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German Pages 629 [626] Year 2011
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel 157
Tabea Mariga Esch
»Freie Kirche im freien Staat« Das Kirchenpapier der FDP im kirchenpolitischen Kontext der Jahre 1966 bis 1974
Mohr Siebeck
Tabea Mariga Esch, geboren 1978; Studium der evangelischen Theologie in Marburg und Münster, 2005 Erstes Kirchliches Examen, 2008 theologische Promotion, 2008–2011 Vikariat in der Evangelischen Kirche von Westfalen, danach Pfarrerin im Entsendungsdienst.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. e-ISBN PDF 978-3-16-151067-0 ISBN 978-3-16-150617-8 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist nach einem dreijährigem Entstehungsprozess im Sommersemester 2008 von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden und erscheint nun im Druck. Viele Menschen haben mich auf dem langen, spannenden und oft auch anstrengenden Weg bis hin zur Fertigstellung und Drucklegung dieser Arbeit begleitet. Nur einige von ihnen seien an dieser Stelle namentlich genannt. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, der mir stets beratend und motivierend zur Seite stand. Umso trauriger bin ich, dass er das Erscheinen dieses Buches nicht mehr miterleben kann. Sein plötzlicher Tod am 17. März 2010 war für alle, die ihn liebten und schätzten, ein großer Schock. Ich bin sehr dankbar, dass ich unter seiner Betreuung diese Arbeit schreiben durfte. Sehr verbunden und dankbar bin ich des Weiteren Herrn Prof. Dr. Albrecht Beutel, der das Zweitgutachten erstellte und mir in seinem Oberseminar mehrfach die Gelegenheit gab, meine Arbeit zusammen mit anderen Promovenden und Habilitanden zu reflektieren und diskutieren. Ihm gilt des Weiteren mein Dank als Herausgeber der Reihe „Beiträge zur Historischen Theologie“ und Befürworter der Aufnahme meiner Arbeit in eben diese Reihe. Daran anschließend bedanke ich mich bei Herrn Dr. Henning Ziebritzki vom Verlag Mohr Siebeck sowie den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mich freundlich auf dem Weg zur Publikation begleitet haben. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den von mir besuchten Archiven danke ich für ihre freundliche und kompetente Beratung und Betreuung. Ein großer Dank gilt weiterhin dem Verein zur Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte, der mein Promotionsvorhaben mit einem Stipendium unterstützte und auch die Drucklegung meiner Arbeit mit einem großzügigen Zuschuss bedachte. Auch danke ich der VG Wort herzlich für die Übernahme des größten Teils der Druckkosten. Ebenso gilt mein Dank der Evangelischen Kirche von Westfalen sowie dem Kirchenkreis Hagen, die meine Arbeit ebenfalls mit einem Zuschuss gefördert haben. Von großem Wert waren für mich die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen jener Debatte, die mich an ihren Erfahrungen und Meinungen Anteil haben
VI
Vorwort
ließen. Ihnen allen sei gedankt, denn sie haben in großem Maße dazu beigetragen, dass der Darstellung Leben eingehaucht wurde. Stellvertretend für sie alle möchte ich an dieser Stelle Herrn Horst Dahlhaus nennen, der mir nicht nur viel Gesprächszeit, sondern zugleich einen großen Aktenbestand zur Verfügung stellte und stets helfend auf meine Nachfragen reagierte. Freunde und Freundinnen haben auf vielfältige Weise dazu beigetragen, dass ich mit meiner Arbeit am Ziel angelangt bin; durch die Diskussion bestimmter Sachverhalte mit mir; durch Korrektur-Lesen – hier sei besonders Dr. Anneliese Bieber-Wallmann, Dr. Claudia Bendick und Christoph Gerdes für ihre Mitarbeit gedankt – sowie durch immerwährendes Motivieren und Bestärken. Ihnen allen sage ich herzlichen Dank. Abschließend möchte ich mich von Herzen bei meiner Familie bedanken: bei meinem Mann Jan Christoph für seine beständige Geduld und liebevolle Zuwendung und meinen Eltern für ihr Vertrauen in einen guten Abschluss meines Promotionsvorhabens sowie für vielfältige Hilfestellungen, die sie alle, besonders mein Vater, mir in diesen Jahren haben zukommen lassen. Hagen, im Januar 2011
Tabea Mariga Esch
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen . . . . . . .
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1. Grundzüge liberaler Kulturpolitik: Für die Trennung von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Liberalismus und Paulskirchenverfassung . . . . . . . . 1.2. Der politische Liberalismus als »Motor« Bismarckscher Kirchenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Liberale Kirchenpolitik am Anfang der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Friedrich Naumann: Freier Staat und freie Kirche. 1.3.2. Die Kirchenpolitik der liberalen Parteien . . . . . 1.3.3. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Die Liberalen im Parlamentarischen Rat. . . . . . . . . 2. Programmatisches Ziel der FDP: Gegen die Vermischung von Politik und Religion – gegen »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Programmatik der 1950er Jahre . . . . . . . . . . . 2.2. Programmatik der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . 2.2.1. 1961 bis 1966. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. 1966 bis 1969. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche: 1969 bis 1972. . . . . . . . . . . . . .
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13 14 18 23 24 30 34 36
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39 42 64 64 72
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3. Das Verhältnis zur katholischen Kirche. . . . . . . . . . . . 3.1. Liberalismus, Katholizismus und katholische Kirche . . . 3.2. FDP und katholische Kirche 1949 bis 1969: Fortwährende Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 85 88
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.3. Liberale Katholiken und katholische Liberale: Annäherungsversuche Anfang der 1970er Jahre . . . 3.3.1. Die Tagungen der Theodor-Heuss-Akademie 3.3.2. Der Katholisch-Liberale Arbeitskreis . . . . . 3.3.3. Die FDP und das Katholische Büro Bonn. . .
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105 107 125 129
4. Kontakte zur evangelischen Kirche 1949 bis 1972 . . . . . .
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der politische Wandel der Jungdemokraten Anfang der 1970er Jahre: Vom Sozialliberalismus zur Radikaldemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die 1960er Jahre: Jungdemokraten auf sozialliberalem Kurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. 1969: Zeit des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. 1970 bis 1971: Grundsatzdiskussion und Radikaldemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. 1972 bis 1974: Tiefpunkt und Konsolidierung . . . . .
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153 155
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157 164
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten 1971/72 und die Entstehung des Kirchenpapiers . . . . . . . . . 2.2. »Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Gruppen« in Sachen Staat und Kirche – Die Humanistische Union 1961 bis 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Gründung der Humanistischen Union – Gerhard Szczesny: Die Zukunft des Unglaubens 2.2.2. Struktur und Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5. Die Humanistische Studentenunion . . . . . . . 2.2.6. »Antiklerikale Aktivitäten« . . . . . . . . . . . . 2.3. Arbeit an der Basis: Gemeinsame Aktionen von Humanistischer Union und Jungdemokraten . . . . 2.4. Die Grenzen der Kooperation: Warum ein gemeinsames Kirchenpapier scheiterte. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Das Kirchenpapier des Kreisverbandes Hagen: »Liberalismus und Christentum« . . . . . . . . . 2.4.2. Die Kirchenpapiere der Humanistischen Union . .
170 170
179 181 188 190 191 196 200 207 220 225 238
Inhaltsverzeichnis
IX
2.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Landesdelegiertenkonferenz der Deutschen Jungdemokraten NRW 7. 1. 1973 . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Grundsätzliche Stimmung . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Diskussion und Beschluss des »Liberalismus und Christentum«-Papiers . . . . . . . . . . . . 3.2. Bundesdelegiertenkonferenz 28. 1. 1973 . . . . . . . . . 3.2.1. Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Beschluss: »Liberalismus und Christentum« . . . . 3.3. Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Erste Stimmen aus der FDP . . . . . . . . . . . 3.3.2. Reaktionen der Kirchen . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Weitere Stimmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Landesparteitag der FDP NRW 30. 3. bis 1. 4. 1973 . . . 3.4.1. Antrag 58 Landesvorstand Jungdemokraten NRW 3.4.2. Diskussion und Beschluss des Landesparteitags . .
245
247 248 248 251 255 255 258 261 262 262 264
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten . . .
268
III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP . . .
277
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei: Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche . . . . . . . . . 1.1. Erste Beratungen auf höchster Ebene . . . . . . . 1.1.1. Bundesvorstand und Präsidium Januar bis April 1973 . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Die Kirchenkommission . . . . . . . . . . 1.2. Erster Entwurf (E I): »Forderungen der F.D.P. zum Verhältnis von Kirche und Staat« (April 1973) 1.3. Überarbeitung des Entwurfs (E II): »Forderungen der F.D.P. zum Verhältnis von Kirche und Staat – 2. Durchgang –« ( Juni 1973) . . . . . . . . . . . 1.4. Diskussion um eine Präambel . . . . . . . . . . . 1.4.1. Hertz-Entwurf ( Juni 1973) . . . . . . . . . 1.4.2. Funcke-Entwurf ( Juli 1973) . . . . . . . . 1.4.3. Matthäus-Entwurf (August 1973) . . . . . 1.4.4. Die Präambeln im Vergleich . . . . . . . . 1.5. Ende der Beratungen . . . . . . . . . . . . . . .
245 245
. . . . . .
277 277
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277 280
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291
. . . . . . .
295 300 301 304 306 308 311
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X
Inhaltsverzeichnis
1.5.1. Endfassung des Entwurfs (E III): »Freie Kirche im freien Staat – Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche« (August 1973) . . . . . . . . . . . . 1.5.2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Weitere Beratungen in den Gremien der Bundespartei. . 1.6.1. Präsidium und Bundesvorstand August/ September 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2. Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.3. Der 24. FDP – Bundesparteitag in Wiesbaden, 12. bis 14. 11. 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden 2.1. Ablehnung des Kirchenpapiers . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Saarland: Wählerakquisition versus Kirchenpapier. 2.1.2. Rheinland-Pfalz: Zwischen Partei und Kirche . . 2.1.3. Bayern: Die Qual der (Landtags-)wahl . . . . . . 2.2. Das Kirchenpapier als Gesprächsangebot an die Kirchen 2.2.1. Niedersachsen: Im Zeichen des Loccumer Vertrags 2.2.2. Bremen: Partnerschaft mit den Kirchen . . . . . . 2.2.3. Hamburg: Gespräche mit den Kirchen . . . . . . 2.3. Zustimmung zum Kirchenpapier mit substantiellen Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Hessen: Engagierte Kirchenpapiervertretung . . . 2.3.2. Schleswig Holstein: Jungdemokratische Schärfe . . 2.3.3. Berlin: Das Kirchenpapier in Theorie und Praxis . 2.3.4. NRW: Zwischen Sonderkommission und Kirchlichem Gesprächskreis . . . . . . . . . 2.3.5. Baden-Württemberg: Die Kirchenkommission unter Erwin Fischer . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Präsidium und Bundesvorstand 20./28. 6. 1974 . . . . . 3.2. Kirchenkommission II . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Fassung des Kirchenpapiers der Kirchenkommission II (E IV Juli 1974) . . . . . . . . . . 3.3. Klausurtagung des Bundesvorstandes am 14/.15. 9. 1974: »Freie Kirche im freien Staat« . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Letzte Änderungen: Die neue Präambel des Bundesvorstandes (Antrag 51a) . . . . . . . . . . . . . . . . .
311 314 317 317 319 326 329 330 330 332 336 344 344 352 353 354 354 357 361 365 388 400 400 401 401 403 410 415
XI
Inhaltsverzeichnis
4. Der 25. FDP – Bundesparteitag in Hamburg, 30. 9. bis 2. 10. 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Das Kirchenpapier auf dem Bundesparteitag . . . . 4.1.1. Generaldebatte . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Einzeldebatte. . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Schlussdebatte . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4. Beschluss vom 1. 10. 1974: Thesen der F.D.P. »Freie Kirche im freien Staat« (E VI) . . . . 4.2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
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417 419 420 428 434
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436 436
5. Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437 443
IV. EKD und Kirchenpapier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
447
1. EKD und Kirchenpapier . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. EKD und Kirchenpapier Januar bis August 1973 . . . 1.2. EKD und Kirchenpapier August bis September 1973. 1.3. EKD und Kirchenpapier Oktober 1973 bis Juni 1974 1.4. EKD und Kirchenpapier Juli bis Oktober 1974 . . .
. . . . .
. . . . .
447 447 453 460 470
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen . . . . . . . . . . 2.1. Die nördlichen Landeskirchen. . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Evangelisch-Lutherische Kirche SchleswigHolsteins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Evangelisch-Lutherische Kirche im Hamburgischen Staate . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers 2.2. Die mitteldeutschen Landeskirchen . . . . . . . . . . 2.2.1. Evangelische Kirche im Rheinland . . . . . . . 2.2.2. Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Evangelische Kirche von Westfalen . . . . . . . 2.2.4. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau/ Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck . . 2.3. Die südlichen Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Evangelische Landeskirchen in Baden und Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern . . . .
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478 480
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480
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485 492 500 501
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509 514
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523 529
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529 537
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers . . . . . . . . . . . .
541
XII
Inhaltsverzeichnis
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
553
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
557
Anhang 1: Antrag des Kreisverbandes Hagen der Deutschen Jungdemokraten: Liberalismus und Christentum . . . . . . . . .
557
Anhang 2: Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz der Deutschen Jungdemokraten Ende Januar 1973: Liberalismus und Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . .
570
Anhang 3: Freie Kirche im freien Staat – Thesen der FDP zum Verhältnis von Staat und Kirche (August 1973 = E III) . . . . . .
573
Anhang 4: Freie Kirche im freien Staat – Fassung des Bundesvorstandes vom 14. 9. 1974 (E V = Antrag 51) . . . . . . . . . .
577
Anhang 5: Thesen der F.D.P. Freie Kirche im freien Staat. Beschluss des 25. Bundesparteitages der F.D.P. in Hamburg vom 30. September bis 2. Oktober 1974 (= E VI) * . . . . . . . .
580
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . .
585
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
605
Abkürzungsverzeichnis Die in der Arbeit verwendeten bibliografischen Abkürzungen richten sich nach: Schwertner, Siegfried M., IATG Berlin/New York 21992. Die Kürzel der konsultierten Archive sowie die Abkürzungen der Nachrichtenagenturen, Tages- und Wochenpresse und Periodika sind im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgeführt. Darüber hinaus gelten folgende Abkürzungen: Abs. Abt. Acc. a.D. AGKV AP Art. AZ Bd. BDK BDKJ Best. Betr. BFB BHE BJT BK Bl. BPT BRD BTVP BV CDU CSU CVJM DBK DDP DDR DEKT Dep. DFP
Absatz Abteilung Accessionsnummer außer Dienst Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände Ausgangspapier Artikel Aktenzeichen Band Bundesdelegiertenkonferenz Bund der Deutschen Katholischen Jugend Bestand Betreff Bund freier Bürger Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bundesjugendtag Bekennende Kirche Blatt Bundesparteitag Bundesrepublik Deutschland Bundestagsvizepräsidentin Bundesvorstand Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Bischofskonferenz Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutscher Evangelischer Kirchentag Depositum Deutsche Fortschrittspartei
XIV DJD DKP DM DNVP DP DStP DVP DZP EI E II E III EAK EG EKD EKHN ELKB EKiR EKU EKvW epd epd Dok. ESK FNS FU FVP GG HJ HSU HU HVD JU Jusos KDSE Kf W KGK KLA KNA LD LDK LDPD LHV LKR LP LPT LSD LV MAN MdB
Abkürzungsverzeichnis
Deutsche Jungdemokraten Deutsche Kommunistische Partei D-Mark Deuschnationale Volkspartei Deutsche Partei Deutsche Staatspartei Deutsche Volkspartei Deutsche Zentrumspartei Entwurf I Entwurf II Entwurf III Evangelischer Arbeitskreis Europäische Gemeinschaft Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Evangelische Kirche im Rheinland Evangelische Kirche der Union Evangelische Kirche von Westfalen Evangelischer Pressedienst Evangelischer Pressedienst Dokumentation Evangelisch-Sozialer Kongress Friedrich-Naumann-Stiftung Freie Universität Freie Volkspartei Grundgesetz Hitlerjugend Humanistische Studentenunion Humanistische Union Humanistischer Verband Deutschlands Junge Union Jungsozialisten Katholische Deutsche Studenteneinigung Kreditanstalt für Wiederauf bau Kirchlicher Gesprächskreis Katholisch-Liberaler Arbeitskreis Katholische Nachrichtenagentur Liberale Demokraten Landesdelegiertenkonferenz Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Liberaler Hochschulverband Landeskirchenrat Liberale Partei Landesparteitag Liberaler Studentenbund Deutschland Landesverband Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Mitglied des Bundestags
Abkürzungsverzeichnis
MdL M. E. NDR NEK NLA NLP NPD NRW NS O. O. Reg. Resp. RPJ SDAJ SDR SDS SPD SSW StGB SWF THA TOP USPD VELKD vgl. Wik Wiss.Ass. WRV ZA ZdK
Mitglied des Landtags Matthäus Entwurf Norddeutscher Rundfunk Nordelbisch Evangelisch-Lutherische Kirche National-Liberale Aktion Nationaliliberale Partei Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus ohne Ort Registration Responsorien Ring der politischen Jugend Sozialistische Deutsche Arbeiter-Jugend Süddeutscher Rundfunk Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialdemokratische Partei Deutschlands Südschleswigscher Wählerverbund Strafgesetzbuch Südwestfunk Theodor-Heuss-Akademie Tagesordnungspunkt Unabhängige Sozialdemokratische Partei Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands vergleiche Wikipedia Wissenschaftlicher Assistent/ Wissenschaftliche Assistentin Weimarer Reichsverfassung Zentralausgabe Zentralkomitee der deutschen Katholiken
XV
Einleitung Am 1. 10. 1974 verabschiedete der 25. FDP-Bundesparteitag in Hamburg das so genannte Kirchenpapier1 der FDP »Freie Kirche im freien Staat« 2 . Es bestand aus einer Präambel und 13 Thesen, die eine Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Sinne einer Trennung beider voneinander implizierten: Abschaffung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Kirchen (2) 3, Ersetzung der Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem (5), Auf hebung der bestehenden Staatskirchenverträge und Konkordate (8), Abschaffung der Vorrangstellung freier Träger im Bereich der karitativ-sozialen Arbeit (9), Einführung der religiös und weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule mit Religionskunde als Wahloption neben dem konfessionell erteilten Religionsunterricht (10) – mit diesen fünf Thesen sind diejenigen aufgeführt, die im Verlauf des gut eineinhalbjährigen Entstehungsprozesses des Kirchenpapiers wohl am kontroversesten diskutiert wurden. Eine weitere, sehr umstrittene These zum Umgang mit den Theologischen Fakultäten war im Zuge der abschließenden Beratungen des Papiers im Bundesvorstand der FDP zwei Wochen vor dem Bundesparteitag gestrichen worden. Die Reaktionen, die der FDP und ihrem Kirchenpapier während des Diskussionsprozesses und insbesondere unmittelbar nach Beschluss des Papiers aus Kirche, Politik und Gesellschaft entgegen schlugen, waren von grundsätzlicher und teilweise scharfer Ablehnung geprägt. Aber auch parteiintern herrschte keineswegs Einmütigkeit, wie insbesondere die diametralen Ansichten der beiden evangelischen und kirchlich engagierten FDP-Politikerinnen Hildegard Hamm-Brücher und Liselotte Funcke verdeutlichten; erstere war eine der schärfsten Kritikerinnen des Kirchenpapiers, letztere brachte es auf dem Bundesparteitag in
1 Im Folgenden wird die während des gesamten Diskussionsprozesses geläufige Bezeichnung Kirchenpapier verwendet. 2 Vgl. F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P. Die in der Untersuchung häufig auftauchende Schreibweise F.D.P. lässt sich dadurch erklären, dass die liberale Partei von 1969 bis 2001 die »Pünktchen« als »werbliche Stopper« zwischen den Abkürzungsbuchstaben mitführte. 3 Die in Klammer stehende Zahl hinter den im Folgenden aufgelisteten Thesen verweist auf deren Position innerhalb des Thesenkatalogs (siehe dazu auch Anhang 5).
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Einleitung
Hamburg ein.4 Der Hamburger Beschluss führte in einigen Fällen sogar zum Austritt aus der Partei. So plötzlich und überraschend, wie das Kirchenpapier auf der kirchenpolitischen Tagesordnung aufgetaucht war, so schnell verschwand es dann auch wieder. Die FDP ließ es nach Hamburg in der Schublade der unbequemen Parteitagsbeschlüsse verschwinden, und die Tatsache, dass keinerlei weitere Initiativen von Seiten der liberalen Partei ausgingen, jene Thesen in politisches Handeln oder gar neue Gesetzesbeschlüsse umzusetzen, bestätigt, auf welche Vorbehalte es insgesamt stieß und dass es alles in allem als gescheitert betrachtet werden musste.5 Nachhaltiger als das Kirchenpapier blieb jedoch der Ruf, der der FDP in der Folgezeit anhaftete, insofern ihr der Beschluss des Kirchenpapiers erneut das Odium einer kirchenkritischen Partei aufdrückte, ein Odium, das sie durch ihre Kulturpolitik der Nachkriegszeit abzustreifen versucht hatte. Obwohl dem Kirchenpapier von Anfang an kein Erfolg im Blick auf eine mögliche Umsetzung seiner Inhalte beschieden war, erlangte es eine große Publizität, die sich in seiner breiten Diskussion in der Presse und den Medien, zahlreichen Veröffentlichungen in den gängigen kirchlichen, theologischen und parteipolitischen Organen sowie in einer Vielzahl an Veranstaltungen und Diskussionsrunden zur komplexen Thematik Staat und Kirche dokumentierte, allesamt Begleiterscheinungen jenes eineinhalbjährigen Entstehungsprozesses.6 Man kann sagen, dass kaum ein anderes Thema, das im Spannungsfeld von Kirche und Staat bzw. Kirche und Politik stand, in den Jahren 1973 und 1974 so ausführlich und kontrovers diskutiert wurde, wie das FDP-Kirchenpapier; eine Ausnahme bildete die Diskussion um die Novellierung des § 218 StGB, die sich bereits seit 1970 vollzog und 1976 ihr Ende fand.7 Ein wesentlicher Grund für die Öffentlichkeitswirksamkeit lag darin, dass zum ersten Mal seit Bestehen der BRD eine regierungsverantwortliche Partei das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche öffentlich kritisiert und jene kritische Anfrage durch einen Parteitagsbeschluss zur offiziellen Programmatik erhoben hatte.8 Hinzu kam, das jene Kritik in die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche mündete, was insofern auf Verwunderung stieß, als die allgemeine Meinung dahin ging, die Trennung 4 Vgl. Stellungnahme Hamm-Brücher beim Bundesparteitag am 1. 10. 1974, in: epd Dok. 50/1974, 26–31; Einbringungsrede Funcke, in: F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P., 3–10. 5 Vgl. Witte, Freie Kirche, 204. 6 »Noch nie wurde das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik so leidenschaftlich und kontrovers diskutiert, so umfangreich erörtert, so sehr missverstanden und so radikal in Frage gestellt« (Erwin Wilkens zit. nach KJ 1974, 62). 7 Vgl. Mantei, Nein und Ja. 8 Als Oppositionspartei hatte die FDP bereits 1969 in der »Nürnberger Wahlplattform« von 1969 das Verhältnis von Staat und Kirche thematisiert (siehe Abschnitt 2.3.).
Forschungsüberblick
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von Staat und Kirche als soweit verwirklicht und das gegenwärtige Verhältnis im Sinne der in der sozialliberalen Regierungserklärung konstatierten beiderseitigen Partnerschaft als gut und nicht revisionsbedürftig zu betrachten. Der Vorwurf des Anachronismus war somit einer der häufigsten Kritikpunkte, dem sich die liberale Partei bzw. ihr Kirchenpapier während des gesamten Diskussionsprozesses stellen musste. Es ist die Verbindung dreier Fragestellungen, die den Anknüpfungspunkt der folgenden Untersuchung bilden. So interessiert zunächst die Frage, was die FDP dazu bewogen hat, jene, dem Liberalismus keineswegs fremde, Trennungsforderung nun gerade in den Jahren 1973/74 zu artikulieren. Weiterhin ist dem Phänomen nachzugehen, wie ein Papier, dessen Chancen auf eine Umsetzung von Anfang an unrealistisch waren, und das insgesamt betrachtet auf breite Ablehnung stieß, dennoch eine so große Öffentlichkeitswirksamkeit hatte erlangen können. Die Verbindung dieser beiden Aspekte führt zur dritten Fragestellung, ob hier möglicherweise eine Wechselwirkung zu konstatieren ist, insofern jene breite, durch das Kirchenpapier ausgelöste Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche im Sinne einer gewissen Berechtigung seiner Existenz, mindestens aber seines Charakters als kritische Anfrage an das Verhältnis von Staat und Kirche Anfang der 1970er Jahre interpretiert werden kann. Hier wird vor allem der Umgang der evangelischen Kirche mit dem Kirchenpapier zu untersuchen sein.
Forschungsüberblick Das Kirchenpapier der FDP fi ndet in mehreren Veröffentlichungen und unterschiedlichen Zusammenhängen Erwähnung, eine Einzeldarstellung über Entstehung, Diskussion und Bedeutung des Papiers existiert hingegen nicht. Diese Lücke möchte die vorliegende Untersuchung schließen. Begleitet wurde der Diskussionsprozess durch eine Fülle an Aufsätzen und Artikeln, auf die in der Untersuchung näher einzugehen sein wird, und die durch zwei weitere zeitgenössische Veröffentlichungen zu ergänzen ist. Im März 1974 veröffentlichte Peter Rath ein Buch mit dem Titel »Trennung von Staat und Kirche?«9, das eine Fassung des FDP-Kirchenpapiers von August 1973 enthält, den Beschluss des Hamburger Parteitags von Oktober 1974 hingegen nicht mehr aufführt. Raths Buch, eine Sammlung von Dokumenten und Aufsätzen zum Thema Staat und Kirche, liefert einen Einblick in die zeitgenössische Diskussion, wobei sich die Perspektive auf die Stimmen beschränkt, die jenes Verhältnis kritisch anfragten und seine Änderung im Sinne einer stärkeren Trennung anstrebten. Eine weitere zeitgenössische 9
Vgl. Rath, Trennung.
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Veröffentlichung liegt mit dem im September 1974 in der Reihe Bonn aktuell erschienenen Buch »Kirche in Staat und Gesellschaft«10 vor, in dem FDPBundesvorstandsmitglied Liselotte Funcke, EKD-Synodalpräsident Cornelius Adalbert von Heyl sowie der stellvertretende Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Bonn, Johannes Niemeier, auf der Grundlage des Kirchenpapiers ihre Position zum Verhältnis von Staat und Kirche explizierten. Die Erwähnung des Kirchenpapiers in den einschlägigen Darstellungen zur Programmatik und Geschichte der FDP erklärt sich durch seinen Charakter als eines offiziellen Parteitagsbeschlusses und bedarf daher keiner näheren Ausführungen. Ein Bereich, in dem wiederum und zumeist stark kritisch auf das Kirchenpapier Bezug genommen wird, bezieht sich auf jene Darstellungen, die das Verhältnis der Parteien zu den Kirchen thematisieren. So zeichnet Matthias Scholz in seiner Dissertation »Streit um die Freiheit in der Moderne – Kirche, Katholiken und die FDP (1948–1976)«11 von 1994 das Verhältnis der FDP zur katholischen Kirche bzw. dem Katholizismus für die beschriebenen Jahre nach und bezeichnet dabei das Kirchenpapier als Auslöser einer erneuten Distanz zwischen Katholiken und FDP. In eine ähnliche Richtung geht der katholische Jurist und Kirchenrechtler Alexander Hollerbach in seinem Beitrag »Katholische Kirche und FDP«12 . Für die evangelische Seite ist auf die einschlägige Habilitationsschrift von Michael Klein »Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien«13 zu verweisen, in der Klein das Kirchenpapier ebenfalls als eine Art Barriere in dem gleichwohl freundlicheren Verhältnis von FDP und evangelischer Kirche betrachtet. Einen Einblick in die Diskussion aus dem Blickwinkel der evangelischen Kirche bietet weiterhin Eduard Lohses Buch »Erneuern und Bewahren – Evangelische Kirche 1970–1990«14, in dem der ehemalige hannoversche Landesbischof und Ratsvorsitzende der EKD in einer knappen Darstellung auf die Entstehung des Papiers sowie die Kontakte zwischen FDP und EKD während seines Diskussionsprozesses eingeht. Die Tatsache, dass das Kirchenpapier in biographischen Veröffentlichungen jener in die damalige Debatte involvierten liberalen Persönlichkeiten und kirchlichen Repräsentanten nicht oder allenfalls marginal erwähnt wird, verweist auf seinen ambivalenten Charakter.15 10
Vgl. Funcke/Heyl/Niemeier, Kirche in Staat und Gesellschaft. Vgl. Scholz, Streit. 12 Vgl. Hollerbach, Katholische Kirche. 13 Vgl. Klein, Protestantismus. 14 Vgl. Lohse, Erneuern. 15 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung von Sylvia Heinemann. 2004 veröffentlichte diese in Absprache mit Liselotte Funcke eine Sammlung von Briefen der liberalen Politikerin aus fünf Jahrzehnten, die nach bestimmten Themenblöcken, darunter auch »Staat und Kirche«, kategorisiert wurden. Obwohl Funcke eine der 11
Forschungsgegenstand und Erkenntnisinteresse
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Forschungsgegenstand und Erkenntnisinteresse Ein grundsätzliches Anliegen dieser Untersuchung besteht zunächst darin, die Diskussion des Kirchenpapiers in das weite Feld Staat und Kirche, das Theodor Heuss als das »schwierigste Gebiet«16 bezeichnete, »das man sich überhaupt vorstellen kann«17, als weiteren Mosaikstein einzuordnen. Im Vordergrund soll dabei nicht so sehr die Verortung des Kirchenpapiers in die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche stehen, als vielmehr der Versuch unternommen werden, das Kirchenpapier und die in ihm explizierte Trennungsforderung auf dem Hintergrund der konkretgeschichtlichen Bezüge bzw. des gesamtgesellschaftlichen Kontextes Anfang der 1970er Jahre zu begreifen. Ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt liegt somit auf der Entstehungsgeschichte des Kirchenpapiers, deren Kenntnis dazu verhelfen soll, Einsicht in die Gründe und Motive jener Kräfte und Initiativen zu erhalten, die mit dem Kirchenpapier das Verhältnis von Staat und Kirche, wie es sich Anfang der 1970er Jahre darstellte, einer kritischen Anfrage unterzogen. Hier wird zu zeigen sein, dass die Entstehung des Kirchenpapiers nicht originär in der FDP zu verorten ist, sondern in ihrer Parteijugend, den Deutschen Jungdemokraten. Im Januar 1973 verabschiedeten diese ein Papier mit dem Titel »Liberalismus und Christentum«, das im Frühjahr 1973 in die FDP gelangte und die Grundlage für jenen Diskussionsprozess darstellte, der mit der Verabschiedung des Kirchenpapiers »Freie Kirche im freien Staat« endete. Dem Papier der Jungdemokraten lag nun ein deutlich antikirchlicher und zugleich dezidiert antireligiöser Charakter zugrunde. Es stellte zudem im Blick auf seine kirchenkritischen Passagen, die jene Trennungsforderung weitaus deutlicher noch als das Kirchenpapier der FDP artikulierten, das Produkt einer Kooperation zwischen den Jungdemokraten und der Humanistischen Union dar, jener »antiklerikalen Intervention«18 , die sich mit Beginn der 1960er Jahre unter Gerhard Szczesny gegründet hatte. Insbesondere letztgenannter Aspekt wurde in der bisherigen Forschung nur marginal berücksichtigt; er ist jedoch von entscheidender Bedeutung für eine richtige Einordnung des Kirchenpapiers und liefert das Argument für eine dieser Untersuchung zugrunde liegende Hypothese, die davon ausgeht, dass der Diskussionsverlauf und möglicherweise auch die kirchlichen Reaktionen
deutlichen Befürworterinnen des Kirchenpapiers war und die Diskussion entscheidend dirigierte, wird in dieser Sammlung kein einziges dahingehendes Dokument aufgeführt (vgl. Heinemann, Liselotte Funcke). 16 Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 12. 1948, 255; AdL 19421. 17 Ebd. 18 Vgl. Müller-Heidelberg, Union, 140.
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auf das Kirchenpapier der FDP anders ausgefallen wären, wenn jene Genese nicht im Hintergrund gestanden hätte. So liefert der geschilderte Hintergrund ebenfalls eine Erklärung für die Kontroversen innerhalb der Partei im Blick auf Bedeutung und Notwendigkeit eines wie auch immer gearteten Kirchenpapiers. Die ausführliche Darstellung der dahingehenden parteiinternen Beratungen sowie die Einbettung des Kirchenpapiers in den Kontext liberaler Kulturpolitik stellen somit einen weiteren Schwerpunkt dieser Untersuchung dar. Hier sind die entsprechenden Positionen und Argumente für und gegen das Kirchenpapier sowie deren Einfluss auf die letztlich in Hamburg beschlossene Fassung darzustellen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei jenen liberalen Persönlichkeiten, die sich als kirchennah verstanden und dies durch ihr kirchliches Engagement zum Ausdruck brachten. Ihre Argumente für oder gegen das Kirchenpapier sind jenen Argumenten gegenüberzustellen, die von den beiden Großkirchen zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung angeführt wurden. Beschränkt sich die dahingehende Darstellung zur katholischen Kirche auf die wesentlichen Reaktionen, die diese an den markanten Eckpunkten der Diskussion zeigte19, so dient die detaillierte Darstellung der Beratungsprozesse in den Gremien der EKD und insbesondere in ihren Gliedkirchen dem Zweck, zu einer differenzierteren Bewertung einer möglichen kirchenpolitischen Bedeutung des Kirchenpapiers zu gelangen.
Quellenlage Die vorliegende Untersuchung basiert im Wesentlichen auf veröffentlichten Quellen, umfangreichem Archiv- und Pressematerial sowie Privatbeständen und nicht zuletzt jenen Informationen, die diversen Interviews und Gesprächen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen jener Debatte sowie einer Reihe von schriftlichen Auskünften entnommen werden konnten.20 Dem Anliegen verpfl ichtet, zunächst die Entstehungsgeschichte und den parteiinternen Diskussionsprozess des Kirchenpapiers möglichst akribisch aufzuarbeiten, stellte das Archiv des Liberalismus eine erste und letztlich am häufigsten 19 Ließ sich im Archiv der KNA sowie im Archiv des ZdK, beide in Bonn, einiges an Material zur Diskussion des Kirchenpapiers in der katholischen Kirche zusammentragen, so waren die Bestände zum Katholischen Büro, dem Generalvikariat in Köln sowie zum Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, allesamt im Historischen Archiv des Erzbistum Köln vorfi ndlich, nicht zur Einsicht freigegeben. Laut Archivauskunft vom 26. 2. 2007 hatten sich in besagten Beständen nach archivinternen Nachforschungen keine Unterlagen zum Thema FDP und katholische Kirche bzw. zum Umgang der katholischen Kirche mit dem Kirchenpapier fi nden lassen können. 20 Eine Aufl istung der kontaktierten Personen fi ndet sich im Quellen- und Literaturverzeichnis.
Quellenlage
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frequentierte Anlaufstelle dar. Hier fanden sich neben den parteieigenen Presse- und Mitteilungsorganen, der so genannten »Grauen Literatur«, u. a. umfangreiche Bestände zum Bundesverband und den Landesverbänden der Deutschen Jungdemokraten, zu den Entscheidungsgremien der FDP-Bundespartei sowie ihren einzelnen Landesverbänden, zum Kulturpolitischen Ausschuss, aber auch Nachlässe liberaler Persönlichkeiten, die die Diskussion entscheidend mit beeinflussten. Komplettiert wurden diese Bestände durch die des Landesstaatsarchivs Düsseldorf. Zu den wichtigsten Beständen gehörten hier diejenigen zur nordrhein-westfälischen FDP, ihrem Evangelischen bzw. Kirchlichen Gesprächskreis sowie die Nachlässe von Paul Luchtenberg, Willi Weyer und Heinrich Stakemeier. Die Auseinandersetzung mit der Humanistischen Union, die mit der erweiterten Kenntnis über die Entstehung des Jungdemokraten-Papiers notwendig wurde, erfolgte anhand mehrerer Aktenbestände zum Thema Staat und Kirche, die im Bildungswerk der Humanistischen Union NRW in Essen einzusehen waren. Eine wichtige Quelle stellte weiterhin der Nachlass von Erwin Fischer dar, dem sich bedeutsame Dokumente über Gründung und Anliegen der Humanistischen Union entnehmen ließen. Jener Nachlass sowie der Vorlass von Hildegard Hamm-Brücher fanden sich im Institut für Zeitgeschichte in München. Für den Teil der Untersuchung, der die evangelischen Reaktionen auf das Kirchenpapier behandelt, stellten die veröffentlichten Äußerungen, wie sie in den entsprechenden Jahrgängen des Kirchlichen Jahrbuchs und den Dokumentationen des Evangelischen Pressedienstes zu fi nden sind, einen ersten Zugang dar.21 Einen wichtigen Einblick in den innerkirchlichen Diskussionsprozess lieferten weiterhin die Protokolle der Landes- bzw. EKD-Synoden.22 Neben diesen veröffentlichten Quellen wurde das Evangelische Zentralarchiv in Berlin zum Hauptfundort archivalischer Quellen. Hier gaben insbesondere die Bestände des Bevollmächtigten des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung Hermann Kunst und des Oberkirchenrats und Öffentlichkeitsreferenten bis 1974, Erwin Wilkens, sowie die Bestände der Ratsvorsitzenden Kurt Scharf, Hermann Dietzfelbinger und Helmut Claß, in denen sich ein Großteil der Ratsprotokolle fi nden ließen, Einblick in die Diskussion, wie sie sich in der Spitze der EKD vollzog. Die Darstellung der landeskirchlichen Meinungsbildungsprozesse basiert auf einer breiten Recherche in den entsprechenden landeskirchlichen Archiven. Besonders ergiebig war diese Recherche in den Archiven der Evangelisch-lutherischen Landeskir21 Vgl. KJ 1973 und 1974; epd Dok. 36/1973, 39/1973, 1/1974, 26/1974, 28a/1074, 50/1974 und 53/1974. 22 Die Berichte über die Tagungen der EKD-Synode, die im Auftrag der Synode von der Kirchenkanzlei der EKD herausgegeben werden, werden in der Untersuchung mit Kurztiteln bestehend aus Ort und Jahr wiedergegeben.
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che Hannovers, der Evangelischen Kirche im Rheinland sowie im Nordelbischen Kirchenarchiv in Kiel. Umfangreiches Pressematerial konnte im Evangelischen Pressearchiv in Frankfurt und dem Zeitungs- und Pressearchiv in Münster gesichtet werden.
Aufbau der Arbeit Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in vier Kapitel, deren Mittelpunkt die ausführliche Darstellung der Entstehung und Diskussion des Kirchenpapiers der FDP bildet. Dabei liefert ein erstes, einleitendes Kapitel notwendige Hintergrundinformationen und Zusammenhänge, die der angemessenen Einordnung der Kirchenpapier-Diskussion dienen. Hierzu gehört die Verortung der Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche in die Tradition des Liberalismus, eine ausführliche Darstellung der kulturund kirchenpolitisch relevanten programmatischen Aussagen der FDP in den 1950er bis 1970er Jahren sowie der Einblick in das grundsätzliche Verhältnis bzw. die konkreten Beziehungen der liberalen Partei zur katholischen und evangelischen Kirche. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Entstehung des JungdemokratenPapiers »Liberalismus und Christentum«, auf dessen Grundlage die FDP ihr Kirchenpapier »Freie Kirche im freien Staat« entwickelte. Ein erster Teil beschreibt zunächst das Verhältnis der Jungdemokraten zu ihrer Referenzpartei FDP. Hier wird zu zeigen sein, dass die von den Jungdemokraten in die FDP hineingebrachte kritische Anfrage an das Verhältnis von Staat und Kirche nicht ohne das Wissen um jenen politischen Wandel zu verstehen ist, den die Parteijugend Anfang der 1970er Jahre vollzog. Exkursartig wird die Humanistische Union in den Kontext der Betrachtung eingeführt und die Kooperation zwischen ihr und den Jungdemokraten in Sachen Staat und Kirche dargelegt. Das umfangreichste dritte Kapitel beschreibt jene Vorgänge, wie sie sich in dem eineinhalbjährigen Entstehungs- und Diskussionsprozess innerhalb der FDP vollzogen. Dabei geht die Darstellung chronologisch vor, so dass die Eckpunkte der Diskussion gleichsam als Gliederungspunkte des Kapitels fungieren. Ein Schwerpunkt bildet die genaue und daher möglicherweise nicht immer komfortabel zu lesende vergleichende Darstellung der verschiedenen Kirchenpapier-Fassungen, angefangen von dem den ersten Beratungen zugrunde liegenden Jungdemokratenpapier über eine erste offi zielle Kirchenpapier-Fassung von August 1973 bis hin zum Beschluss des Bundesparteitages im Oktober 1974.23 In diesem Kontext liegt ein besonderes Au23
Es waren insgesamt sieben Kirchenpapier-Entwürfe, die zwischen dem »Liberalismus
Zur Einbettung des Kirchenpapiers in die Entwicklungen der Jahre 1966 bis 1974
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genmerk auf den beiden auf Bundesebene installierten Kirchenkommissionen, die zum Zwecke der Beratungen eingerichtet wurden und denen beide Male Liselotte Funcke, zugleich Mitglied der EKD-Synode, vorsaß. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der landesverbandsinternen Diskussionen, die den Nachweis darüber liefern soll, ob, wie und an welcher Stelle die jeweiligen Stellungnahmen der Landesverbände, die sich durch zahlreiche Besonderheiten auswiesen und zum Teil mit den entsprechenden Landeskirchen kooperierten, in die Beratungen auf Bundesebene einflossen. Die Darstellung des Diskussionsprozesses auf dem Hamburger Parteitag mag als eindrückliche Zusammenfassung jener in dieser Debatte wirkenden Kräfte und ihrem Einfluss auf diese fungieren. Ein viertes Kapitel dient der Darstellung des kirchlichen Meinungsbildungsprozesses in der evangelischen Kirche. Dabei beschreibt ein erster Teil zunächst Reaktion und Umgang des Rates der EKD und führender evangelischer Repräsentanten auf bzw. mit jener kritischen Anfrage. Die Ausweitung auf die Landeskirchen in einem zweiten Teil ist der Tatsache geschuldet, dass die Meinungsbildungsprozesse hier insgesamt differenzierter und ausführlicher waren. In beiden Teilen wird die Frage, wie man seitens der evangelischen Kirche der FDP auf Bundes- bzw. Landesebene begegnete, von zentraler Bedeutung sein.
Zur Einbettung des Kirchenpapiers in die Entwicklungen der Jahre 1966 bis 1974 Der Forschungsschwerpunkt der Untersuchung liegt in der Entstehung des Kirchenpapiers und bezieht sich somit primär auf die Jahre 1973 und 1974, wodurch sich zugleich das Ende der gesetzten Zäsur erklärt. Der schlaglichtartige Hinweis auf den zeitlichen Kontext der Jahre 1966 bis 1974, der insbesondere in den ersten beiden Kapiteln zu berücksichtigen sein wird, dient vorweg einem besseren Verständnis sowohl der FDP-internen Prozesse, als auch der Reaktionen, die seitens der evangelischen Kirche auf das Kirchenpapier gezeigt wurden. Beides muss vor dem Hintergrund jener Entwicklungsprozesse verstanden werden, die sich in der »dynamische[n] Zeit« 24 der 1960er Jahre in den Bereichen Politik, Gesellschaft und Kirche vollzogen und sich in die 1970er Jahre hinein auswirkten. Der Beginn jener Zäsur mit dem Jahr 1966 rechtfertigt sich in mehrerlei Hinsicht. Politisch vollzog sich hier der Machtwechsel von der 1966 gebildeten großen Koalition hin zur und Christentum«-Papier der DJD und dem in Hamburg beschlossenen Kirchenpapier »Freie Kirche im freien Staat« lagen. 24 Wolfrum, Bundesrepublik, 320.
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sozialliberalen Koalition des Jahres 1969 und damit die Ablösung einer 20 Jahre lang andauernden CDU-Regierung. Die Bildung der sozialliberalen Regierung konnte als Ausdruck jener gesamtgesellschaftlichen Modernisierungstendenzen betrachtet werden, die spätestens mit Beginn der Großen Koalition ihren verstärkten Ausdruck fanden und mit den Schlagworten Pluralisierung, Säkularisierung und dem Wunsch nach einer Demokratisierung gesellschaftlicher Lebensbereiche beschrieben werden konnten. Auch zeichnete sich hier ein grundsätzlicher Wertewandel ab, der einer zunehmenden Bedeutung der Individualität sowie der Kritik an autoritären Strukturen geschuldet war. Die Wahlslogan von SPD und FDP, »Wir schaffen das moderne Deutschland« 25 und »Wir schneiden die alten Zöpfe ab« 26 sowie das Motto der sozialliberalen Regierungserklärung, »mehr Demokratie wagen« 27, spiegelten das Interesse der Parteien wider, jenem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, der sich politisch in einem allgemeinen Linkstrend manifestierte, politisch Rechnung zu tragen. Für die FDP stellte das Jahr 1966 insofern eine deutliche Zäsur dar, als sie auf die Oppositionsbank verwiesen wurde und jene Zeit zu einer Erneuerung nutzte, die sich in dem bereits angedeuteten Wandel hin zu einem sozialliberalen Kurs manifestierte und seine programmatische Verankerung in den »Freiburger Thesen« 28 von 1971 fand. Für die Thematik der Untersuchung von besonderer Relevanz ist nun die Tatsache, dass der Bereich der Kulturpolitik der FDP in jenen Jahren entscheidend mitgeprägt wurde. Jene Prägung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass ab Mitte der 1960er Jahre nicht mehr so sehr das Verhältnis von Partei und Kirche thematisiert wurde, sondern die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche in den Vordergrund rückte. Die kulturpolitischen Aussagen der so genannten »Nürnberger Wahlplattform« 29 von 1969 belegen, dass die liberale Partei bereits hier die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche artikuliert hatte. Wie zu zeigen sein wird, kam auch hier den Jungdemokraten eine katalysierende Funktion zu. Die Politik der liberalen Parteijugend und damit zusammenhängend ihr Verhältnis zur FDP erfuhren in jenen Jahren ebenfalls eine entscheidende Wandlung. So zeichnete sich etwa mit Beginn der Oppositionszeit eine zunehmende Emanzipation der Jungdemokraten von der Referenzpartei FDP ab, die bis 1969 noch im Sinne einer konstruktiven Kooperation beider verstanden werden konnte. Mit Beginn der 1970er 25
Ebd., 368. Ebd. 27 Görtemaker, Kleine Geschichte, 219. 28 Vgl. Flach/Maihofer/Scheel, Freiburger Thesen. 29 Vgl. Praktische Politik für Deutschland – Das Konzept der F. D.P, verabschiedet vom 20. Ordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 25. 6. 1969 in Nürnberg, in: Verheugen, Das Programm, 15–32. 26
Zur Einbettung des Kirchenpapiers in die Entwicklungen der Jahre 1966 bis 1974
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Jahre jedoch wandelte sich die Politik der Jungdemokraten, auch beeinflusst von der so genannten 68er-Bewegung, von einem Sozialliberalismus hin zu einem radikaldemokratischen Kurs, der zu einer zunehmenden Distanz und größeren Konfl ikten zwischen den Jungdemokraten und der FDP führte. Die Entstehung und Diskussion des Kirchenpapiers muss auf diesem Hintergrund gesehen werden. Die oben geschilderten gesellschaftlichen Prozesse wirkten sich nun auch auf die Kirchen aus.30 So waren die 1960er Jahre insgesamt betrachtet von einer zunehmenden Distanz der Gesellschaft zur Kirche geprägt. Der Einfluss der katholischen Kirche schwand mit dem Ende der Adenauer-Ära, und das Zweite Vatikanum 1965 kann insofern auch als Reaktion auf die gesellschaftliche Haltung der Kirche gegenüber verstanden werden, als mit ihm eine gewisse Liberalisierung der katholischen Kirche einsetzte. Die im gleichen Jahr veröffentlichte so genannte Ostdenkschrift der EKD von 1965 »zur Lage der Vertriebenen in Osteuropa« 31 löste eine breite Debatte darüber aus, inwieweit die Kirche im Bereich der Politik ihre Meinung äußern dürfe. Der Blick in die Kirchlichen Jahrbücher der 1960er Jahre weist auch hier das Jahr 1966 als gewissen Einschnitt aus, insofern man hier erstmals von einer »Auf- und Umbruchzeit« sprach, auf die die Kirche sich mehr und mehr einzustellen hatte.32 Jene Auf- und Umbrüche der EKD ergaben sich durch die zunehmend kirchenkritischen Anfragen an den Auftrag und die Stellung der Kirche im gesellschaftlichen Kontext. Dazu gehörten ebenfalls Anfragen an die rechtliche Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche.33 Der Bedeutungsverlust der Kirchen manifestierte sich in den Kirchenaustrittswellen von 1968 und 1974. Innerkirchlich zeichneten sich eine zunehmende Pluralität an theologischen Positionen sowie strukturelle Veränderungen ab; so in den Abspaltungen evangelikaler Gruppen, die sich im Sinne einer Rückkehr zu den konservativen Werten der Gesellschaft von den Großkirchen lösten. Auch musste der Zusammenschluss der Landeskirchen in der DDR 1969 und die damit verbundene organisatorische Loslösung von der EKD als ein weiteres, einschneidendes kirchenpolitisches Ereignis jener Zeit betrachtet werden. Nicht zuletzt die 1970 in Angriff genommene aufwendige Arbeit an einer Reform der EKD-Grundordnung, die zum Ziel 30
Vgl. Hauschild, Evangelische Kirche. Vgl. Die Lage der Vertriebenen. 32 Vgl. die Überschriften der Einleitungen in die KJ der Jahre 1966–1974: Kirche im Auf bruch zu neuen Ufern (1966); Ein unruhiges Jahr der Kirche (1967); Kirche in der Krise – Kirche vor neuen Aufgaben (1968); Kirche-Sein in einer Zeitenwende (1969); Kirche in Anfechtung und Engagement (1970); Volkskirche in der Diaspora (1972). 33 »Beginn und Ende der Amtsdauer der vierten Synode der EKD waren von scharfen Angriffen gegen die staatskirchenrechtlichen Beziehungen von Staat und Kirche gekennzeichnet« (Rechenschaftsbericht 1972/1973, 151). Die vierte Synode ging von 1967 bis 1973. 31
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hatte, die Kompetenzen der EKD durch ihre Umwandlung zu einer einheitlichen »›Bundeskirche‹«34 zu stärken, konnte auch als Reaktion auf die beschriebenen Prozesse verstanden werden. All diese Faktoren führten zu einer verstärkten Diskussion über den volkskirchlichen Charakter der Kirche sowie zu einer grundsätzlichen Stimmung innerhalb der EKD, die man bis etwa Mitte der 1970er Jahre im Sinne einer »intensiven Suchbewegung in Richtung auf ein gewandeltes Selbstverständnis«35 beschreiben konnte.
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Hauschild, Evangelische Kirche, 71. Mantei, Nein und Ja, 41.
I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen Eine überblicksartige Darstellung des Verhältnisses der FDP zu den Kirchen hat zum Ziel, das so genannte Kirchenpapier von 1973/74 in den weiteren Kontext liberaler (Kirchen)-Politik zu stellen. So soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden, warum das Kirchenpapier Anfang der 1970er Jahre auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde und wie es mit liberaler Programmatik insgesamt vereinbar war. Zudem kann die Darstellung dazu beitragen, die Reaktionen der Kirchen auf das Kirchenpapier besser zu verstehen, indem sie Einblick in die jeweiligen Beziehungen zwischen der Partei und den Kirchen von Gründungsbeginn der Partei an gibt und auf diese Weise z. B. verdeutlicht, warum das Verhältnis der FDP zur katholischen Kirche immer distanzierter war, als das zur evangelischen Kirche. Es wird zu zeigen sein, dass die Einstellung der Partei zu den Kirchen zu einem großen Teil von den gegebenen politischen und gesellschaftlichen Umständen abhängig war. Auch wirkte sich die politische Agitation der beiden Volksparteien CDU und SPD deutlich auf die programmatischen Aussagen der FDP aus. Umgekehrt reagierte das Wahlvolk, das, so Schmitt, mit dem Kirchenvolk »nahezu identisch«1 war, auf die jeweiligen Äußerungen der Parteien, so dass der Aspekt der konfessionalistischen Politik ebenfalls in die Darstellung einfl ießt.
1. Grundzüge liberaler Kulturpolitik: Für die Trennung von Staat und Kirche Wann immer die Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche in der deutschen Geschichte diskutiert wurde, galten der politische Liberalismus und der Sozialismus als kirchenfeindliche bzw. antiklerikale Weltanschauungen, die zu bekämpfen eines der Hauptanliegen kirchenfreundlicher politischer Richtungen sowie der Kirchen selbst wurde. Obwohl beide als Advokaten einer Trennung von Staat und Kirche auftraten, vernachlässigt eine in diesem Sinne gemachte pauschale Be- bzw. Verurteilung des politischen Liberalismus sowie die damit verbundene Gleichsetzung mit dem Sozialismus 1
Schmitt, Konfession, 18.
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
zwei wesentliche Aspekte. So werden sowohl die unterschiedlichen Motive sozialistischer und liberaler Kirchenpolitik als auch die Aufsplitterung des politischen Liberalismus, die sich auch im kirchenpolitischen Bereich manifestierte, zu wenig berücksichtigt.2 Von Beginn seines Wirkens in Deutschland an bildete der politische Liberalismus ein Konglomerat verschiedener liberaler Positionen, die sich im Zuge der 1848er-Revolution in Deutschland allmählich fraktionierten und dann in der Kaiserreichszeit 1871 ff. ihre parteipolitische Organisation fanden. Etwa seit Beginn des Kaiserreichs gab es die zwei Richtungen eines »Linksliberalismus« und eines »Nationalliberalismus«, die sich bis zur Gründung der FDP im Jahre 1948 durchzogen, sich dort schließlich im Sinne einer »ideologische[n] Koexistenz«3 verbanden und zunächst ihrer Ausrichtung entsprechend in der Partei weiter fortwirkten.4 Ein Blick in die Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland zeigt, dass die Liberalen an markanten Eckpunkten entscheidenden Einfluss auf die Diskussion dieser Thematik hatten. Obwohl die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche ein grundsätzliches Anliegen des Liberalismus insgesamt war, gab es hinsichtlich ihrer Intention, Begründung und letztlich auch Umsetzung deutliche Unterschiede innerhalb der liberalen Strömungen. Die Einstellung zum Verhältnis von Staat und Kirche resultierte dabei aus unterschiedlichen politischen Prämissen, sie wurde zudem stark beeinflusst durch das Engagement bestimmter Personen. Im Folgenden soll versucht werden, die Divergenz der Kirchenpolitik beider liberaler Richtungen im Kontext jener Eckpunkte aufzuweisen, die das Verhältnis von Staat und Kirche tangieren. 1.1. Liberalismus und Paulskirchenverfassung Die verfassungsmäßige Umsetzung der Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche wurde erstmals während der politischen Revolution 1848/49 artikuliert, als im Zuge des Konstitutionalismus und der Ansätze zu verfassungsrechtlichen und parlamentarischen Strukturen in den Einzel2
Auf eine ausführliche Darstellung sozialistischer Kirchenpolitik kann an dieser Stelle verzichtet werden, weil sie nicht zum Thema gehört. Einzelne Aspekte werden im Verlaufe der folgenden Darstellung gestreift. Ein grundsätzliches Merkmal sozialistischer Kirchenpolitik bestand darin, dass sie im Unterschied zur liberalen Kirchenpolitik viel stärker auch durch religionskritische, teilweise auch religionsüberwindende Ideologien geprägt wurde, was sich bspw. in der verstärkten Hinwendung der SPD zur atheistischen Denkweise am Ende des 19. Jahrhunderts zeigte (vgl. Reitz, Christen). 3 Dittberner, Partei, 1317. 4 Wirsching bezeichnete die seit 1910 existierende Fortschrittliche Volkspartei als »Partei der Linksliberalen«, die sich aus »mehreren Vorgängerorganisationen« gegründet hatte (Wirsching, Deutsche Geschichte, 10). Die Nationalliberalen hatten sich bereits 1866/67 zur Nationalliberalen Partei zusammengeschlossen.
1. Grundzüge liberaler Kulturpolitik: Für die Trennung von Staat und Kirche
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staaten auch eine Erneuerung des Kirchenwesens angestrebt wurde.5 Die Liberalen, die sich im Vormärz in einer gemäßigten und einer radikalen Richtung formiert hatten, einte das Anliegen einer Trennung von Staat und Kirche, so dass die Auf hebung des Staatskirchenwesens in der Paulskirchenverfassung als ein erster kirchenpolitischer Erfolg gelten konnte.6 Die grundsätzliche politische Haltung und die angestrebten Ziele der beiden Richtungen unterschieden sich jedoch deutlich voneinander. Wollten die Radikalen »alles auf einmal«7 und verbanden sich mit ihrem Streben nach Freiheit, Demokratie und einer republikanischen Staatsform zugleich sozialistische Postulate, so hielten die Gemäßigten an der konstitutionellen Monarchie fest, wobei die Linksliberalen für mehr Demokratie eintraten, die national Orientierten sich jedoch auf die Forderung nach einer Verfassung beschränkten. Die Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche in der Nationalversammlung innerhalb der Grundrechtsdebatte zeigte, dass sich die Intentionen der gemäßigten und der radikal-demokratisch Liberalen aufgrund dieser Prämissen deutlich unterschieden.8 Die gemäßigten Liberalen begründeten die Trennungsforderung mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die eine Selbständigkeit der kirchlichen und religiösen Gemeinschaften erforderlich mache und zugleich die Freiheit zur Gründung neuer Religionsgesellschaften unabhängig von staatlicher Mitbestimmung beinhalte.9 5
Vgl. Hauschild, Lehrbuch Band II, 782 ff. »[E]s besteht fernerhin keine Staatskirche« (§ 147 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849, Abschnitt VI, Die Grundrechte des Deutschen Volkes, zit. nach Huber/Huber, Staat und Kirche, Band II, 33). 7 Baum/Juling, Auf und Ab, 25. 8 In der unübersichtlich anmutenden Vielfalt der politischen Positionen und Fraktionen der Nationalversammlung (»nichts ist so charakteristisch für ihre tastende Unsicherheit, als daß sie ihre Namen von Wirtshausschildern bezogen«; Heuss, zit. nach Baum/Juling, Auf und Ab, 26) sammelte sich die liberale Mitte in den Fraktionen »Casino-Partei« und »Württemberger Hof«. Dabei war die »Casino-Partei« als stärkste Fraktion der Nationalversammlung rechts und somit nationalliberal ausgerichtet, wohingegen den »Württemberger Hof« eine linksliberale Ausrichtung prägte. Die radikalen Liberalen versammelten sich innerhalb der Gruppe der demokratischen Linken, dort im gemäßigten linken »Deutschen Hof« sowie im extrem linken »Donnersberg« (vgl. Scholler, Grundrechtsdiskussion, 9 ff.). Eine ausführliche Darstellung der Wortmeldungen sowie biographische Angaben zu den einzelnen Rednern bietet Eyck, Hoffnung, 271–284. 9 Wie sehr sich diese Forderung aus einem liberalistischen Grundrechtsdenken ableitete, zeigte die religiöse Toleranz, die ihr zugrunde lag: »Sollte etwa eine Partei auftreten, die sich zur Selbstanbetung vereinigte, statt zur Anbetung eines überirdischen Wesens, oder sollte die Secte der Shakers in Deutschland Verbreitung fi nden, die da wähnen durch Tanzen und Springen das höchste Wesen am Würdigsten zu ehren, so würde von Staatswegen weder den Einen, noch den Anderen ein Hinderniß in den Weg gelegt werden [. . .]« (Karl Jürgens, zit. nach Scholler, Grundrechtsdiskussion, 158). Jürgens (1801–1860) war nationalliberal ausgerichteter Abgeordneter, evangelischer Theologe und Pfarrer (vgl. auch Kühne, Reichsverfassung, 549). 6
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Dabei wurde insbesondere von den nationalliberal ausgerichteten und der Monarchie verbundenen Abgeordneten auf die historisch bedingte enge Verknüpfung von Staat und Kirche hingewiesen, die den Kirchen zugleich bedeutete, dass sie sich den bestehenden Staatsgesetzen unterzuordnen hatten.10 Dieser Hinweis war nun nicht im Sinne eines Herrschens des Staates über die Kirchen zu verstehen, sondern sanktionierte eine allgemeine staatliche Aufsichtsfunktion, »wie sie dem Staat über alle Personenverbände und somit auch über Religionsgesellschaften zukommt.«11 Mit der Betonung dieser Verbindung wandten sich die Liberalen gegen die Forderung klerikaler Kreise nach einer Unabhängigkeit von Kirche und Staat, deren Gefahr man in einer einseitigen Herrschaft der Kirche über den Staat sah.12 In diesem Sinne traten die gemäßigten Liberalen für die Gewährleistung und Sicherung der Freiheit beider Bereiche voneinander ein. Insbesondere die linksliberalen Abgeordneten proklamierten diese gegenseitige Befreiung und begründeten ihre Forderung damit, dass nur auf diesem Wege beide Bereiche jeweils für sich zu ihrer vollen Entfaltung gelangen könnten.13 Dies implizierte zugleich die wechselseitige Rückgabe der von Staat und Kirche gleichsam vertauschten Kompetenzen, so für den staatlichen Bereich die Übernahme des Bereiches der Eheschließung durch die Einführung der Ziviltrauung, die Kontrolle über die Geburten- und Todesfälle durch die Ein-
10 »[D]ie kirchlichen Verhältnisse, die wir zunächst als Staatsmänner ins Auge fassen, sind historische Verhältnisse, sie sind, wie sie da sind, als Verhältniß der katholischen und protestantischen Kirche tief zusammengewachsen und verschmolzen mit dem staatsgesellschaftlichen Leben« (Karl Theodor Welcker, zit. nach Scholler, Grundrechtsdiskussion, 155). »[S]chon seit vielen Jahren wurde darüber gestritten, ob die Kirche über, neben, unter oder in dem Staate stände. Sagen Sie, meine Herren, sie ist in dem Staate, denn sie ist darin, und der Staat nicht in der Kirche, und weil der Staat nicht in der Kirche sondern die Kirche im Staate ist, so muß sie auch als Kirche [. . .] den Staatsgesetzen unterworfen bleiben« (Karl Wilhelm Heinrich Schwarz, zit. nach ebd., 167). 11 Ott, Aspekte, 32. 12 »Die Unabhängigkeitsforderung der Klerikalen erregte das Mißtrauen der Nationalversammlung, da ihre Forderungen in der Abschaffung aller Patronats- und Kontrollrechte des Staates gipfelten« (Scholler, Grundrechtsdiskussion, 24 f.). Vgl. dazu das Votum Karl Theodor Welckers: »Unabhängigkeit wird gefordert für die Kirche. Nun, meine Herren, ich will hoffen, daß dieses Wort nicht als Souveränität verstanden wird, und dennoch ist Souveränität eine gute Uebersetzung von Unabhängigkeit. Wollen Sie eine Souveränität der Kirche über den Staat, soll die Kirche die höchste Macht über dem Staat sein, soll davon gesprochen werden, weil der Einzelne Gott mehr gehorchen soll, als den Menschen, so sage ich, darauf kann man keine Staatsgebäude gründen. Wir müssen ein Staatsgebäude haben, wo es nur eine souveräne höchste Gewalt gibt« (zit. nach ebd., 155. Hervorhebung T. M. E.). 13 »Wo Staat und Kirche getrennt sind, da sehen wir das politische Leben in der höchsten Entwicklung, in der freiesten Bewegung, in seiner tiefsten Kräftigkeit; aber wir sehen auch andererseits das religiöse Leben in seiner größten Innigkeit, in seiner wahrsten und unverfälschtesten Gestalt« (Karl Biedermann, zit. nach ebd., 152).
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führung von Zivilstandsregister sowie die Umformulierung der Eidesformel ohne religiöse Bezugnahme. Die Trennungsforderung der radikal-demokratischen Liberalen unterschied sich insofern von der der gemäßigten, als sie durch einen stark antiklerikalen und laizistischen Charakter bestimmt wurde. Ihnen ging es weniger um die Befreiung von Kirche und Staat als vielmehr um eine Befreiung des Menschen »aus seiner doppelten Knechtschaft [. . .] des Staates und der Kirche.«14 Damit verbunden war vielfach eine dem auf klärerisch-rationalen Denken verpfl ichtete religionskritische Haltung, die den christlichen Glauben bzw. Glauben allgemein als »der freien Entwicklung des Menschengeistes«15 diametral entgegenstehend erachtete. Die Kirchen als Glaubensinstitutionen galten somit als »Hemmschuh der Civilisation [und] Zwangsanstalt«16 , deren Einfluss zurückgedrängt werden musste. Diese Einstellung begründete zugleich ihr verstärktes Eintreten auch für die Trennung von Kirche und Schule.17 Die im Dezember 1848 zunächst als selbständiges Reichsgesetz verkündeten Grundrechte, die dann auch Teil der Reichsverfassung vom März 1849 wurden, konstatierten die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Aufhebung der Staatskirche, die Einführung der Zivilehe und der Standesbücher, die Freiheit zur Bildung neuer Religionsgemeinschaften sowie das Recht auf Selbstverwaltung jeder Religionsgemeinschaft.18 Ihre Aussagen zeigten, dass sich die Forderungen der gemäßigten Liberalen durchgesetzt hatten. Die Reichsverfassung trat jedoch nie in Kraft. Auch die separat beschlossenen Grundrechte wurden im August 1851 wieder aufgehoben, so dass sich die in ihnen artikulierte Trennung von Staat und Kirche nicht durchsetzen konnte. Gleichwohl zeichnete sich ein Prozess der Lockerung des Verhältnisses von Staat und Kirche ab, der sich praktisch in der Etablierung eines Systems der Staatskirchenhoheit innerhalb mancher Einzelstaaten
14 Franz Wigard, zit. nach ebd., 171. Vgl. auch Karl Nauwerck: »Die Religion und Kirche muß eine Privatangelegenheit werden. Sie muß durchaus der Freiwilligkeit der Einzelnen und der Gesellschaften anheim gestellt werden« (zit. nach ebd., 163). Diese Forderung fand später in den Parteiprogrammen der SPD ihre Aufnahme. 15 Carl Vogt, zit. nach ebd., 157. 16 Ebd. 17 Vgl. Das radikale Programm Struves, März 1848, in: Mommsen, Parteiprogramme, 125–127: »7. Auflösung des Bundes, welcher bisher bestand zwischen Kirche und Staat und Kirche und Schule [. . .]« (ebd., 126). Der Münchner deutsche Politiker, Rechtsanwalt und Publizist Gustav Struve (1805–1870) war radikaldemokratischer Revolutionär während der Märzrevolution von 1848/49. In seinem hier zitierten Programm forderte er eine föderative Republik für ganz Deutschland, die aber vom Frankfurter Vorparlament, dessen Mitglied er war, abgelehnt wurde. 18 Vgl. Verfassung des Deutschen Reichs, in: Huber/Huber, Staat und Kirche, Band II, 33 f. Die Kirchen- und Religionsartikel wurden unter Art. V § 144–151 aufgenommen.
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manifestierte und sich theoretisch in den weiteren konstitutionellen Diskussionen niederschlug.19 1.2. Der politische Liberalismus als »Motor« Bismarckscher Kirchenpolitik Eine geläufige Assoziation mit dem von Otto von Bismarck initiierten so genannten Kulturkampf (1871–1887) ist der Kampf des politischen Liberalismus gegen die Kirchen bzw. für die Trennung von Staat und Kirche. Aus Sorge um Existenz und Einheit des Reiches, die Bismarck insbesondere durch die aufstrebende katholische Zentrumspartei 20 gefährdet sah, verband sich der konservative und keineswegs liberale Machtpolitiker mit den Nationalliberalen, die ihrerseits eine Modernisierung des Staates und somit den Kampf gegen die »ultramontane Antimodernität« 21 anstrebten. Die Nationalliberale Partei war im Jahre 1867 aus einer Gruppe von gemäßigten Liberalen entstanden, die sich von den Fortschrittlichen separiert hatten. Sie bekannten sich zur Bismarckschen Machtpolitik und teilten insbesondere dessen Reichsbewusstsein, das sich im Eintreten für die Vorherrschaft Preußens, die kleindeutsche Lösung sowie die Einheit und Freiheit der Nation manifestierte. Der gemeinsame Kampf des Staates gegen den politischen Katholizismus und des Liberalismus gegen traditionelle staatskirchliche Strukturen äußerte sich in einer in den Jahren 1871 bis 1875 vollzogenen Gesetzgebung, die nach und nach den kirchlichen Einfluss auf staatliche Belange ausschalten wollte. Neben dem Schulaufsichtsgesetz22 und dem Gesetz gegen den Missbrauch der Kanzel zu politischen Zwecken stellten die so genannten Maigesetze von 1873 die schärfsten Maßnahmen gegen die Kirchen dar. Sie beinhalteten die Reglementierung der Ausbildung der Geistlichen, das Vetorecht des Staates bei der Besetzung von Pfarrstellen und die Einschränkung der kirchlichen Rechtsgewalt. Im Jahre 1874 wurde 19
Kennzeichnend für das System der Staatskirchenhoheit waren die kirchliche Selbstverwaltung, die Gleichstellung der Religionen sowie die besondere Staatsaufsicht (vgl. Ott, Aspekte, 35). 20 1870 erfolgte die Gründung der DZP, die, obschon sie als politische und überkonfessionelle Partei gegründet worden war, fortan als »parteipolitische Vertretung der Katholiken« fungierte (Lönne, Politischer Katholizismus, 153). In dem protestantisch dominierten Preußen etablierte sie sich schnell als ernstzunehmende politische »Religion und Politik vermischend[e] Gegenmacht« (Wallmann, Kirchengeschichte, 252), die dem 1871 neu gegründeten und noch unfertig ausgebauten Deutschen Reich zur Gefahr werden konnte. 21 Langewiesche, Art. Liberalismus I, 183. 22 Vgl. Lönne, Politischer Katholizismus, 159. Das Gesetz stellte das gesamte Schulwesen unter staatliche Aufsicht. Im Blick auf seine Durchsetzung wurde dabei deutlich, wie sehr sich die antikirchlichen Maßnahmen primär gegen die katholische Kirche richteten. Während katholische Geistliche in Ausübung des Gesetzes schlichtweg vom Schuldienst abberufen wurden, wurden die evangelischen Geistlichen weitgehend in ihrer Funktion bestätigt.
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die obligatorische Zivilehe eingeführt, was zur Folge hatte, dass die kirchliche Eheschließung entfiel. Die Führung der Personenstandsregister inkl. Geburts-, Tauf- und Todesfälle ging in staatliche Hand über.23 Der unerwartet heftige katholische Widerstand gegen die Bestimmungen und die Erfolge der Zentrumspartei, deren Gunst Bismarck nach dem Bruch mit den Liberalen im Jahre 1878 zu erlangen suchte, veranlassten ihn, den Konfl ikt zu beenden und zum Abbau der Kulturkampfgesetzgebung beizutragen. Nur schleppend kam es in den Jahren 1880 bis 1887 zunächst zur Abmilderung und schließlich 1886/87 zur weitgehenden Rücknahme der Kampfgesetze, wobei jene Gesetze, die Kanzelparagraph, Schulaufsicht, Kirchenaustritt, Zivilehe und Standesregister betrafen, in Geltung blieben.24 Wenngleich eine vollständige Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf den Staat misslungen war, so hatte die Bismarcksche Gesetzgebung insbesondere durch die den Kulturkampf überdauernden Gesetze zu einem Abbau der kirchlichen Sonderstellung dem Staat gegenüber geführt und auf diese Weise die Entflechtung von Staat und Kirche vorangetrieben und damit ein liberales Grundanliegen verwirklicht. Dennoch blieb die Bedeutung der Kulturkampfereignisse für den politischen Liberalismus ambivalent. Konnten es die Liberalen zunächst als Sieg verbuchen, dass ältere liberale Forderungen erstmals ihre politische Umsetzung fanden, so zahlten sie dafür den hohen Preis der Aufgabe »wesentliche[r] liberale[r] Prinzipien zugunsten von Antiklerikalismus und Nationalismus.« 25 Die von ihnen sanktionierten Gesetze drangen weit in den kirchlichen Bereich hinein, den die Liberalen in der Paulskirchenverfassung durch das Recht auf Selbstverwaltung jeder Religionsgemeinschaft von staatlichem Einfluss hatten freihalten wollen. Die Unterordnung der Kirchen unter die Staatsgesetze, damals im Sinne einer Aufsicht des Staates über die kirchliche Selbstverwaltung verstanden, wurde im Kulturkampf zur Wiedereinführung weitgehender Beschränkungen der Kirchen missbraucht.26 Die Bestrebungen der Liberalen, für die Freiheit des religiösen Glaubens und die Emanzipation des Staates von der Kirche einzutreten, erhielten 23 Weitere Gesetze beinhalteten das Verbot des Jesuitenordens, die Möglichkeit einer Ausweisung oder Ausbürgerung von Geistlichen (Expatriierungsgesetz 1874), die Überwachung des katholischen Vereins- und Pressewesens, die Einstellung der Staatszahlungen an Bistümer und Pfarreien (Brotkorbgesetz 1875) sowie die Möglichkeit, den Kirchenaustritt lediglich vor dem Amtsgericht zu bekunden (eine ausführlichere Darstellung aller Gesetze und ihrer Folgen liefert Hauschild, Lehrbuch Band II, 814 ff. Vgl. auch Tröger, Art. Kulturkampf, 1425). 24 Vgl. Hauschild, Lehrbuch Band II, 818. 25 Ebd., 813. 26 »Sie [sc. die Liberalen] glaubten, die Freiheit des Individuums gegenüber dem Gewissenszwang der Kurie uneingeschränkt durchsetzen zu müssen, und scheuten darob nicht davor zurück, dem katholischen Volksteil einen alternativen Gewissenszwang staatlicher Oberservanz zu verordnen« (Mommsen, Zwei Jahrhunderte, 392).
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durch den Einfluss Bismarcks einen antiklerikalen und zugleich auch, durch sein Vorgehen gegen den Katholizismus, antireligiösen bzw. antikonfessionellen Charakter. Damit war ein weiteres liberales Prinzip dem Kulturkampf zum Opfer gefallen. Entspricht die kirchenpolitische Kooperation zwischen Bismarck und den Nationalliberalen der historischen Realität, so mag der Hinweis auf die Haltung der linksliberalen Ausrichtung des politischen Liberalismus, die in der Deutschen Fortschrittspartei ihren Ausdruck fand, im Sinne einer differenzierenden Ergänzung verstanden werden. Schon vor Ausbruch des Kulturkampfes hatte sich der politische Liberalismus an der Person des Reichskanzlers und Gründers des Deutschen Reichs »in rechts und links, in Nationalliberale und Fortschrittler [. . .] also in Verfechter (groß)bürgerlicher Politik und liberale Demokraten«27 gespalten. Die 1861 als erste liberale Partei gegründete Deutsche Fortschrittspartei trat ein für eine »feste liberale Regierung« 28 sowie die »strenge und konsequente Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechtsstaats«29. Dass ihre Gründung in die Zeit des preußischen Verfassungskonfl iktes fiel, war kein Zufall, sondern Ausdruck eines Protests gegen die sich dort abzeichnende Beschränkung freiheitlicher Grundrechte durch eine Schwächung des Parlaments und der Verfassung, an der der damalige Ministerpräsident Bismarck entscheidend mitwirkte. Die linksliberale Ausrichtung der Partei zeigte sich somit in ihrem Einsatz für die parlamentarische Demokratie sowie die Sicherung demokratischer Freiheitsrechte. In kirchenpolitischer Hinsicht trat sie unter Verweis auf die preußische Verfassung für die Gewährleistung der dort in Artikel 12 festgeschriebenen »Gleichberechtigung aller Religionsgenossenschaften«30 ein und forderte zugleich die Verwirklichung der »Trennung des Staates von der Kirche« 31 im Bereich der Unterrichtsgesetze sowie der Ehegesetzgebung. Deutlicher als im Gründungsprogramm waren die kirchenpolitischen Forderungen in ihrem von Eugen Richter verfassten Programm von 1871, das jetzt ausdrücklich den Einfluss auch radikalliberaler Forderungen aufwies und zugleich die Stimmung der Zeit dokumen27
Baum/Juling, Auf und Ab, 36. Gründungsprogramm der Deutschen Fortschrittspartei, Juni 1861, in: Mommsen, Parteiprogramme, 133. 29 Ebd. 30 »Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften (Art. 30 und 31) und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pfl ichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen« (Art. 12 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, zit. nach Huber/ Huber, Staat und Kirche, Band II, 37). 31 Gründungsprogramm, in: Mommsen, Parteiprogramme, 134. 28
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tierte: »dann wird es sehr bald Tag werden, dann werden die schwarzen Gespenster, von denen viele [. . .] sich so zu fürchten scheinen, sehr bald verschwinden.«32 Die radikalliberalen Tendenzen zeigten sich hier in der Vorstellung Richters, durch eine Privatisierung der Kirchen zu deren Herabsetzung beizutragen.33 Dass somit auch die Fortschrittlichen auf dem Hintergrund der dargestellten Forderungen die Kirchenpolitik Bismarcks einer Trennung von Staat und Kirche begeistert unterstützen, liegt auf der Hand. Im Gegensatz zu den Nationalliberalen taten sie dies jedoch nicht bis zum Schluss, sondern wandten sich, als sie den antiliberalen Charakter des Kampfes erkannten, von den radikalen Vorstellungen ab und wurden so am Ende, ihrem Ideal der Freiheit verpfl ichtet, zu Gegnern des Kulturkampfes.34 Die Ereignisse des Kulturkampfes verweisen paradigmatisch auf spezifische Charakteristika links- bzw. nationalliberal geprägten politischen Handelns, die sich in Grundzügen bis zum Ende der Weimarer Republik durchzogen. Den Nationalliberalismus verband seit jeher eine Affi nität zu monarchisch-konstitutionellen Strukturen, die er liberalen Prinzipien gemäß umgestalten wollte. Nicht selten wurde dabei das Engagement für Freiheit und Einheit der Nation dem Eintreten für demokratische Freiheitsrechte vorgezogen; eine Politik, die von zeitgenössischen Liberalen scharf kritisiert wurde und sich in diversen Separationen von der Partei, die bis 1918 existierte, niederschlug.35 32 Programm der Fortschrittlichen von 1871, zit. nach Kim, Vorgeschichte, 53. Vorheriger Teil des Programms: »Man gebe dem Volk volle Vereins- und Versammlungsfreiheit, man schaffe freie Privatschulen, man befreie die öffentlichen Schulen vor der Aufsicht der Geistlichkeit, man schaffe Zivilstandsregister und führe die obligatorische Zivilehe ein, man dotiere die Kirche aus öffentlichen Mitteln nicht mehr, als sie aus privatrechtlichen Titeln verlangen kann. Man lasse nicht aus öffentlichen Mitteln unter dem Namen Religion oder Theologie auf Schulen, Gymnasien, Universitäten Dinge lehren, welche in schneidendem Widerspruch mit der wissenschaftlichen Erkenntnis unserer Zeit stehen. Man verweise die Geistlichen für die Eintreibung ihrer Kirchensteuer auf den gewöhnlichen Zivilprozeß; dann wird es sehr bald Tag werden, dann werden die schwarzen Gespenster, vor denen viele [. . .] sich so zu fürchten scheinen, sehr bald verschwinden« (ebd.). 33 Vgl. Bornkamm, Staatsidee, 17. 34 »Seine [sc. Richters] Hoffnung war, daß sie dabei verkümmern würden; noch weiter in ihre Existenz einzugreifen, wäre unliberal gewesen« (ebd.). 35 »Das System Bismarck entwickelt sich mit furchtbarer Schnelligkeit so, wie ich es immer fürchtete. [. . .] Ist nun die Nationalliberale Partei mit ihrer jetzigen Politik, mit ihrem jetzigen Programm und ihrer jetzigen Zusammensetzung ein geeignetes Instrument, um solchen Gefahren entgegenzutreten? Werden wir nicht von Etappe zu Etappe tiefer in den Sumpf geführt? Wird nicht die reine Opposition zur Pfl icht?« (aus einem Schreiben Max von Forckenbecks (1821–1892) an Franz von Stauffenberg vom 19. 1. 1879, in: Mommsen, Parteiprogramme, 152). Scharfe Kritik an der Nationalliberalen Partei übte auch Oskar Klein-Hattingen, gut 30 Jahre später: »Ein Liberalismus, der konfl iktscheu ist, nicht in die Opposition geht, wenn seine Grundsätze verworfen werden, der kann nicht
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Die Kirchenpolitik der Nationalliberalen muss nun im Kontext dieser Tendenzen betrachtet werden. Wenngleich die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche, wie oben konstatiert, ein Uranliegen des politischen Liberalismus war, so wurde die Kirchenpolitik der Nationalliberalen stärker als bei den Linksliberalen auch durch machtpolitische, pragmatische Faktoren beeinflusst. Ob das Fehlen kirchenpolitischer Aussagen in den Programmen der Nationalliberalen bis 1896 als Indiz für eine primär machtpolitisch motivierte Kooperation mit Bismarck gelten kann, sei dahingestellt, ist jedoch nicht ausgeschlossen.36 Die Koalition der Liberalen mit Bismarck ließ jedenfalls jegliche liberalen Grundsätze in den Hintergrund treten.37 Obwohl der Linksliberalismus verschiedenen parteipolitischen Spaltungen und Wiedervereinigungen unterworfen war und eigentlich erst die 1910 gegründete Fortschrittliche Volkspartei als erste linksliberale Partei betrachtet werden kann, prägten die in dieser Tradition stehenden Vereinigungen ebenfalls charakteristische Merkmale. Dazu gehörten die Gewährleistung und Förderung demokratischer Freiheitsrechte sowie der Ausbau föderalistischer Strukturen; beides war der Forderung nach nationaler Einigung vorrangig. In ihrem Eintreten für Demokratie und soziale Reformen kooperierten die Linksliberalen teilweise mit den Sozialdemokraten, was sie in den Augen der Kirchen stets suspekt erscheinen ließ. Das Verhältnis von Staat und Kirche fand in den meisten linksliberalen Programmen seine Erörterung. Dabei war festzustellen, dass es, abstrakter und ideologischer als bei den Nationalliberalen, im Kontext der Rechte des Individuums thematisiert wurde, so dass seine adäquate Bestimmung gleichsam als Ausdruck der unveräußerlichen Freiheitsrechte des Menschen betrachtet werden konnte.
emporkommen. Er kann für die Massen im Staat kein Mittelpunkt sein, keine politische Wärmequelle. Die Parole des nationalliberalen Schwachsinns: Es muß etwas zustande kommen! muß ersetzt werden durch die Parole des Gesamtliberalismus: Es müssen liberale Gesetze geschaffen werden!« (zit. nach Baum/Juling, Auf und Ab, 26). 36 Weder im Gründungsprogramm der Nationalliberalen vom Juni 1867 noch in der 1884 verabschiedeten Heidelberger Erklärung fanden sich kirchenpolitische Aussagen. Martin Schmidt interpretierte diese Tatsache im Sinne einer Vorwegnahme der »moderne[n] Privatisierung der Glaubensfrage« (Schmidt, Problem, 9). 37 »Objektiv gesehen war der Kulturkampf ein Versuch, einer Religionsgemeinschaft den Willen eines allmächtigen Staates aufzuzwingen. Vom Standpunkt einer liberalen Weltanschauung aus war das eine Vergewaltigung der Religionsfreiheit, das heißt die Verletzung einer der ältesten und ehrwürdigsten Forderungen des Liberalismus« (Sell, Tragödie, 246).
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1.3. Liberale Kirchenpolitik am Anfang der Weimarer Republik Das Ende der Monarchie und der damit verbundene Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments brachten für die Kirchen ein Vielfaches an Veränderungen mit sich, die in der am 11./14. 8. 1919 promulgierten Weimarer Reichsverfassung ihren gesetzmäßigen Niederschlag fanden. Darauf hatte der politische Liberalismus maßgeblichen Einfluss. Nachdem eine Zusammenfassung der bürgerlich-liberalen Gruppen in Form einer liberalen Partei gescheitert war, setzte sich die linksliberale Tradition in der im November 1918 gegründeten DDP fort, während sich die nationalliberale Strömung in der DVP organisierte. Die Differenzen zwischen beiden Parteien lagen in den Erfahrungen der Kaiserzeit begründet. Sie äußerten sich in divergierenden Einstellungen zur Revolution, zum Zusammenbruch der Monarchie sowie zur demokratischen Republik, die von der DVP zwar nicht grundsätzlich abgelehnt, mindestens aber skeptisch und mit Zurückhaltung betrachtet wurde.38 Im Kontext der Verhandlungen der Weimarer Reichsverfassung setzten sich die beiden bürgerlich-liberalen Parteien für die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Sinne einer Trennung beider ein, wobei ihr Engagement auf unterschiedlichen ihren Traditionen verpfl ichteten Grundsätzen beruhte. Die linksliberale DDP nahm dabei insofern eine Sonderrolle ein, als sie, entgegen aller Erwartung, die kirchenpolitischen Vorschläge der konservativen und damit kirchlich verbundenen Parteien zu einem großen Teil unterstützte. Besondere Bedeutung erlangte in diesem Kontext ihr Vorsitzender, der lutherische Theologe und Politiker Friedrich Naumann, der durch geschicktes politisches Agieren die SPD von ihrer radikalen Trennungsforderung abbringen und für die kirchenpolitischen Vorschläge der bürgerlichen Parteien gewinnen konnte.39 38
»War somit die DDP gegründet worden, um neuen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen, so ging es bei der Entstehung der DVP vor allem darum, die alten Ideale zu bewahren« (Hartenstein, Anfänge, 48). 39 Die Erfahrungen sozialistischer Kirchenpolitik einer radikalen Trennung von Staat und Kirche waren der jungen Republik und insbesondere den Kirchen noch gut in Erinnerung. Im Herbst 1918 hatte sich die gerade an die Macht gekommene SPD sogleich daran gemacht, die Trennung von Staat und Kirche durch kirchenpolitische Maßnahmen umzusetzen. Die eigentliche Initiative war dabei von der USPD ausgegangen, die mit Adolph Hoffmann einen der »energischsten Vertreter der Kirchenaustrittsbewegung« ins Preußische Kultusministerium an die Seite des Sozialdemokraten Haenisch entsandt hatte (Motschmann, Kirche, 27). Innerhalb weniger Tage und Wochen hatte Hoffmann Bestimmungen erlassen, die auf die von ihm am 13. 11. 1918 proklamierte Durchführung der Trennung von Staat und Kirche abzielten. So ordnete er am 15. 11. die Befreiung der Kinder von Dissidenten und Andersgläubigen vom Religionsunterricht auf Antrag der Erziehungsberechtigten an. Einen Tag später proklamierte er die Auf hebung der Staatszuschüsse an die Kirchen bis zum 1. 4. 1919 (vgl. Nowak, Evangelische Kirche, 22 ff.). In einem Schulerlass vom 29. 11. 1918 aberkannte man dem Unterrichtsfach Religion den Status
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1.3.1. Friedrich Naumann: Freier Staat und freie Kirche Naumanns Einstellung zum Verhältnis von Staat und Kirche muss vor dem Hintergrund jener biographischen Erfahrungen betrachtet werden, die er als Theologe und Politiker gemacht hatte; sie war weniger theoretische Programmatik als vielmehr Ausdruck konkreter Lebenspraxis, was sich auch daran zeigte, dass sie sich analog zu seinem Berufswechsel vom Theologen zum Politiker wandelte.40 Früh entwickelte der einem sächsisch-lutherischen Pfarrhaus entstammende Theologe Friedrich Naumann (1860–1919) eine sozialkaritative Lebenshaltung, die, so Heuss, entscheidend von »Jugendeindrücke[n] in einer von der neuen Technik zunächst überrumpelten Textilgegend, bei der in Hinterhöfen und halbländlichen Häusern Armut und Hoffnungslosigkeit Herberge genommen hatten«41, geprägt wurde. Nach seinem Ersten Theologischen Examen nahm Naumann eine Tätigkeit in Hamburg als Oberhelfer im »Rauhen Haus« auf, das zu diesem Zeitpunkt der Leitung von Johannes Wichern, Sohn des Gründers Johann Hinrich Wichern, unterstand. Jene Erfahrungen sowie seine vierjährige Tätigkeit als Pfarrer in Langenberg (Sachsen) von 1886 bis 1890 verstärkten sein Engagement, »dem Mensch-Sein [zu] helfen, materiell, rechtlich, seelisch Mensch zu sein«42 und durch die Herbeiführung sozialer Gerechtigkeit an der Lösung der Sozialen Frage teilzuhaben. Diese Sorge um den Menschen ließ das Bewusstsein einer »sozialen Aufgabe der Kirche und der Geistlichen«43 reifen, deren Problembewusstsein für die Missstände der Zeit zu wecken ihm eine permanente Aufgabe wurde. Leben und Wirken des Sozialreformers Jesus fungierten dabei als Maßstab allen sozialpolitischen Handelns. Ihm und seiner Verkündigung versuchte Naumann konkrete Handlungsanweisungen für die praktische Arbeit zu entnehmen.44 Dies äußerte sich in seinem Engagement in eines Prüfungsfachs, des Weiteren wurden die bis dato verpfl ichtende Teilnahme am Religionsunterricht oder an gottesdienstlichen Veranstaltungen aufgehoben und das Schulgebet gestrichen (vgl. Motschmann, Kirche, 30). Gleichwohl der Protest der Kirchen zum Rücktritt Hoffmanns und einer sukzessiven Rücknahme der kulturpolitischen Maßnahmen durch den gemäßigten Sozialdemokraten Haenisch geführt hatte, so hatte die sozialistische Kirchenpolitik gravierende und alarmierende Auswirkungen auf die Kirchen, die erkannten, dass ihre Sicherheit und Selbständigkeit, die sie im monarchischen Obrigkeitsstaat genossen hatten, mit einem Male weggefallen waren. 40 »Naumanns Weg führt von pfarramtlicher Gemeindearbeit zur Befürwortung sozialpolitischer Arbeit im Sinne des Sozialismus, weiter zu christlich-sozialer Arbeit, dann zu national-sozialer Arbeit, die sich noch auf christlicher Grundlage versteht, schließlich zu der Arbeit eines liberalen Politikers, der auf das Christentum in der Politik verzichten muß« (Engel, Gottesverständnis, 17). 41 Heuss, Naumanns Erbe, 17. 42 Ebd., 18. 43 Kim, Vorgeschichte, 267. 44 »Was würde Jesus heute tun und sagen, zu wem würde er sprechen? Und Naumann
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der Inneren Mission sowie den Gründungen diverser evangelischer Arbeitervereine. In der von Martin Rade herausgegebenen Zeitschrift Christliche Welt konnte er darüber hinaus seine sozialpolitischen Vorstellungen in literarischer Form zum Ausdruck bringen. Während seiner Zeit als Pfarrer erhielt er Einblick in die Probleme und Nöte der Arbeiterschaft und trat in diesem Kontext erstmals in Berührung mit der Sozialdemokratie, deren Einfluss auf und Attraktivität für die Arbeiterschaft sein weiteres Denken und soziales Engagement bestimmte.45 Die in jenen Jahren in seinem Wirken zum Ausdruck kommende enge Verbindung von Politik und Theologie begründete gleichermaßen die Einsicht in die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit von Kirche und Staat im Blick auf die soziale Arbeit. In diesem Verständnis zeigte sich die Prägung durch den evangelischen Theologen und Sozialreformer Adolf Stoecker, mit dem Naumann seit Mitte der 1880er Jahre die Konzeption einer Verknüpfung des Christlichen mit dem Sozialen verband, was schließlich in die Zusammenarbeit beider in dem 1890 von Stoecker gegründeten EvangelischSozialen Kongress mündete.46 Seinem »Volkskirchenkonzept«47 entsprechend sprach sich Stoecker für die Unabhängigkeit von Staat und Kirche bei gleichzeitiger Kooperation beider im Sinne eines »Bündnis[ses] von Thron und Altar«48 aus. Die Forderung nach einer (Unter-)Scheidung von Staat und Kirche intendierte dabei die Sicherung der Kirche vor und ihre Entwindung von dem weltlichen Staat, wobei die Erfahrungen der Bismarckschen Kirchenpolitik im Hintergrund standen. Obwohl sich Naumann von dieser Auffassung prägen ließ, spielte die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche, die in jenen Jahren so vehement von der konservativen Selbholt aus dem Evangelium die Stellen heraus, da sich Jesus an die geringen Leute wendet, wo er die Reichen vermahnt [. . .]« (Heuss, Friedrich Naumann, 102. Vgl. auch Naumann in seiner 1894 veröffentlichten Schrift: »Indem wir auf seinen Kopf und seine Hände blicken, müssen wir immer wieder im stillen fragen; was würde dieser Kopf heute denken und was würden diese Hände heute tun?«; Naumann, Jesus als Volksmann, in: Ders., Werke, 372). 45 »Er spürt auf einmal, von welchen Kräften die sozialdemokratische Agitation lebt. Sie hatte ihn bis jetzt als politische Erscheinung nicht tiefer und unmittelbarer beschäftigt – ihre Kirchenfeindschaft, ihr dürftiger philosophischer Materialismus lagen am Tage und waren weiter nicht problematisch geworden. Jetzt begegnete er bei den von ihm Betreuten ihren Spuren, stieß auf Gedankengänge, die ihn verwirrten, auf Argumente der Arbeiter, die ihn in Verlegenheit brachten. Sie waren so selbstgewiß und eingängig, und gerade dann, wenn sie auf die Demagogie der scharfen Worte verzichteten, wenn sie im Gewand der ›wissenschaftlichen‹ Erkenntnis antraten« (Heuss, Friedrich Naumann, 68). 46 Zur Arbeit des ESK vgl. Hauschild, Lehrbuch Band II, 806 ff. Neben Naumann gehörten auch die liberalen Theologen von Harnack, Baumgarten und Rade sowie der Sozialwissenschaftler Max Weber dem ESK an. 47 Ebd., 805. 48 Ebd. (zu Stoecker vgl. Greschat, Art. Stoecker, 1744 f.).
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ständigkeitsbewegung um Stoecker angestrebt wurde, für ihn keine entscheidende Rolle.49 Seine verstärkte Hinwendung zur Politik, die sich ab Mitte der 1890er Jahre abzeichnete, begründete seine immer deutlicher werdende Abwendung von Stoecker und dessen kirchenpolitischer Idee eines »christlichen Staates«, was sich auch in zahlreichen Konfl ikten im Evangelisch-Sozialen Kongress manifestierte. Die gemeinsame Arbeit von Konservativen und Liberalen, die zum Ziel hatte, die staatliche Politik im Sinne einer christlich-sozialen Politik zu beeinflussen, währte somit nicht lange. Eine der Hauptdifferenzen zwischen den Wortführern dieser beiden Gruppen Stoecker und Naumann bestand in der unterschiedlichen Einstellung zur Sozialdemokratie, die Stoecker ebenso wie den Liberalismus aufgrund ihrer antikirchlichen Politik zu bekämpfen versuchte, wohingegen Naumann sie als Gegebenheit jener Zeit beurteilte, die einmal durch das Christlich-Soziale beerbt werden würde. Im Zuge dieser Differenzen formierte sich ein Kreis der Jüngeren um Naumann, der versuchte, dem Evangelisch-Sozialen Kongress eine sozialliberale Prägung zu verleihen. Die Begegnungen mit Rudolf Sohm sowie Auseinandersetzungen mit Max Weber lieferten Naumann die entscheidenden Impulse, die schließlich zur Aufgabe des Glaubens an einen christlichen Sozialismus und zu seinem Umdenken im Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat führten. Der Kirchenrechtler Sohm bestritt die Legitimation eines jeglichen wie auch immer gearteten Kirchenrechtes als unvereinbar mit dem Wesen der Kirche, die er als rein geistliche Größe definierte. Unter Verweis auf die Zeit des Urchristentums sowie die Zeit nach der Reformation begründete er bestehende kirchliche Verfassungen und rechtliche Strukturen mit dem Kleinglauben der Gemeinden, der »Stützen, Hülfsmittel, Krücken, äußere Bürgschaften für die Erhaltung rechter Ordnung in der Ekklesia« 50 nötig gemacht habe. Zum eigentlichen Wesen der Kirche als Versammlung der Christenheit stehe die Anwendung des (weltlichen) Rechts jedoch im Widerspruch. Von der Prämisse ausgehend, dass Religion und Politik zwei verschiedene Dinge sind, sprach er sich gegen die enge Verbindung von Staat, Kirche und landesherrlichem Kirchenregiment aus. Ihm ging es dabei vor allem um die Reinhaltung der Religion, ihren Schutz vor dem Staat, den er als »Heiden« defi nierte. Die Betonung des Sonderstatus der Kirchen spiegelte dabei im49
Heuss verwies darauf, dass das Kirchenbild Naumanns zu jener Zeit der »festen Umrisse« entbehrte, was wiederum damit zusammenhing, dass er »das eigenständige Wachstum der Kirche auf protestantischem Boden skeptisch beurteilte« (Heuss, Friedrich Naumann, 61). Erst in der Zeit kurz vor seinem Tod habe ihn das Schicksal der Kirche bewegt, was sich dann auch in seiner Kirchenpolitik in der Weimarer Nationalversammlung niederschlug. 50 Sohm, Kirchenrecht I, 162.
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mer wieder Sohms Anerkennung und Wertschätzung ihres Wesens als Glaubensinstitution wider. Der Nationalökonom Weber brachte Naumann mit dem Gedanken eines nationalen Machtstaates in Berührung. Auch für Weber waren Politik und Religion zwei zu trennende Bereiche, im Gegensatz zu Sohm ging es ihm jedoch um die Freihaltung des Staates von christlich gestalteter Politik.51 Mit Sohm und Weber gründete Naumann 1896 den linksliberalen Nationalsozialen Verein, in dem er sich bis zu dessen Auflösung im Jahre 1903 stark politisch engagierte, um sich im Anschluss daran der Freisinnigen Vereinigung anzuschließen. Dass sich der Nationalsoziale Verein gerade durch die Trennung von Politik und Religion von der christlich-sozialen Bewegung um Stoecker herum profi lieren wollte, darauf verwies der auf Naumann zurückgehende Religionsparagraph § 7 seiner Grundlinien: »Im Mittelpunkte des geistigen und sittlichen Lebens unseres Volkes steht uns das Christentum, das nicht zur Parteisache gemacht werden darf, sich aber auch im öffentlichen Leben als Macht des Friedens und der Gemeinschaftlichkeit bewähren soll.« 52
Begleitet und gleichermaßen zementiert wurde Naumanns Umdenken im Sinne einer Trennung der Bereiche Politik und Religion durch eine Revision seines geschichtlichen Jesusbildes und damit der Grundlage, die bis dahin seine christlich-soziale Politik bestimmt hatte. Geprägt von den Erfahrungen einer Palästinareise im Jahre 1898 gelangte Naumann zu der Überzeugung, dass der geschichtliche Jesus nicht als »der generell gegen elementare menschliche Nöte einschreitende ›Volksmann‹« 53 betrachtet werden konnte, wie er ihn noch 1894 tituliert hatte, sondern dass sein Wirken im Kontext seiner Zeit verstanden werden musste.54 War eine direkte Übertragung sei51 »[. . .] so mag man überspitzt sagen: Weber will den Staat, die Raison der Politik, um der Nation willen von einer religiös-christlichen Betrachtung getrennt wissen, Sohm aber die Religion um ihres eigenwertes willen vor der Vermengung mit dem Staatlich-Politischen schützen« (Heuss, Friedrich Naumann, 137). 52 Nationalsozialer Verein. Grundlinien. 25. November 1896, in: Mommsen, Parteiprogramme, 168. In einem Ende Dezember in der Hilfe erschienen Artikel betonte Naumann dezidiert die Beeinflussung durch Sohm im Blick auf seine neue Sichtweise: »Sohm ist es gewesen, der das, was bei Stoecker als Einheit erscheint, als Zweiheit dargelegt hat. Darum war Sohm der gegebene Mann, um nun auch öffentlich die Abtrennung zu vollziehen. Sohms Rede ist darum so bedeutend, weil sie den Bruch mit der Stoeckerschen Tradition bedeutet, aber nicht den Bruch mit dem persönlichen christlichen Glauben« (Friedrich Naumann in: Die Hilfe Nr. 49 vom 6. 12. 1896, zit. nach Kim, Vorgeschichte, 139). 53 Dingel, Naumann, 226. 54 »Das ist es gewesen, was mir tiefer als alles andere die Wahrheit in die Seele geprägt hat, daß Jesus in Palästina und im Römerreich verstanden werden muß, und daß wir Spätgeborene sind, die ihn in seiner Zeit verstehen lernen müssen, um uns dann, gestärkt durch seine persönliche Inhaltsfülle, selbständig und ohne Angst der Wortsklaverei in
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ner Lehre in die heutige Zeit somit nicht ohne weiteres möglich, so war damit auch der Inanspruchnahme christlicher Lehre für ein konkretes politisches Handeln eine Grenze gesetzt, dahingehend, »daß es Dinge gibt, die sich einer christlichen Regelung entziehen.« 55 Diese Überzeugung wandte Naumann auch auf die Begründung des Staates an, der seiner Natur nach »nicht Liebe, sondern Zwang«56 sei und sich somit »aus ganz anderen Trieben und Instinkten«57 ableite als die Lehre Jesu. Im Blick auf die christliche Lehre bedeutete dies, dass sie dort keine beratende Funktion beanspruchen könne, wo es um staatliche Angelegenheiten geht, obwohl sie als Evangelium ihren Raum im Staat unbedingt gesichert wissen muss. In diesen Äußerungen zeichnete sich der Wandel in Naumanns Denken ab, insofern das von ihm bis dato proklamierte Bündnis von Politik und Religion innerhalb eines Staatswesens abgelöst wurde durch ein dezidiert lutherisches Verständnis einer Loslösung beider Bereiche in dem Sinne, dass »politische Dinge als außerhalb des Wirkungskreises der Heilsverkündigung«58 zu betrachten waren. Für das Verhältnis von Staat und Kirche bedeutete dies eine Trennung beider voneinander, wobei nicht die Freikirche, sondern, in Anlehnung an Sohm, die Befreiung bzw. Entstaatlichung der Kirche als Ziel proklamiert wurde. Naumann sprach sich für die Auf hebung des landesherrlichen Kirchenregiments sowie die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche aus. Eine Kirchensteuer sollte die weitere Finanzierung gewährleisten. Die Trennungsforderung, die Naumann schon 1903/04 im Kreise der Freunde der Christlichen Welt vertrat und die dort zunächst auf Kritik stieß, behielt er bis zum Ausbruch der Revolution bei, wobei er sich immer wieder gegenüber radikalen Trennungsforderungen verwahrte, die eine Auf hebung der Zusammengehörigkeit von Staat und Kirche auf dem Hintergrund jakobinischer Tradition intendierten. Die »reinlich[e] Trennung des Staatlich-Politischen und des Religiösen« 59 vollzog er auch in persönlicher Hinsicht und legte 1903 seinen Pfarrberuf nieder, um sich ganz der Politik zu widmen.60 unsrer Zeit unseren Weg zu bahnen« (Naumann, Briefe, 58. Vgl. auch Ders., Asia, 535– 553). 55 Ders., Briefe, 61. Die Fortsetzung des Zitats gibt dabei die von Naumann kritisierte Grenzüberschreitung bzw. Vermischung religiöser und politischer Motive wieder: »Man predigte, wir predigten: Alles, was ihr tut, soll im Namen Jesu geschehen! Mit dieser Parole setzte sich dann der Bankier vor die Kursliste, der Bauer vor die deutsche Tageszeitung und der christliche Arbeiter vor sein Gewerkschaftsblatt« (ebd.). 56 Ebd., 66. 57 Ebd. 58 Ebd., 82. 59 Heuss, Friedrich Naumann, 356. 60 Die Abwendung von der Theologie und Hinwendung zur Politik zeigte sich auch in literarischer Hinsicht. So waren Naumanns Briefe von 1903 seine letzte theologische Schrift.
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Traten kirchenpolitische Fragen während der von Naumann euphorisch erlebten Kriegszeit in den Hintergrund, so war das Ende der Monarchie für ihn das entscheidende Signal, die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Sinne einer Trennung beider voneinander nunmehr in Angriff zu nehmen. Ein Ende 1918 in der Hilfe veröffentlichter Aufsatz mit dem Titel »Freier Staat und freie Kirche« repräsentiert seine damalige Position zum Verhältnis beider zueinander. Die dort gemachten Aussagen lieferten gleichsam die theoretische Grundlage für seine praktische Kirchenpolitik innerhalb der Deutschen Demokratischen Partei sowie während der Verhandlungen der Weimarer Reichsverfassung. Naumann bezeichnete das Ende der Verbindung von Thron und Altar durch die Auf hebung des landesherrlichen Kirchenregiments als »Befreiung des Glaubens vom öffentlichen Joch« 61 und Erfüllung eines »Herzenwunsch[es] vieler der allerbesten Christen«, die »aus tiefster Frömmigkeit heraus« den Tag ersehnt haben, an dem der Glaube wieder »ohne Zepter und Kronen« walten würde. Damit war ein entscheidender Aspekt dessen genannt, was Naumann unter Befreiung der Kirche verstand: die Befreiung der christlichen Verkündigung, die für die Freiheit des Menschen »einen schlechterdings unverzichtbaren Beitrag zu leisten habe.« 62 Der Einfluss Sohms war hier deutlich zu erkennen. Die aktuelle Stimmung derer aufgreifend, deren Herz noch »an den liebgewonnenen Gewohnheiten« 63 hing, und somit die konservativen protestantischen Kreise ansprechend, forderte Naumann dazu auf, »Träger und Trägerinnen« der Kirche zu werden und im Sinne des Priestertums aller Gläubigen zu zeigen, »ob [der] Glaube etwas wert ist oder nicht.« In einem zweiten Teil folgten Überlegungen, wie das auf einer in diesem Sinne verstandenen Trennung basierende Verhältnis von Staat und Kirche im Einzelnen zu gestalten sei. So verpfl ichte das Ende der Staatskirche den Staat zunächst, allen Religionsgemeinschaften die gleichen Rechte einzuräumen, wozu ebenfalls das Recht auf Selbstverwaltung gehöre. Dies wiederum bedeute für die Kirche, dass sie ihre finanziellen und organisatorischen Verhältnisse in Zukunft selbständig und ohne Hilfe des Staates zu regeln habe, was die Streichung der Staatsleistungen impliziere sowie die Einführung einer »Selbstbesteuerung aller Christen« notwendig mache. Die Regelung des Religionsunterrichts stellte Naumann den einzelnen Ländern des Reiches anheim, wobei ihm zwei Aspekte besonders am Herzen lagen: die Befreiung des Religionsunterrichts vom Zwang sowie die Berücksichtigung von Elternwünschen. Eine in diesem Sinne gestaltete 61 Naumann, Freier Staat, und freie Kirche (Ein Wort an deutsche Männer und Frauen), in: Die Hilfe 24 (1918) Nr. 52, 629. Die folgenden Zitate ebd. 62 Scholder, Bedenken, 774. 63 Naumann, Freier Staat, in: Die Hilfe 24, 629. Die folgenden Zitate ebd.
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Politik erachtete er als »Kulturarbeit im höchsten Sinn des Wortes« 64, aus der sodann die »freie Kirche im freien Staate« 65 entstehe. 1.3.2. Die Kirchenpolitik der liberalen Parteien Die unterschiedlichen Haltungen zu den politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Neuerungen jener Zeit bestimmten den Kreis der Anhänger und Mitglieder der beiden liberalen Parteien.66 Dabei war für die DDP festzustellen, dass sie »herausragende Repräsentanten des Kulturprotestantismus« 67 in sich vereinen konnte. Neben Rade, der den kulturpolitischen Abschnitt ihres im November 1920 verabschiedeten ersten Programms verfasste, wirkten die liberalen Theologen Ernst Troeltsch, Otto Baumgarten, Rudolf Otto und Wilhelm Bousset aktiv in der Partei mit, was diese gleichsam zum »Sammelbecken des demokratischen Protestantismus« 68 machte. Sie alle entstammten unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, die das gesamte Spektrum von konservativ bis sozialliberal umfassten. Was sie einte, war das Bestreben, neben dem Einsatz für eine demokratische Neuordnung des Staates gleichsam eine Neuordnung auch des Verhältnisses von Staat und Kirche auf der Grundlage demokratischer Prämissen anzustreben.69 Dabei galt es,
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Ebd., 630. Ebd. 66 Wirsching spricht von zwei politischen Lagern, die sich seit dem späten Kaiserreich herauskristallisiert hatten: einem »Linksblock, bestehend aus der Sozialdemokratie und dem Linksliberalismus, der programmatisch auf Parlamentarisierung, Demokratisierung und Sozialstaatlichkeit verpfl ichtet war«, und einem »Rechtsblock, bestehend aus Konservativismus und Nationalliberalismus, der das parlamentarische System im Grundsatz ablehnte und die Arbeiterbewegung bekämpfte« (Wirsching, Deutsche Geschichte, 15). 67 Klein, Protestantismus, 50. 68 Schwöbel, Gottes Stimme, 50. 69 Rades (1857–1941) Idee einer »demokratischen Kirche im demokratischen Staat« konkretisierte sich in seinem Engagement für eine Veränderung der kirchlichen Strukturen (ebd., 48). Der »Theologe und Politiker des sozialen Liberalismus« (Untertitel der von Nagel verfassten politischen Biographie über Rade) forderte die Bildung von Volkskirchenräten sowie die Schaffung einer einheitlichen Reichssynode durch ein Urwahlsystem, an dem alle evangelischen Gemeindeglieder teilhaben sollten (vgl. Scholder, Die Kirchen, 36 f.). Mit dem Religions- und Kulturphilosophen Ernst Troeltsch (1865–1923) war wohl der prominenteste Vertreter des Kulturprotestantismus Mitglied in der DDP. Troeltsch, dessen Wandlung von einer konservativen zu einer liberalen Haltung sich zunächst zögerlich vollzogen hatte, übernahm im Jahr 1919 das Amt des Unterstaatssekretärs im preußischen Kultusministerium, wo er an der Seite Haenischs versuchte, die Pläne Rades durchzusetzen (vgl. Wright, Über den Parteien, 33). Otto Baumgarten (1858– 1934) gehörte zunächst dem linken Flügel der NLP an, bevor er 1918 der DDP beitrat. Der Professor für Praktische Theologie, ein Vetter von Weber, artikulierte als angestrebtes Ziel der Demokratisierung von Staat und Kirche die »Entstaatlichung der Kirche und Entkirchlichung des Staates« (Baumgarten, zit. nach Schwöbel, Gottes Stimme, 56). Er befürwortete eine enge Kooperation des demokratischen Bürgertums mit der Sozialdemokratie. 65
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»weder den Sozialdemokraten noch den Konservativen die Lösung der Trennungsfrage allein [zu] überlassen.«70 In diesem Versuch, ihre demokratische Politik »gegen den doppelten Druck der Gegner der Republik von links und rechts«71 zu gestalten, näherte sich die DDP, durch ihren Vorsitzenden Naumann beeinflusst, auch einer »sozialliberalen Politik« an. Ihre Grundsatzforderung nach einer Trennung von Staat und Kirche hob sich dabei deutlich von der der Sozialdemokraten bzw. Sozialisten ab. Sie war der Idee der Errichtung eines deutschen »Kulturstaat[es]«72 verpfl ichtet, der sich, auf dem Hintergrund der Prämisse der vollen Gleichheit und Freiheit der Staatsbürger, durch die volle »Verwirklichung der inneren Freiheit in Fragen der Weltanschauung und Religion«73 auszeichnete. In diesem Sinne zur Erschaffung einer »geistigen Welt beizutragen«74, die gleichsam ein Leben »frei im Geben, frei im Empfangen in Schule und Kirche, in Wissenschaft, Literatur und Kunst«75 garantiere, müsse die Trennung von Staat und Kirche »allmählich durchgeführt werden«76 , wobei »geschichtliche, ideelle und praktische Beziehungen«77 zwischen beiden unbedingt zu berücksichtigen seien. Der liberale Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der den programmatischen Aussagen zugrunde lag, zeigte sich auch in dem Einsatz der DDP dafür, das »gegenseitige Verständnis der Konfessionen zu fördern«78 sowie »auch kleinen Gesinnungsgruppen«79 den Schutz des Staates zukommen zu lassen. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche war somit linksliberalem Verständnis entsprechend im Sinne einer Befreiung beider Bereiche voneinander zu verstehen, was beiden die volle Entfaltung ihrer Kompetenzen sicherte. Im Blick auf die kirchenpolitische Ausgestaltung implizierte dies die schonende Auf hebung der staatlichen Zuschüsse an den Staat bei gleichzeitiger Wahrung der fi nanziellen Selbständigkeit der Kirche. Die Forderung nach Lehr- und Lernfreiheit, die dem Anspruch einer Demokratisierung des Bildungswesens folgte, manifestierte sich in dem Eintreten der DDP für die Gemeinschaftsschule. Dabei sollte dem Gedanken, alle Schüler »mit der Geschichte und mit dem Wesen der Religion« 80 70
Mehnert, Evangelische Kirche, 153. Schwöbel, Gottes Stimme, 50. 72 Deutsche Demokratische Partei. Programm, Dezember 1919, in: Mommsen, Parteiprogramme, 510. 73 Ebd., 511. 74 Ebd. 75 Ebd., 512. 76 Ebd., 511. 77 Ebd., 511 f. 78 Ebd., 512. 79 Ebd. 80 Ebd., 511. 71
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bekannt zu machen, durch konfessionell erteilten Religionsunterricht Rechnung getragen werden, wobei parallel dazu unter »Wahrung der Gewissensfreiheit von Eltern, Kindern und Lehrern« 81 auch ein religionskundlicher Unterricht angeboten werden sollte.82 Das Verhältnis zwischen DDP und den Kirchen war aufgrund des »breite[n] Konsens[es] in der Demokratiekritik« 83, der in einem überwiegenden Teil des deutschen Protestantismus vorherrschend war, von vornherein distanziert. Im Blick auf ihre Anhänger beschränkte sich der Kreis daher auf den zu jener Zeit kleinen Kreis des demokratisch-liberalen Protestantismus, der sich in den genannten Personen ausdrückte sowie einige Freikirchen. Dies begründete nicht zuletzt auch den schnellen Bedeutungsverlust der DDP, der bereits 1919 einsetzte.84 Anders verhielt es sich mit der DVP, die in ihrer bürgerlich-konservativen Ausrichtung eine gewisse Anziehung auf Teile des konservativen Protestantismus hatte, was sich u. a. an der Mitgliedschaft deutsch-national orientierter Pfarrer und Kirchenvertreter in der DVP zeigte.85 In den kirchenpolitischen Aussagen der konservativ-liberalen Partei, die ganz grundsätzlich der »Bewahrung des Überlieferten« 86 verpfl ichtet waren, zeichnete sich innerhalb des Jahres 1918/19 eine Änderung im Blick auf die geschichtlich legitimierte Verbindung von Staat und Kirche ab. Hatte die DVP in ihrem Gründungsaufruf von Dezember 1918 noch die Beibehaltung der »ge81
Ebd. In der Haltung der DDP zum Religionsunterricht ließen sich die unterschiedlichen Einflüsse ihrer Mitglieder gut aufzeigen. War es Naumann vor allem darum gegangen, die »Entchristlichung der Schule« (Mehnert, Evangelische Kirche, 157) durch konfessionellen Religionsunterricht zu verhindern, und bezog sich dabei sein Eintreten für die Berücksichtigung von Elternwünschen auf die Gewährleistung eben jenes Unterrichts, so trugen die Aussagen im Programm der DDP über die Einrichtung eines religionskundlichen Unterrichts die Handschrift Rades, der sich in der Programmdiskussion deutlich dafür ausgesprochen hatte: »Kein Kind soll durch die Schule gehen, ohne mit den Grundtatsachen der Religionsgeschichte bekannt zu werden. Dieser Satz ist der wichtigste im Abschnitt Schule und Unterricht« (Rade auf dem demokratischen Parteitag im Dezember 1919, zit. nach Nagel, Martin Rade, 206). Auch dürften sich die Vertreter der so genannten Religionsgeschichtlichen Schule, Troeltsch, Baumgarten und Bousset, für die Aufnahme dieses Passus ausgesprochen haben. 83 Tanner, Demokratiekritik, 27. 84 Vgl. Albertin, Linksliberalismus, XV (zur weiteren Geschichte der DDP vgl. Schneider, Deutsche Demokratische Partei). 85 Hübinger charakterisiert die DVP-Mitglieder als »kompetente, politische Pastoren, als parlamentarische Einzelkämpfer« und erwähnt in diesem Kontext u. a. Otto Everling, Direktor des Evangelischen Bundes sowie Albert Hackenberg, Schulexperte und Präses der Rheinischen Provinzialsynode (Hübinger, Kulturprotestantismus, 156). Auch Wilhelm Kahl (1849–1932), Professor der Jurisprudenz in Berlin, passt in diese Charakterisierung. Seit 1919 Mitglied des DEK, vertrat er die Interessen der DVP in der Nationalversammlung. 86 Klein, Protestantismus, 49. 82
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schichtlich überkommene[n] Verbindung von Staat und Kirche«87 im Sinne des Staatskirchentums gefordert, so waren die Aussagen ihrer Grundsätze von Oktober 1919 ganz der in der Weimarer Reichsverfassung festgelegten Trennung von Staat und Kirche verpfl ichtet.88 So forderte sie, »[d]ie Verpfl ichtungen des Staates [. . .] durch Gesetz in einer den Lebensbedingungen der Kirche entsprechenden Form« 89 allmählich abzulösen. Weiterhin befürwortete sie die Stellung der Kirchen als »frei von staatlicher Bevormundung« existierende Körperschaften des öffentlichen Rechts, die diesen auch das Recht auf Besteuerung ihrer Mitglieder zuerkannte. In Übereinstimmung mit der DDP proklamierte die DVP die »Gewissensfreiheit und Selbstverantwortlichkeit in allen religiösen und kirchlichen Angelegenheiten«. Ebenso wie die DDP plädierte sie im schul- und bildungspolitischen Bereich die »nationale Einheitsschule«, wobei sie hinsichtlich des Religionsunterrichts für dessen Beibehaltung ohne religionskundliche Alternative eintrat. In den Forderungen nach einer Beibehaltung der staatlichen Mittel für den Fortbestand der Theologischen Fakultäten, der Seelsorge in Heer und Marine sowie in Krankenhäusern und Gefängnissen zeigte sich nach wie vor die Idee der DVP einer – wenn auch eingeschränkten – Verbindung von Staat und Kirche, die zugleich eine Privilegierung der Kirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften implizierte.90 In diesen Ausführungen, die inhaltlich mit den kirchenpolitischen Aussagen der DNVP übereinstimmten91, offenbarte sich somit ein »verständnisvolles Eingehen auf die kirchlichen Belange«92 , das der DVP die Unterstützung durch konservativ kirchliche Kreise sicherte, die dadurch die Sicherung der Kirche gewährleistet sahen. Ob die kirchenpolitischen Aussagen somit auch die Stabilisierung der eigenen Position innerhalb des politischen Systems intendierten oder der üblichen Tendenz eines Vorrangs staatlicher Interessen vor liberalen Prinzipien entsprangen oder eventuell sogar beide Aspekte einander bedingten, muss an dieser Stelle offen bleiben.93 87 Gründungsaufruf der DVP vom 18. 12. 1918, zit. nach Mehnert, Evangelische Kirche, 149. 88 Vgl. Deutsche Volkspartei. Grundsätze. Oktober 1919, in: Mommsen, Parteiprogramme, 519–531. Auch die DDP hatte ihr erstes Programm nach Verabschiedung der WRV verfasst. Es unterschied sich von dem der DVP durch abstraktere, grundsätzlichere Formulierungen. 89 Ebd., 525. 90 Diese Tendenz zeigte sich auch in der Formulierung im Kontext des Körperschaftsstatus, »anderen Religionsgemeinschaften [sei] die Möglichkeit zu verschaffen, durch staatliche Anerkennung dieselben Rechte zu erwerben« (ebd.). 91 Vgl. Deutschnationale Volkspartei, Grundsätze 1920, in: ebd., 539. 92 Nowak, Evangelische Kirche, 29. 93 »Ohne Namensänderung der Partei, die die Grundsätze veröffentlichte, würde man kaum die Quelle erraten. Wer sollte glauben, daß da eine Partei, die liberal sein wollte, zu ihren Wählern sprach? Ein so verständnisvolles Eingehen auf die Wünsche der Kirchen,
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1.3.3. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung Die Weimarer Reichsverfassung begründete die so genannte hinkende Trennung von Staat und Kirche, die sich einerseits in der Auf hebung der Staatskirche manifestierte (Art. 137 WRV), zugleich aber eine Reihe von Privilegien für die Kirche vorsah sowie kooperative Elemente von Staat und Kirche beinhaltete. Die beiden liberalen Parteien bestimmten die Diskussion um die Kirchenartikel an entscheidenden Punkten. So zeigte sich der linksliberale Einfluss zunächst darin, dass der erste Entwurf einer Reichsverfassung vom Staatssekretär des Inneren und DDP-Politiker Hugo Preuß verfasst worden war.94 Die im Abschnitt über die Grundrechte formulierten knappen Religionsparagraphen konstatierten die Glaubens- und Gewissensfreiheit aller Staatsbürger, die freie Ausübung des Gottesdienstes innerhalb der staatlichen Ordnung sowie die Gleichstellung und Selbständigkeit der Religionsgesellschaften in den Grenzen der allgemeinen Gesetze. In diesen Bestimmungen spiegelte sich die Tradition der Paulskirchenverfassung wider, deren Artikel Preuß zum Teil wörtlich übernommen hatte.95 Die von Preuß intendierte typisch linksliberale Fixierung der Religionsparagraphen im Kontext der Grundrechte hätte die automatische Überweisung der Trennungsthematik in die Zuständigkeit der Länder bedeutet. Erwartungsgemäß stieß der Entwurf auf heftige Kritik der Kirchen sowie der kirchenfreundlichen Parteien in der Nationalversammlung, die zusätzlich zu dieser Fixierung der persönlichen religiösen Grundrechte eine gesellschaftsrechtliche Absicherung der Kirchen verlangten.96 Die in diesem Sinne gestellten Forderungen bestimmten die Diskussion im Verfassungsausschuss, wo der DDP aufgrund der Fraktionsstärke der anderen Parteien eine im wahrsten Sinne des Wortes entscheidende Rolle zuein solches Festhalten an ihrer traditionellen Verbindung zum Staat, eine so deutliche Beteuerung ihres Wertes für die Nation und den Staat, das mußte eine ausgezeichnete Empfehlung der Partei bei den Kirchen sein« (Christ, Protestantismus, 319 f.). 94 Vgl. Apelt, Geschichte, 56 ff. 95 Vgl. Verfassung des Deutschen Reichs, in: Huber/Huber, Staat und Kirche, Band II, 33 und Entwurf des allgemeinen Teils der künftigen Reichsverfassung (»Preußscher Entwurf«) vom 20. Januar 1919, Text in: ebd., Band IV, 108. 96 Bereits vor der ersten Lesung in der Nationalversammlung war der »Preußsche Entwurf« von der Regierung aufgrund der Kritik der Kirchen entscheidend verändert worden. So wurde das Recht der Freiheit, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu verschweigen, eingeschränkt durch den Zusatz, dass Behörden insofern das Recht dazu hätten, als davon Rechte und Pfl ichten abhingen. Die Änderung bedeutete insofern ein Privileg für die Kirchen, als sich mit staatlicher Hilfe ihre Mitglieder ermitteln lassen konnten. Entscheidender war jedoch der Wegfall der Selbständigkeit der Religionsgesellschaften im Blick auf die Organisation und Regelung ihrer Angelegenheiten sowie ihre rechtliche Gleichstellung vor dem Staat (vgl. Jacke, Kirche, 125; zum Text der Regierungsvorlage zur deutschen Reichsverfassung vom 21. 2. 1919 vgl. Huber/Huber, Staat und Kirche, Band IV, 108 f.).
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kam.97 Eine interfraktionelle Vereinigung innerhalb des Verfassungsausschusses, bestehend aus den vier Vertretern der nicht-sozialistischen Parteien Kahl (DVP), Naumann (DDP), Traub (DNVP) und Mausbach (DZP), lieferte entscheidende Impulse zur Lösung der Kirchenfrage.98 In acht Unterpunkten formulierte diese Vereinigung Grundsätze zur Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche, die so, mit leichten Änderungen, ihre Aufnahme in die Weimarer Reichsverfassung fanden.99 Die Bestimmungen wurden vielfach als Lösung des grundsätzlichen Konfl ikts zwischen Vertretern einer föderalen und denen einer unitarischen Behandlung der Kirchenfrage verstanden; faktisch wurde durch sie jedoch die unitarische forciert, wiesen sie den Gesetzgebern der einzelnen Länder, in deren Kompetenzbereich die Gestaltung des Verhältnisses zwar grundsätzlich fiel, doch deutliche Grenzen auf, hinter die diese nicht zurückgehen konnten. Die DVP sah ihre kirchenpolitischen Ziele durch die Bestimmungen der Verfassung erfüllt und hatte durch den Staats- und Kirchenrechtler und engagierten Vertreter kirchlicher Interessen, Wilhelm Kahl, maßgeblich zu diesen Bestimmungen eines »kirchenpolitische[n] Maximalprogramm[s]«100 beigetragen. Die Tatsache, dass die DDP, vertreten durch ihren Vorsitzenden Naumann, diese Grundsätze ebenfalls mit trug und nicht, wie von den Kirchen und kirchenfreundlichen Parteien zunächst befürchtet, eine Koalition mit den sozialistischen Parteien im Sinne einer Durchsetzung der radikalen Trennungsforderung einging, verwies zunächst auf die Differenzen zwischen den kirchenpolitischen Konzeptionen von USPD/SPD und den Linksliberalen. Zugleich zeigten sich hier die Bereitschaft und der Verstän97 Zentrum und Rechtsparteien waren mit elf Abgeordneten im Verfassungsausschuss vertreten, die sozialistischen Parteien mit zwölf. Es war somit von entscheidender Bedeutung, in welche kirchenpolitische Richtung sich die fünf Abgeordneten der DDP orientieren würden (vgl. Jacke, Kirche, 131). 98 Der evangelische Theologe und Politiker Gottfried Traub (1869–1956) gehörte ursprünglich der DFP an, tendierte dann zunehmend nach rechts und gehörte schließlich zum Gründerkreis der DNVP, in deren Vorstand er 1918 gewählt wurde. Joseph Mausbach (1861–1931), kath., war ebenfalls deutscher Theologe und Politiker und wurde bereits 1892 auf eine Professur für Moraltheologie und Apologetik nach Münster berufen. Oswald von Nell-Breuning, einer der bekanntesten katholischen Sozialethiker, wurde bei Mausbach promoviert, dessen Arbeitsschwerpunkte in den Themengebieten Moraltheologie und katholische Soziallehre lagen. 99 1. Sicherung des Status der Religionsgesellschaften als autonome Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts, 2. + 3. Garantierung der kirchlichen Vermögenswerte und Staatszuschüsse, 4. Gewährung des Kirchensteuerrechts, 5. Beibehaltung der kirchlichen Feiertage, 6. Gewährleistung der Kirchensteuer, 7. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, 8. öffentliche Seelsorge in Wehrmacht und Strafanstalten (vgl. Kim, Vorgeschichte, 273). Die grundrechtliche Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie ungestörte Religionsausübung stand dabei den Artikeln, die das Verhältnis von Staat und Kirche regelten, voran (vgl. Art. 135 WRV). 100 Jacke, Kirche, 134.
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digungswille der DDP, in Kooperation mit den anderen Parteien zu einer gelungenen Verhältnisbestimmung beizutragen. Dass diese grundsätzliche Haltung zu Kompromissen hinsichtlich der eigenen kirchenpolitischen Forderungen führen musste, manifestierte sich ganz allgemein in der Zustimmung der Linksliberalen zu einer reichseinheitlichen Lösung und konkret in den Diskussionen über die einzelnen Bestimmungen im Verfassungsausschuss.101 Ihre Konzeption einer Entstaatlichung der Kirche und Entkirchlichung des Staates hatte sich somit nicht durchsetzen können.102 Die Regelung der Kirchenfrage wurde als ein »nahezu vollständige[r] Sieg über die kirchen- und religionspolitische Konzeption der Sozialdemokratie«103 gedeutet. Die Deutung ist insofern nicht korrekt, als die SPD im Zuge der Verhandlungen von ihrem kirchenpolitischen Trennungspostulat abrückte und auf diese Weise maßgebliche Konfl iktpunkte zwischen ihr und den bürgerlichen Parteien aus dem Weg räumte. War ihr kirchenpolitischer Wandel zunächst auch im Sinne der allgemeinen Kooperations- bzw. Kompromissbereitschaft der Parteien zu verstehen, so kam Naumann in diesem Zusammenhang wesentliche Bedeutung zu. Er vermochte es, die Sozialdemokraten durch Überzeugungsarbeit und gemeinsam verfasste Anträge für die Ideen des breiten weitgehenden Konsens des Verfassungsausschusses zu gewinnen und auf diese Weise zu einer grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche beizutragen, die letztlich zur »Grundlage für eine Partnerschaft von Staat und Kirche«104 wurde. 1.4. Die Liberalen im Parlamentarischen Rat In dem im Mai 1949 verabschiedeten Grundgesetz wurden die Artikel 136– 139 und Art. 141 der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 GG zusammengefasst und ohne Änderung übernommen.105 Die Verhandlungen des Parlamentarischen Ausschusses über das Verhältnis von Staat und Kirche verliefen dabei insgesamt betrachtet eher unspektakulär. Ihren Ausgang 101
Zur Diskussion im Verfassungsausschuss vgl. ebd., 36 ff. Naumanns Grundrechtskatalog, der gemäß der (links-)liberalen Losung »Freiheit in der Kirche – Freiheit von der Kirche« konzipiert worden war, hatte in den Beratungen des Verfassungsausschusses keine Berücksichtung gefunden (ebd., 136). 103 Nowak, Evangelische Kirche, 73. 104 Hauschild, Lehrbuch Band II, 832. 105 Die Regelung des Verhältnisses des Staates zum religiösen Bereich bzw. zur Kirche wurde im Grundgesetz durch zwei Gruppen von Vorschriften geregelt. Innerhalb der Grundrechte im Kontext des Lebens des einzelnen artikuliert Art. 4 GG in Nachbildung des Art. 135 WRV die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung. Die Bestimmungen über das Verhältnis des Staates zu den religiösen Gemeinschaften hat seinen Ort in dem Abschnitt XI über Übergangs- und Schlussbestimmungen, dort im Art. 140 GG (vgl. Mangoldt, Grundgesetz, 55 und 658 ff.). 102
1. Grundzüge liberaler Kulturpolitik: Für die Trennung von Staat und Kirche
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nahmen sie in einem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, der Deutschen Zentrumspartei und der Deutschen Partei, der in großen Teilen inhaltlich Bezug nahm auf die Weimarer Reichsverfassung, des weiteren aber auch Bestimmungen enthielt, die eine Stärkung der kirchlichen Rechte bedeutet hätten; so etwa der letzte Artikel, der die Gültigkeit der bis zum 1. 1. 1945 abgeschlossenen Staatskirchenverträge beinhaltete.106 Im Kontext der Beratungen dieses Antrages, der letztlich vom Hauptausschuss abgelehnt wurde, erfolgte ein erster grundsätzlicher Meinungsaustausch über eine adäquate Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche, der den weiteren Diskussionsverlauf bestimmte. Dabei zeigte sich die linksliberale Tradition des politischen Liberalismus durch die im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates vertretenen liberalen Abgeordneten Theodor Heuss, Hermann Höpker-Aschoff und Thomas Dehler.107 Heuss und Höp106 Der letzte Artikel dieses Antrags forderte die Fortsetzung der Gültigkeit der »am 1. 1. 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen«, bis diese »durch neue, von den Ländern abzuschließende Vereinbarungen abgelöst sind« (vgl. Beratungen zu diesem Passus, in: Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 12. 1948, 259–261; AdL 19421). 107 Der in Brackenheim geborene Theodor Heuss (1884–1963) gehörte zum engen Kreis um Naumann und trat nach Naumanns Tod dessen politisches Erbe an. Heuss war Mitglied der DDP, die 1930 zur DStP mutierte. Im Jahre 1946 gründete er u. a. zusammen mit Reinhold Maier die linksliberale Demokratische Volkspartei (DVP) – nicht zu verwechseln mit der nationalliberalen DVP der Weimarer Republik – in Württemberg-Baden, deren Vorsitz er übernahm. Im Jahre 1949 wurde Heuss zum ersten Bundespräsidenten der BRD gewählt, ein Amt, das er bis 1959 innehatte. Im Blick auf seine religiöse Sozialisation ist zu erwähnen, dass er sich seit seinem 18. Lebensjahr im Evangelischen Arbeiterverein seines Heimatortes Heilbronn engagierte, bevor er ab 1905 als Redakteur der von Friedrich Naumann herausgegebenen Zeitung Die Hilfe mitarbeitete. Auf diese Weise geriet er in Kontakt mit dem ESK und der Christlichen Welt Martin Rades. Familiäre Kontakte verbanden ihn mit Adolf von Harnack, dessen Frau die Cousine seiner Frau war (vgl. Schreiben Hans Bott [sc. persönlicher Referent von Heuss] an Keller vom April 1951; Barch B 122–297). »Heuss war kein Kirchen- sondern ein weltlicher Christ, doch sich der prägenden und ordnenden Kraft der Kirchen ebenso bewußt wie der des Staates, jedoch ohne Zwang und Dogma, ohne statischen Konfessionalismus« (Bott, Theodor Heuss, 97). Heuss verband ein beinahe freundschaftliches Verhältnis mit Hermann Kunst, wie zahlreiche Briefwechsel, die im Bundesarchiv in Koblenz überliefert sind, belegen. Seine Einstellung zum Verhältnis von Kirche und Staat lässt sich jenen Äußerungen entnehmen, die er als Vorsitzender der DVP und Fraktionsredner im Zuge der Verfassungsgebung des Landes Württemberg-Baden machte. Hier war es zunächst um die ganz grundsätzliche Frage gegangen, ob der Rückgriff auf Gott in der Verfassung durch entsprechende Formulierungen erfolgen sollte oder nicht. Heuss hatte in diesem Kontext dazu aufgefordert, bei einer Etablierung einer Verfassung als einer »sehr irdischen Aufgabe [. . .] Gott nicht allzusehr für die Unvollkommenheiten unseres Tuns in Anspruch zu nehmen« (Freie Kirche im Freien Staat. Dr. Theodor Heuß als Fraktionsredner über das Problem Staat und Kirche in der Verfassungsgebenden Landesversammlung, in: Das neue Vaterland. Halbmonatsschrift der DVP. Sonderdruck vom 28. 10. 1946. Die folgenden Zitate ebd.). Auch seine Überlegungen zum Rechtsverhältnis von Staat und Kirche waren von dieser grundsätzlichen Haltung geprägt: »Wir stehen hier im staatlichen Raum und haben kein Religiöses und kein Theologisches zu erledigen.« In diesem Kontext musste auch sein Plädoyer einer Neutralität des Staates in kirchlich-religiösen Dingen verstanden werden. Jene Neutralität be-
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ker-Aschoff sprachen sich einhellig für die Aufnahme der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung ohne Abweichungen oder Zusätze aus. In seiner Begründung verwies Heuss auf den Charakter der Verhältnisbestimzeichnete Heuss als »entscheidenden Gewinn« für die Kirchen und stellte ihr als Explikation dieser Aussage die Regelung des landesherrlichen Kirchenregiments als »peinliche Notlösung [. . .] die dem wahrhaft religiösen Entscheid geradezu ins Gesicht schlägt« gegenüber. Deutlich zeigten sich hier die jüngsten Erfahrungen des nationalsozialistischen Regimes, in dem sich ein nichtneutraler Staat zu etablieren versucht hatte: »Hitler war auf dem Wege, unserem deutschen Volke ein Stück säkularisierter Theokratie aufzuzwingen. Das war sein letztes Ziel. Darum diese ewigen transzendenten Bezugnahmen, an deren Ende der Divus Adolphus. Das eben wollen wir nicht. Wir wollen Reinlichkeit der Beziehungen haben.« Diese »Reinlichkeit der Beziehungen« als eines irdisch-geschichtlichen Rechtsverhältnisses sah Heuss mit der ebenfalls von Naumann rezipierten Formel Cavours »Freie Kirche im Freien Staat« gegeben. Mit Naumann sah er gerade darin die Möglichkeit, jenen religiösen Kräften, auf die ein Staat »nicht verzichten« könne, zu ihrer Entfaltung zu verhelfen: »Es ist ein Bedürfnis des Staates, für den wir hier reden, und ein Bedürfnis des Volkes, daß aus diesem Gewinn, innerlich angereichert, der religiöse Missionsauftrag der Kirchen in der kommenden Zeit fruchtbar werde.« Die kulturpolitischen Bestimmungen der württemberg-badischen Verfassung wurde mit der Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule, der so genannten »Simultanschule«, entscheidend von der DVP beeinflusst. Im Zuge der Zusammenfügung der drei Länder zum Bundesland Baden-Württemberg blieb die Schulfrage bis 1967 ein Streitfaktor zwischen Parteien. Die von Heuss und Maier geprägte, kulturpolitische Haltung der Partei insgesamt lässt sich mit den Worten des Sprechers der DVP in Kirchen- und Schulfragen, Hermann Wild, »dem Staat wie der Kirche zu geben, was jedem gebührt« zusammenfassen (Art. »Kandidaten haben das Wort. Abgeordnete und Kandidaten der Demokratischen Volkspartei schreiben über Verfassung und künftige Aufgaben«, DVP Württemberg-Baden, April 1946; AdL N 18-4; eine Übersicht über weitere Äußerungen Heuss’ zum Verhältnis von Staat und Kirche liefert Wurtzbacher-Rundholz, Heuss). Der in Herford geborene Jurist Hermann Höpker-Aschoff (1883–1954) trat nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Erfahrungen ihn stark prägten, der DDP bei. Von 1925 bis 1931 übte er das Amt des preußischen Finanzministers aus. Höpker-Aschoff, dessen geistige Grundstimmung Lange als »protestantisch nüchtern [. . .] in gewisser Weise puritanisch« (Lange, Verfechter, 73) beschrieb, trat bis zu den Verhandlungen um das Grundgesetz in mehreren Kontexten mit der Thematik Staat und Kirche in Berührung, so 1929, als er als »zäher Verhandlungspartner« des Nuntius Pacelli an der Entstehung des preußischen Konkordats von 1929 mitwirkte und wo es ihm gelang, »dass der vereinbarte Entwurf schließlich einen Inhalt erhielt, der allen Fraktionen von der SPD über das katholische Zentrum bis zu den Demokraten eine Zustimmung möglich erscheinen ließ« (ebd., 75). Während der NS-Herrschaft, wo er 1940 in Görings »Haupttreuhandstelle Ost« arbeitete, geriet er in teilweise heftige Konfl ikte mit Martin Bormann im Blick auf Behandlung von Kirchenvermögen. Die Erfahrungen auf dem Gebiet der Finanzverwaltung und der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche gewannen für ihn an Bedeutung bei den Beratungen zum Grundgesetz. Nach der erneuten Zulassung von Parteien 1945 schloss er sich abermals den Liberalen an und wurde bei der Gründungsversammlung der FDP in Heppenheim in den Gesamtvorstand der Partei gewählt. Höpker-Aschoff konnte wohl als der konservativste Vertreter der drei liberalen Politiker bei den Beratungen zum Grundgesetz betrachtet werden, nicht zuletzt aufgrund seines deutlichen Bekenntnisses zum Rechtsstaat, der für ihn, anders als bei Heuss, stets im Mittelpunkt stand. Im Kontext der Entstehung der Verfassung wurde er zum eigentlichen Vater der Finanzverfassung. 1951 übernahm er das Amt des ersten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (zu Thomas Dehler siehe Abschnitt 3.2.).
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mung von Staat und Kirche als föderativer Angelegenheit. Er mahnte zu einem überlegten Handeln und forderte die sorgfältige Prüfung kirchenrechtlicher Forderungen vor einer raschen Entscheidung.108 Eine ähnliche Argumentation zeigten die beiden liberalen Politiker bei der Diskussion über den Antrag des CDU-Politikers Süsterhenn, der in einem ersten Absatz die Beibehaltung der Kirchenartikel 137, 138 Abs. 2, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung unter Hinzufügung eines zweiten Absatzes forderte, der die Gültigkeit »der am 8. 5. 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen [. . .], bis sie durch neue von den Ländern abzuschließende Verträge ersetzt werden«109, konstatierte. Der Antrag Süsterhenns löste eine Debatte darüber aus, ob die Forderung des zweiten Absatzes auch die Fortgeltung des 1933 abgeschlossenen Reichskonkordats impliziere. Heuss und Höpker-Aschoff stimmten gegen die weitere Gültigkeit des Konkordats, das, so Höpker-Aschoff, »von einer Verbrecherbande«110 abgeschlossen worden sei. Während Heuss sich für eine Formulierung im Sinne einer Rückführung auf die föderative Basis aussprach und man seinem Vorschlag zunächst nachkam, verlangte Höpker-Aschoff in einer späteren Sitzung die Streichung des zweiten Absatzes als mit dem Zuständigkeitsbereich des Grundgesetzes unvereinbar. Vom Hauptausschuss letztlich ohne Debatte beschlossen wurde der erste Absatz des Süsterhennschen Antrags und somit die Übernahme der Art. 137–139 und 141 WRV. Ergänzend dazu wurde später noch Art. 136 WRV in das Grundgesetz aufgenommen. Die Regelung der Staatskirchenverträge fand ihre Aufnahme in dem allgemeinen Art. 123 GG, der die Fortgeltung früheren Rechts und früherer Staatsverträge feststellte.
2. Programmatisches Ziel der FDP: Gegen die Vermischung von Politik und Religion – gegen »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« Unter Programmatik werden an dieser Stelle neben den Parteiprogrammen der FDP auch weitere offi zielle Papiere, die seitens der Partei herausgegeben wurden (Leitsätze, Wahlplattformen etc.), berücksichtigt. Die Darstellung dieser Aussagen der FDP über Religion, Christentum und Kirchen dient dazu, eine allgemeine Entwicklungslinie bezüglich des Verhältnisses der FDP zu den Kirchen nachzuzeichnen, auf deren Grundlage die konkreten Kontakte bzw. Beziehungen zwischen der Partei und der katholischen
108 109 110
Vgl. Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 12. 1948, 255; AdL 19421. Entstehungsgeschichte, 892. Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 12. 1948, 260; AdL 19421.
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Kirche bzw. der evangelischen Kirche expliziert werden.111 Als interne Gliederungspunkte des Abschnittes fungieren dabei die jeweiligen Bundestagswahlen. Eine Zusam menschau der programmatischen Aussagen der FDP von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre hinein macht deutlich, dass die Partei in ihrer Kulturpolitik, zu der die Bereiche Religion, Christentum und Kirche zählten, keine einheitliche Haltung an den Tag legte. So betonte man beispielsweise in den 1950er Jahren das Christentum als eine prägende Kulturkraft. Im Blick auf die Frage nach seiner Bedeutung oder der Stellung der christlichen Kirchen konnten die Meinungen im Verlaufe der Jahre jedoch stark differieren. In diesem Zusammenhang müssen immer auch die jeweiligen Regierungskonstellationen mit berücksichtigt werden, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf bestimmte programmatische Aussagen der liberalen Partei hatten.112 Ein Charakteristikum, das in Bezug auf die FDP und ihr Verhältnis zu den Kirchen für die Nachkriegszeit festgestellt werden kann, bestand in dem Bemühen der Partei, das ihr anhaftende Vorurteil, eine dem antikirchlichen Liberalismus verfallene Partei zu sein, zu revidieren. Diesem Anliegen war eine Kulturpolitik im Sinne eines so genannten »geläuterten Liberalismus«113 verpfl ichtet, ein Ausdruck, den der liberale Kulturpolitiker und damalige Vorsitzende des Kulturpolitischen Bundesausschusses der FDP, Paul Luchtenberg, Anfang der 1950er Jahre prägte.114 Mit dem Ausdruck »geläuterter Liberalismus« wandte sich Luchtenberg gegen die Positionen, die nach wie vor eine unreflektierte Identifizierung des gegenwärtigen Liberalismus mit dem Frühliberalismus des 19. Jahrhunderts vollzogen. Mehr noch als der 111
Siehe dazu die Abschnitte 3. und 4. »Kein Zweifel, die Programme der FDP sind stets von zwei Größen determiniert: Durch die jeweilige Position der Partei gegenüber den beiden großen Parteien einerseits und durch den Zeitgeist – verbunden mit aktuellen politischen Fragen – andererseits« (Dittberner, Partei, 1323). 113 Vgl. z. B. Art. »Geläuterter Liberalismus – Prof. Dr. Paul Luchtenberg«, in: RSB 20/1953 vom 20. 2. 1953, 9. 114 Der evangelische Rheinländer Paul Luchtenberg (1890–1973) studierte Psychologie, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Bonn, Münster und München. Nach seiner Tätigkeit als Studienrat in Remscheid-Lennep (1916–1923) und Privatdozent an der Universität in Köln erhielt er 1925 einen Ruf an die Technische Hochschule in Darmstadt, wo er, zunächst als a.o. Professor, dann ab 1929 als Inhaber eines Lehrstuhls, bis 1931 blieb. 1931 folgte er einem Ruf als Ordinarius für Pädagogik und Philosophie an die Technische Hochschule in Dresden, wurde jedoch 1936 aus politischen Gründen seiner Ämter enthoben und aus dem Staatsdienst entlassen. Luchtenberg war Mitbegründer der FDP in NRW und gehörte von 1950 bis 1956 dem Deutschen Bundestag an. In seinem Amt als nordrhein-westfälischer Kultusminister, ein Amt, welches er von 1956 bis 1958 bekleidete, setzte er sich sehr stark für die Schaffung eines Bundeskulturministeriums ein, mit der Intention, die stark konfessionell geprägte Kulturpolitik in den einzelnen Ländern, besonders in Bayern und Rheinland-Pfalz, aufzubrechen. Von 1961 bis 1970 war er Vorsitzender der FNS. 112
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Begriff des Neo-Liberalismus, der zunächst nur den status quo des jetzigen Liberalismus im Sinne eines Verändert-Seins konstatierte, implizierte das Attribut der Läuterung ein Eingeständnis der Fehlerhaftigkeit und Revisionsbedürftigkeit mancher paläoliberaler Entwicklungen, die ihre Wurzeln im Zeitalter der Auf klärung hatten. Als kritische Auseinandersetzung mit dem früheren alten Liberalismus konnte der »geläuterte Liberalismus« somit als eine Art »Sündenbekenntni[s]«115 verstanden werden. Die Sünden dieses alten Liberalismus sah man dabei in seiner einseitigen Überbewertung der durch die Auf klärung neu entdeckten ratio, insofern der Intellekt des Menschen als dessen anthropologische »Wesensmitte«116 festgelegt und auf diese Weise jegliche Gewissensbindung an eine metaphysische irrationale Instanz zugunsten eines positivistischen Fortschrittsglaubens negiert wurde. Die Folgen bzw. »liberalistischen Fehlentwicklungen«117 dieser einseitig propagierten Bindungslosigkeit bzw. absoluten Freiheit des Menschen konnten sich in unterschiedlichen Bereichen zeigen, im geistigen Bereich, insofern dem religiösen Glauben seine normative Funktion abgesprochen wurde, aber auch im wirtschaftlichen Bereich, beispielsweise in Form eines »ausbeuterischen Manchestertum[s].«118 Auch die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts von den radikal-demokratischen Liberalen artikuliert wurde, stellte eine solche Fehlentwicklung dar, insofern sie in ihrer laizistischen antiklerikalen Ausformung gegen jegliche Prinzipien des Liberalismus verstoßen hatte. Der neue »geläuterte Liberalismus« zeichnete sich nun durch die Wiederentdeckung der religiösen Existenz aus, insofern man die Bindungsfähigkeit und mehr noch Bindungsnotwendigkeit des Menschen an metaphysische und »irrationale Bezirke«119 anerkannte und auf diese Weise das einstige Ideal eines auf einem abstrakten Freiheitsbegriff sich gründenden »radikalen Entbundensein[s]«120 zugunsten einer »metaphysischen Seinsmitte«121 des Menschen konterkarierte. Die hier beschriebene »ideologische Metamorphose«122 beschrieb Luchtenberg im Sinne einer Reaktion auf sich vollziehende zeitbedingte Wandlungsprozesse, denen alle politischen Ideologien
115
Klein, Protestantismus, 321. Vortrag Luchtenberg »liberale Kulturgesinnung« auf dem BPT München 21.–23. 9. 1951; AdL A 1-21, Bl. 13. Luchtenberg hielt diesen Vortrag bei der ersten Begegnung zwischen Liberalen und Katholiken im Jahre 1960 (siehe dazu Abschnitt 3). 117 Luchtenberg, Wesen, 196. 118 Vortrag Luchtenberg; AdL A 1-21, Bl. 13. 119 Luchtenberg, Wesen, 196. 120 Vortrag Luchtenberg; AdL A 1-21, Bl. 14. 121 Luchtenberg, Wesen, 196. 122 Vortrag Luchtenberg; AdL A 1-21, Bl. 13. 116
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unterworfen seien, ohne dass jedoch ihr jeweils zugrunde liegender Wesenskern tangiert werde.123 Anfang der 1950er Jahre war es die unmittelbare Vergangenheit des NaziRegimes, die es, so Luchtenberg an anderer Stelle, keiner Partei erlaube, nach wie vor »nach alten Formeln«124 zu agieren. Für die FDP ergebe sich somit die Notwendigkeit, ihre kulturellen Ansprüche im Kontext der allgemeinen politischen Auseinandersetzung zur Geltung zu bringen. Jener »geläuterte Liberalismus« wurde somit Anfang der 1950er Jahre zur Voraussetzung hinsichtlich einer Neubesinnung der geistig-sittlichen Fundamentierung liberaler Parteiarbeit. Im Folgenden soll dargelegt werden, auf welche Art und Weise die Partei ihre engeren kulturpolitischen Äußerungen im Sinne dieser Grundentscheidung machte. Es wird weiterhin zu fragen sein, ob das Kirchenpapier von 1974 als Ausdruck oder Ende jenes »geläuterten Liberalismus« gesehen werden musste. Letztere Position nahm der katholische Jurist und Kirchenrechtler Alexander Hollerbach ein: »Auch für einen noch so selbstkritischen kirchlichen Beobachter ist unverkennbar, daß die Thesen eine laizistische Trennungsideologie zur Basis haben [. . .]. Im übrigen dürften sich die Geister gar nicht so sehr an den einzelnen staatskirchenpolitischen Feststellungen und Postulaten scheiden als vielmehr an einem (ur-)altliberal-verengten Verständnis von Demokratie, das hier zutagetritt. Vom Konzept eines ›geläuterten Liberalismus‹ ist jedenfalls nichts mehr zu erkennen.«125
2.1. Programmatik der 1950er Jahre Die ersten Bundestagswahlen der Nachkriegszeit im Jahre 1949 ließen die gerade gegründete FDP mit 11,9% zur drittgrößten Partei innerhalb des neuen Parteiensystems werden; ein Ergebnis, das insofern überraschte, als sich die FDP unter dem Vorsitz von Heuss zu diesem Zeitpunkt keineswegs als eine homogene Partei mit einheitlichem Programm darstellte.126 Der 123
Vgl. Luchtenberg, Wesen, 195. Bericht über die Beratungen der Leitsätze zur Kulturpolitik vom 18. 3. 1950; AdL A 7-2, Bl. 9. 125 Hollerbach, Katholische Kirche, 203 f. 126 Vgl. Lösche, Geschichte, 140 f. Rilling charakterisierte die in den Bundestag gewählten FDP-Mitglieder wie folgt: »Die aus elf Landesverbänden gewählten Abgeordneten waren recht unterschiedlicher, politischer Herkunft. Linksliberale, Nationalliberale, Rechtsliberale, bekannte Gesichter aus Weimarer Zeit, Unbekannte, die nun bekannten, daß sie liberal seien. Alle möglichen Schattierungen wurden hier abgedeckt. Zumal die einzelnen FDP-Landesverbände, traditionsgemäß alle, recht divergierende Auffassungen über den Liberalismus hatten. Die südwestdeutschen Liberalen beriefen sich auf die 1848er Revolution und die überlieferten Denkwürdigkeiten damaliger, großer Liberaler. Der nunmehr größte FDP-Landesverband, NRW, Produkt eines neu geschaffenen, künstlichen Bundeslandes, hatte sich aus allen möglichen Parteirichtungen, Zirkeln und diversen Debattierklubs zusammengesetzt. Ebenso die liberale Situation in Niedersachsen und Schleswig-Holstein« (Rilling, Biographie, 157). Rütten verwendete den Begriff der 124
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Wahlerfolg hing u. a. damit zusammen, dass sich im Zuge der Aufteilung der wahlberechtigten Bevölkerung auf das neu etablierte Parteiensystem insbesondere der Protestantismus als eine verlässliche Trägergruppe der FDP ebenso wie der SPD herausgestellt hatte. Laut Schmitt war dieser Umstand darauf zurückzuführen, dass sich die in der Nachkriegszeit entstandenen dezidiert christlichen und interkonfessionellen Unionsparteien für bestimmte Gruppen des Protestantismus nicht als Option profi lieren konnten, da sie sich schnell als die Wahloption des größten Teils der katholischen Bevölkerung herausgestellt hatten. Schmitt geht dabei von der grundsätzlichen Annahme aus, dass sich die »vier alten Milieus der Vorkriegszeit«127, womit das katholische und ein konservatives, ein liberales und ein sozialdemokratisches Milieu gemeint waren, über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg halten konnten und somit die Substanz für die neu entstandenen Parteien bildeten. Er kam zu dem logischen Schluss, dass sich die Hinwendung des Protestantismus zur Politik aufgrund seiner unterschiedlichen milieuspezifischen Ausprägungen nicht in einer einseitigen Ausrichtung auf lediglich eine Partei manifestieren konnte. Während sich das katholische Milieu mit einer protestantischen konservativen Minderheit in den Unionsparteien verband, teilte sich der weitaus größere Teil protestantischer Wählerschaft je nach Prägung auf die übrigen Parteien auf. Schmitt spricht in diesem Zusammenhang von einer »Protestantisierung«128 der beiden Parteien SPD und FDP, die zur Folge hatte, dass diese ihre weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen überdenken mussten.129 Die »Leitsätze zur Kulturpolitik«130 der FDP von 1950 konnten als ein erster Ertrag dieses Umdenkungsprozesses betrachtet werden. In ihnen legte »Plattform-Partei« zur Beschreibung der Vielzahl jener Gruppen, die sich in der FDP zusammengefunden hatten (Rütten, Plattform-Partei, 66). 127 Schmitt, Konfession, 95. Schmitt greift an dieser Stelle die Milieutheorie Rainer Lepsius’ auf, die besagt, dass es bestimmte soziale und kulturelle Einheiten, so genannte »Sozialmilieus« oder auch »sozialmoralische« bzw. »sozialkulturelle Milieus« gibt, für die die politischen Parteien die Funktion eines »politische[n] Aktionsausschuss[es]« übernehmen (ebd., 22). Die Entstehung dieser Milieus und ihrer »Aktionsausschüsse« müsse dabei als »Ausdruck struktureller Konfl ikte« betrachtet werden, die schon vor der Gründung des Kaiserreichs virulent gewesen seien (ebd.). Die relative Stabilität des Parteiensystems verweise somit auf die Dauerhaftigkeit dieser Milieus, die wiederum auf das Terrain verwiesen, in dem sie ihren Ursprung haben. 128 Ebd., 95. 129 Möller bezeichnet diesen Prozess im Blick auf die SPD als »›Entideologisierung‹ des politischen Lebens« bzw. »weltanschauliche Liberalisierung« (Möller, Evangelische Kirche, 130). 130 Vgl. Leitsätze zur Kulturpolitik 1950. Beschlossen vom 2. Bundesparteitag vom 29. 4. bis 1. 5. 1950 in Düsseldorf. Herausgegeben von der Bundesgeschäftsstelle der FDP, Bonn Oktober 1952, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 102–111. Die Leitsätze bestanden aus einer Einleitung und insgesamt 30 Artikeln, die auf die vier Abschnitte »Grundbegriffe und Grundsätze«, »Religiosität und Christentum«, »Wissenschaft und
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sich die Konzeption eines »geläuterten Liberalismus« erstmals programmatisch dar. Unter Bezugaufnahme auf die liberalen Attribute Freiheit und Individualismus betonte die FDP die Bindungsfähigkeit und Bindungsnotwendigkeit des Menschen und verwarf damit den einseitigen Intellektualismus des Früh-Liberalismus, der in seinem Kampf gegen jegliche Gewissensanbindung des Menschen die »Kräfte der Seele«131 als gewissensbindende Instanzen nahezu verleugnet und zu einer »›Entseelung‹ des Daseins« geführt habe. Christentum und Humanismus wurden als die geistigen Grundlagen der moralischen Bindung des Menschen gewürdigt. In diesem Kontext negierte man den Kampf gegen Religion und Kirche, den dieser Rationalismus geführt hatte, und betonte den Stellenwert religiösen Glaubens und idealistischer Weltdeutung innerhalb der neuen Kulturpolitik. Aufschlussreich für die weitere Haltung der FDP gegenüber Christentum und Religion war die doppelte Perspektivnahme auf das Christentum, einerseits als Ethik, deren Sittengesetze den »allgemein anerkannten sozialethischen Normen« entsprachen und der somit ein »staatspolitisches Interesse von grundsätzlicher Bedeutung« zuerkannt wurde, andererseits als Dogmatik, deren Ausgestaltung sich »ausschließlich im Raume der Kirche« zu vollziehen habe. Durch diese doppelte Sichtweise vermochte es die Kulturpolitik der FDP, einen weiten Adressatenkreis anzusprechen, da die von ihr konstatierte Übereinstimmung christlicher Ethik mit den bestehenden Sittengesetzen »von allen vertreten werden« konnte, unabhängig davon, wo man sich jeweils »aufgrund kirchlicher Dogmen als konfessionelle Gruppen oder aufgrund glaubensmäßiger Verschiedenheiten als orthodoxe und liberale Christen oder auch als christliche Sekten« verwurzelt fühlte. Dieser allgemeine und offene Ansatz einer »Politik der Sachlichkeit«132 , die sich an ein ethisches Gesetz des Handelns gebunden weiß, »das von den aus christlichem Wurzelgrunde gewachsenen Werten und Idealen bestimmt Kunst« sowie »Bildung und Schule« aufgeteilt waren. Sie hatten ihren Ursprung im Landesverband NRW und waren maßgeblich auf die Initiative Luchtenbergs, des damaligen Vorsitzenden des Kulturpolitischen Ausschusses des Landesverbandes, zurückzuführen. Auch auf Bundesebene konstituierte sich im März 1950 auf Initiative Luchtenbergs hin ein Kulturpolitischer Ausschuss, dem 22 Personen angehörten und dessen Vorsitz er bis 1969 innehatte. Weitere Vorsitzende waren Felix von Cube ( Januar 1969 bis Juli 1970), Hildegard Hamm-Brücher ( Juli 1970 bis November 1970) und Helga Schuchardt ( Januar 1973 bis Februar 1977). Am 18. 3. 1950 wurden die Leitsätze der Gesamtpartei zur Beratung vorgelegt (vgl. Bericht über die Beratungen der Leitsätze zur Kulturpolitik vom 18. 3. 1950; AdL A 7-2, Bl. 9–15). 131 Leitsätze, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 105. Die folgenden Zitate ebd. 132 Art. »›Wie die Parteien sich selber sehen‹. Drei Antworten auf eine Anfrage von ›Kirche und Mann‹ anläßlich des beginnenden Wahlkampfes. FDP: Ein bedeutsames Wächteramt. Von Kulturminister a.D. Professor Dr. Paul Luchtenberg«, in: Kirche und Mann, November 1960.
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wird«133, verwies nun im Blick auf das weitere Handeln der FDP im kulturpolitischen Bereich auf zwei Themenkreise, zu denen sie sich im Verlaufe der Zeit immer wieder äußerte bzw. positionieren musste: die enge dogmatische Verbindung von Politik und Religion, wie sie sich bspw. im Verhältnis zwischen den Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, und den Unionsparteien zeigte sowie ihr eigenes noch ungeklärtes Verhältnis zu den Kirchen.134 In den Jahren bis zur zweiten Bundestagswahl 1953 kam es im Blick auf Kirche, Religion und Christentum zu keinen offiziellen Äußerungen der Bundespartei. Parteiintern jedoch war festzustellen, dass der Bereich der Kulturpolitik nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten einen zusehends wichtigeren Stellenwert erlangte, was beispielsweise die Einrichtung eines hauptamtlichen Referenten für Kulturpolitik in der Bundesgeschäftstelle belegte.135 Im Blick auf die Bundestagswahlen von 1953 verwies eine Flugschrift des Landesverbandes Hamburg von 1952 mit dem Titel »Das Liberale Manifest«136 auf die von der FDP zunehmend als problematisch erachtete Thematik der Vermischung von Politik und Religion. So betonte man im Sinne 133
Ebd. Die in den Leitsätzen gemachten Äußerungen über Religiosität und Christentum sollten als Voraussetzung für eine weiterführende Erörterung des Verhältnisses von FDP und Kirche fungieren. Luchtenberg hatte im Zuge der Beratungen der Leitsätze betont, es könne zwar nicht beabsichtigt werden, »in eine Konkurrenz zur CDU einzutreten«, dennoch müsse man sich der Tatsache stellen, dass die Kirchen »einen realpolitischen Faktor« darstellten, demgegenüber man sich als Partei zu positionieren habe (Bericht über die Beratungen der Leitsätze zur Kulturpolitik vom 18. 3. 1950; AdL A 7-2, Bl. 11). 135 Luchtenberg hatte zunächst darum kämpfen müssen, den Bereich der Kulturpolitik als regelmäßig zu bearbeitendes politisches Aufgabengebiet in der Partei zu etablieren. Im Frühjahr 1951 forderte er ein stärkeres Eintreten für die kulturpolitischen Leitsätze in öffentlichen Diskussionen sowie die Ausweitung jener diesen Bereich betreffenden Fragestellungen durch mehr Präsenz kulturpolitisch interessierter Persönlichkeiten in den entsprechenden Gremien (vgl. Schreiben Luchtenberg an Weirauch vom 16. 4. 1951; AdL A 7-1, Bl. 84). Auf dem BPT in Bad Ems vom 20. bis 22. 11. 1952 nahm der Bereich der Kulturpolitik einen für FDP-Verhältnisse bis dato relativ großen Raum ein. Hier erfolgte ein erster Bericht des Kulturpolitischen Ausschusses, der sich bereits im März 1950 konstituiert hatte. Luchtenberg berichtete u.a über die Herausgabe der ersten Ausgabe des neuen publizistischen Organs des Ausschusses, der Kulturpolitischen Mitteilungen im April 1952 (vgl. AdL A 1-29, Bl. 31). In einer Entschließung des Ausschusses, die dem BPT vorgelegt wurde, betonte er als vordringliche Aufgabe der FDP, in einem gemeinsamen Gespräch mit den Kirchen zu einer »notwendigen Entgiftung der politischen Atmosphäre« beizutragen (AdL A 1-27, Bl. 18). Auch der Vorsitzende der Partei, Franz Blücher, verwies in seiner Rede über Standort und Ziele der FDP auf die Bedeutung dieser Gespräche mit den Kirchen: »Es ist uns ein großes Anliegen, daß die verantwortlichen Männer der Kirchen sich endlich mit uns zu einer vertrauensvollen Aussprache, die von der Achtung vor dem sittlichen Willen des Nachbarn getragen ist, zusammensetzen. [. . .] [W]as vor langer Zeit war, kann heute nicht mehr von jemandem, der es ernst mit seiner Pfl icht meint, für die Beurteilung des Heute verwendet werden« (AdL A 1-30, Bl. 34). 136 Vgl. Das Liberale Manifest (1952). Flugschrift des Landesverbandes Hamburg, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 124–128. 134
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
der »Leitsätze« von 1950 zunächst, »im Geiste eines echten Liberalismus jeden Kampf gegen Religion und Kirche als solche«137 abzulehnen, verwies jedoch im gleichen Satz darauf, »ebenfalls ein Zweckbündnis zwischen Politik und Religion«138 zu verurteilen, da deren »Vermengung«139 beiden schade. Die Einschränkung musste als implizite Kritik an der Politik der Unionsparteien verstanden werden, die sich nach Ansicht der FDP durch die enge Verbindung insbesondere zur katholischen Kirche zunehmend klerikalisierte und konfessionalisierte.140 Mit dieser »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« der Unionspolitik einher ging wiederum die Tendenz einer Politisierung der katholischen 137
Ebd., 128. Ebd. 139 Ebd. Eine klare Grenzziehung zwischen Politik und Religion zeigte sich auch in der Formulierung zu ihren jeweiligen Handlungsbereichen: »Unsere Gestaltungsaufgabe beschränkt sich auf die diesseitige Welt, in der der Mensch das Maß aller Dinge ist. Die Aussage über das Göttliche ist Sache der Religion, die mit ihren sittlichen Strahlungskräften in diesen Raum hineinwirkt« (ebd.). 140 Es sei an dieser Stelle auf die Defi nition der Begriffe »Klerikalismus« und »Konfessionalismus« verwiesen, wie sie der Politologe Thomas Ellwein als zeitgenössischer Autor der 1950er Jahre vornahm: »Unter Klerikalismus versteht man zumeist [. . .] den Inbegriff der Folgen, die aus dem so oder so gearteten Machtwillen des Klerus sich ergeben. Neben dem innerkirchlichen Klerikalismus steht also der politische, der als Begriff alle Bestrebungen umschreibt, direkt oder über die Gläubigen politischen Einfluß auszuüben. [. . .] Die klassischen Beispiele für Klerikalismus im politischen Raum sind weniger die Politiker unter den Prälaten und Oberkirchenräten als die Fälle aktiver Wahlpropaganda durch die Kirche in Form von Hirtenworten oder entsprechenden Äußerungen innerhalb des Gottesdienstes, der Gemeindearbeit oder des Religionsunterrichts. Auch die kirchlich geleitete oder inspirierte Presse gehört hierher. Durch das Entstehen der ›christlichen‹ Partei oder der häufig naiven Gleichsetzung von CDU/CSU und Kirchen oder einer Kirche, durch die teilweise Verbindung beider und ihre mannigfaltige gemeinsame Repräsentanz ergeben sich unzählige Möglichkeiten, im Sinne des politischen Klerikalismus Einzelentscheidungen des Staates zu beeinflussen« (Ellwein, Klerikalismus, 15). »Unter Konfessionalismus versteht man gemeinhin zunächst die starke Betonung der Konfessionszugehörigkeit in allen Lebensbereichen. [. . .] Der Konfessionalismus ist keine bestimmbare Größe, sondern eine Tendenz, die eben auch zur Aufteilung entscheidender Posten an die Konfessionen führt, so wie gleichzeitig auch noch die Parteizugehörigkeit berücksichtigt wird. Der Konfessionalismus wirkt herausfordernd, weil im allgemeinen bekannt ist, wie gering zahlenmäßig die Schar der ›praktizierenden Christen‹ ist. Man hält aus diesem Grunde die Bevorzugung dieser Bevölkerungsgruppe für ungerecht, urteilt einseitig und übersieht gelegentlich, wie neben konfessionellen auch noch fachliche und persönliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Konfessionalismus dieser Prägung und die Paritätsforderung haben entscheidend dazu beigetragen, daß heute in der Bevölkerung gegenüber der Bonner Bürokratie ein so heftiges Mißtrauen herrscht« (ebd., 17). Im Blick auf den Vorwurf, dem sich die FDP immer stellen musste, eine antiklerikale Partei zu sein, verweist ein Blick in den Duden auf die Schwierigkeit einer Verifi zierung bzw. Falsifi zierung dieses Vorwurfs. Diese manifestiert sich darin, dass es keine eindeutige Defi nition über die Bedeutung des Ausdrucks Antiklerikalismus gibt. So bezeichnet der Duden Antiklerikalismus als »kirchenfeindliche Haltung« und »Gegnerschaft gegen den Klerikalismus« (Duden, 160). Ersteres wies die FDP in ihrer Kritik an den beschriebenen Phänomenen stets zurück, letzteres hingegen bestimmte ihre Kulturpolitik. 138
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Kirche, was fortan immer wieder und in unterschiedlicher Intensität von der FDP kritisiert wurde. Beide Entwicklungen hatten, insbesondere im Zuge des Wahlkampfes zu den anstehenden Bundestagswahlen, Folgen für die FDP, die sich zunehmend Diffamierungen und »klerikale[r] Hetze«141 ausgesetzt sah. In diesem Zusammenhang traten erstmals Gedanken der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat auf, die sich jedoch in ihrer Intention von denen unterschieden, die Anfang der 1970er Jahre in der Partei geäußert wurden. So hatte der Liberale Studentenbund Deutschlands im November 1952 »Liberale Grundsätze«142 erarbeitet und als Anliegen des politischen Liberalismus die Gewährleistung des Maßes an persönlicher Handlungsfreiheit betont, die es jedem ermögliche, »seinen Glauben frei zu fi nden und von weltlichem Zwange ungehindert danach zu leben.«143 Die Forderung nach einer »Trennung von Staat und Kirchen« leite sich daraus ab, da »Auseinandersetzungen über religiöse und ethische Probleme« nur »mit geistigen Mitteln« ausgetragen werden dürften. Auch bei den Beratungen des Kulturpolitischen Bundesausschusses fand der Gedanke einer Trennung von Staat und Kirche seine Erwähnung, als man im Vorfeld des Bundesparteitages in Bad Ems Thesen zum Thema »Liberale Politik und Christlicher Glaube«144 diskutierte, die Gottfried Weicker, Pressereferent des FDP-Landesverbandes Bayern, verfasst hatte. In der Einleitung zu diesen Thesen formulierte dieser als Ziel, »die kirchlichen Einflüsse im politischen Raum weitgehend zu neutralisieren und jeder Kulturkampf-Situation den Boden zu entziehen.«145 Als erstrebenswerte Lösung zur Erreichung dieses Ziels nannte er »die Trennung von Kirche und Staat, unter weitgehender partnerschaftlicher Zusammenarbeit beider.«146 Bei der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat, wie sie 1952 artikuliert wurde, ging es somit darum, durch eine Trennung beider Bereiche überhaupt erst Voraussetzungen für eine Kontaktaufnahme zwischen Partei und Kirchen zu schaffen, die aktuell aufgrund der praktizierten 141 Art. »›Weiter klerikale Hetze gegen FDP‹ – Protest des Landesverbandsvorsitzenden NRW beim Bundeskanzler, in: RSB 9/1952 vom 7. 11. 1952, 7. Der Vorsitzende der FDP Franz Blücher betonte in diesem Zusammenhang, man müsse dieser Polemisierung in der Form begegnen, dass man den Vorwurf einer angeblichen Religionsfeindlichkeit explizit aufgriff und dazu Stellung bezog: »[. . .] es darf keine Rede geben, in der wir darüber nicht mindestens zehn Minuten sprechen« (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 30. 7. 1953, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949–1954, 1129. Siehe Abschnitt 3.2.). 142 Vgl. AdL A 1-29, Bl. 56 f. 143 Ebd., Bl. 36. Die folgenden Zitate ebd. 144 Vgl. LStAD RW 62-173, Bl. 104 f. (eine ausführlichere Fassung der Weicker-Thesen fi ndet sich in: Friedrich-Naumann-Stiftung, Dokumentation, 60–78). 145 Liberale Politik und Christlicher Glaube; LStAD RW 62-173, Bl. 105. 146 Ebd.
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
Verbindung von Religion und Politik und einer damit einhergehenden Vereinnahmung insbesondere der katholischen Kirche durch die Unionsparteien kaum möglich war.147 In den offiziellen Verlautbarungen der Partei wurden diese Trennungsgedanken nicht aufgegriffen; den Liberalen schien bewusst zu sein, wie ihnen die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche seitens ihrer Kritiker ausgelegt werden würde.148 Die Äußerungen zu Kirche, Religion und Christentum innerhalb des Abschnittes zur Kulturpolitik des »Wahlprogramms 1953«149 waren daher kurz und recht allgemein gefasst. Keiner der parteiintern diskutierten Konfl iktherde fand darin ihre Erwähnung. So betonte man erneut die Bindung des Gewissens und Geistes »an die von Christentum und Humanismus geprägten Werte und Pfl ichten«150 als sittliche Grundlage der Demokratie. Im Bereich der Forderungen trat man für die »Freiheit der christlichen und weltanschaulichen Bekenntnisse [. . .], Duldsamkeit und Hochachtung gegenüber bekenntnishaften Überzeugungen anderer«151 sowie die »Förderung der christlichen Gemeinschaftsschule«152 ein und sprach den Kirchen Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Religionsunterricht zu. Die Ergebnisse der Bundestagswahlen vom 6. 9. 1953 verwiesen nun auf Tendenzen, die sich auch auf die weitere Kulturpolitik der Partei auswirkten. Die Unionsparteien gingen als Siegerinnen aus dieser Wahl hervor und konnten sich im Sinne ihres Parteinamens als dezidiert christliche Partei profi lieren. Ihre Wählerschaft setzte sich zu mehr als 75% aus Personen zusammen, die sich den Kirchen zugehörig fühlten, darunter zunehmend protestantische Wähler. Die FDP hingegen musste einen Stimmenverlust von 200.000 Stimmen verzeichnen und fiel von 11,9% auf 9,5%.153 Die 147 Wie aus den erwähnten Weicker-Thesen hervorgeht, hielt man den Zeitpunkt für eine solche Kontaktaufnahme für durchaus günstig, schien sich doch die Kritik an der CDU-Politik zumindest in Teilen des Protestantismus zunehmend zu verstärken. Auch wertete man es als positiv, dass auf den Katholikentagen in Berlin und Wien erstmals »jede Polemik gegen den Liberalismus« fehlte (ebd.). 148 Nach wie vor war das Misstrauen gegenüber der neuen, geläuterten liberalen Kulturpolitik deutlich zu spüren: »Es wird allerdings bezweifelt, ob die FDP aus ihrer nationalliberalen Vergangenheit, zu der sie zurückzukehren sich offenbar anschickt, das Nötige in dieser Hinsicht gelernt hat. Ihre Haltung in manchen kulturpolitischen Fragen [. . .] rechtfertigt da viele Fragezeichen« (Art. [Titel unbekannt], in: Regensburger Anzeiger vom 25. 4. 1953). 149 Vgl. Wahlprogramm 1953. Beschlossen vom außerordentlichen Bundesparteitag am 28. Juni 1953 in Lübeck, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 128–133. 150 Ebd., 130. 151 Ebd. 152 Ebd. Die Frage Bekenntnisschule oder Gemeinschaftsschule war einer der großen Konfl iktherde zwischen FDP und katholischer Kirche. 153 In dem Wahlergebnis spiegelten sich die langfristigen Konsequenzen der NaumannAffäre wider, die im Januar 1953 aufgedeckt worden war, als Werner Naumann, ehemaliger Staatssekretär in Joseph Goebbels Propagandaministerium, verhaftet wurde (vgl.
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Verluste manifestierten sich dabei insbesondere im Bereich der protestantischen Wählerschaft, wohingegen die Partei bei den Katholiken sogar einen Stimmengewinn verzeichnen konnte.154 Obschon sich die konfessionellen Schwerpunkte nach wie vor in den Wahlergebnissen zeigten, zeichnete sich somit ein zunehmend entspannteres Verhältnis zwischen den Konfessionen ab. Konnte daher keine der Parteien eine Konfession für sich allein beanspruchen, so galt es im Blick auf die weitere Politik, eine »Verschärfung der konfessionellen Gegensätze«155 zu vermeiden. Die allgemeinen Aussagen des Wahlprogramms von 1953 konnten im Sinne dieses Anliegens verstanden werden. In der Zeit unmittelbar nach den Bundestagswahlen zeigte die FDP verstärkt Bemühungen, in die mit den Kirchen angestrebten Gespräche einzutreten. Dies konnte insofern als Reaktion auf die Wahlen verstanden werden, als man befürchtete, die evangelische Kirche könnte sich dem politischen Gebaren des Katholizismus bzw. der katholischen Kirche im Blick auf deren enge Verbindung zu den Unionsparteien angleichen.156 Auf Bundesvorstandsebene setzte somit eine intensive Diskussion des Verhältnisses von Staat und Kirche ein, die man im Sinne einer »geistige[n] Vorbereitung«157 auf diese Kontaktaufnahme zu den Kirchen verstand. Wieder war es Luchtenberg, der im Hinblick auf die geplanten Gespräche sieben »Thesen für eine Diskussion über das Verhältnis zwischen FDP und Kirche«158 verfasste, die dem Bundesvorstand im Mai 1954 zur internen Diskussion vorgelegt wurden. Der erste Teil beinhaltete grundsätzliche ErörteRütten, Plattform-Partei, 73 f.). Für die FDP setzte darauf hin ein weiterer Läuterungsprozess ein, insofern sie sich von den ehemaligen Nationalsozialisten lösten, die die Partei insbesondere in den Landesverbänden NRW und Niedersachsen unterwandert hatten. Positive Auswirkungen dieser die FDP schädigenden Affäre zeigten sich in ihrem verstärkten Engagement, sich als geschlossene Partei zu profi lieren. Auch in personeller Hinsicht zeichnete sich eine positive Entwicklung ab, insofern jetzt jene »unideologischen und technokratisch orientierten Nachwuchspolitiker wie Mende, Weyer, Döring und Scheel die Partei beeinflussten« (Dittberner, Partei, 1323). 154 Vgl. Scholz, Streit, 212. Somit konnte allgemein auf das Verhältnis Konfession und Partei bezogen festgestellt werden, dass sich die im Sinne Schmitts für die ersten Nachkriegsjahre konstatierte Aufteilung der konfessionellen Milieus auf die jeweiligen Parteien weiterhin aufweichte. 155 Ebd., 213. 156 »Die CDU ist eine große Gefahr. Wir sind doch nicht antiklerikal, wir sind nicht antichristlich und nicht antikirchlich. Aber sie werden doch nicht die Gefahr negieren wollen? [. . .] Sie müssen doch erkennen, daß der Katholizismus im Vormarsch ist, daß die evangelische Kirche sich völlig an die Seite dieser Bewegung stellt« (Dehler auf der Bundesvorstandssitzung vom 23. 10. 1953, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949– 1954, 1211). Die Bemühungen galten daher insbesondere der evangelischen Kirche (siehe Abschnitt 4.2.). 157 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 18./19. 12. 1953, in: ebd., 1301. 158 Vgl. AdL A 7-7, Bl. 15–18. Vgl. auch Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), Dokumentation, 80–82.
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rungen zum Verhältnis von Liberalismus und Christentum, wobei der liberale Programmbegriff der Freiheit im politischen und religiösen Kontext betrachtet wurde. Als Matrize alles liberalen politischen Handelns postulierte man die Gewährleistung der »Freiheit der Persönlichkeit als geistigsittlicher Wesenskern«159, da nur diese die »Freiheit des Willens« ermögliche, die allein zu einer »verant wor tungsvolle[n] Gewissensentscheidung« führen konnte. Der Willensfreiheit wiederum maß man zwei mögliche Ursprünge, »entweder im christlichen Glauben [. . .] oder aber in einer säkularisierten Form« zu und anerkannte somit im Sinne des »geläuterten Liberalismus« den Bereich des Absoluten als Raum, dem der Mensch »mit einem Teil seines Wesens« angehöre und der somit einen Teil seiner Würde ausmache. Die Aufgabe der FDP bestand nun darin, alle »politisch relevanten Gestaltungskräfte« danach zu beurteilen, »ob sie in ihren gesellschaftsbildenden Bestrebungen die Freiheit der Persönlichkeit fördern oder hemmen.« Das Christentum und dessen Lehre von der »Freiheit eines Christenmenschen« bezeichnete man in diesem Kontext als den »mächtigsten Bundesgenossen gegen politische Irrlehren, die autoritäre Bestrebungen fördern« und begrüßte daher die Kirchen als Institutionen zur »Pflege« dieser christlichen Freiheit. Im zweiten Teil der Thesenreihe artikulierte die FDP nun mittelbar ihr Verhältnis zu den Kirchen, indem sie sich zum Phänomen des Klerikalismus äußerte und daraus ihre Vorstellungen hinsichtlich der Aufgaben und Grenzen kirchlicher Tätigkeit deduzierte. Neben dem Auftrag der christlichen Verkündigung sprach man den Kirchen die Möglichkeit zu, »die Bürger des Staates [. . .] zu einer christlichen Lebensführung anzuhalten«160, ohne sich jedoch dabei in politische Angelegenheiten einzumischen.161 Man verwies in diesem Zusammenhang auf die »Wirkungen klerikalistischen Strebens«162 , die man als Folge einer Überschreitung dieser Kompetenzgrenzen in Form von Diffamierungen bereits erfahren habe und 159
Ebd., 80. Die folgenden Zitate ebd. Ebd., 81. 161 Die Aktualität dieser These zeigte sich nur gut einen Monat später, als Konrad Adenauer bei einer Tagung zum Thema »Die Zusammenarbeit der Konfessionen im Staat«, die am 20. und 21. 6. in der evangelischen Akademie Bad Boll stattfand, betont hatte, er würde es begrüßen, »wenn es auch Geistlichen gestattet würde, als Abgeordnete am politischen Leben teilzunehmen.« Der Klerus, so Adenauer, dürfe »in dieser Zeit nicht abseits von der Politik stehen« (Art. »Dr. Adenauer: ›Klerus soll mehr Politik treiben!‹ Evangelische Landesbischöfe sprachen sich gegen Kanzlerauffassung aus«, in: RSB 57/1954 vom 23. 6. 1954, 13). Die evangelischen Landesbischöfe Martin Haug und Julius Bender kritisierten die von Adenauer vertretene Ansicht. Bender betonte, der politische Auftrag der Kirche »besteht einfach in der Tatsache, daß Sonntag für Sonntag ein ehrlicher Gottesdienst gehalten wird, in dem niemand fragt: zu welcher Partei gehörst du« (Art. [Titel unbekannt)], in: aktuelle gespräche Nr. 3, 2. Jg. 1954). 162 Thesen für eine Diskussion, in: Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), Dokumentation, 81. 160
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nach wie vor, insbesondere im Bereich der Kulturpolitik (z. B. christliche Gemeinschaftsschule), erfahre. Am Ende der Thesenreihe betonte man die Verpfl ichtung gegenüber der Freiheitslehre des Christentums sowie die »Hochachtung«163 jeder konfessionellen Überzeugung bzw. jedes weltanschaulichen Bekenntnisses. Die Thesenreihe Luchtenbergs spiegelte die Schwierigkeit wider, die sich innerhalb der Kulturpolitik der FDP zunehmend abzeichnete. Einerseits galt es, die Loyalität zum Programm des »geläuterten Liberalismus« aufrecht zu erhalten. Darauf verweist der erste Teil der Thesenreihe, der noch über das hinausgeht, was man in den »Leitsätzen zur Kulturpolitik 1950« über den Stellenwert des Christentums gesagt hatte. Andererseits musste eine Reaktion auf das erfolgen, was man parteiintern seit längerem unter den Stichworten »Konfessionalisierung« und »Klerikalisierung« problematisierte und worauf man im zweiten Teil verwies. Waren die Thesen anlässlich der geplanten Gespräche mit den Kirchen entstanden, so lässt die Verwendung dezidiert lutherischen Vokabulars (Freiheit eines Christenmenschen) nahe legen, dass sie primär im Blick auf Gespräche mit der evangelischen Kirche konzipiert worden waren.164 Dieser Aspekt belegt erneut, dass die Beziehungen der Partei zur evangelischen Kirche spannungsfreier waren, als die zur katholischen.165 Die Thesen, die ursprünglich als »parteiamtliche Denkschrift«166 verabschiedet werden sollten, stießen innerhalb des Bundesvorstandes teilweise auf Kritik, so dass man schließlich von einer offiziellen Verabschiedung absah und sie nach einer redaktionellen Überarbeitung als »Aide mémoire«167 ausschließlich der parteiinternen Diskussion zur Verfügung stellte. Die »wilden Jahre«168 der FDP von 1954 bis zur Bundestagswahl 1957 brachten für die Partei maßgebliche Veränderungen, die sich auf ihren 163
Ebd., 82. Dies betonte man auch im Anschreiben an die Mitglieder des Bundesvorstandes: »Die ›Thesen‹ sind als eine Art parteiamtliche Denkschrift zu dem mit der Evangelischen Kirche zu führenden Gespräch gedacht. Sie lassen sich gleichfalls nach einer gewissen Anpassung als Unterlage für das mit der Katholischen Kirche zu führende Gespräch verwenden« (Schreiben Ungeheuer vom 22. 5. 1954; AdL N 1-2462). 165 Wie einem Schreiben des Pressechefs der FDP Josef Ungeheuer an Luchtenberg vom 29. 1. 1954 zu entnehmen war, hatten einige Mitglieder des Bundesvorstandes Bedenken gegen eine Kontaktaufnahme mit der katholischen Kirche geäußert. Im Hintergrund stand der jüngste Konfl ikt Dehlers mit dem Würzburger Bischof (vgl. AdL A 7-7, Bl. 12. Siehe Abschnitt 3.2.). 166 Schreiben Ungeheuer an Luchtenberg vom 29. 1. 1954; AdL A 7-7, Bl. 12. 167 Schreiben Ungeheuer an Bezold vom 14. 6. 1954; ebd., Bl. 24. Der stellvertretende Landesverbandsvorsitzende der FDP Bayern Otto Bezold hatte zuvor die Luchtenbergthesen in einem Schreiben an Ungeheuer scharf kritisiert. Die Thesen waren darauf hin von Dehler, Luchtenberg, Ungeheuer und Kirchner redaktionell überarbeitet worden (vgl. Tätigkeitsbericht des Kulturpolitischen Referats 1953 vom 23. 6. 1954; ebd., Bl. 36). 168 Wolfrum, Bundesrepublik, 100 f. 164
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
Standort innerhalb des Parteiensystems auswirkten und ebenfalls Einfluss auf ihre kulturpolitische Arbeit hatten. So wurden insbesondere die Jahre 1955/56 von scharfen politischen Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionspartnern CDU/CSU und FDP bestimmt; schlaglichtartig sei an dieser Stelle auf die Saarpolitik Adenauers sowie die Diskussion um das Wahlrecht verwiesen. Aufgrund dieser Konfl ikte kristallisierte sich eine zunehmende Distanz zwischen den Koalitionspartnern heraus, die sich in NRW im Februar 1956 in der so genannten »Düsseldorfer Revolte«169 und der Bildung der sozialliberalen Koalition manifestierte. Anfang des Jahres 1956 endete die Regierungskoalition in Bonn, und die FDP ging in die Opposition. Auch parteiintern kam es zu Spannungen, die im April 1956 zur Spaltung der Bundesfraktion und der Gründung der Freien Volkspartei führten.170 Die Kulturpolitik der FDP dieser Zeit wurde entscheidend von ihrem damaligen Parteivorsitzenden Thomas Dehler geprägt. Mit dem oberfränkischen Katholiken Dehler hatte ein scharfer Gegner des politischen Katholizismus die Nachfolge Franz Blüchers angetreten, der öffentlich jene Tendenzen kritisierte, die mit den Schlagworten »Klerikalisierung«, »Konfessionalisierung« sowie Politisierung der Kirche in Verbindung gebracht wurden.171 Dehler, der »einen durchaus aggressiven Stil gegenüber den Kirchen pflegte«172 , verband seine Kritik an der Politik der CDU und insbesondere ihres Vorsitzenden Konrad Adenauer mit »weltanschaulich begründeten Attacken«173, was zu einer Verschärfung der Konfl ikte zwischen den Regierungsparteien führte und letztlich auch zum Bruch mit der Regierung beigetragen hatte.174 Im Blick auf die kulturpolitische Arbeit der Partei war somit für die Ära Dehler festzustellen, dass die 1954 in verstärktem Maße in Angriff genommenen Dialogversuche mit den beiden Kirchen in den Hintergrund rück169
Dittberner, Partei, 1325. Aufgrund eines konstruktiven Misstrauensvotums von FDP und SPD war es zum Sturz des amtierenden CDU-Ministerpräsidenten von NRW Karl Arnold gekommen. Maßgeblich initiiert wurde der Umsturz durch die so genannten Jungtürken der FDP Scheel, Weyer, Mende und Döring. 170 Insgesamt 16 konservative Mitglieder der FDP-Fraktion, darunter die vier Regierungsmitglieder Franz Blücher, Fritz Neumayer, Victor-Emanuel Preusker und Hermann Schäfer, verließen die FDP und gründeten die nur ein Jahr lang existierende FVP, die im April 1957 mit der DP fusionierte. 171 Siehe dazu Abschnitt 3.2; dort fi ndet sich auch ein ausführliches Biogramm zu Dehler. 172 Klein, Protestantismus, 310. 173 Gauly, Kirche, 209 (vgl. auch Art. »Scharfe Attacke Dehlers gegen den Bundeskanzler. Rede im überfüllten Curiohaus/Hermann Schäfer nicht dabei«, in: Hamburger Abendblatt vom 5. 3. 1956). 174 »Die Bundestagsfraktion wählte Thomas Dehler darauf hin zu ihrem Vorsitzenden und institutionalisierte damit den permanenten Konfl ikt mit der CDU/CSU« (Kaack, Die Liberalen, 415).
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ten, was zu einem großen Teil auf die entstandenen zusätzlichen Belastungen der Partei zurückzuführen war, zugleich aber auch, zumindest im Blick auf die katholische Kirche, als Konsequenz einer schärfer werdenden Kritik an der Einmischung der Kirche in den politischen Bereich verstanden werden konnte. Nebenbei bemerkt indizierte das Zurückstellen der Kontakte zu den Kirchen aber auch, dass die Arbeit des Kulturpolitischen Bundesausschusses bzw. die Kulturpolitik allgemein innerhalb der Partei nach wie vor unterschiedlich beurteilt wurde: »Während Politiker wie Lieselotte [!] Funcke, Karl Gaul oder Lotte Fried-Korn sich durchaus moderat gegenüber den Kirchen verhielten und gezielt Kontakte zu Kirchenleuten suchten, polemisierten manche Landesverbände und ihre Vorsitzenden mit großer Schärfe gegen die Kirchen und beeinträchtigten damit die Arbeit des Kulturpolitischen Gremiums. Außerdem mußten die Mitglieder des Gremiums immer wieder feststellen, daß man seitens der Partei offenbar den kulturpolitischen Anliegen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte.«175
Ende Januar 1957 verabschiedete die FDP das »Berliner Programm«176 , das ihr erstes geschlossenes Programm seit ihrem Bestehen darstellte. In einem Nachruf auf Klaus Scholder nannte Hildegard Hamm-Brücher diesen, KarlHermann Flach sowie Wolfgang Döring als die maßgeblich für das Zustandekommen dieses ersten Grundsatzprogramms verantwortlichen Personen.177 Die Äußerungen zu Kirchen, Christentum und Religion waren dabei auf Scholder zurückzuführen, der in jenen Jahren als kulturpolitischer Referent der FDP arbeitete.178 Sie zeichneten sich, wie die programma175 Gauly, Kirche, 214. Auch der Bericht Friedrich Middelhauves auf einer Koordinierungstagung des Bundesfachausschusses in Königswinter vom 2. bis zum 4. 10. 1954 bestätigte die allgemein zögerliche Haltung vieler dem Bereich Kulturpolitik gegenüber: »Man hat immer doch den Eindruck, als ob bei uns die Kulturpolitik etwas stiefmütterlich behandelt würde [. . .], dass es mehr oder weniger bei den guten Aussagen geblieben ist, dass man daraus nicht das gemacht hat im politischen aktiven Raum, was gemacht werden konnte, auch bei den Fraktionen im Landtage nicht« (AdL A 7-7, Bl. 47). 176 Vgl. Das Berliner Programm, verabschiedet auf dem Bundesparteitag der FDP vom 24. bis 26. 1. 1957; in: Seidl, Grundlagen 1, 13 f., 25 f., 35–38, 51–53, 62 f., 68 f., 74 f., 82 f., 88. Das Programm umfasste zehn Thesen, denen jeweils Erläuterungen angefügt wurden. 177 Vgl. Hamm-Brücher, Erinnerungen, 97. 178 Klaus Scholder (1930–1985) studierte zunächst Evangelische Theologie und Germanistik in Tübingen und promovierte 1957. Von diesem Zeitpunkt arbeitete er, mit gerade mal 27 Jahren, bis 1958 als kulturpolitischer Referent der liberalen Partei, bevor er in der Württembergischen Landeskirche sein Vikariat absolvierte und zugleich als Repetent am Evangelischen Stift in Tübingen wirkte. 1965 habilitierte er sich in Tübingen im Fach Kirchengeschichte und hatte von 1968 eine ordentliche Professur für Kirchenordnung und Kirchliche Zeitgeschichte in Tübingen inne. Letzteres wurde ihm zum maßgeblichen Forschungsschwerpunkt. Von 1969 bis 1971 war Scholder Mitglied der Synode der Evangelischen Landeskirche Württemberg, ab 1970 dann auch der Synode der EKD. Den stellvertretenden Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte übernahm er 1971, etwa zur gleichen Zeit wurde er stellvertretender Vorsitzender der FDP-nahen FNS.
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
tischen Äußerungen zuvor, durch die doppelte Perspektivnahme aus, einerseits die Bedeutung des Christentums und der Kirchen zu betonen und gleichzeitig kritisch Stellung zur immer augenfälliger werdenden Verquickung von Politik und Religion zu beziehen.179 Die Aktualität des letztgenannten Aspekts zeigte sich in seiner Erwähnung gleich in der ersten These, die mit dem Titel »Freie Menschen« überschrieben war: »Die Freie Demokratische Partei erstrebt auf allen Lebensgebieten die Sicherung der Freiheit des Menschen zu verantwortlichem Handeln. Aus sozialer Verantwortung lehnt sie den Marxismus und sozialistische Experimente ab, ebenso aus christlicher Verantwortung den Mißbrauch der Religion im politischen Tageskampf.«180
In der Erläuterung wurde diese doppelte Frontstellung verdeutlicht, indem man konstatierte, »weder Patentrezepte sozialistischer Prägung noch konfessionelle Empfehlungen«181 könnten den Menschen von der Pfl icht entbinden, selbst Verantwortung zu übernehmen und von den ihm zustehenden Freiheitsrechten Gebrauch zu machen. Die Anerkennung des Christentums sowie der Kirchen und Religionsgemeinschaften explizierte man durch die unter dem Motto »Kultur braucht Freiheit« stehende dritte These, in der die liberale Kulturpolitik als Pflege von »Geistesfreiheit und Toleranz«182 bezeichnet wurde, die das Wirken der Kirchen und anderer religiöser Gemeinschaften »auch im öffentlichen Leben«183 sichern wollte. In der Erläuterung verwahrte man sich, ähnlich wie in den Leitsätzen von 1950, gegen ein Scholder hatte ein breites Interesse an jenen Vorgängen, die sich in den Bereichen Kirche, Politik und Kultur vollzogen. Als Liberaler verstand er sich in der Tradition von Naumann und Heuss stehend, theologisch zeigte er sich zeitlebens der Dialektischen Theologie Karl Barths verpfl ichtet. Ein maßgebliches Anliegen Scholders bestand darin, die Annäherung von Kirche und Liberalismus zu unterstützen. Letzteren betrachtete er als Ausdruck einer mündig gewordenen Welt und die Aufgabe der Kirche darin, diese Mündigkeit ernst zu nehmen. Das Kirchenpapier der FDP von 1974 erachtete er als diesem Anliegen diametral entgegenstehend. In einer Linie mit Hildegard Hamm-Brücher, mit der ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband, trat er daher in jenen Jahren als permanenter Kritiker dieses Papiers auf. 179 Die Ernennung von Franz-Josef Wuermeling zum neuen Bundesfamilienminister am 20. 10. 1953 war für die FDP ein erneuter Ausdruck einer konfessionalistischen CDUPolitik. Mit dem Katholiken Wuermeling hatte einer der »schärfsten Verfechter einer strikt katholisch-prinzipientreuen Politik der CDU« und Gegner der Liberalen dieses Amt angetreten (Gauly, Kirche, 184). So hatte er bspw. die FDP in einer Rede am 13. 4. 1954 als »liberale Meute« bezeichnet (Sonderausgabe RSB »Wir lernen Reden« von März 1955, 2). Auf dem BPT in Berlin betonte der designierte Parteivorsitzende Reinhold Maier die Einsetzung Wuermelings als »Fanal« des Konfessionalismus und »lebendige Provokation gegen Andersdenkende« (Rede Maier auf dem BPT Berlin 24.–26. 1. 1957; AdL A 1-113, Bl. 26). 180 Berliner Programm in: Seidl, Grundlagen, 1. 181 Ebd. 182 Ebd., 25. 183 Ebd.
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materialistisches Liberalismusverständnis und betonte die sittlich-ethische Bedeutung des Christentums.184 Zweierlei ist im Hinblick auf die hier gemachten Aussagen interessant. Zunächst einmal zeigte die Verwendung der Vokabeln »Mißbrauch« und »Kampf« in These 1, dass man der empfundenen Verschärfung klerikaler und konfessionalistischer Politik der vergangenen Jahre mit einem zunehmend schärferen und deutlicheren Ton entgegentrat. Zugleich konnte die Verbindung der Begriffe »liberal« und »christlich« im Zusammenhang mit dem ethischen Ausdruck der »Verantwortung« schon fast als ein prochristliches Bekenntnis der Partei verstanden werden, rekurrierte man hier exklusiv und dezidiert auf das Christentum als ethische – nicht dogmatische! – Maxime des parteipolitischen Handelns.185 Die Äußerungen der dritten These verstärkten dies zusätzlich. Wie waren nun diese Aussagen der Partei im Kontext der Zeit zu deuten? In seinem Buch über die philosophischen und weltanschaulichen Grundlagen des »Berliner Programms« verwies Seidl auf liberale Traditionen von Gegnern wie Befürwortern eines Miteinanders von Liberalismus und Christentum und erwähnte in diesem Zusammenhang u. a. die historischen Positionen Rousseaus und Montesquieus, die Entstehung der liberalen Theologie sowie die Haltung des Pfarrers und Ahnherrn der FDP, Friedrich Naumann. Im Blick auf die Inanspruchnahme des Wortes »christlich« zur Darlegung der eigenen Position der Partei negierte Seidl jedoch, dass diese Einflüsse Auswirkungen auf die Formulierungen des »Berliner Programms« gehabt hätten.186 Er sah vielmehr im »›politische[n] Tageskampf‹ unserer Zeit selber«187 das ausschlaggebende Motiv jener programmatischen Aussagen. 184 »Die liberale Kulturgesinnung unserer Zeit hat nichts mit der materialistischen Geschichtsauffassung oder mit dem auf klärerischen Fortschrittsglauben gemein. Religiöser Glaube und idealistische Weltdeutung sind für uns unantastbar, wir verurteilen jeden Kampf gegen Religion und Kirche und würdigen die sittlichen Werte und gestaltenden Kräfte des Christentums in ihrer Bedeutung für das politische Leben. Deshalb sehen wir eine wesentliche Aufgabe des Staates darin, die Freiheit der Religionsausübung zu gewährleisten, die Kirchen in ihrer geistlichen Arbeit zu fördern und ihre wirtschaftlichen Grundlagen zu sichern« (ebd.). In diesem Zusammenhang sprach man sich auch für die christliche Gemeinschaftsschule aus und gewährte ebenso konfessionellen und freien Privatschulen dort Existenzrecht, »wo sie bei gleichen Leistungen wie die öffentliche Schule lebensfähig ist« (ebd., 26). 185 Vgl. These 1: [. . .] aus christlicher Verantwortung [. . .]«. Die Verwendung des Wortes Christentum im »Berliner Programm« war bei den Beratungen des Programms im Bundesvorstand »mit großer Mehrheit« beschlossen worden, nachdem Winfried Hedergott zuvor Bedenken dahingehend geäußert hatte (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 14. 12. 1956; in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954–1960, 223). 186 »Trotzdem ist unglaubhaft, daß aus dieser Richtung etwas ins Berliner Programm der FDP gelangt ist« (Seidl, Grundlagen, 5). 187 Ebd. Seidl wurde 1933 geboren und konnte somit als Zeitzeuge betrachtet werden.
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Die von Seidl vertretene Ansicht, die Äußerungen zu Kirchen, Religion und Christentum seien weitgehend als Reaktion auf die aktuellen Auseinandersetzungen zu verstehen, greift zu kurz. Sicherlich grenzte sich die FDP von der Kulturpolitik der anderen Parteien, insbesondere der CDU/ CSU ab, worauf ja auch die in der ersten These deutlich formulierte Kritik verweist, dennoch mussten die Äußerungen insgesamt, besonders die zur Bedeutung des Christentums und der Kirchen, als programmatische Aussagen verstanden werden, die im Sinne eines allgemeinen Bekenntnisses zum Programm des »geläuterten Liberalismus« die gegenwärtige kulturpolitische Position der Partei wiedergaben. Schließlich handelte es sich um Inhalte des ersten Grundsatzprogramms, das erst im Jahre 1972 durch die »Freiburger Thesen« abgelöst wurde, womit anzunehmen ist, dass die Partei sich gerade deswegen ihre Formulierungen wohl überlegt hatte. Als in der Opposition befi ndliche Partei konnte die FDP erstmals »losgelöst von der Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU/CSU, aber auch frei von einer Gemeinsamkeit mit den Sozialdemokraten«188 programmatische Aussagen formulieren. Dass nun der Konfl ikt, den man im kulturpolitischen, genauer, im weltanschaulichen Bereich mit den Unionsparteien hatte, nicht weiter im Programm expliziert wurde, konnte somit im Sinne eines Strebens nach einer von den beiden großen Parteien unabhängigen parteipolitischen Profi lierung verstanden werden. Auch das weitere Vorgehen, das Reinhold Maier für die Zeit nach seiner Wahl ankündigte, bestätigte diese Richtung.189 So betonte Maier, der vor allem daran interessiert war, die FDP als geschlossene und einheitliche Partei zu präsentieren, in der folgenden Zeit weitgehend wirtschafts- und sozialpolitische Themen zu behandeln, wohingegen Fragen der Wehrpolitik, der Außenpolitik und der Religion nicht behandelt werden sollten, was im übrigen auch für den 188
Mende, FDP, 120. Der schwäbische Protestant und Rechtsanwalt, Reinhold Maier (1887–1971), trat 1918 der Demokratischen Volkspartei (DVP), dem Württemberger Landesverband der linksliberalen DDP bei, die 1946 in Württemberg-Baden wieder gegründet wurde (s.o). Seit 1945 übte Maier in Württemberg-Baden das Amt des Ministerpräsidenten aus. Der »Vater des Südweststaats« (Ortwein, Die Liberalen, 105) trug entscheidend zur Vereinigung der drei Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden bei und wurde 1952 erster Ministerpräsident des neu gebildeten Landes Baden-Württemberg. Seine linksliberale Ausrichtung zeigte sich in einer ersten Regierungskoalition aus DVP/ FDP, SPD und BHE, die jedoch bereits ein Jahr später endete, als Maier in Reaktion auf die Wahlergebnisse der Bundestagswahlen von September 1953 von seinem Amt als Ministerpräsident zurücktrat. Maier war der erste und bis heute letzte Ministerpräsident Baden-Württembergs, der von der FDP gestellt wurde. Von 1953 bis 1956 war er Mitglied des Landtags sowie des Bundestages. Mit Maier stand ein Mann an der Spitze der Partei, der gute Kontakte zur evangelischen Kirche, insbesondere zu Hermann Kunst, pflegte, was, wie noch zu zeigen sein wird, das Verhältnis der FDP zur evangelischen Kirche positiv beeinflusste. 189
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Wahlkampf zu gelten habe.190 Seine Strategie, »gegen rechts und links [zu] kämpfen und weder gegen die CDU noch gegen SPD Sentiments noch Ressentiments [zu] haben«191 brachte das Vorgehen zum Ausdruck, das der FDP ihren Weg zur »dritten Kraft«192 innerhalb des Parteiensystems bahnen sollte. Im Blick auf die kulturpolitischen Aussagen des »Berliner Programms« kann somit festgehalten werden, dass sich in ihnen ebenfalls dieser mit Maier sich etablierende neue »Kurs der Mitte«193 im Sinne des »geläuterten Liberalismus« manifestierte. Den Plan, den Bereich der Religion aus dem Wahlkampf zu den anstehenden Bundestagswahlen herauszuhalten, konnte die FDP jedoch angesichts der Heftigkeit, mit der dieser Wahlkampf in katholischen Kreisen aber auch seitens der Unionsparteien zum Teil geführt wurde, nicht einhalten.194 Das auf dem Wahlkongress am 5. 6. 1957 beschlossene »Aktionsprogramm 1957«195 griff daher auf Vorschlag des Leiters der Wahlkommission Flach196 hin die Aussage des »Berliner Programms« wieder auf und forderte im sechsten der insgesamt sieben Punkte, der mit dem Titel »Verhindert die Allmacht des Staates« überschrieben war, die gegenseitige Achtung von Staat und Kirche sowie als gemeinsames Bestreben beider, darauf hinzuwirken, »daß die Religion nicht im politischen Tageskampf 190 Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 23. 1. 1957; in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954–1960, 242. 191 Ebd. 192 Vgl. Gutscher, Entwicklung, 188 f. 193 Kaack, Die Liberalen, 417. 194 Siehe Abschnitt 3.2. 195 Vgl. Aktionsprogramm 1957. Verkündet auf dem Wahlkongreß am 5. Juni 1957 in Hamburg, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 155–158. 196 Der in Königsberg geborene Karl-Hermann Flach (1929–1973), ev., wurde 1946 zunächst Mitglied der LDPD. Im April 1949 wurde er zum Landesvorstandsmitglied der LDP gewählt und trat in diesem Zusammenhang in das engere Umfeld des linksliberalen Kreises um Arno Esch. Aus Furcht vor einer Verhaftung, die ihm aufgrund dieses Kontaktes drohte, flüchtete Flach im Jahre 1949 aus der DDR nach West-Berlin, wo er der FDP beitrat. Flach studierte zunächst Politische Wissenschaften in Berlin und war während seines Studiums Mitglied des LSD. 1953 ging er nach Frankfurt a. M. und nahm 1956 seine Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Presseabteilung in der Bundesgeschäftsstelle der FDP in Bonn auf. Er war Redakteur der fdk und arbeitete ebenfalls bei der wöchentlich erscheinenden Zeitung Das freie Wort mit. Nach einer zwei Jahre dauernden Tätigkeit als Leiter der Politischen Abteilung in der Bundesgeschäftsstelle übernahm er 1959 das Amt des Bundesgeschäftsführers der Partei. In diese Zeit fällt die Entstehung der Zeitschrift liberal, die bis zum heutigen Tag herausgegeben wird. Flachs politische Tätigkeit nahm vorläufig ein Ende, als er 1961 aus Protest am »Umfall« der FDP seine Tätigkeit in Bonn beendete (siehe Abschnitt 2.2.1.). Als Vertreter des progressiven Flügels der FDP hatte er sich frühzeitig gegen eine Fortsetzung der Koalition mit den Unionsparteien ausgesprochen und stattdessen für die Koalition mit der SPD plädiert. Ab 1962 arbeitete er als Redakteur bei der FR, 1964 dann in der Funktion des stellvertretenden Redakteurs. Seine politische Karriere setzte Flach im Jahre 1971 fort, als ihm die FDP das neu geschaffene Amt des Generalsekretärs anbot. Flach starb am 25. 8. 1973 im Alter von nur 43 Jahren.
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mißbraucht wird.«197 Für ein »Aktionsprogramm« charakteristisch schloss daran die gegen die wahrgenommenen klerikalen Tendenzen gerichtete Aussage an, »Staat und Parteien dürfen nicht zu Werkzeugen von Interessengruppen werden.«198 Eine Rede Adenauers, die er am 2. 6. 1957 vor der »Gemeinschaft Katholischer Männer« in Bamberg gehalten hatte, veranlasste die Partei dazu, neben einer Änderung ihrer Wahlaussagen auch im praktischen Umgang mit den Kirchen ein anderes Vorgehen an den Tag zu legen. In der Rede hatte sich Adenauer zu einer christlichen Politik bekannt und im Blick auf die anstehende Bundestagswahl betont, sie werde »letztlich darüber entscheiden, ob Deutschland christlich bleibe oder kommunistisch wird.«199 Als man erkannte, dass es sich bei der Rede in Bamberg nicht nur um eine »rednerische Entgleisung« 200 handelte, sondern Adenauer diese Parole bei mehreren Gelegenheiten wiederholte, sah sich die FDP herausgefordert, in einem offenen Schreiben »an die Evangelischen Landeskirchen und an die Evangelische Kirche Deutschlands, aber auch an die katholischen Bischöfe« 201, ihre Kritik an dieser Polemik kundzutun. Am 16. 7. 1957 sandte Maier eine von Scholder verfasste »Erklärung des Bundesvorstandes der Freien Demokratischen Partei zum Thema ›Christentum und Kirchen im Wahlkampf‹« 202 an 22 evangelische und 22 katholische Bischöfe. In einem ersten Abschnitt brachte der Bundesvorstand zunächst seine Kritik an den Äußerungen Adenauers zum Ausdruck, die einen neuen »Streit der Parteien um Christentum und Kirchen« 203 entfacht hatten, den zu beenden man nun als Aufgabe betrachtete. Die von Adenauer vollzogene Gegenüberstellung der Begriffe »kommunistisch« und »christlich« bezeichnete man als »Kunstgriff« und formulierte als deren eigentliche Gegensätze die Ausdrücke »freie Demokratie« und »Heidentum«. Der Hauptkritikpunkt des Bundesvorstandes bezog sich auf die von der CDU in ihren Äußerungen immer mehr proklamierte Überzeugung, die Politik der Bundesregierung decke sich unmittelbar mit »Gottes Plänen«, eine Ansicht, die der Bundesvorstand als »gefährlich und unchristlich« erachtete. Im zweiten Abschnitt richtete man sich in direkter Anrede an die evangelische Kirche und bat sie, 197 198 199
Aktionsprogramm 1957, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 157. Ebd. Art. »Deutschland ist christlich auch ohne CDU«, in: RSB 138/57 vom 28. 6. 1957,
3. 200
Art. »Von Bamberg bis Dortmund: Das politische Geschäft mit dem Christentum. Ganz Deutschland ist christlich. Wann erheben die Kirchen ihre warnende Stimme?«, in: Das freie Wort 27/1957 vom 5. 7. 1957. 201 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 8. 7. 1957; in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954–1960, 278. 202 Vgl. AdL A 7-11, Bl. 45 f. 203 Ebd., Bl. 45. Die folgenden Zitate ebd.
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sich »um der Gewissen unserer christlichen Mitglieder und Wähler willen [. . .] klar von dieser Propaganda zu distanzieren« 204 sowie festzustellen, »daß die Verkündigung der Kirche und die Wahl oder Nichtwahl der CDU zwei Dinge sind, die unmittelbar nichts miteinander zu tun haben.« 205 Interessanterweise erhob man diese Bitte der katholischen Kirche gegenüber, an die man sich im dritten Abschnitt wandte, nicht. Ihr signalisierte man die Bereitschaft, in gemeinsamen Gesprächen aufzuweisen, »daß ein geistig-geschichtlicher Wandel die Scheidewand zwischen der Religion und dem liberalen Gedanken beseitigt hat.« 206 Unter Verweis auf die Rede Pius XII., in der dieser am 4. 5. diesen Jahres betont hatte, die Zeit des schrankenlosen Liberalismus sei vorbei, bat man darum, die Äußerungen der FDP in diesem Lichte zu betrachten.207 Die Reaktionen der Kirchen auf das Schreiben der FDP konnten nun als Spiegelbild dessen betrachtet werden, wie man sich seitens der Kirchen der Partei gegenüber positionierte. Von 22 evangelischen Bischöfen gaben knapp drei Viertel (15 Personen) der Partei eine Rückmeldung, wohingegen seitens der katholischen Kirche nur von etwa einem Drittel (acht Personen) eine Reaktion erfolgte.208 Interessant war in diesem Zusammenhang die Bewertung dieser Rückmeldung durch die FDP, wie sie der Parteivorsitzende Maier in einer Ausgabe der Kulturpolitischen Mitteilungen vornahm. Konnte man anhand der eingegangenen Stellungnahmen der evangelischen Kirchen deren Position insgesamt in dem Sinne zusammenfassen, »daß sich die evangelische Kirche [. . .] an keine bestimmte Partei bindet oder gebunden weiß« 209, so musste die Aussage, die katholische Seite habe die Bitte um ein
204
Ebd., Bl. 46. Ebd. 206 Ebd. 207 Es sei darauf hingewiesen, dass Luchtenberg einen Tag vor der Rede Pius XII. von diesem zu einer Audienz empfangen worden war. Luchtenberg, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade auf einem internationalen Kongress für Berufspädagogik in Rom befand, überbrachte dem Papst die Grüße der nordrhein-westfälischen Landesregierung und überreichte ihm ein Geschenk anlässlich der Gründung des Bistums Essens (vgl. RSB 132/1957 vom 3. 5. 1957, 4; zur Errichtung des Bistums Essens vgl. auch Luchtenbergs Art. »Der Mensch als Schauplatz der Begegnung von Staat und Kirche«, in: Das freie Wort 6/1957 vom 8. 2. 1957). 208 Vgl. Übersicht: FDP-Erklärung zum Thema »Christentum und Kirchen im Wahlkampf«; AdL A 7-11, Bl. 13 f. Bei den Reaktionen ist nochmals zu differenzieren, ob es sich lediglich um Empfangsbestätigungen handelte, oder um wirkliche Stellungnahmen. So konnte im Blick auf die evangelischen Kirchenvertreter festgestellt werden, dass von den 15 Rückmeldungen zehn Bischöfe eine persönliche Stellungnahme zu der Erklärung abgaben, wohingegen von den acht katholischen Kirchenmännern nur einer persönlich Stellung bezog (vgl. auch Scholz, Streit, 245 f.). 209 Art. »Dr. Reinhold Maier: Die Antwort der Kirchen«, in: Kulturpolitische Mitteilungen 7/1957 vom 3. 9. 1957, 2. 205
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Gespräch »gerne aufgenommen« 210 aufgrund der Tatsache, dass es nur eine persönliche katholische Rückmeldung gegeben hatte, als zu positiv bewertet werden. Mit Scholz ist daher anzunehmen, »daß man angesichts der emotionalisierten Stimmung vor der Wahl nicht weiter polarisierend wirken wollte, um damit die FDP nicht noch mehr als religions- und kirchenfeindlich erscheinen zu lassen.« 211 Die Ergebnisse der Bundestagswahlen vom 15. 9. 1957 zeigten nun, dass sich das Misstrauen insbesondere der katholischen Wähler der FDP gegenüber durch den hart geführten Wahlkampf wieder verstärkt hatte. Die Partei musste einen Stimmenverlust von 9,5% auf 7,7% hinnehmen, der hauptsächlich darauf zurückzuführen war, dass sie, obschon sie ihre protestantische Wählerschaft weitgehend halten konnte, über die Hälfte ihrer katholischen Wähler verloren hatte.212 In den folgenden Jahren arbeitete die FDP daran, ihre Position als »dritte Kraft« im Parteiensystem weiter zu konsolidieren. Im Blick auf die Unionsparteien sowie die SPD bedeutete dies, die Position »haarscharf mitten zwischen den Parteiblöcken« 213 beizubehalten, was sich hinsichtlich ihrer ideologischen Ausrichtung in dem Anspruch manifestierte, »die jeweils besten Lösungen zu erreichen, in denen ›das Soziale‹ und ›das Christliche‹ als unabdingbare Forderungen sich von selbst verstehen.«214 Im Blick auf die 1961 anstehenden Bundestagswahlen galt es somit, sich einerseits hinreichend abzugrenzen und als eigenständige Partei zu etablieren und andererseits eine eindeutige Koalitionsaussage zu machen. Wenngleich sich Mitte der 1950er Jahre wie bspw. in NRW eine Hinwendung zur SPD gezeigt hatte und auch das »Berliner Programm« zum Teil in diesem Sinne interpretiert wurde215, so war ein Bündnis mit den Sozialdemokraten auf Bundesebene gegenwärtig nicht vorstellbar. Vielmehr strebte die FDP eine erneute Koalition mit den Unionsparteien an, zu denen es Ende der 210
Ebd. Scholz, Streit, 246. 212 Vgl. ebd., 215. »Wie gering die politischen Sympathien für die FDP im deutschen Katholizismus waren, belegen die Ergebnisse der Bundestagswahlen zwischen 1949 und 1969: wäre es nur nach den Katholiken gegangen, wären die Freien Demokraten dreimal, 1953, 1957 und 1969, an der 5% -Klausel gescheitert« (Großmann, Zentralkomitee, 325). 213 Maier auf der Landesvorstandssitzung des Landesverbandes Baden-Württemberg am 30. 9. 1959, zit. nach Gutscher, Entwicklung, 210. 214 Art. »Wie die Parteien sich selber sehen. Drei Antworten auf eine Anfrage von ›Kirche und Mann‹ anläßlich des beginnenden Wahlkampfes. FDP: Ein bedeutsames Wächteramt. Von Kulturminister a.D. Professor Dr. Paul Luchtenberg«, in: Kirche und Mann, November 1960. 215 »Nach dem Bruch mit der CDU 1956 zeichnete sich eine Annäherung an die Linie der SPD ab: Das Aktionsprogramm stand nicht nur unter dem Motto: ›Schafft endlich Deutschlands Einheit‹ und ›Nie wieder Einparteien-Herrschaft!‹, sondern auch: ›Bewahrt uns vor Atomgefahr!‹« (Flechtheim, Die Parteien, 139). 211
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1950er Jahre in den wichtigen politischen Bereichen nur noch wenige Differenzen gab. Mit Erich Mende trat 1960 ein Mann als Nachfolger Maiers an die Parteispitze, der es schaffte, die FDP behutsam aus der Opposition zurück in die gewünschte Koalition zu führen.216 Sein Geschick bestand darin, die liberale Partei als Bestandteil des bürgerlichen Bündnisses zu bestätigen und sie zugleich als »liberales Korrektiv« 217 gegenüber den Unionsparteien zu etablieren. Jene Korrektur bezog sich auf »die sozialpolitischen Übertreibungen und katholischen Dogmatismen des Koalitionspartners« 218 , die zu begrenzen und zurückzudrängen die FDP fortan als ihre Aufgabe erachtete. Hinzu trat eine zunehmende Kritik an der Bundeskanzlerschaft Adenauers, die sich schließlich im Wahlkampfslogan »mit der CDU ohne Adenauer«219 manifestierte. Im Blick auf die Kulturpolitik der FDP dieser Jahre gab das Wahlergebnis von 1957 den weiteren Kurs in Bezug auf das Verhalten gegenüber den beiden Kirchen vor. Wie sich gezeigt hatte, war es – als Folge des heftig geführten Wahlkampfes – zu einer erneuten Distanz zwischen Katholiken und Liberalen gekommen, wohingegen sich die FDP der Akzeptanz der evangelischen Kirche sicher sein konnte. Während sich die Liberalen somit auch in den kommenden Jahren ihrer Aufgabe verpfl ichtet wussten, als Mahner gegen die »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« vorzugehen, bemühten sie sich gleichzeitig in verstärkter Form, die Kontakte insbesondere zur evangelischen Kirche zu intensivieren.220 Dabei erhoffte sich die Partei auch einen Zuwachs der protestantischen Wähler aus den Unionsparteien, die zunehmend Schwierigkeiten mit deren gesellschafts- und kulturpolitischen Forderungen hatten.221 216 Der in Schlesien geborene Syndikus und promovierte Jurist, Erich Mende (1916– 1998), war von 1948 bis 1968 Mitglied des Landesvorstandes der FDP in NRW und zur gleichen Zeit Mitglied des Bundesvorstandes der FDP, deren Bundesvorsitz er von 1960 bis 1968 innehatte. Mende verließ die FDP 1970, da deren Neuausrichtung nicht mit seiner nationalliberalen und konservativen Haltung vereinbar war. Er trat darauf hin der CDU bei. Mende war katholisch und konnte als kirchennaher Politiker bezeichnet werden. 217 Zülch, Partei, 14. 218 Walter, Parteivorsitzende in der FDP, 136. 219 Kaack, FDP, 24. 220 Am 4. 1. 1960 kam es ebenfalls zu einem ersten offi ziellen Kontakt zwischen der katholischen Kirche und der FDP in der Katholischen Akademie in Bayern (siehe Abschnitt 3.2.). 221 Unmittelbar nach den Bundestagswahlen hatte die FDP offen Kritik an den protestantischen Kreisen innerhalb der Unionsparteien geübt, die meinten, »die katholischen Hintergründe dieser Partei und ihre durch viele Beispiele zu belegende Abhängigkeit von katholischer Sittenlehre, Weltanschauung und klerikalen Einflüssen überwinden zu können« (Art. »Ernste Warnung an naive ›Protestanten‹«, in: Das freie Wort 38/1957 vom 21. 9. 1957).
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In dem im März 1961 beschlossenen »Aufruf zur Bundestagswahl« 222 bestätigten sich die oben beschriebenen Entwicklungen der Kulturpolitik. Im ersten Teil, der mit »Freies Volk« überschrieben war, erfolgte an zwei Stellen die bewährte Kritik an der Vermischung von Religion und Politik. So lehnte die FDP im Kontext der angestrebten freien Gesellschaft sowohl den sozialistischen wie auch den klerikal-konservativen Staat ab und sah allein im modernen, liberalen Staat eine »Antwort auf die kommunistische Herausforderung« 223. Im Folgenden griff man das »Berliner Programm« auf, indem man den Kampf gegen den »Mißbrauch [. . .] der Religion im politischen Tageskampf« 224 nach wie vor als Aufgabe definierte. Im dritten Abschnitt zum »Modernen Volk« 225 erfolgte die Würdigung der Bedeutung der Kirchen, diesmal in der Form, dass man auf die bis dato erfolgten Kontakte zurückblickte und deren Notwendigkeit betonte.226 Im Kontext der Kritik an einer zunehmenden »Konfessionalisierung [des] öffentlichen Lebens« 227 erfolgte weiterhin das erneute Plädoyer für »die christliche Gemeinschaftsschule mit getrenntem Religionsunterricht unter Aufsicht der Kirchen.«228 Insgesamt betrachtet ließen die Äußerungen des Wahlaufrufes zu Religion, Christentum und Kirchen eine gewisse Zurückhaltung erkennen, die darauf zurückzuführen war, dass man die geschlossenen Kontakte insbesondere zur evangelischen Kirche nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollte. Das Wahlergebnis der Bundestagswahlen vom 17. 9. 1961 schien den Kurs der FDP zu bestätigen, denn sie erreichte mit 12,8% aller Stimmen das beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. Im Blick auf die Wählerschaft zeichnete sich dabei nicht nur ein Stimmengewinn bei den protestantischen Wählern ab, sondern auch 8% aller Katholiken entschieden sich für die Liberale Partei. Der Stimmenzuwachs bei den katholischen Wählern war nun weniger auf die kulturpolitischen Äußerungen der FDP zurückzuführen, als vielmehr darauf, dass die FDP mit ihrer Haltung gegenüber den Unionsparteien 222 Vgl. Aufruf zur Bundestagswahl 1961. Beschlossen vom 12. Bundesparteitag vom 23. bis 25. März 1961 in Frankfurt/Main, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 162–167. 223 Ebd., 163. 224 Ebd. 225 Ebd., 165. 226 »Die Bemühungen der Kirchen in den Evangelischen und Katholischen Akademien und auf den Kirchentagen um ein ständiges Gespräch über Probleme unserer Zeit sind ein notwendiges Gegengewicht zur fortschreitenden Vermassung und Gleichgültigkeit in der Bundesrepublik« (ebd., 167). 227 Ebd. Die Auswirkungen jener konfessionellen Politik zeigten sich besonders in den von CDU und CSU regierten Ländern wie Bayern und NRW. In einem Bericht im Bundeshauptausschuss vom 24. 8. 1961 verwies Weyer auf die gegenwärtige Situation in seinem Land, wo sich die absolute CDU-Regierung dahingehend ausgewirkt hatte, dass 75 % aller Stellen mit Katholiken besetzt seien (vgl. AdL A 12-36, Bl. 84). 228 Aufruf, in: Juling, Programmatische Entwicklung, 167.
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eine Stimmung in der Bevölkerung aufgriff, die man Anfang der 1960er Jahre als »Adenauermüdigkeit« 229 bezeichnen konnte. Hier spiegelten sich jene Modernisierungstendenzen der Gesellschaft Anfang der 1960er Jahre wider, die Inglehart als »silent revolution« 230 bezeichnete. Mit ihr einher ging eine allgemeine gesellschaftliche Liberalisierung. Man setzte neue gesellschaftliche und politische Prioritäten, was auf eine zunehmende wirtschaftliche Prosperität, die Veränderungen der sozialen Strukturen und das damit verbundene Gefühl, die eigene Existenz dauerhaft gesichert zu wissen, zurückzuführen war. Ein Wertewandel, weg von »›Pfl icht- und Akzeptanzwerte[n]‹ [. . .] wie Disziplin, Zuverlässigkeit, Gehorsam sowie Ein- und Unterordnung« 231 hin zu »›Selbstentfaltungswerten‹ wie Emanzipation, Ungebundenheit, Partizipation und Lebensqualität« 232 charakterisierte dieses Jahrzehnt. Im Blick auf politische Fragestellungen wich eine beinahe politisch indifferent zu bezeichnende gesellschaftliche Haltung einem zunehmend verstärkten politischen Engagement.233 Auch im Bereich der gestaltenden und gestalteten Politik äußerte sich dieser Wandel in einer Reformeuphorie, die sich in den Bereichen Bildung und Justiz zunehmend abzeichnete. Die Bundestagswahlen von 1961 stellten somit den Beginn jenes Wandels dar, der sich auch im Verhältnis von Konfession und Wahlverhalten niederschlug. Hier zeichnete sich eine mit dem verstärkten Auf kommen des so genannten kritischen Katholizismus zunehmende Distanzierung der katholischen Wählerschaften von den Unionsparteien hin zu den modernen Parteien ab, von der auch die FDP ein Stück weit profitieren konnte234, obschon die Hinwendung zur SPD deutlich überwog und sich auch im Verlaufe der folgenden Jahre zunehmend intensivierte. Hier zeigten sich die ersten Er-
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Scholz, Streit, 249. Inglehardt, Silent Revolution, 991. 231 Wolfrum, Bundesrepublik, 320. 232 Ebd. 233 Tenbruck beschrieb das politische Leben der 1950er Jahre folgendermaßen: »Von öffentlichen und politischen Dingen blieb das Leben in den 1950er Jahren so gut wie unberührt. Eine besondere Teilnahme, wie sie aus tieferem Engagement für oder gegen die politischen Verhältnisse erwächst oder aus der sozialen Strittigkeit großer Alternativen hervorgeht, war nicht zu spüren. Die als erklärte Norm politischen Wohlverhaltens gutwillig angenommene politische Ordnung gewann Vertrauen und Bestätigung im Maße ihrer sichtbaren Erfolge, an denen alle privat oder öffentlich teil hatten. [. . .] Die Wahl wurde zur selbstverständlichen Pfl icht, die demokratische Verfassung war akzeptiert [. . .]« (Tenbruck, Alltagsnormen, 298). 234 »In einem wesentlich stärkeren Maße als vermutet stimmten allgemein unzufriedene Elemente, Neutralisten, Pazifi sten und Nationalisten für die FDP« (Körper, Bilanz, 61). 230
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folge jenes kulturpolitischen »Durchbruch[s]« 235 der SPD, den sie durch das so genannte »Godesberger Programm« 236 von 1959 erzielt hatte.237 2.2. Programmatik der 1960er Jahre In den 1960er Jahren machte die FDP den wohl einschneidendsten Wandel ihrer Parteigeschichte durch, der sich in ihrer Abwendung von einem traditionellen Liberalismus hin zu einem sozialen Liberalismus manifestierte und schließlich im zweiten Grundsatzprogramm der Partei, den »Freiburger Thesen« von 1971, auch programmatisch festgeschrieben wurde. Mehrere Phasen bedingten und charakterisierten die Entwicklung der Partei in diesem Jahrzehnt. Schlaglichtartig seien an dieser Stelle ihr »Umfall« hinsichtlich der Regierungsbeteiligung 1961, der Gang in die Opposition im Jahre 1966 und schließlich die Bildung der mit der Wahl Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 bereits angedeuteten sozialliberalen Koalition 1969 erwähnt. Die in diesem Abschnitt vollzogene einseitige Perspektivnahme auf die Haltung der FDP gegenüber Kirche, Religion und Christentum in dieser Zeit vermag nicht mehr, als jene komplexen Zusammenhänge, die diesen Wandel verdeutlichen, an der Peripherie zu streifen. Sie beleuchtet dabei jedoch einen Bereich, der während des besagten Umwandlungsprozesses der Partei entscheidend mitgeprägt wurde. Wenngleich sich die FDP erst 1967 wieder in ihrem »Aktionsprogramm« zu den Kirchen äußerte, so zeigten die parteiinternen Prozesse, dass ab Mitte der 1960er Jahre ein deutlicher Wandel in der Kulturpolitik der FDP eintrat. Es bedarf daher in diesem Abschnitt einer ausführlicheren Darstellung dieser Prozesse, um die programmatischen Äußerungen in den 1960er Jahren richtig einordnen zu können. In Anlehnung an dieses Vorgehen bietet sich eine Unterteilung des Kapitels an. 2.2.1. 1961 bis 1966 Gelang es der FDP auf Grund des positiven Wahlergebnisses, im Herbst 1961 erneut in eine Regierungskoalition mit den Unionsparteien zu treten, so läutete dieser Schritt zugleich ihren Weg in die Krise ein, die sich auf mehreren Ebenen vollzog. Zunächst hatte sich die FDP entgegen ihrer 235
Schwan, Deutsche Sozialdemokratie, 205. Vgl. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Godesberger Programm). Beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bad Godesberg vom 13. bis 15. November 1959, in: Kunz/ Maier, Programme, 77–89. 237 Darin hatten die Sozialdemokraten erstmals in ihrer Geschichte ihre Achtung vor den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften zum Ausdruck gebracht und sich für eine Zusammenarbeit mit diesen »im Sinne einer freien Partnerschaft« ausgesprochen (ebd., 86). 236
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Wahlkampfparole auf eine Regierung unter der Kanzlerschaft Adenauers eingelassen und sah sich von diesem Zeitpunkt mit dem Vorwurf des »Umfalls« konfrontiert; ein Vorwurf, der sich für sie nachhaltig auswirkte und zu einem sukzessiven Funktionsverlust innerhalb des Parteiensystems führte. Aber nicht nur von Seiten der Wählerschaft, sondern auch parteiintern wurde die Wiederaufnahme der Koalition zum Teil heftig kritisiert, wie beispielsweise der Rückzug Flachs aus der Politik in die Publizistik zeigte. Hinzu traten parteiinterne Differenzen über Funktion und Charakter der liberalen Partei, die im Zusammenhang mit dem positiven Wahlergebnis der Partei aufgetreten waren.238 Im Blick auf die Koalitionsarbeit kam es bis zum Jahre 1966 zu mehreren größeren Auseinandersetzungen, von denen die Spiegelaffäre der Jahre 1962/63 zu einer ersten großen Regierungskrise sowie zum Ausscheiden der FDP-Minister aus der Regierung am 13. 12. 1962 führte. Auch die Koalition unter der Kanzlerschaft Ludwig Erhards, der am 15. 10. 1963 als eigentlicher Wunschkandidat der FDP die Nachfolge Adenauers angetreten hatte239, war von Konfl ikten geprägt. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Diskussion der Frage nach Verjährung von NS-Verbrechen verwiesen, die 1966 zum Rücktritt des liberalen Justizministers Ewald Bucher führte. Trotz dieser Differenzen war, auch im Blick auf die Bundestagswahlen von 1965, festzustellen, dass die FDP zunächst nichts an der Situation der christlich-liberalen Koalition ändern wollte: sie fi ng an, »ihre Rolle ganz bequem zu fi nden.« 240 Hinzu kam, dass sie auch nichts ändern konnte, denn eine mögliche Koalition mit den Sozialdemokraten wurde zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht in Betracht gezogen. Den »langweiligste[n] Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik« 241 führte die FDP daher mit dem Ziel 238 So gab es Bestrebungen, die Partei über ihre Funktion als liberales Korrektiv hinaus als »Volkspartei« zu etablieren und damit einer der SPD ähnlichen Entwicklung zu unterziehen, mit dem Ziel, eine Vergrößerung des Wähleranteils zu erreichen (vgl. Körper, Bilanz, 21). Eine ähnliche Konzeption war die der »dritten Kraft«, die sich durch »Einflußmaximierung durch allseitige Koalitionsfähigkeit« auszeichnen wollte (Zülch, Partei, 18). Beide Konzeptionen vermochten die reformerischen Kräfte der Partei in den Jahren der schwarz-roten Koalition nicht durchzusetzen; zu eng war die Abhängigkeit der FDP von ihrem Koalitionspartner, zu grundsätzlich nach wie vor die Differenzen zur SPD. Körper bezeichnete das Resultat jener Krise als einen Rückfall der FDP »zur politischen Gruppeninteressenvertretung« (Körper, Bilanz 95). 239 »Mit Erhard war nun endlich der von ihr [sc. FDP] seit längerer Zeit favorisierte Mann nominiert« (Wengst, Mit und ohne, 121). 240 »Nicht nur die Öffentlichkeit gewöhnte sich an die Regierungsbeteiligung der FDP, sondern auch die FDP gewöhnte sich an ihre eigene Regierungsbeteiligung« (Verheugen, Ausverkauf, 45). Ähnlich Kaack: »Fixiert auf Erhard und daher weitgehend unfähig, mit CDU/CSU-internen Gegenkräften zu kooperieren, steuerte sie auf die Krise des Jahres 1966 zu und wurde so auch zum Opfer der ungeklärten Machtverhältnisse innerhalb der CDU/CSU« (Kaack, Die Liberalen, 418 f.). 241 Verheugen, Ausverkauf, 46.
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einer Fortsetzung der Koalition, insgesamt jedoch ohne wirkliche Wahlaussage.242 Das Ergebnis der Bundestagswahlen vom 19. 9. 1965, bei denen sie 9,5% der Stimmen erhielt, konnte im Sinne einer Konsolidierung der Wählerschaft betrachtet werden, obschon sie einen Teil der dazu gewonnenen Wähler von 1961 verloren hatte. 1966 kam es zu einem erneuten Konfl ikt zwischen den Regierungsparteien über eine von den Unionsparteien geplante Steuererhöhung, die die FDP strikt ablehnte. Die Debatte war symptomatisch für die Schwierigkeiten der christlich-liberalen Koalition und letztlich Auslöser für die FDP, ihren Platz in der Koalition zu räumen und damit der Großen Koalition unter der Kanzlerschaft Kurt Georg Kiesingers den Weg zu bereiten. Sie selbst war auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit gewesen, eine sozialliberale Koalition einzugehen, obschon sich, wie die sozialliberale Koalition in NRW indizierte, beide Parteien zunehmend einander annäherten.243 Aber auch die SPD hatte ihre Chance nicht genutzt, gemeinsam mit der FDP die Unionsparteien in die Opposition zu verweisen, und ging zunächst den »bequemeren Weg des schwarz-roten Opportunismus.« 244 Die beschriebenen Verhältnisse wirkten sich nun auch auf die Kulturpolitik der FDP aus bzw. ließen sich umgekehrt formuliert aus den kulturpolitischen Aktivitäten der FDP Rückschlüsse über ihre aktuelle Situation im Kontext der politischen Gegebenheiten ziehen. So war für die unmittelbare Zeit nach ihrem Wahlerfolg von 1961 festzustellen, dass sich die FDP im Blick auf ihr Verhalten gegenüber den Kirchen in ihrem Kurs bestätigt fühlte. Sie suchte nach Möglichkeiten, die entstandenen Kontakte weiter auszubauen.245 Ende Oktober 1962 schlug Liselotte Funcke dem Kulturpolitischen Bundesausschuss die Gründung eines evangelischen Gesprächskreises, analog dem nordrhein-westfälischen Modell, vor.246 Im Blick auf die katho242 Dies bestätigte auch die Tatsache, dass es keine offi zielle Verlautbarung etwa in Form eines Wahlprogramms oder Aufrufs gab. 243 Rückblickend wurde diese Landeskoalition oftmals als »Test für die Bildung der SPD/FDP-Regierung auf Bundesebene 1969« interpretiert (Andersen, Handwörterbuch, 261). 244 Flechtheim, Die Parteien, 99. 245 Siehe Abschnitte 2 und 3. 246 »Über die bisherigen Kontakte auf der Landesebene hinaus ist es erforderlich, ein Gremium von vielleicht 40 Personen zu schaffen, das in bestimmten Abständen zusammentritt und sich mit Fragen des Grenzbereiches von Staat und Kirche befasst. Dabei wäre die Teilnahme kirchlicher Vertreter auf der zentralen Ebene möglich. Zudem könnte dann unser Kontakt zu den Kirchen nach außen wirkungsvoller dokumentiert werden« (Kurzprotokoll der Sitzung des Kulturpolitischen Bundesausschusses vom 16. 10. 1962; AdL A 7-20, Bl. 22. Siehe auch Abschnitt 4.1.). Die 1918 geborene Diplomkauffrau Liselotte Funcke stammt aus einer Hagener Unternehmerfamilie und arbeitete von 1944 bis 1961 als Abteilungsleiterin und Prokuristin in der familieneigenen Schraubenfabrik. 1946 trat sie der FDP bei und war vier Jahre später Mitglied des Landtages in Düsseldorf. Von 1961 bis 1979 war sie Mitglied des Bundestages, in den Jahren 1969 bis 1979 als dessen Vizeprä-
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lische Kirche hingegen übte man sich in Zurückhaltung; zu eindrücklich noch war der vergangene Wahlkampf, zu groß nach wie vor die Spannungen, obwohl man auch hier auf eine stetige Verbesserung des Verhältnisses hoffte. Der Düsseldorfer Parteitag im Mai 1962 bestätigte zunächst den Kurs der FDP, wie der Rede des Parteivorsitzenden Mende zu entnehmen war: »Mit Genugtuung können wir feststellen, daß die Freien Demokraten in ihrer eindeutigen Haltung mehr und mehr auch von den Vertretern der beiden Kirchen verstanden werden. Besonders zu danken haben wir den Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland, mit denen wir wiederholt in den letzten Monaten sehr fruchtbare und offene Gespräche nicht nur über die rein kulturpolitischen Fragen geführt haben [. . .]. Auch auf der katholischen Seite bahnt sich eine gewandelte Betrachtungsweise gegenüber den politischen Vertretern des Liberalismus an.« 247
Der Parteitag verwies zugleich auf zwei weitere Aspekte, die die Kulturpolitik der FDP in der folgenden Zeit bestimmen sollten: die ersten sichtbaren Ergebnisse der gewandelten Kulturpolitik der SPD sowie eine verstärkte konfessionalistische und klerikale Politik seitens der Unionsparteien, die sich in jüngsten Gesetzesbeschlüssen zeigte und gegen die die liberale Partei Einspruch erheben musste.248 sidentin. Im Bundesvorstand der liberalen Partei seit 1964 aktiv, wurde Funcke 1977 zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Nach Ausübung des Amtes als Wirtschaftsministerin von NRW wurde sie 1981 zur Ausländerbeauftragten der Bundesregierung ernannt. Wie viele andere trat Funcke 1982 aus der FDP aus, nahm jedoch auf Bitten Helmut Kohls hin ihr Amt wieder auf, bevor sie 1991 endgültig zurücktrat (zu Funckes kultur- und kirchenpolitischem Engagement siehe Kap. III.1.1.2. Zum KGK in NRW siehe Kap. III.2.3.4.). 247 Rede Mende »Die FDP als gestaltende Kraft in der Verantwortung« auf dem BPT Düsseldorf 23.–25. 5. 1962; AdL A 1-195, Bl. 42. 248 Der Jurist und ordentliche Professor, Walter Erbe (1909–1967), hatte sowohl auf dem BPT als auch in der Bundesvorstandssitzung vom 27. 7. 1962 die FDP dazu angehalten, ihre kulturpolitische Arbeit zu intensivieren. Als Beispiel einer gelungenen Kulturpolitik, die es vermochte, neue Wählerschaften zu akquirieren, verwies er dabei auf die Arbeit der SPD im bildungspolitischen Bereich, wo die Sozialdemokraten den Liberalen mittlerweile »den Schneid und den Erfolg abgekauft« hätten (Ausführungen Erbe in der Sitzung des Bundesvorstandes vom 27. 7. 1962; AdL A 7-33, Bl. 38. Vgl. auch Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 27. 7. 1962, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1960–1967, 338: »Er [sc. Erbe] begründet seine Hauptfeststellung, die Partei sei auf diesem Gebiet bedenklich in den Hintergrund gedrängt worden, zunächst mit der kulturpolitischen Aktivität der SPD und untersucht, welche Erfolge die SPD dabei erzielt habe. [. . .] In allen Ländern gebe es mehrere Experten der SPD, die allein auf Kulturpolitik ausgerichtet seien«). Wenngleich Erbe den Bereich der Kirchen in seinem Vortrag nicht explizit ansprach, so war die veränderte Kirchenpolitik der Sozialdemokraten ebenfalls zu einer permanenten Herausforderung für die Liberalen geworden. In der Aussprache zum Erbe-Bericht hatte Luchtenberg unter Verweis auf die Situation in NRW auf jüngste Tendenzen der Unionspolitik verwiesen, die darin bestanden, »katholische Vorstellungen in unserer Gesellschaftsordnung zum Durchbruch zu bringen« (AdL A 1-199, Bl. 32).
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Obschon die FDP auf jene Tendenzen reagierte, war zugleich zu beobachten, dass das Thema Partei und Kirchen insgesamt zusehends in den Hintergrund rückte. Dies war zunächst auf die Konfl ikte innerhalb der christlich-liberalen Koalition und die daraus resultierenden Belastungen für die Partei zurückzuführen, indizierte aber auch, dass es die FDP zu jenem Zeitpunkt schlichtweg nicht vermochte, ihr Verhältnis zu den Kirchen nach außen hin adäquat zu bestimmen. Dies bestätigten auch die Diskussionen im Vorfeld des als Grundsatzparteitag gedachten Bundesparteitages 1963, auf dem man zu den drei Bereichen 1. Freiheit des Einzelnen in der Gesellschaft, 2. Freiheit des Einzelnen im Staat und 3. Freiheit im überstaatlichen Bereich arbeiten wollte, wobei innerhalb des zweiten Bereichs auch das Verhältnis der Partei zu den Kirchen thematisiert werden sollte.249 Funcke war es, die in einem eindringlichen Brief an den Parteivorsitzenden Mende von einer Thematisierung des Verhältnisses zu den Kirchen auf dem Bundesparteitag nachdrücklich abriet. Vorhersehbar schien die Reaktion der katholischen Kirche, »jede auch noch so vorsichtige Aussage einer Abgrenzung der Kompetenzen als neuen Angriff [zu] werten und hoch[zu]spielen.« 250 Sie plädierte indes dafür, die Kontakte zu kirchlichen Gremien beider Konfessionen zu pflegen sowie einen Ausschuss auf Bundesebene einzurichten, »der die Frage Staat und Kirche sorgfältig durcharbeitet.« 251 Seitens des Bundesvorstandes kam man ihrem Anliegen nach und sah von einer kritischen Erörterung des Verhältnisses der Partei zu den Kirchen auf diesem Grundsatzparteitag ab. Stattdessen verwies Mende auf die Gesprächsbereitschaft der Partei gegenüber beiden Kirchen und formulierte als Ziel jener in »Ernsthaftigkeit und Offenheit« 252 geführten Gespräche, »ein neues Verständnis für das Verhältnis von Kirche und politischem Liberalismus« 253.
249 Erste Inhalte waren bereits stichwortartig von einer Arbeitsgruppe formuliert worden: »Stellung zum anerkannten ›Öffentlichkeitsauftrag‹ der Kirchen. Die Gefahr einer Institutionalisierung der Kirche, einer zu weit gehenden Anpassung an die Gesellschaft. Das gesamtdeutsche Versagen der Kirchen. Das Phänomen der wachsenden Ausbreitung von religiösen Sekten. Tendenz: grundsätzlich positiv, Negatives in Form von Fragen an die Adresse der Kirchen« (Ergebnis der ersten Besprechung vom 17. 3. 1963 des Arbeitskreises II; AdL A 1-211, Bl. 100). 250 Schreiben Funcke an Mende vom 19. 2. 1963; AdL A 7-81, Bl. 13. 251 Ebd. In diesem Zusammenhang verwies sie auf ihre positiven Erfahrungen mit dem in NRW gegründeten evangelischen Gesprächskreis sowie den so genannten Politikertagungen zwischen der Westfälischen Landeskirche und Vertretern aller politischen Parteien. 252 Entwurf eines Absatzes über das Verhältnis der FDP zu den Kirchen in der Rede des Vorsitzenden auf dem Parteitag; ebd., Bl. 88. Der Abschnitt war von Funcke und Scholder verfasst worden. 253 Ebd.
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Die Tatsache, dass die Idee der Gründung eines Gesprächskreises erst Ende 1964 wieder aufgegriffen wurde 254 und die FDP bis zu diesem Zeitpunkt auch noch keinen Ausschuss eingerichtet hatte, machte deutlich, wie sehr sie in der Zwischenzeit von anderen Aufgaben beansprucht worden war. Sie verwies weiterhin auf eine gewisse Gleichgültigkeit, die sich im Blick auf die Verhältnisbestimmung der Partei zu den Kirchen eingestellt hatte. Ein Brief Funckes an die Mitglieder des Bundesvorstandes vom Januar 1965 kann exemplarisch zur Beschreibung der kirchenpolitischen Situation der FDP Mitte der 1960er Jahre herangezogen werden.255 So zeigte schon die einseitige Bezugnahme auf das Verhältnis zur evangelischen Kirche, dass sich entgegen der 1962 formulierten Hoffnung nichts an den schlechten Beziehungen der Partei zur katholischen Kirche verändert hatte. Verändert hingegen hatte sich die kirchenpolitische Lage der beiden großen Parteien, die Funcke im Folgenden aufgriff. Dabei anerkannte sie die Leistung der Sozialdemokratie, der es in den vergangenen Jahren gelungen war, sich der Kirche gegenüber als Alternative zur CDU zu profi lieren 256 , wohingegen sich die CDU zunehmend Schwierigkeiten ausgesetzt sah, mit den Kirchen in ein positives und aufgeschlossenes Gespräch zu treten.257 Funckes knappes Urteil über ihre eigene Partei – »[d]ie FDP schwieg«258 – bedeutete dieser, den Zeitpunkt für ein Neuüberdenken der eigenen Position verpasst oder zumindest nicht hinreichend genutzt zu haben, sondern stattdessen »ihre Reserve« gegen eine »politisierende Kirche [. . .] unkorrigiert fortgesetzt und 254 Erneut auf Funckes Vorschlag hin hatte der Bundesvorstand Anfang Dezember 1964 beschlossen, die Landesverbände zur Bildung evangelischer Gesprächskreise aufzufordern (vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 7. 12. 1964, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1960–1967, 610). 255 In dem Schreiben erörterte Funcke das Verhältnis der Partei zur evangelischen Kirche, indem sie schriftlich zusammenfasste, was sie in der Bundesvorstandssitzung vom 7. 12. 1964 berichtet hatte (vgl. Schreiben Funcke vom 11. 1. 1965; AdL N 1-3102). 256 »Hier ist die neue Aufgeschlossenheit der SPD gegenüber der Kirche in die wachsende Unsicherheit getreten und hat feste Verbindungen geschaffen« (ebd.). Rohe sah in der Hinwendung der Kirchen zur Sozialdemokratie erste Ergebnisse der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Tendenzen einer immer stärker werdenden Säkularisierung: »Berücksichtigt man weiter, daß die protestantische Kirche schon sehr früh, die katholische Kirche vor allem im Zusammenhang des Zweiten Vatikanischen Konzils, ihr Verhältnis zur Sozialdemokratie entspannte, und sich bei Wahlempfehlungen weitaus stärker zurückhielt, als das anfänglich der Fall gewesen war, läßt sich daraus als wählerpolitische Hypothese ableiten, daß der quantitative und qualitative Bedeutungsverlust des religiös-kirchlichen Faktors mutmaßlich eine strukturelle Begünstigung laizistischer Parteien bedeutet und daher eine unter betont christlichen Vorzeichen angetretene Partei vernachlässigt« (Rohe, Wahlen, 173). 257 Insbesondere seitens Vertretern des konservativen Katholizismus mussten sich die Unionsparteien den Vorwurf gefallen lassen, das »C« in ihrem Namen zu vernachlässigen und sich einer zunehmenden »Entideologisierung und Liberalisierung« zu unterstellen (Gauly, Kirche, 243). 258 Schreiben Funcke vom 11. 1. 1965; AdL N 1-3102. Die folgenden Zitate ebd.
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die These von der absoluten Trennung von Kirche und Staat aufrechterhalten« zu haben. Sie forderte die FDP auf, ihre Kultur- bzw. Kirchenpolitik – hier ging es um die konkreten Kontakte primär zur evangelischen Kirche – den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen, und verwies dabei auch auf die sich verändernde Situation der Kirche, die »mehr denn je das Gespräch mit den Vertretern der Politik« brauche, um ihre »Grenzen zwischen der so verstandenen begleitenden und einer politisch aktiven Tätigkeit« aufgewiesen zu bekommen. In diesem Kontext erwähnte sie erneut erste positive Ergebnisse der kirchenpolitischen Aktivitäten der FDP in NRW.259 Obschon Funcke vergleichbare Gespräche mit der katholischen Kirche zu diesem Zeitpunkt als eher unrealistisch erachtete, mahnte sie auch hier zur Wachsamkeit im Blick auf »die Bewegung, in die die katholische Welt nicht nur durch das Konzil geraten ist.« 260 Die Tatsache, dass Funcke zunehmend auch in privaten Korrespondenzen die Notwendigkeit eines guten Verhältnisses zwischen FDP und den Kirchen betonte, explizierte die Relevanz, die sie der Angelegenheit beimaß und zeigte zugleich eine gewisse persönliche Enttäuschung über die Unbeweglichkeit ihrer Partei in dieser Sache.261 259 »[S]eit geraumer Zeit ist mir kein Fall mehr innerhalb von NRW bekannt, wo Parteiengespräche, politische Foren oder Tagungen mit Parteisprechern in der Kirche oder den Evangelischen Akademien ohne die FDP stattgefunden hätten. Man weiß in den hiesigen Kirchen, daß man in der FDP bemühte Gesprächspartner fi ndet, und bezieht sie demnach mit ein« (ebd.). Vgl. auch ihre Aussage gegenüber Peter Oldenburg, Mitglied der baden-württembergischen FDP: »Wir könnten die Arbeit in Nordrhein-Westfalen nicht leisten, wenn wir uns nicht auf eine kirchenaktive Gruppe abstützen könnten« (Schreiben Funcke an Oldenburg vom 4. 12. 1963; AdL N 73-6). 260 Schreiben Funcke vom 11. 1. 1965; AdL N 1-3102. Dies bestätigte ebenfalls Großmann: »Die Realität des deutschen Katholizismus entfernte sich zu Beginn der 1960er Jahre indes mehr und mehr von diesem Geschlossenheitsideal. Auch unter Katholiken griff ein pragmatisches Verständnis von Politik zunehmend Raum und verdrängte die kategorische Forderung nach ihrer weltanschaulichen Legitimation politischer Entscheidungen. Zusammen mit den damaligen Entwicklungen von weltkirchlicher Bedeutung wäre damals prinzipiell der Weg geebnet gewesen auch für einen Dialog zwischen der katholischen Kirche und den Freien Demokraten« (Großmann, Zentralkomitee, 330). In eine ähnliche Richtung ging Thomas Brehm, der die Annäherung zwischen Katholizismus und Sozialdemokratie in der beiderseitigen Einsicht begründet sah, dass man sich auf die veränderte und nach wie vor verändernde gesamtgesellschaftliche Situation einzustellen habe. Dieser »Anpassungsprozeß der beiden bis dahin so verschiedenen soziokulturellen Milieus [. . .] an die Verhältnisse einer modernen, pluralistisch verfaßten und primär konsumorientierten Industriegesellschaft [. . .] hatte auf programmatischer wie politischer Ebene die Annäherung von SPD und Kirche zur Folge« (Brehm, Annäherung, 109). 261 In dem oben erwähnten Schreiben an Oldenburg berichtete sie über ihr persönliches Engagement in Sachen FDP und Kirchen, das zum Ziel habe, die »Fronten etwas aufzulockern«, und fragte an, ob Oldenburg nicht einmal ähnliches in Baden-Württemberg initiieren wolle: »Aus diesen Erfahrungen heraus bin ich sehr daran interessiert, daß auch in anderen Landesverbänden etwas Ähnliches wächst, und dazu brauchte man die Initiative, aktive Arbeit und Kooperation von Christen auf Kreis- und Landesebene. Wir wäre es, wenn Sie diese Aufgabe in Baden-Württemberg einmal aufgreifen würden?« (Schreiben Funcke an Oldenburg vom 4. 12. 1963; AdL N 73-6).
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Die hier beschriebene Stagnation der FDP im Blick auf die sich ihr bietenden Möglichkeiten, durch eine angemessene Reaktion auf die Wandlungsprozesse innerhalb der Kirchen und Parteien Veränderungen in ihrem Verhältnis zu den Kirchen zu erwirken, spiegelte ein Stück weit die aktuelle Situation der Partei wider. Somit widersprach eine auf Profi lierung gegenüber den Unionsparteien angelegte kritische FDP-Kirchenpolitik ihrer aktuellen, auf eine erneute christlich-liberale Koalition hin ausgelegten politischen Agitation. Hatten die Ergebnisse der Bundestagswahlen von 1961 gezeigt, dass ein Teil der Katholiken einer mit absoluter Mehrheit ausgestatteten Unions-Bundesregierung zunehmend kritisch gegenüber stand, so hatte es die FDP – im Gegensatz zur SPD – nicht geschafft, jene »originär liberalen Wähleranteile« 262 an sich zu binden und auf diese Weise »weltanschaulich entlastend auf die Christdemokraten zu wirken« 263. Ferner hinderte sie die nach wie vor offensichtliche Distanz zur SPD daran, die eigene Kirchenpolitik der der Sozialdemokraten in irgendeiner Form anzupassen; im Gegenteil zeigte die Diskussion um das Niedersachsenkonkordat im Frühjahr 1965 exemplarisch, wie groß die Differenzen zwischen Liberalen und Sozialdemokraten im kulturpolitischen Bereich waren. Das Niedersachsenkonkordat 264 war im Februar 1965 zwischen Land und Kurie abgeschlossen worden, ohne dass der Bundesverband der FDP, der kulturpolitische Ausschuss oder die niedersächsischen FDP-Bundestagsabgeordneten in die Verhandlungen involviert worden waren. Dies empörte den Vorsitzenden des Kulturpolitischen Bundesausschusses Luchtenberg umso mehr, als das Amt des Kultusministers der sozialliberalen niedersächsischen Landesregierung von dem FDP-Politiker Hans Mühlenfeld ausgeübt wurde. Luchtenberg hatte »angesichts dieser beklagenswerten Enttäuschung« 265 seinen Rücktritt als Vorsitzender des Ausschusses bekannt gegeben. Den Sozialdemokraten warf man im Zusammenhang mit dem Konkordat ein opportunistisches Verhalten vor: »Was soll man zu einer SPD sagen, die aus rein wahltaktischen Erwägungen unkündbare Verträge mit der Kurie abschließt, ohne deren Konsequenzen zu überblicken? Wie soll man bei dieser reaktionären Haltung, die die Genossen in Hannover mit voller Billigung des Parteivorstandes einnehmen, noch an das fortschrittliche Bildungsprogramm der SPD glauben können? Wer dergestalt seine eigenen Grundsätze über Bord wirft, manifestiert, daß ihm die Erringung der Macht im Staate zum Selbstzweck wird und nicht mehr dazu dienen soll, sein Ordnungsbild von der Gesellschaft durchzusetzen. Die Ereignisse in Hannover haben gezeigt, wohin der
262 263 264 265
Großmann, Zentralkomitee, 329. Ebd. Zu den Inhalten des Niedersachsenkonkordats siehe auch Kap. II.2.2.6. Schreiben Luchtenberg an Friedrichs vom 11. 3. 1965; AdL A 12-53, Bl. 41.
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Weg einer sozialdemokratischen Mehrheit führen würde. Jedoch die Rechnung wird nicht aufgehen!« 266
Die weitgehende Aussparung des kirchenpolitischen Bereiches bestätigte somit das allgemeine konturlose Bild der FDP Mitte der 1960er Jahre, das dann auch im Bundestagswahlkampf 1965 zutage trat. 2.2.2. 1966 bis 1969 Für die Jahre der Oppositionszeit war zu beobachten, dass die FDP ihre praktische Kirchenpolitik im Sinne der Kontaktpflege zu den beiden Kirchen in gewohnter Weise praktizierte, was bedeutete, dass sie sich weiterhin einseitig auf die evangelische Kirche ausrichtete, wohingegen ihr Verhältnis zur katholischen Kirche nach wie vor von Distanz geprägt war.267 Im Blick auf die theoretische Auseinandersetzung mit den kulturpolitischen Bereichen Religion, Christentum und Kirche war nun ein Wandel festzustellen, der sich zunächst ganz grundsätzlich in der Wiederaufnahme dieser Bereiche in die parteiinterne Diskussion manifestierte. Körper bezeichnete diese Renaissance kulturpolitischer Fragestellungen als »letzte Profilierungsmöglichkeit« 268 der FDP gegenüber den anderen Parteien, die die übrigen politischen Gebiete weitgehend okkupiert hatten. Zugleich muss man festhalten, dass das neue Interesse an kirchenpolitischen Fragestellungen auch in engem Zusammenhang mit der gebotenen und für jene Jahre charakteristischen Neuausrichtung der Partei stand und sich dann auch in den programmatischen Äußerungen insbesondere der Jahre 1967 bis 1969 ausdrückte. In dieser Zeit vermochte sich eine kirchenpolitische Tendenz durchzusetzen, die in den vergangenen Jahren immer wieder in liberalen Kreisen und auch innerhalb der FDP aufgeflackert war, bis dato aber aus verschiedenen Gründen keine wirkliche Durchschlagskraft in der Partei hatte gewinnen können. Für jene Tendenz charakteristisch war eine Trennungsforderung im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche, die sich in ihrer Intention von der unterschied, die Anfang der 1950er Jahre von der Partei formuliert wurde.269 266
Art. »Das Konkordat in Niedersachsen«, in: Kulturpolitische Mitteilungen 3/1965, Mai 1965, 2. Der Streit mit den Sozialdemokraten hatte letztlich zur Auflösung der sozialliberalen Koalition in Niedersachsen geführt. 267 Zwar war es im November 1968 in der FNS zu einer Tagung von Liberalen und Katholiken zum Thema »Öffnung zur Welt und offene Gesellschaft – Dialog zwischen Katholizismus und Liberalismus« gekommen, jedoch hatten sich die daran geknüpften Erwartungen auf ein verbessertes Verhältnis zwischen beiden nicht erfüllt (siehe Abschnitt 3.2.2.). 268 Körper, Bilanz, 231. 269 So ereignete es sich bspw. im Kreisverband Hamm, dass ein Antrag eines einzelnen Mitglieds zur Thematik Trennung von Staat und Kirche, den dieses Mitglied zum Kreisparteitag des Kreisverbandes gestellt hatte, einstimmig angenommen wurde. Darin wurde
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Die deutschen Jungdemokraten, die Jugendorganisation der FDP, waren große Befürworter dieser Trennungsforderung und wirkten in jenen Jahren der liberalen Opposition, in denen ihnen generell ein großer Einfluss auf die im Wandel begriffene Partei zugesprochen wurde, auch in diesem Bereich gleichsam katalysierend. Daneben mehrten sich in der FDP Stimmen, die eine solche Forderung aufgrund aktueller politischer Gegebenheiten jetzt öffentlich aussprachen, so bspw. die linksliberale Staatssekretärin im Hessischen Bildungsministerium Hildegard Hamm-Brücher, »Symbol des Widerstandes gegen die unablässigen Konfessionalisierungsbestrebungen der CSU« 270. Ihre Forderung, die sie im April 1967 auf dem in Hannover tagenden Bundesparteitag vorbrachte, stand im Kontext der wiederaufflammenden Auseinandersetzungen über die Konfessionsschulen und damit verbundenen polemischen Äußerungen seitens der Kirchen: »Und wenn gar quasi kirchenamtliche Presseverlautbarungen hinzukommen, daß man statt der Freien Demokratischen Partei lieber die NPD im Parlament sähe, dann wird sich die Forderung nach einer in anderen Demokratien selbstverständlichen verfassungsrechtlichen Trennung von Kirche und Staat nicht länger unterdrücken lassen.« 271
Dass diese Zeit zunächst den Beginn einer erneuten intensiveren Auseinandersetzung mit den Kirchen darstellte, belegte das auf dem Bundesparteitag verabschiedete »Hannoveraner Aktionsprogramm« 272 , in dem die FDP, ähnlich wie in den Jahren zuvor, jegliche Äußerungen zu Kirche, Religion und Christentum vermied.273 Anders die Jungdemokraten, die sich nur einen zunächst der Vorstand des Kreisverbandes aufgefordert, beim Landesvorstand oder, so dies möglich sei, Bundesvorstand der FDP deren »grundsätzliche Einstellung [. . .] zur Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche« sowie die »praktischen Auswirkungen auf die politischen Entschlüsse der Partei zu klären.« Es folgten sechs in Fragen formulierte Arbeitsaufträge, die u. a. die »Ablösung aller staatlichen Leistungen an die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften«, die »Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf die Kulturpolitik« sowie Behebung der »Vernachlässigung der Naturwissenschaften [. . .] insbesondere in den Fächern Chemie und Physik« zur Ausgleichung des Bildungsrückstands forderten (Antrag zum Kreisparteitag des Kreisverbandes Hamm der FDP am 10. 2. 1965; AdL A 7-91, Bl. 118). 270 So die Charakterisierung Hamm-Brüchers durch O.v. Löwenstein im Kontext der bayrischen FDP-Politik (vgl. Art. [Titel unbekannt], in: Die Zeit vom 7. 12. 1962, zit. nach Körper, Bilanz, 231). 271 Rede Hamm-Brücher auf dem BPT Hannover 3.–5. 4. 1967; AdL A 1-325, Bl. 38. Die NPD hatte es in den Jahren 1965–1968 geschafft, in sieben Länderparlamente einzuziehen (vgl. Leuschner, FDP, 70). 272 Vgl. Ziele des Fortschritts. Aktionsprogramm der Freien Demokratischen Partei (107 Thesen), in: Juling, Programmatische Entwicklung, 180–199. 273 Das Programm war unterteilt in die fünf thematischen Bereiche A. Staat und Recht, B. Bildung, C. Wirtschaft und Finanzen, D. Soziale Fragen und Gesundheit, E. Deutschland und Osteuropa/Verteidigung. Die einzige Stelle, an der sich die Partei im weiteren Sinne kulturpolitisch äußerte, war innerhalb des Bereichs A, dort im Abschnitt 3. Modernes Recht. Dort hieß es: »(3) Der Rückschritt durch die Konfessionalisierung des Rechts,
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Monat später in ihrem auf dem Bundesjugendtag in Berlin beschlossenen »Aktionsprogramm«274 dezidiert für eine »strikte Trennung« von Staat und Kirche aussprachen und diese Forderung durch fünf weitere Forderungen explizierten. So forderten sie erstens gleiche Rechte für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, jedoch keine Vorrechte, die zur Benachteiligung anderer führen könnten. In der zweiten Forderung konstatierten die Jungdemokraten einen Widerspruch zwischen der Existenz öffentlicher Konfessionsschulen und dem der weltanschaulichen Neutralität und Toleranz verpfl ichteten Erziehungsauftrag des Staates. Daraus resultierte die exklusive Zuständigkeit des Staates im Blick auf schulpolitische Fragen, so dass dahingehende Konkordatsbeschlüsse als obsolet zu erachten seien. Als drittes verlangten sie die Vermeidung bzw. Rückgabe einer Übertragung staatlicher Aufgaben auf kirchliche Institutionen. Mit der vierten Forderung proklamierten die Jungdemokraten indirekt die Abschaffung der Kirchensteuer, indem sie den Steuereinzug durch den Staat kritisierten und sich für eine autarke Beitragserhebung der Kirchen aussprachen. Die fünfte und letzte Forderung verwies die Frage nach der Religionszugehörigkeit des Bürgers in den Bereich des Privaten, was die Abschaffung einer solchen Nachfrage in öffentlichen Zusammenhängen implizierte. Das »Aktionsprogramm« komplementierend und konkretisierend fassten die Jungdemokraten drei weitere Beschlüsse zum Verhältnis von Staat und Kirche.275 wie er sich insbesondere in der 3. Legislaturperiode des Bundestages unter der absoluten Mehrheit der CDU/CSU ausgewirkt hat und so in Gesetz und Rechtsprechung noch heute fortdauert, muß rückgängig gemacht werden« (ebd., 181). Die hier vollzogene Kritik am Konfessionalismus der Rechtsprechung hatte ihren aktuellen Bezug in erneuten Konfl ikten im bildungspolitischen Bereich, hier insbesondere in einer Verschärfung der andauernden Auseinandersetzung über die Konfessionsschulen (vgl. Rede Hamm-Brücher auf dem BPT Hannover 3.–5. 4. 1967: »Konfessionalismus, Traditionalismus und Kulturföderalismus, das sind meiner Überzeugung nach die drei Bastionen, an denen bisher noch alle Wellen des bildungspolitischen Fortschritts gebrochen sind«; AdL A 1-325, Bl. 37). 274 Vgl. AdL 11263. Die folgenden Zitate ebd. 275 In ihrem ersten Beschluss sprachen sie sich erneut für die »weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule [als] für die einer modernen Gesellschaft einzig angemessene öffentliche Schulform« aus und appellierten unter Verweis auf die zweite These an die Länderparlamente, Eltern und Kirchen, »vorurteilslos die Einrichtungen von Gemeinschaftsschulen zu überprüfen« (Beschluss BJT Drucksache 19; AdL 11263). Der zweite Beschluss forderte die Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und dem Vatikan über die Auf hebung des Reichskonkordats von 1933 (vgl. Beschluss BJT Drucksache 25; ebd.). Beschluss 3 verlangte die Herauslösung der Kirchensteuer aus den bisherigen staatlichen Bindungen unter Einführung des »absolute[n] Freiwilligkeitsprinzips«. Die DJD betonten in diesem Zusammenhang ihre Übereinstimmung mit kirchlichen Kreisen und verwiesen dabei auf den hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje: »Die deutschen Jungdemokraten unterstützen voll den Wunsch kirchlicher Kreise, wie z. B. des hannoverschen Landesbischofs Dr. Hans [!] Lilje, den Kirchensteuerzwang von der bisherigen staatlichen Bindung zu lösen und das absolute Freiwilligkeitsprinzip einzuführen« (Beschluss BJT Drucksache 29; ebd.).
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Etwa zwei Monate später setzten auf Bundesvorstandsebene der FDP erste Beratungen über ein neues Grundsatzprogramm ein.276 Im Zuge dieser Beratungen über das Programm, das einerseits »den politischen Problemen gerecht« 277 werden, andererseits aber auch »in einem breiten Bevölkerungskreis werbend wirk[en]« 278 sollte, artikulierte man neben einer Präambel sieben Problemkreise, die in dem Programm diskutiert werden sollten. Das Verhältnis von Staat und Kirche fand innerhalb des dritten Problemkreises »Der einzelne und der Staat« seinen Raum, und die FDP sprach sich für ein voneinander unabhängiges Verhältnis beider zueinander aus.279 Ein erster Entwurf dieses Grundsatzprogramms ging auf Walter Scheel zurück, der diesen dem Bundesvorstand zur weiteren Beratung vorlegte.280 Im Blick auf die Frage, inwieweit dieser Entwurf sich kritisch mit dem Verhältnis von Staat und Kirche auseinandersetzte, ist dem Bericht Karlheinz Reichs zu entnehmen, dass die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche dort explizit als solche formuliert und durch bestimmte Forderungen veranschaulicht wurde.281 Im Zuge der Krise der Partei Ende 1967, die sich dann auch 1968 im Wechsel des Parteivorsitzes von Mende zu Scheel 282 zeigte, 276 Die Partei kam damit einem Beschluss des Hannoveraner Parteitages nach, dem nächsten Parteitag den Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms vorzulegen. 277 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 15./16. 7. 1967, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1960–1967, 750. 278 Ebd. 279 »Die FDP setzt sich für eine Trennung von Staat und Kirche ein, sollte dabei aber den Akzent darauf legen, daß es nicht so sehr auf die Trennung ankommt, sondern auf die Herbeiführung der Unabhängigkeit auf beiden Seiten« (ebd., 751). 280 Dies war einem Artikel Karlheinz Reichs mit dem Titel: »Ein Fortschritt zum modernen Liberalismus – Der Scheel-Entwurf für ein Grundsatz-Programm der FDP« zu entnehmen, den dieser in der Zeitung Im Blickpunkt veröffentlicht hatte (vgl. LStaD RW 62-186, Bl. 59 f.). Reich (*1945) war seit 1963 Mitglied der Braunschweiger FDP und während seiner Studienzeit Mitglied der Studentenverbände LSD und LHV. Von 1966 bis 1967 hatte er das Amt des Bundesgeschäftsführers des LSD inne. Reich lobte den 20 Thesen umfassenden Entwurf insgesamt als ein sich dem modernen Liberalismus verschreibendes Grundsatzprogramm, wobei er sich an einigen Stellen forschere Formulierungen wünschte: »Kampfthesen zur Abgrenzung gegen sozialistische, konservative, klerikale und nationalistische Vorstellungen sollten nicht gescheut werden« (ebd., Bl. 60 f.). Der Scheel-Entwurf konnte nicht im Archiv ausfi ndig gemacht werden. 281 »Endlich fi ndet eine bundesrepublikanische Partei den Mut zu sagen, daß hierzulande die Trennung von Kirchen und Staat noch nicht vollzogen ist und daß es mit der Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unvereinbar ist, daß staatliche ›Vollstreckungsorgane Aufgaben wahrnehmen, die zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Religionsgemeinschaften gehören.‹ (Kirchensteuer!) Die Rechtsprechung soll sich nicht mehr nach den ethischen Vorstellungen weltanschaulicher Gruppen (z. B. katholische Moral-Theologie) richten« (ebd., Bl. 59). Das Zitat im Zitat legt einen Bezug zum Scheel-Entwurf nahe. 282 Der 1919 in Solingen geborene Walter Scheel, ev., war seit 1946 Mitglied der FDP, seit 1956 als Mitglied des Bundesvorstandes. Dem Deutschen Bundestag gehörte er von 1953 bis 1974 an. Hatte seine Zugehörigkeit zu den Jungtürken im Jahre 1956 bereits seine sozialliberale politische Ausrichtung angedeutet, so gehörte er ebenfalls zum maßgeb-
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geriet dieser Entwurf zunächst in Vergessenheit, wurde dann aber durch den Einsatz der Jungdemokraten »wenigstens [. . .] einem begrenzten Kreis« 283 bekannt gemacht. Die Jungdemokraten waren es auch, die auf dem Ende Januar 1968 in Freiburg tagenden Bundesparteitag einen Textentwurf zum Grundsatzprogramm der FDP einbrachten, der neben der grundsätzlichen Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche die ersten beiden Thesen ihres »Aktionsprogramms« beinhaltete.284 Die Protokolle zum Bundesparteitag in Freiburg geben nun keinen Hinweis auf einen etwaigen Beschluss über ein Grundsatzprogramm. Die Tatsache, dass die Partei im Sommer des darauf folgenden Jahres die so genannte »Nürnberger Wahlplattform« 285 verabschiedete, legt nahe, dass die Diskussion über die Inhalte des ursprünglich geplanten Grundsatzprogramms länger dauerte, als zunächst angenommen, was wiederum auf die Pluralität der Meinungen innerhalb der FDP in jenen Jahren verwies und bestätigte, dass die Partei ihre Suche nach einem neuen Profi l, die insbesondere in den vergangenen Jahren der Oppositionszeit engagiert vorangetrieben worden war, keinesfalls abgeschlossen hatte.286 Ein Grundsatzprogramm, das die Partei auf Dauer auf eine einheitliche Linie festlegen würde, wurde daher abgelöst durch ein Wahlprogramm, das durch eher allgemeine Aussagen die Vielfalt der Partei zumindest ein Stückweit einen konnte. Das Bestreben, sich als eine von den Unionsparteien und der SPD unabhängige Partei zu profi lieren sowie die Kritik an der Großen Koalition, bestimmten dabei den Grundtenor der Plattform. In ihr enthalten war auch die nächste und im Blick auf das Kirchenpapier von 1974 gewichtigste programmatische Aussage der Partei zum Verhältnis von Staat und Kirche. Eine genaue Betrachtung ihres knapp ein Dreivierteljahr andauernden Entstehungsprozesses verweist dabei auf interessante Veränderungen im Blick auf die kirchenpolitischen Aussagen.287 lichen Verfasserkreis der »Freiburger Thesen« der Liberalen von 1971. Von 1969 bis 1974 war Scheel Bundesminister des Auswärtigen und Stellvertreter des Bundeskanzlers. Am 15. 5. 1974 wurde er zum Nachfolger Heinemanns in das Amt des Bundespräsidenten gewählt, das er bis 1979 ausübte. 283 Art. Reich; LStaD RW 62-186, Bl. 59. 284 Vgl. Antrag DJD zum Grundsatzprogramm; AdL A 1-374, Bl. 30. 285 Vgl. Praktische Politik für Deutschland – Das Konzept der F. D.P, verabschiedet vom 20. Ordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 25. Juni 1969 in Nürnberg, in: Verheugen, Das Programm, 15–32. 286 Kleff verweist in seiner Darstellung über die DJD auf die Äußerung Gerhart Baums, der hinsichtlich des Verbleibs dieses Grundsatzprogramms, dessen Abfassung 1967 beschlossen worden war und zu dem eine Kommission unter der Leitung Scheels einen Entwurf verfasst hatte, äußerte, es sei innerhalb des Bundesvorstandes »steckengeblieben« (Kleff, Geschichte, 132). 287 Nach einer Präambel gliederte sich die »Nürnberger Wahlplattform« in die vier großen Abschnitte I. Eine Verfassung für freie Bürger, II. Neue Lebenschancen in einer offenen Gesellschaft, III. Wirtschaftspolitik des Fortschritts und IV. Deutsche Politik für
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Eine vom Bundesvorstand Ende 1968 eingerichtete Kommission, die so genannte Plattformkommission, der Hans-Dietrich Genscher, Ralf Dahrendorf und der konservative Vorsitzende der bayrischen FDP Dietrich Bahner angehörten, hatte aus den »Sachentscheidungen des Bundesvorstandes, die zu den politischen Inhalten der Formulierung in einer ganzen Anzahl von Sitzungen« 288 getroffen worden waren, einen ersten Entwurf der »Wahlplattform« verfasst, der darauf hin vom Bundesvorstand in mehreren Sitzungen überarbeitet und schließlich dem Präsidium am 10. 4. 1969 zur Beratung vorgelegt wurde.289 Vergleicht man nun die kirchenpolitischen Aussagen dieser Fassung vom 10. 4. 1969 mit dem am 21. 4. 1969 vom Präsidium der FDP redaktionell überarbeiteten Entwurf I, so lässt sich zunächst eine Abschwächung erkennen, die sich sprachlich in einer Herausnahme appellativ-fordernder Formulierungen manifestierte und inhaltlich stärker die mögliche Kooperation mit den Kirchen betonte.290 Bemerkenswert war, dass man bereits einen Tag nach der Präsidiumssitzung den Entwurf an die Presse weitergeleitet hatte, mit der Absicht, ungewollten Teilveröffentlichungen und einer damit verbundenen verzerrten und unkorrekten Wiedergabe partieller Programmineine europäische Friedensordnung. Sie schloss mit einer Zusammenfassung. Die kirchenpolitischen Aussagen standen im Abschnitt I unter der Devise »Unabhängigkeit von Staat und Kirche«. 288 Einführungsrede Scheel zur Beratung der Wahlplattform auf dem Bundeshauptausschuss Mainz 28. 4. 1968; AdL A 12-74, Bl. 8 f. 289 Nebenbei erwähnt zeigten sich die Spannungen zwischen den neu aufstrebenden Linksliberalen in der Partei und den konservativ-liberalen Kräften auch am Entstehungsprozess der »Nürnberger Wahlplattform«. Hatte man 1967 zunächst ausschließlich den aufstrebenden Ralf Dahrendorf mit der Aufgabe betraut, ein liberales Programm zu konzipieren, so stellte man ihm schon ein Jahr später die eher konservativ ausgerichteten FDPPolitiker Genscher und Bahner zur Seite, die Dahrendorf ein Stück weit auf die aktuelle FDP-Politik einnorden sollten. 290 Vgl. Fassung für die Beratungen des Präsidiums am 10. 4. 1969: »Zum freiheitlichen Rechtsstaat gehört die Freiheit von Religionsausübung; das heißt: Freiheit der Kirche vom Staat und die Trennung des Staates von der Kirche. Die F.D.P. ist deshalb für die Verhandlungen mit den Kirchen: Bindungen, die die unabhängige Erfüllung der Aufgaben von Kirche und Staat verhindern, müssen gelöst werden. Dabei dürfen die Bindungen staatlicher Bildungspolitik an Konkordate und Kirchenverträge sowie Höhe und Prinzip der Kirchensteuer nicht ausgespart werden (oder: Staatliche Zuwendungen an die Kirche sowie Erhebungsart und Prinzip der Kirchensteuer müssen neu geregelt werden)« (AdL 183. Hervorhebung T. M. E.). Vgl. Entwurf I vom 21. 4. 1969: »In den Kirchen wird in einem neuen Selbstverständnis die Frage nach dem Verhältnis zum Staat neu gestellt. Zugleich bringen Verfassungsbeschwerden und Verfassungsgerichtsurteile zu Fragen der Kirchen wachsende Unsicherheit. Die F.D.P. hält daher den Zeitpunkt für gekommen, in Verhandlungen mit den Kirchen die organisatorische und sachliche Unabhängigkeit von Kirche und Staat zu sichern und für gemeinsame Aufgabengebiete eine unanfechtbare Rechtsgrundlage zu fi nden. Bei solchen Verhandlungen darf die Bindung staatlicher Bildungspolitik durch Konkordate und Kirchenverträge nicht ausgespart bleiben« (AdL A 1-384, Bl. 87. Hervorhebung T. M. E.).
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halte Einhalt zu gebieten.291 Ende April wurde der Entwurf I dem in Mainz tagenden Bundeshauptausschuss in einer ersten Lesung vorgelegt, und nach einer generellen Aussprache beschloss man, ihn in die Untergliederungen weiterzuleiten und dort bis Anfang Juni diskutieren zu lassen. Den Bundesvorstand beauftragte man mit der Bildung eines »Formulierungsausschuss[es], bestehend aus Mitgliedern des Präsidiums und der Wahlplattformkommission« 292 , der die eingegangenen Stellungnahmen bzw. Anträge aus den Landesverbänden beraten und dem am 8. 6. 1969 ebenfalls in Mainz tagenden Bundeshauptausschuss eine überarbeitete Version vorlegen sollte. Insgesamt neun Anträge lagen dem Bundesvorstand Anfang Juni zum Thema Kirche und Staat vor, sechs von ihnen hatten Einfluss auf den vom Formulierungsausschuss redaktionell überarbeiteten Entwurf II.293 Dieser Entwurf wurde dann dem Bundeshauptausschuss am 8. 6. vorgelegt, dort mit zwei Änderungen versehen und schließlich auf dem Ende Juni tagenden Bundesparteitag verabschiedet. Die kirchenpolitischen Aussagen der »Nürnberger Wahlplattform« hatten somit folgenden Wortlaut: »Die im Grundgesetz vorgesehene Trennung von Staat und Kirche ist nicht voll verwirklicht. Es bestehen gegenseitige Abhängigkeiten, die die Entscheidungsfreiheit sowohl der Kirchen wie des Staates beeinträchtigen oder beeinträchtigen können. Darum wird auch in den Kirchen in einem neuen Selbstverständnis die Frage nach dem Verhältnis zum Staat neu gestellt. Die F.D.P. hält daher den Zeitpunkt für Verhandlungen mit den Kirchen für gekommen, um – Konkordate oder Kirchenverträge abzulösen, durch die die staatliche Bildungspolitik gebunden wird, – die noch bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten staatlicher Stellen auf innerkirchliche Entscheidungen zu beseitigen, – die staatliche Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Abgabesystem zu ersetzen, – für die sozialen Aufgaben der Kirchen in der Gesellschaft aufgabengerechte staatliche Zuschüsse zu sichern. Die Verpfl ichtung, bei staatlichen Stellen oder bei Bewerbungen die Religionszugehörigkeit anzugeben, ist zu beseitigen.« 294
Ein Vergleich dieser Formulierungen mit denen des Entwurfes I verweist nun auf eine erneute Verschärfung der kirchenpolitischen Aussagen. War im Entwurf I der Zeitpunkt eines Überdenkens des Verhältnisses von Staat und Kirche durch die aktuelle Stimmungslage begründet worden (Reflexion der 291
Vgl. Praktische Politik, 325–362. Einleitung in die Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 28. 4. 1969; AdL A 1272, Bl. 23. 293 Bei diesen sechs Anträgen handelte es sich um Anträge der DJD (76) sowie der Landesverbände Niedersachsen (79), Berlin (81), Baden-Württemberg (81, 81c) und Hamburg (81b) (vgl. Änderungsanträge zum Bundeshauptausschuss Juni 1969; ebd., Bl. 58–60). Wie dem Protokoll des Bundeshauptausschusses zu entnehmen war, hatte das Präsidium zusammen mit Bahner und Dahrendorf auf der Grundlage dieser Anträge eine Formulierung aufgesetzt, die dann letztlich von Funcke konzipiert worden war. Wieder zeigte sich, dass Funcke in Sachen liberaler Kirchenpolitik die Ansprechperson war. 294 Praktische Politik für Deutschland, in: Verheugen, Das Programm, 18. 292
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Kirche über Selbstverständnis und Verhältnis zum Staat, wachsende Unsicherheit in der Bevölkerung), so argumentierte die »Wahlplattform« mit dem Grundgesetz bzw. der Verfassung und kritisierte die so genannte »hinkende Trennung« von Staat und Kirche, die sich in gegenseitigen Abhängigkeiten manifestiere, die zu einer Beeinträchtigung der jeweiligen Entscheidungsfreiheit führen könnte. Auch verwies das jeweilige Vokabular auf die unterschiedliche intentionale Ausrichtung beider Fassungen. So betonte der Entwurf I stärker die Kooperationsbereitschaft der FDP mit den Kirchen, was sich in Formulierungen wie »Unabhängigkeit von Kirche und Staat [. . .] sichern« 295 und »für gemeinsame Aufgabengebiete eine unanfechtbare Rechtsgrundlage [. . .] fi nden« 296 äußerte, wohingegen die »Wahlplattform« unter Verwendung des eher negativ konnotierten Ausdrucks »Trennung von Staat und Kirche« 297 auf die »gegenseitigen Abhängigkeiten« 298 verwies, die eine Beeinträchtigung der jeweiligen »Entscheidungsfreiheit« 299 zur Folge haben könnten. Der Entwurf I hatte keine konkrete Forderung enthalten, sondern lediglich darauf hingewiesen, bei etwaigen Verhandlungen zwischen Partei und Kirche den Bereich der Bildungspolitik zu thematisieren, der als dezidiert staatlicher Aufgabenbereich durch Konkordate und Kirchenverträge zu sehr auch von den Kirchen beeinflusst werde. Die »Wahlplattform« hingegen konkretisierte ihre Trennungsforderung in Form von fünf Forderungen.300 Worauf war nun diese erneute Verschärfung zurückzuführen? In ihren Ausführungen zur kirchenpolitischen Passage des Entwurfes II vor dem Bundeshauptausschuss betonte Funcke, sowohl die eingegangenen Stellungnahmen aus den Landesverbänden als auch die aktuelle Diskussion machten es erforderlich, klarer und konkreter als im Entwurf I zu formulieren, worum es der Partei bei ihrer Forderung nach Unabhängigkeit von Staat und Kirche gehe. Dass dieses Vorgehen nicht ihrer persönlichen Meinung entsprach, ging aus den Formulierungen hervor, die sie für ihre Aussage wählte: »Die Diskussion sowohl durch die Anträge als auch durch die von außen kommenden Meinungen zwingt uns jetzt, zu den Punkten, die wir aufgreifen wollen, nun auch einigermaßen klar etwas zu sagen [. . .].«301 Im Blick auf 295
Entwurf I vom 21. 4. 1969; AdL A 1-384, Bl. 87. Ebd. 297 Praktische Politik für Deutschland, in: Verheugen, Das Programm, 18. 298 Ebd. 299 Ebd. 300 Vgl. ebd. 301 Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 8. 6. 1969; AdL A 12-77, Bl. 90. Schon auf dem Bundeshauptausschuss im April hatte Funcke zu einer vorsichtigeren Formulierung geraten: »Die Chance der FDP, im Augenblick in kirchlichen Kreisen Resonanz zu fi nden, ist in beiden Konfessionen ungeheuer groß – gerade wegen unserer Thesen zur Deutschlandpolitik und wegen unserer sonstigen Thesen im staatspoli296
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mögliche Forderungen habe sie darauf hin aus allen in den Anträgen aufgeführten Punkten vier ausgewählt, anhand derer man die nicht voll durchgeführte Trennung von Staat und Kirche aufweisen bzw. über die man in Verhandlungen mit den Kirchen treten könne. Vermieden habe sie dabei die Forderungen, deren Umsetzung eine Verfassungsänderung erforderlich machen würde.302 Solche Forderungen enthielt bspw. der Antrag 76 der Jungdemokraten, die darin die »endgültige Trennung von Staat und Kirche« 303 verlangt hatten, was sich in den Forderungen nach einer Abschaffung der Kirchensteuer, der Abschaffung des Religionsunterrichts, Auflösung der öffentlichen Konfessionsschulen und -hochschulen, Eingliederung der Theologischen Fakultäten an den Universitäten als religionswissenschaftliche Abteilungen in die Philosophischen Fakultäten, Abschaffung des Militärkirchentums, der Ungültigkeitserklärung des unter Hitler abgeschlossenen Reichskonkordats sowie des Verbotes der erzwungenen Bekanntgabe religiöser Zugehörigkeit explizierte.304 Der Landesverband Baden-Württemberg hatte sich in seinem Antrag 81 diesen Jungdemokratenforderungen angeschlossen. Die Forderung nach Ablösung der Konkordate sowie des Kirchensteuersystems, der Abschaffung staatlicher Einwirkmöglichkeiten auf innerkirchliche Entscheidungen sowie die Zusicherung staatlicher Zuschüsse für die sozialen Aufgaben der Kirche erachtete Funcke somit als angemessene Verdeutlichung dessen, was ihre Partei unter einer Unabhängigkeit von Kirche und Staat verstand. Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang die Begründung zur Aufnahme der vierten Forderung, die Funcke im Sinne einer Ruhigstellung der Kir-
tischen Bereich, die ich hier nicht aufzuzählen brauche. Es wäre unklug, nun ausgerechnet mit einer massiven Forderung: ›Trennung von Staat und Kirche besser gestern als heute‹ dort nun wieder neues Mißtrauen zu schaffen, denn den Liberalen hängt nun mal der ›Kulturkampf‹ noch irgendwie an« (Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 28. 4. 1969; AdL A 12-75, Bl. 18. Hervorhebung T. M. E.). 302 Es ist anzunehmen, dass Funcke an dieser Stelle die Rede Genschers auf dem Bundeshauptausschuss 1968 in Bad Godesberg berücksichtigte, in der dieser hinsichtlich des Wahlprogramms und seiner Umsetzung konstatiert hatte, man wolle »die Glaubwürdigkeit dieses Wahlprogramms dadurch unterstreichen, daß wir für alle Fragen, die einer gesetzlichen Initiative bedürfen, der Öffentlichkeit zusammen mit dem Beschluss der Wahlkampfplattform einen Gesetzentwurf vorlegen, um damit zu zeigen, daß es uns ernst ist mit der Durchsetzung dieser Vorstellungen« (Rede Genscher auf dem Bundeshauptausschuss Bad Godesberg 30. 11. 1968; AdL A 12-71, Bl. 86). 303 AdL A12-77, Bl. 53. 304 Die DJD hatten jene Forderungen auf ihrem Bundesjugendtag im Mai 1969 beschlossen (siehe dazu Kap. II.1.2.). Interessanterweise nahmen sie in diesem Antrag nur zwei der fünf Forderungen auf, die sie in ihrem 1967 beschlossenen »Aktionsprogramm« aufgeführt hatten. Deutlicher noch als die Forderungen des »Aktionsprogramms« verwiesen diese Forderungen auf das Jungdemokratenpapier von 1973.
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chen, insbesondere der katholischen Kirche, unbedingt aufgenommen wissen wollte: »Wir müssen den Kirchen also die Sicherheit geben, daß ihnen in diesen Verhandlungen nicht etwa das Recht bestritten wird, daß die Kirchen nicht vorrangig, sondern auch Kindergärten oder karitative Einrichtungen schaffen können. [. . .] Ich glaube, dieser letzte Passus ist wichtig, weil insbesondere aus dem katholischen Raum gegen uns mit dem etwas primitiven Hinweis agiert wird, die FDP schaffte die Kindergärten ab.« 305
Wie bereits angeführt, wurde der von Funcke vorgestellte Entwurf II vom Bundeshauptausschuss mit zwei Änderungen beschlossen. Die erste Änderung bezog sich auf eine Umstellung des Satzes, der den innerkirchlichen Reflexionsprozess im Sinne eines neuen Selbstverständnisses der Kirche wiedergab, das die Frage nach dem Verhältnis zum Staat implizierte (Satz 3 der »Nürnberger Wahlplattform«). Der Satz hatte demnach, wie auch im Entwurf I, am Anfang des Entwurfes II gestanden, daran schlossen sich die Sätze zum Grundgesetz sowie den gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Staat und Kirchen an. In der Aussprache zum vorliegenden Entwurf II hatte Gerhard Moritz Meyer, Mitglied des Landesverbandes Hamburg, kritisiert, dass eine solche Satzstellung impliziere, die Forderung der FDP nach einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche sei letztlich abhängig von »kircheninternen Vorgängen«306 . Auf Vorschlag Genschers hin stellte man somit die Sätze um und bekundete auf diese Weise die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche als von den Kirchen unabhängige Forderung. Die zweite Änderung betraf den letzten Satz der »Wahlplattform«, der in dem ursprünglichen Entwurf II nicht vorgesehen war. Gerd Achterberg, Jungdemokrat und Delegierter des Landesverbandes Schleswig-Holstein, plädierte für die Aufnahme des letzten Satzes des baden-württembergischen Antrags 81, der das Verbot der erzwungenen Bekanntgabe religiöser Zugehörigkeit zum Inhalt hatte.307 Die letztlich in der »Wahlplattform« gewählte Formulierung ging erneut auf Funcke zurück, die die Möglichkeit zur Preisgabe des religiösen Bekenntnisses nach wie vor gewährleistet wissen wollte, sich jedoch auch gegen den Zwang einer solchen Preisgabe aussprach. Die »Wahlplattform« wurde so vom Bundesparteitag am 25. 6. 1969 in Nürnberg beschlossen. Ein Antrag des Landesverbandes Bayern, der eine erneute Umstellung der ersten drei Sätze im Sinne des ursprünglichen Entwurfes II gefordert hatte, wurde 305 Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 28. 4. 1969; AdL A 12-77, Bl. 92 f. 306 Ebd., Bl. 93. 307 Es ist interessant, dass er als Jungdemokrat nicht auf den Antrag 76 der DJD rekurrierte, der letztlich identisch mit dem baden-württembergischen Antrag war.
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abgelehnt. Mit dieser redaktionellen Änderung hatte der Landesverband die Absicht verfolgt, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermeiden, die FDP wolle sich »in irgendeinem härteren Sinn kirchenfeindlich [. . .] betätigen.«308 2.3. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche: 1969 bis 1972309 Die Ergebnisse der Wahlen zum sechsten Bundestag im Herbst 1969, in den die FDP mit ihrem Slogan »Wir schneiden die alten Zöpfe ab« gegangen war, brachten der FDP mit nur 5,8% und damit einem Stimmenverlust von 3,7% das schlechteste Ergebnis in ihrer Parteigeschichte. Die Bundestagswahlen spiegelten die aktuelle Situation der liberalen Partei wider, deren innere Zerrissenheit und Heterogenität, hervorgerufen durch parteiinterne Kämpfe zwischen konservativen und progressiven Kräften, deutlicher denn je zutage trat. Verschärft wurden diese Differenzen durch die zwischen Walter Scheel und Willy Brandt aufgenommenen Verhandlungen hinsichtlich einer sozialliberalen Regierungsbildung, die letztlich zu einer erneuten Spaltung bzw. Abspaltung von der FDP führten. Denn obschon der Wechsel des Parteivorsitzes von Mende zu Scheel 1968 bereits auf das hingedeutet hatte, was man gemeinhin als »Wende [der FDP] von der national- zur linksliberalen Orientierung«310 bezeichnete, galt diese wohl einschneidendste Wandlung der Partei, die sich in der Koalition mit der SPD manifestierte, erst 1971 mit den »Freiburger Thesen« als abgeschlossen. Die sozialliberale Koalition, die im Anschluss an die Wahlen im Herbst 1969 zwischen den Parteivorsitzenden Scheel und Brandt vereinbart wurde, stieß somit zum Teil auf große Kritik in der FDP.311 Zugleich hatte die Wahlanalyse zur Bundestagswahl gezeigt, dass die dazu gewonnenen Wählerstimmen aus der SPD auf jene Koalition reüssierten.312 In NRW manifes308
Begründung des Antrags 8 des Landesverbandes Bayern auf dem BPT Nürnberg 23.–25. 6. 1969; AdL A 1-389, Bl. 65. 309 Die ausführliche Darstellung der kirchenpolitischen Aktivitäten der FDP ab 1973 im folgenden Kapitel rechtfertigt die an dieser Stelle gesetzte Zäsur, welche nicht dem tatsächlichen Verlauf entspricht. 310 Lehmann, Deutschland-Chronik, 213. 311 »Während die Abstimmung für den ›SPD-Kandidaten Heinemann‹ nur auf relativ geringe Ablehnung stieß, war der Dissens in der Koalitionsfrage erheblich: über ein Viertel der über das Abstimmungsergebnis informierten FDP-Anhänger lehnte eine Regierungsbildung mit der SPD ab« (Zülch, Partei, 63). 312 Hinsichtlich der Wählerfluktuation hatte man zwei Tendenzen festgestellt; zum einen eine Abwanderung von der FDP zugunsten der CDU, die wiederum zugleich einen überproportionalen Verlust gegenüber der SPD zu verzeichnen hatte; zum anderen eine Zuwanderung von der SPD zur FDP, die beide Teile, den der konstanten FDP-Wählerschaft und den der ehemaligen SPD-Wähler unter der aktuellen FDP-Wählerschaft fast gleichgroß erscheinen ließen (vgl. Analyse des Ergebnisses der Bundestagswahl vom 28. 9. 1969; AdL A 12-81, Bl. 103–115).
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tierte sich die Kritik an der sich abzeichnenden linksbürgerlichen Ausrichtung der Partei in der Gründung der National-Liberalen Aktion.313 Auch bei den Wählerschaften der FDP lösten die parteiinternen Konfl ikte zunehmend Unsicherheit aus, worauf nicht nur das Bundestagswahlergebnis, sondern auch die Ergebnisse der Landtagswahlen verwiesen. Erst der Bruch mit den Nationalliberalen, der sich mit der Bestätigung Scheels als Parteivorsitzender auf dem Bundesparteitag 1970 ankündigte und sich schließlich im Oktober 1971 mit dem Wechsel der national-konservativen Liberalen Erich Mende, Heinz Starke und Siegfried Zoglmann zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion endgültig vollzog, vermochte zu einer erneuten Konsolidierung der FDP und damit endlich auch der sozialliberalen Regierung beitragen.314 Die »Freiburger Thesen«, das Manifest des Sozialliberalismus, bestätigten das Bündnis mit der Sozialdemokratie, und ihr Inhalt bot gleichsam die »ideologische Grundlage«315 sozialliberaler Kooperation. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im November 1972 hatte die FDP ihren neuen politischen Standort eingenommen, was 8,4% der Stimmen sowie die erneute Bestätigung der sozialliberalen Regierung belegten. Im Blick auf die Kirchenpolitik der FDP in den Jahren der sozialliberalen Regierung war festzustellen, dass die Partei erst fünf Jahre nach der »Nürnberger Wahlplattform« ihre nächste programmatische Aussage zum kulturpolitischen Bereich Kirche, Religion und Christentum traf, als sie im Oktober 1974 ihr umstrittenes und vieldiskutiertes Kirchenpapier »Freie Kirche im freien Staat«316 beschloss. In den »Freiburger Thesen« von 1971 blieb der Bereich der Kulturpolitik komplett ausgespart, ein Umstand, den der liberale Kulturpolitiker Luchtenberg nach Beschluss der Thesen scharf kritisierte.317 313 Am 21. 6. 1970, einen Tag vor dem FDP BPT in Bonn, gründete der nationalkonservative Sudetendeutsche Siegfried Zoglmann, ehemaliger höherer HJ-Führer, in Wuppertal die NLA. Er stellte die FDP vor die Wahl, entweder Scheel abzuwählen und zur rechtsliberalen Politik zurückzukehren, oder aber der NLA als Konkurrenzpartei beizutreten, mit dem Ziel, die sozialliberale Koalition aufzulösen (vgl. Kleff, Geschichte, 148). 314 »Mit Mende, Zoglmann und anderen hatte die FDP jene Anhänger verloren, die in jungen Jahren vom Krieg – den sie als Soldaten erlebt hatten – und teilweise auch vom Nationalsozialismus geprägt worden waren, und die sich nach 1945 der FDP als einer nationalorientierten Partei angeschlossen hatten, von der sie wollten, daß sie auch ehemalige Nationalsozialisten in die Nachkriegsgesellschaft integriere. Diejenigen Mitglieder, welche den generationsspezifi schen Hintergrund zur Naumann-Affäre geliefert hatten, trennten Welten von den nun – ab 1968 – in die Partei strömenden jungen Akademikern, in deren politischer Sozialisation die Studentenbewegung einen hohen Stellenwert einnahm« (Dittberner, FDP, 119). 315 Lösche, Geschichte, 14. 316 Vgl. F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.)., Thesen der F.D.P. 317 »Zutiefst enttäuscht bin ich darüber, daß in Freiburg kein Wort zur Situation der Kulturpolitik gefallen ist, obgleich Zeitung und Rundfunk tagtäglich mit geradezu un-
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Auch in ihrem »Wahlaufruf«318 zur vorgezogenen Bundestagswahl 1972 vermied die FDP jegliche kirchenpolitische Äußerung, stattdessen betonte sie unter Verweis auf die »Nürnberger Wahlplattform«, ihr Wahlprogramm »weitgehend verwirklicht, ihren Wählerauftrag gewissenhaft wahrgenommen und ihre Pfl ichten als Wahrer liberaler Grundsätze getan zu haben«319, ein Statement, das zumindest im Blick auf die 1969 gemachten kirchenpolitischen Aussagen nicht ganz zutraf. Darauf verwiesen auch zwei Anträge, die beide aus dem Landesverband NRW kamen. Auf dem ordentlichen Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP vom 23. bis 25. 4. 1971 in Dortmund stellte der Kreisverband Eneppe-Ruhr einen Antrag, in dem er die Verwirklichung der »im Grundgesetz vorgegebene[n] Trennung von Staat und Kirche« 320 forderte. In der Antragsbegründung bezog er sich dabei auf das Wahlversprechen der FDP von 1969: »Seit der Verabschiedung der Nürnberger Wahlplattform ist auf dem Gebiet des Verhältnisses von Staat und Kirche nichts geschehen. Allenthalben wird jedoch das Unbehagen zu der bestehenden Situation deutlich. Wir dürfen dazu nicht schweigen. Wer die Kirchen als staatserhaltende Faktoren benutzen will oder den Staat benötigt, um die Menschen in den Kirchen zu halten, mißbraucht die Gläubigkeit der Menschen aufs schändlichste. Wir sollen immer wieder aufzeigen, welche Maßnahmen für die Wahrhaftigkeit unter den Menschen nötig sind.« 321
Der Landesparteitag stimmte dem Antrag zu. Im Frühjahr des darauf folgenden Jahres erreichte den Bundesvorstand ein Antrag des Landesverbandes NRW, der unter Verweis auf die Formulierungen der »Nürnberger Wahlplattform« die Bundespartei und Bundestagsfraktion aufforderte, diese »eindeutige Wahlaussage nunmehr zu verwirklichen.«322 Der Bundesvorstand verwies den Antrag zu weiterer Beratung in das Präsidium, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Auch die Kontaktaufnahme zwischen den Jungdemokraten und der Humanistischen Union von Ende November 1971 bezüglich einer Kooperation zum Thema Staat und Kirche kann als Kritik an einer noch nicht verwirklichten aber formulierten liberalen Kirchenpolitik verstanden werden.323 glaublichen Tatsachenberichten aufwarten. – Man sage mir jetzt nicht, die Kulturpolitik gehöre nach dem Grundgesetz in die Kompetenz der Länder und könne daher auf einem Bundesparteitage nicht behandelt werden; denn wir Freien Demokraten haben den kulturpolitischen Hyperföderalismus seit eh und je abgelehnt und bekämpft« (Ansprache Luchtenberg bei der 25 Jahr-Feier der FDP Opladen; LStaD RW 62-279). 318 Vgl. Wahlaufruf Vorfahrt für Vernunft 1972, in: Verheugen, Das Programm, 163– 165. 319 Ebd., 165. 320 Antrag 20 des Kreisverbandes Enneppe-Ruhr; LStaD RWV 49-171. 321 Ebd. 322 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 17. 3. 1972; AdL 169. 323 Siehe Kap. II.
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Die Tatsache, dass die FDP keine Anstalten machte, ihre 1969 aufgestellten kirchenpolitischen Forderungen zu verwirklichen, mag auch aufgrund der Deutlichkeit jener Aussagen zunächst verwundern, sie ist jedoch zugleich leicht zu erklären. Mit der sozialliberalen Koalition änderte sich die Kirchenpolitik der liberalen Partei erneut. Sie zeichnete sich nun weniger durch programmatische Aussagen als vielmehr durch eine verstärkte Intensivierung und Bemühung um Kontakte zu den Kirchen aus. So verlor die Partei keineswegs das Interesse an der kirchenpolitischen Arbeit, jedoch versuchte sie sich dahingehend der Politik ihrer Koalitionspartnerin anzugleichen, wohingegen die kirchenpolitischen Aussagen der »Nürnberger Wahlplattform« noch im Sinne einer Abgrenzung sowohl von der Kirchenpolitik der Unionsparteien als auch der SPD verstanden werden mussten. Die SPD hatte es Anfang der 1970er Jahre geschafft, sich als eine Partei zu etablieren, die für Katholiken zusehends attraktiver wurde und eine echte Alternative zu den Unionsparteien darstellte. Die im Folgenden darzustellenden Bemühungen der liberalen Partei um die katholischen Kreise, die man als Reformkatholiken bezeichnete, müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.
3. Das Verhältnis zur katholischen Kirche 3.1. Liberalismus, Katholizismus und katholische Kirche Historisch betrachtet existierte der grundlegende Konfl ikt zwischen »einem Liberalismus, der das Staatswesen modernisieren wollte, und einem politischen Katholizismus, der den Rest alter Privilegien verteidigen wollte« 324 seit Auf kommen des Liberalismus in Europa im 19. Jahrhundert. Er entlud sich in zahlreichen Kontroversen zwischen den Mächten Staat und römischkatholischer Kirche. So war auch der so genannte Kulturkampf der Jahre 1870 bis 1886 kein geschichtliches Novum, jedoch wirkten sich gerade die Ereignisse in Preußen so nachhaltig auf das Verhältnis von Liberalismus und Katholizismus bzw. katholischer Kirche, aber auch konfessionell auf das zwischen Katholiken und Protestanten aus, dass der Ballast dieser Geschehnisse vielfach noch heute die Diskussion bestimmt.325 324
Hauschild, Lehrbuch Band II, 810. »Noch heute wird man in einem durchschnittlichen Konveniat katholischer Geistlicher feststellen, daß kirchenkritisch bis antiklerikal eingestellte Zeitgenossen als ›Liberale‹ gebrandmarkt werden. Die Identifi kation des Liberalen mit dem Typus des Antikirchlichen läßt sich in der Ideengeschichte zurückverfolgen auf die geistige Auseinandersetzung, die insbesondere der katholischen Kirche das Zeitalter des Liberalismus in seinem Ausgang bescherte« (Dölken, Katholische Sozialtheorie, 24). Auch bei der Diskussion des Kirchenpapiers in den Jahren 1973/74 zogen einige Kritiker, darunter auch FDP-Partei325
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Distanz und Ablehnung bestimmten seitdem das Verhältnis von Liberalismus, Katholizismus und katholischer Kirche; ein Zustand, der fast ein Jahrhundert lang andauerte und sich in zahlreichen Konfl ikten manifestierte. Scholz charakterisierte Anfang der 1990er Jahre diesen grundlegenden Konfl ikt, der seit dem Ende des Kulturkampfes die Beziehung zwischen Liberalismus und Katholizismus bestimmte, als »Streit um die Freiheit in der Moderne«326 . Seine Hypothese konstatiert einen »grundsätzlichen Widerspruch«327 des katholischen Denkens »zur Modernisierung [. . .] und darum auch zum politischen Liberalismus.«328 Dieser Konfl ikt müsse insofern als weltanschaulicher Konfl ikt bestimmt werden, als er sich ganz konkret am jeweiligen Blickwinkel auf die Welt festmache: »Für die meisten Liberalen war es eine Welt, die durch die in ihr ablaufenden Prozesse der Modernisierung dem einzelnen die Möglichkeit bot, sich in ihr zu verwirklichen [. . .]. Darum hatten sie ein Interesse an politischer Freiheit, an Beseitigung hemmender Traditionen und Institutionen, an Fortschritt, Leistung, Verfassung, Rechtsstaatlichkeit.« 329
Für die Katholiken hingegen war die Welt »ein Bereich, gegen dessen immanente Prozesse man sich zu bewähren hatte. Es ging ihnen nicht in erster Linie um das Ausnutzen von Chancen, sondern um die Sicherung des ewigen Heils. Die sich modernisierende Welt war deshalb so zu gestalten, daß sie dieses Ziel nicht gefährdete [. . .], darum auch die Forderung, das ganze Leben in allen gesellschaftlichen Bereichen an die Maßgaben der von der Kirche vermittelten Religion zu binden.«330 In eine ähnliche Richtung argumentierte Wiehn Anfang der 1970er Jahre:
mitglieder, Parallelen zum Kulturkampf und erhoben den Vorwurf, man wolle diesen wieder neu aufleben lassen (vgl. u. a. Art. »Die Fahne hoch für einen neuen Kulturkampf«, in: Regensburger Bistumsblatt von Januar 1973; Art. »Das Gesprächsangebot der Liberalen an die Kirchen; Der Parteitagsentwurf ›FKiFS‹ ist kein Dokument des Kulturkampfes«, in: StZ vom 30. 9. 1974; Art. »FDP auf dem Weg in den Kulturkampf ? 13 Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche verabschiedet«, in: KNA Nr. 140 vom 2. 10. 1974). Auf liberaler Seite assoziierte Juling in seinem Aufsatz »Kirchendiskussion ohne »K(r)ampf« die Thesen der DJD mit den Kulturkampfzeiten (vgl. liberal 1973, 779–784). Ebenso wies Hamm-Brücher in ihrer Stellungnahme zum Kirchenpapier auf dem BPT der FDP 1974 auf die Gefahr jener Assoziation hin: »Wer will verantworten, wenn neuerlich Kirchenund Kulturkampftöne auf kommen [. . .]?« (epd Dok. 50/1974, 31). Auch Werner Klumpp, Bundesvorstandsmitglied und Vorsitzender des Landesverbandes Saar, hielt dazu an, ein »Kulturkampf klima« zu vermeiden (vgl. epd West Nr. 102 vom 6. 9. 1973). Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. 326 So der Titel seiner Dissertation (vgl. Scholz, Streit). 327 Wiehn, Katholizismus, 46. 328 Ebd. 329 Ebd., 69. 330 Ebd., 69 f. Hervorhebung T. M. E.
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»Eine Öffnung des Katholizismus zur Welt hat bisher kaum noch stattgefunden, und je mehr sich die Gesellschaft zu einer offenen Gesellschaft entwickelt, um so mehr scheint sich der Katholizismus in dieser offener werdenden Gesellschaft zu verschließen, in sich selbst zu verschließen und zu einer quasi-geschlossenen ›Gesellschaft‹ zu werden, einer sich zunehmend verkleinernden allerdings.« 331
Der in diesem Zitat angesprochenen Geschlossenheit der katholischen Kirche stellte Wiehn die Kategorie der Offenheit gegenüber, die er dem Liberalismus zuschrieb. Dabei ging er über ein bloß räumliches Verständnis der Begriffe (etwa im Sinne einer Hin- und Abwendung zu bzw. von etwas) hinaus, indem er sie mit den Prinzipien der Gewissheit bzw. Ungewissheit verband: »Das Prinzip der Gewißheit beinhaltet die Annahme, daß wir grundsätzlich wissen können, was wahr und was gut ist. Das Prinzip der Ungewißheit beinhaltet die Annahme, daß wir grundsätzlich nur wissen können, was falsch und schlecht ist, daß uns aber jede Einsicht in eine endgültige Wahrheit oder Gutheit versperrt bleibt. Aus dem Prinzip der Gewißheit folgt daher die Setzung von ›Inhalten‹, die Dogmatisierung von Entwürfen, der Plan und die Planrationalität, die geschlossene kirchliche Gesellschaft, der Katholizismus. Aus dem Prinzip der Ungewißheit folgt dagegen die Setzung von ›Regeln‹, die jede Dogmatisierung eines Entwurfs des Wahren und Guten gerade verhindern sollen, es folgen also der Markt und die Marktrationalität, die offene Gesellschaft, die Liberalität.« 332
Die in diesem Sinne verstandene Offenheit eines Liberalismus, der sich als Konsequenz aus dem Prinzip der Ungewissheit versteht, und die Geschlossenheit des Katholizismus, der sich an das Prinzip der Gewissheit bindet, bestimmen nach Wiehn somit die »Permanenz der Kontroverse«333, die Diametrie des Verhältnisses von Liberalismus und Katholizismus zur Moderne und damit gleichsam zu Gesellschaft, Staat und Demokratie.334 Offenheit versus Geschlossenheit, Modernität versus Antimodernismus, Ungewissheit versus Gewissheit, Rationalismus versus Totalitätsanspruch 335 – derart stereotype Gegenüberstellungen vermögen es nicht, die Probleme des Verhältnisses von Liberalismus und Katholizismus hinreichend zu be331
Wiehn, Katholizismus, 3. Ebd. Ralf Dahrendorf betont die »Notwendigkeit der Erhaltung einer Mehrzahl von Entscheidungsentwürfen und ihrer Wechselwirkung in allen Bereichen, für die die Annahme der Ungewißheit gilt« (Dahrendorf, Ungewißheit, 51). 333 Wiehn, Katholizismus, 45. 334 »Aus diesem Prinzip der Ungewißheit resultiert die These, daß die freie Gesellschaft darum das höchste Ziel der Politik sein muß, weil die gerechte Gesellschaft nicht erkannt werden kann« (ebd., 43). 335 So die Deutung der Spannung durch Mende: »Die katholische Kirche hat Mißtrauen gegen die zum Teil sehr rationalen Argumente des Liberalismus; der Liberale wiederum hat Sorge, daß der Totalitätsanspruch der katholischen Kirche an und auf den Menschen zu Schwierigkeiten im schulischen, im kulturpolitischen Bereich führen kann« (Mende, Kirche, 77). 332
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schreiben. Als abstrakt geführte Argumentation vernachlässigen sie Tendenzen und Nuancierungen, die eine Aufweichung der starren Polarisierung zur Folge haben könnten.336 Dennoch sollen sie im Blick auf die Funktion des Abschnittes, generelle Aussagen über das Verhältnis von Liberalismus und Katholizismus aufzuweisen, zunächst so stehen bleiben. 3.2. FDP und katholische Kirche 1949 bis 1969: Fortwährende Distanz In dem Einsatz der FDP gegen eine Vermischung von Politik und Religion war die katholische Kirche aufgrund ihrer engen Verbindung zu den Unionsparteien ihre maßgebliche Adressatin. Die daraus resultierenden Konfl ikte, zu denen sich »gewisse Reste wechselseitigen Mißtrauens« 337 gesellten, die der konfl iktreichen Geschichte von Katholizismus und Liberalismus geschuldet waren, begründeten die dauerhafte Distanz zwischen der Partei und der Kirche, die erst Anfang der 1970er Jahre leicht aufzubrechen begann, dann jedoch durch die Kirchenpapierdiskussion erneut verstärkt wurde. Die Kontakte zwischen FDP und katholischer Kirche in dem angegebenen Zeitraum waren spärlich und beschränkten sich auf einzelne, sporadische Begegnungen. Die Bemühungen des Prälaten Wilhelm Böhler im Jahre 1949, mit Theodor Heuss auch außerhalb der Beratungen über das Grundgesetz in einen Dialog zu treten, stießen auf kein Gehör. Heuss ignorierte Böhlers Kontaktversuche, was wiederum dazu führte, dass sich umgekehrt auch Kardinal Joseph Frings, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, nicht in der Lage sah, der kurz darauf erfolgten Bitte des FDP-Parteivorsitzenden Blücher um eine Audienz nachzukommen.338 Einige Kontakte zwischen Liberalen und Katholiken ergaben sich aus der Tätigkeit des liberalen Politikers Thomas Dehler als Bundesjustizminister, die jedoch primär dem Amt Dehlers und weniger persönlichen Ambitionen verpfl ichtet waren. In den folgenden Jahren wurde das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der FDP in zunehmenden Maße von Auseinandersetzungen bestimmt, die mit den von der FDP stark kritisierten Entwicklungen einer »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« der Unionsparteien sowie des öffentlichen Lebens im Allgemeinen einhergingen. Im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen 1953 wandelte sich die bisherige »verdeckte Kritik« 339 der 336
Ein langsames Auf brechen des starren und belasteten Verhältnisses kann mit dem Zweiten Vatikanum und der sich allmählich vollziehenden Liberalisierung von Teilen der katholischen Kirche angesetzt werden, wenngleich die Folgen des Konzils unterschiedlich bewertet wurden. 337 Mende, Kirche, 77. 338 Vgl. Schewick, Entstehung, 102 ff. 339 Gauly, Kirche, 167. Gauly bezeichnet die Kritik insofern als verdeckt, als dabei
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katholischen Kirche gegenüber den Liberalen in eine offene.340 Ende 1952 legte der Katholik Mende Beschwerde beim Bundeskanzler Adenauer ein, da er sich schweren Diffamierungen seitens der katholischen Kirche bzw. der Unionsparteien, denen die FDP den »Mißbrauch der katholischen Geistlichkeit zu politischen Zwecken«341 vorwarf, ausgesetzt sah. In seinem Schreiben an den Bundeskanzler von Mitte Oktober bat er diesen in seiner Funktion als Parteivorsitzender der CDU, seine Missbilligung dieses Verhaltens gegenüber den verantwortlichen CDU-Mitgliedern zum Ausdruck zu bringen. Auch der NRW-Landesverbandsvorsitzende Friedrich Middelhauve berichtete in einem ausführlicheren Brief an den Kanzler über eine Fülle von Beispielen öffentlicher Denunziationen, die sich in der letzten Zeit im Landesverband ereignet hatten.342 Middelhauve äußerte seine Enttäuschung über den Koalitionspartner, der dazu übergegangen war, »die Reimmer auch die Tatsache berücksichtigt wurde, dass FDP und die Unionsparteien seit 1949 eine Regierung bildeten. 340 Wie offen diese Kritik zum Teil war, zeigte ein anonym veröffentlichtes, an die katholische Wählerschaft gerichtetes Flugblatt (vgl. Flugblatt: katholische Wähler!; AdL N 1-3065. Die folgenden Zitate ebd.) Leider ist nicht mehr zu ermitteln, wo dieses Flugblatt in Umlauf gebracht wurde. Das Flugblatt richtete sich gleichermaßen gegen Sozialismus und Liberalismus, die beide als »gleich antichristlich[e]« Weltanschauungen mit »gleicher Schärfe verurteilt« wurden. Es folgten Zitate verschiedener Päpste, in denen der Liberalismus als »todbringende Seuche« und »Irrlehre im Gegensatz zur Lehre der Hl. Schrift und der Kirche« bezeichnet wurde. Die in dem Papier gestellte Frage »Katholiken für Liberalismus?« blieb somit eine rhetorische. 341 Art. »Weiter klerikale Hetze gegen FDP«, in: RSB 9/1952 vom 7. 11. 1952, 7. So berichtete Mende, die »katholische Geistlichkeit« habe nach Bekanntwerden einer FDPWahlversammlung in der Nähe von Aachen, an der er teilhaben sollte, eine »Sonder-Betstunde« parallel dazu angesetzt, auf der ein anonymes, die FDP schädigendes Flugblatt verteilt wurde, das folgenden Inhalt hatte: »Was will die FDP? Sie will die christliche Bevölkerung für ihre liberalistischen, also unchristlichen Ziele, durch bauernfängerische Propaganda gewinnen. [. . .] Wo steht die FDP? Sie steht weltanschaulich in einer Linie mit SPD und KPD. [. . .] Was ist die FDP? Sie ist das Sammelbecken aller Unzufriedenen, also derer, die sich bis 1951 nicht am demokratischen Auf bau unserer Stadt und unseres Kreises beteiligten« (Art. »Unerhörte CDU-Provokationen in Monschau! Dr. Mende beschwerte sich beim Bundeskanzler«, in: ebd. 6/1952 vom 17. 10. 1952, 2). Der Verdacht Mendes, dass die Initiative für diese Aktion auf einen bestimmten CDU-Abgeordneten zurückzuführen war, bestätigte sich kurz darauf. 342 Dazu gehörten u. a. negative Pressemitteilungen von der CDU nahe stehenden Zeitungen über die FDP in Verbindung mit Wahlaufrufen für die CDU (RP) sowie polemische Äußerungen über die liberale Partei in Wahlreden der CDU. Vgl. Art. »Weiter klerikale Hetze gegen FDP«, in: ebd. 9/1952 vom 7. 11. 1952, 7. In einem sich anschließenden Artikel wurde von weiteren Vorfällen dieser Art berichtet. So hatte eine Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände und Organisationen des Bistums Münster einen Wahlaufruf gestartet, der aus »Gewissensentscheidung« nur die »christlichen Parteien« zur Wahl empfahl. In einem anderen Fall hatte ein Geistlicher den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier als einen »Banditen« bezeichnet, worauf hin Strafanzeige gegen ihn gestellt wurde (Art. »MdB Glasmeier: ›FDP bekenntnis- und religionsfeindlich‹«, in: ebd., 9).
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ligion als Mittel der Wahlagitation einzusetzen«343, und verwies in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit, angesichts dieses Ereignisses innerhalb der eigenen Partei »den Unwillen [. . .] in Schranken zu halten.« 344 Maßgebliche Konfl ikte zwischen der Partei und der katholischen Kirche machten sich an der Person Thomas Dehlers, einer der profi liertesten und eindrucksvollsten Gestalten der liberalen Partei, fest, der gegen den »großen Machtkampf«345 der katholischen Kirche, wie er sich für ihn in den geschilderten Ereignissen ausdrückte, vorgehen wollte.346 Die Folgen einer Kontroverse zwischen ihm und dem Bischof von Würzburg Kardinal Julius 343
Art. »Weiter klerikale Hetze gegen FDP«, in: ebd., 7. Ebd., 9. 345 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 10. 1. 1953, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949–1954, 780. 346 Der linksliberale Thomas Dehler (1897–1967), kath., promovierter Jurist und Rechtsanwalt, war von 1946 bis 1949 Landesvorsitzender der FDP in Bayern. Nach seiner Tätigkeit als Bundesjustizminister von 1949 bis 1953 übernahm er 1954 das Amt des Bundesvorsitzenden der FDP, das er, parallel zu seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Bundesfraktion, bis 1957 bekleidete. Von 1949 bis 1967 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, von 1960 bis 1967 dessen Vize-Präsident. Dehler war eine politische Persönlichkeit, an der sich die Geister schieden und dessen kämpferische Haltung in politischen Auseinandersetzungen stets polarisierend wirkte. Er war bekannt für »rednerische Eskapaden [. . .], die allzu oft politischen Flurschaden anrichteten« und die sich in vielen Fällen gegen die katholische Kirche richteten (Wengst, Dehler, 350). Dehlers Distanz zur katholischen Kirche bzw. zum Katholizismus muss differenziert und in seinem biographischen Kontext betrachtet werden. In seiner Biographie über Dehler nennt Wengst einige Stationen der Dehlerschen Haltung gegenüber der katholischen Kirche bzw. dem Katholizismus. So verband Dehler während seiner Kindheit im katholischen Städtchen Lichtenfels ein enger Kontakt mit der katholischen Kirche bzw. dem Katholizismus (»Für Thomas Dehler war es von klein auf selbstverständlich, fast Tag für Tag die Kirche zu besuchen«; ebd., 13 f.) Seine Erziehung bezeichnete Wengst als »katholisch-liberal«, den ihr zugrunde liegenden Katholizismus als »weitherzig« (ebd., 13). Noch während seiner Schulzeit trug er sich mit dem Gedanken, Priester zu werden, bis ein Schulerlebnis, in das sein damaliger Religionslehrer involviert war, zu einer ersten Distanzierung vom Katholizismus führte (vgl. ebd., 24). Als ausschlaggebende Zeit für den endgültigen Wandel Dehlers nennt Wengst dessen Münchner Zeit, wo er von 1924 bis 1926 als Rechtsanwalt tätig war. Hier hatte Dehler im Zusammenhang mit dem Hochverratsprozess gegen den liberalen Journalisten Felix Fechenbach die Haltung des Vatikans zur Julikrise 1914 erfahren, der »nicht mäßigend, sondern krisenverschärfend« in die Ereignisse hatte eingreifen wollen (ebd., 42). Seit jener Zeit, so Dehler selbst, habe er »den politischen Katholizismus als gefährlich« empfunden (ebd.). Dehler, der mit einer Jüdin verheiratet war, richtete sich somit nicht gegen die katholische Kirche oder den Katholizismus als Glaubensinstitution, die er als solche selber für sich beanspruchte. Seine Kritik galt ihrer Politisierung, die sich in einer zunehmenden »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« der Unionsparteien widerspiegelte. Gegen diese Einflussnahme der katholischen Kirche auf politischen Angelegenheiten galt es für ihn anzugehen. Dabei war er, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, darum bemüht, jene Konfl iktpunkte aus dem Weg zu räumen. Rilling fasst sein dahingehendes Engagement wie folgt zusammen: »Thomas Dehler steht also nicht stur in der einen Ecke, und ist nicht bereit, sich gedanklich zu bewegen. Ihn berühren die Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, Demokratie und Kirche, grundsätzlich. Er ringt darum« (Rilling, Biographie, 173). 344
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Döpfner die im Januar 1953 ihren Ausgang nahm, wirkten noch acht Monate nach und bestimmten das Verhältnis zwischen der Partei und der katholischen Kirche und dann auch zwischen FDP und CDU nachhaltig negativ.347 Auslöser des Konfl ikts war eine Neujahrspredigt des Bischofs, in der dieser seine Zuhörer auf subtile Weise vor einer die FDP begünstigenden Wahlentscheidung gewarnt hatte: »Wenn die FDP sich nicht lossagt von einem praktischen Materialismus, der das Reich Gottes nicht kennen will und nicht kennen kann, wenn sie in der Gesetzgebung über die Forderungen der Kirche in der Schulfrage hinwegsieht, dann können und dürfen die Freunde Christi sich nicht für sie entscheiden.« 348
Aus dem anschließenden Briefwechsel zwischen Dehler und Döpfner ließen sich grundlegende Vorbehalte, die die katholische Kirche und die liberale Partei gegeneinander hegten, erkennen. Dehler warf dem Kardinal mangelndes Wissen über seine Partei, insbesondere über deren Verbundenheit zum Christentum vor. Im Zusammenhang mit dem wohl strittigsten Thema zwischen katholischer Kirche und FDP, der Schulfrage, verwies er auf das Engagement der Liberalen, im Grundgesetz den Religionsunterricht an allen öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach durchgesetzt zu haben. Dehler endete seinen Brief mit der Bitte um eine vermittelnde Besprechung, die seiner grundsätzlichen Zielsetzung verpfl ichtet war, die »Fehlentwicklung«349 zwischen Liberalismus und Christentum aufzuzeigen und sich mit Menschen in der Kirche dahingehend zu verständigen.350 Dem Antwortschreiben Döpfners war an keiner Stelle das Interesse an einem Entgegenkommen oder einer Aussprache abzuspüren, vielmehr wurden die Vorbehalte gegenüber der FDP noch klarer formuliert. Deutlich zeigte sich hier, wie unbedeutend die FDP für Döpfner in politischer Hinsicht war. Hinsichtlich der Frage, woher er sein Wissen über die Partei beziehe, verwies Döpfner auf die allgemeine Bekanntheit ihrer weltanschaulichen Grundlagen und bezeichnete den der FDP zugrunde liegenden Liberalismus als »alt«351 und »rein innerweltlich«, was gleichsam die »bedenkliche Kluft« zwischen der Partei und dem katholischen Denken begründe. Er warf der FDP vor, »in wichtigen kulturpolitischen, vor allem ehe- und familien347 Da der Konfl ikt paradigmatisch für folgende Konfl ikte zwischen der FDP bzw. Thomas Dehler und der katholischen Geistlichkeit betrachtet werden kann, soll er an dieser Stelle ausführlicher dargestellt werden. 348 Schreiben Dehler an Döpfner vom 14. 1. 1953; AdL N 1-123 (vgl. auch die Veröffentlichung dieses Zitats in: Fränkisches Volksblatt Nr. 1 vom 2. 1. 1953) 349 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 10. 1. 1953, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949–1954, 780. 350 Dehler hatte in der Sitzung betont, die Partei dürfe sich »den Charakter einer antichristlichen Partei« nicht zuschreiben lassen (ebd.). 351 Schreiben Döpfner an Dehler vom 2. 3. 1953; AdL N 1-130. Die folgenden Zitate ebd.
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rechtlichen Entscheidungen die entsprechenden Forderungen der Kirche verneint« zu haben, und bezeichnete dieses Verhalten als »politischen Laizismus«, in Antithese zum Vorwurf der FDP einer katholischen »Verklerikalisierung der Politik«. Im Blick auf die Diskussion der Schulfrage im Parlamentarischen Rat lastete er der FDP an, »im Verein mit Kommunisten und Sozialisten« die Abschaffung des Elternrechts durchgesetzt zu haben, was das Grundgesetz im Blick auf die Freiheit der Kirche hinter die Weimarer Verfassung habe treten lassen. Döpfners Brief endete mit dem Hinweis auf die Ursache seiner Vorbehalte, die er mit seinem Glauben begründete. Die Reaktion Dehlers erfolgte Mitte April. Der fünfseitige Brief zeichnete sich durch einen gemäßigten und sachlichen Ton aus, der erneut Dehlers Wunsch nach einem klärenden Dialog widerspiegelte: »Eine fruchtbare Auseinandersetzung verlangt, daß die Probleme des Verhältnisses von Kirche und Staat, von Religion und Politik, des Verhaltens des Christen in der Demokratie und der geschichtlichen Entwicklung des Liberalismus von Grund auf erörtert werden.«352
Die grundlegende Intention des Schreibens lässt sich dahingehend zusammenfassen, das »Wesen des Politischen« im Kontext der jeweiligen Kompetenzbereiche von Staat und Kirche zu beschreiben, denn genau darin sah Dehler den Konfl ikt mit der katholischen Kirche begründet. Dehler definierte Politik als Bereich, der »mit innerweltlichen Angelegenheiten [und] immanenten Entscheidungen« zu tun habe, wohingegen im Raum der Kirche an erster Stelle das Gebot der Liebe stünde. Sei die Kirche einerseits berechtigt, in den Bereich des Politischen hineinzustrahlen, so doch nicht in der Form, dass sie dem Menschen die politische Entscheidung abnehmen dürfe. Eine Mahnung wie die Döpfners, die implizierte, dass Wahlentscheidungen durch konfessionelle Aspekte und nicht durch die Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen bestimmt seien, hindere den Menschen an politischer Aktivität und folglich daran, »ein verantwortlicher Bürger des Staates« zu sein.353 Der Bereich der individuellen politischen Entscheidung habe somit frei zu bleiben von einer Einflussnahme durch eine Kirche bzw. die Religion.354 Erst eine Politik, »deren Wesen im Gespräch und in der 352 Schreiben Dehler an Döpfner vom 20. 4. 1953; AdL N 1-321. Die folgenden Zitate ebd. In diesem einleitenden Satz waren die zentralen Konfl iktpunkte zwischen FDP und katholischer Kirche zusammengefasst. 353 »Ich halte das Gegenteil von dem für richtig, was Sie sagen: Im politischen Raume scheiden sich die Geister an der Frage der richtigen Außenpolitik, an der Frage der richtigen Regierungsform, an der Frage der richtigen Wirtschaftsform« (ebd.). 354 Dehler verwies in diesem Zusammenhang auf Christus selber, der »weder mit Worten noch durch seine Taten den Auftrag erteilt, das politische Geschehen unmittelbar zu beeinflussen oder gar zu beherrschen« und sich im Gegenteil bitter beklagt habe über »den irreführenden Einfluß der politisierenden Schriftgelehrten.« In anderen Zusammenhängen zitierte er in diesem Kontext Heuss’ Aussage: »Jesus Christus ist nicht auf die Welt
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Übereinkunft verschiedener Anschauungen besteht und jeden Anspruch auf absolute Gültigkeit ausschließt«, nannte er demokratisch und somit der aktuellen politischen Daseinsform als einzige entsprechend. Eine in diesem Sinne vollzogene demokratische Politik werde die Wünsche der Kirche somit entsprechend prüfen, letztlich aber ihre Entscheidungen ob der ihr »auferlegten Verpfl ichtung für das ganze Volk« fällen.355 Döpfner erwiderte Dehlers Brief nicht mehr, was diesen wiederum veranlasste, in seiner Rede auf der FDP-Versammlung am 26. 5. 1953 erneut darauf Bezug zu nehmen, diesmal jedoch, dem Adressatenkreis seiner Rede verpfl ichtet, alles andere als sachlich: »Denn wenn Christus diesem Bischof von Würzburg zugehört hätte, und das ist meine Überzeugung, er hätte ihn mit zornig funkelnden Augen von der Kanzel und aus seiner Kirche gewiesen, sowie er die Wechsler hinausgewiesen hat. Welch’ ein Mißbrauch der Kirche!« 356
Im Fortgang seiner Rede zeigte sich, wie sehr sich Dehlers Kritik an der katholischen Kirche mit einer öffentlichen Kritik an den Unionsparteien verband. So bezeichnete er die Existenz einer konfessionellen, christlichen Partei als »große Gefahr«, da sie »die Bildung eines einheitlichen Staatsvolkes [. . .] durch religiöse Forderungen« verhindere. Seine Kritik an der einseitigen konfessionellen Ausrichtung der CDU äußerte sich darin, dass er sie als »Fortsetzung des Zentrums«, der katholischen Partei im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, bezeichnete. Dehler schloss seine Rede mit einer Aussage, die seine Befürchtung einer politischen Kooperation von CDU und katholischer Kirche zum Ausdruck brachte: »Wenn ich mir ein Deutschland vorstelle, das von Prälaten und von Oberkirchenräten regiert wird, dann wird mir bang.« Die Reaktion der katholischen Geistlichkeit auf diese Äußerungen ließ sich unschwer ausmalen; hinzu trat nun aber auch verschärfte Kritik von politischer Seite, die sich weniger gegen die FDP als gegen Dehler als Poligekommen, um als Aushängeschild für eine politische Partei zu dienen, Jesus Christus ist auf die Welt gekommen, um die Menschen, um alle Menschen zu erlösen« (alle Zitate ebd.). 355 In einer Rede von Oktober 1952 hatte Dehler bereits auf die Pluralität der Meinungen in einer Gesellschaft hingewiesen, die es dem Staat nicht erlaube, sich einseitig in den Dienst einer Institution zu stellen: »Es genügt nicht die Anschauung eines Teils der Gemeinschaft, einer Gruppe, einer Kirche, einer ›Weltanschauung‹. Wollte sich der Staat in ihren Dienst stellen, so würde er auf alle anderen einen Gewissenszwang ausüben. Je vielfältiger, je pluralistischer eine Gesellschaft ist, desto weniger Gemeinsamkeit der Anschauungen, die über die Elemente unserer Rechtsordnung hinaus alle anerkennen, wird es geben. Ein hinreichend tragendes Fundament rechtlicher und sittlicher Überzeugung ist für alle der Inbegriff der Grund- und Freiheitsrechte« (Rede Dehler »Gegen die Todesstrafe«, in: Maassen, Bundesminister, 41). 356 AdL N 1-3470. Die folgenden Zitate ebd.
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tiker richtete.357 Dennoch belasteten die Konfl ikte zwischen Dehler und der katholischen Kirche sowie seine polemischen Äußerungen über die Unionsparteien zunehmend auch die Regierungskoalition; sie wurden zu einem der Hauptthemen im bayrischen Wahlkampf.358 Udo Wengst sieht in diesen Konfl ikten einen wesentlichen Grund für das schlechte Wahlergebnis der FDP bei den Bundestagswahlen von 1953, das insbesondere auf den überdurchschnittlichen Rückgang bayrischer Wählerstimmen zurückzuführen war.359 In diesem Zusammenhang ist auf einen weiteren Konfl ikt Dehlers mit einem katholischen Geistlichen zu verweisen. Ende Dezember 1954 sagte Dehler, mittlerweile Bundesvorsitzender der FDP, ein lange geplantes Treffen mit dem Prälaten und Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz bei der Bundesregierung, Wilhelm Böhler, ab, nachdem beide zuvor in einer ausführlichen Korrespondenz einander zugesichert hatten, an einem gemeinsamen Gespräch interessiert zu sein. Dehler begründete seine Absage mit den Erfahrungen des jüngsten bayrischen Landtagswahlkampfes, in dem sich die FDP erneut Diffamierungen seitens der katholischen Kirche ausgesetzt sah: »Der Grund lag vor allem in der ständig wachsenden Härte der Angriffe, die von kirchlicher Seite gegen meine Partei und mich gerichtet wurden. Ich habe dazu keinen Anlaß gegeben. Mein Bemühen, die Grenze zwischen dem Staat und dem 357 Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano kritisierte insbesondere Dehlers Bezeichnung der CDU als Fortsetzung des Zentrums und nahm weiterhin Bezug auf dessen Äußerung bezüglich der Oberkirchenräte und Prälate: »Lassen Sie mich Ihnen offen sagen, verehrter Herr Dr. Dehler, daß mir sehr bange wird, wenn ich eine solche meiner Meinung nach ebenso unsachlich wie gefährliche Äußerung aus dem Munde eines verantwortlichen deutschen Politikers höre, und daß ich bedrückt bin, wenn sie ein Mann ausspricht, dem ich ein solches Wort nicht zugetraut hätte« (Schreiben von Brentano an Dehler vom 17. 6. 1953; ebd.). Der bayrische Landtagspräsident Alois Hundhammer betonte Ende Juli 1953, es sei »auf Dauer nicht tragbar, dass ein Mitglied dieser Regierung gegen die Bischöfe immer wieder Stellung einnimmt [. . .]« (Pressemeldung Hundhammer im BR vom 22. 7. 1953; AdL N 1-321). 358 Hier sorgte insbesondere die CSU-Presse unter der Verantwortung von Franz Josef Strauß dafür, »daß die Angriffe auf den fränkischen Politiker [. . .] bis zum Ende des Wahlkampfes fortgesetzt wurden« (Wengst, Dehler, 228). 359 »Er erscheint durchaus nicht abwegig, diese Entwicklung auf Dehlers Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche zurückzuführen, die besonders in diesem Raum [sc. Ober- und Mittelfranken] ausgetragen wurde« (ebd., 229). In Bayern war es aufgrund der Rede Dehlers zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem bayrischen Ministerpräsidenten Hans Ehard gekommen, der Dehler einen »hemmungslosen Kampf gegen alles, was christlich sei« vorgeworfen hatte (zit. nach ebd., 228). Dehler hatte Ehard darauf hin bei der Staatsanwaltschaft München verklagt. Auch gegen Döpfner hatte Dehler Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Würzburg gestellt, nachdem dieser ihm in einem Vortrag üble Nachrede unterstellt hatte (vgl. ebd., 277 ff.). Dehlers Ausscheiden aus dem Kabinett Adenauers als Bundesjustizminister Ende 1953 konnte nicht zuletzt auf diese Konfl ikte zurückgeführt werden (vgl. ebd., 229 ff.).
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öffentlichen Wirken der Kirchen zu fi nden, wächst aus der politischen Verantwortung, die ich trage. In den letzten Wahlkämpfen, besonders im bayrischen Wahlkampf, hat die katholische Kirche wiederum einen starken politischen Druck auf die Gläubigen ausgeübt. Die von ihr unterstützte Partei hat einen schädlichen Kampf gegen uns geführt. Ich kann unter diesen Umständen keinen Erfolg von einer Aussprache mit Ihnen erwarten.« 360
Die Vorbehalte gegenüber der FDP wiederum zeigten sich an der Absage des Prälaten Friedrich Wolf zur Teilnahme am Bundesparteitag der FDP vom 5. bis 7. 3. 1954, die er mit den »tiefgreifenden weltanschaulichen Gegensätze[n]«361 zwischen seiner Kirche und der Partei begründete. In den Jahren 1955 bis 1956 wurde das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und FDP stark durch die aktuellen politischen Kontroversen mit den Unionsparteien geprägt. Dabei verband sich die Kritik der FDP, insbesondere ihres Parteivorsitzenden, mit grundsätzlichen Anfragen an die Demokratie, die man in zunehmendem Maße gefährdet sah. Katholische Kirche wie Unionsparteien hatten sich gleichermaßen dem Vorwurf zu stellen, dem eigentlichen Wesen der Demokratie als »Gemeinschaft freier Menschen«362 nicht gerecht zu werden. Auslöser für die erneute scharfe Kritik an der katholischen Kirche war eine Rede von Papst Pius XII. vom 2. 11. 1954, die er vor Kardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen gehalten hatte. Dort hatte er, auf die Komplexität des Naturrechts verweisend, betont, dass die Gewalt der Kirche »keineswegs an die Grenzen der [. . .] ›rein religiösen Angelegenheiten‹ gebunden« 363 sei. Unter Verweis auf die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Verfassung kritisierte Dehler die Überschneidung des kirchlichen Einflusses mit dem Bereich des Politischen und sah darin das Erkranken der Demokratie vorgezeichnet.364 Der CDU als konfessioneller Partei, die die360
Schreiben Dehler an Böhler vom 20. 12. 1954; AdL N 1-1249. Schreiben Wolf vom 25. 2. 1954; AdL A 1-64, Bl. 64. Der Kirchenpräsident der EKHN Martin Niemöller hingegen hatte seine Teilnahme gerne zugesagt: »Sie waren so liebenswürdig, mir eine Einladung ihres Parteivorsitzenden Vizekanzler Franz Blücher, zum Bundesparteitag der FDP zuzusenden. Ich wäre gerne zur Eröffnung am kommenden Freitag, den 5. März, 15 Uhr, erschienen; das ist mir indessen wegen einer wichtigen Sitzung in unserer Kirchenleitung nicht möglich. Ich werde aber versuchen, nach Beendigung dieser Sitzung bzw. im Laufe der Tagung am 6. oder 7. März der so freundlich an mich ergangenen Einladung Folge zu leisten« (Schreiben Niemöller an Weirauch vom 26. 2. 1954; ebd., Bl. 44). 362 Rede Dehler auf dem BPT Oldenburg 25.–26. 3. 1955; AdL A 1-86, Bl. 12. 363 Zit. nach Art. »Dehler gegen Kirche, Papst und Bischöfe«, in: KNA Nr. 73 vom 26. 3. 1955. 364 »Ich sehe keine Möglichkeit, zu einer gesunden Demokratie zu kommen [. . .], wenn nicht die Menschen sich aus eigener Verantwortung politisch entscheiden. Stehen sie unter einem anderen Gesetz, treten sie nicht frei in die politische Arena, dann wird die Gemeinschaft, dann wird dieser Staat leiden und kranken und am Ende daran zu Grunde gehen« (Rede Dehler; AdL A 1-86, Bl. 12). 361
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sem Einfluss erlegen war, sprach Dehler die Fähigkeit ab, das »Volk zur politischen, [. . .] wirtschaftlichen Freiheit zu führen.« 365 Insbesondere im Kontext der sozialliberalen Regierungsbildung in NRW im Februar 1956 verschärfte sich die Kritik Dehlers an der CDU als Partei, die »das Christentum zur politischen Kategorie«366 mache. Hintergrund waren die Äußerungen des gestürzten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und CDU-Politikers, Karl Arnold, der die Koalition als »Allianz liberal-sozialer Kräfte gegen das Christentum«367 bezeichnet hatte. Großes Aufsehen, nicht nur bei der katholischen Kirche, sondern auch bei den Unionsparteien erregten auch Dehlers Äußerungen im März 1956, wo er sich u. a. heftig gegen Zustandekommen und Abschluss des Reichskonkordats von 1933 ausgesprochen hatte. Die heftigen Reaktionen der bayrischen Katholiken auf diese Äußerungen konnten als exemplarisch für die Empörung der katholischen Kirche betrachtet werden; die Kritik der CDU wiederum zwang Dehler zu einer öffentlichen Stellungnahme.368 Auch für die ersten Jahre der Oppositionszeit lässt sich keine Verbesserung des Verhältnisses ausmachen. Im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen 1957 hatte sich erneut die einseitige Unterstützung der Unionsparteien durch die katholische Kirche gezeigt, so u. a. in der Gründung der katholischen »Aktion 57«, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, für die Regierung des Bundeskanzlers und somit gegen alle »liberalistischen und sozialistischen Kräfte«369 vorzugehen. Auch die Landtagswahlen in NRW 1958 waren durch die »Mitwirkung der katholischen Kirche zugunsten der CDU« 370 bestimmt worden, nach Ansicht des Bundesvorstandes sogar noch in stärkerem Maße als 1957. Die Fortsetzung ihres Kampfes gegen »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« und die damit verbundene Kritik an der katholischen Kirche und den Unionsparteien bestimmte somit das weitere Verhalten der FDP.371 365
Ebd., Bl. 11. Rede Dehler auf dem BPT Würzburg 20.–21. 4. 1956; AdL A 1-96, Bl. 54. 367 Ebd., Bl. 55. 368 Vgl. Gauly, Kirche, 208 (vgl. auch Art. »Werkvoll-Präses rettet Dehler-Versammlung. Bayern protestieren auf ihre Art gegen Beleidigung der Katholiken – Msgr. Maier als ›Salomon‹«, in: Echo der Zeit vom 11. 3. 1956). 369 Zit. nach Art. »Katholische ›Aktion 57‹: Mißbrauch der Freiheit der Kirche«, in: RSB 127/1957 vom 22. 3. 1957, 4 (zur Katholischen Aktion vgl. auch Gauly, Kirche, 190). Umgekehrt warf die FDP den Unionsparteien erneut den Missbrauch der Kirchen zur Wahlpropaganda vor (vgl. dazu Art. »Wahlpropaganda unter dem Deckmantel der Kirche«, in: RSB 137/1957 vom 21. 6. 1957, 3). 370 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 11. 7. 1958, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954–1960, 375. 371 Interessant ist in diesem Kontext ein Passus aus der Rede Heuss’ vor dem neunten DEKT in München am 16. 8. 1959. Darin betonte Heuss, der während seiner Amtszeit als Bundespräsident seine Parteianhänger immer wieder zu einem guten Verhältnis zu den Kirchen angemahnt, sich aber des Weiteren in der Öffentlichkeit mit Äußerungen zu den 366
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Abermals war es Thomas Dehler, der auf dem Bundesparteitag der Liberalen 1959 die wesentlichen Konfl iktpunkte zwischen »dem Geist der Liberalität«372 und dem »Anspruch der Katholischen Kirche«373 explizierte. Dehler verdeutlichte seine Kritik an der katholischen Einflussnahme auf den politischen Bereich auf dem Hintergrund allgemeiner Äußerungen über das Verhältnis von Staat und Kirche. Den Staat bezeichnete er als »säkularen Staat«374, in dem »das Gesetz der Vernunft [und] der Wille, die Dinge des Staates, der Gesellschaft und der Wirtschaft möglichst zweckmäßig zum Besten der Gesamtheit aller Menschen zu ordnen« 375, herrschten. Diesem Anspruch verpfl ichtet, verbot es sich dem Staat und den ihm dienenden Parteien, den Glauben wie überhaupt den Bereich des Religiösen für ihre »nüchternen und irdischen politischen Forderungen« 376 in Anspruch zu nehmen. Die Sorge dafür oblag allein den Kirchen als Institutionen des Glaubens und der Glaubenspraxis, die, »[n]iemals [. . .] freier als heute« 377 ihre »großen Heilsaufgaben in voller Ungebundenheit erfüllen«378 konnten. In den Aussagen Dehlers klang die linksliberale Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche zur gegenseitigen Befreiung beider voneinander an. Konnte Dehler für die Liberalen betonen, dass sich auf dem Hintergrund dieser Trennung kein freier Demokrat »jemals [. . .] mit einem Wort gegen die geistige, die göttliche Aufgabe der Kirchen gewandt«379 hat, so sah er umgekehrt in dem Verhalten der katholischen Kirche eine einseitige Belastung dieses Verhältnisses durch die Überschreitung der kirchlichen Kompetenzen in den politischen Bereich. Im Januar 1960 kam es dann zu einem ersten offi ziellen Gespräch zwischen Liberalen und Katholiken, als beide einer Einladung der Katholischen Akademie in Bayern zu einer Tagung vom 8. bis 10. 1. mit dem Thema »Christentum und Liberalismus« nachkamen.380 Ziel der Tagung war es, das durch Vorurteile belastete Verhältnis beider zueinander zu hinterfragen, von der FDP so stark kritisierten Tendenzen der »Klerikalisierung« und Konfessionalisierung zurückgehalten hatte, dass es für ihn »nichts Widerwärtigeres gibt, als den statistischen Konfessionalismus in dem Behördenbetrieb als einen normalen quasi staatlichchristlichen Brauch anzusehen« (Welchert, Lesebuch, 372). 372 Rede Dehler »Mutige Liberale« auf dem BPT Berlin 21.–23. 5. 1959; AdL A 1-149, Bl. 58. 373 Ebd., Bl. 59. 374 Ebd., Bl. 58. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Ebd., Bl. 59. 378 Ebd. 379 Ebd. 380 Von Seiten der FDP nahmen teil Erich Mende, Elisabeth Lüders, Herta Link, Hildegard Hamm-Brücher, Otto Bezold, Georg Lenz und Rolf Thiersch. Thomas Dehler musste seine geplante Teilnahme aus nicht bekannten Gründen absagen.
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auch auf dem Hintergrund, dass sowohl Liberalismus als auch Christentum Gesellschaft, Kultur und Politik entscheidend prägen und schon immer geprägt haben.381 Sieben allgemein gehaltene Vorträge aus verschiedenen Bereichen sollten dabei in die Komplexität der Thematik einführen und zu einem besseren Verständnis beitragen.382 Dem bereits erwähnten Vortrag von Luchtenberg über »Wesen und Ziele liberaler Kulturpolitik«383 kam dabei insofern besondere Bedeutung zu, als Luchtenberg den »geläuterten Liberalismus« als soweit etabliert bestätigte.384 Luchtenberg reüssierte in diesem Kontext auf die gewandelten Beziehungen zwischen Liberalismus und Christentum, wie sie sich ganz praktisch in dieser ersten Begegnung zwischen Liberalen und Katholiken ausdrückten. Obwohl man der Überzeugung war, dass »die Tagung ein unvollkommener Anfang [war], der vertiefend weitergeführt werden muß« 385, blieb es vorerst bei dieser einmaligen Begegnung, so dass der »Versuch eines Brückenschlags«386 zu381 »Das liberale Denken ist von bewegendem Einfluß auf die kulturelle und politische Entwicklung der Neuzeit. Auch das Christentum verkündet die Botschaft der menschlichen Freiheit. Dennoch stehen der liberale und der christliche Freiheitsbegriff in Spannung zueinander« (Studien und Berichte. Heft 13, 5). 382 Es sprachen Eric Voeglin, Professor für Politische Wissenschaften an der Universität München, zum Thema »Der Liberalismus und seine Geschichte«; Erich Mende, Bundesvorsitzender der FDP, über »Grundzüge der Staatsauffassung im politischen Liberalismus«; Paul Mikat, Professor für deutsche Rechtsgeschichte, Kirchenrecht, bürgerliches Recht und Handelsrecht an der Universität Würzburg über »Grundelemente katholischer Staatsauffassung«; Gustav Gundlach, Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Pontificia Universita Gregoriana Rom zum Thema »Die katholische Soziallehre und die liberale Wirtschaftsordnung«; Alexander Rüstow, ehem. Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Heidelberg und Vorsitzender der Aktion Soziale Marktwirtschaft e.V. über »Paläoliberalismus, Kollektivismus und Neoliberalismus in der Wirtschafts- und Sozialordnung«; Paul Luchtenberg über »Wesen und Ziele liberaler Kulturpolitik«; Wilhelm Geiger, Professor, Senatspräsident am Bundesgerichtshof und Richter am Bundesverfassungsgericht, über »Staat und Kultur« (alle Vorträge in: ebd.). 383 Siehe Abschnitt 2. 384 »Aus dem ursprünglich positivistisch-pragmatisch gestimmten Liberalismus ist in historischer Läuterung ein metaphysisch-religiös gezügelter Liberalismus geworden« (Luchtenberg, Wesen, 196). 385 Studien und Berichte. Heft 13, 5. 386 Offene Gesellschaft 3/1968/Rundbrief für Gäste, Freunde und Förderer der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung, 14; AdL D5-206. Mit dieser Formulierung spielte man auf positive Entwicklungen im Verhältnis der katholischen Kirche zur Sozialdemokratie bzw. dem Sozialismus an, in denen sich ein solcher Brückenschlag bereits vollzogen hatte. So hatte schon 1957, im Gründungsjahr der Katholischen Akademie, eine Tagung zum Thema »Christentum und Sozialismus« stattgefunden, die weithin Beachtung gefunden hatte. Spätestens seit Verabschiedung des »Godesberger Programms« der SPD, in dem diese die christliche Ethik als eine der Grundlagen des demokratischen Sozialismus bezeichnet und sich für eine »Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft« ausgesprochen hatte, sah man die Grundlage für eine Vertiefung der Beziehungen gegeben (Grundsatzprogramm, in: Kunz/ Maier, Programme, 86).
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nächst scheiterte. Insbesondere bei der Diskussion der Schulfrage waren die Differenzen erneut deutlich hervorgetreten.387 Interessant war die Berichterstattung der Presse, die das Scheitern der Tagung in den unterschiedlichen Erwartungen von Liberalen und Katholiken begründet sah. So sprach die Deutsche Woche der katholischen Seite jedes wirkliche Interesse an einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit dem Liberalismus ab und erachtete die entsprechenden Positionen als von vornherein eindeutig festgelegt: »den nicht-katholischen Rednern, die diesmal den Liberalismus zu vertreten und verteidigen hatten, war die Aufgabe zugewiesen worden, die Rolle von Advokaten des Teufels zu spielen, gegen welche sich die eine und allgemeine Wahrheit der Kirche immer als siegreich erweisen muß.« 388
Anders die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die das Zustandekommen der Tagung zunächst als Ausdruck eines Wandels im katholischen Denken dem »Neoliberalismus«389 gegenüber erachtete und sowohl den Katholiken als auch den Liberalen den Willen zusprach, »eher das Gemeinsame als das Trennende aufzuspüren.«390 Kritisch beurteilte sie in diesem Zusammenhang das Verhalten der FDP-Politiker Mende und Luchtenberg, die in ihrem Engagement für ein gutes Verhältnis über wesentliche und nach wie vor existente Unterschiede zwischen Liberalen und Katholiken hinweggegangen seien.391 Wie groß die gegenseitigen Vorbehalte nach wie vor waren, verdeutlichte ein Hirtenwort der katholischen Kirche, das eine Woche vor den vierten Bundestagswahlen vom 17. 9. 1961 veröffentlicht wurde.392 Obschon die Partei als solche nicht dezidiert erwähnt wurde393, zeigte sich die Kritik an ihr und ihrer Politik anhand der im Hirtenwort aufgeführten Themen Sonntagsruhe, Ehe- und Familienleben sowie Jugendpflege und Bildung. 387
Vgl. Art. »Katholische oder liberale Schule?«, in: KNA Nr. 8 vom 11. 1. 1960. Art. »Liberalismus nicht gefragt. Zu einer Tagung der Katholischen Akademie Bayern«, in: Deutsche Woche vom 20. 1. 1960. 389 Art. »Christentum und Liberalismus. Eine Tagung der Katholischen Akademie in Bayern«, in: FAZ vom 20. 1. 1960. 390 Ebd. 391 »Während sowohl Rüstow als auch die katholischen Referenten [. . .] die verschiedenen, in unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen wurzelnden Motive nicht zu verschleiern, sondern über sie eine tragfähige Brücke für die Zusammenarbeit zu schlagen suchten, schien den beiden Politikern der FDP eher daran gelegen, den ›Graben‹ zuzudecken oder zu verengen« (ebd.). 392 Vgl. AdL N 1-3065. 393 Anders die Erklärung des Weihbischofs Heinrich Tenhumberg von Münster, der nach Veröffentlichung der politischen Wahlprogramme im März 1961 die SPD und die FDP als für Katholiken nicht wählbare Parteien bezeichnet hatte (vgl. Art. »Scharfe FDPKritik an Äußerung des Weihbischofs von Münster. Vorwurf der Nötigung – Parteivorstand verabschiedete Wahlprogramm«, in: Westdeutsches Tagesblatt vom 20. 3. 1961). 388
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Die Gläubigen wurden aufgefordert, sich ihrem »christlichen Gewissen«394 verpfl ichtet für die Kandidaten einzusetzen, die sich »in der Vergangenheit um christliche Taten bemüht haben.«395 Dass sich diese Aufforderung indirekt nur auf die Unionsparteien beziehen konnte, manifestierte sich darin, dass mit den vier aufgeführten Themen vier Bereiche genannt worden waren, in denen es in der vergangenen Legislaturperiode unter der CDU-Regierung zu Gesetzesbeschlüssen gekommen war, die von der FDP aufgrund des darin zum Ausdruck kommenden Klerikalismus und Konfessionalismus abgelehnt worden waren.396 Die FDP, die das Hirtenwort schon vor seiner Veröffentlichung kannte, trat nun ebenfalls mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der sie sich gegen seine Verlesung aussprach.397 Hauptkritikpunkt war die in dem Hirtenwort zutage tretende Anmaßung, zwischen wahrhaft und scheinbar christlichem politischen Verhalten unterscheiden zu können und dabei zugleich nur die Haltung als gut zu bezeichnen, die den Forderungen der katholischen Kirche gerecht werde. Unter Verweis auf die eigene Haltung, die in einer uneingeschränkten Bejahung der Glaubensund Gewissensfreiheit und der freien Religionsausübung bestand, mahnte die FDP, auch auf dem Hintergrund der jüngst vollzogenen Teilung Deutschlands, vor einer konfessionellen Spaltung, deren Gefahr sie in der einseitigen Beurteilung der Politiker auf der Schablone konfessioneller Wünsche gegeben sah.398 Hatten die positiven Wahlergebnisse von 1961 und insbesondere der darin verzeichnete Stimmenzuwachs an katholischen Wählerstimmen Mende im Mai 1962 noch zu der Feststellung veranlasst, dass im Verhältnis zur ka394
Hirtenwort; AdL N 1-3065. Ebd. 396 Die Debatte um die Sonntagsheiligung hatte sich im Sommer 1961 aufgrund einer Diskussion über die Einschränkung der Sonntagsarbeit in der Stahlindustrie entzündet. Die FDP hatte sich gegen eine Neuregelung der Sonntagsarbeit aus konfessionellen Gründen ausgesprochen. Ebenso hatte sie eine Änderung des Ehegesetzes abgelehnt, die eine Verschärfung der Bestimmungen zur Ehescheidung vorgesehen hatte. Die FDP wollte damit eine Annäherung staatlicher Vorstellungen an die der katholischen Kirche, in der die Ehe ein unauflösliches Sakrament darstellt, unterbinden. 1961 wurde im Bundestag mit absoluter Mehrheit der CDU/CSU das Jugendwohlfahrtsgesetz verabschiedet, das eine eindeutige Begünstigung der konfessionellen Jugendverbände zum Inhalt hatte. Nicht zuletzt das Bundessozialhilfegesetz, das am 30. 6. 1961 verabschiedet wurde und das eine Vorrangstellung der freien Träger im Bereich der Sozialhilfe intendierte, war auf scharfe Kritik bei der FDP gestoßen. Die Abschaffung dieses Vorrangs war eine jener Forderungen, die die DJD artikuliert hatten und die dann ihre Aufnahme im FDP-Kirchenpapier von 1974 fand (siehe dazu Kap. II und III). Gegen diese Tendenzen, »Praktiken aus konfessioneller Sicht in das staatliche Leben einzuführen« wollte sich die FDP verwahren (Mende, Kirche, 81). Auch musste die Gründung der HU in diesem Kontext gesehen werden (siehe dazu Kap. II.2.2.1.). 397 Vgl. Erklärung der FDP vom 7. 9. 1961; AdL N 1-3065. 398 Vgl. ebd. 395
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tholischen Kirche ein positiver Wandel zu verzeichnen sei, so ließ sich für die folgenden Jahre keine wirkliche Besserung des Verhältnisses erkennen. Vielmehr wurde es erneut durch die Kritik Dehlers an der katholischen Kirche erschüttert. Immer wieder kritisierte dieser die zunehmende »Konfessionalisierung« des öffentlichen Lebens, die Gefährdung der wahren Demokratie durch die Existenz einer »christlichen Demokratie«399, die Vermischung von Politik und Religion; und immer wieder musste er sich dem Vorwurf, er habe »antikatholische Affekte«400 und betreibe »Verketzerung«401, stellen. Die kulturpolitischen Bestimmungen des Niedersachsenkonkordats, das 1965 zwischen der katholischen Kirche und dem Land Niedersachsen abgeschlossen und von dessen Verhandlungen die FDP komplett ausgespart worden war, verschärfte die Distanz zusätzlich. Alles in allem bestätigte sich das negative Urteil, das Liselotte Funcke Mitte der 1960er Jahre über ihre Partei fällte; die Reserve gegenüber der katholischen Kirche setzte sich fort, und auch umgekehrt waren keine Annäherungsversuche zu erkennen.402 Erst im November des Jahres 1968 trafen Liberale und Katholiken erneut zusammen, als die Friedrich-Naumann-Stiftung zu einer Tagung mit dem Thema »Öffnung zur Welt und offene Gesellschaft – Dialog zwischen Katholizismus und Liberalismus« vom 22. bis 24. 11. 1968 in die TheodorHeuss-Akademie einlud.403 Die Organisation der Tagung oblag dem damaligen Direktor der Theodor-Heuss-Akademie Rolf Schroers.404 Wie aus 399
Rede Dehler auf dem BPT Nürnberg 6./7. 6. 1966; AdL A 1-306, Bl. 34. Art. »Dehlers Gefühle«, in: Münchner Merkur vom 19. 9. 1962 (vgl. auch Art. »Dr. Dehler dementiert«, in: ebd. vom 27./28. 10. 1962). 401 Schreiben Carl Damm an das Hamburger Abendblatt vom 2. 11. 1962; AdL N 1-3066. Damm, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, nahm in seinem Schreiben Bezug auf eine Behauptung Dehlers im Hamburger Abendblatt vom 28. 8. 1962, ein konsequenter Katholik könne nicht für die Demokratie bürgen. Besonders deutliche Worte fand Dehler in einem Interview mit den politischen studien Anfang 1964, wo er den Staaten, in denen der »Katholizismus die geistige Atmosphäre [. . .] über den Bereich der Kirche hinaus bestimmt« wirkliche Demokratie absprach bzw. für sie allenfalls eine gefährdete Demokratie konstatierte (Antwort Dehler vom 6. 2. 1964 auf zwei Fragen der politischen studien; AdL N 1-1975). 402 Dies belegte auch das Antwortschreiben des Kulturpolitischen Referenten Hans Haferland an Habenicht von Januar 1966 auf dessen Frage, wie es um die offi ziellen Kontakte der FDP zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften bestellt sei: »Offi zielle Gespräche mit der katholischen Kirche haben in der allerletzten Zeit nicht stattgefunden. Das letzte große Gespräch fand im Rahmen der Katholischen Akademie in Bayern im Jahre 1960 unter dem Thema ›Christentum und Liberalismus‹ statt« (Schreiben Haferland an Habenicht vom 12. 1. 1966; AdL A 7-105, Bl. 172. Vgl. auch Mende, Kirche, 77). 403 Die 1967 gegründete THA mit Sitz in Gummersbach/Niederseßmar untersteht der in Potsdam ansässigen FNS. In ihr befi ndet sich das AdL, das der FNS ausgegliedert wurde. 404 Rolf Schroers (1919–1981) war deutscher Schriftsteller und Journalist, der in der Nachkriegszeit u. a. Beiträge für die FAZ und die Frankfurter Hefte verfasste. Von 1950 bis 1958 gehörte er in den Umkreis der Gruppe 47 und gilt durch seine kritischen Veröffent400
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
einem Schreiben Schroers’ an Josef Ertl hervorgeht, verstand man diese Tagung als Fortsetzung des Treffens von 1960 und erhoffte sich dabei eine bessere Basis für gemeinsame Gespräche, die man durch die Ereignisse des Zweiten Vatikanischen Konzils und den kürzlich erst stattgefundenen Katholikentag in Essen durchaus gewährleistet sah.405 Wie schon der Tagungstitel erkennen lässt, hatte man daher bewusst »die der gesellschaftlichen Zukunft zugewandten Kräfte beider Seiten«406 aufgerufen. Dazu gehörten auf katholischer Seite neben Vertretern der katholischen Amtskirche Vertreter der gesellschaftspolitisch wirksamen Gruppe Bensberger Kreis, die Bewegung Pax Christi sowie die Paulus-Gesellschaft. Ein erstes grundlegendes Ziel bestand zunächst darin, eine allgemeine Verständigung der katholischen und liberalen Position »entsprechend der vorherigen Bemühungen der FNS lichungen zum Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg als ein typischer Vertreter der Literatur der frühen Bundesrepublik. Neben seiner journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit engagierte sich Schroers auch politisch in der FDP. Von 1965 an war er Chefredakteur des FDP-Organs liberal und wirkte als Mitglied der Programmkommission maßgeblich mit bei der Neuorientierung der FDP in der Gesellschafts- und Ostpolitik. Schroers war, zusammen mit weiteren Mitarbeitern der Zeitschrift liberal, Mitinitiator der 1967 gegründeten Sammelbewegung »Demokratische Aktion«, einer Vereinigung von Publizisten, Studenten und vor allem liberalen und sozialistischen Professoren. Die »Demokratische Aktion« verstand sich als »Forum der Besorgnis um die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, auf dem gemeinsame Gedanken, Ideen und Handlungen öffentlich sichtbar gemacht werden« (Seeliger, Opposition, 94). Dabei ging es ihr darum, Funktionen zu übernehmen und auszuüben, die sie so im gegenwärtigen politischen System auch von anderen Institutionen nicht mehr genügend gewährleistet sah. Es ging somit um die Mobilisierung außerparlamentarischer Kräfte »gegen Scheinlösungen, faule Kompromiße und vorgetäuschte Harmonie in Gesellschaft und Staat; gegen alle Versuche, die Rechte des Einzelnen und des im Parlament repräsentierten Volkes einzuengen oder gar zu beseitigen; gegen jeden Mißbrauch von Mehrheiten zur Einschränkung oder Beseitigung von Minderheitsrechten; gegen alle autoritären, nationalistischen, rechts- und linksextremen Tendenzen; gegen alle in Wort, Schrift und Tat wirkenden Feinde der Freiheit, gegen die Spaltung Deutschlands und Europas in feindliche Blocks« (ebd., 94 f.). Die »Demokratische Aktion« erachtete dabei die FDP für die Rolle der Opposition am geeignetsten, sah sich aber unabhängig von einer bestimmten Partei oder Ideologie agieren. Mitglieder der »Demokratischen Aktion« waren weiterhin u. a.: William Borm, Hans Friderichs, Karl Moersch, Barthold C. Witte, Geschäftsführer der FNS, Claus Koch, Mitarbeiter der Zeitschrift Atomzeitalter, Professor Walter Fabian, Chefredakteur der Gewerkschaftlichen Monatshefte, Karl-Hermann Flach, stellvertretender Chefredakteur der FR und Mitherausgeber der Zeitschrift liberal, Heinz Kuby, Theo Schiller, Thilo Graf WerthernBeichlingen und Ernest Jouhy (vgl. ebd., 95). Von 1968 bis 1981 bekleidete Schroers das Amt des Direktors der THA in Gummersbach. Schroers war Mitglied der ersten FDPKirchenkommission, die im Frühjahr 1973 zur Diskussion des Jungdemokratenpapiers »Liberalismus und Christentum« ins Leben gerufen wurde. 405 »Bei dieser Veranstaltung soll der Dialog zwischen Katholizismus und Liberalismus weitergeführt werden, der vor mehreren Jahren in der Katholischen Akademie in München begonnen hat. Nach Vatikanischem Konzil und Katholikentag sind gewiß auch gute Voraussetzungen für ein fruchtbares Gespräch gegeben« (Schreiben Schroers an Ertl vom 26. 9. 1968; AdL 8516). 406 FNS-Offene Gesellschaft von 3/1968, 14; AdL D5-206.
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einer Klärung der Position des politischen Liberalismus und der Evangelischen Kirche«407 zu erzielen. Von einer Reflektion alter Positionen erhoffte man sich den Abbau von Vorurteilen, die auf beiden Seiten existierten. Dem »Bedürfnis nach neuer Orientierung«408 wollte man somit nachgehen und versuchen, »Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten einer praktischen Zusammenarbeit«409 herauszuarbeiten. Letzteres sollte an konkreten Sachthemen expliziert werden.410 Die aufgeführten Ziele gaben gleichsam die Struktur der Tagung vor. So wurden am ersten Tagungstag nach einer Begrüßung durch Luchtenberg und einer Einführung durch Schroers zwei allgemeine Referate zum Thema »Liberalismus und Katholizismus« gehalten. Referenten waren Karl Heinz Grenner (kath.) vom Institut für christliche Gesellschaftswissenschaft der Ruhruniversität Bochum und Erhard Roy Wiehn411 von der Universität Konstanz. Am Abend erfolgte eine allgemeine Gesprächsrunde, in der die Positionen von Hubertus Halbfas, Dieter Emmerling, Gunthar Lehner, Josef Ertl, Karl Moersch und Fritz Fliszar dargelegt und diskutiert wurden.412 Am zweiten Tagungstag und am Vormittag des dritten Tages arbeitete man inhaltlich zu den Themen »Kirche, Welt, Wirtschaft und Gesellschaft«, »Bildungspolitik«, »Strafrecht« und »Ostpolitik«.413 Eine Schlussbilanz beendete 407
Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8516. So der Vorsitzende der FNS Luchtenberg in seinem Einladungsschreiben zur Tagung; ebd. 409 Schreiben Schroers an Pfi ster vom 16. 10. 1968; ebd. 410 Schroers nannte in einem Vermerk zur Arbeitstagung folgende möglichen Themen: Strafrechtsreform, Möglichkeiten der Kirche für eine Entspannungspolitik im Osten, Verhältnis von Staat und Kirche, auch auf dem Bildungssektor, Kirche und Entwicklungspolitik, Sozialpolitik. Die Gründe, die Schroers zur Auswahl dieser Themen bewog, lagen darin, dass sie seiner Meinung nach »von der FDP-Seite gut besetzt werden können und [. . .] geeignet sind, das Katholizismus-Liberalismus-Gespräch zu konkretisieren« (Vermerk vom 6. 10. 1968; ebd.). 411 Der katholische Soziologe Erhard Roy Wiehn hatte in Tübingen und New York Soziologie studiert und war bis 1969 Assistent bei Ralf Dahrendorf. Anschließend arbeitete er bis 1972 in Wassenaar/Niederlande am Netherland Institute for Study in the Humanities and Social Sciences. Seit 1974 war Wiehn Professor für Soziologie an der Universität Konstanz. Wiehns besonderes Engagement gilt der deutsch-jüdischen Verständigung und der Aussöhnung beider Völker sowie der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten. Er verfasste im Anschluss an die Tagung und durch diese inspiriert eine Studie: »Sie [sc. die Studie] entstand anläßlich eines Symposiums zwischen Katholiken und Liberalen, zu dem die Theodor-Heuss-Akademie vor einiger Zeit einzuladen Idee und Courage hatte: Ihre Thematik scheint nach wie vor aktuell« (Wiehn, Katholizismus, 1. Hervorhebung T. M. E.). 412 Vgl. Programm der Tagung; AdL 8516. 413 Zum Bereich »Kirche, Welt, Wirtschaft und Gesellschaft« referierten Wilhelm Weber vom Institut für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster über das Thema »Die Öffnung der Kirche auf dem 2. Vatikanischen Konzil zur Welt der Kultur, der Wirtschaft und der Politik« sowie Anton Rauscher von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle über »Gerechtigkeit in der Wirtschafts- und Sozialpolitik«. Beim 408
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
die dreitägige Arbeitstagung zwischen Katholiken und Liberalen, an der insgesamt 62 Personen, darunter zwölf Frauen, teilnahmen. Dies waren neben den schon aufgeführten Referenten und Gruppen Vertreter der FDP und der Jungdemokraten, der Katholischen Studentengemeinde sowie Kleriker der katholischen Kirche und liberale Juristen. Neben dem grundsätzlichen Austausch über das Verhältnis von Liberalismus und Katholizismus lag der Schwerpunkt der Arbeitstagung in der Erörterung der Frage, inwieweit eine durch das Zweite Vatikanische Konzil veränderte Praxis der katholischen Kirche mit Vorstellungen und Zielen des politischen Liberalismus in Übereinstimmung zu bringen war. Beide Seiten stellten, durch die Referate in den einzelnen Bereichen angeregt, fest, dass die Parallelität der Vorstellungen oftmals größer war, als erwartet. So kam dem Bericht des Berliner Politologen Alexander Schwan über eine katholisch begründete Bildungspolitik insofern große Bedeutung zu, als sich daraus eine Fülle von Übereinstimmungen mit einer liberalen Bildungspolitik ablesen ließ.414 Auf der anderen Seite ging aus einem Referat des Kölner Juristen Ulrich Klug über die Arbeit der Strafrechtsreformer an einem Alternativentwurf eines Strafrechtsbuches hervor, dass man sich neben dem Thema Trennung von Staat und Kirche mit dem Verhältnis zur Strafe überhaupt auseinandersetzte und zu diesem Zwecke mit katholischen Theologen in Verbindung stand, zu denen u. a. der Walberberger Dominikanerpater Anselm Hertz gehörte.415 Auch in ost- und deutschlandpolitischen Fragen war man sich einiger als zunächst erwartet. Die Anwesenheit von Vertretern der Gruppen, die innerhalb der katholischen Kirche als progressiv und reformerisch galten, gab den liberalen Politikern die Möglichkeit, sich zu deren Aktivitäten zu informieren und positionieren. Fazit der Tagung: es war deutlich Themenbereich »Bildungspolitik« sprachen die Referenten Alexander Schwan vom OttoSuhr-Institut der Freien Universität Berlin sowie Leonhard Froese vom Erziehungswissenschaftlichen Seminar der Philipps-Universität Marburg. An der sich anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Dieter Emmerling, FDP-Mitglied und Mitglied des Bensberger Kreises, auch Ingo Hermann, Ernest Jouhy, Studienleiter der Odenwaldschule (ebenfalls Mitglied der »Demokratischen Aktion«), Günther Braun, Vertreter der Pax Christi und Walter Warnach von der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf teil. Im Bereich Strafrecht referierte Ulrich Klug von der Universität Köln. Referenten im Bereich »Ostpolitik« waren Rolf Schroers und Erich Kellner, Mitbegründer der Paulus-Gesellschaft, der über »Christentum und Marxismus« referierte (Kellners Vortrag wurde in liberal unter dem Titel »Dialog um eine bessere Welt« veröffentlicht. Vgl. Kellner, Dialog). 414 Alexander Schwans Referat wurde in liberal veröffentlicht (vgl. Schwan, Plurale Gesellschaft). 415 Ulrich Klug, ev., war FDP-Mitglied und von 1971 bis 1974 Staatssekretär im Justizministerium von NRW. 1974 wurde er Justizsenator in Hamburg. Klug war Mitglied der HU und von 1979 bis 1983 deren Vorsitzender. Anselm Hertz war Dominikanerpater in Walberberg. Als so genannter Reformkatholik gehörte er dem Gründerkreis des KLA an (siehe Abschnitt 3.2.2.) und war ebenfalls Mitglied der ersten FDP-Kirchenkommission unter der Leitung von Funcke (siehe Kap. III.1.1.2.).
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geworden, wie verkümmert die Gespräche zwischen Liberalismus und Katholizismus bis dato gewesen waren, was umso mehr auffiel, als Gespräche der katholischen Kirche mit anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen nichts Außergewöhnliches waren.416 Man konstatierte einen großen Nachholbedarf und nahm sich vor, die auf dieser Tagung geknüpften Beziehungen weiterhin zu pflegen und auszuweiten.417 »Sporadisch hatte es schon seit den 60er Jahren Gespräche zwischen Liberalen und Katholiken gegeben. Nun aber wurde ein neuer Wegweiser aufgepflanzt«418 . Die Feststellung zu Beginn des Jahresberichtes der FriedrichNaumann-Stiftung 1972 zeigt, dass der Ende 1968 erhoffte regelmäßige Austausch zwischen Liberalen und Katholiken ausblieb. Zuviel Hoffnung hatte man in die Begegnung gelegt und dabei die nach wie vor offensichtlichen Differenzen offenbar zu wenig berücksichtigt.419 3.3. Liberale Katholiken und katholische Liberale: Annäherungsversuche Anfang der 1970er Jahre In der 1969 von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Schrift »Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft und im demokratischen Staat der Gegenwart«420 hatten die Liberalen einen ersten Ansatz dahingehend 416
»So ist das Gespräch mit den Unionsparteien für einen Teil der Kirche selbstverständlich. Andere Gruppen der Kirche haben das Gespräch mit der Sozialdemokratie und sogar mit dem atheistischen Kommunismus gesucht und gefunden. Ebenso gibt es starke und wirksame katholische Initiativen im Bereich der Gewerkschaften« (Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8516). 417 So resümierte Hans-Wolfgang Rubin am Ende der Tagung eine »sichtbar gewordene[. . .] Nähe, die nach Kooperation dränge« (Art. »Zeitalter des bohrenden Fragens«, in: fdk 19/1968, 3). Vgl. auch Jahresbericht der FNS 1968: »Nach Konzil und Katholikentag gibt es offenbar nicht nur Chancen für einen Dialog, sondern streckenweise sogar für eine echte Kooperation«). 418 FNS-Jahresbericht 1972. 419 Zwar fand vom 12. bis 18. 1. 1969 nochmals eine Tagung in der THA unter Beteiligung der katholischen Kirche statt. Sie trug den Titel »Der Liberalismus und die Gesellschaftslehren der Kirche«. Im Gegensatz zur 1968er-Tagung wurde diese jedoch nicht von der FDP organisiert, sondern fand im Rahmen des allgemeinen Angebots der THA an Gruppen und Vereine statt, ihre Räumlichkeiten und Referenten zur Durchführung von Tagungen und Konferenzen zu nutzen. Oben erwähnte Tagung war in diesem Falle für Mitglieder des Deutschen Postverbandes organisiert worden und die Öffentlichkeit davon weitgehend ausgeschlossen. Veranstaltet und durchgeführt wurde sie von Horst Dahlhaus (zu Dahlhaus siehe Kap. III.1.1.2.). Unter Teilnahme auch der evangelischen Kirche wurden relativ allgemein theologische Grundlagen der evangelischen Sozialethik bzw. katholischen Soziallehre erörtert und Verlautbarungen der beiden Kirchen sowie des Liberalismus zu aktuellen Themen der Gesellschaftspolitik besprochen. In Auswertungsrunden wurden die Fragen erörtert, welchen Ort und welche Aufgaben die Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft haben und wie das Verhältnis des Liberalismus zu den kirchlichen Gesellschaftslehren zu bestimmen sei (vgl. Tagungsprogramm; AdL 8519). 420 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz (Hg.), Die Kirche.
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gesehen, dass »die Kirche zur Gegenwart und zur Zukunft der Welt hineingefunden hat.«421 Zu einer intensiveren Kontaktaufnahme zwischen FDP und katholischer Kirche kam es Ende des Jahres 1971. In einem Schreiben vom 17. 12. 1971 informierte Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl KarlHermann Flach über ein Treffen seinerseits mit dem Prälaten Wilhelm Wöste, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Bonn und politischem Arm der katholischen Bischofskonferenz. Bei diesem Treffen habe Wöste bei ihm angefragt, ob die FDP an einem Gespräch mit der Katholischen Kirche im Bonner Büro des Kommissariats interessiert sei.422 Ertl habe diesen Vorschlag begrüßt und als Gesprächspartner eine Delegation aus Präsidium und Fraktion vorgeschlagen. Ebenso habe er dazu angeregt, die Themen, die für beide Seiten von Interesse seien, in einem solchen Gespräch zur Sprache zu bringen. Ertl forderte Flach auf, diese Angelegenheit in der nächsten Präsidiumssitzung positiv zu beraten. In seinem Antwortschreiben vom 22. 12. 1971 begrüßte Flach den Beginn der Kontaktaufnahme mit den Vertretern der katholischen Amtskirche und unterrichtete Ertl des Weiteren darüber, dass auch seinerseits »bereits einige Kontakte auf anderer Ebene mit Vertretern der katholischen Kirche«423 aufgenommen worden seien. Es handelte sich dabei um Kontakte zu Gruppen, die innerhalb der katholischen Kirche als kritisch und progressiv galten, so genannte Reformkatholiken. Um die Kontakte zur katholischen Kirche zu intensivieren, wurde nun eine Dozentur in der Theodor-Heuss-Akademie eingerichtet, die Peter Hertel, katholischer Theologe, Publizist und ehemaliger Redakteur der Ende 1971 eingestellten katholischen Zeitung Publik von Januar 1972 an innehatte.424 Wie Hertel berichtete, sei er Anfang 1972 von Flach angesprochen worden, ob er sich »auf ein diffi ziles Experiment einlassen könne, von dem er [sc. Flach] selbst nicht wisse, welche Wirkungen es in seiner Partei hervorrufen würde.«425 Die Idee bestand darin, ein Projekt zu gründen, »das sowohl verwerfl iche wie auch aktuelle Themen und Überschneidungen von 421
Schreiben Mischnick an Tenhumberg vom 9. 6. 1969; AdL A 25-117, Bl. 7. Vgl. Schreiben Ertl an Flach vom 17. 12. 1971; AdL N 47-0011. 423 »[D]ie Gespräche hat vor allem Herr Stancke geführt [. . .] ich werde die Sache dem Präsidium vortragen und Ihnen sofort Bescheid geben, wenn es um eine konkrete Terminabsprache geht« (Schreiben Flach an Ertl vom 22. 12. 1971; ebd. Hervorhebung T. M. E.). 424 Peter Hertel (*1937) studierte katholische Theologie und Sozialwissenschaften in Münster und München. Er ist Journalist und Redakteur, und hat u. a. 22 Jahre als Hörfunk-Redakteur beim NDR für die Sendung »Religion und Gesellschaft« gearbeitet. Sein besonderes Interesse galt und gilt nach wie vor dem Verhältnis zwischen Christentum und moderner Gesellschaft. Bekannt wurde Hertel mit seinen publikumswirksamen Büchern über das Opus Dei. Seit 1995 ist Hertel freier Autor für Printmedien und den ARD-Hörfunk. Hertel gehörte nicht der FDP an. 425 Schreiben Hertel an die Verfasserin vom 10. 7. 2006. 422
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Sozialkatholizismus und Sozialliberalismus behandeln sollte.« 426 Unter Hertels Koordination wurde darauf hin dieses Projekt sowohl in der TheodorHeuss-Akademie als auch in der Geschäftsstelle der FDP in Bonn durchgeführt.427 So kam es, dass im Jahre 1972 insgesamt vier Tagungen zwischen Liberalen und Katholiken unter dem Oberthema »Liberalismus und Kirche« in der Theodor-Heuss-Akademie stattfanden, die allesamt in den Medien auf beachtliche Resonanz stießen. Die Kontakte zur offiziellen katholischen Amtskirche wurden währenddessen ebenfalls wahrgenommen, doch versprach man sich von den Tagungen intensivere und effektivere Begegnungen.428 3.3.1. Die Tagungen der Theodor-Heuss-Akademie »Katholizismus und moderne Gesellschaft« – 1. Tagung, 13. bis 17. 3. 1972 Ähnlich wie die Veranstaltung 1968 hatte diese erste Tagung zum Ziel, »das Gespräch neu anzustoßen, einander zuzuhören, [und] historische Versäumnisse aufzuarbeiten«429. Dabei galt es, zu überprüfen, ob eine Kooperation zwischen Liberalen und Katholiken »im Dienste von Demokratie und Gesellschaft«430 möglich sei. Man vermied bei der Themenstellung bewusst den Ansatz »Staat und Kirche«, da dieser sowohl Katholizismus als auch Liberalismus automatisch auf die jeweilige klassische Position festgelegt hätte. Den Blickwinkel hingegen auf die Fragestellung »Kirche und Gesellschaft« zu richten, hielt man angesichts dessen, dass es »in demokratisch verfaßten Ländern keinen echten Dualismus mehr zwischen Staat und Gesellschaft gibt«431, für eine angemessene Ausgangsbasis gemeinsamer Gespräche. Dabei unterließ man es, aktuelle politische Begebenheiten zu diskutieren, u. a. auch des-
426 Das Zitat ist einem Telefonat entnommen, welches die Verfasserin mit Hertel im Juni 2006 führte. 427 »Nach Gesprächen in Bonn, an denen auch Rolf Schroers [. . .] teilnahm, vereinbarten wir, dass ich – als THA-Dozent angestellt – je zu 50 Prozent eine zweiteilige Aufgabe übernehmen sollte: entsprechende Tagungen in der THA zu halten und Kontakt für die FDP-Bundesgremien zur offi ziellen katholischen Kirche zu schaffen« (Schreiben Hertel an die Verfasserin vom 10. 7. 2006). 428 Auch der Spiegel berichtete Anfang des Jahres 1972 über die Kontakte zwischen FDP und katholischer Kirche. Dabei sah man den Grund für die Bereitschaft der katholischen Kirche, sich auf Gespräche mit der liberalen Partei einzulassen, in der Erkenntnis, nicht mehr auf die sozialliberale Koalition verzichten zu können. Dass die Wahl auf die FDP gefallen war, lag laut Spiegel darin begründet, dass man hier ein Überlaufen katholischer Wähler zu der liberalen Partei – anders als im Falle einer engeren Verbindung zur SPD – nicht zu fürchten hatte (vgl. Art. »Lieber FDP-Kontakte«, in: Spiegel 3/1972, 16). 429 Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8657. 430 Art. »Nachdenkenswerte Strömungen im deutschen Katholizismus«, in: StZ vom 20. 3. 1972. 431 Ebd.
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halb, um den Verdacht zu zerstreuen, es handele sich bei der Kontaktaufnahme seitens der FDP um »wahlpolitisches Kalkül für 1973«432 . Mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass die Tagung im Blick auf eine Verbesserung des Verhältnisses von Katholizismus und Liberalismus im Vergleich zur Tagung von 1968 als gelungen bewertet werden konnte.433 Eine wesentliche Veränderung bestand zunächst darin, dass die FDP diesmal nicht – wie 1968 – Vertreter der katholischen Amtskirche eingeladen hatte, sondern sich primär um die Personen bemühte, die sich selbst als Reformkatholiken verstanden und auch so bezeichneten. Es handelte sich um Mitglieder kritischer Gruppen innerhalb des Katholizismus aus dem Bereich der Hochschullehrer, der Katholischen Deutschen Studentenvereinigung und Priester sowie Vertreter des Bensberger Kreises und der Pax Christi und Leser der unterdessen eingestellten katholischen Zeitschrift Publik434. Hertel 432 Ebd. Die FDP betonte in diesem Zusammenhang, sie sei die einzige Partei, die es nicht nötig habe, »mit ihr [sc. der Kirche] anbändeln zu müssen« (ebd.). 433 Ein katholischer Ordensgeistlicher nannte das Gespräch sogar ein »historische[s] Ereignis« (ebd.). 434 Die Einstellung der katholischen Wochenzeitung Publik war auf der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands am 15. 11. 1971 beschlossen worden. Eine offi zielle Verlautbarung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz begründete den Beschluss mit den fehlenden Möglichkeiten, eine Weiterfi nanzierung der Zeitung zu gewährleisten, und lieferte einige Hintergrundinformationen, die den Beschluss nachvollziehbar machen sollten. So hatte der Verband der Diözesen 1967/68 die Gründung der »Gesellschaft für Publizistik mbH« veranlasst und mit einer Starthilfe von fünf Millionen DM subventioniert. Damals war man davon ausgegangen, dass die Zeitung in fünf Jahren die Rentabilitätsschwelle erreichen würde. Diese Vorstellung habe sich jedoch zunehmend als illusorisch herausgestellt, und auch die weitere Bereitstellung von Mitteln aus einem Teil der Bistümer, die am Fortbestehen der Zeitung interessiert waren, hatte nicht verhindern können, dass »die publizistischen Bemühungen von ›Publik‹ in einer Anlaufzeit von mehr als drei Jahren nicht den erwarteten Lesermarkt gefunden haben, der eine Weiterführung ermöglichen könnte« (Art. »Weiterfi nanzierung von ›Publik‹ abgelehnt – Verlautbarung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz«, in: KNA Dok. Nr. 44 vom 16. 11. 1971). Die Einstellung von Publik löste eine breite Diskussion aus, wie die unterschiedlichen Reaktionen aus den Bereichen Kirche, Politik, Presse und Gesellschaft zeigten. Sie spiegelten gleichsam die Prozesse wider, die sich aktuell innerhalb der katholischen Kirche bzw. des Katholizismus vollzogen: »Es sah aus, als ob mit Publik nicht nur eine Schlacht, sondern der ganze katholische Emanzipationskrieg verloren sei. Nach einer Zeit dürftig keimender Liberalität, Weltoffenheit und Toleranz sah man sich wieder auf dem Rückweg in ein prälatenhaftes, machtverbissenes, unverträgliches katholisches Hinterwäldlertum von geradezu Böllscher Farbigkeit« (Publik, 564). Das Zitat verdeutlicht, welche Hoffnung man seitens der progressiven und reformbereiten Katholiken in dieses weithin als offen und tolerant und zu den politischen Parteien die gleiche Distanz wahrend charakterisierte publizistische Organ gelegt hatte. So verurteilte Karl Rahner die Einstellung von Publik als eine »Schande« und stellte die Frage, wo nun die Plattform sei, »von der aus wir uns, der Katholizismus in Deutschland, in der großen Öffentlichkeit bemerkbar und hörbar machen können« (Art. »Bedauern, scharfe Polemik und Verständnis«, in: KNA Aktueller Dienst Inland Nr. 267 vom 17. 11. 1971). Die Vertretung aller Priesteramtskandidaten der deutschen Bistümer warf der katholischen Kirche als Institution, mit der zu identifi zieren ihnen »immer schwieriger« erschien, vor, »hinter den Geist des II. Vatika-
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berichtete, diese Gruppen hätten bei der Vorankündigung der Tagung »ein relativ stärkeres Echo«435 gezeigt. Die Konzentration auf sie führte gleichsam zu einer veränderten Teilnehmerstruktur. Fand 1968 der Meinungsaustausch eher »im oberen Stockwerk«436 mit CDU/CSU-nahen Vertretern der kathonums zurückzufallen« (Art. »Priesteramtskandidaten äußern Empörung über ›Publik‹Entscheidung – Erzbistum Köln: ›Für Einstellung waren nur Finanzgründe bestimmend‹«, in: KNA Nr. 271 vom 23. 11. 1971). In den Bistümern Speyer, Mainz, Trier und Limburg erwog man die Gründung einer Stiftung, die den Erhalt der Zeitung gewährleisten sollte. In mehreren Städten Deutschlands verbreitete sich die »Leserinitiative ›Publik‹«, die ein Konzept für ein »Neues Publik« entwickelte, das man, wie Publik, als »Forum der innerkirchlichen Diskussion« verstehen wollte (Art. »Wiederbelebung von Publik bestenfalls 1973«, in: ebd. Nr. 10 vom 13. 1. 1972). 80 Synodale der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik stellten den Antrag, eine Synoden-Vollversammlung eigens zu diesem Thema durchzuführen. Auch aus dem Bereich der Politik äußerte man sich kritisch gegenüber der Einstellung der Zeitung. Der rheinland-pfälzische Kultusminister Vogel und die Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Kultusministerium Laurien, beide Mitglieder des ZdK, nahmen den Verlust von Publik »mit tiefer Enttäuschung« zur Kenntnis und bewerteten die Einstellung als ein »Menetekel« (Art. »Bedauern, scharfe Polemik und Verständnis«, in: KNA Aktueller Dienst Inland Nr. 267 vom 17. 11. 1971). Während sich konservative Katholiken im Blick auf den »Tod von ›Publik‹« (Hertel/Teiner, Prinzip, 134) auf die offi zielle Verlautbarung der Bischöfe beriefen und somit in der Diskussion fast ausschließlich das fi nanzielle Argument anführten, war man in progressiven Kreisen davon überzeugt: »An sich selber ist die Zeitung nicht gestorben« (Publik, 564). Besonders in publizistischen Kreisen sah man hinter dem Beschluss der Bischöfe politische Gründe. So nannte Friedrich Weigend-Abendroth, ehemaliger Redakteur der Kirchenzeitung Echo der Zeit und Journalist bei der StZ, als Motiv der Bischöfe den wachsenden Unmut darüber, dass diese Zeitung »sich weigert, in neu formierten Wahlkampfreihen mitzumarschieren, wie dies alle anderen katholischen Gazetten, zum Teil mit groteskem Übereifer, seit Jahr und Tag tun« (zit. nach Hertel/Teiner, Prinzip, 135). Der von Carl Amery geprägte Begriff des »katholischen Milieus« erhielt ebenfalls wieder Einzug in die Diskussion, insofern man dessen erneuten und verstärkten Einfluss für die Ereignisse um die Einstellung von Publik verantwortlich machte. Dieser Einfluss äußerte sich in Tendenzen, die den gerade begonnenen Öffnungsprozess der katholischen Kirche bzw. des Katholizismus, den man seit dem Zweiten Vatikanum hatte ausmachen können, abrupt zu einem Ende führen konnten. Alois Schardt, ehemaliger Chef-Redakteur der Zeitung, beschrieb in der letzten Ausgabe von Publik die Situation wie folgt: »Woran wir gestorben sind? Am katholischen Milieu! [. . .] Dieser Konfl ikt bezieht sich auf die Frage, ob man in Zukunft einen offenen oder wieder mal den geschlossenen Katholizismus will. [. . .] Das Milieu will nicht gestört sein, will unter sich bleiben, will Konfl ikte lieber übersehen als austragen, es haßt den Einfluss von draußen, wenn es ungemütlich wird. Das Problem, für das Publik nur ein Symbol war, ist mit dem Verschwinden dieser Zeitung nicht gelöst« (zit. nach Hertel/Teiner, Prinzip, 136). Im Februar 1972 erschien die erste Ausgabe des Publik-Forums, einer Zeitung, die aus der oben erwähnten »Initiativgruppe Publik« hervorging und bis heute existiert. Man war unterschiedlicher Meinung, ob Publik-Forum nun als Nachfolgerin von Publik betrachtet werden konnte oder nicht. In den EK verneinte man dies und bezeichnete die neue Zeitung als »Rettungsplanke nach dem Schiff bruch« (Weigend, Erben, 109). Die Junge Kirche hingegen titulierte »›Publik‹ lebt trotz allem!« ( JK 33. Jg. Heft 4, April 1972, 213 f.). 435 Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8657. 436 Art. »Nachdenkenswerte Strömungen im deutschen Katholizismus«, in: StZ vom 20. 3. 1972.
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lischen Amtskirche statt, so wollten die Liberalen jetzt das Gespräch »von unten«437 mit offenen, gesprächsbereiten Katholiken beginnen.438 Dabei achtete man sehr darauf, den Kontakt zur offiziellen Amtskirche nicht negativ zu belasten oder etwa die anwesenden Katholiken gegen die katholische Hierarchie auszuspielen. Die Gespräche mit der Amtskirche »auf der diplomatischen Ebene offi zieller Kontakte«439 fanden ebenfalls statt, wie der Besuch Ertls und Funckes im Katholischen Büro in Bonn kurz vor der Tagung bestätigte. Dieser Grundtenor wurde auf der Akademietagung auch in dem grundlegenden Referat von Heinz Robert Schlette mit dem Titel »Der katholische Christ zwischen Freiheit und Autorität«440 vertreten. Zunächst problematisierte Schlette die Spannung, die er im Titel seines Vortrags durch das Wort »zwischen« gegeben sah. So stehe das Zeugnis des Neuen Testaments den Christen »eindeutig auf der Seite der Freiheit«441. Die schon im Urchristentum und »Urkommunismus«442 existenten Ämter und Ordnungen hätten dieser Freiheit dabei zunächst nicht widersprochen. Im Verlaufe der Zeit habe jedoch eine Entwicklung eingesetzt, die das neutestamentliche Amtsverständnis im Sinne der diakonia durch ein hierarchisches Verständnis – und damit durch eine Verbindung von Autorität und Macht – abgelöst habe. Ohne die skizzierte Entwicklung bis in die heutige Zeit nachzuzeichnen, resümierte Schlette, dass das Verhältnis »›zwischen Autorität und Freiheit‹ kein Thema [sei], das konstitutiv zu der Sache des Jesus gehör[e], sondern ein aus der Geschichte der Kirche hervorgegangenes, kirchliches, aber auch sehr menschliches Thema.«443 Als kirchliches Thema sei es dabei in besonderer Weise ein katholisches Thema, wie zahlreiche Konfl ikte »zwischen Autorität und Freiheit« innerhalb der katholischen Kirche gezeigt hätten.444 437
Ebd. Von den 43 Personen waren fünf politische Führungskräfte, neun Personen mit Lehrtätigkeit, elf Journalisten, drei Vertreter religiöser Gemeinschaften, drei Personen aus dem öffentlichen Dienst, eine Person Bundeswehr, acht Studenten, zwei Hausfrauen sowie ein Rentner; davon insgesamt elf Frauen. Hinzukamen zehn Referenten und fünf Podiumsteilnehmer. Hinsichtlich der Altersstruktur zeigte sich, dass bei einer Zahl von 48 Personen (Zahl ergibt sich aus Teilnehmern und Podiumspartnern) keiner unter 18, eine Person zwischen 18 und 25, 28 Personen im Alter von 26 bis 40, 17 Personen 41 bis 65 und zwei Personen über 65 Jahre alt waren (vgl. ebd.). 439 Art. »Liberale Befragung des modernen Katholizismus«, in: BZ vom 24. 3. 1972. 440 Schlettes Aufsatz wurde in liberal veröffentlicht (vgl. Schlette, Katholiken). 441 Ebd., 420. 442 Ebd., 421. 443 Ebd. 444 »[. . .] ja, es ist in der Kirche oft bekannter als außerhalb, in welchem Maße in diesem Jahrhundert fast jeder originelle und schöpferische Theologe unter dem Konfl ikt mit der römischen Autorität gelitten hat, die sich die Teilnahme am Leben der Kirche nur als eine totale bis totalistische Identifi kation mit den Instruktionen der Zentrale, also der Hierarchie vorstellen konnte« (ebd., 423). 438
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Das Kernproblem, so Schlette, bestehe dabei darin, dass sich die kirchliche Autorität, »als Sachverwalterin Gottes selbst«445 verstehe und daraus gleichsam die »verpfl ichtende Kraft ihrer Anweisungen«446 ableite. Diese Konfl ikte machten jedoch deutlich, dass es innerhalb der katholischen Kirche unterschiedliche Strömungen gäbe und somit von außen betrachtet die Perspektive auf die katholische Kirche oftmals zu einseitig sei. Schlette verdeutlichte dies u. a. durch terminologische und sachliche Erwägungen zu den Begriffen Katholizismus, katholische Kirche, Rom, Katholik und katholische Christen. Dabei mahnte er vor einer unüberlegten Gleichsetzung der Begriffe, die oftmals in Vorurteile münde.447 Im Folgenden verwies Schlette auf Entwicklungen und Bewegungen, die sich innerhalb der katholischen Kirche vollzogen haben und von denen man zeitweise annahm, sie könnten etwas an den beschriebenen Strukturen ändern.448 Das Zweite Vatikanum wertete er als ein solches Ereignis und gestand diesem zu, eine Reflexion der Kirche über sich selbst vollzogen zu haben, »die mit dem römischen Zentralismus nicht mehr zu vereinigen«449 sei. Auch wenn dieses Ereignis rückblickend für fortschrittlicher erachtet worden sei, als es letztlich gewesen sei, und auch wenn man trotz aller Konzilserklärungen und Verlautbarungen der Reformtheologie eine neue Stagnation feststellen müsse, die auf eine wiederauf kommende »sich konsolidierende traditionalistische Haltung«450 zurückzuführen sei, so sei doch seitdem eine internationale innerkirchliche Reformbewegung zu erkennen, die so nicht mehr rückgängig zu machen sei. Diese Bewegung habe eine neue theologisch ernstzunehmende Krisensituation hervorgerufen, die Schlette, in Analogie zur Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts, als »Chris445
Ebd. Ebd., 424. 447 »Ist ein katholischer Christ ein Mensch, der exakt das denkt und tut, was die römische und lokale Hierarchie ihm vorschreibt? [. . .] Ja, es gibt wohl immer noch höchste Kirchenvertreter, die offen oder vor allem insgeheim diesem Verständnis anhängen, und es gibt auch in vielen mittelmäßigen theologischen Äußerungen und in den zahllosen pastoralen Anweisungen der Kirchenpresse nach wie vor die Meinung, ein katholischer Christ sei jener, der an der langen Leine der Hierarchie zuverlässig reagiere und dessen Freiheit allenfalls darin bestehe, in den verschiedenen Situationen die ihm eingegebenen Prinzipien und Normen anzuwenden« (ebd., 423). 448 »Denn man darf nicht übersehen, daß es eine Reihe von systemimmanenten Gründen und Faktoren gibt, die das römisch-papalistische Einheitsverständnis ständig zu sprengen suchen: Man weiß, daß es so etwas gibt wie unvorhersehbare, charismatische Auf brüche; unterschiedliche liturgische Formen und Sprachen, auch verschiedene Lehrtraditionen [. . .]« (ebd., 424). 449 Ebd., 425. 450 Ebd., 426. Schlette zählte im Folgenden eine Reihe von Anzeichen auf, die die beschriebene Haltung bestätigten, und erwähnte dabei u. a. die Einstellung der Zeitschrift Publik. In diesem Zusammenhang dankte er, dass der Zeitschrift der Theodor-Heuss-Preis verliehen worden war (vgl. ebd., 427). 446
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ten-Spaltung« bezeichnete, »die nicht nur durch die katholische Kirche hindurchgeht, sondern quer durch die christlichen Konfessionen«451 und eine große Spannungsbreite und Meinungsvielfalt innerhalb der katholischen Kirche sichtbar gemacht habe. Er erörterte im Folgenden, welche Schwierigkeiten, aber auch positiven Ansätze sich durch diese Erneuerungsbewegung ergäben, die sich in ihrer Auseinandersetzung mit klassischen Topoi der katholischen Moraltheologie immerzu der Spannung von »Autorität und Freiheit« ausgesetzt sehe. So verwies er darauf, dass sich die erwähnte Erneuerung insbesondere auf die Frage nach einem angemessenen Verständnis der so genannten Dogmen auswirke. Die Spannung bestehe nun darin, dass es einerseits auch in der katholischen Kirche nicht ein Thema gebe, das nicht theologisch kontrovers diskutiert werde, »so daß es also ›den katholischen Christen‹, die ›katholische Lehre‹, den ›katholischen Standpunkt‹ in derart uniformistischer Weise nicht mehr gibt.«452 Andererseits gebe es aber eine gemeinsame Geschichte und Kontinuität, die sich in einer Vielzahl von »Symbolen« manifestiere. Diese »Symbole« wie bspw. das Glaubensbekenntnis fungierten gleichsam als Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, so dass auch die Reformtheologen an diesen Texten festhielten.453 In diesem Zusammenhang stelle sich weiterhin die Frage, wer in theologischen Fragen das Interpretationsmonopol besitze.454 Die folgenden Erörterungen über das Verhältnis von Hierarchie und Theologie, die die Frage nach dem Recht auf Irrtum und der Funktion der Seelsorge auf beiden Seiten implizierte, mündeten in den Appell an die kritische Theologie, »innerhalb der Kirche der Anwalt kritischer Freiheit [zu] sein [. . .] mit dem Ziel, die kirchliche Autorität selbst zu veranlassen, für die Verbreitung der innerkirchlichen Freiheitsräume ständig einzutreten und um die Mündigkeit der Christen ebenso besorgt zu sein wie um die Freiheit eines umfassenden Humanismus.«455
451 Ebd., 428. So hätten sich in Deutschland zahlreiche Solidaritätsgruppen junger Priester gebildet, die »den langen Marsch durch die hierarchischen Institutionen« angetreten hätten (ebd., 429). Interessant ist die Verwendung typischer 1968er-Terminologie an dieser Stelle. 452 Ebd., 430. 453 »Es läßt sich gelegentlich beobachten, daß auch der geschickteste Interviewer es nicht fertig bringen wird, Theologen wie Rahner, Küng oder Metz auf eine Äußerung festzulegen, die eine explizite Leugnung des Wortlautes eines Dogmas darstellte« (ebd., 431). Analog verhielte es sich mit dem Begriff der Offenbarung. 454 »Ist es etwa so, daß die Hierarchie, daß der Papst hier das Interpretationsmonopol besitzt? Selbst wenn man in Rom und anderswo dieser Meinung anhinge, würde sie dadurch theologisch nicht richtiger« (ebd., 432). 455 Ebd., 436. »Die Lehren des Amtes zu rechtfertigen, hat nur wirklich dann Sinn, wenn dem etwas anderes vorausgegangen ist: die Belehrung des Lehramtes durch die
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Schlette schloss seinen Vortrag, indem er das Dargestellte auf das Verhältnis von Liberalismus und katholischer Kirche übertrug und beide Seiten dazu aufrief, eine Sprache zu fi nden, die sich »von alten Affekten absetzt«456 und sich »für eine faire Toleranz und für gerechte Gesellschaftsformen«457 engagiere. Gemeinsam einen neuen verantwortlichen Individualismus zu erfi nden, könne dann zu einer gemeinsamen Aufgabe des politischen Liberalismus und des Teils der katholischen Christen werden, »die in der gegenwärtigen Christen-Spaltung sich auf der Seite der Freiheit, der schöpferischen Phantasie und der Gerechtigkeit befinden.«458 Dieser Vortrag manifestierte die Situation der Tagung, die sich durch die anwesenden Personen und damit verbundenen Einstellungen ergab, und machte ebenfalls deutlich, worum es in den nächsten Tagen zu gehen hatte: Ansätze für eine gemeinsame Arbeit herauszuarbeiten, die zu einer Entkrampfung des Verhältnisses beitragen sollten. Dass dieses Ziel ein Stück weit erreicht wurde, zeigte sich in dem Vortrag des Jesuitenpaters Hermann Joseph Wallraff von der Hochschule St. Georgen über die katholische Soziallehre, die er am Beispiel der Eigentumsfrage explizierte. Wallraff versah dabei die eigentumspolitischen Kapitel des Freiburger Programms mit einem Lob und sah darin Möglichkeiten, sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen.459 Dass die Tagung auch in der Öffentlichkeit auf Aufmerksamkeit stieß, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass zwei führende FDP-Politiker ihre Meinungen hinsichtlich der katholischen Kirche – zumindest ein Stück weit – revidierten. So betonte Flach: »Ich selbst glaubte es lange Zeit felsenfest, daß es keine geistigen Berührungspunkte zwischen Katholizismus und Liberalismus gebe. Durch die Lektüre von ›Publik‹, deren Arbeit ich als liberalen Journalismus aus katholischer Grundhaltung kennenund schätzenlernte, mußte ich mein Vorurteil revidieren.«460
Theologie. [. . .] Theologie hat also die Hierarchie zu informieren, zu belehren und das heißt natürlich auch: zu kritisieren« (ebd., 434). 456 Ebd., 438. 457 Ebd. 458 Ebd. 459 Vgl. Art. »Nachdenkenswerte Strömungen im deutschen Katholizismus«, in: StZ vom 20. 3. 1972. Weitere Referenten der Tagung waren Werner Maihofer, Lutz Hoffmann, Wiss. Ass. an der Universität Bielefeld, Klaus Lang, Vorsitzender der KDSE, Ferdinand Menne, Wiss. Ass. der Universität Münster, Harald Pawlowski, Publizist von PublikForum, früher Publik, Hans-Hermann Hücking, Gymnasiallehrer aus Dortmund, Rafael Gutierrez-Girardot aus Bonn und Reinhold Lehmann, Generalsekretär der deutschen Sektion Pax Christi aus Frankfurt (vgl. Tagungsprogramm; AdL 8657). 460 Flach zit. nach Art. »Nachdenkenswerte Strömungen im deutschen Katholizismus«, in: StZ vom 20. 3. 1972.
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Maihofer hingegen zeigte sich zunächst kritisch.461 So konstatierte er in einem Referat über das »Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der nachchristlichen Gesellschaft«, dem einzigen Vortrag auf der Tagung, der von liberaler Seite gehalten wurde, u. a., dass die traditionelle Moraltheologie der Kirche für die Probleme, die heute gelöst werden müssten, unanwendbar sei. Die Diskrepanz zwischen moderner Politik und der katholischen in der Tradition verhafteten Lehre sei so groß, dass sie selbst durch neu auftretende progressive Kräfte innerhalb der katholischen Kirche nicht aufzuheben sei.462 Hintergrund dieser Äußerung war dabei die aktuelle Debatte um § 218 StGB und die damit zusammenhängenden Äußerungen des Kardinals Joseph Höffner.463 Maihofer konnte in der Aussprache zu seinem Vortrag davon überzeugt werden, dass er ein einseitiges und stark polarisierendes Bild des Katholizismus dargestellt habe, das so nicht mehr existierte. Er entschuldigte sich anschließend für seine Äußerungen und bekannte: »Ich wußte nicht, daß es so nachdenkenswerte, beachtliche Strömungen im deutschen Katholizismus gibt.«464 Insgesamt beschloss man, zuversichtlicher als im Jahre 1968, die entstandenen Kontakte zu pflegen und weiter miteinander im Gespräch zu bleiben, was angesichts der Tatsache, dass man schon im Mai wieder zusammentraf, diesmal auch in die Tat umgesetzt wurde. »Liberalismus, Katholizismus und demokratische Postulate« – 2. Tagung 23. bis 26. 5. 1972 Insgesamt 30 Teilnehmer, davon fünf Frauen, sieben Referenten und drei Podiumsteilnehmer, nahmen an der zweiten gemeinsamen Tagung von Li461 Der Konstanzer Werner Maihofer (*1918), ev., war Jurist und von 1955 an Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Sozialphilosophie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Im Jahre 1970 folgte er einem Ruf nach Bielefeld. Maihofer trat 1969 in die FDP ein. Seine Blitzkarriere, die er dort als einer der maßgeblichen progressiven, linksliberalen Kräfte jener Zeit machte, zeigte sich in seiner baldigen Mitgliedschaft im höchsten Gremium der FDP, dem Präsidium, dem er von 1970 bis 1978 angehörte. Als Vorsitzender der FDP-Programmkommission für die »Freiburger Thesen« prägte er deren Inhalt maßgeblich. Im Dezember 1972 wurde Maihofer Bundesminister für besondere Aufgaben, 1974 Bundesminister des Inneren. Maihofer war Mitglied der HU (siehe dazu Kap. II.2.2.). 462 Vgl. auch seine Äußerung auf die Frage eines Diskussionsteilnehmers, ob sein starkes Eingehen auf die Tradition nicht genau das bestärke, was innerkirchlich bereits abgestorben sei: »Die harten Fronten müssen Sie sehen. Der Reformkatholizismus wird unfähig sein, die grundsätzliche Unversöhnbarkeit von Religion und Politik aufzuheben« (Maihofer zit. nach Glaser, »Schlüsselerlebnis«, 6). 463 Höffner hatte Ende Februar 1972 in einem Interview mit der KNA verlauten lassen, dass »Abgeordnete, die nicht bereit sind, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, auch des ungeborenen Kindes zu gewährleisten, für einen katholischen Christen nicht wählbar« seien (»Interview mit Kardinal Höffner: Ungeborenes Leben rechtlos?«, in: KNA Nr. 37 vom 21. 2. 1972. Vgl. dazu Mantei, Nein und Ja, 185 ff.). 464 Art. »Liberale Befragung des modernen Katholizismus«, in: BZ vom 24. 3. 1972.
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beralen und Katholiken teil, die als Fortsetzung der Märztagung verstanden wurde. Besonders auffällig war dabei die relativ große Zahl an Studenten, aber auch Frauen aus der praktischen Sozialarbeit, Ingenieure, katholische Theologen (darunter, diesmal nicht in der Funktion eines Referenten, Schlette) sowie mehrere Vertreter der Presse und des Rundfunks machten den Teilnehmerkreis zu einer bunten und diskutierfreudigen Runde.465 Als einziger Vertreter der katholischen Amtskirche war Bernd-Otto Kuper für das Kommissariat der Bischöfe zugegen; von zwei angemeldeten Mitarbeitern des Bonner Katholischen Büros erschien einer erst gar nicht, der andere reiste nach einer Erklärung über das Recht der Kirche zu politischen Stellungnahmen wieder ab. Die Vermutung der Stuttgarter Zeitung, die beiden Vertreter hätten sich »mit Recht in diesem Kreis der Disputanten nicht ganz heimisch«466 gefühlt, könnte eine zutreffende Erklärung sein. Hatte die erste Tagung noch zum Ziel, die Begegnungsmöglichkeiten zwischen Liberalismus und Katholizismus grundsätzlich zu erörtern, so ging diese Tagung einen Schritt weiter. Zwar wurden grundsätzliche Überlegungen nach wie vor angestellt, doch zeigten die Beratungsergebnisse dreier auf der Tagung konstituierter Arbeitsgruppen sowie Berichte über die Plenargespräche, dass man die Frage nach einer möglichen Kooperation zwischen Katholiken und Liberalen an konkreten Themen explizierte.467 Zu diesen Themen gehörten u. a. die Diskussion des gegenwärtigen Kirchensteuereinzugsverfahrens, eine mögliche Revision des kirchlichen Zensurrechts an den öffentlichen Fakultäten sowie die mit beiden Themen zusammenhängende allgemeine Überlegung, ob das Reichskonkordat von 1933 nicht einer grundlegenden Revision bedürfe. Auch thematisierte man die in der »Nürnberger Wahlplattform« der FDP von 1969 enthaltene Forderung nach Trennung von Staat und Kirche. Von Seiten der Liberalen wurde betont, dass diese Forderung nicht kirchenfeindlich zu verstehen sei, sondern vielmehr zum »Brückenschlag zwischen politischen und kirchlichen Gruppierungen«468 werden könne. Weiterhin beschäftigte man sich mit dem 465 Unter den Vertretern der Studenten waren ebenfalls die nordrhein-westfälischen DJD Ingrid Matthäus und Robert Maier, die zu den maßgeblichen Vertretern und Mitverfassern des Jungdemokratenpapiers »Liberalismus und Christentum« von 1973 gehörten (siehe Kap. II.4.). 466 Vgl. Art. »Katholiken können Liberale – Liberale Katholiken sein – Gesprächstagung an der Theodor-Heuss-Akademie über die demokratischen Postulate beider Gruppen«, in: StZ vom 27. 5. 1972. 467 Die Themen der Arbeitsgruppen lauteten: I. Kontroverse Fragen zwischen Katholizismus und Liberalismus; II. Gesellschaftliche Kooperation zwischen Katholiken und Liberalen; III. Demokratie – Lebensform der Gesellschaft (vgl. ebd.). 468 Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8658. In anderen Gesprächen hatten die Liberalen betont, dass man es als Aufgabe des Staates ansehe, die Kirche in den Aufgaben zu fördern, die zur Erfüllung ihres Auftrages im Sinne des Dienstes am Menschen nötig seien. So sollte beispielsweise die religiöse Erziehung in Kindergärten oder die geistliche
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Strafrecht, hier besonders mit der umstrittenen Reform des § 218 StGB.469 Hinsichtlich der Referentengruppe zeigte sich diesmal ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Liberalen und Katholiken, und die Vorträge stießen auf gegenseitige Sympathie.470 Martin Bangemanns Vortrag über die »Freiburger Thesen« und ihre gesellschaftliche Relevanz stieß bei den Katholiken auf positives Echo, weil Bangemann sich zur »Wertgebundenheit liberaler Politik«471 bekannte. Umgekehrt zeigten sich die Liberalen durch die Vorträge der katholischen Dozenten Post und Schmitz beeindruckt, die darin eine Theologie der Freiheit postulierten, von der man so auf liberaler Seite noch nicht gehört hatte. Auch die Kritik Pater Ludwig Kaufmanns an den mangelnden demokratischen Strukturen im deutschen Katholizismus stieß bei den Liberalen auf positive Überraschung. Als überraschendstes Ergebnis der Tagung kann wohl der von katholischer Seite ausgesprochene Wunsch, »einen Arbeitskreis katholischer Liberaler, liberaler Katholiken, sogenannter Reformkatholiken und verantwortlicher F.D.P.-Politiker als ständige Gesprächsbasis«472 einzurichten, festgehalten werden. Von einem solchen Arbeitskreis erhoffte man sich »Auswirkungen auf die Einschätzung der Katholischen
Betreuung in Krankenhäusern nicht nur weiterhin legitimiert, sondern sogar unterstützt werden. Einzige »Bedingung« sei dabei, dass die Kirchen diesen Auftrag nicht exklusiv verstünden, was sich z. B. durch eine Abweisung nicht-katholischer Kinder durch katholische Kindergärten zeigen würde. 469 Die kontrovers geführte Diskussion fand in einem intensiven Gespräch mit Funcke statt, in dem von liberaler Seite nochmals deutlich gemacht wurde, worin in diesem Kontext die Kritik an der katholischen Kirche bestand: So sprach man sich natürlich für einen Schutz des werdenden Lebens durch das Grundgesetz aus, was aber nicht bedeute, dass man diesen Schutz strafrechtlich fi xieren müsse. Zwar könne sich ein Strafrecht an ethischen Normen orientieren, eine Nichteinhaltung dieser Normen, bspw. im Falle einer Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, dürfe aber nicht mit Strafe belegt werden. Die Kirchen könnten somit nicht von der Gesetzgebung erwarten, dass ihre Wertevorstellungen bei Nichteinhaltung sanktioniert würden. Für die Gewissensentscheidung des Staatsbürgers einzutreten, sei in diesem Falle liberale Aufgabe. 470 Als Referenten waren eingeladen: Martin Bangemann, ev., stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg, Liselotte Funcke, ev., Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitglied des Bundesvorstandes der FDP (siehe Kap. III.1.1.2.), Ludwig Kaufmann, Schweizer Jesuit, Redaktionsmitglied der schweizerischen katholischen Zeitschrift Orientierung, Werner Post, kath., Dozent, Joachim Stancke, kath., Bundesgeschäftsführer der FDP, Hans Josef Schmitz, kath., Diplomtheologe und Rolf Schroers, der für Hans-Dietrich Genscher eingesprungen war, da dieser aufgrund der Parlamentskrise in Bonn und der Fahndung nach der Baader-Meinhof-Gruppe seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte (vgl. Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8658). 471 Art. »Katholiken können Liberale – Liberale Katholiken sein – Gesprächstagung an der Theodor-Heuss-Akademie über die demokratischen Postulate beider Gruppen«, in: StZ vom 27. 5. 1972. 472 Ebd. Dem Wunsch wurde inoffi ziell im November 1972, offi ziell dann im Februar 1973 mit der Gründung eines KLA entsprochen (siehe Abschnitt 3.3.2.).
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Kirche in der FDP, auf konkrete politische Entscheidungen dieser Partei, sowie auch auf die Meinungsbildung innerhalb der katholischen Kirche.«473 Kirchliche Erklärungen und politische Wahlen – 3. Tagung 29. 9. bis 1. 10. 1972 Sieben Wochen vor den siebten (vorgezogenen) Bundestagswahlen traf man erneut in Gummersbach zusammen, um zum Thema »Kirchliche Erklärungen und politische Wahlen« zu arbeiten. Wieder nahmen 30 Personen, davon zehn Frauen, und sieben Referenten an der Tagung teil, diesmal erstmalig in einem ausgeglichenen Verhältnis von Liberalen und Katholiken.474 Man kann wohl behaupten, dass diese dritte Zusammenkunft aufgrund ihres Zeitpunkts und der damit zusammenhängenden Aktualität ihrer Thematik die brisanteste der vier Tagungen des »Liberalismus und Kirche«-Zyklus war. Ihre Aktualität zeigte sich u. a. darin, dass sowohl die Deutsche Bischofskonferenz als auch der Rat der EKD kurz zuvor Stellungnahmen zur anstehenden Bundestagswahl verfasst und veröffentlicht hatten, anhand derer man die Thematik der Tagung konkret diskutieren konnte. Wenngleich der protestantische Aspekt auf der Tagung somit seine Erwähnung fand, ging es doch primär um die katholische Problematik politischer Äußerungen, besonders der der katholischen Amtskirche.475 Dabei fiel in Diskussionsbeiträgen der katholischen Liberalen immer wieder die Vokabel der »kirchlichen Machtverstrickung«, die man in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Präsenz der katholischen Kirche und ihrer Präferenz bestimmter politischer Parteien gegeben sah. Das Referat von Funcke »Sollen die Kirchen schweigen?«476 war für diese allgemeine Diskussion grundlegend. Funcke konstatierte im Blick auf die Haltung der Kirchen zur Politik zunächst ein Spannungsverhältnis, darin bestehend, dass es einerseits »für politische Ermessensentscheidungen keine Weisungen aus der Heiligen Schrift«477 gebe, andererseits aber eine Kirche, die den Anspruch habe, den Menschen im Sinne der in der Heiligen Schrift proklamierten Nächstenliebe in seiner gesamten Existenz zu begleiten, sich 473 Sendung »Aus der christlichen Welt«, gesendet am 28. 5. 1972 im SWF. Verfasser der Sendung war der Redakteur Ludwig Klein, der an beiden Tagungen teilgenommen hatte. 474 »Erstmals hatten sich typisch ›katholische Liberale‹ eingefunden, so z. B. der FDPBundestagskandidat einer Großstadt, der in der katholischen Kirche seines Heimatortes engagiert ist, der Jungdemokrat, der in der Bundesspitze eines katholischen Jugendverbandes arbeitete« (Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8659). 475 In der Tagungseinladung, die am 31. 8. 1972 in der EKD einging, begründete man die Fokussierung auf die katholische Problematik damit, sie berge »mehr politischen, gesellschaftlichen Zündstoff als die protestantische« (Einladung der FNS zur Tagung »Kirchliche Erklärungen und politische Wahlen«; EZA 2/17687). 476 Der Vortrag wurde in epd Dok. veröffentlicht (vgl. Funcke, Das politische Engagement der Kirchen, in: epd Dok. 9/1973, 41–49a). 477 Ebd., 42.
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in einer Gesellschaft, in der überall politische Entscheidungen verlangt würden, nicht lediglich »caritativ in der unmittelbaren Hilfeleistung für den armen Menschen am Wege«478 verstehen könne. Bei der Erörterung der Frage, wie sich denn nun die Kirche zu politischen Fragestellungen verhalten solle, wies Funcke zunächst auf die Problematik eines grundlegenden Anliegens der katholischen Kirche hin, »die Grundwerte, und das heißt die sittlichen Grundwerte«479 stets gesichert zu wissen. Neben der Frage, was unter diesen Grundwerten zu verstehen sei480, nannte Funcke Beispiele vergangener politischer Auseinandersetzungen, in denen es jeweils um die richtige Auslegung der Grundgesetzartikel gegangen sei und wo die katholische Kirche an mehreren Stellen im Verlaufe der Zeit ihre Meinung revidiert hatte.481 Diese Beispiele zeigten, dass man die Überzeugung, es gebe »zeitlose Unumstößlichkeiten, auf die die Kirche sich so berufen kann«482 , kritisch hinterfragen müsse. Die Kirche habe kein Recht, politische Erklärungen, die sittliche Grundwerte absolut defi nierten, zu veröffentlichen. Diese Intention lege nun aber der Erklärung des Kommissariats der Bischöfe zugrunde, die Funcke als »am schwersten zu verstehende[s] und zu ertragende[s] Wort gegenüber allen Bischofsworten vorher«483 bezeichnete. Zwar dürfe sich die Kirche nicht unpolitisch verstehen, jedoch müssten bei ihren Verlautbarungen klare Vorstellungen über deren Grenzen, Inhalte und Umfang herrschen. In der EKD habe man, ausgelöst durch die vielfältigen Reaktionen auf ihre Denkschriften, besonders auf die wahrscheinlich populärste so genannte Ostdenkschrift, mit einer Denkschrift über die Denkschrift versucht, eine Antwort auf die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen evangelischer Denkschriften zu geben. Die Kirche dürfe sich zu den Bereichen kritisch äußern, »wo sie selbst betroffen ist«, d. h. dort, wo bspw. ihre karitative Arbeit grundsätzlich in Frage gestellt werde oder etwa bei der Diskussion um
478
Ebd. Ebd., 43. 480 »Ein Grundbekenntnis zu den zwanzig ersten Artikeln des Grundgesetzes oder zu der Charta der Menschenrechte besagt nicht viel spezielles, denn dieses Bekenntnis greift über die verschiedenen Konfessionen und Weltanschauungen hinaus. Es hält einen Grundbestand an Übereinstimmung der Menschen darüber fest, wie ein Gemeinschaftsleben zu gestalten ist, und was an Grundbedingungen dafür gegeben sein müsse. Und das umgreift dann auch die zehn Gebote« (ebd.). 481 »Vor 30 Jahren war die Katholische Kirche in der Frage des § 218 absolut gegen jeden Eingriff, heute will sie die medizinische Indikation zulassen. Gegen die gesetzliche Ehescheidung hat es vor 100 Jahren die schwersten Kämpfe zwischen Staat und Kirche gegeben, heute nimmt man sie hin« (ebd., 44). 482 Ebd. 483 Ebd. (vgl. den Titel der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz »Menschliche Grundwerte in Gefahr«, in: KNA Dok. Nr. 47 vom 23. 9. 1972). 479
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die Kirchensteuer.484 Ebenso habe sie sich bei Fragen, die den Menschen in seiner gesellschaftlichen Einbindung beträfen, für diejenigen einzusetzen, die Benachteiligung erfahren würden.485 Ein solches Engagement der Kirchen sei nun aber nicht gleichzusetzen mit einem direkten oder indirekten Bekenntnis zu einer politischen Partei. Dies sei aus mehreren Gründen verwerfl ich: zum einen unterstelle ein solches Bekenntnis dem mündigen Bürger die Unfähigkeit, für sich selbst ein politisches Urteil zu fällen; zum anderen seien Parteiprogramme wandelbar, eine Kirche hingegen habe »eine unwandelbare Wahrheit zu vertreten«486 . Eine Identifi kation mit einer Partei hätte weiterhin zur Folge, dass die Kirche eventuelle Fehlentscheidungen und Irrtümer mitzuverantworten habe, was sie, obschon sie »in ihrer irdischen Gestalt [ebenfalls] zweifelsohne recht menschlich ist« 487, möglichst nicht tun sollte. Schließlich habe die Kirche dort, wo sie sich politisch äußert, mit Gegenreaktionen zu rechnen, was die EKD spätestens nach Veröffentlichung der Ostdenkschrift erfahren hätte und die katholische Kirche nun erfahre. Im Blick auf die noch immer offene Frage, wie die Kirche denn nun ihr Wort zu politischen Fragen zu sprechen habe, stellte Funcke vier Forderungen: 1. die Kirche müsse sich unvoreingenommen gegenüber jeder Partei verstehen, 2. es müsse klar sein, wer im Falle einer Veröffentlichung spricht (Funcke verwies in diesem Zusammenhang auf den Charakter der evangelischen Denkschriften, die eben Denkanstöße, jedoch keinesfalls gültige Lehrmeinungen liefern wollten, und wies darauf hin, dass der Rat der EKD als Herausgeber nicht immer mit den Inhalten der zu veröffentlichenden Denkschriften übereinstimmte, sich jedoch durch die Zustimmung zu einer Veröffentlichung für die Pluralität der Meinungen unter Christen aussprach), 3. politische Erklärungen seien sehr gründlich und von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen zu erarbeiten, und 4. der Adressat müsse ebenfalls angemessen berücksichtigt werden. Die letzte Forderung implizierte auch die Frage, wie konkret politische Aussagen zu formulieren seien. Funcke kam in diesem Zusammenhang erneut auf die aktuellen Stellungnahmen beider Kirchen zur Bundestagswahl zu sprechen und kritisierte an der katholischen, man habe sich in ihr zu emotional und lediglich stark selektiv zu den aktuellen politischen Fragen geäußert.488 In der Stellungnahme 484
Funcke, Das politische Engagement der Kirchen, in: epd Dok. 9/1973, 45. »Die Kirchen haben sich traditionell zum Sprecher derer gemacht, die schwächer waren als andere. [. . .] Für die Benachteiligten setzt sie sich ein, sei es in eigener Aktivität, die eine indirekte Herausforderung ist, sei es in der indirekten Forderung an den Staat« (ebd., 46). 486 Ebd. 487 Ebd. 488 »Da rührt man ein paar Emotionen auf: die Preise gehen hoch, die Sitten verfallen, die Kriminalität wird immer bedrohlicher; es tut keiner etwas dagegen, deswegen müssen 485
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des Rates der EKD hingegen werde der Bürger zu einer »nüchtern sachlichen Überlegung über Vorhandenes und Liegengebliebenes«489 angeregt, im Unterschied zur Erklärung der Bischofskonferenz werde jedoch für keine bestimmte Partei geworben. Funcke schloss ihren Vortrag mit der Warnung vor einer Bevormundung der Bürger im Blick auf politische Entscheidungen und appellierte, dass der politische Beitrag der Kirche einzig im »Weg der Denkanstöße, der Ermutigung zur kritischen Beurteilung, [und der] Mahnung zur Sachlichkeit und zur ehrlichen Gewissensentscheidung«490 bestehen könne. Sich in diesem Sinne politisch zu äußern sei mehr als ein Wahlaufruf. Neben dieser grundsätzlichen Diskussion führten Referate u. a. zu Funktion und Entstehung politischer Hirtenworte bzw. über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den politischen Parteien in den geschichtlichen Hintergrund der breiten Thematik ein.491 Heinrich Ludwig, Assistent von Wilhelm Weber492 an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster, wies darauf hin, dass sich als Konsequenz des zweiten Vatikanischen Konzils eine Veränderung hinsichtlich der Inhalte politischer Erklärungen vollzogen habe. Hätten diese vor dem Zweiten Vatikanum primär die Rechristianisierung der Gesellschaft zum Inhalt gehabt, so sei durch die Erklärung der Religionsfreiheit und das damit verbundene neue Verständnis einer Kirche in der pluralistischen Gesellschaft eine radikale Änderung eingetreten. Der inhaltliche Schwerpunkt bischöfl icher Schreiben lege nun nicht mehr in der Festschreibung primärer Glaubenswerte, vielmehr wolle man auf die allgemeinen Menschenrechte als die verbindenden Werte verweisen. Allerdings, so Ludwig, seien »Verhaltensweise und Verhaltenserwartungen in der Gegenwart«493 nach wie vor »von Vergangenheitsstrukturen aller möglicher Herkunft und Hafttiefe«494 so sehr bestimmt, dass die Verfasser politischer wir die Grundrechte schützen und alle miteinander, Politiker und Bürger, dafür sorgen, daß es wieder besser wird« (ebd., 48). An dieser Stelle sei erwähnt, dass es Überlegungen gegeben hatte, eine gemeinsame Erklärung beider Kirchen zu verabschieden. In einer Besprechung zwischen den Bischöfen Dietzfelbinger und Döpfner hatten beide dieses Vorhaben als »im Augenblick nicht geschickt und sinnvoll« abgelehnt (Protokoll der 70. Sitzung des Rates vom 21./22. 9. 1972; EZA 2/17687). 489 Funcke, Das politische Engagement der Kirchen, in: epd Dok. 9/1973, 49. 490 Ebd., 49a. 491 Neben Funcke waren als weitere Referenten anwesend: Heinrich Ludwig, Burger, Ferdinand Kerstiens, Vorstandsmitglied der KDSE, Helmut Lindemann, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Neues Hochland, Volker Schmitt, Redakteur der ZDF-Abteilung »Kirche und Leben« und Rolf Zundel aus der Bonner Zeit-Redaktion. 492 Wilhelm Weber (1925–1983) war Präses des Bundes Katholischer Unternehmer und hatte den sozialwissenschaftlichen Lehrstuhl an der Katholisch-Theologischen Fakultät als Nachfolger Joseph Höffners seit 1964 inne. Er hatte die auf der Tagung stark kritisierte Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit vorbereitet. 493 Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8659. 494 Ebd.
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Stellungnahmen ihre alten Vorstellungen auch in Bezug auf das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Parteien FDP und SPD nicht so schnell revidieren könnten. Dieser Zwiespalt zwischen Aussagen des Konzils und früheren Äußerungen trete nach wie vor bspw. in den Wahlhirtenworten zutage. In einer abschließenden Runde erörterte man gemeinsam mit den anwesenden Journalisten die Wirkung kirchlicher Verlautbarungen. Man unterschied dabei zunächst verschiedene Gruppen von Katholiken, nichtkirchengebundene Katholiken (so genannte Randkatholiken bzw. laizistische Katholiken) und kirchengebundene Katholiken, die nochmals in klerikale und Konzilskatholiken eingeteilt wurden. Im Blick auf die Wirkung von Wahlhirtenbriefen war man sich einig, dass diese nur bei autoritätsfi xierten Katholiken effektiv zur Entscheidungsfi ndung beitragen konnten, wohingegen unter der Mehrheit der so genannten Konzilskatholiken solche Wahlhirtenbriefe eher abschreckend seien, zumal sich dort zunehmend Affi nitäten zur FDP und SPD verzeichnen ließen. Die Tagung endete mit einer positiven Würdigung des Einbringens protestantischer Aspekte in die Thematik und dem Wunsch, das oben erwähnte Problem der kirchlichen Machtverstrickung in einer weiteren Tagung zu vertiefen. Exkurs I: »Menschliche Grundwerte in Gefahr« – Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur gesellschaftspolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik 495 In einem ersten Abschnitt wird die Intention der Erklärung dahingehend formuliert, auf die »umgreifende Zerrüttung der menschlichen Grundwerte« hinzuweisen, in der Hoffnung, dass ein erneutes Bekenntnis zu den sittlichen Werten und zur Menschenwürde durch verantwortungsvolle Menschen und »die zahlreichen Kräfte der Erneuerung, die sich in vielen Teilen [des] Landes« bewegten, diesem Verfall Abhilfe leiste. Unter I. versucht die Erklärung die Gründe zu benennen, die zu einem solchen Sittenverfall geführt haben. Dabei wird zunächst eine Diskrepanz beschrieben, in der sich der bzw. die einzelne befi ndet. Einerseits dazu aufgefordert, in Mündigkeit und Emanzipation sein Leben zu gestalten, erfährt der Mensch auf der anderen Seite eine immer stärker werdende Bevormundung durch den Staat. Dieser Staat, »der die sittlichen Grundwerte immer weniger schützt«, dringt gleichzeitig so vehement in die Lebensbereiche ein, die sich der Erziehung und Bildung sowie der sozial-karitativen Arbeit verschrieben haben, »daß die Eigenverantwortung [. . .] immer mehr eingeengt und dadurch verantwortliches Handeln verhindert wird.« Besonders kriti495
Die Erklärung wurde am 21. 9. 1972 von der DBK verabschiedet und in der KNA Dok. Nr. 47 vom 23. 9. 1972 veröffentlicht. Die folgenden Zitate ebd.
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siert wird an dieser Stelle, dass sich der Abbau sittlicher Werte schon sichtbar in der Rechtsprechung manifestiere, was die Gefahr für amtierende Politiker nach sich ziehe, »sozialen Utopien zu verfallen und den Forderungen unrealistischer Programme nachzugeben.«496 Die Folge bestehe somit in einer Abwertung des Staates zu einer »Gefälligkeitsdemokratie.« Abschnitt II nennt in sechs Punkten konkrete Entwicklungen, die die zuvor gemachten Äußerungen belegen: 1. die Diskussion um die Reform des § 218 StGB laufe auf die »Preisgabe des strafrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens« hinaus; 2. die Zunahme von Gewaltverbrechen sowie die Verbreitung von Pornographie werde nicht selten »mit gesellschaftsreformerischen Ideologien« verbrämt; 3. politische links- und rechtsextreme Gruppen versuchten zunehmend die allmähliche Aushöhlung und Vernichtung der parlamentarischen Demokratie durchzusetzen; 4. unter dem Stichwort der »Demokratisierung der Hochschule« erhielten Extremisten die Möglichkeit, sich in Entscheidungsgremien durchzusetzen und Schlüsselpositionen einzunehmen 5. die schulische Jugend stehe in der Gefahr, durch in die Schule eingedrungene extreme politische Heilslehren manipuliert zu werden; 6. die sittliche Grundlage von Ehe und Familie werde zunehmend erschüttert, die fi nanzielle Benachteiligung der Mehrkinderfamilien sowie der katastrophale Geburtenrückgang seien erste Auswirkungen. Im dritten Abschnitt werden »die Verantwortlichen im öffentlichen Leben« dazu aufgerufen, ein Gegengewicht gegen den allzu großen Einfluss des Staates zu bilden, damit die Bürger »frei und selbstverantwortlich« bleiben. Dabei wird erneut auf den Schutz des Lebens als unantastbare Pfl icht des Staates hingewiesen. Abschnitt IV nennt als konkrete Adressaten des Aufrufs die Politiker aller Parteien, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und die Verantwortlichen in allen Gesellschaftsbereichen und fordert, in der Überzeugung »daß die Kraft Gottes auch in unserer Zeit wirksam ist«, dazu auf, die sittliche und politische Ordnung zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Exkurs II: Erklärung des Rates der EKD zur Bundestagswahl im September 1972497 In einem einleitenden Passus wird die konkrete Wahlkampfsituation wiedergegeben, in die hinein die Erklärung des Rates geschrieben wird. So 496 »Noch in den fünfziger Jahren wurde die Übereinstimmung der entscheidenden Rechtsnormen mit dem Sittengesetz als selbstverständlich vorausgesetzt. Heute ist das nicht mehr der Fall« (ebd.). Hier wirkte die Zeit der Adenauer-CDU und der Einfluss der katholischen Kirche auf die Regierung deutlich nach. 497 Nachdem Kunst auf Antrag des Rates hin Sinn und Zweck einer solchen Erklärung geprüft und sich schließlich dafür ausgesprochen hatte, war eine Kommission gebildet worden, in der Schneider, Raiser, Herzog, Kunst und Wilkens mitwirkten. Aus dem einmaligen Treffen am 20. 9. 1972 resultierten zwei Papiere: eine kurze prägnante Version,
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habe der Kampf um Stimmen, die zu einem politischen Sieg verhelfen, einerseits seinen »legitimen Platz in einer Demokratie«; andererseits jedoch berge er Gefahren für den Bestand des politischen Gemeinwesens. Es folgen sieben Überlegungen des Rates, die sich in allgemeiner Form auf die anstehende Bundestagswahl beziehen: 1. Alle Gemeindeglieder sind aufgerufen, sich an der Wahl zu beteiligen, »[d]er Christ als Staatsbürger« dürfe sich der politischen Verantwortung nicht entziehen; 2. Das Eintreten der Kirche für eine bestimmte Partei sei nicht legitim; der Rat der EKD halte alle jetzt im Bundestag vertretenen Parteien für geeignet, »eine Regierungsverantwortung sachgemäß wahrzunehmen«; 3. der Wähler habe die Auffassungen der Parteien zu bestimmten Themen des Wahlkampfes in Bezug auf mögliche Handlungsspielräume im außen- und innenpolitischen Bereich sowie auf etwaige unausweichliche Sachzwänge hin kritisch zu prüfen; 4. gegenüber Versprechungen und Übertreibungen in Programmen und Reden sei kritische Nüchternheit zu wahren; die Parteien werden dazu angehalten, auf »Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit« zu achten; allen müsse klar sein, dass der Wohlstand der 1950er und 1960er Jahre an seine Grenzen stoße und ein Verzicht im privaten Bereich zur Lösung gemeinschaftlicher Aufgaben unausweichlich sei; 5. die Verwirklichung sittlicher Forderungen in der Politik und in der Rechtsprechung könne zu unterschiedlichen Meinungen führen, davon abhängig, welche ethischen Entscheidungen jeweils das Fundament bilden; eine Prüfung solcher Positionen sowie in »gegenseitiger Achtung nach Lösungen zu suchen« sei empfehlenswert; 6. die in den letzten Jahren entstandenen »Spannungen der Gruppen und Generationen« haben sich stark verschärft; es gelte, gegenseitiger Diffamierung zu widerstehen; 7. der Wahlkampf solle sich in gemeinsamer Verantwortung für den Staat vollziehen und diese lebendig bleiben lassen. Katholische Sozialvorstellungen und liberale Gesellschaftspolitik – 4. Tagung 8. bis 10. 12. 1972 Die vierte und letzte Tagung wies im Vergleich zu den anderen Tagungen sowohl in zeitlicher als auch in personeller Hinsicht eine kleinere Struktur auf. An der auf drei Tage begrenzten Zusammenkunft nahmen insgesamt 23 Personen, davon fünf Frauen, teil.498 Anders als bei den drei vorherigen Tagungen waren dabei die Liberalen in der Überzahl, was u. a. dadurch zu erklären war, dass acht Teilnehmer – darunter viele Katholiken – kurzfristig die auf Raiser zurückging und alle wesentlichen Punkte der Beratungen wiedergab sowie eine von Wilkens verfasste vertiefende Betrachtung. In seinen Beratungen vom 21./22. 9. 1972 berief sich der Rat auf das Raiser-Papier, das, durch Redebeiträge und Gedanken der anderen Vorlage verändert, schließlich verabschiedet wurde (vgl. Protokoll der 80. Sitzung des Rates vom 21./22. 9. 1972; EZA 2/17687. Die folgenden Zitate ebd.). 498 Vgl. Erfahrungsbericht der Tagung; AdL 8660.
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abgesagt hatten. Der Arbeitsauftrag der Tagung bestand darin, »Positionen des Katholizismus und des Liberalismus unter den Aspekten sozialer Gerechtigkeit und Freiheit«499 einander gegenüberzustellen. Grundlegend hierfür war eine eingehende Beschäftigung mit den »Freiburger Thesen« der FDP von 1971. Mit dieser Konzeption griff man ein Thema auf, das schon bei der zweiten Tagung im Mai auf reges Interesse gestoßen war. Damals hatte Wallraff einen Vortrag über die katholische Soziallehre gehalten und auf verschiedene Wege zur Lösung der sozialen Frage und zur Schaffung von Gerechtigkeit hingewiesen, dabei u. a. auch auf die »Freiburger Thesen«. Als ehemaliges Mitglied der FDP-Programmkommission gab Konstanz Schmölder einen Überblick über Entstehung und Diskussion der »Freiburger Thesen« und betonte dabei, die Programmkommission sei damals ohne ideologische Absprachen zusammengekommen. Der katholische Eigentumsexperte Franz Klüber verwies auf die Übereinstimmung der Eigentumsthesen mit der katholischen Soziallehre und schloss sich damit dem Votum Wallraffs an. Er betonte weiterhin, dass er keinen großen Unterschied zwischen den »Freiburger Thesen« der FDP, dem »Godesberger Programm« der SPD und der christlichen Soziallehre sehe, zumindest soweit diese die Eigentumslehre beträfen. Wesentliche Differenzen hingegen seien in Bezug auf das »Berliner Programm« der CDU/CSU auszumachen. Die abschließende Podiumsdiskussion bestritten vier Personen, die in ihrer Funktion und Position zuvor von Hertel bestimmt worden waren. Es handelte sich dabei um den katholischen Theologiestudenten und Mitherausgeber des Publik-Forums, Heinz-Wilhelm Brockmann, den Vorsitzenden des Liberalen Hochschulverbandes Gerd Achterberg, den Diplom-Theologen und Dozenten der Theodor-Heuss-Akademie, Wolfgang Stützer, sowie einen Katholiken aus der katholischen Landjugend.500 Als Ergebnis der Podiumsdiskussion sowie der Tagung insgesamt formulierte man vier Thesen zum Gespräch zwischen Katholizismus und Liberalismus, die aufgrund ihrer sehr allgemein gehaltenen Formulierungen gleichsam als Resümee des gesamten »Liberalismus und Kirche«-Zyklus fungieren können: 1. zwischen dem »Freiburger« Liberalismus und dem Reformkatholizismus gab es in gesellschaftspolitischer Hinsicht prinzipielle Übereinstimmungen, die im einzelnen näher untersucht werden müssen; 2. es zeigte sich, dass man von verschiedenen weltanschaulichen Orientierungen ausgehend zu gleichen gesellschaftlichen Konsequenzen und Forderungen kommen konnte; 3. überraschend war die Feststellung, dass die einen Reformkatholiken mit den einen Liberalen, andere Reformkatholiken 499
Einladung zur Tagung; ebd. Leider ist nicht eindeutig auszumachen, um wen es sich bei Letztgenanntem handelte, vermutlich jedoch um einen Publizisten und Studenten namens Jan R. Herrmanns (vgl. Erfahrungsbericht der Tagung; ebd.). 500
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wiederum mit anderen Liberalen konform gingen, was zu gesellschaftlichpragmatischen Positionen führen konnte, die wiederum konträr sein konnten; 4. dies belegte, dass weder Liberalismus noch Katholizismus geschlossene weltanschauliche Systeme waren, sondern sich mehr und mehr geöffnet hätten und weiterhin öffnen würden.501 3.3.2. Der Katholisch-Liberale Arbeitskreis Als wesentliches, bleibendes Resultat der Theodor-Heuss-Tagungen galt die Gründung des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises, dessen Ursprung auf die zweite Tagung zurückging, auf der man den Wunsch nach einem ständigen Gesprächskreis zwischen Liberalen und Katholiken zur Fortsetzung der begonnenen Gespräche artikuliert hatte. Am 4. und 5. 11. 1972 traf sich erstmalig ein Personenkreis bestehend aus Mitgliedern der FDP und Reformkatholiken, »die zu einer längerfristigen Erörterung des Verhältnisses zwischen katholischer Kirche und F.D.P. sowie zu einer politischen Kooperation mit der F.D.P.« 502 bereit waren. Hertel hatte Flach in seinem Bericht über das Gründungstreffen darüber informiert, dass einige der Teilnehmer zunächst nicht namentlich erwähnt werden wollten. Bei den zehn namentlich erwähnten Personen fiel auf, dass die Hälfte sich aus ehemaligen Referenten der vergangenen vier Tagungen zusammensetzte. Insgesamt handelte es sich um die Personen Dietmar W. Ansorge, Mitarbeiter vom Publik-Forum und Mitglied der Liberalen Wählerinitiative, Rolf Biehler, FDP-Mitglied, Heinz-Wilhelm Brockmann, Dieter Emmerling, Ludwig Klein, Heinz Robert Schlette, Klaus Weber, Friedrich Weigend-Abendroth von der Stuttgarter Zeitung, Klaus Hahn, FDP-Mitglied und Vorsitzender eines Pfarrgemeinderates, und Wolfgang Peter, FDP-Bundestagskandidat in Augsburg und Mitglied des Initiativkreises bei Publik-Forum. Ebenso hatten drei weitere Personen ihre Mitgliedschaft angekündigt, so der Moraltheologe Anselm Hertz, der Jungdemokrat und Leiter des politischen Referats der Katholischen Studierenden-Jugend, Meinhard Rick, und Wolfgang G. Beitz, Generalsekretär der Otto-Benecke-Stiftung und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände.503 Das Ziel des Treffens bestand darin, sich über das weitere Vorgehen zu verständigen und eine gemeinsame Ausgangsbasis für die künftige Zusammenarbeit zu schaffen. Aus der Diskussion über Möglichkeiten und Perspektiven einer Kooperation wurde ein Fünf-Thesen-Grundsatzpapier zusam501 Die Wiedergabe der Thesen erfolgte nicht wörtlich, sondern paraphrasierend. Zugrunde lagen zwei ausformulierte Versionen der vier Thesen, zum einen im Erfahrungsbericht zur Tagung, zum anderen in der wörtlichen Wiedergabe eines Interviews mit Hertel nach der Konferenz (beide Angaben ebd.). 502 Schreiben Hertel an Flach vom 7. 11. 1972; AdL N 47-99. 503 Vgl. ebd.
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mengestellt.504 Darin betonte man im Blick auf den Charakter der FDP, sie fühle sich »nicht (mehr) als Weltanschauungspartei eines geschlossenen Liberalismus«, sondern vielmehr »als eine von liberalen Prinzipien geleitete, für Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen offene Partei«505 (1) und formulierte als grundlegende Voraussetzung einer Kooperation den Abbau gegenseitiger Vorurteile506 (2). Im Blick auf das Verhältnis der katholischen Christen des Arbeitskreises zur offiziellen römisch-katholischen Amtskirche konstatierte man, dass sie sich nicht als Sprecher der Amtskirche verstünden, sondern sich in ein »die Kontinuität bewahrende[s] kritische[s] Verhältnis« zu dieser positionierten und sich dabei primär für Reformkatholiken, aber auch für so genannte Randkatholiken einsetzen würden (3). Hinsichtlich der Verbindung zur FDP verstand sich der Arbeitskreis als ihr nahe stehend und zugleich von ihr unabhängig. Des Weiteren ging man auf katholischer Seite davon aus, dass innerhalb der FDP genügend Raum für ein mögliches Abweichen von Mehrheitsbeschlüssen der Partei bliebe (4). Ebenso wurde von der FDP erwartet, dass sie nicht in jene Kreise des Bürgertums zurückfallen sollte, »für die Freiheit ein Synonym für Kapitalismus war und ist«, vielmehr erhoffte man eine im Sinne der »Freiburger Thesen« sozialkritische Politik in Form einer Kritik an »kollektivistischen, bürokratischen und funktionalistischen Tendenzen« (5). Dem Arbeitskreis lag daran, diese Grundsätze mit der FDP abgeglichen zu wissen. Hertel wandte sich daher in einem vertraulichen Brief an den Generalsekretär der FDP Flach und übermittelte ihm das Thesenpapier mit der Bitte, die FDP möge den Intentionen des Arbeitskreises zustimmen. Dass Flach der Bitte um eine Weiterleitung des Papiers in die FDP nachkam, zeigt ein Schreiben Hertels an Funcke vom Anfang Februar 1973, in welchem er Funcke »für die schnelle Hilfe bei der Modifizierung der Thesen« 507 dankte. Dass es Funcke war, die mit dieser Aufgabe betraut wurde, hing vermutlich damit zusammen, dass sie und Ertl schon im Mai 1972 für die Leitung eines eher protestantisch orientierten Kirchlichen Gesprächskreises der FDP vorgeschlagen worden waren, mit dessen Einrichtung man jedoch zunächst bis nach den Bundestagswahlen hatte warten wollen.508 Am 20. und 21. 1. 1973 trat der Katholisch-Liberale Arbeitskreis erneut zusammen und formulierte unter Aufnahme der Vorschläge von Funcke das Grundsatzpapier um.509 Es umfasste nunmehr vier Thesen, wobei die The504 Vgl. Thesen für die Zusammenarbeit zwischen katholischen Christen und Liberalen; AdL N 47-99. Die folgenden Zitate ebd. 505 Vgl. These 4 der Dezembertagung. 506 »Katholische Christen können in der F.D.P. und für sie nur tätig werden, wenn sie als gleichberechtigte und gleichbefähigte ›Liberale‹ angesehen werden« (ebd.). 507 Schreiben Hertel an Funcke vom 2. 2. 1973; AdL 9218. 508 Siehe dazu Kap. III.1.1.1. 509 Vgl. Grundsatzpapier des KLA vom 20./21. 1. 1973; Handakten Dahlhaus.
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sen 1 und 2 – mit einigen Kürzungen versehen – dem Sinn nach so beibehalten wurden, These 4 wörtlich übernommen wurde.510 These 3 hingegen erfuhr eine grundlegende Änderung dahingehend, dass man die doch relativ unpräzisen und leicht missverständlichen Vokabeln »Amtskirche«, »Reformkatholiken« und »Randkatholiken« vermied und die Aussage über das Verhältnis der im Arbeitskreis ansässigen Katholiken zur offi ziellen katholischen Kirche auf die Aussage beschränkte, sie machten »Gebrauch von dem in der katholischen Kirche ermöglichten Pluralismus.« 511 Die These schloss mit der Aufnahme des zweiten Teils der alten These 5. In organisatorischer Hinsicht wurde der Arbeitskreis im Bereich Inland der Friedrich-Naumann-Stiftung angesiedelt. Schroers beschrieb ihn als »Vorstufe bzw. Durchgangsgremium für ein politisches Engagement zugunsten der F.D.P.« 512 , betonte aber zugleich dessen Unabhängigkeit von der Partei, »damit sich Katholiken, die mit der F.D.P. sympathisieren, nicht gleich parteipolitisch vereinnahmt fühlen.«513 Ein Blick auf die Gründungsmitglieder des Arbeitskreises und die Tatsache, dass Hertel als gewählter Geschäftsführer des Arbeitskreises ebenfalls nicht der FDP angehörte, bestätigt die Realisierung dieses Anspruchs. Im August 1973 zählte der Katholisch-Liberale Arbeitskreis »17 Wissenschaftler, Journalisten, Theologen und Studenten« 514, von denen acht der FDP bzw. den Jungdemokraten angehörten und die restlichen neun parteilos waren. Flach und Funcke kamen der Anfrage des Arbeitskreises, ebenfalls Mitglied zu werden, nicht nach, jedoch gab Ertl seine Zusage. Im Jahre 1973 veröffentlichte der Katholisch-Liberale Arbeitskreis zwei Stellungnahmen, so am 25. 3. 1973 zur Reform des § 218 StGB und am 18. 8. 1973 zu den Kirchenthesen der FDP. Der plötzliche Tod Karl-Hermann Flachs am 25. 8. 1973 sowie die kontrovers geführte Debatte über das Kirchenpapier führten dazu, dass die geknüpften Kontakte zur katholischen Kirche zunehmend abbrachen. Das wiederum hatte zur Folge, dass auch das Interesse an der Fortführung des Arbeitskreises merklich nachließ.515 Ende 1973 dann stagnierte die Arbeit des Gesprächskreises. Erst im Dezember 1975 kam es zu einer erneuten Aufnahme der begonnenen Arbeit durch die offi zielle Gründung eines Katholisch-Liberalen Arbeitskreises, der jedoch von dem 1973er Arbeitskreis unterschieden werden muss. Dieser am 3. 12. 1975 gegründete Arbeitskreis 510 In These 1 rückte man die positive Aussage in den Vordergrund und fügte am Ende hinter »offene Partei« den knappen Teilsatz »ohne eine geschlossene liberale Weltanschauung« an (ebd.). In These 2 strich man ersatzlos den zweiten Satz. 511 Ebd. 512 Schroers über den KLA; AdL 9248. 513 Ebd. 514 Schreiben Klaus Weber an Scheel vom 22. 8. 1973; AdL N 27–122. 515 Siehe dazu Kap. III.1.7.
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konstituierte sich als eingetragener Verein, gab sich eine Satzung und wählte einen Vorstand, dessen erster Vorsitzender Josef Ertl und zweiter Vorsitzender Wolfgang G. Beitz wurden.516 Seine Arbeit vollzog sich primär in Süddeutschland. So nahmen Ende der 1970er Jahre dessen süddeutsche Mitglieder an den vom Thomas-Dehler-Institut mitveranstalteten »Schlehdorfer Tagen« teil, wo man u. a. zu den Themen »Katholizismus und Liberalismus« und »Kirche und Politik« arbeitete. In diesem Zusammenhang gründete sich 1978 ein eigener bayrischer Gesprächskreis unter der Leitung von Enzio von Kühlmann-Stumm. Wenngleich Beitz in einem Schreiben von 1982 an die Mitglieder des Arbeitskreises betonte, der Arbeitskreis sei »als solcher völlig unabhängig« 517 und man gehe mit seiner Mitgliedschaft »weder eine kirchliche, noch eine parteiliche Bindung ein« 518 , so ist doch festzustellen, dass er im Vergleich zum 1973er Arbeitskreis von Gründungsbeginn an näher an die FDP gebunden war, was sich u. a. auch darin manifestierte, dass seine jeweiligen Vorsitzenden führende FDP-Politiker waren; so auch Manfred Brunner, der als Nachfolger von Ertl in das Amt des Vorsitzenden gewählt wurde.519 Brunner übernahm 1985 ebenfalls das Amt des ersten Vorsitzenden der Bundeskommission »Liberalismus und Kirche« der FDP.520 In den Jahren 1993 bis 1997 ruhte die Arbeit des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises; sie wurde jedoch durch die Unterstützung des EvangelischLiberalen Gesprächskreises auf dem Landesparteitag in Bayern im Jahre 1997 wieder belebt, indem man den Arbeitskreis als Landesfachausschuss bestimmte, der sich nun das Kürzel KLAK gab. Zur Ausschussvorsitzenden wurde Gudrun Heidecker, zum Stellvertreter Alfred Neugebauer gewählt. 1999 trat Lothar Bily als weiterer Stellvertreter hinzu. Diese Trias fungierte bis 2004 als Vorstand des Arbeitskreises, Heideckers Nachfolger wurde dann 516 Wolfgang G. Beitz war Generalsekretär der Otto-Benecke-Stiftung und zuvor Generalsekretär eines katholischen Studentenverbandes und Mitarbeiter des Katholischen Büros in Bonn. Klaus Weber wurde zweiter stellvertretender Vorsitzender (vgl. Art. »Liberal-katholischer Arbeitskreis gegründet«, in: fdk Ausg. 217 vom 4. 12. 1975). 517 Schreiben Beitz an die Mitglieder des KLA vom 29. 3. 1982; Handakten Dahlhaus. 518 Ebd. Beitz forderte in diesem Schreiben die Mitglieder des »offenen Gesprächskreises« dazu auf, auch formell Mitglied des Arbeitskreises e.V. zu werden, um ein »Mindestmaß an ›geordnetem Vereinsleben‹« zu gewährleisten. 519 Der Rechtsanwalt Manfred Brunner (*1947) trat 1965 der FDP bei und wurde 1969 Vorsitzender der DJD. Von 1973 bis 1987 saß er für die FDP im Stadtrat von München und war von 1983 bis 1988 Vorsitzender des FDP-Landesverbandes Bayern und bis 1992 Kabinettschef Bangemanns bei der EG-Kommission in Brüssel. 1994 gründete sich auf sein Wirken hin die nationalliberale Partei BFB, die Brunner jedoch im Jahre 1999 wegen rechtslastiger Tendenzen wieder verließ. Nachdem er 1999 wieder in die FDP eingetreten war, verließ er sie 2001 erneut. 520 Zwischen Bundeskirchenkommission und dem KLA bestand die Jahre über ein regelmäßiger Kontakt, den man durch gegenseitige Besuche der jeweiligen Gremien pflegte.
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Thomas Stockmaier. Zwischen den beiden Landesfachausschüssen Evangelisch-Liberaler Gesprächskreis und Katholisch-Liberaler Arbeitskreis besteht bis zum jetzigen Zeitpunkt eine enge Kooperation, was sich u. a. in gemeinsam organisierten Tagungen und der Verabschiedung von Erklärungen, wie bspw. eines gemeinsamen Positionspapiers aus dem Jahre 2001 zum Verhältnis von katholischen und evangelischen Christen zu Liberalen bzw. liberaler Politik, widerspiegelt.521 3.3.3. Die FDP und das Katholische Büro Bonn Wie schon erwähnt, versuchte man seitens der FDP neben der Kontaktaufnahme zu solchen katholischen Gruppen, die man als Reformkatholiken bezeichnete, ebenfalls die Beziehungen zum Katholischen Büro in Bonn und damit zu den offi ziellen Kirchenvertretern zu intensivieren. Zu einer vergleichbaren Annäherung, wie sie sich etwa zwischen Liberalen und Reformkatholiken vollzogen hatte, führten die Bemühungen jedoch nicht. Der von Prälat Wöste Ende 1971 gegenüber Ertl ausgesprochenen Aufforderung, ein Treffen zwischen Vertretern der FDP und des Katholischen Büros stattfi nden zu lassen, kam man erst ein Dreivierteljahr später nach, als man sich am 29. 9. 1972 erstmalig im Kommissariat der Bischöfe in Bonn traf. An dem Gespräch nahmen seitens der FDP Josef Ertl, Liselotte Funcke sowie der Bundesgeschäftsführer der FDP Joachim Stancke teil. Die kirchliche Seite wurde repräsentiert durch Wilhelm Wöste als den Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe sowie durch »leitende Mitarbeiter seines Hauses.«522 Das Gespräch behandelte »Grundsatzfragen des Verhältnisses der Kirche zu Staat und Parteien in der pluralen Gesellschaft«. Wenngleich man in der Presse betonte, die Unterredung sei »in guter und aufgeschlossener Atmosphäre«523 verlaufen, und ein weiteres Gespräch für die Zeit nach der Bundestagswahl in Planung stand, trat die erhoffte Intensivierung der Beziehungen nicht ein. Das eher geringe Interesse zeigte sich auch schon daran, dass offensichtlich nie zur Debatte stand, ein Treffen zwischen Vertretern der FDP und leitenden Bischöfen der Bischofskonferenz oder gar mit deren Vorsitzendem Kardinal Höffner zu initiieren. Spätestens mit bekannt werden der Forde521 Das Positionspapier beinhaltet Thesen zum Verhältnis von katholischen und evangelischen Christen und Liberalen. In Anspielung auf bereits existierende Papiere betonte man darin u. a., dass die »altliberale Forderung einer völligen Trennung von Staat und Kirche bei gleichzeitiger Begrenzung des Religiösen auf den privaten Bereich anachronistisch, kaum durchführbar und anstehenden Fragen und Problemen nicht angemessen« sei (Handakten Dahlhaus). 522 Art. »Minister Ertl und Liselotte Funcke im Katholischen Büro – Erstmals Gespräch zwischen katholischer Kirche und Freien Demokraten«, in: KNA Nr. 229 vom 30. 9. 1972. 523 Ebd.
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rungen der Jungdemokraten zur Trennung von Staat und Kirche im Januar 1973 und der Aufnahme der Arbeit an dem Kirchenpapier durch die FDP endete das »ohnehin sehr geringe Wohlwollen der katholischen Kirche« 524 der FDP gegenüber.525
4. Kontakte zur evangelischen Kirche 1949 bis 1972 526 Das Verhältnis zwischen FDP und evangelischer Kirche in dem beschriebenen Zeitraum war, ebenso wie das zur katholischen Kirche, Schwankungen unterworfen, im Vergleich dazu aber positiver und von mehr Kontinuität geprägt. Dies hing, wie bereits gesehen, in besonderem Maße auch mit den Personen in der Partei zusammen, die sich der evangelischen Kirche nicht nur persönlich und religiös-konfessionell verbunden fühlten, sondern sich gleichermaßen aktiv in ihr engagierten. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf Liselotte Funcke verwiesen, die sich maßgeblich für das gute Verhältnis der Partei zu den Kirchen, insbesondere zur evangelischen Kirche, eingesetzt und nicht nur in ihrem Landesverband NRW zu einer positiven Beziehung beider zueinander beigetragen hat. Dieses Engagement begründete nicht zuletzt die Tatsache, dass sie im Jahre 1973 im Zuge der Kirchenpapier-Diskussion die Leitung der vom Bundesvorstand eingesetzten Kirchenkommission übernahm.527 Der Landesverband NRW übte in kirchenpolitischer Hinsicht und aufgrund der in ihm aktiven, kirchennahen Personen oftmals eine Vorbildfunktion für die Bundespartei aus. So wurden die »Leitsätze zur Kulturpolitik« von 1950 im Kulturpolitischen Ausschuss des Landesverbandes, dessen Vorsitzender Luchtenberg war, entworfen und vordiskutiert, bevor sie auf Bundesebene als Ausdruck einer neuen Kulturpolitik verabschiedet wurden. Ebenso fand im September 1949, erneut auf Initiative des Kulturpolitischen Ausschusses hin, ein erstes Treffen zwischen Vertretern des Landesverbandes und der »Deutschen Evangelischen Kirche« 528 in Lippstadt statt. Die Vorbe524
Hertel/Teiner, Prinzip, 52. Hertel fasst die Situation klar zusammen, wenn er schreibt: »Abgesehen davon, daß der katholische Bundesminister Josef Ertl manchmal ins Katholische Büro eingeladen wird und dort auch schon vor Generalvikaren sprach, spielt sich eigentlich zwischen der FDP und der Amtskirche nichts ab« (ebd.). 526 Die Darstellung nimmt primär Bezug auf das Verhältnis der Bundespartei zur EKD. Weiterhin erfolgen an einigen Stellen Verweise auf die kirchenpolitischen Aktivitäten des FDP-Landesverbandes NRW; auf die Kontakte zwischen den übrigen FDP-Landesverbänden und den Landeskirchen wird vereinzelt verwiesen. 527 Siehe dazu Kap. III.1.1.2. 528 Tätigkeitsbericht des Kulturausschusses des Landesverbandes NRW vom 10. 9. 1949; AdL 19159. 525
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reitungen dazu oblagen dem Fabrikanten Oskar Funcke, Vater Liselotte Funckes, der eigens für dieses Treffen Thesen als Gesprächsgrundlage verfasst hatte.529 Auf Bundesebene ließen sich die verstärkten Bemühungen um eine Kontaktaufnahme zur evangelischen Kirche erst ab 1953 verzeichnen.530 Sie standen in Zusammenhang mit den Bundestagswahlergebnissen, die der FDP erneut vor Augen geführt hatten, wie distanziert ihr Verhältnis zu beiden Kirchen nach wie vor war. Musste eine Intensivierung des Kontaktes zur katholischen Kirche aufgrund der aktuellen Kontroversen zunächst zurückstehen, so galt es, sich verstärkt um die evangelische Kirche zu bemühen und mögliche gemeinsame Ansichten in ein kooperatives Miteinander münden zu lassen. Eine positive Wandlung der Beziehungen zur evangelischen Kirche konstatierten die bayrischen FDP-Politiker im Mai 1953 im Kontext der Diskussion um einen Artikel des Oberkirchenrats Julius Schieder von 1949. Darin hatte dieser der FDP die Kenntnis dessen, »was evangelisches Christentum ist«531, abgesprochen und auf das schlechte Verhältnis bzw. die Intoleranz des Liberalismus gegenüber den Kirchen verwiesen. Weicker und Dehler verwiesen gleichermaßen auf ein verändertes Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und ihrer Partei, auf das die von Schieder gemachten Aussagen nicht übertragen werden konnten. Insbesondere Dehler lag daran, diesen Wandel hin zum positiven für seine Partei zu bekunden: »Sie selbst wissen aus unseren Äußerungen, wie ernst unser Anliegen ist, gerade mit der Evangelischen Kirche in ein gutes partnerschaftliches Verhältnis zu kommen.« 532 529 Vgl. FDP und Kirche, Thesen von Oskar Funcke; LStaD RW 62-173, Bl. 125–129. Die Thesen waren in fünf thematische Blöcke aufgeteilt und explizierten grundsätzliche Beziehungsfelder, die in der Diskussion zwischen FDP und Kirche immer erörtert wurden: 1. Toleranz und Christentum, 2. Parteipolitik und Kirche, 3. Christliche Gemeinschaftsschule und Una Sancta, 4. Wissenschaft und Kirche, 5. Sozialethik und Christentum. 530 Auch in einigen Landesverbänden entstanden bzw. intensivierten sich die Kontakte zur evangelischen Kirche. So war es in Baden-Württemberg zu einer »Fühlungnahme« mit den Kirchen gekommen (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 23. 10. 1953, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949–1954, 1210). Auch in Bayern beschloss man im Oktober 1952, angeregt durch eine Rede Luchtenbergs in Nürnberg über »Liberale Politik und christlicher Glaube«, sich »offi ziell an die Kirchen zu wenden« und »die seit einiger Zeit stagnierenden Gespräche mit der evangelischen Landeskirche auf einer etwas besseren Plattform aufnehmen« (Schreiben Brandt an Dehler vom 28. 10. 1952; AdL N 1-94). Nebenbei bemerkt zeigte sich die Funkstille zwischen bayrischem Landesverband und katholischer Kirche in der Formulierung Brandts, man möge neben einem Schreiben an den evangelischen Landesbischof Meiser auch eines an »die entsprechende landeskirchliche Instanz der katholischen Kirche« schicken (ebd.). 531 Schieder, Art. Evangelische Partei in Franken?; AdL N 1-130. 532 Schreiben Dehler an Zinkelbach vom 5. 5. 1953; ebd.
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Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang weiterhin ein Vortrag, den Kirchenpräsident Martin Niemöller bei einem Treffen zwischen FDPVertretern und Vertretern seiner Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau Ende Mai 1953 hielt.533 Die Verbindung zu Niemöller muss im Kontext der Bemühungen der FDP verstanden werden, zunächst zur bruderrätlichen Richtung des Protestantismus Kontakt aufzunehmen, da man hier eine Gemeinsamkeit im Blick auf die Überzeugung sah, dass die Bereiche Staat und Kirche bzw. Verkündigung und Verantwortung letztlich nicht kompatibel waren.534 Die Besonderheit der Rede des linksprotestantischen Niemöller bestand nun darin, dass der hessen-nassauische Kirchenpräsident Kritik an einer zunehmenden »akuten Politisierung der Kirche durch die konservativautoritativ-institutionellen politischen Kräfte« 535 übte und sich somit gleichermaßen gegen die auch von der FDP so scharf kritisierte »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« aussprach.536 Interessant war weiterhin seine Aussage über eine Schuld der Kirchen dem Liberalismus gegenüber, die er in zweifacher Hinsicht gegeben sah. So hätten die Kirchen, verstrickt in ihre Sorge um die eigene institutionelle Existenz, die Leistung des Liberalismus »für das Recht im Zusammenleben der Menschen wie für das Menschenrecht des Individuums« 537 zu wenig anerkannt und weiterhin durch eine Verweigerung des Evangeliums an den Liberalismus zu dessen Ideologisierung beigetragen.538 533
Zu Niemöller (1892–1984) vgl. Nicolaisen, 308 f. Vgl. Klein, Protestantismus, 311 ff. 535 Niemöller, Art. »Die Kirche im Gericht und der Liberalismus in der Krise«, in: Die Stimme der Gemeinde; AdL A 7-7, Bl. 14. 536 Wesentlich deutlichere Worte fand Niemöller in seiner Erklärung vom 15. 7. 1953, in der er direkte und scharfe Kritik an der Bundesregierung und somit indirekt an der Politik der CDU übte. Der Wahlaufruf Niemöllers hatte innerhalb der EKD eine breite Diskussion darüber ausgelöst, inwieweit man sich als Amtsträger der Kirche über die parteipolitische Neutralität der Kirche hinwegsetzen bzw. die eigene politische Position öffentlich kundtun dürfe. Etwa zur gleichen Zeit wie Niemöller hatte auch Hans Asmussen vierzehn Leitsätze zur Wahl veröffentlicht, in denen er zwischen christlicher und unchristlicher Politik differenzierte. Die Leitsätze konnten, auch aufgrund der bekannten politischen Gesinnung Asmussens, als Wahlaufruf für die Unionsparteien angesehen werden. Während der Vorsitzende des EAK der CDU Ehlers die Äußerungen Niemöllers als eine Durchbrechung der zu wahrenden parteipolitischen Neutralität der Kirche erachtete und in Frage stellte, ob Niemöller auf dem anstehenden Hamburger Kirchentag als Redner auftreten solle, befürwortete er Asmussens Eintreten für eine christliche Politik als Einsatz christlicher Verantwortung in konkrete politische Handlungen. Die Diskussion, die sich besonders deutlich in dem offenen Briefwechsel zwischen Ehlers und dem Präses der EKvW Ernst Wilm manifestierte, zeigte, wie nah die EKD parteipolitisch betrachtet zu diesem Zeitpunkt der CDU stand (vgl. KJ 1953, 41 ff.). 537 Niemöller, Art. »Die Kirche im Gericht und der Liberalismus in der Krise«, in: Die Stimme der Gemeinde; AdL A 7-7, Bl. 14. 538 »Und für diese Krise im Liberalismus ist die Kirche mit verantwortlich, weil sie mit ihrem Zeugnis dort versagte, wo konkret hätte geredet werden müssen« (ebd.). 534
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Die Rede Niemöllers verwies auf eine Übereinstimmung mit den Liberalen, die sich in der Kritik an einer »christlichen Politik«, wie sie sich immer deutlicher im politischen Tagesgeschehen zeigte, manifestierte; auch Hermann Kunsts Ausspruch Thomas Dehler gegenüber mag in diesem Sinne verstanden werden: »Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen bei dieser Gelegenheit noch einmal meinen Dank ausspreche für manche Diagnose, die Sie je und je in den verflossenen Jahren aussprachen, und die mich ebenso nachdenklich machten wie willkommene Bestätigung brachten.« 539
Jedoch beschränkte sich die protestantisch-liberale Übereinstimmung bis dato weitgehend auf diesen doch eher oberflächlichen Aspekt einer Kritik an einer »christlichen Politik«. Weitere konkrete Berührungspunkte ließen sich vorerst nicht erkennen, so dass die erstrebte Kooperation nur zögerlich anlief. Die Gründe dafür, dass es erst im Januar 1955 zu einem ersten Gespräch zwischen Vertretern der FDP und Vertretern der EKD kam, lagen nicht nur einseitig in der Distanz der liberalen Partei gegenüber der Kirche begründet. Auch auf EKD-Seite hatte man sich seit längerem mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie die Kontakte zu den politischen Parteien intensiviert werden könnten. Bereits in der ersten Sitzung der Kammer für Öffentliche Verantwortung hatte man auf Anregung des Vorsitzenden der Kammer, Robert Tillmanns (CDU), vorgeschlagen, evangelische Bundestagsabgeordnete der jeweiligen Parteien in die Kammer hinein zu wählen, um sich gemeinsam über die entsprechenden Arbeitsfelder von Kirche und Partei auszutauschen; für die SPD sollte Adolf Arndt, für die FDP Hans Wellhausen 540 dieses Amt übernehmen. Gleichzeitig hatte man den Rat der EKD aufgefordert, die Kontakte zu den politischen Parteien zu intensivieren, auch um den Verdacht zu entschärfen, die EKD würde sich einseitig mit einer Partei identifizieren.541 Der Rat der EKD hatte diesen Vorschlag abgelehnt und lediglich einem Verfahren zugestimmt, das vorsah, die Bundestagsabgeordneten »zunächst für eine gewisse Zeit als Gäste einzuladen.« 542 Es blieb bei diesem Vorhaben, denn für die folgende Zeit konnte keine Korrespondenz zwischen den genannten Politikern und der Kammer für 539
Schreiben Kunst an Dehler vom 30. 11. 1953; AdL N 1-1505. Der aus einem fränkischen Pfarrhaus stammende Jurist Hans Wellhausen (1894– 1964) war zunächst Regierungsrat in Bremen und gehörte dann von 1931 bis 1959 dem Vorstand der MAN an. Von 1949 bis 1956 war der konservativ geprägte Wellhausen Mitglied des Bundestages der FDP, die er 1956 zusammen mit der so genannten Euler-Gruppe verließ, um darauf hin der CSU beizutreten. 541 Vgl. Klein, Protestantismus, 438 f. 542 Vgl. Protokoll der 9. Sitzung des Rates vom 29./30. 11. 1949, in: Fix, Protokolle, 406. 540
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Öffentliche Verantwortung festgestellt werden. Die von Seiten des Rates beschlossene eher persönliche Kontaktaufnahme zu den Parteien durch das neu eingerichtete Amt des Bevollmächtigten des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung hingegen stellte sich alsbald als gelungener Weg zur Intensivierung der Kontakte heraus, was nicht zuletzt dem ersten Amtsinhaber dieser Vermittlungsstelle Kunst zu verdanken war. In seinem Arbeitsbericht im August 1950 berichtete er dem Rat von seinen Unternehmungen, die Verbindungen zu den Parteien zu pflegen, und äußerte sich im Blick die Kontakte zur FDP in einer kooperativen und aufgeschlossenen Weise: »Die FDP lernte ich als ein noch sehr komplexes Gebilde kennen. Mit einer Reihe ihrer Abgeordneten kam ich in ausgezeichnete Gespräche. Bis auf die Schulfrage ergab sich in jedem Falle die Möglichkeit, kirchliche Einsicht zur Hebung zu bringen. Die Partei versteht sich in einer Reihe ihrer Abgeordneten als evangelisch. Empfi ndlich fühlten sich einige von ihnen verletzt, dass sie von ihren Heimatpastoren oder gar Vertretern der Landeskirchen als liberal und kirchlich ›diffamiert‹ würden. Gerade bei der FDP empfand ich lebhaft, wie fl ießend noch die Grenzen zwischen den Parteien sind. Eine Reihe Abgeordnete der FDP könnten auch in der CDU sein.« 543
Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Kontaktaufnahme zur FDP im Vergleich zu den anderen Parteien als letztes in Angriff genommen wurde.544 Dem ersten Treffen zwischen FDP und EKD war eine lange organisatorische wie inhaltliche Vorbereitungsphase vorangegangen. Bereits im Dezember 1953 hatte der Bundesfraktionsvorstand auf Anregung Martin Eulers hin Hans Wellhausen damit beauftragt, Kontakt zu Kunst aufzunehmen, um eine vorbereitende Besprechung zur Schaffung einer »Vertrauensgrundlage«545 durchzuführen. Am Rande sei erwähnt, dass Heuss seine Fraktion kurz darauf dafür kritisierte, dass kein FDP-Abgeordneter an einer gemeinsamen Konferenz mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag im Bundestag eine Woche zuvor teilgenommen hatte; ein weiteres Indiz für die nach wie vor existierende spürbare Distanz zwischen Partei und Kirche.546 543 Arbeitsbericht Kunst, in: Protokoll der 16. Sitzung des Rates vom 25./26. 8. 1950, in: Silomon, Protokolle, 301. 544 Bereits im Juli 1947 war es zu einem Gespräch zwischen SPD- und Kirchenvertretern gekommen; CDU- und Kirchenvertreter trafen sich erstmals im November 1947, ein weiteres Treffen erfolgte dann erst März 1950. Ein Blick in das Protokoll des letztgenannten Treffens macht deutlich, wie wenig präsent die FDP sowohl bei der CDU als auch bei der Kirche zu diesem Zeitpunkt war. Man diskutierte das eigene Verhältnis zueinander sowie die Frage einer Kontaktaufnahme der EKD zur SPD. Die FDP wurde in dem fünfstündigen Gespräch an keiner Stelle erwähnt (vgl. Protokoll über eine Unterredung zwischen Vertretern der EKD und CDU-Mitgliedern beider Konfessionen, O. O. vom 23. 3. 1950, in: ebd., 153 ff.). 545 Schreiben Euler an Dehler vom 10. 12. 1953; AdL N 1-1505 (vgl. auch Kurzprotokoll Nr. 7 der Sitzung des Fraktionsvorstandes am 7. 12. 1953; AdL A 40-802, Bl. 23). 546 »Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass, wenn Sie die Relation, was ich für
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Das Treffen wurde für den 20. 1. 1954 in der Wohnung Kunsts anberaumt; die Delegierten seitens der FDP waren Blank, Preusker sowie Dehler und Wellhausen, als Vertreter der Kirche fungierten Kunst sowie Beckmann und Schumacher. Natürlich existieren kein Protokoll oder ähnliche Hinweise, anhand derer etwas über den Charakter oder den Inhalt des vertraulichen Gesprächs ausgesagt werden könnte. Eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung über das Verhältnis zu den Kirchen erfolgte in der Bundesvorstandssitzung der FDP Ende Januar 1954 auf der Grundlage eines Referats von Richard Hammer zum Thema »Kirche und Staat«547. Das Referat und die anschließende mehrstündige Aussprache verdeutlichten, wie groß generell das Anliegen der Partei war, in ein besseres Verhältnis zu den Kirchen zu treten und das ihr anhaftende »Odium des Unchristlichen, des Jakobinertums, des Antichristlichen«548 , wie Dehler es formulierte, abzustreifen. Dies zeigte sich schon daran, dass an keiner Stelle das eigentliche Referatsthema »Kirche und Staat«, sondern fast ausschließlich das Verhältnis »FDP und Kirchen« thematisiert wurde. Die distanzierte Haltung gegenüber der katholischen Kirche blieb dabei eindeutig ablehnend und somit den jüngsten Auseinandersetzungen verpfl ichtet.549 Im Blick auf die evangelische Kirche rekurrierte man auf die einst guten Beziehungen zum Protestantismus durch die Verbindung zur liberalen Theologie und suchte nach Möglichkeiten, mit der heutigen Kirche, »die nun wirklich von orthodoxen Leuten geführt wird« 550, in Kontakt zu treten. Hammer hatte in seinem Referat auf »viel Gemeinsames« 551 zwischen der FDP und den Kirchen verwiesen, insofern die Arbeit beider, ihren jeweiligen politischen und religiösen Prämissen verpfl ichtet, dem Bereich des Menschlichen diene. Die Möglichkeit zur Annäherung im Sinne einer Kooperation begründete Hammer mit dem Wandel des Liberalismus und verwies dabei insbesondere auf die Erweiterung des liberalen Freiheitsbegriffs, der jetzt nicht mehr nur »die vitale Freiheit, sondern vielleicht als noch
richtig halte, zwischen FDP und Kirchenleuten herstellen wollen, so etwas nicht mehr vorkommen darf« (Barch B 122–298). Dass die Mahnung Heuss’ ein Stück weit auf taube Ohren stieß, zeigte sich daran, dass niemand aus der Partei auf DEKT 1954 in Dresden erschienen war (vgl. Schreiben Wellhausen an Dehler vom 20. 7. 1954; AdL N 1-1505). 547 Vgl. LStaD RWV 49-241, Bl. 53–55. Der in Darmstadt geborene praktische Arzt und FDP-Politiker, Richard Hammer, (1897–1969) war von 1947 bis 1949 Landtagsabgeordneter in Hessen und Mitglied des Deutschen Bundestages von 1949 bis 1957. Hammer war Vorsitzender des Bundestagsauschusses für das Gesundheitswesen des zweiten Bundestages. 548 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 22./23. 1. 1954, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949–1954, 1326. 549 »Diese katholische Seite fordert zum Gegenangriff heraus« (ebd.). 550 Ebd. 551 Referat Hammer, Kirche und Staat; LStaD RWV 49-241, Bl. 55.
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ernsthafteres Anliegen die Freiheit zum Absoluten beinhalt[e].«552 In dieser Betonung der Öffnung des Liberalismus hin zum Absoluten zeigte sich nun deutlich der neue kulturpolitische Ansatz eines »geläuterten Liberalismus«; er fungierte als Ansatzpunkt für gemeinsame Gespräche zwischen der Partei und den Kirchen. Dass diese Kooperation vorerst nur mit der evangelischen Kirche möglich sein konnte, darauf verwiesen die deutlichen Worte Hammers: »Der Grundsatz, der sich auf der katholischen Seite herausgebildet hat – die Konfessionen in Deutschland in zwei große Ghettos einzukapseln –, dass es zweierlei Nationen gibt, zerstört den Staat und nimmt uns die Möglichkeit, aus dem Verantwortungsbewusstsein heraus diesen Staat zu vertreten und zu gestalten. Hier gibt es keinen Kompromiß, hier gibt es kein ›Zu-Kreuze-Kriechen‹. Das ist ausgeschlossen.« 553
Es galt somit, die evangelische Kirche vom Wandel des Liberalismus zu überzeugen und gemeinsame Ansätze zu entwickeln, die zu einer fruchtbaren Kooperation führen konnten. Im Juli 1954 kam es auf Initiative Martin Blanks zu einem Treffen zwischen ihm und Kunst, das der weiteren Vorbereitung der offiziellen Begegnung zwischen FDP und EKD diente. Kunst schlug vor, die Verhandlungen im Herbst beginnen zu lassen, und nannte als mögliche Delegierte des Rates den hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje, den Landesbischof von Stuttgart Martin Haug, Oberpfarrer Volkmar Herntrich aus Hamburg, Reinhold Mager aus Dresden als Vertreter des Laienelements sowie den hessischen Kirchenpräsidenten Niemöller. Kunst bat Blank um die Einrichtung eines Verhandlungsgremiums liberaler Politiker und betonte dabei ausdrücklich, es solle sich bei dessen Mitgliedern um »›entschlossene Liberale‹« 554 handeln, »die bereit sind, ihre Meinung sehr deutlich und ohne Hemmungen vorzutragen.«555 Die Tatsache, dass man auf einer Koordinierungstagung der FDP Anfang Oktober erneut den Wunsch nach einem Gespräch mit der evangelischen Kirchen äußerte, als auch die Aufforderung Eulers an Wellhausen Mitte Oktober, das Gespräch solle nun recht bald stattfinden, zeigten, dass seit dem Juligespräch keine konkreteren Details besprochen worden waren.556
552
Ebd. Ebd. 554 Aufzeichnung Blank; Betrifft: Beziehungen Evangelische Kirche in Deutschland/ FDP; AdL N 1-1505. 555 Ebd. 556 Vgl. Ergebnisprotokoll der Koordinierungstagung der FDP vom 2. bis 4. 10. 1954; AdL A 7-7, Bl. 41 f. (vgl. auch Schreiben Euler an Wellhausen vom 13. 10. 1954; AdL N 1-1505). 553
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Wiederum waren es Blank und Kunst, die im November eine Verschiebung des Gesprächs in den Januar hinein verabredeten, so dass man schließlich am 18. 1. 1955 in der Wohnung Kunsts zum gemeinsamen Gespräch zusammentraf. Von kirchlicher Seite nahm Hans Böhm zusätzlich zu den von Kunst bereits erwähnten Personen an dem Gespräch teil; seitens der FDP waren Preusker, Schäfer, Wellhausen, Euler und Luchtenberg zugegen.557 Die Rückmeldung Kunsts, die er Thomas Dehler noch am selben Tag übermittelte, ließ erkennen, dass das Gespräch sehr gut verlaufen war. Kunst dankte Dehler auch im Namen der Ratsmitglieder für die »schöne Begegnung« 558 und betonte weiterhin, er habe in seiner fünfjährigen Amtszeit als Bevollmächtigter des Rates am Sitz der Bundesregierung noch »nicht viele Begegnungen, in denen solches Niveau und solche Atmosphäre herrschte«559 erlebt. Auch brachte er seine Hoffnung dahingehend zum Ausdruck, dieser Kontakt möge »nicht ein einsamer Meilenstein an unserem Wege«560 sein. Das Schreiben verdeutlichte, dass man auch seitens der EKD bestrebt war, den Kontakt zur FDP aufrecht zuerhalten, »um nicht in den Geruch der Parteilichkeit zu kommen.«561 Ließ diese positive Bewertung eine Intensivierung der geknüpften Kontakte erwarten, so zeigten die folgenden zwei Jahre, dass sich die Befürchtungen Kunsts hinsichtlich der Exklusivität dieses ersten Treffens zu bewahrheiten schienen. Zwar hatte er im Oktober 1955 ein erneutes Treffen zum Beginn des folgenden Jahres vorgeschlagen, doch wie ein Schreiben Dehlers rund ein Jahr später zeigte, war es dazu nicht gekommen.562 Es blieb somit vorerst bei diesem einen Treffen. Etwa Mitte des Jahres 1957 und somit im Kontext der Bundestagswahlen ließ sich ein weiterer Wandel im Verhältnis von Partei und evangelischer Kirche verzeichnen. Charakteristisch für diesen Wandel war die insbesondere für die Jahre 1957 bis 1960 festzustellende intensive Auseinandersetzung der FDP mit der komplexen Thematik »Liberalismus und Christentum« bzw. »Liberalismus und Kirche«563. Sowohl die Partei als auch die 557
Vgl. Klein, Protestantismus, 316. Schreiben Kunst an Dehler vom 18. 1. 1954; AdL N 1-1505. 559 Ebd. 560 Ebd. 561 Klein, Protestantismus, 316. Wie einem Vermerk an Dehler vom 17. 7. 1956 zu entnehmen war, hatte man aus einem »privaten Draht zur Kirche« erfahren, dass Kunst die Einladung der CDU zu ihrem Parteitag mehrfach ausgeschlagen habe, »um nicht in den Verdacht einseitiger Bindung zu geraten« (AdL N 1-1505). 562 »Lieber, sehr verehrter Herr Prälat! Es liegt mit schwer auf der Seele, daß unser Gespräch nicht die vereinbarte Fortsetzung bei mir fi ndet. Wollen wir gelegentlich einmal darüber sprechen?« (Schreiben Dehler an Kunst vom 4. 10. 1956; ebd.). 563 Dies belegen zahlreiche Publikationen und Vorträge aus dieser Zeit. Vgl. u. a. Vortrag Reinhold Maier »Liberalismus und Christentum heute. Freie Demokratische Partei«, Stuttgart 17. 9. 1956 (vgl. Friedrich-Naumann-Stiftung, Dokumentation, 83–91); Ders., 558
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evangelische Kirche bemühten sich um eine Intensivierung des Kontaktes. So wertete der neue Bundesvorsitzende der FDP Reinhold Maier die Teilnahme Kunsts auf dem Hamburger Wahlkongress der FDP am 5. 6. 1957 als »kleines, aber charakteristisches Zeichen«564 einer Wandlung, die sich im Verhältnis vollzogen habe. Am 29. 6. 1957 trafen er und Kunst zu einem Gespräch zusammen, in dem beide einhellig konstatierten, dass die Kontakte stärker als in den Jahren zuvor gepflegt werden müssten.565 Die Anregung zu einem erneuten Treffen zwischen Vertretern des Rates und der Partei ging Ende Juli 1957 von Kunst aus, der damit auf die Erklärung des Bundesvorstandes zum Thema »Christentum und Kirchen im Wahlkampf« reagierte, der er aufgrund der in ihr enthaltenen Fragestellungen ein »Gewicht über den Wahlkampf hinaus«566 bescheinigte. Das verstärkte Interesse an der evangelischen Kirche zeigte sich weiterhin in den Bemühungen der FDP, die kirchlichen, und hier besonders die evangelischen Kreise durch gezielte Werbung zu erreichen und sich somit insgesamt als »Sachverwalterin evangelischer Interessen« 567 zu profi lieren.568 Die alles in allem positiven Reaktionen der Landeskirchen auf »Liberalismus und Kirche«, in: Sonntagsblatt vom 21. 7. 1957; Vortrag Heinz-Horst Schrey »Liberalismus und Christentum«, Bad Boll März 1957 (AdL A 7-95, Bl. 2–7; AevBB Protokolldienst Nr. 6/1957 Teil 3); Vortrag Klaus Scholder »Liberalismus und Kirchen in der Gegenwart«, Oberberg 27. 6. 1958 (Ankündigung vgl. ebd., Bl. 74); Referat Paul Jacobs »Liberalismus in christlicher Verantwortung« auf dem Ordentlichen LPT des LV NRW der FDP Bad Salzuflen 21./22. 2. 1959 (vgl. Friedrich-Naumann-Stiftung, Dokumentation, 101–104); Friedrich Abendroth »Christentum und Liberalismus«, in: Forum VII/1984 von Dezember 1960. Auch die erste Tagung zwischen FDP und katholischer Kirche stand unter dem Motto »Liberalismus und Christentum« (siehe Abschnitt 3.2.). 564 Maier, Art. »Liberalismus und Kirche«, in: Sonntagsblatt vom 21. 7. 1957. Der Artikel Maiers war von Scholder verfasst worden und war im Blick auf die liberale Kulturpolitik insofern seiner Zeit voraus, als Maier resp. Scholder in ihm die Trennung von Staat und Kirche als Bedingung für ein gelungenes Verhältnis von Liberalismus und Christentum betrachtete. So habe erst die verfassungsmäßige Trennung dazu beigetragen, dass »die Kirchen von diesem Ballast befreit sind und der liberale Grundsatz »›freie Kirchen im freien Staat‹« durchgesetzt werden konnte. Zugleich betonte der Artikel, dass die Befürwortung der Forderung keineswegs im Sinne einer feindlichen Distanz zu verstehen sei. Das Bekenntnis zu einem »geläuterten Liberalismus« zeigte sich dann auch im vorletzten Absatz, wo man sich von den negativen Elementen des alten Liberalismus distanzierte und die Bindung durch das Gewissen betonte, das »durch die christlichen Lehren« vermittelt werde (ebd.). 565 Vgl. Art. »Der Vertreter der Evangelischen Kirche bei Dr. Reinhold Maier«, in: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 6 vom 18. 7. 1957, 14; Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 8. 7. 1957, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954–1960, 277. Wie dem Bericht Maiers im Bundesvorstand zu entnehmen war, hatte Kunst betont, dass in evangelischen CDU-Kreisen »keineswegs eine Hochstimmung herrsche«, und sich in diesem Zusammenhang für eine gute Zusammenarbeit mit der FDP ausgesprochen« (ebd., 277 f.). 566 Schreiben Kunst an Maier vom 31. 7. 1957; EZA 87/656. 567 Klein, Protestantismus, 320. 568 So überlegte man, die Kulturpolitischen Mitteilungen auch an kirchlich eingestellte
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den Wahlaufruf des Bundesvorstandes, die im Sinne des Prinzips »Über den Parteien«569 verstanden werden konnten, bestätigten die FDP in ihrem Vorhaben, die Kontakte zur evangelischen Kirche zu intensivieren. Auch zu den Evangelischen Akademien entstanden nun Kontakte, die auf ein zunehmend stärkeres Interesse der Akademien an der politischen Bewegung des Liberalismus zurückzuführen waren. Vom 15. bis 17. 3. 1957 kam es in der Evangelischen Akademie in Bad Boll auf Initiative des damaligen Studiendirektors Theodor Ellwein zu einer Wochenendtagung zum Thema »Fragen an den Liberalismus« 570. Die Tagung wurde grundsätzlich von der Fragestellung bestimmt, die wiederum Thomas Ellwein, Verfasser des Buches »Klerikalismus in der deutschen Politik«571, zu ihrer Eröffnung explizierte, nämlich ob der Liberalismus am Ende sei. Ein großer thematischer Schwerpunkt lag in der Erörterung dessen, was liberale Kulturpolitik heiße. Hier referierten Hans Dannenmann, in Vertretung von Luchtenberg sowie der katholische Freiburger Ministerialdirektor Paul Fleig, was diesem Tagesordnungspunkt schon von sich aus eine brisante Note gab. Denn wie zu erwarten, wurde in diesem Kontext das immerwährende Streitthema christliche Gemeinschaftsschule oder Konfessionsschule sowie die Frage der Lehrerbildung kontrovers und ohne neue Ergebnisse erörtert. Den dritten thematischen Schwerpunkt bildete das Referat Heinz Horst Schreys über »Christentum und Liberalismus« 572 , in dem Schrey deren Verbundenheit im Sinne eines gemeinsamen Freiheitsverständnisses betonte und die gleichzeitige Entfremdung zwischen beiden dadurch begründete, dass sich der Liberalismus immer abwehrend gegenüber einer Christlichkeit Kreise zu verschicken. Ebenso wurde der Vortrag Maiers »Liberalismus und Kirche« in einer größeren Aufl age gedruckt und an die Landesverbände weitergegeben, da er, so Scholder, »für die Werbung bei den Pfarrern wirklich vorzüglich geeignet« schien (Schreiben Scholder an Pastor R. Muuß vom 18. 7. 1957; AdL A 7-94, Bl. 80). Diese Werbung verlief parallel zu derjenigen der SPD, die durch die Herausgabe des Informationsdienstes Politische Verantwortung – Evangelische stimmen, erstmals 1957 erschienen, ebenfalls gezielt die evangelisch-kirchlichen Kreise erreichen wollte. Darauf verwies schon der Herausgeberkreis des Informationsdienstes, dem neben Arndt, Metzger und Heinemann, auch der Oberkirchenrat Kloppenburg sowie die Theologie-Professoren Diem, Iwand, Kupisch und Wolf angehörten. 569 Vgl. den gleichnamigen Titel des Buches von Wright über die politische Haltung evangelischer Kirchenführer in der Weimarer Republik. 570 Insgesamt 67 Personen nahmen an der Tagung teil, darunter von Seiten der FDP u. a. Hildegard Hamm-Brücher und Klaus Scholder. Die Rednerliste verwies auf eine hochkarätige Besetzung. So sprachen u. a. Franz Arnold, Hans Dannenmann, Theodor Ellwein, Walter Erbe, Paul Fleig, Rechtsanwalt Eduard Leuze und Heinz-Horst Schrey (vgl. Teilnehmerliste zur Tagung »Fragen an den Liberalismus« vom 15. bis 17. 3. 1957; AEvBB). 571 Vgl. Ellwein, Klerikalismus. 572 Vgl. Vortrag Schrey »Christentum und Liberalismus«; AdL A 7-95, Bl. 2–7.
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verhalten werde, die zum Klerikalismus zu werden drohe. Schreys Vortrag mündete in die Aufforderung an das Christentum, seine offensichtliche Krise nicht durch staatlich gewährte institutionelle Sicherheiten zu bewältigen, sondern allein aus Wort und Geist heraus eine Erneuerung anzustreben. In seinem Vortrag spiegelte sich die Aktualität jener verspürten konfessionellen und klerikalen Tagespolitik deutlich wider. Die liberale Zeitschrift Das freie Wort kündigte Ende November 1957 ein Gespräch zwischen Vertretern der evangelischen Kirche und der FDP in der Evangelischen Akademie in Loccum an, das zum Ziel hatte, »jenes seltsam gebrochene, halb freundlich, halb feindliche Verhältnis zwischen protestantischen und liberalem Gedankengut«573 zu überprüfen. Auch hier war die Initiative zu dem gemeinsamen Gespräch, das vom 2. bis zum 5. 12. 1957 unter dem Motto »Das Recht des Liberalismus« stattfand, von der Akademie ausgegangen, wo man im Anschluss an Dialoge mit SPD und CDU nun auch »mit den liberalen Kräften in eine gute Fühlung«574 kommen wollte. Einen wesentlichen Beitrag zur Verhältnisbestimmung von politischem Liberalismus und evangelischer Kirche lieferten die Referate von Maier und Lilje575, insofern sich beide auch kritisch mit der von ihnen repräsentierten Position auseinandersetzten. Diente Maiers Vortrag zum »Beitrag des Liberalismus zu der modernen demokratischen Gesellschaft«576 primär dem Ziel, dem Tagungsthema Rechnung zu tragen, insofern er Recht bzw. Berechtigung des Liberalismus aus 573 Art. »Ein wichtiges Gespräch zwischen Liberalismus und Kirche. Landesbischof Lilje und FDP-Vorsitzender Maier vor dem Forum der Evang. Akademie«, in: Das freie Wort 48/1957 vom 29. 11. 1957. 574 Schreiben Doehring an Lilje vom 16. 10. 1957; LKAH E 46 Nr. 142. Vgl. auch Schreiben Doehring an Bundestagsfraktion der FDP vom 24. 5. 1957: »Es kommt uns bei diesen Begegnungen weniger auf die im Augenblick anstehenden politischen Tagesfragen als auf die grundsätzliche Besinnung über den bisherigen Gehalt und Auftrag einer politischen Bewegung in Deutschland an« (ebd.). 575 Nicht nur die Akademie, auch die FDP hat sich ausdrücklich für die Teilnahme Liljes an dem Gespräch ausgesprochen. Lilje war der FDP aus den Gesprächen mit Kunst vertraut, und man sah in ihm ob seiner Theologie einen geeigneten kirchlichen Gesprächspartner. So zumindest begründete Scholder die Lilje entgegengebrachte Bitte, an dem Gespräch teilzunehmen: »Diese Bitte resultiert [. . .] zum anderen und wohl wichtigeren aber aus der Tatsache, daß mir ihre persönliche theologische Arbeit von der Kirche her genau denselben Punkt anzuvisieren scheint, der für die Bemühungen der jungen Liberalen heute charakteristisch ist. Ich meine das Problem der ›Mündigkeit der Welt‹, dem gegenüber sich die Evangelische Kirche und der Liberalismus in ähnlichen Situationen zu befi nden scheinen« (Schreiben Scholder an Lilje vom 14. 10. 1957; LKAH E 46 Nr. 142). Dass die FDP ebenfalls sehr bemüht war, diese Tagung auch von ihrer Seite aus personell gut zu besetzen, zeigte sich in ihrer Teilnahmeanfrage an Heuss, der jedoch absagte, mit der Begründung, »keinen Wirbel von Missverständnissen und Falschdeutungen« entstehen lassen zu wollen (Schreiben Bott an Doehring vom 2. 10. 1957; Barch B 122–299). 576 Vgl. Protokoll des Gesprächs zwischen Vertretern der evangelischen Kirche und der FDP vom 2. bis 5. 12. 1957; LKAH Protokolle Loccum. Die folgenden Zitate ebd.
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den von ihm erstrittenen Errungenschaften deduzierte577, so bestanden die relevanten Aussagen im Blick auf den Liberalismus als Weltanschauung und seinem Verhältnis zur Kirche in seinen einleitenden Bemerkungen. Hier erfolgte insofern ein Bekenntnis zum »geläuterten Liberalismus«, als Maier im Sinne Luchtenbergs und damit der neuen Kulturpolitik der FDP die Bindung des Liberalismus an bzw. dessen Unterordnung unter die Ethik des Christentums betonte: »Der Liberalismus ist eine geistige Bewegung von beträchtlicher Wucht. Sie vollzieht sich aber trotzdem nicht im luftleeren Raum. Auch sie ist gebunden an das Gewissen und dieses folgt dem verbindlichen Sittengesetz. [. . .] Was aber Staat und Gesellschaft anlangt, so bietet sich ein gemeinschaftliches christliches Sittengesetz als wirkungsvoller Helfer an. [. . .] Der Staat hat hierzu keinen besseren Bundesgenossen als die christliche Lehre der Nächstenliebe. Diesem Sittengesetz unterstellt sich auch der Liberale.«
In dieser Bindung und der daraus entstehenden »positiven« Freiheit, die als »Freiheit zu etwas« der »Freiheit von etwas«, die sich durch Willkür, Maßlosigkeit und Zügellosigkeit auszeichnete, diametral entgegenstand, sah er die Möglichkeit einer versöhnlichen Begegnung von Liberalismus und Christentum bzw. Kirche gegeben. In seinem Vortrag über die »Kirche in der mündigen Welt«578 stellte Lilje den Menschen ins Spannungsfeld von Kirche und Liberalismus. In beiden sah er die Gefahr gegeben, Chancen und Grenzen der Individualität und Fähigkeit des Menschen, das eigene Leben zu gestalten, nicht angemessen zu erkennen. Ersteres zeige sich in jener Form des »Institutionalismus« der Kirche, der einseitig und durch ein »falsches Hängenbleiben in Ritualismus oder Dogmatismus« die Frömmigkeit des Menschen zu regulieren versuche und durch diese Pauschale die Einzigartigkeit und Unvertauschbarkeit eines Menschen verkenne.579 Letzteres, das Verkennen der Grenzen, unterstellte er jener Form des Liberalismus, die durch eine übertriebene Betonung des 577
Maier nannte hier vor allem den Rechtsstaat und die Selbstverwaltung. Vgl. ebd. Die folgenden Zitate ebd. 579 Dabei verwies Lilje auf einen Aspekt, der so in der Erörterung des KlerikalismusPhänomens bislang als eher marginal betrachtet worden war. Er verwies auf die große Anziehungskraft des Klerikalismus auf viele Menschen, insofern er diesen die Anstrengung zu nehmen vermochte, selbst zu denken und zu urteilen. »Darüber darf sich keiner täuschen. Es ist großartig, wenn es fertige Kategorien gibt, wenn man bei den Vätern nachschlagen kann, wie die Fragen und Antworten lauten.« War in anderen Debatten der Klerikalismus angeklagt worden, die gebotene Trennung von Religion und Politik zu nivellieren, so mahnte Lilje, seiner anthropologischen Betrachtungsweise geschuldet, die Kirche dazu, jene Attraktivität des Klerikalismus auf den Menschen nicht auf Kosten der Menschlichkeit zu missbrauchen: »So hängen die Dinge zusammen, daß zunächst die Kirche sich fragen lassen muß, ob sie immer gewußt und bekannt hat, was der Mensch vor Gottes Angesicht ist, daß dieser Mensch auf keine Weise, auch auf keine theologische und fromme Weise, verwirtschaftet werden darf« (ebd.). 578
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autonomen Denkens des Menschen jegliche Form von Bindungsnotwendigkeit letztlich bestreite und damit auch den Freiheitsbegriff in seiner eigentlichen Bedeutung verkehre. Ein gemeinsames Neuüberdenken des Freiheitsgedankens sei nötig, dessen Grundvoraussetzung in einem Heraustreten aus jenen Extremen bestehe. Eine gewisse Sicherheit der FDP im Blick auf ihr verbessertes Verhältnis zur evangelischen Kirche zeigte sich auch in einer Rede des Bundesvorstandsmitglieds Hans-Wolfgang Rubin zum Thema »Warum wählt ein evangelischer Christ FDP?«580, die er am 7. 6. 1958 im Kulturpolitischen Bundesausschuss hielt. Die Rede wies Ähnlichkeiten auf zu den Äußerungen Liljes, insofern Rubin ebenfalls auf den durch Dietrich Bonhoeffer geprägten Ausdruck der »Mündigkeit der Welt«581 rekurrierte, wobei er den Liberalismus als entscheidenden Motor jener Entwicklung bezeichnete, die zu eben dieser Mündigkeit der Welt beigetragen habe. Harte Worte fand er in diesem Zusammenhang für die CDU, deren Politik einer »konfessionelle[n] Paritätsberechnun[g], klerikale[n] Personalpolitik [und] rücksichtslose[n] Durchsetzung von Konfessionsschulen«582 er jegliches Eintreten für eine mündige Welt absprach. Sich somit liberalem Verständnis gemäß gegen eine Vermischung von Politik und Religion aussprechend, sah er die Gemeinsamkeit zwischen FDP und evangelischer Kirche in der beiden gemeinsamen Überzeugung, dass die Chance der Kirche »in ihrer Freiheit von der Welt für die Welt«583 liege. In diesem Zusammenhang verwies er auf eine »Reihe von Anzeichen«584 dahingehend, dass sich FDP und evangelische Kirche in dieser Hinsicht zusehends als »Gleichgesinnte«585 verstanden.586 Getrübt wurde die positive Stimmung zwischen FDP und EKD durch zwei Vorfälle, in die beide Male der Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende, Otto Dibelius, involviert war. Im Juni 1959 hatte dieser im Kontext der Bundespräsidentenwahlen den CDU/CSU-Kandidaten Heinrich Lübke 580
Vgl. AdL A 7-95, Bl. 89–91. Ebd., Bl. 89. Vgl. Fischer, Protestantische Theologie, 148 ff. 582 Rede Rubin; AdL A 7-95, Bl. 90. 583 Ebd., Bl. 91. 584 Ebd. 585 Ebd. 586 »Es gibt eine Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll und eine Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum, die Begegnung und Aussprache zwischen den Liberalen und den Männern der Kirche förderten. [. . .] Es gibt vielfältige Gespräche, Beziehungen und Verbindungen hinüber und herüber; das alles steht noch am Anfang. Aber wenn nicht alle Zeichen trügen, hat die Zeit der Restauration, auch der kirchlichen, ihren Höhepunkt überschritten und beide, die Kirche und die Welt, sind auf dem Weg der Besinnung« (ebd.). Auch in NRW fand vom 16. bis 18. 3. 1960 eine Tagung zum Thema »Kirche und FDP« in der Evangelischen Akademie in Iserlohn statt (vgl. Schreiben Funcke an den FDP NRW-Landesvorstand vom 19. 1. 1960, in: Heinemann, Liselotte Funcke, 233). 581
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als Persönlichkeit bezeichnet, »die auch in der Evangelischen Kirche allerlei Vertrauen genieße.« 587 Die FDP-Bundestagsfraktion, genauer, die 35 Protestanten innerhalb der Fraktion, reagierten mit einem von Elisabeth Lüders verfassten Schreiben, in dem diese die Äußerungen Dibelius’ als »ausgesprochenen politischen Hinweis«588 erachtete, der geeignet sei, »ihre [sc. der Protestanten] innere Freiheit zu beeinträchtigen.«589 Weiterhin beschloss man seitens des Bundesvorstandes, die Erklärung des Bischofs mit evangelischen Kirchenführern zu besprechen; ein Zeichen wiederum für die mittlerweile guten Beziehungen zu einigen evangelischen Landeskirchen.590 Der zweite, kleinere Vorfall bezog sich auf einen Artikel der von Dibelius herausgegebenen Zeitung Berliner Sonntagsblatt – Die Kirche vom 18. 12. 1960, in der unter der Rubrik »Probleme der Woche« eine Darstellung des Parteiensystems gemacht worden war, die von manchen Zeitungen im Sinne einer Stellungnahme der evangelischen Kirche gegen die FDP interpretiert wurde.591 Ein Briefwechsel zwischen Mende und Dibelius konnte dieses Missverständnis jedoch aus der Welt räumen.592 Alles in allem zog sich somit eine eher positive Grundstimmung zwischen FDP und evangelischer Kirche bis Anfang der 1960er Jahre durch, die jedoch nicht lange anhielt. Denn die Schwierigkeiten, die mit dem Wiedereintritt der FDP in die Regierung auftraten und die, wie gezeigt, die kulturpolitischen Aktivitäten in den Hintergrund treten ließen, wirkten sich auch auf die Kontakte zur evangelischen Kirche aus. So zeigte sich eine gewisse Stagnation zunächst in den vergeblichen Bemühungen Funckes Ende 1962, den Bundesverband von der Notwendigkeit einer Gründung eines evangelischen Gesprächskreises zu überzeugen. Aber auch in den folgenden Jahren zeichnete sich keine positive Wende ab, so dass Funcke das Verhältnis zwischen FDP und evangelischer Kirche in einem Schreiben an Riemer Ende 1964 als »entfremdet« charakterisierte: »Es ist tatsächlich der Fall, daß in weiten Kreisen der Evangelischen Kirche und ihrer – übrigens von der Gesamtkirchenleitung ziemlich unabhängigen – Ämter und Akademien eine ziemlich große Fremdheit gegenüber der FDP herrscht, die
587
Art. »Bischof Dibelius: Keine Stellungnahme für Lübke«, in: Die Welt vom 24. 6.
1959. 588
Art. »Dibelius antwortete der Alterspräsidentin«, in: ebd. vom 30. 6. 1959. Ebd. 590 Vgl. ebd. Namentlich handelte es sich bei diesen evangelischen Kirchenmenschen um Haug, Lilje, Wilm, Beckmann und Sucker. 591 Dort war das Bemühen der FDP, sich als »dritte Kraft« im Parteiensystem zu profilieren, kritisch hinterfragt worden (vgl. FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1960– 1967, LXII). 592 Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 10. 2. 1961, in: ebd., 63. 589
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I. Das Verhältnis der FDP zu den beiden Großkirchen
nur noch übertroffen wird von der Fremdheit und Gleichgültigkeit, die die FDP weiterhin gegenüber der Kirche erkennen läßt.« 593
In ihrem Schreiben verwies sie auf erste Erfolge, die sich im Landesverband NRW hinsichtlich der Bemühungen um die evangelische Kirche eingestellt hatten.594 Die Einrichtung ähnlicher Kontaktstellen auf Bundesebene kam jedoch nicht zustande. Hatten Vertreter des Rates der EKD sowie die liberalen Politiker Dehler, Kühlmann-Stumm und Mischnick noch im Februar 1965 ein gemeinsames Kommunique595 zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit verfasst und in einem »freimütigen und offenen Gespräch« 596 weiterhin die politischen Fragen der Eigentumspolitik, der Verjährung von NS-Verbrechen sowie der deutsch-israelischen Beziehungen erörtert, so zeigte sich das nach wie vor distanzierte Verhältnis zwischen FDP und evangelischer Kirche anhand der Wahlempfehlung von Lilje 1965, der in einem Artikel im Sonntagsblatt einige Tage vor der Wahl öffentlich davon abgeraten hatte, die kleinen Parteien zu wählen: »Ich halte es nicht für empfehlenswert, wenn Sie kleineren Parteien Ihre Stimme geben, vor allem dem Angebot der ganz kleinen. Das wäre wohl kaum eine echte politische Entscheidung zu nennen. Zur Politik gehört Macht und die Möglichkeit der öffentlichen Wirkung. Eine Partei zu stützen, der diese Chance von vorneherein nicht gegeben ist, wäre keine sehr wertvolle und vor allem keine sehr wirkungskräftige Entscheidung.« 597
In einem Schreiben an Ludwig Raiser meldete Funcke an, diese Wahlempfehlung in der Kammer für Öffentliche Verantwortung besprechen zu wol593
Schreiben Funcke an Rieger vom 16. 11. 1964; LStaD RWV 49-2018. »[D]ie Gespräche zwischen der Fraktion und den Präsides der Rheinischen und Westfälischen Kirche; die von mit seinerzeit angeregten Tagungen in Dortmund und Iserlohn zwischen Kirche und Abgeordneten; unsere Beteiligung in den Öffentlichkeitsausschüssen beider Kirchen, unser Verhältnis zu Kirchenrat Doehring und die verschiedenen Gespräche, die der Evangelische Gesprächskreis mit verschiedenen Stellen, Ämtern, Organisationen und Persönlichkeiten bereits geführt hat« (ebd. Vgl. auch Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 22. 9. 1965, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1960–1967, 639). Die Aufgeschlossenheit der EKvW gegenüber der FDP zeigte auch das Schreiben des Mitgliedes der Männerarbeit der EkVW Alfred Supper an Haferland, in dem dieser das Interesse an einer Begegnungstagung mit der FDP bekundete: »Ich habe die Absicht, diese Begegnungstagungen auch mit der FDP zu beginnen, da wir auch bereits von verschiedenen Seiten auf die Notwendigkeit der Begegnung mit der FDP angesprochen worden sind« (Schreiben Supper an Haferland vom 23. 7. 1964; AdL A 7-44, Bl. 141). 595 »Gemeinsames Kommunique des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Freien Demokratischen Partei«, telefonisch fdk 1965. Der Artikel wurde am 13. 2. 1965 an die Agenturen weitergegeben (vgl. AdL N 73-7). 596 Ebd. 597 Erklärung Lilje, zit. nach einem Schreiben von Funcke an Raiser vom 29. 8. 1965; AdL N 1-2009. 594
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len. Funcke sprach dabei der evangelischen Kirche nicht grundsätzlich das Recht ab, Stellung gegen bestimmte politische Maßnahmen zu beziehen, kritisierte jedoch in diesem Fall die Tatsache, dass Lilje allein aus quantitativen Gründen sein Urteil gegen die FDP begründet habe. Derartige Stellungnahmen würden im Blick auf das Verhältnis zwischen evangelischer Kirche »genau die Mißverständnisse wieder hoch [bringen], die wir [. . .] von beiden Seiten bemüht sein sollten, abzutragen.«598 Erst im Juni 1966 trafen sich Vertreter von EKD und FDP erneut zu einer »besonders ertragreichen Bonner Arbeitstagung«599, die unter dem Motto »Politischer Liberalismus und evangelische Kirche« stand. Luchtenberg begründete das Treffen mit dem vielfach zum Ausdruck gebrachten und keineswegs neuen Wunsch beider Seiten, das Verhältnis zwischen Partei und EKD zu intensivieren. Von Seiten der FDP lag der Schwerpunkt dieser Arbeitstagung in der Diskussion der Frage, wie sich der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen konkret zu vollziehen habe. Hintergrund dieser Fragestellungen waren die seit 1962 als »neues Genus kirchlicher Kundgebung« 600 veröffentlichten Denkschriften der EKD, von denen insbesondere die so genannte Ostdenkschrift 601 von 1965 rege in kirchlichen und politischen Kreisen diskutiert worden war und die die ohnehin existierende Distanz zwischen Partei und evangelischer Kirche zu jenem Zeitpunkt zusätzlich forcierte. Die Aufzeichnungen Wolfgang Schollwers 602 machten deutlich, wie kritisch und uneins man seitens der Partei hinsichtlich des Stellenwerts und der Funktion der Denkschrift war. Als Schollwer am 18. 11. 1965 im Außenpo598 Ebd. Aus dem Schreiben geht erneut hervor, wie gestört das Verhältnis zwischen evangelischer Kirche und FDP zu jenem Zeitpunkt war. Funcke bezeichnete es als »schwieriges Verhältnis« und sprach von »Spannungen und Entfremdungen«, die schwieriger zu überwinden seien als die zwischen evangelischer Kirche und Sozialismus (ebd.). 599 FNS-Jahresbericht 1967; AdL D 6-5. Die Tagung fand am 20./21. 6. 1966 im Kammermusiksaal der Beethovenhalle in Bonn statt. Ausgerichtet wurde sie von der FNS, »in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesvorstand der FDP« (Schreiben Luchtenberg an Weyer vom 2. 5. 1966; LStaD RWV 48-2018). Insgesamt nahmen 110 Personen, darunter Pfarrer, Rechtsanwälte, Studienräte und Politiker, an der Tagung teil (vgl. Teilnehmerliste; LAMS 407). Als Referenten von Seiten der FDP nahmen teil Paul Luchtenberg, der zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz der FNS innehatte, Willi Weyer, Friedrich Karrenberg, Liselotte Funcke, Barthold Witte, Karl Moersch, Horst Dahlhaus und Rolf Schroers; seitens der evangelische Kirche waren Hermann Kunst, Hermann Kalinna, Johannes Doehring und Cornelius Adalbert von Heyl zugegen; des weiteren referierten Paul Jacobs und Iring Fetscher. Dazu waren 89 Tagungsteilnehmer anwesend. Die Vorträge und Diskussionen wurden 1967 veröffentlicht (vgl. Schriftenreihe Band 11, Politischer Liberalismus). 600 Hauschild, Evangelische Kirche, 79. 601 Vgl. Die Lage der Vertriebenen. 602 Der in Potsdam geborene Wolfgang Schollwer (*1922) trat 1950 der FDP bei und war von 1951 bis 1957 stellvertretender, dann kommissarischer Leiter des Ostbüros der FDP in Bonn. Als deutschlandpolitischer Referent der FDP-Bundesgeschäftsstelle und Chefredakteur des FDP-Pressedienstes fdk nahm er maßgeblich Einfluss auf die Öffnung der FDP in der Ostpolitik (siehe dazu Kap. II.1.1.).
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litischen Arbeitskreis eine Stellungnahme zur Denkschrift vorstellte, die er für die außenpolitische Rede Kühlmanns-Stumms am 29. 11. im Kontext der Aussprache zur Regierungserklärung verfasst hatte, betonte Genscher, dass er »dieses Thema nicht behandelt wissen will.« 603 Deutlichere Worte fand Erich Mende rund eine Woche später, als man die Denkschrift in der Fraktion diskutierte. Dort, wo man, so Schollwer, »um die EKD-Denkschrift einen Bogen [machte] wie die Katze um den heißen Brei« 604, hatte dieser erklärt: »Ich warne davor, die Denkschrift in der Debatte [sc. Bundestagsdebatte] zu erwähnen – das ist Professor Raiser nicht wert!« 605 Kühlmann-Stumm ging darauf hin am 29. 11.1965 mit keinem Wort auf die Denkschrift ein. Ein Vortrag Willi Weyers, den dieser auf der erwähnten gemeinsamen Tagung hielt, kann als Ausdruck der allgemeinen Stimmung der FDP im Blick auf die Frage »Wie sieht der politische Liberalismus den öffentlichen Auftrag der Kirche?« 606 fungieren. Befürwortete Weyer ganz grundsätzlich den partnerschaftlichen Umgang zwischen Kirchen und Trägern politischer Verantwortung und somit auch den öffentlichen Auftrag der Kirche, so wies er ihr zugleich die dahingehenden Grenzen auf. Im Kontext der pluralistischen Gesellschaft charakterisierte er die Kirche als »eine Gruppe unter anderen« 607, die somit auch den »Bedingungen der Kritik, des Meinungsstreites und den Folgewirkungen des politischen Irrtums« 608 unterliege. In ihrer zunehmenden Einmischung in den politischen Bereich sah Weyer die Gefahr, dass der christliche Laie irgendwann nicht mehr unterscheiden könne, ob sie als Verkünderin des Wortes oder als Gruppe der pluralistischen Gesellschaft 603
Schollwer, Aufzeichnungen, 295. Die Erklärung hatte folgenden Wortlaut: »[Die Denkschrift] ermöglicht eine breite und sachliche Diskussion eines der Kernprobleme deutscher Wiedervereinigungspolitik, des künftigen Schicksals der deutschen Ostgebiete. Wir freuen uns darauf, schon in naher Zukunft mit den Vertretern der Evangelischen Kirche die in der Denkschrift angeschnittenen Probleme in aller Offenheit erörtern zu können. Dabei werden wir sicherlich nicht in allen Punkten übereinstimmen können; insbesondere vertritt die FDP hinsichtlich einiger völkerrechtlicher Fragen einen anderen Standpunkt als die EKD. Den Grundgedanken dieser Schrift jedoch, die Versöhnung mit dem polnischen Volke, bejahen die Freien Demokraten uneingeschränkt« (ebd.). 604 Ebd. 605 Ebd. In der Sitzung hatte man erneut die Schollwersche Erklärung diskutiert. Dabei hatten Diemer, Moersch, Borm und auch Bucher und Rutschke das Dokument positiv bewertet, wohingegen u. a. Haas und Hamm sie als deutlich zu positiv erachtet hatten (vgl. ebd.). Die so genannte Ostdenkschrift war unter dem Vorsitz von Raiser in den Jahren 1963 bis 1965 erarbeitet worden (vgl. Hauschild, Evangelische Kirche, 80 f.). 606 So lautete der Titel des Vortrags von Weyer (vgl. Schriftenreihe Band 11, Politischer Liberalismus, 39–51). Willi Weyer (1917–1987), ev., gehörte mit Oskar Funcke zu den liberalen Politikern, die nach dem Krieg im Bereich Hagen die FDP auf bauten. Er war MdL von 1958 bis 1975 und von 1953 bis 1954 MdB. Von 1956 bis 1972 war Weyer Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen FDP. 607 Ebd., 44. 608 Ebd., 45.
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auftrete, was auf lange Sicht hin zu ihrem Bedeutungs- bzw. Authentizitätsverlust führen könne. Im Blick auf die Politik artikulierte er seine Sorge dahingehend, dass viele politische Bereiche durch eine Fülle von Stellungnahmen nur punktuell und einer einseitigen kirchlichen Perspektive verpfl ichtet beleuchtet würden, was zu einem verzerrten Bild der gesamtpolitischen Situation führen könne.609 Weyer betonte somit den Auftrag der Kirche, zu einer Versachlichung und Vermenschlichung in der Politik beizutragen, sah dessen Erfüllung jedoch unter vier Bedingungen gestellt, von denen die Erste die Kirche aufforderte, erst dann zu sprechen, wenn der Anlass wichtig genug sei.610 Weiterhin sollten die Stellungnahmen im Bemühen um Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit erarbeitet werden.611 Als drittes griff er den schon erwähnten Aspekt auf, dass jede politische Teillösung ein Stück in einem Gesamtzusammenhang sei, den es zu berücksichtigen gelte.612 In diesem Zusammenhang stand die letzte Bedingung, insofern Weyer die Kirche zu einem »Weniger an politischer Konkretion»613 und allzu konkreten politischen Einzellösungen aufforderte. Am Ende des Vortrags verwies er auf die Notwendigkeit gemeinsamer Gespräche zwischen FDP und Evangelischer Kirche, die man bei den Beratungen zur Vertriebenendenkschrift, die von der FDP in großen Teilen befürwortet wurde, so deutlich vermisst habe.614 Wiewohl man auf dieser Tagung immer wieder das in positiver Hinsicht veränderte Verhältnis zwischen FDP und evangelischer Kirche betont hatte, ließen manche Äußerungen in der Diskussion über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen eine gewisse Unsicherheit auf Seiten der Kirchenvertreter entstehen im Blick auf die Frage, wie viel Raum die FDP den Kirchen nun tatsächlich im öffentlichen Leben zugestehen wollte. Eine Äußerung von Heyls, die er im Frühjahr 1967 Karrenberg gegenüber machte, mag in diesem Sinne verstanden werden: »[A]ußerdem war ich – genau wie Sie – etwas 609 Weyer kritisierte in diesem Zusammenhang bspw., dass bei den Beratungen zur so genannten Ostdenkschrift keine Person der Kammer für Öffentliche Verantwortung aus den Kreisen der Vertriebenen kam. Ähnlich verhielt es sich bei der Abfassung der so genannten Eigentumsdenkschrift, wo ebenfalls kein Vertreter aus dem Unternehmerbereich zugegen gewesen war (vgl. ebd., 48). 610 Vgl. ebd., 47. 611 Vgl. ebd., 47 f. 612 Vgl. ebd., 48. 613 Ebd., 49. 614 »Wenn die Kirche sich in diesen Fragen partnerschaftlich gegenüber der Politik versteht und Anregungen geben will, schiene es uns allerdings notwendig, daß sie die ausgelösten Gespräche nicht seit Monaten allein mit Vertriebenenverbänden, Kuratorien und Rundfunksprechern, sondern auch und gerade mit den verantwortlichen Politikern führt. Sie ruft sonst – sicherlich ungewollt – aber unvermeidlich den Eindruck hervor, als wolle sie auf eigene Faust neben der offi ziellen Politik eine eigene Politik machen« (ebd., 51).
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verblüfft über die Art Liberalismus, mit der wir uns in der Diskussion auseinandersetzen mußten. Ich dachte, diese Geisteshaltung sei ausgestorben.« 615 Hier spiegelte sich ein Stück weit jener Wandel in der Kirchenpolitik der FDP wider, der für die Zeit ab Mitte der 1960er Jahre konstatiert werden konnte und der die dauerhafte Distanz zwischen Partei und Kirche nun keineswegs verringerte. Diese Distanz zeigte sich auch bei der Planung des 13. Deutschen Evangelischen Kirchentages 1967, wo man die FDP bei der Aufstellung der politischen Referenten trotz rechtzeitig gegebener Hinweise ihrerseits nicht mitbedacht hatte. Auf die Kritik der FDP reagierten die kirchlichen Verantwortlichen im Sinne eines Versehens, die parteipolitische Ausgewogenheit der Veranstaltung einfach nicht bedacht zu haben; eine Reaktion, die man seitens der FDP als unglaubwürdig und unbefriedigend verurteilte. Der Bundesvorstand der FDP hatte darauf hin eine Erklärung des Rates der EKD erbeten.616 Der nächste intensivere Kontakt zwischen FDP und EKD erfolgte somit erst im Kontext der »Nürnberger Wahlplattform« der FDP, obschon der Rat bereits in seiner Sitzung vom 8./9. 6. 1967 beschlossen hatte, »daß auf seine [sc. Kunst] Einladung weitere Gespräche mit Politikern der Bundesregierung und den Parteien stattfi nden sollen.« 617 Kurz nach Veröffentlichung der »Nürnberger Wahlplattform« wurde Kunst durch den Rat gebeten, das Gespräch mit der FDP über jene »Wahlplattform« zu suchen. Ebenso sollten die Gliedkirchen informiert und aufgefordert werden, mit dem jeweiligen FDPLandesverband Fühlung aufzunehmen.618 Ein Zeitungsinserat der FDP, in dem diese sich gegen die »staatliche Kirchensteuer« 619 ausgesprochen hatte, führte dazu, dass sich die Kirche noch während des Wahlkampfes zu einer öffentlichen Reaktion auf die Wahlplattform herausgefordert fühlte.620 Am 24. 9. 1969 veröffentlichte die Kirchenkanzlei eine Erklärung mit dem Titel »Kirchensteuer als Wahlkampfparole« 621, in dem sie der FDP mangelnde 615
Schreiben von Heyl an Karrenberg vom 27. 4. 1967; EZA 99/389. Vgl. Protokoll der Sitzung des KGK vom 18. 7. 1967; AdL N 73-4 (vgl. auch Art. »FDP fühlt sich vom Kirchentag übergangen«, in: epd Landesdienst Rheinland Nr. 89 vom 2. 8. 1967). 617 Protokoll der 7. Sitzung des Rates vom 8./9. 6. 1967; EZA 4/454. 618 Vgl. Protokoll der 30. Sitzung des Rates vom 29./30. 5. 1969; EZA 87/657. 619 Spiegel 39/1969, 146 f. Vgl. KJ 1969, 102. Es war das erste Mal, dass die FDP überhaupt in einem Jahrgang des KJ erwähnt wurde; ein weiteres Indiz für das distanzierte Verhältnis. 620 Das Inserat hatte folgenden Wortlaut: »Die F.D.P. ist für den Staat, für die Kirche, aber gegen die staatliche Kirchensteuer [. . .]. Der Staat muß frei sein von kirchlichem Einfluß, die Kirche von staatlichem Einfluß. Deshalb fort mit der staatlichen Kirchensteuer. Besser: ein kircheneigenes Abgabesystem. Beispiel für freiheitliches Denken« (Spiegel 39/1969, 146 f.). 621 In: KJ 1969, 102 f. 616
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Sachkenntnis im Blick auf die Kirchensteuer und deren Einzug vorwarf und diese weiterhin dazu anmahnte, »solche Irreführungen der Öffentlichkeit nicht [zu] gestatten.«622 Die bereits 1967 angedachten Gespräche mit den Parteien fanden im Jahr nach den Bundestagswahlen statt. Am 21. 4. 1970 trafen Vertreter der FDP mit dem Rat der EKD in Bonn zusammen.623 Wie dem offiziellen Protokoll zu entnehmen war, thematisierte man das Verhältnis von Kirche und Staat, Fragen der Bildungs- und Kulturpolitik sowie Fragen der Außenpolitik. Mochte diese Version der Pressemitteilung nicht auf eine Missstimmung hindeuten, so zeigte die unkorrigierte erste Fassung dieses Protokolls, worum es tatsächlich gegangen war: »Differenzen zwischen kirchlichen Kreisen und der FDP, die in letzter Zeit zu Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat aufgekommen waren, freimütig zu erörtern und gegenseitige Mißverständnisse zu beseitigen.« 624 Dieses Treffen sollte bis zu den Kontakten, die im Kontext des FDP-Kirchenpapiers zwischen EKD und FDP aufgenommen wurden, vorerst das letzte sein.
622 Ebd., 103. Auch die Kirchenleitungen der Landeskirchen Hessen und Nassau, Eutin und Lübeck hatten sich öffentlich gegen das Inserat ausgesprochen (vgl. Art. »›Landesvorsitzender der FDP distanziert sich von Wahlinserat‹ – Kirchenleitungen weisen Behauptungen der Freien Demokraten zurück«, in: epd ZA Nr. 221 vom 25. 9. 1969). Der Wuppertaler Superintendent Heinrich Höller verortete das Inserat in der kirchenkritischen Grundstimmung jener Zeit, indem er es als Versuch bezeichnete, »auf der Welle der weithin zu beobachtenden Kritik an den Kirchen mitzuschwimmen und dabei profitieren zu können« (Art. »Wir sind nicht gegen die FDP, aber . . .«, in: ebd.). Auch die katholische Kirche reagierte auf das Inserat und sah darin einen Versuch, die Partnerschaft zwischen Kirche und Staat zu zerstören (vgl. ebd.). 623 Teilnehmer auf FDP-Seite waren Achenbach, Borm, Deneke, Franzky-Beckmann, Funcke, Grüner, Mischnick, Schmidt und Wurbs. 624 Gespräch zwischen dem Rat der EKD und Vertretern der FDP; EZA 87/657.
II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten Die Deutschen Jungdemokraten lieferten die Grundlage für das Kirchenpapier der FDP, als sie auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Duisburg Ende Januar 1973 ein »Streitpapier«1 mit dem Titel »Liberalismus und Christentum« verabschiedeten. Dieses Papier beinhaltete eine Präambel sowie 17 Thesen zur Trennung von Staat und Kirche und wurde auf dem Landesparteitag der FDP NRW Ende März 1973 als Antrag eingebracht. Zwar konnte eine Verabschiedung dieses Papiers abgewendet werden, gleichzeitig wurde aber damit der Diskussionsprozess über das als antikirchlich und antireligiös eingestufte Papier der Jungdemokraten innerhalb der FDP eingeleitet, der mit dem Beschluss des Kirchenpapiers »Freie Kirche im freien Staat« auf dem Bundesparteitag in Hamburg im Oktober 1974 sein Ende fand. Im Folgenden soll der Entstehungs- und Diskussionsprozess des Jungdemokratenpapiers dargestellt werden. Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ohne die ein richtiges Verständnis des Papiers im Kontext der Jahre 1973 und 1974 nicht oder nur unzureichend gelingen kann. Das eine betrifft den politischen Wandel der Jungdemokraten, der etwa mit Beginn der Oppositionszeit der FDP Mitte der 1960er Jahre einsetzte. Hier zeigten sich die Folgen der so genannten 1968er-Bewegung, die sich »mit vergleichbarer Wucht wie die Jugendbewegung nach 1918« 2 ganz allgemein auf die Politik der Partei-Jugendorganisationen und dann auch auf ihr Verhältnis zu den Referenzparteien auswirkten.3 1
Scholz, Streit, 269. Krabbe, Parteijugend, 112. 3 Bezeichnet Krabbe die Funktion der Jugendorganisationen für ihre Referenzparteien für die 1950er Jahre noch als die eines »Rekrutendepots«, so führten verstärkte Politisierungsprozesse innerhalb der Jugendorganisationen zu einer Loslösung und Etablierung von den »Mutterparteien« (ebd., 62). Diese Prozesse setzten bei den DJD, Jusos und der JU zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein und vollzogen sich in unterschiedlicher Intensität; am frühsten zeichneten sich jene Tendenzen bei den DJD ab, die schon immer, auch durch die Flügelkämpfe und Heterogenität der eigenen Partei bedingt, nach Orientierung und Selbstständigkeit suchten. Sie und die Jusos waren es, die sich Ende der 1960er von ihren Mutterparteien lossagten und sich als »innerparteiliche Alternative zur SPD bzw. zur FDP defi nierten« (ebd., 113). Wenngleich man bei der JU ebenfalls von einer politisierenden Jugend sprechen kann, war sie doch diejenige Jugendorganisation, die sich am parteiloyalsten verhielt. Das lag unter anderem daran, dass sie schon früh den Ruf eines »Karriere2
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Charakteristisch für die Neuausrichtung der Jungdemokraten, die dann auch deutlich die Linkswende der FDP beeinflusste, waren eine verstärkte Annäherung an den Sozialismus und marxistische Theorien, eine partielle Affi nität zu Positionen und Gruppen der außerparlamentarischen Opposition sowie schließlich der Wandel von einer sozialliberalen hin zu einer radikaldemokratischen politischen Ausrichtung. Letztgenannter Wandel setzte ab 1969 ein und manifestierte sich in einer ausführlichen Grundsatzdebatte sowie der Hinwendung zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen insbesondere in den Jahren 1969 bis 1971. Dabei wurde das Verhältnis zwischen FDP und Jungdemokraten einer deutlichen Zerreißprobe ausgesetzt, wie diverse Konfl ikte jener Jahre zeigten, die insbesondere in NRW, dem »Geburtsort« des Kirchenpapiers, beinahe zu eskalieren drohten. Aber auch innerhalb des Verbandes kam es zu heftigen Flügelkämpfen zwischen den gemäßigten und den linken Landesverbänden. Die in jenen Jahren sich abzeichnende verstärkte Hinwendung zu ideologiekritischen und die Gesellschaft analysierenden Doktrinen spiegelte sich nun auch im »Liberalismus und Christentum«-Papier wider, insofern hier in einer breiten Präambel Religion und Kirche als Institutionen bestehender gesellschaftlicher Weltanschauungen und Wertesysteme kritisch hinterfragt wurden. Eine ausführlichere Darstellung jenes Wandlungsprozesses dient somit dazu, jene Äußerungen in den politischen Kontext der Zeit einzubetten.4 Es waren die im Kirchenpapier der Jungdemokraten enthaltenen religions- und kirchenkritischen Tendenzen, die das eigentlich Neue und Explosive des Jungdemokratenpapiers ausmachten; die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche war hingegen, wie bereits gesehen, schon im »Aktionsprogramm« der Jungdemokraten von 1967 sowie im Kontext der Beratungen der kirchenpolitischen Aussagen in der »Nürnberger Wahlplattform« artikuliert worden. Das andere, worauf im näheren Kontext des Jungdemokratenpapiers hinzuweisen ist, betrifft die enge Kooperation der Jungdemokraten mit der Humanistischen Union in den Jahren 1972 und 1973. Das Jungdemokratenpapier kann als Produkt jener Zusammenarbeit betrachtet werden, obschon sich beide so unterschiedlichen Gruppen in ihren kirchen- und religionspolitischen Intentionen zum Teil deutlich voneinander unterschieden. vereins« innehatte und sich viele CDU-Anhänger über die JU Aufstiegschancen in der Partei erhofften (ebd., 62). 4 Die Darstellung orientiert sich dabei primär an der bereits zitierten Untersuchung von Wolfgang R. Krabbe zur Parteijugend in Deutschland in den Jahren 1945 bis 1980 sowie an den relativ nah an der dargestellten Zeit herausgegebenen Darstellungen von Michael Kleff und Jürgen Kunze, beide DJD (vgl. Kleff, Geschichte; Kunze, Jungdemokraten). Die Darstellung von Bielstein über Jusos, JU und DJD von 1971 kann in diesem Zusammenhang als Primärquelle kategorisiert werden, wie manche Äußerungen, auf die an entsprechender Stelle verwiesen wird, belegen (vgl. Bielstein, Jungdemokraten).
1. Der politische Wandel der Jungdemokraten Anfang der 1970er Jahre
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1. Der politische Wandel der Jungdemokraten Anfang der 1970er Jahre: Vom Sozialliberalismus zur Radikaldemokratie 1.1. Die 1960er Jahre: Jungdemokraten auf sozialliberalem Kurs Der politische Wandel oder besser gesagt, die politischen Wandlungsprozesse, die sich in dem angegebenen Zeitraum bei den Jungdemokraten vollzogen, zeigten sich stets in zweifacher Hinsicht; einerseits in den politischen Fragestellungen und Themen, die bei den Jungdemokraten zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der politischen Tagesordnung standen, andererseits in ihrem Verhältnis zur FDP, zu der sie immer schon in einem »dialektischen, aber auch dialogischen Spannungsverhältnis« 5 standen. Schon mit Beginn der 1960er Jahre, als die »Umfallerin« FDP erneut in das Regierungsbündnis mit der CDU trat, betrachteten es die Jungdemokraten als ihre Aufgabe, der Referenzpartei den ihr eigenen starren und unflexiblen Charakter aufzuweisen und ihr ein fortschrittlicheres Profi l zu verleihen. Damit verbunden war eine permanente Kritik an den Unionsparteien, mit denen sie stets den »Geruch des Restaurativen und des Klerikalen« 6 verbanden. Bei ihrem Ziel, ihre Referenzpartei zu modernisieren und sich gleichzeitig ein Stück weit von ihr unabhängig zu machen, wandten sich die Jungdemokraten verstärkt den Ideen und Konzepten der Sozialdemokratie zu. Die Bildung der großen Koalition im Jahre 1966 musste daher zunächst als herbe Enttäuschung hingenommen werden; zugleich sahen die Jungdemokraten in der neuen Oppositionsrolle der FDP aber auch die Chance, die Partei ihrem sozialliberalen Kurs gemäß weiter formen zu können. Insbesondere in den Bereichen Deutschland- und Ostpolitik vermochten es die Jungdemokraten, den politischen Kurs der FDP bis Ende der 1960er Jahre entscheidend zu beeinflussen. In diesen politischen Arbeitsfeldern kooperierten sie zum Teil mit dem Liberalen Studentenbund Deutschlands, zu dem in diesem Jahren auch personelle Verbindungen bestanden.7 Auf dem Bundesparteitag der FDP 1967, der insgesamt von heftigen Kontroversen zwischen den konservativen und reformerischen Kräften in der Partei bestimmt war, zeichnete sich jener Beginn des deutschland- und ostpolitischen Kurswechsels ab, als man das außerhalb wie innerhalb der FDP 5
Krabbe, Parteijugend, 113. Ebd., 115. 7 Früher und teilweise im Gegensatz zur FDP bzw. der christlich-liberalen Regierung hatten sich die DJD der Entwicklung von »Gesamtkonzeptionen für die Deutschlandpolitik« zugewandt (Kunze, Jungdemokraten, 310). Dabei hatte insbesondere die Frage des Verhältnisses zu den östlichen Nachbarn mehr und mehr an Bedeutung erlangt. So hatte man bereits 1965 die Oder-Neiße-Frage diskutiert und sich in diesem Zusammenhang für die Anerkennung der bestehenden europäischen Grenzen sowie die Anerkennung der DDR als eigenen Staat ausgesprochen. 6
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
scharf kritisierte so genannte »Schollwer-Papier« 8 sowie eine Veröffentlichung Rubins zur Deutschlandpolitik diskutierte und sich schließlich für Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und die Einsetzung gesamtdeutscher paritätischer Kommissionen aussprach.9 Im Bereich der Ostpolitik blieb die FDP zunächst hinter den Forderungen der Jungdemokraten zurück, erweiterte dann aber schließlich 1969 die Aussagen zur Deutschlandpolitik u. a. um die Forderung nach Aufgabe der HallsteinDoktrin sowie den Fortfall des westdeutschen Alleinvertretungsanspruchs.10 Dass die FDP es insbesondere nach dem Bruch der christlich-liberalen Koalition vermocht hatte, schneller als die anderen Parteien einen »deutschlandpolitischen Paradigmenwechsel«11 vorzunehmen, konnte als erstes Ergebnis jenes Durchbruchs der FDP zu einem Sozialliberalismus verstanden werden, den die reformerischen linksliberalen Kräfte in der FDP sowie der Jungdemokraten vorangetrieben hatten. Im Blick auf das Verhältnis zur FDP durfte somit die konsequente Kritiknahme der Jungdemokraten an der FDP in jenen Jahren nicht im Sinne einer Ablösung von ihr verstanden werden. Dies belegte auch das »Programm 68«12 , dessen Aussagen, abgesehen von einigen Akzentsetzungen, im Grundsatz mit denen der FDP übereinstimmten.13 Den Jungdemokraten konnte in dieser Zeit ein großer Einfluss auf die Partei bescheinigt werden; von einer Beeinflussung durch die Studentenbewegung oder die außerparlamentarische Opposition, die in jenem Sommer den Höhepunkt ihrer politischen Tätigkeit erreicht hatten, war hier noch nichts zu merken.
8 Wolfgang Schollwer hatte in einer Anfang 1967 veröffentlichten Abhandlung u. a. die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der BRD, die Aufgabe des Anspruchs auf die deutschen Ostgebiete und die Akzeptierung der gegenwärtigen deutschen Ostgrenzen sowie die Aufnahme von Verhandlungen mit der DDR über engere wirtschaftliche, kulturelle Zusammenarbeit gefordert (zum vollständigen Forderungskatalog vgl. Dittberner, Die FDP, 302). Schon 1964 hatte er ein Strategiepapier mit dem Titel »Verklammerung und Wiedervereinigung« vorgelegt, das sowohl von der Union als auch von der FDP heftig kritisiert worden war (vgl. Krabbe, Parteijugend, 120). 9 Auch Bundesschatzmeister Hans Wolfgang Rubin hatte sich in einem Artikel in der Zeitschrift liberal für die Aufnahme von Verhandlungen ausgesprochen und eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten als »irreal« bezeichnet (Rubin, Opposition, 811). 10 Vgl. Krabbe, Parteijugend 121. 11 Ebd., 123. 12 Vgl. Kleff, Geschichte, 121. 13 Abweichungen ergaben sich z. B. in den Bereichen Wirtschaftspolitik und Wettbewerb, die hier deutlicher herausgestellt wurden. Auch beinhaltete das Programm einen Passus zur Mitbestimmung, der so nicht im Programm der FDP stand (vgl. ebd., 123).
1. Der politische Wandel der Jungdemokraten Anfang der 1970er Jahre
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1.2. 1969: Zeit des Übergangs Das Jahr 1969 konnte in gewisser Weise als Übergangszeit jenes politischen Wandels der Jungdemokraten betrachtet werden. Es zeigten sich jetzt zunehmend Verbindungen der Jungdemokraten zur Bewegung der außerparlamentarischen Opposition, nicht zuletzt auch durch personelle Kontakte zum Liberalen Studentenbund sowie die gleichzeitige Mitgliedschaft einiger Jungdemokraten im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Ebenso vollzog sich ein Wandel im Blick auf die politische Tagesordnung, insofern das Thema Deutschlandpolitik zu einem relativen Abschluss gelangte und durch – für die außerparlamentarische Bewegung typische – gesellschaftspolitische Fragestellungen abgelöst wurde. Die Haltung der Jungdemokraten zur außerparlamentarischen Opposition war keineswegs einheitlich. Insbesondere der Bundesvorstand lehnte eine zu enge Bindung ab und hielt am »Programm 68« fest.14 Die unterschiedlichen Ansichten mündeten in zum Teil heftige verbandsinterne Flügelkämpfe des bereits links stehenden Verbandes, die die Arbeit der Jungdemokraten bis 1974 nachhaltig bestimmten und beeinträchtigten. Die Ereignisse des Bundesjugendtages in Köln im Mai 1969 zeigten jene Prozesse symptomatisch an. Dort formierte sich eine Oppositionsgruppe, die sich gegen die Politik des Bundesvorstandes wandte und deren »spontan[er] und voluntaristisch[er]«15 Widerstand sich in »sechs Thesen zum Parlamentarismus«16 manifestierte, die dann auch vom Bundesjugendtag verabschiedet wurden. Diese Thesen verwiesen nun deutlich auf jene ideologischen Anschauungen, die von der außerparlamentarischen Opposition rezipiert wurden, insofern sich in ihnen eine scharfe Parlamentarismuskritik ausdrückte, die dem Bundestag vorwarf, »nicht mehr Repräsentation der gesellschaftlichen Konfl ikte, sondern nur noch der gesellschaftlichen Herrschaft«17 zu sein.18 14 »Der bloße Protest allein vermag nur wenig zu verändern. Die Grenzen der außerparlamentarischen Opposition, die dem politischen Leben in den letzten Monaten wichtige Impulse gegeben hat, liegen dort. Wir gehen seit jeher darüber hinaus« (Gerhart Baum auf dem Bundesjugendtag 1968, zit. nach ebd., 129). 15 Kunze, Jungdemokraten, 314. 16 Vgl. Antrag 25: Sechs Thesen zum Parlamentarismus, beschlossen auf dem BJT der DJD Köln 15.–18. 5. 1969; AdL 11173. 17 Ebd. 18 Besonders deutlich waren die Parallelen zu Johannes Agnolis Werk »Die Transformation der Demokratie und andere Schriften zur Kritik der Politik«, das zum Standardwerk radikal- bzw. linksdemokratischer Wahl- und Parlamentarismuskritik in Deutschland nach 1967 wurde. Darin stellte der Politikwissenschaftler und Assistent Ossip Flechtheims die potentielle Fähigkeit eines Volkes, sich selbst regieren zu können, dem aktuell herrschenden Repräsentationsprinzip Demokratie gegenüber, dessen Aufgabe von Anfang an darin bestanden habe, »friedlich, aber wirksam die Mehrheit der Bevölkerung von den Machtzentren des Staates fernzuhalten« (Agnoli, Transformation, 25). Die Position der
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Das Verhältnis zwischen Jungdemokraten und FDP wurde durch diese Affi nität zur außerparlamentarischen Opposition jedoch nicht stark beeinträchtigt; zu deutlich war nach wie vor die Abgrenzung insbesondere des Bundesvorstandes der Jungdemokraten von den einseitig intoleranten Ansichten der außerparlamentarischen Opposition, zu groß die Hoffnung, die FDP weiterhin ihrer Politik gemäß beeinflussen zu können. Die Ereignisse des Bundesparteitags in Nürnberg und insbesondere die dort verabschiedete »Nürnberger Wahlplattform« bescheinigten den Jungdemokraten jedoch, dass dieses Vorhaben, die FDP im Sinne ihrer progressiven linken Politik zu beeinflussen, nur unzureichend gelungen war. Konnten sie ihre Vorstellungen im Bereich der Ost- und Deutschlandpolitik sowie in der Bildungspolitik – und damit auch der Kulturpolitik – weitgehend umsetzen, so blieb das Programm der FDP in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen hingegen deutlich hinter den Ansichten der Jungdemokraten zurück.19 Das schlechte Wahlergebnis der Bundestagswahlen sowie die uneinheitliche Haltung der FDP zu der von Jungdemokraten und Linksliberalen angestrebten sozialliberalen Koalition zeigten einmal mehr, dass der von der Partei eingeschlagene sozialliberale Kurs sich noch keineswegs durchgesetzt hatte. Im Bundesvorstand der Jungdemokraten setzten darauf hin Überlegungen im Blick auf eine geeignete politische Strategie zur Verwirklichung der politischen Ziele ein. Zunehmend deutlicher zeigte sich Ende 1969 ihre Affi nität zur außerparlamentarischen Opposition sowie eine deutliche Hinwendung zu radikaldemokratischen Positionen, insofern sie sich jetzt als »außerparlamentarische Gruppe« 20 bezeichneten und jene parlamentarismuskritischen Äußerungen aufgriffen, die auf dem Bundesjugendtag in Köln beschlossen worden waren.21 Anders als die außerparlamentarische Opposition gingen die Jungdemokraten jedoch nach wie vor davon aus, dass sie die FDP »von innen modifizieren« 22 konnten, was sich auch in ihren Äußerungen zum Verhältnis zur FDP – »unabhängig und doch nicht ohne DJD ähnelte seiner Schlussfolgerung: »Die Macht des Parlamentarismus ist nicht die Macht des Volkes« (ebd., 67). 19 So bspw. im Bereich der Mitbestimmung, wo die DJD lediglich hatten erreichen können, dass eine strikte Ablehnung der paritätischen Mitbestimmung nicht mit in das Programm aufgenommen wurde. Ihr eigenes Konzept einer »gemischten Gesellschaft« im Sinne einer vollständigen Abschaffung des Lohnes und dessen Ersetzung durch Gewinnbeteiligung vermochten sie nicht einmal in Ansätzen durchzusetzen (vgl. Kleff, Geschichte, 131). 20 Selbstdarstellung DJD für den Kalender des RPJ 1970; AdL A 12-81, Bl. 64. 21 »Die Verwirklichung einer freien Gesellschaft hängt nicht so sehr von den Herrschenden ab, sondern vom Volk. Die Freiheit ist keine Gnadengabe dieser oder jener Regierungskonstellation. Freiheit, so wie sie von den Jungdemokraten verstanden wird, ist nicht Privileg einer Gruppe sondern Anspruch des Volkes« (ebd., Bl. 65). 22 Ebd., Bl. 64.
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Einfluß« 23 – manifestierte. Man entschied daher, den eingeschlagenen Weg der »Stärkung der Progressiven in der FDP« 24 zunächst fortzusetzen. Schien die Trennung der Partei von den Nationalliberalen auf dem Bundesparteitag in Bonn 1970 diese Entscheidung zu bestätigen und konnten auch Mendes Äußerungen, die Jungdemokraten hätten es geschafft, die FDP im Sinne eines Linksrucks umzufunktionieren, in diesem Sinne verstanden werden 25, so zeigte auch dieser Parteitag, dass es letztlich nur zu einer Abspaltung des rechten Parteiflügels gekommen war. Der endgültige sozialliberale Durchbruch der Partei erfolgte in Freiburg 1971 mit den »Freiburger Thesen«, und damit zu einem Zeitpunkt, wo der Wandel der Jungdemokraten hin zu einem radikaldemokratischen Verständnis in der Nachfolge der außerparlamentarischen Opposition seinen Höhepunkt erreicht hatte. 1.3. 1970 bis 1971: Grundsatzdiskussion und Radikaldemokratie Die Bundesdelegiertenkonferenz im Mai 1970 in Bad Herrenalb bestätigte, dass sich die Politik der Jungdemokraten wandelte und sich dabei zunehmend ideologisch auflud. Die Grundsatzdiskussion nahm hier ihren Ausgang. Zwei Manifeste lagen dort den Delegierten zur Beratung vor, die, obschon sie beide die Opposition zur gegenwärtigen Politik ausdrückten, deutlich voneinander differierten und auf die unterschiedliche Rezeption außerparlamentarischer Ideologien verwiesen. Zeigte sich im »Bonner Manifest« 26 ein deutlicher Rekurs auf antiautoritäre Positionen – so bspw. durch ihre Parole »Die Phantasie an die Macht!« 27 –, so wies sich das »Berliner Manifest« 28 durch eine kritische Gesellschaftsanalyse aus, die kapitalismuskritische Aussagen enthielt und sich insgesamt an marxistischen Methoden orientierte. Das »Berliner Manifest« verwies auf die gemeinsamen Wurzeln von Liberalismus und Sozialismus und ordnete beide der Emanzipationsbewe23
Ebd., Bl. 63. Bielstein, Jungdemokraten, 63. Die anderen Optionen, die man im Bundesvorstand diskutiert hatte, waren die »Stärkung der APO« oder »Resignation« (ebd.). 25 »Meine Damen und Herren, ich werfe der Parteiführung vor, daß sie diesen Kaderbildungen der Jungdemokraten, die einerseits Jungdemokraten und hier Delegierte sind, nicht rechtzeitig entgegengetreten ist und nicht in Abweichungen von Hannover und Nürnberg öffentlich zur Ordnung gerufen hat. [. . .] Die FDP wird nur überleben, wenn wir diesen extremen Pendelausschlägen eine Absage erteilen und wieder die stabilisierende Mitte einnehmen« (AdL A 1-413, Bl. 30). 26 Vgl. Kleff, Geschichte, 153 f. 27 Abschluss des Allgemeinen Teils des »Bonner Manifests«, zit. nach ebd., 153. Hauptintention des »Bonner Manifests« war die Befreiung des Menschen aus den Produktionsprozessen und damit die Zerstörung des Leistungsprinzips: »Lassen wir die Herrschenden weiter ihrem ›Ernst des Lebens‹ frönen! Lachen wir darüber, denn dieser Ernst ist lächerlich! Lassen wir sie fortschreiten, unternehmen, arbeiten, leisten, produzieren und konsumieren, solange sie wollen!« (ebd.). 28 Vgl. Kunze, Jungdemokraten, 316 f. 24
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gung zu, deren Hauptziel darin bestehen musste, die Jugend zu einem systemkritischen Bewusstsein zu führen. Deutlich waren hier auch die stark FDP-kritischen Töne, insofern man dezidiert die »Zugehörigkeit zur außerparlamentarischen Bewegung« 29 betonte und die »Überwindung des gebundenen Bewußtseins als FDP-Jugendverband« 30 proklamierte, die sich in einer »radikale[n] Offenheit für Lernprozesse, die in der Regel zu erheblichen programmatischen Unterschieden zwischen FDP und DJD führt«,31 ausdrückte. Das Ergebnis der Diskussion der Bundesdelegiertenkonferenz, bei der es »soviele Meinungen wie Redner«32 gab, bestand in einem Kompromissbeschluss, der in weiten Teilen auf den Strategieteil des »Berliner Manifests« rekurrierte und somit »erstmals eine marxistisch orientierte, gegenüber den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen fundamental kritisch eingestellte Analyse«33 innerhalb der Verbandspolitik sanktionierte.34 Aber auch Aspekte des »Bonner Manifests« wurden aufgegriffen, insofern die darin angelegte so genannte »Strategie der zwei Wege« im Verlaufe der Diskussionen der beiden Manifeste zum Leitbegriff jungdemokratischer Politik wurde und fortan das Verhältnis zur FDP mitbestimmte. Jene Strategie konnte als innovative Kompromissformel zwischen den progressiven und gemäßigten Landesverbänden der Jungdemokraten im Blick auf konkretes politisches Handeln verstanden werden, insofern sie einerseits versuchte, durch außerparlamentarische basisdemokratische Aktionen die Bevölkerung direkt zu beeinflussen und auf diese Weise einen Informationshintergrund für bestimmte politische Postulate in der Gesellschaft zu schaffen, andererseits aber an der bewährten Einflussnahme auf die Referenzpartei festhielt, um mit ihr als Vehikel zur Durchsetzung politischer Ideen die Gesellschaft entsprechend zu gestalten.35 29
Zitat aus dem dritten Teil des »Berliner Manifests«, zit. nach ebd., 317. Ebd. 31 Ebd. 32 Einschätzung der LDPD in ihrem Bericht über die BDK 1970; AdL LDPD DXXI 28767a. 33 Kunze, Jungdemokraten, 318. 34 »Die Arbeit der Deutschen Jungdemokraten zielt darauf, daß immer mehr Jugendliche unabhängig von der Struktur institutionalisierter ökonomischer und gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse sich ihrer Interessen und Bedürfnisse bewußt werden, diese artikulieren und organisieren. [. . .] Die DJD tragen so zur Entwicklung eines systemkritischen Bewußtseins bei möglichst vielen Jugendlichen bei. Dieses Bewußtsein verhindert Anpassung an überkommene und vermeidbare Abhängigkeitsverhältnisse und fördert eine repressionsarme Sozialisation« (Passage aus der Resolution von Bad Herrenalb, zit. nach Kleff, Geschichte, 156 f.). 35 Dadurch wurde die Beziehung zwischen DJD und FDP weniger konsequent in Frage gestellt, als es das »Berliner Manifest« getan hatte. Wie belastet jedoch jene Beziehung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich war, zeigte sich u. a. in der deutlich artikulierten Bereitschaft der DJD für eine Zusammenarbeit mit Jungsozialisten, der DKP und der SDAJ, die 30
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Diese beiden Aspekte, kritische Gesellschaftsanalyse und »Strategie der zwei Wege«, waren die charakteristischen Bestandteile jener radikaldemokratischen Neuausrichtung der Jungdemokraten. Im »Leverkusener Manifest«36 von 1971, das auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Leverkusen im Mai 1971 verabschiedet wurde, wurden sie programmatisch festgeschrieben. Dass damit der theoretische Identitätsfi ndungsprozess der Jungdemokraten zu einem relativen Abschluss gekommen war, zeigte sich an der Tatsache, dass dem Beschluss heftige Auseinandersetzungen zwischen dem gemäßigtlinken und dem ganz linken Flügel der Jungdemokraten, den »Systemüberwindern und Antikapitalisten«37, wie Peter Gerigk den Konfl ikt charakterisierte, vorausgegangen waren. Zu letzteren gehörten die norddeutschen Landesverbände sowie der Berliner Landesverband, dessen Antrag zur Bundesdelegiertenkonferenz jene antikapitalistische Ausrichtung und eine damit verbundene Emanzipationsforderung an die Jungdemokraten deutlich zum Ausdruck brachte. Darin forderte man eine »[a]ntikapitalistische Jugendarbeit«38 zur »individuellen und gesellschaftlichen Emanzipation« 39, die zugleich die Forderung nach einem unabhängigeren Verhältnis zur FDP implizierte als jenes, was man durch die »Zwei-Wege-Strategie« festgelegt hatte.40 auch dazu geführt hatte, dass man auf die Teilnahme von FDP-Politikern auf der Konferenz verzichtet und gleichzeitig den Sprecher der DKP an der Diskussion beteiligt hatte: »Als auffallendes Ereignis wurde gewertet, daß sich der Sprecher der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Gunnar Matthiesen aus Nordrhein-Westfalen an der Diskussion beteiligen durfte, während man auf die Anwesenheit von FDP-Politikern bewußt verzichtet hatte. Innenminister Genscher war beispielsweise wieder ausgeladen worden« (Art. »Jungdemokraten sind für ›Eigenständigkeit‹. Statt FDP-Prominenz sprach DKP-Funktionär«, in: Bonner Rundschau vom 11. 5. 1970). 36 Vgl. Grundsatzbeschlüsse der BDK in Leverkusen 12.–13. 5. 1971, in: Pulte, Jugendorganisationen, 289–316. 37 Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 18. 2. 2006. Peter Gerigk (*1947) trat, ebenso wie seine spätere Ehefrau Silke Groht, eine der maßgeblichen Verfasserinnen des ersten »Liberalismus- und Christentum«-Papiers, 1969 den DJD und der FDP bei. Er war Mitglied des Kreisverbandes Hagen und übernahm 1971 dessen Vorsitz. Ebenso war er seit 1971 Landesvorstandmitglied und in den Jahren 1971 und 1972 stellvertretender Landesvorsitzender des Landesrats der nordrhein-westfälischen DJD, 1973 dann stellvertretender Schatzmeister. 38 Antrag 26, Antragssteller: Landesvorstand Berlin; AdL 11339. 39 Ebd. 40 Wie wenig die FDP bei der Umsetzung dieser Ziele eine Rolle spielen konnte, wenn auch nicht zwangsläufig musste, zeigte sich in der im Antrag artikulierten grundsätzlichen Bündnisbereitschaft mit »Liberalen, Sozialdemokraten und Sozialisten« (ebd.), womit der Partei der Status einer nur möglichen Option unter vielen zukam. Diese Unabhängigkeitsbestrebungen resultierten, so Kunze, aus ihrem veränderten Bild von der Funktion und Aufgabe der DJD, das sich bereits im »Berliner Manifest« gezeigt hatte und das die DJD mehr und mehr zu einem politischen Jugendverband machen wollte. Die Kritik an der »Zwei-Wege-Strategie« zeigte sich in einer Überbetonung des einen Weges einer an der Basis orientierten Arbeit, wohingegen die Arbeit mit bzw. in der Partei als deutlich
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Dieser Konzeption gegenüber stand die traditionelle Position, die sich im Sinne des zweiten Weges der neuen Strategie als Motor der FDP verstand, der den Kurs der Partei weiterhin in Richtung links einschlagen wollte. Das »Leverkusener Manifest« spiegelte nun die Gratwanderung wider, die die Jungdemokraten bei der Bestimmung ihrer neuen Politik zwischen gemäßigt-links und ganz links vollzogen und die sich auch in der Verhältnisbestimmung zu außerparlamentarischen Positionen zeigte. So galt es einerseits, jene Ansichten der außerparlamentarischen Bewegung zu programmatischen Aussagen zu machen, die man im Verlaufe der Grundsatzdebatte für die eigene politische Haltung verifiziert hatte, und andererseits deutlich Distanz zu halten zu den Positionen, die dem angestrebten Ziel einer Politik, die nicht nur im Stadium außerhalb des Parlaments verweilen, sondern sich gerade auch als Politik einer parlamentarischen Opposition und somit als für eine Partei vertretbar profi lieren wollte, entgegen standen. Letzteres zeigte sich in ihrem klaren Bekenntnis zur Demokratie, der Abgrenzung von kommunistischen, anarchistischen und terroristischen Gruppen hinsichtlich möglicher zu schließender Bündnisse41 sowie in dem Bekenntnis zur »Zwei-Wege-Strategie« und der damit implizierten Bereitschaft zu einer »loyale[n] aber zähneknirschende[n]«42 Zusammenarbeit mit der FDP. unwichtiger erachtet wurde: »Die Jungdemokraten werden in erster Linie als eine pädagogische Institution gesehen, deren Ziel es ist, vornehmlich durch Kleingruppenarbeit mit Schülern und Lehrlingen Orientierungshilfen zu geben und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Im Vordergrund steht dabei die Vermittlung des Zusammenhangs von individuellen Erfahrungen und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen« (Kunze, Jungdemokraten, 319). 41 Gerigk verwies auf die Bedeutung jener Verbindung des Bekenntnisses zur Demokratie und der Bündnisfrage: »Grenzpunkt war natürlich Demokratie in dem Parteiensystem, da war Feierabend für uns. Wenn da jetzt einer von der DKP kam, also Mehrparteiensystem ist alles parlamentarischer Spielkram, da war für uns Schluss. Die Demokratie, das war für uns das oberste Ziel, niemals stalinistische Tendenzen. Die gab es bei uns rudimentär, und die wurden von uns immer ganz stark bekämpft [. . .]. Die Bündnisfrage hat in den 1970er Jahren eine große Rolle gespielt, und da musste man ganz schwer aufpassen, dass man diese Grenze deutlich festmachte; und dass wir natürlich nicht in ein falsches Fahrwasser kamen, indem wir dann mit K-Gruppen etc. Bündnisse machten« (Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 18. 2. 2006). In diesem Zusammenhang spielte auch eine große Rolle, welche Position man zur Gewalt bzw. Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele einnahm; eine Frage, mit der sich im übrigen auch die FDP im Kontext ihrer Beziehung zur außerparlamentarischen Opposition intensiv auseinandersetzte bzw. setzen musste. »An der Gewaltfrage schieden sich die Geister«, so bestimmte Barthold Witte die Grenzziehung zwischen der FDP und denjenigen Gruppen der außerparlamentarischer Opposition, für die Gewalt »gegen Sachen und gegen Personen [. . .] Gang und Gäbe war« (Witte in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 23. 5. 2006). Auch die DJD nahmen zu dieser Frage Stellung, indem sie den »Ausschluß von Gewaltanwendung« als »Selbstverständlichkeit« bezeichneten und sich in diesem Sinne dezidiert gegen einen »[d]ogmatische[n] Kommunismus oder Marxismus« aussprachen (Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 312). 42 Bielstein, Jungdemokraten, 66.
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Das »Leverkusener Manifest« konnte als erstes Signal eines Rückschwenkens der liberalen Jugend zu ihrer Partei angesehen werden, insofern man den radikalen Positionen des ganz linken Flügels eine Absage erteilte, was dann auch letztlich zu seiner Abspaltung führte.43 Ausgehend von dem grundlegenden Anliegen, »zur Sicherung und Erweiterung der Freiheit aller Mitglieder einer Gesellschaft und zur Weiterentwicklung des Emanzipationsprozesses in allen gesellschaftlichen Bereichen«44 beizutragen, zeichnete sich neue liberale Politik durch folgende Charakteristika aus, die in der Zielsetzung des Manifests expliziert wurden: 1. einen humanistischen Ansatz, der sich der Ausrichtung und Orientierung an menschlichen Bedürfnissen verpfl ichtet sah und die Absage an jene Systeme implizierte, die diesen Bedürfnissen einer »philosophisch, metaphysisch, theologisch oder sonst wie«45 begründeten Instanz unterordnen wollten; 2. einen »auf klärerisch-rational[en]«46 Ansatz, der die Rationalität bzw. Fähigkeit des Menschen zu rationalem Handeln, einem »Handeln aufgrund der Erkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten«47, als einzige Möglichkeit gesellschaftspolitischen Handelns sanktionierte, dabei zugleich die »prinzipiell[e] Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit menschlicher Erkenntnis«48 betonte und somit das Prinzip der Toleranz als unabdingbaren Bestandteil liberaler Politik festlegte – deutlich zeigte sich hier die Rezeption der auf Karl Popper zurückgehenden Theorie des kritischen Rationalismus, auf die im Kontext der Grundsatzdiskussion innerhalb des nordrhein-westfälischen Landesverbandes ausführlicher einzugehen sein wird49 ; 3. einen radikaldemokratischen Ansatz, der sich in Solidarität mit den »Unterprivilegierten«50 einer Gesellschaft für eine »demo43
Die Landesverbände Hamburg, Berlin und Niedersachsen hatten die BDK verlassen, als man nach langen Diskussionen über den Kurs der DJD von dem Begriff »antikapitalistisch« Abstand nahm und ihn durch »systemüberwindend« ersetzte (vgl. Kleff, Geschichte, 167). Nebenbei bemerkt zeigte auch die Zusammensetzung des neuen Bundesvorstandes, dass die »profi liertesten Linkskräfte nicht mehr vertreten« waren (Einschätzung der LDPD in ihrem Bericht über die BDK 1970; AdL LDPD DXXI 28767a). 44 Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 289. Das »Leverkusener Manifest« bestand aus den drei großen Teilen »Zielsetzung für eine liberale Politik«, »Analyse« und »Strategie der Deutschen Jungdemokraten«. Die hier zitierte Zielsetzung wurde auf Antrag der nordrhein-westfälischen DJD auf der BDK in Duisburg 1973 beschlossen und ersetzte die Zielsetzung von 1971. Hier spiegelte sich jene Fortsetzung der Grundsatzdebatte im nordrhein-westfälischen Landesverband in den Jahren 1971 und 1972 wider (siehe Abschnitt 2.1.). 45 Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 290. 46 Ebd. 47 Ebd., 291. 48 Ebd. 49 Die Rezeption des kritischen Rationalismus erfolgte im nordrhein-westfälischen Landesverband. Seine Aufnahme in die Zielsetzung war dabei maßgeblich auf Maier und Matthäus zurückzuführen. Im Kontext der Kirchenpapierdiskussion spielte diese Rezeption eine wichtige Rolle. 50 Ebd.
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kratische Gestaltung aller Bereiche der Gesellschaft«51 einsetzte und im Sinne Agnolis »die Herrschafts- und Machtausübung«52 durch die Betroffenen delegiert und kontrolliert wissen wollte; 4. einen systemüberwindenden Ansatz, der »die Minimierung der Herrschaft von Menschen über Menschen, den Abbau der Möglichkeit sich die Produkte fremder Arbeit anzueignen« 53 sowie »die Demokratisierung«54 zum Ziel hat 55 ; 5. einen progressiven Ansatz, der sich durch den »fundamentalen gesellschaftlichen Gegensatz zu konservativen und reaktionären Kräften«56 auszeichnete und den »Abbau von Fremdbestimmung« 57 zum Ziel hatte; 6. einen sozialliberalen Ansatz, bei dem die Überwindung des Gegensatzes von Liberalismus und Sozialismus als wesentliches Ergebnis der Grundsatzdebatte vorausgesetzt war. Jene Ansätze kulminierten in einer umfassenden kritischen Gesellschaftsanalyse im zweiten Teil des Manifests, die, den Methoden des Marxismus verpfl ichtet, die Überwindung des Kapitalismus als Ursache für Ungleichheit und Unfreiheit intendierte. Interessant waren in diesem Zusammenhang die Aussagen zur Kirche, die man zusammen mit »Familie, Schule, Arbeitsplatz, Justiz, Bundeswehr, Verbände etc.«58 als »Ideologiefabriken«59 bezeichnete, welche ebenfalls zur Unfreiheit des Menschen beitrugen, insofern sie durch Werte- und Verhaltensmuster einen verinnerlichten Leis51
Ebd., 291 f. Ebd., 292. 53 Ebd., 312. Der hier zitierte Passus ist dem dritten Teil des »Leverkusener Manifests« zur Strategie der DJD entnommen (vgl. dessen Unterüberschrift »VIII. Strategie der systemüberwindenden Reformen«; ebd.). 54 Ebd. 55 Der Bielefelder Soziologe Helmut Schelsky wies darauf hin, dass das Phänomen der »Systemüberwindung« eine typische politische Prämisse der linken Radikalen jener Zeit war und daher die unterschiedlichsten links orientierten Gruppen ein Stück weit einte, insofern alle in unterschiedlicher organisatorischer und ideologischer Ausprägung dieses »strategisch-revolutionäre Ziel« anstrebten. »›Systemüberwindung‹ [. . .] bedeutet zunächst die politischen Gemeinsamkeiten und Kennzeichen der westlichen Demokratie, ihrer verfassungsrechtlichen Grundlagen und die pluralistische Verteilung ihrer Herrschaftspositionen aufzuheben und auszuwechseln; dahinter steht die Absicht, die grundlegenden politisch-sozialen Leitbilder und die darauf beruhenden Lebensformen der gesellschaftstragenden Gruppen der Bundesrepublik [. . .] abzuschaffen, indem man ihnen ihre werthaften und ideologischen politisch-sozialen Grundlagen entzieht« (Schelsky, Systemüberwindung, 1). Die Institutionen, die von dieser systemüberwindenden Revolution betroffen waren, waren zum einen jene der Sozialisation und der Kommunikation, zu denen als »Institutionen der Erziehung und der ›Lebenssinn-Information‹ vor allem die Kirchen« dazu gehörten (ebd., 2). Als zweite Gruppe von Institutionen nannte Schelsky die, die »klassisch[e] Aufgaben des Staates wahrnehmen, also Außenpolitik, Verteidigung, Justiz, innere Sicherheit und Verwaltung« (ebd., 3). 56 Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 292. 57 Ebd. 58 Ebd., 299. 59 Ebd. 52
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tungszwang ideologisch absicherten. Da diese Ideologiebildung im diametralen Gegensatz zur oben konstatierten Erkenntnisfähigkeit des Menschen stand, die wiederum Voraussetzung für eine gelungene Emanzipation des Menschen war, galt es, jene »ideologiebildenden Mechanismen in den Institutionen« 60 aufzuzeigen und dadurch insgesamt zu einer »Befähigung zur Ideologiekritik und zur Erkenntnis der eigenen Interessen« 61 beizutragen. Wie genau sich ihre Politik im Folgenden vollziehen sollte, explizierten die Jungdemokraten im dritten und ausführlichsten Teil des Manifests, in dem die »Strategie der zwei Wege« ausführlich dargelegt wurde. In diesen Aussagen steckte nun eine deutliche Abgrenzung von sozialistischen oder marxistischen Konzeptionen, insofern den Jungdemokraten nicht die Verwirklichung einer utopisch-paradiesischen revolutionierten Gesellschaft vor Augen stand, sondern sie konkret und system-immanent die »schon erreichten bürgerlich-liberalen individuellen Freiheitsrechte zu sichern [. . .] und Staat und Gesellschaft für die Entwicklung größerer Freiheit offenzuhalten« 62 versuchten. Diesem Ziel war der erste Weg verpfl ichtet, durch Basisarbeit und Politisierung der Gesellschaft den dort entstehenden progressiven Zielen in Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Gruppen zum Durchbruch zu verhelfen, wobei jetzt mehr konkrete politische Fragen als utopische Konzeptionen in den Vordergrund rücken sollten. Das Augenmerk richtete sich in diesem Zusammenhang speziell auf Schüler, Lehrlinge und Arbeiter. Der Einsicht Rechnung tragend, dass sich jene systemüberwindenden und ideologiekritischen Prozesse nur innerhalb des bestehenden demokratisch-parlamentarischen Systems und damit auch nur durch die Mitarbeit in den bestehenden Institutionen verwirklichen ließen, sprach man sich, dem anderen Weg folgend, für eine konsequente Mitarbeit in der FDP aus. Dabei verwies man auf den »instrumentellen« 63 Charakter des Verhältnisses und betonte, die inhaltliche Bestimmung der politischen Arbeit »nicht von der Zustimmung der F.D.P. abhängig« 64 zu machen. Zugleich versuchte man, die Partei der eigenen Politik gemäß in eine »linksliberale, 60
Ebd., 300. Ebd. 62 Referat Saligmann, Das Verhältnis der DJD zu anderen politischen ( Jugend-) Organisationen; AdL 11408. In diesem Sinne war auch die folgende Aussage des »Leverkusener Manifests« zu verstehen: »Sollen die DJD angesichts der gesellschaftlichen Zustände in der BRD das Grundgesetz als Illusion, das Parlament als Diener der herrschenden Klasse entlarven und den Kampf gegen Familien, Kirchen, Schulen, Universität, Betrieb, Justiz, Massenmedien, Polizei und Bundeswehr gleichzeitig führen? Eine derartige Strategie ist für jede Organisation angesichts des politischen Kräfteverhältnisses Irrsinn [. . .]. Eine revolutionäre Situation ist z.Z. nicht vorhanden und auch nicht machbar [. . .]« (Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 304). 63 Ebd., 310. 64 Ebd., 305. 61
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radikal-demokratische Partei« 65 umwandeln, indem die Verwirklichung jener liberalen Ziele angestrebt wurde, »die bisher gegen reaktionäre und konservative Gruppen auch in der F.D.P. nicht durchgesetzt werden konnten.« 66 Die Trennung von Staat und Kirche stellte eines dieser Ziele dar. 1.4. 1972 bis 1974: Tiefpunkt und Konsolidierung Die Grundsatzdebatte hatte den Bundesverband sowohl strukturell als auch im Blick auf seine politische Durchsetzungskraft deutlich geschwächt.67 Nach Beschluss des »Leverkusener Manifests« versuchten die Jungdemokraten daher zunächst, sich erneut konkret politischen Themen zuzuwenden. Die Verabschiedung eines »Manifest[s] zur Gleichberechtigung, Emanzipation und Politisierung der Frau« 68 auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Gießen 1972 indizierte jenen Versuch einer Rückkehr der Jungdemokraten zur praktischen Politik. Zugleich war man darum bemüht, das Verhältnis zur und die politische Einflussnahme auf die FDP zu verbessern. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz im Juni 1972 forderte der scheidende Bundesvorsitzende Heiner Bremer, der ein großer Befürworter der Konsolidierung des Verhältnisses von FDP und Jungdemokraten war, den Bundesverband daher zur verstärkten Mitarbeit für und in der FDP auf. Hier aber zeigten sich nun die Probleme im Blick auf die allgemeine Akzeptanz bzw. 65
Ebd., 309. Ebd., 308. Jene Distanz zur FDP war nicht im Sinne einer Abwendung von der Partei zu verstehen als vielmehr Ausdruck einer grundsätzlichen Parteienkritik jener Jahre, die mit der Parlamentarismuskritik in enger Verbindung stand. Insbesondere Karl Jaspers’ pessimistische Beschreibung der Entwicklung der Bundesrepublik und dessen Kritik an der parlamentarischen Demokratie, beides in seinem Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik?« von 1966 expliziert, wurde dabei von linksradikalen und linksdemokratischen Kreisen immer wieder aufgegriffen. Jaspers hatte darin einen Strukturwandel aufgezeigt, dessen erste Stufe er als Entwicklung von einer Demokratie zur Parteienoligarchie beschrieb. Die Gefahr, die er im Blick auf die aktuelle Situation der Bundesrepublik sah, bestand darin, dass sich jene Parteienoligarchie in eine Diktatur wandeln könne und somit das Gegenteil der Demokratie eintrete, die er, trotz der aufgewiesenen aktuellen Missstände als geeignete Staatsform anerkannte: »Daher ist die Voraussetzung eines sinnvollen politischen Denkens das Ja zur Bundesrepublik mit dem Willen, sie aus sich selber zu wandeln, das heißt die Revolution der Umkehr im inneren Handeln der Staatsbürger, dann im Staat durch die legalen und legitimen Mittel der Demokratie zu verwirklichen. Ich verwerfe nicht den Staat, sondern die Wege, die die Regierung geht« (Jaspers, Wohin, 190). Im »Leverkusener Manifest« griffen die DJD Jaspers insofern auf, als sie Parteien als »Instrumente der Willensbildung [. . .] nicht in der Hand des Volkes, sondern derer, die den Parteiapparat beherrschen« charakterisierten (Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 300). 67 So war bspw. der Einfluss der DJD auf die konkrete Entstehung und Diskussion der »Freiburger Thesen« eher gering, gleichwohl ihr politischer Wandel den Charakter des Freiburger Parteitags als gesellschaftspolitischen Parteitag entscheidend mitbestimmt hatte. 68 Vgl. DJD Info 2/1972, 1–16. 66
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die praktische Umsetzung der Leverkusener Beschlüsse, insbesondere der in ihr manifestierten »Zwei-Wege-Strategie«, deren Annahme in den einzelnen Landesverbänden in erheblichem Maße differierte, von einer weitgehenden Durchführung wie in NRW bis hin zu ihrer kompletten Aussparung. Dieser Umstand war auf eine allgemeine Unsicherheit darüber zurückzuführen, welche Handlungsmaximen im Blick auf die Gestaltung des Verhältnisses zur FDP den scheinbar widersprüchlichen Aussagen des »Leverkusener Manifests« nun konkret zu entnehmen waren.69 Dementsprechend different waren somit auch die jeweiligen Beziehungen der Landesverbände zur entsprechenden Landes-FDP sowie die Beziehungen der Landesverbände innerhalb des Bundesverbandes. Dass die Zeit der Flügelkämpfe somit keineswegs vorbei und ein geschlossenes Auftreten des Verbandes nach wie vor nicht möglich war, das bestätigten nicht nur die permanenten Auseinandersetzungen zwischen dem nordrhein-westfälischen Landesverband und dem Bundesvorstand in jenen Jahren.70 Hinzu trat ferner die Erkenntnis, dass sich der durch die Grundsatzdebatte verlorene Einfluss auf die Partei nicht so einfach auf holen ließ. Diesen wiederzuerlangen schien jedoch um so mehr geboten, als die Jungdemokraten bei der FDP eine zunehmende Tendenz nach rechts festzustellen meinten, auf die man der neuen politischen Ausrichtung gemäß zu reagieren hatte.71
69 Dies zeigte sich insbesondere im Kontext der Bundestagswahlen im November 1972: »Bei der Diskussion über das Verhältnis zur F.D.P. vor der Wahl stellte sich heraus, daß im Leverkusener Manifest von 1971, auf das wir unserer Arbeit stützen, eine Inkonsequenz zwischen der rigorosen Kritik am Parlamentarismus und mit ihr am Verhalten aller Parteien [. . .] auf der einen Seite und der Zusammenarbeit mit der F.D.P. [. . .] auf der anderen Seite festzustellen ist. So gibt es Kräfte bei den Jungdemokraten, die ein Engagement in den Parlamenten auf Grund der Leverkusener Parlamentarismuskritik für sinnlos ansehen und deshalb das Heraushalten der Jungdemokraten aus dem Wahlkampf und ein Überdenken der Leverkusener Strategie forderten. [. . .] Der Rest stritt sich darum, wer auf Grund der Leverkusener Strategie das Recht habe, als Jungdemokrat für F.D.P. in den Bundestag zu ziehen oder zumindest zu kandidieren, ob man generell kritiklos alle F.D.P.-Kandidaten [. . .] unterstützen – oder wie es im Leverkusener Manifest steht – nur die, ›die ihrerseits zu einer Zusammenarbeit mit den Jungdemokraten bereit sind‹ [. . .]« (Scherer, Anmerkung zur Bundestagswahl, in: DJD-aktuell 23/24//1972, 3). 70 Siehe dazu Abschnitt 1.2. Auch hatten die Westberliner und Hamburger DJD in einer Erklärung vom 21. 6. 1972 ihre Teilnahme an der BDK 1972 abgesagt mit der Begründung, »daß die innerverbandliche Entwicklung der Jungdemokraten diesen außergewöhnlichen Schritt notwendig macht. [. . .] Die Landesverbände Hamburg und Berlin werden den damit ausgedrückten politischen Tiefstand des Bundesverbandes der Jungdemokraten nicht zum Anlaß für eine spalterische Politik nehmen. Wir begreifen uns weiterhin als Bestandteil des Bundesverbandes und werden auch nach dieser BDK auf allen Ebenen mitarbeiten« (AdL 11205). 71 Hintergrund war hier der im Januar 1972 beschlossene Extremistenbeschluss der Ministerpräsidenten und die damit verbundenen »›Genscher-Plän[e]‹ zur Einschränkung der Rechte ausländischer Arbeitnehmer« (Kleff, Geschichte, 182 f.).
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Mit Ingrid Matthäus war auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1972 erstmalig eine Frau an die Spitze der Jungdemokraten und damit auch, als kooptiertes Mitglied, in den FDP-Bundesvorstand gewählt worden, die nach wie vor für die Umwandlung der FDP im Sinne einer radikaldemokratischprogressiven Politik einstand.72 Die 26-jährige Juristin gehörte als Mitglied des Landesvorstandes der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten jenem Landesverband an, der die Grundsatzdebatte über den Bundesverband hinaus konsequent und erweiternd fortgeführt hatte und nach wie vor fortführte. Diese politische Heimat Matthäus’ zeigte sich nun auch in den Äußerungen nach ihrer Wahl, die ihr Einstehen für die neu gewonnenen Grundsatzpositionen der Jungdemokraten deutlich machten. So betonte sie das »instrumentelle Verhältnis«73 zur FDP und die damit verbundene politische und organisatorische Selbständigkeit der Jungdemokraten als »liberaler Jugendverband«74, der die FDP im Sinne einer programmatischen Weiterentwicklung noch über das Freiburger Programm hinaus beeinflussen wollte. Grundlegendes Ziel, so Matthäus, sei die Wiederherstellung der »verlorene[n] Glaubwürdigkeit«75 der FDP, die erst dann gewährleistet war, wenn alle konservativen Kräfte die Partei verlassen hätten. Die Aussagen von Matthäus spiegelten die große Sorge vor einer Dominanz der dem progressiven Kurs der FDP opponierenden Kräfte innerhalb der FDP und deren Einfluss 72 Ingrid Matthäus (*1945) studierte von 1965 bis 1969 Jura, zunächst in Gießen, dann in Münster. Von 1966 bis 1969 engagierte sie sich im Bereich der Hochschulpolitik, so im Studentenparlament in Münster. Auch war sie zu jener Zeit Mitglied der HU und HSU sowie des LHV. Nach ihrem zweiten Staatsexamen arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Oberverwaltungsgericht in Münster, anschließend bis 1976 als Verwaltungsrichterin ebendort. 1969 trat sie den DJD und der FDP bei. Wie ihr späterer Ehemann Robert Maier berichtete, erfolgte ihrer beider Beitritt in die FDP »an dem Tag, an dem die FDP den Willy Brandt zum Kanzler gewählt hat« (Maier in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 11. 2007). Von da an war Matthäus, die dem Kreisverband Münster angehörte, Mitglied in den Landesvorständen der FDP und DJD NRW sowie ab 1972 in ihrer Funktion als Bundesvorsitzende der DJD ebenfalls Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 1976 wurde Matthäus-Maier Mitglied des Deutschen Bundestages, 1979 bis 1982 Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. In den Jahren 1979 bis 1982 bekleidete sie das Amt der Vorsitzenden des Finanzausschusses. Mit dem Koalitionswechsel der FDP im Jahre 1982 verließ sie die FDP und trat der SPD bei. 1983 wurde sie erneut in den Bundestag gewählt. Von 1988 an war sie stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. 1995 wurde sie ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses und zugleich Mitglied im SPD-Parteivorstand. Am 1. 7. 1999 dann legte sie ihr Bundestagsmandat nieder und arbeitet seit 1999 in der Kf W. Bis 2006 war Matthäus-Maier Mitglied des Vorstandes, seit Oktober 2006 fungiert sie als dessen Sprecherin. 73 Art. »DJD-Vorsitzende Ingrid Matthäus im WR-Interview. Arbeit für Emanzipation führte an die Spitze der Jungdemokraten«, in: WR vom 27. 6. 1972. 74 Ebd. 75 Art. »Die streitbare Vorsitzende der Jungdemokraten. Krimis und harte Politik. Ingrid Matthäus versteht sich als Politikerin, die sich nicht ›mit reinen Frauenthemen abspeisen lassen‹ will«, in: SZ vom 26. 7. 1972.
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auf die Politik der liberalen Partei wider. In diesem Kontext befürchtete man eine erneute Annäherung der FDP an die Unionsparteien. Die personellen und inhaltlichen Entscheidungen der Regierungskoalition nach der vorgezogenen Bundestagwahl im November 1972, die den sozialliberalen Kurs deutlich konsolidiert hatte, schienen die Ahnungen der Jungdemokraten zu bestätigen, insofern der von den Jungdemokraten als »ziemlich rechtsaußen«76 eingestufte Hans Friderichs ins Wirtschaftsministerium berufen wurde. Auch die Tatsache, dass die Rezeption dezidiert linker politischer Arbeitsfelder in der Regierungserklärung Willy Brandts eher dürftig blieb, verdeutlichte den Jungdemokraten einmal mehr, dass jene Kräfte in der eigentlichen Wunschkoalition an Oberhand gewonnen hatten, die »eine progressive Politik zu vereiteln suchen.«77 Diese Ausgangslage bestimmte die Bundesdelegiertenkonferenz im Januar 1973, auf der das Verhältnis zwischen FDP und Jungdemokraten seinen Tiefpunkt, die Spannungen innerhalb des Bundesverbandes hingegen ob der Heterogenität der Landesverbände einen Höhepunkt erreicht hatte.78 Verbandsintern bestimmten insbesondere personelle Auseinandersetzungen um den Verbandsvorsitz die Konferenz, die darin mündeten, dass Matthäus nach nur sieben Monaten abgewählt wurde und der 34-jährige Friedrich Neunhöffer ihre Nachfolge antrat.79 Dem vom nordrhein-westfälischen Landesverband ein76
Kleff, Geschichte, 184. Der promovierte Jurist Hans Friderichs (*1931) wurde 1964 als Nachfolger von Genscher Bundesgeschäftsführer der FDP, nachdem er vier Jahre lang das Amt des Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Kreistag Bingen bekleidet hatte. 1965 kam er in den Bundestag und arbeitete ab 1969 als Staatssekretär unter dem rheinlandpfälzischen CDU-Ministerpräsidenten Helmut Kohl im Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten. Auf dem Hamburger Parteitag im Herbst 1974, nach seiner Tätigkeit als Wirtschaftsminister, konnte er sich in einer Kampfabstimmung gegen Maihofer als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP durchsetzen (vgl. Dittberner, Die FDP, 378 f. Siehe auch Kap. III.4.1.). 77 Scherer, Anmerkung zur Bundestagswahl, in: DJD-aktuell 23/24//1972, 3 f. 78 Wie bereits gesehen, gehörten die Landesverbände Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Baden-Württemberg zu den links-marxistischen Landesverbänden. Hessen hingegen wies eine gemischte Zusammensetzung auf, ebenso Schleswig-Holstein. Das Saarland war konservativ. Der Landesverband NRW konnte in diesem Zusammenhang als gemäßigt links stehend betrachtet werden. 79 Presseberichten zufolge hatten insbesondere die Delegierten aus den Landesverbänden Hamburg, Baden-Württemberg, Bremen, Saarland und Berlin gegen Matthäus opponiert und ihr einen »autoritäre[n] Führungsstil und persönliches Karrierestreben« vorgeworfen (Art. »Ingrid Matthäus ›gestürzt‹. Neuer Chef bei den ›Judos‹«, in: Express vom 29. 1. 1973. Vgl. auch Art. »Katalog gegen die Kirchen« Da waren die Judos einig«, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 29. 1. 1973). Letztgenannter Vorwurf resultierte aus der Tatsache, dass Matthäus als Bundestagsdelegierte kandidiert hatte, was wiederum von einem Großteil der DJD – abgesehen von den nordrhein-westfälischen Delegierten – als Verstoß gegen die Grundsätze betrachtet wurde. Matthäus hatte ihre Kandidatur, die sie letztlich gegen Jürgen Möllemann verlor, mit dem Hinweis auf die »Zwei-Wege-Strategie« gerechtfertigt und betont, dieser Strategie gerade durch ihre Tätigkeit im Bundestag nachzukommen.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
gereichten »Liberalismus und Christentum«-Papier kam auf dieser Konferenz insofern eine große Bedeutung zu, als es der einzige Beschluss war, bei dem die Delegierten weitgehend übereinstimmten.80 Neben großen verbandsinternen Konfl ikten herrschte auch im Blick auf das Verhältnis zur FDP insgesamt Ratlosigkeit und Frustration; letzterer verlieh die noch amtierende Vorsitzende Matthäus in Anwesenheit der FDPPolitiker Maihofer, Dahrendorf und Klug in einer scharfen Eröffnungsrede Ausdruck, in der sie mit der sozialliberalen Regierungskonstellation, die sie als eine »Addition der Bremser von beiden Seiten« 81 bezeichnete, insgesamt abrechnete. Die scharfe Kritik an den Personen, in die man bei der Etablierung des sozialliberalen Kurses alle Hoffnungen gelegt hatte – hier musste sich insbesondere Flach den Vorwurf »opportunistischen Verhalten[s]« 82 gefallen lassen – spiegelte die große Enttäuschung der Jungdemokraten und zugleich die von ihnen so deutlich empfundene harte Realität wider: der linke Parteiflügel der FDP und damit auch die Politik der Jungdemokraten hatte versagt, und ihr einstiger Einfluss, der im Kontext der Bildung der sozialliberalen Koalition seinen Höhepunkt erreicht hatte, war weitgehend marginalisiert worden. »Die DJD brauchen jetzt unsere Hilfe, wie wir die Anstöße der DJD in der ganzen Geschichte der Entwicklung des modernen Liberalismus gebraucht haben.« 83 Diese beinahe mitleidige Verständnisbekundung Rubins markierte Konjunktiv und Indikativ jungdemokratischer Politik zugleich. Neunhöffer trat somit ein schweres Erbe an, als er Matthäus als Bundesvorsitzender ablöste. Die innerverbandlichen Kontroversen über die methodische Umsetzung der neuen Politik sowie die Gestaltung des Verhältnisses zur FDP hatten den Bundesverband in einen desolaten Zustand verfallen lassen und die Arbeit des Bundesvorstandes bis dato weitgehend in Beschlag genommen. Das primäre Ziel der neuen Verbandsführung bestand somit darin, die Konsolidierung des Verbandes voranzubringen sowie die Beziehungen zur FDP, die komplett abzureißen drohten, wieder zu intensivieren. Eine breit angelegte Programmdiskussion zu konkreten politischen Arbeitsfeldern sollte die Landesverbände zu erneuter Mitarbeit im Verband animieren; auch setzte man die Diskussion über strittige Aussagen des »Leverkusener Manifest« fort, allerdings erfolgte diese unter einer anderen Perspektivnahme, insofern man stärker als zuvor die Beziehung zur FDP mit in den Blick nahm und auf die Gefahr einer immer größeren Distanz verwies.84 80
Siehe Abschnitt 3.2. Rede Matthäus »Zwei Jahre der beiden Wege« auf der BDK 27./28. 1. 1973, 17; AdL 11362. 82 Ebd., 15. 83 Rubin, Reform, 323. 84 Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 7./8. 7. 1973; AdL 11403. 81
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Die Situation des Bundesverbandes Ende des Jahres 1973 zeigte jedoch, dass jene Bemühungen einseitig von der Verbandsspitze ausgegangen waren; einige Landesverbände hatten sich aufgrund ihrer internen zerrütteten Verhältnisse oder aus Desinteresse schon seit längerem von der Verbandsarbeit zurückgezogen und arbeiteten nebeneinander her, und der einflussreichste Landesverband NRW begegnete dem Konkurrenten von Matthäus Neunhöffer allenfalls mit Zurückhaltung. Auch von basispolitischen Aktionen im Sinne einer florierenden Schüler- bzw. Hochschularbeit war nichts mehr zu erkennen. Der Kölner Stadtanzeiger brachte die Entwicklung der Jungdemokraten bis zu diesem Zeitpunkt auf den Punkt: »Sie proklamierten einmal die ›Strategie der zwei Wege‹, wollten systemüberwindende Basisarbeit mit systemstabilisierender Arbeit für eine reformerische FDP verbinden, gerieten dabei in Konfl ikt mit sich selbst und vergaßen im vulgär-marxistischen Gestrüpp zeitweilig ihre liberale Herkunft.« 85
Umso überraschender waren daher die Ereignisse auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Bad Honnef vom 8. bis 10. 2. 1974, die nun doch auf eine Konsolidierung des Bundesverbandes hindeuteten. Erstmals seit Jahren blieb die Konferenz von innerverbandlichen Flügelkämpfen verschont. Weiterhin deuteten die programmatischen Beschlüsse zur Medienpolitik, Umweltpolitik, Mitbestimmung, Bodenrecht und Jugendpolitik eine Konjunktur praktischer Arbeit an, die sich erneut in Verbindung mit den reformerischen Kräften der FDP vollziehen sollte. Dies bestätigte das auf der Konferenz beschlossene Papier »Verantwortung für den Fortschritt – Zur Parteiarbeit der Deutschen Jungdemokraten« 86 , in dem die Jungdemokraten ihre Verantwortung für eine weitere Entwicklung der FDP, vor allem aber für den Schutz vor der drohenden Rechtseinwirkung – hier bezog man sich auf eine mögliche Wahl Genschers zum neuen Parteivorsitzenden – darlegten. Die Skepsis der FDP gegenüber den Jungdemokraten verkörperte ihr einstiger Ziehvater Maihofer, der insbesondere die Wahl des Marburger Politologen Insbesondere Jürgen-Bernd Runge und Robert Maier hatten darauf verwiesen. Runge betonte, die DJD würden nur noch aufgrund der Tatsache, dass sie in Verbindung zur FDP gedacht werden, für relevant erachtet. Er forderte daher eine Stärkung der Beziehungen durch die »Erstellung qualifi zierter Sachaussagen [. . .] durch Inbesitznahme der fortschrittlichen Teile des Freiburger Programms [. . .] durch gezielte Unterstützung fortschrittlicher F.D.P.-Positionen und eine gezielte Gremienpolitik«. Maier verwies auf die zunehmend deutlicher werdende Tendenz einer Orientierung der FDP »an den DJD vorbei«, die sich im Übrigen auch bei den Jugendlichen zeige, insofern diese den direkten Weg in die FDP wählten. 85 Art. »Am Schluß nahm keiner sie ernst. Stellung der FDP soll sich ändern. Mit sich selbst im Konfl ikt«, in: Kölner Stadtanzeiger vom 8. 2. 1974. 86 Vgl. AdL 11349. Das Papier war ein Produkt einer Verbindung der im »Leverkusener Manifest« festgelegten neuen Programmatik und einer Bestandsaufnahme über den aktuellen Zustand der FDP.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Theo Schiller zum neuen Vorsitzenden der Jungdemokraten heftig kritisierte und die Jungdemokraten als »Quantité négligeable« bezeichnete.87 Fakt war jedoch, dass dem Bundesverband der Jungdemokraten mit der Bundesdelegiertenkonferenz in Bad Honnef der erste Schritt aus der »inner par teiliche[n] Selbstisolierung« 88 gelang. Den zweiten Schritt sah Michael Kleff in der Durchsetzung des Kirchenpapiers »Freie Kirche im Freien Staat« auf dem Hamburger Parteitag im Oktober 1974.89
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten Kann das Kirchenpapier insgesamt als Ausdruck des dargestellten politischen Wandels der Jungdemokraten Anfang der 1970er Jahre verstanden werden, so verweist eine genauere Betrachtung deutlich auf seine politische Heimat NRW, und damit jenen Landesverband, der sich Anfang der 1970er Jahre durch ein eigenes Profi l auswies. Insbesondere in diesem größten der jungdemokratischen Landesverbände zeigte sich – mehr noch als in der FDP –, welchen großen Einfluss einige wenige aktive Personen auf die politischen Ereignisse nehmen konnten. Die Besonderheiten des Landesverbandes, die nicht zuletzt auch auf die personelle Zusammensetzung des Landesvorstandes Anfang der 1970er Jahre zurückzuführen war, spiegeln sich sowohl im Entstehungsprozess als auch in den Inhalten des Kirchenpapiers, insbesondere seiner ersten Version, die im Kreisverband Hagen entstanden war, wider. 2.1. Die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten 1971/72 und die Entstehung des Kirchenpapiers Konnte man den nordrhein-westfälischen Landesverband 1970 noch zu den Landesverbänden mit einer eher konservativen Ausrichtung zählen90, so än87 Theo Schiller (*1942) studierte Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie in Tübingen, Hamburg, Bonn und Frankfurt und promovierte 1968 zum Dr. phil. Das Amt des Bundesvorsitzenden der DJD übte Schiller bis 1976 aus. Von 1974 bis 1980 war er Mitglied des FDP-Bundesvorstandes. Schiller war Universitätsprofessor für Gesellschaftswissenschaften und Philosophie an der Philipps-Universität in Marburg. 88 Art. »All der Qualm«, in: Spiegel 8/1974, 30. 89 Vgl. Kleff, Geschichte, 192. 90 Dies belegt bspw. die Haltung des Landesverbandes im Kontext der Parlamentarismus-Diskussion auf dem Kölner BJT 1969, wo er den Parlamentarismus grundsätzlich als gerechtfertigt und anpassungsfähig verteidigte und insgesamt für systemimmanente und damit das positive Verhältnis zur FDP wahrende Reformen eintrat (vgl. Krabbe, Parteijugend, 130). Der Charakter eines rechts stehenden Landesverbandes wurde ihm auch von der liberalen Parteijugend der DDR – zu der die nordrhein-westfälischen DJD ein eher
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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derte sich sein Kurs im April 1971 abrupt, als sich auf dem Landesjugendtag mit knapper Mehrheit ein sich als progressiv-linksliberal verstehender Landesvorstand gegen den traditionellen Flügel des Landesverbandes durchzusetzen vermochte.91 Mit dem Diplommathematiker Robert Maier übernahm dabei als Nachfolger Günter Verheugens ein Mann den Vorsitz des Landesverbandes, der den politischen Wandel der Politik der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten entscheidend beeinflusste.92 Dabei strebte der »geistige Kopf«93 der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten eine Annäherung an die auf Bundesverbandsebene praktizierte Politik an, insofern er sich für systemverändernde Maßnahmen, die punktuelle Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen sowie eine größere Unabhängigkeit der Jungdemokraten von der nordrhein-westfälischen FDP zur Durchsetzung dezidiert jungdemokratischer politischer Ziele aussprach.94 Im Landesverband NRW nahm somit im Frühjahr 1971 jene ausführliche Grundsatzdebatte ihren Anfang, die zu diesem Zeitpunkt auf Bundesverbandsebene durch den Beschluss des »Leverkusener Manifests«, nach eineinhalbjähriger Diskussion, bereits zu einem relativen Abschluss gekommen war. Der Ablauf der Debatte und die Konfl ikte, die damit in Verbindung standen, vollzogen sich dabei – in kleiner Struktur und zeitversetzt – quasi analog zu denen, die im Kontext der Grundsatzdebatte auf Bundesebene ausgetragen worden waren; auch hier etablierte sich der permanente Konkritisches Verhältnis hatten – im Kontext der BDK 1970 zugeschrieben: »[In der] Außenpolitik stehen fast alle Landesverbände (vielleicht mit Ausnahme von Bayern) eindeutig links. [. . .]; Innenpolitisch stehen folgende Landesverbände eindeutig links: Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Bremen; In der Mitte: Schleswig-Holstein, Saarland, Hessen, Baden-Württemberg, alle mit Linkstendenzen; Rechts: stehen eindeutig Bayern (100%), Rheinland-Pfalz (80%), Nordrhein-Westfalen (80%)« (Einschätzung der LDPD in ihrem Bericht über die BDK 1970; AdL LDPD DXXI 28767a). 91 Maier gewann die Wahl gegen seinen Konkurrenten Michael Ruppert aus Wuppertal mit 89 zu 75 Stimmen (vgl. Art. »›Judos‹ wählen linken Vorstand«, in: WAZ vom 5. 4. 1972. Vgl. auch Art. »Jungdemokraten rücken nach links. NRW-Landesvorsitzender befürwortet systemverändernde Maßnahmen«, in: FR vom 6. 4. 1971). 92 Robert Maier (*1944) studierte Mathematik, zunächst von 1963 bis 1966 in Gießen, dann ab 1966 in Münster. Mit seinem Wechsel nach Münster trat er der HU und der HSU bei, 1969 dann, wie bereits erwähnt, zusammen mit Matthäus der FDP und den DJD. Dem Kreisverband Münster angehörend und zugleich Mitglied des Bezirksvorstandes der DJD Westfalen Nord, wurde er im April 1971 zum Landesvorsitzenden gewählt. Er war Mitglied des Landesvorstandes der FDP NRW sowie des Arbeitskreises Gesellschaftspolitik der FDP NRW. Die Münsteraner Studierendenzeitschrift Semesterspiegel bescheinigte ihm neben den erwähnten Tätigkeiten weiterhin die Mitgliedschaft im 1972 gegründeten Liberalen Hochschulverband (vgl. Semesterspiegel Nr. 127, Januar 1972, 10). 93 Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 18. 2. 2006. 94 Ein entsprechender Antrag, den Maier auf der LDK im April 1971 eingereicht hatte, war aufgrund der divergierenden Ansichten innerhalb des Landesverbandes nicht beschlossen worden; im Strategieteil des »Leverkusener Manifests« hingegen, das einen Monat später auf Bundesverbandsebene verabschiedet wurde, fanden Teile dieses so genannten »Duisburger Papiers« ihre Aufnahme.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
fl ikt mit der FDP; auch war der Landesverband keineswegs homogen und Flügelkämpfe zwischen den eher konservativen, den gemäßigt-linken und den ganz linken Kräften unvermeidbar, was sich auch in den verabschiedeten Grundsatzpapieren widerspiegelte. Wies sich die Grundsatzdebatte insgesamt betrachtet dadurch aus, dass sie sich an den Inhalten des richtungweisenden »Leverkusener Manifests« und der in ihr explizierten »Zwei-Wege-Strategie« orientierte, so ging sie an manchen Stellen gleichermaßen darüber hinaus. Demgemäß betonten die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten, deutlicher als im Manifest, ihre Unabhängigkeit von der FDP; so in den »Grundsätzen politischer Arbeit« 95, die ihren Ursprung im Kreisverband Hagen hatten, Ende Mai 1971 auf dem Kreisjugendtag der Hagener Jungdemokraten beschlossen wurden und schlicht bekundeten: »Die Jungdemokraten sind nicht die Jugendorganisation der F.D.P.«96 Jene Unabhängigkeitsbekundung manifestierte sich dann durch eine Satzungsänderung auf der Landesdelegiertenkonferenz im Januar 1972.97 Auf derselben Landesdelegiertenkonferenz brachte der Arbeitskreis »Grundsatzfragen« einen Manifestentwurf für eine liberale Politik ein, der ebenfalls auf eine Fortsetzung der Grundsatzdebatte über Leverkusen hinaus verwies. Obgleich der Entwurf, mit dem man das »Leverkusener Manifest« hatte verbessern wollen, aus zeitlichen wie politischen Gründen von der Tagesordnung genommen wurde, beschloss man die in das Manifest einleitende »Zielsetzung liberaler Politik« 98 . Dass diese Zielsetzung nun tatsächlich eine qualitative und quantitative Verbesserung gegenüber Leverkusen darstellte, zeigte die Tatsache, dass sie auf Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz 1973 in leicht veränderter Form die Zielsetzung des »Leverkusener Manifests« ersetzte.99 95 Vgl. Antrag 9: Grundsätze unserer politischen Arbeit, Antragssteller: Vorstand der DJD Kreisverband Hagen; LStaD RWN 251-142, Bl. 23–30. 96 Ebd., Bl. 23. Das Papier wies weiterhin deutliche Parallelen zum »Berliner Manifest« auf, insofern man bspw. die »antikapitalistische Jugendarbeit« und den Charakter der DJD als den eines »Jugendverbandes« betonte (ebd.). Der neue Vorstand des Kreisverbandes Hagen unter Peter Gerigk lieferte dem Landesvorstand maßgebliche Unterstützung in der Durchsetzung des linken Kurses. Die FDP Hagen bekundete unmittelbar nach dem Kreisjugendtag in einer Pressemitteilung, von einer weiteren Zusammenarbeit »mit den gegenwärtigen Vertretern der DJD in Hagen« abzusehen (Pressemitteilung des Kreisverbandsvorsitzenden der FDP Hagen Gerhard Schüssler vom 10. 6. 1971; LStaD RWN 251-387). 97 Vgl. Satzung der DJD NRW § 2,1: »Die DJD NRW sind ein politisch und organisatorisch selbständiger liberaler Jugendverband. Grundlage für die Arbeit in parlamentarischen Institutionen ist die F.D.P.« (AdL D 1-4108). In den Satzungen vom 5. 4. 1970 und 4. 4. 1971 hieß es: »Die Deutschen Jungdemokraten des Landesverbandes NordrheinWestfalen sind die Jugendorganisation der Freien Demokratischen Partei dieses Landes. Die organisatorische Selbständigkeit bleibt bestehen« (AdL D 2-3910 und D 2-3930). 98 Vgl. DJD NRW Info 1/1972. 99 Die Zielsetzung war, bevor man sie auf der BDK einbrachte, noch mal leicht von
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Die Zielsetzung, die den Diskussionsstand der nordrhein-westfälischen Grundsatzdebatte zu Beginn des Jahres 1972 widerspiegelte, wies sich neben der Verwendung eines materialistischen Freiheitsbegriffes, der den idealistischen mit einschloss und Freiheit als »optimale und ungehinderte Möglichkeit«100 defi nierte, insbesondere durch die Rezeption des auf Karl Popper zurückgehenden und u. a. von Hans Albert fortgesetzten kritischen Rationalismus aus, die so in den anderen jungdemokratischen Grundsatzpapieren noch nicht aufgenommen worden war. Die dem kritisch-rationalen Ansatz verpfl ichtete Erkenntnistheorie, auf die man sich somit bezog, ging grundsätzlich davon aus, dass es eine sichere Erkenntnis im Sinne eines wahren, beweisbaren Wissens von etwas nicht geben konnte. Dies war darauf zurückzuführen, dass die menschliche Vernunft, die das Instrumentarium zur Erkenntnisgewinnung darstellt, fehlbar ist und somit auch die durch sie erlangten Erkenntnisse fehlerhaft und unvollständig sein konnten. Die Grundidee, dass auch die sicherste Theorie falsch sein könnte, bildet somit den Ausgangspunkt des kritischen Rationalismus. Damit war nun nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Erkenntnisse nicht doch wahr sein konnten, insofern sie einer kritischen Prüfung standhielten und damit wahr »im Sinne einer zutreffenden Darstellung der Wirklichkeit«101 sein konnten. Was der kritisch-rationale Ansatz jedoch negierte, war eine Wahrheitsgarantie im Sinne einer absoluten Gewissheit, womit jedes gewonnene Wissen über eine Sache immer hypothetisch und somit »Vermutungswissen«102 blieb. War somit das Ziel aller Erkenntnis die Suche nach der Wahrheit, d. h. die »Suche nach objektiv wahren, erklärenden Theorien«103, so bestand ihre Methode in dem bereits erwähnten Prinzip der kritischen Prüfung, das wiederum der menschlichen Fehlerhaftigkeit und Möglichkeit, einem Irrtum zu erliegen, geschuldet war. Diese Methode des Versuchs und Irrtums zeichnete den von Popper vertretenen Rationalismus aus, den er selbst als nichts anderes bezeichnete als »die Überzeugung, daß wir durch die Kritik unserer Fehler und Irrtümer lernen können und insbesondere durch die Kritik anderer und schließlich auch durch Selbstkritik.«104 Ein sich diesem Prinzip der »kritischen Diskussion«105 verschreibender Rationalist sei somit Gerigk, Maier und Scherer überarbeitet worden. Dabei wurde der Textbestand an sich beibehalten; an einigen Stellen erfolgten Umformulierungen und Umstellungen einzelner Abschnitte, was jedoch keine bemerkenswerten Auswirkungen auf den Inhalt hatte. 100 Ebd. 101 Ruß, Art. Kritischer Rationalismus, 1785. 102 Popper, Suche, 227. 103 Ebd., 12. 104 Ders., Problemlösen, 160. 105 Ebd.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
»ein einfacher Mensch, dem mehr daran liegt zu lernen [. . .]. [E]r glaubt also nicht, daß er selbst oder sonst jemand im Besitze der Weisheit ist. Auch glaubt er nicht, daß die bloße Kritik als solche uns schon zu neuen Ideen verhilft. Aber er glaubt, daß nur die kritische Diskussion uns dazu helfen kann, im Gebiete der Ideen den Hafer von der Spreu zu trennen.«106
Im Blick auf eine praktische Anwendung beanspruchte der kritische Rationalismus, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Probleme undogmatisch, planmäßig und vernünftig anzugehen. Interessant auch im Blick auf die Rezeption Poppers durch die Jungdemokraten war nun, dass Popper, der sich selbst als »Antimarxist und Liberaler«107 bezeichnete, die freie Diskussion in die Theorie des Liberalismus verortete, insofern er die freie Diskussion als solche und die in ihr implizierte Gedankenfreiheit als dessen »letzte Werte«108 bezeichnete, »die keiner weiteren Rechtfertigung bedürfen.« Das Ziel des Liberalismus, der diese freie Diskussion praktiziere, lag dabei, so Popper, nicht in der Hoffnung auf »Übereinstimmung der Gesinnung«, sondern in der »gegenseitige[n] Befruchtung und d[er] daraus folgende[n] Weiterentwicklung der Meinungen.« Hier begründeten sich das Prinzip der Toleranz, insofern im Sinne des Pluralismus andere Gesichtspunkte und Meinungen ihre Legitimation erhielten sowie die Bereitschaft zum Kompromiss; beides bedingte zugleich die Ablehnung von Autoritäten jeglicher Art. Die Sicherstellung der Freiheit des einzelnen, die sich in der Berechtigung seiner Meinung manifestierte, war somit oberstes Ziel. Als ganz grundsätzliche Hoffnung jener Anhänger der Grundsätze des Liberalismus artikulierte Popper die Möglichkeit, »daß Traditionen, die sich unter dem Einfluß der kritischen Diskussion ändern und entwickeln, viel von dem ersetzen können, was ›öffentliche Meinung‹ genannt wird, und daß sie mit der Zeit jene Funktionen übernehmen werden, die oft der öffentlichen Meinung zugemutet werden.«
Die Aufnahme dieses kritischen Rationalismus durch die Jungdemokraten zeigte sich in jenem Absatz der Zielsetzung, wo der auf klärerisch-rationale Charakter liberaler Politik und damit zusammenhängend die menschliche Erkenntnisfähigkeit beschrieben wurde. Dort betonte man zunächst die dem Menschen eigene »Fähigkeit der Erkenntnis der Natur und seiner gesellschaftlichen Umwelt«109, die im »Interesse der Menschen« eingesetzt werden müsse, um die Verwirklichung von Freiheit zu gewährleisten. Rationalität und rationales Handeln »als Handeln auf Grund der Erkenntnis der tatsächlichen Gegebenheit« bezeichnete man dabei als einzige Möglichkeit, 106 107 108 109
Ebd. Ders., Suche, 100. Ebd., 172. Die folgenden Zitate ebd. Zielsetzung, in: DJD NRW Info 1/1972. Die folgenden Zitate ebd.
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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»gesellschaftliche Konfl ikte im gemeinsamen Interesse ohne vermeidbare Schäden zu lösen.« Man verwies dabei auf die »Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit menschlicher Erkenntnis« und daher auch des Erkenntnisprozesses, was wiederum dem dogmatischen Anspruch einer auf Kenntnis beruhenden einzigen Wirklichkeit diametral entgegenstand. In dieser Ansicht gründete sich das in der liberalen Politik verankerte Prinzip der Toleranz, »d. h. die Respektierung anderer als der eigenen weltanschaulichen und politischen Auffassungen.« Die Rezeption dieser philosophischen Anschauung tauchte neben neomarxistischem Gedankengut fortan in jedem Papier der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten auf, und ihre Etablierung ging maßgeblich auf den Verfasser der Zielsetzung, Robert Maier, zurück. Auch im Kontext der Diskussion des »Liberalismus und Christentum«-Papiers spielte diese Rezeption eine bedeutende Rolle.110 Ein letzter Hinweis dahingehend, dass die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten mit der Zielsetzung über Leverkusen hinausgegangen waren, zeigte sich in der Darstellung des engen Verhältnisses von Liberalismus und Sozialismus als »Bündnispartner«, wohingegen man sich in der alten Zielsetzung auf die Aussage nach einer »Vereinigung der Grundprinzipien von Sozialismus und Liberalismus«111 beschränkt hatte. Der politische Wandel der Jungdemokraten, der sich in jenem nordrheinwestfälischen Manifestentwurf ausdrückte, hatte nun auch Konsequenzen im Blick auf das Verhältnis zur nordrhein-westfälischen FDP, das spätestens mit dieser Landesdelegiertenkonferenz im Januar 1972 seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Bereits im Sommer 1971 war es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, als der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP und Innenminister Weyer mit beinahe übertriebener Schärfe in die Grundsatzdiskussion der Jungdemokraten eingegriffen hatte.112 Damals hatte der Hagener Politiker im Kontext der »Grundsätze politischer Arbeit«, die im jungdemokratischen Kreisverband »seiner« Stadt beschlossen worden waren, die Unabhängigkeitserklärung der Jungdemokraten im Sinne einer Trennung der Jungdemokraten von der FDP interpretiert und betont, dass er eine »Unterwanderung der F.D.P. durch die DJD mit solchen Zielsetzungen«113 zu verhindern wisse. 110
Siehe Abschnitt 3. Leverkusener Manifest, beschlossen auf der BDK 1971; AdL 11339. 112 Vgl. Art. »Jungdemokraten befürchten weiteren Streit mit Weyer. FDP-NRW-Chef sieht ›linke Gefahr‹ – Riemer für Kooperation«, in: Wochenanzeiger vom 9. 7. 1971; Art. »Weyers Konfl ikt mit den Jungdemokraten verschärft sich. Der Bundesvorstand der Junioren greift ein. Scheel soll klären«, in: FAZ vom 7. 7. 1971; Art. »DJD hat neuen Streit mit Weyer. Angriffe gegen Jungdemokraten ›böswillig und aus der Luft gegriffen‹«, in: FR vom 6. 7. 1971. 113 Niederschrift über eine Besprechung des geschäftsführenden F.D.P.-Landesvorstan111
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Hatte sich das Verhältnis durch gemeinsame Gespräche und den kooperativ-beschwichtigenden Einfluss Horst Ludwig Riemers, der auf die Stimmen der Jungdemokraten bei der anstehenden Wahl eines neuen Landesvorsitzenden der FDP hoffte, gegen Ende des Jahres 1971 wieder einigermaßen stabilisieren können114, so entzündete sich Weyers Kritik erneut ob des auf der Delegiertenkonferenz vorgelegten Manifestes.115 Zu der Kritik an der Satzungsänderung trat nun insbesondere die Kritik an der der Gesellschaftsanalyse zugrunde liegenden Ideologie, die Weyer den »Gedankengängen der ›kritischen Theorie‹ der neomarxistischen Philosophie der Frankfurter Schule«116 zuordnete. Obschon die Jungdemokraten auf die ihren Ansichten zugrunde liegende kritische Rationalität verwiesen und die ideologische Verortung ihrer Ansichten durch Weyer als im »schroffen Gegensatz«117 zum Manifestentwurf dementierten, kam der FDP-Landesvorstand am 21. 2. 1972 zu dem Schluss, dass der Manifestentwurf »mit den Grundsätzen liberaler Politik nicht vereinbar«118 sei. Verschärft wurde der Konfl ikt weiterhin durch die Tatsache, dass die Jungdemokraten im Zuge der Wahl eines Nachfolgers für Weyer nun nicht den Weyer-Wunschkandidaten Riemer, sondern den linken Kölner FDP-Kreisvorsitzenden Gerhart Baum protegierten.119 Der Konfl ikt zwischen Jungdemokraten und FDP, der sich, durch Phasen der Annäherung und Abgrenzung gekennzeichnet, bis weit in die Kirchenpapierdiskussion hinein erstreckte, bestimmte die weitere Politik der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten.120 Er führte mittelbar dazu, dass auch des mit dem neu gewählten DJD-Landesvorstand am 15. 6. 1971; LStaD RWN 251-142, Bl. 33. 114 »Die Übereinstimmung ist viel größer, als man nach den gelegentlichen Kontroversen der Vergangenheit hätte erwarten können« (Presseerklärung Riemer nach einem gemeinsamen Seminar von FDP und DJD am 11./12. 9. 1971; ebd., Bl. 196). 115 Daran änderte auch ein Schreiben des wieder gewählten Landesvorsitzenden Maier an Weyer unmittelbar nach der LDK nichts, in dem dieser die weitgehende Übereinstimmung des Manifestentwurfs mit dem »Leverkusener Manifest« betont und gleichermaßen versichert hatte, an dem Verhältnis zwischen FDP und DJD werde sich trotz Satzungsänderung nichts ändern (vgl. Schreiben Maier an Weyer Anfang Januar 1972; ebd., Bl. 180– 182). 116 Schreiben Weyer an alle FDP-Kreisvorsitzende, in: DJD-aktuell 3/1972, 4. 117 Knabenbauer, Art. Konstruktives Spannungsverhältnis, in: DJD-aktuell 6/1972, 5. 118 Zit. nach Kleff, Geschichte, 181. 119 Vgl. Art. »Jungdemokraten erteilen Riemer klare Absage. Der Kölner Kreisvorsitzende Baum soll für Weyers Nachfolge kandidieren«, in: FR vom 10. 1. 1972; Art. NRWJungdemokraten benennen Gegenkandidaten von Riemer. Kölner FDP-Chef Baum soll für Landesvorsitz kandidieren«, in: WAZ vom 10. 1. 1972. 120 Im August 1972 kam es zu einem erneuten Gespräch zwischen dem FDP-Landesvorstand und dem Landesvorstand der DJD, bei dem man den Unvereinbarkeitsbeschluss des FDP-Landesvorstandes von Februar diskutierte und Grundlagen für eine gemeinsame Zusammenarbeit von FDP und DJD festlegte. Siekmann berichtete darauf hin im Bundeshauptausschuss der DJD, das Verhältnis zwischen beiden habe sich insgesamt weiter ent-
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das Verhältnis zwischen den nordrhein-westfälischen Jungdemokraten und dem Bundesvorstand der Jungdemokraten zunehmend von Spannungen bestimmt wurde. Hatte der Bundesvorstand die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten bei ihrem Konfl ikt mit Weyer im Sommer 1971 noch unterstützt, so lehnte er im Frühjahr 1972 die von Maier dargelegte Strategie »eine[r] harte[n] Konfrontation mit der F.D.P., falls dies nötig würde«121, ab, was wiederum den nordrhein-westfälischen Landesvorstand dazu veranlasste, die weitere Mitarbeit in den Gremien des Bundesvorstandes in Frage zu stellen. Im Hintergrund stand hier die mögliche Kandidatur Matthäus’ zur Bundesvorsitzenden der Jungdemokraten, die von ihr jedoch ebenfalls aufgrund der »Stillhaltepolitik [sc. des Bundesverbandes] der F.D.P. gegenüber«122 als zunehmend fraglich erachtet wurde. Dass Matthäus im Juni 1972 dann doch den Vorsitz der Jungdemokraten übernahm, spiegelte das ambivalente beinahe symbiotische Verhältnis zwischen NRW und Bundesverband wider. Konnte und wollte der Bundesverband nicht so ohne weiteres auf den größten und sicherlich einflussreichsten Landesverband verzichten, so konnte langfristig betrachtet auch der nordrhein-westfälische Landesverband seine Politik nicht separiert vom Bundesverband praktizieren; vielmehr galt es, die eigene Politik innerhalb des gesamten Verbandes verbindlich zu machen. Wie groß dabei trotz aller Differenzen der Einfluss des nordrhein-westfälischen Landesverbandes auf die Politik des Bundesverbandes war, verdeutlicht die Tatsache, dass ein Großteil der auf den Bundesdelegiertenkonferenzen Anfang der 1970er Jahre gefassten Beschlüsse und Papiere – so auch das »Liberalismus und Christentum«-Papier – auf seine Initiative zurückging.123 spannt (vgl. Bericht Siekmann vom 30. 8. 1972; AdL 11412). Auch Maier sprach in seinem Rechenschaftsbericht 1972 von einer positiv zu bewertenden Entwicklung des Verhältnisses zur FDP, was er auch mit dem neuen FDP-Landesvorsitzenden Riemer in Verbindung brachte: »H. L. Riemer war taktisch klüger als jener [sc. Weyer] und sucht nicht wie Weyer die öffentliche Konfrontation zu den Jungdemokraten« (Maier, Rechenschaftsbericht 1972, in: DJD NRW Info 6/1972). Ein Jahr später jedoch forderten die DJD die Ablösung Riemers und Weyers, nachdem diese sich gegen die Einsetzung des DKP-Mitglieds Volker Götz zum Richter ausgesprochen hatten. Der Fall Götz hatte innerhalb der nordrhein-westfälischen sozialliberalen Koalition heftige Kontroversen ausgelöst. Dass er letztlich nicht zum Richter ernannt wurde, war dabei maßgeblich auf den Widerspruch We yers und Riemers zurückzuführen (vgl. Art. »Judos fordern Ablösung von Riemer und Weyer«, in: WZ vom 15. 8. 1973). 121 Protokoll der Sitzung der Landesvorsitzenden und des Bundesvorstandes der DJD vom 11. 3. 1972; AdL 11177. 122 Ebd. 123 »Wenn man wichtige Beschlüsse der BDK sucht, die nicht vom Landesverband NRW beantragt werden, so stößt man auf Schwierigkeiten: Es gibt sie praktisch nicht. In den anderen Landesverbänden scheint die Zeit der ›10 – Zeilen – Profi lierungsanträge‹ immer noch nicht vorbei zu sein [. . .]« (Gerigk, BDK-Bericht, in: DJD-aktuell Sonderheft zur BDK 1973, 9). Auch im Kontext eines möglichen Beschlusses des »Liberalismus und
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Die beschriebene Distanz zwischen dem nordrhein-westfälischen Landesverband und dem Bundesverband bzw. Bundesvorstand war insgesamt betrachtet auf eine unterschiedliche Handhabung der in Leverkusen beschlossenen »Zwei-Wege-Strategie« zurückzuführen. So betonte Maier, der Landesverband NRW sei mit Sicherheit nicht der am weitesten links stehende Landesverband innerhalb der Bundesverbandes gewesen, sicherlich aber der, der die in Leverkusen gefassten Beschlüsse am konsequentesten bzw. überhaupt umgesetzt und auf diese Weise die Arbeit des Bundesverbandes ein Stück weit überholt habe.124 Denn während man auch auf Bundesvorstandsebene im Sinne des neuen Kurses einer erneuten kritischen Hinwendung zur FDP dem zweiten Wege die Priorität gab, dem eine Institutionalisierung des Konfl ikts zwischen FDP und Jungdemokraten nur schwerlich dienen konnte, setzte man in NRW den Schwerpunkt auf den Ausbau der Politik des ersten Weges, die sich auch aufgrund der größeren Unabhängigkeit des Landesverbandes von der FDP effektiver und länger als in anderen Landesverbänden umsetzen ließ. Politik im Sinne des ersten Weges bedeutete zum einen, zur Umsetzung bestimmter Beschlüsse im wahrsten Sinne des Wortes beizutragen,125 und zum anderen die promulgierte Basisarbeit durch eine intensive Zusammenarbeit mit Schüler- und Lehrlingsgruppen in Form von Seminaren und Projekten umzusetzen, für deren Planung und Durchführung man eigene Ressorts auf Landesvorstandsebene eingerichtet hatte.126 Mit diesen Aktionen strebten die Jungdemokraten »die Emanzipation des einzelnen über die Emanzipation einer Gruppe«127 an, wodurch die Erziehung der Schule bzw. des Betriebs zur »politischen Unmündigkeit und [. . .] Christentum«-Papiers auf der BDK betonte man den Einfluss des nordrhein-westfälischen Landesverbandes: »Wir aus NRW haben aber, wie sich absehen läßt, schon jetzt dazu beigetragen, daß die BDK ein großes Echo in der Öffentlichkeit haben wird« (Gerigk, Kommentar zur LDK 1973, in: ebd. 2/1973, 3). 124 Maier in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 11. 2007. So habe es einige Landesverbände gegeben, die sich auf die Parteiarbeit beschränkt und damit eine Politik im Sinne des ersten Weges weitgehend ausgespart hatten. 125 Zur Veranschaulichung dieser Prämisse sei Gerigk-Groht aus ihrem Rechenschaftsbericht zum Ressort »Emanzipation« zitiert: »Nach der Verabschiedung des Manifests zur Gleichberechtigung, Emanzipation und Politisierung der Frau auf der LDK ’72 und auf der BDK ’72 stellte sich als Hauptaufgabe, die Durchsetzung der Beschlüsse im Rahmen der Zwei-Wege-Strategie einzuleiten« (DJD NRW Info 6/1972). 126 Gerigk berichtete von der Gründung einer radikal-demokratischen Schülerjugend in Hagen, die bis in die 1980er Jahre hinein Bestand hatte. »Wir haben 50 Flugblätter irgendwo an die Fensterscheiben geklebt, auf denen ein Treffpunkt vermerkt war. Schnell waren über 50 Leute da, mit denen wir dann Marx und so was alles gelesen haben. Das war schon eine sehr politische Zeit« (Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 18. 2. 2006). 127 Art. »Jungdemokraten bemühen sich um Emanzipation der Schüler. Interessantes Schulungsseminar zur Schüleraktivierung«, in: Wochenanzeiger vom 28. 2. 1972 (vgl. auch Art. »Schulungsseminar auf Landesebene Dinslaken. Jungdemokraten wollen Schüler unterstützen«, in: Nordrheinische Zeitung vom 28. 2. 1972).
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kritiklosen Anpassung an die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse«128 enttarnt und bekämpft werden sollte. Auch praktizierten die Jungdemokraten die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, was sie immer auch zugleich in die Situation brachte, die jeweiligen Koalitionen zu rechtfertigen.129 Die Gründung des Liberalen Hochschulverbands als Nachfolgeinstitution des Liberalen Studentenverbunds Deutschlands im April 1972 ging auf die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten zurück. Anders als auf Bundesverbandsebene, wo es aufgrund der Grundsatzdiskussion Anfang 1972 zu einer relativen Stagnation im Blick auf die Arbeit an konkreten politischen Themen gekommen war, florierte diese Arbeit im nordrhein-westfälischen Landesverband, was auch darauf verwies, dass sich der im April 1971 eingeschlagene progressiv-linksliberale Kurs der Jungdemokraten weitgehend konsolidiert hatte. So war es auch nicht weiter verwunderlich, als die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten Ende 1971 die inhaltliche Auseinandersetzung um das Verhältnis von Staat und Kirche in Angriff nahmen, deren Trennung man im »Leverkusener Manifest« als eines jener liberalen Ziele, deren Verwirklichung zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen sollten, defi niert hatte.130 2.2. »Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Gruppen«131 in Sachen Staat und Kirche – Die Humanistische Union 1961 bis 1974 Im November 1971 beschloss der Landesvorstand der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten, »eine PG [Projektgruppe] zu gründen, die sich mit 128 Art. »Jungdemokraten bemühen sich um Emanzipation der Schüler. Interessantes Schulungsseminar zur Schüleraktivierung«, in: Wochenanzeiger vom 28. 2. 1972. 129 Auf der Landesratssitzung vom 5./6. 5. 1973 hatte man daher die Aussagen des Leverkusener bzw. »Duisburger Manifests« zur Bündnispolitik konkretisiert (vgl. Hundt, Art. Den Kapitalismus überwinden – mit wem? Zur Bündnisfrage der Jungdemokraten, in: DJD-aktuell 16/1974, 16). Die »demokratischen Sozialisten«, zu denen die Jusos, Falken, Gewerkschaften und die SPD gezählt wurden, bezeichnete man dabei als potentielle und dauerhafte Bündnispartner (ebd., 18). Eine punktuelle Kooperation mit der DKP, anarchistischen sowie maoistischen Gruppen schloss man für den Fall nicht aus, dass »die Jungdemokraten gleichberechtigt ihre Ziele vertreten können und diese Gruppen nicht so vorgehen, daß ihre Taktik derjenigen der Jungdemokraten widerspricht« (ebd.). Deutlich war und blieb die Ablehnung eines Bündnisses mit politisch ›konservativen‹ Gruppen, unter die man u. a. die Unionsparteien, die JU, Schüler-Union, den RCDS und den SLH subsumierte. 130 »Konsequenter Ausbau und Weiterentwicklung der staatlichen Demokratie durch Verwirklichung liberaler Ziele, die bisher gegen reaktionäre und konservative Gruppen auch in der F.D.P. nicht durchgesetzt werden konnten, wie z. B. Trennung von Staat und Kirche, freie Wahl zwischen Wehr- und Zivildienst, konsequente Gewaltrennung, direkte Formen der Demokratie usw.« (Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 308). 131 Ebd., 306.
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der Rolle der Kirchen auseinandersetzen soll.«132 Die Humanistische Union stellte nun eine jener demokratischen Gruppen dar, mit denen man im Sinne der Bündnispolitik und basispolitischen Arbeit eine »Aktion für Trennung von Staat und Kirche«133 durchführen wollte. Bestand die inhaltliche Gemeinsamkeit der Gruppen ganz grundsätzlich in ihrem Einsatz für eine Trennung von Staat und Kirche, so existierten auch personelle Verbindungen, auf die die Kooperation letztlich zurückzuführen war. So waren Robert Maier und Ingrid Matthäus beide in der Humanistischen Union und Humanistischen Studentenunion Münster, und auch der politische Referent der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten Norbert Knabenbauer sowie Peter Rath gehörten der Humanistischen Union an. Die Verbindung zwischen Humanistischer Union und den Jungdemokraten war für die Ideologie und Entstehung des »Liberalismus und Christentum«-Papiers von großer Bedeutung, doch wurde ihr bisher zu wenig Bedeutung beigemessen. Im Folgenden soll daher aufgezeigt werden, wie man hinsichtlich dieses gemeinsamen Anliegens in den Jahren 1972, also ein Jahr, bevor die Jungdemokraten ihre Forderungen verabschiedeten und in die FDP brachten, bis 1974 in Kooperation trat. Die Grenzen jener Kooperation zeigten sich sowohl in organisatorischer als auch inhaltlicher Hinsicht, dennoch wird zu zeigen sein, dass das Ende Januar 1973 vorgelegte »Liberalismus und Christentum«-Papier der Jungdemokraten aus dieser gemeinsamen Arbeit von Jungdemokraten und Humanistischer Union hervorging.134 Diese These wird ebenfalls gestützt durch Äußerungen des Beauftragten der evangelischen Kirchen bei der Landesregierung NRW Albrecht von Mutius. In einem Referat, das er im Mai 1973 vor dem Öffentlichkeitsausschuss der Rheinischen Landessynode hielt, stellte er fest, dass das Papier »aus einer früheren Ausarbeitung, die in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Union entstand, [. . .] deren Verabschiedung damals aber an Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Humanistischen Union scheiterten [. . .]. Diese Arbeit soll dann im Ortsverein Hagen der Deutschen Jungdemokraten eingebracht und umgearbeitet worden sein, um sie in neuer Form der Landesdelegiertenkonferenz zuzuleiten.«135 132
DJD-aktuell 25/1971, 8. Ebd. 134 Vgl. auch Bericht über den Kongress »Freie Kirchen in der freien Gesellschaft«, in: Mitteilungen Nr. 69, 4/1974, 23: »Das Verhältnis von Staat und Kirche schien kein politisches Thema mehr zu sein, da auch die SPD ihren Frieden mit dem status quo geschlossen hatte. Diesen Frieden störten nach teils spektakulären, teils stillen Vorarbeiten der HU die Jungdemokraten, als sie 1973 ein Thesenpapier verabschiedeten, das zum Beschluß des FDP-Parteitages ›Freie Kirchen im freien Staat‹ führte.« 135 Referat von Mutius, »Zu den Forderungen der Jungdemokraten – Hintergründe und Stand der Diskussion« vor dem Öffentlichkeitsausschuss der Rheinischen Landessynode am 16. 5. 1973, 5; EZA 87/662. Siehe Kap. II.3. 133
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2.2.1. Gründung der Humanistischen Union – Gerhard Szczesny: Die Zukunft des Unglaubens Die Gründung der Humanistischen Union ist auf das Wirken des deutschen Kulturphilosophen und Publizisten Szczesny zurückzuführen.136 Am 6. 6. 1961 schickte dieser ein Rundschreiben an einen Adressatenkreis von »200 Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens«137 mit dem »Vorschlag, eine ›Humanistische Union‹ zu gründen«. In dem vier Seiten langen Schreiben explizierte Szczesny sein Anliegen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Humanistischen Union. So konstatierte er einen immer offensichtlicher werdenden Prozess der »Entmündigung und Gleichschaltung, diesmal im Namen der christlichen Heilslehre«138 . Die im Grundgesetz festgeschriebenen menschlichen Rechte der freien Persönlichkeitsentfaltung, der Glaubens- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, freien Meinungsäußerung etc. würden durch die Existenz einer »christlich-kon fessionalistische[n] Regierungspraxis« nicht mehr gewährleistet. Die poli136 »Linker [. . .], SPD-Genosse, Atheist und antiklerikaler Autor«, so lauteten die Attribute, die der Spiegel in einem Artikel über die Linken von 1970 durchaus zutreffend auf den in Sallewen/Ostpreußen geborenen Gerhard Szczesny (1908–2002) anwendete (vgl. Art. »Himmel oder Hölle«, in: Spiegel 37/1970, 180). Der Gründungsaufruf hatte für Szczesny mittelbar berufl iche Konsequenzen. So hatte er bereits 14 Jahre lang als Redakteur im BR gearbeitet und dem Referat Erwachsenbildung vorgestanden, als 1961, kurze Zeit nach Gründung der HU, eine von ihm konzipierte Sondersendung über den Katholizismus kurzerhand und ohne Rücksprache abgesetzt wurde, was Szczesny wiederum zur unmittelbaren Kündigung veranlasste. Der Spiegel berichtete über diesen Vorfall (vgl. Art. »Wallenreiter-Wellenreiter«, in: Spiegel 50/1961, 34 f.). Interessant waren die Umstände, die zur Absetzung der Sendung geführt hatten. So war diese auf Initiative des neuen Intendanten und Katholiken, Christian Wallenreiter, vollzogen worden und hatte dabei die Unterstützung von Karl Forster, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern, gefunden, der seit Januar 1960 Mitglied im Rundfunkrat war. Wallenreiter hatte laut Bericht der CSU-Korrespondenz nach seinem Amtsantritt die »Akzentberichtigung in Personalzusammensetzung und Programmgestaltung« als eines seiner Ziele artikuliert, die sich nach dem Motto »Kein Rotfunk im Rundfunk« vollziehen sollte (zit. nach ebd.). Dass Szczesny als SPD-Mitglied und ehemaliges Mitglied der evangelischen Kirche dabei der falschen Partei und auch mal der ›falschen‹ Konfession angehört hatte, spielte bei dem Affront gegen ihn wohl eine entscheidende Rolle. Der Spiegel erachtete nun die Gründung der HU als das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen gebrachte hatte: »Da Szczesnys Bemühen, das Bayernvolk fortzubilden, über jeden Tadel erhaben war, konnte ihn kirchlicher Bann erst treffen, als er zusammen mit den Professoren Rene König und Alexander Mitscherlich am 26. August dieses Jahres eine ›Humanistische Union‹ gründete [. . .]. Und prompt erregte Szczesnys Programmgestaltung innerhalb der nächsten drei Wochen den Unwillen des Rundfunkrats« (ebd.). Jenes Ereignis dürfte Szczesny in seinem Vorgehen gegen »Klerikalisierung« und »Konfessionalisierung« bestärkt haben. Szczesny leitete seinen eigenen Szczesny-Verlag von 1962 bis 1968, in dem er unter anderem auch das Jahrbuch für kritische Auf klärung, den Club Voltaire, veröffentlichte. 137 Schreiben Szczesny vom 6. 6. 1961; IfZ Ed 445-23. Die folgenden Zitate ebd. 138 Mit dem Wort diesmal grenzte sich Szczesny ab von der »Entmündigung und Gleichschaltung« im Kontext der jüngsten Vergangenheit des Nationalsozialismus (ebd.). Hervorhebung T. M. E.
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tischen Parteien handelten entgegen ihrer Bestimmung, »die religiös-weltanschauliche und kirchliche Unabhängigkeit unseres Staates zu hüten«, indem sie sich christlichen Prinzipien verschrieben oder sich sogar dezidiert als christliche Partei verstünden. Szczesnys Kritik richtete sich in diesem Zusammenhang primär gegen die CDU und ihre Politik.139 Seine Äußerungen müssen auf dem Hintergrund der Dritten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages 1957 bis 1961 und ihrer Gesetzesbeschlüsse eingeordnet werden, in denen sich für ihn der Einfluss »der restaurativen Kräfte im allgemeinen und [. . .] einer Gruppe politisierender Christen im besonderen«140 widerspiegele. Die CDU/CSU verfügte über die absolute Mandatsmehrheit und konnte daher Gesetzesbeschlüsse durchsetzen, die u. a. die Erschwerung der Ehescheidung und die »Konfessionalisierung« des Schulwesens betrafen.141 Damit einher ging Szczesnys Kritik an den Kirchen, insbesondere an der katholischen Kirche, die sich immer mehr in die Belange des gesellschaftlichen Lebens dränge und im säkularen Bereich ihren Absolutheitsanspruch durchzusetzen versuche.142 Szczesny sah in diesen Tendenzen die Entwicklung hin zu einer baldigen Verwirklichung des »perfekten christlichen Weltanschauungs-Staat[es]«143 begonnen. Dem wollte er entgegenwirken, wofür auch die Wahl des Zeitpunktes seines Gründungsaufrufes spricht, schließlich fanden in drei Monaten, am 17. 9. 1961, die nächsten Bundestagswahlen statt.144 In seinem Gründungsaufruf trat er für die Gewährleistung einer humanen, offenen Gesellschaft ein, die frei sein sollte von den Einflüssen des Christentums und in der es dem Menschen möglich sein musste, zwischen verschiedenen Weltanschauungen und Lebensformen wählen zu können, ohne dass 139 »Eine Partei jedoch, die das Bekenntnis zum Christentum in den Katalog ihrer gesellschaftlichen Forderungen aufnimmt, verneint damit jene Verfassungsgrundsätze, die die ungeschmälerte Bekundung auch einer nicht-christlichen Auffassung garantieren. Die bloße Existenz ›christlicher Parteien‹, die als Volks- und Regierungsparteien im Namen aller Bürger der Bundesrepublik zu sprechen und zu handeln vorgeben, erzeugt jenes fatale Klima der Heuchelei und des Obskurantismus, der opportunistischen Willfährigkeit und Oberfl ächlichkeit, in dem zu leben wir gezwungen sind« (ebd.). 140 Vorgänge 12/1963, 377 f. 141 Siehe Kap. I.3.2. 142 So konstatiert Müller-Heidelberg, ebenfalls Mitglied der HU, dass der eigentliche Anstoß für Szczesny, den Gründungsaufruf zu verfassen, »das Verbot einer Aufführung von Mozarts Figaro wegen des ›unsittlichen‹ Bühnenbilds auf Veranlassung der katholischen Kirche« gewesen sei (Müller-Heidelberg, Union, 140). 143 Schreiben Szczesny vom 6. 6. 1961; IfZ 445-23. 144 Szczesny gehörte zu einem Kreis von westdeutschen Schriftstellern, die sich in einem 1961 im linken Rowohlt Verlag erschienenen Taschenbuch mit dem Titel »Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?« zur anstehenden Bundestagswahl äußern. Weitere Mitglieder waren u. a. Günter Grass, Carl Amery (kath.), Siegfried Lenz, Hans Werner Richter, Gerhard Schoener und Martin Walser (vgl. Art. »Schlagt der Äbtissin ein Schnippchen. Schriftsteller Günter Grass zur Bundestagswahl«, in: Spiegel 32/1961, 21).
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es ihm zum Nachteil gereichen könnte.145 Die individuelle Freiheit des Menschen, sein Leben in einer so gearteten humanen Gesellschaft zu gestalten, sah Szczesny durch den offensichtlichen christlichen Einfluss der vorherrschenden Regierungspraxis nicht mehr gewährleistet. Einige Erläuterungen zu Szczesnys Christentum-Kritik sind an dieser Stelle notwendig, da er nicht nur der Gründer der Organisation Humanistische Union war, sondern gleichfalls auch als ihr geistiger Mentor angesehen werden muss.146 Szczesny ging es nicht um eine grundsätzliche Verdrängung des Christentums als Religion. Er suchte den offenen kritischen Dialog mit Vertretern aller großen Weltreligionen, wie viele seiner zeit- und religionskritischen Schriften belegen.147 Sich selbst als »Nichtchrist«148 bezeichnend, betont er seinen Respekt vor dem Christentum »nicht nur als Glaubensbekenntnis, sondern auch als weltbewegende historische Erscheinung, die zwei Jahrtausenden ihr Siegel aufgeprägt hat.«149 Die Lektüre seines Buches »Die Zukunft des Unglaubens« sowie des Briefwechsels, den er mit dem katholischen Historiker und Kulturphilosophen, Friedrich Heer,150 über jenes Buch führte, geben Einblick in die 145 »Es gilt die Zwangsvorstellung zu überwinden, daß der gottlose Mensch ein minderwertiges Subjekt, eine zu völligen Ruin aller menschlichen Ordnung führende nihilistische Existenz nur eine schlechterdings teufl ische Ordnung sei, die mit allen Mitteln zu bekämpfen wahre Einsicht, Humanität und Christlichkeit verrate« (Szczesny, Zukunft, 10). 146 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Szczesny immer wieder betonte, dass die persönliche Einstellung zu Christentum und Religion keine Rolle im Blick auf eine Mitarbeit in der HU habe, mehr noch, dass man diese Einstellung dort gar nicht wissen wollte: »Die Humanistische Union ihrerseits wünscht weder zu erfahren, wie und woher Herr -mpe seinen noch wie und woher ich meinen Humanismus ableite. Sie fordert von ihren Mitgliedern keine Angaben über die Religionszugehörigkeit, sondern einzig und allein die Bereitschaft, schlicht-menschliche Probleme nach allgemeinverbindlichen Grundsätzen auf allgemeinverbindliche Ziele hin zu lösen« (Art. »Die Humanität der Humanistischen Union«, in: Vorgänge 4/5//1962, 3). 147 So hat er bspw. eine Umfrage über metaphysische Grundfragen mit Repräsentanten des Judentums, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus und Buddhismus durchgeführt (zur Darstellung der Ergebnisse dieser Umfrage vgl. Szczesny, Antwort). 148 Vgl. Ders., Zukunft (hier den Untertitel). 149 Ebd., 10. 150 Der in Wien geborene Friedrich Heer (1916–1983) studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität in Wien, wo er 1938 mit einer Arbeit zur Geistesgeschichte des Mittelalters zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. 1936 wurde er als ordentliches Mitglied in das Österreichische Institut für Geschichtsforschung aufgenommen. Seine entschiedene Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, die für ihn mehrfache Inhaftierungen zur Folge hatte, zeigte sich u. a. in der Gründung einer katholischen Widerstandsgruppe und den Bemühungen um einen organisierten Zusammenschluss von Christen, Kommunisten und Gewerkschaftlern gegen die Protagonisten des Nationalsozialismus. Nach seiner Tätigkeit als Soldat, als der er immer auch Kontakt zur Wiener Widerstandsgruppe »Soldatenrat« hatte, arbeitete er von 1946 bis 1961 als Redakteur der österreichischen kulturpolitischen Wochenzeitschrift Die Furche, bevor er ab 1961 Chedramaturg am Wiener Burgtheater wurde. Zeit seines Lebens kämpfte Heer gegen
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Auseinandersetzung Szczesnys mit dem Christentum bzw. der christlichen Religion.151 In seinem Buch »Die Zukunft des Unglaubens« beschrieb Szczesny folgendes Phänomen: Der moderne Mensch befi nde sich in einer Glaubenskrise. Seit je her bestimmt durch existentielle Fragen, »wie denn wohl die Welt und die Rolle die sie [sc. die Menschen] darin zu spielen haben, zu verstehen sei«,152 strebe er danach, eine Antwort auf diese Fragen zu fi nden. Das Christentum könne darauf keine befriedigende Antwort mehr geben, seine »unglaubwürdig geworden[e] Metaphysik«153 verhindere jeden vernünftigen Dialog mit den existentiellen Fragen des Menschen. Es sei nicht in der Lage, »den Menschen als ein vielfältig geschichtetes und in steter Veränderung begriffenes Wesen zu sehen«154, jegliche Referenz auf eine moderne Anthropologie sei somit ausgeschlossen. Ebenso seien Wissenschaft und Philosophie so stark vom »unausgetragene[n] Konfl ikt mit der christlichen Metaphysik«155 beeinflusst, dass auch sie dem Menschen eine Antwort schuldig blieben. Der Zustand der modernen Gesellschaft sei zunehmend von Glaubenslosigkeit geprägt, ein Schicksal, welches längst nicht mehr nur vereinzelte Menschen träfe, sondern vielmehr zum Phänomen »des zeitgenössischen westlichen Menschen«156 geworden sei. Diese Glaubenslosigkeit müsse im Sinne einer »Interesselosigkeit an dem, was man ›Glaube‹ und ›Religion‹ nennt«157 verstanden werden; das Interesse, sich mit dem, was in jenen »Bereich, mit dem es die Religionen zu haben«158 hinein fällt, auseinanderzusetzen, sei dem Menschen jedoch nach wie vor ein großes Bedürfnis. Auf der Suche nach einem Weg, »mit seinem Leben, dessen Tragödien und Problemen fertig zu werden«159, kreiere er sich eine eigene Weltanschauung, die sein Bedürfnis nach einer umfassenden Deutung der Dinge stillen solle. Er tue dies unabhängig von einer bestimmten religiösen oder philosophischen
religiös oder politisch motivierten Antisemitismus. Der »Non-Konformist par excellence«, wie Luchtenberg ihn 1960 bezeichnete, konnte als Reformkatholik im Sinne der in Kap. I. gemachten Defi nition verstanden werden, was sich u. a. in seinem Einsatz für KarlHeinz Deschner im Jahre 1974 zeigte, als dieser sich dem Vorwurf der Gotteslästerung stellen musste. 151 Vgl. Heer/Szczesny, Glaube. Dieser Briefwechsel ist trotz des Charakters eines scharf und durchaus temperamentvoll geführten Streitgesprächs von gegenseitigem Verständnis und Respekt füreinander geprägt. 152 Szczesny, Zukunft, 10. 153 Ebd., 9. 154 Ebd., 148. 155 Ebd., 12. 156 Ebd., 11. 157 Ders., Antwort, 5. 158 Ebd. 159 Ders., Zukunft, 12.
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Autorität, indem er sich »den Dingen selbst«160 zuwende und eigene Erklärungszusammenhänge entwickele. Parallel zu dieser Glaubenskrise der modernen Gesellschaft, so Szczesny weiter, vollzöge sich eine Entwicklung, die er als »Renaissance des Christentums«161 bezeichnete. Diese Renaissance, die als Reaktion auf die Ereignisse der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu verstehen sei, bestehe jedoch nicht in einer Wiederentdeckung des christlichen Glaubens, etwa im Sinne eines wieder auf kommenden Fürwahrhaltens der christlichen Heilslehre, sondern lediglich in einer erneuten Betonung von »Geltung und Autorität« des Christentums »als einer allgemeinverbindlichen moralischen Institution«162 . Der Einfluss der christlichen Religion als »nicht mehr geglaubte[s], aber doch in Geltung befi ndliche[n] [. . .] Dogma[s]« habe sich weit in das Bewusstsein der Gesellschaft gedrängt und entscheidende Bereiche so stark geprägt, dass es dem gottlosen Menschen zunehmend schwerer würde, sich diesem Einfluss zu entziehen. Auch der Begriff der Religion sei durch den Einfluss des Christentums so stark mit »christlichen Glaubensvorstellungen und Gefühlswerten«163 konnotiert, dass er als Vokabel für eine bestimmte Weltdeutung nicht mehr fungieren könne.164 Durch diese Gleichsetzung von Christentum und Religion würden andere Vorstellungen automatisch diskreditiert.165 Es liege ein falsches Selbstbewusstsein der christlichen Religion vor, wenn sie meine, ihre Überzeugungen und Wertevorstellungen seien universal auf eine Gesellschaft anzuwenden.166 160
Ebd., 13. Ebd., 9. Die folgenden Zitate ebd. 162 »Der Versuch der Wiederentdeckung und Wiedererweckung des Christentums als einer allgemeinverbindlichen moralischen Institution hat nun allerdings an der Tatsache, daß der eigentliche Inhalt der christlichen Heilslehre für einen vorherrschenden Typ des zeitgenössischen Menschen unannehmbar und gleichgültig geworden ist, nichts geändert« (ebd.). 163 Ebd., 13. 164 Szczesny zog daher den Begriff der Weltanschauung vor und plädierte für dessen Aufwertung: »Wenn mit manchen anderen Vokabeln auch Wort und Begriff der ›Weltanschauung‹ in Verruf geraten sind, seitdem die Propagandisten der deutschen Rebarbarisierung sich ihrer bemächtigt hatten, glauben wir sie doch nicht entbehren zu sollen. [. . .] Eine Wiederaufwertung des diskreditierten Begriffs der ›Weltanschauung‹ scheint uns möglich, so man sich entschließt, ›Welt‹ als Inbegriff alles dessen zu verstehen, was das All an Bekanntem und Unbekanntem enthält, und die ›Anschauung‹ dieses kosmischen Gesamtzusammenhanges nicht nur auf die rationale Erkenntnis, sondern auch auf das intuitive Erfassen zu beziehen« (ebd.). 165 »[S]olange die Identifi kation von Christentum und Religion aufrechterhalten wird, werden alle nichtchristlichen, aber potentiell gläubigen Zeitgenossen in einen reinen Agnostizismus oder Positivismus geradezu hineingezwungen« (Heer/Szczesny, Glaube, 43; zweiter Brief Szczesny an Heer). 166 »Dem christlichen Weltbild und dem christlichen Wertgefühl wird eine Universalität und damit Allgemeinverbindlichkeit zugesprochen, die es nicht besitzt. Alle nicht christlichen Anschauungen und Verhaltensweisen jedoch werden so behandelt, als wären 161
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
So konstatiert Szczesny im Blick auf eine humane freie Gesellschaft, dass das gesellschaftliche Leben natürlich auf einem stabilen Fundament von allgemein-verbindlichen Werten und Institutionen beruhe, die das Miteinander der Menschen regulieren und ihren Zusammenhalt verbürgen. Diese humanen Werte seien dem Menschen aber von Natur aus, in Form einer »›natürlichen‹ Ethik«167, zu eigen, sie bestünden in den Tugenden »Rechtlichkeit und Redlichkeit, Duldsamkeit und Fairness, Offenheit und Sachlichkeit, Verständigungs- und Hilfsbereitschaft«168 . Somit müssten es nicht dezidiert christliche Maßstäbe sein, die diese Funktion übernehmen.169 Szczesny wandte sich in diesem Kontext ebenfalls gegen die erweiterte Gleichsetzung von »›Christentum‹, ›Religion‹ und ›wahrer Menschlichkeit‹«170, die durch eben jene Vorherrschaft spezifisch christlicher Werte aufrechterhalten würde. Die Vorstellung, »daß nur das Fürwahrhalten der christlichen Glaubenspostulate die Welt retten kann«171, widerspreche der Lebens- und Glaubensweise des modernen Menschen, sie würde »die glaubenslose Zeit gewaltsam verlängern und immer neue Generationen dem Stumpfsinn, der Oberflächlichkeit und dem Zynismus in die Arme treiben.«172 Deutlich wird an dieser Stelle Szczesnys Kritik an den Kirchen als Trägerinnen der christlichen Religion. Schon längst wüssten diese um ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit. Doch anstatt sich dem entsprechend in ihrem Einfluss zurückzunehmen, »sehen sie sich zu Anpassungs- und Reformversuchen gezwungen, die der Entchristlichung Einhalt gebieten sollen. Man versuche eine Aufwertung des Christentums, indem man es so nahe wie möglich an die ›Wirklichkeit‹, an den ›Alltag‹ rückt.«173
Doch die Wirklichkeit liefere ein anderes Bild. Ihr werde man nur dann angemessen gerecht, wenn man den Prozess der Auflösung des Christenes die Verirrungen einer Minderheit von Toren und Bösewichtern« (ebd., 23; erster Brief Szczesny an Heer). 167 Ebd., 82 (vierter Brief Szczesny an Heer). 168 Szczesny, Zukunft, 290 (siebter Brief Szczesny an Heer). Die Darstellung des Briefwechsels in »Glaube und Unglaube« endete mit dem sechsten Briefwechsel. 169 »Alle Moralsysteme, die daher leugnen, daß es im Menschen selbst eine sichere Basis für ein humanes Verhalten gibt, und die die Ansicht verbreiten, er wäre nur durch transzendente Anweisungen zu einem menschlichen Betragen zu bewegen, leisten dem Immoralismus Vorschub und setzen sich überdies dem Verdacht aus, daß es ihnen gar nicht so sehr auf das Verhalten des Menschen als vielmehr auf sein Glaubensbekenntnis ankommt« (ebd., 142. Vgl. das Ethik-Verständnis des »geläuterten Liberalismus«, das sich als dezidiert Christliches versteht. Siehe Kap. I.2.1.). 170 Szczensy, Zukunft, 164. 171 Ebd., 142. 172 Ebd. 173 Ebd., 161.
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tums174, den Szczesny als »Verwandlung des ›Gläubigen‹ in den ›Ungläubigen‹«175 bezeichnete, erkenne und die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehe. So sei der Mensch in Bezug auf die christliche Religion glaubenslos, dies beinhalte aber, erinnert man sich an das Postulat Szczesnys, die Gleichsetzung von Religion und Christentum aufzulösen, keinesfalls andere religiöse Überzeugungen.176 Das Recht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, und das beinhalte ebenfalls, sich »zu einem Glauben zu bekennen, der den überlieferten Vorstellungen widerspricht«177, müsse daher uneingeschränkt gewährleistet werden.178 Somit müssten alle gesellschaftlichen Bereiche von überkommenen christlichen Einflüssen befreit werden, weil erst dann der Mensch in totaler (Wahl-)Freiheit leben könne. Alle erwähnten Forderungen, die sich aus der Analyse der modernen Gesellschaft ergaben, mündeten in die Aufgabe der Humanistischen Union, »für die Wahrung oder Wiederherstellung unserer Grundrechte zu sorgen, die gemeinschaftlichen Werte und Einrichtungen unseres Staates verteidigen, für eine freie und weltoffene Erziehung, Bildung und Forschung einzutreten und alles zu tun, was geeignet ist, die wahre Struktur und Stärke der religiösen, philosophischen, weltanschaulichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und existenziellen Strömungen in unserer Gesellschaft zum Vorschein und zur Geltung zu bringen.«179
174 Heer machte gleich zu Beginn seines ersten Briefes, der Antwort auf Szczesnys Anfrage, mit ihm in einen solchen Dialog zu treten, deutlich, dass genau darin, in der »Überzeugung, daß sich das Christentum in einem geschichtlichen Liquidationsprozeß befi ndet, von dessen Tiefgang und Ausmaß sich seine Freunde und Feinde oft noch keine rechten Vorstellungen machen« (Heer/Szczesny, Glaube, 9) eine Gemeinsamkeit zwischen Szczesny und Denkern des Katholizismus – als Beispiel nannte Heer Reinhold Schneider – bestehe. Im Unterschied zu Szczesny, der diese »Zukunft des Unglaubens« als beinahe verwirklicht betrachtete, sah Heer das Ende des Christentums jedoch noch nicht gekommen, sondern vielmehr immer wieder aufs Neue entstehend: »Das ist nämlich das Komische [. . .] am Christentum: mitten in seiner offensichtlichen Hinfälligkeit werden Prozesse neu wachsenden Lebens in ihm entbunden. Immer ist um dieses ständig verwesende Christentum Abendröte und Morgenröte zugleich« (ebd., 17 f.). Diese divergierende Grundhaltung zur Relevanz des Christentums durchzieht den gesamten Dialog. 175 Szczesny, Zukunft, 59. 176 »Meine Beweisführung geht [. . .] von zwei Grundthesen aus: daß nämlich der Mensch erstens human sein kann, ohne einer spezifi sch religiösen Überzeugung anzuhängen, und daß er zweitens religiös sein kann, auch wenn seine Glaubensvorstellungen von prinzipiell anderer Art sind als die des Christentums« (Heer/Szczesny, Glaube, 41 f.; zweiter Brief Szczesny an Heer). 177 Szczesny, Zukunft, 159. 178 Szczesny konstatierte eine Vielzahl von Glaubensrichtungen, aus denen der Mensch frei wählen könne. Die Umfrage mit Vertretern der Weltreligionen hatte zum Ziel, »über diese verschiedenen Glaubensmöglichkeiten genauer zu informieren und [. . .] deutlich zu machen, daß sich auch hinter schwerverständlichen theologischen Lehrsätzen Probleme verbergen, die jeden von uns betreffen« (Ders., Antwort, 5). 179 Ebd.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Die »[. . .] weder neue noch besonders revolutionäre [. . .] Forderung nach klarer Trennung von Staat und Kirche«180 war ein Schritt, das angestrebte Ziel einer Beseitigung des christlichen Einflusses zu verwirklichen und sollte somit einer der Schwerpunkte in der Arbeit der Humanistischen Union werden. 2.2.2. Struktur und Arbeitsweise Die Reaktionen auf Szczesnys Aufruf fielen positiv aus. Bis zum 19. 7. 1961 erhielt er 86 Rückmeldungen, die die Gründung einer solchen Organisation befürworteten.181 Die Humanistische Union hatte, dem Gründungsaufruf Szczesnys folgend, zum Ziel, sich als »Gegenöffentlichkeit zur herrschenden christlich-konservativen Grundstimmung der Adenauer-Ära«182 zu etablieren. Schon vor Gründung der Humanistischen Union wurden in ersten Gesprächen mit ihren Befürwortern grundlegende Aspekte verhandelt, die bei ihrer Installierung eine Rolle spielen sollten. Neben der Frage, ob der Name geeignet sei, und welche Personengruppe dazu gehören sollte, thematisierte man, ob sich die Humanistische Union als neue Partei verstehen wollte. Szczesny verneinte dies ausdrücklich und nannte als Basis ihrer Arbeit »ein unmißverständliches Ja zu den Grundprinzipien der Demokratie und ein unmissverständliches Nein zu allen totalitären und autoritären Praktiken.«183 Ziel sollte sein, losgelöst von den politischen Strukturen in der Öffentlichkeit zu agieren und ebenfalls unabhängig vom Netz der politischen Parteien Einfluss auf jene ausüben. Die offizielle Gründung der Humanistischen Union erfolgte am 28. 8. 1961, zu einem Zeitpunkt, als die Bundesrepublik innenpolitisch durch die Ereignisse des Mauerbaus zwischen Ost- und Westdeutschland, der zwei Wochen zuvor am 13. 8. begonnen hatte, und den anstehenden Wahlen zum vierten Bundestag, die rund drei Wochen später, am 17. 9. 1961, stattfanden, bestimmt wurde. Bei der Gründungsversammlung, an der 18 »christlich[e] und nicht-christlich[e]«184 Personen teilnahmen, wurde auf der Basis vereinsrechtlicher Bestimmungen eine Satzung verabschiedet. Man wählte einen fünf köpfigen, zwei Jahre amtierenden Vorstand unter dem Vorsitz von 180
Ebd., 271. Vgl. Schreiben Szczesny vom 19. 7. 1961; IfZ Ed 445-23. 182 Art. Wik. Humanistische Union. 183 Schreiben Szczesny vom 19. 7. 1961; IfZ Ed 445-23. Diese Einstellung wurde beibehalten, betrachtet man eine Befragung der Mitglieder der HU, die Hofmann im Jahre 1966 mit 239 Mitgliedern der HU durchführte. Von 4/5 der Befragten wurde eine Umwandlung in eine Partei nicht angestrebt (vgl. Hofmann, Union, 112). 184 Schreiben Szczesny von September 1961; IfZ Ed 445-23. Leider ist keine vollständige Namensübersicht der Gründungsmitglieder überliefert. 181
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Szczesny.185 Neben der Mitgliederversammlung etablierte man einen Beirat, der den Vorstand in der Führung seiner laufenden Geschäfte, vor allem in Sachfragen, beraten sollte.186 Nach und nach gründeten sich Ortsverbände und Arbeitsgruppen, in denen sich die Arbeit der Humanistischen Union vollzog.187 In Bezug auf ihr Auftreten und ihre Arbeitsform kann man die Humanistische Union mit Hofmann als »Funktionsgruppe«188 bezeichnen, die durch gezielte Maßnahmen dort in Aktion trat, wo sie in politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen jene Grundprinzipien der Demokratie nicht mehr gewährleistet sah. Durch Vorträge, Diskussionsforen, Untersuchungen und Publikationen versuchte die Humanistische Union ihre Ziele zu erreichen und neue Mitglieder zu gewinnen. Im Januar/Februar 1962 erschien die erste Ausgabe der Mitteilungen, einer Zeitschrift, die zunächst alle zwei Monate, dann vierteljährlich erschien und nach wie vor erscheint. Der Bundesvorstand und die Bundesgeschäftsstelle, deren Sitz in München war, informierten darin ihre Mitglieder über die laufende Arbeit. Auch beinhaltete sie Nachrichten aus der Arbeit der Ortsverbände und der Humanistischen Studentenunion.189 Die vierteljährlich erscheinenden Vorgänge, eine Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, deren Mitherausgeberin die Humanistische Union war, berichtete über die Geschehnisse, die die freiheitliche und demokratische Entwicklung der BRD fördern oder gefährden. Die Vergrößerung der Humanistischen Union und ihre damit verbundene Etablierung in der Öffentlichkeit brachten es mit sich, dass sie sich Mitte der 1960er Jahre zunehmend mit organisatorischen und strukturellen Problemen auseinandersetzen musste. Im Jahre 1967 kam es zu einer umfassenden Satzungsänderung und damit Umstrukturierung der Humanistischen Union, die dem Ruf nach mehr innerverbandlicher Demokratie gerecht werden wollte.190 185 Vgl. ebd. Des Weiteren wurden gewählt: Otto Bickel (Nürnberg), Jürgen Böddrich (München), der Soziologe Rene König (Köln) sowie der Psychoanalytiker und Schriftsteller, Alexander Mitscherlich (Heidelberg). 186 Vgl. Mitteilungen Nr. 13, 1/2//1964, 2. 187 Hofmann zählt im Jahre 1967 34 Ortsgruppen der HU und weist darauf hin, dass diese sich vor allem in großstädtischen und industriellen Gebieten gebildet haben (vgl. Hofmann, Union, 13). Der Spiegel nennt für das Jahr 1967 Ortsverbände »in 32 Städten und 19 Hochschulgruppen« (Art. »Humanistische Union«, in: Spiegel 22/1967, 65). 188 Hofmann, Union, 32. Er wählt diese Bezeichnung in Abgrenzung von den Organisationsformen eines Interessenverbandes oder Vereins. 189 Siehe Abschnitt 2.2.5. 190 Nach einem breiten öffentlichen Diskussionsprozess über die Frage: Wie soll die Humanistische Union organisiert sein? (vgl. Mitteilungen Nr. 28, 8/9/10//1966) sollte diese Satzungsänderung dem strukturellen Problem Abhilfe schaffen, dass sich ein nicht geringer Teil der Mitglieder der HU nur unangemessen von der Spitze der HU repräsentiert sah. Die transparentere Struktur und Organisation, die sich im Zuge dieser Satzung etablierte, widerstrebte dem ursprünglichen Gründungsanliegen Szczesnys, die HU solle als informell agierende Vereinigung aufzutreten (»locker und leger«, so wurde die Parole
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2.2.3. Mitglieder Hinsichtlich der Frage nach dem Zusammenhang von Humanistischer Union und den Deutschen Jungdemokraten sei auf einige charakteristische Aspekte der Gesamtmitgliedschaft der Humanistischen Union hingewiesen. Wie schon erwähnt, hatte Szczesny in seinem Gründungsaufruf Persönlichkeiten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu erreichen versucht. Betrachtet man den Kreis der Personen, die auf sein Schreiben reagiert haben und eine Gründung der Humanistischen Union befürwortet hatten, so ergab sich eine Personengruppe, die Till Müller-Heidelberg als »linksliberale intellektuelle Elite der Republik«191 charakterisierte. Auch Hofmann bezeichnete sie als »Gruppe der Intellektuellen«192 und berief sich dabei neben den Ergebnissen seiner umfassenden Umfrage auf ein Rundschreiben der Humanistischen Union, in dem diese sich selbst als »erste und bisher einzige politische Organisation der Bundesrepublik«193 bezeichnet hatte, »die Individualisten und speziell Intellektuelle anzieht und sie zu gemeinsamer politischer Aktion vereinigt.«194 1967 zählte die Humanistische Union 4200 Mitglieder, darunter »229 Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen, 200 Universitätsprofessoren und Hochschullehrer, sowie 123 Richter und Anwälte.«195 Was die politische Orientierung der Mitglieder betraf, so bescheinigte Hofmann ihnen ein großes politisches Interesse.196 Die SPD war dabei die Partei, mit der sich die Mehrheit der Mitglieder der Humanistischen Union am ehesSzczesnys hinsichtlich der Organisation der HU in einem Bericht des Spiegels wiedergegeben; Art. »Humanistische Union«, in: Spiegel 22/67, 66). Die Übernahme des Vorsitzes durch Walter Fabian 1969 kann als Konsequenz dieser Uneinigkeit hinsichtlich der Organisation der HU gesehen werden. Die 1967 beschlossene Satzung hat nach wie vor Gültigkeit. Im Jahre 1969 nahm die Spitze der HU eine gewisse Stagnation in ihren Mitgliederzahlen wahr. Interessant ist an dieser Stelle, dass Szczesny zu Begründung dieser Entwicklung mutmaßt, »daß ihr [sc. der HU] der militante Klerikalismus einerseits als Hauptgegner abhanden gekommen ist, andererseits das Bündnis mit linken Kräften zweifelhaft geworden ist« (Bericht Szczesny auf der Delegiertenkonferenz 1969; IfZ Ed 44523). 191 Müller-Heidelberg, Union, 140. Zu dieser ersten Mitgliedergruppe gehörten u. a. Ossip Flechtheim, Erwin Fischer, Erich Kästner, Rene König, Walter Fabian, Alexander Mitscherlich, Siegfried Lenz und Rudolf Augstein (vgl. Schreiben Szczesny vom 19. 7. 1961; IfZ Ed 445-23). 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd. Hofmann bescheinigte den Mitgliedern der HU u. a. aufgrund ihrer Angaben über Beruf und Bildungsgrad ein »überdurchschnittliches und umfangreiches Potential an Kenntnissen, Fähigkeiten und Einfluß« und ordnete sie dem oberen Drittel der Schichtungspyramide zu (Hofmann, Union, 17). 195 Art. »Humanistische Union«, in: Spiegel 22/1967, 65. 196 So nahmen bspw. 92 von 100 Personen bei den Bundestagswahlen 1965 teil. Ebenso nehmen knapp die Hälfte der Mitglieder politische Veranstaltungen wahr, ein Viertel gehört selbst einer politischen Partei an (vgl. Hofmann, Union, 175).
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ten identifi zieren konnte.197 Hinsichtlich der Konfessionszugehörigkeit gehörten über die Hälfte der Mitglieder einer der beiden christlichen Konfessionen an, fast die Hälfte bezeichnete sich hingegen als konfessionslos.198 Im Blick auf die Konfl ikte der Humanistischen Union mit den Kirchen ist noch darauf hinzuweisen, dass von Gründungsbeginn an Kirchenvertreter Mitglieder in der Humanistischen Union waren. Als prominentes Beispiel für die Mitglieder der ersten Stunde sei neben zwei weiteren Pfarrern, deren Namen leider nicht genannt werden, der linksprotestantische Oberkirchenrat Heinz Kloppenburg199 genannt. Ein Blick auf die Konstellation des Vorstandes der Humanistischen Union im Jahre 1964 weist neben den Pfarrern Günther Heipp, Rudolf Kaff ka, zugleich SPD-Bundestagsabgeordneter, und Oberkirchenrat Kloppenburg ebenfalls die Mitgliedschaft des prominenten evangelischen Theologieprofessors Helmut Gollwitzer aus.200 1967 zählten neben Kloppenburg 33 Pfarrer und ein Vorstand der Paulus-Gesellschaft zu den Mitgliedern der Humanistischen Union.201 2.2.4. Zielsetzung Den Einfluss der christlichen Religion in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens aufzudecken und zurückzudrängen, war seit Gründungsbeginn eines der primären Anliegen der Humanistischen Union, und hierin lag gleichsam für viele Mitglieder der Grund für ihr Engagement.202 Es lässt sich somit besonders für die Anfangsphase der Arbeit der Humanistischen Union feststellen, dass ein Großteil ihrer Aktionen und Verlautbarungen dem Themenkomplex Weltanschau197 Dies belegt eine von Hofmann durchgeführte Umfrage zur Bundestagswahl 1965, in der 61 von 100 Mitgliedern der HU der SPD ihre Erst- und Zweitstimme gegeben hatten. Immerhin zehn Personen wählten mit beiden Stimmen die FDP, sechs Personen die Kombination SPD-FDP bzw. FDP-SPD und nur zwei die Unionsparteien (vgl. ebd., 165). 198 Von 100 Personen waren 35 evangelisch, 18 katholisch, sechs »andere« (Hofmann geht nicht näher auf deren konfessionelle Ausrichtung ein), 40 konfessionslos und eine Person ohne Angabe (vgl. ebd., 80). 199 Zu Kloppenburg vgl. Braun, Art. Kloppenburg, 73–78. 200 Somit gehörten mehr als ein Drittel der Vorstandsmitglieder dem kirchlichen Bereich an (vgl. Mitteilungen Nr. 16, 7/8//1964). 201 »Die Humanistische Union ist kein antikirchlicher Atheistenclub, obwohl sie mancherorts in dem Ruf steht. 33 Geistliche sind Mitglieder. Wenn die Humanistische Union die Glaubensfreiheit eines Christen gefährdet sähe, so würde sie auch für ihn tätig werden« (Wilfert, Lästige Linke, 103. Vgl. auch Art. »Humanistische Union«, in: Spiegel 22/1967, 65). 202 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass 18 von 100 Mitgliedern der HU den übergroßen Einfluss der Kirchen explizit als ihren Beitrittsgrund nannten (vgl. Hofmann, Union, 46). Hofmann führt die Zahl darauf zurück, dass »das Image der HU vorwiegend durch ihre Stellungnahme zu den Ansprüchen der christlichen Kirchen geprägt war« (ebd.).
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ung, Christentum, Kirche und Staat angehörten.203 Die Vorstellungen darüber, wie die praktische Umsetzung dieses Anliegens zu gestalten war bzw. welche Funktion und Aufgabe eine Humanistischen Union dahingehend und zusätzlich erfüllen sollte, wichen jedoch teilweise stark voneinander ab. Es sei daher an dieser Stelle exemplarisch auf die Äußerungen von Gustav Wyneken, besonders aber auf die Erwin Fischers verwiesen. Wyneken, eine der führenden Persönlichkeiten der Reformschulbewegung, den Szczesny mit seinem Gründungsaufruf angeschrieben hatte, schien ein forscheres Vorgehen und klarere Zielformulierungen von einer Humanistischen Union erwartet zu haben.204 Ein Brief Wynekens an Szczesny vom 28. 8. 1961 gibt Aufschluss über sein eigentliches Anliegen, welches darin bestand, die christliche Religion aus dem Bereich der Gesellschaft zu verdrängen.205 Auf sechs Seiten explizierte er seine Sicht über die christliche Religion, deren irrationalen Einfluss er als »Vergewaltigung der Kinderseele« bezeichnete, und forderte zum Kampf »für das Fundament unserer gesamten Geisteskultur«, die Wahrheit, auf, die im Religiösen ihre Perversion als »Wahrheit mit doppeltem Boden« erfahre. Am Ende des Briefes stand die Kritik an der Humanistischen Union, in ihren Zielformulierungen nicht strikt genug aufzutreten.206 Als ein »singu203 Zählt man die Kommentare und Hauptartikel der Zeitschrift Vorgänge der HU aus den Jahren 1962 bis 1966, so steht dieser Themenkreis ganz vorne (vgl. ebd., 20). 204 Gustav Wyneken (1875–1964) war Reformpädagoge und Gründer der Freien Schulgemeinde Wickersdorf 1906. Er hatte großen Einfluss auf die Jugendbewegung, mit der er seit 1912 in Verbindung stand. Das Vorhaben, seine pädagogischen Ziele umzusetzen, scheiterte immer wieder an seiner schwierigen Person und seinen hohen Ansprüchen. Er stand in engem Kontakt mit freidenkenden Intellektuellen und setzte sich in seiner umstrittenen Lauf bahn als Lehrer und Schulreformer unter anderem immer auch für die Auf hebung des Religionszwanges ein; so auch 1918, als er für kurze Zeit in Bayern und Berlin im Kultusministerium beschäftigt war. Mehrfach musste er sich dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs stellen. Die Versuche, zur Zeit des Nationalsozialismus eine Anstellung zu fi nden, scheiterten; auch die Möglichkeit, 1946 erneut die Leitung in Wickersdorf zu übernehmen, verspielt er erneut durch seine überhöhten Ansprüche. 1963 veröffentlichte er im Szczesny Verlag (München) das Buch »Abschied vom Christentum – Religion Christentum, Bibel, Anfänge und anderes«. Wyneken starb 1964 in Göttingen. Obschon Wyneken der HU letztlich nicht beitrat, seien seine Ansichten an dieser Stelle kurz ausgeführt, da sie wiederum als Hinweis dahingehend fungieren, wie Szczesny die Aufgabe der HU sah und wovon er sich abgrenzte. 205 »Religion ist und bleibt Privatsache [. . .]. Aber es gilt sich zu entscheiden. Sie ist mehr als private Meinung oder individueller seelischer Habitus; sie ist [. . .] ein Faktor in unserem kulturellen Auf bau, eine soziale Tatsache, eine öffentliche Angelegenheit. Und in diesem Bereich ist ihre Zeit abgelaufen, sie ist ein Schädling im heutigen Geistesleben, ein Parasit am Volkskörper, und es wird Pfl icht, uns in diesem Bereich ihrer zu entledigen, im Bereich des Geistes mit den Waffen des Geistes« (Schreiben Wyneken an Szczesny vom 28. 8. 1961; IfZ Ed 445-23. Die folgenden Zitate ebd.). 206 »Sie [sc. die HU] gibt sich als eine Durchführung oder Wahrung unserer demokratischen Prinzipien, also als eine durch die Vernachlässigung dieser Prinzipien hervorgerufene halbpolitische Angelegenheit [. . .], nicht als eine weltanschauliche, allgemein mensch-
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lärer, mutiger kompetenter und weithin Aufsehen erregender Vorstoß« durch Szczesny begonnen, laufe die Gründung der Humanistischen Union schließlich aus »in eine allgemeine Toleranz, um nicht zu sagen Nivellierung, in ein ebenso berechtigtes wie bescheidenes ›Auch‹ für den ›Unglauben‹«. Aufgrund dieser Entwicklung sah sich Wyneken nicht in der Lage, der Union beizutreten. Fischer 207 war seit 1930 als Rechtsanwalt tätig und vertrat zumeist Mandanten, denen aus der nicht vollständig vollzogenen Trennung von Staat und Kirche Nachteile erwachsen waren. So war er u. a. in Prozessen die Kirchensteuer betreffend aktiv, oder setzte gegen die christliche Gemeinschaftsschule ein. 1964 erschien erstmals sein Buch »Trennung von Staat und Kirche«, in welchem er seine Ansichten über eine moderne Gesellschaft ohne privilegierte Religionsgemeinschaften explizierte.208 Im Themenfeld Staat und Kirche lag sein absoluter Arbeitsschwerpunkt, wie zahlreiche Publikationen und Vorträge belegen.209 Fischer war einer der Hauptreferenten der Humanistischen Union, der er am 12. 12. 1961 beitrat, wenn es um den Bereich Staat und Kirche ging. Auch bei der Diskussion um die FDP-Kirchenthesen spielte er eine wichtige Rolle, wie noch zu zeigen sein wird.210 Aus einem Brief an Gustav Wyneken vom 7. 6. 1961 geht hervor 211, dass Fischer von Szczesny um Hilfe und juristischen Beistand hinsichtlich der liche Angelegenheit […]. Sie lenkt dadurch die Aufmerksamkeit und Kritik ab von der menschheitlichen, weltgeschichtlichen Krise […]« (ebd.). 207 Der in Reutlingen geborene Jurist Erwin Fischer (1904–1996) war ein Verfechter der konsequenten Trennung von Staat und Kirche. Fischer trat 1919 aus der Kirche aus und wurde 1926 Mitglied der SPD, bevor 1935 der NSDAP beitrat. Nach mehreren Jahren Anwaltstätigkeit, in denen er immer wieder insbesondere wegen seiner kulturpolitischen Aktivitäten unter Beobachtung der Behörden stand, wurde er 1943 zur Wehrmacht eingezogen. Nach zweijähriger Kriegsgefangenschaft siedelte Fischer in Ulm an, wo er 1950 erneut seinem Beruf als Anwalt nachging. Im Jahre 1946 trat Fischer erneut der SPD bei, später dann der FDP, aus der er 1982 austrat. 208 Vgl. Fischer, Trennung. Die vierte, völlig neu bearbeitete Aufl age wurde 1993 unter dem Titel »Volkskirche ade!« veröffentlicht. 209 Vgl. u. a. Vortrag 1965: »Privilegien für die Kirchen? – Konkordat und Religionsfreiheit; Forderung der Gemeinschaftsschule anlässlich des 1965 in Niedersachsen abgeschlossenen Konkordats«; Vortrag München 1966: »Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule. Die Antwort des Grundgesetzes«; Vortrag 1973: »Staat, Gesellschaft und Kirchen in der Regierungserklärung«; Vortrag 1986: »Bürger und Christ? Leben wir in einem quasichristlichen Staat?«; Vortrag 1994: »Gott im Grundgesetz« (alle Angaben IfZ Ed 445 Bd. 18). 210 Siehe Kap. III.2.3.5. Seit 2000 verleiht der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, dem Fischer 1993, drei Jahre vor seinem Tod, beitrat, den ErwinFischer-Preis an Personen, die sich in besonderer Weise für die Weltanschauungsfreiheit, Trennung von Staat und Kirche etc. eingesetzt haben. 211 Vgl. Schreiben Fischer an Wyneken vom 7. 6. 1961; IfZ Ed 445-23. Fischer reagierte auf ein Schreiben Wynekens, den dieser unmittelbar nach Szczesnys Aufruf verfasst hatte (»Dein Brief [sc. Wyneken] vom 5. Juni ist Deine erste Stellungnahme zu S’Plan«). Leider liegt dieser Brief nicht vor, doch lassen sich anhand der Bezüge, die Fischer in sei-
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Gründung der Union gebeten worden war.212 Fischer sah in der Humanistischen Union eine einflussreiche Möglichkeit, für die permanente Forderung einer strikten Trennung von Staat und Kirche einzutreten. So formulierte er in besagtem Brief als möglichen Zweck der Humanistischen Union, »alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, a) um die in Art. 4 GG als unverletzlich garantierte Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses zu wahren und zu verwirklichen [. . .], b) die [. . .] Neutralität des Staates in religiöser Hinsicht herbeizuführen und sicherzustellen [. . .], dafür einzutreten, daß den vom Staate freien Religionsgesellschaften auch ein von religiösen Einflüssen freier Staat entspreche, c) […] die Idee der religiösen Toleranz zu einem allgemein anerkannten Fundament des öffentlichen und privaten Lebens, insbesondere auch auf dem Gebiet der Politik zu machen.« 213
Fischer bezeichnete diese Formulierungen als »Kompromiß [. . .] ohne das Ziel aus den Augen zu lassen.« 214 Er versuchte, Szczesny im Zuge der Beratungen über die rechtliche Installierung dieses Bundes dahingehend zu beeinflussen, die Verwirklichung dieser Trennung durch eine schärfere Formulierung in der Satzung einzufordern.215 Szczesny kam dem Anliegen Fischers in dieser Form nicht nach. Er sah in der Humanistischen Union weitaus mehr als einen Verband, der »lediglich fuer die Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche eintritt« 216 , und erachtete die Äußerungen der Satzung dahingehend als ausreichend.217 Die sich neu formierende Gruppierung sah sich somit vor die Aufgabe gestellt, die unterschiedlichen Vorstellungen und Ansprüche an eine Humanistische Union auf nem Antwortschreiben dazu herstellte, einige Aussagen über Wynekens Ansichten machen, die seine radikale Sicht nochmals verdeutlichen. So bemerkte Fischer gleich am Anfang seines Briefes, dass er »eine offene Kampfansage an das Christentum zur Zeit« für nicht zweckmäßig erachte. Wyneken hingegen schien ein rigoroses Vorgehen gegen das Christentum durchaus befürwortet zu haben. Auch die Tatsache, dass er in seinem Schreiben an Fischer bemerkte, »daß er [sc. Szczesny] keine Führernatur ist«, weist in diese Richtung (alle Zitate ebd.). 212 Fischer und Szczesny standen seit 1959 in Kontakt zueinander. 213 Schreiben Fischer an Wyneken vom 7. 6. 1961; IfZ Ed 445-23. 214 Ebd. 215 Szczesny hatte Fischer einen Entwurf der Satzung zugesandt und um einen Kommentar dazu gebeten. 216 Schreiben Szczesny an Fischer vom 29. 6. 1961; ebd. 217 »Neben diesen im Wesentlichen ja wohl negativen Aufgaben h[ä]tte die ›Humanistische Union‹ meiner Vorstellung nach sehr wesentliche positive Forderungen zu stellen« (ebd.). Die Enttäuschung Fischers über die Reaktion Szczesnys geht aus einem erneuten Schreiben an Wyneken vom 30. 8. 1961 hervor: »Meine beiden Satzungsentwürfe hat er völlig abgeändert und behauptet, ihm schwebe eine ganz andere Vereinigung vor, deren Ziel nicht die Verwirklichung der Religionsfreiheit – also letzten Endes: Trennung von Staat und Kirche – sei. [. . .] Er ist eben nicht der Mann, der einen entschiedenen Kampf führen will. [. . .] Mich hätte die Sache wegen meiner längst begonnenen Schrift über Religionsfreiheit, Staat und Kirche interessiert. Aber so werde ich eben auf eigene Faust weiterarbeiten« (ebd.).
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einen Nenner zu bringen. Die erste Satzung, die auf der Gründungsversammlung im August 1961 verabschiedet wurde, formulierte im zweiten Paragraphen als Sinn und Zweck der Humanistischen Union: »(1) die ungehinderte Entfaltung aller religiösen, weltanschaulichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Strömungen in der Bundesrepublik gewährleisten, (2) es dem einzelnen Bürger gestatten, von seinen im Grundgesetz garantierten Rechten [. . .] Gebrauch zu machen, (3) die Unabhängigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie aller Bereiche, in denen gesamtgesellschaftliche und sachliche Aufgaben zu lösen sind, gegenüber Machtansprüchen konfessioneller und weltanschaulicher Gruppen zu garantieren, (4) der Festigung demokratischer Solidarität und Toleranz insbesondere auf dem Gebiet der Erziehung dienen.« 218
In der ersten Ausgabe der Mitteilungen wird als »eigentliche[s] Ziel« 219 der Humanistischen Union »die Sichtbar- und Geltendmachung jener Werte, Elemente und Strömungen unserer Kultur, die der ›christliche‹ Weltanschauungs-Staat unterdrückt und [. . .] die Aufdeckung und Bekämpfung aller Anschauungen und Einrichtungen, die für diese Unterdrückung verantwortlich sind« 220
formuliert. Die mit dem Kampf gegen einen christlichen Weltanschauungsstaat verbundene Forderung nach einer Gewährleistung der demokratischen Garantien führte nun freilich dazu, von Anfang an auch für die Verteidigung von Meinungsfreiheit und freie Persönlichkeitsentwicklung in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens einzutreten.221 218
Schreiben Szczesny von September 1961; ebd. Mitteilungen Nr. 1, 1/2//1962, 2. 220 Ebd. 221 Das Strafrecht und der Schwangerschaftsabbruch, um nur zwei Themen zu nennen, waren somit ebenfalls Dauerthemen, die von Anfang an in der HU thematisiert wurden. 1967 spricht Hofmann von einer »Wandlung der entscheidenden Motivationsgrößen« und »Akzentverschiebung und Ausweitung der ursprünglichen Zielfunktion der HU« (Hofmann, Union 111). Als Hauptaufgaben der HU nannten die befragten Mitglieder die »Gewährleistung der Demokratie und der verfassungsmäßigen Ordnung, Förderung toleranter Haltung, Auf klärung über tatsächliche Zusammenhänge und Abbau ideologischer Vorurteile« (ebd., 127). Der Kampf für die Gemeinschaftsschule und gegen die Notstandsgesetze – die HU trat, zusammen mit der Humanistischen Studentenunion im Mai 1965 dem »Aktionsausschuß gegen Notstandsgesetze« bei (vgl. Becker, Studentenproteste, 99) – und die Forderung nach einer Strafrechtreform wurden neben der Trennung von Staat und Kirche für die wichtigsten Maßnahmen der HU angesehen. Hofmann weist daraufhin, diese Äußerungen vor dem Hintergrund der 1966 geschlossenen großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD zu betrachten, gegen die sich viele Mitglieder öffentlich aussprachen und die zu kontrollieren zu einer weiteren Aufgabe der HU werden sollte, was ebenfalls dazu führte, dass mehr tagespolitische Aufgaben in den Vordergrund rückten. Klaus Scheunemann betonte in einem 1969 veröffentlichten Aufsatz »Zur aktuellen politischen Aufgabenstellung der Humanistischen Union« ebenfalls, dass sich das »Engagement einer Vereinigung wie der HU [. . .] partiell verlagern« müsse (Mitteilungen Nr. 38, 3/4/5/6//1969, 25). Der politische Einfluss der Kirchen, den Szczesny in seinem Gründungsaufruf so vehement kritisiert hatte, sei geringer geworden, und die primäre Aufgabe 219
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Müller-Heidelberg bringt die Entwicklung, die die Humanistische Union vollzogen hat, treffend zum Ausdruck, wenn er seinen Aufsatz »Von der antiklerikalen Intervention zur Bürgerrechtsbewegung: Die Humanistische Union« überschreibt.222 Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche blieb neben den aufgeführten Bereichen eines der Grundanliegen der Humanistischen Union (und ist es auch noch heute), wie sich auch in der Diskussion um das FDP-Papier zeigen wird. 2.2.5. Die Humanistische Studentenunion Am 4. 7. 1962 kam es in Marburg zur Gründung einer ersten Ortsgruppe der Humanistischen Studentenunion, die sich im Verlaufe der Jahre als von der Humanistischen Union rechtlich, organisatorisch und programmatisch unabhängige Institution etablierte. Es folgten Gründungen in München (12. 12. 1962) und Freiburg (1. 3. 1963). Bis Ende 1964 hatten sich neun Gruppen gebildet, die sich schließlich am 12./13. 12. 1964 zu einem Bundesverband in Freiburg zusammenschlossen.223 Hermann-Josef Schmidt, zum Zeitpunkt der Gründung Student der Philosophie in Freiburg und Gründer der dortigen HSU-Gruppe, wurde zum Vorsitzenden ernannt und übte dieses Amt bis Dezember 1966 aus.224 Als Stellvertreter fungierten Klaus Brockhaus aus einer HU sei, sich verstärkter als bisher für die »Demokratisierung von Alltagssituationen« einzusetzen, d. h. »für eine Demokratisierung von Schulen und Universitäten, für eine Demokratisierung von Presse und Kulturbetrieb und für eine Demokratisierung von Justiz und Strafvollzug« (ebd., 26). 222 Vgl. Müller-Heidelberg, Union. Das scharfe Vorgehen der HU gegen die Kirchen in der ersten Zeit nach ihrer Gründung und der skizzierte Wandel von einer antichristlichen Organisation hin zu einer, die sich für Menschen- und Bürgerrechte einsetzt, zeigt sich auch an den Lexika-Eintragungen der 1960er Jahre. Der Herder Verlag hatte in »Herders Volkslexikon« von 1963 die HU als »1961 gegründete[n] atheistische[n] Freidenkerverband gegen konfessionalistische Tendenzen und das offi ziell ideologisierte Christentum« bezeichnet (zit. nach Mitteilungen Nr. 13, 1/2//1964, 1). Die HU legte darauf hin beim Münchener Landgericht I eine einstweilige Verfügung ein, da sie sich mit dem Text nicht einverstanden erklärte. Der Verlag nahm eine Veränderung seines Eintrags über die HU vor und beschrieb sie nun als Organisation, die »mit Angehörigen aller Weltanschauungen die freiheitlich-demokratische gegen jede weltanschaulich gebundene Ordnung fördern« wollte (zit. nach ebd.). Die gängigen Lexika weisen seitdem ähnliche Eintragungen auf: »Humanistische Union, e.V. mit Sitz in München, geg[ründet] 28. 8. 1961, eine überparteil[iche] gemeinnützige Vereinigung zur Wahrung der freiheitlich-demokrat[ischen] Ordnung zum Schutz der Grundrechte. Sie hat Ortsverbände und Hochschulgruppen (Humanist[ische] Studenten-Union)« (Art. Humanistische Union, in: Brockhaus, 734). »Humanistische Union, kultur- und rechtspoli[tische] Vereinigung, die sich für die Sicherung der Grund- und Persönlichkeitsrechte, sowie die strikte Trennung von Staat und Kirche einsetzt. Vorstandsmitglieder: Generalstaatsanwalt F. Bauer, Prof. A. Mitscherlich, G. Szczesny« (Art. Humanistische Union, in: dtv-Lexikon, 81). 223 Der Bundesverband zählte zu diesem Zeitpunkt 120 Mitglieder. Die Zahlen beziehen sich auf eine Übersicht über die HSU aus dem Bildungswerk der HU NRW (vgl. Mitteilungen Nr. 19, 1/2//1965, 5). 224 Der in Köln geborene Hermann-Josef Schmidt (*1939) promovierte 1968 mit einer
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Münster und Friedrich Ortmann aus Kiel. Nach einem Jahr Verbandsbestehen existierten im Dezember 1965 bereits 24 Hochschulgruppen mit etwa 600 Mitgliedern 225, 1966 waren es 27 Gruppen, im Jahre 1968 schließlich 32 Gruppen mit über 800 Mitgliedern. Ab Mai 1965 baute sich ein Freundeskreis der HSU auf, dem bis Ende des Jahres 1966 über 30 Personen beitraten.226 Die Humanistische Studentenunion organisierte sich, ähnlich wie die Humanistische Union, als »eine von Parteien und weltanschaulichen Organisationen unabhängige Vereinigung« 227. Auch sie war »aus der Sorge um unsere Demokratie« entstanden und bezeichnete sich selbst als »ein für Freiheit und Menschenwürde engagierter politischer Studentenverband.« Sie war somit eine Vereinigung, die ähnliche Ziele wie die Humanistische Union verfolgte und mit den gleichen politischen Methoden arbeitete, wobei ihr Augenmerk dabei speziell auf die Gewährleistung der Grundrechte im bildungspolitischen Bereich lag. Die Forderungen nach einer sachgerechten Hochschulreform und nach Chancengleichheit in der Ausbildungsförderung gehörten daher ebenso in ihren Forderungskatalog wie die nach »Entkonfessionalisierung des Schul- und Bildungswesens« und »absolute[r] Trennung von Staat und Religions- und Weltanschauungsgruppen.« Im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche formulierte die Humanistische Studentenunion in ihrer zweiten Grundsatzerklärung von Dezember 1965 noch schärfer und forderte eine »konsequente Trennung von Staat und Kirchen sowie eine Überprüfung aller Staatsverträge mit den Kirchen«.228 Arbeit über Nietzsche, bevor er 1969 nach Dortmund ging, wo er sich an der Pädagogischen Hochschule Ruhr 1976 habilitierte. Von 1980 bis 2004 wirkte er dort als Professor für Philosophie. Schmidt trat Ende der 1960er Jahre der FDP bei, die er jedoch schon nach kurzer Zeit wieder verließ (zu Schmidt siehe auch Abschnitt 4.4.). 225 Der Vorstand der Humanistischen Studentenunion sah den Grund für dieses rapide Wachstum im aktiven Engagement der Mitglieder einerseits und in der Konzeption, »die HSU als eine parteipolitisch und konfessionell ungebundene studentische Sammelbewegung mit dem Sinn einer allgemeinen demokratischen Selbstreflektion zum Schutz der Demokratie und der bedrohten Grundrechte aufzubauen« (Mitteilungen Nr. 21, 5/6// 1965). 226 Es handelte sich dabei primär um Mitglieder der HU, so Abendroth, von Cube, Flechtheim, Klug, Maihofer (zugleich FDP), Mitscherlich, Generalstaatsanwalt Bauer, Bickel und Rechtsanwalt Fischer (vgl. HSU-Spektrum 1/1966 von Dezember 1966, 4). 227 Grundsatzerklärung der Humanistischen Studentenunion, auf der Gründungsversammlung beschlossen, in: Mitteilungen Nr. 19, 1/2//1965, 5. Die folgenden Zitate ebd. 228 Wiedergabe der zweiten Grundsatzerklärung in: HSU-Spektrum 1/1966 von Dezember 1966, 4. Ebenso wie die anderen studentischen Verbände weitete auch die HSU ihre Arbeit in zunehmenden Maße auf politische Sachverhalte aus, die die aktuelle Innenund Außenpolitik Deutschlands betrafen. So arbeitete sie u. a. zur Notstandsdebatte, dem Vietnamkrieg und jenen Themen, die in den politischen Gremien der 1968er diskutiert wurden. Dabei kam es in zunehmenden Maße auch zu Kooperationen mit anderen studentischen Gruppen. Im Folgenden soll das Augenmerk auf ihren Aktivitäten im Bereich Kirche und Staat liegen.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Ein Blick in die erste Ausgabe des HSU-Spektrums zeigt, auf welche Art und Weise man sich in den einzelnen Ortsgruppen mit der Thematik beschäftigte.229 Meist wurde zu Vorträgen oder Podiumsdiskussionen – oft in Kooperation mit der ansässigen Evangelischen Studentengemeinde – eingeladen. Dabei waren es meist dieselben Personen, die in den jeweiligen Ortsgruppen als Referenten auftraten. So sprach beispielsweise Erwin Fischer in Berlin, Frankfurt, Freiburg, Heidelberg, Marburg und Münster zum Thema »Trennung von Staat und Kirche«; des Weiteren traten mehrfach auf: der dem Linkskatholizismus zuzuordnende Johannes Fleischer »Können Christen treue Staatsbürger sein? – Über die Tabus beim Thema Staat-Kirche«, Gustav Mensching »Außerchristliche Einflüsse im Christentum« und Fritz Vilmar »Die Furcht der Kirchen vor der Welt des 20. Jahrhunderts.«230 Der Thematik wurde in den einzelnen Ortsgruppen teilweise unterschiedliche Bedeutung zugemessen. So betonte die Berliner Ortsgruppe, dass ihre Forderungen »in der Frage Kirche-Staat [. . .] schon weitestgehend realisiert« 231 seien »durch die Regelung, daß in den Gerichtssälen keine Kruzifi xe hängen, der Religionsunterricht in den Schulen außerhalb der staatlichen Schulaufsicht stattfi ndet u. ä.m.« 232 In Freiburg hingegen ließ sich neben den schon erwähnten Vorträgen eine Vielzahl an weiteren ausmachen, 229 Das HSU-Spektrum wurde als Informationsbroschüre erstmals im Dezember 1966 vom Bundesverband herausgegeben, mit der doppelten Intention, zum einen die einzelnen Verbände gegenseitig über ihre Arbeit zu informieren und zum anderen auch zu Informations- und Werbezwecken zu fungieren. Es sollte mindestens einmal im Semester erscheinen. 230 Vgl. ebd, 8 ff. Der Religionswissenschaftler Gustav Mensching (1901–1978) lehrte zunächst an den Universitäten Riga und Kiel, bevor er schließlich 1936 an die philosophische Fakultät Bonn wechselte, wo er als Professor für Vergleichende Religionsgeschichte lehrte und ebenfalls Lehrbeauftragter für Vergleichende Religionswissenschaft war. 1942 übernahm er, zum außerordentlichen Professor ernannt, die Leitung des dort ansässigen Religionswissenschaftlichen Seminars und hatte diese bis 1970 inne. 1951 wurde ihm von der Universität Marburg der Titel der Ehrendoktorwürde als Doktor der Religionswissenschaften verliehen, 1964 wurde er Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Religionswissenschaften an der Universität in Bonn. Mensching gehörte zur Gründergeneration des 1948 gegründeten »Bundes für Freies Christentum«. Er war ebenfalls Gründungsmitglied der HU, der er bis 1968 angehörte. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Fritz Vilmar (*1929) war seinerzeit in der politischen Erwachsenenbildung tätig und von 1959 bis 1970 Referent in der Abteilung Bildungsarbeit beim Vorstand der IG Metall. Vilmar gilt als einer der Mitbegründer der »Kritischen Friedensforschung«. Seit den 1970er Jahren lag sein Arbeitsschwerpunkt in der Auseinandersetzung reformtheoretisch fundierter humaner Alternativen zu den herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen. Seit 1975 war er Professor für Politikwissenschaft an der FU in Berlin, wo er 1976 mit Gleichgesinnten die »Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus« gründete. Seit 1951 Mitglied der SPD gehörte er ab 1977 deren »Grundwertekommission« an, wurde jedoch 1984 dann aufgrund seines Bekenntnisses zu den Grünen abgewählt. Im November 2003 verließ er nach 52-jähriger Mitgliedschaft die SPD. 231 Ebd., 8. 232 Ebd.
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die wohl zu einem großen Teil auf die Initiative des dort ansässigen HSUVorsitzenden Schmidt zurückzuführen waren. In einem Brief an die Geschäftsstelle der Humanistischen Union vom 11. 3. 1966 kündigte dieser für das folgende Sommersemester eine Vortragsreihe »Kirche und Demokratie« an, bei der neben Fischer und Vilmar auch der Kirchenkritiker Karl Heinz Deschner über sein gerade erschienenes Buch »Mit Gott und den Faschisten – Vatikan und Faschismus« referieren sollte.233 Dass sich die Humanistische Studentenunion ebenso wie die Humanistische Union immer wieder dem Vorwurf stellen musste, eine antikirchliche und antichristliche Vereinigung zu sein, lässt sich einem Begleitschreiben zur Grundsatzerklärung über ihr Selbstverständnis entnehmen, in welchem sie betonte, »als eine religiöse und weltanschaulich völlig ungebundene Vereinigung [. . .] gegen keine Religion oder Weltanschauung eingestellt [zu sein], sofern diese in der Praxis nicht gegen die Grund- und Menschenrechte verstößt, sie [. . .] aber mit leidenschaftlichem Nachdruck gegen alle Bestrebungen an die Grund- und Menschenrechte [kämpfe], die die freie Selbstbestimmung des Einzelnen ermöglichen sollen, 233 Vgl. Schreiben Schmidt an Haun vom 11. 3. 1966; Bildungswerk HU NRW. Der katholisch getaufte Karl Heinz Deschner (*1924) galt – und gilt nach wie vor – als einer der bekanntesten, wenn nicht der bekannteste zeitgenössische Kirchen- und Religionskritiker Deutschlands. Von 1947 bis 1951 studierte er Neue Deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität in Würzburg, nachdem er bereits im Jahr zuvor in Bamberg juristische, theologische und psychologische Vorlesungen gehört hatte. 1951 erfolgte die Promotion zum Dr. phil. Seine zahlreichen Veröffentlichungen umfassen die Bereiche Literaturkritik, Gesellschaftskritik, Aphorismen und Romane, die meisten Veröffentlichungen jedoch publizierte er im Bereich Kirchen- und Religionskritik. 1957 veröffentlichte er sein erstes religionskritisches Werk »Was halten sie vom Christentum? 18 Antworten auf eine Umfrage« (München). Es folgte 1962 seine kritische Kirchengeschichte »Abermals krähte der Hahn« (Stuttgart), die auf große Resonanz stieß und bspw. von Heer als »Zeitphänomen ersten Ranges« bezeichnet wurde. 1965 erschien sein Buch »Mit Gott und den Faschisten – Vatikan und Faschismus«, über das er in den besagten Vorträgen referierte, und in dem er seine These zementierte, daß »die katholische Hierarchie sämtliche faschistische Staaten von ihren Anfängen an systematisch unterstützt hat und somit entscheidend mitschuldig wurde am Tode von sechzig Millionen Menschen« (Deschner, Mit Gott, 11). 1971 stand Deschner in Nürnberg wegen Kirchenbeschimpfung vor Gericht. Ein katholischer Pädagoge namens Hahn hatte nach einem Deschner-Vortrag in der Nürnberger Meistersingerhalle zum Thema »Ist der Kirchenaustritt heute eine Notwendigkeit?« Anzeige erstattet, weil er sich »erschüttert, empört und beleidigt« gefühlt hatte. Deschner hatte in seinem Vortrag u. a. über das Christentum gesagt, es sei »eine weltweit grassierende Pest, nur noch existierend in den Schädeln von Primitiven und Profiteuren« (Art. »Wenn der Hahn kräht«, in: Spiegel 8/1971, 74). Deschners Hauptwerk besteht in der auf zehn Bände angelegten »Kriminalgeschichte des Christentums« (Reinbek 1/1986– 8/2004), an der er seit 1970 arbeitet. 1999 ehrte ihn der HVD, dessen Ehrenmitglied er ist, zu seinem 75. Geburtstag mit einem Video »Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner«, das sein Lebenswerk fi lmisch auf bereitet. Deschner ist Träger zahlreicher Preise; so erhielt er u. a. den Arno-Schmidt-Preis (1988), den Alternativen Büchnerpreis (1993), den Erwin-Fischer-Preis (2001), Ludwig-Feuerbach-Preis (2001) und Wolfram-von Eschenbach-Preis (2004).
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die ihrerseits nur an der der anderen ihre Begrenzung fi ndet, zugunsten irgend einer Ideologie, Weltanschauung oder eines Wertdiktats beseitigen oder einschränken zu wollen.« 234
Die Humanistische Studentenunion unterstützte die Arbeit der Humanistischen Union und handhabte ihre eigene auf ähnliche Art und Weise. Sie trat zugleich als Kritikerin der Humanistischen Union auf und forderte oftmals mehr Engagement, worauf im folgenden Abschnitt zu verweisen sein wird. 2.2.6. »Antiklerikale Aktivitäten« 235 Seit November 1961 trat die Humanistische Union durch regelmäßige Vortragsreihen an die Öffentlichkeit. Neben Vorträgen, die einen Beitrag zu ihrem Selbstverständnis leisten sollten 236 , gab es solche, die sich gegen den Einfluss der Kirchen – insbesondere der katholischen Kirche 237 – bzw. gegen »Konfessionalisierung« und für Toleranz und Meinungsfreiheit aussprachen.238 Im Frühjahr 1963 startete die Humanistische Union erstmals eine öffentliche Aktion in Bayern, indem sie sich mit Plakaten und Podiumsdiskussionen gegen die Konfessionsschule und für die Gemeinschaftsschule aussprach.239 In diesem Zusammenhang bot sie gleichsam den Mitgliedern, die in Bundesländern mit stark konfessionell geprägtem Bildungswesen lebten, Rechtsschutz in »Fällen von Benachteiligung aus religiösen oder
234 Schreiben zur Grundsatzerklärung der HSU Juni/Juli 1965; Bildungswerk HU NRW. 235 So die Überschrift zu Berichten aus verschiedenen Ortsverbänden, in denen Aktionen gegen die Kirchen stattgefunden hatten (vgl. Mitteilungen Nr. 51, 6/7//1971). 236 Vgl. Vortrag Szczesny 10. 11. 1961 München, 1. 12. 1961 Hamburg: »Brauchen wir eine Humanistische Union?«; Vortrag Alexander Mitscherlich 24. 1. 1962 Heidelberg: »Sinn und Aufgaben einer Humanistischen Union«; Vortrag Hans Ohly 15. 6. 1962 München: »Die Humanistische Union im Spiegel der öffentlichen Meinung« (alle Angaben IfZ Ed 445-23). 237 In der Umfrage Hofmanns haben auf die Frage, wer die Gegner der HU seien, 72 von 100 Personen Kirche, katholische Kirche, konfessionell gebundene Politiker genannt. Viele nannten explizit die katholische Kirche, wohingegen die evangelische als toleranter eingestuft wurde (vgl. Hofmann, Union, 114). 238 Vgl. Vortrag Gerd Hirschauer 5. 4. 1962 München, 28. 6. 1962 Düsseldorf: »Der politische Katholizismus«; Vortrag Günther Gunkel 8. 10. 1962 München: »Evangelischer Glaube und Humanistische Union«; Vortrag Pastor G. Abramzik 1. 7. 1963 Bremen: »Christsein ohne Kirche«; Vortrag Eduard Hapke 11. 9. 1963 Wuppertal: »Der moderne Mensch zwischen Glaube und Unglaube« (alle Angaben IfZ Ed 445-23). 239 Das Eintreten für die Gemeinschaftsschule wurde immer wieder auf unterschiedliche Weise thematisiert; so beschloss man bspw. im Sommer 1964, eine wissenschaftliche Untersuchung »über die Auswirkungen der Erziehung in Konfessions- und in Gemeinschaftsschulen« durchzuführen (Mitteilungen Nr. 16, 7/8//1964, 2). 1967 gibt die Bundesgeschäftstelle eine Pressemitteilung heraus mit dem Titel: »Bekenntnisschule seelisch ungesund – 15 deutsche Psychologen warnen vor glaubensmäßig geschlossener Schulerziehung« (ebd. Nr. 33, 10/11/12//1967, 7).
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weltanschaulichen Gründen«240 an. 1965 verfasste sie einen Appell an »die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages und an alle Bürger in Niedersachsen« 241. Anlass war das am 26. 2. dieses Jahres zwischen dem Land Niedersachsen und der katholischen Kirche abgeschlossene Konkordat. Es konstatierte für den bildungspolitischen Bereich u. a. die Verpfl ichtung des Landes zur Gründung einer Katholisch-Theologischen Fakultät, die Beibehaltung der existierenden katholischen Bekenntnisschulen bzw. ihre Neugründungen, die Bestätigung des Faches katholische Religion als eines ordentlichen Lehrfaches, die Förderung und staatliche Anerkennung katholischer Hochschulen und die fi nanzielle Förderung der katholischen Erwachsenenbildung sowie die Sicherung des katholischen Einflusses auf den Rundfunk. Die Humanistische Union wandte sich in ihrer Konkordatskritik besonders gegen die Neuvereinbarungen im Schul- und Bildungswesen, da sie durch die Bestimmungen eine erheblich verstärkte »Konfessionalisierung« des niedersächsischen Schulwesens gegeben sah.242 In ihrem Aufruf forderte sie eine Schulform, in der die Schülerinnen und Schüler »verschiedenen Glaubensmöglichkeiten begegnen und ungezwungen die ihnen gemäßen Anschauungen [. . .] bilden können.« 243 Ihre Argumentation erinnert dabei an die Äußerungen Szczesnys: »Jeder Glaube muß das Recht zur Äußerung haben, auch zur Werbung und zum Kampf um Wahrheit, wenn er als geistiger Kampf geführt wird und wenn jeder anderen Überzeugung das gleiche Recht zugestanden bleibt. Eines ist aber der Glaube, ein anderes seine politische Repräsentanz in der Gesellschaft, als Institution ›Kirche‹.« 244 240
Ebd. Nr. 9, 5/6//1963, 1. Konkordat und Schulgesetz, ein Appell; IfZ Ed 445-23. 242 So musste bspw. ein neuer kath. Religionsdozent an einer Pädagogischen Hochschule durch den zuständigen Bischof bestätigt werden (Art. 5 des Konkordats). Bei Gemeinschaftsschulen, deren überwiegender Teil aus katholischen Schülern bestand (80%), konnten katholische Schulbücher eingeführt werden, ebenso konnten auf Antrag der Eltern neue katholische Bekenntnisschulen eingerichtet werden (Art. 6). Was den katholischen Religionsunterricht anging, so hatten die Diözesen das Recht zur Kontrolle; ebenso war dem Bischof ein Besuchsrecht vorbehalten. Auch die FDP wandte sich damals gegen das Niedersachsenkonkordat. Ihr Hauptkritikpunkt war ebenfalls der Artikel über das Schulwesen, da sie diesen als Eingriff der Kirchen in den Aufgabenbereich des Landes ansahen. In der Regelung, dass im Falle eines Anteiles von 80% des gleichen Bekenntnisses der Schülerschaft die jeweilige Schule wie eine Bekenntnisschule genutzt werden sollte, sahen sie einen Widerspruch zu dem seit 1954 existierenden liberalen Schulgesetz, das die beherrschende Stellung der Gemeinschaftsschule festgelegt hatte. Die Gefahr lag nun in der Aufgabe der Grundsätze liberaler Schulpolitik und damit der »Garantie für eine moderne, einheitliche und gründliche Erziehung unserer Jugend« (Art. »Das Konkordat in Niedersachsen, in: Kulturpolitische Mitteilungen 3/1965, 2). 243 Konkordat und Schulgesetz, ein Appell; IfZ Ed 445-23. 244 Ebd. 241
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Die Kirche repräsentiere als Institution die christliche Religion, wogegen nichts einzuwenden sei. Durch die ihr zugestandenen Privilegien, bspw. die Möglichkeit, ein Konkordat abzuschließen, bringe sie aber den christlichen Einfluss in gesellschaftliche Bereiche, in denen auf diese Weise andere Überzeugungen keinen Platz mehr fi nden. Die Kirche habe die Macht, im schulund bildungspolitischen Bereich ihre christlichen Ansichten prägend zu machen, eine Möglichkeit, die ihr als Religion exklusiv zueigen sei. Die Glaubens- und Religionsfreiheit des Menschen werde somit eingeschränkt, religiöse Minderheiten unterdrückt. Diesem Zustand könne nur begegnet werden, indem man den christlichen Einfluss auf die Gesellschaft vermindert und nicht noch zusätzlich durch Verträge sichert. Nur eine konsequente Durchsetzung der Trennung von Staat und Kirche – und damit eben für diesen Fall relevant die Abschaffung von Konkordaten und Kirchenverträgen – könne dies gewährleisten.245
245 Auch die HSU nahm an dem Protest gegen das Niedersachsenkonkordat teil. So forderte der Bundesvorstand der HSU Mitte März 1965 den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen Georg Dietrichs (SPD) und die Landestagsfraktionsvorsitzenden von SPD und FDP auf, das geplante Konkordat nicht zu unterzeichnen. Ihre Begründung spiegelt dabei die Kritik an der herrschenden Parteien wider: »Niedersachsen, nach den Statistiken bereits jetzt das rückständigste der von der SPD regierten Bundesländer, fiele mit der Verwirklichung des Konkordats wohl endgültig auf die Stufe der schulisch unterentwickelten CDU/CSU-regierten Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland zurück« (Mitteilungen Nr. 20, 3/4//1965). Die HSU hatte sich in dieser Sache ein schnelleres Vorgehen von Seiten der HU gewünscht. Dies geht aus einem Schreiben Schmidts an den Geschäftsführer der HU im Jahre 1965 Rainer Haun vom 22. 2. 1965 hervor, in dem er der HU Konformität und scheinbare Gleichgültigkeit im Blick auf die bevorstehenden Verträge vorwirft. Interessant ist dabei die Vermutung, die HU verhalte sich so zurückhaltend, weil die SPD in diesem Falle mit in die Sache involviert sei: »Sehr seltsam fi nde ich es, daß die Humanistische Union die ganze Konkordatsgeschichte in Niedersachsen so sang- und klanglos vorübergehen lässt – nur weil SPD? Dies Stillhalteabkommen wird verfänglich, wenn es um so wichtige Belange geht und schadet sicher auch innerhalb der HU, denn es ist nicht einzusehen, daß es bei derlei Sachverhalten nur darauf ankommen muß, wer dahinter steckt. [. . .] Wir werden jedenfalls keine Maske vor das Gesicht nehmen, denn ich würde die Aufgabe der HU/HSU doch in einer Wachrütte in der Öffentlichkeit sehen, was erfahrungsgemäß nur durch einen kleinen, engagierten Kreis geschehen kann – konformistische Klubs mit ähnlicher Zielsetzung wie wir haben wir schon genug und wenn uns nicht die Aktivität und Kompromisslosigkeit von deren vorsichtigen Taktieren unterscheidet, so können wir uns unsere Zeit sparen« (Schreiben Schmidt an Haun vom 22. 2. 1965; Bildungswerk HU NRW). Haun verteidigte nach Veröffentlichung des Appells der HU zum Konkordat, man habe nicht etwa aus Rücksichtsnahme auf die SPD so agiert, sondern »weil es uns trotz der verschiedensten Recherchen über unsere sämtlichen Bundestagsabgeordneten und über andere Verbindungen zur SPD nicht gelungen ist, vor Abschluß der Verhandlungen irgendwelche genaueren Informationen über den Inhalt der Verträge zu erhalten« (Schreiben Haun an Schmidt vom 4. 3. 1965; ebd.). Des Weiteren sprach er sich gegen ein Vorgehen aus, einfach »ins Blaue hinein zu polemisieren und protestieren« (ebd.) und betonte, man sei sich auch in der HU nicht sicher, ob man generell jeglichen Vertrag zwischen Staat und Kirche kritisieren müsse.
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Der Einsatz für eine Entkonfessionalisierung im Schul- und Bildungswesen war auch in den kommenden Jahren ein primäres Anliegen von Humanistischer Union und Humanistischer Studentenunion. Der Vorsitzende der Humanistischen Studentenunion Schmidt hatte Ende 1965 die Ortsgruppen in Hessen aufgefordert, Vereinigungen und Komitees »gegen die Konfessionalisierung oder Christianisierung der Schulen« 246 zu gründen. 1966 etablierte sich ein schulpolitischer Arbeitskreis der Humanistischen Union NRW mit Sitz in Essen, der durch Stellungnahmen und Gutachten, maßgeblich von Fischer verfasst, die schulpolitischen Entscheidungen des Kultusministeriums NRW beeinflussen wollte.247 1967 sprach sich der Ortsverband Darmstadt gegen die religiöse Schulwoche aus und argumentierte mit der in GG Art. 138 festgeschrieben Trennung von Staat und Kirche.248 Auch gegen die Durchführung des Religionsunterrichts erhob man große Einwände, wiederum unter Bezugnahme auf den Trennungsgrundsatz.249
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Schreiben Schmidt an Fischer vom 25. 11. 1965; ebd. Das Einstehen für die Gemeinschaftsschule und gegen die Konfessionsschule war ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt; ebenso beschäftigte man sich mit der Frage der Ausbildung der Lehrer für Grund- und Hauptschule und erstellte Thesen zur Abschaffung des Religionsunterrichts an Schulen. Die Reaktionen auf die Äußerungen des Arbeitskreises waren zum Teil sehr positiv. So hatte das Kultusministerium Ende 1967 signalisiert, es werde das von Fischer veröffentlichte Gutachten »Darf eine öffentliche Schule christlich sein?« mit in seine Beratungen übernehmen. Ähnlich äußerte sich Karl Dietrich Erdmann, Vorsitzender des Deutschen Bildungsrates, man werde die Anregungen und Argumente der HU in der weiteren Arbeit berücksichtigen (vgl. Mitteilungen Nr. 33, 10/11/12//1967, 9). Durch diese Rückmeldung motiviert, verfasste der Arbeitskreis im Juni 1969 ein Schreiben an den Kultusminister mit dem Betreff: »Religiöse Symbole in öffentlichen Schulen«. Der Hintergrund war, dass die Stadt Aachen die Anbringung von Kreuzen in den Aachener Gemeinschaftsschulen gefordert hatte. Das Aachener Schulamt hatte darauf hin die Anordnung ausgesprochen. Der schulpolitische Arbeitskreis kritisierte, dass »der weltanschaulich-neutrale Staat [. . .] als längerer Arm der Kirchen missbraucht« werde und forderte den Kultusminister auf, den Arbeitskreis darüber zu informieren, »was Sie gegen diesen Missbrauch staatlicher Macht und gegen die Verletzung des Gebots, das den Staat zu weltanschaulicher Neutralität verpfl ichtet, zu tun gedenken« (Schreiben schulpolitischer Arbeitskreis an Kultusminister vom 20. 6. 1969; IfZ Ed 445-23). 248 »Es stellt eine eindeutige Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Staat und Kirche [. . .] dar, wenn die beiden christlichen Kirchen durch eine derartige Privilegierung mit staatlichen Mitteln durch die staatlichen Schulen materiell und propagandistisch unterstützt werden« (Mitteilungen Nr. 35, 4/5/6//1968, 7). Neben einem Verstoß gegen Art. 138 GG werde ebenfalls Art. 3 GG, der Gleichheitsgrundsatz verletzt, »[d]a zur Durchführung der ›Religiösen Schulwoche‹ bis zu 15 Stunden pro Woche Unterrichtsausfall genehmigt wird [. . .]. Eine derartige Veranstaltung stellt also für Schüler, die zur kirchlichen Verkündigung keine Beziehung haben oder aus anderen Gründen am Religionsunterricht nicht teilnehmen, eine erhebliche Benachteiligung dar« (ebd.). 249 »Das Trennungsprinzip war doch gerade deshalb geschaffen worden, um den Einzelnen vom Machtbereich der Kirchen zu befreien und auch den Weg der Bemächtigung des Menschen durch die Kirchen über den Staat auszuschließen« (ebd. Nr. 36, 7/8/9/ 10//1968, 8). 247
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Eine »Thesenreihe zur Abschaffung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen« 250 macht deutlich, gegen welche Gefahr die Humanistische Union präventiv eingreifen wollte. Dort wird der Religionsunterricht als »Machtinstrument« der Kirchen bezeichnet. So wird das Kind, welches entwicklungspsychologisch betrachtet in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis zu den ihm gegenübergestellten Autoritäten steht, durch den Gedanken eines allmächtigen Vaters, so wie er im Religionsunterricht vermittelt werde, zu einer »Gehorsams- und Unterwerfungsbereitschaft« 251 erzogen, die dem freiheitlich-demokratischen Staat schaden kann. Dieser ist hinsichtlich seines Bestandes auf autonome und kritische Bürger angewiesen. Er muss dafür einstehen – und hat in diesem Punkte die Verfassung hinter sich! –, dass das geschilderte Risiko einer »religiös-indoktrinierende[n] Kindererziehung« 252 gebannt wird. Statt konfessionellem Religionsunterricht forderte man daher einen rein informativen Religionskunde- und Weltanschauungsunterricht.253 Im April 1970 sprach man sich gegen die Errichtung einer KatholischTheologischen Fakultät an der zukünftig in Augsburg zu etablierenden Universität aus, mit einer doppelten Begründung: zum einen sah man in der Existenz einer Theologischen Fakultät einen Verstoß gegen die Freiheit von Forschung und Lehre aufgrund des Mitbestimmungsrechts der Kirchen bei der Berufung der Lehrkörper, zum anderen sah man die in der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit durch die Vorrangstellung der christlichen Religion in Form eines eigenen Fachbereiches nicht mehr gewährleistet. Ebenfalls 1970 richtete die Humanistische Union in Verbindung mit der Kritik an der Kirchensteuer und ihrem verfassungswidrigen Einzug in mehreren Ortsverbänden Kirchenaustrittsberatungsstellen ein, in denen man am Kirchenaustritt interessierten Menschen Informationen zu diesem Schritt anbot. So hieß es bspw. auf einem dazu verfassten Flugblatt des Heidelberger Ortsverbandes: 250
Vgl. IfZ Ed 445-23. Ebd. 252 Ebd. 253 Wie ausdauernd die HU in ihrer Arbeit sein konnte, zeigt der Hinweis auf einen Schriftwechsel, den der Ortsverband der HU Hamburg mit dem Landesschulrat der Schulbehörde Hamburgs geführt hatte. Über drei Jahre lang, von 1968 bis 1970, hatte man auf schriftlichem Wege die Frage der religiösen Erziehung in den Grundschulen diskutiert. Dabei ging es um die Bestimmungen für den Religionsunterricht im ersten und zweiten Grundschuljahr, so, wie sie in den Richtlinien für Erziehung und den Unterricht in den Klassen eins bis vier der Grundschule 1966 festgelegt waren. Nach diesen Richtlinien gab es im ersten und zweiten Schuljahr keinen gesonderten Unterricht, sondern die religiöse Erziehung wurde mit dem vorherrschenden Gesamtunterricht verbunden. Die HU sah hierin eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 2 GG gewährten Elternrechtes, da Eltern, die ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden wollten, ihre Kinder nicht vor dieser Art von religiöser Erziehung und Beeinflussung bewahren konnten. 251
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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»Sind [S]ie Christ? Dann sind sie hier nicht angesprochen. Sind [S]ie kein Christ? Warum zahlen [S]ie dann Mitgliedsbeiträge, sprich: Kirchen-«Steuer«? Für keine andere Vereinigung treibt der Staat die Beiträge ein! Wissen Sie, was damit gemacht wird? Das meiste geht drauf für Gehälter und Kirchenbauten (zweieinhalbtausend Kirchen wurden nach dem Krieg gebaut!). Sind das gute Werke? Wissen Sie nicht selber, wo sie helfen wollen?« 254
Weiter unten stand in dicken Lettern »Heiden werden nicht verfolgt [. . .]. Sie brauchen als Konfessionsloser keine Nachtteile zu befürchten! Sie können heiraten und beerdigt werden – auch ohne den Herrn Pfarrer.« 255 Mit dem Hinweis »Die Kirchen haben keine Macht außer der, die Sie Ihnen geben« 256 rief man die Bevölkerung auf, zu den Beratungsstellen der Humanistischen Union zu kommen.257 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Humanistische Union versuchte, in jenen Bereichen aktiv zu werden, für die normalerweise die Kirchen zuständig waren. So startete der Ortsverband München im Sommer 1965 versuchsweise eine überkonfessionelle telefonische »Informationsstelle für Lebenshilfe«, welche die Funktion hatte, »Ratsuchenden in praktischen Lebensfragen geeignete Fachleute und Hilfseinrichtungen« 258 zu vermitteln: »Also zum Beispiel Katholiken katholische Eheberatungsstellen, liberalen Eltern liberale Erziehungsberater, unaufgeklärten Brautpaaren aufgeklärte Ärzte etc.« 259 1972 startete der Ortsverband Frankfurt eine Kampagne gegen die Wochenzeitung neue bildpost260. In einem Flugblatt, das an Kirchenbesucherinnen und -besucher verteilt wurde, forderte der Ortsverband die Beendigung des Verkaufs der Zeitung auf dem Gelände der Kirchen. Man begründete dies zum einen damit, dass es sich um eine politische Zeitung handelte, die über Politik und Tagesgeschehen berichtete und somit »an die Kioske und nicht an die Verkaufstische für religiöses Schrifttum in den Kirchen« 261 gehöre. Zum anderen argumentierte man inhaltlich und stellte unter Berufung auf eine vom Katholischen Bildungswerk Dinslaken durchgeführte Untersuchung fest, die Zeitung liefere »dem Leser keine In254
Flugblatt zum Kirchenaustritt; IfZ Ed 445-23. Ebd. 256 Ebd. 257 Peter Bernhardi, seinerseits 1970 im Ortsverband Frankfurt in dieser Arbeit tätig, erwähnte in einem Telefonat mit der Verfasserin, man habe mit etwa 200 Personen gerechnet, gekommen wären allerdings 2000, zum Teil auch aus Österreich und der Schweiz. 258 Rainer Haun in einem Leserbrief des Spiegels 20/1966, 18. 259 Ebd. 260 Klaus Scheunemann und Peter Bernhardi waren dabei die Hauptinitiatoren. Scheunemann, damaliges Mitglied des Bundesvorstandes der HU und erster Vorsitzender des Ortsverbandes Frankfurt, war von 1961 an Mitglied der HU und galt als einer der führenden Köpfe. 261 Flugblatt gegen neue bildpost; IfZ Ed 445-32. Die folgenden Zitate ebd. 255
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formationen, sondern Meinungen«, sie bediene sich »mannigfacher journalistischer Manipulationstechniken« und verhindere die Kommunikation mit Andersdenkenden, »indem sie entzweit, verketzert, verleumdet.« 262 Man wollte auf dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche verhindern, dass sich die Kirche für bestimmte politische Meinungen missbrauchen lässt.263 Die politische Meinung der Zeitung zeigte sich u. a. in ihrer einseitigen Positionierung zur Politik der Unionsparteien und der damit einhergehenden Kritiknahme an den politischen Argumenten von SPD und FDP.264 Dass sich die Humanistische Union mit diesen »antiklerikalen Aktivitäten« in den Kirchen keine Freunde machte, ist nicht schwer nachzuvollziehen. Von Anfang an sah sie sich der Kritik der beiden Großkirchen ausgesetzt, die ihr den Charakter eines Atheistenclubs ausstellten. 1964 klagte die Humanistische Union gegen Otto Dibelius, nachdem dieser sie in einer Osterbotschaft im Bayrischen Rundfunk als »Organisation für Freidenker und Atheisten, die den Begriff ›humanistisch‹ für atheistische Freigeisterei belege« 265 bezeichnet und behauptet hatte, die Humanistische Union vertrete die Ansicht, man könne nicht Humanist und Christ zugleich sein. Die Klage wurde durch das Bayrische Oberlandesgericht am 25. 3. 1966 abgelehnt mit der Begründung, die Äußerung Dibelius’ sei keine Tatsachenbehauptung, sondern »das ›Werturteil‹ eines berufenen Wortführers der evangelischen Kirche.« 266 Die Humanistische Union reagierte auf die Behauptungen Dibelius’, indem sie eine Stellungnahme ihrer christlichen Mitglieder veröffentlichte, welche darin die Freiheit betonten, »ihren christlichen Glauben weiterhin entschieden bekunden zu können und in der Glaubensfragen be262
Vgl. Art. »Religiöse Randerscheinung«, in: Spiegel 38/1972, 16. Der Artikel berief sich ebenfalls auf die Analyse des Arbeitskreises und verwies in diesem Zusammenhang auf die Forderung nach einer Einstellung der Zeitung, die auch von katholischen Kirchenmenschen wie bspw. dem Münsteraner Bischof Tenhumberg gefordert wurde. 263 »Die Kirchen erwarten vom Staat, daß er sich nicht in innerkirchliche Dinge einmischt. Dann muß aber auch umgekehrt gelten: Die Kirchen dürfen nicht für parteipolitische Interessen und Machtansprüche mißbraucht werden« (ebd.). Die Argumentation der HU ist geschickt formuliert, erhält man doch den Eindruck, sie trete dafür ein, die Kirchen vor einer etwaigen Gefahr der Manipulation zu schützen. Es sollte jedoch vielmehr darum gehen, mit der Kampagne gegen die neue bildpost ein Medium auszuschalten, das die Ansichten der katholischen Kirche in die Öffentlichkeit brachte, denn dass die neue bildpost in engem Kontakt zur katholischen Kirche stand, erwähnt sie in einer Gegendarstellung zur Kampagne (vgl. Art. »Die ›neue bildpost‹ steht zwar treu und unbeirrt zur katholischen Kirche«, in: neue bildpost vom 2. 7. 1972). 264 So hatte sie bspw. die Folgen des Wahlsiegs der SPD für die Kirchen bei den Bundestagswahlen 1969 mit einem Rückfall in die Zeit des Nationalsozialismus verglichen und einem polemischen Artikel folgende Überschrift aufgesetzt: »Kein Eid mehr! Die Glocken sollen schweigen! Weg mit den Kruzifi xen! Mehr Sex! Kein Schulgebet! Keine Konfessionsschulen! Die Kirche soll weg und alles schweigt! Hitler siegt nach 25 Jahren« (Art. »Porno statt Kirchenblatt«, in: Spiegel 15/1970, 106). 265 Mitteilungen Nr. 15, 6/7//1964, 3. 266 Ebd. Nr. 27, 5/6/7//1966, 6.
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treffenden Auseinandersetzung mit den Nichtchristen durch die gemeinsam vertretenen politischen Interessen und humanitären Ziele nicht behindert zu werden.« 267 Dabei verwiesen sie immer wieder auf das Anliegen ihres Gründers Szczesny, »zusammen mit gleichgesinnten Christen eine gesellschaftliche Ordnung zu verwirklichen, die ein Höchstmaß von gemeinsam anerkannten politischen und moralischen Werten und zugleich ein Höchstmaß von individueller Freiheit gestattet.« 268
Es kam im Verlaufe dieser Jahre immer wieder zu ähnlichen Äußerungen christlicher Mitglieder der Humanistischen Union. Seitens katholischer Kirchenmänner erfolgten Diffamierungen gegenüber der Humanistischen Union. So hatte 1965 ein Passauer Domprediger die Grundlage der Humanistischen Union als atheistisch bezeichnet und ihr eigentliches Ziel als »Kampf gegen Kirche und Christentum« 269 charakterisiert. In ähnlicher Weise hatte sich der Pressereferent des Erzbischöfl ichen Ordinariats München geäußert, die Humanistische Union sei bestrebt, »der Kirche jede Existenzberechtigung im öffentlichen Raum abzusprechen und den christlichen Glauben mit allen Mitteln, auch mit den Mitteln der Unwahrheit, zu bekämpfen.« 270 Auch hier reagierte die Humanistische Union, diesmal mit einer Presseerklärung, die mit dem Titel »Der Humanismus der Humanistischen Union, der christliche Glaube und die christlichen Kirchen« 271 überschrieben war. 2.3. Arbeit an der Basis: Gemeinsame Aktionen von Humanistischer Union und Jungdemokraten 272 Hatten die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten im November 1971 den Entschluss gefasst, mit der Humanistischen Union in der Staat und Kirche-Frage zu kooperieren, so kam es auf ihre Initiative hin am 12. 2. 1972 in Berlin zu einem ersten Treffen zwischen dem Landessprecher der Humanistischen Union NRW Helge Klawitter und Mitgliedern ihres Landesverbandsvorstandes, bei dem es im Wesentlichen um jene »Zusammenarbeit 267
Ebd. Nr. 16, 7/8//1964, 2. Ebd. 269 Ebd., 4. 270 Ebd. 271 Ebd. Die Erklärung gipfelte nach Abwehr der einzelnen Vorwürfe in der Aussage, dass sich die Kritik der HU nur in den Fällen auf die Kirchen bezog, wenn die Glaubensund Lebensrechte der nichtchristlichen Bürger in irgendeiner Weise durch Einmischung der Kirchen in politische Belange beeinträchtigt würden. 272 Der folgende Abschnitt liefert zunächst eine chronologische Darstellung dieser gemeinsamen Kooperation von DJD und HU, die im anschließenden Abschnitt 2.4. ausführlicher diskutiert und bewertet werden soll. 268
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zwischen beiden Gruppen im Bereich Kirche/Staat« 273 ging. Bei dem besagten Treffen gründete man einen Arbeitskreis aus Mitgliedern der jeweiligen Landesvorstände der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten und nordrhein-westfälischen Humanistischen Union. Auf Seiten der Humanistischen Union fungierten Eckart Rose, Vorsitzender des Arbeitskreises Kirche und Staat, und Helge Klawitter als Kontaktpersonen, bei den Jungdemokraten waren es Silke Gerigk-Groht, Rolf Saligmann und Hans-Peter Scherer, wobei letztere in der weiteren Korrespondenz nicht mehr erwähnt wurden und Gerigk-Groht somit als Hauptkontaktperson fungierte.274 Neben einer ersten Einladung der Jungdemokraten zu einem Treffen des Arbeitskreises Kirche und Staat der Humanistischen Union Anfang März 1972 in Essen beschloss man zwei gemeinsame Arbeitsseminare, die beide im Juni – das erste vom 1. bis 4. 6. 1972 in Berlin, das zweite am 17./18. 6. 1972 – stattfi nden sollten.275 Des Weiteren plante man ein »Schwerpunktseminar mit Öffentlichkeitswirkung« für den 26./27.8, bei dem man Fischer oder Szczesny als Referenten gewinnen und eine Podiumsdiskussion »mit je einem Vertreter der DJD und HU (Kahl?), der katholischen und evang. Kirche« stattfi nden lassen wollte. Auf diesem Seminar sollten ebenfalls die bis dahin erarbeiteten Flugblätter und Broschüren verabschiedet werden, 273
Schreiben Klawitter vom 15. 2. 1972; Bildungswerk HU NRW. Das Schreiben war adressiert an die Mitglieder des Arbeitskreises Kirche und Staat, die Ortsverbände der HU NRW, den Bundesvorstand, den Ortsverband Berlin und die DJD des Landesverbandes NRW. Im Betreff: Bericht über Treffen Landesvorstand der Jungdemokraten und Landessprecher der Humanistischen Union/NRW: Gemeinsame Aktion zum Thema Trennung von Kirche und Staat (vgl. auch Art. »Trennung von Kirche und Staat«, in: FR vom 17. 2. 1972; Art. »Kampf gegen Amtskirche«, in: KNA Nr. 40 vom 24. 2. 1972). Dass sich die DJD bereits ein Stück weit mit dieser Thematik beschäftigt hatten, darauf verweist der Bericht von Rudolf Opitz, Verbindungsmann des FDP-Landesvorstandes zu den DJD, über die LDK im Januar 1972: »Ich will nicht zu den einzelnen Anträgen Stellung nehmen, auch nicht zum Beischlaf- oder Kirchenaustrittsantrag, so amüsant das vielleicht auch sein könnte« (Schreiben Opitz an Rieger vom 16. 1. 1972; LStaD RWN 251-142). 274 Dies bestätigt auch eine Äußerung Klawitters gegenüber Eckart Rose: »Frau Gerigk-Groht rief mich gestern an. Die organisatorische Leitung für die DJD der ›Kirchenaktion‹ scheint sie übernommen zu haben. Die Herren Scherer und Saligmann scheinen ausgeschieden zu sein. Mal sehen, was bei der Sache nun wirklich rauskommt« (Schreiben Klawitter an Rose vom 15. 6. 1972; Bildungswerk HU NRW). Die drei DJD waren Mitglied des Landesvorstandes. Rolf Saligmann war dritter stellvertretender Landesvorsitzender, Hans-Peter Scherer bis Mai 1972 Lehrlingsreferent und Silke Gerigk-Groht (* 1948) zweite stellvertretende Landesvorsitzende. Gerigk-Groht nahm im Kontext der Entstehung und Diskussion des Kirchenpapiers eine entscheidende Rolle ein. Sie und Knabenbauer waren die Verfasser des ersten Kirchenpapiers, das, vom Kreisverband Hagen ausgehend, zunächst auf der nordrhein-westfälischen LDK und dann Ende Januar 1973 auf der BDK jeweils in modifi zierter Form verabschiedet wurde (zu Gerigk-Groht siehe auch Kap. II.3.). 275 Vgl. Schreiben Klawitter vom 15. 2. 1972; Bildungswerk HU NRW. Die folgenden Zitate ebd.
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um diese anschließend bei diversen Aktionen in einzelnen Städten 276 in NRW zu verteilen. Das erste Juniseminar sollte der Fortsetzung einer Diskussion dienen, die bei oben erwähntem Treffen im Februar auf Seiten der Jungdemokraten ausgebrochen war. Es war dabei um die Frage gegangen, ob man sich auf die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche beschränken wollte, oder ob man »die Amtskirchen einschl. christlicher Religion massiv ideologiekritisch angreifen sollte.« Bei dem Treffen im Februar hatte man sich, auf Anraten der Mitglieder der Humanistischen Union, auf einen Kompromiss dahingehend geeinigt, die ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum und der christlichen Religion intern erfolgen zu lassen und sich nach außen hin auf die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche zu beschränken.277 Dem Wunsch nach dieser internen Diskussion kam man somit nach, allerdings nicht wie geplant in Form eines dreitägigen Arbeitsseminars, sondern man traf sich für einen Tag, am 4. 6. 1971 in Dortmund.278 Bei dem Treffen referierten die beiden Mitglieder der Humanistischen Union Joachim Kahl zum Thema »Ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum am Beispiel der Unterdrückung der Frau«, und Rainer Schepper über »Das Sittengesetz. Die Verankerung moraltheologischer Ansprüche in der Verfassung.« 279 276 »Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln, Münster, darüber hinaus wahrscheinlich DJD alleine: Bochum, Krefeld, Hagen, Mülheim, Bonn« (ebd.). 277 Konnte dieser Kompromiss die Kooperation zunächst weiterhin gewährleisten, so wurde bereits hier die grundsätzliche Differenz zwischen beiden Gruppen im Blick auf das jeweils intendierte Ziel der Kooperation offenbar, die letztlich auch ein gemeinsames Kirchenpapier scheitern ließ (siehe dazu Abschnitt 2.3.). Auch externe Beobachter bescheinigten diese Differenz. Am 10. 3. 1972 berichtete die Kirchenzeitung des Bistums Köln von dem gemeinsamen Vorhaben von HU und DJD. Der kurze, titellose Artikel endet mit dem Satz »Nach Ansicht von Beobachtern zeigen diese drei Punkte [1. Forderungskatalog Trennung von Staat und Kirche, 2. Auf klärung über Amtskirche, 3. Auf klärung über Kirchenaustritt], daß es den Jungdemokraten offenbar weniger um eine sogenannte Trennung von Staat und Kirche geht, sondern daß sie vielmehr versuchen wollen, zu einer ›Kirchenaustrittswelle‹ aufzurufen« (Art. »Kampf gegen Amtskirche«, in: Kirchenzeitung Bistum Köln vom 10. 3. 1972). 278 In der Ausgabe des DJD-aktuell 16/1972 vom 29. 5. 1972 wurden die DJD »dringend aber herzlich« dazu aufgefordert, an diesem Treffen teilzunehmen. Ebenso betonte man, dass noch großer Bedarf an Mitarbeitern zur Durchführung dieser Aktion bestünde (vgl. ebd., 19). 279 Der in Köln geborene Religionskritiker Joachim Kahl (*1941) studierte zunächst ev. Theologie an der Philipps-Universität in Marburg und promovierte 1967 mit einer Arbeit über »Philosophie und Christologie im Denken Friedrich Gogartens.« Kurze Zeit später trat er aus der evangelischen Kirche aus und wurde Atheist, eine Wandlung, die er mit seinem 1968 in Hamburg erschienenen Buch »Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott« begründend darlegte. In Frankfurt am Main nahm er ein Zweitstudium in den Fächern Philosophie, Soziologie und Politik auf und wurde 1975 mit einer Arbeit zum Thema »Darstellung, Analyse und Kritik der Weltanschauungsethik«
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Ein zweites Seminar, welches für den Zeitraum 17./18. 6. 1972 angesetzt war und dessen Organisation in den Händen der Jungdemokraten lag, sollte neben der Ausarbeitung einer Informationsbroschüre und eines Flugblatts zum Thema »Trennung von Kirche und Staat« der Vorbereitung einer für den Herbst vorgesehenen gemeinsamen Aktion zu dem Thema dienen. Neben organisatorischen Fragen, die Art und Umfang der Herbstaktion betrafen, wollte man sich primär inhaltlich mit dem großen Thema Staat und Kirche auseinandersetzen, indem man sich die Themenbereiche, »die ursprünglich als Schwerpunktthemen der Aktion beschlossen worden waren« 280 erschließen wollte. Die einzelnen für das Seminar vorgesehenen Arbeitsgruppen sollten jeweils von Humanistischer Union und Jungdemokraten vorbereitet werden.281 Doch auch diese Veranstaltung fand nicht in der verabredeten und teilweise schon geplanten Form statt, sondern wurde kurzfristig von den Jung-
zum Dr. phil. promoviert. Kahl, der während seiner Studienzeit zum Marxisten geworden war, hatte von 1974 bis 1984 einen Lehrauftrag im Fach Philosophie an der Philipps-Universität in Marburg inne. Von 1982 bis 1990 war er Bildungsreferent für den »Bund für Geistesfreiheit Nürnberg«. In seinem 2006 erschienenen Buch »Weltlicher Humanismus. Eine Philosophie für unsere Zeit« beschreibt Kahl seine Abwendung vom Marxismus. Das Buch endet mit einem Kapitel »Wie ich wurde, was ich bin. Ein Rückblick«, in dem Kahl seine biographischen und weltanschaulichen Wandlungsprozesse beschreibt (vgl. Kahl, Humanismus, 243–254). Kahl hatte einen starken Einfluss auf die Inhalte des ersten Kirchenpapiers der DJD (siehe dazu Abschnitt 2.4.1.). 280 Schreiben Klawitter an Arbeitskreis Kirche und Staat von Mitte Mai 1972; Bildungswerk HU NRW. Leider liegen keine Unterlagen über das Treffen vor, bei dem diese Themen beschlossen wurden. Es handelte sich dabei um zwei Themenblöcke, denen bestimmte Arbeitsgruppen zugeordnet waren. Der erste Themenblock war I. Weltanschauliche Grundlagen überschrieben und beinhaltete die Arbeitsgruppen a) Der Absolutheitsanspruch der Kirchen gegenüber der Gesellschaft und b) Antiemanzipatorische Tendenzen in Lehre und Praxis der Kirchen. Ein nächster Themenblock beschäftigte sich mit II. Forderungen zur Beseitigung des kirchlichen Einflusses in Staat und Gesellschaft. Die ihm zugehörigen Arbeitsgruppen waren a) Befreiung der Gesetzgebung und Rechtsprechung von moraltheologischen Zielsetzungen, b) Beseitigung der kirchlichen Einflüsse im Schulwesen, c) Beseitigung der kirchlichen Einflüsse im Sozialwesen, d) Kündigung des Militärseelsorgevertrages, e) Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs. 281 So führte der Landesverband NRW der HU in Vorbereitung darauf und unabhängig von den DJD am 11. 5. 1972 ein ganztägiges Seminar zum Thema »Der Absolutheitsanspruch der Kirchen gegenüber der Gesellschaft« durch, an dem insgesamt 11 Personen, darunter auch einige Vertreter der DJD, teilnahmen. Folgende Referenten sprachen zu nachstehenden Themen: Eckart Rose, Vorsitzender des Arbeitskreises Kirche und Staat: »Glaubenslehre und Selbstverständnis der Kirchen und ihre Folgen auf das Verhältnis von ›Staat und Kirche‹«; Rainer Schepper: »Das Sittengesetz – Die Verankerung moraltheologischer Ansprüche in der Verfassung«; Artur Osenberg: »Die Befreiung der Gesetzgebung und Rechtsprechung von theologischen Zielsetzungen – Konsequenzen und Möglichkeiten für die Trennung von Staat und Kirche.« Im Anschluss daran erfolgte jeweils eine Diskussion (vgl. Protokoll des Seminars; ebd.).
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demokraten abgesagt.282 Der Absagebeschluss war auf der Landesvorstandssitzung der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten, die vom 9. bis 11. 6. 1972 in Berlin tagte, gefasst worden. Dabei schienen wohl organisatorische Schwierigkeiten der Grund gewesen zu sein, denn wie aus einem Brief Klawitters an Rose vom 7. 6. 1972 hervorgeht, habe Gerigk-Groht ihn in einem Telefonat einen Tag zuvor darüber informiert, dass der Ort für das nächste Seminar immer noch nicht gesichert sei. In der Humanistischen Union traf man sich stattdessen zu einer Sitzung des Arbeitskreises Kirche und Staat, in der man ein Arbeitspapier behandelte, welches von Artur Osenberg Mitte Mai ausgearbeitet worden war.283 Einer vom Verfasser handschriftlich ver282 Kurzfristig insofern, als noch im DJD-aktuell 17/1972 vom 7. 6. 1972 zu dem gemeinsamen Seminar eingeladen worden war (vgl. ebd., 8). 283 Vgl. 28 Thesen über Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Trennung von Staat und Kirche in Deutschland, Entwurfskizze (2); Handakten Dahlhaus. Der Sozialdemokrat und Jurist Artur Osenberg war Mitglied der HU, so von 1971 bis 1984 in ihrem Vorstand und zeitweise als Vorsitzender des Bildungswerkes der HU. Er war jahrelang Beigeordneter im Sozialdezernat in Velbert. Nach Aussagen Gerigks war er einer der Aktivsten in Sachen Trennung von Staat und Kirche. Dies belegten auch weitere Publikationen Osenbergs zum Thema Staat und Kirche. So verfasste er 1980 »Thesen zur Trennung von Staat und Kirche«, die er am 10. 9. 1980 in der HU präsentierte. Drei Jahre später veröffentlichte er einen Aufsatz zum Thema »Die Großkirchen im allgemeinen Säkularisierungsprozeß – Versuch einer Bestandsaufnahme aus kritisch-rationalistischer Sicht« (in: fa – freie akademie, 1983). Er arbeitete kontinuierlich in dem Arbeitskreis der HU zu Kirche und Staat mit und engagierte sich durch rege Vortragstätigkeit. Im Folgenden seien die Grundgedanken des 18 Seiten starken Arbeitspapiers kurz skizziert, da das Papier im Kontext der Entstehung des Papiers »Liberalismus und Christentum« noch von Bedeutung sein wird. In einer ersten »Vorbemerkung zur weltanschaulich-rechtlichen Lage« (Osenberg, 28 Thesen, 1. Die folgenden Zitate ebd.) konstatierte Osenberg den »weltanschauliche[n] Rückstand der deutschen Gesellschaft gegenüber den Ergebnissen moderner Wissenschaft und den Verfassungen aufgeklärter demokratischer Staaten«, der sich in der fehlenden Anpassung an Entwicklungen und Prozesse der Zeit manifestiere, die er durch die Schlagworte »Säkularisierung, ›Fundamentaldemokratisierung‹ und Pluralisierung« charakterisierte. Er verwies dabei auf Alexander Hollerbachs Äußerungen, die dieser am 5./6. 10. 1967 auf der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer gemacht hatte. Auch Hollerbach hatte dort von einem »›Ausrinnen‹ der Religion aus der Gesellschaft« und dem Phänomen der »Abständigkeit und des Abfalls breiter Bevölkerungskreise von Kirche und Religion« bei gleichzeitiger »Aufrechterhaltung formeller Kirchenmitgliedschaft und feiertäglicher Kirchlichkeit« gesprochen (zit. nach ebd.). Nur die konsequente Trennung von Staat und Kirche, so Osenberg weiter, könne eine »autonom[e] sozial[e] und pluralistisch-tolerant[e] Gesellschaft« garantieren, doch habe es die in der WRV festgeschriebene so genannte »hinkenden Trennung« von Staat und Kirche, die im Grundgesetz aus Verlegenheit so übernommen wurde, den Kirchen möglich gemacht und ermögliche es ihnen noch immer, ihre Machtposition so verstärken. Der Forderung weltanschaulicher Neutralität des Staates entspreche somit nicht die Praxis, und die vorherrschenden Strukturen (Privilegierung von Religionsgemeinschaften, Kirchensteuereinzug, Taufpraxis, Staatskirchenverträge etc.) seien verfassungswidrig. Dieser Zustand der »Verfi lzung der alten kirchlichen Denk- sowie Machtstrukturen und der neuen freiheitlichen Demokratie« müsse aufgelöst werden (ebd., 2). Auf diesem Hintergrund konzipierte Osenberg ein Aktionsprogramm mit dem Ziel, Verbesserungen je nach der aktuellen politischen und rechtlichen Lage zu erreichen und ein Zielprogramm, das anstrebe, die real-ideale Zukunftsgesellschaft durch
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fassten Notiz auf dem Papier war dabei zu entnehmen, dass es eigentlich als Arbeitsgrundlage für die Sitzungen des gemeinsamen Arbeitskreises hatte fungieren sollen.284 Dem Protokoll über besagte Landesvorstandssitzung der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten lässt sich entnehmen, dass man zwei Ausweichtermine, den 8./9. 7. bzw. 15./16. 7. ins Auge gefasst hatte, die man der Humanistischen Union alternativ zum 16./17. 6. vorschlagen wollte.285 Neben organisatorischen Schwierigkeiten bestand ein wesentlicher Aspekt, der die Kooperation mit der Humanistischen Union zunehmend schwieriger machte, in der Finanzierung der geplanten Aktionen. So hieß es weiter unten im Protokoll, der Landesvorstand sehe sich außer Lage, »die Info-Druckkosten für die Aktion ›Kirche und Staat‹ zu tragen« und wolle im Folgenden mit »interessierten Kreisverbänden über eine Übernahme der Kosten sprechen.« 286 Ein auf den 17. 7. 1972 datiertes Schreiben Gerigk-Grohts »an die Mitglieder des Arbeitskreises ›Kirche und Staat‹ der Humanistischen Union und der DJD-Vertreter« 287 belegt, dass man wohl den zweiten der von den Jungdemokraten vorgeschlagenen Ausweichtermine genutzt hatte, um das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Bei dem Treffen hatte man der Aktion eine konkrete Gestalt und einen Termin gegeben sowie einige inhaltliche Aspekte festgelegt.288 Des Weiteren wurden jene fi nanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten diskutiert, u. a. auch die Frage der Finanzierung der Informationsbroschüren.289 Eine endgültige Entscheidung über Umfang und die »völlig[e] Heraustrennung der Kirchen aus dem säkularen Staat« zu gewährleisten (ebd.). Die Forderungen dieses Aktionsprogramms und einige Passagen des Zielprogramms wurden vom Inhalt her in abgewandelter Form, teilweise verkürzt und unter Absehung bestimmter negativ konnotierter Vokabeln so im Forderungskatalog des Papiers »Liberalismus und Christentum« aufgenommen (siehe dazu Abschnitt 2.4.1.). 284 »Einzige Arbeitsunterlage für den ab 11. 5. und 4. 6. 1972 in Dortmund, 18. 6. 72 in Essen, 14. 7. in Düsseldorf und 5. 8. 72 in Gummersbach aufgebauten gemeinsamen Arbeitskreis der Landesvorstände der Human. Union und der Jungdemokraten« (Osenberg, 28 Thesen, 1; Handakten Dahlhaus). Osenberg hatte die Thesen am 30. 5. 1974 an Dahlhaus verschickt. 285 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 9. bis 11. 6. 1972; AdL 11412. 286 Darauf verweist gleichsam die Tatsache, dass die Thematik unter dem TOP Sparmaßnahmen verhandelt wurde (vgl. ebd.). 287 Bildungswerk HU NRW. 288 »Aktion ›Trennung von Staat und Kirche‹. Als Auftakt der gemeinsam von HU und DJD geplanten Aktion in NRW wird am 16. und 17. September 1972 in Köln ein Seminar zu diesem Thema durchgeführt [. . .]. Geplant sind Grundsatzreferate zu den fünf wesentlichen Forderungen, eine Landespressekonferenz und am Samstagabend eine öffentliche Podiumsdiskussion« (Mitteilungen Nr. 57, 6/7//1972). Von dem ursprünglich angedachten Termin Ende August musste man wohl abweichen, da das Hauptvorbereitungsseminar Mitte Juni ausgefallen war. 289 »Von Herrn Dr. Rose und der Landesgeschäftsstelle der DJD werden erneut Informationen über günstige Druckmöglichkeiten eingeholt« (Schreiben Gerigk-Groht an Mitglieder des Arbeitskreises Kirche/Staat vom 17. 7. 1972; Bildungswerk HU NRW).
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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Druck dieser Broschüre sollte auf der erweiterten Redaktionssitzung gefasst werden, zu der Gerigk-Groht in ihrem Brief einlud und die am 29. 7. in Düsseldorf stattfi nden sollte. Schwerpunktthema dieses Treffens sollte die weitere Vorbereitung der »Aktion ›Trennung von Staat und Kirche‹« 290 sein. Dass die Kooperation zwischen Jungdemokraten und Humanistischer Union zu diesem Zeitpunkt ein Stück weit gestört war, zeigt die Tatsache, dass das Treffen erneut – diesmal auf Bitten der Humanistischen Union – verschoben wurde, und zwar um eine Woche auf den 5. 8. 1972 in der Theodor-Heuss-Akademie. Aus den Protokollen der Landesvorstandssitzungen der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten von Ende Juli und August geht hervor, dass die Zusammenarbeit zunehmend krankte. So hieß es im Protokoll vom 29. 7. 1972, »die DJD werden die Aktion absagen« 291, zeige sich im Verlaufe des weiteren Vorbereitungsgesprächs kein wesentlicher Fortschritt. Neben organisatorischen und fi nanziellen Schwierigkeiten kam es nun auch zu inhaltlich strittigen Punkten, so etwa hinsichtlich der Frage, ob die Freireligiösen an der geplanten Aktion beteiligt werden sollten oder nicht. Die Humanistische Union schien deren Teilnahme zu befürworten, während sich die Jungdemokraten dagegen aussprachen.292 Leider liegt kein Protokoll des Treffens vom 5. 8. 1972 vor, doch ist davon auszugehen, dass das Treffen und damit die weitere Vorbereitung der Aktion stattgefunden hat. Am 12. 8. 1972 gab Maier auf einer Klausurtagung des Landesvorstandes der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten einen Bericht über den aktuellen Stand der Dinge hinsichtlich der Aktion Kirche und Staat und betonte darin, dass das organisatorische Schwergewicht dabei bei der Humanistischen Union »in Verbindung mit Siekmann« 293 liege. Im Blick auf die Frage der Teilnahme der Freireligiösen wurde darin nochmals explizit betont, »daß nicht nur die Teilnahme (Mitveranstaltung) der ›Freireligiösen‹ an der Veranstaltung sondern auch ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion nicht erwünscht wird.« 294 Unter dem Motto »Gegen den Klerikalismus in der BRD – für die Trennung von Kirche und Staat!« plante man somit einen zweitägigen Kongress für den 16. bis 17. 9. 1972, dessen Schwerpunkt in Köln stattfi nden und der durch verschiedene Aktionen umrahmt werden sollte:
290
Ebd. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 29. 7. 1972; AdL 11412. 292 »Die Jungdemokraten wenden sich gegen eine Teilnahme der Freireligiösen an der Aktion« (ebd.). 293 Protokoll der Klausurtagung des Landesvorstandes vom 12. 8. 1972; ebd. Siekmann war erster stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes. 294 Ebd. 291
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
»Donnerstag, 14. 9. 72 Landespressekonferenz; Samstag, 16. 9. 72 10–14 Uhr Straßenaktion in der Kölner Innenstadt mit Informationsstand (Flugblätter, Informationsbroschüren, Megaphondurchsagen), 16 Uhr: Beginn des Schwerpunktseminars mit Referat vom (HU-)Rechtsanwalt Erwin Fischer, Ingrid Matthäus ( Jungdemokraten-Bundesvorsitzende), je einem evangel. und kathol. Theologen; Sonntag, 17. 9. 72 10 Uhr: Öffentliches Hearing mit Bundestagsabgeordneten der SPD, FDP und CDU zur Haltung der Parteien zu unseren Forderungen zum Thema Trennung von Kirche und Staat. Ende gegen 14 Uhr.« 295
Aus dem zitierten Rundschreiben Klawitters geht weiterhin hervor, dass im Rahmen der NRW-Aktion auch in Essen kleinere Aktionen in Vorbereitung waren. So hatte sich dort u. a. der katholische Theologieprofessor Horst Herrmann aus Münster für den 12. 10. 1972 mit einem Vortrag zum Thema »Katholisches Engagement für den Sozialismus!« angemeldet. Klawitter forderte alle Ortsverbände und Arbeitskreise in NRW zur Teilnahme an der Aktion auf. Dabei konnte jeder Ortsverband darüber entscheiden, auf welche Weise er in seiner Stadt an den Veranstaltungstagen aktiv werden wollte.296 Mitte August, ca. drei Wochen vor Beginn der Aktion, kündigten die Jungdemokraten endgültig ihre Mitarbeit auf. In einem Brief Klawitters an die Landesverbände der Humanistischen Union vom 27. 8. 1972 nannte dieser drei Gründe, die ihm seitens der Jungdemokraten genannt worden seien: »Die Vorarbeiten zur Erstellung der Broschüre, Flugblätter und Plakate hätten sich so verzögert, daß in der verbleibenden Zeit Redigierung und Druck nicht mehr ordentlich hätten durchgeführt werden können; hinsichtlich der Forderungen bestünden wesentliche Unterschiede zwischen den DJD und Mitgliedern der vorbereitenden HU-AK Kirche und Staat [. . .] die Durchführung des Hearings in Köln sei an der mangelnden Bereitschaft der Parteien im Wahlkampf Vertreter zu entsenden und sich zu diesem Thema zu äußern, gescheitert.« 297
Dem Schreiben Klawitters war abzuspüren, wie verärgert man seitens der Humanistischen Union über diese erneute Absage der Jungdemokraten war und dass deren Gründe wenig plausibel erschienen: »Grund Nr. 1 geht m. E. vor allem zulasten der DJD. Denn gemessen an ihrer Größe ist von HU-Seite früh und relativ intensiv mit der Vorbereitung begonnen worden, z. B. auf dem HU-Seminar am 11. 5. 1972 in Dortmund. Es klappten dann aber nicht mehr die Seminare, die von DJD-Seite vorbereitet und organisiert wer-
295 Schreiben Klawitter an die Ortsverbände und Arbeitskreise in NRW vom 20. 8. 1972; Bildungswerk HU NRW. 296 Es gab die Optionen Kirchenaustrittsberatungsstelle, Vortrag, Diskussion, Straßenaktion/Informationstand; außerdem konnten die Ortsverbände Broschüren und Flugblätter anfordern (vgl. ebd.). 297 Schreiben Klawitter an den Landesverband der HU NRW vom 27. 8. 1972; ebd.
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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den sollten. [. . .]. Grund Nr. 2 kann ich nicht beurteilen, weil mir die letzten beiderseitigen Forderungskataloge noch nicht bekannt sind. Immerhin waren sich beide Seiten über den Text der Informationsbroschüre schon einig! 3. Bezüglich des Hearings gab es Schwierigkeiten, aber es waren noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft bzw. alle in Frage kommenden Politiker angesprochen [. . .].« 298
Die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten begründeten ihre Absage dem Bundeshauptausschuss der Jungdemokraten gegenüber wie folgt: »1. innerverbandlich: Wegen fi nanzieller Schwierigkeiten mußte das Programm insgesamt gekürzt werden (z. B. Veranstaltungen, Druckerzeugnisse). Aus organisatorischen und inhaltlichen Gründen (HU zog inhaltlich nicht mit, auch organisatorisch keine große Hilfe) mußte der geplante Kongreß ›Trennung von Staat und Kirche‹ auf das nächste Jahr verlegt werden.« 299
Sie schlugen somit vor, die Aktion im Frühjahr des kommenden Jahres stattfi nden zu lassen. Die Aktion »im großen Stil« war somit geplatzt und die Humanistische Union musste sich auf eine kleinere Struktur beschränken.300 Neben den Überlegungen im Landesverband der nordrhein-westfälischen Humanistischen Union existierten auch auf Bundesebene der Humanistischen Union Ende 1972 Anfang 1973 Pläne, eine Aktion zum Thema Kirche und Staat durchzuführen. Ein Kongress mit dem Motto »Klerikalismus heute« sollte sich mit der Thematik »Der Einfluss der Kirchen im politischen System der BRD Oder: Gibt es heute noch klerikale Privilegien?« beschäftigen. Anfang Januar informierte Klaus Scheunemann die Bundesvorstandsmitglieder über eine mögliche Kongresskonzeption, die er zusammen mit Kahl ausgearbeitet hatte.301 Vermutlich durch diese Überlegungen inspiriert, ging der Landesverband der nordrhein-westfälischen Humanistischen Union Mitte Januar daran, die Durchführung der im Herbst ausgefallenen Aktion zur Trennung von Staat und Kirche erneut in Angriff zu nehmen. Neben der Frage, ob und wie man sich auch in Zukunft eine Kooperation mit den Jungdemokraten vorstellen könnte, stand die Überlegung, die geplante Kongressidee gemeinsam mit 298
Ebd. Bericht Siekmann zum Bundeshauptausschuss vom 30. 8. 1972; AdL 11412. 300 »Die Aktion [sc. in Köln] wird sich ohnehin nur durchführen lassen, wenn Roth noch einen zweiten Verband fi ndet, der mitzieht und die Hälfte der auf insgesamt 900 DM geschätzten Kosten trägt [. . .]. Die Veranstaltung in Essen haben wir ja ebenfalls schon fest geplant, dh. sie wird in jedem Fall stattfi nden« (Schreiben Klawitter an Tjaden und Leibenguth vom 27. 8. 1972; Bildungswerk HU NRW). 301 So sollte ein Vortrag, dessen Referent noch nicht bestimmt festlag (zur Auswahl standen Szczesny, Deschner, Fischer oder Kahl), den Tag einleiten. In diversen Arbeitskreisen wollte man den Einfluss der Kirchen u. a. in den Bereichen von Schule, Bildung, Medien, Strafrecht erörtern (vgl. Schreiben Scheunemann vom 4. 1. 1973; ebd.). 299
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
dem Bundesvorstand der Humanistischen Union umzusetzen. Ende Februar informierte Dieter Roth den Geschäftsführer des Bundesvorstandes der Humanistischen Union Leo Derrik darüber, dass man im Arbeitskreis »Kirche und Staat« beschlossen habe, »die ausgefallene Aktion zur Trennung von Staat und Kirche im kommenden Herbst durchzuführen und – bei Einverständnis des Bundesvorstandes – mit dem geplanten HU-Kongreß »Klerikalismus heute« zu kombinieren.« 302 Er schlug vor, den Kongress auf zwei Tage auszudehnen und machte in Anlehnung an das Konzept des Bundesvorstandes weitere Vorschläge zur Gestaltung.303 Inzwischen waren die Forderungen der Jungdemokraten von der Bundesdelegiertenkonferenz am 28. 1. 1973 beschlossen worden. In den folgenden Monaten korrespondierten der Landesverband der Humanistischen Union NRW und der Bundesvorstand der Humanistischen Union hinsichtlich ihres gemeinsamen Vorgehens. Letzterer hatte in Sachen Kirchenkongress beschlossen, diesen »im Auftrag des BV bei größtmöglicher Unterstützung durch die Bundesgeschäftsstelle«304 in NRW stattfi nden zu lassen. Somit stand der Landesverband NRW vor der Aufgabe, einen Kongress zu organisieren, in dem die Konzepte beider Gruppen angemessen berücksichtigt werden mussten.305 Peter Rath und Nikolaus Koch waren dabei die maßgeblichen Organisatoren.306 Die Organisation stellte angesichts des doch recht kleinen aktiven Kreises eine große Belastung auch in fi nanzieller Hinsicht dar, weshalb man überlegte, auch andere Organisationen um ihre Mithilfe bei der Durchführung zu bitten. Die Freireligiöse 302
Schreiben Roth an Derrik vom 28. 2. 1972; ebd. Dabei flossen Ideen und Vorschläge mit ein, die man seitens des Landesverbandes schon auf dem Arbeitsseminar im Juni 1972 und der Herbstaktion 1972 hatte verwirklichen wollen. So standen z. B. die vorgeschlagenen Arbeitsgruppen denen thematisch sehr nahe, die von der HU für das Seminar im Juni 1972 vorbereitet worden waren. Ebenso weisen die Überlegungen, Straßenaktionen, bei denen Flugblätter verteilt werden sollten, durchzuführen oder ein Hearing mit Bundestagsabgeordneten zu organisieren, auf Programmpunkte der geplatzten Herbstaktion. 304 Schreiben Klawitter an Robinsohn vom 24. 3. 1973; ebd. 305 Ein erstes Vorbereitungsseminar plante man für Mitte April, bei dem eine Infobroschüre sowie ein Kirchenaustrittsinformationsblatt erstellt werden sollte. 306 Peter Rath (*1947), war Mitglied der DJD des Landesverbandes NRW und gleichzeitig in der HU aktiv, 1972 in der Funktion als stellvertretender Vorsitzender der HU NRW. Er veröffentlichte im März 1974 eine Dokumentation »Trennung von Staat und Kirche«, erschienen im Rowohlt Verlag in Hamburg, in welcher er den Diskussionsstand bis zu diesem Zeitpunkt und einige Stellungnahmen zum Thema veröffentlichte (vgl. Rath, Trennung). Nikolaus Koch (*1912) war Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule in Dortmund und ebenfalls Mitglied des Vorstandes der HU. Von ihm veröffentlichte Schriften sind u. a.: »Kopernikanische Wende der politischen Theologie. Was ein christliches Konzil heute zur Kriegsfrage sagen müßte«, Witten 1964; »Pervertierte Theologie. Gegen Gundlachs Lehre vom Krieg«, Dortmund 1959; »Staatsphilosophie und Revolutionstheorie«, Dortmund 1973; »Kirche und Revolution«, Dortmund 1985. 303
2. Ausdruck des politischen Wandels: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
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Landesgemeinde NRW war die einzige Organisation, die dem Landesverband ihre Mitarbeit zusagte.307 Die Rolle der Jungdemokraten sowohl auf nordrhein-westfälischer Landesverbandsebene als auch auf Bundesebene war in diesem Zusammenhang undurchsichtig. Mitte März war es zu einem Gespräch zwischen der Humanistischen Union NRW und dem Landesvorstand der Jungdemokraten NRW gekommen, in welchem die Humanistische Union den Wunsch geäußert hatte, den Kongress doch zusammen mit den Jungdemokraten durchzuführen. Man hatte sich dahingehend geeinigt, den Kongress auch auf Seiten der Jungdemokraten auf Bundesebene durchzuführen, wobei die Jungdemokraten NRW organisatorische Unterstützung zusicherten. Gerigk-Groht berichtete, die Humanistische Union habe den Vorschlag positiv aufgenommen, wohingegen Neunhöffer »zuerst abgeneigt« 308 schien. Die Tatsache, dass Gerigk-Groht im April im Landesvorstand über eine »Aktion Kirche und Staat« berichtete, die sie als »eine Aktion des Bundesverbandes, die der LV NRW vorbereitet hat«309 bezeichnete, zeigte jedoch, dass man auf Bundesverbandsebene die Kooperation letztlich doch zugesagt hatte. Dennoch blieb man auf Bundesverbandsebene verhalten. Dies zeigte ein Bericht Gerigk-Grohts auf der Landesvorstandssitzung der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten vom 27. 5. 1973, in dem sie darüber informierte, den Bundesvorstand der Jungdemokraten auf dessen Hauptausschusssitzung am 19./20. 5. 1973 auf seine Teilnahme am Kongress hin angesprochen zu haben. Sie berichtete, dass man »unter fadenscheinigen Gründen«310 die Durchführung der Kongresse problematisiert habe. Besonders stark kritisierte sie das Verhalten Neunhöffers, der neben organisatorischen Bedenken ebenfalls »schwerwiegende inhaltliche Differenzen mit der HU«311 fürchtete, was Gerigk-Groht in ihrem Bericht als nicht nachvollziehbar erachtete, 307
»Auf meine Anfrage hat bisher nur die Freireligiöse Landesgemeinde NRW positiv geantwortet. Wir müssen abwarten, ob es auf dem Seminar am 15. 4. noch zu Verhandlungen mit anderen Gruppen kommt« (Schreiben Klawitter an Robinsohn vom 24. 3. 1973; Bildungswerk HU NRW). Diese Freireligiöse Landesgemeinde NRW beschrieb sich auf der Informationsbroschüre zum gemeinsamen Kongress als »Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat die Förderung und Vertiefung der freigeistigen Weltanschauung zum Ziele, die sich frei von Dogmen auf der Vernunft und der Erkenntnis auf baut. Sie bekennt sich zu den Grundlagen des modernen ethischen Humanismus. Die Landesgemeinde tritt für Geistes-, Glaubens- und Gewissensfreiheit ein. Sie betrachtet als Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Freiheiten die konsequente Trennung von Staat und Kirche, sowie die Trennung von Schule und Kirche« (ebd.). Die Nachfolgeorganisation dieser Freireligiösen Landesgemeinde wurde der Humanistische Verband. 308 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 25. 3. 1973, in: DJD-aktuell 7/1973, 2. 309 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 24. 4. 1973, in: ebd. 10/1973, 4. 310 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 27. 5. 1973, in: ebd. 12/1973, 3. 311 Ebd.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
sei doch festzustellen, dass die Beschlusslagen beider Verbände mittlerweile nahezu identisch seien. Auf der Sitzung des Bundeshauptausschusses hatte man beschlossen, dass der Bundesvorstand sich bis zu seiner nächsten Sitzung am 26. 5. 1973 mit der Humanistischen Union in Verbindung setzen sollte, um die Möglichkeiten zur Durchführung des Kongresses zu prüfen. Doch auch auf Landesverbandsebene war das Interesse an einer Mitwirkung – wenngleich aus anderen Gründen – eher mäßig. Hier lagen die Vorbehalte weniger inhaltlich begründet, vielmehr kritisierte man »die schleppende und immer wieder neu anfangende Behandlung der Problematik durch die HU«312 sowie die Beteiligung der Freireligiösen Landesgemeinde. Es war somit nicht weiter verwunderlich, dass die Kooperation mit der Humanistischen Union auf der Klausurtagung des Landesvorstandes der Jungdemokraten NRW zum Thema Kirche und Staat, die vom 31. 4. bis 1. 5. 1973 stattfand, nicht erwähnt wurde. Im Juni kam es dann zu Auf kündigung der Kooperation, als man auf der Landesvorstandssitzung vom 3. 6. 1973 beschloss, »der LV NRW [sehe] sich nicht in der Lage, [sich] an der Durchführung des von der HU geplanten Kongresses ›Kirche und Staat‹ zu beteiligen« 313 und beauftragte Silke Gerigk-Groht, der Humanistischen Union »alle technischen Gründe, die zu dieser Absage führen«314
zu nennen. Helge Klawitter teilte darauf hin in einem Schreiben vom 6. 6. 1973 den Mitgliedern des Landesverbandes mit, er habe »von Frau GerigkGroht schriftlich die endgültige Absage erhalten, daß sich der DJD-Bundesverband oder DJD-Landesverband an unserer geplanten Aktion beteiligen werden«315 und fügte hinzu, ihre Gründe seien »ausgesprochen fadenscheinig.«316 Hatte sich der Landesverband tatsächlich aus der Kooperation zurückgezogen, so ließ sich der Bundesverband der Jungdemokraten doch noch als Mitveranstalter gewinnen. Ebenso sagte die ehemalige Bundesvorsitzende der Jungdemokraten Matthäus ihre Teilnahme an einer Podiums312
Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 24. 4. 1973, in: ebd. 10/1973, 4. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 3. 6. 1973, in: ebd. 13/1973, 6. 314 Ebd. 315 Schreiben Klawitter an die Mitglieder des Landesverbandes NRW vom 6. 6. 1973; Bildungswerk HU NRW. 316 Ebd. Auch Robinsohn gegenüber erwähnte er den kurzfristigen Rückzug der DJD: »Ansonsten haben die DJD endgültig – wie es scheint – sich von der Aktion zurückgezogen. Die Gründe sind undurchsichtig. Wir planen also ohne sie« (Schreiben Klawitter an Robinsohn vom 12. 6. 1973; ebd.). Dass das Verhältnis zwischen den DJD und der HU zu dieser Zeit sehr gespannt war, darauf weist auch eine kurzer Abschnitt eines Briefes, den Roth einen Tag später an Klawitter schrieb: »Lieber Helge, Dein letzter Brief war vom 14. 5. 1973 mit Anzeichen einer erneuten Krise zwischen DJD und Humanistischer Union. Hat sich das wieder eingerenkt oder ist der Kongreß wieder geplatzt?« (Schreiben Roth an Klawitter vom 13. 6. 1973; ebd.). 313
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diskussion auf dem Kongress zu. Am 15./16. 9. 1973 fand dieser schließlich unter dem Titel »Trennung von ›Staat‹ und ›Kirche‹ 317 – Die Kirchen im politischen System der Bundesrepublik« in Dortmund statt, veranstaltet durch den Landesverband der Humanistischen Union NRW, die Freireligiöse Landesgemeinde NRW und den Bundesverband der Deutschen Jungdemokraten.318 Die Planung einer Fortsetzungsveranstaltung erfolgte im Frühjahr 1974, als Rath den Bundesvorstand der Jungdemokraten in einem Schreiben vom 17. 3. 1974 aufforderte, an einem von ihm geplanten Kongress, »der hoffentlich noch stärker die Gemeinsamkeiten liberaler Staatskritik, marxistischer Gesellschaftskritik und christlicher Selbstkritik in diesem Bereich verdeutlicht«319, teilzunehmen. Die Humanistische Union NRW, so Rath, habe sich bereits in Zusammenarbeit mit dem Humanistischen Bildungswerk und der Volkshochschule Dortmund zur Mitgestaltung entschlossen.320 Erneut unter 317 Die Anführungszeichen bei den Worten Staat und Kirche setzten Rath und Koch um aufzuzeigen, dass man von Staat und Kirche nicht einfach als von zwei Institutionen sprechen kann, sondern dass bei der Diskussion in Bezug auf die Kirche zu beachten sei, dass Kirche zum einen Gemeinschaft der Gläubigen und zum anderen eine Institution mit einer gewissen Hierarchie darstelle (so Rath in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 26. 2. 2006). 318 Vgl. Bericht über den Kongress in: Der Humanist. Kultur-Weltanschauung-Religion, Oktober 4/1973, 73–76. Ingesamt nahmen 250 Personen an der Veranstaltung teil, darunter auch Vertreter der politischen Parteien. Vertreter der Kirchen, obgleich eingeladen, hatten ihrerseits keine Vertreter entsandt. Schwerpunkte des Kongresses waren zunächst die Vorträge von Erwin Fischer und Nikolaus Koch; ersterer referierte zum Thema »Trennung von Staat und Kirche« und rekurrierte dabei im Wesentlichen auf die Inhalte seines Buches; letzterer sprach über die politische Funktion der Kirchen in der BRD. Interessant war dabei Kochs Einschätzung im Blick auf die inhaltlich dürftigen Reaktionen seitens der Kirchen aber auch der SPD, die er auf ein Verharren in einer anti-kommunistischen Stimmung der Nachkriegszeit zurückführte, dessen wesentliche Überzeugung darin bestand, die Kirchen als wirksamste Institutionen gegen den Bolschewismus anzusehen. Dass die SPD hier in einem Atemzug mit den Kirchen genannt wurde, verdeutlichte die Kritik seitens der Veranstalter an dem kirchenfreundlichen Kurs der SPD, die sich auch im Bericht über die Fragerunde mit den politischen Vertretern zum Thema Kirche und Staat widerspiegelte. Kam Dahlhaus als Vertreter der FDP bei dieser Runde »gut weg, weil er sich in allen wesentlichen Punkten mit den Forderungen des Kongresses solidarisch erklärte« (ebd., 76), so musste der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Urbaniak die »Enttäuschung vieler Kongreßteilnehmer wegen der allzu kirchenfreundlichen Haltung der Bundesregierung und der SPD« (ebd.) hinnehmen. Urbaniak hatte darauf hingewiesen, dass obschon nicht die ganze SPD kirchenfreundlich sei und man an einigen Stellen wie beispielsweise beim § 218 StGB nicht mit den Kirchen übereinstimme, die Thematik Trennung von Staat und Kirche momentan in der Bundestagsfraktion keine Rolle spiele und man aktuell versuche, partnerschaftlich mit den Kirchen auszukommen. 319 Schreiben Rath an den Bundesvorstand der DJD vom 17. 3. 1974; Bildungswerk HU NRW. 320 Die Kooperation der HU NRW mit der Volkshochschule Dortmund existierte erst seit kurzem. Gemeinsam plante man Vortragsreihen zum großen Thema »Verhältnis von Staat und Kirche«.
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Teilnahme des Bundesverbandes der Jungdemokraten fand der Kongress am 26./27. 10. 1974 in Dortmund unter dem Motto »Freie Kirchen in der freien Gesellschaft« statt. In den Motti, unter denen die Kongresse 1973 und 1974 stattfanden, spiegelten sich in der Veränderung der Titel von »Trennung von Staat und Kirche« zu »Freie Kirchen in der freien Gesellschaft« die Resultate des Diskussionsprozesses des FDP-Kirchenpapiers wider. 2.4. Die Grenzen der Kooperation: Warum ein gemeinsames Kirchenpapier scheiterte Dass manche gemeinsam geplante Aktion zwischen Humanistischer Union und Jungdemokraten kurzfristig scheiterte, hatte ganz unterschiedliche Gründe. Zunächst einmal lag eine Schwierigkeit in den unterschiedlichen Strukturen beider Gruppen. Während sich die Jungdemokraten als politische Jugendorganisation quasi einer politischen Partei analog organisierten, gab es bei der Humanistischen Union keine vergleichbare parteipolitische Organisation, so dass die Ebenen im Hinblick auf eine Kooperation, die bei den Jungdemokraten Gremienarbeit und Beschlussherbeiführungen erforderte, nicht unbedingt zusammenpassten. Hinzu kam, dass die Jungdemokraten trotz ihrer organisatorischen Selbständigkeit im Sinne des zweiten Weges immer auch die Perspektive auf die Partei hinhalten mussten, wohingegen die Humanistische Union als unabhängiger Verband freier agieren konnte. Hinzu traten organisatorische Probleme, die auf personelle Engpässe und eine damit zusammenhängende Arbeitsüberbelastung insbesondere auf Seiten der Jungdemokraten zurückzuführen waren. Die Thematik Staat und Kirche war bei weitem nicht das einzige Arbeitsfeld, das von dem Jungdemokraten zu jenem Zeitpunkt bearbeitet wurde, und die Zahl der dahingehend Aktiven beschränkte sich auf eine handvoll Personen. Wie Maier berichtete, nahm auch die organisatorische und fi nanzielle Sanierung des Landesverbandes in jenem Jahr einen großen Raum ein.321 Auch die Frage der Finanzierung der gemeinsam geplanten Aktionen musste im Kontext dieser strukturellen Unterschiede betrachtet werden. Die Humanistische Union fi nanzierte sich ausschließlich über ihre Mitgliederbeiträge 321 Im Rechenschaftsbericht über das Jahr 1971 betonte Maier, die »weitaus größte Belastung« im Bereich Vorstandsarbeit habe sich »aus der Notwendigkeit, den Landesschatzmeister zur Erledigung der ihm obliegenden Aufgaben bzw. zur Übergabe der nötigen Unterlagen zu bewegen, um sich allmählich Übersicht über die vorliegenden Probleme zu beschaffen und ihre rechtzeitige Erledigung in die Wege zu leiten (z. B. Erstellung von Abrechnungen, Sparplänen, Finanzierungsplänen zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit des Landesverbandes, Verhandlungen mit den Ministerien)« (DJD NRW Info 6/1972). Auch habe sich der Versuch, der Arbeit der Geschäftsstelle »Struktur und Systematik zu verleihen und die Ausführung der Landesvorstandsbeschlüsse durch die Landesgeschäftsstelle sicherzustellen« als äußerst zeit- und arbeitsintensive Angelegenheit herausgestellt (ebd.).
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und hatte somit nur beschränkte fi nanzielle Ressourcen.322 Die Jungdemokraten waren auf die Finanzierung durch ihre Referenzpartei FDP angewiesen und sahen sich im Blick auf die gemeinsamen »antiklerikalen Aktivitäten« auch aufgrund ihrer zahlreichen Tätigkeiten in anderen politischen Bereichen zum Teil überfordert, die finanzielle Verantwortung zur Durchführung bspw. eines Kongresses zu übernehmen. Besonders akut waren die fi nanziellen Probleme des Landesverbandes der Jungdemokraten NRW auch deshalb, weil Ende 1972 durch den Schatzmeister des Landesverbandes Verbandsgelder in Höhe von 17000 DM veruntreut worden waren und die Jungdemokraten vor dem Problem standen, dieses fi nanzielle Loch zu stopfen.323 Ein weiterer Aspekt, der zu Differenzen in der gemeinsamen Arbeit führte, begründete sich in der unterschiedlichen Sozialstruktur beider Gruppen. Bei der Gruppe der Jungdemokraten, die sich zu einem großen Teil aus Schülern und Studenten zusammensetzte, war keiner älter als 35 Jahre324, wohingegen sich in der Humanistischen Union, wie schon die berufl iche Verortung ihrer Mitglieder zeigte, das Alter auf eine Spanne von ca. 20 bis 70 Jahren belief.325 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Gruppen in sich unterschiedlich homogen waren, was dann letztlich auch zu inhaltlichen und auch gruppeninternen Differenzen führte. Die Jungdemokraten hatten in dieser Zeit mit den Folgen ihrer Neuausrichtung »ganz nach links« umzugehen und fochten nach wie vor damit zusammenhängende Richtungskämpfe in322 In dem Artikel des Spiegels über die HU wird dieser Mitgliedsbeitrag auf drei Mark pro Monat dotiert. Über die Verwendung dieser Beiträge schreibt der Spiegel, sie sollen den diversen Gruppen der HU helfen, »aktiv zu werden, wenn sie in der Republik antidemokratische, autoritäre, reaktionäre oder klerikale Umtriebe wittern« (Art. »Humanistische Union«, in: Spiegel 22/1967, 65). 323 Vgl. Art. »Jungdemokraten fehlen 17000 DM – Strafanzeige gegen Ex-Schatzmeister«, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 20. 12. 1972. 324 Die Altersbegrenzung bei den DJD und später auch bei den Jungen Liberalen lag bei 35 Jahren. Darauf, dass gerade die für das Kirchenpapier der DJD verantwortlichen Personen des Landesverbandes NRW noch sehr jung waren, verweist auch Albrecht Mutius in dem schon erwähnten Referat über das Papier der DJD: »Wie man in den Gesprächen erfuhr, soll der Landesverband NRW der Jungdemokraten zu einem sehr großen Prozentsatz (man sprach von 40%) aus Oberschülern bestehen. Gerade auch bei der Zusammenstellung der ›Forderungen‹ sollen eine Reihe von Oberschülern mitgearbeitet haben« (Referat von Mutius am 16. 5. 1973, 6; EZA 87/662). Der Vermutung von Mutius’, bei der Zusammenstellung der Forderungen hätten eine Reihe von Oberschülern mitgewirkt, ist zu widersprechen. Obschon die Schüler- und Lehrlingsarbeit des nordrhein-westfälischen Landesverbandes zu jener Zeit sehr ausgeprägt war, ging die Erstellung der Forderungen auf Silke Gerigk-Groht (25) und Norbert Knabenbauer (28) zurück. Auch die Personen, die den Entstehungs- und Diskussionsprozess des Kirchenpapiers begleiteten – namentlich Siekmann, Matthäus, Maier, Simonsmeyer u. a. – waren alle Mitte zwanzig, ein Teil von ihnen Studenten, ein anderer Teil bereits diplomiert oder im Referendariat. 325 Vgl. Hofmann, Union, 79 (siehe auch Abschnitt 2.2.3.).
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nerhalb ihrer eigenen Organisation aus. Die Kritik Gerigk-Grohts im Frühjahr 1973 am zurückhaltenden Verhalten des Bundesvorstandes hinsichtlich der gemeinsamen Kooperation mit der Humanistischen Union spiegelt symptomatisch jene eingangs erwähnten Spannungen zwischen dem Bundesverband und dem nordrhein-westfälischen Landesverband wider. Es wäre nun verkürzt, die durch Neunhöffer repräsentierte Zurückhaltung des Bundesvorstandes im Blick auf eine Zusammenarbeit mit der Humanistischen Union lediglich auf die verbandsinternen Probleme jener Zeit oder etwa ein mangelndes Interesse an der Thematik zurückzuführen. Die Tatsache, dass gerade Neunhöffer sich zur selben Zeit im Kontext der Auseinandersetzung mit der FDP über das Kirchenpapier eindeutig dafür einsetzte, lässt eher taktische Gründe vermuten, insofern man im Sinne einer Annäherung an die FDP versuchte, bei der Erörterung der Thematik Staat und Kirche den Schwerpunkt auf eine Kooperation mit der Partei und nicht mit einer außerparlamentarischen Gruppe zu legen.326 Waren auch die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten personell an der Diskussion auf FDP-Ebene beteiligt, so setzten sie gleichzeitig die Arbeit an der Thematik Staat und Kirche verbandsintern fort – ein weiteres Indiz für ihre politische Aktivität in jener Zeit.327 Dabei zogen auch sie sich immer mehr aus der Kooperation mit der Humanistischen Union zurück, deren als schwerfällig empfundene Arbeitsweise ihre eigene Arbeit nur retardieren konnte. Zudem hatten sie ihr Ziel zu diesem Zeitpunkt mehr als erreicht, insofern ihre Forderungen bereits auf höchster Partei-Ebene ausführlich diskutiert wurden. Auch die Humanistische Union vereinte von Natur aus Menschen mit unterschiedlichen politischen Positionen, die in dem gemeinsamen Großziel kulminierten, die Bürgerrechte des Einzelnen zu verteidigen. Die Diskussion um ein angemessenes Verhältnis von Staat und Kirche war eine Thematik, an der sich diese gruppeninternen Differenzen gut darstellen lassen. Im Blick auf das Thema Kirche und Religion war hier die ganze Bandbreite von Positionen vertreten: kirchenferne und vielfach gleichermaßen religionskritisch atheistisch eingestellte Personen, kirchennahe, der Kirche zugehörig und teilweise in ihr aktiv mitarbeitende bis hin zu freikirchlichen Personen, die sich dementsprechend unterschiedlich im Blick auf die Thematik Trennung von Staat und Kirche positionierten.328 326
Siehe dazu Kap. III.1.1.2. Siehe Kap. II.4. 328 Maier berichtete, auch innerhalb der HU habe sich zum Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion und danach eine immer deutlichere Diskrepanz zwischen einer eher aufklärerischen und einer marxistischen Richtung abgezeichnet, die dazu führte, dass irgendwann die Meinungen nicht mehr zusammengingen. Maier hatte darauf hin seine Arbeit in der HU eingestellt (Maier in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 11. 2007). 327
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Wie der Darstellung zur Kooperation von Jungdemokraten und Humanistischer Union zu entnehmen ist, scheiterte die inhaltliche Zusammenarbeit im Blick auf ein gemeinsames Kirchenpapier.329 Die Erörterung der Frage, die zu Beginn der gemeinsamen Arbeit auftauchte, ob man zusätzlich zur Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche auch eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum und der christlichen Religion führen sollte, verwies dabei auf einen – oder vielmehr den – wesentlichen Unterschied im Blick auf das, was man durch diese Kooperation nun eigentlich erreichen wollte. Die Frage war damals von den Jungdemokraten eingebracht worden, und es waren Vertreter der Humanistischen Union gewesen, die dieses abgelehnt und dazu aufgefordert hatten, sich nach außen hin auf die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche zu beschränken. Der Humanistischen Union ging es in ihrer öffentlichen Kritik und ihren Aktionen primär darum, die kirchlichen Einflüsse auf die Freiheitsrechte des Menschen aufzudecken und einzuschränken. Obschon sich einige Mitglieder, wie bereits gesehen, ideologiekritisch mit Religion und Christentum auseinandersetzten, dabei offensichtlich auch einige mit dem Ziel, beides zu überwinden, hielt man sich nach außen hin mit einer dahingehenden Proklamation zurück. Die Humanistische Union wies daher den Vorwurf, eine antichristliche Organisation zu sein, stets zurück und bezeichnete sich vielmehr als antiklerikal und antikonfessionalistisch, insofern sie sich gegen die Phänomene Klerikalismus und Konfessionalismus aussprach. Die Jungdemokraten wollten beides; die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Christentum und Religion und die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche. Nicht nur der Titel des Anfang Januar 1973 vom Kreisverband Hagen vorgelegten Papiers – man wählte die Überschrift »Liberalismus und Christentum«, um die Unvereinbarkeit beider zum Ausdruck zu bringen – verdeutlichte, dass man an diesem Vorhaben festhielt. 330 Silke Gerigk-Groht und Norbert Knabenbauer waren die maßgeblichen 329 Dabei war die Arbeit an einem Forderungskatalog zur Trennung von Staat und Kirche von Anfang an geplant gewesen. Darauf verwies zunächst die Pressemitteilung nach dem ersten Treffen von HU und DJD, als auch die Tatsache, dass die 28 Thesen Osenbergs ursprünglich auf einem gemeinsamen Arbeitstreffen zwischen HU und DJD hatten diskutiert werden sollen; dies sicherlich mit der Intention, daraus mögliche Forderungen zu übernehmen bzw. eigene zu entwickeln. Auch die Tatsache, dass ein Grund der DJD für die Absage des geplanten Kölner Kongresses in den wesentliche Unterschieden beider Gruppen hinsichtlich der gemeinsamen Forderungen bestanden hatte, bestätigte dieses Vorhaben. 330 Das Papier bestand – der Struktur fast aller Papiere der nordrhein-westfälischen DJD folgend – aus den drei Teilen 1. Zielsetzung, 2. Analyse und 3. Forderungen. Insbesondere die ersten beiden Teile wiesen sich dabei durch stark religionskritische- bzw. überwindende Inhalte aus (siehe dazu Abschnitt 3.2.1.).
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Verfasser jenes ersten Jungdemokratenpapiers. Groht berichtete im Blick auf die Entstehung des Papiers, sie habe damals sechs Wochen lang in der Geschäftsstelle der Jungdemokraten in Bonn bei Knabenbauer gearbeitet. In dieser Zeit hätte man sich bei den Jungdemokraten des Landesverbandes NRW »hingesetzt«331 und alles Wichtige zu den einzelnen Forderungen zusammengetragen. Knabenbauer habe dabei das »juristische Rüstzeug« 332 geliefert, während sie die Begründungen zu den einzelnen Forderungen formuliert habe.333 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es jener Forderungskatalog war, den die Jungdemokraten der Humanistischen Union in Vorbereitung auf den geplanten Kölner Kongress vorlegten und dem diese so nicht hatten zustimmen können.334 Im Rechenschaftsbericht zur Lage des Verbandes von 1972 berichtete Gerigk-Groht über jene Differenzen, insofern die »seitens der HU vorgenommenen Abänderungen des von den DJD vorgelegten Forderungskatalogs zur Trennung von Staat und Kirche [. . .] eine nicht mehr vertretbare Verwässerung« dargestellt hätten, die mit dem Anliegen der Jungdemokraten nicht mehr vereinbar gewesen seien. Diese hatten sich »[a]ngesichts der übermächtigen Position der Kirchen [. . .] nicht darauf beschränken [wollen], die Überprüfung und vielleicht noch Einschränkung der Vorrechte der Kirchen zu fordern« 335,
vielmehr sei man für »deren Abschaffung, d. h. für die Beseitigung aller Privilegien eingetreten.«336 Beide Gruppen hatten sich somit im Blick auf die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche nicht einigen können. Obschon somit die Verabschiedung eines gemeinsamen Kirchenpapiers scheiterte, so kann das auf der Landesdelegiertenkonferenz am 6./7. 1. 1973 in Duisburg vom Kreisverband Hagen vorgelegte Kirchenpapier »Liberalismus und Christentum« dennoch als Produkt bzw. eine Art Zusammenfassung aus der gemeinsamen Arbeit der ideologiekritischen Kräfte aus Jungde331
Silke Groht in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 3. 2006. Ebd. 333 Das Papier wurde in der Presse und den Medien immer mit dem Namen Ingrid Matthäus in Verbindung gebracht; ihr schrieb man die Urheberschaft zu, sie wurde als Initiatorin des antikirchlichen und antireligiösen Papiers gesehen. Wenngleich sie auch aus eigener Überzeugung heraus die Diskussion um das Kirchenpapier mit am intensivsten geführt hat, so ist zu betonen, dass sie mit der Abfassung des oben dargestellten ersten Papiers des Kreisverbandes Hagen und somit mit der Einbringung des Papiers überhaupt, nichts zu tun hatte. 334 Unwahrscheinlich ist hingegen, dass auch die Zielsetzung und die Analyse mit vorgelegt wurden. Dies hätte dem ursprünglichen Beschluss, sich auf die Thematisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu beschränken, widersprochen. Außerdem ging Gerigk-Groht in der nachstehenden Berichterstattung mit keinem Wort auf diese beiden Teile ein. 335 DJD NRW Info 6/1972. 336 Ebd. 332
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mokraten und Humanistischer Union betrachtet werden. Eine genaue Untersuchung dieses Papiers wird zeigen, dass wesentliche Anliegen jener Personen, die von einer ideologiekritischen Auseinandersetzung mit dem Christentum bzw. der christlichen Religion nicht ablassen wollten, in dem Papier, insbesondere in den Teilen Zielsetzung und Analyse, ihre Aufnahme fanden. 2.4.1. Das Kirchenpapier des Kreisverbandes Hagen: »Liberalismus und Christentum« 337 Zielsetzung In der Zielsetzung wurden zwei Grundvoraussetzungen formuliert, die zum Erreichen einer liberalen Gesellschaft notwendig seien. Ausgehend von der Prämisse, dass das Ziel liberaler Politik die »[V]erwirklichung des in der jeweiligen historisch-materiellen Situation möglichen Maßes an Freiheit für die größtmögliche [Z]ahl« sei, wurden dieses Bestreben und die daraus resultierenden Konsequenzen für den Bereich der Kirche, nämlich die strikte Trennung der Kirche vom Staat, zunächst auf dem Hintergrund der Geschichte expliziert. So habe die bürgerliche Revolution in ihrem Anliegen, die »Emanzipation des Bürgertums von der Bevormundung durch die aus dem feudalen Staat überkommenen Autoritätsstrukturen« zu gewährleisten, dafür gesorgt, dass die Kirche als Institution sowie die Religionsausübung als solche in den privaten Bereich verwiesen wurden. Im Hintergrund jener emanzipatorischen Ziele stand eine typisch individualstaatliche Haltung sowie das Streben nach wirtschaftlicher Autonomie im Sinne eines »soviel Freiheit des einzelnen wie möglich, [. . .] so wenig Staat wie nötig«, dem die »machtpolitische und wirtschaftspolitische Verflechtung und teilweise Identität« von Staat und Kirche diametral entgegengesetzt war. Ideologisch gerechtfertigt wurde die Umsetzung jener emanzipatorischen Ziele durch die Auf klärung, insofern diese »den Wert des einzelnen Menschen als eines vernunftbegabten, zur Erkenntnis seines eigenen gesellschaftlichen Stellenwertes befähigten Wesens« festgelegt und dessen »Fähigkeit zur religiöser Meinungsbildung« betont habe. Hatte der Blick in die Geschichte die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche somit legitimiert, so nahm das Papier im Folgenden Bezug auf die gegenwärtige Situation, für die man dahingehend eine regressive Entwicklung konstatierte. Den ersten Ansatz eines solchen Rückschritts lie337 Vgl. Antrag 2 des Kreisverbandes Hagen: Liberalismus und Christentum; AdL 11414. Siehe auch Anhang 1. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angaben. Eine ausführliche Darstellung des Papiers, insbesondere seiner Forderungen, ist insofern berechtigt, als alle weiteren Beschlüsse sich darauf beziehen und erst eine präzise Beschreibung und die Erwähnung auch nur geringfügiger Veränderungen den Diskussionsverlauf angemessen wiedergibt.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
ferten die Artikel des Grundgesetzes zum Verhältnis von Staat und Kirche, die zwar zum größten Teil auf dieser emanzipatorischen Gesinnung basierten, insofern in ihnen unter weitgehender Aufnahme der Artikel der Weimarer Reichsverfassung zum Verhältnis von Staat und Kirche die Staatskirche negiert und die Religionsfreiheit sowie die freie Entfaltung der Persönlichkeit ohne Ansehen der religiösen Überzeugung zugestanden wurde, in die sich aber zugleich wieder wie beispielsweise durch den staatlichen Kirchensteuereinzug, »feudalstaatliche Relikte« eingeschleust hätten. Hinzu trat die Erkenntnis, dass die Gewährleistung von Freiheit, die auf dem Hintergrund des »jetzigen Stand[es] der Produktionskräfte« eine andere Qualität erlangt hatte, insofern sie jetzt »als die optimale Befriedigung individueller und sozialer Bedürfnisse« defi niert werden konnte, aktuell nicht gesichert sei. Dies zeige ein Blick auf die momentane Situation in der BRD, wo sich, den Bedingungen des Spätkapitalismus geschuldet, »die Interessen der Herrschenden [. . .] gegen die objektiven Interessen der Bevölkerungsmehrheit« richteten, was eine Befriedigung der sozialen Bedürfnisse unmöglich mache. Da sich die Kirchen »stets« mit den Herrschenden verbunden hatten, trugen auch sie durch Ideologiebildung »zu Erhaltung [dieser] systembedingten Unfreiheit« bei. Ein dem Ziel »der Freiheit der größtmöglichen Zahl« verpfl ichteter Liberalismus müsse daher »das Wirken der Kirchen im politisch-gesellschaftlichen Bereich als sozialschädlich« betrachten und den wahren, »herrschaftsstabilisierenden, ideologiebildenden« Charakter der Kirchen aufdecken. Als erste Grundvoraussetzung zum Errichten einer liberalen Gesellschaft ergab sich somit die »konsequente Trennung von Staat und Kirche, d. h. die Beschränkung der Kirchen auf den ›transzendenten‹ Bereich« und die damit einhergehende »Beseitigung des Klerikalismus in der BRD.« Eine der Forderung des klassischen Liberalismus nach weltanschaulicher Neutralität des Staates verpfl ichtete liberale Politik wende sich somit gegen: »1. den Mißbrauch der weltlichen Macht zur Durchsetzung von kirchlichen Angelegenheiten, 2. den mißbräuchlichen Einsatz der kirchlichen Autorität in öffentlich-politischen Belangen, 3. die Bestimmung von Sachentscheidungen durch konfessionelle Gesichtspunkte.«
Neben dieser organisatorischen Grundbestimmung, die den zunehmenden Einfluss der Kirche auf die Belange des Staates unterbinden sollte, forderte die zweite Grundvoraussetzung die »Überwindung von Religion, d. h. die Bindung des Menschen an letzte Glaubenswahrheiten.« Die Begründung lieferte wiederum die dem »auf klärerisch-rational[en]« Liberalismus zugrunde liegende Vorstellung vom aufgeklärten Menschen, der unabhängig von dogmatischen Wertesystemen und allein aufgrund seiner Erkenntnisfä-
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higkeit für eine freie, humane Gesellschaft einzutreten vermochte. Dem widerspreche eine Weltdeutung, deren Handlungsmaximen sich aus »überirdisch-jenseitig verankerten, rational nicht überprüf baren Inhalten« speisen, so wie etwa das Christentum. Die christliche Religion wurde dafür kritisiert, eine Überlegenheit ihrer geistigen Macht über die staatliche Macht zu beanspruchen, indem sie die gegebene Wertordnung als eine göttliche Offenbarung ansah und die Befreiung des Menschen an einen »jenseitigen Erlösungsgedanken« verknüpfte. Unter Aufnahme von Kahl betonte man, die »progressiv-humanen Inhalte« von Religion aus dem verschleiernden Kontext mit diesem Erlösungsgedanken herauslösen zu wollen. Erst durch jene »Entfernung des religiösen Beiwerks« sei die Befreiung des Menschen möglich. Als langfristiges Ziel liberaler Politik, die, den Bedingungen des Spätkapitalismus verpfl ichtet, zur »reale[n] Befreiung durch den emanzipierten Menschen« führen müsse, müsse daher an der »Überwindung von Religion als im Irrationalen begründete Weltanschauung«, die »durch ihre Ideologie die Erkenntnis sozialer und individueller Bedürfnisse verhinder[e]«, gearbeitet werden. Analyse Die Analyse setzte sich eingehend und sehr kritisch mit diesem Einfluss der Kirche bzw. des Christentums auf die Gesellschaft auseinander. In zehn Thesen, denen jeweils eine breite Erörterung folgte, wurden die Schwierigkeiten genannt, die aufgrund der engen Verflechtung von Religion bzw. Kirche und Gesellschaft aufgetreten waren, so dass die gesamte Darstellung letztlich auf die einzig notwendige Konsequenz der »Beseitigung der Amtskirchen als Träger emanzipationsfeindlicher Ideologien und [. . .] Überwindung von Religion« hinauslief. Dem Christentum wurden zwei Elemente zugeschrieben, ein »repressiv-autoritäres [und ein] progressiv-utopisches Element.« Ersteres fi nde seinen Ausdruck in der hierarchischen Beziehung der Glaubenden an einen allwissenden und übermächtigen Vatergott, eine Relation, die Gedanken von Emanzipation und Freiheit des Menschen gar nicht erst entstehen ließe. Das progressiv-utopische Element der christlichen Religion, was durch das »Postulat der Gleichberechtigung aller Menschen [und] der unveräußerlichen Menschenrechte« zum Ausdruck komme, weise den Vorteil des Christentums gegenüber anderen Religionen auf und liefere die Begründung dafür, dass sich diese Religion überhaupt erst in der Gesellschaft etablieren konnte: »weil es gesellschaftlichen Bedürfnissen und Interessen entsprach und sie besser als bestehende Religionen zu befriedigen verstand.« Zeigte letztgenanntes Element, dass dem Christentum durchaus positive Eigenschaften zugesprochen werden konnten, so mündete die Aussage dieses gesamten ersten Abschnittes in die These 1, die nun im Blick auf die Reali-
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tät konstatierte, dass sich das »repressiv-autoritäre Element gegenüber den progressiven Ansätzen durchsetzen konnte«. So sei die Kirche als Trägerin der christlichen Religion in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingedrungen, indem sie die Unmündigkeit ihrer gläubigen Glieder ausgenutzt hätte. Auf diese Weise habe sie sich zu einer »reaktionäre[n], inhumane[n] Institution diskreditiert«, die den progressiv-utopischen Anspruch der im repressiv-autoritären Stil gestalteten Wirklichkeit geopfert hatte. Deutlich zeigten die einleitenden Bemerkungen zum Charakter des Christentums sowie der Inhalt der ersten These den Bezug zu einem Referat von Joachim Kahl, das dieser bei dem eintägigen Arbeitstreffen des Arbeitskreises am 4. 6. 1972 zum Thema »Ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum am Beispiel der Unterdrückung der Frau« gehalten hatte.338 Dort hatte Kahl dem Christentum jenen dargestellten doppelten und zweideutigen Charakter zugeschrieben und diesen durch die Attribute progressiv-utopisch und repressiv-autoritär zum Ausdruck gebracht. Das progressiv-utopische Element hatte er dabei als Fähigkeit des Christentums bezeichnet, die »Egalität der Menschen [. . .] (alle Menschen sind vor Gott gleich)«339 hervorzuheben. Weiterhin hatte er betont, dass dieses Element jedoch von dem zweiten repressiv-autoritären Element dominiert werde, in dem sich eine hierarchische Abhängigkeit des unmündigen Kindes zum allwissenden Vater ausdrücke, was jegliche Emanzipation »der Kinder von dem Allmächtigen«340 von vorneherein ausschließe. Die zweite These verwies auf die Interdependenz zwischen Religion und Kirche, insofern sich der anachronistische Charakter der Religion in einer »hierarchischen, rückständigen Organisationsform« der Kirchen ausdrücke, die nicht in der Lage sei, sich adäquat auf gesellschaftliche Veränderungen einzulassen. Anhand historischer Schlaglichter explizierte man das Vorgehen der Kirchen gegen »Rebellion« und »kritische Frager«, betonte den antiauf klärerischen Charakter der Kirchen, der sich in einem Misstrauen gegen jegliche Neuerungen manifestierte und kam schließlich zu dem Schluss, dass jede Erneuerung innerhalb der Kirchen der Entwicklung um Jahrzehnte nachstehe. Auch in dieser These zeigte sich eine weitere Bezugnahme auf Kahl, diesmal zu seinem 1968 veröffentlichten Buch »Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott« 341, das auch an anderen Stellen der Analyse zum Teil zitiert oder aber paraphrasiert wurde.342
338
Siehe Abschnitt 2.3. Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises vom 4. 6. 1972, in: DJD-aktuell 18/1972, 3. 340 Ebd. 341 Vgl. Kahl, Elend. 342 So formulierten die DJD in besagter These: »Giordano Bruno wurde 1600 lebendig verbrannt, Galilei zum Widerruf gezwungen.« Das Pendant in Kahls Buch lautete: »Gi339
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Die dritte These verdeutlichte den antiemanzipatorischen Charakter der Religion, der sich beispielsweise in der »Verneinung der menschlichen Sexualität« zeige. In diesem Zusammenhang verwies man auf eine weitere Funktion, die von den Kirchen angewendet wurde um die Abhängigkeit der Kirchenmitglieder zu verstärken, den »psychologischen Steuerungsmechanismus: Die Unterdrückung der Lebensfreude und Sexualität durch Glorifi zierung von Askese, Opferbereitschaft oder Leiden und die damit erreichte Selbstunterdrückung (schlechtes Gewissen)«.
Die Gefahr jener Psychologie sah man in ihrem Potential, zu einer verinnerlichten Bindung des Menschen an die Institution, in der sie wirkte, zu führen. Diese Aussagen konnten als inhaltliche Ausführungen zu jener Passage des »Leverkusener Manifests« verstanden werden, in der man die Ideologiebildung innerhalb einer Gesellschaft thematisiert hatte. Dort hatte man ebenfalls auf die ideologische Absicherung eines verinnerlichten Leistungszwangs durch die »Ideologiefabriken«343 Familie, Schule, Kirche, Arbeitsplatz etc. verwiesen, deren promulgierte Wert- und Idealvorstellungen die Entwicklung kritischen Bewusstseins systematisch unterdrückte.344 Hatte man im »Liberalismus und Christentum«-Papier jene Selbstunterdrückung als schlechtes Gewissen bezeichnet, so konnte auch der im »Leverkusener Manifest« verwendete Gewissensbegriff in diesem Sinne verstanden werden, insofern man dort Verstöße gegen etablierte Vorstellungen als »von Gewissensqualen« 345 begleitet charakterisierte. Die Haltung der Kirche zur weiblichen Sexualität erachtete man im Kontext der dritten These als besonders kritisch.346 Hier spiegelte sich die aktuelle Debatte über den § 218 StGB wider, insofern man nicht nur kritisierte, dass die Kirchen nach wie vor die Jahrhunderte lang währende Unterdrückung der Frau und ihrer Sexualität nicht problematisierten, sondern sie darüber hinausgehend dafür anpranger-
ordano Bruno starb am 2. Februar 1600 den Feuertod. Galileo Galilei wurde 1633 gezwungen [. . .] abzuschwören« (ebd., 131). In einem Artikel in Publik-Forum nannte Erwin Noltenberg exemplarisch sieben Stellen der Analyse, bei denen es sich um teilweise wörtliche Zitate bzw. Paraphrasen aus Kahls Buch handelte und bezeichnete das erste Papier der DJD als »kurzgefaßtes Repetitorium des 133 Seiten starken Kahl-Bandes« (Noltenberg, Kahls Marx, 3). Auf die Stellen wird entsprechend verwiesen. 343 Grundsatzbeschlüsse, in: Pulte, Jugendorganisationen, 299. 344 Vgl. ebd. 345 Ebd. 346 »Jahrhundertelang erzeugter Haß auf die weibliche Sexualität, pervertierte Lust mußte notwendig zur Hexenverfolgung führen, der während des 13. und 18. Jahrhunderts Millionen von Frauen zum Opfer fielen.« Auch hier nahm man Bezug auf Kahl: »Der grausige Höhepunkt dieser Frauenfeindlichkeit war der christliche Hexenwahn, der vom 13. bis ins 18. Jahrhundert einigen Millionen Frauen Folter und Verbrennung einbrachte« (Kahl, Elend, 54).
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
te, diese Unterdrückung noch zu fördern, »indem sie den § 218 StGB durchsetzten und erhalten, der die Frau zur Gebärmaschine entmündigt.« 347 Auf dem Hintergrund des bereits Gesagten stellte die vierte These den Kausalzusammenhang zwischen dem Charakter der Kirchen und ihrer Bündnisbereitschaft mit konservativ-autoritären Regierungen her, der darin bestand, dass beide, Kirche und konservative Regierung, an der »Sicherung und Erweiterung ihrer Position« sowie der »Erhaltung der bestehenden Zustände« interessiert waren. Unter jene Bündnisse mit »autoritären, reaktionären und faschistischen Regimes«, deren ideologiebildende Funktion sich die Kirchen nutzbar machten, subsumierte man sie mit »Mussolini, Hitler (Reichskonkordat), mit Franco-Spanien, Südvietnam und mit dem CDU/ CSU-Staat der 50er Jahre.« Ziel der Aufzählung war es, den antidemokratischen, vorbürgerlichen Charakter dieser Bündnisse offen zulegen, der sich bei den Kirchen in Struktur und Ideologie manifestiere, die beide »von der Feudalperiode geprägt [. . .] als Relikte in die bürgerliche Epoche« hineinragen, wohingegen er sich bei den Regimes durch die »Verherrlichung agrarischer, kleingewerblicher Lebensformen und soldatischer Tugenden« ausweise. Nicht die Kritik darüber, dass sich die Kirchen mit den Herrschenden verbanden, war das eigentlich Neue jener These; sie war bereits von Gründungsbeginn der Humanistischen Union an artikuliert worden, und auch die FDP hatte sich in ihrer Kulturpolitik immer wieder gegen jene dieser Verquickung entsprungenen Phänomene »Klerikalisierung« und Konfessionalisierung ausgesprochen. Interessant war vielmehr die in der These vollzogene Betonung des faschistischen Charakters der kirchlichen Bündnispartner, die auf ein weiteres grundsätzliches Theorieelement radikaldemokratischer Politik jener Zeit verwies, das die Jungdemokraten hier punktuell aufgriffen und das Rene Ahlberg in seinem Buch über »Akademische Lehrmeinungen und Studentenunruhen in der Bundesrepublik«348 unter der Kategorie »systematischer Faschismusverdacht«349 explizierte. 347 Die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch war 1973 hochaktuell. Die Meinungen der beiden Kirchen zum § 218 StGB müssen differenziert betrachtet werden; die katholische Kirche, auf die man hier wohl Bezug nahm, lehnte § 218 StGB kategorisch ab, wohingegen die Position der evangelischen Kirche nicht so eindeutig zu beschreiben ist (vgl. Mantei, Nein und Ja). 348 Vgl. Ahlberg, Lehrmeinungen. 349 Ebd., 28. Der »systematische Faschismusverdacht« stellte eines jener Theorieelemente dar, die in den radikaldemokratischen und antiparlamentarischen Politologien der 1960er Jahre immer wieder, dabei – so Ahlberg – teilweise falsch oder verzerrt, rezipiert wurden. Dabei wurde die bürgerliche Gesellschaft als potentiell faschistisch verdächtigt und der liberalen Demokratie die Kompetenz abgesprochen, hinreichenden Schutz gegen ein Wiederaufleben des Faschismus zu gewährleisten. Karl Jaspers hatte betont, die faschistischen Elemente lägen im Staat selber und führten automatisch in den Faschismus, wenn man die Entwicklung des Staates sich selbst überließe. Ahlberg betonte die Gefahr, einer
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Die nächsten drei Thesen setzten sich mit den Folgen jener Verquickung von staatlicher und kirchlicher Gewalt auseinander. So verwies These 5 auf die von den Kirchen praktizierte Inanspruchnahme weltlicher Machtmittel, um ihren »religiösen Absolutheitsanspruch« durchzusetzen. Die Legitimierung der Kriegsführung sowie eine auf Intoleranz basierende Verfolgung von Andersdenkenden und eigener Anhänger waren die Konsequenzen jener verweltlichten Kirchenpolitik. Besonders scharf kritisierte man die Tatsache, dass die Kirchen ihren eigentlichen Auftrag verkannt habe: »Denn wo haben sich die Kirchen als solche jemals auf die Seite der Unterdrückten gestellt, wo den Schrittmachern für progressive Strömungen gespielt?« Man verwies in diesem Zusammenhang auf die Situation in Lateinamerika, die jedoch nicht als Argument für einen positiven Einsatz der Kirchen fungieren dürfe, denn schließlich sei man dort »gesellschaftlich auf einer feudalistischen Stufe und geistig auf einer vorauf klärerischen Stufe stehengeblieben, so daß soziale Veränderungen aus vorhandenen hervorgehen müssen.«350
unwissenschaftlichen »einzig aus politisch-ideologischen Gründen« (ebd.) motivierten Übernahme jenes Faschismusverdachts und verwies in diesem Kontext auf die Positionen Wolfgang Abendroths und Heinz-Joachim Heydorns. Beiden unterstellte er einen vulgärmarxistischen Determinismus, der dazu verwendet werde, die Angst vor dem Faschismus gegen die bestehende Staatsordnung zu instrumentalisieren. »Die Verhältnisse in Deutschland sind zweifellos potentiell faschistisch. Ich glaube, es hat gar keinen Zweck, sich irgendwelchen Illusionen über die Lage in unserem Lande hinzugeben. [. . .] Es gibt ja in Deutschland auch keine demokratische Vertretung, nicht einmal die eines bürgerlichen Parlamentarismus, das heißt es gibt nicht nur keine linke Repräsentation, sondern es gibt noch nicht einmal eine bürgerlich-demokratische Repräsentation« (Heydorn, zit. nach ebd., 29). »Wie kommt es denn, daß diese Erstarrung in der Bundesrepublik möglich wurde, nach den Jahren von 1945–1948, in denen es Leben auch in Westdeutschland gab, diese Erstarrung, die heute sowohl die Universität wie die Öffentlichkeit in ein Feld der Akklamation alberner Freund-Feind-Parolen des kalten Krieges und in ein Feld der wirklichen Macht der gleichen sozialen Gruppen verwandelt hat, die auch 1933–1945 die wirkliche Macht hatten« (Abendroth, zit. nach ebd., 30). 350 Jene Äußerungen erinnern zunächst und punktuell an einen Aufsatz des HU-Mitglieds Nikolaus Koch zum Thema »Kirche und Revolution«, den dieser zwar erst 1974 veröffentlichte, dessen Thematik jedoch auch schon in früheren Abhandlungen gestreift wurde. Es handelte sich dabei um die Frage nach der Verbindung von Kirche, Staat, Religion und Kriegsführung. In erwähntem Aufsatz stand u. a. folgende Passage, die in den Kontext des von den DJD in der These Konstatierten passte: »Da die Kirche selbst mit allen Mitteln überfällige Machtpositionen zu halten sucht, ist sie auf Gedeih und Verderb mit etablierter Macht liiert. Angesichts ihrer reaktionären Verfi lzung mit etablierter Gewalt inhumaner Machthaber und der entsprechenden ›Staaten‹ wird ›Trennung von Kirche und Staat‹ gleichbedeutend mit Auflösung kirchlicher Fixierung auf Staatsgewalt und von den Kirchen als gefährliche Bedrohung ihres an dieser Fixierung hängenden Status empfunden« (Koch, Kirche, 32). Auch der Rekurs auf die Befreiungstheologie, der hier angenommen werden muss, fi ndet sich im Aufsatz Kochs wieder, insofern dieser die beiden Befreiungstheologen Camillo Torres und Dom Helder Camara anführt, die beide, der eine unter Anwendung von Gewalt, der andere als Pazifi st, an der Befreiungsbewegung in Lateinamerika teil hatten.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Eine weitere Folge dieser Inanspruchnahme weltlicher Machtmittel durch die Kirche war die »zur Sicherung ihrer Existenz notwendige materielle Ausbeutung [ihrer] Abhängigen« (These 6), die den eigentlichen kirchlichen Idealen »Demut, Bescheidenheit und Nächstenliebe« diametral entgegen stand. Hier verwies man u. a. auf Spenden, Kirchensteuer und staatliche Zuschüsse, die die Kirchen zu den »reichsten Organisationen der Bundesrepublik« zählen ließen. These 7 explizierte den Einfluss jener Stellung der Kirchen als »übermächtige weltliche Macht«, der sich in allen Gesellschaftsbereichen zeige. So ließe man ihnen im Bereich der Bildung freie Hand, was sich im schulischen Kontext im Fehlen einer Alternative zum rein konfessionellen Religionsunterricht an Schulen und der Einflussnahme auf Lehrpläne und Lehrbücher manifestiere. In diesem Zusammenhang verwies man auf die Theologischen Fakultäten, wo die Kirchen die exekutive Entscheidungsgewalt im Blick auf die Anstellung der Lehrenden bzw. die Aufnahme der Studierenden hatten.351 Hier kritisierte man besonders die Tatsache, dass Andersgläubige oder freireligiöse Studenten keine Möglichkeit hätten, Theologie als wissenschaftliches Fach zu studieren. Weiterhin deuteten diskriminierende Formulierungen in den Gesetzen insbesondere in den Bereichen Ehe, Familie und Sexualität auf die Handschrift der Kirchen hin, so deren »sexual- wie frauenfeindliche Moral« sich insbesondere bei den Themen Schwangerschaftsunterbrechung, Homosexualität und voreheliche Sexualität offenbare. Im Blick auf den kirchlichen Einfluss im Sozialwesen kritisierte man die »Monopolstellung« der Kirchen, insofern die meisten sozial-karitativen Einrichtungen und Institutionen in ihrer Trägerschaft lagen, obwohl alternativ ausreichend konfessionsneutrale Kräfte und Institutionen zur Verfügung ständen. Der kritische Hinweis, dass »humanitäre Ziele, die im übrigen bereits viel früher in anderen Religionen und Philosophien verkündet worden sind, nach der Auf klärung keiner theologischen Begründung mehr bedürfen«, erinnerte zunächst an die Äußerungen Szczesnys über eine allen Menschen innewohnende »natürliche Ethik«, die das Zusammenleben der Menschen in einer humanen freien Gesellschaft zu regulieren vermochte, was eine dezidiert christliche Ethik obsolet machte. Deutlicher noch war aber der Rekurs auf Osenbergs 28 Thesen von Mitte Mai 1972. Darin hatte dieser im Blick auf die Caritas betont: 351 Hier nahm man wiederum Bezug auf Kahls Elend des Christentums. So lautete der Text der DJD: »Die theologischen Fakultäten sind allein den christlichen Konfessionen vorbehalten, und die meisten Theologiestudenten gehen dann auch ins Pfarramt.« Vgl. dazu Kahl: »Die meisten Theologiestudenten gehen ins Pfarramt« (Kahl, Elend, 125). Die Position Kahls zum Status der Theologischen Fakultäten wird im Kontext der Erörterung der Forderungen näher ausgeführt.
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»Diese Caritas wird in zunehmendem Maße von anderen, rein diesseitigen Vereinigungen und Institutionen viel wirksamer und pluralistisch gerechter ausgeübt [. . .] und dann noch am besten von speziell und konzentriert ausgebildeten und hauptamtlichen Sozialarbeitern. Die Kirchen können keineswegs den Anspruch erheben, den Gedanken und die Ausübung der Nächstenliebe für sich alleine gepachtet zu haben; dieses Ethos ist viel früher und in anderen Religionen oder Philosophien als durch das Christentum allein verkündet worden.« 352
Den Einfluss der Kirchen im fi nanziellen Bereich thematisierte man in einem letzten Abschnitt dieser längsten siebten These, wobei das Eintreiben der Kirchensteuer neben »beträchtlichen Finanzierungs- und anderen Hilfen« durch den Staat das größte Privileg der beiden Großkirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften darstelle, was jedoch in keinem Verhältnis zur sich immer deutlicher abzeichnenden Tendenz eines Bedeutungsverlusts der Kirchen stünde: »Die ständig zunehmende Interessenlosigkeit der Masse der Bevölkerung am Kirchenchristentum, der Rückgang der Zahlen der Kirchenbesucher auf weit unter 50% der erwachsenen Konfessionsangehörigen ist bekannt [. . .] und entlarvt den widerlegten Hinweis auf die angebliche Mehrheit überzeugter Kirchenmitglieder gegenüber einer ›kleinen glaubenslosen Minderheit‹ als oberflächlich und unkonkret. Bei den Presbyterwahlen der evangelischen Gemeinden etwa beteiligten sich trotz intensiver vorheriger Propaganda oft weniger als 10% der Gemeindemitglieder.«353
In der achten These stellte man die dargelegte Privilegierung der Kirchen dem »liberalen Geist« der Verfassung gegenüber und bezeichnete sie als einen »gravierenden Verstoß« dagegen, insofern sie die »Beeinflussung christlicher und nichtchristlicher, andersgläubiger und religiös gleichgültiger Staatsbürger« ermögliche, was wiederum im Gegensatz zur in der Verfassung festgeschriebenen Forderung nach Religions- und Geistesfreiheit und nach der Mündigkeit des einzelnen stand. Das aktuelle Verhältnis einer »Verfi lzung« von Staat und Kirche sei darauf zurückzuführen, dass sich der Geist der französischen Revolution und die in ihr proklamierte »Befreiung des Bürgertums von der klerikalen Bevormundung« in Deutschland nicht habe durchsetzen können. Darauf verweise die enge Verbindung von Thron und Altar in Preußen, die inkonsequente Durchsetzung der Trennung von Staat und Kirche durch den Abschluss von Staatkirchenverträgen und Konkordaten in der Weimarer Reichsverfassung und damit auch im Grundgesetz, bei dessen Beratungen die Versuche, den Kirchen eine noch größere Vorrangstellung zu verschaffen, glücklicherweise abgewendet werden konnten sowie die Tatsache, dass seitdem »eine Bastion nach der anderen von den 352
Osenberg, 28 Thesen, 4; Handakten Dahlhaus. Der komplette Abschnitt lehnte sich eng und zum Teil wörtlich an Osenbergs Thesenpapier an (vgl. ebd., 12 f.). 353
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restaurativen Kräften unter Rückfall in Verhältnisse, wie sie vor 1918 herrschten [. . .] neu erobert« würden. Hier verwies man auf die enge Verbindung von Kirchen und Unionsparteien in den 1950er- und 1960er Jahren und die daraus resultierenden klerikalen und konfessionellen Einflüsse auf die Bereiche Bildungs- und Sozialwesen, Militärseelsorge und Gleichberechtigung. Auch diese These verwies auf die Handschrift Osenbergs.354 Die Forderung nach einer strikten Trennung von Staat, so These 9, richte sich somit gegen die privilegierte »von dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit« bestimmte politische Machthabe der Kirchen. Sie sei dem »Wunsch nach mehr Gerechtigkeit« verpfl ichtet und zugleich eine »humanitäre Forderung, die die Instandsetzung des Individuums zu freier Entscheidung und Religionsfreiheit zum Ziel hat«. In der zehnten These erfolgte eine abschließende und auf den Anfang der Analyse verweisende ideologiekritische Betrachtung der Religion, die man »als letztlich im Irrationalen gründende und in ihren Aussagen nicht nachprüf bare Weltanschauung« im Widerspruch zu dem »[. . .] auf klärerisch-rationalen Ansatz liberaler Politik« sah. In diesem Kontext nannte man die »reale Gleichberechtigung aller« sowie die Beseitigung der Herrschaft von »Menschen über Menschen«, deren Gegensätze die Praxis der Religion als Ideologie bestimmten. Dass hier von Religion im allgemeinen gesprochen wurde, zeigt der Verweis auf die »traditionelle individuelle Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Religionsausübung«, die nicht nur noch nicht verwirklicht sei, sondern darüber hinaus kein geeignetes Medium darstelle, »zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse und den gegebenen historischen Bedingungen« beizutragen. Religion, egal welcher Ausprägung, stehe daher dem Ziel der »Emanzipation des Menschen von ökonomischen und ideologischen Abhängigkeiten« diametral entgegen, so dass das Ziel liberaler Politik einzig in ihrer Überwindung sowie der Beseitigung ihrer Institutionen bestehen konnte. 354 »Bereits vor 53 Jahren hatten die Väter der Weimarer Reichsverfassung nach westlichem Vorbild eine Trennung von Staat und Kirche vorgesehen [. . .]. Aber der in der Weimarer Verfassung verankerte ›Formelkompromiß‹ und die unklaren politischen Verhältnisse bis 1948 ließen keine Verwirklichung zu, stattdessen dehnten die Kirchen ihre aus dem Kaiserreich übernommenen Machtpositionen bis zum Abschluß von Konkordaten und später Kirchenverträgen aus. [. . .] Bei der Beratung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat konnten gewaltige Anstrengungen besonders kirchenfreundlicher Parlamentarier, die kirchlichen Einflussmöglichkeiten über das Grundgesetz beträchtlich verstärken, nach intensiven Debatten durch Mehrheitsentscheidung abgewehrt werden. Die restaurative Verfi lzung der alten kirchlichen Denk- und Machtstrukturen und der neuen freiheitlichen Demokratie hat jedoch in Deutschland seit 1945 schließlich so zugenommen, daß nur stufenweise Auf klärung und Erringung von geistigen, rechtlichen und personellen Positionen eine Bereinigung mit sich bringen kann [. . .]. Seitdem wurde indessen in der BRD eine Bastion nach der anderen von den restaurativen Kräften unter Rückfall in Verhältnisse, wie sie vor 1918 herrschten, neu erobert« (ebd., 2).
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Forderungen Auf dem Hintergrund der Analyse artikulierten die Jungdemokraten in einem dritten Teil des Papiers 18 Forderungen, die aufgeteilt waren in Forderungen I. im Bereich des öffentlichen Rechts und II. im Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen. Auch hier rekurrierte man erneut auf Joachim Kahl, besonders deutlich war jedoch die Bezugnahme auf das Thesenpapier Osenbergs, das wiederum nach Angaben seines Verfassers an manchen Stellen auf Fischers Buch »Trennung von Staat und Kirche« rekurrierte.355 Die entsprechenden Parallelstellen bei Kahl und Osenberg werden im Kontext der Darstellung der Forderungen in den Fußnoten aufgeführt. Der Katalog der Jungdemokraten-Forderungen begann mit acht Forderungen, die im Bereich des öffentlichen Rechts im Sinne einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt werden sollten. Forderung 1 verlangte die Umwandlung der Kirchen von Körperschaften des öffentlichen Rechts in privatrechtliche Institutionen, die unter »allgemein gültigen vereinsrechtlichen Bestimmungen« stehen sollten, was wiederum »innerverbandliche Demokratie und [die] Offenlegung der Finanzen« zur Folge hatte.356 Forderung 2 beinhaltete die »Beseitigung des staatlichen Kirchensteuereinzugsverfahrens« bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Klärung der »Zulässigkeit der staatlichen Kirchensteuererhebung«, da man darin einen Verstoß gegen die »Neutralitätspfl icht des Staates« und das »verfassungsrechtlich garantierte Grundprinzip der Trennung von Staat und Kirche« sah. Als Alternative zum Kirchensteuereinzug schlug man die »Erhebung von Mitgliederbeiträgen« vor.357 Die Auf kündigung der Kirchenverträge bzw. Konkordate, in denen sich die »Privilegierung eines bestimmten Bekenntnisses« ausdrückte, was wiederum ein Verstoß gegen das »Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität« des Staates darstellte, forderte man in der dritten Forderung. Forderung 4 ordnete eine verfassungsrechtliche Prüfung der 355 »[. . .] wobei ich zu einigen Punkten auf detailliertere Darlegungen Erwin Fischers in seinem Werk ›Trennung von Staat und Kirche‹, 2. Aufl., hinweise« (Osenberg, 28 Thesen, 9). 356 »Die [. . .] Möglichkeit der Anerkennung von Religionsgesellschaften und weltanschaulichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts [. . .] stellt eine eklatant verfassungswidrige Bevorzugung dar. [. . .] Selbst die Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts rechtfertigt nicht, daß Religionsgesellschaften oder weltanschauliche Vereinigungen von den gesetzlichen Regelungen des Vereins- oder Gesellschaftsrechts ausgenommen sind. Sie sind den gleichen und ähnlichen Bedingungen demokratischer Bestellung von Vorständen sowie der Transparenz und Publizität von inneren Zusammenhängen und Vorgängen, insbesondere der Finanzierungsgebarung, zu unterwerfen wie Vereine und Gesellschaften« (ebd., 15). 357 »Mit aller Intensität ist eine verfassungsgerichtliche Klärung der Zulässigkeit dieses Steuereintreibungsverfahrens herbeizuführen. Die Kirchensteuer widerspricht dem Trennungsprinzip. Als Übergangslösung ist ihr Einzug kirchlichen Instanzen zu übertragen« (ebd., 7).
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Landesverfassungen und Beseitigung etwaiger »grundgesetzwidrige[r] Bestimmungen«358 an. In Forderung 5 verlangte man die Ablösung der »auf überholten Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen.«359 In der sechsten Forderung sprach man sich für den Verzicht auf die Verwendung »sakraler Symbole und Formeln (Kruzifi x, Eid) [. . .] im Bereich staatlicher Institutionen« 360 aus. Forderung 7 forderte die Streichung des »im Personenstandsgesetz verankerte[n] Recht[s] zur Befragung nach der Konfession bei Personalangelegenheiten«, da dies im Widerspruch zur Verfassung stehe.361 Die achte und letzte Forderung dieses ersten Blocks verlangte die Befreiung der Gesetzgebung von »moraltheologischen und religiös motivierten Einflüssen« und ihre Anpassung an eine »weltanschaulich neutral[e], allein den Prinzipien des Grundgesetzes unterworfen[e] Rechtssprechung«. Es folgten zehn Forderungen für den Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen. Die Einführung der »religiös und weltanschaulich neutrale[n] Gemeinschaftsschule als staatliche Regelschule in allen Bundesländern und Landesteilen« artikulierte man in der ersten Forderung, da nur sie den »Prinzipien der weltanschaulichen Neutralität und dem Schulaufsichtsrecht« sowie »der allgemeinen Schulpfl icht« entspreche. Damit einher ging die in der zweiten Forderung artikulierte Ersetzung des konfessionell geprägten Faches Religionsunterricht durch Religionskundeunterricht, da nur diese Art des Unterrichts »nicht im Widerspruch zum Neutralitätsgebot« stehe.362 Das Ziel dieser Religionskunde, die sich »kritisch-rational mit den Grundlagen, Inhalten und Zielen der Religionen« beschäftigte, bestand im Aufweisen des »irrationalen Charakters von Religion« und des »Widerspruchs von Anspruch und Realität religiös motivierten Verhaltens.« Unter drittens forderte man das Einstellen der »staatliche[n] Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten«, da sie einen Verstoß gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates darstellten.363 358 »Die grundgesetzwidrigen Bestimmungen der Länderverfassungen müssen durch die Verfassungsgerichtsbarkeit ausgemerzt werden« (ebd., 6). 359 »Die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften sind entsprechend Art. 138 Abs. 1 WRV durch die Landesgesetzgebung endgültig und abschließend abzulösen« (ebd.). 360 »[D]er religiöse Eid ist in jeder Form verfassungswidrig [. . .]. Einen gleichen Verstoß stellt die Anbringung von Kruzifi xen in staatlichen Gebäuden dar« (ebd., 9). 361 »Nach dem Personenstandsgesetz haben die Standesämter die Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften bei Einverständniserklärung nach Befragung in die Personenstandsbücher einzutragen und an die zuständigen Pfarrämter weiterzumelden. Allein die Befragung schon steht eindeutig im Widerspruch zu Art. 136 Abs. 3 WRV [. . .]« (ebd.). 362 »Der einzige Religionsunterricht, der an öffentlichen Schulen erteilt werden kann und soll, ist eine wissenschaftliche Religionskunde, die in allen Weltreligionen und ihre Kritik einführt« (Kahl, Elend, 128). 363 »Damit ist zugleich jede staatliche Förderung konfessioneller Ausbildungsstätten,
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Im Sinne einer Konkretisierung der dritten Forderung ging man in Forderung 4 auf die Theologischen Fakultäten ein und forderte ihre Ausgliederung aus den Universitäten sowie ihren Verweis »in den Bereich eigenfinanzierter privater kirchlicher Ausbildungsstätten«, da »die organisatorische und fi nanzielle Unterstützung der Ausbildung von Geistlichen« nicht Aufgabe des Staates sei und zudem die Ausbildung »auf wissenschaftlicher Basis« zu erfolgen habe.364 Die Alternative sah man in »[r]eligionswissenschaftliche[n] Abteilungen der philosophischen Fakultät an den Universitäten«, die sich kritisch »mit Voraussetzungen, Wirkung und Ideologie der Religionen« auseinandersetzen sollten.365 In der fünften Forderung sprach man sich für den Verzicht auf »Finanzierungshilfen und Zuschüsse des Staates an die Kirchen« aus und verlangte für noch laufende Maßnahmen die »Offenlegung der Bilanz-, Kosten- und Beteiligungsverhältnisse.«366 In Forderung 6 verlangte man die grundsätzliche Übertragung der Erfüllung sozialer Aufgaben an staatliche Institutionen, da man in einer »an der irdischen Realität orientierte[n] und durch speziell ausgebildete und hauptberufl iche Kräfte ausgeübte[n] Sozialfürsorge« eine »humanere Betreuung« gewährleistet sah als in einer »an jenseitigen Zielen orientierte kirchliche Caritas.« Damit verbunden war der »unbedingte Vorrang der staatlichen Sozialhilfe (im Gegensatz zum bisher geltenden Subsidiaritätsprinzip).«367 Forderung 7 verlangte die Beseitigung staatlich institutionalisierter Militärseelsorger sowie der Militärgottesdienste, wiederum begründet durch den Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Eine gleiche Beurteilung Geistlicher wie Nicht-Geistlicher im Kontext der »Befreiung vom kirchlicher Hochschulen oder theologischer Fakultäten an Universitäten zu unterbinden« (Osenberg, 28 Thesen, 8). 364 »Besonders kritisch müßten im Lichte des Verfassungsrechtes gesehen und durchleuchtet werden die zahlreichen sowie beträchtlichen Finanzierungshilfen von Staat und Gemeinden für kirchliche Maßnahmen und Einrichtungen, vor allem für private Schulen bis hin zu Hochschulen und Akademien, obschon es Sache der Religionsgesellschaften allein ist, ihre Anliegen aus den eigenen Steuer- und Geldmitteln zu fi nanzieren, ohne die öffentlichen Steuern für Gruppeninteressen zweckzuentfremden« (ebd., 10). 365 Deshalb sollte zwar die theologische Fakultät abgeschafft, aber gleichzeitig eine religionswissenschaftliche Abteilung in der philosophischen Fakultät neu errichtet werden.« [. . .] Wer würde hauptsächlich Religionswissenschaft in diesem Stile studieren? Einmal vermutlich christliche Theologen, deren Hauptausbildung an eigenen kirchlichen Instituten erfolgen würde« (Kahl, Elend, 126). 366 »Nicht nur das selbständige Besteuerungsrecht der Kirchen verstößt gegen das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Postulat der weltanschaulich-religiösen Neutralität [. . .] sondern auch das immer weiter ausgebaute System der Beihilfen und Zuschüsse von Staat und Gemeinden an die Untergliederungen der Kirchen« (Osenberg, 28 Thesen, 16). 367 »Der kirchliche Grundsatz der Subsidiarität muß dahin abgewandelt werden, daß der Gleichberechtigung der Hilfsbedürftigen halber der öffentlichen Hand die Leitung aller karitativen Einsätze zusteht, und zwar von der Jugend- bis zur Altenhilfe« (ebd., 15).
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Wehrdienst« war der Inhalt der achten Forderung. Forderung 9 beinhaltete die Auf hebung der zwangsweisen Kirchenmitgliedschaft »auf Grund der Taufe unmündiger Kinder«, da diese einerseits den allgemein gültigen vereinsrechtlichen Bestimmungen widerspräche, andererseits das »sog. ›Elternrecht‹« dem »Recht des Kindes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit« entgegenstehe.368 Die zehnte Forderung verlangte die verfassungsrechtliche Prüfung und Auf hebung der »Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugend- und Sozialausschüsse u. a.).« 2.4.2. Die Kirchenpapiere der Humanistischen Union Die Humanistische Union NRW beschloss auf ihrer Delegiertenkonferenz am 10./.11. 2. 1973 »Forderungen und Thesen zur Trennung von Staat und Kirche«369, die von den Delegierten Klawitter, Osenberg und Tjaden im Auftrag des Landesvorstandes NRW und des Arbeitskreises »Kirche und Staat« in NRW sowie des Arbeitskreises »Kirche und Gesellschaft« in Köln eingebracht worden waren. Es handelte sich dabei um eine wortgetreue Übernahme des Forderungskatalogs, wie er am 7. 1. 1973 auf der Landesdelegiertenkonferenz der Jungdemokraten NRW verabschiedet worden war. Dies war zunächst insofern erstaunlich, als noch im August 1972 der Beschluss eines gemeinsamen Papiers scheiterte. Weiterhin war das Kirchenpapier der Jungdemokraten bereits auf der Bundesdelegiertenkonferenz in modifizierter Form verabschiedet worden. Die Humanistische Union hingegen beschloss eine Version des Kirchenpapiers, welche schon nicht mehr die aktuellste war.370 Es ist anzunehmen, dass man seitens der Humanistischen Union die politische Schlagkraft des Kirchenpapiers erkannte und sich nun doch hinter die Forderungen stellte.
368 »Auf jeden Fall fi ndet das vielbeschworene Elternrecht seine unüberschreitbare Grenze am Kinderrecht: Am Recht des Kindes auf Religionsfreiheit, das die Säuglingstaufe und jede einseitige religiöse und areligiöse Indoktrination seitens der Eltern ausschließt« (Kahl, Elend, 122. Vgl. auch ders., Erziehung, 250–269). »Die tatsächlich oder rechtliche Einführung von Kindern als Geschäftsunfähigen oder Beschränkt-Geschäftsfähigen durch die Taufe und dergl. in Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften stellt eine Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit [. . .] und eine Verletzung der Pfl ichten der Eltern [. . .] dar. [. . .] Zum mindesten widerspricht es jedem modernen Menschenrecht, daß Jugendliche bei Eintritt der Geschäftsfähigkeit ohne eigene Willenserklärung nur wegen des mystischen Taufaktes Mitglied der Kirche bleiben!« (Osenberg, 28 Thesen, 7). 369 Auszug aus dem Protokoll der Delegiertenkonferenz der HU NRW vom 10./11. 2. 1973; IfZ Ed 445-28. Man brachte lediglich die Forderungen zur Abstimmung, eine Zielsetzung oder Präambel fehlte. 370 So enthielt das Papier die Forderungen nach Abschaffung der Kindertaufe, die auf der BDK der DJD gestrichen worden war.
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Am 11. 9. 1973, vier Tage vor dem Kongress »Trennung von Staat und Kirche«, verabschiedete der Bundesvorstand eine »Grundsatzerklärung zum Verhältnis von Staat und Kirche«371, die am 15. 9. 1973 vom Bundesvorsitzenden Scheunemann vorgestellt wurde. Sie stellte eine abgeänderte Version des Februar-Papiers dar, das in einer Augustsitzung des Bundesvorstandes beraten und modifiziert worden war. Die Grundsatzerklärung umfasste zwölf Forderungen, denen eine knappe Einleitung vorgeschaltet war, die schlagwortartig in die Problematik eingeführte. So ermögliche es der Grundsatz der weltanschaulichen und religiösen Freiheit dem Menschen, »sich zu einer Religion oder Weltanschauung frei zu bekennen oder das zu unterlassen«372 . Durch die Privilegierung einer bestimmten Religion werde die freie Ausübung dieses Rechtes jedoch verhindert, so dass nur eine konsequente Trennung von Staat und Kirche letztlich »weltanschauliche Neutralität des Staates«373 gewährleisten könne. Hinsichtlich der Forderungen lassen sich einige wesentliche Unterschiede zu dem Februar-Papier des nordrhein-westfälischen Landesverbandes erkennen. So wurde die Unterteilung in Forderungen I. im Bereich des öffentlichen Rechts und II. im Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen aufgehoben und die Reihenfolge der Forderungen verändert. Ihre Zahl wurde von 18 auf 12 reduziert, teilweise dadurch bedingt, dass einige zusammengefasst wurden.374 Interessant ist, dass die Forderung I.2 des Februar-Papiers zur Beseitigung des Kirchensteuereinzugsverfahrens nicht mehr auftauchte. Ebenso fehlte die Forderung 4 zur Überprüfung der Landesverfassungen auf weltanschaulich-religiöse Neutralität sowie die Forderungen zur Befreiung aller Gesetze von moraltheologischen und religiös motivierten Einflüssen (I.8) und nach Einstellung der staatlichen Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen. (II.3). Neu formuliert und damit inhaltlich anders nuanciert wurde die Forderung zur Trägerschaft sozialer Aufgaben. Hatte man in II.6. des Februar-Papiers noch die grundsätzliche Übertragung der sozialen Aufgaben an staatliche Institutionen und den daraus resultierenden »unbedingten Vorrang der staatlichen Sozialhilfe (im Gegensatz zum jetzt geltenden Subsidiaritätsprinzip)« 375 gefordert, so gestand man neben der Forderung, dass Subsidiaritätsprinzip zu beseitigen, der »sozialcaritative[n] Tätigkeit kirchlicher Einrichtungen«376 nun eine Förderung zu, 371
Vgl. Mitteilungen Nr. 64 vom 30. 9. 1973, 1. Ebd. 373 Ebd. 374 So z. B. die Forderungen I.3 (Kirchenverträge) und 5 (Staatsleistungen an Kirchen) des Februar-Papiers, jetzt zusammengefasst in These 2; oder die Forderungen 7 (Militärseelsorge) und 8 (Befreiung vom Wehrdienst), jetzt zusammengefasst in These 10. 375 Auszug aus dem Protokoll der Delegiertenkonferenz der HU NRW vom 10./11. 2. 1973; IfZ Ed 445-28. 376 Grundsatzerklärung, in: Mitteilungen Nr. 64 vom 30. 9. 1973, 1. 372
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wie sie auch vergleichbaren privaten Einrichtungen zukam. Ebenfalls erweitert wurde die These II.10 des Februar-Papiers, hier ebenfalls die abschließende Forderung 12. Diese forderte die Auf hebung der Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen. In der Grundsatzerklärung wurde die Forderung dahingehend erweitert, dass man in Gremien, in denen weiterhin Vertreter der Großkirchen mitwirken, [. . .] die Teilnahme von Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungsgruppen in angemessener Weise« 377 sicherstellen sollte. Im Jahre 1974 veröffentlichte die Humanistische Union eine kleine Schrift mit dem Titel »Glaubensfreiheit, Kirchenprivilegien und die sogenannte Partnerschaft von Staat und Kirche – Thesen und Forderungen zu einer immer noch offenen Frage«378 , in der ausgehend von der Prämisse der völligen Rechtsgleichheit aller Menschen erläutert wurde, warum man sich für eine Trennung von Staat und Kirche aussprach. Die Humanistische Union wandte sich gegen die Privilegien der beiden Großkirchen und deren Versuche, »Glaubenssätze der christlichen Bekenntnisse zu allgemein verbindlichen Normen zu erklären« 379, da dadurch die Freiheitsrechte des Menschen und darin eingeschlossen die Möglichkeit der Wahl einer Glaubensüberzeugung erheblich eingeschränkt würden. Die dem Staat von der Verfassung auferlegte Verpfl ichtung zur Neutralität gegenüber allen Religionsgemeinschaften werde durch das gemeinsame Agieren bspw. bei der Kirchensteuer und beim Religionsunterricht nicht gewahrt. In diesem Zusammenhang stand auch die Kritik an der Rede vom partnerschaftlichen Verhältnis von Staat und Kirche, so wie Willy Brandt es am 18. 1. 1973 formulierte. Die aktuelle Version von Thesen der Humanistischen Union zur Trennung von Staat und Kirche stammt aus dem Jahr 1995. 2.5. Zusammenfassung Betrachtet man die Entstehung dieser ersten Version des Jungdemokratenpapiers, so sind einige Punkte bemerkenswert. Die Verfasser des Papiers gaben ihm die Überschrift »Liberalismus und Christentum« mit der Intention, die Gegensätzlichkeit beider weltanschaulichen Positionen zum Ausdruck zu bringen. Schon der Titel, der zunächst keinen Hinweis darauf enthielt, dass das Papier etwas zur Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche aussagen würde, zeigte, wie sehr die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Christentum und Religion das Papier dominierte. Es stand damit im krassen Gegensatz zum kulturpolitischen Programm eines »geläuterten Liberalis377 378 379
Ebd., 2. Vgl. Humanistische Union e.V. (Hg.), Glaubensfreiheit. Ebd., 2.
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mus« der FDP, in dem man gerade die Vereinbarkeit beider proklamiert hatte. Wie bereits dargestellt, enthielt das Papier neben antikirchlichen Passagen auch scharf antireligiöse Äußerungen, die neben der Forderung nach einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche in dem Ziel der Überwindung der Religion gipfelten. Interessant war nun die argumentative Verknüpfung dieser beiden Anliegen. So wurde der Religion ein antiliberaler, anachronistischer und dem aufgeklärt-rationalen Wesen des Menschen widersprechender Charakter zugewiesen, der dessen Emanzipation verhindere und ihn unfrei mache. Der Einfluss dieser reaktionären christlichen Religion auf den Menschen vollziehe sich nun durch die Kirche als ihrer institutionalisierten Trägerin, die aufgrund der laxen Handhabe der in der Verfassung festgeschrieben »hinkenden Trennung« von Staat und Kirche einen zu großen Einfluss auf die weltlichen und politischen Belange habe. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche hatte somit nicht nur zum Ziel, dem Grundsatz der im Grundgesetz festgeschriebenen menschlichen Rechte der freien Persönlichkeitsentfaltung, der Glaubens-Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und der daraus gebotenen weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates Rechnung zu tragen, vielmehr hatte diese antikirchliche Forderung ihren Grund in der stark antireligiösen Haltung ihrer Verfasser. Den Forderungen kam somit eine exekutive Funktion zu, das, was man anhand der ausführlichen Analyse an Missständen und Fehlentwicklungen aufgewiesen hatte, in konkrete politische Beschlüsse umzusetzen. Ein Blick auf die Rezeptionen, die dem Kirchenpapier in weiten Teilen zugrunde lagen, verweist dabei auf die ihr ganz eigene Brisanz. Verwies die Zielsetzung auf eine begrenzte Rezeption des kritischen Rationalismus, insofern man unter Bezugnahme auf die Zielsetzung des Manifestsentwurfs den auf klärerisch-rationalen Charakter liberaler Politik betonte, so dominierte im Folgenden neben partiellen Verweisen auf Szczesny und Koch die Rezeption Kahls und Osenbergs das Papier, zwei Positionen, die von ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung her völlig unterschiedliche Herangehensweisen an die Thematik Staat, Kirche und Religion darstellten. Kahls Religionskritik und die daraus resultierenden Forderungen im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche orientierte sich vorwiegend an einer prämarxistischen Ideologie, zu der sich Kahl sowohl am Anfang als auch am Ende seines Buches »Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott« deutlich bekannte.380 War somit sein »Glaubens380 So begann die Einleitung in sein Buch mit dem Zitat »Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt« (Kahl, Elend, 12), das der Marxschen Schrift »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« entnommen war. Mit einem weiteren Zitat daraus endete sein Buch (vgl. ebd., 133).
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buch rot«381 und die herrschafts- und kapitalismuskritischen Grundansichten, die auch seine Religionskritik bestimmten, mit den zum Teil neomarxistischen Anschauungen der Jungdemokraten kompatibel, so ließen sich vergleichbare Aussagen bei Osenberg nicht erkennen, im Gegenteil. Osenberg war von seiner politischen Haltung her konservativ ausgerichtet und galt in manchen Kreisen als politisch eher rechts stehend. Seine Herangehensweise an die Thematik stand ganz im Zeichen seines Berufs; sie zeichnete sich durch eine juristische Auseinandersetzung aus, die sich in weiten Teilen an der ebenfalls juristisch fundierten Arbeit Fischers orientierte. In dem Jungdemokratenpapier vermischten sich somit ein kritisch-rationaler Ansatz mit ideologiekritischen Ansichten, die einer marxistischen Religionskritik geschuldet waren, mit einer aus einer politisch-konservativen Perspektive heraus vorgenommenen juristischen Erörterung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Die Weiterbehandlung des Papiers in den Gremien des nordrhein-westfälischen Landesverbandes machte deutlich, dass man sich dieser Verquickung und insbesondere der starken Marx-Rezeption, die sich im Rekurs auf die Position Kahls manifestierte, nicht ohne weiteres anschließen konnte.382 So stellte bereits der Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz eine abgeschwächte Version des Papiers dar, insofern die Analyse nicht mit beschlossen wurde und somit die antireligiösen Züge des Papiers nicht mehr ganz so deutlich artikuliert wurden. Auch in den weiteren Beratungen wurde die Analyse nicht mehr aufgegriffen; wiederum ein Indiz dafür, dass man – aus unterschiedlichen Gründen – zusehends bemüht war, antireligiöse Äußerungen zu vermeiden. Der Kreisverband Hagen, in den hinein die Entstehung des Kirchenpapiers zu verorten ist, gehörte in jenen Jahren des politischen Wandels der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten zu den Kreisverbänden, die die neue progressiv-linksliberale Politik des neuen Landesvorstandes von Anfang an engagiert unterstützten und dabei zum Teil darüber hinausgingen. Hier institutionalisierte sich der Konfl ikt mit der Hagener FDP um Willi Weyer, wie nicht nur die Diskussionen um das im Juni 1971 beschlossene Grundsatzpapier des Kreisverbandes belegten. Nicht selten musste der Landesvorsitzende Maier in jener Zeit bei der nordrhein-westfälischen FDP für den Kreisverband Hagen in die Bresche springen. Im Blick auf die politischen Theorien, die man der eigenen Arbeit zugrunde legte, zeigte sich hier des Weiteren eine stärkere Rezeption marxistischer Theorien, wobei man immer wieder zugleich auf den radikal-demokratischen Charakter sowie die Abgrenzung der eigenen Politik von der Politik so genannter »K381 382
Noltenberg, Kahls Marx, 3. Siehe Abschnitt 3.2.
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Gruppen«383 verwies. Dennoch betonte Gerigk, dass die Ausrichtung des Hagener Kreisverbandes Maier und Matthäus als Vertreter eines kritischen Rationalismus »sicherlich teilweise zu weit«384 ging. Die verbandsinterne Diskussion des Hagener Kirchenpapiers bestätigte die Differenzen zwischen dem Hagener Kreis um Gerigk-Groht, Gerigk und dem Münsteraner Kreis um Maier und Matthäus hinsichtlich Intention und Handhabung des Papiers, auch wenn man in der Sache an sich übereinstimmte. Insbesondere die religionsüberwindenden Tendenzen des Papiers sowie dessen revolutionärer Duktus waren es, wovon sich Maier und Matthäus distanzierten, insofern das Papier, in marxistischer Manier, ein grundsätzliches Abrechnen mit der Religion intendierte. Maier betonte, man habe nie einen christenfreien Verband aus den Jungdemokraten oder der FDP machen wollen, was im Falle einer Umsetzung der Aussagen Kahls, denen man grundsätzlich in weiten Teilen zustimmte, die Konsequenz gewesen wäre.385 So habe es innerhalb der Jungdemokraten durchaus eine Reihe praktizierender Christen gegeben, deren Überzeugung und Gesinnung man akzeptierte, auch wenn man grundsätzlich anderer Meinung war. Hier spiegelte sich eine Prämisse des kritischen Rationalismus’ wider, insofern man jedem das Recht auf Irrtum zugestand und somit auch die eigene Position in der »kritischen Diskussion«386 zur Disposition stellte. Auch Groht verwies auf die Herkunft der Jungdemokraten aus bürgerlichen Kreisen, in denen man »entweder katholisch oder evangelisch« 387 war. Überdies hatten auch die genannten Protagonisten der Kirchenpapierdebatte eine christliche Sozialisation genossen und keineswegs von Anfang an eine kritische und distanzierte Haltung der Kirche gegenüber vertreten. So hatte Groht im Rahmen ihres Lehramtstudiums als Zusatzfach evangelische Theologie studiert, wenngleich sie schon während der Schulzeit Probleme mit dem Religionsunterricht gehabt hatte. Hier hatte sie schon früh die Ansicht vertreten, dass wenn im Blick auf die Teilnahme bzw. Nicht-Teil383
Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 27. 11. 2007. Ebd. Robert Maier und Ingrid Matthäus waren im Kontext ihrer Mitarbeit in der HU und der HSU mit verschiedenen philosophischen Theorien in Berührung gekommen; so auch mit dem kritischen Rationalismus, der, wie Maier berichtete, in jenen Jahren im universitären Bereich am ehesten im Bereich der Naturwissenschaft und dort hauptsächlich vom Mittelbau vertreten wurde. Auch er war zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Landesvorsitzenden mit einer halben Assistentenstelle an der Universität Münster beschäftigt. Wie bereits dargestellt, fand der kritische Rationalismus durch ihn seine Aufnahme in der Politik der DJD. 385 »Kahl wäre von aus gesehen als Hilfslektüre gedacht gewesen und ist bei den Hagenern etwas ins Zentrum gerückt« (Maier in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 11. 2007). 386 Popper, Problemlösen, 160. 387 Groht in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 3. 2006. 384
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nahme am Religionsunterricht Entscheidungsfreiheit herrsche, es auch legitim sein müsse, wenn man sich, wie sie, dagegen entschied – eine Haltung, die, so Groht, zu damaligen Zeiten »einschlug wie eine Bombe.« 388 Bestimmte Erfahrungen im schulischen Bereich, die in Verbindung mit der Mitbestimmung der Kirchen im Blick auf personelle als auch die Lehre betreffende Entscheidungen standen, hatten bei ihr immer mehr zu der Überzeugung geführt, dass man sich »nicht nur auf die Religion«389 verlassen dürfe. Durch den Kontakt zur Politik sei sie dann zu einem humanistischen Standpunkt gelangt. Der Entstehungs- und Diskussionsprozess des Kirchenpapiers hatte bei ihr dazu geführt, dass sie aus der Kirche austrat und ihre Vocatio für evangelische Religion niederlegte. Peter Gerigk berichtete, er sei als Kind und Jugendlicher jahrelang »begeisterter«390 Messdiener gewesen und habe sich bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr stark kirchlich engagiert; so u. a. als Leiter von Jungschargruppen oder Organisator kirchlicher Jugendfreizeiten. Auch bei ihm war es die Kirchenpapier-Debatte jener »außergewöhnlich politischen Zeit« 391, die letztlich zum Austritt aus der Kirche geführt hatte. Robert Maier hatte bis 1966 und damit bis zu seinem Wechsel von Gießen nach Münster der katholischen Kirche angehört und war während seiner Studienzeit in Gießen Sprecher der dortigen katholischen Studentengemeinde. Auch wurde er von der katholischen Cusanus-Gesellschaft gefördert. In Münster trat er dann der Humanistischen Studentenunion und Humanistischen Union bei, deren auf klärerische Richtung er fortan teilte, was schließlich seinen Kirchenaustritt bedingte. Auch Matthäus trat im Zuge ihrer Mitgliedschaft bei der Humanistischen Studentenunion und Humanistischen Union aus der evangelischen Kirche aus. Das, was Maier und Matthäus im Kontext der Kirchenpapierdebatte stark machten, war im Sinne einer progressiven Politik, neue, grundsätzliche Ansätze zu entwickeln. Einer Kooperation mit progressiven Christen stand man dabei, auch aufgrund der persönlichen Vita, offen gegenüber. In diesem Kontext musste auch der Kontakt zu dem katholischen Münsteraner Kirchenrechtler Professor Herrmann betrachtet werden, zu dem Matthäus und Maier eine freundschaftliche Verbindung pflegten. Die Proklamation der Überwindung von Religion hätte diesem progressiven, dem kritischen Rationalismus verpfl ichteten Ansatz widersprochen, nicht jedoch die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Religion als solcher, die in der weiteren Diskussion jene religionsüberwindende Proklamation ersetzte. Von diesem Zeitpunkt an trat Matthäus für das Papier ein, und die Tatsache, dass das Papier auf diese Weise 388 389 390 391
Ebd. Ebd. Gerigk in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 27. 11. 2007. Ebd.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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seine Beachtung fand, war wesentlich auf ihr Engagement zurückzuführen.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers 3.1. Landesdelegiertenkonferenz der Deutschen Jungdemokraten NRW 7. 1. 1973 3.1.1. Grundsätzliche Stimmung Am 7. 1. 1973 tagte die Landesdelegiertenkonferenz der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten in Duisburg-Wedau, deren Verlauf Ausdruck jener Entwicklungen und Prozesse war, die die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten verbandsintern, in ihrem Verhältnis zum Bundesverband sowie zur FDP aktuell bestimmten. So konnten sie die Konferenz zunächst als Erfolg verbuchen, insofern diese ihren neuen linksliberalen Kurs als konsolidiert bestätigt hatte. Darauf verwies die Frequentierung der Konferenz, an der rund 166 Delegierte und ca. 100 Gäste teilnahmen. Auch die Tatsache, dass ein Antrag der Bonner Jungdemokraten, der die Jungdemokraten entgegen der nordrhein-westfälischen Interpretation der »Zwei-Wege-Politik« wieder als Jugendorganisation der FDP sehen wollte, nur 15 Stimmen auf sich vereinen konnte, bestätigte die weitgehende Homogenität des Landesverbandes. Im Bereich der Basisarbeit und der Mitgliederwerbung hatten sich erste Erfolge eingestellt, insofern die Jungdemokraten für das Jahr 1972 750 neue Mitglieder, darunter 350 Schülerinnen und Schüler in ihren Reihen begrüßen konnten.392 Die Nachwuchsförderung war umso wichtiger, als sich auch innerhalb des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Tendenzen dahingehend abzeichneten, dass immer mehr junge Menschen den direkten Weg in die FDP gingen. Hier kämpfte man mit den Folgen der ausführlichen Grundsatzdiskussion, die bei vielen eine gewisse Müdigkeit hervorgerufen hatte und darin mündete, dass die Linie der Jungdemokraten längst nicht mehr von allen nachvollzogen wurde. Die Intensivierung des Kontaktes zu den Untergliederungen und eine damit verbundene inhaltliche und programmatische Auseinandersetzung erachtete man daher dringlicher denn je. Die Politik im Sinne des ersten Weges der neuen Strategie hatte sich somit ein Stück weit bewährt; sie führte zu einem gesunden Selbstverständnis des Landesverbandes, das auch darauf zurückzuführen war, dass man sich seiner Funktion und seines Einflusses innerhalb des Bundesverbandes durchaus bewusst war.393 392
Vgl. Art. »Judos weiter in Distanz zur FDP«, in: RP vom 9. 1. 1973. »Hier muß man sich einmal die Frage stellen, welchem anderen Landesverband im Bundesverband es gelingen könnte, so viele Aktive auf die Beine, geschweige denn auf 393
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Diese grundsätzliche Stimmung wirkte sich auch auf das Verhältnis zur nordrhein-westfälischen FDP aus, deren politischen Kurs man aufgrund einer zunehmend verspürten Ausrichtung nach rechts, für die man Horst Ludwig Riemer verantwortlich machte, selbstbewusst und ohne Zurückhaltung immer schärfer kritisierte.394 Hier spiegelte sich auch jene Enttäuschung über die verlorene Wahl des Wunschkandidaten Gerhart Baum als Nachfolge Weyers wider, der sich gegen Horst Ludwig Riemer nicht hatte durchsetzen können. Aber auch im Blick auf die Parteispitze, wo man spätestens seit den vorgezogenen Bundestagswahlen und der neuen Regierungsbildung jene rechtsorientierten Tendenzen ausmachte, hielten die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg. Hier war es insbesondere die geplante Reise Scheels in das diktatorisch beherrschte Griechenland sowie dessen Schweigen im Blick auf die amerikanischen Angriffe auf Vietnam, die den großen Unmut der Jungdemokraten hervorriefen. Persönlich betroffen zeigte man sich von Karl-Hermann Flach, dem man Anpassung an das ›Partei-Establishment‹ sowie den Verrat linksliberaler bzw. radikaldemokratischer Ziele vorwarf. 395 Jene Ereignisse, die ersten Erfolge der Politik des ersten Weges sowie die kritische Entwicklung der FDP, bestärkten die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten entgegen der Haltung einiger anderer Landesverbände, an ihrer »Strategie der zwei Wege« weiterhin festzuhalten, die laut Aussage des scheidenden Landesvorsitzenden Maiers jetzt »erst richtig los« 396 gehen sollte. Im Blick auf das Verhältnis zur FDP betonte man dabei, keineswegs weitere Konfl ikte forcieren zu wollen, sondern vielmehr zum Ziel zu haben, die Partei dem zweiten Weg gemäß im Sinne der eigenen gesellschaftsverändernden Politik weiter zu beeinflussen. Das »Liberalismus und Christentum«-Papier des Kreisverbandes Hagen kann in diesem Zusammenhang als Beispiel für eine praktisch angewandte »Zwei-Wege-Strategie« fungieren, insofern »[a]lte Forderungen der FDP [. . .] jeweils als Zugpferde in Vorstöße der Judos ›eingebaut‹« 397 werden, die zum Ziel haben, »die Partei damit immer wieder ein Stück weiter in die
eine LDK zu bringen? In der Aktivität steht unser Landesverband – das zeigt sich wiederum an dieser LDK – einsam an der Spitze« (Gerigk, Kommentar zur LDK 1973, in: DJDaktuell 2/1973, 3). 394 Vgl. Art. »FDP vor neuer Rechtsorientierung gewarnt. Scharfe Angriffe der Jungdemokraten NRW gegen Generalsekretär Flach und Horst Riemer«, in: FR vom 8. 1. 1973. 395 Vgl. Art. »Jungdemokraten richten scharfe Angriffe gegen die FDP-Spitze«, in: Die Welt vom 8. 1. 1973. 396 Art. »Nordrhein-westfälische Jungdemokraten: ›Jetzt geht’s richtig los‹. Untergrundarbeit in der FDP soll den Judos Mehrheiten bringen«, in: Die Welt vom 9. 1. 1973. 397 Art. Judos praktizieren eine »Strategie der zwei Wege«, in: ebd. vom 10. 1. 1973.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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Gesellschaftsveränderung«398 hineinzubringen. Ihm konnte zugleich ein weiterer Zweck zugeschrieben werden, insofern man es auch als Gegenmaßnahme der Jungdemokraten gegen die neue kirchenpolitische Ausrichtung der Partei verstehen konnte, die sich gerade 1972 in zunehmenden Maße um die katholischen Kirche bzw. den Reformkatholiken bemüht hatte. 3.1.2. Diskussion und Beschluss des »Liberalismus und Christentum«-Papiers Das »Liberalismus und Christentum«-Papier wurde als Antrag 2 vom Kreisverband Hagen auf der Landesdelegiertenkonferenz eingebracht und, mit einigen Änderungen versehen, dort beschlossen.399 Dabei folgte die Zielsetzung zunächst der der Antragsversion, insofern die Prämisse der »[V]er wirklichung des [. . .] Maßes an Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen« blieb und lediglich kleinere Passagen umformuliert oder gestrafft wurden. Eine wesentliche Veränderung erfolgte im Blick auf die Formulierungen der zweiten Grundvoraussetzung. Hatte man diese in der Antragsfassung als »Überwindung der Religion« bestimmt, so wies man nun den Liberalismus als »den Methoden des kritischen Rationalismus verpfl ichtet« aus und definierte dementsprechend die »ideologiekritische Auseinandersetzung mit den Grundlagen, Inhalten und Zielen des Christentums« als Grundvoraussetzung. Auch bestand das angestrebte Ziel liberaler Politik nicht mehr in der »Überwindung von Religion als im Irrationalen begründete Weltanschauung«, sondern darin, »der Bevölkerung das Instrumentarium zur ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Anspruch und Verwirklichung des Christentums bereitzustellen und zur rationalen Bewältigung des Verhältnisses von Gesellschaft und Religion beizutragen.«
Deutlich spiegelte sich in diesen Änderungen die Position des kritischen Rationalismus wider, insofern die religionsüberwindende marxistische Betrachtungsweise durch eine dem kritischen Rationalismus verpfl ichtete ideologiekritische Methodik ersetzt wurde, was dem Papier etwas von seiner antireligiösen Schärfe nahm.400 Der Beschluss, die Analyse nicht mit zu übernehmen, trug ebenfalls zu seiner Abmilderung bei. In Bezug auf die Forderungen I. im Bereich des öffentlichen Rechts wurde Forderung 1 zum 398
Ebd. Vgl. Beschluß der Landesdelegiertenkonferenz der Deutschen Jungdemokraten Nordrhein-Westfalen vom 7. 1. 1973, in: Kirche, 8–12. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Die Verweise auf den Antrag des Kreisverbandes Hagen beziehen sich auf Abschnitt 2.4.1. 400 Dies zeigte sich auch daran, dass man den vorletzten Passus strich, wo man, auf Kahl rekurrierend, die Freilegung der »progressiv-humanen Inhalte« und die »Entfernung des religiösen Beiwerks« als Ziel artikuliert hatte. 399
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Körperschaftsstatus der Kirchen wörtlich übernommen. In Forderung 2 kürzte man den Aspekt, den staatlichen Kirchensteuereinzug einer verfassungsrechtlichen Klärung zu unterziehen und strich ebenfalls das Aufweisen der Alternative, die Finanzierung der Kirchen durch Mitgliedsbeiträge zu gewährleisten. Die Forderungen 3 (Kirchenverträge und Konkordate) und 4 (Landesverfassungen) wurden mit einer etwas flüssigeren Formulierung und kleinen Kürzungen übernommen, Forderung 5 dahingehend erweitert, dass man die Staatsleistungen an die Kirche durch den Passus »z. B. aufgrund der Säkularisierung von Kirchenvermögen im 19. Jahrhundert« ergänzte. Forderungen 6 und 7 wurden wörtlich übernommen, Forderung 8 um den Passus gekürzt, der die Anpassung an eine weltanschaulich neutrale, den Prinzipien des Grundgesetzes unterworfene Rechtssprechung forderte. Hinsichtlich der Forderungen II. im Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen kürzte man in Forderung 1 die Begründung der neutralen Gemeinschaftsschule, indem man lediglich konstatierte, dass sie als staatliche Regelschule eingeführt werden sollte. Forderung 2 wurde neu formuliert, ihr Inhalt dabei weitgehend beibehalten. Man ergänzte die Forderung nach Religionskundeunterricht anstelle von Religionsunterricht mit Art. 7 GG, der besagt, dass Religionsunterricht kein Lehrfach an bekenntnisfreien Schulen sei. Das Ziel von Religionskunde, welches im Antragspapier noch im Aufweisen des Widerspruchs von Anspruch und Realität religiös motivierten Verhaltens bestand, wurde dahingehend umformuliert, dass nun der Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit »klerikaler Forderungen nach Gleichberechtigung und Menschenwürde« aufgedeckt werden sollte. Insgesamt sollte der geforderte Religionskundeunterricht Teil eines Faches werden, in dem Ideologiekritik und Methodenlehre vermittelt werden sollten. Hier spiegelte sich erneut die Methodik des kritischen Rationalismus wider. Forderung 3 zur staatlichen Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen wurde um die Begründung gekürzt, die Forderungen 4 bis 6 so übernommen. In Forderung 7 ließ man ebenfalls die Begründung weg, die Forderungen 8 bis 10 schlossen sich in wörtlicher Übernahme des Antragspapiers an. 3.2. Bundesdelegiertenkonferenz 28. 1. 1973 3.2.1. Beratungen Neben der überarbeiteten Zielsetzung liberaler Politik, die auf jener Bundesdelegiertenkonferenz am 27. 1. 1973 beschlossen wurde und die Zielsetzung des »Leverkusener Manifests« ersetzte, brachte der Landesvorstand der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten »– mit einigen Änderungen – den gesamten auf der Landesdelegiertenkonferenz vorgelegten Antrag mit dem
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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Forderungskatalog, wie ihn die LDK beschlossen hatte«401 als Antrag 3 auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Duisburg ein.402 Die hier erwähnten Änderungen bezogen sich auf zwei Stellen, an denen man auf die Fassung des Kreisverbandes Hagen zurückgriff, was jedoch keine großen inhaltlichen Auswirkungen hatte.403 Weitaus interessanter war, dass man nun auch die Analyse des ursprünglichen Hagener Antrags, die von der Landesdelegiertenkonferenz nicht mit beschlossen war, wieder in das eingebrachte »Liberalismus und Christentum«-Papier aufgenommen hatte. Nach Verlesung des Antrags wurde ein Arbeitskreis »Kirche« eingerichtet, der sich einen Tag lang mit dem Antrag, genauer, mit dessen Zielsetzung und den Forderungen, befasste.404 Eine Projektgruppe dieses Arbeitskreises erarbeitete eine Präambel zum Forderungskatalog; ebenso formulierte der Arbeitskreis für jede der 18 Forderungen eine Neufassung. Bereits im Vorfeld zur Bundesdelegiertenkonferenz hatten einige Landesverbände Stellung zu dem nordrhein-westfälischen Kirchenpapier bezogen. So hatten sich die Landesverbände Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg grundsätzlich für eine Unterstützung des nordrhein-westfälischen Kirchenpapiers ausgesprochen und dabei zugleich betont, dass sie manche Forderungen für »teilweise überspitzt«405 erachteten. Auch der Landesrat der 401
Gerigk, BDK-Bericht, in: DJD-aktuell Sonderheft zur BDK, 8. Vgl. Antrag 3 des Landesvorstandes der DJD NRW auf der BDK 1973; AdL 11362. 403 Die erste Änderung betraf nur ein Wort zu Beginn der Zielsetzung. Im Beschluss der LDK hatte man betont, dass die Zurückweisung der Kirchen und der Religionsausübung in den privaten Bereich eine Konsequenz der »individuellen Auffassung« der bürgerlichen Revolution war, wohingegen man in der Antragsversion und damit auch im ursprünglichen Antrag des Kreisverbandes Hagen das Wort individuell durch »individualstaatlich« ersetzt hatte. Die zweite Änderung betraf die Ausführungen zum aufgeklärtrationalen Charakter des Liberalismus und bestand im Wesentlichen aus einer syntaktischen Umstellung. So hieß es im Beschluss der LDK vom 7. 1. 1973: »Liberalismus wendet sich daher gegen die Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den totalen Anspruch des Christentums auf Überlegenheit der geistlichen Macht über die staatliche Macht begründet. – Diese Begründung wird auf eine angeblich vorgegebene objektive Wertordnung, die mit der natürlichen und übernatürlichen Gottesoffenbarung identisch sei, zurückgeführt« (Kirche, 9 f.). In der Antragsfassung zur BDK und in der »Liberalismus und Christentum«-Fassung des Kreisverbandes Hagen hingegen hieß es: »Liberalismus wendet sich daher gegen die Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den totalen Anspruch auf letzte Wahrheiten erheben. Liberalismus weist daher insbesondere den Anspruch des Christentums auf Überlegenheit der geistlichen Macht über die staatliche Macht, der seine Begründung aus einer angeblich vorgegebenen objektiven Wertordnung erfährt, die mit der natürlichen und übernatürlichen Gottesoffenbarung identisch ist, zurück« (Antrag 3; AdL 11362). Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Fassungen bestand darin, dass die letztgenannte allgemeiner und offener formuliert wurde und somit auch auf andere Ideologien, Religion und Anschauung angewendet werden konnte. 404 Vgl. Protokoll der BDK vom 27./28. 1. 1973; ebd. Leider lassen sich dem Protokoll keine Namen derer, die in dem Arbeitskreis mitgewirkt hatten, entnehmen. 405 In Niedersachsen befürwortete man die Auf hebung der Kirchenverträge und Kon402
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
rheinland-pfälzischen Jungdemokraten hatte sich mit dem Kirchenpapier des benachbarten Landesverbandes auseinandergesetzt und dieses in elf Punkten gebilligt, wohingegen der Bundesdelegiertenkonferenz in sechs Punkten eigene Vorschläge unterbreitet werden sollten.406 Die Berliner Jungdemokraten hingegen waren nach Beratungen des Kirchenpapiers auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz zu dem Schluss gekommen, es als »nicht hinreichend begründet«407 zurückzuweisen, obschon sie die Problematik an sich erkannten und auch nicht ausschlossen, irgendwann dazu grundsätzlich Stellung zu beziehen. Die unterschiedlichen Positionen führten dazu, dass das Kirchenpapier in einer mehrstündigen und »lebhafte[n] Debatte der 100 Delegierten«408 diskutiert und schließlich mit nur wenigen Enthaltungen unter dem Titel »Liberalismus und Christentum« beschlossen wurde.409 Man übernahm die von dem Arbeitskreis neu formulierte Präambel sowie zu einem großen Teil die kordate – Hintergrund waren hier die Erfahrungen mit dem Niedersachsenkonkordat – und sprach sich gleichermaßen auch gegen das staatliche Kirchensteuerverfahren aus. Für die Abschaffung der Theologischen Fakultäten sowie die Auf hebung der kirchlichen Repräsentation in öffentlichen Gremien sah man jedoch keinen Grund. Die Hamburger DJD verwiesen auf ihr gutes Verhältnis zu den Kirchen und sprachen diesen zu, »viel Positives zur gesellschaftlichen Entwicklung« beigetragen zu haben (Art. »Auch im Norden: FDPJugend fordert Trennung Staat-Kirche. Äußerungen der Jungdemokraten in NRW teilweise überspitzt«, in: KNA Nr. 10 vom 12. 2. 1973). 406 Vgl. Art. »Für Trennung von Kirche und Staat. Rheinland-pfälzische Jungdemokraten: Zur Befreiung des Menschen«, in: Die Rheinpfalz vom 20. 1. 1973. Kurz zuvor hatten sich die rheinland-pfälzischen DJD unter dem Vorsitz Heidrun Schmitts für die Abschaffung des Religionsunterrichts ausgesprochen, da dieser Unterricht »nicht der kritisch-rationalen Durchleuchtung des Widerspruchs von Anspruch und Realität klerikaler Forderungen nach Gleichberechtigung« diene (Art. »›Religionsunterricht abschaffen‹. Fordern nun auch die Jungdemokraten von Rheinland-Pfalz«, in: ebd. vom 18. 1. 1973). 407 Art. »Berliner Jungdemokraten abwartend. djd Berlin wünscht differenziertere Behandlung des ›Kirchenpapiers‹«, in: KNA Nr. 7 vom 7. 2. 1973. 408 Art. »Jungdemokraten: Statt Kirchensteuer eine ›Sozialsteuer‹«, in: epd Nordrhein/ Mittelrhein-Saar Nr. 14 vom 29. 1. 1973. 409 Interessant ist in diesem Kontext die Berichterstattung des nordrhein-westfälischen DJD Rolf Kloke über die Plenumsdiskussion der durch den Arbeitskreis Kirche veränderten Thesen am 28. 1. 1973: »Am nächsten Tag wurde die in den Arbeitskreis teils geänderten oder ergänzten, teils mit Fragezeichen versehenen Thesen nach bewährter JudoManier durch das Plenum gepeitscht. Eine breite Diskussion der Forderungen zwecks größtmöglichen Konsensus unter den Delegierten wurde aus ›Angst vor Verwässerung‹ durch entsprechende Geschäftsordnungstricks verhindert. Bloße Formaldemokratie – was der F.D.P. so gerne und oft zu Recht vorgeworfen wird – und Resolutionsfetischismus beherrschten die Szene! [. . .] Das Dilemma für viele Jungdemokraten in den später zu erwartenden Diskussionen über das Kirchenpapier in zahlreichen vor allem evangelischen Kirchengemeinden etwas vertreten zu müssen, wovon man wegen des völligen Unterbleibens einer innerverbandlichen Diskussion – entweder keine Ahnung oder, wegen der oben beschriebenen Vorgänge anderer Meinung war, hat man wohl wegen der zu erwartenden Publizität in Kauf genommen« (Kloke, Art. Liberale Kirchenpolitik? Das Kuckucksei der humanistischen Union: ausgebrütet von den Jungdemokraten und adoptiert von der F.D.P., in: liberale korrespondenz Nr. 6 vom 23. 10. 1973, 6).
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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dort entstandenen Neuformulierungen der Forderungen, von denen, so Gerigk in seinem Bericht über die Bundesdelegiertenkonferenz, »die NRWDelegierten gar nicht so begeistert waren.«410 Die Analyse fand keine Aufnahme im Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz; sie wurde, zusammen mit der ursprünglichen Zielsetzung der Antragsfassung in die Untergliederungen verwiesen.411 3.2.2. Beschluss: »Liberalismus und Christentum«412 Die Präambel war etwa ein Drittel kürzer als die Zielsetzung der Antragsfassung, was darauf zurückzuführen war, dass insbesondere die in den anderen Fassungen üblichen Rückblicke auf die historischen, ökonomischen und ideologischen Voraussetzungen liberaler Postulate und Ziele sowie die juristischen Belege durch Verweise auf die Weimarer Reichsverfassung oder das Grundgesetz vollständig wegfielen. Zudem wies sich die Präambel insgesamt durch konkretere pragmatischere Aussagen aus, die ihrer Funktion, in konkret formulierte Forderungen einzuleiten, geschuldet waren. Wie auch in den anderen Fassungen artikulierte man zunächst »die Verwirklichung des in der jeweiligen materiell-historischen Situation möglichen Maßes an Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen« als grundlegendes Ziel liberaler Politik. Anders als in der Antragsversion und den vorausgegangenen Papieren erörterte man jetzt jedoch nicht die Konsequenzen dieser Prämisse im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche, sondern reflektierte die Folgen, die sich daraus hinsichtlich des Verhältnisses der Liberalen zur Religion ergaben. So sei es »für Liberale selbstverständ410
Gerigk, BDK-Bericht, in: DJD-aktuell Sonderheft zur BDK, 8. Dieser Kommentar bezog sich insbesondere Streichung der Forderung nach Abschaffung der Kindertaufe – eine der wichtigsten Änderungen der BDK – die in der weiteren Auseinandersetzung des Kirchenpapiers innerhalb des nordrhein-westfälischen Landesverbandes wieder aufgenommen wurde (siehe Kap. II.4.). 411 Vgl. Protokoll der BDK vom 27./28. 1. 1973; AdL 11362. Dies bestätigt auch ein Bericht Schroers gegenüber dem KLA über die Ergebnisse des Arbeitskreises Kirche. So konstatierte er im Blick auf die Analyse, sie sei »an die Untergliederungen der Jungdemokraten zu weiterer Beratung verwiesen« worden (Schreiben Schroers an den KLA vom 22[!]. 1. 1973; LAMS N 50. Bei der Datierung dieses Schreibens muss Schroers ein Tippfehler unterlaufen sein. Da die BDK erst am 27. 1. stattfand, konnte er nicht schon am 22. 1. deren Beratungsergebnisse wissen). 412 Vgl. Beschluss der BDK der DJD Ende Januar 1973: Liberalismus und Christentum; AdL 11362. Siehe auch Anhang 2. Vgl. auch Rath, Trennung, 11–14. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angaben. Die folgende ausführliche Darstellung des in dieser Form beschlossenen Papiers soll das Ergebnis des Diskussionsprozesses innerhalb der DJD dokumentieren. Die dargestellte Version war das offi zielle Papier, das von seinem Beschluss an so auch in der Presse wiedergegeben wurde. Das Papier, welches der Landesvorstand der DJD als Antrag 58 auf dem LPT der FDP in Siegen einreichte, unterschied sich nochmals vom Beschlusspapier der BDK. Die Unterschiede werden an gegebener Stelle näher beleuchtet (siehe Abschnitt 3.4.1.).
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
lich«, die »Überzeugung jedes einzelnen [zu] achten« und sich darum zu bemühen, »die Freiheit der Lebensgestaltung nach dieser Überzeugung zu sichern«. Dieser Passus offenbarte insofern eine erste wichtige inhaltliche Differenz zu den anderen »Liberalismus und Christentum«-Fassungen, als sich hier aus dem genannten Ziel liberaler Politik ex aequo die Glaubensund Religionsfreiheit jedes einzelnen sowie das Recht der Religionsausübung ableiten ließ. Für die Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gruppen ergebe sich daraus, dass sie ihr Verhältnis zueinander im Sinne einer natürlichen Konkurrenz betrachten müssen, der man sich nicht »mit Hilfe von staatlich gewährten Privilegien entziehen kann«, schon gar nicht dann, wenn man Staat und Gesellschaft im Sinne der eigenen weltanschaulichen Überzeugung mitgestalten möchte. Ein Blick auf das vorfindliche Verhältnis von Staat und Kirche zeige nun, dass den Kirchen Privilegien zu Eigen seien, die diesen liberalen Bedingungen widersprechen. Unter Aufnahme der Antragsfassung betonte man in diesem Kontext den Missbrauch der weltlichen Macht durch die Kirchen zur Durchsetzung der eigenen Angelegenheiten, wie er sich beispielsweise im staatlichen Kirchensteuereinzug oder im Einsatz kirchlicher Autoritäten wie beispielsweise Militärseelsorgern wiederspiegele. Nur eine konsequente Trennung von Staat und Kirche sei daher der Garant für die Aufrechterhaltung des »liberalen, demokratischen und weltanschaulich neutralen Rechtsstaates«. In diesem Zusammenhang betonte man, sich mit »wesentlichen Teilen der progressiven Christen« in Übereinstimmung zu wissen und zu einer Zusammenarbeit mit diesen bereit zu sein. Erneut zeigte sich hier die Handschrift Maiers und Matthäus’. Es folgten Bemerkungen, die das Verhältnis von Liberalismus und Religion näher beleuchteten. In Anlehnung an die Aussagen der Antragsfassung verwies man auf den auf klärerisch-rationalen Charakter des Liberalismus, betonte dabei jedoch, über die Vorlage hinausgehend und in Anlehnung an die Zielsetzung liberaler Politik, dass dieser Liberalismus »menschliche Erkenntnis prinzipiell [als] unvollständig und fehlerhaft« und demnach auch den »Prozeß menschlicher Erkenntnis prinzipiell als unabgeschlossen und unabschließbar« erachte. Hier zeigte sich eine nochmals verstärkte Rezeption des kritischen Rationalismus, der die Prämissen für die von den Jungdemokraten vollzogene ideologiekritische Auseinandersetzung mit der christlichen Religion lieferte, und damit zugleich, denselben Prämissen verpfl ichtet, auf die Grenzen auch der eigenen Denkweise verwies. Der Religion schrieb man somit einen irrationalen Charakter zu, insofern sie sich, im Gegensatz zum Liberalismus, im Besitz letzter Wahrheiten glaube. Das Verhältnis von Liberalismus und Religion werde somit von einem erkenntnistheoretischen Konfl ikt bestimmt.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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Ein Interview-Beitrag Gerigk-Grohts verdeutlichte die Diskrepanz beider Weltanschauungen. Er verwies zugleich auf eine gemäßigtere Haltung der Verfasserin des Hagener Kirchenpapiers, die sich in der Übernahme der Methodik des kritischen Rationalismus manifestierte: »Wir haben [. . .] festgestellt, daß sich Liberalismus gegenüber anderen Gruppierungen dadurch auszeichnet, daß er kritisch sich selbst reflektiert. Wir sind der Meinung, daß wir nichts dogmatisieren dürfen. Wir können also unsere Vorstellungen von Freiheit in einer Gesellschaft nicht absolut setzen, sondern müssen erstens uns selbst immer kontrollieren und müssen bei uns ideologiekritisch fragen, ob wir mit unseren eigenen Mitteln unseren Zielen widersprechen. Wir gehen also davon aus, daß unsere Erkenntnisfähigkeit begrenzt ist und wir deswegen auch keine absoluten Setzungen vornehmen dürfen – sondern eben immer wieder kritisch unsere eigenen Möglichkeiten, unsere Ziele analysieren müssen. Dieses sich ständig in Frage stellen, ist eine Frage der Methode, und wir meinen, das Instrumentarium oder die Methodik dazu ist der kritische Rationalismus. Das ist unsere Position, und wir meinen, ein Mehr an Rationalität tut einer Gesellschaft immer gut – eine stärkere Ausrichtung auf kritische Kontrolle von Emotion, auf Kontrolle von Ideologien, auf kritische Position ist wesentlich. Aus dieser Position kommt dann auch die Frage nach der Rolle von Ideologien und Religionen. Bei der Religion haben wir nun das Phänomen, daß es letztlich nicht hinterfragbare Inhalte gibt, die simpel gesagt, geglaubt werden müssen, sich also letztlich nicht beweisen lassen – und insofern gibt es also einen Unterschied zwischen Liberalismus und Religion.«413
Die ablehnende Haltung des Liberalismus gegenüber dieser in der Religion vollzogenen »Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den Anspruch auf letzte Wahrheiten erheben«414, die hier, anders als in der Vorlage, nicht näher expliziert wurde, müsse nun in eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit den Zielen und Inhalten des Christentums münden, die zugleich die Aufgabe hätte, den »Beitrag des Christentums zur gesamtgesellschaftlichen Emanzipation zu hinterfragen« sowie die »ideologiebildende und herrschaftsstabilisierende Funktion der Kirchen unter den Bedingungen des Spätkapitalismus bewusst zu machen.« Unter Aufnahme der Vorlage betonte man es daher als Aufgabe des Liberalismus, »durch rationale Auf klärung der Bevölkerung das Instrumentarium zur ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Anspruch und Verwirklichung des Christentums bereitzustellen und zur rationalen Bewältigung des Verhältnisses von Gesellschaft und Religion beizutragen.«
Dabei verwies man abschließend auf die Übertragbarkeit jener kritischen Auseinandersetzung auch auf »Nationalisten, Konservativ[e], Sozialisten, Kommunisten usw.«415 413
Religion heute – Informationen zum Religionsunterricht, Nr. 3/1973, 4 f. Diese Formulierung war so aus dem Antrag übernommen worden, der genau an dieser Stelle den ursprünglichen Antrag des Kreisverbandes Hagen zitiert hatte. 415 Die Aussagen erinnern an die Hans Alberts, Vertreter des Popperschen kritischen 414
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Im Blick auf die sich anschließenden Forderungen übernahm man für den Bereich I. des öffentlichen Rechts vollständig die Version des Arbeitskreises. Die Forderung 1 zum Körperschaftsstatus wurde dahingehend verändert, dass man die Forderung nach innerverbandlicher Demokratie und Offenlegung der Finanzen strich und stattdessen einen Satz zur Kirchenmitgliedschaft ergänzte, die an das Erreichen der Religionsmündigkeit geknüpft werden sollte. Forderung 2 zum Kirchensteuereinzugsverfahren wurde weitgehend so übernommen und lediglich in der Begründung durch den Verweis auf die Neutralitätspfl icht des Staates ergänzt. Forderung 3 zu den Kirchenverträgen und Konkordaten war identisch mit der Antragsfassung. In der vierten Forderung ergänzte man die Überprüfung der Landesverfassungen auf weltanschaulich-religiöse Neutralität durch eine Überprüfung auch des Grundgesetzes. Forderung 5 zu den Staatsleistungen stimmte erneut mit der Antragsfassung überein, doch forderte man deren Beendigung, wohingegen die Antragsfassung deren Ablösung verlangt hatte. Die Forderungen 6 bis 8 hatte man umgestellt, so dass nun als Forderung 6 unter wörtlicher Aufnahme der Antragsfassung die Streichung des im Personenstandsgesetz verankerten Rechts zur Befragung nach der Konfession artikuliert wurde. In Forderung 7 ergänzte man die Forderung der Befreiung der Gesetze von moraltheologischen und religiös motivierten Bestimmungen durch den Verweis auf die im Strafrecht verankerte Gotteslästerung sowie Teile des Sexualstrafrechts. Forderung 8 zum Verzicht auf die Verwendung sakraler Symbole und Formeln wurde in der Antragsfassung übernommen. Im Blick auf die Forderungen im Bereich II. staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen übernahm man die erste Forderung zur religiös und weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule in der Antragsfassung. Die Forderung 2 wurde stark gekürzt und auf die Aussage einer Änderung des Art. 7 GG reduziert, dahingehend, dass Religionsunterricht kein Lehrfach an staatlichen Schulen ist. Die Forderungen 3 und 4 zur staatlichen Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen und zu den Theologischen Fakultäten wurden in der Antragsfassung übernommen, die Forderung 5 zu Rationalismus, der in seinem »Traktat über kritische Vernunft« strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Katholizismus, Kalvinismus, Kommunismus und Faschismus konstatierte, insofern in ihnen »das extreme Gegenteil der im analytischen Denken postulierten Neutralität wirksam war oder ist: die blinde Parteilichkeit, der gehorsame Glaube, das unkorrigierbare Engagement« (Albert, Traktat, 5). Auch lassen sich Parallelen zu Albert im Blick auf die Äußerungen der DJD zum Phänomen der »Dogmatisierung« ziehen. Albert, der die Installierung von Dogmen keinesfalls auf theologische Konzeptionen beschränkte, sondern auch säkulare Ideologien in die Betrachtung mit einbezog, sah in der Dogmatisierung weniger den Zweck, zur »Lösung von Problemen der Erkenntnis oder der Moral« beizutragen als vielmehr die freie Erwägung des Menschen durch eine »Zurückweisung [. . .] von Alternativen« einzuschränken und auf diese Weise die »Existenzsicherung der mit dem betreffenden Glaubenssystem verbundenen Institutionen« zu gewährleisten (ebd., 97).
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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den Finanzierungshilfen und Zuschüssen des Staates den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinnützigkeit unterworfen. Forderung 6 forderte die Erfüllung sozialer Aufgaben nach staatlich anerkannten, demokratisch kontrollierten und legitimierten Kriterien und betonte die Orientierung allein an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Folgte der nächste Absatz der Antragsfassung, so ergänzte man am Ende die Forderung nach Einführung einer Sozialsteuer in Höhe von ca. 50% des bisherigen Kirchensteuersatzes, die den Kommunen zu Investitionen im sozialen Bereich zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Forderungen 7 und 8 zur staatlichen Institutionalisierung von Militärseelsorgern- und Gottesdiensten und der Befreiung von der Wehrpfl icht wurden in der Antragsfassung übernommen. Die wichtigste Veränderung, die der Arbeitskreis vorgenommen hatte, bestand in der Streichung der Forderung zur »Taufe unmündiger Kinder«. Die Frage der Kirchenmitgliedschaft, die darin ebenfalls thematisiert worden war, hatte man in die allererste Forderung zum Körperschaftsstatus integriert. Die somit neue neunte Forderung band die Auf hebung der Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen an die Bedingung, die diese Auf hebung nur für den Fall legitimierte, wo jene kirchliche Repräsentanz nicht innerverbandlich legitimiert sei. 3.3. Reaktionen Die Reaktionen auf das Kirchenpapier der Jungdemokraten waren zahlreich und umfassten die ganze Bandbreite von einer positiv-kritischen Würdigung bis hin zu seiner unmissverständlichen Ablehnung. Dabei bestand eine weitgehende Einigkeit in der Ablehnung der ideologie- und religionskritischen Grundlagen des Papiers, jedoch differierten die Meinungen hinsichtlich seiner grundsätzlichen politischen und gesellschaftlichen Relevanz, was vor allem mit der in dem Papier aufgeworfenen, aus der aktuellen gesellschaftlichen Debatte nicht mehr wegzudenkenden Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche zusammenhing. Wie brisant die von den Jungdemokraten aufgeworfene Fragestellung letztlich war, belegt die Tatsache, dass sich auch innerhalb bestimmter Gruppen, von denen man zunächst eine einheitliche Positionierung erwartet hätte, eine augenscheinliche Meinungspluralität ausdrückte. 3.3.1. Erste Stimmen aus der FDP Die Reaktionen aus den Reihen der FDP auf den Vorstoß der Jungdemokraten ließen erkennen, dass man das Papier insgesamt für unangemessen und nicht wirklich nachvollziehbar erachtete. Dies zeigte sich in der grundsätzlichen Distanznahme zu den Jungdemokraten durch den Verweis auf ihre satzungsgemäße Selbständigkeit und der damit zusammenhängenden
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
ausdrücklichen Betonung, dass der Beschluss nicht mit der Partei abgesprochen worden sei.416 Die Betonung dieser Distanz war umso nötiger, als die Jungdemokraten ihrerseits das Kirchenpapier als in Kontinuität zu urliberalen Forderungen stehend auswiesen und in diesem Kontext insbesondere auf die »Nürnberger Wahlplattform« rekurrierten.417 In einer ersten Stellungnahme vom 15. 1. 1973 zu den Inhalten des Kirchenpapiers bezeichnete Funcke die Forderungen als »fragwürdig«418 und führte ihre Entstehung darauf zurück, dass wohl mehr der »politische Eifer als das genaue Studium des Tatsächlichen die Feder geführt« habe. Dabei richtete sich ihre Kritik nicht gegen die Forderungen an sich, erachtete sie einige von ihnen doch für durchaus bedenkenswert.419 Funcke monierte vielmehr das veraltete »frühliberale« Bild von den Kirchen, das bei den Begründungen der Forderungen im Hintergrund stehe und welches mit dem heutigen Wesen der Kirchen, die »wie auch der Liberalismus nicht unerhebliche Erkenntnisse gewonnen haben«, nicht mehr kompatibel sei. Der anachronistische Charakter des Papiers zeige sich weiterhin in der permanenten Vermischung zweier Anliegen, der Forderung nach einer organisatorischen Trennung von Staat und Kirche einerseits und des Kampfes gegen den christlichen Glauben andererseits.420 Der Kampf gegen die christliche Religion widerspreche jedoch liberalem Verständnis: »Genau hier muß der Liberale, der sein Bekenntnis zur Glaubens- und Gewissensfreiheit ernst nimmt, hellwach werden.« Wie Funcke die Rolle des modernen politischen Liberalismus sah, machte sie am Ende ihrer Stellungnahme deutlich, wo sie betonte, dass ihre Partei die Aufgabe, für die Mündigkeit und Freiheit des 416
Vgl. Art. »Beschluss der Jungdemokraten nicht mit Partei abgesprochen. Liselotte Funcke zu Forderungen der Duisburger Delegiertenkonferenz«, in: epd ZA Nr. 7 vom 10. 1. 1973. Auch der nordrhein-westfälische FDP-Landesgeschäftsführer Alfred Rieger hatte auf die jüngst von den DJD erwirkte Satzungsänderung verwiesen und das Papier »zur Kenntnis« genommen, ohne sich weiter inhaltlich dazu zu äußern (Art. »Judos hartnäckig. Trennung von Staat und Kirche wurde bekräftigt«, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 9. 1. 1973). 417 »Die stellvertretende Judo-Landesvorsitzende Silke Gerigk-Groht meinte, diese Analyse [sc. des Kreisverbandes Hagen] müsste auch für die FDP akzeptabel sein. Die DJD hätten sich bei der Ausarbeitung des Beschlusses unter anderem auf die Wahlkampfplattform der FDP von 1969 gestützt. [. . .] Wegen der Berufung auf eigene Forderungen der FDP könnte die Partei allenfalls taktische Gründe dagegen vorbringen« (Art. »Nordrheinwestfälische Jungdemokraten: ›Jetzt geht’s erst richtig los‹. Untergrundarbeit in der FDP soll den Judos Mehrheiten bringen«, in: Die Welt vom 9. 1. 1973). 418 Art. »Funcke: Fragwürdige Forderungen der Jungdemokraten«, in: fdk Ausg. 4 vom 15. 1. 1973, 2. Die folgenden Zitate ebd. 419 So z. B. die Problematisierung der Staatskirchenverträge und Konkordate, die Einführung der Gemeinschaftsschule als Regelschule, die Auf hebung des Vorrechts freier Träger im Sozialbereich (Subsidiaritätsprinzip). 420 »Was die Forderungen der Jungdemokraten so besonders ›fragwürdig‹ macht, ist die Tendenz – oder mindestens der Anschein – als wolle man mit der organisatorischen Begrenzung der Kirche letztlich ihre Verkündigung treffen« (ebd.).
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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Staatsbürgers einzutreten, kritisch wahrnehme, dass sie jedoch da den Bestimmungen des Grundgesetzes widerspreche, wo ihre »freimütige Kritik an einigen organisatorischen und politischen Erscheinungen im Bereich einer Kirche auch nur verstanden werden könnte, als wolle sie den geistigen, sozialen, seelsorgerischen und gesellschaftlich- oder menschlich-ratgebenden Beitrag der Religionsgemeinschaften und der weltanschaulichen, caritativen oder sonstigen Gruppen in unserem Volk unterbinden und einschränken.«421
Ähnlich argumentierend und kritisch distanziert äußerte sich Generalsekretär Flach in einem Gespräch mit der Katholischen Nachrichten Agentur, über das Ende Januar 1973 berichtet wurde.422 Auch er betonte, die Thesen seien »nicht alt, sondern uralt«423 und kritisierten eine Kirche, die »so nicht mehr existiert.«424 Er forderte die FDP auf, sich in einer breiten Grundsatzdiskussion zu den Thesen zu positionieren. Doch auch positive Stimmen waren aus den Reihen der liberalen Partei zu vernehmen. So hatte der nordrhein-westfälische Staatssekretär im Justizministerium Ulrich Klug, der als Delegierter der FDP der Bundesdelegiertenkonferenz beigewohnt hatte, das »interessant[e] Papier«425 gelobt und dabei insbesondere den Vorwurf zurückgewiesen, die Jungdemokraten hätten mit dem Verweis auf den irrationalen Charakter von Religion diese als solche abqualifizieren wollen.426 Ambivalent waren auch die Meinungen im Blick auf die politische Durchschlagkraft des Papiers. Hatte der von den Konfl ikten mit den Jungdemokraten stark gebeutelte ehemalige Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP Weyer die Politik und insbesondere das Kirchenpapier der Jungdemokraten als »nicht ernstzunehmen«427 degradiert, so prophezeite Mende dem Papier, das er als »schwerwiegenden Rückfall in die Fehler des
421
Ebd., 3. Vgl. Art. »Antireligiöse Einstellung ist niemals liberal. F.D.P.-Generalsekretär Flach zum djd-Kirchenpapier«, in: F.D.P. Schnellbericht 2/1973, 7. Jg. vom 30. 1. 1973. 423 Ebd. 424 Ebd. Zu beiden Stellungnahmen vgl. auch Art. »FDP-Präsidium für Toleranz im religiösen Bereich«, in: epd ZA Nr. 30 vom 12. 2. 1973. 425 Auszug aus der Rede Klugs auf der BDK, in: DJD-aktuell 5/1973, 4. 426 Klugs positive Stellungnahme war darauf hin auf Anfrage der CDU-Fraktion im Landtag diskutiert worden. Insbesondere der Fraktionsabgeordnete Klose hatte dabei nachdrücklich auf eine Beurteilung des Verhaltens durch die Landesregierung insistiert. Ministerpräsident Kühn hatte die Meinung Klugs als private Meinung bzw. als Meinung, die im Kontext von Klugs FDP-Delegiertenfunktion zu sehen war, nicht aber als Stellungnahme des Staatssekretärs seiner Regierung charakterisiert und betont, darin keinen Verstoß gegen die beamtenrechtliche Zurückhaltungspfl icht sehen zu können (siehe auch Kap. I.3.2. und Kap. IV.2.1.2.). 427 Zit. nach Art. »Mit ihrer Kirchen-Resolution durchbrachen die Jungdemokraten ein Tabu«, in: FR vom 16. 1. 1973. 422
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Liberalismus des 19. Jahrhunderts«428 bezeichnete, in »sechs bis acht Jahren Meinung der Gesamt-FDP«429 zu sein. Dass Mendes Äußerungen nicht nur als Ausdruck seiner aktuellen Enttäuschung über die liberale Partei verstanden werden durften, sondern faktisch einen Erfahrungswert implizierten, zeigte die Tatsache, dass es nicht mal zwei Jahre dauerte, bis Teile der jungdemokratischen Forderungen durch den Beschluss des Papiers auf dem Hamburger Parteitag tatsächlich FDP-Programmatik wurden, nachdem sie in der Partei, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, intensiv diskutiert worden waren. 3.3.2. Reaktionen der Kirchen Im Blick auf die Reaktionen der evangelischen Kirche auf die Beschlüsse der Jungdemokraten ließ sich zunächst eine gewisse Zurückhaltung konstatieren. So zeichnete sich die Berichterstattung im Evangelischen Pressedienst insgesamt durch eine objektive und sachliche Informationsdarlegung über die Ereignisse der Landes- und Bundesdelegiertenkonferenz sowie die Inhalte der dort beschlossenen Papiere aus, ohne diese etwa aus einer kirchlichchristlichen Perspektive heraus zu bewerten. Auch waren die Reaktionen von offiziellen kirchlichen Vertretern eher begrenzt; als einzige unmittelbare Reaktion auf den Beschluss der nordrhein-westfälischen Jungdemokaten ist die des Präses der Evangelische Kirche im Rheinland Karl Immer überliefert, der die Forderungen der Jungdemokraten scharf kritisiert und sie mit »Parolen, die in den dreißiger Jahren in unserem Volk virulent waren«430, in Bezug gebracht hatte – ein Vergleich, der in diffamierender Absicht im Kontext der Reaktionen auf das Jungdemokratenpapier, insbesondere der katholischen, keine Seltenheit war. Anders Werner Lichtwark, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend, der in einem Telegramm zur Bundesdelegiertenkonferenz das Kirchenpapier trotz seines »extrem kirchenfeindliche[n] Charakters«431 als »ein[en] Beitrag in der umfassenden Diskussion um den Ort der Kirche in unserer Gesellschaft«432 begrüßte und den Jungdemokraten im Anschluss an die Konferenz ein gemeinsames Gespräch mit der Arbeitsgemeinschaft anbot. Ende Januar schließlich veröffentlichte die VELKD ein Kommuniqué zum Kirchenpapier, in dem sie sich scharf von den Forderungen der Jungdemokraten distanzierte. Darin begrüßte es die Kirchenleitung der VELKD zu428 Art. »Mende: djd-Thesen Rückfall in Manchester-Liberalismus. ›Kirchenpapier in sechs bis acht Jahren Meinung der Gesamt-FDP‹«, in: KNA Nr. 13 vom 16. 1. 1973. 429 Ebd. 430 Art. »Harte Kritik an den Judos von Präses Immer«, in: WP vom 9. 1. 1973 (vgl. auch Art. »Präses Immer kritisiert Forderungen der Jungdemokraten«, in: epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 6 vom 11. 1. 1973. Zu Immer siehe Kap. IV 3.). 431 Telegramm Lichtwark an die BDK; AdL 11362. 432 Ebd.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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nächst, »dass bereits von kompetenter stelle innerhalb der fdp einspruch angemeldet worden ist«433 und bezog sich dabei auf die erste Stellungnahme Funckes. In den Forderungen der Jungdemokraten sah die Kirchenleitung »ein einseitiges ideologisches verstaendnis von liberalismus und ein hohes mass von unsachlichkeit und verstaendnislosigkeit bei der einschaetzung der rolle der kirchen«434 gegeben und erklärte sich bereit, »dem vorstand der fdp ein gespraech an[zu]bieten, in dem das verhaeltnis von kirche und staat in der gegenwart diskutiert werden soll.«435 Noch am 30. 1. 1973 wandte sich der leitende Bischof der VELKD und Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Hamburgs, Hans-Otto Wölber, an Scheel und forderte ihn zu einem »Gespräch über die grundsätzlichen Probleme der Kontroverse«436 auf. Funcke war es, die seinen Brief in ihrer neuen Funktion als Vorsitzende des eingerichteten Arbeitskreises »Kirche und Staat« der FDP beantwortete. Als Synodalin der EKD mit deren Strukturen vertraut, schlug sie vor, das Gespräch zwischen EKD und Vertretern der Partei stattfi nden zu lassen, »damit wir nicht mir Ihnen, der EKU und dem reformierten Bund die gleichen Problemkreise besprechen müssten.«437 In den offi ziellen Gremien der EKD griff man die Diskussion des jungdemokratischen Kirchenpapiers erstmals nach dessen Beschluss auf der Bundesdelegiertenkonferenz auf, wobei man ein Referat von Erwin Wilkens zugrunde legte, das der Öffentlichkeitsreferent der EKD Ende Januar 1973 veröffentlicht hatte.438 Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier ließ sich erst von dem Moment an verzeichnen, als man aufgrund der Ereignisse des nordrheinwestfälischen Landesparteitags der FDP erkannte, dass das Kirchenpapier der Jungdemokraten seinen Weg in die Partei gemacht hatte.439 Die Feststellung Gerigks im Kontext der Landesdelegiertenkonferenz, es hätte wohl kaum jemand damit rechnen können, »wie groß das Wespennest konservativer Bischöfe und Präses sein würde, in das wir mit diesem Antrag hineingestochen haben«440, dürfte sich somit primär auf die Reaktionen der katholischen Kirche bezogen haben. Hier reagierte man unmittelbar auf den Beschluss der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten.441 433
Kommuniqué der VELKD vom 26. 1. 1973; EZA 87/658. Ebd. 435 Ebd. (vgl. auch Art. »Bischof Wölber kritisiert Jungdemokraten. Missverständnis von Kirche und Liberalismus«, in: epd ZA Nr. 19 vom 26. 1. 1973). 436 Schreiben Wölber an Scheel vom 30. 1. 1973; AdL N 47-96. 437 Schreiben Funcke an Wölber vom 9. 2. 1973; AdL N 47-203. 438 Vgl. Wilkens, Erste Äußerungen zum Vorstoß der Jungdemokraten zum Verhältnis von Kirche und Staat vom 29. 1. 1973; AdL 3325. 439 Eine ausführliche Darstellung der Diskussion des Kirchenpapiers auf EKD-Ebene erfolgt im Kapitel IV. 440 Gerigk, Kommentar zur LDK 1973, in: DJD-aktuell 2/1973, 3. 441 Die Vehemenz jener Kritik bestätigte auch Schroers in einer kurzen Berichterstattung über die Zeit zwischen nordrhein-westfälischer LDK und anstehender BDK: »Man 434
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
So bezeichnete das Kommissariat der Bischöfe die jungdemokratischen Forderungen als »Ansammlung alter Hüte aus dem vorigen Jahrhundert«442 und forderte eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Verhältnisbestimmung von Religion und Politik sowie Staat und Kirche, die von »sachlicheren und realeren Ausgangspunkten«443 geführt werden müsse. Als »blindwütige Angriffe [. . .] gegen Religion und Kirche«444 benannten bayrische Mitglieder des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend das Kirchenpapier der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten und forderten die bayrischen Jungdemokraten auf, dazu Stellung zu beziehen. Auch die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände im Bistum Münster, deren Mitgliederzahl sich zu jenem Zeitpunkt auf etwa 500000 belief, verwies auf die Gefahr einer »Zerstörung der elementaren Voraussetzungen für eine freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung«445, die durch ein »derart totalitäres und unduldsames Denken«446 , wie es die Jungdemokraten in ihrem Papier an den Tag gelegt hatten, bewirkt werde. In eine ähnliche Richtung wie der rheinische Präses Immer gehend, verortete der Kölner Erzbischof Joseph Höffner die Forderungen der Jungdemokraten in den Kontext »national-sozialistischer und bolschewistischer Ideologen.«447 Die Lage der Kirche bezeichnete er als »sehr ernst«448 , da diese sich seit Jahren massiven Angriffen von innen und von außen ausgesetzt sehe. Auch der Regensburger Dekan Hermann Burckstümmer brachte in einer Sonntagspredigt am 4. 2. 1973 das Papier in Zusammenhang mit Tönen »aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft«449 und forderte dazu auf, die Äußerungen der Jungdemokraten im Blick auf die kommenden Wahlen im Gedächtnis zu halten. Der Münchner Erzbischof Döpfkonnte meinen, die nordrhein-westfälischen Judos hätten nicht – wie ihr Vorsitzender Siekmann betonte, – gegen die ›Amtskirchen‹ Stellung bezogen, sondern einen Frontalangriff auf die deutschen Katholiken geplant« (AdL 9218). 442 Art. »Judo-Parolen mißachten Hilfsbedürftige. Kommissariat der Bischöfe: Sachlichere Ausgangspunkte notwendig«, in: KNA Nr. 9 vom 11. 1. 1973. 443 Ebd. 444 Art. »Blindwütige Angriffe gegen die Kirche. BDKJ in Bayern kritisiert Jungdemokraten«, in: ebd. Nr. 11 vom 13. 1. 1973. 445 Stellungnahme zum Kirchenpapier der Deutschen Jungdemokraten der AGKV; LStaD RW 357-1686. 446 Ebd. 447 Art. »Höffner: ›Lage der Kirche ist sehr ernst.‹ Scharfe Stellungnahme gegen Angriffe und Verdächtigungen – Kardinal fordert katholische Staatsbürger zum Handeln auf«, in: KNA Nr. 12 vom 15. 1. 1973. 448 Ebd. 449 Art. »›Seit der NS-Zeit nicht mehr gehört‹ – Regensburger Dekan: ›Jungdemokraten wollen Kirche in Getto drängen‹«, in: epd ZA Nr. 26 vom 6. 1. 1973. Funcke hatte die »Kanzelrede« Burckstümmers darauf hin scharf kritisiert (vgl. Art. »Liselotte Funcke: Zeit der parteipolitischen Predigt vorbei – Kritik an Regensburger Kreisdekan Burckstümmer«, in: ebd. Nr. 34 vom 16. 1. 1973).
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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ner verwies wie Höffner auf die Relevanz, die die Forderungen im Blick auf Standort und Bedeutung der Kirchen hatten. Er sah in ihnen »Symptome für die Zukunft«450, die »bezeichnend für manches, was auf uns zukommen wird«, seien. Döpfner forderte die Katholiken zur Einigkeit und Einheit auf und mahnte sie, »von Fall zu Fall« den Mut zu haben, »Partei zu ergreifen und [sich] als parteilich abstempeln zu lassen.« Auch die Entschließung der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Fulda vom 3. 2. 1973 betonte den verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch der Kirchen, die Gesellschaft mitzugestalten, und verwies auf die Verpfl ichtung der Kirchen zu ihrem »Dienst an und in der Welt.«451 Ein deutlich schärferer und herausfordernder Grundtenor zeigte sich bei der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln am 17. 2. 1973, den die Bonner Rundschau im Sinne einer Kampfansage an die Jungdemokraten zusammenfasste: »Die Katholiken sind für einen neuen Kulturkampf bereit, die Gegner sollen sie nicht unterschätzen.«452 3.3.3. Weitere Stimmen Die SPD hielt sich mit einer Reaktion auf das Kirchenpapier weitgehend zurück. Hier schien man das weitere Vorgehen der FDP auch auf dem Hintergrund der Regierungserklärung Willy Brandts, in der dieser am 18. 1. 1973 das partnerschaftliche Verhältnis von Staat und Kirche betont hatte, abzuwarten.453 Deutlicher hingegen waren die Reaktionen der CDU. Als »Offensivtendenz gegen die christlichen Glaubensüberzeugungen«454 bezeichnete Paul Mikat den Grundtenor des Jungdemokratenpapiers auf der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken des Erzbistums Köln. Der ehemalige NRW-Kultusminister rief die Katholiken in die Pfl icht, die Forderungen abzuwehren und die darin explizierte »totalitär[e] Ideologie«455 450
Art. »Forderungen der Jungdemokraten – Symptome für die Zukunft. Döpfner: ›Kampf der Katholiken im Bereich des Gesellschaftlichen‹«, in: KNA Nr. 12 vom 15. 1. 1973. Die folgenden Zitate ebd. 451 Entschließung, in: DJD-aktuell Sonderheft zur BDK, 10. 452 Art. »Katholiken reagierten auf die Judo-Thesen mit Kampfansage. Paul Mikat: Neue ideologisch gefährliche Tendenzen«, in: Bonner Rundschau vom 19. 2. 1973. 453 »Das Gespräch mit den Kirchen, das in den vergangenen Jahren fruchtbar geführt wurde, ist gerade auf diesem Hintergrund sehr wichtig. Wir betrachten sie nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft und wollen ihre Repräsentanten darum auch nicht als Vertretern bloßer Gruppeninteressen begegnen. Wir meinen im Gegenteil, daß die Kirchen in ihrer notwendigen geistigen Wirkung um so stärker sind, je unabhängiger sie sich von überkommenen sozialen oder parteilichen Bindungen machen. Im Zeichen deutlicher Freiheit wünschen wir die Partnerschaft« (Regierungserklärung, 56 f.). 454 Art. »Katholiken reagierten auf die Judo-Thesen mit Kampfansage. Paul Mikat: Neue ideologisch gefährliche Tendenzen«, in: Bonner Rundschau vom 19. 2. 1973. 455 Ebd.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
zu durchdringen und zu bewältigen. Besonders scharf waren die Reaktionen aus Rheinland-Pfalz, wo man im CDU-eigenen Pressedienst verlauten ließ, die Forderungen der Jungdemokraten kämen »im geistigen Ansatz einer Kirchen- und Christenverfolgung ohne Anwendung psychischer Gewalt gleich.«456 Auch die rheinland-pfälzische Staatssekretärin und Vizepräsidentin der gemeinsamen Synode der deutschen Bischöfe, Hanna Renate Laurien, reagierte auf das Kirchenpapier und forderte dazu auf, die »religiöse Dimension«457 der Gesellschaft zu erhalten. Willi Weiskirch, Sprecher der CDU, bezeichnete in einer ersten Reaktion auf den Beschluss der nordrhein-westfälischen Landesdelegiertenkonferenz die Forderungen der Jungdemokraten als »hanebüchen«458 und forderte die FDP auf, sich schnell und deutlich davon zu distanzieren. Er verwies in diesem Kontext auf die von ihm so scharf kritisierten aktuellen Kontaktversuche der liberalen Partei zu den Kirchen, denen die Forderungen der Jungdemokraten hohn sprächen. Im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz hatte die Humanistische Union den Jungdemokraten in einem Schreiben die besten Wünsche für einen erfolgreichen Verlauf, insbesondere im Blick auf einen möglichen Beschluss des Kirchenpapiers, gewünscht. Dabei hatte sie betont, dass im Falle eines Beschlusses »zum ersten Mal eine von der Humanistischen Union seit ihrem Bestehen erhobene Forderung auch auf einer relevanten parteipolitischen Ebene vertreten«459 werde. Dass das Kirchenpapier letztlich die höchste Instanz erreichte und auf dem Bundesparteitag der FDP in Hamburg verabschiedet wurde, damit hätte man zu diesem Zeitpunkt wohl am wenigsten gerechnet. Die Ereignisse des Landesparteitages der nordrheinwestfälischen FDP bildeten den Anfang der »Partei-Karriere« des Papiers. 3.4. Landesparteitag der FDP NRW 30. 3. bis 1. 4. 1973 3.4.1. Antrag 58 Landesvorstand Jungdemokraten NRW Mit dem Landesparteitag der FDP NRW in Siegen wurde das Papier der Jungdemokraten zur Angelegenheit der FDP. Der Landesvorstand der Jungdemokraten brachte als Antrag 58 das Kirchenpapier »Liberalismus und Christentum« ein, das wiederum einige Veränderungen zu dem auf der Bundesdelegiertenkonferenz beschlossenen Papier aufwies.460 456
Zit. nach Schroers, Kurzbericht; AdL 9218. Art. »Religion Ausgangspunkt allen Lebens«, in: Die Rheinpfalz vom 16. 1. 1973. 458 Art. »Beschluss der Jungdemokraten nicht mit Partei abgesprochen. Liselotte Funcke zu Forderungen der Duisburger Delegiertenkonferenz«, in: epd ZA Nr. 7 vom 10. 1. 1973. 459 Schreiben HU an die BDK (kein Datum überliefert); AdL 11362. 460 Vgl. Antrag 58 des Landesvorstandes DJD NRW; AdL 6074. Die folgenden Zitate beziehen sich auf diese Angabe. Es werden an dieser Stelle nur die Veränderungen gegen457
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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Die größten Veränderungen betrafen die Präambel, die nun als breite Explikation des dem Liberalismus zugrunde liegenden kritischen Rationalismus charakterisiert werden konnte. Sie folgte dem Wortlaut des Beschlusspapiers der Bundesdelegiertenkonferenz vom 28. 1. 1973 bis zu der Stelle, wo man die »Übereinstimmung mit wesentlichen Teilen der progressiven Christen«461 konstatiert hatte. Im Beschlusspapier hatten sich Bemerkungen über das Verhältnis von Liberalismus und Religion angeschlossen, die durch die Charakterisierung des Liberalismus als einer auf klärerisch-rationalen Sichtweise, welche menschliche Erkenntnis und ihren Prozess als unabgeschlossen und unabschließbar ansehe, eingeleitet worden waren. Im Text des Antrags 58 zitierte man diesen Satz, formulierte aber daran anschließend einen neuen Abschnitt, der in einem ersten Absatz zunächst allgemein beschrieb, wie Liberale »auf dem Wege zur Verwirklichung von Freiheit«, welches ja das Ziel liberaler Politik war, vorgingen. Demnach mussten Entscheidungsprozesse einer »permanenten rationalen Kontrolle« unterzogen werden und somit ein Handeln, das sich aus dogmatischen Systemen ableite, die sich im Besitz letzter Wahrheiten glaubten, als antiliberal abgelehnt werden. Die FDP, so der zweite Absatz, habe als »kritisches liberales Korrektiv« jede Organisation und Einrichtung darauf hin zu überprüfen, inwieweit diese zur Verwirklichung von Freiheit beitrage. Bei diesem Unternehmen dürfe sie vor den Kirchen nicht halt machen. Nochmals wurde betont, worauf es ankam: Im Sinne der kritischen Rationalität habe sich ein Erkenntnisprozess »angefangen bei den Prämissen, über die Methoden, Inhalte und den Erkenntnisgegenstand bis hin zu den Zielen [. . .] in öffentlicher und vorbehaltloser Diskussion zu legitimieren und Kritik und Korrektur zu stellen.«
Der dritte Absatz nahm explizit Bezug auf die Religion. Auf dem Hintergrund des zuvor Gesagten resümierte er, dass der Absolutheitsanspruch religiöser oder weltanschaulicher Gruppen durch liberale Politik zurückgewiesen werden müsse, weil Religion die Motive ihres Handelns »transzendental« begründe und ihr Gegenstand »nicht beweisbar« sei bzw. nicht durch wissenschaftliche Methoden überprüft werden könne. Nicht nur die Kirchen, sondern auch alle Gruppen hätten sich dieser ideologiekritischen Auseinandersetzung zu stellen, besonders diejenigen, die den Anspruch erhöben, Staat und Gesellschaft mit beeinflussen zu wollen. Konkreter als in den Sätzen zuvor formulierte man somit als Aufgabe der Liberalen, den »Beitrag des über dem auf der BDK beschlossenen Papier von Ende Januar dargestellt (siehe dazu Abschnitt 3.2.2.). 461 Lediglich das Subjekt wurde ausgetauscht. So hieß es im Jungdemokratenbeschluss »Die Jungdemokraten wissen sich bei diesen Bemühungen in Übereinstimmung mit [. . .]«, wohingegen man beim Antrag 58 formulierte »Die F.D.P. weiß sich bei diesen Bemühungen in Übereinstimmung mit [. . .]«.
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Christentums zur gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung kritisch zu hinterfragen und die heutige Funktion der Kirchen einer kritischen Wertung zu unterziehen.« Der vierte und letzte Absatz folgte wieder dem Duktus der Beschlussfassung, wenn darin als Funktion liberaler und somit auf klärerischer Politik proklamiert wurde, »dogmatischer Erstarrung entgegenzuwirken und das Instrumentarium zur ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Religion und Weltanschauungen zu liefern«. In Bezug auf die Forderungen übernahm man den beschlossenen Katalog weitgehend. So wurden im Bereich I keine Umformulierungen vorgenommen. Im Bereich II kam es an drei Stellen zu Textveränderungen. Bei der doppelten Begründung zu Forderung 4 (Theologische Fakultäten) behielt man den Passus bei, der konstatierte, dass die Ausbildung von Geistlichen nicht Sache des religiös-weltanschaulich neutralen Staates sei. Neu formulierte man hingegen, dass sich die Ausbildung an den Universitäten »nicht an den Grundlagen einer Religion oder Weltanschauung orientieren« 462 dürfe. In Forderung 6 (Erfüllung sozialer Aufgaben) strich man den Abschnitt, der die Erhebung einer Sozialsteuer gefordert hatte. Die letzte Änderung bezog sich auf die neunte Forderung, wo man die Auf hebung der Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungen mit der damit verbundenen »Privilegierung eines bestimmten Bekenntnisses gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen« begründete.463 Die Veränderungen verwiesen auf eine erneute stärkere Betonung des konfessionellen Aspekts. 3.4.2. Diskussion und Beschluss des Landesparteitags Mit ihrer Forderung nach einer Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche standen die Jungdemokraten keineswegs alleine. Fünf weitere Anträge aus Kreis- und Bezirksverbänden der FDP in NRW forderten ebenfalls dazu auf, das Verhältnis Staat und Kirche erneut zu thematisieren oder nahmen konkret Bezug auf Forderungen des Jungdemokraten-Papiers.464 Diese sechs Anträge wurden in den Arbeitskreis I zur Kultur- und 462 In dem auf der BDK beschlossenen Papier stand stattdessen, die Ausbildung an den Universitäten habe ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis zu erfolgen. 463 Im Beschlusspapier der BDK hatte man die Auf hebung der Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen an die Bedingung gebunden, dass diese innerverbandlich legitimiert sein müsse. 464 Im Antrag 32, eingebracht durch den Bezirksverband Düsseldorf, wurde Bezug genommen auf die »Wahlplattform« der FDP von 1969: »Der Landesparteitag möge beschließen: Der Bundesvorstand wird aufgefordert, unverzüglich darüber zu berichten, was er unternommen hat, um Beschlüsse des Nürnberger Parteitags zur Trennung von Staat und Kirche (Kap. 1, 10 der Plattform) zu verwirklichen. Der Bezirksparteitag bekräftigt die in der Nürnberger Wahlplattform der F.D.P. vom Juni 1969 zum Ausdruck gebrachten Absichtserklärungen, u. a. das Verfahren des staatlichen Kirchensteuereinzugs sowie das Subsidiaritätsprinzip zu überprüfen« (AdL 26754). Die gleiche Forderung beinhaltete der Antrag 68 des Kreisverbandes Rheinberg. Dort hieß es am Schluss: »Wie bereits in dem vom
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Medienpolitik überwiesen, als dessen Vorsitzender Wolfgang Heinz fungierte. Im Blick auf die Beratungen des Landesparteitages hatte die Antragskommission dem Arbeitskreis empfohlen, auf Nichtbehandlung der Anträge zu plädieren und dem Plenum stattdessen vorzuschlagen, dem Antrag 32, der um den Text der »Nürnberger Wahlplattform« erweitert worden war, zuzustimmen, Antrag 68 zurückzuziehen und alle übrigen Anträge zur Beratung in den Landesvorstand bzw. den Kirchlichen Gesprächskreis zu überweisen.465 Der Bericht Wolfgang Heinz’ auf dem Landesparteitag über die Beratungen im Arbeitskreis zeigte nun, dass man der Empfehlung der Antragskommission nur bedingt nachgekommen war. So hatte der Arbeitskreis zwar den Antrag 32 in der erweiterten Form verabschiedet, sich aber des weiteren intensiv mit dem Antrag 58 befasst und darüber »in der Sache abgestimmt«466 , nachdem auf Vorschlag des Arbeitskreismitgliedes HermannJosef Schmidt noch kleinere Änderungen vorgenommen worden waren, die auch bei den Antragsstellern auf Zustimmung stießen.467 20. Ordentlichen Parteitag der F.D.P. 1969 in Nürnberg verabschiedeten Konzept fordert der Kreisverband der F.D.P. Rhein.Berg.Kreis Verhandlungen mit den Kirchen um – Konkordate und Kirchenverträge abzulösen – die staatliche Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Abgabensystem zu ersetzen« (ebd.). Auch bezog man sich auf einzelne Forderungen der DJD, so bspw. im Antrag 108 des Bezirksverbandes Westfalen West: »Der Landesparteitag möge beschließen: Es werden die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Religionsunterricht in den Gemeinschaftsschulen durch einen gemeinsam zu erteilenden ›Religionskunde‹-Unterricht abgelöst wird« (Ebd. Zur Übersicht über die Anträge vgl. AdL 6074, Verzeichnis der Anträge zum Landesparteitag 1973: Antrag 32: Kirche und Staat, Antragssteller: BV Düsseldorf; Antrag 58: Liberalismus und Christentum, Antragsteller: LV-Vorstand DJD; Antrag 68: Kirche und Staat, Antragsteller: Kreisverband Rheinberg; Antrag 80: Staat und Kirche, Antragsteller: Kreisverband Düsseldorf; Antrag 91: F.D.P. und Kirchen, Antragsteller: Kreisverband Köln-Stadt; Antrag 108: Religionsunterricht in Gemeinschaftsschulen, Antragssteller: Bezirksverband Westfalen-West). 465 Vgl. Empfehlungen der Antragskommission; LStaD RWV 49-180, Bl. 97 (zum KGK siehe Kap. III.3.2.4.). Da sich die Anzahl der Anträge zum LPT insgesamt auf 110 belief, hatte man im Vorfeld eine Antragskommission eingerichtet, die die Anträge strukturieren und ein geeignetes Procedere in Bezug auf deren Abwicklung auf dem LPT vorbereiten sollte. Die Antragskommission hatte darauf hin die Einrichtung von acht Arbeitskreisen beschlossen, denen die Anträge jeweils zugeordnet wurden. Diese Arbeitsgruppen sollten, unterstützt durch eine Empfehlung der Antragskommission, auf dem LPT in Beratungen treten und dem Plenum abschließend ihre Ergebnisse sowie die Empfehlung der Antragskommission berichten. 466 Bericht Heinz; LStaD RWV 49-181, Bl. 112. 467 Die Änderungen betrafen zwei kleine stilistische Umformulierungen in der Präambel des Antrags sowie die Streichung der Forderung II.2. zum Religionsunterricht unter Aufnahme des Antrags 108, in dem die Einrichtung eines Religionskundeunterrichts gefordert wurde (vgl. ebd., Bl. 112 f.). Es handelte sich bei Hermann-Josef Schmidt um den im Kontext der HSU-Hochschulgruppen-Gründungen erwähnten ersten Bundesvorsitzenden der HSU (siehe Abschnitt 2.2.5.). Schmidt war ebenfalls Mitglied der Sonderkom-
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Entgegen der Empfehlung auf Nichtbehandlung bzw. Weiterleitung forderte Heinz das Plenum des Landesparteitages nun dazu auf, dem Antrag 58 in der jetzigen Fassung zuzustimmen. Dass der Beschluss des Arbeitskreises nun keineswegs einstimmig getroffen worden war, zeigte das Votum Funckes im Anschluss an den Bericht von Heinz. Funcke, die ebenfalls in dem Arbeitskreis mitgearbeitet hatte, appellierte eindringlich, »die Chance einer Diskussion aller vorgetragenen und zum Teil sich widersprechenden Vorlagen [. . .] zu ermöglichen«468 und eine Kommission auf Landesvorstandsebene zu bilden, die sich mit diesem Anträgen beschäftigen und »spätestens bis zu den Ferien«469 einen Beschluss darüber herbeiführen sollte. Nach einigen Äußerungen über Charakter, Zusammensetzung und Funktion einer solchen Kommission meldete sich das Parteitagsmitglied Helbig zu Wort und forderte das Gleichheitsprinzip für alle Delegierten, das er insofern verletzt sah, als Funcke als Vertreterin einer »überstimmte[n] Mehrheit eines Arbeitskreises«470 ausführlich Gelegenheit bekam, ihr Votum vorzutragen, wohingegen die Mehrheit des Arbeitskreises sich nicht inhaltlich zu ihren Beschlüssen äußern dürfe. Auch Schmidt kritisierte diese Handhabung und forderte die Argumentation eines »Vertreter[s] der Majorität«471 ein. Der Landesvorsitzende der FDP NRW und Diskussionsleiter, Horst Ludwig Riemer, entschied, der Forderung nach einer nachträglichen Begründung des Antrages 58 stattzugeben.472 Somit erhielten die Jungdemokraten plötzlich die Gelegenheit, ihren Antrag im Plenum auszuführen, was Gerigk-Groht übernahm. Im Anschluss daran beschloss der Landesparteitag die von Funcke vorgeschlagene Überweisung aller das Verhältnis von Staat und Kirche betreffenden Anträge in eine vom Landesvorstand dafür eingerichtete Kommission. Wenngleich somit eine Beschlussfassung des Kirchenpapiers durch den Einsatz Funckes verhindert wurde, konnten die Jungdemokraten den Landesparteitag durchaus als Erfolg verzeichnen, hatte er doch auf eine Art und Weise stattgefunden, mit der man so nicht gerechnet hatte. Der Diskussionsverlauf in dem Arbeitskreis sowie die plötzliche Thematisierung des Antrags im Plenum waren die ersten überraschenden Momente mission »Kirche und Staat«, die im Landesverband NRW zur Beratung des Kirchenpapiers eingerichtet wurde (siehe Kap. III.2.3.4.). 468 Wortprotokoll LPT Siegen 1973; LStaD RWV 49-181, Bl. 114. 469 Ebd., Bl. 121. 470 Ebd. 471 Ebd., Bl. 123. 472 Im Vorfeld des LPT war beschlossen worden, die Arbeitskreise mögen ihre Ergebnisse und Beschlussvorlagen mit einer schriftlichen Begründung versehen, um in der Aussprache im Plenum auf eine mündliche Begründung zu verzichten. Da Heinz von dem Recht der Begründung in seinem Bericht nicht Gebrauch gemacht hatte, erachtete Riemer die nachträgliche Begründung im Plenum als legitim.
3. Die »Karriere« des Kirchenpapiers
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für die Jungdemokraten.473 Als sie schließlich noch die Gelegenheit bekamen, ihren Antrag im Plenum zu begründen, schien dies, einem Bericht Gerigks zur Folge, fast eine Überforderung darzustellen: »Nun war eine völlig unerwartete Situation eingetreten. Wie sollten wir uns nun verhalten? Sollte Silke bei ihrer langen Begründung im Plenum bleiben? Sollte sie nur kurz die Grundzüge erläutern? Alle Minute kam ein anderer Jungdemokrat und gab ihr wohlmeinende Ratschläge [. . .]. Eine fürchterliche Hektik brach aus, die natürlich Silkes Begründung auch nicht überzeugender werden ließ.«474
Es zeigte sich, dass die Jungdemokraten auf eine solche Situation nicht vorbereitet gewesen waren, was Gerigk abschließend in seinem Bericht kritisierte: »Ich will damit nicht sagen, daß wir es – nach Frau Funcke – vielleicht noch geschafft hätten, eine Beschlußfassung herbeizuführen, aber ein besser abgestimmtes Vorgehen hätte bestimmt noch einige Delegierte gegen die Überweisung stimmen lassen. Daß sich wie aufgescheuchte Hühner herumlaufende Jungdemokraten auch nicht gut machen, kommt noch dazu.«475
In einer Auswertung des Landesparteitags auf der anschließenden Landesvorstandssitzung übte der Landesvorstand Selbstkritik an diesem Verhalten und an der Vorbereitung auf den Landesparteitag insgesamt. Hier bemängelte man insbesondere das Fehlen einer Schaltzentrale, durch die eine präzisere Informationsvermittlung hätte gewährleistet werden können.476 Insgesamt macht die Diskussion um den Antrag 58 auf dem Landesparteitag deutlich, dass dem Problem eine gewisse Brisanz zuerkannt wurde. Dies zeigte sich weiterhin in den übrigen Anträgen zum Verhältnis von Staat und Kirche aus den Kreis- und Bezirksverbänden der FDP, die sicherlich zu einem großen Teil als Reaktion auf die Jungdemokratenforderungen von Ende Januar verstanden werden mussten und somit zeigten, wie schnell und wirkungsvoll sich diese bereits verbreitet hatten. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch schon vorher auf verschiedenen Ebenen immer mal wieder ähnliche Anträge gestellt wurden, so dass die Thematik Staat und Kirche im Landesverband der FDP NRW keinesfalls ein unbekanntes Thema war.477 473 »Frau Funcke, die verzweifelt versuchte, zu retten, was noch zu retten war, wurde niedergestimmt, der Antrag vom AK [Arbeitskreis] – dessen Besetzung allerdings sehr günstig für uns war – mit nur wenigen, von Dr. Schmidt vorgeschlagenen, stilistischen Veränderungen mit großer Mehrheit angenommen. Die Überraschung war perfekt« (Gerigk, Bericht Landesparteitag NRW Siegen, in: DJD-aktuell 7/1973, 5). 474 Ebd., 6. 475 Ebd. 476 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 1. 4. 1973, in: ebd. 8/1973, 2. 477 Am 10. 2. 1965 hatte der Kreisparteitag Hamm einstimmig einen Antrag beschlossen, der dazu aufforderte, »die grundsätzliche Einstellung der FDP zur Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche und die praktischen Auswirkungen auf die politischen Ent-
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten 478 Nach Beschluss des »Liberalismus und Christentum«-Papiers auf der Bundesdelegiertenkonferenz setzten die Jungdemokraten ihre Arbeit in Sachen Staat und Kirche fort. Im Landesverband NRW äußerte sich dies in zahlreichen Veranstaltungen zum Thema Kirche und Staat in den Untergliederungen des Landesverbandes, die maßgeblich von Gerigk-Groht als Verantwortliche für das Ressort Staat und Kirche und Matthäus organisiert und begleitet wurden.479 In diesem Zusammenhang war es, nachdem man die Kooperation mit der Humanistischen Union auf Bundesverbandsebene delegiert hatte, vereinzelt auch zu Kooperationsversuchen mit den Jungsozialisten gekommen, denen jedoch nur mäßiger Erfolg beschieden war.480 schlüsse der Partei zu klären« (Antrag zum Kreisparteitag des Kreisverbandes Hamm der FDP; AdL A 7-91, Bl. 118. Siehe auch Kap. I.2.2.2.). Auf dem LPT vom 23. bis 25. 4. 1971 stellte der Kreisverband Ennepe-Ruhr den Antrag, die »im Grundgesetz vorgegebene Trennung von Staat und Kirche« zu verwirklichen und begründete seinen Antrag damit, dass seit der »Nürnberger Wahlplattform« auf dem Gebiet nichts mehr geschehen sei (Antrag 20 des Kreisverbandes Ennepe-Ruhr; LStaD RWV 49-171). Der LPT hatte dem Antrag zugestimmt. 478 Im Kontext des dritten Kapitels, wo eine ausführliche Darstellung der Auseinandersetzung der FDP mit dem Kirchenpapier erfolgt, wird immer auch die Position der DJD dargestellt werden. In diesem Abschnitt geht es darum, einige Grundtendenzen der weiteren Diskussion aufzuzeigen. 479 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 27. 2. 1973, in: DJD-aktuell 4/1973, 1: Berichte über Veranstaltungen in Mettmann, Düsseldorf, Hemer, Bethel und Neheim; Protokoll des Landesvorstandes vom 25. 3. 1973, in: ebd. 7/1973, 1: Berichte über Veranstaltungen des Kreisverbandes Köln-Stadt am 13. 3. sowie in Bielefeld und Bochum; Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 1. 4. 1973, in: ebd. 8/1973, 1: Bericht über eine Veranstaltung in Ennepe-Ruhr; Protokoll der Klausurtagung des Landesvorstandes vom 28.4. bis 1. 5. 1973, in: ebd. 8/1973, 5: Bericht über eine Veranstaltung in Essen am 27. 4. 1973 mit Staatssekretär Klug; Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 27. 5. 1973, in: ebd. 12/1973, 3–5: Bericht über eine Straßenaktion in Hagen am 19. 5. 1973 sowie eine Podiumsdiskussion am 21. 5. 1973 in Hagen, Bericht über eine Kirche und Staat-Veranstaltung in Wattenscheid am 24. 5. 1973; Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 3. 6. 1973, in: ebd. 13/1973, 3: Bericht über Veranstaltung im Kreisverband Moers; vgl. Landesvorstandsbericht von Gerigk-Groht von September 1973, in: ebd. 20/1973, 13: Staat und Kirche-Veranstaltung mit Teilnehmern der CDU, SPD, FDP sowie Vertretern der Kirche am 25. 9. 1973 in Haus Husen im Rahmen eines Seminars der Militärseelsorge. 480 So musste eine gemeinsam organisierte Veranstaltung in Oberhausen ausfallen, nachdem nur acht Personen dort erschienen waren. Dem Bericht zur Klausurtagung des Landesvorstandes der DJD vom 28. 4. bis 1. 5. 1973 war zu entnehmen, dass die Kooperation dort »unter ungünstigem Stern« (ebd. 8/1973, 6) stand und ständige Querelen zwischen beiden Jugendorganisationen die Kapazitäten für bestimmte Aktivitäten, so auch für die Veranstaltung zum Thema Staat und Kirche, deutlich einschränkten. Seitens der DJD hatte man einer möglichen Kooperation von vorneherein skeptisch gegenüber gestanden. Hier war man unsicher, inwieweit und mit welcher Deutlichkeit die Jusos, die auf ihrer LDK von 1971 in alter sozialdemokratischer Manier Religion als Privatsache deklariert hatten, eine kritische Auseinandersetzung der Thematik Staat und Kirche auch gegenüber
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten
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Neben den basispolitischen Aktionen wurde auch die inhaltliche Debatte weiter vorangebracht, wobei man die Erfahrungen der Staat und KircheVeranstaltungen mit einbezog. Ein wichtiger Aspekt, den es innerhalb des nordrhein-westfälischen Landesverbandes zu klären galt, bestand in der Frage, ob und inwieweit die Thematisierung des Verhältnisses von Liberalismus und Christentum erneut aufgegriffen werden sollte. Im Verlaufe der Diskussion um das Kirchenpapier hatte sich immer mehr eine Trennung der Bereiche Liberalismus und Christentum bzw. Staat und Kirche vollzogen, die von den Jungdemokraten aus pragmatischen und taktischen Gründen mit vollzogen worden war. So hatte sich rasch herausgestellt, dass die gewünschte ideologiekritische Auseinandersetzung mit Religion bzw. dem Verhältnis von Liberalismus und Christentum nicht salonfähig war. Die Ereignisse des Landesparteitages in Siegen hatten gezeigt, dass das Papier nur in einer weitgehend auf die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche reduzierten Fassung eine Chance auf Weiterbehandlung hatte. Auch hatte man in der ersten Sitzung der FDP-Kirchenkommission Ende April, an der Matthäus, Gerigk-Groht und Gerigk als Delegierte der Jungdemokraten teilgenommen hatten, die ideologiekritische Präambel zunächst zurückgestellt und mit der Beratung der konkreten Forderungen begonnen.481 Jene Erfahrungswerte trugen dazu bei, dass man auf der Landesratssitzung am 5./6. 5. 1973 den Beschluss fasste, sich weiter mit der Erörterung des Verhältnisses von Staat und Kirche, nicht aber mit dem Themenkomplex Liberalismus und Christentum auseinanderzusetzen. Dass dieser Entschluss im Sinne einer taktischen Prioritätensetzung und nicht im Sinne einer Einsicht etwa in eine zu einseitige ideologiekritische Politik verstanden werden musste, zeigte die Reaktion Gerigk-Grohts, die betonte, dass »[n]ach der Abschaffung der Tabuisierung der Trennung von Kirche und Staat [. . .] die Diskussion ›Christentum und Liberalismus‹ weitergeführt«482 werden müsse. ihrer Referenzpartei, die ja aktuell einen kirchenfreundlichen Kurs fuhr, vertreten und führen würden. Jene Skepsis schien sich alsbald zu bestätigen, betonte Matthäus Ende Juni 1973, die Jusos wären den DJD »in den Rücken gefallen, um sich zwecks Erreichung einer absoluten SPD-Mehrheit bei der christlichen Arbeitnehmerschaft anzubiedern« (Matthäus, Einige Bemerkungen zur Diskussion um das Thema »Liberalismus und Christentum«, in: ebd. 13/1973, 9). In einem offenen Brief an den Bundesvorsitzenden der Jusos Wolfgang Roth von November 1973 warf Neunhöffer den Jusos vor, sich nicht an das »heiße Eisen ›Kirche und Staat‹« herangetraut zu haben, und kritisierte in diesem Zusammenhang ebenfalls die Stellungnahme der SPD, die sich »auf Onkel Wehners Gebrumme und gelegentliche Papstbesuche« beschränkte (offener Brief Neunhöffer an Wolfgang Roth vom 9. 11. 1973; AdL 11413). Auch Siekmanns Urteil war eindeutig, als er den Jusos in Sachen Staat und Kirche ein opportunistisches Verhalten vorwarf, dahingehend, dass diese den Zielen der DJD zwar prinzipiell zustimmten, jedoch um Wählerstimmen kämpfend »keinen Finger krumm« machten, um zu ihrer Durchsetzung beizutragen (vgl. Grundsatzreferat des Landesvorsitzenden auf der LDK 1974, Sonderdruck DJD-aktuell). 481 Siehe Kap. III.1.2. 482 So Gerigk-Groht auf der Landesratssitzung vom 5./6. 5. 1973; DJD-aktuell 13/1973,
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
Auch verwiesen die Protokolle der weiteren Landesvorstandssitzungen darauf, dass die Thematik Liberalismus und Christentum neben der Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche immer, wenn auch weniger intensiv, mitbehandelt wurde. Unverständig reagierte Georg Hundt auf den Beschluss des Landesrats und bezeichnete die einseitige Verengung der Diskussion auf die Thematik Staat und Kirche als »schon gar nicht mehr [. . .] jungdemokratisch«483. Auf dem Hintergrund der Leverkusener Beschlüsse forderte er die Rückkehr zum eigentlichen Anliegen der Jungdemokraten, »den ideologiebildenden Charakter der Kirchen zu entlarven mit dem Endziel, die christliche Ideologie mit all ihren Konsequenzen zu überwinden.«484 Auf besagter Landesratssitzung beschloss man nun, eine Neufassung des Kirche-Staat-Beschlusses zu konzipieren, in der die Diskussionsbeiträge und Erfahrungen aus den diversen Veranstaltungen ihre Aufnahme finden sollten. Hierfür richtete man eine Kommission ein, der Ingrid Matthäus, Silke Gerigk-Groht, Margot Simonsmeyer und Thilo Schelling angehören sollten. Auf Vorschlag von Peter Gerigk wurde die Kommission gebeten, »zu jedem Punkt des Forderungskatalogs eine ausgewogene (pro und contra) Argumentationshilfe«485 zu erarbeiten. Der Kreisverband Münster hatte bereits eine solche Argumentationshilfe verfasst, mit der die Münsteraner Jungdemokraten jenen Demonstrationen begegneten, die von der katholischen Kirche als Reaktion auf ihre Veranstaltungen zum Thema Staat und Kirche organisiert worden waren. Eine breitere Begründung der Einzelforderungen schien einmal mehr sinnvoll, als sich herausstellte, dass man im Blick auf einzelne Forderungen auch innerhalb der eigenen Reihen keineswegs immer einer Meinung war.486 Schließlich sollte die vertiefende Be3. In ihrem Bericht zur oben erwähnten Veranstaltung in Köln-Stadt vom 13. 3. 1973 hatte Gerigk-Groht darauf verwiesen, dass auch ein Teil der größtenteils aus den Reihen der DJD stammenden Teilnehmer die Trennung von christlicher Ideologie und Amtskirche in Frage gestellt hatten (vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 1. 4. 1973, in: ebd. 8/1973, 1–3). 483 Hundt, Einige Bemerkungen zur Diskussion um das Thema »Liberalismus und Christentum«; in: ebd. 12/1973, 20. 484 Ebd. 485 Protokoll des Landesrats vom 5./6. 5. 1973, in: ebd. 13/1973, 4. 486 So hatten die DJD Joachim Schulz-Tornau, Ingrid Matthäus und Margot Simonsmeyer (Kreisverband Münster) im Kontext der Forderung zu den Theologischen Fakultäten u. a. die Frage diskutiert, ob auch die »Juristerei« unter die Wissenschaft ohne Bindung an letzte Wahrheiten falle oder nicht. Leider ist nicht eindeutig auszumachen, auf welchen Forderungskatalog sich der Landesrat bei seinen Beratungen bezog. Auf der Klausurtagung des Landesvorstandes hatte man den »BDK-und LDK-Beschluß« sowie die »Präambel zum entsprechenden Antrag auf dem Landesparteitag der F.D.P. in Siegen« als Arbeitsgrundlagen für die anstehende Landesratssitzung ausgewiesen (Protokoll der Klausurtagung des Landesvorstandes vom 28.4. bis 1. 5. 1973, in: ebd. 8/1973, 7). In der Einladung zum Landesrat hingegen betonte man, die Neufassung auf der »Grundlage des Antrags 2 der LDK 73, vor allem der noch nicht beschlossenen Teile I Zielsetzung und II
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten
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gründung der Einzelforderungen auch dem Gespräch mit der FDP dienen und insbesondere die Untergliederungen dazu anleiten, selbständig und ohne »jedes Mal nach den ›Matadoren‹ rufen zu müssen«487 Diskussionen zum Thema Kirche und Staat zu initiieren. Für die Zeit nach der Landesratssitzung war eine intensive Weiterarbeit der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten an der Thematik Staat und Kirche festzustellen, wobei man immer mehr auch die dahingehenden Aktivitäten der FDP, der Kirchen und anderer Institutionen in den Blick nahm. Die Tatsache, dass dort ein Teil der Forderungen in Gremien und Kommissionen diskutiert wurde, erachtete man als ersten Teilerfolg und gleichermaßen Ausdruck einer gelungenen »Zwei-Wege-Politik«.488 In diesem Sinne zeigte sich auch eine verstärkte Kooperationsbereitschaft der Jungdemokraten mit der FDP, die schon aus der Tatsache resultierte, dass man neben der Zusammenarbeit in der FDP-Kirchenkommission auf Bundesebene nun auch auf Landesebene gemeinsam in der dort eingerichteten Sonderkommission zusammenarbeitete.489 Im Blick auf die Neufassung des Staats-Kirchen-Beschlusses kam es Ende August zu einer ersten Ergebnispräsentation, als die nordrhein-westfälische Jungdemokraten-Kommission dem Landesrat eine »Präzisierung und ErAnalyse und der Zielsetzung des Beschlusses der BDK« zu konzipieren (ebd., 2). Im Bericht über die Landesratssitzung wiederum betonte man, »die Diskussion des KircheStaat-Beschlusses von der letzten LDK« habe im Mittelpunkt der Beratungen gestanden; des weiteren habe man den Antrag der DJD auf dem FDP-Landesparteitag in Siegen »noch einmal diskutiert und in der Tendenz angenommen« (in: liberale korrespondenz Nr. 3 vom 16. 5. 1973, 12). 487 Matthäus, Einige Bemerkungen zur Diskussion um das Thema »Liberalismus und Christentum«, in: DJD-aktuell 13/1973, 9. Hier reagierte Ingrid Matthäus auf die Vorwürfe Hundts und verwies in diesem Zusammenhang ebenfalls darauf, dass man die dadurch freigesetzte Zeit »auch lieber [. . .] zu der [. . .] zu Recht geforderten Beschäftigung mit dem Thema ›Liberalismus und Christentum‹« nutzen würde (ebd.). 488 Dies betonte Matthäus in ihrer Erwiderung auf die Vorwürfe Hundts, der die Übernahme der jungdemokratischen Forderungen durch die FDP als Indiz dahingehend ansah, wie weit die DJD von ihrer Grundkonzeption abgewichen waren. »G. Hundt liegt völlig falsch, wenn er meint, eine mögliche (Teil-)Übernahme der DJD-Forderungen durch die F.D.P. sei kein besonderer politischer Erfolg. Denn eine solche (Teil) Verwirklichung würde ganz erheblich dazu beitragen, die Benachteiligung aller nicht religiös oder kirchlich Gebundenen, die starke Privilegierung der beiden Großkirchen, die Beeinträchtigung der Religionsfreiheit von Minderheiten in den Kirchen sowie das erhebliche fi nanzielle Engagement des Staates in kirchlichen Belangen abzubauen« (ebd.). 489 Siehe Kap. III.2.3.4. Maier berichtete von seiner Teilnahme an einer von der FDP durchgeführten Klausurtagung in der THA zum Thema »Kirche und Staat: Angelpunkt Reichskonkordat« vom 25. bis 27. 5. 1973. Am 6. 6. 1973 kam es zu einem Gespräch über Kirche und Staat bei einem evangelischen und katholischen Akademikerkreis, bei dem die FDP-Angehörige Roswitha Susann von Bergmann sowie der Jungdemokrat Scherer die unterschiedlichen Positionen von FDP und DJD darstellten (vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 12. 6. 1973, in: ebd. 2).
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
gänzung des Forderungskatalogs«490 – allerdings noch ohne Dokumentationsteil – vorlegte. Pünktlich zum Bundesparteitag der FDP, der vom 12. bis 14. 11. 1973 tagte, war die Dokumentation fertig. In einer Pressekonferenz am 9. 11. 1973 wurde die 155 Seiten und 19 Forderungen umfassende Broschüre vorgestellt.491 Siekmann und Matthäus explizierten Charakter und Funktion der Broschüre, die durch die Bereitstellung von Fakten über das Verhältnis von Staat und Kirche sowohl der Öffentlichkeit als auch der FDP als Argumentationshilfe dienen sollte. Der vorausgegangene intensive Diskussionsprozess wurde im Auf bau der Dokumentation deutlich, wo man zu jeder Forderung die gegenwärtige Rechtslage, die von den Jungdemokraten angestrebte Rechtslage sowie eine Begründung dazu verfasst hatte.492 Dass die Jungdemokraten bereit waren, der FDP in Sachen Kirchenpapier ein Stück weit entgegenzukommen, zeigte sich daran, dass die 19 Forderungen weitgehend Ergebnisse der Diskussion, wie sie in der FDP-Kirchenkommission geführt worden war, aufgriffen.493 Lediglich bei den Forderungen, die dabei zu stark von ihren eigenen Ansichten abgewichen waren, wählten die Jungdemokraten eine schärfere, teilweise an den Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz angelehnte Formulierung oder aber ließen die positiven, relativierenden Einschübe, die die Kirchenkommission vorgenommen hatte, weg.494 Neben einer möglichen Einsicht in die Sinnhaftigkeit jener Veränderungen stand dabei sicherlich auch die Berücksichtigung des Umstandes, dass man diese Dokumentation auf dem Bundesparteitag der FDP präsentieren wollte, im Hintergrund. Im Anhang fügte man u. a.
490
Protokoll der Sitzung des Landesrats vom 25./26. 8. 1973, in: ebd. 18/1973, 4. Vgl. Dokumentation – Trennung von Kirche und Staat, DJD NRW Info 8/1973; AdL D 1-2271. Die Anzahl von 19 Forderungen resultierte daraus, dass man, in Anlehnung an die Beratungen der Kirchenkommission auf Bundesebene, die ursprüngliche Aufteilung in I. Forderungen im Bereich des öffentlichen Rechts und II. Forderungen im Bereich staatlicher und gesellschaftlichen Institutionen weggelassen und die Forderungen durchnummeriert hatte (siehe Kap. III.1.2.). 492 Vgl. Art. »›Trennung von Kirche und Staat‹. Broschüre des NRW-Landesverbandes der Jungdemokraten«, in: epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 132 vom 12. 11. 1973; Art. »›Trennung von Kirche und Staat‹. NRW-Jungdemokraten legen umfangreiche Broschüre vor«, in: KNA Nr. 250 vom 10. 11. 1973. 493 Sie bezogen sich dabei weitgehend auf den so genannten Entwurf II, der den Beratungsstand der Kirchenkommission von Juni 1973 wiedergab, in manchen Forderungen auch auf Entwurf III von August 1973, der als endgültiges Ergebnis der Kirchenkommission betrachtet werden konnte (siehe Kap. III.1.3 bzw. Kap. III.1.5.). 494 Deutlich wurde dies insbesondere bei der Forderung zum Körperschaftsstatus, die sich während des Diskussionsprozesses in der Kirchenkommission deutlich verändert hatte. Die dahingehende Formulierung der Dokumentation der DJD lehnte sich hier an den Beschluss der BDK an. Ähnlich verhielt es sich mit der Forderung zum Religionsunterricht und zu den Theologischen Fakultäten. 491
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten
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das Ergebnispapier der Kirchenkommission sowie die Rechtsgrundlagen aus Grundgesetz und Reichsverfassung bei.495 Mit der Fertigstellung der Broschüre gelangte eine intensive Arbeitsphase der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten zum Thema Staat und Kirche zu einem vorläufigen Abschluss, was nicht etwa bedeutete, dass die Auseinandersetzung mit der Thematik in den Hintergrund rückte; doch hatte man mit der Dokumentation eine Ergebnissicherung geliefert, mit deren Hilfe man die weiteren Prozesse begleiten und die eigene Position in den weiteren Diskussionen und Gremienberatungen zum Thema Kirche und Staat explizieren konnte. Hatte man im Landesvorstand die Debatte über das Verhältnis von Liberalismus und Christentum erneut aufgreifen wollen, so zeigte der Blick auf dessen weitere Arbeit, dass es bis zum Bundesparteitag der FDP im Oktober 1974, wo das Kirchenpapier der FDP schließlich beschlossen wurde, zu keinen dahingehenden Beschlussvorlagen gekommen war.496 Dies bestätigte auch die Äußerungen Matthäus’ in einem Artikel der mittlerweile dritten Auflage der Dokumentation, die nach dem Hamburger Parteitag im Oktober 1974 herausgegeben wurde.497 Darin betonte sie, dass sich die Jungdemokraten »[ü]ber den beschlossenen Katalog zur Trennung von Kirche und Staat hinaus [. . .] auch intensiv mit dem Verhältnis von Liberalismus und Christentum«498 beschäftigt hatten. Sie verwies dabei auf bereits existierende Anträge, »die jedoch zwecks weiterer Bearbeitung verwiesen wurden.«499 Bereits im Vorwort zur ersten Auflage hatte auch Gerigk-Groht hervorgehoben, dass die Dokumentation keineswegs auch schon als Ergebnis der Diskussion über das Verhältnis von Christentum und Liberalismus betrach495
Zum Ergebnis der Kirchenkommission siehe Kap. III.1.5. In der Landesvorstandsklausursitzung Mitte Oktober 1973 hatte man die mögliche Einrichtung einer Projektgruppe zur »Weiterführung der Diskussion unter dem Thema ›Liberalismus und Christentum‹« der Einrichtung eines Arbeitskreises Staat und Kirche den Vorzug gegeben (Protokoll der Klausursitzung des Landesvorstandes vom 11. bis 13. 10. 1973, in: DJD-aktuell 21/1973, 5).Dass eine solche Projektgruppe letztlich nicht eingerichtet wurde, darauf verweist eine Aufzählung aller auf der nordrhein-westfälischen LDK 1974 beschlossenen Projektgruppen, wo eine solche nicht auftauchte (vgl. ebd. 1/1974, 4). 497 Vgl. Dokumentation – Trennung von Kirche und Staat, dritte erw. Aufl age, DJD NRW Info 3/1973; AdL D 1-2273. Bereits in der Landesvorstandssitzung vom 14. 1. 1974 hatte man eine Neuaufl age der Dokumentation beschlossen und die Stückzahl – ebenso wie bei der ersten Aufl age – auf 3000 festgelegt (vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 14. 1. 1974, in: DJD-aktuell 2/1974, 17. Die zweite Aufl age erschien im Januar 1974). Die dritte Aufl age hatte man durch die den Beschluss des BPT, die Einbringungsrede Funckes, die Rede Matthäus’ und weitere Dokumente sowie Presseberichte erweitert. 498 Matthäus, Trennung von Kirche und Staat, in: Dokumentation, dritte erw. Aufl age, 8; AdL D 1-2273. 499 Ebd. 496
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II. »Liberalismus und Christentum«: Das Kirchenpapier der Jungdemokraten
tet werden dürfe, die »in absehbarer Zeit erfolgen«500 sollte. In dem Vorwort hatte Gerigk-Groht nochmals auf die Gründe verwiesen, die zunächst zu einer ausschließlichen Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche geführt hatten: »Der aufgrund der Vorarbeiten entstandene Antrag ›Liberalismus und Christentum‹ [. . .] versuchte, über die Darstellung der Verquickung von Kirche und Staat hinaus, das Verhältnis von Gesellschaft und Christentum zu klären und setzte eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum in Gang, die sich teilweise in der Bundesbeschlusslage niederschlug. Bei den infolge des starken Öffentlichkeitsechos in allen Teilen des Bundes- und Landesverbandes stattfindenden Veranstaltungen und Podiumsgesprächen zeigte sich jedoch, daß viele Untergliederungen auf die nun in Gang gesetzte öffentliche Diskussion nur begrenzt vorbereitet waren und die Vermischung der verschiedenen Diskussionsebenen – organisatorischrechtliche Verflechtung von Kirche und Staat einerseits, Verhältnis von Liberalismus und Christentum andererseits – die sachliche Erörterung der zum großen Teil von innerkirchlichen Kreisen befürworteten Forderungen erschwerte. Von daher ergab sich die Notwendigkeit, die zum Verständnis des Gesamtproblems notwendigen wissens- und erkenntnismäßigen Voraussetzungen zu schaffen und sich zunächst auf den Schwerpunkt ›Kirche und Staat‹ zu konzentrieren. Das Info 8’73 ist das Ergebnis dieser innerverbandlichen Diskussion; es kann deshalb nicht die Ergebnisse einer noch zu leistenden intensiven Analyse des Verhältnisses von Liberalismus und Christentum vorwegnehmen.« 501
Festzuhalten bleibt somit, dass die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten die Debatte des Kirchenpapiers in allen Gremien weiter intensiv begleiteten und die Diskussion über das Verhältnis von Liberalismus und Christentum verbandsintern fortsetzten. Zugleich ließen sich jedoch insbesondere für das Jahr 1974 verstärkte Bemühungen erkennen, die Umsetzung auch anderer programmatischer Aspekte der im »Leverkusener Manifest« gefassten Grundsatzbeschlüsse in den entsprechenden gesellschaftlichen Bereichen voranzutreiben sowie ein verstärktes Augenmerk auf die Politik des »schwache[n]«502 Bundesverbandes zu legen. Erwähnenswert ist in diesem Kontext der von Maier verfasste »Jugendpolitische Forderungskatalog« 503, den der Landesverband auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1974 einreichte und der einige Aspekte der Jungdemokratenforderungen zum Verhältnis von Staat und Kirche explizierte.504 Auf derselben Bundesdelegiertenkonferenz hatte der 500
Vorwort Gerigk-Groht, in: Dokumentation, erste Aufl age, 1; AdL D 1-2271. Ebd. 502 Kleff, Rückblick auf die LDK 1974 und Ausblick auf die BDK in Bad Honnef; in: DJD-aktuell 1/1974, 3. 503 Vgl. AdL 11363. 504 Es handelte sich dabei um die Forderungen zur Mitgliedschaft in weltanschaulichen, religiösen und politischen Organisationen, die Auf hebung des Vorrechts der freien Träger gegenüber staatlichen oder kommunalen Organen sowie die Absage an »religiöse oder politische Indoktrination mit staatlicher Hilfe« (ebd.). Letztgenannten Aspekt explizierte man durch Verweise auf das Schulgebet, den Religionsunterricht, die Ausbildung von 501
4. Die Fortsetzung der Diskussion bei den Jungdemokraten
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Kreisverband Göttingen die vorübergehende Aussetzung des ein Jahr zuvor gefassten Kirchenpapierbeschlusses beantragt, was jedoch abgelehnt wurde.505 Der Bundesvorstand der Jungdemokraten zeigte – mit Ausnahme seines Vorsitzenden und FDP-Kirchenkommissionsmitglied Neunhöffers – nach Beschluss des Kirchenpapiers auf der Bundesdelegiertenkonferenz kein großes eigenes Engagement in Sachen Staat und Kirche. So hatte man der Kooperation mit der Humanistischen Union im Blick auf den gemeinsamen Kongress »Trennung von Staat und Kirche« im September 1973 nur zögerlich zugestimmt.506 Insgesamt schloss man sich der Meinung der FDP an, was sich bspw. in der Unterstützung des Kirchenpapiers der Kirchenkommission auf dem Bundesparteitag der FDP 1973 manifestierte. Dieses Verhalten durfte nun nicht nur auf den angeschlagenen Zustand des Bundesverbandes zurückgeführt werden, sondern war zugleich Ausdruck dessen, dass die Jungdemokraten um eine Konsolidierung des Verhältnisses zur FDP bemüht waren. Sie legten daher vorerst ein Verhalten an den Tag, das dem Antrag Neunhöffers, »[d]ie Parteitagsstrategie und -taktik der DJD«507 solle »die Toleranzgrenze der F.D.P. respektieren«,508 Rechnung trug.
Religionslehrern an staatlichen Theologischen Fakultäten sowie auf die staatliche Militärund Gefangenenseelsorge (vgl. ebd. Vgl. auch Art. »Jugend und Kirche: Robert Maier schlägt wieder zu«, in: KNA Nr. 43 vom 25. 10. 1973. In dem Artikel unterstellte die KNA Maier, er wolle, nachdem das Kirchenpapier bei der SPD auf Ablehnung gestoßen sei, »auf diesem Umweg, seinen kirchenkritischen Vorstellungen zum Durchbruch verhelfen«). 505 Vgl. Antrag 706 des Kreisverbandes Göttingen; AdL 11349. 506 Siehe Abschnitt 2.3. 507 Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 6./7. 10. 1973; AdL 11349. 508 Ebd. Der Antrag wurde mit zehn Ja-Stimmen, fünf Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen angenommen. Deutlich zeigten sich hier die Bemühungen, das Verhältnis zur FDP zu konsolidieren. In dieser Hinsicht konnte auch die Anfrage einiger Mitglieder des Bundesvorstandes an das Präsidium der FDP, ob man das im vergangenen Jahr begonnene Gespräch nicht fortsetzen wolle, verstanden werden (vgl. Schreiben Hofmann an Meuschel vom 8. 10. 1973; AdL 215).
III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP 1. Die Kirchenkommission der Bundespartei: Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche 1.1. Erste Beratungen auf höchster Ebene 1.1.1. Bundesvorstand und Präsidium Januar bis April 1973 In der Bundesvorstandssitzung vom 20. 1. 1973 beschloss man auf Antrag von Innenminister Genscher die Einrichtung eines Ausschusses, der sich unter der Leitung von Funcke mit dem Verhältnis von Staat und Kirche beschäftigen sollte.1 Dass dieser Beschluss auch als eine erste Reaktion auf die Äußerungen der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten verstanden werden konnte, ist denkbar; dennoch muss man betonen, dass deren »Liberalismus und Christentum«-Papier vom 7. 1. 1973 auf der erwähnten Bundesvorstandssitzung keine große Beachtung fand. Aus den Reihen der FDP hatte sich bis dato lediglich Liselotte Funcke zu dem Jungdemokratenpapier geäußert. Die Einrichtung dieses Ausschusses musste somit primär im Kontext der Regierungserklärung Willy Brandts gesehen werden, in der dieser zwei Tage zuvor das partnerschaftliche Verhältnis von Staat und Kirche betont hatte.2 In der Sitzung des Präsidiums am 8. 2. 1973 hingegen schien das Jungdemokratenpapier mehr ins Blickfeld gerückt zu sein, war es doch gut eine Woche zuvor auf Bundesebene der Jungdemokraten beschlossen worden. So berichtete Flach von einem Gespräch mit dem Vorstand der Jungdemokraten, in dem er diesen darauf hingewiesen habe, dass »der Beschluß zur Rolle der Kirchen nicht nur die Kirchen aufgebracht hätte, sondern auch die Partei beunruhigt habe.«3 Er stellte in diesem Zusammenhang im Präsidium die Frage, »ob die Partei sich zur Unzeit ein Thema aufzwingen lassen solle, 1
Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 20. 1. 1973; AdL 171. Siehe Kap. II.4.3.3. Dies belegte auch das Protokoll der Sitzung, dass unter TOP 2 die »Position der F.D.P. zur Regierungserklärung« aufführte (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 20. 1. 1973; AdL 171). 3 Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 8. 2. 1973; AdL 212. 2
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
das nicht aktuell sei.«4 Man beschloss, eine Pressemitteilung des Präsidiums zu veröffentlichen, in der die Stellungnahmen Funckes und Flachs ausdrücklich unterstützt werden sollten.5 Des Weiteren setzte man auf Wunsch Genschers hin den »Arbeitskreis Kirche und Staat« auf die Tagesordnung, und das Präsidium wurde über den eingerichteten Ausschuss unterrichtet. Dabei stellte sich heraus, dass man mit der Einrichtung des Ausschusses einem Antrag entsprach, der bereits im Mai 1972 im Präsidium gestellt worden war. Auch damals hatte Funcke abwechselnd mit Ertl die Leitung eines solchen Kreises übernehmen sollen; beide hatten jedoch darum gebeten, die Arbeit dieses Arbeitskreises erst nach der Bundestagswahl beginnen zu lassen.6 Im Blick auf das weitere Vorgehen schlug Funcke dem Präsidium vor, am 27./28. 4. 1973 eine erste Klausurtagung zum Thema Staat und Kirche in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach durchzuführen. Das Präsidium stimmte diesem Vorschlag sowie der von Funcke vorgelegten Teilnehmerliste zu. Bis Mitte März war das Kirchenpapier der Jungdemokraten kein Beratungsgegenstand auf den Präsidiums- und Bundesvorstandssitzungen, erst am 17. 3. fand es im Bundeshauptausschuss in Bad Godesberg erneut Erwähnung. Innerhalb des Tagesordnungspunktes 27 brachte der Bundesvorsitzende der Deutschen Jungdemokraten Neunhöffer das Kirchenpapier zur Sprache.8 Neunhöffer propagierte es als ein Mittel, durch welches die FDP »mit der SPD um den besseren Fortschritt [. . .] konkurrieren«9 könnte. Es sei somit ein »Geschenk [. . .], dessen Wert sie [sc. die Partei] bisher noch gar nicht erkannt«10 habe. Der Baden-Württemberger war ein großer Befürworter des Kirchenpapiers und rekurrierte in verschiedenen Kontexten darauf.11 Er arbeitete in der Kirchenkommission in Baden-Würt4
Ebd. Vgl. ebd. Die Pressemitteilung wurde am 9. 2. 1973 in der fdk veröffentlicht (vgl. auch Art. »FDP-Präsidium für Toleranz im religiösen Bereich – Stellungnahme zum ›Kirchenpapier‹ der Jungdemokraten«, in: epd ZA Nr. 30 vom 12. 2. 1973). 6 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 8. 2. 1973; AdL 212. 7 »TOP 2: Analyse der Bundestagswahl und Strategie der F.D.P. für die nächsten Jahre« (Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 17. 3. 1973; AdL A 12-113, Bl. 1). 8 Als Bundesvorsitzender der DJD war Neunhöffer kooptiertes, d. h. beratendes aber nicht stimmberechtigtes Mitglied des Bundeshauptausschusses. 9 Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschuss vom 17. 3. 1973; AdL A 12-115, Bl. 89. 10 Ebd. 11 Unmittelbar nach Beschluss des »Liberalismus und Christentum«-Papiers auf der BDK Ende Januar 1973 hatte sich Neunhöffer darum bemüht, die FDP-Bundestagsfraktion für das Kirchenpapier zu gewinnen mit dem Ziel, durch konkrete »Schritte in dieser Richtung« dem Papier mehr Bedeutung zukommen zu lassen als lediglich ein »Beitrag zur öffentlichen politischen Diskussion zu sein« (Art. »Jungdemokraten hoffen auf Unterstützung durch die FDP. Neunhöffer erneuert These zur Trennung von Kirche und Staat«, in: epd ZA Nr. 25 vom 5. 2. 1973). In einem Interview zum Thema Berufsverbote im kirch5
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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temberg mit, der Erwin Fischer vorstand, und war ebenfalls Mitglied der Kirchenkommission des Bundesverbandes.12 Auf den Bundesparteitagen 1973 in Wiesbaden und 1974 in Hamburg brachte er sich mit Redebeiträgen zum Kirchenpapier ein, in Hamburg mit einer solchen Vehemenz, dass die ehemalige These 11 zu den Theologischen Fakultäten, die in der Beschlussvorlage schon nicht mehr aufgeführt wurde, beinahe wieder aufgenommen worden wäre. Dass Neunhöffer das Papier innerhalb dieses Tagesordnungspunktes des Bundeshauptausschusses zur Sprache brachte, war daher auf sein Engagement in Sachen Kirchenpapier zurückzuführen. Ob er das Motiv, das Papier könnte zu einer Profi lierung gegenüber der SPD beitragen, dabei wirklich als so bedeutend erachtete, sei dahingestellt. Insgesamt erfuhr das Papier im Bundeshauptausschuss jedoch keine nennenswerte Beachtung.13 lichen Bereich vom 20. 2. 1973 betonte er die Berechtigung der Forderung der DJD, den Kirchen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu entziehen (vgl. AdL 11413). Jene Äußerungen müssen auf dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in der EKHN betrachtet werden. Dabei ging es zum einen um den Fall des Pfarrvikars und DKP-Mitglieds Rolf Trommershäuser, der Ende Januar 1973 vorzeitig aus dem Dienst der Kirche entlassen worden war (vgl. Art. »Kein kirchlicher Auftrag für Trommershäuser – Dienstverhältnis als Pfarrvikar wird beendet«, in: epd ZA Nr. 22 vom 31. 1. 1973). Hatte der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau und stellvertretende Ratsvorsitzende, Helmut Hild, mehrfach betont, Trommershäuser »sei keineswegs« wegen seiner DKP-Mitgliedschaft, sondern aufgrund »›nachweisbar auf sein eigenes Verhalten zurückzuführende[r]‹ Schwierigkeiten und Konfl ikte« entlassen worden, so sah Neunhöffer den Grund für die Entlassung allein in der Parteizugehörigkeit Trommershäuser gegeben (vgl. Art. »Kirchenpräsident: Trommershäuser nicht wegen DKP-Mitgliedschaft entlassen. Hild informiert hessen-nassauische Kirchenvorstände und Pfarrer«, in: epd ZA Nr. 31 vom 13. 2. 1973). Hierin bestätigten ihn nicht zuletzt die Aussagen Hilds auf der Kirchensynode im Februar 1973, wo dieser in seinem Bericht auf die aktuelle und nebenbei bemerkt keineswegs nur die EKHN betreffende Problematik der DKP-Zugehörigkeit von Pfarrern einging und beides als mit dem Dienst in der Kirche unvereinbar bewertete (vgl. Art. »Hild: Theologe im Dienst der Kirche kann nicht DKP-Mitglied sein. Aus dem Bericht des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten an die Synode«, in: epd ZA Nr. 34 vom 16. 2. 1973. Vgl. KJ 1973, 121 f.). Zudem sah ein Beschluss der Synode die Ankündigung einer Novellierung des Pfarrergesetzes dahingehend vor, das parteipolitische Engagement der Pfarrer in Zukunft zu einem Ausnahmerecht zu erklären, welches zusätzlich der Genehmigung der Kirchenleitung bedürfe. In besagtem Interview warf Neunhöffer den Kirchen einseitiges Nutzen der Körperschaftsrechte vor, bspw. bei der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe beim Kirchensteuereinzug; die damit verbundenen Pfl ichten jedoch, »jedermann ohne Rücksicht auf seine politische Überzeugung gleichmäßig zu behandeln«, würden durch die Beschneidung des Rechts auf politische Betätigung außer Acht gelassen. In den Ereignissen der Landessynode spiegele sich wider, wie sehr die Kirche ihre Macht ausnutze und sich mit den Herrschenden verbündete. Dagegen, nicht gegen Kirche als »gemeinsame[r] Betätigung [. . .] religiöse[r] Überzeugung« müsse man in Solidarität mit den Unterdrückten vorgehen (Interview Neunhöffer vom 20. 2. 1973; AdL 11413). Neunhöffer hatte im Zuge der geschilderten Debatte die Konsequenz gezogen, aus der Kirche auszutreten. 12 Siehe dazu Abschnitte 2.1. und 2.3.5. 13 Lediglich die Delegierten Gerhard Moritz Meyer, Ulrich Krüger und Walter Erbe nahmen Stellung zum Kirchenpapier. Alle drei sprachen sich in unterschiedlicher Deut-
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Die eigentliche Auseinandersetzung auf Bundesebene begann im April 1973, unmittelbar nach dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP in Siegen. Von diesem Zeitpunkt an setzte sich oben erwähnter Arbeitskreis – im Folgenden Kirchenkommission genannt – unter der Leitung von Funcke mit den Thesen der Jungdemokraten auseinander. Die Ereignisse des Landesparteitags hatten gezeigt, dass das Thema Verhältnis von Staat und Kirche längst nicht mehr nur als Debatte innerhalb eines Landesverbandes betrachtet werden konnte. Dies spürte man auf Bundesebene14, und so beschloss man auf der Präsidiumssitzung am 12. 4. 1973, das Verhältnis Kirche und Staat bzw. Kirche und Liberalismus im nächsten Bundeshauptausschuss, der für den 8. 9. 1973 in Braunschweig angesetzt war, zu thematisieren.15 1.1.2. Die Kirchenkommission Mit Funcke oblag die Leitung der Kirchenkommission einer erfahrenen Politikerin und gleichermaßen engagierten evangelischen Christin, die nicht nur den kultur- und kirchenpolitischen Bereich der liberalen Partei entscheidend prägte.16 Die gebürtige Hagenerin, geboren 1918, gehörte seit 1970 der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland an und wirkte seit 1961 aktiv in der EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung mit.17 Ebenso war sie Mitglied im Ständigen Ausschuss der Landessynode für politische Verantwortung der Evangelischen Landeskirche von Westfalen, 1973 in der Funktion als stellvertretende Vorsitzende. Schon allein aufgrund dieser Doppelrolle war sie prädestiniert für die Position der Vorsitzenden der Kirchenkommission; hinzu kam, dass es ihr im Vergleich zu anderen liberalen Politikern, die sich ebenfalls in Partei und Kirche zugleich engagierten – so etwa Uwe Ronneburger und Hildegard Hamm-Brücher – weniger schwer fiel, beide Arbeitsfelder im Kontext der Kirchenpapierdiskussion zu vereinen. Für sie gehörte beides zusammen18 , und die Authentizität dieser Aussage konkretisierte sich in ihrem vermittelnden Verhalten zwischen Kirlichkeit für die Weiterbehandlung des Papiers aus und rekurrierten dabei auf die Beschlüsse der »Nürnberger Wahlplattform« (vgl. Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 17. 3. 1973; AdL A 12-116, Bl. 12 f., 45 f., Bl. 54–56). 14 »Es wird befürchtet, daß der Kirchenbeschluß der DJD eine dominante Rolle auf dem nächsten Bundesparteitag spielt« (Notiz auf dem Sprechzettel Flachs für die Sitzung des Präsidiums vom 12. 4. 1973; AdL 213). 15 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 12. 4. 1973; ebd. 16 Zu Funcke siehe auch Kap. I.2.2.1. 17 Erwähnenswert ist hier vor allem ihre Rolle bei der Diskussion um die Novellierung des § 218 StGB, bei der sie sich für die umstrittene Fristenlösung aussprach (vgl. Mantei, Ja und Nein, 85 f.; Solms, Liselotte Funcke, 158). 18 »Beides ist ein Teil des Lebens, und wenn es da Verbindungslinien gibt, dann muss man die sicherlich gelegentlich prüfen« (Funcke in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 8. 2005).
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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che und Partei im Kontext der Diskussion, so dass ihr Anhänger und Opponenten, Politiker und Kirchenmenschen gleichermaßen ein hohes diplomatisches Geschick sowie hinsichtlich ihrer Funktion als Kommissionsvorsitzende einen exzellenten Leitungsstil bestätigten.19 Die Konstellation der Kirchenkommission spiegelte ein wesentliches Anliegen Funckes wider, in der Kirchenpapierdiskussion möglichst alle Seiten und Positionen vertreten zu wissen. Insgesamt 27 Mitglieder gehörten der Kommission an, sechs Personen aus dem Präsidium, die zugleich Mitglieder des Bundesvorstandes waren, sechs zusätzliche Bundesvorstandsmitglieder, acht weitere Parteimitglieder, zwei Vertreter der Kirchen, vier Vertreterinnen und Vertreter der Jungdemokraten sowie Peter Hertel, der, der FDP nicht angehörend, sich im Rahmen seiner Anstellung in der TheodorHeuss-Akademie seit gut einem Jahr um die Vermittlung zwischen FDP und katholischer Kirche bemühte.20 Die folgende Einordnung der Kommissionsteilnehmer in kirchenkritische, kirchendistanzierte und kirchennahe Personen ist keineswegs kategorisch oder wertend zu verstehen; sie dient jedoch der Explikation der Kräfteverhältnisse innerhalb der Kirchenkommission, die zum Verständnis der kommissionsinternen Diskussion beitragen soll.21 Die Vertreter und 19 Nicht zuletzt die Art und Weise, mit der Funcke der permanent an sie herangetragenen Kritik am »Kirchenpapier« begegnete, bestätigte ihr persönliches Interesse an der Thematik und verwies zugleich auf ihren Anspruch, den kritischen Anfragen mit plausiblen Antworten zu begegnen. So enthält allein ein Korrespondenzordner privater Zuschriften 160 Briefe, von denen Funcke in teilweise sehr ausführlicher Form 120 persönlich beantwortete. 20 Die Verfasserin hat versucht, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kirchenkommission persönlich zu kontaktieren, soweit dies möglich war. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit bereits verstorben waren: Josef Ertl, Karl-Hermann Flach, Rötger Gross, Werner Maihofer, Hans Wolfgang Rubin, Klaus Scholder, Rolf Schroers, Johannes Doehring und Heinrich Weyer. Die Verfasserin sprach mit Horst Dahlhaus, Hanns Engelhardt, Liselotte Funcke, Silke Groht, Hildegard Hamm-Brücher, Peter Juling, Uwe Ronneburger, Peter Hertel und Anselm Hertz. Schriftliche Auskünfte erteilten Rolf Bialas, Otto Graf Lambsdorff, Werner Klumpp, Ulrich Krüger-Limberger, Ingrid Matthäus und Friedrich Neunhöffer. Zu Martin Bangemann, Wolfgang Eichler und Dieter Siekmann ließ sich kein Kontakt herstellen. Wie der Hamburger Internist Rolf Bialas der Verfasserin in einem Schreiben vom 1. 6. 2006 mitteilte, sei er nie Mitglied der Kirchenkommission gewesen. Bialas war von 1974 an Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und von 1974 bis 1978 Senator in Hamburg. In seinem Schreiben betonte er, getauft und konfi rmiert aber kein Mitglied der Kirche mehr zu sein, da er »als Naturwissenschaftler nicht die Gnade des Glaubens habe.« Gleichwohl engagierte er sich in der Kirche und war jahreslang Lebensund Eheberater der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche im Hamburgischen Staate, wo er die Telefonseelsorge mit aufgebaute und auch heute noch im Vorstand des »Gastund Krankenhauses«, einer Stiftung im Kreise des Diakonischen Werks, mitwirkt. 21 Mit dem Attribut kirchenkritisch sind die Personen gemeint, die den Stellenwert der Kirchen und ihre Funktion in der Gesellschaft als zu groß erachteten, eine Beschränkung des kirchlichen Einflusses im Sinne einer wirklichen Trennung von Staat und Kirche anstrebten und zumeist aus der Kirche ausgetreten waren. Die Gruppe der Kirchendistan-
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Vertreterinnen der Jungdemokraten, namentlich Friedrich Neunhöffer, Ingrid Matthäus, Silke Gerigk-Groht und Dieter Siekmann konnten der Gruppe der kirchenkritisch eingestellten Personen zugeordnet werden.22 Ihr Engagement in Sachen Kirchenpapier zeigte sich in ihrer regen Teilnahme an den Kommissionssitzungen; so waren stets mindestens drei der vier Jungdemokraten pro Sitzung zugegen. Ein gleichgültig bis distanziertes Verhältnis zur Kirche im Sinne der gemachten Definition konnte man für Martin Bangemann (ev.), Rötger Gross (ev.), Peter Hertel (kath.), Werner Maihofer (ev.), Hans-Wolfgang Rubin (ev.) und Rolf Schroers (ev.) feststellen, die allesamt, wenn auch mit unterschiedlichen Intentionen und Schwerpunkten, Befürworter des Kirchenpapiers waren. Bangemann und Maihofer nahmen an keiner der vier Kommissionssitzungen teil. Bangemann, Mitglied des Bundesvorstandes und stellvertretender Landesvorsitzender Baden-Württembergs, hielt sich bis zum Beschluss des Kirchenpapiers mit öffentlichen Äußerungen dahingehend zurück. Er war auch Mitglied der im Juni 1974 eingerichteten zweiten Kirchenkommission, deren Beratungen er jedoch ebenfalls fernblieb. Nach Beschluss des Papiers trat er umso engagierter für das Kirchenpapier ein, was u. a. zu einem größeren Konfl ikt mit der Evangelischen Kirche in Deutschland führte.23 Auch Maihofer, Mitglied des Präsidiums sowie des Bundeszierten subsumiert einerseits Personen, die ein eher gleichgültiges Verhältnis zur Kirche pflegten sowie Personen, die die Kirche als »Staatskirche« im Sinne einer zu großen Einflussnahme auf den Staat kritisierten, sie aber zugleich als gesellschaftliche Institutionen durchaus anerkannten und ihr zum Teil auch offi ziell angehörten. Mit kirchennahen Personen sind die gemeint, die sich grundsätzlich zu den Kirchen bekannten, diesen angehörten und sich zum Teil neben ihrer politischen Tätigkeit gleichermaßen auch im kirchlichen Kontext engagierten. Die Konfessionszugehörigkeit wird, soweit bekannt, in Klammern hinter den einzelnen Kommissionsmitgliedern vermerkt. 22 Es fällt auf, dass die Kommissionsteilnehmer von Seiten der DJD bis auf den Bundesvorsitzenden Neunhöffer alle aus NRW kamen. Funcke hatte den Bundesvorsitzenden Neunhöffer über die ad-hoc Kommission informiert und die DJD aufgefordert, sich mit vier bis sechs Personen daran zu beteiligen (vgl. Schreiben Funcke an Neunhöffer vom 23. 3. 1973; AdL 11313). Ebenso erhielt Gerigk-Groht zur selben Zeit ein Schreiben Funckes, mit der Bitte, die Teilnehmer für die Kommission zu benennen. Aus einem Schreiben an Funcke von Anfang April geht hervor, dass sie sich zunächst nicht dafür zuständig fühlte, die Kommissionsteilnehmer zu benennen: »Als ich erfuhr, daß die Einladungen Herrn Neunhöffer zugestellt worden waren, nahm ich an, daß dem Bundesvorstand der Jungdemokraten die Benennung der Gesprächsteilnehmer oblag« (Schreiben GerigkGroht an Funcke vom 4. 4. 1973; AdL 3320). Im selben Schreiben benannte sie darauf hin die Teilnehmer Siekmann, Matthäus, ihren Mann und sich selbst. Funcke wiederum thematisierte die Tatsache, dass alle Kommissionsteilnehmer aus NRW kamen: »Obwohl Sie alle aus Nordrhein-Westfalen sind, dürfen wir aber doch sicher annehmen, daß sich die DJD auf Bundesebene durch Sie repräsentiert fühlen. Ich gehe davon aus.« (Schreiben Funcke an Gerigk-Groht vom 11. 4. 1973; ebd.). 23 Siehe dazu Kap. IV.2.5. Bangemann war Jurist, seit 1963 Mitglied der FDP und von 1969 bis 1973 stellvertretender Landesvorsitzender Baden-Württembergs, 1974 dann Lan-
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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vorstandes, gehörte grundsätzlich zu den Befürwortern des Papiers. Im Kontext der Kirchenpapierdiskussion betonte der Kantianer dabei jedoch stets den status activus der Kirchen, insofern sie als Garantin einer die Gesellschaft beeinflussenden Ethik und Moral fungiere und damit eine wichtige, vom Staat nicht allein zu leistende Funktion übernahm. Auch sprach er sich gegen die Abschaffung der Kirchensteuer aus. Sein Votum lieferte einen entscheidenden Impuls bei den Beratungen auf dem Hamburger Parteitag.24 Gross, Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen und Mitglied des Bundesvorstandes, hatte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Diskussion der Forderungen, da einige seiner Vorschläge übernommen wurden. Dabei zeigte sich eine moderate Haltung im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche, insofern er die Forderung nach einer Trennung beider voneinander als »überholt« 25 bezeichnete. Gross war es ein großes Anliegen, Kirche und Partei in einem konstruktiven Verhältnis im Blick auf das Kirchenpapier zu wissen. Mehr als an anderen Landesverbänden wies sich daher die landesverbandsinterne Diskussion durch eine große Kooperationsbereitschaft im Sinne einer Partnerschaft mit den Kirchen aus, die insbesondere auf das gute Verhältnis zwischen Gross und Landesbischof Lohse zurückgeführt werden konnte.26 Auch Hans-Wolfgang Rubin, Mitglied des Präsidiums und Bundesvorstandes, befürwortete das Kirchenpapier, wobei er, ähnlich wie Funcke, ein bedachtes und nicht vorschnelles Vorgehen hinsichtlich eines Beschlusses des Papiers anmahnte.27 Schroers und Hertel hatten durch ihre gemeinsame Arbeitsstätte eine engere Verbindung miteinander; Schroers durch seine Anstellung als Direktor der Theodor-Heuss-Akademie, Hertel durch seine Dozentur.28 In einem desvorsitzender. Im selben Jahr trat er die Nachfolge Flachs als Generalsekretär des Bundesverbandes an. Bangemann war von 1985 bis 1988 Vorsitzender der FDP. In einem Schreiben an Helmut Claß Ende November 1974 bezeichnete Bangemann sich als »engagierten Christen« innerhalb der evangelischen Kirche (Schreiben Bangemann an Claß vom 22. 11. 1974; AdL N 52-73). 24 Siehe Abschnitt 4.1.2. 25 Art. »Gross: ›Trennung von Staat und Kirche ist überholt‹«, in: epd Niedersachsen/HB Nr. 21/1977. 26 Ein Biogramm Gross’ liefert Abschnitt 2.2.1. 27 Der in Essen geborene Hans-Wolfgang Rubin (1911–1986) war von 1950 bis 1956 Schatzmeister des Landesverbandes NRW, wo er Mitte der 1950er Jahre zum Kreis der Jungtürken zählte. Seit 1951 war er für 28 Jahre Mitglied des Bundesvorstandes der FDP, von 1951 bis 1974 als deren Bundesschatzmeister. In den Jahren 1970 bis 1982 übernahm er den Vorsitz der FNS. 28 Zu Schroers siehe Kap. I.3.3.2. Nach Informationen von Tilman Schroers, dem Sohn Rolf Schroers, war dieser der »formierten Kirche« gegenüber kritisch eingestellt, wobei er zugleich die Kirche als solche und die christliche Moral als positiv erachtete. Schroers war ein Vertreter derer, die sich gegen jene Tendenzen aussprachen, die man mit dem Begriff
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Brief an Funcke beschrieb Hertel seine Funktion innerhalb der Kommission als die eines »Geschäftsführer[s]« 29, was darauf zurückzuführen war, dass er einige Male in organisatorischer Hinsicht für die Kirchenkommission tätig wurde. In die Gruppe der kirchennahen Personen lassen sich Horst Dahlhaus (ev.), Kirchenrat Johannes Doehring (ev.), Wolfgang Eichler (ev.), Hanns Engelhart, Josef Ertl (kath.), Liselotte Funcke (ev.), Siegfried W. Grünhaupt (ev.), Hildegard Hamm-Brücher (ev.), Dominikanerpater Anselm Hertz (kath.), Peter Juling (ev.), Werner Klumpp (ev.-freikirchl.), Ulrich Krüger (ev.), Otto Graf Lambsdorff (ev.), Albrecht von Mutius (ev.), Uwe Ronneburger (ev.), Klaus Scholder (ev.) und Heinrich Weyer (ev.) einordnen. Funcke hatte die beiden Kirchenvertreter Hertz und Doehring »in eigener Verantwortung«30 in die Kommission eingeladen, »da deren liberale Haltung bekannt«31 sei. Der linkskatholische Anselm Hertz, Mitglied des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises und Befürworter des Kirchenpapiers, nahm an den ersten beiden Kommissionssitzungen teil und bestimmte wesentlich die Diskussion der Präambel des Kirchenpapiers durch die Vorlage eines eigenen Entwurfs. Doehring übte bis Oktober 1973 das Amt des Beauftragten der evangelischen Kirchen beim Landtag und der Landesregierung von NRW aus. In diesem Kontext verband ihn und Funcke eine gemeinsame langjährige Zusammenarbeit, die zu einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen beiden geführt hatte. Doehring diente Funcke in vielen kirchenpolitischen Fragestellungen als Ansprechpartner und Berater. Er nahm allerdings nur am ersten Tag der zweitägigen ersten Kommissionssitzung teil, so dass sein Einfluss auf die Arbeit vergleichsweise gering einzuschätzen ist. Er wurde im Folgenden durch Grünhaupt und seinen Nachfolger von Mutius vertreten.32 der »Staatskirche« in Verbindung brachte. Sein Anliegen im Kontext der Kirchenkommission bestand darin, gegen eine zu große Einflussnahme der Kirchen auf den Staat vorzugehen (aus einem Telefonat Schroers mit der Verfasserin vom 14. 7. 2007). 29 Schreiben Hertel an Funcke vom 19. 7. 1973; AdL 9218. 30 Schreiben Funcke an Scheel vom 8. 8. 1973; Handakten Dahlhaus. 31 Ebd. 32 Albrecht von Mutius nahm nach Ende des Krieges das Theologiestudium auf und arbeitete von 1951 bis 1956 als Studentenpfarrer in Heidelberg. 1956 trat von Mutius, der während des Krieges die Generalstabs-Ausbildung durchlaufen hatte, in das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr ein, wo er von 1965 an bis 1973 als Generaldekan arbeitete. Im Mai 1973 schied er aus der Militärseelsorge aus und nahm seine Arbeit im Büro des Beauftragten der evangelischen Landeskirchen in NRW beim Landtag und der Landesregierung in Düsseldorf auf. Am 1. 10. 1973 wurde er als offi zieller Nachfolger Doehrings in sein neues Amt eingeführt. Sein Nachfolger im Militärseelsorgebereich wurde Sigo Lehming (vgl. Art. »Generaldekan von Mutius aus der Militär-Seelsorge ausgeschieden«, in: epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 51 vom 2. 5. 1973; Art. »Neuer Bevoll-
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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Weyer, Flach, Hamm-Brücher, Juling, Ertl, Klumpp, Krüger und Lambsdorff nahmen an keiner der Sitzungen teil. Ihnen allen – möglicherweise mit Ausnahme von Weyer, dessen Meinung zum Kirchenpapier nicht eindeutig zu ermitteln ist – war eine grundsätzlich ablehnende Haltung dem Kirchenpapier gegenüber gemeinsam. Heinrich Weyer war Mitglied des Landesverbandes Berlin und übte von 1973 bis 1975 das Amt des Schatzmeisters im Berliner Landesvorstand aus. Den einzigen Hinweis, dass er sich mit der Thematik Staat und Kirche beschäftigt hat, liefert ein Protokoll der Landesvorstandssitzung des Berliner Landesverbandes vom 23. 10. 1973, wo Weyer dem Landesvorstand durch ein Schreiben an Wolfgang Lüder, in dem er zugleich sein Fehlen bei besagter Sitzung entschuldigte, ankündigen ließ, eine »Vorlage zur Abschaffung der Kirchensteuer«33 vorzulegen »falls das Thema Kirche/Staat behandelt werden soll.«34 Die Absage des Präsidiums- und Bundesvorstandsmitglieds Flach an die Kommissionsarbeit konnte neben zeitlichen Gründen, die seiner Funktion als Generalsekretär geschuldet waren, vor allem auf seine grundsätzlich ablehnende Haltung dem Kirchenpapier gegenüber zurückgeführt werden. In diesem Kontext spielten auch die von ihm maßgeblich initiierten neu geknüpften Kontakte zur katholischen Kirche eine Rolle, die er durch die Kirchenpapierdiskussion gefährdet sah. Auch das Fehlen Hamm-Brüchers, ebenfalls Mitglied der beiden höchsten Parteigremien, sowohl in dieser Kommission als auch in der im Juni 1974 eingerichteten Kirchenkommission II, ließ sich mit ihrer stark ablehnenden Haltung dem Kirchenpapier gegenüber begründen. Es ist nicht übertrieben, Hamm-Brücher als strikteste Gegnerin des Kirchenpapiers zu bezeichnen. Die Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Stellungnahme zum Kirchenpapier auf dem Hamburger Parteitag im Oktober 1974 scharfe Kritik aus den Reihen der FDP einstecken musste, bestätigt die Vehemenz, mit der sie das Papier ablehnte.35 Ähnlich wie Funcke engagierte auch sie sich im politischen wie im kirchlichen Bereich; anders als diese konnte sie dieses doppelte Engagement nicht mit dem Kirchenpapier überein bringen.36 Ihre mächtigter der evangelischen Kirchen in NRW. Von Mutius als Nachfolger von Doehring eingeführt«, in: epd ZA Nr. 192 vom 3. 10. 1973). 33 AdL 10893. 34 Ebd. 35 Siehe Abschnitt 4. 36 Die linksliberale Hildegard Hamm-Brücher (*1921) trat 1948 durch Heuss inspiriert der FDP bei, die sie 2002 als Reaktion auf Jürgen Möllemanns umstrittene Äußerungen im Kontext des Israel-Palästina-Konfl ikts verließ. 1967 übernahm sie das Amt der Staatssekretärin im Hessischen Kultusministerium, 1969 wechselte sie ins Bundesministerium für Bildung und Wirtschaft. 1972 wurde sie Fraktionsvorsitzende im Bayrischen Landtag, 1976 Mitglied des Bundestags als Staatsministerin im Auswärtigen Amt unter Helmut
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
ersten offi ziellen Reaktionen erfolgten nach dem Beschluss des vorläufigen Kirchenpapiers im Bundesvorstand im August 1973. Im September 1974 legte sie bei Beratungen im Bundesvorstand ein eigenes Kirchenpapier vor, das an einer Stelle in abgewandelter Form seine Aufnahme im Kirchenpapier fand.37 Peter Juling arbeitete zum Zeitpunkt der Kirchenkommission als Angestellter der FDP-Bundesgeschäftsstelle und in der Pressestelle der FDP. Wie er Walter Sak gegenüber in einem Brief erwähnte, sei es ihm damals »aus dienstlichen Gründen«38 nicht möglich gewesen, an der Kommission teilzunehmen, in seiner »Eigenschaft als F.D.P.-Mitglied« 39 habe er sich aber »sehr kritisch gegenüber diesen Thesen«40 geäußert. Juling verfasste einen Gegenentwurf zum ersten Entwurf der Kommission sowie eine Gegenmeinung zum Arbeitsergebnis der Kommission von August. Seine Opposition dem Kirchenpapier gegenüber ließ sich ebenfalls durch seine kirchliche Verbundenheit begründen, die allgemein bekannt war. Dies belegt ein Schreiben der Männerarbeit der Evangelischen Landeskirche in Baden unmittelbar nach Beschluss des Jungdemokratenpapiers auf der nordrhein-westfälischen Landesdelegiertenkonferenz: »Wir sind der Meinung, Sie sollten einmal in unserem Lande hier und da Vorträge über die Stellung der F.D.P. zur Kirche halten. Bitte erschrecken Sie nicht, aber wir wollen weder Scheel noch Mischnik [!] – wir wollen Juling.«41
Gleichwohl ist festzuhalten, dass Julings Position im Verlaufe der Diskussion moderater wurde, je mehr sich die FDP des Kirchenpapiers annahm und dieses aus der »Tradition des Einsatzes für die Freiheit und gegen die Bewahrung von Privilegien«42 veränderte. Im Zuge dessen änderte auch er seine Meinung hinsichtlich mancher Forderungen.43 Julings Anliegen hatte vor Schmidt. Bis 1990 blieb sie als Parlamentarierin aktiv und war 1994 FDP-Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin. Ihr kirchliches Engagement zeigte sich in der Mitgliedschaft im Kirchenvorstand ihrer Gemeinde ebenso wie in ihrer Tätigkeit als Mitglied der evangelisch-lutherischen Landessynode in Bayern 1970 bis 1976 sowie ab 1975 für zwölf Jahre im Präsidium des DEKT. Von 1985 bis 1990 war sie Mitglied der Synode der EKD. 37 Siehe Abschnitt 3. 38 Schreiben Juling an Sak vom 20. 3. 1978; AdL 19421. Sak hatte Juling im Kontext einer Arbeit über die Kirchenthesen bzw. die Kirchenkommission in einem Schreiben vom 12. 3. 1978 kontaktiert. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Schreiben des Landesmännerwarts Ernst Hühnergarth an Juling vom 17. 1. 1973; AdL 3325. 42 Juling, Redeentwurf für eine Tagung in Oldenburg am 29./.30. 11. 1974; AdL 19421. 43 Die Unterschiede zeigten sich beispielsweise bei der Forderung zur Abschaffung der Kirchensteuer. In seinem Gegenentwurf hatte Juling sich für die Beibehaltung der »gegenwärtige[n] uneinheitliche[n] Kirchensteuer« ausgesprochen und lediglich ihre Her-
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allem darin bestanden, das Kirchenpapier von dem antireligiösen und antikirchlichen Charakter, der ihm durch den jungdemokratischen Hintergrund anhaftete, zu befreien. Das Kirchenpapier, so wie es auf dem Bundesparteitag in Hamburg im Oktober 1974 verabschiedet wurde, erachtete er als »aus liberalem Geist formuliert«44, insofern es die gegenseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche proklamierte, ohne dabei in das Selbstverständnis und den Auftrag der Kirchen einzugreifen. Der Name des Präsidiums- und Bundesvorstandsmitglieds Ertl war, ebenso wie der Flachs, eng verbunden mit den jüngsten Bemühungen um ein besseres Verhältnis zwischen Partei und katholischer Kirche. Der bayrische Landesvorsitzende, der selber einem katholisch-liberalen Elternhaus entstammte, war, genauso wie seine Landsfrau Hildegard Hamm-Brücher und damit in seltener Einigkeit mit dieser, ein Gegner des Kirchenpapiers, was sich insbesondere in der internen Diskussion im katholischen Landesverband Bayern deutlich zeigte. Auch Werner Klumpp, Mitglied des Bundesvorstandes und Vorsitzender des Landesverbandes Saarland, lehnte das Kirchenpapier ab. In einem Brief an die Verfasserin begründete Klumpp, der als getauftes Mitglied einer evangelischen Freikirche angehört, seinen Entschluss im Nachhinein damit, dass die Konsequenz des Papiers zum »Ruin unserer ›Staatskirchen‹, insbesondere ihrer sozialen und gesellschaftlichen Betätigung«45 geführt hätte. Otto Graf Lambsdorff, Mitglied des Bundesvorstandes sowie des geschäftsführenden Landesvorstandes der nordrhein-westfälischen FDP, zeigte kein großes Interesse an der Kirchenpapierdiskussion. Dem Papier war er neutral bis positiv gegenüber eingestellt, wobei er zugleich Verständnis für die Reaktion der evangelischen Kirche auf brachte, die er als »nicht überzogen«46 befand. absetzung auf einen einheitlichen Satz von 8% gefordert (Gegenentwurf Juling von Juni 1973; AdL 3325). In der Gegenmeinung vom August dann betonte er, ein »kircheneigenes Beitragssystem [sei] zweifellos besser«, obschon es zu einer Einschränkung kirchlicher Tätigkeiten auf sozialem und gesellschaftlichen Gebiet führe (Gegenmeinung zum Kirchenpapier vom 20. 8. 1973; ebd.). Im Redeentwurf zur Tagung in Oldenburg Ende November 1974 hingegen bezeichnete er die Ersetzung der Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem als »folgerichtige[n] Gedanke[n]« der Liberalen, wobei er gegen den Staat argumentierte, insofern diesem »die Möglichkeit des zwangsweisen Eintreibens« genommen werden sollte ( Juling, Redeentwurf; AdL 19421). 44 Ebd. 45 Schreiben Klumpp an die Verfasserin vom 29. 4. 2006. 46 Lambsdorff in einem Schreiben an Kunst vom 21. 3. 1974; EZA 87/837. In einer Pressemitteilung an die Zeitung Weltbild von Ende August 1973 hatte er sich für die Thesen zur Kirchensteuer, Gemeinschaftsschule und Religionsunterricht sowie zur sozialen Tätigkeit der Kirche in der Fassung, wie sie letztlich dem Bundesvorstand zur Beratung vorgelegt wurde, ausgesprochen (vgl. Pressemitteilung Lambsdorff vom 24. 8. 1973; AdL 3325).
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Auf Scholders ablehnende Haltung im Kontext der Diskussion des Kirchenpapiers ist bereits hingewiesen worden.47 Scholder nahm an nur einer Sitzung der Kirchenkommission teil, begleitete den Diskussionsprozess jedoch durch kritische Anfragen an das Kirchenpapier. Der Naturwissenschaftler Wolfgang Eichler war Kreisvorsitzender der FDP in Leverkusen. Seine Position zum Kirchenpapier lässt sich nicht eindeutig ermitteln, jedoch ist festzuhalten, dass er als Mitglied des Kirchlichen Gesprächskreises von Anfang an für eine Auseinandersetzung des Gesprächskreises mit dem Jungdemokratenpapier plädierte. In einem Brief an Funcke von Ende Januar 1973 beschrieb er seine Aufgabe im Kontext einer solchen Diskussion dahingehend, als Naturwissenschaftler »die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens zu verdeutlichen«48 und auf diese Weise die »Unhaltbarkeit des philosophischen Determinismus, der einen Teil der Judo-Thesen zugrunde liegt«49 aufzuweisen. Zu den kirchennahen FDP-Politikern, die das Kirchenpapier grundsätzlich befürworteten, gehörten Horst Dahlhaus, Hanns Engelhardt, Ulrich Krüger und Uwe Ronneburger. Der 1927 geborene Diplomkaufmann Dahlhaus war Mitglied des Landesverbandes NRW und dort im Landesvorstand aktiv. Im Kontext der Kirchenpapierdiskussion leitete er die dafür eingerichtete Sonderkommission und war ebenso Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des Kirchlichen Gesprächskreises.50 Dahlhaus engagierte sich neben seiner Tätigkeit in der FDP ebenfalls in kirchlichen Gremien sowohl der Rheinischen als auch der Westfälischen Landeskirche. Von 1955 bis 1960 war er Geschäftsführer der Gesellschaft der Freunde der Evangelischen Akademiearbeit in Essen. In den Jahren 1961 bis 1967 arbeitete er als Sozialreferent im Sozialethischen Ausschuss der Evangelischen Kirche im Rheinland und war zugleich Geschäftsführer des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche im Rheinland. 1967 übernahm er als Gründungsmitglied die Leitung der Theodor-Heuss-Akademie bis 1970, war dann von 1970 bis 1973 Sozialreferent im Sozialamt der Evangelischen Kirche von Westfalen in Villigst und, wie Funcke, Mitglied im Ständigen Ausschuss der westfälischen Landessynode für politische Verantwortung. Von 1973 bis 1993 arbeitete er schließlich als Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung. Seine ehrenamtlichen Tätigkeiten verweisen auf ein großes Engagement hinsichtlich der deutschisraelischen Beziehungen.51 Hierin lag auch Dahlhaus’ stete Forderung nach 47
Siehe Kap. I.2.1. Schreiben Eichler an Funcke vom 25. 1. 1973; AdL N 73-3. 49 Ebd. 50 Siehe Abschnitt 2.3.4. 51 Dahlhaus ist u. a. Gründungsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, des Vereins »An der Synagoge«, des Forums Ost-West, des Vereins der Freunde und Förderer von 48
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Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften begründet, die an manchen Stellen in der Kirchenpapierdiskussion aufgegriffen wurde. Ein wesentlicher Verdienst Dahlhaus’ im Kontext der Kirchenpapierdiskussion bestand in der Abfassung von ausführlichen Erläuterungen zu den einzelnen Thesen, die innerhalb der nordrhein-westfälischen Sonderkommission diskutiert und anschließend der Bundespartei zur Verfügung gestellt wurden.52 Im Jahre 2004 verfasste Dahlhaus eine Neufassung der Kirchenthesen von 1974. Der Jurist Hanns Engelhardt war Ministerialrat im Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Zur Zeit der Kirchenpapierdiskussion gehörte Engelhardt bereits der Amerikanischen Episkopalkirche an, die ein Teil der Anglikanischen Kirchengemeinschaft ist. Der Eiderstedter Landwirt Uwe Ronneburger war Mitglied des Bundesvorstandes, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion und von 1970 bis 1983 Vorsitzender, »Führungspersönlichkeit und Vaterfigur«53 des Landesverbandes Schleswig-Holstein. Wie Liselotte Funcke und Hildegard Hamm-Brücher war auch er Politiker und Kirchenmensch zugleich. So gehörte er von 1960 bis 1978 als nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins an und war ebenfalls Mitglied der Synode der EKD von 1966 bis 1972. Ronneburger befürwortete das Kirchenpapier und bezeichnete es als Chance, »eine faire Auseinandersetzung über Fragen, die auch viele Christen für diskussionswürdig halten«54 mit den Kirchen zu führen. Die Kirchen rief er dazu auf, das Gesprächsangebot der FDP nicht zu überhören.55 Immer wieder betonte er den Charakter des Kirchenpapiers als »Diskussionsgrundlage« 56 , was für ihn gleichermaßen eine Art Legitimation darstellte, sich »als Christ und als liberaler Politiker« 57 daran zu beteiligen. Anders als Funcke empfand Ronneburger die Situation, sowohl in Politik als auch in der Kirche aktiv zu sein, im Kontext der Kirchenpapierdiskussion als zunehmend belastend. AMCHA e.V., Israelisches Zentrum für psychosoziale Hilfe für Holocaust-Überlebende, des Freundeskreises Mevasseret Zion in Sankt Augustin u.v.m. 52 Siehe Abschnitt 2.3.4. 53 Schellhammer/Klug, 40 Jahre, 69. 54 Art. »Ronneburger: F.D.P. zum Gespräch mit Kirchen bereit«, in: fdk Ausg. 176 vom 25. 9. 1973 (vgl. epd Dok. 39/1973, 3 f.). 55 Vgl. Art. »FDP für Gespräch mit den Kirchen«, in: RP vom 26. 9. 1973. Hier hatte Ronneburger die Einladung an die Kirchen zu einem gemeinsamen Gespräch erneut ausgesprochen (siehe auch Kap. IV.2.1.1.). 56 Ronneburger in einem Interview mit Ocke H. H. Peters vom epd. Leider lässt sich das genaue Datum des Interviews nicht ermitteln. Da Ronneburger jedoch Bezug auf eine mögliche Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Landesverbandes nahm, muss das Interview in der Zeit vor Mai 1974 stattgefunden haben, da der LPT am 11. 5. 1974 eine Stellungnahme verabschiedete. 57 Ebd.
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Schwierig war für ihn die Situation insofern, als sein Landesverband sich deutlicher als andere Landesverbände für das Kirchenpapier aussprach und die schleswig-holsteinische Kirche es in gleicher Deutlichkeit ablehnte.58 Ulrich Krüger, Mitglied des Bundesvorstandes und Landtagsabgeordneter der hessischen FDP, bezeichnete sich, nicht zuletzt aufgrund seiner christlichen Sozialisation, als kirchennah. Krügers Engagement im Blick auf das Kirchenpapier zeigte sich sowohl bei der landesverbandsinternen Diskussion, im Zuge seiner Mitgliedschaft in der besagten zweiten Kirchenkommission und schließlich auch auf dem Hamburger Parteitag, wo er scharfe Kritik an Hildegard Hamm-Brücher übte.59 Die Kommission stand vor der Aufgabe, einen Antrag zum Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Jungdemokraten-Papiers zu verfassen. Dabei legte sie, »auf Anregung der Jungdemokraten« 60, die Kirchenpapier-Fassung zugrunde, die vom Landesvorstand der Jungdemokraten als Antrag 58 auf dem nordrhein-westfälischen Landesparteitag der FDP eingebracht worden war.61 Insgesamt vier Mal und zum Teil zweitägig tagte die Kirchenkommission bis zur Bundesvorstandssitzung am 25. 8. 1973 und erarbeitete dabei eine abgeänderte Fassung des Jungdemokraten-Antrages.62 Im Folgenden werden zunächst die Unterschiede in den Papieren und, soweit rekonstruierbar, die Personen, auf die diese zurückzuführen waren, genannt. Eine Wertung der Diskussionsprozesse erfolgt im Anschluss.
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Siehe Kap. IV.2.1.1. Der Architekt Ulrich Krüger (*1942) trat 1969 der FDP bei. 1971 wurde er in den Bundesvorstand der DJD gewählt und amtierte als Landesvorsitzender der hessischen DJD sowie stellvertretender Bundesvorsitzender neben Heiner Bremer. Von 1970 bis 1978 war er hessischer Landtagsabgeordneter. Krüger war Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. Im Zuge der schwarz-gelben Koalition im Jahre 1982 engagierte er sich maßgeblich für die Gründung der neuen Partei der LD, deren Bundesvorsitzender er wurde. Nach Scheitern der Partei trat er 1985 der SPD bei. Zur Zeit der Kirchenpapier-Diskussion war Krüger ebenfalls Mitglied der HU und wurde 1982 Mitglied ihres Beirats, dem er nach wie vor angehört. Krüger entstammt einem christlichen Elternhaus; seine Mutter war reformiert, der Vater lutherisch. In einem Gespräch mit der Verfasserin vom 27. 1. 2008 betonte er, sich stets als überzeugter evangelischer Christ verstanden zu haben, in jenen Jahren jedoch dahingehend weniger aktiv gewesen zu sein, was er nicht zuletzt auch auf die kritischen und ihm teilweise unangenehmen Anfragen an seine persönliche Glaubenssituation zurückführte. 60 Schreiben Funcke an Scheel vom 8. 8. 1973; AdL 172. 61 Der Antrag 58 wird im Folgenden mit der Abkürzung AP, für Ausgangspapier, wiedergegeben. Auf die Unterschiede dieses Antrags zum Beschluss der BDK, die sich insbesondere in der Präambel zeigten, wurde bereits verwiesen. Die Forderungen wurden dabei, bis auf drei kleinere Veränderungen, so in der Reihenfolge der Beschlussfassung der BDK übernommen (siehe Kap. II.3.4.1.). Bei der folgenden Darstellung über die Diskussion des Teils des Antrags 58, der die Forderungen beinhaltete, kann somit zur Orientierung auf den Anhang 2 (Beschluss der BDK) zurückgegriffen werden. 62 Vgl. Schreiben Funcke an Rieger vom 10. 8. 1973; AdL 26755. 59
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1.2. Erster Entwurf (E I): »Forderungen der F.D.P. zum Verhältnis von Kirche und Staat« 63 (April 1973) Die erste Sitzung fand am 27./28. 4. 1973 in Form einer zweitägigen Klausurtagung in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach statt.64 Anwesend waren Grünhaupt, von Mutius und Doehring, die abwechselnd an der Sitzung teilnahmen65, Hertel, Hertz, Rubin, Funcke, Dahlhaus, Schroers, Gross, Gerigk und Gerigk-Groht, Neunhöffer und Matthäus.66 Die Sitzung begann mit einer allgemeinen Aussprache zur Thematik, die von den Jungdemokraten und einer erneuten Darstellung ihres Anliegens eröffnet wurde. In ihrer Forderung, die Verbindung von Staat und Kirche zu »entflechten« um sie dann schließlich »aufzulösen«, sahen die Jungdemokraten die logische Schlussfolgerung des Zusammenhanges von »Geistesfreiheit – gedanklicher Freiheit – Religionsfreiheit«. Die Kirche »als Vermittler von Religion« sollte auf eine gesellschaftliche Gruppe zurückgedrängt, ihre Privilegien sollten abgebaut werden, um das Ziel liberaler Politik, die Freiheit des einzelnen, die die Religionsfreiheit mit einschließt, zu verwirklichen. Ebenso weise das Grundgesetz im Blick auf seine weltanschauliche Neutralität »einige Inkonsequenzen« auf, die es zu beseitigen gelte. Neben diesen Äußerungen, die somit durch die Forderung nach konsequenter Verwirklichung der Trennung von Staat und Kirche eine Beseitigung der kirchlichen Einflüsse auf den einzelnen, die Gesellschaft zu erreichen suchten, artikulierten die Jungdemokraten ebenfalls ihren ideologiekritischen Ansatz und damit die Forderung auch nach einer Thematisierung des Verhältnisses von Liberalismus und Christentum, etwa, wenn sie den Charakter von Religion durch den Begriff »Irrationalität« wiedergaben oder die Inhalte von Religion als »[. . .] dogmatische Festlegungen, gegen die sich Lib[eralismus] wehren muss« bzw. »›fromme Märchen‹« beschrieben. Im Blick auf das Jungdemokratenpapier stellte die Kommission die Diskussion der Präambel zunächst zurück und begann damit, einige der Forderungen anzudiskutieren. Die Ergebnisse der zweitägigen Sitzung wurden 63 Vgl. AdL 3325. Der erste Entwurf wird im Folgenden durch die Abkürzung E I (Entwurf I) wiedergeben. 64 Es wurde somit dem Terminvorschlag Funckes, den sie auf der Präsidiumssitzung im Februar vorgeschlagen hatte, entsprochen. Funcke hatte diesen Termin zuvor mit den DJD abgestimmt (vgl. Schreiben Funcke an die Kommissionsmitglieder vom 22. 3. 1973; Handakten Funcke). 65 Grünhaupt hatte Funcke im Vorfeld der Sitzung darüber informiert, dass Doehring nur am 27. 4. an der Sitzung teilnehmen könne und Grünhaupt daher gebeten habe, ihn zu begleiten. Von Mutius wiederum werde dann am 28. 4. vormittags Grünhaupt ablösen (vgl. Schreiben Grünhaupt an Bundesgeschäftsstelle der FDP vom 24. 4. 1973; AdL 3320). 66 Vgl. handschriftliches Protokoll vom 27./28. 4. 1973; Handakten Dahlhaus. Die folgenden Zitate ebd.
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von einem Redaktionsteam, das sich aus den Mitgliedern Hertel, Matthäus, Neunhöffer und Schroers zusammensetzte, in einem Zwischenbericht zusammengestellt. Es entstand somit der erste Entwurf eines Forderungskatalogs, der sich mit 17 Forderungen zwar zahlenmäßig nicht von der Vorlage unterschied, inhaltlich aber einige Veränderungen aufwies. Ende Mai schickte Hertel diesen Zwischenbericht an alle Kommissionsteilnehmer, zusammen mit der Einladung zur zweiten Kommissionssitzung, die für den 20. 6. 1973 angesetzt war.67 Die von den Jungdemokraten gemachte Aufteilung in I. Forderungen im Bereich des öffentlichen Rechts und II. Forderungen im Bereich staatlicher und gesellschaftlichen Institutionen wurde im E I nicht beibehalten, sondern man nummerierte die Forderungen von 1 bis 17 durch.68 Forderung 1 beinhaltete wie auch im AP I.1 die Umwandlung der Kirchen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften in privatrechtliche Institutionen, allerdings wurde der Passus, die Kirchen seien »den allgemeinen vereinsrechtlichen Bestimmungen zu unterwerfen« weggelassen und durch die Formulierung, die Kirchen sind »im Zuge der Weiterentwicklung des allgemeinen Verbandsrechtes [. . .] umzuwandeln« ergänzt. Man kam damit den Stellungnahmen von Gross und Neunhöffer in der Aussprache zur Forderung 1 nach. Gross hatte es für problematisch erachtet, die Kirchen einseitig entweder dem Vereinsrecht oder dem Körperschaftsrecht zuzuordnen, vielmehr seien unterschiedliche Tatbestände unterschiedlich zu regeln. Neunhöffer hatte dahingehend vorgeschlagen, das Vereinsrecht für gesellschaftliche Großgruppen zu modifizieren und dabei eventuell besondere Teile für die Kirchen einzufügen. Des Weiteren ergänzte man die erste Forderung durch den Satz »Für alle Weltanschauungsgruppen gilt das gleiche Recht.« Diese Ergänzung war auf Dahlhaus zurückzuführen, der die Gleichstellung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gefordert hatte. Die Frage der Kirchenmitgliedschaft wurde im E I nicht mehr unter der ersten Forderung, sondern in einer eigenen zweiten Forderung thematisiert. Dabei dehnte man, im Sinne von Dahlhaus, die Mitgliedschaftsfrage auf »Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« aus und forderte zusätzlich zur Mitgliedschaft nach Vollendung des 14. Lebensjahres eine »persönliche Beitrittserklärung nach Erreichen der Religionsmündigkeit.« Diese Ergänzung wiederum war auf Matthäus zurückzuführen. Des Weiteren sollten die gleichen Bestimmungen auch beim Kirchenaustritt gelten, wobei die »Zwischenschaltung staatlicher Stellen« abzuschaffen war. In Forderung 3 (AP I.2) zur Kirchensteuer wurde die Begründung, die Kirchensteuer sei 67
Vgl. Schreiben Hertel an Kommissionsteilnehmer vom 28. 5. 1973; AdL 9218. Vgl. E I; AdL 3325. Die folgenden Zitate und Ausführungen zu E I beziehen sich auf diese Angabe. 68
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mit dem Grundsatz Trennung von Staat und Kirche nicht vereinbar, gestrichen. Ergänzt wurde hingegen der Passus, die Kirchensteuer sei »durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen.« Mit dieser Ergänzung griff man den Vorschlag Rubins auf. Forderung 4 forderte, wie auch im AP I.3, bestehende Kirchenverträge und Konkordate aufzuheben, und ergänzte die Forderung durch den Zusatz, »keine neuen derartigen Verträge« abzuschließen. Die Begründung wurde weicher formuliert; statt wie im AP in den Verträgen und Konkordaten einen Verstoß »gegen das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität« zu sehen, konstatierte man nun, sie seien »kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln.« Forderung 5 zur Überprüfung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen auf ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität hin übernahm wörtlich die Formulierung vom AP I.4. Forderung 6 zu den Staatsleistungen an die Kirchen (AP I.5) ergänzte man lediglich durch den Zusatz: »Etwaige Restablösungen sind unter Berücksichtigung der bisherigen Zahlung des Staates zu bemessen.« Die siebte Forderung zu dem im Personenstandsgesetz verankerten Recht auf Befragung nach der Konfession übernahm den ersten Satz vom AP I.6, ließ aber die Zitierung der entsprechenden Passagen in der Verfassung weg. Mit der achten Forderung bezog man sich inhaltlich auf das, was im AP I.7 zur Befreiung aller Gesetze von moraltheologischen oder religiös motivierten Bestimmungen gefordert wurde, jedoch formulierte man auf eine Weise, die stärker noch als die Vorlage bestimmte religiöse Gruppen in ihren Aktivitäten hinsichtlich einer möglichen Mitgestaltung von Gesetzen beschneiden wollte: »Religiöse, weltanschauliche und moralische Vorstellungen einzelner Gruppen dürfen nicht durch Gesetz für alle verbindlich gemacht werden. Eine entsprechende Rechtsreform ist einzuleiten.« 69 Forderung 9 zur Verwendung sakraler Formen und Symbole übernahm wörtlich die Formulierung vom AP I.8, wobei noch offen blieb, ob der Eid an sich oder nur der religiöse Eid gestrichen werden sollte. Forderung 10 zur religiös und weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule wurde wörtlich so übernommen (vgl. AP II.1). Die Forderung 11 zum Religionsunterricht griff AP II.2 an der Stelle auf, wo die Änderung des Artikels 7 GG dahingehend gefordert wurde, Religionsunterricht als Lehrfach an öffentlichen Schulen abzuschaffen. Über die Formulierung der Vorlage hinausgehend, fügte man hinzu: »Die Möglichkeit, Unterricht anzubieten, soll allen gesell69 Man nahm damit Aspekte auf, die in der Diskussion der Forderung mehrfach zur Sprache kamen: »Staat nicht zur Durchsetz[un]g weltanschaul[icher] Moral da! Vor stell[un]g einer weltanschaul[ichen] Gruppe nicht für alle verbindlich! Zur Sicher[un]g. weltansch[aulicher] Neutralität für alle Gruppen dürfen nicht Vorstell[ungen] einzelner Gruppen allg[emein] verbindlich werden« (handschriftliches Protokoll vom 27./28. 4. 1973; Handakten Dahlhaus).
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schaftlichen Gruppen offenstehen. In diesem Sinne ist auch der Zugang zu religiöser Unterweisung durch private Träger zu gewährleisten.« Forderung 12 zu den Theologischen Fakultäten war in der Sitzung nicht diskutiert worden, so dass man sie im Wortlaut der AP-Version (AP II.4), allerdings unter Weglassung einer Doppelbegründung 70, mit dem Vermerk »zur Erinnerung« aufführte. Forderung 13 zur Beseitigung der staatlichen Institutionalisierung der Militärseelsorge griff AP II.7 auf, erweiterte die Streichung der Seelsorge aber auf die Bereiche »Bundesgrenzschutz, Polizei (?) und Strafvollzug.« Mit Forderung 14 griff man inhaltlich AP II.8 auf, indem man verlangte, »[d]as Sonderrecht der Geistlichen und der Theologiestudenten auf Befreiung bzw. Zurückstellung vom Wehrdienst« aufzuheben und sie »den für jeden Bürger geltenden Bestimmungen zu unterwerfen.« Forderung 15 zur Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien wurde im Vergleich zum AP II.9 dahingehend milder formuliert, dass man nicht die Auf hebung der kirchlichen Repräsentation forderte, sondern dazu aufforderte, diese »darauf hin zu überprüfen, wieweit sie der Bedeutung und Funktion der Kirchen für den jeweiligen Bereich entspricht.« Auch hier ließ man die Begründung der Forderung weg. In Forderung 16 griff E I die Fragestellungen vom AP II.5 (Finanzierungshilfen und Zuschüsse des Staates an Kirchen) und 6 (Trägerschaft sozialer Aufgaben) auf, jedoch wurden dabei faktisch keine Formulierungen aus der Vorlage übernommen. Auch kam es inhaltlich zu Differenzierungen. Im Einzelnen beinhaltete die Forderung, dass in den öffentlichen Bereichen Bildung, medizinische und soziale Versorgung entsprechende Einrichtungen zur Verfügung zu stellen seien, »die weltanschaulich neutral und für jedermann zugänglich sein müssen.« Daraus ergebe sich die Abschaffung des »Vorrang[es] der freien Träger (Subsidiaritätsprinzip)«. Ebenso seien staatliche Subventionen an Einrichtungen in freier Trägerschaft nur dann legitim, wenn die Einhaltung der Grundrechte in diesen Einrichtungen sichergestellt sei. Die letzte Forderung des Kirchenkommissionsentwurfs, Forderung 17, wurde frei und unabhängig vom AP formuliert: »Etwa noch verbliebene Einflussmöglichkeiten des Staates auf Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind einer entsprechenden Revision zu unterziehen.«
70 » – da sie die Ausbildung an den Universitäten nicht an den Grundlagen einer Religion oder Weltanschauung orientieren darf; – da die Ausbildung von Geistlichen nicht Sache des religiös-weltanschaulich neutralen Staates ist« (AP II.4.).
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1.3. Überarbeitung des Entwurfs (E II): »Forderungen der F.D.P. zum Verhältnis von Kirche und Staat – 2. Durchgang –« 71 ( Juni 1973) Schon vor der zweiten Sitzung, die für den 20. 6. 1973 angesetzt war, reagierten einige Kommissionsmitglieder auf den Zwischenbericht. So schickten Hertz und Juling unverzüglich eigene Stellungnahmen an Hertel, welche dieser in einem weiteren Schreiben am 6. 6. 1973 den Kommissionsteilnehmern weiterleitete. Es handelte sich dabei um einen von Hertz verfassten Präambelentwurf sowie um einen die Präambel und die Forderungen betreffenden umfassenden Gegenentwurf Julings.72 In der von ihm verfassten Präambel wies Juling im Sinne Flachs auf die Gemeinsamkeiten von Liberalismus und Christentum hin, die er im »Mut zur Freiheit und [. . .] Ablehnung jeder Ideologie, Streben nach Toleranz und Einsatz für die Menschlichkeit und Würde des Einzelnen«73 festmachte. Dem Christentum schrieb er zu, die in der Weimarer Verfassung verankerte Trennung von Kirche und Staat »nach 1945 durch eine sinnvolle Partnerschaft zum Wohle der Bürger«74 ergänzt zu haben. Mit wenigen Ausnahmen vertrat Juling zu fast allen Forderungen die entgegengesetzte Meinung.75 Ebenso übersandte Engelhardt, der nicht an der ersten Kommissionssitzung teilgenommen hatte, zwei Änderungsvorschläge zu den Forderungen 1 (Körperschaftsstatus) und 3 (Kirchensteuer) an Hertel, die bei den Vorbereitungen zur zweiten Sitzung mitbedacht werden sollten.76 Gross wandte sich an Funcke, und fügte einem Brief, in dem er seine Abwesenheit auf der zweiten Kommissionssitzung entschuldigte, umfassende »Vorschläge zu einer Änderung der Thesen 71
Vgl. AdL 3325. Vgl. Schreiben Hertel an Kommissionsmitglieder vom 6. 6. 1973 und Anlagen; AdL 3325. War die Behandlung der Präambel des Jungdemokratenpapiers auf der ersten Sitzung zunächst zurückgestellt worden, so diskutierte man diese in der dritten Sitzung. Der Entwurf von Hertz fand dabei an einigen Stellen seine Aufnahme in dem Kirchenkommissionspapier (zum Präambelentwurf Hertz’ siehe Abschnitt 1.4.1.). 73 Schreiben Hertel an Kommissionsmitglieder vom 6. 6. 1973 und Anlagen; AdL 3325. 74 Ebd. 75 Die Ausnahmen betrafen die Forderung 3 zur Kirchensteuer, wo er eine Herabsetzung der Steuer »auf einen einheitlichen Satz von 8 Prozent« forderte (ebd.). Im Blick auf die Forderung 4 zu den Kirchenverträgen und Konkordaten forderte er deren inhaltliche Beschränkung »auf das Verhältnis von Staat und Kirche und auf von beiden Seiten zu regelnde Fragen« (ebd.). Hinsichtlich der siebten Forderung Personenstandsrecht stimmte Juling dem Kirchenpapier dahingehend zu, dass keiner gezwungen sei, sein Glaubensbekenntnis zu offenbaren, hob dabei aber zugleich und unter Verweis auf die Weimarer Verfassung das Recht der Behörden hervor, nach der Konfessionszugehörigkeit zu fragen. Weiterhin sprach er sich für eine Reform des Militärseelsorgevertrags aus und nahm damit Bezug auf die 13. Forderung. Im Blick auf die Forderung 16 zur Trägerschaft sozialer Aufgaben votierte er für eine Einschränkung des Subsidiaritätsprinzips, ohne dieses jedoch auf heben zu wollen (vgl. ebd.). 76 Schreiben Engelhardt an Hertel vom 12. 6. 1973; AdL 9218. 72
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der FDP zum Verhältnis von Kirche und Staat«77 an. Hertel und Schroers lieferten zusammen Präzisierungsformulierungen zur Forderung 17 (Einflussmöglichkeit des Staates auf die Kirchen), die sie an den Anfang aller Forderungen stellen wollten. Sie machten weiterhin an zwei Stellen Ergänzungsvorschläge zu dem Präambelentwurf von Hertz.78 Leider liegt kein ausführliches Protokoll der zweiten Kommissionssitzung vor, doch lassen sich ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer anhand einer Notiz Hertels zur Sitzung benennen. Somit nahmen Horst Dahlhaus, Friedrich Neunhöffer, Ingrid Matthäus, Dieter Siekmann, Silke Gerigk-Groht, Hanns Engelhardt, Liselotte Funcke, Siegfried W. Grünhaupt, Anselm Hertz, Albrecht von Mutius, Uwe Ronneburger und Hans Wolfgang Rubin an der Sitzung teil. Entschuldigt hatten sich Josef Ertl, Wolfgang Eichler, Rötger Gross, Hildegard Hamm-Brücher, Werner Klumpp, Otto Graf Lambsdorff, Werner Maihofer und Heinrich Weyer.79 Auch in dieser Sitzung diskutierte man ausschließlich die Forderungen und stellte die Beratungen über die Präambel erneut zurück. Die ausführliche Darstellung der Unterschiede des erneut 17 Forderungen umfassenden zweiten Entwurfes vermag ein Stück weit den Diskussionsprozess der zweiten Kommissionssitzung wiedergeben.80 Dabei wird an den entsprechenden Stellen darauf hinzuweisen sein, welche Veränderungen auf wen zurückzuführen sind. Forderung 1 des überarbeiteten Entwurfs (E II) begründete zunächst ergänzend zu E I1, dass der Körperschaftsstatus »im weltanschaulich-neutralen Staat für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirche« nicht geeignet sei. Die Forderung, Kirchen in privatrechtliche Institutionen umzuwandeln, wurde so nicht explizit ausgesprochen, vielmehr sollte »[i]m Rahmen des Privatrechts« ein Verbandsrecht entwickelt werden, »das der gesellschaftlichen Bedeutung der Großverbände Rechnung trägt und auch für die Kirchen gilt.« Mit dieser Formulierung griff man die Positionen Engelhardts und Gross’ auf, die beide weder den Status der Kirchen als Körper77 Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275. Gross war am 20./21. 6. wegen anderweitiger Parteiverpfl ichtungen verhindert. In seinem Schreiben bezog er sich auf eine Besprechung, die er mit Funcke am 19. 6. gehabt hatte. Seine Änderungsvorschläge nahmen dezidiert Bezug auf den Ende Mai verschickten Redaktionsbericht und bezogen sich auf die Forderungen 1 (Körperschaftsstaus), 3 (Kirchensteuer), 4 (Kirchenverträge und Konkordate), 11 (Religionsunterricht), 12 (Theologische Fakultäten), 15 (Repräsentation der Kirchen) und 16 (Trägerschaft sozialer Aufgaben). Zu jedem seiner Änderungsvorschläge fügte er eine ausführliche Begründung an. Auf sie wird an gegebener Stelle verwiesen. 78 Vgl. Schroers/Hertel, Forderungen der F.D.P. zum Verhältnis von Kirche und Staat: Präzisierung des Punktes 17; AdL 9248. 79 Notiz Hertel; AdL 9218. 80 Vgl. AdL 3325. Die folgenden Zitate uns Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Verweise auf E I beziehen sich auf die Darstellung und Angaben im vorherigen Abschnitt 1.2.
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schaft des öffentlichen Rechts noch den eines privaten Vereins für angemessen erachteten. Während Gross sich ganz allgemein für die Etablierung einer »neue[n] Rechtsfigur« 81 ausgesprochen hatte, ohne dabei genauer auf deren Charakter einzugehen, hatte Engelhardt ein »allgemeines Verbandsrecht« 82 gefordert, »das alle staatsfreien gesellschaftlichen Verbände umfaßt und den starren Dualismus von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Körperschaften durch ein offenes, an der gesellschaftlichen Bedeutung der verschiedenen Vereinigungen ausgerichtetes Verbandssystem ersetzt.« 83
Forderung 2 zur Kirchenmitgliedschaft wurde von E I übernommen, allerdings ergänzte man den Satz »Die Wirkung von Taufe oder Beitritt im innerkirchlichen Bereich bleiben hiervon unberührt.« Diese Formulierung ging mit großer Wahrscheinlichkeit auf Funcke zurück, die in ihrem Beitrag in der Reihe Bonn aktuell die »selbständige Regelung des Kircheneintritts (Taufe)« 84 als unverzichtbaren Bestandteil der Eigenständigkeit der Kirche betont hatte. In der dritten Forderung zur Kirchensteuer strich man die Teilforderung nach Beseitigung des Kirchensteuereinzugsverfahrens und ergänzte am Ende der nunmehr singulären Forderung nach Ersetzung der Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem, dass für die Überleitung »ausreichende Fristen vorzusehen« seien. Erneut waren es Engelhardt und Gross, auf die diese Reduktion zurückgeführt werden konnte. Gross hatte darauf hingewiesen, dass die bisherige Formulierung »Kirchensteuersystem und Einzugsverfahren« 85 durcheinander bringe. Engelhardt bestätigte die Äußerung Gross’ insofern, als er in seinem Änderungsvorschlag beide Forderungen alternativ im Sinne eines Entweder-Oder aufführte.86 Forderung 4 wurde dahingehend ergänzt, dass man als Begründung dafür, dass Staatsverträge und Konkordate kein geeignetes Mittel seien, um die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu regeln, auf den »Sonderrechtscharakter« der Kirchen verwies. Des weiteren ergänzte man, dass Inhalte und Gegenstände bestehender Verträge »durch Gesetz oder, soweit erforderlich, durch Einzelvereinbarungen zu regeln« seien. Forderung 5 zur Über81
Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275. Schreiben Engelhardt an Hertel vom 12. 6. 1973; AdL 9218. 83 Ebd. 84 Funcke/Heyl/Niemeier, Kirche in Staat und Gesellschaft, 23. 85 Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275. Sein Formulierungsvorschlag lautete: »Das Kirchensteuersystem ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem, das staatliche Kirchensteuereinzugsverfahren durch ein kircheneigenes Beitragserhebungssystem zu ersetzen« (ebd.). 86 »Entweder: Die Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Oder: Der Kirchensteuereinzug durch staatliche Behörden wird beseitigt« (Schreiben Engelhardt an Hertel vom 12. 6. 1973; AdL 9218). 82
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prüfung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen wurde so übernommen; Forderung 6 zu den Staatsleistungen an die Kirchen mit dem Zusatz »Steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile der Kirchen und Religionsgesellschaften sind aufzuheben (z. B. bei Grundsteuern, Grunderwerbsteuern, Verwaltungsgebühren, Verwaltungsgerichtsgebühren)« versehen. Die Forderungen 7 (Kirchenverträge und Konkordate), 8 (Staatsleistungen an die Kirchen) und 9 (Trägerschaft sozialer Aufgaben) wurden wörtlich übernommen, in Forderung 10 zur religiös und weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule ersetzte man die Formulierung »in allen Bundesländern und Landesteilen« (E I10) durch »im gesamten Bundesgebiet.« Forderung 11 zum Religionsunterricht wurde kürzer formuliert, indem die anfängliche Bezugnahme auf Artikel 7 GG, und der letzte Satz, der die Gewährleistung zur religiösen Unterweisung durch private Träger beinhaltete, gestrichen wurden.87 Ergänzt wurde die Forderung durch den Zusatz, dass allen gesellschaftlichen Gruppen »die Möglichkeit, in Schulräumen Unterricht anzubieten« zu eröffnen sei.88 Die Forderung 12 zu den Theologischen Fakultäten, die in E I aufgrund von Nichtbehandlung im Wortlaut des AP wiedergegeben worden war, wurde in der Sitzung eingehend behandelt, jedoch konnte man sich nicht auf eine allgemein konsensfähige Formulierung einigen. Stattdessen artikulierte man fünf Vorschläge, wie eine Forderung bezüglich der Theologischen Fakultäten aussehen könnte. Die Vorschläge beinhalteten dabei in unterschiedlicher Gewichtung und mit der ein oder anderen Ergänzung die drei wesentlichen Aspekte: 1. Umwandlung/Ausgliederung der Theologischen Fakultäten in religionswissenschaftliche Abteilungen bzw. Ausbildungsstätten; 2. Auf hebung der rechtlichen Bindung der Theologischen Fakultäten an die Kirchen/Religionsgesellschaften; 3. Übergabe der Verantwortung für Ausbildung von Theologen 87
Gross hatte in seinen Vorschlägen zum Kirchenpapier darauf hingewiesen, dass wenn These 10 zum Zuge käme, die Forderung nach der Beseitigung des Religionsunterrichts als Lehrfach entfalle. Er verwies in diesem Kontext auf Art. 7 Abs. 3 GG, in dem es hieß »der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.« Er hatte daher vorgeschlagen, aufgrund dieser Tatsache im Anschluss an These 10 den Satz anzufügen, dass »gegebenenfalls [. . .] der Zugang zur religiösen Unterweisung durch Kirchen und Religionsgemeinschaften [. . .] zu gewährleisten« sei. Damit, so Gross, sei im Grunde das Gleiche, »wenn auch wesentlich weniger aggressiv« gesagt (Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275). 88 Die Herkunft jener Ergänzung ist nicht eindeutig zu ermitteln, jedoch sei darauf hingewiesen, dass ein ähnlicher Passus im Staatskirchenvertrag vom 15. 11. 1924 zwischen dem Bayrischen Staat und der Pfälzischen Landeskirche zu fi nden ist, wo es im Art. 5 heißt: »Sollte der Bayerische Staat in etlichen Volksschulen rechtlich nicht in der Lage sein, dem Religionsunterrichte den Charakter eines ordentlichen Lehrfaches zu erteilen, so wird wenigstens die Erteilung eines privaten Religionsunterrichtes durch die Bereitstellung der Schulräume sowie durch deren Beheizung und Beleuchtung aus gemeindlichen oder staatlichen Mitteln sichergestellt« (Kirche und Staat, 101).
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und anderen im Kirchendienst stehenden Personen an die Kirchen. Gross’ Position hatte sich somit nicht durchsetzen können. Er hatte sich im Vorfeld deutlich gegen die Aufnahme dieser Forderung ausgesprochen, da er in ihr einen Widerspruch zu dem »erst in den letzten Jahrzehnten errungenen Fortschritt, daß die katholischen Fakultäten aus dem Dunstkreis der philosophisch-theologischen Hochschulen und die evangelischen Fakultäten aus dem Bereich der kirchlichen Hochschulen herausgewachsen sind« 89
sah. Der Vorteil, so Gross, läge gerade darin, dass sie »nicht nur stärker der allgemeinen staatlichen Kontrolle unterliegen, sondern auch in einer engeren Beziehung zu anderen Fakultäten stehen.«90 Auch Funcke befürwortete während des gesamten Diskussionsprozesses stets die Beibehaltung der jetzigen Handhabung.91 Es ist somit anzunehmen, dass auch insbesondere aufgrund der starken Präsenz der Jungdemokraten an dieser Stelle keine Einigung erzielt werden konnte. Auf der Landesratssitzung der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten am 5./6. 5. 1973 war diese Forderung bereits kontrovers diskutiert worden, und die Vehemenz des jungdemokratischen Engagements dahingehend zeigte sich nicht zuletzt auf dem Bundesparteitag der FDP in Hamburg im Oktober 1974, wo die Forderung, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Bestandteil des Kirchenpapiers war, fast wieder durch einen Antrag der Jungdemokraten ihren Eingang in jenes gefunden hätte.92 In Forderung 13 wurde die Streichung der Seelsorge begrenzt auf die Bereiche Militär und Strafvollzug. Ergänzt wurde sie durch den Zusatz, »[d]ie Möglichkeit religiöser Betreuung durch kirchliche und bezahlte Seelsorger ist sicherzustellen.« Es ist anzunehmen, dass dieser Zusatz auf von Mutius als ehemaligen Militärbischof zurückging. Forderung 14 wurde so übernommen, Forderung 15 ebenfalls weitgehend, allerdings wurde der Begriff der »Repräsentation der Kirchen« (E I15) durch den der »Vertretung« ersetzt. Des Weiteren ergänzte man den Passus, diese Vertretung müsse »innerverbandlich demokratisch bestimmt sein.« Außerdem forderte man entsprechende Bedingungen »für die Vertretung anderer gesellschaftlicher Gruppen.« Insbesondere letztgenannter Aspekt konnte erneut dem Einfluss Gross’ zugeschrieben werden. Auch hatte dieser den Begriff der Vertretung in seinem Vorschlag zur Forderung 15 verwendet.93 Gross hatte in der Be89
Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275. Ebd. 91 »Die Theologie als Wissenschaft gehört in den Dialog dieser Welt. Deshalb sollten die theologischen Fakultäten Bestandteil der öffentlichen Universitäten sein, was nicht ausschließt, daß die Kirchen auch eigene kirchliche Hochschulen errichten und unterhalten können, wenn sie es wünschen« (Funcke/Heyl/Niemeier, Kirche, 29). 92 Siehe Abschnitt 4. 93 »In öffentlichen Entscheidungen oder Beratungsgremien (Rundfunkräte, Wohl90
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gründung zu seiner Formulierung darauf hingewiesen, dass aus der bisherigen Formulierung nicht deutlich genug hervorginge, dass man lediglich die alleinige Vertretung der gesellschaftlichen Gruppen durch die Kirche mit dieser Forderung unterbinden wollte. Forderung 16 wurde mit einer Ergänzung des Absatzes, der Vorrang der freien Träger (Subsidiarität) sei abzuschaffen, durch den Satz »[d]as Recht, der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, bleibt unberührt« übernommen.94 In Forderung 17 wurden, deutlicher als in E I17, die Kompetenzen des Staates beschnitten, insofern man nun die Aufgabe »seine[r] institutionellen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« forderte. Diese Grundaussage wurde durch die vier Unterpunkte 1. Beseitigung der Einflussnahme des Staates auf die Besetzung kirchlicher Ämter 2. Abschaffung der bischöfl ichen Treueide auf die Verfassung, 3. Aufgabe bei der Mitbestimmung der regionalen Gliederung der Kirchen und 4. Beseitigung der staatlichen Kontrolle kirchlicher Finanzen soweit nicht im neuen Verbandsrecht so vorgesehen expliziert. Die Neuformulierung am Anfang sowie die Unterpunkte 1 und 2 rekurrierten dabei, mit einigen Kürzungen versehen, auf den Präzisierungsantrag Schroers und Hertels.95 Ihrer Forderung, diese These 17 an den Anfang des Katalogs zu setzen, kam man nicht nach. 1.4. Diskussion um eine Präambel An der dritten Sitzung der Kirchenkommission am 6. 7. 1973 nahmen nur sieben der 27 Mitglieder teil, namentlich Hanns Engelhardt, Rolf Schroers, Liselotte Funcke, Ingrid Matthäus, Dieter Siekmann, Klaus Scholder und Wolfgang Eichler – die beiden letztgenannten zum ersten Mal.96 In dieser fahrtsausschüsse etc.), die die Vielfalt der pluralistischen Gesellschaft darstellen sollen, sollen die Kirchen neben den anderen Gruppen vertreten sein. Eine alleinige Vertretung der gesellschaftlichen Gruppen durch Kirchen wird abgelehnt« (Schreiben Gross an Funcke vom 20. 6. 1973; AdL N 86-275). 94 Möglicherweise rekurrierte man an dieser Stelle auf den Entwurf Julings, der in seinem Gegenentwurf betont hatte, dass man »im Interesse der Gesellschaft nicht auf die Tätigkeit freier und konfessioneller Einrichtungen« verzichten dürfe (AdL 3325). Auch Ronneburger, klarer Gegner der Abschaffung des Subsidiaritätsprinzips, hatte betont, dass es für das »unentbehrliche Engagement christlicher Nächstenliebe« kein staatliches Äquivalent geben könne (Art. »Ronneburger hält die Änderung der Kirchenthesen für notwendig. FDP-Arbeitspapier enthält jedoch keine kirchenfeindlichen Tendenzen«, in: Lübecker Nachrichten vom 14. 9. 1973). 95 Den letzten Aspekt dieses Antrags griff man jedoch nicht auf. Hier hatten Hertel und Schroers unter Verweis auf das gleiche Recht für alle Bürger die Beseitigung des Verbots »der Tätigkeit katholischer Geistlicher als Schöffen, Geschworene und Parlamentarier« gefordert (Schroers/Hertel, Forderungen der F.D.P.; AdL 9248). 96 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 6. 7. 1973; AdL 3320. Krüger hatte sich schriftlich bei Funcke von der Sitzung abgemeldet und sein Bedauern darüber ausgedrückt, da ihn »ge-
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Sitzung, die fünfeinhalb Stunden dauerte, kam man nach einer erneuten Überarbeitung der Forderungen zu einem relativen Abschluss ihrer Behandlung. Dabei kürzte man ihre Anzahl durch Zusammenfassung einiger Forderungen von 17 auf 14.97 Die Forderung, die die Theologischen Fakultäten betraf, wurde dabei laut Protokoll am intensivsten diskutiert und die Diskussion schließlich mit einer Abstimmung beendet.98 Schwerpunktthema der Sitzung war die Auseinandersetzung mit der Präambel, wobei man zunächst nur eine Generaldebatte führte. Funcke wurde als Kommissionsvorsitzende gebeten, »aus den vorliegenden Entwürfen und einer eventuellen Stellungnahme von Scholder einen Entwurf zu erarbeiten.«99 Mit vorliegenden Entwürfen war der Präambelentwurf von Hertz gemeint, ebenso wie die dazu verfassten Ergänzungen von Schroers und Hertel. 1.4.1. Hertz-Entwurf ( Juni 1973) 100 Die von Hertz verfasste Präambel umfasste neun Absätze und war in etwa gleichlang wie die des Antrags 58 der Jungdemokraten. Der erste Absatz wurde in Anlehnung an diesen Antrag eingeleitet mit der Formulierung, liberale Politik bemühe sich »um die Verwirklichung des in der jeweiligen geschichtlichen Situation möglichen Maßes an Freiheit für die größtmögliche Zahl.« Daraus folge eine erste Grundvoraussetzung, die darin bestehe, dass alle Bürger »im Bereich der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltung« gleichberechtigt behandelt werden müssten. Liberale Politik habe daher »gegen alle Sonderrechte für Gruppen innerhalb des Staates« einzutreten, wenn diese »Vorrechte oder rechtliche Benachteiligungen für rade dieses Thema besonders interessiert« (Schreiben Krüger an Funcke vom 29. 6. 1973; AdL 9218). Ebenso musste Hertel kurzfristig seine Teilnahme an der Sitzung absagen (vgl. Schreiben Hertel an Funcke vom 4. 7. 1973; ebd.). 97 Die aktualisierte Fassung der Forderungen wird im Kontext des gesamten endgültigen Entwurfs des Kirchenpapiers (E III) dargestellt (siehe Abschnitt 1.5.). 98 »[. . .] bei der Frage der Universitäten ergaben sich ein Mehrheits- und Minderheitsvotum, eine Ablehnung und eine Enthaltung« (Protokoll der Sitzung vom 6. 7. 1973; AdL 3320). Dass die Diskussion über die Thesen weitgehend abgeschlossen war, belegt ebenfalls die Tatsache, dass Funcke in der Bundesvorstandssitzung, die am 9. 7. 1973 tagte, von der Arbeit der Kirchenkommission berichtete, »[. . .] daß das Papier der Arbeitsgruppe zu Kirche und Staat bis auf die Präambel fertig gestellt ist« (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 9. 7. 1973; AdL 171). 99 Protokoll der Sitzung vom 6. 7. 1973; AdL 3320. Scholder verfasste eine Stellungnahme zum Kirchenpapier, die jedoch auf den 17. 8. 1973 datiert war und somit nicht mehr in die von Funcke zu verfassenden Entwurf aufgenommen wurde. Die Stellungnahme Scholders war zunächst identisch mit seinem in liberal 1973 veröffentlichten Aufsatz und ging an einigen Stellen darüber hinaus (vgl. Scholder, Bedenken). 100 Vgl. Präambel-Entwurf Hertz; AdL 3325. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Die Ausführlichkeit der Darstellung rechtfertigt sich durch die Tatsache, dass sowohl Funcke als auch Matthäus in ihren Präambelentwürfen darauf Bezug nahmen.
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Mitglieder oder Nichtmitglieder« dieser Gruppen bewirkten. Diese grundsätzliche Aussage beziehe sich somit auch auf die christlichen Kirchen, sofern diese »Privilegien im Bereich des öffentlichen und privaten Rechts« besitzen, oder durch Gesetzesbeschlüsse bzw. Rechtsvorschriften in ihrer freien Entfaltung behindert werden. Absatz zwei konstatierte, dass sich liberale Politik stets zur »Trennung von Staat und Kirche« bekannt habe. Zur Erläuterung wurde auf die »Vergangenheit« verwiesen, wo sich »der absolutistische Staat der christlichen Kirchen« bedient habe, »um die Durchsetzung der Menschenrechte im Bereich der staatlichen Institutionen zu verhindern.« Den Kirchen seien damals ihre Privilegien belassen worden für den Fall, dass sie mit staatlichen Interessen überstimmten. Absatz drei verwies darauf, dass sich mit der Ersetzung des »absolutistischen Staates« durch den »freiheitlich demokratischen Rechtsstaat« die Situation grundlegend verändert habe. Die Beseitigung von Vorrechten und die Auf hebung der rechtlichen Diskriminierung bestimmter Gruppen und Klassen als auch die Tatsache, dass kirchliche Kreise erkannt hätten, dass es »falsch war und ist, christliche Verhaltensnormen auf dem Wege über die staatliche Gesetzgebung« für eine Gesellschaft verpfl ichtend zu machen bzw. eingesehen hätten, dass es »für die Verkündigung der christlichen Botschaft im Bereich der Gesellschaft keiner staatlichen Sonderrechte bedürfe«, müssten als einschneidende Konsequenzen daraus anerkannt werden.101 In Absatz vier wurde in einem ersten Satz die Aktualität der Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche expliziert, indem zunächst eine »antikirchlich[e] oder antichristlich[e] Einstellung« negiert und weiterhin das Bestreben artikuliert wurde, für jedermann im Staat den Raum an Freiheit zu sichern, den zu gewährleisten ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat verpfl ichtet ist. Als Folge für den Staat ergebe sich daraus ein Handeln, das »weltanschaulich neutral« zu sein habe, und somit christliche Kirchen »weder diskriminieren noch privilegieren« dürfe, denn »eine Diskriminierung würde dabei die Bürger benachteiligen, die Mitglieder einer christli101
Schroers und Hertel hatten bei ihren Ergänzungsvorschlägen zur Hertz-Präambel an dieser Stelle einen Passus einfügen wollen, der die Verbindung von Staat und Gesellschaft stärker hervorheben sollte. In diesem Kontext hatten sie betont, gesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände seien »im Bereich des Öffentlichen, im Vorhof verfasster Staatlichkeit angesiedelt.« Da auch die Kirchen in diesem Sinne »Gruppen neben anderen sozialen Verbänden« seien, widerspreche eine Gleichordnung von Staat und Kirche dem »Charakter der Gesellschaft als einer pluralistisch-demokratisch verfaßten Gesellschaft«. Die Trennung von Staat und Kirche beziehe sich somit auf eine »sachliche und organisatorische Unabhängigkeit« (hier griffen Schroers und Hertel die Formulierung der »Nürnberger Wahlplattform« auf ), nicht jedoch wolle man dadurch den gesellschaftlichen Freiraum der Kirchenmitglieder einschränken (Schroers/ Hertel, Ergänzungsvorschlag Präambel-Entwurf Hertz; AdL 9248).
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chen Kirche sind, eine Privilegierung jene, die anderen weltanschaulichen oder religiösen Gruppen angehören.« Ohne Belang sei bei diesen Bestimmungen, wie groß die jeweilige Mitgliederzahl dieser Gruppen dabei sei. Absatz fünf benannte die Konsequenzen, die sich aus dem Grundsatz liberaler Politik, »für alle Bürger im Staat ein größtmögliches Maß an Freiheit zu verwirklichen«, ergeben. Jene Konsequenzen beziehen sich somit auf die Gesetze, die »Ausdruck christlicher Weltanschauung oder eines theologisch interpretierten Naturrechts« seien, da die Gesetzgebung des Staates als Rechtsstaat sich darauf zu beschränken habe, die »Friedensordnung unter den Bürgern zu schützen und die Bürger vor Schaden oder Benachteiligung zu bewahren.« Absatz sechs nannte die Konsequenzen jenes Umstandes, dass der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat zugleich sozialer Rechtsstaat sei, der den Bürgern im Bereich der Daseinsfürsorge verpfl ichtet sei. Die Gewährleistung der medizinischen und sozialen Versorgung als öffentliche Aufgaben des Staates habe für kirchliche Einrichtungen zur Folge, dass sie »nicht an die Stelle der staatlichen Institutionen« treten dürfen, da auf diese Weise der einzelne Bürger in Ernstfall nicht umhin käme, »kirchliche Institutionen in Anspruch zu nehmen«, auch wenn er dies nicht wünsche. Nur für den Fall, dass der Staat nicht in der Lage sein sollte, diese Aufgaben zu erfüllen (bspw. in bestimmten Kommunen oder Regionen), sei eine Delegierung an kirchliche Einrichtungen legitim. Absatz sieben formulierte ähnliches für den Bereich der Ausbildung, indem hier die weltanschaulich neutrale Regelschule als staatliche Schule eingefordert wurde. Auch hier folgte im Anschluss an die Forderung die Explikation der Konsequenz einer Nicht-Gewährleistung dieser Schulform, dahingehend, dass der »nichtchristliche oder weltanschaulich anders orientierte Bürger [. . .] in seiner Freiheit beeinträchtigt wäre«, wenn er seine Kinder in eine christliche Gemeinschaftsschule schicken müsste. Absatz acht konstatierte, dass ein Abbau kirchlicher Vorrechte in den eben erwähnten Bereichen der Gesetzgebung und öffentlichen Aufgaben keinesfalls die Freiheiten einschränken möchte, die Kirchen im gesellschaftlichen Bereich besitzen, »angefangen von der ungehinderten Verkündigung der christlichen Botschaft bis zur Errichtung kirchlicher Pflege- und Ausbildungsstätten.« Eine Einschränkung in dieser Hinsicht würde gleichsam gegen die Grundsätze einer liberalen Politik verstoßen, wenn verhindert würde, dass Mitglieder christlicher Kirchen ihr Verhalten »entsprechend ihrer Gewissenentscheidung« gestalteten. Es ginge somit einzig und allein darum, »daß sich eine freie Kirche in einem freien Staat entfalten und verwirklichen«102
102
Hervorhebung T. M. E.
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könne. Ein kurzer und zu den Forderungen überleitender neunter Abschnitt forderte dazu auf, die Forderungen »[i]n diesem Sinne« zu verstehen.103 1.4.2. Funcke-Entwurf ( Juli 1973) 104 Eine genaue Betrachtung der Formulierungen des Entwurfes verweist auf die erstaunliche Tatsache, dass Funcke große Teile des Entwurfs von Hertz übernahm. Die Ergänzungen, die Schroers und Hertel zum Entwurf Hertz formuliert hatten, fanden dabei keine Aufnahme. Die Präambel bestand ebenfalls aus neun Absätzen, war aber insgesamt kürzer als die Hertz-Präambel und somit auch als die des Ausgangspapiers. Der erste Absatz nannte als Leistung des Liberalismus, »das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit und den Schutz und das Recht der freien Religionsausübung erstritten« zu haben. Als Konsequenz daraus ergebe sich zum einen die Verteidigung dieses Rechtes denen gegenüber, »die die Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften in ihrem Bestand und ihrer Wirksamkeit beschränken wollen« als auch gegenüber denen, »die mit einer Staatsideologie die Religion zu verdrängen oder ins G[h]etto zu verweisen suchen.«105
Im zweiten Absatz wurde als Voraussetzung, diese Glaubens- und Gewissensfreiheit zu verwirklichen, die »Gleichbehandlung aller Bürger im Bereich von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung«106 proklamiert, wobei die Zugehörigkeit zu einer Religions- oder weltanschaulichen Gemeinschaft »keine Vorteile oder Nachteile für die jeweiligen Mitglieder«
103
Auch hier hatten Schroers und Hertel eine Ergänzung dahingehend vorgeschlagen, jene »Schwierigkeiten in Rechnung zu stellen, die sich durch die Reform des historisch gewachsenen Staat-Kirche-Verhältnisses für die Kirche ergeben.« Sie schlugen in diesem Zusammenhang eine »schrittweise Senkung der staatlich eingezogenen Kirchensteuer« zur Vorbereitung auf die endgültige Abschaffung des Staatsinkassos sowie die Aufrechterhaltung des Körperschaftsstatus für die Kirchen, bis »eine ausreichende Weiterentwicklung des Verbandsrechts gesichert ist« vor (ebd.). 104 Vgl. Präambel-Entwurf Funcke vom 30. 7. 1973; ebd. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Verweise auf Hertz beziehen sich auf den vorherigen Abschnitt 1.4.1. 105 Dieser Abschnitt konnte als indirekte Kritik an der Intention des Jungdemokratenpapiers betrachtet werden. »[D]ie Kirche ins Ghetto verweisen bzw. verdrängen« war im Kontext der Diskussion des Verhältnisses von Staat und Kirche eine häufi g verwendete Formulierung. Bereits in ihrem Vortrag am 30. 9. 1972 in der THA hatte Funcke betont, »[d]ie Vorstellung, die Kirchen in eine Art Getto zu verweisen [. . .] [sei] lediglich ein Denkmodell« das es »gerade in einem liberalen Staat nicht geben [könnte]« (Funcke, Das politische Engagement der Kirchen, in: epd Dok. 9/1973, 41. Siehe Kap. I.3.3.1.). Der Regensburger Dekan Burckstümmer hatte in Reaktion auf die BDK der DJD deren Forderungen als eben solchen Versuch, die Kirchen ins Ghetto zu drängen, bezeichnet (siehe Kap. II.4.3.2.), und auch der Rat der EKD vertrat noch im September 1974 diese Meinung, wobei er sich hier jedoch auf das FDP-Kirchenpapier bezog (siehe Kap. IV.1.). 106 Diese Formulierung lehnte sich an die Hertz-Präambel an.
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bringen dürfe und »Vorrechte und Vergünstigungen an Kirchen und andere Gemeinschaften nicht einseitig gewährt werden dürfen.« Der dritte Absatz wurde weitgehend aus der Hertz-Präambel (Abs. 2) übernommen. Dabei wurde die liberale Forderung, Staat und Kirche zu trennen, ergänzt durch das Eintreten auch für eine »gegenseitige Unabhängigkeit« von Staat und Kirche. Auch der vierte Absatz orientierte sich in weiten Teilen am Präambelentwurf Hertz’ (Abs. 3). Ein Unterschied bestand zunächst in dem ergänzenden Hinweis, dass den beiden Kirchen ein partielle Mitwirkung an der Entwicklung des Staates von einem absolutistischen Staat hin zu einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zugesprochen wurde. Eine weitere Ergänzung erfolgte am Ende des Absatzes, wo kritisch Bezug genommen wurde auf die Zeit des Nationalsozialismus, aus der man gelernt habe, dass die Kirchen »die Unabhängigkeit haben müssen, zum Handeln des Staates auch kritisch Stellung nehmen zu können.« Der kurze Absatz fünf zur Begründung jenes Bekenntnisses liberaler Politik zur Trennung von Staat und Kirche bestand in einem wörtlichen Zitat aus der Hertz-Präambel (erster Satz des 4. Abs.), insofern eine antikirchliche oder antichristliche Einstellung negiert und die Verpfl ichtung, für eine Sicherung des Freiheitsraumes der Bürger einzustehen, als wesentliches Anliegen artikuliert wurde. Absatz sechs lehnte sich ebenfalls weitgehend an die Hertz-Präambel (Abs. 5) an. Am Ende wurde als weiteres Aufgabenfeld eine liberale Politik im oben beschriebenen Sinne die Vermischung von Staatsaufgaben und Seelsorge sowie anderweitige »Vorrechte der christlichen Kirchen« genannt. Der siebte Absatz übernahm zunächst die Hertz-Präambel (Abs. 6) bis einschließlich zu dem Punkt, wo der Bereich der Daseinsvorsorge als staatliche Verpfl ichtung den Bürgern gegenüber konstatiert wurde. Im Funcke-Entwurf nicht enthalten war die Aussage, dass die medizinische und soziale Versorgung öffentliche Aufgaben seien. Weiterhin wurde die apodiktische Forderung, kirchliche Institutionen dürften »nicht an die Stelle der staatlichen Institutionen treten« ein Stück weit ergänzt und relativiert durch die Formulierung, »kirchliche Institutionen und solche anderer freier Träger« dürften »nicht völlig an die Stelle der staatlichen Institutionen treten.«107
Ebenfalls über Hertz hinausgehend konstatierte der Absatz am Ende, dass »ein Staatsmonopol« in diesen Bereichen »nicht allen Notwendigkeiten« gerecht werden könne. Zu sichern sei daher »die gleichberechtigte, jedoch nicht bevorzugte Wirksamkeit freier Träger« in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. 107
Hervorhebung T. E. Auf die Bedeutung dieser beiden kursivierten Einfügungen wird noch einzugehen sein.
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In Anlehnung an die Hertz-Präambel (Abs. 7) forderte der kurze Absatz acht gleiches für die Ausbildung, insofern »die staatliche Regelschule weltanschaulich neutral sein« müsse. Ergänzend konstatiert ein Einschub, dass das Recht zur Errichtung privater Schulen dabei weiter unangetastet bleiben müsse. Die Überleitung zur Darstellung der Forderungen bestand in einem kurzen resümierenden neunten Absatz, der diese Forderungen als »Zielsetzungen, deren Verwirklichung verständige Übergänge und angemessene Zeitspannen erfordert« beschrieb und darauf verwies, dass diese Verwirklichung Gespräche mit den Kirchen voraussetze, zu denen sich die FDP nachdrücklich bekenne. 1.4.3. Matthäus-Entwurf (August 1973) 108 In Vorbereitung auf die letzte Kirchenkommissionssitzung, die fast ausschließlich der Beratung über die Präambel dienen sollte, hatte auch Matthäus einen ebenfalls neun Absätze umfassenden Präambelentwurf verfasst. Eine genaue Betrachtung dieses Entwurfs lässt erkennen, dass ihr die beiden dargestellten Präambelentwürfe vorlagen, insofern sie an unterschiedlichen Stellen auf sie verwies. Weiterhin zeigten sich in ihrem Entwurf Parallelen zum Antrag 58 der Jungdemokraten bzw. zu jungdemokratischem Gedankengut allgemein. So begann der erste Absatz mit dem ersten Satz jenes Antrags 58, insofern er als Ziel liberaler Politik »die Sicherung und Erweiterung der Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen« formulierte und darunter in Anlehnung an die Funcke-Präambel (Abs. 1) die vom Liberalismus erstrittene »Glaubens- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie das Recht auf freie Religionsausübung« subsumierte. Unter Verweis auf Artikel 4 des Grundgesetzes, in dem »stärker als je zuvor in der deutschen Geschichte« diese Teilaspekte der Freiheit als geltendes Recht garantiert seien, konstatierte der letzte Satz des Absatzes, dass es für Liberale selbstverständlich sei, »die weltanschaulich-religiöse Überzeugung von Einzelnen und Gruppen zu achten sowie die Freiheit auch der Lebensgestaltung nach dieser Überzeugung zu sichern«, letzteres erneut ein Zitat aus dem Antrag 58.109 Es folgte ein längerer zweiter Absatz, der bis zu dem Punkt mit der Funcke-Präambel (Abs. 2) übereinstimmte, wo ausgesagt wurde, dass die »Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft keine Vorteile oder Nachteile für die jeweiligen Mitglieder« bringen dürfe. Im Folgenden wurde das Erreichen dieser Gleichbehandlung an das weltan108 Vgl. Präambel-Entwurf Matthäus vom 2. 8. 1973; AdL 9248. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Verweise auf Hertz und Funcke beziehen sich auf die vorherigen Abschnitte 1.4.1. und 1.4.2. 109 Siehe Kap. II.2.4.1.
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schaulich-religiös neutrale Verhalten des Staates geknüpft, insofern dieser weder »durch staatlich gewährte Vorrechte oder Vergünstigungen noch durch staatliche Eingriffe Einzelnen oder Gruppen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung eine Sonderstellung« verschaffen dürfe. Dies gelte sowohl für die beiden Großkirchen als auch für andere gesellschaftliche Gruppen. Der folgende Absatz zitierte den vierten Absatz der Hertz-Präambel ab da, wo dieser die Diskriminierung bzw. Privilegierung der christlichen Kirchen expliziert hatte. Der dritte Absatz folgte der Funcke-Präambel (Abs. 3) bis zu der Stelle, wo man im Blick auf die Vergangenheit berichtete, dass den Kirchen ihre Privilegien belassen worden seien, solange diese mit den staatlichen Interessen übereingestimmt hätten. Ergänzt wurde der Absatz mit dem Hinweis, dass sich liberale Politik auch heute noch für die Trennung und gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat einsetze, da »das liberale Prinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates« noch nicht verwirklicht sei. Der vierte Absatz konstatierte die Auflösung der »organisatorisch-rechtlichen Verknüpfungen« als einzig und alleine diesem Ziel dienend. Dass dadurch keineswegs die Freiheiten der christlichen Kirchen eingeschränkt werden sollten, darauf verwies die der Hertz-Präambel (Abs. 8) entnommene Explikation jener Freiheiten der Kirchen, »angefangen von der ungehinderten Verkündigung der christlichen Botschaft bis zur Errichtung kirchlicher Pflege- und Ausbildungsstätten« Die Hinweise auf den Körperschaftsstatus der Kirchen sowie den staatlichen Kirchensteuereinzug am Ende dieses Abschnitts dienten der Veranschaulichung jener Verquickung von staatlicher und religiöser Autorität, der man begegnen wollte.110 Absatz fünf übernahm wörtlich die Funcke-Präambel (Abs. 5), lediglich am Ende erfolgte eine Ergänzung dahingehend, dass »[d]iese Verpfl ichtung«, den Freiheitsraum für alle Bürger zu sichern, »von je her zu den wichtigsten Aufgaben der F.D.P.« gehört habe. Absatz sechs folgte ebenfalls der Funcke-Präambel (Abs. 6). Absatz sieben lehnte sich weitgehend an die Fassung der Hertz-Präambel (Abs. 6) an. Ergänzt wurde, in Anlehnung an die entsprechende Forderung zur Trägerschaft sozialer Aufgaben, der Bereich der Bildung als weitere öffentliche 110 Im Antrag 58 hatte man, in Übernahme des Beschlusses der BDK, den staatlichen Kirchensteuereinzug als ein Beispiel jenes »Mißbrauch[s] der weltlichen Macht zur Durchsetzung von kirchlichen Angelegenheiten« aufgeführt (siehe Kap. II.3.4.1. bzw. Kap. II.3.2.2.). Der Hinweis auf den Körperschaftsstatus in der Matthäus-Präambel konnte man als Kritik an der Veränderung, die diese Forderung im Kontext der Diskussion des Forderungenkatalogs durch die Kirchenkommission erfahren hatte, verstehen. Darauf verweist auch die Tatsache, dass die DJD in ihrer Dokumentation zur Trennung von Kirche und Staat diese Forderung in der Fassung des Beschlusses der BDK beibehalten hatten (siehe dazu Kap. II.5.).
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Aufgabe des Staates. Auch wurde, in Anlehnung an die Funcke-Präambel, die Ausweitung »und solcher anderer freier Träger« übernommen. Der Rest folgte der Hertz-Präambel. Lediglich der letzte Satz unterschied sich davon, insofern hier konstatiert wurde, »[d]ie öffentliche Hand [müsse] daher eine hinreichende Anzahl entsprechender Einrichtungen bereitstellen, die weltanschaulich neutral und für jedermann zugänglich« seien. Hier übernahm Matthäus die entsprechende Formulierung aus dem Forderungenkatalog. Im folgenden achten Absatz schlossen sich Bemerkungen über die Verwirklichungsmöglichkeiten der Forderungen an, von denen manche »teilweise sofort verwirklicht werden; andere [. . .] der Verfassungsänderung« bedürfen und somit »auf einen längeren Zeitraum« hin angelegt seien. In Anlehnung an den Funcke-Entwurf (Abs. 9) wurde die Bereitschaft der FDP, mit »Kirchen und anderen Gruppen über diese Forderungen« zu sprechen, betont, deren Erfolg dabei an die Bedingung geknüpft wurde, dass auch die Kirchen selbst »sich aktiv an einer sachlichen Diskussion und Verwirklichung« beteiligten und sich nicht in eine Situation bringen sollten, die »auf Dauer juristisch, politisch wie auch innerkirchlich nicht haltbar« sei. Der letzte Satz dieses Absatzes erinnerte erneut an den Antrag 58, insofern darauf hingewiesen wurde, dass sich die FDP darin »mit Strömungen in beiden Kirchen, von denen gleiche oder ähnliche Ziele aus innerkirchlichen Gründen um der eigenen Glaubwürdigkeiten wollen angestrebt werden« einig wisse.111 Absatz neun übernahm wörtlich jenen Abschnitt der Funcke-Präambel (Abs. 4), in dem betont wurde, dass »kirchliche Kreise« erkannt hätten, »daß es nicht Aufgabe des neutralen Staates« sein könne, »christliche Verhaltensnormen durch staatliche Gesetzgebung für die Gesamtgesellschaft verpfl ichtend zu machen.« Auch der Hinweis auf die Kirchenpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus wurde dabei übernommen. Als Überleitung zu den Forderungen schloss sich als zwingende Konsequenz »der Verzicht des Staates auf noch verbliebene Einflussmöglichkeiten im innerkirchlichen Bereich« an. Ziel der Forderungen sei nun, »[i]n diesem Sinne zu einer freien Kirche in einem freien Staat« beizutragen. Diese Formulierung war der Hertz-Präambel entnommen. 1.4.4. Die Präambeln im Vergleich Ein Vergleich der Präambelentwürfe verweist auf drei unterschiedliche Ansätze einer Herangehensweise an die Thematik Staat und Kirche. Im Zen111 Im zweiten Absatz des auf der BDK beschlossenen Jungdemokratenpapiers, der so auch in den Antrag 58 des Landesvorstandes der DJD NRW übernommen wurde, hatte man die »Übereinstimmung« der F.D.P. »mit wesentlichen Teilen der progressiven Christen« betont (vgl. Antrag 58, siehe Kap. II.3.4.1. bzw. den Beschluss der BDK, Kap. II.3.2.2.).
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trum der Präambel von Hertz steht der Mensch bzw. dessen Freiheit, deren Verwirklichung Hertz in Korrelation zu einer gleichberechtigten Behandlung aller Menschen bzw. Bürger in den Bereichen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens stellt. Die Aufgabe einer Gewährleistung dieser beiden korrelierenden Prinzipien obliegt dabei dem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat. Auf diesem Hintergrund expliziert Hertz das Verhältnis dieses Staates zur Kirche als eine von vielen Gruppen innerhalb des Staates, die in diesem Sinne weder Vorrechte noch rechtliche Benachteiligung erfahren darf. So kann eine Umsetzung einer freiheitlichen und gleichberechtigten Behandlung aller Menschen in religiöser Hinsicht nur in der weltanschaulichen Neutralität des Staates reüssieren, da dadurch eine Privilegierung bzw. Diskriminierung bestimmter institutionalisierter Glaubenseinrichtungen, hier der Kirchen, vermieden wird. Die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche hat hierin ihre Berechtigung. Hertz’ Ansatz kann insofern als katholisch-liberaler Ansatz bezeichnet werden, als er Aspekte der katholischen Soziallehre mit politisch-liberalen Prämissen vereint, wodurch beide einander als Korrektiv fungieren. Die Verwurzelung in der katholischen Soziallehre zeigt sich u. a. in der zentralen Stellung des Menschen und dessen zu sichernde Freiheit und Gleichheit als »die beiden Hälften einer geordneten Gemeinschaft«112 , typisch liberal wiederum ist die kritische Distanz zu einer naturrechtlich oder christlich-weltanschaulich begründeten Gesetzgebung sowie die sich daraus ergebenen Konsequenzen für das Verhältnis von Kirche und Staat. Die Tatsache, dass Hertz die Daseinsfürsorge, die zu gewährleisten der Staat verpfl ichtet ist, als öffentliche Aufgabe bestimmt sowie die von ihm gezogene Konsequenz, dass kirchliche Institutionen nicht an die Stelle von staatlichen Institutionen treten dürfen, müssen erneut auf dem Hintergrund der Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit durch den Staat gesehen werden.113 Dass diese Aussage einerseits als Absage an das Subsidiaritätsprinzip verstanden werden kann und dabei nicht gegen die Kirchen als solche gerichtet ist, zeigt sich in der Zustimmung Hertz’ zur Delegation öffentlicher Aufgaben an die Kirchen für den Fall, wo der Staat diese nicht aus eigene Kraft gewährleisten kann. Auch hinter dieser Aussage steht das Wohl des Menschen als primäres Anliegen. Funcke wählt einen etwas anderen Ansatz, indem sie die Verteidigung und Verwirklichung des durch den Liberalismus erstrittenen Grundrechts 112
Mock, Freiheitsbegriff, 326. In seinem Mitte der 1970er Jahre verfassten Aufsatz betont Mock, dass jene Entwicklung hin zu einem sozialen Staat, der zur Gewährleistung der öffentlichen Daseinsvorsorge verpfl ichtet ist, »voll im Gange« sei, »wobei hier in der Praxis dargelegt wird, wie die Verbesserung der Chancengleichheit des einzelnen Hand in Hand geht mit der Vergrößerung seines Freiheitsraumes« (ebd.). 113
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der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der freien Religionsausübung ins Zentrum der Betrachtung stellt und auf diesem Hintergrund die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche begründet. Durch diesen Ausgangspunkt wird zum einen jene Verbindung des Liberalismus zu dem Bereich des Glaubens und der Religion hergestellt, die nach wie vor im Art. 4 des Grundgesetzes bestand hat und zugleich eine Ausweitung der Perspektive auch auf andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vollzogen, wodurch dem Vorwurf einer einseitigen Bezugnahme auf die Kirchen von vorneherein gewehrt wird. Obwohl die Präambel Funckes, wie bereits gezeigt, in weiten Teilen mit der Präambel Hertz’ geht, zeichnet sie sich insgesamt durch kirchenfreundlichere Aussagen aus, die zugleich ein Stück weit kritisch die Kompetenzen des Staates in den Blick nehmen. Deutlich wird dies in den Formulierungen zur Trägerschaft sozialer Aufgaben, die Funcke, im Unterschied zu Hertz, nicht dezidiert als öffentliche Aufgaben beschreibt. Auch die Einfügung des Wortes »völlig« in die Formulierung Hertz’ sowie der Hinweis auf die Konsequenzen eines Staatsmonopolismus in diesem Bereich, müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die Forderung, die freien Träger gleichberechtigt, aber nicht bevorzugt neben den staatlichen Trägern zu verorten, verdeutlicht Funckes Kritik am Subsidiaritätsprinzip. Deutlicher als Hertz befürwortet sie dabei die Tätigkeit jener freien Träger im sozialen Bereich. Die Subsumierung der Kirchen unter diese »freien Träger« spiegelt dabei ihren offeneren Ansatz wider. Der zentrale Begriff im Präambelentwurf von Matthäus ist der der »weltanschaulich-religiösen Neutralität« des Staates, der an den Stellen auftaucht, wo Matthäus von den Präambelentwürfen Hertz’ und Funckes abweicht. Einen in diesem Sinne agierenden Staat erachtet Matthäus als Garant für die Durchsetzung der von Funcke konstatierten und von ihr aufgegriffenen Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche, die von Matthäus im Sinne einer Auflösung der existenten Verquickung religiöser und staatlicher Autorität expliziert wird, dient somit dazu, den erwünschten Status des Staates um der Freiheit und Gleichheit der Menschen willen zu etablieren. Erwecken die Aussagen Matthäus’ insgesamt den Eindruck, als gehe es primär um eine Beschneidung der Kompetenzen des Staates, insofern dieser dazu angehalten wird, seine Einflussmöglichkeiten auf den innerkirchlichen Bereich aufzugeben, so zeigt sich die von den Jungdemokraten intendierte Zurückweisung des kirchlichen Einflusses auf indirekte Weise. So unterscheidet sich Matthäus’ Argumentation zur Frage der Trägerschaft sozialer Aufgaben nochmals von der Hertz’ und Funckes, insofern sie die freien Träger in diesem Bereich nicht mehr erwähnt, sondern sich auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Anzahl entsprechender Einrichtungen, die »weltanschaulich neutral und für jedermann zugänglich sind« beschränkt.
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1.5. Ende der Beratungen Am 16. 7. 1973 hatte Funcke die Kirchenkommissionsmitglieder zur »abschließenden Beratung der Thesen Kirche und Staat, insbesondere der Präambel«114 eingeladen. Die Kirchenkommission kam darauf hin ein letztes Mal am 3./4. 8. 1973 zu einer Klausurtagung in Bonn zusammen. Die Präambelentwürfe von Liselotte Funcke und Matthäus erhielten die Kommissionsteilnehmer vermutlich erst auf der Sitzung selbst. Leider liegt auch von dieser Sitzung kein Protokoll vor, so dass nicht eindeutig ermittelt werden kann, welche Kommissionsmitglieder an dieser Sitzung teilnahmen. Jedoch können anhand eines Entwurfs von Funcke, der auf den 6. 8. 1973 datiert ist, Aussagen über die Beschlüsse der zwei Tage zuvor zu Ende gegangenen Sitzung gemacht werden. Dieser Entwurf stimmt wörtlich überein mit dem, der dem Bundesvorstand am 25. 8. 1973 zur Beratung vorgelegt wurde und kann somit als die Arbeit der Kirchenkommission abschließendes Resultat betrachtet werden. 1.5.1. Endfassung des Entwurfs (E III): »Freie Kirche im freien Staat – Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche«115 (August 1973) Der Entwurf erhielt erstmalig eine Überschrift, die mit dem Titel »Freie Kirche im freien Staat« ein Zitat des liberalen italienischen Staatsmannes Camillo Cavour aufgriff und zudem als in der Tradition des Linksliberalismus stehende kulturpolitische Äußerung verstanden werden konnte.116 Da die Präambel im Wesentlichen als eine überarbeitete Version des MatthäusPräambelentwurfes betrachtet werden kann, ist davon auszugehen, dass diese den Beratungen zugrunde gelegt wurde. Dabei wurden die ersten drei Absätze an einigen Stellen gestrafft und umformuliert, ohne dabei jedoch ihre inhaltliche Aussage zu verändern.117 114
Schreiben Funcke an Kommissionsmitglieder vom 16. 7. 1973; AdL 3320. Vgl. ebd. Der Entwurf war auf den 6. 8. 1973 datiert. Siehe auch Anhang 3. Vgl. auch Rath, Trennung, 14–18 (dort heißt es in der Überschrift: Freie Kirchen im freien Staat. Hervorhebung T. M. E.). Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angaben. Im Blick auf die Präambel wird im Folgenden lediglich auf die Veränderungen im Vergleich zum Entwurf von Matthäus [M. E.] verwiesen (die Verweise beziehen sich auf Abschnitt 1.4.3.). Die Thesen werden nochmals im Vergleich zu E II dargestellt (die Verweise beziehen sich auf Abschnitt 1.3.); ihre Behandlung war mit Ende der dritten Kirchenkommissionssitzung so gut wie abgeschlossen. 116 Hertz hatte diese Formulierung am Ende seiner Präambel eingebracht (siehe Abschnitt 1.4.1.). Auch Naumann wählte in seinem 1918 veröffentlichten Aufsatz die Überschrift »Freier Staat und freie Kirche« (siehe Kap. I.1.3.1.). Ebenso tat es Heuss in seiner Rede über das Problem von Staat und Kirche in der verfassungsgebenden Landesversammlung Baden-Württembergs (siehe Kap. I.1.4.). 117 In Absatz eins verkürzte man den ersten und den letzten Satz und ließ den letzten Satz mit »Für die F.D.P.« anstelle von »Für Liberale« beginnen. Die größte Veränderung in 115
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Absatz vier wies zwei erwähnenswerte Veränderungen gegenüber dem Matthäus-Entwurf auf. So beschränkte man sich bei der Erwähnung der Beispiele für eine »Verquickung von staatlicher und religiöse Autorität« auf die Kirchensteuer und ließ den Halbsatz zum Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts weg.118 Weiterhin ergänzte man als Ende des Absatzes vier den Passus, der auf die kirchenpolitischen Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus verwies und den Verzicht des Staates auf noch verbliebe Einflussmöglichkeiten im innerkirchlichen Bereich forderte. Dieser Abschnitt hatte im Matthäus-Entwurf im neunten Abschnitt gestanden, im Funcke-Entwurf von Ende Juli hingegen, wie hier, im vierten Absatz. Absatz fünf wurde, unter Streichung des Wortes »Verpfl ichtung« sowie unter Weglassung des letzten Satzes, so übernommen. Die Absätze sechs und sieben des Matthäus-Entwurfes fanden in der Präambel keine Erwähnung, so dass der jetzige sechste Absatz von E III weitgehend das beinhaltete, was in der Matthäus-Präambel in Absatz acht formuliert worden war.119 Hier ging es um die Verwirklichungsmöglichkeiten der Forderungen, die »verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen« bedürften. Die Aussage, dass manche Forderungen nur durch eine Verfassungsänderung umgesetzt werden könnten, wurde hier weggelassen. Absatz sieben rekurrierte auf den letzten Satz des achten Absatzes der Matthäus-Präambel, insofern man darin betonte, die FDP wisse sich »darin einig mit Christen in beiden Kirchen, die gleiche oder ähnliche Ziele um der eigenen Glaubwürdigkeit willen anstreben und darauf vertrauen, daß die Wirksamkeit der christlichen Botschaft nicht abhängig ist von staatlich gewährten Sonderrechten.« Ein letzter achter Absatz formulierte das Ziel der Forderungen, »[i]n diesem Sinne zu einer freien Kirche in einem freien Staat beizutragen« und war somit ebenfalls identisch mit dem letzten Satz der Matthäus-Präambel, der originär auf Hertz zurückging. Im zweiten Teil des Kirchenpapiers wurde der Begriff der Forderung durch den der These ersetzt.120 Jene Thesen unterschieden sich erneut in Absatz zwei bestand in der Streichung der Explikation jener Aussage, dass der Staat die Großkirchen und anderen Gruppen weder diskriminieren noch privilegieren dürfe. 118 Es ist anzunehmen, dass, im Umkehrschluss zur Aufnahme dieses Abschnitts in der Präambel von Matthäus, die hier vollzogene Herausnahme des Abschnittes zum Körperschaftsstatus ebenfalls auf die Entwicklung dieser Forderung im Kontext der Diskussion des Forderungenkatalogs zurückzuführen war. 119 Der von Hertz, Funcke und Matthäus unterschiedlich verfasste Abschnitt zur Frage Daseinsfürsorge fiel somit aus der Präambel raus, was darauf zurückzuführen war, dass diese Thematik in dem sich anschließenden Forderungenkatalog thematisiert wurde. 120 In diesem Kontext ist auf den wichtigen Hinweis Barthold Wittes im Blick auf den grundsätzlichen Duktus des Kirchenpapiers zu verweisen, das von der FDP »nicht als eherne Forderung [. . .], sondern ausdrücklich als Ausgangspunkt für Gespräche und Verhandlungen mit den Kirchen« präsentiert wurde (Witte, Freie Kirche, 210).
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einigen Punkten von E II, so zunächst hinsichtlich ihrer Nummerierung.121 Diese andere Zählweise der Thesen ergab sich zunächst aufgrund der Tatsache, dass nun als These 1 die Forderung zur Aufgabe der Einflussmöglichkeiten des Staates auf Kirchen stand (E II17), wobei der vierte Absatz zur staatlichen Kontrolle kirchlicher Finanzen weggelassen wurde. Hier war man nun doch dem Vorschlag Schroers und Hertels nachgekommen, diese These an den Anfang zu setzen. These 2 zum Körperschaftsstatus (E II1) fügte man als Begründung dafür, warum der Körperschaftsstatus für die Kirchen nicht geeignet sei, den Teilsatz, »da diese keine staatlichen Aufgaben erfüllen« an. Keine bzw. nur marginale Veränderungen erfolgten im Blick auf die Thesen 3 zur Kirchenmitgliedschaft (E II2), 4 zum Personenstandsrecht (E II7), 5 zur Kirchensteuer (E II3), 7 zu den Kirchenverträgen und Konkordaten (E II4), 8 zu den Staatsleistungen an die Kirchen (E II6) und 9 zur Trägerschaft sozialer Aufgaben (E II16). Auch die Thesen zur Überprüfung des Grundgesetzes und der Landesverfassung auf die gebotene weltanschauliche Neutralität, (E II5), zur Fortsetzung (Einleitung in E II8) der Rechtsreform, die eine verbindliche Festlegung religiöser, weltanschaulicher bzw. moralischer Vorstellung bestimmter Gruppen verhindern soll sowie zum Verzicht auf die Verwendung sakraler Formen und Symbole (E II10), wurden mit minimalen Veränderungen so übernommen, jetzt jedoch unter einer einzigen These 6 subsumiert. These 10 fasste zwei Forderungen von E II zusammen, die Einführung der religiös und weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule (E II10) sowie die Forderung zum Religionsunterricht (E II11), wobei die Forderung, Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach abzuschaffen noch ergänzt wurde durch die Übergabe dieses Unterrichts »in die unmittelbare Verantwortung der Religionsgemeinschaft«. In Anlehnung an E I ergänzte man am Ende erneut die Gewährleistung des »Recht[es], private Schulen zu errichten und zu unterhalten.« Keine Einigung hatte man nach wie vor im Blick auf die These 11 zu den Theologischen Fakultäten (E II12) erzielen können, die nunmehr drei Alternativvorschläge enthielt: a) Zusammenfassung der Theologischen Fakultäten in religionsgemeinschaftliche Fachbereiche bei gleichem Status wie alle anderen Fachbereiche; Befreiung von rechtlichen Bindungen an Religionsgesellschaften in Forschung und Lehre; Überweisung der Festlegung der Qualifi kation für Theologen und andere kirchliche Berufe an die Zuständigkeit der Kirche; b) Umwandlung der Theologischen Fakultäten in religionswissenschaftliche Abteilungen; Befreiung von rechtlichen Bindungen an 121 In der folgenden Darstellung werden die wichtigsten Veränderungen gegenüber E II dargestellt. Die Nummerierung der Forderungen von E II wird jeweils in Klammern hinter die darzustellende These gesetzt.
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Religionsgesellschaften in Forschung; Erforschung der Voraussetzungen, Inhalte und Wirkungen von Religion gemäß den Prinzipien der Freiheit von Forschung und Lehre; Möglichkeit für Kirchen, darüber hinaus Ausbildungsstätten im Auftrag der Religionsgemeinschaften zu errichten; c) Nichtbefassung. Statt einer Beseitigung der staatlichen Seelsorge (E II13) forderte These 12 ihre Übergabe »in den Auftrag der Religionsgemeinschaften.« These 13 zur Befreiung bzw. Zurückstellung Geistlicher und Theologiestudenten vom Wehrdienst (E II14) leitete die Abschaffung jenes Sonderrechts aus der Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit allen anderen Staatsbürgern im Blick auf »ihr[e] staatsbürgerlichen Rechten und Pfl ichten« ab. was These 14 zur Vertretung der Kirchen (E II15) wurde durch die Forderung ergänzt, »[d]as Darstellungsrecht der Kirchen in den öffentlichrechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten durch kircheneigene Sendungen« sei dem der anderen gesellschaftlichen Gruppen gleichzustellen. 1.5.2. Zusammenfassung Betrachtet man den Diskussionsprozess in der Kirchenkommission und ihr im Entwurf III vorliegendes Ergebnis, so sind einige bemerkenswerte Aspekte festzuhalten. Auffällig war zunächst die deutlich zweigeteilte Auseinandersetzung mit dem jungdemokratischen Antrag 58, insofern die Kirchenkommission die Beratungen der Präambel erst einmal zurückstellte und sich der Diskussion des Forderungenkatalogs widmete. Dahinter stand die grundlegende Absicht, anders als die Jungdemokraten jene Thematisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche unabhängig von ideologischen Prämissen zu behandeln, um dadurch dem Vorwurf einer dahinter stehenden antikirchlichen bzw. antireligiösen Intention zu wehren. Auch den drei Entwürfen von Hertz, Funcke und Matthäus war diese Beschränkung auf die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche gemeinsam, insofern sie, abgesehen von der Matthäus-Präambel, unabhängig vom vorliegenden Antrag 58 verfasst wurden. Auf die Unterschiedlichkeit ihrer Ansätze ist bereits verwiesen worden. In der Präambel des Entwurfs III fanden sich diese drei Ansätze wieder, insofern ihr Text auf die Matthäus-Präambel rekurrierte, die wiederum Passagen von Funcke und Hertz übernommen hatte. Dabei war festzustellen, dass sich die jungdemokratische Forderung nach einer religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates durch die Übernahme der ersten drei Absätze in der Matthäus-Präambel ein Stück weit durchsetzen konnte, in denen Matthäus an zwei Stellen Hertz und Funcke im Sinne ihres Ansatzes ergänzt hatte.122 Ebenso auf Matthäus und damit die Jungdemokraten zurückzufüh122
Die erste Ergänzung betraf den zweiten Satz des zweiten Absatzes: »Deshalb muß
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ren war die konkrete Erwähnung der Kirchensteuer im vierten Absatz sowie die am Ende des sechsten und im siebten Absatz artikulierte Aufforderung an die Kirchen, sich, auch im eigenen Interesse, dieser Auseinandersetzung zu stellen. Die Hertz-Präambel fand sich insbesondere in den Passagen wieder, in denen die Begründung der liberalen Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche mit dem Hinweis auf die zu gewährende Freiheit und Gleichheit des Menschen erfolgte und ihre Abgrenzung von einer antikirchlichen Intention expliziert wurde.123 Auch die Erwähnung der »freien Kirche im freien Staat« ging auf Hertz zurück. Durch die Funcke-Präambel und den Hinweis auf die Glaubens- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit erfolgte die allgemeine Perspektiverweiterung auch auf andere Religionsgemeinschaften. Auch der in der Präambel insgesamt zutage tretende kirchenfreundlichere Ton war auf Funcke Einfluss zurückzuführen. Die Präambel konnte somit, insbesondere durch die entsprechenden Abschnitte von Hertz und Funcke, insgesamt als Versuch betrachtet werden, dem ursprünglichen Jungdemokratenpapier seine antireligiöse und antikirchliche Ausrichtung zu nehmen. Obwohl sich gleiches Bemühen auch im Blick auf die Diskussion der nunmehr Thesen statt Forderungen gezeigt hatte, ließ sich hier nur eine begrenzt positive Umsetzung dieses Anliegens aussagen. Festzuhalten bleibt zunächst, dass die Kirchenkommission fast alle Forderungen, die im Antrag 58 aufgeführt waren, übernahm, wodurch dem Thesenkatalog zwangsläufig eine Tendenz gegen die Kirchen zu eigen war. Der Einfluss derjenigen, die dieser Tendenz wehren wollten, hatte sich nur partiell gegen den als durchaus stark zu bewertenden Einfluss der kirchenkritischen Kräfte durchsetzen können. Dennoch kann der Eindeutigkeit des Urteils, dass dem Kirchenpapier der Kommission »jede Distanzierung vom Judopapier und seinen Begründungen«124 fehle, so nicht zugestimmt werden. Hier gilt es, die Diskussionsprozesse der Thesen, die am ausführlichsten diskutiert wurden und in denen sich jene »speziell[e] ›Gemengelage‹«125 und deren Einfluss innerhalb der Kommission ausdrückte, genauer zu betrachten. Zu diesen Thesen gehörten neben der These 1 zu den Einflussmöglichkeiten des Staates auf die Kirchen insbesondere die zum Körperschaftsstatus der Staat sich weltanschaulich-neutral verhalten [. . .]«; die zweite Ergänzung erfolgte am Ende des dritten Absatzes: »Aber auch heute ist das liberale Prinzip der weltanschaulichreligiösen Neutralität des Staates in vielen Bereichen noch nicht verwirklicht.« 123 Vgl. insbesondere den letzten Abschnitt des zweiten Absatzes, den dritten Absatz mit Ausnahme des letzten Satzes, den ersten Satz des vierten Absatzes sowie den fünften Absatz. 124 Seeber, Gesellschaft, 556. 125 Ebd.
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(2), zur Kirchenmitgliedschaft (3), zur Kirchensteuer (5), zur Trägerschaft sozialer Aufgaben (9), zum Religionsunterricht (10) sowie die These zu den Theologischen Fakultäten (11).126 These 5 zur Kirchensteuer stellte insofern einen Sonderfall dar, als auch kirchennahe Vertreter, hier insbesondere Funcke ihr zustimmten, so dass man nicht wirklich von einer Durchsetzungskraft der einen oder anderen Gruppe sprechen konnte. Eine von der ursprünglichen Forderung ausgehend vergleichsweise »kirchenfreundlichere«127 Entwicklung ließ sich für die Thesen 1, 2 und 9 aussagen. So konnte die Umstellung der jetzigen These 1 an den Anfang des Katalogs in diesem Sinne verstanden werden, insofern man dadurch zum Ausdruck bringen wollte, dass es in diesem Papier nicht einseitig um die Beschneidung des kirchlichen Einflusses ging, sondern dass gerade auch der Staat seinen Beitrag dazu liefern musste, zu einer »freien Kirche in einem freien Staat« beizutragen. Die These zum Körperschaftsstatus der Kirchen wandelte sich von der Forderung, die Kirche in privatrechtliche Institutionen umzuwandeln, dahin, im Rahmen des Privatrechts ein neues Verbandsrecht zu etablieren, dass der Bedeutung der Kirche Rechnung trägt. Die Bedeutung bestand darin, dass die These in eine allgemeine, übergeordnete Diskussion über das Problem einer Neugestaltung das Verbands- und Körperschaftsstatusrechts überführt wurde. Deutlich waren auch die Veränderungen in These 9, in der sich die Forderung nach einem Vorrang der freien Träger im Bereich sozialer Aufgaben hin zur allgemein als liberal zu betrachtenden Forderung nach Abschaffung des Subsidiaritätsprinzips wandelte und weiterhin den freien Trägern das Recht, in diesen Bereichen tätig zu sein, zugesprochen wurde. Bei den Thesen 3 und 10 zeigten sich die in unterschiedlicher Intensität wirkenden Kräfte innerhalb der Kommission besonders deutlich. So wurde in These 3 die Einflussnahme des Staates auf die Festlegung der Kirchenmitgliedschaft und ihre Wirkung für das staatliche Recht durch die ergänzende Forderung nach einer persönlichen Bei- bzw. Austrittserklärung nach Erreichen der Religionsmündigkeit zunächst verschärft. Der im Entwurf III aufgenommene Hinweis, die Taufe bzw. der Beitritt im innerkirchlichen Bereich bleibe davon unberührt, wiederum gewährte den Kirchen in dieser eigentlich ihren Kompetenzbereich betreffenden Frage ein Mitspracherecht. Auch These 10 zum Religionsunterricht war im Blick auf das Recht, das man privaten Trägern in diesem Kontext zusprach, gewissen Schwankungen unterworfen. Wollte man in E I zunächst den Zugang zu religiöser Unter126
Die Aufzählung folgt der Nummerierung von E III. Das Attribut »kirchenfreundlicher« ist dabei ausschließlich im Kontext des Vergleichs zum jungdemokratischen Ansatz zu verstehen. Dass diese Thesen auch in der veränderten Form keineswegs als kirchenfreundlich bezeichnet werden können, steht außer Frage. 127
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weisung durch private Träger gewährleistet wissen, so fiel dieser Passus in E II weg, tauchte dann jedoch in E III erneut auf in der Form, dass man sich nun für die Gewährleistung des Rechtes, private Schulen zu errichten, aussprach. Wie bereits dargelegt, hatten sich die Jungdemokraten insbesondere im Blick auf die These 11 durchsetzen können. Mit ihr blieb eine der umstrittensten Thesen in dem Forderungenkatalog enthalten. 1.6. Weitere Beratungen in den Gremien der Bundespartei 1.6.1. Präsidium und Bundesvorstand August/September 1973 Das Präsidium nahm in seiner Sitzung vom 23. 8. 1973 das Kirchenpapier in dieser Form zur Kenntnis und leitete es an den Bundesvorstand weiter mit der Empfehlung, die Thesen 2, 10 und 11 zu verändern: »Modifi zierungen sollen in drei Punkten angestrebt werden: a) Abschaffung des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechtes sollte überdacht werden, da hierdurch auch die Steuerhoheit der Kirchen betroffen wäre, b) die Abschaffung des Religionsunterrichts an den Schulen sollte überprüft werden, da hierdurch auch das Grundgesetz tangiert wird, c) der Passus über die Theologischen Fakultäten an den Hochschulen sollte gestrichen werden.«128
Weiterhin schlug man vor, alle Thesen in dem für den 8. 9. 1973 in Braunschweig angesetzten Bundeshauptausschuss »Punkt für Punkt durchzudiskutieren und verabschieden zu lassen.«129 Dies entsprach dem Vorgehen, so wie man es auf der Bundesvorstandssitzung am 9. 7. 1973 beschlossen hatte. Der Bundesvorstand jedoch handelte in seiner Sitzung vom 25. 8. 1973 entgegen der Empfehlung des Präsidiums, als er nach Erörterung des Papiers beschloss, es »als geeignete Grundlage zur Diskussion in die Partei zu geben, damit auf einem zu diesem Thema einberufenen Bundeshauptausschuss Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat verabschiedet werden können.«130 Die vom Präsidium angestrebten Veränderungen wurden dabei nicht beschlossen. Mit dem Beschluss des Bundesvorstandes war somit das offizielle Plazet für eine breitere innerparteiliche Diskussion gegeben. In einem Schreiben an Scheel vom 28. 8. 1973 kritisierte Funcke das abweichende Vorgehen und den Beschluss der Vorstandssitzung. Ihre Kritik richtete sich dabei dezidiert auch an Scheel persönlich, der in der Präsidiumssitzung keinen Widerspruch gegen das geplante Vorgehen artikuliert 128 Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 23. 8. 1973; AdL 214. Leider wird im Protokoll nicht näher darauf eingegangen, auf wessen Vorschlag hin man die drei Änderungen beschlossen wurden. Möglicherweise ging der Vorschlag zur Streichung der These, die den Umgang mit den Theologischen Fakultäten thematisierte, auf Funcke zurück, die sich, wie bereits gesehen, stets gegen die These ausgesprochen hatte, diese Meinung jedoch in der Kirchenkommission nicht hatte durchsetzen können. 129 Sprechzettel für die Sitzung des Bundesvorstandes vom 25. 8. 1973; AdL 172. 130 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 25. 8. 1973; ebd.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
hatte, dann aber in der Vorstandssitzung zu denen gehörte, die sich »nachdrücklich gegen die Behandlung und Verabschiedung des Kirchenpapiers«131 ausgesprochen hatten. Neben der Tatsache, dass sie ein solches Verfahren unter Präsidiumsmitgliedern »für nicht sehr fair« erachtete, kritisierte sie in Übereinstimmung mit Rubin, dass »die Gelegenheit, eine abgeschwächte Fassung jetzt durchzubringen und [. . .] gegen weitere Forderungen zu verteidigen, nicht wiederkommt.« Jetzt noch bestehe die Möglichkeit, eine »Verabschiedung der Thesen ohne die wirklich gravierenden« zu erreichen, d. h. insbesondere jene Passagen zu streichen, die auf eine Veränderung des Grundgesetzes abzielten, so die Thesen zum Körperschaftsstatus des öffentlichen Rechts, zur Kirchensteuer, zum Religionsunterricht und zu den Theologischen Fakultäten. Ein solches Vorgehen signalisiere gleichsam eine positive Haltung der FDP den Kirchen gegenüber. Eine Weiterleitung des Papiers in die Partei hingegen und die Forcierung einer breiten Debatte habe zur Folge, dass die Partei »Umfang und Zeitpunkt der Verabschiedung ähnlicher Forderungen nicht mehr in der Hand«132 habe. Funcke verwies in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen, die sie mit ihrem »sonst recht braven« Bezirksverband gemacht hatte und bat Scheel, den gefällten Entschluss nochmals auf der Bundeshauptausschusssitzung in Braunschweig zu erörtern. In seinem Antwortschreiben an Funcke rechtfertigte Scheel den Verlauf der Sitzung, indem er darauf hinwies, dass ein Diskussionsprozess, so wie sich auf der Sitzung dargestellt hatte, »in einem souveränen Forum wie dem Bundesvorstand unserer Partei«133 durchaus so verlaufen könne, auch mit der Konsequenz »dass der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Beiträge der Kollegen aus dem Bundesvorstand das Ergebnis anders zusammenfassen muß, als das Präsidium sich das vorher vorgestellt hatte.«134 Er stimmte ihr jedoch dahingehend zu, dass noch genau darüber beratschlagt werden sollte, »wie die Sache weitergehen soll.«135 Ein möglicher Grund für die Entscheidung des Bundesvorstandes, das Papier auf einer breiteren Basis diskutieren zu lassen, mag darin bestanden haben, dass vorzeitige, auf Indiskretionen zurückgehende Veröffentlichungen über den Diskussionsstand auf Bundesparteiebene dem Papier zu einer ungewollten Popularität verholfen hatten, der man auf diese Weise begegnen wollte bzw. musste.136 131
Schreiben Funcke an Scheel vom 28. 8. 1973; AdL 3320. Die folgenden Zitate ebd. »Wenn aber in Hamburg, Hessen oder Bremen mehr oder weniger radikale Forderungen verabschiedet werden, und die Jungdemokraten landauf, landab dazu Veranstaltungen inszenieren, wird man uns alles anlasten und alles unterstellen« (ebd.). 133 Schreiben Scheel an Funcke von Anfang September 1973; AdL 214. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Siehe dazu Kap. IV.1.2. Die Darstellung dieser Veröffentlichungen in Kap. IV. rechtfertigt sich dadurch, dass sie zu einem größeren und ebenfalls öffentlichkeitswirk132
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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Die folgenden Ereignisse wurden durch den plötzlichen Tod des FDPGeneralsekretärs Karl-Hermann Flach am 25. 8. 1973 überschattet. Die auf den 8. 9. 1973 terminierte Sitzung des Bundeshauptausschusses wurde abgesagt, ebenso die Bundesvorstandsitzung, die für den Tag zuvor angesetzt war.137 Hinsichtlich des Kirchenpapiers explizierte man auf einer informellen im Anschluss an die Trauerfeier tagenden Vorstandssitzung den Beschluss vom 25. 8. 1973, die Thesen an alle Gliederungen der Partei bis in die Kreisverbände hinein weiterzuleiten und zur Diskussion zu stellen.138 Dem Anliegen Funckes, dieses Vorgehen noch einmal zu diskutieren, kam man somit nicht mehr nach. Weiterhin entschied das Präsidium am 13. 9. 1973, die Kreisverbände mit mehr Informationen zur Thematik zu versorgen und die eingegangenen Stellungnahmen der Landesverbände in einer Synopse zu sammeln, die dann dem Bundesvorstand vorgelegt werden sollte. Auch zeigte sich hier eine erste Maßnahme im Blick auf die Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften, insofern man beschloss, Vertreter beider Kirchen sowie der Rabbinerkonferenz zu Gesprächen mit Vertretern des Präsidiums zu den Thesen zu Kirche und Staat zu bitten.139 1.6.2. Reaktionen140 Presse und Medien Das Echo in Presse und Rundfunk auf die Kirchenpapier der Kirchenkommission und den Beschluss seiner Weitergabe war überwiegend negativ und samen Konfl ikt zwischen Funcke und dem Präsidenten der Kirchenkanzlei Walter Hammer geführt hatten. 137 Auf der Tagesordnung, die für den abgesagten Bundeshauptausschuss festgelegt worden war, war unter TOP 2 ein Bericht der Arbeitsgruppe »Kirche und Staat« vorgesehen. Des Weiteren lagen zwei Anträge zum Kirchenpapier vor, einer vom Bezirksverband Südwürttemberg-Hohenzollern, der andere vom Bundesverband der DJD. Beide Antragssteller hatten auf dem Bundeshauptausschuss das Kirchenpapier »Freie Kirche im freien Staat« beschließen lassen wollen. Ihre Papiere waren identisch und bezogen sich dabei auf die Version, die dem Bundesvorstand am 25. 8. 1973 vorgelegt worden war (E III), wobei sie bei These 11 die Alternativen a und c wegließen (vgl. AdL A 12-117). 138 Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 30. 8. 1973; AdL 172. Die Sitzung unter Vorsitz von Walter Scheel dauerte nur eine Stunde. 139 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 13. 9. 1973; AdL 214. Vier Tage später wandte sich Scheel mit einem Schreiben an den Vorsitzenden des Rates der EKD Helmut Claß, den Vorsitzenden der DBK Kardinal Julius Döpfner sowie den Vorsitzenden der Rabbinerkonferenz Ernst Roth und bat um ein gemeinsames Gespräch zwischen ihnen und Vertretern des Präsidiums (vgl. Schreiben Scheel vom 17. 9. 1973; AdL 3325. Der Wortlaut der drei Briefe war identisch). 140 Es kann an dieser Stelle lediglich darum gehen, auf einige wesentliche Reaktionen hinzuweisen, die für den weiteren Verlauf der Diskussion von Bedeutung sind. Die Darstellung der evangelischen Reaktionen auf das Kirchenpapier erfolgt im anschließenden Kapitel, die parteiinternen Meinungen werden im folgenden Abschnitt erwähnt. Eine ausführliche Sammlung von Presseartikeln über das Kirchenpapier liefert epd Dok. Nr. 36/1973 (vgl. auch Weindorf, Donner und Echo, 758 ff.).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
spiegelte insgesamt ein allgemeines Unverständnis über die Aufnahme jener Thematik durch die FDP wider. Von einem »Kreuzzug gegen die Kirchen«141 sprach die Welt, eine Eröffnung des »Kirchenkampfes«142 sah das WestfalenBlatt in dem Papier, als Griff in die »Mottenkiste«143 wiederum erachtete die Rheinische Post die von der FDP hervorgebrachte Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche; die Liste ließe sich fortsetzen. Die Artikel, die dem Kirchenpapier bzw. Teilen daraus durchaus eine Berechtigung zusprachen – hierzu gehörte bspw. der Artikel der Süddeutschen Zeitung »Trennung von Kirche und Staat?«144 – stellten dagegen eine deutliche Minderheit dar. Katholische Stimmen Als eine erste wenn auch nicht »rein« katholische Reaktion auf das Kirchenpapier mochte man die Stellungnahme des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises sehen, die dieser »nach der Veröffentlichung [sc. des Kirchenpapiers] in der Frankfurter Rundschau«145 erarbeitet hatte und dem Bundesvorstand noch vor dessen Sitzung am 25. 8. 1973 zukommen ließ. Darin begrüßte der Arbeitskreis die Absicht der FDP, »das Kirche/Staat-Tabu in der Bundesrepublik zu brechen«146 und kritisierte zugleich, dass dies in Anlehnung an kirchenfeindliche Forderungen geschehen sei. Es folgte der Appell an die FDP, sich »nicht das Gesetz des Handelns aufzwingen zu lassen«147 und der ganzen Auseinandersetzung einen positiven Charakter zu verleihen, indem deutlicher als bisher die Notwendigkeit einer positiven Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche hervorgehoben werden sollte.148 In der Stellungnahme hatte der Arbeitskreis seine Gesprächsbereitschaft mit der FDP über die Kirchenpapier-Thematik signalisiert, die jedoch von der FDP weitgehend ignoriert wurde. Hier zeigte sich jene Distanz, auf die bereits im Kontext der Darstellung zur Entstehung des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises hingewiesen wurde.149 Dabei hatte sich der Arbeitskreis nicht erst im Kontext der Diskussion um das Kirchenpapier um einen näheren Kontakt zur FDP bemüht. Dies ist 141
Art. »Kreuzzug gegen die Kirchen«, in: Die Welt vom 28. 8. 1973. Art. »Die Liberalen eröffnen den Kirchenkampf«, in: Westfalenblatt vom 1. 9. 1973. 143 Art. »Aus der Mottenkiste«, in: RP vom 28. 8. 1973. 144 Art. »Trennung von Kirche und Staat?«, in: SZ vom 29. 8. 1973. 145 Schreiben Klaus Weber an Walter Scheel vom 22. 8. 1973; AdL N 27-122. Die Stellungnahme war von Heinz-Wilhelm Brockmann und Klaus Weber unterzeichnet worden. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Vgl. Art. »Katholische Liberale kritisieren F.D.P.-Kirchenpapier. Berücksichtigung kirchenfeindlicher Forderungen bedauert«, in: KNA Nr. 197 vom 24. 8. 1973 (vgl. auch Brockmann, Verbannung, 2). 149 Siehe Kap. I.3.3.2. 142
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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einem Brief des Arbeitskreismitglieds Ansorge an den baden-württembergischen Staatssekretär Moersch zu entnehmen, in dem dieser darauf hinwies, dass der Arbeitskreis »schon seit Wochen«150 das grundsätzliche Gespräch mit dem Präsidium suche, was jedoch seitens des Präsidiums »boykottiert« werde. Für Ansorge war dieses Verhalten nicht nachvollziehbar, erachtete er den Arbeitskreis als »große Chance« für die FDP, »auch einmal mit wenig geliebten Katholiken in das Gespräch zu kommen.« In diesem Kontext betonte er die breite Resonanz, die der Arbeitskreis durch das von ihm und Heinz-Wilhelm Brockmann herausgegebene Publik-Forum habe, in dem er bereits im Juni 1973 und unter dem Pseudonym Matthias Gallas scharfe Kritik an der Kirchenpolitik der FDP geübt hatte.151 Hatte Ansorge Moersch auch deshalb kontaktiert, um ihn über sein Vorhaben einer Katholisch-Liberalen Arbeitskreis-Gründung auf Landesverbandsebene zu informieren, so bat er diesen um Unterstützung dahingehend, das Präsidium erneut zu einem Gespräch mit dem Arbeitskreis zu bewegen. Moersch kam dem Anliegen Ansorges nach und ersuchte den neuen Geschäftsführer der FDP Harald Hofmann, das Gespräch mit dem Katholisch-Liberalen Arbeitskreis auf die Tagesordnung des Präsidiums zu setzen.152 Die folgenden Ereignisse machten deutlich, dass die Spitze der liberalen Partei auch weiterhin so gut wie kein Interesse an einem Austausch mit dem Arbeitskreis hatte. So beschloss man in der Präsidiumssitzung vom 18. 10. 1973, ein gemeinsames Gespräch erst nach dem Bundesparteitag stattfinden zu lassen.153 Rund einen Monat später terminierte man das Gespräch auf Anfang Dezember.154 Nachdem Ertl Anfang Januar 1974 dem Präsidium von
150
Schreiben Ansorge an Moersch vom 2. 9. 1973; AdL 215. Die folgenden Zitate ebd. Vgl. Gallas, Harakiri. In dem Artikel hatte Ansorge die Entstehung der Kontakte, wie sie sich zwischen FDP und Katholiken auf den verschiedenen Ebenen seit 1972 ergeben hatten, dargestellt. Deutlich hatte sich bereits hier seine Enttäuschung über die NichtErfüllung einer Intensivierung des Kontaktes zwischen KLA und FDP gezeigt, für die Ansorge auch inhaltliche Gründe heranführte; so die Haltung der FDP zum Gesetzesentwurf zur Reform des § 218 StGB sowie zum Kirchenpapier der DJD, zwei Themen, bei denen der Arbeitskreis eine kritischere Position eingenommen hatte als die FDP. Größer noch als jene Meinungsdivergenzen war jedoch Ansorges Kritik an der grundsätzlichen mangelnden Bereitschaft der FDP zu gemeinsamen Gesprächen, insbesondere über letztgenannte Thematik: »Inmitten ihres kirchenpolitischen Dilemmas sucht die FDP wiederum nach einer Orientierungshilfe. Ein eigener kirchlicher Arbeitskreis beim Parteipräsidium soll Pfadfi nderhilfe leisten. Zum nächsten BPT soll er ein eigenes Kirchenpapier erarbeiten. Ob damit allerdings das Klima zwischen der katholischen Kirche und den Liberalen verbessert werden kann, mag fraglich sein, wenn man den krassen Widerspruch zwischen den Freiburger Thesen und der politischen Grundhaltung vieler Liberaler betrachtet« (ebd., 8). 152 Vgl. Schreiben Moersch an Ansorge vom 12. 9. 1973; AdL 3320. 153 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 18. 10. 1973; AdL 215. 154 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 21. 11. 1973; ebd. 151
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
einem Vorgespräch mit Vertretern des Arbeitskreises berichtet hatte, beschloss man schließlich ein Treffen für Februar, zu dem Ertl einladen sollte.155 Die Tatsache, dass die weiteren Protokolle nichts über ein solches Treffen hergeben, bestätigte zunächst das Desinteresse des Präsidiums und zugleich die Tatsache, dass die Arbeit des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises weitgehend zum Erliegen gekommen war.156 Auch das Kommissariat der Deutschen Bischöfe bezog Ende August 1973 Stellung zum Kirchenpapier.157 Anders als die Reformkatholiken bedauerte das Kommissariat dessen Freigabe durch den Bundesvorstand »aufs äußerste« und wies auf die »Gefahr eines ernsten Konfl ikts« hin für den Fall, dass das Papier von den Parteigremien angenommen werde. Der Hauptkritikpunkt bezog sich auf die fehlende Berücksichtigung des gewachsenen Verhältnisses von Staat und Kirche, dem weder die »Trennung« noch die »Identifi kation« gerecht werde. Vielmehr müsse die gemeinsame Sorge um das Wohl des Menschen »die Verpfl ichtung zu einem Arrangement« bedeuten, das das Kommissariat im Sinne einer »Partnerschaft« von Staat und Kirche verwirklicht sah. Am Ende der Stellungnahme betonte das Kommissariat seine Bereitschaft, mit der FDP in ein Gespräch einzutreten. Der Brief von Scheel an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Julius Döpfner vom 17. 9. 1973 konnte nun auch als Reaktion auf dieses Gesprächsangebot betrachtet werden. Interessant war die Reaktion Döpfners, der dem Vorschlag Scheels zustimmte, jedoch darum bat, vor einem solchen »umfassenden Sachgespräch«158 ein Gespräch unter vier Augen zu 155 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 10. 1. 1974; AdL 216. Ende Oktober 1973 hatte Hofmann Ertl und Hamm-Brücher darüber informiert, ein »ausführliches Gespräch« mit Wolfgang G. Beitz von der Otto-Denecke-Stiftung geführt zu haben, in dem es »vor allem um die weitere Tätigkeit des Katholisch-Liberalen Arbeitskreises« und das auf der Präsidiumssitzung vom 18. 10. 1973 vereinbarte Gespräch gegangen sei (Schreiben Hofmann an Ertl und Hamm-Brücher vom 31. 10. 1973; AdL 215). Dem Schreiben war ein Vermerk angefügt, der jene Namen enthielt, die wohl an besagtem Vorgespräch teilgenommen hatten, darunter für die FDP Ertl, Hamm-Brücher und Hofmann sowie Köhler, Schmidt, Ansorge, Weber und Brockmann für den Arbeitskreis (vgl. ebd.). 156 Im Juni 1974 hatte das Präsidium das Thema Arbeitskreis noch einmal beraten und beschlossen, diesem die Gründung eines Vereins vorzuschlagen, dem man eine »fi nanzielle Grundausstattung sowie die Aktionskosten für ein Jahr« zur Verfügung stellen wollte (Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 10. 6. 1974; AdL 218). Wie dem Sprechzettel zur Präsidiumssitzung am 22. 8. 1974 zu entnehmen war, hatte wohl ein erster Entwurf für eine Satzung vorgelegen. Auch stand ein möglicher Gründungstermin, der für den 14. 9. 1974 angesetzt war, zur Debatte. Der Tagesordnungspunkt und damit eine mögliche und notwendige Zustimmung des Präsidiums »über den Gründungsvorgang, den Inhalt der Satzung und die geplante Arbeit des KLA« wurde jedoch verschoben (ebd.). Wie bereits dargestellt, erfolgte die Gründung des KLA als Verein erst im Dezember 1975. 157 Vgl. Art. »›Herausforderung an die Kirchen‹. Kommissariat der deutschen Bischöfe zum F.D.P.-Kirchenpapier«, in: KNA Dok. Nr. 32 vom 29. 8. 1973. Die Stellungnahme war am 28. 8. 1973 verabschiedet worden. Die folgenden Zitate ebd. 158 Schreiben Döpfner an Scheel vom 2. 10. 1973; AdL 3320.
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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führen. Alternativ bot er Scheel an, ihn in München zu besuchen oder aber sich zu einem gemeinsamen Gespräch im Katholischen Büro in Bonn zu treffen.159 Zu diesem Treffen kam es entgegen aller Ankündigung auf schnelle Verwirklichung erst am 20. 4. 1974.160 Mit dem Leiter des Katholischen Büros Wilhelm Wöste traf Scheel jedoch bereits Anfang November zusammen. Dieser hatte das Kirchenpapier in einer eher zurückhaltenden Stellungnahme als eine »Herausforderung an die Kirchen«161 bezeichnet und die Tatsache seiner Freigabe durch den Bundesvorstand im Sinne eines Rückhalts des Papiers durch dieses Gremium bewertet. Die umfassendste Stellungnahme auf das Kirchenpapier von katholischer Seite lieferte die Laienvertretung im deutschen Katholizismus, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Dabei bezeichnete der Generalsekretär des Zentralkomitees Friedrich Kronenberg das FDP-Papier als einen »bedauerlichen Rückfall in längst überwundene ideologische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts«162 , äußerte jedoch zugleich die Hoffnung, dass die FDP im weiteren Diskussionsverlauf »mehr Vernunft«163 an den Tag legen werde. Hatte dessen Geschäftsführender Ausschuss im September einige »Gesichtspunkte«164 zum FDP-Kirchenpapier veröffentlicht, so diskutierte und beschloss die Herbstvollversammlung des Zentralkomitees Anfang November ein umfassendes Papier mit dem Titel »Die Stellung der Kirchen im demokratischen Verfassungsstaat«165, das man als Grundsatzantwort auf das FDP-Papier verstanden wissen wollte. Das Papier behandelte im Wesentlichen das Verhältnis von Transzendenz, Kirche und deren rechtliche Stellung in Staat und Gesellschaft. Dabei gingen die Verfasser zunächst von der Tatsache aus, dass es zwar die weltanschauliche Neutralität des Grundgesetzes, keineswegs aber dessen Wertneutralität gebe. Jene Werte, die den Staat und eine Gesell159 Hofmann hatte Scheel darüber informiert, dass Wöste ihm bei seinem Antrittsbesuch als neuer Geschäftsführer im Katholischen Büro mitgeteilt habe, der Kardinal hätte »bisher nie an solchen Gruppengesprächen teilgenommen«, sondern stets das Gespräch mit den führenden Repräsentanten gesucht (Schreiben Hofmann an Scheel vom 30. 10. 1973; ebd.). Zuvor hatte Hofmann Scheel dazu ermuntert, Döpfners Angebot, sich in München zu treffen, anzunehmen, da er ein Treffen im Katholischen Büro »[o]ptisch« für »weniger günstig« halte (Schreiben Hofmann an Scheel vom 8. 10. 1973; ebd.). 160 Vgl. Art. »Gespräche zwischen Kirchen und F.D.P.«, in: fdk vom 9. 4. 1974. 161 Art. »Berliner F.D.P. kritisiert Katholisches Büro«, in: KNA Berliner Dienst Nr. 202 vom 31. 8. 1973. 162 Art. »FDP-Thesen stoßen bei Kirchen und Parteien auf Kritik«, in: Die Welt vom 28. 8. 1973. 163 Ebd. 164 FDP-Entwurf zum Verhältnis von Kirchen und Staat: Gesichtspunkte des ZdK, in: ZdK Mitteilungen 39/1973 vom 10. 9. 1973. 165 Vgl. Die Stellung der Kirchen im demokratischen Verfassungsstaat. Ein Diskussionsbeitrag des Beirats für politische Fragen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, veröffentlicht am 2. 11. 1973; PAepd D 213. Das Papier war vom Beirat für politische Fragen verfasst worden.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
schaft bestimmten, seien diesen vorgegeben und gründeten sich in einer Transzendenz, auf die sich sowohl der Staat als auch das Gewissen beziehe. Da jener Transzendenzbezug in der Politik nur durch eine institutionelle Repräsentation zur Wirkung gelangen könne, müsse die Stellung der Kirche als Repräsentantin jener Transzendenz innerhalb der Gesellschaft und des Staates gewährleistet und gesichert sein. Den Status der Kirche als Körperschaft erachtete man daher als wesentliche Voraussetzung des freiheitlichen Staates. Auch das Zentralkomitee sprach sich für ein Gespräch mit der FDP »in nächster Zeit«166 aus, wobei man, so der Präsident des Zentralkomitees und rheinland-pfälzische Kultusminister, Bernhard Vogel, anstrebte, »durch das bessere Argument der eigenen Auffassung Anerkennung«167 zu verschaffen. CDU/CSU und SPD Die Reaktionen der Unionsparteien sowie der Koalitionspartnerin SPD waren ebenfalls von grundsätzlicher Ablehnung geprägt. So bezeichnete CDUSprecher Willi Weiskirch die Thesen als »kulturkämpferische[n] Versuch, die Kirchen ins Ghetto zu manövrieren.«168 Differenzierter gleichwohl ebenfalls ablehnend war die Stellungnahme des CDU-Bundesvorsitzenden und rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, Helmut Kohl, der im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Kirche, Staat und Gesellschaft nicht grundsätzlich zurückwies, dass manches überholt sei oder geändert werden müsse. Eine Behandlung dieser Fragestellung auf der Grundlage des FDPKirchenpapiers lehnte er jedoch ab. Für Kohl stellte weniger die »Vermengung von Staat und Kirche«169, als vielmehr jene Entwicklung einer zunehmenden »Verdrängung des christlichen Gedankengutes aus dem öffentlichen Bewusstsein«170 ein akutes Problem dar. Werner Dollinger, stellvertretender Landesvorsitzender der CSU und zugleich stellvertretender Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, griff Weiskirchs Rede auf, indem auch er betonte, die Verwirklichung der Thesen werde die Kirche »in die Isolierung und ins Getto«171 bringen und ihre Wirkkraft im Bereich der Schule und Diakonie 166
Art. »Vogel: Gespräch mit Scheel über FDP-Kirchenpapier«, in: dpa 101 vom 2. 11. 1973 (vgl. auch Art. »ZdK will mit FDP über Kirchenpapier sprechen. Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Godesberg eröffnet«, in: FR vom 3. 11. 1973). 167 Art. »Vogel: Gespräch mit Scheel über FDP-Kirchenpapier«, in: dpa 101 vom 2. 11. 1973. 168 Stellungnahme der CDU vom 27. 8. 1973, in: epd Dok. 36/1973, 19. 169 Kohl, Grundlage, 7. 170 Ebd. Die Reaktion Kohls war in katholischen Kreisen mit einer gewissen Irritation aufgenommen worden. 171 Schreiben Dollinger an epd-Chefredakteur Hans-Wolfgang Hessler vom 10. 9. 1973; PAepd D 213.
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deutlich einschränken. Er verwies auf den ideologischen Hintergrund des Kirchenpapiers und konstatierte eine »bedauerliche«172 Entwicklung des Liberalismus hin zum »Atheismus und Nihilismus«173, die sich in dem Kirchenpapier ausdrücke. Ein Argument anderer Art, das zu einer gewissen Gelassenheit dem Kirchenpapier gegenüber aufrief, lieferte Staatssekretär Roman Herzog, Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz in Bonn, der die verfassungspolitische Situation explizierte und im Blick auf eine Verfassungsänderung, die die Verwirklichung mancher Thesen erforderlich gemacht hätte, auf die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag hinwies; eine Mehrheit, die nicht zuletzt wegen der beinahe noch schärferen Kritik der SPD am Kirchenpapier alles andere als realistisch schien. Jene Kritik verdeutlichte die positive Entwicklung, die die SPD hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Kirchen vollzogen hatte.174 So bezeichnete SPD-Präsidiumsmitglied Erhard Eppler das FDP-Papier und die darin enthaltene, der Sozialdemokratie durchaus vertraute Forderung nach Trennung von Staat und Kirche als »Nachklang«175 zu jener Epoche der Geschichte, wo die Freiheit des einzelnen noch durch das enge Bündnis von Thron und Altar gefährdet gewesen sei. Auch Rüdiger Reitz, Referent für Kirchenfragen beim SPD-Bundesvorstand, verwies auf den anachronistischen Charakter jener Freiheitsforderung, habe es heutzutage vielmehr darum zu gehen, den einzelnen »vor dem Zugriff anonymer Mächte [. . .] staatlicher oder wirtschaftlicher Art«176 zu schützen. Ein wesentlicher Kritikpunkt Epplers bezog sich auf den Umstand, dass die FDP den Eindruck erwecke, »sie wolle den Kirchen ihren Ort anweisen«177. Dabei sprach der EKD-Synodale den Thesen durchaus eine gewisse Aktualität zu: »Wenn Liselotte Funcke ihre Thesen der Synode vorgetragen hätte, hätte dies die innerkirchliche Diskussion um die Volkskirche bereichert.«178 Auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Herbert Wehner argumentierte in diese Richtung, wobei er stärker noch als Eppler die Notwendigkeit, über jene Thesen zu sprechen, betonte.179 Die 172 Art. »Der neuen Ideologie im Wege. Das FDP-Kirchenpapier und seine Kampfansage«, in: Bayernkurier vom 8. 9. 1973. 173 Ebd. 174 Dies zeigte sich nicht zuletzt in der Gründung eines Gesprächskreises »SPD und Kirche«, der Ende April 1974 zu einer ersten Landestagung zusammentrat (vgl. Art. »Wehner für Dialog mit der Kirche«, in: Die Welt vom 29. 4. 1974). 175 Art. »Manche spielen gern den Don Quichotte«, in: DAS vom 16. 9. 1973. 176 Reitz, Art. »Das schmerzte die Bischöfe. 14-Punkte-Papier der Liberalen will Kirche-Staat-Verhältnis neu unter die Lupe nehmen«, in: Vorwärts vom 6. 9. 1973. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 »Über manche Punkte aus dem langen Katalog von Frau Matthäus kann nicht nur, sondern muß gesprochen werden, mit dem Ziel, die Verhältnisse zu ändern. Aber sie irrt,
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche müsse dabei dem Ziel geschuldet sein, »sowohl der Demokratisierung unserer gesellschaftlichen Ordnung als auch der Humanisierung unseres Staates besser dienen zu können, als es schon der Fall ist.«180 1.6.3. Der 24. FDP – Bundesparteitag in Wiesbaden, 12. bis 14. 11. 1973 Auf dem 24. Bundesparteitag in Wiesbaden brachte der Bundesvorstand der Jungdemokraten den Antrag 36 mit dem Betreff »Kirche und Staat« ein.181 Darin begrüßten die Jungdemokraten die Thesen als »geeignete Grundlage für die weitere Arbeit der Partei auf diesem Gebiet«182 und forderten die Untergliederungen der Partei auf, diese »in den nächsten Monaten intensiv zu diskutieren.«183 Des Weiteren wurde der Bundesvorstand beauftragt, »die endgültige Beschlussfassung über die Thesen auf die Tagesordnung des ersten Parteitages im Jahre 1974 zu setzen.«184 Die Jungdemokraten sahen somit davon ab, ihr eigenes auf der Bundesdelegiertenkonferenz Ende Januar beschlossenes Papier auf dem Bundesparteitag einzubringen, das zudem in Form der nordrhein-westfälischen Broschüre zur Trennung von Staat und Kirche auf dem Parteitag präsent war. Stattdessen betonten sie im Vorfeld des Bundesparteitags, »die Arbeit der Partei mit allen Kräften«185 unterstützen zu wollen. Im Rahmen der Vorbereitung des Parteitages hatte sich der Bundesvorstand der FDP mit dem Antrag der Jungdemokraten auseinandergesetzt.186 Die Beratungen resultierten im Antrag 45 des Bundesvorstandes auf Nichtbefassung des Antrags der Jungdemokraten, mit der Begründung, man dürfe angesichts der Reaktionen und Prozesse, die das Kirchenpapier ausgelöst habe, keinen Zeitdruck ausüben.187 Im Blick auf ein solch umfassendes »Rewenn sie miteinander vermengt, was nur innerhalb der Religionsgesellschaften und Kirchen selbst diskutiert und durchgesetzt werden kann, mit dem, was sie von oben herab gesetzlich dekretieren möchte« (Wehner, Streit, 39). Die Bezugnahme auf Matthäus in diesem Zitat lässt sich dadurch erklären, dass Wehner seinen Beitrag bereits vor Bekanntgabe der FDP-Thesen fertig gestellt hatte. 180 Ebd. 181 Vgl. AdL A 1-479, Bl. 19. Die Befürchtung Flachs, der Kirchenpapierbeschluss könnte eine Rolle auf dem nächsten BPT spielen, war somit berechtigt. 182 Ebd. 183 Ebd. 184 Ebd. Als Anlage fügten sie die 14 Thesen sowie eine Veröffentlichung Funckes an (vgl. fdk Ausg. 137 vom 8. 8. 1973; Publik-Forum Nr. 16 vom 10. 8. 1973). 185 Art. »Warum ›Kirche-Staat‹ auf diesem Parteitag?«, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 10. 11. 1973. Weiterhin boten sie eine Podiumsdiskussion auf dem BPT an, die Gelegenheit dazu bieten sollte, die Argumente sowohl von DJD, als auch von Seiten der FDP kennen zulernen. 186 Vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 11. 11. 1973; AdL 172. 187 Vgl. AdL A 1-482, Bl. 41.
1. Die Kirchenkommission der Bundespartei
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formthema ›Kirche und Staat‹«188 sei es ein »schlechte[r] Dienst«189, voreilig einen Beschluss zu fassen. Vielmehr sollten die Landesverbände aufgefordert werden, die begonnenen Diskussionen weiterzuführen und die Ergebnisse »baldmöglichst dem Bundesvorstand zur Vorbereitung der Entscheidung mitzuteilen.«190 Beide Anträge stimmten insofern überein, als sie die Diskussion und deren Fortsetzung in den Gliederungen der Partei begrüßten, sie unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Vorstellungen über Kompetenz und Zuständigkeit des Parteitages, was die Behandlung des Kirchenpapiers anging. Neunhöffer wies in der Begründung zum Antrag 36 darauf hin, dass die Weitergabe des Papiers den Parteitag in die Verantwortung stelle, die Basisarbeit angemessen zu unterstützen. Die Basis habe das Recht, zu wissen, »woran sie ist, ob also das höchste Gremium die Arbeit auf dieser Grundlage billige oder nicht«191. Weder ein voreiliger Beschluss der Thesen, noch deren schlichte Nichtbeachtung, sondern einzig eine intensive Begleitung dieses Diskussionsprozesses durch den Parteitag, eine Verzahnung sozusagen der Arbeit auf Bundesebene mit der in den Untergliederungen der Partei, sei der richtige Weg. Um diese zu gewährleisten, habe der Parteitag drei Dinge zu tun: 1. die Untergliederungen aufzufordern, die Diskussion fortzusetzen, 2. die Diskussion durch Nutzung der außerparteilichen Publizität zu fördern, 3. eine eigene Positionierung zum Kirchenpapier zu beschließen.192 Besonders im letzten Aspekt, »in dieser Frage die letzte Entscheidung über die Haltung der liberalen Partei zu treffen,«193 bestehe die wichtigste Aufgabe des Parteitages, daher plädierte man für die Terminierung einer Beschlussfassung der Thesen auf den nächsten Parteitag der FDP 1974. In der Begründung zum Antrag 45, vorgetragen durch Rubin, wurde die Option, das Kirchenpapier erneut auf einem Bundesparteitag zu thematisieren, nicht in Aussicht gestellt, hatte man den Weg über dieses höchste Gremium von Anfang an möglichst vermeiden wollen. Weder Antrag 36 noch 45, sondern ein Antrag, der vom Landesverband Hessen als Änderungsantrag zum Antrag 36 gestellt worden war, wurde
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Ebd. Ebd. 190 Ebd. Der Bundesvorstand nahm dabei dezidiert Bezug auf die Kirchen und betonte die zunehmende Kooperation mit diesen: »Das Gespräch mit den Kirchen hat auf verschiedenen Ebenen begonnen, respektive befi ndet sich in Vorbereitung; erfreulicherweise besteht bei den Kirchen eine zunehmende Gesprächsbereitschaft. In dieser Situation müssen wir den Gliederungen der Partei, den Kirchen und einer interessierten Öffentlichkeit genügend Zeit zur Diskussion und zur Führung der Gespräche lassen« (ebd.). 191 AdL A 1-491, Bl. 119. 192 Ebd., Bl. 117 f. 193 Ebd. 189
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
letztlich vom Bundesparteitag beschlossen.194 Landesverbandsmitglied Rafael Lewenthal195 begründete diesen Antrag 49 unter Bezugnahme auf die beiden vorliegenden Anträge. So betonte er, dass die Diskussion um das Kirchenpapier eine Dimension angenommen habe, die deren vorzeitige Beendigung mittlerweile unmöglich mache. Er sprach sich im Sinne beider Anträge für eine Weiterführung des Diskussionsprozesses aus, erachtete es aber mit Neunhöffer als unumgänglich, »diese Diskussion mit einem klaren Votum eines Bundesparteitages zu beenden.«196 Wann dieses Votum ausgesprochen werde und ob es dabei ebenfalls zu einem Beschluss des Kirchenpapiers kommen werde, müsse jedoch auch bei der Antragsformulierung offen bleiben. Antrag 49 versuchte daher, alle missverständlichen Formulierungen aus dem Antrag 36 zu ersetzen.197 So konstatierte er im ersten Absatz in Anlehnung an Antrag 36, dass der Parteitag die Thesen als »Grundlage für die weitere Diskussion der Partei auf diesem Gebiet zur Kenntnis«198 nehme und dankte »der Kommission des Bundesvorstandes unter der Leitung von Frau Funcke für die geleistete Arbeit.« Des Weiteren übernahm er die Aufforderung an die Gliederungen der Partei, »diese Thesen in den nächsten Monaten intensiv zu diskutieren.« Im letzten Absatz wurde die in Antrag 36 festgelegte Terminierung einer Beschlussfassung in das Jahr 1974 ersetzt durch die Formulierung »die endgültige Beschlussfassung über die Thesen auf die Tagesordnung einer der kommenden Bundesparteitage zu setzen.« Der Antrag wurde von 50 Delegierten unterschrieben und zur Abstimmung gestellt. Neunhöffer erklärte sich zur Übernahme des Antrags bereit, so dass Antrag 36 als erledigt galt. Der Antrag Rubins, zur Tagesordnung zurückzukehren und somit eine Abstimmung zu vermeiden, scheiterte. Bevor man zur endgültigen Abstimmung kam, beantragte Rolf Vieten vom Landesverband Niedersachsen, die zeitliche Festlegung eines Beschlusses auf den nächsten Bundesparteitag im Jahre 1974 doch wieder in die Antragsformulierung aufzunehmen.199 Der Änderungsantrag wurde abge194
Vgl. Antrag 49 des Landesverbandes Hessen; AdL A 1-482, Bl. 53. Der dem linken Flügel der FDP angehörende aus Frankfurt stammende Jurist Rafael Lewenthal war zu jener Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter in der hessischen FDP-Fraktion. Die Kirchenpapierdiskussion betrachtete er – nicht zuletzt aufgrund seines jüdischen Glaubens – aus einer gewissen Distanz heraus. In einem Gespräch mit der Verfasserin vom 27. 1. 2008 betonte Krüger-Limberger, Lewenthal habe nie wirklich nachvollziehen können, wie sich die Partei so in der Kirchenpapierdiskussion hatte »festbeißen« können. 196 AdL A 1-491, Bl. 120. 197 Man hatte dem Bundesvorstand der DJD vorgeworfen, die Formulierungen des ersten Absatzes ihres Antrages würden die Diskussion und einen etwaigen Beschluss des Kirchenpapiers schon andeutungsweise präjudizieren. 198 Antrag 49; AdL A 1-482, Bl. 53. Die folgenden Zitate ebd. 199 Er verwies dabei auf einen Änderungsantrag seines Landesverbandes zum Antrag 36, der auf unerklärliche Weise nicht bis zu den Delegierten vorgedrungen war. Inhaltlich 195
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lehnt und Antrag 49 in der Form, wie er von Lewenthal gestellt worden war, »bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit angenommen.« 200 Vom Beschluss dieses Bundesparteitages an bis Juni 1974 fand das Kirchenpapier auf Bundesparteiebene kaum Beachtung. Anders sah es dahingehend in den Landesverbänden aus, in denen man in unterschiedlichen Gremien Stellungnahmen und Positionspapiere erarbeitete, die im Bundesverband von Juni 1974 an erörtert wurden.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden Eine ausführlichere Darstellung der Diskussionsprozesse innerhalb der einzelnen Landesverbände versucht darzulegen, inwieweit und an welchen Stellen die Stellungnahmen der Landesverbände Einfluss auf die Arbeit der zweiten Kirchenkommission hatte, die man auf Beschluss des Bundesvorstandes im Juni 1974 installierte und die unter der erneuten Leitung von Funcke den Auftrag hatte, unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen eine Neufassung der Thesen zu erarbeiten. Dabei wird darauf zu achten sein, ob etwaige Gespräche zwischen den Landesverbänden und den Kirchen deren Stellungnahmen in irgendeiner Weise beeinflusst haben. Ebenso gilt es, den Einfluss der Jungdemokraten innerhalb der einzelnen Landesverbände herauszustellen. Die Landesverbände haben die Kirchenthesen in unterschiedlichen Gremien behandelt. Einige thematisierten das Papier auf einem Landesparteitag (Schleswig-Holstein, Berlin und Hessen) bzw. Landeshauptausschuss (Saarland), andere bildeten Landesvorstandskommissionen (NRW, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz). Die Stellungnahme des bayrischen Landesverbandes, die in einem Arbeitskreis »Kirche und Staat« entstanden war, erlangte für die weitere Diskussion des Kirchenpapiers eine besondere Bedeutung, auf die an entsprechender Stelle verwiesen wird. Die Darstellung erfolgt systematisch, beginnend mit den Landesverbänden, bei denen das Kirchenpapier auf Ablehnung stieß, über jene, die es von seinem Duktus her zwar ablehnten, das Kirchenpapier jedoch insgesamt als Gesprächsangebot verstanden wissen wollten, bis hin zu den Landesverbänden, die dem Papier zustimmten und es an manchen Stellen mit substantiellen Änderungen verstimmte dieser, abgesehen von der beantragten zeitlichen Festlegung eines Beschlusses mit dem Antrag des Landesverbandes Hessen überein. Interessant ist, wie Vieten in der Begründung des Antrags Bezug nahm auf den Antrag Lewenthals und welche Intention er dem Landesverband Hessen im Blick auf dessen Antrag unterstellte: »Wir werden immer vor der Situation stehen, daß in irgendeinem Lande Landtagswahlen sind. Ich meine, dieses Thema ist zu weitgehend und bedeutet zu sehr eine Anforderung an uns selbst, als daß wir davor zurückweichen können« (AdL A 1-491, Bl. 125 f.). 200 Ebd., Bl. 128.
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sahen. Innerhalb der gemachten Kategorien erfolgt die Darstellung chronologisch, d. h. in der Reihenfolge, wie die Stellungnahmen der Landesverbände im Bundesverband eingegangen sind. Bei der Darstellung der Stellungnahmen wird sich darauf zu beschränken sein, die jeweiligen Unterschiede in Bezug auf die ihnen vorliegende Fassung der Kirchenkommission (E III) zu erläutern.201 2.1. Ablehnung des Kirchenpapiers 2.1.1. Saarland: Wählerakquisition versus Kirchenpapier In den Jahren der Kirchenpapierdiskussion 1973 und 1974 lag der Schwerpunkt der Arbeit der saarländischen FDP in der Vorbereitung der Landtagswahlen 1975. 1970 war die seit 1960 bestehende Regierungskoalition zwischen CDU und FDP durch eine alleinige CDU-Regierung abgelöst worden.202 Auf dem Landesparteitag am 24. 6. 1973 in St. Wendel formulierte der FDP-Landesverbandsvorsitzende Werner Klumpp daher die »Brechung der Parlamentsmehrheit der CDU Saar und die Rückkehr auf die Tribüne der Landespolitik« 203 als eines der vordringlichsten Ziele der saarländischen Liberalen für das Jahr 1975. Die Schwierigkeit der saarländischen FDP bestand nun darin, in einem Bundesland, das »den höchsten Katholiken- und Arbeiteranteil von allen Bundesländern hat« 204 eine Wählerschaft zu etablieren. Die Befürwortung des FDP-Kirchenpapiers mochte nur schwerlich zur Akquisition von Wählern in einem solchen Milieu beitragen. Die Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier erfolgte daher zwangsläufig, und der Landesverband beendete diese Auseinandersetzung früher als andere Landesverbände.205 Das Ergebnis der Beratungen war die einhellige Ablehnung des Kirchenpapiers. Schon auf dem oben erwähnten Landesparteitag im Juni 1973, als die Beratungen der Funcke-Kommission noch nicht abgeschlossen waren, äußerte sich der Vorsitzende des Landesverbandes Werner Klumpp zum Kirchenpapier der Jungdemokraten. Wenngleich er die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche als eine für die FDP »feststehende Tatsache« 206 201
Die Verweise beziehen sich dabei auf die Darstellung von E III in Abschnitt 1.5.1. (siehe auch Anhang 3). 202 Vgl. Hahn, Saarland, 389. 203 Art. »FDP-Saar denkt bereits an Koalition für 1975«, in: Saarbrücker Zeitung vom 25. 6. 1973 (vgl. auch Art. »Saar-FDP resigniert nicht«, in: FR vom 25. 6. 1973). 204 Ergebnis einer umfassenden Untersuchung aus dem Jahre 1969, in: Geschäftsbericht der FDP Saarland 19. 6. 1972–23. 6. 1973; AdL 12967. 205 »Die Diskussion des Kirchenpapiers war eigentlich kurz, das Thema verschwand so schnell, wie es aufgekommen war im Papierkorb« (Schreiben Klumpp an die Verfasserin vom 29. 4. 2006). Werner Klumpp war zu diesem Zeitpunkt Landesvorsitzender der saarländischen FDP. 206 Rede Klumpp auf dem LPT St. Wendel 24. 6. 1973; AdL 12967.
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bezeichnete, verweigerte er sich der Rigorosität der Jungdemokratenforderungen, den »ganzen Bereich des öffentlichen Wirkens den Kirchen verschließen«207 zu wollen. Er nahm Stellung zu den wohl umstrittensten Forderungen des Papiers, dem Körperschaftsstatus, der Kirchenmitgliedschaft, der Kirchensteuer, den Kirchenverträgen und Konkordaten, weiterhin zum Religionsunterricht, zur Ausgliederung der Theologischen Fakultäten und zur Frage der Trägerschaft sozialer Aufgaben bzw. dem Subsidiaritätsprinzip und explizierte sein Verständnis der Haltung eines Liberalen zum Verhältnis von Kirche und Staat. Den Forderungen nach einer Neuregelung des Kirchensteuereinzugsverfahrens sowie der inhaltlichen Beschränkung der Kirchenverträge und Konkordate auf das Verhältnis von Kirche und Staat stimmte Klumpp dabei durchaus zu, allerdings forderte er an diesen Punkten die Zusammenarbeit mit den Kirchen und nicht einfach willkürliche Entscheidungen des Staates über die Kirchen hinweg. Auch im Blick auf die Frage nach der Trägerschaft sozialer Aufgaben urteilte Klumpp differenziert: auf kirchliche Einrichtungen dürfe nicht verzichtet werden, jedoch müsse gegen das Subsidiaritätsprinzip eingeschritten werden, da es nicht die Wirkungen hervorgerufen hätte, die man erwartet hatte. Im Sinne der Regierungserklärung forderte Klumpp das Gespräch mit den Kirchen in einem »echten partnerschaftlichen Geist.«208 Dass die Meinung Klumpps als für den Landesverband repräsentativ erachtet werden konnte, zeigte der einstimmige Beschluss des Landesvorstandes vom 31. 8. 1973, dem Landeshauptausschuss, der am 11. 9. 1973 tagen sollte, die Zurückweisung der mittlerweile durch die Funcke-Kommission behandelten Thesen zu empfehlen.209 Der Landeshauptausschuss kam der Empfehlung des Vorstandes nach und verabschiedete am 11. 9. 1973 ein neun Punkte umfassendes Papier, das das von der Funcke-Kommission erarbeitete Kirchenpapier »als mit liberalen Grundsätzen unvereinbar« 210 ablehnte. In starker Anlehnung an die Äußerungen Klumpps auf dem Landesparteitag nahm der Landeshauptausschuss Bezug auf die Thesen 2, 5, 7, 9 bis 11 und 14. Im Zusammenhang mit dem Körperschaftsstatus der Kirchen (E III2) sowie dem Religionsunterricht (E III10) betonte der Landeshauptausschuss, das im Grundgesetz festgestellte Prinzip der Unabhängigkeit von Kirche und Staat zu befürworten. Dies beinhalte jedoch zugleich die ebenfalls durch das Grundgesetz ausgesprochene Anerkennung der Verfassungsgarantie jener Bestimmungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche be207
Ebd. Art. »FDP-Landesvorsitzender Klumpp: ›Kulturkampf klima‹ vermeiden«, in: epd West Nr. 102 vom 6. 9. 1973. 209 Vgl. Art. »Saar-FDP gegen ›Kirchenpapier‹«, in: epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 100 vom 3. 9. 1973. 210 AdL 3325. Die folgenden Zitate ebd. 208
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träfen, daher sähe man keine Veranlassung, an diesen Bestimmungen etwas zu verändern. So betrachtete man auch die Frage nach dem Kirchensteuereinzug (E III5) als eine innerkirchliche Angelegenheit, wenngleich die Höhe der Kirchensteuer durchaus überprüfungsbedürftig schien. Im Blick auf die Frage nach der Trägerschaft sozialer Aufgaben (E III9) forderte man unter den Gesichtspunkten »der Freiheit und der Pluralität« das Nebeneinanderstehen staatlicher und freier Einrichtungen. Kurz und knapp war die Forderung zu den Theologischen Fakultäten (E III11), die »in der bisherigen Form weiter bestehen« sollten. Die Beibehaltung des status’ quo proklamierte man ebenfalls im Blick auf die Vertretung der Kirchen in öffentlichrechtlichen Gremien (E III14). Mit Klumpp sprach sich der Landeshauptausschuss gegen eine einseitige Auflösung von Verträgen und Konkordaten (E III7) und für ihre Anpassung an »geänderte Verhältnisse im Wege vertraglicher Vereinbarungen« aus. Am Ende betonte man im Sinne eines partnerschaftlichen Verhältnisses die Bereitschaft zur Fortsetzung begonnener Gespräche mit den Kirchen. Mit diesem Beschluss des Landeshauptausschusses, der seine Aufnahme in den Beratungen der Kirchenkommission fand, endete die offizielle Behandlung des FDP-Kirchenpapiers im saarländischen Landesverband, eine Tatsache, die Matthäus als Distanzierung des Landesvorstandes vom saarländischen Landesparteitagsbeschluss des Jahres 1969 scharf kritisierte.211 Bis zum Bundesparteitag fand das Kirchenpapier keine Erwähnung mehr in dessen weiteren Gremiensitzungen, erst nach seinem Beschluss auf dem Hamburger Parteitag kam man innerhalb des Landesvorstandes erneut darauf zurück. Man blieb uneins darüber, ob das Kirchenpapier für die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern verantwortlich zu machen sei. Werner Klumpps Antwort darauf war eindeutig: »Das Kirchenpapier hat der FDP geschadet.« 212 2.1.2. Rheinland-Pfalz: Zwischen Partei und Kirche Die Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Landesverbandes, die von einer Landesvorstandskommission verfasst wurde, erfolgte in Reaktion auf die das Kirchenpapier stark befürwortende Stellungnahme des schleswigholsteinischen Landesverbandes vom 11. 5. 1974 und ist somit auf Mitte Mai 211 Matthäus verwies darauf, dass die Saar-FDP im Kontext der »Nürnberger Wahlplattform« die »weitestgehende Beschlußvorlage zu diesem Thema« vorgelegt habe, insofern sie die »Abschaffung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach, Eingliederung der Theologischen Fakultäten als rechtswissenschaftliche Abteilungen in die philosophischen Fakultäten, Ungültigkeitserklärung des Reichskonkordats von 1933, Abschaffung der Kirchensteuer, Umwandlung der Kirchen von öffentlichrechtlichen Körperschaften in Privatgesellschaften« gefordert habe (Art. »Trennung von Staat und Kirche«, in: FR vom 14. 9. 1973). 212 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 29. 10. 1974; AdL 22980.
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1974 zu datieren.213 Im Gegensatz zur schleswig-holsteinischen Stellungnahme und ebenfalls entgegen der befürwortenden Haltung der rheinlandpfälzischen Jungdemokraten, schlug sie jedoch einen das Kirchenpapier stark ablehnenden Ton an und ging damit teilweise konform mit den ebenfalls ablehnenden Stellungnahmen der auf rheinland-pfälzischen Gebiet ansässigen Landeskirchen. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass auch im rheinland-pfälzischen Landesverband maßgeblich Personen an der Diskussion beteiligt waren und in besagter Kommission mitwirkten, die sich ebenfalls stark in der Kirche engagierten.214 Einer dieser Personen war der ehemalige Justizminister der rheinlandpfälzischen Landesregierung und FDP-Landtagsabgeordnete, Fritz Schneider, der zugleich Präsident der pfälzischen Landessynode war.215 Schneider war ein vehementer Gegner des Kirchenpapiers und sprach sich bei den entsprechenden Gelegenheiten gegen das Kirchenpapier aus; so auch auf der EKD-Synode im November 1974, wo er als Stellvertreter von Funcke fungierte. Im Dezember 1974 trat er aus Protest am Beschluss der Kirchenthesen aus der FDP aus.216 Nicht zuletzt aufgrund der bei Schneider vorfi ndlichen Personalunion traten die rheinland-pfälzischen Liberalen in einen intensiveren Austausch über das Kirchenpapier mit Vertretern der Evangelischen Kirche der Pfalz, der nun auch die Stellungnahme des Landesverbandes prägte. So fand eine undatierte Stellungnahme Schneiders, die dem Inhalt nach in unmittelbarer Reaktion auf das veröffentlichte Kirchenpapier der Kirchenkommission (E III) erfolgte, an einigen Stellen der rheinland-pfälzischen Stellungnahme ihre Aufnahme.217 Die Stellungnahme des 213
»Nachdem in Schleswig-Holstein der Landesverband der F.D.P. erneut für eine scharfe Formulierung des bekannten Diskussionspapiers und die Annahme durch die Bundespartei eingetreten ist, hat der Landesverband Rheinland-Pfalz eine Stellungnahme zu dem ganzen Papier und zu den einzelnen Thesen herausgegeben. Es ergibt sich, daß in Rheinland-Pfalz eine stark abweichende Meinung vertreten wird, die praktisch auf die Ablehnung der Tendenz des Kirchenpapiers hinausläuft« (Schreiben Kentmann an Kunst vom 17. 5. 1974; EZA 87/660). Wilhelm Kentmann war pfälzischer Kirchenrat und Beauftragter der evangelischen Kirchen am Sitz der Landesregierung in Mainz. Eine ausführliche Darstellung des Diskussionsprozesses innerhalb des Landesverbandes zum Kirchenpapier ist aufgrund einer nur marginalen Überlieferung der Aktenbestände für die relevanten Jahre 1973/74 nicht möglich. Dieser Umstand ist insofern als nicht allzu tragisch hinzunehmen, als die Stellungnahme den Beratungen der Kirchenkommission zwar vorlag, jedoch an keiner Stelle in deren Neufassung des Kirchenpapiers mit einfloss. 214 Zwei der rheinland-pfälzischen liberalen Politiker, die sich zugleich als Kirchenmenschen verstanden, waren Landtagsvizepräsident Eicher, Finanzminister a.D., der sich als evangelischer Christ verstand und dies u. a. in seiner langjährigen Tätigkeit als Presbyter zum Ausdruck brachte und Welker. Beide fungierten als Vertreter der rheinland-pfälzischen FDP auf dem BPT in Hamburg und sprachen sich dort, im Sinne der landesinternen Stellungnahme, gegen das Kirchenpapier aus (siehe Abschnitt 4.). 215 Vgl. dazu Holzapfel/Müller, Fritz Schneider. 216 Siehe Kap. III.5. und Kap. IV.3. 217 Vgl. Gegen Ideologen, für praktische Politik, Stellungnahme zum sogen. Kirchen-
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Landesverbandes teilte sich in zwei Abschnitte, von denen der erste zunächst allgemeine Aussagen zum Kirchenpapier (I.) enthielt, wohingegen der zweite Abschnitt (II.) konkret Stellung zu den einzelnen Thesen bezog, indem diese jeweils mit einem Kommentar versehen wurden.218 Im ersten Abschnitt wies man u. a. auf die Tatsache hin, dass über 90% der Bevölkerung den beiden Kirchen angehören 219, betonte die negative Wirkung des Reizwortes »Trennung« im Blick auf die Einordnung des Papiers und damit zusammenhängend die Gefahr, dem Papier könne eine antikirchliche Intention unterstellt werden.220 Hier schlug man vor, »stets von der ›Freien Kirche im Freien Staat‹« im Sinne eines partnerschaftlichen Verhältnisses zu sprechen. Weiterhin verwies man auf das Problem der Realisierung der Forderungen, die zum Teil nur durch eine Verfassungsänderung möglich sei, und merkte an, dass sich ihre unterschiedliche Gewichtung im Auf bau bemerkbar machen müsse. Auch betonte man die Notwendigkeit eines Passus, der die Bedeutung der christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften hervorhob und auf deren spezifische Aufgaben verwies, die der Staat so nie erfüllen könne. Im Blick auf den Thesenkatalog erfolgte die Zustimmung zu den Thesen 1, 4, 6, 8, 12 und 13.221 Auch stimmte man der These 7 im Grundsatz zu, forderte aber im Sinne des »Pacta sunt servanda« die Veränderung und den Abbau der Staatsverträge »in gemeinsamer Übereinkunft« 222 beider Vertragspartner. Die Stellungnahme zur zweiten These hob sich insofern von anderen Stellungnahmen ab, als sie schon deren Voraussetzungen grundsätzlich kritisierte und als falsch erachtete. Falsch sei die Annahme, Kirchen seien Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Staats- und Verwaltungsrechts, wie die nicht vorhandene Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und eine fehlende Staatsaufsicht belegen. Die autonome Rechtsstelpapier von Fritz Schneider, Staatsminister a.D. MdL, Synodalpräsident der Pfälzischen Landeskirche; EZA 650/274. 218 Vgl. Stellungnahme des F.D.P. – Landesverbandes Rheinland-Pfalz zum Diskussionspapier »Freie Kirche im Freien Staat«; Handakten Dahlhaus. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 219 Dieser Abschnitt ging auf die Stellungnahme Schneiders zurück (vgl. Stellungnahme Schneider; EZA 650/274). 220 Bei den Äußerungen zur Konnotation des Wortes »Trennung« rekurrierte man auf Funckes Äußerungen in Publik-Forum: »Das Wort Trennung ist jedoch inzwischen zu einem Reizwort geworden, über das kaum mehr sachlich und objektiv gesprochen oder geschrieben werden kann« (Funcke, Spontaneität, 18). 221 Interessant ist der Hinweis zur These 8, der darauf aufmerksam machte, dass diese Forderung bereits erhoben wurde, als man in Rheinland-Pfalz noch an der Regierung war; auch halte die jetzige Regierung sie weiter aufrecht. Die FDP hatte in den Jahren 1960 bis 1970 mit der CDU zusammen die Regierung in Rheinland-Pfalz gebildet. Seit 1971 war sie nicht mehr im Parlament vertreten. 222 Auch hier zeigte sich der Einfluss Schneiders: »›Pacta sunt servanda‹. Dieser Grundsatz ist auch für Liberale bindend« (Stellungnahme Schneider; EZA 650/274).
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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lung der Kirchen leite sich gerade nicht vom Staate ab, sondern resultiere aus ihrem Status als »Partner neben dem Staat.« Da der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts »im hergebrachten Sinn« nicht auf die Kirchen anzuwenden sei, erweise sich die These als hinfällig; es könne in diesem Kontext somit nur darum gehen, für den beschriebenen Status »eine neue Bezeichnung zu finden«, die es den Kirchen jedoch ermöglichen müsse, autonom ihre Beziehungen zu ihren Mitgliedern zu regeln. Letztlich rechtfertigte die Stellungnahme somit den Status der Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts und vermied auf diese Weise die Forderung nach einer neuen rechtlichen Organisationsform. Aus dieser Prämisse heraus resultierten die kritischen Anmerkungen zur dritten These, die im Sinne der oben geforderten Autonomie der Kirchen ein Heraushalten des Staates aus innerkirchlichen Angelegenheiten wie beispielsweise der kirchlichen Mitgliedschaftsregelung forderten. Auch die Erhebung der Kirchensteuer, so der Kommentar zur fünften These, zähle zu diesen innerkirchlichen Angelegenheiten, ganz abgesehen von der Tatsache, dass der Staat dieses Verfahren seit hundert Jahren dulde.223 Hinsichtlich der neunten These differenzierte man die darin angesprochenen Bereiche, indem man den Bereich der Bildung als »eindeutig staatliche Aufgabe« deklarierte. Im Blick auf die These zur Trägerschaft sozialer Aufgaben forderte man die engagierte partnerschaftliche Kooperation, was sowohl das Subsidiaritätsprinzip als auch die totale Vormachtstellung des Staates ausschloss. In These 10 kritisierte man die Ausweitung der Forderung nach der »religiös und weltanschaulich neutrale[n] Gemeinschaftsschule« auf das gesamte Bundesgebiet und forderte die Berücksichtigung der jeweils vorherrschenden Situation in den einzelnen Bundesländern.224 Man verwies in diesem Zusammenhang auf »de[n] hartnäckigen Kampf« der rheinland-pfälzischen FDP für die Umwandlung der Konfessionsschule in die christliche Gemeinschaftsschule. Des Weiteren sprach man sich für die Beibehaltung des Religionsunterrichts aus, sofern dieser nicht als »christliche Unterweisung«, sondern als »Sachfach« 225 verstanden werde. In Bezug auf die elfte These zu den 223 »Solange die Mitglieder bereit sind, den Einzug der Beiträge über die Arbeitgeber und die Finanzämter vornehmen zu lassen, soll es dabei bleiben«. In Rheinland-Pfalz war erst am 24. 2. 1971 ein ausführliches »Landesgesetz über die Steuern der Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgesellschaften« erlassen worden, dessen erster Abschnitt die Steuerberechtigung der katholischen Kirche und evangelischen Landeskirchen explizierte (vgl. Kirche und Staat, 152). 224 Im Art. 29 der rheinland-pfälzischen Verfassung war der Charakter der öffentlichen Grund-, Haupt- und Sonderschulen als »christliche Gemeinschaftsschulen« festgelegt worden (ebd., 19). 225 Eine Umsetzung dieser Forderung hätte eine Verfassungsänderung des Landes Rheinland-Pfalz nach sich gezogen, in der bereits »ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes« vorgesehen war, jedoch als Alternativangebot für die Schülerinnen und Schüler, die nicht mehr am Religionsunterricht teil-
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Theologischen Fakultäten sprach man sich für Alternative c und damit deren Nichtbehandlung aus.226 2.1.3. Bayern: Die Qual der (Landtags-)wahl Wo und wann immer eine Stellungnahme zum Kirchenpapier erforderlich war, der bayerische FDP-Landesverband sprach sich generell und konsequent dagegen aus. Trotz dieser einmütigen Ablehnung waren die Nachwehen nach Beschluss des Kirchenpapiers ungleich heftiger als in anderen Landesverbänden. Dieses Phänomen verweist auf die Explosivität, die dieses Kirchenpapier in dem überwiegend katholisch und insgesamt stark kirchlich geprägten Bundesland Bayern hatte. Für die bayrische FDP hätte der Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion nicht ungünstiger sein können. Am 27. 10. 1974 standen die Landtagswahlen an, und die FDP wollte das Wahljahr dafür nutzen, die eigene Stellung innerhalb des Landes zu verstärken. Ihre Position schien dafür günstig, immerhin war die Partei nach vier Jahren Opposition (1962–1966) und vier Jahren Abwesenheit im Parlament (1966–1970) seit 1970 wieder als Opposition im Landtag vertreten, was zu einer Aktivierung der Landespolitik geführt hatte. Im Blick auf die politische Lage der SPD und besonders der CSU hielt man eine mögliche Veränderung der Regierungskonstellationen keinesfalls mehr für ausgeschlossen.227 Ambivalent blieb dabei das Verhältnis zur SPD, insofern sich in einer sozialliberalen Koalition analog der auf Bundesebene die einzige Möglichkeit bot, der übermächtigen CSU zu begegnen, gleichzeitig die SPD jedoch zunehmend ihre Stellung insbesondere in München einbüßte, so dass sie insgesamt »kein ›gesunder‹ und attraktiver Koalitionspartner« 228 und dennoch der einzig mögliche für die liberale Parnehmen wollten (ebd., 20). Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht existierte daneben als ordentliches Lehrfach. 226 Im Art. 14 des 1962 abgeschlossen Kirchenvertrags hatte man sich für den Erhalt der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz als »Stätte der theologischen Forschung und Lehre für die Vorbildung der Pfarrer« ausgesprochen (ebd., 94). 227 »Wir Liberalen brauchen unseren Standort nicht ständig wortreich neu zu bestätigen. Wir haben den Beweis in der Vergangenheit geliefert, und wir werden auch in der Zukunft für eine ausgewogene Politik Sorge tragen. Dies gilt sowohl gegenüber der Erstarrung der Union mit nur gelegentlicher halbherziger Reformbereitschaft. Hier ist die F.D.P. der Garant für den nötigen fortlaufenden Wandel und Wegbereiter eines Fortschritts mit Augenmaß. Dies gilt ebenso gegenüber einer ideologischen Radikalisierung außerhalb und in den Randzonen der SPD gegenüber allen, die von Systemüberwindung sprechen, es aber in Wahrheit auf Systembeseitigung abgesehen haben. Hier ist die F.D.P. Garant eines Lebens für alle in unteilbarer Freiheit, mit persönlicher Selbstverantwortung, in Menschenwürde und sozialer Geborgenheit« (Rede Ertl auf dem LPT Regensburg 16./17. 6. 1973; AdL 12319). 228 Politische Erwartungs- und Orientierungssysteme in Bayern. Ergebnisse einer psychologischen Kommunikationsanalyse bei potentiellen F.D.P.-Wählern; AdL 10893.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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tei war. Das vornehmliche Ziel der bayrischen Liberalen bestand darin, sich im Sinne des Landtagswahlmottos »Partner der Bürger« zu profi lieren und durch einen »flächigen Wahlkampf bis ins letzte Dorf hinein« 229 ihre Wählerschaft auszuweiten. Die Thematisierung eines kirchenkritischen Thesenpapiers konnte in dem oben beschriebenen Milieu wohl nur spärlich zur Rekrutierung neuer Wähler beitragen.230 Diese Umstände erklärten, warum die Reaktionen auf das Kirchenpapier insgesamt verhalten blieben. Der bayrische Landsverband stellte sich hinter die Politiker und Politikerinnen des eigenen Landesverbandes, die auf Bundesebene an der Kirchenpapierdiskussion beteiligt waren, namentlich Josef Ertl, Hildegard Hamm-Brücher und Hermann Rupprecht.231 In diesen Personen gründeten sich als weitere Besonderheit des bayrischen Landesverbandes seine vergleichsweise guten Beziehungen zu beiden Kirchen. Eine Positionierung des Landesverbandes zum Kirchenpapier beinhaltete somit immer zugleich eine Erklärung auch gegenüber den Kirchen bzw. eine Betonung dieses guten Verhältnisses, wodurch man den eigenen Landesverband zugleich als kirchennah und kirchenfreundlich präsentierte.232 Zwei Wochen nachdem die nordrhein-westfälischen Jungdemokraten ihr »Liberalismus und Christentum«-Papier auf der Landesdelegiertenkonferenz in Duisburg beraten und verabschiedet hatten, setzte sich der Landesvorstand der bayrischen FDP damit auseinander. Er stellte sich hinter die Stel229
Geschäftsbericht März 1972 bis Mai 1973; AdL D 2-149. »Und in Bayern, wo die FDP bislang darauf hoffen konnte, ihren dünnen 5,5-Prozent-Anteil mit einigen CSU-Abfällen auf vielleicht acht Prozent (so Umfrage-Ergebnisse) zu verbessern, macht den Liberalen jetzt das vom FDP-Bundesparteitag verabschiedete Kirchenpapier zu schaffen. Die darin propagierte radikale Trennung von Kirche und Staat mussten die bayrischen Liberalen in der Endphase des Wahlkampfes strikt ablehnen – für Bayern hat das Thema noch Gewicht« (Art. »Grandioser, schöner oder einfacher Sieg? Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen«, in: Spiegel 43/1974, 36 f.). 231 Hermann Rupprecht gehörte der FDP München an und war zugleich Mitglied der bayrischen Landessynode. Wie einem Kurzprotokoll über die Sitzung der bayrischen FDP-Delegierten auf dem Hamburger Parteitag zu entnehmen ist, war er zum Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion als »[w]issenschaftlicher Assistent und Religionslehrer« tätig (AdL 22604). Den Erinnerungen Werner Hofmanns nach hatte er neben Theologie auch Mathematik und beides für das Lehrfach an Gymnasien studiert. Sein Engagement in Sachen Kirchenpapier zeigte sich in seinem Vorsitz des Münchener Arbeitskreises »KircheStaat« sowie an seiner Teilnahme an den Beratungen zwischen FDP und EKD. Weiterhin wurde er laut Aussage des oben stehenden Protokolls im Kontext der Verabschiedung des Kirchenpapiers auf dem Hamburger Parteitag mit der Aufgabe betraut, einen Argumentationskatalog zum Kirchenpapier für die Kandidaten und Parteistellen des bayrischen FDPLandesverbandes zu erstellen (vgl. ebd.). 232 Siehe Kap. IV.2. Dieses gute Verhältnis zeigte sich auch darin, dass man sich verstärkt der kirchlichen Presse gegenüber zum Kirchenpapier äußerte: Der Münchener F. D.P.-Stadtratsfraktionsvorsitzende Manfred Brunner führte im März 1973 ein Interview mit dem Pressedienst der Katholischen Jugend Bayerns; Josef Ertl äußerte sich Anfang September der kna gegenüber (s. u.); Hamm-Brücher gab im September 1973 im Sonntagsblatt ein ausführliches Interview für die ELKB (vgl. epd Dok. 36/1973, 11–16). 230
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
lungnahme, die Funcke am 15. 1. 1973 in der freien demokratischen korrespondenz veröffentlicht hatte und nahm dabei insbesondere Bezug auf die Passage, wo sie auf den anachronistischen Charakter des Papiers verwiesen hatte. Des Weiteren bekundete er den Kirchen gegenüber seine ausdrückliche Bereitschaft, »alle bedeutenden Fragen zum Thema Kirche und Staat, Kirche und Parteien einer intensiven Aussprache zuzuführen.« 233 Eine nächste offizielle Reaktion erfolgte erst wieder im Anschluss an den Beschluss des Bundesvorstandes vom 25. 8. 1973, als der FDP-Landesvorsitzende Ertl dem Katholischen Nachrichtendienst gegenüber die entschiedene Ablehnung des Kirchenpapiers durch die bayrische FDP betonte.234 In der Sitzung des Landesvorstandes vom 17. 9. 1973 manifestierte man diese Ablehnung des Kirchenpapiers in Form eines Beschlusses, der wenige Tage später allen Parteistellen in Bayern zusammen mit anderen Verlautbarungen und Stellungnahmen in einer Sonderausgabe zugeschickt wurde.235 Der drei Absätze umfassende Beschluss gab kurz und knapp die Haltung des Landesvorstandes wieder.236 Der erste Absatz betonte, der Entwurf der Kirchenkommission stelle »lediglich ein Diskussionspapier« 237 dar, das keinen verbindlichen Charakter habe. Absatz zwei konstatierte die ablehnende Kritik seitens des Landesvorstandes an einigen Thesen und verwies in diesem Zusammenhang auf ähnliche Bedenken, die seitens der Bezirks- und Kreisverbände geäußert worden waren. Im dritten Abschnitt unterstrich man erneut die Bereitschaft, »den seit Jahren geführten fruchtbaren Dialog mit den Kirchen zu verstärken« 238 , wobei man die Diskussion nicht auf die Kirchenpapierthematik beschränken, sondern allgemein die Frage nach der »Rolle der Kirche in unserer Gesellschaft« 239 erörtern wollte. Bis Mitte des Jahres 1974 blieb es bei dieser offiziellen Stellungnahme des Landesverbandes, der die folgenden Monate zur intensiven Vorbereitung der Landtagswahlen nutzte;
233 Art. »Fragwürdige Forderungen der Jungdemokraten«, in: fdp-Pressedienst Nr. 1/1973 vom 22. 1. 1973. 234 Vgl. Art. »Ertl lehnt Kirchen-Thesen der F.D.P. ab«, in: KNA Nr. 151 vom 4. 9. 1973. Ertl bezeichnete die Haltung der bayrischen FDP dem Kirchenpapier gegenüber als »ziemlich homogen« (ebd.) und kritisierte im Folgenden die Thesen zum Körperschaftsstatus und zum Religionsunterricht. Lediglich die Kirchensteuerthese sei diskutabel. Nebenbei erwähnt bestätigte die Tatsache, dass auch Ertl den Beratungen der Kirchenkommission, in der er Mitglied war, bei allen Sitzungen fernblieb, diese negative Haltung. 235 Vgl. Sonderausgabe »Freie Kirche im Freien Staat« des F.D.P. Informationsdienstes Nr. 41/1973 vom 21. 9. 1973. Die Sonderausgabe enthielt des Weiteren ein Schreiben des verstorbenen Generalsekretärs Flach, Ausführungen von Scholder, den Beschluss des Bundesvorstandes, eine Erklärung Ertls sowie eine Stellungnahme von Hamm-Brücher. 236 Vgl. Beschluss des Landesvorstandes vom 17. 9. 1973; AdL 12376. 237 Ebd. 238 Ebd. 239 Ebd.
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einzige Ausnahme bildete das gemeinsame Gespräch mit Vertretern der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns am 18. 2. 1974.240 Welche Gefahr man von dem Kirchenpapier im Blick auf diese Wahlen ausgehen sah, zeigte ein erneuter Beschluss des Landesvorstandes vom 12. 7. 1974, der »mit der Bitte um vordringliche Berücksichtigung«241 an den Bundesverband weitergeleitet wurde. Darin bat man, im Blick auf die Landtagswahlen »die Beratungen des Kirchenpapiers zurückzustellen und keinesfalls auf dem anstehenden Bundesparteitag durchzuführen.« 242 Der Beschluss musste als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesvorstandes vom 28. 6. 1974 betrachtet werden, der entgegen der Ansicht des Präsidiums das Kirchenpapier nun doch auf dem kommenden Parteitag behandeln lassen wollte.243 Etwa von diesem Zeitpunkt an ließ sich eine stärkere Auseinandersetzung innerhalb des bayrischen Landesverbandes mit dem Kirchenpapier verzeichnen. Hatte ein Gespräch mit der evangelischen Kirche bereits stattgefunden, so kontaktierte man nun auch die katholische Kirche. Am 27. 6. 1974 wandte sich Ertl an den Erzbischof von München und Freising Julius Döpfner und bat diesen um ein Gespräch unter vier Augen, in dem das Verhältnis der Kirche zu den Parteien, insbesondere zur FDP thematisiert werden sollte.244 Die Äußerung Hildegard Hamm-Brüchers auf besagter Präsidiumssitzung vom 28. 6. 1974, sie werde ein »bayrisches Kirchenpapier« 245 in die weiteren Beratungen einbringen, bestätigte weiterhin eine intensive Thematisierung des Kirchenpapiers. Dabei ist nicht eindeutig auszumachen, ob die Arbeit des Landesverbandes an diesem Kirchenpapier bereits vor den Entscheidungsprozessen auf höchster Ebene stattgefunden hatte oder ob sie unmittelbar damit einsetzten; sicher ist jedoch, dass ein Münchener Arbeits-
240 Dies bestätigt ein Schreiben des Hauptgeschäftsführers der bayrischen FDP Heinz Brandt an den Hauptgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen FDP Eberhard Wilde vom 31. 5. 1974, in dem Brandt Wilde die Sonderausgabe des Informationsdienstes übersandte und über das gemeinsame Gespräch zwischen FDP und Kirche vom 18. 2. 1974 informierte: »Ansonsten haben wir im Hinblick auf die Landtagswahlen und die besonderen Verhältnisse in Bayern davon abgesehen, dieses Thema weiter zu behandeln oder zu vertiefen. Es fanden keinerlei parteioffi zielle Beratungen mehr statt, auch keine parteiinternen Diskussionen« (LStaD RWV 49-2095). 241 Schreiben Brandt an Genscher vom 16. 7. 1974; AdL 12376. In der Begründung zur Erklärung betonte der Landesvorstand, er spräche sich nicht grundsätzlich gegen eine Behandlung des Kirchenpapiers aus, jedoch bestünde in Bayern eine »besondere Problematik für dieses Thema«. Auch habe die bayrische FDP in ihrem Wahlkampf »auf besonders schwerem Boden zu kämpfen«, so dass eine Verschiebung der Behandlung dieser Thematik aus wahltaktischen Gründen geboten sei (ebd.). 242 Ebd. 243 Siehe Abschnitt 3.1. 244 Dies geht aus dem Antwortschreiben Döpfners hervor, in dem dieser dem Vorschlag Ertls zugestimmt hatte (vgl. Schreiben Döpfner an Ertl vom 15. 7. 1974; AdL 22575). 245 Siehe Abschnitt 3.1.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
kreis »Kirche und Staat« existierte, dem Hermann Rupprecht vorsaß.246 Sicher ist weiterhin, dass Hildegard Hamm-Brücher auf der Klausurtagung des Bundesvorstandes am 14./15. 9. 1974 einen Kirchenpapierentwurf vorlegte, der als Arbeitsergebnis dieser landesverbandsinternen Arbeit betrachtet werden musste, obschon ihr eigener Einfluss auf die Inhalte dieser Stellungnahme ungleich hoch gewesen sein wird.247 Die Besonderheit dieser bayrischen Stellungnahme bestand darin, dass sie, obwohl sie nicht im Vorfeld der zweiten Kirchenkommission vorgelegen hatte, durch Hermann Rupprecht Einfluss auf die dort erarbeitete Thesenfassung nahm und zudem, vertreten durch Hildegard Hamm-Brücher, die Formulierungen des Präambeltextes bei den Beratungen auf höchster Ebene entscheidend prägte.248 Den Beschluss des Papiers hatten die Bayrischen Delegierten auf dem Bundesparteitag indes nicht verhindern können.249 Die Initiativen des Landesvorstandes unmittelbar nach Beschluss des Papiers verwiesen nun darauf, wie ernst man das Kirchenpapier im aktuellen politischen Kontext der Landtagswahlen nahm. Dem Anliegen verpfl ichtet, den Verlust potentieller Wähler zu vermeiden und die Polemik von Seiten der CSU und katholischer Kirche möglichst zu begrenzen, startete man in den eigenen Reihen eine breite Auf klärungsarbeit über die Entstehung und Diskussion des Kirchenpapiers. Am 3. 10. 1974 verabschiedete der Landesvorstand eine Erklärung, deren grundsätzliche Intention darin bestand, die permanente Ablehnung des Kirchenpapiers durch den bayrischen Landesverband erneut zu explizieren.250 Am Tag darauf versandte man die Stellungnahme Hamm246
Vgl. Sonderausgabe »Erläuterungen zum Kirchenpapier« des F.D.P. Informationsdienstes Nr. 44 vom 9. 10. 1974. In der Vorbemerkung wurde Hermann Rupprecht als ihr Verfasser genannt und u. a. als »Leiter des AK ›Kirche-Staat‹ in München« vorgestellt (ebd.). 247 Zu den Inhalten der Stellungnahme siehe Abschnitt 3.3. Gleichwohl das Papier in den weiteren Beratungen als »Hamm-Brücher Vorschlag« bezeichnet wurde, bestätigte sich sein Charakter als landesverbandliche Stellungnahme in einem Schreiben des Öffentlichkeitsreferenten Claus-Jürgen Roepke an den Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hamburgs Wölber Ende September 1974. In diesem Schreiben übersandte Roepke dem Bischof den Entwurf einer Präambel, die laut Aussage Hamm-Brüchers im Auftrage des Bayrischen Landsverbandes der FDP und unter Mitwirkung von »Christen und Theologen« entstanden war (Schreiben Roepke an Wölber vom 25. 9. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). Diese Präambel stimmte wörtlich mit dem »Hamm-Brücher Vorschlag« überein. 248 Siehe Abschnitte 3.2.2., 3.3. und 3.4. 249 Siehe Abschnitt 4. 250 Vgl. F.D.P. Pressedienst vom 3. 10. 1974. So betonte man, immer wieder davor gewarnt zu haben, dieses Thema programmatisch zu verabschieden und verwies auf das dahingehende Engagement Hamm-Brüchers und Ertls auf dem Hamburger Parteitag, wo diese »bis zuletzt und mit großem Nachdruck« versucht hatten, eine Verbindlichkeit des Papiers für die Partei zu vermeiden. Der Tatsache geschuldet, dass das Kirchenpapier zur programmatischen Aussage geworden war, unterstrich man die »erheblichen Verbesse-
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Brüchers auf dem Bundesparteitag an die Untergliederungen der Partei; knapp eine Woche später folgte die bereits erwähnte Sonderausgabe mit den Erläuterungen Rupprechts zum Kirchenpapier, die fortan jeder Weitergabe des Kirchenpapiers beigefügt werden sollte.251 Entgegen der Hoffnung, mit den versandten Materialien den »Angriffen, Verdrehungen und gar Verleumdungen wirksam entgegenzutreten« 252 , verdeutlichten die Reaktionen aus den Untergliederungen und deren Bitte um Erhalt des Wortlauts des Kirchenpapiers, wie sehr gerade die katholische Kirche das Kirchenpapier im Kontext des Wahlkampfes thematisierte. Früher als erwartet sah sich der geschäftsführende Landesvorstand daher zu einer weiteren Reaktion herausgefordert, die am 14. 10. 1974 im parteieigenen Pressedienst veröffent licht wurde.253 Darin wies die FDP jene Einmischung katholischer Kirchenkreise in den Wahlkampf zurück und exponierte als positives Gegenbeispiel die objektive Stellungnahme des evangelisch-lutherischen Kirchenrats.254 Dankbar zeigte man sich für jede positive Reaktion auf das Kirchenpapier, die die vorherrschende grundsätzlich ablehnende Stellung etwas zu durchbrechen vermochte.255 rungen«, die nicht zuletzt auf den Einsatz der Bayrischen Delegierten zurückgeführt werden konnten. Der Sorge vor einer Umsetzung des Kirchenpapiers versuchte man entgegenzuwirken, indem man dessen Realisierung an das Einvernehmen der Kirchen knüpfte und daher lange Zeiträume in Aussicht stellte (ebd.). 251 »Wir bitten unter allen Umständen davon abzusehen, nur das Kirchenpapier als solches auszugeben. Es sollte nur zusammen mit den Sonderausgaben unseres Informationsdienstes ausgegeben werden, und das auch nur dann, wenn es ausdrücklich angefordert wird. Wir haben im Hinblick auf den Wahlkampf keinen Anlaß, das Kirchenpapier allein zu streuen« (F.D.P. Informationen für Wahlkampf und Parteiarbeit Nr. 16/1974 vom 8. 10. 1974). In den Erläuterungen verwies Rupprecht auf die entsprechenden Verfassungs- und Gesetzestexte sowie die Haltung der bayrischen FDP zur entsprechenden These. Bei vielen Thesen betonte er deutlich, worin die Abgrenzung und Veränderung gegenüber der ursprünglichen Jungdemokratenforderung bestand und explizierte auf diese Weise, wie stark sich das Papier verändert hatte. Interessant war seine Einschätzung, die These zur Kirchensteuer und zur verfassungsmäßigen Neutralität des Staates, die zur Abschaffung jeglicher religiöser Symbole im öffentlichen Bereich führe, seien die wirklich umstrittenen Thesen im Gespräch mit den Kirchen gewesen. War insbesondere letztere These auf mancherlei Zustimmung auch in den Kirchen gestoßen, so zeigte sich an dieser Einschätzung Rupprechts die ungleich höhere Bedeutung religiöser Symbolik für das bayrische Bundesland (vgl. Sonderausgabe »Erläuterungen zum Kirchenpapier« des F.D.P. Informationsdienstes Nr. 44 vom 9. 10. 1974). 252 F.D.P. Informationen für Wahlkampf und Parteiarbeit Nr. 16/1974 vom 8. 10. 1974. 253 Vgl. Art. »F.D.P. tritt falscher Auslegung ihres Kirchenpapiers entgegen«, in: F.D.P. Pressedienst vom 14. 10. 1974. 254 Siehe dazu Kap. IV.2. 255 So informierte man im F.D.P. Pressedienst beispielsweise über einen katholischen Pfarrer, der die FDP um den Wortlaut des Kirchenpapiers bat, um sich entgegen vagen ungenauen Informationen sachlich zu informieren. Im selben Artikel verwies man weiterhin auf einen Zahnarzt, der die FDP um einen Aufnahmeantrag bat, um durch seinen Beitritt die Partei in Sachen Kirchenpapier zu unterstützen (vgl. Art. »Kirchenpapier –
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Spätestens mit dem offiziellen Hirtenwort der Bayrischen Bischöfe, das diese am 19. 10. 1974 und somit eine Woche vor den Landtagswahlen veröffentlichten, rückte das Kirchenpapier nun endgültig ins Kreuzfeuer der katholischen Kritik. Das Hirtenwort konnte als eine umfassende Kritik an der sozialliberalen Bundespolitik betrachtet werden, insofern die Bischöfe darin mit jenen Entscheidungen beider Parteien abrechneten, die bei der katholischen Kirche auf große Kritik gestoßen waren. Dazu gehörte zunächst die Zustimmung der sozialliberalen Regierung zur Veränderung des § 218 StGB von Ende April, die man nun unter die Aussage fasste, dass »[d]as sittliche Bewußtsein in Lebensfragen und die Achtung der im Grundgesetz verbürgten Menschenrechte« 256 zu schwinden drohten. Das Kirchenpapier lieferte weiteren Zündstoff, und obwohl es nicht beim Namen genannt wurde, waren die Anspielungen darauf offensichtlich, insofern die katholischen Geistlichen ein »Anwachsen radikaler politischer Strömungen« konstatierten, die »die freie Entfaltung des Dienstes der Kirche am Menschen« 257 gefährdeten. Die Tatsache, dass Genscher in einem Beschwerdebrief an Döpfner, in dem er die Behandlung der FDP durch die katholische Kirche kritisierte, jene Passagen zitierte, bestätigt ihre eindeutige Bezugnahme auf das richtig verstanden«, in: F.D.P.-Pressedienst vom 22. 10. 1974). Einen Tag zuvor war die Stellungnahme des Diözesanverbandes München und Freising bekannt geworden, in der man das Verschwinden der Thesen zurück in die »Mottenkiste der liberalistischen Ideologie des 19. Jahrhunderts« gefordert hatte (Stellungnahme des Diözesanverbandes München und Freising vom 21. 10. 1974; AdL 12376). 256 Hirtenwort der bayrischen Bischöfe zur Landtagswahl am 27. 10. 1974, in: KNA Dok. Nr. 44 vom 19. 10. 1974. 257 »Es gibt darüber hinaus Vorschläge, die in ihrer Konsequenz dem Versuch gleichkommen, den Staat zu einem Werkzeug weltanschaulicher Gleichschaltung aller zu machen, kirchliche Einrichtungen und Wirksamkeiten aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen oder ihnen die notwendigen Voraussetzungen einer freien gesellschaftlichen Entfaltung zu nehmen« (ebd.). Das Hirtenwort war von Hannes Burger, Redakteur der SZ, heftig kritisiert worden. Burger bezeichnete es als »Symptom für einen Konfrontationskurs«, den die katholische Kirche und ihre Verbände in den letzten Jahren forcierten hätten. Dabei beschrieb er die neuerliche Entwicklung mit den Worten Karl Forsters, der diesen Kurs als »Abschied von der Äquidistanz«, dem Versuch der Kirche, zu allen Parteien den gleichen Abstand zu halten, beschrieben hatte. Den größeren Schaden sah Burger jedoch nicht für die Parteien, sondern für die Kirche selbst: »Wo sich aber eine Amtskirche, wie jetzt die katholische Kirche Bayerns, so unmittelbar in die Nähe eines der parteipolitischen Kontrahenten begibt, riskiert sie in einem auch für sie selbst nicht wünschenswerten Ausmaß, künftig kritischer nach dem politischen Mandat und der demokratischen Legitimation ihrer geistlichen Amtsträger gefragt zu werden, wie es die FDP mir ihrem Kirchenpapier getan hat. Sie veranlasst auch diejenigen zur Solidarität mit den FDP-Kirchenthesen, die dafür bislang keine Veranlassung zu sehen glaubten. Mit anderen Worten: sie rechtfertigt nachträglich, was die FDP gegen manchen Widerstand als Denkanstoß beschlossen hat« (Art. »Wem dient der Hirtenbrief zur Landtagswahl? Das ›Kirchenpapier‹ der bayrischen Bischöfe. Durch die einseitige parteipolitische Stellungnahme gefährdet die katholische Amtskirche ihr partnerschaftliches Verhältnis zum Staat«, in: SZ vom 19./20. 10. 1974).
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Kirchenpapier.258 Die Bischöfe plädierten für die uneingeschränkte Möglichkeit der bayrischen Christen, ihre gesellschaftliche Verantwortung freiheitlich ausführen zu können sowie die Freiheit auch der Kirche, ihren Beitrag zur Jugendarbeit, Kulturpflege, im Bildungswesen und dem sozialen Bereich leisten zu dürfen, und sahen die Verwirklichung beider Anliegen wesentlich vom Einsatz der zur Wahl gestellten Delegierten abhängig. Der Charakter des Hirtenwortes als eindeutige Stellungnahme zugunsten der CDU/CSU war offensichtlich. Bei den Landtagswahlen am 27. 10. 1974 fiel die bayrische FDP auf 5,2% zurück und erreichte somit nur knapp ihr Mandat im bayrischen Landtag. Es wäre verzerrt, das schlechte Wahlergebnis nun ausschließlich auf die Existenz des Kirchenpapiers zurückzuführen; nicht zuletzt die uneindeutige Koalitionsaussage mit der SPD und damit verbunden eine grundsätzliche Kritik an der Politik der Bundesregierung – hier stießen insbesondere der Kompromiss in der Mitbestimmung sowie die Steuerreform auf Kritik – hatten zu einer Verunsicherung der Wählerschaft geführt, was wiederum die CSU auf sich vereinen konnte.259 Unbestreitbar blieb jedoch, dass das Kirchenpapier viele Wähler von ihrer Entscheidung, die FDP zu wählen, abgehalten hatte.260 Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang noch die Tatsache, dass die Wahlverluste besonders stark im evangelisch dominierten Franken waren. Während der Spiegel den Verlust dieser Wähler als Ausdruck jener »Abneigung gegenüber den SPD-fi xierten Linksliberalen«261 bewertete, sahen die Liberalen darin eine Kritik am Kirchenpapier, insofern aus der größeren Offenheit der evangelischen Amtskirche heraus »ein umso größeres Unverständnis für Druck von außen« 262 erwachse, wohingegen »die starre Position der katholischen Kirche, die durch den Hirtenbrief noch aktualisiert wurde, das Verständnis für das Kirchenpapier der F.D.P. eher gefördert haben« 263 dürfe.
258 Vgl. Schreiben Genscher an Döpfner Ende Oktober 1974 [Datum nicht überliefert]; AdL 219. 259 Vgl. Art. »Ein Bündel wirksamer Ursachen. Bayrischer Landtagswahlkampf in kritischer Rückschau«, in: Liberale Informationen FDP-Bayern; AdL D 2-192. 260 Dies bestätigt im Übrigen auch eine Zusammenschau jener Rückmeldungen aus den Kreis- und Bezirksverbänden, die damit auf die Bitte Ertls reagierten, ihrerseits eine Stellungnahme zu den Wahlergebnissen abzugeben. In jeder der sechs vorliegenden Stellungnahmen wurde das Kirchenpapier als Negativfaktor erwähnt (vgl. AdL 12200). Vgl. auch Geschäftsbericht der FDP Bayern 1974, 7: »Kein Vorgang drückte dem gesamten Wahlkampf seinen Stempel so nachdrücklich auf wie das Kirchenpapier« (AdL D 2-150). 261 Art. »Götterdämmerung über den Großstädten. Wählerwanderung in Hessen und Bayern«, in: Spiegel 45/1974, 36. 262 Art. »Ein Bündel wirksamer Ursachen. Bayrischer Landtagswahlkampf in kritischer Rückschau«, in: Liberale Informationen FDP-Bayern; AdL D 2-192. 263 Ebd.
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2.2. Das Kirchenpapier als Gesprächsangebot an die Kirchen 2.2.1. Niedersachsen: Im Zeichen des Loccumer Vertrags Die Thematisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche war für den Landesverband Niedersachsen insofern relativ aktuell, als man sich erst 1965 im Zusammenhang des Niedersachsenkonkordats intensiv damit auseinandergesetzt hatte. Die seinerzeitige Auseinandersetzung hatte auch die Diskussion einiger der Aspekte beinhaltet, die nun in dem aktuellen Kirchenpapier angesprochen wurden. Damals hatte sich die niedersächsische FDP gegen den Abschluss des Konkordats ausgesprochen und insbesondere dessen Bestimmungen im schul- und bildungspolitischen Bereich kritisiert. Ihr Entschluss war dabei vom Bundeshauptausschuss mit unterstützt worden, und erst im Februar 1973 hatte der Landesvorstand im Zuge der Neufassung des Niedersächsischen Konkordats die damalige Entscheidung bekräftigt.264 Weitreichender als die Veränderungen, die sich durch die 1965 beschlossenen Vereinbarungen zwischen Kurie und Land ergeben hatten, waren für die niedersächsische FDP die regierungspolitischen Konsequenzen gewesen; die Koalition mit der SPD war an der Konkordatsfrage zerbrochen. Von Mai 1965 an bis zur Landtagswahl 1970 wurde Niedersachsen von der großen Koalition regiert und die FDP in die »Abseitsposition« 265 der Opposition verwiesen. Im Zuge der sozialliberalen Bundesregierung 1969 hoffte ein Teil des Landesverbandes Ende 1969 im Blick auf die Landtagswahlen 1970 ebenfalls auf eine mögliche Koalition mit der SPD, zumal »die Agonie der großen Koalition in Niedersachsen« 266 mittlerweile offensichtlich war. Jedoch reichten die Mehrheitsverhältnisse nicht aus, so dass eine Koalition mit der SPD ausschied und mit der CDU nur mit Tolerierung der NPD möglich gewesen wäre. Den von SPD und CDU ins Auge gefassten Neuwahlen stimmte die FDP somit zu, wenngleich es innerhalb des FDP-Landesvor264
Vgl. Stellungnahme des Landesvorstandes zur Neufassung des Niedersächsischen Konkordats, in: F.D.P. Liberale Politik, Pressedienst der FDP Niedersachsen vom 16. 2. 1973. Diese Neufassung sah zum einen eine Veränderung dahingehend vor, die Einrichtung und Beibehaltung von Volksschulen als Bekenntnisschulen auf die Grundschule und Vorschulklassen zu beschränken, ein Beschluss, der von der FDP als »Fortschritt« begrüßt wurde (ebd.). Weiterhin gewährte die Neufassung den Kirchen nun aber die Möglichkeit, kirchliche Privatschulen für die Klassen fünf bis neun in Orten mit starkem katholischen Bevölkerungsanteil einzurichten. Dieser Vorschlag stieß bei der FDP auf doppelte Kritik, zum einen, weil das bisherige niedersächsische Privatschulrecht die Errichtung solcher Schulen im Volksschulbereich nicht vorsah, zum anderen, weil dieses neue Privatschulgesetz den kirchlichen Privatschulen im Vergleich zu anderen fi nanzielle Sondervorteile einräumte. So sicherte man den kirchlichen Privatschulen die hunderprozentige Erstattung der Personalkosten, 15% der sächlichen Kosten sowie bauliche Zuschüsse zu, wohingegen das bisherige Privatschulrecht nur 90% der Personalkosten und keinerlei weitere Zuschüsse vorsah. 265 Schreiben Gross an Kaack vom 16. 10. 1974; AdL N 86-243. 266 Ebd.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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standes auch Tendenzen im Blick auf eine mögliche Koalition mit der CDU gegeben hatte. Die Konsequenz der Neuwahlen war das Ausscheiden der FDP aus dem Landtag, was dazu führte, dass der Landesvorstand komplett zurücktrat. Bis 1974 stand die SPD alleine an der Spitze der Regierung; erst nach den Landtagswahlen im Juni 1974 kam es in Analogie zur Bundesregierung zur Bildung der erhofften sozialliberalen Koalition. Im Blick auf den Umgang des Landesverbandes mit dem Kirchenpapier waren nun zwei Aspekte charakteristisch, die letztlich auch darauf zurückgeführt werden konnten, dass man sich im Blick auf die Landtagswahlen und die geplante Regierungskoalition mit der SPD angemessen verhalten wollte267 : Die niedersächsische FDP hielt sich mit offi ziellen Verlautbarungen zurück und maß dem Kirchenpapier in ihrer politischen Arbeit nicht mehr Bedeutung bei als nötig war. Hinzu trat als besonderes Merkmal des niedersächsischen Landesverbandes ein regelmäßiger Austausch mit den niedersächsischen evangelischen Landeskirchen, insbesondere mit den beiden evangelisch-lutherischen Kirchen Hannover und Braunschweig, der für die ganze Zeit der Kirchenpapierdiskussion festgestellt werden konnte. Dies geschah in der Form, dass Vertreter des Landesverbandes und der Kirchen zu gemeinsamen Gesprächen zusammentraten und man sich über die Beratungsprozesse in Landesverband und Landeskirche informierte.268 Es war somit seitens des Landesverbandes das Bemühen zu erkennen, das in der sozialliberalen Regierungserklärung betonte partnerschaftliche Verhältnis zu den Kirchen auch in die Praxis umzusetzen; nicht zuletzt der Loccumer Vertrag gab hier die Richtung vor.269 Dieses Anliegen, das sich die gesamte Debatte lang durchzog, war insbesondere Gross zuzusprechen 270 ; aber auch
267 »Wir müssen jetzt mit allen Kräften diesen Wahlkampf erfolgreich bestehen. Unser Ziel ist: Rückkehr in den Landtag, Verstärkung der Liberalen auch auf kommunaler Ebene und Durchsetzung sozialliberaler Politik, auch in der Landesregierung« (Schreiben Gross an Parteimitglieder vom 25. 4. 1974; AdL N 86-57). 268 Bis zum BPT 1974 kam es zu zwei Treffen zwischen Gross und Lohse im März und September 1973. Vertreter des Landesverbandes sowie der Evangelisch-lutherischen Kirche in Braunschweig trafen sich im August 1973 sowie im März 1974. Ein Treffen zwischen der Konföderation der niedersächsischen Kirchen und dem Landesverband erfolgte im November 1973 (siehe Kap. IV.2.1.). 269 »Seit Bestehen des ›Loccumer Vertrags‹ ist in dieser Weise verfahren worden. Trotz mehrfacher Regierungswechsel und unterschiedlicher politischer Mehrheiten haben die als freundschaftlich charakterisierten Beziehungen niemals eine fühlbare Beeinträchtigung erfahren« (Lohse, Erneuern, 69. Siehe auch Kap. IV.2.1.). 270 Das zeigte sich an seiner Bereitschaft, in Briefen und Anfragen seitens der Kirchen darauf hinzuweisen, dass dieser Austausch die jeweiligen Positionen gegenseitig befruchte. So verwies er in einem Schreiben an den Superintendenten von Osterode Konrad von Vietinghoff darauf, dass die Gespräche und Kontakte mit den Kirchen dazu geführt hätten, »einige Positionen in diesem Papier kritisch zu überdenken« (Schreiben Gross an Vietinghoff vom 12. 2. 1974; AdL N 86-14).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
die Landeskirchen waren daran interessiert, gemeinsam mit der FDP das Gespräch über die Kirchenthesen zu suchen. Wenngleich es auch in anderen Landesverbänden zu Gesprächen mit Vertretern der Kirchen gekommen war, so hatten diese in den meisten Fällen kaum bzw. gar keinen Einfluss auf die Stellungnahme des Landesverbandes. In Niedersachsen hingegen schienen sich die Gespräche in gewisser Weise in den Verlautbarungen des Landesverbandes bemerkbar zu machen. Der Landesvorstand der niedersächsischen FDP setzte sich erstmals am 1. 9. 1973 intensiv mit dem Kirchenpapier auseinander und reagierte damit auf den Beschluss des Bundesvorstandes von August, der eine breitere Diskussion des Kirchenpapiers in den Untergliederungen begrüßt hatte.271 Wie dem Protokoll der Sitzung zu entnehmen war, kam die Diskussion des Kirchenpapiers dabei angesichts der anstehenden Landtagswahlen sehr ungelegen. Der Landesvorstand stand vor der Schwierigkeit, einerseits möglichst schnell zu einer Stellungnahme zu gelangen, um eine Hineinziehung der Thematik in den Wahlkampf zu vermeiden, und andererseits zu gewährleisten, dass die Kreisverbände, deren Reaktionen auf das Kirchenpapier noch nicht abzusehen waren, ausreichend über die Thematik informiert wurden und genügend Zeit zur internen Diskussion hatten. Um die Diskussion möglichst effizient und ökonomisch voranzutreiben, beschloss man, die Kreisverbände mit weiterem Material zu versorgen, zu dem u. a. ein Beschluss des Landesvorstandes zum Verhältnis von Kirche und Staat gehörte, den man noch in dieser Sitzung verabschiedete.272 Im ersten Absatz von insgesamt drei Absätzen betonte der Landesverband das Streben der FDP nach einem partnerschaftlichen Verhältnis zu allen Kirchen, das allerdings »Unabhängigkeit und Freiheit beider Seiten« voraussetze. Im zweiten Absatz versicherten die Liberalen, für die Prinzipien der Grundrechte und Grundfreiheiten ein zustehen, waren aber dennoch der Meinung, »dass es an der Zeit« sei, »zu einer Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat in gegenseitiger Übereinstimmung zu kommen.« Unter Aufnahme und Erweiterung der Äußerung Funckes, »Trennung« 271
Man kann sagen, dass das Kirchenpapier vorher keine große Rolle innerhalb des Landesverbandes spielte. Über den Landesvorstandsvorsitzenden Gross, der ebenfalls Mitglied der Funcke-Kommission war, wurde der Landesvorstand über den aktuellen Diskussionsstand informiert, und wie aus ein Schreiben Gross’ an den Braunschweiger Bezirksvorsitzenden Gustav Ernst hervorgeht, hatte auch er zunächst nicht damit gerechnet, dass die Diskussion des Kirchenpapiers länger als bis zum Herbst 1973 andauert würde: »Wir [sc. die Kirchenkommission] werden am 21. Juni abschließend über diesen Punkt beraten, um dann die Ergebnisse dem Bundesvorstand vorzulegen. In einer Hauptausschusssitzung im September soll dann darüber abschließend beraten werden« (Schreiben Gross an Ernst vom 25. 5. 1973; AdL N 86-11). 272 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 1. 9. 1973; AdL 15675. Die folgenden Zitate ebd.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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dürfe »kein anderes Wort für eine Einschränkung oder Beseitigung der Verkündigung, der Religionsausübung sein«, betonte der Landesvorstandes schließlich im dritten Absatz, jegliche Diskussion über Einzelfragen das gegenseitige Verhältnis betreffend, könne nur in »uneingeschränkter Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Menschen und der religiösen Gruppen bestehen.« Auf besagter Sitzung beschloss man weiterhin die Einrichtung einer Kommission zur »Erarbeitung eigener Vorstellung des Landesvorstandes« und legte fest, dass auf der Grundlage dieser Kommissionsarbeit der Landeshauptausschuss am 13. 10. 1973 einen Beschluss zum Verhältnis Kirche und Staat verabschieden sollte. Die vom Landesvorstand auf der Sitzung am 1. 9. 1973 eingesetzte Kirchenkommission war mit nur neun Mitgliedern deutlich kleiner als die anderer Landesverbände. Ihre Mitglieder waren Rötger Gross, Karl-Heinz Wenig, Wilhelm Rüdiger Kahnt, der Braunschweiger FDP-Bezirksvorsitzende Gustav Ernst, Andreas Lindemann, Helmut Lindemann, Werner Sill, Winfried Hedergott und Marianne Taeglichsbeck.273 Die Kommission erhielt den Auftrag, eine Stellungnahme des Landesverbandes zu erarbeiten sowie Gespräche mit den Kirchen vorzubereiten. Insgesamt drei Mal traten ihre Mitglieder zusammen und beendeten ihre Arbeit noch im September.274 Das Ergebnis ihrer Beratungen waren zwei Papiere, zum einen »Leitsätze zum Verhältnis von Staat und Kirche« 275, die Präambelcharakter hatten sowie eine »Stellungnahme zum Arbeitspapier ›Freie Kirchen in einem freien Staat‹.«276 In dieser Stellungnahme schlug man im Bezug auf die Präambel eine Kürzung vor, die sich aus einer Neuformulierung der 14 Thesen ergab. Die Thesen 1 und 12 wurden so angenommen, 13 und 14 nur geringfügig umformuliert, im Blick auf These 11 plädierte man auf Nichtbefassung.277 Die 273 Bei der Besetzung war darauf geachtet worden, dass die Gebiete der vier evangelisch-lutherischen Landeskirchen im Bundesland Niedersachsen – Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe – durch jeweils eine führende Person vertreten waren. 274 Die Kommission tagte am 8., 15. und 22. 9., eine Unterarbeitsgruppe außerdem am 20. 9. (vgl. schriftlicher Bericht der vom Landesvorstand berufenen Kirchenpapier-Kommission; AdL N 86-275). 275 Vgl. ebd. Von einer ausführlichen Darstellung der Leitsätze wird an dieser Stelle abgesehen, da diese nicht in die Beratungen auf Bundesebene einflossen und auch in den weiteren Diskussionen nicht weiter von Bedeutung waren, obschon sie dem im Oktober tagenden Landeshauptausschuss vorgelegt wurden. 276 Vgl. AdL 3325. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Die Stellungnahme des Landesverbandes unterschied sich insofern von anderen Stellungnahmen, als sie die meisten Thesen mit einem Kommentar versah und nur an manchen Stellen Neuformulierungen vorschlug. 277 Die Streichung der These 11 zu den Theologischen Fakultäten mochte erneut auf den Loccumer Vertrag zurückgeführt werden, der in Art. 3 den Bestand der Theologischen Fakultät an der Universität Göttingen garantierte, »um für die wissenschaftliche
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
These 2 wurde an zwei Stellen kommentiert: zum einen gab man zu Bedenken, dass eine Realisierung der Forderung eine Änderung des Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung voraussetze, zum anderen verwies man auf das geltende Recht, welches besage, dass Kirchen, obwohl sie Körperschaften des öffentlichen Rechtes seien, nicht einer Staatsaufsicht unterlägen. In These 3 konstatierte man zunächst in Bezug auf den ersten Abschnitt, dass es nicht Aufgabe des Staates sein könne, den Kirchen »Vorschriften hinsichtlich des Erwerbs ihrer Mitgliedschaft zu machen.« Es ist anzunehmen, dass man an dieser Stelle die Kritik Lohses aufnahm, der in einem Gespräch mit Gross kritisierte hatte, dass entgegen der Intention, Staat und Kirche zu trennen, der Staat sich an dieser Stelle in die Belange der Kirchen einmische.278 In Abschnitt zwei verwies man auf das ab 1. 1. 1974 in Niedersachsen geltende Gesetz zum Kirchenaustritt, nach dem der Kirchenaus- wie eintritt nicht mehr vor dem Amtgericht, sondern gegenüber dem Standesamt zu erklären sei.279 Ebenso betonte man die Schutzfunktion, die eine Austrittserklärung vor staatlichen Stellen für einen Austretenden Vorbildung der Geistlichen« zu sorgen (Weber, Kirchenverträge, 213). Mit dem stellvertretenden Kreisvorsitzenden des Kreisverbandes der FDP Göttingen-Stadt Andreas Lindemann arbeitete zudem ein Theologe und wissenschaftlicher Assistent der Göttinger Theologischen Fakultät in der Kommission mit, der sich im Verlaufe der Diskussion stets nachdrücklich dafür eingesetzt hatte, die These 11 zu streichen; so auch auf dem Hamburger Parteitag im Oktober 1974, wo die DJD deren Wiederaufnahme beantragt hatten (siehe Abschnitt 4.1.2.). Der Anfang der These 13 wurde um das Subjekt der »Kirchenbedienstete[n]« ergänzt, ihr zweiter Satz positiv formuliert. In These 14 schlug man vor, die Worte »durch kircheneigene Sendungen« zu streichen. 278 Gross und Lohse waren am 3. 9. 1973 erneut zu einem Gespräch zusammen gekommen und hatten sich über die Kirchenthesen der FDP ausgetauscht. Gemeinsam war man zu der Ansicht gelangt, dass die Thesenreihe »Punkt für Punkt« beraten werden müsse (Art. »Landesbischof und Landesvorsitzender sprachen über FDP-Kirchenpapier – Gemeinsame Beratungen in Niedersachsen voraussichtlich im Oktober«, in: epd ZA Nr. 172 vom 5. 9. 1973. Siehe auch Kap. IV.3.1.1.). In einem Schreiben Gross’ an Walter Scheel hatte er diesen ausführlich über die Unterredung mit Lohse informiert und die Bemerkungen Lohses zu den Thesen schriftlich ausgeführt. Im Blick auf die oben erwähnte These 3 enthielt das Schreiben folgenden Hinweis: »Besonderen Widerspruch wird die These 3 hervorrufen, da sie so verstanden wird, dass entgegen der Grundthese Staat und Kirche voneinander zu trennen, sich hier der Staat in das Innere Selbstverständnis der Kirchen einmischt« (Schreiben Gross an Scheel vom 5. 9. 1973; AdL 3325). Neben dem Wunsch, den Bundesvorsitzenden über die Ereignisse in Niedersachsen das Kirchenpapier betreffend zu informieren, lag dem Schreiben noch eine weitere Intention zugrunde. Gross wies sowohl am Anfang wie auch am Ende des Briefes auf die Notwendigkeit hin, mit den Kirchen ins Gespräch zu kommen. So habe Lohse ihm in dem Gespräch versichert, in der Ende September tagenden Ratssitzung vorzuschlagen, für ein solches Gespräch bereit zustehen. Er selber habe in seinem Landesverband die Erfahrung gemacht, dass durch die Kontakte zu den Kirchen »die Polemik kirchlicherseits [. . .] sich in Grenzen hielt« (ebd.). Gross forderte Scheel auf, den Kirchen gegenüber die Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. 279 Das Gesetz trat letztlich am 1. 4. 1974 in Kraft (vgl. Art. »Kirchenaustritt wird künftig beim Standesbeamten erklärt«, in: epd ZA Nr. 54 vom 18. 3. 1974).
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bedeuten könne. In Bezug auf Abschnitt drei plädierte man für eine Streichung. Der These 4 stimmte man inhaltlich zu, formulierte sie jedoch positiv, indem man unter Aufführung des Gesetzestextes die volle Verwirklichung des noch geltenden Art. 136 Abs. 3 WRV forderte. Zu These 5 merkte man an, dass zunächst Gespräche mit den Kirchen zu führen seien. Die Einwände zu These 6 bezogen sich lediglich auf Abschnitt drei, für den man eine Neuformulierung vorschlug, die den grundsätzlichen Verzicht auf die Verwendung sakraler Formen und Symbole einforderte und eine »religiöse Bekräftigung des Eides« dem Betroffenen zur Entscheidung anheim stellte. These 7 wurde verkürzt und ebenfalls neu formuliert. Ihre wesentliche Aussage bestand nun darin, dass Verträge zwischen Staat und Kirche keinen Sonderrechtscharakter besitzen dürften, was zum einen im Blick auf neu abzuschließende Verträge berücksichtigt werden müsse und zum anderen auch Veränderungen der bestehenden Verträge zur Konsequenz haben könnte. In den bedachten Formulierungen zeigte sich deutlich die Signalwirkung des Loccumer Vertrags. Auch These 8 wurde insgesamt verkürzt, indem man im Abschnitt eins unter Verweis auf den noch geltenden Art. 138 Abs. 1 WRV die Auflösung der »auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen« forderte. In Abschnitt zwei stellte man die Kirchen mit »anderen gemeinnützigen Institutionen« gleich und forderte die Auf hebung etwaiger steuer- und gebührenrechtlicher Sondervorteile diesen gegenüber. Diese Gegenüberstellung war möglicherweise ebenfalls auf eine Äußerung Lohses zurückzuführen, der darauf hingewiesen hatte, dass die Kirchen auch dann, wenn sie privatrechtlich organisierte Vereine seien, »im Zweifel als gemeinnützig anerkannt würden und damit wie alle anderen gemeinnützigen Einrichtungen in den Genuss von Vorteilen bei Steuern und Gebühren kämen.« 280 These 9 wurde in etwa so übernommen, nur am Ende änderte man die Begründung für die Gewährleistung staatlicher Zuwendungen für Einrichtungen freier Träger durch die Formulierung »wenn in ihnen auf jeden Versuch einer religiösen, weltanschaulichen oder ideologischen Indoktrination verzichtet wird.« In These 10 stimmte man dem ersten Satz sowie dem letzten Abschnitt von E III zu. Im Gegensatz zu E III deklarierte man aber den Religionsunterricht unter Verweis auf Art. 7 GG als ordentliches Lehrfach, wobei man jedoch gleichzeitig forderte, »die Reste kirchlicher Schulaufsicht [. . .] zu beseitigen«. Eine Überprüfung der nichthauptamtlichen Lehrkräfte im Blick auf deren »fachliche wie pädagogische Eignung« sowie die Einrich-
280
Schreiben Gross an Scheel vom 5. 9. 1973; AdL 3325.
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tung eines religionskundlichen Unterrichts, der auf der Basis freiwilliger Teilnahme anzubieten war, ergänzten die These.281 Für den im Oktober geplanten Landeshauptausschuss hatte der Landesvorstand beschlossen, lediglich die »Leitsätze« als Diskussions- und Beschlussvorlage einzubringen. Er begründete diesen Entschluss damit, dass die Stellungnahme der Kirchenkommission »unter einer gewissen Zeitnot« 282 entstanden sei. Weiterhin könne der Diskussionsprozess innerhalb des Landesverbandes noch in keiner Weise als abgeschlossen betrachtet werden, er sei im Gegenteil in den Kreisverbänden gerade erst angelaufen. Ebenso wollte man vor einer endgültigen Beschlussfassung die Gespräche mit den Kirchen abwarten.283 Ende September wurden die Kreisverbände über das weitere Vorgehen informiert und mit zusätzlichem Material, bestehend aus Stellungnahme und Leitsätzen des Landesverbandes sowie dem Kirchenkommissionsentwurf E III, versorgt. Die Stellungnahme der landesverbandlichen Kirchenkommission bezeichnete man dabei als »Zwischenergebnis« 284, das als Entscheidungshilfe in den jeweiligen Diskussionen fungieren sollte. Das Ergebnis der Beratungen des Landeshauptausschusses vom 13. 10. war ein Tendenzbeschluss zum Verhältnis von Kirche und Staat, der sich interessanterweise in weiten Teilen an den Beschluss anlehnte, den man in der Landesvorstandssitzung vom 1. 9. formuliert hatte.285 Die Einleitung bekundete zunächst die Übereinstimmung mit Funcke, und es folgte die wörtliche Übernahme des letzten Absatzes des Septemberbeschlusses, in dem man Funckes Aussage, Trennung dürfe kein anderes Wort für Einschränkung oder Beseitigung der Verkündigung der Religionsausübung sein, zitiert hatte. Man ergänzte die Aussage nach Religionsausübung durch den Passus »und auch nicht der politischen Stellungnah281 Lohse hatte jedoch darauf hingewiesen, dass die Herausnahme der Theologischen Fakultäten sowie des Religionsunterrichts aus der kirchlichen Hand in die Verantwortung des Staates als ein entscheidender Fortschritt des Kulturkampfes betrachtet werden musste, wohingegen eine erneute Übergabe beider Institutionen in die Hände der Kirche die Aufgabe eines wesentlichen Ergebnisses dieses Kulturkampfes bedeute (vgl. ebd.). Die Formulierungen, die nach dem Passus, Religion sei ordentliches Lehrfach folgten, tauchten sonst in keiner anderen Stellungnahme auf. Sie können durchaus als Reaktion auf die Bestimmungen des Niedersachsenkonkordats zurückgeführt werden, in dem die katholische Kirche nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltungen des schulischen Religionsunterrichts hatte. 282 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 24. 9. 1973; AdL 15540. 283 Man bezog sich hier auf das geplante Gespräch zwischen Vertretern des Landesverbandes und der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen, das für den 29.10. angesetzt war und letztlich am 10. 11. stattfand. Hier zeigte sich erneut die Bedeutung, die man diesen Gesprächen beimaß. 284 Rundschreiben Nr. 29/1973 vom 27. 9. 1973; AdL N 86-275. 285 Vgl. Stellungnahme zum Verhältnis Kirche und Staat des Hauptausschusses der FDP Niedersachsen, in: F.D.P. Liberale Politik; Pressedienst der FDP Niedersachsen vom 10. 10. 1973.
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me einer Kirche sein« 286 . Der zweite Absatz lehnte sich zunächst an den zweiten Absatz des Septemberbeschlusses an, er enthielt jetzt jedoch keine Aussage mehr darüber, dass das Verhältnis von Staat und Kirche neu zu überdenken sei: »Der Liberale, der die Grundrechte und Grundfreiheiten politisch erstritten und durchgesetzt hat, würde das Gesetz verlassen, nachdem er angetreten ist, wenn er für den Kampf gegen religiöse Überzeugungen und Wirksamkeiten und ihre Vertretung in der Öffentlichkeit die Parole ausgeben würde.« 287
Die »Leitsätze« wurden nicht in die Stellungnahme aufgenommen. Auf der Grundlage dieses Beschlusses sollten die Einzeldiskussionen in den Kreisverbänden weitergeführt werden. Bis Mitte des nächsten Jahres wurde es zumindest in den offi ziellen Gremien des Landesverbandes still um das Kirchenpapier, und man konzentrierte sich auf die anstehenden Landtagswahlen. Nach der gewonnenen Landtagswahl und der Regierungskoalition mit der SPD griff man auf Landesvorstandsebene die Kirchenpapierthematik wieder auf, allerdings war man dabei noch auf dem Stand des Bundesparteitagbeschlusses von Wiesbaden und ging somit nach wie vor davon aus, dass sich der Bundesparteitag erst »im nächsten Jahr mit dem Thema beschäftigen wird.« 288 Als bekannt wurde, dass das Kirchenpapier doch schon auf dem kommenden Bundesparteitag behandelt werden sollte, beschloss der Landesvorstand, die Beratungen der zweiten Kirchenkommission abzuwarten und von einem eigenen Antrag auf dem Bundesparteitag zunächst abzusehen.289 Bei diesem Beschluss ist es bis zum Bundesparteitag geblieben, was zur Folge hatte, dass Stellungnahmen aus den Kreisverbänden nicht mehr in dem Sinne berücksichtigt wurden, dass man auf Landesvorstandsebene auf deren Grundlage etwa eine eigene Erklärung hätte formulieren können.290 Die 286
Ebd. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass die Gespräche mit den Kirchen zu dieser entschärfenden Formulierung geführt hatten, eine Formulierung, welche Die Welt im Übrigen in ihrem Artikel vom 17. 10. 1974 zum Bundeshauptausschuss zu der Artikelüberschrift: »Niedersächsische FDP rückt vom Kirchenpapier ab« veranlasste. 288 Schreiben Gross an Lohse vom 19. 6. 1974; AdL N 86-59. 289 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 26. 8. 1974; AdL 15675. Gross hatte den Mitgliedern des Landesvorstandes Anfang August die neue Version (E IV) der Kirchenkommission II zukommen lassen, die man nun in der Sitzung diskutierte. Die Mitglieder erfuhren erst jetzt, dass auf Bundesebene eine zweite Kommission eingerichtet worden war, die diese Fassung entworfen hatte (zu E IV siehe Abschnitt 3.2.2.). 290 Im Kreisverband Göttingen hatte man eigens für die Beratungen des Kirchenpapiers eine Kommission eingerichtet, der sechs Personen angehörten (Babke, Gabriel, Lindemann, Stimpel, Werner und Zerlik). Diese Kommission hatte in vier Sitzungen eine eigene Thesenfassung erarbeitet und sie am 12. 9. 1974 an Gross weitergeleitet. Seitens des Kreisverbandes hatte man gehofft, dass die Ergebnisse der Beratungen möglicherweise in die Arbeit auf Bundesebene einfl ießen würden (vgl. Schreiben Zerlik an Gross vom 12. 9. 287
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»erste Stellungnahme« der Kirchenkommission vom 22. 9. 1973 blieb somit die einzige offizielle Stellungnahme des Landesverbandes. Die Tatsache, dass sie in der Synopse, die der zweiten Kirchenkommission als Beratungshilfe zur Verfügung stand, aufgeführt wurde, zeigt, dass man sie nach Beschluss an den Bundesverband weitergeleitet hatte. 2.2.2. Bremen: Partnerschaft mit den Kirchen Es lässt sich nicht viel über den Umgang des bremischen Landesverbandes mit dem Kirchenpapier sagen. So ist lediglich bekannt, dass im September 1973 auf Initiative des Landesverbandes hin ein Gespräch mit der Bremischen Evangelischen Kirche verabredet worden war.291 Wann genau dieses Gespräch stattfand und welche Inhalte dabei thematisiert wurden, ist nicht überliefert, es ist jedoch anzunehmen, dass es nicht lange nach den Ankündigungen stattgefunden haben muss.292 Auch fehlt eine Stellungnahme des Landesverbandes, zumindest aus der Zeit vor Beschluss des Kirchenpapiers. Am 3. 10. 1974 jedoch verabschiedete der Landesparteiausschuss eine Entschließung zum Kirchenpapier, aus der ein Stück weit die Haltung des bremischen Landesverbandes zur Kirchenpapierdiskussion abgeleitet werden konnte.293 Das Gespräch mit den Kirchen nahm dabei einen großen Raum ein und zog sich als Leitmotiv durch die gesamte Entschließung. Die Bremer Liberalen bezeichneten das Kirchenpapier als »legitimiertes Angebot zum
1974; AdL N 86-19). Gross dankte dem Kreisverband für seine Stellungnahme und verwies auf die Beratungen auf Bundesvorstandsebene, bei denen das Kirchenpapier in einer Weise verändert worden sei, »wie es Ihren Vorstellungen wohl am nächsten kommt« (Schreiben Gross an den Kreisverband Göttingen Stadt vom 23. 9. 1974; ebd.). 291 »Der Landesvorsitzende der FDP in Bremen Ulrich Graf hat in einem Schreiben an den geistlichen Repräsentanten der Bremischen Evangelischen Landeskirche Pastor Heinz-Georg Binder die Bereitschaft der Kirche begrüßt, eine Einladung des FDP-Landesvorstandes zur Erörterung des FDP-Papiers über das Verhältnis von Kirche und Staat anzunehmen« (Art. »Bremer FDP begrüßt Gesprächsbereitschaft der Kirche«, in: epd ZA Nr. 182 vom 19. 9. 1973). Binder hatte kurz zuvor signalisiert, die FDP werde eine gesprächsbereite Kirche fi nden (vgl. Art. »Bremische Kirche zum Gespräch über FDP-Thesen bereit«, in: ebd. Nr. 174 vom 7. 9. 1973). 292 So existierte ein auf den 6. 9. 1973 datierter Entwurf zur Vorbereitung auf das Gespräch mit der Bremer FDP, den Heinz-Georg Binder in Abstimmung mit dem Leiter der Bremer Kirchenkanzlei Bernhard Steffen verfasst hatte. In dem Papier, das Binder in einem Schreiben an die Verfasserin vom 16. 3. 1973 als »nonpaper« bezeichnete, um damit seinen Charakter als Gesprächsgrundlage zu verdeutlichen, betonte man die Bereitschaft, gemeinsam mit der FDP in ein Gespräch über das Kirchenpapier betreten, wobei man zugleich auf dessen anachronistischen Charakter verwies, insofern die Trennung von Staat und Kirche »nicht eine Aufgabe des Jahres 1973« sei. Das Papier bezog sich im Wesentlichen auf die Thesen zum Körperschaftsstatus, der Trägerschaft sozialer Aufgaben sowie zur Kirchensteuer, die man in der Form, wie sie in dem Kirchenpapier artikuliert wurden, ablehnte. 293 Vgl. Bremer Kirchenzeitung Nr. 21/1974 vom 13. 10. 1974.
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offenen Gespräch« 294 und verwiesen dabei auf ihr Hauptanliegen, »die Kirchen von staatlicher Bevormundung zu befreien und Ansätze einer innerkirchlichen Reformation zu unterstützen.« 295 Mit den Kirchen zusammen galt es, die Thesen kritisch zu prüfen, in dem gemeinsamen Bewusstsein, »daß zahlreiche Bestandteile des Kirchenpapier in Bremens traditionell liberaler Atmosphäre längst verwirklicht sind.«296 2.2.3. Hamburg: Gespräche mit den Kirchen Ähnlich wie beim Bremer Landesverband ist auch für den Hamburgischen Landesverband keine offi ziellen Stellungnahme überliefert, anders als in Bremen setzten sich die Hamburger Liberalen jedoch intensiv mit dem Kirchenpapier auseinander. Bereits am 11. 1. 1973, nur vier Tage, nachdem die Landesdelegiertenkonferenz der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten das Papier »Liberalismus und Christentum« verabschiedet hatten, meldete sich der stellvertretende Landes- und Fraktionsvorsitzende der Hamburger FDP und studierte Theologe, Gerhard Weber, zu Wort und betonte, seitens der Hamburger FDP habe man sich »von der Düsseldorfer Initiative der Jungdemokraten bereits distanziert.« 297 Dabei verwies der ehemalige Sozialdemokrat und Generalsekretär des Hamburger CVJM auf die Teilhabe nicht weniger FDP-Politiker- und Parlamentarier »als engagierte[e] Christen und Kirchenmitglieder [. . .] an dem Reformprozeß, in den die Kirche inzwischen bewußt eingetreten sei.« 298 Früher als in Bremen signalisierte man der Kirche die Bereitschaft, gemeinsam über das Verhältnis von Kirche und Staat ins Gespräch zu treten. Zu diesem Gespräch kam es am 26. 9. 1974.299 294
Ebd. Ebd. 296 Ebd. Man verwies in diesem Zusammenhang auf die bekenntnisneutrale Gemeinschaftsschule, den Religionsunterricht sowie sakrale Formen und Symbole im Bereich staatlicher Institutionen. 297 Art. »Jungdemokraten missachten Grundsatz der Religionsfreiheit – Hamburger FDP-Politiker zu Düsseldorfer Resolution«, in: epd ZA Nr. 8 vom 11. 1. 1973. 298 Ebd. Der gebürtige Hamburger Gerhard Weber (*1926) wurde 1962 zum Bildungssekretär beim SPD-Landesverband Saar berufen (vgl. Art. »Politische Bildungsarbeit in unserer Zeit. Gerhard Weber zum Bildungssekretär beim SPD-Landesverband Saar berufen«, in: Der Sozialdemokrat 1/1962; Art. »Der Christ in der politischen Verantwortung. Erster Vortrag in einem Zyklus vor dem Evangelischen Männerwerk«, in: Saarbrücker Zeitung vom 22. 2. 1962). 299 Wie aus dem Schreiben des nichttheologischen Oberkirchenrats Gerhard von Negenborn an das hamburgische Landeskirchenamt hervorgeht, hatte Gerhard Weber ihm gegenüber das Interesse der Hamburger FDP an einem Gespräch mit der Hamburger Kirchenleitung geäußert, das dem Hauptanliegen dienen sollte, »sich zu den von den Judos geäußerten Vorstellungen über das künftige Verhältnis Kirche/Staat unserer Kirchenleitung gegenüber kritisch abzugrenzen« (Schreiben v. Negenborn an Landeskirchenamt Hamburg vom 23. 2. 1973; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1. Zu den weiteren Prozessen siehe Kap. IV. 2.). 295
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
2.3. Zustimmung zum Kirchenpapier mit substantiellen Änderungen 2.3.1. Hessen: Engagierte Kirchenpapiervertretung Der Landesverband Hessen galt als Befürworter des Kirchenpapiers und brachte dies durch seine auf dem Landesparteitag am 20./21. 4. 1974 in Offenbach beschlossene Stellungnahme deutlich zum Ausdruck.300 Schon auf dem Bundeshauptausschuss im März 1973 war es zu einer positiven hessischen Reaktion auf das Kirchenpapier der Jungdemokraten gekommen, als Ulrich Krüger die Auseinandersetzung der FDP mit der im Kirchenpapier angesprochenen Thematik eingefordert hatte.301 Auch waren es die hessischen Liberalen, die auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden im November 1973 den Änderungsantrag 49 eingebracht hatten, der die Weiterbehandlung der Diskussion des Kirchenpapiers und dessen Beschluss auf einem noch unbestimmten Bundesparteitag gefordert hatte. Der Antrag war durch eine überwältigende Mehrheit angenommen worden. Rolf Vieten hatte damals die dem Antrag fehlende Terminierung auf einen bestimmten Bundesparteitag kritisiert und dem hessischen Landesverband unterstellt, er habe im Blick auf die anstehenden Landtagswahlen aus taktischen Gründen davon abgesehen. Tatsächlich standen in Hessen wie auch in Bayern 1974 die Landtagswahlen an. Im Gegensatz zum bayrischen Landesverband hatte die FDP jedoch nicht zu fürchten, dass sich die Diskussion des Kirchenpapiers negativ auf die Landtagswahlen auswirken würde. Sorgenvoller hingegen musste ihre Koalitionspartnerin, die SPD und an deren Spitze der hessische Ministerpräsident Albert Osswald den Landtagswahlen entgegenblicken, denn die CDU, allen voran der hessische CDUChef Alfred Dregger, war seit einiger Zeit in Hessen auf dem Vormarsch.302 Ein betont zurückhaltender Umgang mit dem Kirchenpapier bzw. mit die Kirchen allgemein betreffenden Themen konnte für die hessische FDP, nicht zuletzt auch aufgrund der dahingehenden Aktivitäten ihrer Jungdemokraten, zu dieser Zeit nicht ausgesagt werden. So musste sich der hes300 Leider ist die Aktenlage zum hessischen Landesverband der FDP nicht sehr ergiebig, so dass sich eine Analyse des Umgangs der hessischen FDP mit dem Kirchenpapier nur anhand einiger Eckpunkte festmachen lässt, die jedoch für die Darstellung der Haltung der hessischen FDP zum Kirchenpapier ausreichen. 301 Zwar hatte Krüger die Einleitung und Vorbemerkung des Papiers kritisiert, die Sachforderungen jedoch als »völlig richtig« erachtet und weiterhin auf eine Bewegung besonders in der evangelischen Kirche verwiesen, »die ein bisschen in ähnlichen Kategorien denkt und die in bisschen in die gleiche Richtung läuft.« Als »außerhalb der Kirchen« stehende Partei habe die FDP den Auftrag, diese Positionen zu stärken und mit den Kirchen in einen kritischen Dialog zu treten (Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 17. 3. 1973; AdL A 12-116, Bl. 45 f.). 302 Vgl. Art. »›Grandioser, schöner oder einfacher Sieg?‹ Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen«, in: Spiegel 43/1974 vom 21. 10. 1974, 36 ff. Die Landtagswahlen bestätigten das sozialliberale Regierungsbündnis erneut.
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sische FDP-Landesvorsitzende Mischnick zum Zeitpunkt des Landesparteitages vom 31. 3. bis 1. 4. 1973 mehrfach der Kritik stellen, dass die FDP sich zunehmend zu einem »Sammelbecken der Kirchenfeinde« 303 entwickele; ein Odium, das durch die Unterschrift des liberalen hessischen Wirtschaftsministers Heinz-Herbert Karry unter den Ergänzungsvertrag des Landes Hessen mit den Katholischen Bistümern in Hessen rund ein Jahr später ein Stück weit aufgeweicht werden konnte.304 Auf dem Landesparteitag im Frühjahr 1974 verabschiedeten die hessischen Delegierten eine Stellungnahme zum Kirchenpapier, indem sie den Antrag 124, den der Kreisverband Kassel-Stadt eingereicht hatte, im Wortlaut annahmen.305 Die Präambel wurde in der Fassung von E III übernommen, allerdings ergänzte man nach Absatz vier einen Passus, der breit und ausführlich die Frage der freien Trägerschaft im sozialen Bereich thematisierte. Die Kernaussage dieser Ergänzung bestand darin, dass man eine »konsequente Trennung von Kirche und Staat«, die im Bereich der Verkündigung durchaus »möglich und nötig« schien, für den sozialen Bereich als nicht praktikabel erachtete. Begründet wurde diese Aussage durch die »vorbildlich[e]« Leistung der Kirchen in diesem Bereich und ihre Übernahme wichtiger sozialer Aufgaben, was den Staat gleichsam dazu verpfl ichte, ihnen auch weiterhin »staatliche Unterstützung« zukommen zu lassen. Wogegen man sich im Folgenden aussprach, war eine Bevorzugung der Kirchen gegenüber anderen freien Trägern. Man trat vielmehr dafür ein, dass alle freien Träger, die im sozialen Bereich tätig waren, den gleichen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben sollten, was im Gegenzug bedeutete, dass diese sich an bestimmten rechtsstaatlichen Prinzipien messen lassen mussten. An diesem Punkt galt es anzusetzen und »neue Regeln für das Zusammenwirken von Staat, Kirche und anderen freien Trägern« zu entwickeln. Ein Staatsmonopol auf dem sozialen Gebiet jedenfalls widerspräche geradezu einem der wichtigsten Ziele des Liberalismus, »die Pluralität unserer Gesellschaft auf möglichst vielen Gebieten zu erhalten«. Im Blick auf die Thesen übernahm man die Thesen 6 und 10 bis 13 im Wortlaut von E III. 303 Anlass zu diesem Vorwurf war neben dem jüngst bekannt gewordenen Jungdemokratenpapier ein Antrag des Kreisverbandes Frankfurt zum LPT, der mit Rücksicht auf eine »große Minderheit von Mitbürgern, die das Kirchengeläut als Belästigung empfi nden«, die Einstellung des Kirchengeläuts gefordert hatte (Schreiben Karl Zeiss an Mischnick vom 28. 3. 1973, AdL A 38-402, Bl. 144). Der Antrag war, wie Mischnick in seinem Antwortschreiben an Zeiss versicherte, auf dem LPT nicht behandelt worden. 304 Dieser Vertrag wurde nur einen Monat vor Beschluss des Kirchenpapiers vom hessischen Parlament angenommen (vgl. Art. »Das FDP-Kirchenpapier und die hessische Wirklichkeit. Der Landtag hat einen Staatskirchenvertrag mit den katholischen Bistümern gebilligt«, in: Darmstädter Echo vom 21. 9. 1974). 305 Vgl. Stellungnahme des Landesverbandes Hessen vom 20./21. 4. 1974; Handakten Dahlhaus. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Die Thesen 1, 5, 7 und 14 wurden nur geringfügig verändert.306 Für den Rest der Thesen schlug man Neuformulierungen vor, die sich zum Teil deutlich von E III unterschieden. So konstatierte These 2, dass der Körperschaftsstatus der Kirchen beibehalten werden kann, allerdings unter der Bedingung, die schon im Ergänzungstext der Präambel expliziert worden war, die »Gleichbehandlung von Kirchen und freien Trägern [. . .] auch bei der Zuwendung öffentlicher Gelder sowie bei der Kontrolle ihrer zweckbestimmten Verwendung«.307 In These 3 legte man die Frage der Kirchenmitgliedschaft komplett in den innerkirchlichen Bereich und begründete durch die daraus resultierende nicht vorhandene Auswirkung dieser Thematik auf das öffentliche Recht gleichsam die Abschaffung einer Kirchenaustrittserklärung gegenüber staatlichen Stellen.308 In These 4 gestattete man die Befragung nach der Konfession für den Fall, dass sie »zur Auf klärung des Sachverhalts bei Rechtsstreitigkeiten« oder zum Zwecke von »allgemeinen statistischen Erhebungen« diene. Durch die Neuformulierungen in den Thesen 8 und 9 setzte man das in Forderungen um, was bereits in der Präambel erläutert worden war: So forderte man im ersten Satz des zweiten Abschnitts der These 8 nicht die Aufhebung steuer- und gebührenrechtlicher Sondervorteile von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern deren Beschränkung auf den Bereich »ihrer sozialen Tätigkeit«. These 9, die sich in weiten Teilen an die Fassung von E III anlehnte, betonte im Sinne der Präambel, dass das Recht »aller freien Träger«309 unberührt bleibe und strich den Teilsatz, der die Abschaffung des Vorrangs gemäß des Subsidiaritätsprinzips forderte. Die These endete mit dem Hinweis auf die »staatliche Kontrolle«, der die freien 306 Im dritten Satz der ersten These ersetzte man im Kontext der bischöfl ichen Treueide die Formulierung »sind abzuschaffen« durch die mildere Formulierung »sind nicht erforderlich.« These 5 wurde am Ende um einen Satz ergänzt, der eine erneute Wiedereinführung des staatlichen Kircheneinzugs bis auf weiteres negierte. Ebenfalls milder war nun die Aussage im dritten Satz der siebten These, Kirchenverträge und Konkordate seien »nach den gegebenen Möglichkeiten aufzukündigen«. In These 14 strich man den letzten Satz des zweiten Absatzes. 307 An dieser Stelle sei verwiesen auf den am 29. 3. 1974 zwischen dem Land Hessen und den Katholischen Bistümern in Hessen abgeschlossenen Ergänzungsvertrag, der den Vertrag vom 9. 3. 1963 komplettierte und dessen Bestimmungen sich sicherlich auf die hier in These zwei gemachte Aussage auswirkten. In dem Vertrag hatte man, analog zum Hessischen Staatskirchenvertrag vom 18. 2. 1960, gleich im ersten Artikel »[d]ie Bistümer, die Bischöfl ichen Stühle, die Domkapitel, die Kirchengemeinden sowie die aus diesen Kirchengemeinden gebildeten Gesamtverbände« als »Körperschaften des öffentlichen Rechts« bestätigt und ihren Dienst als »öffentlichen Dienst« bezeichnet (Kirche und Staat, 60). 308 In Hessen hatte man wie auch u. a. in NRW und im Saarland den Kirchenaustritt vor dem Amtsgericht zu erklären (vgl. Gesetz, die bürgerlichen Wirkungen des Austritts aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft betreffend vom 10. September 1873, in: ebd., 127, dort in Fassung vom 31. 5. 1974). 309 Hervorhebung T. M. E.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Träger in ihrer Tätigkeit unterliegen, und explizierte deren Funktion, die in E III allgemein durch die Formulierung »Einhaltung der Grundrechte« beschrieben wurde, durch das konkrete Beispiel, im Sinne des Gleichheitsprinzips »der Allgemeinheit zugänglich sein« zu müssen. 2.3.2. Schleswig Holstein: Jungdemokratische Schärfe Obwohl der Landesvorsitzende Ronneburger in der Debatte um das Kirchenpapier immer wieder das Gespräch mit den Kirchen angemahnt hatte, war eine derartige Kooperation, anders als etwa in Niedersachsen und Bayern, in Schleswig-Holstein nicht zu erkennen. Nach einem eher als intern zu bezeichnenden Treffen zwischen den Oberlandeskirchenräten der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins Gerd Heinrich, Hans-Peter Muus und Christian Kusche mit Kirchenleitungsmitglied Uwe Ronneburger am 2. 11. 1973 in Kiel kam es erst Ende September 1974 zu einem Kontaktgespräch zwischen Vertretern des Rates der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und Mitgliedern des Landesvorstandes der schleswig-holsteinischen FDP.310 Dieses Gespräch hatte jedoch keinen Einfluss mehr auf die am 11. 5. 1974 auf dem Landesparteitag in Bad Segeberg beschlossene Stellungnahme des Landesverbandes, sondern war vielmehr überhaupt erst als Reaktion auf die Stellungnahme initiiert worden. Besagte Stellungnahme wurde vom Landesverband auf dem Bundesparteitag in Hamburg als Antrag eingebracht.311 Zwei Hauptanträge zum Thema Staat und Kirche lagen dem Landesparteitag im Vorfeld vor. Antrag 1, vorgelegt vom FDP-Landesvorstand, beantragte den Beschluss des Kirchenpapiers in der von der Kirchenkommission im August 1973 beschlossenen Fassung (E III), das seit November parteiintern diskutiert wurde.312 Als weiteren Antrag zum Verhältnis von Staat und Kirche reichte der Kreisverband Neumünster den Antrag 10 ein, der nun einige Besonderheiten aufwies. Wurde die Präambel, wenn auch in verkürzter Form, weitgehend in der Version von E III übernommen 313, so 310
Siehe Kap. IV.2. Wenngleich die Aktenlage zur Diskussion des Kirchenpapiers innerhalb des Landesverbandes Schleswig-Holstein insgesamt dürftig ist – im AdL sind keine die Jahre 1973 und 1974 betreffenden relevanten Aktenbestände vorhanden, ebenso wenig ist dies im Landesarchiv Schleswig-Holstein der Fall; die Akten, die im Landesverband der FDP Schleswig-Holstein liegen, sind laut Aussage des Landesverbandes nicht zur Einsicht freigegeben – so verweisen die Anträge zum LPT, die in Beständen des nordelbischen Kirchenarchivs zu fi nden waren sowie Pressemitteilungen über dessen Verlauf auf einige Besonderheiten, die im Blick auf die dort beschlossene Stellungnahme und die Politik des Landesverbandes im allgemeinen aufschlussreich sind. 312 Der Wortlaut des Antrags stimmte hundertprozentig mit E III überein; der Landesvorstand hatte den Text jedoch durch Überschriften in eigene Abschnitte gegliedert (vgl. Antrag 1 des Landesvorstandes; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). 313 Die Absätze eins bis drei und fünf wurden wörtlich in der Version von E III über311
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
schloss daran eine Thesenreihe an, die mit 19 Thesen stark an das Kirchenpapier der Jungdemokraten von Januar 1973 erinnerte. Der Kreisverband begründete die Anzahl von 19 Thesen im Sinne einer Entscheidung zu mehr »Prägnanz und Verständlichkeit«314 und betonte die weitgehende Übereinstimmung der 19 Thesen mit den 14 Thesen von E III. Die Assoziation zu dem Jungdemokratenpapier war jedoch insofern berechtigt, als der Kreisverband darauf verwies, dass neben E III auch jenes Jungdemokratenpapier als Grundlage der Beratungen fungiert habe.315 Auf dem Landesparteitag reichte Ronneburger einen Änderungsantrag zum Antrag 1 des Landesvorstandes ein, so dass sich die Beratungen zum Kirchenpapier letztlich auf der Grundlage dieser drei Anträge vollzogen.316 In der vom Landesparteitag beschlossenen Fassung wurde die Präambel im Wortlaut von E III und somit im Sinne des damit identischen Antrags 1 des Landesvorstandes übernommen, ebenso die Thesen 4 bis 6, 9 und 14. Die Thesen 1, 8, 12 und 13 wurden nur geringfügig verändert, in These 11 entschied man sich für die in E III unter a aufgeführte Fassung.317 Die wichtigsten Veränderungen bezogen sich somit auf die Thesen 2, 3, 7 und 10. These 2 forderte die Umwandlung von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in privatrechtliche Institutionen und griff damit die vom Kreisverband Neumünster gemachte Formulierung auf, die nun wiederum auf den Beschluss der Jungdemokraten zurückzuführen war. Weiterhin begrüßte die These das »in der Diskussion befi ndliche neue Vernommen. Der Absatz vier wurde stark verkürzt, die Absätze sechs bis acht komplett weggelassen (vgl. Antrag 10, Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche, Antragssteller: Kreisverband Neumünster; NEK-Archiv 22.02 Nr. 13318). 314 Begründung zum Antrag 10; ebd. 315 Bei der Darstellung der Thesenreihe verwies der Kreisverband durch Ziffern hinter der jeweiligen Thesennummer auf die entsprechende Zählung der 14 Kommissions- bzw. 19 DJD-Thesen. Die Übereinstimmung mit dem Kirchenpapier der Funcke-Kommission zeigte sich in der wörtlichen Übernahme der Thesen 1, 3, 4, 7, 8, 10, 13 und 14 in der Fassung von E III. Im Blick auf die Thesen 5 bis 7 und 9 kam es zu geringfügigen Veränderungen, die Thesen 2, 11 und 12 hingegen lehnten sich an das Kirchenpapier der DJD an. Die Anzahl von 19 Thesen insgesamt ergab sich durch eine Aufteilung der Thesen 6 in drei Thesen sowie der Thesen 8, 10 und 14 in jeweils zwei Thesen. 316 Der Änderungsantrag Ronneburgers bezog sich auf die Thesen 1 bis 3, 5 und 7 bis 11 (vgl. Änderungsantrag zu Antrag 2, Antragsteller Ronneburger; ebd.). 317 Vgl. Beschluss des F.D.P. – Landesverbandes Schleswig-Holstein über das Verhältnis zwischen »Kirche und Staat« beschlossen auf dem Landesparteitag am 11. 5. 1974; Handakten Dahlhaus. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. In These 1 ersetzte man den dritten Satz durch die mildere Formulierung: »Der Staat darf keine bischöfl ichen Treueide auf die Verfassung verlangen.« These 8 ergänzte man unter Aufnahme des Änderungsantrags von Ronneburger am Ende um den Satz »Über die in Absatz 1 aufgeführten Rechtbestände soll mit den Kirchen verhandelt werden«, ebenso fügte man in These 12 in Anlehnung an den Antrag des Kreisverbandes Neumünster den Satz »Das gleiche Recht gilt für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« an. In These 13 strich man den letzten Satz.
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bandsrecht«, das dann gleichermaßen auf die Kirchen anzuwenden sei. These 3 nahm zunächst den letzten Abschnitt der Thesenfassung von E III zu Wirkung der Taufe auf und ergänzte diesen durch die Wirkung auch der Konfi rmation. Anders als in E III wurde nun jedoch zum Ausdruck gebracht, dass diese beiden »im Glauben und der Weltanschauung begründet[en]« kirchlichen Sakramente bzw. der Beitritt für den innerkirchlichen Bereich, worunter man die »Zugehörigkeit zur kirchlichen und weltanschaulichen Gemeinschaft« verstand«, »nicht dem Einfluß des Staates« unterlägen. Der zweite Abschnitt der These bestand in der Übernahme der ersten beiden Abschnitte der These 3 von E III, wobei der Satz zur Religionsmündigkeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres weggelassen wurde. Deutlicher als in E III brachte diese These somit zum Ausdruck, dass die innerkirchliche Kirchenzugehörigkeit keine rechtliche Kirchenzugehörigkeit nach sich ziehe. In These 7 ersetzte man den Satz, der die Auf hebung der bestehenden Kirchenverträge und Konkordate einforderte, durch die Forderung nach Verhandlungen mit den Kirchen über diese mögliche Auf hebung und griff damit den Änderungsvorschlag Ronneburgers auf. In These 10 hob sich die schleswig-holsteinische Fassung insofern von anderen Stellungnahmen ab, als sie die Ersetzung des Faches Religion durch das Fach »Religionskunde« forderte und dieses Fach als ordentliches Lehrfach deklarieren wollte. Auch diese Veränderung ging auf den Änderungsantrag Ronneburgers zurück, ebenso wie die Tatsache, dass man den Verweis auf die Möglichkeit zur Errichtung privater Schulen wegließ. Die Stellungnahme des Landesverbandes war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst einmal schlug sie durch die Neuformulierungen der Thesen 2, 3 und 10 einen schärferen Ton an als E III, das vom Landesvorstand des Landesverbandes als Antrag eingebracht worden war.318 In dieser Tendenz, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, auch in der Stellungnahme des Landesverbandes Berlin manifestierte, bestätigte sich für Funcke das, was sie im Blick auf eine langfristige Diskussion des Papiers befürchtet hatte: »Es liegt mir nicht an persönlicher Bestätigung, wenn ich meine, es wäre besser gewesen, im vorigen Jahr schnell eine abgeschwächte Fassung zu verabschieden. Der Zeitablauf zeigt, daß je später es wird, die Thesen sich eher verfestigen als daß sie sich mildern lassen. Schleswig-Holstein macht das deutlich, auch wenn man mal von Berlin absieht.« 319 318 Sie widersprach somit auch der von Ronneburger im Vorfeld des LPT geäußerten Überzeugung, ein Votum des Landesverbandes werde den Grundsätzen der »Partnerschaft von Kirche und Staat, positive[n] Neutralität des Staates, Unabhängigkeit dieser beiden Partner und damit volle[n] Freiheit der Kirche zur Erfüllung ihres Auftrages« Rechnung tragen (Interview Ronneburger mit Ocke H. H. Peters (epd); kein Datum überliefert). 319 Schreiben Funcke an Genscher vom 21. 6. 1974; AdL N 52-30. Funcke hatte Scheel im August 1973 die möglichen Konsequenzen einer Weiterleitung in die Untergliederungen vor Augen gehalten (siehe Abschnitt 3.3.1.). Auch der verwies, nicht zuletzt durch
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Auch andere Landesverbände registrierten diese Schärfe. So wurde, wie bereits gesehen, die Stellungnahme des Landesverbandes Rheinland durch den Beschluss des schleswig-holsteinischen Landesparteitages zum Kirchenpapier ausgelöst. Weiterhin bemerkenswert war die Stellungnahme auch aufgrund der Tatsache, dass die Jungdemokraten einen nicht unerheblichen Einfluss auf sie gehabt haben und die Wiederaufnahme einer ihrer ursprünglichen Formulierungen (siehe These 2) als eine Art »Teilerfolg« verbuchen konnten. In diesem Zusammenhang sei auf eine Auseinandersetzung zwischen der FDP und den Jungdemokraten auf dem Landesparteitag hingewiesen, die daraus resultierte, dass die Jungdemokraten im Zusammenhang mit der gerade aufgedeckten Guillaume-Affäre scharfe Kritik an dem amtierenden Innenminister Genscher übten. Wie die Segeberger Zeitung berichtete, hatten die Jungdemokraten die Affäre als Chance nutzen wollen, »dem wegen seiner rechts-liberalen Einstellung ungeliebten Innenminister und designierten Scheel-Nachfolger möglichst kräftig am Zeuge zu fl icken.«320 In dem Kreisverband Neumünster hatten sie dabei eine Art Verbündeten gefunden, was darauf zurückzuführen war, dass der Vorsitzende des Kreisverbandes Gerd Achterberg noch vor nicht allzu langer Zeit Vorsitzender ihres Landesverbandes gewesen war. Aus dieser Tatsache erklärt sich die Nähe des Kreisverbandes zu den Jungdemokraten, die auch im Antrag des Kreisverbandes deutlich zum Ausdruck kam.321 Schließlich und letztlich hatten die Ereignisse des Landesparteitages auch Auswirkungen auf das Verhältnis der FDP zur CDU, was im Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im darauf folgenden Jahr von nicht unerheblicher Bedeutung war. Die seit 1950 bestehende Regierungskoalition zwischen CDU und FDP war im Jahre 1971 zerbrochen und durch die alleinige CDU-Regierung abgelöst worden. Im Blick auf die anstehenden Landtagswahlen hatte sich die aufstrebende FDP, wie bereits 1971, für eine Koalition mit der SPD ausgesprochen. An der CDU hingegen übte man scharfe Kritik, so auf erwähntem Landesparteitag, wo man im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre das Verhalten des CDU-Landesvorsitzenden Gerhard Stoltenberg im Bundesrat kritisierte, ein Verhalten, das Ronneburger als »Gegenteil eines Koalitionsangebots« 322 bezeichnete. Die CDU wiederum, die Überschrift des Artikels zur FDP Schleswig-Holstein, auf die Schärfe der Stellungnahme: »Die besonders umstrittenen Forderungen [. . .] wurden der Sache nach voll unterstützt« (Art. »FDP Schleswig-Holstein für Trennung von Kirche und Staat«; in: epd ZA Nr. 92 vom 13. 5. 1974). 320 Art. »FDP-Landesparteitag. »Fall« Genscher und Kirchenpapier«, in: Segeberger Zeitung vom 13. 5. 1974. 321 Zu Achterberg siehe Kap. I.2.3. und Kap. I.3.3.1. 322 Art. »›FDP schließt mögliche Koalition mit CDU aus‹. Kritik der Union am Parteitag der Freien Demokraten«, in: KN vom 14. 5. 1974.
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besonders der evangelische Arbeitskreis und die CDU-Landtagsfraktion, verurteilten den Parteitagsbeschluss zu den Kirchenthesen und bezeichneten die Stellungnahme des Landesverbandes als »Ergebnis überholten Denkens.«323 Insbesondere Ronneburger musste sich dabei den Vorwurf gefallen lassen, als »rechter Christ«324 einer »›Gegenideologie‹ das Wort zu reden«.325 Die FDP-Landtagswahl am 13. 4. 1975 brachte der FDP mit 7,1% großen Erfolg; zur Ablösung der Alleinregierung durch die CDU, die mit 50,4% aus dem Wahlkampf hervorgegangen war, kam es indes nicht. Die FDP wurde erneut auf die Oppositionsbänke verwiesen, wo sie für Jahrzehnte verweilen sollte.326 2.3.3. Berlin: Das Kirchenpapier in Theorie und Praxis In ihrem Brief an Genscher vom 21. 6. 1974 hatte Funcke im Kontext der schleswig-holsteinischen Stellungnahme auf die Schärfe auch der Berliner Stellungnahme hingewiesen. Diese Schärfe ließ sich dadurch erklären, dass auch im Landesverband Berlin die Initiative für die Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier und letztlich auch die Stellungnahme des Landesverbandes maßgeblich von den Jungdemokraten, genauer von ihrem Landesvorstand, dirigiert wurde. Eine von den Berliner Jungdemokraten ausgerichtete Podiumsdiskussion zum Thema »Trennung von Kirche und Staat« am 18. 5. 1973 verdeutlichte ihr dahingehendes Engagement.327 In seinem 323 Art. »›CDU kritisiert FDP-Thesen‹. Trennung von Staat und Kirche ›Ergebnis überholten Denkens‹«, in: Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 14. 5. 1974. 324 Art. »Kirchenthesen haben Anspruch auf faire Kritik«, in: Lübecker Nachrichten vom 14. 5. 1974. 325 Ebd. 326 Vgl. Schellhammer/Klug, 40 Jahre, 77. 327 Der Hinweis in der Berichterstattung der Berliner Liberalen Korrespondenz über dieses Treffen, die »Basis der DJD« sei der Veranstaltung »[m]assenhaft« ferngeblieben, bestätigt, dass sich dieses Engagement größtenteils auf ihre Führungsspitze beschränkte (Art. »Trennung von Kirche und Staat«, in: Berliner Liberale Korrespondenz vom 22. 5. 1973. Die folgenden Zitate ebd.). An der Diskussion nahmen der Landesvorsitzende der Berliner DJD Schimkowsky, der Vorsitzende der Berliner FDP Lüder sowie zwei Vertreter der evangelischen Kirche und ein Vertreter der katholischen Kirche teil. Die Stellungnahmen letztgenannter gaben im Wesentlichen die bekannten Positionen der Kirchen wieder. So bezeichnete der katholische Vertreter den Duktus des Kirchenpapiers als »unangenehm, polemisch und aggressiv«, während man seitens der evangelischen Kirche für eine »sinnvolle Zusammenarbeit von Kirche und Staat« eintrat. Die Äußerungen des FDP Vorsitzenden Lüder verdeutlichten dessen nicht ganz unkomplizierte Position, die man als zwischen den Stühlen sitzend bezeichnen konnte, insofern er einerseits die Aussagen seines DJDFreundes unterstützte und sich andererseits davon distanzierte. Ersteres zeigte sich in seiner Bemerkung, er wolle sich nicht gegen die DJD abgrenzen, letzteres in seiner »liberalen« Zusage an die Kirche, sie »vor jeder Bedrohung« zu schützen. Der linksliberale Jurist Wolfgang Lüder (*1937) wurde 1957 Mitglied im Liberalen Studentenbund, dessen Bundesvorsitz er 1962 übernahm. 1962 trat er der FDP bei, 1963 wurde er Mitglied der DJD, von 1968 bis 1970 deren Bundesvorsitzender. 1970 wählte ihn die FDP in den Bundesvorstand, wo er bis 1988 mitarbeitete. 1971 wurde er von der Berliner FDP zum Landesvor-
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Votum explizierte der Landesvorsitzende der Berliner Jungdemokraten Reinhard Schimkowsky eine typisch jungdemokratische Position, in der sich zugleich, wie schon in der Grundsatzdebatte, die deutlich antikapitalistische Ausrichtung der Berliner Jungdemokraten zeigte.328 Schimkowsky erläuterte ein 17 Forderungen umfassendes Kirchenpapier, das die Berliner Jungdemokraten auf dem nächsten Landesparteitag der FDP einbringen wollten und stellte dieses Papier in den Zusammenhang mit der antikapitalistischen Perspektive der Jungdemokraten, da »Kapital und Kirche ein intimes Verhältnis hätten.« 329 Auch im Kontext der Voten der beiden kirchlichen Vertreter betonte er die stabilisierende Funktion der Kirchen für den Kapitalismus. Typisch jungdemokratisch waren des Weiteren seine Ausführungen zur Unvereinbarkeit von Liberalismus und Christentum sowie die Forderung, die christlich-abendländische Ideologie habe aus den Schulbüchern zu verschwinden. Die erste offizielle Auseinandersetzung der Berliner FDP mit dem Kirchenpapier erfolgte auf ihrem 28. Landesparteitag am 1./2. 6. 1973. Insgesamt drei Anträge lagen den Delegierten zum Kirchenpapier der Jungdemokraten vor, darunter auch der von Schimkowsky angekündigte Antrag des Landesvorstandes der Jungdemokraten.330 Angesichts der Tatsache, dass die auf Bundesebene eingerichtete Kirchenkommission mitten in den Beratungen des Kirchenpapiers steckte, empfahl der Landesvorstand der Berliner sitzenden gewählt, ein Amt, das er bis 1981 ausübte. Im Zuge der sozialliberalen Berliner Regierungskoalition wurde Lüder Senator für Wirtschaft. 1976 übernahm er zusätzlich das Bürgermeisteramt. Lüder war von 1987 bis 1994 Mitglied des Bundestages und stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses. 328 Siehe dazu Kap. II.1.3. 329 Art. »Trennung von Kirche und Staat«, in: Berliner Liberale Korrespondenz vom 22. 5. 1973. 330 Der Bezirksverband Reinickendorf hatte in seinem Antrag 26 gefordert, die Diskussion über »eine weitergehende Trennung von Staat und Kirche« zurückzustellen, bis die Beratungsergebnisse der Kirchenkommission vorlägen. Antrag 39 ging zurück auf die Ortsgruppe Märkisches Viertel. Der Antrag lehnte sich an die Beschlussfassung des Jungdemokratenpapiers an, so wie es auf der BDK im Januar 1973 beschlossen worden war. Der erste Teil der Präambel wurde in weiten Teilen wörtlich übernommen, wohingegen man den zweiten Teil, der den Liberalismus als auf klärerisch-rationale Haltung charakterisierte, komplett wegließ. In dieser Auslassung drückte sich die Kritik an dem durch den nordrhein-westfälischen Landesverband in das Kirchenpapier hineingebrachten kritischen Rationalismus aus. Die Forderungen wurden ebenfalls teilweise wörtlich, teilweise leicht verkürzt so übernommen, jedoch ließ man dabei interessanterweise die umstrittenen Forderungen zum Religionsunterricht, den Theologischen Fakultäten und der Kirchensteuer weg. Auch der Landesvorstand der DJD bezog sich in seinem Antrag 44 auf den Beschluss der BDK. Er übernahm die Präambel vollständig; ebenso erfolgte die Übernahme der Forderungen, die an manchen Stellen umformuliert oder gekürzt wurden. Lediglich die Forderungen zur Überprüfung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen auf ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität hin sowie die zur rel. Gemeinschaftsschule, Militärseelsorge und zum Wehrdienst wurden nicht übernommen (alle Anträge AdL 7544).
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FDP im Sinne des Antrages 26 die Zurückstellung der Diskussion bis zum Abschluss der Beratungen auf Bundesebene, eine Empfehlung der der Landesparteitag nachkam. Im Verlaufe des nächsten Jahres maß man dem Kirchenpapier keine größere Bedeutung bei, und es wurde in den folgenden Landesvorstandsstandssitzungen nur marginal thematisiert. Der eigentliche Arbeitsschwerpunkt des Landesverbandes Berlin in dieser Zeit lag in der Erarbeitung und Verabschiedung der Wahlaussage für die anstehenden Landtagswahlen am 2. 3. 1975. Die FDP befand sich seit 1971 in der Opposition, nachdem sie acht Jahre lang zusammen mit der SPD regiert hatte. Ihr Ziel bestand darin, diese sozialliberale Koalition in Anlehnung an die Bundesregierung erneut zu etablieren. Besonders der Landesparteitag im Mai 1974 stand unter diesem Motto.331 Hier erfolgte die erneute Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier, als wiederum die Jungdemokraten ihren Antrag 18 zum Kirchenpapier vorlegten. Wie ernst sie das Kirchenpapier nahmen, zeigte ihre Aufforderung an den Landesvorstand der FDP, auf der Grundlage der von der Kirchenkommission ausgearbeiteten Vorschläge eine Wahlaussage zu erstellen.332 Nach einer ausführ331 Vgl. den Titel der Rede des Berliner Landesvorsitzenden Wolfgang Lüder »Noch 289 Tage bis zur Wahl« auf dem LPT Berlin 17./18. 5. 1974; AdL 16623. 332 Vgl. Antrag 18 des Landesvorstandes der DJD Berlin; AdL 16907. Der Antrag bestand aus zwei Abschnitten. Im Abschnitt I konstatierte man die Zustimmung zum Kirchenpapier der Kirchenkommission (E III) und artikulierte besagte Aufforderung an den Landesvorstand. Es folgte eine Aufl istung der Thesen, die in diese Wahlaussage hinein genommen werden sollten. Dabei handelte es sich um die wörtliche Übernahme der Thesen E III2 (Körperschaftsstatus), E III3 (Kirchenmitgliedschaft), E III5 (Kirchensteuer), E III9 (Trägerschaft sozialer Aufgaben) und E III11b (Theologische Fakultäten). Abschnitt II beinhaltete die konkrete Forderung nach Auf hebung der Vereinbarung zwischen Senat, katholischer und evangelischer Kirche vom 2. 7. 1970, da diese Vereinbarung damals ohne Mitwirkung des Parlaments getroffen worden sei und man den Kirchen seitens des Senats Zugeständnisse gemacht habe, »die eine Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates« darstellten (ebd.). An besagtem 2. 7. 1970 hatten die Vertreter des Konsistoriums in Berlin (West), der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sowie des Senats von Berlin ein abschließendes Protokoll »über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen« verabschiedet, dessen Inhalte das Ergebnis von Besprechungen war, die seit 1965 regelmäßig geführt worden waren (vgl. Weber, Kirchenverträge Band II, 158–174). Die Bestimmungen bezogen sich u. a. auf Schulfragen, Erwachsenenbildung, Anstaltsseelsorge, Kirchensteuer, die staatliche Mitwirkung bei der Besetzung kirchlicher Ämter und die Eidesleistung vor kirchlichen Gerichten und konnten als Ausdruck einer Intensivierung der Kontakte zwischen Kirche und Senat im Sinne eines partnerschaftlichen Verhältnisses betrachtet werden. So begrüßte der Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Kurt Scharf die Übereinstimmung des Senats mit der Kirche dahingehend, die Bestimmungen mögen die »Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und damit das Bewusstsein von der gleichen Würde aller Menschen – ob sie sich zu Gott bekennen und der Kirche angehören oder nicht« fördern sowie den Schutz von Ehe und Familien gewährleisten (ebd., 172). Der Berliner regierende Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) wiederum bestätigte Scharf dahingehend und betonte seinerseits, der Senat sie sich bewusst, »daß es für eine freie Kirche und ihre Mitglieder in einer freien Gesellschaft unverzichtbare Grundlagen der Existenz gibt«, die er anzuerkennen bereit sei (ebd., 174).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
lichen Diskussion dieses Antrags beschloss man eine Neufassung, die fortan als offizielle Stellungnahme des Berliner Landesverbandes fungierte.333 Diese Neufassung des Landesverbandes umfasste drei Abschnitte. Der erste Abschnitt bestand in der Übernahme des ersten Absatzes der Präambel von E III. Im zweiten Absatz rief die Stellungnahme die Berliner Bundesparteitagsdelegierten auf, die »Vorschläge zur Trennung von Kirche und Staat zu unterstützen« und übernahm, in Übernahme des Antragspassus der Jungdemokraten, die Thesen 2, 3, 5, 9 und 11 b in der Version von E III. Die restlichen Thesen wurden nicht erwähnt. Der dritte Abschnitt griff ebenfalls den Antrag der Jungdemokraten auf, als in ihm als »erster Schritt zur Verwirklichung dieser Vorschläge« die konkrete, politisch und regional auf Berlin begrenzte Forderung nach »Auf hebung der Vereinbarung zwischen Senat einerseits und katholischer und evangelischer Kirche andererseits vom 2. Juli 1970« formuliert wurde. Ergänzt wurde diese Forderung durch die Forderung nach Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer. Der Landesverband leitete die Stellungnahme an den Bundesvorstand weiter, so dass sie der zweiten Kirchenkommission als Beratungsergebnis vorlag. Da sich ihre Inhalte im Wesentlichen auf den Entwurf der ersten Kirchenkommission (E III) bzw. die konkrete Situation in Berlin bezogen, nahm sie dort keinen Einfluss auf die Beratungen. Die Bedeutung des Kirchenpapiers für den Berliner Landesverband zeigte sich jedoch an anderer Stelle, insofern die FDP dem Vorschlag der Jungdemokraten Folge leistete und in ihrer Wahlplattform zur Landtagswahl 1975 tatsächlich auf das Kirchenpapier rekurrierte: »Soll das Finanzamt weiter der Kassierer der Kirchen sein? Die F.D.P. will: – Die Beseitigung der noch bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf die innerkirchlichen Entscheidungen. – Die Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer. – Verhandlungen mit den Kirchen mit dem Ziel, die bestehenden Verträge und Vereinbarungen mit ihnen aufzunehmen; dabei ist sicherzustellen, daß die soziale Arbeit der Kirchen beibehalten werden kann.« 334 333 Vgl. Antrag 18 Kirche/Staat, aus dem Beschlussprotokoll des LPT vom 17./18. 5. 1974; Handakten Dahlhaus. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 128 Delegierte stimmten für den Antrag, 91 dagegen, elf enthielten sich. Dass diese Stellungnahme somit keineswegs von allen Mitgliedern des Landesverbandes mitgetragen wurde, zeigt das Abstimmungsergebnis; darauf verweist zugleich ein Protestschreiben einer Gruppe von Berliner FDP Mitgliedern, das diese am 28. 9. 1974 veröffentlichten. Es handelte sich dabei um acht Personen, von denen sich der Unterschrift nach zumindest drei kirchlich engagierten (ein Superintendent, eine Katechetin, ein Pfarrer). Die Gruppe schloss sich der Aussage des verstorbenen Karl-Hermann Flachs an, indem sie auf die antireligiöse Einstellung des Papiers verwies, die »niemals liberal« sein könne (Protest von Mitgliedern der FDP in Berlin gegen die Verabschiedung des Kirchenpapiers, in: epd Dok. 50/1974, 47). 334 Auszug aus der Wahlplattform der Berliner FDP zu den Landtagswahlen am 2. 3. 1975; AdL 10894.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Als sich im Zuge der Landtagswahlen erneut eine sozialliberale Koalition in Berlin bildete335, wurde jene Wahlaussage zu einem strittigen Thema zwischen den Koalitionspartnern FDP und SPD.336 Obwohl die Regierungserklärung des SPD-Landesvorsitzenden und Berliner Bürgermeister, Klaus Schütz, letztlich frei von inhaltlichen Bezügen auf das Kirchenpapier blieb, zeigten die Ereignisse in Berlin, wie weit es das Kirchenpapier bringen konnte. 2.3.4. NRW: Zwischen Sonderkommission und Kirchlichem Gesprächskreis Der Landesverband NRW nahm in mehrerer Hinsicht eine Sonderstellung in der Diskussion um das Kirchenpapier ein. Zum einen war er der Landesverband, in dem die Diskussion um die Thesen ihren Ursprung hatte, woraus sich eine gewisse besondere Verantwortung für den weiteren Diskussionsprozess ergab. Weiterhin war das Verhältnis zwischen der FDP und den Jungdemokraten gerade in dieser Zeit angespannter als dies in anderen Landesverbänden der Fall war; es wurde durch die Forderungen der Jungdemokraten noch zusätzlich auf die Probe gestellt. Im Blick auf das Verhältnis zu den Kirchen zeigte sich insofern eine Besonderheit, als das gute Verhältnis zu ihnen gesucht wurde, was maßgeblich auf den Einsatz Funckes zurückzuführen war. So nahmen Delegierte des Landesverbandes regelmäßig an den von der Evangelischen Kirche von Westfalen ausgerichteten Politikertagungen teil, die immer am Anfang eines Jahres in der Evangelischen Akademie in Iserlohn stattfanden.337 Ebenso existierte seit 1962 ein Evangelischer Gesprächskreis (seit 1966 Kirchlicher Gesprächskreis), der alle zwei bis drei Monate zusammentrat und Themen behandelte, die in den großen Komplex Kirche und Politik fielen. Die Vorsitzende des Kirchlichen Gesprächskreis war die Vorsitzende der Kirchenkommission auf Bundesebene, Funcke, ihr Stellvertreter Dahlhaus. Mit Auftreten der Kirchenthesen wurden diese auch im Kirchlichen Gesprächskreis diskutiert. Die Behandlung der Thesen erfolgte weiterhin in der auf 335 Die SDP unter Klaus Schütz hatte bei den Landtageswahlen große Verluste erlitten und mit 42,6% ihre Absolute Mehrheit verloren. Erstmals seit 1946 stand die CDU mit 43,9% an vorderster Stelle. Die FDP hatte mit 7,1% leichte Verluste hinnehmen müssen (vgl. Frölich/Juling, 60 Jahre, 50). 336 »Die Berliner FDP will bei einer Beteiligung im Senat ihre in der Öffentlichkeit heftig umstrittenen und im FDP-Kirchenpapier niedergelegten Auffassungen über Trennung von Kirche und Staat verwirklichen. [. . .] Der Leiter der Senatskanzlei Hans-Peter Herz sagte, die Berliner SPD und der Senat hätten sich zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gegenüber den Religionsgemeinschaften verpfl ichtet« (Art. »Streit um Kirchenpapier« [Zeitung unbekannt] vom 13. 3. 1975). »Es wird keine positiv Erwähnung des Verhältnisses von Kirche/Staat in der Regierungserklärung geben« (Protokoll des 7. Treffens der Verhandlungskommissionen von SPD und F.D.P. am 7. 4. 1975, Strittige Sachthemen 5; AdL 7435). 337 Siehe Kap. IV.3.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
dem Landesparteitag in Siegen eingerichteten Sonderkommission, deren Leitung wiederum Dahlhaus übernahm, und dessen Stellvertreterin die Jungdemokratin Matthäus war. Dahlhaus und Matthäus waren ebenfalls Mitglied der Kirchenkommission auf Bundesebene. Man kann schon jetzt konstatieren, dass der Landesverband NRW, insbesondere aufgrund dieser personellen Gegebenheiten, am intensivsten an der Diskussion der Kirchenthesen innerhalb der FDP mitgewirkt und die endgültige Fassung entscheidend mit geprägt hat.338 Die Sonderkommission »Kirche und Staat« Schon auf dem Landesparteitag hatte Funcke ihre Vorstellungen hinsichtlich der Konstellation der einzurichtenden Sonderkommission geäußert, der man im Folgenden weitgehend nachkam.339 Die am 16. 5. 1973 in der Landesvorstandssitzung beschlossene Besetzungsliste zählte offiziell 33 Mitglieder, darunter die entsprechenden Vertreter der Bezirksverbände und Antragssteller sowie als Vorschläge des Landesvorstandes die Mitglieder Liselotte Funcke, Peter Hertel, Hans-Wolfgang Rubin, Rolf Schroers, Horst Dahlhaus, Adeline Metz, Lore Niggeloh, Ulrich Klug und Roswitha Susann von Bergmann. Von Seiten der Jungdemokraten wurden Silke GerigkGroht und Ingrid Matthäus in die Kommission berufen. Als Vorsitzender fungierte Dahlhaus, seine Stellvertreterin war Ingrid Matthäus.340 Die Aufgabe der Kommission bestand darin, die vom Landesparteitag überwiesenen Anträge zum Verhältnis von Staat und Kirche zu beraten und dem Landesvorstand die Ergebnisse mitzuteilen.341 Dabei war nun zu erkennen, dass der Diskussionsprozess über das Kirchenpapier, wie er auf Bundesebene geführt wurde, entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der Sonderkommission hatte. Lediglich die erste der insgesamt vier Sitzungen blieb davon unbeeinflusst. Auf dieser konstituierenden Sitzung, die am 22. 6. 1973 stattfand, legte man den 20. 9. 1973 als Fixpunkt für das Ende der Beratungen fest, um einer möglichen Stellungnahme des Landesvorstandes zum Kirchenpapier auf dem kommenden Landesparteitag im Oktober zuzuarbeiten. Auch begann man die inhaltliche Diskussion, indem man die in den 338 Diese Faktoren rechtfertigen eine ausführlichere Darstellung der Diskussion des Kirchenpapiers im Landesverband NRW. 339 Hinsichtlich der Größe sollte sie 20 bis 30 Mitglieder nicht überschreiten, jeder Antragsteller sollte mit zwei Mitgliedern vertreten sein, die Bezirksverbände mit jeweils einem Vertreter, der Rest der Kommission sollte »nach objektiven und gerechten Maßstäben« durch den Landesverband bestimmt werden (LStaD RWV 49-181, Bl. 120 f.). 340 Ein Blick in die Protokolle zeigte jedoch, dass bei der Hälfte der Beratungen noch nicht einmal die Hälfte der Teilnehmer anwesend war (1. Sitzung 19, 2. Sitzung 17, 3. Sitzung zwölf, 4. Sitzung 14 Personen). Matthäus und Dahlhaus gehörten zu den sechs Personen, die an allen vier Sitzungen teilnahmen. 341 Siehe Kap. II.3.4.2.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Anträgen enthaltenen Sachfragen in einer synoptischen Darstellung erfasste und die Synopse durch die Stellungnahme der Kommission entsprechend ergänzte. Zur Frage des Religionsunterrichts fasste man bereits einen Beschluss dahingehend, ihn »an öffentlichen Schulen als ordentliches Lernfach ab[zuschaffen]«342 und stattdessen durch ein »neu aufzubauende[s] Fach [. . .] Kenntnisse über Religionen, Weltanschauungen und Methodenlehre altersgemäß«343 zu vermitteln. Als die Kommission am 17./18. 8. 1973 zum zweiten Mal zusammentraf, war ihr die Fassung der Kirchenkommission (E III) bereits bekannt, was auf den Umstand zurückzuführen war, dass ein Teil ihrer Mitglieder ebenfalls in dieser Kommission mitgearbeitet hatte.344 Das Protokoll der zweiten Sitzung belegte nun, dass sich die Fortführung der Sachberatungen an dieser Fassung der Kirchenkommission orientierte. Man thematisierte einzelne Aspekte der vorliegenden Synopse und formulierte unter zu Rateziehung von E III einen Beschluss.345 Dabei zeigte sich, dass man die Formulierungen von E III zu den Thesen 3, 6, 7, 11 und 13 wörtlich übernahm und die anderen Thesen geringfügig veränderte bzw. leicht umformulierte. Lediglich die Erörterung der Frage nach der Trägerschaft sozialer Aufgaben bzw. des Subsidiaritätsprinzips (E III9) sowie zum Kirchenfunk (E III14) stellte man zunächst zurück. In Bezug auf den Religionsunterricht glich man den eigenen Beschluss vom 22. 6. der These 10 von E III an, hielt aber an der Forderung zur Einrichtung eines neuen Unterrichtsfaches weiterhin fest. Zum Zeitpunkt der dritten Sonderkommissionssitzung am 1. 9. 1973 war vom Bundesvorstand bereits beschlossen worden, E III als geeignete Diskussionsgrundlage in die Partei zu geben. Dahlhaus schlug daher vor, die Kommission solle ihre weitere Arbeit im Sinne einer »Ergänzung der Bundesthesen«346 auffassen und von einer eigenen Vorlage bzw. einer Vorlage des Landesverbandes, die dann neben den Bundesthesen stehen würde, absehen. Zu diesem Zwecke hatte er eine Resolution entworfen, die seinen Vorschlag explizierte und die er in der Sonderkommission verabschieden lassen wollte. Die Mehrheit der Kommission plädierte jedoch dafür, die nahezu abgeschlossenen Beratungen zu Ende zu führen, so dass man die Behandlung der 342 Protokoll der Sitzung der Sonderkommission »Kirche und Staat« vom 22. 6. 1973; LStaD RWV 49-2096. 343 Ebd. 344 Insgesamt waren es sieben Personen, die in beiden Kommissionen mitarbeiteten bzw. mitgearbeitet hatten: Funcke, Dahlhaus, Hertel, Schroers, Rubin, Matthäus und Gerigk-Groht. 345 »Die Kommission faßte zu den einzelnen Punkten nachstehende Beschlüsse, wobei von Fall zu Fall Formulierungen der Bundeskommission herangezogen wurden« (Protokoll der Sitzung der Sonderkommission »Kirche und Staat« vom 17./18. 8. 1973; ebd.). 346 Protokoll der Sitzung der Sonderkommission »Kirche und Staat« vom 1. 9. 1973; ebd.
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Resolution auf die nächste Sitzung verschob. Neben kleineren Veränderungen an bereits gefassten Beschlüssen formulierte man Thesen zum Subsidiaritätsprinzip sowie zum Kirchenfunk, die sich beide deutlich von E III unterschieden. Da man hinsichtlich der Präambel keine Einigung erzielen konnte, verschob man ihre Beschlussfassung ebenfalls auf die nächste Sitzung.347 Am 22. 9. 1973 trat die Sonderkommission ein letztes Mal zur Beratung zusammen. Am Ende stand die Verabschiedung einer Resolution, die sich aus einem einleitenden Teil, der im Wesentlichen aus der von Dahlhaus verfassten Resolution bestand sowie Ergänzungen zu den Thesen der Kirchenkommission zusammensetzte.348 Man war demnach doch zu dem Entschluss gekommen, im Sinne von Dahlhaus von einer eigenen Stellungnahme abzusehen und der Kirchenkommission Empfehlungen auszusprechen. Zu Beginn konstatierte die Kommission als Voraussetzung ihrer Arbeit die Überzeugung, »daß die Privilegien der Kirche gegenüber den übrigen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften sowie weltanschaulichen Gruppen im staatlichen Bereich zu beseitigen sind«, verwies aber zugleich darauf, dass Trennung nicht als Synonym für »Einschränkung oder Beseitigung der Verkündigung, der Religionsausübung oder des Rechtes der politischen Stellungnahmen der Kirche« 349 zu verstehen sei. Die Thesen der Kirchenkommission bestätigte die Kommission als »richtungweisende Grundlage« sowohl für die parteiinterne Diskussion als auch im Blick auf die Kirchen. Der Landesvorstand wurde aufgefordert, sich für eine »rasche und gründlich Diskussion« einzusetzen und Vertreter zu benennen, die den Kontakt zu den Kirchen herstellen sollten. Schließlich erklärte die Kommission, auf die Ablieferung ihres Arbeitspapiers zu verzichten und charakterisierte ihre Arbeit im Sinne Dahlhaus’ als eine »Überarbeitung bzw. Fortschreibung der von der Bundeskommission vorgelegten Thesen«. Sie zeigte sich bereit, erneut zu Beratungen zusammenzutreten, um weitere Stellungnahmen aus den Gliederungen zu bearbeiten. Anschließend folgten die Ergänzungen zu den Thesen der Kirchenkommission, die sich im Wesentlichen auf die Thesen 1 und 9 bis 14 bezogen. Bei den übrigen Thesen schlug man verkürzte oder leicht umgestellte Formulierungen vor, die jedoch nichts an deren inhaltlicher Aussage änderten. Zur Präambel äußerte man sich nicht. 347
»Die vorgetragenen Meinungen zur Bundesvorlage reichten von der vorbehaltlosen Zustimmung bis zur Ablehnung wegen des angeblich defensiven Charakters« (ebd.). 348 Vgl. Resolution der Sonderkommission »Kirche und Staat« vom 22. 9. 1973; AdL 3325. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 349 Hier verwendete man ein Zitat Funckes (vgl. Funcke, Spontaneität, 18. Vgl. auch fdk Ausg. 137 vom 8. 8. 1973).
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These 1 erfuhr eine verkürzte und besser lesbare Formulierung, indem man die Aufzählung der Bereiche, in denen man jene Einflussmöglichkeiten des Staates auf die Kirchen sah (»insbesondere die Mitwirkung an ihrer regionalen Gliederung, die Forderung des bischöfl ichen Treueides auf die Verfassung, den Einfluß auf die Besetzung kirchlicher Ämter«) in einem Klammertext hinter das Wort »Einflussmöglichkeiten« setzte. These 9 zur Trägerschaft sozialer Aufgaben wurde in zweifacher Hinsicht verändert. Den Satz »doch ist ihr Vorrang gemäß dem Subsidiaritätsprinzip abzuschaffen« formulierte man um in »doch ist ihr Vorrang (Subsidiaritätsprinzip) abzuschaffen.« Aus dem letzten Satz von E III machte man zwei Sätze und betonte dadurch stärker als E III die Gewährleistung staatlicher Zuwendungen an Einrichtungen freier Träger.350 These 10 zum Religionsunterricht stimmte dem ersten Absatz von E III im Wesentlichen zu, wenngleich man den Teilsatz, Religionsunterricht solle in die »unmittelbare Verantwortung der Religionsgemeinschaften« übergehen, strich. Im Fortgang der These zeigten sich nun die Beratungsergebnisse der Sonderkommission, insofern man sich für die Einrichtung eines »neu aufzubauenden ordentlichen Lehrfach[es]« aussprach, durch das dem Schüler »Kenntnisse über Religionen, Weltanschauungen und Methodenlehre altergemäß vermittelt werden.« In Bezug auf These 11 strich man die Alternative c und ergänzte die Bundesvorlage durch einen Passus, der »das Recht der Kirchen auf Mitwirkung bei der Besetzung von Lehrstühlen in philosophischen und juristischen Fakultäten bzw. Abteilungen (Konkordatsstühle)« zurückwies. Die Einfügung dieses Passus konnte auf den Einfluss der in der Sonderkommission mitwirkenden Jungdemokratinnen Gerigk-Groht und Matthäus zurückgeführt werden, da er genau so auch in der Broschüre der nordrheinwestfälischen Jungdemokraten zur Trennung von Staat und Kirche stand.351 These 12 wurde insofern verändert, als man die Seelsorge in staatlichen Institutionen in die »alleinige Verantwortung der Kirchen« (E III: in den Auftrag der Religionsgemeinschaften) zurückgeben wollte und am Ende das Recht auf »nicht vom Staat bezahlte« Seelsorger »für alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« einforderte. These 13 ergänzte man am Ende durch den Hinweis auf das »Recht auf Kriegsdienstverweigerung«, das von der Forderung unberührt bleibe. Dem ersten Absatz der 350 »Staatliche Zuwendungen müssen Einrichtungen freier Träger aufgabengerecht und gleichmäßig gewährt werden. Sie sind zu versagen, wenn in diesen Einrichtungen gegen die Grundrechte verstoßen wird.« Vgl. E III: »Staatliche Zuwendungen für Einrichtungen freier Träger dürfen nur gewährt werden, wenn die Einhaltung der Grundrechte in diesen Einrichtungen gesichert ist.« 351 Dort hieß es im zweiten Absatz der 13. These: »Das Recht der Kirchen auf Mitwirkung bei der Besetzung von Lehrstühlen in philosophischen und juristischen Fakultäten bzw. Abteilungen (Konkordatslehrstühle) entfällt« (Dokumentation, erste Aufl age, 52; AdL D 1-2271).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
These 14 stimmte man bis auf eine kleine Formulierungsänderung zu, in Bezug auf Absatz zwei plädierte man alternativ für a) Zustimmung zur Bundesvorlage oder b) Streichung. Mit der Resolution war die Arbeit der Sonderkommission vorerst abgeschlossen. Sie wurde an den Landesvorstand weitergeleitet, der aus mehreren Gründen zu dem Schluss kam, von einer offiziellen Stellungnahme und einer weiteren Beratung auf dem Landesparteitag im Oktober vorerst abzusehen. Man wollte zunächst die Diskussionen in den Kreisverbänden abwarten, die zu diesem Zeitpunkt lebhaft geführt wurden. Weiterhin war ein Gespräch mit der evangelischen Kirche in Planung, das man spätestens zu Beginn des neuen Jahres führen wollte.352 Schließlich hatte der Kirchliche Gesprächskreis bekannt gegeben, Mitte November eine Sitzung durchzuführen, in der er sich mit den Thesen beschäftigen wollte. Der Beschluss des Bundesparteitages in Wiesbaden, das Papier ausführlich in den Untergliederungen diskutieren zu lassen, schien das Vorgehen des Landesvorstandes zu bestätigen. In einem Schreiben vom 19. 11. 1973 forderte Horst Ludwig Riemer die Parteifreunde auf, die Diskussion »in Liberalität und Offenheit«353 zu führen. Die Kreisverbände wurden mit Informationsmaterial versorgt, wobei jedoch die Resolution nicht mitgeschickt wurde. Anfang des Jahres 1974 legte man in Absprache mit dem Vorsitzenden und der stellvertretenden Vorsitzenden der ehemaligen Sonderkommission Matthäus das weitere Vorgehen fest. Dabei beschloss man, von einer Diskussion der Thesen auf dem Landesparteitag im März 1974 abzusehen und die Beratungen darüber in einer Klausurtagung des Landesvorstandes, die am 12./13. 7. stattfi nden sollte, gemeinsam wieder aufzunehmen. Weiterhin war eine Landeshauptausschuss-Sitzung für den 21. 9. vorgesehen, auf der man, auch im Blick auf mögliche Behandlung der Thesen auf dem Bundesparteitag, die Thesen abschließend beraten wollte. Landesparteitag in Oberhausen 30./31. 3. 1974 Der Beschluss, das Kirchenpapier nicht auf dem Landesparteitag in Oberhausen zu thematisieren, konnte jedoch nur bedingt eingehalten werden. Der Antragskommission hatten im Vorfeld des Landesparteitages drei Anträge vorgelegen, die sich auf das Kirchenpapier bezogen. Antragssteller waren der Landesvorstand der Deutschen Jungdemokraten (Antrag 14) sowie 352
Wie ein FDP-Sprecher der KNA gegenüber mitteilte, läge von Seiten der evangelischen Kirche bereits seit dem Frühjahr eine Einladung vor, wohingegen mit der katholischen Kirche noch keine offi zielle Kontaktaufnahme zustande gekommen war. Dort habe es lediglich Gespräche »von Einzelpersonen aus Kirche und Partei« gegeben (Art. »F.D.P.-Landesverband NRW bezieht nicht Stellung – Kirchenpapier soll in den Kreisverbänden diskutiert werden«, in: KNA Westdeutscher Dienst Nr. 215 vom 26. 9. 1973). 353 Schreiben Riemer vom 19. 11. 1973; AdL 12376.
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die Kreisverbände Mettmann (Antrag 15) und Bonn (Antrag 43).354 Während Antrag 15 inhaltlich auf das Kirchenpapier Bezug nahm und die »F.D.P.-Minister und -Fraktionen« 355 aufforderte, mit den Kirchen in Verhandlungen zu treten, »um den Grundsatz ›Freie Kirche im Freien Staat‹ zu verwirklichen«356 , beinhalteten die Anträge 14 und 43 Verfahrensvorschläge hinsichtlich des weiteren Vorgehens. Dabei war der zweiseitige Antrag 14 der Jungdemokraten ausführlicher und konkreter als der des Bonner Kreisverbandes. Unter Verweis auf die Resolution der Sonderkommission, deren erster Teil im Antrag nochmals zitiert wurde, und mit Rücksicht auf den Charakter des jetzigen Landesparteitages als eines Wahlparteitages, begrüße »der Landesparteitag«357 die zahlreichen Diskussionen und fordere die Kreisund Bezirksverbände auf, die Ergebnisse der Kirchenkommission intensiv und unter Heranziehung der Hilfe sachkundiger Kommissionsmitglieder oder entsprechender Argumentationshilfen weiter zu beraten. Ebenso appelliere er an den Landesvorstand, sich in einer Sondersitzung mit dem Thema zu beschäftigen und dazu die Sonderkommission einzuladen sowie ebenfalls in der Landeshauptausschuss-Sitzung vom September die Kirchenthesen in den Mittelpunkt zu rücken. Zur Vorbereitung der Septembersitzung solle die Sonderkommission erneut zusammentreten, um auch im Blick auf den anstehenden Bundesparteitag und einer möglichen Behandlung der Thesen aus den eingegangenen Stellungnahmen eine Vorlage zu erarbeiten. Der Bonner Antrag 43 hingegen umfasste vier kurze Abschnitte, in denen man 1. die angelaufenen Diskussionen begrüßte, 2. eine Fortsetzung der Diskussion in den Kreisverbänden forderte, 3. die Thematik als einen Hauptpunkt der Tagesordnung auf dem den Bundesparteitag vorbereitenden Landesparteitag bzw. Landeshauptausschuss behandelt wissen wollte und 4. sich bis dahin gegen Beratung inhaltlicher Anträge auf Landesparteitagen oder Landeshauptausschüssen aussprach. Der Vorsitzende der Antragskommission Detlef Kühn, zugleich Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes Bonn, empfahl dem Plenum in Übereinstimmung mit dem Landesverbandsvorstand die 354 Vgl. Antrag 14: Verfahrensweise in puncto »Freie Kirchen im freien Staat«, Antragssteller: Landesvorstand der DJD; Antrag 15: Grundsätze zum Verhältnis »Kirche und Staat«, Antragssteller: Kreisverband Mettmann; Antrag 43: Verfahrensvorschläge zum Kirchenpapier, Antragssteller: Kreisverband Bonn (alle Angaben LStaD RWV 49-182, Bl. 45–49, 66, 70). 355 Antrag 15; ebd., Bl. 47. 356 Ebd. Der Antrag beinhaltete des weiteren die 14 Thesen in einer gekürzten Version, die sich daraus ergab, dass man die Begründung der jeweiligen Thesen im Anschluss an ihre Aufl istung formulierte, wobei eine Begründung jeweils mehrere Thesen umfassten konnte. 357 Antrag 14; ebd., Bl. 45 f. Die DJD hatten den gesamten Antrag aus der Perspektive des LPT geschrieben, so dass dieser in allen Formulierungen Subjekt des Ausgesagten war.
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Annahme des Antrages 43 seines Kreisverbandes sowie die Überweisung des Antrags 15 in den Landesverbandsvorstand. Den Antrag der Jungdemokraten erachtete er unter Verweis auf den Antrag 43 als erledigt.358 Eine solche Empfehlung musste bei den Jungdemokraten auf Widerstand stoßen. Matthäus stellte einen Antrag zur Geschäftsordnung und schlug umgekehrt vor, unter Hinweis auf den konkreteren und detaillierten Antrag 14 den Antrag 43 als erledigt zu sehen.359 Die sich anschließende Diskussion endete mit in einer schriftlichen Abstimmung, in der man mit 149 zu 130 Stimmen dem Vorschlag des Landesverbandes zustimmte und somit Antrag 14 unter Hinweis auf Antrag 43 als erledigt erklärte. In der Aussprache zum Antrag 43 ergriff Matthäus erneut das Wort und erläuterte in einer längeren Rede ihr Unverständnis darüber, warum nicht das, was der Landesvorstand schon längst beschlossen habe, »eine konkrete Fixierung«360 erfahren könne. Die terminliche Festschreibung wollte sie als Ergänzung zum Antrag 43 beantragen. Erst als Otto Graf Lambsdorff ihr versicherte, »daß die Termine im Juli und September – Klausur des Landesverbandsvorstandes und Sitzung des Landeshauptausschusses – durchgeführt werden und sich mit diesem Thema befassen«361, nahm sie Abstand von einem Änderungsantrag. Dennoch erfuhr der Antrag zwei Änderungen, die auf Funcke zurückzuführen waren. Nach dem zweiten Absatz wurde ein Zusatz eingefügt, in dem die umgehende Weiterleitung des Berichts der Sonderkommission an die Kreisverbände festgelegt wurde. Eine weitere Ergänzung erfolgte nach Absatz drei, wo festgelegt wurde, den Vorsitzenden der Sonderkommission zu allen weiteren Beratungen des Landesverbandsvorstandes einzuladen. Damit endete die Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Landesparteitag. Die Ereignisse des Landesparteitages verwiesen einmal mehr darauf, wie angespannt das Verhältnis zwischen Jungdemokraten und Partei war, war doch nicht recht nachvollziehbar, warum man seitens der Antragskommission den Antrag 14 der Jungdemokraten so schnell hatte unter den Tisch fallen lassen wollen. Kühns Begründung zur Zurückstellung des Antrags war nicht wirklich einleuchtend, was u. a. auch damit zusammenhing, dass er den Antrag der Jungdemokraten mit dem Attribut der Täuschung versah: »Im Ju[l]i fi ndet eine Klausurtagung des Landesverbandsvorstandes zum Thema Kirche und Staat statt, und im September soll das Thema auf einer Tagung des Lan358
Wortprotokoll LPT Oberhausen 1974; LStaD RWV 49-184, Bl. 231 f. »Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Antragskommission mindestens den Antrag Nr. 14 nicht genau gelesen hat [. . .]« (ebd., Bl. 232). 360 Ebd., Bl. 247. Matthäus bezog sich auf die für Juli geplante Landesvorstandsklausur sowie die Landeshauptausschusssitzung im September. 361 Ebd., Bl. 248. 359
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deshauptausschusses behandelt werden. Angesichts dieser sozusagen parallel laufend und ergänzend zu den Beratungen in den einzelnen Kreisverbänden stattfi ndenden Beratung des Kirchenpapiers erschien es uns wirklich nicht vertretbar, hier wie in Antrag Nr. 14 doch relativ detaillierte Aussagen zu machen, die zum Teil als verfahrensmäßige Aussagen getarnt sind, aber doch zum Teil auf die Sache abzielen.« 362
In der Begründung zur Ausführlichkeit des Antrages 14 verwies Matthäus darauf, dass im Geschäftsbericht zum Jahr 1973 der Arbeitskreis mit keinem Wort erwähnt werde. Des Weiteren betonte sie, wie positiv die Zusammenarbeit zwischen Partei und Jungdemokraten in diesem Ausschuss verlaufen sei und verwies erneut auf den Geschäftsbericht, der wiederum nur »einige läppische Worte über die Zusammenarbeit mit den Jungdemokraten«363 enthalten habe. An anderer Stelle wird deutlich, wie misstrauisch man seitens der Jungdemokraten der Partei gegenüber war: »Meine Damen und Herren, das klingt jetzt vielleicht lächerlich. Nur, machen wir uns doch nichts vor: Dieses Thema wird von Parteitag zu Parteitag verschoben! Dieses Thema soll von der Tagesordnung runter. Von daher müssen Sie unser Misstrauen verstehen. Und wenn es schon konkrete Beschlüsse gibt, ist doch nichts dagegen einzuwenden, daß sie hier noch einmal gefaßt werden.« 364
Die Argumentation von Matthäus war überzeugend, denn tatsächlich beinhaltete der Jungdemokratenantrag nichts, was nicht schon durch andere Gremien des Landesverbandes beschlossen worden war. Es ging hier somit weniger um inhaltliche Differenzen zwischen Jungdemokraten und Partei als vielmehr um ein gegenseitiges Misstrauen, das auf beiden Seiten zu spüren war und dementsprechend artikuliert wurde. Der Kirchliche Gesprächskreis Der Kirchliche Gesprächskreises war eine Besonderheit des nordrhein-westfälischen Landesverbandes. In keinem anderen Landesverband existierte ein vergleichbares Gremium. Die Gründung dieses Gesprächskreises, der zunächst das Attribut »evangelisch« trug und erst im Jahre 1966 in Kirchlichen Gesprächskreis umbenannt wurde, erfolgte »[a]ufgrund verschiedener Anregungen«365 am 29. 5. 1962, seine Leitung oblag Liselotte Funcke. Diese 362 Ebd., Bl. 233. Der Argumentation des Kirchenpapier-Befürworters Kühn war das deutliche Bemühen abzuspüren, den Antrag seines Kreisverbandes durchzubringen. Hier hatte man sich ausführlich mit dem Kirchenpapier befasst und sich dabei für einen »langfristigen Dialog« mit den Kirchen ausgesprochen (Art. »F.D.P.-Kreisverband Bonn: Langfristiger Dialog mit den Kirchen. Auftakt mit Podiumsdiskussion im Oktober«, in: epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 105 vom 13. 9. 1973). 363 LStaD RWV 49-184, Bl. 245 f. 364 Ebd., Bl. 251. 365 Schreiben Funcke an die Mitglieder des Landesverbandes NRW vom 15. 5. 1962; Handakten Dahlhaus. Als eine dieser Anregungen musste auch die Idee des Parteimitglieds Zulauf verstanden werden, obgleich man hinter seiner Konzeption eher die Grün-
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hatte in einem Bericht über eine Tagung zwischen der Evangelischen Kirchenleitung von Westfalen und den politischen Parteien, die Anfang Januar des Jahres 1962 in Iserlohn stattfand, das gute Verhältnis zur Kirchenleitung, insbesondere zu Kirchenrat Doehring betont und festgestellt, »daß in unseren Reihen der Kreis derer, die mit Erfahrung in kirchlichen Raum stehen und arbeiten, in Zahl und Bedeutung größer ist, als möglicherweise gedacht.«366 Durch die Gründung einer »evangelischen Arbeitsgemeinschaft im Rahmen des Landesverbandes«367 sollte der Kontakt zur evangelischen Kirchenleitung gehalten werden. In der konstituierenden Sitzung des Gesprächskreises am 29. 5. 1962 beschrieb man es daher als dessen Aufgabe, »Fragen aus dem Grenzbereich zwischen Kirche und Politik« zu beraten, »gemeinsame Interessen zu entdecken und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu untersuchen, aber auch ggf. Unterschiede in den Standpunkten festzustellen und zu objektivieren.«368 Ende 1962 hatte sich der Evangelische Gesprächskreis soweit konstituiert und seine Arbeit aufgenommen. Der Arbeitskreis hatte den Charakter eines Landesfachausschusses; ein Teil seiner Mitglieder wurde vom Landesvorstand benannt, die übrigen aus den jeweiligen Bezirksverbänden delegiert. Die meisten seiner Mitglieder waren selbst zu einem großen Teil in den Kirchen aktiv.369 Ungefähr alle zwei bis drei Monate trat der Kreis zusamdung eines evangelischen Geheimbundes bzw. Verteidigungsbundes als eine Kontaktstelle zwischen Kirche und Partei vermuten konnte: »1. Es ist eine bestens getarnte Organisation zu gründen, für die ein passender Name gefunden werden muss: ›Evangelischer Arbeitskreis‹, ›Evangelischer Schutzbund‹ ›Arbeitsgemeinschaft für konfessionellen Frieden‹ o. ä. 2. Es darf keinerlei Verbindung dieser Vereinigung mit der Partei erkennbar werden, auch nicht bei eifrigster Nachforschung durch den getroffenen Gegner. Wir sollten studieren, wie die Kommunisten ihre zahlreichen Tarnorganisationen aufziehen und von ihnen lernen.« Es folgten Bemerkungen zur »Beschaffung« von »Anschriftenmaterial der ev. Wähler« sowie des Materials, dass die »Benachteiligung der ev. Bevölkerung auf den verschiedenen Gebieten« nachweise. Im Blick auf die regionale Ausrichtung dieser Aktion verwies Zulauf auf die Tatsache, dass evangelische Christen in katholischen Gebieten besonders ansprechbar seien, »da sie den aggressiven Katholizismus der CDU deutlich vor Augen haben« (Schreiben Zulauf an Weyer vom 5. 5. 1961; AdL N 73-7). 366 Funcke, Bericht über die Tagung Ev. Kirchenleitung Westfalen und Politische Parteien in der Evangelischen Akademie Iserlohn vom 4. bis 6. 1. 1962; LStaD RWV 492018. 367 Ebd. 368 Protokoll der konstituierenden Sitzung des Gesprächskreises vom 29. 5. 1962; AdL N 73-2 (vgl. auch Art. »FDP bildet ›Evangelischen Gesprächskreis‹«, in: epd Landesdienst Rheinland Nr. 47 vom 30. 5. 1962). Man distanzierte sich explizit von der Idee Zulaufs, indem man betonte, sich weder als »Notgemeinschaft evangelischer Christen noch [als] Stoßtrupp zur Gewinnung evangelischer Wähler« zu verstehen (Protokoll vom 29. 5. 1962; AdL N 73-2). 369 Wie Dahlhaus, ebenfalls Gründungsmitglied des Evangelischen Gesprächskreises berichtete, waren immer auch Pfarrer bei den Beratungen anwesend. Auch Funcke betonte im Zusammenhang der Resonanz auf den Gesprächskreis im Landesverband: »zumal wir bisher zur Abgrenzung eines großen Andranges nur Parteifreunde in die Liste aufge-
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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men. Seine maßgeblichen Aufgaben bestanden in der Erörterung bestimmter aktueller, Kirche und Staat betreffende Fragestellungen, die häufig mit kirchlichen Vertretern durchgeführt wurden sowie in der Teilnahme an den Tagungen zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche und Vertretern der politischen Parteien.370 Da die Resonanz auf den Evangelischen Gesprächskreis sehr groß war, hatte man im Landesverbandsvorstand erneut auf Anregung Funckes ebenfalls über die Etablierung eines katholischen Arbeitskreises nachgedacht. Auf der Landesvorstandssitzung im Juni 1963 war die Entscheidung darüber zunächst vertagt worden, da man zuvor durch Gespräche mit Vertretern der katholischen Kirche hatte herausfi nden wollen, ob »der gedachte Zweck überhaupt erreichbar ist.«371 Der hier schon anklingende Pessimismus sollte sich bestätigen, denn die Stellungnahme eines Mitgliedes des Generalvikariats von Paderborn machte jene Hoffnungen auf das Gelingen eines solchen Arbeitskreises zunichte und zeigte einmal mehr, wie angespannt das Verhältnis zwischen den Katholiken und der Partei nach wie vor war.372 Während sich die Kontakte zur evangelischen Kirche über die Jahre hinweg hielten, änderte sich das distanzierte Verhältnis zur katholischen Kirche kaum, wenngleich die Namensänderung 1966 von Evangelischem zu Kirchlichem Gesprächskreis darauf zurückzuführen war, dass nun doch auch vereinzelt Katholiken in den Gesprächskreis kamen und man dort gelegentlich nommen haben, die auch aktiv in der Arbeit der Kirche standen« (Schreiben Funcke an Riemer vom 1. 10. 1962; LStaD RWV 49-2018). Im August 1962 berichtete Funcke von einem Kreis von »30–40 politisch tätigen Menschen, die zugleich aktiv in der Arbeit der evangelischen Kirche stehen« (Schreiben Funcke an Karrenberg vom 28. 8. 1962; AdL N 73-7). 370 »So haben wir gesprochen mit Kirchenrat Doehring über das Verhältnis von Staat und Kirche, mit dem sozialethischen Ausschuß der Kirche in Velbert über die Eigentumsdenkschrift, mit dem Militärdekan über die Militärseelsorge, mit Kirchenrat Reiss [!] über die Gründung der Universität Bochum (speziell theologische Fakultät), mit dem Sozialamt in Villigst über dessen Aufgaben, mit der Ev. Akademie Mühlheim über die Erwachsenenbildungsarbeit der Kirche, mit dem Leiter des Predigerseminars Dortmund über den Kirchentag und über sozialethische Fragen usw.« (Schreiben Funcke an Hans Dieter Weihs vom 19. 2. 1964; AdL N 73-6). 371 Schreiben Rieger an Weyer vom 30. 9. 1963; LStaD RWV 49-2018. 372 Der Vorsitzende des Ortsverbandes Menden Theodor Klusendick hatte in einem Schreiben an das Erzbischöfl iche Generalvikariat in Paderborn wissen wollen, ob ein praktizierender Katholik sich eine Tätigkeit im Rahmen der FDP vorstellen könne. Das Antwortschreiben wurde von Gustav Ermecke, Mitglied des Generalvikariats, verfasst. Ermecke hatte darin u. a. betont, es bestünde zwar kein direktes kirchliches Verbot, jedoch existiere ein allgemeines Verbot »Abgeordnete und Parteien zu wählen, die bestimmte ethische und religiöse Grundforderungen ablehnen, welche die Kirche durch ihre Oberhirten in deren ›Wahlhirtenbriefen‹ als Richtschnur [. . .] herausgestellt haben.« Am Ende resümierte er, dass gegen ein »bedenkenloses Eintreten für die FDP [. . .] gewichtige Gründe« bestünden, die »der einzelne bei seiner Gewissensentscheidung beachten muß« (Schreiben Ermecke an Klusendick vom 25. 6. 1963; ebd.).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
katholische Referenten einlud. Hier spielte auch zunehmend eine Rolle, dass katholische Parteimitglieder die einseitige Existenz eines evangelischen Gesprächskreises zunehmend befremdlich fanden. Insgesamt jedoch blieb das Interesse seitens der Katholiken an der Arbeit des Kirchlichen Gesprächskreises gering, so dass Funcke ihn 1974 als »Kreis von F.D.P.-Mitgliedern« beschrieb, in dem »[o]bwohl interkonfessionell [. . .] die meisten Mitglieder evangelisch [sind], was u. a. damit zusammenhängt, daß viele Jahre lang die katholische Kirche als Gesprächspartner nahezu ausfiel und auch jetzt noch nicht allzu gesprächsbereit ist.«373
In insgesamt sechs Sitzungen befasste sich der Kirchliche Gesprächkreis unter dem Vorsitz Funckes und ihres Stellvertreters Dahlhaus mit den Kirchenthesen.374 Zum Zeitpunkt dieser Diskussion zählte er offiziell 45 Mitglieder, wovon jedoch nur knapp die Hälfte, manchmal nur ein Drittel, zu den Beratungen erschien. Vertreter der Jungdemokraten arbeiteten in diesem Gremium nicht mit, obschon Funcke in einem Schreiben an Siekmann vom 10. 5. 1973 darauf hingewiesen hatte, dass es in der Sitzung am 26. 5. 1973 »in besonderer Weise um Ihren [sc. der Jungdemokraten] Antrag gehen wird.«375 Dem Schreiben hatte sie drei Einladungen zur besagten Sitzung beigefügt. Der Kirchliche Gesprächskreis diskutierte alle Thesen der Kirchenkommissionsvorlage (E III), wobei man sich bei den Beratungen am 17. 11. 1973 bei manchen Thesen auf Formulierungen einer alternativen Thesenreihe stützte, die von dem Gesprächskreismitglied und Bochumer Pfarrer, Wilhelm Winkelmann, verfasst worden war.376 Die Kirchensteuerfrage löste eine lange und ausführliche Debatte aus, in der man Für und Wider des derzeitigen Systems diskutierte.377 Letztlich einigte man sich darauf, auf die Formulierungen der »Nürnberger Wahlplattform« zurückzugreifen, die für 373
Schreiben Funcke an Siegfried Keil 19. 8. 1974; AdL N 73-2. Die Beratungen erfolgten am 26. 5., 1. 9. und 17. 11. 1973 sowie am 25. 1., 2. 4. und abschließend am 22. 6. 1974. Leider liegen zu den ersten beiden Sitzungen keine Protokolle vor, so dass der Diskussionsprozess über die Thesen 1 bis 4 nicht dargestellt werden kann. 375 Schreiben Funcke an Siekmann vom 10. 5. 1973; AdL N 73-3. 376 Vgl. Winkelmann-Entwurf: Thesen zum Thema »Freie Kirchen im freien Staat« vom liberalen Standpunkt aus; LStaD RWV 49-2022 (vgl. auch Protokoll der Sitzung des KGK vom 17. 11. 1973: »Dazu hatte Pfarrer Winkelmann eine alternative Thesenreihe entworfen, deren Formulierungen bei der Besprechung der einzelnen Punkte herangezogen wurden«; LStaD RWV 49-2022). Winkelmann war seit 1966 FDP-Mitglied und zum Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion Pfarrer in Bochum Eppendorf (1968–1996), ab 1982 zugleich dortiger Superintendent. Er trat im Zuge des 1982 vollzogenen Regierungswechsels aus der FDP aus. 377 »– Kirchensteuer sei sozial gerecht; dagegen: Kappungsmöglichkeit – Kirchensteuer ermögliche Diakonie; dagegen: Diakonie arbeitet weitgehend mit öffentlichen Mitteln 374
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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die Ablösung des staatlichen Kirchensteuereinzuges plädierte, den Kirchen aber nach wie vor das Recht zugestand, anhand der staatlichen Steuerlisten ihre Steuern unabhängig zu erheben und einzuziehen.378 In der Diskussion der These 6 zur Überprüfung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen auf ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität betonte man die Schwierigkeit, im Sinne des Pluralismus für die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates einzustehen, ohne dabei das liberal-christliche Ethos, das der Verfassung und dem Grundgesetz zugrunde liegt, zu vernachlässigen. Mit E III kam man zu dem Schluss, dass die Verwendung spezifisch christlicher Symbole in öffentlichen Einrichtungen der eingeforderten Neutralität des Staates widersprach, wobei man hinsichtlich der Symbole nochmals differenzierte und anregte, Hinweise auf positive Bekenntnismöglichkeiten in die These aufzunehmen.379 Die Beratungen zur These 7 (Kirchenverträge und Konkordate) stellte man zurück, da sich die Mehrheit der Teilnehmer aufgrund ihres Defizits an juristischen Kenntnissen für die Erörterung als nicht kompetent genug erachtete. Der These 8 zu den Staatsleistungen an die Kirchen wurde im ersten Abschnitt zugestimmt, allerdings regte man für den zweiten Abschnitt positivere Formulierungen an, etwa dahingehend, dass die Begünstigungen der Kirchen »in den genannten Punkten denen von Gruppen mit vergleichbaren Aufgaben gleichzustellen sind.«380 In These 9 zur Trägerschaft sozialer Aufgaben wurde von der Tendenz her eingewilligt, allerdings sprach man sich einhellig und mit Rücksicht auf die katholische Soziallehre gegen die Verwendung des Wortes »Subsidiaritätsprinzip« aus. Weiterhin erhob man Bedenken gegen die Formulierung des letzten Satzes, den einige Mitglieder streichen wollten, wohingegen andere für eine Umformulierung entweder
und Spenden – Kirchensteuer begründet keine Abhängigkeit der Kirche vom Staat; dagegen: System kann missbraucht werden« (ebd.). 378 Siehe Kap. I.2.2. Insgesamt votierten am Ende der Diskussion elf Personen für die Änderung des Steuereinzugsverfahrens in dem oben beschriebenen Sinne, vier Personen für ein privates Beitragssystem mit eigenem Einzug, und zwei Personen plädierten auf Nichtbefassung der FDP mit diesem Thema. 379 Es ist anzunehmen, dass man mit diesem differenzierenden Beschluss auch auf den Winkelmann-Entwurf reagierte, in dem dieser sich für die Zulassung weltanschaulich religiöser Umgangsformen und die Verwendung von weltanschaulichen Religionssymbolen ausgesprochen hatte, mit dem Ziel, eben dadurch die »die weltanschauliche Neutralität des Staates sinnfällig zu machen (positive Bekenntnisfreiheit)« (Winkelmann-Entwurf; LStaD RWV 49-2022. Vgl. auch Protokoll der Sitzung des KGK vom 17. 11. 1973; ebd.). Dem Verzicht auf die Verwendung des Kruzifi xes stimmte man einstimmig zu. Ebenso war die Mehrheit für einen generellen Verzicht im Blick auf die Eidesfrage. Beim Schulgebet hingehen vertrat die Mehrheit die Ansicht, nur dann darauf zu verzichten, wenn ein Widerspruch gegen das Gebet erfolgen sollte. 380 Ebd.
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in Anlehnung an den Winkelmann-Entwurf oder aber an die Sonderkommission plädierten.381 Zur Beratung der These 10 hatte der Kirchliche Gesprächskreis Pfarrer Jürgen Kluge vom Pädagogisch-Theologischen Institut in Villigst eingeladen, der zunächst inhaltlich in die Thematik einführte und schließlich einen eigenen Entwurf vorlegte. Kluge plädierte für die Beibehaltung des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfaches, sprach sich dabei aber für eine neue Organisation dieses Religionsunterrichts aus, dahingehend, dass in ihm die Möglichkeit zur Bildung »unterschiedliche[r], konfessionell bzw. weltanschaulich akzentuierte[r] Lerngruppen«382 gegeben sein sollte, für die sich die Schüler dann im Sinne der Wahlfreiheit entscheiden konnten. Der Vorschlag wurde kontrovers diskutiert und eine Beschlussfassung darüber auf die letzte Sitzung vertagt.383 Ebenso vertagte man die Beratungen der Thesen 11 und 14; die Thesen 12 und 13 hingegen hakte man als unproblematisch ab.384 Am 22. 6. 1974 trat man ein letztes Mal zusammen und beschloss eine Neuformulierung der Thesen.385 Auch der Kirchliche Gesprächskreis hatte sich, wie schon die Sonderkommission, nicht zur Präambel geäußert, so dass sich die von ihm beschlossene Neufassung auf den Thesenteil von E III beschränkte. Lediglich der These 4 stimmte man wörtlich in der Fassung von E III zu, die Thesen 7 und 13 wurde nur geringfügig umformuliert. Die Thesen 1 und 12 übernahm man in der Formulierung der Sonderkommission. In These 2 ersetzte man im ersten Abschnitt die Begründung zur Ablehnung des Status einer Körperschaft »da diese keine staatlichen Aufgaben erfüllen« durch die mildere Formulierung »da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten.« Der zweite Abschnitt wurde leicht umformuliert so übernommen. These 3 wurde stark verkürzt und beschränkte 381 Vgl. ebd. Der letzte Satz von E III lautete: »Staatliche Zuwendungen für Einrichtungen freier Träger dürfen nur gewährt werden, wenn die Einhaltung der Grundrechte in diesen Einrichtungen gesichert ist.« Winkelmann hingegen hatte formuliert: »In allen sozialdiakonischen Einrichtungen freier Träger wie der öffentlichen Hand sind die Grundrechte zu gewährleisten, d. h. auch die Religionsausübung ist zu ermöglichen« (ebd. Hervorhebung T. M. E.). 382 Protokoll der Sitzung des KGK vom 2. 2. 1974; ebd. 383 Vgl. Protokolle über die Sitzungen des KGK vom 25. 1. 1974 und 2. 4. 1974; ebd. 384 Ebd. 385 Vgl. Neuformulierung der 14 Thesen durch den KGK des Landesverbandes NRW am 22. 6. 1974 in Leverkusen; ebd. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Es ist darauf hinzuweisen, dass Peter Juling an dieser Sitzung des KGK teilnahm und diesem eine Synopse mit den Stellungnahmen der Landesverbände Schleswig-Holstein, Berlin, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Saarland vorlegte. In These 8 übernahm der KGK einen Absatz aus der Stellungnahme des Landesverbandes Niedersachsen.
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sich auf die drei Aussagen, dass a) »die Mitgliedschaft in Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften [. . .] von ihnen selbst nach eigenem Recht geregelt« werden solle, b) dadurch die Erklärung des Austritts gegenüber staatlichen Stellen hinfällig werde und c) die Religionsmündigkeit mit Vollendung des 14. Lebensjahres beginne.386 These 5 zur Kirchensteuer wurde dahingehend erweitert, dass man im Zuge der Etablierung eines kircheneigenen Abgabesystems mit den Kirchen Verhandlungen aufnehmen solle.387 In These 6 spiegelte sich im letztem Abschnitt ein Ergebnis aus den Beratungen wider, denn man sprach sich jetzt nicht grundsätzlich gegen die Verwendung sakraler Formen und Symbole aus, sondern regte ihre Überprüfung dahingehend an, »inwieweit sie dem Grundsatz der weltanschaulich religiösen Neutralität« widersprachen. Ebenfalls auf die Beratungen zurückzuführen war die Tatsache, dass diese Symbole nun nicht mehr explizit aufgezählt wurden.388 In These 8 veränderte man die Begründung des zweiten Abschnitts zur Auf hebung der steuer- und gebührenrechtlichen Sondervorteile der Kirche, indem man nun nicht mehr mit deren Nichtvereinbarkeit mit der Neutralität des Staates argumentierte, sondern den Vergleich der Kirchen und Religionsgemeinschaften mit »anderen gemeinnützigen Institutionen« anstrebte, durch den im Falle einer Bevorteilung der Kirchen diese Sondervorteile abgeschafft werden sollte. Man griff damit den zweiten Abschnitt der niedersächsischen Stellungnahme auf, die der Kirchliche Gesprächskreis durch die von Juling vorgestellte Synopse kennen gelernt hatte.389 These 9 formulierte man insgesamt um, 386 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Funcke eine deutliche Befürworterin dieser Verkürzung war. So hatte sie im Oktober 1973 geäußert, gegen die Ausführungen über die Kirchenmitgliedschaft, so wie sie in E III artikuliert wurde, zu sein (vgl. Art. »FDP-Thesen – Signal für Christen und Kirchen. Liselotte Funcke erläutert ihre Haltung«, in: epd ZA Nr. 211 vom 30. 10. 1974). Auch ihr Einsatz für die Einfügung jenes Abschnitts zur Taufe in E III bestätigt dies (siehe Abschnitt 1.3.). 387 Man hatte somit die Überlegung, den Wortlaut der »Nürnberger Wahlplattform« zu übernehmen, in die Formulierung mit aufgenommen. 388 Bei der Diskussion der siebten These mag auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. 11. 1973 Einfluss gehabt haben, wo die Zulässigkeit des Schulgebets an den Gemeinschaftsschulen in NRW durch das Gericht letztinstanzlich bejaht worden war. Der Klage eines der HU angehörenden Studienprofessors aus Aachen, der von Erwin Fischer vertreten worden war, wurde somit nicht stattgegeben. Er hatte beantragt, das in der Gemeinschaftsschule seiner Kinder praktizierte Beten zu Beginn und Beendigung des Unterrichts, das auch außerhalb des Religionsunterrichts stattfand, zu untersagen. Das Gericht hatte die Zulässigkeit des Schulgebets mit der durch Art. 7 GG eingeräumten Freiheit in der Gestaltung der Schultypen bejaht und das Gebet als im Rahmen der offenen Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage als der Einübung der Toleranz dienlich befunden. Voraussetzung sei jedoch, dass den Schülern das Fehlen an dieser Veranstaltung eröffnet werde und die Eltern über die Praxis informiert seien (vgl. Vermerk Grünhaupt vom 1. 12. 1973; LStaD RW 357-1686). 389 Die niedersächsische Kirchenkommission hatte diese Formulierung bereits im September 1973 so in ihrer Stellungnahme beschlossen (siehe Abschnitt 2.2.1.).
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wobei man im Sinne der Beratungen das Wort Subsidiaritätsprinzip vermied und durch die Formulierung »allerdings ohne Vorrangstellung« ersetzte. Den letzten Satz der These strich man ersatzlos. In These 10 griff man nun den Vorschlag Kluges auf, indem man den ersten Teilsatz von E III so übernahm, dann aber den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einforderte, der so zu organisieren war, »daß für den Schüler freie Wahlmöglichkeit« bestand. Den letzten Satz der These 10 von E III übernahm man wieder. Im Blick auf These 11 plädierte man auf Nichtbefassung, ebenso strich man die These 14. Die Neufassung der Thesen wurde an den Bundesverband weitergeleitet, ebenso wollte Funcke sie in die Beratungen des Landesvorstandes, die für Juli geplant waren, einfl ießen lassen. Dass letzteres, so Funcke, »vielleicht nicht ganz zum Vergnügen von Frau Matthäus«390 geschehen würde, war darauf zurückzuführen, dass die Neufassung des Kirchlichen Gesprächskreises insgesamt mäßiger war und sich in manchen Fällen deutlich von der Resolution der Sonderkommission unterschied. Besonders offensichtlich wurde dies am Beispiel des Religionsunterrichts, den die Sonderkommission als nicht ordentliches Unterrichtsfach aus dem Lehrplan der staatlichen Regelschule nehmen wollte, wohingegen sich der Kirchliche Gesprächskreis für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach aussprach, wenngleich dieser in einer neuen Organisationsform stattfi nden sollte. Auch im Blick auf These 11 zu den Theologischen Fakultäten erfolgte in der Resolution durch die Weglassung der Alternative c eher eine Verschärfung gegenüber E III, wohingegen der Kirchliche Gesprächskreis auf Nichtbefassung plädierte. Die Unterschiede zwischen diesen beiden nordrhein-westfälischen Gremien lassen sich durch das jeweilige Teilnehmerprofi l erklären. Im Gegensatz zur Sonderkommission arbeiteten im Kirchlichen Gesprächskreis keine Jungdemokraten mit, dafür nahmen Vertreter der evangelischen Kirche regelmäßig an den Beratungen teil, wie sich einerseits durch die Existenz des Winkelmann-Entwurfs als auch durch eine Bemerkung Funckes, »Pastor Keienburg aus Iserlohn«391 habe an den Beratungen der letzten Sitzung »tatkräftig mitgewirkt«392 , belegen lässt. So spiegelten bspw. die Beratungen über den Religionsunterricht die Präsenz der Kirche im Kirchlichen Gesprächskreis wider, denn Funcke hatte Riess gegenüber in besagtem Schrei390
Schreiben Funcke an Vorwerg vom 27. 6. 1974; AdL N 73-2. Ebd. Fritz Hermann Keienburg war seit 1967 Akademiedirektor der Evangelischen Akademie Haus Ortlohn in Iserlohn und zum Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion Vorsitzender des Ständigen Ausschusses der Westfälischen Landessynode für politische Verantwortung. 392 Ebd. Gleiches bestätigte sie in einem Schreiben von Januar 1975 über die Arbeit des KGK, an den Beratungen hätten »als frühere Referenten Gäste aus der evangelischen Kirche teilgenommen« (Schreiben Funcke an Riess vom 7. 1. 1975; ebd.). 391
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ben bemerkt, dass »an dessen Reform [sc. des Religionsunterrichts] seitens der Kirchen mit unterschiedlichen Vorstellungen gearbeitet wird.« 393 Weitere Beratungen Juli bis September 1974 Mitte Juli trat der Landesverbandsvorstand in Gevelinghausen zusammen, um erneut in die Beratungen der Kirchenthesen einzutreten. Auf der Grundlage »der 14 Thesen der Bundeskommission, der Arbeitsergebnisse der Sonderkommission Kirche und Staat des Landesverbandes NRW [sc. Resolution], der Beschlüsse anderer Landesverbände und einer Reihe von Anträgen der Kreisverbände des Landesverbandes« 394
beschloss man eine Fassung der Thesen, wobei man die Beratung der Thesen 11, 13 und 14 sowie der Präambel auf die nächste Landesvorstandssitzung vertagte.395 These 1 übernahm bis auf den Rahmensatz 396 die Formulierung der Sonderkommission, die Thesen 2 und 3 griffen zum größten Teil auf Formulierungen des Kirchlichen Gesprächskreises zurück, wobei sie jeweils noch durch einen Satz ergänzt wurden.397 Die Thesen 4 und 5 übernahm man in der Fassung von E III. In These 6 zur verfassungsmäßig festgeschriebenen Neutralität des Staates zeigte sich nun die Aufnahme verschiedener Stellungnahmen. Der erste Satz wurde bis auf den unmittelbaren Anfang in der Version des Kirchlichen Gesprächskreises übernommen.398 Die Sätze zwei und drei richteten sich bis auf minimale Veränderungen nach der Fassung von E III, ebenso der erste Teilsatz des vierten Satzes, wobei man zu Beginn die Worte »die Verwendung« strich und den »Eid« aus der Aufzählung der 393
Ebd. Protokoll der Sitzung des Landesverbandsvorstandes vom 12./13. 7. 1974; LStaD RWV 49-2096. 395 Vgl. Freie Kirche im freien Staat – Beratungsergebnis der Klausurtagung des Landesverbandsvorstandes NRW vom 12./13. 7. 1974; ebd. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Es werden die wichtigsten Veränderungen gegenüber E III dargestellt. 396 Der Rahmensatz der ersten These, »[d]ie Unabhängigkeit der Kirche verlangt, daß der Staat seine besonderen Einwirkungsmöglichkeiten [. . .] aufgibt«, tauchte so in keiner der bekannten Thesenfassungen auf und war wohl auf die Stellungnahme eines Kreisverbandes oder auf die Diskussion innerhalb der Sitzung zurückzuführen. 397 These 2 ergänzte man am Ende durch den Satz »Dabei sind religions- und weltanschaulich bedingte Besonderheiten zu berücksichtigen.« Dieser Satz ging mit großer Wahrscheinlichkeit auf Dahlhaus zurück. In These 3 fügte man nach dem ersten Satz die Aussage »Das Grundrecht auf Religionsfreiheit erfordert, daß Ein- und Austritt nach freier Willensentscheidung gesichert sein muß« ein. Beide Veränderungen sind in ihrer Herkunft nicht sicher zu ermitteln. 398 Während der KGK zu Beginn der These die Formulierung »Grundgesetz und Landesverfassungen sind am Grundsatz [. . .]« gewählt hatte, kürzte man in der neu formulierten These den Anfang auf »[d]as Verfassungsrecht ist am Grundsatz [. . .]«. 394
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sakralen Formen und Symbole herausnahm. Es folgte eine Begründung des Verzichts auf sakrale Formen und Symbole, die sich erneut an die Thesenfassung des Gesprächskreises anlehnte.399 Neu waren zwei Aussagen zum Eid bzw. zur religiösen Eidesformel am Ende der These: »Die Eidesformel ist neutral zu fassen. Der Eidesleistende kann jedoch eine religiöse Form wählen.« Der letzte Satz war auf die Stellungnahme des Kreisverbandes Wuppertal zurückzuführen, die dieser Anfang Juli 1974 beim Landesvorstand eingereicht hatte.400 In These 7 übernahm man den ersten Satz sowie den letzten Teilsatz aus der Fassung des Gesprächskreises, der Rest der These folgte der Version von E III. Auch These 8 zu den Staatsleistungen an die Kirchen wurde unter Aufnahme des Klammertextes in der Fassung der Sonderkommission zunächst in der Version von E III beibehalten, am Ende jedoch strich man die Begründung der Auf hebung steuer- und gebührenrechtlicher Sondervorteile401 und ersetzte sie durch den Teilsatz »soweit sie [sc. die Sondervorteile] nicht für gleiche Zwecke auch anderen Institutionen gewährt werden.« Es ist anzunehmen, dass diese Formulierung auf die Beratungen des Kirchlichen Gesprächskreises zurückzuführen war, wenngleich sie so nicht in dessen Neufassung der Thesen auftauchte. Jedoch hatte man dort in der Diskussion der These 8 für eine positivere Formulierung plädiert, der dieser Teilsatz inhaltlich in etwa entsprach. These 9 erfuhr entscheidende Veränderungen gegenüber E III, deren Formulierungen man nur in den ersten beiden Sätzen übernahm. Im Folgenden forderte die These unter Weglassung des Subsidiaritätsprinzips oder ähnlicher Formulierungen, dass »[d]ie freien Träger [. . .] in diesen Bereichen gleichrangig tätig sein« können. Die einzige Bedingung, die an ihre Einrichtungen, sofern diese öffentlich gefördert wurden, gestellt wurde, bestand darin, »der Allgemeinheit zugänglich [zu] sein.« Leider ist nicht zu belegen, auf wen die positiven Formulierungen zur freien Trägerschaft zurückzuführen waren, die Bedingung einer allgemeinen Zugänglichkeit dieser Einrichtungen hingegen war auf die Stellungnahme des Landesverbandes Hessen zurückzuführen.402 In These 10 übernahm man weitgehend die Formulierungen aus E III, wobei neben kleineren Umformulierungen die wichtigste Veränderung darin bestand, dass man die Aus-
399 »[. . .] soweit sie [die religiösen Formen und Symbole] dem Grundsatz weltanschaulich religiöser Neutralität widersprechen.« Der Satz in der Fassung des KGK lautete: »[. . .] inwieweit sie [sc. die Verwendung sakraler Formen und Symbole] dem Grundsatz der weltanschaulich religiösen Neutralität widerspricht.« 400 Vgl. 14 Thesen zum Verhältnis Kirche und Staat des Kreisverbandes Wuppertal vom 1. 7. 1974; AdL 3325. 401 »[. . .] da sie mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar sind.« 402 Siehe Abschnitt 2.3.1.
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sage, Religion sei kein ordentliches Lehrfach, wegließ.403 These 12 folgte der Version der Sonderkommission. Bis auf die Thesen 4 und 5 hatte man somit alle Thesen umformuliert, womit teilweise deutliche inhaltliche Veränderungen einhergingen. Die meisten Veränderungen ließen sich auf die Version des Kirchlichen Gesprächskreises zurückführen, was insofern erstaunlich war, als das Protokoll diese Fassung nicht als Grundlage der Beratungen aufgelistet hatte; jedoch hatte Funcke bereits darauf hingewiesen, die Fassung zu den Beratungen hinzuzuziehen. Obwohl man die Beratungen über das Kirchenpapier noch nicht abgeschlossen hatte, wurde die Stellungnahme des Landesverbandsvorstandes an den Bundesverband weitergeleitet und dort bei den weiteren Beratungen entsprechend berücksichtigt.404 Auch informierte man die Kreisverbände über das Ergebnis der Klausurtagung. Dass der Landesverbandsvorstand die Beratungen über die Kirchenthesen auch nach der Klausurtagung fortsetzte, hing damit zusammen, dass man dort ebenfalls beschlossen hatte, eine fertige Stellungnahme des Landesverbandsvorstandes als Antrag auf dem Bundesparteitag einzubringen, von dem man inzwischen wusste, dass das Kirchenpapier dort schwerpunktmäßig behandelt werden würde. Der Antrag sollte nun »[w]ie die bisherigen Programmaussagen [. . .] der Verdeutlichung wegen Erläuterungen erhalten«405, deren Erarbeitung man in die Sonderkommission delegierte, die darauf hin am 11.9. und somit zwei Tage vor der Landesvorstandssitzung, auf der die Kirchenthesen abschließend beraten werden sollten, zusammentrat.406 Dahlhaus hatte zur Vorbereitung auf die Sitzung einen Entwurf für die Erläuterungen verfasst, die der Sitzung als Tischvorlage ausgehändigt wurden. Er selber war bei den Beratungen nicht zugegen, so dass seiner Stellvertreterin Matthäus die Leitung der Sitzung oblag, an der, sie eingeschlossen, nur fünf Personen teilnahmen. Man verabschiedete die Erläuterungen zu den Thesen 403 Die These hatte somit folgenden Wortlaut: »Die Gemeinschaftsschule soll im ganzen Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Das Recht, private Schulen zu unterhalten, bleibt gewährleistet. Der Religionsunterricht geht in die unmittelbare Verantwortung der Religionsgemeinschaften über. Die Möglichkeit, in Schulräumen Unterricht anzubieten, ist den Religionsgemeinschaften zu eröffnen.« 404 Ende Juli sandte Bundesgeschäftsführer Hofmann die Stellungnahme des Landesverbandsvorstandes an die Mitglieder des Bundesvorstandes sowie die Hauptgeschäftsführer der Landesverbände (vgl. Schreiben Hofmann vom 25. 7. 1974; AdL 17920). Ebenso wurde sie, wie auch die Stellungnahme des KGK, in die Synopse aufgenommen. 405 Protokoll der Sitzung des Landesverbandsvorstandes vom 12./13. 7. 1974; LStaD RWV 49-2096. 406 Der Termin war auf Drängen des Hauptgeschäftsführers der FDP NRW Wilde hin veranschlagt worden. Wilde hatte Dahlhaus gebeten, die Erläuterungen möglichst bis zur Landesvorstandssitzung erarbeitet zu haben, damit wiederum der Landesvorstand dem Landeshauptausschuss am 21. 9. ein abgeschlossenes Papier samt Erläuterungen vorlegen könne (vgl. Schreiben Wilde an Dahlhaus vom 23. 7. 1974; ebd.).
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1, 2, 4 bis 9 und 12; die übrigen Erläuterungen sollten in Form einer von Matthäus verfassten Diskussionsgrundlage direkt dem Landeshauptausschuss vorgelegt werden. Auf der Landesvorstandsitzung am 13. 9. 1974 erfolgte die Verabschiedung der Thesen 11, 13 und 14, die man in der Klausurtagung zunächst zurückgestellt hatte sowie der Präambel.407 Hier lehnte man sich bis auf minimale Veränderungen in den Thesen 11 und 14 an die Vorlage der Kirchenkommission II an (E IV), die mittlerweile beschlossen worden war und dem Landesvorstand bereits vorlag, obwohl sie erst an den beiden darauf folgenden Tagen in einer Klausurtagung des Bundesvorstandes beraten werden sollte.408 Auch übernahm man die Präambel dieser Fassung. Der für den 21. 9. 1974 angesetzte Landeshauptausschuss diente der Vorbereitung des anstehenden Bundesparteitages, auf dem das Kirchenpapier endgültig verabschiedet werden sollte.409 Dabei vollzogen sich seine Beratungen anhand der Thesenfassung des Bundesvorstandes vom 14. 9. 1974, die man im Folgenden an den Stellen diskutieren wollte, wo sie sich »materiell, nicht redaktionell«410 vom Beschluss des Landesvorstandes unterschied. Die Präambel sowie die Thesen 1 bis 4, 6, 7, 9 und 11 bis 13 wurden vom Landeshauptausschuss in der Fassung des Bundesvorstandes (E V) angenommen.411 Die Thesen 5, 8, 10 sowie die ehemalige These 11 hingegen wurden teilweise sehr ausführlich diskutiert mit dem Ergebnis, dass man die Bundesvorstandsfassung änderte, indem man entweder Formulierungen des Landesvorstandsbeschlusses übernahm oder aber Mischformen aus beiden Fassungen wählte. Man kann diese Auseinandersetzung letztlich als nachträgliche Diskussion zwischen den beiden nordrhein-westfälischen Gremien 407 Vgl. Beschlüsse des Landesverbandsvorstandes vom 12./13. 7. und 13. 9. 1974; ebd. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 408 In These 11 formulierte man: »die Berufung des Lehrkörpers ist Angelegenheit des Staates; die Kirchen müssen dazu gehört werden« (ebd.). In der Version der Kirchenkommission II (E IV) ersetzte man »müssen« durch »sollten« (zur Bundesvorstandsklausur vom 14./15. 9. 1974 siehe Abschnitt 3.3.). In These 14 des Landesvorstandes griff in Anlehnung an E III jenen Satz zur Vertretung der Kirchen wieder auf, der ihre innerverbandlich demokratische Legitimation forderte. Dieser Satz war in der Fassung von E IV weggelassen worden. 409 Zu diesem Zwecke hatte man neben den üblichen Delegierten aus den Kreis- und Bezirksverbänden auch die Delegierten des Landesverbandes eingeladen, die am BPT teilnehmen würden. Sie konnten sich somit an der Diskussion beteiligen, wenngleich sie kein Stimmrecht hatten. 410 Tagungsfolge für die Sitzung des Landeshauptausschusses vom 21. 9. 1974; LStaD RWV 49-427, Bl. 10. 411 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landeshauptausschusses vom 21. 9. 1974; ebd., Bl. 25. Kleine Diskussionen gab es bei den Thesen 2, bei der Matthäus für die Wiederaufnahme des Passus »im Rahmen des bürgerlichen Rechts« plädiert hatte, und in These 6, wo man das Für und Wider einer neutralen bzw. religiösen Eidesformel diskutierte.
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Sonderkommission und Kirchlicher Gesprächskreis bezeichnen, und zwar aus folgenden Gründen: Der Bundesvorstand hatte bei der Beratung des Entwurfs der Kirchenkommission II (E IV) auf der Septemberklausurtagung an entscheidenden Stellen auf Formulierungen des Kirchlichen Gesprächskreises zurückgriffen, die somit in den vorliegenden Entwurf E V eingeflossen waren. Dies betraf u. a. die nun kontrovers diskutierten Thesen 5 und 10, ebenso hatte er sich, wie auch der Kirchliche Gesprächskreis, für eine Nichtbefassung mit der These 11 ausgesprochen.412 Bernd Abetz, ehemaliges Mitglied der Sonderkommission »Kirche und Staat«413, äußerte sich als erster zur These 5 in der Fassung des Bundesvorstandes und kritisierte, dass durch die Formulierung des Wunsches nach »Verhandlungen« mit den Kirchen der Eindruck entstehen könnte, man wolle mit diesen das Für und Wider eines eigenen Beitragssystems besprechen. Dies sei jedoch schon längst kein Verhandlungsgegenstand mehr, sondern konkrete Forderung der FDP, mit den Kirchen zu verhandeln sei dabei »allenfalls über Modalitäten, wie das aussehen könnte.«414 Abetz forderte daher eine Änderung der These im Sinne der Landesvorstandsfassung, deren Formulierung dahingehend eindeutig war. Wenngleich Funcke auf den »parlamentarische[n] Brauch«415 des Gesprächs verwies und sich im Sinne der »Nürnberger Wahlplattform« für die Thesenfassung des Bundesvorstandes – und damit auch des Kirchlichen Gesprächskreises – einsetzte, votierte die Mehrheit des Landeshauptausschuss für die Annahme der These 5 in der Version des Landesverbandsvorstandes. These 8 war vom Bundesvorstand vollständig in der Version des Landesverbandes Niedersachsen übernommen worden. Die Jungdemokratin Simonsmeyer plädierte nun dafür, die These ebenfalls in der Fassung des Landesverbandes zu verabschieden, und begründete ihr Votum damit, die sprachliche Formulierung der Bundesvorstandsfassung im zweiten Absatz erwecke den Eindruck, »als seien Kirchen und Religionsgemeinschaften automatisch gemeinnützige Institutionen«416 , wohingegen die Fassung des Landesvorstandes durch die Vermeidung des Wortes »gemeinnützig« diese automatische Gleichsetzung vermied. Gerhart Baum stimmte ihr dahingehend zu, plädierte jedoch für eine Mischform aus beiden Fassungen, da er den ersten Absatz der Bundesvorstandsfassung klarer fand. Diese Mischform wurde vom Landeshauptausschuss beschlossen, wobei man den Klammer412 Zur Diskussion der Entwürfe E IV und E V auf Bundesebene siehe Abschnitte 3.2.2. und 3.3. 413 Abetz war durch seine Mitgliedschaft zum Bezirksverband Düsseldorf Mitglied in der Sonderkommission geworden, der auf dem LPT in Siegen 1973 ebenfalls einen Antrag zum Verhältnis von Staat und Kirche gestellt hatte. 414 Protokoll der Sitzung des Landeshauptausschusses vom 21. 9. 1974; ebd., Bl. 62. 415 Ebd., Bl. 63. 416 Ebd., Bl. 71.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
text der Bundesfassung, der auf die entsprechenden Verfassungsartikel verwies, auf Anregung Matthäus’ hin wegließ. Die Diskussion der These 10 zum Religionsunterricht nahm den größten Raum der Debatte ein. Matthäus verwies auf den maßgeblichen Unterschied zwischen der Fassung des Bundesvorstandes und der des Landesverbandes, der darin bestand, dass die Bundesfassung, wiederum unter Aufnahme der Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises, den Religionsunterricht erneut zum ordentlichen Lehrfach erklärt hatte. Sie forderte die Annahme der These in der Fassung des Landesvorstandes, der den Religionsunterricht komplett in die Verantwortung der Religionsgemeinschaften geben wollte. In ihrer Begründung konstatierte sie einen Widerspruch dahingehend, dass der Charakter des heutigen Religionsunterrichts, der durch den Einfluss der Kirchen faktisch Bekenntnisunterricht war, nicht mit der liberalen Forderung nach einem weltanschaulich-religiös neutralen Staat zusammenpasse. Es folgte eine breite Debatte, in der man die unterschiedlichen Alternativen, a) den gesamten Bereich der religiösen Unterweisung komplett aus der Schule herauszunehmen und in die Religionsgemeinschaften zu übergeben, b) ein neues Fach einzurichten, dass als »Religionenkunde« Kenntnisse aber nicht Bekenntnisse vermitteln sollte oder c) im Sinne des Bundesvorstandes alternativ Bekenntnis- und Kenntnisunterricht anzubieten, zwischen denen die Schüler dann frei entscheiden konnten, diskutierte. Die Brisanz der ganzen Debatte bestand in der Frage, welche Bedeutung und Wertigkeit man »Religion« innerhalb der Diskussion um »Bekenntnisoder Kenntnisunterricht« beimaß. Die Gefahr für die FDP lag darin, sich demselben Vorwurf stellen zu müssen, der den Jungdemokraten gegenüber bezüglich ihres ersten Kirchenpapiers erhoben worden war: Religion bzw. alles Irrationale und Metaphysische aus dem öffentlichen Bereich verbannen zu wollen. Man kann beinahe behaupten, alles Abwägen der Alternativen und Ringen um die richtigen Formulierungen orientierte sich letztlich nur an dieser Frage. Es galt somit, die kulturpolitische Position eines »geläuterten Liberalismus« zu verteidigen. Insbesondere dem Votum Funckes war abzuspüren, dass sie einen solchen Eindruck, den sie an einer Stelle mit dem Attribut der »negative[n] Neutralität«417 versah, unbedingt vermeiden wollte. In ihrem Plädoyer für die Fassung des Bundesvorstandes betonte sie, dass die »strenge Trennung in Rationalität und Irrationalität nicht mehr durchgehalten werden kann«418 und verwies auf den Erziehungsauftrag der Schulen, der gleichsam beinhalte, »Möglichkeiten der späteren Lebensbewältigung«419 aufzuweisen, wozu die 417 418 419
Ebd., Bl. 92. Ebd., Bl. 78. Ebd.
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religiöse Bindung durchaus gehören könnte. Wenngleich auch die Jungdemokraten dementierten, sie wollten – entgegen ihres Kirchenpapiers von Januar 1973 – Irrationales und Metaphysisches verdrängen, so hatten ihre Voten dennoch einen Beigeschmack, der diese ursprüngliche Intention noch durchschimmern ließ.420 Der Beschluss, den man letztlich fasste, zeigte, dass man auch innerhalb des Landeshauptausschussplenums solchen Tendenzen gegenüber nicht verschlossen war. Das Votum Matthäus’ konnte sich zumindest dahingehend durchsetzen, dass der Satz, der den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach auswies, gestrichen wurde. Man einigte sich erneut auf eine Mischform beider Fassungen, indem man den ersten und den letzten Satz der Bundesvorstandsfassung an den Anfang stellte und durch die beiden letzten Sätze der Landesvorstandsfassung ergänzte.421 Ebenfalls auf Matthäus zurückzuführen war die Diskussion um die These 11 zu den Theologischen Fakultäten, die nach den Beratungen des Bundesvorstandspapiers und der Verabschiedung der jeweiligen Veränderungen geführt wurde. Matthäus beantragte, die ursprüngliche These 11 in der Fassung des Landesvorstandes wieder in das Kirchenpapier aufzunehmen. Hauptargument ihrer ausführlichen Argumentation war, dass die rechtliche Einwirkung der Kirchen auf die Theologischen Fakultäten, besonders der der katholischen Kirche, »ein historisch überkommener Schwanz, [. . .] ein alter Zopf«422 sei, den die FDP so nicht hinnehmen dürfe. Wie die längere Aussprache zeigte, stieß ihr Vorschlag auf allgemeine Zustimmung423, so dass die Wiedereinführung der These an ihre ursprüngliche Position schließlich durch eine große Mehrheit beschlossen wurde. Hinsichtlich der Erläuterungen, die die Sonderkommission zu den jeweiligen Thesen verfasst hatte, ging man nicht mehr in die 420 Möllemann bspw. sprach sich gegen die Aufrechterhaltung eines ordentlichen Lehrfachs aus, in dem »irrationale Komponenten« beurteilt werden sollen, was im Religionsunterricht der Fall sei (ebd., Bl. 81). Matthäus verwies erneut auf die Schwierigkeit, dass Kinder nicht allgemein über diesen Bereich in Kenntnis gesetzt würden, sondern dass es die Kirchen seien, die durch den Religionsunterricht die Möglichkeit gegeben erhielten, »ihre spezifi sche Sicht, wie Metaphysik auszusehen hat, wie Moral, wie Irrationales auszusehen hat« zu vermitteln (ebd., Bl. 83). 421 Die These hatte somit folgenden Wortlaut: »Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Das Recht, private Schulen einzurichten und zu erhalten, bleibt unberührt. Der Religionsunterricht geht in die unmittelbare Verantwortung der Religionsgemeinschaften über. Die Möglichkeit, in Schulräumen Unterricht anzubieten, ist den Religionsgemeinschaften zu eröffnen« (Beschlüsse vom 12./13. 7. und 13. 9. 1974; LStaD RWV 49-2096). 422 Protokoll des Landeshauptausschusses vom 21. 9. 1974; LStaD RWV 49-427, Bl. 98. 423 Lediglich Lambsdorff äußerte Bedenken dahingehend, dass durch den Rückzug der Theologischen Fakultäten aus den Universitäten ein Stück Pluralismus verloren ginge. Ebenso sei zu bedenken, ob man wirklich wollte, dass jegliche Kompetenzen im Blick auf die Ausbildung des theologischen Nachwuchses in die Hände der Kirchen gegeben würden (vgl. ebd., Bl. 100).
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Einzelberatung, sondern beschloss, sie der Bundespartei als Material zur Verfügung zu stellen. Die Ergebnisse des Landeshauptausschusses wurden in einem Antrag zusammengefasst, den der Landesverband dann auf dem Bundesparteitag im Oktober als Änderungs- bzw. Ergänzungsantrag zum Antrag 51 einbringen wollte. 2.3.5. Baden-Württemberg: Die Kirchenkommission unter Erwin Fischer Knapp drei Wochen nach Beschluss des Jungdemokratenpapiers auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Duisburg gab der Landesvorstand der baden-württembergischen FDP eine Erklärung ab, in der er das Engagement der Jungdemokraten, die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche wieder aufgegriffen zu haben, begrüßte.424 Darin wurde unter Verweis auf die programmatische Aussage der »Nürnberger Wahlplattform« von 1969 zum Verhältnis von Staat und Kirche die Bereitschaft der FDP, »sich für die freie und ungestörte Praktizierung des Grundrechts der Glaubensfreiheit immer und überall einzusetzen« sowie die Übereinstimmung mit den »progressiven Kräften in den Kirchen« betont. Mit der Befürwortung des Jungdemokratenpapiers einher ging das Bedauern über die Reaktionen aus der Öffentlichkeit und den Kirchen, denen gegenüber man Gesprächsbereitschaft signalisierte. Auf indirekte Weise kritisierte man die bisher erfolgten Reaktionen der Partei, indem man im vorletzten Satz konstatierte: »Wer diese Haltung [sc. Passage der ›Nürnberger Wahlplattform‹ zu den Kirchen] als illiberal und antireligiös bezeichnet, befindet sich nicht in Übereinstimmung mit liberalen Grundsätzen.«425 Nach bekannt werden der Kirchenpapierfassung der Funcke-Kommission im August 1973 stellte sich eine rege Diskussionsbereitschaft in den Gliederungen des Landesverbandes ein, so dass der Landesvorstand im September beschloss, diese Diskussion weiter anzuregen und die Kreis- und Bezirksverbände aufzufordern, auch mit den Kirchen beider Konfessionen ins Gespräch über die Kirchenthesen zu treten. Ein offi zielles Gespräch zwischen dem Landesvorstand und den Kirchenspitzen erachtete man zu diesem Zeit424 Vgl. Erklärung des Landesvorstandes vom 17. 2. 1973; AdL 18181. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 425 Wie dem Protokoll der Sitzung zu entnehmen ist, hatte man an der Stellungnahme der Bundespartei, die in der Veröffentlichung der Stellungnahme Funckes und Flachs bestand, Kritik geübt (vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 17. 2. 1973; ebd.). Eine direkte Kritik am Verhalten des Bundesvorstandes erfolgte auf der Märzsitzung des Bundeshauptausschusses in Bad Godesberg durch den Delegierten der badenwürttembergischen FDP Werner Erbe: »Daß die Jungdemokraten einen ziemlich umfangreichen und nicht in allen Dingen ausgewogenen Beschluß gefasst haben, ist sicherlich bekannt. Aber falsch daran war im Grunde genommen nur die Reaktion der Partei. Da hat nun der Landesvorstand in Baden-Württemberg wesentlich klüger reagiert« (Protokoll der Sitzung des Bundeshauptausschusses vom 17. 3. 1973; AdL A 12-116, Bl. 55).
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punkt als nicht sinnvoll.426 Es fand letztlich erst nach Beschluss des Kirchenpapiers auf dem Bundesparteitag in Hamburg statt. Bis zum Dezember 1973 lagen dem Landesverband diverse Stellungnahmen aus Kreis- und Bezirksverbänden vor.427 Diese unterschiedlichen Papiere sowie die auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden ergangene Aufforderung, das Kirchenpapier weiterhin intensiv zu diskutieren, veranlassten den Engeren Landesvorstand im März 1974, eine Sonderkommission »Kirche und Staat« einzurichten, deren Aufgabe darin bestand, eine Stellungnahme zu erarbeiten, auf die der Landesverband zum gegebenen Zeitpunkt zurückgreifen konnte.428 Die Sonderkommission »Kirche und Staat« Im März 1974 wurden die Mitglieder und der Vorsitzende der Kommission auf Beschluss des Landesvorstandes durch den Engeren Vorstand berufen, jedoch traf man erst am 13. 7. 1974 zu ersten Beratungen zusammen. Insgesamt umfasste die Kommission 29 Teilnehmer, darunter auch Dietmar W. 426
Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 15. 9. 1973; AdL 18181. Der Bezirksverband Südwürttemberg-Hohenzollern unter Vorsitz von Werner Erbe hatte dem Bundeshauptausschuss im September einen Antrag vorlegen wollen, der den Beschluss des Kirchenpapiers in der Fassung der Funcke-Kommission (E III) forderte (die einzige Veränderung E III gegenüber bestand in der Entscheidung zur Version b in These 11). Nachdem der Bundeshauptausschuss ausgefallen war, errichtete man innerhalb des Bezirksverbandes einen Arbeitskreis Südwürttemberg-Hohenzollern, der in den Monaten bis Dezember 1973 den Entwurf III bearbeitete. Am 1. 12. 1973 berichtete der Südwestmerkur über die Stellungnahme dieses Arbeitskreises, die man auf einer Wochenendtagung der FNS erarbeitet hatte (vgl. Art. »Überarbeitete Thesen zum Thema Kirche und Staat. Aus der Arbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung«, in: Südwestmerkur vom 1. 12. 1973). Das »Honauer Papier« hatte, wie noch zu zeigen sein wird, entscheidenden Einfluss auf die Stellungnahme des Landesverbandes. Auch im Kreisverband Emmendingen war es zur Einrichtung eines Kirchenpapierausschusses gekommen, der dem Landesvorstand am 23. 12. 1973 eine Stellungnahme zukommen ließ, die innerhalb des Kreisverbandes »als Diskussionsgrundlage mit den Kirchen« genutzt wurde und »dabei recht gute Erfahrungen gemacht« hat (Schreiben Rawer an den Landesvorstand des FDP-Landesverbandes vom 23. 12. 1973; AdL 3325). Die Stellungnahme lehnte sich in weiten Teilen an E III an, alle Abweichungen waren dem »Honauer Papier« entnommen, das den Beratungen des Kreisverbandes zugrunde gelegen hatte (vgl. ebd.). Im Kreisverband Baden-Baden hatte es einen Arbeitskreis »Liberalismus und kirchliche Fragen« gegeben, der die Thesen in drei Sitzungen (26. 10., 16. 11. und 14. 12. 1973) diskutiert und nach der letzten Sitzung eine eigene Stellungnahme verabschiedet hatte (vgl. AdL 17920). Auch im Kreisverband Rhein-Neckar hatte der Arbeitskreis »Aktuelle Politik« das Kirchenpapier diskutiert und am 13. 12. eine Stellungnahme verfasst, nachdem man am 1. 9. 1973 zunächst mit der Bitte an den Landesverband herangetreten war, den Eindruck, »daß das Papier der FDP Kirchenkommission die Zustimmung des FDP Bundesvorstandes gefunden habe«, zu revidieren (vgl. ebd.). 428 Mit der Einrichtung dieser Kommission kam man ein Stück weit auch dem Anliegen Ansorges nach, der den Landesvorsitzenden Moersch aufgefordert hatte, man möge auf Landesvorstandsebene über die Einrichtung eines Gesprächskreises nachdenken, der sich mit dem Verhältnis von Kirche und Staat auseinandersetzt. Ansorge war Vorsitzender des Kreisverbandes Rhein-Neckar und Mitglied des KLA. 427
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Ansorge, Friedrich Neunhöffer und Dieter Kleinmann.429 Aufschlussreich im Blick auf die Position des Landesverbandes war nun die Tatsache, dass man Erwin Fischer, Mitbegründer der Humanistischen Union, engagierter Verfechter der Trennung von Staat und Kirche und Verfasser des gleichnamigen Buches zum Vorsitzenden der Kommission berief.430 Als Klaus Scholder vom Vorsitz Fischers erfuhr, kritisierte er in einem Schreiben an den seit Januar 1974 amtierenden Landesvorsitzenden Bangemann diese Entscheidung, die »[f ]ür jeden Kenner der Verhältnisse [. . .] wie eine Vorentscheidung des Engeren Vorstandes in der umstrittenen Frage«431 wirken musste. Er verwies u. a. auf Fischers publizistische Tätigkeit und forderte im Blick auf die Parteimitglieder, die möglicherweise eine andere Ansicht verträten, die Einsetzung eines unparteiischen Vorsitzenden, da sich nur so der Eindruck eines »manipulierten Ergebnisses«432 vermeiden ließe. Die Bedenken Scholders hinsichtlich einer möglichen Beeinflussung waren insofern nicht unberechtigt, als Fischer die Kirchenkommission tatsächlich als Forum nutzte, in dem er von Anfang an seine eigenen Ansichten zur Diskussion stellte. So wurde beispielsweise die zweite Auflage seines Buches der Kommission zur Vorbereitung auf die erste Sitzung zur Verfügung gestellt.433 Weiterhin explizierte er in einem Schreiben an die Kommissionsmitglieder einige grundsätzliche Erwägungen zur Kirchenpapierproblematik, die der Vorbereitung der ersten gemeinsamen Sitzungen dienen sollten.434 Daraus ging hervor, dass sich seine Vorgehensweise ausschließlich auf eine verfassungsrechtliche Behandlung der Thematik auf der Basis der Grundgesetzartikel 136 bis 139 und 141 konzentrierte, aus der sich eine »grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche« ergäbe. Andere Faktoren, »historische, theologische oder soziologische Gründe«, die möglicherweise neben einer »der Verfassung und ihren elementaren Grundsätzen ver pfl ichtete[n] Argumentation« stünden, seien dabei für die Auslegung irrelevant. Im Blick auf die Ausnahmen des Trennungsgrundsatzes (Religionsunterricht, Körperschaftsstatus, Kirchensteuer) forderte Fischer daher eine restrik429 Vgl. Kommission für das Kirchenpapier, Stand 21. 3. 1974; AdL 17920. Unter den 29 Teilnehmenden waren drei Frauen. 430 Vgl. Fischer, Trennung (zu Fischer siehe Kap. II.2.2.4.). 431 Schreiben Scholder an Bangemann vom 20. 5. 1974; AdL 17920. 432 Ebd. 433 Auch Bangemann hatte von Fischer nach seiner Wahl zum Landesvorsitzenden ein Exemplar der zweiten Aufl age erhalten, versehen mit einem Kommentar, der an Neunhöffers Verteidigung des Kirchenpapiers auf dem Bundeshauptausschuss im März 1973 erinnerte: »Vor allem ist die Trennung von Staat und Kirche in besonderem Maße geeignet, sich gegenüber der SPD zu profi lieren« (Schreiben Fischer an Bangemann vom 8. 1. 1974; IfZ Ed 445-21. Siehe auch Abschnitt 3.1.). 434 Vgl. Schreiben Fischer an die Mitglieder der Kommission für das Kirchenpapier vom 3. 5. 1974; IfZ Ed 445-21. Die folgenden Zitate ebd.
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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tive Auslegung und sprach sich in diesem Kontext eindeutig gegen die Rede von einer Partnerschaft zwischen Staat und Kirche aus: »Es ist daher nicht möglich, den Trennungsgrundsatz abzuschwächen, eine Partnerschaft zwischen Staat und den etablierten Großkirchen zu konstruieren und diesen eine bevorzugte Stellung einzuräumen, wie dies in der Regierungserklärung geschehen ist. Insbesondere geht es nicht an, die erwähnten drei Ausnahmen durch zahlreiche Verfassungswidrigkeiten hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche zu erweitern, sodaß schließlich das erwünschte Ergebnis – nicht Trennung, sondern partnerschaftliche Koordination – durch Umfunktionierung verfassungswidriger Zustände zur Verfassungswirklichkeit erreicht wird.«435
Am Ende des Schreibens stand die Kommentierung und Kategorisierung der Thesen in a) Forderungen, die sich aus einer richtigen Auslegung des Grundgesetzes ergeben, b) rechtspolitische Forderungen, deren Verwirklichung eine Änderung des Grundgesetzes zur Folge hätte und c) Forderungen, die einen Eingriff in die kirchliche Autonomie darstellten und daher abzulehnen waren. Peter Jensch, Rechtsanwalt und ebenfalls Kommissionsmitglied, reagierte noch vor der ersten Kommissionssitzung auf die Äußerungen Fischers und tat dies ebenfalls in Form eines Schreibens an die Kommissionsmitglieder. Darin kritisierte er Fischers einseitige, auf eine juristische Erörterung reduzierte Perspektivnahme und forderte die Kommissionsmitglieder auf, darüber nachzudenken, wie man sich den Kirchen gegenüber verhalten wollte. Es gehe dabei um die ganz grundsätzliche Entscheidung, ob man die aktuelle Reformdiskussion gegen den Willen der Kirchen oder im gegenseitigen Einvernehmen mit den Kirchen führen wolle. Je nach dem, wie man sich als Partei entscheide, »werden die Kirchen letztlich entweder als Partner einer Reform und der Reformdiskussion – oder aber letztlich nur als deren Objekte verstanden.«436 Die Reaktion Jenschs bestätigte als Kritik an dem vorgegebenen Kurs Fischers zunächst die Bedenken von Scholder und verwies des Weiteren auf die Pluralität der Meinungen innerhalb der Kommission. Diese zeigte sich dann auch in ihrer ersten Sitzung am 13. 7. 1974, in der die 18 Teilnehmer »[n]ach einer Diskussion über die Grundsatzfragen«437 in den anschließenden Beratungen der einzelnen Thesen »über fast alle Punkte des Papiers ohne Aussprache keine Einigkeit«438 erzielen konnten. 435 Ein Schreiben ähnlichen Inhalts hatte er Mitte April dem Bundesvorstand zur Vorbereitung auf das Gespräch mit der EKD, das Ende April stattfand, zukommen lassen (vgl. Schreiben Fischer an den Bundesvorstand der FDP vom 16. 4. 1974; Handakten Dahlhaus). 436 Schreiben Jensch an Kommissionsmitglieder vom 3. 7. 1974; IfZ Ed 445-21. 437 Kurzprotokoll über die Sitzung der Kommission für das Kirchenpapier vom 13. 7. 1974; AdL 17920. 438 Ebd. Lediglich über bestimmte Passagen oder einzelne Sätze der Thesen konnte
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
So konzentrierte sich die Diskussion zunächst auf die Thesen zum Religionsunterricht und zu den Theologischen Fakultäten. Ein Redaktionsteam, in dem neben zwei anderen Kommissionsmitgliedern auch Neunhöffer mitwirkte, wurde beauftragt, in Vorbereitung auf die nächste Sitzung beide Thesenfassungen auf der Grundlage der Diskussionsergebnisse zu redigieren. Diese nächste Sitzung fand erst am 31. 8. statt, zwei Monate, nachdem man in der Präsidiumssitzung beschlossen hatte, das Kirchenpapier auf dem anstehenden Bundesparteitag zu behandeln, einen Monat, nachdem die Kirchenkommission unter Funcke ihre Arbeit an einer Neufassung des Kirchenpapiers abgeschlossen hatte und zwei Wochen, bevor diese Neufassung auf der Klausurtagung des Bundesvorstandes diskutiert werden sollte. In dieser zweiten und gleichzeitig letzten Sitzung der Kirchenkommission am 31. 8., an der 17 Personen teilnahmen, beriet man die Neuformulierungen Neunhöffers zu den Thesen 10 und 11 und genehmigte diese mit einigen Abänderungen. Die weiteren Beratungen vollzogen sich anhand des Entwurfes III der Funcke-Kommission sowie der Stellungnahme des Landesverbandes Baden-Baden. Erwin Fischer fasste die Ergebnisse nach der Sitzung in einer Entschließung zusammen, die er am 2. 9. 1974 allen Kommissionsmitgliedern zur Kenntnisnahme versandte.439 Die Absätze eins, zwei, vier und sechs wurden zu großen Teilen in den Formulierungen von E III übernommen, Absatz fünf sogar wörtlich.440 man sich einheitlich verständigen, keiner der Thesen stimmte man jedoch in der vorliegenden Fassung zu. 439 Vgl. Entschließung der Kommission für das Kirchenpapier des Landesverbandes Baden-Württemberg der FDP (September 1974); IfZ Ed 445-21. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Die Entschließung hatte somit keinen Einfluss mehr auf die Arbeit der Kirchenkommission II. Gleichwohl soll sie dargestellt werden, da sie an einer Stelle auf die Arbeit des Landesvorstandes Einfluss hatte. Weiterhin untersuchenswert ist die Frage, inwieweit die persönliche Meinung Fischers zum Verhältnis von Staat und Kirche ihre Aufnahme in der Entschließung einer von Landesverband eingesetzten Kommission fand. 440 Bei den Änderungen gegenüber E III zeigte sich dabei die Handschrift Fischers. So wurde gleich im zweiten Satz des ersten Absatzes als Element der Freiheit die vom Liberalismus erstrittene »Religions- und Weltanschauungsfreiheit« konstatiert, aus der sich die »Kirchenfreiheit« ergebe. In seinem ersten Schreiben an die Kommissionsmitglieder hatte Fischer diese drei Aspekte der Freiheit erwähnt und daraus »mit zwingender Logik« die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche gezogen (Schreiben Fischer vom 3. 5. 1974; IfZ Ed 445-21). Im zweiten Absatz erfolgte eine Umstellung dahingehend, dass man den ersten Satz erweiterte durch die Forderung nach »weltanschaulich-religiöse[r] Neutralität des Staates« und dafür den ersten Halbsatz des zweiten Satzes strich (»Deshalb muß der Staat sich weltanschaulich-religiös neutral verhalten«). Absatz vier wurde dahingehend verändert, dass man nach der im zweiten Satz zum Ausdruck gebrachten Forderung, die »organisatorisch-rechtlichen Verknüpfungen von Kirche einerseits und Staat andererseits« aufzulösen, die weiteren Ausführungen zur »Verquickung von staatlicher und religiöser Autorität« (E III), den Verweis auf den Kirchensteuereinzug sowie den Rückblick auf die Zeit des Nationalsozialismus schlichtweg strich. Im sechsten Absatz wählte man andere Formulierungen, um letztlich das auszudrücken, was auch in der E III-Version
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Maßgebliche Veränderungen hingegen erfolgten im dritten Absatz, der bis auf den letzten Satz vollständig neu formuliert wurde. In ihm wurde ein Gedanke expliziert, der in dieser Weise noch in keiner Stellungnahme aufgenommen worden war. Die »Gesellschaft« bzw. die »gesellschaftliche [. . .] Ebene« wurde als ein Bereich eingeführt, in dem sich die Mitgliedschaft eines Menschen zu einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft sowie seine Angehörigkeit zu einem Staat überschnitten. Die Konsequenz bestand nun darin, dass sowohl der Staat als auch die in ihm vorhandenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine Verantwortung für die gesellschaftlichen Prozesse trugen, die sich in diesem Bereich vollzogen. So ergab sich für einen weltanschaulich-neutralen »auf Werten wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität« beruhenden Rechtsstaat die Pfl icht, dafür Sorge zu tragen, dass »diese Werte im gesellschaftlichen Bereich erarbeitet werden können.« Den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wurde die Kompetenz und in gewisser Weise auch Pfl icht zugesprochen, zu dieser »Wertfi ndung« beizutragen. Diese sollte sich im Sinne der pluralistischen Gesellschaft in Auseinandersetzung mit anderen religiösen bzw. weltanschaulichen Gruppen vollziehen, habe sich jedoch insgesamt auf den gesellschaftlichen Bereich zu beschränken. Eine »direkte Übertragung der Wertauffassung einzelner dominanter Religionsgemeinschaften auf den Staat« sei daher ausgeschlossen. Dem Staat wiederum wurde jegliche Einflussnahme auf den Prozess der Wertfi ndung, etwa durch eine enge Bindung an eine bestimmte Religionsgemeinschaft, untersagt. Am Ende nahm die These den ersten Satz Fassung von E III, liberale Politik setze sich aus diesem Grunde »für die Trennung und gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat ein«441 wieder auf. Die Absätze sieben und acht wurden ersatzlos gestrichen.442
betont wurde: die Gesprächsbereitschaft der FDP mit den Kirchen über die Handhabung und mögliche Umsetzung der Thesen, wobei man den Adressatenkreis dieser Gespräche auch auf andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« erweiterte. 441 Auch diese Veränderungen können inhaltlich auf Fischer zurückgeführt werden. Dieser hatte im Vorfeld der Kommissionsarbeit die Mitglieder darauf hingewiesen, dass es bei der ganzen Debatte um die Trennung von Staat und Kirche, nicht aber von Gesellschaft und Kirche ginge. Er hatte vor einer Identifi zierung von Kirche und Gesellschaft gewarnt und betont, die Kirchen seien selbst »Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft« und hätten somit das Recht, an den Prozessen der Öffentlichkeit mitzuwirken. Dabei dürfe jedoch »Öffentlichkeit nicht mit Staatlichkeit identifi ziert werden« (Schreiben Fischer vom 3. 5. 1974; ebd.). 442 Die Streichung des siebten Absatzes war im Blick auf die Haltung Fischers nur konsequent. Bei einer rein juristischen Auseinandersetzung mit dem Thema Verhältnis von Staat und Kirche war es irrelevant, ob zwischen FDP und Christen Einigkeit herrschte oder man seitens der FDP die Unabhängigkeit der Wirksamkeit der christlichen Botschaft betonte.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Im Blick auf den Thesenteil enthielt die Entschließung Neuformulierungen für die Thesen 1 bis 11, jedoch wählte man eine andere Nummerierung.443 Da man aus Zeitgründen die Thesen 12 bis 14 nicht mehr hatte beraten können, nahm die Entschließung keinen Bezug auf deren Inhalt. These 1 wurde als einzige in der Fassung von E III übernommen. In These 2 stimmte der erste Absatz mit E III überein, ebenso forderte man die Entwicklung eines neuen Verbandsrechts, wobei nun aber die Bedeutung der gesellschaftlichen Gruppen, die dieses neue Recht betreffen würden sowie ihr Einfluss auf die »staatliche Struktur einer weltanschaulich-neutralen Demokratie« anschaulicher beschrieben wurde. These 3 (2a) wurde reduziert auf zwei Aussagen: die Organisation der Mitgliedschaft soll den gesellschaftlichen Gruppen selbst überlassen bleiben, im Blick auf einen möglichen Austritt aus einer »Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft« müsse jedoch die Möglichkeit bestehen, diesen vor einer staatlichen Stelle zu erklären.444 These 4 wurde ersatzlos gestrichen.445 Im Blick auf These 5 (2b) wurde der Forderung nach einem verbandsrechtlichen Beitragssystem zugestimmt. Ergänzend dazu schloss man nicht aus, dass es »aufgrund besonderer Verwaltungsvereinbarungen« staatliche Zuschüsse für solche Art von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben geben könnte, »die den Staat als Lebensgemeinschaft ermöglichen.«446 These 6 (3) wurde in der Fassung von E III übernommen, allerdings ohne den zweiten Abschnitt, der sich, so Fischer, aus dem Gesetz ergäbe. Die These 7 zu den Konkordaten und Kirchenverträgen wurde ersatzlos gestrichen. Bei der achten These (4) übernahm man lediglich den ersten Abschnitt.447 These 9 (5) wurde weitgehend in der Version von E III übernommen, am Ende änderte man die Bedingung für die Gewährleistung staatlicher Zuschüsse, in dem man 443 Die Nummerierung der hier gemachten Darstellung bezieht sich der Vergleichbarkeit halber auf die Version von E III. Die Klammer verweist auf die Zählung der Entschließung der Kirchenkommission. 444 Fischer hatte bei seiner Kommentierung der Thesen darauf hingewiesen, dass die Aussagen des ersten Absatzes zum Eintritt in eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft die Angelegenheit der jeweiligen Gemeinschaften ist. Eine dahingehende Mitbestimmung des Staates müsse daher als »unzulässiger Eingriff in das Elternrecht und die kirchliche Autonomie« betrachtet werden. Unter diese Autonomie falle ebenfalls die Regelung und Erörterung der Taufe. Im Blick auf den Kirchenaustritt habe der Staat hingegen zu gewährleisten, dass dieser insofern jederzeit möglich sei, da nicht jede Religionsgemeinschaft diese Möglichkeit gleichermaßen anerkenne (vgl. ebd.). 445 Fischer hatte dazu im Vorfeld der Beratungen angemerkt, sie entspräche geltendem Verfassungsrecht. 446 Durch diese Formulierung wurde erneut auf die gesellschaftliche Ebene innerhalb eines Staates verwiesen, stärker noch, betont, dass die Wirklichkeit der Gesellschaft, des gesellschaftlichen Lebens entscheidenden Einfluss auf den Staat als Lebensgemeinschaft hat. 447 Absatz zwei ergab sich, so Fischer, aus der Verfassung (ebd.).
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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diese davon abhängig machte, inwieweit die Einrichtungen staatlicher Träger »auch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.«448 Die Thesen 10 (6) und 11 (7) wurden in der Neufassung Neunhöffers mit den aus den Beratungen der letzten Kommissionssitzung resultierenden Änderungen übernommen. Sie wichen in erheblichem Maße von E III und somit auch von anderen bisher bekannten Stellungnahmen ab. These 10 (6) begann mit dem ersten Satz der Fassung E III. Es schloss sich eine Aufl istung von Bedingungen an, die an eine religiös- und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule gestellt wurden. Dazu gehörte u. a. die Vermittlung und kritische Vertiefung der Werte und Traditionen, die zum Auf bau des Staates und der Gesellschaft beitragen. Weiterhin habe die Schule dafür Sorge zu tragen, dass »die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach den Grundregeln menschlichen Zusammenlebens« in das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler trete. Die Auseinandersetzung mit den »Lehren der Hochreligionen« solle dabei als Hilfestellung dienen. Aus dieser Zielsetzung heraus plädierte man für die Etablierung der Fächer »Religionskunde und Philosophie [als] ordentliches Lehrfach«, das für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich sein müsse. Hier bestünde auch für »außerschulische Lehrkräfte« die Möglichkeit, »die Grundlage ihres jeweiligen Bekenntnisses engagiert dar[zu]stellen«. Konfessionell gebundener Religionsunterricht hingegen, der die »Festigung eines bestimmten Glaubens und Einübung in die Gebote einer bestimmten Religionsgemeinschaft« zum Ziel habe, dürfe nicht ordentliches Lehrfach sein und sei der Verantwortung der Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften zu übergeben. In Anlehnung an E III bestätigte man das Angebot, für den bekenntnisgebundenen Unterricht Räumlichkeiten der Schule anzubieten. Der letzte Satz folgte wieder der Formulierung von E III. Abschnitt eins von These 11 (7) ging zunächst auf die Ambivalenz des Ausdruckes »Freiheit von Forschung und Lehre« gerade im Bezug auf die Theologischen Fakultäten ein. So widerspreche die Einflussnahme der Kirchen auf die Vergabe von Lehrstühlen dieser Freiheit. Gleichzeitig sei es gerade als Ausdruck dieser Freiheit zu werten, wenn ein Hochschullehrer seine Forschung und Lehre in der Tradition eines Bekenntnisses durchführe, dem er sich verbunden fühle. In Abschnitt zwei kam man daher zu dem Schluss, den Theologischen Fakultäten den gleichen Status wie allen anderen Fachbereichen zuzusprechen, so dass diese »frei von rechtlichen Bindungen an Religionsgemeinschaften« forschen und lehren können. Auch die 448 Fischer hatte für den letzten Satz der E III Version, der als Bedingung für mögliche staatliche Zuwendungen die Einhaltung der Grundrechte in den Einrichtungen freier Träger forderte, einen Widerspruch dahingehend konstatiert, dass »von einem konfessionellen Krankenhaus die Einhaltung der Religionsfreiheit nicht gefordert werden« dürfe (ebd.).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Ausbildung von Mitarbeitern könne somit an den Theologischen Fakultäten durchgeführt werden, gleichzeitig stehe es den Religionsgemeinschaften nach wie vor frei, eigene Ausbildungsstätten zu errichten. Weitere Beratungen innerhalb des Landesverbandes Es ist nicht eindeutig zu klären, warum die Kirchenkommission des Landesverbandes ihre Arbeit so spät begonnen hatte. Tatsache war, dass die Kirchenpapierdebatte auf Bundesebene an der Kommission vorbeigegangen war. Aber auch in Bezug auf die Prozesse innerhalb des Landesverbandes schien es Informationslücken und Kommunikationsstörungen zwischen Landesvorstand und Kirchenkommission gegeben zu haben. Dies zeigte ein Briefwechsel zwischen dem Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Karl-Heinz Rübesamen und dem Kirchenkommissionsmitglied Ansorge Ende August 1974. In dem Schreiben informierte Ansorge Rübesamen über »ein neues ›Kirchenpapier‹ der F.D.P.«449, das ihm »aus einer kirchlichen Quelle in Bonn [. . .] zugespielt«450 worden sei und stellte angesichts dessen und im Blick auf die Arbeit der Kirchenkommission die Frage, welchen Sinn eine eigene Stellungnahme des Landesverbandes noch habe. Ansorge erachtete es als schwierig, zusätzlich zu der Neufassung des Bundesverbandes ein eigenes neues Papier vorzulegen. Rübesamens Antwort musste Ansorge insofern erstaunen, als dieser ihn über eine schon fertig verfasste Stellungnahme des Landesverbandes zum Verhältnis von Kirche und Staat informierte, die man bereits fristgerecht als Antrag zum Bundesparteitag in Hamburg eingereicht hatte.451 Im Blick auf die Arbeit der Kirchenkommission merkte er an, dass falls diese ihre Arbeit noch rechzeitig beenden werde, die Möglichkeit bestünde, etwaige Änderungen nachträglich in Form eines Änderungsantrages in die Stellungnahme zu übernehmen.452 Bei der Stellungnahme des Landesverbandes handelte es sich um das so genannte »Stuttgarter Papier«, einer kompletten Präambel und Thesen umfassenden Neufassung des Kirchenpapiers. Das genaue Datum der Abfassung ist nicht zu ermitteln, die Tatsache jedoch, dass die Stellungnahme in die Beratungen der zweiten Kirchenkommission einfloss, lässt auf einen Zeitraum Mitte bis Ende Juli schließen.453 449
Schreiben Ansorge an Rübesamen vom 28. 8. 1974; AdL 17920. Ebd. Es handelte sich dabei vermutlich um ein Exemplar des von der Kirchenkommission II verfassten Entwurfes E IV, der im Juli 1974 fertig gestellt worden war. 451 Die Anträge zum BPT mussten bis zum 2. 9. 1974 beim Bundesverband eingegangen sein. 452 Schreiben Rübesamen an Ansorge vom 30. 8. 1974; ebd. 453 Vgl. Stuttgarter Papier ( Juli 1974), in: FDP Dok. Nr. 1/1974 vom 24. 7. 1974; ebd. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Die Stellungnahme des Landesverbandes war eine der letzten Stellungnahmen, die die Vorstandskommission noch in ihre Beratungen aufnahm. Dies 450
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Die Präambel wurde weitgehend in der Version von E III übernommen. Im dritten Absatz erfolgte eine kleine aber gewichtige Änderung, indem man das Engagement liberaler Politik in der Vergangenheit nicht mehr nur einseitig im Sinne einer Ausnutzung der christlichen Kirchen durch den Staat konstatierte, sondern nun von einem Bündnis zwischen »weltliche[r] und kirchliche[r] Autorität« sprach, welches »Recht auf Kosten der Freiheitsrechte« zu wahren versucht habe. Der letzte Satz des Absatzes wurde im Zusammenhang des auch heute noch nicht verwirklichten Prinzips der weltanschaulich-religiösen Neutralität ergänzt durch das konkrete Beispiel »der Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst.« Absatz sechs wurde geringfügig umformuliert, ohne dabei den Inhalt zu verändern. Beide Änderungen der Präambel waren dem »Honauer Papier« entnommen worden. Im Blick auf den Thesenteil übernahm man die Thesen 4, 11 a, 12 und 13 wörtlich in der Version von E III, der letzte Satz von These 6 wurde leicht umformuliert.454 Die Veränderungen in den Thesen 1 und 2 bestanden darin, dass man sie zur Verdeutlichung durch konkrete Beispiele und Verweise auf die Verfassung ergänzte, wobei die inhaltliche Aussage nicht verändert wurde. These 3 wurde stark verkürzt auf die Aussage, die Kirchenmitgliedschaft werde durch die Kirchen selbst geregelt, woraus sich gleichsam die Hinfälligkeit der Kirchenaustrittserklärung vor dem Staat ergebe. In These 5 wurde die Einziehung der Kirchensteuer als Angelegenheit der Kirchen bestimmt, wobei man durch einen zusätzlichen Satz stärker als in anderen Stellungnahmen betonte, dass die Autorität des Staates dafür nicht zur Verfügung stünde. These 7 wurde ebenfalls straffer gefasst, indem man ihren ersten Satz strich, den letzten Satz übernahm und die Forderung nach Auf hebung der bestehenden Konkordate und Kirchenverträge in Anlehnung an E III leicht umformulierte. These 8 ergänzte man am Ende des ersten Satzes durch den Verweis auf die entsprechenden Artikel des Grundgesetzes. Der letzte Absatz zu den steuerlichen und gebührenrechtlichen Vorteilen der Kirchen erfuhr eine inhaltliche Änderung, in dem nicht deren Abschaffung, sondern eine Neurezeigt ein Synopsenentwurf Funckes, in dem das »Stuttgarter Papier« noch nicht aufgeführt war (vgl. Synopse zu den Thesen Freie Kirche im freien Staat; AdL 175). Das »Stuttgarter Papier« war das Ergebnis einer Kommissionsarbeit zwischen dem Kreisverband Stuttgart und dem oben erwähnten Bezirksverband Südwürttemberg. Grundlage der gemeinsamen Beratungen war dessen »Honauer Papier«. Die Stellungnahme wies, abgesehen von These 10, an keiner Stelle Übereinstimmungen oder Parallelen zur Entschließung der Kirchenkommission auf. 454 Die Aussage zum Eid wurde genauer gefasst durch die Ergänzung »Eid in jeglicher Form«. Die in E III gewählte Formulierung »ist im Bereich aller staatlichen Institutionen wie Gerichten, öffentlichen Schulen zu verzichten« wurde verkürzt auf im »öffentlichen Bereich.«
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
gelung »nach allgemein geltenden Kriterien der Gemeinnützigkeit« gefordert wurde. These 9 wurde zu großen Teilen von E III übernommen, wobei man im ersten Abschnitt die Forderung nach Mehrbeteiligung der öffentlichen Hand an den öffentlichen Aufgaben durch einen ergänzenden Satz stärker betonte. Im zweiten Abschnitt strich man den Teilsatz, in dem die Abschaffung des Subsidiaritätsprinzips gefordert wurde, ergänzte im Kontext des Rechts der freien Träger, in diesem Bereich tätig zu sein, exemplarisch die Kirche und verwies auch im Kontext »unentbehrliche[r] Einrichtungen« exemplarisch auf die kirchliche Einrichtung Bethel.455 Während die dargestellten Veränderungen fast alle dem »Honauer Papier« entnommen waren, zeigte sich in These 10 eine Besonderheit dahingehend, dass ein großer Teil ihrer Formulierungen weder auf E III noch auf das »Honauer Papier« zurückzuführen war, sondern sich an den Entwurf anlehnte, den Neunhöffer als Beratungsergebnis der ersten Kirchenkommissionssitzung verfasst hatte. Im Gegensatz zur Entschließung der Kirchenkommission, die die Thesenfassungen Neunhöffers mit wenigen Änderungen komplett übernahm, zitierte man in der Stellungnahme des Landesverbandes einzelne Ausdrücke oder auch mal Teilsätze seiner zehnten These.456 Auch den zweiten Abschnitt der These 14 behielt man in der Fassung von E III bei. Für den ersten Abschnitt wählte man eine neue Formulierung, die nicht auf das »Honauer Papier« zurückging und eher einem Kommentar ähnelte.457 Der »Beinahe«-Einfluss Erwin Fischers Wenngleich der Landesvorstand seine Stellungnahme zum Kirchenpapier bereits als Antrag zum Bundesparteitag eingereicht hatte, legte ihm Fischer 455 Es ist gut möglich, dass die positiven Aussagen zur freien Trägerschaft und insbesondere der Hinweis auf die diakonische Einrichtung Bethel in Reaktion auf das Gespräch mit der württembergischen Kirchenleitung, das im Mai 1974 stattfand, erfolgten (siehe dazu Kap. IV.3.1.3.). 456 Die These bestand aus vier Absätzen, deren erster mit dem ersten Teilsatz von E III eingeleitet wurde und im Folgenden in Anlehnung an Neunhöffer die Aufgaben der religiös und weltanschaulich-neutralen Schule formulierte, die in der »Hinführung der Schüler zur Frage nach dem Sinn des Lebens und nach den Grundregeln menschlichen Zusammenlebens« sowie die Vermittlung der »für unseren Kulturkreis wichtigen Hochreligionen« bestanden. Ebenso zitierte man den Passus, der die Werbung für eine bestimmte Religion bzw. Konfession als Zweck staatlichen Unterrichts negierte. Auch die Forderung nach einer Ersetzung des konfessionellen Unterrichts durch philosophischen und religionskundlichen Unterricht im zweiten Absatz ging auf die Handschrift Neunhöffers zurück. Im dritten Absatz gestattete man in Anlehnung an E III »Kirchen wie allen anderen gesellschaftlichen Gruppen«, neben diesem staatlichen Unterricht »konfessionell geprägte Unterweisung« anzubieten. Der letzte Satz zum Recht zur Errichtung von Privatschulen wurde, wie auch in der Entschließung, in der Formulierung von E III übernommen. 457 »Es ist eine der Funktion des Gremiums angemessene, ausgewogene Besetzung anzustreben, wobei besonders auf genügende Vertretung von Minderheiten zu achten ist.«
2. Die innerparteiliche Diskussion in den FDP Landesverbänden
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Ende September eine eigene Stellungnahme zu der Version des Kirchenpapiers vor, die der Bundesvorstand auf seiner Klausurtagung beschlossen hatte.458 In seinem Anschreiben an den Landesvorstand betonte Fischer, er habe sich »trotz gewisser Bedenken in verfassungsrechtlicher Hinsicht«459 bemüht, sich weitgehend an die Vorlage zu halten. Von einer ausführlichen und vergleichenden Darstellung der Stellungnahme Fischers ist hier abzusehen, ein Aspekt soll jedoch nicht unerwähnt bleiben. Fischer plädierte dafür, die These zu den Theologischen Fakultäten, die ja im Zuge der Beratungen des Bundesvorstandes aus dem Kirchenpapier herausgenommen worden war, in der Fassung, wie sie die Kirchenkommission erarbeitet hatte, auf dem Bundesparteitag als Änderungsvorschlag einzubringen. In der den Bundesparteitag abschließend vorbereitenden Sitzung vom 28. 9. 1974 beschloss der Landesvorstand, den baden-württembergischen Delegierten auf dem Hamburger Parteitag zwei Änderungsvorschläge im Blick auf die zu beratende Kirchenpapier-Fassung des Bundesvorstandes zu empfehlen. Der eine bezog sich auf die These 10 zum Religionsunterricht, bei der man im Vergleich zur Thesenfassung der eigenen Stellungnahme eine wesentlich kürzere Formulierung wählte.460 Der andere griff Fischers Vorschlag auf und plädierte für die Wiederaufnahme der ursprünglichen These 11 zu den Theologischen Fakultäten in der Fassung der Kirchenkommission. Letztlich sprachen sich die Delegierten jedoch in ihrer Sitzung am 30. 9. 1974 für die Beibehaltung der Thesen 10 und 11 in der Fassung der landesverbandlichen und bereits eingereichten Stellungnahme aus. 458
Seine Veränderungen bezogen sich somit auf E V (siehe Abschnitt 3.3.). Schreiben Fischer an den Landesverband der FDP Baden-Württemberg vom 26. 9. 1974; AdL 17920. 460 Die ersten beiden Sätze übernahm man der eigenen Stellungnahme. Der dritte Satz war in seiner Herkunft nicht eindeutig auszumachen. Er lautete: »Wo der Religionsunterricht nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach ist, wird alternativ ein Religionskundeunterricht angeboten« (Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vom 28. 9. 1974; AdL 18182). Es ist möglich, dass diese Formulierung der Stellungnahme des Kreisverbandes Baden-Badens entnommen wurde, die immer mal wieder ihre Erwähnung fand. Leider liegt diese Stellungnahme nicht vor, doch gibt es zwei Hinweise, die diese Annahmen belegen könnten. In einem Artikel über die zweite Sitzung des Arbeitskreises verwies man darauf, dass die Entwicklung des Religionsunterrichts in Baden-Württemberg »über den Stand der Thesen hinweggegangen« sei, da er »hier den Charakter der rein konfessionell-missionarischen Unterweisung verloren« habe (Art. »Es gibt eine Fülle von Problemen. Zweiter Diskussionsabend des FDP-Kreisverbandes Baden-Baden im Hotel ›Atlantic‹«, in: Badisches Tagblatt vom 19. 11. 1973). Die Forderung nach einem Religionskundeunterricht könnte somit als Verwirklichung dessen, was in Baden-Württemberg in gewissem Sinne schon praktiziert wurde, betrachtet werden. Ein anderer Hinweis ergibt sich aus einer Stellungnahme des Kirchenkommissionsmitglieds Rawer zur Religionsunterrichtsthese, in der er auf diverse Abänderungsvorschläge »darunter auch Baden-Baden« verwies, die »statt dem Religionsunterricht einen ›religionskundlichen Unterricht‹ anböten (Stellungnahme Rawers vom 29. 8. 1974; AdL 17920). 459
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974 3.1. Präsidium und Bundesvorstand 20./28. 6. 1974 Auf der Präsidiumssitzung am 20. 6. 1974 fand das Kirchenpapier erstmals wieder seine Erwähnung. Man beratschlagte, zu welchem Zeitpunkt die Diskussion der Thesen erneut aufgenommen werden sollte und beschloss, diese Frage in Gegenwart von Liselotte Funcke zu klären, die in der Präsidiumssitzung nicht anwesend war. Des Weiteren entschied man hinsichtlich des anstehenden Bundesparteitages, die Thesen nicht als Antrag des Bundesvorstandes einzubringen.461 Die beiden Beschlüsse wurden auf der Präsidiumssitzung am 28. 6. 1974 dahingehend expliziert, dass man dem Bundesvorstand die Thesen in einer Klausurtagung vorlegen wollte mit der Empfehlung, diese auf dem nächsten Bundeshauptausschuss zu beratschlagen, um sie dann auf dem Bundesparteitag 1975 verabschieden zu lassen. Für die Beratungen der Bundesvorstandsklausurtagung kündigte Hildegard HammBrücher ein »bayrisches Kirchenpapier«462 an. Die Beschlüsse des Präsidiums vom 28. 6. stimmten im Wesentlichen mit dem Vorgehen überein, das Funcke ein einem Brief an den neuen Parteivorsitzenden Genscher vorgeschlagen hatte.463 »[V]orsorglich« hatte sie darin ihre Meinung zur Behandlung des Kirchenpapiers dargelegt, wohl wissend, dass sie an dieser Sitzung voraussichtlich nicht teilnehmen konnte. Funcke warnte davor, eine Verabschiedung des Kirchenpapiers auf Jahre hinauszuschieben und sah die Gefahr insbesondere darin, dass diese Thematik eine Art Selbstläufer werden konnte, wenn »laufend radikaler[e] Landes-, Bezirks- und Kreisverbände auf entsprechenden Parteitagen unerfreuliche Entscheidungen fällen und veröffentlichen«, so dass »draußen keiner mehr unterscheidet, ob es sich um die Bundes-F.D.P. oder den Kreisverband Offenbach handelt.« Andererseits äußerte sie Bedenken hinsichtlich einer möglichen Behandlung auf dem anstehenden Parteitag und führte in diesem Kontext insbesondere die bayrischen Landtagswahlen als Argument an. Ihre Terminplanung plädierte daher für die Nicht-Behandlung der Kirche-Staat-Thematik auf dem Bundesparteitag 1974, die Einrichtung einer Kommission zur Sichtung eingegangener Stellungnahmen sowie einen »[a]ußerordentliche[n] Parteitag im Januar 1975 mit Beschlussfassung«. Entschlussfreudigen Ländern empfahl sie die Einrichtung von Landesparteitagen für die Zeit nach den Landtagswahlen.464 461
Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 20. 6. 1974; AdL 217. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 28. 6. 1974; ebd. 463 Vgl. Schreiben Funcke an Genscher vom 21. 6. 1974; AdL N 52-30. Die folgenden Zitate ebd. 464 Sie bezog sich hier insbesondere auf ihren Landesverband NRW, dem sie die Um462
3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974
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Der Bundesvorstand, der im Anschluss an die Präsidiumssitzung tagte, stimmte einer Behandlung der Thesen auf der Klausurtagung am 14./15. 9. 1974 zu.465 Zugleich entschied er aber innerhalb des Tagesordnungspunkts 5 zur Vorbereitung des Bundesparteitages – erneut entgegen dem Vorschlag des Präsidiums –, das Kirchenpapier als Schwerpunktthema auf die Tagesordnung des kommenden Bundesparteitages zu setzen. Zu diesem Zweck wurde abermals eine Kommission eingerichtet, die einen entsprechenden Vorstandsantrag bis zur Klausurtagung vorbereiten sollte. Die Kommissionsleitung oblag wiederum Funcke. Sie wurde weiterhin damit beauftragt, den »Antrag des Bundesvorstandes [. . .] am Dienstag, dem 1. 10. 1974, 14.30 Uhr [. . .] zum Bundesparteitag«466 einzubringen. Aus den Protokollen geht nicht hervor, warum der Bundesvorstand in Sachen Kirchenpapier erneut entgegen der Empfehlung des Präsidiums entschied. Vermutlich erachtete man es – hier Funcke folgend – für falsch, die Diskussion um das Kirchenpapier noch weiter auszudehnen, wiesen die zahlreichen beim Bundesvorstand eingegangenen Stellungnahmen doch darauf hin, dass der auf dem letzten Parteitag geforderte intensive Diskussionsverlauf in den Gliederungen der Partei weitgehend abgeschlossen war. 3.2. Kirchenkommission II 3.2.1. Mitglieder Im Gegensatz zur ad-hoc Kirchenkommission vom Frühjahr 1973 wurden nun ausschließlich Mitglieder des Bundesvorstandes in die Kommission berufen, namentlich Liselotte Funcke (Vorsitz), Hildegard Hamm-Brücher, Martin Bangemann, Ralf Dahrendorf, Ulrich Krüger, Ingrid Matthäus, Helmut Schäfer, stellvertretender Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz, und Uwe Ronneburger. Wie aus einem Bericht Funckes über die Kommission hervorgeht, tagte diese zweimal, am 23. und am 27. 7. 1974, allerdings nie in vollständiger Runde. Die einzigen Mitglieder, die an beiden Sitzungen teilnahmen, waren Funcke, Matthäus und Krüger. Nur an der ersten Sitzung nahmen teil Dahrendorf und Schäfer. Es fehlten bei beiden Sitwandlung des für September geplanten Hauptausschusses in einen Parteitag im November empfohlen hatte. Diesem Vorschlag war man jedoch nicht nachgekommen. 465 Wie dem Schreiben Funckes an Genscher zu entnehmen war, hatte das Präsidium am 20. 6. 1974 den Termin für die Klausurtagung ursprünglich auf den 12./13. 7. 1974 festgelegt. Funcke hatte Genscher darauf hin darauf aufmerksam gemacht, dass der Landesvorstand der nordrhein-westfälischen FDP ebenfalls und schon seit längerem eine Klausurtagung auf diesen Termin gelegt hatte und sie es nicht daher nicht für gut erachte, »wenn der Landesvorstand dieses Thema in Abwesenheit von Ihnen, Herrn Maihofer, Herrn Rubin und mir« beriet (ebd.). Sie hatte Genscher darum gebeten, den Präsidiumstermin nochmals zu beraten, was man augenscheinlich getan hatte. 466 Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 28. 6. 1974; AdL 174. Der Antrag wurde mit drei Enthaltungen angenommen.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
zungen Ronneburger, Bangemann und Hamm-Brücher, die sich beide Male durch Hermann Rupprecht vertreten ließ.467 Funcke betonte die gute und intensive Zusammenarbeit der Teilnehmer, wenngleich jeder von ihnen an verschiedenen Punkten Kritik geäußert habe. Ihre persönlichen Vorbehalte lägen dabei bei den Thesen zur Kirchensteuer und zum Religionsunterricht. Dennoch habe man sich auf eine Fassung einigen können, die sich in einigen Punkten von der ursprünglichen Thesenfassung unterschied. Die Erarbeitung einer Synopse zur Vorbereitung der nächsten Bundesvorstandssitzung diene dem Zweck, die jeweiligen Fassungen zu vergleichen und gegebenenfalls auszuwählen. Einige Fassungen aus Landes- und Kreisverbänden, die den Beratungen der Kirchenkommission II zugrunde lagen, sollten darin ebenfalls aufgeführt werden. Dass die Beratungen über das Kirchenpapier so positiv verlaufen sind, verwundert nicht, gehörte doch die Mehrzahl der Teilnehmer zu den Befürwortern des Kirchenpapiers und seines Beschlusses, so Funcke, Matthäus und Krüger. Die dem Kirchenpapier gegenüber kritisch eingestellten Personen, als schärfste von ihnen Hamm-Brücher, aber auch Dahrendorf sind diesen Beratungen ganz oder teilweise fernblieben. Dahrendorf hatte der Kommission für die zweite Sitzung einen Beschluss-Entwurf zugesandt, der jedoch von den Teilnehmern als »nicht hilfreich«468 abgelehnt worden war. Er hatte darin beantragt, von einem Beschluss des Kirchenpapiers auf dem Bundesparteitag abzusehen.469 Vorlage für die Beratungen der Kirchenkommission II war die Fassung des Kirchenpapiers, die auf der Bundesvorstandssitzung am 25. 8. 1973 (E III) verabschiedet worden war. Des Weiteren lagen der Kommission die Stellungnahmen und Kirchenpapierentwürfe aus den Landesverbänden Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein vor, die dort in den unterschiedlichen Gremien entstanden waren. Eine Zusammenschau dieser Stellungnahmen lässt erkennen, dass sich die Landesverbände hauptsächlich mit dem Thesenkatalog des Kirchenpapiers befasst hatten. Lediglich die Landesverbände 467
Vgl. Schreiben Funcke an Genscher vom 13. 8. 1974; AdL A 1-506, Bl. 10. Ebd., Bl. 11. 469 Dies lässt sich aus dem Abschnitt des Berichts Funckes über den entsprechenden Antrag entnehmen: »Zunächst sei es fraglich, ob sich der Parteitag mit einer solchen – im letzten wohl unverbindlich gemeinten ›Erledigung‹ des Themas zufrieden geben würde, und zweitens würde ein solcher Beschluß alle eventuellen F.D.P. – Wähler unbefriedigt lassen. Denn diejenigen, die die ›Trennung‹ befürworteten – und es sind nicht wenige deshalb zur F.D.P. gestoßen –, würden sich enttäuscht über Halbheiten abwenden, und diejenigen, die man beruhigen will, werden weiterhin mit den DJD-Thesen durch die Lande ziehen, weil sich die F.D.P. nicht klar genug geäußert hat, oder sie werden – unabhängig von der weichen Beschlussfassung – die angefügten Thesen als Meinung der F.D.P. gegen sie benutzen. Damit ist niemandem gedient« (ebd.). 468
3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974
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Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz hatten eine eigene Präambel bzw. eine Art Vorwort zum Thesenkatalog erstellt; der Großteil der Landesverbände hatte der Präambel in der Fassung von E III zugestimmt, wobei diese teilweise mit kleineren Ergänzungen versehen wurde, oder jeglichen Hinweis darauf weggelassen. 3.2.2. Die Fassung des Kirchenpapiers der Kirchenkommission II (E IV Juli 1974) 470 Die Präambel wurde an einer Stelle deutlich verändert. So strich man den Absatz drei, wo der Einsatz für die Trennung von Staat und Kirche mit den Erfahrungen der Vergangenheit begründet und die fehlende Realisierung des liberalen Prinzips weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates in vielen Bereichen kritisiert wurde, komplett bis auf den ersten Satz. Dieser wurde unter Weglassung der Formulierung »für die Trennung« und zusammen mit dem ersten Satz des vierten Absatzes von E III zum neuen Absatz drei der Präambel.471 Die Veränderung konnte auf die Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Landesverbandes zurückgeführt werden, in der man in dem ersten allgemeinen Abschnitt darauf verwiesen hatte, dass manche Formulierungen der Präambel »sicherlich ungewollt [. . .] den Eindruck antikirchlicher Gesinnung auslösen könnten.«472 Als Beispiel für eine solche Formulierung hatte man jenen Absatz drei von E III zitiert. Auch hatte man in diesem Zusammenhang und unter Verweis auf Funcke auf die negative Konnotation des Wortes »Trennung« hingewiesen.473 Eine weitere, kleinere Veränderung erfolgte im Absatz sechs, wo man der Begründung, dass die angestrebten Veränderungen »auf Dauer juristisch, politisch und innerkirchlich doch unauf haltsam sind« (E III) durch die Formulierung »unauf haltsam erscheinen« etwas ihren apodiktischen Charakter nahm.474 470 Vgl. Thesen Freie Kirche im freien Staat – Neue Fassung der Bundesvorstandskommission; AdL 175. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. Im Folgenden werden zunächst die Veränderungen beschrieben. Eine Wertung des Gesamtpapiers erfolgt im Anschluss. 471 Der neue Absatz drei hatte somit folgenden Wortlaut: »In diesem Verständnis setzt sich liberale Politik für die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat ein. Es geht ihr nicht darum, die Freiheiten einzuschränken, die die christlichen Kirchen im Bereich der Gesellschaft besitzen, angefangen von der ungehinderten Verkündigung der christlichen Botschaft bis zur Errichtung kirchlicher Pflege- und Ausbildungsstätten.« 472 Stellungnahme des F.D.P.-Landesverbandes Rheinland-Pfalz; Handakten Dahlhaus (siehe auch Abschnitt 2.1.2.). 473 Vgl. Stellungnahme des F.D.P.-Landesverbandes Rheinland-Pfalz;Handakten Dahlhaus. 474 Auch hier mochte man den Einfluss der rheinland-pfälzischen Stellungnahme erkennen, in der man im Blick auf die Thesen allgemein betont hatte, die »kategorische Form [. . .] muß das Gespräch mit den Kirchen erschweren.« Als Beispiel solcher kategorischer Formen hatte man u. a. die Formulierungen »ist zu entwickeln«, »ist zu streichen«, »ist zu ersetzen« aufgeführt (ebd.).
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Im Blick auf die Thesen behielt man deren Reihenfolge bei, den Inhalt veränderte man jedoch an einigen Stellen. In These 1 setzte man vor die Forderung, der Staat solle seine Einflussmöglichkeiten auf die Kirchen aufgeben, den Satz »Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre Angelegenheiten unabhängig.« Diese Ergänzung konnte auf Hermann Rupprecht zurückgeführt werden, der hier den bayrischen Kirchenpapierentwurf – den so genannten »Hamm-Brücher Vorschlag« – in die Beratungen einbrachte.475 Ansonsten blieb die These dem Inhalt nach gleich, man wählte jedoch eine etwas flüssigere Formulierung, indem man die Aufzählung der Bereiche, in denen man jene Einflussmöglichkeiten des Staates sah (Besetzung der kirchlichen Ämter, bischöfl iche Treueide, regionale Gliederung der Kirchen) in einen Klammertext zusammenfasste und diesen Text hinter das Wort »Einflussmöglichkeiten« setzte. Letztgenannte Satzumstellung ging auf die Stellungnahme des Landesvorstandes NRW zurück, der wiederum in seinen Beratungen zur These 1 die Version der landesverbandseigenen Sonderkommission von September 1973 aufgenommen hatte. These 2 zum Körperschaftsstatus folgte zunächst der Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises, wobei man, anders als dieser, im ersten Satz im Kontext der Diskussion zur Eignung bzw. Nicht-Eignung dieses Status den Satzteil »im weltanschaulich-neutralen Staat« (E III) strich. Eine wichtige Veränderung gegenüber E III bestand in der Begründung der Nichteignung dieses Status für die oben genannten Gruppen, die nicht mehr in der NichtErfüllung staatlicher Aufgaben gesehen wurde, sondern darin, dass »diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten.« Im Anschluss daran wurde der neue Satz »Andererseits wird das Vereinsrecht der Bedeutung von Kirchen und anderen Großverbänden nicht gerecht« als Überleitung zur Forderung nach einem neuen Verbandsrecht ergänzt; eine Formulierung, die auf die Beratungen der Kirchenkommission II zurückgeführt werden muss, da sie in keinen anderen Stellungnahmen auftauchte.476 Eine wesentliche Veränderung des Textes erfolgte im nächsten Satz, wo man diese Forderung nach einem neuen Verbandsrecht nicht mehr innerhalb des Privatrechts (E III) verhandelt wissen wollte, sondern »im Rahmen des bürgerlichen Rechts.« Auch diese substantielle Veränderung lässt sich auf keine andere Stellungnahme zurückzuführen und muss daher als Arbeitsergebnis 475 Siehe Abschnitt 2.1.3. Hildegard Hamm-Brücher brachte diesen Vorschlag in die Beratungen des Bundesvorstandes am 14./15. 9. 1974 ein (siehe dazu Abschnitt 3.3.). Die Formulierung des ersten Abschnitts der These 1 hatte folgenden Wortlaut: »Kirche und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre eigenen Angelegenheiten, insbesondere über Glaubensinhalte, Organisationsstrukturen und Ämterbesetzung selbst frei und ungehindert von staatlichen Einflüssen« (Hamm-Brücher Vorschlag; AdL 175). 476 Die Thematik Körperschaftsstatus einerseits, Vereinsrecht andererseits hatte man jedoch im Kontext der Beratungen von E III ausführlich diskutiert (siehe Abschnitte 1.2. und 1.3.).
3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974
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der Kirchenkommission II betrachtet werden. Am Ende der These fügte man in Anlehnung an die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes hinzu, dass hinsichtlich dieses neuen Verbandsrechts »religiös und weltanschaulich bedingte Besonderheiten zu berücksichtigen seien.« These 3 zur Kirchenmitgliedschaft fiel in weitgehender Übereinstimmung mit der Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises deutlich kürzer aus als E III. Die wichtigste Veränderung erfolgte gleich im ersten Satz, wo man die Regelung der Mitgliedschaft »im Rahmen der Religionsfreiheit« in die alleinige Verantwortung der »Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften« legte. Durch diese Beschränkung der Beitrittsfrage auf das rechtliche Außenverhältnis fiel die Forderung nach einer »mit Wirkung für das staatliche Recht« durchzuführenden persönlichen Beitrittserklärung mit Erreichen der Religionsmündigkeit weg. In Konsequenz dieser Aussage strich man die Passus, dass die Wirkung von Taufe oder Beitritt im innerkirchlichen Bereich davon unberührt bleibe. These 4 zum Personenstandsrecht wurde dahingehend umformuliert, dass man zu Beginn konstatierte, niemand sei verpfl ichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Dieser Satz konnte auf die Stellungnahme des Landesverbandes Niedersachsen zurückgeführt werden. Die sich anschließende Forderung war positiv formuliert und verlangte, »[d]iesem Verfassungsgrundsatz [. . .] überall, insbesondere im Personenstandsrecht und im öffentlichen Dienst Geltung zu verschaf fen.« These 5 zur Kirchensteuer wurde mit einer geringfügigen Formulierungsänderung so übernommen.477 Der erste Teil der These 6 zur Überprüfung der Gesetze auf ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität hin ging nicht mehr von dem negativen Ansatz aus, dass das Grundgesetz und die Landesverfassungen Bestimmungen enthielten, die dem »liberalen Grundsatz« (E III) der weltanschaulich-religiösen Neutralität widersprechen, sondern forderte nun die Anwendung des »Verfassungsgrundsatz[es] der weltanschaulich religiösen Neutralität des Staates«478 auf »Länderverfassungen und Gesetze, Regeln und Gebräuche im öffentlichen Bereich.« Eine etwaige Grundgesetzänderung wurde somit nicht mehr gefordert. Ebenso wurde die Aussage, dass »[r]eligiöse, weltanschauliche und moralische Vorstellungen einzelner Gruppen nicht durch Gesetz für alle verbindlich gemacht werden dürfen« reduziert auf »Glaubensüberzeugungen.« Die Veränderungen können als Arbeitsergebnis der Kirchenkommission II verstanden werden.479 Die wichtigste Veränderung im zwei477 In E III lautete die Formulierung, die Kirchensteuer »ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen«. In E IV formulierte man, sie »soll durch ein kircheneigenes Beitragssystem ersetzt werden.« 478 Hervorhebung T. M. E. 479 Es ist möglich, dass die erste Änderung, die Ersetzung des »liberalen Grundsatzes« durch den »Verfassungsgrundsatz«, auf den stellvertretenden Landesvorsitzenden des
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ten Teil der These bestand in der Herausnahme der Eidesformel aus der Aufzählung der sakralen Formen und Symbole, auf die verzichtet werden sollte. In Übernahme der Formulierung des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes konkretisierte man, wie hinsichtlich des Eides zu verfahren sei, insofern »[d]ie Eidesformel [. . .] neutral zu fassen« sei und es »dem Eidesleistenden« freistehen müsse, »den Eid durch einen Zusatz im Sinne seiner Weltanschauung zu ergänzen.«480 These 7 zu den Kirchenverträgen und Konkordaten wurde mit zwei kleinen Formulierungsänderungen, die auf die Version des Kirchlichen Gesprächskreises zurückzuführen waren, weitgehend in der Version von E III übernommen; lediglich der letzte Satz von E III rückte nun leicht anders formuliert an den Anfang der These.481 In These 8 zu den Staatsleistungen an die Kirchen ersetzte man die Begründung dafür, dass steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile der Kirchen und Religionsgesellschaften aufzuheben seien, »da sie mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar sind« (E III), durch den Zusatz, »soweit sei nicht für gleiche Zwecke auch anderen Institutionen gewährt werden.« Diese Veränderung ging auf die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes zurück.482 These 9 zur Trägerschaft sozialer Aufgaben stellte zunächst eine Mischform aus E III und der Thesenversion des Kirchlichen Gesprächskreises dar. rheinland-pfälzischen Landesverbandes Schäfer zurückzuführen war, der damit einen Kritikpunkt Schneiders einbrachte. Schneider hatte in seiner Stellungnahme zunächst ganz allgemein »das ›sogenannte liberale Prinzip der weltanschaulich religiösen Neutralität des Staates‹« als einen der »Irrwege des vorigen Jahrhunderts« bezeichnet und konkret zur These 6 betont, es dürfe nur darum gehen, »durch die Gesetzgebung sicherzustellen, daß auch der Nichtchrist seinen Lebensraum hat«, nicht jedoch darum, »die Lebensauffassung des Nichtchristen in der Gesetzgebung für alle Christen verbindlich zu machen« (Stellungnahme Schneider; EZA 650/274. Siehe auch Abschnitt 2.1.2.). 480 Hatte man in E I noch offen gelassen, ob sich die Forderung auf Verzicht des Eides nur auf den religiösen beziehen sollte und war diese Frage in den Entwürfen II und III gar nicht mehr aufgegriffen worden, so bot die hier gewählte Formulierung, die im übrigen ursprünglich auf den Kreisverband Wuppertal zurückging (siehe Abschnitt 2.3.4.), einen adäquaten Mittelweg. 481 Vgl. E III, letzter Satz: »Ihre Gegenstände sind durch Gesetz oder, soweit erforderlich, durch Einzelvereinbarungen neu zu regeln.« E IV, erster Satz: »Soweit die Beziehungen zwischen Staat und Kirche einer Regelung bedürfen, sollen diese durch Gesetze oder Einzelvereinbarungen erfolgen.« Anders als E III und unter Aufnahme des KGK hieß es nun, die »bestehenden [E III: bisherigen] Staatsverträge mit den Kirchen« seien kein geeignetes Mittel im Blick auf eine Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Auch formulierte man nun, solche Verträge »sollen [E III: dürfen]« nicht weiter abgeschlossen werden. 482 Der Hinweis auf die »anderen Institutionen« lehnte sich dabei an die Fassung des KGK an, der hier seinerseits die niedersächsische Stellungnahme aufgegriffen hatte. Interessant für deren Stellungnahme war wiederum, dass sie an dieser Stelle sehr wahrscheinlich von Lohse beeinflusst worden war.
3. Der Bundesverband und die Kirchenthesen – Juni bis Oktober 1974
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Eine erste Veränderung bestand in der Aussage der Sicherstellung einer »angemessene[n] Anzahl von Einrichtungen«, die weltanschaulich neutral und für jedermann zugänglich sind.483 In E III hingegen hatte man die öffentliche Hand mit der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl beauftragt.484 Eine Veränderung zeigte sich weiterhin im Passus zum Recht der freien Träger, das »gewährleistet werden« müsse (E III: das Recht bleibt unberührt). Eine substantielle Änderung der Aussage vollzog man, indem man die Verwendung des Wortes »Subsidiaritätsprinzip« vermied und stattdessen den Teilsatz »allerdings ohne Vorrangstellung« ergänzte. Beide Veränderungen waren auf die Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises zurückzuführen, der die Herausnahme des Wortes »Subsidiaritätsprinzip« mit Rücksichtnahme auf die katholische Soziallehre begründet hatte. Im Blick auf den Abschnitt, wo man die staatliche bzw. öffentliche Förderung der Einrichtungen freier Träger thematisierte, ersetzte man den konditionalen Satz, jede Förderung sei nur bei deren Einhaltung der Grundrechte zu gewähren, durch die Aufforderung, die Einrichtungen seien allgemein zugänglich zu machen. Hier griff man eine Formulierung der Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes auf, die wiederum auf den Landesverband Hessen zurückzuführen war. Am Ende formulierte man als weitere Bedingung, »Andersdenkende [dürften] keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein«, eine Ergänzung, die auf Hermann Rupprecht zurückgeführt werden konnte.485 These 10 sprach sich ebenso wie E III für die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule, bei gleichzeitiger Gewährleistung des Rechts, private Schulen zu errichten, aus. In Bezug auf den Religionsunterricht forderte man in Ergänzung zu E III und unter Absehung der Verwendung des Begriffes Religionsunterricht, dass die Schüler »in einem ordentlichen Lehrfach [. . .] Kenntnisse über Religionen, Weltanschauungen und Methodenlehre altersgemäß vermittelt« bekommen. Hier griff man interessanterweise wörtlich eine Formulierung auf, die die Sonderkommission des Landesverbandes NRW in ihrer Resolution von September 1973 artikuliert hatte, die jedoch nicht in die Stellungnahme des Landesvorstandes von Juli 1974 mit eingeflossen war. In Anlehnung an E III bot man nach wie vor die Schulräume als Unterrichtsorte an, jedoch wurde der Adressatenkreis dieses Angebots erweitert um »Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften« und der mögliche Unterricht expliziert als »Unterweisung im Sinne ihres Be483
Hervorhebung T. M. E. Hervorhebung T. M. E. 485 »Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind Gemeinschaftsaufgaben. Staatliche Zuwendungen dürfen an freie Träger mit einer bestimmten weltanschaulichen Ausrichtung nur gewährt werden, wenn gesichert ist, dass Andersdenkende dadurch keinerlei Zwängen oder Benachteiligungen ausgesetzt sind [. . .].« 484
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
kenntnisses«. Hier spiegelte sich der Einfluss der baden-württembergischen Stellungnahme, des so genannten »Stuttgarter Papiers«, wider. Gerade diese These wies sich dabei durch die Besonderheit aus, auf Neunhöffer zurückzugehen.486 Bei der These 11 zu den Theologischen Fakultäten wählte man eine Formulierung, die Aspekte der Alternativen a und b von E III und verband. So konstatierte man zunächst ergänzend zu E III die Zugehörigkeit der Theologischen Fakultäten zu den Universitäten. Diese Ergänzung konnte auf Funcke zurückgeführt werden, die stets in diesem Sinne votiert hatte. In Anlehnung an E III 11b forderte man des Weiteren, die Theologischen Fakultäten in religionswissenschaftliche Abteilungen zusammenzufassen, »die frei von rechtlichen Bindungen an Religionsgesellschaften forschen und lehren« sollten. Hinsichtlich der Lehrkörper sei die Verantwortung in die Hände des Staates zu geben, wobei die Kirchen dazu angehört werden sollten. Diese Formulierung stand weder in den Alternativvorschlägen a und b von E III noch in einer anderen landesverbandlichen Stellungnahme. Sie tauchte jedoch exakt in dieser Weise in dem endgültigen Beratungsergebnis des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes auf, dass jedoch erst am 13. 9. 1974 und damit nach der Abfassung von E IV beschlossen wurde.487 Es ist anzunehmen, dass sich hier Matthäus als Mitglied der Kirchenkommission II hatte durchsetzen können. Matthäus war auch Mitglied der nordrheinwestfälischen Sonderkommission gewesen, in der man auf ihre und GerigkGrohts Anregung hin als explizite Ergänzung zur These 11 gefordert hatte, dass das »Recht der Kirchen auf die Mitwirkung bei der Besetzung von Lehrstühlen in philosophischen und juristischen Fakultäten bzw. Abteilungen (.Konkordatslehrstühle)« entfallen soll. Im Kirchlichen Gesprächskreis hingegen, wo sie nicht Mitglied war, hatte man auf Nichtbefassung mit dieser These plädiert. In Bezug auf die Festlegung der Qualifi kation für Theologen und andere kirchliche Berufe betonte man die Zuständigkeit der Kirchen und übernahm somit E III 11a; das Recht der Kirchen, kirchliche Hochschulen zu errichten griff inhaltlich E III 11b auf. These 12 zur Militärseelsorge ersetzte die Formulierung, die Seelsorge sei »in den Auftrag der Religionsgemeinschaften zurückzugeben« (E III) durch »ist in die alleinige Verantwortung der Kirchen zurückzugeben.« Inhaltlich blieb die Forderung gleich, man ergänzte, dass das Recht auch »für alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften« zu gelten habe. Beide Formulierungsänderungen gingen auf die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes zurück, der an dieser Stelle wiederum
486 487
Siehe Abschnitt 2.3.5. Siehe Abschnitt 2.3.4.
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die Resolution der Sonderkommission aufgegriffen hatte.488 These 13 zur Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern wurde so übernommen, wobei der letzte Satz, dies schließe ihre Befreiung bzw. Zurückstellung vom Wehrdienst aus, gestrichen wurde. These 14 zur Vertretung der Kirchen in öffentlichen Gremien entsprach der Formulierung E III unter Weglassung des Satzes, diese müsse innerverbandlich legitimiert sein. Die Streichung konnte auf die Stellungnahme Hessens zurückgeführt werden, der diese in seiner Stellungnahme so explizit gefordert hatte. Die Veränderungen, die sich in dieser Kirchenpapierfassung E IV gegenüber dem Entwurf III zeigten, lassen sich insgesamt unter dem Motto »mehr Kirche, weniger Staat« zusammenfassen. Das »weniger Staat« zeigte sich zunächst in der Reduktion jener Abschnitte von E III, in denen man die Verwirklichung des weltanschaulich-religiös neutralen Staats gefordert hatte, und wodurch mit dem Argument Staat der kirchliche Einfluss hatte beschränkt werden sollen. So fiel durch die Kürzung des dritten Absatzes der Präambel eine erste solche Stelle weg; mit den Veränderungen in den Thesen 2 und 8 folgten zwei weitere. Auch die Veränderung der These 6 brachte diese Tendenz zum Ausdruck. Eine Beschränkung des staatlichen Einflusses und damit einhergehend eine größere Unabhängigkeit für die Kirchen zeigte sich weiterhin in den Thesen 1 und 12, besonders aber in These 3, wo man nun die Frage der Kirchenmitgliedschaft von jeglichem staatlichen Einfluss freihielt. Führten diese Veränderungen bereits ein »mehr« an Kirche mit sich, so verstärkte sich diese Tendenz durch die Thesen, die der Kirche eine größere Bedeutung zusprachen. Dazu gehörte die These 9, die sich jetzt für eine Gewährleistung der freien Träger im sozialen Bereich aussprach. Auch die These 8 konnte durch die Einfügung der Vergleichsgröße »andere Institutionen« in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Eine weitere grundsätzliche Neuerung, die den Entwurf IV auszeichnete, betraf jene Formulierungen, die die Toleranz gegenüber »Andersdenkenden«, den gleichberechtigten Umgang mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie den Respekt vor der eigenen Religiosität zum Ausdruck brachten und damit insgesamt auf eine Entwicklung hin zu einem pluralistischeren Verständnis hinwiesen. Hier sind insbesondere die Ergänzungen in den Thesen 2, 4, 6, 9 und 12 zu nennen, die in über der Hälfte der Fälle (2, 6, 12) auf die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes zurückzuführen waren. Die insgesamt kirchenfreundlichere Tendenz war darauf zurückzuführen, dass bei einigen Thesen die Stellung488 Siehe ebd. Auch der Landesverband Schleswig-Holstein sowie der KGK hatten die Formulierungen der Sonderkommission in ihren Stellungnahmen zur zwölften These übernommen.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
nahmen der Landesverbände berücksichtigt wurden, die das Kirchenpapier abgelehnt bzw. es als Gesprächsangebot an die Kirchen kritisch beurteilt hatten, so Rheinland-Pfalz (Präambel), Bayern (Thesen 2 und 9) und Niedersachsen (Thesen 4 und 8). Auch die Aufnahme der Stellungnahme des Kirchlichen Gesprächskreises insbesondere bei den Thesen 3 und 9 bestätigte diese Tendenz. Dass sich auch die jungdemokratische Linie hatte durchsetzen können, darauf verweisen die Thesen 10 und 11. Beides waren Thesen, die insbesondere von den Landesverbänden unterstützt wurden, die das Kirchenpapier befürworteten und in denen zugleich eine starke Jungdemokratenpräsenz zu erkennen war. So wirkten im Kontext der Einfügung eines »ordentlichen Lehrfachs« im Sinne eines Religionskundeunterrichts insbesondere die Stellungnahmen der nordrhein-westfälischen Sonderkommission, in der Matthäus und Gerigk-Groht mitgewirkt hatten und in der die Forderung bereits im Juni 1973 artikuliert worden war, so wie die baden-württembergische Stellungnahme, die gerade an dieser Stelle stark von Neunhöffer beeinflusst worden war. Auch der Landesverband Schleswig-Holstein hatte sich für die Einrichtung eines Faches Religionskunde als Ersatz für den Religionsunterricht ausgesprochen und wollte dieses Fach als »ordentliches Lehrfach« ausgewiesen wissen.489 Auf den Einfluss Matthäus auf die Beibehaltung der These zu den Theologischen Fakultäten ist bereits hingewiesen worden. Ebenso hatten sich Schleswig-Holstein und Berlin in ihren Stellungnahmen für die Beibehaltung dieser These in der Fassung 11b ausgesprochen. 3.3. Klausurtagung des Bundesvorstandes am 14/.15. 9. 1974: »Freie Kirche im freien Staat« Am 14./15. 9. 1974 trat der Bundesvorstand zu einer Klausurtagung in Frankfurt zusammen, um u. a. das Kirchenpapier zu diskutieren. Jene Beratungen wurden innerhalb des Tagesordnungspunktes 2 zur Vorbereitung des Bundesparteitages geführt und noch am ersten Tagungstag abgeschlossen.490 Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bundesvorstandes lag dabei der Kirchenpapierentwurf der Kirchenkommission II vor, der ihnen am 28. 8. 1974 als Anlage zugegangen war sowie die Synopse, die Funcke im Zuge der Beratungen der Vorstandskommission erstellt hatte.491 Zusätzlich 489 490
Siehe Abschnitt 2.3.2. Vgl. Protokoll der Klausurtagung des Bundesvorstandes vom 14./15. 9. 1974; AdL
175. 491 Im Vorwort zur Synopse wies Funcke darauf hin, dass sie der Übersichtlichkeit halber wegen nur die Voten der Landesverbände dargestellt habe. Die Synopse enthielt die Voten zu den Thesen, nicht jedoch die unterschiedlichen Entwürfe zur Präambel. Auf je einer Seite waren die unterschiedlichen Fassungen zu jeweils einer These aufgeführt. Die Reihenfolge der Fassungen, von links nach rechts verlaufend: Diskussionsfassung (= E
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dazu brachte Hildegard Hamm-Brücher den im Juni angekündigten bayrischen Kirchenpapierentwurf in die Beratungen mit ein, der die Diskussion an einigen Stellen deutlich beeinflusste.492 Jenes Papier spiegelte ein ambivalentes Verhältnis zur Kirchenpapierdiskussion wider. Ambivalent war dieses insofern, als nicht grundsätzlich alle im Kirchenpapier artikulierten Thesen bzw. die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche negiert wurden; doch zeigt ein Blick in die Präambel, dass man mehr als in den vorherigen Präambeln die Thesen auf dem Hintergrund des guten und gewachsenen von, »Respek[t]« und »gegenseitige[r] Verständigungsbereitschaft« bestimmten Verhältnisses von Liberalismus und Kirche behandelt wissen wollte. Dabei sah man die Leistung des Liberalismus in dessen Einsatz für die »Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie für die Freiheit des Staates von jeder konfessionellen Bevormundung.« Auch habe der Liberalismus im Kontext der Grundgesetzverhandlungen dazu beigetragen, dass insbesondere der darin aufgeführte Art. 4 verwirklicht werde. Weitere Aussagen der Präambel erinnern an die in den 1950er Jahren festgelegten Äußerungen zum modernen »geläuterten Liberalismus«, insofern die Wertvorstellungen, die innerhalb einer Gesellschaft lebendig sind, auf den entscheidenden Einfluss des Christentums zurückgeführt wurden und dessen grundsätzliche Bedeutung für die Gesellschaft hervorgehoben wurde. Der Verweis auf die Regierungserklärung vom 18. 1. 1973 explizierte ein Verständnis von der FDP als eine Partei, die die Kirchen »nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft« betrachtete, sondern als gleichberechtigte Gesprächspartnerin, mit der sie gemeinsam jene das Verhältnis von Staat und Kirche betreffende Fragestellungen erörtern wissen wollte. Die »Gewinnung und Erhaltung von Freiheit« innerhalb dieses Verhältnisses sei dabei das primäre Ziel; auf dieser Grundlage bejahe die FDP eine »Verantwortung des Staates für die Kirchen im Rahmen seiner allgemeinen Kulturverantwortung«, die jedoch ihre Grenzen an den Freiheits- und Gleichheitsgrundsätzen des Grundgesetzes fi nde. In diesem Sinne sei das Verhältnis von Staat und Kirche vor Verflechtungen »von Personen oder Interessen« bzw. einer »wechselseitigen Abhängigkeit von Staat und Kirchen« zu bewahren. Diese typisch linksliberale Position spiegelte sich nun auch in der Einstellung zu den Thesen wider. So stimmte man inhaltlich weitgehend mit den Thesen 1, 2, 5, 6 und 12, 13 und 14 in der Version von E III überein. Im Blick auf die Thesen 5 bis 8 wählte man Formulierungen, aus denen explizit hervorging, dass alle angestrebten Veränderungen in »Verhandlungen«, III), Bundesvorstandsfassung (= E IV), NRW, Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, KGK und Baden-Württemberg (vgl. Synopse Funcke; AdL 218). 492 Vgl. Hamm-Brücher Vorschlag; AdL 175. Die folgenden Zitate ebd.
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»Vereinbarung« bzw. »über [. . .] Gespräche« mit den Kirchen zu entwickeln seien; hier wurde die in der Präambel erwähnte grundsätzliche Verständigungs- und Gesprächsbereitschaft des Liberalismus exemplifi ziert. Mit Einschränkungen erfolgte ebenfalls die Zustimmung zu den Thesen 3 zur Kirchenmitgliedschaft und 4 zum Personenstandsrecht. Die Einschränkungen bezogen sich dabei auf die Frage, inwieweit die beschriebenen Angelegenheiten eine Wirkung »für das staatliche Recht« bekommen. Die wichtigsten Veränderungen des Papiers bestanden in Aufrechterhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei gleichzeitiger Vergewisserung, dass »Andersdenkende dadurch keinerlei Zwängen oder Benachteiligungen ausgesetzt sind«493 ; weiterhin wurde der Religionsunterricht unter Verweis auf die in der bayrischen Verfassung verankerte christliche Gemeinschaftsschule als ordentliches Lehrfach ausgewiesen, neben dem – nach bayrischem Vorbild – als Alternative ein Ethikunterricht eingerichtet werden sollte; auch plädierte man ebenfalls für die Streichung der These 11. Freie Kirche im freien Staat – Fassung des Bundesvorstandes vom 14. 9. 1974 (E V = Antrag 51) 494 Die Präambel wurde an einigen Stellen neu formuliert und deutlich – um mehr als ein Drittel – gekürzt. Lediglich den ersten Absatz übernahm man in der Fassung von E IV. Insgesamt zeichnete sich die Neufassung durch präzisere und positiv formulierte Aussagen aus. Dies zeigte sich in der Streichung jenes zweiten Teils des zweiten Absatzes der Präambel von E IV, in dem die Handlungsweise eines sich weltanschaulich-neutral verstehenden Staates dargelegt worden war. Auch ließ man den Abschnitt in Absatz drei weg, der explizierte, was man nicht wollte.495 Ebenso strich man Absatz vier der Präambelfassung von E IV, in dem das eigentliche Trennungsanliegen nochmals erklärt und auf die Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit rekurriert worden war. Die Ausweitung des Gesagten auch auf »ander[e] Religionsgemeinschaften« in Absatz drei spiegelte jene bereits dargestellte Entwicklung hin zu einem pluralistischen Verständnis wider. Mehr noch als E IV intendierten die Aussagen von E V ein kooperatives Verhältnis von Partei und Kirche. So betonte man den dynamischen und sich wandelnden Charakter des Verhältnisses von Staat und Kirche und untersagte auf diese Weise dahingehende absolut gesetzte Aussagen. Dies zeigte 493
Siehe Abschnitt 3.2.2. Vgl. Freie Kirche im freien Staat – Fassung des Bundesvorstandes vom 14. 9. 1974; AdL 175. Siehe auch Anhang 4. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angaben. Die Verweise auf E IV beziehen sich auf Abschnitt 3.2.2. 495 Hervorhebung T. M. E. E IV: »Es geht ihr [sc. liberaler Politik] nicht darum, die Freiheit einzuschränken [. . .].« 494
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sich insbesondere in dem neu eingefügten und die Absätze vier und fünf der E IV-Präambel ersetzenden vierten Absatz, der darauf verwies, dass »[d]as Verhältnis von Staat und Kirche [. . .] immer spannungsvoll bleiben« werde und es »[g]erade deshalb [. . .] in einem freien Staat von Zeit zu Zeit neu überdacht und neu bestimmt werden« müsse. Dieser Abschnitt ging auf den von Hamm-Brücher eingebrachten Entwurf zurück.496 An ihn schlossen sich in Anlehnung an den sechsten Absatz von E IV jene Äußerungen an, in denen die Bereitschaft der FDP zu Gesprächen mit den Kirchen ausgedrückt wurde und man die Kirchen dazu aufforderte, sich selbst an der Diskussion um die Verwirklichung der Forderungen zu beteiligen. Dabei ließ man – der harmonisierenden Tendenz der Neufassung geschuldet – den Zusatz, die Kirchen sollten sich dabei »nicht Veränderungen verschließen, die auf Dauer juristisch, politisch und innerkirchlich doch unauf haltsam sind«(E IV), weg. Absatz fünf der Neufassung verwies in Anlehnung an den sechsten Absatz von E IV auf die Notwendigkeit »verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen« zur Verwirklichung der Forderungen; die Absätze sechs und sieben griffen – mit einigen Kürzungen versehen – die letzten beiden Absätze von E IV auf. Die Thesen 4, 12 und 13 übernahm man in der Version der Kirchenkommission II. Mit leichten kosmetischen Veränderungen übernommen wurden ebenfalls die Thesen 1, 6 und 14. In These 2 strich man in Satz drei entgegen des Vorschlags der Kirchenkommission II, der diesen Passus zuvor ergänzt hatte, die Formulierung »in Rahmen des bürgerlichen Rechts«, den Rest der These übernahm man. In These 3 ersetzte man Satz zwei, der besagte, dass das heutige Verfahren, den Kirchenaustritt gegenüber staatlichen Stellen zu erklären, zu entfallen habe, durch »[d]er Austritt erfolgt durch Willenserklärung gegenüber den Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften.« Weiterhin ergänzte man in Satz drei zur Religionsmündigkeit den Hinweis, dass diese »wie schon heute in den meisten Bundesländern« mit Vollendung des 14. Lebensjahres beginnt. Bei These 5 entschied man sich mit 17:6:0 für die Übernahme der Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises, die an zwei Stellen nochmals leicht verändert wurde. Der Wortlaut zur Kirchensteuerthese lautete somit: »Mit den Kirchen sind Verhandlungen aufzunehmen, die bisherige Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Für die Überleitung sind ausreichende Fristen vorzusehen.« These 7 zu den Kirchenverträgen und Konkordaten wurde in der Fassung des Landesverbandes NRW übernommen, die wiederum nahezu identisch war mit E III. der einzige Unterschied bestand in der Ergänzung, dass jene Auf hebung der Kirchenverträge und Konkordate »in gemeinsamer Übereinkunft« vollzo496
Vgl. Hamm-Brücher Vorschlag; AdL 175.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
gen werden sollte. Die Ergänzung war auf die Stellungnahme des Landesverbandes Rheinland-Pfalz zurückzuführen. These 8 zu den Staatsleistungen an die Kirchen wurde gekürzt, indem man die Fassung des Landesverbandes Niedersachsen übernahm, der durch einen Verweis auf Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 WRV ergänzt wurde. Ein kleiner aber wichtiger Zusatz erfolgte dabei durch Charakterisierung dieser anderen Institutionen, gegenüber denen Kirchen und Religionsgemeinschaften keine Sondervorteile haben sollten, als »gemeinnützig.«497 These 9 wurde wiederum in der Fassung des Kirchlichen Gesprächskreises angenommen, die alle wesentlichen Aspekte von E IV in anderer Reihenfolge enthielt und darüber hinaus die Forderung, die freien Träger »sollen [. . .] sachgerechte staatliche Zuschüsse erhalten« beinhaltete. Sie wurde ergänzt durch den letzten Satz von E IV. Die wichtigsten Veränderungen bezogen sich auf die Thesen 10 und 11. So folgte These 10 im ersten und letzten Satz ebenfalls dem Entwurf des Kirchlichen Gesprächskreises. Der erste Satz forderte die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule als staatliche Regelschule im ganzen Bundesgebiet (= erster Satz E IV). Es folgte eine Neuformulierung, die so in keinem der vorliegenden Entwürfe zu fi nden war, wobei die Feststellung, Religion sei ordentliches Lehrfach, wiederum auf den Entwurf des Kirchlichen Gesprächskreises zurückging: »Der Religionsunterricht ist nach Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ wird ein Religionskundeunterricht angeboten. Zwischen beiden Fächern besteht freie Wahlmöglichkeit«. Der letzte Satz verwies darauf, dass das Recht, private Schulen zu unterhalten, unberührt bleibe (~ zweiter Satz E IV, dort: bleibt gewährleistet). These 11 zu den Theologischen Fakultäten wurde nach langer Diskussion und mit 10:8 Stimmen gestrichen. Wie dem Beitrag Lambsdorffs auf Bundesparteitag in Hamburg zu entnehmen ist, hatte sich der Bundesvorstand aufgrund der »Darlegungen von Ralf Dahrendorf, der bekanntlich beim Auf bau zweier Universitäten mitgewirkt hat«498 dazu entschlossen, diese These nicht mit ins Kirchenpapier aufzunehmen. Dies entsprach zugleich den Stellungnahmen Niedersachsens, Rheinland-Pfalz und des Kirchlichen Gesprächskreises, die sich allesamt für die Streichung der These ausgesprochen hatten. Die wichtigsten Veränderungen gegenüber der Fassung der Kirchenkommission II bestanden in der großzügigen Reduktion des Präambeltextes, die diesen deutlich prägnanter machte, der Kürzung der Forderungen von 14 auf 13 durch die Streichung der These 11 zu den Theologischen Fakultäten 497 Lohse hatte in seinem Gespräch mit Gross im September 1973 diese Formulierung gewählt, die darauf hin in die Stellungnahme des Landesverbandes Niedersachsen übernommen worden war (siehe Abschnitt 2.2.1.). 498 AdL A 1-520, Bl. 73.
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sowie der Wiedereinführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach. Auch spiegelte sich in dieser »[s]chlanker geworden[en]«499 Fassung die Tendenz eines partnerschaftlichen Verhältnisses, so wie dieses in der Präambel hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche intendiert wurde, wider, beispielsweise in These 5 zur Kirchensteuer, wo man die Verhandlungsbereitschaft der FDP mit den Kirchen betonte, oder aber in These 7 durch die Einfügung des Textes »in gemeinsamer Übereinkunft«. Es waren vor allem die bayrische Stellungnahme sowie die des Kirchlichen Gesprächskreises, die den Entwurf V geprägt hatten. Insgesamt bestätigte und verstärkte die beschlossene Fassung des Kirchenpapiers, die der Bundesvorstand als Antrag 51 auf dem Bundesparteitag einbringen wollte, das »weniger« an Staat und »mehr« an Kirche, das bereits in der Fassung der Kirchenkommission II zutage getreten war. 3.4. Letzte Änderungen: Die neue Präambel des Bundesvorstandes (Antrag 51a) 500 Sollte das Papier somit in dieser Fassung als Antrag 51 durch den Bundesvorstand auf dem Bundesparteitag in Hamburg eingebracht werden, so wurde es nochmals verändert, als man auf Anregung des Präsidiums hin in der Bundesvorstandssitzung am 29. 9. 1974 eine Ergänzung und Änderung der Präambel beschloss.501 Nach Absatz eins fügte man einen Passus ein, der nochmals die Bedeutung des Christentums für die Gesellschaft deutlich machte, so dass der neue Absatz zwei folgenden Wortlaut hatte: »Das Christentum hat Geschichte, Kultur und ethisches Bewusstsein in Europa entscheidend geprägt. Im caritativen Bereich haben die christlichen Kirchen wegweisende Arbeit geleistet. Das Bekenntnis zur persönlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit schließt daher untrennbar ein, dass das Wirken der Kirchen nicht nur im innerkirchlichen Bereich, sondern auch in der Gesellschaft gesichert werden muss.« 502
Die Einfügung dieses Abschnitts lehnte sich an den Präambelentwurf des Hamm-Brücher Vorschlags an, wo man im ersten Absatz betont hatte: »Auch wenn Staat und Kirche seit langem rechtlich getrennt sind, weiß der Staat, dass er nicht Herr ist über die Wertvorstellungen, die in einer Gesellschaft lebendig
499 So die Überschrift eines Spiegelartikels über den Beschluss des Bundesvorstandes (in: Spiegel 39/1974, 36). 500 Da der Text der hier dargestellten neuen Präambel identisch so vom BPT übernommen wurde, kann Anhang 5 (Beschluss des BPT) zur Verdeutlichung herangezogen werden. 501 Vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 29. 9. 1974; AdL 218; Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 29. 9. 1974; AdL 176. 502 Antrag 51a, Betr. Änderungsantrag zu Antrag 51 Freie Kirche im Freien Staat; AdL A 1-510, Bl. 36.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
sind, sondern dass diese Wertvorstellungen zusammen mit anderen Gruppen und Strömungen vom Christentum entscheidend mit geprägt worden sind und werden.« 503
Der Hinweis auf die Bedeutung der Kirchen im karitativen Bereich mag in Anlehnung an die hessische Stellungnahme erfolgt sein, die den Präambeltext dahingehend erweitert hatte.504 Der weitere Text folgte weitgehend dem des Antrages 51, lediglich am Ende wurden stilistische Umstellungen vorgenommen, die jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt hatten. Fragt man nach Gründen, die diese Einfügung veranlasst haben könnten, so ist auf einen Brief Hermann Kunsts an den Bundesvorsitzenden der FDP Hans-Dietrich Genscher vom 23. 9. 1974 zu verweisen. In diesem sehr persönlichen und ausführlichen Brief informierte Kunst Genscher über den Erhalt der 14 Thesen in der Fassung vom 14. 9. 1974 und die Diskussion dieses neu formulierten Kirchenpapiers im Rat der EKD. Dort habe man festgestellt, dass, obschon das Papier einige bedeutungsvolle Veränderungen im Vergleich zu den anderen Papieren aufweise, der negative Akzent jedoch nach wie vor dominiere. Insbesondere im Blick auf die Kirche müsse festgestellt werden, dass an keiner Stelle etwas über deren positive Tätigkeit und Wirkung ausgesagt werde: »Kein Satz [. . .], der mindestens den Respekt vor dem Rang der breit gefächerten Aktivitäten der Kirche für das Gemeinwohl unseres Landes, und dies ja nun wahrhaftig nicht nur im sozialpolitischen und diakonischen Bereich ausspricht. Kein Satz, der den geschichtlichen Rang der Kirchen für die innere Gestalt unseres Volkes anerkennt und ihn in positiver Würdigung für den künftigen Weg unseres Lebens bejaht.« 505
Das Papier lasse vielmehr den Eindruck entstehen, »als sei die Kirche aus einem wuchernden, für die Gesundheit unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens gefährlichen Geschwür in unserem Lande geworden, das in allen Bereichen tiefgreifend zurückgeschnitten werden muß.« 506
Es ist anzunehmen, dass dieser Brief die Veränderungen im Präambeltext veranlasst hat. Diese Neufassung der Präambel wurde vom Bundesvorstand als Antrag 51a auf dem Bundesparteitag in Hamburg eingebracht.
503
Hamm-Brücher Vorschlag; AdL 175. Hervorhebung T. M. E. »Anders im sozialen Bereich, wo die Kirchen aus ihrem eigenen Verständnis und aufgrund der historischen Entwicklung in der Vergangenheit oft vorbildliches geleistet haben und – neben anderen freien Trägern – noch heute wichtige Aufgaben erfüllen« (Stellungnahme des Landesverbandes Hessen; Handakten Dahlhaus. Siehe Abschnitt 2.3.1.). 505 Schreiben Kunst an Genscher vom 23. 9. 1974; EZA 87/661. 506 Ebd. 504
4. Der 25. FDP – Bundesparteitag in Hamburg, 30. 9. bis 2. 10. 1974
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4. Der 25. FDP – Bundesparteitag in Hamburg, 30. 9. bis 2. 10. 1974 Eröffnet wurde der 25. Bundesparteitag der FDP am Montag, den 30. 9. 1974 mit einer Rede des Parteivorsitzenden Genscher, in der dieser kurz auch auf die anstehende Diskussion des Kirchenpapiers einging.507 Die Rede Genschers stand ganz unter dem Motto, die Aktualität und Notwendigkeit liberaler Politik im Sinne einer Politik der Reformen zu bestätigen. Dabei betonte Genscher die Freiheit als Maßstab und die »kritische Rationalität«508 als Methode dieser liberalen Reformpolitik und verwies zugleich auf ihre Grenzen, die ihr durch die Gesellschaft als kritisches Korrektiv aufgewiesen wurden.509 Aufschlussreich waren Genschers Äußerungen zur »Eigenständigkeit«510 und »geistige[n] und politische[n] Unabhängigkeit« 511 der liberalen Partei, die als erster Hinweis auf einen erneuten Kurswechsel der liberalen Partei verstanden werden konnten. Nicht zuletzt die Wahl Friderichs zum neuen Wirtschaftsminister der liberalen Partei, die dieser knapp gegen Maihofer gewonnen hatte, bestätigte diese Tendenz. Gehörte Maihofer zu denjenigen, die im Sinne der sozialliberalen Koalition am Charakter der FDP als Fortschritts- und Reformpartei festhalten wollten, so hatte sich mit der Wahl Friderichs jene Gruppierung innerhalb der liberalen Partei durchsetzen können, die erneut eine stärker wirtschaftlich orientierte Politik auf einem Kurs der bürgerlichen Mitte voranbringen und daher auch die Koalitionsfrage offen halten wollten. Die Zugehörigkeit Genschers zur dieser Gruppe zeigte sich im Kontext seiner Äußerungen zur Regierungskoalition, deren Bestand er durch den »Wille[n] der Verantwortlichen zur Zusammenarbeit« 512 garantiert sah, wobei er zugleich den »Wettbewerb der Ideen«513 als neben der Machtfrage stehende Profi lierungsmöglichkeit betonte: »Es geht darum, welche Idee sich als tragfähig genug erweist, um auf neu auftauchende Fragen dem Bürger antworten zu geben.«514 Hierin, so Genscher, manifestiere sich der Standort der liberalen Partei, die einen eigenen Weg beschreite und damit, als Partei der Mitte, »die Alterna507 Die folgenden Ausführungen zum Duktus der Rede des Parteivorsitzenden dienen der Einordnung seiner Bemerkungen zum Kirchenpapier. 508 Eröffnungsrede Genscher auf dem BPT Hamburg am 30. 9. 1974; AdL A 1-516, Bl. 27. 509 »Glaubwürdige Politik muß Rücksicht nehmen auf das Bewußtsein der Gesellschaft. Sie muß den Bürgern die Chance geben, Sinn und Notwendigkeit einer Reform zu begreifen und zu bejahen. [. . .] Wer nicht begreifen will, daß jede Reform ein Entwicklungsprozeß sein muß, wer sie statt dessen administrativ verordnen wird, der wird scheitern« (ebd., Bl. 29 f.). 510 Ebd., Bl. 36. 511 Ebd. 512 Ebd., Bl. 37. 513 Ebd. 514 Ebd., Bl. 38.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
tive zur Politik der sogenannten Volksparteien« 515 darstelle. Als einen wesentlichen Unterschied zu diesen Volksparteien nannte Genscher die Unabhängigkeit von bestimmten Gruppen, Gewerkschaften und Verbänden, die die liberale Partei ausschließlich zu einer Partei der Bürger mache.516 Jene Unabhängigkeit wollte er nun aber nicht im Sinne einer Interessenlosigkeit an bzw. gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen verstanden wissen, deren Berechtigung als Hilfe für den Bürger Genscher nicht in Abrede stellte. Doch erachtete er es gerade in diesem Kontext als eine wichtige Aufgabe der liberalen Partei, darauf hinzuweisen, dass »das Wohl einer Gruppe nicht automatisch mit dem Wohl des Ganzen identisch ist«517, wohl aber »die Gruppen dem Ganzen verpfl ichtet«518 seien. Dem Anliegen geschuldet, als Partei des Bürgers dessen Erstarrung und Bevormundung durch eine Gruppe oder Formation entgegenzuwirken, sehe es die liberale Partei als ihre Aufgabe, »ihm [sc. dem Bürger] die Mühe des eigenen Denkens und des Handelns in eigener Verantwortung nicht ab[zu]nehmen.«519 In den Kontext dieser »unbefangenen und leidenschaftslosen«520 Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gruppen verortete Genscher nun auch die Diskussion des Kirchenpapiers. Hier betonte er die Verwirklichung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit als eigentliche Intention, die sich im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche in einer »gegenseitige[n] organisatorische[n] Unabhängigkeit« 521 niederschlagen solle. Im Vergleich zu den vorherigen Äußerungen wiesen sich die folgenden durch einen insgesamt zurückhaltenden, kompromissbereiteren Ton aus. Beinahe verteidigend klang dabei Genschers Hinweis auf den Umstand, dass Christen beider Konfessionen bei der Abfassung des Papiers mitgewirkt hätten, was diese Diskussion auch zu einem »Stück christlicher Selbstbesinnung«522 für viele gemacht habe. Empathie und möglicherweise einen Hinweis auf seine eigene Position mochte man in dem dargebrachten Verständnis Genschers für diejenigen Parteimitglieder sehen, die dem Kirchenpapier »nach reifl icher Gewissensprüfung«523 nicht zustimmen konnten. Weiterhin betonte er, dass die mit dem Kirchenpapier angestoßene Auseinanderset515
Ebd. »Wir sind auf uns allein gestellt. Für uns wurde im Bundestagswahlkampf 1972 keine Unternehmeranzeige aufgegeben, kein Gewerkschaftsflugblatt verteilt und auch kein Hirtenbrief verlesen. [. . .] So sind wir allein unseren Wählern verantwortlich und niemandem sonst« (ebd., Bl. 41). 517 Ebd., Bl. 42. 518 Ebd. 519 Ebd., Bl. 44. 520 Ebd. 521 Ebd., Bl. 45. 522 Ebd. 523 Ebd. 516
4. Der 25. FDP – Bundesparteitag in Hamburg, 30. 9. bis 2. 10. 1974
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zung noch nicht vorbei sein könne und appellierte in diesem Zusammenhang an seine Partei, »diese schwierige Diskussion hier mit einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein zu führen.« 524 Dieser Appell war insofern bemerkenswert, als Genscher selbst weder in der grundsätzlichen Aussprache noch bei der Diskussion der konkreten Inhalte des Kirchenpapiers einen Beitrag zur Debatte beisteuerte. 4.1. Das Kirchenpapier auf dem Bundesparteitag Die Beratungen des Kirchenpapiers erfolgten am zweiten Verhandlungstag und konnten noch am selben Tag abgeschlossen werden. Erwartungsgemäß wurden sie durch ein hohes Maß an Emotionalität bestimmt, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass die Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier für viele im Verlaufe der Zeit zu einer ganz persönlichen Angelegenheit geworden war. Der Mehrheit der Delegierten, ob Befürworter oder Gegner des Kirchenpapiers, war bewusst, dass dieser Parteitag eine eindeutige Entscheidung entweder im Sinne eines positiven Beschlusses des Kirchenpapiers, oder aber seiner Ablehnung bringen musste. Dieser Grundtenor zeigte sich in der Ablehnung jener Anträge, die eine Vertagung der Debatte oder einen Beschluss des Kirchenpapiers im Sinne einer »zur Kenntnisnahme« beinhalteten.525 Zwölf Anträge waren es, die dem Bundesparteitag im Vorfeld vorlagen, darunter die des Bundesvorstandes, des weiteren Anträge aus den Landesverbänden Berlin, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und NRW, die, zum Teil mit kleineren Änderungen versehen, die bekannten Positionen der landesverbandsinternen Diskussion wiedergaben sowie Anträge 524
Ebd., 46. »Der Bundesparteitag möge beschließen: Das Verhältnis von Staat und Kirche bedarf ständiger Fortentwicklung. Dem kann die Verabschiedung eines den ganzen Themenkreis umfassenden Katalogs als Ergebnis einer momentanen Bestandsaufnahme gerecht werden. Die zum Bundesparteitag Antragsberechtigten werden aufgefordert, zum nächsten Bundesparteitag Einzelanträge zur Fortentwicklung und Anpassung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche vorzulegen« (Antrag 74: Betr. Kirche und Staat, Antragssteller Schmidt-Harries und 50 Delegierte; AdL A 1-510, Bl. 71). Der Antrag wurde abgelehnt. Auch der bayrische Delegierte Manfred Brunner hatte auf dem BPT einen Änderungsantrag formuliert: »Der Bundesparteitag nimmt die Thesen ›Freie Kirche im Freien Staat‹ zur Kenntnis: Er beauftragt den Bundesvorstand, auf Grundlage dieser Thesen den Dialog zur Kirche und Partei weiterzuführen« (Antrag Brunner, Landesverband Bayern zu Antrag 51 und 51a; AdL A 1-512, Bl. 3). Auch dieser Antrag fand mit 223 Gegenstimmen gegenüber 140 Ja-Stimmen keine Mehrheit. Als letzten Versuch, den Beschluss der Kirchenpapiers zu verhindern, konnte der gemeinsame Zusatzantrag der Delegierten Hamm-Brücher, Jensch, Klumpp und Rawer gesehen werden, den diese in der Schlussabstimmung stellten: »Der Bundesparteitag möge beschließen: Die Kirchen-Thesen werden verabschiedet als ein Reformangebot, das der Diskussion offenbleibt« (Wortprotokoll BPT Hamburg 1974; AdL A 1-521, Bl. 1). Auch dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. 525
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einzelner Delegierter zu konkreten Abschnitten des Papiers. Hinzu kamen diverse Änderungsanträge, die im Verlaufe der Diskussion gestellt wurden. Grundlage für die Beratungen waren die Anträge 51 bzw. 51 a des Bundesvorstandes. 4.1.1. Generaldebatte Strukturiert und inhaltlich in entscheidendem Maße geprägt wurde die Generaldebatte durch die ausführlichen Reden der drei liberalen Politikerinnen Funcke, Hamm-Brücher und Matthäus sowie eine bemerkenswerte Wortmeldung Maihofers. Funcke machte den Anfang, als sie die Generaldebatte mit einer Einbringungsrede zum Antrag 51 des Bundesvorstandes eröffnete.526 In der Rede spiegelte sich ihre Fähigkeit wider, die maßgeblichen Positionen in der Kirchenpapierdiskussion zu benennen, sie entsprechend zu würdigen und zugleich die eigene Position bzw. die der Kommission stark zu machen. Geschickt war die Argumentation, mit der Funcke ein Nachdenken über das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche rechtfertigte, insofern sie die im Grundgesetz festgeschriebenen Artikel und deren Vorläufigkeit, die sich in ihrer Entstehungsgeschichte als übernommenes Gut der Weimarer Reichsverfassung manifestiere, durch den Hinweis auf die geschichtliche und damit sich verändernde Dimension des Verhältnisses von Staat und Kirche konterkarierte und damit ein Argument, das ihr häufig von gegnerischer Seite entgegengebracht worden war, für ihre eigene Position zu nutzen wusste. Die Tatsache, dass das Kirchenpapier somit ausschließlich die Frage der »äußeren Gestalt [der Kirche] in einer sich ständig verändernden Welt«527 thematisiere, mache daher jeden Vorwurf, die Thesen stellten einen Angriff auf die christliche Botschaft dar, zunichte.528 Der Frage, warum die FDP zu dieser Zeit das Verhältnis von Staat und Kirche auf die politische Tagesordnung brachte, begegnete Funcke mit dem Hinweis auf zwei Veränderungen, die sich seit Weimar ergeben hatten. So sei als erste Veränderung die Größe der Gesellschaft neben die beiden Größen Staat und Kirche getreten, die ein Umdenken der Beziehung von Staat und Kirche erforderlich mache, insofern es nun darum zu gehen habe, wie 526 Vgl. Einbringungsrede Funcke, in: F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P., 3–10. 527 Ebd., 4. 528 »Das Christentum hat unzweifelhaft die Geschichte, die Kultur und die ethischen Wertvorstellungen in Europa entscheidend geprägt. Es hat den Menschen Antwort auf die Sinnfrage des Lebens gegeben. [. . .] So widersprechen die Thesen an keiner Stelle der christlichen Botschaft. Man möge es sonst aufzeigen« (ebd., 3 f.). Insbesondere im ersten Satz zeigte sich deutlich die Bezugnahme auf Hildegard Hamm-Brücher bzw. den neuen Präambelpassus des Kirchenpapiers.
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beide »sich in der Gesellschaft verstehen.«529 Den Erfolg eines gelungenen Verhältnisses dieser drei Größen knüpfte Funcke an die Qualität der Wirksamkeit staatlicher und kirchlicher Institutionen, die sie wiederum am ehesten durch eine organisatorische Selbständigkeit von Kirche und Staat gewährleistet sah.530 Die zweite Veränderung betraf das Grundrecht der Glaubensfreiheit, dessen Anwendung heutzutage nur noch unzureichend gewährleistet sei, insofern immer mehr Nichtchristen ihr Recht auf negative Religionsfreiheit qua Bundesverfassungsgerichtsurteil erkämpfen mussten. Funcke plädierte für daher eine Auslegung dieses Grundrechts im Sinne der liberalen Prämisse eines Schutzes der »religiösen und weltanschaulichen Minderheit [. . .] vor dem Recht der Mehrheit.« 531 Auf dem Hintergrund dieser quasi Rahmenbedingungen explizierte Funcke die meisten der in dem Kirchenpapier aufgeführten Thesen, wobei die Kirchensteuerthese, die ihr immer ein besonderes Anliegen war, einen großen Raum einnahm. Funcke schloss ihre Rede mit persönlichen Worten, denen sowohl die Anstrengungen der Debatte als auch eine gewisse Erleichterung über ihren Verlauf abzuspüren waren; letzteres zeigte sich in ihrer Danksagung an diejenigen, die »mit großem Engagement teilgenommen und in dem Bemühen, aufeinander zuzugehen, mitberaten haben.« 532 Stellvertretend für alle diese Personen galt ihr Dank dabei »in besondere[m] Maße«533 Ingrid Matthäus. Die Gegenrede Hildegard Hamm-Brüchers erfolgte kurze Zeit drauf.534 Sie war durch einen schärferen und an manchen Stellen provokativen Ton geprägt, der ihrem Unverständnis und Ärger über das Kirchenpapier geschuldet war. Vier Aspekte waren es, die es der bayrischen Politikerin auch nach »neuerliche[r] reifl icher Überlegung aus Gewissensgründen, aber auch aus Gründen der praktisch politischen Vernunft«535 nicht möglich machten, dem Kirchenpapier zuzustimmen. Im Gegensatz zu Funcke, die die Aktualität des Kirchenpapiers u. a. im Anachronismus der verfassungsmäßig festgeschriebenen Staat und Kirche-Bestimmungen sah, mochte Hildegard Hamm-Brücher keine Notwendigkeit für das Kirchenpapier erkennen. Sie stellte ganz im Gegenteil die Frage, was denn »eigentlich derzeit an dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche grundsätzlich so unerträglich oder so 529 Ebd., 5. Mit diesen Äußerungen griff Funcke eine insbesondere von der Kirche vertretene Haltung auf (siehe dazu Kap. IV.1.). 530 »Denn nur in dieser Weise wird der Pluralität in der Gesellschaft Rechnung getragen und ein Monopol sowohl des Staates wie der Kirche verhindert« (Einbringungsrede Funcke, in: F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P., 5). 531 Ebd. 532 Ebd., 10. 533 Ebd. 534 Vgl. Stellungnahme Hamm-Brücher, in: epd Dok. 50/1974, 26–31. 535 Ebd., 26.
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abänderungsbedürftig [sei], daß es einer großangelegten neuen Programmatik bedürfe?« 536 – eine Frage, die insbesondere in der landeskirchlichen Erörterung des Papiers immer wieder aufgegriffen wurde.537 Ein weiterer Aspekt bezog sich auf die fehlende Berücksichtigung der »geistigen, kulturellen, geistesgeschichtlichen und politischen Zusammenhänge.« 538 Hier fand Hamm-Brücher deutlichere Worte, insofern sie eine dem Kirchenpapier innewohnende »Eiseskälte«539 konstatierte und seinen insgesamt apodiktischen Charakter kritisierte.540 Als impliziten Vorwurf, das Kirchenpapier richte sich nicht nur gegen die Kirchen, sondern auch gegen das Christentum, mochte man die folgenden Äußerungen verstehen, wo Hamm-Brücher auf den liberalen Einsatz gegen jegliche Form von konfessionalistischer Politik verwies: »Aber wir haben nie gegen das Christentum selbst gestritten, sondern im Gegenteil immer deutlich gemacht, daß wir das Christentum auch und gerade im weltanschaulich und religiös neutralen Staat für eine wesentliche und durch nichts ersetzende Kraft halten.« 541
Dieses Bekenntnis sowie die Einsicht, »daß die Freiheit die wir meinen, vom Christentum entscheidend mitgeprägt wurde« 542 , fehlte ihr in dem Papier. Diente das »wir« in dem Zitat zunächst der Abgrenzung von den Personen, die das Kirchenpapier zu verantworten hatten, so hatte es hier zugleich eine identitätsstiftende Funktion, insofern sich Hamm-Brücher in eine Reihe mit den linksliberalen Persönlichkeiten Heuss, Maier, Dehler und Flach stellte.543 Ein dritter Gesichtspunkt, der zur Ablehnung des Kirchenpapiers führen musste, lag im antiliberalen Charakter einiger Thesen begründet, deren Verwirklichung dem Ziel liberaler Politik, für die Erhaltung und Mehrung der Freiheit des einzelnen einzutreten, diametral entgegenstand. Hier verwies Hamm-Brücher, der Rede Genschers folgend, auf die zunehmende Bedrohung der Freiheit des Bürgers durch Verbände und »PressureGroups aller Art«544 aber auch durch »die sich steigernde Macht des modernen Staates«545, eine Entwicklung, der man nun gerade durch die Förderung aller freien Kräfte und Träger innerhalb des Staates begegnen müsse. Durch 536
Ebd. Siehe dazu Kap. IV.2.3.2. 538 Stellungnahme Hamm-Brücher, in: epd Dok. 50/1974, 27. 539 Ebd., 28. 540 »Warum sagen wir nicht einfach, in diesen oder jenen Fragen (z. B. Kirchensteuer, Körperschaftscharakter etc.) wollen wir mit den Kirchen reden, ohne damit grundsätzlich am Verhältnis zwischen Staat und Kirche etwas ändern zu wollen?« (ebd.). 541 Ebd., 27. 542 Ebd. 543 Vgl. ebd. 544 Ebd., 29. 545 Ebd. 537
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die Einschränkung dieser freien Träger, die mit der Umsetzung des Kirchenpapiers faktisch eintrete, würden nun die entstehenden Freiräume automatisch entweder durch den Staat oder aber andere Verbände okkupiert, eine gegenläufige Entwicklung somit zur eigentlichen liberalen Intention.546 Der letzte Aspekt betraf die Realisierungschancen des Papiers, die, so Hamm-Brücher, »gleich Null«547 seien, was nun wiederum die Partei überlegen lassen müsse, ob sie ein Papier, »was außer Emotionen dafür oder dagegen nichts bewirken wird«548 , wirklich verabschieden wolle. Hatte die Aussprache, ausgelöst durch diese beiden gegensätzlichen Reden der liberalen Politikerinnen, zu einem relativ frühen Zeitpunkt eine hohe emotionale Spannung erreicht, so wurde diese durch die Wortmeldung des Bundesvorstandsmitglieds und hessischen Landtagsabgeordneten, Krüger, unmittelbar im Anschluss an die Rede Hamm-Brüchers zusätzlich forciert. Darin warf Krüger der bayrischen Politikerin vor, mit ihrer Rede der FDP »Schaden zugefügt« 549 und des weiteren Funcke »desavouiert«550 zu haben, indem sie dieser »von A bis Z [. . .] leichtfertigen Umgang mit dieser Materie«551 vorgehalten habe. Ersteren Vorwurf begründete Krüger damit, dass Hamm-Brücher mit ihrer Rede über das hinausgegangen sei, was man seitens des Bundesvorstandes als angemessenes Verhalten im Vorfeld der Beratungen festgelegt hatte. Hier verwies Krüger auf die Bitte, die Genscher unmittelbar vor Beginn des Parteitages geäußert hatte, dass insbesondere die prominenten Mitglieder der Partei nicht »an der Sache vorbeidiskutieren [und] vorbeizielen«552 sollten. Mit ihrer Rede, die zudem »überhaupt nichts«553 mit dem Kirchenpapier zu tun habe, sei nun eingetreten, was man hatte vermeiden wollen. Die Folgen des Ganzen seien insofern absehbar, als die Kritiker des Kirchenpapiers diese Rede als Rede einer prominenten liberalen Politikerin nun für ihre eigene Kritik am Kirchenpapier und damit auch an der FDP nutzbar machen werden. Die anschließenden Wortmeldungen, im Wesentlichen ein verbaler Schlagabtausch zwischen den hessischen und bayrischen Delegierten, machten deutlich, dass die eigentliche
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»Gott schütze uns vor einer öffentlichen Wohlfahrt, die ausschließlich vom Staat oder von Gewerkschaften oder Trägern weltlicher Heilslehren betrieben werden – vor Schulen, die zu völliger Wertfreiheit oder zu ideologischer Kulturgesinnung erziehen – vor einem öffentlichen Leben, in dem das Wirken der Kirchen auf den Bereich privater Frömmigkeit zurückgedrängt wird!« (ebd.). 547 Ebd., 30. 548 Ebd., 31. 549 Wortprotokoll BPT Hamburg 1974; AdL A 1-519, Bl. 41. 550 Ebd. 551 Ebd., Bl. 41 f. 552 Ebd., Bl. 41. 553 Ebd.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
inhaltliche Aussprache über das Kirchenpapier ein Stück weit in den Hintergrund zu treten drohte.554 In diesen Kontext hinein erfolgte nun die Rede des Präsidiumsmitglieds Maihofer, die er als Brückenschlag zurück zu einer sachlicher geführten Diskussion verstanden wissen wollte.555 Diese Wortmeldung konnte als große Überraschung des Parteitages gewertet werden, insofern Maihofer als Mitglied der Humanistischen Union und eher atheistisch eingestellter, kantianisch denkender Politiker sich entgegen aller Erwartung kritisch zum Kirchenpapier positionierte, obwohl er es insgesamt befürwortete. Maihofer warf dem Kirchenpapier einen Mangel an theoretischer Konzeption vor, insofern es einseitig den »status negativus«556 der Kirche im Sinne einer nötigen Distanzwahrung zum Staat formuliere, den »status activus« 557 hingegen als Beschreibung der positiven Funktion, die der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft zueigen sei, zu wenig berücksichtige. Unter Verweis auf die Aussage Kants, kein Volk könne moralischer Gesetzgeber sein, beschrieb Maihofer diese positive Funktion im Sinne einer Mitwirkung der Kirche neben anderen Gruppen und Verbänden bei der »Formulierung des ethischen Minimums der für alle verbindlichen und verpfl ichtenden Moral in einer Gesellschaft«558 , eine Aufgabe, die ihr kein Staat abnehmen könne, ebenso wenig wie die Organisation von Solidarität, die ebenfalls ausschließlich aus der Gesellschaft hervorgehe.559 Bemerkenswert war Maihofers eindeutig ablehnende Haltung zur Kirchensteuerthese, die in engem Zusammenhang mit seiner grundsätzlichen Kritik stand, insofern die von der Kirche gewährleistete und forcierte »aktive Solidarität« 560 nicht in die Abhängigkeit »vom großen Geld«561 gelangen dürfe. Die Rede Maihofers wurde im Folgenden insbesondere von den Delegierten aufgegriffen, die das Kirchenpa554 »Wir sind drauf und dran, diesen Parteitag durch Emotionen kaputt zu machen. In dieser Form darf hier nicht weiterdiskutiert werden. Das ist dem Thema nicht angemessen« (Wortmeldung Rubin; ebd., Bl. 42). 555 »Ich bedauere es außerordentlich, daß wir nun in einer Eskalation der Emotionen wechselseitig mit Unterstellungen und Beschuldigungen hier aufeinanderschlagen. Ich glaube wirklich, daß das dieser schwierigen Sache, um die wir gemeinsam ringen, nicht dienlich ist, und ich möchte einen Versuch machen, auf die Sache zurückzuführen, um die es hier geht« (ebd., Bl. 73). 556 Ebd., Bl. 74. 557 Ebd. 558 Ebd., Bl. 75. 559 »Ein Staat kann Freiheit garantieren. Ein Staat kann Gleichheit exekutieren. Aber ein Staat kann niemals Solidarität organisieren. [. . .] Auch das, was nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ja ein sehr anspruchsvolles Wort – heißt, kann nie von außen und oben gestiftet werden; das muß aus der Gesellschaft, der spontanen und organisierten Solidarität hervorwachsen« (ebd., Bl. 75 f.). 560 Ebd., 77. 561 Ebd., 76.
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pier ablehnten und dies mit dem Hinweis auf deren wichtige gesellschaftliche Funktion begründeten. Konnte der Aussprache im Anschluss an die Rede Maihofers tatsächlich ein sachlicherer Umgangston bescheinigt werden, so erhielt sie durch die Rede von Matthäus einen neuen Impuls. Diese Rede zeichnete sich dadurch aus, dass sie – im Unterschied zu den Reden Funckes und Hamm-Brüchers – in Reaktion auf die Wortmeldungen der Generaldebatte erfolgte, so dass ihr eine gewisse Spontaneität zueigen war, die ihrer Wirkung nun keineswegs schadete: »Es ist nach dem Vortrag von Frau Matthäus gar nicht so einfach, zu sprechen, weil Frau Matthäus uns allen gezeigt hat, wie man dieses Papier, wenn es verabschiedet ist, recht gut verkaufen kann.«562 Diese Reaktion des bayrischen Delegierten Hövelmann verdeutlichte das bekannte rhetorische Geschick und die Überzeugungsgabe der liberalen Politikerin. Insgesamt sieben »Antithesen« 563 – so die Bezeichnung Matthäus’ für die Angriffe auf das Kirchenpapier – begegnete sie mit ihrer Rede.564 Geschickt war zunächst ihre Entgegnung auf den Vorwurf, das Kirchenpapier sei nicht aktuell, den sie unter Verweis auf die »Nürnberger Wahlplattform« entschärfte, wodurch sie zugleich die liberale Partei in die Pfl icht nahm, ihr damaliges Wahlversprechen nun endlich in Form einer Befürwortung des Kirchenpapiers einzulösen. Ein besonderes Anliegen von Matthäus bestand darin, den Vorwurf, dem Kirchenpapier läge ein Staatsmonopolismus zugrunde, zu begegnen. So betonte sie gleich zu Beginn, dass nicht die Kirche im Zentrum der Kritik stehe, sondern der Staat, der seine »Aufgabe, ein weltanschaulich, religiös neutraler Staat zu sein«565, nicht erfülle. Hier verwies sie auf die Tatsache, dass zwölf der 13 Thesen sich ausdrücklich mit der Absicht beschäftigten, staatliche Tätigkeit zugunsten der kirchlichen Tätigkeit abzubauen und nicht umgekehrt.566 Die Einsicht in diese eigentliche Intention des Kirchenpapiers war insofern von großer Bedeutung, als sich dadurch den schwerwiegenden und immer vorgebrachten Vorwürfen, die Kirchenthesen tendierten die Verdrängung der Kirchen aus der Gesellschaft oder richteten sich gar gegen die Religion, begegnen ließ.567 Anders 562 Wortmeldung Hövelmann; Wortprotokoll BPT Hamburg 1974; AdL A 1-520, Bl. 16. 563 Rede Matthäus; ebd., Bl. 1. 564 Es handelte sich dabei um folgende Kritikpunkte: Das Kirchenpapier 1) übt Kritik an einer Kirche, die es so heute nicht mehr gibt; 2) ist nicht aktuell; 3) ist religionsfeindlich; 4) intendiert die Verdrängung der Kirche aus der Gesellschaft; 5) verkennt, dass das Verhältnis von Kirche und Staat historisch gewachsen ist; 6) hat einen Staatsmonopolismus zum Ziel; 7) schränkt die kirchliche Freiheit, Freiheit karitativer Tätigkeit ein (vgl. ebd., Bl. 1–13). 565 Ebd., Bl. 2. 566 Ebd., Bl. 11. 567 »Denn diese Thesen beschäftigen sich überhaupt nicht mit der Religion. [. . .]. Es [sc. das Papier] beschäftigt sich lediglich mit der Frage: Kirche einerseits und Staat anderer-
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und ein Stück weit anschaulicher als Funcke ging Matthäus auf den Vorwurf, das Kirchenpapier verkenne den historischen Wachstumsprozess von Staat und Kirche, ein. Hier verwies sie auf die Entstehung des staatlichen Kirchensteuereinzugs, der im Kontext der Weimarer Reichsverfassung so nicht existiert habe und erst im Rahmen »einer Klerikalisierung nach 1945 in der Bundesrepublik Eingang gefunden habe.« 568 Ähnlich verhalte es sich mit der Vorrangstellung der freien Träger, die von den Unionsparteien gegen den heftigen Widerstand von FDP und SPD erst 1961 durchgesetzt worden war.569 Obgleich Matthäus in vielen Punkten Übereinstimmung mit Funcke zeigte, so verwies ihre Rede angesichts ihrer Anschaulichkeit und der Nennung konkreter Beispiele und nicht zuletzt ihres insgesamt juristischen Duktus deutlich auf ihren Jungdemokratinnen-Hintergrund. In der Generaldebatte spiegelten sich im Wesentlichen die Positionen und Intentionen wider, die sich im Verlaufe des über eineinhalbjährigen Diskussionsprozesses herausgestellt hatten. Dabei fiel auf, dass sich die Vertreter von Bundesvorstand und Präsidium während der gesamten Debatte zurückhielten bzw. sich, mit Ausnahme von Hamm-Brücher, Ertl und Klumpp, für eine Verabschiedung des Kirchenpapiers in der von Funcke ausgearbeiteten Kompromiss-Fassung einsetzten. Ebenfalls zurückhaltend agierten die Jungdemokraten bzw. die Befürworter der jungdemokratischen Position. In der Generaldebatte wurde diese repräsentiert durch den baden-württembergischen Delegierten Neunhöffer und den Vorsitzenden der bayrischen Jungdemokraten Klaus-Peter Murawski, die beide die von Matthäus vertretende Position befürworteten. Die Voten der Delegierten aus den jeweiligen Lanseits. Sie werden darin nicht einen einzigen Satz zur Religion fi nden. [. . .] Mit der Gesellschaft beschäftigt sich das Papier nicht, sondern es beschäftigt sich mit dem Staat. [. . .]. Diese pluralistische Gesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß es einen Staat gibt, der staatliche Institutionen, staatliche Machtmittel, Verwaltung, Regierung und Parlament hat. Auf der anderen Seite gibt es eine Gesellschaft. Dort gibt es Gruppen, große und kleine. Die ringen um Mitglieder und um Einfluß, und sie konkurrieren miteinander. Das Modell des Pluralismus bedeutet, daß der Staat nicht durch Privilegien einzelnen Gruppen Rechte im staatlichen Bereich gibt, die es ihnen erlauben, sich dem Kampf der pluralistischen Konkurrenz zu entziehen, weil sie durch die staatliche Hilfe die Nase vor den anderen haben » (ebd., 7 f.). 568 Ebd., 9 f. »Es stand zwar in jener Verfassung – so steht es auch in unserer –: Die Kirchen haben das Recht, Kirchensteuer einzuziehen. Das wurde aber in der Weimarer Zeit dahin ausgelegt, und praktiziert, daß die Kirchen selber diese Steuern einzogen« (ebd.). 569 Die Brisanz dieser Einführung verdeutlichte Matthäus durch den Hinweis auf die Klagen mehrerer Länder der Bundesrepublik gegen diesen Vorrang beim Bundesverfassungsgericht, wo Thomas Dehler und Adolf Arndt (SPD) als Rechtsvertreter jener Länder den Prozess mit einer Stimmenmehrheit von nur vier gegen drei Stimmen knapp verloren hatten: »W]enn heute so getan wird, als ob die Abschaffung des Vorrangs der freien Träger möglicherweise sogar verfassungswidrig sei, dann muß man wissen, daß die Einführung des Vorrangs freier Träger nur mit einer minimalen Mehrheit daran vorbeigekommen ist, für verfassungswidrig erklärt zu werden« (ebd., 10).
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desverbänden gaben im Wesentlichen die Diskussionsprozesse und Meinungen wieder, wie sie sich dort herausgestellt hatten. Eine weitgehende Übereinstimmung ließ sich dabei insbesondere für die Landesverbände aussagen, die das Kirchenpapier abgelehnt hatten bzw. es allenfalls als Gesprächsangebot an die Kirchen verstanden wissen wollten. Dazu gehörten Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Bayern, Hamburg und Bremen. Auch den saarländischen Landesverband konnte man hier hinzuzählen.570 Ihnen gemeinsam war das Plädoyer für die Aufnahme positiver Aussagen zum Verhältnis der Partei zu den Kirchen und dafür, das Kirchenpapier als Diskussionsgrundlage bzw. Material für gemeinsame Gespräche mit den Kirchen zu verabschieden. Dabei machten die Voten deutlich, dass die Gespräche mit den Kirchen, die im Kontext der Beratungen des Kirchenpapiers stattgefunden hatten, einen gewissen Einfluss auf die eigene Positionen hatten nehmen können.571 Insbesondere die bayrischen Delegierten, mit Ausnahme von Murawski, blieben dabei ihrem im Vorfeld des Parteitag abgegebenen Versprechen treu, alles dafür zu tun, einen Beschluss des Kirchenpapiers als programmatische Aussage der Partei zu verhindern. Unterstützt wurden sie dabei von mehreren Delegierten, die sich damit zum Teil gegen die eigene landesverbandliche Stellungnahme richteten.572 Im Blick auf die Landesverbände, die das 570 Hier hatte sich Werner Klumpp als einziger saarländischer Liberaler erneut gegen das Kirchenpapier ausgesprochen, allerdings nicht in seiner Funktion als Landesverbandsvorsitzender, sondern als Bundesvorstandsmitglied. 571 »Dieses Gespräch [sc. mit dem Hamburgischen Landeskirchenrat] hat mir doch zu denken gegeben, auch im Blick auf meine Position zu diesem Papier. [. . .] Ich meine, daß dieses Papier eine Diskussionsgrundlage ist für den offenen Dialog mit den Kirchen [. . .]« (Wortmeldung Weber; AdL A1-519, Bl. 86. Zum Gespräch zwischen dem Landesverband Hamburg der FDP und der Hamburgischen Kirchenleitung siehe Kap. IV.2.1.2.). »Wir sollten die erste Seite unseres Papiers ergänzen und ein positives Bekenntnis zur gesellschaftspolitischen Bedeutung der Kirchen manifestieren. Das sage ich, obwohl ich seit 1932 keiner Kirche mehr angehöre« (Wortmeldung des niedersächsischen Delegierten Ernst; AdL A 1-520, Bl. 37). Auch der rheinland-pfälzische Delegierte Eicher schlug im Sinne der kirchenfreundlichen Stellungnahme seines Landesverbandes die Aufnahme eines Satzes vor, der die Gesprächsbereitschaft der FDP mit den Kirchen ausdrücken sollte und verwies dabei auf die »exzellent[e] Tischrede« Hermann Kunsts bei Empfang anlässlich der Eröffnung des Parteitages, wo dieser darum gebeten hatte, die Auseinandersetzung über das Verhältnis von Staat und Kirche »im Aufeinander Zugehen, den Blick dabei aber dem anderen zugewandt, nicht ablehnend über die Schulter schauend« anzugehen. »Ich rege daher an [. . .] im Absatz 2 den Satz [. . .] beginnen zu lassen mit den Worten: ›Die F.D.P. geht daher auf die Kirchen und die anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppen aufgeschlossen und unvoreingenommen zu‹« (AdL A 1-519, Bl. 23). 572 So z. B. der hessische Delegierte Ullrich, der in unmittelbarer Reaktion auf die scharfe Kritik Krügers an Hamm-Brücher beantragt hatte, »sämtliche das Kirchenpapier betreffende Anträge abzulehnen und das Kirchenpapier selbst abzusetzen« (ebd., Bl. 53). Auch Jensch vom Landesverband Baden-Württemberg sprach sich, entgegen der Stellungnahme seines Landesverbandes, gegen den Beschluss des Kirchenpapiers aus. Er hatte wäh-
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Kirchenpapier befürwortet hatten, zeigte sich die Übereinstimmung mit den Delegiertenvoten für NRW, Berlin und Schleswig-Holstein.573 Insgesamt fiel auf, wie häufig die Delegierten in ihrer Argumentation auf die Situation der Kirche, die Gespräche mit den Kirchen aber auch auf ihre eigene Existenz, sofern sie kirchlich oder religiös geprägt war, verwiesen. Das Bemerkenswerte bestand dabei in der Unterschiedlichkeit der Schlüsse, die daraus gezogen wurden, je nach dem, ob es sich um Befürworter oder Gegner des Kirchenpapiers handelte. Bekannt waren die Einstellungen der drei Bundesvorstandsmitglieder Funcke, Ronneburger und Krüger, die die Vereinbarkeit ihres kirchlichen Engagements mit dem Kirchenpapier konstatierten und zudem davon überzeugt waren, mit dem Papier eine Reformstimmung innerhalb der Kirchen aufgegriffen zu haben. Bekannt waren auch die Positionen von Hamm-Brücher oder Klumpp, die dem diametral entgegenstanden: »Und all das, was wir hier beschließen oder erklären; daß wir darüber auch mit den Kirchen reden wollen bedeutet in Wahrheit nichts anderes als das, was unlängst in einer Zeitung zu lesen war: daß wir die modernen Volkskirchen auffordern, über ihren faktischen Selbstmord sich mit uns zu unterhalten.«574
Kirchliches Reformpapier versus Anleitung zum Harakiri – dies waren die beiden Pole, innerhalb derer sich die Diskussion über Sinn und Zweck des Kirchenpapiers auch in der folgenden Einzeldebatte abspielte. 4.1.2. Einzeldebatte Die Beratung der Präambel war kurz und vollzog sich auf der Grundlage dreier Anträge, dem Antrag 51a des Bundesvorstandes, einem Antrag des Landesverbandes Berlin sowie jenem bereits erwähnten Antrag des rheinland-pfälzischen Delegierten Eicher.575 Nach einer kurzen Aussprache wurde die Präambel Absatz für Absatz in der Fassung des Antrages 51a des Bundesvorstandes beschlossen. Im Blick auf den zweiten Teil des Kirchenpapiers rend der Beratungen der baden-württembergischen Sonderkommission stets eine sehr kritische Position zum Kirchenpapier vertreten (siehe Abschnitt 2.3.5.). 573 Aus dem nordrhein-westfälischen Landesverband meldeten sich Funcke, Matthäus, Bremer und Rubin zu Wort, allesamt in ihrer Funktion als Bundesvorstandsmitglieder. Die befürwortende Position Schleswig-Holsteins wurde durch Ronneburger repräsentiert. Als Berliner Delegierter und Befürworter des Kirchenpapiers fungierte Reinhard Schimkowsky. Lüder hingegen hielt sich als Mitglied des Bundesvorstandes und Vorsitzender der Generaldebatte während der gesamten Diskussion weitgehend zurück. 574 AdL A 1-520, Bl. 30. 575 Der Antrag 55 des Landesverbandes Berlin wurde von Schimkowsky eingebracht. Er bezog sich auf den zweiten Absatz der Präambel des Antrags 51 und plädierte für eine Ausweitung der Aussage, »das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit verlangt die Gleichbehandlung aller Bürger« (Antrag 51, E V) auch auf die Gleichbehandlung der gesellschaftlichen Gruppen (vgl. Antrag 55: Betr. Änderungsantrag zu Antrag 51, Antragssteller: Landesverband Berlin; AdL A 1-510, Bl. 42).
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erfolgte eine Übernahme ohne größere Aussprache bei den Thesen 1, 4, 6, 7, 9, 11, 12 und 13.576 Auch die Thesen 2, 3 und 8 wurden nach kurzer Diskussion letztlich in der Fassung des Bundesvorstandes übernommen.577 Schienen diese Beschlüsse zunächst den Eindruck einer relativ zügigen und unproblematischen Einigung der Delegierten über die Inhalte des Kirchenpapiers zu erwecken, so wurde dieses Bild durch die kontroversen und langwierigen Diskussionen über die Thesen 5 zur Kirchensteuer, 10 zum Religionsunterricht sowie über eine erneute Einführung der ehemaligen These 11 zum Umgang mit den Theologischen Fakultäten konterkariert. Hier waren es insbesondere die Jungdemokraten, die durch immer neue Abänderungsanträge versuchten, jene Forderungen durchzusetzen, die in der Kirchenkommission vereitelt worden waren. Die Anträge, die im Kontext der Beratungen zur wohl umstrittensten These 5, der Kirchensteuerthese, gestellt wurden, umfassten die ganze Bandbreite, von der Forderung nach Abschaffung der These bis hin zu ihrer Verschärfung durch eine Weglassung des Hinweises auf die Verhandlungen, die dahingehend mit den Kirchen geführt werden sollten.578 Letzteres ging auf Ingrid Matthäus zurück 579, die in der Begründung ihres Antrags die kritische Anfrage an die Formulierung der These in der Bundesvorstands576 Die hier angegebene Nummerierung der Thesen bezieht sich auf die Thesenfassung des Antrags 51 (E V), die den Beratungen zugrunde lag (siehe Abschnitt 3.3. und Anhang 4). 577 Peter Jensch hatte zwei Änderungsanträge zu den Thesen 2 und 3 eingebracht, die einen Beschluss beider Thesen im Sinne des baden-württembergischen Kirchenpapiers beinhalteten (vgl. Antrag 76, Antragsteller: Jensch; AdL A 1-510, Bl. 73. Siehe auch Abschnitt 2.2.5.). Im Kontext der Beratungen zur These 8 hatte die nordrhein-westfälische Jungdemokratin Simonsmeyer beantragt, die These in der Fassung des nordrhein-westfälischen Landesverbandes anzunehmen. Ihre Argumentation insbesondere in Bezug auf den zweiten Teil der These war dabei typisch jungdemokratisch, insofern Simonsmeyer jegliche Gleichsetzung oder Assoziation der Kirchen mit gemeinnützigen Institutionen vermieden wissen wollte. Sie sah Wesen und Aufgabe der Kirchen darauf beschränkt, »Seelsorge zu betreiben und ihren Glauben zu verkünden« (AdL A1-520, Bl. 69. Vgl. auch Antrag 73: Betr. Abänderungsantrag zu Antrag 51, These 8, Antragsteller: Simonsmeyer, Landesverband NRW; AdL A -1-510, Bl. 68. Siehe auch Abschnitt 2.3.4.). 578 Die Forderung nach Streichung der These ging auf Bundesvorstandsmitglied Georg Gallus zurück, der dabei auf die Äußerungen Maihofers während der Generaldebatte verwies (vgl. AdL A 1-520, Bl. 55). Ein Antrag der niedersächsischen Delegierten Lindemann und Wolfgramm beinhaltete u. a. die Aufforderung zur Überprüfung, ob anderen Gruppen und Verbänden ein ähnliches Recht zugesprochen werden könne (vgl. Antrag 66: Betr. Freie Kirche im freien Staat/Änderungsantrag zum Antrag 51, Antragssteller: Lindemann (Göttingen) Wolfgramm; AdL A 1-510, Bl. 50. Vgl. auch Wortmeldung Lindemann; AdL A 1-520, Bl. 56 f.). Einen neuen Vorschlag brachte die Hamburger Delegierte Rädiker in die Diskussion ein, insofern sie den staatlichen Kirchensteuereinzug befürwortete, jedoch unter der Bedingung, dass dabei auf die Sanktionen des Steuerrechts verzichtet werden sollte (vgl. ebd., Bl. 61). 579 »Die Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Für die Überleitung sind ausreichende Fristen vorzusehen« (Antrag Matthäus; ebd., Bl. 57).
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fassung stellte, was genau in diesem Zusammenhang mit »Verhandlungen« gemeint sei, ob sich diese auf das »Wie« der Abschaffung der Kirchensteuer oder aber das »Dass« dieser Abschaffung bezögen.580 Funcke, an die diese Anfrage primär gerichtet war, vermied eine eindeutige Festlegung und beschränkte sich auf die Aussage, dass die Zielsetzung »über das jetzige Verfahren hinwegzukommen [und] zu einer Eigenständigkeit zu gelangen [. . .] klar angesprochen«581 sei. Sie forderte die Delegierten zur Zustimmung der These in der vorliegenden Fassung auf und betonte dabei die Notwendigkeit, den Kirchen gerade bei dieser These, die für diese »besonders existentiell«582 sei, die Bereitschaft zum Gespräch über die Modalitäten deutlich zu signalisieren. Das Votum Funckes wiederum veranlasste den Berliner Delegierten Jörg Schlegel dazu, mit einem weiteren Antrag zur Eindeutigkeit der These im Sinne der von Matthäus vertretenen Position beizutragen. Dieser Antrag, der bei der Verlesung im Zuge der endgültigen Abstimmung als »Antrag Schlegel/Matthäus« aufgerufen wurde, erhielt letztlich die meiste Zustimmung. Die neue These 5 hatte den Wortlaut: »Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Es sind mit der Kirche entsprechende Verhandlungen über die Modalitäten der Überleitung aufzunehmen. Ausreichende Fristen sind vorzusehen.«583 Mit dieser Änderung hatten die Jungdemokraten eine entscheidende, wenn nicht sogar die wichtigste These des Kirchenpapiers zu ihren Gunsten beeinflussen können. Weitaus länger und kontroverser noch als die Kirchensteuerthese war die Diskussion der These 10 zum Religionsunterricht. Hier zeigte sich insbesondere Neunhöffer sehr engagiert, dem diese These, wie nicht zuletzt die landesverbandsinterne Diskussion gezeigt hatte, ein wesentliches Anliegen war. Neunhöffer forderte die Delegierten auf, die These in der Fassung des zurückgezogenen baden-württembergischen Antrags 22 anzunehmen. Dieser Antrag war identisch mit jener Stellungnahme, die der Landesverband dem Bundesvorstand im Vorfeld der Beratungen der zweiten Kirchenkommission zugeleitet hatte; es handelte sich dabei um das so genannte »Stutt-
580 »Entweder handelt es sich dabei um Gespräche. Dann braucht es nicht in dieser These zu stehen, denn in der Präambel steht ausdrücklich, daß wir über jeden einzelnen Punkt mit den Kirchen und allen Gruppen Gespräche führen. [. . .] Für den Fall, daß ›Verhandlungen‹ etwas anderes ist als ›Gespräche‹, nämlich das Abhängigmachen der F.D.P.Forderung von der Zustimmung der Kirchen, bitte ich Sie ebenfalls um die Zustimmung zu meinem Antrag; denn ich meine, daß die politische Forderung der F.D.P., das Kirchensteuersystem durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen, nicht von der Zustimmung der Kirche abhängig gemacht werden kann« (ebd., Bl. 58). 581 Ebd., Bl. 60. 582 Ebd. 583 Ebd., Bl. 65.
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garter Papier«584. In der These, deren Formulierungen wie bereits gesehen wesentlich auf Neunhöffer zurückgingen, forderte der baden-württembergische Landesverband die Ersetzung des konfessionellen Unterrichts durch philosophischen und religionskundlichen Unterricht, wobei es den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen freistand, »daneben konfessionell geprägte Unterweisung anzubieten.« 585 Unterstützung fand Neunhöffer, der in seinem eindringlichen Votum stets die Übereinstimmung der These mit »den Forderungen der modernen Religionspädagogik« 586 konstatierte, insbesondere bei den Jungdemokraten bzw. den Delegierten, die deren Ansichten in Sachen Kirchenpapier teilten. So konstatierte der schleswig-holsteinische Delegierte Gerd Achterberg, »Kenntnis [müsse] vor dem Bekenntnis stehen«587 und ging noch über den Inhalt des Geforderten hinaus, indem er seine Zweifel auch an einem religionskundlichen Unterricht äußerte: »Denn wer wird diesen Religionsunterricht halten? In der Regel Theologen, Religionslehrer.« 588 Auch die nordrhein-westfälische Delegierte und maßgebliche Verfasserin des ersten Jungdemokratenpapiers, Silke Gerigk-Groht, votierte dafür, einzig den religionskundlichen Unterricht verbindlich zu machen, da nur dieser Aufgabe eines weltanschaulich-religiös neutralen Staates sein könne.589 Erneut war es Funcke, die als Advokatin des Kirchenpapiers für die Beibehaltung der These in der Bundesvorstandsfassung einstand. Ihre Argumentation erinnerte dabei an die Diskussion, wie man sie im nordrheinwestfälischen Landesverband geführt hatte, wo die Religionsunterrichtsthese eine grundsätzliche Debatte über die Anerkennung bzw. Ablehnung des Irrationalen und Metaphysischen ausgelöst hatte.590 Erneut verwies Funcke auf die Bedeutung »nicht nur rationale[r] Kategorien«591 für die Auseinandersetzung des Menschen mit inneren »Fragen des Glaubens und Vertrauens«592 , so dass es keinen Widerspruch zur Neutralität des Staates darstelle, wenn dieser im Bereich der Erziehung und Bildung dahingehende alternative, optionale Angebote bereitstelle. Obgleich Funcke Unterstützung insbesondere von religionspädagogisch bewanderten Delegierten zuteil wurde, die u. a. unter Bezugnahme auf Neunhöffer darauf verwiesen, dass ein reli-
584
Siehe Abschnitt 2.2.5. Antrag 22: Betr. Verhältnis von Kirche und Staat, Antragssteller: Landesverband Baden-Württemberg; AdL A 1-509, Bl. 33–35. 586 AdL A 1-520, Bl. 75. 587 Ebd., Bl. 80. 588 Ebd., Bl. 81. 589 Vgl. ebd., Bl. 83. 590 Siehe dazu Abschnitt 2.3.4. 591 Antrag 22; AdL A1-509, Bl. 79. 592 Ebd. 585
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gionskundlicher Unterricht für eine Altergruppe unter 14 Jahren nicht sinnvoll sei, schien die Bundesvorstandsvorlage erneut stark in Frage gestellt. Wie kontrovers die Meinungen bei dieser These waren, zeigte nicht zuletzt der Versuch einiger Delegierter bei der Abstimmung, durch durchgerissene und dadurch in ihrer Anzahl verdoppelte Stimmzettel das Ergebnis in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.593 Dass die Delegierten am Ende schließlich mehrheitlich für die Annahme der These in dieser Fassung stimmten, war auch auf die Rede Bangemanns zurückzuführen, der dazu aufgefordert hatte, die Entscheidung einzig nach politischen Gesichtspunkten zu fällen, d. h. auf dem Hintergrund der Frage, »was man nun politisch vernünftigerweise tun kann.«594 Hier erachtete er die Bundesvorstandsfassung als akzeptable Lösung. Ihre Bedeutung sah Bangemann vor allem in den ersten beiden Sätzen gegeben, in denen zum einen die Forderung nach der weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule und zum anderen das Festhalten am Religionsunterricht als nach der Verfassungslage ordentlichem Lehrfach artikuliert wurde. Die Besonderheit bestand darin, dass die FDP an einem in diesem Sinne defi nierten Religionsunterricht festhielt, obwohl die dahingehende Bestimmung des Grundgesetzes die bekenntnisfreien Schulen – und damit die von der FDP geforderte Schulform – von dieser Bestimmung ausnahm. Die Tatsache, dass man somit ein von der FDP »sachlich nicht getragene[s] Diktum der Verfassung«595 politisch postulierte, ließ sich für Bangemann nur für den Fall in konkretes politisches Verhalten umsetzen, dass »in diesem Punkt ein Einverständnis mit den Kirchen erzielt werden kann.« 596 In diesem Votum zeigte sich ein wesentliches Anliegen Bangemanns, die Kirchen durch gemeinsame Gespräche über die Inhalte des Kirchenpapiers zu einer dahingehenden Positionierung zu motivieren, gepaart mit der Überzeugung, dabei in manchen Punkten möglicherweise innerkirchlichen Reformüberlegungen zum Durchbruch zu verhelfen.597 Letztgenannte Überzeugung brachte er gut zwei Wochen nach Beschluss des Kirchenpapiers in einem Interview zum Ausdruck, in dem er betonte, in der Kirche bemühten sich »seit langem fortschrittliche Christen darum, die Kirchen von den institutionellen Zwängen einer Amtskirche zu befreien« 598 , 593 Vgl. ebd., Bl. 96 (vgl. auch Art. »Korrespondentenbericht: Die tiefere Absicht des FDP-Papiers ist zweifellos kirchenfeindlich«, in: epd Hamburg Nr. 71 vom 2. 10. 1974). 594 AdL A 1-520, Bl. 89. 595 Ebd., Bl. 90. 596 Ebd. 597 »Wenn wir [. . .] im Interesse der Christen in unserer Partei die Institutionen [christlichen Glaubens] in dieser Weise in ein Gespräch ziehen wollen, dann dürfen wir diese Institutionen nicht auf eine Verfassungslage verweisen, die sie uns gegenüber vorbringen würden, sondern wir müssen sie zwingen, in dieser Weise in dieses Gespräch einzutreten« (ebd., Bl. 93). 598 Art. »Befreiung von amtskirchlichen Zwängen«, in: StZ vom 19. 10. 1974.
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eine Äußerung, die das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen EKD und FDP nochmals verschärfte.599 Es war erneut Neunhöffer, der den Antrag stellte, die ehemalige und aus der Bundesvorstandsfassung gestrichene These 11 zu den Theologischen Fakultäten in der Fassung des Antrags 22 seines Landesverbandes wieder in das Kirchenpapier aufzunehmen.600 Unterstützt wurde er von Matthäus, die ihren eigenen Antrag auf Wiederaufnahme der These in der Fassung des zurückgezogenen Antrags 52 ihres Landesverbandes NRW darauf hin zurückzog, den Schroers jedoch kurze Zeit später als eigenen Antrag wieder in die Debatte einbrachte.601 Waren mit diesen dreien die maßgeblichen Vertreter einer Wiedereinführung der These genannt, so standen ihnen insbesondere Lambsdorff, Hövelmann, Brunner und Lindemann gegenüber, die sich mit gleicher Vehemenz gegen diese Wiedereinführung aussprachen. Die Argumente beider Seiten waren bereits zum größten Teil aus anderen Kontexten bekannt. So erinnerten die Beiträge von Matthäus und Lambsdorff erneut an jene Debatte, die man bereits in NRW geführt hatte und wo Matthäus sich mit ihrem Votum für die Wiederaufnahme der These hatte durchsetzen können.602 Deutlicher als damals explizierte sie nun die Bindungen und Restriktionen, die insbesondere im katholischen Bereich existierten, angefangen von der Möglichkeit der Kirche, beim Kultusminister Einspruch gegen die Dozentur eines katholischen Geistlichen zu legen, über das Verbot für katholische Priester, eine Ehe einzugehen bis hin zu der Tatsache, dass Frauen nur mit Ausnahmegenehmigung Dozentinnen einer KatholischTheologischen Fakultät werden können. Matthäus war davon überzeugt, dass die Theologen, die unter diesen Bedingungen an den Fakultäten for-
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Siehe dazu Kap. IV.3. Diese These war identisch mit der Alternative a zur These 11 des ersten Kirchenkommissionsentwurfs E III: »Die theologischen Fakultäten sind in religionswissenschaftlichen Fachbereichen zusammenzufassen. Diese Fachbereiche erhalten den gleichen Status wie alle anderen Fachbereiche der Universität. Sie arbeiten frei von rechtlichen Bindungen an Religionsgesellschaften in Forschung und Lehre. Die Festlegung der Qualifi kation für Theologen im Kirchendienst und andere kirchliche Berufe unterliegt der Zuständigkeit der Kirchen« (Antrag 22, Antragssteller: Landesverband Baden-Württemberg; AdL A 1509, Bl. 35. Siehe auch Anhang 3). 601 »Die theologischen Universitäten sind Bestandteil der Universität. Sie sind in religionswissenschaftlichen Abteilungen zusammenzufassen, die frei von rechtlichen Bindungen an Religionsgesellschaften forschen und lehren. Die Berufung des Lehrkörpers ist Angelegenheit des Staates; die Kirchen müssen dazu gehört werden. Die Feststellung der Qualifi kation für Theologen im Kirchendienst und andere kirchliche Berufe unterliegt der Zuständigkeit der Kirchen. Das Recht der Kirchen, in eigener Verantwortung kirchliche Hochschulen zu errichten, bleibt unberührt« (Antrag 52: Änderungsantrag zu Antrag 51, Antragssteller: Landesverband NRW; AdL A 1-510, Bl. 37 f. Siehe Abschnitt 2.3.4.). 602 Siehe ebd. 600
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
schen und lehren, »der F.D.P. dankbar sein werden.« 603 Auch Schroers betonte die, den Menschen »gerade an den katholischen Fakultäten zur Hilfe kommen zu müssen, die unter diesen Zuständen leiden.« 604 Während Lambsdorff und Hövelmann erneut auf die Gefahr hinwiesen, dass bei eine Herausnahme der Theologischen Fakultäten aus den Universitäten die Kirchen unabhängig von staatlichem Einfluss ihre »Sache vollkommenen alleine machen können, wie sie es wollen« 605, bezog sich Brunners Kritik primär auf die für ihn offensichtliche Taktik Matthäus’, zu später Stunde mit einer »falschen Argumentation eine wesentliche Verschärfung des Kirchenpapiers« 606 erreichen zu wollen. Zudem kritisierte er die fehlende Perspektivnahme auf die Geschichtlichkeit der Beziehungen des Christentums zum christlichen Abendland, die sich gerade im Verhältnis der Theologischen Fakultäten innerhalb der Universitäten ausdrücke und bezeichnete diese Ausklammerung der geschichtlichen Bindungen als »Hang zur Bilderstürmerei.« 607 Auch Lindemann stellte die kritische Anfrage an die Befürworter der These, warum man nicht die eigentliche Intention der These beim Namen nenne und letztlich die Abschaffung der Theologischen Fakultäten fordere. In Anlehnung an die Voten Lambsdorffs und Hövelmanns begegnete er zudem dem immer hervorgebrachten Argument, die Inhalte der These stießen auch bei den Kirchen auf Zustimmung mit dem Hinweis, dass diese Zustimmung insbesondere aus der konservativen katholischen Richtung erfolge, so dass eine Wiederaufnahme der These entgegen ihrer eigentlichen Intention jene »konservativen Bestrebungen« unterstütze. Wie kontrovers die Meinungen auch bei dieser These waren, zeigte sich in dem Entschluss des Präsidiums, eine schriftliche Abstimmung darüber vornehmen zu lassen. Das Ergebnis war erstaunlich und machte deutlich, dass sich auch hier die jungdemokratische Position beinahe hatte durchsetzen können. So sprachen sich die Delegierten nur knapp, mit 187 zu 153 Stimmen, gegen die Wiederaufnahme der These aus. 4.1.3. Schlussdebatte In den Beratungen zur Schlussabstimmung bezogen im Wesentlichen die Delegierten noch einmal Stellung, die sich während des gesamten Diskussionsprozesses engagiert hatten. Wie bereits erwähnt, musste dabei das Bemühen derjenigen als vergeblich betrachtet werden, die bis zuletzt versucht hatten, das Kirchenpapier als Reformangebot an die Kirchen, das der Diskussion offen bleibt, beschließen zu lassen. Die Mehrheit der Delegierten 603 604 605 606 607
AdL A 1-520, Bl. 104. Ebd., Bl. 107. Ebd., Bl. 110. Ebd., Bl. 112. Ebd., Bl. 113.
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war somit für eine klare Abstimmung über das Kirchenpapier. Neu war der Antrag des nordrhein-westfälischen Landesverbandsvorsitzenden Riemer, die in seinem Landesverband entstandenen Erläuterungen zum Kirchenpapier diesem als Diskussionshilfe anzufügen.608 Unterstützt wurde dieser Antrag, nachdem Matthäus auf die Genese der Erläuterungen verwiesen und deren weitere Erörterung im Bundesvorstand angekündigt hatte; eine Ankündigung die letztlich nie in die Tat umgesetzt wurde.609 Die Schlussabstimmung erfolgte auf mehrfachen Wunsch hin schriftlich. Durchaus bedeutend war in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich die Anzahl der Delegierten im Vergleich zum Beginn der Debatte deutlich reduziert zu haben schien. Darauf verweist die Bitte eines Delegierten gegenüber dem Vorsitzenden, die Abstimmung »draußen« 610 anzukündigen sowie dessen Aufforderung an die Landesgeschäftsführer, dafür Sorge zutragen, dass ihre Delegationen vollständig anwesend waren. Bevor das Ergebnis der Abstimmung bekannt gegeben wurde, ergriff Genscher das Wort und dankte insbesondere Funcke für ihr großes Engagement, das sie in Sachen Kirchenpapier gezeigt hatte. Ob diese spontan anmutende Wortmeldung des Bundesvorsitzenden als Reaktion auf die deutliche Kritik des niedersächsischen Delegierten Ernst am Verhalten des Bundesvorstandes insgesamt betrachtet werden konnte, bleibt spekulativ. Ernst hatte dem Bundesvorstand vorgeworfen, zu wenig eigene Gesichtspunkte in die ganze Debatte eingebracht zu haben, die insofern von Bedeutung gewesen wären, als dadurch die weitere Entwicklung in Sachen Kirchenpapier auch im Blick auf ein klares Bild der Gesamtpartei in der Öffentlichkeit ein deutlicheres Profi l bekommen hätte. Als ziemlich deutlich musste nun das Abstimmungsergebnis gesehen werden. Von 348 gültigen Stimmen und vier Enthaltungen votierten 262 für die Annahme des Kirchenpapiers und 82 dagegen. Mit die-
608 Es handelte sich dabei um die von Dahlhaus verfassten und von Matthäus ergänzten Erläuterungen, die im Kontext der nordrhein-westfälischen Sonderkommission »Kirche und Staat« entstanden waren (siehe Abschnitt 2.3.4.). Diese bestanden aus etwa einer Dreiviertelseite Text zu jeder These, in dem u. a. das Anliegen der FDP unter Verweis auf die Rechtslage und die entsprechenden Grundgesetzartikel ausführlicher dargestellt wurde. Der Antrag Riemers war Bestandteil des bereits erwähnten und im Verlaufe der Diskussion zurückgezogenen Antrag 52 des Landesverbandes NRW. 609 Ein Blick in die Bundesvorstandsprotokolle von 1975 zeigt, dass auf »stetes Drängen von Ingrid Matthäus« hin der Tagesordnungspunkt, in Beratungen über jene Erläuterungen zu treten, immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde (Protokoll der Sitzung des Bundesvorstandes vom 23. 7. 1975; AdL 177). Letztlich fanden diese Beratungen nie statt, was als weiteres Indiz dahingehend verstanden werden kann, dass man das Kirchenpapier so schnell wie möglich in Vergessenheit geraten lassen wollte. Für Dahlhaus ist diese Nicht-Behandlung der Erläuterungen ein entscheidender Grund dafür, dass die Kirchenthesen der FDP einen so stark negativen Ruf behielten. 610 Wortmeldung Kirst; AdL A 1-521, Bl. 12.
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sem Ergebnis fanden die Beratungen des Kirchenpapiers nach über siebenstündiger Diskussion ihr Ende. 4.1.4. Beschluss vom 1. 10. 1974: Thesen der F.D.P. »Freie Kirche im freien Staat« 611 (E VI) Das vom Bundesparteitag beschlossene Kirchenpapier wies drei Veränderungen gegenüber der vom Bundesvorstand als Antrag 51 eingebrachten Version auf. Die erste Veränderung bezog sich auf die Präambel, die man in der Fassung des Änderungsantrags 51a des Bundesvorstandes verabschiedete. Weiterhin wurde die These zur Kirchensteuer in einer verschärften Neufassung angenommen, in der man stärker als vorher das »Das« des kircheneigenen Beitragssystems betonte. In dem Beschluss, den Kirchenthesen Erläuterungen »auf der Grundlage der vom Landesverband NRW eingebrachten Anregungen« 612 anzufügen, bestand die dritte Veränderung. 4.2. Zusammenfassung Betrachtet man die Ereignisse des Bundesparteitags, so musste die Gruppe derjenigen, die dem Kirchenpapier aus verschiedenen Gründen und nicht zuletzt aufgrund des eigenen christlich-kirchlichen Engagements nicht hatten zustimmen können, als »Verlierer« dieser Diskussion betrachtet werden. Ihre teils vehemente Gegenrede hatte sich nicht durchsetzen können, und das eindeutige Abstimmungsergebnis am Ende der Debatte verdeutlichte ihren Status als Minderheit umso mehr. Richtige »Gewinner« ließen sich indes ebenfalls nicht bestimmen. Hatte die weitgehende Zurückhaltung des Bundesvorstandes in der Generaldebatte auch dem Zweck gedient, das Kirchenpapier möglichst schnell und reibungslos und unter Vermeidung größerer Konfl ikte mit den Kirchen zu verabschieden, und mussten auch die Ausführungen des Bundesvorsitzenden Genscher in seiner Eröffnungsrede, ebenso wie sein von Krüger zitierter Appell zu einer möglichst einheitlichen Positionierung des Bundesvorstandes in dieser Hinsicht verstanden werden, so konnte eine über sieben Stunden geführte, kontroverse Diskussion wohl kaum eine erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhabens bedeuten. Hinzu kam, dass sich die Hoffnung des Bundesvorstandes, die Jungdemokraten würden die von ihm eingebrachte Kirchenpapierfassung mittragen, nicht erfüllte. Hatte man davon aufgrund ihres Verhaltens in der Generaldebatte zunächst ausgehen können, so zeigte insbesondere die Einzeldebatte, wie groß nach wie vor die Differenzen waren. »Auf die Stunde der Bekenner und 611 612
Vgl. F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P. Siehe auch Anhang 5. F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.), Thesen der F.D.P., 15.
5. Reaktionen
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Grundsatztheoretiker folgte die Stunde der Gegner und Taktiker« 613, so beschrieb der Öffentlichkeitsreferent der EKD Claus-Jürgen Roepke die Diskrepanz zwischen General- und Einzeldebatte durchaus treffend. Diese »Gegner und Taktiker« konnten durch die Verschärfung der Kirchensteuerthese zumindest einen Teilerfolg für sich verbuchen, doch blieb auch ihr Einfluss trotz mancher knapper Entscheidung letztlich begrenzt. Im Verlaufe der Einzeldebatte und insbesondere nach Beschluss des Kirchenpapiers wurde der Gruppe der von Roepke als »Taktiker und Gegner« bezeichneten Personen, mit denen, gleichwohl nie in dieser Eindeutigkeit ausgesprochen, primär die Jungdemokraten gemeint waren, immer wieder der Vorwurf gemacht, durch Taktik und Manipulation die Abstimmung in ihrem Sinne beeinflusst zu haben. Musste die Manipulation der Delegiertenzettel als tatsächliche Gegebenheit des Parteitags konstatiert werden – wobei hier nicht explizit genannt wurde, wer diese zu verantworten hatte –, so lag die Abwesenheit eines Teils der Delegierten bei der Endabstimmung über das Kirchenpapier wohl kaum in der Verantwortung derer, die diese Diskussion bis zum Ende geführt hatten. Weiterhin ist zu bedenken, dass selbst wenn man die Zahl der Jungdemokraten, die sich auf etwa 100 Delegierte belief, von den das Kirchenpapier befürwortenden Stimmen subtrahierte, trotzdem noch eine deutliche Mehrheit für das Kirchenpapier dabei herausgekommen wäre. Es existierte somit neben den Jungdemokraten und den Befürwortern des Kirchenpapiers aus dem Bundesvorstand eine ganze Zahl von Delegierten, die dem Kirchenpapier am Ende zustimmten. Nicht gering dürfte dabei der Teil derer gewesen sein, die dem Papier ein Stück weit desinteressiert gegenüberstanden und die mit ihrem positiven Votum eine weiterführende Diskussion über diese breite Thematik verhindern wollten.
5. Reaktionen Presse und Medien Die unmittelbaren und mittelbaren Reaktionen auf den Hamburger Parteitag und dessen Kirchenpapier-Beschluss waren immens. Schon im Kontext der Bekanntgabe der Kirchenpapierfassung des Bundesvorstandes Ende September 1974 erfolgte eine breite Berichterstattung in der Presse und den Medien, die bereits im Vorfeld des Parteitags das allgemeine Stimmungsbild ankündigte, das insgesamt von Unverständnis und scharfer Kritik geprägt 613
Roepke, Bericht zur Verabschiedung der Thesen »Freie Kirche im freien Staat« auf dem 25. BPT der F.D.P.; EZA 87/661.
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war.614 Dabei ging, bis auf wenige Ausnahmen615, die allgemeine Meinung dahin, in dem neu verabschiedeten Kirchenpapier keine wesentliche Besserung zu seinen Vorgängerpapieren zu sehen.616 Aus den eigenen Reihen Für die Zeit nach dem Hamburger Parteitag war die Partei um Schadensbegrenzung bemüht. Die parteiinternen Befürworter des Papiers traten mit Interviews und Stellungnahmen an die Öffentlichkeit und versuchten, den gefassten Beschluss zu plausibilisieren. So bezeichnete Funcke das Kirchenpapier als »Sammlung von Einzelthesen, aber keine geschlossene ›Dogmatik‹ und kein[en] Gesetzentwurf« 617 und betonte, dass ihre mögliche Umsetzung nur »von These zu These« 618 entschieden werden könne, wobei jene Realisierung der Partnerschaft bedürfe. Bundesgeschäftsführer Hofmann zeigte sich irritiert über die »Bosheit« 619, die die FDP »von Seiten der Christen« 620 erfahren habe, und auch der NRW-Landesverbandsvorsitzende Riemer wehrte sich gegen die scharfe Kritik insbesondere der katholischen Kirche und der CDU.621 Aufsehen erregte sein Brief an die evangelischen und katholischen Pfarrer in Düsseldorf, in dem er das FDP-Kirchenpapier verteidigt und die Pfarrer zu Gesprächen aufgerufen hatte. Der Brief war von Vertretern beider Kirchen scharf kritisiert worden.622 Auch Bangemann gehörte zu denjenigen, die sich insbesondere nach Beschluss des Papiers für dessen Akzeptanz einsetzten.623 614 Vgl. Art. »Liberale schmieden Fesseln für die freien Kirchen«, in: Die Welt vom 25. 9. 1974; Art. »Die Kirche zum Selbstmord eingeladen. Das neue FDP-Papier hat die Zähne behalten«, in: FAZ vom 26. 9. 1974; Art. »FDP-Kirchenpapier – Wie nötig ist ein Kropf ?«, in: DAS vom 29. 9. 1974; Art. »Das falsche Ende des Zopfes«, in: Vorwärts vom 10. 10. 1974. 615 Vgl. Art. »Die Kirchenthesen haben eine Chance«, in: FR vom 15. 10. 1974. Der Artikel war im Wesentlichen eine Analyse der bereits erfolgten Kritik am Kirchenpapier und kam zu dem Schluss, dass wenn »die Zeit und das öffentliche Bewußtsein [. . .] heute noch nicht reif sein sollten für die FDP-Kirchenthesen« dies »in fünf bis zehn Jahren« der Fall sein werde. Vgl. auch Art. »Bigotte Bischöfe«, in: Die Zeit vom 11. 10. 1974: »Das FDPPapier mag manchem unzeitgemäß erscheinen. Die Reaktion seiner Adressaten bezeugt ihm Aktualität.« 616 Einen ausführlichen Überblick über die Behandlung des Kirchenpapiers in der Presse und den Medien liefert epd Dok. 50/1974. 617 Interview Funcke mit der fdk vom 14. 10. 1974. 618 Ebd. 619 Gastkommentar Hofmann in der Berliner Zeitung Der Abend am 15. 10. 1974. 620 Ebd. 621 Vgl. Art. »Dr. Horst-Ludwig Riemer (FDP). Das Kirchenpapier ist nicht vom Himmel gefallen«, in: Praline vom 31. 10. 1974; Art. »Riemer schilt die Bischöfe. Gespräch über Kirchenpapier ›arrogant‹ zurückgewiesen«, in: FR vom 17. 10. 1974. 622 Siehe dazu Kap. IV.2.2.1. 623 Siehe dazu Kap. IV.3.
5. Reaktionen
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Aber auch Gegner des Kirchenpapiers betonten nun und teilweise deutlicher als zuvor ihre dahingehende Position.624 In einigen Fällen führte der Kirchenpapierbeschluss sogar zum Austritt aus der Partei. Die prominentesten Mitglieder waren der katholische Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Innenministerium Heinrich Stakemeier sowie der rheinland-pfälzische Justizminister und Synodalpräsident Schneider. Letzterer verließ am 4. 12. 1974 die FDP und machte damit letztlich seine stets angekündigte Drohung wahr. Er verwies dabei, wie schon bei den landesverbands- bzw. kircheninternen Diskussionen, auf die Unvereinbarkeit einer weiteren Mitgliedschaft in der FDP mit seinem kirchlichen Engagement.625 Für mehr Furore sorgte der Austritt von Heinrich Stakemeier, der bereits am 3. 10. 1974 und damit nur zwei Tage nach dem Kirchenpapier-Beschluss die FDP verließ. Auch er betonte in seinem Austrittschreiben an Willi Weyer die »höchste Bedrängnis« 626 , in die das Kirchenpapier kirchennahe Parteimitglieder gebracht habe, so dass es für ihn als Katholiken in dieser Angelegenheit »keine andere Lösung« 627 gebe. In der Diskussion, die unmittelbar nach Stakemeiers Austritt entbrannt war, hatte man vor allem die Frage diskutiert, ob dieser sein Amt als Staatssekretär bis zum Ablauf der Legislaturperiode im Mai 1975 weiter ausüben dürfe, oder aber sein Rücktritt zu fordern sei. Während Innenminister Weyer Stakemeiers Gewissensentscheidung akzeptiert und sich für eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen hatte und auch SPD-Ministerpräsident Heinz Kühn zunächst eine Entlassung für nicht akzeptabel erachtet hatte, hatte Bangemann Stakemeiers Tätigkeit zur Diskussion gestellt und dabei Unterstützung beim Landesvorstand der nordrhein-westfälischen FDP gefunden. Dieser, allen voran Horst Ludwig Riemer, aber auch die Landtagsfraktion, hatten sich deutlich für ein Ausscheiden Stakemeiers ausgesprochen und Weyer aufgefordert, ein Neubesetzungsverfahren einzuleiten. In ihrer Forderung hatten sie sich auf den Koalitionsvertrag zwischen SPD und FDP von 1971 berufen, in dem das Amt des Justizministers der FDP zugesprochen worden war, ein Argument, 624 Vgl. Art. »Hamm-Brücher: Kirchenpapier parteischädigend«, in: SZ vom 25. 10. 1974; Art. »Hildegard Hamm-Brücher distanziert sich erneut. Das Kirchenpapier der FDP bereitet der Politikerin Unbehagen«, in: KNA Nr. 179 vom 14. 10. 1974; Art. »Änderung der Kirchen-Struktur nicht Sache einer liberalen Partei. Saar-Vorsitzender Klumpp fürchtet Missdeutungen des Kirchenpapiers«, in: epd West Nr. 109 vom 3. 10. 1974. 625 Vgl. Art. »Aus Protest gegen das ›Kirchenpapier‹ die FDP verlassen. Landtagsabgeordneter Schneider: Mit kirchlichem Engagement unvereinbar«, in: epd ZA Nr. 235 vom 6. 12. 1974. 626 Schreiben Stakemeier an Weyer vom 5. 10. 1974; LStaD RW 121. 627 Ebd. Stakemeier hatte während des gesamten Diskussionsprozesses immer wieder Kritik an dem Kirchenpapier geübt und die führenden Parteigremien darüber in Kenntnis gesetzt. Seinen Austritt hatte er erstmals im Kontext des BPT in Wiesbaden 1973 angekündigt, für den Fall, dass die Thesen dort beschlossen würden (vgl. Schreiben Stakemeier an Scheel vom 9. 11. 1973; LStaD RW 121).
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dem letztlich auch Kühn und Weyer nichts entgegensetzen konnten. Am 22. 10. 1974 wurde Stakemeier von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in den Ruhestand versetzt.628 Katholische Kirche Die Reaktion der katholischen Kirche blieb von jener scharfen Ablehnung geprägt, wie diese sich in den Hirtenworten der hessischen und insbesondere der bayrischen Bischöfe ausgedrückt hatte. Noch am 19. 9. 1974 hatten Vertreter der FDP und des Katholischen Büros zu einem gemeinsamen Gespräch in Bonn zusammengefunden, in dem man, so das Katholische Büro der KNA gegenüber, die jeweiligen Standpunkte erläutert und festgestellt hatte, »[d]aß sie sich gegenüberstehen« 629. Es war daher nicht weiter verwunderlich, dass die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe bereits zwei Tage nach Beschluss des Kirchenpapiers, am 3. 10. 1974, vorlag. Darin bezeichnete man das Kirchenpapier als »keinen konstruktiven Beitrag« 630 zum Verhältnis von Kirche und Staat. Der Hauptkritikpunkt bezog sich dabei auf das Staatsverständnis, das der Bedeutung der Kirchen und anderer freier Kräfte nicht gerecht werde. Ebenso kritisierte man eine fehlende Toleranz gegenüber Christen, Juden und andere Religionsgemeinschaften. Im Kontext der grundsätzlichen und rhetorisch gestellten Frage, »wem denn derartige Forderungen nützen sollen« 631, verwies das Kommissariat auf das Arbeitspapier der Sachkommission V der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der BRD, »Aufgaben der Kirche in Staat und Gesellschaft« 632 und rief auf zu einem »tatkräftige[n] Zusammenstehen und Zusammengehen aller staatlichen, gesellschaftlichen und religiösen Kräfte, um die Fragen unseres Landes und vor allem die brennenden weltweiten Zukunftsprobleme zu lösen.« 633 Deutlichere Worte noch als das Kommissariat fand das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken in einer ausführlichen Stellungnahme, die bereits am 24. 9. 1974 in Reaktion auf den Antrag des Bundesvorstandes veröffentlicht wurde. Darin kam das Komitee zu dem Schluss, dass sich an den Forderungen der FDP »in der Substanz« 634 nichts geändert habe, so dass das Papier insgesamt darauf ausgerichtet sei, »Religion und Kirchen in die Sphä628 Eine ausführliche Darstellung über den Fall Stakemeier fi ndet sich in seinem Nachlass (vgl. ebd.). 629 Art. »Vertreter von FDP und Kirche diskutierten über FDP-Thesen«, in: KNA Nr. 219 vom 21. 9. 1974. 630 epd Dok. 50/1974, 60. 631 Ebd. 632 Vgl. Arbeitspapier. 633 Stellungnahme des Kommissariats, in: epd Dok. 50/1974, 61. 634 Art. »ZdK-Präsidium: FDP-Kirchenthesen mindern die Freiheit in unserem Lande«, in: Mitteilungen 56/1974 vom 24. 9. 1974.
5. Reaktionen
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re des Privaten zu verweisen und damit ihre schrittweise Verdrängung aus der Öffentlichkeit einzuleiten.« 635 Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte bewusst nicht auf das Kirchenpapier und brachte damit eine ebenfalls eindeutige Kritik zum Ausdruck.636 CDU/CSU und SPD Auch die Parteien blieben im Wesentlichen bei der ablehnenden Meinung, die sie bereits im August 1973 und während des gesamten Diskussionsprozesses artikuliert hatten. Werner Dollinger kündigte an, sich im Evangelischen Arbeitskreis eingehend mit den Fragen beschäftigen zu wollen, die das Kirchenpapier aufgeworfen hatte. Hintergrund war die für ihn unverständliche Tatsache, dass »die eine oder andere Stimme aus dem kirchlichen Raum mit diesen Thesen sympathisiert.« 637 Dollinger, der den Beschluss des Kirchenpapiers im Sinne seiner Stellungnahme von 1973 als einen Erfolg jener »freisinnige[n] und atheistische[n] Kräfte« 638 in der FDP bewertete, forderte daher ähnlich wie das Kommissariat der Bischöfe die Kirchen dazu auf, »sich ihres missionarischen Auftrags bewußt zu bleiben.« 639 Als einen »[b]dedauerliche[n] Rückfall in nichtliberale Anschauungen« 640 bezeichnete die CDU das Kirchenpapier in einer kurzen Pressemitteilung, die die Mitglieder der FDP zum Nachdenken über die Frage aufrief, wie eine persönliche Bindung an die Kirche mit der offiziellen Kirchenpolitik ihrer Partei in Einklang zu bringen sei. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und EKD-Synodale, Richard von Weizsäcker, explizierte die Kritik der CDU, als er den Beschluss des Kirchenpapiers als den liberalen Zielen diametral entgegenstehend bewertete und es als eine Aufgabe der anderen Parteien erachtete, den »liberalen Gedanken« 641 in Sachen Staat und Kirche »gegen die Mehrheitsmeinung der FDP zu schützen.« 642 Sein wesentlicher Kritikpunkt bezog sich auf das Unvermögen der FDP, den antiliberalen Vorreitern des Papiers nicht besser widerstanden zu haben und daher die Chance, durchaus ernsthafte Fragestellungen im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche mit einer positiven Konzeption zu begegnen, vertan zu haben. Große Publizität erlangte 635
Ebd. Vgl. Art. »Bischofskonferenz schweigt zum Kirchenpapier der FDP«, in: SZ vom 12. 11. 1974. 637 Schreiben Dollinger an Hessler vom 21. 10. 1974; PAepd D 213. 638 Ebd. 639 Ebd. 640 So die Überschrift der CDU-Pressemitteilung vom 4. 10. 1974 (vgl. epd Dok. 50/ 1974, 65). 641 Gastkommentar Richard von Weizsäcker, »Wer ist liberal? Zum Kirchenpapier der FDP« [Zeitung und Datum nicht überliefert]. 642 Ebd. 636
442
III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
der gemeinsame Auftritt des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg (CDU) mit Helmut Schmidt anlässlich der Reformationstagsfeier in Hamburg, wo sich beide einhellig für die Beibehaltung des gegenwärtigen Verhältnisses von Staat und Kirche ausgesprochen hatten.643 Die SPD befand sich in der schwierigen Lage, sich einerseits deutlich von der Kirchenpolitik ihrer Koalitionspartnerin FDP zu distanzieren, und dies zugleich in einer ebenso deutlichen Abgrenzung von den Unionsparteien zu tun. Diese doppelte Distanzierung zeigte sich in der Erklärung Willy Brandts vom 15. 10. 1974, in der dieser zunächst betonte, keine Veranlassung dafür zu sehen, über die Aussagen des »Godesberger Programms« zum partnerschaftlichen Verhältnis von Staat und Kirche hinauszugehen, und zugleich den »neuerliche[n] Anspruch« 644 der CDU kritisierte, bestimmen zu wollen, »was christlich ist und was nicht.« 645 Auch die Äußerungen Helmut Schmidts auf einer Wahlversammlung in Hanau müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Hier stellte der Bundeskanzler unter Bezugnahme auf das bayrische Hirtenwort die kritische Anfrage an die Kirchen, ob sie es für richtig erachteten, sich für den Kampf gegen die SPD instrumentalisieren zu lassen, und hielt dabei zugleich die Distanz zur FDP aufrecht, indem er für die SPD betonte, nicht die Absicht zu haben, »überflüssigerweise [. . .] einen Streit mit den Kirchen vom Zaun zu brechen.« 646 Die Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundesinnenministeriums Jürgen Schmude, die Kirchenthesen seien für die Bundesregierung weder der Beginn eines neuen Meinungsbildungsprozesses über das Verhältnis von Staat und Kirche, noch Anlass für neue Beschlüsse, bestätigte die Irrelevanz des Kirchenpapiers im Blick auf seine Umsetzung; 647 sie verwies zugleich auf jene »psychologische Mißstimmung« 648 zwischen den Koalitionspartnern, für die das Kirchenpapier zum »Zankapfel« 649 geworden war.
643
Siehe dazu IV.2.1.2. Vgl. SPD-Pressemitteilung vom 15. 10. 1974: »Erklärung des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt auf einer Kundgebung im Walkratburg (Bayern)«. 645 Ebd. 646 Schmidt, zit. nach Art. »Zankapfel zwischen SPD und FDP. Gegensätze in der Koalition über das richtige Verhältnis zu den Kirchen«, in: DZ vom 25. 10. 1974. 647 Vgl. Art. »Abgeordnete fragen – Regierung antwortet. Der Staat und die Kirchen«, in: Das Parlament Nr. 42 vom 19. 10. 1974. Die Anfrage war von dem CDU-Abgeordneten Johannes Gerster eingebracht worden. 648 Art. »Zankapfel zwischen SPD und FDP. Gegensätze in der Koalition über das richtige Verhältnis zu den Kirchen«, in: DZ vom 25. 10. 1974. 649 Ebd. 644
6. Resümee
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6. Resümee Obwohl die Mehrheit der Liberalen auf dem Hamburger Parteitag letztlich für das Kirchenpapiers gestimmt hatte, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass kaum ein anderer Beschluss der liberalen Partei unter so bemerkenswert-merkwürdigen Umständen zustande gekommen war und so viele offene Fragen über Sinn und Zweck hinterließ wie das »Freie Kirche im freien Staat«-Papier. Rückblickend und zugleich resümierend sollen daher die wichtigsten Aspekte der Debatte zusammengefasst werden. Wichtig ist zunächst die erneute Feststellung, dass das Kirchenpapier der FDP durch die Jungdemokraten »wirklich reingespielt«650 wurde. Nicht zuletzt das Vorgehen in der Parteispitze bestätigt, dass man aus unterschiedlichen Gründen kein großes Interesse an der aufoktroyierten Thematik hatte. Hier beschränkte sich die Auseinandersetzung auf die notwendigen Eckpunkte der Debatte und erfolgte meist in Reaktion auf vorhergehende Entwicklungen. Die eigentliche Diskussion des Kirchenpapiers fand somit nicht an der Spitze, sondern an der Basis der liberalen Partei statt; ein Phänomen, das im Übrigen der Tendenz nach so auch für den Diskussionsprozess der evangelischen Kirche ausgesagt werden kann. Es war eine Verkettung mehrerer Faktoren, die im Herbst 1973 dazu führte, dass die Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier nicht, wie zunächst erhofft, mit einer zügigen Entscheidung beendet werden konnte. Der plötzliche Tod Karl-Hermann Flachs spielte hier in doppelter Hinsicht eine entscheidende Rolle. Mit ihm starb zunächst ein großer Kritiker des Kirchenpapiers, der bis zuletzt als Mahner und Warner vor den Folgen jener Auseinandersetzung aufgetreten war.651 Die Antwort auf die Frage, ob die Diskussion des Kirchenpapiers auch zu einem Parteitagsbeschluss in Hamburg geführt hätte, wenn Flach nicht gestorben wäre, bleibt hypothetisch. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie einen anderen und möglicherweise für die FDP positiveren Verlauf genommen hätte.652 Ein zweiter, weniger inhaltlich als vielmehr logistisch-organisatorischer Aspekt, der mit dem Tod Flachs in Verbindung stand und den Verlauf der Debatte mitbestimmte, war die Tatsache, dass der für September 1973 angesetzte Bundeshauptausschuss ausfiel, wodurch die Thesen ihren direkten Weg in die Untergliederungen fanden. Nicht zuletzt die vorzeitigen Veröffentlichungen in der Frankfurter 650
Funcke in einem Gespräch mit der Verfasserin vom 28. 8. 2005. »Die Reaktion auf das ›Kirchen-Papier‹ der FDP war von Karl-Hermann Flach, dem Generalsekretär der FDP, vorausgesehen worden. Er hatte bis zu seiner letzten Krankheit die Veröffentlichung des Papiers zu verhindern versucht« (Jeziorowski, FDP-Tadel, 560). 652 »Lebte Herr Flach noch, brauchte ich diesen Brief wahrscheinlich gar nicht zu schreiben« (Schreiben Madsack an Mischnick vom 11. 9. 1973; EZA 87/660). 651
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
Rundschau führten dazu, dass sich eine breitere Diskussion fortan nicht mehr vermeiden ließ. Betrachtet man nun jene intensive Diskussionsphase, die mit dem Beschluss des Bundesparteitages in Wiesbaden im Oktober 1973 einsetzte und dann auf breiter Basis bis zum Sommer 1974 geführt wurde, so lassen sich hier Parallelen zu den liberalen Strömungen herstellen, die in Kapitel I im Kontext der Schlaglichter liberaler Kulturpolitik expliziert worden waren.653 Die Vertretung einer dahingehenden »radikal-demokratischen« Richtung konnte dabei den Jungdemokraten zugeschrieben werden, insofern auch ihre Trennungsforderung von einem deutlich antikirchlichen und antireligiös-laizistischen Charakter bestimmt wurde. Obwohl sie sich im Verlauf der Debatte kooperativ zeigten und sich gemeinsam mit der FDP auf die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche beschränkten, verdeutlichten die Ereignisse auf dem Bundesparteitag in Hamburg die starken Vorbehalte, die die liberale Parteijugend nach wie vor im Blick auf das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche hatten; nicht zuletzt die Tatsache, dass sie die ideologiekritische Debatte über das Verhältnis von Liberalismus und Christentum/Religion innerhalb ihrer eigenen Organisation fortsetzten, verweist auf den stets präsenten Hintergrund ihres eigentlichen Anliegens. Repräsentantin einer typisch »linksliberalen« kulturpolitischen Haltung war Hildegard Hamm-Brücher, deren Argumente an die Naumanns erinnerten. Auch Flach konnte dieser Richtung zugeordnet werden. Das Attribut »nationaliberal« als nähere Charakterisierung einer weiteren, dritten kulturpolitischen Position, die sich in der Kirchenpapier-Diskussion zeigte, ist anachronistisch und daher nicht ohne weiteres zu übernehmen. Dennoch lassen sich die Differenzen beispielsweise zwischen den beiden liberalen Politikerinnen Hamm-Brücher und Funcke auch durch ihre Herkunft aus unterschiedlichen liberalen Traditionen erklären. Ist diese für Hamm-Brücher bereits mehrfach als linksliberal identifiziert worden, so zeigte sich bei Funcke eine kulturpolitische Ausrichtung, die in einem eher traditionellen Liberalismus zu verordnen ist, und etwa mit dem Attribut »kulturprotestantisch« bezeichnet werden konnte.654 Beiden gemeinsam war das Anliegen, 653
Siehe Kap. I.1. Auf die Schwierigkeit und Mehrdeutigkeit des Wortes »Kulturprotestantismus« ist immer wieder hingewiesen worden. Dem oben gemachten Versuch einer dahingehenden Bezeichnung der kulturpolitischen Haltung Funckes liegt jene Defi nition zugrunde, wie sie die neuere Kulturprotestantismus-Forschung liefert: »Der K[ulturprotestantismus] repräsentiert [. . .] eine gedachte, kulturelle Ordnung, in der Glaube und Vernunft, prot. Berufsbegriff und modern-kulturelle Weltbemächtigung mediatisiert sind. Als spezifi sch prot. Kulturwerte gelten eine relative Autonomie des Politischen, die Freiheit von Wiss[enschaft] (einschließlich der Theol.) und Kunst, eine Fundamentalkritik des ›röm.‹ Klerikalismus und ein funktionales Verständnis der Kirche als Institution der Ermögli654
6. Resümee
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das Kirchenpapier so weit von der jungdemokratischen Vorlage abzugrenzen, dass es nicht mehr im Widerspruch zur eigenen Kulturpolitik stand und als plausibles Gesprächsangebot an die Kirchen fungieren konnte. Der Diskussionsverlauf sowie insbesondere die kirchlichen Reaktionen auf den Beschluss in Hamburg zeigten, dass letzteres Anliegen als gescheitert betrachtet werden musste.655 Die Schlussfolgerung, dass es der FDP nicht gelungen war, sich in ihrem eigenen Kirchenpapier des antikirchlichen Charakters des Jungdemokratenpapiers zu entledigen, bezieht sich jedoch weniger auf die in dem Papier explizierten Inhalte, als vielmehr auf das ganz grundsätzliche Phänomen, dass das »Liberalismus und Christentum«-Papier und dessen antikirchliche Intention während des gesamten Diskussionsprozesses mitschwang.656 Die Protagonisten eines kirchenfreundlichen Kirchenpapiers, allen voran Liselotte Funcke, hatten sich somit vielfach zu einem Papier zu positionieren, das sie selbst ablehnten: »Wenn ich Ihre Ausführungen lese, nehme ich an, daß es sich um die Thesen der Deutschen Jungdemokraten und den von ihnen niemals verabschiedeten Entwurf einer Einleitung handelt. Es ist selbstverständlich Ihre Sache, mit welchen Thesen Sie sich auseinandersetzen, doch kann ich nur zu den Diskussionsthesen der F.D.P. und zu der Auseinandersetzung mit diesen Stellung nehmen.« 657
Solche und ähnliche Richtigstellungen bzw. Reaktionen auf herangetragene Kritik waren, nicht nur im Herbst 1973, an der Tagesordnung. Dennoch ist nicht in Abrede zu stellen, dass die Zweiteilung des Papiers in Präambel und Thesenkatalog nicht nur eine konzeptionelle war, sondern sich chung und Stärkung individueller, aktive Weltverantwortung fördernder Herzensfrömmigkeit. [. . .] Dem prot. Urrecht der rel.-sittlichen ›Persönlichkeit‹ auf ihren individuellen, undogmatischen Glauben wird durch einen pronocierten Vorrang des ›individuellen Lebens‹ vor der ›Lehre‹ Geltung verschafft. Nicht die Kirche, sondern ein auf prot. Werten basierender nationaler Kulturstaat gilt als wichtigster institutioneller Träger der progressiven Realisierung christl. Ethik bzw. der allmählichen Herbeiführung des Reiches Gottes« (Graf, Art. Kulturprotestantismus, 1851). 655 Siehe dazu Kap. IV. 656 Hinzuweisen in diesem Zusammenhang auf den von Axel von Campenhausen verfassten Artikel Laizismus in der zweiten Aufl age des »Evangelischen Staatslexikons« von 1975, dessen letzter Satz konstatierte: »In Deutschland werden laizistische Ideen heute von der F.D.P. vertreten« (Campenhausen, Art. Laizismus 1975, 1437). Dieser Satz konnte als Reaktion auf das FDP-Kirchenpapier verstanden werden, da er in dem ebenfalls von ihm verfassten Artikel in der ersten Aufl age von 1966, der ansonsten weitgehend dem der zweiten Aufl age übereinstimmte, nicht vorkam (vgl. Ders., Art. Laizismus 1966, 1203 f.). Die Formulierung in der dritten Aufl age wiederum lautete: »In Deutschland wurden laizistische Ideen von der F.D.P. vertreten« (Ders., Art. Laizismus 1987, 1952. Hervorhebung T. M. E.). Interessant ist, dass in der Neuaufl age von 2006 lediglich die Jungdemokraten im Zusammenhang mit laizistischen Forderungen in der jüngsten deutschen Geschichte in Verbindung gebracht werden. Von der FDP sprach man in diesem Zusammenhang nicht mehr (vgl. Bitter, Art. Laizismus 2006, 1378). 657 Schreiben Funcke an Hagedorn, Diözesanrat der Katholiken im Bistum Osnabrück, vom 9. 11. 1973; AdL 3320.
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III. »Freie Kirche im freien Staat«: Die Kirchenthesen der FDP
darin zugleich auch der Kompromisscharakter des Kirchenpapiers ausdrückte, so dass die insbesondere von kirchlicher Seite häufig artikulierte Kritik an jener Diskrepanz zwischen Präambel und Kirchenthesen durchaus nachvollziehbar war. Insgesamt jedoch wurden die Veränderungen, die gerade auch im Thesenkatalog vollzogen wurden, zu wenig berücksichtigt.
IV. EKD und Kirchenpapier 1. EKD und Kirchenpapier 1.1. EKD und Kirchenpapier Januar bis August 1973 Ende Januar 1973 äußerte sich der Öffentlichkeitsreferent der EKD Erwin Wilkens erstmals kritisch zu den Forderungen der Jungdemokraten.1 Dabei stellte er deren Äußerungen in den Kontext eines »allzu verworrenen politisch-gesellschaftlichen Programms, mit dem sich kein verantwortlicher Politiker in der Bundesrepublik identifizieren dürfe.« Gleichzeitig gestand er ihnen ein, Ausdruck einer bestimmten »Stimmungslage« zu sein, die er auf eine weit verbreitet[e] Unsicherheit in geistigen und sittlichen Grundlagen« zurückführte. Wilkens kritisierte weiterhin die schlagwortartig benutzte Formel der »Trennung von Staat und Kirche« und deren einseitige anachronistische Interpretation durch die Jungdemokraten, denen es allem Anschein nach einzig und allein darum ginge, die Kirche aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. In diesem Zusammenhang führte Wilkens »das weite Feld der Gesellschaft« als dritte Komponente neben Staat und Kirche ein, die in der Diskussion über das angemessene Verhältnis von Staat und Kirche keinesfalls ausgespart werde dürfe. In einem Gespräch mit dem vom 9. 2. 1973 explizierte Wilkens seine Position, insofern er die Rede der Jungdemokraten 1 Vgl. Wilkens, Erste Äußerungen zum Vorstoß der Jungdemokraten zum Verhältnis von Kirche und Staat; EZA 87/658. Die folgenden Zitate ebd. Wilkens (1914–2000) war von 1964 bis 1974 Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD und wurde 1974 deren Vizepräsident. Zuvor war er sechs Jahre Pfarrer in Hannover-Herrenhausen und von 1951 bis 1964 in der VELKD aktiv. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bildete das Gebiet der öffentlichen Verantwortung der Kirche in Politik, Staat und Gesellschaft. Hier prägte vor allem das Erleben der nationalsozialistischen Zeit, mit der auseinanderzusetzen Wilkens eine Lebensaufgabe blieb, sein Öffentlichkeitsverständnis von der evangelischen Kirche, das er in seinen Lebenserinnerungen wie folgt beschrieb: »Es ist und bleibt ein Erbe der Bekennenden Kirche, daß die evangelische Kirche mit der Tradition einer unkritischen Staatsnähe gebrochen hat. Nur aus einer Position der Unabhängigkeit heraus konnte sie ihren politischen Dienst durch Verkündigung von Gottes Gebot und Gerechtigkeit gegenüber den Regierenden und Regierten kritisch wahrnehmen« (Ders., Bekenntnis, 155). Sein Name war vor allem verbunden mit der so genannten Ostdenkschrift von 1965, die als Ausdruck dessen betrachtet werden kann, wie Wilkens das Verhältnis von Kirche und Politik bestimmte.
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IV. EKD und Kirchenpapier
von einer Trennung von Staat und Kirche als »Schlagwort« 2 bezeichnete, dessen eindeutige Bestimmung erst dann festläge, wenn klar sei, ob diese Forderung die Freiheit und Unabhängigkeit für Kirchen und andere religiöse Überzeugungen impliziere oder im Sinne eines »Staatsmonopolismus« 3 interpretiert werden müsse, der sich in Form von »totalitäre[r] Reglementierung bis hin zur Vernichtung«4 zeige. Im Rat der EKD wurde das Jungdemokratenpapier erstmals in der Sitzung am 15./16. 2. 1973 thematisiert, wobei man einige der Aspekte, die Wilkens angesprochen hatte, aufgriff. Einen Tag zuvor hatte die Kirchenkanzlei die Untergliederungen der EKD mit einer Materialsammlung über das Jungdemokratenpapier versorgt.5 Die Ratssitzung verdeutlichte, dass man den Forderungen keine allzu große Bedeutung beimessen wollte, »zumal hier keine Identität mit der Freien Demokratischen Partei vorliegt.« 6 Der EKD lag daran, das Jungdemokratenpapier als ein von der FDP unabhängiges Papier zu betrachten, und dieser Umstand bestimmte gleichermaßen das weitere Vorgehen, auch hinsichtlich der Frage, wie man sich der Presse gegenüber dahingehend äußern sollte.7 Indes war sich der Rat der
2 Art. »Jungdemokraten vertreten einen Staatsmonopolismus. Wilkens: Kirchliche Lebensäußerungen sollen unterdrückt werden«, in: epd ZA Nr. 29 vom 9. 2. 1973. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Die Materialsammlung beinhaltete A) Dokumente zur Regierungserklärung Brandts, darunter u. a. eine Stellungnahme Wilkens zur Regierungserklärung aus kirchlicher Sicht, Auszüge aus den Sitzungsprotokollen des Deutschen Bundestages vom 24. bis 26. 1. 1973 und den Bericht über eine Debatte im Bundestag zur Regierungserklärung, überschrieben mit »Streit um das Christliche« (Sendung im NDR Hannover vom 30. 1. 1973). Ein weiterer thematischer und mit Dokumenten belegter Themenbereich war B) die Auseinandersetzung über die Deutschen Jungdemokraten; darin u. a. die Beschlüsse der beiden Konferenzen, die Stellungnahme Funckes und verschiedene Pressemitteilungen sowie die erste Äußerung zu dem Vorstoß der Jungdemokraten von Wilkens. Ein dritter und letzter Bereich umfasste Dokumente zu C) Reformvorstellungen in den Parteien, u. a. »29 Thesen zur politischen Strategie der Union. Kritische Auseinandersetzung mit der Situation der CDU/CSU«, »Die geistige Führung verloren. Überlegungen zur Lage der Union« (in: DZ vom 2. 2. 1973) sowie eine Thesenreihe von Hans-Reinhard Rapp über das Verhältnis von evangelischer Kirche und CDU (in: Evangelische Frauenzeitung Heft 1, 1/2//1973, Meinungen – Informationen). Ebenso verwies die Kirchenkanzlei auf die kritische Stellungnahme der Jusos zum Langzeitprogramm der SPD (in: Zeitschrift der Jungsozialisten in der SPD Hefte 11/12//1972). Ein Exemplar dieses Schreibens sandte man ebenfalls an Flach. 6 Protokoll der 75. Sitzung des Rates vom 15./16. 2. 1973; EZA 87/658. 7 »Was das Judo-Papier angeht, so stellt sich in solchen Dingen natürlich immer die Frage, wie weit wir unsererseits uns öffentlich äußern sollten. Es spricht ebenso viel dafür wie dagegen. Die Bedeutung der Jungdemokraten scheint mir auch im politischen Bereich nicht sehr hoch anzusetzen zu sein. Es liegt ja auch schon eine Reihe von kritischen Äußerungen vor. [. . .] Im übrigen haben wir ja in diesen Tagen auch Ratssitzung. Wir werden sicherlich darüber beraten, ob u. U. ein entsprechender Abschnitt in die Presseverlautba-
1. EKD und Kirchenpapier
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EKD der antireligiösen und antikirchlichen Tendenzen des Jungdemokratenpapiers durchaus bewusst. Die Aussage konnte somit auch als Versuch betrachtet werden, sich mit der Partei zu solidarisieren und gemeinsam zu überlegen, was man dieser »ungute[n] Tendenz zur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden« 8 entgegnen könnte. Zugleich sah sich die EKD, nicht zuletzt wegen der schnellen Reaktion der VELKD, zu einer Reaktion herausgefordert.9 Hinzu kam, dass man, auf Wilkens zurückgreifend, in der grundsätzlichen Intention des Papiers schon den »Ausdruck einer verbreiteten Stimmungslage«10 erkannte. Im Hinblick auf ein gesamtkirchliches Gespräch mit der FDP beschloss man somit, nicht eigentlich die Thesen der Jungdemokraten zum Thema zu machen, sondern einen anderen »der FDP selbst mehr gerecht werdende[n] Ansatz zu suchen.«11 Kunst sollte als Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der BRD in ein Gespräch mit Funcke treten. Die Kammer für Öffentliche Verantwortung erhielt den Auftrag, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und »dem Rat für bevorstehende Besprechungen mit der FDP und anderen politischen Kräften möglichst konkret vorzuarbeiten.«12 Die Ereignisse des Landesparteitages der FDP NRW vom 30. 3. bis zum 1. 4. 1973, die Einrichtung der Sonderkommission »Kirche und Staat« innerhalb des Landesverbandes NRW sowie die Überweisung des Jungdemokratenpapiers in die Kirchenkommission der FDP-Bundespartei beschleunigten diese Prozesse in der EKD. Man erkannte die Brisanz der Tatsache, dass die Forderungen der von der FDP organisatorisch unabhängigen Jugendorganisation Deutsche Jungdemokraten nun ihren Weg in die FDP gemacht hatten und als »Kirchenpapier« fortan Gegenstand der innerparteilichen Auseinandersetzungen wurden. Auf der 77. Sitzung des Rates am 5./6. 4. 1973 kam man somit zu dem Schluss, dass ein »baldiges Gespräch mit Spitzenvertretern der FDP [. . .] dringend erforderlich«13 sei. Als Ziel dieser Zusammenkunft, an der neben Vertretern der EKD auch Vertreter der VELKD und ein oder zwei Bischöfe aus Gliedkirchen teilnehmen sollten, formulierte man die »Stärkung der FDP-Kräfte wie etwa Frau Funcke.«14 Das Treffen wurde auf den 16. 5. 1973 terminiert, als Vertreter des Rates wurden dessen Vorsitzender Dietzfelbinger, die Ratsmitglieder Beckmann, Heckel, Lilje, Raiser, Weeber sowie der rung über die Ratssitzung aufzunehmen wäre. Mir ist es z. Zt. noch nicht sicher, ob dies ratsam ist« (Schreiben Wilkens an Allgaier vom 13. 2. 1973; EZA 2/17695). 8 Ebd. 9 Siehe Kap. II.4.3.2. 10 Protokoll der 75. Sitzung des Rates vom 15./16. 2. 1973; EZA 87/658. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Protokoll der 77. Sitzung des Rates vom 5./6. 4. 1973; EZA 81/3/74. 14 Ebd.
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IV. EKD und Kirchenpapier
Bevollmächtigte des Rates der EKD Kunst bestimmt. Des weiteren sprach man sich für die Teilnahme von Bischof Lohse aus. Eine Tagung zum Thema »Kirche, Staat und Gesellschaft«, die, von der Wolfgang Döring Stiftung ausgerichtet, am 28./29. 4. 1973, und damit direkt im Anschluss an die ersten Kirchenkommissionsberatungen in der Theodor-Heuss-Akademie stattfand, wies einmal mehr darauf hin, dass das geplante Gespräch zwischen FDP und Kirche nötig geworden war, machte sie doch deutlich, dass, ausgelöst durch das Kirchenpapier, das alte Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche in liberalen Kreisen – und nicht nur da – erneut lebhafte Diskussionen entstehen ließ. Die Tagung stand am Anfang einer Vielzahl von Veranstaltungen, die im Laufe der Jahre 1973 und 1974 stattfanden. In unterschiedlichen Veranstaltungsformen (Tagungen, Seminare, Podiumsdiskussionen, Vorträge) diskutierten Vereine, Stiftungen, Parteien und Kirchen konkrete Inhalte des Papiers oder nahmen dessen Aktualität zum Anlass, allgemeine Ansichten des Verhältnisses von Staat und Kirche zu erörtern. Aus den eingesehenen Akten allein ließen sich für diesen Zeitraum schon Hinweise auf über 40 solcher Veranstaltungen entnehmen. Die Zahl der Veranstaltungen insgesamt dürfte ungleich höher sein. Neben zwei einführenden Referaten vollzog sich die hauptsächliche Arbeit dieser Tagung in Arbeitsgruppen, in denen anhand verschiedener Fragestellungen die Position der Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat neu reflektiert wurden. Ein Blick auf die Teilnehmerstruktur zeigt, wie präsent dabei die Kirchenpapierdiskussion war. Die 63 Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzten sich »aus einer Reihe der Jungdemokraten, einigen FDP-Mitgliedern und sonstigen Interessierten«15 zusammen. Wenngleich wenige Teilnehmer dezidiert auf ihre Nichtmitgliedschaft bei der Kirche hinwiesen, sympathisierte die Mehrheit mit den Kirchen. Seitens der Katholiken war nur eine Minderheit vertreten, drei Teilnehmer kamen aus der altkatholischen Kirche.16 Auch verwiesen die Ergebnisse immer wieder auf das Kirchenpapier.17 15
Referat von Mutius am 16. 5. 1973, 4; EZA 87/662. Vgl. ebd. 17 So machte man bspw. in der Arbeitsgruppe »Unverzichtbare Aufgaben der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft von morgen« den Vorschlag, Religionsunterricht »als Wahlfach (ohne Zensuren) neben vom Staat angebotener Religionskunde« anzubieten. Weiterhin sollte die »Überrepräsentierung der Kirchen beseitigt« werden, was sich im nichtkirchlichen Raum durch den Verzicht auf »Kruzifi x in staatlichen Schulen, im Gerichtssaal, religiöse Eidesformel etc.« manifestieren könnte. In der Arbeitsgruppe »Rechtliche Organisation der Kirchen« kam man zu dem Schluss, dass »Vereinigungen, die weltanschaulich gebunden sind, nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen« sollten. Im Privatrecht könnte eine Alternative bestehen, eventuell sei »ein besonderes Verbandsrecht zu schaffen« (alle Angaben sind der Ergebnisübersicht entnommen, die am 29. 5. 1973 vom Geschäftsführer der Stiftung an die Tagungsteilnehmer verschickt wurde; Handakten Dahlhaus). 16
1. EKD und Kirchenpapier
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Für die EKD lag die besondere Bedeutung der Tagung darin, dass Liselotte Funcke eine ihrer beiden Hauptreferenten war.18 Sie hatte zum Tagungsbeginn ein Referat zum Thema »Die Kirchen im demokratischen Staat« gehalten und darin angeregt, das Verhältnis von Staat und Kirche, so wie es in der Weimarer Verfassung und damit auch im Grundgesetz formuliert sei, neu zu überdenken. Dazu gehöre unter anderem, das »Für und Wider«19 des jetzigen Kirchensteuereinzugsverfahrens gegeneinander abzuwägen, und zu überlegen, ob der Religionsunterricht nicht als »Freiwilligkeitsfach« 20 angeboten werden könnte. In kirchlichen Kreisen stießen die Äußerungen Funckes auf starke Kritik. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers forderte die Kirchenkanzlei der EKD auf, den Äußerungen Funckes nachzugehen und Gespräche mit der FDP zu suchen. Die Hauptsorge, die im Schreiben der Landeskirche artikuliert wurde, bestand darin, dass die Distanzierung der FDP von dem Jungdemokratenpapier »letztlich nur formalen Charakter«21 haben könnte und man seitens der FDP den Forderungen der Jungdemokraten im Sinne einer Trennung von Staat und Kirche letztlich doch zustimme. Die Landeskirche forderte die Kirchenkanzlei dazu auf, zu prüfen, »wie der notwendige Dialog mit der FDP fortgesetzt werden kann.« 22 Das Schreiben Hermann Kunsts an Funcke vom 5. 5. 1973 verwies auf ähnliche Bedenken. Darin bat Kunst Funcke um die Übersendung einer Nachschrift ihres Referates, da aus der Pressemitteilung des Evangelischen Pressedienstes nicht genau hervorginge, welche Position sie nun eigentlich vertrete.23 Am 16. 5. 1973 kam es um 19 Uhr in der Dienststelle des Bevollmächtigten der EKD in Bonn zum verabredeten Treffen zwischen Vertretern des Rates der EKD und Mitgliedern des FDP Präsidiums.24 Der Pressetext, der am 18 Der andere Referent war Pfarrer Walter Bosse aus Olpe, der über »Stellung und Aufgabe der Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft« sprach. Funckes Teilnahme an der Tagung war insofern günstig, als die Kirchenkommission der FDP bis zum Mittag des 28. 4. 1973 ebenfalls in der THA getagt hatte. 19 Art. »Liselotte Funcke: Über Verhältnis Staat-Kirche nachdenken – Für Trennung im organisatorischen und fi nanziellen Bereich«, in: epd Region West Nr. 50 vom 30. 4. 1973. 20 Ebd. 21 Schreiben ev. Landeskirche Hannover an Kirchenkanzlei der EKD vom 4. 5. 1973; EZA 2/17496. 22 Ebd. 23 »Leider ist die Nachricht so knapp, daß man nicht einmal die Richtung erkennen kann, die Sie in Ihrem Referat gemeint haben. Es wird lediglich gesagt, daß sie die These vertreten hätten, Staat und Kirche organisatorisch und fi nanziell zu trennen. [. . .] Wäre es Ihnen möglich, mir die Nachschrift Ihres Vortrags zu geben? Ich könnte mit denken, daß dies auch für das zwischen uns in Aussicht genommene Gespräch von FDP und Rat von Gewinn sein könnte« (Schreiben Kunst an Funcke vom 5. 5. 1973; EZA 87/658). 24 Seitens der EKD nahmen teil die Ratsmitglieder Beckmann, Weeber, Raiser, Heckel, Kunst, Oberkirchenrat Greifenstein aus München sowie Oberkirchenrat Schnell aus
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IV. EKD und Kirchenpapier
nächsten Tag an den weitergeleitet wurde, gab wieder, dass das Gespräch, in dem die Beziehungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft diskutiert und »neue Wege der Zuordnung und rechtlichen Neugestaltung«25 besprochen wurden, in »großer Offenheit und gegenseitigem Vertrauen« 26 verlaufen sei und man eine Fortsetzung der gemeinsamen Zusammenkünfte plane.27 Die Coburger Synode: 29. 5. bis 2. 6. 1973 Die Coburger Synode stand ganz unter dem Zeichen der Neuwahl des Rates der EKD, durch die sich ein »einschneidende[r] Wechsel in der Führung der Evangelischen Kirche in Deutschland« 28 vollzog. Die Besonderheiten der neuen Konstellation zeigten sich zunächst daran, dass zwei Drittel der gewählten Ratsmitglieder dieses Amt zuvor noch nicht innegehabt hatten; lediglich fünf gehörten bereits dem vorigen Rat an.29 Weiterhin wurde der Rat insgesamt jünger, insofern acht der 15 Personen unter 60 Jahre alt waren, wohingegen im alten Rat über die Hälfte der Mitglieder älter als 65 gewesen war.30 An die Spitze des Rates wählte man den württembergischen, der sozialliberalen Politik nahe stehenden Landesbischof Helmut Claß, sein Stellvertreter wurde der hessen-nassauische Kirchenpräsident und Sozialdemokrat, Helmut Hild. Eine Verjüngung der Synode zeigte sich nicht zuletzt in der Wahl des 40-jährigen Rechtsanwaltes und moderaten CDU-Politikers, von Heyl, zum Nachfolger Raisers in das Amt des Präses der neuen Synode. Das Kirchenpapier der Jungdemokraten fand auf indirekte Weise seine Erwähnung, als der scheidende Ratsvorsitzende Dietzfelbinger in seinem Ratsbericht »Initiativen [. . .], die eine Systemveränderung«31 hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche anstrebten, erwähnte, ohne dabei die Jungdemokraten namentlich zu nennen. Die wörtliche Wiedergabe bestimmter Passagen des Kirchenpapiers sowie die zusammenfassende Nennung einiger Forderungen verwiesen jedoch eindeutig auf sie.32 DietzfelbinHannover. Als Vertreter des FDP-Präsidiums waren Funcke, Flach, Kirst, Ronneburger, Mischnick, Genscher und Maihofer anwesend. 25 Mitteilung des Rates für die Presse über das Treffen am 16. 5. 1973; ebd. 26 Ebd. 27 Leider war weder im EZA noch im AdL ein Protokoll oder ähnliches über dieses Treffen zu fi nden. 28 Mantei, Nein und Ja, 271. Hans von Kehler spricht von einem »starke[n] Revirement« des Rates, insofern die »Männer der ›ersten Stunde‹« abgetreten seien (Kehler, neue Synode, 665). 29 Vgl. ebd. 30 In der HK sprach man von einem deutlichen Generationenwechsel, der sich mit der Coburger Synode vollzogen hatte (vgl. Grundsatzfragen, 324 f.). 31 Coburg 1973, 45. Die folgenden Zitate ebd. 32 »Gefordert wird ›mehr Freiheit‹, freilich in einem besonderen Sinn. Dazu die ›ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Christentum‹, die ›konsequente Trennung von Kirche und Staat‹, woraus dann die Beseitigung der Kirchenverträge, des Religions-
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gers Bemerkungen über die Forderungen dieser Initiativen gingen über in allgemeine Äußerungen zum Staatskirchenrecht als einer »Ordnung des Ausgleichs und des Friedens«, die jedoch immer wieder aufs Neue »auf ihre Tragfähigkeit und Angemessenheit« hin zu überprüfen sei. Gleichzeitig verwies er auf die Regierungserklärung Brandts, deren Aussagen bezüglich des partnerschaftlichen Verhältnisses von Kirche und Staat neben einem Gefühl der »Beruhigung« Kirche und Christen gleichermaßen dazu aufriefen, ihren Dienst »in der heutigen gesellschaftlichen Situation und im Wandel vieler Maßstäbe« zu verrichten. In der Aussprache zum Bericht Dietzfelbingers erfolgten keine weiteren dahingehenden Äußerungen, insgesamt somit eine verhaltene Auseinandersetzung mit den jüngsten Angriffen auf die Beziehung zwischen Staat und Kirche. 1.2. EKD und Kirchenpapier August bis September 1973 Mit dem vorläufigen Ende der Arbeit der FDP-Kirchenkommission Anfang August 1973 und der Umarbeitung des Jungdemokratenpapiers zum FDPKirchenpapier »Freie Kirche im Freien Staat – Thesen der FDP zum Verhältnis von Kirche und Staat«, zeigte sich ein Kurswechsel im Umgang der EKD mit dem Kirchenpapier im Sinne eines deutlicheren nach außen Tretens. Dies belegt u. a. ein Blick in die Presse- und Medienlandschaft, wo sich ab August/September 1973 verstärkt kirchliche Stellungnahmen und Reaktionen, auch von höchster Instanz, auf das Kirchenpapier fi nden lassen. Ebenso wurde die Thematik in den gängigen theologischen Zeitschriften aufgegriffen und diskutiert.33 Vertreter der Kirchen nahmen an diversen Tagungen und Podiumsdiskussionen teil, und die EKD plante eigene Veranstaltungen; auch setzte jetzt verstärkt die Diskussion des Papiers in den einzelnen Landeskirchen ein. Dieser Wandel war durch mehrere Faktoren ausgelöst worden. Zunächst stand mit der Fertigstellung des FDP-Kirchenpapiers plötzlich die Befürchtung im Raum, das Papier oder Teile seines Inhalts könnten möglicherweise auf dem nächsten Parteitag der FDP beschlossen werden. Zumindest hatte Funcke in einem Gespräch mit Kunst dazu aufgefordert, die anstehenden Fragen jetzt zu diskutieren und auf die Möglichkeit hingewiesen, »dass zu den Parteitagsbeschlüssen ein Beschluß gegen die Kirchensteuer«34 gehören könnte. Der neue Ratsvorsitzende und Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Claß, hatte darauf hin in der Ratssitzung vom unterrichts an den staatlichen Schulen, der theologischen Fakultäten an den Hochschulen und vieles andere folgen würde« (ebd.). 33 Vgl. u. a. epd Dok. 36/1973; 39/1973; 1/1974. Einen ausführlichen Literaturbericht liefert KJ 1974, 62 Anm. 5. 34 Protokoll der 5. Sitzung des Rates der EKD vom 10./11. 8. 1973; EZA 87/659. Der nächste BPT der FDP fand vom 12. bis 14. 11. 1973 statt.
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10./11. 8. 1973 die unverzügliche Erarbeitung von »Koordinaten für eine Reaktion der Landeskirchen auf den FDP-Parteitag« 35 gefordert. Daraufhin wurde die Kirchenkanzlei beauftragt, diese Koordinaten unter Mitarbeit von zwei oder drei Mitgliedern der Kammer für Öffentliche Verantwortung »so rasch wie möglich und daher ohne Streben nach Perfektion«36 an die Landeskirchen weiterzuleiten. Diese wiederum sollten gebeten werden, Kontakte zu den FDP-Landesverbänden herzustellen und anhand der schriftlich fi xierten Handreichung des Rates Gespräche zu führen. Eine Pressemitteilung über das Kirchenpapier in der Frankfurter Rundschau vom 18. 8. 1973 stützte diese Befürchtung. Der Artikel mit der Überschrift »Freie Demokraten verlangen die Auf hebung der Kirchensteuer« informierte über die abgeschlossene Arbeit der FDP-Kirchenkommission und die weitere Behandlung des Papiers, zunächst im Bundesvorstand und anschließend im Bundeshauptausschuss. Des Weiteren prognostizierte er, dass es in Bonn als sicher gelte, »daß sich abschließend der Bundesparteitag der FDP (11. bis 14. November in Wiesbaden) mit den Vorschlägen beschäftigen werde, die dann den Titel »Freie Kirchen im freien Staat – Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche tragen«37. Im Artikel folgten, teilweise wörtlich zitiert, Inhalte des »Funcke-Papiers«38 , wie das Papier fortan im Artikel genannt wurde, und als einzigen wesentlichen Unterschied zum Jungdemokratenpapier konstatierte er, dass die FDP keine »offensive ideologische Auseinandersetzung mit dem Christentum« 39 beginnen wolle. Dieser Artikel stellte die erste offizielle Pressemitteilung über das Kirchenpapier der FDP dar, und die vertraulichen Informationen, die ihm zu entnehmen waren sowie die vorzeitige Publikation und Zitierung einzelner Abschnitte der 14 Thesen verwiesen auf eine Indiskretion durch eine oder mehrere an der Diskussion beteiligten Personen, die man im Umfeld der Jungdemokraten vermutete.40 Durch die Bezeichnung »Funcke-Papier« wurde zudem eine Identifizierung der FDP mit dem Jungdemokratenpapier forciert, die so zuvor von der Partei dementiert worden war. Der Präsident der Kirchenkanzlei Walter Hammer reagierte am 20. 8. 1973 auf besagten Artikel, nachdem ihn ein Mitarbeiter aus der Redaktion des Evangelischen Pressedienstes noch am 18. 8. kontaktiert und zu einer Stel35
Ebd. Ebd. 37 Art. »Freie Demokraten verlangen die Auf hebung der Kirchensteuer«, in: FR vom 18. 8. 1973. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Wie aus einem vertraulichen Schreiben Hammers vom 28. 8. 1973 an die Mitglieder des Rates hervorgeht, seien die Informationen »aus Kreisen der Jungdemokraten der Redaktion der Frankfurter Rundschau zugespielt worden« (EZA 87/659). 36
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lungnahme ermuntert hatte.41 Der Artikel, der im Evangelischen Pressedienst erschien, beschrieb Hammers Kritik an der scheinbar nun doch vorliegenden Identität der Positionen des Kirchenpapiers mit »verschiedenen Judopapieren«42 , wenngleich dies zuvor von der Partei und von maßgebenden Persönlichkeiten – die Anspielung auf Funcke ist deutlich – bestritten worden war. Als »massive Kampagne gegen das Grundgesetz«43 vertrete das Papier einen Ansatz, der durch das Schlagwort einer Trennung von Staat und Kirche nun einen »verstaubte[n], jetzt ideologisch frisch aufgeputzte[n] Knüller aus Opas Dampfl iberalismus des vorigen Jahrhunderts«44 hervorgebracht habe. Die Reaktion auf diese Stellungnahme erfolgte prompt. Funcke lehnte die ihrer Meinung nach voreilige Stellungnahme Hammers, auch in seiner Funktion als Präsident der Kirchenkanzlei, als nicht angemessen ab.45 Seitens der FDP, so Funcke, sei man bereit, das Verhältnis von Kirche und Staat neu zu überdenken, allerdings müssten für eine solche Auseinandersetzung »Redlichkeit und Sachlichkeit«46 vorausgesetzt werden; die Verwendung plakativer Schlagworte wie »aufgeputzter Knüller«47 und »Opas Dampfl iberalismus«48 sei diesem Vorhaben wenig zuträglich.49 Eine weitere Pressemit41 Ein Vermerk Hammers informiert darüber, dass man »[n]ach längeren gemeinsamen Überlegungen« beschlossen habe, »in diesem Stadium nicht das ›schwere Geschütz‹ des Rates aufzufahren, sondern im Stil meiner ›Verwunderung‹ zu reagieren« (Vermerk Betr. FDP und Kirche; EZA 650/267). Hammer hatte nach dem Gespräch einen Text an den Pressedienst gesandt, aus dem die Redaktion dann den Artikeltext verfasste. 42 Art. »Eine massive Kampagne gegen das Grundgesetz – Erste Stellungnahme der EKD-Kirchenkanzlei zum FDP-Kirchenpapier«, in: epd ZA Nr. 160 vom 20. 8. 1973. 43 Ebd. 44 Ebd. 45 Auch kirchlichen Kreise, wie beispielsweise die Landeskirchen Hannover und Württemberg, übten Kritik an dem Vorgehen Hammers (siehe Abschnitte 2.1.3. und 2.3.1.). Eine besondere Brisanz käme der Hammerschen Pressemitteilung für den Fall zu, dass die innerhalb der Kirchenleitung der württembergischen Kirche gemachte Äußerung zutraf, Hammer habe sich ohne genaue Kenntnis des Papiers in der Presse darüber geäußert: »Allerdings ist festzuhalten, daß Hammer sich zu Pressemitteilungen geäußert hat, ohne den genauen Wortlaut der Thesen zu kennen. BE 5 erfuhr von ihm, daß er sich in der Urlaubszeit, während der Abwesenheit der Hauptbeteiligten, zu einer solchen ersten Äußerung veranlaßt gesehen habe« (LKAS A 226 Nr. 774). 46 Art. »Liselotte Funcke über Kritik von Präsident Hammer verwundert – Zum gemeinsamen Nachdenken über Verhältnis von Kirche und Staat bereit«, in: epd ZA Nr. 162 vom 22. 8. 1973. Sie kritisierte damit die Verwendung der Schlagworte »aufgeputzter Knüller« und »Opas Dampfl iberalismus.« 47 Art. »Eine massive Kampagne gegen das Grundgesetz – Erste Stellungnahme der EKD-Kirchenkanzlei zum FDP-Kirchenpapier«, in: epd ZA Nr. 160 vom 20. 8. 1973. 48 Ebd. 49 Hammer wiederum reagierte auf die Stellungnahme Funckes und übersandte ließ ihr den Text zukommen, den er ein paar Tage zuvor an den epd gesendet hatte. Damit versuchte er einige Missverständnisse, die durch die verkürzte Pressemitteilung aufgetreten waren, aus dem Weg zu räumen (vgl. Schreiben Hammer an Funcke vom 23. 8. 1973; EZA 87/659).
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teilung führte erneut zu Missverständnissen, als nur fünf Tage später, am 23. 8. 1973 und erneut in der Frankfurter Rundschau, die Thesen des FDPKirchenpapiers im Wortlaut veröffentlicht und Funcke als Autorin genannt wurde.50 Diese negierte, den Artikel geschrieben zu haben; sie hatte jedoch den Entwurf des Papiers unter ihrem Brief kopf an den Parteivorstand weitergeleitet, worauf hin die Frankfurter Rundschau das Papier kurzerhand unter ihrer Autorinnenschaft veröffentlicht hatte.51 Durch diese Ereignisse und den Ratsbeschluss, die Diskussion in die Gliedkirchen hineinzugeben, zusätzlich in die Verantwortung genommen, sah man sich in den Leitungsgremien der EKD dazu herausgefordert, »suaviter in modo aber fortiter in re« 52 zu agieren. Von der Kirchenkanzlei erwartete der Rat eine Arbeitshilfe für die Auseinandersetzung mit der FDP, deren Erarbeitung in der Verantwortung von Erwin Wilkens, Walter Hammer und Wessel Nuyken liegen sollte.53 Als vier Tage später der Bundesvorstand der FDP beschloss, das Papier lediglich als Grundlage und ohne weiteren Beschluss versehen zur Diskussion in die Partei zu geben, beruhigten sich die Gemüter ein wenig. Weiterhin trug ein vertrauliches Schreiben Hammers an die Mitglieder des Rates vom 28. 8. 1973 dazu bei, die unmittelbar geschehenen Ereignisse zu erläutern.54 Darin informierte er u. a. darüber, dass es dem Parteivorstand am liebsten gewesen wäre, er hätte »das Papier nach seiner Erarbeitung in den Akten verschwinden lassen können«, jedoch habe sich durch die Weiterleitung der Informationen an die Frankfurter Rundschau eine vorzeitige Veröffentlichung in derselbigen nicht mehr vermeiden lassen. Beide Veröffentlichungen in der Frankfurter Rundschau seien im Übrigen »mit starker Kritik [. . .] aufgenommen worden.« 55 Jedenfalls sei eine Weiterleitung in die höheren Gremien der Partei so nicht beabsichtigt, die Weitergabe in die Parteigliederungen verfolge vielmehr den Zweck, »die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben.« Abschließend 50
Vgl. Art. »Sonderrechte für die Kirchen werden abgelehnt – Liberale Thesen über das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in der Gegenwart. Von Liselotte Funcke, Vizepräsidentin des Bundestags«, in: FR vom 23. 8. 1973. 51 In einem Telefonat mit Grünhaupt betonte Funcke, die in dem Artikel genannten Inhalte seien ein »›Abklatsch‹« ihres Entwurfs, »der wohl mit bestimmter Absicht so veröffentlicht werde, als ob es ein Artikel von ihr sei« (Vermerk Grünhaupt vom 23. 8. 1973; EZA 2/17496). 52 So eine handschriftliche Notiz Hammers an Kunst, als er diesem sein Schreiben an Funcke vom 23. 8. 1973 weiterleitete (vgl. EZA 87/659). 53 Vgl. Protokoll der Referentenbesprechung vom 21. 8. 1973, TOP 1b); EZA 2/17496. 54 Vgl. EZA 87/659. Die folgenden Zitate ebd. 55 Weiterhin informierte er darüber, dass es den DJD durch die regelmäßige Teilnahme vierer ihrer Mitglieder in der FDP-Kommission gelungen sei, sich mit ihrem Konzept weitgehend in der Kommission durchzusetzen. Im Blick auf Funcke gab er wieder, sie habe sich bemüht, mäßigend und differenzierend zu wirken, was nicht immer gelungen sei (vgl. ebd.).
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resümierte Hammer, dass sich eine »kritische Behandlung in der Öffentlichkeit aus kirchlichen Kreisen« dennoch nicht mehr vermeiden lasse. Die Tatsache, dass der Bundesvorstand der FDP verantwortlich für die Veröffentlichung des Papiers war, obschon er es sich noch nicht zu eigen gemacht hätte, mache, so Hammer, Reaktionen von kirchlichen Persönlichkeiten in der Presse und den Medien unbedingt erforderlich, ebenso müssten in naher Zukunft Gespräche mit der Parteispitze geführt werden.56 Diese erneute Kontaktaufnahme zur FDP-Parteispitze übernahm Kunst Anfang September, wobei er sich diesmal nicht nur an Funcke wandte, sondern auch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP Hans-Dietrich Genscher kontaktierte. Erhielt die Kontaktaufnahme dadurch einen offizielleren Charakter, so spielte es sicherlich auch eine Rolle, dass sich bei Kunst eine gewisse Irritation im Blick auf das Verhalten von Liselotte Funcke eingestellt hatte, dahingehend, dass sie »als Vorsitzende der Kirchenkommission nicht erfolgreicher den Judos hat widerstehen können«57, und das, obwohl einen der »anti-kirchliche Affekt« 58 des Papiers »aus mindestens 90% des gesamten Papiers«59 ansähe. Kunst informierte Genscher über eine Tagung des Rates, die in der Woche nach der Septemberratssitzung stattfinden und auf der das Kirchenpapier der FDP sicherlich zur Sprache gebracht werden würde.60 Er bat daher um ein Gespräch möglichst vor dieser Tagung und schlug den 18. 9. vor.61 In den folgenden Wochen kam man der Aufforderung Hammers nach, und Vertreter der EKD äußerten sich bei verschiedenen Gelegenheiten zur Thematik und beteiligten sich stärker als zuvor an der öffentlichen Diskussion. Vom 10. bis 12. 9. veranstaltete die Theodor-Heuss-Akademie eine Tagung zum Thema »Christlicher Sozialismus – Christlicher Liberalismus?«, die von ihrer Ausrichtung her zunächst den unlängsten Bemühungen der 56 In diesem Kontext musste auch die Bitte Wilkens gegenüber dem Chefredakteur der epd-Zentralredaktion verstanden werden, »sobald wie möglich und soweit es sich lohnt, eine epd-Dokumentation mit Stellungnahmen und dem sonstigen Echo auf diese Thesen herauszubringen« (Schreiben Wilkens an Heßler vom 28. 8. 1973; PAepd D 213). 57 Schreiben Kunst an Hild vom 4. 9. 1973; EZA 87/660. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Es handelte sich dabei um die von EKD und SPD gemeinsam durchgeführte Klausurtagung zum Thema »Freie Initiative im Sozialstaat«, die am 5./6. 10. 1973 in Bonn stattfand. 61 »Wie Sie mich in Jahrzehnten kennengelernt haben, liegt mir mehr an Argumenten als an Wirbel. Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn wir uns vor der Ratstagung noch einmal sprechen könnten« (Schreiben Kunst an Genscher vom 4. 9. 1973; EZA 87/658). Genscher hatte auf die Anfrage Kunst antworten lassen, dass er an besagtem Termin nur zwischen 7.30 und 8.30 Uhr zur Verfügung stünde und gefragt, ob dies zu früh sei (vgl. Antwort vom 13. 9. 1973 auf die Einladung Kunsts; ebd.). Im Ratsbericht vom 28./29. 9. wird nichts über ein solches Gespräch berichtet, daher ist anzunehmen, dass es bis dato aufgrund von terminlichen Engpässen nicht mehr dazu gekommen war.
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Partei, ihr Verhältnis zu den Christen – insbesondere den Katholiken – neu zu bestimmen, zugeordnet wurde.62 Darauf verwies zum einen das Programm der Tagung als auch die Tatsache, dass eine Reihe der Teilnehmer dem Katholisch-Liberalen Arbeitskreis angehörten.63 Wenngleich der eigentliche Arbeitsauftrag der Tagung darin bestanden hatte, die ideologischen Verbindungen von Christentum und Sozialismus bzw. Christentum und Liberalismus zu reflektieren64, so wurde die Tagung jedoch »wie von selbst zu einem Forum, das das Kirchenpapier diskutierte.« 65 Als Vertreter der EKD nahm Hermann Kalinna, Stellvertreter von Kunst, an einer Podiumsdiskussion zum Thema »Freie Kirche im freien Staat« teil. Dabei nannte er als wohl kritischsten Punkt des Kirchenpapiers die Kirchensteuerfrage bzw. das Besteuerungsrecht der Kirchen, das mit ihrem Status als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verbunden war. Er verwies auf die Konsequenzen, die im Falle einer Umsetzung der Forderung auf die Kirchen zukämen und beschrieb eine Veränderung des gesellschaftlichen Status der Kirchen, die die Kirchen »Jahrzehnte« 66 kosten würde, »um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.« 67 Die Stellungnahme Kalinnas verwies insofern auf eine Besonderheit, als man sich seitens der EKD jetzt konkret zu einzelnen Thesen des FDP-Kirchenpapiers äußerte. Die bis dato eher allgemeinen und stark kritischen Äußerungen über das Kirchenpapier, die meist in generelle Bemerkungen über das Verhältnis von Staat und Kirche mündeten, wurden somit durch die inhaltliche Betrachtung einzelner Thesen ergänzt.68 Wenngleich die Haltung der Kirche dem Kirchenpapier gegenüber ablehnend blieb, verwiesen im Folgenden differenziertere Urteile auf eine Ten62
Siehe Kap. I.3.3. Das erste Referat der Tagung hielt Peter Hertel, der über Ergebnisse und Perspektiven der Zusammenführung von Liberalen Katholiken und Katholischen Liberalen berichtete (vgl. Erfahrungsbericht; AdL 8691). 64 Rüdiger Reitz, Referent für Kirchenfragen bei der SPD und Heinz-Wilhelm Brockmann, Mitherausgeber des Publik-Forum, hielten dazu die Grundsatzreferate. 65 Art. »Die FDP bemüht sich um das Gespräch mit den Katholiken«, in: Schwäbische Zeitung vom 19. 9. 1973. Vgl. auch Art. »Die Kirchenthesen der FDP bleiben im Gespräch. Tagung der Theodor-Heuss-Akademie über die weltanschaulichen Grundlagen«, in: StZ vom 14. 9. 1973; Art. »Schroers: Die Kirchen fi nanziell nicht zurückdrängen«. Podiumsdiskussion über das F.D.P.-Kirchenpapier in Gummersbach«, in: epd Nordrhein/MittelrheinSaar Nr. 105 vom 13. 9. 1973. 66 Hertel, Erfahrungsbericht; AdL 8691. 67 Ebd. 68 So nahm auch der Präses der Synode Cornelius Adalbert von Heyl an einem Radiointerview des SDR am 18. 9. 1973 zum Thema »Streit über das FDP-Papier ›Freie Kirche in einem freien Staat‹«, teil und diskutierte gemeinsam mit dem Politologen Eugen Kogon, Rolf Schroers, Josef Zoellner, Mitglied der gemeinsamen Synode der Deutschen Katholischen Bistümer, und Sighart Ott von der HU These für These des Kirchenpapiers (Auszüge aus dem 60 Seiten starken Protokoll der Sendung in: EZA 650/95/271). 63
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denz, die dem Kirchenpapier ein Stück weit seine Berechtigung zusprach. So begrüßte Ratsmitglied Lohse die Kirchenthesen der FDP, wenngleich er der Partei ein politisch sehr unkluges Verhalten bescheinigte. Die FDP habe jedoch Themen zur Sprache gebracht, »die ohnehin in der Bevölkerung erörtert würden.« 69 Ihre kritischen Anfragen hätten somit dazu beigetragen, dass die Kirche »verstärkt über ihre Aufgaben und Stellung in der Gesellschaft Rechenschaft gibt.«70 Zurückhaltender bewertete Kunst die kirchenpolitische Bedeutung des Kirchenpapiers: »Will man Wandlungen beschreiben, empfiehlt es sich selten, ein tagespolitisches Ereignis zu analysieren, es sei denn, in diesem Ereignis sammeln sich Strahlen wie in einem Brennspiegel. Es ist die Frage, ob das Kirchenpapier der FDP den Rang eines solchen Ereignisses hat.« 71
Seine als positiv einzustufende Aussage, die FDP habe »mit dem falschen Klöppel an einige richtige Glocken geschlagen«72 wurde im Zusammenhang einer notwendigen Flexibilität der Kirche gemacht, bei Bedarf ihrem Sendungsbewusstsein gemäß eine neue Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche auszuhandeln. Zwar erachtete Kunst einige Thesen durchaus als diskussionswürdig, insgesamt aber tadelte er das Papier als unzeitgemäß und verwies dabei immer wieder auf die Regierungserklärung Willy Brandts vom Januar 1973, in der die Partnerschaft von Staat und Kirche betont worden war.73 In der FDP setzten nach dem Beschluss zur Freigabe der Thesen in die Partei Bestrebungen ein, mit den Kirchen ins Gespräch zu kommen. Am 17. 9. 1973 wandte sich der Bundesvorsitzende der FDP Scheel in einem Schreiben an den Ratsvorsitzenden Claß und bat diesen um ein Gespräch über die Thesen mit Vertretern des Präsidiums seiner Partei. Zuvor betonte er, dass seitens der FDP noch keinerlei Beschluss zu den Thesen vorläge und man sich in der Präambel des Papiers ausdrücklich gegenüber einer »anti69 Art. »Bischof Lohse begrüßt Thesen der FDP zur Stellung der Kirchen«, in: Die Welt vom 15. 9. 1973. 70 Ebd. Lohse äußerte sich in dem Zeitungsartikel konkret zur Körperschaftsstatusthese, gegen die Herauslösung von Sozial- und Bildungsaufgaben aus der Kirche, in diesem Zusammenhang gegen die Abschaffung des Theologiestudiums an öffentlichen Universitäten sowie zur Kirchensteuer. 71 Vortrag Kunst vor der Zusammenkunft der Synodalpräsidenten der Gliedkirchen der VELKD am 15. 9. 1973 in München; EZA 742/39. 72 Ebd. 73 Vgl. Jeziorowski, FDP-Tadel, 560. Kunst machte weiter keine Aussagen zu einzelnen Thesen, lediglich die These zur Kirchenmitgliedschaft und Taufe kritisierte er als »diskussionsunwürdig« und sprach von einer »eindeutigen Grenzüberschreitung einer Partei« in diesen theologisch höchst komplizierten Fragen (Vortrag Kunst am 15. 9. 1973; EZA 742/39).
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kirchlichen oder gar antichristlichen Einstellung«74 als möglichen Hintergrund des Papiers verwahre. Man sei sich vielmehr bewusst, dass man mit dem Papier Fragen aufgriff, die in vielen Kreisen, »nicht zuletzt in kirchlichen«75 zurzeit diskutiert würden. In der Ratssitzung vom 28./29. 9. 1973 begrüßte man den Vorschlag Scheels, gemeinsame Gespräche zu führen, und bestätigte (erneut) ein Stück weit dessen Bemerkung zur Aktualität der Thesen, indem man darauf hinwies, dass die aufgeworfenen Fragen »im Bereich der EKD schon seit längerem ›als eigene Sache‹ diskutiert werden«76 . Allerdings war es ein großes Anliegen des Rates, die Diskussion »aus ihrer Beschränkung auf verfassungsrechtliche und sonstige rechtliche Regelungen des Staatskirchenrechtes hinaus«77 zu führen und »menschliche und personale Aspekte« in die Diskussion hinein zunehmen. Nur auf diese Weise könne vermieden werden, dass man »künstliche Konstruktionen« vertrete, die aus tatsächliche Lebensumstände nicht berücksichtigenden weltanschaulichen Ansichten resultierten. Der Rat ordnete die Thesen dem großen Thema »Kirche von morgen« zu und beschloss die Einrichtung eines Gremiums, das dieses Thema vorbereiten sollte. Im Blick auf das konkrete Gespräch mit der FDP wurde Kunst damit beauftragt, einen Termin zu vereinbaren und dem Rat Vorschläge zur Gestaltung dieses Treffens zu machen. 1.3. EKD und Kirchenpapier Oktober 1973 bis Juni 1974 Nach den missverständlichen Ereignissen um die Veröffentlichung des FDPPapiers und den ersten offiziellen kirchlichen Reaktionen darauf zeichnete sich eine zunehmend sachlicher geführte Diskussion ab. Dazu bei trug unter anderem die offen gezeigte Bereitschaft der FDP, mit der Kirche im Gespräch zu bleiben78 , was auch seitens der Kirche befürwortet wurde.79 74
Schreiben Scheel an Claß vom 17. 9. 1973; AdL 3325. Es handelte sich bei dieser Kontaktaufnahme um jenes Schreiben, das Scheel unmittelbar nach der Präsidiumssitzung an Claß, Döpfner und Roth geschickt hatte (siehe Kap. III.1.6.1.). 75 Schreiben Scheel and Claß vom 17. 9. 1973, AdL 3325. 76 Protokoll der 6. Sitzung des Rates vom 28./29. 9. 1973; EZA 87/658. 77 Pressekommuniqué zur Ratssitzung vom 28./29. 9. 1973, in: KJ 1973, 118. Die folgenden Zitate ebd. 78 Dazu gehörte es, die anfänglichen Missverständnisse abschließend klarzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch das Schreiben von Sepp Woelker, persönlicher Referent von Scheel im Auswärtigen Amt, an Hild, in dem er im Auftrage Scheels nochmals betonte, dass der Bundesvorstand der FDP die Thesen lediglich als Grundlage zur Erörterung in die Partei gegeben habe. Ebenso wies er erneut auf die Meinungspluralität auch innerhalb der Partei hin und betonte die Wichtigkeit gemeinsamer Gespräche, durch die das »Ziel einer ausgewogenen Beurteilung und der bestmöglichen Gestaltung des Verhältnisses zwischen einer freien Kirche und einem freien Staat« am ehesten erreicht werden könne (Schreiben Woelker an Hild vom 3. 10. 1973; AdL 3320). 79 Vgl. Art. »Ratsvorsitzender der EKD zu Gespräch mit FDP-Vorsitzendem bereit –
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Ein solches Gespräch schien umso nötiger, als die EKD ihrerseits den Dialog mit dem FDP-Koalitionspartner SPD intensivierte, so etwa in Form der Klausurtagung »Freie Initiative im Sozialstaat«, die vom 5. bis 6. 10. 1973 zwischen Vertretern von EKD und SPD in Bonn stattfand. Auf der Tagung, an der insgesamt zwölf SPD-Politiker und zehn Ratsmitglieder teilnahmen80, wurde unter anderem das FDP-Papier thematisiert. Wenngleich es auch bei den SPD-Politikern auf »einmütige[. . .] Ablehnung« 81 gestoßen war, so hielt man die Fragen, die es aufwarf, für durchaus diskussionswürdig, nicht zuletzt, weil deren Beantwortung ebenfalls Auswirkung auf die Bestimmung des eigenen Verhältnisses, d. h. von EKD und SPD, hatte.82 Ulrich Scheuner, Staatsrechtler aus Bonn, erläuterte die Rechtsgrundlagen des Verhältnisses von Kirche und Staat und betonte unter Rekurs auf die Regierungserklärung, die EKD fühle sich in ihrer Rolle als Partnerin des Staates »nicht in die Reihe der anderen Gruppen ein[ge]fügt, sondern ihren besonderen Auftrag berücksichtigt.« 83 Die Wahrung ihrer Eigenständigkeit sei daher vordringliches Anliegen der EKD. Die Darlegung der SPD-Meinung erfolgte durch Bundeskanzler Brandt persönlich, der sich ebenfalls für die »[e]igenständige Kirche« 84 aussprach, die als moralische Kraft eine Aufgabe übernehme, welche »nicht dem Staat und den ihn tragenden Parteien allein überlassen bleiben kann.« 85 Die von beiden Seiten betonte Eigenständigkeit der Kirche wurde am Beispiel der kirchlichen Trägerschaft bzw. am Landesbischof Claß unterstreicht ›Schutzfunktion‹ des Staates«, in: epd ZA Nr. 193 vom 4. 10. 1973. 80 SPD: Brandt, Focke, Westphal, Arendt, Rohde, Börner, Wehner, Roth, Kühn, Osswald, Rau, Simon; Rat der EKD: von Heyl, Claß, Hild, Schneider, Lohse, Scharf, Thimme, Hofmann, Hammer, Kunst und Scheuner (vgl. Anwesenheitsliste; EZA 87/990). 81 Tagungsprogramm Klausurtagung »Freie Initiative im Sozialstaat«, 5./6. 10. 1973; EZA 87/990. 82 Darauf verwies auch eine Notiz des Protokolls der Ratssitzung nach der Tagung, nicht vergessen sein sollte »die Epplersche Bemerkung, die SPD habe sich vom F.D.P.-Papier distanziert, aber es sei nicht alles unklug, was es enthalte; es sei aber nicht Sache der Partei, den Kirchen den Standort anzuweisen« (Protokoll der Sitzung des Rates vom 12./13. 10. 1973; EZA 2/17690). 83 Scheuner zit. nach Art. »EKD betont das Recht auf eigenständiges Handeln – Gespräch zwischen SPD-Vorstand und Kirchen-Vertretern«; in: epd ZA Nr. 195 vom 8. 10. 1973. 84 Brandt, Eigenständige Kirche, 690 f. 85 Ebd., 690. Lohse lobte die SPD als jene Partei, die sich während seiner Zeit als Ratsmitglied (1973–1985) stets am besten auf die Gespräche mit dem Rat der EKD vorbereitet hatte. Hier verwies er insbesondere auf die »Integrationskraft«, die dabei von Brandt ausgegangen war: »In Gesprächen hörte er aufmerksam zu, wog Argumente bedächtig, prüfte Einwände darauf hin, ob sie möglicherweise recht haben könnten, und verstand es, Ergebnisse eines längeren Gespräches so zusammenzufassen, daß eine tragfähige Basis gemeinsamer Urteilsbildung gefunden wurde. Den Vertretern der Kirche erwies er immer großes Vertrauen – wohl wissend, welche Bedeutung kirchlicher Arbeit im gesamten Bereich sozialer Aktivitäten, aber auch nationaler Verständigung zukommt« (Lohse, Erneuern, 105).
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ganzen Bereich der Diakonie expliziert, deren Arbeit man im Sinne eines komplementären Handelns verstand. Man verabredete weitere Gespräche, insbesondere in einem frühen Stadium von Gesetzesvorhaben und erklärte dafür die EKD-Denkschrift »Die soziale Sicherung im Industriezeitalter« 86 als geeignete Grundlage.87 Die Tagung konnte die EKD in Bezug auf das Kirchenpapier ein Stück weit gelassener agieren lassen, denn zweierlei war durch sie deutlich geworden: Zum einen hatte man einen wichtigen Bereich der großen Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche, den der Diakonie, auf die gewünschte Art und Weise diskutiert und die menschlichen und personalen Aspekte stark gemacht.88 Zum anderen war diese Diskussion mit der Regierungskoalitionspartnerin der FDP geführt worden, und dessen grundsätzlich ablehnende Haltung dem Kirchenpapier gegenüber machte eine ohnehin nur schwer durchführbare politische Umsetzung seiner Forderung nun äußerst unwahrscheinlich. Die Position der SPD, die sich einer Rede des Bundespräsidenten Heinemann auf der Generalversammlung der GörresGesellschaft am 6. 10. 1973 entnehmen ließ, gab der EKD schließlich dahingehend die letzte Sicherheit. Hier hatte Heinemann den Staat als kirchenfreundlich beschrieben, was sich u. a. darin zeige, dass er den Kirchen »unbeschränkt freien Raum zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung, zum Gestalten ihrer Ordnungen aus eigenem Verständnis sowie zur karitativen und politischen Diakonie« 89 lasse. Die geschilderten Umstände wirkten sich auch auf das Verhalten der FDP gegenüber aus. In den folgenden Stellungnahmen Kunsts, in denen immer wieder Bezüge zum Gespräch mit der SPD hergestellt und somit dessen richtungsweisender Charakter für das weitere Verhalten der EKD bestätigt wurde90, fiel 86
Vgl. Die soziale Sicherung. Vgl. Pressekommuniqué zur Klausurtagung in: KJ 1973, 119 f. 88 Brandt hatte auf die Gefahren hingewiesen, die aus einer Vernachlässigung dieser Komponenten entstehen können: » Wer wünscht, daß die sozialen Dienste der Kirche das sozialpolitische Handeln der öffentlichen Hand ergänzen, kann sich deshalb von einer weiteren Trennung von Kirche und Staat nichts Vernünftiges versprechen. Wo ein geordnetes Zusammenspiel mit dem Staat fehlt, entsteht die Gefahr falscher Profi lierung oder auch bedenklicher Resignation. Es gilt, beidem entgegenzutreten: Überanstrengung oder Resignation gingen leicht auf Kosten der Gesellschaft und der Menschen, für die wir miteinander zu sorgen haben [. . .]« (Brandt, Eigenständige Kirche, 691). 89 Auszüge, 689. 90 Bei einem Interview für die ZDF-Sendung »Evangelisches Tagebuch«, die am 14. 10. 1973 ausgestrahlt wurde, bezeichnete er die in der Regierungserklärung Brandts verwendete aktualisierte Vokabel der »Partnerschaft« als »ziemlich genau« zutreffend. Partnerschaft, so Kunst weiter, beinhalte, dass die Kirche die Hoheitsrechte des Staates und der Staat die Eigenständigkeit der Kirche respektiere. Weiterhin verwies er auf den großen Bereich der sozialen und diakonischen Tätigkeiten, die sowohl vom Staat als auch von der Kirche kooperativ übernommen würden. In dieser Kooperation könne es, so Kunst, auch schon mal zu »prinzipiell abweichenden Stellungnahmen« kommen (Interview Kunst mit 87
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auf, dass er sich im Blick auf die FDP mit Kritik zurückhielt. Kunst verwies vielmehr erneut darauf, dass die FDP-Thesen Fragen angeschnitten hätten, über die es auch innerhalb der EKD »seit Jahren eine lebhafte Diskussion«91 gäbe. Ebenso korrigierte er eine der vielen in der Öffentlichkeit kursierenden FDP-kritischen Meinungen, die Partei vertrete eine radikale Trennung von Staat und Kirche: »[A]n einen gleichsam chirurgischen Eingriff denkt nach meiner Kenntnis auch in der Führung der FDP niemand.«92 Seitens der EKD signalisierte man der FDP Gesprächsbereitschaft, was sich auch in einem erneuten Schreiben Claß’ an Scheel manifestierte.93 Wie die nächsten Wochen zeigten, blieb es jedoch zunächst bei der Bereitschaft, denn bis Ende des Jahres hatte man aufgrund zeitlicher Engpässe keinen Termin verabreden können.94 Die EKD war mit den Vorbereitungen der im Januar 1974 anstehenden Synode beschäftigt, bei der FDP stand der 24. Bundesparteitag in Wiesbaden auf der politischen Tagesordnung. Auf dem Bundesparteitag hatten sich Funcke und Hild in einem »informelle[n] Gespräch«95 erneut für ein gemeinsames Treffen »Anfang nächsten Jahres«96 ausgesprochen. Walter Schmieding zum Thema: Verhältnis zwischen EKD und politischen Parteien; EZA 742/39). In einem Vortrag eine Woche später betonte er die Wichtigkeit, die dritte Größe in der Debatte um das richtige Verhältnis von Staat und Kirche, die Gesellschaft, mit einzubeziehen, da nur dann deutlich werde, »was unsere Frage mit uns allen, ob Christen oder Nicht-Christen, zu tun hat, bis in das persönliche Leben hinein, bis hin zur Atmosphäre des Hauses, in dem wir unser Haupt zu Schlafe betten werden« (Vortrag Kunst »Kirche und Staat – Trennung oder Partnerschaft?« in Essen 21. 10. 1973; ebd.). 91 Interview Kunst für den 14. 10. 1973; ebd. 92 Ebd. 93 »Ich bin gern bereit, Ihrem Wunsch nachzukommen und die aufgeworfenen Fragen im einzelnen mit Ihnen sowie mit Vertretern des Präsidiums der F.D.P. zu erörtern. Herr Bischof D. Kunst wird sich demnächst mit Ihnen wegen der nötigen Vorklärungen ins Benehmen setzen« (Schreiben Claß an Scheel vom 9. 10. 1973; AdL 3320). 94 »Unter dem 17. September hatten Sie dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Herrn Landesbischof Helmut Claß die in der Freien Demokratischen Partei diskutierten Thesen ›Freie Kirchen im Freien Staat‹ zugeleitet. Herr Landesbischof Claß hat Ihnen unter dem 9. Oktober seine Bereitschaft erklärt, gerne Ihrem Wunsche nachzukommen, und die aufgeworfenen Fragen im einzelnen mit Ihnen sowie mit Vertretern des Präsidiums der Freien Demokratischen Partei zu erörtern. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat mich gebeten, mich um das Zustandekommen eines Gespräches zu bemühen. Ich fürchte, daß wir unseren strapazierten Terminkalendern vor Weihnachten keinen uns allen genehmen Tag mehr fi nden werden. [. . .]« (Schreiben Kunst an Scheel vom 13. 11. 1973; EZA 87/658). Kunst hatte in dem erwähnten Schreiben betont, ein solches Treffen bedürfe auf beiden Seiten genügender Vorarbeit, und Mitte Februar als möglichen Zeitraum vorgeschlagen. 95 Schreiben Funcke an Mischnick vom 13. 11. 1973; AdL A 40-54, Bl. 47. 96 Notiz in epd ZA Nr. 230 vom 27. 11. 1973. Hild betonte, er halte es für möglich, »mit den Liberalen zu gemeinsamen Vorstellungen zu kommen« (ebd.). Er war als Stellvertreter Kunsts für die EKD auf dem BPT anwesend. Kunst hatte zuvor sein Fehlen in einem Schreiben an Scheel entschuldigt (vgl. Schreiben Kunst an Scheel vom 8. 11. 1973; EZA 87/658).
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Die Kasseler Synode: 13. bis 17. 1. 1974 Präsenter als auf der ersten Tagung der 5. Synode in Coburg 1973 war das Kirchenpapier auf der Kasseler Synode, deren Hauptaugenmerk auf der Diskussion der Gemeinsamen Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur Reform des § 218 StGB lag.97 In seinem ersten Ratsbericht, dessen »Klarheit der Sprache und [. . .] Verzicht auf undurchsichtige Andeutungen und ausweichende Fragen«98 vom Evangelischen Pressedienst hoch gelobt wurde, ging Claß in einem eigenen Abschnitt »Eigenständige Kirche im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat« 99 auf das Verhältnis von Staat und Kirche ein. Hier spiegelten sich die jüngsten Ereignisse wider, insofern Claß die Bereitschaft der EKD, »mit den im Bundestag vertretenen Parteien über die Fragen, die das Verhältnis von Staat und Kirche betreffen, zu sprechen«100 betonte. Informierte er in diesem Kontext über die Begegnung zwischen Rat und SPD im Oktober 1973, und verwies er ebenso auf die Rede Heinemanns auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft, so blieb die Tatsache, dass man seitens des Rates auch mit der FDP ein Gespräch in Aussicht genommen hatte, unerwähnt. Die folgenden Äußerungen zu Militärseelsorgevertrag, Religionsfreiheit, weltanschauliche Neutralität, Privilegien und Kirchensteuereinzug ließen indes deutlich den Hintergrund des FDP-Papiers und nicht zuletzt Claß’ ablehnende Haltung erkennen. Hier zog sich der Begriff der Freiheit wie ein roter Faden durch die Ausführungen, insofern Claß die »Freiheit des Dienstes«101, die freiheitliche Ordnung«102 , die Bedeutung der »Freiheit seiner [sc. des Glaubens] Betätigung für das private und öffentliche Leben«103, die »freie Entfaltung«104 aller Weltanschauungsgruppen, Religionsgemeinschaften und Kirchen sowie die »Freiheit [sc. der kirchlichen Institutionen] zur Verkündigung und zum sozialen Dienst«105 betonte und auf diese Weise einen abstrakten Freiheitsbegriff für den Dienst an und in der Kirche konkretisierte. Interessant waren seine Ausführungen zum »sogenannten Privile[g]«106 des Kirchensteuereinzugs, insofern er den staatlichen Kirchensteuereinzug aus rein pragmatischen Gründen legitimierte, da sich dadurch die »unvermeidlichen Schwerfälligkeiten des kir97
Vgl. Mantei, Nein und Ja, 324 ff. »Art. »Soll und Haben der Kirche. Ein ungeschminkter Bericht des Ratsvorsitzenden vor der Synode in Kassel«, in: epd ZA Nr. 9 vom 14. 1. 1974. 99 Vgl. Kassel 1974, 49–53. 100 Ebd., 49. 101 Kassel 1974, 51. 102 Ebd. 103 Ebd. 104 Ebd., 52. 105 Ebd. 106 Ebd. 98
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cheneigenen Einzugsverfahrens«107 vermeiden ließen. Claß verwies in diesem Kontext auf seine eigene Landeskirche, die sich erst 1955 und damit als letzte Landeskirche für dieses Einzugssystem entschieden hatte. Zwei Synodale gingen in der Aussprache zum Bericht des Ratsvorsitzenden auf dessen Ausführungen zum Verhältnis von Staat und Kirche ein. So begrüßte der Berliner Synodale und SDP-Bundestagsabgeordnete, Hellmut Sieglerschmidt, diese insgesamt, verwies jedoch darauf, dass manche kirchlichen Privilegien heute nicht mehr zu rechtfertigen seien. Hier bezog er sich insbesondere auf die Staatszuschüsse für Pfarrgehälter, Pfarrversorgung und kirchliche Verwaltung, die als »Überbleibse[l] vergangener Zeiten«108 überdacht werden müssten. Fritz E. Anhelm, Jugenddelegierter der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend, kritisierte die in den aktuellen Diskussionen sich ausdrückende grundsätzliche Engführung der Diskussion über Staat, Gesellschaft und Kirche auf die formalen Aussagen des Kirchenrechts und forderte eine umfassende Analyse des gesellschaftlichen Beziehungsgeflechts, in dem Kirche sich zu bewegen habe.109 Einen konkreten Bezug zum FDP-Papier stellte der Synodale und Berliner Rechtsanwalt Reymar von Wedel her, als er im Kontext der Aussprache zum Bericht des Vorsitzenden des Diakonischen Werks Schober auf den neusten Satzungsentwurf des Werkes zu sprechen kam, in deren Formulierungen er eine Rückkehr in die rein privatrechtliche Form zu erkennen meinte. Dies erachtete er als rückläufige Entwicklung, die »ungefähr in die gleiche Richtung [ginge] wie das FDP-Papier«110, insofern sich in den darin artikulierten Forderungen nach Ablehnung des Subsidiaritätsprinzips und des Körperschaftsstatus die grundlegende Ansicht der FDP ausdrücke, »daß öffentlich nur etwas sein kann, was vom Staat aus geht.«111 Diese Äußerungen veranlassten wiederum Funcke zu einer Richtigstellung der liberalen Position, die sich keineswegs gegen die Arbeit der freien Träger wandte, sondern lediglich gegen deren Vorrangstellung im sozialen Bereich, wie diese vom Bundestag 1961 beschlossen worden war.112 Die Aussprache zum Verhältnis von Staat und Kirche bzw. die Auseinandersetzung mit dem dahingehenden Verständnis, wie es sich für von Wedel in dem Kirchenpapier offenbarte, endete mit dem Appell Funckes, die weitere 107
Ebd., 53. Ebd., 95. Vgl. Art. »Verhältnis von Kirche und Staat historisch gewachsen. Interview mit dem SPD-Abgeordneten Sieglerschmidt«, in: epd ZA Nr. 179 vom 14. 9. 1973. 109 Kassel 1974, 96. Anhelm verwies in diesem Kontext auf die Studie »Kirche und Mächte«, die der Protestantische Kirchenbund von Frankreich dahingehend durchgeführt hatte. 110 Kassel 1974, 108. 111 Ebd. 112 Vgl. ebd., 110. 108
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Diskussion in Unvoreingenommenheit und gegenseitigem Verständnis fortzusetzen. Die Ereignisse der folgenden Wochen verwiesen nun auf eine Tendenz, die so auch seit dem Beschluss des Wiesbadener Parteitags in der FDP festzustellen war: während das Papier in den Landeskirchen bzw. den Landesverbänden weiterhin auf einer breiten Basis diskutiert wurde, stellte man es in den höchsten Gremien von EKD und FDP zunächst zurück. So wurde das für Februar anberaumte Treffen vermutlich auf Initiative der EKD hin auf April verschoben.113 Indes trafen der Rat der EKD und das Präsidium der CDU am 22. 2. 1974 zu einer mehrstündigen Aussprache zusammen, in der man u. a. die geistigen Grundlagen der Gesellschaft thematisierte.114 Auf der Sitzung des Rates Mitte März sollte über das Gespräch mit der FDP weiter beratschlagt werden. In Vorbereitung darauf informierte Hammer Kunst darüber, dass der Ratsvorsitzende Claß nicht an der Sitzung teilnehmen könne. Claß habe jedoch darauf hingewiesen, dass es in Bezug auf das Gespräch mit der FDP, das für den 23. 4. 1974 angesetzt war, »besonders gründlicher Vorbereitungen«115 bedürfe. Seine Aussage war auf Gespräche zurückzuführen, die er kurz zuvor mit Vertretern des baden-württembergischen Landesverbandes der FDP geführt und in denen ihn der Landesverband über dessen weiteres Vorgehen informiert hatte.116 In der Ratssitzung thematisierte man jene positive Haltung des Landesverbandes Baden-Württemberg zum Kirchenpapier und äußerte den allgemeinen Eindruck, die FDP spiele ihr Kirchenpapier zurzeit herunter. Bedenken äußerte Kunst auf der nächsten Ratsitzung dahingehend, das gemeinsame Gespräch könne sich »von dem Interesse für die dann unmittelbar bevorstehende Bundestagsdebatte über § 218 ›umfunktionieren‹ lassen«117, 113 Im Präsidium der FDP hatte man in der Sitzung vom 11. 1. 1974 noch beschlossen, das Gespräch solle entweder am 20. 2. oder am 20. 3. 1974 geführt werden (vgl. AdL 216). Auf Seiten der EKD lieferte das Ratsprotokoll vom 11./12. 1. 1974 den Hinweis darauf, dass der Termin auf April – »eventuell 24. April« – verschoben sei. Kunst wollte darauf hin »die Frage eines Gesprächstermins während der Synodaltagung mit Frau Funcke klären« (EZA 87/658). 114 Vgl. Protokoll der Referentenbesprechung vom 25. 2. 1974; EZA 2/17690. Weitere Themen waren die Medienpolitik, die Außenpolitik, das Verhältnis der CDU zur Jugend sowie Fragen des sozialen Rechtstaates. 115 Schreiben Hammer an Kunst vom 5. 3. 1973; EZA 87/1007. 116 Günther Metzger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Oberkirchenrat der Württembergischen Landeskirche beim Ratsvorsitzenden der EKD, hatte dem Rat in Abwesenheit Claß’ von dessen Zusammenkunft mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes Bangemann und anderen Vertretern berichtet und darüber informiert, dass man im Landesverband das Kirchenpapier in »kleinen Basisgruppen aktivieren« wollte (Protokoll der 14. Sitzung des Rates vom 15./16. 3. 1974; EZA 87/658. Zum Landesverband Baden-Württemberg siehe Kap. III 2.3.5.). 117 Protokoll der 15. Sitzung des Rates vom 5./6. 4. 1974; EZA 2/17497.
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die für den 25. 4. 1974 zur zweiten Lesung der Entwürfe zur Reform des Abtreibungsstrafrecht angesetzt war.118 Kunst betonte, in dem Gespräch müsse es um »die große Linie«119 der ganzen Diskussion gehen: »Was denkt der Staat, wenn er von der Kirche spricht (und umgekehrt)? Was meint die F.D.P., wenn sie von der Gesellschaft spricht?«120 Angesichts der konkreten Herausforderungen, die der Kirche durch die Thesen der FDP gestellt würden, habe der Rat klare Vorstellungen davon zu entwickeln, worauf er zugehen wollte. Am 23. 4. 1974 trafen die Vertreter des Rates der EKD und des Präsidiums der FDP zum dem gemeinsamen Gespräch in Bonn zusammen. Von Seiten des Rates nahmen Helmut Claß, Helmut Hild, Cornelius Adalbert von Heyl, Kurt Scharf, Grete Schneider und Richard von Weizsäcker, Hermann Kunst und Erwin Wilkens sowie der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD Axel von Campenhausen und Klaus Schlaich teil. Als Vertreter des FDP-Präsidiums fungierten Liselotte Funcke, Hildegard Hamm-Brücher, Hans-Dietrich Genscher, Werner Maihofer, Wolfgang Mischnick, Victor Kirst121 und Hans Wolfgang Rubin.122 In das Gespräch führte Klaus Schlaich ein, dessen Referat »Kirche und Staat: Suche nach einer ausbalancierten Trennung und Zusammenarbeit«123 grundlegend für die Diskussion wurde. Darin stellte Schlaich zunächst den Status quo der rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der Kirchen, denen durch Verfassung und Verfassungswirklichkeit die »denkbar größte Freiheit öffentlicher Wirkungsmöglichkeiten«124 zugesprochen werde, der gegenwärtigen Sorge gegenüber, dieser Freiraum könne durch die aktuellen Tendenzen sozialstaatlicher Gesetzgebung und Verwaltung beschnitten werden, da diese immer mehr in das soziale Feld hineinreiche. Im Blick auf die durch das Kirchenpapier intendierte radikalere Trennung von Staat und Kirche betonte er auch auf dem Hintergrund der differenzierten Reaktionen darauf, 118
Vgl. Mantei, Nein und Ja, 397 ff. Protokoll der 15. Sitzung des Rates vom 5./6. 4. 1974; ebd. 120 Ebd. 121 Victor Kirst war seit 1969 Mitglied des Bundestages und seit 1971 stellvertretender FDP-Bundesfraktionsvorsitzender. Er war ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss des Parlaments sowie im Ausschuss der Wahrung der Rechte der Volksvertretung gemäß Art. 45 GG. 122 Art. »Gespräch des F.D.P. -Präsidiums mit dem Rat der EKD«, in: fdk vom 24. 4. 1974. Dass die FDP nur mit sieben Vertretern an dem Gespräch teilnahm, führte Claß auf die schon erwähnte unmittelbar bevorstehende Debatte um § 218 StGB zurück: »Man merkt schon an der Zahl deutlich die Mühsal der FDP, zwei Tage vor der großen Parlamentsdebatte eine repräsentative Gruppe zusammenzustellen« (Schreiben Claß an Kunst vom 18. 4. 1974; EZA 87/658). Von Seiten der FDP war mit diesen Delegierten jede nur denkbare Position im Blick auf das Kirchenpapier vertreten. 123 Vgl. epd Dok. Nr. 28a/1974, 2–6. 124 Ebd., 2. 119
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es sei »an der Zeit, das Problem aufzugreifen«125, zumal das Verhältnis von Staat und Kirche verfassungsrechtlich »weder 1919 noch 1949 voll aufgearbeitet«126 worden sei. Der Diskussion über eine mögliche Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche auf der Grundlage des FDP-Kirchenpapiers »Freie Kirche im freien Staat« müsse jedoch zunächst die Klärung des dem Papier zugrunde liegenden Freiheitsbegriffes vorausgehen.127 Schlaich verwies auf verschiedene Trennungsthesen und betonte, ein Verweis der Kirchen ins Private und die dadurch vollzogene Freiheit vom Staat sei nicht mit der realen Freiheit kompatibel, vielmehr läge darin die Gefahr einer Förderung der »Introvertiertheit«128 weltoffener, liberaler und pluralistischer Kräfte der Kirche zu Ungunsten einer Stärkung ihrer orthodoxen auf Selbstabgeschlossenheit zielenden Kräfte. Als wichtigen und in dem Kirchenpapier weithin vernachlässigten Aspekt führte Schlaich den Begriff der Gesellschaft ein, der gleichsam den Unterschied zu allen bisher geführten Diskussionen über ein angemessenes Verhältnis von Staat und Kirche aufzeige. Die Kirche habe bisher als Volkskirche versucht, die Anliegen der Gesellschaft, »die sonst vergessen [oder] nicht wirksam artikuliert werden«129 zu repräsentieren. Dabei sei es ihr vor allem darum gegangen, den Menschen »trotz und in der Vielzahl seiner Rollen und Interessen« als Ganzen im Blick zu behalten. Der modernen Gesellschaft, die immer mehr »der Oasen der Freiheit und Unabhängigkeit« bedürfe, sei die Frage zu stellen, ob sie diese Kräfte weiterhin brauche. Ebenso sei der Staat dazu aufgefordert, seine Rolle als »Anwalt« geistiger Interessen und der Kultur zu reflektieren. Ein Vermeiden des Kontaktes mit diesen Kräften habe, so Schlaich, auf kurz oder lang die Degeneration des Staates zu einer »geistlosen, substanzlosen formalen Ordnung« zur Folge. Ein Gespräch, dass zu einem »ausbalancierte[n] Verhältnis der Trennung und Zusammenarbeit«130 beitrage wolle, müsse daher ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgen und dürfe sich nicht in der Diskussion über Einzelaspekte verlieren. Für die Kirche sei dieses Ziel klar: »Um des Menschen willen will sie geltend machen, daß die Lösung des öffentlichen Lebens von Religion und Kirche nicht die Losung des Grundgesetzes ist, daß der Staat nicht die geistig allein bestimmende Macht werden darf (wie es auch die Kirche nicht sein will und soll), daß ethische, moralische Fragestellungen aus dieser 125
Ebd., 3. Ebd. 127 »Was meint ›freie Kirche‹? [. . .] Worin sieht man die Freiheit der Kirche gefährdet? Mit welchem Ziel will man sie ihr verschaffen? [. . .] Inwiefern ist der jetzige Staat zum ›freien Staat‹ zu machen? Worin ist seine Freiheit gefährdet?« (ebd.). 128 Ebd., 4. 129 Ebd., 5. Die folgenden Zitate ebd. 130 Ebd., 6. 126
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Gesellschaft nicht einfach wegrutschen. Denn dann würde Freiheit nicht geschaffen, sondern verwelken.«131
Der gemeinsamen Pressemitteilung zufolge verlief das Gespräch in »großer Offenheit«132 und »guter Atmosphäre«. Die FDP-Seite anerkenne und befürworte den »Beitrag der Kirche zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik«, wohingegen seitens der EKD Verständnis für die FDP zum Ausdruck gebracht wurde, das Verhältnis von Staat und Kirche »gründlich zu diskutieren.« Als gemeinsames Ziel formulierte man die in der Überschrift des Schlaich-Referats erwähnte »Balance zwischen Trennung und Zusammenarbeit«. In einem Interview schrieb Mischnick dem Gespräch den Charakter eines »Zwischenstadium[s]«133 zu. Vordringliches Anliegen sei gewesen, im Sinne einer Zwischenbilanz grundsätzliche Ansichten über das Verhältnis von Staat und Kirche auszutauschen, Missverständnisse zu klären und gegenseitige Anregungen für die weitere Diskussion aufzunehmen. Die Beratungen von Einzelfragen übertrug man einer Sechser-Kommission, der von EKD-Seite Axel von Campenhausen, Erwin Wilkens und Hermann Kunst, von FDP-Seite Liselotte Funcke, Uwe Ronneburger und Hermann Rupprecht angehörten.134 Die innenpolitischen Ereignisse der nächsten Wochen ließen weitere Gespräche zwischen EKD und FDP zunächst hinten anstehen. Wie schon erwähnt, fand zwei Tage nach den Beratungen die zweite Bundestagsdebatte zur Reform des Strafrechts statt, die, entgegen der Befürchtungen Kunsts, »überhaupt kein Gesprächsgegenstand«135 auf dem Treffen gewesen war, jedoch in der innerkirchlichen Diskussion seit langem heftig und kontrovers diskutiert wurde.136 Die Bundestagsdebatte wurde durch die Verhaftung des als DDR-Spion enttarnten persönlichen Referenten Willy Brandts Günter Guillaume am 24. 4. überschattet. Es kam zu einer Neuformierung der Bundesregierung, als Willy Brandt am 6. 5. 1974 von seinem Amt als Bun131
Ebd., 6. Art. »Gespräch des F.D.P. -Präsidiums mit dem Rat der EKD«, in: fdk vom 24. 4. 1974. Die folgenden Zitate ebd. Vgl. auch Art. »Balance zwischen Trennung und Zusammenarbeit angestrebt« – EKD und FDP erörtern Verhältnis zwischen Staat und Kirche«, in: epd ZA Nr. 80 vom 25. 4. 1974. Die Artikel sind nahezu identisch. Leider war erneut weder im EZA noch im AdL ein Protokoll oder ähnliches über dieses Treffen zu fi nden. 133 Interview Mischnick im HR vom 24. 4. 1974. 134 Vgl. Protokoll der 16. Sitzung des Rates vom 10./11. 5. 1974; EZA 87/658. Die Besetzung auf der FDP-Seite war insofern interessant, als mit den drei kirchennahen Delegierten jede Position der FDP zum Kirchenpapier vertreten war: Liselotte Funcke als eindeutige Befürworterin des Papiers, Uwe Ronneburger als grundsätzlicher Befürworter wenn auch mit Abstrichen und Hermann Rupprecht als eindeutiger Gegner des Papiers. 135 Interview Mischnick im HR vom 24. 4. 1974. 136 Vgl. Mantei, Nein und Ja. »Die Auseinandersetzung um die Novellierung des § 218 war innerkirchlich heftiger als die Verhandlungen darüber zwischen Staat und uns« (Vortrag Kunst vor dem Geistlichen Konvent in Schleswig am 25. 5. 1974; EZA 742/40). 132
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IV. EKD und Kirchenpapier
deskanzler zurücktrat und Helmut Schmidt zehn Tage später dessen Nachfolger wurde. Seitens der EKD bedauerte man den Rücktritt Brandts und dankte ihm insbesondere dafür, dass er »den Grundsatz partnerschaftlichen Zusammenwirkens in Kirche und Staat mit Nachdruck vertreten habe.«137 Die Aufnahme des Passus zu den Kirchen aus der Regierungserklärung Brandts in die Regierungserklärung des neu amtierenden Bundeskanzlers Schmidt zeigte jedoch, dass man dahingehend keine Veränderungen zu befürchten hatte.138 1.4. EKD und Kirchenpapier Juli bis Oktober 1974 Die Neuformierung der Bundesregierung hatte auch für die FDP entscheidende Veränderungen herbeigeführt, so dass man sich seitens der EKD erst drei Monate nach dem letzten Treffen wieder an die Partei wandte.139 Ausgelöst wurde die erneute Kontaktaufnahme durch einen Artikel im Evangelischen Pressedienst vom 20. 7. 1974, der über die Einrichtung der zweiten FDP-Kirchenkommission und die abschließende Beratung des Kirchenpapiers auf dem kommenden Bundesparteitag informierte.140 Der Rat hatte somit, trotz der Tatsache, dass drei Mitglieder dieser Kommission auch in der EKD aktiv waren, erst knapp einen Monat nach Einrichtung dieser Kommission davon erfahren, wodurch er sich umso mehr dazu angehalten fühlte, »in Aktion treten [zu] müssen«.141 Mit der FDP einigte man sich auf ein erstes Treffen der Sechserkommission am 4. 9. 1974. In der Ratssitzung vor dem Treffen forderte man die drei in der Kommission mitwirkenden EKD-Vertreter von Campenhausen, Kunst und Wilkens auf, dem Rat in der nächsten Sitzung nochmals ihre Ansichten zum FDP137 Art. »Rat der EKD zum Rücktritt Brandts: Politiker unter schweren Belastungen – Beschränkung der Auseinandersetzung auf politische Fragen befürwortet«, in: epd Nachrichtenspiegel Nr. 20 vom 15. 5. 1974. 138 »Für unser Verhältnis zu den Kirchen gilt nach wie vor, was die Regierungserklärung vom 18. 1. 1973 so ausgedrückt hat [. . .]« (Regierungserklärung des Bundeskanzlers, 604). Es folgte die wörtliche Übernahme aus der Regierungserklärung Brandts (siehe Kap. II.4.3.3.). 139 »Wenige Tage nach unserem Zusammensein erfolgte die Neubildung der Bundesregierung. Sie waren in einer Weise in Anspruch genommen, daß ich bis heute zögerte, Ihnen die Namen der Herren zu nennen, die der Rat beauftragte, das in Aussicht genommene Gespräch mit Ihnen zu führen. [. . .] Wir sollten nach Möglichkeit nicht warten, bis der Deutsche Bundestag Mitte September wieder zusammentritt. Ich schlage Ihnen die zweite Hälfte des August vor. Lassen Sie mich bitte wissen, mit wem von Ihnen ich eine Terminabsprache treffen kann« (Schreiben Kunst an Genscher vom 23. 7. 1974; EZA 87/658). 140 Vgl. Art. »Verhältnis Kirche-Staat Schwerpunktthema auf FDP-Bundesparteitag – Neue Kirchenkommission soll Kompromiß-Vorlage erarbeiten«, in: epd Nr. 129/1974 (siehe Kap. III.3.2.). 141 Schreiben Wilkens an Kunst vom 25. 7. 1974; EZA 87/658.
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Kirchenpapier darzulegen. Ebenso beschloss man, die Gliedkirchen durch ein »nicht [. . .] allzu offizielles Rundschreiben« sowohl über den weiteren Umgang der FDP mit dem Kirchenpapier als auch darüber zu informieren »was in dieser Sache von Seiten der EKD geschehe und wie der Rat die Sache sehe.«142 Dieses Schreiben wurde am 9. 9. 1974 an die Leitungen der Gliedkirchen versandt. Es informierte über das Vorhaben der FDP, das Kirchenpapier dem für den 30. 9. bis 2. 10. 1974 in Hamburg tagenden Bundesparteitag zur Diskussion und Beschlussfassung vorzulegen. Weiterhin erfolgte ein Hinweis auf das Gespräch vom 4. 9., in dem der Bundesvorstand der FDP signalisiert habe, »den negativen Gesamtakzent des ursprünglichen Entwurfs der Thesen abzumildern.«143 Die Gliedkirchen wurden aufgefordert, etwaige Gespräche mit Vertretern der FDP vor dem Bundesparteitag sorgfältig auf ihre Relevanz hin zu überprüfen. Für den Fall einer Verabschiedung des Kirchenpapiers riet man, diesem »keine besondere Dignität und Publizität zu verleihen«144 und kirchlicherseits auf eigene Initiativen zu verzichten.145 Mit Bekannt werden der dritten offi ziellen Version des Kirchenpapiers (E V) schlug der Rat einen neuen schärferen Tonfall an. Obschon er registrierte, dass die dort beschlossene Version insgesamt »besser« war als die vorherige, bezeichnete er das Kirchenpapier als »nach wie vor [. . .] schlechthin unannehmbar« und als einen »Versuch, die Kirche ins Ghetto abzudrän142
Protokoll der 19. Sitzung des Rates vom 30./31. 8. 1974; EZA 87/661. Schreiben Kirchenkanzlei an die Gliedkirchen der EKD vom 9. 9. 1974; EZA 87/661. Zum Zeitpunkt des Rundschreibens aktuell war die Kirchenpapierversion der Kirchenkommission II, die der Bundesvorstand in seiner Klausurtagung vom 14./15. 9. 1974 weiter beratschlagte (siehe Kap. III.3.3.). Leider waren auch für dieses Treffen keinerlei Protokolle o. ä. zu fi nden. 144 Schreiben Kirchenkanzlei an die Gliedkirchen der EKD vom 9. 9. 1974; EZA 87/ 661. 145 Die Prozesse, die sich dahingehend in einigen Landeskirchen abspielten, zeigten jedoch, dass die Aufforderung der Kirchenkanzlei ein Stück weit zu spät kam. So informierte Lutz Mohaupt, persönlicher Referent des hamburgischen Landesbischofs und Vorsitzenden der VELKD, Wölber, Wilkens darüber, dass zum Zeitpunkt des Rundschreibens im norddeutschen Raum schon zwei Gespräche mit der FDP verabredet waren. So sollte am 26. 9. 1974 ein Gespräch der Hamburgischen Landeskirche mit der FDP Hamburg stattfi nden, ein weiteres einen Tag später zwischen dem nordelbischen Kirchenrat und der FDP Schleswig-Holstein. Mohaupt betonte das Anliegen, »so kurz vor dem Bundesparteitag doch noch einmal von kirchlicher Seite her ein deutliches Wort zu sagen« (Schreiben Mohaupt an Wilkens vom 18. 9. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1. Siehe dazu Abschnitt 2.1.1.). Der neue Öffentlichkeitsreferent und Nachfolger Wilkens ab September 1974, Roepke, hatte Mohaupt darauf hin aufgefordert, den Charakter des Treffens mit der Hamburger FDP eindeutig als auf der Ebene der hamburgischen Kirche stattfi ndend auszuweisen (vgl. undatierter Vermerk Mohaupt an Wölber; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). Ebenso war ein Gespräch zwischen dem FDP-Landesverband Baden-Württemberg mit den evangelischen Kirchenleitungen für den 9. 10. 1974 geplant (vgl. Schreiben Claß an Kunst vom 23. 9. 1974; EZA 87/661. Siehe dazu Abschnitt 2.1.3.). 143
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IV. EKD und Kirchenpapier
gen.«146 Die ablehnende Haltung des Rates zeigte, dass sich die Erwartungen, die man, insbesondere nach dem Gespräch vom 4. 9. 1974, in die Bundesvorstandsklausur und deren weitere Beratungen des Kirchenpapiers gesetzt hatte, nicht erfüllt hatten. Hinzu traten nun innerkirchliche Kontroversen über den Charakter des Kirchenpapiers. So hatten die Äußerungen Axel von Campenhausens, die dieser unmittelbar nach Veröffentlichung des Papiers dem gegenüber gemacht hatte, wesentlich zur Deutlichkeit der Stellungnahme des Rates beigetragen. Dort hatte Campenhausen betont, das Kirchenpapier sei »im wesentlichen ausgestanden«147 und ihm seien jetzt »die Zähne [. . .] gezogen«148 . Weiterhin hielt er eine mögliche Änderung des Staatskirchenrechts für nicht ausgeschlossen, da diese »kein vordringliches Problem des deutschen Volkes«149 sei. Seine Erklärung stieß sowohl auf Seiten der Partei als auch im Rat auf große Kritik.150 Freilich musste auch der Rat hinsichtlich seines ungewöhnlich rigorosen Beschlusses Kritik einstecken. Von Heyl äußerte dem Ratsvorsitzenden Claß gegenüber, dass er den Beschluss, wenngleich er ihn mittragen werde, »weder für klug noch für richtig halte.«151 Seiner Meinung nach konnte das jetzt beschlossene Kirchenpapier im Gegensatz zu den vorherigen durchaus als Gesprächsgrundlage dienen. Er forderte daher den Rat auf, von einer »allzu undifferenzierte[n] und schroffe[n] Ablehnung«152 abzusehen und nur im Falle einer erneuten Verschärfung des Papiers durch den Bundesparteitag davon Gebrauch zu machen. Mit Campenhausen und von Heyl hatten sich somit zwei Juristen, die an den Beratungen über das Kirchenpapier beteiligt waren, von der eindeutig ablehnenden Haltung des Rates distanziert und dem aktuellen Kirchenpapier den Charakter einer Gesprächsgrundlage zugeschrieben. Die Tage bis zum Bundesparteitag ließen nun verstärkt Bemühungen seitens der Kirche erkennen, durch persönliche Kontaktaufnahme zu Vertreter und Vertreterinnen der Partei die eigene Position abschließend deutlich zu machen. Man schien darin eine letzte Möglichkeit zu sehen, die FDP hin146
Protokoll der 20. Sitzung des Rates vom 20./21. 9. 1974; EZA 87/661. Art. »Campenhausen: Dem FDP-Papier sind die Zähne gezogen – »Änderung des Staatskirchenrechts kein vordringliches Problem«, in: epd Nachrichtenspiegel Nr. 38 vom 18. 9. 1974. 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Ronneburger betonte, die wesentlichen Punkte seien nach wie vor in dem Papier enthalten, und das Papier sei »in seiner entscheidenden Passage nicht entschärft« (Art. »Ronneburger: FDP-Papier nicht entschärft«, in: epd Nachrichtenspiegel Nr. 38 vom 18. 9. 1974). Der Rat bedauerte die Äußerungen von Campenhausens, insbesondere auch deswegen, weil sie noch vor der Ratssitzung, in der man die Standpunkte Campenhausens, Wilkens und Kunst hatte besprechen wollen, publik gemacht worden waren. 151 Schreiben von Heyl an Claß vom 24. 9. 1974; EZA 2/17497. 152 Ebd. 147
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sichtlich ihres Vorhabens, das Kirchenpapier auf dem Bundesparteitag anzunehmen, umzustimmen. Am 23. 9. 1974 wandte sich Kunst an Genscher und schilderte diesem in einem fünf Seiten langen, persönlichen Brief eindrücklich die Position und Befürchtungen des Rates.153 Darin explizierte er zwei Hauptkritikpunkte. Zunächst verwies er darauf, dass in dem Papier an keiner Stelle auf die Bedeutung der Kirche für das Gemeinwohl oder ihren geschichtlichen Rang für die »innere Gestalt unseres Volkes« anerkannt werde. Die durch den Titel postulierte ›Freiheit‹ stünde somit der tatsächlichen Intention des Papiers diametral entgegen, als es doch vielmehr darum ginge »drastische Einschränkungen« der kirchlichen Arbeit durchzusetzen. Insgesamt erwecke das Papier den Eindruck, als sei »die Kirche zu einem wuchernden, für die Gesundheit unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens gefährlichen Geschwür« geworden, das es zu beseitigen gelte. Hinsichtlich der konkreten Thesen äußerte sich Kunst ausschließlich zur Kirchensteuerthese (E III5), die im Falle einer Umsetzung »das sichere Ende der Volkskirche in ihrer gegenwärtigen Gestalt« einläuten werde, insofern sich die »öffentliche Dimension des Evangeliums [. . .] auf einige Modellvorhaben« werde beschränken müssen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Gefahr einer Vernachlässigung der sittlichen Grundlagen des Gemeinschaftslebens, wenn die Kirche als Institution in ihrem öffentlichen Wirken beschnitten werde. Kunst bezeichnete eine Verabschiedung des Kirchenpapiers als »schlimm« und betonte, der Rat könne in diesem Falle nicht mehr von einer offiziellen Stellungnahme absehen. Der Brief endete mit der Bitte, die dargelegten Vorstellungen »angesichts der unserem Lande heute und morgen aufgegebenen Verantwortungen« angemessen zu berücksichtigen. Ein Schreiben Kunsts an den Präsidenten des hannoverschen Landeskirchenamts Johann Frank drei Tage später bestätigte seine Zurückhaltung dahingehend, dass sich bis zum Bundesparteitag in Hamburg noch Großes am Inhalt des Kirchenpapiers ändern könne. Er betonte es als ein »Maximum des Erreichbaren [. . .], daß in der Präambel noch einige positive Sätze über den Rang der Kirchen in unserem Lande gesagt werden.«154 Die Tatsache, dass er vor Abfassung des Briefes ein anderthalbstündiges Gespräch mit Fun153 Der Rat hatte in seiner Sitzung vom 20./21. 9. 1974 diese Kontaktaufnahme beschlossen. Dem Schreiben war die Verbundenheit Kunsts zu Genscher deutlich abzuspüren. Kunst verwies zunächst auf Genschers Engagement in der Kammer für Öffentliche Verantwortung und nannte als Motivation für dieses Schreiben die »bisherige, unbefangene menschliche Nähe«, die zwischen beiden existierte (Schreiben Kunst an Genscher vom 25. 9. 1974; EZA 87/661. Die folgenden Zitate ebd. Siehe auch Kap. III.3.4.). 154 Schreiben Kunst an Frank vom 26. 9. 1974; LKAH N 101 Nr. 12. Kunst reagierte hier auf einen Schreiben Franks Mitte September 1974, in dem dieser Kunst aufgefordert hatte, im Falle seiner Teilnahme am Hamburger Parteitag einen juristischen Kollegen aus dem nordelbischen Bereich hinzuzuziehen (vgl. Schreiben Frank an Kunst vom 19. 9. 1974; EZA 87/661).
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IV. EKD und Kirchenpapier
cke über das Kirchenpapier geführt hatte, mochte seine Äußerungen weniger als pessimistische denn realistische Sicht auf die Dinge beschreiben. Auch Roepke erläuterte Funcke die Stellung des Rates zum nun offiziellen Antrag 51 und verwies darüber hinaus auf die Konsequenzen, die eine Antragsannahme sowohl für die Partei, als auch für die EKD habe werde.155 Roepkes Brief war höchstwahrscheinlich auf eine Aufforderung Hildegard Hamm-Brüchers zurückzuführen, die ihm gegenüber zu erwägen gab, »ob wir nicht Frau Funcke doch darauf hinweisen könnten, daß eine Verabschiedung dieses Entwurfes von der EKD nicht einfach toleriert würde.«156 Hamm-Brücher rechtfertige einen solchen Hinweis durch die Beobachtung, »Frau F. hätte im Parteivorstand den Eindruck verbreitet, die EKD habe sich an den Entwurf ›gewöhnt‹ und würde Ruhe bewahren.«157 Weiterhin informierte die dem Kirchenpapier gegenüber kritisch eingestellte FDP-Politikerin über ihr Vorhaben, für eine Absetzung des Kirchenpapiers auf dem Bundesparteitag einzutreten und, falls dies nicht gelänge, eine eigene »bayrisch, saarländisch, westfälische Vorlage zum Kirchenpapier«158 einzubringen. In diesem Engagement Hamm-Brüchers sah man innerhalb der EKD kurzzeitig die Hoffnung auf eine Wende in der Diskussion, wenngleich eine Absetzung des Kirchenpapiers zunehmend unwahrscheinlicher wurde. Es konnte jedoch als kleiner Erfolg verbucht werden, dass die Präambel des Antrags 51 auf der Bundesvorstandssitzung vom 29. 9. 1974 nochmals umgewandelt und – im Sinne Kunsts – die Bedeutung des Christentums für die Gesellschaft und die Leistungen der Kirche im Bereich der karitativen Arbeit betont wurde.159 Obwohl sich Hildegard Hamm-Brücher auf dem Bundesparteitag nicht in der erhofften Weise hatte durchsetzen können, honorierte die Kirchenleitung ihren Einsatz. Kunst gar drückte seine Dankbarkeit mit der Bitte um ein Bild Hamm-Brüchers aus, das auf seinem Schreibtisch Platz fi nden sollte.160 155
So könne die Partei mit »Schwierigkeiten bei Koalitionsverhandlungen und Frustrationen bei den christlichen Parteifreunden rechnen«. Auf Seiten der Kirche befürchtete er eine »Erstarkung der ›restaurativen‹ Kräfte und eine Entmutigung derjenigen progressiven Kräfte«, die zu einer Auseinandersetzung über die Thesen grundsätzlich bereit wären (Schreiben Roepke an Funcke vom 25. 9. 1974; Handakten Funcke). 156 Schreiben Roepke an Kunst (undatiert); EZA 87/661. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Siehe Kap. III.3.4. 160 »Ich möchte mir gerne Ihr Bild mit einer Dedikation auf meinen Schreibtisch stellen! Gottlob verfügen Sie über einen liebenswerten Humor, aber ganz so unbefangen und harmlos, wie Sie möglicherweise meine Bitte ansehen, gehe ich nicht vor. Kein Geringerer als Gustav Heinemann hat mich wie folgt unterwiesen: Das Protokoll in der gesamten zivilisierten Welt erlaube es, daß man jemanden in vergleichbarer Stellung um sein Bild bitten dürfe, er also zum Beispiel die Königin von England. Sollten Sie aber Bedenken haben, eine Staatssekretärin auf der gleichen Ebene wie ein Bischof anzusehen, würde ich sagen: warum soll eine Staatssekretärin nur regieren und nicht auch gelegentlich mal
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Nach dem Bundesparteitag, an dem Kunst nach bewährter Manier bei der Eröffnung sowie Roepke für die gesamte Zeit teilgenommen hatten161, setzte innerhalb der EKD eine Diskussion darüber ein, wie man nun auf den Beschluss des Kirchenpapiers zu reagieren habe. Zunächst einmal wollte man eine Flut von kirchlichen Stellungnahmen vermeiden. Zu diesem Zwecke schickte die Kirchenkanzlei am 7. 10. 1974 eine Materialsammlung zur Diskussion des Kirchenpapiers an die Mitglieder des Rates, die Leitungen der Gliedkirchen, die Amtsstellen der EKD, die Mitglieder der Kammer der EKD für öffentliche Verantwortung und der Steuerkommission der EKD und forderte erneut zur Zurückhaltung bezüglich etwaiger Stellungnahmen auf, zumal der Rat »möglicherweise«162 eine Erklärung abgeben werde. Mit einer solchen Erklärung tat der Rat sich jedoch keineswegs leicht. Wenngleich man zuvor immer wieder betont hatte, im Falle eines Beschlusses des Kirchenpapiers werde es dazu kommen, traten jetzt konkret Fragen nach Form und Inhalt einer solchen Erklärung auf. Angesichts der breiten Diskussionen, die das Kirchenpapier auch in den Gliederungen der EKD erfahren hatte, hielt es Kunst für angemessen, die »Angelegenheit«163 gemeinsam mit der Kirchenkonferenz zu erörtern, da dies sicherlich von einigen Kirchenleitungen, auch angesichts der geforderten Zurückhaltung in Bezug auf eigene landeskirchliche Stellungnahmen, erwartet werde.164 Auf Kunsts Vorschlag hin ließ Helmut Claß das FDPKirchenpapier auf die Tagesordnung der Kirchenkonferenz setzen. Kunst wurde gebeten, die Ereignisse des Bundesparteitages zu schildern und auf Aspekte hinzuweisen, die für eine mögliche Stellungnahme relevant sein könnten. Am 17. 10., einen Tag vor der Ratssitzung, trat die Kirchenkonferenz zu ihren Beratungen zusammen, und Kunst gab einen ausführlichen Bericht. Nach einleitenden Bemerkungen, in denen er das Papier angesichts der voreinem Mitmenschen eine Freude machen!« (Schreiben Kunst an Hamm-Brücher vom 7. 10. 1974; EZA 87/658). 161 In seinem Schreiben an Frank hatte Kunst betont, seine Teilnahme an Bundesparteitagen der verschiedenen Parteien schon seit geraumer Zeit auf den »1. Vormittag [. . .], an dem die Begrüßung der Gäste geschieht und der Parteivorsitzende seinen Bericht erstattet« zu beschränken (Schreiben Kunst an Frank vom 26. 9. 1974; LKAH N 101 Nr. 12). 162 Schreiben Kirchenkanzlei vom 7. 10. 1974; EZA 87/661. Die Materialsammlung enthielt 1. beschlossene Fassung der Thesen, 2. Einbringungsrede Funcke, 3. Auszug aus Eröffnungsrede Genscher, 4. Stellungnahme Hamm-Brücher, 5. Bericht über Diskussion zum Kirchenpapier von Claus-Jürgen Roepke, 6. Kommentare zur Verabschiedung des Kirchenpapiers. 163 Schreiben Kunst an Claß vom 7. 10. 1974; EZA 87/661. 164 Ebd. Zudem konnte seiner Meinung nach eine Diskussion auf der Kirchenkonferenz der Behandlung des Kirchenpapier auf der kommenden Ratssitzung zuträglich sein: »Ich könnte mir auch denken, daß ein Gespräch auf der Kirchenkonferenz den Rat leichter in die Lage versetzte, sich während seiner anschließenden Tagung in einer guten Weise zu äußern« (ebd.).
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IV. EKD und Kirchenpapier
herrschenden »von offenem Vertrauen getragene[n] Kooperation«165 zwischen Regierung und Kirchen als unzeitgemäß und »vom Zaun gebrochen« befand, diskutierte er im Blick auf eine Stellungnahme zum Kirchenpapier drei Probleme: 1. Wie konnten die Veränderungen der beschlossenen Fassung alten Entwürfen gegenüber entsprechend gewürdigt werden, ohne dabei den Standpunkt aufzugeben, dass man das Papier nach wie vor als antikirchlich erachtete? 2. Wie sollte auf das im Kirchenpapier gemachte Angebot zu Verhandlungen zwischen Partei und Kirche reagiert werden? 3. Wie war damit umzugehen, dass man den Kern der ganzen Problematik, der auf die Notwendigkeit einer erneuten Überprüfung des komplexen Verhältnisses von Staat, Kirche und Gesellschaft hinwies, selber – auch aufgrund eigener kritischer Analysen – für durchaus nachdenkenswert und aktuell erachtete, ohne dabei jedoch auf einzelne Forderungen des Kirchenpapiers einzugehen und diesen somit in gewisser Weise eine Berechtigung zuzusprechen? Die erste Fragestellung resultierte aus der Kritik einiger FDP-Politiker, die monierten, dass die Herausnahme der antikirchlichen Aspekte aus dem Kirchenpapier von vielen zu wenig berücksichtigt und der neue Charakter des Papiers als »in der Einstellung und Gesinnung gegenüber den Kirchen [. . .] wesenhaft verändert« weithin verkannt werde. Kunst schlug vor, eine Stellungnahme ausschließlich auf die vom Bundesparteitag beschlossene, aktuelle Fassung hin zu formulieren. Diese könne sowohl eine Feststellung, dass die gemeinsamen Gespräche zwischen Partei und Kirche zu einer Annäherung geführt hätten, enthalten, als auch eine positive Würdigung der Personen, die auch von Parteiseite aus kritisch auf die Tragweite einiger Forderungen aufmerksam gemacht hätten. In Bezug auf die Frage nach möglichen Verhandlungen verwies Kunst zunächst auf die Option, wie die katholische Kirche, »klipp und klar die Forderungen ab[zu]lehnen und das Wort Verhandlung überhaupt nicht erst in den Mund [zu] nehmen.« Alternativ bestehe die Möglichkeit, Bereitschaft zu Verhandlungen anzuzeigen, allerdings dürften diese dann nicht mit der FDP, sondern müssten mit den jeweiligen Landesregierungen oder der Bundesregierung geführt werden. Kunst hielt keine der beiden Kirchenpolitiken für besonders geeignet, auch erachtete er eine Fortsetzung der bisherigen Verhandlungen als »weder [. . .] hilfreich noch konstruktiv.« Er plädierte vielmehr – und damit konnte sein Vorschlag zur Lösung des dritten Fragekomplexes beitragen – für eine umfassende und zunächst ausschließlich innerkirchliche Bearbeitung des Verhältnisses von Staat, Kirche und Gesellschaft und verwies in diesem Zusammenhang auf die Synode 1975, die »ohnehin von sich aus mindestens einige der Forderungen der FDP prüfen und Entschließungen fassen« wer165
Bericht Kunst auf der Kirchenkonferenz 17. 10. 1974; EZA 745/7. Die folgenden Zitate ebd.
1. EKD und Kirchenpapier
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de. Erst nach Abschluss dieses Prozesses sei die Diskussion auf alle betroffenen Gruppen der Gesellschaft auszuweiten. In der Ratssitzung, die am 18./19. 10. 1974 in Hannover stattfand, wurden die Beratungen über das Kirchenpapier fortgeführt und ihr Ergebnis in der offiziellen Erklärung des Rates zusammengefasst, die nun deutlich die Handschrift Wilkens trug. Weiterhin war zu erkennen, an welchen Stellen die Erörterungen Kunsts ihre Aufnahme gefunden hatten. Am 21. 10. 1974 wurde die Stellungnahme des Rates an die Mitglieder des Rates, des Präsidiums der Synode, der Kammer für Öffentliche Verantwortung, der Steuerkommission sowie an die Leitungen der Gliedkirchen, die Leiter der kirchenrechtlichen Institute, der Amtstellen der EKD und schließlich an die VELKD gesandt.166 Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den Thesen der F.D.P. »Freie Kirche im freien Staat« vom 19. Oktober 1974 167 Die Erklärung des Rates unterteilte sich in fünf Abschnitte von etwa gleicher Länge. Im ersten Abschnitt nahm man Bezug auf das in der Präambel des Kirchenpapiers formulierte Anliegen, »die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit zu sichern und zu erweitern sowie die gegenseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche konsequent durchzuführen«. Dieses Anliegen wurde nun insofern in Frage gestellt, als man unter Verweis auf das Grundgesetz eine ausreichende Gewährleistung sowohl der persönlichen als auch der Freiheit von gesellschaftlichen Gruppen konstatierte. Die Thesen der FDP ließen somit nicht erkennen, an welchen Stellen nun diese Freiheiten und die weltanschauliche Neutralität des Staates nicht gesichert seien. Im zweiten Abschnitt anerkannte der Rat sowohl den in der Präambel gemachten Versuch, »der geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedeutung des Kirchen gerecht zu werden« als auch die Veränderungen der endgültigen Fassung gegenüber den vorherigen Entwürfen. Ebenso zollte man dem Einsatz derjenigen Personen Respekt, »die innerhalb der F.D.P. der Verabschiedung der Thesenreihe in dieser Form entgegengewirkt hatten.« Im dritten Abschnitt wies der Rat die Thesenreihe jedoch als »keine geeignete Grundlage für eine fortgehende Auseinandersetzung« zurück, obschon einige Thesen durchaus diskussionswürdig seien. Er begründete diese Ablehnung mit einem dem Papier zugrunde liegenden Widerspruch von »Zielsetzung und Formulierung«, der sich insbesondere in der Diskrepanz zwischen Präambel und Thesen manifestiere. Nach wie vor beinhalte das Papier ein »doktrinäres Element und die Tendenz zu geschichtslosem und 166 167
Vgl. Schreiben Kirchenkanzlei vom 21. 10. 1974; EZA 87/662. Vgl. epd ZA Nr. 203 vom 22. 10. 1974. Die folgenden Zitate ebd.
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IV. EKD und Kirchenpapier
illiberalem Denken«, wie zahlreiche Verteidigungen des Kirchenpapiers auch nach dessen Beschluss gezeigt hätten. Abschnitt vier mahnte an, die Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche nicht bloß abstrakt oder einseitig unter rechtlichen Gesichtspunkten zu diskutieren, sondern ihr die gründliche Erörterung der »geschichtlich-kulturellen und gesellschaftspolitischen Gesamtsituation« vorausgehen zu lassen und die Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche durch die Komponente der Gesellschaft zu erweitern. Als gesellschaftspolitisches Thema der Zukunft formulierte der Rat die Frage, »wie in einem sozialen Planungsstaat die Freiheit erhalten werden kann« und signalisierte ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch. Eine Erörterung einzelner Forderungen der FDP hingegen lehnte der Rat in diesem Zusammenhang ab, da diese die erwähnte Tiefendimension vermissen ließen. Abschließend verwies der Rat in Abschnitt fünf auf die christologisch begründete Freiheit der Kirche, die von politischen Gegebenheiten unabhängig zu sein habe. In Staat und Gesellschaft hingegen müsse sie »immer wieder neu als Aufgabe aller verstanden werden.« Die Kirche, so die Erklärung abschließend, erkläre sich zur Mitarbeit daran bereit.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen Der Blick in die landeskirchlichen Diskussionsprozesse stellt eine Möglichkeit dar, eine mögliche Plausibilität einzelner Thesen für die Kirche abzufragen, insofern sich die landeskirchlichen Stellungnahmen im Vergleich zu den allgemein gehaltenen Beratungen in den Gremien der EKD durch eine differenziertere Urteilsbildung auszeichneten. So konnten die Meinungen, obgleich den Landeskirchen insgesamt eine grundsätzlich ablehnende Haltung zum Kirchenpapier gemeinsam war, im Blick auf bestimmte Einzelthesen zum Teil differieren, insofern einigen Thesen durchaus der Status einer Gesprächsgrundlage zugesprochen wurde. Innerhalb des fast zweijährigen Diskussionsprozesses kam es in nahezu allen Landeskirchen zu Gesprächen zwischen kirchlichen Vertretern und Vertretern der Jungdemokraten bzw. der FDP über das Kirchenpapier, die auf unterschiedlichen Ebenen geführt wurden, in den meisten Fällen jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf die Diskussion des Kirchenpapiers innerhalb der Partei hatten. Einige Landeskirchen informierten sich gegenseitig über den aktuellen Stand der Dinge oder kooperierten miteinander; kritisch zeigten sich manche Landeskirchen der EKD gegenüber, was sich in einem anderen Verhalten als es von »oben« vorgeschlagen wurde, ausdrückte. Im Folgenden sollen die Diskussionsprozesse innerhalb der evangelischen Landeskirchen Westfalen, Rheinland, Pfalz, Hamburg, Schleswig-Holstein,
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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Hannover, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck, Bayern sowie Badens und Württemberg ausführlicher dargestellt werden. Sie alle weisen bestimmte Besonderheiten nicht zuletzt in personeller Hinsicht auf, die im Kontext der Diskussion gerade auch mit Vertretern der FDP von Bedeutung waren.168 168
Nicht explizit behandelt werden somit die Landeskirchen Berlin-Brandenburg, Berlin-West, Braunschweig, Bremen, Eutin, Leer, Lippe, Lübeck, Oldenburg und Schaumburg-Lippe sowie die Evangelisch-Reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Reaktionen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen im Lübeckischen Staate und Eutins sind nur im Rahmen der Stellungnahme des Rates der NEK überliefert, die im Kontext der Darstellung der Diskussionen innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen im Hamburgischen Staate und Schleswig-Holsteins aufgegriffen wird. Ähnlich verhält es sich mit den Landeskirchen Braunschweig, Leer, Oldenburg und Schaumburg-Lippe, auf die als Mitgliedskirchen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen bei der Darstellung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers einzugehen sein wird. Eine Einsicht in die in Frage kommenden Sachakten der Lippischen Landeskirche war nach Archivauskunft nicht möglich, da die meisten der an der Diskussion beteiligten Personen entweder noch leben oder ihr Tod noch keine 30 Jahre zurückliegt, so dass die Akten der allgemeinen Sperrfrist unterliegen. Laut Archivauskunft (Schreiben vom 20. 4. 2007) ließen sich anhand dieser Aktenlage jedoch keine Fürsprecher des Kirchenpapiers ausmachen, was sich auch daran zeigte, dass sich die Lippische Landeskirche nach Beschluss der Thesen der Erklärung des Rates der EKD anschloss. Einen kleinen Einblick in die Behandlung des Kirchenpapiers liefern die Synodenberichte der beiden jeweils im November 1973 und 1974 tagenden 24. bzw. 25. ordentlichen Landessynoden, wo das Papier im Kontext des Berichts des Landessuperintendenten Fritz Viering kurz erwähnt wurde. Die Reaktionen der anwesenden Vertreter der Politik im Zuge der Aussprache zum Bericht Vierings am 27. 11. 1974 verwiesen dabei auf das gute Verhältnis zwischen der Kirche und dem Land. So betonte der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Detmold Ernst Graumann, seitens des Landes wünsche man die Fortsetzung der »gute[n], aufrichtige[n] Partnerschaft« zwischen Kirche und Land, »so wie sie sich in der Vergangenheit seit den Anfängen unseres jungen Staates gezeigt und bewährt hat« (Grußwort des Regierungspräsidenten; Archiv der Lipp. Landeskirche, Synodenprotokoll 1974) In eine ähnliche Richtung gehend äußerte sich der Landrat des Kreises Lippe Heinz Wegener der von der Unmöglichkeit sprach, die »Kirchen in unserer Gesellschaft [. . .] auf einen Vereinsstatus oder zu religiösen Interessenvereinen zu degradieren« (Grußwort des Landrates; ebd.) Jene Bemerkungen müssen auch auf dem Hintergrund des am 6. 3. 1958 zwischen dem Land NRW und der Lippischen Landeskirche abgeschlossenen Vertrags betrachtet werden, dem der beiderseitige Wunsch, »das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Land und der Lippischen Landeskirche zu festigen und zu fördern«, zugrunde lag (Weber, Kirchenverträge, 260). Nebenbei bemerkt fungierte bei der Vertragsunterzeichnung neben dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Fritz Steinhoff der liberale Politiker Luchtenberg als weiterer Vertreter und Kultusminister der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Im Blick auf die Diskussion des Papiers in der BEK wurde bereits auf die beiderseitige Gesprächsbereitschaft von Kirche und Partei hingewiesen. Für die BEK ist, auch nach Abschluss der Diskussion, keine offi zielle Stellungnahme zum Kirchenpapier überliefert. So betonte Heinz-Georg Binder in einem Schreiben an die Verfasserin vom 16. 3. 2007, dass das bereits erwähnte, von ihm im September verfasste Papier lediglich als Argumentationshilfe für die kirchlichen Teilnehmer an der Begegnung mit der FDP fungiert habe (siehe dazu Kap. III.2.2.2). Die Zurückhaltung der BEK im Blick auf eine Stellungnahme lässt sich nicht nur auf das kooperative Verhältnis zwischen Kirche und FDP zurückführen. Hier gilt es, ebenso die Geschichte und reformierte Tradition der BEK zu berücksichtigen, insbesondere deren reformatorisches Amtsverständnis, dem nach
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IV. EKD und Kirchenpapier
Bei der Darstellung der Stellungnahmen wird sich, wie auch bei den Landesverbänden, darauf zu beschränken sein, die jeweiligen Unterschiede in Bezug auf die ihnen vorliegende Fassung der Kirchenkommission (E III) zu erläutern.169 2.1. Die nördlichen Landeskirchen Gut zwei Jahre, nachdem das Kirchenpapier auf dem Hamburger Parteitag verabschiedet worden war, schlossen sich die vier Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Eutin sowie der zur Hannoverschen Landeskirche gehörende Kirchenkreis Harburg zur Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zusammen.170 Waren die Landeskirchen somit zum Zeitpunkt der Kirchenpapierdiskussion noch eigenständig, so bildete man als vorläufig kirchenleitendes Organ jener »virtuelle[n] Vorstufe«171 den Rat der Nordelbischen Kirche, in dem die Landeskirchen bereits vor ihrem institutionellen Zusammenschluss im Jahre 1977 zusammenarbeiteten.172 Auch hinsichtlich der Kirchenpapierthematik traf man hier mit Beschluss des Kirchenpapiers auf dem schleswig-holsteinischen Landesparteitag der FDP zu Beratungen zusammen. Die Diskussion in Hamburg hingegen erfolgte weitgehend losgelöst vom Rat und sozusagen Bundesland- bzw. Landeskirchenintern. 2.1.1. Evangelisch-Lutherische Kirche Schleswig-Holsteins Die anfängliche Zurückhaltung der konservativ ausgerichteten Landeskirche im Blick auf eine Kontaktaufnahme zur FDP oder gar eine Stellungnahme mag ihren Grund auch darin gehabt haben, dass man in dem Kirchenleitungsmitglied Ronneburger gewissermaßen einen ganz persönlichen Zugang zum Kirchenpapier hatte, über den man über die weiteren Prozesse in dieser Angelegenheit informiert wurde. Wie bereits erwähnt, traf man hier nach der Veröffentlichung des Kirchenpapiers der Funcke-Kommission Anfang November 1973 zu einem ersten gemeinsamen Gespräch zusammen.
jeder und jede Repräsentant und Repräsentantin der Landeskirche ist. Eine offi zielle Stellungnahme seitens der »Kirchenleitung« zum Kirchenpapier der FDP hätte somit dem grundsätzlichen Verständnis der Landeskirche widersprochen. 169 Die Verweise beziehen sich dabei auf die Darstellung von E III in Abschnitt 1.5.1. (siehe auch Anhang 3). 170 Bereits im Mai 1970 hatten die Landeskirchen den so genannten Nordelbien-Vertrag über die Bildung der NEK geschlossen. Es dauerte sieben Jahre, bis die von der verfassungsgebenden Synode erarbeitete Verfassung dann am 1. 1. 1977 in Kraft trat. 171 Mitteilungen zum Archivwesen, 19. 172 Die Mitglieder des Rates wurden von den jeweiligen Kirchenleitungen delegiert. Die Arbeit des Rates endete mit Inkrafttreten der Verfassung der NEK am 1. 1. 1977.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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Interessant war nun eine Stellungnahme, die sechs Oberlandeskirchenräte des schleswig-holsteinischen Landeskirchenamtes verfasst hatten.173 Es handelte sich dabei um den Vorsitzenden des Evangelischen Presseverbandes Nord Gerd Heinrich, den Chef des Steuerdezernats im Nordelbischen Kirchenamt Christian Kusche, den Kirchenjuristen Hans-Peter Muus, Horst Walter Erhard Stiller, bis 1971 noch Mitglied im Kirchenrat in Hamburg, Friedrich-Otto Scharbau sowie Enno Rosenboom.174 Die Stellungnahme wurde als Ergebnis einer Arbeitsgemeinschaft im Februar 1974 herausgegeben, wobei die Verfasser betonten, sie werde von ihnen »persönlich verantwortet« und diene der weiteren Diskussion auch innerhalb der Kirche.175 Die Stellungnahme, die zur innerkirchlichen Diskussion versandt wurde, wies sich insgesamt durch eine deutlich ablehnende Haltung gegenüber dem Kirchenpapier aus. Dies brachte man gleich im Vorwort zum Ausdruck, wo man manchen Thesen mangelnde Sachkenntnis über die tatsächlichen Umstände unterstellte, den fehlenden Blick auf die unterschiedliche Situation in den einzelnen Ländern kritisierte und weiterhin konstatierte, dass die Thesen nur zum Teil an die Adresse der Kirchen gingen.176 Die Thesen im Ein173 Vgl. Stellungnahme zum FDP Grundsatzpapier zum Verhältnis von Kirche und Staat, Kiel Februar 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/2. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe. 174 Enno Rosenboom arbeitete zunächst als Pastor in Jever/Oldenburg, bevor er von 1959 an bis 1971 als Leiter des Predigerseminars der EKvW in Dortmund tätig war. Hier trat er in den Anfangsjahren des Evangelischen bzw. Kirchlichen Gesprächskreises mehrfach als Referent in Erscheinung. Ein Artikel über eine Arbeitstagung des Evangelischen Gesprächskreis Ende des Jahres 1962, an der Rosenboom mitwirkte, gibt Aufschluss darüber, wie er das Verhältnis von Staat und Kirche Anfang der 1960er Jahre verstand: »Er unterstrich das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Staat und Kirche, das ein Miteinander ebenso einschließe wie die Möglichkeit von Spannungen und Auseinandersetzungen. Diese Partnerschaft, so meinte Rosenboom, gebe weder dem Staat noch der Kirche das Recht, in mißbräuchlicher Auslegung der Freiheit den Partner als nicht vorhanden zu sehen« (Art. »Staat und Kirche als Partner. Arbeitstagung des ›Evangelischen Gesprächskreises‹ der FDP«, in: epd West Nr. 145 vom 27. 12. 1962). Von Mai 1971 an war Rosenboom Oberkirchenrat der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche. 175 Wie der Ankündigung zu entnehmen war, hatte man die Thesen gemeinsam erörtert und die jeweiligen Stellungnahmen dazu delegiert. Die Thesen 1, 9 und 14 sowie das Vorwort waren von Heinrich verfasst worden, 3, 5 und 8 gingen auf Kusche zurück, 4 auf Stiller, 6 und 10 auf Rosenboom, die Thesen 11 bis 13 auf Scharbau; die Thesen 2 und 7 hatten Kusche, Muus und Rosenboom gemeinsam verfasst. 176 Die Unterschiedlichkeit der Situation in den einzelnen Ländern manifestierte sich in den jeweiligen Verfassungen und der Existenz bzw. dem Fehlen von Staatskirchenverträgen und Konkordaten. So war bspw. das Verhältnis zwischen Land und Kirchen in Schleswig-Holstein durch den Kieler Vertrag von 1957 festgelegt, wohingegen Hamburg, Bremen, Württemberg sowie die hessischen Teile von Rheinland-Pfalz kirchenvertragsfrei waren. Als ein Beispiel für die konstatierte Abstraktheit der Thesen mag die Stellungnahme zur These 1 fungieren, wo man auf den Kieler Staatskirchenvertrag verwies, der in Art. 9 lediglich eine Mitteilungspfl icht über eine Vakanz bzw. Neubesetzung des leitenden geistlichen Amtes einer Kirche, keineswegs aber die von der FDP zur Abschaffung be-
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IV. EKD und Kirchenpapier
zelnen lehnte man ab, wobei man der These zum Körperschaftsstatus (E III2) eine gewisse Berechtigung zusprach, insofern dieser Status im Grunde genommen nicht der Kirche entspreche. Solange jedoch keine neue und angemessene Form gefunden sei, lehnte man auch diese These ab. Zustimmung fanden lediglich die Thesen zur Seelsorge in staatlichen Institutionen (E III12) und zur Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern (E III13). So befürwortete man die These 12 unter der Bedingung, dass keine Einschränkung der bisherigen Möglichkeiten kirchlichen Dienstes erfolge und verwies darauf, dass diese Thematik schon seit längerem auch von den Kirchen diskutiert werde. An den Staat stellte man in diesem Zusammenhang die Frage, »ob er nicht an einer beamtenrechtlichen Bindung dieser Seelsorger interessiert sein muß.« Die Stellungnahme zur These 13 differenzierte zunächst zwischen der Wehrdienstbefreiung von Theologiestudenten einerseits und der von Geistlichen andererseits. Der Grund dafür bestand darin, dass sich die schleswig-holsteinische Position hier von der der EKD unterschied. Konnte man für beide aussagen, dass sie kein Interesse an einer automatischen Rückstellung der Theologiestudenten vom Wehrdienst hatten, so hatte der Rat der EKD im Mai 1971 an der Freistellung ordinierter Geistlicher festgehalten, wohingegen sich die schleswig-holsteinische Kirchenleitung bereits im Februar 1970 gegen die Wehrdienstbefreiung von ordinierten Geistlichen ausgesprochen hatte. Die Bedeutung des Diskussionspapiers lag in seiner Veröffentlichung über den Evangelischen Pressedienst hinaus auch in den lokalen Pressemedien Schleswig-Holsteins knapp zwei Wochen vor dem FDP-Landesparteitag.177 Seitens der Verfasser hatte man die Unabhängigkeit des Papiers von der Kirchenleitung betont und auch in der Presse darauf hingewiesen, dass über das Diskussionspapier hinaus vorerst keine offizielle Stellungnahme der schleswig-holsteinischen Kirchenleitung zu erwarten sei. Durch die Veröffentlichung erlangte es jedoch den Charakter einer offi ziellen kirchlichen Erklärung, die, obgleich sie die meisten Protagonisten des anstehenden Landesparteitages kaum beeindrucken mochte, mindestens auf Ronneburger einen gewissen Druck ausübte, zeichnete sich nun, anders als dieser es immer wieder konstatiert hatte, sehr wohl eine kontroverse Interessenlage zwischen Kirche und Partei ab. Die Kritik der Kirche aufgreifend, betonte Ronneburger daher im Vorfeld des Landesparteitages, mit seinem Änderungsantrag die Thesen so modifizieren zu wollen, dass die Bedenken der Landeskirche stimmte staatliche Mitbestimmung festlegte. Gleiches galt laut Art. 13 des Vertrags bei Fragen der regionalen kirchlichen Gliederung (vgl. Weber, Kirchenverträge, 238). 177 Vgl. Art. »Kritik am FDP-Kirchenpapier. Landeskirchenamt-Mitarbeiter legen Stellungnahme vor«, in: Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 27. 4. 1974; Art. »Im Landeskirchenamt stoßen die FDP-Thesen auf Ablehnung. Stellungnahme zur innerkirchlichen Diskussion verfaßt«, in: Flensburger Tageblatt vom 30. 4. 1974.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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»weitgehend gegenstandlos«178 würden. Deutlich zeigte sich das bereits beschriebene Spannungsverhältnis, dem sich Ronneburger in seiner doppelten Funktion als Politiker und Kirchenmensch ausgesetzt sah. Angesichts der Beratungsergebnisse des Landesparteitages sah sich jetzt auch der Rat der Nordelbischen Kirche zu einer Reaktion herausgefordert. Dabei bestätigte die Erklärung, die der Rat in seiner Sitzung drei Tage nach dem Landesparteitag verabschiedete, keineswegs die von Ronneburger artikulierte Hoffnung. Die Erklärung, die der Rat aufgrund der als dringlich empfundenen Notwendigkeit selbst und ohne Rücksprache mit den Gliedkirchen verabschiedet hatte, ging an keiner Stelle auf die konkreten Einzelthesen des Papiers ein, sondern kritisierte die grundsätzliche Intention des Papiers, insofern die Thesen, »in ihrer Gesamtheit die volkskirchlichen Grundlagen der Kirchen zerstören und damit die Kirchen in Verkündigung und Sozialarbeit (Diakonie) erheblich beeinträchtigen«179 würden. Für den Fall ihrer Umsetzung, so die Erklärung weiter, fürchte man eine erhebliche Behinderung der Entfaltung christlicher Glaubenspraxis im öffentlichen Leben, nicht zuletzt auch durch eine im Zuge dessen geringer werdende Absicherung kirchlichen Handelns durch das Grundgesetz. Die rechtlichen Dimensionen einer möglichen Umsetzung des Papiers spielte in allen landeskirchlichen Äußerungen der nördlichen Kirchen eine entscheidende Rolle. Eine Dokumentation über die praktischen Auswirkungen der FDP-Thesen, mit deren Erstellung Oberlandeskirchenrat Gerd Heinrich und der Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsarbeit in Hamburg Pastor Waldemar Wilken beauftragt wurden sowie die Aufforderung an die Untergliederungen der Kirche, mit den politischen Parteien in Gespräche zu treten, sollten der Auf klärung über das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche dienen. Bereits einen Tag nach der Sitzung, am 15. 5. 1974, wurde die Erklärung des Rates an die kirchlichen und politischen Gremien weitergeleitet, wobei die Breite des Adressatenkreises zeigte, dass man die Brisanz der Thematik durchaus erkannt hatte.180 Der Landesverband der FDP in Schleswig Holstein reagierte Ende Juni auf die Erklärung und bat den Vorsitzenden des Rates Alfred Petersen um ein gemeinsames Gespräch.181 178 Art. »FDP behandelt das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Wird sich Ronneburgers Änderungsvorschlag durchsetzen?«, in: KN vom 3. 5. 1974. 179 Niederschrift der 43. Sitzung des Rates der NEK vom 14. 5. 1974; LKAH 81 Nr. 8800 Bd. VIII. 180 Horst Göldner hatte in Vertretung des Präsidenten des Landeskirchenamtes Erich Grauheding die Erklärung des Rates an die FDP, CDU, SPD, den SSW sowie an die Landeskirchenämter Kiel, Hamburg, Eutin, Lübeck, den Kirchenkreis Harburg, das Lutherische Kirchenamt der VELKD und die Kirchenkanzlei der EKD versandt (vgl. Schreiben Göldner vom 15. 5. 1974; NEK-Archiv 10.04 Nr. 34). 181 Vgl. Schreiben Schröder an Petersen vom 20. 6. 1974; ebd. Hinrich Schröder hatte sich für die Erklärung des Rates bedankt und darauf hingewiesen, dass man seitens des
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Vier Monate später, am 27. 9. 1974 traf man zu gemeinsamen Beratungen zusammen. Sind die Teilnehmer des Rates an dem Treffen bis auf Alfred Petersen nicht überliefert, so setzte sich die FDP-Delegation mehrheitlich aus kirchennahen Personen zusammen. So nahmen neben Ronneburger, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Mitglied des Bundestages, Werner Züwitz, und Jürgen Koppelin ein Theologiestudent namens Bernd Hadewig und ein Pfarrer namens Joachim Thies an den Beratungen teil. Ein handschriftliches stichwortartiges Protokoll Alfred Petersens verwies darauf, dass man die einzelnen Thesen – hier bereits in der Neufassung durch den Bundesvorstand (E IV) – gemeinsam diskutiert hatte; im Pressebericht hingegen wurden die Beratungsergebnisse zugunsten einer allgemein gehaltenen Berichterstattung nicht aufgeführt. Die Positionen der liberalen Delegierten zeigten einen beschwichtigenden Charakter, insofern man im Sinne Ronneburgers die Intention des Papiers als Gesprächsangebot, keineswegs aber als Angriff auf die Kirchen herausstellte und sich gleichermaßen gegen den Vorwurf wandte, dass das Ziel des Papiers in einer organisatorischen Einschränkung der Kirche bestehe. Die Kirchen wiederum würdigten die Herausnahme der These zur Abschaffung des Religionsunterrichts sowie der These zu den Theologischen Fakultäten und sahen in der neuen Fassung die von ihnen angemahnte Sicherung der Kirchen durch das Grundgesetz besser verwirklicht.182 Insgesamt jedoch behielt man die in der Erklärung bekundete ablehnende Haltung bei. Nach Beschluss des Kirchenpapiers schloss sich die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins ostentativ den Erklärungen von EKD und VELKD an.183 In seinem Bericht über die Tätigkeit der Kirchenleitung auf der Landessynode im November 1974 ging ihr Vorsitzender Bischof Friedrich Hübner kurz auf das Kirchenpapier der FDP ein. Bezeichnend für die grundsätzliche Stimmung der SchleswigHolsteinischen Landeskirche war hier seine Aussage, die weitere Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier könne »wohl nur in der Weise der Konfrontation«184 geführt werden, falls einzelne Programmpunkte des Papiers von Koalitionsregierungen aufgenommen würden. Die Kritik Hübners war grundlegender als die in anderen Landeskirchen, wo man manche Thesen durchaus als diskussionswürdig erachtet hatte, insofern er die eklatanten Landesverbandes erst ab Mitte August zu einem Gespräch in der Lage sei. In einem Schreiben teilte er Petersen die genannten Teilnehmer mit. 182 Vgl. Art. »FDP-Thesen kein Angriff auf die Kirchen. Landesvorstand der Partei sprach mit Vertretern der Nordelbischen Kirche«, in: epd Nord Nr. 100 vom 30. 9. 1974. 183 Vgl. Entwurf zur Erklärung der Kirche Schleswig-Holstein, nach der Resolution der EKD; NEK-Archiv 22.02 Nr. 13318 (zur Entschließung der VELKD siehe Abschnitt 2.1.2.). 184 Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung, vorgelegt der 48. Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins im November 1974, 5.
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Unterschiede in den jeweiligen Intentionen verschiedener Gruppen, die ein scheinbar gleiches Anliegen vertreten, herausstellte: »Wenn zwei dasselbe sagen, ist es noch lange nicht dasselbe. Wenn ernste Christen, die das Beste der Kirche suchen, zum Nachdenken auffordern, ob ein eigenes Beitragssystem z. B. für die Kirche nicht heilsamer sei als das Kirchensteuer-Einzugssystem, dann bin ich bereit, das pro und contra zu erwägen. Wenn aber die Humanistische Union dasselbe fordert, weiß ich, daß sie meint, der Kirche damit ihre Arbeitsmöglichkeiten beschränken zu können.«185
Konnte Ronneburger sich zweifelsohne zur ersten der von Hübner genannten Gruppen zählen, so musste der Diskussionsverlauf innerhalb seiner Kirche aufgrund der das Kirchenpapier deutlich ablehnenden Haltung für ihn insgesamt eine klare Enttäuschung darstellen. 2.1.2. Evangelisch-Lutherische Kirche im Hamburgischen Staate Am 27. 8. 1973 erfolgte eine erste Thematisierung des Kirchenpapiers im hamburgischen Kirchenrat in Form einer Berichterstattung des Landeskirchenamtspräsidenten Dietrich Katzenstein186 über die mittlerweile breitere Erörterung des Kirchenpapiers in der Presse- und Medienlandschaft.187 Den Beratungen der Kirchenratssitzung war zu entnehmen, wie wenig man das Kirchenpapier bis dahin wahrgenommen hatte und wie ernst man zugleich die geschilderten Vorgänge erachtete. Man beschloss, den Landesverband der FDP Hamburg darum zu bitten, dem Kirchenrat das Papier »sofort zugänglich zu machen«188 , um anhand dessen das weitere Vorgehen zu entscheiden.189 Am 1. 11. 1973 informierte Katzenstein den synodalen Hauptausschuss über die Entscheidung des Kirchenrates, zunächst von einer öf-
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Ebd. Der Hanseat und promovierte Jurist, Dietrich Katzenstein (*1923), Enkel des von 1910 bis 1919 amtierenden Hamburger Bürgermeisters Karl-August Schröder, war von 1965 bis 1975 Mitglied des Kirchenrats und in diesen Jahren zugleich Präsident des Landeskirchenamts Hamburg. Katzenstein, der vor seiner Tätigkeit in der Kirche als Landgerichtsdirektor und Verfassungsrichter in Hamburg tätig war, wurde 1975 zum Bundesrichter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe benannt (vgl. Art. »Die Wahlmänner entschieden sich für den Kirchenamts-Chef. In roter Robe wird er in Karlsruhe richten«, in: Hamburger Abendblatt vom 26. 9. 1975; Art. »Erleichterung in Karlsruhe über die neuen Kollegen. Bei der Benennung von sechs Verfassungsrichtern versagen sich die Parteien eine weitere Politisierung der Justiz«, in: Die Welt vom 6./7. 9. 1975). Katzenstein war Mitglied der CDU. 187 Vgl. Niederschrift der 72. Sitzung vom 27. 8. 1973 des Dritten Kirchenrats; NEKArchiv 10.04 Nr. 34. 188 Ebd. 189 Vgl. Art. »FDP-Thesen berühren geistige und gesetzliche Grundlagen. Kirchenleitung Hamburg prüft gemeinsam nordelbische Stellungnahme«, in: epd ZA Nr. 169 vom 31. 8. 1973. 186
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fentlichen Stellungnahme abzusehen und eine Kommission einzusetzen, die eine innerkirchliche Stellungnahme erarbeiten sollte.190 Spiegelte sich in dieser Entscheidung ähnlich wie auf EKD-Ebene insgesamt eine gelassene Haltung im Vergleich zu August 1973 wider, die nicht zuletzt auf die Vielfalt der mittlerweile existierenden Stellungnahmen und Erklärungen zurückgeführt werden konnte, so verwies Katzenstein bei der Begründung dieser Entscheidung auch auf den anstehenden Wahlkampf zu den Hamburger Bürgerschaftswahlen am 3. 3. 1973. Seitens des Kirchenrats hatte man daher beschlossen, die Gespräche mit den Parteien »erst nach eigener gründlicher Vorbereitung und Beendigung des Hamburger Wahlkampfes«191 zu suchen. Der Hauptausschuss stimmte dem Vorgehen des Kirchenrats zu, womit die Pläne einer »synodale[n] Initiative«192 , die das Kirchenpapier auf der Synode behandelt wissen wollte, zunächst zurückgestellt wurden.193 Wie sehr das Kirchenpapier in der Folgezeit in den Hintergrund trat, zeigte die Tatsache, dass man sich erst im Juni 1974 erneut damit auseinandersetzte. Wiederum war es Katzenstein, der den hamburgischen Landesbischof und CDU-Mann, Wölber, in einem vertraulichen Vermerk darauf hinwies, im Blick auf die allgemein für Herbst angedachten Begegnungen mit den Parteien besonders die mit der FDP in Angriff zu nehmen. Den Äußerungen Katzensteins war eine gewisse Dringlichkeit im Blick auf ein gemeinsames Treffen mit der FDP abzuspüren. Im Hintergrund standen die Tatsachen, dass »der neue Justiz-Senator Klug schon im Senat auf das FDPKirchenpapier sehr hingewiesen«194 habe sowie der nordelbische Ratsbeschluss eines Gegenpapiers, das in Reaktion auf den Beschluss des Kirchenpapiers durch die FDP Schleswig-Holstein konzipiert werden sollte. Nicht zuletzt der Umstand einer veränderten Beziehung zwischen FDP und Kirche in Hamburg ließ für Katzenstein ein baldiges Vorgehen nötig werden.195 190
Vgl. Niederschrift der 32. Sitzung des Hauptausschusses der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate vom 1. 11. 1973; NEK-Archiv 32.01 Nr. 4405. 191 Ebd. Wie einem Schreiben Wölbers an Maja Stadler-Euler vom 18. 7. 1974 zu entnehmen ist, hatte man bereits an einem konkreten Treffen überlegt: »Seinerzeit hatten wir eine Korrespondenz wegen des FDP-Kirchenpapiers und nahmen dabei ein Gespräch zwischen dem Landesverband der FDP Hamburg und dem Kirchenrat der Hamburgischen Kirche in Aussicht. Im Blick auf die Bürgerschaftswahl sollte aber noch einige Zeit verstreichen« (NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). 192 Schreiben Mohaupt an Wölber vom 16. 7. 1974; ebd. 193 Man beschränkte sich somit darauf, das von Katzenstein angekündigte Schreiben des Kirchenrats vor der Synode verlesen zu lassen und sah weiterhin davon ab, die 14 Thesen im Materialdienst der Synode abzudrucken. 194 Vertraulicher Vermerk Katzenstein an Wölber von Anfang Juni 1974; ebd. Gleichwohl die Inhalte Klugs nicht überliefert sind, ist von einer eher positiven Bewertung des Papiers auszugehen, hatte Klug bereits das Jungdemokratenpapier als interessantes Papier gelobt (siehe Kap. I.4.2.2.). 195 »Man muß sich auch darüber klar werden, daß diejenigen FDP-Politiker, zu denen
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Er selbst war ob der geschilderten Ereignisse mit Helga Schuchardt in eine schriftliche Korrespondenz getreten, »die den ausgesprochenen Zweck hat, sie möglichst frühzeitig zu informieren.«196 Die Reaktion Wölbers zeigte, dass er im Blick auf die aktuellen Entwicklungen zum Thema Kirchenpapier nicht auf dem neuesten Stand war: »In seiner [sc. Katzensteins] Notiz bemerkt er am Ende, daß Schleswig-Holstein und Berlin ein Papier in dieser Sache hergestellt haben. Ich habe das nie richtig wahrgenommen. [. . .] Und dann hat ja auch der Rat der EKD schon mit der FDPSpitze ein Gespräch gehabt. Auch darüber müßte es eigentlich einen Bericht, ein Protokoll oder sonst irgendeine Dokumentation geben [. . .].«197
Seine letzte dahingehende Äußerung hatte er als leitender Bischof der VELKD im Oktober 1973 gemacht. Hier hatte Wölber das FDP-Kirchenpapier als konkreten Ausdruck jener spürbaren Veränderung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens »ins Ungewisse und Undeutliche«198 bezeichnet und dabei den ihm zugrunde liegenden Liberalismus als geschichtslos, unpragmatisch und doktrinär abgelehnt. Wölber stimmte dem Vorhaben Katzensteins zu und bat Mohaupt, Informationen über den aktuellen Stand der Dinge einzuholen.199 In der Kirbisher nahe Beziehungen bestanden (Müller-Link, Samuel) nicht mehr sehr viel Bedeutung haben« (Vertraulicher Vermerk Katzenstein an Wölber von Anfang Juni 1974; NEKArchiv 11.02 Nr. 755/1). Gleichwohl ließen sich im Vergleich zu anderen Landesverbänden relativ viele kirchennahe Mitglieder ausmachen. Der von Katzenstein erwähnte liberale Politiker und Rechtsanwalt, Herbert Samuel, war Mitglied der zweiten Hamburger Synode. Als kirchenah und nach wie vor im Landesverband aktiv galten weiterhin der stellvertretende Landes- und Fraktionsvorsitzende Gerhard Weber (siehe Kap. III.2.2.3.) und Johan-Peter Kempermann, dessen kirchliches Engagement sich in seiner Tätigkeit als »Aushilfskraft« im landeskirchlichen Jugendpfarramt Hamburgs von September bis Dezember 1973 zeigte. Auch Amadeus Hempel, Mitglied der Bürgerschaftsfraktion, konnte als kirchennah bezeichnet werden, insofern er zugleich Landesvorsitzender der evangelischen Jugend war. Ebenso sei auf Rolf Bialas hinzuweisen, der im Kontext der Kirchenkommission bereits erwähnt wurde (siehe Kap. III.1.1.2.). Auch der Hamburger Pfarrer Hans-Jürgen Wendt war Mitglied der FDP. 196 Die in Hannover geborene Helga Schuchardt (*1939) war Mitglied des Bundesvorstandes der FDP von 1970 bis 1982 und Mitglied des Hamburger FDP-Landesverbandes, dessen Vorsitzende sie 1975 wurde. 1972 wurde sie in den Deutschen Bundestag gewählt, wo sie bis 1983 u. a. als bildungspolitische und entwicklungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion aktiv war. 1982 trat sie aus der FDP aus und war danach Hamburger Kultursenatorin und niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur. In den Jahren 1973 bis 1977 bekleidete sie das Amt der Vorsitzenden des Kulturpolitischen Bundesausschusses. 197 Schreiben Wölber an Mohaupt vom 26. 6. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1. 198 Tätigkeitsbericht Wölber, in: Lutherische Generalsynode 1973, 200 f. (vgl. auch Art. »Bischof Wölber kritisiert FDP-Thesen und Weltkirchenrat – Bericht vor der VELKDGeneralsynode in Travemünde«, in: epd ZA Nr. 206 vom 23. 10. 1973; Art. »Bischof Wölber weist Kirchenpapier der FDP zurück«, in: Die Welt vom 23. 10. 1973). 199 »Wir wollen das also mal vorbereiten« (Schreiben Wölber an Mohaupt vom 26. 6. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). Mohaupt hatte darauf hin »Gesichtspunkte für ein Gespräch mit der FDP« erstellt, die sein Anliegen verdeutlichten, allgemeiner und losge-
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chenratssitzung Anfang Juli 1974 beschloss man auf Wölbers Vorschlag hin ein Treffen mit der FDP für Herbst/Winter 1974/75.200 Zehn Tage später wandte sich Wölber an Maja Stadler-Euler, Mitglied der Hamburger FDP und der Hamburger Bürgerschaft, und bat sie um Terminvorschläge für Oktober oder November 201, worauf die FDP mit einem positiven Votum reagierte und weiterhin dafür plädierte, das Gespräch noch vor dem Hamburger Parteitag stattfi nden zu lassen.202 Gemeinsam einigte man sich auf den 26. 9. 1974. Es folgte eine intensive Vorbereitungsphase der Kirche auf dieses Treffen, dem eine klare Konzeption zugrunde gelegt wurde, die nun deutlich die Handschrift Katzensteins trug.203 Neben der prioritären Behandlung des Kirchenpapiers sollte zugleich ein kurzer Austausch über das Verhältnis zwischen Kirche und liberaler Partei in Hamburg geführt werden. Im Blick auf die Erörterung des Kirchenpapiers wollte man den Schwerpunkt weniger auf die Schwierigkeiten für die Kirchen im Falle einer Umsetzung legen, als vielmehr deutlich machen, welche politischen Auswirkungen daraus folgten. Die Haltung der Kirche gegenüber dem Kirchenpapier sollte insgesamt den Charakter einer »energischen Gesamtablehnung« 204 haben, wobei es zugleich galt, die Aspekte des Papiers hervorzuheben, die man in Hamburg gutheißen würde; so z. B. den vom Senat zur Zeit diskutierten Ablösungsvertrag mit der Kirche. Kurze Einzelreferate zu den Themen Finanzen, Diakonie der Kirche, Kirchenthesen und Grundgesetz sowie zum Verhältnis der Anstaltsdiakonie zur verfassten Kirche sollten als Überleitung dazu fungieren, der FDP ein von Helmut Boveland erarbeitetes »Gegenpapier« 205 zu überreichen.206 Für löst von den konkreten Thesen in ein Gespräch mit der FDP über die vier Gesichtspunkte 1. Die Zielsetzung der Kirchenpolitik der FDP, 2. Das Verständnis von Staat und Gesellschaft, 3. Das Verständnis der Kirche und 4. Was ist Freiheit? zu treten. In diesen Gesichtspunkten enthalten waren die gängigen Stellungnahmen und Positionen aus Politik und Kirche. So fanden sich Hinweise auf Wilkens, Schlaich, Matthäus, Kohl, Zahrnt, das Kommissariat der deutschen Bischöfe, Hamm-Brücher und Hild (vgl. ebd.). Die Gesichtspunkte wurden dem Kirchenrat zur weiteren Information übersandt. 200 Vgl. Niederschrift der 96. Sitzung des Kirchenrats vom 8. 7. 1974; NEK-Archiv 32.01 Nr. 4405. 201 Vgl. Schreiben Wölber an Stadler-Euler vom 18. 7. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1. 202 Vgl. Schreiben Hinnerk Folk an Wölber vom 8. 8. 1974; ebd. 203 Vgl. Schreiben Katzenstein an die Mitglieder des Kirchenrats vom 2. 9. 1974; ebd. 204 Ebd. (zur Position Katzenstein vgl. auch Ders., Kirchenpapier). 205 Schreiben Katzenstein an Boveland vom 4. 9. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1. 206 Vgl. dazu ebd. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese Angabe. Der Betriebswirt Helmut Boveland (*1929) war Vizepräsident des Hamburger Kirchenrats in den Jahren 1971 bis 1976. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Zuge des Beschlusses des Kirchenrats im Herbst 1973 zunächst eine interne Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier erfolgte und sich eine Kommission bzw. ein Ausschuss gebildet hatte, in dem Boveland Mitglied war. Darauf verweist der Umstand, dass sein »Gegenpapier« von ihm als »Entwurf für den Kirchenratsausschuss« bezeichnet wurde und zudem auf den 20. 6. 1974
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wichtig erachtete man weiterhin eine Pressemitteilung im Anschluss an das Gespräch.207 Das Papier Bovelands kann insofern als repräsentative Meinung der Hamburger Kirche betrachtet werden, als es Anfang September 1974 an alle kirchlichen Delegierten des gemeinsamen Treffens mit der FDP zum Zweck der Überarbeitung und Kommentierung zugestellt wurde. Aus dem Papier, das insgesamt eine stark volkskirchliche Argumentation aufwies, ergab sich eine mehr oder minder ausgeprägte ablehnende Haltung gegenüber dem Großteil der Thesen mit Ausnahme derer zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche (E III8), die wie bereits erwähnt im Senat zur Zeit verhandelt wurde, zur Seelsorge in staatlichen Institutionen (E III12) sowie zur Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern (E III13). Nicht eindeutig war die Haltung zur Religionsunterrichtsthese (E III10), bei der Boveland ein weiteres Nachdenken forderte. Nicht eindeutig war auch die Haltung der Hamburger Liberalen, über die Wölber im Vorfeld des Gesprächs durch den Chef der Presseabteilung des Landeskirchenamts Gerhard Bittner informiert wurde.208 Hier hatte sich in einer ausführlichen Generaldebatte über das Kirchenpapier auf der Landesvorstandssitzung der Hamburger Liberalen am 23. 9. 1974 die ganze Palette an Meinungen offenbart, von dem Wunsch nach Absetzung des Kirchenpapiers bis hin zu seiner ausdrücklichen Befürwortung und Verschärfung. In seinem Brief an Wölber stellte Bittner insbesondere die Ansichten der kirchennahen FDP-Politiker Samuel, Weber und Kempermann heraus, die zu einem Dialog mit den Kirchen aufgerufen und in diesem Kontext darauf verwiesen hatten, dass manche Aspekte des Papiers auch von den Kirchen diskutiert würden. Insbesondere aus Rücksichtsnahme auf diese Personen plädierte Bittner dafür, über eine gemeinsame wie auch immer geartete Pressemitteilung im Anschluss an das Treffen nachzudenken. Am 26. 9. 1974 trafen die Delegierten von Kirche und Partei im Landeskirchenamt zusammen.209 Wie dem Hamburger Kommuniqué vom 2. 10. datiert war. Es bezog sich somit auf die Thesenfassung der Kirchenkommission von August 1973 (E III). In Bovelands Engagement in Sachen Kirchenpapier lag auch begründet, dass Wölber ihn im Anschluss an seinen Schreiben an Stadtler-Euler darum bat, »das Weitere dann [zu] beobachten« (Schreiben Wölber an Boveland vom 18. 7. 1974: ebd.). 207 Daran hielt man im Übrigen auch fest, nachdem die Kirchenkanzlei die Landeskirchen zu einer dahingehenden Zurückhaltung aufgefordert hatte (siehe Abschnitt 1.4.). »Der letzte Absatz [sc. des Schreibens der Kirchenkanzlei] steht im Widerspruch zu unserer bisherigen Meinung. Er betrifft die Veröffentlichung unseres Gesprächs. Ich würde meinen, wir sollten unbeschadet dessen die Veröffentlichung vorsehen« (Schreiben Katzenstein an Wölber vom 24. 9. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/1). 208 Vgl. Schreiben Bittner an Wölber vom 23./24. 9. 1974; ebd. 209 Die Vertreter der Kirche waren Wölber, Boveland, Katzenstein, Hans Mestern, Staatsrat a. D. und Präsident der Synode wie der Verfassungsgebenden Nordelbischen Synode, Pfarrer Reinhard Pioch, Vizepräsident der Synode und Leiter des Diakonischen
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1974 zu entnehmen war, stand das mehrstündige Gespräch zwischen Kirche und FDP »im Zeichen einer freimütigen Offenheit der Partner« 210, die beide an einer Fortsetzung der Kontakte interessiert waren. Gleichwohl traten die unterschiedlichen Positionen deutlich zutage. Während der FDP-Landesvorsitzende Hermann Arning das Kirchenpapier als Ausgangspunkt betrachtete, von dem aus weiter über das Verhältnis von Staat und Kirche nachgedacht werden müsse, betonte Wölber, das Kirchenpapier lege »die Axt an die Volkskirche« 211, insofern es den Tatbestand eines partnerschaftlichen Verhältnisses von Staat und Kirche auslösche. Dass man kirchlicherseits an dem Vorhaben festhielt, das Kirchenpapier dennoch nicht pauschal abzulehnen, zeigte sich in einer ausführlichen Diskussion einzelner Thesen des Papiers. Obwohl man hier überein kam im Blick auf eine grundsätzliche Notwendigkeit neuer rechtlicher Strukturen für die großen gesellschaftlichen Formationen, machte die Kirche in diesem Kontext erneut ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber den Thesen zum Körperschaftsstatus (E III2), der Offenlegung der religiösen Überzeugung (E III4) sowie zur Kirchensteuer (E III5) deutlich. Konnte die Zusammenkunft alles in allem als konstruktiv und richtungweisend für weitere Kontakte zwischen FDP und Kirche betrachtet werden, so wurde deren Verhältnis unmittelbar darauf erneut belastet, als die Hamburgische Kirche in doppelter Hinsicht scharfe Kritik von Seiten der liberalen Partei einstecken musste. Einen ersten Anlass lieferten die Ereignisse auf der Generalsynode der VELKD am 22. 10. 1974. Dort hatte Wölber der FDP den Vorwurf der »gesellschaftlichen Lüge«212 gemacht, insofern diese behaupte, die geistige Freiheit in der Gesellschaft sei nicht geWerks Hamburg, Pastor Hans-Georg Schmidt, Kirchenratsmitglied und Leiter der Alsterdorfer Anstalten sowie Kirchenratsmitglied Werner Buschendorf. Pastor Waldemar Wilken von der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche war auf aus unbekannten Gründen und auf Veranlassung Katzensteins von der Delegation gestrichen worden (vgl. Schreiben Boveland an den FDP Landesverband Hamburg vom 5. 9. 1974; ebd.). Seitens der FDP nahmen teil der FDP-Landesvorsitzende Hermann Arning, der Fraktionsvorsitzende Gerhard M. Meyer, der stellvertretende Landesvorsitzende und Mitglied der FDP-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft, Wolfgang Bodeit, die Landesvorstandsmitglieder Jürgen Kahlert und Robert Kirchner sowie die bereits erwähnten liberalen kirchennahen Politiker Weber und Hempel. 210 Art. »Aspekte des FDP-Kirchenpapiers: Ein Hamburger Kommuniqué«, in: Hamburger Kirchliche Informationen Nr. 13/1974 vom 2. 10. 1974. 211 Ebd. Vgl. auch Art. »Mehrstündiges Gespräch zwischen Kirche und FDP in Hamburg. Wölber erklärte: das FDP-Kirchenpapier lege die Axt an die Wurzel der Volkskirche«, in: epd Landesdienst Hamburg Nr. 70 vom 30. 9. 1974. 212 Lutherische Generalsynode 1974, 167. Vgl. auch Art. »Bischof Wölber wirft der FDP ›gesellschaftliche Lüge‹ vor. Bisher schärfste protestantische Kritik am FDP-Kirchenpapier«, in: epd ZA Nr. 204 vom 23. 10. 1974; Art. »Scharfe Vorwürfe von Bischof Wölber gegen das Kirchenpapier der Freien Demokraten: ›Eine gesellschaftliche Lüge der FDP‹«, in: Die Welt vom 23. 10. 1974.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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währleistet.213 Am Ende der Generalsynode, auf der das FDP-Kirchenpapier vergleichsweise breit diskutiert worden war, stand die Entschließung der VELKD als Ergänzung zur Ratserklärung, die Wölber als »zu fade« 214 bezeichnet hatte.215 Darin betonte man, die freiheitliche Ordnung und weltanschauliche Toleranz des Staates soweit gewährleistet zu sehen und das gegenwärtige partnerschaftliche Verhältnis als Ausdruck dieser Ordnung zu verstehen. Als Aufgabe einer Volkskirche, die den Bedingungen des Grundgesetzes unterstehe, bestimmte man die Gestaltung des christlichen Lebens in Freiheit und verwies zugleich auf den dynamischen Charakter der Volkskirche, insofern diese versuche, »den Erfordernissen einer sich verändernden Gesellschaft gerecht zu werden.« 216 Am Ende der Entschließung sprach man sich in Übereinstimmung mit der Ratserklärung sowie der Erklärung des bayrischen Kirchenrats vom 8. 10. 1974 gegen die Ansicht der liberalen Partei aus, erst eine Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche könne die Freiheit des Bürgers sowie von ihnen erwähnte weltanschaulich-religiöse Neutralität gewährleisten. In Reaktion auf diese Ereignisse hatte Hinnerk Folk die Kritik des Landesvorstandes der Hamburger FDP an die Kirchliche Presse- und Runkfunkstelle weitergegeben, die Wölber kurz darauf kontaktierte, um mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen.217 Für weitaus mehr Furore sorgte jedoch die stark öffentlichkeitswirksame Veranstaltung am 31. 10. 1974 in der Hamburger St.-Jacobi Kirche, bei der Bundeskanzler Helmut Schmidt und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg anlässlich der Feier des Reformationstages zum Thema Staat und Kirche referierten. Führende Hamburger Liberale empfanden die Tatsache, dass die Kirche als Veranstalterin – genauer: Lan213 Dieser Vorwurf verwunderte ob seiner Schärfe, insofern Wölbers Kritik unmittelbar nach Beschluss des Papiers konzilianter ausgefallen war, obgleich sie dadurch nichts von seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung eingebüßt hatte (vgl. Art. »Wölber für ruhige Diskussion des FDP-Kirchenpapiers. ,Falsche Diagnose des religiösen Bewußtseins gestellt«, in: epd ZA Nr. 191 vom 4. 10. 1974). Der Artikel berichtete über die Äußerungen Wölbers bei dessen Besuch der Lübecker Kirche am 3. 10. 1974, wo er zu einer Diskussion des Kirchenpapiers in Ruhe und Gelassenheit aufgefordert und ebenso betont hatte, die Kirche müsse sich oft auf neue Realitäten einstellen und untersuchen, ob ihr Apparat nicht zu aufgebläht sei. 214 Lutherische Generalsynode 1974, 167. 215 Vgl. Entschließung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zum Verhältnis von Kirche und Staat vom 24. Oktober 1974, in: ebd., 734. 216 Ebd. 217 »Lassen Sie mich bitte wissen, ob Sie selbst persönlich diesen Angriff zurückweisen wollen, vielleicht sogar im Rahmen einer Erklärung vor unserer Synode im Rahmen eines kurzen Blickes auf die Generalsynode in Rummelsberg. Natürlich können wir auch als Pressestelle hier die gebotene Zurückweisung vornehmen« (Schreiben Kirchliche Presseund Rundfunkstelle an Wölber vom 28. 10. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/2).
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desbischof Wölber und St. Jacobi-Hauptpastor Paul Seifert – keinen Referenten der FDP zu dieser Veranstaltung gebeten hatte, als Affront und sagten ihre Teilnahme ab, unter ihnen der zweite Bürgermeister Dieter Biallas und Justizsenator Ulrich Klug.218 Wölber und Seifert begegneten den Vorwürfen mit dem Hinweis, die Veranstaltung bereits seit Frühjahr geplant zu haben, so dass sie sich »in gar keiner Weise« 219 gegen die FDP richte und auch in keinem Zusammenhang mit dem Kirchenpapier stehe. Diese Äußerungen konnten aufgrund der Ereignisse und nicht zuletzt der Berichterstattung in den kirchlichen Presseorganen von der FDP nur als Provokation empfunden werden.220 Schmidt und Stoltenberg hatten sich beide in ungewohnter Übereinstimmung für die Kirche als Volkskirche sowie für die Beibehaltung des gegenwärtigen Verhältnisses von Staat und Kirche im Sinne einer Partnerschaft ausgesprochen und auf diesem Hintergrund die wohl umstrittensten Thesen des FDP-Kirchenpapiers, ohne diese als solche zu identifi zieren, kommentiert.221 2.1.3. Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers Die Verhandlungen der niedersächsischen Kirchen mit der FDP standen ganz im Zeichen des bedeutenden Loccumer Vertrags, in dessen zweitem 218 Biallas begründete sein Unverständnis über die fehlende Vertretung der FDP mit dem Hinweis darauf, dass diese »«als einzige [Partei] einen aktuellen Beitrag zu diesem Thema« geleistet habe. Die Unerträglichkeit der Tatsache, auf welche Weise die Kirche hier »politisch die Pluralität« vernachlässige, mache sein Kommen unmöglich (Schreiben Biallas an Wölber und Seifert vom 28. 10. 1974; NEK-Archiv 11.02 Nr. 755/2). Auch Folk begründete seine Absage mit dem Fehlen notwendiger Pluralität (vgl. Schreiben Folk an Bischofskanzlei vom 25. 10. 1974; ebd.). Die deutlichsten Worte fand Klug, der die »wohl kaum tolerant und fair zu nennende Ausschaltung derjenigen, die seit längerem das Verhältnis von Kirche und Staat mit Ernst und Verantwortungsbewußtsein zur Diskussion gestellt haben« als ein »so gravierendes Faktum« betrachtete, dass die Öffentlichkeit darüber bescheid wissen wolle (Schreiben Klug an Wölber und Seifert vom 30. 10. 1974; ebd.). 219 Schreiben Paul Seifert an Klug vom 7. 11. 1974; ebd. 220 Vgl. Art. »Koalition gegen F.D.P.-Thesen: Kanzler Schmidt und Ministerpräsident Stoltenberg. Kirche und Staat: Keine Experimente«, in: DAS vom 10. 11. 1974; Art. »Bundeskanzler Schmidt erteilt FDP-Kirchenpapier Absage. Änderung des bestehenden Steuersystems abgelehnt/Stoltenberg betont Rechte kirchlicher Gruppen in Parteien«, in: FR vom 2. 11. 1974; Art. »Schmidt und Stoltenberg: Staat und Kirche sind Partner. Gegen Änderung des Verhältnisses/Demonstration in Hamburger Kirche«, in: epd ZA Nr. 212 vom 4. 11. 1974. 221 Vgl. epd Dok. 53/1974, 3–40. Schmidts im Verlaufe der Zeit zunehmende Kritik am Begriff der Partnerschaft, den er in seiner Regierungserklärung im Mai 1974 so von Brandt übernommen hatte, zeigte sich bereits in seinem Hamburger Vortrag: »Ob allerdings der Begriff der Partnerschaft, der hier vorkam, schon aller Weisheit letzter Schluß ist, das mag man bezweifeln. Denn offensichtlich stehen die Bereiche des Glaubens und des staatlichen Handelns nicht auf derselben Ebene, sie stehen nicht im Verhältnis der Vergleichbarkeit zueinander. Und es wäre zu wünschen, daß Staatsrechtler, Kirchenrechtler und Theologen sich um eine bessere Begriffsbildung und Terminologie bemühen« (ebd., 19. Vgl. auch Rede Schmidt »Staat und Kirche«, in: Schmidt, Als Christ, 138).
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Artikel man übereingekommen war, sich »jederzeit zu einer Besprechung von Fragen, die ihr Verhältnis zueinander [sc. Landesregierung und Kirchenleitung] berühren, zur Verfügung [zu] stellen.«222 Obwohl die FDP zum Zeitpunkt der Diskussion nicht an der Regierung beteiligt war, brachte jene Klausel ein ganz grundsätzliches Verständnis im Sinne einer konstruktiven Kooperation zwischen Kirche und Politik zu Ausdruck. So wurde im Kontext der Diskussion innerhalb des Landesverbandes Niedersachsen bereits auf die guten und regelmäßigen Beziehungen zwischen der niedersächsischen FDP und den evangelischen Kirchen der Konföderation verwiesen.223 Jene Kontakte, insbesondere die der Hannoverschen Landeskirche zur FDP, gingen nicht zuletzt auf das Engagement ihres seit 1971 amtierenden Landesbischofs Lohse zurück, der zugleich das Amt des Vorsitzenden des Rates der Konföderation bekleidete und seit 1973 Ratsmitglied der EKD war. Lohses bekannt loyaler und ruhiger Charakter zeigte sich nicht zuletzt auch an seiner Haltung zum Kirchenpapier. Hier unterschied sich seine Position ein Stück weit von der anderer Kirchen-Oberen, als er einige Forderungen des Kirchenpapiers als durchaus diskussionswürdig erachtete und eine vorschnelle Verurteilung des Papiers kritisierte.224 Jedoch durfte diese Haltung nicht als Einsicht in die Notwendigkeit einer Durchsetzung konkreter Einzelthesen verstanden werden, gleichwohl Lohse einigen Thesen zustimmen konnte. Es war vielmehr die sich in dem Kirchenpapier ausdrückende Entwicklung, die ernst zunehmen er anmahnte, insofern die explizierten Themen auf Fragen einer sich wandelnden Gesellschaft verwiesen, auf die sich Kirche bzw. kirchliches Handeln mehr denn je einzustellen habe.225 Lohses zunächst offene und unvoreingenommene Haltung mag 222 Niedersächsischer Kirchenvertrag (Loccumer Vertrag) vom 15. März 1955. 2. Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955, in: Weber, Kirchenverträge, 213. Der »Leuchtturm in der Entwicklung des Staatskirchenrechts« wie Axel von Campenhausen den Loccumer Vertrag anlässlich seines 50jährigen Bestehens bezeichnete, bildete den relativen Abschluss einer langwierigen und problematischen Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1919; er legte zugleich den Grundstein für neue Verträge, die in den 1950er und 1960er Jahren sukzessive zwischen den Ländern und Landeskirchen abgeschlossen wurden (Campenhausen, Leuchtturm, 57. Zur Bedeutung des Loccumer Vertrags vgl. Lohse, Erneuern, 69 ff.). 223 Die seit 1970 existierende Konföderation bezeichnet eine Kooperationsform der vier niedersächsischen lutherischen Landeskirchen Hannover, Braunschweig, Oldenburg sowie der Evangelisch-Reformierten Kirche Leer, die ein gemeinsames Gegenüber zum Land Niedersachsen bilden (zu den Chancen und Problemen des Kirchenbundes vgl. Rott, Weg, 658). 224 Vgl. Art. »FDP-Kirchenpapier ›diskussionswürdig‹. Hannovers Landesbischof Lohse spricht von ›positiven Ansätzen‹ in den Thesen«, in: SZ vom 15. 9. 1973. 225 »Es ist viel Ballast abzuwerfen, um die echte Priorität kirchlichen Handelns – die Bezeugung des Evangeliums im Leben der Gemeinde durch Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie und Unterricht – zu wahren«, so formulierte Lohse es in der sechsten von insgesamt
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IV. EKD und Kirchenpapier
dazu beigetragen haben, dass den Gesprächen zwischen Kirche und Partei im Sinne des Loccumer Vertrags durchaus der Charakter eines »freund schaftliche[n] Verhältnis[ses]« 226 zugesprochen werden konnte. Lohse lag daran, die aufgeworfene Thematik von Anfang an auch mit der FDP zu diskutieren. Bereits am 9. 1. 1973 kontaktierte er daher den Landesverbandsvorsitzenden der niedersächsischen FDP Gross und bat ihn um ein Treffen zwischen Mitgliedern des Landesvorstandes und Vertretern der Landeskirche, in dem man gemeinsam die jeweiligen Standpunkte erörtern wollte.227 Dieser erste »Gedankenaustausc[h]« 228 , an dem neben Lohse und Gross auch FDP-Landesvorstandsmitglied Hedergott sowie der Bundestagsabgeordnete Detlef Kleinert teilnahmen, erfolgte am 29. 3. 1973 in der Kanzlei des Landesbischofs. Obwohl die Inhalte des Gesprächs nicht überliefert sind, ist davon auszugehen, dass es auf die Kirchen ein Stück weit beruhigend wirken konnte, zeigte die niedersächsische FDP vorerst keine Ambitionen, dem Kirchenpapier mehr Bedeutung beizumessen als nötig war.229 Die weiteren Prozesse innerhalb der Landeskirche, insbesondere die im Juni 1973 tagende Landessynode, wiesen nun darauf hin, dass man die durch das Kirchenpapier aufgeworfene Thematik des Verhältnisses von Staat und Kirche für grundsätzlich relevant und diskussionswert erachtete. Hier spielte auch die wachsende Unsicherheit im Blick auf die Positionierung der FDP auf Bundesebene zum Kirchenpapier eine Rolle, wie sie sich in dem bereits zitierten Brief an die Kirchenkanzlei der EKD Anfang Mai ausdrückte.230 Besonders kritisiert hatte man hier die Aussage Funckes, wie sie in der Presse wiedergegeben worden war, und wonach sie behauptet haben soll, dass sich das Verhältnis von Staat und Kirche seit der Weimarer Zeit nicht verändert habe.231
zehn Thesen, die er für eine Klausurtagung des Rates der EKD verfasst hatte (Art. »Lohse: Volkskirche bis zur Jahrtausendwende ›relativ stabil‹ – zehn Thesen des hannoverschen Landesbischofs zur Situation der Kirche«, in: epd ZA Nr. 2 vom 3. 1. 1974. Vgl. auch Lohse, Ballast, 45 f. Eine ausführliche Darstellung der Diskussionsprozesse um das Kirchenpapier bietet ders., Erneuern, 73–77). 226 Weber, Kirchenverträge, 213. Siehe auch Kap. III. 2.2.1. 227 Vgl. Schreiben Lohse an Gross vom 9. 1. 1973; LKAH L6 Nr. 105/09. Am gleichen Tag wandte er sich ebenfalls an den Präses der EKvW Thimme mit der Bitte, sich gegenseitig in dieser Angelegenheit zu informieren, da es »nicht unwichtig« sei, »zu erfahren, ob die FDP als Ganze möglicherweise auf eine Trennung von Kirche und Staat zuzugehen beabsichtigt« (Schreiben Lohse an Thimme vom 9. 1. 1973; ebd.). 228 Art. »Landesbischof Lohse sprach mit FDP-Politikern«, in: Botschaft vom 8. 4. 1973. 229 Siehe dazu Kap. III.2.2.1. 230 Siehe Abschnitt 1.1. 231 Vgl. Schreiben ev. Landeskirche Hannover an Kirchenkanzlei vom 4. 5. 1973; EZA 2/17496.
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Die Kritik der Landeskirche bezog sich in diesem Zusammenhang auf den fehlenden Hinweis auf die vollzogenen Veränderungen im Verhältnis von Staat und Kirche, wie sie sich in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts manifestierten. Dem Anliegen verpfl ichtet, insbesondere die »Nichtfachleute unter den Synodalen über den Stand der Diskussion zum Thema ›Staat und Kirche‹« 232 umfassend und allgemein zu informieren, integrierte man eine dreitägige Informationstagung zum Thema »Staat und Kirche in der heutigen Gesellschaft« in die 18. Landessynode, die zum eigentlichen Mittelpunkt der Synode insgesamt wurde. Im Vordergrund standen staatskirchenrechtliche Erörterungen, in die von Campenhausen am ersten Tag einführte. Die weiteren Beratungen der Synodalen vollzogen sich in Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse in einem abschließenden Podiumsgespräch vorgestellt und diskutiert wurden.233 Anders als andere Landeskirchen hatte die Hannoversche Landeskirche keine Bedenken gegen eine breitere Diskussion des Kirchenpapiers bzw. der in ihm explizierten Thematik. Hierin lag auch die Kritik an der Stellungnahme der Kirchenkanzlei der EKD, respektive Hammers, vom 20. 8. 1973 begründet, wo man insbesondere die Tatsache kritisierte, dass die Reaktion Hammers als »erste Stellungnahme der Kirchenkanzlei« veröffentlicht worden war, obwohl die Kirchenkanzlei zugleich »offensichtlich Bedenken hatte, das FDP-Papier förmlich auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Kirchenkonferenz zu setzen.« 234 Der Arbeitsausschuss der Kirchenkonferenz beschloss darauf hin in seiner Sitzung vom 30. 8. 1973, den Punkt »Behandlung des FDP-Papiers zum Verhältnis von Staat und Kirche in den Gliedkirchen« 235 auf die Tagesordnung für die Kirchenkonferenzsitzung am 11. und 12. 10. 1973 zu setzen; die Niederschrift über jene Sitzung lässt jedoch keine dahingehende Erörterung erkennen.236 Mit dem Beschluss der FDP, das Papier durch eine breitere Öffentlichkeit diskutieren zu lassen, intensivierte sich die landeskirchliche Auseinandersetzung. Hier sah man sich aufgrund der Tatsache, dass die Thesen jetzt »bis in 232
Ebd. Vgl. Ablauf Informationstagung »Staat und Kirche in der heutigen Gesellschaft« 20.–22. 6. 1973; LKAH N 130 Nr. 172. Die Arbeitsgruppen arbeiteten zu den vier thematischen Blöcken 1. Grundsatzfragen Kirche-Staat-Gesellschaft, 2. Kirche im Bildungsbereich, 3. Kirche im sozial-diakonischen Bereich und 4. Kirche im politischen Bereich. 234 Notiz Frank vom 31. 8. 1973; LKAH N 101 Nr. 12. Frank hatte jene Kritik Hammer gegenüber auf der Sitzung des Arbeitsausschusses der Konferenz, dessen Mitglied er war, am 30. 8. 1973 geäußert. 235 Ebd. 236 So erfolgte innerhalb des TOP 1 »Berichte und Aussprache zur politischen und kirchlichen Lage« lediglich ein Bericht Claß’ über die Klausurtagung zwischen dem Rat der EKD und dem Präsidium der SPD vom 5./6. 10. 1973. Hier beschloss man, den Wortlaut der Regierungserklärung zum partnerschaftlichen Verhältnis von Staat und Kirche den Leitungen der Gliedkirchen zugänglich zu machen (vgl. EZA 2/8122). 233
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IV. EKD und Kirchenpapier
die Ortsgruppen der FDP [hinein] zur Besprechung gestellt werden« 237 zu einer eigenen Stellungnahme herausgefordert. In der gemeinsamen Kollegiumssitzung vom 28. 8. 1973 beschloss man daher die Einrichtung eines Kollegausschusses, der sich »in angemessener Eile«238 mit der Thematik beschäftigen sollte.239 Zum Vorsitzenden bestimmte man den Präsidenten des Landeskirchenamtes Frank sowie als weitere Mitglieder die Oberlandeskirchenräte Werner Knüllig, Jürgen Uhlhorn, Klaus Bielitz und den Oberkirchenrat und Vizepräsidenten Hans Philip Meyer. Einen Tag nach der Kollegiumssitzung, am 29. 8. 1973, kündigte Lohse dem Norddeutschen Rundfunk gegenüber in einem Interview weitere Gespräche mit der FDP an, und bereits am 3. 9. 1973 trafen er und Gross erneut zusammen.240 Interessant war in diesem Zusammenhang die Frage nach der Funktion, in der Lohse an jenem Gespräch partizipierte. So verwies seine Aussage in besagtem Interview, die »Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) werde mit dem Bundesvorstand der FDP, die Hannoversche Landeskirche mit dem niedersächsischen Landesvorstand der FDP in Gespräche [. . .] treten« 241 zunächst auf eine Teilnahme seinerseits an dem Gespräch in der Funktion als Bischof der Hannoverschen Landeskirche. Im Pressebericht hingegen wurde die Zusammenkunft als eine Art Planungsgespräch zwischen Lohse als Landesbischof und zugleich Vorsitzenden des Rates der Konföderation und Gross deklariert, dass »der Vorbereitung auf die Zusammenkunft der niedersächsischen Kirchenvertreter mit der FDP-Kommission«242 diene. Die beschriebene Ausweitung des Gesprächs war vermutlich darauf zurückzuführen, dass Lohse vor dem Gespräch mit Gross mit den Kirchen-Oberen der Konföderationskirchen korrespondiert und man gemeinsam diese Gesprächsintention festgelegt hatte.243 237 Schreiben [Name nicht überliefert] an Frank vom 28. 8. 1973; LKAH N 101 Nr. 12. 238 Ebd. 239 Es handelte sich bei dieser gemeinsamen Kollegsitzung um ein einmal im Monat stattfi ndendes Treffen von Mitarbeitern des landeskirchlichen Kollegiums und den Landessuperintendenten der Hannoverschen Landeskirche. 240 Es ist anzunehmen, dass Lohse Gross unmittelbar nach der Sitzung vom 28. 8. 1973 kontaktiert hatte und beide sich auf diesen recht kurzfristigen Termin hatten einigen können. Die Kurzfristigkeit des Gesprächs lässt sich auch durch das Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes der niedersächsischen FDP vom 1. 9. 1973 belegen, das einen Vermerk dahingehend enthielt, dass Gross über ein gemeinsames Treffen mit Lohse am 3. 9. 1973 informiert hatte (vgl. AdL 15675). 241 Art. »Lohse kündigt Gespräche mit der FDP an. Hannoverscher Landesbischof: Wir nehmen die FDP beim Wort«, in: epd Nr. 143/1973 vom 29. 8. 1973. 242 Art. »Landesbischof und Landesvorsitzender sprachen über FDP-›Kirchenpapier‹. Gemeinsame Beratungen in Niedersachsen voraussichtlich im Oktober«, in: epd ZA Nr. 172 vom 5. 9. 1973 (zu Einzelheiten des Treffens siehe Kap. III.2.2.1.). 243 Auf ein solches mögliches Vorgehen verweist ein Schreiben des Bischofs der evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg Hans Heinrich Harms an Lohse vom 4. 9. 1973,
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Sie zeigte sich auch an der Einladung Franks zum ersten Treffen des eingerichteten Kollegausschusses am 8. 10. 1973, zu dem neben den im Ausschuss mitwirkenden Personen auch Lohse, der Landesbischof von Oldenburg Hans Heinrich Harms, zugleich Mitglied des Rates der EKD, der Vizepräsident der evangelisch-reformierten Kirche Leer Winfried Stolz sowie der Oberlandeskirchenrat und Jurist der evangelisch-lutherischen Kirche in Braunschweig, Jürgen Kaulitz, eingeladen wurden.244 Auch der Rat der Konföderation befasste sich mit dem geplanten Gespräch und legte in seiner Sitzung vom 10. 10. 1973 die kirchlichen Teilnehmer fest. Am 10. 11. 1973 – und nicht wie von Gross und Lohse ursprünglich vorgesehen am 29. 10. 1973 – fand, unter Abwesenheit des erkrankten hannoverschen Landesbischofs, das gemeinsame Treffen zwischen den Vertretern der Konföderationskirchen und der FDP statt. Zu den erstgenannten gehörten Frank, Kaulitz, Meyer, Stolz, Loer und Bielitz; seitens der FDP nahmen neben Gross die ehemaligen Mitglieder der Kirchenkommission Taeglichsbeck, Ernst, A. Lindemann, H. Lindemann, Hedergott sowie Kahnt und Wendig teil. Das Gespräch zeichnete sich durch eine grundsätzliche und dem Verhältnis von Kirchen und Partei in Niedersachsen entsprechende Offenheit und Unvoreingenommenheit aus. Dies zeigte sich sowohl im Blick auf die Atmosphäre, die Gross in einem erneuten Bericht Scheel gegenüber als »freundlic[h] und sehr aufgeschlosse[n]« 245 bezeichnete, als auch an den inhaltlichen Ergebnissen, die dem Bericht Gross zu entnehmen waren. Nicht zuletzt die Tatsache, dass man ein gemeinsames offi zielles Kommuniqué im Anschluss an die Begegnung verabschiedete, spiegelte dies wider.246 Dem Gespräch lag die Fassung des im August verabschiedeten Kirchenpapiers (E III) zur Beratung zugrunde. Dem Bericht Gross’ nach zu urteilen, erfolgte eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Präambel. Hier stieß vor allem der dritte Absatz auf scharfe Kritik bei den Kirchenverin dem dieser Lohse darüber informierte, mit den Mitgliedern des Oberkirchenrats die Frage besprochen zu haben, »ob nicht das von Ihnen [sc. Lohse] geplante Gespräch mit der FDP besser im Rahmen der Konföderation geführt werden sollte.« Ein solches Vorgehen sei vom Oberkirchenrat befürwortet worden. Harms informierte Lohse darüber, jene Unterredung habe »nach unserem gestrigen Telefongespräch« das somit laut Abfassungsdatum am 3. 9. 1973 gewesen sein muss, stattgefunden (LKAH N 105, Nr. 09). Nebenbei bemerkt streifte der geschilderte Ablauf ein grundsätzliches strukturelles Problem der Konföderation, das in der Übergröße der Hannoverschen Landeskirche bestand. Diese Übergröße habe, folgt man Rott, bereits bei der Gründung der Konföderation zu dem Verdacht geführt, Hannover wolle die anderen Kirchen »überschlucken« (Rott, Weg, 658). Die Tatsache, dass Lohse zugleich Landesbischof und Vorsitzender des Rates der Konföderation war, stärkte die Position der Hannoverschen Landeskirche zusätzlich. 244 Vgl. Schreiben Frank; LKHA N 101 Nr. 12. 245 Schreiben Gross an Scheel vom 19. 11. 1973; AdL 3325. 246 Vgl. Art. »Kirche und Staat sollen gegenseitige Unabhängigkeit verwirklichen. Gespräch zwischen FDP und Konföderation in Niedersachsen«, in: epd ZA Nr. 221 vom 13. 11. 1973.
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tretern, da sie in ihm durch seine historische Begründung ein Verständnis von Kirche expliziert sahen, das so schon lange nicht mehr existierte. Im Blick auf die Thesen konstatierte Gross, keine nennenswerten Einwendungen seitens der Kirchen gegen die Thesen 1, 6, 7, 8, 12, 13, 14, Hauptschwierigkeiten jedoch im Blick auf die Thesen 3, 5, 6 und 9, 10 und 11.247 Diese Einschätzung deckte sich weitgehend mit Positionen der Kirchenvertreter, wie diese sie in anderen Kontexten geäußert hatten.248 Mag der Eindruck Gross’, »daß die Kirchenvertreter, wenn auch individuell unterschiedlich, dankbar waren [. . .] von außerhalb Unterstützung auf diesem Bereich« 249 zu erfahren, da auch sie »manche ›alten Zöpfe‹ abgeschnitten sehen [möchten]« 250, ein wenig zu euphemistisch und mindestens auch zu einem Teil Ausdruck persönlicher Hoffnung gewesen sein, so drückte sich darin zugleich jene von den Kirchen signalisierte offene Haltung aus. Es blieb vorerst bei diesem einen offiziellen Treffen, doch begegneten sich die Vertreter der Kirchen und der FDP im Kontext diverser Veranstaltungen zur Thematik. Hier setzten jetzt auch selbständige Initiativen in den übrigen Landeskirchen der Konföderation ein, in denen man sich zunächst, eine gemeinsame Stellungnahme abwartend, weitgehend zurückgehalten hatte.251 In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Braunschweig hatte man 247 In seinem Schreiben an Scheel hatte er die These 10 und 11 nicht erwähnt; sie tauchten jedoch in einem Papier Gross’ vom Februar 1974 auf. Dieses Papier trug die Überschrift »Überlegungen zur Diskussion über das Kirchenpapier der F.D.P.« und subsumierte im Wesentlichen die Beratungsergebnisse aus den Gesprächen mit den Kirchen. Gleichwohl es in keine offi zielle Stellungnahme mehr einfloss, zeigte es, wie sehr diese Gespräche auch Einfluss auf die persönliche Position Gross’ hatten (vgl. Überlegungen zur Diskussion über das Kirchenpapier; LStaD RWV 49-2095). 248 In dem Interview mit dem NDR von Ende August hatte Lohse sich für die These 1 ausgesprochen; in dem Gespräch Anfang September 1973, in dem Lohse mit Gross die einzelnen Thesen Punkt für Punkt durchgegangen war, erfolgte weiterhin die Zustimmung zur These 13; die Thesen 8 und 9 wurden als diskutabel eingestuft. Gegen den Rest der Thesen mit Ausnahme von 1, 2, 12 und 14, die nicht näher besprochen wurden, nahm Lohse eine eher ablehnende Haltung ein. Die Position Franks lässt sich in Ansätzen einem von ihm handschriftlich kommentierten Entwurf der Stellungnahme der niedersächsischen Kirchenkommission entnehmen, wo er sich ebenfalls für die Diskussion der 8 These, jedoch gegen die These 9 ausgesprochen hatte (vgl. handschriftlicher Entwurf Frank; LKAH N 101 Nr. 12). 249 Schreiben Gross an Scheel vom 19. 11. 1973; AdL 3325. 250 Ebd. 251 Bei einem Kolloquium der Evangelischen Männerarbeit Oldenburg am 19. 1. 1974 sprach sich der Jurist des Oldenburger Oberkirchenrats Herbert Hemprich für ein Gespräch über die Thesenreihe auf juristischen Grundlagen aus und erachtete in diesem Kontext einige der Thesen des Papiers als auch für die Kirchen in juristischer Hinsicht durchaus akzeptabel (vgl. Art. »›Einige FDP-Thesen auch von der Kirche zu akzeptieren‹« – Oldenburger Oberkirchenrat gegen Polemik um Kirchenpapier«, in: epd Niedersachsen Nr. 14/1974 vom 21. 1. 1974). Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe Gottfried Maltusch verwies in seinem »Bericht zur kirchlichen Lage« auf der Landesynode 1974 darauf, mehrmals in Gemeindeveranstaltungen auf das
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bereits im Februar 1973 Stellung zum Jungdemokratenpapier bezogen. Hier hatte Probst Erich Warmers die Aussagen der Jungdemokraten als »notorische Diskriminierung und Denunziation der Kirche« 252 verurteilt und in diesem Zusammenhang auch die ESG in Braunschweig als »marxistische Kaderschmiede« 253 bezeichnet. Die nächste Äußerung Warmers erfolgte am 30. 3. 1974, als Vertreter des FDP Bezirksverbandes Braunschweig, darunter auch der Bezirksvorsitzende Gustav Ernst sowie Vertreter der Evangelischlutherischen Kirche in Braunschweig, zu einer gemeinsamen Aussprache zusammen kamen.254 Hatte der Landtagswahlkampf die Kirchenpapierthematik bei der niedersächsischen FDP in den Hintergrund treten lassen, so traten anderen Landesverbände im Frühjahr 1974 mit offiziellen Stellungnahmen an die Öffentlichkeit. Die immer größer werdende Popularität des Kirchenpapiers sowie die Unterschiedlichkeit in den Äußerungen der Landesverbände veranlasste Lohse Ende Mai 1974 zu einem erneuten Schreiben an Gross, in dem er diesen über eine dahingehend wachsende Unsicherheit und Unruhe innerhalb der Pfarrerschaft und Gemeinden informierte und Gross dazu aufforderte, die Position der niedersächsischen FDP noch im Verlaufe des Wahlkampfes deutlich erkennen zu geben.255 Dem Anliegen Lohses konnte Kirchenpapier eingegangen zu sein und dabei niemanden von der FDP gefunden zu haben, der die Thesen verteidigt hätte. Er kam zu dem Schluss, dass die innerparteiliche Diskussion der Kirchenthesen auch nach ihrem Beschluss durch den Parteitag keineswegs abgeschlossen sei und erklärte sich bereit, »mit den durch dies Papier angefochtenen Christen aus jeder Partei zu sprechen und mit Anhängern der Thesen zu diskutieren.« Positiv bewertete die grundsätzliche Tatsache, dass das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft erneut von einer größeren Gruppe überdacht werde, da »so etwas [. . .] nie schaden« könne (Synodenbericht Maltusch vom 9. 12. 1974; NLA-Archiv Bückeburg Dep. 22 Acc. 14/99 Nr. 161). 252 Vgl. Art. »Braunschweiger Landessynode stimmte ›Leuenberger Konkordie‹ zu«, in: epd ZA Nr. 35 vom 19. 2. 1973. 253 Ebd. 254 Am Anfang der Begegnung, bei der etwa zehn Vertreter von Partei und Kirche zugegen waren, stand ein einführendes Referat des Braunschweiger Probsts zum Thema »Liberalismus und Kirche« sowie ein Korreferat eines FDP-Politikers, dessen Name nicht überliefert ist. Abgeschlossen wurde die Zusammenkunft mit Diskussion über das Kirchenpapier der FDP. Im Vorfeld des Treffens hatte man in gegenseitigem Einvernehmen beschlossen, mit Rücksicht auf die anstehenden Landtagswahlen keine Presse zu dieser Begegnung hinzuzuziehen. Der Landeskirche war in besonderem Maße daran gelegen, als sie vor der Wahl keine Möglichkeit mehr hatte, auch mit der SPD und der CDU ein Gespräch zu führen. Wie einem Schreiben des Oberlandeskirchenrats Wandersleb an Ernst vom 8. 3. 1974 zu entnehmen ist, existierten bereits seit August 1973 Kontakte der Landeskirche zur FDP, hier insbesondere zu dem Bundestagsabgeordneten Friedrich Wendig, die jedoch aufgrund zeitlicher Umstände nicht hatten fortgesetzt werden können (vgl. Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel KE 153). 255 Vgl. Schreiben Lohse an Gross vom 27. 5. 1974; LKAH N 105 Nr. 09. Im Hintergrund stand hier insbesondere der Beschluss der schleswig-holsteinischen FDP, über den man durch die Erklärung des Rates der NEK informiert worden war. Die Erklärung hat-
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und wollte Gross nicht nachkommen. So betonte er in seinem Antwortschreiben, dass er das Thema Kirchenpapier bewusst aus dem Wahlkampf hatte heraushalten wollen, da es dort »lediglich vergröbert« 256 behandelt worden wäre. Seine Prognose im Blick auf das weitere Geschehen ließen seine nach wie vor optimistische Sicht auf einen insgesamt positiven Ausgang der Kirchenpapierdiskussion erkennen, insofern er eine zunehmende Annäherung zwischen »eifernden Jungdemokraten und älteren F.D.P. Mitgliedern« 257 sowie ein immer größer werdendes Verständnis seitens der Kirchen für die Thesen der FDP konstatierte. Bis zum Beschluss des Kirchenpapiers erfolgte keine weitere Reaktion der Landeskirche mehr; dass man jedoch mit der FDP im Austausch über die Thematik Staat und Kirche blieb, zeigte sich in der Tatsache, dass der Rat der Konföderation und die Niedersächsische Landesregierung ihrer Begegnung am 25. 2. 1975 die Beziehungen von Staat und Kirche zur Beratung zugrunde legten.258 2.2. Die mitteldeutschen Landeskirchen Betrachtet man die Diskussionsprozesse in den beiden benachbarten Landeskirchen Westfalen und Rheinland, so fällt deren Unterschiedlichkeit auf. Während die Westfälische Landeskirche zunächst Zurückhaltung übte, setzte sich die Rheinische Landeskirche bereits sehr früh mit dem Kirchenpapier auseinander. Auf den gemeinsamen Kirchenleitungssitzungen wurde das Kirchenpapier nie thematisiert. Dies erstaunt umso mehr, als mit dem Beauftragten der drei in Westfalen liegenden Kirchen bei der Landesregierung von Mutius und seinem juristischen Vertreter Grünhaupt zwei in der Kirchenpapierdiskussion zentrale Persönlichkeiten als Verbindungsstelle zwischen beiden Landeskirchen fungierten.259
te die Frage aufgeworfen, ob eine Dokumentation, wie sie auf NEK Ebene angedacht war, ausreiche oder nicht vielmehr die EKD damit beauftragt werden sollte. Lohse plädierte in diesem Zusammenhang dafür, die Frage auf der Kirchenkonferenz zu behandeln (vgl. Schreiben Lohse an Frank über Meyer vom 31. 6. 1974; LKAH B 1 Nr. 8800 Bd. VIII). Meyer hatte darauf hin beim Vorsitzenden des Rates der Nordelbischen Kirchen Petersen den Charakter der Stellungnahme erfragt, der ihm darauf hin mitteilte, dass die Erklärung zunächst nur für den Rat bestimmt sei und man erst nach Rücksprache mit den Gliedkirchen an eine offi zielle Stellungnahme denke (vgl. Vermerk Petersen Betr.: Stellungnahme zu den Thesen; NEK-Archiv 10.04 Nr. 34). 256 Schreiben Gross an Lohse vom 19. 6. 1974; AdL N 86-59. 257 Ebd. 258 Hier orientierte man sich an einem Thesenpapier von Lohse »Kirche und demokratischer Rechtsstaat«. Das Thesenpapier wurde in den LM abgedruckt (vgl. Lohse, Staatsform, 218 f.). 259 Siehe Kap. III.1.1.2.
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2.2.1. Evangelische Kirche im Rheinland Wie bereits im Kontext der Reaktionen auf das Jungdemokratenpapier erwähnt, war es der Präses der Rheinischen Landeskirche Karl Immer, der sich kurz nach seiner Wiederwahl zum Präses im Kontext der Neuwahlen der Kirchenleitung durch die rheinische Landessynode bereits am 11. 1. 1973 und somit als erster seitens der evangelischen Kirche offi ziell zu dem Jungdemokratenpapier geäußert hatte.260 Die von ihm vollzogene Parallelisierung der jungdemokratischen Forderungen mit kirchenpolitischen Parolen der nationalsozialistischen Zeit müssen auch auf dem Hintergrund seiner biographischen Erfahrungen gesehen werden. Immer wurde, stärker noch als andere Kirchenvertreter, geprägt durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Kirchenkampfs. Durch seinen Vater Karl Immanuel Immer, Pfarrer in Barmen und Mitglied der Bekennenden Kirche, trat er in engen Kontakt zu jener Gegenbewegung der Deutschen Christen. Die Barmer Bekenntnissynode 1934, auf der die Barmer Theologische Erklärung beschlossen wurde, fand im Hause seines Vaters statt. Sicherlich prägend war weiterhin die Tatsache, dass er durch das Abschreiben verschiedener Entwürfe an der Abfassung der Erklärung mitwirkte.261 Jene Erfahrungen, gerade auch die Schwierigkeiten, die sich hinsichtlich seines berufl ichen und theologischen Werdegangs aufgrund seiner ablehnenden Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber ergaben, begründeten sein Engagement dahingehend, die Zeit des Kirchenkampfs nie in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Bedeutung und Gegenwärtigkeit der Barmer Erklärung für Immer auch hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche zeigte sich in seiner Rede als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche der Union auf einer Tagung im März 1974. Hier betonte er unter Verweis auf die fünfte These der Barmer Erklärung, dass die völlige Trennung von Staat und Kirche dem Sinne jener These entgegen stehe, insofern es der Staat mit »göttlicher Anordnung«262 zu tun habe und die Kirche »in Dank und Ehrfurcht« diese Anordnung anerkenne. Beiden, Kirche und Staat, seien jedoch Grenzen gesetzt, insofern weder der Staat »über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden« könne, noch die Kirche »zu einem Organ des Staates« wer260 Vgl. Art. »Neue Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland« und Art. »Präses Immer kritisiert Forderungen der Jungdemokraten«, beide in: epd West Nr. 6 vom 11. 1. 1973 (siehe auch Kap. II.4.3.2.). 261 Karl Immer (1916–1984) trat nach dem Zweiten Weltkrieg eine Pfarrstelle in Duisburg-Neudorf an. 1968 wurde er zum Oberkirchenrat in die rheinische Kirche gewählt, wo er ab 1971 als Nachfolger Joachim Beckmanns bis 1981 das Amt des Präses der EKiR bekleidete. Von Juni 1973 an war er Mitglied des Rates der EKD, ebenso gehörte er der Arnoldshainer Konferenz an. 262 Die Barmer Theologische Erklärung, 111. Die folgenden Zitate ebd.
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den dürfe. Hier gelte es, wachsam zu sein und »bereits den Anfängen ideologiepolitischer Versuchung zu widerstehen.« 263 Auch aus diesem Appell heraus erklärte sich die schnelle Reaktion Immers auf die Forderungen der Jungdemokraten, in denen er einen Staatsmonopolismus zugrunde liegen sah, der dem dargelegten Verständnis der Barmer These diametral entgegen stand. Als Explikation der Barmer Erklärung beschrieb Immer das gegenwärtige Verhältnis im Sinne einer Partnerschaft, insofern die gemeinsame Rückbesinnung auf die göttliche Anordnung sowie die gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche für den Menschen und die Gesellschaft beide miteinander verbinde.264 Für die Evangelische Kirche im Rheinland lässt sich eine vergleichsweise intensive und frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier aussagen. Dennoch fand ein offizielles Gespräch mit der FDP, obwohl es mehrmals angedacht wurde, nicht statt.265 Insgesamt vier Gremien der Rheinischen Landeskirche befassten sich sukzessive mit der Kirchenpapierthematik. Ausgelöst durch eine Anfrage der Superintendentenkonferenz zum Jungdemokratenpapier Anfang des Jahres 1973 266 , veranlasste Immer die Einrichtung eines ersten ad-hoc-Ausschusses, dessen Vorsitz der Leiter der Evangelischen Jugendakademie Radevormwald Enno Obendiek übernahm. Die Aufgabe des Ausschusses »JUDO-Papier« 267, dem etwa zehn Personen 263
Protokoll der Verhandlungen der 3. Tagung der 4. Synode der Evangelischen Kirche der Union (Bereich BRD und Berlin-West) vom 8. bis 11. 3. 1974, 27. 264 »Freiheit voneinander, Verantwortung füreinander, geordnete Gemeinschaft miteinander, diese Linie läßt sich weiter ausziehen und vielfältig anwenden« (ebd., 28). 265 Die konkretesten Überlegungen dahingehend erfolgten im August 1974, nachdem man erfahren hatte, dass die Thesen auf dem Hamburger Parteitag verhandelt werden würden. Von Mutius hatte in Absprache mit Riemer und Funcke für einen Gesprächstermin zwischen Vertretern der FDP und Vertretern der drei in NRW vertretenen Landeskirchen noch vor dem BPT plädiert, worauf hin Funcke den 13. 9. 1974 vorgeschlagen hatte. Hatten seitens Kirchen keine Einwände gegen diesen Termin bestanden, so musste er letztlich aufgrund terminlicher Schwierigkeiten beim nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP abgesagt werden. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob das Gespräch die Beratungen innerhalb des Bundesvorstandes, dessen zweitägige Klausurtagung einen Tag später begann, in irgendeiner Form beeinflusst hätte. Die Kirchen jedenfalls erkannten schnell, welche Bedeutung das Gespräch gehabt hätte. Unmittelbar nachdem ihnen die Neufassung der Thesen vorlag, wandten sich Immer und Thimme an Weyer und brachten »ihre tiefe Sorge« gegenüber dem Papier zu Ausdruck. Ihre Kritik richtete sich insbesondere gegen die Zielsetzung, in der sich eine Tendenz ausdrücke, die »bisher nur von totalitären Regierungen« vertreten werde, die Absicht, die Kirchen aus dem Leben der Gesellschaft zu verdrängen (Schreiben Immer an Weyer vom 21. 9. 1974; AEKiR 6 HA 034 Nr. 83/82). 266 Leider lässt sich das Datum der Konferenz nicht genau ermitteln. Da die Superintendentenkonferenz jedoch ca. drei Mal im Jahr tagte und Folgesitzung am 22. 5. 1973 stattfand, ist davon auszugehen, dass sie unmittelbar zu Beginn des Jahres stattgefunden haben muss, vermutlich in etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung des Jungdemokratenpapiers. 267 Zum Ausschussnamen vgl. Protokoll der Sitzung des Ausschusses »JUDO-Papier« vom 22. 5. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 906.
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angehörten, bestand darin, aus einer kircheninternen Perspektive heraus zu überlegen, wie man einer solchen Anfrage grundsätzlich begegnen könne. Jene Frage wurde gemeinsam mit der für den 22. 5. 1973 angesetzten Superintendentenkonferenz auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse des Ausschusses erörtert. Am Ende der gemeinsamen Beratungen standen zwei Papiere, die auf Vorlagen basierten, die von den Mitgliedern des ad-hoc-Ausschusses vorbereitet worden waren. Unter Rekurs auf eine Ausarbeitung von Pfarrer Siegfried Meurer artikulierte ein Papier »Kritische Anfragen an die Theologie« 268 , das zweite beinhaltete »Rechtliche Anmerkungen der Vorlage ›Liberalismus und Christentum‹ der Deutschen Jungdemokraten.«269 Letzterem hatte dabei die Vorlage der Ausschussmitglieder Grünhaupt und des Oberregierungsrats Christian Jülich gedient.270 Seine Bedeutung bestand darin, dass es in einer von Grünhaupt überarbeiteten Form in die Arbeit des Öffentlichkeitsausschusses der Rheinischen Landessynode einfloss, der etwa zur gleichen Zeit in Beratungen über das Kirchenpapier trat. Hatte man hier noch Ende März die ebenfalls aktuelle Thematik Kirche und Sozialismus dem Jungdemokratenpapier vorgezogen, so setzte sich der Öffentlichkeitsausschuss in seiner Sitzung am 16. 5. 1973 intensiv damit auseinander. Hier hielt von Mutius sein bereits mehrfach erwähntes Referat über Entstehung, Hintergrund und Inhalte des Jungdemokratenpapiers.271 Seine differenzierte Beurteilung des Papiers bestimmte die weitere Arbeit des Öffentlichkeitsausschusses sowie der Landeskirche insgesamt in entscheidendem Maße. Erachtete von Mutius die Bedeutung des Jungdemokratenpapiers in politischer Hinsicht für sehr gering und ermutigte er dahingehend zu einer »gelassene[n] und ruhige[n] Antwort«272 , so maß er ihm in gesellschaftlicher und ideologischer Hinsicht großes Gewicht bei, insofern die Reaktionen auf das Papier auf eine »merkwürdige Aufnahmebereitschaft« 273 der in ihm artikulierten Gedanken verwiesen. Neben einer allge268 Bericht von Mutius vom 25. 5. 1973 über die Superintendentenkonferenz am 22. 5. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 910. 269 Grünhaupt im Juni 1973, Rechtliche Anmerkungen der Vorlage »Liberalismus und Christentum« der Deutschen Jungdemokraten; AEKiR 2 LR 006 Nr. 908. 270 Christian Jülich war Jurist beim Beauftragten der drei Landeskirchen bei Regierung und Parlament in Düsseldorf, eine Tätigkeit, die er jedoch nur kurze Zeit ausübte, bevor er dann ins NRW-Ministerium für Schule und Weiterbildung ging. Die Erstellung der Vorlage hatte für Grünhaupt und Jülich eine gewisse Herausforderung bedeutet, da sie keine Staatskirchenrechtler im eigentlichen Sinne waren. Im Kontext der Beratungen des ad-hoc Ausschusses hatte Grünhaupt Obendiek gegenüber betont, er und Jülich hätten sich erst nach Studium und Ausbildung in die Materie eingearbeitet, wobei dieser Prozess bei ihm nach wie vor andauere: »was mich betrifft, so bin ich noch dabei mich einzuarbeiten« (Schreiben Grünhaupt an Obendiek vom 24. 4. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 906). 271 Vgl. Referat von Mutius am 16. 5. 1973, 4; EZA 87/662. 272 Ebd., 6. 273 Ebd.
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meinen Mentalität der Kirchenverdrossenheit konstatierte von Mutius hier auch eine »Nervosität mancher kirchlicher Kreise angesichts gewisser Erscheinungen unserer Gegenwart.«274 Gerade im letztgenannten Aspekt sah von Mutius eine gewisse Berechtigung der zweifelsohne »geisteswissenschaftlich überholten und nicht haltbaren Thesen« 275, die eine angemessene kirchliche Reaktion erforderlich mache. Von Mutius betrachtete das Kirchenpapier als grundsätzliche Anfrage an die Apologetik und warnte die Kirche daher vor übereilten und spontanen Reaktionen, die nicht selten »wie ein Kampf um ›Herrschaftspositionen‹«276 anmuteten und die Gegner damit ein Stück weit in ihrer Kritik bestätigten. Stattdessen forderte er dazu auf, die Diskussion sachlich, informiert und kooperativ anzugehen, ferner aufzunehmen, was hinter jenen Anfragen an Theologie und Kirche stecken mag und auf diese Weise das »ständig[e] geistig[e] Ringen der Botschaft mit der Welt« 277 apologetisch zu untermauern. Nach einer ausführlichen Diskussion votierte der Öffentlichkeitsausschuss für eine »intensivere positivere Informationsarbeit« 278 und weiterführende Gespräche mit der FDP. Zu diesem Zwecke installierte man einen Unterausschuss unter dem Vorsitz von von Mutius.279 Auch bat man Obendiek, der nach wie vor mit der Aufgabe betraut war, die Ergebnisse der Superintendentenkonferenz zu bearbeiten, in dem Ausschuss mitzuwirken, um durch eine Koordination beider Arbeitsbereiche unnötige Doppelarbeit vermeiden. Den Wunsch der Superintendentenkonferenz nach einer Arbeitshilfe für die Gemeinden, mit deren Hilfe die Diskussion erleichtert werden sollte, erklärte man zum grundlegenden Arbeitsauftrag des Unterausschusses. Er entsprach dem von von Mutius vorgeschlagenen Vorgehen, insofern man die intensive Auseinandersetzung mit den Forderungen der Jungdemokraten »mehr aber noch mit der dahinterliegenden Mentalität« 280 einer öffentlichen kirchlichen Stellungnahme vorzog. In insgesamt fünf Sitzungen befasste sich der Ausschuss mit der Erstellung der Arbeitshilfe, wobei ihm im Zuge der Veröffentlichung des FDP-Papiers im August 1973 eine gewisse Flexibilität abverlangt wurde, insofern sich 274
Ebd., 6 f. Ebd., 6. 276 Ebd., 13. 277 Ebd. 278 Protokoll der Sitzung des Öffentlichkeitsausschusses vom 16. 5. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 1552. 279 Stellvertretender Vorsitzender war Pfarrer Meurer, weitere Mitglieder die Pfarrer Haumann, Rohkrämer und Demmer, der Ärzteberater Melsheimer, Oberregierungsrat Jülich, Grünhaupt, Scheven und Vogel (vgl. ebd.). 280 Protokoll der Sitzung des Unterausschusses »Jungdemokratenpapier« des Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit der Rheinischen Landessynode vom 8. 6. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 899. 275
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seine Arbeitsbasis änderte und nun auch diverse Stellungnahmen aus Kirche und Politik in die Arbeit aufzunehmen waren.281 Auch sprach man sich in diesem Zusammenhang für ein Gespräch mit Funcke aus, über das jedoch in den folgenden Sitzungsprotokollen nichts überliefert ist. Anfang Oktober und damit pünktlich zur anstehenden Superintendentenkonferenz hatte der Ausschuss seine Arbeit weitgehend beendet. Die Arbeitshilfe »Trennung von Kirche und Staat? Zur Diskussion einer aktuell gewordenen Frage« 282 bestand neben einem Vorwort und Literaturhinweisen am Ende aus den drei großen Teilen Dokumentation, Situation und Argumentation.283 Sie lieferte eine umfassende Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit der Thematik, zu der man im Vorwort unbedingt anregte.284 Anfang November wurde sie dem Öffentlichkeitsausschuss zur Kenntnisnahme zugeleitet. Die Tatsache, dass Grünhaupt in dem Einladungsschreiben an die Mitglieder des Öffentlichkeitsausschusses betonte, es handele sich bei dieser Arbeitshilfe nicht mehr um die aktuellste Fassung, 281 »Der Unterausschuß soll auf aktuell veränderter Basis weiterarbeiten. Frau Funckes Stellungnahme zum Judo Papier vom Mai, die neuen Thesen sowie die Stellungnahmen von Präsident Hammer und OKR Wilkens werden baldmöglichst allen Ausschuß-Mitgliedern zugeleitet« (Beschluss der Sitzung des Unterausschusses vom 29. 8. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 1552). Die Sitzungen des Unterausschusses fanden am 8. 6., 30. 7., 29. 8., 19. 9. und 3. 10. 1973 statt. 282 Vgl. AEKiR 6 HA 027 Nr. 23. 283 Der Dokumentationsteil, dessen Zusammenstellung der Verantwortung Obendieks oblegen hatte, enthielt neben Zeitungskommentaren u. a. den Antrag der nordrhein-westfälischen DJD auf der BDK sowie deren Beschluss, die Stellungnahme Funckes vom 15. 1. 1973, einen Passus aus der »Nürnberger Wahlplattform« der FDP von 1969, die 14 Thesen der Kirchenkommission von August 1973, ein Interview mit Hildegard Hamm-Brücher vom 6. 9. 1973, einen Passus aus der Regierungserklärung vom 18. 1. 1973 sowie drei Artikel aus der Zeitschrift Publik-Forum (vgl. Köppler, Freiheit, 10 f.; Wehner, Streit, 16 f.; Funcke, Spontaneität, 18 f.). Teil II bestand aus den Unterabschnitten 1. Rechtliche Fakten, für den Jülich und Grünhaupt die Zuständigkeit übernommen hatten und der aus jener überarbeiteten Fassung ihrer gemeinsamen Ausarbeitung für den ad-hoc Ausschuss bestand und 2. Fakten des kirchlichen Lebens, die auf Obendiek zurückgingen. Der dritte Teil wurde mit kurzen rechtlichen Anmerkungen eingeleitet und rekurrierte in einem zweiten Abschnitt »gesellschaftliche Fragen« auf ein Papier, das Obendiek in Vorbereitung auf die erste Sitzung des Unterausschusses verfasst hatte und das im Sinne von Mutius’ dazu dienen sollte, »von einer vordergründigen emotionalen Abwehrargumentation wegzukommen und die Fragen zu sehen, die sachliche begründet sind und sie auch entsprechend zu beantworten« (Schreiben Obendiek an Grünhaupt vom 4. 6. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 908). Ein letzter, auf von Mutius zurückgehender Abschnitt 3. griff Überlegungen aus dem Bereich der Theologie und Kirche auf, wie er sie in seinem Referat vor dem Öffentlichkeitsausschuss expliziert hatte. 284 »Die kleinen Gesprächsgruppen sollten die Regel sein. Große öffentliche Veranstaltungen eignen sich weniger dafür, weil erfahrungsgemäß dabei die Polemik wächst, die grundsätzliche Erörterung der Sachfragen aber unterbleibt. Das ganze könnte eine Bewährungsprobe für alle Christen werden, die weniger durch sich rechtfertigende Verteidigung überkommener Positionen erreicht wird, als durch das offene Gespräch« (Arbeitshilfe; AEKiR 6 HA 027 Nr. 23). Deutlich zeigte sich hier die Handschrift von Mutius’.
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bestätigte, dass man im Blick auf eine Aktualisierung etwas unter Zeitdruck geraten war. In diesem Sinne war auch der Beschluss Kirchenleitung zu verstehen, der Öffentlichkeitsausschuss solle »unter Berücksichtigung seiner Arbeit zum Judo-Papier eine Beratungshilfe zum sogenannten FDP-Kirchenpapier [. . .] erstellen.« 285 Wie dem Bericht Immers auf der rheinischen Landessynode am 7. 1. 1974 zu entnehmen war, hatte sich auch das Kollegium des Landeskirchenamts »in mehreren Klausurtagungen mit theologischen und rechtlichen Implikationen der Thesen« 286 vertraut gemacht. Die Konstellation des Kollegiumsausschusses unter dem Vorsitz des juristischen Dirigenten Erich Dahlhoff war insofern bemerkenswert, als fast nur juristische Mitglieder des Kollegiums in ihm mitwirkten.287 Im Unterschied zur grundsätzlichen und der sachlichen Auf klärung dienenden Arbeit des Öffentlichkeitsausschusses befasste sich der Kollegiumsausschuss ganz konkret mit den einzelnen Thesen, deren Kommentierung von Einzelpersonen oder kleineren Arbeitsgruppen erarbeitet wurde. Die Arbeit des Kollegiumsausschusses fand ihre Aufnahme in einer umfassenden Materialsammlung, die Präses Immer gut fünf Wo285 Einladungsschreiben Grünhaupt an die Mitglieder des Öffentlichkeitsausschusses vom 31. 10. 1973 zur nächsten Sitzung am 5. 11. 1973; AEKiR 2 LR 006 Nr. 1552. Grünhaupt hatte seinem Schreiben die Arbeitshilfe angefügt. Leider ließ sich die von ihm erwähnte überarbeitete Fassung nicht ausfi ndig machen, so dass die Unterschiede zwischen den Fassungen im Einzelnen nicht beschrieben werden können. Der Hinweis Grünhaupts, jene von der Kirchenleitung eingeforderte »kurze Stellungnahme« werde »am Tage der Sitzung« vorliegen, verweist jedoch darauf, dass es sich im wahrsten Sinne des Wortes nur um eine kurze Stellungnahme handeln konnte, die man der Arbeitshilfe anfügte (vgl. ebd.). Weitere Veränderungen werden sich auf jene Teile bezogen haben, die dezidiert auf die Jungdemokratenforderungen Bezug nahmen: »Die beigefügten rechtlichen Anmerkungen [. . .] werden sich aber wohl – ebenso wie die ganze Arbeit des Unterausschusses – dann an dem neuen FDP-Papier zu orientieren haben« (Schreiben Grünhaupt an Joachim Wolf; AEKiR 2 LR 006 Nr. 908). 286 Bericht Immer, in: Verhandlungen Bad Godesberg, 18 (der ganze Bericht: ebd., 14–22). Das wöchentlich tagende Kollegium war die Spitze des Landeskirchenamtes und das zweihöchste Leitungsgremium der Landeskirche, nach der monatlich zusammentreffenden Kirchenleitung. In personeller Hinsicht wiesen beide Gremien starke Überschneidungen auf. Vorsitzender des Kollegiums war Immer; als theologischer Dirigent fungierte Ludwig Quaas, juristischer Dirigent war Oberkirchenrat Erich Dahlhoff. Im Kollegium tätig waren des Weiteren sieben theologische und zehn juristische Mitglieder. 287 So waren sieben von zehn Mitgliedern Juristen. Bei der Erörterung spezieller Thesen nahm der Ausschuss zusätzlich die Hilfe von externen Personen in Anspruch; so gehörten auch zwei Kirchenräte aus der Schulabteilung des Landeskirchenamtes dem Ausschuss an, die die Thesen zum Religionsunterricht und der Gemeinschaftsschule bearbeiteten. Ebenso arbeitete Obendiek in dem Ausschuss mit. Leider sind die Sitzungen des Kollegiumsausschusses im Einzelnen nicht überliefert, lediglich auf eine Sitzung, die am 18. 12. 1973 stattfand, wird konkret verwiesen. In Vorbereitung auf diese Sitzung hatten die Ausschussmitglieder ihre Ausarbeitungen an Dahlhoff verschickt. Auch muss im Frühjahr eine weitere Sitzung stattgefunden haben. Darauf verweist eine überarbeitete Fassung des Ausschussmitglieds und Juristen, Jochen Dittrich, zur These 6, die auf Anfang März datiert ist (vgl. AEKiR 6 HA 027, Nr. 23).
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chen nach Beschluss des Kirchenpapiers an alle Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Emeriti der Rheinischen Landeskirche verschickte.288 Wie der Einleitung in den Teil zu den Einzelthesen zu entnehmen ist, hatte man sich ganz bewusst für diese Form der Stellungnahme entschieden, da man in der Diskussion der einzelnen konkreten Forderungen einen Weg sah, sich mit der dahinter stehenden und in ihnen praktisch zum Ausdruck kommenden Gesamtproblematik, der Frage nach Stellung und Wirken der Kirche in der heutigen Gesellschaft, auseinanderzusetzen: »Unabhängig von sinnvollen oder törichten Forderungen und Defi nitionen in den Thesen können sie deshalb dann sinnvoll sein, wenn sie dazu führen, das kirchliche Selbstverständnis auf dem Hintergrund solcher Anfragen neu zu überdenken. [. . .] Ein solcher Denkprozess kann für alle nützlich sein – für die Kirche, für den Staat, die Gesellschaft und die politischen Parteien.«
Die Stellungnahme zu den einzelnen Thesen, die sich auf jene Fassung bezog, die auf dem Bundesparteitag in Hamburg beschlossen worden war (E VI), zeigte eine grundsätzliche Ablehnung der Thesen; lediglich den Thesen zu den Staatsleistungen an die Kirchen (E VI8) und zur Seelsorge in staatlichen Institutionen (E VI11; E III12) stimmte man zu. Im Blick auf erstere stellte man die kritische Anfrage an die Kirche, ob jene Leistungen noch in die gegenwärtige gesellschaftliche Landschaft passten. Bei der Seelsorgethese verwies man auf die Tatsache, dass sie schon seit längerem auch von der Kirche vertreten werde. Für diskussionswürdig erachtete man weiterhin die These zu Schule und Religionsunterricht und betonte, auch seitens der rheinischen Kirche die Entkonfessionalisierung der Schule befürwortet zu haben. Hier gehe es nicht darum, ob die Kirche einen Platz in der Schule hat, sondern ob die Schule ein kritisches Element brauche und haben wolle. Ebenso erachtete man die These, die die Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern forderte (E VI 12; E III13) für diskutabel, insofern man auf ihren Ursprung aus einem katholischen Sakramentsverständnis verwies, dem sich die evangelische Kirche nicht ohne weiteres anschließen könne. Festzuhalten bleibt, dass die rheinische Kirche das Papier ernst nahm, insofern es Grundfragen kirchlicher Gestalt und des kirchlichen Tätigkeitsbereichs betraf, die in die allgemeine und keineswegs neue Volkskirchendebatte subsumiert werden konnten. Im Kontext dieser Debatte sah man sich von Mutius folgend dazu aufgefordert, die eigene Sicht auf das Wirken und die Existenz der Kirche in der heutigen Gesellschaft zu überprüfen und ihren 288 Vgl. Arbeitsmaterial vom 14. 11. 1974; AEKiR J IIa 82. Die Sammlung enthielt weiterhin den Wortlaut der Thesen des FDP-Papiers, und zwar in einer synoptischen Darstellung der Thesenfassungen von August 1973 und Oktober 1974 sowie die Erklärung des Rates der EKD vom 19. 10. 1974. Die folgenden Zitate und Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, immer auf diese Angabe.
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Freiraum zu verteidigen.289 Im Blick auf die Einzelthesen jedoch betonte Immer, in der innerkirchlichen Diskussion dieser Fragen »weiter« 290 zu sein als die Thesen, gleichwohl er ihnen insgesamt eine »Trendveränderung« 291 bescheinigte. Seitens der Kirche war man daher an einer weiteren Auseinandersetzung mit der FDP vorerst nicht interessiert. Hier verlangte man zunächst eine Antwort auf die von Hamm-Brücher gestellte Frage, was an dem gegenwärtigen Verhältnis von Staat und Kirche »grundsätzlich so unerträglich oder so abänderungsbedürftig« 292 sei. Die Distanz der rheinischen und auch der westfälischen Kirche zur liberalen Partei zeigte sich auch in der Reaktion auf die Anfrage des FDP-NRW Chefs Horst Ludwig Riemer Anfang des Jahres 1975, »die gemeinsame Absicht, im Gespräch zu bleiben, alsbald [zu] verwirklichen.« 293 Riemer lag daran, die Beziehungen zu beiden Landeskirchen wieder zu intensivieren, die durch die Absage des vereinbarten Gesprächstermins im September, den Beschluss des Kirchenpapiers und nicht zuletzt seinen von den Kirchen scharf kritisierten Brief an katholische und evangelische Pfarrer in Düsseldorf deutlich beeinträchtigt worden waren.294 289 In diesem Zusammenhang standen auch die aktuell veröffentlichten Ergebnisse der Untersuchung »Wie stabil ist die Kirche?«, anhand derer, so Immer, deutlich werde, »daß der Erwartungshorizont für das Wirken der Kirche in unserer Gesellschaft größer ist, als wir oft wahrnehmen oder wahrhaben wollen« (Bericht Immer auf Rheinischen Landessynode 20. 1. 1975, 117). 290 Ebd., 116. 291 Art. »Immer: Verdrängung der Volkskirche ohne Nutzen für Gesellschaft. Rheinischer Präses zu den Kirchenthesen der FDP«, in: epd West Nr. 115 vom 16. 10. 1974 (vgl. auch Immers Äußerungen auf der Konferenz der rheinischen Superintendenten am 16. 10. 1974: »Um der Fairness willen muß man sehen, daß die Thesen eine große Veränderung gegenüber ihrer ursprünglichen Fassung erfahren haben«; EZA 87/661). 292 Bericht Immer auf der Rheinischen Landessynode 20. 1. 1975, 116 f. »Solange diese Frage nicht beantwortet wird, hat eine Diskussion zwischen Kirche und F.D.P. wenig Sinn« (ebd., 117). Vgl. dazu Stellungnahme Hamm-Brücher, in: epd Dok. 50/1974, 27. 293 Schreiben Riemer an Immer vom 7. 1. 1974; AEKiR 6 HA 034 Nr. 83/82. 294 Am 21. 10. 1974 hatte Riemer ein sechs Seiten langes Schreiben an evangelische und katholische Pfarrer in Düsseldorf gesandt, das als breite Apologie des Kirchenpapiers bzw. seiner eigener positiver Haltung betrachtet werden konnte. Darin hatte Riemer als Grund für dieses Schreiben die Verpfl ichtung genannt, als Landtagsabgeordneter für Düsseldorf die Gemeinden darüber zu informieren, welche Motive ihn dazu veranlasst hatten, das Verhältnis von Staat und Kirche neu zu überdenken. Dem war eine breite und ausführliche Kritik an den Reaktionen insbesondere der katholischen Kirche und der CDU gefolgt, denen Riemer eine mangelnde Informiertheit und Diskussionsbereitschaft hinsichtlich der Thematik unterstellte: »Ich könnte aus Briefen und Artikeln zitieren, in denen es heißt, die F.D.P. dürfe sich zu diesem Papier beglückwünschen [. . .]. [D]iese Kommentatoren hatten wenigstens die Thesen gelesen. [. . .] Wo also bleibt das Kirchenpapier der CDU? Wo das der SPD? Genügt es etwa, so CDU/CSU, alle Forderungen total zu verneinen?« Am Ende hatte Riemer das Kirchenpapier in die liberale Tradition »von Friedrich Naumann und Theodor Heuss« eingeordnet und betont, ebenso wie diese beiden großen Liberalen, »auf der Grundlage gegenseitiger Unabhängigkeit die Zusammenarbeit von Staat und Kirche sichern« zu wollen (Schreiben Riemer vom 21. 10. 19174; AEKiR 2 LR 006
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In einem Schreiben an Immer entschuldigte er sich für seine Absage im September und schlug den 31. 1. 1975 als neuen Gesprächstermin vor. Als sein persönliches Anliegen artikulierte er die Erörterung der Zielsetzung des Kirchenpapiers, wobei er »der vom Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands genannte[n] Problematik, wie Freiheit heute zu interpretieren und in den sozialen Bezügen unserer Zeit zu gewährleisten ist« 295 besondere Bedeutung zumaß. Statt auf den Gesprächstermin einzugehen, beauftragten die Kirchen von Mutius mit der Erledigung dieser Anfrage, dem in der Folgezeit das Bemühen abzuspüren war, Riemer ein Stück weit aus der Rolle des ›Buhmanns‹ zu befreien und auf diese Weise zur Verbesserung des Verhältnisses beizutragen.296 2.2.2. Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) Bereits am 19. 3. 1973 und damit so früh wie keine andere Landeskirchenund Landesverbandskonstellation trafen Vertreter des pfälzischen Landeskirchenrats und der rheinland-pfälzischen FDP zu einem ersten Gespräch zusammen. Die Initiative dafür war vom Kirchenpräsidenten der Pfälzischen Landeskirche Walter Ebrecht ausgegangen, der den Vorsitzenden des rheinland-pfälzischen Landesverbandes der FDP Kurt Jung Ende Januar kontaktiert und ihn im Kontext der allgemeinen Begegnungen zwischen Kirche und Partei zu einem Gespräch über das Verhältnis von Staat und Kirche aufgefordert hatte.297 Diese zeitige Kontaktaufnahme konnte auch als Reaktion auf sehr frühe Anfragen aus einzelnen pfälzischen Kirchenbezirken an die Kirchenregierung verstanden werden, die in diesem Zusammenhang um »ein Wort der Landeskirche« 298 baten. Dass der Landeskirchenrat in seiner Sitzung vom Nr. 903). Das Schreiben war sowohl auf katholischer auf evangelischer Seite auf Kritik und Irritation gestoßen. Bernard Henrichs, Stadtdechant von Düsseldorf, unterstellte Riemer eine »gespielte Naivität« mit der er die »Pfarrer für dumm verkaufen« wolle (Schreiben Henrichs vom 31. 10. 1974; ebd.). Auch Thimme, dessen Reaktion »nach Rücksprache und im Einvernehmen« mit Immer erfolgt war, hatte scharfe Kritik geübt und Riemer das Recht bestritten, »als 1. Vorsitzender des FDP-Landesverbandes zu diesen Fragen öffentlich Stellung zu nehmen« (Schreiben Thimme an Riemer vom 31. 10. 1974; ebd.). 295 Schreiben Riemer an Immer vom 7. 1. 1974; EAKiR 6 HA 034 Nr. 83/82. 296 In einem Schreiben an die Spitzen der Westfälischen, Rheinischen und Lippischen Landeskirche informierte er darüber, Riemer regelmäßig mit kirchlichen Verlautbarungen versorgt zu haben, die von diesem oftmals ausführlich kommentiert worden waren. Von Mutius erachtete diese Tatsache für grundsätzlich beachtenswert, »unabhängig von der Frage, was im einzelnen zu seinen Überlegungen zu sagen wäre« (Schreiben von Mutius an Thimme, Immer und Viering vom 11. 2. 1975; ebd.). 297 Vgl. Schreiben Ebrecht an Jung vom 25. 1. 1973; ZASP Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (3)-3/1. 298 Schreiben Protestantisches Pfarramt Otterberg an das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche der Pfalz; ebd. (vgl. auch Schreiben Protestantisches Dekanat Ludwigshafen an Ebrecht vom 29. 1. 1973; ebd.).
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IV. EKD und Kirchenpapier
6. 2. 1973 das Vorgehen Ebrechts bestätigte und von der erwünschten kirchlichen Stellungnahme zum Jungdemokratenpapier zunächst absah, lag nun auch in der deutlich ablehnenden Haltung der rheinland-pfälzischen FDP begründet, die sich in der Zustimmung ihres Landesvorsitzenden zur scharfen Kritik des FDP-Bezirksvorstandes Koblenz-Nord/Montabaur am Jungdemokratenpapier sowie in einer ersten Stellungnahme von Schneider, zugleich Landessynodalpräsident der Pfälzischen Landeskirche, manifestierte.299 In dieser Stellungnahme hatte Schneider erstmals seinen Austritt aus der Partei im Falle einer Übernahme des Kirchenpapiers durch die FDP angekündigt.300 In dem »sehr offenen Gespräch, das in seiner guten Atmosphäre geführt wurde«301, über das jedoch keine konkreten Inhalte überliefert sind, sprachen sich die Vertreter von Partei und Kirche – namentlich Hermann Eicher, Kurt Jung, Helmut Schäfer und Röhler für die FDP, Walter Ebrecht, Ludwig Scheib, Heinz Kronauer, Hans Dieter Holtz, Otto Mehringer und Hesser auf Seiten der Kirche – für ein Gespräch der Kirche mit den Jungdemokraten aus und vereinbarten die Fortsetzung ihrer eigenen Zusammenkunft für den Frühherbst 1973. Eine Notiz in der Zentralausgabe des Evangelischen Pressedienstes von Anfang Oktober bestätigte die Fortsetzung dieses Gesprächs302 , dessen Inhalte Walter Ebrecht auf der pfälzischen Landessynode im November 1973 dahingehend zusammenfasste, dass er persönlich »nicht mehr die Befürchtung habe, daß die F.D.P. selbst zu einer unkritischen Annahme der Thesen neige.«303 Den kurzen Ausführungen Ebrechts war das Bemühen abzuspüren, die Synode von der Aufrichtigkeit der FDP und der guten Kooperation zwischen ihr und der Kirche zu überzeugen. So kritisierte er die vereinfachte Berichterstattung der Presse, die die Haltung der Gesprächspartner nur unzureichend wiedergegeben habe und verwies auf die konstruktiven Diskussionsbeiträge der liberalen Vertreter, allen voran Schneider. Hatten die harmonisierenden Äußerungen Ebrechts wohl auch intendiert, die Diskussion um das mittlerweile veröffentlichte Kirchenpapier möglichst 299
Vgl. Art. »FDP kontra ›Kirchenpapier‹. Heftige Attacke des Bezirksvorstandes: gegen Jungdemokraten«, in: Die Rheinzeitung vom 23. 1. 1973; Art. »Staatsminister a.D. Schneider empört über Kirchenpapier der Judos. Erklärung zum Beschluss der Deutschen Jungdemokraten vom 7. 1. 1973«, in: epd Landesdienst Pfalz, Sonderdienst Nr. 2 vom 8. 2. 1973. 300 »Ich erkläre eindeutig, daß ich der F.D.P. nicht mehr angehören könnte, wenn der oben genannte Beschluss inhaltlich zu ihrer Aussage würde« (ebd.). 301 Art. [Titel unbekannt], in: epd Landesdienst Pfalz vom 21. 3. 1973. 302 Vgl. epd ZA Nr. 193 vom 4. 10. 1973: »Das FDP-Papier über das Verhältnis von Staat und Kirche ist in diesen Tagen von dem pfälzischen Landesvorstand der FDP und dem Landeskirchenrat der Pfalz diskutiert worden.« 303 Verhandlungen November 1973 Band 1, 28.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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klein zu halten, so wurde dieses Anliegen durch die Forderung des Ausschusses für öffentliche Verantwortung konterkariert. Dieser forderte mehr Transparenz hinsichtlich der stattgefundenen Gespräche und stellte das Kirchenpapier ferner in einen Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um den § 218 StGB, indem er beides als »wesentliche Fragen, die die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche betreffen«304, erachtete. Hatte man die Erörterung des § 218 StGB bereits in den Öffentlichkeitsausschuss überwiesen, so stellte der Synodale Weber den entsprechenden Antrag für das Kirchenpapier.305 In zwei Sitzungen befasste sich der Ausschuss mit dem Kirchenpapier, bis die Landessynode vom 13. bis 17. 5. 1974 in Bad Herrenalb erneut tagte. Dort erlangte das Kirchenpapier zunächst durch Schneider eine gewisse Präsenz, als dieser in seiner Begrüßungsansprache spontan Bezug nahm auf die Stellungnahme des FDP-Landesverbandes Schleswig-Holstein, über die just an diesem ersten Synodentag in den Zeitungen berichtet wurde. Schneider kündigte erneut seinen Austritt aus der Partei an, für den Fall, dass »die F.D.P.-Bundespartei oder mein Landesverband dieses Papier zur politischen Richtlinie erklärt.«306 Sein Plädoyer ging dahin, die ganze Debatte zu einem Ende zu bringen, da der aktuelle »Schwebezustand« 307 gefährlich sei und beruhigende Gespräche zwischen Kirche und Partei auf Dauer kein geeignetes Mittel darstellten. Besondere Kritik übte er in diesem Zusammenhang an der Parteispitze, deren abwartende Haltung jenen Schwebezustand unnötig verlängerte.308 Die Tatsache, dass sein Landesverband nur wenige Tage später eine Stellungnahme verabschiedete, die sich deutlich gegen das Kirchenpapier wandte und an der er als Mitglied der dafür eingesetzten Landesvorstandskommission mitgearbeitet hatte, ließ jene spontane Äußerung und insbesondere den angekündigten Parteiaustritt in den Augen der Presse als »unglaubhaft und merkwürdig«309 erscheinen. Schneider rechtfertigte sie als unmittelbare Reaktion auf den erwähnten Beschluss, doch drückte sich hier, ähnlich wie bei Ronneburger und Hamm-Brücher die zunehmende 304
Ebd., 110. »Der Öffentlichkeitsausschuß wird beauftragt, die Probleme des FDP-Papiers zu diskutieren und eine Stellungnahme der Landessynode vorzubereiten, damit ohne Angst die angesprochenen Fragen erörtert und nach einem gangbaren Weg für die Zukunft gesucht werden kann« (ebd., 111 f.). 306 Verhandlungen Mai 1974, 19. 307 Ebd. 308 »Wenn die führenden Männer und Frauen der F.D.P. eine andere Meinung vertreten als die Thesen, wäre es an der Zeit, dieser Meinung durch Beschlüsse der Parteigremien Ausdruck zu verleihen. Wenn diese Meinung der führenden Leute, die sich geäußert haben, aber nicht Parteimeinung ist, dann wird das nicht ohne Konsequenzen für das Verhältnis dieser Partei zu den Kirchen bleiben« (ebd., 18 f.). 309 Art. »Entschärftes F.D.P.-Kirchenpapier aus Mainz. Antikirchliche Tendenz soll beseitigt werden/Vorlage an den Bundesvorstand«, in: Speyer Tagespost vom 25./26. 5. 1974. 305
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IV. EKD und Kirchenpapier
Schwierigkeit jenes Lavierens zwischen Kirche und Partei aus, die mit der steigenden Publizität des Kirchenpapiers einher ging. Auch in dem Bericht des Öffentlichkeitsausschusses ging man auf die mannigfaltige Erörterung des Kirchenpapiers ein, die im Ausschuss die Überzeugung hatte reifen lassen, die bereits existierende Vielfalt von kirchlichen Stellungnahmen nicht noch durch eine »weitere unbedeutende [. . .] einfache Erklärung«310 ergänzen zu wollen. Stattdessen wollte man den weitreichenden »negativen wie auch positiven Anregungen der vierzehn Thesen«311 in Form einer ausführlichen praktischen Arbeitshilfe gerecht werden. Berichterstatter Eder bat somit die Synode, dem Auftrag zur Erarbeitung dieser Arbeitshilfe stattzugeben, die dann ebenfalls dem Rat der EKD zugehen sollte, verbunden mit der Bitte, eine detaillierte und umfassende Stellungnahme zu den 14 Punkten zu verfassen. Die Synode nahm die Empfehlung des Ausschusses an. In einem knapp halbjährigen Prozess entstand die Arbeitshilfe »Freie Kirche im freien Staat: Vor welche Fragen stellen uns die F.D.P.-Thesen? Wissen wir darauf zu antworten?«312 , die der vom 11. bis 15. 11. 1974 in Speyer tagenden Synode vom Vorsitzenden des Öffentlichkeitsausschusses GustavAdolf Bähr vorgestellt wurde.313 Die ausführliche Erörterung der Einzelthesen, die im Frage-Antwort-Stil gehalten war, enthielt alle wesentlichen Anfragen an die Thesen und trug damit dem Arbeitsauftrag der Mai-Synode an den Öffentlichkeitsausschuss, »die Fragen, vor die uns die 14 Thesen stellen, verständlich zu beantworten«314, Rechnung. Bemerkenswert war das Bemühen um Sachlichkeit, das dieser Arbeitshilfe zugrunde lag, insofern sich die Argumentation und Beantwortung der Fragen primär auf staatskirchenrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte beschränkte. Der Standpunkt des Öffentlichkeitsausschusses ließ sich jedoch anhand einer am Ende der entsprechenden Erörterung jeweils aufgeführten und an die FDP adressier310
Verhandlungen Mai 1974, 435. Ebd. 312 Vgl. ZASP Abt. 9 Nr. 143. 313 Der Öffentlichkeitsausschuss hatte somit bei der Erstellung die entsprechenden Entwicklungen des Kirchenpapiers mitberücksichtigen müssen, so etwa die Veränderungen, die mit den Beratungen im Bundesvorstand und auf dem BPT der FDP einhergingen als auch die Reaktionen, die im Anschluss an den Beschluss des Papiers insbesondere von Seiten der Kirchen erfolgten. Die Kommentierung der Thesen bezog sich somit auf die auf dem BPT beschlossene Fassung (E VI); die Veränderungen zeigten sich bereits in der Überschrift der Arbeitshilfe, die zunächst in Analogie zum FDP-Kirchenpapier den Titel »Trennung von Kirche und Staat« trug (vgl. ZASP Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (3)-3/2. Vgl. auch Verhandlungen November 1974 Band 1, 468). Nebenbei erwähnt sind keine weiteren Initiativen seitens des Landeskirchenrats im Blick auf die Kirchenpapier-Thematik überliefert. Ob ein Anfang Juni im epd angekündigtes Infogespräch mit der FDP, das man in Kooperation mit der Badischen Kirche hatte durchführen wollen, stattfand, bleibt daher unklar (vgl. epd Landesdienst Pfalz Nr. 42 vom 4. 6. 1974). 314 ZASP Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (3)-3/2. 311
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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ten Frage deduzieren, die zugleich dem potentiellen Gespräch mit der liberalen Partei dienen konnte.315 Jene Fragen ließen eine grundsätzlich ablehnende Haltung des Öffentlichkeitsausschusses gegenüber den Thesen erkennen, die lediglich im Blick auf die Thesen zur verfassungsmäßig festgeschriebenen Neutralität des Staates (E VI6), zur Seelsorge in staatlichen Institutionen (E VI11; E III12), zur Gleichstellung Geistlicher und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern (E VI12; E III13) und zur Vertretung der Kirchen in öffentlichen Gremien (E VI13; E III14) unterbrochen wurde. Die Zustimmung zu der im Kontext der sechsten These enthaltenen Forderung nach Abschaffung der religiösen Eidesformel zeigte sich in dem Hinweis auf die strittigen Meinungen, die dahingehend auch in der Kirche herrschten. Hier, so die vorsichtige Formulierung des Ausschusses, könnte »[d]en Bedürfnissen der Rechtssprechung und beamtlichen Verpfl ichtung [. . .] auch ohne die religiöse Beteuerung Genüge getan werden.«316 Bei den Thesen zur Seelsorge und Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten war man sich einig, dass sie seitens der EKD heutzutage so nicht mehr zustande kommen würden. Dabei verwies man im Blick auf These zur Gleichstellung auf die Tatsache, dass die pfälzische Landessynode bereits im Jahre 1968 gegen diese Privilegierung votiert habe, die Evangelische Landeskirche in Baden erst vor wenigen Wochen. Die These zur Vertretung der Kirchen in öffentlichen Gremien erachtete man insofern als diskutabel, als man den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche auf die gesamte Gesellschaft hin angewendet wissen wollte, nicht nur auf die praktizierenden Mitglieder, weshalb »der kircheneigene Sendeplatz in Frage zu stellen«317 sei. Die Synode würdigte die Arbeitshilfe als geeignetes Mittel zur Auf klärung über das FDP-Kirchenpapier in der Pfälzischen Landeskirche. Einige inhaltliche Anmerkungen, die in der Aussprache artikuliert worden waren, machten jedoch die redaktionelle Überarbeitung der Arbeitshilfe nötig, für die man einen Redaktionsausschuss, bestehend aus Referenten des Landeskirchenrats und dem Vorsitzenden des Öffentlichkeitsausschusses Bähr ein315
Zur Verdeutlichung seien folgende Fragen zitiert: »Was interessiert die F.D.P. das innerkirchliche Mitgliedsrecht, da sie doch für eine von staatlicher Einflußnahme freie Kirche eintritt?«; »Wie will die F.D.P. verhindern, daß ein Christ sich zu seiner Konfession bekennt?«; »Ist der F.D.P. die Leistung der Kirche für den Staat so wenig wert, daß sie nicht bereit ist, den staatlichen Steuerapparat gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen?«; »Hält es die F.D.P. für demokratisch legitim, geschlossene Verträge einseitig abzulösen?« (alle Angaben in: Arbeitshilfe, 9–11; ZASP Abt. 9 Nr. 143). 316 Ebd., 12. 317 Ebd., 20. Weiterhin erhoffte man sich durch den Wegfall des Selbstdarstellungsrechts der Kirche in den Medien die Chance auf eine größere Integration kirchlicher Anliegen im Gesamtprogramm, wobei man zugleich auch die Gefahr eines Wegfalls spezieller kirchlicher Sendungen wie Gottesdienst oder Wort zum Sonntag sah.
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IV. EKD und Kirchenpapier
richtete. Eine wesentliche Veränderung war der Tatsache geschuldet, dass sich der Ausschuss unter Absehung der Präambel des Kirchenpapiers auf die Erörterung der Thesen beschränkt hatte. Die Erklärung des Rates der EKD vom 19. 10. 1974 und der Wortlaut der Präambel des beschlossenen Kirchenpapiers wurden der Arbeitshilfe somit als Einleitung angefügt. In dieser überarbeiteten Fassung wurde die Arbeitshilfe als Sonderdienst des epd-Landesdienstes Pfalz gedruckt und die kirchlichen Mitarbeiter der Pfälzischen Landeskirche in einem Schreiben des Landeskirchenrats vom 29. 11. 1974 darüber informiert.318 Im Sinne eines Zurückruderns mochte der nicht ganz nachvollziehbare Beschluss der Kirchenregierung im Dezember 1974 verstanden werden. Hier beschloss man, von einer breiteren Publikation der Arbeitshilfe an eine größere kirchliche Öffentlichkeit abzusehen und betonte zudem, »keine Verantwortung für die im Papier gemachten Aussagen« 319 zu übernehmen. Ob dieser Beschluss des sich primär aus Delegierten der Landessynode zusammensetzenden Gremiums in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit dem Parteiaustritt des Synodalpräsidenten Schneider am 4. 12. 1974 stand, obliegt der Spekulation.320 2.2.3. Evangelische Kirche von Westfalen Auf die Unterschiedenheit zur Rheinischen Landeskirche ist bereits verwiesen worden. In der zu jener Zeit noch stark lutherisch geprägten Evangelischen Kirche von Westfalen ging man die Kirchenpapierthematik aus unterschiedlichen Gründen gänzlich anders an. Ein wesentlicher Unterschied zur Rheinischen Kirche, der diese andere Herangehensweise ein Stück weit bedingte, bestand in Schnittstellen zwischen der Westfälischen Landeskirche und der FDP, die auf Personalunion bei bestimmten Personen zurückzuführen waren. So arbeiteten beispielsweise die Mitglieder des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der FDP Liselotte Funcke, Horst Dahlhaus und Lore Niggeloh im ständigen Ausschuss der westfälischen Landessynode für politische Verantwortung mit, der ungefähr einmal im Monat tagte.321 Des318 Vgl. Schreiben Landeskirchenrat an alle Pfarrämter und Vikariate der Pfälzischen Landeskirche vom 29. 11. 1974; ZASP Abt. 35 Nr. 374. Vgl. Sondernummer 5 (96) »Praktische Arbeitshilfe für Pfarrer und Gemeinden zu den Thesen des F. D.P Papiers« des epd Landesdienstes Pfalz vom 28. 11. 1974. 319 Auszug aus der Niederschrift Nr. 12/1974 über die Sitzung der Kirchenregierung vom 13. 12. 1974; ZASP Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (3)-3/2. 320 Die Kirchenregierung setzte sich zusammen aus dem Kirchenpräsidenten als Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, dem dienstältesten geistlichen und weltlichen Mitglied des Landeskirchenrats sowie neun Mitgliedern der Landessynode. 321 Lore Niggeloh war Mitglied des Bezirksverbandes Westfalen-West der FDP. Sie arbeitete regelmäßig im KGK, dem Landesfrauenausschuss sowie im Kreisausschuss der FDP mit und war im Kontext der Beratungen des Kirchenpapiers auch in der Sonderkommission des Landesverbandes unter Dahlhaus aktiv (siehe Kap. III.2.3.4.). Niggeloh wurde
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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sen Vorsitzender, der Akademiedirektor und Pfarrer, Fritz-Hermann Keienburg, wiederum beteiligte sich maßgeblich an der Diskussion des Kirchenpapiers im alle zwei bis drei Monate zusammentreffenden Kirchlichen Gesprächskreis der FDP, in den immer mal wieder auch Vertreter der Landeskirche als Referenten oder Gäste eingeladen wurden.322 Auch trafen Partei und Kirche regelmäßig bei den Tagungen der evangelischen Kirchenleitung mit den politischen Parteien – den so genannten Politikertagungen – zusammen, die seit Anfang der 1960er Jahre einmal im Jahr für zwei Tage, ausgerichtet von der Kirchenleitung der Westfälischen Landeskirche, in der Evangelischen Akademie in Iserlohn stattfanden. Die ursprüngliche Idee, solche Tagungen durchzuführen, war damals auf Funcke zurückgegangen. Die Teilnehmer der Tagungen setzten sich zusammen aus Vertretern der Kirchenleitung 323, des Ausschusses für öffentliche Verantwortung, dem Beauftragten der evangelischen Landeskirchen beim Landtag sowie Vertretern von SPD, CDU und FDP. Inhalte der Zusammenkünfte waren meist aktuelle Themen, die Kirche wie Politik gleichermaßen tangierten.324 Seit Anfang der 1960er Jahre existierte somit durch die im Vergleich zu den anderen Parteien starke Präsenz der nordrhein-westfälischen FDP bei den Tagungen ein intensiverer Kontakt zur Kirchenleitung der Westfälischen Landeskirche, was u. a. auch die Gründung des landesverbandlichen Kirchlichen Gesprächskreises bedingt hatte.325 Schließlich traf man auch im Rahim Zuge der Neukonstituierung des Synodalausschusses für politische Verantwortung der Westfälischen Landeskirche im Januar 1973 in den Ausschuss hinein gewählt. 322 Siehe Kap. III.2.3.4. 323 1971 nahmen dabei erstmals auch Vertreter der Rheinischen und Lippischen Landeskirche Kirche teil (vgl. Bericht Funcke über die Politikertagung vom 7./8. 1. 1973; LStaD RWV 49-2022). Ab 1975 dann wurden die Tagungen offi ziell auch mit Vertreter dieser beiden Landeskirchen durchgeführt. 324 1962 arbeitete man aufgrund des jüngst verabschiedeten Sozialhilfe- bzw. Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zum Subsidiaritätsprinzip; 1966 ging es um die Frage nach Finanzierung diakonischer Aufgaben der Kirche; 1971 behandelte man auf Vorschlag von Funcke das Thema »Aufgaben und Grenzen des Föderalismus«. 325 Der Anschaulichkeit halber seien die Delegiertenzahlen der Tagung von 1962 angeführt. Seitens der CDU waren dort zwei Bundestagsabgeordnete, neun Landtagsabgeordnete sowie zwei weitere Parteimitglieder vertreten. Seitens der SPD nahmen insgesamt nur sieben Personen teil, davon ein Bundestagsabgeordneter, fünf Landtagsabgeordnete und ein weiteres Parteimitglied. Die FDP war mit zwei Bundestagsabgeordneten sowie elf weiteren Parteimitgliedern vertreten. In dem Bericht über jene Tagung betonte Funcke, dass die FDP-Gruppe »sowohl in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Beteiligung anerkanntermaßen die beste« war und »von der ersten Wortmeldung bis zum Abschiedsdankwort [. . .] am stärksten in Erscheinung trat« (Bericht Funcke über die Tagung Ev. Kirchenleitung von Westfalen und Politische Parteien in der Evangelischen Akademie in Iserlohn vom 4. bis 6. 1. 1962; LStaD RWV 49-2018). Bei der Tagung 1963 führte die FDP mit 13 Vertretern die Liste der zahlenmäßig am meisten vertretenen Delegierten an (CDU zehn Vertreter, SPD acht Vertreter). Auch hier war die FDP, so Funcke, »nicht nur zahlenmäßig
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IV. EKD und Kirchenpapier
men der in unregelmäßigen Abständen stattfi ndenden Gespräche zwischen der Kirchenleitung und den einzelnen Parteivorständen zusammen, wo die evangelische Kirche, so Hans Thimme, »auch mit den Freidemokraten mehrfach zusammen gewesen«326 sei, bei denen jedoch nie Protokoll geführt wurde. Im Verlaufe der Kirchenpapierdiskussion kam es somit an mehreren Punkten zu indirekten Begegnungen zwischen Kirche und Partei, bei denen diese Thematik entsprechend institutionell verankert erörtert wurde. Eine erste Reaktion der Landeskirche auf das Kirchenpapier der Jungdemokraten erfolgte bereits auf der Politikertagung vom 11./12. 1. 1973. Erst vier Tage zuvor hatten die Jungdemokraten die nordrhein-westfälische Fassung des Kirchenpapiers verabschiedet. In seinem Bericht zur Lage bezeichnete der Präses der Landeskirche Hans Thimme die Äußerungen der Jungdemokraten als »unverantwortlich« 327 und betonte die schädliche Wirkung einer Störung des kooperativen Verhältnisses von Staat und Kirche für alle Beteiligten.328 Die Wichtigkeit der Anwesenheit der FDP-Politiker auf dieser Tagung zeigte sich in dem Bericht Funckes, insofern die »aufgeschreckt[en]«329 Kirchenvertreter großes Interesse an einer Stellungnahme der liberalen Politiker hatten, auch hinsichtlich der Frage, wie der »Grad der Authentizität der DJD-Forderungen«330 zu ermessen sei. Die erste Stellungnahme Funckes sowie die Erfahrungen aus der gemeinsamen Zusammenarbeit mit den liberalen Politikern konnte die Kirchenleitung jedoch zunächst ein zurückhaltendes Verhalten hinsichtlich einer mög-
die stärkste und konstanteste Gruppe«. Weiterhin hätten sich »sehr viele gute Gespräche zwischen uns und den Vertretern der Kirche« ergeben, »die in verschiedener Weise fortgesetzt werden sollten« (Bericht Funcke über die Tagung Ev. Kirchenleitung von Westfalen und Politische Parteien in der Evangelischen Akademie in Iserlohn vom 3. bis 5. 1. 1963; ebd.). Dass sich die beschriebene Tendenz durchzog, zeigte der Bericht über die Tagung Anfang des Jahres 1973, wo Funcke die FDP als »wie immer [. . .] stärkste und lebhafteste Gruppe« bezeichnete (Bericht Funcke über die Politikertagung der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 11./12. 1. 1973; ebd.). 326 Schreiben Thimme an Lohse vom 25. 1. 1973; LKAH N 105 Nr. 09. 327 Bericht Keienburg über die Politikertagung vom 11./12. 1. 1973; LStaD RWV 492022. 328 Hans Thimmes (1909–2006) kirchenpolitische Haltung war, ebenso wie die Immers, stark geprägt durch die Zeit des Kirchenkampfes während des Nationalsozialismus, den er als Vikar und 1934 als ordinierter Pfarrer miterlebte. Thimme war Mitglied der BK und Leiter der ihr angehörenden Bruderschaft junger Theologen. Ebenso nahm der an der Barmer Bekenntnissynode teil. Von 1949 an war er nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Westfälischen Landeskirche, seit 1957 als Oberkirchenrat im Landeskirchenamt, 1960 hiesiger Theologischer Vizepräsident. Als Nachfolger von Ernst Wilm trat er im Jahre 1969 das Amt des Präses der EKvW an, das er bis 1977 ausübte. Im Juni 1973 wurde Thimme in den Rat der EKD gewählt und im Jahre 1975 trat er, als Nachfolger Immers, das Amt des Vorsitzenden des Rates der EKU an. 329 Bericht Funcke über die Politikertagung vom 11./12. 1. 1973; ebd. 330 Ebd.
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lichen Stellungnahme zum Kirchenpapier an den Tag legen lassen.331 Durch die engen Kontakte zur FDP war man über das weitere Vorgehen der Partei informiert, auch hatte Hans Thimme, der seit Juni 1973 Mitglied des Rates der EKD war, Einblick in die Vorgehensweise auf EKD-Ebene. Des Weiteren zeigten die Reaktionen der SPD, dass man eine Zustimmung zum Kirchenpapier oder gar den Versuch einer Umsetzung bestimmter Forderungen nicht befürchten musste.332 Der weitere Prozess innerhalb der Westfälischen Landeskirche vollzog sich ähnlich wie auch in anderen Landeskirchen weitgehend analog zu dem auf EKD-Ebene. Mit Bekannt werden des Kirchenpapiers und seiner immer breiteren öffentlichen Diskussion sah man sich alsbald zu einer Reaktion herausgefordert, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass man im Kontext der öffentlichen Debatten immer mehr einen »erschreckenden Mangel an Kenntnis des innerkirchlichen Diskussionsstandes und neuerer theologischer Überlegungen«333 zum Thema konstatieren musste. Die Landeskirche sah sich somit vor die Aufgabe gestellt, sachliche Auf klärungsarbeit hinsichtlich der komplexen Thematik des Verhältnisses von Staat und Kirche zu leisten. Von einer Erörterung der einzelnen Thesen sah man vorerst ab. Das Anliegen, auch innerhalb der kirchlichen Kreise jene Auf klärung voranzubringen, zeigte sich im Rechenschaftsbericht zur Landessynode 1973, wo man die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche durch den Anfang 1973 in den Lutherischen Monatsheften erschienen Aufsatz von Scheuner zur aktuellen staatskirchenrechtlichen Situation explizierte und als der eigenen Meinung entsprechend deklarierte.334 In dem Aufsatz konstatierte Scheuner eine Paradoxie innerhalb des gegenwärtigen Staatskirchenrechts, insofern sich ein »relative[r] Stillstand im 331 Darauf verweist ein Schreiben von Thimme an Lohse vom 25. 1. 1973, mit dem er wiederum auf dessen Schreiben vom 9. 1. 1973 reagierte: »Bisher hat sich in diesen Gesprächen niemals ein Anzeichen dafür gegeben, dass man seitens der offi ziellen Partei auf die Trennung von Kirche und Staat zusteuert. Im Gegenteil haben der Landesinnenminister Weyer und die BTVP Funcke die besondere Stellung der Kirche im deutschen demokratischen Staatswesen stets ausdrücklich anerkannt. Letztens hat Funcke übrigens in persönlichen Gesprächen und auch in öffentlicher Erklärung kundgetan, daß das Votum der Jungdemokraten nicht mit dem Parteivorstand abgestimmt sei und dessen Meinung nicht wiedergebe« (LKAH N 105 Nr. 09). 332 So hatte sich der nordrhein-westfälische Justizminister und Sozialdemokrat, Diether Posser, in einem Referat beim »Tag der Politiker« am 20. 9. 1973 in Düsseldorf gegen eine Änderung des Kirchensteuerverfahrens und für den Status der Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts ausgesprochen (vgl. Art. »Das Staatskirchentum noch nicht vollständig bewältigt. Posser und von Mutius referieren über ›Staat und Kirche‹ in Düsseldorf«, in: epd West Nr. 109 vom 21. 9. 1973). Posser war Mitglied der EKD-Synode. 333 Ebd. Es handelte sich hierbei um die Einschätzung von Mutius’. 334 Vgl. Bericht Thimme, 277–279. Der dritte Teil zur Verfassung, Verwaltung und den Finanzen der Kirche war von Oskar Kühn, dem Dezernenten für Kirchen- und Staatsrechtsfragen im Landeskirchenrat, verfasst worden.
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IV. EKD und Kirchenpapier
rechtlichen Bestande und ein[e] stark[e] Bewegung in den zugrundeliegenden Anschauungen und geistigen Strömungen« 335 einander gegenüber stünden. Der Grund für diese Diskrepanz bestehe darin, dass sich die rechtliche Neuordnung des Staatskirchenrechts, abgesehen von der Änderung der Schulartikel in einer Reihe von Bundesländern, durch die identische Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz nicht mehr geändert habe, jetzt jedoch durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und zunehmend auch seitens des Staates und der Kirchen in Frage gestellt werde.336 Erachtete Scheuner die grundsätzliche (In-)Fragestellung bzw. kritische Erörterung des gegenwärtigen Verhältnisses von Staat und Kirche als durchaus legitim und zeitgemäß, so kam er nach einer Betrachtung verschiedener Zuordnungsmodelle zu dem Schluss, dass die aktuell proklamierte vollständige Trennung von Staat und Kirche nicht mit den modernen Entwicklungen kompatibel sei. So sei es gerade die Perspektivnahme auf die veränderte pluralistische Gesellschaft, aus der sich die grundsätzliche »Zuerkennung öffentlich-rechtlicher Positionen«337 für die Kirchen ergebe und die ganz grundsätzlich eine »andere Rechtfertigung«338 der Stellung der Kirchen erforderlich mache. Scheuner begründete die von ihm konstatierte Legitimierung »gewisse[r] Elemente öffentlich-rechtlicher Natur«339 für die Kirchen mit ihrem besonderen Charakter und ihrer Funktion als einer »in der Bevölkerung lebendigen, grundlegenden Kraft« und verwies in diesem Zusammenhang auf andere »Verbände und Erscheinungen«340 innerhalb der heutigen pluralistischen Gesellschaft, deren besondere öffentliche Stellung auf gleiche Weise durch die Rechtsordnung anerkannt werde.341 Sein Plädoyer ging somit dahin, die rechtliche und öffentliche Stellung der Kirchen von den Bedingungen einer gesellschaftlichen Pluralität her zu verstehen und zu begründen.
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Scheuner, Kirchen, 76. Insofern gerade auch die Kirchen in jene staatkirchenrechtliche Debatte eingestiegen waren, sah Scheuner in jenen Prozessen weniger eine »Erschütterung der Verfassungsordnung zur Stellung der Kirchen« als vielmehr die »Erosion des Bodens« auf dem diese Ordnung stehe (ebd., 76). 337 Ebd., 78. 338 Ebd. 339 Ebd. 340 Ebd., 77. 341 »So wie die politischen Parteien in ihrer Funktion als Teile des politischen Meinungs- und Entscheidungsprozesses anerkannt sind, so wie den Gewerkschaften soziale Gestaltungsrechte im Tarifrecht verfassungsrechtlich als öffentliche Rechts zuerkannt werden, so erhalten oder behalten (in neuem rechtlich-politischem Verständnis) auch die Religionsgemeinschaften eine Position in diesem Bereich des Öffentlichen, die gewisse öffentlich-rechtliche Ausgestaltungen erfährt« (ebd.). 336
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In einem zweiten Teil des Aufsatzes schlossen sich Erörterungen im Blick auf die grundgesetzliche Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche an. Hier diskutierte Scheuner die den demokratischen Staat auszeichnenden Grundannahmen der bürgerlichen und religiösen Freiheit, Neutralität und Toleranz und verwies dabei auf vier Problemkreise, die sich aus einer argumentativen Verknüpfung jener Prämissen im Kontext der staatskirchenrechtlichen Debatte ergeben konnten. So zeige sich beispielsweise im Bereich der Bildung eine Spannung zwischen der weltanschaulichen Neutralität des Staates und dem vorherrschenden weltanschaulich-religiösen Pluralismus innerhalb einer Gesellschaft, insofern dem Staat einerseits die Hoheit über Bildung und Schule zu eigen sei, gleichzeitig aber Unsicherheit dahingehend herrsche, wieweit der Staat gehalten ist, im Sinne des Pluralismus die Vielfalt der Anschauungen auch im Bildungswesen zu berücksichtigen. Scheuners Plädoyer ging hier in die Richtung einer »begrenzten Partizipation der Religionsgemeinschaften am Bildungswesen«342 bei einer gleichzeitigen stärkeren »Förderung eines freien Schulwesens.« Ein weiteres Problem betraf die Frage der Toleranz. Hier verwies Scheuner vor allem auf das Problem einer zu einseitig bzw. individualistisch verstandenen Toleranz, die im weltanschaulich-religiösen Kontext zu einer Reduktion bzw. »Überbetonung der negativen Glaubensfreiheit« führe, »die ihrerseits dann zu einer Beschränkung der positiven Freiheit anderer wird.« Scheuner betonte die demokratische Grundidee der Gruppengesellschaft und mahnte zur gebotenen Achtung vor religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften. Weitere Ausführungen Scheuners betrafen den Begriff der Neutralität des Staates, der vielfach, so auch im Kontext des Kirchenpapiers, als Begründung für die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche herangezogen wurde. Scheuner deduzierte den Begriff der Neutralität aus der gebotenen Religionsfreiheit sowie der in Art. 136 WRV festgeschriebenen Abweisung der Staatskirche. Jene Bedingungen führten jedoch nicht zu einer indifferenten Haltung des Staates, noch begründeten sie die Festlegung auf eine absolute Trennung von Staat und Kirche, vielmehr impliziere der Begriff die Offenheit gegenüber verschiedenen Anschauungen und Überzeugungen. Auch sei eine Verbindung mit weltanschaulichen und religiösen Kräften unter den Voraussetzungen der »Gleichbehandlung und der Vermeidung der Identifi kation«343 durchaus erlaubt und in zahlreichen Bestimmungen des Grundgesetzes sogar vorgesehen. Als letzten Punkt verwies Scheuner auf die Sicherung des kirchlichen Wirkungskreises im Kontext des »Schutzbereich[s] der religiösen Freiheit« 342 343
Ebd., 79. Die folgenden Zitate ebd. Ebd., 80.
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IV. EKD und Kirchenpapier
durch den Staat und führte in diesem Zusammenhang die exekutive Funktion des Bundesverfassungsgerichts an, das durch seine Urteilssprüche jenen Wirkungskreis der Kirchen legitimierte. Scheuners Ausführungen endeten mit einer Beschreibung der heutigen verfassungsrechtlichen Lage, die sich durch eine »Betonung der Religionsfreiheit«, aus der wiederum »Neutralität und Toleranz« hervorgingen, auszeichne. Eine in gewissen Maßen gehaltene institutionelle Verbindung von Staat und Kirche erachtete er dabei als »sinnentsprechende Verwirklichung der Religionsfreiheit«, da sich diese eben nicht nur auf die individuelle Freiheit beschränke, sondern gleichermaßen auch die Freiheit der religiösen Gemeinschaften beinhalte. Im Ständigen Ausschuss der Landessynode für politische Verantwortung setzten die Beratungen über das Kirchenpapier mit der Fertigstellung des Kirchenpapiers durch die Kirchenkommission im August 1973 ein.344 Der Vorschlag, die FDP-Thesen zum programmatischen Schwerpunkt der Politikertagung 1974 zu machen, fand dabei keine Mehrheit; hier schien man zunächst abwarten zu wollen, wie sich die ganze Debatte weiter entwickeln würde.345 Auch der Beschluss der Kirchenleitung vom 12./13. 9. 1973, zu den Thesen vorerst keine Stellungnahme abzugeben, bestätigte diese Tendenz. In Anlehnung an die Beratungen des Öffentlichkeitsausschusses der Rheinischen Landeskirche und im Sinne des grundsätzlichen Anliegens, sachliche Informationen zu der aktuellen Debatte zu liefern, beschloss der Ausschuss jedoch, eine »westfälische Dokumentation zum Thema ›Trennung von Kirche und Staat‹«346 anzufertigen, mit deren Erstellung die Ausschussmitglieder Pfarrer Günter Apsel, Landeskirchenrat Herbert Kayser, Keienburg und Oberschulrat i.R. Schümer beauftragt wurden. Hinzu traten Oskar Kühn sowie die Kirchenräte von Mutius und Grünhaupt. Letztere waren dem Anliegen verpfl ichtet, eine »möglichst übereinstimmende Verlautbarung der westfälischen und der rheinischen Landeskirchen« 347 zu gewährleisten, hatte der Unterausschuss der rheinischen Kirche, dessen Vorsitzender von Mutius gewesen war, seine Arbeit bereits abgeschlossen. In zwei Sitzungen im November 1973 und Januar 1974 beratschlagte der Ausschuss für politische Verantwortung die vom Unterausschuss zusam344 In den Sitzungen davor hatte man sich nur am 16. 3. 1973 peripher mit der Thematik auseinandergesetzt; Keienburg hatte hier auf die epd Dok. 8/1973 und 9/1973 hingewiesen (vgl. Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 16. 3. 1973; Archiv EKvW 0.0.). 345 Vgl. Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 5. 9. 1973; ebd. 346 Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 28. 9. 1973; ebd. 347 Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 22. 11. 1973; ebd.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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mengestellte Ausarbeitung, die ebenso wie die Arbeitshilfe der Rheinischen Landeskirche den Titel »Zum Verhältnis von Staat und Kirche – Arbeitshilfe zur Diskussion einer aktuell gewordenen Frage –« trug, und die in der Sitzung vom 8. 2. 1974 abschließend beschlossen und im März 1974 in den Druck gegeben wurde.348 Die Arbeitshilfe blieb die einzige offi zielle Veröffentlichung der Westfälischen Landeskirche. Ihr Auf bau – Vorwort, Einführung, Dokumentation, Fakten und Literaturhinweise – erinnerte an die rheinische Arbeitshilfe, mit der sie in weiten Teilen übereinstimmte.349 Kleine aber feine Unterschiede machten die Arbeitshilfe jedoch ein Stück weit typisch westfälisch. Auf zwei Beobachtungen sei an dieser Stelle hingewiesen. Ein Aspekt betraf die Auswahl der Dokumente, die in der Arbeitshilfe aufgeführt wurden. Hier beschränkte sich der Dokumentationsteil auf die von der Kirchenkommission verabschiedete Fassung des Kirchenpapiers (E III), den Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz der Jungdemokraten von 1973, einen Auszug aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 18. 1. 1973 sowie die drei bereits erwähnten im Publik-Forum veröffentlichten Aufsätze. Hatte man im Unterausschuss in Analogie zur rheinischen Arbeitshilfe ursprünglich vorgesehen, auch den Antrag des Landesvorstandes der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1973 mit in die Dokumentation aufzunehmen, so war es Funcke, die dafür votiert hatte, sich auf die Aufnahme des Forderungen-Teils dieses Antrags zu beschränken und die Zielsetzung wegzulassen, da diese auf der Bundesdelegiertenkonferenz auf »keinerlei Resonanz« 350 gestoßen sei. Die Tatsache, dass man sich schließlich auf die Aufnahme lediglich des Beschlusses der Bundesdelegiertenkonferenz beschränkte und damit auf eine Version, die in ihrem Präambelteil deutlich positivere Aussagen enthielt als vorhergehende Versionen, ließ erneut das Bemühen Funckes erkennen, die Diskussion des Kirchenpapiers samt seiner Vorgeschichte auf die konkrete, sachliche Debatte bzw. auf konkrete Forderungen zu beschränken und von jenen ideologiekritisch aufgeladenen Intentionen der Jungdemokraten, die sich gerade in den Zielsetzungen ausdrückten, freizuhalten. 348 Vgl. Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 8. 2. 1974; ebd. 349 Das Vorwort und die Literaturhinweise stimmten weitgehend mit der rheinischen Arbeitshilfe überein. Der Einführungsteil bestand zunächst aus einem auf Kühn zurückgehenden Abschnitt zur staatskirchenrechtlichen Lage; ihm folgte ein Abschnitt zur theologisch-kirchlichen Fragestellung, der auf von Mutius zurückging. Beide Abschnitte fanden sich in etwas ausführlicherer Form und an anderer Stelle aufgeführt in der rheinischen Arbeitshilfe wieder. Analog zur rheinischen Arbeitshilfe gestaltete sich der Faktenteil, der die wichtigsten Gesetzestexte und Fakten kirchlichen Lebens explizierte. 350 Protokoll der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Landessynode für politische Verantwortung vom 22. 11. 1973; ebd.
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IV. EKD und Kirchenpapier
Ein weiterer Aspekt bezog sich auf den grundsätzlichen Duktus der Arbeitshilfe, die insgesamt allgemeiner gehalten war und im Vergleich zur rheinischen Arbeitshilfe weniger konkret auf die Einzelthesen des Kirchenpapiers einging. So fehlte ein Pendant zu Obendieks »gesellschaftlichen Fragen«, durch deren Aufnahme in die rheinische Arbeitshilfe man manchen Thesen in gewisser Weise eine sachliche Legitimation zugesprochen hatte. Hier spiegelte sich ein grundsätzliches Phänomen der westfälischen Kirchenpapierdiskussion wider, insofern die Vertreter der Landeskirche im öffentlichen Kontext nur marginal Stellung zu den einzelnen konkreten Thesen des Kirchenpapiers zogen und sich auf allgemeine, meist juristische Aussagen zum Thema Staat und Kirche beschränkten.351 Dies zeigte sich auch im Bericht Thimmes auf der westfälischen Landessynode Mitte Oktober 1974, wo er im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche darauf verwies, dass es darüber »gelegentlich zu neuen Diskussionen gekommen ist«352 und in der Folge seines Berichts ganz allgemein über die für ihn als notwendig erachtete Trennung beider im Sinne der in der Regierungserklärung proklamierten »Partnerschaft besonderer Art« 353 sprach. Jene Trennung bezeichnete er als »notwendig, berechtigt und unwiderrufl ich«354, wobei er zugleich die gemeinsame Verantwortung von Kir351 Nur vereinzelt kam es zu Ausnahmen. So hatte Thimme bei Podiumsdiskussion im Mai 1973 zum Thema »Die Entflechtung von Religion und Macht«, an der der Bielefelder Professor für öffentliches Recht Ernst-Wolfgang Böckenförde sowie Bundesminister Maihofer teilgenommen hatten, zur Kirchensteuerthese und zu den Theologischen Fakultäten Stellung bezogen. Im Blick auf die Kirchensteuerfrage betonte er, »sehr viel dafür übrig [zu] haben«, das Beitragssystem auf eine freie Betragsregelung umzuschalten, jedoch im Augenblick dafür keine Verwendung zu sehen. Die negative Konsequenz der prinzipiell zu befürwortenden Umstellung bestünde, so Thimme, in einem viel zu teuren und unrentablen Apparat für die Kirchen. Im Blick auf die Frage nach evangelischer Theologie als Lehrfach einer staatlichen Fakultät beschränkte er seine Äußerung dahingehend, dass eine staatliche Hochschule »um der ›Universitas‹ willen« zu überlegen habe, ob sie nicht auf die Theologie als Wissenschaft angewiesen sei (Art. ›Entflechtung von Religion und Macht‹. Podiumsdiskussion in Düsseldorf mit Präses D. Thimme, Bielefeld«, in: epd West Nr. 62 vom 23. 5. 1973). Weitere Ausnahmen waren die Gespräche zwischen den evangelischen Landeskirchen und der nordrhein-westfälischen Landesregierung, an denen neben Thimme auch Immer und Viering teilnahmen. Bei dem Treffen am 2. 4. 1974 beispielsweise zeigte sich die Präsenz der Kirchenthesen an den Inhalten dieses Gesprächs, in dem man die Stellung der freien Träger in der Wohlfahrtspflege und Erwachsenenbildung, die Frage der Lehrer- und Religionslehrerausbildung, der kirchlichen Lehrerfortbildung sowie weitere die Hochschulen betreffende Fragen erörterte (vgl. Art. »Evangelische Kirchen sprachen mit Landesregierung«, in: epd ZA Nr. 67 vom 4. 4. 1974). 352 Auszug aus den mündlichen Bericht von Präses Thimme zum Thema »Kirche und Staat« vor der Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen am 14. Oktober 1974, in: epd Dok. 53/1974, 54. 353 Ebd., 54 f. 354 Art. »Thimme: Trennung zwischen Kirche und Staat unwiderrufl ich. Präses verweist vor der westfälischen Synode jedoch auf das ›Wächteramt‹«, in: epd ZA Nr. 198 vom 15. 10. 1974.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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che und Staat für den Menschen betonte, die beide Bereiche zum »gegenseitig ergänzenden Dienst« verbinde. Gerade hier, so Thimme weiter, zeige sich die Relevanz der Gesetzgebung und verfassungsrechtlich geregelten Mitbestimmung der Kirche, deren Wächteramt gegenüber den Vertretern der politischen Gewalt einer unpolitischen und auf Innerlichkeit reduzierten Kirche diametral entgegenstehe.355 Mit der für Januar 1975 anberaumten Politikertagung, zu der erstmals die drei Kirchen-Oberen der in NRW vertretenen Landeskirchen Thimme, Immer und Viering gemeinsam einluden, reagierte man allgemein auf die durch das Kirchenpapier ausgelöste Diskussion, insofern man zu einem Gespräch über »Notwendigkeit und Grenzen der Pluralität in Kirche und Gesellschaft« einlud. 2.2.4. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau/ Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck Der Hinweis auf die Diskussionsprozesse in den beiden hessischen Landeskirchen ist insofern bemerkenswert, als das Kirchenpapier in den landeskirchlichen Überlieferungen nur marginal Spuren hinterlassen hat. Lediglich in den Synodenberichten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten und stellvertretenden Ratsvorsitzenden, Helmut Hild, sowie des Landesbischofs der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Erich Vellmer wird darauf Bezug genommen. In den offiziellen Gremien hat die Auseinandersetzung damit allenfalls am Rande stattgefunden. So befasste sich die monatlich tagende Kirchenleitung der Hessen-Nassauischen Landeskirche nur in zwei Sitzungen mit dem Kirchenpapier; das erste Mal kurz nach seiner Veröffentlichung im August 1973, wo man in Reaktion auf den Presseartikel der Frankfurter Rundschau vom 18. 8. 1973 beschloss, über das Verhältnis von Staat und Kirche weiter nachzudenken, das zweite Mal Ende Oktober 1974, als man sich im Blick auf eine Stellungnahme der Erklärung des Rates der EKD anschloss.356 Auch in der hessen-nassauischen Kirchenverwaltung beschränkte sich die Erörterung auf die markanten Eckpunkte des allgemeinen Diskussionspro-
355 Spekulativ bleiben Überlegungen, ob Thimmes Bericht anders ausgefallen wäre, wenn die Landessynode zwei Wochen später und damit nach dem Riemerbrief-Konfl ikt stattgefunden hätte (siehe dazu Kap. III.5.). Unwahrscheinlich wäre wohl eine Konkretion im Blick auf die Forderungen der FDP gewesen (»Ich äußere mich nicht zu den einzelnen Thesen«; Schreiben Thimme an Riemer vom 31. 10. 1974; AEKiR 6 HA 034 Nr. 83/50); wahrscheinlicher hingegen eine deutlichere Abgrenzung von der FDP, etwa im Sinne Immers. 356 Vgl. Protokolle der Sitzungen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 20. 8. 1973 und 28. 10. 1974; ZA EKHN, Protokolle der Kirchenleitung 1973 und 1974.
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IV. EKD und Kirchenpapier
zesses.357 Im Öffentlichkeitsausschuss setzte man sich erstmals im September 1974 damit auseinander und beschloss, der kommenden Synode einen Antrag vorzulegen, der den Ausschuss mit der Beschäftigung der Thematik des Verhältnisses von Staat und Kirche betrauen sollte.358 Weitaus weniger noch lässt sich über den Umgang mit dem Kirchenpapier in den kurhessen-waldeckschen Gremien aussagen.359 Der Versuch, genaueres über die Haltung der beiden Kirchen zum Kirchenpapier zu eruieren, muss sich somit auf die Betrachtung jener Aussagen beschränken, die Hild und Vellmer in ihrer Funktion als Kirchen-Obere gemacht haben. Hilds Position lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass er das gegenwärtige Verhältnis von Kirche und Staat als »Partnerschaft in Freiheit«360 vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit als Garantin einer weltanschaulichreligiösen Neutralität des Staates grundsätzlich als gut und fortsetzungswürdig erachtete. Gründete sich hierin seine ablehnende Haltung zum FDPKirchenpapier, so zeichneten sich seine Aussagen insgesamt durch eine brei357 Hier vertagte man eine allgemeine Aussprache über das FDP-Papier in der Sitzung am 24. 9. 1973, an der der Beauftragte der evangelischen Landeskirchen bei der Landesregierung Augustin in einem Bericht zur Lage darauf hingewiesen hatte (vgl. Protokoll der Sitzung der Kirchenverwaltung vom 24. 9. 1973; ZA EKHN Best. 107). Die nächste Erwähnung des Kirchenpapiers erfolgte im April 1974 in Form eines Hinweises des hessennassauischen Kirchenpräsidenten und stellvertretenden Ratsvorsitzenden der EKD, Helmut Hild, auf das Gespräch zwischen Vertretern von FDP und Rat der EKD (vgl. Niederschrift über die ordentliche Sitzung des Kollegiums der Kirchenverwaltung vom 29. 4. 1974; ebd.). In einer Sitzung des Kollegiums der Kirchenverwaltung am 21. 10. 1974 schließlich fasste man den Beschluss, in einer Sondersitzung am 31. 10. 1974 anhand von Pro- und Kontrathesen, die von den beiden Kollegiumsmitgliedern Kratz und Till erarbeitet werden sollten, über das Kirchenpapier zu sprechen (vgl. Niederschrift über die ordentliche Sitzung der Kirchenverwaltung am 21. 10. 1974; ebd.). 358 Vgl. Sitzung des Öffentlichkeitsausschusses vom 25. 9. 1974; ZA EKHN Best. 155 Nr. 1760. 359 Laut Auskunft des Landeskirchlichen Archivs Kassel vom 23. 1. 2008 haben sich in den einschlägigen Archivalien, deren Titel einen Zusammenhang mit der Thematik vermuten ließen, keine dahingehenden Hinweise fi nden lassen (zu den überprüften Beständen siehe Quellen- und Literaturverzeichnis). Einzige Ausnahmen waren ein Rundschreiben Vellmers vom 14. 10. 1974 sowie eine Notiz in einem Entwurf für die Bildung einer Kommission »Kirche und politische Parteien« 1975. In dem Rundschreiben hatte Vellmer betont, »[t]rotz aller Versuche zur Relativierung der Problematik des FDP-Kirchenpapiers in Hessen« davon ausgehen zu müssen, »daß das Kirchenpapier der FDP nach wie vor durch Parteitagsbeschluß seine Gültigkeit behält« (Rundschreiben Vellmer vom 14. 10. 1974; Archiv EKKW Best. C 3.5.1. Nr. 3217). Dass das Kirchenpapier in den landeskirchlichen Gremien nicht weiter diskutiert worden war, zeigte sich nicht zuletzt in der ausführlichen Erörterung, die im Kontext der Aussprache zu Vellmers Bericht auf der Landessynode im Dezember 1974 darüber stattfand. Hier hatte Vellmer ebenfalls darauf hingewiesen, dass während der gesamten Zeit der Kirchenpapierdiskussion keine Gespräche der Kirchenleitung mit der FDP stattgefunden hätten (vgl. »Herausgeforderte Kirche«. Bericht von Bischof Erich Vellmer auf der 2. Tagung der 6. Landessynode am 2. Dezember 1974, in: Verhandlungen Kurhessen-Waldeck 1974, 223–246). 360 Vgl. Art. »Für eine ›Partnerschaft in Freiheit‹. Kirchenpräsident Hild zum Verhältnis von Staat und Kirche«, in: epd Nachrichtenspiegel Nr. 13 vom 27. 3. 1974.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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tere sachliche Erörterung der durch das Kirchenpapier infrage gestellten Beziehungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft aus; eine Tatsache, die Funcke ihm gegenüber zu Dank verpfl ichtete, insofern er »den Maßstab für eine nicht durch Vorurteile emotional aufgeladene Diskussion gesetzt«361 habe. Hilds grundsätzliche Prämisse, die seine weiteren Äußerungen wie ein roter Faden durchzog, lässt sich einer seiner ersten öffentlichen Reaktionen entnehmen, in der er in kritischer Abgrenzung von einem abstrakten ideologischen Freiheitsbegriff betonte: »Die Vorstellungen von Freiheit für die Gesellschaft haben sich an dem zu bemessen, was dem Menschen in der Gesellschaft am besten dient und ihren Erwartungen entspricht. In diesem Punkt regelt sich das Verhältnis von Freiheit und Demokratie. Hier entstehen auch Spannungen, die ausgehalten oder zu besseren Lösungen weiterentwickelt werden müssen. Auch die Frage nach den Beziehungen von Staat und Kirche kann politisch sinnvoll nur in diesem Spannungsfeld diskutiert werden.« 362
Dieses Grundanliegen, den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum der Fragestellungen zu stellen, die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Staat sichtbar zu machen und dabei zugleich Rolle und Position der Kirche in der Gesellschaft, insbesondere ihre soziale und politische Funktion, zu verdeutlichen, bildete den Kontext für seine Äußerungen zum Kirchenpapier. So zeigte sich die von ihm betonte wechselseitige Beziehung der drei Faktoren Staat, Kirche und Mensch bzw. Gesellschaft in seiner grundsätzlichen Feststellung, die im weitesten Sinne als Kommentar zur ersten Forderung des Kirchenpapiers verstanden werden konnte, die Einflussmöglichkeiten der Kirche lägen nicht in ihrer rechtlichen Struktur bzw. der Stellung zum Staat begründet, sondern schlicht und ergreifend in der Tatsache, dass sie »sehr große Bevölkerungskreise repräsentiert und deren Ansichten wiedergibt.«363 361
Schreiben Funcke an Hild vom 14. 9. 1973; Handakten Funcke. In der Äußerung Funckes spiegelten sich die jüngsten Kontroversen mit Hammer wider, die alles andere als emotionslos geführt worden war. 362 Art. »Helmut Hild: Die Unfreiheit der Liberalen. Zum Kirchenpapier der FDPKommission«, in: DZ vom 31. 8. 1973. Vgl. auch Hilds Äußerungen im Kontext seiner Vorstellung als Kandidat für die Ratswahlen auf der Coburger Synode 1973, wo er als einen von drei Schwerpunkten seines Dienstes in der Kirche die »Verkündigung der Kirche in dieser besonderen Zeit« nannte, die es nötig mache, »auf die Fragen der Zeit einzugehen, ihre individuellen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und ökumenischen Probleme zu bedenken, die Tatbestände aufzunehmen und sie theologisch zu verarbeiten« (Coburg 1973, 213). »Der Mensch ist eben nicht seit Adam und Eva immer der gleiche, sondern ein Produkt der Geschichte. Darum muß sich die Kirche, um die Antwort des Evangeliums auf die ständig neu artikulierten Fragen der Menschen weitersagen zu können, dem geschichtlichen Prozeß öffnen und mit aller Konsequenz Kirche der jeweiligen Zeit sein« (Hild, Brücken, 138). 363 Art. »Das ist kein Glaubenssatz. Kirchenpräsident Hild über das Verhältnis Kirche und Staat – Kritik an den FDP-Thesen«, in: Darmstädter Echo vom 31. 8. 1973.
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IV. EKD und Kirchenpapier
Welchen Raum Hild dem Menschen und seinen Bedürfnissen einräumte, ließ sich seinem Kommentar zur Kirchenmitgliedschaft entnehmen, wo er betonte, dass sich in der passiven Mitgliedschaft vieler Kirchenglieder mehr ausdrücke als Gleichgültigkeit und Unentschlossenheit. Dieses »Mehr« beschrieb er als eine gewisse »Erwartung an die Kirche«364 in dem Sinne, »wie man einen Arzt oder ein Krankenhaus ansieht.«365 Dies impliziere jedoch zugleich, dass es auch dem Menschen überlassen werden müsse, die Frage der eigenen Mitgliedschaft selbst zu reflektieren und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. Ähnlich argumentierte Hild im Blick auf den Religionsunterricht an staatlichen Schulen, dessen Existenz Ausdruck der Notwendigkeit einer »permanenten Besinnung auf die Normen und Wertvorstellungen«366 war, wobei sein dezidiert christlicher Charakter auf die Verbundenheit des »weitaus größte[n] Teil[s] der Bevölkerung« 367 mit dem christlichen Glauben zurückgeführt werden konnte. Die Tatsache, dass ein solcher Unterricht nach wie vor Bestand habe, bestätige die freiheitliche Ordnung, unter der seine Durchführung stand, und konnte zugleich als allgemein gesellschaftliche Anerkennung seiner Funktion – und damit auch der Kirchen – gesehen werden. Die Bedeutung der Kirchen und ihr gutes Verhältnis zum Staat zeigen sich auch beim Thema Kirchensteuer, insofern der Staat als Ausdruck seiner Anerkennung der sozialen Arbeit der Kirchen seine Hilfestellung beim Einzug der notwendigen Mittel anbot. Auch hier lag es in der Entscheidung des Kirchensteuerzahlers, den Staat dabei zu unterstützen oder aber davon Abstand zu nehmen. Lehnte Hild somit den Großteil der FDP-Thesen ab, so waren davon ausgeschlossen die Thesen zur Abschaffung der religiösen Eidesformel und Befreiung der Theologiestudenten vom Wehrdienst, denen er, wie viele andere Kirchenmenschen, zustimmte.368 Hilds Äußerungen war das Bemühen abzuspüren, das FDP-Kirchenpapier in eine breitere und für notwendig erachtete Debatte einzuordnen.369 Die 364
Ebd. Ebd. »Man möchte, daß sie in vorzüglicher Qualität vorhanden sind, man möchte sie aber erst in Anspruch nehmen, wenn man muß« (ebd.). Diese »Mitgliedschaft trotz fehlenden Verbundenheitsgefühls« war eines der wesentlichen Ergebnisse der 1974 von Hild herausgegebenen Studie »Wie stabil ist die Kirche?« (Pressetext zur Studie; LKAH N 130 Nr. 172). 366 Art. »Helmut Hild: Die Unfreiheit der Liberalen. Zum Kirchenpapier der FDPKommission«, in: DZ vom 31. 8. 1973. 367 Ebd. 368 Vgl. Partnerschaft und Freiheit. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Helmut Hild zum Verhältnis von Kirche und Staat im Hessischen Rundfunk am 24. 3. 1974, in: epd Dok. 27/1974, 3–15. 369 Das geht auch aus einem Schreiben an Funcke hinsichtlich ihres gemeinsamen Auftretens bei der Festversammlung des evangelischen Bundes in Hessen und Nassau am 9. 6. 1974 hervor: »Ich meine, wir sollten jeweils von unserem Kirchenverständnis aus die Rol365
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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Notwendigkeit dieser Debatte hatte nicht zuletzt die von ihm herausgegebene Studie »Wie stabil ist die Kirche?«370 bestätigt, deren Ergebnis als ambivalent betrachtet werden musste. Hier hatte sich die in den Kirchenaustrittswellen der Jahre 1969, 1970 und 1971 praktisch ausgedrückte Entfremdung der Mitglieder für wesentliche Bereiche der Kirche empirisch bestätigt, wobei zugleich die Notwendigkeit von Kirche als Ausdruck einer über die formale Zustimmung hinausgehende persönliche Verbundenheit eindeutig bejaht worden war. Mochte Hild die Ergebnisse der Umfrage daher insgesamt nicht als »pessimistisch[e] Prognose für die Volkskirche«371 werten, so betonte er die Notwendigkeit, jenen kritischen Anfragen an die Kirche im Sinne einer »beständigen Erneuerung« 372 zu begegnen.373 Für Hild drückte sich das beschriebene Spannungsverhältnis, in dem sich Kirche zu bewähren hatte, in der Diskussion um das Kirchenpapier symptomatisch aus. Obwohl er die darin enthaltenen Aussagen ob ihres apodiktischen Charakters kaum als geeignete Gesprächsbasis betrachten konnte, bewertete er das Kirchenpapier als kritische Anfrage an die Stellung der Kirche und somit als Signal, »mit dem ein Streit eröffnet wurde, der sicher in den kommenden Jahren wieder aufflackern wird.«374 Die überwiegend ablehnenden Reaktionen, die dem Kirchenpapier aus allen Bereichen entgegenschlugen, wiederum bestätigten Hild die Stabilität der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, weshalb er insgesamt zu einem besonnenen und zurückhaltenden Umgang mit dem Papier aufrief. Dies zeigte sich auch in seinem Rundschreiben an die Untergliederungen der Landeskirche, in dem er an keiner Stelle auf die konkreten Forderungen einging und eine Stellungnahme der hessen-nassauischen Kirchenleitung erst für den Zeitpunkt in Aussicht stellte, nachdem der Rat der EKD sich dahingehend geäußert hatte.375 le der Kirche in der Gesellschaft und insbesondere ihre soziale und politische Funktion in den Mittelpunkt stellen. [. . .] Ich habe mir vorgenommen, zwar die heutige Position und Rechtsstellung der Kirche zu begründen und zu vertreten, werde aber die Thesen der FDP in diesem Zusammenhang nicht erwähnen. Sollten Sie das anders vorhaben, bitte ich noch um eine Nachricht. Ich werde mich als zweiter Redner ohnehin unmittelbar auf Ihre Ausführungen einzustellen haben, darf Ihnen aber versichern, daß ich keine Polemik im Blick auf die Thesen vorhabe« (Schreiben Hammer an Funcke vom 27. 5. 1974; ZA EKHN Best. 255 Nr. 144). Gut einen Monat zuvor hatte die hessische FDP ihre das Kirchenpapier deutlich befürwortende Stellungnahme verabschiedet. 370 Vgl. Hild, Wie stabil. 371 Ebd., 3. 372 Ebd. 373 Zur unterschiedlichen Deutung der Ergebnisse der Analyse durch führende Repräsentanten der evangelischen Kirche vgl. Hauschild, Evangelische Kirche, 69. 374 Art. »›Die FDP-Kirchenthesen sind ein Signal . . .‹. Auszüge aus dem ›Bericht zur Lage‹, den Kirchenpräsident Helmut Hild der Synode der EKHN vortrug«, in: FR vom 4. 3. 1975. 375 Vgl. Schreiben Hild an die Vorsitzenden der Kirchenvorstände und alle Pfarrer und
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IV. EKD und Kirchenpapier
Ein weiterer Aspekt im Blick auf die Äußerungen Hilds scheint bemerkenswert, die Tatsache nämlich, dass er während des gesamten Diskussionsprozesses an keiner Stelle auf den Jungdemokraten-Hintergrund des Kirchenpapiers einging.376 Ohne diesen Umstand überbewerten zu wollen, spiegelte sich hierin möglicherweise die Absicht Hilds wider, einer neuerlichen Auseinandersetzung mit ideologie- und religionskritischen Positionen von vorneherein keinen Raum zu geben. Zu präsent waren die jüngsten Konfl ikte hinsichtlich der DKP-Mitgliedschaft einiger Theologen und Theologinnen in der hessen-nassauischen Kirche, und nicht zuletzt die Tatsache, dass einige Jungdemokraten in dem Anfang 1973 publik gewordenen Fall Trommershäuser eine Legitimation der in dem Jungdemokratenpapier enthaltenen Forderungen gesehen hatten, schien diese Zurückhaltung zu erklären.377 Ganz anders Landesbischof Erich Vellmer, für den der JungdemokratenHintergrund des FDP-Kirchenpapiers von entscheidender Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der Thesen war. Eine Zusammenschau seiner dahingehenden Äußerungen auf den Landessynoden November 1973 und Dezember 1974 macht deutlich, wie intensiv sich der »Mann der Wissenschaft«378 Vellmer mit der liberalen Parteijugend und deren ideologischen Ansichten auseinandergesetzt hatte. So bezeichnete er im November 1973 die Weltanschauung der Jungdemokraten als »Irrglauben an die Rationalität«379, und ihre Forderungen als Versuch, den Pluralismus durch einen pragPfarrerinnen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. 10. 1974; PAepd D 213 (01. 01. 1974–17. 10. 1988). 376 Einzige Ausnahme bildete besagtes Rundschreiben, in dem er auf die Veränderungen des Kirchenpapiers gegenüber den ursprünglichen Intentionen, »nämlich den Kirchenthesen der Jungdemokraten von Januar 1973«, verwies (ebd.). 377 Siehe dazu Kap. III.1.1.1. Vgl. Überschrift der Presseerklärung 1/1973 der DJD Rheinhessen vom 31. 1. 1973: »Die Entfernung des Pfarrvikars Rolf Trommershäuser aus dem Dienst der Ev. Kirche bestätigt die Richtigkeit der Forderungen der Jungdemokraten zur Trennung von Staat und Kirche« (AdL 3325). Seit Mitte des Jahres 1972 etwa wurde die Frage der Aufnahme von der DKP angehörenden Theologen und Theologinnen in den Dienst der EKHN diskutiert (vgl. Art. »Nestwärme gesucht«, in: Spiegel 26/1972, 59 f.). Die Suspendierung der Pfarramtskandidatin und DKP-Angehörigen, Ute Knobloch, im Herbst 1972 wegen Wahlwerbung für ihre Partei stellte die erste Maßregelung der hessen-nassauischen Kirchenleitung in dieser Hinsicht dar (vgl. Art. »Schlag nach bei Lenin«, in: Spiegel 47/1972, 65 ff. Vgl. als zeitgenössisches Dokument Motschmann, Kommunisten, 49–75). Hauschild bezeichnete jenen Konfl ikt, der sich alsbald auch auf die EKD ausweitete und schließlich 1977 sein Ende fand, als ein für jene Zeit »symptomatisches Ereignis«, insofern sich darin eine »Linkspolitisierung im Protestantismus« ausdrückte, die sich allerdings auf eine kleine Minderheit beschränkte (Hauschild, Evangelische Kirche, 77). 378 Wegener, Vellmer, 171. 379 »Emanzipation oder Mündigkeit? Integration oder Partnerschaft?« Bericht des Bischofs am 5. November 1973 auf der 6. ordentlichen Tagung der 5. Landessynode, in: Verhandlungen Kurhessen-Waldeck 1973, 218.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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matischen Positivismus als eine Haltung, »die sich nur an die nützlich erscheinenden, materiellen Gegebenheiten hält, wie sie durch den Verstand erfaßbar sind«380 zu ersetzen. Ein Jahr später erfolgten in Kontext einer ausführlichen Erörterung des FDP-Kirchenpapiers, das er als »Frucht des kritischen Rationalismus«381 bezeichnete, die Hinweise auf die Positionen Hans Alberts und Karl Poppers die Vellmer im Jungdemokratenpapier wiedergegeben sah. Das Wissen um den Hintergrund des Kirchenpapiers war für Vellmer insofern von großer Bedeutung, als er die Auseinandersetzung mit den Kirchenthesen »mit Argumenten«382 geführt wissen wollte. Dabei lehnte er, ebenso wie Hild, den Großteil der Thesen, die er in verfassungskonforme und verfassungsnichtkonforme differenzierte, ab. Eine Ausnahme bildete die These zur Befreiung der Theologiestudenten vom Wehrdienst (EVI12; E III13). Interessant war auch seine Stellungnahme zur Kirchensteuerthese, die er als Anregung zum Nachdenken über eine Neuregelung verstand, insofern er überzeugt davon war, »daß das Kirchensteuereinzugverfahren durch den Staat eines Tages auslaufen wird.«383 Erachtete er somit die These als durchaus nachdenkenswert, so doch nur als kirchenintern gestellte Anfrage und nicht als parteipolitische Forderung.384 Vellmer forderte die Gemeinden und Untergliederungen auf, die Bereitschaft der FDP zu Gesprächen mit den Kirchen ernst zunehmen und mit der liberalen Partei in einen Dialog über die Kirchenthesen zu treten. Nicht zuletzt stellte sein ausführliches Rundschreiben, dass er, ebenso wie Hild, Claß und der bayrische Landeskirchenrat entgegen der Empfehlung des Rates der EKD noch vor dessen Sitzung verschickt hatte, eine Reaktion auf eine Vielzahl von Anfragen der kurhessen-waldeckschen Pfarrerschaft im Blick auf eine Stellungnahme dar. 2.3. Die südlichen Landeskirchen 2.3.1. Evangelische Landeskirchen in Baden und Württemberg Eine gemeinsame Darstellung der im Gepräge deutlich unterschiedlichen süddeutschen Landeskirchen in Baden und Württemberg rechtfertigt sich durch ihre guten kooperativen Kontakte, die sich in regelmäßigen Treffen 380 381
Ebd. Bericht Vellmer Landessynode 1974, in: Verhandlungen Kurhessen-Waldeck 1974,
225. 382 Schreiben Vellmer an die Pröpste, Dekane, Pfarrer und Pfarrerinnen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 14. 10. 1974; Archiv EKKW C 3.3. N. 152. 383 Ebd. 384 »Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob die Kirche selbst sich unter kirchlichen Gesichtspunkten mit dieser Frage befasst, oder ob eine politische Partei die Abschaffung zu einem politischen Programmpunkt erhebt [. . .]« (ebd.).
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IV. EKD und Kirchenpapier
der beiden Kollegien manifestierten und sich auch in Sachen Kirchenpapier zeigten. Hier kam es im Oktober 1974 zu einem gemeinsam vorbereiteten offiziellen Treffen mit Vertretern der baden-württembergischen FDP. In personeller Hinsicht war für die Württembergische Landeskirche von großer Bedeutung, dass ihr seit 1969 amtierender Landesbischof Claß ab Mai 1973 zugleich das Amt des Ratsvorsitzenden der EKD bekleidete, was wiederum eine umfassendere Sicht in die Diskussionsprozesse einbrachte und Claß an manchen Stellen aus einer anderen Motivation heraus als der badische Landesbischof Hans Heidland agieren ließ. Ähnlich wie in anderen Landeskirchen hielt man sich bis zum Herbst 1973 mit Reaktionen auf den Beschluss der Jungdemokraten zurück. Eine Ausnahme bildeten die Äußerungen des Vizepräsidenten der Württembergischen Landeskirche und Ratsmitglied der EKD, Rudolf Weeber, Ende Februar 1973, die dieser in einer Pressekonferenz anlässlich seines altersbedingten Ausscheidens aus dem Dienst der württembergischen Kirche machte. Weeber zeigte sich bestürzt über das im Jungdemokratenpapier zum Ausdruck kommende »beängstigend[e] Manko an Geschichtsbewusstsein« 385 und kritisierte insbesondere das von den Jungdemokraten propagierte Bild eines jeglicher Weltanschauung indifferent gegenüberstehenden Staates. Als das Papier schließlich Ende August veröffentlicht wurde, waren die Reaktionen in den beiden Landeskirchen unterschiedlich. So bezog Hans Heidland mit einem Beitrag in der evangelischen Kirchenzeitung für Baden Aufbruch öffentlich Stellung zum FDP-Kirchenpapier und bezeichnete die Thesen als »typisches Beispiel für Prinzipienreiterei« 386 , insofern sie »meist von richtigen Grundsätzen« ausgingen, diese dann aber ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit und den Menschen verfolgten. Der anachronistische Charakter des Papiers zeigte sich für Heidland in der jeder These zugrunde liegenden Prämisse eines weltanschaulich neutralen Staates bzw. einer weltanschaulich neutralen Öffentlichkeit, die es so nicht gebe und auch nie gegeben habe. Heidland verwies in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass »nun einmal über 90% der Bürger einer der beiden großen Kirchen« angehöre und sich eine gewisse dahingehende Prägung der öffentlichen At385 Art. »Vizepräsident Dr. Weeber über Judo-Papier ›bestürzt‹. Für ›bessere Brücken zur Ökumene‹/Gegen DKP-Mitgliedschaft von Pfarrern«, in: epd ZA Nr. 39 vom 23. 2. 1973. Der in Esslingen geborene Rudolf Weeber (1906–1988) war ab 1935 beim Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart tätig, wo er ab 1944 Oberkirchenrat wurde. Von 1955 bis 1973 übte er das Amt des Rektors des Oberkirchenrats aus. 386 Heidland, Art. »Freie Kirche im freien Staat. Zu den Thesen der FDP«, in: Aufbruch Nr. 38 vom 23. 9. 1973 (vgl. auch epd Dok. 39/1973, 16–19). In der ZA des epd hatte man bereits zehn Tage zuvor über den Beitrag Heidlands berichtet. Vgl. Art. »Heidland: FDPKirchenpapier wird den Menschen nicht gerecht. Badischer Landesbischof verweist auf ›Ideologie der revolutionären Linken‹«, in: epd ZA Nr. 178 vom 13. 9. 1973. Die folgenden Zitate ebd.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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mosphäre nicht vermeiden lasse. Die rhetorische Anfrage an die weltanschauliche Neutralität der Thesen negierte Heidland, insofern die ihnen zugrunde liegende »Ideologie der revolutionären Linken« deutlich zutage trete. Die Reaktion der »mild-lutherischen«387 Württembergischen Landeskirche war zunächst zurückhaltender. Konstatierte man im Kontext des Konfl ikts zwischen Hammer und Funcke die Notwendigkeit »echte[r] Sachgespräche«388 , die, auf Ratsebene geführt, einer weiteren öffentlichen Behandlung zunächst vorbeugen sollten, so war es nur konsequent, sich auch landeskirchenintern mit eigenen Initiativen oder Stellungnahmen vorerst zurückzuhalten.389 Diese zunächst abwartende Haltung war auch dem Schreiben Claß’ an Heidland rund sieben Wochen später zu entnehmen, mit dem er auf eine Meinungsabfrage des badischen Landesbischofs im Blick auf ein gemeinsames Gespräch mit der FDP reagierte. In seinem Antwortschreiben referierte der stets um »Ausgleich und Vermittlung«390 bemühte Claß die Meinung des Kollegiums, grundsätzlich zu einem solchen Gespräch bereit zu sein, dieses jedoch nicht übereilen zu wollen.391 Der Brief spiegelte jene gelassene Haltung wider, die auf EKD-Ebene spätestens nach der gemeinsamen Klausurtagung mit der SPD eingesetzt hatte, wo die Partei das Kirchenpapier abgelehnt und man sich für die Partnerschaft mit den Kirchen ausgesprochen hatte. Auch Claß erwähnte jene Begegnung und die »eindeutig negativ[e]« Haltung des Bundeskanzlers zum Kirchenpapier. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der auch Claß’ dahingehende eigene Zurückhaltung untermauerte, bestand in seinen persönlichen Kontakten zu liberalen Politikern. Hier verwies er auf privatim erfolgte Gespräche mit den baden-württembergischen liberalen und kirchennahen Politikern Johann Peter Brandenburg und Wolfgang Haußmann 392 , denen »die ganze Sache [. . .] ziemlich peinlich ist« und die »froh wären, wenn wir das FDPPapier möglichst weit herunterspielen könnten.« Auch die Anfrage Scheels an ihn als Ratsvorsitzenden erwähnte er in diesem Kontext. 387
Coburg 1973, 211. Schreiben Martin an Funck vom 7. 9. 1973; LKAS A 226 Nr. 774. 389 »Von hier aus ist zunächst nichts zu veranlassen« (Berichterstattung vom 27. 8. 1973, Aktenzeichen 18.52 »Beziehungen zur FDP«; LKAS A 226 Nr. 774). 390 Art. »Ausgleich und Bemühung«, in: FR vom 16. 8. 1975. 391 Vgl. Schreiben Claß an Heidland vom 19. 10. 1973; LKAS A 226 Nr. 774. Die folgenden Zitate ebd. 392 Johann Peter Brandenburg, kath., war Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim von 1947 bis 1966, Mitglied des Landtags in Württemberg-Baden und Baden-Württemberg von 1946 bis 1966 und 1968 bis 1972, dort zuletzt als Fraktionsvorsitzender. Wolfgang Haußmann (1903–1989), ev. und Sohn des DDP-Politikers und einstigen Vorsitzenden des Weimarer Verfassungsausschusses nach erster Lesung, Conrad Haußmann, war Jurist und als solcher langjähriger Justizminister Baden-Württembergs. Von 1946 bis 1964 bekleidete er das Amt des Landesvorsitzenden der FDP/DVP. 388
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IV. EKD und Kirchenpapier
War somit die Zurückhaltung im Blick auf eine offizielle Kontaktaufnahme zur FDP deutlich, so scheute Claß die Diskussion der durch das Kirchenpapier aufgeworfenen Sachfragen indes nicht. Hier betonte er vielmehr die Notwendigkeit, diese Themen »freiwillig, tapfer und selbstkritisch« auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen zu diskutieren; eine Haltung, die sich nicht zuletzt auch in seinem Bericht auf der EKD-Synode im Januar 1974 widerspiegelte. Im Kontext der Darstellung der Prozesse innerhalb des baden-württembergischen Landesverbandes der FDP wurde bereits auf die rege landesinterne Diskussionspraxis des Kirchenpapiers hingewiesen. Mit Beginn des Jahres 1974 intensivierten sich diese öffentlichen Auseinandersetzungen, in die jetzt zunehmend auch die Kirchen in den Landkreisen und Gemeinden involviert waren. Die immer größer werdende Popularität des Kirchenpapiers zwang die württembergische Kirchenleitung zu einem anderen Vorgehen; nicht zuletzt die Tatsache, dass man zunehmend auch von außen auf die Prozesse hingewiesen wurde, spielte hier eine Rolle.393 In diesen Kontext hinein ist wohl die Zusammenkunft Claß’ mit Bangemann und weiteren Vertretern der baden-württembergischen FDP zu sehen, auf die Günther Metzger in der Sitzung des Rates der EKD Mitte März hinwies; hier hatte die Aussage der FDP, das Kirchenpapier in kleinen Basisgruppen aktivieren zu wollen, das oben beschriebene Engagement der FDP in Sachen Kirchenpapier als durchaus ernst zu nehmen bestätigt.394 Dass der liberalen Partei daran gelegen war, Aspekte des Kirchenpapiers gemeinsam mit den Kirchen zu erörtern, zeigte eine Anfrage ihrerseits an die württembergische Kirchenleitung, die These 9 zum Subsidiaritätsprinzip gemeinsam zu beratschlagen. 393 »Es ist für den OKR [Oberkirchenrat; hier ist die Behörde der Kirche gemeint] vielleicht interessant, die Taktik der FDP bei der derzeit im Lande offensichtlich gezielten Basisdiskussion über das FDP-Kirchenpapier zu beobachten. [. . .] Meiner Meinung nach sollte man diesem Versuch gelassen, aber auch in der Sache unnachgiebig widerstehen« (Schreiben an den Oberkirchenrat vom 11. 12. 1973; LKAS A 226 Nr. 774). Das Schreiben wurde von einer Person mit dem Namen Mluntmann aus Sulz/Neckar unterschrieben, der über eine Podiumsdiskussion zwischen dem Sulzer Dekan Karl Hartmann und dem FDP-Kreisvorsitzenden Klaus Rösch berichtete. 394 Siehe Abschnitt 1.3. Leider sind über dieses Gespräch keine weiteren Informationen überliefert, außer dass es Anfang März stattgefunden haben muss. Darauf verweist die Tatsache, dass Hammer Kunst bereits am 5. 3. 1974 darüber informierte (vgl. Schreiben Hammer an Kunst vom 5. 3. 1974; EZA 87/1007). Sehr wahrscheinlich ist weiterhin, dass der Geschäftsführer der baden-württembergischen FDP Karl Hummel ebenfalls an dem Treffen teilnahm. Dies geht aus einem Schreiben Hummels an Oberkirchenrat Klotz von Mitte Juli hervor, wo er im Kontext der Planung eines gemeinsamen Gesprächs mit den Kirchen betonte, »an einer erneuten Begegnung mit Ihnen und den Herren aus Baden sehr interessiert« zu sein (Schreiben Hummel an Klotz vom 17. 7. 1974; LKAS A 226 Nr. 774. Hervorhebung T. M. E.).
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Das Kollegium stimmte der Anfrage zu, und so trafen am 31. 5. 1974 die Mitglieder des Kollegiums Albrecht Roos, seit 1970 Leiter des Diakonischen Werkes Württemberg, und Jurist Martin Daur nebst Vertretern der Diözesen, des Caritasverbands und des Diakonischen Werkes Baden mit Vertretern der FDP zusammen.395 Der Bericht über das Treffen verdeutlichte insbesondere die Position der Vertreter der FDP, die den Kirchen mangelnde Kooperationsbereitschaft im Bereich der sozialen Tätigkeit vorwarfen und dafür eintraten, Bedarfsplanung und -deckung durch eine staatliche Koordinierungsstelle regeln zu lassen, die sich dann durchaus der freien Träger bedienen dürfe. Die Kirchen wiederum forderten, die freien Träger bereits in die Planung mit einzubeziehen. Am Ende einigte man sich darauf, dass der Staat die Bedürfnislage festzustellen habe, so dann aber verpfl ichtet sein solle, mit den freien Trägern Verbindung aufzunehmen. Hatte man in der Kollegiumssitzung gut knapp drei Wochen nach dem Treffen mit der FDP ein Gespräch mit der Landesleitung der liberalen Partei als für nötig erachtet und beschlossen, so ging die Initiative im Blick auf eine dahingehende Kooperation beider Landeskirchen diesmal von Claß aus.396 In einem Schreiben an Heidland vom 21. 6. 1974, das primär der Planung des für den 2. 7. 1974 angedachten obligatorischen Treffens beider Kollegien zum gemeinsamen Austausch über »baden-württembergische Probleme«397 diente, zeigte sich der Kurswandel der württembergischen Kirchen, insofern Claß jetzt das Gespräch mit den Kirchen als »dringend erforderlich«398 erachtete. Er bat Heidland um die Federführung in dieser Angelegenheit sowie ein einleitendes Sachreferat und sprach sich weiterhin dafür aus, nur Mitglieder der Kirchenleitung zu diesem Gespräch zu bemühen. Heidland befürwortete den Vorschlag eines Treffens. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Begegnung der baden-württembergischen Kirchen mit den Landtagsfraktionen, die Anfang Oktober 1974 stattfinden sollte.399 Die weitere Planung des Treffens jetzt auch mit der FDP erwies sich insgesamt als recht umständlich. Hatten sich die beiden Kirchenspitzen auf ein Datum Ende Juli 1974 einigen können, so musste der Termin aufgrund der 395 Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Kollegialsitzung vom 28. 5. 1974; ebd. Die ebenfalls eingeladenen Vertreter der freien Wohlfahrtsverbände und der kommunalen Spitzenverbände waren nicht zu dem Treffen erschienen. 396 Vgl. Niederschrift über die Kollegialsitzung vom 18. 6. 1974; ebd. Unmittelbar nach der Sitzung hatte der württembergische Oberkirchenrat Werner Klotz bereits den badischen Oberkirchenrat Joachim Stein über den Beschluss des Kollegiums informiert. Wie einer handschriftlichen Notiz auf der Niederschrift über besagte Sitzung zu entnehmen ist, hatte dieser die Planung begrüßt und darauf hingewiesen, bei der Begegnung beider Kollegien am 2. 7. 1974 »von Baden aus die Angelegenheit zur Sprache zu bringen« (ebd.). 397 Schreiben Claß an Heidland vom 21. 6. 1974; ebd. 398 Ebd. 399 Ebd.
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IV. EKD und Kirchenpapier
Parlamentsferien und damit zusammenhängenden Terminschwierigkeiten auf Seiten der FDP in den Oktober hinein verschoben werden. Hier einigten sich zunächst die beiden Kirchenkollegien darauf, das Treffen am 9. 10. 1974 – und damit eine Woche nach dem Hamburger Parteitag – in der Evangelischen Akademie Herrenalb um 17 Uhr stattfi nden zu lassen. Die Ausrichtung der Veranstaltung wurde dabei in die Verantwortung der badischen Kirchenleitung übergeben. Kurz nachdem der Geschäftsführer der baden-württembergischen Liberalen Karl Hummel diesem Termin zunächst zugestimmt hatte, musste er erneut abgeändert werden, als die FDP aufgrund einer Ältestenratssitzung des Landtags um Verschiebung von Zeit und Ort bat. Das Treffen wurde nunmehr auf 18 Uhr und nach Stuttgart-Mitte verlegt, womit jetzt die Württembergische Landeskirche als Gastgeber fungierte. Die Einladung zu dem Gespräch, das unter dem Motto »Die Stellung der Kirchen in der Gesellschaft« stand, war dabei von beiden Landesbischöfen unterschrieben worden. Als kirchliche Teilnehmer an dem Gespräch fungierten Landesbischof Hans Heidland, Prälat Karl-Adolf Würthwein, die Oberkirchenräte Joachim Stein und Karl-Theodor Schäfer sowie Oberrechtsrat Gottfried Ostmann für die badische Kirche und Helmut Claß, die Prälaten Albrecht Hege und Hermann Rieß sowie die Oberkirchenräte Rudolf Mayer, Martin Daur und Werner Klotz für die württembergische Kirche.400 Verwies der Teilnehmerkreis der FDP zunächst auf eine durchaus hochkarätige und an der Thematik interessierte Besetzung – hier nahmen der Landesvorsitzende Martin Bangemann, dessen Stellvertreter und Mitglied des Bundestages, Georg Gallus, die Vorstandsmitglieder Wolfgang Haußmann und Gerhard Raichle, die Landtagsabgeordneten Werner Hofmann und Heinrich Abendschein sowie FDP-Mitglied Ingrid Walz und Landesverbandsgeschäftsführer Karl H. Hummel an der Veranstaltung teil401 –, so mochte der Eindruck Klotz’ in seinem Bericht über die Zusammenkunft, die FDP-Vertreter hätten außer Bangemann »wenig Substanziertes«402 zur Thematik beigetragen, zunächst erstaunen. Klotz begründete die Passivität der FDP-Delegierten mit dem Hinweis auf das vereinnahmende und dominierende Auftreten Bangemanns, das dazu geführt habe, dass es den anderen 400 Anwesenheitsliste Begegnung Kirchenleitungen Karlsruhe und Stuttgart – FDPLandesleitung am 9. 10. 1974; LKAS A 226 Nr. 774. In Vorbereitung auf das Gespräch hatte Claß Kunst über das Gespräch informiert und um Hintergrundsinformationen »aus der Bonner Perspektive«, d. h. aus Sicht der Partei, gebeten, worauf hin Kunst ihm die Einbringungsrede Funckes zukommen ließ (Schreiben Claß an Kunst vom 23. 9. 1974; EZA 87/661). 401 Vgl. Schreiben Hummel an Klotz vom 28. 9. 1975; LKAS A 226 Nr. 774. Die ursprünglich ebenfalls für das Gespräch vorgesehenen liberalen Politiker Brandenburg, Oskar Marczy (MdL) sowie Walter Erbe waren nicht erschienen. 402 Bericht Klotz über das Treffen am 9. 10. 1974; ebd.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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»mangels persönlichen Gewichts kaum möglich [gewesen sei], sich deutlich zu machen oder gar durchzusetzen, auch wenn sie andere Auffassungen haben.«403 Die Bemerkung Hummels Klotz gegenüber in einem Telefonat nach dem Treffen, »das Kirchenpapier werde nicht von allen Mitgliederschichten getragen«,404 und es sei wichtig, »daß die Position der Minderheit – zu der er selbst gehöre – gestärkt werde«405, untermauerte diesen Eindruck. Bangemanns Auftreten wie auch seine Äußerungen bestätigten indes seine befürwortende Position; sie offenbarten zugleich sein Bemühen, den Kirchen die Aktualität des Papiers aufzuzeigen. Interessant war in diesem Zusammenhang die von ihm vollzogene Parallelisierung der Inhalte des Kirchenpapiers mit jenen Inhalten, die im Kontext der Urwahlen der Landessynode 1971 von der damaligen Wahlarbeitsgemeinschaft »Aktion kritische Synode«406 vertreten worden waren, der Bangemann selbst angehört hatte. Auch seine Anfrage an die Kirchen, ob man an einer Kooperation mit der FDP im Blick auf die Entwicklung eines neuen Verbandsrechts interessiert sei, verwiesen auf die ihm eigene Überzeugung einer weitgehenden Deckungsgleichheit jener Thesen mit innerkirchlichen Reformprozessen; eine Überzeugung, die knapp zwei Wochen später einen scharfen Konfl ikt mit der EKD auslöste.407 Die Kirchen hingegen lehnten das Kirchenpapier grundlegend ab. Neben der Tatsache, dass die Umsetzung der Kirchenthesen den Abbau der Volkskirche zur Folge habe, kritisierte man insbesondere die hinter dem Kirchenpa403 Ebd. Als ein Beispiel für Differenzen innerhalb des FDP-Delegiertenkreises mögen die Positionen Gallus’ und Bangemanns zur Kirchensteuerthese herangeführt werden. Hatte Gallus sich auf dem BPT in Hamburg für die Streichung der These ausgesprochen, so bezeichnete Bangemann bei dem Treffen mit den Kirchen gerade die Verschärfung der These 5 durch den Parteitagsbeschluss als eine »im Interesse der Verdeutlichung der Position vorgenommene Klarstellung« (ebd.). 404 Ebd. Klotz hatte die Inhalte des Telefonats dem Bericht angefügt. 405 Ebd. Musste Hummels Äußerung primär vor dem Hintergrund seiner Funktion als Geschäftsführer des Landesverbandes und damit vermittelnde Kontaktstelle zwischen der Partei und den Kirchen gesehen werden, so drückte sich darin zugleich ein ganz persönliches Interesse aus, die Verbindungen zu den Kirchen aufrecht zu erhalten. So betonte er Klotz gegenüber das Interesse der Partei an einer guten Beziehung zu den Kirchen und zeigte sich beeindruckt von den Argumenten, die in dem Gespräch seitens der Kirchen artikuliert worden waren: »Wir haben das bisher nicht so gesehen« (ebd.). 406 Die »Aktion kritische Synode« bzw. »Aktion Synode 71«, wie Horst Keil sie in seinem Aufsatz über die Wahlen zur württembergischen Landessynode bezeichnet, war eine der vier Wahlarbeitsgemeinschaften, die im Wahlkampf zur Wahl der achten württembergischen Landessynode im Dezember 1971 gegeneinander angetreten waren. Ihr Ziel hatte darin bestanden, jene Kreise, die am Rande der Kirche standen, zum Mitdenken und eine Mitentscheiden einzuladen und auf diese Weise eine »mündige Gemeinde« und »aufgeschlossene Kirche« zu etablieren. Ihr enttäuschendes Abschneiden lag für Keil darin begründet, dass sie es nicht geschafft hatten, aus dem innerkirchlichen Öffentlichkeitsbereich auszubrechen (Keil, Ruck nach rechts, 47 f.). 407 Siehe dazu Abschnitt 3.
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IV. EKD und Kirchenpapier
pier stehende Sichtweise eines verkappten Atheismus. Die Behauptung, es gehe der FDP in erster Linie um die Sicherung der Freiheit der Kirche, bezeichnete man als »Etikettenschwindel.«408 Die gemeinsam verabschiedete Pressemitteilung über die Begegnung war nichtssagend und spiegelte die grundsätzliche Stimmung zwischen Partei und Kirche wider; sie erwähnte lediglich die Tatsache der Begegnung und ihre Hauptprotagonisten, jedoch keine Inhalte. Der einzige Satz, der dem Gespräch eine gewisse Perspektive gab, war auf Bitten Hummels hin mit in die Erklärung aufgenommen worden. Er beinhaltete die Anregung der FDP zur Fortsetzung jener Gespräche. In seinem Bericht betonte Klotz, er habe dem nicht mit Erfolg widersprechen können, »da diese Aussage noch zur Tatsache des Gesprächs gehört.«409 Blieb es zunächst bei dieser Art von Stellungnahme zum Kirchenpapier, so führte der Lagebericht Heidlands anlässlich der Eröffnung der badischen Landessynode am 21. 10. 1974 zu einer erneuten Missstimmung zwischen Partei und Kirche, genauer zwischen Heidland und Bangemann. In dem Bericht hatte Heidland, ohne im Detail auf das Kirchenpapier einzugehen, dessen grundsätzliche Intention einer rein ideologisch begründeten Ablehnung der bestehenden Beziehungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft als gefährlich bezeichnet. Die Gefahr sah er dabei im einseitigen Einsatz für den als liberales Grundanliegen ausgezeichneten Schutz der Minderheiten, der schnell zu einer »Diktatur [. . .] der Minderheit über die Mehrheit«410 führen könnte und zudem im Kontext des Verhältnisses von Staat und Kirche keine Legitimation habe, als keine Unterdrückung der Minderheiten vorliege. Was jedoch im Falle einer Umsetzung der FDP-Thesen unterdrückt werde, sei der christliche Glaube, und das im Namen der Freiheit: »Man sagt: Weg mit der Körperschaft des öffentlichen Rechts! Und meint Christus. Mit dem Symbol des Kreuzes soll das Kreuz selbst aus dem Leben des Volkes verschwinden. Welch Missbrauch mit dem Liberalismus!«411 In diesem Kontext hatte Heidland auch auf Marxismus und Nationalsozialismus verwiesen, denen die Forderung nach einer Beschränkung des Glaubens in den Privatbereich gemeinsam gewesen war.412 408
Bericht Klotz über das Treffen am 9. 10. 1974; LKAS A 226 Nr. 774. Die Unzufriedenheit Hummels über die Pressemitteilung geht aus einem Schreiben an Bangemann hervor: »[M]ehr war an [M]eldung noch nicht herauszuholen« (Schreiben Hummel an Bangemann vom 10. 10. 1974; AdL 26173). 410 »Oder ist der Satz: Schutz der Minderheiten so zu verstehen, daß die Mehrheit jede Äußerung ihres Glaubens unterlassen müsse, wenn auch nur ein einziger Bundesbürger daran Anstoß nimmt?« (Institution – Eine Lebensform der Kirche. Landesbischof Prof. Dr. Heidland auf der badischen Landessynode in Bad Herrenalb im Oktober 1974, in: epd Dok. Nr. 53/1974, 47). 411 Ebd. 412 Vgl. Art. »Glaube ist nicht auf das Privatleben zu beschränken. Landesbischof Dr. 409
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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Insbesondere dieser Vergleich war es, der Bangemanns scharfe Reaktion an Heidland begründete. In einem Schreiben nur einen Tag nach Bericht des Landesbischofs warf er diesem Diffamierung und Ignoranz im Blick auf die gemeinsamen Gespräche zwischen Partei und Kirche vor, in denen die Beweggründe der liberalen Partei zur Verabschiedung des Papiers deutlich dargelegt worden seien. Als »Politiker [. . .] und Mitglied Ihrer Kirche« 413 forderte Bangemann Heidland auf, diesen Sachverhalt klarzustellen und schloss seinen Brief mit der Bekundung seines Entsetzens darüber, »daß ein Landesbischof in billiger Weise polemisiert, wenn es um so ernste Fragen geht.«414 In seinem Antwortschreiben, dem er eine Tonbandniederschrift seines Referats beifügt hatte, bezeichnete Heidland es als seine Pfl icht, auf die Folgen einer Verwirklichung des Papiers hinzuweisen, dessen ideologische Grundlage die Verhinderung kirchlichen Dienstes in der Öffentlichkeit intendiere. Den Hinweis auf die »peinliche ideologische Nachbarschaft«415, in die sich die liberale Partei mit ihren Intentionen begäbe, sei dabei nur legitim. Beließen es der FDP-Generalsekretär und der badische Landesbischof bei diesem Meinungs- und Kritikaustausch, so traten bald darauf Bangemann und Claß in eine kritische Korrespondenz, die insofern eine andere Dimension annahm, als Claß sie in seiner Funktion als Ratsvorsitzender der EKD führte. Auf der Synode der Württembergischen Landeskirche im Herbst 1974 fand das Kirchenpapier keine Erwähnung. 2.3.2. Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern 416 Die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern konnte als die Landeskirche angesehen werden, die im Blick auf das Kirchenpapier wohl in größter Heidland sprach zur Eröffnung der badischen Landessynode«, in: epd ZA vom 21. 10. 1974. 413 Schreiben Bangemann an Heidland vom 22. 10. 1974; AdL 26173. 414 Ebd. 415 Schreiben Heidland an Bangemann vom 23. 10. 1974; AdL N 52-73. 416 Der Nachlass Dietzfelbingers befand sich zum Zeitpunkt der Recherche in Bearbeitung und war daher nicht einsehbar. Nach Auskunft der Archivleitung enthält der Bestand »Landesbischof« lediglich eine Serie »Politik«, die u. a. die Korrespondenz mit bayrischen FDP-Politikern enthält, die jedoch Anfang der 1960er Jahre abbricht. Der private Nachlass Dietzfelbingers (Bestand: Personen 133) besteht im Wesentlichen aus Predigten, Veröffentlichungen und Vorträgen. Auch in den Akten des Landeskirchenrats ließen sich keine für die Thematik relevanten Akten fi nden. Wesentliche Informationen dieses Abschnittes sind daher einer schriftlichen Auskunft von Oberkirchenrat i.R. Werner Hofmann entnommen. Hofmann war seit 1965 juristischer Oberkirchenrat und Mitglied des Landeskirchenrats der ELKB. 1972 übernahm er die Leitung des Landeskirchenamtes. Seit 1967 war er Mitglied der EKD-Synode und wurde auf der Coburger Synode im Mai 1973 in den Rat der EKD gewählt. Zu seinem Referatsgebiet als Oberkirchenrat gehörte neben dem Gemeindefi nanzreferat auch das Staatskirchenrecht. Hofmann wirkte u. a. bei der Ausarbeitung der Leuenberger Konkordie mit. Seine juristischen Argumente hinsichtlich
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IV. EKD und Kirchenpapier
Übereinstimmung mit dem Vorgehen auf EKD-Ebene agierte. Durch den bayrischen Landesbischof und Ratsvorsitzenden bis 1973, Dietzfelbinger, sowie Oberkirchenrat und Ratsmitglied seit 1973, Hofmann, wurde der Landeskirchenrat über die Prozesse auf EKD-Ebene informiert, so dass das Kirchenpapier immer mal wieder Gesprächsthema war, ohne dass man ihm dabei jedoch besondere Bedeutung beigemessen hätte. Der Landeskirchenrat lehnte das Kirchenpapier einmütig ab; hier standen dringlichere Themen wie etwa die Neuregelung des § 218 StGB oder die innerkirchliche Debatte um eine neue Grundordnung der EKD auf der Tagesordnung. Ließ sich für keines der Mitglieder des Landeskirchenrats, der im Unterschied zu anderen Landeskirchen nur aus den hauptamtlichen Oberkirchenräten und dem Landesbischof bestand, eine irgendwie geartete Parteizugehörigkeit aussagen, so pflegte die Landeskirche die besten Kontakte zur CSU, die im bayrischen Landtag über die absolute Mehrheit verfügte. Ebenso hatten sich die Kontakte zur SPD intensiviert. Das Verhältnis zur FDP hingegen war weniger intensiv und konnte insgesamt als neutral bezeichnet werden. Anders als die FDP, die insbesondere im Kontext der Kirchenpapierdiskussion stets auf die guten Kontakte zu den beiden Kirchen rekurrierte, war die Landeskirche auf eine solche Referenz durch die liberale Partei nicht angewiesen. Die Kirchenpapierdiskussion änderte nichts an dem Verhältnis zwischen Kirche und Partei, obgleich sie beide zu einem gemeinsamen Gespräch zusammengeführt hatte, bei dem zudem die eindeutig ablehnende Haltung der bayrischen FDP gegenüber dem Kirchenpapier deutlich geworden war. Die Initiative zu diesem Gespräch war dabei vom Landeskirchenrat ausgegangen, als Oberkirchenrat Hermann Greifenstein Anfang September 1973 Ertl kontaktierte und ankündigte, seitens des Landeskirchenrats »jederzeit zu einem Gespräch über die Tendenzen des FDP-Papiers bereit«417 zu sein. Jene Kontaktaufnahme war weniger Ausdruck eines persönlichen Inder Kirchenpapierdiskussion charakterisierte er als deckungsgleich mit denen führender Kirchenjuristen. Im Blick auf seine persönliche Meinung betonte Hofmann, bereits das Jungdemokratenpapier von Anfang an sehr ernst genommen zu haben, insofern eine Umsetzung der darin enthaltenen Forderungen zu einer massive Beschränkung der kirchlichen Tätigkeit geführt hätte. Obgleich im Zuge der breiten Diskussion des FDP-Kirchenpapiers immer deutlicher geworden war, dass es aus politischen und rechtlichen Gründen keine Chance hatte, erachtete Hofmann es als »Herausforderung an die Kirchen, hellhörig zu werden und ihre gegenwärtige und zukünftige Position in Staat und Gesellschaft zu überprüfen« (Art. »FDP-Kirchenpapier hat keine Chance. Oberkirchenrat Dr. Hofmann: Eine Herausforderung an die Kirchen«, in: epd Landesdienst Bayern vom 3. 10. 1973). Besondere Kritik übte er an den Thesen zum Körperschaftsstatus der Kirchen und zur Kirchensteuer, wobei er die Kirchen im Blick auf letzteres aufforderte, Alternativlösungen zu erarbeiten, für den Fall, dass dieses Thema erneut diskutiert würde. 417 Schreiben Greifenstein an Ertl vom 5. 9. 1973; AdL 12376. Die Kontaktaufnahme durch Greifenstein erklärte sich durch dessen Zuständigkeit für den Bereich Gesellschaftspolitik.
2. Das Kirchenpapier in den Landeskirchen
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teresses, sondern musste primär als Reaktion auf den Ratsbeschlusses vom 10./11. 8. 1973 verstanden werden, wo man beschlossen hatte, die Landeskirche zur Kontaktaufnahme mit der FDP aufzufordern. Am 18. 2. 1974 trafen die Vertreter der evangelischen Kirche und der bayrischen FDP zu einem gemeinsamen Austausch über das Kirchenpapier im Landeskirchenamt zusammen. Von Seiten der FDP nahmen u. a. Josef Ertl, Hildegard Hamm-Brücher, Hanns Engelhardt sowie Erna Sondermann als gleichzeitiges Mitglied der bayrischen Landessynode teil, die Kirche wurde nebst mehreren Kreisdekanen durch den Landesbischof Dietzfelbinger sowie die dem Landeskirchenrat angehörenden Oberkirchenräte Hermann Greifenstein, Helmut Kamm, Karl Heun und Werner Hofmann vertreten. Rückblickend auf dieses Gespräch betonte Hofmann, die kirchlichen Bedenken gegen das Kirchenpapier seien damals sehr ernst genommen worden, allerdings hätten die FDP-Delegierten zugleich ihre Minderheit-Position in der Parteileitung betont. Einer handschriftlichen Notiz über dieses Treffen, deren Autorenschaft unklar ist, ist zu entnehmen, dass sowohl eine allgemeine Aussprache als auch eine konkrete Auseinandersetzung mit den Thesen stattgefunden hatte. In der Aussprache hatte Hamm-Brücher auf die »verkorkste Ausgangslage«418 des Papiers hingewiesen und betont, man müsse, »von diesem Papier wegkommen, denn Änderungen bringen nicht weiter.«419 Bemerkenswert war die Bemerkung Dietzfelbingers, die in den Kirchenthesen so manche »heilsamen, kritischen Anstöße«420 erblickte. Im Blick auf die Auseinandersetzung mit den Thesen lässt sich nicht mehr entnehmen, als dass man sich mit den Thesen zum Körperschaftsstatus, zur Kirchenmitgliedschaft, zur Kirchensteuer, zu den Kirchenverträgen, zum Religionsunterricht und zur Militärseelsorge befasst hatte. Eine kurze Mitteilung des FDP Pressedienstes fasste die Ergebnisse des Gesprächs mit den Worten Dietzfelbingers zusammen, die Kirchenthesen hätten zwar »manchen heilsamen Anstoß«421 gegeben, müssten insgesamt jedoch nochmals durchdacht werden. Einigkeit, so die Pressemitteilung, hatten die Delegierten dahingehend gezeigt, dass die angesprochenen Probleme nur gemeinsam mit den Kirchen zu lösen seien, weshalb man die Kontakte in absehbarer Zeit fortsetzen wollte. Es blieb jedoch bei dieser einen offiziellen Zusammenkunft zwischen Kirche und FDP, was nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen war, dass die bayrische FDP bemüht war, die Kirchenpapierdiskussion aus dem Landtagswahlkampf raus zuhalten. 418 Handschriftliche Notiz über das Gespräch zwischen bayrischer FDP und Landeskirche; AdL 12376. 419 Ebd. 420 Ebd. 421 Art. »F.D.P.-Gespräch mit Evangelischer Landeskirche«, in: F.D.P. Pressedienst Nr. 4/1974 vom 19. 2. 1974.
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IV. EKD und Kirchenpapier
Auf der Synode im März 1974 ging man an keiner Stelle auf das FDPKirchenpapier ein. Dennoch kam es bis zum Bundesparteitag in Hamburg zu diversen Veranstaltungen, bei denen sich die Kirche immer wieder zu einer Stellungnahme zu dem ambivalent diskutierten FDP-Kirchenpapier herausgefordert sah. Hofmann blieben dahingehend besonders zwei Veranstaltungen in Erinnerung; so eine Podiumsdiskussion, die vom evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU Nürnberg knapp sechs Wochen nach dem Gespräch zwischen Partei und Kirche organisiert worden war. Hier hatte der Landesvorsitzende der Jungdemokraten Klaus Peter Murawski das Kirchenpapier gegenüber den übrigen Vertretern, die sich aus CDU/CSUMitgliedern und Synodalen zusammensetzten, mit einer Vehemenz verteidigt, die den Bayernkurier zu der Aussage veranlasste, viele Christen fühlten sich »wirklich bedroht.«422 Als besonders eindrucksvolle Begegnung bezeichnete Hofmann weiterhin ein Gespräch mit dem Vorstand der Jungsozialisten, das am 5. 1. 1974 in Bonn stattgefunden hatte. Bei dem Gespräch, an dem neben Wolfgang Roth und Johano Strasser auch Helmut Hild, Hans Philip Meyer und Cornelius Adalbert von Heyl teilnahmen, hatten die Jungsozialisten auf die Bedeutung der Autonomie der Kirchen und ihrer Unabhängigkeit in der Gesellschaft verwiesen und betont, nichts an der gegenwärtigen Verfassungslage ändern zu wollen.423 Diese Äußerungen der keineswegs als kirchenfreundlich bekannten sozialdemokratischen Parteijugend hatten erneut bestätigt, dass das Kirchenpapier von keiner weiteren politischen Partei oder Gruppierung mitgetragen wurde. Am 8. 10. 1974 verabschiedete der Landeskirchenrat eine Erklärung zum beschlossenen Kirchenpapier, die laut Hofmann auf Greifenstein zurückging. Die Erklärung ähnelte der des Rates der EKD, die dieser zwei Wochen später verabschiedete, insofern sie allgemein gehalten war und an keiner Stelle auf die konkreten Forderungen einging. Unter Verweis auf die stattgefundenen Gespräche drückte der Landeskirchenrat sein Bedauern darüber aus, dass das Kirchenpapier durch den Parteitagsbeschluss zur programmatischen Aussage geworden war, was zukünftige Gespräche mit der
422 Art. »Tagung des Evangelischen Arbeitskreis. Ins Abseits mit den Kirchen? FDPThesen sind eine Diffamierung der Christen«, in: Bayernkurier Nr. 14 vom 6. 4. 1974. Das jene Diskussion auch bei Murawski einen bleibenden Eindruck hinterließ, zeigte seine Wortmeldung auf dem Hamburger Parteitag im Kontext der Beratungen des Kirchenpapiers, wo er auf die durchweg positiven Begegnungen mit den Kirchen verwies und jene Podiumsdiskussion als einzige Ausnahme erwähnte: »Ich kann mich eigentlich nur an einen Termin erinnern, wo ich durch die Bank zerrissen worden bin. Das war, als ich vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CSU sprach« (AdL A 1-520, Bl. 24). 423 Zu den gescheiterten Kooperationsversuchen zwischen DJD und Jusos in Sachen Kirche und Staat siehe Kap. II.4.
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers
541
FDP, trotz der »begrüßenswerten kirchenfreundlicheren Erklärung der FDP Bayern«424, erschweren werde. Man kritisierte die Thesenreihe als von ihrer Grundtendenz her »keinen konstruktiven Beitrag«425 zum Verhältnis von Staat und Kirche, insofern sie versuche, »Religion in den privaten Bereich zu verbannen und damit die Kirchen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen.«426 Die Intoleranz, die den Thesen abzuspüren war, ergebe sich dabei aus einer Missachtung des von der FDP vertretenen Prinzips der Sicherung und Erweiterung von Freiheit für den Bereich der Kirchen. Der Verlust von ethischen Grundüberzeugungen und damit der Wegfall eines christlichen Bewusstseins, beides unmittelbare Folgen der Forderung nach weltanschaulich-neutralem Verhalten, stelle dabei eine Gefahr für den Staat und die Gesellschaft dar. Mit der Erklärung endete die Auseinandersetzung der Bayrischen Landeskirche mit dem Kirchenpapier. Hatte Hofmann auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirchenverwaltungen in Bayern im November noch einmal die wesentlichen Aspekte seiner Stellungnahme vom 3. 10. 1974 expliziert, so fand das Kirchenpapier auf der Landessynode in Augsburg im April 1975 allenfalls noch indirekt seine Erwähnung, als Dietzfelbinger im Kontext seiner Ausführungen zur Volkskirche die Notwendigkeit einer Offenheit in der Evangelischen Kirche in Deutschland »für neue Entwicklungen«427 betonte, die »die Stabilität der Kirche«428 immer wieder prüfen und in Frage stellen würden.
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers War es ein Anliegen der EKD gewesen, die Kirchenpapierdiskussion mit der Ratserklärung zu einem relativen Abschluss zu bringen, so verlangten ihr die Ereignisse der Folgezeit weitere Reaktionen ab. Innerhalb des Rates zeigte sich dabei die bekannte Tendenz, diese möglichst privatim erfolgen zu lassen, was freilich nur bedingt möglich war.429 424 Erklärung des Landeskirchenrats zu den FDP-Thesen Freie Kirche im Freien Staat, in: Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern Nr. 20, 11/1974, 29. Jg., 392. 425 Ebd. 426 Ebd. 427 Verhandlungen Augsburg, 15. 428 Ebd. 429 So beschloss man auf der Ratssitzung vom 5. 11. 1974, die somit während der EKDSynode stattfand, vorerst von offi ziellen Gesprächen mit der FDP abzusehen und persönlichen Gesprächen nur »unter der Bedingung, daß der Inhalt dieser Gespräche nicht veröffentlicht wird«, zu entsprechen (Protokoll der 23. Sitzung des Rates vom 5. 11. 1974; EZA 87/664). Auf der Sitzung der Kirchenkonferenz einen Tag später wiederholte man
542
IV. EKD und Kirchenpapier
Ein Interview mit Martin Bangemann, das am 19. 10. 1974 in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht wurde, war Auslöser eines größeren Missverständnisses zwischen FDP und Kirche, das erst Ende des Jahres endgültig aus dem Weg geräumt werden konnte. In diesem Interview hatte Bangemann, ähnlich wie auch schon in der landeskirchlichen Diskussion, das Anliegen der FDP zugleich als Anliegen auch der Kirche ausgewiesen, als er die Frage, ob er der Meinung sei, dass die Mehrheit der Bürger die von der FDP angestrebte Unabhängigkeit von Kirche und Staat zu schätzen und zu nützen vermochte, wie folgt beantwortete: »In den Kirchen bemühen sich seit langem fortschrittliche Christen darum, die Kirchen von den institutionellen Zwängen einer Amtskirche zu befreien. Kirche darf nicht Organisation um der Organisation willen sein, wenn sie den christlichen Verkündigungsauftrag erfüllen will. Kirche ist notwendiger Rahmen und Basis christlichen Lebens, darf aber dieses Leben nicht unter bürokratischen Fesseln und dogmatischen Ansprüchen ersticken.«430
In seiner Funktion als Ratsvorsitzender hatte Claß darauf hin in einem Fernschreiben vom 22. 10. 1974 an Genscher diese Äußerungen als Einmischung der Partei in die inneren Angelegenheiten der Kirchen und »Erschwerung der [ö]ffentlichen Diskussion«431 kritisiert und vom Parteivorsitzenden wissen wollen, ob der Parteivorstand mit den Äußerungen Bangemanns übereinstimme. Er verwies in diesem Zusammenhang auf »nicht wenige [A]nfragen aus [Lä]ndern, in denen die [L]andtagswahl bevorsteht«432 , die es zu beantworten gelte. Der Reaktion Genschers war nun eine deutliche Reserviertheit abzuspüren. Nur indirekt ging er auf die von Claß gestellte Frage ein, insofern er den Charakter des Kirchenpapiers als Gesprächsangebot bezeichnete, was jegliche Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten ausschließe. War die Angelegenheit Bangemann für ihn mit dem Hinweis, dieser werde Claß’ persönlich kontaktieren, erledigt, so nutzte Genscher indes die Gelegenheit, Kritik am Verhalten der Kirchen zu üben. Hier bemängelte er das Fehlen eines liberalen Politikers am Reformationstag in Hamburg und betonte des weiteren, es Claß ersparen zu wollen, sich seinerseits zu den von Heidland und Wölber vertretenen Positionen äußern zu müssen, die viele in der FDP, die sich »bewußt zu ihrer evangelischen Kirche bekennen«433, sehr betroffen gemacht hätten.
diesen Beschluss, so dass auch die Landeskirchen dementsprechend instruiert waren (vgl. Niederschrift der Sitzung der Kirchenkonferenz vom 6. 11. 1974; EZA 2/8227). 430 Art. »Befreiung von amtskirchlichen Zwängen«, in: StZ vom 19. 10. 1974. 431 Schreiben Claß an Genscher vom 22. 10. 1974; EZA 87/658. 432 Ebd. 433 Schreiben Genscher an Claß von Anfang November 1974; Handakten Funcke.
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers
543
Im Rat der EKD zeigte man sich verwundert über die kühle Reaktion Genschers und bat Kunst, »auf der Ebene ›Pastor-Gemeindeglied‹«434 ein Gespräch mit Genscher über dessen Antwortschreiben zu führen.435 Auch in der in Berlin tagenden FDP-Präsidiumssitzung vom 4. 11. 1974 schien man die Thematik erörtert zu haben. Darauf verweist ein Brief Genschers an Funcke vom 13. 11. 1974, der Aufschluss über die Gründe für seine Reaktion lieferte und damit einen in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden Fauxpas seitens der EKD offenbarte, den einige in der FDP, allen voran Bangemann, bereits vermutet hatten. Es stellte sich nämlich heraus, dass eine von der Kirchenkanzlei im Zuge einer umfassenden Materialsammlung versandte Fassung des Claßschen Schreiben kursierte, in der dessen Bemerkung zu anstehenden Landtagswahlen und dahingehenden Anfragen aus den Ländern nicht enthalten war.436 Da dieses Schreiben an alle kirchlichen Gremien und Institutionen der EKD versendet worden war, lag es auch dem Rat in dieser zensierten Fassung vor, wodurch sich jetzt auch dessen Irritation über die Reaktion Genschers erklärte, war es gerade diese Bemerkung gewesen, die Genschers Unmut hervorgerufen hatte. Erst am 21. 11. 1974 erfuhr Kunst in einem Telefonat mit Genscher von der Existenz dieser unterschiedlichen Schreiben; einen Tag später ließ Genscher ihm eine Fotokopie des Originalschreibens zukommen.437 Die investigativen Nachforschungen Kunsts brachten schließlich Licht in die ganze Angelegenheit. In einem Schreiben an Genscher vom 27. 12. 1974 schilderte er die Prozesse, wie sie sich nach Veröffentlichung des Bangemann Interviews abgespielt hatten und für die er sich in aller Form entschul434
Protokoll der 23. Sitzung des Rates vom 5. 11. 1974; EZA 87/664. Die Sitzung fand während der 3. Tagung der EKD-Synode in Berlin-Spandau statt. 435 Im Falle Bangemann wollte man zunächst dessen Antwort abwarten und bis dahin von offi ziellen Gesprächen mit der FDP absehen (vgl. ebd.). 436 Die entsprechende Passage in der Fassung der Kirchenkanzlei hatte folgenden Wortlaut: »Ich bitte sie um Auf klärung, ob die von Herrn Dr. Bangemann vertretenden Auffassungen mit dem Standpunkt des Parteivorstandes der F.D.P. übereinstimmen. Nicht wenige Anfragen müssen in den nächsten Tagen beantwortet werden. Gerne möchte ich Ihre Stellungnahme mit einbeziehen« (Rundschreiben der Kirchenkanzlei vom 29. 10. 1974; EZA 87/662). Vgl. auch Schreiben Genscher an Funcke vom 13. 11. 1974: »Da ich am Montag nicht anwesend sein werde, möchte ich doch vor unserer nächsten Sitzung noch einmal kurz auf den Punkt eingehen, den Sie in der letzten Sitzung des Präsidiums in Berlin am Ende angeschnitten haben. Ich füge den Text des Originalfernschreibens von Bischof Claß bei. Sie werden sehen, daß in der vorliegenden Fassung eine entscheidende Zeile fehlt, und zwar die Worte ›aus den Ländern, in denen die Landtagswahl bevorsteht.‹ Ich glaube, daß wird Ihnen meine Reaktion verständlich machen« (AdL N 52-73). 437 »Sehr verehrter lieber Bischof, für das gestrige Gespräch möchte ich Ihnen aufrichtig danken. Ich denke, daß wir einen Weg gefunden haben, der es uns möglich macht, manches Missverständnis der letzten Wochen und Monate aus dem Wege zu räumen. Im Anschluß an unserer telefonische Unterhaltung erlaube ich mir, Ihnen eine Fotokopie des Original-Fernschreibens vom 22. Oktober 1974 beizufügen« (Schreiben Genscher an Kunst vom 22. 11. 1974; ebd.).
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IV. EKD und Kirchenpapier
digte. So hatte Claß in Reaktion auf zahlreiche Anfragen zu dem Bangemann Interview die Kirchenkanzlei darum gebeten, einen Entwurf für das Fernschreiben an Genscher zu fertigen, was diese postwendend tat. Zur gleichen Zeit sei Claß von Helmut Hild kontaktiert worden. Dieser habe im Blick auf die anstehende Landessynode seine Zerrissenheit dahingehend zum Ausdruck gebracht, einerseits gerade auch wegen des laufenden Wahlkampfes nichts zum Kirchenpapier sagen zu dürfen und sich andererseits zugleich nicht in der Lage zu sehen, keine Stellung zu beziehen, für den Fall, dass er darauf angesprochen würde; wohl wissend, dass er sich damit dem Vorwurf aussetze, unmittelbar in den laufenden Wahlkampf einzugreifen. Claß habe darauf hin den Verweis auf die Landtagswahlen in sein Schreiben mit aufgenommen, wobei er es versäumt habe, die Kirchenkanzlei davon zu unterrichten, die somit »guten Glaubens, wenn auch falsch gehandelt«438 hatte. Konnte der Konfl ikt ob dieses Missverständnisses und nicht zuletzt auch dank Kunsts bewährter vermittelnder Art aus der Welt geschafft werden, so spiegelte sich darin ein ganz grundsätzliches Misstrauen zwischen Kirche und Partei wider, das sich nach Beschluss des Kirchenpapiers noch verstärkt hatte. Dabei war der Vorwurf, den man sich gegenseitig machte, der gleiche, insofern man sich mangelnde Objektivität und Distanzwahrung gegenüber dem jeweils anderen Wirkungsbereich bescheinigte. So hatte die Kirche das Kirchenpapier insgesamt als Einmischung einer Partei in innerkirchliche Belange bezeichnet, der Hinweis Claß’ auf die Landtagswahlen wiederum ließ eine Befürchtung bei der FDP reifen, die man bisher eigentlich nur bei der katholischen Kirche bestätigt sah, »daß nämlich die Kirche Ergebnisse des Ringens um ein solches Selbstverständnis [in der Öffentlichkeit] in ihre politische Stellungnahmen, insbesondere in die Wertungen bestimmter Parteien einzubeziehen bereit ist.«439
Ein in diesem Zusammenhang stehendes Problem war die Frage nach der Motivation und damit auch Legitimation gemachter Aussagen. Dies zeigte sich besonders stark bei den Äußerungen Bangemanns, der immer wieder auf die Intention seiner Aussagen als die eines »engagierten Christen«440 und »Menschen, dem es nicht gleichgültig ist, was Christus wollte«441 verwies, wodurch er seinem Eintreten für das Kirchenpapier ein Stück weit den Charakter einer christlichen Pfl ichtübung verlieh. Vermochten die Bangemannschen Äußerungen die Kirchenvertreter nicht ohne weiteres von dessen religiöser Integrität überzeugen, so bestand 438 439 440 441
Schreiben Kunst an Genscher vom 27. 12. 1974; AdL N 52-72. Schreiben Bangemann an Claß vom 12. 11. 1974; AdL N 52-73. Ebd. Ebd.
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers
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bei Funcke dahingehend kein Zweifel. Hier sah sich die EKD mit einer ganz anderen Problematik konfrontiert, der Frage nämlich, ob das positive Einstehen der EKD-Synodalen Funcke für das Kirchenpapier entgegen der grundsätzlich ablehnenden Stimmung innerhalb der EKD auf irgendeine Weise geahndet werden müsse. Prominentester Vertreter einer dahingehenden Befürwortung war Axel von Campenhausen.442 Auf einer Linie mit Hamm-Brücher warf er Funcke vor, im Kontext der Kirchenpapierdebatte stets im Namen der Kirche gesprochen und zugleich niemals Kontakt mit der Kirche aufgenommen zu haben.443 Die EKD forderte er auf, ein solches Verhalten nicht einfach wortlos und kritiklos hinzunehmen. In seiner Sitzung vom 13./14. 12. 1974 beschloss der Rat, ähnlich wie schon im Fall Bangemann und damit zugleich seiner grundsätzlich zurückhaltenden Linie folgend, von einer schriftlichen Reaktion abzusehen und Kunst damit zu beauftragen, »die Angelegenheit im Gespräch [zu] erledigen.« 444 Dieser versprach Campenhausen, ein erneutes Gespräch mit Funcke insbesondere über die Verwendung ihres Titel zu führen und dabei »mit Klarheit die rechte Teilung von Gesetz und Evangelium an diesem Punkt betreiben.«445 Auch der hannoversche Kirchenpräsident Frank übte Anfang Januar 1975 Kritik an Funcke, allerdings bezog sich diese auf ihr Fehlen auf der EKDSynode im November 1974. Die Kritik stand insofern im Kontext der Kirchenpapierdiskussion, als Frank Funcke unterstellte, sie habe sich der Diskussion des Papiers durch ihr Fernbleiben bewusst entziehen wollen.446 Funcke zeigte sich irritiert über diesen Vorwurf.447 In ihrer Erwiderung betonte 442 Aber auch von außen erreichten die EKD zunehmend Anfragen zum Verhalten Funckes. So forderte Kurt Wittmann, Mitglied der Württembergischen Landeskirche, die »unverzügliche Abwahl« der Synodalen Funcke, da diese »nicht mehr tragbar für das Kirchenvolk« sei (Schreiben Wittmann an die Württembergische Kirchenleitung; Aktenzeichen 18.52 LKAS A 226 Nr. 774). Auch Hans-Jürgen Neubert aus Pforzheim hatte die ›Entfernung‹ Funckes aus den Gremien der evangelischen Kirche gefordert. Dies geht aus einem Antwortschreiben Wilkens auf dessen Schreiben hervor, in dem dieser betonte, seitens der Kirche könne man sich »von einem Kraftakt, wie ihn die Entfernung aus kirchlichen Gremien darstellen würde« weder für sich noch für das öffentliche Klima noch für Funcke selbst etwas versprechen (Schreiben Wilkens an Neubert vom 30. 10. 1974; EZA 2/17498). Hugo Kranzusch, Pfarrer aus Hamburg, kontaktierte Funcke persönlich und forderte sie auf, im Falle ihre Zustimmung zu den »antikirchlichen Thesen« Konsequenzen im Blick auf ihre kirchlichen Ämter zu ziehen (Schreiben Kranzusch an Funcke vom 18. 10. 1974; Handakten Funcke). Die Liste ließe sich fortsetzen. 443 »Mit einem Wort, sie hat auf jede innerkirchliche Legitimation ihres Vorhabens verzichtet und Bedenken und Warnungen in den Wind geschlagen« (Schreiben von Campenhausen an Claß vom 6. 11. 1974; EZA 87/662). 444 Protokoll der 27. Sitzung des Rates vom 13./14. 12. 1974; EZA 2/17499. 445 Schreiben Kunst an Campenhausen vom 27. 12. 1974; EZA 87/662. 446 Vgl. Art. »Liselotte Funcke weist Vorwürfe von Präsident Frank zurück – Bundestagsvizepräsidentin über Angriffe befremdet«, in: epd Niedersachsen/Bremen Nr. 7/1975 vom 13. 1. 1975. 447 »Wer mich kennt, weiß, daß ich mich sachlichen Diskussionen grundsätzlich stelle.
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IV. EKD und Kirchenpapier
sie, schon lange von terminlichen Überschneidungen mit der Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages, dem sie vorsaß, gewusst und daher frühzeitig ihren Stellvertreter um Vertretung auf der Synode gebeten zu haben. Die Tatsache, dass es sich dabei um den Präsidenten der pfälzischen Synode und Staatsminister, Schneider, handelte, dessen deutlich ablehnende Haltung dem Kirchenpapier gegenüber schon vor seinem Parteiaustritt im Dezember 1974 bekannt war, lässt nun entgegen des Vorwurfs Franks vermuten, dass Funcke ihre eigene Anwesenheit auf der Synode der Schneiders vorgezogen hätte.448 Im Blick auf die Synode hatte sie die Hoffnung gehegt, durch eine differenziertere und detaillierte Diskussion des Papiers möglicherweise eine Änderung des Ratsvotum erreichen zu können, eine Hoffnung, die sich, nicht zuletzt auch aufgrund des Auftretens Schneiders auf der Synode, nicht erfüllte. Synode Berlin-Spandau: 3. bis 8. 11. 1974 Die Erörterung des Kirchenpapiers auf der Berliner Synode erfolgte im Kontext des Ratsberichts von Claß’ zum Thema »Kirche – Zeugnisgemeinschaft in der Zeit«, in dem dieser das Kirchenpapier zwar an keiner Stelle explizit erwähnte, jedoch »durch die Blume«449 umso deutlicher auf dessen ideologischen Hintergrund Bezug nahm. Den Kontext seiner dahingehenden Bemerkungen bildeten die Ausführungen zur Aktualität der Zeugnisgemeinschaft der Kirche in der Gegenwart, die Claß zunehmend durch eine »Unvernünftigkeit der Vernunft«450 sowie einen »Wachstumsfetischismus«451 herausgefordert sah. Claß konstatierte ein Aufleben des kritischen Rationalismus’, mit dem eine scharfe Theologie- und Kirchenkritik einherging, insofern der Rationalismus dem Menschen zunehmend zum eigentlichen Glaubensinhalt werde.452 Die Tatsache, dass dieser Rationalismus immer mehr auch Einzug in politische Forderungen erhalte, die dadurch »wieder den Charakter einer So habe ich über die Kirchenthesen – wo immer ich darum gebeten wurde – vielfältig diskutiert: In Kirchengemeinden, theologischen Fakultäten, katholischen Orden, im Evangelischen Männerwerk, mit Kirchenleitungen und Synodalen. Ich fi nde es daher befremdend, daß eine notwendige sachliche Diskussion mit solchen Angriffen geführt wird« (ebd.). 448 »Ich gehe davon aus, daß auf der Synode das Thema nicht ausgeklammert werden kann. Das macht es nicht leicht für Sie. Würde ich da sein, würde ich die Herausforderung, wenn sie sich stellt, annehmen und gegen die Pauschalwertung angehen« (Schreiben Funcke an Schneider vom 23. 10. 1974; Handakten Funcke). 449 Berlin-Spandau 1974, 67. So Schneiders Umschreibung zur Behandlung des Kirchenpapiers durch den Ratsvorsitzenden. 450 Ebd., 57. 451 Ebd. 452 »Ich glaube an die Vernunft. Dies wird mit einem auf klärerischen Pathos vorgetragen, als ob die Unvernünftigkeit der Vernunft nicht offen am Tage läge« (ebd.).
3. Die »Nachwehen« des Kirchenpapiers
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Heilslehre«453 annähmen, mache ein Bekenntnis an »Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde« aktueller denn je. Hier erfolgte nun auch die kritische Bezugnahme auf das weitere Umfeld des Kirchenpapiers, indem Claß betonte: »Wer meint, mit diesem Glauben [sc. erster Artikel des Glaubensbekenntnisses] würde den Kindern Angst eingejagt, würde die Entwicklung zum emanzipierten Menschen verhindert und das Volk verdummt, der muß natürlich daran interessiert sein, das Wirken der Kirche soweit als möglich einzuschränken. Wer die Auffassung vertritt, auf dem Boden des christlichen Glaubens würden doch nur Dogmatismus, Fanatismus und Intoleranz gedeihen, muß der Verkündigung dieses Glaubens Einhalt gebieten. Solche Angriffe sind in der Geschichte der Kirche nichts Neues. Es wäre eigenartig, wenn es sie nicht gäbe. Wir sollten ihnen gelassen und freimütig entgegentreten.«454
In der Aussprache zu seinem Bericht musste sich Claß mehrfach zu seinen kritischen Äußerungen zum Rationalismus positionieren und insbesondere den Vorwurf zurückweisen, die Vernunft in irgendeiner Weise abqualifi zieren zu wollen.455 Claß betonte, seine Ablehnung richte sich nicht gegen die Vernunft, sondern deren Reduktion auf eine kritische Rationalität, die sich in der gegenwärtigen Überzeugung manifestierte, mit der Vernunft alles regeln zu können. Eine Überzeugung, die nun auch im Hintergrund des Kirchenpapiers stehe, insofern Bangemann ihm bestätigt habe, dass Hans Alberts »Traktat über die kritische Vernunft« im Hintergrund des Kirchenpapiers stehe. Ferner habe Genscher in seiner Eröffnungsrede auf dem Hamburger Parteitag jene »kritische Rationalität als das Prinzip beschworen, mit dessen Hilfe man heute liberale Politik treiben könne und treiben müsse.«456 Claß mahnte vor diesen unkritischen Appellen an die Vernunft und betonte als sein Anliegen, ihren angemessenen Stellenwert sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch für den Bereich der Kirche zu bestimmen. Eine Anwendung der Vernunft auf den kirchlichen Bereich sei, so Claß, insofern beschränkt, als sie zur Klärung von ethischen Fragen nicht ausreiche und ebenso wenig die möglicherweise in Zukunft nötig werdenden Tugenden »Geduld, Durchstehvermögen und Leidensbereitschaft«457 vermitteln könne. 453
Ebd., 58. Ebd., 57 f. 455 »Ich bin fortan ›Irrationalist‹ in Ihrer Mitte, ›Vernunftstöter‹ und dergleichen. Ich tröste mich mit Wilhelm Busch: ›Ist der Ruf erst ruiniert, lebt der Mensch recht ungeniert‹. In diesem Sinne lassen Sie mich ›ungeniert‹ antworten [. . .]« (ebd., 106). 456 Ebd., 108. 457 Ebd. Jene Äußerungen standen im Kontext von Claß grundsätzlichem Plädoyer nach einem Mehr an Theologie in der Kirche, wodurch er der zunehmenden Ideologiesierung der Kirche begegnen wollte. Württembergisch-pietistisch sprach er sich dafür aus, »biblisch-theologisch zu versuchen, die Vergangenheit in die Gegenwart einzubringen« 454
548
IV. EKD und Kirchenpapier
Insgesamt sieben Synodale nahmen im Kontext der Aussprache zum Ratsbericht Bezug auf das FDP-Kirchenpapier, darunter mit Schneider und Ronneburger zwei liberale Politiker, die sich in den vergangenen eineinhalb Jahren intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt hatten. Schneiders breites Votum mutete einer Apologie seiner Person und Position an, insofern er sich gleich zu Beginn von dem Kirchenpapier distanzierte und betonte, zwar als Stellvertreter Funckes an dieser Synode teilzunehmen, jedoch keineswegs deren Meinung dazu zu teilen. Schneider bezeichnete das Papier als »politische Fehlleistung ersten Ranges«458 und kritisierte in Übereinstimmung mit der Ratserklärung insbesondere die Diskrepanz zwischen Präambel und Thesen, eine Diskrepanz, die den »illiberale[n] Geist des Diktats«459, der den Thesen innewohne, deutlich zum Ausdruck brachte. Er forderte die Kirchen zu einer klaren Stellungnahme auf, wohingegen er seiner Partei den Rat gab, »eine solche Fehlleistung offiziell dem Papierkorb anzuvertrauen.«460 Während sich bei Schneider der Eindruck nicht erwehren ließ, seine Meinung unbedingt vor der Synode kundtun zu wollen, war bei Ronneburger eine gewisse Zurückhaltung zu erkennen, die mit seiner von ihm als nicht unkompliziert empfundenen Doppelrolle, als Politiker und Kirchenvertreter zugleich zu agieren461, zu tun hatte und nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen war, dass seine grundsätzlich befürwortende Haltung gegenüber dem Kirchenpapier ohnehin auf nicht viel Verständnis bei den Mitsynodalen stieß. Hierin lag wohl auch begründet, dass er sich nicht zu den Inhalten des Papiers äußerte, sondern sein Votum sich auf die Reaktion der EKD darauf bzw. auf ähnlich gestellte Anfragen an die Kirche bezog. Der dahingehende Anknüpfungspunkt innerhalb des Ratsberichts war der Appell Claß’ zu einem gelassenen und freimütigen Umgang mit jenen ideologischen Anfragen an den christlichen Glauben. Ronneburger erachtete ein solches Vorgehen als unangemessen und einen Rückzug der Kirche auf die Positionen und Personen, die mit ihr einer Meinung waren.462 Sein Plädoyer (ebd., 106), ein Anliegen, das sich nicht zuletzt in seinem Ratsbericht zeigte, in dem er die Arbeit des Rates in den weiteren Kontext des Eingebundenseins der Kirche in der Geschichte stellte, das er anhand markanter Eckpunkte explizierte. 458 Ebd., 68. 459 Ebd., 69. 460 Ebd., 70. 461 »Und ich habe deswegen gezögert, weil ich möglicherweise zu diesem Thema von Ihnen in einer Doppelrolle gesehen werde, als Vertreter einer politischen Partei, die sich mit einer solchen Frage beschäftigt hat, und als Mitglied dieser Synode, und, wenn ich das hinzufügen darf zur Klarstellung als einer, der in seiner Kirche seine geistliche Heimat sieht« (ebd., 95). 462 »Herr Ratsvorsitzender, ich frage Sie mit allem Ernst, ist das die Antwort der Evangelischen Kirche in Deutschland auf dieses Papier? Ich – und ich glaube viele andere im politischen und kirchlichen Raum – würden sich von ihrer Kirche alleingelassen fühlen, wenn dies tatsächlich die Antwort wäre« (ebd., 95 f.).
4. Zusammenfassung
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an die Kirche ging dahin, engagierter als bisher auch mit denen das Gespräch zu suchen, die nicht schon von Anfang ihrer Meinung seien und auf diese Weise als stabile Kirche mobil zu bleiben. Ließen sich in den Voten Claß’, Schneiders und Ronneburgers ihre vertrauten Positionen erkennen, so war der Blick auf die Stellungnahmen interessant, die jene Synodalen machten, die sich aus einem gewissen Abstand heraus dazu positionierten. Dabei nahmen Hellmut Sieglerschmidt und Sieghard-Carsten Kampf kritisch Bezug zum Verhalten der EKD. Sieglerschmidt fragte an, »wie es denn eigentlich um das kirchliche Selbstbewusstsein dieser Diskussionsgegner [sc. der kirchlich verbundenen Gegner des Papiers]«463 stehe, »wenn sie so nervös auf ein Papier reagieren, das ja unbestritten Fragen der Glaubens- und Gewissensfreiheit, den status konfessiones, in keiner Weise«464 tangiere. Kampf hingegen kritisierte die Tatsache, dass bis jetzt und im Gegensatz zur katholischen Kirche noch keine klare Erklärung erfolgt sei, »die in der deutschen Öffentlichkeit registriert wird als Stellung nahme der EKD.«465 Die Äußerungen der Synodalen Frost und Jung bezogen sich auf den weiteren Umgang der EKD mit dem Kirchenpapier. Hier votierte Gerd Frost dafür, das Kirchenpapier zwecks Vermeidung eines »Eindruck[s] der Selbstgefälligkeit«466 nicht zu ignorieren, sondern als Material zu verwenden, um in eigener Regie das Verhältnis von Staat und Kirche zu überprüfen. Das für die nächste Synode beschlossene Thema Volkskirche schien ihm in diesem Zusammenhang »eine gute Fügung«467 zu sein. Kampf forderte eine grundsätzliche und intensive Auseinandersetzung der Kirche mit der Ideologiefrage, da nur dadurch gewährleistet werden könnte, auf dahingehende Anfragen von außen informiert und präpariert zu reagieren. Im Blick auf das FDP-Kirchenpapier, so Kampf, hätten die »zureichenden Voraussetzungen für eine Diskussion auf dem dafür erforderlichen Niveau«468 schlichtweg gefehlt.
4. Zusammenfassung Eine Zusammenschau der Diskussionsprozesse, wie sie sich im Rat der EKD und in den Landeskirchen vollzogen, verweist auf die bereits konstatierte grundsätzlich ablehnende Haltung der evangelischen Kirche dem Kirchen463 464 465 466 467 468
Ebd., 101. Ebd. Ebd. Ebd., 88. Ebd. Ebd., 84.
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IV. EKD und Kirchenpapier
papier der FDP gegenüber. Die häufigsten Kritikpunkte bestanden zunächst ganz allgemein in einer fehlenden Einsicht in die Notwendigkeit der Debatte zu diesem Zeitpunkt sowie dem Vorwurf, dass sich hier eine Partei in kirchliche Angelegenheiten einmischte mit der Intention, die Verhältnisbestimmung von Kirche, Staat und Gesellschaft zuungunsten der Kirche zu verändern. Inhaltlich kritisierte man insbesondere den dem Kirchenpapier zugrunde liegenden Freiheitsbegriff, den man als abstrakt und formal im Sinne einer einseitigen »Freiheit von« und damit im Gegensatz zum christlichen Freiheitsbegriff einer »Freiheit zu« defi nierte. Auch in der artikulierten Vorstellung einer weltanschaulichen Neutralität des Staates sah man jene Beziehungslosigkeit gegeben, die sich nach Meinung der Kirchen in dem Wunsch der liberalen Partei nach einer »chemisch rein[en]«469 Trennung von der Kirche ausdrückte. In diesem Kontext stand zudem die Kritik an der fehlenden Berücksichtigung des Faktors Gesellschaft als dem Bereich, in dem Staat und Kirche sich in Form des konkreten Menschen begegneten, was gleichsam auch das gegenwärtige partnerschaftliche Verhältnis beider zueinander legitimierte. Obwohl die Landeskirchen und der Rat in dieser grundsätzlichen ablehnenden Kritik übereinstimmten, vollzogen sich die Diskussionsprozesse auf unterschiedliche Art und Weise. War der Rat insgesamt darum bemüht, dem Kirchenpapier der FDP nicht mehr Bedeutung beizumessen, als nötig war, und die innerkirchliche Diskussion darüber möglichst gering zu halten, so zeigten die Landeskirchen insgesamt ein größeres und anderes Interesse an der Thematik, das zu einer teilweise intensiven Auseinandersetzung mit den Einzelthesen führte. Zustimmung fanden dabei jene Thesen, die bereits seit längerer Zeit auch in der evangelischen Kirche diskutiert wurden: so die Frage zur Seelsorge in staatlichen Institutionen sowie die rechtliche Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit anderen Staatsbürgern. Für durchaus diskutabel hielten einige Landeskirchen weiterhin die Thesen zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen sowie zur Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Gremien. Die wirklich heiklen Thesen stießen hier indes ebenfalls auf Ablehnung. Die Frage nach der Bedeutung des Kirchenpapiers für die evangelische Kirche muss differenziert betrachtet werden und ist trotz der grundsätzlich ablehnenden kirchlichen Haltung dem Kirchenpapier gegenüber nicht einfach nur negativ zu beantworten. Sie ist vielmehr auf zwei Ebenen zu sehen. Rein inhaltlich betrachtet hatte das Kirchenpapier kaum Bedeutung. Der Rat setzte sich nur marginal mit seinen Inhalten auseinander, und das Urteil 469 So der schleswig-holsteinische Vorsitzende des Evangelischen Presseverbandes Nord Gerd Heinrich in der gemeinsamen Stellungnahme der sechs Oberkirchenräte des schleswig-holsteinischen Landeskirchenamtes (siehe Kap. IV.2.1.1.).
4. Zusammenfassung
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der Landeskirchen, gleichwohl es differenzierter ausfiel, war ebenfalls von grundsätzlicher Ablehnung geprägt. Eine sachliche inhaltliche Debatte scheiterte von vorneherein aufgrund des so stark kritisierten Entstehungshintergrunds des Kirchenpapiers. Die Kritik an der Diskrepanz zwischen Präambel und Thesen, die sich durch jene Frage von Heyls, warum »so wenige Thesen einer Überprüfung« standhielten, »wenn man die Frage stellt, inwieweit ihre Verwirklichung die Kirche frei und den Staat freier machen würde«470, ausdrückte, brachte jene Vorbehalte gegenüber einer weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung zum Ausdruck. So fanden auch die Stimmen, die manche Thesen für durchaus diskutabel erachtet hatten, kaum Gehör. Eine gewisse Bedeutung des Kirchenpapiers lag indes in der schlichten Tatsache begründet, dass insbesondere in den Gliedkirchen der EKD eine Auseinandersetzung mit dem Kirchenpapier erfolgte, die intensiver und differenzierter als auf Ratsebene stattfand. Es ist davon auszugehen, dass eine Ausweitung der Untersuchung auf die Diskussionsprozesse in den Gemeinden und Kirchenkreisen ein noch größeres Echo auf das Kirchenpapier ergeben und jene, von von Mutius konstatierte »merkwürdige Aufnahmebereitschaft«471 des Papiers bestätigt hätte.472 Der Rat sah sich mit jenen Prozessen konfrontiert, die dabei zum Teil über seine Empfehlung zur Zurückhaltung hinausgingen. Sie, und nicht zuletzt die Voten jener Synodalen auf der EKD-Synode, die als nicht unmittelbar in die Debatte Involvierte die EKD zu einer intensiveren Auseinandersetzung aufforderten, veranlassten letztlich auch die offizielle Erklärung des Rates zum Kirchenpapier.473
470
Heyl, Prinzip, 66 f. Vgl. Referat Mutius am 16. 5. 1973, 4; EZA 87/662. 472 Darauf verweisen zahlreiche Hinweise in den landeskirchlichen Aktenbeständen auf Diskussionsprozesse in einzelnen Gemeinden und Kirchenkreisen, denen im Einzelnen nicht nachgegangen werden konnte. 473 »Die bisherige Zurückhaltung wurde in der Publizistik wohlwollend aufgenommen. Nunmehr erwartet die Öffentlichkeit jedoch eine Stellungnahme seitens der EKD. [. . .] Auch die Gemeinden, in denen einzelne Forderungen des sog. Kirchenpapiers im Rahmen der Diskussion um die Kirchenreform erörtert und teilweise begrüßt werden, erwarten ein Votum kirchenleitender Gremien« (Überlegungen zur Diskussion um das sog. Kirchenpapier; Schreiben Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder vom 7. 10. 1974; EZA 87/661). 471
Resümee Die eingangs formulierte Frage, was die FDP dazu bewogen hat, das Kirchenpapier in den Jahren 1973/74 auf die politische Tagesordnung zu setzen, lässt sich durch seine Entstehungsgeschichte und seinen grundsätzlichen Charakter als Produkt einer durch die Jungdemokraten aufoktroyierten Thematik nunmehr beantworten. Es ist davon auszugehen, dass die FDP die Entwicklung eines Kirchenpapiers solchen Inhalts zu diesem Zeitpunkt von sich aus nicht thematisiert hätte. Für diese Annahme spricht das Bemühen der liberalen Partei in den Jahren 1971/72 um eine Intensivierung der Kontakte zu den Kirchen, insbesondere zur katholischen Kirche, das nun nicht nur im Sinne einer Annäherung an die Kirchenpolitik der SPD verstanden werden durfte, die es geschafft hatte, sich als kirchenfreundliche Partei zu etablieren. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass die Kirchenpolitik der Koalitionspartnerin Einfluss auf die Kultur- bzw. Kirchenpolitik der FDP nahm. Die Tatsache, dass die liberale Partei die Umsetzung der in der »Nürnberger Wahlplattform« angekündigten, ebenfalls die Trennung von Staat und Kirche fordernden Aussagen nicht weiter verfolgt hatte, mag in diesem Zusammenhang gesehen werden und bestätigt ganz allgemein, dass das Thema Staat und Kirche in den Jahren 1973/74 in der FDP nicht oben auf war; erst recht nicht mit der Intention, es kritisch in Frage zu stellen. Die weitgehende Aussparung dahingehender kultur- bzw. kirchenpolitischer Ausführungen in den programmatischen Aussagen jener Zeit bestätigt diese grundsätzliche Stimmung. Der Versuch einer Verortung des Kirchenpapiers in die kultur- und kirchenpolitische Programmatik der liberalen Partei macht deutlich, dass es nicht so sehr die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche war, die die liberale Partei Kritik an dem Jungdemokratenpapier üben ließ, als vielmehr dessen antireligiöser Charakter, der sich bereits im Titel des Papiers ausdrückte – Liberalismus und Christentum als zwei sich widersprechende Weltanschauungen –, und der den konkreten Forderungen lediglich eine exekutive Funktion im Blick auf das eigentliche Anliegen zusprach, die Religion und ihre Institution Kirche aus dem Bereich der Gesellschaft zu verdrängen. Die FDP und insbesondere ihre kirchenfreundlich eingestellten Parteiglieder waren von Anfang an bemüht, dem Kirchenpapier jenen antireligiösen und antikirchlichen Charakter zu nehmen; ein Anliegen, das ob
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Resümee
der steten Präsenz des Jungdemokratenpapiers nur bedingt umgesetzt werden konnte. Die Differenz zwischen jungdemokratischer Kirchen- und Kulturpolitik, die im Blick auf eine Trennung von Staat und Kirche von der liberalen Partei zum Teil, wenn auch, wie die Diskussion der Einzelthesen belegt, in partiell deutlich abgeschwächter Form mit vertreten wurde, und einer liberalen Kultur- und Kirchenpolitik, die sich im Blick auf das Verhältnis zu Kirche und Religion nach wie vor in der Tradition des »geläuterten Liberalismus« der 1950er und 1960er Jahre verstand, zeigte sich in der so häufig kritisierten Diskrepanz zwischen Präambel und Thesenkatalog. Die Frage, ob das Kirchenpapier der FDP noch als Ausdruck oder eher als Ende jenes »geläuterten Liberalismus« verstanden werden muss, kann daher nur im Sinne eines Weder – Noch beantwortet werden. Es ist anzunehmen, dass sowohl das Kirchenpapier als auch die Reaktionen darauf anders ausgefallen wären, wenn die FDP dieses von sich aus und ohne jenen so scharf kritisierten jungdemokratischen Hintergrund entwickelt hätte. Ob sich indes die evangelische Kirche intensiver mit seinen Inhalten befasst hätte, ist aus mehreren Gründen eher unwahrscheinlich. So hatte sich während des gesamten Diskussionsprozesses immer wieder gezeigt, dass die FDP für die EKD eine Partei von nicht allzu großer Bedeutung war. Obwohl sich das Verhältnis insgesamt verbessert hatte, begegnete man sich nach wie vor mit einer freundlichen Distanz. Spätestens die »Nürnberger Wahlplattform«, die gleichermaßen den Zusammenhang der ersten Erwähnung der FDP im Kirchlichen Jahrbuch überhaupt lieferte, hatte jene Distanz zunächst bestätigt. Interessant ist in diesem Kontext die Frage, ob man in der evangelischen Kirche anders mit jener Anfrage umgegangen wäre, wenn diese von einer der beiden großen Volksparteien gestellt worden wäre. Hier hätte die Sorge um eine mögliche Umsetzung seiner Inhalte vermutlich zu einer intensiveren Auseinandersetzung geführt. Diese war jedoch ob der entschiedenen Ablehnung des Kirchenpapiers durch SPD und CDU/CSU nicht gegeben. Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Kirchenpapiers durch die evangelische Kirche bestand in der fehlenden Einsicht in die Notwendigkeit einer Thematisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu diesem Zeitpunkt. Hier rekurrierte man auf die von Willy Brandt im Januar 1973 in seiner Regierungserklärung konstatierte Partnerschaft von Staat und Kirche, die von Helmut Schmidt 1974 so übernommen worden war und die die evangelische Kirche durch ihre gegenwärtige Position in Staat und Gesellschaft bestätigt sah. Nicht zuletzt den Umgang mit dem Kirchenpapier selbst führte man in diesem Kontext an: »Zu den wichtigen Faktoren des Erscheinungsbildes der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland gehört eine bemerkenswerte Festigkeit ihrer Stellung in Staat,
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Politik und Gesellschaft. [. . .] Man kann diese Stellung der Kirchen daran ablesen, wie im Jahre 1974 die Auseinandersetzung über die Thesen der FDP zum Verhältnis von Kirche und Staat geführt worden ist.«1
Zu berücksichtigen ist hier jedoch, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit der in dem Kirchenpapier artikulierten Anfrage an das Verhältnis von Staat und Kirche von vorneherein aus mehreren Gründen scheiterte. Hier spielte zunächst die grundsätzliche Tatsache, dass jene Anfrage von einer politischen Partei artikuliert worden war, eine bedeutende Rolle. Hinzu kam, dass jene Partei zudem einer Tradition entstammte, deren Ballast in kirchen- und kulturpolitischer Hinsicht während des gesamten Diskussionsprozesses präsent war. Hierzu hatte entscheidend das Jungdemokratenpapier »Liberalismus und Christentum« beigetragen, dessen antireligiöser und antikirchlicher Charakter Assoziationen zur Kulturpolitik jener radikal-demokratischen liberalen Strömung des Vormärz sowie zu der von den vor allem Nationalliberalen zunächst unterstützten Kulturpolitik des Bismarckschen so genannten Kulturkampfes hervorriefen. Die Tatsache, dass das Kirchenpapier mit manchen Thesen durchaus innerkirchliche Reformansätze aufgriff, wurde daher aufgrund der in der Genese und traditionellen Verwurzelung begründeten Ablehnung ihm gegenüber nur marginal berücksichtigt. Als inhaltliche Anfrage an das Verhältnis von Staat und Kirche war das Kirchenpapier somit kaum von Relevanz. Die Tatsache, dass sowohl die liberale Partei als auch die evangelische Kirche sich nach seinem Beschluss nicht mehr damit beschäftigten, bestätigt dies. Die Bedeutung des Kirchenpapiers lag vielmehr im Grundsätzlichen begründet. Sie zeigte sich in jener Aufnahmebereitschaft, die das Papier in der Öffentlichkeit fand, und die sich in seiner breiten Diskussion und der damit einhergehenden Publizität ausdrückte. Die Tatsache, dass man jene Anfrage an die Stellung der Kirche im Beziehungsgeflecht Staat – Kirche – Gesellschaft so intensiv diskutierte, führte nun auch innerhalb der Kirche zu einer differenzierteren Beurteilung im Blick auf die Existenz des Kirchenpapiers, die von einem Angriff auf die Volkskirche bis hin zu seiner Beurteilung als Chance zu einer weiteren Selbstreflexion der evangelischen Kirche reichte. In der in dieser Hinsicht vollzogenen unterschiedlichen Beurteilung drückte sich jene, in der Einleitung konstatierte Suchbewegung der evangelischen Kirche Anfang der 1970er Jahre aus, die im Kontext der beschriebenen Prozesse ab etwa Mitte der 1960er Jahre ihren Ursprung hatte. Auf die fundamentalen »traditionellen Grundlagen des kirchlichen Lebens« 2 seiner Zeit nahm das Kirchenpapier keinen Einfluss; im Blick auf das 1
Erwin Wilkens in: KJ 1974, 11. Hauschild, Evangelische Kirche, 59. Hauschild zählt dazu u. a. die Verfassungs- und Gemeindestrukturen, die Situation als Volkskirche, die Finanzlage der Kirche sowie die Beziehung zwischen Kirche und Staat. 2
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gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche kann es indes durchaus als weiteres Schlaglicht jener zeitgeschichtlichen »Inkubationszeit einer langfristigen Transformation der evangelischen Kirche« 3 verstanden werden, als einige seiner Inhalte heutzutage ihre Umsetzung gefunden haben oder Gegenstand staatlicher und kirchlicher Beratungen sind.
3
Ebd.
Anhang Anhang 1: Antrag des Kreisverbandes Hagen der Deutschen Jungdemokraten: Liberalismus und Christentum* I. Zielsetzung Liberale Politik ist angelegt auf die Verwirklichung des in der jeweiligen historisch-materiellen Situation möglichen Maßes an Freiheit für die größtmögliche Zahl. Unter den historischen Bedingungen der bürgerlichen Revolution bedeutete dies für das Verhältnis von Kirche, Staat, Bürgertum die Emanzipation des Bürgertums von der Bevormundung durch die aus dem feudalen Staat überkommenen Autoritätsstrukturen. Die emanzipatorischen Ziele umfaßten entsprechend dem Bemühen des Bürgertums nach wirtschaftlicher Autonomie so viel Freiheit des einzelnen wie möglich, deshalb wie [!] so wenig Staat wie nötig. In der Konsequenz dieser individualstaatlichen Auffassung lag es, daß das Auftreten der Kirchen als Institution und die Religionsausübung in den privaten Bereich verwiesen wurden. Die Auf klärung lieferte die ideologische Rechtfertigung, indem sie den Wert des einzelnen Menschen als eines vernunftsbegabten, zur Erkenntnis seines eigenen gesellschaftlichen Stellenwertes befähigten Wesens herausstellte und die Fähigkeit zu religiöser Meinungsbildung betonte. Den ökonomischen Hintergrund bildete die machtpolitische und wirtschaftlichpolitische Verflechtung und teilweise Identität von Feudalstaat und Kirche. Das Grundgesetz entspricht in weiten Teilen, soweit es den Bereich Kirche-Staat-Bürger betrifft, diesem liberalen Geist der bürgerlichen Emanzipationsbestrebung; es kennt keine Staatskirche (vgl. Art. 137 Abs. 1 WRV, übernommen in das Grundgesetz mit den Art. 136, 138, 139, 141) und sichert die Religionsfreiheit sowie die freie Entfaltung der Persönlichkeit ohne Ansehen der religiösen Überzeugung ausdrücklich zu. Allerdings sind nicht einmal diese Forderungen eingelöst, durch die Rezeption der Art. 136 ff. WRV wurden wesentliche feudalstaatliche Relikte wieder in die Verfassung eingeschleust (z. B. staatlicher Kirchensteuereinzug). *
Abschrift. Zum Original vgl. AdL 11414.
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Unter den historischen Bedingungen des spätbürglerlichen [!] Monopolkapitalismus führen die individuellen Freiheitsrechte der Bürger dahin, daß die gesamtgesellschaftliche Emanzipation sogar verhindert wird (Art. 14, Abs. 1 Unantastbarkeit des Eigentum [!]). Denn unter dem jetzigen Stand der Produktivkräfte ist ein größtes Maß an Freiheit möglich. Der Freiheitsbegriff gewinnt damit eine andere Qualität. Freiheit ist zu defi nieren als die optimale Befriedigung individueller und sozialer Bedürfnisse. Eine Analyse der BRD ergibt, daß die Interessen der Herrschenden sich gegen die objektiven Interessen der Bevölkerungsmehrheit richten und damit eine Befriedigung der wirklichen sozialen Bedürfnisse verhindern. Die Kirchen, die sich stets mit den Herrschenden verbanden, tragen durch Ideologiebildung zur Erhaltung der systembedingten Unfreiheit bei. Organisierter Liberalismus mit dem Ziel der Freiheit der größtmöglichen Zahl sieht daher heute das Wirken der Kirchen im politisch-gesellschaftlichen Bereich als sozialschädlich an. Er erteilt deshalb der herrschenden Auffassung von unserer pluralistischen Gesellschaft eine klare Absage. Diese verschleiert nur die tatsächlichen, mit dem liberalen Prinzip unvereinbaren Macht- und Herrschaftsverhältnisse und wird der herrschaftsstabilisierenden, ideologiebildenden Funktion der Kirchen nicht gerecht. Erste Grundvoraussetzung für die Errichtung einer liberalen Gesellschaft ist somit die konsequente Trennung von Staat und Kirche, d. h. die Beschränkung der Kirchen auf den »transzendenten« Bereich. Liberalismus wendet sich gegen klerikale Einflußnahme auf Staat und Gesellschaft; sachund wesensfremde Entscheidungen dürfen bei der politischen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens keine Rolle spielen. Liberale Politik hat zunächst die traditionelle Forderung des klassischen Liberalismus nach der weltanschaulichen Neutralität des Staates einzulösen. D.h. Liberalismus setzt sich ein für die konsequente Trennung von Staat und Kirche und für die Beseitigung des Klerikalismus in der BRD. Liberale Politik richtet sich gegen: 1. den Mißbrauch der weltlichen Macht zur Durchsetzung von kirchlichen Angelegenheiten 2. den mißbräuchlichen Einsatz der kirchlichen Autorität in öffentlich-politischen Belangen 3. die Bestimmung von Sachentscheidungen durch konfessionelle Gesichtspunkte. Organisierter Liberalismus ist auf klärerisch-rational. Er geht davon aus, daß die menschliche Erkenntnisfähigkeit die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung humaner Gesellschaften ist. Der Prozeß der Erkenntnis der gesellschatfl ichen [!] und individuellen Interessen ist abhängig von der jeweiligen historisch-ökonomischen Situation und daher prinzipiell unvoll-
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endet. Liberalismus wendet sich daher gegen die Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den totalen Anspruch auf letzte Wahrheiten erheben. Liberalismus weist daher insbesondere den Anspruch des Christentums auf Überlegenheit der geistlichen Macht über die staatlich [!] Macht, der seine Begründung aus einer angeblich vorgegebenen objektiven Wertordnung erfährt, die mit der natürlichen und übernatürlichen Gottesoffenbarung identisch sei zurück. Die Deutung weltlichen Geschehens aus überirdisch-jenseitig verankerten, rational nicht überprüf baren Inhalten, die ein auf klärerisch motiviertes politisches Handeln verhindert, ist ein Kriterium jeder Religion. Zweite Grundvoraussetzung für die Errichtung einer liberalen Gesellschaft ist deshalb die Überwindung von Religion, d. h. die Bindung des Menschen an letzte Glaubenswahrheiten – unabhängig von reaktionären, konservativen oder progressiven Einzelaspekten der Glaubensaussagen. Liberalismus will die progressiv-humanen Inhalte von Religion aus dem verschleiernden Kontext mit dem jenseitigen Erlösungsgedanken herauslösten [!]: Erst die Entfernung des religiösen Beiwerks macht den Weg frei für die reale Befreiung durch den emanzipierten Menschen. Liberale Politik unter den Bedingungen des Spätkapitalismus ist darauf angelegt, die ideologiebildende und herrschaftsstabilisierende Funktion von Religion bewußt zu machen. Langfristiges Ziel liberaler Politik ist die Überweindung [!] von Religion als im Irrationalen gründende Weltanschauung, da durch ihre Ideologie die Erkenntnis sozialer und individueller Bedürfnisse verhindert wird. II. Analyse Religiös motivierte Handlungsweisen lassen sich, da sie jenseitig orientiert sind, nicht mit kritischem Bewußtsein versöhnen. Es bedarf keines Beweises, daß repressiv-autoritär angelegte Religionen die Emanzipation des Menschen stets behinderten. Aus unserer Sicht interessieren jedoch nicht die Religionen anderer Gesellschaften bzw. ihr Ursprung und ihre Entwicklung auf dem Hintergrund der jeweiligen historischen Situation. Die in der BRD relevante Ausprägung von Religion, mit der wir uns zu befassen haben, ist das Christentum. Diese Religion erweist sich als doppelsichtig, da sie sowohl ein repressiv-autoritäres als auch ein progressivutopisches Element hat. Das repressiv-autoritäre Element läßt sich kennzeichnen durch die Beziehung der unmündigen Kinder (Brüder) zum allwissenden Vater und schließt die Emanzipation der Kinder von dem Allmächtigen von vorneherein aus. Das progressiv-utopische Element besteht in dem Postulat der Gleichberechtigung aller Menschen, der unveräu-
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ßerlichen Menschenrechte (Brüderlichkeit und Nächstenliebe). Dieses utopische Potential bedeutete einen Fortschritt gegenüber anderen Religionen: Das Christentum konnte überhaupt erst entstehen und sich durchsetzen, weil es gesellschaftlichen Bedürfnissen und Interessen entsprach und sie besser als bestehende Religionen zu befriedigen verstand (Monogamie als Vorteil für die Frau gegenüber der bestehenden Vielweiberei). 1. Die historische Entwicklung hat jedoch bewiesen, daß sich im Christentum das repressiv-autoritäre Element gegenüber den progressiven Ansätzen durchsetzen konnte Denn in Jahrhunderten haben die Kirchen als die Träger der christlichen Religion die Unmündigkeit ihrer Anhänger dazu benutzt, ihre Privilegien auf alle Bereiche der Gesellschaft auszudehnen und ihre Positionen im Parlament, in Schule und Universitäten, im Sozialwesen und in den Massenmedien, sowie im gesamten Recht durchzusetzen, ohne zur realen gesellschaftlichen Befreiung der Unterdrückten beizutragen. Vielmehr erwiesen sich die Kirchen als eine übermächtige weltliche Macht, die sich in ihrer Geschichte als eine reaktionäre, inhumane Institution diskreditiert haben und damals wie heute aufgrund der Diskrepanz zwischen progressiv-utopischem Anspruch und praktizierter Wirklichkeit die repressiv-autoritären Elemente ihrer Religion voll zum Tragen brachten. 2. Der anachronistische Charakter der christlichen Religion führt zu einer hierarchischen, rückständigen Organisationsform der Kirchen und erschwert ihnen die Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen Die Kirchen bremsten Rebellion, kritische Frager, – bis sie integrabel waren – versöhnten die Abhängigen mit den bestehenden Mißständen, nutzten ihre Machtstellung nicht zugunsten eines kritischen politischen Engagement; Propagierung gottgewollten Sklaventums durch die Religionsschöpfer, Verkündigung gottgewollter Leibeigenschaft durch Luther, Versöhnung mit einer angeblich gottgewollten Hierarchie in beiden Kirchen. Der gegenauf klärerische Charakter der Kirchen, die eine unter feudalen Herrschaftsverhältnissen entstandene Religion repräsentieren, dokumentiert sich in ihrem Mißtrauen gegenüber jeglichen Neuerungen und in der Unterdrückung kritischer Kräfte innerhalb der Kirchen: Giordano Bruno wurde 1600 lebendig verbrannt, Galileo zum Widerruf gezwungen; Calvin brachte den Gelehrten Servet auf den Scheiterhaufen, als dieser sich weigerte, die Lehre von der Dreieinigkeit anzuerkennen. Die katholischen Theologen Küng und Rahner, die die beharrende Funktion der katholischen Kirche kritisierten, wurden mit Repressalien der Kurie bedacht. Ähnlich stießen die Verfechter der Entmythologisierung des Christentums (z. B. Barth, Bultmann) auf die heftige Kritik der evangelischen Amtskirche.
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Lassen sich Neuerungen, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr leugnen, so werden sie einer Erneuerung dienstbar gemacht, die schließlich doch um Jahrzehnte hinter der Entwicklung bleibt (Einstellung zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, zu Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsunterbrechung) oder an entscheidenden Problemen vorbeigeht (Revision des Heiligenkanons, beschränkte Mitspracherechte der Laien statt verstärkter Demokratisierung). Noch heute herrscht in Bayern, dem Bundesland mit dem größten katholischen Einfluß, der gravierendste Bildungsnotstand. Gelang es auch der evangelischen Kirche, flexibler auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen zu reagieren und sich scheinbar nachfeudalen Verhältnissen anzupassen, so ändert das nichts daran, daß die vermittelten Inhalte und die Kirchenstruktur vordemokratisch-autoritär bestimmt sind (z. B. Kirchenlieder, Liturgie). Können die Kirchen heute auch nicht mehr ihre kritischen Fraktionen öffentlich bekämpfen, so operieren sie heute mit ministerialbürokratischen Mitteln; erzwungene Rücktritte, gelenkte Ablehnungen von wissenschaftlichen Beiträgen, Verweigerung der Beteiligung an Kongressen. In dem Verwaltungs- und Machtapparat »Kirche« erweisen sich Reformen als Scheinreformen, da die bestehenden Verhältnisse nicht einer kritischen Prüfung unterzogen werden; umfassende juristische und fi nanzielle Privilegien integrieren sie völlig in das System, und sie erfüllt allenfalls die Funktion, Mißstände zu lindern, ohne jedoch an die wirklichen Ursachen zu rühren und eine konsquente [!] Demokratisierung in Staat und Gesellschaft zu fördern: Caritas und Sozialpflege statt radikaler Formen. 3. Die Verneinung der menschlichen Sexualität ist ein weiterer Ausdruck des von den Kirchen einseitig geförderten antiemanzipatorischen Charakters der christlichen Religion Die Autoritätsfi xierung der Kirchenmitglieder beruht deshalb nicht nur auf dem geschickten Auf bau eines stabilen Machtapparates, sondern auch auf einem von allen hierarchisch gegliederten Organisationen benutzten psychologischen Steuerungsmechanismus: Die Unterdrückung der Lebensfreude und Sexualität durch Glorifi zierung von Askese, Opferbereitschaft oder Leiden und die damit erreichte Selbstunterdrückung (schlechte Gewissen) trieb und treibt noch heute die aktiven Christen in eine vollkommene Abhängigkeit. Darüberhinaus hat die christliche Sexualideologie den gesamten abendländischen Raum erfaßt und damit die Voraussetzungen für das Funktionieren einer den kirchlichen Vorstellungen entsprechenden allgemeinverbindlichen Wertordnung geschaffen, die in weite Bereiche der Gesetzgebung – insbesondere in das Strafrecht – Eingang gefunden hat. Autoritätsfi xierung durch Sexualunterdrückung erlaubte, Einstellungen zu kanalisieren, zu pervertieren und die Abhängigen zu jeder noch so irra-
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tionalen Tat zu mißbrauchen, da die Rechtfertigung durch nicht rational überprüf bare Glaubensinhalte geliefert wurde. Nicht gelebte Sexualität schafft Schuld – ein Zentralbegriff im Sprachgebrauch der Kirchen. Der repressive Zölibat ist nur der sinnfälligste Ausdruck – und garantiert gleichzeitig, daß sich die Gemeinde nicht von dem mit gleichsam übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Priester emanzipiert. Das Beharren selbst passiver Kirchenmitglieder auf christlichen Ritualen oder auf der Mitgliedschaft zeigt, daß die Bindung an die Institution verinnerlicht wurde. Nur so ist es auch zu erklären, daß die Zwangstaufe hilfloser Kinder (die dem Urchristentum nicht bekannt war) nie auf den Widerspruch einer breiten Bevölkerungsmehrheit gestoßen ist, sondern erst heutige Theologen sich dieses Problems angenommen haben. Teil der allgemeinen Lustfeindlichkeit ist die Unterdrückung der weiblichen Sexualität. Im Marienkult zeigte sich die Frauenfeindlichkeit besonders deutlich: Jungfräulichkeit, unterdrückte Sexualität als Vorbild für alle Frauen. Jahrhundertelang erzeugter Haß auf die weibliche Sexualität, pervertierte Lust musste notwendig zur Hexenverfolgung führen, der während des 13. bis 18. Jahrhunderts Millionen von Frauen zum Opfer fielen. Die frauenfeindlich-patriarchalische Haltung der Kirchen darf diesen nicht zum Vorwurf gemacht werden, sondern beruht auf tradierten Elementen des Christentums selbst. Es hat die Unterdrückung der Frau nicht erfunden, sondern spiegelt nur deren untergeordnete Rolle in der vorchristlichen Zeit wider. Was aber den Kirchen zum Vorwurf gemacht werden kann, ist der Umstand, daß sie die Unterdrückung der Frau nicht nur nicht als Problem aufgreift, sondern sie noch aktiv fördern, z. B. indem sie den § 218 StGB durchsetzten und erhalten, der die Frau zur Gebärmaschine entmündigt. 4. Die Sicherung und Erweiterung ihrer Position durch Versagung vitaler Lebensäußerungen brachte und bringt die Kirchen in die Nähe konservativ-autoritärer Regierungen und führte sie in ihrer Geschichte noch immer zu Bündnissen mit Diktaturen, konservativen Parteien und mit dem Faschismus. Die Kirchen verbanden sich für den Preis der Errichtung und Erhaltung des Staatskirchentums bedenkenlos mit autoritären, reaktionären und faschistischen Regimes, die wie sie an der Erhaltung der bestehenden Zustände interessiert waren und deren ideologiebildende Funktion sie für sich nutzbar machten: Bündnisse mit Mussolini, Hitler (Reichskonkordat 1933), mit Franco-Spanien, Südvietnam und mit dem CDU/CSU-Staat der 50er Jahre sind nur ein kleiner Ausschnitt. Die Gemeinsamkeit zwischen solchen Herrschaftsformen und den Kirchen hat die Bündnisse erleichtert. Strukturen und Ideologiender [!] Kirchen sind von der Feudalperiode geprägt und ragen als deren Relikte in die bürgerliche Epoche hinein, sie sind autoritär bestimmt
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und daher mit den Prinzipien der Demokratie im Grunde unvereinbar. Auch reaktionäre und faschistische Regimes weisen starke vordemokratische, vorindustrielle Elemente auf. Die Verherrlichung agrarischer, kleingewerblicher Lebensformen und soldatischer Tugenden, eine auf die keinen Selbständigen konzentrierte Anhängerschaft kommt den vorbürgerlich orientierten Kirchen entgegen. 5. Die Verbindung mit den jeweils Herrschenden koppelte den religiösen Absolutheitsanspruch der Kirchen eng an weltliche Machtmittel Die Folge davon ist, daß die Kirchen bis zur Gegenwart Millionen von Toten hinterlassen, Kriege angezettelt haben und – wo die Macht nicht mehr reichte – die Waffen gesegnet haben. Selbst heute ist von einem protestantischen Theologen zu hören: »Christen, die ihren Kriegsdienst unter den Augen Gottes ableisten, haben ihr Handwerk des Todes immer so verstanden, daß sie es im Namen der Liebe übten.« H. [!] Künneth drückt es so aus: »Selbst Atombomben können in den Dienst der Nächstenliebe treten.« Wer sich im Besitz der geoffenbarten Wahrheit glaubt, kann nicht tolerant sein, wer gleichzeitig Macht hat, treibt die Intoleranz bis zur Vernichtung und Verfolgung Andersdenkender – die Geschichte lehrt es. Christen gegen Christen, Christen gegen Juden, Heiden – nach vorsichtigen Schätzungen starben allein zur Zeit der Kreuzzüge 22 Millionen Menschen. Luther setzte diese Tradition durchaus fort, die Verteufelung der Juden und Heiden, des katholischen Erzfeinds und die Parteinahme für die herrschaftsständische Ordnung bis hin zum offenen Aufruf gegen die aufständischen Bauern. Die Sicherung der Reformation durch das feudal-fürstliche System brachte keine entscheidende Neuorientierung der entstehenden Kirche, und das Staatskirchentum in Preußen zeigte dann die machtorientierte Politik, die sich nicht hinter die berechtigten Forderungen der Arbeiterschaft stellte, sondern allenfalls Ausbesserung der vom Frühkapitalismus geschlagenen Wunden forderte. Für Unzählige wurden die Kirchen zu einer Institution, die sich selbst gegen die eigenen Anhänger richtete und viel weniger wohltätig war, als sie dem Anspruch nach zu sein behauptete. Denn wo haben sich die Kirchen als solche jemals auf die Seite der Unterdrückten gestellt, wo den Schrittmachern für progressive Strömungen gespielt? Einzelpersonen können nicht für die Gesamtorganisation stehen. Die Situation in Lateinamerika ist kein Argument, denn schließlich ist man dort gesellschaftlich auf einer feudalistischen Stufe und geistig auf einer vorauf kläerischen [!] Stufe stehengeblieben, so daß soziale Veränderungen aus vorhandenen hervorgehen müssen.
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6. Das Bündnis mit den jeweils Herrschenden erlaubte den Kirchen auch die zur Sicherung ihrer Existenz notwendige materielle Ausbeutung der Abhängigen Entgegen den Idealen der Demut, Bescheidenheit und Nächstenliebe beteiligen sich die Kirchen am weltlichen Gewinnstreben und zählen heute zu den reichsten Organisationen der Bundesrepublik. Allein aus Spenden nehmen sie jährlich 400 bis 500 Millionen DM ein, die Kirchensteuereinnahmen betrugen 1965 28 Milliarden DM und werden bis 1975 voraussichtlich auf 6 Milliarden anwachsen. Dazu kommen Beteiligungen an Banken und zahllosen Firmen, Einnahmen aus Ländereien, Pachten, Erbbauzins, aus Verlagen, Druckereien, Krankenhäusern, Kindergärten, aus unzähligen Sammelaktionen, Spenden und Hilfswerken, Missionsorganisationen usw. Noch heute verfügt die katholische Kirche über den größten Grundbesitz der Welt, und die protestantische Kirche besitzt auch noch etwa 70 000 Hektar in der Bundesrepublik, das ist der 5. Teil dessen, was die katholische Kirche ihr eigen nennt – und zu 77,5% verpachtet. Hinzu kommen die staatlichen Subventionen, weitgehende Finanzierung kirchlicher Bauten, Entwicklungsgelder, Zuschüsse. 7. Aufgrund ihrer Bündnispolitik sind die Kirchen auch heute eine übermächtige weltliche Macht Die Kirchen nehmen direkt, etwa in Gemeindeausschüssen wie dem Schulausschuß, oder indirekt durch die von ihnen geprägten Wertvorstellungen oder über ihre Anhänger Einfluß auf die politische Willensbildung. Die noch immer hinausgezögerte Trennung von Kirche und Staat ist auf die intensiv unternommenen Versuche zurückzuführen, die aus dem Kaiserreich übernommenen Machtpositionen durch die Weimarer Verfassung weitgehend unangetastet zu lassen und später im parlamentarischen Rat um so massiver zur Geltung zu bringen. In den Schulen ist nur ein konfessioneller Religionsunterricht zugelassen, dessen Gestalung [!] den Kirchen überlassen ist. Sie beeinflußen die Lehrpläne und Richtlinien sowie die Auswahl der Lehrbücher in den entsprechenden Ausschüssen; den Unterricht darf nur ein Lehrer erteilen, der die kirchliche Lehrbefähigung erworben hat; die Kirchen überwachen den Religionsunterricht und können einem nicht genehmen Lehrer die Lehrfähigkeit entziehen. Weder Parteien noch Gewerkschaften, weder Andersgläubige noch Nichtchristen haben einen ähnlichen Einfluß auf die schulische Erziehung. Wer an theologischen Fakultäten lehren darf, wird nicht nur nach der wissenschaftlichen Qualifikation, sondern auch nach der Zustimmung der Kirchen entschieden. Die theologischen Fakultäten sind allein den christlichen Konfessionen vorbehalten, und die meisten Theologiestudenten gehen dann auch ins Pfarramt. Andersgläubige oder freireligiöse Studenten haben keine Aussicht, aufgenommen
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zu werden und das Theologiestudium wie andere Fächer auch wissenschaftlich zu betreiben. In allen Gesetzen zu Ehe, Familie und Sexualität fi nden wir die sexual- und frauenfeindliche Moral der Kirchen; die Kriminalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung, der Homosexualität und der vorehelichen Sexualität sind nachweislich dem Einfluß der Kirchen und der ihnen nahe stehenden Parteien zuzuschreiben. Im Sozialwesen haben die Kirchen eine Monopolstellung; Jugend- und Sozialarbeit, Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime, Mütterschulen, Heilstätten, Bahnhofsmission usw. sind vorrangig den Kirchen überlassen, obwohl sozialpflegerische und sozialpädagogische Aufgaben von anderen, nicht-konfessionell gebundenen Institutionen – und zwar von speziell ausgebildeten und hauptamtlichen Kräften – ebenso wirksam, vor allem aber konfessionsneutral ausgeübt werden könnten. Nur nebenbei sei hier darauf hingewiesen, daß humanitäre Ziele, die im übrigen bereits viel früher in anderen Religionen und Philosophien verkündet worden sind, nach der Auf klärung keiner theologischen Begründung mehr bedürfen. Im fi nanziellen Bereich nehmen die Kirchen die Leistungen des Staates für sich in Anspruch, indem sie zahlreiche und beträchtliche Finanzierungsund andere Hilfen für kirchliche Maßnahmen und Einrichtungen, vor allem für Konfessionsschulen bis hin zu kirchlichen Hochschulen und Akademien, beziehen. Die offenkundigste Bevormundung der beiden Großkirchen vor anderen Religionsgemeinschaften stellt der staatliche Kirchensteuereinzug dar; der »Zehnte« wird eingetrieben wie eh und je – auf Kosten der Steuerzahler. Die ständig zunehmende Interesssenlosigkeit [!] der Masse der Bevölkerung am Kirchenchristentum, der Rückgang der zahlen der Kirchenbesucher auf weit unter 50% der erwachsenen Konfessionsangehörigen ist bekannt (siehe u. a. »Spiegel«-Artikel 1967, 1969) und entlarvt den widerlegten Hinweis auf die angebliche Mehrheit überzeugter Kirchenmitglieder gegenüber einer »kleinen glaubenlosen Minderheit« als oberflächlich und unkonkret. Bei Presbyterwahlen der evangelischen Gemeinden etwa beteiligten sich trotz intensiver vorheriger Propaganda oft weniger als 10% der Gemeindemitglieder. Dennoch verfügen die Kirchen über eigene Kirchenfunkabteilungen in Rundfunk und Fernsehen – ein Privileg, das keine andere Religionsgemeinschaft, geschweige denn nicht-christliche Organisationen haben – und können dort einseitig kirchliche Propaganda verbreiten. 8. Die Privilegierung der Kirchen, die ihnen die Beeinflussung christlicher und nichtchristlicher, andersgläubiger und religiös gleichgültiger Staatsbürger gestattet, ist ein gravierender Verstoß gegen den liberalen Geist unserer Verfassung Unsere Verfassung ist entstanden aus der Geisteshaltung des auf klärerischen Zeitalters und greift die Forderungen nach Religions- und Geistesfeiheit [!]
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und nach Mündigkeit des einzelnen auf. Die französische Revolution, die zum erstenmal in Europa die politische Durchsetzung der auf klärerischen Forderungen übernahm, trug auf ihren Fahnen denn auch konsequenterweise [!] die Befreiung des Bürgertums von der klerikalen Bevormundung. Die aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse von Beginn an rückschrittlichere Entwicklung in Deutschland (z. B. Verbindung von Thron und Altar in Preußen, Einfluß der protestantischen Kirche auf den Königshof ) ließen es gar nicht erst zu einer Entflechtung von kirchlichen Machtstrukturen und Staat kommen, da die fortschrittlichen liberalen Kräfte keine Aussicht auf politische Einflußnahme hatten. Erst die Weimarer Verfassung sah eine Trennung von Kirche und Staat vor, die aber nur ein Postulat blieb, weil sie nicht konsequent durchgeführt und zudem durch den Abschluß von Konkordaten und Kirchenverträgen unterlaufen wurde. Nach 1945 ist eine Zunahme der restaurativen Verfi lzung der alten kirchlichen Denk- und Machtstrukturen und des demokratischen Staats zu verzeichnen. Zwar scheiterten Versuche, den Kirchen eine noch stärkere Vorrangstellung zu verschaffe, an der Haltung der Mehrheit im parlamentarischen Rat. Doch wurde seitdem in der Bundesrepublik eine Bastion nach der anderen von den restaurativen Kräften unter Rückfall in Verhältnisse, wie sie vor 1918 herrschten, neu erobert, wobei den Kirchen die CDU/CSU-Regierung der 50-er und 60-er Jahre sehr entgegenkam, Etablierung im bildungsund Sozialwesen, Militärseelsorgevertrag 1957, frauenfeindliches Gleichberechtigungsgesetz 1958. Die Verfi lzung von Staat und Kirche ist ein Relikt aus vorauf klärerischen Zeiten und ein Widerspruch in einem liberalen auf[ge]klärten demokratischen Staat. Der spitzfi ndige Hinweis der Kirche auf die 95% Kirchenangehörigen, die eine aktive Unterstützung des Staates in ihren religiösen Belangen erwarten könnten, vergisst, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit gerade auch die Minderheit schützen soll; daß der Anteil Konfessionsloser weitaus größer wäre, hätte der jahrelange Einfluß der Kirchen, der schon mit der Zwangstaufe beginnt, nicht nachhaltig seine Spuren in ihrem Bewusstsein hinterlassen, darf dabei nicht vergessen werden. 9. Angesichts jahrhundertelang praktizierter und von dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit geprägter Kirchenpolitik ist die Einflußnahme der Kirchen auf alle Bereiche der Gesellschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten Sie lässt sich kaum noch als Regulativ zu »nihilistischen« und »egoistischen« Gruppeninteressen rechtfertigen, da die Kirchen als machtpolitisch orientierte Verbände, die eifersüchtig ihre Vorrechte bewachen, ihre eigene Glaubwürdigkeit und die ihrer Mitglieder in Frage gestellt haben.
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Die Forderung nach konsequenter Trennung von Kirche und Staat ist nicht nur ein Wunsch nach mehr Gerechtigkeit, auf Zurückdrängung der privilegierten Kirchen auf das Maß an Entfaltungsmöglichkeiten, das auch anderen Religionsgemeinschaften zugebilligt wird. Vielmehr ist sie angesichts der jahrhundertlangen autoritären, intolranten [!], reformfeindlichen und inhumanen Kirchenpolitik eine humanitäre Forderung, die die Instandsetzung des Individuums zu freier Entscheidung und Religionsfreiheit zum Ziel hat und deshalb den Druck der übermächtigen Kirchen auf die religiöse Meinungsbildung ausschalten will. 10. Religion als letztlich im Irrationalen gründende und in ihren Aussagen nicht nachprüfbare Weltanschauung widerspricht dem aufklärerisch-rationalen Ansatz liberaler Politik da durch ihre Ideologie die Erkenntnis sozialer und individueller Bedürfnisse verhindert wird und gesellschaftliche Widersprüche verschleiert werden. Die reale Gleichberechtigung aller, die Beseitigung der Herrschaft von Menschen über Menschen ist unvereinbar mit Religion als Ideologie. Die traditionelle individuelle Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Religionsausübung ist nicht nur nicht verwirklicht, (die beiden christlichen Großkirchen werden z. B. einseitig privilegiert), sondern auch unzureichend zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse unter den gegebenen historischen Bedingungen und steht sogar der Emanzipation des Menschen von ökonomischen und ideologischen Abhängigkeiten entgegen, da sie die Mündigkeit des isolierten Individuums postuliert, aber die reale Ausbeutung verschleiert. Freiheit in diesem Sinne kann deshalb nicht nur vor die Alternative »Religion ja oder nein« stellen, sondern bedeutet vielmehr, Religion überhaupt in Frage zu stellen, da sie ein Mehr an Freiheit verhindert. Solange jedoch die konsequente Trennung von Staat und Kirche nicht verwirklicht ist, sind auch in diesem Bereich vorauf klärerische Zustände noch nicht überwunden. Die Beseitigung der Amtskirchen als Träger emanzipationsfeindlicher Ideologien und die Überwindung von Religion ist [!] deshalb langfristiges Ziel liberaler Politik sein. III. Forderungen Die Durchsetzung liberaler Politik unter den sozioökonomischen Bedingungen einer spätkapitalistischen Gesellschaft setzt im Verhältnis von Staat und Kirche, Bürger und Religion zunächst die Einlösung der frühliberalen bürgerlichen Emanzipationsforderungen voraus. Erst eine konsequente Trennung von Kirche und Staat unter Beachtung des Verfassungsgebotes der strikten weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates schafft die
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Voraussetzung für die reale Befreiung des Menschen von ökonomischen und ideologischen Abhängigkeiten. Die Deutschen Jungdemokraten fordern deshalb: I. Im Bereich des öffentlichen Rechtes 1. Die Kirchen sind von öffentlich-rechtlichen Körperschaften in privatrechtliche Institutionen umzuwandeln und den allgemein gültigen vereinrechtlichen [!] Bestimmungen zu unterwerfen, die innerverbandliche Demokratie und Offenlegung der Finanzen fordern. 2. Als Folge daraus ergibt sich die Beseitigung des staatlichen Kirchensteuereinzugsverfahrens. Unabhängig davon ist jedoch die Frage der Zulässigkeit der staatlichen Kirchensteuererhebung einer verfassungsrechtlichen Klärung zu unterziehen, – da sie einen grundsätzlichen Verstoß gegen die Neutralitätspfl icht des Staates und gegen das verfassungsrechtlich garantierte Grundprinzip der Trennung von Staat und Kirche beinhaltet. Die stattdessen zu fordernde Eigenfi nanzierung der Kirchen könnte durch Erhebung von Mitgliedsbeiträgen – wie bei jeder gleichwertigen Institution – sichergestellt werden. 3. Die Kirchenverträge und Konkordate sind aufzukündigen – da diese Abkommen eine de facto-Privilegierung eines bestimmten Bekenntnisses bedeuten und damit gegen das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität verstoßen. 4. Die Landesverfassungen sind verfassungsrechtlich zu überprüfen; darin enthaltene grundgesetzwidrige Bestimmungen sind zu beseitigen. 5. Die auf überholten Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind endlich abzulösen. 6. Auf die Verwendung sakraler Symbole und Formeln (Kruzifi x, Eid) ist im Bereich staatlicher Institutionen (Gericht, Schule) überall zu verzichten. 7. Das im Personenstandsgesetzt [!] verankerte Recht zur Befragung nach der Konfession bei Personalangelegenheiten ist zu streichen, – da dies im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut der Verfassung steht: »Niemand ist verpfl ichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.« (Art. 136, Abs. 3, Satz 1 Weimarer Verfassung in Verbindung mit Art. 140 GG) 8. Die Gesetzgebung ist von moraltheologischen und religiös motivierten Einflüssen zu befreien und einer weltanschaulich neutralen, allein den Prinzipien des Grundgesetzes unterworfenen Rechtsprechung anzupassen.
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II. Im Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen 1. Entsprechend den Prinzipien der weltanschaulichen Neutralität und dem Schulaufsichtsrecht des Staates einerseits und der allgemeinen Schulpfl icht andererseits ist die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule als staatliche Regelschule in allen Bundesländern und Landesteilen einzuführen. 2. Der Religionsunterricht an den Regelschulen ist ohne dogmatische Bindung an eine bestimmte Konfession auf wissenschaftlicher Grundlage als Religionskunde zu erteilen, – da allein diese Art des Unterrichts nicht im Widerspruch zum Neutralitätsgebot steht. Religionskunde beschäftigt sich kritisch-rational mit den Grundlagen, Inhalten und Zielen der Religionen und hat zum Ziel, den irrationalen Charakter von Religion und den Widerspruch von Anspruch und Realität religiös motivierten Verhaltens aufzudeck [!] 3. Die staatliche Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten ist einzustellen, – da sie einen eklatanten Verstoß gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates bedeutet. 4. Die theologischen Fakultäten sind aus den Universitäten auszugliedern und in den Bereich eigenfinanzierter privater kirchlicher Ausbildungsstätten zu verweisen, – da die organisatorische und fi nanzielle Unterstützung der Ausbildung von Geistlichen nicht Sache des Staates ist und die Ausbildung an den Universitäten ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis zu erfolgen hat. Relgionswissenschaftliche [!] Abteilungen der philosophischen Fakultät an den Universitäten haben die Aufgabe, sich kritisch mit Voraussetzungen, Wirkung und Ideologie der Religionen auseinanderzusetzen. 5. Finanzierungshilfen und Zuschüsse des Staates an die Kirchen sind künftig nicht mehr zugewähren [!]. Für noch laufende Förderungsmaßnahmen ist eine Offenlegung der Bilanz-, Kosten- und Beteiligungsverhältnisse zu fordern. 6. Die Erfüllung der sozialen Aufgaben ist grundsätzlich staatlichen Institutionen zu übertragen, – da sie von diesen zweckentsprechender erfüllt werden können. Eine an der irdischen Realität orientierte und durch speziell ausgebildete und hauptberufl iche Kräfte ausgeübte Sozialfürsorge gewährleistet eine humanere Betreuung als die an jenseitigen Zielen orientierte kirchliche Caritas. Auf dem Gebiet der Sozialleistungen folgt daraus der unbedingte Vorrang der staatlichen Sozialhilfe (im Gegensatz zum bisher geltenden Subsidiari-
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tätsprinzip). Übergangsweise sind die Kontroll- und Prüfungsrechte des Staates in diesem Bereich wesentlich zu erweitern. 7. Die staatliche Institutionalisierung von Militärseelsorgern und -gottesdiensten ist zu beseitigen, – da deren Bevorzugung und Finanzierung in einer staatlichen Einrichtung dem Neutralitätsgebot widerspricht. 8. Hinsichtlich ihrer Befreiung vom Wehrdienst sind Geistliche nach den für jeden Bürger geltenden Kriterien zu beurteilen, – da ihre bisherige Privilegierung einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt. 9. Die zwangsweise Mitgliedschaft in der Kirche auf Grund der Taufe unmündiger Kinder ist aufzuheben, – da sie den allgemein gültigen vereinsrechtlichen Bestimmungen widerspricht und – da dem sog. »Elternrecht« das unveräußerliche Recht des Kindes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit entgegensteht. 10. Die Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugendund Sozialausschüsse u. a.) ist verfassungsrechtlich zu überprüfen und aufzuheben.
Anhang 2: Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz der Deutschen Jungdemokraten Ende Januar 1973: Liberalismus und Christentum* Liberale Politik hat zum Ziel die Verwirklichung des in der jeweiligen materiell-historischen Situation möglichen Maßes an Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen. In ihrem Verhältnis zur Religion ist es daher für Liberal selbstverständlich, daß sie die Überzeugung jedes einzelnen achten und die Freiheit der Lebensgestaltung nach dieser Überzeugung zu sichern bemüht sind. Für Liberale ist es jedoch ebenso selbstverständlich, daß sich jede weltanschauliche Gruppe, also auch die christlichen Kirchen, in einer pluralistischen Gesellschaft der gleichberechtigten Konkurrenz mit allen anderen weltanschaulichen Richtungen stellen muß und sich dieser Auseinandersetzung nicht mit Hilfe von staatlich gewährten Privilegien entziehen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Organisationen und Verbände auf weltanschaulicher Grundlage versuchen, Staat und Gesellschaft nach ihren Grundsätzen mitzugestalten. Diesen Anspruch erhebt das Christentum in Form der Kirchen, der kirchlichen Verbände und der christlichen Parteien. *
Abschrift. Zum Original vgl. AdL 11362.
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Liberale Politik richtet sich gegen den Missbrauch der weltlichen Macht zur Durchsetzung von kirchlichen Angelegenheiten (z. B. durch den staatlichen Kirchensteuereinzug) und den mißbräuchlichen Einsatz der kirchlichen Autorität in öffentlich politischen Belangen (z. B. durch Militärgeistliche). Nach Ansicht der Deutschen Jungdemokraten ergibt sich aus den Prinzipien des liberalen, demokratischen und weltanschaulich neutralen Rechtsstaates die Forderung nach konsequenter Trennung von Kirche und Staat. Die Jungdemokraten wissen sich bei diesen Bemühungen in Übereinstimmung mit wesentlichen Teilen der progressiven Christen. Es ist für sie – bei der klaren Anerkennung aller unterschiedlichen Positionen – selbstverständlich, daß sie bei dem Versuch der demokratischen Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zur Zusammenarbeit mit diesen progressiven Christen bereit sind wie etwa mit anderen Verbänden. Liberalismus ist auf klärerisch-rational. Er geht davon aus, daß menschliche Erkenntnis prinzipiell unvollständig und fehlerhaft ist und sieht den Prozeß menschlicher Erkenntnis prinzipiell als unabgeschlossen und unabschließbar an. Religion ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß sie sich im Besitz letzter Wahrheiten glaubt und ist daher irrational. Liberalismus und Religion befi nden sich somit in einem grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Konfl ikt. Liberalismus wendet sich gegen diese Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den totalen Anspruch auf letzte Wahrheiten erheben und setzt sich ideologiekritisch mit den Zielen, Inhalten und Forderungen des Christentums auseinander. Dabei haben die Liberalen auch die Aufgabe, den Beitrag des Christentums zur gesamtgesellschaftlichen Emanzipation zu hinterfragen sowie die ideologiebildende und herrschaftsstabilisierende Funktion der Kirchen unter den Bedingungen des Spätkapitalismus bewußt zu machen. Liberale Politik hat durch rationale Auf klärung der Bevölkerung das Instrumentarium zur ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Anspruch und Verwirklichung des Christentums bereitzustellen und zur rationalen Bewältigung des Verhältnisses von Gesellschaft und Religion beizutragen. Die Liberalen haben dabei keinerlei Anlaß, sich mit dem Christentum nicht ebenso kritisch auseinanderzusetzen wie etwa mit Nationalisten, Konservativen, Sozialisten, Kommunisten usw. und können daher das in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Tabu nicht beachten. Forderungen der Jungdemokarten zum Verhältnis von Kirche und Staat I. Im Bereich des öffentlichen Rechts 1. Die Kirchen sind von öffentlich-rechtlichen Körperschaften in privatrechtliche Institutionen umzuwandeln und den allgemeingültigen, vereins-
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rechtlichen Bestimmungen zu unterwerfen. Die Möglichkeit, Mitglied in Kirchen zu werden, ist an das Erreichen der Religionsmündigkeit zu knüpfen. 2. Das staatliche Kirchensteuereinzugverfahren ist zu beseitigen, da es nach Ansicht der Deutschen Jungdemokraten mit dem Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat nicht zu vereinbaren ist. 3. Die Kirchenverträge und Konkordate sind aufzukündigen, da diese Abkommen bestimmte Bekenntnisse privilegieren und damit gegen das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität verstoßen. 4. Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sind darauf hin zu überprüfen, inwieweit sie dem Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität entsprechen. Bestimmungen, die diesem Grundsatz widersprechen, sind zu streichen. 5. Die auf historischen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen (z. B. auf Grund der Säkularisierung von Kirchenvermögen im 19. Jahrhundert) sind zu beenden. 6. Das im Personenstandsgesetz verankerte Recht zur Befragung nach der Konfession bei Personalangelegenheiten ist zu streichen, da dies im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut der Verfassung steht: »Niemand ist verpfl ichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren« (Art. 136 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Verfassung in Verbindung mit Art. 140 GG). 7. Alle Gesetze sind von moraltheologischen und religiös motivierten Bestimmungen zu befreien (z. B. im Strafrecht Gotteslästerung, Teile des Sexualstrafrechts). 8. Auf die Verwendung sakraler Symbole und Formeln (Kruzifi x, Eid) ist im Bereich aller staatlichen Institutionen (z. B. Gericht, Schule) zu verzichten. II. Im Bereich staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen 1. Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule ist als staatliche Regelschule in allen Bundesländern und Landesteilen einzuführen. 2. Art. 7 des Grundgesetzes ist dahingehend zu ändern, daß Religionsunterricht kein Lehrfach an staatlichen Schulen ist. 3. Die bevorzugte staatliche Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten ist einzustellen. 4. Die theologischen Fakultäten sind aus den Universitäten auszugliedern und in den Bereich eigenfinanzierter privater kirchlicher Ausbildungsstätten zu verweisen, da die organisatorische und fi nanzielle Unterstützung von Geistlichen nicht Sache des Staates ist, und die Ausbildung an den Universitäten ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis zu erfolgen hat.
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Religionswissenschaftliche Abteilungen der philosophischen Fakultäten an den Universitäten haben die Aufgabe, sich kritisch mit Voraussetzungen, Wirkungen, Ideologie und den wissenschaftlichen Gegenständen der Religionen auseinanderzusetzen. 5. Finanzierungshilfen und Zuschüsse des Staates an die Kirchen sind künftig nicht mehr zu gewähren, sofern sie nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinnützigkeit vergeben werden. 6. Die Erfüllung der sozialen Aufgaben muß sich nach staatlich anerkannten, demokratisch kontrollierten und legitimierten Kriterien richten, die sich allein an den Bedürfnissen der Bevölkerung nach optimaler Versorgung orientieren. Eine an diesen Grundsätzen ausgerichtete und speziell ausgebildete und von hauptberufl ichen Kräften ausgeübte Sozialfürsorge gewährleistet eine humanere Betreuung als eine auf ideologischen Einfluß bedachte Caritas. Auf dem Gebiet der Spezialleistungen folgt daraus der Vorrang der staatlichen Sozialhilfe (Abbau des geltenden Subsidiaritätsprinzips). Übergangsweise sind die Kontroll- und Prüfungsrechte des Staates in diesem Bereich wesentlich zu erweitern. Im Zuge der Abschaffung der staatlichen Kirchensteuer ist eine Sozialsteuer in Höhe von ca. 50% des bisherigen Kirchensteuersatzes einzuführen. Diese zweckgebundene Steuer ist unmittelbar dem Steueranteil der Kommunen zuzuweisen. Die Kommunen werden hiermit in die Lage versetzt, den bisher von den Kirchen übernommenen finanziellen Anteil bei Investitionen im sozialen Bereich zu übernehmen. 7. Die staatliche Institutionalisierung von Militärseelsorgern und -gottesdiensten ist zu beseitigen. 8. Hinsichtlich ihrer Befreiung vom Wehrdienst sind Geistliche nach den für jeden Bürger geltenden Kriterien zu beurteilen, da ihre bisherige Privilegierung einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt. 9. Die besondere Repräsentation der Kirchen in öffentlichen Entscheidungsgremien und anderen Organen (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugend- und Sozialausschüsse u. a.) ist aufzuheben, soweit sie nicht innerverbandlich demokratisch legitimiert ist.
Anhang 3: Freie Kirche im freien Staat – Thesen der FDP zum Verhältnis von Staat und Kirche (August 1973 = E III) * Ziel liberaler Politik ist die Sicherung und Erweiterung der Freiheit. Hierzu gehören entscheidend die gerade auch vom Liberalismus erstrittene Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie das Recht auf freie Religi*
Abschrift. Zum Original vgl. AdL 3320.
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onsausübung, wie sie in Artikel 4 des Grundgesetzes stärker als je zuvor in der deutschen Geschichte als unmittelbar geltendes Recht garantiert sind. Für die F.D.P. ist es daher selbstverständlich, die weltanschaulich-religiöse Überzeugung von Einzelnen und Gruppen zu achten sowie die Freiheit zu sichern, das Leben danach zu gestalten. Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit verlangt die Gleichbehandlung aller Bürger im Bereich von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religions- oder Zeitanschauungsgemeinschaft darf keine Vor- oder Nachteile mit sich bringen. Deshalb muß der Staat sich weltanschaulich-religiös neutral verhalten und darf weder durch Vorrechte oder Vergünstigungen noch durch Eingriffe Einzelnen oder Gruppen eine Sonderstellung verschaffen. In der pluralistischen Gesellschaft gilt dies hinsichtlich der beiden Großkirchen ebenso wie hinsichtlich anderer Gruppen. Der Staat darf sie weder diskriminieren noch privilegieren. Dabei bleibt die Zahl ihrer Mitglieder ohne Belang, denn Gleichheit und Freiheit gelten für jeden Bürger, unabhängig davon, ob er einer Mehrheit oder Minderheit in der Gesellschaft angehört. In diesem Verständnis setzt sich liberale Politik für die Trennung und gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat ein. Sie tat es in der Vergangenheit, weil sich der Staat der christlichen Kirchen bediente, um das bestehende Gesellschaftsgefüge zu erhalten und die Verwirklichung der Freiheitsrechte des Menschen im staatlichen Bereich zu verhindern; dafür wurden den Kirchen ihre Privilegien belassen, soweit sie mit den staatlichen Interessen übereinstimmten. Aber auch heute ist das liberale Prinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates in vielen Bereichen noch nicht verwirklicht. Den Liberalen geht es nicht darum, die Freiheiten einzuschränken, die die christlichen Kirchen im Bereich der Gesellschaft besitzen, angefangen von der ungehinderten Verkündigung der christlichen Botschaft bis zur Errichtung kirchlicher Pflege- und Ausbildungsstätten. Vielmehr geht es alleine darum, die organisatorisch-rechtlichen Verknüpfungen von Kirche einerseits und Staat andererseits und die dadurch hervorgerufene Verquickung von staatlicher und religiöser Autorität zu beseitigen, wie sie z. B. im staatlichen Kirchensteuereinzug zum Ausdruck kommen. Zudem haben die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus gelehrt, daß die Kirchen die Unabhängigkeit haben müssen, zum Handeln des Staates auch kritisch Stellung zu nehmen. Von daher ergibt sich als selbstverständlich der Verzicht des Staates auf noch verbliebene Einwirkungsmöglichkeiten im innerkirchlichen Bereich. Wenn daher liberale Politik die Trennung von Kirche und Staat vertritt, so nicht aus einer antikirchlichen oder antichristlichen Einstellung heraus,
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sondern um für alle Bürger jenen Freiheitsraum zu sichern, zu dessen Verwirklichung ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat verpfl ichtet ist. Die sich so ergebenden Forderungen können teilweise sofort verwirklicht werden; teilweise bedarf ihre Verwirklichung verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen. Die F.D.P. ist zu eingehenden Gesprächen mit den Kirchen und anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppen bereit. Sie erwartet aber auch, daß die Kirchen selbst sich aktiv an einer sachlichen Diskussion und an der Verwirklichung dieser Forderungen beteiligen und sich nicht Veränderungen verschließen, die auf Dauer juristisch, politisch und innerkirchlich doch unauf haltbar sind. Die F.D.P. weiß sich darin einig mit Christen in beiden Kirchen, die gleiche oder ähnliche Ziele um der eigenen Glaubwürdigkeit willen anstreben und darauf vertrauen, daß die Wirksamkeit der christlichen Botschaft nicht abhängig ist von staatlich gewährten Sonderrechten. In diesem Sinne zu einer freien Kirche in einem freien Staat beizutragen, ist Ziel dieser Forderungen: 1. Der Staat muß seine besonderen institutionellen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aufgeben. Die Einflußnahme des Staates auf die Besetzung kirchlicher Ämter ist zu beseitigen. Bischöfl iche Treueide auf die Verfassung sind abzuschaffen. Die regionale Gliederung der Kirchen bedarf keiner staatlichen Mitwirkung. 2. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist im weltanschaulich-neutralen Staat für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese keine staatlichen Aufgaben erfüllen. Im Rahmen des Privatrechts ist ein neues Verbandsrecht zu entwickeln, das der Bedeutung der Verbände und ihrem öffentlichen Wirken Rechnung trägt und auch für die Kirchen gilt. 3. Die Mitgliedschaft in Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird mit Wirkung für das staatliche Recht durch eine persönliche Beitrittserklärung nach Erreichen der Religionsmündigkeit erworben. Die Religionsmündigkeit beginnt mit Vollendung des vierzehnten Lebensjahres. Entsprechendes gilt für den Austritt aus Kirchen, Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften. Das heutige Verfahren, den Kirchenaustritt gegenüber staatlichen Stellen zu erklären, ist abzuschaffen. Die Wirkung von Taufe oder Beitritt im innerkirchlichen Bereich bleibt hiervon unberührt.
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4. Das im Personenstandsgesetz verankerte Recht zur Befragung nach der Religionszugehörigkeit ist zu streichen. 5. Die Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Für die Überleitung sind ausreichende Fristen vorzusehen. 6. Soweit das Grundgesetz und die Landesverfassungen Bestimmungen enthalten, die dem liberalen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität widersprechen, sind sie zu ändern. Religiöse, weltanschauliche und moralische Vorstellungen einzelner Gruppen dürfen nicht durch Gesetz für alle verbindlich gemacht werden. Die eingeleitete Rechtsreform ist fortzusetzen. Auf die Verwendung sakraler Formen und Symbole (Schulgebet, Kruzifi x, Eid) ist im Bereich aller staatlichen Institutionen wie Gerichten, öffentlichen Schulen zu verzichten. 7. Die bisherigen Staatsverträge mit den Kirchen (Kirchenverträge und Konkordate) sind wegen ihres Sonderrechtscharakters kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln. Deshalb dürfen solche Verträge nicht neu abgeschlossen werden. Die bestehenden Kirchenverträge und Konkordate sind, soweit sie noch gültig sind, aufzuheben. Ihre Gegenstände sind durch Gesetz oder, soweit erforderlich, durch Einzelvereinbarungen neu zu regeln. 8. Die auf historischen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen (z. B. auf Grund der Säkularisierung von Kirchenvermögen im 19. Jahrhundert) sollen auslaufen. Etwaige Restablösungen sind unter Berücksichtigung der bisherigen Zahlungen des Staates zu bemessen. Steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile der Kirchen und Religionsgesellschaften sind aufzuheben (z. B. bei Grundsteuern, Grunderwerbsteuern, Verwaltungsgebühren, Verwaltungsgerichtsgebühren), da sie mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar sind. 9. Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Die öffentliche Hand muß eine ausreichende Anzahl von Einrichtungen bereitstellen, die weltanschaulich neutral und für jedermann zugänglich sind. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, bleibt unberührt, doch ist ihr Vorrang gemäß dem Subsidiaritätsprinzip abzuschaffen. Staatliche Zuwendungen für Einrichtungen freier Träger dürfen nur gewährt werden, wenn die Einhaltung der Grundrechte in diesen Einrichtungen gesichert ist. 10. Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein, in der der Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach bleibt, sondern in die unmittelbare Verantwortung der Religionsgemeinschaften übergeht. Die Möglichkeit, in Schulräumen Unterricht anzubieten, ist den Kirchen wie auch allen anderen gesellschaftlichen Gruppen zu eröffnen.
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Das Recht, private Schulen zu errichten und zu unterhalten, bleibt gewährleistet. 11. Drei Alternativvorschläge: a) Die theologischen Fakultäten sind in religionswissenschaftlichen Fachbereichen zusammenzufassen. Diese Fachbereiche erhalten den gleichen Status wie alle anderen Fachbereiche der Universität. Sie arbeiten frei von rechtlichen Bindungen an Religionsgesellschaften in Forschung und Lehre. Die Festlegung der Qualifi kation für Theologen im Kirchendienst und andere kirchliche Berufe unterliegt der Zuständigkeit der Kirchen. b) Die theologischen Fakultäten sind umzuwandeln in religionswissenschaftliche Abteilungen, die innerhalb der Universitäten frei von rechtlicher Bindung an Religionsgesellschaften und ihre Lehre wissenschaftlich gemäß den Prinzipien der Freiheit von Forschung und Lehre Voraussetzungen, Inhalte und Wirkungen von Religionen erforschen. Den Kirchen bleibt es vorbehalten, darüber hinaus Ausbildungsstätten außerhalb der Universität zu errichten, die im Auftrag der Religionsgesellschaften deren Lehre vermitteln und von ihnen getragen und fi nanziert werden. c) Nichtbefassung. 12. Die Seelsorge in staatlichen Institutionen (Militär, Grenzschutz, Strafvollzug) ist in den Auftrag der Religionsgemeinschaften zurückzugeben. Die Möglichkeit unbehinderter religiöser Betreuung durch kirchlich bestellte und bezahlte Seelsorger muß sichergestellt sein. 13. Geistliche und Theologiestudenten sind in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Pfl ichten allen anderen Staatsbürgern gleichzustellen. Das schließt ihre Befreiung bzw. Zurückstellung vom Wehrdienst aus. 14. Die Vertretung der Kirchen wie anderer gesellschaftlicher Gruppen in öffentlichen Gremien (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugend- und Sozialausschüsse, Hearings u. a.) ist darauf hin zu überprüfen, wieweit sie der Funktion der Verbände für den jeweiligen Bereich entspricht. Sie muß innerverbandlich demokratisch legitimiert sein. Das Darstellungsrecht der Kirchen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten durch kircheneigene Sendungen ist dem Darstellungsrecht anderer gesellschaftlich relevanter Gruppen gleichzustellen.
Anhang 4: Freie Kirche im freien Staat – Fassung des Bundesvorstandes vom 14. 9. 1974 (E V = Antrag 51) * Ziel liberaler Politik ist die Sicherung und Erweiterung der Freiheit. Hierzu gehören entscheidend die gerade auch vom Liberalismus erstrittene Glau*
Abschrift. Original vgl. AdL 175.
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bens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie das Recht auf freie Religionsausübung, wie sie im Artikel 4 des Grundgesetztes stärker als je zuvor in der deutschen Geschichte als unmittelbar geltendes Recht garantiert sind. Für die F.D.P. ist es daher selbstverständlich, die weltanschaulich-religiöse Überzeugung von Einzelnen und Gruppen zu achten sowie jedem die Freiheit zu sichern, sein Leben danach zu gestalten. Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit verlangt die Gleichbehandlung aller Bürger im Bereich von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Deshalb muss der Staat sich weltanschaulich-religiös neutral verhalten. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft darf keine Vor- oder Nachteile mit sich bringen. In diesem Verständnis setzt sich liberale Politik für die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat ein. Es geht ihr darum, jenen Raum freizuhalten, in dem die Kirchen und anderen [!] Religionsgemeinschaften ihre Aufgaben nach ihrem eigenen Selbstverständnis erfüllen können. Das Verhältnis von Staat und Kirche wird immer spannungsvoll bleiben. Gerade deshalb muss es in einem freien Staat von Zeit zu Zeit neu überdacht und neu bestimmt werden. Die F.D.P. ist zu eingehenden Gesprächen mit den Kirchen und anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppenbereit. Sie erwartet, dass die Kirchen selbst sich aktiv an einer sachlichen Diskussion und an der Verwirklichung dieser Forderungen beteiligen. Ein Teil dieser Forderungen bedarf zu seiner Verwirklichung verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen. Die F.D.P. weiß sich einig mit Christen in allen Kirchen, die gleiche oder ähnliche Ziele um der eigenen Glaubwürdigkeit willen anstreben. In diesem Sinne zu freien Kirchen in einem freien Staat beizutragen, ist Ziel dieser Forderungen: 1. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre Angelegenheiten unabhängig von staatlichen Einflüssen. Das erfordert, dass der Staat seine verbliebenen Einflussmöglichkeiten (insbesondere die Mitwirkung an der regionalen Gliederung der Kirchen, die Forderung des bischöfl ichen Treueides auf die Verfassung, den Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter) aufgibt. 2. Der Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten. Andererseits wird das Vereinsrecht der Bedeutung von Kirchen und anderen Großverbänden nicht gerecht. Es ist daher ein neues Verbandsrecht zu entwickeln, das der Bedeutung der Verbände und ihrem öffentlichen Wirken Rechnung
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trägt und auch für die Kirchen gilt. Dabei sind religiös und weltanschaulich bedingte Besonderheiten zu berücksichtigen. 3. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften regeln die Mitgliedschaft im Rahmen der Religionsfreiheit nach eigenem Recht. Der Austritt erfolgt durch Willenserklärung gegenüber den Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften. Die Religionsmündigkeit beginnt wie schon heute in den meisten Bundesländern mit Vollendung des 14. Lebensjahres. 4. Niemand ist verpfl ichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Diesem Verfassungsgrundsatz ist überall, insbesondere im Personenstandsrecht und im öffentlichen dienst, Geltung zu verschaffen. 5. Mit den Kirchen sind Verhandlungen aufzunehmen, die bisherige Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Für die Überleitung sind ausreichende Fristen vorzusehen. 6. Der Verfassungsgrundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates ist auf Länderverfassungen und Gesetze, Regeln und Gebräuche im öffentlichen Bereich anzuwenden. Die Glaubensüberzeugungen einzelner Gruppen dürfen nicht für alle verbindlich gemacht werden. Auf sakrale Formen und Symbole ist im Bereich staatlicher Institutionen wie Gerichten und öffentlichen Schulen zu verzichten. Die Eidesformel ist neutral zu fassen; dem Eidesleistenden muss es freistehen, den Eid durch einen Zusatz im Sinne seiner Weltanschauung zu ergänzen. 7. Die bestehenden Staatsverträge mit den Kirchen (Kirchenverträge und Konkordate) sind wegen ihres Sonderrechtscharakters kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln. Deshalb dürfen solche Verträge nicht neu abgeschlossen werden. Die bestehenden Kirchenverträge und Konkordate sind, soweit sie noch gültig sind, in gemeinsamer Übereinkunft aufzuheben. Ihre Gegenstände sind, soweit erforderlich, durch Gesetz oder Einzelvereinbarungen neu zu regeln. 8. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. (Wie es Artikel 140 GG und Artikel 138, Abs. 1 WRV vorsehen.) Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben. 9. Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muss gewahrt werden – allerdings ohne Vorrangstellung. Dazu sollen die freien Träger sachgerechte staatliche Zuschüsse erhalten. Die öffentliche Hand muss sicherstellen, daß eine ausreichende Anzahl von Einrichtungen bereitsteht, um den Bedarf an weltanschaulich neutralen, jedermann zugänglichen Einrichtungen zu decken. Soweit Einrichtungen der freien Träger öffentlich
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gefördert werden, müssen sie allgemein zugänglich sein; Andersdenkende dürfen keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein. 10. Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Der Religionsunterricht ist nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ wird ein Religionskundeunterricht angeboten. Zwischen beiden Fächern besteht freie Wahlmöglichkeit. Das Recht, private Schulen zu errichten und zu unterhalten, bleibt unberührt. 11. Die Seelsorge in staatlichen Institutionen wie Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Strafvollzug ist in die alleinige Verantwortung der Kirchen zurückzugeben. Die Möglichkeit unbehinderter religiöser Betreuung durch kirchlich bestellte und bezahlte Seelsorger muss sichergestellt sein. Das gleiche Recht gilt für alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. 12. Geistliche und Theologiestudenten sind in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Pfl ichten, auch im Hinblick auf den Wehrdienst oder seine Verweigerung, allen anderen Staatsbürgern gleichzustellen. 13. Die Vertretung der Kirchen wie auch anderer gesellschaftlicher Gruppen in öffentlichen Gremien (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugendund Sozialausschüsse, Hearings u. a.) ist darauf hin zu überprüfen, wieweit sie der Funktion der Verbände für den jeweiligen Bereich entspricht.
Anhang 5: Thesen der F.D.P. Freie Kirche im freien Staat. Beschluss des 25. Bundesparteitages der F.D.P. in Hamburg vom 30. September bis 2. Oktober 1974 (= E VI) * Präambel Ziel liberaler Politik ist die Sicherung und Erweiterung der Freiheit. Hierzu gehören entscheidend die gerade auch vom Liberalismus erstrittene Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie das Recht auf freie Religionsausübung, wie sie im Artikel 4 des Grundgesetzes stärker als je zuvor in der deutschen Geschichte als unmittelbar geltendes Recht garantiert sind. Für die F.D.P. ist es daher selbstverständlich, die weltanschaulich-religiöse Überzeugung von Einzelnen und Gruppen zu achten sowie jedem die Freiheit zu sichern, sein Leben danach zu gestalten. Das Christentum hat Geschichte, Kultur und ethisches Bewußtsein in Europa entscheidend geprägt. Im caritativen Bereich haben die christlichen Kirchen wegweisende Arbeit geleistet. Das Bekenntnis zur persönlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit schließt daher untrennbar ein, daß das *
Abschrift. Zum Original vgl. F.D.P.-Bundesgeschäftsstelle (Hg.)., Thesen der F.D.P.
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Wirken der Kirchen nicht nur im innerkirchlichen Bereich, sondern auch in der Gesellschaft gesichert sein muss. Jedoch verlangt das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit die Gleichbehandlung aller Bürger im Bereich von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Deshalb muß der Staat sich weltanschaulich-religiös neutral verhalten. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft darf keine Vor- oder Nachteile mit sich bringen. In diesem Verständnis setzt sich liberale Politik für die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat ein. Es geht darum, jenen Raum freizuhalten, in dem die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ihre Aufgaben nach ihrem eigenen Selbstverständnis erfüllen können. Das Verhältnis von Staat und Kirche wird immer spannungsvoll bleiben. Gerade deshalb muß es in einem freien Staat von Zeit zu Zeit neu überdacht und neu bestimmt werden. Die F.D.P. ist zu eingehenden Gesprächen mit den Kirchen und anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppen bereit. Sie erwartet, daß die Kirchen selbst sich aktiv an einer sachlichen Diskussion beteiligen, denn sie weiß, daß es Christen in allen Kirchen gibt, die gleiche oder ähnliche Ziele um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen anstreben. In diesem Sinne zu einem neuen Verhältnis von Staat und Kirche beizutragen, ist das Ziel dieser Forderungen. Dabei ist der F.D.P. bewußt, daß ein Teil dieser Forderungen zu ihrer Verwirklichung verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen bedarf. Thesen 1. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre Angelegenheiten unabhängig von staatlichen Einflüssen. Das erfordert, daß der Staat seine verbliebenen Einflußmöglichkeiten (insbesondere die Mitwirkung an der regionalen Gliederung der Kirchen, die Forderung des bischöfl ichen Treueides auf die Verfassung, den Einfluß auf die Besetzung kirchlicher Ämter) aufgibt. 2. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten. Andererseits wird das Vereinsrecht der Bedeutung der Kirchen und anderer Großverbände nicht gerecht. Es ist daher ein neues Verbandsrecht zu entwickeln, das der Bedeutung der Verbände und ihrem öffentlichen Wirken Rechnung trägt und auch für die Kirchen gilt. Dabei sind religiös und weltanschaulich bedingte Besonderheiten zu berücksichtigen. 3. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften regeln die Mitgliedschaft im Rahmen der Religionsfreiheit nach eigenem Recht. Der Austritt
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Anhang
erfolgt durch Willenserklärung gegenüber den Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften. 4. Niemand ist verpfl ichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Diesem Verfassungsgrundsatz ist überall, insbesondere im Personenstandsrecht und im öffentlichen Dienst, Geltung zu verschaffen. 5. Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Es sind mit den Kirchen entsprechende Verhandlungen über die Modalitäten der Überleitung aufzunehmen und ausreichende Fristen vorzusehen. 6. Der Verfassungsgrundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates ist auf Länderverfassungen und Gesetze, Regeln und Gebräuche im öffentlichen Bereich anzuwenden. Die Glaubensüberzeugungen einzelner Gruppen dürfen nicht für alle verbindlich gemacht werden. Auf sakrale Formen und Symbole ist im Bereich staatlicher Institutionen wie Gerichten und öffentlichen Schulen zu verzichten. Die Eidesformel ist neutral zu fassen; dem Eidesleistenden muß es freistehen, den Eid durch einen Zusatz im Sinne seiner Weltanschauung zu ergänzen. 7. Die bestehenden Staatsverträge mit den Kirchen (Kirchenverträge und Konkordate) sind wegen ihres Sonderrechtscharakters kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln. Deshalb dürfen solche Verträge nicht neu abgeschlossen werden. Die bestehenden Kirchenverträge und Konkordate sind, soweit sie noch gültig sind, in gemeinsamer Übereinkunft aufzuheben. Ihre Gegenstände sind, soweit erforderlich, durch Gesetz oder Einzelvereinbarungen neu zu regeln. 8. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. (Wie es Artikel 140 GG und Artikel 138 Abs. 1 WVR [!] vorsehen.) Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben. 9. Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muß gewahrt werden – allerdings ohne Vorrangstellung. Dazu sollen die freien Träger sachgerechte staatliche Zuschüsse erhalten. Die öffentliche Hand muß sicherstellen, daß eine ausreichende Anzahl von Einrichtungen bereitsteht, um den Bedarf an weltanschaulich neutralen, jedermann zugänglichen Einrichtungen zu decken. Soweit Einrichtungen der freien Träger öffentlich gefördert werden, müssen sie allgemein zugänglich sein; Andersdenkende dürfen keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein. 10. Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Der Religionsunterricht ist nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ
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wird ein Religionskundeunterricht angeboten. Zwischen beiden Fächern besteht freie Wahlmöglichkeit. Das Recht, private Schulen zu errichten und zu unterhalten, bleibt unberührt. 11. Die Seelsorge in staatlichen Institutionen wie Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Strafvollzug ist in die alleinige Verantwortung der Kirchen zurückzugeben. Die Möglichkeit unbehinderter religiöser Betreuung durch kirchlich bestellte und bezahlte Seelsorger muß sichergestellt sein. Das gleiche Recht gilt für alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. 12. Geistliche und Theologiestudenten sind in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Pfl ichten, auch im Hinblick auf den Wehrdienst oder seine Verweigerung allen anderen Staatsbürgern gleichzustellen. 13. Die Vertretung der Kirchen wie auch anderer gesellschaftlicher Gruppen in öffentlichen Gremien (z. B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugendund Sozialausschüsse, Hearings u. a.) ist darauf hin zu überprüfen, wieweit sie der Funktion der Verbände für den jeweiligen Bereich entspricht. Der Bundesvorstand der F.D.P. wird gebeten, den Thesen, Erläuterungen auf der Grundlage der vom Landesverband Nordrhein-Westfalen eingebrachten Anregungen anzufügen.
Quellen- und Literaturverzeichnis Die bibliografischen Abkürzungen richten sich nach: Schwertner, Siegfried M., IATG Berlin/New York 21992. Die Kursiv gekennzeichneten Wörter verweisen auf den Kurztitel im Text.
I. Unveröffentlichte Quellen 1. Archivalische Quellen Archiv der Evangelischen Akademie Bad Boll (AEvBB) Tagungsakte »Fragen an den Liberalismus« März 1957 Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf (AEKiR) Bestand 2 LR 006: Beauftragter Nr. 1552 Öffentlichkeitsausschuss Rheinland Nr. 1374 Öffentlichkeitsausschuss Westfalen Nr. 1376–1378 Öffentlichkeitsausschuss Westfalen Nr. 844, 898, 899, 890, 891, 892, 901, 902, 903, 904, 906, 907, 908, 909, 910 Gespräche mit den Parteien Bestand 6 HA 027 Nr. 23 Handakten Heinrich Haferkamp Bestand 6 HA 034 Nr. 83 Handakten Karl Immer Nr. 22 Kirchenkonferenzen der EKD (Protokolle, Anlagen) 1971–1977 Nr. 23 EKD/Kirchenkanzlei; Betr. Ratssitzungen 1973–1978 Nr. 50 Schriftwechsel Nr. 67 Gemeinsame Sitzungen der Kirchenleitungen Nr. 82 Betr. Verhältnis Kirche und Staat Archiv der Katholischen Nachrichten Agentur, Bonn Archiv der Lippischen Landeskirche, Detmold (schriftliche Auskunft) Synodenprotokolle 1973; 1974 Archiv des Liberalismus, Gummersbach (AdL) Bestand A 1: Bundesparteitag A 1-17; A 1-26; A 1-27; A 1-29; A 1-50; A 1-64; A 1-69; A 1-81; A 1-86; A 1-87; A 1-88; A 1-96; A 1-105; A 1-113; A 1-149; A 1-171; A 1-199; A 1-204; A 1-211; A 1-220; A 1-257; A 1-301; A 1-306; A 1-311; A 1-325; A 1-374; A 1-375; A 1384; A 1-385; A 1-388; A 1-389; A 1-412; A 1-413; A 1-440; A 1-441; A 1-475; A 1-476; A 1-477; A 1-479; A 1-480; A 1-482; A 1-483; A 1-485; A 1-491; A
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Quellen- und Literaturverzeichnis
1-492; A 1-493; A 1-494; A 1-495; A 1-496; A 1-505; A 1-506; A 1-509; A 1510; A 1-511; A 1-512; A 1-513; A 1-514; A 1-515; A 1-516; A 1-519; A 1-520; A 1-521; A 1-526 Bestand A 7: Kulturpolitischer Bundesausschuss A 7-2; A 7-3; A 7-7; A 7-11; A 7-13; A 7-16; A 7-20; A 7-33; A 7-35; A 7-81; A 7-82; A 7-84; A 7-86; A 7-91; A 7-92; A 7-94; A 7-95; A 7-105 Bestand A 12: Bundeshauptausschuss A 12-11; A 12-22; A 12-36; A 12-49; A 12-53; A 12-54; A 12-55; A 12-57; A 12-72; A 12-73; A 12-74; A 12-75; A 12-76; A 12-81; A 12-82; A 12-83; A 12113; A 12-115; A 12-116 Bestand Bundesvorstand: Protokolle 1968–1974 126; 127; 128; 129; 130; 131; 132; 152; 153; 154; 159/1; 159/2; 160; 161; 162; 164; 165; 169; 170; 171; 172; 173; 174; 175; 176; 177; 3995 Bestand Präsidium: Protokolle 1973–1974 212; 213; 214; 215; 216; 217; 218; 219 Bestand N 1: Nachlass Thomas Dehler N 1-88; N 1-94; N 1-123; N 1-130; N 1-135; N 1-165; N 1-321; N 1-1022; N 1-1249; N 1-1288; N 1-1296; N 1-1318; N 1-1505; N 1-1681; N 1-1762; N 11789; N 1-1975; N 1-2462; N 1-2598; N 1-2709; N 1-2756; N 1-3062; N 13063; N 1-3064; N 1-3065; N 1-3067 Bestand: Deutsche Jungdemokraten 11173; 11177; 11183; 11205; 11218; 11256; 11263; 11293; 11295; 11296; 11301; 11306; 11332; 11339; 11345; 11349; 11362; 11363; 11398; 11399; 11405; 11406; 11408; 11412; 11413; 11414; 11416 19706 22420; 22492 D 1-2271 D 1-2273 D 1-3910 D 1-3930 D 1-4108 D 2-3910 D 2-3930 Bestand: LDPD DXXI 22812; DXXI 28751; DXXI 28752a; DXXI 28767a; DXXI 28768a; DXXI 28770a Bestand: Landesverband FDP Baden-Württemberg 17920; 18021; 18054; 18059; 18181; 18182; 18183 26173 Bestand: Landesverband FDP Bayern 12189; 12190; 12200; 12297; 12317; 12320; 12376 22567; 22575; 22604 Bestand: Landesverband FDP Berlin 7435; 7439; 7544; 10893; 10894; 16623; 16907
I. Unveröffentlichte Quellen
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Bestand: Landesverband FDP Niedersachsen 15540; 15675; 15677 Bestand: Landesverband Nordrhein-Westfalen FDP 6074 19159 27098; 27099; 27101 Bestand: Landesverband FDP Saarland 12967; 12968; 12980 Bestand N 18: Nachlass Martenstein N 18-4 Bestand N 47: Nachlass Karl-Hermann Flach N 47-0011; N 47-0099; N 47-0100; N 47-0122; N 47-0114; N 47-0116; N 470203 Bestand N 52: Nachlass Hans-Dietrich Genscher N 52-1; N 52-30; N 52-72; N 52-73 Bestand N 73: Nachlass Liselotte Funcke N 73-1; N 73-2; N 73-3; N 73-41; N 73-42; N 73-43; N 73-44 Bestand N 82: Walter Scheel N 82-53; N 82-54 Bestand N 86: Nachlass Rötger Gross N 86-11 Bestand A 24, 25, 38, 40: Nachlass Mischnick A 24-39 A 25-33; A 25-117 A 38-107; A 38-109; A 38-147; A 38-186; A 38-207; A 38-224; A 38-229; A 38-262; A 38-264; A 38-339; A 38-342; A 38-362; A 38-392; A 38-407; A 38613 A 40-54; A 40-802 Bestand: Peter Juling 19420; 19421 Bestand: Rolf Schroers 9217; 9218; 9248 Druckschriften: DJD-aktuell DJD Info DJD NRW Info Rednerschnellbrief (RSB) Archiv des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Bonn Bildungswerk der Humanistischen Union Nordrhein-Westfalen, Essen (Bildungswerk HU NRW) Mehrere unsignierte Aktenbestände zum Thema Staat und Kirche Bundesarchiv Koblenz (Barch) Bestand N 1221: Nachlass Theodor Heuss N 1221-138; N 1221-209; N 1221-219; N 1221-244; N 1221-247; N 1221-587 Bestand B 122: Bundespräsidialamt Amtszeit Theodor Heuss B 122-295; B 122-296; B 122-297; B 122-298; B 122-299; B 122-300 B 122-2064 Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin (ELAB)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
5.5/1973: Zeitungsartikel Staat und Kirche; FDP-Thesen 5.5/1974: Zeitungsartikel Staat und Kirche; FDP-Thesen Evangelisches Pressearchiv, Frankfurt (PAepd) Epd Zentralausgabe 1973–1974 D 213 (12.03.-31. 12. 1973): Kirche und Staat/FDP-Papier D 213 (01. 01. 1974–17. 10. 1988): Kirche und Staat/FDP-Papier epd West, Düsseldorf epd Landesdienst West 1973–1974 epd Nordrhein Nordrhein/Mittelrhein-Saar 1973–1974 Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA) Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD 2/8219/27 2/8603; 2/8614; 2/8615; 2/8628; 2/8629; 2/8630; 2/8630; 2/8640 2/17496; 2/17497; 2/17498; 2/17499 2/17687; 2/17688; 2/17689; 2/17690; 2/17692; 2/17695 2/18094 2/19686 Bestand 4: Kirchenamt der evangelischen Außenstelle Berlin 4/454 Bestand 81/2: Büro des Ratsvorsitzenden (Scharf ) 81/2/52 81/2/61; 81/2/63; 82/2/64 81/2/247 Bestand 81/3: Büro des Ratsvorsitzenden (Hermann Dietzfelbinger) 81/3/40; 81/3/41; 81/3/42; 81/3/43 81/3/73; 81/3/74 Bestand 81/4: Büro des Ratsvorsitzenden (Claß) 81/4/350; 81/4/352 Bestand 87: Büro des Bevollmächtigten der EKD am Sitz der Bundesregierung 87/389 87/655; 87/656; 87/657; 87/658; 87/659; 87/660; 87/661; 87/662; 87/663; 87/664; 87/665 87/990; 87/991; 87/995; 87/996 87/1000; 87/1001; 87/1003; 87/1006; 87/1007; 87/1011 87/1159; 87/1160 Bestand 99: Kirchenkanzlei der EKD, Außenstelle Bonn 99/389 99/1123; 99/1124 Bestand 650: Handakten Erwin Wilkens 650/95/140; 650/95/267; 650/95/268; 650/95/269; 650/95/270; 650/95/271; 650/95/272; 650/95/273; 650/95/274; 650/95/275 Bestand 742: Nachlass Hermann Kunst, 1907–1999 742/3; 742/4; 742/5; 742/6; 742/7 742/36; 742/39; 742/40; 742/42 742/260 Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) Bestand Ed 445: Nachlass Erwin Fischer
I. Unveröffentlichte Quellen
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Ed 445-18; Ed 445-21; Ed 445-23; Ed 445-25; Ed 445-28; Ed 445-32; Ed 44533; Ed 445-36; Ed 445-38; Ed 445-44 Bestand Ed 379: Vorlass Hildegard Hamm-Brücher Ed 379-58; Ed 379-59; Ed 379-60; Ed 379-70; Ed 379-73; Ed 379-74 Landesarchiv Münster (LAMS) A 512 1,2: Nachlass Rolf Schroers Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel (Archiv EKKW) (schriftliche Auskunft) Bestand C 3.3. Nr. 152: Sekretariat Bischof Vellmer Nr. 3: Rundschreiben des Bischofs Vellmer 1971–1977 Nr. 39: Land Hessen 1966–1977 Nr. 40: Parteien 1971–1976 Nr. 44: Beziehungen zum Bund 1968–1978 Bestand C. 3.5.1.: Landeskirchenamt Generalakten Nr. 3217: Kommission »Kirche und politische Parteien« Bd. 1. Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern, München (schriftliche Auskunft) Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, Wolfenbüttel ( schriftliche Auskunft) Bestand KE 153: Gespräch zwischen Vertretern der FDP, Bezirksverband Braunschweig, und der Landskirche, 1974 Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche in Württemberg, Stuttgart (LKAS) (schriftliche Auskunft) A 226 Nr. 774: Landeskirche und FDP K 2-134: Presseberichte Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld (Archiv EKvW) (schriftliche Auskunft) Bestand 0.0: Protokolle der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Synode für politische Verantwortung Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Hannover (LKAH) B1 8800 Band VIII: ev.- luth. Landeskirchenamt Hannover Bestand N 101 Nr. 12: Johann Frank Bestand N 105 Nr. 09: Eduard Lohse Bestand N 130 Nr. 172: Hans Philipp Meyer Bestand E 46 Nr. 142 Bestand Loccumer Protokolle Landesstaatsarchiv Düsseldorf (LStaD) Bestand RW 62: Nachlass Paul Luchtenberg RW 62-173; RW 62-186; RW 62-195; RW 62-239; RW 62-240; RW 62-245; RW 62-264; RW 62-265; RW 62-279 Bestand RW 121: Nachlass Heinrich Stakemeier Bestand RW 357: FDP-Fraktion im Landtag RW 357-1504; RW 357-1567; RW 357-1586; RW 357-1686; RW 357-1934 Bestand RWN 251: Nachlass Willi Weyer RWN 251-136; RWN 251-137; RWN 251-139; RWN 251-142; RWN 251-158; RWN 251-353; RWN 251-387; RWN 251-388; RWN 251-570; RWN 251-571;
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Quellen- und Literaturverzeichnis
RWN 251-572; RWN 251-573; RWN 251-574; RWN 251-575; RWN 251-576; RWN 251-578; RWN 251-579; RWN 251-1107; RWN 251-1306 Bestand RWV 49: Landesverband NRW FDP RWV 49-139; RWV 49-171; RWV 49-177; RWV 49-179; RWV 49-180; RWV 49-181; RWV 49-182; RWV 49-183; RWV 49-184; RWV 49-218; RWV 49241; RWV 49-426; RWV 49-427; RWV 49-729; RWV 49-1176; RWV 492018; RWV 49-2020; RWV 49-2022; RWV 49-2023; RWV 49-2095; RWV 49-2096; RWV 49-2097 Niedersächsisches Landesarchiv, Bückeburg (NLA) Dep. 22 Acc. 14/99 Nr. 161 Akten Landessynode Nordelbisches Kirchenarchiv, Kiel (NEK-Archiv) 10.04 Nr. 34: Rat der Nordelbischen Kirche 11.02 Nr. 755/1: Bischof für Hamburg 11.1./21.1. Nr. 347: Bischof für Schleswig 22.02 Nr. 13317: Landeskirchenamt Schleswig-Holstein 32.01 Nr. 4405: Landeskirchenrat Hamburg 50.01 Nr. 593–954: Evangelisch-lutherische Landeskirche Eutin Zeitungs- und Pressearchiv Münster (ZuP) Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Kirche), Speyer (ZASP) Abt. 9: Beauftragter der Evangelischen Kirchen Nr. 143 FDP-Kirchenpapier Abt. 35: Landesjugendpfarramt Nr. 374 Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (4) – 3/1 (1950–1973): Obrigkeit und öffentliches Leben – Gespräche mit Parteien und Abgeordneten FDP – Aussprachen Abt. LKR Reg. Nr. 120/41 (3) – 3/2 (1974): Obrigkeit und öffentliches Leben – Gespräche mit Parteien und Abgeordneten FDP – Aussprachen Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt (ZA EKHN) Bestand 35: Martin Niemöller 35-533; 35-534; 35-535; 35-536 Bestand 107: Protokolle Kirchenverwaltung 1970–1974 Bestand 155 155-1760 Öffentlichkeitsausschuss der Synode 1969–1979; 155-2248 Freie Demokratische Partei Deutschlands Bestand 255: Helmut Hild 255-23; 255-142; 255-143; 255-144; 255-145 Protokolle der Kirchenleitung 1973 und 1974
2. Privatbestände Horst Dahlhaus Liselotte Funcke Peter Gerigk Silke Groht
Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild Peter Hertel Claus Jürgensen
II. Nachrichtenagenturen, Tages- und Wochenpresse, Periodika
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3. Interviews Horst Dahlhaus Liselotte Funcke Peter Gerigk Siegfried W. Grünhaupt Silke Groht Hermann Kalinna
Dieter Kleinmann Prof. Dr. Andreas Lindemann Robert Maier Peter Rath Prof. Dr. Theo Schiller Dr. Barthold Witte
4. Telefonische u. a. schriftliche Auskünfte Telefonisch: Peter Bernhardi Leo Derrick Dr. Hanns Engelhardt Dr. Hildegard Hamm-Brücher Peter Hertel Dr. Anselm Hertz Peter Juling Dr. Joachim Kahl Ulrich Krüger-Limberger Dr. Hans Otte Uwe Ronneburger (†) Frank Schaeffler Prof. Dr. Hermann-Josef Schmidt Tilman Schroers Dr. Reinhold Weyer Wilhelm Winkelmann
Schriftlich: Prof. Dr. Rolf Bialas Heinz-Georg Binder Martin Budich Prof. Dr. Horst Herrmann Dr. Werner Hofmann OKR i.R. Helge Klawitter Werner Klumpp Prof. Dr. Eduard Lohse Friedrich Neunhöffer Dr. Rosemarie Osenberg Klaus Scheunemann
II. Nachrichtenagenturen, Tages- und Wochenpresse, Periodika aktuelle gespräche Auf bruch Badische Zeitung (BZ) Bayernkurier Berliner Sonntagsblatt – Die Kirche Bonner Rundschau Bremer Kirchenzeitung Christliche Welt Darmstädter Echo Das freie Wort Das neue Vaterland Das Parlament Der Abend Der Humanist Der Sozialdemokrat Der Spiegel
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt (DAS) Deutsches Pfarrerblatt Deutsche Woche Deutsche Zeitung Christ und Welt (DZ) Die Hilfe Die Rheinpfalz Die Rheinzeitung Die Stimme der Gemeinde Die Welt DJD Informationen DJD-aktuell DJD Info DJD NRW Info Düsseldorfer Nachrichten
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Echo der Zeit epd Dokumentation (epd Dok.) epd Landesdienste epd Nachrichtendienst Evangelische Frauenzeitung Express F. D. P. Schnellbericht fdk – freie demokratische korrespondenz, Pressedienst der FDP F. D. P. Informationsdienst fdp-Pressedienst Flensburger Tageblatt Forum Fränkisches Volksblatt Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Frankfurter Rundschau (FR) Hamburger Abendblatt HSU-Spektrum Hessischer Rundfunk (HR) Im Blickpunkt Junge Kirche ( JK) Kieler Nachrichten (KN) Kirche und Mann Kirchenzeitung Bistum Köln KNA Aktueller Dienst Inland KNA Dok. KNA Dienste Kölner Stadtanzeiger Kulturpolitische Mitteilungen Liberal Liberale Informationen FDP-Bayern liberale korrespondenz Liberale Politik
Lübecker Nachrichten Mitteilungen des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken Mitteilungen der Humanistischen Union Münchner Merkur Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern neue bildpost politische studien Praline Publik Forum Rednerschnellbrief (RSB) Regensburger Anzeiger Rheinische Post (RP) Saarbrücker Zeitung Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Semesterspiegel Sonntagsblatt Speyer Tagespost Süddeutsche Zeitung (SZ) Stuttgarter Zeitung (StZ) Vorgänge Vorwärts Weltbild Westdeutsche Allgemeine Westdeutsche Zeitung (WZ) Westdeutsches Tagesblatt Westfalenpost Westfälische Rundschau (WR) Wochenanzeiger ZdK Mitteilungen Zeitschrift der Jungsozialisten in der SPD
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Die Kursivierung zeigt den in den Fußnoten verwendeten Kurztitel an.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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III. Gedruckte Quellen und Literatur
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Personenregister Abendroth, Friedrich 138 Abendroth, Wolfgang 197, 231 Abendschein, Heinrich 534 Abetz, Bernd 385 Abramzik, Günter 200 Achenbach, Ernst 149 Achterberg, Gerd 81, 124, 360, 431 Adam 525 Adenauer, Konrad 11, 50, 52, 58, 61, 65, 89, 94 122, 188 Agnoli, Johannes 155 Ahlberg, Rene 230 Albert, Hans 173, 253 f., 529, 547 Amery, Carl 109, 182 Anhelm, Fritz E. 465 Ansorge, Dietmar W. 125, 321 f., 389 f., 396 Apsel, Günter 520 Arendt, Walter 461 Arndt, Adolf 133, 139, 426 Arning, Hermann 490 Arnold, Franz 139 Arnold, Karl 52, 96 Asmussen, Hans 132 Augstein, Rudolf 190 Augustin, Hermann Walter 524 Babke, H. 351 Bahner, Dietrich 77 f. Bähr, Gustav-Adolf 512 f. Bangemann, Martin 116, 281 f., 390, 401 f., 432, 438, 532, 534–537, 542– 545 Barth, Karl 54, 560 Bauer, Fritz 196 f. Baum, Gerhart 76, 155, 176, 246, 385 Baumgarten, Otto 25, 30, 32 Beckmann, Joachim 135, 143, 449, 451, 501
Beitz, Wolfgang G. 125, 128, 322 Bender, Julius 50 Bergmann, Roswitha Susann von 271, 366 Bernhardi, Peter 205 Bezold, Otto 51, 97 Bialas, Rolf 281, 487 Biallas, Dieter 492 Bickel, Otto 189, 197 Biedermann, Karl 16 Biehler, Rolf 125 Bielitz, Klaus 496 f. Bielstein, Helmut 152 Bily, Lothar 128 Binder, Heinz-Georg 352, 479 Bismarck, Otto von 18–22, 25, 555 Bittner, Gerhard 489 Blank, Martin 135–137 Blücher, Franz 45, 47, 52, 88, 95 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 522 Böddrich, Jürgen 189 Bodeit, Wolfgang 490 Böhler, Wilhelm 88, 94 Böhm, Hans 137 Böll, Heinrich 108 Bonhoeffer, Dietrich 142 Borm, William 102, 146, 149 Bormann, Martin 38 Börner, Holger 461 Bosse, Walter 451 Bott, Hans 37 Bousset, Wilhelm 30, 32 Boveland, Helmut 488 f. Brandenburg, Johann Peter 531 Brandt, Heinz 131, 339 Brandt, Willy 82, 166 f., 240, 261, 277, 442, 448, 453, 459, 461 f., 469 f., 554 Braun, Günther 104 Brehm, Thomas 70
606
Personenregister
Bremer, Heiner 164, 428 Brentano, Heinrich von 94 Brockhaus, Klaus 196 Brockmann, Heinz-Wilhelm 124 f., 320–322, 458 Brunner, Manfred 128, 337, 419, 433 f. Bruno, Giordano 228 f., 560 Bucher, Ewald 65, 146 Bultmann, Rudolf 560 Burckstümmer, Hermann 260, 304 Burger, Hannes 120, 342 Busch, Wilhelm 547 Buschendorf, Werner 490 Camara, Dom Helder 231 Campenhausen, Axel von 445, 467, 469 f., 472, 493, 495, 545 Cavour, Camillo 38, 311 Christus s. Jesus Christus Claß, Helmut 7, 283, 319, 452 f., 459– 461, 463–467, 472, 475, 495, 529– 534, 537, 542, 544, 546–549 Cube, Felix von 44, 197 Dahlhaus, Horst 105, 145, 219, 281, 284, 288 f., 291 f., 296, 365–368, 374, 376, 381, 383, 435, 514 Dahlhoff, Erich 506 Dahrendorf, Ralf 77 f., 87, 103, 168, 401 f., 414 Damm, Carl 101 Dannenmann, Hans 139 Daur, Martin 533 f. Dehler, Thomas 37 f., 49, 51 f., 88, 90– 92, 94–97, 101, 131, 133, 135, 137, 144, 422 Demmer, Pfarrer 504 Deneke, Wolfrat 149 Derrik, Leo 216 Deschner, Karl-Heinz 184, 199, 215 Dibelius, Otto 142 f., 206 Diem, Hermann 139 Dietrichs, Georg 202 Dietzfelbinger, Hermann 7, 120, 449, 452 f., 537 f., 541 Dittrich, Jochen 506 Doehring, Johannes 140, 145, 281, 284, 291, 374 f.
Dollinger, Werner 324, 441 Döpfner, Julius 90–94, 120, 260 f., 319, 322, 339, 342, 460 Döring, Wolfgang 49, 52, 53 Dregger, Alfred 354 Ebrecht, Walter 509 f. Eder, Horst 512 Ehard, Hans 94 Ehlers, Hermann 132 Eicher, Hermann 333, 427 f., 510 Eichler, Wolfgang 281, 284, 288, 296, 300 Ellwein, Theodor 139 Ellwein, Thomas 46 Emmerling, Dieter 103 f., 125 Engelhardt, Hanns 281, 284, 288 f., 295–297, 300, 539 Eppler, Erhard 325, 461 Erbe, Walter 67, 279, 534 Erbe, Werner 388 f. Erdmann, Karl Dietrich 203 Erhard, Ludwig 65 Ermecke, Gustav 375 Ernst, Gustav 346 f., 427, 435, 499 Ertl, Josef 102 f., 106, 126, 128–130, 278, 281, 284 f., 287, 296, 321 f., 336–340, 343, 426, 538 f. Esch, Arno 57 Euler, Martin 134, 136 f. Eva 525 Everling, Otto 32 Fabian, Walter 102, 190 Fechenbach, Felix 90 Fetscher, Iring 145 Fischer, Erwin 7, 190, 192–194, 197– 199, 208, 214 f., 219, 235, 242, 279, 390–395, 398 f. Flach, Karl-Hermann 53, 57, 65, 102, 106, 113, 125–127, 168, 246, 257, 277 f., 280 f., 285, 287, 295, 319, 326, 338, 364, 388, 422, 443, 452 Flechtheim, Ossip 155, 190, 197 Fleig, Paul 139 Fleischer, Johannes 198 Fliszar, Fritz 103 Focke, Katharina 461
Personenregister
Folk, Hinnerk 491 f. Forckenbeck, Max von 21 Forster, Karl 181, 342 Franco, Francisco 230, 562 Frank, Johann 473, 475, 495–498, 545 f. Franzky-Beckmann, Lianne 149 Friderichs, Hans 102, 167, 417 Fried-Korn, Lotte 53 Frings, Joseph 88 Froese, Leonhard 104 Frost, Gerd 549 Funcke, Liselotte 1, 4, 9, 53, 66–70, 78–81, 101, 104, 116–120, 126, 129– 131, 143–145, 149, 256, 259 f., 262, 266 f., 277 f., 280–284, 288 f., 291, 295–297, 299–301, 304–312, 314– 319, 325, 328, 330 f., 333 f., 338, 346, 350, 358 f., 361, 365–368, 372– 376, 379 f., 383, 385 f., 388 f., 392, 397, 400–402, 408, 410, 420 f., 425 f., 428, 430 f., 435, 438, 443– 445, 448 f., 451–457, 463, 465–467, 469, 473–475, 480, 494, 502, 505, 514–516, 521, 525 f., 531, 543, 545 f., 548 Funcke, Oskar 131, 146 Gabriel, Peter 351 Galilei, Galileo 228 f., 560 Gallas, Matthias 321 Gallus, Georg 429, 534 f. Gaul, Karl 53 Gauly, Thomas 88 Geiger, Wilhelm 98 Genscher, Hans-Dietrich 77, 80 f., 116, 159, 165, 169, 277 f., 342, 360 f., 400 f., 416–418, 422 f., 435 f., 452, 457, 467, 473, 475, 542–544, 547 Gerigk, Peter 159 f., 171–173, 178, 243 f., 251, 159, 246, 267, 269 f., 291 Gerigk-Groht, Silke 159, 178, 208, 211–213, 217 f., 221–224, 243, 253, 256, 266 f., 269 f., 273 f., 281 f., 291, 296, 366 f., 369, 408, 410, 431 Gerster, Johannes 442 Goebbels, Joseph 48 Göldner, Horst 483
607
Gollwitzer, Helmut 191 Göring, Hermann 38 Götz, Volker 177 Graf, Ulrich 352 Grass, Günter 182 Grauheding, Erich 483 Graumann, Ernst 479 Greifenstein, Hermann 451, 538–540 Grenner, Heinz 103 Groht, Silke s. Gerigk-Groht, Silke Gross, Rötger 281–283, 291 f., 295– 299, 345–348, 351 f., 414, 494, 496– 500 Großmann, Thomas 70 Grüner, Martin 149 Grünhaupt, Siegfried W. 284, 291, 296, 456, 500, 503–506, 520 Guillaume, Günter 360, 469 Gundlach, Gustav 98 Gunkel, Günther 200 Gutierrez-Girardot, Rafael 113 Haas, Albrecht 146 Habenicht, Gerhart 101 Hackenberg, Albert 32 Hadewig, Bernd 484 Haenisch, Konrad 23 f., 30 Haferland, Hans 101, 144 Hagedorn, Gerd 445 Hahn, Klaus 125 Hahn, Wilhelm 199 Halbfas, Hubertus 103 Hallstein, Walter 154 Hamm, Ludwig 146 Hamm-Brücher, Hildegard 1, 7, 44, 53 f., 73 f., 86, 97, 139, 280 f., 284, 287, 289 f., 296, 322, 337–340, 400– 402, 404, 411, 413, 415, 419–423, 425, 427 f., 439, 444, 467, 474 f., 488, 505, 508, 511, 539, 545 Hammer, Richard 135 f., 495 Hammer, Walter 319, 454–457, 461, 466, 505, 525, 531 f. Hapke, Eduard 200 Harms, Hans Heinrich 496 f. Harnack, Adolf von 25, 37 Hartmann, Karl 532 Haug, Martin 50, 136, 143
608
Personenregister
Haumann, Arnold 504 Haun, Rainer 202, 205 Hauschild, Wolf-Dieter 528, 555 Haußmann, Conrad 531 Haußmann, Wolfgang 531, 534 Heckel, Martin 449, 451 Hedergott, Winfried 55, 347, 494, 497 Heer, Friedrich 183, 187 Hege, Albrecht 534 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 241 Heidecker, Gudrun 128 Heidland, Hans 530 f., 533 f., 536 f., 542 Heinemann, Gustav 64, 82, 139, 462, 464, 474 Heinemann, Sylvia 4 Heinrich, Gerd 357, 481, 483, 550 Heinz, Wolfgang 265 f. Heipp, Günther 191 Helbig, Werner 266 Hempel, Amadeus 487, 490 Hemprich, Herbert 498 Henrichs, Bernhard 509 Hermann, Ingo 104 Herntrich, Volkmar 136 Herrmann, Horst 214, 244 Herrmanns, Jan R. 124 Hertel, Peter 106–108, 124–127, 130, 281–284, 291 f., 295 f., 300–302, 304, 313, 366 f., 458 Hertz, Anselm 104, 125, 281, 284, 295 f., 301 f., 304–312, 314 f. Herz, Hans-Peter 365 Herzog, Roman 122, 325 Heuss, Theodor 5, 15, 24, 26, 37–39, 42, 54, 88, 92, 96, 134 f., 140, 285, 311, 422, 508 Heydorn, Heinz-Joachim 231 Heyl, Cornelius Adalbert von 4, 145, 147, 452, 458, 461, 567, 472, 540, 551 Hild, Helmut 279, 452, 460 f., 463, 467, 488, 523–529, 540, 544 Hirschauer, Gerd 200 Hitler, Adolf 38, 230, 562 Hoffmann, Adolph 23 f. Hoffmann, Lutz 113 Höffner, Joseph 114, 120, 129, 260 f.
Hofmann, Harald 321–323 Hofmann, Jürgen 188–191, 195, 200 Hofmann, Werner 337, 383, 438, 461, 534, 537–541 Höller, Heinrich 149 Hollerbach, Alexander 4, 42, 211 Holtz, Hans Dieter 510 Höpker-Aschoff, Hermann 37–39 Hövelmann, Hartmut 425, 433 f. Hübinger, Gangolf 32 Hübner, Friedrich 484 f. Hücking, Hans-Hermann 113 Hühnergarth, Ernst 286 Hummel, Karl 532, 534–536 Hundhammer, Alois 94 Hundt, Georg 270 f. Immer, Karl 258, 260, 501 f., 506, 508 f., 516, 522 f. Immer, Karl Immanuel 501 Inglehart, Ronald 63 Iwand, Hans Joachim 139 Jacobs, Paul 138, 145 Jaspers, Karl 164, 230 Jensch, Peter 391, 419, 427, 429 Jesus Christus 24 f., 27 f., 92, 110, 536 Jouhy, Ernest 102, 104 Jülich, Christian 503–505 Juling, Peter 86, 281, 284–286, 295, 300, 378 Jung, Hans-Gernot 549 Jung, Kurt 509, 510 Jürgens, Karl 15 Kaack, Heino 65 Kaff ka, Rudolf 191 Kahl, Joachim 209 f., 215, 227–229, 232, 235, 241–243, 247 Kahl, Wilhelm 32, 35 Kahlert, Jürgen 490 Kahnt, Wilhelm Rüdiger 347, 497 Kalinna, Hermann 145, 458 Kamm, Helmut 539 Kampf, Sieghard-Carsten 549 Kant, Immanuel 424 Karrenberg, Friedrich 145 Karry, Heinz-Herbert 355
Personenregister
Kästner, Erich 190 Katzenstein, Dietrich 485–490 Kaufmann, Ludwig 116 Kaulitz, Jürgen 497 Kayser, Herbert 520 Kehler, Hans von 452 Keienburg, Fritz Hermann 380, 515, 520 Keil, Horst 535 Kellner, Erich 104 Kempermann, Johan-Peter 487, 489 Kentmann, Wilhelm 333 Kerstiens, Ferdinand 120 Kiesinger, Kurt-Georg 66 Kirchner, Robert 51, 490 Kirst, Victor 435, 467 Klusendick, Theodor 375 Klawitter, Helge 207 f., 211, 214, 218, 238 Kleff, Michael 76, 152, 170 Klein, Ludwig 117, 125 Klein, Michael 4 Klein-Hattingen, Oskar 21 Kleinert, Detlef 494 Kleinmann, Dieter 390 Kloke, Rolf 250 Kloppenburg, Heinz 139, 191 Klose, Hans-Ulrich 257 Klotz, Werner 532–536 Klüber, Franz 124 Klug, Ulrich 104, 168, 197, 257, 366, 486, 492 Kluge, Jürgen 378, 380 Klumpp, Werner 86, 281, 284 f., 287, 296, 330–332, 419, 426–428, 439 Knabenbauer, Norbert 180, 208, 221, 223 f. Knobloch, Ute 528 Knüllig, Werner 496 Koch, Claus 102 Koch, Nikolaus 216, 219, 231, 241 Kogon, Eugen 458 Kohl, Helmut 67, 167, 324, 488 Köhler, Ayyub A., 322 König, Rene 181, 189 f. Koppelin, Jürgen 484 Körper, Kurt 65, 72 Krabbe, Wolfgang R. 151 f.
609
Kranzusch, Hugo 545 Kratz, Wolfgang 524 Kronauer, Heinz 510 Kronenberg, Friedrich 323 Krüger-Limberger, Ulrich s. Krüger, Ulrich Krüger, Ulrich 279, 281, 284 f., 288, 290, 300, 328, 354, 401 f., 423, 427 f., 436 Kuby, Heinz 102 Kühlmann-Stumm, Enzio von 128, 144, 146 Kühn, Detlef 371–373 Kühn, Heinz 257, 439, 461 Kühn, Oskar 517, 520 Küng, Hans 112, 560 Künneth, Walter 563 Kunst, Hermann 7, 37, 56, 122, 133– 138, 140, 145, 148, 416, 427, 449, 450 f., 456–459, 461–463, 366 f., 369, 470, 472–476, 532, 534, 543– 545 Kunze, Jürgen 152, 159 Kuper, Bernd-Otto 115 Kupisch, Karl 139 Kusche, Christian 357, 481 Lambsdorff, Otto Graf 281, 284 f., 287, 296, 372, 387, 414, 433 f. Lang, Klaus 113 Lange, Erhard H. M. 38 Laurien, Hanna Renate 109, 262 Lehmann, Reinhold 113 Lehming, Sigo 284 Lehner, Gunthar 103 Lenz, Georg 97 Lenz, Siegfried 182, 190 Lepsius, Rainer 43 Leuze, Eduard 139 Lewenthal, Rafael 328 f. Lichtwark, Werner 258 Lilje, Hanns 74, 136, 140–145, 449 Lindemann, Andreas 347 f., 351, 429, 433 f., 497 Lindemann, Helmut 120, 347, 497 Link, Herta 97 Loer, Herr 497
610
Personenregister
Lohse, Eduard 4, 348–350, 406, 414, 450, 459, 461, 493 f., 496–500, 517 Lohse, Ewald 345 Löwenstein, Otto von 73 Lübke, Heinrich 142 Luchtenberg, Paul 7, 40–42, 44 f., 49, 51, 59 f., 67, 71, 83, 98 f., 103, 130 f., 137, 139, 141, 145, 184, 479 Lüder, Wolfgang 285, 361 f., 428 Lüders, Elisabeth 97, 143 Ludwig, Heinrich 120 Luther, Martin 560, 563 Mager, Reinhold 136 Maier, Reinhold 37, 39, 54, 56–61, 89, 137–141, 173, 422 Maier, Robert 115, 161, 166, 169, 171, 175–178, 180, 213, 220–222, 242– 244, 246, 252, 271, 274 f. Maihofer, Werner 113 f., 167–169, 197, 281 f., 296, 401, 417, 424 f., 429, 452, 467, 522 Maltusch, Gottfried 498 Marczy, Oskar 534 Marx, Karl 178, 241, 242 Matthäus-Maier, Ingrid s. Matthäus, Ingrid Matthäus, Hildegard 428 Matthäus, Ingrid 115, 161, 166–169, 171, 177, 180, 214, 218, 221, 224, 243 f., 252, 269, 270–273, 281 f., 291 f., 296, 300 f., 306 f., 310–312, 314, 325 f., 332, 366 f., 369 f., 372 f., 380, 383 f., 386 f., 401 f., 408, 410, 420 f., 425 f., 429 f., 433–435, 488 Matthiesen, Gunnar 159 Mausbach, Joseph 35 Mayer, Rudolf 534 Mehringer, Otto 510 Meiser, Hans 131 Melsheimer, Otto 504 Mende, Erich 49, 52, 61, 67 f., 75, 82 f., 87, 89, 97–100, 143, 146, 157, 257 f. Menne, Ferdinand 113 Mensching, Gustav 198 Mestern, Hans 489 Metz, Adeline 366
Metz, Johann Baptist 112 Metzger, Günther 466, 532 Metzger, Ludwig 139 Meurer, Siegfried 503 f. Meyer, Gerhard Moritz 81, 279, 490, 500 Meyer, Hans Philip 496 f., 540 Middelhauve, Friedrich 53, 89 Mikat, Paul 98, 261 Mischnick, Wolfgang 106, 144, 149, 286, 355, 443, 452, 467, 469 Mitscherlich, Alexander 181, 189 f., 196 f., 200 Mock, Alois 309 Moersch, Dieter 146 Moersch, Karl 102 f., 145, 321, 389 Mohaupt, Lutz 471, 487 Möllemann, Jürgen 167, 285, 387 Möller, Martin 43 Montesquieu, Charles-Louis 55 Mozart, Wolfgang Amadeus 182 Mühlenfeld, Hans 71 Müller-Heidelberg, Till 182, 190, 196 Müller-Link, Samuel 487 Murawski, Klaus Peter 426 f., 540 Mussolini, Benito 230, 562 Mutius, Albrecht von 180, 221, 284, 291, 296, 299, 500, 502–505, 509, 517, 520, 551 Muus, Hans-Peter 357, 481 Naumann, Friedrich 23–29, 31 f., 35– 38, 54 f., 83, 311, 508 Naumann, Werner 48 Nauwerck, Karl 17 Negenborn, Gerhard von 353 Nell-Breuning, Oswald von 35 Neubert, Hans-Jürgen 545 Neugebauer, Alfred 128 Neumayer, Fritz 52 Neunhöffer, Friedrich 168 f., 217, 222, 269, 275, 278 f., 281 f., 291, 296, 327 f., 390, 392, 395, 398, 408, 410, 426, 430 f., 433 Niemeier, Johannes 4 Niemöller, Martin 95, 132 f., 136 Nietzsche, Friedrich 197 Niggeloh, Lore 366, 514
Personenregister
Noltenberg, Erwin 229 Nuyken, Wessel 456 Obendiek, Enno 502–504, 506, 522 Ohly, Hans 200 Oldenburg, Peter 70 Opitz, Rudolf 208 Ortmann, Friedrich 197 Osenberg, Artur 210 f., 223, 232 f., 235, 238, 241 f. Osswald, Albert 354, 461 Ostmann, Gottfried 534 Ott, Sighart 458 Otto, Rudolf 30 Pacelli, Eugenio 38 Pawlowski, Harald 113 Peter, Wolfgang 125 Petersen, Alfred 483 f., 500 Pioch, Reinhard 489 Pius XII. 59, 95 Popper, Karl 161, 173 f., 253, 529 Posser, Diether 517 Post, Werner 116 Preusker, Victor-Emanuel 52, 135, 137 Preuß, Hugo 34 Quaas, Ludwig 506 Rade, Martin 25, 30, 32, 37 Rädiker, Gertrud 429 Rahner, Karl 108, 112, 560 Raichle, Gerhard 534 Raiser, Ludwig 122 f., 144, 146, 451 f., 449 Rapp, Hans-Reinhard 448 Rath, Peter 3, 180, 216, 219 Rau, Johannes 461 Rauscher, Anton 103 Rawer, Bernhard 389, 399, 419 Reich, Karlheinz 75 Reiß, Heinrich 375 Reitz, Rüdiger 325, 458 Richter, Eugen 20 f. Richter, Hans Werner 182 Rick, Meinhard 125 Rieger, Alfred 256
611
Riemer, Horst Ludwig 143, 175–177, 246, 266, 370, 435, 438 f., 502, 508 f., 523 Riess, Helmut 380 Rieß, Hermann 534 Rilling, Detlef 42, 90 Robinsohn, Hans 218 Roepke, Claus Jürgen 340, 437, 471, 474 f. Rohde, Helmut 461 Rohe, Karl 69 Rohkrämer, Martin 504 Röhler, Hans-Joachim 510 Ronneburger, Uwe 280 f., 284, 288 f., 296, 300, 357–361, 401 f., 428, 452, 469, 472, 480, 482–485, 511, 548 f. Rösch, Klaus 532 Rose, Eckart 208, 210–212 Rosenboom, Enno 481 Ross, Albrecht 533 Roth, Dieter 215 f., 218 Roth, Ernst 319, 460 Roth, Wolfgang 269, 461, 540 Rott, Wilfried 497 Rousseau, Jean-Jacques 55 Rübesamen, Karl-Heinz 396 Rubin, Hans Wolfgang 105, 142, 154, 168, 281–283, 291, 293, 296, 318, 327 f., 366 f., 401, 424, 428, 467 Runge, Jürgen-Bernd 169 Ruppert, Michael 171 Rupprecht, Hermann 337, 339–341, 404, 469 Rüstow, Alexander 98 f. Rutschke, Wolfgang 146 Rütten, Theo 42 Sak, Walter 286 Saligmann, Rolf 208 Samuel, Herbert 487, 489 Schäfer, Hans 137 Schäfer, Helmut 401, 406, 510 Schäfer, Hermann 52 Schäfer, Karl-Theodor 534 Scharbau, Friedrich-Otto 481 Schardt, Alois 109 Scharf, Kurt 7, 363, 461, 467
612
Personenregister
Scheel, Walter 49, 52, 75 f., 82 f., 175, 246, 259, 286, 317–319, 322 f., 348, 359 f., 459 f., 463, 497 f., 531 Scheib, Ludwig 510 Schelling, Thilo 270 Schelsky, Helmut 162 Schepper, Rainer 209 f. Scherer, Hans-Peter 165, 173, 208, 271 Scheunemann, Klaus 195, 205, 215, 239 Scheuner, Ulrich 517–519, 461, 520 Scheven, Dieter 504 Schieder, Julius 131 Schiller, Theo 102, 170 Schimkowsky, Reinhard 361 f., 428 Schlaich, Klaus 467–469, 488 Schlegel, Jörg 430 Schlette, Heinz Robert 110 f., 113, 115, 125 Schmidt, Hans-Georg 490 Schmidt, Hansheinrich 149 Schmidt, Helmut 285 f., 442, 470, 491 f., 554 Schmidt, Hermann-Josef 196, 199, 202 f., 265–267 Schmidt, K. V. 322 Schmidt, Martin 22 Schmidt-Harries, Helmut 419 Schmitt, Heidrun 250 Schmitt, Karl 13, 43 Schmitt, Volker 120 Schmitz, Hans Josef 116 Schmölder, Konstanz 124 Schmude, Jürgen 442 Schneider, Fritz 122, 333 f., 439, 406, 461, 510 f., 514, 546, 548 f. Schneider, Grete 467 Schneider, Reinhold 187 Schnell, Hugo 451 Schober, Theodor 465 Schoener, Gerhard 182 Scholder, Klaus 53 f., 58, 68, 138–140, 281, 284, 288, 300 f., 338, 390 f. Schollwer, Wolfgang 145 f., 154 Scholz, Matthias 4, 60, 86 Schrey, Heinz-Horst 138–140 Schröder, Hinrich 483
Schröder, Karl-August 485 Schroers, Rolf 101–104, 107, 116, 127, 145, 251, 259, 281–283, 291 f., 296, 300–302, 304, 313, 366 f., 433 f., 458 Schroers, Tilman 283 Schuchardt, Helga 44, 487 Schulz-Tornau, Joachim 270 Schumacher, Herr 135 Schümer, Gerhard 520 Schüssler, Gerhard 172 Schütz, Klaus 363, 365 Schwan, Alexander 104 Schwarz, Karl Wilhelm Heinrich 16 Seidl, Wolfgang 55 f. Seifert, Paul 492 Servetus, Michael 560 Sieglerschmidt, Hellmut 465, 549 Siekmann, Dieter 176, 213, 221, 260, 269, 272, 281 f., 296, 300, 376 Sill, Werner 347 Simon, Helmut 461 Simonsmeyer, Margot 221, 270, 385, 429 Sohm, Rudolf 26–29 Sondermann, Erna 539 Stadtler-Euler, Maja 486, 488 f. Stakemeier, Heinrich 7, 439 f. Stancke, Joachim 106, 116, 129 Starke, Heinz 83 Stauffenberg, Frank von 21 Steffen, Bernhard 352 Stein, Joachim 533 f. Steinhoff, Fritz 479 Stiller, Horst Walter Erhard 481 Stimpel, R. 351 Stockmaier, Thomas 129 Stoecker, Adolf 25–27 Stoltenberg, Gerhard 360, 442, 491 f. Stolz, Winfried 497 Strasser, Johano 540 Strauß, Franz Josef 94 Struve, Gustav 17 Stützer, Wolfgang 124 Sucker, Wolfgang 143 Supper, Alfred 144 Süsterhenn, Adolf 39 Szczesny, Gerhard 5, 181–190, 192– 196, 200 f., 207 f., 215, 232, 241
Personenregister
Taeglichsbeck, Ernst 497 Taeglichsbeck, Marianne 347 Tenbruck, Friedrich H. 63 Tenhumberg, Heinrich 99, 106, 206 Thiersch, Rolf 97 Thies, Joachim 484 Thimme, Hans 461, 494, 502, 509, 516 f., 522 f. Till, Klaus 524 Tillmanns, Robert 133 Tjaden, Ursula 238 Torres, Camillo 231 Traub, Gottfried 35 Troeltsch, Ernst 30, 32 Trommershäuser, Rolf 279, 528 Uhlhorn, Jürgen 496 Ullrich, Willy 427 Ungeheuer, Joseph 51 Urbaniak, Hans 219 Vellmer, Erich 523 f., 528 f. Verheugen, Günter 171 Viering, Fritz 479, 522 f. Vieten, Rolf 328 f., 354 Vietinghoff, Konrad von 345 Vilmar, Fritz 198 f. Voeglin, Eric 98 Vogel, Bernhard 109, 324, 504 Vogt, Carl 17 Wallenreiter, Christian 181 Wallraff, Günther 124 Wallraff, Hermann Joseph 113 Walser, Martin 182 Walz, Ingrid 534 Wandersleb, Friedrich-Wilhelm 499 Warmers, Erich 499 Warnach, Walter 104 Weber, Gerhard 353, 427, 487, 489 f. Weber, Rudi 511 Weber, Klaus 125, 128, 320, 322 Weber, Max 25–27, 30 Weber, Wilhelm 103, 120 Wedel, Reymar von 465 Weeber, Rudolf 449, 451, 530 Wegener, Heinz 479 Wehner, Herbert 269, 325, 461
613
Weicker, Gottfried 47 f., 131 Weigend-Abendroth, Friedrich 109, 125 Weiskirch, Willi 262, 324 Weizsäcker, Richard von 441, 467 Welcker, Karl Theodor 16 Welker, Georg 333 Wellhausen, Hans 133–137 Wendig, Friedrich 497, 499 Wendt, Hans-Jürgen 487 Wengst, Udo 90, 94 Wenig, Karl-Heinz 347 Werner, Olaf 351 Werthern-Beichlingen, Thilo Graf 102 Westphal, Heinz 461 Weyer, Heinrich 281, 284 f., 296 Weyer, Willi 7, 49, 52, 62, 145–147, 175–177, 242, 246, 257, 439, 502, 517 Wichern, Johann Hinrich 24 Wichern, Johannes 24 Wiehn, Erhard Roy 86 f., 103 Wigard, Franz 17 Wild, Hermann 38 Wilde, Eberhard 339, 383 Wilken, Waldemar 483, 490 Wilkens, Erwin 2, 7, 122 f., 259, 447– 449, 456 f., 467, 469–472, 477, 488, 505 Wilm, Ernst 132, 143, 516 Winkelmann, Wilhelm 376, 378 Wirsching, Andreas 14, 30 Witte, Barthold C. 102, 145, 160, 312 Wittmann, Kurt 545 Woelker, Sepp 460 Wölber, Hans-Otto 259, 340, 471, 486–492, 542 Wolf, Ernst 139 Wolf, Friedrich 95 Wolfgramm, Torsten 429 Wöste, Wilhelm 106, 129, 323 Wuermeling, Franz-Josef 54 Wurbs, Richard 149 Würthwein, Karl-Adolf 534 Wyneken, Gustav 192–194
614 Zahrnt, Heinz 488 Zeiss, Karl 355 Zerlik, G. M. 351 Zoellner, Josef 458
Personenregister
Zoglmann, Siegfried 83 Zulauf, Harald 373 f. Zundel, Rolf 120 Züwitz, Werner 484