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German Pages 466 Year 1995
Philosophie und Literatur im Vormärz Quellenband
Philosophisch-literarische Streitsachen IIerausgegeben von Walter Jaeschke Band 4.1
Philosophie und Literatur im Vormärz Der Streit um die Romantik (1820-1854) Quellenband flerausgegeben von Walter Jaeschke
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
F ELI X M EI N E R V E R L AG
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1001-2 ISBN eBook: 978-3-7873-2672-3
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INHALT
Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Christliche Religion - Religion der Freiheit Schlegel: Signatur des Zeitalters (1820-1823) ......................................
3
Reine: Englische Fragmente. XI. Die Befreyung (1828) . . . . ... . . . . . . .. . .........
91
Hege!: Rede bei der dritten Säkularfeier der Übergabe der Augsburgischen Konfession (den 25. Juni 1830) ..............................
96
Immermann: Chiliastische Sonette (1832) . ... . .. . .. . . .. . . . ............ ... . . . . . . ....
104
Romantik im Vormärz v. Eichendorff: [Politischer Brief] ( 1831) ......................................... _ 109 Feuerbach: Stahl-Rezension (1835) . . . .. . . . ... ... . ... . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .
118
Gutzkow: Vorrede [zu Schleiermachers Vertrauten Briefen über die Lucinde] (1835) . . . . . ... . .. . . ..... ..... .. . ..... .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
Conversations-Saal und Geister-Revüe. Vorwort des Herausgebers und Auszüge aus Reine: Zur Geschichte der neuem schönen Literatur in Deutschland (1837) . . . . ....... .. ... .. . . ... . ... . ... . ... ... . . . . . .......... .. . . . . . . . . . .
141
Echtermeyer und Ruge: Der Protestantismus und die Romantik. Zur Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze. Ein Manifest (1839-1840) .....
192
[v. Eichendorff:] Zur Geschichte der neuem romantischen Poesie in Deutschland (1846) ................................................. ................
326
v. Eichendorff: 1848 ............................................................ .......
355
Bürgerliche Resignation - Christliche Contrarevolution Fichte: Zur philosophischen Verständigung über die politischen Fragen der Gegenwart (1848) . .. . .. ... . . .. . .... ... . . ..... .. . . . ... . . . . . . .. . . . . . . . . .. . .
361
VI
Inhalt
Ullmann: Theologie, Theologen und Geistliche zu dieser Zeit. Vorwort zum Jahrgange 1849 ........................................................
402
Fichte, Ulrici und Wirth: Vorwort [zum Jahrgang 1852 der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik] ............................................................
416
Stahl: Was ist die Revolution? Ein Vortrag, auf Veranstaltung des Evangelischen Vereins für kirchliche Zwecke am 8. März 1852 gehalten . ... ........ ... . . ...... ....... .. . .. . . ... . . . . . . . . ... . . . . . . .. .
422
Stahl: Vorrede zur dritten Auflage [des zweiten Bandes der Philosophie des Rechts] ..... ... . . .. ... . . . . . .. . . . . ........
433
Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VORWORT
Das Projekt •Philosophisch-literarische Streitsachen« verbindet die Interpretation zentraler Probleme aus den Zeiten der Genese und des Endes des Deutschen Idealismus - enthalten in den Textbänden - mit der Edition wichtiger Quellen zu dem jeweiligen Themenkreis. Die Quellenbände sollen nicht nur Materialien leicht zugänglich machen; sie sollen einem Mangel entgegenwirken, der sich aus der heute üblichen und auch nicht zu revidierenden Editionspraxis unvermeidlich ergibt: Die autorzentrierte Präsentation von Texten durchschneidet die gedanklichen Zusammenhänge, denen die Werke entstammen, die heute in der Regel als isolierte oder in ihrem engeren entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang studiert werden - obgleich die Kenntnis der gedanklichen und geschichtlichen Umstände ihrer Genese zumeist eine unverzichtbare Bedingung ihres Verständnisses bildet. Bereits durch die Edition soll hier das gedankliche Umfeld der Texte abgesteckt werden -sowohl solcher, die in die bekannten Ausgaben philosophischer Klassiker eingegangen sind, als auch solcher, die in der heutigen Diskussion nicht so präsent sind, wie es im Interesse der Philosophie wünschenswert wäre - sei es auch nur deshalb, weil die betreffenden Autoren heute vorzugsweise in anderen Disziplinen betreut werden. - Diese Überlegungen sind näher ausgeführt im Vorwort des Herausgebers zum zweiten Quellenband - Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807)1; sie sollen hier nicht wiederholt werden. Im Vorwort zum Referatband ist dargelegt worden, daß und warum die Thematik des vierten Symposiums erheblich weiter gesteckt war als die der drei vorangegangenen. Dies hatte gravierende Gestaltungsprobleme für die Konzeption des Quellenbandes zur Folge. Es wäre müßig, hier aufzählen zu wollen, welche einschlägigen Texte, ja Gruppen von Texten nicht in den Quellenband aufgenommen werden konnten. Statt dessen seien hier die Grundlinien verdeutlicht, nach denen die Zusammenstellung gerade dieser Materialien vorgenommen worden ist. Einen zentralen Punkt des Streites um Literatur, Philosophie und Politik im Vormärz bilden die Auseinandersetzungen um die Romantik: um ihren Kunstcharakter und um ihre politische Funktion. Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes stehen deshalb drei Texte, die für diesen Streit um die Romantik paradigmatisch sind. Den ersten bilden Passagen aus Heines Zur Geschichte der neuem schönen Literatur in Deutschland, die später in seine Romantische Schule eingegangen sind. Sie werden hier in der wenig bekannten Auswahl und Textgestalt dargeboten, in der Heinrich Eberhard Gottlob Paulus sie in seinem •Panorama« ConversationsSaal und Geister-Revae veröffentlicht hat. Durch seine Kürzungen wie auch durch seine eingeschobenen Bemerkungen hat Paulus den polemischen Charakter von Heines Texten noch verschärft. Den zweiten zentralen Text bildet Echtermeyers und Ruges •Manifest« Der Protestantismus und die Romantik aus den Hallischen I Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd.2.l. Hamburg 1993.
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Vmwort des Herausgebers
Jahrbüchern - ein Werk, das, gemeinsam mit Reines Romamischer Schule, das
Urteil über die Romantik bis in die neuere Zeit nachhaltig geprägt hat. Eigentümlich bleibt es, daß Echtermeyer und Ruge an keiner Stelle ihres »Manifests« auf Reines RomalUische Schule Bezug nehmen, obgleich doch ihr Urteil nicht allein über mehrere einzelne Gestalten, sondern über die Romantik als Epoche wenig unterschieden von Reines Sicht ist. Den dritten zentralen Text schließlich bildet Eichendorffs in den Historisch-politischen Bltittem des Görres-Kreises anonym erschienener Beitrag ,.zur Geschichte der neuern romantischen Poesie in Deutschland«. Man kann ihn als eine unmittelbare Antwort auf die im Namen des Protestantismus vorgetragene Kritik an der Romantik verstehen. Solcher Kritik setzt Eichendorff die von der Romantik beschworene •stille, schlichte, allmächtige Gewalt der Wahrheit und unbefleckten Schönheit« entgegen, die "religiös begeisterte Anschauung und Betrachtung der Welt und der menschlichen Dinge, wo aller Zwiespalt verschwindet, und Moral, Schönheit, Tugend und Poesie Eins werdenSelbst das Gewissen, fährt er fort, diese sinn- und welterzeugende Macht, dieser Keim aller Persönlichkeit, erscheint mir wie der Geist des Weltgedichts, wie der Zufall der ewigen, romantischen Zusammenkunft des unendlich veränderlichen Gesammtlebens,« und deutlicher li. 171: »das ächte Märchen muß zugleich prophetische Darstellung, idealische Darstellung, absolut nothwendige Darstellung sein. Der ächte Märchendichter ist ein Seher der Zukunft.« Zu alledem der Schlüssel aber ist die Rede des Grafen von Hohenzollern im ersten Theil des•s Ofterdingen, S. 80: »Wenn ich alles recht bedenke, so scheint es mir, als wenn ein Geschiehtschreiber nothwendig auch ein Dichter sein müßte, denn nur die Dichter mögen sich auf jene Kunst, Begebenheiten geschickt zu verknüpfen, verstehen. In ihren Erzählungen und Fabeln habe ich mit stillem Vergnügen ihr zartes Gefühl für den geheimnißvollen Geist des Lebens bemerkt. Es ist mehr Wahrheit in ihren Märchen, als in gelehrten Chroniken. Sind auch ihre Personen und deren Schicksale erfunden, so ist doch der Sinn, in dem sie erfunden sind, wahrhaft und natürlich. Es ist für unsern Genuß und unsre Belehrung einerlei, ob die Personen, in deren Schicksalen wir den unsrigen na~hspüren, wirklich einmal lebten, oder nicht. Wir verlangen nach der Anschauung der großen, einfachen Seele der Zeiterscheinungen, und finden I wir diesen Wunsch gewährt, so kümmern wir uns wenig um die zufällige Existenz ihrer äußern Figuren.« So unterscheidet Novalis im Allgemeinen vortrefflich den Geist und seine absolute Geschichte von der äußeren Geschichte, die gegen den wahren Kern ganz gleichgiltig angesehen werden müsse; aber von der Reformation kann er zunächst keine andere Idee fassen, als daß sie der Zustand religiöser Anarchie sei, weil sie keine unabhängige Priesterregierung duldet. I, 195 heißt es: •Der Religionsfriede wurde nach ganz fehlerhaften Grundsätzen abgeschlossen, und durch die Fonsetzung des sogenannten Protestantismus etwas durchaus Widersprechendes - eine Revolutionsregierung permanent erklän. Indeß 15 des] der
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Echtermeyer und Ruge: Protestantismus und Romantik
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liegt dem Protestantismus bei Weitem nicht bloß jener reine Begriff zu Grunde, sondern Luther behandelte das Christenthum überhaupt willkürlich, verkannte seinen Geist (!), und führte einen andem Buchstaben und eine andere Religion ein, nämlich die heilige Allgemeingiltigkeit der Bibel. Dem religiösen Sinn war diese Wahl höchst verderblich, da nichts seine Irritabilität so sehr vernichtet, wie der Buchstabe. Im ehemaligen Zustande hatte dieser bei dem großen Umfange, der Geschmeidigkeit und dem reichhaltigen Stoff des katholischen Glaubens, so wie der Esoterisirung der Bibel und der heiligen Gewalt der Concilien und des geistlichen Oberhauptes, nie so schädlich werden können; jetzt aber wurden diese Gegenmittel vernichtet, die absolute Popularität der Bibel behauptet, und nun drückte der dürftige Inhalt, der rohe, abstracte Entwurf der Religion in diesen Büchern (wie kühn und wie rücksichtslos!) desto merklicher, und erschwerte dem heiligen Geiste die freie Belebung, Eindringung und Offenbarung unendlich. Daher zeigt uns auch die Geschichte des Protestantismus keine herrlichen, großen Erscheinungen des Ueberirdischen mehr, nur sein Anfang glänzt durch ein vorübergehendes Feuer des Himmels, bald nachher ist schon die Vertrocknung des heiligen Sinnes bemerklich, das Weltliche hat die Oberhand gewonnen, der Kunstsinn leidet sympathetisch mit, nur selten, daß hie und da ein gediegener Lebensfunke hervorbricht, und eine kleine Gemeinde sich assimilirt. So Zinzendoifund Jacob Böhme. Die Moderatisten behalten die Oberhand und die Zeit nähert sich einer gänzlichen Atonie der höheren Organe, der Periode des praktischen Unglaubens. Mit der Reformation war's um die Christenheit gethan. « Da haben wir die Consequenz. An ihren Früchten prüfen sie sich selbst. Ja! Die Sehnsucht nach dem trüben Duft eines heiligen Sinnes, der die Weltlichkeit als unbezwinglichen Gegner behandelt, und »das freche Licht« des neuen Tageslebens nicht gern sieht, steigert sich sogar bis zum Lobe der Jesuiten, dieser klugen Aerzte des alterskranken geistlichen Regiments, »deren I Pläne nur darum fehlschlugen, weil sie nicht auf alle Anlagen des ganzen Geschlechts angelegt waren.« Hier kommt nun dennoch die Nothwendigkeit der Reformation als »Mündigkeit der Zeit« heraus; aber das bringt nur neues Unglück. »Der Gelehrte ist gegen die Geistlichen, das Wissen gegen den Glauben, die Philosophie gegen die Religion; ja der Religionshaß dehnt sich auf alle Gegenstände des Enthusiasmus aus und verketzert Phantasie, Gefühl, Sittlichkeit, Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit,« versichert Novalis' Klagelied, nur »Ein Enthusiasmus wird großmüthig den armen Menschen übrig gelassen, der Enthusiasmus für die Philosophie;« und Frankreich hat das Glück, der Schooß und Sitz dieses neuen Glaubens zu sein. Das ist dieselbe beschränkte einseitige Weise, die jetzt von allen Scheinheiligen in die Ohren der edlen Ritter gesungen wird, um den Protestantismus und die Staatsfreiheit an das unfreie Princip des altdeutschen Glaubens und Lebens zu verrathen. Vernünftiger fahrt er dann fort: »Die staatsumwälzenden Zeiten, ganz in die Weltlichkeit versenkt, wälzen den Stein des Sisyphus, weil der Staat nach der Erde weist; aber eben sie knüpfen den Menschen durch hlJhere Sehnsucht an die HiJhen des Himmels. Die Anarchie ist das Zeugungselement der Religion.« Ein großes Bewußtsein, dessen Wahrheit der Gedanke ist: keine Freiheit sei eine befriedigende, als alein die in der absoluten Region des reinen Geistes selbst errungene. Und nun prophezeiht er den germanisch-romanischen Völkern mit dem Frieden den Aufgang »eines neuen höheren Lebens,« während bei den Deutschen selbst
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Romantik im Vormärz
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die Spuren der neuen Welt schon mit voller Gewißheit aufzuzeigen seien. Was er aber von der neuen Welt sieht und prophezeiht, das ist nur er selbst und diese noch mythisch und mystisch eingehüllte tiefere Freiheit, die er reizend also schildert (1, 203): ·Eine Vielseitigkeit ohne Gleichen, eine wunderbare Tiefe, eine glänzende Politur, vielumfassende Kenntnisse und eine reiche, kräftige Phantasie findet man hie und da, und oft kühn gepaart. Eine gewaltige Ahnung der schöpferischen Willkür, der Grenzenlosigkeit, der unendlichen Mannigfaltigkeit, der heiligen Eigenthümlichkeit und der Allfähigkeit der inneren Menschheit scheint überall rege zu werden. Aus dem Morgentraume der unbehilflichen Kindheit erwacht, übt ein Theil des Geschlechts seine ersten Kräfte an Schlangen, die seine Wiege umschlingen und den Gebrauch seiner Gliedmaßen ihm benehmen wollen. Noch sind alles nur Andeutungen, unzusammenhängend und roh, aber sie verrathen I dem historischen Auge eine universelle Individualität, eine neue Geschichte, eine neue Menschheit, die süßeste Umarmung einer jungen überraschten Kirche und eines liebenden Gottes, und das innigste Empfangniß eines neuen Messias in tausend Gliedern zugleich. Wer fühlt sich nicht mit süßer Scham guter Hoffnung? Das Neugeborne wird das Abbild seines Vaters, eine goldene Zeit mit dunklen unendlichen Augen, eine prophetische wunderthätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit sein, - eine große Versöhnungszeit, ein Heiland, der wie ein ächter Genius unter den Menschen einheimisch, nur geglaubt, nicht gesehen werden, und unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brod und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geathmet, als Wort und Gesang vernommen, und mit himmlischer Wollust, als Tod, unter den höchsten Schmerzen der Liebe, in das Innere des verbrausenden Leibes aufgenommen wird.« So sehr geht ihm die neue Zeit zu Herzen, so sehr ist sie in alle seine Nerven verwachsen, daß er mit wollüstiger Spannung ihre Wehen fühlt und darin erstirbt. Das Selbstge.fiihl, welches sich zur Wollust steigert, und die Freiheit, welche bis zum Exceß Welt und Geschichte vor ihren Phantasieen niederwiift - Beides wirft sich nun aber weg an »die Wiederkunft der Hierarchie," an eine fremde, vergangene Objectivität, an eine starre äußerliche Nothwendigkeit. Das excessive Selbstgefühl an das fremde Object, - die excessive Freiheit an die starre Nothwendigkeit wegwerfen - heißt das zur wahren Freiheit und zum ächten Frieden gelangen? Diese wollüstige Gemüths- und Phantasieschwelgerei, die sich in der eben angeführten Stelle dumpf ins Räthselhafte und unklar Zweideutige verliert, ins Tönen und leere Schallen dithyrambischer Ausläufer ihrer Ekstase legt, - das ist eine Freiheit, welche die Nothwendigkeit und ihr Gesetz nicht in sich hat, diese excessive Freiheit ist die Unfreiheit, die Willkür, und weil sie nun die Nothwendigkeit außer sich hat, so sucht sie dieselbe auch da draußen - nicht immer im Gesetz des Geistes und seiner Nothwendigkeit, nicht in der sich selbst zügelnden Vernunft, sondern da draußen im Gesetz der Hierarchie und dem starren Zwange ihrer Formen. I Wir haben hiemit Novalis erkannt und seinen Begriff erreicht, und könnten nun füglieh von ihm Abschied nehmen, wenn nicht die nähere Ausführung seiner Innerlichkeit sowohl in den »Hymnen an die Nacht« und dem •Ofterdingen,« als auch in den •Fragmenten« alle Quellen der neuesten Zeit der Romantik mit wahrhaft vernichtendem Freimuth bloslegte. Die subjective gesetzlose Form begründet die losgelassene Willkür der Phantasie, d.h. die poetische und religiöse Mystik und das
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Ecbtermeyer und Ruge: Protestantismus und Romantik
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Selbstgefühl des Subjects steigert sich in diesem visionären Selbstgenuß bis zur Wollust. Beide Seiten, die Mystik, diese theoretische Wollust, und die Wollust, diese praktische Mystik, treten bei Novalis gleich stark hervor, und es ist nichts interessanter, als diesen Zusammenhängen nachzugehen und sie so zu ergründen. Novalis ist kein Heuchler und kein hohler Objectivist, wie wir sie jetzt an den Alles beweisenden und für Nichts erglühenden philosophischen Zöpfen, diesen Mißgeburten der Hegelei, vor uns haben: er setzt überall für seine Wahrheit sich selber ein, und die tieftte, rücksichtsloseste Empfindung, das ist sein Princip, daher Alles, auch sein Philosophem, lyrisch bewegt ist. Er will sich fühlen und er hat es kein Hehl, daß er diesen Selbstgenuß sucht. Dies führt ihn denn auch auf die Zustände, welche vorzugsweise das Subject sich zu fühlen geben. Darum ist ihm die Krankheit lieber, als die Gesundheit, und die Nacht lieber, als der Tag und sein »freches Licht.« Hiemit schließt Novalis sich entschieden an die Gallitzin an (siehe oben). Denn der Gesunde fühlt sich nicht, der Kranke dagegen wird immer auf sich zurückgeworfen und hab eben darin seine Krankheit, daß in der Störung des freien organischen Processes nun das Subject sich afficirt fühlt, sich in seiner Bewegung gewahr wird und, bei der Hemmung anhaltend, zugleich bei sich I anhält. Der Kranke fühlt sich vorzugsweise, wie denn die Wollust, der excessive Selbstgenuß, nichts Anderes ist, als ein krankhaftes Selbstgefühl und der schwebende Kampf zwischen Lust und Schmerz. Dies drückt Novalis sehr richtig so aus: »Ueberall wird eine Kraft oder Action transitorisch sichtbar, die durchaus verbreitet, unter gewissen Bedingungen (Berührungen) wirksam zu werden scheint. Diese mystische Kraft scheint die Kraft der Lust und Unlust zu sein, deren begeisternde Wirkungen wir so ausgezeichnet in den wollüstigen Empfindungen zu bemerken glauben.« Dieselbe Bewandtniß hat es mit der Nacht. Diese hemmt das Subject, verschließt ihm die Breite der Außenwelt und treibt es dadurch in sich selbst und auf sein Selbstgefühl zurück. So ist das Grauen die Wollust dieses Nachtgefühls, der Schauder des Selbstverlustes, aus welchem das Subject sich zum Selbstgefühl zurückgeworfen findet. Höchstens das Zwielicht der mondbeglänzten Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält, sagt dem insichgekehrten Auge der Romantik zu. In ·den »Hymnen an die Nacht