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German Pages 256 [249] Year 1993
Transzendentalphilosophie und Spekulation
Philosophisch-literarische Streitsachen Herausgegeben von Walter Jaeschke Band 2
Transzendentalphilosophie und Spekulation Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807)
Herausgegeben von Walter Jaeschke
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
F ELI X M EI N E R V E R L AG
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INHALT
Walter Jaeschke Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Claus-Artur Scheier Synthesis a priori - Zur ersten Philosophie zwischen 1781 und 1817 ............. . Gunter Scholtz Herder und die Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ulrich Dierse Bouterweks Idee einer Apodiktik .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 32 Ernst Behler Friedrich Schlegels Vorlesungen über Transzendentalphilosophie Jena 1800- 1801 ...................... ............................ ..... ...... ............. 52 Klaus Harnmacher Jacobis Brief »An Fichte« (1799)........................................................ 72 Wolfgang H. Sehrader C.L. Reinholds 'Systemwechsel' von der Wissenschaftslehre zum rationalen Realismus Bardilis in der Auseinandersetzung mit J. G. Fichte............................................ 85 Andreas Arndt Gefühl und Reflexion. Schleiermachers Stellung zur Transzendentalphilosophie im Kontext der zeitgenössischen Kritik an Kant und Fichte ................................................................ 105 Hans Michael Baumgartner Der spekulative Ansatz in Schellings System des transzendentalen Idealismus ......................................................... 127 Klaus Düsing Die Entstehung des spekulativen Idealismus. Schellings und Hegels Wandlungen zwischen 1800 und 1801 ...................... 144 Wolfhart Henckrnann Über Sein, Nichtsein, Erkennen und damit zusammenhängende Probleme der Philosophie K. W. F. Solgers............................................ 164
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Inhalt
Wolfgang Janke Das bloß gesollte Absolute. Zur strittigen Rolle des Sollens in Hegels Logik und Fichtes Phänomenologie ab 1804 .............................. 177 Kurt Rainer Meist »Sich vollbringender Skeptizismus«. G.E. Schulzes Replik auf Hegel und SeheHing ....................................... 192 Personenverzeichnis ....................................................................... 231 Siglenverzeichnis . . .. . . . . . .. .. . . .. . . . . .. . . . .. . . .. . .. . . . .. . . .. . . .. . .. . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . 236
Zum Inhalt von »Transzendentalphilosophie und Spekulation«, Quellenband ................................................................................ 237
VORWORT
Der zweite Band der Reihe »Philosophisch-literarische Streitsachen« ist den Kontroversen gewidmet, die in den Jahren um 1800 um die Gestalt einer Ersten Philosophie geführt worden sind. Denn die philosophischen Konzeptionen, von denen die Beiträge dieses Bandes handeln, sind nicht als meditationes de prima philosophia entstanden, an die erst nachträglich obiectiones und responsiones angefügt worden wären. Ihr geschichtlicher Ort ist das Jahrzehnt zwischen den beiden großen philosophisch-theologischen Kontroversen, die sich noch im Bewußtsein der Gegenwart mit dem Titel »Streit« verbinden: das Jahrzehnt zwischen dem Atheismusstreit und dem Streit um die Göttlichen Dinge. Auch der nicht lange zuvor geführte Spinozismus-Streit klingt in diesen Texten nach. Sie sind ursprünglich entworfen zur Verständigung in der - wie der Beitrag von Claus-Artur Scheier ausführt- epochalen Auseinandersetzung darüber, welchen Weg die Philosophie nach der Kantischen Kritik einzuschlagen habe: den Weg einer Neugestaltung der Metaphysik, über den Gunter Scholtz im Anschluß an Herder berichtet, den Weg der Transzendentalphilosophie Fichtes und - in anderer Gestalt - auch Schellings und Schlegels, der in den Beiträgen von Hans Michael Baumgartner, Ernst Behler und Andreas Arndt dargestellt und problematisiert wird, den Weg der 'realistischen' Kritik Reinholds und Bouterweks an der Transzendentalphilosophie, über den die Beiträge von Wolfgang H. Sehrader und Ulrich Dierse berichten, den von Klaus Harnmacher beschriebenen Weg Jacobis, die wahre Philosophie im philosophischen Nichtwissen zu finden, den Weg des Übergangs von der Transzendentalphilosophie zur Spekulation, der von Klaus Düsing, Wolfhart Henckmann und Wolfgang Janke gezeigt, aber auch in Frage gestellt wird, oder schließlich den Weg einer skeptischen Kritik an der frühen Spekulation, dessen Gewicht und dessen Fruchtbarkeit für die weitere Ausbildung eben dieses Ansatzes Kurt Rainer Meist darstellt. Schatten fallen auf die damalige Kultur des philosophischen Streits, wo in der Hitze der Auseinandersetzung gelegentlich theoretische Argumente mit sittlichen Haltungen verwechselt werden. Bereits zuvor, im Kontext der Debatte um den moralischen Gottesgedanken, beklagt SeheHing am Ende des zweiten seiner Philosophischen Briefe aber Dogmatismus und Kriticismus, wer den Demonstrationen eines »alten, ehrlichen Wolffianers« nicht geglaubt habe, habe »für einen unphilosophischen Kopf« gegolten; an demjenigen hingegen, der den •Demonstrationen unsrer neusten Philosophen nicht glaubt, auf dem haftet das Anathem der moralischen Verworfenheit.« (AA 3, 58) Auch in den Streitsachen findet sich mitunter diese Verwechslung von philosophischer Auseinandersetzung und sittlicher Verdächtigung - etwa indem Friedrich Bouterwek einen Zusammenhang zwischen »transzendentalem Onanismus« und »moralischer Verwirrung« herstellt. I
1 Bouterwek an Jacobi, 26. April 1802. In: Aus F.H. Jacobi's Nachlaß. Dogedruckte Briefe von und an Jacobi. Hrsg. von Rudolf Zoeppritz. Bd.l. Leipzig 1869, 311.
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Vorwort des Herausgebers
Doch wenn man absieht von derartigen Randerscheinungen wird die seltene Höhenlage erkennbar, die den damaligen Streit um die Gestalt - und auch erst um die Möglichkeit - einer Ersten Philosophie auszeichnet. Und es wird ebenso deutlich, daß in diesem Streit Argumente gegen Argumente nicht allein gestellt worden - und ungehört geblieben sind. Die Streitsachen haben ihren Niederschlag gefunden - sei es in einem grundlegenden Wandel des jeweils kritisierten Ansatzes, sei es in dessen veränderter und vertiefter Durchführung, sei es schließlich in der Verdrängung einzelner Ansätze aus dem Hauptstrom der philosophischen Auseinandersetzungen. Hegels bekanntes Wort, Schellings Philosophie habe ihre Ausbildung vor den Augen des Publikums gemacht, trifft - wenn auch in unterschiedlichem Grade nicht allein Schelling, sondern ebenso die anderen Kombattanten im damaligen Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie, Hege! eingeschlossen. Gerade dies unterscheidet den philosophischen Streit - und zwar zu seinem Vorteil - von einem folgenlosen Spiel. Und gerade deshalb ist es auch undenkbar, einen der damaligen philosophischen Entwürfe oder gar die Entwicklungsgeschichte eines der an diesem Streit beteiligten Denker immanent zu verstehen, ohne die Gegenpositionen, im Blick auf die seine Philosophie entworfen ist, zur Kenntnis zu nehmen. Es war das Ziel der vier Symposien »Philosophisch-literarische Streitsachen«, der sich gegenwärtig anbahnenden Aufspaltung der Auseinandersetzung mit dem Denken jener Jahre in isolierte Forschungszweige entgegenzuwirken, die dem Denken nur noch jeweils eines der Beteiligten gewidmet sind. Was dazu im Vorwort zum ersten Band dieser Reihe2 gesagt worden ist, soll hier nicht wiederholt werden - bis auf den Dank, der sich nicht durch einen derartigen dürren Rückverweis erübrigt. Das Symposium über »Transzendentalphilosophie und SpekulationvutKa, der Sachen der Wahrnehmung, zuerst zu einer Wissenschaft, und sie ist es unbeschadet aller Wandlungen des Begriffs der Wissenschaft selbst geblieben. Solange sie nun für eine philosophische Wissenschaft gilt, fordert sie auch immer eine Metaphysik, was aber, wie etwa Bacons Vorbehalt anzeigt, 4 noch nicht bedeutet, daß der Metaphysik damit schon 1
29.
Vgl. Platon: Tim. 29b3-c3.
2 H. Diels, W. Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker. Dublin/Zürich "I97I, 18. B 1, V.
3 Ebd. B 8, Vv. 52,61. 4 F. Bacon: The Advancement of Learning, ll.vii,2f.
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Claus-Artur Scheier
die Würde einer ersten Philosophie zukommt. Dort jedoch, wo die neuzeitliche Ratio naturalis in ihr Prinzip oder genauer Prinzipiengefüge findet, bei Descartes, werden Metaphysik und erste Philosophie entschieden in eins gesetzt. Zwar erscheint sie jetzt im Bild der Wuneln des Baums der Philosophie, als dessen Wurzelgrund die Methode eigens zu bedenken ist, aber die Methode der Ratio naturalis behält analog zum Aristotelischen »Organon• den instrumentalen Charakter, den die Regulae ad directionem ingenii und der Discours de Ia Methode ihr angesehen hatten, und ist daher nicht Sache einer eigenen Wissenschaft. Gewiß erwiesen Methode und Metaphysik sich in Wirklichkeit jederzeit als untrennbar - Newtons Physik mag das bezeugen -, aber der Schein ihrer Trennbarkeil rührte gerade daher, daß die Prinzipien der Metaphysik und so der nach-cartesischen ersten Philosophie überhaupt- Geist, Welt und Gott bzw. (bei Leibniz, Wolffund Nachfolgern) Monade, Gesamtheit der Monaden und Ursache dieser Gesamtheit- Sachen (res), d.h. Gegenstände des Vorstellens als des natürlichen Bewußtseins waren. Dieser ganze Mundus intelligibilis, fand Hume, wird durch eine einzige Vorstellung zusammengehalten und legitimiert, die ihrerseits keine rationale Legitimation hat (in Wahrheit ist sie das Erbe einer älteren Rationalität), weil sie ein bloßes Produkt der Gewohnheit sei: durch die Vorstellung der Kausalitlit. In der Tat fiel mit der Lösung dieses Bands, für die zuerst der allgemeine Glaube daran verlorengegangen sein mußte, nicht nur die alte Welt, sondern die Ratio naturalis selbst ihren eigenen Zurnieres anheim, und das Jahrhundert, dem Kant sein spekulatives Prinzip geben würde, ist wesentlich das der Empfindung als des (moralischen) Gefühls, das, traditionell dem Verstand untertan, sich vielmehr als die (geschichtliche) Wirklichkeit der Kantischen Idee der Freiheit ausführte, d.h. der Vernunft als des mit dem Verstand (der Ratio naturalis) nicht mehr konfundierbaren »Vermögens der Prinzipien«. Es ist daher eine grundlegende Einsicht der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, daß die allgemein gewordene Gleichgültigkeit gegenüber metaphysischen Fragen >>offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiften URTEILSKRAFT des Zeitalters« war,s denn dies läßt bereits sehen, daß der Abschied der Ratio naturalis - nicht weniger übrigens in ihrer empiristischen als in ihrer rationalistischen Gestalt - eine geschichtliche Verwandlung des Urteils selbst bedeutet. Überhaupt ist ja das Uneil die logische Bestimmung der natürlichen Vernunft, und Leibniz hatte nur das geschichtliche Fazit gezogen, als er lehrte, alle Urteile, ebenso die Verites de Raisonnement wie die Verites de Fait, seien analytisch, denn immer gründe (inest) das Prädikat im Subjekt. Im Horizont des Rumeschen Gedankens ist das Urteil dann konsequenterweise mit sich selbst entzweit: entweder nämlich ist es analytisch, d.h. auch für den menschlichen Verstand rückführbar auf ein identisches Urteil, oder aber empirisch, d.h. wohl synthetisch, aber eben darum auch a posteriori. In jedem Fall fristet der Schluß ein bloß formallogisches, d.h. instrumentales Dasein. Das bedeutet aber nichts geringeres, als daß eben der Verstand selbst grundlos geworden ist; denn die Termini des Urteils sind jetzt entweder nur scheinbar verschieden oder werden bloß empirisch zusammengehalten. Im Rumeschen Empiris5 Kritik der reinen Vernunft, A XI.
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mus ist damit das sinnliche Faktum allein als Grund übriggeblieben, denn nach frühester (Platonisch-Aristotelischer) Lehre ist der Grund die Mitte des Schlusses: Warum ist S P? Weil S M ist und M P - der Grund ist die erjWlte Copula des Urteils. Wenn die Kritik der reinen Vernunft also der Auflösung der Frage gewidmet ist: wie sind synthetische Urteileapriori möglich? dann liegt darin schon, daß das Denken den Boden des Empirismus verlassen mußte, ohne doch in das Gebiet des Rationalismus zurückkehren zu können; das heißt Kants »kopernikanische Wende• hat ihre geschichtliche Achse nur bei erster Näherung in der Annahme, •die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten•, 6 näher aber in der »transzendentalen Deduktion« dieser Annahme und also zunächst im Vermögen dieser Deduktion, das als das der »geschlossenen• Begriffe die reine Vernunft ist, die hiermit neu in die Geschichte des Denkens eintritt. Ist das Resultat des Rumeschen Skeptizismus, das in dieser Beziehung für das philosophische Gefühl des ganzen Jahrhunderts zwischen dem Leibnizschen und dem Kantschen Gedanken stehen darf, dies, daß eine erste Philosophie (als Wissenschaft a priori) grundlos ist, weil sie als Metaphysik grundlos ist, dann begreift sich die Kritik als ein •Traktat von der Methode«, 7 die als transzendentale Deduktion nicht länger instrumental ist und eben darum die erste Philosophie als eine Wissenschaft a priori begründet, welche Metaphysik weder sein kann noch sein soll. Im Streit mit dem Empirismus siegt hier die erste Philosophie, weil der Empirismus sein skeptisches Nein eo ipso nicht begründen (nur basieren) konnte, und im Streit der kritischen Philosophie mit der metaphysischen siegt die kritische Philosophie, indem sie beweist, daß die Prinzipien der vormaligen Ratio naturalis nicht Sachen oder Gegenstände (res) sind, denen methodisch gewonnene Begriffe entsprächen, sondern selber Begriffe, und zwar eines »Vermögens•, das dem (natürlichen) Bewußtsein als solches gar nicht bekannt sein konnte, wurde diesem doch, eben weil es für sich selbst nicht (transzendentales) Selbstbewußtsein war, alles entweder zum methodischen Instrument oder zu dessen Gegenstand. Das ist, genau genommen, der letzte Sieg, den die erste Philosophie im Streit um ihre Begründung feiert, denn obwohl schon im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit Schopenhauers pessimistischer »Welt-Ansicht« geschichtlich ein ganz andres Denken aufging, ist die eigentlich idealistische Philosophie, wenigstens ihrem »Weltbegriff., nach, transzendental geblieben, so daß zwischen dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft und Schellings Berliner Vorlesungen wohl noch von vielerlei Siegen und Niederlagen berichtet werden kann, die aber darum nicht mehr solche der ersten Philosophie selbst waren, weil diese nunmehr in Prinzipien der Vernunft gründete, •Über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird«. 8 Zwischen Kritik der reinen Vernunft und positiver Philosophie ist der Streit um die Begründung einer ersten Wissenschaft wesentlich nicht mehr ein Streit der Vernunft mit dem dogmatischen oder skeptischen Verstand, sondern ein Streit der Vernunft mit sich selbst, 9 eine Selbst-Auseinandersetzung, in der es mithin nicht 6
Ebd. B XVI.
7 Ebd. B XXII.
Ebd. B 355. 9 Vgl. ebd. B 708.
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um Vernunftprinzipien überhaupt (erste Anfänge und Gründe), sondern um den Primat unter ihnen (als inter pares) geht -ein Streit, der sich so austrug, daß jede Vernunftidee ihren eigenen geschichtlichen Augenblick hatte. Darum kommt die nie ganz verabschiedete Frage, wer denn nun - Jacobi? Fichte? Schelling? Hege!? eigentlich »recht« usw. habe, der neuzeitlichen Vernunft in ihrer geschichtlichen Vollendung schief entgegen: Diese Vernunft ist selbst ein Gefüge, »System«, das ganz da, >>heraus«, nur ist sozusagen als seine - notwendig streitbare - Gemeinde, und deren Geist ist es, der philosophisch und nicht nur philosophiehistorisch interessant bleibt. Weil also die Methode einer als Vernunft-Wissenschaft kritisch neu zu begründenden ersten Philosophie die transzendentale Deduktion ist und diese, »nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen« beschäftigt, 10 sich vor der Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gegen das inesse des metaphysischen Principium rationis selbst als Schließen bestimmt, können dessen transzendentale Prinzipien allein die drei den Schlußformen gemäß als kategorisch, hypothetisch und disjunktiv zu denkenden Vernunftbegriffe sein. Diese drei Ideen,ll im Horizont der theoretischen Vernunft von nur regulativem Gebrauch, sind für die erste Philosophie als für die kritische Vernunft selbst demnach methodisch-konstitutiv, und in der Tat hat sich jede für sich als Prinzip einer der drei Kritiken geltend gemacht, so daß die Kritik der Urteilskraft auch im Prinzip Kants ••ganzes kritisches Geschäft« endigt.12 Als kategorisch, hypothetisch und disjunktiv sind die Vernunftbegriffe streng genommen nämlich noch nicht als kritische Prinzipien, d.h. als Gründe einer vernanftigen ersten Philosophie gedacht, und die wahrhaft grundstürzende Einsicht der »transzendentalen Dialektik« ist erst die, daß - übrigens in Analogie zur »metaphysischen« Deduktion der Kategorien 13 - die kategorische Einheit die Idee der denkenden Natur oder Seele als des Ich, die hypothetische Einheit die Idee der Totalität der Erscheinungen oder der Natur überhaupt und die disjunktive Einheit die Idee ihrer »allgenugsamen Ursache« oder Gottes ist.l4 Denn diese Einsicht bedeutet das nicht nur geschichtliche, sondern prinzipielle Ende der vormaligen rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie, mithin des Iumen naturale rationis überhaupt als eines Vermögens erster Anfänge und Gründe: Jetzt weiß die gereifte Urteilskraft des Zeitalters, warum - und nicht nur weshalb - sie dem »Schulbegriff« der sik skeptisch gegenüberstehen mußte. Aber als erste Philosophie -und ohnehin aus Vernunftbegriffen - kann sich die transzendentale Erkenntnis nicht kritisch, sondern nur selbstkritisch vollenden, ist sie doch im ganzen das Prolegomenon »ZU einer jeden kan.ftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können« und von der Kant selbst mit der Metaphysik der Sitten und den Metaphysischen Anfangsgranden der Naturwissenschaft Beispiele geben wird. Erste Philosophie in diesem Sinn also ist die Kritik der reinen 10 Ebd. B 25. 11 Zum Folgenden vgl. C.-A. Scheier: ·Die Bedeutung der Naturphilosophie im deutschen
Idealismus•. In: Philosophia NaturaUs 23 (1986), 389-398. 12 Kritik der Urteilskraft, B X. 13 Kritik der reinen Vernunft, B 159. 14 Ebd. B 392,710-714.
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Vernunft, indem sie als »das oberste Prinzip alles Verstandesgebrauchs« den »Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption« aufstellt, 15 womit sie sich in methodisch-konstitutiver Hinsicht der (kategorischen) Idee der denkenden Natur subjiziert, die sich darin als die theoretische Idee erweist. Ebenso konstituiert sich die Kritik der praktischen Vernunft als erste Philosophie, indem sie das Sittengesetz, das jene Urteilskraft des Zeitalters bisher schon, aber eben nur als (moralisches) Gefühl bestimmt hatte, erstlieh als synthetischen Satz a J)riori, sodann aber - nach dem bezeichnenden Zögern der Grundlegung - als »das einzige Faktum der reinen Vernunft« denkt.16 Darin liegt sogleich dreierlei, was für den künftigen Streit um die Begründung einer ersten Philosophie wahrhaft prinzipielle Bedeutung hat. Erstens nämlich kann dieser Satz als Faktum der reinen Vernunft überhaupt nur als Grund gedacht werden, und als Faktum der reinen Vernunft kann dieser Grund nicht durch irgendetwas andres, sei es durch ein Unvermögen oder Bedürfnis unseres endlichen Verstandes etc.17 gesetzt werden, sondern muß sich an ihm selbst als Grund rechtfertigen, was darin getan ist, daß das Sittengesetz sich als der Erkenntnisgrund der Freiheit als seines Seinsgrundes erweist.1B Das heißt nun zweitens, daß der kategorische Imperativ Faktum der Vernunft nicht darum ist, weil die transzendentale Deduktion endlich irgendwo »abgebrochen« werden müßte, sondern weil der (hypothetische) Vernunftbegriff der Totalität der Erscheinungen als die Idee der Freiheit 19 so da ist, daß sie sich - und zwar vor aller Erscheinung - als sich selbst begründender Grund inne wird. Das heißt: Das Faktum der Vernunft ist deren Dasein als das »Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft«, 20 in dem der Unterschied zwischen metaphysischer und kritischer erster Philosophie sich selbst als Pflicht offenbart. Indem schließlich drittens dies Selbstbewußtsein das einzige Faktum der reinen Vernunft ist, erweist es sich als das Prinzip aller transzendentalen Deduktion und begründet den Primat der praktischen Idee über die beiden andern. Da man somit ohne dies Faktum »niemals zu dem Wagstück gekommen sein würde, Freiheit in die Wissenschaft einzuführen«,2 1 ist dies praktische Selbstbewußtsein zugleich der Grund des theoretischen, und der »Primat der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der spekulativen«22 ist da als der Primat des »Ich will« vor dem bloßen »Ich denke«, das insofern gleichsam eine SelbstAbstraktion ist. Ist nun auch die Kritik der Uneilskraft transzendentale Erkenntnis, nämlich, nach der der Natur und der Freiheit, in »Anwendung auf« die Kunst,23 dann kann 15 Ebd. § 17. 16 Kritik der praktischen Vernunft, A 56. 17 Vgl. ebd. 81. 18
Ebd. 5 Anm. - AugustiDus hat dies Selbst-Verhältnis des Grundes bereits in De beata vita
(34) so formuliert: •Ut igitur veritas modo gignitur, ita modus veritate cognoscitur.• 19 Vgl. das Kapitel •Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie• in der Grundle-
gung zur Metaphysik der Sitten. 20 Kritik der praktischen Vernunft, A 53. 21 Ebd. 54. 22 Ebd. 1.2.2,iii. 23 Kritik der Unei/skraft, B LVIII.
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es wiederum nur eine Idee sein, die ihr zum Prinzip zureicht.24 Dies Prinzip der »Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit•,25 dem gemäß die vom kategorischen Verstand wie von der hypothetischen Vernunft nicht bestimmte Natur betrachtet werden muß, •als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen« gegeben hätte,26 ist der (disjunktive) Vernunftbegriff des transzendentalen Ideals als die Idee »eine[r] gleichsam selbständige[n], ursprüngliche[n] und schöpferische[n] Vernunft«,21 die somit nach der theoretischen und praktischen als die produktive oder - um hier die Aristotelische Einteilung der Wissenschaft zu erinnern28 - als die poietische Idee erscheint (worin der Leibnizsche Deus artifex transzendental gedacht wird). Freilich hat die Kritik der Urteilskraft gegen die beiden andern Kritiken das Besondere, daß diese Idee »gar nichts dem Objekte (der Natur) beilegt«, sondern bloß als »ein subjektives Prinzip (Maxime) der Urteilskraft« da ist,29 weshalb sie zwar den gesuchten Übergang zwischen theoretischer und praktischer »Denkungsart«30 möglich macht, aber genau darum auch ohne ein eigenes Selbstbewußtsein ist, wie es die theoretische Idee an der transzendentalen Einheit der Apperzeption und die praktische am kategorischen Imperativ hat. Da die Reflexion auf solche Weise »subjektiv« bleibt, ist die Produktivität - das wahre Kptri,ptav im Streit um die Begründung einer ersten Philosophie nach Kant - entweder als eine Idee oder als bloß »technisch-praktisch•3 1 dem heteronom bestimmten Naturwesen Mensch zugehörig zu denken. Und das wiederum bedeutet, daß im »Doktrinalen« für die Urteilskraft »kein besonderer Teil sei, weil in Ansehung derselben die Kritik statt der Theorie dient•,32 so daß die teleologische Urteilskraft »ihrer Anwendung nach zum theoretischen Teile der Philosophie• und die Kritik der llsthetischen Urteilskraft, obzwar zur »Propädeutik aller Philosophiec, 33 doch eigentlich zu ihr nicht als zur ersten Philosophie gehört. Auch und gerade angesichts des Vernunftbegriffs der Urteilskraft also bleibt »die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur, bei der Einrichtung unserer Vernunft, eigentlich nur aufs Moralische gestelletc34 und die Natur-für-dieReflexion prinzipiell dadurch bestimmt, »daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme«, 35 d.h. durch den allein unter dem Primat des Praktischen geforderten Unterschied von Erscheinung und Ding an sich. Wenn daher Jacobi in seiner 1787 erschienenen Abhandlung Ober den transzendentalen Idealismus die berühmt gewordene Bemerkung macht, er sei unauf24 Ebd. XXVIIf. 25 Ebd. XXVIII.
26 Ebd. XXVII. 27 Kritik der reinen Vernunft, B 700. 28 Aristoteles, Metaphysik, VI, I; IX,7. 29 Kritik der Uneilskraft, B XXXIV. 30 Ebd. XX. 31 Metaphysik der Sitten, Einleitung II.
32 Kritik der Uneilskraft, B X.
33 Ebd. Lllf. 34 Kritik der reinen Vernunft, B 829. 35 Kritik der Uneilskraft, B XIXf.
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hörlieh darüber irre geworden, daß er •ohne jene Voraussetzung« des Dings an sich »in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte«,l 6 dann entdeckt er nicht eine Kant selbst verborgen gebliebene Ungründlichkeit des kritischen Gedankens, sondern folgt, entschiedener als andre frühe Kritiker, einer Vernunft, die bereits im Begriff ist, sich dem Primat ihrer praktischen Idee zu entziehen. Es ist die philosophische Tat Jacobis, die Vernunft als ganze in ihr Selbst-Gefühl versenkt zu haben. Schon die Idee der Freiheit hatte sich ja als Gefühl manifestiert, denn das moralische Gefühl, »die Achtung fürs Gesetz«, ist »die Sittlichkeit selbst, subjektiv als Triebfeder betrachtet«,37 und das (ästhetische) Gefühl des Erhabenen ist abermals das moralische Gefühl, nur als das Opfer einer »Subreption«, die das Gemüt in der Betrachtung des Objekts oder in der (bewußtlosen) Spontaneität der Einbildungskraft festhält. 38 Wenn Jacobi aber einsieht: »Die Vollkommenheit der Empfindung bestimmt die Vollkommenheit des Bewußtseins mit allen seinen Modifikationen. [... ] Mit dieser köstlichsten Eigenschaft der Vernunft erhielten wir Gottesahndung«, 39 dann spricht sich hier das Gefühl einer Vernunft aus, die theoretisch und praktisch den Primat der Idee der »allgenugsamen Ursache« anerkennt, ohne daß sie sich freilich - als Selbst-Gefühl und (noch) nicht Selbstbewußtsein - darüber systematisch Rechenschaft abzulegen wüßte. Es ist aber diese eigentümliche Reinheit von Jacobis unmittelbarer Vernunft, die ihm die Achtung seiner großen Nachfolger, zuerst Fichtes, wie im übrigen hartnäckige philosophiehistorische Mißverständnisse eingetragen hat. Mit Jacobi ist die erste Philosophie nun abermals, und diesmal auf ihrem eignen Grund bestritten. Sollte es sich hier nicht nur um einen Streit über Richtigkeiten und Akzente handeln, war dies nur dadurch möglich und nötig, daß die Vernunft nicht als solche, wie für die Kantsche Kritik, sondern vielmehr in Absicht des Primats unter den Vernunftbestimmungen in Frage stand. Fichte macht das sogleich in der Vorrede zum Begriff der Wissenschaftslehre deutlich, indem er auf den Grund verweist, der es erlaube, »das dogmatische und kritische System überhaupt in ihren streitenden Ansprüchen so zu vereinigen, wie durch die kritische Philosophie die streitenden Ansprüche der verschiedenen dogmatischen Systeme vereinigt sind«, Dieser »eigentliche Streit [... ] dürfte wohl der über den Zusammenhang unsrer Erkenntnis mit einem Dinge an sich sein«, 40 und d.h. prinzipiell: der Streit über den Primat der praktischen Idee. Jacobis Besinnung konnte und wollte keine erste Philosophie sein -der Fichtesche Gedanke kündigt sich als erste Philosophie schon mit den Titeln Ober den Begriff der Wissenschaftslehre und Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre an. Sie wird deshalb das dem Jacobischen Vernunftgefühl adäquate Selbstbewußtsein aufsuchen müssen und es nirgend anders finden können als genau in dem Ort, aus dem der Primat der praktischen Vernunft ein Selbstbewußtsein überhaupt ausgeschlossen hatte, um die Reflexion als »subjektive« festhalten zu können. So tritt das »Ich willunter der Hülle des Fichteschen Gedankens schon das neue System [zu] erkennen [sei]« (SW 10,96). Aufschlußreich ist insbesondere die Aufgabenbestimmung: die ll Zu einer analogen Einschätzung des Entwicklungsgangs des 'Systems' sowie der Rolle der Philosophie der Kunst in ihm vgl. G. Römpp: Sich-Wissen als Argument. Zum Problem der Theoretizität des Selbstbewußtseins in Schellings 'System des transzendentalen Idealismus'. In: Kant-Studien 80/3 (1989), 303-323. l3 sw 10,1-200.
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Notwendigkeit in der Produktion der Vorstellungen zu erklären, und »die Philosophie da aufzunehmen, wo sie Fichte hingestellt hatte [ ... ]•. Vor allem galt es zu »sehen, wie jene unleugbare und unabweisliche Nothwendigkeit, die Fichte gleichsam nur mit Worten hinwegzuschelten sucht, mit den Fichteschen Begriffen, also mit der behaupteten absoluten Substanz des Ich sich vereinigen ließe« (SW 10,93). ••Ich suchte also mit Einem Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des Ich mit einer von ihm nothwendig vorgestellten Außenwelt durch eine dem wirklichen oder empirischen Bewußtsein vorausgehende transseendentale Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach auf eine transseendentale Geschichte des Ichs führte." (SW 10,93f) Zugleich markiert Schelling die Priorität seiner 'historischen Methode' gegenüber Hegels Phänomenologie. Die Philosophie hat anamnetische Funktion, indem sie »jenes Ich des Bewußtseins mit Bewußtseyn zu sich selbst, d.h. ins Bewußtseyn, kommen [... ]« lasse (SW 10,95). Schelling resümiert: »Dieß war also der Weg, den ich zuerst und noch eben von Fichte herkommend, einschlug, um meinerseits wieder ins Objektive zu kommen, und leicht begreiflich konnte es dieser Wendung des Fichteschen Begriffs, wodurch dieser eigentlich erst verständlich und die Haupteinwendung gegen denselben entfernt wurde, bei ihrem ersten Hervortreten nicht an Beifall fehlen. Es war der Versuch, den Fichteschen Idealismus mit der Wirklichkeit auszusöhnen, oder zu zeigen, wie gleichwohl, auch unter Voraussetzung des Fichteschen Satzes, daß alles nur durch das Ich und für das Ich ist, die objektive Welt begreiflich sey.« (SW 10,95) Der unzerreißbare Zusammenhang von Ich und Welt, oder die Aussöhnung des Idealismus Fichtes mit der Wirklichkeit: das war die Streitsache mit Fichte - in der Sicht Schellings.
III.
Im dritten Abschnitt werden in gebotener Kürze jene sei es virtuellen sei es tatsächlichen Streitpunkte vorgestellt, denen Schellings frühe systematische Argumentationen in der Perspektive der von ihm übernommenen Transzendentalphilosophie sich ausgesetzt sehen mußten. Außerdem wird abschließend der Frage nachgegangen, wie Schellings philosophischer Ansatz bis 1800 systematisch verortet werden kann. Die beiden ersten, in den Ausführungen bereits angesprochenen virtuellen Streitpunkte betreffen die zwei systemeröffnenden Fragestellungen Schellings: die Frage nach dem Grund der Realität und die Frage nach der Erklärung der Möglichkeit von Wahrheit, vor allem Schellings Übergang von der ersten zur zweiten. Vergegenwärtigen wir uns mit dem sachlichen Zusammenhang die systematischen Konsequenzen der beiden Ansatzpunkte. Wer vom Realgrund des Wissens ausgeht, gelangt nicht eo ipso zu einem Absoluten, das sich in einer doppelten Perspektive erschließt und offenbart: Das in dieser Linie konzipierte absolute Ich ist kein Grund einer irgendwie bestimmten Harmonie, vielmehr ist es selbst existierender Grund der Gewißheit von Dasein, Einheit, Unveränderlichkeit und Sachhaltigkeit (realitas) im Wissen. Die Sache (res) ist nicht von sich selbst her sich erschließend, sie wird offenbar nur durch die Gewißheit des Wissens von ihr.
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Anders verhält es sich, wenn von der Definition der Wahrheit als Übereinstimmung ausgegangen wird. In diesem Falle stehen sogleich zwei Relata zu Gebote: Objekt und Subjekt, Natur und Intelligenz, also der Inbegriff der Reihe des Objektiven und der Inbegriff der Reihe des Subjektiven, die beide unter der Voraussetzung, daß es (wahres) Wissen gibt, je für sich, und d.h. von sich her, zur Übereinstimmung mit dem anderen bestimmt sind bzw. danach 'streben'. Beiden kommt daher eine eigenständige Aktivität zu, die als Prozeß gefaßt werden kann, dessen Ziel im je anderen, in der Übereinstimmung mit dem je anderen, bzw. in der je verschiedenen Einholung des anderen besteht. So zeigt sich, daß mit dem spekulativen Ansatz Schellings beim Wahrheitsbegriff die Begründung von zwei gleichrangigen philosophischen Wissenschaften, der Transzendentalphilosophie und der Naturphilosophie, und schließlich deren Aufhebung in einer vom Absoluten selbst ausgehenden Identitätsphilosophie vorprogrammiert ist. Obgleich Schellings System des transzendentalen Idealismus - sieht man auf gewisse Details - sich noch in einer offenkundigen Nähe zu Fichtes Wissenschaftslehre hält, ist die grundsätzliche Abkehr von Fichte doch schon in den Eröffnungspartien vollzogen. Nach Fichte nämlich kann die Transzendentalphilosophie nicht nur als ein wie immer wesentlicher Teil der Philosophie begriffen werden: sie ist für ihn die Philosophie selbst. Durchaus mit Recht konnte Fichte daraufhin sagen, es sei nicht verstanden worden, was er meinte; gleichwohl ist einzuräumen, daß der Kritisierte eine andere Idee von Philosophie hatte und deshalb eine andere Perspektive zur Geltung zu bringen suchte. Allerdings muß sich Schelling in der Konsequenz seines eigenen Ansatzes im System der Frage stellen, wie die Natur als Korrelat des transzendental-idealistischen Entwicklungsganges, als Korrelat des Bewußtseins also, mit jener Natur zu vermitteln ist, die in der Naturphilosophie als eine selbständig sich entfaltende Größe betrachtet werden soll? Die soeben skizzierten systematischen Probleme leiten über zu den historischen Streitpunkten im Wortsinn: zu den kritischen Äußerungen Fichtes zum System des transzendentalen Idealismus in verschiedenen seiner neben Briefen (meist unveröffentlichten) Texte, die Reinhard Lauth übersichtlich zusammengestellt, ausführlich zitiert und kommentiert hat.24 Von besonderer Bedeutung sind davon: der Kommentar Bei der Leerare von Schellings tr. Idealismus (GA 11,5,403-415); 25 die Slitze zur Erlliuterung des Wesens der 1hiere (GA 11,5, 421-430); die 4.-6. Lehrstunde im Sonnenklaren Bericht (GA 1,7,165-268; 234ft) und schließlich zwei Briefe Fichtes an Schelling vom 15.11. und 27.12.1800 (GA III,4, Nm. 577 u. 584). 26 Faßt man die zentralen Gesichtspunkte zusammen, so läßt sich die einheitliche Streitsache 'Natur' in drei spezielle Aspekte der Kritik unterscheiden: in die kritischen Äußerungen a) zum allgemeinen Naturbegriff, b) zum Begriff der intellektuellen Anschauung bzw. zum Problem der Subjektivität der Natur und c) zum Verhältnis von Transzendental- und Naturphilosophie. 24 Vgl. R. Lauth: Die Entstehung von Schellings Jdentitl1lsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre 1795-1801. Freiburg/München 1975, 91. 25 S. auch den Quellenband, 185f. 26 S. auch den Quellenband, 187-189 bzw. 194f.
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a) Fichtes Kritik setzt beim Naturbegriff mit der Frage ein, wie denn die Natur im Wissen überhaupt zu denken sei. Vom transzendentalen Standpunkt seiner Überlegungen aus ist die Natur unableitbar und beruht auf einer faktischen Notwendigkeit eines Anstoßes, der erst zur Bildung des Begriffs des Nicht-Ich führt, nicht aber schon das Nicht-Ich ist; dem gesamten Entwicklungsgang und Aufbau dessen, was sich als Natur darstellt, liegt etwas zugrunde, das vom Bewußtsein nicht einholbar ist. Fichte betont die Unableitbarkeit des Gehemmt-werdens und die faktische Notwendigkeit der Natur, er verneint aber ihre genetische Auflösbarkeit. Der Satz, Natur •ist sonach von aller Geistigkeit, allem Selbstbewußtseyn durchaus leer«, 25 steht dem SeheHingsehen Konzept einer produktiven Natur unvermittelbar und unversöhnlich entgegen. Der Versuch, menschliche Intelligenz im Blick auf diese Natur und von ihr her begreifen zu wollen, schlägt fehl, denn wir können uns zur Vernunft nicht durch einen Übergang erheben, sondern nur durch absolute Freiheit oder durch einen Sprung. 26 Der suggerierte Übergang vom Organischen zum Bewußtsein kann in einer Philosophie der Natur a la SeheHing nicht gelingen - und SeheHing selbst spricht gelegentlich vom 'einschlagenden Blitz des Ideellen'. Wenn man der Rede, die Intelligenz sei die höhere Potenz (aus) der Natur, eine gewisse Berechtigung nicht absprechen will, dann ist das nach Fichte gleichwohl in sich falsch und vor allem keine philosophische, sondern lediglich eine enzyklopädische Ansicht der Dinge; alle Erfahrungen dieser Welt zusammengenommen, kann man natürlich sagen, der Mensch ist ein höheres Produkt der Natur, aber dies ist für ihn kein philosophischer Satz27 - eine interessante Variante der Kritik, die man auch an der modisch gewordenen Evolutionären Erkenntnistheorie üben könnte. •Die Natur ist Produkt der Intelligenz; wie kann denn hier wiederum [außer] durch einen offenbaren Cirkel die Intelligenz Produkt der Natur seyn?«28 b) Die am allgemeinen Begriff der Natur formulierte Kritik spezifiziert sich in der kritischen Frage an Schelling, wie die intellektuelle Anschauung auf Natur übertragbar sein soll, wenn nicht das subjektive Moment des Anschauens aus der Anschauung ausgesondert würde, was aber unmöglich sei. Der Versuch, die intellektuelle Anschauung zu depotenzieren zur intellektuellen (Selbst-)Anschauung eines objektiven Subjekt-Objekts, ist zum Scheitern verurteilt. Denn für Fichte kann eine intellektuelle Anschauung - wenn man sich dieser Termini bedient - nur subjektives Subjekt-Objekt bzw. eine Einheit von subjektivem und objektivem Subjekt-Objekt sein. Die Depotenzierung ist deshalb für Fichte undurchführbar, weil hier gleichsam ein Geist außerhalb des Geistes installiert und ein Moment, das nachweislich jedermann nur im Wissen deutlich gemacht werden kann, plötzlich zu einem objektiven Bestandteil von Natur gemacht würde. Damit fällt auch die für Schellings Naturphilosophie notwendige Forderung einer Selbstkonstruktion der Natur; eine solcherart gedachte 'Subjektivität der Natur' ist J.G. Fichte: Nachschrift an Reinhold. GA 11,5,457-473,459; vgl. R. Lauth, a.a.O. 104. Vgl. J.G. Fichte: Grundlage der gesammlen Wissenschafts/ehre. GA 1,2,427; vgl. auch ders.: Bei der LectUre von Schellings tr. Idealismus. GA 11,5,415 (s. auch den Quellenband, 185t). 27 Vgl. J.G. Fichte: Satze zur Erlauterung des Wesens der 1hiere. GA 11,5,42lf. 25
26
28 Ebd.
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insofern abwegig, als hierbei Elemente des sich-konstruierenden Wissens verobjektiviert und in den Konstruktionsvorgang der Natur selber hineingedeutet werden. 29 c) Schließlich setzt sich Fichte mit SeheHing auch über das grundsätzliche Verhältnis von Naturphilosophie und Transzendentalphilosophie auseinander: »Ueber Ihren Gegensatz der Transseendental = und der NaturPhilosophie bin ich mit Ihnen noch nicht einig. Alles scheint auf eine[r] Verwechselung zwischen idealer und realer Thätigkeit zu beruhen, die wir beide hier und da gemacht haben; [ ... ] Die Sache kommt nach mir nicht zum Bewußtseyn hinzu, noch das Bewußtseyn zur Sache, sondern beide sind im Ich, dem ideal=realen, realidealen, unmittelbar vereinigt. Etwas anderes ist die Realitllt der Natur. Die letztere erscheint in der TransseendentalPhilosophie als durchaus gefunden, und zwar fenig und vollendet; und dies zwar (gefunden nemlich) nicht nach eignen Gesetzen, sondern nach immanenten der Intelligenz (als ideal=realem)[.] Die Wissenschaft, die durch eine feine Abstraktion die Natur allein sich zum Objekt macht, muß freilich (eben weil sie von der Intelligenz abstrahirt) die Natur, als absolutes setzen, und dieselbe durch eine Fiction sich selbst construiren lassen; eben so wie die TransscendentalPhilosophie durch eine gleiche Fiction, das Bewußtseyn sich selbst construiren läßt.« (GA III,4, 360f) Fichte, der sich hier ausdrücklich auf Schellings Unterscheidung einläßt, ist sonach der Auffassung, daß die Naturphilosophie durch eine methodische Abstraktion aus der Wissenschaftslehre entspringt, aber ebendeshalb, wie auch Schellings Konzept der Transzendentalphilosophie eine ihrer Disziplinen, ihr also untergeordnet bleibt. Keineswegs kann sie ihr neben- oder gar vorgeordnet werden. So widerspricht Fichte ausdrücklich der Auffassung Schellings, daß die Naturphilosophie »der materielle Beweis des Idealismus• sei, 30 daß sie »eine physikalische Erklarung des Idealismus« gebeJ• und daß sie »den Standpunkt des transzendentalen Idealismus selbst erst entstehen« lasse, »ihm dadurch eine sichere, rein theoretische Grundlagec32 zu geben vermöge. SeheHing kann freilich mit einer gewissen Berechtigung darauf verweisen, daß die Wissenschaftslehre, in der Form, in der sie zum damaligen Zeitpunkt (um 1800) vorlag, eigentlich (noch) nicht das geleistet habe, was sie zu beanspruchen vorgibt; obzwar »vollendet«, sei sie aber »noch nicht Philosophie selbst«.33 Fichte seinerseits hat eine weitere Entwicklung durchgemacht und dabei eine Reihe von Überlegungen Schellings, bis in die Wortwahl, aufgegriffen, freilich wiederum in anderer Weise, als es von SeheHing im Blick auf Philosophie der Natur und transzendentalen Idealismus gedacht war. Bei aller Berechtigung der Fichteschen Kritik stellt sich die Frage, ob man SeheHing damit wirklich gerecht wird. Denn in der Durchmusterung der Schriften 29 Vgl. J.G. Fichte: Sonnenklarer Bericht an das grtJßere Publikum aber das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. GA 1,7,165-268. 30 Brief Schellings an Pichle vom 19.11.1800, GA III,4,363 (s. auch den Quellenband, 189193). 31 F.W.J. Scbelling: Allgemeine Deduction des dynamischen Processes oder der Categorien der Physik. SW 4, 76. 32 F.W.J. Schelling: Ober den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige An ihre Probleme auft.ultJsen. SW 4,79-103, 9lf. 33 Brief Schellings an Fichte vom 19.11.1800, GA III,4,363 (s. auch den Quellenband, 189193).
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Schellings bis 1800 (siehe 1.) zeigte sich, daß er in einer bestimmten Weise transzendentalphilosophische Begriffe und Gedanken aufgenommen und an ein Programm assimiliert hat, das im Ausgriff auf eine Theorie des Unbedingten eine ganz andere Intention verfolgte. Die abschließende systemrelevante Frage, ob Schelling wirklich als Transzendentalphilosoph im Sinne des Kantischen Ansatzes und/oder der Fichteschen Wissenschaftslehre gelten könne, ist deshalb dahingehend zu beantworten: Schelling ist kein Transzendentalphilosoph in einem strikten Sinne, sondern nutzt lediglich begriffliche Mittel und Argumentationsstrategien der Transzendentalphilosophie- die als solche seiner Intention nicht genügen konnten -, um etwas von Anfang an und im Kern wesentlich anderes zur Sprache zu bringen: die Absolutheit des Absoluten (deus sive natura) als einer »letzten Einheit, in der als dem Ganzen alles beschlossen istc.34 Kann man ihm dies grundsätzlich verwehren? Die Kritik Fichtes ist daher nur insofern wirklich zwingend, als SeheHing Fichtes Prinzipien in ihrer ganzen Tragweite übernommen zu haben schien und im transzendentalen Stil zu begründen suchte, was auf diese Weise in der Tat nicht begründet werden konnte.
34 W. Schulz, Einleitung, in: F. W .J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Hrsg. v. R.E. Schulz (Philosophische Bibliothek 254). Hamburg 21962, IX-XLIV, XI; vgl. auch vom Verf.: •Das Unbedingte im Wissen: Ich- Identität- Freiheit•, in ders. (Hrsg.): Schelling. Einführung in seine Philosophie, 45-57, 51f.
Klaus Düsing DIE ENTSTEHUNG DES SPEKULATWEN IDEALISMUS. SCHELLINGS UND HEGELS WANDLUNGEN ZWISCHEN
1800
UND
1801
Die entscheidende Wendung in der Entwicklung des deutschen Idealismus liegt in der Veränderung des Grundlegungsentwurfs, die Schelling und Hege! gemeinsam um 1801 vornehmen. Beide kehren sich damals von ihren vorherigen frühidealistischen Ansätzen ab, die dadurch gekennzeichnet sind, daß in ihnen zwar ein existentes Absolutes als Grundlage für Natur und Geist angenommen wird, daß dieses Absolute innerhalb der Philosophie aber als unerkennbar gilt; es kann allenfalls umschrieben werden in einer philosophischen negativen Theologie. SeheHing und Hege! gelangen nun um 1801 zu der Auffassung, daß das Absolute vollständig vernünftig erkannt und in einem philosophischen System, das zugleich eine positive Theologie enthält, entwickelt werden kann. Damit wird ein neuartiger, bis dahin nicht vertretener Idealismus entworfen, der nicht mehr wie z.B. der transzendentale Idealismus des frühen Fichte alle Bestimmungen im endlichen Ich verankert; dieser neue Idealismus begründet sie vielmehr spekulativ im Absoluten, das in einem System absoluter Metaphysik zu entfalten ist. Die Metaphysik als Erkenntnis des nichtsinnlichen Seienden wird hier selbst absolut, da sie mit der These der vollständigen Erkennbarkeit des Absoluten oder Gottes durch die Vernunft einen unüberbietbaren Erkenntnisanspruch stellt, wie er in dieser Weise von der vormaligen Metaphysik nicht erhoben wurde. Dieser Erkenntnisanspruch bildet auch den Stein des Anstoßes für alle nachidealistische Philosophie bis heute. Daher stellt sich die Frage, welche Gründe und welche Entstehungsbedingungen das Verlassen des Frühidealismus und damit diese Konzeption der absoluten Metaphysik und des spekulativen Idealismus bei SeheHing und bei Hege! überhaupt erst ermöglichen und verständlich werden lassen. Obwohl Schelling und Hege! von 1801 an einige Jahre lang gemeinsam den neuen Ansatz der absoluten Metaphysik und des spekulativen Idealismus vertreten, müssen die Gründe und Entstehungsbedingungen entflochten und zunächst für jeden getrennt eruiert werden; denn sie können ja für jeden von ihnen verschieden sein. Erst danach lassen sich die Gründe dafür erkennen, daß Schelling und Hege! in wechselseitiger Übereinstimmung diesen neuen Ansatz ausbilden. Zu diesen Fragen liegen schon verschiedene Forschungshypothesen vor; auch deshalb wird im Folgenden zur weiteren Klärung gelegentlich die Heranziehung historischer Details unvermeidlich sein; entscheidend bleibt jedoch die Darlegung der philosophischen Gründe für die erste Aufstellung der absoluten Metaphysik. Diese Gründe stehen für Schelling und für Hege!, wenn auch in verschiedener Weise, im Kontext einerseits der Fichte-Kritik und andererseits der Konzeption der Umwandlung des Idealismus in eine positive, spekulative Theorie des Absoluten, die ihrem Anspruch nach der Theorie des frühen Fichte überlegen ist. So sei im Folgenden in einem ersten Teil Hegels später Frankfurter Ansatz und die dazu gehörige Konzeption unendlicher Einheit betrachtet; aus inneren Problemen dieses Ansatzes seien die Gründe für den Übergang zum spekulativen Erken-
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nen hervorgehoben. In einem zweiten Teil sei Schellings Übergang vom zweiteiligen zum dreiteiligen frühidealistischen System betrachtet und gezeigt, daß von da aus nur mehrfache nicht immanent erklärbare Umbrüche zum Identitätssystem führen; dabei seien idealtypisch die unterschiedlichen Hypothesen zur Entstehung von Schellings Identitätssystem skizziert und erörtert. In einem dritten Teil sei dann dargelegt, wie und warum SeheHing und Hege! den Entwurf der absoluten Metaphysik und des spekulativen Idealismus gemeinsam vertreten und worin sich trotz dieser prinzipiellen Übereinstimmung Unterschiede zwischen ihren Theorien und Entwürfen auftun. Der Schluß gibt einen Ausblick auf die Entwicklung dieses Idealismus in den folgenden Jahren bei Schelling und Hege!.
I. Unendliche Einheit und Reflexion in Hegels spätem Frankfurter Ansatz Hege! übernimmt in Frankfurt (1797-1800) Hölderlins Vereinigungsphilosophie und führt deren Konzeption der Einheit weiter. Diese Einheit wird von Hölderlin ebenso wie von Hege! pantheistisch und spinozistisch als allumfassend gedacht. Wird sie als universale Harmonie der Gegensätze der Welt aufgefaßt, so ist sie Schönheit. In dieser Bestimmung liegt sie für Hölderlin allem Leben in der Welt, aller Dichtung und auch der Ästhetik zugrunde, die für ihn zur ersten Philosophie wird. Eine solche Einheit kann prinzipiell nur unendliche Einheit der mannigfaltigen, entgegengesetzten, endlichen Bestimmungen sein, die sie somit nicht außer sich hat, sondern in sich enthält. - Auch für Hege! ist diese allumfassende Einheit in Fortführung von Spinozas Denken unendliche Einheit; das wahre Unendliche ist dem Endlichen nicht entgegengesetzt; denn dann wäre es einseitig und somit selbst endlich; sondern es enthält die endlichen, auch die einander entgegengesetzten endlichen Bestimmungen in sich. Dieser Gedanke entspricht inhaltlich Hegels späterem Begriff der wahren Unendlichkeit. Anders als Hölderlin in seiner klassischen Periode sieht Hege! in dieser universalen, kosmotheologisch zu verstehenden unendlichen Einheit die Grundlage der Religion und - in je verschiedener Weise der geschichtlich aufgetretenen Religionen. Diese grundlegende Einheit, die das Mannigfaltige, ja Entgegengesetzte in sich enthält, bestimmt Hege! in seiner späten Frankfurter Zeit begrifflich spezifischer als Hölderlin. Sie ist für ihn Sein und Leben. Leben aber ist - nach der bekannten Bestimmung des sog. Systemfragments von 1800 - »Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung«, 1 nämlich von Entgegensetzung und Beziehung, wobei
I Hege!: Theologische Jugendschriften. Hrsg. von H. Nohl. Tübingen 1907. ND Frankfurt a.M. 1966, 348. Vgl. dazu z.B. 0. Pöggeler: Regels Jugendschriften und die Idee einer Phdnomenologie des Geistes. Unveröffentlichte Habilitationsschrift. Heidelberg 1966, 217ff; M. Baum: •Zur Vorgeschichte des Hegeischen Unendlichkeitsbegriffs•. In: Regel-Studien 11 (1976), bes. 106f und H. Buchner: ·Philosophie und Religion im einigen Ganzen des Lebens•. In: All-Einheit. Hrsg. von D. Henrich. Stuttgart 1985, 200-219, auch vom Verf.: •Jugendschriften•. In: Regel. Hrsg. von 0. Pöggeler. Freiburg und München 1977, bes. 38ff. Hinsichtlich der Nähe dieser Hegeischen Bestimmung zu Zwillings Kategorie der •Beziehung•, die in höchster Bestimmung •Beziehung mit der Nichtbeziehung• ist, vgl. D. Henrich: •Jacob Zwillings Nachlaß•. In: Romburg v.d.R. in der deutschen Geistesgeschichte. Hrsg. von Chr. Jamme und 0. Pöggeler. Stuttgart 1981, bes. 252ff
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jede einseitige Relationsbestimmung immer wieder um die ihr entgegengesetzte vervollständigt werden muß. Da diese Bestimmungen aber der endlichen Reflexion angehören und von ihrer Methode geprägt sind, nämlich vom Setzen, Entgegensetzen und der Synthesis, die wieder nur Setzen ist, wird damit das wahre und unendliche Eine nicht wirklich erfaßt trotz der Nähe dieser Kennzeichnung des Lebens zur Bestimmung des Absoluten in der Differenz-Schrift als »Identität der Identität und der Nichtidentität« (GW 4,64). Mit diesen Bestimmungen wird im sog. Systemfragment auf die Einheit des Lebens als rein dynamisches Beziehungsgefüge nur verwiesen, das über den Sinn der Einheit der bloß bestehenden spinozistischen Substanz bereits hinausgeht. Das reine Leben selbst und an sich aber wird erst in der religiösen Erhebung des endlichen Lebens zum unendlichen Leben in seinem genuinen Sinn unmittelbar erlaßt. - Dies unendliche Leben wird von Hege! auch als Geist, nämlich als göttlicher Geist bestimmt, ohne daß darin für ihn schon ein begrifflicher Fortschritt gegenüber der Bestimmung des Lebens liegt. Der endliche Geist mit seinen Beschränkungen kann sich religiös zum göttlichen Geist erheben und mit ihm »vereinigen«; 2 im Hintergrund steht dabei zwar der Gedanke der unio mystica; doch legt Hege! nicht nahe, daß sich in dieser Einung des endlichen Geistes mit dem göttlichen Geist als dem unendlichen Einen das »individuelle Leben1923, 446. Vgl. dazu auch vom Verf.: Das Problem der SubjelaiviUIJ in Hege/s Logik, a.a.O. 101ff. 28 Vgl. in der Differenz-Schrift GW 4,29f.
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beim Versuch, das Unendliche und Eine zu denken, in Widersprüche gestürzt werde, die seinen Erkenntnisanspruch aufheben; in der frühen Jenaer Zeit entwikkelt Regel in einem zweiten Umbruch gegenüber dem traditionellen Denken eine negative Dialektik, die die Widersprüche der endlichen Reflexion methodisch entfaltet, die Nichtigkeit der endlichen Reflexion als negative Parusie des Unendlichen aufzeigt und daraufhin eine höhere, positive Einsicht in das Unendliche und Eine »postuliert«. Die ontologische Ausgestaltung dieser ersten Metaphysik des Absoluten erfolgt nun in Orientierung an Spinozas Metaphysik der Einen Substanz; hierin ist Hege! vermutlich von Schelling beeinflußt. Das Absolute existiert nach dieser Konzeption idealistischer Substanzmetaphysik als die Eine Substanz, in der als metaphysischem Prinzip das denkende Ich begründet ist und für die es sich in praktischen Zusammenhängen aufzuopfern hat. Die Eine Substanz wird für Regel also zur zentralen ontologischen Bestimmung des Absoluten; noch in der Wintersemestervorlesung von 1803/04 betont er: •Der erste Teil der Philosophie konstruierte den Geist als Idee und gelangte zu der absoluten Sichselbstgleichheit, zur absoluten Substanz«. 29 Diese Substanz wird in ihrer inneren Struktur freilich - anders als bei Spinoza - als absolute Identität gedacht, die mannigfaltige, ja entgegengesetzte Bestimmungen, wie die Reflexion sie aufstellt, als Widerspruch des Endlichen in sich enthält; die Struktur der Substanz wird also von Hegels Einheitsmodell aus begriffen, dessen KonJeption der Bestimmung der Einen Substanz vorausgeht. Schelling nimmt in den neuen, spekulativen Idealismus, der für ihn wie für Hege! dem Fichteschen transzendentalen Idealismus überlegen ist, Hegels Einheitsmodell auf; er denkt das Absolute, wie erwähnt, insbesondere seit dem Dialog Bruno (1802) grundsätzlich als Einheit der Einheit und des Gegensatzes und versteht es dann als Universum; zugleich hält er an seiner eigenen Bestimmung des Absoluten als absoluter, übergegensätzlicher Indifferenz fest und begreift es seiner Konzeption nach in dieser Bestimmung, wie es an und für sich ist. Man muß auch bei Schelling zumindest implizit einen Plotinischen Aufstieg über Vielfalt und in sich vielfältige Einheit hinaus zur Anschauung dieses in sich indifferenten Einen annehmen. Dies ist für SeheHing freilich im Identitätssystem nicht unerkennbar wie in seinen frühidealistischen Entwürfen oder wie das neuplatonische ev; es gilt ihm nun als vernünftig erkennbar durch intellektuelle Anschauung, die für ihn somit keine mystische Schau ist. Die Reflexion freilich hat - anders als bei Hege! - an dieser intellektuell-intuitiven Erkenntnis des Absoluten keinen mitkonstituierenden Anteil; ferner kann nach Schelling diese Erkenntnis nicht vorbereitet und nicht in ihrer Möglichkeit erwiesen werden; man muß sie in intuitiver Evidenz von sich aus vollziehen, wenn sie einleuchten soll. Dies ist, wie Hege! später spottet, eine Philosophie für »Sonntagskinder«. Ja Schelling übernimmt zwar von Hege! offensichtlich die Paradoxie der endlichen Reflexion, in die sie beim Denken des Unendlichen gerät, und damit die 29 GW 6,268. Vgl. GW 4,33: •[ ... ] das wahre Verhältnis der Spekulation, das Substantialitätsverhältnis [ ... ]•. Ebenso wird in der Geistesphilosophie der •absolute Geist eines Volkes• als die •einzige Substanz• gedacht (GW 6,315). 30 Vgl. 1WA 20,428.
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Theorie, daß der Widerspruch nur das Endliche betrifft und zugrunde richtet und daß darin schon die negative Präsenz des Unendlichen liegt. 31 Aber für ihn ist die Reflexion damit vernichtet; sie trägt zur Erkenntnis des Absoluten und Unendlichen eigentlich nichts bei. Die Methode dieser Erkenntnis des Absoluten ist somit für SeheHing nicht - wie für Hege! - Synthesis von Reflexion und intellektueller Anschauung, sondern Konstruktion in reiner intellektueller Anschauung. Diese Methode der philosophischen, intellektuell-intuitiven Konstruktion soll nach SeheHing das Absolute als Einheit z.B. von Allgemeinem und Besonderem begreiflich machen. Sie erweist, wie Besonderheiten im Allgemeinen als dessen Bestandteile enthalten sind; d.h. sie zeigt nach Schelling auf ihre Weise - wie für Hege! die Synthesis von Reflexion und intellektueller Anschauung - die Evidenz der konkreten Allgemeinheit und ihre Begreifbarkeit für uns auf. Das Absolute, das durch solche Konstruktion erkannt und begriffen wird, ist somit nicht übergegensätzliche, sondern in sich mannigfaltig bestimmte Einheit, nämlich eine Allgemeinheit als Ganzheit, die viele Besonderheiten in sich enthält. Diese Allgemeinheit ist nicht abstrakt oder diskursiv, sondern in sich konkret und intuitiv. - Die Methode der philosophischen Konstruktion bestimmt Schelling nun in enger Anlehnung an die Methode der geometrischen Konstruktion und setzt sich damit von Kants prinzipieller Unterscheidung der philosophischen und der mathematischen Methode ab. So wie die Konstruktion in der Geometrie in die allgemeine, reine, aber sinnliche Anschauung des Raumes durch Abgrenzungen besondere Figuren einzeichnet, die bestimmte Räume sind, so konstruiert die Philosophie in die intellektuelle Anschauung des Einen Absoluten als des Ganzen, des Universums, Besonderheiten durch Abgrenzungen und gewinnt damit spezifische Modifikationen des Absoluten, nämlich besondere Ideen als Repräsentationen des Absoluten. Solche philosophische Konstruktion in intellektueller Anschauung gilt SeheHing sogar als das Vorbild für die geometrische Konstruktion in der reinen sinnlichen Anschauung des Raumes. Durch diesen Intuitionismus in der Metaphysik wird für SeheHing das Absolute vollständig als Ganzheit und konkrete Allgemeinheit erkannt, die mannigfaltige, endliche Besonderheiten in sich enthält. Aus diesen Methodenbestimmungen folgt auch, daß das in sich mannigfaltigkeitslose, übergegensätzliche, indifferente Absolute offensichtlich ohne Konstruktion wie das farbenlose reine Licht angeschaut wird. Die intellektuelle Anschauung des Absoluten, sei es des übergegensätzlichen, indifferenten, sei es des in sich mannigfaltig bestimmten, ist nun für Schelling in allen geschichtlich aufgetretenen spekulativen Systemen im Grunde dieselbe. Auch Hege! favorisiert damals diese prinzipiell ungeschichtliche Auffassung von der Erkenntnis des Absoluten. Geschichtlichen Wandel und geschichtliche Entwicklung der Theorien der Wahrheit über das Absolute kennen beide also noch nicht, allenfalls eine Tendenz in der Geschichte zu derjenigen Vorstellung des Absoluten, die dann das Identitätssystem und der spekulative Idealismus ausführen. - Schelling
31 Vgl. etwa in Schellings und HegeLs erste absolute Metaphysik (1801-1802), a.a.O. 34f; vgl. auch SW 5,267,269.
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stellt eine Typologie solcher spekulativen Systeme auf.32 Der spekulative Materialismus und der ihm entgegengesetzte Intellektualismus sind für Schelling ursprüngliche, alte Theorien der Erkenntnis des Absoluten, die jedoch auch noch in der Neuzeit einerseits von Bruno, andererseits von Leibniz vertreten werden. Höher, nämlich dem Identitätssystem näher stehen für ihn der Realismus, dessen Vollendung er in Spinozas Philosophie sieht, und der Idealismus, wie er ihn dem spekulativ verstandenen Fichteschen und seinem eigenen früheren Denken zuschreibt. Mit Spinoza und dem Spinozismus bestimmt auch Schelling das Absolute ontologisch als Substanz. So erklärt er z.B. im Bruno-Dialog: »Das Eine aber, was schlechthin ist, ist die Substanz aller Substanzen, welche Gott genannt wird.•• 33 Mit Bezug auf Spinoza erklärt er in der Vorlesung vom Sommersemester 1801: ••Als solches, das zugleich Ursache und Wirkung wäre, nahm Spinoza seine absolute Substanz an, welche im Grunde ganz identisch mit der absoluten Identität ist.>Wissens des Geistes von sich« (GW 8,286), d.h. der absoluten Subjektivität. Zum anderen wird durch die Konzeption der Geistesphilosophie als einer systematischen Geschichte des Selbstbewußtseins der Übergang zur Metaphysik der Subjektivität erforderlich. Innerhalb der Substanzmetaphysik nämlich müßte die Vollendung des Selbstbewußtseins und d.h. seine erfüllte Selbstbeziehung darin bestehen, daß es sich in der Substanz des Volksgeistes versenkt und dafür aufopfert. Da es seine Vollendung und Erfüllung aber kaum in solcher Selbstannullierung finden kann, muß man über die Auffassung hinausgehen, daß die höchste Bestimmung des Absoluten die Eine
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Substanz sei. Auch aus diesem speziell in der Konzeption einer Geschichte des Selbstbewußtseins begründeten Anlaß ist der Übergang zu einer Metaphysik der Subjektivität als Grundlage der Theorie des realen Geistes erforderlich. - So konzipiert Hege! von der Mitte der Jenaer Zeit an eine Theorie der absoluten Subjektivität, die er dann zwar weiterentwickelt, die er aber auch noch in seiner Spätzeit vertritt. Sie bleibt, anders als Schellings späte Philosophie, spekulativer Idealismus. - Wie immer man die Wendung zum spekulativen Idealismus bei Hege! und Schelling um 1801 sachlich beurteilen mag, sie stellt die entscheidende Wandlung im idealistischen Denken dar, an der Schelling längere Zeit, Regel aber endgültig festhält
Wolfhart Henckmann ÜBER SEIN, NICHTSEIN, ERKENNEN UND DAMIT ZUSAMMENHÄNGENDE PROBLEME DER PHILOSOPHIE K. W.F. SOLGERS
Hege! hat in der Besprechung von Solgers Nachgelassenen Schriften und Briefwechse/1 gesagt, daß sich im Dialog »Über Sein, Nichtsein und Erkennen>Tathandlung« her gedacht würde. Auch hier fragt Schulze, ob die Rede von einer Tathandlung des Bewußtseins lediglich eine subjektive Vorstellung des menschlichen Bewußtseins oder ob sie als eine wahre und objektiv gültige Erkenntnis gedacht zu werden fähig sei, wiewohl deren Verständnis freilich von der subjektiven Erkenntnissetzung her bedingt ist. Wo immer objektive Erkenntnis prätendiert wird, ist aber stets der Nachweis der Mittel gefordert, die eine solche Erkenntnis nicht nur als subjektive, sondern eben auch als objektive dartun könnten. Es müßte also möglich sein, so fordert Schulze, daß jene Tathandlung nicht 15 Schulze: Die Hauptmomente der skeptischen Denkart aber die menschliche Erkenntniß. In: Neues Museum der Philosophie und Lilleratur. Hrsg. von Friedrich Bouterwek. Dritten Bandes zweytes Heft. Leipzig 1805, 23 (jetzt auch im Quellenband).
•Sich vollbringender Skeptizismus•
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bloß als Vorstellung des Bewußtseins von sich selbst, sondern als objektive Erkenntnis (einer 'Tatsache') auszuweisen sei. Besondere Aufmerksamkeit verdienen diejenigen Abschnitte der Hauptmomente, in denen Schulze - ungleich weitläufiger als die bisher genannten philosophischen Positionen - jene Philosophie der Identität diskutiert, die Schelling und Hege! etwa 1802 noch gemeinsam vertreten und entwickelt hatten. Daß es sich um diese Position handelt, wird aus den Zitaten klar, auf die Schulze dabei rekurriert. Er benützt einerseits Schellings Fernere Darstellungen, die hier als die eigentliche Methodenschrift gewürdigt werden. Ferner zieht Schulze auch Schellings Bruno zu Rate. Von Hege! indessen - das ist naturgemäß in dem vergleichsweise dürftigen Publikationsstand von Hegels Schrifttum zur damaligen Zeit begründet - wird der Skeptizismus-Aufsatz besonders hervorgehoben. Schulze referiert dabei zunächst die dort von Hege! entwickelte Unterscheidung zwischen einem wahren und einem falschen Skeptizismus. Die wahre Skepsis sei gegen die reflektierende Erkenntnis gerichtet, könne aber zu dem wahren Vernunftstandpunkt keineswegs durchdringen. Gelänge nämlich dieser Durchbruch für die subjektive Erkenntnis, so müßte die Skepsis sicH selbst athetieren bzw. der Standpunkt des Absoluten ließe auch den von der Skepsis als unerschütterlichen Ansatzpunkt gewählten Unterschied zwischen Subjekt und Objekt in sich verschwinden. Einen Angriffspunkt von Schutzes Kritik der Schelling-Hegelschen Position bildet Schellings Rede von der •Construction•, die Schelling sowohl in den Ferneren Darstellungen wie vor allem in dem überaus bedeutungsvollen und leider nur selten gewürdigten Construction-Aufsatz des Kritischen Journals ausführlich dargelegt hatte. In der Tat darf man in diesem systematischen Unternehmen Schellings zum damaligen Zeitpunkt den vielleicht letzten Versuch Schellings erkennen, seinen systematischen Ansatz einer Philosophie der Identität und der Erkenntnis des Absoluten unter dem nachdrücklichen Einfluß Hegels gleichwohl nach einem eigenständig gefundenen und neben Hegels logischen Entwürfen gleichberechtigten erkenntniskritischen Methoden-Entwurf zu entwickeln. Die Idee einer solchen •Construction• entnimmt Schelling dem Vorbild der Mathematik, näherhin der Geometrie und ihrer Demonstration der Lehrsätze. Auch die Mathematik sei eine Art der intellektuellen Anschauung, weil sie das Besondere im Allgemeinen einer geometrischen Konstruktion anschaulich werden lasse. Im Ansatz Schellings ist ein Rekurs auf Kant mit einer Erinnerung an den Platonischen Begriff der Idee verbunden, insofern das Eidos selber diesem metatheoretischen Anspruch genügt, der das Besondere im Allgemeinen bzw. als Allgemeines dem intuitiven Erkennen darstellbar macht. Die intellektuelle Anschauung ist zugleich Vernunftanschauung, weil hier die Erkenntnis als solche mit dem Gegenstande der Erkenntnis eins ist bzw. mit ihm zusammenfällt. Genau diese Bestimmung aber, die ersichtlich eine metatheoretische Reflexion auf die Natur solchen Erkennens ist, wird in einem weiteren Schritt der (metatheoretischen) Betrachtung mit dem Absoluten gleichgesetzt. Denn dessen formelle Bestimmung bezüglich einer Erkenntnis, die dem Absoluten somit (nicht mehr) als Form entgegenzusetzen wäre, unter der es gedacht wird, ist hier freilich dem Wesen der Sache selbst (dem Absoluten) in seiner Idee gleich: •und die formell-absolute Erkenntniß ist sonach nothwendig zugleich eine Erkenntniß des Absoluten selbst•. 16 Mithin denkt Schulze durchaus auf der Höhe des Reflexionsniveaus seiner Gegner den zentralen Gedanken, wonach das Absolute, wenn es dem Anspruch seiner Natur schlechterdings genügen soll, allerdings nicht nur Objekt eines Erkennens sein kann, sondern als das schlechthin Absolute auch die Erkenntnis seiner selbst in sich aufbeben muß. Das Beispiel der Mathematik als Sonderform der intellektuellen Anschauung beweist aber für Schelling, daß es erst recht eine Erkenntnis des Absoluten geben müsse. Schulze seinerseits räumt ein, daß mit dem strategischen Mittel einer intellektuellen Anschauung in der Tat ein solcher Erkenntnisgrund gefunden wlire, der den Skeptizismus zunichte 16
Ebd. 37.
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Kurt Rainer Meist machen würde. Allein er hält die Frage dagegen, ob dieser Punkt einer Erkenntnis sich •konstruieren• lasse. Nur dann, wenn diese •Construction• gelänge, wäre auch eine •Construction• des Bewußtseins im Absoluten bzw. dieses selbst als im Bewußtsein gewußtes erwiesen.
Schulzes erstes Gegenargument zielt auf die Unaufhebbarkeit der Gegensätze im Bewußtsein. Der Begriff von einem subjektiven Denken und einem objektiven Sein, die beide im Begriff des Absoluten als metatheoretische Bestimmungen gefordert werden, sind nach Schulze in ihrem Inhalte prinzipiell widersprüchlich voneinander unterschieden, so daß ihre Vereinigung in der gewünschten Weise unmöglich zu sein scheint. Es ist dieser Zusammenhang, wo Schulze von einer ••bisher beispiellosen Naivität« spricht, welche im Skeptizismus-Aufsatz Hegels ••bekennt«, daß der Widerspruch allerdings höchstes Kriterium der Vernunfterkenntnis sein müsse, welche alle Verstandeserkenntnis übertreffe. Schulze zitiert demzufolge auch den einschlägigen Satz aus dem Skeptizismus-Aufsatz wörtlich, um die Unhaltbarkeit der hier formulierten philosophischen Position demonstrativ bloßzustellen. Nicht ohne Ironie fragt Schulze dagegen an, wie jene Philosophie des Indifferenzpunktes, welche er im Skeptizismus-Aufsatz vertreten sieht, imstande sein wolle, den repugnanten Widerspruch zwischen den Begriffen in ein und demselben Akt des Bewußtseins vereinigt zu denken. Dabei ist stillschweigend als abgemacht vorausgesetzt, daß mit dieser Forderung nicht eine psychologische Unmöglichkeit bzw. eine artistische Leistung des faktischen Reflektierens, sondern ausdrücklich die logische Fragestellung einer fundamentalen Bestimmung des Denkens selber allein zur Debatte steht. Diese Gegenforderung müsse gerade darum geltend gemacht werden, wenn man beachte, wie im Skeptizismus-Aufsatz gegen andere Systeme auch das Argument eines widersinnigen Widerspruchs naiv-polemisch ins Feld geführt werde und als Kriterium ihrer Verwerfung fungiere. Doch abgesehen von solchen Widersprüchlichkeilen im gegnerischen Ansatz geht Schulze auch hier nochmals auf die metatheoretische Bestimmung eines Gegenstandes der intellektuellen Anschauung im Absoluten ein. Dieser Gegenstand sei nichts anderes als das »defektlose Absolute, das einzige Ansieh, die wahrhafte Substanz