, quae Erfurti est erschien; vgl. auch den lalr­ zen Auszug bei Beaulieu-Marconnay, Karl von Dalberg und seine Zeit 2, 301. 4 •Der GeschiTIIJclc des tiefdenkenden forschenden Kunstkenners ist feiner und zuverllfssiger als der GeschiTIIJclc desjenichen der sich immer und lediglich denjenichen Eindraclcen aberlassen hat, so die Gegenstlfnde durch zu/lfllige Einwarlalngen und seine eigne weesentliche innere Anlage in ihm erregen. Allein das Geftlhl des erstem wird in sehr vielen Fallen nicht so innig, nicht so lebhaft seyn, als das GeftJhl des lerven. 1n der Dunkelheit, Unbestimtheit seiner Begriffen legt dieser gren­ zenlosen Werth auf den geliebten Gegenstand. Das Studium zeigt jenem durch Vergleichung und Nachforschung die Grenzen und Unvollkommenheiten des geliebten Gegenstandes, die Zauberkraft der Leidenschaft ist verschwunden; sein Verstand hat an Erkentnis gewonnen; sein Herz hat an Empfindsamkeit verlohren. In Beziehung auf ruhige Zufriedenheit hat er durch Studium gewonnen. Dann Kenntnisse fahren auf Wahrheit; Leidenschaft auf Abgrande von lrrthamem. Und deswegen Vf!rdient das Studium des Menschen Empfehlung. Dalberg. -

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v. Humboldt:

Über das Studium des Altertbums

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stalten ist die Seele empfänglich. - Da ich des, aus der eignen Thätigkeit entsprin­ genden Genusses schon mit dieser Thätigkeit selbst im Vorigen erwähnt habe (71 0.) , so bleibt mir nur noch der sinnliche übrig. Aber auch dieser wird, indem die Phantasie ihm das reiche Schauspiel seiner möglichen Mannigfaltigkeit nach der Verschiedenheit des geniessenden Individuums zugesellt, und indem sie so gleich­ sam mehrere Individuen in Eins vereint, vervielfacht, erhöht und verfeinert. - End­ lich mindert sich durch eine solche Ansicht das Gefühl auch des wirklichen Un­ glüks. Das Leiden, wie das Laster, ist eigentlich nur partiell. Wer das Ganze vor Augen hat, sieht, wie es dort erhebt, wenn es hier niederschlägt.

12. Ich habe bis j ezt den Menschen mit Pieiss abgesondert in einzelnen Energien be­ trachtet. Zeigte sich aber auch in keiner die Unentbehrlichkeit der Kenntniss, von der ich hier rede, so würde sie sich doch gerade dadurch bewähren , dass sie vor­ zaglieh nothwendig ist, um das einzelne Bestreben zu Einem Ganzen und gerade zu der Einheit des edelsten Zwekr, der h/Jchsten, proponionirlichsten Ausbildung des Menschen ·zu vereinen. s Denn das Beschäftigen einzelner Seiten der Kraft bewirkt

leicht mindere I Rüksicht auf den Nuzen dieses Beschäftigens, als Energie, und zu grosse auf den Nuzen des Hervorgebrachten, als eines Ergon, und nur häufiges Betrachten des Menschen in der Schönheit seiner Einheit führt den zerstreuten Blik auf den wahren Endzwek zurük.

13. So wirkt j ene Kenntniss, wenn sie erworben ist, gleichsam als Material; aber gleich heilsam und vielleicht noch heilsamer wirkt gleichsam ihre Fonn, die An sie zu erwerben. Um den Charakter Eines Menschen und noch mehr einer noch vielseiti­ geren Nation in seiner Einheit zu fassen , muss man auch sich selbst mit seinen ver­ einten Kräften in Bewegung sezen. 6 Der Auffassende muss sich immer dem auf S »Sollle nicht von dem Fortschritt der menschlichen Kullur ohngefehr eben das gellen, was wir beyjeder Erfahrung ;zu bemerken Gelegenheit haben? Hier aber bemerkt man 3 Momente. 1. Der Gegenstand steht gan;z vor uns, aber verwo"en und ineinanderfliessend. 2. Wir trennen einzelne Merkmale und unterscheiden. Unsere Erkenntniss ist DEUTliCH aber verein;zell und bomien. 3. Wir verbinden das Getrennte und das Gan;ze steht abermals vor uns, aber jet;zt nicht mehr verwo"en sondern von allen Seiten beleuchtet. In der ersten Periode waren die Griechen. In der ;zweyten stehen wir. Die drine ist also noch ;zu hoffen, und dann wird man die Griechen auch nicht mehr ;zurilck wanschen. « Schiller. - Diese Bemerkung Schillers, die Humboldt als eine »genievolle Idee« in einem Briefe vom 31. Mllr;z 1 793 Wolfmineill, wurde schon 1838 durch Vamhogen aus eben diesem Briefe veriJ.Jfentlicht und seitdem unter dem 1itel •Kullurstufen« in Schillers Werke alifgenommen; vgl. Sllmmlliche Schriften 9, 404. Eine llhnliche Anschauungsweise kehrt Schiller hllufig wieder; vgl. be­ sonders S/Jmmtliche Schriften 10, 255. 294. 451. 484. Der Schlußgedanke klingt schan in der Vorle­ sung aber Universalgeschichte (ebenda 9, 99) an. 6 •Filr den Lehrer humanistischer Wusenschaften, einen Wolf Emesti und s. w. ist dieses Stu­ dium Hauptgeschllft -ftJr den Man der sich dem thlltigen Leben witmet; ist es wie mir dankt Neben­ sache. .A.nhallendes Nachdenken lw.nn leidenschaftliches Vergnilgen werden; und dann ist die Be­ triebsamkeit des practischen Geschllftsmanns geschwllcht. Literatur ist auch ftJr ihn Hillfswissen­ schaft; aber so viel er braucht lw.nn er in der Jugend erlernt haben. Und allemahl ist es ftlr ihn in

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gewisse Weise ähnlich machen , das er auffassen will. Daher entsteht also grössere Uebung , alle Kräfte gleichmässig anzuspannen , eine Uebung , die den Menschen so vorzüglich bildet. - Wer sich mit diesem Studium anhaltend beschäftigt, fasst fer­ ner eine unendliche Mannigfaltigkeit der Formen auf, und so schleifen sich gleich­ sam die Ekken seiner eignen ab ,1 und aus ihr, vereint mit den aufgenommenen , entstehen ewig wiederum neue. - So ist jene Kenntniss gerade darum heilsam , warum jede andre mangelhaft sein würde, darum, dass sie, nie ganz erreichbar, zu unaufuörlichem Studium zwingt, und so wird die höchste Menschlichkeit durch das tiefste Studium des Menschen gewirkt. I

14. Das bis jezt betrachtete Studium des Menschen überhaupt an dem Charakter einer einzelnen Nation, aus den von ihr hinterlassenen Denkmälern , ist zwar bei einer j eden Nation in gewissem Grade möglich, in einem vorzüglicheren aber bei einer oder der andren nach folgenden vier Momenten: I. , je nachdem die von ihr vor­ handnen Ueberreste ein treuer Abdruk ihres Geistes und ihres Charakters sind, oder nicht. Jedes Produkt der Wissenschaft oder der Kunst hat seine eigne, durch

seine Natur bestimmte, gleichsam objektive, idealische Vollkommenheit, 8 aber selbst bei dem äussersten Annähern an diese Vollkommenheit prägt sich dennoch die Individualität des Geistes, der es hervorbringt, mehr oder minder darin aus, am meisten aber freilich da, wo am mindesten absichtlich auf die Erreichung jener Vollkommenheit gesehen ist. Daher der objektive Werth und die Individualität ei­ nes Geistesprodukts nicht selten im umgekehrten Verhältnisse stehen. Am auf­ fallendsten ist dieser Unterschied bei den eigentlichen Geistesprodukten , weniger bei den Künsten, und unter diesen mehr bei den energischen (Musik, Tanz) als bei den bildenden (Mahlerei, Bildhauerkunst) .

Nebenstunden angenehme Erhohlung und zuzeiten Stllrlamg seines Geistes; aber nicht anhaltendes Studium. « Da/berg. 7 Wenn alle Ecken abgeschliffen sind so wird alles glat rund und einförmig werden. Hierin ist die Kunst der Ausbildung mit der Kunst des Steinschleifers vergleichbar; der Diamant wird in seiner [Form] dadurch verschlJnen: dass er viele Faceren erhaltet ohne ganz abgerundet zu werden. All­ zulanges Nachahmen, und Hineindenken in fremde Gesinnungen und Kunstwerke verwischt das Ei­ genthamliche des Caracters ganz. Auch hierin est modus in rebus. Scaliger, Casaubon, Salmasius waren die grlJsten Humanisten. Was sie selbstgedachtes schrieben, ware sehr mitelmitssig. " Val­ berg. •Est modus in rebus, sunt certi denique fines• Horaz, Satiren I, I, 106. 8 •Sollte es nicht wahr seyn dass Jeder diejeniche Nation vordlglich studieren muss auf die er als Lehrer, Schriftsteller, Geschllftsman oder als Hausvatter warken will? Sonst mlJgte es ihm gehen [wie] dem herahmten Reisken der wuste wie es in Arabien aussahe und Leipzig nicht kannte woh er wohnte. Eine Vernunft Vorstellung (ulealisches Gedanken Bild) muss er sich aus streng erwiesnen Granden in seinem Geist zusammen setzen nach welchem er in einzlen Fallen die besondre Eigen­ heiten beunheilt. (Diese Eigenheiten sind im Grund jedesmahl Vollkommenheilen oder Unvollkom­ menheiten.) Das Hauptstudium in Literatur ist wie mir danlaftlr den Teutschen teutsche Literatur; /Ur den Englllnder Englische Uteratur u. s. w. Die Griegische Literatur ist allerdings sehr oft ein Gegenstand wichtiger scharfsinniger Vergleichungen; doch ohnmassgeblich niemahlen Hauptsa­ che. • Da/berg. •

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15.

2 . , je nachdem der Charakter einer Nation Vielseitigkeit u nd Einheit - welche im Grunde Eins sind9 besizt. Einzelne grosse und schöne Charakterzüge und ihre I Betrachtung hat ihren unbestrittenen , aber hieher nicht gehörigen Nuzen. Das Stu­ dium des Menschen überhaupt an einem einzelnen Beispiel erfordert Mannigfaltig­ keit der verschiedneo Seiten des Charakters, und Einheit ihrer Verbindung zu Ei­ nem Ganzen. 16. 3 . , je nachdem eine Nation reich ist a n Mannigfaltigkeit der verschiedenen For­ men. Es kommt also hier wieder nicht sowohl darauf an, ob die Nation, deren Stu­ dium jenen Nuzen gewähren soll, auf einem vorzüglichen Grade der Ausbildung oder der Sittlichkeit stehe, sondern bei weitem mehr darauf, ob sie von aussen reizbar, und von innen beweglich genug ist, eines grossen Reichtbums der Gestal­ ten empfänglich zu sein. 17. 4 . , je nachdem der Charakter einer Nation von der Art ist, dass er demjenigen -

Charakter des Menschen überhaupt, welcher in jeder Lage, ohne Rüksicht auf indi­ viduelle Verschiedenheiten da sein kann und da sein sollte,

am nächsten kommt.

Verschiedenheiten dieser Art unter Nationen zeigt auch eine oberflächliche Ver­ gleichung ; Nationen, die eine so lokale Ausbildung haben, dass ihr Studium mehr Studium einer einzelnen Menschengattung, als der Menschennatur überhaupt ist, 10 und Nationen, in welchen sich auf der andren Seite diese Menschennatur haupt­ sächlich ausdrukt. Das, wovon ich hier rede, kann aus doppeltem Grunde entste­ hen , einmal durch Mangel an Individualität, durch Nichtigkeit, zweitens durch Ein­ fachheit des Charakters. Nur das Leztere ist heilsam . - Das Studium des Menschen gewönne am meisten durch Studium und Vergleichung aller Nationen aller Länder und Zeiten. Allein ausser der Immensität dieses Studiums kommt es mehr auf den Grad der Intension an, mit dem Eine Nation, als auf den der Extension, mit wel­ chem eine Menge von Nationen studirt wird. Ist es also rathsam, bei Einer oder ei­ nem Paar stehen zu bleiben; so ist es gut, diejenigen zu wählen, welche gleichsam mehrere andre repräsentiren. 18. Dass nach diesen 4 Momenten die alten Nationen die sind , deren Studium jenen hier allein ausgeführten Nuzen der Kenntniss I und Bildung des Menschen am reichsten gewähret, soll die Folge zu zeigen bemüht sein. - Alte nenne ich hier aus­ scbliessend die Griechen, und unter diesen oft ausschliessend die Athener. Die Gründe hievon werde ich, wenn sie sich nicht durch die Folge des Raisonnements von selbst entdekken, weiter unten noch mit Einem Worte berühren. - 1 . Moment. ( 1 4 . ) Die Ueberreste der Griechen tragen die meisten Spuren �er Individualität ih­ rer Urheber an sich. Die beträchtlichsten sind die litterarischen. In diesen f'allt der Betrachtung zuerst die Sprache auf. In einer Sprache entstehen Abweichungen von 9 »bedUrfte noch einer n/Jhern Erldllrung. Vielseitigkeit kann einem grossen 7heil unsrer Zeit­ genossen nicht abgesprochen werden - aber Einheit ?« Schiller. - Vgl. die Ausj'ahrungen aber Einheit und Mannigfaltigkeit in den Ästhetischen Briefen (SIJmmlliche Schriften 10, 282). 10 »lndier, Chinesen. « Wolf.

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der Individualität der Sprechenden vorzüglich aus folgenden 3 Gründen: 1 . , durch Entlehnen von Wörtern oder Redensarten aus fremden Sprachen. 2. , durch das Be­ dürfniss, völlig allgemeine und abstrakte Begriffe, worauf sich vorhandene Wörter nicht gut anwenden lassen wollen, entweder durch völlig neugebildete, oder ge­ waltsam übertragene Ausdrükke zu bezeichnen, wobei die Abweichung des neuen Ausdruks immer in dem Grade grösser ist, als ein Volk weniger reizbare und schaffende Phantasie besizt, den abstrakten Begriff unter einem, aus seinem bishe­ rigen Vorrath genommenen sinnlichen Bilde zu fassen . 3 . , durch Nachdenken über die Natur der Sprache überhaupt, und die Analogie der eignen insbesondre, woraus viele Abänderungen des durch den Sprachgebrauch Eingeführten, und näher mit der Individualität der Lage der Redenden Verknüpften vorzüglich im Syntax und in der Grammatik überhaupt entspringen. Nun waren die Griechen mit keinem einzi­ gen höher gebildeten Volke vor oder neben ihnen- in allgemeiner und vertrauter Be­ kanntschaft; I I es finden sich daher in ihrer Sprache nur fremde Wörter, und auch diese gegen das Ganze nur in unbedeutender Anzahl, von fremden Beugungen und Konstruktionen wenigstens keine deutliche Spur. So fillt jener erste Grund hinweg. Nicht minder aber die beiden lezteren, da in Vergleichung mit der sehr frühen Ausbildung der Sprache sehr spät eine bestimmtere Philosophie und noch später Philosophie der Sprache entstand, l 2 und I in Rüksicht auf den zweiten Grund ins­ besondre kein Volk leicht eine so reiche Phantasie im Schaffen metaphorischer Ausdrükke besitzt, als den Griechen eigen war. - Einzelne Beispiele in Absicht der Bildung der Wörter, der Beugungen und Verbindungen könnten hier die Ueberein­ stimmung der Sprache der Griechen mit ihrem Charakter zeigen .

19. Die Geistesprodukte selbst sind Geschichte, Dichtung (wozu ich hier Kunst über­ haupt rechne) und Philosophie. - Die Geschichte ist grossentheils Griechische, und wo sie es auch nicht ist, sind wenigstens die früheren griechischen Geschieht­ schreiber noch zu wenig gewohnt, mehrere Völker zu vergleichen, 1 3 und Eignes und Fremdes von einander abzusondern, auch zu sehr mit allem Vaterländischen beschäftigt, als dass nicht sehr oft der Grieche durchblikken sollte. In der Griechi­ schen Geschichte selbst aber macht eine Zusammenkunft mehrerer Umstände, wozu ich vorzüglich den grösseren Einfluss einzelner Personen auf die öffentlichen Angelegenheiten , die Verbindung des religiösen Zustandes mit dem politischen,

I I •Die Geschichte enthaltet sichere Spuhren dass die nrier den wilden Griegen zum gesineten Menschen bildeten. • Dalberg. 12 •Hierin haJ wie mir dilnkl die Griegische Literatur keinen besondem Vorzug; dann alle diese Zilge hlnn man wie mir dilnkl auch auf teiltsehe Literatur anwenden. Wer Otfrieden, die Minesinger, Bragur Adelung Heinatz u. a. studieren wiU wird sich davon ilber;zeugen. Die Literar­ Geschichte einer jeden Sprache eines jeden Volks haJ die nemliche Stufen erstiegen. • Dalberg. GriJters und BlJckhs •Bragur, ein literarisches Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit• begann 1 791 ;zu erscheinen; vgL darilber Raumer, Geschichte der gtmrUJnischen Philologie S. 285. 13 •Der alleste Geschiehtschreiber der Griegen ist Herodot der die 7hatsachen aller Villker und Gegenden aufr.tifassen suchte. • Dalberg.

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und des häuslichen mit dem religiösen, 1 4 ferner den kleinen Umfang der Ge­ schichte selbst, der ein grösseres Detail erlaubte, endlich die noch mehr kindischen Ideen von Merkwürdigkeit und Wichtigkeit rechne, dass die alte Geschichte un­ endlich mehr Charakter- und Sittenschilderungen enthält, als die neuere. 20_ Wenn Dichtung und Geschichte gesondert sein soll, so sezt diess schon bestimm­ tere Ideen über Möglichkeit und Unmöglichkeit, Wahrscheinlichkeit und Unwahr­ scheinlichkeit, mit Einem Worte Kritik voraus. Diese erhielten die Griechen erst spät, und vorzüglich durch die Verbindung ihrer Fabel mit Religion und National­ stolz später, als sich sonst hätte erwarten lassen. Sehr lange ist I also Dichtung und Geschichte gar nicht gesondert, und als sie wirklich sich mehr von einander trenn­ ten , durfte der Künstler, der nicht sowohl für Kenner und Dilettanten der schönen Künste, als für ein Volk arbeitete, das in dem Kunstwerk nicht die Kunst allein, auch sich und seinen Ruhm sehen wollte, sich nicht von dem entfernen, was Ein­ druk auf diess Volk zu machen im Stande und also mit seiner Individualität nah verwandt war. Wie hätten auch wirkliche Abänderungen der Fabel durch den Künstler nicht wieder im höchsten Grade Griechisch werden sollen, da er keine fremde Muster vor sich hatte, 15 und selbst die eigentliche Theorie der Künste erst später entstand? - Ferner entsprangen alle vorzüglichste Arten der Dichtung - epi­ sche, tragische, lyrische - bei den Griechen aus Sitten und öffentlichen Einrichtun­ gen , bei Gastmählern, Festen, Opfern, und so behielten sie bis in die spätesten Zeiten einen Anstrich dieses historischen, nicht eigentlich ästhetischen Ur­ sprungs . 1 6 21. Die Philosophie sollte am wenigsten Spuren der Eigenthümlichkeit des Philosophi­ renden tragen . Aber die praktische zeigte bei den Griechen immer in einem sehr hohen Grade den Griechen, und die spekulative that diess wenigstens auch sehr lange. I' Gegenblik auf moderne Nationen. - Ihre Sprache ( 1 8 . ) durch Entlehnen von fremden , und Philosophie in hohem Grade umgebildet. - Selbst ihre vaterländische Geschichte (19.) durch Vertrautheit mit allen Zeiten und Erdstrichen, und andre zusammenkommende Ursachen minder individuell erzählt. - Ihre Dichtung (20 . )

14 » Unsre alten Croniken und Schriftsteller des Mitelalters sind in kleinen ZIJgen noch weit reichhaltiger: und manche z.B. die Schweitzer Croniken stehen in ZIJgen des Edelmuths keiner Ge­ schichte nach . « Dalberg. 15 »HDchstwahrscheinlich hatten die Griegen Egiptische Muster vor sich; welche hohen Ge­ schmack und Ebenmaass in manche Werke brachten, wie Winkelman sehr scharfsinnig gezeigt hat. « Dalberg. - VgL Winckelmann, Geschichte der Kunst des AlteTtums S. 39 Lessing. 16 » Oberhaupt bin ich mit dem Herrn Verfasser �ugt dass in Beliehung auf Geschmack bildende Kanste und wahre Begriffe von SchDnheit die Griegen eine sehr hohe Stufe der Vollkom­ menheit erreicht hoben; und hierin ihre Werke tkr wichtigste Gegenstand eines Hauptstudiums sind. « Dalberg. 17 »Auch in der Philasophie entlehnten die Griegen sehr viel von Egiptem; wie Brucker und andre gezeigt hoben. " Dalberg. - Vgl. Brucker, Historia critica pbilosophiae a mundi incunabulis ad nostram usque aetatem deducta 1 , 364.

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fast ganz aus fremder Mythologie genommen, und nach ob ljektiven allgemeinen Theorien geformt. - Ihre Philosophie (2 1 .) abstrakt und allgemein. 22. 2 . Moment. ( 1 5 . ) Der Grieche in der Periode, wo wir die erste vollsttindigere Kenntniss von ihm haben, steht noch auf einer sehr niedrigen Stufe der Kultur. In diesem Zustande wird , da der Bedürfnisse und Befriedigungsmittel nur wenige sind , immer weit mehr Sorgfalt auf die Entwikklung der persönlichen Kräfte, als auf die Bereitung und den Gebrauch von Sachen verwandt. Der Mangel dieser Hülfsmittel macht auch jene Entwikklung nothwendiger. Da überhaupt noch keine Veranlassung vorhanden ist, einzelne Seiten vorzüglich zu beschäftigen , da der Mensch nur schlechthin dem Gange der Natur folgt; so ist, wo er handelnd oder leidend wird, sein ganzes Wesen um so mehr vereint in Thätigkeit, als er vorzüg­ lich durch Sinnlichkeit afficirt wird, und gerade diese am stärksten das ganze We­ sen ergreift. Es ist daher bei Nationen auf einer niedrigeren Stufe der Kultur VER­ HÄLTNJSSMÄSSJG mehr Entwikklung der Pers/Jnlichkeit in ihrem Ganzen, als bei Na­ tionen auf einer hlJheren. I B

23. 19 Bei den Griechen zeigt sich aber ein doppeltes, äusserst merkwürdiges, und viel­ leicht in der Geschichte einziges Phänomen. Als sie noch sehr viele Spuren der Rohheit anfangender Nationen verriethen, besassen sie schon eine aberaus grosse Empflinglichkeit für jede SchlJnheit der Natur und der Kunst, einen feingebildeten Takt, und einen richtigen Geschmak, nicht der Kritik, aber der Empfindung, und

finden sich Instanzen gegen diesen Takt und diesen Geschmak, so ist wenigstens j ene Reizbarkeit und Empfänglichkeit unläugbar; und wiederum als die Kultur

schon auf einen sehr hohen Grad gestiegen war, er I hielt sich dennoch eine Ein­ fachheit des Sinns und Geschmaks, den man sonst nur in der Jugend der Nationen antrift. 20 Die Entwikklung der Ursachen hievon gehört nicht hieher. Genug das

Phänomen ist da. In seinem ersten Lallen verräth der Grieche feines und richtiges Gefühl; und in dem reifen Alter des Mannes verliert er nicht ganz seinen ersten einfachen Kindersinn. Hierin , dünkt mich, liegt ein grosser Theil des eigentlich Charakteristischen der Nation.

18 »Ganz gewiss, weil (gelehn) kullivine Nationen durch Regeln, die immer etwas allgemeines sind, Naturvölker durch GeftJhle sich bestimmen. Die Vernunft erzeugt Einheit und darum oft Ein­ fiJrmigkeit; der Sinn bringt Mannigfalligkeit. Schiller. - Vgl. Silmmlliche Schriften 10, 284. 19 »Dieser § brauehr und verdient ErliJuterung. Es wird auch niJthig seyn zu bestimmen, wann eigentlich die erste Periode gesexJ wird. Schiller. 20 •Die Kullur der Griechen war bloss ÄS111E1S1 CH und davon glaube ich mllsste man ausge­ hen, um dieses Phanomen zu erklllren. Auch muss man nicht vergessen, dass die Griechen es auch im Politischen nicht Dber das Jugendliche Aller brachten, und es ist sehr die Frage, ob sie in einem milnnlichen Aller dieses Lob noch verdient haben warden. Schiller. - VgL die ahnliehen Uneile SlJmmtliche Schriften 9, 156. 160. 1 73. 10, . 289. •





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24 21 .

Da sich die den Griechen eigenthümliche Reizbarkeit für das Schöne (23 . ) mit der, bei allen minder kultivirten Nationen gewöhnlichen grösseren Aufmerksamkeit auf die Botwilddung der persönlichen, und vorzüglich der körperlichen Kräfte (22.) und mit dem in griechischem Klima besonders wirkenden Hange zur Sinnlichkeit verband; musste Sorgfalt für die Ausbildung des Körpers zu Stärke und Behendig­ keit um so nothwendiger entspringen, als auch die äussere Lage beides unentbehr­ lich machte, und der Ausdruk von beidem in dem Aeussren der Bildung bei einem leicht beweglichen Schönheitssinn Achtung und Liebe gewinnen . Aber auch da die Kultur sehr hoch gestiegen war, und längst die vorzügliche Achtung der körperli­ chen Kraft verdrängt hatte, erhielt sich dennoch immer mehr, als bei irgend einem andren Volke die Sorgfalt für die Ausbildung der körperlichen I Stärke, Behendig­ keit und Schönheit. Wo nun noch allgemeine und abstrakte Begriffe selten sind, und die Empfänglichkeit für das Schöne in so hohem Grade prädominirt, da muss man sich auch die bloss geistigen Vorzüge natürlich zuerst unter diesem Bilde dar­ stellen, und in einer griechischen Seele verschmolz körperliche und geistige Schön­ heit so zart in einander, dass noch jezt die Geburten jenes Verschmelzens, z.B. die Raisonnements über Liebe in Platon ein wahrhaft entzükkendes Vergnügen gewäh­ ren . War aber auch diese Stimmung in diesem Grade nur einzeln und individuell, so lässt sich doch soviel überhaupt als historisches Faktum aufstellen, dass die Sorgfalt für die k/Jrperliche und geistige Bildung in Griechenland sehr gross vorzaglieh von Ideen der Sch/Jnheit geleitet war.

und

2 5 . 22 Wenn nun irgend eine Vorstellung menschlicher Vollkommenheit Vielseitigkeit und Einheit hervorzubringen im Stande ist; so muss diess diejenige sein , die von dem Begriff der Schönheit und der Vorstellung der sinnlichen ausgeht. Dieser Vor­ stellungsart zufolge darf es dem moralischen Menschen ebensowenig am richtigen Ebenmaasse der einzelnen Charakterseiten mangeln, als einem schönen Gemählde oder einer schönen Statue an dem Ebenmaasse ihrer Glieder; und wer, wie der Grieche, mit Schönheit der Formen genährt, und so enthusiastisch, wie er, für Schönheit und vorzüglich auch für sinnliche gestimmt ist, der muss endlich gegen die moralische Disproportion ein gleich feines Gefühl besizen, als gegen die physi2. 1 »Diese ganze Janrejliche Stelle ist mit so zanen und zugleich so richtig bestimten "Zagen ge­ zeichnet dass man daran erkennt wie sehr der edle Verfasser seinen sanften und schlJnen Geist mit denen lieblichsten Frachten genlihn hat welche die schlJnste Zeiten A.thens erzeugten. KlJnnen aber diese FrUchten als allgemeine Nahrung empfohlen werden Jar den roheren aber auch kraftvollem ernsthaftern Geist des Teutschen ? Warden ihm nicht die gegenwiJnige Zeiten, und der Geist seiner Zeitgenossen aneklen ? Derjeniche der in griegischem Geist empfinden denken handlen wUrde mlJgte wohl von seinen Zeitgenossen miskant, und unwilrkram werden. Meines Erachtens sollte fiJr den Teutschen die teutsche Literatur Hauptstudium seyn, und die SchiJnheit griegischer Blumen diene dazu dasjeniche auszuschmacken was der reutsehe mannliehe starke Sinn nach eignen und gegen­ wiJnigen Verhaltnissen und Bedarfnissen erzeugt. « Dalberg. 2.2 »Diese schlJne fiJr mich sehr lehrreiche Stelle beweist dass ganz gewiss die Griegen in Be­ ziehung auf SchlJnheit die vollkommenste Werke err.eugen, welche mit Recht [als] &thetische Muster empfohlen werden. « Dalberg.

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sehe. Aus allem Gesagten ist also eine grosse Tendenz der Griechen, den Menschen und Einheit auszubilden, unläugbar. Bemerken muss ich hier - und zwar gerade hier, weil hier am leichtesten der Einwurf entstehen kann, dem die Bemerkung begegnen soll - dass, was hier von dem Charakter der Griechen gesagt ist, zwar unmöglich von einer ganzen Nation in allen ihren einzelnen Individuen buchstäblich wahr sein kann. Gewiss ist es I aber doch, dass es einzelne Individuen der beschriebneo Stimmung wirklich gab , dass diese nicht allein häufiger, als anderswo existirten, sondern dass auch gleichsam Nüancen dieser Stimmung in der ganzen Nation verstreut waren, und dass die Schriftsteller, vorzüglich die Dichter und Philosophen - gleichsam der Abdruk des Geistes des edelsten Theils der Nation - auf solche Charaktere vorzüglich führen; und mehr ist nicht nothwendig, um die Erreichung des Zweks möglich zu machen, zu welchem hier das Studium der Alten empfohlen wird. in der miJglichsten Vielseitigkeit

26. Diese Sorgfalt für die Ausbildung und diese Art der Ausbildung des Menschen zu befördern , trugen noch andre, in der äussren Lage der Griechen gegründete Um­ stände bei. Zu diesen rechne ich vorzüglich folgende; 1 . , die Sklaverei. Diese überhob den Freien eines grossen Theils der Arbeiten, deren Gelingen einseitige Uebung des Körpers und des Geistes - mechanische Fertigkeiten - erfordert. 23 Er hatte nun Musse, seine Zeit zur Ausbildung seines Körpers durch Gymnastik, sei­ nes Geistes durch Künste und Wissenschaften , seines Charakters überhaupt durch thätigen Antheil an der Staatsverfassung , Umgang , und eignes Nachdenken zu bil­ den. - Dann erhob auch den Freien die Vorstellung seiner Vorzüge vor dem Skla­ ven , die er nicht bloss dem Glük zu danken glaubte, sondern auf die er durch per­ sönliche Erhabenheit, und - bei der, freilich durch ihren Stand entsprungnen Her­ abwürdigung der Sklaven - mit Recht, Anspruch machte; 24 die er auch zum Theil, wie bei der Vertheidigung des Vaterlandes, mit Gefahren und Beschwerden er­ kaufte, die der Sklave nicht mit ihm theilte. - Hieraus zusammengenommen bildete sich die Liberalität, die sich bei keinem Volke wieder in dem hohen Grade fmdet, d . i . diese Herrschaft edler, grosser, eines Freien wahrhaft würdiger Gesinnungen in der Seele, und dieser lebendige Ausdruk derselben in der Stattlichkeit der Bil­ dung und der Grazie der Bewegungen des Körpers. I 27. 2 . , die Regierungsverfassung und politische Einrichtung fiherhaupt. Die einzige ei­ gentlich gesezmässige Verfassung in Griechenland war die republikanische, an welcher jeder Bürger mehr oder minder Antheil nehmen konnte. Wer also etwas durchzusezen wünschte, musste, da ihm Gewalt fehlte, Ueberredung gebrauchen. 23 •Es ist aber doch sonderbar, dass die Sklaverey im MITTELtL71!R keine eifltige Spur eines llhnlichen Ei'!flusses uigt. Die Verschiedenheit der llbrigen Umstibuk erldib1 zwar viel aber nicht alles. Schiller. - Vgl. die Ausftlhnmgen aber diesen Gegenstand in den SIJmmtlichen Schriften 9, 230. 24 •Gegen diese Bemerken liJsst sich wie mir dankt manches einwenden: auch Sclaven witmeren sich oft denen schiJnen Kansten. Die Sklaven waren griJstentheils Kriegsgefangene von sehr edlem Ursprung u.s. w. Dalberg. •



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Er konnte also Studium der Menschen, und Fähigkeit sich ihnen anzupassen , Ge­ wandtheit des Charakters, nicht entbehren . Aber das oft überfein ausgebildete Volk verlangte noch mehr. Es gab nicht bloss der Stärke oder der Natur der Gründe nach , es sah auch auf die Form, die Beredsamkeit, das Organ, den körperlichen Anstand. Es blieb also beinah keine Seite übrig, welche der Staatsmann ungestraft vernachlässigen durfte. Dann erforderte die Staatsverwaltung noch nicht abgeson­ derte weitläuftige Fächer von Kenntnissen, noch Talente dieser Art. Die einzelnen Theile derselben waren noch nicht so getrennt, dass man sich ausschliessend für sein Leben nur Einem gewidmet hätte. Dieselben Eigenschaften, die den Griechen zum grossen Menschen machten, machten ihn auch zum grossen Staat smann . 25 So fuhr er, indem er an den Geschäften des Staats Theil nahm, nur fort, sich selbst höher und vielseitiger auszubilden. 28. 3 . , die Religion. Sie war ganz sinnlich, 26 beförderte alle Künste, und erhob sie durch ihre genaue Verbindung mit der Staatsverfassung zu einer bei weitem höhe­ ren Würde und grösseren Unentbehrlichkeit. Dadurch nährte sie nicht allein das Schönheitsgefühl, von dem ich oben sprach (24 . ) , sondern machte es auch , da an ihren , immer von den Künsten begleiteten Cärimonien das ganze Volk Theil nahm, allgemeiner. Indem nun, wie ich vorhin (25 .) zu zeigen versucht, diess Schönheits­ gefühl die richtige und I gleichmässige Ausbildung des Menschen beförderte, trug sie mittelbar hiezu ganz vorzüglich bei. 29 . 4 . , den Nationalstolz. Wie der Grieche überhaupt einen hohen Grad von Lebhaf­ tigkeit und Reizbarkeit besass, so drukte sich diese vorzüglich stark in dem Gefühl für Ehre und Nachruhm aus, und bei der engen Verbindung des Bürgers mit dem Staat in Gefühl für Ehre der Nation . Da nun der Werth der Nation auf dem Werthe ihrer Bürger beruhte, und von diesem vorzüglich ihre Siege im Kriege und ihre Blüthe im Frieden abhieng, so verdoppelte dieser Nationalstolz die Aufmerksam­ keit auf die Ausbildung des persönlichen Werths. - Dann eignete sich der Ruhm der Nation jedes Verdienst oder Talent eines Einzelnen ihrer Mitbürger zu . Die Nation nahm also jedes in Schuz, und hieraus entstand ein neuer Grund der Ach­ tung für Künste und Wissenschaften. 30. 5 . , die Trennung Griechenlands in mehrere kleine Staaten. 27 Wenn ein Staat allein und für sich existirt; so nimmt die Ausbildung seiner Kräfte den Weg , den eine 25 »Es gab bey den Griechen kein HERRSCHENDES Verdienst. Die geringste Vinuosittu erhielt Huldigung, und der KomiJdiant war unsterblich wie der Feldherr. Bey den RiJmern verschlang der Staatsmann alle Auftnerksamkeit der Nation. « Schiller. 26 »nicht blass SINNUCH, sondern die FREIESIE Tochter der Phantasie. Es war kein Kanon vor­ handen, der der Dichtungskraft Fesseln anlegte. « Schiller. - Ähnlich heißt es von den Griechen in der Abhandlung aber das Naive (StJmmtliche Schriften 10, 444): »Ihre GiJuerlehre selbst war die Eingebung eines naiven Geftlhls, die Gebun einerj'r(Jhlichen Einbildungskrtift. « 27 »Sehr wichtig. « Dalberg.

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einzelne Kraft nehmen muss. Sie erhöht sich in sich , und wenn sie ein gewisses Maass erreicht hat, artet sie in etwas andres aus. Ihre Ausartungen sind aber immer in ihr allein motivirt, und damit ist allemal Einseitigkeit, nur mehr oder minder, verbunden . In Griechenland aber machte die gegenseitige Gemeinschaft der ver­ schiednen Nationen, die fast alle auf verschiednen Graden der Kultur standen, und eine sehr verschiedne Art der Ausbildung besassen, dass sich von einer Nation auf die andre manches übertrug, und wenn auch , bei der Einrichtung der alten Natio­ nen , das Fremde nur schwer bei ihnen Eingang finden konnte, so gieng doch im­ mer mehr über, als wenn jede abgesondert existirt hätte. Diess geschah aber um so mehr, als doch alle immer Griechen, und also in der ursprünglichen Anlage der Charaktere einander gleich waren , so dass dadurch Uebergänge der Sitten von der einen zur andren erleichtert wurden. - Ja wenn auch diese nicht Statt fanden , machte dennoch das blosse neben einander Existiren und die gegenseitige Eifer­ sucht, dass die eine Vorzüge nicht vernachlässigen durfte, durch welche I die an­ dre überlegen werden konnte, und aufs mindeste sezte diese Eifersucht die Kräfte einer j eden in thätigere Bewegung . 28 31. 3 . Moment. ( 1 6 . ) Viele zusammenkommende Ursachen brachten zwar bei den Al­ ten sehr entschiedene Nationalcharaktere und daher weniger Diversität in dem Cha­ rakter und der Ausbildung der einzelnen Bürger hervor, und so herrschte unter die­ sen von dieser Seite eine verhältnissmässig geringere Mannigfaltigkeit, als unter den Neueren . Allein auf der andren Seite machten doch auch hievon die mehr wis­ senschaftlich gebildeten Nationen eine beträchtliche Ausnahme, und ausserdem kamen 2 Umstände zusammen, jene Mannigfaltigkeit wieder, und vielleicht um mehr zu befördern , als sie von jener Seite her litt. 1 . , die Phantasie des Griechen war so reizbar von aussen, und er selbst in sich so beweglich, dass e1; nicht bloss für jeden Eindruk in hohem Grade empfänglich war, sondern auch jedem einen grossen Einfluss auf seine Bildung erlaubte, durch den wenigstens die ihm an sich eigenthümliche eine veränderte Gestalt annahm. 32. 2 . , die Religion übte schlechterdings keine Hemchaft über den Glauben und die Gesinnungen aus, sondern schränkte sich auf Cärimonien ein, die jeder Bürger zugleich immer von der politischen Seite betrachtete; und ebensowenig legten die Ideen von Moralittit dem Geiste Fesseln an, da dieselbe nicht auf einzelne Tu­ genden und Laster, nach dem Maasse einer einseitig abgewägten Nüzlichkeit oder Schädlichkeit beschränkt war, sondern vielmehr überhaupt nach Ideen der Schön­ heit und Liberalität bestimmt wurde. 33. 4 . Moment. (17.) Ein den Griechischen Charakter vorzüglich auszeichnender Zug ist, wie oben (23 .) bemerkt worden, ein ungewöhlicher Grad der Ausbildung des 28 •Diese scMne Bemerkung ist wie mir diJnkl auch auf Teutschland und die EuropiJische Re­ publick einicher maassen anwendbar. " Dalberg.

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Gefühls und der Phantasie in einer noch sehr frühen Periode der Kultur, und ein treueres Bewahren der kindlichen Einfachheit und Naivetät in einer schon I ziem­ lich späten . 29 Es zeigt sich daher in dem Griechischen Charakter meistentheils der ursprangliche Charakter der Menschheit aberhaupt, nur mit einem so hohen Grade der Verfeinerung versezt, als vielleicht nur immer möglich sein mag ; und vorzüg­ lich ist der Mensch, welchen die Griechischen Schriftsteller darstellen, aus lauter höchst einfachen, grossen und - wenigstens aus gewissen Gesichtspunkten betrach­ tet - immer schönen Zügen zusammengesezt. Das Studium eines solchen Charak­ ters muss in jeder Lage und jedem Zeitalter allgemein heilsam auf die menschliche Bildung wirken, da derselbe gleichsam die Grundlage des menschlichen Charakters überhaupt ausmacht. 3 0 Vorzüglich aber muss es in einem Zeitalter, wo durch un­ zählige vereinte Umstände die Aufmerksamkeit mehr auf Sachen, als auf Men­ schen, und mehr auf Massen von Menschen, als auf Individuen, mehr auf äussren Werth und Nuzen, als auf innere Schönheit und Genuss gerichtet ist, und wo hohe und mannigfaltige Kultur sehr weit von der ersten Einfachheit abgeführt hat, heil­ sam sein , auf Nationen zurükzublikken , bei welchen diess alles beinah gerade um­ gekehrt war. 34. Ein zweiter vorzaglieh charakteristischer Zug der Griechen ist die hohe Ausbildung des SchlJnheitsge.fiJhls und des Geschmaks und vorzaglieh die allgemeine Ausbrei­ tung dieses Ge.fiJhls unter der ganzen Nation, wovon sich Beispiele in Menge auf­

zählen lassen. 3 ' Nun aber ist keine Art der Ausbildung in allen Zeiten und Erdstri­ chen so unentbehrlich, als gerade diese, die das ganze Wesen des Menschen, wie es an sich beschaffen sein möge, erst gleichsam in Eins vereint, und ihm die wahre Politur und den wahren Adel ertheilt; und nun ist auch gerade keine jezt und bei uns so nothwendig, als diese, da es bei uns so eine Menge von Tendenzen I giebt, die geradezu von allem Geschmak und Schönheitsgefühl entfernen müssen. 35 . 3 2 So ist die Stimmung des Charakters der Griechen nach allen oben aufgezählten Momenten überaus vortheilhaft für das Studium des Menschen überhaupt an der­ selben, als einem einzelnen Beispiele. Aber diess Studium ist auch bei ihnen vor­ züglich mlJglich aus folgenden 2 Umständen: 1 . , hat sich eine überaus beträchtliche Menge von Denkmälern der Griechischen Welt erhalten, vorzüglich eine Menge 29 •Diese Stelle enthaltet die sehrfruchtbare Wahrheit, dass man die Aufmerksamkeit in neuem Zeiten viel ;zu wenig auf innem Lebensgenus richtet. Ein fUrtrefliches Studium bestehet wie mir dankt in Beobachtung der Kinder und ihrer fortschreitenden Entwiklung, da liest man tiJglich im le­ bendigen Buch der Natur und lernt den Menschen in seiner weesentlichen Anlage kennen. « Dalberg. 30 •Aber gar nicht zu reden von den wissensduiftlichen VorVJgen der Griechen!!« Wolf. 3 1 •fUrtrejlich. und sehr richtig. " Dalberg. 3 2 •Nach meiner Oberzeugung muss der Mensch diejeniche Gegenstande am genauesten kennen am sorg{llltigsten studieren die ihm am niJchsten liegen: weilen eigentlich diese Gegenstande dieje­ nichen sind welche unat4'h�Jrlich auf ihn warken, und atif die er unat4h�Jrlich ;zurtlckwUrla: weilen in warken und rtlckwtlrken der Gebrauch menschlicher Krtiften und der Ent:zweck des menschlichen Daseyns ist; und weilen die menschliche Vemru!ft diese Warlcung alsdann atif die m/Jglichst ;zweckmiJssigste Weiss leitet, wenn er diejeniche Gegenstande durch anhaltendes Studium am ge­ nauesten kennt aufwelche er vermiJg Zeit und Glacks Umstllnden und innem Anlagen am meisten

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litterarischer, welche in jeder Rüksicht zu dem gegenwärtigen Zwekke die wichtig­ sten sind . 2 . , erfordert das Studium einer Nation, und vorzüglich aus ihren Denk­ mälern, ohne lebendiges Anschauen, wenn es irgend gelingen soll, sowohl an sich einen entschiedenen NationalCharakter, als auch überhaupt abgeschnittene, mit denen des Studirenden kontrastirende Züge. Nun aber geht die Bildung des Men­ schen in Massen immer der Bildung der Individuen voraus, und darum und aus an­ dren hinzukommenden Ursachen haben alle anfangende Nationen sehr entschiedene und abgeschnittene NationalCharaktere. Bei den Griechen aber vereinigten sich , diess zu bef6rdern , noch andre, ihnen eigenthürilliche Umstände. I 36. Giebt man zu , dass man in der That zu dem hier ins Licht gestellten Endzwek des Studiums Einer Nation vorzugsweise bedarf; so lässt sich nun auch bald entschei­ den : ob leicht eine andre an die Stelle der Griechischen treten klJnne ? Es müssten nemlich von einer solchen alle hier aufgestellte Gründe und zwar, welches wohl zu bemerken ist, zusammengenommen gelten, oder die mangelnden durch andre gleich wichtige ersezt werden . Die stärksten unter denselben aber beruhten alle mittelbar und unmittelbar darauf, dass die Griechen , wenigstens für uns, eine an­ fangende Nation sind. 33 (1 8-23 . 33. 35 .) Diess Erforderniss wird also auch unum­ gänglich nothwendig und unedasslieh sein. Ob sich nun in irgend einem noch un­ entdekten Erdstrich eine solche Nation zeigen wird, *3 4 welche mit dieser Eigen­ thümlichkeit die übrigen, oder ähnliche, oder höhere Vorzüge, als die Griechische, verbände, oder ob genauere Bekanntschaft mit den Chinesern und Indianern diese als solche Nationen zeigen wird? ist im Voraus zu entscheiden nicht möglich. Dass aber weder die Römische, noch gar eine neuere Nation an ihre Stelle treten könne, bewirkt schon der einzige Umstand, dass diese alle aus den Griechen mittelbar und unmittelbar schöpften ; und von den übrigen , mit den Griechen gleich alten Natio­ nen haben wir zu wenig Denkmäler übrig. Meines Erachtens werden also die Grie­ chen immer in dieser Rüksicht einzig bleiben; nur dass diess nicht gerade ein ihnen eigner Vorzug , sondern mehr eine Zufälligkeit ihrer und unsrer relativen Lage ist.

warken kann und wechselweiss nach diesen nemlichen Umst4nden auf ihn warken. Nach diesem GrundsalZ stehen die Gegenstllnde der Studien ftJr den Menschen in folgendem Verhllltniss von Wichtigkeit. 1.) Selbstkentniss. 2.) Kenntniss seiner Berufgeschllften und Wusenschaften. 3.) Kennt­ nis der Personen welche seine Familien Verhllltnis ausmachen. 4.) Kentnis derjenichen Menschen mit welchen er vermllge seiner Beruft-Geschllften zu thun hat. Mithin 5.) Kenntniss seiner Lands­ leuten; ihrer Sitten Begrifen, Neigungen, u. s. w. und :zu dieser Kenntnis ist das Studium der Litera­ tur seiner Mutersprache ein wichtiges Hillfsmittel. 6.) Andre Kenntnisse sind ihm in dem Verhllltniss wichtig als sie in seinem Wflrlamgs-Kreiss ihm selbsten als Mitelpunct nah liegen. 7.) Nach diesem Maassstab verdient meines Erachtens die Griegische Literalur nur in so weit einen Voro4g als sie die vollkommenste Muster da besten Geschmacks enthaltet; und :zu der llstetischen Ausbildung da Geistes beytragen kann. • Dalberg. 33 •Anfangend ist keine Na1ion. Die Griegen schiJpften von 1irier und Egipter, die RDmer von Griegen, wir von RDmem; die Amerikaner von uns. « Dalberg. •3 4 Vergl. Kants Krit. d. Urtheilskraft. S. 258-260. - Dieses falsche Zital ist :zuerst von Walzel in der Zeitschrift ftJr die Dsterreichischen Gymnasien 48, 895 richtiggestellt worden: gemeint ist die ErDrterung aber die llsthetische Normalidee und ihre nalionelle Verschiedenheit in der Kritik der Urteilskraft S. 58.

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W. v. Humboldt: Über das Studium des Altertbums

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37. Wenn das Studium der Griechen in der Absicht unternommen wird, die ich hier dargestellt habe, so erfordert es natürlich seine eignen allgemeinen und besondren Vorschriften . Die allgemeinsten I und hauptsächlichsten möchten etwa folgende sein: 1 . , der Nuzen eines solchen Studiums kann nie durch eine, auch von dem gelehrtesten Manne und dem grössesten Kopfe entworfene Schilderung der Grie­ chen erreicht werden. Denn einmal wird dieselbe immer, wenn sie völlig treu sein soll, nicht individuell genug sein können, und wenn sie völlig individuell sein soll, wird es ihr an Treue mangeln müssen ; und zweitens besteht auch der grösseste Nu­ zen eines solchen Studiums nicht gerade in dem Anschauen eines solchen Charak­ ters, als der Griechische war, sondern in dem eignen Aufsuchen desselben. Denn durch dieses wird der Aufsuchende selbst auf eine ähnliche Weise gestimmt; Grie­ chischer Geist geht in ihn über; und bringt durch die Art, wie er sich mit seinem eignen vermischt, schöne Gestalten hervor. 3S Es bleibt daher nichts, als eignes Stu­ dium abrig, in unaufhörlicher Raksicht auf diesen Zwek unternommen. 36

38. 2 . , muss das Studium der Griechen selbst nach einer gewissen systematischen, und auf diesen Endzwek bezogenen Ordnung vorgenommen werden. 3 1 Denn wenn gleich alle Schriftsteller in Rüksicht auf diesen Zwek wichtig sind ; so hält man sich doch billig fürs erste allein an die reichsten, und wählt in diesen eine feste Ordnung , die aber hier schwer zu finden ist, da, wenn man auf die Materien sehen will , man hier eigentlich nicht die Gattung der Schriftsteller, sondern der Sachen , die sie behan­ deln , betrachten müsste, und wenn man der Zeit folgen will, es schwer ist, nur zu bestimmen , ob man auf die Periode des Lebens des Schriftstellers, 38 oder auf die der von ihm behandelten Gegenstände, oder auf beides gewissermaassen zugleich sehen solle? I 39 . 3 . , muss man am llingsten nicht allein bei den Perioden verweilen, in welchen die Griechen am schlJnsten und gebildersten waren, sondern auch gerade im Gegen­ rheil ganz vorzaglieh bei den ersten und.{rahesten. Denn in diesen liegen eigentlich

die Keime des wahren Griechischen Charakters; 3 9 und es ist leichter und interes­ santer in der Folge zu sehen, wie er nach und nach sich verändert, und endlich ausartet. - Auch passen mehrere der im Vorigen ausgeführten Gründe (22 . 23. 3 3 . ) g an z vorzüglich nur auf diese früheren Perioden.

3 5 »schiJn und wahr; und auf alle Studien anwendbar. • Dalberg. 3 6 Wozu der Umgang mit Menschen, da man die Art des menschlichen Umgangs ja schildern ,.

kann ? Wllre ebenso. • Wolf. 3 7 »Ordnung des Stridii hiezu ??• Wolf. 38 »Hierauf! Wenigstens bei Dichtem. Aber bei Historicis das letztere Mein Autoren-Plan muss also so seyn, dass gleich neben lllte.tte Dichter sp/Jie Historlei treten, z.E. Diodor, Apollodor. Ho­ mer. Hesiod. Herodot. 1hucydides Xenophon. • Wolf. 3 9 »Aus dem listetischen Gesichtspunct wllrde ich die vollkommensten Schriftsteller wllhlen. Von dem Nutzen der andem Gesichts-Punkten laznn ich mich nicht llberzeugen. In jener Hinsicht verdient meines Erachtens das Studium der teutschen Literatur ftlr einen Teutschen den Von:ug. • Dalberg.

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40. Die Hülfsmittel zu diesem Studium und insbesondre in der hier entwikkelten Ab­ sicht sind vorzüglich folgende: 1 . , unmittelbare Bearbeitung der Quellen selbst durch Kritik und Interpretation. 40 Diese verdient natürlich die erste Stelle. 41. 2 . , Schilderung des Zustandes der Griechen, Griechische Antiquitliten im weitesten Sinne des Wons, welchem der hier aufgestellte Endzwek die höchste Ausdehnung giebt. Diese Hülfsarbeit ist nothwendig theils zum Verständniss der einzelnen Quellen , theils zur allgemeinen Uebersicht, und zur Einleitung in das gesammte Studium überhaupt. 41 Jeder Schriftsteller behandelt nur einen einzelnen Gegen­ stand , und man ist das Einzelne nicht im Stande in seiner ganzen Anschaulichkeit aufzufassen , ohne von der Lage überhaupt gehörig unterrichtet zu sein . I 42. 3 . , Uebersezungen. Diese können in Absicht des übersezten Schriftstellers einen dreifachen Nuzen haben. 1 . , ihn diejenigen kennen zu lehren , die sein Original nicht selbst zu lesen im Stande sind. 2 . , für denjenigen , der das Original selbst liest, zum Verständniss desselben zu dienen. 3 . , denjenigen , der das Original zu le­ sen im Begriff ist, vorläufig mit ihm bekannt zu machen, ihn in seine Manier, sei­ nen Geist einzuweihen. Bestimmt man die Wichtigkeit dieses verschiednen Nuzens nach dem hier genommenen Gesichtspunkt, so ist der l ste der kleinste und gering­ fügigste; der 2te wichtiger, aber immer klein, da gerade hiezu Uebersezungen die schlechteren Hülfsmittel sind ; der 3te aber der wichtigste, da durch ihn die Ueber­ sezung zum Lesen des Originals reizt, und bei dem Leser selbst auf eine höhere Art unterstüzt, indem sie nicht einzelne Stellen verständigt, sondern den Geist des Lesers gleichsam zum Geist des Schriftstellers stimmt, auch der leztere noch klärer erscheint, wenn man ihn in dem zwiefachen Medium zwei verschiedner Sprachen erblikt. Die Erreichung dieses lezten Nuzens muss allein auf die Schäzung des Ori­ ginals führen , und so ist der höchste Nuzen einer Uebersezung derjenige, welcher sie selbst zerstört. Die Haupterfordernisse einer Uebersezung wechslen nun nach diesem dreifachen Zwekke. Zu dem l sten wird Anpassung des übersezten alten Schriftstellers auf den modernen Lesser, also oft absichtliche Abweichung von der Treue erfordert;42 zu dem 2ten Treue der Worte und des Buchstabens;43 zu dem 3ten Treue des Geistes, wenn ich so sagen darf, und des Gewandes, worin er ge­ kleidet ist, wobei also vorzüglich viel auf die Nachahmung der Diktion bei Pro­ saikern und des Rhythmus und des Versbaues bei Dichtern ankommt. 44

40 •Critick und lnterpretaJion sind wichtige Beschiiftigungen ftlr den Sprachforscher, minder wichtig ftlr den Man der in der LiteraJur nach Lebensweissheit und Menschenkentnis strebt. " Val­ berg. - •Keine Stelle benutzen, ohne den ganz.en Autor gnau zu kennen. " Wolf. 41 •Dieses Studium erfordert das ganze Leben eines Manns, ist sehr schiJn;bar ftlr einen Man wie Heine und Wolf. nicht practisch ftlr den Geschilftsman. " Da/berg. 42 »So Wieland. " Wolf. 43 •So Voss. • Wolf. 44 •ftlnrejlich!« Da/berg.

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W. v. Humboldt: Über das Studium d es Altertbums

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43 . 45 Um den im Vorigen dargestellten Nuzen in seiner ganzen Grösse hervorzubringen , erfordert das Studium des Altertbums I die grösseste, ausgebreitetste, und genaue­ ste Gelehrsamkeit, die sich natürlich nur bei sehr Wenigen finden kann. Allein der Nuzen ist immer, wenn gleich in geringeren Graden auch da vorhanden , wo man sich nur überhaupt, wenn gleich mit minderem Streben nach Gründlichkeit, mit diesem Studium beschäftigt; und er theilt sich endlich auch sogar allen denen mit, welchen diess Studium auch ewig fremd bleibt. Denn in der Verbindung einer hoch kultivirten Gesellschaft kann im genauesten Verstande jede Kenntniss eines Einzel­ nen ein Eigenthum Aller genannt werden .

4S •Ich muss gestehen dass ich der Meinung des Pops beystimme. Wer aus dem Hipocren trin­ ken will der schlJpfe recht tief. oder lasse es gar seyn; Halbgelarte sind verstimmte Menschen, na­ thUrliche Anmuth ist in solchen Menschen verschwunden und edle Vollendung in Ausbildung des Ge­ schmacks luJnn nur durch anhaltendes Studium erreicht werden. « Dalberg. •Drink deep or taste not the pierian spring« Pope, Essay on criticism 2, 16. -

FRIEDRICH SCH LEGEL UEBER DAS STUDIUM DER GRIECHISCHEN POESIE.

I Es springt in die Augen , daß die moderne Poesie das Ziel, nach welchem sie strebt, entweder noch nicht erreicht hat; oder daß ihr Streben überhaupt kein festes Ziel , ihre Bildung keine bestimmte Richtung , die Masse ihrer Geschichte keinen gesetzmäßigen Zusammenhang , das Ganze keine Einheit hat. Sie ist zwar nicht arm an Werken , in deren unerschöpflichem Gehalt die forschende Bewunderung sich verliehrt, vor deren Riesenhöhe das erstaunte Auge zurücksinkt; an Werken deren übermächtige Gewalt alle Herzen hinreißt und besiegt. Aber die stärkste Er­ schüttrung, die I reichhaltigste Thätigkeit sind oft am wenigsten befriedigend. Eben die treflichsten Gedichte der Modemen, deren hohe Kraft und Kunst Ehr­ furcht fordert, vereinigen nicht selten das Gemüth nur um es schmerzlicher wieder zu zerreißen . Sie lassen einen verwundenden Stachel in der Seele zurück, und nehmen mehr als sie geben . Befriedigung findet sich nur in dem vollständigen Ge­ nuß , wo jede erregte Erwartung erfüllt, auch die kleinste Unruhe aufgelös ' t wird; wo alle Sehnsucht schweigt. Dieß ist es, was der Poesie unsres Zeitalters fehlt! Nicht eine Fülle einzelner, treflicher Schönheiten, aber Uebereinstimmung und Vollendung, und die Ruhe und Befriedigung , welche nur aus diesen entspringen können ; eine vollständige Schönheit, die ganz und beharrlich wäre; eine Juno, welche nicht im Augenblick der feurigsten Umarmung zur Wolke würde. Die Kunst ist nicht deshalb verlohren , weil der große Haufe aller derer, die nicht sowohl roh als verkehrt, die mehr mißgebildet als ungebildet sind , ihre Einbil­ dungskraft mit anem , was nur I seltsam , oder neu ist, willig anfüllen lassen , um nur die unendliche Leerheit ihres Gemüths mit irgend etwas anzufüllen ; um der unleidligen Länge ihres Daseyns doch einige Augenblicke zu entfliehn. Der Name der Kunst wird entweiht, wenn man das Poesie nennt: mit abentheuerlichen oder kindischen Bildern spielen , um schlaffe Begierden zu stacheln, stumpfe Sinne zu kitzeln, und rohen Lüsten zu schmeicheln. Aber überall, wo echte Bildung nicht die ganze Volksmasse durchdringt, wird es eine gemeinere Kunst geben , die keine andere Reize kennt, als niedrige Ueppigkeit und widerliche Heftigkeit. Bey stetem Wechsel des Stoffs bleibt ihr Geist immer derselbe: verwarme Dürftigkeit. Bey uns hingegen giebt es auch eine bessere Kunst, deren Werke unter denen der gemeinen , wie hohe Felsen aus der unbestimmten Nebelmasse einer entfernten Gegend her­ vortreten. Wir treffen in der neuen Kunstgeschichte hie und da auf Dichter, welche in der Mitte eines versunknen Zeitalters Fremdlinge aus einer höhern Welt zu seyn scheinen . Mit der ganzen Kraft ihres I Gemüths wollen sie das Ewige, und wenn sie in ihren Werken Uebereinstimmung und Befriedigung noch nicht völlig errei­ chen: so streben sie doch so mächtig nach denselben, daß sie die gerechteste Hoff­ nung erregen , das Ziel der Poesie werde nicht ewig unerreichbar bleiben , wenn es anders durch Kraft und Kunst, durch Bildung und Wissenschaft erreicht werden kann. Allein in dieser bessern Kunst selbst offenbaren sich die Mängel der moder­ nen Poesie am sichtbarsten . Eben hier, wenn das Gefühl den hohen Werth eines Gedichts anerkannt, und das Urtheil den Ausspruch des Gefühls geprüft und bestä-

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tigt hat, geräth der Verstand in nicht geringe Verlegenheit. In den meisten Fällen scheint das, worauf die Kunst am ersten stolz seyn dürfte, gar nicht ihr Eigenthum zu seyn. Es ist ein schönes Verdienst der modernen Poesie, daß so vieles Gute und Große, was in den Verfassungen , der Gesellschaft, der Schulweisheit verkannt, verdrängt und verscheucht worden war, bey ihr bald Schutz und Zuflucht, bald Pflege und eine Heimath fand. Hier, gleichsam an die ein I zige reine Stätte in dem unheiligen Jahrhundert legten die wenigen Edlem die Blüthe ihres höhem Lebens, das Beste von allem , was sie thaten , dachten , genossen und strebten , wie auf einen Altar der Menschheit nieder. Aber ist nicht eben so oft und öfter Wahrheit und Sittlichkeit der Zweck dieser Dichter als Schönheit? Analysirt die Absicht des Künstlers, er mag sie nun deutlich zu erkennen geben , oder ohne klares Bewußt­ seyn seinem Triebe folgen ; analysirt die Urtheile der Kenner und die Entscheidun­ gen des Publikums! Beynahe überall werdet Ihr eher jedes andre Prinzip als höchstes Ziel und erstes Gesetz der Kunst, als letzten Maßstab für den Werth ihrer Werke stillschweigend vorausgesetzt oder ausdrücklich aufgestellt finden ; nur nicht das Schöne. Dieß ist so wenig das herrschende Prinzip der modernen Poesie, daß viele ihrer treflichsten Werke ganz offenbar Darstellungen des Htißlichen sind, und man wird es wohl endlich , wenn gleich ungern , eingestehen müssen , daß es eine Darstellung der Verwirrung in höchster Fülle, der Verzweiflung im Ueberfluß I aller Kräfte giebt, welche eine gleiche wo nicht eine höhere Schöpferkraft und künstlerische Weisheit erfordert, wie die Darstellung der Fülle und Kraft in voll ­ ständiger Uebereinstimmung. Die gepriesensten modernen Gedichte scheinen mehr dem Grade als der Art nach von dieser Gattung verschieden zu seyn , und findet sich ja eine leise Ahndung vollkommner Schönheit, so ist es nicht sowohl im ruhi­ gen Genuß, als in unbefriedigter Sehnsucht. Ja nicht selten entfernte man sich von dem Schönen um so weiter, je heftiger man nach demselben strebte. So verwirrt sind die Grtinzen der Wissenschaft und der Kunst, des Wahren und des Schönen , daß sogar die Ueberzeugung von der Unwandelbarkeit jener ewigen Gränzen fast allgemein wankend geworden ist. Die Philosophie poetisirt und die Poesie philoso­ phirt: die Geschichte wird als Dichtung , diese aber als Geschichte behandelt. Selbst die Dichtarten verwechseln gegenseitig ihre Bestimmung ; eine lyrische Stimmung wird der Gegenstand eines Drama, und ein dramatischer Stoff wird in lyrische Form ge l zwängt Diese Anarchie bleibt nicht an den äussem Gränzen stehn, son­ dern erstreckt sich über das ganze Gebiet des Geschmacks und der Kunst. Die her­ vorbringende Kraft ist rastlos und unstät; die einzelne wie die öffentliche Emp­ fänglichkeit ist immer gleich unersättlich und gleich unbefriedigt. Die Theorie selbst scheint an einem festen Punkt in dem endlosen Wechsel völlig zu verzwei­ feln . Der öffentliche Geschmack - doch wie wäre da ein öffentlicher Geschmack möglich , wo es keine öffentliche Sitten giebt? - die Karrikatur des öffentlichen Ge­ schmacks, die Mode, huldigt mit jedem Augenblicke einem andem Abgotte. Jede neue glänzende Erscheinung erregt den zuversichtlichen Glauben , jetzt sey das Ziel , das höchste Schöne, erreicht, das Grundgesetz des Geschmacks, der äusserste Maßstab alles Kunstwerthes sey gefunden. Nur daß der nächste Augenblick den Taumel endigt; daß dann die Nüchtemgewordnen das Bildniß des sterblichen Ab­ gottes zerschlagen , und in neuem erkünstelten Rausch einen andem an seiner Stelle einweihen , dessen Gottheit wiederum nicht länger I dauern wird , als die Laune

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Friedrich Schlegel: Ueber das Studium der Griechischen Poesie

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seiner Anbeter! - Dieser Künstler strebt allein nach den üppigen Reizen eines wol­ lüstigen Stoffs, dem blühenden Schmuck, dem schmeichelnden Wohllaut einer be­ zaubernden Sprache, wenn auch seine abentheuerliche Dichtung Wahrheit und Schicklichkeit beleidigt und die Seele leer läßt. Jener täuscht sich wegen einer ge­ wissen Rundung und Feinheit in der Anordnung und Ausführung mit dem vorei­ ligen Wahne der Vollendung. Ein andrer, um Reiz und Rundung unbeküm mert, hält ergreifende Treue der Darstellung, das tiefste Auffassen der verborgensten Ei­ genthümlichkeit für das höchste Ziel der Kunst. Diese Einseitigkeit des Italiäni­ schen , Französischen und Engländischen Geschmacks findet sich in ihrer schnei­ denden Härte in Deutschland beysammen wieder. - Die metaphysischen Untersu­ chungen einiger wenigen Denker über das Schöne hatten nicht den mindesten Ein­ fluß auf die Bildung des Geschmacks und der Kunst. Die praktische Theorie der Poesie aber war bis auf wenige Ausnahmen bis jetzt nicht viel mehr als der Sinn dessen , I was man verkehrt genug ausübte; gleichsam der abgezogne Begriff des falschen Geschmacks, der Geist der unglücklichen Geschichte. Sie folgte daher natürlicher Weise jenen drey Hauptrichtungen , und suchte den Zweck der Kunst bald im Reiz, bald in der Korrektheit, bald in der Wahrheit. Hier empfahl sie durch den Stempel ihrer Auktorität, sanktionirte Werke als ewige Muster der Nachah­ mung: dort stellte sie absolute Originalität als den höchsten Maßstab alles Kunst­ werths auf, und bedeckte den entferntesten Verdacht der Nachahmung mit unendli­ cher Schmach . Strenge forderte sie in scholastischer Rüstung unbedingte Unterwer­ fung auch unter ihre willkührlichsten offenbar thörichten Gesetze; oder sie vergöt­ terte in mystischen Orakelsprüchen das Genie, machte eine künstliche Gesetzlosig­ keit zum ersten Grundsatz, und verehrte mit stolzem Aberglauben Offenbarungen , die nicht selten sehr zweydeutig waren . Die Hoffnung , durch Grundsätze lebendige Werke zu erfinden , nach Begriffen schöne Spiele auszuarbeiten , wurde so oft ge­ täuscht, I daß an die Stelle des Glaubens endlich eine äusserste Gleichgültigkeit trat. Die Theorie mag es sich selbst zuschreiben , wenn sie bey dem genievollen Künstler wie bey dem Publikum allen Kredit verlohren hat! Wie kann sie Achtung für ihre Aussprüche erwarten, Gehorsam gegen ihre Gesetze fordern , da es ihr noch nicht einmal gelungen ist, eine richtige Erklärung von der Natur der Dicht­ kunst, und eine befriedigende Eintheilung ihrer Arten zu geben? Da sie sogar über die Bestimmung der Kunst überhaupt mit sich noch nicht hat einig werden können? Ja wenn es auch irgend eine Behauptung giebt, in welcher die Anhänger der ver­ schiedenen aesthetischen Systeme einigermaßen mit einander übereinzustimmen scheinen , so ist es allein die: daß es kein allgemeingültiges Gesetz der Kunst, kein beharrliches Ziel des Geschmacks gebe, oder daß es, falls es ein solches gebe, doch nicht anwendbar sey; daß die Richtigkeit des Geschmacks und die Schönheit der Kunst allein vom Zufall abhange. Und wirklich scheint der Zufall hier allein sein Spiel zu treiben , und als unum I schränkter Despot in diesem seltsamen Reiche der Verwirrung zu herrschen. Die Anarchie, welche in der aesthetischen Theorie, wie in der Praxis der Künstler so sichtbar ist, erstreckt sich sogar auf die Ge­ schichte der modernen Poesie. Kaum läßt sich in ihrer Masse beym ersten Blick etwas Gemeinsames entdecken; geschweige denn in ihrem Fortgange Gesetzmäßig­ keit, in ihrer Bildung bestimmte Stufen , zwischen ihren Theilen entschiedne Grän­ zen , und in ihrem Ganzen eine befriedigende Einheit. In einer aufeinander folgen-

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den Reihe von Dichtem findet sich keine beharrliche Eigenthümlichkeit, und in dem Geiste gleichzeitiger Werke giebt es keine gemeinschaftlichen Verhältnisse. Bey den Modernen ist es nur ein frommer Wunsch, daß der Geist eines großen Meisters, eines glücklichen Zeitalters, seine wohlthätigen Wirkungen weit um sich her verbreiten möchte, ohne daß deshalb der Gemeingeist die Eigenthümlichkeit des Einzelnen verwische, seine Rechte kränke, oder seine Erfindungskraft lähme. Jedem großen Originalkünstler pflegt hier, so lange ihn noch die I Fluth der Mode empor trägt, ein zahlloser Schwarm der armseligsten Kopisten zu folgen , bis durch ihre ewigen Wiederhohlungen und Entstellungen das große Urbild selbst so alltäg­ lich und ekelhaft geworden ist, daß nun an die Stelle der Vergötterung Abscheu oder ewige Vergessenheit tritt. Charakterlosigkeit scheint der einzige Charakter der modernen Poesie, Verwirrung das Gemeinsame ihrer Masse, Gesetzlosigkeit der Geist ihrer Geschichte, und Skeptizismus das Resultat ihrer Theorie. Nicht einmal ' die Eigenthümlichkeit hat bestimmte und feste Gränzen . Die Französische und Engländische, die Italiänische und Spanische Poesie scheint häufig, wie auf einer Maskerade, ihren Nationalcharakter gegenseitig zu vertauschen. Die Deutsche Poe­ sie aber stellt ein beynahe vollständiges geographisches Naturalienkabinett aller Nazianalcharaktere jedes Zeitalters und jeder Weltgegend dar: nur der Deutsche, sagt man , fehle. Im Grunde völlig gleichgültig gegen alle Form, und nur voll uner­ sättlichen Durstes nach Stoff, verlangt auch das feinere Publikum I von dem Künstler nichts als interessante Individualitlit. Wenn nur gewirkt wird , wenn die Wirkung nur stark und neu ist, so ist die Art, wie, und der Stoff, worin es ge­ schieht, dem Publikum so gleichgültig , als die Uebereinstimmung der einzelnen Wirkungen zu einem vollendeten Ganzen . Die Kunst thut das ihrige, um diesem Verlangen ein Genüge zu leisten . Wie in einem aesthetischen Kramladen steht hier Volkspoesie und Bontonpoesie beysammen , und selbst der Metaphysiker sucht sein eignes Sortiment nicht vergebens; Nordische oder Christliche Epopöen für die Freunde des Nordens und des Christenthums; Geistergeschichten für die Liebhaber mystischer Gräßlichkeiten, und Irokesische oder Kannibalische Oden für die Lieb­ haber der Menschenfresserey; Griechisches Kostum für antike Seelen , und Ritter­ gedichte für heroische Zungen ; ja sogar Nazianalpoesie für die Dilettanten der Deutschheit! Aber umsonst führt Ihr aus allen Zonen den reichsten Ueberfluß in­ teressanter Individualität zusammen! Das Faß der Danaiden bleibt ewig leer. Durch jeden Genuß werden I die Begierden nur heftiger; mit jeder Gewährung steigen die Forderungen immer höher, und die Hoffnung einer endlichen Befriedigung entfernt sich immer weiter. Das Neue wird alt, das Seltene gemein , und die Stachel des Reizenden werden stumpf. Bey schwächerer Selbstkraft und bey geringerm Kunst­ triebe sinkt die schlaffe Empfänglichkeit in eine empörende Ohnmacht; der ge­ schwächte Geschmack will endlich keine andre Speise mehr annehmen als ekelhafte Kruditäten , bis er ganz abstirbt und mit einer entschiedneo Nullität endigt. Wenn aber auch die Kraft nicht unterliegt, so bringt es wenig Gewinn . Wie ein Mann von großem Gemüthe, dem es aber an Uebereinstimmung fehlt, bey dem Dichter von sich selbst sagt: »So tauml ' ich von Begierde zu Genuß, Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde; «

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Friedrich Schlegel: Ueber das Studium der Griechischen Poesie

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so strebt und schmachtet die kraftvollere aesthetische Anlage rastlos in unbefrie­ digter Sehnsucht, und die Pein der vergeblichen Anstrengung steigt nicht selten bis zu einer trostlosen Verzweiflung. I Wenn man diese Zwecklosigkeit und Gesetzlosigkeit des Ganzen der modernen Poesie, und die hohe Treflichkeit der einzelnen Theile gleich aufmerksam beob­ achtet: so erscheint ihre Masse wie ein Meer streitender Kräfte, wo die Theilchen · der aufgelösten Schönheit, die Bruchstücke der zerschmetterten Kunst, in trüber Mischung sich verworren durch einander regen . Man könnte sie ein Chaos alles Erhabnen, Schönen und Reizenden nennen , welches gleich dem alten Chaos, aus dem sich , wie die Sage lehrt, die Welt ordnete, eine Liebe und einen Haß erwartet, um die verschiedenartigen Bestandtheile zu scheiden , die gleichartigen aber zu ver­ einigen . Sollte sich nicht ein Leitfaden entdecken lassen , um diese räthselhafte Verwir­ rung zu lösen , den Ausweg aus diesem Labyrinthe zu finden? Der Ursprung, Zu­ sammenhang und Grund so vieler seltsamen Eigenheiten der modernen Poesie muß doch auf irgend eine Weise erklärbar seyn. Vielleicht gelingt es uns, aus dem Geist ihrer bisherigen Geschichte zugleich auch den Sinn ihres jetzigen Strebens, die I Richtung ihrer fernem Laufbahn, und ihr künftiges Ziel aufzufinden. Wären wir erst über das Prinzipium ihrer Bildung aufs Reine, so würde es vielleicht nicht schwer seyn, daraus die vollständige Aufgabe derselben zu entwickeln. - Schon oft erzeugte ein dringendes Bedürfniß seinen Gegenstand; aus der Verzweiflung gieng eine neue Ruhe hervor, und die Anarchie ward die Mutter einer wohlthätigen Re­ voluzion. Sollte die aesthetische Anarchie unsres Zeitalters nicht eine ähnliche glückliche Katastrophe erwarten dürfen? Vielleicht ist der entscheidende Augen­ blick gekommen , wo dem Geschmack entweder eine gänzliche Verbesserung be­ vorsteht, nach welcher er nie wieder zurücksinken kann, sondern nothwendig fort­ schreiten muß; oder die Kunst wird auf immer fallen , und unser Zeitalter muß al­ len Hoffnungen auf Schönheit und Wiederherstellung echter Kunst ganz entsagen . Wenn wir also zuvor den Charakter der modernen Poesie bestimmter gefaßt, das Prinzipium ihrer Bildung aufgefunden, und die originellsten Züge I ihrer Indivi­ dualität erkliirt haben werden, so werden sich uns folgende Fragen aufdringen : Welches ist die Aufgabe der modernen Poesie ? Kann sie erreicht werden ? Welches sind die Mittel dazu ? ***

Es ist einleuchtend, daß es in strengster und buchstäblicher Bedeutung keine Cha­ rakterlosigkeit geben kann. Was man so zu nennen pflegt, wird entweder ein sehr verwischter, gleichsam unleserlich gewordner, oder ein äusserst zusammengesetz­ ter, verwickelter und räthselhafter Charakter seyn. Schon jene durchgängige Anar­ chie in der Masse der modernen Poesie ist doch etwas Gemeinsames; ein charakte­ ristischer Zug, der nicht ohne gemeinschaftlichen innem Grund seyn kann. - Wir sind gewohnt, mehr nach einem dunkeln Gefühl als nach deutlich entwickelten Gründen , die moderne Poesie als ein zusammenhängendes Ganzes zu betrachten . Aber I mit welchem Recht dürfen wir dieß stillschweigend voraussetzen? - Es ist

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wahr, bey aller Eigenthümlichkeit und Verschiedenheit der einzelnen Nazionen verräth das Europäische Völkersystem dennoch durch einen auffallend ähnlichen Geist der Sprache, der Verfassungen , Gebräuche und Einrichtungen , in vielen üb­ rig gebliebenen Spuren der frühem Zeit, den gleichartigen und gemeinschaftlichen Ursprung ihrer Kultur. Dazu kommt noch eine gemeinschaftliche von allen übrigen sehr abweichende Religion . Außerdem ist die Bildung dieser äußerst merkwürdigen Völkermasse so innig verknüpft, so durchgängig zusammenhängend, so beständig in gegenseitigem Einflusse aller einzelnen Theile; sie hat bey aller Verschiedenheit so viele gemeinschaftliche Eigenschaften , strebt so sichtbar nach einem gemein­ schaftlichen Ziele, daß sie nicht wohl anders als wie ein Ganzes betrachtet werden kann. Was vom Ganzen wahr ist, gilt auch vom einzelnen Theil: wie die moderne Bildung überhaupt, so ist auch die moderne Poesie ein zusammenhängendes Gan­ zes . So einleuchtend und ent I schieden jene Bemerkung aber auch für viele seyn mag , so fehlt es doch gewiß nicht an Zweiflern, die diesen Zusammenhang theils leugnen , theils aus zufälligen Umständen und nicht aus einem gemeinschaftlichen Prinzip erklären. Es ist hier nicht der Ort dieß auszumitteln . Genug , es verlohnt sich doch wohl der Mühe, dieser Spur zu folgen, und den Versuch zu wagen , ob jene allgemeine Voraussetzung die Prüfung bestehe! - Schon der durchgängige ge­ genseitige Einfluß der modernen Poesie deutet auf innem Zusammenhang. Seit der Wiederherstellung der Wissenschaften fand unter den verschiedenen Nazionalpoe­ sien der größten und kultivirtesten Europäischen Völker eine stete Wechselnachah­ mung Statt. Sowohl die Italiänische als die Französische und Englische Manier hatte ihre goldne Zeit, wo sie den Geschmack des ganzen übrigen gebildeten Eu­ ropa despotisch beherrschte. Nur Deutschland hat bis jetzt den vielseitigsten frem­ den Einfluß ohne Rückwirkung erfahren . Durch diese Gemeinschaft wird die grelle Härte des ursprünglichen Nazionalcharakters immer I mehr verwischt, und endlich fast gar vertilgt. An seine Stelle tritt ein allgemeiner Europäischer Charakter, und die Geschichte jeder nazionellen Poesie der Modemen enthält nichts andres, als den allmähligen Uebergang von ihrem ursprünglichen Charakter zu dem spätem Cha­ rakter künstlicher Bildung. Aber schon in den frühesten Zeiten haben die verschie­ denen ursprünglichen Eigenthümlichkeiten so viel Gemeinsames, daß sie als Zweige eines Stamms erscheinen . Aehnlichkeit der Sprachen , der Versarten, ganz eigenthümlicher Dichtarten ! So lange die Fabel der Ritterzeit und die christliche Legende die Mythologie der Romantischen Poesie waren , ist die Aehnlichkeit des Stoffes und des Geistes der Darstellung so groß, daß die nazionelle Verschiedenheit sich beynahe in die Gleichheit der ganzen Masse verliert. Der Charakter jener Zeit selbst war einfacher und einförmiger. Aber auch nachdem durch eine totale Revo­ luzion die Form der Europäischen Welt ganz verändert ward , und mit dem Empor­ kommen des dritten S tandes die verschiedenen Nazionalcharaktere man I nich­ faltiger wurden , und weiter aus einander wichen, blieb dennoch ungemein viel Aehnlichkeit übrig . Diese äußerte ihren Einfluß auch auf die Poesie; nicht nur in dem Charakter derjenigen Dichtarten , deren Stoff das bürgerliche Leben ist, und in dem Geiste aller Darstellungen , sondern sogar in gemeinschaftlichen Sonderbarkei­ ten. Doch diese Züge würden sich allenfalls aus der gemeinschaftlichen Abstam­ mung und der äußren Berührung, kurz aus der Lage erklären lassen. Es giebt aber

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noch andre merkwürdige Züge der modernen Poesie, wodurch sie sich von allen übrigen Poesien , welche uns die Geschichte kennen lehrt, aufs bestimmteste unter­ scheidet, deren Grund und Zweck nur aus einem gemeinschaftlichen innem Prinzip befriedigend deduzirt werden kann. Dahin gehört die äußerst charakteristische S tandhaftigkeit, mit der alle Europäische Nazionen bey der Nachahmung der alten Kunst geblieben , und durch kein Mißlingen ganz abgeschreckt, oft auf neue Weise zu ihr zurückgekehrt sind . Jenes sonderbare Verhältniß I der Theorie zur Praxis, da der Geschmack selbst in der Person des Künstlers, wie des Publikums von der Wissenschaft nicht bloß Erklärung seiner Aussprüche, Erläuterung seiner Gesetze, sondern Zurechtweisung verlangte, von ihr Ziel , Richtung und Gesetz der Kunst bestimmt haben wollte. In sich selbst uneins und ohne innern Widerhalt nimmt, so scheint es, der kranke Geschmack zu den Rezepten eines Arztes oder eines Quack­ salbers seine Zuflucht, wenn dieser nur durch diktatorische Anmaßung die leicht­ gläubige Treuherzigkeit zu täuschen weiß. Ferner der schneidende Kontrast der hiihem und niedem Kunst. Ganz dicht neben einander existiren besonders jetzt zwey verschiedene Poesien neben einander, deren jede ihr eignes Publikum hat, und unbekümmert um die andre ihren Gang für sich geht. Sie nehmen nicht die ge­ ringste Notiz von einander, außer, wenn sie zufällig auf einander treffen , durch gegenseitige Verachtung und Spott; oft nicht ohne heimlichen Neid über die Popu­ larität der einen oder die Vornehmigkeit der andern . Das Publikum , I welches sich mit der gröbern Kost begnügt, ist naiv genug, jede Poesie, welche höhere Ansprü­ che macht, als für Gelehrte allein bestimmt, nur außerordentlichen Individuen oder doch nur seltnen festlichen Augenblicken angemessen , von der Hand zu weisen . Ferner das totale Uebergewicht des Charakteristischen, Individuellen und Interes­ santen in der ganzen Masse der modernen Poesie, vorzüglich aber in den spätem Zeitaltern . Endlich das rastlose unersättliche Streben nach dem Neuen, Piquanten und Frappanten, bey dem dennoch die Sehnsucht unbefriedigt bleibt. Wenn die nazionellen Theile der modernen Poesie, aus ihrem Zusammenhang gerissen , und als einzelne flir sich bestehende Ganze betrachtet werden , so sind sie unerklärlich . Sie bekommen erst durch einander Haltung und Bedeutung. Je auf­ merksamer man aber die ganze Masse der modernen Poesie selbst betrachtet, je mehr erscheint auch sie als das bloße Stack eines Ganzen. Die Einheit, welche so viele gemeinsame Eigenschaften zu einem Gan I zen verknüpft, ist in der Masse ih­ rer Geschichte nicht sogleich sichtbar. Wir müssen ihre Einheit also sogar jenseits ihrer Gränzen aufsuchen , und sie selbst giebt uns einen Wink, wohin wir unsern Weg richten sollen . Die gemeinsamen Züge, welche Spuren innern Zusammenhan­ ges zu seyn schienen , sind seltner Eigenschaften , als Bestrebungen und Verhält­ nisse. Die Gleichheit einiger vermehrt sich , je mehr wir uns von dem jetzigen Zeit­ alter rückwärts entfernen ; die einiger andern , je mehr wir uns demselben nähern . Wir müssen also nach einer doppelten Richtung nach ihrer Einheit forschen; rück­ wärts nach dem ersten Ursprunge ihrer Entstehung und Entwicklung ; vorwärts nach dem letzten Ziele ihrer Fortschreitung. Vielleicht gelingt es uns auf diesem Wege, ihre Geschichte vollständig zu erklären und nicht nur den Grund, sondern auch den Zweck ihres Charakters befriedigend zu deduziren . I Nichts widerspricht dem Charakter und selbst dem Begriffe des Menschen so sehr, als die Idee einer völlig isolirten Kraft, welche durch sich und in sich allein

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wirken könnte. Niemand wird wohl leugnen , daß derjenige Mensch wenigstens, den wir kennen , nur in einer Welt existiren könne. Schon der unbestimmte Begriff, welchen der gewöhnliche Sprachgebrauch mit den Worten »Kultur, Entwicklung, Bildung« verbindet, setzt zwey verschiedene Naturen voraus; eine, welche gebildet wird, und eine andre, welche durch Umstände und äußre Lage die Bildung veran­ laßt und modifizirt, befördert und hemmt. Der Mensch kann nicht thätig seyn , ohne sich zu bilden . Bildung ist der eigentliche Inhalt jedes menschlichen Lebens, und der wahre Gegenstand der höhern Geschichte, welche in dem Veränderlichen das Nothwendige aufsucht. So wie der Mensch ins Daseyn tritt, wird er mit dem Schicksal gleichsam handgemein, und sein ganzes Leben ist ein steter Kampf auf Leben und Tod mit der furchtbaren Macht, deren Armen er nie entfliehen kann. Innig um I schließt sie ihn von allen Seiten und läßt keinen Augenblick von ihm ab . Man könnte die Geschichte der Menschheit, welche die nothwendige Genesis und Progression der menschlichen Bildung charakterisirt, mit militärischen Annalen vergleichen . Sie ist der treue Bericht von dem Kriege der Menschheit und des Schicksals. Der Mensch bedarf aber nicht nur einer Welt außer sich , welche bald Veranlassung , bald Element, bald Organ seiner Thätigkeit werde; sondern sogar im Mittelpunkte seines eignen Wesens hat sein Feind - die ihm entgegengesetzte Natur - noch Wurzel gefaßt. Es ist schon oft bemerkt worden : die Menschheit sey eine zwitterhafte Spielart, eine zweydeutige Mischung der Gottheit und der Thierheit. Man hat es richtig gefühlt, daß es ihr ewiger, nothwendiger Charakter sey, die un­ auflöslichen Widersprüche, die unbegreiflichen Räthsel in sich zu vereinigen , wel­ che aus der Zusammensetzung des unendlich Entgegengesetzten entspringen . Der Mensch ist eine aus seinem reinen Selbst und einem fremdartigen Wesen gemischte Natur. Er kann mit dem I Schicksal nie reine Abrechnung halten , und bestimmt sagen : jenes ist dein , dieß ist mein. Nur das Gemüth , welches von dem Schicksal hinlänglich durchgearbeitet worden ist, erreicht das seltne Glück, selbstständig seyn zu können . Die Grundlage seiner stolzesten Werke ist oft ein bloßes Geschenk der Natur, und auch seine besten Thaten sind nicht selten kaum zur Hälfte sein. Ohne alle Freyheit wäre es keine That: ohne alle fremde Hülfe keine menschliche. Die zu bildende Kraft aber muß nothwendig das Vermögen haben , sich die Gabe der bildenden zuzueignen , das Vermögen , auf die Veranlassung jener sich selbst zu bestimmen . Sie muß frey seyn. Bildung oder Entwicklung der Freyheit ist die nothwendige Folge alles menschlichen Thuns und Leidens, das endliche Resultat jeder Wechselwirkung der Freyheit und der Natur. In dem gegenseitigen Einfluß, der steten Wechselbestimmung , welche zwischen beyden Statt findet, muß nun nothwendiger Weise eine von beyden Kräften die wirkende, die andre die rückwir­ kende seyn. Entweder die Freyheit oder die Natur muß der I menschlichen Bildung den ersten bestimmenden Anstoß geben , und dadurch die Richtung des Weges, das Gesetz der Progression , und das endliche Ziel der ganzen Laufbahn determiniren ; es mag nun von der Entwicklung der gesammten Menschheit oder eines einzelnen wesentlichen Bestandtheils derselben die Rede seyn . Im ersten Fall kann die Bil­ dung eine natürliche, im Ietztern eine künstliche heißen . In jener ist der erste ur­ sprüngliche Quell der Thätigkeit ein unbestimmtes Verlangen ; in dieser ein be­ stimmter Zweck. Dort ist der Verstand auch bey der größten Ausbildung höchstens nur der Handlanger und Dolmetscher der Neigung ; der gesammte zusammenge-

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setzte Trieb aber der unumschränkte Gesetzgeber und Führer der Bildung. Hier ist die bewegende, ausübende Macht zwar auch der Trieb ; die lenkende, gesetzge­ bende Macht hingegen der Verstand: gleichsam ein oberstes lenkendes Prinzipium, welches die blinde Kraft leitet und führt, ihre Richtung determinirt, die Anordnung der ganzen Masse bestimmt und nach Willkühr die einzelnen Theile trennt und verknüpft. I Die Erfahrung belehrt uns, daß unter allen Zonen , in jedem Zeitalter, bey allen Nazionen , und in jedem Theile der menschlichen Bildung , die Praxis der Theorie voranging, daß ihre Bildung von Natur den Anfang nahm. Und auch schon vor al­ ler Erfahrung kann die Vernunft sicher im voraus bestimmen , daß die Veranlas­ sung dem Veranlaßten , die Wirkung der Rückwirkung, der Anstoß der Natur der Selbstbestimmung des Menschen vorangehn müsse. - Nur auf Natur kann Kunst, nur auf eine natürliche Bildung kann die künstliche folgen . Und zwar auf eine ver­ ungliickte natürliche Bildung : denn wenn der Mensch auf dem leichten Wege der Natur ohne Hinderniß immer weiter zum Ziele fortschreiten könnte, so wäre ja die Hülfe der Kunst ganz überflüssig, und es ließe sich in der That gar nicht einsehen , was ihn bewegen sollte, einen neuen Weg einzuschlagen . Die bewegende Kraft wird sich in der einmal genommenen Richtung fortbewegen, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, und ein Umschwung von außen ihr nicht eine neue Direktion er l theilt. Die Natur wird das lenkende Prinzipium der Bildung bleiben , bis sie dieß Recht verfahren hat, und wahrscheinlich wird nur ein unglücklicher Mißbrauch ih­ rer Macht den Menschen dahin vermögen , sie ihres Amtes zu entsetzen. Daß der Versuch der natürlichen Bildung mißglücken könne, ist aber gar keine unwahr­ scheinliche Voraussetzung : der Trieb ist zwar ein mächtiger Beweger, aber ein blinder Führer. Ueberdem ist hier in die Gesetzgebung selbst etwas Fremdartiges aufgenommen : denn der gesammte Trieb ist ja nicht rein, sondern aus Menschheit und Thierheit zusammengesetzt. Die künstliche Bildung hingegen kann wenigstens zu einer richtigen Gesetzgebung, dauerhafter Vervollkommnung , und endlichen , vollständigen Befriedigung führen : weil dieselbe Kraft, welche das Ziel des Ganzen bestimmt, hier zugleich auch die Richtung der Laufbahn bestimmt, die einzelnen Theile lenkt und ordnet. Schon in den frühesten Zeitaltem der Europäischen Bildung finden sich unver­ kennbare Spuren des kUnstliehen Ursprungs der I modernen Poesie. Die Kraft, der Stoff war zwar durch Natur gegeben : das lenkende Prinzip der aesthetischen Bil­ dung war aber nicht der Trieb , sondern gewisse dirigirende Begrijfe1 • Selbst der individuelle Charakter dieser Begriffe war durch Umstände veranlaßt, und durch die äußre Lage nothwendig bestimmt. Daß aber der Mensch nach diesen Begriffen sich selbst bestimmte, den gegebnen Stoff ordnete, und die Richtung seiner Kraft I Mögen diese herrschenden Begriffe noch so dunkel und verworren seyn, so können und dür­ fen sie doch mit dem Triebe, als dingirendem Princip der Bildung, nicht verwechselt werden. Beyde sind nicht durch Grade, sondern der Art nach von einander unterschieden. Zwar veranlassen herrschende Begriffe ähnliche Neigungen, und umgekehrt. Dennoch ist die dirigirende Kraft unverkennbar, weil beyder Richtung ganz entgegengesetzt ist. Die Tendenz des gesammten Triebes geht auf ein unbestimmtes Ziel ; die Tendenz des isolirenden Verstandes geht auf einen bestimmten Zweck. Der entscheidende Punkt ist, ob die Anordnung der ganzen Masse , die Richtung aller Kräfte durch das Streben des gesammten noch ungetrennten Bestrebungs- und Gefiihlsvermögen oder durch einen einzelnen Begriff und Absicht bestimmt ist.

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determi I nirte; das war ein freyer Aktus des Gemüths. Dieser Aktus ist aber eben der ursprüngliche Quell , der erste bestimmende Anstoß der künstlichen Bildung , welcher also mit vollem Recht der Freyheit zugeschrieben wird . Die Phantasterey der Romantischen Poesie, hat nicht etwa wie Orientalischer Bombast eine abwei­ chende Naturanlage zum Grunde. Es sind vielmehr offenbar abenteuerliche Be­ griffe, durch welche eine an sich glückliche, dem Schönen nicht ungünstige Phan­ tasie eine verkehrte Richtung genommen hatte. Sie stand also unter der Herrschaft von Begriffen ; und so dürftig und dunkel diese auch seyn mochten , so war doch der Verstand das lenkende Prinzip der aesthetischen Bildung . - Das kolossalische Werk des2 Dante, dieses erhabne Phänomen in der trüben Nacht j enes eisernen Zeitalters, ist ein neues Dokument für den künstlichen Charakter der ältesten mo­ dernen Poesie. Im Einzelnen wird niemand die großen überall verbreiteten Züge verkennen , die nur aus jener ursprünglichen Kraft gequollen seyn können , welche weder gelehrt noch gelernt werden kann. Die I eigensinnige Anordnung der Masse aber, den höchst seltsamen Gliederbau des ganzen Riesenwerks, verdanken wir weder dem göttlichen Barden , noch dem weisen Künstler, sondern den gothischen Begriffen des Barbaren . - Der Reim selbst scheint ein Kennzeichen dieser ur­ sprünglichen Künstlichkeit unsrer aesthetischen Bildung. Zwar kann vielleicht das Vergnügen an der gesetzmäßigen Wiederkehr eines ähnlichen Geräusches in der Natur des menschlichen Gefühlsvermögens selbst gegründet seyn . Jeder Laut eines lebenden Wesens hat seinen eigenthümlichen Sinn , und auch die Gleichartigkeit mehrerer Laute ist nicht bedeutungslos. Wie der einzelne Laut den vorübergehen­ den Zustand , so bezeichnet sie die beharrliche Eigenthümlichkeit. Sie ist die tö­ nende Charakteristik, das musikalische Pottrait einer individuellen Organisazion. So wiederhohlen viele Thierarten stets dasselbe Geräusch , gleichsam um der Welt ihre Identität bekannt zu machen - - sie reimen . Es ließe sich auch wohl denken , daß bey einer ungünstigen oder sehr abweichenden Naturanlage ein Volk auch ohne Künste i Jey an der Aehnlichkeit des Geräusches ein ganz unmäßiges Wohlgefallen fände. Aber nur wo verkehrte Begriffe die Direktion der poetischen Bildung be­ stimmten , konnte man eine fremde gothische Zierrath zum nothwendigen Gesetz, und das kindische Behagen an einer eigensinnigen Spielerey beynahe zum letzten Zweck der Kunst erheben . Eben wegen dieser ursprünglichen Barbarey des Reims ist seine weise Behandlung eine so äußerst seltne und schwere Kunst, daß die be­ wundernswürdige Geschicklichkeit der größten Meister kaum hinreicht, ihn nur un­ schädlich zu machen . In der schönen Kunst wird der Reim immer eine fremdartige Störung bleiben . Sie verlangt Rhythmus und Melodie: denn nur die gesetzmäßige Gleichartigkeit in der zwiefachen Quantität auf einander folgender Töne kann das Allgemeine ausdrücken . Die regelmäßige Aehnlichkeit in der physischen Qualität mehrerer Klänge kann nur das Einzelne ausdrücken. Unstreitig kann sie in der Hand eines großen Meisters ungemein viel Sinn bekommen und ein wichtiges Or­ gan der charakteristischen I Poesie werden. Auch von dieser Seite bestätigt sich also das Resultat, daß der Reim (nebst der Herrschaft des Charakteristischen selbst) in der künstlichen Bildung der Poesie seine eigentliche Stelle findet.

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Es darf uns nicht irre machen , daß dieser Spuren der Künstlichkeil im Anfange der modernen Poesie, im Vergleich gegen die spätere Zeit doch nur wenige sind . Das große barbarische Intermezzo, welches den Zwischenraum zwischen der anti­ ken und der mod!'!men Bildung anfüllt, mußte erst beendigt seyn, ehe der Charak­ ter der letztem recht laut werden konnte. Es blieben zwar Fragmente der alten Ei­ genthümlichkeit genug übrig ; aber durch die nazionale Individualität der Nordi­ schen Sieger wurde dennoch gleichsam ein frischer Zweig auf den schadhaften Stamm gepfropft. Nun mußte freylich die neue Natur erst Zeit haben , zu werden , zu wachsen , und sich zu entwickeln , ehe die Kunst sie nach Willkühr lenken und ihre Unerfahrenheit an ihr versuchen konnte. Der Keim der künstlichen Bildung war schon lange vorhanden : in einer I künstlichen universellen Religion , in dem unaussprechlichen Elende selbst, welches das endliche Resultat der nothwendigen Entartung der natürlichen Bildung war; in den vielen Fertigkeiten , Erfindungen und Kenntnissen , welche nicht verlohren giengen . Was von der Emdte der ganzen Vorwelt noch vorhanden war, ward den barbarischen Ankömmlingen zu Theil. Eine große und reiche Erbschaft, welche sie aber dadurch theuer genug erkaufen , daß ihnen die äußerste Unsittlichkeit der in sich selbst versunkneo Natur zugleich mit überliefert ward ! Das Erdreich mußte erst urbar gemacht werden und kultivirt seyn , ehe dieser Keim sich allmählig entwickeln, und aus dem Schoße der Barba­ rey die neue Form langsam ans Licht treten konnte. Ueberdem hatte der moderne Geist mit den nothwendigen Bedürfnissen der Religion und Politik so viel zu schaf­ fen , daß er erst spät an den Luxus des Schönen denken konnte. Daher blieb auch die Europäische Poesie so geraume Zeit beynahe ganz nazional . Es sind neben ih­ rem Naturcharakter nur einige, zwar unverkennbare, I aber doch wenige Spuren des künstlichen Charakters sichtbar. Zwar äußern dirigirende Begriffe ihren Einfluß auf die aesthetische Praxis: diese sind aber selbst so dürftig , daß sie höchstens für frühe Spuren der künftigen Theorie gelten können . Es existirt noch gar keine eigentliche Theorie, welche von der Praxis abgesondert, und nothdürftig zusammenhängend wäre. Späterhin tritt aber die Theorie mit ihrem zahlreichen Gefolge desto herrschsüchtiger hervor, greift immer weiter um sich, kündigt sich selbst als gesetzgebendes Prinzip der modernen Poesie an, und wird als solches auch vom Publikum, wie vom Künstler und Kenner anerkannt. Es wäre eigentlich ihre große Bestimmung, dem verderbten Geschmack seine verlohme Gesetzmäßigkeit, und der verirrten Kunst ihre echte Richtung wieder zu geben . Aber nur wenn sie allgemeingültig wäre, könnte sie all­ gemeingeltend werden , und von einer kraftlosen Anmaßung sich zum Range einer wirklichen öffentlichen Macht erheben . Wie wenig sie aber bis jetzt gewesen sey, was I sie seyn sollte, ist schon daraus offenbar, daß sie nie mit sich selbst einig werden konnte. Bis dahin müssen die Gränzen des Verstandes und des Gefühls im Gebiete der Kunst von beyden Seiten beständig überschritten werden . Die einsei­ tige Theorie wird sich leicht noch größere Rechte anmaßen , als selbst der allge­ meingültigen zukommen würden . Der entartete Geschmack hingegen wird der Wis­ senschaft seine eigne verkehrte Richtung mittheilen, statt daß er von ihr eine bes­ sere empfangen sollte. Stumpfe oder niedrige Gefühle, verworme oder schiefe U rtheile, lückenhafte oder gemeine Anschauungen werden nicht nur eine Menge einzelner unrichtiger Begriffe und Grundsätze erzeugen , sondern auch grundschiefe

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Richtungen der Untersuchung, ganz verkehrte Grundgesetze veranlassen . Daher der zwiefache Charakter der modernen Theorie, welcher das unläugbare Resultat ihrer ganzen Geschichte ist. Sie ist nehmlich theils ein treuer Abdruck des moder­ nen Geschmacks, der abgezogene Begriff der verkehrten Praxis, die Regel der Bar­ barey; theils das verdienstvolle I stete Streben nach einer allgemeingültigen Wis­ senschaft. Aus dieser Herrschaft des Verstandes, aus dieser Künstlichkeit unsrer aestheti­ schen Bildung erklären sich alle, auch die seltsamsten Eigenheiten der modernen Poesie völlig . Während der Periode der Kindheit des dingirenden Verstandes, wenn der theo­ retisirende Instinkt ein selbstständiges Produkt aus sich zu erzeugen noch nicht im Stande ist; pflegt er sich gern an eine gegebne Anschauung anzuschließen, wo er Allgemeingültigkeit - das Objekt seines ganzen Strebens - ahndet. Daher die auf­ fallende Nachahmung des Antiken, auf welche alle Europäische Nazionen schon so frühe fielen, bey welcher sie mit der standhaftesten Ausdauer beharrten, und zu der sie immer nach einer kurzen Pause nur auf neue Weise zurückkehrten . Denn der theoretisirende Instinkt hoffte vorzüglich hier sein Streben zu befriedigen, die ge­ suchte Objektivität zu finden. Der kindische Verstand erhebt das einzelne Beyspiel zur allgemeinen Regel, adelt das Her I kommen, und sanktionirt das Vorurtheil. Die AukJoritlit der Alten (so schlecht man sie verstand, so verkehrt man sie auch nach­ ahmte) ist das erste Grundgesetz in der Konstitution des ältesten aesthetischen Dogmatismus, welcher nur die Vorübung der eigentlich philosophischen Theorie der Poesie war. Die Willkühr der lenkenden Bildungskunst ist unumschränkt; die gefahrliehen Werkzeuge der unerfahrnen sind Scheidung und Mischung aller gegebnen Stoffe und vorhandneo Kräfte. Ohne auch nur zu ahnden, was sie thut, eröffnet sie ihre Lautbahn mit einer zerstörenden Ungerechtigkeit; ihr erster Versuch ist ein Fehler, welcher zahllose andre nach sich zieht, welchen die Anstrengung vieler Jahrhun­ derte kaum wieder gut machen kann. Der widersinnige Zwang ihrer thörichten Ge­ setze, ihrer gewaltsamen Trennungen und Verknüpfungen hemmt, verwirrt, ver­ wischt, und vernichtet endlich die Natur. Den Werken,l welche sie produzirt, fehlt es an einem innern Lebensprinzip; es sind nur einzelne durch äußre Gewalt an ein­ ander gefesselte Stücke, ohne eigentlichen Zu I sammenhang, ohne ein Ganzes. Nach vielfältigen Anstrengungen ist die endliche Frucht ihres langen Fleisses oft keine andre als eine durchgängige Anarchie, eine vollendete Charakterlosigkeit. Die allgemeine Vermischung der Nazionalcharaktere, die stete Wechselnachah­ mung im ganzen Gebiete der modernen Poesie würde zwar schon durch den politi­ schen und religiösen Zusammenhang eines Völkersystems, welches sich durch seine äußre Lage vielfach berührt und aus einem gemeinschaftlichen Stamm ent­ sprungen ist, begreiflich werden können: gleichwohl bekommt sie durch die Künstlichkeit der Bildung einen ganz eigenthümlichen Anstrich. Bey einer natürli­ chen Bildung würden wenigstens gewisse Gränzen der Absonderung, wie der Ver­ einigung entschieden und bestimmt seyn. Die Willkühr der Absicht allein konnte

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Den Werken, welche) 0: welche Druckfehlerverzeichnis: Die Werke, welche

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eine so gränzenlose Verwirrung erzeugen , und endlich jede Spur von Gesetzmäßig­ keit vertilgen ! Zwar giebt es noch immer so viele Hauptmassen der Eigenthümlich­ keit, als große kultivirte Nazionen . Doch sind die wenigen gemeinsamen Züge sehr I schwankend, und eigentlich existirt jeder Künstler für sich , ein isolirter Egoist in der Mitte seines Zeitalters und seines Volks . Es giebt so viele individuelle Manie­ ren als originelle Künstler. Zu manierirter Einseitigkeit gesellt sich die reichste Vielseitigkeit, von der Zeit an , da die rege gewordne Kraft der Natur anfieng. ihre Fülle unter dem Druck des künstlichen Zwanges Luft zu machen . Denn je weiter man von der reinen Wahrheit entfernt ist, je mehr einseitige Ansichten derselben giebt es. Je größer die schon vorhandene Masse des Originellen ist, desto seltner wird neue echte Originalität. Daher die zahllose Legion der nachahmenden Echo­ künstler; daher genialische Originalität das höchste Ziel des Künstlers, der oberste Maßstab des Kenners. Der Verstand kann durch zahllose Irrthümer doch endlich eine späte bessere Einsicht theuer erkaufen und sich dann sicher einer dauernden Vervollkommnung nähern . Es ist alsdann unstreitig möglich , daß er den ursprünglichen Nazionalcha­ rakter auch rechtmäßig und zu einem höhern Zweck verändern , verwischen und selbst I vertilgen könne. Weit unglücklicher noch sind aber diese seine chymischen Versuche in der willkührlichen Scheidung und Mischung der ursprünglichen Kün­ ste und reinen Kunstarten. Unvermeidlich wird sein unglücklicher Scharfsinn die Natur gewaltsam zerrütten, ihre Einfachheit verfälschen , und ihre schöne Organi­ sazion gleichsam in elementarische Masse auflösen und zerstören . Ob sich aber durch diese künstliche Zusammensetzungen wirkliche neue Verbindungen und Ar­ ten entdecken lassen , ist wenigstens äußerst ungewiß. Wie werden nicht die Grän­ zen der einzelnen Künste in der Vereinigung mehrerer verwirrt? In einem und demselben Kunstwerke ist die Poesie oft zugleich Despolin und Sklavin der Musik. Der Dichter will darstellen , was nur der Schauspieler vermag ; und er läßt Lücken für j enen , die nur er selbst ausfüllen könnte. Die dramatische Gattung allein könnte uns eine reiche Beyspielsammlung von unnatürlichen Vermischungen der reinen Dichtarten darbieten . Ich wähle nur ein einziges aber ein glänzendes Beyspiel : durch die Treflichkeit der Ausführung wird die I Monstrosität der Gattung selbst nur desto sichtbarer. Es giebt eine Art moderner Dramen , welche man lyrische nennen könnte. Nicht wegen einzelner lyrischer Theile: denn jedes schöne dramati­ sche Ganze ist aus lauter lyrischen Elementen zusammengesetzt; sondern ein Ge­ dicht in dramatischer Form , dessen Einheit aber eine musikalische Stimmung oder lyrische Gleichartigkeit ist - die dramatische Aeußerung einer lyrischen Be­ geistrung. Keine Gattung wird von schlechten Kennern so häufig und so sehr ver­ kannt als diese: weil die Einheit der Stimmung nicht durch den Verstand eingese­ hen , sondern nur durch ein zarteres Gefühl wahrgenommen werden kann . Eins der treflichsten Gedichte dieser Art, der Romeo des Shakespear ist gleichsam nur ein romantischer Seufzer über die flüchtige Kürze der jugendlichen Freude; ein schö­ ner Klagegesang, daß diese frischesten Blüthen im Frühling des Lebens unter dem lieblosen Hauch des rauhen Schicksals so schnell dahin welken . Es ist eine hin­ reißende Elegie, wo die süße Pein, der schmerzliche Genuß der zartesten Liebe un I auflöslich verwebt ist. Diese bezaubernde Mischung unauflöslich verwebter Anmuth und Schmerzens ist aber eben der eigentliche Charakter der Elegie.

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Nichts kann die Künstlichkeit der modernen aesthetischen Bildung besser er­ läutern und bestätigen , als das große Uebergewicht des Individuellen, Charakteri­ stischen und Philosophischen in der ganzen Masse der modernen Poesie. Die vielen und treflichen Kunstwerke, deren Zweck ein philosophisches Interesse ist, bilden nicht etwa bloß eine unbedeutende Nebenart der schönen Poesie, sondern eine ganz eigne große Hauptgattung, welche sich wieder in zwey Unterarten spaltet. Es giebt eine selbstthätige Darstellung einzelner und allgemeiner, bedingter und unbedingter Erkenntnisse, welche von schöner Kunst eben so verschieden ist, als von Wissen­ schaft und Geschichte. Das Häßliche ist ihr oft in ihrer Vollendung unentbehrlich, und auch das Schöne gebraucht sie eigentlich nur als Mittel zu ihrem bestimmten philosophischen Zweck. Ueberhaupt hat man bisher das Gebiet der darstel l lenden Kunst zu eng beschränkt, das der schönen Kunst hingegen zu weit ausgedehnt. Der spezifische Charakter der schönen Kunst ist freyes Spiel ohne bestimmten Zweck; der der darstellenden Kunst überhaupt die Idealität der Darstellung. Idealisch aber ist eine Darstellung (mag ihr Organ nun Bezeichnung oder Nachahmung seyn) in welcher der dargestellte Stoff nach den Gesetzen des darstellenden Geistes gewählt und geordnet, wo möglich auch gebildet wird . Wenn es vergönnt ist, alle diejeni­ gen Künstler zu nennen , deren Medium idealische Darstellung , deren Ziel aber un­ bedingt ist: so giebt es drey spezifisch verschiedene Klassen von Künstlern , je nachdem ihr Ziel das Gute, das Schöne, oder das Wahre ist. Es giebt Erkenntnisse, welche durch historische Nachahmung wie durch intellektuelle Bezeichnung durch­ aus nicht mitgetheilt, welche nur dargestellt werden können ; individuelle idealische Anschauungen , als Beyspiele und Belege zu Begriffen und Ideen . Auf der andern Seite giebt es auch Kunstwerke, idealische Darstellungen , welche offenbar keinen I andern Zweck haben , als Erkenntniß. Ich nenne die idealische Poesie, deren Ziel das philosophisch Interessante ist, didaktische Poesie. Werke, deren Stoff didak­ tisch , deren Zweck aber aesthetisch, oder Werke, deren Stoff und Zweck didak­ tisch , deren äußre Form aber poetisch ist, sollte man durchaus nicht so benennen : denn nie kann die individuelle Beschaffenheit des Stoffs ein hinreichendes Prinzip zu einer gültigen aesthetischen Klassifikation seyn4 • I Die Tendenz der meisten, 4 Man redet auch wohl von der ange11ehmen Kunst als von einer Nebenart der schönen, von der sie doch durch eine unendliche Kluft geschieden ist. Angenehme Redekunst ist mit der schönen Poesie nicht näher verwandt als jede andre sinnliche Geschicklichkeit, welche Plato Kunst zu nen­ nen verbietet und mit der Kochkunst in eine Klasse ordnet. Im allgemeinsten Sinne ist Kunst jede ursprüngliche oder erworbne Geschicklichkeit, irgend einen Zweck des Menschen in der Natur wirklich auszuführen; die Fertigkeit irgend eine Theorie praktisch zu machen. Die Zwecke des Menschen sind theils unendlich und nothwendig, theils beschränkt und zufällig. Die Kunst ist daher entweder eine freye Ideenkunst oder eine mechanische Kunst des Bedürfnisses, deren Arten die nUtzliehe und die angenehme Kunst sind. - Der Stoff, in I welchem das Gesetz des Gemüths ausge­ prägt wird, ist entweder die Welt im Menschen selbst, oder die Welt außer ihm, die unmittelbar oder die mittelbar mit ihm verknüpfte Natur. Die freye Ideenkunst zerfällt daher in die Lebenskunst (deren Arten die Sittenkunst und die Staatskunst sind) und in die darstellende Kunst, deren Defini­ tion schon oben gegeben ist. Die wissenschaftliche Darstellung - ihr Werkzeug mag nun willkührli­ che Bezeichnung oder bildliehe Nachahmung seyn - unterscheidet sich dadurch von der Darstellung der Kunst, daß sie den Stoff, wiewohl sie das Gegebne gleichfalls nach den Gesetzen des darstellen­ den Geistes ordnet, selten wählt, nie bildet, und erfindet. Sie ist mit einem Worte nicht idealisch. Die darstellende Kunst !heilt sich in drey Klassen, je nachdem ihr Ziel das Wahre, das Schöne oder das Gute ist. Von den beyden ersten Klassen wird im Text geredet. Mir scheint aber I auch die Exi­ stenz und spezifische Verschiedenheit der dritten Klasse unläugbar. Es giebt, dünkt mich, idealische

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treflichsten und berühmtesten modernen Gedichte ist philosophisch . Ja die moderne Poesie scheint hier eine gewisse Vollendung, ein Höchstes in ihrer Art erreicht zu haben . Die didaktische Klasse ist ihr Stolz und ihre Zierde; sie ist ihr originellstes Produkt, weder aus verkehrter Nachahmung noch aus irriger Lehre erkünstelt; son­ dern aus den verborgnen Tiefen ihrer ursprünglichen Kraft erzeugt. I Der große Umfang des Charakteristischen in der ganzen aesthetischen Bildung der Modemen offenbart sich auch in andem Künsten . Giebt es nicht eine charakte­ ristische Mahlerey, deren Interesse weder aesthetisch , noch historisch , sondern rein physiognomisch, also philosophisch ; deren Behandlung aber nicht historisch, son­ dern idealisch ist? Sie übertrift sogar an Bestimmtheit der Individualität die I Poe­ sie so unendlich weit, wie sie ihr an Umfang , Zusammenhang und Vollständigkeit nachsteht. Selbst in der Musik hat die Charakteristik individueller Objekte ganz wi­ der die Natur dieser Kunst Überhand genommen . Auch in der Schauspielkunst herrscht das Charakteristische unumschränkt. Ein mimischer Virtuose muß an Or­ ganisazion und Geist gleichsam ein physischer und intellektueller Proteus seyn, I um sich selbst in jede Manier und jeden Charakter, bis auf die individuellsten Züge metamorphosiren zu können . Darüber wird die Schönheit vernachlässigt, der An­ stand oft beleidigt, und der mimische Rhythmus vollends ganz vergessen . Was war natürlicher, als daß das lenkende Prinzipium auch das gesetzgebende? daß das philosophisch Interessante letzter Zweck der Poesie ward? Der isolirende Verstand fängt damit an , daß er das Ganze der Natur trennt und vereinzelt. Unter seiner Leitung geht daher die durchgängige Richtung der Kunst auf treue Nachah­ mung des Einzelnen . Bey höherer intellektueller Bildung wurde also natürlich das Ziel der modernen Poesie originelle und interessante Individualität. Die nackte Nachahmung des Einzelnen ist aber eine bloße Kopistengeschicklichkeit, und keine freye Kunst. Nur durch eine idealische Stellung wird die Charakteristik eines Indi­ viduums zum philosophischen Kunstwerk. Durch diese Anordnung muß das Gesetz des Ganzen aus der Masse klar hervortreten , und sich dem Auge leicht darbie I ten ; der Sinn, Geist, innre Zusammenhang des dargestellten Wesens muß aus ihm selbst hervorleuchten . Auch die charakteristische Poesie kann und soll daher im EinzelDarstellungen in der Poesie, deren Ziel und Tendenz weder sesthetisch noch philosophisch, sondern moralisch ist. Es wäre nicht unbegreiflich, daß die Mittheilung sittlicher Güte - ehedem ein inte­

granter Tbeil der Sokratischen Philosophie - von der Scholastik verscheucht, ihre Zuflucht zur Poe­ sie genommen hätte. Das Medium, durch welches bey den Griechen die Tugend verbreitet, und durch innige Wechselberührung erhöht und vervielfältigt ward, - die Freundschaft oder männl iche Liebe ist so gut als nicht mehr vorhanden. Der sittliche Künstler findet nur noch die idealische Dar­ stellung vor, um den angebohrnen, jedem großen Meister eignen, Künstlertrieb, seine Gabe mitzu­ theilen, seinen Geist im Gemüth seiner Schüler fortzupflanzen, befriedigen zu können. - In einzel­ nen Fällen sind die Gränzen oft sehr schwer zu be i stimmen. Der entscheidende Punkt ist die An­ ordnung des Ganzen. Der bestimmte Gliederbau eines didaktischen Werks läßt sich am wenigsten verkennen. Ist es die gesetzlichfreye Ordnung eines schönen Spiels, so ist das Werk aesthetisch. Der freye Erguß des sittlichen Gefühls, ohne gefällige Rundung und ohne Streben nach gesetzmäßiger Einheit würde in der moralischen Poesie Statt finden, zu welcher ich einige berühmte Deutsche Werke lieber zählen möchte, als zur philosophischen Klasse . Hemsterhuys redet von einer Philoso­ phie, die dem Dithyrambus ähnlich sey. Was versteht er darunter wohl anders, als den freyesten Er­ guß des sittlichen Gefühls, eine Mittheilung großer und guter Gesinnungen? Den Simon dieses Phi­ losophen möchte ich eine Solerarische Poesie nennen. Mir wenigstens scheint die Anordnung des Ganzen weder didaktisch, noch dramatisch, sondern dithyrambisch zu seyn.

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nen das Allgemeine darstellen ; nur ist dieses Allgemeine (das Ziel der Ganzen und das Prinzip der Anordnung der Masse) nicht aesthetisch , sondern didaktisch . Aber selbst die reichhaltigste philosophische Charakteristik ist doch nur eine einzelne Merkwürdigkeit für den Verstand, eine bedingte Erkenntniß, das Stück eines Gan­ zen , welches die strebende Vernunft nicht befriedigt. Der Instinkt der Vernunft strebt stets nach in sich selbst vollendeter Vollständigkeit, und schreitet un­ aufuörlich vom Bedingten zum Unbedingten fort. Das Bedürfniß des Unbedingten und der Vollständigkeit ist der Ursprung und Grund der zweiten Art der didakti­ schen Gattung. Dieß ist die eigentliche philosophische Poesie, welche nicht nur den Verstand , sondern auch die Vernunft interessirt. Ihre eigne natürliche Entwicklung und Fortschreitung führt die charakteristische Poesie zur philosophischen TraglJdie, dem vollkommnen Gegensatze der I aesthetischen Tragödie. Diese ist die Vollen­ dung der schönen Poesie, besteht aus lauter lyrischen Elementen , und ihr endliches Resultat ist die höchste Harmonie. Jene ist das höchste Kunstwerk der didaktischen Poesie, besteht aus lauter charakteristischen Elementen , und ihr endliches Resultat ist die höchste Disharmonie. Ihre Katastrophe ist tragisch ; nicht so ihre ganze Masse: denn die durchgängige Reinheit des Tragischen (eine nothwendige Bedin­ gung der aesthetischen Tragödie) würde der Wahrheit der charakteristischen und philosophischen Kunst Abbruch thun . Es ist hier nicht der Ort, die noch völlig unbekannte Theorie der philosophi­ schen Tragödie umständlich zu entwickeln. Doch sey es vergönnt, den aufgestellten Begriff dieser Dichtart, welche an sich ein so interessantes Phänomen , und ausser­ dem eins der wichtigsten Dokumente für die Charakteristik der modernen Poesie ist, durch ein einziges Beyspiel zu erläutern , welches an Gehalt und vollendetem Zusammenhang des Ganzen bis jetzt das treflichste seiner Art ist. - Man verkennt den Harnlet oft so sehr, daß man ihn stückweise lobt. Eine I ziemlich inkonse­ quente Toleranz, wenn das Ganze wirklich so unzusammenhängend , so sinnlos ist, als man stillschweigend voraussetzt! Ueberhaupt ist in Shakespears Dramen der Zusammenhang selbst zwar so einfach und klar, daß er offnen und unbefangnen Sinnen sichtbar und von selbst einleuchtet. Der Grund des Zusammenhanges aber liegt oft so tief verborgen , die unsichtbaren Bande, die Beziehungen sind so fein , d aß auch die scharfsinnigste kritische Analyse mißglücken muß , wenn es a n Takt fehlt, wenn man falsche Erwartungen mitbringt, oder von irrigen Grundsätzen aus­ geht. Im Harnlet entwickeln sich alle einzelnen Theile nothwendig aus einem ge­ meinschaftlichen Mittelpunkt, und wirken wiederum auf ihn zurück. Nichts ist fremd , überflüssig, oder zufällig in diesem Meisterstück künstlerischer WeisheitS . I Der Mittelpunkt des Ganzen liegt im Charakter des Helden . Durch eine wunder­ bare Situation wird alle Stärke seiner edeln Natur in den Verstand zusammenge­ drängt, die thätige Kraft aber ganz vernichtet. Sein Gemüth trennt sich , wie auf der Folterbank nach entgegengesetzten Richtungen aus einander gerissen ; es zerf"a llt und geht unter im lieberfluß von müßigem Verstand, der ihn selbst noch peinlicher S Es war mir eine angenehme Ueberraschung, diesen vollkommneo Zusammenhang durch das Urtheil eines großen Dichters anerkann t zu sehn. Aeußerst treffend scheint mir alles, was Wilhelm in Göthens Meister darüber und über den Charakter der Ophelia sagt, wahrhaft göttlich seine Erklä­ rung, wie Harnlet wurde. Nur vergesse man auch nicht, was er war.

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drückt, als alle die ihm nahen . Es giebt vielleicht keine vollkommnere Darstellung der unauflöslichen Disharmonie, welche der eigentliche Gegenstand der philosophi­ schen Tragödie6 ist, als ein so gränzenloses Mißverhält I niß der denkenden und der thätigen Kraft, wie in Harnlets Charakter. Der Totaleindruck dieser Tragödie ist ein Maximum der Verzweiflung. Alle Eindrücke, welche einzeln groß und wichtig schienen , verschwinden als trivial vor dem , was hier als das letzte, einzige Resultat alles Seyns und Denkens erscheint; vor der ewigen Kolossalen Dissonanz, welche die Menschheit und das Schicksal unendlich trennt. Im ganzen Gebiete der modernen Poesie ist dieses Drama für den aesthetischen Geschichtsforscher eins der wichtigsten Dokumente. In ihm ist der Geist seines Urhebers am sichtbarsten ; hier ist was über die andem Werke des Dichters nur ein­ zeln zerstreut ist, gleichsam ganz beysammen . Shakespear aber ist unter allen Künstlern deijenige, welcher den I Geist der modernen Poesie überhaupt am voll­ ständigsten und am treffendsten charakterisirt. In ihm vereinigen sich die reizend­ sten Blüthen der Romantischen Phantasie, die gigantische Größe der gothischen Heldenzeit, mit den feinsten Zügen moderner Geselligkeit, mit der tiefsten und reichhaltigsten poetischen Philosophie. In den beyden letzten Rücksichten könnte es zu Zeiten scheinen , er hätte die Bildung unsers Zeitalters antizipirt. Wer übertraf ihn je an unerschöpflicher Fülle des Interessanten? An Energie aller Leidenschaf­ ten? An unnachahmlicher Wahrheit des Charakteristischen? An einziger Originali­ tät? Er umfaßt die eigenthümlichsten aesthetischen Vorzüge der Modemen jeder Art im weitesten Umfange, höchster Treflichkeit und in ihrer ganzen Eigenthüm­ lichkeit, sogar bis auf die exzentrischen Sonderbarkeiten und Fehler, welche sie mit sich führen . Man darf ihn ohne Uebertreibung den Gipfel der modernen Poesie nennen . Wie reich ist er an einzelnen Schönheiten jeder Art! Wie oft berührt er ganz nahe das höchste Erreichbare! In der ganzen Masse der modernen I Poesie entspricht vielleicht nichts dem vollkommnen Schönen so sehr als die liebenswür­ dige Größe, die bis zur Anmuth vollendete Tugend des Brutus im Cäsar. Dennoch wußten viele gelehrte und scharfsinnige Denker nie recht, was sie mit Shakespeare machen sollten . Der inkorrekte Mensch wollte ihren konvenzionellen Theorien gar nicht recht zusagen . Eine unwiderstehliche Sympathie befreundet nehmlich den Kenner ohne Takt und treffenden Blick mit den ordentlichen Dich­ tem , die zu schwach sind, um ausschweifen zu können . Es ist daher wenig mehr als die Mittelmäßigkeit deijenigen Künstler, die weder warm noch kalt sind, wel­ che unter dem Namen der Korrektheit gestempelt und geheiligt worden ist. Das

6 Der Gegenstand des Drama überhaupt ist eine aus Menschheit und Schicksal gemischte Er­ scheinung, welche den größten Gehalt mit der größten Einheit verbindet. Der Zusammenhang des Einzelnen kann auf eine doppelte Weise zu einem unbedingten Ganzen vollendet werden. Entweder wird die Menschheit und das Schicksal in vollkommner Eintracht oder in vollkommnem Streit darge­ stellt. Das letzte ist der Fall in der philosophischen Tragödie. Begebenheit heißt jene gemischte Er­ scheinung, wenn das Schicksal überwiegt. Das Objela der philosophischen TragiJdie ist daher eine tragische Begebenheit, deren Masse und äußre Form I aesthetisch, deren Inhalt und Geist aber phi­ losophisch interessan t ist. Das Bewußtseyn jenes Streites erregt das Gefühl der Ve17.wejflung. Man sollte diesen sittlichen Schmerz über unendlichen Mangel, und unauflöslichen Streit nie mit thie­ rischer Angst verwechseln: wiewohl die letzte im Menschen, wo das Geistige mit dem S innlichen so innigst verwebt ist, sich oft zu jener gesellt.

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gewöhnliche Urtheil, Shakespears Inkorrektheit sündige wider die Regeln der Kunst, ist, um wenig zu sagen , sehr voreilig , so lange noch gar keine objektive Theorie existirt. Ueberdem hat ja noch kaum irgend ein Theoretiker auch nur ver­ sucht, die Gesetze der charakteristischen Poesie und der philosophischen Kunst überhaupt etwas vollständiger zu ent l wickeln. Es ist wahr, Shakespear hat, unge­ achtet der beständigen Protestationen der Regelmäßigkeit, die Menge immer unwi­ derstehlich gefesselt. Dennoch zweifle ich , daß sein philosophischer Geist der Menge eigentlich faßlich seyn könne. Durch seine sinnliche S tärke fortgerissen , von seiner täuschenden Wahrheit ergriffen , und höchstens durch seine uner­ schöpfliche Fülle bezaubert, war es vielleicht nur seine körperliche Masse, bey der sie stehen blieben . Man hat, so scheint es, den richtigen Gesichtspunkt ganz verfehlt. Wer seine Poesie als schöne Kunst beurtheilt, der geräth nur in tiefere Widersprüche, je mehr Scharfsinn er besitzt, je besser er den Dichter kennt. Wie die Natur Schönes und Häßliches durch einander mit gleich üppigem Reichthum erzeugt, so auch Sha­ kespear. Keins seiner Dramen ist in Masse schön ; nie bestimmt Schönheit die An­ ordnung des Ganzen . Auch die einzelnen Schönheiten sind wie in der Natur nur selten von haßliehen Zusätzen rein, und sie sind nur Mittel eines andem Zwecks; sie I dienen dem charakteristischen oder philosophischen Interesse. Er ist oft auch da eckig und ungeschliffen , wo die feinere Rundung am nächsten lag ; nehmlich um dieses höhem Interesse willen . Nicht selten ist seine Fülle eine unauflösliche Ver­ wirrung und das Resultat des Ganzen ein unendlicher Streit. Selbst mitten unter den heitem Gestalten unbefangner Kindheit oder fröhlicher Jugend verwundet uns eine bittre Erinnerung an die völlige Zwecklosigkeit des Lebens, an die voll­ kom mne Leerheit alles Daseyns. Nichts ist so widerlich , bitter, empörend, ekel­ haft, platt und gräßlich , dem seine Darstellung sich entzöge, sobald es ihr Zweck dessen bedarf. Nicht selten entfleischt er seine Gegenstände, und wühlt wie mit anatomischem Messer in der ekelhaften Verwesung moralischer Kadaver. »Daß er den Menschen mit seinem Schicksale auf die freundlichste Weise bekannt mache;« ist daher wohl eine zu weit getriebne Milderung. Ja eigentlich kann man nicht ein­ mal sagen , daß er uns zu der reinen Wahrheit führe. Er giebt uns nur eine einsei­ tige I Ansicht derselben , wenn gleich die reichhaltigste und umfassendste. Seine Darstellung ist nie objektiv, sondern durchgängig manierin: wiewohl ich der erste bin , der eingesteht, daß seine Manier die größte, seine Individualität die interes­ santeste sey , welche wir bis jetzt kennen. Man hat es schon oft bemerkt, daß das originelle Gepräge seiner individuellen Manier unverkennbar und unnachahmlich sey. Vielleicht kann überhaupt das Individuelle nur individuell aufgefaßt und dar­ gestellt werden . Wenigstens scheinen charakteristische Kunst und Manier unzer­ trennliche Gefährten , nothwendige Korrelaten . Unter Manier verstehe ich in der Kunst eine individuelle Richtung des Geistes und eine individuelle Stim­ mung der Sinnlichkeit, welche sich in Darstellungen , die idealisch seyn sollen , äu­ ßern . Aus diesem Mangel der Allgemeingültigkeit, aus dieser Herrschaft des Manierir­ ten , Charakteristischen und Individuellen, erklärt sich von selbst die durchgängige Richtung der Poesie, ja der ganzen aesthetischen Bildung der I Modemen aufs In-

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teressante7• Interessant nehmlich ist jedes originelle Individuum , welches ein größeres Quantum von intellektuellen Gehalt oder aesthetischer Energie enthält. Ich sagte mit Bedacht: ein größeres. Ein größeres nehmlich als das empfangende Indi­ viduum bereits besitzt: denn das Interessante verlangt eine individuelle Empfäng­ lichkeit, ja nicht selten eine momentane Stimmung derselben . Da alle Größen ins Unendliche vermehrt werden können , so ist klar, warum auf diesem Wege nie eine vollständige Befriedigung erreicht werden kann; warum es kein höchstes Interes­ santes giebt. Unter den verschiedensten For l men und Richtungen , in allen Graden der Kraft äußert sich in der ganzen Masse der modernen Poesie durchgängig das­ selbe Bedürfniß nach einer vollständigen Befriedigung, ein gleiches Streben nach einem absoluten Maximum der Kunst. Was die Theorie versprach , was man in der Natur suchte, in jedem einzelnen Idol zu finden hoffte; was war es anders als ein aesthetisches Höchstes ? Je öfter das in der menschlichen Natur gegründete Verlangen nach vollständiger Befriedigung durch das Einzelne und Veränderliche (auf deren Darstellung die Kunst bisher ausschließend gerichtet war) getäuscht wurde, je heftiger und rastloser ward es. Nur das Allgemeingültige, Beharrliche und Nothwendige - das Objektive kann diese grosse Lücke ausfüllen ; nur das Schöne kann diese heiße Sehnsucht stillen . Das Schöne (ich stelle dessen Begriff hier nur problematisch auf, und lasse dessen wirkliche Gültigkeit und Anwendbar­ keit für jetzt unentschieden) ist der allgemeingültige Gegenstand eines uninteres­ sirten Wohlgefallens, welches von dem Zwange des I Bedürfnisses und des Geset­ zes gleich unabhängig , frey und dennoch nothwendig, ganz zwecklos und dennoch unbedingt zweckmäßig ist. Das Uebermaß des Individuellen führt also von selbst zum Objektiven , das Interessante ist die Vorbereitung des Schönen , und das letzte Ziel der modernen Poesie kann kein andres seyn als das höchste Schöne, ein Ma­ ximum von objektiver aesthetischer Vollkommenheit. In diesem zweyten Berührungspunkte treffen von neuem die verschiedenen Ströme, in die sich die moderne Poesie seit ihrem Ursprunge spaltete, alle zusam­ men . Die Künstlichkeit ihrer Bildung enthielt den Grund ihrer Eigenschaften , und wenn die Richtung und das Ziel ihrer Laufbahn den Zweck ihrer Bestrebungen be­ greiflich macht, so wird der Sinn ihrer ganzen Masse vollständig erklärt, und unsre Frage beantwortet seyn . Die Herrschaft des Interessanten ist durchaus nur eine vorübergehende Krise des Geschmacks: denn sie muß sich endlich selbst vernichten . Doch sind die zwey Katastrophen, unter denen sie zu wählen hat, von sehr ver I schiedner Art. Geht die Richtung mehr auf aesthetische Energie, so wird der Geschmack, der alten Reize je mehr und mehr gewohnt, nur immer heftigere und schärfere begehren . Er wird schnell genug zum Piquanten und Frappanten übergehn . Das Piquante ist, was eine stumpfgewordne Empfindung krampfhaft reizt; das Frappante ist ein ähnlicher Sta­ chel für die Einbildungskraft. Dieß sind die Vorboten des nahen Todes. Das Fade -

7 Auch wo das Schöne am lautesten genann t wird , findet man bey genauer Analyse i m Hinter­ grunde gemeiniglich nur das Interessan te. So lange man den Künstler nicht nach dem Ideale der Schönheit, sondern nach dem Begriff der Vinuositllt würdigt, sind Kraft und Kunst nur rwey ver­ schiedene Ansichten eines und desselben Prinzips der aesthetischen Würdigung, und die Anhänger der Korre/aheit und der genialischen Originalitilt sind nicht durch das Prinzip, sondern nur durch die Direktion ihrer Kritik aufs Positive oder aufs Negative verschieden.

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ist die dünne Nahrung des ohnmächtigen , und das Choquante, sey es abentheuer­ lich , ekelhaft oder gräßlich , die letzte Konvulsion des sterbenden Geschmacks8 • Wenn hingegen philosophischer Gehalt in der Tendenz des Geschmacks das Ueber­ gewicht hat, und die Natur stark genug ist, auch den heftigsten Erschütte I rungen nicht zu unterliegen : so wird die strebende Kraft, nachdem sie sich in Erzeugung einer übermäßigen Fülle des Interessanten erschöpft hat, sich gewaltsam ermannen , und zu Versuchen des Objektiven übergehn . Daher ist der echte Geschmack in un­ serm Zeitalter weder ein Geschenk der Natur noch eine Frucht der Bildung allein , sondern nur unter der Bedingung großer sittlicher Kraft und fester Selbstständigkeit möglich . * * *

Die erhabne Bestimmung der modernen Poesie -ist also nichts geringeres als das höchste Ziel jeder möglichen Poesie, das Größte was von der Kunst gefordert wer­ den , und wonach sie streben kann. Das unbedingt Höcl:lste kann aber nie ganz er­ reicht werden . Das äußerste, was die strebende Kraft vermag, ist: sich diesem un­ erreichbaren Ziele immer mehr und mehr zu nähern . Und auch diese endlose An­ näherung scheint nicht ohne innere Widersprüche zu seyn , die ihre Möglichkeit zweifelhaft machen . Die Rückkehr I von entarteter Kunst zur echten, vom ver­ derbten Geschmack zum richtigen scheint nur ein plötzlicher Sprung seyn zu kön­ nen , der sich mit dem steten Fonschreiten, durch welches sich jede Fertigkeit zu entwickeln pflegt, nicht wohl vereinigen läßt. Denn das Objektive ist unveränder­ lich und beharrlich : sollte also die Kunst und der Geschmack je Objektivität errei­ chen , so müßte die aesthetische Bildung gleichsam jixin werden . Ein absoluter Stillstand der aesthetischen Bildung läßt sich gar nicht denken. Die moderne Poesie wird sich also immer verändern . Kann sie sich aber nicht eben so wohl wiederum rückwlins von dem Ziele entfernen? Kann sie dieß nicht auch dann noch , wenn sie schon eine bessere Richtung genommen hatte? Sind also nicht alle menschliche Bemühungen fruchtlos? - Schon im Einzelnen ist ja das Schöne eine Gunst der Natur. Wie viel mehr wird es in der Masse immer von einem einzigen Zusammen­ fluß seltner Umstände abhängen , welchen der Mensch nicht einmal zu lenken, ge­ schweige denn hervorzubringen vermag? Ue I berhaupt können die Ansprüche an die Selbstthätigkeit der Masse, so scheint es, nie mäßig genug seyn . Ihre Bildung, ihre Fortschritte und ihr endliches Gelingen bleiben - trauriges Loos! - dem Zufall überlassen . Alle bessere Menschen hassen den Zufall und sein Gefolge in j eder Gestalt. Jene große Aufgabe des Schicksals muß gleichsam ein mächtiges Aufgebot der Aufmerksamkeit und Thätigkeit für alle die seyn , welche die Poesie interessirt. Mag die Hoffnung noch so gering, die Auflösung noch so schwer seyn : der Ver­ such ist nothwendig! Wer hier gleichgültig und faul bleibt, dem liegt nichts an der Würde der Kunst und der Menschheit. Was hilft die Höhe der Bildung ohne eine feste Grundlage? Was Kraft ohne eine sichre Richtung , ohne Ebenmaß und Gleich8 Das Choquante hat drey Unterarten: was die Einbildungskraft revoltirt - das Abentheuerliche; die Sinne empört - das Ekelhafte; und was das Gefühl peinigt und martert - das Grllßliche. Diese natürliche Entwicklung des Interessanten erklärt sehr befriedigend den verschiedenen Gang der bessern und gemeinen Kunst. was

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gewicht? Was ein Chaos einzelner schöner Elemente ohne eine vollständige, reine Schönheit? Nur die gewisse Aussicht auf eine günstige Katastrophe der Zukunft könnte uns über den jetzigen Zustand der aesthetischen Bildung befriedigen und be­ ruhigen. I Wahr ists, der Gang der modernen Bildung, der Geist unsres Zeitalters und der Deutsche Nazionalcharakter insbesondre scheinen der Poesie nicht sehr günstig! »Wie geschmacklos sind doch , könnte vielleicht mancher denken , alle Einrichtun­ gen und Verfassungen ; wie unpoetisch alle Gebräuche, die ganze Lebensart der Modemen ! Ueberall herrscht schwerfällige Formalität ohne Leben und Geist, lei­ denschaftliche Verwirrung und häßlicher Streit. Umsonst sucht mein Blick hier eine freye Fülle, eine leichte Einheit. - Heißt es, die edle Kraft der Deutschen Vorväter verkennen , wenn man Zweifel hegt, ob die Gothen gebohrne Dichter wa­ ren? Oder war auch das barbarische Christenthum der Mönche eine schöne Reli­ gion? Tausend Beweise rufen euch einstimmig zu: Prosa ist die eigentliche Natur der Modemen . Früherhin ist in der modernen Poesie doch wenigstens gigantische Kraft und fantastisches Leben. Bald aber wurde die Kunst das gelehrte Spielwerk eitler Virtuosen . Die Lebenskraft jener heroischen Zeit war nun verloschen , der Geist entflohn; I nur der Nachhall des ehemaligen Sinns blieb zurück. Was ist die Poesie der spätem Zeit, als ein Chaos aus dürftigen Fragmenten der Romantischen Poesie, ohnmächtigen Versuchen höchster Vollkommenheit, welche sich mit wäch­ sernen Flügeln in grader Richtung gen Himmel schwingen , und aus verunglückten Nachahmungen misverstandner Muster? So flickten Barbaren aus schönen Frag­ menten einer bessern Welt Gothische Gebäude zusammen . So fertigt der Nordische Schüler mit eisernem Fleiß mühsam nach der Antike steinerne Gemählde! - Die Menschheit blühte nur einmal und nicht wieder. Diese Blüthe war die schöne Kunst. Im herben Winter läßt sich ja kein künstlicher Frühling erzwingen. Der all­ gemeine Geist des Zeitalters ist überdem aufgelöste Erschlaffung und S ittenlosig­ keit. Ihr seyd schlecht, und wollt schön scheinen? Euer Innres ist wurmstichig und euer Aeußres soll rein seyn? Widersinniges Beginnen ! Wo der Charakter entmannt ist, wo es keine eigentliche sittliche Bildung giebt, da sinkt die Kunst natürlich zu einem niedrigen Kitzel zer I flossener Ueppigkeit herab. - Am hoffnungslosesten ist das Loos der Deutschen Poesie! Unter den Engländern und Franzosen haben doch wenigstens die Darstellungen des geselligen Lebens ursprüngliche Wahrheit, eigne Bestandheit, lebendigen Sinn und echte Bedeutung. Der Deutsche hingegen kann nicht darstellen , was er gar nicht hat; wenn er es versucht, fällt er in überspannte Träumereyen oder in Frost. Zwar entfernt auch den Engländer die eckige Unge­ schliffenheit, der stumpfe Trübsinn , die eiserne Hartnäckigkeit; den Franzosen die flache Heftigkeit, der seichte Ungestüm, die abgeschliffne Leerheit ihres einseiti­ gen Nazionalcharakters weit genug vom vollkommneo Schönen . Den charakterlo­ sen Deutschen macht aber die kleinliche Umständlichkeit, die verworme Schwer­ fälligkeit, die uralte bedächtliche Langsamkeit seines Geistes zu den leichten Spie­ len der freyen Kunst vollends ganz unfähig. Einzelne Ausnahmen beweisen nichts fürs Ganze. Giebt es auch in Deutschland hie und da Geschmack, so gab es auch noch unter dem Nero Römer.« I In solchen und noch schwärzem historischen Rembrants schildert man mit Farben der Hölle - zwar nicht ohne feyerliches Pathos im Vortrag , aber eigentlich

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leichtsinnig genug - den Geist großer Völker, eines merkwürdigen Zeitalters. Jeder einzelne Zug dieser Darstellung kann wahr seyn , oder doch etwas Wahres enthalten (wenn aber die Züge nicht vollständig sind , wenn der Zusammenhang fehlt, so ist das Ganze dennoch falsch . - So ist die höchste aesthetische Erschlaffung in dem Zusammenhange unsres Zeitalters ein offenbar ganstiges Symptom der vorüberge­ henden wohlthätigen Krise des Interessanten , welcher nur die schwache Natur un­ terliegt. Diese Erschlaffung entspringt aus dem gewaltsamsten oft überspannten Streben ; daher steht so oft die größte Kraft dicht neben ihr. Der Fall ist natürlich der Höhe, die Erschlaffung der Anspannung gleich . Die Sittenlosigkeit mag von der Masse wahr seyn) doch würde sie die Fortschritte des Geschmacks schwerlich hemmen , welche der sittlichen Bildung leicht zuvoreilen könnten . Der Geschmack ist ungleich freyer I von äußrer Gewalt und von verderblicher Ansteckung . Die sittliche Bildung auch der Einzelnen wird durch die verführerische Gewalt der Masse viel leichter fortgerissen , durch allgemeinherrschende Vorortheile erstickt, durch äußre Einrichtungen jeder Art gefesselt. Es kann auch nicht von einem glücklichen Nazionalcharakter allein abhängen , ob die Poesie der Modemen ihre hohe Bestimmung erreichen werde oder nicht: denn ihre Bildung ist künstlich . Der bessere Geschmack der Modemen soll nicht ein Geschenk der Natur, sondern das selbstständige Werk ihrer Freyheit seyn . Wenn nur Kraft da ist, so wird es der Kunst endlich gelingen können , die Einseitigkeit derselben zu berichtigen und die höchste Gunst der Natur zu ersetzen . An aesthetischer Kraft fehlt es aber den Mo­ dernen nicht, wenn ihr gleich noch eine weise Führung fehlt. Gewiß ihre poetische Anlage ließe sich wohl in Schutz nehmen . Oder ist die Natur auch gegen die Italiä­ ner karg gewesen? Es sind bey den Deutschen noch Erinnrungen übrig , daß der Deutsche Geschmack später gebildet wurde. So I weit sie andern kultivirten Na­ zionen Europa' s im Einzelnen übertreffen , so weit stehn sie in Masse zurück. An­ spruchslose Erfindsamkeit und bescheidne Kraft aber sind ursprüngliche charakteri­ stische Züge dieser Nazion , die sich oft selbst verkennt. Die berüchtigte Deutsche Nachahmungssucht mag hie und da wirklich den Spott verdienen , mit dem man sie zu brandmarken pflegt. Im Ganzen aber ist Vielseitigkeit ein echter Fortschritt der aesthetischen Bildung , und ein naher Vorbote der Allgemeingültigkeit. Die soge­ nannte Charakterlosigkeit der Deutschen ist also dem manierieten Charakter andrer Nazionen weit vorzuziehen , und erst, wenn die nazionale Einseitigkeit ihrer aesthetischen Bildung mehr verwischt, und berichtigt seyn wird , können sie sich zu der höhem Stufe jener Vielseitigkeit erheben. Der Charakter der aesthetischen Bildung unsres Zeitalters und unsrer Nazion verräth sich selbst durch ein merkwürdiges und großes Symptom. Göthens Poesie ist die Morgenröthe echter Kunst und reiner Schönheit. I Die sinnliche Stärke, welche ein Zeitalter, ein Volk mit sich fortreißt, war der kleinste Vorzug, mit dem schon der Jüngling auftrat. Der philosophische Gehalt, die charakteristische Wahr­ heit seiner spätem Werke durfte mit dem unerschöpflichen Reichthum des Sha­ kespear verglichen werden . Ja wenn der Faust vollendet wäre, so würde er wahr­ scheinlich den Hamlet, das Meisterstück des Engländers, mit welchem er gleichen Zweck zu haben scheint, weit übertreffen . Was dort nur Schicksal , Begebenheit Schwäche ist, das ist hier Gemüth, Handlung - Kraft. Harnlets Stimmung und Richtung nehmlich ist ein Resultat seiner äußern Lage; Fausts ähnliche Richtung ist -

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ursprünglicher Charakter. - Die Vielseitigkeit des darstellenden Vermögens dieses Dichters ist so gränzenlos, daß man ihn den Proteus unter den Künstlern nennen , und diesem Meergotte gleich stellen könnte, von dem es heißt: »Erstlich ward er ein Leu mit fürchterlich wallender Mähne. Floß dann als Wasser dahin , und rauscht als Baum in den Wolken ; « I Man kann daher den mystischen Ausdruck der richtigen Wahrnehmung allenfalls verzeihen , wenn einige Liebhaber ihm eine gewisse poetische Allmacht beylegen , welcher nichts unmöglich sey; und sich in scharfsinnigen Abhandlungen über seine Einzigkeil erschöpfen . Mir scheint es, daß dieser raffinirte Mysticismus den richtigen Gesichtspunkt verfehle; daß man Göthen sehr Unrecht thue, wenn man ihn auf diese Weise in einen Deutschen Shakespear metamorphosirt. In der charakteristischen Poesie würde der manierirte Engländer vielleicht doch den Vorzug behaupten . D as Ziel des Deutschen ist aber das Objektive. Das Schöne ist der wahre Maßstab , seine lie­ benswürdige Dichtung zu würdigen . - Was kann reizender seyn als die leichte Fröhlichkeit, die ruhige Heiterkeit seiner Stimmung? Die reine Bestimmtheit, die zarte Weichheit seiner Umrisse? Hier ist nicht bloß Kraft, sondern auch Ebenmaß und Gleichgewicht! Die Grazien selbst verriethen ihrem Lieblinge das Geheimniß einer schlJnen Stellung. Durch einen wohlthätigen Wechsel von Ruhe und Bewe­ gung weiß er das I reizendste Leben über das Ganze gleichmäßig zu verbreiten , und in einfachen Massen ordnet sich die freye Fülle von selbst zu einer leichten Einheit. Er steht in der Mitte zwischen dem Interessanten und dem Schönen, zwischen dem Manierirren und dem Objektiven. Es darf uns daher nicht befremden , daß in einigen wenigen Werken seine eigne Individualität noch zu laut wird , daß er in vielen andern sich nach Laune metamorphosirt, und fremde Manier annimmt. Dieß sind gleichsam übriggebliebene Erinnerungen an die Epoche des Charakteristischen und Individuellen . Und doch weiß er, so weit dieß möglich ist, selbst in die Manier eine Art von Objektivität zu bringen . So gefällt er sich auch zu Zeiten in geringfü­ gigem Stoff, der hie und da so dünne und gleichgültig wird , als ginge er ernstlich damit um - wie es ein leeres Denken ohne Inhalt giebt - ganz reine Gedichte ohne allen Stoff hervorzubringen . In diesen Werken ist der Trieb des Schönen gleichsam müssig ; sie sind ein reines I Produkt des Darstellungstriebes allein. Fast könnte es scheinen , als sey die Objektivität seiner Kunst nicht angebohrne Gabe allein , son­ dern auch Frucht der Bildung ; die Schönheit seiner Werke hingegen eine unwill­ kührliche Zugabe seiner ursprünglichen Natur. Er ist im Fröhlichen wie im Rüh­ renden immer reizend ; so oft er will , schön ; seltner erhaben . Seine rührende Kraft streift hie und da, aus ungestümer Heftigkeit ans Bittre und Empörende, oder aus mildernder Schwächung ans Matte. Gewöhnlich aber ist hinreissende Kraft mit weiser Schonung aufs glücklichste vereinigt. - Wo er ganz frey von Manier ist, da ist seine Darstellung wie die ruhige und heitre Ansicht eines höhern Geistes, der keine Schwäche theilt, und durch kein Leiden gestört wird , sondern die reine Kraft allein ergreift und für die Ewigkeit hinstellt. Wo er ganz er selbst ist, da ist der Geist seiner reizenden Dichtung liebliche Fülle und hinreissende Anmuth. Dieser grosse Künstler eröffnet die Aussicht auf eine ganz neue Stufe der aestheti l schen Bildung. Seine Werke sind eine unwiderlegliche Beglaubigung , daß

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das Objektive möglich , und die Hoffnung des Schönen kein leerer Wahn der Ver­ nunft sey . Das Objektive ist hier wirklich schon erreicht, und da die nothwendige Gewalt des Instinkts jede stärkere aesthetische Kraft (die sich nicht selbst aufreibt) aus der Krise des Interessanten dahin führen muß: so wird das Objektive auch bald allgemeiner, es wird öffentlich anerkannt, und durchgängig herrschend werden . Dann hat die aesthetische Bildung den entscheidenden Punkt erreicht, wo sie sich selbst überlassen nicht mehr sinken , sondern nur durch äußre Gewalt in ihren Fort­ schritten aufgehalten , oder (etwa durch eine physische Revoluzion) völlig zerstört werden kann. Ich meyne die große moralische Revoluzion , durch welche die Freyheit in ihrem Kampfe mit dem Schicksal (in der Bildung) endlich ein entschie­ denes Uebergewicht über die Natur bekommt. Dieß geschieht in dem wichtigen Moment, wenn auch im bewegenden Prinzip, in der Kraft der Masse die Selbstthä­ tigkeit herrschend I wird : denn das lenkende Prinzip der künstlichen Bildung ist ohnehin selbstthätig. Nach jener Revolution wird nicht nur der Gang der Bildung , die Richtung der aesthetischen Kraft, die Anordnung der ganzen Masse des ge­ meinschaftlichen Produkts nach dem Zweck und Gesetz der Menschheit sich be­ stimmen ; sondern auch in der vorhandneo Kraft und Masse der Bildung selbst wird das Menschliche das Uebergewicht haben . Wenn die Natur nicht etwa Verstärkung bekommt, wie durch eine physische Revoluzion , die freylich alle Kultur mit einen Streich vernichten könnte: so kann die Menschheit in ihrer Entwicklung ungestört fortschreiten . Die künstliche Bildung kann dann wenigstens nicht wie die natürliche in sich selbst zurücksinken . - Es ist auch kein Wunder, daß die Freyheit in jenem harten Kampf endlich den Sieg davon trägt, wenn gleich die Ueberlegenheit der Natur im Anfange der Bildung noch so groß seyn mag. Denn die Kraft des Men­ schen wächst mit verdoppelter Progression , indem jeder Fortschritt nicht nur größere Kräfte gewährt, sondern auch neue I Mittel zu fernem Fortschritten an die Hand giebt. Der lenkende Verstand mag sich , so lange er unerfahren ist, noch so oft selbst schaden : es muß eine Zeit kommen , wo er alle seine Fehler reichlich er­ setzen wird . Die blinde Uebermacht muß endlich dem verständigen Gegner unter­ liegen . - Nichts ist überhaupt so einleuchtend als die Theorie der Perfektibilität. Der reine Satz der Vernunft von der nothwendigen unendlichen Vervollkommnung der Menschheit ist ohne alle Schwierigkeit. Nur die Anwendung auf die Geschichte kann die schlimmsten Mißverständnisse veranlassen , wenn der Blick fehlt, den ei­ gentlichen Punkt zu treffen , den rechten Moment wahrzunehmen , das Ganze zu übersehn. Es ist immer schwer, oft unmöglich, das verworme Gewebe der Erfah­ rung in seine einfachen Fäden aufzulösen , die gegenwärtige Stufe der Bildung richtig zu würdigen , die nächstkommende glücklich zu errathen . Den Gang und die Richtung der modernen Bildung bestimmen herrschende Begriffe. Ihr Einfluß ist also unendlich wich I tig , ja entscheidend. Wie es in der modernen Masse nur wenige Bruchstücke echter sittlicher Bildung giebt, morali­ sche Vorortheile aber statt großer und guter Gesinnungen allgemein herrschen : so giebt es auch aesthetische Vorurtheile, welche weit tiefer gewurzelt, allgemeiner verbreitet, und ungleich schädlicher sind, als es dem ersten flüchtigen Blick schei­ nen möchte. Der allmählige und langsame Stufengang der Entwicklung des Ver­ standes führt nothwendiger Weise einseitige Meynungen mit sich . Diese enthalten zwar einzelne Züge der Wahrheit; aber die Züge sind unvollständig und aus ihrem

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eigentlichen Zusammenhang gerissen , und dadurch der Gesichtspunkt verrückt, das Ganze zerstört. Solche Vorurtheile sind zuweilen zu ihrer Zeit gewissermaßen nützlich , und haben eine lokale Zweckmäßigkeit. So wurde durch den orthodoxen Glauben, daß es eine Wissenschaft gebe, die allein zureichend sey, schöne Werke zu verfertigen , doch das Streben nach dem Objektiven aufrecht, und standhaft er­ halten ; und das System der aesthetischen Anarchie diente we I nigstens dazu , den Despotismus der einseitigen Theorie zu desorganisiren . Gefahrlicher und schlechthin verwerflich sind aber andre aesthetische Vorurtheile, welche die fer­ nere Entwicklung selbst hemmen . Es ist die heiligste Pflicht aller Freunde der Kunst, solche Irrthümer, welche der natürlichen Freiheit schmeicheln , und die Selbstkraft lähmen , indem sie die Hoffnungen der Kunst als unmöglich , die Bestre­ bungen derselben als fruchtlos darstellen , ohne Schonung zu bekämpfen , ja wo möglich ganz zu vertilgen . So denken viele: •Schöne Kunst sey gar nicht Eigenthum der ganzen Mensch­ heit; am wenigsten eine Frucht künstlicher Bildung. Sie sey die unwillkührliche Ergießung einer günstigen Natur; die lokale Frucht des glücklichsten Klima; eine momentane Epoche, eine vorübergehende Blüthe, gleichsam der kurze Frühling der Menschheit. Da sey schon die Wirklichkeit selbst edel, schön und reizend , und die gemeinste Volkssage ohne alle künstliche Zubereitung bezaubernde Poesie. Jene frische Blüthe der j ugendlichen Phantasie, jene mäch I tige und schnelle Elasticität, jene höhere Gesundheit des Gefühls könne nicht erkünstelt, und einmal zerrüttet nie wieder geheilt werden . Am wenigsten unter der Nordischen Härte eines trüben Himmels, der Barbarey gothischer Verfassungen , dem Herzensfrost gelehrter Vielwisserey. " Vielleicht kann dieß unter manchen Einschränkungen , wenigstens für einen Theil der bildenden Kunst gelten . Es scheint in der That daß für schöne Plastik der Mangel einer glücklichen Organisazion , und eines günstigen Klima ' s weder durch einen gewaltsamen Schwung der Freyheit, noch durch die höchste Bildung ersetzt werden könne. Mit Unrecht und wider alle Erfahrung dehnt man dieß aber auch auf die Poesie aus. Wie viel große Barden und glückliche Dichter gab es nicht un­ ter allen Zonen , deren ursprüngliche Feuerkraft durch die ausgesuchteste Unter­ drückung nicht erstickt werden konnte? Die Poesie ist eine universelle Kunst: denn ihr Organ , die Phantasie ist schon ungleich näher mit der Freyheit verwandt, und unabhängiger von I äußerm Einfluß. Poesie und poetischer Geschmack ist daher weit korruptibler, wie der plastische, aber auch unendlich perfektibler. Allerdings ist die frische Blüthe der jugendlichen Phantasie ein köstliches Geschenk der Natur und zugleich das flüchtigste. Schon durch einen einzigen giftigen Hauch entfarbt sich das Kolorit der Unschuld , und welkend senkt die schöne Blume ihr Haupt. Aber auch dann, wenn die Phantasie schon lange durch Vielwisserey erdrückt und abgestumpft, durch Wollust erschlafft und zerrüttet worden ist, kann sie sich durch einen Schwung der Freyheit und durch echte Bildung von neuem emporschwingen , und allmählig vervollkommnen 9 • Stärke, Feuer, Elastizität kann sie völlig wieder 9 Ueberhaupt ist die moralische Heilkraft der menschlichen Natur wunderbar stark, und dem sonderbaren organischen Vennögen einiger Thierarten nicht ganz unähnlich, deren zähe Lebenskraft auch entrißne G lieder wieder ersetzt und nachtreibt.

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erreichen ; nur das frische Kolorit, der romantische Duft jenes Frühlings kehrt im Herbst nicht leicht zurück. I Sehr allgemein verbreitet ist ein andres Vorurtheil , welches der schönen Kunst sogar alle selbstständige Existenz, alle eigenthümliche Bestandheit völlig abspricht; ihre spezifische Verschiedenheit ganz leugnet. Ich fürchte, wenn gewisse Leute laut dächten , es würden sich viele Stimmen erheben : »Die Poesie sey nichts andres als die sinnbildliche Kindersprache der jugendlichen Menschheit: nur Vorübung der Wissenschaft, Hülle der Erkenntniß, eine überflüssige Zugabe des wesentlich Guten und Nützlichen . Je höher die Kultur steige, desto unermeßlicher verbreite sich das Gebiet der deutlichen Erkenntniß ; das eigentliche Gebiet der Darstellung - die Dämmerung schrumpfe vor dem einbrechendem Licht immer enger zusammen . Der helle Mittag der Aufklärung sey nun da. Poesie - diese artige Kinderey sey für das letzte Jahrzehend unsres philosophischen Jahrhunderts nicht mehr anständig. Es sey endlich einmal Zeit, damit aufzuhören . • S o hat man einen einzelnen Bestandtheil der schönen Kunst, einen vorüberge­ henden Zu I stand derselben in einer frühem Stufe der Bildung mit ihrem Wesen selbst verwechselt. So lange die menschliche Natur existirt, wird der Trieb zur Darstellung sich regen , und die Forderung des Schönen bestehen . Die nothwendige Anlage des Menschen , welche, so bald sie sich frey entwickeln darf, schöne Kunst erzeugen muß, ist ewig. Die Kunst ist eine ganz eigenthümliche Thätigkeit des menschlichen Gemüths, welche durch ewige Grlinzen von jeder andern geschieden ist. - Alles menschliche Thun und Leiden ist ein gemeinschaftliches Wechselwirken des Gemüths und der Natur. Nun muß entweder die Natur oder das Gemüth den letzten Grund des Daseyns eines gemeinschaftlichen einzelnen Produkts enthalten , oder den ersten bestimmenden Stoß zu dessen Hervorbringung geben . Im ersten Fall ist das Resultat Erkenntniß. Der Charakter des rohen Stofs bestimmt den Cha­ rakter der aufgefaßten M annichfaltigkeit, und veranlaßt das Gemüth , diese Man­ nichfaltigkeit zu einer bestimmten Einheit zu verknüpfen , und in einer bestimmten Richtung I die Verknüpfung fortzusetzen , und zur Vollständigkeit zu ergänzen. Erkenntniß ist eine Wirkung der Natur im Gemüth . - Im zweyten Fall hingegen muß das freye Vermögen sich selbst eine bestimmte Richtung geben , und der Cha­ rakter der gewählten Einheit bestimmt den Charakter der zu wählenden Mannich­ faltigkeit, die jenem Zwecke gemäß gewählt, geordnet und wo möglich gebildet wird . Das Produkt ist ein Kunstwerk und eine Wirkung des Gemüths in der Natur. Zur darstellenden Kunst gehört jede Ausführung eines ewigen menschlichen Zwecks im Stoff der äußern mit dem Menschen nur mittelbar verbundneo Natur. Es ist nicht zu besorgen , daß dieser Stoff je ausgehn, oder daß die ewigen Zwecke je aufhören werden , Zwecke des Menschen zu seyn . - Nicht weniger ist die Schön­ heit durch ewige Gränzen von allen übrigen Theilen der menschlichen Bestimmung geschieden . Die reine Menschheit (ich verstehe darunter hier die vollständige Be­ stimmung der menschlichen Gattung) ist nur eine und dieselbe, ohne alle Theile. In I ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit aber theilt sie sich nach der ewigen Ver­ schiedenheit der ursprünglichen Vermögen und Zustände, und nach den besondern Organen , welche diese erfordern , in mehrere Richtungen . Wenn ich hier voraus­ setzen darf, daß das Ge.fühlsvermlJgen vom Vorstellungsvermögen und Begeh­ rungsvermögen spezifisch verschieden sey; daß ein mittlerer Zustand zwischen dem

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Zwang des Gesetzes und des Bedürfnisses, ein Zustand des freyen Spiels, und der bestimmungslosen Bestimmbarkeit in der menschlichen Natur eben so nothwendig sey, wie der Zustand gehorsamer Arbeit, und beschränkter Bestimmtheit: so ist auch die Schönheit eine dieser Richtungen und von ihrer Gattung - der ganzen Menschheit, wie von ihren Nebenarten - den übrigen ursprünglichen Bestandtheilen der menschlichen Aufgabe, spezifisch verschieden. Aber nicht bloß die Anlage zur Kunst und das Gebot der Schönheit sind phy­ sisch und moralisch nothwendig ; auch die Organe der schönen Kunst versprechen Dauer. Es muß I doch wohl nicht erst erwiesen werden , daß der Schein ein unzer­ trennlicher Gefährte des Menschen sey? Den Schein der Schwäche, des Irrthums, des Bedürfnisses mag das Licht der Aufklärung immerhin zerstören : der freye Schein der spielenden Einbildungskraft kann darunter nicht leiden . Nur muß man der generellen Forderung der Darstellung und Erscheinung nicht eine spezielle Art der Bildlichkeit unterschieben ; oder die gewaltsamen Ausbrüche der furchtbaren Leidenschaften wilder Naturmenschen mit dem Wesen der Poesie verwechseln . Allerdings ist es sehr natürlich und begreiflich , daß auf einer gewissen mittlem Höhe der künstlichen Bildung Grübeley und Vielwisserey , jene leichten Spiele der Einbildungskraft, lähme und erdrücke, Verfeinerung und Verzärtelung das Gefühl abschleife und schwäche. Durch den Zwang unvollkommner Kunst wird die Kraft des Triebes abgestumpft, seine Regsamkeit gefesselt, seine einfache Bewegung zerstreut und verwirrt. Die Sinnlichkeit und Geistigkeit ist aber im Menschen so innig verwebt, daß ihre Entwicklung zwar I wohl in vorübergehenden Stufen , aber auch nur in diesen divergiren kann. In Masse werden sie gleichen Schritt halten , und der vernachläßigte Theil wird über kurz oder lang das versäumte nachhohlen . Es hat in der That den größten Anschein, daß der Mensch mit der wachsenden Höhe wahrer Geistesbildung auch an Stärke und Reizbarkeit des Gefühls, also an echter fisthetischer Lebenskraft (Leidenschaft und Reiz) eher gewinne als ver­ liehre. Unbegreiflich scheint es, wie man sich habe überreden können , die Italiänische und Französische Poesie, und wohl gar auch die Engländische und Deutsche habe ihr goldnes Zeitalter schon gehabt. Man mißbrauchte diesen Namen so sehr, daß eine fürstliche Protekzion, eine Zahl berühmter Namen , ein gewisser Eifer des Pu­ blikums, und allenfalls ein höchster Gipfel in einer Nebensache hinlängliche An­ sprüche dazu schienen . Nur war dabey schlimm, daß für das unglückliche silberne, eiserne, und bleyerne Jahrhundert nichts übrig blieb , als das traurige Loos , jenen ewigen Mustern aus I allen Kräften vergeblich nachzustreben . Wie kann vom vo/1kommnen Styl da auch nur die Frage seyn , wo es eigentlich gar keinen Styl , son­ dern nur Manier giebt? Im strengsten Sinne des Worts hat auch nicht ein einziges modernes Kunstwerk, geschweige denn ein ganzes Zeitalter der Poesie den Gipfel ästhetischer Vollendung erreicht. Die stillschweigende Voraussetzung , welche da­ bey zum Grunde lag: daß es die Bestimmung der ästhetischen Bildung sey, wie eine Pflanze oder ein Thier zu entstehen , allmählig sich zu entwickeln , dann zu rei­ fen , wieder zu sinken , und endlich unterzugehen , - im ewigen Kreislauf immer endlich dahin zurückzukehren , von wo ihr Weg zuerst ausgieng; diese Vorausset­ zung beruht auf einem bloßen Mißverständnisse, auf dessen tiefliegenden Quell wir in der Folge stoßen werden .

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Bey der Entwicklung einer so kotossalischen und künstlich organisirten Masse, wie das Europäische Völkersystem, darf ein parzialer Stillstand , oder hie und da ein scheinbarer Rückgang der Bildung nicht außerordentlich schei I nen . Doch ist wahrscheinlich auch da, wo man gewiß glaubt, die Katastrophe sey vdrüber, und die ästhetische Kraft auf immer erloschen , das Drama bey weitem goch nicht geen­ digt. Vielmehr scheint die Kraft da wie ein Feuer unter der Asche zu glimmen , und nur den günstigen Augenblick zu erwarten , um in eine helle Flamme aufzulodern . Es ist wahrhaft wunderbar, wie in unserm Zeitalter das Bedürfniß des Objektiven sich allenthalben regt; wie auch der Glaube an das Schöne wieder erwacht, und un­ zweydeutige Symptome den herannahenden bessern Geschmack verkündigen . Der Augenblick scheint in der That für eine Iistherische Revoluzion reif zu seyn, durch welche das Objektive in der ästhetischen Bildung der Modernen herrschend werderi könnte. Nur geschieht freylich nichts Großes von selbst, ohne Kraft und Entschluß ! Es würde ein sich selbst bestrafender Irrthum seyn , wenn wir die Hände in den Schooß legen und uns überreden wollten , der Geschmack des Zeitalters bedürfe gar keiner durchgängigen Verbesserung mehr. So lange das Objektive nicht allgemein I herrschend ist, leuchtet dieß Bedürfniß von selbst ein . Die Herrschaft des Interes­ santen , Charakteristischen und Manierirten ist eine wahre aesthetische Heteronomie in der schönen Poesie. So wie in der chaotischen Anarchie der Masse der moder­ nen Poesie alle Elemente der schönen Kunst vorhanden sind , so finden sich in ihr auch alle selbst die entgegengesetzten Arten des ästhetischen Verderbens, Rohigkeit neben Künsteley , kraftlose Dürftigkeit neben gesetzlosem Frevel . Ich habe mich schon wider die Behauptung eines gänzlichen Unvermögens, einer rettungslosen Entartung ausdrücklich erklärt, und die Höhe der aesthetischen Bildung , die Stärke der aesthetischen Kraft unsers Zeitalters anerkannt. Nur die echte Richtung , die richtige Stimmung fehlt; und nur durch sie und mit ihnen wird jede einzelne Treff­ lichkeit, welche außer ihrem wahren Zusammenhange sehr leicht äußerst schädlich werden kann, ihren vollen Werth , und gleichsam ihre eigentliche Bedeutung erhal­ ten . Dazu bedarf es einer völligen Umgestaltung , eines totalen Umschwunges einer Revoluzion . I Die aesthetische Bildung nehmlich ist von einer doppelten Art. Entweder die progressive Entwicklung einer Fertigkeit. Diese erweitert, schärft, verfeinert; ja sie belebt, stärkt und erhöht sogar die ursprüngliche Anlage. Oder sie ist eine absolute Gesetzgebung, welche die Kraft ordnet. Sie hebt den Streit einzelner Schönheiten , und fordert Uebereinstim mung aller nach dem Bedürfniß des Ganzen; sie gebietet strenge Richtigkeit, Ebenmaaß und Vollständigkeit; sie verbietet die Verwirrung der ursprünglichen aesthetischen Gränzen , und verbannt das Manierirte, wie jede aesthetische Heteronomie. Mit einem Worte: ihr Werk ist die Objektivittil. Die aesthetische Revoluzion setzt zwey nothwendige Postulate, als vorläufige Bedingungen ihrer Möglichkeit voraus. Das erste derselben ist aesthetische Kraft. Nicht das Genie des Künstlers allein, oder die originelle Kraft idealischer Darstel­ lung und aesthetischer Energie läßt sich weder erwerben noch ersetzen . Es giebt auch eine ursprüngliche Naturgabe des echten Kenners, welche zwar, I wenn sie schon vorhanden ist, vielfach gebildet werden, wenn sie aber mangelt, durch keine Bildung ersetzt werden kann. Der treffende Blick, der sichre Takt; jene höhere Reizbarkeit des Gefühls, jede höhere Empfänglichkeit der Einbildungskraft lassen

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sich weder lernen noch lehren . Aber auch die glücklichste Anlage ist weder z u ei­ nem großen Künstler noch zu einem großen Kenner zureichend . Ohne Stärke und Umfang des sittlichen Vermögens, ohne Harmonie des ganzen Gemüths, oder we­ nigstens eine durchgängige Tendenz zu derselben , wird niemand in das Allerheilig­ ste des Musentempels gelangen können . Daher ist das zweyte nothwendige Postulat für den einzelnen Künstler und Kenner wie für die Masse des Publikums Morali­ ttit. Der richtige Geschmack, könnte man sagen , ist das gebildete Gefühl eines sitt­ lich guten Gemüths. Unmöglich kann hingegen der Geschmack eines schlechten Menschen richtig und mit sich selbst einig seyn. Die Stoiker hatten in dieser Rück­ sicht nicht Unrecht zu behaupten , daß nur der Weise ein vollkommner Dichter und Ken I ner seyn könne. Gewiß hat der Mensch das Vermögen , durch bloße Freiheit die mannichfaltigen Kräfte seines Gemüths zu lenken und zu ordnen . Er wird also auch seiner aesthetischen Kraft eine bessere Richtung und richtige Stimmung er­ theilen können . Nur muß er es wollen; und die Kraft, es zu wollen , die Selbststän­ digkeit bey dem Entschluß zu beharren , kann ihm niemand mittheilen , wenn er sie nicht in sich selbst findet. Freylich ist aber der bloße gute Wille nicht zureichend , so wenig wie die nackte Grundlage zur vollständigen Ausführung eines Gebäudes. Eine entartete und mit sich selbst uneinige Kraft bedarf einer Kritik, einer Censur, und diese setzt eine Gesetzgebung voraus. Eine vollkommne aesthetische Gesetzgebung würde das erste Organ der aesthetischen Revoluzion seyn . Ihre Bestim mung wäre es, die blinde Kraft zu lenken , das Streitende in Gleichgewicht zu setzen , das Gesetzlose zur Harmonie zu ordnen ; der aesthetischen Bildung eine feste Grundlage, eine sichre Richtung , und eine gesetzmäßige Stimmung zu er I theilen . Die gesetzge­ bende Macht der aesthetischen Bildung der Modemen dürfen wir aber nicht erst lange suchen . Sie ist schon konstituirt. Es ist die Theorie: denn der Verstand war ja von Anfang an das lenkende Prinzip dieser Bildung . Verkehne Begriffe haben lange die Kunst beherrscht, und sie auf Abwege verleitet; richtige Begriffe müssen sie auch wieder auf die rechte Bahn zurückführen . Von jeher haben auch sowohl die Künstler als das Publikum der Modemen von der Theorie Zurechtweisung und befriedigende Gesetze erwartet und gefordert. Eine vollendete aesthetische Theorie würde aber nicht nur ein zuverlässiger Wegweiser der Bildung seyn , sondern auch durch die Vertilgung schädlicher Vorortheile die Kraft von manchen Fesseln be­ freyen , und ihren Weg von Dornen reinigen . Die Gesetze der aesthetischen Theorie haben aber nur in so fern wahre Auktorittit, als sie von der Majorität der öffentli­ chen Meynung anerkannt und sankzionirt worden sind. Wenn das Bedürfniß allge­ meingültiger Wahrheit Charakter des Zeitalters ist, I so ist ein durch rhetorische Künste erschlichnes Ansehn von kurzer Dauer; einseitige Unwahrheiten zerstören sich gegenseitig, und veljährte Vorortheile zerfallen von selbst. Dann kann die Theorie nur durch vollkommne und freye Uebereinstimmung mit sich selbst ihren Gesetzen das vollgültigste Ansehn verschaffen , und sich zu einer wirklichen iJ.fent­ f lichen Macht erheben . Nur durch Objektivittit kann sie ihrer Bestim mung ent­ sprechen. Gesetzt aber auch , es gäbe eine objektive aesthetische Theorie, welches mehr ist, als wir bis jetzt rühmen können . Reine Wissenschaft bestimmt nur die Ordnung der Erfahrung, die Fächer für den Inhalt der Anschauung . Sie allein würde leer -

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seyn - wie Erfahrung allein verworren, ohne Sinn und Zweck - und nur in Verbin­ dung mit einer vollkommnen Geschichte würde sie die Natur der Kunst und ihrer Arten vollständig kennen lehren . Die Wissenschaft bedarf also der Erfahrung von einer Kunst, welche ein durchaus vollkommnes Beyspiel ihrer Art, die Kunst kat'exochlin, deren besondre Geschichte die I allgemeine Naturgeschichte der Kunst wäre. Ueberdem kommt der Denker nicht frisch und unversehrt zur wissen­ schaftlichen Untersuchung . Er ist durch die Einflüsse einer verkehrten Erfahrung angesteckt; er bringt Vorurtheile mit, welche seiner Untersuchung auch im Gebiete der reinen Abstrakzion eine durchaus falsche Richtung ertheilen können . Auch bey dem aufrichtigsten Eifer steht es gar nicht in seiner Gewalt, diesen mächtigen Vor­ urtheilen mit einemmale zu entsagen : denn er müßte die reine Wahrheit schon er­ griffen haben , um den Ungrund des Irrthums einzusehen , und inne zu werden , wie falsch der Gang seiner Methode sey•o. Er bedarf daher aus einem doppelten Grunde einer vollkommnen Anschauung. Theils als Beyspiel und Beleg zu seinem Begriff; theils als Thatsache und Urkunde seiner Untersuchung . Aber auch die Lücke zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Gesetz und der einzelnen That ist unendlich groß . Es wäre wohlfeil, wenn der Künstler durch den bloßen Begriff I vom richtigen Geschmack und vollkommnen Styl das höchste Schöne in seinen Werken wirklich hervorzubringen vermöchte. Das Gesetz muß Neigung werden . Leben kommt nur von Leben ; Kraft erregt Kraft. Das reine Ge­ setz ist leer. Damit es ausgefüllt, und seine wirkliche Anwendung möglich werde, bedarf es einer Anschauung , in welcher es in gleichmäßiger Vollständigkeit gleich­ sam sichtbar erscheine - eines höchsten aesthetischen Urbildes. Schon der Name der •Nachahmung« ist schimpflich und gebrandmarkt bey al­ len denen , die sich Originalgenies zu seyn dünken . Man versteht darunter nehmlich die Gewaltthätigkeit, welche die starke und große Natur an dem Ohnmächtigen ausübt. Doch weiß ich kein andres Wort als Nachahmung für die Handlung desje­ nigen - sey er Künstler oder Kenner - der sich die Gesetzmäßigkeit jenes Urbildes zueignet, ohne sich durch die Eigenthümlichkeit, welche die äußre Gestalt, die Hülle des allgemeingültigen Geistes, immer noch mit sich führen mag , beschrän­ ken zu lassen. Es I versteht sich von selbst, daß diese Nachahmung ohne die höchste Selbstständigkeit durchaus unmöglich ist. Ich rede von jener Mittheilung des Schlinen, durch welche der Kenner den Künstler, der Künstler die Gottheit be­ rührt, wie der Magnet das Eisen nicht bloß anzieht, sondern durch seine Berührung ihm auch die magnetische Kraft mittheilt. Wandelt die Gottheit auch in irdischer Gestalt? Kann das Beschränkte je voll­ ständig , das Endliche vollendet, das Einzelne allgemeingültig seyn? Giebt es unter Menschen eine Kunst, welche die Kunst schlechthin genannt zu werden verdiente? Giebt es sterbliche Werke, in denen das Gesetz der Ewigkeit sichtbar wird? Mit richterlicher Majestät überschaut die Muse das Buch der Zeiten , die Ver­ sammlung der Völker. Ueberall findet ihr strenger Blick nur Rohigkeit und Kün­ steley, Dürftigkeit und Ausschweifung in stetem Wechsel . Kaum erheitert dann und wann ein schonendes Lächeln über die liebenswürdigen Spiele der kindlichen Unschuld ihren unwilligen Ernst. I I 0 Verum est index sui et falsi ; sagt Spinosa. •



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Nur bey einem Volke entsprach die schöne Kunst der hohen Würde ihrer Be­ stimmung. Bey den Griechen allein war die Kunst von dem Zwange des Bedürfnisses und der Herrschaft des Verstandes immer gleich frey; und vom ersten Anfange Griechi­ scher Bildung bis zum letzten Augenblick, wo noch ein Hauch von echten Grie­ chensinn lebte, waren den Griechen schöne Spiele heilig . Diese Heiligkeit schlJner Spiele und diese Freyheit der darstellenden Kunst sind die eigentlichen Kennzeichen echter Griechheit. Allen Barbaren hingegen ist die Schönheit an sich selbst nicht gut genug. Ohne Sinn für die unbedingte Zweck­ mäßigkeit ihres zwecklosen Spiels bedarf sie bey ihnen einer fremden Hülfe, einer äußern Empfehlung. Bey rohen wie bey verfeinerten Nichtgriechen ist die Kunst nur eine Sklavin der Sinnlichkeit oder der Vernunft. Nur durch merkwürdigen , rei­ chen , neuen und sonderbaren Inhalt; nur durch wollüstigen Stoff kann eine Dar­ stellung ihnen wichtig und interessant werden . I Schon auf der ersten Stufe der Bildung und noch unter der Vormundschaft der Natur umfaßte die Griechische Poesie in gleichmäßiger Vollständigkeit, im glück­ lichsten Gleichgewicht und ohne einseitige Richtung oder übertriebne Abweichung das Ganze der menschlichen Natur. Ihr kräftiger Wachsthum entwickelte sich bald zur Selbstständigkeit, und erreichte die Stufe, wo das Gemüth in seinem Kampfe mit der Natur ein entschiedenes Uebergewicht erlangt; und ihr goldnes Zeitalter er­ reichte den höchsten Gipfel der Idealität (vollständiger Selbstbestim mung der Kunst) und der Schönheit, welcher in irgend einer natürlichen Bildung möglich ist. Ihre Eigenthümlichkeit ist der kräftigste, reinste, bestimmteste, einfachste und voll­ ständigste Abdruck der allgemeinen Menschennatur. Die Geschichte der Griechi­ schen Dichtkunst ist eine allgemeine Naturgeschichte der Dichtkunst; eine voll­ kommne und gesetzgebende Anschauung. In Griechenland wuchs die Schönheit ohne künstliche Pflege und gleichsam wild. Unter diesem glücklichen Himmel war die darstellende I Kunst nicht erlernte Fertigkeit, sondern ursprangliche Natur. Ihre Bildung war keine andre als die freyeste Entwicklung der glack/ichsten Anlage. Die Griechische Poesie nahm von der rohesten Einfalt ihren Anfang: aber dieser geringe Ursprung schändet sie nicht. Ihr ältester Charakter ist einfach und prunklos, aber unverdorben . Hier findet ihr weder abgeschmackte Fantasterey, noch verkehrte Nachahmung eines fremden Na­ tionalcharakters noch ekzentrische und unübersteiglich fixirte Einseitigkeit. Hier konnte die Willkühr verkehrter Begriffe bey freyen Wuchs der Natur nicht fesseln , ihre Eintracht zerreißen und zerstören , ihre Einfalt verfälschen , den Gang und die Richtung der Bildung verschrauben . Schon frühe unterscheidet sich die Griechische Poesie durch ein gewisses Etwas von allen übrigen Nazionalpoesien auf einer ähn­ lichen Stufe der kindlichen Kultur. Gleich weit entfernt von Orientalischem Schwulst und von Nordischen Trübsinn , voll Kraft aber ohne Härte, und voll An­ muth aber ohne Weichlichkeit ist sie eben dadurch abweichend , daß sie I mehr als jede andre rein menschlich und dem allgemeinen Gesetze aus eigner freyer Neigung getreu ist. Schon in der Kindheit meldet sich ihr hoher Beruf, nicht das Zufällige sondern das Wesentliche und Nothwendige darzustellen , nicht nach dem Einzelnen sondern nach dem Allgemeinen zu streben . Auch sie hatte ihren mythischen Ur­ sprung, wie jede freye Entwicklung des Dichtungsvermögens. Während des ersten

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Zeitalters ihrer Entwicklung schwankte die Griechische Poesie zwischen schöner Kunst und Sage. Sie war eine unbestimmte Mischung von Ueberlieferung und Er­ findung, von bildlieber Lehre, Geschichte und freyem Spiel . Aber welch ' eine Sage? Nie gab es eine geistreichere oder sittlichere. Der Griechische Mythus ist wie der treuste Abdruck im hellsten Spiegel - die bestimmteste und zarteste Bilder­ sprache für alle ewigen Wünsche des menschlichen Gemüths mit allen seinen so wunderbaren als nothwendigen Widersprüchen ; eine kleine vollendete Welt der schönsten Ahndungen der kindlich dichtenden Vernunft. Dichtung , Gesang, Tanz und Ge I selligkeit - festliche Freude war das holde Band der Gemeinschaft, welches Menschen und Götter verknüpfte. Und in der That war auch der Sinn ihrer Sage, Gebräuche und besonders ihrer Feste, der Gegenstand ihrer Verehrung das echte Göttliche: die reinste Menschheit. In lieblichen Bildern haben die Griechen freye Fülle, selbstständige Kraft, und gesetzmäßige Eintracht angebetet. Durch einen in seiner Art einzigen Zusammenfluß der glücklichsten Umstände hatte die Natur in ihrer Begünstigung für diese Lieblingskinder gleichsam ein Ae­ ußerstes gethan . Oft wird die menschliche Bildung gleich nach ihrer ersten Veran­ lassung, während sie noch zu schwach ist, um den harten Kampf mit dem Schicksal glücklich zu bestehen , ohne fernere gütige Pflege wiederum ihrer eignen Schwäche und jedem ungünstigen Zufalle Preis gegeben . Ja ein Volk hat noch von Glück zu sagen , wenn es nur durch die Gunst seiner Lage mit Mühe zu einer bedeutenden Höhe einer einseitigen Bildung gelangen kann. Bey den Griechen vereinigte und um faßte schon die erste Stufe der Bil l dung dasjenige vollständig , was sonst auch auf der höchsten Stufe nur getrennt und einzeln vorhanden zu seyn pflegt. Wie i m Gemüthe des Homerischen Diomedes alle Kräfte gleichmäßig und i n der schönsten Eintracht zu einem vollendeten Gleichgewicht zusammenstimmen : so entwickelte sich hier die ganze Menschheit gleichmäßig und vollständig. Schon im heroischen Zeitalter der mythischen Kunst vereinigt die griechische Naturpoesie die schönsten Blüthen der edelsten Nordischen und der zartesten Südlichen Naturpoesie, und ist die vollkommenste ihrer Art. Vielen gefällt Homerus, von wenigen aber wird seine Schönheit eigentlich ganz gefaßt. So wie viele Reisende in weiter Ferne suchen , was sie in ihrer Hei­ math eben so gut und näher finden könnten : so bewundert man nicht selten i m Homer allein das, worin der erste der beste Nordische oder Südliche Barbar, wo­ fern er nur ein großer Dichter ist, ihm gleich kommt. Worin er einzig ist, das wird selten bemerkt, gewöhnlich ganz aus der Acht gelassen . Die treue Wahrheit, die ur I sprungliehe Kraft, die einfache Anmuth, die reizende Natürlichkeit sind Vor­ züge, welche der Griechische Barde vielleicht mit einem oder dem andern seiner Indischen oder Celtischen Brüder theilt. Es giebt aber andre charakteristische Züge der Homerischen Poesie, welche dem Griechen allein eigen sind. Ein solcher Griechischer Zug ist die Vollständigkeit seiner Ansicht der ganzen menschlichen Natur, welche im glücklichsten Ebenmaaß, im vollkommneo Gleich­ gewicht von der einseitigen Beschränkung einer abweichenden Anlage, und von der Verkehrtheit künstlicher Mißbildung so weit entfernt ist. - Der Umfang seiner Dichtung ist so unbeschränkt, wie der Umfang der ganzen menschlichen Natur selbst. Die äußersten Enden der verschiedensten Richtungen , deren ursprüngliche Keime schon in der allgemeinen Menschennatur verborgen liegen , gesellen sich

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hier freundlich zu einander, wie im unbefangnen , kindlichen Spiel . Seine heitre und reine Darstellung vereinigt hinreißende Gewalt mit inniger Ruhe, die schärfste Bestimmtheit mit der weichsten Zartheit der Umrisse. I In den Sitten seiner Helden sind Kraft und Anmuth im Gleichgewicht. Sie sind stark aber nicht roh , milde, ohne schlaff zu seyn , und geistreich ohne Kälte. Achilles, obgleich im Zorn furchtbarer wie ein kämpfender Löwe, kennt dennoch die Thränen des zärtlichen Schmerzens am treuen Busen einer liebenden Mutter; er zerstreut seine Einsamkeit durch die milde Lust süßer Gesänge. Mit einem rühren­ den Seufzer blickt er auf seinen eignen Fehler zurück, auf das ungeheure Unheil , welches die starrsinnige Anmaßung eines stolzen Königs und der rasche Zorn eines jungen Helden veranlaßt haben . Mit hinreissender Wehmuth weiht er die Locke an dem Grabe des geliebten Freundes. Im Arm eines ehrwürdigen Alten , des durch ihn unglücklichen Vaters seines verhaßten Feindes, kann er in Thränen der Rüh­ rung zerfließen . Der allgemeine Umriß eines Charakters, wie Achilles hätte viel­ leicht auch in der Fantasie eines Nord- oder Süd-Horneros entstehen können : diese feinere Züge der Ausbildung waren nur dem Griechen I möglich. Nur der Grieche konnte diese brennende Reizbarkeit, diese furchtbare Schnellkraft wie eines j ungen Löwen mit so viel Geist, Sitten, Gemüth vereinigen und verschmelzen . Selbst in der Schlacht, in dem Augenblicke, wo ihn der Zorn so sehr fortreißt, daß er unge­ rührt durch das Flehen des Jünglings, dem überwundneo Feinde die Brust durch­ bohrt bleibt er menschlich , ja sogar liebenswürdig und versöhnt uns durch eine ent­ zückend rührende Betrachtung1 1 • Der Charakter des Diomedes ist aber schon in seiner ursprünglichen Zusammensetzung ganz Griechisch . In seiner stillen Größe, seiner bescheidneo Vollendung , spiegelt sich der ruhige Geist des Dichters selbst am hellsten und am reinsten . Die Homerischen Helden , wie den Dichter selbst unterscheidet eine freyere Menschlichkeit von allen nicht-Griechischen Heroen und Barden . In jeder be­ stimmten Lage, jeder einzelnen Gemüthsart strebt der Dichter, so viel nur der Zu­ sammenhang verstattet, nach deijenigen sittlichen Schlinheit, de l ren das kindliche Zeitalter unverdorbener Sinnlichkeit flihig ist. Sittliche Kraft und Fülle haben in Homers Dichtung das Uebergewicht; sittliche Einheit und Beharrlichkeit sind , wo sie sich finden , kein selbstständiges Werk des Gemüths, sondern nur ein glückli­ ches Erzeugniß der bildenden Natur. Aber nicht gewaltige Stärke und sinnlicher Genuß allein weckte und fesselte sein Gemüth . Der bescheidne Reiz stiller Hlius­ lichkeit vorzüglich in der Odyssee; die Anfange des Bargersinns, und die ersten Regungen schlJner Geselligkeit sind nicht die kleinsten Vorzüge des Griechen . Vergleicht damit die geistlose Monotonie der barbarischen Chevalerie! Im mo­ dernen Ritter der Romantischen Poesie ist der Heroismus durch die abenteuerlich­ sten Begriffe in die seltsamsten Gestalten und Bewegungen so sehr verrenkt, daß selbst von dem ursprünglichen Zauber des freyen Heldenlebens nur wenige Spuren übrig geblieben sind. Statt Sitten und Empfindungen findet ihr hier dürre Begriffe und stumpfe Vorurtheile; statt freyer Fülle verworme Dürftigkeit, statt reger I Kraft todte Masse. Vergleicht sie mit jenen Darstellungen , in denen auch der klein­ ste Atom von hlihenn Leben glüht, mit den Homerischen Helden , deren Bildung so II Iliad. XXI. 99 seqq.

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echt menschlich ist, wie eine heroische Bildung nur seyn kann . I n ihrem Gemüthe ist die rege Masse nicht getrennt, sondern durchgängig zusammenhängend : Vor­ stellungen und Bestrebungen sind hier innigst in einander verschmolzen ; alle Theile stim men im vollkommensten Einklang zusammen, und die reiche Fülle ursprüngli­ cher Kraft ordnet sich mit leichter Ordnung zu einem befriedigenden Ganzen . Man nennt das oft »Schonung«, die Sinne verzärteln , und die Würde der Menschheit dadurch entweihen, daß man keine andere Bestimmung der Kunst an­ erkennt, als die, der Thierheit zu schmeicheln. Es giebt aber eine andre Eigen­ schaft gleiches Nahmens, welche sich scheut, das Gemüth zu verletzen : sittliche Schonung. In nicht-Griechischen Poesien wird auch da, wo die zartesten Blüthen der feinsten Sinnlichkeit am frischesten I duften ; auch da, wo die Verfeinerung des Geistes aufs höchste gestiegen ist, dennoch unser Gefühl nicht selten durch ein ge­ wisses Etwas sehr beleidigt. Ja es ist eigentlich wohl kein barbarisches Werk ganz rein von allem , was einen echten Griechischen Sinn empören würde. Diese Men­ schen scheinen gar nicht zu ahnden , daß mit dem Unwillen der Genuß des Schönen sogleich zerstört wird; daß unnütze Schiechtheit der größte Fehler sey, dessen ein Dichter sich schuldig machen kann. Den Musiker, der ohne Grund mit einer un­ aufgelösten Dissonanz endigte, würde man tadeln, und dem Dichter, welcher ohne Gefühl für den Einklang des Ganzen das zarte Ohr des Gemüths durch die schreyendsten Mißtöne verletzt; verzeiht man , oder bewundert ihn wohl gar. Im Homer hingegen wird jeder Uebelstand vorbereitet und aufgelöst. Durch einen Au­ genblick von j ugendlichen Uebermuth versöhnt uns Patroklus mit seinem Tode, und was sonst bittrer Unwillen gewesen seyn würde, wird nun sanfte Rührung . Der Uebermuth des Rektors ist eine Vorbereitung I seines Falles. Hätte ausschweifen­ der Zorn den Achilles nicht bis zu Augenblicken von Wildheit und Ungerechtigkeit verlockt, so würde seine Kränkung , der Verlust seines Freundes, sein Schmerz, die unwandelbar bestimmte Kürze seines herrlichen Lebens unser Gemüth tief verwun­ den und mit Bitterkeit anfüllen . Der ruhigen Kraft, der weisen Gleichmüthigkeit des Diomedes entspricht die ungemischte und nie getrübte Reinheit seines Glücks und seines unbeneideten Ruhms. Wie der Vater der Götter das Schicksal der Kämpfer auf der entscheidenden Wagschaale gedankenvoll abmißt, so läßt Horne­ ros mit künstlerischer Weisheit seine Helden sinken und steigen , nicht nach Laune und Zufall , sondern nach den heiligen Entscheidungen der reinsten Menschlichkeit. Nur hüte man sich zu denken , das Nachahmungswürdige in der Griechischen Poesie sey das Privilegium weniger auserwählter Genies, wie jede treflichere Ori­ ginalität bey den Modernen. Das bloß Individuelle würde �ann weder nachah­ mungswürdig, noch dessen völlige Zueignung möglich seyn: denn nur das I All­ gemeine ist Gesetz und Urbild für alle Zeiten und Völker. Die Griechische Schön­ heit war ein Gemeingut des öffentlichen Geschmacks, der Geist der ganzen Masse. Auch solche Gedichte, welche wenig künstlerische Weisheit und geringe Erfin­ dungskraft verrathen , sind in demselben Geiste gedacht, entworfen und ausgeführt, dessen Züge wir im Homer und andern Dichtern vom ersten Range nur bestimmter und klarer lesen . Sie unterscheiden sich durch dieselben Eigenheiten , wie die be­ sten , von allen nicht-Griechischen Gedichten . Die Griechische Poesie hat ihre Sonderbarkeiten , welche oft ekzentrisch genug sind : denn obgleich die Griechische Bildung reinmenschlich ist, so kann dennoch

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die äußre Form sehr abweichend seyn ; es vielleicht eben darum seyn, weil der Geist dem allgemeingültigen Gesetz so getreu ist. Die meisten dieser aesthetischen Paradoxien sind nur scheinbar und enthalten einen großen Sinn. So das Satyrische Drama, der Dithyrambus, der lyrische Chor der Dorier, und der dramatische Chor der Athener. Nur aus völliger Unkunde I mit der eigentlichen Natur der Kunst und ihrer Arten hat man solche Eigenheiten für bloß individuell gehalten , und sich mit einer historischen Genesis derselben begnügt. Ueberdem waren die Thatsachen lük­ kenhaft, und so lange man die nothwendige Bildungsgesetze der Kunst nicht kennt, wird man in der Geschichte der Kunst im dunkeln tappen , und keinen Leitfaden haben , vom Bekannten aufs Unbekannte zu schließen . Man analysire nur den Cha­ rakter dieser Anomalien nach Anleitung sichrer Grundsätze und Begriffe voll­ ständig , und man wird durch das Resultat einer philosophischen Deduktion über­ rascht, die durchgängige Objektivität der Griechischen Poesie auch hier wiederfin­ den . Selbst in dem ' Zeitalter, wo ihre ganze Masse sich in mehrere genau be­ stimmte Richtungen - gleichsam eben so viele Aeste eines gemeinschaftlichen Stammes - spaltete, und ihr Umfang dadurch so sehr beschränkt als ihre Kraft er­ höht ward : selbst in der lyrischen Gattung , deren eigentlicher Gegenstand schiJne Eigenthümlichkeit ist, bewährt sie dennoch ihre beständige I Tendenz zum Objek­ tiven durch die Art und den Geist der Darstellung , welche so weit es die beson­ dern Schranken ihrer eigenthümlichen Richtung und ihres Stoffs nur immer erlauben , sich dem rein Menschlichen nährt, das Einzelne selbst zum Allge­ meinen erhebt, und im Eigenthümlichen eigentlich nur das Allgemeingültige dar­ stellt. Die Griechische Poesie ist gesunken , tief, sehr tief gesunken , und endlich völ­ lig entartet. Aber auch im tiußersten Verfall blieben ihr noch Spuren jener Allge­ meingültigkeit, bis sie überhaupt aufhörte einen bestimmten Charakter zu haben . So sehr ist die Griechheit nichts andres als eine höhere, reinere Menschheit! Im Zeitalter der gelehrten Dichtkunst gab es weder öffentliche Sitten , noch öffentli­ chen Geschmack. Die Gedichte der Alexandriner sind ohne eigentliche Sitten , ohne Geist und Leben; kalt, todt, arm und schwerfcillig . Statt einer vollkommnen Orga­ nisazion und lebendiger Einheit des Ganzen sind diese Machwerke nur aus abge­ rißnen Bruchstücken zusammengeflickt. Sie enthalten nur einzelne I schöne Züge, keine vollständige und ganze Schönheit. Aber dennoch enthält ihre fleißige Dar­ stellung in ihrer durchgearbeiteten feinen Bestimmtheit in ihrer völligen Freiheit von den unreinen Zusätzen der Subjektivität, von den technischen Fehlern mon­ ströser Mischung, und poetischer Unwahrheit eine hiJchste Naturvollkommenheit in ihrer wenn gleich an sich tadelhaften An ein gewisses klassisches Etwas, welches demjenigen nicht unähnlich ist, was Kenner der Griechischen Plastik an Ueber­ bleibseln der bildenden Kunst auch aus der schlechtesten Zeit, oder von der Hand des mittelmäßigsten Künstlers wahrnehmen . Der schwülstige, überladne Schmuck gehört dem allgemeinen schlechten Geschmack des Zeitalters an. Die Fehler der Ausführung kommen auf die Rechnung des Stümpers. Allein der Geist in welchem das Werk gedacht, entworfen und ausgebildet wurde, enthält wenigstens Spuren von dem vollkommnen Ideal , welches für alle Zeiten und Völker ein gültiges Ge­ setz und allgemeines Urbild ist. So findet ihr im Apollonius sehr oft wahrhaft I klassische Details, und hie und da trefft ihr auf Erinnerungen an die ehemalige

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Göttlichkeit der Griechischen Dichtkunst. Solche Züge sind die Bescheidenheit des heroischen Jason und seine nachsinnende Stille bey der großen Ausfahrt der Hel­ denschaar, und bey dem Verlust des Herkules; die feine Charakteristik des Tela­ mon , Herkules, Idas und Idmon ; das liebliche Spiel des Amor und Ganymedes; die Anmuth , welche über die ganze Episode von der Hypsipyle und Medea verbreitet ist. Die schärfere Bestimmtheit, die feinere Zartheit, das noch mehr Durchgear­ beitete seines fleißigen Werks; Eigenschaften , welche er vor dem gelehrtesten aller Römischen Dichter voraus hat, sind so viele übrig gebliebene Spuren echt Griechi­ scher Bildung. Das Schicksal bildete den Griechen nicht nur zu dem Höchsten , was der Sohn der Natur seyn kann; sondern es entzog ihm auch seine mütterliche Pflege nicht eher, als bis die Griechische Bildung selbstständig und mündig geworden , fremder Hülfe und Führung nicht weiter bedurfte. Mit diesem entscheidenden I Schritt, durch den die Freyheit das Uebergewicht über die Natur bekam , trat der Mensch in eine ganz neue Ordnung der Dinge; es begann eine neue Stufe der Entwicklung. Er bestimmt, lenkt und ordnet nun seine Kräfte selbst, bildet seine Anlagen nach den innern Gesetzen seines Gemüths. Die Schönheit der Kunst ist nun nicht mehr Ge­ schenk einer gütigen Natur, sondern sein eignes Werk, Eigenthum seines Gemüths. Das Geistige bekommt das Uebergewicht über das Sinnliche; selbstständig be­ stimmt er die Richtung seines Geschmacks, und ordnet die Darstellung. Er eignet sich nicht mehr bloß das Gegebne zu, sondern er bringt das Schöne selbstthätig hervor. Und wenn der erste Gebrauch der Mündigkeit, den Umfang der Kunst durch eine genau bestimmte Richtung beschränkt, so wird dieser Verlust durch die innre Stärke und Hoheit der zusammengedrängten Kraft wieder ersetzt. Das epi­ sche Zeitalter der Griechischen Poesie läßt sich noch mit andern Nazianalpoesien vergleichen . Im lyrischen Zeitalter steht sie allein. Nur sie hat in Masse die Bil­ dungs I stufe der Selbstständigkeit erreicht; nur in ihr ist das idealische Schöne ()/­ [entlieh gewesen . So häufig und so glänzend auch in der modernen Poesie die Bey­ spiele seyn mögen , so sind es doch nur einzelne Ausnahmen , und die Masse ist weit hinter jener Stufe zurückgeblieben , und verfälscht sogar jene Ausnahmen . Bey dem herrschenden Unglauben an göttlichere Schönheit, verliehrt die Verkannte ihre unbefangne Zuversicht, und der Kampf, welcher sie geltend machen soll, entweiht sie nicht weniger, wie der menschenfeindliche Stolz, der den Genuß der Mitthei­ lung ersetzen muß. - Von jeher haben viele Völker die Griechen an Fertigkeiten übertroffen , und desfalls die Griechische Höhe der eigentlichen Bildung nicht ein­ gesehen . Aber Fertigkeiten sind nur nothwendige Zugaben der Bildung , Werk­ zeuge der Freyheit. Nur Entwicklung der reinen Menschheit ist wahre Bildung. Wo hat freye Menschheit in der Masse des Volks ein so durchgängiges Uebergewicht erhalten als bey den Griechen? Wo war die Bildung so echt, und echte Bildung so öffentlich? I In der That kaum giebt es im ganzen Lauf der Menschengeschichte ein erhabneres Schauspiel , als der große Augenblick darbietet, da mit einemmale und gleichsam von selbst, durch bloße Entwicklung der innern Lebenskraft, in den Griechischen Verfassungen Republikanismus, in den Sitten Enthusiasmus und Weisheit, in den Wissenschaften , statt der mythischen Anordnung der Fantasie lo­ gischer und systematisirender Zusammenhang , und in den Griechischen Künsten das Ideal hervortrat. -

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Wenn die Freyheit einmal das Uebergewicht über die Natur hat, so muß die freye, sich selbst überlaßne Bildung sich in der einmal genommenen Richtung fort­ bewegen , und immer höher steigen , bis ihr Lauf durch äußre Gewalt gehemmt wird , oder bis sich durch bloße innre EntWicklung das Verhältniß der Freyheit und der Natur von neuem ändert. Wenn der gesammte zusammengesetzte menschliche Trieb nicht allein das bewegende sondern auch lenkende Prinzip der Bildung, wenn die Bildung Mtürlich und nicht künstlich , wenn die ursprüngliche Anlage I die glücklichste, und die äußre Begünstigung vollendet ist: so entwickeln , wachsen , und vollenden sich alle Bestandtheile der strebenden Kraft, der sich bildenden Menschheit gleichmtißig, bis die Fortschreitung den Augenblick erreicht hat, wo die Fülle nicht mehr steigen kann, ohne die Harmonie des Ganzen zu trennen und zu zerstören . Trifft nun die höchste Stufe der Bildung der vollkommensten Gattung der trefflichsten Kunst mit dem günstigsten Augenblick im Strome des öffentlichen Ge­ schmacks glücklich zusammen ; verdient ein großer Künstler die Gunst des Schick­ sals, und weiß die unbestimmten Umrisse, welche die Nothwendigkeit vorzeich­ nete, würdig auszufüllen ; so wird das äußerste Ziel schöner Kunst erreicht, wel­ ches durch die freyeste Entwicklung der glücklichsten Anlage erreichbar ist. Diese letzte Grtinze der TUJtürlichen Bildung der Kunst und des Geschmacks, diesen hlJchsten Gipfel freyer SchlJnheit hat die Griechische Poesie wirklich er­ reicht. Vollendung heißt der Zustand I der Bildung, wenn die innre strebende Kraft sich völlig ausgewickelt hat, wenn die Absicht ganz erreicht ist, und in gleich­ mäßiger Vollständigkeit des Ganzen keine Erwartung unbefriedigt bleibt. Goldnes Zeitalter heißt dieser Zustand , wenn er einer ganzen gleichzeitigen Masse zu­ kommt. Der Genuß, welchen die Werke des goldnen Zeitalters der Griechischen Kunst gewähren , ist zwar eines Zusatzes fähig, aber dennoch ohne Störung und Bedürfniß vollständig und selbstgenugsam. Ich weiß für diese Höhe keinen schicklicheren Nahmen als das höchste Schöne. Nicht etwa ein Schönes, über wel­ ches sich nichts schöneres denken ließe; sondern das vollständige Beyspiel der un­ erreichbaren Idee, die hier gleichsam ganz sichtbar wird: das Urbild der Kunst und des Geschmacks. Der einzige Maßstab , nach dem wir den höchsten Gipfel der Griechischen Poe­ sie würdigen können , sind die Schranken aller Kunst. »Aber wie, wird man fragen , ist die Kunst nicht einer schlechthin unendlichen Vervollkommnung fähig? Giebt es Gränzen ihrer fortschreitenden Bildung?« I Die Kunst ist unendlich perfektibel und ein absolutes Maximum ist in ihrer steten Entwicklung nicht möglich : aber doch ein bedingtes relatives Maximum, ein unübersteigliches fixes Proximum. Die Aufgabe der Kunst besteht nehmlich aus zweyerley ganz verschiedenartigen Bestandtheilen : theils aus bestimmten Gesetzen, welche nur ganz erfüllt oder ganz übertreten werden können , und theils aus uner­ sättlichen , unbestimmten Forderungen, wo auch die höchste Gewährung noch einen Zusatz leidet. Jede wirklich gegebne Kraft ist einer Vergrösserung und jede endli­ che reale Vollkommenheit eines unendlichen Zuwachses fähig. In Verhältnissen aber findet kein Mehr oder Weniger Statt; die Gesetzmlißigkeit eines Gegenstandes kann weder vermehrt noch vermindert werden . So sind auch alle wirklichen Be­ standtheile der schönen Kunst einzeln eines unendlichen Zuwachses fähig, aber in -

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der Zusammensetzung dieser verschiedenen Bestandtheile giebt es unbedingte Ge­ setze für die gegenseitigen Verhältnisse. I Das SchlJne im weitesten Sinne (in welchem es das Erhabne, das Schöne im engem Sinne, und das Reizende umfaßt) ist die angenehme Erscheinung des Guten. - Es scheint zwar für jede einzelne Reizbarkeit eine feste Gränze bestimmt zu seyn, welche weder der Schmerz noch die Freude überschreiten darf, wenn nicht alle Be­ sonnenheit aufhören , und mit dieser selbst der Zweck der Leidenschaft und der Lust verlohren gehn soll. Im allgemeinen aber, und ohne besondre Rücksicht läßt sich über jedes gegebne Maß von Energie ein höheres denken . Unter Energie ver­ stehe ich alles, was den gemischten Trieb sinnlich weckt und erregt, um ihm dann den Genuß des reinen Geistigen zu gewähren ; die bewegende Triebfeder mag nun Schmerz oder Freude seyn. Die Energie ist aber nur Mittel und Organ der ideali­ schen Kunst, gleichsam die physische Lebenskraft der reinen Schönheit, welche die sinnliche Erscheinung des Geistigen veranlaßt und trägt, so wie das freye Gemüth nur im Element einer thierischen Organisazion empirisch existiren kann. - Auf gleiche Weise giebt es für I jede besondre Empfänglichkeit eine bestimmte Sphtire der Sichtbarkeit, wenn ich so sagen darf, in der Mitte zwischen zu großer Nähe und zu weiter Entfernung. An und für sich aber kann die Erscheinung des Geisti­ gen immer lebhafter, bestimmter und klarer werden . So lange sie Erscheinung bleibt, ist sie einer endlosen Vervollkommnung fähig, ohne je ihr Ziel ganz errei­ chen zu können : denn sonst müßte das Allgemeine, welches im Einzelnen erschei­ nen soll , sich in das Einzelne selbst verwandeln. Dies ist unmöglich , weil beyde durch eine unendliche Kluft getrennt sind . Auf der andem Seite kann aber auch die Nachahmung des Wirklichen an Vollkommenheit unendlich zunehmen : denn die Fülle jedes Einzelnen ist unerschöpflich , und kein Abbild kann jemals ganz in sein Urbild übergehen . - Daß das Gute oder dasjenige, was schlechthin seyn soll , der reine Gegenstand des freien Triebes, das reine Ich nicht als theoretisches Vermö­ gen , sondern als praktisches Gebot; die Gattung, deren Arten Erkenntniß , Sittlich­ keit und Schönheit ist; das Ganze, dessen Bestandtheile Vielheit, Ein I heit und All­ heit sind 12 ; in der Wirklichkeit nur beschränkt vorhanden seyn kan n , darf ich als evident voraussetzen : denn der zusammengesetzte Mensch kann im gemischten Le­ ben sich seiner reinen Natur nur ins Unendliche nähern , ohne sie je völlig zu errei­ chen . Alle diese Bestandtheile des Schönen - der Reiz, der Schein, das Gute - sind also einer gränzenlosen Vervollkommnung fähig. Für die gegenseitigen Verhält­ nisse dieser Bestandtheile aber giebt es unwandelbare Gesetze. Das Sinnliche soll nur Mittel des Schönen nicht Zweck der Kunst seyn . Hat aber unverdorbne Sinn­ lichkeit in einer frühen Stufe der Bildung das Uebergewicht, so wird Fülle der Zweck des Dichters seyn. Es darf der Selbstthätigkeit eigentlich nicht zum Vor­ wurf gereichen , daß sie sich allmählig entwickeln muß, und nur unter der Vor­ mundschaft der Natur I die Stufe selbstständiger Selbstbestimmung erreichen kann . Durch die Sinnlichkeit eines Horneros wird das Gesetz nicht übertreten , sondern 12 Ich muß um die Erlaubniß bitten, diese und einige andre Grundsätze und Begriffe um des Zusammenhanges willen, hier nur problematisch vorausschicken zu dürfen, deren Beweis ich in der Folge nicht schuldig bleiben werde.

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das Gesetz ist eigentlich noch gar nicht vorhanden . Ist die Kunst aber schon ge­ setzmäßig gewesen , und hört auf es ferner zu seyn , so herrscht dann auch wieder die Fülle, aber auf eine ganz andre Weise. Es ist nicht mehr unverdorbne Sinnlich­ keit, sondern üppige Ausschweifung, gesetzlose Schwelgerei. - Jene drey Bestand­ theile der Schönheit - Mannichfaltigkeit, Einheit und Allheit - sind nichts andres, als eben so viele Arten, wie der reine Mensch in der Welt zum wirklichen Daseyn gelangen kann, verschiedene Berührungspunkte des Gemüths und der Natur. Ein­ zeln betrachtet, haben sie alle drey gleichen Werth; eine wie die andre nehmlich hat unbedingten , unendlichen Werth. Auch die Falle ist heilig, und darf in der Ver­ einigung aller Bestandtheile dem Gesetz der Ordnung nicht anders als frey gehor­ chen : denn die Mannichfaltigkeit ist schon die erste Form des Lebens, nicht roher Stoff, mit dem I sie oft verwechselt wird. Die Gesetzesgleichheit soll durch die Ordnung nicht aufgehoben werden , aber doch ist das Gesetz des Verhtiltnisses der vereinigten Bestandtheile der SchlJnheit unwandelbar bestimmt, und nicht die Man­ nichfaltigkeit, sondern die Allheit soll der erste bestimmende Grund und das letzte Ziel jeder vollkommnen Schönheit seyn. Das Gemüth soll den Stoff und die Lei­ denschaft, der Geist soll den Reiz überwiegen , und nicht umgekehrt der Geist ge­ braucht werden , um das Leben zu wecken und den Sinn zu kitzeln. Ein Zweck, den man wohlfeiler erreichen könnte! Styl bedeutet beharrliche Verhältnisse der ursprünglichen und wesentlichen Bestandtheile der Schönheit oder des Ge­ schmacks. Vollkommnen Styl wird man also demjenigen Kunstwerke und demjeni­ gen Zeitalter beylegen können , welches in diesen Verhältnissen das nothwendige Gesetz aus freyer Neigung ganz erfüllt. Außer diesem absoluten ästhetischen Gesetz für jeden Geschmack, giebt es auch zwey absolute technische Gesetze für alle darstellende I Kunst. - Die Be­ standtheile der darstellenden Kunst, welche das Mögliche mit dem Wirklichen vermischt, sind Versinnlichung des Allgemeinen und Nachahmung des Einzelnen . Für die Vervollkommnung beyder Bestandtheile ist, wie schon oben erinnert wurde, keine Gränze abgemessen: für ihr Verhältniß aber ist ein unwandelbares Gesetz nothwendig bestimmt. Das Ziel der freyen darstellenden Kunst ist das Un­ bedingte; das Einzelne darf nicht selbst Zweck seyn (Subjektivität) . Widrigenfalls sinkt die freye Kunst zu einer nachahmenden Geschicklichkeit herunter, welche ei­ nem physischen Bedürfnisse oder einem individuellen Zweck des Verstandes dient. Doch ist das Mittel durchaus nothwendig, und es muß wenigstens scheinen , frey zu dienen . Objektivität ist der angemessenste Ausdruck für dieß gesetzmäßige Ver­ hältniß des Allgemeinen und des Einzelnen in der freyen Darstellung . - Ueberdem ist j edes einzelne Kunstwerk zwar keineswegs an die Gesetze der Wirklichkeit ge­ fesselt, aber allerdings durch Gesetze innrer MlJglichkeit beschränkt. Es darf sich selbst nicht wi I dersprechen , muß durchgängig mit sich übereinstimmen . Diese technische Richtigkeit - so würde ich sie lieber nennen als •Wahrheit,« 1 3 weil dieses Wort zu sehr an die Gesetze der Wirklichkeit erinnert, und so oft von der Kopi­ stentreue sklavischer Künstler gernißbraucht wird, welche nur das Einzelne nach-

13 In einzelnen Kunstarten kann die technische Richtigkeit selbst eine idealische Abweichung von dem was in der Wirklichkeit wahr und wahrscheinlich ist, erfordern, wie in der reinen Tragödie oder der reinen Komödie.

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ahmen - darf im Kollisionsfalle selbst die Schönheit zwar nicht beherrschen, aber doch beschränken : denn sie ist die erste Bedingung eines Kunstwerks. Ohne innre Uebereinstimmung würde eine Darstellung sich selbst aufheben , und also auch ih­ ren Zweck (die Schönheit) gar nicht erreichen können . Nur wenn das Ganze der vollständigen Schönheit schon getrennt und aufgelöst ist, und ausschweifende Fülle den Geschmack beherrscht, wird die Regelmäßigkeit der Proportion , und die Symmetrie dieser Fülle aufgeopfert. I Der Schwäche kostet es keine große Entsagung , nicht auszuschweifen , und wo es an Kraft fehlt, da ist Gesetzmäßigkeit kein sonderliches Verdienst. Ein Gedicht in vollkommneo Styl und von tadelloser Richtigkeit, aber ohne Geist und Leben würde nur eine Armseeligkeit ohne allen Werth seyn . Aber wenn ein Gedicht mit jener vollkommneo Gesetzmäßigkeit auch die höchste Kraft vereinigte, welche man nur immer von einem menschlichen Künstler erwarten kann, so darf es doch nicht hoffen , das äußerste Ziel erreicht zu haben , wenn der Umfang desselben nicht voll­ ständig , sondern durch die genau bestimmte Richtung einer gewissen zwar schönen aber doch einseitigen Eigenthümlichkeit beschränkt ist, wie die Dorische Lyrik. Der Dichter darf keine Ansprüche auf Vollendung machen , so lange er wie Aeschylus selbst mehr Erwartungen erregt, als er befriedigt. Nur dasjenige Kunst­ werk, welches in der vollkommensten Gattung, und mit hlJchster Kraft und Weisheit die bestimmten ästhetischen und technischen Gesetze ganz erfüllt, den unbe l grän­ zten Forderungen aber gleichmtißig entspricht, kann ein unübertreffliches Beyspiel seyn, in welchem die vollständige Aufgabe der schönen Kunst so sichtbar wird , als sie in einem wirklichen Kunstwerke werden kann. Nur da ist das höchste Schöne möglich, wo alle Bestandtheile der Kunst und des Geschmacks sich gleichmäßig entwickeln , ausbilden , und vollenden ; in der natürlichen Bildung. In der künstlichen Bildung geht diese Gleichmlißigkeit durch die willkührlichen Scheidungen und Mischungen des lenkenden Verstandes unwi­ derbringlich verlohren . An einzelnen Vollkommenheiten und Schönheiten kann sie vielleicht die freye Entwicklung sehr weit übertreffen : aber jenes höchste Schöne ist ein gewordnes organisch gebildetes Ganzes, welches durch die kleinste Tren­ nung zerrissen , durch das geringste Uebergewicht zerstört wird . Der künstliche Mechanismus des lenkenden Verstandes kann sich die Gesetzmäßigkeit des goldnen Zeitalters der Kunst der bildenden Natur zueignen , aber seine Gleichmäßigkeit I kann er nie völlig wiederherstellen ; die einmal aufgelöste elementarische Masse or­ ganisirt sich nie wieder. Der Gipfel der natürlichen Bildung der schönen Kunst bleibt daher für alle Zeiten das hohe Urbild der künstlichen Fortschreitung. Wir sind gewohnt, ich weiß nicht aus welchen Gründen , uns die Schranken der Poesie viel zu eng zu denken. Wenn die Darstellung nicht bezeichnet, wie die Dichtkunst, sondern wirklich nachahmt oder sich natürlich äußert, wie die sinnli­ chen Künste, so ist ihre Freyheit durch die Schranken des gegebnen Werkzeuges und des bestimmten Stoffs schon enger begränzt. Sollten in einer gewissen Kunstart die Schranken des Stoffs sehr eng, das Werkzeug sehr einfach seyn , so läßt es sich wohl denken , daß ein begünstigtes Volk eine Höhe in derselben erreicht habe, wel­ che nie übertroffen werden könnte. Vielleicht haben die Griechen in der Plastik diese Höhe wirklich erreicht. Die Mahlerey und die Musik haben schon freyeres Feld , das Werkzeug ist zusammengesetzter, mannichfaltiger und um I fassender. Es

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würde sehr gewagt seyn , für sie eine äußerste Gränze der Vervollkommnung fest­ setzen zu wollen . Wie viel weniger läßt sich eine solche für die Poesie bestimmen , die durch keinen besondren Stoff weder im Umfang noch in der Kraft beschränkt ist? deren Werkzeug , die willkührliche Zeichensprache, Menschenwerk und also unendlich perfektibel und korruptibel ist? - Unbeschrankter Urrifang ist der eine große Vorzug der Poesie, dessen sie vielleicht sehr nothwendig bedarf, um die durchgängige Bestimmtheit des Beharrlichen , welche die Plastik, und die durch­ gängige Lebendigkeit des Wechselnden , welche die Musik vor ihr voraus hat, zu ersetzen . Beyde geben der Sinnlichkeit unmittelbar Anschauungen und Empfindun­ gen ; zu dem Gemüthe reden sie nur durch Umwege eine oft dunkle Sprache. Sie können Gedanken und Sitten nur mittelbar darstellen. Die Dichtkunst redet durch die Einbildungskraft unmittelbar zu Geist und Herz in einer oft matten und viel­ deutig unbestimmten aber allumfassenden Sprache. Der Vorzug jener sinnlichen Künste, unendliche Bestimmt I heit und unendliche Lebendigkeit Einzelnheil ist nicht sowohl Verdienst der Kunst als entlehntes Eigenthum der Natur. Sie sind Mi­ schungen , welche zwischen reiner Natur und reiner Kunst in der Mitte stehn. Die einzige eigentliche reine Kunst ohne erborgte Kraft, und fremde Hülfe, ist Poesie. Wenn man verschiedene Kunstarten mit einander vergleicht, so kann nicht von dem größem oder geringem Werthe des Zwecks die Rede seyn . Sonst wäre die ganze Untersuchung so widersinnig als etwa die Frage: »Üb Sokrates oder Timo­ leon tugendhafter gewesen sey?« Denn das Unendliche leidet gar keine Verglei­ chung , und der Genuß des Schönen hat unbedingten Werth . Aber in der Vollkom­ menheit der verschiedenen Mittel , denselben Zweck zu erreichen , finden Stufen , findet ein Mehr oder Weniger Statt. Keine Kunst kann in einem Werke einen so großen Umfang umspannen , wie die Poesie. Aber keine hat auch solche Mittel , · Vieles zu Einem zu verknapjen, und die Verknapjung zu einem unbedingt vollstlin­ digen Ganzen I zu vollenden. Die Plastik, die Musik, und die Lyrik stehn in Rück­ sicht der Einheit eigentlich auf einer Stufe. Sie setzen ein gewisses höchst gleichar­ tiges Mannichfaltiges neben oder nach einander, und streben , aus diesem Gesetzten das übrige Mannichfaltige organisch zu entwickeln . - Der Charakter, oder das Be­ harrliche in Vorstellungen und Bestrebungen könnte allein in Gott schlechthin ein­ fach , durch sich selbst bestimmt, und in sich vollendet seyn. Im Gebiete der Er­ scheinung ist seine Einheit nur bedingt; er muß noch ein Mannichfaltiges enthalten, welches nicht durch ihn selbst bestimmt seyn kann. Eine wirkliche einzelne Er­ scheinung wird durch den Zusammenhang der ganzen Welt, zu der sie gehört, voll­ ständig bestimmt und erklärt. Nicht anders verhält es sich mit dem Bruchstück ei­ ner bloß möglichen Welt. Der dramatische Charakter wird durch seine Stelle im Ganzen , seinen Antheil an der Handlung vollständig bestimmt. Eine Handlung wird nur in der Zeit vollendet; daher kann der bildende Künstler keine vollständige Handlung darstellen. Wenn gleich I der plastische Charakter noch so bestimmt ist, so setzt er doch nothwendig die Welt, in welcher er eigentlich zu Hause ist, und welche nicht mit dargestellt werden konnte, als schon bekannt voraus. Sollte diese Welt auch die Olympische, und die Deutung die leichteste seyn: die vollkommenste Statue ist doch nur ein abgerißnes unvollständiges Bruchstück, kein in sich vollen­ detes Ganzes, und das höchste was der Bildner erreichen kann ist ein Analogon von Einheit. Die Einheit des Lyrikers und Musikers besteht in der Gleichanigkeit eini-

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ger aus der ganzen Reihe der zusammenhängenden Zustände herausgehobnen, die übrigen beherrschenden , und in der vollkommnen Unterordnung dieser übrigen unter jene herrschenden . Die nothwendige Mannichfaltigkeit und Freyheit setzen der Vollkommenheit dieses Zusammenhanges enge Gränzen , und an Vollständig­ keit der Verknüpfung ist hier gar nicht zu denken . Vollständigkeit der Verknap­ fung ist der zweite große Vorzug der Poesie. Nur der Tragiker, dessen eigentliches Ziel es ist, den größten Umfang und die stärkste Kraft I mit der höchsten Einheit zu verbinden , kann seinem Werke eine vollkommne Organisazion geben , dessen schöner Gliederbau auch nicht durch den kleinsten Mangel , den geringsten Ueber­ fluß gestört wird . Er allein kann eine vollständige Handlung, das einzige unbe­ dingte Ganze im Gebiete der Erscheinung , darstellen . Eine ganz vollbrachte That, ein völlig ausgeführter Zweck gewähren die vollste Befriedigung . Eine vollen­ dete poetische Handlung ist ein in sich abgeschloßnes Ganzes, eine technische Welt. Die frühem Griechischen Dichtarten sind theils an sich unvollkommne Versuche einer noch unreifen Bildung , wie das Epos des mythischen Zeitalters; theils einseitig beschränkte Richtungen , welche die vollständige Schönheit zer­ spalten und unter sich gleichsam theilen , wie die verschiedenen Schulen des lyri­ schen Zeitalters. Die treflichste unter den Griechischen Dichtarten , ist die Attische TragtJdie. Alle einzelnen Vollkommenheiten der frühem Arten , Zeitalter und Schulen bestimmt, läutert, erhöht, vereinigt und ordnet sie zu einem neuen Gan­ zen . I Mit echter Schöpferkraft hatte Aeschylus die Tragödie erfunden , ihre Umrisse entworfen , ihre Gränzen , ihre Richtung und ihr Ziel bestimmt. Was der Kühne entwarf führte Sophokles aus. Er bildete seine Erfindungen , milderte seine Härten, ergänzte seine Lücken , vollendete die tragische Kunst, und erreichte das äußerste Ziel der Griechischen Poesie. Glücklicher Weise traf er mit dem höchsten Augen­ blick des öffentlichen Attischen Geschmacks zusammen . Er wußte aber auch die Gunst des Schicksals zu verdienen . Den Vorzug eines vollendeten Geschmacks, ei­ nes vollkommnen Styls theilt er mit seinem Zeitalter: die Art aber, wie er seine Stelle ausfüllte, seinem Beruf entsprach, ist ganz sein eigen . An genialischer Kraft weicht er weder dem Aeschylus noch dem Aristophanes, an Vollendung und Ruhe kommt er dem Horneros und dem Pindarus gleich , und an Anmuth übertrifft er alle seine Vorgänger und Nachfolger. Die technische Richtigkeit seiner Darstellung ist vollkommen , und die Euryth­ mie die regelmäßige Verknüpfung seiner bestimmt I und reich gegliederten Werke ist so kanonisch, wie etwa die Proportion des berühmten Doryphorus vom Poly­ klet. Die reife und ausgewachsne Organisation eines jeden Ganzen ist bis zu einer Vollständigkeit vollendet, welche auch nicht durch die geringste Lücke, nicht durch einen überflüssigen Hauch gestört wird. Nothwendig entwickelt sich alles aus Ei­ nem , und auch der kleinste Theil gehorcht unbedingt dem großen Gesetz des Gan­ zen. Die Enthaltsamkeit, mit welcher er auch dem schönsten Auswuchs entsagt, auch der lockendsten Verführung , das Gleichgewicht des Ganzen zu verletzen , wi­ derstanden haben würde, ist bey diesem Dichter ein Beweis seines Reichthums. Denn seine Gesetzmäßigkeit ist frey, seine Richtigkeit ist leicht, und die reichste

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Fülle ordnet sich gleichsam von selbst zu einer vollkommnen aber gefälligen Ue­ bereinstimmung. Die Einheit seiner Dramen ist nicht mechanisch erzwungen , son­ dern organisch entstanden. Auch der kleinste Nebenzweig genießt eignes Leben , und scheint I nur aus freyer Neigung sich an seiner Stelle in den gesetzmäßigen Zusammenhang der ganzen Bildung zu fügen . Mit Lust und ohne Anstoß folgen wir dem hinreißenden Strome, verbreiten uns über die bezaubernde Fläche seiner Dichtung : denn die Schönheit der richtigen aber einfachen und freyen Stellung giebt ihr einen unaussprechlichen Reiz. Das größere Ganze, wie das Kleinere ist in die reichsten und einfachsten Massen bestimmt geschieden , und angenehm grup­ pirt. Und wie in der ganzen Handlung Kampf und Ruhe, That und Betrachtung , Menschheit und Schicksal gefällig wechseln , und sich frey vereinigen , wenn bald die einzelne Kraft ihren kühnen Lauf ungehemmt ergießt, bald zwey Kräfte in ra­ schem Wechsel sich kämpfend umschlingen , bald alles Einzelne vor der majestäti­ schen Masse des Chors schweigt: so ist auch noch in dem kleinsten Theil der Rede das Mannichfaltige in leichtem Wechsel , und freyer Vereinigung . Hier ist auch nicht die leiseste Erinnrung an Arbeit, Kunst und Bedürfniß. Wir werden das Medium nicht mehr gewahr, die I Hülle schwindet, und unmittelbar genießen wir die reine Schönheit. Diese anspruchslose Vollkommenheit scheint ohne bey ihrer eignen Hoheit zu verweilen, oder für den äußern Eindruck zu sor­ gen , nur um ihrer selbst willen da zu seyn . Diese Bildungen scheinen nicht ge­ macht oder geworden , sondern ewig vorhanden gewesen , oder von selbst entstan­ den zu seyn , wie die Göttin der Liebe leicht und plötzlich vollendet aus dem Meere emporstieg. Im Gemüthe des Sophokles war die göttliche Trunkenheit des Dionysos, die tiefe Erfindsamkeit der Athene, und die leise Besonnenheit des Apollo gleichmäßig verschmolzen . Mit Zaubermacht entrückt seine Dichtung die Geister ihren S itzen und versetzt sie in eine höhere Welt; mit süßer Gewalt lockt er die Herzen , und reißt sie unwiderstehlich fort. Aber ein großer Meister in der seltnen Kunst des Schicklichen weiß er auch durch den glücklichsten Gebrauch der größten tragischen Kraft die Mchste Schonung zu erreichen; gewaltig im Rührenden , wie im Schreck­ lichen ist er dennoch nie bitter oder gräßlich . - In I stetem Schrecken würden wir bis zur Bewußtlosigkeit erstarren ; in steter Rührung zerschmelzen . Sophokles hin­ gegen weiß Schrecken und Rührung im vollkommensten Gleichgewicht wohlthätig zu mischen , an treffenden Stellen durch entzückende Freude und frische Anmuth köstlich zu würzen , und dieses schöne Leben in gleichmäßiger Spannung über das Ganze zu verbreiten . Wunderbar groß ist seine Ueberlegenheit über den Stoff, seine glückliche Aus­ wahl desselben , seine weise Benutzung der gegebnen Umrisse. Unter so vielen vielleicht zahllosen möglichen Auflösungen immer sicher die beste zu treffen, nie von der zarten Gränze zu verirren und selbst unter den verwickeltsten Schranken , mit geschickter Fügung in das Nothwendige, seine völlige Freyheit behaupten ; das ist das Meisterstück der künstlerischen Weisheit. Auch wenn ein Vorgänger ihm die nächste und beste Auflösung vorweg genommen hatte, wußte er den entrissenen Stoff sich von neuem zuzueignen . Er vermochte nach dem Aeschylus in der Elektra neu zu seyn , ohne unnatürlich zu wer l den . Auch den an einzelnen großen Umris­ sen und glücklichen Veranlassungen reichen , im Ganzen aber ungünstigen und lük-

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kenhaften Stoff des Philoktetesl 4 wußte er zu einer vollständigen Handlung zu bil­ den, zu runden , und zu ergänzen, welcher es weder an einer leichten Einheit noch an einer völligen Befriedigung fehlt. Der Attische Zauber seiner Sprache vereinigt die rege Fülle des Homerus, und die sanfte Pracht des Pindarus mit durchgearbeiteter Bestimmtheit. Die kühnen und großen aber harten , eckichten und schneidenden Umrisse des Aeschylus sind in der Diktion des Sophokles bis zu einer scharfen Richtigkeit, bis zu einer weichen Voll­ endung verfeinert, gemildert und ausgebildet. - Nur da, wo Erfindsamkeit, Gesel­ ligkeit, Beredsamkeit und Schonung gleichsam eingebohren waren ; wo die voll­ ständige Bildung die einseitigen Vorzüge der Dorischen und Jonischen Bildung um­ faßte; wo bey der Unbeschränktesten Freyheit und Gesetzesgleichheit alles Innre in kecker Gestalt ans Licht treten durfte, und durch den lebhaften Kampf, die vielsei­ tigste Frikzion von I außen gewetzt, gereinigt, gerundet und geordnet wurde: nur in Athen war die Vollendung der Griechischen Sprache möglich . Der Rhythmus des Sophokles vereinigt den starken Fluß , die gedrängte Kraft und die männliche Würde des Dorischen Styls, mit der reichen Fülle, der raschen Reichheit und der zarten Leichtigkeit Jonischer oder Aeolischer Rhythmen . Das Ideal der Schönheit, welches in allen Werken des Sophokles, und deren einzelnen Theilen durchaus herrscht, ist ganz vollendet. Die Kraft der einzelnen wesentlichen Bestandtheile der Schönheit ist gleichmäßig , und die Ordnung der vereinigten völlig gesetzmäßig . Sein Styl ist vollkommen. In jeder einzelnen Tragö­ die, und in jedem einzelnen Fall ist der Grad der Schönheit durch die Schranken des Stoffs, den Zusammenhang des Ganzen , und die Beschaffenheit der besondren Stelle näher bestimmt. Die sittliche Schönheit aller einzelnen Handelnden ist so groß , als diese Bedin­ gungen jedesmahl nur immer verstatten . Alle I Thaten und Leidenschaften ent­ springen so weit als möglich aus Sitten oder Charakter, und die besondren Cha­ raktere, die bestimmten Sitten nähern sich so sehr als möglich der reinen Mensch­ heit. Unnütze Schiechtheit findet sich hier so wenig wie müßiger Schmerz und auch die leiseste Anwandlung des bittern Unwillens ist aufs strengste vermieden 1 5 • Der Begebenheiten , i m Gegensatz der Handlungen , sind s o wenig als möglich , und diese werden alle aus Schicksal hergeleitet. Der unaufhörliche nothwendige Streit des Schicksals und der Menschheit aber wird durch eine andre Art vori sittli­ cher Schönheit immer I wieder in Eintracht aufgelöst, bis endlich die Menschheit, so weit es die Gesetze der technischen Richtigkeit verstatten , den vollständigsten Sieg davon trägt. Die Betrachtung, dieser nothwendige innre Nachklang jeder großen äußern That oder Begebenheit trligt, und erhält das Gleichgewicht des Gan­ zen . Die ruhige Würde einer schönen Gesinnung schlichtet den furchtbaren Kampf, und lenkt die kühne Uebermacht, welche jeden Damm der Ordnung heftig durch14 Philoktetes] Philokletes

I S Die Modemen tappen über die unbedingte Nothwendigkeit, eigentliche Natur, und die be­ stimmten Gränzen der sittlichen Schönheit in Gedichten so sehr im dunkeln, daß sie lange über den

Sinn der einfachen Vorschrift des Aristoteles: •Die Sitten im Gedichte sollen gut, d.h. schön seyn;• gestritten haben. In der ganzen Masse der modernen Poesie ist der Charakter des Brutus im Cäsar des Shakespear vielleicht das einzige Beyspiel einer sittlichen Schönheit, welche des Sophokles nicht ganz unwürdig seyn würde.

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brach, wieder in das milde Gleis des ewig ruhigen Gesetzes. Der Schluß des gan­ zen Werks gewährt endlich jederzeit die vollste Befriedigung: denn wenn gleich der äußern Ansicht nach die Menschheit zu sinken scheint, so siegt sie dennoch durch innre Gesinnung. Die tapfre Gegenwehr des Helden kann der blinden Wuth des Schicksals zuletzt unterliegen : aber das selbstständige Gemüth hält dennoch in allen Qualen standhaft zusammen , und schwingt sich endlich frey empor, wie der ster­ bende Herkules in den Trachinerinnen. Alle diese skizzirten Vollkommenheiten der I Sophokleischen Dichtung sind nicht getrennte und für sich bestehende Eigenschaften , sondern nur verschiedene Ansichten und Theile eines streng verknüpften und innigst verschmolznen Ganzen . So lange das Gleichgewicht der Kraft und Gesetzmäßigkeit in der Bildung noch nicht verlohren , so lange das Ganze der Schönheit noch nicht zerrissen ist, kann das Einzelne gar nicht auf Unkosten des Ganzen vollkommner seyn . Alle einzelne Treflichkeiten leihen sich gegenseitig in durchgängiger Wechselwirkung einen hö­ hern Werth . Aus der Vereinigung aller dieser Eigenschaften , in denen ich nur die allgemeinsten Umrisse gleichsam die äußersten Gränzen seines unerschöpflich rei­ chen Wesens entworfen habe, entspringt die Selbstgenugsame Vollendung, die eigne Süßigkeit, welche den Griechen selbst vorzüglich charakteristische Züge die­ ses Dichters zu seyn schienen. In praktischer Rücksicht sind die Vorzüge der verschiedenen Zeitalter, Dicht­ arten und Richtungen sehr ungleich , und wiewohl das Nachahmungswürdige in der Griechischen Poe I sie überall verbreitet ist, so vereinigt es sich doch gleichsam in dem Mittelpunkte des goldnen Zeitalters. In theoretischer Rücksicht hingegen ist die ganze Masse ohngefähr gleich merkwürdig . Sehr auffallend kontrastirt die einfache Gleichanigkeit der ganzen Masse der Griechischen Poesie mit dem bunten Kolorit, und der heterogenen Mischung der modernen Poesie. Die Griechische Bildung überhaupt war durchaus originell und nazional , ein in sich vollendetes Ganzes, welches durch bloße innre Entwicklung einen höchsten Gipfel erreichte, und in einem völligen Kreislauf auch wieder in sich selbst zurück­ sank. Eben so originell war auch die Griechische Poesie. Die Griechen bewahrten ihre Eigenthümlichkeit rein und ihre Poesie war nicht nur im ersten Anfange, son­ dern auch im ganzen Fortgange beständig nazional. Sie war nicht nur in ihrem Ur­ sprunge, sondern auch in ihrer ganzen Masse mythisch: denn im Zeitalter kindli­ cher Bildung, so lange die Freyheit nur durch Natur I veranlaßt und nicht selbst­ ständig ist, sind die verschiedenen Zwecke der Menschheit nicht bestimmt, und ihre Theile vermischt. Die Sage oder der Mythus ist ja aber eben jene Mischung , wo sich Ueberlieferung und Dichtung gatten , wo die Ahndung der kindischen Ver­ nunft und die Morgenröthe der schönen Kunst in einander verschmelzen . Die na­ türliche Bildung ist nur die stete Entwicklung eines und desselben Keims; die Grundzüge ihrer Kindheit werden sich daher über das Ganze verbreiten und durch überlieferte Gebräuche und geheiligte Einrichtungen befestigt bis auf die späteste Zeit erhalten werden. Die Griechische Poesie ist von ihrem Ursprunge an , während ihres Fortganges, und in ihrer ganzen Masse musikalisch, rhythmisch und mimisch. Nur die Willkühr des künstelnden Verstandes kann gewaltsam scheiden , was durch die Natur ewig vereinigt ist. Ein wahrhaft menschlicher Zustand besteht nicht aus

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Vorstellungen oder aus Bestrebungen allein, sondern aus der Mischung beyder. Er ergießt sich ganz, durch alle vorhandneo Oeffnungen , nach I allen möglichen Richtungen . Er äußert sich in willkührlichen und natürlichen Zeichen , in Rede, Stimme und Gebehrde zugleich . In der natürlichen Bildung der Künste, ehe der Verstand seine Rechte verkennt, und durch gewaltsame Eingriffe die Gränzen der Natur verwirrt, ihre schöne Organisazion zerstört, sind Poesie, Musik und Mimik (welche dann auch rhythmisch ist) fast immer unzertrennliche Schwestern . Diese Gleichartigkeit nehmen wir nicht nur in der ganzen Masse, sondern auch in den größern und kleinem , Koexistenten oder sukzessiven Klassen , in welche das Ganze sich spaltet, wahr. Bey der größten Verschiedenheit der ursprünglichen Dichterkraft, und der weisen Anwendung derselben , ja sogar des individuellen Na­ zionalcharakters der verschiedenen Stämme, und der herrschenden Stimmung des Künstlers, sind dennoch in jeder größern Epoche der aesthetischen Bildung die all­ gemeinen Verhältnisse des Gemüths und der Natur unabänderlich und ohne Aus­ nahme bestimmt. In derjenigen dieser Epochen , wo der I öffentliche Geschmack auf der höchsten Stufe der Bildung stand, und bey der größten Vollkommenheit alle Organe der Kunst sich zugleich am vollständigsten und am freyesten äußern konnte, waren die allgemeinen Verhältnisse der ursprünglichen Bestandtheile der Schönheit durch den Geist des Zeitalters entschieden determinirt, und weder der höchste noch der geringste Grad des originellen Genies, oder die eigenthümliche Bildung und Stimmung des Dichters konnte eine einzige Ausnahme von dieser Nothwendigkeit möglich machen . Während diese koexistenten Verhältnisse schnell wechselten , verbreitete der Geist eines großen Meisters seine wohlthätigen Wir­ kungen durch viele Zeitalter, ohne daß dadurch die Erfindung gelähmt, oder die Originalität gefesselt worden wäre. Mit merkwürdiger Gleichheit erhielt sich oft durch eine lange Reihe von Künstlern eine vorzügliche eigenthümlich bestimmte Richtung . Dennoch aber gieng die durchgängige Tendenz des Individuellen auf das Objektive, so daß das erste den Spielraum des letzten wohl hie und da beschränkte, nie aber seiner gesetzmäßigen Herrschaft sich entzog. I Die verschiedenen Stufen der sukzessiven Entwicklung, sondern sich zwar in Masse deutlich und entschieden von einander ab , aber in dem stetigen Fluß der Ge­ schichte verschmelzen die äußersten Gränzen , wie Wellen des Stromes, in einan­ der. Desto unvermischter sind die Gränzen der koexistenten Richtungen des Ge­ schmacks und Arten der Kunst. Ihre Zusammensetzung ist durchaus gleichartig , rein und einfach , wie der Organismus der plastischen Natur, nicht wie der Mecha­ nismus des technischen Verstandes. Nach einem ewigen und einfachen Gesetz der Anziehung und der Rückstoßung koalisiren sich die homogenen Elemente, entledi­ gen sich alles Fremdartigen , je mehr sie sich entwickeln, und bilden sich orga­ nisch . Die ganze Masse der modernen Poesie ist ein unvollendeter Anfang, dessen Zusammenhang nur in Gedanken zur Vollständigkeit ergänzt werden kann . Die Einheit dieses theils wahrgenommenen, theils gedachten Ganzen ist der künstliche Mechanismus eines durch menschlichen Fleiß hervorgebrachten Produkts. Die I gleichartige Masse der Griechischen Poesie hingegen ist ein selbstständiges, in sich vollendetes, vollkommnes Ganzes, und die einfache Verknüpfung ihres durchgän­ gigen Zusammenhanges ist die Einheit einer schlJnen Organisazion, wo auch der

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kleinste Theil durch die Gesetze und den Zweck des Ganzen nothwendig bestimmt, und doch für sich bestehend und frey ist. - Die sichtbare Regelmtißigkeit ihrer pro­ gressiven Entwicklung verräth mehr als Zufall. Der größte wie der kleinste Fort­ schritt entwickelt sich wie von selbst aus der vorhergehenden , und enthält den voll­ ständigen Keim der folgenden Stufe. Die sonst auch in der Menschengeschichte oft so tief verhüllten innem Prinzipien der lebendigen Bildung liegen hier offenbar am Tage, und sind selbst der äußern Gestalt mit bestimmter und einfacher Schrift ein­ geprägt. Wie in der ganzen Masse die homogenen Elemente durch innre Stärke der strebenden Kraft zu einer gesunden Organisazion sich freundlich koalisirten ; wie der organische Keim durch stete Evolutionen des Bildungstriebes seinen Kreislauf I vollendete, glücklich wuchs, üppig blühte, schnell reifte und plötzlich welkte: so auch jede Dichtart, jedes Zeitalter, jede Schule der Poesie. Die Analogie erlaubt und nöthigt uns vorauszusetzen , daß in der Griechischen Poesie gar nichts zufällig und bloß durch äußre Einwirkung gewaltthätig bestimmt sey. Es scheint vielmehr auch das Geringste, Seltsamste und der ersten Ansicht nach Zufälligste sich aus innern Gründen nothwendig entwickelt zu haben . - Der Punkt, von dem die Griechische Bildung ausging , war eine absolute Rohigkeit, und ihre kosmische Lage ein Maximum von Begünstigung in Anlagen und Veranlas­ sungen welches in der aesthetischen Bildung wenigstens nie durch schädliche äußre Einflüsse gestört ward . Diese veranlassenden Ursachen erklären die Herkunft, die eigenthümliche Beschaffenheit, und die äußern Schicksale der Griechischen Poesie. Die allgemeinen Verhältnisse ihrer Theile aber, die Umrisse ihres Ganzen , die be­ stimmten Gränzen ihrer Stufen und Arten , die nothwendigen Gesetze ihrer Fort I schreitung erklären sich nur aus innern Gründen , aus der Natürlichkeit ihrer Bildung. Diese Bildung war keine andre als die freyeste Entwicklung der glücklich­ sten Anlage, deren allgemeiner und nothwendiger Keim in der menschlichen Natur selbst gegründet ist. - Nie ist die ästhetische Bildung der Griechen weder zu Athen noch zu Alexandrien in dem Sinne künstlich gewesen , daß der Verstand die ganze Masse geordnet, alle Kräfte gelenkt, das Ziel und die Richtung ihres Ganges be­ stimmt hätte. Im Gegentheil war die Griechische Theorie eigentlich ohne die min­ deste Gemeinschaft mit der Praxis des Künstlers und höchstens späterhin die Handlangerin derselben . Der gesammte Trieb war nicht nur das bewegende, son­ dern auch das lenkende Prinzip der Griechischen Bildung . Die Griechische Poesie in Masse ist ein Maximum und Kanon der natürlichen Poesie, und auch jedes einzelne ErzeugniS derselben ist das vollkommenste in sei­ ner Art. Mit kühner Bestimmtheit sind die Umrisse einfach entworfen , mit üppiger Kraft I ausgefüllt und vollendet; jede Bildung ist die vollsttindige Anschauung ei­ nes echten Begriffs. Die Griechische Poesie enthält für alle ursprünglichen Ge­ schmacks- und Kunstbegriffe eine vollständige Sammlung von Beyspielen , welche so überraschend zweckmäßig für das theoretische System sind, als hätte sich die bildende Natur gleichsam herabgelassen , den Wünschen des nach Erkenntniß stre­ benden Verstandes zuvorzukommen . In ihr ist der ganze Kreislauf der organischen Entwicklung der Kunst abgeschlossen und vollendet, und das höchste Zeitalter der Kunst, wo das Vermögen des Schönen sich am freyesten und vollständigsten äußern konnte, enthält den vollsttindigen Stufengang des Geschmacks. Alle reinen Arten der verschiedenen möglichen Zusammensetzungen der Bestandtheile der

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Schönheit sind erschöpft, und selbst die Ordnung der Aufeinanderfolge und die Be­ schaffenheit der Uebergänge ist durch innre Gesetze nothwendig bestimmt. Die Grlinzen ihrer Dichtarten sind nicht durch willkührliche Scheidungen und Mi­ schun I gen erkünstelt, sondern durch die bildende Natur selbst erzeugt und be­ stimmt. Das System aller möglichen reinen Dichtarten ist sogar bis auf die Spielarten , die unreifen Arten der unentwickelten Kindheit, und die einfachsten Ba­ stardarten , welche sich im versunknen Zeitalter der Nachahmung aus dem Zusam­ menfluß aller echten vorhandnen erzeugten , vollständig erschöpft. Sie ist eine ewige Naturgeschichte des Geschmacks und der Kunst. Sie enthält eigentlich die reinen und eirifachen Elemente, in welche man die gemischten Produkte der modernen Poesie erst analysiren muß, um ihr labyrinthi­ sches Chaos völlig zu enträthseln . Hier sind alle Verhältnisse so echt, ursprünglich und nothwendig bestimmt, daß der Charakter auch jedes einzelnen Griechischen Dichters gleichsam eine reine und einfache Iistherische Elementaranschauung ist. Man kann zum Beyspiel Göthens Styl nicht bestimmter, anschaulicher und kürzer erklären , als wenn man sagt, er sey aus dem Styl des Homerus, des Euripides und des Aristophanes gemischt. I •Aber die griechische Poesie beleidigt ja unsre Delikatesse so oft und so emp­ fi ndlich ! Weit entfernt von der höhem Sittlichkeit unsers verfeinerten Jahrhunderts bleibt sie selbst in ihrer höchsten Vollendung hinter der alten Romanze an Edel­ muth , Anstand, Scham und Zartheit weit zurück. Wie arm und uninteressant ist nicht die gerühmte Simplizität ihrer ernsthaften Produkte! Der Stoff ist dürftig, die Ausführung monoton , die Gedanken trivial, die Gefühle und Leidenschaften ohne Energie, und selbst die Form nach den strengen Forderungen unsrer höhem Theo­ rie nicht selten inkorrekt. Die Griechische Poesie sollte unser Muster seyn? S ie, welche den höchsten Gegenstand schöner Kunst - eine edle geistige Liebe - gar nicht kennt?« So werden viele Modeme denken . •Sehr viele lyrische Gedichte be­ singen die unnatürlichste Ausschweifung und fast in allen athmet der Geist zügello­ ser Wollust, aufgelöster Ueppigkeit, zerflossener Unmännlichkeit. In der plumpen Possenreisserey der pöbelhaften alten Komö I die scheint alles zusammengeflossen zu seyn , was nur gute Sitten und gute Gesellschaft empören kan n . In dieser Schule aller Laster, wo selbst Sokrates komödirt ward , wird alles Heilige verlacht, und alles Große muthwillig verspottet. Nicht nur die frevelhafteste Ausschweifung, sondern sogar weibische Feigheit und besonnene Niederträchtigkeit 16 werden hier mit fröhlichen Farben und in einem täuschend reizendem Lichte leichtsinnig darge­ stellt. Die Immoralität der neuen Komödie scheint nur weniger schlimm, weil sie schwächer und feiner ist. Allein die Gaunereyen lügenhafter S klaven und intrigan­ ter Buhlerinnen , die Ausschweifungen thörichter Jünglinge sind bey häufig wech­ selnden Mischungen die bleibenden und immer wiederkehrenden Grundzüge der ganzen Handlung . Auch im Homer stimmt der unedle Eigennutz seiner Helden , die nackte Art, wie der Dichter ungerechte Klugheit, und unsittliche S tärke gleichsam preisend, oder doch gleichgültig darstellt, mit der hohen Würde I der vollkomme-

1 6 Wie die Charaktere des Dionysos und des Demos in den Fröschen und Rittern des Aristo­

phanes.

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nen Epopöe so schlecht überein , als die nicht ganz seltne Gemeinheit des Stoffs und des Ausdrucks, und der rhapsodische Zusammenhang des Ganzen . Der wüthenden Tragödie ist nicht nur jedes gräßlichste Verbrechen das willkommenste, sondern in den Sophismen der Leidenschaft wird das Lager auch nach Grundsätzen gelehrt. Wessen Herz empört sich nicht, den Muttermord der Elektra im Sophokles mehr glänzend und verschönernd, als verabscheuend dargestellt zu sehen? Um endlich der bessern Seele jeden innern Widerhalt zu rauben , so schließt gewöhnlich das schreckliche Gemählde im dunkeln Hintergrunde mit der niederdrückenden An­ sicht eines allmächtigen und unverständigen , wohl gar neidischen und men­ schenfeindlichen Schicksals. « Ehe ich diese interessante Komposition moderner Anmaßung raffinirter Miß­ verständniße und barbarischer Vorortheile in ihre ursprünglichen Elemente analy­ sire, muß ich einige Worte über die einzigen gültigen objektiven Prinzipien des aesthetischen Tadels voranschicken . Dann wird es nicht schwer seyn , den J sub­ jektiven Ursprung der konventionellen Prinzipien dieser pathetischen Satyre zu de­ duziren. Jede lobende oder tadelnde Würdigung kann nur unter zwey Bedingungen gül­ tig seyn. Der Maßstab , nach welchem geurtheilt und geschätzt wird , muß allge­ mein gültig , und die Anwendung auf den kritisirten Gegenstand muß so gewissen­ haft treu, die Wahrnehmung so vollkommen richtig seyn , daß sie jede Prüfung be­ stehn können . Ausserdem ist das Urtheil ein bloßer Machtspruch . Wie unvollstän­ dig und lückenhaft unsre Philosophie des Geschmacks und der Kunst noch sey, kann man schon daraus abnehmen, daß es noch nicht einmal einen nahmhaften Versuch einer Theorie des Htißlichen giebt. Und doch sind das Schöne und das Häßliche unzertrennliche Korrelaten . Wie das Schöne die angenehme Erscheinung des Guten , so ist das Htißliche die unangenehme Erscheinung des Schlechten . Wie das Schöne durch eine süße Lok­ kung der Sinnlichkeit das Gemüth anregt, sich dem geistigen Genusse hinzugeben : so ist hier ein feindse i liger Angriff auf die Sinnlichkeit Veranlassung und Element des sittlichen Schmerzes. Dort erwärmt und erquickt uns reizendes Leben , und selbst Schrecken und Leiden ist mit Anmuth verschmolzen ; hier erfüllt uns das Ekelhafte, das Qutilende, das Grtißliche mit Widerwillen und Abscheu. Statt freyer Leichtigkeit drückt uns schweiflillige Peinlichkeit, statt reger Kraft todte Masse. Statt einer gleichmäßigen Spannung in einem wohlthätigen Wechsel von Bewegung und Ruhe wird die Theilnahme durch ein schmerzliches Zerren in widersprechen­ den Richtungen hin und her gerissen. Wo das Gemüth sich nach Ruhe sehnt, wird es durch zerrfittende Wuth gefoltert, wo es Bewegung verlangt, durch schleppende Mattigkeit ermüdet. Der thierische Schmerz ist in der Darstellung des Häßlichen nur Element und Organ des sittlich Schlechten. Dem absoluten Guten ist aber gar nichts Positives, kein absolutes Schlechtes entgegengesetzt, sondern nur eine bloße Negation der reinen Menschheit J der Allheit, Einheit und Vielheit. Das Häßliche ist also ei­ gentlich ein leerer Schein im Element eines reellen physischen Uebels, aber ohne moralische Realität. Nur in der Sphäre der Thierheit giebt es ein positives Uebel den Schmerz. In der reinen Geistigkeit würde nur Genuß und Beschränkung ohne Schmerz, und in der reinen Thierheit nur Schmerz und Stillung des Bediiifnisses

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ohne Genuß Statt finden . I 7 In der gemischten I Natur des Menschen sind die nega­ tive Beschränkung des Geistes und der positive Schmerz des Thiers innigst in ein­ ander verschmolzen . Der Gegensatz reicher Fülle ist Leerheit; Monotonie, Einförmigkeit, Geistlo­ sigkeit. Der Harmonie steht MißverhältniS und Streit gegen über. Düiftige Vetwir­ rung ist also dem eigentlichen Schönen im engem Sinne entgegen gesetzt. Das Schline im engem Sinne ist die Erscheinung einer endlichen Mannichfaltigkeit in einer bedingten Einheit. Das Erhabne hingegen ist die Erscheinung des Unendli­ chen ; unendlicher Fülle oder unendlicher Harmonie. Es hat also einen doppelten Gegensatz: unendlichen Mangel und unendliche Disharmonie. Die Stufe der Schiechtheit nehmlich wird allein durch den Grad der Negation bestimmt. Die Stufe der Häßlichkeit hingegen hängt zugleich von der intensiven Quantitlit des Triebes, welchem widersprochen wird , ab . Die nothwendige Bedin­ gung des Häßlichen ist eine getäuschte I Erwartung, ein erregtes und dann belei­ digtes Verlangen . Das Gefühl der Leerheit und des Streits kann von blosser Unbe­ haglichkeit bis zur wüthendsten Verzweiflung wachsen , wenn gleich der Grad der Negation derselbe bleibt, und die intensive Kraft des Triebes allein steigt. Erhabne Schönheit gewährt einen vollständigen Genuß. Das Resultat erhabner Hlißlichkeit (einer Täuschung , welche durch jene Spannung des Triebes möglich ist) hingegen ist Verzweiflung, gleichsam ein absoluter, vollständiger Schmerz. Ferner Unwillen, (eine Empfindung , welche im Reiche des Häßlichen eine sehr große Rolle spielt) oder der Schmerz, welcher die Wahrnehmung einzelner sittli­ cher Mißverhältnisse begleitet; denn alle sittliche Mißverhältnisse veranlassen die Einbildungskraft, den gegebnen Stoff zur Vorstellung einer unbedingten Dishar­ monie zu ergänzen. In strengstem Sinne des Worts ist ein hlichstes Hlißliches offenbar so wenig möglich wie ein höchstes Schönes. Ein unbeding I tes Maximum der Negation, oder das absolute Nichts kann so wenig wie ein unbedingtes Maximum der Position in irgend einer Vorstellung gegeben werden ; und in der höchsten Stufe der Häßlich­ keit ist noch etwas Schönes enthalten . Ja sogar um das häßlich Erhabne darzustel­ len , und den Schein unendlicher Leerheit und unendlicher Disharmonie zu erregen, wird das größte Maß von Fülle und Kraft erfordert. Die Bestandtheile des Häßli­ chen streiten also unter einander selbst, und es kann in demselben nicht einmal wie im Schönen, durch eine gleichmäßige, wenn gleich beschränkte Kraft der einzelnen Bestandtheile, und durch vollkommne Gesetzmäßigkeit der vollständig vereinigten ein bedingtes Maximum (ein objektives unübertrefliches Proximum) erreicht wer­ den , sondern nur ein subjektives: denn es giebt für jede individuelle Empfanglich17 Auch das thierische Spiel, in welchem wir freyeren Genuß menschlich ahnden, ist vielleicht nur Stillung eines Bedürfnisses - Entledigung der überflüssigen Kraft. Nur das VorgeftJhl des ihm Emgegengesetven kann dem Lebensvermögen den ersten Anstoß der Bewegung geben, seine Kraft zu regen und zu bestimmen, gleichartigen Lebensstoff zu lieben, und das Fremdartige zu hassen . Ohne Ahndung eines Feindes könnte ein Wesen gar nicht zum Bewußtseyn, (welches Mannichfal­ tigkeit und also Verschiedenheit voraussetzt, bey vollkommner Gleichheit aber nicht möglich seyn würde) gelangen, viel weniger begehren; es würde in träger Ruhe ewig beharren. Furcht vor der Vernichtung ist der eigentliche Quell des thierischen Daseyns. Die thierische Furcht ist nur anders modifiz:irt, wie die menschliche: der Hoffnung hingegen ist offenbar nur der Mensch allein fähig. -

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keit eine bestimmte Gränze des Ekels, der Pein, der Verzweiflung , jenseits welcher die Besonnenheit aufuören würde. Der schöne Künstler aber soll nicht nur den Gesetzen der Schönheit, sondern auch den I Regeln der Kunst gehorchen , nicht nur das Häßliche, sondern auch technische Fehler vermeiden . Jedes darstellende Werk freyer Kunst kann auf vier­ fache Weise Tadel verdienen . Entweder fehlt es der Darstellung an darstellender Vollkommenheit; oder sie sündigt wider die Idealität und die Objektivität; oder auch wider die Bedingungen ihrer innern Möglichkeit. Dem UnvermlJgen fehlt es an Werkzeugen und an Stoff, welche dem Zweck entsprechen würden . Die Ungeschicklichkeit weiß die vorhandne Kraft und den ge­ gebnen Stoff nicht glücklich zu benutzen . Die Darstellung ist dann stumpf, dunkel , verworren und lückenhaft. Die Verkehrtheil wird die ewigen Gränzen der Natur verwirren , und durch monströse Mischungen der echten Dichtarten ihren eignen Zweck selbst vernichten . Eine zwar gesunde aber noch kindliche Bildung wird in echten aber unvollkommnen Dichtarten ihre richtige Absicht nur anlegen und skiz­ ziren , ohne sie vollständig auszuführen . I Die Darstellung kann im Einzelnen sehr treflich seyn , und doch im Ganzen durch innre Widersprüche sich selbst aufueben , die Bedingungen ihrer innern Möglichkeit vernichten , und die Gesetze der technischen Richtigkeit verletzen . Un­ zusammenhang könnte man es nennen , wenn es der unbestimmten Masse eines an­ geblichen Kunstwerks an eigner Bestandheit und Gesetzen innrer Möglichkeit über­ haupt fehlte; wenn das Werk gleichsam gränzenlos, und von der übrigen Natur gar nicht, oder nicht gehörig abgesondert wäre, da es doch eigentlich eine kleine abge­ schlossene Welt, ein in sich vollendetes Ganze seyn sollte. Wider die Idealität der Kunst wird verstoßen , wenn der Künstler sein Werk­ zeug vergöttert, die Darstellung , welche nur Mittel seyn sollte, an die Stelle des unbedingten Ziels unterschiebt, und nur nach Virtuosität strebt; durch Künsteley. Wider die Objektivität der Kunst, wenn sich bey dem Geschäft allgemein gül­ tiger Darstellung, die Eigenthümlichkeit ins Spiel I mischt, sich leise einschleicht, oder offenbar empört; durch Subjektivität. Dieser allgemeine Umriß der reinen Arten aller möglichen technischen Fehler enthält die ersten Grundlinien einer Theorie der Inkorrektheit, welche mit der Theorie des Häßlichen zusammen genommen den vollständigen aesthetischen Kri­ minalkodex, ausmacht, den ich bey der folgenden skizzirten Apologie der Griechi­ schen Poesie zum Grunde legen werde. Die Griechische Poesie bedarf keiner rhetorischen Lobpreisungen ; der Kunst­ griff, ihre wirklichen Fehler zu beschönigen oder zu leugnen , ist ihrer ganz un­ würdig. Sie verlangt strenge Gerechtigkeit: denn selbst harter Tadel wird ihrer Ehre weniger nachtheilig seyn , als blinder Enthusiasmus oder tolerante Gleichgül­ tigkeit. Jeder Verständige wird die Unvollkommenheit der ältesten, die Unechtheit der spätesten Griechischen Dichtarten ; die kindliche Sinnlichkeit des epischen Zeital­ ters, die üppige Ausschweifung gegen das Ende des lyrischen und I besonders in der dritten Stufe des dramatischen Zeitalters, die nicht selten bittre und gräßliche Härte der ältern Tragödie willig eingestehen . Auf die Schwelgerey , die das sinnlich Angenehme, welches nur Anregung und Element des geistigen Genusses seyn

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sollte, zum letzten Zweck erhob , folgte bald kraftlose Gährung , dann ruhige Mat­ tigkeit, und endlich im Zeitalter der Künsteley und gelehrter Nachahmung die schwerfällige Trockenheit einer todten und aus einzelnen Stücken zusammenge­ flickten Masse. Die durchgängige Richtung der gesammten strebenden Kraft ging zwar auf Schönheit von dem Augenblick an , da die Darstellung von der rohen Aeußerung eines Bedürfnisses sich zum freyen Spiel erhob. Aber die natürliche Entwicklung konnte keine nothwendigen Stufen der Bildung überspringen , und nur allmählig fonschreiten. Auch das war natürlich, ja nathwendig, daß die Griechische Poesie von dem höchsten Gipfel der Vollendung in die tiefste Entanung versank. Der Trieb nehmlich , welcher die I Griechische Bildung lenkte, ist ein mächtiger Bewe­ ger, aber ein blinder Führer. Setzt eine Mannichfaltigkeit blinder bewegender Kräfte in freye Gemeinschaft, ohne sie durch ein vollkommnes Gesetz zu vereini­ gen : sie werden sich endlich selbst zerstören. So auch freye Bildung: denn hier ist in die Gesetzgebung selbst etwas Fremdartiges aufgenommen , weil der zusammen­ gesetzte Trieb eine Mischung der Menschheit und der Thierheit ist. Da die letztere eher zum Daseyn gelangt, und die Entwicklung der ersten selbst erst veranlaßt, so hat sie in den frühem Stufen der Bildung das Uebergewicht. Sie behielt dieses in Griechenland auch bey der größem Masse der ganz ungebildeten Bürger oder Bür­ gerinnen gebildeter Völker, und der rohgebliebenen Völkerschaften ; und zwar eine Masse, aber nur die kleinere herrschende in der größem beherrschten wurde mün­ dig und selbstständig . Diese größere Masse äußerte beständig eine starke anzie­ hende Kraft, die bessere zu sich herabzuziehn , welche durch den ansteckenden Ein­ fluß durchmischter Sklaven und umgebender Barbaren I noch ungemein verstärkt ward . Ohne äußre Gewalt, und sich selbst überlassen, kann die strebende Kraft nie stillstehen . Wenn sie daher in ihrer allmähligen Entwicklung das Zeitalter einer gleichmäßigen , an Kraft beschränkten , aber im Umfang vollständigen und gesetz­ mäßigen Befriedigung erreicht, so wird sie nothwendig größeren Gehalt selbst auf Unkosten der Uebereinstimmung begehren . Die Bildung wird rettungslos in sich selbst versinken , und der Gipfel der höchsten Vollendung wird ganz dicht an ent­ schiedene Entartung gränzen. Die lenkende Kunst eines durch vielfache Erfahrung gereiften Verstandes allein hätte dem Gange der Bildung eine glücklichere Rich­ tung geben können. Der Mangel eines weisen lenkenden Prinzips, um das höchste Schöne zu fixiren , und der Bildung eine stete Progression zum Bessern zu sichern , ist aber nicht das Vergehn eines einzelnen Zeitalters. Wenn über das, was nothwendig , und eigentlich Schuld der Menschheit selbst ist, ein Tadel Statt finden kann , so trifft er die Masse der Griechischen Bildung. I Aber dieses allmählige Entstehen , und dieses Versinken in sich selbst, der gan­ zen Griechischen Bildung, wie der Griechischen Poesie, steht gar nicht im Wider­ spruch mit der Behauptung, daß die Griechische Poesie die gesuchte Anschauung sey, durch welche eine objektive Philosophie der Kunst sowohl in praktischer, als in theoretischer Rücksicht erst anwendbar und pragmatisch werden könnte. Denn eine vollständige Naturgeschichte der Kunst und des Geschmacks umfaßt im voll­ endeten Kreislaufe der allmähligen Entwicklung auch die Unvollkommenheit der frühem , und die Entartung der spätem Stufen , in deren steten und nothwendigen Kette kein Glied übersprungen werden kann. Der Charakter der Masse ist dennoch

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Objektivität, und auch diejenigen Werke, deren Styl tadelhart ist, sind durch die einfach Echtheit der Anlagen und Gränzen , durch die dreiste Bestimmtheit der rei­ nen Umrisse, und die kräftige Vollendung der bildenden Natur einzige, für alle Zeitalter gültige, und gesetzgebende Anschauungen. Die kindliche Sinnlichkeit der frühem I Griechischen Poesie hat mehr gleichmäßigen Umfang und schönes Ebenmaß , als die künstlichste Verfeinerung mißbildeter Barbaren , und selbst die Griechische Künsteley hat ihre klassische Objektivität. Es giebt eine gewisse Art der Ungenügsamkeit, welche ein sichres Kennzei­ chen der Barbarey ist. So diejenigen , welche nicht zufrieden damit, daß die Grie­ chische Poesie schön sey, ihr einen ganz fremdartigen Maßstab der Würdigung aufdringen , in ihren verwormen Prätensionen alles Objektive und Subjektive durch einander mischen, und fordern , daß sie interessanter seyn sollte. Allerdings könnte auch das Interessanteste noch interessanter seyn, und die Griechische Poesie macht von diesem allgemeinen Naturgesetz keine Ausnahme. Alle Quanta sind unendlich progressiv, und es wäre wunderbar, wenn unsere Poesie durch die Fortschritte aller vorigen Zeitalter bereichert an Gehalt die Griechische nicht überträfe. Vielleicht ist das Verhältniß des männlichen und des weiblichen Geschlechts im Gan I zen bey den Modemen wenigstens etwas glücklicher, die weibliche Erzie­ hung ein klein wenig besser, wie bey den Griechen . Die Liebe war bey den Mo­ demen lange Zeit, zum Theil noch jetzt der einzige Ausweg für jeden freyeren Schwung höhem Gefühls, der sonst der Tugend und dem Vaterlande geweiht war. Auch die Dichtkunst der Modernen verdankt dieser günstigen Veranlassung sehr viel . Freylich aber wurde nur zu oft Fantasterey und Bombast der echten Empfin­ dung untergeschoben , und durch häßliche falsche Schaam die Einfalt der Natur entweiht. Gewiß ist die sublimirte Mystik und die ordentlich scholastische Pedante­ rey in der Metaphysik der Liebe vieler modernen Dichter von echter Grazie sehr weit entfernt. Die krampfttaften Erschütterungen des Kranken machen mehr Ge­ räusch , als das ruhige aber starke Leben des Gesunden . - Die innige Gluth des treuen Properzius vereinigt wahre Kraft und Zartheit, und läßt viel Gutes vom Kallimachus und Philetas ahnden . Und doch war in seinem Zeitalter an voll­ kommne lyrische Schönheit I schon gar nicht mehr zu denken . Es sind aber Spuren genug vorhanden , um sehr bestimmt vermuthen zu können , was und wie viel wir an den Gesängen der Sappho, des Mimnermus und einiger andrer erotischen Dich­ ter aus der Blüthezeit der lyrischen Kunst verlohren haben . Die sanfte Wärme, die urbane Grazie, die liberale Humanität, welche in den erotischen Darstellungen der neuen Attischen Komödie athmete, lebt noch in vielen Dramen des Plautus und Terentius. Was hingegen die Tragödie betrift, so hatten die Griechen vielleicht Recht, den Euripides zu tadeln. Was augenblickliche Ergießung des überschäu­ menden Gefühls, oder ruhiger Genuß voller Glückseligkeit seyn sollte, kann nur durch häßliche, inmoralische und fantastische Zusätze zu einer tragischen Leiden­ schaft aus einander gereckt werden. In vielen der treflichsten modernen Tragödien spielt die Liebe nur eine untergeordnete Rolle. Sollte aber auch wirklich die Griechische Poesie durch eine Eigenthümlichkeit ihrer sonst so einzig günstigen Lage hier etwas zurückge l blieben seyn : so wäre es kein unverzeihliches Verbrechen . Ueberhaupt verräth es einen kleinlichen Blick, nur am Zufälligen zu kleben , und das große Wesentliche nicht wahrzunehmen . Der

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Künstler braucht gar nicht allen alles zu seyn. Wenn er nur den nothwendigen Ge­ setzen der Schönheit und den objektiven Regeln der Kunst gehorcht, so hat er übri­ gens unbeschränkte Freyheit, so eigenthümlich zu seyn , als er nur immer will . Durch ein seltsames Mißverständniß verwechselt man sehr oft ästhetische Allge­ meinheit mit der unbedingt gebotenen Allgemeingültigkeit. Die größte Allgemein­ heit eines Kunstwerks würde nur durch vollendete Flachheit möglich seyn. Das Einzelne ist in der idealischen Darstellung das unentbehrliche Element des Allge­ meinen . Wird alle eigenthümliche Kraft verwischt, so verliert selbst das Allge­ meine seine Wirksamkeit. Die schöne Kunst ist gleichsam eine Sprache der Gott­ heit, welche nach Verschiedenheit der Kunstarten , der Werkzeuge und der Stoffe sich in eben so viele abgesonderte Mundarten theilt. Wenn der Künstler nur seiner ho I hen Sendung würdig, wenn er nur göttlich redet; so bleibt ihm die Wahl der Mundart, in der er reden will , völlig frey. Es würde nicht nur unrechtmäßig, son­ dern auch sehr gefährlich seyn , ihn hierin beschränken zu wollen : denn die Sprache ist ein Gewebe der feinsten Beziehungen . Sie muß sogar, so scheint es, ihre Eigen­ heiten haben , um bedeutend und trefflich zu seyn : wenigstens hat man noch keine allgemeine Allerweltsprache, die allen alles wäre, erfinden können . Auch darf der Künstler reden , mit wem er gut findet; mit seinem ganzen Volke, oder mit diesem und jenem , mit aller Welt, oder mit sich allein. Nur muß und soll er, in den menschlichen Individuen , welche sein Publikum sind, sich an die höhere Mensch­ heit und nicht an die Thierheit wenden . Auch der modernen Poesie würde ihre Individualität unbenommen bleiben , wenn sie nur das Griechische Geheimniß entdeckt hätte, im Individuellen objektiv zu seyn. Statt dessen will sie ihre konvenzionellen Eigenheiten zum Naturgesetz der Menschheit erheben . I Nicht zufrieden damit, selbst die Sklavin so vieler äs­ thetischen , moralischen , politischen und religiösen Vorortheile zu seyn, will sie auch ihre Griechische Schwester in ähnliche Fesseln schlagen . Wenn die konvenzionellen Regeln der modernen Dezenz gültige Gesetze der schönen Kunst sind , so ist die Griechische Poesie nicht zu retten , und wenn man konsequent seyn will , muß man mit ihr verfahren , wie die Mönche mit den Nudi­ täten der Antike. Die Dezenz aber hat der Poesie gar nichts zu befehlen ; sie steht gar nicht unter ihrer Gerichtsbarkeit. Die kecke Nacktheit im Leben und in der Kunst der Griechen und Römer ist nicht thierische Plumpheit, sondern unbefangne Natürlichkeit, liberale Menschlichkeit, und republikanische Offenheit. Das Gefühl echter Schaam war bey keinem Volke so einheimisch , und gleichsam angebohren , wie bey den Griechen . Der Quell der echten Schaam ist sittliche Scheu , und Be­ scheidenheit des Herzens. Falsche Schaam hingegen entspringt aus thierischer Furcht, oder aus künstlichem Vor I urtheil. Sie giebt sich durch Stolz und Neid zu erkennen . Ihr verstecktes und heuchlerisches Wesen verräth ein tiefes Bewußtseyn von innerm Schmutz. Ihre unechte Delikatesse ist die häßliche Schminke lasterhaf­ ter Sklaven , der weibische Putz entnervter Barbaren . Wichtiger scheinen die Einwürfe wieder die Moralitlit der Griechischen Poe­ sie. Wer wollte wohl das beschönigen oder für gleichgültig halten , was ein rein ge­ stimmtes Gemüth wirklich verletzen muß? - Nur darf, wer hier mitreden will , nicht so übler Laune seyn, daß er etwa an der köstlichen Naivität, mit der die Schelme­ reyen des neugebohrnen Gottes in dem Hymnus auf den Merkur dargestellt wer-

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den , ein Aergemiß nähme! - Offenbar enthält die Anklage einzelne wahre Züge, nur der eigentliche Gesichtspunkt, der wahre Zusammenhang, auf den doch alles ankommt, scheint verfehlt zu seyn . - Man unterscheide vor allen Dingen wesentli­ che und zufällige Sittlichkeit und Unsittlichkeit eines Kunstwerks. Wesentlich tis­ thetisch unsittlich ist nur das wirklich Schlechte, was erscheint, I und dessen Ein­ druck jedes sittlich gute Gefühl nothwendig beleidigen muß. Die Erscheinung des Schlechten ist häßlich , und wesentliche ästhetische Sittlichkeit (Sittlichkeit über­ haupt ist das Uebergewicht der reinen Menschheit über die Thierheit im Begeh­ rungsvermögen) ist daher ein nothwendiger Bestandtheil der vollkommenen Schön­ heit. Die Sinnlichkeit der frühem , und die Ausschweifung der spätem Griechischen Poesie sind nicht nur moralische, sondern auch ästhetische Mängel und Vergehen . - Es ist aber wahrhaft merkwürdig , wie tief das Attische Volk sein eignes Versin­ ken fühlte, mit welcher Heftigkeit die Athener einzelne üppige Dichter - einen Eu­ ripides, einen Kinesias - deshalb beschuldigten und haßten ; Dichter, die doch nur ihre eignen Wünsche erriethen , oder dem starken reißenden Strome der ganzen Masse folgten . Es giebt Griechische Fehler, vor denen die modernen Dichter sehr sicher sind . Eine zahme Kraft durch den gewaltsamsten Zwang in guter Zucht und Ordnung halten , ist eben kein großes Kunststück. Wo aber die Neigungen I nicht unbe­ schränkt frey sind , da kann es eigentlich weder gute noch schlechte Sitten geben . Wem der muthwillige Frevel des Aristophanes bloß Unwillen erregt, der verräth nicht allein die Beschränktheit seines Verstandes, sondern auch die Unvollständig­ keit seiner sittlichen Anlage und Bildung. Denn die gesetzlose Ausschweifung die­ ses Dichters ist nicht bloß durch schwelgerische Fülle des üppigsten Lebens verfüh­ rerisch reizend , sondern auch durch einen Ueberfluß von sprudelndem Witz, über­ schäumenden Geist, und sittlicher Kraft in freyester Regsamkeit, hinreißend schön und erhaben . Zufällig tisthetisch unsittlich ist dasjenige, dessen Schiechtheit nicht erscheint, was aber seiner Natur nach , unter gewissen subjektiven Bedingungen des Temperaments, und der Ideenassoziazion Veranlassung zu einer bestimmten unsitt­ lichen Denkart oder Handlung werden kann. - Welches noch so Treffliche könnte nicht durch zufällige Umstände verderblich werden? Nur der absoluten Nullität ge­ ben wir das zweydeutige Lob völliger Unschädlichkeit. - Das Kunstwerk ist gar nicht I mehr vorhanden , wenn seine Organisazion zerstört, oder nicht wahrge­ nommen wird , und die Wirkung des aufgelösten Stoffs geht den Künstler nichts mehr an . Ueberdem sind wir gar nicht berechtigt, wissenschaftliche Wahrheit von dem Dichter zu erwarten . Der Tragiker kann es oft gar nicht vermeiden , Verbre­ chen zu beschönigen . Er bedarf starker Leidenschaften und schrecklicher Begeben­ heiten , und er soll doch schlechthin die Sitten seiner Handelnden so erhaben und schön darstellen , als das Gesetz des Ganzen nur immer erlauben will. Wer aber durch das Beyspiel eines Orestes, einer Phädra, zu Verbrechen verleitet wird , der hat wahrlich sich selbst allein so gut die Schuld beyzumessen , als wer sich eine üp­ pige Buhlerin , einen geistreichen Betrüger, einen witzigen Schmarotzer der Komö­ die zum Muster nehmen wollte! Ja der Dichter selbst kann eine unsittliche Absicht haben , und sein Werk dennoch nicht unsittlich seyn. Unstreitig hat die Leidenschaftlichkeit der entarteten Tragödie, der Leichtsinn der Komödie, die Ueppigkeit der spätem Lyrik den Fall I der Griechischen Sitten

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beschleunigt. Durch die bloße Rückwirkung der darstellenden Kunst wurde die oh­ nehin schon entschiedene sittliche Entartung der Masse dennoch verstärkt, und sank mit verdoppelter Geschwindigkeit. Dieß gehört aber nur für die Gerichtsbarkeit der politischen Würdigung, welche das vollständige Ganze der menschlichen Bildung umfaßt. Die ästhetische Beurthei/ung hingegen isolirt die Bildung des Geschmacks und der Kunst aus ihrem Kosmischen Zusammenhange, und in diesem Reiche der Schönheit und der Darstellung gelten nur ästhetische und technische Gesetze. Die politische Beurtheilung ist der höchste aller Gesichtspunkte: die untergeordneten Gesichtspunkte der moralischen , ästhetischen und intellektuellen Beurtheilung sind unter sich gleich. Die Schönheit ist ein eben so ursprünglicher und wesentlicher Bestandtheil der menschlichen Bestimmung als . die Sittlichkeit. Alle diese Bestand­ tbeile sollen unter sich im Verhältnisse der Gesetzesgleichheit (lsonomie) stehn, und die schöne Kunst hat ein unveräußerliches Recht I auf gesetzliche Selbststän­ digkeit (Autonomie) . Diesem Fundamentalgesetze muß auch die herrschende Kraft, welche das Ganze der menschlichen Bildung lenkt und ordnet, getreu bleiben : sonst vernichtet sie selbst den Grund , worauf sich das Recht ihrer Herrschaft allein stützt. Es ist die Bestimmung des politischen VermlJgens, die einzelnen Kräfte des ganzen Gemüths, und die Individuen der ganzen Gattung zur Einheit zu ordnen . Die politische Kunst darf zu diesem Zwecke die Freyheit der Einzelnen beschrän­ ken , ohne jedoch jenes konstituzionelle Grundgesetz zu verletzen ; aber nur unter der Bedingung , daß sie die fortschreitende Entwicklung nicht hemmt, und eine künftige vollendete Freyheit nicht unmöglich macht. Sie muß gleichsam streben , sich selbst überflüssig zu machen . Wie sehr man die Gränzen der poetischen Sphäre zu verkennen pflege, können auch die Anmaßungen der Korrektheit bestätigen . Wenn der kritische Anatom die schöne Organisazion eines Kunstwerks erst zerstört, in elementarische Masse ana­ lysirt, und mit die I ser dann mancherley physische Versuche anstellt, aus denen er stolze Resultate zieht: so täuscht er sich selbst auf eine sehr handgreifliche Weise: denn das Kunstwerk existirt gar nicht mehr. Es giebt kein Gedicht, aus welchem man auf diese Art nicht innre Widersprüche herausrechnen könnte: aber innre Wi­ dersprüche, welche nicht erscheinen, schaden der technischen Wahrheit nicht; sie sind poetisch gar nicht vorhanden . Aeltere Französische und Engländische Kritiker vorzüglich haben ihren Scharfsinn an solche verkehrte Spitzfindigkeiten häufig ver­ schwendet, und ich weiß nicht, ob sich im Lessing nicht noch hie und da Erinne­ rungen an jene Manier finden sollten . Ueberhaupt glaube ich , bey aller Achtung vor der Theorie, daß man in der Ausübung mit dem Gefühl des Schicklichen weiter kommt, als mit der Theorie desselben . Die Vermuthung , daß die Griechen andern Völkern an jenem Gefühl wohl ein wenig überlegen gewesen seyn möchten , muß uns im Tadeln wenigstens sehr vorsichtig machen . I Eben so Unrecht haben die passionirten Freunde der Korrektheit, wenn sie nach dem Prinzip der Virtuosität, ohne Rücksicht auf Schönheit, ein Maximum von Künstlichkeif fordern; oder wenn sie beschränkte, aber nicht unnatürlich gemischte, sondern ursprünglich echte, und in ihrer beschränkten Richtung vollendete Dicht­ arten schlechthin tadeln . Die Kunst ist nur das Mittel der Schönheit, und jede na­ türliche Dichtart, in welcher dieser Zweck, wenn gleich unter gewissen Schranken , erreicht werden kann, ist an ihrer Stelle zweckmäßig. An Maß der Stärke und des

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Umfangs findet freylich unter den echten Dichtarten ein sehr großer Unterschied Statt; aber nur die monströsen Mischungen , und die unreifen Arten , wenn sie aus der Schwäche des Künstlers entspringen , und nicht in dem nothwendigen Stufen­ gang der Bildung gegründet sind , verdienen unbedingten Tadel . Ein merkwürdiges Beyspiel , wie sehr man gegen die unmerklichen aber mäch­ tigen Einflüsse des S ubjektiven auf ästhetische Urtheile auf der Hut seyn müsse, geben auch die gewöhn ! Iichen Einwürfe wider die Sentenzen und vorzüglich wider die Behandlung des Schicksals in der Attischen Tragödie. Die wissenschaftliche Bildung der Griechen war im Ganzen sehr weit hinter der unsrigen zurück, und der dramatische Dichter mußte mit Schonung philosophiren , um popular zu bleiben . Daher sind die philosophischen Sentenzen des tragischen Chors fast immer unbe­ stimmt und verworren , sehr oft trivial , und nicht selten grundfalsch . Gewiß ließen sich auch durch einen ähnlichen chymischen Prozeß, wie ich ihn schon oben be­ schrieben habe, aus manchen von ihnen sittliche Grundirrthümer folgern , welche, wenn sie konsequent durchgeführt würden , mit der reinsten Sittlichkeit nicht ver­ träglich seyn würden . Ich muß noch einmal wiederholen , daß alles, was nicht er­ scheint, jenseits des ästhetischen Horizonts gelegen sey. Auf die Reichhaltigkeit, Richtigkeit und vollendete Bestimmtheit des Gedankens kommt in der Dichtkunst eigentlich gar nichts an. Das philosophische Interesse ist von dem Grade der intel­ lektuellen Bildung des empfangenden Sub j jekts abhängig , und also lokal und tem­ porell. Nur die Gesinnung muß an sich so erhaben und schön, als die Bedingungen der technischen Richtigkeit erlauben , und an ihrer Stelle vollkommen zweckmäßig seyn. Die Rückkehr in sich selbst muß durch ein vorhergegangnes Herausgehn aus sich selbst veranlaßt worden ; die Betrachtung muß motivirt seyn, und sie muß stre­ ben , den Streit der Menschheit und des Schicksals zu schlichten , und das Gleich­ gewicht des Ganzen zu tragen. Daß das schöne Gefühl seine Ahndungen über gött­ liche Dinge in einer gegebnen Bildersprache äußert, das kann in der Wissenschaft vielleicht unendliches Unheil anstiften, der darstellenden Kunst aber dürfte es wohl eher günstig als nachtheilig seyn. Die Behandlung des Schicksals in den Tragödien des Aeschylus läßt noch eine größere Eintracht zu wünschen übrig. Im Sopholdes aber ist die Befriedigung im­ mer so vollkommen , als es nur seyn kann, ohne die dichterische Wahrheit - die innre Möglichkeit - zu vernichten . Ist der endliche Beschluß des I Ganzen auch kein glänzender Sieg der Menschheit, so ist es doch wenigstens ein ehrenvoller Rückzug. Aber freylich mischt er nichts in seine Darstellung , was gar nicht darge­ stellt werden , nicht erscheinen kann. Nicht durch die geglaubte Göttlichkeit der Natur jenseits des ewigen Vorhanges, den kein Sterblicher durchschauen kann; sondern durch die sichtbare Göttlichkeit des Menschen sucht er jeden Mißlaut auf­ zulösen , und eine vollständige Befriedigung zu gewähren . - Das Reich Gottes liegt jenseits des ästhetischen Horizonts, und ist in der Welt der Erscheinung nur ein leerer Schatten ohne Geist und Kraft. In der That, der Dichter, welcher es wagt, durch empörende Schlechtheit, oder durch ein empörendes Mißverhältniß des Glücks und der Güte unsern Unwillen zu erregen, und sich dann durch die dürftige Befriedigung, welche der Anblick bestrafter Bosheit gewährt, oder gar durch eine Anweisung auf jene Welt aus dem Handel zu ziehn glaubt, verräth ein Minimum von künstlerischer Weisheit.

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I »Es ist wahr, « könnte man denken , »eine uralte Tradition sagt, und wiederholt noch immer, die Nachahmung der Griechen sey das einzige Mittel , echte schöne Dientkunst wiederherzustellen . Eine lange Erfahrung hat sie durch die vielfältig­ sten , sämmtlich mißglückten Versuche widerlegt. Man durchlaufe nur in irgend ei­ ner Bibliothek (denn da ist ihre eigentliche Heimath) die große Zahl der künstli­ chen Nachbildungen , die nach jenen Mustern verfertigt sind . Sie alle sind früher oder später eines kläglichen Todes gestorben , Schattenwesen ohne Bestandheit und eigne Kraft. Grade diejenigen modernen Gedichte, welche mit dem Griechischen Styl am schneidendsten kontrastiren , leben und wirken bey allen ihren ekzentri­ schen Fehlern noch immerfort in jugendlicher Kraft, weil sie voll genialischer Ori­ ginalität sind.« Die Schuld liegt nicht an der Griechischen Poesie, sondern an der Manier und Methode der Nachahmung , welche nothwendig einseitig ausfallen muß, so lange nazionelle Subjektivität herrscht, so lange man nur nach I dem Interessanten strebt. · Nur der kann die Griechische Poesie nachahmen , der sie ganz kennt. Nur der ahmt sie wirklich nach , der sich die Objektivität der ganzen Masse, den schönen Geist der einzelnen Dichter, und den vollkommneo Styl des goldnen Zeitalters zueignet. Die Trennung des Objektiven und des Lokalen in der Griechischen Poesie ist unendlich schwer. Beydes ist nicht in für sich bestehende Massen abgesondert, sondern durchgängig in einander verschmolzen . Bis in die feinsten Zweige des vielästigen Baums verbreitet sich das Objektive; allenthalben aber ist demselben etwas Individuelles als Element und Organ beygemischt Bis jetzt hat man nur zu oft das Individuelle der Griechischen Formen und Organe nachgemacht. Man hat die Alten modernisirt, indem man das Prinzip des Interessanten auf ihre Poesie übertrug; indem man der Griechischen Kunsttheorie, oder einzelnen Lieblings­ dichtem die Auktorität beylegte, welche nur dem Geist der ganzen Masse zu­ kommt, oder wohl eine noch größere Auktorität, als I überhaupt mit den Rechten des Genies, des Publikums und der Theorie bestehen kann . Das liltere didaktische Gedicht der Griechen , wie die Theogonien, die Werke der Physiologen und Gnomiker, findet nur im mythischen Zeitalter der Poesie seine eigentliche Stelle. Denn da hat sich die Philosophie vom Mythus, aus dem sie entsprang, noch nicht völlig losgewickelt und bestimmt geschieden ; da ist Rhyth­ mus das natürliche Element der Tradition , und poetische Sprache, vor der Bildung der Prosa das allgemeine Organ jeder höhem geistigen Mittheilung . Mit diesem vorübergehenden Verhältniß fällt auch die Natürlichkeit und Rechtmäßigkeit dieser Formen weg und für das spätere didaktische Gedicht der Griechen im gelehrten Zeitalter der Kunst blieb nur das ganz ungültige Prinzip übrig: die Künstlichkeit des eitlen Virtuosen in schwierigem Stoff absichtlich sehn zu lassen . - Es wird da­ mit nicht die Möglichkeit eines eigentlichen schönen didaktischen Gedichts in gutem Styl - einer idealischen Darstellung eines schönen didaktischen Stoffs in äs­ thetischer Ab I sieht - geleugnet, und es ist hier nicht der Ort auszumachen , ob ei­ nige platonische Gespräche poetische Philosopheme oder philosophische Poeme sind . Aber genug! unter den eigentlich sogenannten didaktischen Gedichten der Griechen giebt es keine solche.

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Auch das Griechische Epos ist nur eine lokale Form, von der man sich selt­ same Dinge weiß gemacht hat. Diese unreife Dichtart ist nur in dem Zeitalter an ihrer Stelle, wo es noch keine gebildete Geschichte, und kein vollkommnes Drama giebt; wo Heldensage die einzige Geschichte, wo die Menschlichkeit der Götter und ihr Verkehr mit den Heroen allgemeiner Volksglaube ist. Es läßt sich aller­ dings wohl begreifen, daß ein Volk vor Alter wieder kindisch werden könne: aber nur weil die epische Poesie der Griechen im mythischen Zeitalter eine so hohe Blüthe erreicht hatte, haben selbst die epischen Kunststücke der Alexandriner und RtJmer doch noch einigen Grund und Boden . Poesie und der Mythus war der Keim und Quell der ganzen antiken Bildung ; die Epopoe war die I eigentliche Blüthe der mythischen . - Einen bestimmten Stoff, gebildete Werkzeuge fand selbst der ge­ lehrte Dichter der spätem Zeit schon vor. Die Empfänglichkeit war vorbereitet, alles war organisirt, nichts durfte erzwungen werden . - Die modernen Epopöen hingegen schweben ohne allen Anhalt isolirt im leeren Raume. Große Genies haben herkulische Kraft an den Versuch verschwendet, eine epische Welt, einen glückli­ chen Mythus aus nichts zu erschaffen . Die Tradition eines Volks - diese nazionelle Phantasie - kann ein großer Geist wohl fortbilden und idealisiren , aber nicht meta­ morphosiren oder aus nichts erschaffen . Die Nordische Fabel zum Beyspiel gehört unstreitig unter die interessantesten Alterthümer: der Dichter aber, welcher sie in Gang bringen wollte, würde entweder allgemein und flach bleiben müssen, oder wenn er individuell und bestimmt seyn wollte, in Gefahr gerathen , sich selbst kommentiren zu müssen . Umsonst hoffen wir auf einen Homerus; und warum sollten wir gerade so aus­ schließend einen Virgilius wünschen , dessen künstlicher I Styl vom vollkommneo Schönen so weit entfernt ist? - Alle Versuche, das Romantische Gedicht der Grie­ chischen und Römischen Epopöe ähnlich zu organisiren , sind mißlungen . Tasso ist zum Glück auf halbem Wege stehn geblieben , und hat sich von der Romantischen Manier nicht sehr weit entfernt. Und doch sind es nur einzelne Stellen , gewiß nicht die Komposizion des Ganzen , welche ihn zum Lieblingsdichter der Italiäner ma­ chen . Schon ganz frühe gesellt sich zu der gigantischen Größe, zu dem fantasti­ schen Leben des romantischen Gedichts eine leise Persiflage, die oft auch laut ge­ nug wird. Dieß ist der beständige Charakter dieser Dichtart vom Pulci bis zum Ricciardetto geblieben ; und Wieland , der die Gradationen dieser Jaunigten Mi­ schung fast in jedem seiner romantischen Gedichte verschieden , immer überra­ schend neu und immer glücklich nüancirt hat, ist ihr selbst doch in allen durchgän­ gig treu geblieben . Gewiß war dieß nicht zufallig . Die romantische Fabel und das romantische Kostum hätten in ihrer ursprünglichen Bildung rein-menschlicher I und schöner seyn müssen , um der glückliche Stoff eines tragischen , schön und ein­ fach geordneten Epos werden zu können . Wie vieles hat Tasso nicht beybehalten , was den Forderungen der modernen Kritiker selbst an eine regelmäßige Epopöe nicht entspricht? - Nur diejenigen Dichter, welche sich aus der gegebnen Sphäre der nazionellen Phantasie nicht ganz entfernen , leben wirklich im Munde und im Herzen ihrer Nazion. Dichter hingegen , welche ganz willkührlich verfahren , trifft gewöhnlich das traurige Los , in Bibliotheken zu modern , bis sich einmal - seltner Fall! - ein Litterator findet, der Sinn fürs Schöne hat, und das echte Talent, was hier vergraben wurde, zu finden und zu würdigen weiß. Und sind denn auch die

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willkührlichsten Versuche geglückt, die romantische Fabel , oder die christliche Legende in einen idealischen schönen Mythus zu metamorphosiren? - 0 nein ! • •Naturam expelles furca; tarnen usque recurret. • E s war und blieb unmöglich , der barbarischen Masse eine Griechische See�e einzu­ hauchen . I Wenn es dem Wunderbaren, der Kraft, dem reizenden Leben an glück­ lichem Ebenmaß , an freyer Harmonie, kurz an schlJner Organisazion fehlt, so kann tragische Spannung wohl erregt, aber ohne Monotonie und Frost nicht lange genug erhalten , und in einfacher Reinheit über cin großes Ganzes gleichmäßig verbreitet werden . Ekzentrische Größe hat eine unwiderstehliche Sehnsucht zu dem ihr ent­ gegengesetzten Extrem , und nur durch eine wohlthätige Vereinigung mit der Par­ odie bekommt tragische Fantasterey Haltung und BestandheiL Die seltsame Mi­ schung des Tragischen und Komischen wird die eigenthümliche Schönheit einer neuen , reizenden Zwitterbildung . Diese Zusammensetzung ist auch keineswegs ur­ sprünglich monströs, und an sich unerlaubt. Sie bleibt zwar hinter den reinen Arten vorzüglich der tragischen an Kraft und Zusammenhang sehr weit zurück: aber keine Form , in welcher der Zweck der darstellenden Kunst - die Schönheit - er­ reicht werden kann; keine Form , welche nicht mechanisch erkünstelt, sondern durch die plastische Natur organisch er I zeugt wurde, ist darum schlechthin ver­ werflich , weil die Gränzen , welche jede Form beschränken , hier etwas enger gezo­ gen sind . Selbst die Spielart hat zwar geringere Ansprüche, aber dennoch volles Bürgerrecht im Reiche der Kunst. Es ist überraschend, wie sehr die reizendste Blüthe der modernen Poesie - so verschieden die äußre lokale Form auch seyn mag - im wesentlichen Charakter mit einer Spielart der Griechischen übereinstimmt. Nach Griechischer Technologie ist nehmlich die Romanze ein satyrisches Epos. Im Attischen Drama wurde die ursprüngliche rohe Energie der wirklichen Natur, in welcher die entgegengesetzten Elemente durchgängig in einander verschmolzen sind, in die tragische und komische Energie getrennt, und diese dann von neuem so gemischt, daß das Tragische ein geringes Uebergewicht hatte• 8: denn bey völligem Gleichgewicht würden die beyden entgegengesetzten Kräfte durch I ihr Zusam­ mentreffen sich selbst aufheben . Daraus entstand die Spielart der satyrischen Dra­ men , von denen sich nur ein einziges von mittelmäßiger Kunst und in schlechtem S tyl erhalten hat. Die dramatischen Skizzen der Dorier haben sich nie zur Stufe j e­ ner Trennung erhoben , und der natürliche fröhliche Witz der Dorier war nur sub­ j ektiv , lokal und lyrisch , nie objektiv und eigentlich dramatisch. Doch war in der noch gemischten und rohen Energie der Dorischen Mimen das Komische überwie­ gend. Hätten wir noch den Homerischen Margites, einige satyrische Dramen des Pratinas, oder Aeschylus, einige Ergießungen der Dorischen Laune in Mimen des Sophron , oder in Rhintonischen Hilarotragödien , so besäßen wir in ihnen wahr­ scheinlich einen Maßstab der Würdigung, oder wenigstens Veranlassung zu einer interessanten Parallele mit den reizenden Grotesken des göttlichen Meister Ariosto, mit der fröhlichen Magie der Wielandsehen Phantasie. - Die ernsthaften Männer, welche den fantastischen Zauber der Romanze zum tragischen Epos idealisiren wollten , I haben also das Schickliche verfehlt. Auch hat sich die epische Thalia der 18 Nicht sowohl in der Energie, als vorzüglich im Stoff, im Kostum und in den Organen; daher auch Tragiker, nie Komiker Verfasser der satyrischen Dramen waren.

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Modemen - die romantische Avantüre grausam an ihren Verächtern gerächt: denn sie haben vor den Augen des gesammten Publikums, ohne im mindesten Unrath zu merken , sich selbst komödirt. Aehnliche Schwierigkeiten , wie im Epos, hat der Gebrauch des mythischen Stoffs in der TragiJdie. - Wo es noch einheimische Fabel giebt, da ist sie nicht an­ gemessen . Eine fremde oder veraltete hat nur die Wahl zwischen Flachheit und gelehrter Unverständlichkeit. Der historische oder erfundne Stoff fesselt den Dich­ ter und das Publikum ungemein; durch seine schwere Last erdrückt er gleichsam die freye Bildung des Ganzen . Wie vieler Umstände bedarf es nicht, das Publikum nur erst zu orientiren, und mit dem unbekannten Fremdling vorläufig bekannt zu machen? - Der Griechische Tragiker durfte bey seinem allgemein bekannten My­ thus gleich zum Zweck gehn , und die freyere Aufmerksamkeit des Publikums ward von selbst mehr auf die Form gelenkt, klebte nicht so sehr sklavisch an der schwe­ ren Masse. Es ist I in der That eine wahrhaft herkulische Arbeit, einen noch ganz rohen Stoff durchgängig zu poetisiren , den kleinlichen Detail in einfache und große Umrisse zu erweitern , und vorzüglich die unauflösliche Mischung der Natur nach der bestimmten idealischen Richtung der Tragödie zu reinigen . Das nothwendige Gleichgewicht zwischen Form und Stoff ist dem modernen Tragiker so unendlich erschwert worden, daß sich beynahe Zweifel regen könnten , ob auch eine eigent­ lich schöne Tragödie noch möglich sey? - Ueberdem wird in unsrer künstlichen Bildung jede eigenthümliche Richtung verwirrt und verwischt, und doch scheint es nothwendig , daß die Natur selbst mit starker Hand dem Dramatiker seine Bahn vorzeichne, und ihm die Trennung des Tragischen und Komischen erleichtre. Ich freue mich auch hier ein deutsches Beyspiel anführen zu können , welches große Hoffnungen erregt, und alle kleinmüthigen Zweifel niederschlägt. Schillers ur­ sprüngliches Genie ist so entschieden tragisch; wie etwa der Charakter des Aeschylus, dessen kühne Umrisse die bildende Natur in einem Augenblick hoher Be I geistrung plötzlich hingeworfen zu haben scheint. Er erinnert daran , daß es den Griechen unmöglich schien, derselbe Dichter könne zugleich Tragödien und Ko­ mödien dichten 19 . Zwar ist im Don Karlos das mächtige Streben nach Charakter­ schönheit, und schöner Organisazion des Ganzen durch das kolossalische Gewicht der Masse, und den künstlichen Mechanismus der Zusammensetzung niederge­ drückt, oder doch aufgehalten : aber die Stärke der tragischen Energie beweist nicht nur die Größe der genialischen Kraft, sondern die vollkommne Reinheit derselben zeugt auch von dem Siege, welchen der Künstler über den widerstrebenden Stoff davon getragen hat. Es ließe sich in der That leicht ein Buch über die Verwechslung des Objektiven und Lokalen in der Griechischen Poesie schreiben. Ich begnüge mich zu dem schon Bemerkten nur noch einige kurze Andeutungen hinzuzufügen. Zur schönsten Blüthezeit der Griechischen Lyrik lag die Prosa und die öffentli­ che Beredsamkeit noch in der Wiege. Musik, und I eine rhythmische und mythi­ sche Dichtersprache waren das natürliche Element für den Erguß schöner männli­ cher oder weiblicher Empfindungen , und auch das eigentliche Organ festlicher Volksfreude und öffentlicher Begeistrung. - Der lyrische Dichter überhaupt muß 19 Plat. rep. III. p. 278. vol. Il. ed . Bipont.

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wie der Griechische seine ursprüngliche Sprache zu reden scheinen ; der leiseste Verdacht, daß er vielleicht in einem erborgten Staatskleide glänze, zerstört alle Täuschung und Wirkung . Mag er den Zustand eines einzelnen Gemüths, oder eines ganzen Volks darstellen : er muß eine echte Befugniß haben zu reden ; der darge­ stellte Zustand muß nicht durchaus erkünstelt, sondern in einem schon bekannten Gegenstande wenigstens eine wahre Veranlassung finden , so unbeschränkt auch die Freyheit des Dichters in der Behandlung desselben bleibt: denn ein durchaus er­ fundner lyrischer Zustand könnte für sich nur das abgerißne Bruchstück eines Drama seyn ; er müßte nehmlich einem gleichfalls durchaus erfundnen und unbe­ kannten Gegenstande inhäriren , dessen Darstellung schon in die dramatische Sphäre eingreift. I Das alte Griechische Epigramm findet nebst dem Apolog seine eigentliche Stelle im mythischen Zeitalter der Poesie: das spätere hingegen im Zeitalter der Künsteley und des Verfalls. Wenn das Interesse des Idylls im Stoff und im Kontrast desselben mit der indi­ viduellen umgebenden Welt des Publikums liegt, so ist das absolute schlechthin verwerfliche ästhetische Heteronomie. Ueberdem ist die epische oder dramatische Ausführung einer ursprünglich lyrischen Stimmung und Begeistrung, entweder eine Verkehrtheit des Künstlers, oder ein sichres Kennzeichen von dem allgemeinen Verfall der Kunst überhaupt. Ist von schönen Gernähiden des ländlichen und häus­ lichen Lebens die Rede, so ist Homerus der größte aller Idyllendichter. Die künst­ lichen Kopien der Natürlichkeit hätte man aber immer den Alexandrinern überlas­ sen mögen . Vossens Uebersetzung des Homer ist ein glänzender Beweis, wie treu und glücklich die Sprache der Griechischen Dichter im Deutschen nachgebildet werden kann. Sein Ideal I ist unstreitig so reiflich überlegt, als vollkommen ausgeführt. Aber wehe dem Nachahmer der Griechen , der sich durch den großen Uebersetzer verführen ließe! Wenn er hier, wo sie am innigsten verschmolzen sind , den objek­ tiven Geist von der lokalen Form nicht zu scheiden weiß, so ist er verlohren . Das unsterbliche Werk des größten historischen Künstlers des Modemen , die Schwei­ zergeschichte von Johannes Muller ist im größten Römischen Styl entworfen und ausgeführt. Im Einzelnen athmet das Werk durch und durch echten Sinn der Alten : im Ganzen aber verf"allt es dennoch wieder ins Manierirte, weil neben dem klassi­ schen Geist auch die antike Individualität affektirt ist. Klopsrock hat in den G rammatischen Gesprächen auf eine andre von der Vossischen ganz verschiedne Art eben so klar bewiesen , wie viel die Deutsche Sprache in der Nachbildung des Griechischen und Römischen Ausdrucks leisten könne. Die Beyspiele sind so man­ nichfaltig, als jedes in seiner Art bewundernswürdig vollkommen. Ihre einfache Vortreflichkeit besteht darin , im echtesten , rein I sten , kraftvollesten und geflillig­ sten Deutsch der Ursprache so treu zu seyn als möglich . Beyde Arten scheinen mir für die allgemeine Verbreitung des echten Geschmacks gleich unentbehrlich . Erst wenn wir von mehrem der größten alten Dichter eine klassische Uebersetzung in Vossischer Art, und eine in Klopstockscher haben werden , läßt sich ein großer Ein­ fluß und eine durchgängige Umbildung des allgemeinen Geschmacks erwarten . Man darf der Deutschen Sprache zu der, wenn gleich entfernten , Aehnlich­ keit ihrer rhythmischen Bildung mit dem Griechischen Rhythmus Glück wünschen. -

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Nur täusche man sich nicht über die Gränzen dieser Aehnlichkeit! So kann zum Beyspiel nach Griechischen Grundsätzen ein Hexameter, welcher den Tro­ chäus als wesentlichen Bestandtheil aufnimmt, durchaus kein episches Metrum seyn , dessen Richtung nothwendig ganz unbestimmt seyn muß, damit auch seine Dauer ganz unbeschränkt seyn könne. Die endlose Bewegung in einer bestim­ mten Richtung , der epische Gebrauch eines lyrischen Rhythmus, er I zeugt noth­ wendig unendliche Monotonie, und ermüdet endlich auch die aufmerksam­ ste Theilnahme. - Die musikalischen Prinzipien des antiken Rhythmus scheinen überhaupt von denen des modernen so absolut verschieden , wie der Charak­ ter der Griechischen Musik, und das Griechische Verhältniß der Poesie und Musik von den unsrigen . Sollte auch der Griechische Rhythmus unter gewis­ sen Voraussetzungen in einem lokalen Element objektiv seyn, so kann doch das Individuelle für uns keine Auktorität haben , und am wenigsten die Theorie der Griechischen Musiker (allerdings ein unentbehrliches Hülfsmittel zur richtigen Erklärung der Praxis, zum Studium des Rhythmus selbst) unsre Norm seyn. Noch ist ein gewisses unechtes Phantom nicht ganz verschwunden , welches von denen als die eigentliche Klassizitlit verehrt wird, welche durch ein künstliches Schnitzwerk gedrechselter Redensarten unsterblich zu werden hoffen . Aber nichts ist weniger klassisch als Künsteley, überladner Schmuck, frostige Pracht, und ängstliche Peinlichkeit. Die überfleissigen I Werke der gelehrten Alexandriner fallen schon ins Zeitalter des Verfalls und der Nachahmung. Die treflichsten Pro­ dukte der besten Zeit hingegen sind zwar mit Sorgfalt und scharfem Urtheil ausge­ führt, und auch mit Besonnenheit, aber doch in höchster, ja trunkner Begeistrung entworfen . Die große Zahl der Werke der größten Dramatiker beweiset schon , daß sie nicht ängstlich gedrechselt, sondern frey gedichtet wurden ; daß die Länge der Zeit und die Masse der aufgewandten Arbeit nicht der Maßstab für den Werth eines Kunstwerks sey. Nur einige wenige Ausnahmen unter den modernen Dichtem kann man nach dem Grade der Annäherung zum Objektiven und Schönen würdigen. Im Ganzen aber ist noch immer das Interessante der eigentliche moderne Maßstab des ästheti­ schen Werths. Diesen Gesichtspunkt auf die Griechische Poesie übertragen , heißt sie modemisiren. Wer den Homer nur interessant findet, der entweiht ihn . Die Homerische Welt ist ein eben so vollständiges als leichtfaßliches Gemählde; der I ursprüngliche Zauber der Heldenzeit wird in dem Gemüthe, welches mit den Ze­ rüttungen der Mißbildung bekannt ist, ohne doch den Sinn für Natur ganz verloh­ ren zu haben , unendlich erhöht; und ein unzufriedner Bürger unsres Jahrhunderts kann leicht in der Griechischen Ansicht jener reizenden Einfalt, Freyheit und In­ nigkeit alles zu finden glauben , was er entbehren muß. Eine solche Werthersehe Ansicht des ehrwürdigen Dichters ist kein reiner Genuß des Schönen , keine reine Würdigung der Kunst. Wer sich am Kontrast eines Kunstwerks mit seiner indivi­ duellen Welt ergötzt, der travestirt es eigentlich in Gedanken , seine Stimmung mag nun scherzhaft oder auch sehr ernsthaft seyn. Am wenigsten darf die Auktorität, auf welche nur die vollständige, vollkommne und schöne Anschauung Ansprüche hat, auf die einseitige bloß interessante Ansicht eines Theils derselben übertragen werden .

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Nicht dieser und jener, nicht ein einzelner Lieblings-Dichter, nicht die lokale Form oder das individuelle Organ soll nachgeahmt werden : denn nie I kann ein In­ dividuum, »als solches«, allgemeine Norm seyn. Die sittliche Fülle, die freye Ge­ setzmäßigkeit, die liberale Humanität, das schöne Ebenmaß , das zarte Gleichge­ wicht, die treffende Schicklichkeit, welche mehr oder weniger über die ganze Masse zerstreut sind ; den vollkommnen Styl des goldnen Zeitalters, die Aechtheit und Reinheit der Griechischen Dichtarten , die Objektivität der Darstellung ; kurz den Geist des Ganzen - die reine Griechheit soll der moderne Dichter, welcher nach echter schöner Kunst streben will , sich zueignen . Man kann die Griechische Poesie nicht richtig nachahmen , so lange man sie eigentlich gar nicht versteht. Man wird sie erst dann philosophisch erklären und ästhetisch würdigen lernen , wenn man sie in Masse studiren wird : denn sie ist ein so innig verknüpftes Ganzes, daß es unmöglich ist, auch nur den kleinsten Theil außer seinem Zusammenhange isolirt richtig zu fassen und zu beurtheilen . Ja die ganze Griechische Bildung überhaupt ist ein solches Ganzes, welches nur in I Masse erkannt und gewürdigt werden kann. Außer dem ursprünglichen Talent des Kunstkenners muß der Geschichtsforscher der Griechischen Poesie die wissen­ schaftlichen Grundsätze und Begriffe einer objektiven Philosophie der Geschichte und einer objektiven Philosophie der Kunst schon mitbringen , um die Prinzipien und den Organismus der Griechischen Poesie suchen und finden zu können . Und auf diese kommt doch eigentlich alles an. Es ist wahr, einige große Dichter der Alten sind auch unter uns beynahe ein­ heimisch ; und unter denen , welche leichter gefaßt, und auch isolirt, wenigstens ei­ nigermaßen verstanden werden konnten , hat das Publikum gewiß aufs glücklichste gewählt. Andre, für deren heterogene Individualität in Form und Organen sich in der ganzen subjektiven Sphäre der Modemen keine Analogie fand , welche ohne Kenntniß der Prinzipien und des Organismus der ganzen Griechischen Poesie in Masse durchaus unverständlich bleiben mußten , deren idealische Höhe die Engig­ keit auch des I bessern herrschenden Geschmacks zu weit übertraf, konnten nicht populär werden . Gewiß nicht für jeden Liebhaber, der vielleicht nur sich allein durch den Genuß des Schönen bilden will , würde eine vollendete Kenntniß der Griechischen Kunst möglich oder schicklich seyn. Aber von dem Dichter, dem Kenner, dem Denker, dem es ein Ernst ist, echte schöne Kunst nicht bloß zu ken­ nen und zu üben , sondern auch zu verbreiten , darf man es fordern , daß er keine Schwierigkeit, welche ein unentbehrliches Mittel seines Zwecks ist, scheuen soll. Die Werke des Pindarus, des Aeschylus, des Sophokles, des Aristophanes werden nur wenig studirt, weniger verstanden . Das heißt, man ist mit den vollkommensten Dichtarten der Griechischen Poesie, mit der Periode des poetischen Ideals, und mit dem goldnen Zeitalter des Griechischen Geschmacks beynahe völlig unbekannt. Ueberdem muß auch in der reichhaltigsten Ansicht jener populären Lieblings­ dichter, ohne eine bestimmte Kenntniß ihres eigentlichen Zusammenhanges, ihrer richtigen Stelle im Gan I zen etwas Schiefes übrig bleiben . Homers Gedichte sind der Quell aller Griechischen Kunst, ja die Grundlage der Griechischen Bildung überhaupt, die vollkommenste und schönste Blüthe des sinnlichsten Zeitalters der Kunst. Nur vergesse man nicht, daß die Griechische Poesie höhere Stufen der Kunst und des Geschmacks erreicht hat. - Wenn es für das Unersetzliche einen Er-

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satz gäbe, so könnte uns Horazius einigermaßen über den Verlust der größten Griechischen Lyriker deijenigen Klasse trösten , welche nicht im Namen des Volks die öffentlichen Zustände einer sittlichen Masse darstellten , sondern die schönen Gefühle einzelner Menschen besangen . Zugleich enthält er die köstlichsten von den wenigen ganz eigenthümlichen Kunstblüthen des echt Römischen Geistes, welche auf uns gekommen sind . Dieser »Lieblingsdichter aller gebildeten Menschen« war von jeher ein großer Lehrer der Humanität und liberalen Gesinnungen . Seine Va­ terländischen Oden sind ein ehrwürdiges Denkmahl hohen Römersinns, und erin­ nern daran , daß selbst Brutus die Bürgertugend des Dichters I achtete. Seine schöne lyrische Moralität ist ursprünglich , oder doch innig und selbstthätig zuge­ eignet. Aber den meisten seiner Gesänge fehlt es im Schwanken zwischen dem Griechischen Urbilde und der Römischen Veranlassung an einer leichten Einheit. Auch sollte man auf seine erotischen Gedichte am wenigsten Akzent legen . Zwar finden sich auch in ihnen einzelne Spuren des liebenswürdigen Philosophen , des braven Künstlers: aber im Ganzen sind sie fast immer steif, und auf gut Römisch ein wenig plump. Auch die Wahl der Rhythmen verräth hie und da den Verfall des musikalischen Geschmacks. - Ich kann sogar die übermäßige Bewunderung des Virgilius zwar nicht rechtfertigen , aber doch entschuldigen . Für den Freund des Schönen mag sein Werth gering seyn : aber für das Studium des Kunstkenners und Künstlers, bleibt er äußerst merkwürdig. Dieser gelehrte Künstler hat aus dem rei­ chen Vorrath der Griechischen Dichter mit einer Art von Geschmack die einzelnen Stücke und Züge ausgewählt, sie mit Einsicht an einander gefügt, und mit Fleiß gefeilt, geglättet I und geputzt. Das Ganze ist ein Stückwerk ohne lebendige Orga­ nisazion und schöne Harmonie, aber er kann dennoch für den höchsten Gipfel des gelehrten künstlichen Zeitalters der alten Poesie gelten . Zwar fehlt ihm die letzte Rundung und Feinheit der Alexandriner, aber durch die frische Römerkraft seines Dichtertalents übertrifft er die kraftlosen Griechen jenes Zeitalters in ihrem eignen Styl sehr weit. Er ist in diesem an sich unvolkommnen Styl zwar nicht schlechthin vollkommen, aber doch der treflichste. Der unglücklichste Einfall, den man je gehabt hat, und von dessen allgemeiner Herrschaft noch jetzt viele Spuren übrig sind , war es: Der Griechischen Kritik und Kunsttheorie eine Auktorität beyzulegen , welche im Gebiete der theoretischen Wis­ senschaft durchaus unstatthaft ist. Hier glaubte man den eigentlichen Iistherischen Stein der Weisen zu finden ; einzelne Regeln des Aristoteles, und Sentenzen des Horaz wurden als kräftige Amulete wider den bösen Dämon der Modernheit ge­ braucht; und selbst die zerlumpte Dürftigkeit der Adepten erregte erst I spät eini­ ges Mißtrauen wider die Echtheit des Geheimnisses. Der Fehlschluß , von dem man ausgieng, war mit Hurds Worten : »Die Alten sind Meister in der Komposition ; es müssen daher diejenigen unter ihren Schriften , welche zur Ausübung dieser Kunst Anleitung geben, von dem höchsten Werthe seyn . « Nichts weniger! Der Griechische Geschmack war schon völlig entartet, als die Theorie noch in der Wiege lag . Das Talent kann die Theorie nicht verleihn , und nie hat die Griechische Theorie den Zweck und das Ideal des Künstlers be­ stimmt, welcher den Gesetzen des öffentlichen Geschmacks allein gehorchte. Auch eine vollendete Philosophie der Kunst würde zur Wiederherstellung des echten Ge­ schmacks allein nicht hinreichend seyn . Die Griechischen und Römischen Denker

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waren aber (nach Fragmenten , Nachrichten und der Analogie zu urtheilen) so we­ nig im Besitz eines vollendeten Systems objektiver ästhetischer Wissenschaften , daß nicht einmal der Versuch , der Entwurf, geschweige denn ein stetes Streben nach einem I solchen System vorhanden war. Nicht einmal die Gränzen und die Methode waren bestimmt; nicht einmal der Begriff einer allgemeingültigen Wissen­ schaft des Geschmacks und der Kunst war definirt, ja selbst die Möglichkeit der­ selben war keineswegs deduzirt. Unläugbar enthalten die kritischen Fragmente der Griechen bedeutende Bey­ träge zur Erläuterung der Griechischen Poesie, und trefliche Materialien für die künftige Ausführung und Vollendung des Systems. Umständliche Zergliederungen , wie etwa die des Dionysius, sind unschätzbar, und auch das kleinste ästhetische Urtheil kann sehr großen Werth haben . Die angewandten Begriffe und Bestimmun­ gen bezogen sich auf vollkommne Anschauungen, und würden sich aus reiner Wis­ senschaft gar nicht wieder ersetzen lassen . Die Urtheile standen unter der untrügli­ chen Leitung eines ursprünglich richtig gestimmten Gefühls, und das Vermögen , schöne Darstellung zu empfangen und zu würdigen , war bey den Griechen fast auf eben die Weise vollkommen und einzig , wie das Vermögen , I sie hervorzubringen . Ueberhaupt ist im theoretischen Theile der ästhetischen Wissenschaft der Werth der spätem Kritiker und vorzüglich im Angewandten und Besondren am größten ; im praktischen Theile sind die allerallgemeinsten Grundsätze und Begriffe vorzüglich der frühem Philosophen am schätzbarsten . Der Quell aller Bildung und auch aller Lehre und Wissenschaft der Griechen war der Mythus. Poesie war die älteste, und vor dem Ursprunge der Beredsamkeit, die einzige Lehrerin des Volks. Die mythische Denkart, daß Poesie im eigentlichen Sinne eine Gabe und Offenbarung der Götter, der Dichter ein heiliger Priester und Sprecher derselben sey, blieb für alle Zeiten Griechischer Volksglaube. An ihn schlossen sich die Lehren des Plato, und wahrscheinlich auch des Demokrit über m usikalischen Enthusiasmus und Göttlichkeit der Kunst an. Ueberhaupt hatte der populäre (exoterische) Vortrag der Griechischen Philosophie ein ganz mythisches Kolorit. So wie sich bey uns häufig der Künstler als Gelehrter und Denker geltend zu ma I chen sucht, weil seine eigenthümliche Würde vielleicht vor der Menge we­ nig gelten würde: so pflegte damals noch der Griechische Philosoph sich als Musi­ ker und Poet gleichsam einzuschleichen . Die Platonischen Lehren von der Bestim­ mung der Kunst sind die trefflichsten Griechischen Materialien zur praktischen Philosophie der Kunst, welche sich auf uns erhalten haben . Die praktische Philoso­ phie der ältesten Griechischen Denker aber war durchaus politisch; und diese Poli­ tik war zwar in den Grundsätzen nichts weniger als die Sklavin der Erfahrung, sondern vielmehr durchaus razional, aber im Vortrage und in der Anordnung schloß sie sich durchgängig an das Gegebne und Vorhandne an . Nie hat eigentlich die Griechische Philosophie, wie die Griechische Kunst, die Stufe einer vol/stlindi­ gen Selbststlindigkeit der Bildung erreicht, und im Plato vorzüglich ist die Ordnung der ganzen Masse der einzelnen Philosopheme nicht sowohl von innen bestimmt, sondern vielmehr von außen gebildet und entstanden . Um daher nur Plato' s Lehre von der Kunst zu verstehen, muß man nicht allein I den mythischen Ursprung der Griechischen Bildung überhaupt, sondern auch die ganze Masse der politischen , moralischen und philosophischen Bildung der Griechen in ihrem völligen Umfange

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kennen ! - Auch für die Sophisten war nur auf eine andre Weise das öffentlich Gel­ tende die Base, von der alle ihre Lehren , also auch die über das Schöne und die Kunst immer ausgingen , und der Punkt, wohin sie strebten . - Im Aristoteles ist die theoretische Aesthetik noch in der Kindheit, und die praktische ist schon ganz von ihrer Höhe gesunken . Seine Lehre von der Bestimmung der Kunst im achten Buche der Politik beweist eine liberale Denkart, und nicht ganz unwürdige Gesinnungen : aber dennoch ist der Gesichtspunkt schon nicht mehr politisch , sondern nur mora­ lisch . In der Rhetorik aber, und in den Fragmenten der Poetik behandelt er die Kunst nur physisch, ohne alle Rücksicht auf Schönheit, bloß historisch und theore­ tisch . Wo er gelegentlich ästhetisch urtheilt, da äußert er nur einen scharfen Sinn für die Richtigkeit des Gliederbau ' s des Ganzen , für I die Vollkommenheit und Feinheit der Verknüpfung . - Wie häufig sind nicht in ihm, und in den spätem Rhetorikern einzelne ganz unverständliche oder doch äußerst schwer zu entzif­ fernde besondre Beziehungen auf untergegangne Werke, auf uns ganz unbekannte Dinge? Ja das Ganze ist nicht selten in einer individuellen Rücksicht verfaßt So ist der Hauptgesichtspunkt, nach welchem Quinktilian den Werth der Dichter be­ stimmt, ihre Tauglichkeit j unge Deklamatoren künstlich schwatzen zu lehren . Die individuelle Veranlassung der kritischen Episteln des Horaz, der ganze Inbegriff ihrer speziellen Beziehungen - ihre kosmische Lage ist uns bald ganz, bald größtentheils unbekannt, und bey vielen wahrscheinlichen oder sinnreichen Hypo­ thesen tappen wir dennoch hie und da völlig im dunkeln . Wenn von allumfassender vollendeter Kenntniß der Griechen die Rede ist, so stehen alle Bestandtheile derselben in Wechselwirkung, und das Studium der Grie­ chischen Kunsttheorie ist allerdings ein integranter 1heil des ganzen Studiums der Griechischen Bildung überhaupt, oder der ästhetischen Bildung I insbesondre. Aber in der Methodenlehre des ganzen Studiums dürfte wohl das der Griechischen Kritik eine sehr späte Stelle erhalten . Man muß schon die ganze Masse, den Orga­ nismus und die Prinzipien der Griechischen Poesie kennen , um die Perlen , welche in den kritischen Schriften der Griechen größtentheils noch ungenutzt verborgen liegen , suchen und finden zu können . ·

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Ich bin weit entfernt von den diktatorischen Anmaßungen , den despotischen Re­ formazionen angeblicher Repräsentanten der Menschheit, die so vieles projektiren , wovon keine Sylbe in ihren Kahiers steht, so vieles dekretiren , was der öffentliche Volkswille in den Urversammlungen der Menschheit nicht sankzioniren würde. Die Behauptung, daß eine allgemeingültige Wissenschaft des Schönen und der Darstel­ lung , und eine richtige Nachahmung der Griechischen Urbilder, die nothwendigen Bedingungen zur Wiederherstellung der echten schönen Kunst sey, ist so wenig willklh l rlich, daß sie nicht einmal neu ist. Ich I begnüge mich mit dem bescheidnen Verdienst, dem Gange der ästhetischen Kultur auf die Spur gekommen zu seyn, den Sinn der bisherigen Kunstgeschichte glücklich errathen , und eine große Aus­ sicht für die künftige gefunden zu haben. Vielleicht ist es mir gelungen , einige Dunkelheiten zu erhellen , einige Widersprüche zu lösen , indem ich für jede ein­ zelne auffallende Erscheinung die richtige Stelle im großen Ganzen der ewigen Ge-

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setze der Kunstbildung zu bestimmen suchte. Es kann eine Empfehlung und eine Bestätigung des entworfnen Grundrisses seyn, daß nach dieser Ansicht der Streit der antiken und modernen ästhetischen Bildung wegfällt; daß das Ganze der alten und neuen Kunstgeschichte durch seinen innigen Zusammenhang überrascht, und durch seine vollkommne Zweckmäßigkeit völlig befriedigt. Jedes große, wenn gleich noch so ekzentrische Produkt des modernen Kunst­ genies ist nach diesem Gesichtspunkt ein echter, an seiner Stelle höchst zweck­ mäßiger Fortschritt, und so heterogen die äußre Ansicht auch seyn mag, I eigent­ lich doch eine wahre Annäherung zum Antiken . Die Nothwendigkeit des Stufen­ ganges der allmähligen Entwicklung ist keine Apologie der Schwäche, welche hin­ ter dem Maaß der schon erreichten Vortreflichkeit zurückbleibt, aber eine Erklä­ rung und Rechtfertigung für die Mängel und Ausschweifungen des wahrhaft großen Künstlers, der zwar dem Gange der Bildung vielleicht um einige Schritte zuvor­ eilte, und ihre Entwicklung beschleunigte, aber doch nicht ganze Stufen übersprin­ gen konnte. Die Bildungsgeschichte der modernen Poesie stellt nichts andres dar, als den steten Streit der subjektiven Anlage, und der objektiven Tendenz des ästhetischen Vermögens und das allmählige Uebergewicht des letztem . Mit jeder wesentlichen Veränderung des Verhältnisses des Objektiven und des Subjektiven beginnt eine neue Bildungsstufe. Zwey große Bildungsperioden , welche aber nicht isolirt auf einander folgen , sondern wie Glieder einer Kette in einander greifen , hat die mo­ derne Poesie schon I wirklich zurückgelegt; und jetzt steht sie im Anfange der dritten Periode. In der ersten Periode hatte der einseitige Nationalcharakter in der ganzen Masse der ästhetischen Bildung durchgängig das entschiedenste Ueberge­ wicht, und nur hie und da regen sich einige wenige einzelne Spuren von der Di­ rektion ästhetischer Begriffe und der Tendenz zum Antiken . In der zweiten Periode herrschte die Theorie und Nachahmung der Alten in einem großen Theil der gan­ zen Masse: aber die subjektive Natur war noch zu mächtig, um dem objektiven Gesetz ganz gehorchen zu können ; sie war kühn genug , sich unter dem Namen des Gesetzes wiederum einzuschleichen . Die Nachahmung und die Theorie, und mit ihnen der Geschmack und die Kunst selbst blieben einseitig und nazional. Die dar­ auf folgende Anarchie aller individuellen Manieren, aller subjektiven Theorien , und verschiedneo Nachahmungen der Alten , und die endliche Verwischung und Vertilgung der einseitigen Nazionalität ist die Krise des Uebergangs von der zwei­ ten zur dritten Periode. In der I dritten wird wenigstens in einzelnen Punkten der ganzen Masse das Objektive wirklich erreicht: objektive Theorie, objektive Nach­ ahmung, objektive Kunst und objektiver Geschmack. Aber die zweite Periode erstreckte sich nur über einen 1heil, die Anfange der dritten nur über einzelne Punkte der ganzen Masse, und ein bedeutender Theil der­ selben ist bis jetzt auf der ersten Stufe stehn geblieben , und noch immer ist der Zweck ganzer Dichtarten kein andrer, als eine treue Darstellung des interessante­ sten nazionellen Lebens. So wie nun der Nationalcharakter des Europäischen Völ­ kersystems in drey entscheidenden Krisen schon drey große Evolutionen erlebt hat - im Zeitalter der Kreuzzüge, im Zeitalter der Reformation und der Entdeckung von Amerika, und in unserm Jahrhundert: so hat auch die Nationalpoesie der Mo­ demen in drey verschiedneo Epochen dreymal geblüht.

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Der Zustand der ästhetischen Bildung unsres gegenwärtigen Zeitalters war es, der uns I aufforderte, die ganze Vergangenheit zu überschauen . Wir sind nun zu dem Punkt zurückgekehrt, von dem wir ausgingen . Die Symptome, welche die Krise des Uebergangs von der zweiten zur dritten Periode der modernen Poesie be­ zeichnen , sind allgemein verbreitet, und hie und da regen sich schon unverkenn­ bare Anfiinge objektiver Kunst und objektiven Geschmacks. Noch war vielleicht kein Augenblick in der ganzen Geschichte des Geschmacks und der Dichtkunst so charakteristisch fürs Ganze, so reich an Folgen der Vergangenheit, so schwanger mit fruchtbaren Keimen für die Zukunft; die Zeit ist für eine wichtige Revoluzion der ästhetischen Bildung reif. Was sich jetzt nur errathen läßt, wird man künftig bestimmt wissen : daß in diesem wichtigem Augenblick unter andern großen Kri­ sen , auch das Loos der echten schönen Kunst auf der Wage des Schicksals ent­ schieden wird . Nie würde unthätige Gleichgültigkeit gegen das Schöne, oder stolze Sicherheit über das schon Erreichte weniger angemessen seyn; nie durfte man aber auch eine größere Beloh I nung der Anstrengung erwarten , als die, welche der künftige Gang der ästhetischen Bildung der Modemen verspricht. Vielleicht wer­ den die folgenden Zeitalter oft zwar nicht mit anbetender Bewundrung, aber doch nicht ohne Zufriedenheit auf das jetzige zurücksehn . Die Iistherische Theorie hat den Punkt erreicht, von dem wenigstens ein objek­ tives Resultat, es falle nun aus , wie es wolle, nicht weit mehr entfernt seyn kann . Nach den pragmatischen Vorabungen des theoretisirenden Instinkts (erste Periode) deren Grundsatz die Auktorität war, entstand die eigentliche scientifische Theorie. Ohngefähr zu gleicher Zeit entwickelten und bildeten sich die dogmatischen Sy­ steme der razionalen und der empirischen Aesthetik (zweite Periode) ; und die Anti­ nomie der verschiednen manierierten Theorien führte den Iistherischen Skeptizismus (Krise des Uebergangs von der zweiten zur dritten Periode) herbey. Diese war die Vorbereitung und Veranlassung der Kritik der Iistherischen Urtheilskraft (Anfange der dritten Periode) . I Noch ist das Geschäft nichts weniger als beendigt. Die Aesthetiker selbst, welche gemeinschaftlich von den Resultaten der kritischen Phi­ losophie ausgegangen sind, sind weder in den Prinzipien noch in der Methode un­ ter sich einig; und die kritische Philosophie selbst hat ihren hartnäckigen Kampf mit dem Skeptizismus noch nicht völlig ausgestritten. Ueberhaupt ist, nach der Bemerkung eines großen Denkers20, im praktischen noch viel zu thun übrig. Aber seit durch Fichte das Fundament der kritischen Philosophie entdeckt worden ist, giebt es ein sichres Prinzip, den Kantischen Grundriß der praktischen Philosophie zu berichtigen , zu ergänzen , und auszuführen; und über die Möglichkeit eines ob­ jektiven Systems der praktischen und theoretischen Iistherischen Wissenschaften fin­ det kein gegründeter Zweifel mehr Statt. Auch im Studium der Griechen überhaupt und der Griechischen Poesie insbe­ sondre steht unser Zeitalter an der Gränze einer gro I ßen Stufe. Lange Zeit kannte man die Griechen nur durch das Medium der Römer, das Studium war isolirt und ohne alle philosophische Prinzipien (erste Periode) ; dann ordnete und lenkte man das immer noch isolirte Studium nach willkührlichen Hypothesen , oder doch nach einseitigen Prinzipien, und individuellen Gesichtspunkten (zweite Periode) . Schon 20 S. Fichte's Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten. S. 28.

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studirt man die Griechen in Masse und ohne philosophische Hypothesen, vielmehr mit Vemachläßigung aller Prinzipien (Krise des Uebergangs von der zweiten zur dritten Periode) . Nur der letzte und größte Schritt ist noch zu thun übrig: die ganze Masse nach objektiven Prinzipien zu ordnen (dritte Periode) . Der chaotische Reichthum alles Einzelnen und der Streit der verschiedneo Ansichten über das Ganze wird nothwendig dahin führen , eine allgemeingültige Ordnung der ganzen Masse zu suchen und zu finden. Zwar kann die Kenntniß der Griechen nie vollen­ det, und das Studium der Griechischen Poesie nie erschöpft werden : doch läßt sich ein fixer I Punkt erreichen , welcher den Denker, den Geschichtsforscher, den Ken­ ner und den Künstler vor gefährlichen Grundirrthümem , durchaus schiefen Rich­ tungen , und verkehrten Versuchen der Nachahmung sichert. »Aber du selbst,« könnte man sagen , »hast ja ästhetische Kraft und Moralität als nothwendige Postulate der ästhetischen Revolution aufgestellt? Wie läßt sich also über den künftigen Gang der Bildung etwas im voraus bestimmen , da diese vorläufige Bedingungen selbst von einem glücklichen Zusammenfluß der seltensten Umstände, das heißt vom Ohngefähr abhängen? Wer hat noch der Natur den Handgriff ablernen können , wie sie Genies erzeugt, und Künstler hervorbringt? Gewiß läßt sich die seltenste aller Gaben , das listhetische Genie auf die Gefahr sie zu verfälschen , durch Bildung ein wenig vervollkommnen , aber nicht erschaffen! Auch im Umfang und in der Kraft der Sittlichkeit scheint es für die meisten Indivi­ duen eine ursprüngliche, unübersteigliche Gränze zu geben . Nur wenige selbst­ ständige Ausnahmen I sind in ihrer Vervollkommnung unbegränzt. Und scheinen nicht auch diese ihre Selbstständigkeit dem seltsamsten Zusammenfluß der glück­ lichsten Umstände, dem Zufall zu danken? Der stolzen Vernunft des reinen Den­ kers wird es freylich nicht zusagen , aber aus einer unbefangnen Ansicht der Kunst­ geschichte scheint sich das Resultat zu ergeben : die Natur sey im Ganzen neidisch und karg mit ihren köstlichsten Gaben ; nur dann und wann , in ihren schönsten Au­ genblicken , werfe sie nach Laune eine Handvoll echter Künstlerseelen auf ein be­ günstigtes Land , damit das Licht in dieser Dämmerwelt doch nicht gänzlich verlö­ sche.• Schlechthin bestimmen läßt sich allerdings nichts über den künftigen Gang der Bildung: wahrscheinlich vermuthen sehr viel . Vermuthungen , zu denen die Be­ dürfnisse der Menschheit nötigen , welche die ewigen Gesetze der Vernunft und der Geschichte rechtfertigen und begründen . Als hätten sie mit den Göttern zu Rathe gesessen , scheinen jene die geheimen Absichten und Antriebe, nach denen die Na­ tur I im Verborgneo handelt, zu wissen . So viel weiß die Wissenschaft und die Ge­ schichte nicht. Doch das weiß sie, daß die Seltenheit des Genies nicht die Schuld der menschlichen Natur ist, sondern unvollkommner menschlicher Kunst, politi­ scher Pfuscherey. Ihr eigner unglücklicher Scharfsinn fesselt die Freyheit der Men­ schen , und hemmt die Gemeinschaft der Bildung. Wenn demahngeachtet das un­ terdrückte Feuer sich einmal Luft macht, so wird das als ein Wunder angestaunt. Gebt die Bildung frey , und laßt sehn, ob es an Kraft fehlt! Warum hätte auch sonst von jeher selbst die kleinste Gunst des Augenblicks eine so majestätische Fülle schlummernder Kräfte, wie durch einen Zauberschlag ans Licht gerissen? Die nothwendigen Bedingungen aller menschlichen Bildung sind : Kraft, Ge­ setzmäßigkeit, Freyheit und Gemeinschaft. Erst wenn die Gesetzmäßigkeit der äs-

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thetischen Kraft durch eine objektive Grundlage und Richtung gesichert seyn wird , kann die ästhetische Bildung durch Freyheit der Kunst und Ge I meinschqft des Ge­ schmacks durchgängig durchgreifend und iJ.ffentlich werden . Aechte Schönheit muß erst an recht vielen einzelnen Punkten feste Wurzel gefaßt haben , ehe sie sich über die ganze Fläche allgemein verbreiten, ehe die moderne Poesie die zunächst bevor­ stehende Stufe ihrer Entwicklung : die durchgtingige Herrschaft des Objektiven über die ganze Masse; erreichen kann. Man darf aber nicht etwa mit einigen Bedingungen der ästhetischen Bildung gleichsam warten , bis man mit den andern fertig wäre; sie stehn alle vier in durch­ glingiger Wechselwirkung. Es ist daher auch jetzt schon nicht zu frühzeitig, alles was die Iistherische Mittheilung hemmen könnte, aus dem Wege zu räumen . Es herrscht besonders unter Deutschen Dichtern und Kennern eine sehr gefährliche ei­ gentlich illiberale Denkart, welche den ursprünglichen Deutschen Mangel an Mit­ theilungsfähigkeit zum Grundsatz sankzionirt. Die erhabene Gelassenheit der Deut­ schen Nazion , und die neidischen Anfein I dungen kleiner Geister erzeugen oft bey verdienstvollen aber eitlen Männern üble Laune, welche sich bis zu einer bösarti­ gen Bitterkeit verhärten kann. Schmollend hüllen sie ihre beleidigten Ansprüche in höhnenden Stolz, verschließen ihr Talent ganz in sich , oder treten nur mit einer sauern Miene ins Publikum. Ihr Gemüth ist so unfähig, sich über die enge Gegen­ wart zu erheben , daß sie ächte Schönheit überhaupt für ein Myster, und die Oef­ fentlichkeit der ästhetischen Bildung für ganz unmöglich halten . Nur durch Gesel­ ligkeit wird die rohe Eigenthümlichkeit gereinigt und gemildert, erwärmt und er­ heitert; das innre Feuer sanft ans Licht getrieben , die äußre Gestalt berichtigt und bestimmt, gerundet und geschärft. Unmäßige Einsamkeit hingegen ist die Mutter seltsamer Grillen . Daher die eckichte Härte, der barsche Ton , das finstre Kolorit mancher, sonst treflicher Deutscher Schriftsteller. Dieser Weg kann endlich so weit von der Einfalt der Natur, von dem großen Wesentlichen , und ächter Schönheit entfernen , daß sich Zweifel regen dürften, ob jene ästheti I sehen Mysterien nicht etwa ein Orden ohne Geheimniß seyn möchten , wo jeder glaubt, der andre wüßte es. An Mittheilung der Kenntnisse, der Sitten und des Geschmacks sind die Fran­ zosen uns schon seit langer Zeit sehr weit überlegen. Sie können eben dadurch in der Offentliehen Griechischen Poesie eine höhere Stufe der Vollkommenheit als an­ dere kultivirten Nazionen Europa' s erreichen . Man wird dann das unerwartete Phänomen vermuthlich aus der neuen politischen Form erklären wollen , die doch weiter nichts seyn kann, als der glückliche äußre Anstoß , welcher die im Stillen lange vorhandne Kraft zur reifen Blüthe treibt. - Wo in einem genau bestimmten Nazianalcharakter nur einige einzelne schöne Züge vorhanden sind , welche die Grundlinien und Umrisse einer idealischen Ausführung werden können ; wo es an musikalischen und poetischen Talent nur nicht ganz fehlt, wo es nur einige aesthe­ tische Bildung giebt: da muß höhere Lyrik von selbst entstehn , sobald es iJ.ffentliche Sitten, öffentlichen I Willen und öffentliche Neigungen , eine Seele und Stimme der Nazion giebt. Die entschiedenste und beschränkteste Einseitigkeit ist der lyri­ schen Schönheit nicht schlechthin ungünstig, wenn der Mangel an Umfang nur wie bey den Doriern, durch intensive Kraft und Hoheit ersetzt wird . Das schöne Drama hingegen erfordert absoluten Umfang der Bildung, und völlige Freyheit von nazionellen Schranken , Eigenschaften, von denen die Franzo-

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sen sehr weit entfernt sind! Es können leicht Jahrhunderte hingehn , ehe sie diesel­ ben erreichen : denn die neue politische Form wird die Einseitigkeit ihres Nazio­ nalcharakters nur stärker konzentriren , und schneidender isoliren . Daher ist die so­ genannte französische Tragödie auch ein klassisches Muster der Verkehrtheit ge­ worden. Sie ist nicht nur eine leere Formalität ohne Kraft, Reiz und Stoff, sondern auch ihre Form selbst ist ein widersinniger, barbarischer Mechanismus ohne innres Lebensprinzip und natürliche Organisazion . Der französische Nazionalcharakter kann im Roman und in der Komödie, I welche sich mit dem bescheidneu Range subjektiver Darstellungen begnügen , so interessant und liebenswürdig erscheinen ; in der sogenannten Tragödie eines Racine und Voltaire hingegen wird durch eine mißglückte Prätension des Objektiven die ungünstigste Ansicht desselben gleichsam ins Unerträgliche idealisirt. Im steten Wechsel des Widerlichen und des Abge­ schmackten ist hier häßliche Heftigkeit und abgeschliffne Leerheit innigst in einan­ der verschmolzen . - Ohnehin fehlt es den Franzosen wie den Engländern und Ita­ liänern (von der Poesie der beyden letzten Nazionen ist jetzt wohl am wenigsten zu besorgen , daß sie den Deutschen etwas vor weg nehmen möchten ! ) an objektiver Theorie, und an ächter Kenntniß der antiken Poesie. Um nur auf die Spur zu kommen , wie sie den Weg dahin finden könnten , würden sie bey den Deutschen in die Schule gehn müssen . Eine Sache, zu der sie sich wohl schwerlich entschließen werden ! In Deutschland, und nur in Deutschland hat die Aesthetik und das Studium der Griechen eine Höhe erreicht, welche eine gänz I Jiche Umbildung der Dichtkunst und des Geschmacks nothwendig zur Folge haben muß. - Die wichtigsten Fort­ schritte in der stufenweisen Entwicklung der philosophischen Aesthetik war das ra­ zionale und das kritische System . Beyde sind durch Deutsche Erfinder, jenes durch Baumgarten, Sulzer, und andre, dieses durch Kant und seine Nachfolger gestiftet und ausgebildet. Das empirische und skeptische System der Aesthetik war vielmehr ein nothwendiger Erfolg vom allgemeinen Gange der Philosophie, als eigentliche Erfindung und Verdienst einiger Englischen Schriftsteller. - In der ältern Manier der klassischen Kritik übertrifft unser Lessing an Scharfsinn und an ächtem Schön­ heitsgefühl seine Vorgänger in England unendlich weit. Eine ganz neue, und un­ gleich höhere Stufe des Griechischen Studiums ist durch Deutsche herbeygeführt, und wird vielleicht noch geraume Zeit ihr ausschließliches Eigenthum bleiben. Statt der vielen Nahmen , die hier genannt werden könnten , stehe nur einer da. Herder vereinigt die umfassendste Kenntniß mit dem zar I testen Gefühl und der biegsam­ sten Empfänglichkeit. Wer kann noch an der Dichtergabe Deutscher Künstler zweifeln , seit der kühne, erfinderische Klopsrock der Stifter und Vater der Deutschen Poesie ward? Der liberale Wieland sie schmückte und humanisirte? Der scharfsinnige Lessing sie reinigte und schärfte? Schiller ihr stärkre Kraft und höhern Schwung gab? - Durch jeden dieser großen Meister ward die ganze Masse der Deutschen Dichtkunst, zu neuem Leben allgemein begeistert, und strebte mit frischer Kraft immer mächtiger vorwärts. Wie viele andre Dichter folgten jenen ersten Erfindern glücklich und dennoch eigenthümlich , oder giengen auch ihren eignen , vielleicht nicht weniger merkwürdigen Gang, welcher nur darum weniger bemerkt ward , weil er mit dem Geist der Zeit und dem Gange der öffentlichen Bildung nicht so gut zusammentraf?

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Auch Bürgers rühmlicher Versuch , die Kunst aus den engen Büchersälen der Ge­ lehrten , und den konvenzionellen Zirkeln der Mode in die freye lebendige I Welt einzuführen , und die Ordensmysterien der Virtuosen dem Volke zu verrathen , ist nicht ohne den glücklichsten bleibenden Einfluß gewesen. Welchen weiten Weg haben unsre einzigen bedeutenden Nebenbuhler, die Franzosen noch zurückzulegen , ehe sie es nur ahnden können , wie sehr sich GIJthe den Griechen nähere! Ein andres Zeichen von der Annäherung zum Antiken in der Poesie ist die auffallende Tendenz zum Chor in den höhern lyrischen Gedichten (wie die Götter Griechenlands und die Künstler) Schillers; eines Künstlers, der durch seinen ursprünglichen Haß aller Schranken vom klassischen Alterthum am weitesten entfernt zu seyn scheint. So verschieden auch die äußre Ansicht, ja man­ ches Wesentliche seyn mag , so ist doch die Gleichheit dieser lyrischen Art selbst mit der Dichtart des Pindarus unverkennbar. Ihm gab die Natur die Stärke der Empfindung , die Hoheit der Gesinnung, die Pracht der Phantasie, die Würde der Sprache, die Gewalt des Rhythmus, - die Brust und Stimme, welche I der Dichter haben soll, der eine sittliche Masse in sein Gemüth fassen , den Zustand eines Volks darstellen , und die Menschheit aussprechen will . Unter einer eben so heterogenen Aussenheit sind gerade die köstlichsten S tel­ len der Wielandischen Poesie objektiv-komisch und ächt Griechisch . Mit Ueberra­ schung wird der Kenner der Attischen Grazie und der ächten Komödie hier oft den Aristophanes, öfter den Menander wieder finden . Menschen , deren kurzsichtiger Blick jeder großen historischen Ansicht ganz unfähig ist, die im Detail nur Detail wahrnehmen , und alles isolirt sehen , wird es nicht an kleinlichen Einreden wider diese große Bestimmung der Deutschen Dicht­ kunst fehlen . Wenn aber ein glücklicher Anstoß die noch schlummernde Mitthei­ lungsfähigkeit des Deutschen Geschmacks und der Deutschen Kunst plötzlich in elastische Regsamkeit versetzte; so würden selbst die Beobachter, welche nur Fraktur lesen können , mit überraschtem Staunen gewahr werden , daß die Deut­ schen auch hier die kultivirtesten Nazionen I Europa' s im Einzelnen an Höhe der Bildung eben so weit übertreffen , als sie denselben an allgemeiner und durchgrei­ fender Verbreitung der Bildung nachstehn. Winkelmann redet einmal von den Wenigen, welche noch die Griechischen Dichter kennen. Sollten es nicht schon jetzt in Deutschland einige mehr seyn? Wird die Zahl derer, welche nach ächter Kunst streben , nicht auch ferner noch wachsen? - In dieser Hoffnung konsakrire ich diesen Aufsatz und diese Sammlung allen Künstlern. Wie nehmlich die Griechen auch denjenigen Musiker nannten , welcher die sittliche Fülle seines innern Gemüths rhythmisch organisirt, und zur Harmonie ordnet; so nenne ich alle die »Künstler,« welche das Schöne lieben .

DAS ÄLTESTE SYSTEMPROGRAMM DES DEUTSCHEN I DEALISMUS 1

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eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt - wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschiJpft hat) so wird diese Ethik nichts anders als ein vollständiges System aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate seyn. die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut freien Wesen. Mit dem freyen, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt - aus dem Nichts hervor - die einzig wahre und gedenk­ bare SchiJpfung aus Nichts - Hier werde ich auf die Felder der Physik herab­ steigen ; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen seyn? Ich möchte unsrer langsamen an Experimenten müh­ sam schreitenden - Physik, einmal wieder Flügel geben. So - wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen , die ich von spätem Zeitaltem erwarte. Es scheint nicht daß die jezige Physik einen schöpferisehen Geist, wie der unsrige ist, oder seyn soll, befriedigen könne. Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. die Idee der Menschheit voran - will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heist Idee. Wir müßen also auch über den Staat hinaus! - Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechani­ sches Räderwerk behandeln ; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u . s . w. nur untergeordnete Ideen einer höhem Idee sind. Zugleich will ich hier die Princi­ pien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen, und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfaßung, Regierung, Gesezgebung - bis auf die Haut entblösen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit - Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priesterthums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. - absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen, und weder Gott noch Unsterblichkeit ausser sich suchen dürfen . Zulezt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der SchiJnheit, das Wort in höherem platonischem Sinne genom men. Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfast, ein ästhe­ tischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der Sch/Jnheit verschwistert sind - Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besizen, als der Dichter. die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsre BuchstabenPhilo­ sophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kan in nichts geistreich seyn selbst über Geschichte kan man nicht geistreich raisonniren - ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen, - und treuherzig genug

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gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Regi­ ster hinausgeht. Die Poesie bekömmt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben. Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Hauffen müße eine sinnliche Re­ ligion haben . Nicht nur der große Hauffen , auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungs­ kraft und der Kunst, dis ists, was wir bedürfen! Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die so viel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist - wir müßen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen , sie mus eine Mythologie der Vernunft werden. Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse und umgekehrt ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich aufgeklärte und Unauf­ geklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, u m die Philo­ sophen sinnlich zu machen . dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrükt werden, dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleich­ heit der Geister! - Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das lezte, gröste Werk der Menschheit seyn . -

FRIEDRJCH ScHLEGEL GESPRÄCH ÜBER DIE POESIE.

Alle Gemüther, die sie lieben , befreundet und bindet Poesie mit unauflöslichen Banden . Mögen sie sonst im eignen Leben das Verschiedenste suchen, einer gänz­ lich verachten, was der andre am heiligsten hält, sich verkennen, nicht vernehmen , ewig fremd bleiben; in dieser Region sind sie dennoch durch höhere Zauberkraft einig und in Frieden . Jede Muse sucht und findet die andre, und alle Ströme der Poesie fließen zusammen in das allgemeine große Meer. Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich . Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Ursprüngliches in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen , seine ionerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemei­ nen Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu läutern und zu reinigen , wie die Thoren sich bemühen, die nicht wissen was sie I wollen. Aber lehren soll ihn die hohe Wissenschaft ächter Kritik, wie er sich selbst bilden muß in sich selbst, und vor allem soll sie ihn lehren , auch jede andre selbständige Gestalt der Poesie in ihrer classischen Kraft und Fülle zu fassen , daß die Blüthe und der Kern fremder Geister Nahrung und Saame werde für seine eigne Fantasie. Nie wird der Geist, welcher die Orgien der wahren Muse kennt, auf dieser Bahn bis ans Ende dringen , oder wähnen, daß er es erreicht: denn nie kann er eine Sehnsucht stillen, die aus der Fülle der Befriedigungen selbst sich ewig von neuem erzeugt. Unermeßlich und unerschöpflich ist die Welt der Poesie wie der Reich­ thum der belebenden Natur an Gewächsen, Thieren und Bildungen jeglicher Art, Gestalt und Farbe. Selbst die künstlichen Werke oder natürlichen Erzeugnisse, welche die Form und den Namen von Gedichten tragen , wird nicht leicht auch der umfassendste alle umfassen. Und was sind sie gegen die formlose und bewußtlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, im Lichte strahlt, im Kinde lächelt, in der Blüthe der Jugend schimmert, in der liebenden Brust der Frauen glüht? - D iese aber ist die erste, ursprüngliche, ohne die es gewiß keine Poesie der Worte geben würde. Ja wir alle, die wir Menschen sind, haben immer und ewig keinen andern Gegenstand und keinen andern Stoff aller Thätigkeit und aller Freude, als das eine Gedicht der Gottheit, dessen Theil und Blüthe auch wir sind - die Erde. Die Musik des unendlichen Spielwerks zu vernehmen , die Schönheit des I Gedichts zu verste­ hen , sind wir fähig, weil auch ein Theil des Dichters, ein Funke seines schaffenden Geistes in uns lebt und tief unter der Asche der selbstgemachten Unvernunft mit heimlicher Gewalt zu glühen niemals aufhört. Es ist nicht nöthig, daß irgend jemand sich bestrebe, etwa durch vernünftige Reden und Lehren die Poesie zu erhalten und fortzupflanzen , oder gar sie erst her­ vorzubringen , zu erfinden , aufzustellen und ihr strafende Gesetze zu geben, wie es die Theorie der Dichtkunst so gern möchte. Wie der Kern der Erde sich von selbst mit Gebilden und Gewächsen bekleidete, wie das Leben von selbst aus der Tiefe hervorsprang, und alles voll ward von Wesen die sich fröhlich vermehrten; so

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blüht auch Poesie von selbst aus der unsichtbaren Urkraft der Menschheit hervor, wenn der erwärmende Strahl der göttlichen Sonne sie trifft und befruchtet. Nur Gestalt und Farbe können es nachbildend ausdrücken , wie der Mensch gebildet ist; und so läßt sich auch eigentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie. Die Ansicht eines jeden von ihr ist wahr und gut, in so fern sie selbst Poesie ist. Da nun aber seine Poesie, eben weil es die seine ist, beschränkt seyn muß, so kann auch seine Ansicht der Poesie nicht anders als beschränkt seyn . Dieses kann der Geist nicht ertragen , ohne Zweifel weil er, ohne es zu wissen , es dennoch weiß, daß kein Mensch schlechthin nur ein Mensch ist, sondern zugleich auch die ganze Menschheit wirklich und in Wahrheit seyn kann und soll. Darum geht I der Mensch , sicher sich selbst immer wieder zu finden , immer von neuem aus sich heraus, um die Ergänzung seines innersten Wesens in der Tiefe eines fremden zu suchen und zu finden . Das Spiel der Mittheilung und der Annäherung ist das Ge­ schäft und die Kraft des Lebens, absolute Vollendung ist nur im Tode. Darum darf es auch dem Dichter nicht genügen , den Ausdruck seiner eigen­ thümlichen Poesie, wie sie ihm angebohren und angebildet wurde, in bleibenden Werken zu hinterlassen . Er muß streben , seine Poesie und seine Ansicht der Poesie ewig zu erweitern , und sie der höchsten zu nähern , die überhaupt auf der Erde möglich ist; dadurch daß er seinen Theil an das große Ganze auf die bestimmteste Weise anzuschließen strebt: denn die tödtende Verallgemeinerung wirkt gerade das Gegentheil. Er kann es, wenn er den Mittelpunkt gefunden hat, durch Mittheilung mit denen , die ihn gleichfalls von einer andem Seite auf eine andre Weise gefunden haben . Die Liebe bedarf der Gegenliebe. Ja flir den wahren Dichter kann selbst das Verkehr mit denen , die nur auf der bunten Oberfläche spielen , heilsam und lehr­ reich seyn. Er ist ein geselliges Wesen . Für mich hatte es von jeher einen großen Reiz mit Dichtem und dichterisch Gesinnten über die Poesie zu reden . Viele Gespräche der Art habe ich nie verges­ sen , von andem weiß ich nicht genau , was der Fantasie und was der Erinnerung angehört; vieles ist wirklich darin, andres ersonnen . So das gegenwärtige, welches ganz verschiedene Ansichten gegen einan I der stellen soll, deren jede aus ihrem Standpunkte den unendlichen Geist der Poesie in einem neuen Lichte zeigen kan n , u n d die alle mehr oder minder bald von dieser bald von jener Seite in den eigentli­ chen Kern zu dringen streben . Das Interesse an dieser Vielseitigkeit erzeugte den Entschluß , was ich in einem Kreise von Freunden bemerkt und anfänglich nur in Beziehung auf sie gedacht hatte, allen denen mitzutheilen , die eigne Liebe im Bu­ sen spüren und gesonnen sind , in die heiligen Mysterien der Natur und der Poesie kraft ihrer innem LebensfOlie sich selbst einzuweihen . ***

Amalia und Camilla geriethen so eben über ein neues Schauspiel in ein Gespräch , das immer lebhafter wurde, als zwey von den erwarteten Freunden , die wir Marcus und Antonio nennen wollen , mit einem lauten Gelächter in die Gesellschaft traten . Nachdem jene beyden hinzugekommen , war diese nun so vollständig , als sie sich gewöhnlich bey Amalien zu versammeln pflegte, um sich frey und froh mit ihrer

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gemeinschaftlichen Liebhaberey zu beschäftigen . Ohne Verabredung oder Gesetz fügte es sich meistens von selbst, daß Poesie der Gegenstand, die Veranlaßung, der Mittelpunkt ihres Beysammenseyns war. Bisher hatte bald dieser bald jener unter ihnen ein dramatisches Werk oder auch ein andres vorgelesen , worüber dann viel hin und her geredet, und manches Gute und Schöne gesagt ward . Doch fühlten bald aUe mehr oder minder einen gewissen Mangel bey dieser Art der Unterhal­ tung . Amalia bemerkte den Umstand zuerst und wie ihm zu helfen seyn mögte. Sie I meynte, die Freunde wüßten nicht klar genug um die Verschiedenheit ihrer An­ sichten . Dadurch werde die Mittheilung verworren , und schwiege mancher gar, der sonst wohl reden würde. Jeder, oder zunächst nur wer eben am meisten Lust habe, soUe einmal seine Gedanken über Poesie, oder über einen Theil, eine Seite dersel­ ben von Grund des Herzens aussprechen , oder lieber ausschreiben , damit man ' s schwarz auf weiß besitze, wie ' s jeder meyne. Camilla stimmte ihrer Freundin lebhaft bey , damit wenigstens einmal etwas neues geschähe, zur Abwechslung von dem ewigen Lesen . Der Streit, sagte sie, würde dann erst recht arg werden ; und das müsse er auch , denn eher sey keine Hoffnung zum ewigen Frie­ den . Die Freunde ließen sich den Vorschlag gefallen und legten sogleich Hand ans Werk, ihn auszuführen . Selbst Lothario, der sonst am wenigsten sagte und stritt, ja oft Stundenlang bey allem was die andern sagen und streiten mochten , stumm blieb und sich in seiner würdigen Ruhe nicht stören ließ, schien den lebhaftesten Antheil zu nehmen , und gab selbst Versprechungen , etwas vorzulesen . Das Interesse wuchs mit dem Werk und mit den Vorbereitungen dazu, die Frauen machten sich ein Fest daraus, und es wurde endlich ein Tag festgesetzt, an dem jeder vorlesen sollte, was er bringen würde. Durch alle diese Umstände war die Aufmerksamkeit gespannter, als gewöhnlich ; der Ton des Gesprächs indessen blieb ganz so zwanglos und leicht wie er sonst unter ihnen zu seyn pflegte. Camilla hatte mit vielem Feuer ein Schauspiel beschrieben und gerühmt, was am Tage zuvor gegeben war. I Amalia hingegen tadelte es, und behauptete, es sey von Kunst ja von Verstand durchaus keine Ahndung darin. Ihre Freundin gab dies sogleich zu; aber, sagte sie, es ist doch wild und lebendig genug, oder wenigstens können es gute Schauspieler, wenn sie guter Laune sind, dazu machen . - Wenn sie wirklich gute Schauspieler sind , sagte Andrea, indem er auf seine Rolle und nach der Thüre sah, ob die fehlenden nicht bald kommen würden ; wenn sie wirklich gute Schauspieler sind, so müssen sie eigentlich alle gute Laune verlieren , daß sie die der Dichter erst machen sollen . - Ihre gute Laune, Freund, erwiederte Amalia, macht Sie Selbst zum Dichter; denn daß man dergleichen Schauspielschreiber Dichter heißt, ist doch nur ein Gedicht, und eigentlich viel ärger als wenn die Ko­ mödianten sich Künstler nennen oder nennen lassen . - Gönnt uns aber doch unsre Weise, sagte Antonio, indem er sichtbar Camillens Parthey nahm; wenn sich ein­ mal durch glücklichen Zufall ein Funken von Leben , von Freude und Geist in der gemeinen Masse entwickelt, so wollen wirs lieber erkennen , als uns immer wie­ derholen , wie gemein nun eben die gemeine Masse ist. - Darüber ist ja grade der Streit, sagte Amalia; gewiß es hat sich in dem Stück von dem wir reden, gar nichts weiter entwickelt, als was sich fast alle Tage da entwickelt; eine gute Portion Al­ bernheit. Sie fing hierauf an , Beyspiele anzuführen , worin sie aber bald gebeten

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wurde nicht länger fortzufahren , und in der That bewiesen sie nur zu sehr was sie beweisen sollten . Camilla erwiederte dagegen , dieses treffe sie gar nicht, denn sie habe auf die Reden und Redensarten der I Personen im Stück nicht sonderlich Acht gegeben . Man fragte sie, worauf sie denn geachtet habe, da es doch keine Operette sey? Auf die äußre Erscheinung , sagte sie, die ich mir wie eine leichte Musik habe vor­ spielen lassen . Sie lobte dann eine der geistreichsten Schauspielerinnen , schilderte ihre Manieren , ihre schöne Kleidung, und äußerte ihre Verwunderung , daß man ein Wesen wie unser Theater so schwer nehmen könne. Gemein sey da in der Re­ gel freylich fast alles; aber selbst im Leben , wo es einem doch näher träte, mache ja oft das Gemeine eine sehr romantische und angenehme Erscheinung . - Gemein in der Regel fast alles, sagte Lothario. Dieses ist sehr richtig . Wahrlich , wir sollten nicht mehr so häufig an einen Ort gehen , wo der von Glück zu sagen hat, der nicht vom Gedränge, von üblem Geruch oder von unangenehmen Nachbaren leidet. Man foderte einmal von einem Gelehrten eine Inschrift für das Schauspielhaus. Ich würde vorschlagen , daß man darüber setzte: Komm Wandrer und sieh das Platte­ ste; welches dann in den meisten Fällen eintreffen würde. Hier wurde das Gespräch durch die eintretenden Freunde unterbrochen , und wären sie zugegen gewesen, so dürfte der Streit wohl eine andre Richtung und Verwicklung gewonnen haben , denn Marcus dachte nicht so über das Thea­ ter, und konnte die Hoffnung nicht aufgeben , daß etwas rechtes daraus werden müsse. Sie traten , wie gesagt, mit einem unmäßigen Gelächter in die Gesellschaft, und aus den letzten I Worten , die man hören konnte, ließ sich schließen , daß ihre Un­ terhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Engländer bezog . Man sagte noch einiges über denselben Gegenstand , und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfällen dem Gespräch einmischte, das er selten selbst führte, behauptete, die Grundsätze ihrer Kritik und ihres Enthusi­ asmus wären im S mith über den Nationalreichthum zu suchen . Sie wären nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die öffentliche Schatzkammer tragen könnten . Wie jedes Buch auf dieser Insel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine gehörige Zeit gelegen habe, zum Classiker. Sie wären aus glei­ chem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Seheeren stolz wie auf die der besten Poesie. So ein Engländer lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden , oder wer sonst noch Classiker sey; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bey dem andern . - Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne Krankheit, durch die jede Nation hindurch müsse, wie die Kinder durch die Pocken . - So müßte man den Versuch machen können , die Kraft der Krankheit durch Inoculation zu schwächen , sagte Antonio. Ludoviko, der mit seiner revoluzionären Philosophie das Vernichten gern im Großen trieb, fing an von einem System derfalschen Poesie zu sprechen, was er darstellen wolle, die in diesem Zeitalter besonders bey Engländern und Franzosen grassirt habe und zum Theil noch grassire; der tiefe gründliche I Zusammenhang aller dieser falschen Tendenzen , die so schön übereinstimmen , eine die andre ergänzen und sich freundschaftlich auf halbem Wege entgegenkommen , sey eben so merkwürdig und lehrreich als unterhaltend und grotesk. Er wünschte sich nur

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Verse machen zu können, denn in einem komischen Gedicht müßte sich , was er meyne, eigentlich erst recht machen . Er wollte noch mehr davon sagen , aber die Frauen unterbrachen ihn und foderten den Andrea auf, daß er anfangen möchte; sonst wäre des Vorredens kein Ende. Nachher könnten sie ja desto mehr reden und streiten . Andrea schlug die Rolle auf und las.

Epochen der Dichtkunst. Wo irgend lebendiger Geist in einem gebildeten Buchstaben gebunden erscheint, da ist Kunst, da ist Absonderung, Stoff zu überwinden , Werkzeuge zu gebrauchen , ein Entwurf und Gesetze der Behandlung. Darum sehn wir die Meister der Poesie sich mächtig bestreben , sie auf das vielseitigste zu bilden . Sie ist eine Kunst, und wo sie es noch nicht war, soll sie es werden , und wenn sie es wurde, erregt sie gewiß in denen die sie wahrhaft lieben, eine starke Sehnsucht, sie zu erkennen , die Absicht des Meisters zu verstehen , die Natur des Werks zu begreifen , den Ur­ sprung der Schule, den Gang der Ausbildung zu erfahren . Die Kunst ruht auf dem Wissen , und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte. I Es ist aller Kunst wesentlich eigen , sich an das Gebildete anzuschließen, und darum steigt die Geschichte von Geschlecht zu Geschlecht, von Stufe zu Stufe im­ mer höher ins Alterthum zurück, bis zur ersten ursprünglichen Quelle. Für uns Neuere, für Europa liegt diese Quelle in Hellas, und für die Hellenen und ihre Poesie war es Horneros und die alte Schule der Homeriden . Eine unver­ siegbare Quelle allbildsamer Dichtung war es, ein mächtiger Strom der Darstellung wo eine Woge des Lebens auf die andre rauscht, ein ruhiges Meer, wo sich die Fülle der Erde und der Glanz des Himmels freundlich spiegeln . Wie die Weisen den Anfang der Natur im Wasser suchen , so zeigt sich die älteste Poesie in flüßiger Gestalt. Um zwey verschiedene Mittelpunkte vereinigte sich die Masse der Sage und des Gesanges. Hier ein großes gemeinsames Unternehmen , ein Gedränge von Kraft und Zwiespalt, der Ruhm des Tapfersten; dort die Fülle des Sinnlichen , Neuen , Fremden, Reizenden, das Glück einer Familie, ein Bild der gewandtesten Klugheit, wie ihr endlich die erschwerte Heimkehr dennoch gelingt. Durch diese ursprüngli­ che Absonderung ward das vorbereitet und gebildet, was wir Ilias und Odyssee nennen , und was in ihr eben einen festen Anhalt fand, um vor andern Gesängen der gleichen Zeit für die Nachwelt zu bleiben. In dem Gewächs der Homerischen sehen wir gleichsam das Entstehen aller Poesie; aber die Wurzeln entziehn sich dem Blick, und die Blüthen und I Zweige der Pflanze treten unbegreiflich schön aus der Nacht des Alterthums hervor. Dieses reizend gebildete Chaos ist der Keim, aus welchem die Welt der alten Poesie sich organisirte. Die epische Form verdarb schnell . Statt dessen erhob sich , auch bey den Io­ niern, die Kunst der Iamben, die im Stoff und in der Behandlung der grade Gegen­ satz der mythischen Poesie, und eben darum der zweyte Mittelpunkt der helleni­ schen Poesie war, und an und mit ihr die Elegie, welche sich fast eben so mannich­ fach verwandelte und umgestaltete wie das Epos.

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Was Archilochos war, muß uns außer den Bruchstücken , Nachrichten und Nachbildungen des Horatius in den Epoden , die Verwandtschaft der Komödie des Aristophanes und selbst die entferntere der römischen Satire vermuthen lassen . Mehr haben wir nicht, die größte Lücke in der Kunstgeschichte auszufüllen . Doch leuchtet es jedem , der nachdenken will , ein , wie es ewig im Wesen der höchsten Poesie liege, auch in heiligen Zorn auszubrechen, und ihre volle Kraft an dem fremdesten Stoff, der gemeinen Gegenwart zu äußern . Dieses sind die Quellen der hellenischen Poesie, Grundlage und Anfang . Die schönste Blüthe umfaßt die melischen , chorischen , tragischen und komischen Werke der Dorer, Aeolier und Athener von Alkman und Sappho bis zum Aristophanes. Was uns aus dieser wahrhaft goldenen Zeit in den höchsten Gattungen der Poesie übrig geblieben ist, trägt mehr oder minder einen schönen oder großen Styl , die Lebens­ ! kraft der Begeisterung und die Ausbildung der Kunst in göttlicher Harmonie. Das Ganze ruht auf dem festen Boden der alten Dichtung, eins und untheilbar durch das festliche Leben freyer Menschen und durch die heilige Kraft der alten Götter. Die melische Poesie schloß sich mit ihrer Musik aller schönen Gefühle zunächst an die jambische, in welcher der Drang der Leidenschaft, und die elegi­ sche, in welcher der Wechsel der Stimmung im Spiel des Lebens so lebendig er­ scheinen , daß sie für den Haß und die Liebe gelten können , durch welche das ru­ hige Chaos der homerischen Dichtung bewegt ward zu neuen Bildungen und Ge­ staltungen . Die chorischen Gesänge hingegen neigten sich mehr zum heroischen Geist des Epos, und trennten sich eben so einfach nach dem Uebergewicht von ge­ setzlichem Ernst oder heiliger Freyheit in der Verfassung und Sti mmung des Volks. Was Eros der Sappho eingab , athmete Musik; und wie die Würde des Pin­ daros gemildert wird durch den fröhlichen Reiz gymnastischer Spiele, so ahmten die Dithyramben in ihrer Ausgelassenheit auch wohl die kühnsten Schönheiten der Orchestik nach . Stoff und Urbilder fanden die Stifter der tragischen Kunst im Epos, und wie dieses aus sich selbst die Parodie entwickelte, so spielten dieselben Meister, welche die Tragödie erfanden, in Erfindung Satyrischer Dramen . Zugleich mit der Plastik entstand die neue Gat I tung, ihr ähnlich in der Kraft der Bildung und im Gesetz des Gliederbaus. Aus der Verbindung der Parodie mit den alten Iamben und als Gegensatz der Tragödie entsprang die Komödie, voll der höchsten Mimik die nur in Worten möglich ist. Wie dort Handlungen und Begebenheiten , Eigenthümlichkeit und Leidenschaft, aus der gegebnen Sage zu einem schönen System harmonisch geordnet und gebildet wurden, so ward hier eine verschwenderische Fülle von Erfindung als Rhapsodie kühn hingeworfen , mit tiefem Verstand im scheinbaren Unzusammenhang. Beyde Arten des attischen Drama griffen aufs wirksamste ins Leben ein , durch ihre Beziehung auf das Ideal der beyden großen Formen , in denen das höchste und einzige Leben , das Leben des Menschen unter Menschen erscheint. Den Enthusi­ asmus für die Republik finden wir beym Aeschylos und Aristophanes, ein hohes Urbild schöner Familie in den heroischen Verhältnissen der alten Zeit liegt dem Sophokles zum Grunde.

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Schlegel: Gespräch über die Poesie

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Wie Aeschylos ein ewiges Urbild der harten Größe und des nicht ausgebildeten Enthusiasmus, Sophokles aber der harmonischen Vollendung ist: so zeigt schon Euripides jene unergründliche Weichlichkeit, die nur dem versunkenen Künstler möglich ist, und seine Poesie ist oft nur die sinnreichste Declamation . Diese erste Masse hellenischer Dichtung , das alte Epos, die Iamben , die Ele­ gie, die festlichen Gesänge und Schauspiele; das ist die Poesie selbst. Alles, was I noch folgt, bis auf unsre Zeiten , ist Ueberbleibsel , Nachhall, einzelne Ahndung, A nnäherung, Rückkehr zu jenem höchsten Olymp der Poesie. Die Vollständigkeit nöthigt mich zu erwähnen , daß auch die ersten Quellen und Urbilder des didaskalischen Gedichts, die wechselseitigen Uebergänge der Poesie und der Philosophie in dieser Blüthezeit der alten Bildung zu suchen sind : in den naturbegeisterten Hymnen der Mysterien , in den sinnreichen Lehren der gesel­ lig sittlichen Gnome, in den allumfassenden Gedichten des Empedokles und andrer Forscher, und etwa in den Symposien , wo das philosophische Gespräch und die Darstellung desselben ganz in Dichtung übergeht. Solche einzig große Geister wie Sappho, Pindaros, Aeschylos, Sophokles, Ari­ stophanes kaineo nicht wieder; aber noch gabs genialische Virtuosen wie Philoxe­ nos, die den Zustand der Auflösung und Gährung bezeichnen , welcher den Ueber­ gang von der großen idealischen zur zierlichen gelehrten Poesie der Hellenen bil­ det. Ein Mittelpunkt für diese war Alexandrien. Doch nicht hier allein blühte ein classisches Siebengestim tragischer Dichter; auch auf der attischen Bühne glänzte eine Schaar von Virtuosen , und wenn gleich die Dichtkünstler in allen Gattungen Versuche in Menge machten , jede alte Form nachzubilden oder umzugestalten , so war es doch die dramatische Gattung vor allen , in welcher sich die noch übrige Er­ findungskraft dieses Zeitalters durch eine reiche Fülle der sinnreichsten und oft seltsamen neuen Verbindungen und Zusammenset l zungen zeigte, theils im Ernst, theils zur Parodie. Doch blieb es auch wohl in dieser Gattung beym Zierlichen , Geistvollen, Künstlichen , wie in den andem , unter denen wir nur das Idyllion , als eine eigenthümliche Form dieses Zeitalters erwähnen ; eine Form, deren Eigen­ thümliches aber fast nur im Formlosen besteht. Im Rhythmus und manchen Wen­ dungen der Sprache und Darstellungsart folgt es einigermaßen dem epischen Styl ; in der Handlung und im Gespräch den dorischen Mimen von einzelnen Seeneo aus dem geselligen Leben in der lokalsten Farbe; im Wechselgesange den kunstlosen Liedern der Hirten ; im erotischen Geist gleicht es der Elegie und dem Epigramm dieser Zeit, wo dieser Geist selbst in epische Werke einfloß , deren viele jedoch fast nur Form waren , wo der Künstler in der didaskalischen Gattung zu zeigen suchte, daß seine Darstellung auch den schwierigsten trockensten Stoff besiegen könne; in der mythischen hingegen , daß man auch den seltensten kenne, und auch den älte­ sten ausgebildetsten neu zu verjüngen und feiner umzubilden wisse; oder in zierli­ chen Parodien mit einem nur scheinbaren Objekt spielte. Ueberhaupt ging die Poe­ sie dieser Zeit entweder auf die Künstlichkeit der Form , oder auf den sinnlichen Reiz des Stoffs, der selbst in der neuen attischen Komödie herrschte; aber das wollüstigste ist verloren . Nachdem auch die Nachahmung erschöpft war, begnügte man sich neue Kränze aus den alten Blumen zu flechten , und Anthologien sind es, welche die hellenische Poesie beschließen . I

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Zwischen Antike, Orient und Kirche

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Die Römer hatten nur einen kurzen Anfall von Poesie, während dessen sie mit großer Kraft kämpften und strebten , sich die Kunst ihrer Vorbilder anzueignen . Sie erhielten dieselben zunächst aus den Händen der Alexandriner; daher herrscht das Erotische und Gelehrte in den Werken , und muß auch , was die Kunst betrifft, der Gesichtspunkt bleiben , sie zu würdigen . Denn der Verständige läßt jedes Gebildete in seiner Sphäre, und beurtheilt es nur nach seinem eignen Ideale. Zwar erscheint Horatius in jeder Form interessant, und einen Menschen von dem Werth dieses Römers würden wir vergeblich unter den spätem Hellenen suchen ; aber dieses all­ gemeine Interesse an ihm selbst ist mehr ein romantisches als ein Kunsturtheil, welches ihn nur in der Satire hoch stellen kann. Eine herrliche Erscheinung ists wenn die römische Kraft mit der hellenischen Kunst bis zur Verschmelzung Eins wird . So bildete Propertius eine große Natur durch die gelehrteste Kunst; der Strom inniger Liebe quoll mächtig aus seiner treuen Brust. Er darf uns über den Verlust hellenischer Elegiker trösten , wie Lucretius über den des Empedokles. Während einiger Menschenalter wollte alles die und Krause6>; noch andere die Niederländer; jedoch hatte auch Oeser7l, welcher keinem Vorbild folgte, sondern sich bloß von den Eingebungen seines ei­ genen schönen Talents leiten ließ, mit gefälligen , doch zu leicht und nebelhaft aus­ geführten Malereyen großes Lob erworben , und noch allgemeineres Daniel Cho­ dowieckyB> durch Zeichnungen und kleine Kupferstiche, Scenen des bürgerlichen Lebens darstellend , worin ihm Ausdruck und Charakter der Figuren oft vortrefflich gelang.

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Rückblick auf die frühe Romantik

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Der strenge Ernst dagegen, die fast ängstliche Sorgfalt in Nachbildung antiker Formen, welche der berühmte, im Jahr 1 779 zu Rom verstorbene Mengs9> nicht nur in den Werken seines Pinsels zu Tage gelegt, sondern auch durch Schriften verkündet, wurde von dessen Schülern minder treu bewahrt, I als man wohl hätte erwarten sollen , mehreren derselben ist im Gegentheil von Seiten des Colorits un­ ziemliche Liebe für bunte Farben und in Betreff der Ausführung Flüchtigkeit vor­ zuwerfen. Zwey der besten , Maron und Unterberger• 0> in Rom geblieben, bemüh­ ten sich, in so ferne ihr Vermögen hinreichte. noch am meisten den Fußtapfen des Lehrers zu folgen . Angelika Kaufmann • •> hingegen , die von Mengs ebenfalls eini­ gen Unterricht genossen , und also zu seiner Schule darf gerechnet werden , schaffte sich , überhäuft von Bestellungen , eine leichte, der lieblichen Heiterkeit ihrer Com­ positionen zusagende Behandlung an . Wußte der ernste Mengs unter seinen Schülern sich wenig eigentliche Nachfol­ ger zu erziehen , so läßt sich doch keineswegs abläugnen daß durch seine Schriften , in Vereinigung mit den Winkelmannischen , fast bey allen welche die Kunst werk­ thätig pflegten , oder I ihr bloß als Liebhaber geneigt waren , höhere, wo nicht Be­ griffe, doch Ahnungen der Kunst und des Geistes derselben erregt worden . Im praktischen wirkte diese Anregung auf die Bildhauer noch kräftiger und auch vortheilhafter als auf die Maler, weil Nachahmung des Aeußern antiker Mu­ ster der Plastik um vieles näher liegt. SergeJ 1 2> , TrippeJill, wie auch der noch le­ bende Canovat4) beflissen sich dieser Nachahmung mit solchem Erfolg daß man­ chen ihrer Werke das Verdienst schöner Formen ohne Widerrede muß zugestanden werden . Hinsichtlich auf die Wahl der Gegenstände, waltete in der Zeit, von welcher hier die Rede ist, noch kein Zwiespalt, es herrschte damals unter Liebhabern und Künstlern noch ein akatholischer, protestantischer, um nicht zu sagen unchristlicher Sinn. Treffliche Gemälde berühmter Meister wurden weniger hochge I schätzt , wenn sie religiose Gegenstände darstellten 1 S> und von Geschichten der Märtyrer wandte sich jeder der Geschmack zu haben vermeinte mit Abscheu; der immer mehr erkaltende Religions-Eifer hatte der Kunst fast alle Arbeiten für Kirchen ent­ zogen und wo dieselbe zum Schmuck von Paliästen etwas beytragen sollte, hielt man fröhliche, dem damals allgemein geltenden Schönheitsprinzip zusagende Ge­ genstände für die passendsten . Also zogen die Künstler den Stoff ihrer Darstellun­ gen meistens aus der Mythologie, oder auch aus der Geschichte der Griechen und Römer. Hamilton 16>, ein Schottländer, welcher in Rom wohnte, verfertigte daselbst eine Anzahl Gemälde nach Homers Gedichten , und erwarb sich damit eben so all­ gemeinen als wohl verdienten Beyfall , wodurch sehr viele Künstler gereizt wurden denselben Weg einzuschlagen . Odyssee und Bias waren daher verschiedene Jahre hindurch die ergiebigen Quellen aus denen man Entwürfe und Bil l der schöpfte; selbst Flaxmans 1 7l bekannte Skizzen zum Homer, wiewohl etwa zehen Jahre später gezeichnet, sind wahrscheinlich noch aus dieser von Rarnilton herrührenden Anre­ gung entsprossen . Im Vorübergehen ist noch zu bemerken , daß der Schweizer H . Füeßiit B>, der aber wegen seines langen Aufenthalts in England füglieh zu den Engländern ge­ rechnet wird, während er in Rom studirte, also kurz vor 1780 mehrere Gemälde verfertigt habe, zu denen der Stoff dem Shakespeare entnommen war, aber dieses

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geschah bloß in Beziehung auf englische Kunstliebhaberey und die von Boydei in Kupferstichen unternommene Shakespear' s-Gallerie. Zwar vermag man nicht ab­ zuläugnen daß Füeßlis Erfindungen auch in Deutschland sehr viele Gunst fanden , doch dünkt es uns wahrscheinlich das Publikum habe durch seine bewiesene Theil­ nahme weniger den bildenden Künstler als den großen englischen Dramatiker I eh­ ren wollen , dessen Werke in mehreren Uebersetzungen und auch vom Theater her bekannt geworden; denn weder Füeßlis wilder Styl noch die von ihm gewählten grauerliehen Scenen vermochten die Künstler zu ähnlichen Unternehmungen zu bewegen. Wilhelm Tischbein 1 9>, aus Hessen gebürtig, hatte sich ein Paar Jahre in der Schweiz aufgehalten , daselbst mit Bodmer und Lavater vertraulichen Umgang ge­ pflogen , und war von ihnen beredet worden merkwürdige Vorfalle aus der deut­ schen Geschichte zu bearbeiten; er malte also, in Rom zum zweytenmale sich auf­ haltend, in den Jahren 1 783 und 1 784, den Conradin von Schwaben wie er im Ge­ fangniß zu Neapel mit ruhigem Muthe sein Todesurtheil anhört. Als Kunstwerk betrachtet gelang dieses, gegenwärtig in Gotha befindliche Gemälde sehr wohl, ja man kann solches zu den besten in unsern Tagen entstandenen Bildern zählen ; aber obgleich der I Künstler dasselbe verschiedene Male, und auf verschiedene Weise im Kleinen wiederholte, regte sich doch damals noch keine lebhafte Neigung für dergleichen Gegenstände, und er selbst wandte sich kurz nachher wieder zu Dar­ stellungen aus dem griechischen Alterthum. Von unserm Tischbein, woferne wir nicht sehr irren , ist nun zu allererst größere Werthschätzung der ältern , vor Raphaels Zeit blühenden Maler ausgegan­ gen . Dem Natürlichen , dem Einfachen hold, betrachtete er mit Vergnügen die we­ nigen in Rom vorhandenen Malereyen des Perugino20>, Bellini2 1 ) und Mantegna22> , pries ihre Verdienste und spendete, vielleicht die Kunstgeschichte nicht gehörig be­ achtend, vielleicht nicht hinreichend mit derselben bekannt, ein allzufreygebiges Lob dem weniger geistreichen Pinturicchio23> der mit seinen Werken so manche Wand überdeckt hat. Tischbein und seinen Freunden wurde bald auch die von Ma­ saccio24> ausgemalte Ca I pelle in der Kirche St. Clemente bekannt. Zu gleicher Zeit forschte der gelehrte Hirt die in Vergessenheit gerathenen Malereyen des da Fie­ sole25> im Vatikan wieder aus, und Lips26) stach Umrisse von zwey solchen Gemäl­ den in Kupfer. Wiewohl nun das eben erzählte auf wachgewordenes Interesse für die Werke des ältern Styls hindeutet, so hatten dieselben doch damals noch keinen Einfluß auf die Ausübung der Kunst; niemand betrachtete sie als Muster, oder wähnte durch Nachahmung derselben den wahren Geschmack zu eijagen . Ein Bedenken erregendes Symptom aufkeimender Vorliebe für solche ältere Art, äußerte sich jedoch darin, daß gar viele Künstler, zumal unter den jüngeren , Raphaels27l nie unterbrochenes Fortschreiten in der Kunst abläugneten, die Ge­ mälde von der sogenannten zweyten Manier dieses Meisters, z.B. die Grablegung, die Disputa u.a. den später I verfertigten vorziehen wollten . Unter seinen Arbeiten im Vatikan wurde daher die genannte Disputa am häufigsten von Studirenden nachgezeichnet, auch genossen die Werke des da Vinci2B> größere Verehrung, als zuvor; besonders der junge lehrende Christus unter den Pharisäern, zu jener Zeit noch in der Gallerie des Prinzen Borghese Aldobrandini befindlich . Deßgleichen wuchs die Gunst für die Arbeiten des Garofalo29> ; hingegen gerieth die Achtung für

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Rückblick auf die fnihe Romantik

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Carraccische30l Werke ins Abnehmen, Guido Renil 1 > verlor ebenfalls sein lange be­ hauptetes Ansehen immer mehr. Um in unsern Betrachtungen auch die Landschaftmalerey gehörig zu berück­ sichtigen , sey bezüglich auf dieselbe hier angemerkt, daß , nach Hackerts3 2> locken­ dem Beyspiel , sich die Künstler dieses Fachs beynahe insgesammt beflissen, An­ sichten der Natur zu malen und zu zeichnen , wodurch die freye poetische Er­ fin I dung sehr vernachlässigt wurde, und wenn selten etwa noch landschaftliche Gemälde entstanden , welche nicht Prospecte seyn sollten , so war doch immer ir­ gend eine Gegend dem Werke zum Grunde gelegt, und nur die vordersten Partien, Gebäude und dergleichen , hatten eine andere Gestalt nach dem Geschmack des Künstlers erhalten . So ungefähr war es zu Rom mit den Geschmacks-Neigungen der Künstler und Kunstliebhaber, vornehmlich derer von deutscher Zunge, bis um das Jahr 1 790 be­ schaffen . In Deutschland schien damals noch keine sehr merkliche Abweichung vom oben erwähnten vorgegangen zu seyn, nur hatte man seit mehreren Jahren schon angefangen sich mit dem Unannehmlichen der alten Meister, Schöns33> , Alt­ dorfers3 4> , und anderer, allmählig auszusöhnen. Dürern3S> wurden seine Härten verziehen , Holbeinsl 6> Ansehen stieg unge l fähr in ähnlichem Verhältniß , auch Lu­ cas Kranachl7) erwarb Gönner und Freunde. Um diese Zeit unternahm der Maler Büril B>, von Rom aus, eine Reise nach Venedig und durch die Lernbardie über Florenz wieder zurück. Er ha.tte zu Vene­ dig und Mantua die Werke des Bellini und des Mantegna fleißig aufgesucht, be­ trachtet, auch einige derselben nachgezeichnet, ein gleiches geschah von ihm zu Florenz mit Gemälden des da Fiesoie und anderer alten Meister. Bey seiner Wie­ derkunft nach Rom gedachte er gegen Kunstverwandte der geschauten Dinge mit großem Lob , und beglaubigte solches durch die gefertigten Zeichnungen . Dieses bloß zufällige Ereigniß hat, nach unserm Dafürhalten , vielen Einfluß auf den Gang des Geschmacks gehabt; denn von derselben Zeit an sprach sich die Vorliebe für alte Meister, zumal für die der florentinischen I Schule, immer ent­ schiedener aus. Die vorerwähnten Freskogemälde des da Fiesoie im Vatican, wie auch die des Masaccio in der Kirche St. Clemente erhielten classisches Ansehen, das heißt: sie wurden nicht nur als ehrenwerthe Denkmale der emporstrebenden Kunst betrachtet, sondern von den Künstlern nun als musterhaft studirt und nach­ gezeichnet. Ferner wählte man, in der Absicht sich näher an Kunst und Geist der ältern Schulen und Meister anzuschließen , für neu zu erzeugende Werke die Ge­ genstände schon häufiger aus der Bibel. Einer der vorzüglichsten der auf diesem Wege sich Bemühenden war Wächter aus Stuttgard, welcher mit lieblichen Gemälden heiliger Familien , wobey ihm Garofalo schien zum Muster gedient zu haben, mit einem Hiob u.a.m. großes Lob bey Gleichgesinnten erwarb. I Eben damals befand sich auch Fernowl9) in Rom und hielt während den Win­ terabenden 1 796 Vorlesungen , in denen Kant's Philosophie, oder eigentlich dessen philosophische Maximen , auf die Kunst angewendet wurden . Theils Neugierde, theils Hoffnung , und der an sich keineswegs tadelhafte Wunsch über große Schwie­ rigkeiten mit leichter Mühe wegzukommen , verschafften anfänglich diesen Vorle­ sungen zahlreichen Besuch; da aber der Docent dem immer überband nehmenden

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Christlichen und Sentimentalen in den Darstellungen widersprach, auf die Ideale des Griechischen Altertbums als einzig würdige und ersprießliche Muster für Künstler hinweisend, auch sein Freund Carstens40l praktisch dieselben Gesinnungen bekannte, so mußte dieser von Widersachern vielen Verdruß erfahren, und Fernows Lehre fand keinen Eingang. Im Gegentheil pflanzte sich die Neigung zum Geschmack der ältern Meister vor Raphael, immer wachsend fort und erhielt durch die vom I Calmücken Feodor4 1 > in Umrissen nach Lorenzo Ghiberti radirte bron­ zene Thüre am Battisterium zu Florenz neue Nahrung. Die fernem Ereignisse nunmehr betrachtend , halten wir uns für hinlänglich überzeugt, daß ein litterarisches Produkt, welches wenig später, nämlich 1 797 er­ schienen , den Hang , die Vorliebe für alte Meister und ihre Werke, wo nicht voll­ ständig entwickelt, doch der Entwickelung um vieles näher entgegen geführt habe. Wir zielen hiermit auf Wackenröders42l von Ludwig Tieck43l herausgegebene Her­ zensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Diese Schrift •vornehmlich angehenden Künstlern gewidmet, und Knaben , welche die Kunst zu lernen geden­ ken« wurde in Deutschland wohl aufgenommen , viel gelesen und kam bald nach Rom , wo sie ohne Zweifel den größten Eindruck gemacht hat. Der Verfasser44> forderte mit eindringlicher Beredsamkeit zu wär I merer Verehrung der ältern Mei­ ster auf, stellte ihre Weise als die beste dar, ihre Werke als sey in denselben der Kunst höchstes Ziel erreicht. Kritik4S> wird als eine Gottlosigkeit angesehen , und die Regeln46> als leere Tändeley; Kunst47l meint er, lerne sich nicht, und .werde nicht gelehrt, er hält die Wirkung48> derselben auf die Religion , der Religion auf sie, für völlig entschieden , und verlangt daher vom Künstler andächtige Begeiste­ rung und religiöse Gefühle, als wären sie unerläßliche Bedingungen des Kunstver­ mögens. Und weil nun die alten Meister49> durchgängig diese Gemüthseigenschaf­ ten sollen besessen haben , so werden sie deßwegen als den neuern durchaus über­ legen betrachtet. Da der Name des Verfassers auf dem Titel nicht genannt war, so wollten viele das Werk Goethen zuschreiben und folgten desto getroster den darin vorgetragenen und ihren I eigenen ungefähr gleichartigen , schon vorher gehegten Meynungen . Es fügte sich ferner daß , als nach den bekannten unruhigen Ereignissen, Rom , im Jahre 1 798, von den Franzosen besetzt wurde, viele Künstler, um Beschwer­ lichkeiten und Störungen auszuweichen , sich von dort wegbegaben und , durch die Umstände genöthigt, Florenz zu ihrem Aufenthalt wählten , wo sie Gelegenheit fanden mit den ältern und ältesten Meistern dieser berühmten Kunstschule besser bekannt zu werden als in Rom hätte geschehen können . Giotto5 0> , die Gaddi5 1 > , Or­ gagnaS2>, selbst andere von geringerm Namen und Verdienst, wie BuffalmaccoS3> , kamen dadurch , vielleicht in übertriebenem Maße, zu Ehren und manches ihrer noch übrigen , lange nicht mehr beachteten Werke wurde jetzt zum Studium und Muster von Künstlern erkohren , welche kurz vorher noch den Coloß des Phidias vor Augen gehabt. I Im Jahre 1 798 ließ Tieck, welcher die Herzensergießungen nach Wackenröders Tode herausgegeben , auch selbst einigen Theil daran gehabt hatte, einen , in glei­ chem Geist geschriebenen Roman , in zwey Bänden , Stembalds Wanderungen beti­ telt folgen . Dieser Sternbald ist ein junger Maler, Albrecht Dürers Schüler, zieht auf die Wanderschaft, kömmt in den Niederlanden zum Lucas von Leiden54> , be-

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Ruckblick auf die friihe Romantik

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gegnet dem liebekranken Quintin MessisSSl, verzichtet auf dessen Braut, welche der Vater ihm, dem Sternbald geben wollte, geht sodann nach Italien , buhlt gelegentlich , und findet endlich unverhofft zu Rom, die von Kindesbeinen an geliebte Unbekannte. Das Romantische, sowohl der Charaktere als der Begeben­ heiten und deren Verknüpfung, mag löblich seyn, wir sind nicht berufen das Werk von dieser Seite zu beurtheilen ; dem auf Kunst sich beziehenden Theile jedoch fehlt es, wir dürfen kühnlich sagen am Nothwendigsten , an natürlichem Sinn für Kunst, de l ren Studium denn auch wohl nie des Verfassers ernstliches Geschäft ge­ wesen . Tieck ist überdem für seinen Zweck nicht so begeistert wie Wackenräder und daher hat Sternbald, obschon viel gelesen und bis auf diesen Tag nicht gänzlich aus der Mode, niemals einen sehr bedeutenden Einfluß auf Geschmack und Meynungen in der Kunst ausgeübt, allein er war jener bereits mächtig gewordenen und gelten­ den Neigung für ältere Meister, für mystisch-religiöse Gegenstände und Allego­ rieen in sofern günstig , als er sich an dieselbe anschloß , und , so wie andere Schriften von ähnlicher Tendenz, beytrug ihr auch außer dem Kreise der Künstler und Kunstfreunde mehr Ausbreitung zu verschaffen . Zu solcher Art Schriften zählen wir vornehmlich auch die ebenfalls von Tieck im Jahr 1799 herausgegebenen Phantasieen aber die Kunst, welche noch ein paar Aufsätze von I Wackenräder enthaltenS6l . Mißtönend nimmt sich dazwischen eine einzelne kleine obgleich an sich recht gute Abhandlung aus, Watteaus Bilder57l be­ titelt, worin die Kunst dieses galanten Malers lüsterner Grazie und muthwilliger Schäferspiele, dieses keineswegs einfachen, oder alterthümlichen , oder fromm empfindenden, gelobt und vertheidigt wird. Sogar Aug. Wilh. SchlegelS&) war zu dieser Zeit dem alterthümelnden christ­ katholischen Kunstgeschmack zugethan; verschiedene seiner kleinen Gedichte, sämmtlich zwischen 1 798 und 1 803 entstanden, sind zum Theil gutartige Früchte desselben. Am meisten Umfang, vielleicht auch poetisches Verdienst, hat eines, Bund der Kirche mit den Künstens9) genannt, und ist nach unserer Ansicht beson­ ders merkwürdig, weil es als ein allgemeines Bekenntniß des damaligen Zustandes dieser neuen Lehre und Glaubens in den Künsten darf angesehen werden. * * *

I

Sey hier unserer Erzählung ein Ruhepunct gestattet um erforderliche Rückblicke zu thun und Betrachtungen anzustellen . Der Leser hat gesehen wie anfangs Künstler und Kunstfreunde, redlich mei­ nend, alte Meister und ihre Werke billig werthgeschätzt; dann, bestochen durch das Naive derselben, diese Werthschätzung etwas übertrieben . Als nun hierauf sich im Praktischen der Kunst eine sentimentale Stimmung äußerte, die es unternahm reli­ giöse Gegenstände darzustellen , auf welche die Einfalt, der fromme Sinn und In­ nigkeit einiger jener alten Meister anwendbar schien , so war solches, verbunden mit äußern zufälligen Ereignissen, die größte Lockung jene Werke der ältern Zeit und Schule in weiterm Umfang zu studiren , ja sogar deren Nachahmung zu versu­ chen ; weil aber das anziehend Einfache, die rührende Unschuld in den alten Ge­ mälden nicht absichtlicher Kunst und besandem Zwecken vielmehr der Gesin I nung

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der Meister und der Zeit, worin sie lebten angehört, so konnte die Nachahmung nicht gelingen. Daß Gelehrte sodann und Dichter die Natur der Kunst, ihr wahres Wesen und Streben nicht besser fassend , mit den Malern in gleichem Irrthum , zu gleicher Vorliebe für das Alte sich verbündet, Sache der Religion mit der Sache der Male­ rey gemischt und in Folge dieses Vermischens jene alten , in Haupterfordernissen mangelhaften Werke, als die besten , einzigen Muster für ächte Geschmacksbildung empfohlen , war ohne Zweifel noch schädlicher: denn dadurch verstärkte sich die Faction , es gestaltete sich die neue Lehre, schwärmerisch wurden die Gemüther entzündet, die bewährtesten Kunstregeln vernachlässigt, und so der Eifer, durch gründliche Studien zur Meisterschaft und klar bewußtem Wirken zu gelangen, im­ mer mehr verkühlet. I Dem großen Publikum in Deutschland hat diese von Künstlern und Schrift­ stellern gemeinschaftlich ausgedachte Geschmackslehre nie recht anmuthen wollen ; altitaliänische Maler und Gemälde waren ihm fremde Dinge und selbst unsere kunstbeflissenen Altvordern , außer etwa Dürer und Holbein, zu wenig bekannt. Die schon erwähnte Mengerey von bildender Kunst, Poesie und Religion , obgleich Geneigtheit für KathoHeismus ankündigend, machte sich den Katholiken doch ver­ dächtig, und mußte den Protestanten unerfreulich seyn. Inzwischen war der Anstoß gegeben , der Hang zum Alterthümlichen in dem Volke wach geworden, der nunmehr unter patriotisch-nationaler Form hervortrat. Groß ja übertrieben wurden die Aeußerlichkeiten einer besser geglaubten Vorzeit werthgeschätzt, man wollte recht mit Gewalt zur alten Deutschheit zurückkehren . Daher die Sprachreiniger, die Lust an Ritterromanen I und Schauspielen , Turnie­ ren , Aufzügen ; daher in Gartenanlagen erbaute Ruinen , Ritterburgen, Scheinca­ pellen , Einsiedeleyen , samrot dem ganzen gothischen Spitzen und Schnörkelwesen , welches bis in die Wohnungen , auf das Hausgeräth und selbst die Kleidung sich er­ streckte. Manches an diesem Treiben, oder vielmehr Uebertreiben , ist freylich bloß leeres Spiel gewesen und geblieben , woran Geschmack und Vernunft viel auszuset­ zen haben ; der Geist davon aber war nicht ohne Gehalt und sonder Zweifel eben derselbe, der in den letztverflossenen Jahren die Wunder gewirkt deren wir uns alle freuen . Wir können nun die geschichtliche Darstellung wieder fortsetzen . * * *

Im Jahr 1 803 trat Friedrich Schlegel, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Europa genannt, zuerst als schriftlicher Leh I rer des neuen alterthümelnden, catho­ lisch-christelnden Kunstgeschmacks auf, streitend gegen die bisher gehegten Mey­ nungen60> über ächte Kunst und die• Art sie zu fördern. Religion , Mystik, christli­ che Gegenstände, oder wie es heißt Sinnbilder, werden für Malerey und deren künftiges Gedeihen als unerläßliche Erfordernisse ausgegeben6 1 >. Der ältem Schule, das will sagen Meistern und Werken aus der Zeit vor Raphael , wird über alle spä­ tem der Vorzug eingeräumt; Tizian , Correggio, Julio Romano, del Sarto ec. , die 1 die] der

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letzten Maler genannt62>. Mystisch-allegorischen Beziehungen legt Herr Schlegel große Wichtigkeit bey , glaubt dergleichen in Correggio ' s berühmtesten Werken63> entdeckt zu haben, und ist geneigt solche bey Auseinandersetzung des Kunstcha­ rakters dieses großen Meisters64> , nächst der musikalischen Eigenschaft desselben , für das ihn am meisten auszeichnende Verdienst zu achten. I Die alte deutsche Kunst6Sl erhält überschwengliche Lobsprüche, so, daß küh­ lere Kunstrichter nicht wohl einstimmen könnten , wie aufrichtig vaterländisch auch sonst ihre Gesinnungen seyn möchten . Ein , selbst von anders Gesinnten nicht abzuleugnendes Verdienst hat sich übri­ gens Herr Schlegel erworben , daß er eben damals durch seine Anregung die Auf­ merksamkeit der Forscher zuerst auf die alt Niederrheinische Malerschule66> und die in Cölln befindlichen Werke derselben hingelenkt Diese Europa nun hat, seit sie erschienen bis jetzt, ein gewissermaßen gesetz­ gebendes Ansehen bey den Theilnehmem des von ihr begünstigten Kunstge­ schmacks behauptet, und es ist kein Wunder: denn unstreitig ist in dem was Herr Schlegel vorträgt, verglichen mit andern dieselbe Sache bezielenden Schriften, noch am meisten Bestimmtes, Klares und vornehmlich Folgerechtes anzutreffen . I Nur wenig Zeit verstrich , als man schon bemerken konnte, die neu aufgestellte Lehre habe bey Künstlern und Dilettanten große Gunst gewonnen. Dresden war der Hauptort wo diese Gesinnungen und Ueberzeugungen sich practisch entfalteten : denn ohngefähr um diese Zeit verfertigte daselbst ein junger hoffnungsvoller Maler Runge6 7l genannt, aus Pommern gebürtig, seine, die vier Tageszeiten bedeutenden , später dem Publikum durch Kupferstiche bekannt gewordenen Federentwürfe; Dar­ stellungen einer neuen wundersamen Art; ihrem äußern Ansehn nach dem Fach der sogenannten Grotesken verwandt, hinsichtlich auf den Sinn aber wahre Hierogly­ phen . Die Hauptbilder bestehen aus weiblichen Figuren , umgeben von kleinen Ge­ nien , Blumengeranke und drgl. In den Einfassungen , oder Rahmen , welche die Bedeutung der Hauptbilder verstärken sollen , hat sich der Künstler beflissen, man­ cherley allegorische Zeich I nungen anzubringen , Glorien und Kreuze, Rosen und Nägel , Kelche, Domen , u.s.w. alles in einer äußerst weiten , verwickelten Bezie­ hung , mehr als bisher üblich gewesen . Die Allegorie der Blumen und Pflanzen, ist ihm eigenthümlich und man kann sagen er habe alles dahin gehörende sehr geistreich gezeichnet, oft auch in geistreicher Beziehung angewandt. Ueberall äußert sich des Künstlers schönes, herzliches Talent, welches herben Sinn zu mil­ dem , traurige und unfreundliche Bilder mit Anmuth zu schmücken unternimmt, und es ist keine Frage daß Runge, lebend im sechszehnten Jahrhundert, gebildet unter Correggio ' s Leitung, einer der würdigsten Schüler dieses großen Meisters hätte werden müssen . Kurz nach Runge glückte es einem andem , gleichfalls aus Pommern gebürti­ gen und in Dresden wohnenden Künstler genannt Friedrich6Bl, ehrenvoll bekannt zu werden : vermittelst bewundernswürdig sauber getuschten I Landschaften , in denen er, theils durch die Landschaft selbst, theils durch die Staffage mystisch religiose Begriffe anzudeuten suchte. Auf diesem Wege wird, wie auch gedachtem Runge in seiner Art begegnet ist, eben um der Bedeutung willen , manches Ungewöhnliche, ja das Unschöne selbst gefordert. Darum hat auch Friedrich , von Personen welche

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die bezielten Allegorieen entweder nicht faßten, oder nicht billigten, viel Wider­ spruch erfahren, alle aber mußten zugeben daß er den Charakter mancher Gegen­ stände, z.B. verschiedene Baumarten , alt verfallene Gebäude und dergleichen mit redlichstem Fleiß und Treue darzustellen wisse. Auch die Maler Hartmann69> und von Kügelchen7o>, jetzt beyde Professoren an der Dresdner Kunstakademie, haben sich den neuen Geschmackslehren günstig be­ wiesen , indem sie in verschiedenen ihrer Werke mystische Beziehungen und an­ deres dahin Deutendes ange l bracht; doch ist solches nur gelegentlich und nicht in dem Maaße ausdauernd geschehen , daß man sie als entschiedene Anhänger und Parthiehäupter betrachten konnte. Zwey Brüder Riepenhausen7 1 > , Söhne eines wackern Kupferstechers zu Göttin­ gen , junge Männer von schönem Talent, versuchten anfänglich jenes berühmte Gemälde Polygnots, die Eroberung Trojas vorstellend, nach Anleitung des Pausa­ nias durch Entwürfe zu versinnlichen ; nachher aber wendeten sie sich zu biblischen und frommen Gegenständen , Madonnen und Legenden der Heiligen . Von letzterer Art erschien , im Jahre 1 806, das Leben der Dulderio Genoveva, auf sechzehn Kup­ fertafeln, nach Tiecks poetischer Bearbeitung. Die Künstler gingen hierauf nach Rom und haben , daselbst seither studirend und arbeitend, zur Aufrechthaltung und Verbreitung des neu-alterthümelnden Kunstgeschmacks nach Vermögen beygetra­ gen . Sie begannen eine I Geschichte der neuern Kunst in Bildern , d . h . skizzirte Abbildungen verschiedener Gemälde des Cimabue72>, Giotto73> und anderer alten Florentiner. Die Fortsetzung dieses Werks ist uns nicht zu Gesichte gekommen , so wenig als das angekündigte Leben Carl des Großen , in cyklischer Darstellung . Wenn wir nunmehr die bisher betrachtete Geschmacksrichtung weiter verfol­ gen und bemerken was sich , von den Jahren 1 806 oder 1 808 an, damit zugetragen , so ist wahrzunehmen , wie sich durch ganz Deutschland, unter den höheren und niederen Classen , die Vorliebe für alles alt-nationale, oder als solches angesehene erhielt, sich erweiterte, ja, während der Epoche feindlichen Drucks und Kränkun­ gen , nur desto höher stieg. Von den Künsten folgte vornehmlich die Architektur solcher Richtung , nie wurden die alten sogenannt Gothischen Gebäude ämsiger studirt, gepriesen , das wahrhaft Lobenswerthe an ihnen so I gutmüthig über­ schätzt; man könnte diese Zeit füglieh die Epoche ihrer Verherrlichung nennen . Gleichem Zuge folgend , wendeten sich nun auch unter den Malern mehrere von religiosen Gegenständen zu solchen, die irgend einigen Bezug auf vaterländi­ sche Geschichte, oder Dichtung hatten , und älteres deutsches Casturne zuließen . So hat man verschiedene Thaten D. M. Luthers74> dargestellt gesehen , andere haben sich bemüht Scenen aus Schillers Wallenstein7S> zu bearbeiten . Ein junger Künstler Pforr76> aus Frankfurt a. M. verfertigte eine zahlreiche Folge von Zeichnungen nach Goethes Götz von Berlichingen ; auch desselben Dichters Erlkönig ist von vielen , sowohl Geschichts- als Landschaftsmalern77l zum Gegenstand erwählt wor­ den . Am allermeisten muß jedoch Faust angezogen haben : denn wir könnten ein langes Register von Kunstwerken liefern die aus demselben geschöpft worden . Unter die besten und hier anzufüh I ren würdigsten, gehören drey Scenen, Faust mit Gretchen darstellend; zwey ausführlich gezeichnet, die dritte größer in Oel gemalt, von Näcke7&) aus Dresden . Ebendaselbst hat ein anderer Künstler Retsch79> eine über das ganze Gedicht sich erstreckende Folge von sechs und zwanzig Blättern ei-

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genhändig radirter Umrisse zu Stande gebracht. Viele Stücke aus dieser Folge, sind als geistreiche Compositionen zu loben , alle empfehlen sich durch angemessenen Ausdruck und Charakter der Figuren . Doch das Bedeutendste in solcher Art von Darstellungen hat vor ganz kurzer Zeit Cornelius80) geliefert, ein niederrheinischer Maler, von ungemeinen Anlagen, der, seit einigen Jahren in Rom sich aufhaltend, unter den Bekennern des neu-alterthümlichen Geschmacks als einer der Häuptlinge angesehen wird . Von seinen erwähnten Darstellungen aus Faust, welche als Folge ebenfalls das ganze Gedicht umfassen sollen , wird ehstens eine Abtheilung, von Ruscheweyh•> zierlich I radirt, im Publikum erscheinen ; sie enthalten reichere Compositionen als Retsch ' s Blätter und der Künstler scheint darin Dürern sich zum Vorbild genommen zu haben . Ungefcihr in gleichem Geschmack hat Cornelius auch verschiedene Zeichnungen nach dem Liede der Nibelungen ausgeführt. Die frühere religiöse Richtung des neuen Kunstgeschmacks verfolgte hingegen Overbeck8 '>, ein mit eben so schönen Naturgaben als Cornelius ausgerüsteter, auch in Rom lebender junger Künstler, aus Lübeck gebürtig . Dieser, am liebsten Gegen­ stände aus der Bibel wählend , hält sich zur Art der alten italiänischen Meister, weiß seinen Figuren , zumal den weiblichen , viel Anmuthiges, viel Zartes mitzu­ theilen und macht zuweilen von Motiven , die man für schätzenswerth naiv erklären muß, löblichen Gebrauch . Derselben Weise, jedoch mit vorwaltender Neigung zu m ystischen Allegorien , befleißt sich auch zu Rom I der junge Maler Schadow , Sohn des berühmten Berliner Bildhauers. In Gesinnungen und Ansichten von der Kunst schloß ferner den genannten wackern Männern sich noch ein junger Schweizer Maler Ludwig Vogel82> an, wel­ cher, vor wenigen Jahren , durch ein nur erst untermaltes Bild , zu Rom die Bewun­ derung der Kunstgenossen auf sich gezogen . Gegenwärtig lebt er wieder in seinem Vaterlande. Besagtes Gemälde stellt die triumphirende Heimkehr der Schweizer, nach der Anno 1 3 1 5 gelieferten Schlacht am Morgarten , dar, und wohl verdiente die reiche poetische Erfindung , der belebte Ausdruck, das eigenthümliche Natio­ nale in Gestalt und Gesichtszügea der Figuren , so großes Lob als dem Werk zu Theil geworden , an welchem die ausnehmende Reinlichkeit, der, selbst geringfügi­ ges Detail nicht verschmähende Fleiß , bereits in der ersten Anlage Breughels Zeit und Kunst in Erinnerung brachte. I Schriften die den Geschmack von dem wir hier handeln begünstigen , Einfluß erlangt, oder zur weitem Ausbildung desselben wesentlich beygetragen , sind seit der Buropa keine erschienen: die 1 808 zu Dresden herausgekommene Zeitschrift Apollo83> enthält zwar Aufsätze von Männern , welche dahin einschlagende Gesin­ nungen hegen ; allein das Werk fand zu wenig Theilnahme als daß es hätte fortdau­ ern und wirken können . Alle deutsche Länder wurden im Laufe der Ietzt verflossenen Jahre zu sehr von Krieges-Unruhen bewegt, als daß überhaupt ausübende Kunst hätte gedeihen kön­ nen ; das Wenige was, in der bestimmten Beziehung die wir in ' s Auge gefaßt, zu Dresden und von Deutschen zu Rom geschehen , haben wir berichtet. Was in Prag und Wien etwa ähnliches unternommen und ausgeführt worden seyn mag , ist uns unbekannt. Eben so wenig kennen wir München von dieser Seite; einer Sage zu I folge soll jedoch die Neigung zum religiösen und deutsch-alterthümelnden da­ selbst vornehmlich unter den jungen studirenden Künstlern Eingang gefunden ha-

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ben, worüber Unliebe zwischen ihnen und den hellenisch gesinnten Meistem ent­ standen . Haben wir aus dem bisher Vorgetragenen ersehen wie der von uns betrachtete Kunstgeschmack entstanden , wie derselbe durch Vereinigung der Künstler und Li­ teratoren mehr empor gekommen , endlich unter dem Einfluß äußerer Ereignisse die jetzt bestehende Gestalt angenommen ; so bleibt nochmals zu überschauen in welchem Maaß diese Neigungen und neuen Lehren, theils auf die Kunst in ihren Erzeugnissen , theils auf Werthschätzung und Sinn für dieselbe gewirkt. Zuerst soll man billig das redliche Bestreben , den Ernst, Fleiß und die Aus­ dauer lobend anerkennen , womit mehrere der, das christlich- ! mystische, oder auch das vaterländische bezielende Künstler ihrem Zweck großmüthig nachgerungen . Wie viel Zeit und tiefes Nachdenken muß nicht Runge auf die vorerwähnten alle­ gorischen Blätter, die Tageszeiten vorstellend, verwendet haben ! Sie sind ein wah­ res Labyrinth dunkler Beziehungen , dem Beschauer, durch das fast unergründliche des Sinnes, gleichsam Schwindel erregend , und dennoch hatte der Künstler bei sei­ ner Arbeit weder Aussicht auf Gewinn , noch irgend einen andem Zweck als reine Liebe zur Sache. Wie wenig ist nicht der wackere Friedrich ermuntert worden ; aber er wendete sich dennoch nicht von seinen mystisch-allegorischen Landschaf­ ten , weil ihm der eingeschlagene Weg als der rechte, zum wahren Ziel der Kunst leitende vorkömmt, und eben dieses ist auch mit Overbeck sowohl als mit Come­ lius der Fall, welche zuverlässig alle beyde hinreichende Geschicklichkeit besäßen, Werke heiterem Sinnes, angenehm in die Augen fallend, vermuthlich auch vom I bezahlenden Publikum noch besser aufgenommen , zu verfertigen ; allein sie wollen lieber ihrer einmal gefaßten Ueberzeugung folgen , und vermeinen , jener in Dar­ stellung biblischer Gegenstände nach der alt-italiänischen Weise, dieser durch romantische Bilder mit altdeutschem Costume und Widerschein von Albrecht Dürers Art, die Blume der Kunst zu brechen. Noch anderer eben so redliches, eben so unverdrossenes Bestreben könnten wir wofern es nöthig wäre namentlich an­ führen. Ferner verdient angemerkt und gerühmt zu werden , wie ein großer Theil, ja die meisten sich zu diesem Geschmack bekennenden Künstler ungemeine Sorgfalt auf reinliche, zarte Behandlung ihrer Werke verwenden . Overbeck, Comelius u.a. sind in solchem Betracht musterhaft zu nennen . Dieses möchte indessen wohl der beste Gewinn seyn welcher aus Nachahmung der, in mancherley Hinsicht mangel­ haften Kunst der alten Maler sich er I geben . Denn , wie man es auch anstellen mag , ein freywilliges, vorsetzliches Verzichtleisten auf alle Vortheile der ausgebildeten Kunst, läßt sich nicht vertheidigen , noch weniger gut heißen . Selbst mit den künst­ lichsten Wendungen werden die Jünger des Klosterbruders und der Europa den ge­ sunden Sinn doch niemals überreden , daß ein Gemälde darum erbaulicher, oder vaterländischer sey, wenn es kunstlos angeordnet ist, wenn Licht und Schatten , Haltung und malerische Wirkung unbeachtet gelassen , die Figuren wunderlich co­ stumirt sind ; wenn das Colorit des Fleisches eintönig, die Farben der Gewänder nicht auf erforderliche Weise gebrochen sind , und das Ganze eben deßwegen flach und unfreundlich ausfällt. Das ist denn auch die unbezweifelte Ursache, warum Zeichnungen dieser Art immer noch mehr Beyfall finden und gefunden haben , als Gemälde, weil dort das Mangelhafte weniger zur Erscheinung kommt, oder besser

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gesagt, weil an solchen Gemälden meh I rere der wesentlich nothwendigen Kunstei­ genschaften vermißt werden . Erinnerungswerth ist es hiebey, ja warnend , daß Künstler welche dem Schein alterthümlicher Einfalt nachjagen , so häufig zu den Manieristen sich verirren; nicht selten begegneten wir auf eben demselben Blatte dem Giotto und zugleich auch dem Bronzino, oder Salviati , auch haben wir den Albrecht Dürer zuweilen in Ge­ sellschaft von Golzius84) und SprangerSS> gefunden . Obgenannter Friedrich zu Dresden ist bisher noch immer der einzige geblie­ ben , welcher in landschaftliche Gemälde und Zeichnungen mystisch-religiöse Be­ deutung zu legen versuchte. Er unterscheidet sich übrigens von denen so ähnliches mit Figuren beabsichtigen darin, daß er nicht alte Meister, sondern unmittelbar die Natur nachzuahmen beflissen ist. Seine Erfindungen haben durchgängig das eh­ renwerthe I Verdienst, daß sie gedacht sind ; weil aber düstere Religionsallegorien anmuthiger und schöner Darstellung meistens nicht zusagen , er überdem die Kunst der Beleuchtung entweder nicht kennt, oder verschmäht, wie er denn auch bey Anwendung der Farben deren Milderung und Uebereinstimmung nicht beachtet, so befriedigen seine saubern Bisterzeichnungen das Auge besser als die Gemälde und Friedrich befindet sich wegen Vernachlässigung der Kunstregeln, mit allen seinen Geschmacksgenossen welchem Fach sie auch zugehören , in gleichem NachtheiL Das Kunstwerk soll zwar den Geist des Beschauers unterhalten , dessen Gemüth an­ sprechen , aber eben darum weil es geschauet werden muß, verlangt das Auge zugleich wohlthuende Befriedigung , und was hindert den Künstler wahres Colorit, gefällige Beleuchtung und Formen der schönen Natur bedeutend zu gebrauchen? Eben in geschickter Vereinigung des geistig Bedeutenden I und des sinnlich Rüh­ renden feyert die ächte Kunst ihren Triumph. Hinsichtlich auf die Bildhauerey, dürfen wir nicht zu erwähnen vergessen , daß dieselbe unter alle dem erzählten Treiben von jedem Einfluß der ungünstige Folgen für sie hätte haben können verschont blieb , und daß sie nicht von dem Wege ab­ wich den sie seit Mengs und Winkelmann eingeschlagen . Ihre Muster blieben da­ her, und sind immer noch die griechischen Denkmale; auch nicht ein einziger ernstlicher Versuch ist, soviel wir wissen , gemacht worden alt Deutsche oder Ita­ liänische Meister im Plastischen nachzuahmen , zu andächteln, und allegorisch mit dem guten und bösen Princip zu spielen . Wenden wir uns nun endlich zur Architektur, den in derselben herrschenden gothischen , oder nach der beliebten Benennung altdeutschen Geschmack beden­ kend; so konnte es I mit dieser Art von Nachahmung doch eben auch nicht weit gedeihen , besonders da jenes Handwerk völlig erloschen war, das ihr hätte zur Hülfe kommen müssen . Und so giebt es artistische sowohl als technische Ursa­ chen , ethische und mechanische, warum es durchaus unmöglich ist sich ganz in den Geist vergangener Zeiten zu versetzen , denselben ihr Eigenthümliches abzuborgen . Gehe man alle Zeiten durch , beachte man alle je geschehenen Versuche sich in den Künsten Früheres oder Auswärtiges anzueignen und man wird bald überzeugt seyn , daß es nie wahrhaftig gelang . Will man Beyspiele hierfür, so verweisen wir auf ein benachbartes cultivirtes Volk, dem es eben so wenig gelingen mochte, vor etwa funfzig Jahren , in Bildern und Gebäuden den eigenthümlichen Geschmack der Chi­ nesen nachzuahmen , als ihm unlängst die Nachahmung des Aegyptischen , Grie-

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chischen und Römischen gerieth , und als nun in Deutschland die Nachahmung alter Deutschheit gelingen kann. I Da sich überdieß von den Künsten nur etwa die äußere Form und allgemeine Regeln fortpflanzen, herübernehmen lassen; so folgt, daß je vollkommener diese sind , desto ergiebiger, nützlicher auch das Studium derselben , und desto glückli­ cher die Nachahmung der mit solcher Freyheit studirten Kunstwerke seyn wird . Wobey noch zu bemerken steht, daß die Schwierigkeiten der Nachahmung wegen mehr oder minder Vortrefflichkeit der nachzuahmenden Musterbilder, weder ge­ ringer noch größer werden . Hieraus geht nun hervor daß es in Bezug auf die Kunst am sichersten und vernünftigsten ist, sich ausschließlich mit dem Studium der alten Griechischen Kunst, und was in neuerer Zeit sich an dieselbe anschloß , zu befas­ sen ; hingegen immer gefährlich und vom rechten Weg ableitend andere M uster zu suchen . Wird uns aber im Widerspruch das Anziehend-Unschuldige, Rechtliche, Einfache der alt italiänischen und deutschen Maler vor allen andern früherer und späterer Zeiten als I höchst gemüthlich und allein aus der christlichen Religion sich entfaltend, gepriesen , so läugnen wir das Einwirken religioser Stimmung einiger älterer Meister auf ihre Werke keineswegs; doch um jedem Mißverständniß vorzu­ beugen , bemerken wir Folgendes: Das Wort Gemüth wird im rechten Sinne als­ dann gebraucht, wenn mehrere schätzenswerthe Eigenschaften des Menschen ver­ einigt zur Erscheinung kommen , und , indem sie ihren Werth offenbaren , zugleich einen angenehmen, lieblichen Eindruck auf uns bewirken. In diesem Sinne schrei­ ben wir einem Künstler, einem Kunstwerk Gemüth zu. Nun ist keine Frage daß , wenn Ergebenheit in den göttlichen Willen , Duldung eigener Leiden , Theilnahme an fremden , sich in Gesichtsbildung , Gebärden und Handlungen offenbart , alsdann die Frömmigkeit eines solchen Gemüths eindringlich , ja hinreißend auf uns wirken muß. I Allein das fromme Gemüth ist nicht das Einzige: denn das rein Gemüthliche kan n sich im Heitern , Großen , ja Erhabenen offenbaren , und in diesem Sinne war die griechische Kunst höchst gemüthvoll. Bekennen doch die Alten selbst, daß der olympische Jupiter der Religion höchst vortheilhaft geworden , daß also die Be­ trachtung desselben gleichfalls zur Frömmigkeit, aber nicht zu einer solchen wie wir sie denken , den Beschauer hinauf gezogen habe. Hält man dieses recht fest im Auge, so erscheint auch der Widerstreit zwischen alter und neuer Kunst, zwischen christlicher und hellenischer keineswegs so schreiend als er manchmal ausgespro­ chen wird . Schließlich aber wollen wir der erwachten Neigung zum Alterthümlichen auch ein billiges Lob nicht entziehen und bekennen, daß man derselben , vornehmlich in Deutschland, die Erhaltung einer unzähligen Menge von Kunstmerkwürdigkeiten verdankt. Weder dem I Urtheil, noch der Wißbegierde, noch den Gesinnungen hat es früher Ehre gemacht, wenn man die alten Denkmale unserer nationalen Kunst, theils aus schmählicher Rohheit, theils aus Geschmacks-Dünkel wenig achtete, und es ist so nützlich als rühmlich daß nunmehr an verschiedenen Orten öffentliche und Privatsammlungen von dergleichen Werken angelegt worden . Schon vor dreißig Jahren haben wahre Kunstfreunde die, in einem Saal der Münchner Gallerie, bey­ sam men aufgestellten Gemälde von alten deutschen und niederländischen Meistern mit Vergnügen betrachtet und, in geschichtlicher Hinsicht, Unterricht daraus ge-

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schöpft, wozu jetzt, da gedachte Sammlung nach Schieißheim gesetzt und sehr vermehrt worden , noch bessere Gelegenheit seyn mag . Auf der Burg zu Nümberg, und also recht im Mittelpunct der alten oberdeutschen Kunst, findet man seit eini­ gen Jahren ebenfalls eine Menge solcher Werke zusammengebracht, und diese Sammlung verdient die I Aufmerksamkeit desto mehr, weil sie, außer den Gemäl­ den , noch einen reichen Vorrath von Schnitzarbeiten enthält. Auch die Stadt Frankfurt a. M. ehrt sich und die deutsche Kunst dadurch daß sie alle aus den aufgehobenen Kirchen und Klöstern herrührenden alten Gemälde sorgfältig aufbewahren läßt. Leipzig hat eine Sammlung von etwa dreyßig Stück alten Bildern , durch glückliches Forschen eines Liebhabers und Kenners Herrn Quandt, erhalten , welcher dieselben aus abgelegenen Räumen der St. Nicolaus­ und Thomas-Kirche zusammengesucht und worunter einige treffliche Arbeiten des Lucas Cranach befindlich . Aus allen Privatsammlungen dieser Art fügte sich je­ doch keine unter glücklichem Ereignissen , mit mehr Einsicht und zweckmäßigem Aufwand zusammen als die der Herrn Boisseree zu Heidelberg , von welcher be­ reits im vorigen Heft ausführliche Nachrichten mitgetheilt worden ; deßgleichen von dem I was die Herren Wallraf und von Lieversberg in Cöln besitzen. Dieje­ nige bedeutende Anzahl von Gemälden alter deutscher Meister welche der Herr Fürst von Wallerstein aufgestellt hat, könnte man füglieh eine Galerie nennen , und es ist sehr zu wünschen daß irgend ein Sachkundiger dem Publikum bald nähern Bericht darüber abstatten möge. Die genannten öffentlichen und Privatsammlungen , nebst andem welche uns vielleicht unbekannt geblieben sind , werden ohne Zweifel noch eine weitere Ver­ breitung der Liebhaberey und Sammlerlust bewirken; auch müßten wir sehr irren wenn nicht diese An- und Aufregung der so dunkeln und lückenhaften deutschen Kunstgeschichte älterer Zeit erhebliche Aufklärungen verschaffen sollte. Den stillen gemütblichen Freunden der Kunstwerke alter Denkmale und Ein­ richtungen war freylich das Aufheben so vieler Kir I chen und Klöster, im Verlauf der letzten zehn bis zwanzig Jahre, sehr ängstigend , sie befürchteten , und wohl nicht mit Unrecht, von dem Stören und Rücken und Bewegen, den Untergang manches Köstlichen ; in der That mag viel Schätzbares beschädigt, wohl gar vertilgt worden seyn; aber es kam hingegen auch viel Verborgenes ans Licht, viel Ver­ nachlässigtes wurde hervorgezogen , viel wenig bekanntes wurde bekannter; die Gelegenheit zu sammeln erweckte S ammler und Liebhaber, so daß zwischen Ver­ lust und Gewinn eine Art von Ausgleichung statt gefunden , und alles erwogen , die Kunst sich über keinen wesentlichen Nachtheil zu beschweren hat. Von alten würdigen Denkmalen der Architektur, sind zwar hin und wieder, vornehmlich in den Rheingegenden , viele beschädigt, selbst einige zerstört worden . Kriegeswuth und rechnende kleinliche Gewinnsucht haben hierzu einander die Hände geboten; allein die Alter I thums- und Vaterlands-Liebe wackerer Kunst­ freunde trachtete auch diesem Verlust zu begegnen . Herrn Mollees Hefte, von denen bereits vier erschienen sind , enthalten die allerschätzbarsten Beyträge zum Studium der Geschichte der deutschen Architektur, und mehrere der in gedachten Heften abgebildeten Gebäude sind eben solche die ein trauriges Schicksal ereilte. Das große Werk der Herrn Boisseree über den Dom zu Cöln, ist bereits so weit vorbereitet, daß nächstens ein Theil desselben erscheinen kann und wir dürfen da-

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von , nicht allein hinsichtlich auf das Domgebäude, sondern im allgemeinen über die alte Architektur am Niederrheine Aufschluß und Belehrung erwarten . Erheben wir uns endlich noch auf den höchsten , alles übersehenden Stand­ punct, so läßt sich die betrachtete patriotische Richtung des Kunstgeschmacks wohl billig als ein Theil, oder auch als Folge der mächtigen Regung betrach I ten , von welcher die Gesammtheit aller zu Deutschland sich rechnenden Völker begeistert das Joch fremder Gewalt großmüthig abwarf, die bekannten ewig denkwürdigen Thaten verrichtete, und aus Besiegten sich zu Ueberwindern emporschwang. Wir sind dieser Ansicht um so mehr geneigt als sie unser Urtheil gegen die Theilneh­ mer an besagtem Kunstgeschmack mildert, den Schein willkührlicher Irrung großen Theils von ihnen abwälzt; denn sie fanden sich mit dem gewaltigen Strom herrschender Meynungen und Gesinnungen fortgezogen . Da aber jener National­ Enthusiasmus, nach erreichtem großen Zweck, den leidenschaftlichen Charakter, wodurch er so stark und thatfertig geworden , ohne Zweifel wieder ablegen und in die Grenzen einer anständigen würdigen Selbstschätzung zurücktreten wird , so kann sich alsdann auch die Kunst verständig fassen lernen und die beengende Nachahmung der ältern Meister aufgeben , ohne doch denselben und ihren Werken die gebührende I und auf wahre Erkenntniß gegründete Hochachtung zu entziehen. Ein gleiches gilt von der Religiosität. Die ächte, wahre, die dem Deutschen so wohl ziemt, hat ihn zur schlimmsten Zeit aufrecht erhalten und mitten unter dem Druck nicht allein seine Hoffnungen , sondern auch seine Thatkräfte genährt. Möge ein so würdiger Einfluß bey fortwährendem großen Drange der Begebenheiten der Nation niemals ermangeln ; dagegen aber alle falsche Frömmeley aus Poesie, Prosa, und Leben bald möglichst verschwinden und kräftigen heitern Aussichten Raum geben . W[eimarer] K[unst] F[reunde] I

ANMERKUNGEN UND BELEGE

I Nachstehende Anmerkungen haben die Absicht, den Freunden der Kunstge­ schichte jene Zeiten schnell in ' s Gedächtniß zu rufen , in welchen die von uns be­ nannten Künstler gelebt und gearbeitet haben. Denn schon durch Vergleichung der Jahre in welchen die früheren nunmehr auf unsere Zeit wirksamen Künstler sich hervorgethan, wird der Betrachtung ein weites Feld geöffnet, so wie die Anerken­ nung ihrer Verdienste womit sich der Aufsatz beschäftigt, die Möglichkeit des Rückschritts welchen die neudeutsche Kunst versucht, anschaulich macht. Die Originalbelege daneben , mit kleineren Lettern gedruckt, sollen wörtlich jene Maximen I in sich fassen , welche mit einer theils zeitgemäßen , theils zufälli­ gen Kunstrichtung zusammentreffend und vorgefaßte Neigungen begünstigend, eine so große Wirkung gethan haben , daß bis auf den heutigen Tag, alles was kunstgemäß vernünftig ausgesprochen werden kann, wenig Eingang findet. Dem­ ahngeachtet möchten jene bisher für sibyllinisch gehaltenen Dogmen , wenn man

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sie einzeln näher betrachtet und mit uralten , ewig wahren Kunstüberzeugungen zu­ sammen hält, ihre erschlichene Autorität nach und nach völlig verlieren. I) Hyacinthus Rigaud , geb . zu Perpignan 1 659. st. zu Paris 1 743 . und Nie. de

Largillierre, geb . zu Paris 1 656, st. 1746. Zwey Bildnißmaler deren sich die fran­ zösische Malerschule mit Recht zu rühmen hat. Ihr Colorit ist indessen conventio­ nell , die Gewänder und übrige Nebenwerke in ihren Bildern rauschend , prunkhaft, die Stellun I gen würde man studirt und vielleicht am besten repräsentirend nennen können . 2) Von mehreren Künstlern welche den Namen Coypel geführt, ist Anton Coypel der berühmteste und derjenige, so hier vorzüglich gemeint wird . Er war 1 66 1 zu Paris geb . und starb daselbst 1722. Seine Figuren haben theatermäßigen Anstand und süßlichen gezierten Ausdruck. Ebenfalls hat es mehrere Maler Vanloo gegeben . Der auf welchen im Text angespielt wird , hieß Charles Andre Vanloo, 1 706 geb . 1 765 gest. Seine Erfindungen sind gehaltloser als die vom Coypel , sonst mag er an Geschmack und Kunstfertigkeit mit demselben verglichen werden. 3) J. H. Tischbein, zu Heina in Hessen 1722 geb . besaß fruchtbare Erfin­ dungsgabe, muntere Färbung und viel Fertigkeit des Pinsels; von den französischen Mustern , I welche er studirt, hatte er das Oberflächliche, blos Scheinende, das Süßliche, Gezierte und den falschen Ausdruck angenommen . Sein Tod wird gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts erfolgt seyn. 4) Jean Baptiste Greuze, geb . zu Tournus 1 725 , gest. zu Paris 1 805 , malte, mit wahrhaftem Ausdruck und kräftiger Farbe, Auftritte aus dem bürgerlichen Le­ ben und hatte es dabey gewöhnlich auf das Rührende angelegt. 5) Schönau oder Schenau , in Sachsen um 1 740 geb . starb vor etwa 10 Jahren als Director der Dresdner Akademie. 6) Krause, in Frankfurt a. M. 1 733 geb . Director der Zeichenschule in Wei­ mar, starb 1 806. 7) Oeser zu Preßburg 1 7 1 7 geboren, starb zu Leipzig , wo er der Zeichenschule vorgestanden , im Jahr 1 799. I 8) Daniel Chodowiecky , Director der Berliner Akademie, war zu Danzig geb. 1 726, starb 1 80 1 . 9) Ant. Raf. Mengs, war zu Außig, an der Böhmischen Gränze geboren 1 728. 10) Maron und Unterberger, Oesterreicher, jener ist 1 723 geb. und 1 808 ge­ storben . Unterherger mochte wenig jünger seyn . 1 1 ) Angelika Kaufmann, aus Bregenz am Bodensee, geb . 1 742 st. zu Rom 1 807. 1 2) Serge! , ein Schwede, ist vor wenig Jahren in Stockholm gestorben . 1 3) Alexander Trippe! zu Schafhausen 1 744 geb . st. zu Rom 1 793. 14) Anton Canova, lebt in Rom, ist um 1 760 zu Passagno im Trevisanischen geboren . I 1 5) Der diese Nachrichten mittheilt erinnert sich noch wohl, wie damals ein solches Gemälde vortreffliche Arbeit des Spagnoletto mehrere Jahre lang , um ver­ hältnißmäßig sehr billigen Preis feil war und keinen Käufer fand . 1 6) Gavinus Hamilton , ein Schottländer, mochte mit Mengs ungefähr von glei­ chem Alter seyn und st. zu Ende des vergangenen Jahrhunderts.

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1 7) An welchem Ort in England J. Flaxmann geboren sey , wissen wir nicht anzugeben , er dürfte aber gegenwärtig ein Mann von etwa 50 Jahren seyn. 1 8) Heinrich Füeßli ist zu Zürich 1 742 geboren, lebt noch in London . 1 9) Wilhelm Tischbein um 1 750 geboren lebt in Eutin. I 20) Pietero Vannucci , il Perugino genannt, weil er in der Nähe von Perugia 1 446 geboren war, starb 1 524. Rafael war sein Schüler. 2 1 ) Giovanni Bellini , der Meister des Titian und des Giorgione, war 1 424 zu Venedig geboren , st. daselbst 15 14. 22) Andrea Mantegna soll 143 1 geboren und 1506 gestorben seyn. Einige hal­ ten ihn für den Lehrmeister des Correggio, welches aber, wenn diese Altersanga­ ben richtig sind , nicht wahrscheinlich ist. 23) Pinturicchio (das Malerlein) von Perugia gebürtig , Bernardo war sein Taufname, der Familienname unbekannt. Er lernte die Kunst in der Schule des Pietro Perugino und bemühte sich in dessen Geschmack zu arbeiten . Vasari sagt, dieser Maler sey 59 Jahr alt geworden und habe I um 1 5 1 3 gearbeitet. Bestimmtere Nachrichten über den Pinturicchio sind nicht vorhanden . 24) Thomaso Guidi , Masaccio oder der schmutzige Thomas genannt, weil er wenig auf Eleganz und körperliche Pflege hielt, war zu S . Giov. di Valdamo 1402 geb . lebte 4 1 Jahr. 25) Fra Giov. Angelico da Fiesole, Predigermönch im Kloster St. Marco zu Florenz, geb . 1 387, st. 1455 . 26) Heinrich Lips, Kupferstecher, geb . 1 758 zu Kloten , einem Dorfe im- Can­ ton Zürich , lebt gegenwärtig in Zürich . 27) Rafael Sanzio, zu Urbino 1483 geboren , starb 1520 zu Rom . 28) Lionardo da Vinci , geb . 1445 . nahe bey Florenz, gestorben 1 520 in Frankreich . I 29) Benvenuto Garofalo, hieß eigentlich Tisi , und Garofalo war blos Zuname, er ist zu Perrara 148 1 geboren , st. 1559. 30) Ludwig Carracci zu Bologna, geb . 1555 , gest. 1 6 1 9 , und seine beyden Neffen Augustin , geb . 1557, gest. 1602 , und Hannibal , geb . 1 5 60, gest. 1 609 , ar­ beiteten ungefähr in gleichem Geschmack, und erwarben sich das große Verdienst, die Kunst, welche sich zum Manierirten verirrt hatte, wieder auf den rechten Weg zurückgeführt zu haben . 3 1 ) Guido Reni, einer der vortrefflichsten Schüler der Carracci , geboren zu Bologna 1575 , st. 1 642. 32) Philipp Hackert, zu Berlin 1 743 geb . starb zu Florenz 1 806. 33) Martin Schoen von Culmbach . Es ist nicht bekannt wann dieser berühmte Maler I geboren sey, man hält das Jahr 1486 für das Jahr seines Todes und er soll kein hohes Alter erreicht haben . 34) Albrecht Altdorfer, soll zu Altdorf in der Schweiz geboren seyn und daher den Zunamen Altdorfer erhalten haben . Wie alt er geworden ist nicht bekannt, die Nachrichten sagen blos, er habe 15 1 1 noch zu Regensburg gelebt. 35) Albrecht Dürer zu Nümberg 1 470 geb . st. daselbst 1528. 36) Hans Holbein d. j. geb . zu Basel 1495 , st. zu London 1554. 37) Lucas Kranach geb. l 472 , st. zu Weimar 1 553. 38) Friedrich Büri aus Hanau 1 763 geb . I

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39) Carl Ludwig Femow, geb . zu Blumenhagen in der Uckermarck 1 763 , st. zu Weimar 1 808. 40) Asmus Jacob Carstens, geb. zu St. Gürgen bey Schleswig 1 754, starb zu Rom 1 798. 41) Feodor, von Abkunft ein Kalmücke, lebt in Karlsruh und mag etwa um 1 770 geboren seyn . 42) W. H. Wackenröder, geb . zu Berlin 1772 , starb 1 798. 43) Ludwig Tieck, geb . zu Berlin 1 773 . 44) S . 6 1 . »Das Zeitalter der Wiederaufstehung der Malerkunst in Ital ien hat Männer ans Licht gebracht zu denen die heutige Welt billig wie zu Heil igen in der Glorie hinauf­ sehen sollte.« I

und S . 64. heißt es vom Andrea Verocchio, dem Lehrmeister des Lionardo da Vinci und des Pietro Perugino. »Aber ach ! wer kennt und wer nennt unter uns noch diese Namen, die damals wie funkelnde Sterne am Himmel glänzten?« und S. 109: »Wie innig l ieb ' ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen ! wie ziehen sie mich zu­ rück in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der va­ terländischen Kunst warst.« 45) S . 7 . u . f. » ich konnte es nie dahin bringen - ja ein solcher Gedanke würde mir gottlos vorgekommen seyn - an meinen auserwählten Liebl ingen das Gute von dem soge­ nannten Schlechten zu sondern und sie am Ende alle in eine Reihe zu stellen, um sie mit einem kalten, kritisirenden Bl icke zu betrachten, wie es junge Künstler und sogenannte Kunstfreunde wohl jetzt zu machen pflegen . «

und S . 102. I

»Und eben so betrachten sie, die blöden Menschen, (das will sagen die Kunstrichter) , ihr Gefühl als das Centrum alles Schönen in der Kunst und sprechen, wie vom Richter­ stuhle über Alles das entscheidende Urtheil ab, ohne zu bedenken daß sie niemand zu Richtern gesetzt hat ec .« S . 1 65 . »Das Hauptsächl ichste ist, daß man nicht mit verwegenem Muth über den Geist erhabener Künstler sich h inwegzuschwingen und auf sie herabsehend , sie zu richten sich vermesse: ein thörichtes Unternehmen des eiteln Stolzes der Menschen. Die Kunst ist über dem Menschen: Wir können die herrlichen Werke ihrer Geweihten nur bewundern und verehren, und zur Auflösung und Reinigung all er unserer Gefühle, unser ganzes Ge­ müth vor ihnen aufthun.« 46) S . 1 1 5 . Aber die Neuern - - sie bestreben sich ihr Gemälde zu einem Probestück von recht vielen l iebl ichen und täuschenden (wäre gut,) Farben zu machen; sie prüfen ih­ ren Witz in Ausstreuung des Lichtes und Schattens . « - »Wehe muß ich rufen über unser Zeitalter, daß 2 es die Kunst so blos als ein leichtsinniges Spiel ! werk der S inne übt, da sie doch wahrl ich etwas sehr Ernsthaftes und Erhabenes ist. Achtet man den Menschen nicht mehr, daß man ihn in der Kunst vernachlässigt und artige Farben und allerhand Künstlich­ keit mit Lichtern der Betrachtung würdiger findet.« S. 1 1 8 . »Auch wird dir das, mein ge­ liebter Albrecht Dürer, als ein grober Verstoß angerechnet, daß du deine Menschenfiguren

2 daß] das

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Meyer: Neu-deutsche religios-patriotische Kunst

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nur so bequem nebeneinander hinstellst, ohne sie künstlich gegen einander zu verschrän­ ken, daß sie eine methodische Gruppe bilden . «

47) Dieses wird S . 67. mit bestimmten Worten ausgesprochen . S . 50 läßt der Yerf. den Rafael in einem Briefe an einen jungen Maler, Antonio genannt, sich also ausdrücken : »So wenig als einer Rechenschaft geben kann woher er eine raube oder l iebl iche Stimme habe, so wenig kann ich dir sagen, warum die Bilder unter meiner Hand gerade eine solche und keine andere Gestalt annehmen. « I S . 5 1 . »Daß ich nun jetzt aber gerade diese und keine andere Art zu malen habe, wie denn ein jeder seine eigene zu haben pflegt, das scheint meiner Natur von jeher schon ein­ gepflanzt; ich hab ' es nicht mit saurem Schweiß errungen, und es läßt sich nicht mit Vor­ satz auf so etwas studiren .« 48) S . 60. »Gleich nach der Religion muß sie ihm (d ie Kunst dem Künstler) theuer seyn, sie muß eine religiöse Liebe werden, oder eine gel iebte Rel igion, wenn ich mich so ausdrücken darf. « S . 1 36. u. f. • Manche Gemälde aus der Leidensgeschichte Christi , oder von unserer heil igen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heil igen, haben, ich darf es wohl sagen, mein Gemüth mehr gesäubert und meinem innern S inne tugendseeligere Gesinnungen ein­ geflößt, als Systeme der Moral und geistl iche Betrachtungen. Ich denke unter andern auch mit Inbrunst an ein über alles herrlich gemaltes Bild unseres heil igen Sebastian, wie er nackt an einen Baum gebunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Brust zieht und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein Haupt bringt. D iesem Gemälde verdanke ich I sehr eindringl iche und haftende christl iche Gesinnungen, und ich kann mir j etzt kaum dasselbe lebhaft vorstellen, ohne daß mir die Thränen in die Augen kommen. « S . 1 5 8 . »Ich vergleiche den Genuß der edlern Kunstwerke dem Gebet.« S . 1 59 u . f. •Eben so nun, meine ich, müsse man mit den Meisterstücken der Kunst umgehen, um sie würdiglieh zum Heil seiner Seele zu nutzen.« 49) S . 223 . »Diese ehrwürdigen Männer, von denen mehrere selbst Geistl iche und Klosterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geschickl ichkeit ihrer H and auch bloß göttlichen und heil igen Geschichten und brachten so einen ernsthaften und heili­ gen Geist und eine so demüthige Einfalt in ihre Werke, wie es sich zu geweiheten Gegen­ ständen schickt. Sie machten die Malerkunst zur treuen Dienerin der Religion und wußten nichts von dem eiteln Farbenprunk der heutigen Künstler. Ihre B ilder in Capelien und an Altären, gaben dem der davor kniete und betete die heil igsten Gesinnungen ein. « I

50) Giotto; sein Familienname war Bondone. Zu Yespignano, einem Dorfe bey Florenz, um 1 276 geb . , wurde des Cimabue Schüler und hat durch seinen Fleiß und große Talente der damals wieder auflebenden Malerey ungemein genutzt. Giotto st. 1 336. 5 1 ) Gaddo Gaddi, Taddeus Gaddi , Angelo Gaddi, alle von einer Familie; Gaddo war Cimabues Schüler und lebte von 1 239- 1 3 1 2. Taddeus st. 1 352. Angelo wurde später Kaufmann , st. 1 3 87. Alle drey lebten in Florenz. 52) Andrea Orgagna, Maler, Bildhauer und Baumeister, einer der vorzüglich­ sten Künstler seiner Zeit, st. 1 389 . 53) Buffalmacco, Maler und berühmter Spaßvogel , st. 1 350, 78 Jahre alt. I 54) Lucas von Leyden , berühmter Maler und Kupferstecher, zu Leyden 1 494 geboren , starb daselbst 1533.

400

Rückblick auf die frühe Romantik

1 52-155

55) Quintin Messis, der Schmidt von Antwerpen genannt, indem er anfanglieh das Schmiede-Handwerk soll getrieben haben , aber aus Liebe zur Tochter eines Malers diese Kunst erlernt, st. 1 529. 56) Der erste und fünfte Aufsatz in den Phantasien über die Kunst rühren von Wackenröder her, jener ist überschrieben : Schilderung wie die alten deutschen Künstler gelebt haben ; dieser: die Peterskirche. 57) Anton Watteau , geb . zu Valanciennes 1 684 , gest. zu Paris 1 72 1 . 5 8) Aug. Wilh . Schlegel , geb . zu Hannover 1 767. I 59) Siehe dessen Gedichte. Heidelberg. 1 8 1 1 . Bnd . l . S. 84. 60) » M it dem Gefühl ergiebt sich der richtige Begriff und Zweck von selbst und das bestimmte W issen dessen was man will - - -. Das rel igiöse Gefühl , Andacht und Liebe und die stil le Begeisterung derselben war es, was den alten Malern die Hand führte, und nur bey einigen wenigen ist auch das hinzugekommen, oder an die Stel le getreten, was allein das rel igiöse Gefühl in der Kunst einigermaßen ersetzen kann; das tiefe Nachsinnen, das Streben nach einer ernsten und würdigen Ph ilosoph ie, die in den Werken des Leonardo (da V inci) und des Dürer sich freylich nach Künstlerweise, doch ganz deutl ich meldet. Vergebens sucht ihr die Malerkunst wieder hervorzurufen, wenn nicht erst Rel igion oder philosophische Mystik wenigstens die Idee derselben wieder hervorgerufen hat. Dünkte aber dieser Weg den jungen Künstlern zu fern und zu steil , so möchten sie wenigstens die Poesie gründl ich studiren, die jenen selben Geist athmet. Weniger die griechische Dicht­ kunst - - als d ie roman l tische. Die besten Poeten der Ital iäner, ja der Spanier, nebst dem Shakespear, ja die altdeutschen Gedichte, welche sie haben können, und dann die Neuern die am meisten in jenem romantischen Geiste gedichtet sind; das seyen die beständigen Begleiter eines jungen Malers, die ihn allmähl ig zurückführen könnten in das alte romanti­ sche Land und den prosischen Nebel antikischer Nachmacherey und ungesunden Kunstge­ schwätzes von seinen Augen hinweg nehmen . Ein Extrem wird vielleicht das andere her­ vorrufen; es wäre nicht zu verwundern, wenn die allgemeine Nachahmungssucht bey ei­ nem Talent, das sich fühlte, grade den Wunsch absoluter Original ität hervorbrächte. Hätte nun ein solcher erst den richtigen Begriff von der Kunst wiedergefunden, daß die symboli­ sche Bedeutung und Andeutung göttl icher Geheimnisse ihr eigentl icher Zweck, alles üb­ rige aber nur Mittel , dienendes Gl ied und Buchstabe sey, so würde er vielleicht merkwür­ d ige Werke ganz neuer Art hervorbringen; Hieroglyphen wahrhafte S innbilder, aber mehr aus Naturgefühlen und Naturansichten oder Ahndungen willkührl ich zusammengesetzt, als sich anschließend an die alte Weise der Vorwelt. Eine Hieroglyphe, ein göttl iches S i nnbild I soll jedes wahrhaft so zu nennende Gemälde seyn: die Frage ist aber nur, ob der Maler seine Allegorie sich selbst schaffen, oder aber sich an die alten S innbilder anschl ießen sol l , die durch die Tradition gegeben und geheil igt sind und die, recht verstanden, wohl tief und zureichend genug seyn möchten? - Der erste Weg ist gewiß der gefährlichere, ----­ ---- Sicherer bliebe es, ganz und gar den alten Malern zu folgen, besonders den ältesten, und das einzig Rechte und Naive so lange treul ich nachzubilden, bis es dem Auge und Geiste zur andern Natur geworden wäre. Wählte man dabey besonders mehr den Styl der altdeutschen Schule zum Vorbilde, so würde beides gewissermaßen vereinigt seyn, der si­ chere Weg der alten Wahrheit und das Hieroglyphische, worauf, als auf das Wesen der Kunst, selbst da, wo die Kenntniß derselben verloren war, wahre Poesie und Mystik zu­ erst wieder führen muß, und selbst unabhängig von aller Anschauung, als die bloße erste Idee der Kunst und Malerey führen kann . Denn die altdeutsche Malerey ist nicht nur im

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Meyer: Neu-deutsche re1igios-patriotische Kunst

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Mechanischen der Ausführung genauer und gründlicher als es die ital iänische meistens ist, sondern auch den I ältesten, seltsamem und tiefsinnigem christl ich-kathol ischen S innbil­ dern länger treu gebl ieben, deren sie einen weit größeren Reichthum enthält, als j ene, welche statt dessen oft ihre Zuflucht zu manchen bloß jüdischen Prachtgegenständen des alten Testaments, oder zu einzelnen Abschweifungen in's Gebiet der griechischen Fabel genommen hat.« (Europa 2te Band 2s Stück S . 1 43- 1 45 . ) 6 1 ) •Ich habe durchaus nur S inn fii r d i e alte Malerey, nur diese verstehe u n d begreife ich ec. c (Europa l ste Bd . l stes Stck. S . 1 1 3 . ) 62) •Titian, Correggio, Julio Romano , Andrea del Sarto e c . das sind fii r mich die letzten Maler .« (Ebendaselbst.) ferner (Ir Bd . 2s Stck . S. 1 3 . ) •von d ieser neuern Schule der ital iänischen Malerey, die durch Rafael , Tizian, Correggio, Julio Romano, Michel An­ gelo vorzügl ich bezeichnet wird, wiewohl auch andere nicht so Epoche machende Maler noch wesentl ich dazu gehören, ist unstreitig das Verderben der Kunst ursprünglich abzu­ l eiten J 63) •Alle seine B ilder sind al legorisch , oder wenn dieß fii r die große Mannigfaltigkeit seiner Gemälde zu allgemein und zu unbedingt scheinen möchte, so darf ich doch sagen: Allegorie ist die Tendenz, der Zweck, der Charakter seiner Manier. Und zwar j ene Art der Allegorie, die darauf ausgeht, den unendlichen Gegensatz und Kampf des Guten und Bösen deutl ich zu machen ec. « (Europa I r Bd . ls Stck . S. 127.) -.«

Die Auslegung von dem berühmten Gemälde der Nacht dieses Meisters, als allegorisch auf den Gegensatz und Kampf des Guten und Bösen Princips anspie­ lend , sehe man im I sten Bde der Buropa Is Stck. S. I28. Die unter den Namen St. Georg und St. Sebastian bekannten Gemälde werden auf gleiche Weise erklärt. S. 1 29 u . f. Das Gemälde von der sieghaften Tugend , mit Leimfarbe gemalt. S . 1 34 u. f. 64) Siehe Buropa I n Bds. l s Stck. S . 1 1 9. I 29 . 1 30. I 65) Im I n Bde. 1 s Stck. S . 152. 1 5 3 . vornehmlich was von einem Gemälde Albrecht Dürers S . 1 54- 157 berichtet wird. Hieher gehört auch dasjenige so der Leser oben in der Note (60.) bezügliches auf die altdeutsche Malerey erfahren hat und ferner, was im 2n Bde. 2s Stck. S. 19-23 über Dürer, seine Kupferstiche und Holzschnitte gesagt ist. Sodann übersehe man nicht die Hauptstelle im 2n Bde. 2s Stck. S. 1 1 2- 1 1 7. Seite 1 1 1 wird sogar »der hohe Styl der altdeutschen Schule« an­ geführt, ein Ding , welches wohl manchem Ehrenmanne unbekannt seyn dürfte. 66) Man lese nach : Buropa 2r Bd . 2s Stck. S . 1 30- 1 42 . 67) Philipp Otto Runge war geb . 1 7 . . . z u . . starb . . z u . . 68) . . . Friedrich , geb . 1 7 . . zu . . . . lebt in Dresden . 69) Ferdinand Hartmann geb . zu Stuttgardt . . . 70) Gerhard von Kügelchen geb . zu . . 7 1 ) Franz und Johann Riepenhausen geb . zu Göttingen 1 7 . . . . 72) Cimabue, ein Florentiner, starb um 1 300 etwa 60 Jahr alt. Er gilt allge­ mein für den ersten Wiederhersteller der Malerey in Italien . 73) Giotto, siehe Anmerkung No. 50. 74) Erdmann Hummel aus Cassel gebürtig und zu Berlin lebend, hat die vor­ nehmsten Auftritte aus D. M. Luthers Leben in Umrissen auf einer Folge von Blättern her I ausgegeben . Ein großes ausführlich gestochenes Blatt, nach des Berli­ ner Maler Catel Zeichnung, stellt Luthern dar, wie er zu Wittenberg die päpstliche Bulle verbrennt. Es wären noch mehr andere anzuführen . .

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Rückblick auf die frühe Romantik

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75) Wächter, Nah! u.a. 76) Pforr soll sich gegenwärtig in München befinden . 77) Hartmann u.a. m . Reinhard, vorzüglicher aus dem Voigtland gebürtiger Landschaftsmaler, der sich zu Rom niedergelassen . 78) Näcke lebt zu Dresden und arbeitet viel für Buchhändler. Viele Kupferste­ cher haben Vignetten nach seinen Zeichnungen geliefert. 79) Von Retsch ' s Beschäftigungen , der ebenfalls in Dresden lebt, können wir keine nähere Nachricht ertheilen . I 80) Comelius, geb . zu Düsseldorf, bey der dortigen Akademie zur Kunst ge­ bildet. Er sendete zu den Weimarischen Kunst-Ausstellungen schätzenswerthe, gutes Talent und redliches Streben verrathende Beyträge. Später begab er sich nach Frankfurt und trat zu seiner weitem Ausbildung die Reise nach Rom an . *) Ruscheweyh , Kupferstecher, gegenwärtig in Rom. Wir haben von ihm eine schätzenswerthe Nachbildung der Heilung des Besessenen von Dominichin in Grotta Ferrata. 8 1 ) Von Overbeck wissen wir nur anzuführen , daß er, als Sohn des beliebten Dichters, außer der Kunst wissenschaftliche Bildung besitzt. 82) Vogel ist zu Zürich um das Jahr 1 790 geboren . I 83) Phöbus, herausgegeben von H. v. Kleist und A. H . Müller. Dresden 1 808 . 84) Heinrich Goltzius, ein vortrefflicher niederländischer Kupferstecher, aber sehr manierirter Zeichner, starb 1 6 17. 59 Jahr alt. Die gleich vorhergenannten Bronzino und Salviati , letzterer eigentlich Francesco de Rossi genannt. Gute flo­ rentinische Maler, allein dem Manierieten sehr zugethan , ja die Häupter derselben . Sie blühten beide um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. 85) Bartholomäus Spranger, geboren zu Antwerpen 1546. Ein Maler von vielem Talent, aber im ausschweifendsten Grade manierirt, starb in hohem Alter zu Prag.

GEORG WILHELM FRIEDRICH REGEL SOLGER-REZENSION I

( 1 828)

nachgelassene Schriften und Briefwechsel. Herausgegeben von LuowiG TIECK und FRIEDRICH VON RAUMER. Erster Band 780 S. mit Vorr. XVI S. Zweiter Band 784 S . Leipzig 1 826. S O LGER ' s

Erster Artikel. Bei Schriften von so reichem und mannigfaltigem , auch viele uns nächst umge­ bende Verhältnisse berührendem Inhalte, liegt die Anforderung näher, daß eine Anzeige frühzeitig nach deren Erscheinung erfolge. Es konnte auf das Interessante, als auf einen Stoff für die Neugierde aufmerksam gemacht werden , welches in den Anschauungen und Urtheilen eines bedeutenden Mannes über die wichtigen , so eben vorbeigegangenen, oder noch in die Gegenwart unserer Theilnahme herein­ greifenden Zeitereignisse, Individualitäten und deren Werke, und in der Bespre­ chung derselben unter einem Kreis von Freunden, meist noch mit uns lebenden Männern , liegt. Das Bedürfniß , die Neugierde zu beschäftigen , fällt nunmehr meist hinweg; aber außer den pikanten Einzelnheiten liegen noch gediegenere Gesichts­ punkte in der Bestimmung dieser Sammlung , ein Denkmal der würdigen Indivi­ dualität des Mannes zu seyn , und dem Publicum in den nachgelassenen lezten Arbeiten desselben die Schluß-Punkte seiner philosophischen Ausbildung vorzule­ gen . Der erste Theil der Sammlung enthält zuerst Auszüge aus einem Tagebuche Solger ' s aus seinen früheren Lebensjahren , und dann über den weiteren Verlauf derselben bis an seinen Tod, den reichen Schatz einer Briefsammlung, die in den Kreis vertrauter Freundschaft eingeschlossen bleibt, und durch und durch den Cha­ rakter solcher Unterhaltung und Mittheilung trägt. Die Herausgeber, von denen auch der größere Theil der mitgetheilten Briefe der Freunde Solger ' s herrührt, er­ gänzen durch Einschaltung kurzer historischer Notizen den Zusammen I hang , und haben durch Einleitung und Schluß die Sammlung ziemlich zu einem biographi­ schen Ganzen abgerundet. Das Gesammtbild von Solger ' s Charakter konnte von Niemand richtiger entworfen werden , als von diesen so innig und lang mit ihm vertrauten Männern ; wir heben diese Schilderung aus, welche deren Geschäft auf eine würdige Weise schließt: »In der Jugend war er schlank und blühend, von mittlerer Größe. Sein Auge, vom klarsten Blau , etwas hervorstehend, Gutmüthig­ keit und Adel der vorzüglichste Ausdruck seines Angesichts. Ein erhabener Zorn konnte zu Zeiten , wenn der Gegenstand wichtig genug war, diese Gemüthlichkeit, die selbst Kindern Vertrauen abgewann , auslöschen . Im Ernst war der Ausdruck seiner Physiognomie überhaupt ein ganz anderer, als wenn er lächelte; seine Freundlichkeit war herzgewinnend . Seit dem Nervenfieber, das ihn im J. 1 807 1

Solger-Rezension ( 1 828)] Oberschrift des Herausgebers

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tödtlich anfiel , veränderte sich sein Humor etwas, und nach und nach auch seine Gestalt. Er ward stärker und voller; der Ausdruck männlicher Kraft und Ruhe trat an die Stelle des beweglichen Jünglings. • »Nur wenigen Menschen w ar dieser Zauber der Sprache verliehen . Auch dem Uneingeweiheten sprach er klar und faßlich über schwierige Gegenstände. Wie sein ganzes Leben war seine Ehe, musterhaft und so glücklich , wie nur selten . Als Gatte, Vater, Freund , Lehrer und Staatsbürger wird man seinen Namen immer als Vorbild zur Nachahmung nennen und preisen können . • W i r glauben , e s werde dem Leser nicht unwillkommen seyn , die Hauptdata der Lebensgeschichte in Kürze zu übersehen : Carl Wilhelm Ferdinand Solger wurde am 28sten November 1 780 zu Schwedt geboren , wo sein Vater Director der damals noch bestehenden Markgräflichen Kammer war, - ein im Amte wie im Familienkreise und unter seinen Freunden höchst würdiger und geehrter, wahrer Deutscher Charakter. Aus der ersten Jugend des Sohnes sind einige Anekdoten beigebracht, von denen wir eine bezeichnend scheinende nacherzählen wollen : S. nannte sich mit seinem j üngeren Bruder lange Sie, was oft bei ihren kindischen Streitigkeiten ihrem Verhältniß eine komische Feierlichkeit gab . Mit dem frühen Talente, Thiere und menschliche Figuren in Pa­ pier auszuschneiden , wußte er jenen oft zu unterhalten; wenn aber dieser ihn deß­ halb zu ungelegener Zeit quälte, pflegte er wohl eine sehr ernsthafte Miene anzu­ nehmen, und mit großer Heftigkeit sein unstatthaftes Begehren zurückzuweisen und zuzuru I fen : Denken Sie, daß ich nichts Anderes zu thun habe, als Ihn �n Puppen auszuschneiden? Diese »komische Feierlichkeit«, diese Ernsthaftigkeit, die sich in sich vernichtet, die Nichtigkeit, die sich ernsthaft macht, kann als ein Bild der Grille angesehen werden , deren Kindisches von selbst durch die Reife, und aus der Gediegenheit des Charakters verschwunden , aber die als Princip der Ironie das Bewußtseyn S . 's durch sein ganzes Leben verfolgt hat. Solger besuchte zuerst die Schule in Schwedt, dann vom vierzehnten Jahre in Berlin das Gymnasium des grauen Klosters, bezog im neunzehnten die Universität Halle, wo er Rechtswissenschaft studirte, ihm aber zugleich das Studium der alten Sprachen , durch Wolf.r geistreichen Vortrag nur noch mächtiger angeregt, Lieb­ lingsbeschäftigung war; dabei erwarb er sich im Englischen und Italienischen eine nicht gewöhnliche Fertigkeit, fing Spanisch zu lernen an, und indem er dieß Alles zu beschicken wußte, nahm er den heitersten Antheil an den Ergötzlichkeiten ; hier knüpfte sich auch der Kreis der Freunde, der uns in dem Briefwechsel näher ge­ bracht wird . Michaelis 1 80 1 ging er auf ein halb Jahr nach Jena, vorzüglich um Schelling zu hören . Von dieser Wendung seines wissenschaftlichen Interesses und seinem dortigen Studium ist nichts Näheres angeführt, als später S. 88 Theses von Carl Schelling, welche Solger in dem von dessen Bruder veranstalteten , lebhaft betriebenen Disputatorium bekämpfte, wie Theses gleichfalls von der damaligen Art metaphysischer Speculation, die S. für solchen Zweck aufsezte. Im Jahr 1 802 machte er eine Reise nach der Schweiz und Frankreich , über welche interessante Auszüge aus den Tagebüchern gegeben werden. Mit Anfang des Jahrs 1 803 wurde S. bei der damaligen Kriegs- und Domainenkammer i n Berlin angestellt; doch sezte er seine Studien , besonders die Griechischen , mit dem größten Eifer fort, und ließ im Jahre 1 804 die Uebersetzung von Sophokles König Oedipus drucken ; über die

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Arbeit der Uebersetzung des ganzen Sophokles, die sich noch immer als die vor­ züglichste behauptet, findet sich nur S. 1 59 eine Erklärung über die Ansicht, die ihn bei dieser Arbeit geleitet. Im zweiten Band dieser Sammlung S. 445 ff. ist die gehaltvolle Vorrede zu dieser Uebersetzung wieder abgedruckt. Im Jahre 1 804 hörte Solger Fichte 's Collegium über die Wissenschaftslehre »mit unendlichem Vergnügen und Vortheil, wie ich hoffe (schreibt er S. 1 3 1 ) ; wer zusammenge­ nommen , geschult und rast l los durchgearbeitet werden will , der gehe zu ihm«; und S. 1 34: »ich bewundere seinen streng-philosophischen Vortrag ; - kein Anderer reißt so mit Gewalt den Zuhörer an sich , keiner bringt ihn so ohne alle Schonung in die schärfste Schule des Nachdenkens. Es ist eine wahre Wollust, die beiden großen Männer unserer Zeit in diesem Fache, ihn und Schelling , kennen gelernt zu haben und zu vergleichen . « Im Jahre 1 806 nahm er Abschied von der Kammer, um sich der Gelehrsamkeit ganz widmen zu können; man ließ ihm noch lange die Stelle offen , damit er sogleich wieder eintreten könne, im Fall er diesen Entschluß fassen sollte. Von hier, wo die Tagebücher aufhören , beginnen die Auszüge und Mittheilungen aus den Schriften. Sammlungen zur Geschichte, besonders zu einem Werke über Griechische Mythologie, zur Indischen Religionslehre und Philoso­ phie, über Pausanias, Plato und die Griechischen Tragiker fangen jezt an ; - man erstaunt (wie die Herausgeber, die die Masse von seinen dahin bezüglichen Papie­ ren vor sich haben , mit Recht sagen) über den Fleiß des Mannes; man sieht, daß er es auf umfassende Gelehrsamkeit angelegt hat, die aber zugleich als Material und Füllung für seine höheren philosophischen Interessen und Ansichten dienen sollte, zu denen er aus jenen äußerlichen Arbeiten immer wieder zurückkehrt, oder viel­ mehr nicht aufhört an der Beschäftigung mit ihnen festzuhalten . Durch das Ganze seiner geistig- und lebensthätigen Stellung zieht sich ein Grundzug seines Gemüths, der sich S . 1 43 in einem Brief an Krause, eines (Seite XVI der Vorrede) der besten Freunde des Verstorbenen , welcher durch Rechtschaffenheit, Kenntnisse, Scharf­ sinn und gründliches Urtheil ausgezeichnete Mann in seinen besten Jahren , ge­ schäzt von Allen , die ihn gekannt, dahin gerafft wurde - so ausspricht: »So will ich denn gestehen, daß für mich das dringendste, ja das einzige recht ernste Bedürfniß Dein Umgang ist. Es gibt keinen festen Grund und Boden in Wirklichkeit, als die­ sen innigen Umgang mit Freunden ; - nur so kann ich feststehen , um allenfalls auch Andere zu heben und zu tragen. • Dieses Gefühl für die Mittheilung an seine Freunde, und für deren Theilnahme an seinen Arbeiten , herrscht durch den ganzen Briefwechsel , und stärkt und tröstet ihn bis an sein Ende über die Verstimmungen , die ihm sonst das Leben bot. Tief schmerzte den patriotischen Solger das Unglück des Staats im J. 1 806; doch findet sich nichts Näheres über S . 's Anschauungen und Verhältnisse in diesen Zeitläuften . I Im Jahre 1 808 ist er Doctor der Philosophie geworden (S . 158), ohne daß angegeben wäre, wo und wie. Im Herbst 1 809 geht er als solcher nach Frankfun a. d. 0. , wo er bald Professor extraordinarius wurde, daselbst theils philologische, theils philosophische Collegien las, und , wie man sieht, eine bedeutende Belebung in diese Studien brachte. Auch die Bürgerschaft dieser Stadt gewann ein solches Zutrauen zu ihm , daß im J. 1 8 1 0 die Stadtverord­ neten den Professor der Philosophie, der noch nicht besoldet war, und sich mit sonstigen Subsistenzmitteln nicht auf lange hin versehen sah, zum Oberbürgermei­ ster, mit 1500 Thaiern Gehalt, erwählten . Oberflächlich angesehen könnte man

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hiebei an die Mitbürger Demokrits erinnert werden . Allein , um den Namen Abde­ riten durch ein Benehmen gegen einen Philosophen zu verdienen , dazu gehört mehr; denn nach Diogenes Laert. beehrten die Abderiten den Philosophen ihrer Stadt nach Anhören seines Werkes, Diakosmus, mit einem Geschenk von fünfhun­ dertmal 1 500 Thaiern etwa, - außer weiteren Bezeigungen hoher Achtung. Uebri­ gens sieht man , daß es jenen Stadtverordneten mit ihrer Wahl und mit ihrem durch eine Deputation feierlich an Solger gemachten Antrag Ernst gewesen ist, und daß sie nicht etwa nur eine mauvaise plaisanterie gegen die Philosophie hätten machen wollen . Aber man soll überhaupt entfernte Zeiten von so unterschiedenen Umstän­ den und Charakteren nicht mit einander vergleichen . Solger fand eine gewissen­ hafte Thätigkeit an dem Amte, das ihm angeboten wurde, unvereinbar mit der Ar­ beit in demjenigen , was das Eigenste und Innerste seines Geistes ausmachte; er schlug wohlbedacht die Stelle aus, erhielt bald einigen Gehalt von der Regierung , und kurz nachher (im Sommer 1 8 1 1) wurde er an die neuerrichtete Universität zu Berlin gezogen , wo er nun vornehmlich der Philosophie sowohl sein glänzendes Lehrertalent, als seine schriftstellerische Thätigkeit bis an seinen Tod (25sten Oct. 1 8 1 9; S . 778 finden sich Druckfehler über dieses Datum) widmete. Der größere Theil des im ersten Bande mitgetheilten Briefwechsels, und wohl sämmtliche bisher ungedruckte Aufsätze des zweiten Bandes fallen in diese lezte Lebensperiode Solgers. Man sieht, daß ihm die briefliche Unterhaltung mit seinen abwesenden Freunden ein angelegentliches ausführliches Geschäfte gewesen . Seine Leichtigkeit, sich gebildet auszudrücken , machte die Ausarbeitung der vielen und weitläuftigen Briefe ohne zu vielen Zeitaufwand mögÜ ch . In dem Reichthum der Gegenstände, I die besprochen werden , muß diese Anzeige sich ohnehin auf We­ niges beschränken ; sie soll nur das herausheben , was allgemeinere Richtungen Sol­ gers und der Zeit charakterisirt. Gleich von vorn herein macht es sich bemerklich , daß S . Fertigkeit des Ausdrucks , Reife des Styls und Urtheils sehr früh gewonnen ; sie ist schon in den ersten Aufsätzen des zwanzigjährigen Jünglings ausgezeichnet . Die mitgetheilten Auszüge aus dem Tagebuch von diesen Jahren tragen das Ge­ präge der bereits vorhandenen gesezten Haltung. Die Kritiken und die Reisebemer­ kungen durch die Schweiz und Frankreich sind nicht Producte eines Jugend-Enthu­ siasmus, j ugendlicher Oberflächlichkeit und Lebhaftigkeit, sondern Resultate einer besonnenen Reflexion . Die literarischen Urtheile betreffen meist belletristische Schriften , - Kritiken , die sich in einer öffentlichen Zeitschrift wohlanständig aus­ genommen , ja ausgezeichnet hätten . Gleich die ersten betreffen Schriften des einen der Herausgeber, den Zerbino, den getreuen Eckart, den Tannhäuser; man sieht darin schon den Zug zu dieses spätem Freundes (die erste persönliche Bekannt­ schaft fällt in die lezte Zeit des Aufenthalts Solgers in Frankfurt) Dichtungs- und Beurtheilungsweise, und den Jüngling in den ersten Aeußerungen seines erwachten Interesses sogleich eingetaucht in den neuen eigenthümlichen Ton und Richtung je­ ner Zeit. Verschieden von dem Gewöhnlichen jugendlichen Urtheils ist Stoff und Gehalt weniger mächtig, nicht von vorherrschender Wirkung auf die Kritik; diese ergözt sich vornehmlich an dem Formellen und an den subjectiven Eigenschaften , der außerordentlichen Fülle der Phantasie, der Laune u . s . f. Indem an der Schil­ ler' schen Umarbeitung Macbeths und der Hexen die alten eingeschrumpften Wei­ ber vermißt werden , in welchen mehr Phantastisches gelegen haben soll u . s . f. , -

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fehlt nicht die neu aufgekommene Zuneigung zu Holberg (S . 1 0 1 , 102) , dem ein Zauber zugeschrieben wird , der auf der ganz heiteren und äußerst gemüthlichen Nordischen Laune beruhe, welche insbesondere da ausgezeichnet gefunden wird, wo fast alle Personen des Stücks ausgemachte Narren sind , und daher eine unge­ heure Menge von vortrefflichem Unsinn sagen; besonders wird »die gänzliche Al­ bernheit seiner Bedienten als unverbesserlich« gerühmt. So sehen wir uns mitten in die Ansicht der einen der merkwürdigen Epochen versezt, welche als die Krisen in der Deutschen Literatur angesehen werden kön­ nen , und von deren Vergleichungspunkten wir einige herausheben I wollen . Die eine fallt in Göthe 's Jugend; wir finden sie von ihm selbst, der einen so großen Antheil an deren Vollführung hatte, in seinem Leben nach ihrem ganzen charakte­ ristischen Umfange geschildert. Nachdem er »die Rathlosigkeit« beschrieben , in welcher die Kritik ließ , die Verwirrung , in welche »j unge Geister durch deren aus­ gerenkte Maximen , halb verstandene Gesetze und zersplitterte Lehren sich versezt fühlten«, gibt er die Weise an , wie er für sich aus diesem chaotischen Zustande und dieser Noth sich rettete; - um zu seinen Gedichten eine wahre Unterlage, Empfin­ dung oder Reflexion zu gewinnen, mußte er in seinen Busen greifen , und für die Anschauung eines Gegenstandes oder Begebenheit, für poetische Darstellung zunächst sich innerhalb des Kreises halten , der ihn zu berühren, ihm ein Interesse einzuflößen vermochte. Ein Ingrediens in diesem kräftigen Gebären ist die Be­ kanntschaft mit Shakespear, deren große Wirkung insbesondere in Wilhelm Mei­ sters Lehrjahren weiter geschildert ist, wo der Dichter den Wilhelm ausrufen läßt, daß diese Shakespear' schen Dramen »keine Gedichte seien ; man glaube vielmehr vor den aufgeschlagenen , ungeheuern Büchern des Schicksals zu stehen , in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens sause, und sie mit Gewalt rasch hin- und herblättere; alle Vorgefühle, die er jemals über Menschheit und ihre Schicksale ge­ habt, die ihn von Jugend auf, ihm selbst unbemerkt, begleiteten , habe er darin er­ füllt und entwickelt gefunden. « So hat Shakespear der erweiterten Lebenserfahrung des Dichters nachgeholfen , und das Seinige gethan , um den Vorstellungskreis über die nur unmittelbaren Gegenstände und Verhältnisse wie über die darauf be­ schränkten Reflexionen hinauszutragen , und tieferen Gehalt, aber immer aus dem Schacht des eigenen Busens, zu gewinnen . Denn , und dieß ist ein großes Wort, das Goethe in dem zuerst erwähnten Zusammenhange hinzusezt: »der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst . « Noch fügt er dann bei , daß er und die Freunde, welche diesen Enthusiasmus theilten , die Mög­ lichkeit nicht läugneten , die Verdienste Shakespears näher zu erkennen , sie zu be­ greifen , mit Einsicht zu beurtheilen ; aber sie behielten sich dieß für spätere Epo­ chen vor; gegenwärtig wollten sie nur freudig theilnehmen , und lebendig nachbil­ den. Die andere Krise hat unseren literarischen Gesichtskreis über noch weitere Er­ scheinungen ausgedehnt, und die Kenntniß von Dante, Ho/berg, den Niebelungen, Cal J deron, nicht bloß zu verbreiten beigetragen , sondern , außer einem erneuerten Enthusiasmus für Shakespear, auch zum Studium, Bewunderung und Nachahmung dieser fernen und heterogenen Gestaltung angetrieben . Wie aber die erste Krise im Ueberdruß des Formellen nach Gehalt grub , und diesen zu Tag herausarbeitete, so war umgekehrt mit dieser Erweiterung des Geschmacks für Formen und fremde -

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Eigenthümlichkeit verbunden , daß der Sinn für Gehalt und Inhalt sich i n die sub­ jective Abstraction, in ein gestaltloses Weben des Geistes in sich zusammenzog, daß er sogar dem Genusse und der Werthschätzung des Humors und gemeinen Witzes weichen mußte. Es ist vorhin des vortrefflichen Unsinns und der herrlichen Albernheit erwähnt worden , und wohl gibt es noch Verehrer Shakespears, die aus dem ästhetischen Enthusiasmus für Corpora! Nym und Lieutenant Pistol nicht her­ auskommen können . So machte sich denn von selbst in den eigenen Productionen Gehalt und Inhalt nüchtern , dünn, ohne Ernst; er wurde absichtlich aufgeopfert, um ins Leere zu verschweben , und mit Bewußtseyn , ironischer Weise, die innere Wahrheitslosigkeit des Stoffes für das Beste auszugeben . Einerseits sahen wir die Theorie von der Poesie der Poesie, andererseits den Kreis von Poeten sich bilden , die es darauf anlegten , sich gegenseitig und das Publicum mit den morgenrötbli­ chen Producten der neuen poetischen Poesie mit einer cometarischen Welt aus Duft und Klang ohne Kern zu mystificiren . Für diese ironische Sublimation zur lnhalts­ Iosigkeit und Sehnsucht liegt die lyrische Form ganz nahe, und macht sich gleich­ sam von selbst, denn das Spiel im wirklichkeitslosen Tönen des hohlen Geistes ist für Vers und Reim nicht durch Inhalt genirt. Im dramatischen Fache kann Wirk­ lichkeit, Charakter und Handlung nicht entbehrt werden ; die innere Nichtigkeit, welche von der Theorie der Ironie gefordert wird, führt hier auf dasjenige, worauf die Mittelmäßigkeit von selbst geräth , - Charakterlosigkeit, Inconsequenz und Zu­ fälligkeit, aufgespreizte Nüchternheit; die Theorie fügt nur dieß hinzu , daß die Mittelmäßigkeit auch mit der Maxime der Haltungslosigkeit und Halbheit produ­ cirt. Die Kritik gab sich mit diesem Standpunkt einen neuen , kecken , nicht selten auch frechen Aufschwung , und imponirte einer Menge, die auf der ästhetischen Höhe seyn wollte, denn ein Publicum bildet sich , wie Solger öfters die Erfahrung ausspricht, um jede kecke und glänzende Schiefheit. Aber die Nation - denn wir dürfen doch auch wohl von einer Nation in Beziehung auf Literatur sprechen , und sie von einem bloßen I Publicum unterscheiden , - die Nation also hat sich dieses, den äußern Formen wie dem Gehalte nach, Fremdartige nunmehr um so weniger aufdringen lassen , als sie ehemals nach Vertreibung des Französischen Geschmacks durch jene erste Krisis an Form und Gemüth einheimische nationeile Poesie ge­ wonnen hatte. Eine Menge literarischer Erscheinungen und Urtheile, welche dem Geiste die­ ser Zeit angehören , gehen in diesem Briefwechsel an unsern Augen vorbei; doch fallt die keckste und blühendste Periode der Ironie Lucinde, Athenäum u . s . f. schon jenseits desselben . Bald waren es ernsthaftere Interessen, der Krieg und die politi­ schen Umstände, welche jenen einem ernstlichen Inhalt feindseligen Standpunkt zu einem immer mehr particularen Kreise sowohl nach Außen als im Innern der Indi­ viduen zusammenengten. Solgers gründlicheres Urtheil blieb immer weit hinter dem Standpunkte des Athenäums, ohnehin einer Lucinde zurück, noch weniger konnte er in reifem Jahren an der höchsten Fratzenhaftigkeit Theil nehmen , zu welcher der Humor in den Hoffinannischen Productionen sich steigerte. - Um ei­ nige Beispiele von jener Richtung zu geben , so findet Solger in seiner Jugendzeit in dem angefangenen Roman von Novalis, dem Heinrich von Ofterdingen S. 95 . einen neuen und äußerst kühnen Versuch , die Poesie durch das Leben darzustellen , die Idee einer mystischen Geschichte, einer Zerreißung des Schleiers, welchen das

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Endliche auf dieser Erde um das Unendliche hält, einer Erscheinung der Gottheit auf Erden , eines wahren Mythos, der sich aber hier in dem Geiste eines einzelnen Mannes bilde. - »Daß dieser Roman nicht weiter fortgeführt, und gerade beim An­ fang des Wichtigsten stehen geblieben ist, das schmerzt mich ungemein . « Den Jüngling bestach der glänzende Anlauf, aber er sah noch nicht ein , daß eine Con­ ception dieser Art gerade darin mangelhaft ist, nicht weiter geführt und zu einem Ende gebracht werden zu können ; die hohlen Gestalten und Situationen schrecken vor der Wirklichkeit zusammen , der sie zugehen sollten , wenn sie weiter fortrück­ ten . - S . 124. wird das Lied der Niebelungen seiner Anlage nach für größer als die Ilias erklärt. In einer Vorlesung A. W. Schlegels über Dante findet Solger nicht die gehlJrige heilige Scheu vor dieser hohen Mystik, noch Empfänglichkeit genug für die erhabene Einfalt. Solgers enge Freundschaft mit Tieck führt die öftere Erwähnung der Tieck' schen Productionen herbei; dieser I Theil des Briefwechsels ist besonders charakteristisch rücksichtlich der literarischen und damit zusammenhängenden my­ stischen Tendenz jener Periode; wir wollen uns daher länger dabei verweilen . Was die Tieck' schen Producte zunächst betrifft, so hat bei Solger die Freundschaft billig ihren Antheil an der Werthschätzung derselben , geht aber zuweilen zu offener ein­ dringender Kritik fort. Tieck hat es wohl als ein Denkmal der Freundschaft ab­ drucken lassen , wenn wir S. 350 lesen , daß S. dem Blauban einige Deutsche Dra­ men an die Seite zu setzen wüßte, oder S. 428. , was S. im J. 1 8 1 6 schreibt, »es ist meine innigste Ueberzeugung : auf Ihnen (fieck) beruht das Heil der Deutschen Kunst; Sie sind der Einzige, der mitten in dem gefälschten Zeitalter in reiner poeti­ scher Klarheit dasteht; Ihr Treiben ist das Wahre und Göttliche, es ist immer reiner und reiner aus dem ganzen Gewirre hervorgegangen . « S . 294. sieht zwar S . es noch für ein Zeichen an , wie stark der reflectirende Sinn geworden , daß an den Tieck' schen Mährehen die Vermischung einer Mährehenwelt mit der wirklichen und alltäglichen getadelt worden sei . Wenn S . , wie er sagt, diesen Einwurf sich kaum hätte träumen lassen , so haben wir in neuem Zeiten Tieck selbst jene Hetero­ geneität aufgeben , den Mährehenboden verlassen , und zu Novellen übergehen se­ hen , wo die Einfassung und der äußerliche Stoff nicht aus dem oft Kindischen und Läppischen auf allen Fall aus unserem Glauben Verschwundenen oder von demsel­ ben Verworfenen der Mährchen , sondern aus Verhältnissen unserer Welt und Wahrheit genommen wird. In spätem Beurtheilungen , welche Tieck der Freund­ schaft Solgers abdringt, bestimmt sich das kritische Gefühl des Leztem näher zur Einsicht in Mängel , welche er an dem Zerbino S. 388 f. und an der Genoveva S . 465 ff. dem Verfasser bemerklich zu machen sucht. Was Solgern nicht mehr zu­ sagt, ist der Mangel an Haltung, merkwürdig genug , im Grunde selbst die Vermi­ schung , deren Vorwurf er früher nicht zugab, - nur dieselbe höher aufgefaßt, näm­ lich als Vermischung von wirklich Poetischem mit nur Gemachtem , Willkührli­ chem , Absichtlichem . Die beiden Freunde sprechen durch mehrere Briefe über die Genoveva herüber und hinüber, und die gründlich gewordene Einsicht Solgers drückt sich darin im Unterschiede gegen seine frühere Art der Kritik und den Tieck' schen Standpunkt bestimmt aus. Wenn Tieck seinerseits (S . 453 . ) von die­ sem Gedicht sagt, daß es ihm ganz aus dem Gemüthe gekommen , ihn selbst wie überrascht habe, gar I nicht gemacht, sondern geworden sei - S . 465 . , daß es eine

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Epoche in seiner Sinnesart gemacht, daß er dabei durchaus unbefangen gewesen sei : so fühlt Solger, daß , so sehr es in vielen Stellen und Scenen ganz von Innigkeit und Liebe durchdrungen sei , dennoch diese Sinnesart nicht der Zustand des Dich­ ters, sondern vielmehr eine tiefe Sehnsucht nach derselben gewesen , sonst würde sie mehr unmittelbar gegenwlirtig, ja als die einzig wahre und mögliche in uns ein­ dringen ; - die Innigkeit erscheine in einem Gegensatze gegen etwas Anderes, wo­ durch das Bewußtseyn in sich uneins gemacht, und zur Reflexion veranlaßt werde; - es fehle an der innern und gegenwärtigen Nothwendigkeit. Weiter hin (S . 501 . ) gibt T. die Kritik zu , daß auch i h m das Gedicht wie unharmonisch erscheine; aber dieß läuft nur darauf hinaus, daß die Töne, die Anklänge, Rührungen , Ahnung , Wald , Luft u . s. w . in Harmonie und Musik aufgehen; was eigentliche Zeichnung , Färbung, Styl betreffe, da sei er unzufrieden , und finde die Disharmonie. Die Re­ ligion, die Wüste, die Erscheinungen seien ihm der Alles zusammenhaltende Ton des Gemäldes, und dieses möchte er nicht gern manierirr heißen Jassen . - Man sieht, daß in Tieck' s Bewußtseyn der Ton , das Lyrische und Subjective, nicht der Gehalt und innere Gediegenheit zur Betrachtung gebracht wird . Noch bestimmter aber geht in Solger das Gefühl über jenes Grundübel a n den Kleistischen Producten auf, welche in dem Briefwechsel oft zur Sprache kommen . Der Charakter der Kleistischen Werke ist eben so gründlich als geistreich in diesen Jahrbüchern früher auseinandergesezt und nachgewiesen worden . So sehr Solger Kleist ' s Talent achtete, und S. 559 . , wo ausführlich von ihm gesprochen wird, ins­ besondere auch die energische und plastische Kraft der äußern Darstellung aner­ kannte, welche vorzüglich sich in dessen Erzählungen documentirt, so frappirt ihn dennoch der große Werth , den dieser Dichter auf gesuchte Situationen und Effecte legte, - das absichtliche Streben , über das Gegebene und Wirkliche hinweg zu ge­ hen , und die eigentliche Handlung in eine fremde geistige und wunderbare Welt zu versetzen , kurz ein gewisser Hang zu einem willkürlichen Mysticismus. Die Selbst­ fälschung, mit der das dichterische Talent sich versezte, ist hier treffend angege­ ben . Kleist leidet an der gemeinsamen , unglücklichen Unfähigkeit, in Natur und Wahrheit das Hauptinteresse zu legen , und an dem Triebe, es in I Verzerrungen zu suchen . Der willkürliche Mysticismus verdrängt die Wahrheit des menschlichen Gemüths durch Wunder des Gemüths, durch die Mährehen eines höher seyn sol­ lenden innern Geisteslebens. - Solger hebt den Prinzen von Hornburg desselben Verfassers mit Recht über seine andern Stücke, weil hier Alles im Charakter liege und daraus sich entwickele. Bei diesem verdienten Lobe wird nicht in Anschlag gebracht, daß der Prinz zu einem somnambulen Kranken gleich dem Käthchen von Heilbronn gemacht ist, und dieses Motiv wird nicht nur mit seinem Verliebtseyn , sondern auch mit seiner Stellung als General und i n einer geschichtlichen Schlacht verschmolzen ; dadurch wird das Princip des Charakters wie der ganzen Situation und Verwickelung etwas Abgeschmacktes, wenn man will, gespenstig-Abge­ schmacktes. Tieck gibt uns in seinen Briefen, die er in dieser Sammlung hat abdrucken Jas­ sen , sehr Vieles zum Besten , das in diesen Kreis gehört; neugierig möchte man auf die Ausführung der Figur seyn, die eine von ihm selbst abgeschilderte Quintessenz jener Tendenzen hätte werden sollen (S . 597) , - die Figur »eines Verächters alles Gründlichen und Guten , aus Zerbino, Sternbald, Kater und seinen andern Schriften

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erwachsen , mit jener Hyperkritik, die gleich Null ist.• Daß Shakespear ein häu­ figer Gegenstand der Unterhaltung in diesen Briefen ist, war zu erwarten ; auch Mehreres aus den Eigenthümlichkeiten und Gründlichkeiten der Tieck' schen Be­ trachtungsweise desselben spuckt hier bereits. »Es gibt in Deutschland kein Stu­ dium, kein ächtes des Dichters; und in England ein egarirtes, « sagt Tieck, S. 565 . nach seiner Rückkehr aus England; »wir Deutsche sind seit Wieland i n recht saum­ seliger und bequemer Bewunderung . • Man sollte meinen , an einem ächten Studium und Verständniß Shakespears und ausdrücklich als Dichters habe es in Deutschland (s. oben) niemals gefehlt, und eben so wenig an offenkundigen und berühmten Früchten dieses Studiums, deren uns z.B. Goethe und A .W. v. Schlegel gegeben ; auch die Engländer, sollte man denken , verstehen ihren Shakespear; sie würden wenigstens den spießbürgerlichen Dünkel des Continents sehr verlachen , wenn wir um der Abwege einiger ihrer Kritiker und deren gelehrten Irrthümer willen über werthloseste Einzelnheiten unser Studium über ihre Werthschätzung ihres Dichters erheben wollten ; für dieses ist das historisch-gelehrte Studium meist überflüssig. Daß es aber auch dießseits des Canals I leicht auf Abwege und Schrullen führt, weil aus solchen weitschichtigen und unerquicklichen Bemühungen denn doch end­ lich etwas Absonderliches erwachsen seyn soll , davon geben die vorliegenden Briefe selbst das Beispiel . Es spuckt darin bereits Tiecks bekannte Schrulle über den Vorzug der äußern Einrichtung , die das Theater zu Shakespears Zeiten hatte, vor der jetzigen . Es soll ein Vorzug gewesen seyn , daß die Bühne nur breit, und nicht, wie heut zu Tage, tief war. Dem Uebelstande der häufigen Veränderungen der Scene, welche bei der Aufführung S h ' scher Dramen nöthig werden , so wie der Ungewißheit, in welche Stadt oder Gegend man jezt versezt sei , war, wie man weiß, allerdings abgeholfen , und zwar der leztern dadurch , daß ein vor dem ge­ malten Thore, Stadtmauer, Häusern u . s . f. auf einer Stange aufgesteckter großer Zettel mit dem Namen der Stadt, Burg u . s . f. die gewünschte Auskunft gab ; daß ferner die Schauspieler, um von einer Stadt in eine andere zu reisen , nur durch einen Vorhang zu gehen brauchten , der die Bühne so theilte, daß auf deren anderen Seite die andere, gleichfalls durch eine Aufschrift kenntlich gemachte Stadt oder Gegend gemahlt war; somit keine Veränderung der Scene lästig fiel . Zwar findet sich der fernere Umstand nicht für einen Nachtheil heutiger Kunst ausgegeben , daß nämlich in jetzigen Häusern nicht nur die Zuschauer in den Logen, sondern auch die im Parterre durch ein Dach gegen Regen , Wind und Sonne geschüzt sind; aber von jener ältern Einrichtung schreibt T. S. 693 . , daß er »nicht ungeneigt sei, zu glauben, daß selbst der Mangel an Dichtern und Sinn großentheils vom unterge­ gangenen Brettergerüst entstanden , und daß er ( ! ? sie) uns in Deutschland an der Hervorbringung lichter Werke gehindert hat . « Doch in dieser Correspondenz kommt noch nichts von den weitem absonderlichen Grillen vor, die Tieck seitdem über die Charaktere im Harnlet auch über Lady Macbeth in das Publicum hat aus­ gehen lassen . Sonst aber wird Manches erzählt, über das man sich wundern könnte; wie S. 502 . , daß T. Jahre lang den Perikles von Shakespear vielleicht übertrieben verehrt habe; (- woraus Zerbino und Octavian entstanden sei ! ) S. 696. , daß ihm ein Stück von Calderon , das er vor zehn Jahren verehrt, nunmehr fast ganz schlecht erscheine. Dergleichen Verirrungen des Geschmacks lassen sich nur aus der abstracten Richtung der Kritik verstehen , die das Objective der Kunst nicht

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beachtet. - Solger ist durch seine classische Bildung und die Philosophie bewahrt worden , an die Extreme mitzu I gehen ; ob aber gleich das vorhin Angeführte Elemente gediegenerer Kritik enthält, und ihm bei manchem romantischen Producte (wie S . 606. z.B. dem Fortunat) eben nicht ganz geheuer ist, so hat dieß doch nicht durchgedrungen , und ebendas. (noch v. J. 1 8 1 8) findet sich das Urtheil über Shakespear' s »der Liebe verlorne Mühen« - dieß im Ganzen eben so schwache als im Einzelnen an Plattheit überreiche Stück - das Urtheil, daß sich darin unter den komischen am bestimmtesten die Reife der Poesie in diesem Dichter ausdrücke, weil es am wenigsten durch irgend eine speciel/e Richtung (- die Richtung ist in der That nur ganz kahl -) gerichtet, und auf die reinste Ironie gegründet ist,• - das Leztere kann man in dem Sinne, der häufig damit verbunden ist, zugeben , daß es die reinste Ironie ist, in dem Stücke irgend einen Werth antreffen zu wollen , - welche Täuschung irgend einer Erwartung denn eben der Humor der Sache seyn soll. Dagegen erweist sich sein Urtheil besonders trefflich , reif und prompt über die vielfachen weitem außer dem Gebiete des Romantischen liegenden Erscheinungen , die während der Periode dieses Briefwechsels eine unverdiente Aufmerksamkeit er­ regten . Man sieht mit Befriedigung , wie Solger mit denselben sogleich bei deren erstem Auftreten fertig ist, während sie bei einem ausgebreiteten Publicum das größte Aufsehen erwecken , und dasselbe die wichtigsten Folgen hoffen lassen , bis ihm die Gegenstände und alle seine Hoffnungen verkommen , gleichfalls ohne sich hierüber Rechenschaft zu geben , wie durch ein bloßes Vergessen . Man sehe z.B. Solgers frühes und sogleich reifes Urtheil über das einst bewunderte, nun ganz vergessene Naturdichten Hillers I. S. 128. noch mehr über Pestalozzi ebend. S . 1 35 ff. , das fü r Manchen auch jezt darüber belehrend seyn kann, warum die Sache dieses als Individuum so edlen Mannes keine Revolution im Erziehungswesen her­ vorgebracht, sondern selbst keine Nuance eines Fortschrittes hat bewirken können . - Eben so sehr erfreut man sich der gründlichen Ansichten über so manche literari­ schen Productionen , die mit großer Prätension und mit noch größerer Bewunde­ rung aufgetreten sind , z.B. über die Ahnfrau S. 636. die Sappho 653 . u . s . f. I Ueber Niebuhrs Römische Geschichte noch kann, was er S . 222 . , verhindert weitläuftiger zu schreiben , nur kurz bemerkt, herausgehoben werden, da nunmehr die zweite Ausgabe mit frühem gründlichen Urtheilen verglichen werden kann . S . äußert, daß ihm das Meiste über die ersten Jahrhunderte Roms, besonders die Mei­ nung von alten Gedichten , aus denen Livius geschöpft haben soll, durchaus chi­ märisch erscheine. Schlegels Recension in den Heidelb. Jahrbüchern wird S. 222 . für eine solche erkannt, wie sie selten vorkommen , und welche die höchste Ach­ tung für Schi . bei allen Unparteiischen wieder erneue. »Von Niebuhrs Hypothesen bis auf Romulus bleibt beinahe nichts stehen, und es wird Alles mit sehr triftigen Granden widerlegt. Schi . gerathe zwar von Romulus an auch in Vermuthungen , die er (Solger) nicht unterschreiben könne, aber nicht in imaginäre saturnische Heldengedichte, deren Erfindung für ihn (Solger) zu den unbegreiflichsten Verir­ rungen gehören . « - Den Philosophen ist in neuern Zeiten der Vorwurf, Geschichte a priori zu schreiben , gemacht worden. Solgers philosophischer Sinn konnte sol­ ches Recht den Historikern vom Fach und den Philologen eben so wenig zugeste­ hen als Andern .

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Gleich interessant sind Ansichten über viele Begebenheiten der Zeit, über Zu­ stände und den Geist derselben . Solgers Aeußerungen z.B. über die Sand 'sche Mordthat und den damit zusammenhängenden Geist sind merkwürdig genug, um Einiges davon auch jezt auszuzeichnen ; S. 722 ff. schreibt er darüber: »Es macht einem Grausen , wenn man einen Blick in ein solches Gemüth , wie dieses Sand 'sche thut. Er ist gewiß von Hause aus ein gut gearteter j unger Mensch , den man bedauern muß. Aber nun I die stupide Dummheit, durch den Mord des alten Waschlappens das Vaterland retten zu wollen ! Der kalte, freche Hochmuth, als kleiner Weltrichter die sogenannten Schlechten abzuurtheilen! Die leere Heuchelei vor sich selbst mit der Religion , oder vielmehr ihren Floskeln, die die größten Greuel heiligen sollen ! Es ist zum Verzweifeln , wenn man daran denkt! Indessen ist mir das Alles nicht im Geringsten neu. Ich weiß auch genau, woher Alles kommt. - Man hat ihnen ja seit zehn Jahren genug vorgepredigt, sie seien die Wei­ sen und Vortrefflichen , von denen die Wiedergeburt des Staats und der Kirche aus­ gehen müsse. - Dummheit, Leerheit, Hochmuth , das sind die Geister, die sie trei­ ben , und das sind wahre Geister der Hölle. - S . 725 . die Sand' sche Geschichte ­ einen traurigen Blick gewährt sie uns in den Zustand so vieler j unger Gemüther. Es zeigt sich hier eine Mischung von ursprünglicher Gutartigkeit mit einer Be­ schränktheit, Dummheit möchte ich es nennen , einem Hochmuth , einer unbe­ wußten religiösen Heuchelei vor sich und Andem , daß Einen schaudert. Können Sie glauben , daß es hier Professoren gibt, die den leeren coquetten Bombast, den der j unge Mensch an die Seinigen geschrieben hat, bewundern? - Nur allzu sehr erinnert man sich aber auch an das Gewäsch der Wartburgsredner und an so vieles Aehnliche; doch , wie ich sagte, wir wollen Niemand beschuldigen , als etwa den beliebten Zeitgeist. Schon lange nimmt Alles diese verderbliche Richtung auf das muthwillige Weltverbessem und den leeren Hochmuth , und viele ganz verschie­ dene Lehren habe sie immerfort befördert. - Die unselige intellectuelle Aufklärung, die so Viele im Leibe haben , die frevelhafte Lehre, daß die sogenannten Bessern Alles seyn und thun müssen , und daß Jeder, der an nichts glaubt, als an die leere Weltverbesserung, einer von diesen Bessern sei , ist die rechte Schule des aufgebla­ senen dummen Hochmuths. Man muß diesem aus allen Kräften entgegenarbeiten, un� wenigstens sein Gewissen salviren . « - I Die Wartburgsscenen , heißt es S. 720. , daß ..daselbst einige Professoren al­ berne, kindische Reden gehalten haben, um ihren hohlen Enthusiasmus auszubrei­ ten . Man hätte dieß entweder zeitig genug verbieten und verhindern , oder nachher diese politisch-philosophischen Narren so darstellen können , daß sie in ihrer gan­ zen Blöße erschienen wären . « - Man möchte es vielleicht für etwas Ersprießliches haben halten können , wenn Solger diese Darstellung übernommen , und durch Oef­ fentlichkeit seiner Ansichten jenem grellen Unwesen entgegengearbeitet hätte; es ist ihm aber wohl zu gönnen gewesen , für sein übriges Leben , das nur noch etwas über sechs Monate dauern sollte, sich die zu erwartende böse Anfeindung , Verun­ glimpfung von serviler Gesinnung u . s . f. erspart, und durch öffentliches Still­ schweigen sich Ruhe bewahrt zu haben . Doch wir müssen der Auszeichnung des Interessanten Schranken setzen , des­ sen sich noch so Vieles in den Briefen Solgers, und dann in denen seiner Freunde, besonders des einen der Herausgeber, von Raumer, an frischer, eben so durch-

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dringender als heiterer Kunst- und Lebensansicht vorfindet, um zu der Seite über­ zugehen , welche unser Interesse vornehmlich in Anspruch nehmen muß. Die Cor­ respondenz enthält jedoch weniger Data und Aufklärungen über Solger ' s Ausbil­ dung und Fortschritte in der Philosophie, als man etwa zunächst meinen könnte. Der Kreis von Männern , die sich hier durch Briefe unterhalten , hatte sich nicht eine und dieselbe gelehrte Bestimmung gewählt. Jeder verfolgt ein eigenthümliches großes Interesse, nimmt zwar den Antheil eines gebildeten Freundes an den Arbei­ ten des Anderen , aber geht nicht in deren Gegenstände und Inhalt näher ein. Man hat also nicht das Schauspiel einer Entwickelung einer Philosophie, einer wechsel­ seitigen Mittheilung und Erörterung philosophischer Sätze und Begriffe zu erwar­ ten . Die Gegenseitigkeit ist allgemeine Aufmunterung oder Theilnahme, und wenn Solger zu näheren Aeußerungen und Kritik über seine herausgegebenen Schriften auffordert, so geht es, wie gewöhnlich , der eine der Freunde hatte noch nicht Zeit gehabt, die Schrift zu lesen , der andere verspart ein tieferes Eingehen auf die zu wiederholende Lectüre, und beschränkt sich vorläufig auf Kritik von Partikeln, Styl u . dgl . Die Tieck' schen Briefe drücken ein directeres Verhalten zur Philoso­ phie aus; Solger ' s Explicationen darüber sind gegen I diesen Freund am häufigsten und ausführlichsten ; er spricht die Befriedigung , die es für ihn hat, sich Tieck mit­ zutheilen, vielfach und innig aus; »wie oft (sagt er S. 375) gibt es mir neuen Muth und neue Kraft, daß Sie meine Bemühungen anerkennen , wenn Alles um mich her darüber schweigt. - Sie kommen mir zu Hülfe; wenn Sie auch nicht Philosoph sind, so kennen Sie doch die Philosophie, und , was weit mehr ist, Sie leben durch Ihren eigenen Beruf im Gegenstande der Philosophie; Ihr Beifall und Urtheil erhält mich oft in meiner Ruhe, wenn der Verdruß sich bei mir einschleicht. « Tieck legt in diesen herausgegebenen Briefen die Art seines Verhältnisses zur Philosophie, und den Gang seines Gemüths und Geistes vor das Publicum. Solche Eröffnung ei­ nes bedeutenden Individuums über sich ist für sich ein interessantes Seelen­ gemälde, und noch mehr, indem es eine Gattung repräsentirt. Tieck ' s Standpunkt zur Philosophie ist zwar das mit der Zeitbildung des Verstandes gemeinschaftliche , negative Verhalten gegen sie, insofern affirmativ, als es zugleich mit dem Anerkennen des Affirmativen in der Philosophie überhaupt, als des mit dem Wesen der Religion und Poesie Identischen verknüpft ist, und insofern von dem gewöhnlichen Verstande der Aufklärung und der Theorie des Glaubens abweicht. Aber jenes negative Verhalten zur Philosophie bringt zugleich eine Einseitigkeit in das Princip selbst, das sich für die Mystik der Religion und Poesie hält, und gibt, weil dieses Princip ein Product der Reflexion , nicht unbefangene Religiosität und Poesie geblieben ist. Die Mystik macht nur eine weitere Abspiegelung des vorhin besprochenen Standpunktes aus, und indem sie zugleich der Reflex des einen Theils des philosophischen Standpunkts Solgers ist, soll die Beleuch­ tung dieser Eröffnung in ihren Hauptzügen zugleich als Einleitung für diesen die­ nen . »Aller Gedanken- und Ideengang soll mir nur tiefe Vorunheile bestätigen , d . h . doch n u r mit andem Worten , den Glauben und die unendliche Liebe. « S . 34 1 . Wir sehen darin die alte Lehre, welche Sokrates und Plato angefangen haben , daß , was dem Menschen als wahr und gut gelten solle, in seinem Geiste ursprünglich liegen müsse; indem es aber ferner auch auf eine dunkler oder deutlicher gefühlte oder

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geahnete Weise in sein Bewußtseyn getreten , wird es erst Glaube, und kann auch , indem es nicht auf Einsicht gegründet ist, Vorortheil genannt werden . Jene Lehre hebt, wie der Mysticismus, alles bloß Positive äußer l licher Autorität auf. In Be­ ziehung auf den innersten, ächten Gehalt thut die Philosophie nichts, als solchen bestätigen , aber was sie zugleich damit bewerkstelligt, ist die Reinigung desselben, und die Absonderung des Unächten , des Positiven anderer Art, was in ihm als Vorurtheil ist. In demselben Zusammenhange sagt aber T. , daß es ihm »nie um das Denken als solches zu thun gewesen;• »die bloße Lust, Uebung und Spiel der Ideen , auch der kühnsten , ist mir uninteressant. • Dem Glauben auch die philoso­ phische Form , denkende Erkenntniß des Gehalts zu erwerben , hängt natürlich ganz von dem individuellen Bedürfniß ab ; aber erst diese Erkenntniß führt zur Einsicht der Natur des Denkens, und zeigt, daß das Denken etwas Anderes als nur eine Uebung und Spiel von Ideen hervorbringt; und verhindert, ohne Erkenntniß über dasselbe nur so abzusprechen . In dem Briefe vom 24. März 1 8 1 7 S. 535. gibt T. eine ausführliche Erzählung , die er ein Selbstgeständniß nennt, über den Gang sei­ ner geistigen Richtung. Vor seiner Bekanntschaft mit Jacobi , mit dem er zuerst einen Dialog habe halten können »(von zwei Ufern einer Kluft, »WO wir wohl mehr das Echo, als unsere Worte hörten) , • hatte er keine dialogischen Philosophen ge­ funden , und die verschiedenen Systeme befriedigten ihn nicht; (- die Befriedigung hängt mit dem zusammen, was man sucht, und Plato z.B. ist doch wohl auch ein dialogischer Philosoph gewesen -) »besonders verlezten Alle meinen Instinct zur Religion;« so führte ihn »die Liebe zur Poesie, zum Sonderbaren und Alten , An­ fangs fast mit frevlem Leichtsinn (- worin das Frevelhafte bestanden hätte, sieht man nicht, -) zu den Mystikern, vorzüglich zu J. Blihme, der sich aller meiner Le­ benskräfte so bemächtigt hatte, daß ich von hier aus nur das Christenthum verste­ hen wollte, das lebendigste Wort im Abbild der ringenden und sich verklärenden Naturkräfte, und nun wurde mir alle alte und neuere Philosophie nur historische Erscheinung, « (das Umgekehrte geschieht der philosophischen Erkenntniß , als wel­ cher der Mysticismus und dessen Gestaltungen zu historischen Erscheinungen wer­ den -) ; »von meinem Wunderlande aus las ich Fichte und Schelling, und fand sie leicht, nicht tief genug, und gleichsam nur als Silhouetten oder Scheiben aus jener unendlichen Kugel voll Wunder,« (- leicht, weil es dem mystischen Bedürfniß nur u m den allgemeinen Sinn , die abstracte Idee, wie oben gesagt, nicht um das Den­ ken als solches zu thun war; - nicht tief genug, weil in der Form des Gedankens und dessen Entwickelung der Schein der Tiefe I dem des Gedankens Unkundigen verschwindet, denn tief pflegt man einen Gehalt nur im Zustand seiner Concentra­ tion , und oft, wie er bei J. Böhme am meisten vorkommt, einer phantastischen Verwirrung und Härte zu finden , das Tiefe aber in seiner Entfaltung zu verkennen) - bei Böhme wurde T. von dem •Zauber des wundersamsten Tiefsinns und der le­ bendigsten Phantasie« hingerissen ; die eben so ungeheuere Mangelhaftigkeit in die­ sem Mysticismus aber wird allerdings nur dem Bedürfnisse des Gedankens auf­ fallend. Anderwärts S . 392 . , und zwar außerhalb und nach Verfluß jenes Zustan­ des, kommt zwar auch die Vorstellung einer Verbindung von Vernunft und Ver­ stand mit der Erhebung des Gemüths vor; es ist daselbst gesagt, »Sich in die Er­ leuchtung eines begeisterten Gemüths zu erheben , und hier in den Sphären eines viel verschlungenen Zusammenhangs und der harmonischen Vereinigung aller

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Kräfte auch Vernur!ft und Verstand wieder (!?) anzutreffen , ist nur Wenigen gege­ ben , den Allerwenigsten , bis jezt, scheint es, Keinem, Kunde und Rechenschaft darüber zu geben . « Wenn T. ebendas. durch Fr. Baader, Haman n , St. Martin u . s . f. nach dieser Seite nicht befriedigt worden , was hinderte, z . B . bei Plato, um nicht Andere zu nennen , die verlangte Vereinigung des begeisterten Gemüths und der davon Kunde und Rechenschaft gebenden Vernunft und Verstandes zu finden? Offenbar nur die Unkenntniß und Ungewohntheit, in der Art , wie die denkende Vernunft den ächten Gehalt der Begeisterung darstellt, sich so zurecht zu finden , um denselben in dieser wieder zu erkennen , - oder die verkehrte Forderung , mit der philosophischen Erkenntnisweise auch das damit unverträgliche trübe Gähren und die Phantasmagorie des Mysticismus verbunden zu sehen . Ist man aber mit der Natur und Weise des Denkens vertraut, so weiß man , daß der Philosophie nur ihr Recht widerfährt, wenn man behauptet, daß wenigstens von Plato an , nicht etwa keine, noch die allerwenigsten , sondern die allermeisten Philosophieen vielmehr mit Vernunft und Verstand von jenem ächten Gehalt, seiner Verschlingung in sich und deren Zusammenhang , Kunde und Rechenschaft gegeben , und die, deren Geist sich in der Philosophie einheimisch gemacht, diese Kunde und Rechenschaft beses­ sen haben . - Aus jener hypochondrischen Periode fügt T. S. 539. hinzu , er habe »sich thörichterweise oft bemüht, Andern jene Gefühle des Mysticismus zu geben ; « was e r hinzusezt, »Keiner war so tief i n Böhme, ja e r argwöhne, selbst nicht i n den Philosophen , • I ist wohl nicht der richtige Grund , daß es ihm nicht gelang; denn dem J. Böhme gelang diese Mittheilung an Tieck selbst; sondern dieß , daß ihm , außer dem Organ der Philosophie, das e r verkannte und verschmähte, das inwoh­ nende Vermögen der Mittheilung, wodurch es ihm wohl vorher und nachher ge­ lungen , Gefühle der Tiefe mitzutheilen , damals nicht zu Gebote stand ; denn er gibt von diesem Seelenzustande an , »daß ihm die Lust an Poesie, an Bildern , als etwas Verwerfliches, Verfehltes erschienen sei . « Er fügt diesem Gemälde hinzu , daß , da er nun die Speculation (!?) und das innere Leben gefunden zu haben glaubte, er da­ für hielt, •daß es sich mit weltlichen Beschäftigungen nicht vertrüge, - so gab es viele Stunden , in denen er sich nach der Abgeschiedenheit eines Klosters wünschte, um ganz seinem Böhme und Tauler und den Wundern seines Gemaths zu leben . « »Meine Productionskraft, mein poetisches Talent schien mir auf immer zerbro­ chen . • Diese interessanten Züge führen von selbst auf die Betrachtung , daß an und für sich mit solcher Hypochondrie, mit diesem Zustande der Unlebendigkeit und Form- und Gestaltlosigkeit des Geistes, ob sie schon inneres Leben , Wunder des Gemüths genannt sind , eben so wenig Speculation verbunden seyn kann, als poeti­ sche Production . Aber Tieck kommt aus diesem Zustande wieder heraus; es ist interessant zu le­ sen , was ihn geheilt hat; nur was •der Leichtsinn« und »der willkürliche Act« in dieser2 Schilderung solle, ist nicht wohl zu verstehen: es war (S . 540) »mein alter Homer und die Niebetungen und Sophokles (die Niebetungen zwischen sich zu fin­ den , darüber könnte sich Homer und Sophokles wohl wundern) , mein theurer Sha­ kespear, eine Krankheit, Italien , eine Uebersättigung an den Mystikern , vorzüglich wohl mein sich regendes Talent, was mir im Verzweifeln neuen Leichtsinn gab ; 2 dieser] die-/

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Hegel: Solger-Rezension

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und fast eben so leichtsinnig, wie ich in dieß Gebiet hineingerathen war, versezte ich mich durch einen Act der Willkür wieder hinaus, und stand nun wieder auf dem Gebiete der Poesie und der Heiterkeit, und konnte wieder arbeiten. « Diese zu­ rückgekehrte Fähigkeit zur Arbeit ist wohl das ächteste Zeugniß von wieder er­ langter Gesundheit des Geistes aus jener unfruchtbaren Abstraction der Innerlich­ keit; denn das Arbeiten heißt dieser Abstraction entsagen , und dem , was die Inner­ lichkeit Gehalt hätte, Wirklichkeit und Wahrheit geben. In seine Urtheilsweise aber hat Tieck den Sinn seiner Rückkehr zur I Arbeit nicht vollständig aufgenommen ; in seinen Ansichten bleibt jene Entzweiung , und damit die einseitige und abstracte Subjectivität, noch ein wahrhafter, ja höherer Standpunkt. Um z . B . das Wesen der Größe Shakespears oder der Poesie überhaupt in den Mysticismus desselben setzen zu können , wovon so viel die Rede ist, ist erforderlich , vielmehr von dem zu ab­ strahiren , was denselben zum Dichter macht, von der concreten Bestimmtheit und entwickelten Fertigkeit der Charaktere und Handlungen ; das Concrete und Feste seines Gestaltens zur Abstraction des Mystischen , Innerlichen zu verflüchtigen, ist die Wirkung eines reflectirenden Verstandes, nicht der die Idee und die Lebendig­ keit fordernden und erkennenden Kritik. Mit dem inneren Leben , als Princip der Kritik, hat es in solcher Ansicht noch immer dieselbe Bewandtniß, als früher im Zustande des Subjects, daß gegen die entwickelnde Thätigkeit des Gedankens, so gegen die gestaltende der Poesie, die Abstraction festgesezt ist. Von diesem Standpunkt hängt nun auch ganz die Art ab , wie Tieck' s Einsicht und Auffassung von der dichterischen 3 Natur und Production Goethe 's beschaffen ist; wir haben ihrer hier zu erwähnen , in so fern sie auf jenen Standpunkt selbst ih­ rerseits ein weiteres Licht wirft, und indem Tieck dieß Verhältniß aus der vertrau­ lichen , nur dem Freunde zunächst bestimmten Mittheilung herausgenommen, und vor dem Publicum ausgelegt hat; die Aeußerungen zeigen sich zugleich nicht als momentane Stimmung, sondern als constantes Urtheil. Er kömmt öfters auf Goe­ the, und zwar mit Verstimmung, um dieß Wort sogleich auch zu gebrauchen, zu sprechen ; denn von dieser, und auch auf diese, geht das Urtheil aus. Oben wurde die Kritik Solger ' s über die Genoveva angeführt, in der diesem die Absichtlichkeit und Reflexion , die nur sehnsüchtige, nicht im Dichter wirklich gegenwärtige, Stimmung der Liebe und Innigkeit aufgefallen war, so daß , wie Tieck es richtig ausspricht, Solgern das als Verstimmung erschien , was Tieck für Begeisterung ge­ halten hatte. Außerdem , daß Tieck sonst Goethen Manches übel nimmt (unter An­ derem , S. 488, ärgert es ihn , daß Goethe den Erwin noch nicht einmal gelesen) , meint er, S . 485 , ein Autor selbst möge, was er früher Begeisterung genannt, spä­ ter Verstimmung nennen ; so scheine es ihm Goethe mit seinem Werther gemacht zu haben , und frägt S. 487 unwillig : »darf er, weil sein überströmendes junges Ge­ müth uns zuerst zeigte, was diese Welt I der Erscheinungen um uns sei, die bis auf ihn unverstanden war, - darf er sich , bloß weil er es verkündigte, mit einer Art vornehmen Miene abwenden , und unfromm und undankbar gegen sich und gegen das Schönste seyn?« Goethe sezt in seinem Leben eben so interessant als anmuthig aus einander, wie er krank an einer freilich noch nicht metaphysischen , sondern sentimentalen Hypochondrie, einer noch nicht in die Abstraction , sondern ins Le3 dichterischen) dichterischer

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ben verwickelten, noch lebenslustigen und lebenskräftigen Sehnsucht, gerade durch die Production jenes Romans diese Verstimmung aus sich herausarbeitete, und sich davon befreite. Wie bei einer Krankheit, um von ihr genesen zu können , der Kern des Lebens noch gesund seyn muß, so waren Herz und Kopf noch gesund , und ihre Kraft wurde die Poesie, welche das verstimmte Gefühl zum Stoff und Gegenstand zu machen , und es zu einem äußerlichen Ausschlag hinauszuverarbeiten fahig war. Indem die Verstimmung nur zum Inhalt des Werkes wurde, hörte sie auf, Stim­ mung des Dichters zu seyn; dieser machte sich durch die Arbeit eben so in sich fertig , als das Werk selbst ein in sich fertiges, ein Kunstwerk, wurde. Allein damit war er noch nicht mit dem lieben Publicum fertig; er beschreibt die Qual , die er sich von allen Seiten herbeigezogen, die ihn an allen Orten und fortwährend ver­ folgt hat; sie war, daß man ihm immerfort jene Krankhaftigkeit des Gemüths noch zutraute, ja sie in ihm gerne lieben und schätzen wollte. Und jezt noch , nach dem, was nun ohnehin aus allen seinen Werken , was sogleich aus dem nächsten , dem Götz, hervorleuchtete, und nachdem er sogar jene Krisis durch die Production und seine Cur beschrieben , soll er sich den Vorwurf machen sehen , daß jenes kranke Verständniß der Welt der Erscheinungen der rechte Verstand gewesen, und daß er unrecht sich von solchem Standpunkte abgewandt, und damit •unfromm und un­ dankbar gegen sich geworden sei . « Aus dem Vorwurfe dieser Unfrommheit und Undankbarkeit folgt ganz natürlich die weitere Schrulle, der Vorwurf, »daß dieses herrliche Gemüth eigentlich aus Verstimmung, Ueberdruß , sich einseitig in das Alterthum geworfen«, daß Goethe »Sich damit vom Vaterland losreiße. « - Es würde schwer zu sagen seyn , ob ein Dichter tiefer in seinem Vaterlande wurzle, als Goe­ the; aber, wenn Andere, Ausländisches und Aelteres, Shakespear, Calderon u . s . f. , eben so hoch oder höher stellen , als Vaterländisches, so ist ihm doch eben so we­ nig ein Vergehen daraus zu machen , wenn auch ihm nicht I alle einheimische Kunst, unter Anderem die Poesie der Poesie, nicht zusagt, und er in dem unver­ stimmten Alterthume eine höhere Befriedigung findet; ohnehin handelt es sich nicht um Gegeneinanderstellung subjectiver Gefühle, sondern um Kunsteinsicht, auf Sinn, Studium und Nachdenken gegründet. Vollends unglücklich ist der Gegensatz auf der folgenden Seite 488: »Ich (fieck) hatte auch die Antike gesehen , St. Peter, und konnte den Strasburger Münster nur um so mehr bewundern ; • - ist denn nicht Goethe einer der Ersten gewesen , der den Sinn für den Strasburger Münster ge­ habt, und für die Werthschätzung und Einsicht gleichsam denselben wieder erfun­ den hat? Bei Erwähnung der Darstellungsweise der Indischen Religion durch Friedrich von Schlegel (S . 709) sagt Solger sehr gut: »eine Hauptsache ist, daß man gleich alle hergebrachte Terminologie von Emanation , Pantheismus, Dualismus u. s. w . fahren lasse; die einseitigen und leeren Begriffe, welche diese Ausdrücke bezeich­ nen , hat niemals ein Volk oder ein Mensch im Ernste gehegt, und sie stammen auch aus Zeiten her, wo man die lebendige Erkenntniß grausam anatomirte . • So hätte es wohl auch für die philosophischen Unterhaltungen der beiden Freunde mehr Ge­ deihen gebracht, wenn die Ausdrücke von Mysticismus, innerem Leben , Poesie, insbesondere Ironie, ja auch von Religion und Philosophie selbst aus dem Spiele geblieben wären ; denn alsdann hätte von der Sache und vom Inhalt gesprochen werden müssen . Diese Art zu urtheilen ist eine entschieden negative Richtung ge-

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gen Objectivität - eine der Richtungen , welche von der Fichte ' schen Philosophie der Subjectivität ausgegangen . Solches Urtheilen handelt nicht vom Inhalte, son­ dern dreht sich um verblasene Vorstellungen , welche die Sache der Religionen und Philosophieen, mit Abstractionen von innerem Leben , Mystik mit Reflexionsbe­ stimmungen von Identität, Dualismus, Pantheismus u . s . f. abthun. Diese Manier er­ scheint zugleich als eine vornehme Stellung, welche mit der Sache fertig ist und über ihr steht; sie ist in der That mit der Sache in dem Sinne fertig , daß sie die­ selbe bei Seite gebracht hat; eine Stellung über ihr, denn sie ist in der That außer­ halb derselben . Die selbstbewußte Vereitelung des Objectiven hat sich Ironie ge­ nannt. Da die ausgezeichnetste ironische Individualität sich auf unserem Wege be­ findet, sei derselben kurze Erwähnung gethan . - In dem angeführten Zusammen­ hange bemerkt Solger zunächst I sehr treffend von einem Theile der Bearbeiter der Indischen Religion : - »Sie haben den Faden, an den ich Alles anknüpfen kan n , ganz einseitig theoretisch und dogmatisch herausgezogen , daß er gar nicht mehr das ist, was er als lebendiges Band war, und dieß hat besonders Fr. Schlegel gethan . « Dieselbe Beziehung , die hier bemerkt ist, auf die Philosophie, hat sich dieser Vater der Ironie seine ganze öffentliche Laufbahn hindurch gegeben . Er hat sich nämlich immer unheilend gegen sie verhalten, ohne je einen philosophischen Inhalt, philosophische Sätze, noch weniger eine entwickelte Folge von solchen aus­ zusprechen , noch weniger, daß er dergleichen bewiesen , eben so wenig auch wi­ derlegt hätte. Widerlegen fordert die Angabe eines Grundes, und hiemit ein Einlas­ sen in die Sache; dieß hieße aber, von der vornehmen Stellung oder (um eine sei­ ner vormaligen Erfindungen von Kategorien zu benutzen) - von der göttlichen Frechheit (und auf der Höhe der Ironie läßt sich wohl eben so gut sagen - von der satanischen oder diabolischen Frechheit) des Urtheilens und Absprechens, der Stel­ lung über der Sache, auf den Boden des Philosophirens selbst und der Sache sich herablassen . Hr. Fr. v. Schlegel hat auf diese Art immerfort darauf hingewiesen , daß er auf dem höchsten Gipfel der Philosophie stehe, ohne jemals zu beweisen, daß er in diese Wissenschaft eingedrungen sei , und sie auf eine nur gewöhnliche Weise inne habe. Sein Scharfsinn und Leetüre hat ihn wohl mit Problemen , die der Philosophie mit der Religion gemeinsam sind, und welche selbst bei der philologi­ schen Kritik und Literärgeschichte in Weg kommen, bekannt gemacht. Aber die Art der Lösung, die er allenthalben andeutet, auch nur prunkend zu verstehen gibt, statt sie schlicht auszusprechen oder gar philosophirend zu rechtfertigen , ist theils eine subjective Lösung, die ihm als Individuum so oder anders conveniren mag, theils aber beweist das ganze Benehmen seiner Aeußerungen , daß ihm das Bedürf­ niß der denkenden Vernunft, und damit das Grundproblem derselben und einer be­ wußten und gegen sich ehrlichen Wissenschaft der Philosophie, fremd geblieben ist. Tieck' s Ironie hält sich in ihrem Verhältniß zur Philosophie von der Charlata­ nerie frei , und beschränkt sich überhaupt darauf, mit Beiseitesetzen der objectiven Gestaltung des Inhalts, durch Denken , d .i . des Eigenthümlichen der Philosophie, das abstracte Allgemeine, das mystisch Genannte herauszulesen , und, in Beziehung auf I Solger ' s Philosophie, eine innige freundschaftliche Theilnahme zu haben , zuweilen sich zu deren Inhalt zu bekennen , gewöhnlich auf die expliciten Sol­ ger' schen Darstellungen und Erläuterungen die Erwiederung mit einer dieselben

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einwickelnden allgemeinen Zustimmung zu machen , mit der oft wiederholten gut­ müthigen Versicherung, Solgern zu verstehen, ihn ganz zu verstehen , ihn endlich verstanden zu haben ; im Jahre 1 8 1 4 (S . 322) hatte er geschrieben , daß er (nach Le­ sung einiger Dialogen Erwins) erst jezt glaube, Solgern ganz verstanden zu haben ; wie auch S . 320 Solger seine Zufriedenheit ausdrückt, daß Tieck bei mündlicher Unterredung ihm gestanden , daß ihm der Trieb der Begeisterung, wonach er in der Kunst gehandelt, durch die Solger' sche Enthüllung erst zum klarsten Bewußtseyn gebracht worden sei , was auch sonst noch wiederholt wird . So schreibt Tieck noch eben so im Jahre 1 8 1 9 (S . 7 1 1 ) (auf die Mittheilung von philosophischen Briefen , die sich im 2ten Bd . dieses Nachlasses zum erstenmale abgedruckt finden) : »ich glaube Sie mit jedem Worte mehr zu verstehen , und immer wird es mir deutlicher, daß es dieß war, was ich gesucht habe. « Heget. I

Zweiter Anikel. Was zulezt im vorhergehenden Artikel als Beziehung auf die Philosophie Solgers angeführt worden , mag zwar für einen Reflex derselben in der Freundschaft Tiecks genommen werden ; es erhellt jedoch schon von selbst, daß die Art dieses Reflexes nur für eine Seite, etwa der Solgersehen Ideen , Bedeutung haben könne; für den Inhalt müssen wir uns nun an die Solgersehen Expositionen wenden , welche uns in der vorliegenden Sammlung dargeboten sind . Diese Expositionen sind von der Art, daß sie eine weit bestimmtere Vorstellung von Solgers Grundansichten gewähren , als die Schriften , die bei seinen Lebzeiten erschienen sind . Wir sehen ihn in diesem Nachlasse vielfach bestrebt, seine Ideen theils seinen Freunden , theils dem Publi­ cum in einigen Aufsätzen , welche er für die Herausgabe in seinem lezten Lebens­ jahr ausgearbeitet hat, andringlich zu machen ; jedoch sind diese nicht systemati­ sche Ausführungen , sondern nur für die Vorbereitung des Publicums und zur An­ kündigung bestimmt, als »Manifest, « wie Solger den Hauptaufsatz nennt (1 . 688 ff. 726) , »Um darin auch für das größere Publicum zu erklären, wie er es mit der Phi­ losophie meine, und wie er gegen die jetzigen Bestrebungen stehe. « Sie gehen aber bei diesem äußern Zweck so weit, um die Tiefe seiner Idee und seines speculativen Vermögens in der Philosophie vorstellig zu machen und zu beurkunden . Es handelt sich bei Solger nicht um das, was wohl sonst oft auch Philosophie genannt wird ; wir finden bei ihm vielmehr das speculative Bedürfniß der Vernunft lebendig , das Interesse und Be I wußtseyn der höchsten Gegensätze und der Widersprüche, die daraus entspringen , wie den Muth , dieselben nicht mit Klage und Demuth auf die Seite zu stellen , sondern ihnen in ihrer ganzen Bestimmtheit und Härte ins Ange­ sicht zu sehen , und in ihrer Auflösung die Befriedigung des Geistes allein zu su­ chen und zu gewinnen . Solger scheut auch die auffallenden Formen nicht, in denen es sich darbietet, die Versöhnung der Gegensätze auszusprechen ; was dann der Fall ist, wenn diese Gegensätze in einer concreten Weise, wie sie in der Vorstellung liegen , belassen , und nicht auf ihre einfache Gedankenbestimmung zurückgeführt sind . Ich führe zuerst die geläufige Form an, in welcher er sowohl in den Briefen vielmals als in den andern Abhandlungen die Idee ausspricht (I . S . 603) , »daß

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nämlich, wenn wir unser absolutes und ewiges Verhältniß zu Gott gefaßt haben , wir klar und ohne alles Wanken einsehen , daß Alles, was in unserem Treiben und Leben wahr und gut ist, nur Gott selbst seyn kann. « »Indem nun Gott in unserer Endlichkeit existirt oder sich offenbart, opfert er sich selbst auf, und vernichtet sich in uns; denn wir sind Nichts. « Es sind hiezu die folgenden weitem Bestim mungen anzuführen . In dem Zusammenhange (1 . S. 5 1 1 ) , daß »nicht unser eigenes wesent­ liches Seyn unsere Wahrheit ausmache, « heißt es, daß »wir deßhalb nichtige Er­ scheinungen sind , weil Gott in uns selbst Existenz angenommen , und sich dadurch von sich selbst geschieden hat.« »Und ist dieses nicht die höchste Liebe, daß er sich selbst in das Nichts begeben , damit wir seyn möchten, und daß er sich sogar selbst geopfert und sein Nichts vernichtet, seinen Tod getödtet hat, damit wir nicht ein bloßes Nichts bleiben , sondern zu ihm zurackkehren und in ihm seyn möchten?« Weiter alsdann : »Das Nichtige in uns ist selbst das GtJttliche, insofern wir es näm­ lich als das Nichtige und uns selbst als dieses erkennen. " Ich bemerke zunächst überhaupt, daß sich in dieser Idee der logische Begriff, welcher die Grundlage für alles speculative Erkennen ausmacht, vorfindet, - die »allein wahrhafte Affirmation nämlich« (es ist das ewige göttliche Thun, welches vorgestellt wird) als die Nega­ tion der Negation gefaßt. - Ferner sieht man diese abstracte Form in ihrer concre­ testen Gestalt, in ihrer höchsten Wirklichkeit genommen , - nämlich als das Offen­ baren Gottes, und zwar dieses nicht in dem formalen , oberflächlichem Sinn , daß Gott sich in der Natur, Geschichte, in dem Geschicke des einzelnen Menschen u . s . f. offenbare, sondern in dem absoluten Sinne, daß dem Menschen die in Chri­ sto, also ursprüng ! lieh und göttlich seiende Einheit der gtJttlichen und menschli­ chen Natur, und eben damit das , was die Natur Gottes und was die menschliche in Wahrheit ist, nebst den daraus sich weiter entwickelnden Folgerungen zum Be­ wußtseyn gebracht ist. Im Zusammenhange des zuerst Angeführten ist dieß S. 603 f. (wie anderwärts S . 5 1 1 ) bestimmt so ausgesprochen , - »SO (indem Gott in unse­ rer Endlichkeit existirt und sich selbst aufopfert) ist unser ganzes Verhältniß zu ihm fortwährend dasselbe, welches uns in Christus zum Typus aufgestellt ist; nicht bloß erinnern sollen wir uns, nicht bloß Grande daher für unser Verhalten schöpfen , sondern wir sollen diese Begebenheit der göttlichen Selbstopferung in uns erleben und wahrnehmen; was so in einem Jeden von uns geschieht, das ist in Christus far die ganze Menschheit geschehen , - es ist nicht bloß ein Reflex unserer Gedanken , was wir vor uns haben , sondern die wirklichste Wirklichkeit. « (Vergl. S . 632 .) Man sieht, diese Lehre des Christenthums mit Inbegriff der Dreieinigkeit, die ihrer G rundbestimmung nach in dem Angeführten enthalten ist, hat ihren Zufluchtsort in der speculativen Philosophie gefunden , nachdem sie von der in der protestantischen Kirche fast ausschließend herrschenden Theologie durch Exegese und Raisonne­ ment bei Seite gebracht, die Erscheinung Christi zu einem bloßen Objecte der Er­ innerung und moralischer Gründe herabgesezt, und Gott in ein in sich bestim­ mungsloses leeres Jenseits, als unerkennbares, hiermit nicht geoffenbartes Wesen , außerhalb der Wirklichkeit verwiesen worden ist. Es erhellt aber, daß wenn die Negation der Negation als wahrhafte Affirma­ tion, welches der ganz abstracte Begriff ist, die in den angeführten Ausdrücken enthaltene ganz concrete Gestalt erhält, welche er in der Lehre des Christenthums hat, daß es einer ausführlichem wissenschaftlichen Explication bedarf, um den Ue-

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bergang von jener Abstraction zu dieser Fülle des Inhalts aufzuzeigen , um eben so sehr der Vernunftidee eine concrete Gestalt zu gewinnen , als die christliche Lehre wieder dem denkenden Geiste zu vindiciren, und sie gegen die Leere jener soge­ nannten Vernunft und der pietistischen Frömmigkeit, welche gemeinschaftliche Sa­ che gemacht, wieder in ihre Rechte einzusetzen . In jenem Uebergang, der philosophisch durchgeführt nothwendig ein langer Weg wird, ergeben sich viele Schwierigkeiten und Widersprüche, welche aufgelöst werden müssen . Schon in dem angeführten Vortrage zeigen I sich dergleichen ; das einemal sind wir darin als das Nichts (was das Böse ist) vorausgesezt, dann ist auch wieder von Gott der harte, abstracte Ausdruck gebraucht, daß er sich ve r­ nichte, also er es sei , der sich als das Nichts setze, und ferner dieß , damit wir seien, und darauf heißt das Nichtige in uns selbst das Göttliche, insofern wir es nämlich als das Nichtige erkennen . Diese Entgegensetzung der Bestimmungen, daß wir Nichts ursprünglich sind , und erst in der Beziehung auf Gott zum Seyn gelan­ gen , und wieder, daß wir erst durch diese Beziehung zu Nichts werden , hätte einer weitem Ausführung bedurft, um ausgeglichen zu werden . Das Angegebene, das als der Proceß der ewigen Liebe angesehen werden kann, enthält ferner sogleich schon die Voraussetzung von Gott einerseits und von Uns andererseits, und die Schwie­ -rigkeit ist dieselbe, ob wir als Seiendes oder als das Nichts vorausgesezt werden . Es fehlt hiebei das Moment der Schöpfung überhaupt und des Menschen insbeson­ dere nach Gottes Ebenbild , und von da aus des Ueberganges von dieser nur ur­ sprünglichen , nur an sich seienden , nicht in die Existenz noch getretenen Einheit der menschlichen Natur mit der göttlichen zu dem , was als der Schein und das Nichts ausgesprochen ist. Der Schein bestimmt sich zu dem Concretern , was Be­ wußtseyn und Freiheit ist, und die Schwierigkeit ist, daß dieser Schein nicht nur den Quell des Bösen , das von der Ebenbildlichkeit abfallende Essen von dem Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen enthält, sondern auch das Princip der Rückkehr zum Ebenbilde; so daß Gott selbst sagend eingeführt wird : Siehe Adam ist worden wie Unser einer, und - weiß, was Gut und Böse ist (1 Mos. 3 , 22) die Stelle, welche die andere Seite zu der erstem Bedeutung des Erkennens ausmacht, und die gewöhnlich viel zu wenig in ihrer Tiefe betrachtet, ja auch nur beachtet zu werden pflegt. Der hiemit angedeutete Mangel jenes Voraussetzens verschwindet in folgender Darstellung nicht, die I . Bd . S . 703 vorkommt: »das Wahre und Ewige existirt als das , was ist, als Gott, als das Gute. Für uns in die Wirklichkeit geworfene Wesen ist Beides (das Wahre und der Schein) untrennbar4. Denn das Gute würde für uns -

4 Diese Exposition ist in einem Zusammenhange gemacht, in welchem Solger von jetziger Philosophie, und wie es nach dem Anfangsbuchstaben H. scheinen könnte, vielleicht von dem Ref. spricht. Es ist daselbst von einer Ansicht die Rede, in welcher das höhere speculative Denken in seiner Gesetzmäßigkeit und I Allgemeinheit für das einzig wirkliche, und alles Uebrige, auch die Erfahrungserkenntniß , insofern sie sich nicht auf diese Gesetze zurUckführen lasse, für eine täu­ schende und in jeder (?) Rücksicht nichtige Zersplitterung desselben erklärt wäre. Ohne auseinander zu setzen, inwiefern diese Darstellung Schiefes enthält, will ich nur dieß bemerken, was S. als seine Meinung entgegensezt. Dieß ist, daß •das unwahre Erkennen und sein Gegenstand gleichfalls sei, beides nur allzusehr da sei. Es erhellt sogleich, daß diese Bestimmung schon dem Obigen nicht entgegengesezt wäre, wo nicht von einem lAugnen des Daseyns der Erfahrungskenntniß, was schwerlich je irgend einem Menschen eingefallen, sondern nur von der Möglichkeit, dieselbe auf •

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nicht I seyn , wenn es nicht einen Schein hätte, den es tödtet, um dessen willen es sich verktirpert, Fleisch wird , weil es ihn seiner ewigen guten Natur nach vernich­ ten , und so die Existenz mit sich versöhnen muß. Die htJhere Art dazuseyn ist, sich zu offenbaren , und sich offenbaren heißt sein Nichts vernichten, d . i . durch sich selbst da seyn; Beides ist ganz Eins. « Es könnte scheinen , daß auch der Proceß der Schöpfung in dem Gesagten enthalten sei , jedoch ist derselbe wenigstens mehr mit dem Processe der Versöhnung, in welchem die endliche Existenz vorausgesezt er­ scheint, nur vermischt. Es heißt eben sowohl, daß die Untrennbarkeit des Guten und des Scheinens oder der Negation nur für uns sei , als auch , daß des Guten ewige Natur selbst sich den Schein mache, um ihn zu vernichten , und daß es nur so durch sich selbst sei , womit dieser Untrennbarkeit dieß , nur relativ für uns zu seyn, genommen wäre. Allenthalben aber bleibt es wesentliche, unaufgelöste Grundbestimmung, wie S . 578 , daß, »da wir nicht anders als unter Gegensätzen zu denken und I zu erkennen vermögen , in uns widerspruchvollen Wesen der Wirk­ lichkeit oder Offenbarung des Ewigen der völlig leere Schein, das wahre positive Nichts, entgegenstehen müsse. « Es ist Solgers ausdrückliche Bestim mung der Phi­ losophie, nicht in einem Dualismus befangen zu seyn (z. B . I. 5 1 0) . Denn in der That ist schon aller Trieb zur Wahrheit dieß , dem Dualismus unseres Bewußtseyns, unserer Erscheinung , oder dem Manichäismus, denn aller Dualismus hat den Ma­ nichäismus zur Grundlage, sich zu entreißen . Die Endigung in der höhern Wirk­ lichkeit und in der Versöhnung muß sich aber auch dahin vollenden , nicht mit der Voraussetzung eines Dualismus anzufangen . Dieß hängt dann wesentlich damit zusammen , daß in den angeführten Exposi­ tionen auch die Vorstellung von Gott als eine Voraussetzung vorhanden ist. Wenn, wie in den obigen Ideen , als bekannt angenommen wird , was Gott ist, wie daß er ist, so wäre überhaupt nicht abzusehen , wofür noch zu philosophiren wäre, denn die Philosophie kann keinen andern Endzweck haben , als Gott zu erkennen . Wäre jene Bekanntschaft jedoch nicht befriedigend, und würde mehr als nur Bekannt­ schaft, nämlich Erkenntniß gefordert, so liegt hierin, daß die Berechtigung nicht für sich vorhanden ist, von Gott zu sagen , er thut dieß oder jenes, verkörpert sich u . s . f. Denn alle dergleichen Bestimmungen könnten nur durch die Erkenntniß sei­ ner Natur ihre Begründung erlangen. Jene Art sich auszudrücken hat zunächst den Vortheil, populär zu seyn, und die allgemeine Religiosität in Anspruch zu nehmen , auch mit einer gewissen Zuversicht auftreten zu können , um der imposanten Wir­ kung willen , die das Wort: Gott, hat. Aber diese Weise hat in philosophischer den Begriff zurückzuführen, und an demselben zu prüfen, die Rede ist. Wenn aber im Verfolge nach dem oben Angeführten das, was hier unwahre Erkenntniß heißt, abstracter als das Moment des Scheines, welches dem Guten zu seiner Offenbarung selbst wesentlich ist, als welche das Vernichten des Nichts sei, ausgedrückt ist, so ist von diesem Begriffe schon vorhin die Rede gewesen, und die oberflächliche Ansicht jeder meiner Schriften, schon der Phänomenologie des Geistes, die im J . 1 807, noch mehr meiner Logik, d i e im J . 1 8 1 1 ff. erschienen, würde zeigen, daß darin alle Formen, sie mögen als Formen des Daseyns oder des Denkens genommen werden, sich in denselben Begriff auflösen, der nicht nur als M ittelpunkt von Allem daselbst längst vorgetragen, sondern erwiesen ist. In dieser abstractesten speculativen Spitze würde sich somit keine Differenz gegen die erwähnte Philosophie ergeben. Aber die Entwickelung dieses Begriffes und das Bedürfniß derselben ist noch ein Weiteres, und daß S. sich über die Einsicht in dieselbe nicht klar geworden, liegt in dem bereits von seinen Ideen Angeführten, und wird sich noch mehr im Verfolg zeigen.

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Rücksicht Nachtheile, insbesondere den , daß der Zusammenhang dessen , was Gott zugeschrieben wird , mit seiner Natur, das ist, die Einsicht in die Nothwendigkeit jener Bestimmungen oder Handlungen sich nicht zeigt, ja nicht einmal die Forde­ rung dieser Nothwendigkeit, um welche es, wenn über das Glauben zum Philoso­ phiren hinausgegangen wird , allein zu thun seyn kann. Eben so nachtheilig als für das Philosophiren selbst ist für den Vortrag und das Verständniß die in den angeführten Ideen vorhandene Vermischung solcher con­ creten Vorstellung , wie Gott, sich opfern , wir Menschen , Erkennen , das Böse u . s . f. mit den Abstractionen von Seyn, Nichts, Schein und dergl . ; man wird unbe­ quem von einem dieser heterogenen Boden auf den andern herüber und hinüber geworfen ; das Gefühl der Unangemessenheit der I abstracten Denkformen zu der Fülle, welche in den Vorstellungen ist, ist für sich störend , wenn man auch die nä­ here Einsicht in das Unzusammenhängende, das jene Vermischung in den Gedan­ kengang bringt, nicht besizt. In der ersten Abhandlung des II. Bds. : Briefe, die Mißverständnisse über Phi­ losophie und deren VerMitniß zur Religion betreffend S. 1 -53, und in der zweiten : Ueber die wahre Bedeutung und Bestimmung der Philosophie, besonders in unserer Zeit S . 54- 1 99 , ist es das weitere Hauptinteresse, das Verhältniß der angegebenen Grundidee zum philosophischen Erkennen zu bestimmen , und die Abweichungen des Erkennens und die falschen Surrogate aufzudecken und zu verfolgen . Zunächst ist hierüber die von Solger auch sonst überall ausgesprochene Bestimmung auszu­ heben , daß Philosophie und Religion denselben Inhalt hat, daß die Philosophie nichts anders ist als das Denken über die Gegenwart des Wesens in unserer Er­ kenntniß und Existenz, oder mit andern Worten über die glittliehe Offenbarung (II . S . 1 1 6) , daß das Denken , welches das Philosophiren ist, mit der Erkenntniß durch Offenbarung ganz dasselbe ist, nur von einer andern Seite betrachtet (S . 1 74 . ) Die Philosophie ist über ihr Verhältniß zur Religion früher in schlechten Ruf ge­ bracht worden . Nachdem die Vernunft dem , was einst Religion genannt wurde, in der That entgegengesezt gewesen war, ist endlich eine Vereinbarung beider auf die Weise erreicht, daß die sogenannte Vernunft von der Theologie auf ihre Seite ge­ nommen , und durch sie der religiöse Inhalt immer dünner und leerer gemacht wurde. Diese inhaltsleere Ueberzeugung , die sich fortwährend den Namen Chri­ stenthum beilegt, pocht auf die Einschrumpfung des objectiven Inhalts zum subjec­ tiven , dem Gefühl , und erklärt sich nunmehr aus dem ganz gegen vormals entge­ gengesezten Grunde gegen die Philosophie, aus dem Grunde nämlich , daß die Grundlehren des Christenthums, mit welchen die neue Theologie so eben fertig geworden zu seyn meint, in der Philosophie vielmehr ihre Vertheidigung finden , und daß von daher diesem Gefühlschristenthum die Erhaltung oder Wiedererwek­ kung desjenigen droht, dessen Tod es bereits in Ruhe genießen zu können meint. Unter den Planen , mit denen Solger umging , nennt er I. S . 349 auch die Entwik­ kelung, wie das Christenthum aus rein speculativen Gründen verstanden und zur Einsicht gebracht werden könne. Von dem philosophischen Erkennen ist im Allgemeinen diese wesentliche Be­ stimmung gegeben : »die Idee ist I der positive Inhalt der höheren Erkenntniß, die wahrhafte Einheit der durch den Verstand bloß auf einander bezogenen Stoffe (S . 92 f. ) ; das Organ der Philosophie ist das Denken; sie entsteht daraus, daß das We-

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sen und die innere Einheit unserer Erkenntniß 1hätigkeit ist, Thätigkeit einen Ue­ bergang von Einem zum Andern , und folglich einen Gegensatz in sich schließt; das Erkennen der Gegensätze aber in ihren Beziehungen auf einander, und ihre Aufhe­ bung in die ursprangliche Einheit, worin sie zugleich Gegensätze desselben (des Denkens) mit sich selbst werden , das Denken ist.« Es wird daselbst das Fort­ schreiten des Denkens erwähnt, und seine Einseitigkeilen bemerklich gemacht; zu der höheren Aufgabe aber, dieß Fortschreiten für sich selbst, d . i . die innere Nothwendigkeit im Erkennen zu begreifen , zu der eigentlichen Natur der Dialektik ist Solger nicht fortgegangen . Dagegen spricht er sich über die von der Reflexion ausgehende Nothwendig­ keit des philosophischen Erkennens mit bestimmter Einsicht und nachdrücklich aus. »Unser ganzes Leben ist göttliche Offenbarung, jede Befriedigung durch das Wahre, jeder Genuß am Schönen , jede Beruhigung im Guten kommt uns von die­ sem Wesentlichen , insofern es in dem gegebenen Momente uns gegenwärtig ist; aber dasselbe ist für den bestimmten Moment immer nur das Wesentliche des ge­ gebenen Zustandes, der relativen Verknüpfung, und fällt so selbst unter die Bezie­ hungen der Existenz. Bei diesen relativen Gestalten kann sich das reine Bewußt­ seyn nicht beruhigen ; durch die Philosophie, welche der Glaube selbst ist, aber in seiner Gestalt als Einsicht geJaßt, wenn er in der andern als Erfahrung vorkam , wird die Idee erkannt, wie sie in ALLEN Momenten ihrer Offenbarung dieselbe ist, wie sie durch die Gegensätze, die sie als vollkommene Einheit in sich selbst ent­ hält, sich an die Existenz anzuschließen , und sie in sich aufzunehmen fähig ist.« So kommt die Idee erst in ihrer ganzen Bedeutung zum Bewußtseyn, da sie sonst im­ mer durch besondere Zustände und Beziehungen getrübt ist. Daß in diesen das Be­ wußtseyn sich nicht befriedigt finden kann, darin liegt die Nothwendigkeit, daß es zur Philosophie getrieben wird. Das Philosophiren ist daher keineswegs ein will­ kürliches Unternehmen , sondern ein nothwendiges und unausweichliches. Wer sich nicht entschließen will zu philosophiren , muß dennoch sein Heil darin versuchen , und wird nun getrieben , sich mit einem unglücklichen Ersatze zu begnügen, und dadurch den Glauben selbst zu entwürdigen; II. 1 1 6 ff. I •Der Mensch muß philosophiren, er mag wollen oder nicht (ist es II. S . 1 1 2 ausgedrückt) , und wenn er sich nicht entschließt es auf die rechte wissenschaftliche Weise zu thun, so rächt sich die Philosophie an ihm durch die grundlosesten und verderblichsten Sophiste­ reien. « Mit den falschen Surrogaten für die Philosophie, mit den Ausweichungen und Ausflüchten , sich mit Ersparung des Denkens Befriedigung zu finden , ist Sol­ ger sehr bekannt; er entwickelt diese Irrthümer und bekämpft sie unter allen den vielartigen Gestaltungen , die sie annehmen , mit Wärme und mit gründlicher Ein­ sicht. »Die Frommen (heißt es II. S. 37) , die nur das Wesentliche und Einfache, über welches nicht gedacht zu werden brauche, in der Religion festhalten wollen , haben sich wohl vorzusehen , was dieses Wesentliche sei ; der Glaube ohne Einsicht verliert sich in äußerliche Thatsachen , Wunder und Aberglauben . « Solger macht die Einseitigkeilen des gemeinen Verstandes und der um nichts weniger darin be­ fangenen Orthodoxie und Pietisterei bemerklich (II . S. 37 ff. ) ; er zeigt die Oede, in welche dieser Verstand als Aufklärerei verfallen ist, aus welcher wieder eine an­ dere Scheinphilosophie hervorgegangen ist, das Reich der Ansichten S. 5 8 , das ins­ besondere gut charakterisirt ist als ein Denken , das sich nach jeder Gestalt der Er-

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fahrung, und nach jedem Treiben der Zeit modelt, Theorien, besonders in der Ge­ schichte, indem es doch immer Erinnerung an das Wesentliche bedarf, für den Au­ genblick und für jeden besondern Zweck erfunden ; Niemand glaubt daran , und Je­ der heuchelt sie vor sich und vor Andern. Wie über diese Halbheit des Bewußt­ seyns, mit der sie um die Wahrheit herumgehen , so finden sich S. 1 92 über ein phantasirendes Herumspielen um die Tiefen des menschlichen Gemüths und an­ derwärts über andere Charlatanerien aus gründlicher Erfahrung geschöpfte und mit sicherer Hand gezeichnete ernste Gemälde. Diese Sophistereien erhalten den schwärmerischen Beifall der Menge, weil sie leicht aufzufassen sind , und die Mühe des Denkens unnütz, ja unmöglich machen . S. 193. Die erwähnte Reihe von Briefen läßt sich näher auf die Aufdeckung und Be­ streitung der Mißverstlindnisse über Philosophie und deren Verhliltniß zur Religion ein . So viel Wichtiges und Lehrreiches sie enthalten , so pflegen dergleichen Zu­ rechtweisungen doch nicht so viel Wirkung zu thun , als von ihrem Gehalte zu er­ warten stände; man ist überhaupt der Erklärung der Philosophen müde geworden , daß man sie mißverstanden haben . Die Ver I ständlichkeit im Vortrage abstracter Ideen einerseits, und andererseits das Vermögen, philosophische Gedanken nach­ denken zu können , sind Bedingungen , über welche es wenigstens von langer Hand seyn würde, ins Klare zu kommen. Doch gibt es eine Art von Mißverständnissen , von welchen sich direct fordern läßt, daß sie nicht statt finden sollten, nämlich die Unrichtigkeiten in dem , was das Factische ist. Wenn es zu nichts oder gar nur zu größerer Verwirrung führt, gegen andere Arten von Mißverständnissen zu polemi­ siren , so hat die Philosophie sich wenigstens über die falsche Angabe der 1hatsa­ chen mit Recht zu beschweren , und wenn man näher zusieht, ist diese Art wider Vermuthen die häufigste, und geht zum Theil ins Unglaubliche. Das Hauptinteresse der zweiten Abhandlung ist theils dasjenige Verhältniß , welches in der relativen Art des Erkennens statt findet, daß nämlich das Ewige nur eine Voraussetzung , hiemit aber nur ein abstract Allgemeines sei , so daß die ur­ sprüngliche Identität eine bloße Form der Einheit und Verknüpfung, nicht die giJtt­ liche 1hatsache selbst werden könne; theils aber das wahrhafte Verhältniß dieser göttlichen Thatsache zum Erkennen darzuthun. Diese Thatsache wird nach dem schon Angeführten so bestimmt, daß Gott in unserer Existenz wirklich und gegen­ wärtig sei , sich in uns zur Existenz schaffe, und wir diese Existenz desselben in uns erleben und wahrnehmen müssen . Das wahrhafte Verhältniß dieser Thatsache zum Erkennen soll dieses seyn : indem das Denken sich in seinem Fortgang ab­ schließe, trete in den Vereinigungspunkten , zu denen es seine Gegensätze und rela­ tiven Bestimmungen bringe und aufhebe, die Idee selbst als der ewige Act der Ein­ heit frei hervor, und stelle sich als gegenwärtiges Wesen wieder her; so müsse die Gegenwart Gottes in uns selbst unmittelbar erfahren werden . (S . 1 0 1 .) Indem es aber dem Verf. in der oben angegebenen Absicht »eines Manifestes« nicht darum zu thun ist, die Grundideen zu beweisen , sondern dieselben nur zu ex­ poniren mit der polemischen Rücksicht auf unvollkommene Erkenntnißweisen , so erwächst für den Aufsatz der Nachtheil mehr einer Reihe von wiederholenden Be­ hauptungen und Versicherungen als eine Entwickelung von Gründen zu geben , welche eine Ueberzeugung hervorbringen könnte. Es wird weder an dem Denken selbst die Nothwendigkeit aufgezeigt, daß es sein Reflectiren aufgebe, zum Aufge-

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ben seiner Gegensätze und zur Vereinigung derselben fortgehe, noch weniger die Nothwendigkeit des I Uebergangs von einer gedachten Einheit zur sogenannten göttlichen Thatsache und der wirklichen Erfahrung derselben . Dem Verfasser war es noch zu sehr Angelegenheit, nach Außen seinen Standpunkt eindringlich zu ma­ chen und gegen Ausweichungen zu verwahren , als daß es seiner philosophischen Bildung schon hätte Angelegenheit werden können , die Richtung nach Innen zu nehmen , und unbekümmert um jene äußeren Rücksichten die logische Entwicke­ lung dieser Gedanken zu erreichen, und sich und seine Leser damit ins Klare zu bringen . Es fehlt daher nicht, daß jene Exposition so tiefer Gedanken noch unauf­ geklärte Schwierigkeiten und Widersprüche von Bestimmungen darbietet, welche das Verständniß vielmehr erschweren, als die nicht methodische Art des Vortrags es erleichtern sollte. Die zwei Bestimmungen , auf deren Beziehung Alles gesezt ist, sind , wie ange­ führt, die Entwickelung des Denkens und das Ewige selbst. Die Natur des Wissens ist (S . 1 4 1 ) in die wichtige Bestimmung gefaßt, daß es •der Abschluß und die Vollendung des Denkens ist, und zwar so, daß diese Vollendung niemals durch das Denken allein möglich sei , sondern sie erfordere zugleich , daß die Stoffe des Den­ kens in ihren Gegensätzen AN steH Eins seien; so sei mit einem jeden solchen Ab­ schlusse (eigentlich indem das Denken jene Gegensätze zu ihrer erst an sich seien­ den Einheit zurlickbringt) zugleich eine Wahrnehmung oder Erfahrung dieser we­ sentlichen Einheit des Stoffes verbunden , und es entstehe erst aus beiden Seiten der Erkenntniß das volle Wissen. « Man sieht zunächst, daß das Denken unterschieden wird von seiner Vollendung . Bei der Rücksicht auf die, welche es für Selbsttäu­ schung, Anmaßung, Schwärmerei und dergl. ausgeben , die göttlichen Dinge wis­ sen zu wollen , oder die auch sagen (S . 1 43) , daß der Mensch wohl noch einmal so weit komme, aber noch seien wir nicht dahin gelangt, wird das Verhältniß vom Seyn des Ewigen und vom Wissen so behauptet, daß •im vollen Bewußtseyn das ewige Wesen sich selbst zum Stoffe macht, sich zu Grunde liegt, und vor seiner Aeußerung und Offenbarung voraus besteht; die Art, wie wir dieses sein Vorausbe­ stehen erkennen , ist, was der Glaube genannt wird, die absolut gewisse unmittel­ bare Erkenntniß selbst, auf dem für uns schlechthin Alles beruht; was nun durch den Glauben für uns da ist, die Offenbarung und ihre Verzweigungen in den Ge­ gensätzen der Existenz, können und sollen wir in Wahrheit wissen. « I Diese Gegenwart, Wirklichkeit des Wahren , die Unmöglichkeit, irgend etwas zu wissen und zu thun ohne diese Grundlage und Voraussetzung, ist der eine Fun­ damentalpunkt. Es kann als unbedeutende Abweichung angesehen werden , daß in dem leztem Vortrag die Unmittelbarkeit des Ewigen im Bewußtseyn unterschieden wird von dem Wissen, in dem erstem aber nur von dem Denken, welches damit als das eine nur der beiden Momente des Wissens, wie dieses daselbst bestimmt war, wird . Der andere Fundamentalpunkt aber außer dem Verhältniß der Grundlage und Voraussetzung ist das Auseinanderhalten dessen, was die Erfahrung des Ewi­ gen genannt wird, von diesem Wissen oder dem sich abschließenden Denken . Der Vortrag bleibt in dieser Behauptung bei den Kategorien von Wirklichkeit, Thatsa­ che, Glauben , Erfahrung einerseits, und von Denken andererseits, und bei der As­ sertion ihres wesentlichen Getrenntbleibens stehen, ohne diese Kategorien weiter zu analysiren ; der Eifer, die Behauptung andringtich zu machen , verhindert auf sie

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selbst zurück zu sehen . Die meisten aber, ja alle Streitigkeiten und Widersprüche müssen sich durch das leichtscheinende Mittel ausgleichen lassen , nur dasjenige, was sich im Behaupten ausspricht, vor sich zu nehmen und es einfach zu betrach­ ten , und mit dem Weitem zu vergleichen , was man gleichfalls behauptet. Wissen , was man sagt, ist viel seltener, als man meint, und es ist mit dem allergrößten Un­ recht, daß die Anschuldigung, nicht zu wissen , was man sagt, für die härteste gilt. - Sehen wir hiemit nun die Behauptung Solgers genau an . Zunächst wird vom philosophischen Erkennen immer die richtige und große Besti mmung gegeben , daß es das Denken des Ewigen ist, insofern das Ewige in den Ge l gensätzen seiner Offenbarung als eins und dasselbe enthalten ist (S . 1 24) . Es wird wiederholt als die wahrhafte Weise des Erkennens anerkannt, daß das philosophische Denken die innere Einheit der Erkenntniß als seinen Stoff zerlege, aber daß dieß nur »eine solche Zerlegung sei , durch welche er sich in jedem wah­ ren Verknüpfungspunkte als wahrer, wesentlicher und gegenwärtiger Stoff ist. « (S . 149 und allenthalben .) Wird nun nicht, frage ich , unverkennbar eben in dieser Be­ stimmung die Gegenwart und Wirklichkeit des Ewigen , Göttlichen , der ursprüngli­ chen Einheit selbst angenommen und anerkannt ? Ist die Thatsache des Ewigen und die Lebendigkeit und das Erfahren der Thatsache nicht darin als vorhanden gesezt, daß die Zerlegung der innern Einheit durch das Denken eine solche ist, daß darin diese Einheit zugleich als Unzerlegtes, als Stoff, als ein und dasselbe im Denken gegenwänig bleibt? Was dem Ewigen als Thatsache, Gegenwan oder welche po­ puläre Vorstellungen sonst gebraucht werden , noch insbesondere für eine Unter­ schiedenheil zukommen solle, ist nicht abzusehen ; um so weniger, als Solger eben so häufig genug der Stellung widerspricht, wodurch die ursprüngliche Einheit als zu einer bloßen Allgemeinheit, zu einem in sich Unbestimmten und Abstracten würde; es ist die beständige Behauptung, daß die ursprüngliche Einheit sich offen­ bare, Thätigkeit, sie selbst hiemit ein Uebergehen von Einem zum Andem , in ihr selbst das Zerlegen ist, folglich einen Gegensatz in sich schließt (s. oben) , daß das Ewige hiedurch allein sich an die Existenz anschließt, in ihr gegenwärtig ist u . s . f. Was jenem Glauben , Erfahren des Ewigen , wozu das philosophische Erkennen sich doch außerhalb seiner selbst zum Aufheben seiner fortführen solle, vor der Einheit zukommen solle, in und zu welcher es sich wesentlich innerhalb seiner nach dem Obigen bewegt und fortführt, kann der Sache nach nichts Eigenthümliches und Verschiedenes mehr seyn . Es bleibt dafür nichts als die leere Form der Unmittel­ barkeit, die dem , was Thatsache, Erfahren , Glauben heißt, in I der populären Vor­ stellung ausschließend gegen das Erkennen zukommen soll, als welches nur in Vermittlungen befangen sei . In dieser leztem schlechten Vorstellung aber ist Solger nicht befangen ; ihm ist das philosophische Erkennen selbst ausdrücklich das Auf­ heben der Gegensätze, damit dessen , was nur vermittelst eines Antiern ist, und eben so sehr des nur relativen Erkennens, welches über den Standpunkt des Vermitteins nicht hinauskommt. Die Unmittelbarkeit ist selbst nur Bestimmung eines Gegen­ satzes, die eine Seite desselben ; das wahrhafte Denken , als Aufheben der Gegen­ sätze überhaupt, läßt jene Bestimmung nicht mehr außerhalb seiner für sich beste­ hen ; indem es, als wie angeführt, die Gegensätze in ihrer ursprünglichen Einheit faßt, so hat es eben so in dieser Einheit die Beziehung auf sich, was die Unmittel ­ barkeit ist, in der That immanent in ihm selbst. - Diese Exposition soll es klar ge-

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macht haben , daß es, wie gesagt, nur der einfachen Reflexion auf das, was Solger als die wesentliche Natur des philosophischen Denkens aussagt, bedarf, um darin selbst das, was er davon unterscheiden will , ausgesprochen zu finden . Wenn es nun ferner im Sinne der angenommenen Verschiedenheit der angege­ benen Bestimmungen S . 125 heißt, »daß es eine Erfahrung der Offenbarung d . i . eines göttlichen Daseyns, welches die Existenz sowohl schafft als aufhebt, und eine Philosophie neben einander gibt, das rührt bloß daher, daß wir nicht das Ewige selbst sind ; in ihm ist Beides auf eine uns unbegreifliche Weise dasselbe, « so ist dem Inhalte nach nichts dawider zu haben , daß von der Philosophie eine Mangel­ haftigkeit ausgesagt wird , in der das Anerkenntniß liegt, daß »wir nicht das Ewige sind . « Doch wenn dergleichen gesagt wird , so liegt das Schiefe darin , als ob sich dieß nicht überall von selbst verstände; sonst wäre es überflüssig , dergleichen zu sagen . Wenn auch in dem Erkennen der Offenbarung das Erfahren der Offenbarung selbst enthalten ist, so hätte es darum weit bis dahin , daß »wir das Ewige wären , « sogleich selbst nach Solgers eigener Bestimmung, daß das Offenbaren des Ewigen und das Erfahren der Offenbarung eine bestimmte Existenz ist. Was aber die Unbegreiflichkeil betrifft, so ist dieß gleichfalls eines der vielen ohne allen Begriff ins Wilde hinein gebrauchten Worte. Allerdings ist sie in dem vorhanden , daß das Erfahren eines göttlichen Daseyns immer außerhalb des Er­ kennens verlegt wird; wie gezeigt enthält dieses an ihm selbst das, was ein von ihm Verschie I denes seyn soll. Die Begreiflichkeit und das wirkliche Begreifen aber ist nichts Anderes als eben die angegebene Reflexion , daß in dem Denken des Ewigen als Eines und desselben in den Gegensätzen selbst, die Einheit des Eifahrens und Erkennens enthalten , ja ausgesprochen ist. - Man könnte meinen , daß die Behaup­ tung der Unbegreiflichkeit zurückgenommen sei , durch die Art, wie (S . 1 73 unten und 1 74) das Denken gefaßt ist; daselbst ist bestimmt, daß es das Wesentliche und das Nichtige zugleich vorstellen müsse, was nur möglich sei , wenn es sich gegen beide gleichgültig verhalte, oder sie in ihrem Verhältnisse des Ueberganges denke; diese Gleichgültigkeit sei nicht die der bloßen Form , als welche sich an unendliche verschiedene Stoffe anschließen kann, sondern liege in der vollkommenen Einheit der Stoffe mit einander, und durch ein solches Denken werde unmittelbar der ganze Stoff bestimmt, so daß dieses Denken, welches das Philosophiren ist, mit der Er­ kenntniß durch Offenbaren dasselbe sei . - Man sieht, daß hier dem Denken das Auffassen eben solcher Einheit zugeschrieben ist, welche vorhin das Unbegreifli­ che genannt wurde. - Auf dasselbe führen die im unmittelbar Vorangehenden ge­ gebenen Bestimmungen von unserem Bewußtseyn , wenn sie näher analysirt wer­ den ; das Bewußtseyn bestehe eben darin, daß ein sich selbst Entgegengeseztes sich durch sein Erkennen mit sich selbst verbinde. Indem das Bewußtseyn freilich nicht für ein vollständiges Uebergehen der Natur und des Geistes in einander, wovon dort die Rede ist, anzunehmen ist, es aber ausdrücklich durch sein Erkennen sich mit sich selbst verbindet, so kommt es in ihm zu der Einheit, welche mit dem Er­ fahren zusammenfällt. Die Inconsistenz in der Betrachtung dieser höchsten Gesichtspunkte kommt wie vorhin offenbar daher, daß , was Begreifen , Denken , Erkennen ist, nur auf unbe­ stimmte Weise voraus gesezt, diese Vorstellungen nicht selbst analysirt und erkannt ·

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worden sind. - Dasselbe ist von einem andern Ausdrucke, vom: an und für sich seyn zu bemerken ; in dem Zusammenhange S . 1 7 1 und S . 172 , wo sich die tiefsten Expositionen befinden , ist von dem Ewigen an und für sich, von der Existenz an undfür sich gesprochen , und es zeigt sich sogleich , daß dieß an undfür sich nichts heißt, als das Abstracte, Unwahre; das Ewige sei unserer Erkenntniß an und für sich unerreichbar; - indem dasselbe wesentlich als sich offenbarend , als Thätigkeit gefaßt ist, so bleibt für jenes Ewige ohne Erreichbarkeit für die Erkenntniß d . i . ohne Offenbaren I und Thätigkeit keine concrete, sondern nur die Bestimmung ei­ nes Abstractums übrig . Eben so indem die Existenz an und für sich als nur dasje­ nige bestimmt ist, was das Wesen nicht ist, das Nichts des Wesens, so ist hiemit selbst gesagt, daß nur das Abstracte, Erscheinende, Nichtige mit jenem An und für sich bezeichnet ist, - die Existenz nur allein ohne den Zusammenhang, worin erst ihr An und für sich besteht, genommen . - Darin will ich nicht näher eingehen , daß bald das Ewige als die zu Grunde liegende Thatsache, welche geoffenbart wird , bald die Offenbarung selbst als diese Thatsache erscheint; nur die Analyse dessen , was Thaisache ist, wäre fähig, ihr Verhältniß zum Offenbaren wie zum Wesen und zur Begreiflichkeit wahrhaft zu bestimmen . - Wenn es überdem in Rücksicht auf Erkennbarkeit darum zu thun seyn soll , nicht nur die Unbescheidenheit, sondern auch den Schein derselben zu vermeiden , so wäre es wohl in dieser wie in philoso­ phischer Rücksicht vortheilhaft gewesen , die Ausdrücke von Gottes Existenz in uns, dem Daseyn Gottes als unsere ganze Gegenwart durchdringend u . s . f. wegzu­ lassen ; Gott in unmittelbare Verbindung mit Endlichem zu bringen , führt eine zu große Unangemessenheit mit sich , um nicht auffallend zu seyn. Ob Gott aber sich in uns überhaupt oder auch in unserem Erkennen •zur Existenz bringe, « kann in Rücksicht auf Bescheidenheit eben keinen Unterschied machen . Daß in jenen un­ mittelbaren Verbindungen mit Endlichem Gott nicht in seiner Fülle, sondern in ei­ nem abstractern Verstande genommen ist, gibt sich durch einen andern Uebelstand kund, daß statt Gottes auch die Ausdrücke: das Ewige, das Wahre, das Wesen oder wesentliche Einheit abwechselnd gebraucht werden . Unter Gott aber verstehen wir noch mehr als bloß das Ewige, das Wahre, Wesen u . s . f. Ref. hat geglaubt, die Bemerkungen über den Gebrauch unentwickelter Kate­ gorien darum vervielfältigen zu müssen , weil dieser Gebrauch von selbst bei po­ pulären Darstellungen vorhanden ist, wo er seine Nachtheile hat oder auch nicht hat, je nachdem ein gesunder Sinn und Geist den Gehalt liefert, darin herrschend ist, und über die Kategorien der Reflexion die Oberhand behält. Aber ein Anderes ist es, wenn die Darstellung philosophisch seyn , hiemit auf Denkbestimmung beru­ hen soll . Selbst die Expositionen eines so gründlichen Denkers wie Solger sind der Verführung , Voraussetzungen von Vorstellungen zu machen , und die lezten Kate­ gorien , auf welche es ankommt, nicht zu analysiren , nicht entgangen , und damit I auch nicht den Uebelständen , die daraus erfolgen . Vollends ist bei andern philo­ sophirenden Schriftstellern insbesondere dieß Grundübel , die Kategorien , auf deren Gültigkeit Alles ankommt, wie Unmittelbarkeit, Denken , Erkennen , Vernunft, Be­ greiflichkeit u . s . f. als bekannt vorauszusetzen , durch und durch herrschend; gegen diese Manier gibt es kein Mittel zu einer Verständigung zu gelangen , denn sie ist das Gegentheil davon , ihre Grundbestimmungen verstehen zu wollen ; eben deßwe­ gen ist es selbst nicht möglich , sich mit ihr einzulassen , denn sie läßt nichts zu als

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Assertionen und natürlich nur ihre eigenen , und ist unwissend darüber, daß das, was sie für Gründe gibt, selbst Assertionen sind. Aber bei dieser Darstellung von Solgers höchsten Bestimmungen der Idee und von der höchsten Stufe seiner philosophischen Entwicklung vermißt man etwa die im vorigen Artikel vorläufig berührte Ironie erwähnt zu finden , der man gerade hier, weil sie sonst als das Höchste genannt vorkommt, begegnen , ihren Sinn und Bestimmung exponirt, und gegen Mißverständnisse geläutert finden zu müssen glauben kann. Wie sie gewöhnlich vorkommt, ist sie mehr nur als ein berühmter, vornehm seyn sollender Spuck anzusehen ; in Beziehung auf Solger aber kann sie als ein Princip behandelt werden , und in diesem Sinne wollen wir sie hier noch nä­ her vornehmen . Für diesen Behuf unterscheiden wir das speculative Moment, wel­ ches in einer Seite der Ironie liegt, und sich allerdings in den betrachteten specula­ tiven Bestimmungen findet. So ist es nämlich jene Negativittit überhaupt, die in der Steigerung bis zu ihrer abstracten Spitze die Grundbestimmung der Fichte' schen Philosophie ausmacht; im Ich Ich ist alle Endlichkeit nicht nur, sondern über­ haupt aller Gehalt verschwunden . Der höchste Anfangspunkt für das Problem der Philosophie ist mit dieser Steigerung allerdings in seiner höchsten Reinheit zum Bewußtseyn gebracht worden , von dem Voraussetzungslosen, Allgemeinen aus das Besondere zu entwickeln - einem Princip, das die Möglichkeit dazu enthält, weil es selbst schlechthin der Drang der Entwickelung ist. Aber dieß Princip ist zunächst selbst eine Voraussetzung , und nur in seiner abstracten und darum selbst nicht in seiner wahrhaften nicht einseitigen Reinheit; ein Princip muß auch bewiesen, nicht gefordert werden , daß es aus Anschauung unmittelbarer Gewißheit, innerer Offen­ barung oder wie man es nennen mag, mit Einem Wort auf Treu und Glauben ange­ nommen werde; die Forderung des Beweisens ist aber für die so I vielen und zugleich so einfärbigen sogenannten Philosophien der Zeit etwas Obsoletes gewor­ den . Die Schwierigkeit dabei ist, das Vermitteln des Beweisens mit jener Voraus­ setzungslosigkeit des Allgemeinen in der Idee zu vereinigen. Durch das, was als Beweisen erscheint, wird aber zugleich die Abstraction des Allgemeinen zu einem Concreten bestimmt, worin allein die Möglichkeit der Entwickelung liegt. In der angeführten Form ist jene Negativität nur in der einseitigen , endlichen Affirmation geblieben , welche sie als Ich hat. In dieser nur subjectiven Affirmation ist sie aus der Fichte' schen Philosophie mit Unverständniß des Speculativen und Beiseitset­ zung desselben von Friedr. v. Schlegel aufgenommen , und aus dem Gebiete des Denkens so herausgerissen worden , daß sie direct auf Wirklichkeit gewendet zur Ironie gediehen ist, zum Verneinen der Lebendigkeit der Vernunft und Wahrheit, und zur Herabsetzung derselben zum Schein im Subject und zum Scheinen für An­ dere. Fichte selbst hat die Einseitigkeit seines Princips durch Inconsequenz am Ende verbessert, und damit Sittlichkeit und Wahrheit in ihren Rechten erhalten . Für jene Verkehrung aber hat die unschuldige Sokratische Ironie ihren Namen müssen verkehren lassen ; sie verdiente es um so weniger, hieher gezogen zu wer­ den , da, wenn wir die Seite ganz weglassen , nach welcher sie nur die anmuthige Sophisterei heiterer, wohlwollender Unterredung, der Attischen Urbanität war, in welcher Plato und Anstopbanes diese großen Meister sind, wenn wir sie nach dem Sinne nehmen , in welchem sie dem Sokrates in Beziehung auf seine wissenschaftli­ che Lehrmanier zugeschrieben wird , sie dem Sokrates unrichtigerweise, es sei an=

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geschuldigt oder zum Lobe, zugeschrieben worden zu seyn scheinen kann. Wenn sie vornehmlich darein gesetzt wird, daß Solerates sein Einlassen in Ueberredung mit der Versicherung nichts zu wissen begonnen , und die Andern , Sophisten , Ge­ bildete und wer es sonst war, veranlaßt habe, vielmehr ihre Weisheit und Wissen­ schaft darzulegen , welche dann von ihm durch seine Dialektik in Verwirrung und zur Beschämung gebracht worden sei, so ist dieser Erfolg allerdings bekannt, aber ist zugleich gewöhnlich von der Art, daß er etwas Negatives und ohne ein wissen­ schaftliches Resultat bleibt; so daß die Eigenthümlichkeit und die große Wirkung des Sokrates in der Erregung des Nachdenkens und in der Zurückführung der Menschen in ihr Inneres, auf ihre moralische und intellectuelle Freiheit zu setzen ist. Die Wahrheiten , welche Sokrates nicht eigentlich lehrte, und seine I Schüler von ihm gewannen , daß , was dem Menschen als wahr und richtig gälte, er aus sei­ nem eigenen Innern durch Nachdenken schöpfen und bewähren müsse, beziehen sich ganz allein auf jenes freie Selbstbewußtseyn des Geistes im Allgemeinen. So­ nach muß uns jene als unwahr angesehene Einleitung des Sokrates, daß er versi­ cherte, nichts zu wissen , keine Wissenschaft zu besitzen , vielmehr für ganz ernst von ihm gesagt, für ganz richtig und keineswegs für ironisch gelten ; wir finden sie durch sein wirkliches Lehren und Treiben nicht widerlegt. Wenn nun Solgern die Ironie, nach seinen eigenen Erklärungen , »keineswegs das schnöde Hinwegsetzen über Alles, was den Menschen wesentlich und ernstlich interessirt, über den ganzen Zwiespalt seiner Natur« (II. Bd. S . 5 1 4 in der Rec. über A . W . Schlegels dram . Vor! .), ist, sondern er diesen Sinn derselben sowohl ausdrücklich verwirft, als er sonst allen seinen Grundsätzen zuwider ist, so bleibt zugleich seine Bestimmung nicht ohne die Beimischung von etwas Schiefem , wie ich anderwärts (Grund! . d. Philos. d. Rechts S. 150) schon bemerkt habe, und was sich im Zusammenhang mit den speculativen, oben explicirten Ideen noch in be­ stimmterem Lichte ergibt. Was von der rein abstracten Haltung der besprochenen speculativen Kategorie der Negativität zu unterscheiden ist, ist der Reflex derselben auf das Besondere, auf das Feld , wo Pflichten, Wahrheit, Grundsätze beginnen . In diesem Uebergange ist es, wo die Ironie erscheint. •Die Mystik«, heißt es I. B. S . 689 , •ist, wenn sie nach der Wirklichkeit hinschaut, die Mutter der Ironie, wenn nach der ewigen Welt, das Kind der Begeisterung oder Inspiration . « Wir haben das vorhin gesehen , was ebendaselbst S. 1 1 5 so ausgedrückt ist, daß es •eine unmittel­ bare Gegenwart des Göttlichen ist, die sich eben in dem Verschwinden unserer Wirklichkeit offenbart;« •die Stimmung, welcher dieses unmittelbar in den mensch­ lichen Begebenheiten einleuchte, sei die tragische Ironie. « Das Komische zeige uns eben so •das Beste, ja das Göttliche in der menschlichen Natur, wie es ganz aufge­ gangen ist in dieses Leben der Zerstückelung, der Widersprüche, der Nichtigkeit, und eben deßwegen erholen wir uns daran , weil es uns dadurch vertraut geworden und ganz in unsere Sphäre verpflanzt ist; darum könne und müsse auch das HlJchste und Heiligste, wie es sich beim Menschen gestalte, Gegenstand der KomlJdie seyn , und das Komische führe eben in der Ironie seinerseits wieder seinen Ernst, ja sein Herbes herbei . « Unmittelbar vorher hatte es geheißen , daß •das I HlJchste für unser Handeln nur in begränzter endlicher Gestaltung da sei , daß es deßwegen so nichtig an uns, wie das Geringste, und nothwendig mit uns und unse­ rem nichtigen Sinn untergehe, denn in Wahrheit sei es nur da in Gott, in welchem -

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Untergange es sich denn als GiJttliches verkläre. " Nehmen wir zuerst diese Erhe­ bung und deren Empfindung, welche hier tragische Ironie genannt wird , so ist schon über das Verhältniß der beiden Bestimmungen , die hier in das Verhältniß kommen , wovon die philosophische Erkenntniß vorhin die eine, der Ausgangs­ punkt war, das Nöthige bemerkt worden . Diese Erhebung selbst, für sich , was auch ihr Ausgangspunkt sei , ist nichts Anderes als die Andacht, und wenn es nur um populäre Darstellung zu thun ist, so bedarf es keiner großen Umschweife, um sie anerkennen zu machen . Auch in der Beziehung auf die antike Tragödie dürfen wir den Namen Andacht gebrauchen, indem jene Kunstdarstellung ein Theil und Art des Cultus war; und wie rein und gesteigert die Andacht sei , so ist sie über­ haupt eine Erhebung zu Gott aus der Beschäftigung des Geistes mit den zeitlichen Interessen und Sorgen , und aus dem Unreinen des Gemüths. Aber sie ist nur der Sonntag des Lebens, es folgen die Werktage; aus dem Cabinette des Innern tritt der Mensch zur besondern Gegenwart und Arbeit heraus, und es ist die Frage, wie sieht der Reflex des Göttlichen , das in der Andacht gegenwärtig ist, nun in dieser Welt aus? Daß der Werktag und die Thätigkeit in dieser Welt nur ein Gott-loses Leben sei und seyn könne, von dieser Ansicht ist Solger weit entfernt, seine Theo­ logie ist auch Moral (s. vor. Artikel) , seine Philosophie darum zugleich Weltweis­ heit. Aber in dem angegebenen Zusammenhange erscheint der Reflex des Göttli­ chen in der Welt •das Aufgehen desselben in dieses Leben der Zerstückelung der Nichtigkeit u . s . f. , wodurch das Göttliche uns vertraut und ganz in unsere Sphlire verpflanzt werde, - nur als die komische Ironie, das Höchste und Heiligste als Gegenstand der - KomiJdie. « Ohne in die Zergliederung dieser Art der Gestalt •des Höchsten und Heiligsten« näher eingehen zu wollen , erhellt so viel, daß zwischen der weltlichen Gegenwart dieser Art und zwischen jener Erhebung über das Endli­ che die Mitte fehlt, in welcher das •Höchste und Heiligste«, als Sittlichkeit, Recht, Liebe und in jeder Tugend weltliche Gegenwart hat; wie Solger selbst überall den Staat, das gesammte sittliche Leben als Offenbarung Gottes betrachtet. Hier muß die Affirmation eine ganz andere Bestimmung erhalten als nur die einer I subjecti­ ven , gegen das Concrete negativ beharrenden Affirmation . Wenn die Andacht aus ihrem geistigen Aufenthalt zu der weltlichen Wirklichkeit zurückkehrt, bringt sie die Anerkenntniß von Pflichten , Stärkung und den tüchtigen Ernst zu denselben und zu dem Lebensberufe mit, und hieran , an diesen Früchten , muß sich wesent­ lich erkennen , ob sie selbst wahrhafter, durchdringender Art ist. Andern mag es eingefallen seyn , auch für dieses Gebiet den Standpunkt der Ironie mitzubringen . Wohl müssen auch die sittlichen Gesetze, Handlungen , Gesinnungen u . s . f. in dem Gesichtspunkte des Endlichen betrachtet werden ; •auch das Höchste ist für unser Handeln nur in begränzter endlicher Gestaltung da, « - und die Andacht, obgleich Erhebung in eine höhere Region , ist, wenn sie, wie gesagt, rechter Art ist, weit entfernt, jene Gestaltungen mit der abstracten Kategorie von »Endlichem« nur geringfügig oder verächtlich zu machen , und sich ironisch oder komisch dagegen zu verhalten . Es ist eher komisch , eine bewußtlose Ironie, daß es Solgern in der angeführten Recension von A. W. Schlegels dramatischen Vorlesungen (II . S. 5 14) »sehr auf­ fallend ist, der Ironie, in welcher er den wahren Mittelpunkt der dramatischen Kunst erkenne, so daß sie auch beim philosophischen Dialog (wovon nachher) -

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nicht zu entbehren sei , im ganzen Werke Schlegels nur Einmal erwähnt zu finden; die Ironie sei aber auch das Gegentheil jener Ansicht des Lebens, in welcher Ernst und Scherz, wie Schlegel sie annehme, wurzeln . « Dasselbe ist Solgern begegnet; in den speculativen Expositionen der höchsten Idee, die er in der oben angeführten Abhandlung mit dem ionersten Geistesernste gibt, der Ironie gar nicht zu erwlihnen - sie, welche mit der Begeisterung aufs Innigste vereint, und in welchem Tiefsten Kunst, Religion und Philosophie identisch seien. Gerade dort, hätte man geglaubt, müsse der Ort seyn, wo man ins Klare gesezt finden werde, was es denn mit dem vornehmen Geheimnisse, dem großen Unbekannten - der Ironie - für eine philoso­ phische Bewandtniß habe. Wenn Solger von der Ansicht des Lebens, welche Schlegel annehme, sagt, daß sie das Gegentheil der Ironie sei , so ist es ganz be­ greiflich , daß diese Schlegeln daselbst, wenn er auch früher •annähernde Aeuße­ rungen gethan«, nicht eingefallen ist, so sehr als Solgern bei seinen speculativen und ernsten Expositionen , auch nicht in den weiter in diesem li. Bde. enthaltenen Abhandlungen über die Idee des Staats und der Sittlichkeit, die Kategorie der Iro­ nie nicht eingefallen ist, und wie diese I seine gründlichen Ansichten des Lebens das Gegentheil derselben sind ; wo es sich vom Concreten, Ernsten und Wahren ernst und wahr handelt, bleibt dieses Princip von selbst fern . Bei Tieck, dessen An­ hänglichkeit an die Ironie im vor. Artikel bemerkt worden, sehen wir das Aehnli­ che geschehen . Er gibt ein Paarmal (z.B. in der Novelle: Das Dichterleben) eine mit wahrer Begeisterung geschriebene Schilderung von der Vortrefflichkeit des Drama' s Shakespears: Romeo und Ju/ie; hier, wo philosophische Erörterungen oh­ nehin nicht zu erwarten waren , konnte man hoffen , an einem Beispiel den Punkt bezeichnet zu finden , der die Ironie in dieser Liebe und ihrem herben Schicksale ausmache; aber man findet daselbst der Ironie nicht erwähnt, so wenig als sie sonst Jemand dabei leicht einfallen wird . Wenn wir nun sehen , daß bei Solger die Art von Subjectivität, welche Ironie ist, die höchsten speculativen Principien sowohl als die Grundsätze der concretern Wahrheit ungefährdet läßt, so muß es doch , um der Mangelhaftigkeit der Form in den höchsten Bestimmungen willen , geschehen , daß auf eine andere Weise eine subjective Seite sich hervorthue, was schon aus der Uebersicht des Ganzen der oben angegebenen Momente sich zeigen muß . Die erste Bestimmung ist, daß (li. B. S . 1 14 , 1 75 und sonst) die Gottheit sich unmittelbar zu einer gegenwärtigen Thatsache erschaffe, welcher Moment für uns nur unter den Bestimmungen und Beziehungen der Existenz sei , in der wir befangen sind . Dieses Relative aber soll sich in uns in die Erfahrung und Wirklichkeit Gottes aufheben. Damit ist die All­ gegenwart desselben in allem Endlichen ausgedrückt; aber mit diesem Erfahren­ sollen sind wir zunächst nicht weiter, als was Spinoza ausdrückte, daß Alles sub specie aeterni betrachtet werden müsse; oder ist es ferner dasselbe, was das fromme Gemüth thut, in allen natürlichen Dingen und Veränderungen wie in den Begebenheiten des Kreises der menschlichen Dinge andächtig zu seyn , darin das Höhere, Gottes Finger und Gegenwart anzuerkennen und zu empfinden . Das Un­ bestimmte dieses Verhaltens wird erst durch das Erkennen zu bestimmtem Gehalt. Daß dieser wahr sei , dazu genügt Solgern nicht die nur relative Erkenntnißweise, das sogenannte Erklären aus natürlichen Ursachen , welche an Endlichem fortgeht und im Kreise des Bedingten stehen bleibt, wie auch die Erkenntnißweise nicht,

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welche das Ewige nur zur Voraussetzung und damit zu einem abstracten Allgemei­ nen macht. Solger unter I scheidet diese Erkenntnißweise ferner sehr gut von der philosophischen Erkenntniß, als welche innerhalb ihrer, indem sie den Fortgang der sich bedingenden Bestimmtheiten erkennt, zugleich denkend sie über ihre End­ lichkeit hinausgehen , und ihre ursprangliche Einheit daraus und zwar nothwendig hervorgehen sieht. Indem Solger aber doch von diesem obj ectiven Seyn in der Wahrheit, von dem Erkennen der Gegensätze in der Einheit, und der Einheit in den Gegensätzen das trennt, was er das Erfahren der göttlichen Thatsache nennt, bleibt für dieses doch wieder nur die »subjective Empfindung und Andacht« als eine For­ derung zu machen , und das Erheben zum Bewußtseyn göttlicher Gegenwart auf eine Weise zu bewirken , wie dasselbe auf dem Wege der religiösen Erregung des Gemüths hervorgebracht wird ; - es sei, daß es wesentlich nur in Beziehung auf sich selbst oder auch in der Beziehung auf das Philosophiren hervorgebracht werden solle. Auf solche äußerliche Weise allein kann daher nun Solger dieß Erfahren des Göttlichen zu bewirken suchen , da er nicht erkannt hat, daß es dem philosophi­ schen Erkennen eben so sehr als affirmatives Resultat wie als Grundlage und in der Thätigkeit des Fortgehens immanent ist. In dem lezten Capitel der betrachteten Abhandlung kommt Solger auf die Form des Vortrags zu sprechen , in welcher die Philosophie »ihrer aufgestellten Bedeutung und Bestimmung am besten solle genügen können«, welches die dialogische Form seyn soll, - ein Mißgriff, der ihn seine ganze Laufbahn hindurch verfolgte, den wir ihn , trotz der Erfahrung , dadurch der Wirkung seiner vorgetragenen Ideen vielmehr im Wege zu seyn , hartnäckig behalten und nur Verstimmung daraus ernten sehen . Jene Form hängt ganz mit j ener Bedeutung der Philosophie zusammen , nur außerhalb ihrer selbst die Belebung der Idee in den Subjecten hervorbringen zu können . Wenn der aufgezeigte Hiatus zwischen dem wissenschaftlichen Denken und zwischen der Existenz der Wahrheit im Subject eine Stockung in der Erkenntniß wird , so geht in der an die empirische Menge genommenen Richtung eine Stockung im angelegentliebsten Interesse der Wirksamkeit hervor, und daraus eine falsche Beurtheilung des Publicums und eine Verstimmung in dem Verhältnisse des Verf. zu demselben . Dieser trübere Zug geht durch die ganze Briefsammlung , und fügt sich hervordringend zur Charakterisirung der philosophischen und individuellen Stellung Solgers hinzu . Es gibt Zeiten , in welchen die Religion I als ein öffentlicher von Allen und täglich anerkannter und bezeugter Zustand ist; hier kann es der Philosophie nicht einfallen , diesen festen Boden erst für das Leben und die Wissenschaft erschaffen zu wollen , sondern sie wird gleich daran gehen , den religiösen Inhalt nur der denkenden Vernunft anzueignen und deren eigenthümlichem Bedürfniß gleichfalls Befriedigung zu verschaffen . Andere Zustände aber können so aussehen , als ob Interesse und Glaube an höhere als sinnliche und zeitliche Wahrheit des täglichen Lebens als vertrieben oder verfälscht von der Eitelkeit des Verstandes und der Dumpfheit des Dünkels, angenommen werden, und die Philosophie zunächst das Geschäft haben müßte, nur erst wieder eine Nachfrage und ein reines, nicht lügenhaftes Interesse für übersinnliche Gegenstände, und dann auch für die Philosophie hervorzubringen . Solche trübe Vorstellung von seiner Zeit sehen wir bei Solger in dem Briefwechsel nur zu häufig wiederkehren , und die wenige

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Aufmerksamkeit, mit welcher ihm seine Bemühungen für die Belebung des Sinnes für göttliche Dinge aufgenommen zu werden scheinen , vermehrt die Verstimmung seines Urtheils über das Publicum, das er nur unter dem Bilde sieht, welches er sich aus der nähern oder entferntem Umgebung macht, die sein Umgang berührt. Im J. 1 8 1 5 schreibt er (S . 345) an die Frau v. Gröben : •Diese Art Alles, was nur recht rein und wahrhaft schön ist, herabzusetzen , ist mir sehr wohl bekannt, und es geht mir so übel , daß ich sie oft bei Leuten finde, bei denen man sonst den erhabenen Eifer für das Herrlichste bewundert. - Um in den Augen der jetzigen Welt und selbst der sogenannten Bessern etwas Rechtes zu gelten , muß man wenigstens nach einer Seite recht tüchtig bornirr seyn, irgend einer schwachen Neigung schmeicheln, das Wahre und Gute immer nur in einer verfälschten Gestalt sehen . « - S . 359 an seinen Bruder: •Du glaubst nicht, wie es in unsern Gesell­ schaften, selbst unter Gelehrten , zugeht: man langweilt sich lieber und spricht über die albernsten Dinge, als daß Einer dem Andem seine Gegenmeinung sagt«; vorher hieß es: •sie nehmen sich in Acht, selbst sich über irgend Etwas gründlich zu äußern , weil dabei nothwendig der Schein der Allwissenheit Gefahr läuft.« Zu viel­ fach anderwärts (S . 4 1 0, 42 1 , 462) kommen solche Klagen vor, um nicht zu füh­ len , daß dieser Unmuth mehr als vorübergehende Stimmung ist. Noch aus dem J . 1 8 1 8 (S . 607) lesen wir folgendes Resultat seiner Erfahrungen über seine Bekannt­ schaften : »Ich lebe in dieser großen Stadt fast I wie auf einer wüsten Insel. Selbst derer, die ein beschränktes Privatinteresse bewegt, sind doch nur wenige, Alles Uebrige ist, wo es nicht auf das tägliche Brod und die täglichen Austern geht, ein weiter stehender Sumpf. So sieht es in dieser 'großen ' Zeit aus. - Was dieses Ge­ schlecht etwa noch mag , das sind Müllnerische Rabenstein-Tragödien , - fröm­ melnde gedankenlose Beispielsammlungen darüber, daß es einen Gott gibt u . s . f. Und wenn sie nur durch so etwas hingerissen und erregt würden , so wäre doch noch ein Keim da! Aber nein ! Diese Dinge wirken in Wahrheit so wenig wie un­ sere guten Sachen ; man hat sich willkürlich vorgenommen, daß sie wirken sollen ; es steht ja darüber geschrieben , daß darin vortreffliche tugendhafte Modegesinnun­ gen enthalten seien , diese muß man doch auch haben wollen , und das ist der ein­ zige Grund , warum man sich selbst vorschwazt, davon begeistert zu seyn! So sieht es in dieser 'hoffnungsreichen Zeit' aus. « Bei Gelegenheit, daß S. 686 Solger auf den Ref. zu sprechen kommt, äußert er sich : »Ich war begierig, was H. hier für einen Eindruck machen würde. Es spricht Niemand von ihm. Es durfte nur der dümmste Nachbeter hergekommen seyn , dergleichen sie gar zu gern einen hätten , so würde großer Lärm geschlagen , und die Studenten zu Heil und Rettung ihrer Seelen in seine Collegien gewiesen werden . - Ich mache mir zuweilen den Spaß , recht dummdreist hineinzuplumpen , und das geht um so eher, als sie gar nichts Edles oder Tugendhaftes mehr von mir erwarten ; was mich für mein Gelingen im­ mer am meisten besorgt macht, das ist, daß ich keine neue Narrheit vorzuschlagen habe. « Man kann nicht ohne schmerzliche Empfindung solche Schilderung der bis zum Aeußersten gehenden Verstimmung und des Ueberdrusses an dem Geiste se­ hen , dessen Bild er sich aus seiner Erfahrung gemacht hat. Will man sich freilich an das halten , was in dem öffentlichen Verkehr, in Literaturzeitungen , oder auch auf dem Theater u . s . f. häufig am beliebtesten und am gerühmtesten zu seyn pflegt,

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wird man solche Schilderungen etwa nicht zu grell und solche Empfindungen nicht ungerecht finden . Was es auch mit dem eigenthümlichen Geiste der Stadt, in dessen Anschauung Solger lebte, der für dieselbe immer für auszeichnend gehalten worden ist, für eine Bewandtniß habe, so möchte man Solgern gewünscht haben , daß die Erscheinungen des Umganges und des gesellschaftlichen Treibens und Re­ deos ihn weniger frappirt, und daß er sie von seiner Phantasie und Empfindung mehr ab I gehalten hätte, wenn es freilich nicht angeht, alle Verhältnisse und Be­ gegnungen zu vermeiden , in welchen die Plattheit oder Rohheit solcher Erschei­ nungen sich zuträgt oder plump aufdringt Zur Verminderung der Reizbarkeit da­ gegen aber mußte die Betrachtung beitragen , daß die Weise der äußerlichen Ge­ selligkeit und des literarischen Treibens, das sich am lautesten macht, für sich nicht nur, sondern oft auch in Beziehung auf die Individuen selbst, die sich darin bewe­ gen , eine Oberfläche ist, innerhalb deren sie wohl noch einen nicht erscheinenden Ernst und das Bedürfniß denselben , aber ohne ihn auszustellen oder auszusetzen , unbeschrieen abzumachen und gründlich zu befriedigen , haben können . Wo aber solches Bedürfniß nicht vorhanden , und der ganze Zustand des wissenschaftlichen und überhaupt des geistigen Interesses durch und durch zu einer gleißenden Ober­ fläche geworden, wie Solger solche Anschauung vor sich hat, so ist solche gründli­ che Verflachung ihrem Schicksal , dem Glücke ihrer Eitelkeit, zu überlassen . In­ dem Solger dieses Bild seiner Erfahrung zu mächtig in sich seyn läßt, mußte er das tiefere Bedürfniß, das in seiner und jeder Zeit vorhanden ist, verkennen und sich abhalten lassen , seine Thätigkeit und Arbeit nur nach der Stätte, die derselben würdig ist, zu richten , daselbst seine Wirkung zu suchen und zu erwarten . Er kehrt zwar öfters auch zu heiterem Muthe zurück, wie S . 4 1 3 , wo er darauf, daß vom Erwin •eben fast Niemand Notiz nehme«, sagt: •Wir müssen also uns und den Mu­ sen schreiben , und , nicht zu vergessen, unsem Freunden . « So fängt es auch S. 509 mit einem Ausdruck besserer Ueberzeugung an, nämlich daß die wahre Philosophie nur im Stillen - wirken könne, aber es ist hinzugesezt, im Stillen und gleichsam unbewußt, weil es •immer sehr wenige Menschen gebe, die nur dahin zu bringen seien , daß sie das Einfache und Reine als das Höchste erkennen . Sie wollen Schwung und Pomp und außerordentliche, unerhörte Herrlichkeiten , die sie sich doch nur aus den Lumpen der gemeinen Gegenwart zusammensetzen. • •Darum•, ist dann fortgefahren , •bleibe ich immer dabei , daß sich die Philosophie am besten in ihrer ganzen Wirklichkeit darstellt durch das Gespräch, und daß dieß ihr bestes Mittel bleibe, auf Menschen lebendig zu wirken. « Die zuerst genannte Stille, in welcher die Philosophie gedeihe, hätte eher auf das entgegengesezte Resultat füh­ ren können, bei der Absicht des Wirkens vielmehr jene wenn auch Wenigen im Auge zu haben . Bei jener Stimmung kann es nicht wundem , Solgern sich die Popularität zum wesentlichen Ziele machen zu sehen ; »besonders will ich aber•, heißt es I. B. S . 385 , »der Welt das Hen rühren über Religion; der Himmel helfe mir n u r z u einer recht eindringenden Darstellung , damit ich nicht ganz in den Wind rede•, oder noch im J. 1 8 1 8 (1 . B. S . 593) : »Einen Gedanken hege ich mit großer Liebe - es ist der, einen populären Unterricht über Religion , Staat, Kunst und die allgemeinsten sittlichen Verhältnisse von meiner Philosophie auszuschrei I ben , so daß sich Unge­ lehrte, Weiber und die erwachsene Jugend daraus belehren können . « Was er für so

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das Mittel ansieht, ist in Folgendem (1. B. S. 3 1 6) angegeben : •Ich glaube durch Erfahrung gewiß zu seyn, daß in der heutigen Welt den Menschen ein Blick aufs HOhere noch am ersten durch die Kunst abgelockt wird, und daß sie diese in das Innere der Dinge zuerst hineinzieht. « Wenn es seine Richtigkeit hätte mit solchem Urtheile der Verzweiflung, daß es mit einer Zeit so weit gekommen , um es nur darauf anlegen zu müssen , den Menschen einen Blick aufs HOhere abzulocken, so müßte man noch mehr an den Mitteln dazu , an der Kunst oder Philosophie oder was es sei , verzweifeln. Der Zusammenhang von Denken, Leben, Kunst ist so ge­ dacht (II. S. 620) : »Ich möchte gern das Denken wieder ganz ins Leben aufgehen lassen ; - daher kam es, daß ich mir die künstlerische dialogische Form gleich als mein Ziel hinstellte, - fast glaube ich nun , daß ich Etwas unternom men habe, was die Zeit nicht will und mag . Man will nicht leben, sondern vom Leben schwatzen; hat doch Keiner, der in unserer Zeit etwas recht Lebendiges leisten wollte, wie Novalis, Kleist u . s.w. durchkommen können ! « - Es ist oben gezeigt, daß Solger die eigenthümliche Lebendigkeit, welche die Natur der denkenden Idee in ihr selbst enthält, mißkannt hat, welche schon Anstoteies so tief und innig als die höchste Lebendigkeit faßte. Dieser Alte sagt (Metaph . XI. 7) : Die Thätigkeit des Denkens ist Leben ; Gott aber ist die Thätigkeit; die für sich selbst seiende Thätigkeit aber ist dessen vollkommenes und ewiges Leben . - Wenn aber von dem künstlerischen Be­ wußtseyn des •recht Lebendigen« die Rede seyn, und ein Moderner und Deutscher als Exempel angeführt werden sollte, und nicht Goethe etwa, der wohl das •recht Lebendige« geleistet, und auch hat »durchkommen« können , angeführt ist, sondern Novalist sondern Kleist! - so würde man hieraus inne, daß nur ein durch reflecti­ rendes Denken vielmehr in sich entzweit bleibendes, sich selbst störendes Leben gemeint ist. Denn was sich als die Individualität von Novalis zeigt, ist, daß das Be­ dürfniß des Denkens diese schö.ne Seele nur bis zur Sehnsucht getrieben , und den abstracten Verstand weder zu überwinden , noch ihm auch zu entsagen vermocht hat. Dieser ist dem edlen Jüngling vielmehr so ins Herz geschlagen, mit solcher Treue kann man sagen , daß die transcendente Sehnsucht, diese Schwindsucht des Geistes, sich durch die Leiblichkeit durchgeführt, und dieser consequent ihr Ge­ schick bestimmt hat. - Die in der Entzweiung bleibende Reflexion der Kleistischen Productionen ist oben berührt worden; bei aller Lebendigkeit der Gestaltungen , der Charaktere und Situationen mangelt es in dem substantiellen Gehalt, der in lezter Instanz entscheidet, und die Lebendigkeit wird eine Energie der Zerrissenheit und zwar einer absichtlich sich hervorbringenden , der das Leben zerstörenden und zer­ stören wollenden Ironie. I Schon aus dem I . 1 800 ist aus Solgers Tagebuche eine Stelle (S . 1 5) gegeben , worin er den Vorsatz ausspricht, ein Buch in Dialogen zu schreiben , und noch un­ ter seinem Nachlasse (im 2ten Bd . dieser Sammlung) findet sich ein speculativer Aufsatz in derselben verfaßt. Man kann nicht in Abrede seyn wollen, daß sich der Platonischen Meisterschaft im Dialog nicht in jetzigen Zeiten noch würdig nachei­ fern und damit große Wirkung und Anerkenntniß hervorbringen lassen möge. Doch protestirt Solger ausdrücklich dagegen , daß er Plato habe nachahmen wollen ; aber die Nachahmung einer Methode kann doch nichts Anderes heißen , als was an ihr zweckmäßig und richtig ist ausüben . Allein Solger hat die plastische Form , welche der Dialog allein durch die Eigenschaft, die Dialektik zur Seele zu haben , gewin-

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nen kann , nicht aufgenommen, sondern ihn in das Gegentheil, in die Gonversalion verändert, wodurch aller Vortheil dieser Form für abstracte Materien , die strenge Nothwendigkeit des Fortgangs mit einer äußerlichen Belebung begleitet, verloren gegangen , und nur der Nachtheil, ermattende Breite des Vortrags, ein lästiger Ue­ berfluß, die Gestalt der Zufälligkeit des Vorgetragenen , die Störung oder Unmög­ lichkeit, den Faden des Raisonnements festzuhalten und zu übersehen , hereinge­ bracht worden ist. Der eine der Freunde hält (1. Bd . S. 353) die Gespräche des Erwin für schwer. »Sie müssen schlechterdings, durch welche Mittel es sei , die künftigen verständlicher machen . « Ein Anderer sagt ihm noch spät (S . 74 1 ) in auch sonst nicht heiterem Zusammenhange: »Bis jezt verstehe ich noch das Straßburger Münster besser als deinen Erwin . « Das beste Mittel , den Inhalt Erwins verständli­ cher zu machen , wäre die schlichte Exposition in zusammenhängendem I Vortrag gewesen ; die Gedanken des ersten Theils, der sich mit Widerlegung früherer Defi­ nitionen und Standpunkte, das Schöne zu betrachten, beschäftigt, ließen sich wohl auf wenigen Blättern deutlich und bestimmt vortragen : so würde leicht zu fassen seyn , was mit der schweren Mühe des Durchlesens der Gespräche kaum erreicht wird. Der erstere der Freunde äußert in demselben Zusammenhang, um Solgern die Bemühung um Verständlichkeit näher ans Herz zu legen: »Nicht Platons Par­ menides, Euthydem (?) , Timäos haben seinen Ruf hauptsächlich gegründet, nicht durch diese schweren Dialogen hat er weit verbreitet gewirkt, nicht darum den Beinamen des Göttlichen erhalten , nicht mit dem mühsam zu Ergründenden die Seele erneuet und wiedergeboren ; weit mehr durch den Phädon , das Gastmahl und die bei der großen Tiefe so sehr verständliche Republik.« Für eine hievon abwei­ chende Ansicht möchte ich mich auch auf die Geschichte berufen , daß nämlich Plato 's Lehre, wie sie im Parmenides und Timtius vornehmlich vorgetragen ist, zu Ecksteinen der Alexandrinischen Philosophie geworden , welche der Ausbildung des höheren christlichen Lehrbegriffs, insofern er die Erkenntniß von der Natur Gottes enthält, wesentlichen Vorschub gethan hat. Das Schwere jener Dialogen, durch welche Plato diesen großen Einfluß gehabt, liegt in der Natur des tiefen Ge­ halts; aber dieser allein ist es, der in die Erleuchtung des Christenthums eingedrun­ gen, und darin sich so mächtig bewiesen hat; die Art, wie er in jenen Dialogen vorgetragen ist, ist ihm angemessen; er ist die abstracteste, strengste, von aller Conversations-Manier am entferntesten . - Wir haben in modernen Sprachen Mei­ sterwerke des dialogischen Vortrags (man braucht nur auf Gagliani ' s Dialoge, Di­ derot, Cousin und Rameau zu verweisen) ; aber hier ist die Form gleichfalls der Sa­ che untergeordnet, nichts Müßiges; die Sache ist aber kein speculativer Inhalt, son­ dern eine solche, welche ganz wohl ihrer Natur nach Gegenstand der Conversation seyn kann. In jener I plastischen Form Plato 's behält Einer der Unterredenden den Faden des Fortgangs in der Hand , so daß aller Inhalt in die Fragen , und in das Antworten nur das formelle Zustimmen fällt; der Belehrende bleibt leitender Mei­ ster, und gibt nicht Auskunft auf Fragen , die man ihm machte, oder Antworten auf vorgebrachte Einwendungen . Die Stellung ist die umgekehrte der Vorstellung, die man sich von der Socratischen Methode, wie man auch die Einrichtung des Kate­ chismus nennt, etwa macht; nicht der Unwissende frägt, und die Person des Dia­ logs außer jenem Einen und zwar Fragenden benehmen sich nicht mit der Selbst­ ständigkeit, die das Recht einer der herüber und hinüber gehenden Conversation

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gäbe, seine besonderen Ansichten , Ueberzeugungen mit Gründen zu behaupten , die entgegengesezten Ansichten zu widerlegen oder aus deren Gründen für sich Vor­ tbeile zu suchen . Solches Verfahren des Raisonnements, welches wohl in der Con­ versation vorherrschend seyn darf, ist von den Alten Sophistik genannt worden . An der von Platon ihr entgegengesezten Dialektik ist jene Form des Dialogs ein Aeu­ ßerliches, welches nur die Lebendigkeit herbeibringt, die Aufmerksamkeit nicht bloß auf das Resultat oder die Totalvorstellung zu richten , sondern zur Zustim­ mung für jede Einzelheit des Fortgangs aufgeregt zu werden . Die episodische An­ muth , welche mit dieser Form gleichfalls herbeigeführt wird , ist nur zu oft zu ver­ führerisch , als daß nicht Viele bei den Einleitungen stehen bleiben , bei der aber so sehr damit contrastirenden Trockenheit der logischen Abstractionen und der Ent­ wickelung derselben ermattend, nicht in diese hineingehen , und doch meinen , den Plato gelesen und seine Philosophie inne zu haben . Jenes Verhältniß aber, damit das Zustimmen nicht etwas Kahles u nd ein lahmer Formalismus sei , führt die Nöthigung mit sich , daß jede einzelne Bestimmung und Satz einfach und im streng­ sten Zusammenhange exponirt sei . Solche plastische Form des Fortgangs ist aber nur möglich durch die bis zum Einfachsten durchgedrungene Analyse der Begriffe. Nach dieser wesentlichen Bestimmung speculativen Vortrags ist Aristoteles in sei­ nen Entwickelungen eben so plastisch , so daß , wenn man den gediegenem Dialo­ gen Plato ' s die Form des Fragens benehmen und die Sätze in directer Elocution an einander reihte, man eben so sehr Aristotelische Schriften zu lesen glauben würde, als man Aristotelische Schriften oder Kapitel durch Verwandlung der Reihenfolge von Sätzen in die Form von I Fragen zu Abschnitten Platonischer Dialogen würde machen können . Ich begnüge mich mit diesen allgemeinen Bemerkungen über den Dialog; es würde tediös seyn , sie mit Beispielen aus dem in diesem Nachlasse enthaltenen philosophischen Gespräche zu belegen , oder dafür zu Erwin und den im J. 1 8 1 7 von Solgern herausgegebenen philosophischen Gesprächen zurückzugehen. Von jenem Dialoge: über Seyn, Nichtseyn und Erkennen (II . Bd . S . 199-262) mag nur angeführt werden , daß sich darin, wie schon aus dem Titel erhellt, Solgers philo­ sophische Laufbahn zur Erhebung in die Betrachtung reiner speculativer Gegen­ stände vollendet. Bei diesem Versuch tritt außer dem Störenden der Conversations­ Form gleichfalls der früher bemerkte Uebelstand ein , daß die Abstractionen von Seyn und Nichtseyn mit den concreteren Bestimmungen , wie Erkennen ist, ver­ mischt sind ; die Hauptsätze sind solche unangemessene Verbindungen , wie die, daß das Nichtseyn das Erkennen sei, das Erkennen ein Nichtseyn des ins Unendli­ che besondem Seyns, damit aber auch das Allgemeine, u . s . f. Sonst aber ist der all­ gemeine Begriff der Evolution der Idee, daß sie in jedem Punkte ein Synthesiren , Rückkehr zu sich ist, wie überhaupt der speculative Charakter des Begriffs darin herrschend. Solger scheut nicht, die Einheit von Seyn und Nichtseyn auszu­ sprechen ; es kommt vor, daß das Erkennen mit dem Seyn vollkommen Eins, nur daß das Eine das ist, was das Andere nicht ist; S. 224 , daß das Allgemeine und das Besondere nothwendig vollkommen Eins ist, da eben das Allgemeine nichts An­ deres ist als das Nichtseyn des gesammten Besondem (S . 245). Man sieht es, an der speculativen Kühnheit, den Widerspruch zu denken , der nach der traditionellen Logik nicht denkbar und wohl noch weniger existirend seyn soll, fehlte es nicht, so

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wie nicht an der speculativen Einsicht, daß die Idee wesentlich den Widerspruch enthält. Nur ist dieser in den angeführten Ausdrückungen in seiner ganzen Schroff­ heit festgehalten , so daß er wie ein Bleibendes erscheint, und nicht sein eben so unmittelbar wesentliches Verschwinden damit verknüpft ist, was seine Auflösung ist, und ihn zugleich der Vorstellung, wie dem Denken , erträglich macht. Aber auch jene schroffen Ausdrücke des Widerspruchs sind für sich wichtig, damit, wenn man vom Auflösen des Widerspruchs und dem Versöhnen des Denkens aus und in demselben mit sich sprechen hört, man von der Vorstellung entfernt werde, als I ob solches Auflösen und Versöhnen , und irgend ein Affirmatives, Vernunft und Wahrheit überhaupt, ohne die Immanenz des Widerspruchs statt haben könne. Zu dem Umfange der philosophischen Meditationen Solgers muß noch die Philosophie des Rechts und Staats angeführt werden , über welche im zweiten Bande drei früher ungedruckte Aufsätze gegeben sind, obgleich sie aphoristisch und zum Theil nicht vollendet, wohl zunächst zum Leitfaden seiner Vorlesungen über diese Materie dienen sollten , so läßt sich daraus die Tiefe der Gedanken satt­ sam erkennen , und die gründliche Ansicht ist bestimmt genug gezeichnet, um sie sowohl nach der allgemeinen Idee als nach den besandem Kategorien , die über Recht, Staat, Verfassung in Betracht kommen , vor dem ganz auszuzeichnen , was über diese Materien die laufenden Principien sind . Ref. hat sich gefreut, bei Durchlesung dieser Aufsätze sich so gut als in Allem übereinstimmend mit ihrem Inhalte zu finden . Es folgen noch einige ungedruckte Aufsätze und an des Königs Geburtstag ge­ haltene Reden , darunter eine Lateinische. Solgers Fertigkeit in gerundeter, klarer und zugleich gedankenvoller Diction gibt diesen Aufsätzen einen besandem Werth . Man muß es den Herausgebern Dank wissen , daß sie die gehaltvolle Vorrede Sol­ gers zu seiner Uebersetzung des Sophokles, und die in den Wiener Jahrb . erschie­ nene, eben so gewichtige, mehr noch in dem , was hin und wieder darin ausgeführt ist, als in den Widerlegungen interessante Beurtheilung der A. W. Schlegelsehen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur hier haben abdrucken lassen . Den Beschluß machen Aufsätze aus dem Gebiete des geistvollen classischen Studi­ ums, welchem sowohl für sich als in Beziehung auf Philosophie Solger seine Nei­ gung und Arbeitsamkeit früh zugewandt und seine ganze Laufbahn hindurch erhal­ ten hat. Die mythologischen Ansichten sind ein Aufsatz, der von Hm. Prof. Mal/er in Göttingen aus Solgers Heften und handschriftlichen Sammlungen redigirt ist, und so reichhaltig er ist, doch nur wenig von dem enthalten konnte, worauf Solger es angelegt und vielfache Vorbereitungen gemacht hatte. Eine von Solgern selbst ausgearbeitete Abhandlung: Ueber die älteste Ansicht der Griechen von der Gestalt der Welt geht Vossens bekannten Aufsatz über diesen Gegenstand durch , wo es sich zeigt, wie dieser leidenschaftliche Polterer bei seinem Pochen auf Historie und Ge­ nauigkeit der Daten es sich zugestand, seine an und für sich kahlen Vorstellungen mit selbstgemachten I Erdichtungen auszustatten . Die vielen von Solger für die Geschichte der Religionen aus der Leetüre und der Meditation gesammelten Mate­ rialien waren für eine umfassende Arbeit über diesen Gegenstand bestimmt; sein Interesse greift tief in die verschiedenen streitigen Ansichten und Behandlungswei­ sen der Mythologie in neueren Zeiten ein ; Briefe aus den lezten Monaten seines Lebens (s. I. Bd . ) , in denen er mit seinem Freunde v. Hagen etwas scharf zusam-

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mentrifft, betreffen noch diesen Gegenstand; doch unter dem Reichthume und der Mannigfaltigkeit der Materien hat dieses, wie noch viel Anderes, seinem allgemei­ nen Inhalte oder auch der Persönlichkeit nach Interessantes, wie die reiner und zarter Empfindungen vollen Briefe an seine Gattin in dieser Anzeige müssen über­ gangen werden , welche von dem , was hier aus dem familiären Kreise der persönli­ chen Bekanntschaft durch den Druck vor das Publicum gebracht, und so der Beur­ theilung ausgestellt worden , nur dasjenige hat aufnehmen sollen , was nicht sowohl die persönliche, mit welcher auch Ref. noch in Berührung zu kommen die Befrie­ digung gehabt hat, als die wissenschaftliche Individualität näher zu bezeichnen die­ nen konnte. Hege/.

QUELLENNACHWEIS

ZWISCHEN ANTIKE, ÜRIENT UND KIRCHE W. v. Humboldt: Über das Studium des Alterthums, und des Griechischen insbe­ sondre (1793) Aus: Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Abt. 1 : Werke. Hrsg . von Albert Leitzmann. Berlin 1903 . Bd. 1 , 255-281 Fr. Schlegel: Ueber das Studium der Griechischen Poesie ( 1 795/ 1796) Aus: Friedeich Schlegel: Die Griechen und Römer. Historische und kritische Ver­ suche über das Klassische Alterthum. Bd . I . Neustrelitz 1797, 1-250 Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796/97) Originalbeitrag

Fr. Schlegel: Gespräch über die Poesie (1 800) Aus: Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedeich Schlegel. Dritten Bandes erstes Stück. Berlin 1 800, 58-128; Dritten Bandes Zwei­ tes Stück. Berlin 1800, 169- 187 A.W. Schlegel: Der Bund der Kirche mit den Künsten (1 800) Aus: Gedichte von August Wilhelm Schlegel. Tübingen 1 800, 143-156 Schelling : Über Dante in philosophischer Beziehung

Aus: Kritisches Journal der Philosophie herausgegeben von Fr. Wilh . Joseph Schelling und Ge. Wilhelm Fr. Regel. Zweyten Bandes drittes Stück. Tübingen

1 803 , 35-50 Fr. Schlegel: Gemäldebeschreibungen aus der •Europa« (1803- 1 805) Aus: Europa. Eine Zeitschrift. Hrsg. von Friedeich Schlegel. Bd. 1 , Stück 1 , Frankfurt am Main 1803 , 108- 157; Bd . 1, Stück 2, 3-19; Bd . 2, Stück 1, 96- 1 16; Bd . 2 , Stück 2, Frankfurt am Main 1805 , 1-4 1 , 109-145

ZUR THEORIE DES ROMANS W. v. Humboldt: Jacobi-Rezension (1794) Aus: Allgemeine Literatur-Zeitung. Jena und Leipzig , 26. -27 . 9 . 1794 , Nr. 3 153 17 , Sp. 801-807, 809-8 16, 817-82 1

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Quellennachweis

Jacobi an Humboldt, 2 . September 1794 Aus: Friedrich Heinrich Jacobi ' s auserlesener Briefwechsel. In zwei Bänden . [Hrsg . von Friedrich Roth. ] Bd. 2 . Leipzig 1 827, 173- 1 8 1 Fr. Schlegel: Rezension von Jakobi ' s Woldemar nach der Ausgabe von 1796 (1 797) Aus: Charakteristiken und Kritiken. Von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Bd. 1 . Königsberg 1 80 1 , 3-46 W. v. Humboldt an Jacobi, 23 . Januar 1797. Auszug Aus: Briefe von Wilhelm von Humboldt an Friedrich Heinrich Jacobi. Hrsg . und erläutert von Albert Leitzmann. Halle 1 892, 53-58 Novalis: [Über Goethe] ( 1 798) Aus: Novalis: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Bd . 2. Das philo­ sophische Werk I. Hrsg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans­ Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Revidiert von Richard Samuel und Hans­ Joachim Mähl. Darmstadt 198 1 , 640-642 Fr. Schlegel: Über Goethe' s Meister (1798) Aus: Athenäum I, Heft 2. Berlin 1 798, 147- 178 Solger: Über die Wahlverwandtschaften ( 1 809) Aus: Solger ' s nachgelassene Schriften und Briefwechsel. Hrsg. von Ludwig Tieck und Friedrich von Raumer. Bd. 1 . Leipzig 1 826, 175- 1 85 Eckermann: Gespräche mit Goethe, 2 1 . Januar 1 827 (Auszug) Aus: J.P. Eckermann : Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. von H.H. Houben. Wiesbaden 1957, 166f

ABSOLUTE ÄsTHETIK UND MIMESIS Schelling: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (1 802/03) . Nachschrift Henry Crabb Robinson Revidierte Fassung der Erstedition durch Ernst Behler: Schellings Ästhetik in der Überlieferung von Henry Crabb Robinson . In: Philosophisches Jahrbuch 83 ( 1 976) , 153-178 A.W. Schlegel: Über das Verhältniß der schönen Kunst zur Natur; über Täuschung und Wahrscheinlichkeit; über Styl und Manier ( 1 808) Aus: Prometheus. Eine Zeitschrift. Hrsg. von Leo von Seckendorf. Heft 5/6. Wien 1 808, 1 -28 Schelling: Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur. Eine Rede zur Feier des 12ten Oktobers als des allerhöchsten Namensfestes Seiner Königlichen

Quellennachweis

445

Majestät von Baiern gehalten in der öffentlichen Versammlung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München (1 807) Aus: F. W. I. Schelling ' s philosophische Schriften. Bd. 1 . Landshut 1 809 , 34 1-

396 Solger: Etwas über das Verhältniß des Ideals zur Nachahmung der Natur in der Kunst ( 1 8 10) Aus: Pantheon. Eine Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst. Hrsg . von J . G . Bü­ sching und K.L. Kanne. Bd. 2, Heft 2 (18 10) , 395-4 15. Abdruck nach : Wolfhart Henckmann: •Etwas über das Verhältnis des Ideals zur Nachahmung der Natur in der Kunst«. Ein Aufsatz Solgers zur Auseinandersetzung mit Schelling. In: Jahr­ buch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 16 (1972) , 409-452 (Solgers Abhandlung:

44 1-452) ROCKBLICK AUF DIE FRÜHE ROMANTIK Goethe: Epoche der forcirten Talente ( 1 8 12) Aus: Goethes Werke. Hrsg . im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1907. Abt. I, Bd. 42, T. 2, 442-443 [Meyer: ] Neu-deutsche religios-patriotische Kunst (18 17) Aus: Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein- und Mayn-Gegenden. Von Goethe. Zweytes Heft. Stuttgard 1 8 17, 7-62, Anmerkungen: 133- 1 62. Hegel: Solger-Rezension ( 1 828) Aus: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik (1828) , Nr. 5 1 /52; 53/54; 105/106; 107/ 108; 109/ 1 10, Sp. 403-428, 838-870

PERSONENVERZEICHNIS

Dieses Verzeichnis erfaßt nur historische Personen. Namen von Herausgebern und Übersetzern werden jedoch nicht verzeichnet, ebensowenig Personennamen, die Bestandteil von Verlagsnamen oder von Buchtiteln sind .

Achen , Johann van 226 Adelung , Johann Christoph 10 Aischylos 62 , 64-66, 79 , 82f, 86, 104f, 356 Aisop 261 Alexander der Große 332 Alkamenes 373 Alkman 104 Allegri, Antonio s. Correggio Allori, Christofano 1 89 , 199 Altdorfer, Albrecht 2 1 6 , 230, 384 , 397 Anna, Königin von Großbritannien und Irland 106 Apelles 32 1 f Apollodor 3 8 Apollonius 57 Archilochos 104, 106 Ariosto, Ludovico 82, 108, 124, 126 64 , 70, 77, 86, 95 , Aristophanes 1 04f, 149 , 43 1 Aristote1es 66, 87, 89, 150, 245 , 250, 253 , 329 , 333 , 438, 440 Attila 323 106 Augustus, Gaius Iulius Caesar Baader, Franz Xaver von 4 1 6 Bandinelli, Bartolommeo 198 158, Bartho1omeo di Pagholo, Fra 1 60 , 1 94 Baumgarten, Alexander Gottlieb 94 Beaulieu-Marconnay, Karl von 6 Bellini, Giovanni 155, 1 58f, 1 6 1 , 178, 183, 1 89f, 193 , 3 83f, 397

Boccaccio, Giovanni 107, 1 27f, 1 5 1 Bodmer, Johann Jakob 228 , 383 Böckh, August 1 0 Böhme, Jacob 1 2 1 , 1 86, 4 15f Boiardo, Matteo Maria 108 Boileau-Despreaux , Nicolas 252 , 332 Boisserre, Melchior 394 Boisserre, Su1piz 394 Bonaparte, Lucien 1 86, 1 89 , 206f, 2 1 2 , 224 Bordone, Paris 198, 223 Borghese Paolo, Principe di Aldobrandini 383 Boydell, John 383 Bramante, Donato 198 Bronzino (Angio1o di Cosimo) 392, 402 Brucker, Jakob 1 1 Brueghel, Jan 390 Brutus, Marcus Iunius 66, 87 Bürger, Gottfried August 95 , 27 1 , 379 Buffalmacco, Buonamico Christofani 385 , 399 Buonarotti, Michelangelo 1 73 , 1 8 1 , 1 83 , 1 85 , 1 89 , 200, 208 , 2 1 3 , 222f, 320f, 325 , 358, 3 64 , 366, 40 1 Bury, Friedrich 384, 397 338 , Calder6n de Ia Barca, Pedro 4 1 1 , 418 Canova, Antonio 382, 396 Carracci (Malerfamilie) 155, 157, 1 80, 193, 366, 384, 397

Personenverzeichnis

Carravaggio, Michelangelo 199 Carstens, Asmus Jacob 385 , 398 Cartesius s. Descartes, Rene Casaubonus, Isaak 8 Catel, Franz 40 1 Catullus, Gaius Valerius 106 Cervantes Saavedra, Miguel de 108f, 1 1 8 , 124 , 127f, 134f Chodowiecki, Daniel Nikolaus 38 1 , 396 Cimabue (Cenni di Pepo) 365 , 389, 399 , 40 1 Coninxloo, Gillis van 2 19f Conradin, Herzog von Schwaben 3 83 Comelius, Peter 390f, 402 Correggio (Antonio Allegri) 1 26f, 156- 1 5 8 , 160f, 1 63- 169, 1 74f, 1 82- 1 85 , 1 87, 193 , 195 , 206, 223 , 320f, 358, 365 , 387f, 397, 400 Cousin, Victor 439 Coypel, Antoine 3 8 1 , 396 Cranach, Lucas 384, 394 , 397 Dalberg, Karl von 3, 6, 8, 10f, 1 3 Dante Alighieri 32, 107f, 1 17 , 122, 128, 135, 147- 152, 159, 1 84, 207. 407. 409 Daßdorf, Karl Wilhelm 345 Demokrit 88, 406 Denner, Balthasar 333 Descartes, Rene 205 Diderot, Denis 124, 126, 332, 439 Diodorus Siculus 19 Diogenes Laertius 406 Dionysius von Halicarnassus 88 Dohm, Christian Wilhelm von 25 1 f Domenichino (Domenico Zampieri) 156f, 1 87 , 200, 224, 402 Dryden, John 102 Dürer, Albrecht 1 75-177 , 1 85f, 1 88 , 193� 204-206, 2 10, 2 1 2 , 2 17 , 2 1 9-223 , 225-227, 229 , 23 1 , 362 , 384� 387, 39Q-392 , 398, 400f

Dyk, Anthonis van

447

226

Eckart (Meister Eckart) 406 Empedokles 105f Engelbrechtsen, Comelis 2 19f Emesti, Johann August 7 Eschenbach, Wolfram von 228 Euripides 70, 75 , 77, 105 Eyck, Jan van 176f, 2 1 5f, 2 19, 22 1f, 226-228

Fattore s. Penni, Giovanni Francesco Fenelon, Fran�is de Salignac de Ia Mothe 252 Feodor, Iwanowitsch 385 , 398 Ferguson, Adam 257 Femow, Kar1 Ludwig 384f, 398 Fezele, Martin 2 1 7 9 1 , 253 , Fichte, Johann Gottlieb 405 , 4 1 5 , 4 1 9 , 43 1 Fielding, Henry 1 23 , 1 29 Fiorillo , Johann Dominik 1 89 , 199, 365 Flaxman, John 382, 397 Fleming, Paul 1 1 1 Friedrich, Caspar David 388, 39 1 f, 40 1 Füeßli, Johann Heinrich 3 82f, 397 Fürstenberg, Franz von 25 1 Gaddi (Künstlerfamilie) 385 , 399 Galiani, Abbe Ferdinando 439 Gallitzin, Amalie Fürstin von 25 1 Garofalo da (Benvenuto Tisio) 173, 198, 383f, 397 Genoveva von Brabant 389 Gherardesca, Ugolino della 149 Ghiberti, Lorenzo 385 Gibbon, Edward 129 Giorgione (Giorgio da Castelfranco) 397 Giotto di Bondone 360, 365 , 3 85 , 389, 392 , 399 , 40 1 Giovanni da Fiesoie (Fra Angelico) 383f, 397

448

Personenverzeichnis

Goethe, Johann Wolfgang von 26, 38, 44f, 70, 95 , l lOf, 130, 1 33135, 253 , 27 1 , 275f, 294f, 297, 329 , 372 , 385 , 389, 407, 4 1 1 , 4 1 7f, 438 Goltzius, Hendrik 392 , 402 Gozzi, Carlo 1 10, 1 33 Gräter, Friedrich David 10 Greuze, Jean-Baptiste 38 1 , 396 Gröben, Henriette Emilie von der (Schwiegermutter Solgers) 436 Guarini, Giovanni Battista 108, 1 84 Hackert, Jakob Philipp 384, 397 Hagen, Friedrich Heinrich von der 294 , 44 1 Hamann, Johann Georg 363 , 4 1 6 Hami1ton, Gavin 382, 396 Hardenberg, Friedrich von s. Novalis Hartmann, Ferdinand August 389, 40 1 f Heemskerck, Maarten van 2 1 9 Hege1, Georg Wilhelm Friedrich 422 , 436 Heliodoros 109 , 370 Hemmelingk s. Memling Hemsterhuis, Franz 37, 267 Herder, Johann Gottfried 94 Herodot 10, 1 9 , 370 Hesiod 19 Heynatz, Johann Friedrich 10 Heyne, Christian Gottlob 20 , 253 Hiller, Gottlieb 406, 4 1 2 Hirt, A1oys Ludwig 383 Hoffmann, Ernst Theodus Amadeus 408 Hoffmann, Joseph 225 Hogarth, Wi1liam 323 Ho1bein, Hans, der Jüngere 160, 1 7 1 f, 175-177 , 2 15f, 220f, 226f, 230, 384, 387, 397 Holberg, Ludvig 407 6, 19 , 54-56, 60, 64 , 66, Homer 70, 8 1 f, 84-86, 103f, 1 17 , 148, 214, 260, 268 , 27 1 , 29 1 , 372f, 382, 4 1 6

Horaz, Quintus Horatius Flaccus 8 7 , 8 9 , 104, 1 06 Humboldt, Wilhelm von 25 1 Hummel, Johann Erdmann 401 Hurd , Richard 87

8,

Jabach, Familie 225 Jacobi, Friedrich Heinrich 235 , 25 1 , 253 , 255f, 260f, 263-273 , 363 Jesus von Nazareth 323 , 326f, 383 , 399 Kallimachus 75 Kant, Immanuel 9 1 , 94 , 252 , 379 , 384 Karl der Große 3 89 Kaufmann, Angelika 382, 396 Kinesias 77 Kleist, Heinrich von 402 , 4 10, 438 Klopstock, Friedrich Gottlieb 84 , 94 Körte, Alfred 3 Konstantin I. , Kaiser von Byzanz 326 Kotzebue, August von 4 1 3 Krause, Georg Melchior 38 1 , 396 Krause, Justizrath (Freund So1gers) 29 1 f, 405 Küge1gen, Franz Gerhard von 389, 40 1 Lafontaine, August Heinrich Julius 123 Largilliere, Nicolas de 38 1 , 396 Laura (Geliebte Petrarcas) 107, 128 Lavater, Johann Kaspar 383 Le Brun , Charles 209 Le Sueur, Eustache 209 Leibniz, Gottfried Wi1helm von 267, 3 1 6 Lenoir, Marie Alexandre 209 Leonardo da Vinci 1 60 , 1 63 , 1 68172, 1 83- 1 89 , 193� 198, 206, 2 1 3 , 2 1 9 , 230f, 32 1 , 352, 358, 383, 398, 400

Personenverzeichnis

Lessing, Gotthold Ephraim 1 1 , 78, 94 , 1 3 3 , 267, 363 Lips, Johann Heinrich 383, 397 Livius, Titus 4 1 1 106 Ludwig XIV. von Frankreich Luini, Bernardino 170 Lukas van Leyden (Lucas Jacobsz) 220f, 385 ' 399 Lukian von Samosata 322 Lukrez, Titus Lucretius Carus 1 06 Luther, Martin 206 , 389, 40 1 Lysippos 374 Lyversberg, Jakob Johann 220, 228, 394 Macpherson, James ( Ossian) 6, 204 Maecenas, Gaius 1 06 Mantegna, Andrea 1 58f, 1 83- 1 85, 193 , 383f,. 397 Maria (Mutter Jesu) 327, 399 Maria Magdalena 322f Maron, Anton von 382 , 396 Martialis, Marcus Valerius Martialis 106 Masaccio (Guidi da Castel San Giovanni, Tommaso) 173 , 183, 383f, 397 Massys, Quentin 22 1 , 386, 400 Max 1. , Joseph, König von Bayern 34 1 f, 359, 362 Medici Cosmus 365 Memling, Hans 1 80, 1 82 , 193, 195, 2 1 2 , 22 1 , 227 Menander 95 Mengs, Anton Raphael 1 80, 1 82, 193, 1 95 , 227, 320, 366, 382, 392, 396 Mimnermos 75 Moller, Georg 394 Moritz, Karl Phitipp 334 Müller, Adam Heinrich 402 Müller, Johannes 84 Müller, Karl Otfried 44 1 Müllner, Adolf 436 =

Murillo, Bartholomc5 Estc5ban 197 Myron 373

449

1 87f,

Näcke, Gustav Heinrich 389, 402 Nahl, Johann August, der Jüngere 402 Niebuhr, Barthold Georg 4 1 2 Novalis 408 , 438 Oeser, Adam Friedrich 38 1 , 396 Öttingen-Wallerstein, Karl Kraft Lud­ wig , Fürst zu 394 Orcagna (Andrea di Cione) 385, 399 Orley, Bernart van 2 1 9f Ossian s. Macpherson, James Otfried 10 Overbeck, Johann Friedrich 390f, 402 Ovid (Publius Ovidius Naso) 1 86, 214 1 62 , 2 1 9 , Palma Vecch io, Jacopo 223 Parrhasios 214, 32 1 Paulus (Apostel) 326 Pausanias 389, 405 Penni, Giovanni Francesco 190, 198 Perikles 361 Perugino (Pietro Vannucci) 155f, 158, 178f, 1 83- 1 85 , 1 89 , 194, 208 , 32 1 , 360, 383, 398 Pestalozzi, Johann Heinrich 4 1 2 Petrarca, Francesco 107, 1 2 6 , 1 84 Petrus (Apostel) 326 Pforr, Franz 389, 402 Phädrus 33 1 Pheidias 2 1 4 , 373 , 385 Philetas von Kos 75 Philoxenos von Kythera 1 05 Pindar 36, 64, 66, 86, 95 , 1 04f Pinturicchio (Bernardino Betti) 383, 397 Piombo, Sebastiano del 200 Pirkheimer, Willibald 223

4SO

Personenverzeichnis

Platon 1 3 , 80, 88, 1 1 1 , 1 2 1 , 133, 150, 240, 267, 327, 335 , 405 , 4 14-4 1 6, 43 1 , 438-440 Plautus, Titus Maccius 75 Plinius (Gaius Plinius Caecilius Secundus, der Jüngere) 374 Plutarch 250, 257 Polygnot 389 Polykleitos 64, 373 Pontius Pilatus 330 Pope, Alexander 2 1 , 102 Poussin , Nicolas 1 80, 209 , 366 Pratinas 82 Praxiteles 374 Properz (Sextus Propertius) 75 , 106 Ptolemäus 150 Pulci, Luigi 8 1 Pythagoras 3 1 6, 3 1 8 Quandt, Johann Gottlob von 394 Quintilianus, Marcus Fabius 89 Racine, Jean-Baptiste 94, 209 Rameau, Jean Fran�is 439 Raphael (Raffaelo Santi) 126f, 155, 1 57f, 1 6 1 f, 170- 176, 178- 1 86, 188, 190, 193, 197, 199f, 206209 , 2 1 3 , 2 1 9 , 22 1 -223 , 225 , 227, 230, 32 1 , 323 , 325 , 333 , 352 , 358-360, 364, 366, 383 , 385 , 387, 399 , 401 Raumer, Friedrich von 10, 403 , 4 1 3 Reid, Thomas 256 Reinhart, Johann Christian 402 Rembrandt, Harmensz van Rhyn 43, 224 Reni, Guido 156f, 19 1 , 200, 224 , 359, 384, 397 Retzsch, Friedrich August Moritz 389f, 402 Ribera, Jusepe 1 97, 396 Ricciardetto 8 1 Richardson, Samuel 1 29 Richter, Jean Paul Friedrich 123 , 125 Riepenhausen, Christian Johannes 389, 40 1

Riepenhausen, Ernst Ludwig 389 Riepenhausen, Friedrich Franz 389, 40 1 Rigaud, Hyacinthe 38 1 , 396 Robinson, Henry Crabb 301 Romano (di Piero) , Giulio 155 , 157, 159, 1 62 , 1 73 , 1 83- 1 85, 197f, 22 1 , 387, 40 1 Rousseau, Jean-Jacques 129 Rubens, Peter Paul 208, 22 1 , 224 , 226 388, 39 1 , Runge, Philipp Otto 40 1 Ruscheweyh, Ferdinand 390, 402 Sabatini, Andrea 197 Saint-Martin, Louis Claude de 4 1 6 Salerno, Andrea da s. Sabatini Salmasius, Claudius 8 Salviati (Francesco di Michelangelo de Rossi) 392 , 402 Sand, Karl Ludwig 4 1 3 Sanzio, Raphael 397 Sappho 75 , 104f, 4 1 2 Sarto, Andrea del 157, 162, 1 66, 1 89 , 196f, 199, 223 , 387, 40 1 Scaliger, Julius Caesar 8 Schadow, Friedrich Wilhelm 390 Schelling, Carl 404 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 334, 404f, 4 1 5 Schiller, Friedrich 3 , 7, 9 , 1 2 , 14f, 83, 94f, 27 1 , 379 , 389, 406 Schlegel, August Wilhelm 27 1 , 379 , 386, 400, 409 , 4 1 1 � 432-434, 44 1 Schlegel, Friedrich 27 1 -273 , 363 , 379, 387f, 4 1 8f, 43 1 , 434 Schlosser, Friedrich Christoph 272 Schön s. Schongauer, Martin Schönau (Schenau) s. Zeißig, Johann Eleazar Schongauer, Martin 384, 397 Schoreel, Corcie 2 1 9 Scorel, Jan van 2 1 9 Sergel, Johann Tobias 382, 396

Personenverzeichnis

Shakespeare, William 6, 35 , 38-40, 44f, 66, 102, 108f, 1 1 8 , 124, 1 27� 1 33-135, 1 86, 23 1 , 265 , 285 , 338, 382f, 400, 407f, 4 1 1 f, 4 1 6-4 1 8 , 434 Skopas 373 S mith, Adam 102 Sokrates 37, 63 , 70, 205 , 264, 414, 43 l f, 439 Solario, Andrea 170, 1 89 Solger, August Adolf Ludwig 404 , 436 Solger, Henriette Charlotte Johanna Franziska 442 Solger, Johann Ernst 404 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 297f, 403-406, 408-4 10, 4 124 1 4 , 4 17-420, 422-425 , 42844 1 Sophokles 64-67, 7 1 , 79 , 86, 104f, 297, 356, 404� 4 1 6, 44 1 Sophron 82 Spagnoletto s. Ribera, Jusepe Spinoza, Baruch (Benedict de) 52, 1 17- 122, 264, 267, 363 , 434 Spranger, Bartholomäus 392, 402 Sterne, Laurence 124f Stolberg, Friedeich Leopold Graf zu 252 Sulzer, Johann Georg 94 Swift, Jonathan 124 Tacitus, Publius Comelius Tacitus 1 1 1 , 369 Tasso, Bemardo 1 97 Tasso, Torquato 8 1 , 126, 1 84 Tauler, Johannes 4 1 6 75 Terenz, Publius Terentius Afer Thersites 352 Thukydides 19, 369 Tieck, Johann Ludwig 109, 297, 3 85� 389, 398, 403 , 409-4 1 1 , 4 1 4-420, 434 Timoleon 63 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm, der Ältere 38 1 , 396

45 1

Tischbein, Wilhelm, der Jüngere 383, 397 Tiziano Vecelli 157, 1 60f, 1 7 l f, 1 8 1 , 1 83f, 1 86, 1 89, 193, 209 , 2 1 3 , 32 1 , 387, 397, 401 Trippel, Alexander 382, 396 Ugolino s. Gherardesca Unterberger, Christoph

382, 396

Vanloo, Charles Andre 38 1 , 396 Vamhagen von Ense, Karl August 7 Vasari, Giorgio 397 Vega, Lope de 1 10 Velazquez, Diego Rodriguez de Silva y 1 87 Vergil (Publius Vergilius Maro) 8 1 , 87 Verocchio, Andrea 398 Veronese, Paolo 1 6 1 , 1 89 Visconti, Ennio Quirino 156 Vogel, Georg Ludwig 390, 402 Voltaire (Fran�is-Marie Arouet) 94 Voß, Johann Heinrich 20, 84, 1 1 3 , 372 , 379, 44 1 Wächter, Georg Friedeich Eberhard 384, 402 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 385f, 398, 400 Wallerstein s. Öttingen-Wallerstein Wallraf, Ferdinand Franz 226, 229 , 394 Walzel, Oskar 1 8 Watteau, Jean Antoine 386, 400 Weckherlin, Georg 1 1 1 Weckherlin, Rudo1ph 1 1 1 Wedgewood, Josiah 275 Wieland, Christoph Mactin 20, 8 l f, 94f, 4 1 1 Winckelmann, Johann Joachim 11, 95 , 1 10, 122, 224 , 325 , 337, 339, 344f, 350, 352 , 356, 363f, 366, 369, 373 , 382, 392 Wolf, Friedeich August 3, 7, 9, 17, 19f, 404

Personenveneichnis

452

Xenophon

19

Zeißig, Johann Eleazar Zeuxis 375

38 1 , 396

ZUM INHALT VON »FRÜHER IDEALISMUS UND FRÜHROMANTIK« (Philosophisch-literarische Streitsachen 1 , Textband)

Walter Jaeschke Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Jaeschke Ä sthetische Revolution . Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

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Gunter Scholtz Der Weg zum Kunstsystem des Deutschen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

Comelia Klinger Ä sthetik als Philosophie - Ä sthetik als Kunsttheorie

30

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Ulrich Stadler System und Systemlosigkeit. Bemerkungen zu einer Darstellungsform im Umkreis idealistischer Philosophie und frühromantischer Literatur . . . . . . .

52

Claus-Artur Scheier Die Frühromantik als Kultur der Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Bemhard Lypp Poetische Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

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Ernst Hehler Grundlagen der Ä sthetik in Friedrich Schlegels frühen Schriften

1 12

Heinz Gockel Zur neuen Mythologie der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

Christoph Jamme »Ist denn Judäa der Tuiskonen Vaterland?« Die Mythos-Auffassung des jungen Hegel (1787- 1 807)

1 37

Götz Müller Jean Pauls Ä sthetik im Kontext der Frühromantik und des deutschen Idealismus

159

Klaus Harnmacher Jacobis Romantheorie

174

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. . . . . . . . . . 0 • • 0 • • • • • • • • • • 0 • • • • • • 0 • • • • • • • • • • • • • • • o . 0 • • • 0 • • •

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Thomas Lehnerer Kunst und Bildung - zu Schleiermachers Reden über die Religion

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1 90

454

Zum

Inhalt Textband 1

Wilhelm G. Jacobs Geschichte und Kunst in Schellings •System des transseendentalen Idealismus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

Wolfhart Henclanann Symbolische und allegorische Kunst bei K.W.F. Solger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214

Hartwig Schultz Der Umgang der Brentano-Geschwister (Clemens und Bettine) mit der frühromantischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 1

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 1

Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269