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German Pages [520] Year 2013
Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte
Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 57
Vandenhoeck & Ruprecht
Gerhard Gronauer
Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55772-3 ISBN 978-3-647-55772-4 (E-Book) 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil I: Vorbemerkungen und Voraussetzungen 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Zeitliche und inhaltliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Wahrnehmungstheoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Vorurteilslosigkeit, Voraussetzung und Vorverständnis . . . . . 3.2 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 22 27
4. Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse und die Zeitschriftenauswahl des III. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Beschreibung der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Exkurs: Die Schritte der qualitativen Inhaltsanalyse . . . . 5.3 Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials
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38 38 40 43
1. Der Staat Israel als Störfaktor der Mission (1948 – 1957) . . . . . . . 1.1 Einführung in den Zeitabschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Von der Gründung des Staates Israel 1948 bis zum Suezkrieg 1956: Politischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 „Mit tiefem Mitgefühl“: Die traditionelle Palästinamission . . . 1.3.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die deutschen Einrichtungen in Westjordanien . . . . . . 1.3.3 Das deutsche Missions- und Kircheneigentum im Staat Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 „Zeugnis für Zion“: Die traditionelle Judenmission . . . . . . . 1.4.1 Judenmission und Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Der Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 53
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Teil II: Zeitgeschichte
54 60 60 65 72 77 79 84 97
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Inhalt
1.5 „Präludium“ der messianischen Zeit: Die ,progressiven‘ Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Kurt Scharf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Hermann Maas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 „Die selbstverständliche Pflicht“: Die ,Schilumim‘ (1952) 1.6.1 Politischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Protestantische Stimmen . . . . . . . . . . . . . .
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2. Der Staat Israel als ,Motor‘ der christlich-jüdischen Annäherung (1958 – 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einführung in den Zeitabschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „Meine zweite Taufe“: Israelreisen als theologische ,Erfahrung‘ . 2.2.1 Israelreisen 1958 und 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das zehnjährige israelische Staatsjubiläum . . . . . . . . 2.2.3 Aktion Sühnezeichen vor 1967 . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Der Münchner Kirchentag (1959) . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Besuch der EKD-Delegation in Israel (1962) . . . . . . . . 2.2.6 Der deutsche Beitrag zu Nes Ammim . . . . . . . . . . . 2.3 „Respekt vor diesem jungen Staat“: Die lutherische Judenmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Diskussion um die Aktivitäten von Per Faye-Hansen . . . 2.3.3 Der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Zeitschrift Friede über Israel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 „Uns als ganzes Volk unserer Vergangenheit stellen“: Politische Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die finanzielle Verantwortung der Kirche . . . . . . . . . 2.4.2 Der Eichmann-Prozess und der Berliner Kirchentag (1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Affäre Malsch 1962/63 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel (1965) . . . . . . . . . . . . . 3. Der Staat Israel als Politikum (seit 1967) . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung in den Zeitabschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Sechstagekrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die politische Entwicklung im Vorfeld des Krieges . . . 3.2.2 Die Kampfhandlungen vom 5. bis 10. Juni 1967 . . . . . 3.2.3 Die politischen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Protestantische Reaktionen auf den Sechstagekrieg . . . . . . 3.3.1 „Der Friede ist gefährdet“: Stellungnahmen vor dem 5. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 „Nicht mit Gleichmut“: Stellungnahmen seit dem 5. Juni
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107 107 109 115 115 119
126 126 127 127 132 135 137 139 142 148 148 151 155 156 159 159 163 173 178 194 194 195 195 196 198 200
. 200 . 202
7
Inhalt
3.3.3 „Gottes Verheißung“: Aufruf der West-Berliner Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Weitere Diskussionen und Entwicklungen . . . . . . . . . . . 3.4.1 „Weg zum Frieden“: Kirchentag in Hannover (21.–25. Juni 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 „Proisraelisch, nicht antiarabisch“: Helmut Gollwitzer . 3.4.3 „Keine religiöse Verklärung“: Erklärungen von CFK und ÖRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 „Ein fremdes Volk auf arabischem Boden“: Martin Niemöller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 „Verdacht der Judenfeindschaft“: Die ,neue Linke‘ . . . 3.4.6 Die EKD-Studienkommission ,Kirche und Judentum‘ . 3.5 Die kirchlichen Aktivitäten in Israel/Palästina . . . . . . . . . 3.5.1 Das Diakonische Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Die Propstei in der Amtszeit Hansgeorg Köhlers . . . . 3.5.3 Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste . . . . . . . . . . 3.5.4 Die Propstei in der Amtszeit Helmut Glattes . . . . . . . 3.6 „Keine besondere ,Israeltheologie‘“: Zentralverein und VELKD-Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ nach Juni 1967 . 3.6.1 Zeitschrift Friede über Israel . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 VELKD-Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ . . . . . . 3.6.3 Diskussion um die Aktivitäten von Per Faye-Hansen . .
. 207 . 212 . 212 . 215 . 217 . . . . . . . .
220 221 226 229 229 230 235 238
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240 240 242 244
Teil III: Publizistik Vorbemerkungen: Das Klassifizierungssystem . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Erste Phase (1948 – 1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit . . . . . . . 1.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Kritik an einer theologischen Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah . . 1.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah . . . . 1.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel 1.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . 1.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . 1.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem . . . 1.3.4 Der Status Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 255 . 255 . 255 . 258 . . . . . . . . . .
262 271 271 272 274 277 277 278 279 281
8
Inhalt
1.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel . . . . . . . . . . 1.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel . . . . . . . . 1.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen 1.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite . . . . . 1.5.1 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft . .
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2. Zweite Phase (1959 – 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit . . . . . . . 2.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Kritik einer theologischen bzw. heilsgeschichtlichen Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah . . 2.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah . . . . 2.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel 2.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . 2.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . 2.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem . . . 2.3.4 Der Status Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel . . . . . . . . . . . 2.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel . . . . . . . . . 2.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen . 2.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite . . . . . . 2.5.1 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Lebensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft . . .
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282 283 283 284 286 286
. 289 . 289 . 289 . 290 . . . . . . . . . . . . . . .
293 296 296 297 302 305 305 306 308 309 310 310 312 313 314
. 314 . 315
3. Dritte Phase (1967 – 1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit . . . . . . . . 3.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Ablehnung einer theologischen bzw. heilsgeschichtlichen Bedeutung des Staates Israel . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah . . . 3.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah . . . . . 3.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel .
317 317 317 318 324 328 328 329 331
9
Inhalt
3.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . 3.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens . . . . . . . . . . 3.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem . . 3.3.4 Der Status Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Der Status der seit 1967 besetzten Gebiete (ohne Ost-Jerusalem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel . . . . . . . . . . 3.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel . . . . . . . . 3.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen 3.4.4 Kritik am palästinensischen Terrorismus . . . . . . . 3.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite . . . . . 3.5.1 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Lebensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft . .
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333 333 336 340 343
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345 347 347 349 352 355 357
. . 357 . . 359
Teil IV: Ausblick und Ergebnis 1. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Ergebnis des historischen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Erste Phase (1948 – 1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Palästinamission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Judenmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Progressive Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Das ,Schilumim‘-Abkommen von 1952 . . . . . . . . . 2.2 Zweite Phase (1958 – 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Israelreisen als theologische ,Erfahrung‘ . . . . . . . . 2.2.2 Die „Delegationsreise“ der EKD 1962 . . . . . . . . . 2.2.3 Zusammenarbeit zwischen Progressiven und Pietisten 2.2.4 Innerprotestantische Auseinandersetzungen . . . . . 2.3 Dritte Phase (seit 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 EKD und Gliedkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Weitere Diskussionen und Entwicklungen . . . . . . . 2.3.3 Kirchliche Aktivitäten in Israel/Palästina . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . .
370 370 370 371 372 373 373 373 375 375 376 378 378 379 380
3. Ergebnis des publizistikwissenschaftlichen Teils . . . . . . . . 3.1 Erste Phase (1948 – 1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . 3.1.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . 3.1.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . 3.1.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite.
. . . . . . .
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381 381 381 383 384 384 385
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Inhalt
3.2 Zweite Phase (1959 – 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . 3.2.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . 3.2.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . 3.2.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite 3.3 Dritte Phase (1967 – 1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Religiöse und theologische Aspekte . . . . . . . . . 3.3.2 Säkulare Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen . . . . . . . . . 3.3.4 Parteinahme für den Staat Israel . . . . . . . . . . . 3.3.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite 3.4 Überprüfung der Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . .
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385 386 387 388 389 390 390 391 393 394 395 396 397
4. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Hebräische und arabische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der im publizistikwissenschaftlichen Teil analysierten Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige verwendete Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 411 . 411 . 412 . 422
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Personenregister/Biographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . 478
Vorwort Das vorliegende Buch behandelt die Wahrnehmungen des Staates Israel im westdeutschen Protestantismus von 1948 bis 1972 unter Berücksichtigung der evangelischen Publizistik und stellt die überarbeitete Fassung der Studie dar, die vom Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg im Mai 2008 als Dissertation angenommen wurde und den Titel trug: „Die Wahrnehmung des Staates Israel im westdeutschen Protestantismus von 1948 bis 1972 unter Berücksichtigung der evangelischen Publizistik“. Bei der Abfassung dieser Arbeit und der jetzigen Veröffentlichung bin ich von zahlreichen Personen unterstützt worden, denen ich sehr dankbar bin. Der erste Dank gilt Professor Dr. Berndt Hamm für seine Betreuung, für die häufigen Aufmunterungen und für die durch ihn gewonnenen Einblicke in kirchengeschichtliche Zusammenhänge. Ihm und Professor Dr. Wolfgang Kraus danke ich für die Erstellung der Gutachten. Professor Kraus vermittelte mir hilfreiche Kenntnisse des Judentums und des jüdisch-christlichen Dialogs, nicht zuletzt durch die Gespräche in der von ihm geleiteten Theologischen Arbeitsgemeinschaft des Vereins „Begegnung von Christen und Juden in Bayern“. Dankbar bin ich auch für die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von mir besuchten kirchlichen Archive. Stellvertretend für alle nenne ich Dr. Friedrich Künzel vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin. Auch die biographischen Hinweise am Ende des Buches hätten ohne die Hilfe der Archivmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht vervollständigt werden können. Die diesem Buch zugrunde liegende Forschungsarbeit wäre zeitlich nicht möglich gewesen, hätte mir das „Studienförderwerk Klaus Murmann“ der „Stiftung der deutschen Wirtschaft“ nicht ein großzügiges Stipendium bewilligt. Das dortige Netzwerk an Stipendiatinnen und Stipendiaten aus allen Fachrichtungen ermöglichte mir zudem eine unschätzbare Horizonterweiterung im Blick auf politische und ökonomische Zusammenhänge. Und dass mir die Staedtler-Stiftung für die Dissertation ihren Promotionspreis verliehen hat, verstehe ich als eine ideelle Anerkennung meiner Mühen und als finanzielle „Aufwandsentschädigung“ für die Autofahrten durch Deutschland und die Reisen nach Israel und Palästina, die bei meinem Forschungsprojekt nötig geworden waren. Bei diesen Reisen und Fahrten durfte ich unzählige Personen kennenlernen, die mir ein lebendiges, facettenreiches Bild christlicher Annäherungen an die Israel-Thematik vermittelten. Besonders eindrucksvoll waren die Gespräche mit den Zeitzeugen Landesbischof i.R. Dr. Johannes Friedrich, Professor Dr.
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Vorwort
Rolf Rendtorff, Pfarrer i.R. Ernst Ludwig Schmidt, Professor Martin Stöhr und Walter Sylten. Danken möchte ich zudem den Menschen, die mir in Israel und Palästina begegnet sind und mir ihre aus persönlicher Erfahrung geschöpfte Sicht des Nahostkonflikts nahe gebracht haben. Herrn Dr. Daniel Meier, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Abteilung Christliche Publizistik, schulde ich für die Anfangszeit einige Kenntnisse des kirchlichen Pressewesen. Hervorheben will ich auch die Historiker Norbert Friedrich, Uwe Kaminsky und Roland Löffler, die es mir ermöglicht haben, bei einer internationalen Düsseldorfer Konferenz zu referieren, die unter dem Thema „The Social Dimension of Christian Missions in the Middle East“ stand. Der Austausch mit den Forscherinnen und Forschern aus Deutschland, Israel und einigen europäischen Ländern erschloss mir das weite Feld der Palästinamission(en) im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Besonderen Dank gebührt auch den beiden Professoren Dr. Siegfried Hermle und Dr. Harry Oelke, die meine Studie in die Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ aufgenommen haben. Durch ihre Hinweise und Rückmeldungen haben sie mich geduldig bei der Überarbeitung des Manuskripts unterstützt. Und ohne den Halt durch meine Frau Ruth wäre die Veröffentlichung wohl nicht zustande gekommen. Mit ihr hoffe und bete ich, dass unsere Söhne Joel und Samuel einmal Zeiten erleben werden, in denen sich der Nahe Osten politisch entspannt haben wird und sich Israelis und Palästinenser in Frieden und Freiheit das Heilige Land teilen können. Dinkelsbühl, im Dezember 2012
Gerhard Gronauer
Teil I: Vorbemerkungen und Voraussetzungen
1. Einleitung Die Diskussion um ein israelkritisches Gedicht des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass vom 4. April 2012 zeigt es erneut: Seit Jahrzehnten wird der seit der britischen Mandatszeit andauernde jüdisch-islamische Antagonismus im Nahen Osten in westlichen Nachrichtenredaktionen und Feuilletons, auf Kanzeln und Kathedern und – seit den 1990er Jahren – in Internetenzyklopädien und Weblogs fortgesetzt.1 Manche Streitfragen wiederholen sich von Zeit zu Zeit, wie auch die im April 2012 von Günter Grass aufgeworfene: Handelt es sich bei den Maßnahmen des Staates Israels zur Sicherung seines Lebensrechts und seiner Landesgrenzen um eine legitime Verteidigung oder um unverhältnismäßige Vergeltungsaktionen und ,Gefährdung des Weltfriedens‘ (Grass)? Auch die den Nahen Osten betreffenden Meinungen aus dem Raum der Kirche werden in der Öffentlichkeit registriert und – je nach zugrunde gelegter Position – gewürdigt oder kritisiert. So riefen im August 2011 die Thesen des ehemaligen Vorsitzenden des Konvents der Beistandspfarrer für Kriegsdienstverweigerer, Jochen Vollmer, einen Schlagabtausch von gegensätzlichen Positionen im Deutschen Pfarrerblatt hervor. Vollmer tadelte in einem Aufsatz die angeblich einseitig proisraelische Ausrichtung des deutschen Protestantismus, wodurch die Palästinenser als „Opfer von Opfern“ vergessen würden. Dass immer noch viele auf der Seite des Staates Israel stünden, der doch „Hunderttausende unschuldige Menschen zu Opfern gemacht hat und noch immer macht“, führte Vollmer auf eine verkehrt ablaufende ,Kompensation‘ der nationalsozialistischen Verbrechen durch die Deutschen zurück.2 Dass der Protestantismus eine verzerrte, einseitig positive Sicht auf den Staat Israel einnähme, wie Vollmer konstatiert hatte, wurde von Christian Hartung widersprochen. Letzterer schilderte in der nächsten Ausgabe des Pfarrerblattes seinen exakt gegensätzlichen Eindruck: „Gerade in kirchlichen Kreisen (erst recht in friedensbewegten) erlebe ich viel eher eine ,Verzerrung‘ zugunsten der Palästinenser.“3 In den Augen des ehemaligen Chefredakteurs der ZEIT, Michael Naumann, würde sich Vollmers leidenschaftlicher Artikel sicher gut in den von ihm 2002 1 Grass veröffentlichte das Gedicht „Was gesagt werden muss“, das eigentlich nur ein sprachlich aufbereiteter politischer Kommentar ist, in der Süddeutschen Zeitung und machte sich v. a. durch den Satz angreifbar: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“ (Grass, Was gesagt werden muss). – Vgl. die polemische Antwort von Broder, Lob. 2 Vollmer, Nationalgott, 404 u. 406. 3 Hartung, Narrativ, 491.
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diagnostizierten „neue(n) deutsche(n) Tonfall“ einfügen, der sich gegenüber Israel überheblich und einseitig kritisch artikuliere.4 Je nach eigenem Standpunkt kann man also in Deutschland und im deutschen Protestantismus einseitig proisraelische oder einseitig israelkritische Stellungnahmen ausmachen. Ohne Zweifel kritisieren Repräsentanten des verfassten deutschen Protestantismus, der aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und den in ihr zusammengeschlossenen Landeskirchen besteht, immer wieder politische Maßnahmen der israelischen Regierung. Als ranghohe EKD-Vertreter im März 2002 die israelische Siedlungspolitik tadelten, war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen: „Die traditionelle israelfreundliche Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Landeskirchen wandelt sich. Sie weicht immer stärker einer kritischen Haltung.“5 Angesichts dieses Urteils stellen sich die Fragen: Markieren jüngere, die Politik Israels problematisierende Stellungnahmen einen spürbaren Positionswechsel? Und hat es jemals eine bestimmte, als ,traditionell‘ zu titulierende Haltung der EKD gegenüber dem Staat Israel gegeben? Noch komplizierter wird die Frage, wenn man über die kirchenleitenden Organe hinausgeht und den deutschen Protestantismus im Allgemeinen betrachtet: Welche Tendenzen zeigen sich bei der hier zu erkennenden Pluralität und Stimmenvielfalt? Die Existenz des Staates Israel und der damit verbundene territoriale Konflikt sind seit 1948 für viele Christen zu einem immer wichtigeren Thema geworden. Theologisch war die Frage von Bedeutung, ob aufgrund der biblischen Verheißungen dem jüdischen Volk ein Anspruch auf das Land zukommt. In ethischer Hinsicht dachte man darüber nach, welche Haltung gegenüber Israel und dem Nahen Osten wegen des von Christen geduldeten Genozids an den Juden angemessen sei. Und aus beiden Betrachtungsweisen zogen Christen unterschiedliche politische Konsequenzen. Die vorliegende Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Zum einen handelt es sich um eine zeitgeschichtliche Studie, die sich mit der Zeit von 1948 bis Anfang der 1970er Jahre beschäftigt. Hier geht es um dominierende Ereignisse sowie prägende Personen und Texte. Dieser Aspekt bestimmt primär Teil II. Der III. Teil stellt eine publizistikwissenschaftliche Untersuchung dar, die das gleiche Thema innerhalb von Printmedien analysiert. Hier stehen keine Individuen oder Institutionen mit elaborierten Verlautbarungen im Mittelpunkt, sondern inhaltliche Aussagen. Der zeitgeschichtliche und der publizistikwissenschaftliche Aspekt ergänzen sich und ergeben zusammen ein Bild der protestantischen Wahrnehmung des Staates Israel. Mit diesem interdisziplinären Ansatz folge ich ein Stück weit der in der Geschichtsschreibung immer wieder geforderten Ablösung der rein institutionen- und politikzentrierten Perspektive zugunsten einer Beschäftigung mit der „Breiten4 Naumann, Tonfall. 5 Rasche, Ton; Bezug auf Aussagen von EKD-Ratsvorsitzenden M. Kock und Bischof W. Huber.
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wirkung von Ideen, religiösen Überzeugungen und theologischen Prägungen“, auch wenn die unterste „Ebene der alltäglichen Orientierungen und des Milieuverhaltens“6 nicht greifbar und somit dieses Kriterium der Mentalitätsgeschichte nicht eingehalten wurde. Aber mein Ansatz spiegelt die Erkenntnis wider, dass Kirchenleitungen mit ihren Verlautbarungen häufig auf eine Entwicklung reagierten, die zuvor bereits in der kirchlichen Öffentlichkeit unter Einschluss der Publizistik eingesetzt hatte. Bei der Nennung von Begriffen sowie Orts- und Eigennamen behalte ich die im Deutschen vertraute Schreibweise soweit als möglich bei. Nur bei kleineren israelischen Orten, bei denen vielfach mehrere deutsche Varianten kursieren, wird die englische Transkription verwendet, wie sie auch auf israelischen Straßenschildern zu finden ist.7 Die Hervorhebungen in den Zitaten sind, wenn nichts anderes angegeben ist, original. Zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern: Eine konsequente Durchführung der inklusiven Sprache würde die Lesbarkeit des Textes sehr beeinträchtigen. Nach den deutschen Sprachregeln stehen z. B. ,Christen‘ oder ,Leser‘ als nicht-markierte Formen für beide Geschlechter. Meine Wortwahl ist deshalb stets als geschlechtsneutral aufzufassen.8
6 Kuhlemann, Sozial- und Mentalitätsgeschichte, 17. 7 Ich orientiere mich hier an: O.Vf., Atlas. 8 S. a. Standop/Meyer, Form, 182 f; und Sick, Dativ, 168 f.
2. Zeitliche und inhaltliche Abgrenzung In dieser Studie zeichne ich die theologische, ethische und politische Perzeption des Staates Israel innerhalb des westdeutschen Protestantismus im Rahmen dreier Zeitperioden nach: 1948 – 1957/58, 1958/59 – 1967 und 1967 – 1972. Die Abgrenzungen der Zeitabschnitte variieren an einer Stelle zwischen dem ereignisgeschichtlichen und dem publizistikwissenschaftlichen Teil der Arbeit. Der für zeithistorische Dissertationen relativ lange Zeitraum von 24 Jahren ist mit der Absicht gewählt worden, eine Entwicklung und nicht nur eine Momentaufnahme präsentieren zu können. Dass ich 1948 einsetze, dem Gründungsjahr des Staates Israel, ist aufgrund der Themenstellung plausibel. Ansonsten ist aber nicht immer eine klare oder gar datierbare historische Zäsur auszumachen, da sich Geschichte und Zeitgeschichte stets im Fluss befinden. Allgemein bekannt ist, dass sich in den sechziger Jahren „ein tief greifender Umbruch nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in sämtlichen westlichen Industrienationen vollzogen hat.“1 Doch dieser Umbruch muss als ein mehrjähriger Prozess gesehen werden und kann nicht einfach an einem bestimmten Datum, auch nicht am Jahr 1968, festgemacht werden. ,1968‘ ist mehr eine Symbolzahl für den Generationenwechsel, der die Nachkriegszeit nachhaltig bestimmte. Nach welchen Kriterien kann nun die dieser Arbeit zugrunde liegende Zeitspanne weiter untergliedert werden? Für viele Darstellungen, die auf den bisherigen christlich-jüdischen Dialog zurückblicken, besteht der wichtigste Einschnitt im Jahr 1961, in dem die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (kurz Kirchentags-AG) erstmals das große deutsche Protestantentreffen mitgestaltete. Auch wenn die Aktivitäten der Kirchentags-AG zu einer Popularisierung von Dialogthemen beitrugen, so fungiert dieses Datum für meine Fragestellung keineswegs als eindeutig auszumachendes Schwellenjahr. Es besteht die Gefahr, dass bei Rückblicken auf die Entstehung des christlich-jüdischen Gesprächs ältere Organisationen gegenüber der 1961 ins Leben gerufenen Kirchentags-AG abgewertet werden. Dabei gerät z. B. der von Karl Heinrich Rengstorf geprägte Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI, auch RengstorfAusschuss genannt) leicht in Vergessenheit, obwohl auf Rengstorfs Tagungen seit 1948 regelmäßige Begegnungen von Christen und Juden stattfanden.2 Ferner ist zu beachten, dass schon vor dem Berliner Protestantentreffen 1961 der Staat Israel auf Kirchentagen behandelt wurde, zum Beispiel 1959 in 1 Greschat, Zeitgeschichte, 30. 2 So Hermle, Kirche, 213 – 251.
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München, wo der positive Verweis auf den jüdischen Staat eine Rolle in der Neubewertung des Judentums spielte. Weder der Suezkrieg 1956 noch der deutsch-israelische Botschafteraustausch 1965 noch ein dazwischen liegendes Ereignis aus der Nahostpolitik führte zu einer neuen Phase in der Bewertung der israelischen Staatlichkeit. Bei den Veränderungen von den 1950er zu den 1960er Jahren waren vielmehr die sozialen und politischen Entwicklungen innerhalb Westdeutschlands entscheidend. Sozialwissenschaftlich arbeitende Historiker setzen den Beginn der Modernisierungstendenzen der 1960er Jahre bereits Ende der 1950er Jahre an.3 Der Übertritt vieler Mitglieder der aufgelösten Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) wie Gustav Heinemann und Johannes Rau zur SPD sowie die Wahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister West-Berlins im Jahr 1957 stehen zeichenhaft für die zu erwartenden Umbrüche. Im kirchlichen Bereich waren die Debatte um den am 22. Februar 1957 abgeschlossenen Militärseelsorgevertrag und die als ,Atomsynode‘ bekannt gewordene Zusammenkunft der EKD im April 1958 symptomatisch, bei der über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr gestritten wurde; bei beiden Geschehnissen stellte es sich heraus, dass Teile des Protestantismus sich nicht mehr mit einer klassischen bürgerlichen Mentalität abfinden mochten. Auch für mein Thema bietet sich eine erste Zäsur zwischen 1957 und 1959 an, denn wirkungsgeschichtlich bedeutsam waren – in bestimmten Personenkreisen – das zehnjährige israelische Staatsjubiläum, die ersten Israelreisen der vor allem in der jungen Generation geschätzten Meinungsführer sowie der Kirchentag in München. Die antisemitischen Hakenkreuz-Schmierereien in westdeutschen Städten seit Weihnachten 1959 forcierten zusätzlich den vergangenheitsbewältigenden Diskurs. Eine noch konkretere Datierung dieses zeitlichen Einschnitts bleibt gewiss unbestimmt und vage, muss aber aus pragmatischen Gründen erfolgen. In Teil II der Arbeit lasse ich den neuen Zeitabschnitt 1958 beginnen, dem Jahr von Helmut Gollwitzers erster Israelreise und der israelischen Jubiläumsfeierlichkeiten. In den im III. Teil analysierten Printmedien sind in diesem Jahr noch keine Veränderungen auszumachen: Die Autorengruppe, die seit zehn Jahren die Ereignisse im Nahen Osten kommentiert, deutet auch 1958 den Staat Israel und verharrt dabei im bisherigen Interpretationsrahmen. Hier setzt der neue Zeitabschnitt 1959 ein, in dem Autoren wie Heinrich Grüber und Rudolf Weckerling für einen Neuanfang im christlich-jüdischen Gegenüber werben. Unabhängig vom Symboljahr 1968, unabhängig davon, dass die Studentenunruhen gerade am 2. Juni 1967 eskalierten – und mit dem getöteten Benno Ohnesorg auch eine erste Symbolfigur erhielten –, markierte der vom 5. bis 10. Juni 1967 andauernde dritte israelisch-arabische Krieg einen präzisen Einschnitt in der öffentlichen Wahrnehmung des Staates Israel und des 3 Auf dieser Zäsur basieren die Beiträge in Schildt/Siegfried/Lammers, Zeiten.
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Nahostkonflikts. Einige der Veränderungen, die in Folge des Sechstage- oder Junikrieges eintraten, werden in dieser Arbeit offen gelegt. Wegen dieser Schwellensituation werden der zweite und dritte Zeitabschnitt nicht beim vorhergehenden oder nachfolgenden Jahreswechsel, sondern beim Tag des Kriegsbeginns voneinander separiert. In den 1970er Jahren kam es hinsichtlich der Nahostthematik und ihrer Perzeption zu keinem derart einschneidenden Ereignis mehr. Auch der nächsten größeren Kampfhandlung zwischen Israelis und Arabern im Oktober 1973, dem so genannten Jom-Kippur-Krieg, kann keine analoge Bedeutung beigemessen werden. Die Loyalitäten und Solidaritätsbekundungen verliefen hier weitgehend in den Bahnen, wie sie bereits in den Jahren zuvor eingenommen wurden, zumal Israel während des Oktoberkriegs 1973 vor der westlichen Öffentlichkeit als glaubhaftes Opfer arabischer Aggression dastand. Wegen der mit dem Sechstagekrieg einsetzenden explosiven Zunahme an Zeitschriftenartikeln, Texten und Stellungnahmen zum Nahostgeschehen ist eine lange Ausdehnung des Untersuchungszeitraums über 1967 hinweg nicht mehr möglich. Im historischen Teil bearbeite ich noch die ersten Reaktionen und Entwicklungen nach dem Sechstagekrieg, lasse die Darstellung jedoch zirka 1970 auslaufen. Um für den publizistikwissenschaftlichen III. Teil mehr als drei Zeitschriftenjahrgänge analysieren zu können, schließt dieser mit dem Jahreswechsel Ende 1972. Der Jahreswechsel 1972/73 bietet sich insofern an, als er eine chronologische Nahtstelle zwischen dem Münchner Olympia-Attentat und dem Jom-Kippur-Krieg darstellt. Inhaltlich gesehen bildet die Fokussierung auf den Protestantismus nicht nur eine Abgrenzung gegenüber anderen Konfessionen. Der Protestantismusbegriff macht in den Augen Norbert Friedrichs deutlich, „dass sich das Forschungsinteresse nicht allein auf die verfasste Kirche und ihre Glieder erstreckt, sondern weitergehende, komplexere Phänomene erfasst.“4 Während Friedrich zu diesen Phänomenen die „Kulturbedeutung des Christentums“ zählt, während andere Zeithistoriker dazu die protestantischen Milieus in den großen Volksparteien rechnen, beruht mein Interesse am Protestantismus darauf, die Stimmenvielfalt auch jenseits der Kirchenleitungen in den Blick zu nehmen, namentlich verschiedene israelbezogene Organisationen und Einzelpersonen sowie kirchliche Printmedien. Letztere sind zwar in unterschiedlicher Weise mit der Amtskirche vernetzt, geben aber nicht nur einfach Äußerungen der ,offiziellen‘ Kirche wieder. Auch wenn die evangelikale Bewegung einschließlich der Pfingstkirchen zum Protestantismus gehört, weltweit im Wachstum begriffen ist und heute etwa ein Drittel der Gesamtchristenheit ausmacht,5 werde ich pietistischevangelikale Stimmen nur insoweit behandeln, als sie mit dem mainlineProtestantismus in Berührung gekommen sind. In Folge der gesellschaftlichen 4 Friedrich, Erforschung, 9. 5 So Greschat, Zeitgeschichte, 45 – 50.
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und theologischen Umbrüche der 1960er Jahre sowie – was unsere Thematik betrifft – der Ereignisse von 1967, nahm der Evangelikalismus eine von landeskirchlichen und ökumenischen Hauptströmungen unabhängige Entwicklung, die es notwendig machen würde, diese separat zu erforschen. Das gilt insbesondere für das Phänomen, das mit dem unpräzisen und daher umstrittenen Begriff christlicher Zionismus bezeichnet wird.6 Seit dem Zweiten Weltkrieg ist dieser in den USA am weitesten verbreitet und daher eher eine Randerscheinung im deutschen Protestantismus. Auch die Termini ,Westdeutschland‘ und ,westdeutsch‘ stellen eine Spezifizierung dar, die sich auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) bezieht. Auch wenn sich die Kirchen der DDR erst 1969 von der EKD trennten, ist ein reduzierter Blick auf Westdeutschland sachgemäß, denn die Wahrnehmung Israels geschah in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Bedingungen, der Politik der jeweiligen Regierung und mit der Möglichkeit von Nahostreisen.
6 Als Beitrag zur Erforschung des Evangelikalismus und des christlichen Zionismus können meine Aufsätze gelten: Gronauer, Endzeitfrömmigkeit; ders, Instrument; und ders., Hechler. – E. Brocke lehnt den Begriff des christlichen Zionismus ab, weil Zionismus eine ausschließlich jüdische Bewegung sei, der sich Christen nicht anschließen könnten (so Brocke, Frieden, 152).
3. Wahrnehmungstheoretische Überlegungen Wer über die Wahrnehmung des Staates Israel im Protestantismus schreibt, muss auch über seine eigenen Wahrnehmungsmuster Rechenschaft ablegen. Diese bilden sich – um die Terminologie der Textauslegung zu verwenden – in einem hermeneutischen „Prozeß der Interaktion zwischen Text und Interpreten“1: Wer sich mit Texten und Meinungen zum Nahostkonflikt befasst, ordnet diese in einem bestimmten Interpretationsrahmen ein, der sich aber gleichwohl durch die Beschäftigung mit dieser Materie wieder verändert. Im Folgenden greife ich auf die Termini Vorurteil, Voraussetzung und Vorverständnis zurück, mit denen Rudolf Bultmann vor 56 Jahren seinen exegetischen Ansatz begründete.2 Die Analogie mit der Textauslegung zeigt, dass auch die Wahrnehmung des Nahostgeschehens ein exegesierender Prozess ist, der einer Reflexion bedarf.
3.1 Vorurteilslosigkeit, Voraussetzung und Vorverständnis Bultmann forderte eine vorurteilslose Exegese auf der Basis einer anerkannten wissenschaftlichen Methodik und polemisierte dabei gegen ,dogmatische‘ Schriftauslegung. Allein der nicht unproblematische Begriff der Vorurteilslosigkeit lässt nach Möglichkeiten und Grenzen der ,Objektivität‘ und einer außerhalb von uns selbst liegenden und deshalb ,absoluten‘ (= losgelösten) Wahrheit fragen. Das trifft besonders auf die ,Wahr-Nehmung‘ des Nahostkonflikts zu, bei der wir durch Medieninformation und eigene Begegnungen vor Ort nur ein vermitteltes, ja selektives Bild erhalten.3 Der Perzeptionsprozess wird zusätzlich durch die Komplexität des zu Erkennenden erschwert, bei dem es nicht um singuläre Ereignisse geht, sondern um eine mehr als 100 Jahre alte Abfolge an Geschehnissen, deren Ursachen und Wirkungen ineinander übergreifen. Vorurteilslosigkeit kann deshalb nicht Objektivität im puristischen Sinne meinen, sondern nur Sachgemäßheit, Diskursfähigkeit 1 Tracy, Paradigma, 82. – Vgl. ebd., 81: „Kein Interpret tritt ohne gewisse Vorurteile in den Prozeß der Interpretation ein.“ 2 So Bultmann, Exegese. 3 Vgl. EKD-Kammer fr publizistische Arbeit, Gesellschaft, 715: „Jeder von uns nimmt nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit mit eigenen Augen und Ohren wahr. Fast alles, was für unser soziales und politisches Leben wichtig ist, erfahren wir aus zweiter Hand: durch Informationen und Meinungen, die andere für uns sammeln, auswählen und formulieren.“ – Zur ,Objektivität‘ in der Wahrnehmung des Nahostgeschehens vgl. Kremers, Misstrauen.
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auf der Ebene der menschlichen Vernunft und Faktentreue im Sinne rationaler Überprüfbarkeit. Vorurteile sind nun dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne suffiziente Prüfung postuliert werden und dem kritischen Diskurs entzogen bleiben. In unserem Fall sind Vorurteile meist ideologisch-politischer oder nationalrassistischer Natur. Ein Vor-Urteil liegt beispielsweise dann vor, wenn bereits vor der Beurteilung aktueller Nahostereignisse axiomatisch festzustehen scheint, wer als ,der Gute‘ und wer als ,der Böse‘ zu gelten hat. Eine Variante dieses ,good guy-bad guy‘-Dualismus ist die apriorische Einteilung der Nahostkombattanten in ,Schwache‘ und ,Starke‘ unter der Voraussetzung, dass lediglich dem vorher ermittelten Schwachen Solidarität gebührt.4 Dabei ist die Annahme, dass der vermeintlich Schwache von vornherein im Recht sei, zu kurz gegriffen. Während die einen Israels Unbesiegbarkeit voraussetzen, um ihre Israelkritik zu legitimieren, gibt es andere, die der arabischen Ethnie misstrauen und die islamische Religionsgemeinschaft perhorreszieren.5 Wer von diesem Vorurteil bestimmt ist, weiß immer und sofort, dass alle Probleme zwischen Israelis und Palästinensern ihren Ursprung in der orientalischen Volksmentalität oder im Wesen des Islam haben. Wie verhält es sich nun mit einem theologischen Vorurteil gegenüber der israelischen Staatlichkeit und dem Schicksal der Palästinenser? Diese Arbeit wird zeigen, dass der gegenwärtige Staat Israel im Protestantismus theologisch bewertet worden ist. Die Grenze zur religiösen Überhöhung dieses Gemeinwesens ist dabei fließend, wie manche in diesem Buch dargestellten heilsgeschichtlichen und eschatologischen Deutungen erkennen lassen. Zudem kann die Gefahr einer theologischen Überwertung innerweltlicher Phänomene auch in der palästinensischen Befreiungstheologie oder kontextuellen Theologie bestehen, sofern hier eine logische Beweiskette aufgestellt wird, die zu ,dogmatisch‘ festgelegten Aussagen führt. Die Glieder einer solchen Beweiskette lauten beispielsweise: Gott steht auf der Seite der Schwachen; die Palästinenser sind gegenüber den Israelis die Schwachen; ergo: Gott steht auf der Seite der palästinensischen Befreiungsbewegung. Diese Auflistung mag etwas plakativ klingen, aber wenn diese Beweiskette gilt, wird Gott tatsächlich für konkrete – und womöglich einseitige – politische Forderungen in Anspruch genommen.6 Das berechtigte Phänomen des Kontextes hat innerhalb einer Theologie 4 So baut z. B. J. Vollmers Israelkritik darauf auf, den Opferbegriff auf die Palästinenser anzuwenden. So Vollmer, Nationalgott, 404. – Vgl. Bechmann, Verkündigung, 83: „Mächtige erhalten eine andere Botschaft als Ohnmächtige. Die Starken werden zur Gerechtigkeit aufgefordert, den Schwachen wird zu ihrem Recht verholfen. Beide Botschaften erhält das Volk Israel, je nachdem, ob es sich in einer Position der Stärke oder der Schwäche befand.“ 5 Für W. Amelung könne Friedensangeboten von Muslimen prinzipiell nicht getraut werden, „denn die Reden der Palästinenser sind doppelzüngig“ (Amelung, Volk, 48). 6 Zur Kritik an der palästinensischen Befreiungstheologie s. Stçhr, Dreinreden, 160 f; und Levinson, Beten (auch dok. bei: Klein, Weltgebetstag, 183 f).
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dort seine Grenze, wo es zu einem apodiktischen Vorurteil wird. Der Wert einer vorurteilsfreien Betrachtung des Nahostgeschehens liegt darin, dass sie die Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Kontexten ermöglicht, so wie auch erst die wissenschaftliche Exegese ein Forum geschaffen hat, in dem sich Forscher unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit über den gleichen Gegenstand austauschen können. Aus diesen Überlegungen schließe ich, dass eine umsichtige Fortschreibung der lutherischen Zweireichelehre am ehesten geeignet ist, im Sinne der hier beschriebenen Vorurteilslosigkeit die Zusammengehörigkeit und die Verschiedenheit von Religion und Politik darzustellen. Weil sich allerdings die Zweireichelehre in ihrer national-neulutherischen Fassung selbst desavouiert hatte, kann es sich nicht einfach um eine Repristination älterer Modelle handeln.7 Aber innerhalb einer westlich-liberalen Demokratie stellt nicht mehr der deutsche Obrigkeitsstaat das weltliche Reich dar, dem wir als Christen zugeordnet sind. Vielmehr sind demokratisch-freiheitliche Grundsätze für das politische Handeln der Christen maßgeblich geworden. Angesichts des Fundamentalismus in den Weltreligionen zeitigt eine Fortschreibung der Zweireichelehre die Chance, gegenüber theokratischen Begründungsmustern zurückhaltend zu sein. Diese Überlegung fügt sich in die Vermutung ein, dass politische Theologien, die auf einer theokratischen Begründungsstruktur basieren, gerade angesichts des Nahostkonflikts in neue Aporien führen. Denn wenn eine politische Theologie zu Ende gedacht wird, mutiert Gott leicht zu einem einseitigen Parteigänger, der entgegen der ursprünglichen Intention letztlich dazu herhalten muss, politische oder nationale Ansprüche und – gegebenenfalls – Gewalt zu rechtfertigen.8 Dass Friedrich-Wilhelm Marquardt die israelische Siedlungstätigkeit in den 1967 besetzten Gebieten in einen messianischen Kontext gestellt hat, zeigt, zu welcher Konsequenz es führt, wenn man das Reich Gottes vollkommen zu entmetaphorisieren und zu inkarnieren gedenkt.9 Gerade im Hinblick auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern 7 Vgl. Steinacker, Reich Gottes, 1534 f. – R. Anselm vermutet, dass nicht eine die Andersgesetzlichkeit der Welt betonende Zweireichelehre an sich den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigt habe. „Vielmehr dürfte es gerade das Fehlen einer Unterscheidung von Religion und Politik, Kirche und Staat gewesen sein, das die Widerstandskräfte im deutschen Luthertum gegen die religiöse und ideologische Aufladung von Politik und Staat schwächte“ (Anselm, Zweireichelehre, 780). 8 So kritisierte bereits K. Lehmann die religiöse Überhöhung politischer Ansprüche von Seiten der Theologie: „Das Politische ist mit dem Kreuzestod Jesu Christi und den daraus gefolgerten Einsichten nicht mehr die leitende, sinngebende Instanz des Menschen […] In vielen Bereichen, wo revolutionäre Befreiungsbewegungen theologisch gedeutet werden, scheint man heute solche gefährliche Identifizierungstendenzen zwischen Heil und Politik zu restaurieren.“ Zudem dürfen politische Entscheidungen „nicht theologisch verbrämt werden. Die Option ist politisch und muß mit den Mitteln und dem Sachverstand der politischen Ethik entschieden werden“ (Lehmann, Probleme, 344 u. 351). 9 Zur Kritik an diesem Aspekt der Marquardt’schen Theologie s. Kriener, Landverheißung.
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scheinen politische Theologien dieser beiden gegensätzlichen Kontexte trotz – oder wegen – ihrer strukturellen Verwandtschaft kaum miteinander vereinbar zu sein: „Allem Anschein nach sind die seit 1967 zunehmend in den Vordergrund gestellten religiösen Konnotate noch weniger als die rein politischen geeignet, den israelisch-arabischen Konflikt um Land und staatliche Ordnung zu mäßigen.“10 Wenn man also die politischen Geschehnisse aus dem ,geistlichen Regiment‘ herausnimmt und im ,weltlichen Regiment‘ verortet, kann der Bultmann’schen Terminologie gemäß eine vorurteilsfreie Wahrnehmung der Nahostereignisse stattfinden. Eine vorurteilsfreie Wahrnehmung ist allerdings keine voraussetzungslose, da neuzeitlich-aufklärerische Werte und Konfliktlösungsstrategien vorausgesetzt werden müssen. Nur auf der Basis einer vorurteilsfreien Nahostperzeption erhält die oft inflationär gebrauchte Rede von der ,doppelten Solidarität‘ – „solidarisch mit Israel in seinem Streben nach gesicherter Existenz, solidarisch mit den Palästinensern in ihrem berechtigten Anspruch auf nationale Selbstbestimmung“11 – einen bleibenden Sinn. Dieses Schlagwort ist natürlich leichter dahergesagt als in die Praxis umgesetzt. Denn wer Freundschaften zu Israelis oder Palästinensern pflegt, wird schnell zu einer gewissen Parteilichkeit genötigt, was bereits Propst Hansgeorg Köhler 1970 erfahren musste: „Jede Stellungnahme zugunsten der einen Partei zieht Verlust an Vertrauen auf der anderen Seite nach sich.“12 Die viel beschworene ,doppelte Solidarität‘ ist keine klare und präzise Größe, die ein für alle mal einer leidlichen Diskussion ein Ende bereiten würde. Ein gewisser Ermessensspielraum bleibt nach wie vor bestehen und führt selbst in umsichtigen Stellungnahmen zu Schwerpunktsetzungen. Selbst diejenigen, die sich vorurteilsfrei und ,solidarisch‘ den verschiedenen Seiten des Nahostkonflikts nähern und damit auf einer gemeinsamen Grundlage stehen, von der aus sie mit anderen konstruktiv zu debattieren vermögen, teilen sich – grob gesagt – in eine proisraelische und propalästinensische Hälfte auf. Diese bleibende Diskrepanz nivellieren zu
10 Bertrams/Pontzen/Sthler, Land, 11. 11 Herntrich, Vergangenheit, 12. – Zum Begriff der ,doppelten Solidarität‘ vgl. auch Grbe, Theologie, 11. – Diese Redeweise wird in einem einseitig israelkritischen Sinn missbraucht, wenn jemand gleichermaßen für das Existenzrecht Israels wie für das des noch nicht existierenden Staates Palästina eine Lanze brechen möchte. Diese Redeweise wird auch irrtümlich geführt, wenn man die israelische Regierung mit der derzeitigen Hamas auf eine Stufe stellt und dadurch „eine Position der Äquidistanz zwischen Israel und Terroristen“ einzunehmen gedenkt (Behrens, Sie schießen, 28). 12 Brief H. Köhlers an KA (A. Wischmann) vom 9. 9. 1970 (EZA, 6/1588). – Eine ähnliche Erfahrung machte auch Propst J. Friedrich Ende der 1980er Jahre: Da „die Erwartungen der Menschen um uns herum an unsere Solidarität“ so unterschiedlich waren, sitze man zwischen allen Stühlen (Friedrich, Propst, 197). – Ähnlich erging es P. Merkley bei Gesprächen in Israel/ Palästina: „I have found again and again that good-natured conversation will end the moment it is discovered that you are not a friendly partisan“ (Merkley, Attitudes, xii).
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wollen, käme der Forderung gleich, alle wissenschaftlich arbeitenden Exegeten müssten stets zu gleichen Ergebnissen kommen. Nun spielt auch der dritte Bultmann’sche Begriff eine Rolle, der neben Vorurteil(slosigkeit) und Voraussetzung die Wahrnehmung konstituiert und der dafür verantwortlich ist, dass auch die Einhaltung des Grundsatzes der Vorurteilslosigkeit nicht zu einer exakten oder absoluten ,Objektivität‘ führt: das Vorverständnis, bei dem der „Lebenszusammenhang“ und die „Existenz“ des Betrachters maßgeblich sind.13 Hier hat der Kontext14 seine legitime Berechtigung, da er die eigene Existenz und folglich die Wahrnehmung nachhaltig bestimmt. Israelis und Palästinenser leben in z. T. sich gegenseitig ausschließenden Kontexten, und auch wir Deutsche sind nicht minder unberührt von dem Phänomen der Kontextualität.15 In Bezug auf die Schoah ist uns das Bewusstsein vorgegeben, „im Land der Täter“16 zu leben. Die aus dieser Täterschaft folgende Verantwortung ist zu bejahen und kann nicht mit dem Hinweis auf einen „verklemmten KZ- und Auschwitz-Komplex“17 ad acta gelegt werden. Das Wissen um die schuldhafte Verstrickung der Kirchen in den nationalsozialistischen Judenmord führte im nordatlantischen Bereich nach 1945 zu einem immer intensiver gewordenen christlich-jüdischen Dialog, der in anderen Teilen der Welt kein vergleichbar großes Ausmaß angenommen hat. Da wir als Europäer nicht direkt in den israelisch-arabischen „Krieg ohne Ende“18 einbezogen sind, ist unsere existentielle Betroffenheit nur mittelbarer, aber gleichfalls lebensbestimmender Natur. Aus einer komplexen Legierung aus eigenen Sympathien, persönlichen Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen, beruflichen Kontakten und Rücksichtnahmen auf Arbeitgeber resultieren unterschiedliche Vorverständnisse, die sich mal proisraelischer, mal propalästinensischer manifestieren. Da die Wahrnehmung des Nahostkonflikts nicht nur eine interkonfessionelle und interreligiöse, sondern zudem eine transreligiöse Angelegenheit darstellt, da religiöse wie areligiöse Menschen gleichermaßen involviert sind, gehören auch unsere theologischen und konfessionellen Identitäten in den Bereich des Vorverständnisses. Das trifft für einen griechisch-orthodoxen Christen aus Palästina genauso zu wie für eine deutsche Theologin oder für einen evangelikalen Pastor aus den USA. Von den mannigfaltigen Vorverständnissen können wir uns nicht einfach lossagen, aber das Postulat der Vorurteilslosigkeit zwingt uns dazu, Positionen 13 Bultmann, Exegese, 149. 14 Vgl. Schreiner, Theologie, 1418: Der Kontext „ist geographischer, sprachlicher, sozialer, politischer oder kultureller und ideologischer Natur.“ 15 Vgl. Raheb, Bibel, 313: „Wir erkannten die Kontextualität europäischer Theologie deutlicher und fingen an, sie als solche zu konfrontieren.“ 16 Kellenbach, Gott. 17 Geiss, Israel, 558. 18 Krautkrmer, Krieg.
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und Vorstellungen zu finden, die unsere jeweilige kulturelle und religiöse Verwurzelung relativieren und transzendieren. Dies als sich anmaßende Vorherrschaft des Westens oder der Aufklärung abzutun, würde einen Zustand begünstigen, in dem keine gemeinsamen Worte und Werte mehr möglich sind. Sich für weltweiten Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, hat nur dann einen Sinn, wenn alle am Diskurs Beteiligten willens sind, über ihre nationalen und religiösen Schatten zu springen und von einer gemeinsamen, universalen Definition der Begriffe ,Frieden‘ und ,Gerechtigkeit‘ auszugehen. Gerade die israelisch-arabische Gegnerschaft zeigt, dass ein wohlfeiler Kulturrelativismus19 dort nicht tragfähig ist, wo sich unterschiedliche Nationen und Kulturen feindlich begegnen. Zu meinem eigenen Vorverständnis, das dieser Arbeit zugrunde liegt, gehört zum einen meine Existenz als deutscher Staatsbürger, als evangelisch-lutherischer Christ und als Pfarrer und Theologe. Zudem bin ich bestimmt von dem Wissen um das Judentum als Mutterreligion des Christentums und um die Lehre von der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes. Daraus resultiert die Schwerpunktsetzung innerhalb dieser Arbeit, die sich nicht paritätisch mit den verschiedenen Seiten des Nahostkonflikts beschäftigt, sondern den Fokus auf die Wahrnehmung des Staates Israel legt. Daraus mag auch eine zugegebenermaßen tendenziell proisraelische Sichtweise resultieren.
3.2 Begriffe Der Begriff ,Israel‘ ist mehrdeutig. Abgesehen von der biblisch-historischen Bedeutung bezeichnet Israel in der christlichen Theologie das jüdische Volk in seinem Erwählungscharakter. So wird der Ausdruck bis heute in kirchlichen Verlautbarungen zum Judentum verwandt, falls der Kontext nichts Gegenteiliges nahelegt.20 Hier haben auch ältere Formulierungen wie ,Dienst an Israel‘ oder ,Mission unter Israel‘ ihren Ursprung. Im christlich dominierten Kulturkreis war also von ,Israel‘ im Blick auf die Gegenwart nur in religiöser, nicht in territorialer Hinsicht die Rede. Das änderte sich erst mit der Schaffung eines jüdischen Staates namens ,Israel‘. Seitdem sind Missverständnisse nur dann ausgeschlossen, wenn der Kontext über die gerade vorliegende Bedeutung des Wortes Aufschluss gibt. Da meine Arbeit theologische und politische Aspekte enthält, spreche ich zur Vermeidung von Missverständnissen in 19 Zu Kulturrelativismus und Antisemitismus s. Rensmann, Kosmopolitanismus, 176: „Der neue […] Modus eines (sekundären) Antisemitismus vermengt sich […] mit ideologischen Versatzstücken von postmodernen Begründungszusammenhangen [!] eines antiuniversalistischen Kulturrelativismus, der universalistische Rechts-, Freiheits- und Gleichheitsansprüche unter den Generalverdacht ,westlicher Herrschaftsideologie‘ stellt.“ 20 So z. B. in der Erklärung der ELKB: „Dennoch bleibt Israel […] das erwählte Gottesvolk“ (dok. bei: Kraus, Neuanfang, 179). – Zur Definition vgl. Schoon, Präsenz, 36 f.
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Wahrnehmungstheoretische Überlegungen
meinen eigenen Ausführungen – nicht in Zitaten aus fremder Feder – von ,Israel‘ nur in Bezug auf das gleichnamige Land im Nahen Osten. Der bereits aus vorchristlicher Zeit bekannte Ausdruck ,Palästina‘ (= ,Philisterland‘) wurde von den Römern nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstands 135 n. Chr. in der Form der Provinz ,Syria Palaestina‘ wieder aufgegriffen. Neben dem Terminus ,Heiliges Land‘ ist spätestens im 19. Jahrhundert ,Palästina‘ in den europäischen Sprachen der gängige Name des Landstrichs geworden, in dem sich die biblischen Geschichten ereigneten. Es gab jedoch nach der Antike keine „eigenständige geographisch-politische Einheit“ oder gar eine Provinz des Osmanischen Reiches, die ,Palästina‘ hieß.21 Als Großbritannien 1920 das Völkerbundmandat erhielt, erschien ,Palästina‘ erstmals seit den Römern wieder als eigenständige politische Größe, bei deren Grenzziehung man sich an der Idee eines ,Landes der Bibel‘ orientierte. Nachdem 1923 das Emirat Transjordanien (Ostjordanland) von Palästina losgelöst wurde, lag das restliche Mandatsgebiet in den Umrissen vor, wie wir Palästina bis heute kennen: Das israelische Staatsgebiet in den Grenzen von 1948 plus Gaza-Streifen plus so genanntes Westjordanland (englisch ,Westbank‘). Als ,Israel‘ können korrekterweise nur der jüdische Staat in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen plus – eventuell – die offiziell von Israel annektierten Gebiete (Ost-Jerusalem, Golanhöhen) bezeichnet werden. Das Westjordanland ist (wie der in die Selbstbestimmung entlassene Gaza-Streifen) nicht annektiert, sondern ,nur‘ besetzt und stellt deshalb auch nach offiziellem israelischem Recht kein Teil des Staates dar. Für die aktuelle politische Diskussion bietet sich deshalb die in den 1990er Jahren aufgekommene Hilfskonstruktion ,Israel/Palästina‘ an. Seitdem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 1988 einen bis heute noch nicht existierenden arabischen Staat im Westjordanland und im Gaza-Streifen ausgerufen hat, scheint der Begriff ,Palästina‘ einen Bedeutungswandel zu erleben, wird er doch zunehmend auf die von Israel besetzten Gebiete reduziert, aus denen der neue Staat entstehen soll. Wenn heute von ,Palästina‘ gesprochen wird, ist nicht immer klar, ob diese Gebiete gemeint sind oder an die historische Region zwischen Mittelmeer und Jordan gedacht wird. Für den Zeitraum meiner Untersuchung verwende ich den geographisch-historischen Palästinabegriff.22 Was die Rede von den ,Palästinensern‘ betrifft, so folgt diese Arbeit der Wortwahl, wie sie in der jeweiligen Zeit üblich war. Eine Durchsicht kirchlicher Printmedien zeigt, dass der Palästinenserbegriff im heutigen Sinne erst nach dem Sechstagekrieg Verbreitung findet und sich in den 1970er Jahren völlig durchsetzt. In den Jahren zwischen 1948 und 1967 werden die Begriffe ,Palästinenser‘ und ,palästinensisch‘ bzw. ,palästinisch‘ grundsätzlich auf alle in Palästina lebenden Menschen angewendet. Um 1950 kann damit auch nur die
21 Krmer, Palästina, 11. 22 Um das geographische vom politischen Palästina zu unterscheiden, stößt man in der Literatur hin und wieder auf das Adjektiv ,palästinisch‘.
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jüdische Bevölkerung bezeichnet werden.23 Die nichtjüdische Bevölkerung wird meist nur einfach als ,Araber‘ angesprochen.24 Auch nach 1967 heißen die Bewohner des Westjordanlandes mitunter noch „Westjordanier“, „Cisjordanier“, „Palästina-Araber“, „palästinensische Araber“ oder einfach „Araber“.25 Zunehmend wissen die Zeitschriften jedoch von der Sorge um das Schicksal der „palästinensischen Flüchtlinge“ und um „den Schutz der Rechte der Palästinenser“, wodurch sie postulieren, dass „die Palästinenser“ die eigentlich Leidtragenden des Konflikts seien.26 Die Leser erfahren, dass gerade der Sechstagekrieg „die Herausbildung eines palästinensischen Bewußtseins unter den Arabern der West Bank erheblich beschleunigt“ habe.27 Die Palästinenser treten nicht mehr ausschließlich als hilfsbedürftige Flüchtlinge in Erscheinung, sondern als eine Menschengruppe, die um ihre Rechte und ihre Heimat kämpfen.28 In der Mitte der 1970er Jahre hat sich der Terminus ,Palästinenser‘ endgültig durchgesetzt.29 Dass ich nur in solchen Kontexten von ,Palästinensern‘ rede, die die Zeit ab 1967 betreffen, ist dem westdeutschen Wahrnehmungsmuster sowie der tatsächlichen Verstärkung des palästinensischen Nationalgedankens durch den Sechstagekrieg geschuldet. In Fachliteratur und Medien wird der Terminus ,Naher Osten‘ (englisch ,Middle East‘) unterschiedlich gebraucht, was manche an eine „völlige Willkür“ denken lässt.30 Meine Arbeit setzt einerseits die Definition von Sven Olaf Berggötz voraus, der Ägypten, Syrien, Libanon, Irak, Jordanien, Saudi-Arabien, Jemen und Kuwait sowie Israel, die Türkei und den Iran zum Nahen Osten rechnet, wobei ich die palästinensischen Autonomiegebiete noch eigens erwähnen möchte. Andererseits folge ich der üblich gewordenen Redeweise von dem Nahostkonflikt als einer primär israelisch-arabischen bzw. israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung. ,Mittlerer Osten‘ wird heute unter Einwirkung des Englischen vielfach als gleichbedeutend mit ,Naher Osten‘ verwendet, bezeichnete jedoch ursprünglich die Region zwischen dem Nahen und dem Fernen Osten, primär also den indischen Subkontinent einschließlich des Hindukuschs. In seinen Kerngebieten ist der Nahe Osten mit 23 So Buber, Israel, 57 u. 150; Hesse, Jude, 14; Wittenberg, Lage, 182; und ders., Gedanken, 198. 24 So z. B. Rees, Flüchtlingsproblem, 267; Kloppenburg, Evanston, 411. 25 Kunath, Israel [1. Teil], 233 u. 257; Geiss, Israel, 561; und Lapide, Laboratorium, 11. – Vgl. die „jordanischen Flüchtlinge“ bei Barth, Israel, 588. 26 Near East Council of Churches, Kirche, 52; ÖRK (ZA), Erklärung der Ökumene, 606; und Gollwitzer/Kusche, Studenten, 400. – Vgl. Flapan, Friedensinitiative, 593. 27 Geiss, Israel, 570. – Womöglich lässt Marquardt, Antwort, 81 mit der eindeutigen Datierung des „Ursprung(s) der palästinensischen Identität, die es bis dahin wirklich nicht gegeben hat“, in das Jahr 1967 die vorhergehende Entwicklung außer Acht. 28 So Braunschweig, Palästinenserfrage, 573. 29 Dazu s. Herrenbrck, Recht; und Moderamen des Reformierten Bundes, Erklärung. 30 Berggçtz, Nahostpolitik, 18. – Berggötz’ Begriffsbestimmung deckt sich – bis auf den Sudan – mit der viel älteren Definition von Rosenkranz, Nationalismus, 673: „Der Nahe Osten – das ist Asien von der Ostgrenze Irans bis an seine Mittelmeerküste, vom Bosporus bis Sudan.“
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Wahrnehmungstheoretische Überlegungen
,Vorderasien‘ identisch und stellt einen Teil des weitaus größeren ,Orients‘ dar. Der aus dem Italienischen stammende Ausdruck ,Levante‘ in der Bedeutung ,Morgenland‘ bezeichnet traditionell die „partie orientale de la Mditerrane“31, im engeren Sinn die Küstenstaaten Syrien, Libanon und Israel sowie die Palästinensergebiete und Jordanien. Israel/Palästina sind also gleichermaßen Teil des Nahen Ostens, Vorderasiens, des Orients sowie der Levante. Unter ,Antisemitismus‘ versteht man das Ressentiment, „das ,den Juden‘ Eigenschaften, Absichten, Handlungen zuordnet, die mit realer jüdischer Existenz nichts oder nur wenig oder nur Missverstandenes zu tun haben.“32 Antisemitischen Stereotypen zufolge seien Juden tendenziell geizig und hinterhältig, neuerdings auch kriegslüstern. Antisemiten leben in einem hermetischen ideologischen System, das gegenüber Kritik immunisiert. Denn die Versuche, Antisemitismus zu widerlegen oder zu bekämpfen, werden von seinen Vertretern wiederum als Ausdruck jüdischer Macht zurückgewiesen. Die Politikwissenschaft spricht dann von einem ,sekundären Antisemitismus‘ aus Schuld- und Erinnerungsabwehr, wenn der Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen der Schoah existiert. Hier versucht man Juden moralisch zu desavouieren, um das Täter-Opfer-Verhältnis umzukehren. In der Nähe zum Antisemitismus, aber davon zu unterscheiden ist der Begriff ,Antijudaismus‘, der den „religiös-theologisch motivierten Judenhass“ im Gegenüber zu seiner nationalistisch-rassistischen Ausprägung beschreibt.33 Der christliche Antijudaismus hat seinen Dreh- und Angelpunkt in einem spezifischen Verständnis des Kreuzestodes Jesu. Aus der jüdischen Ablehnung des christlichen Anspruchs, dass Jesus der Messias und Gottessohn sei, folgerte bereits die frühe Kirche, dass es das Judentum als eigenständige Glaubensgemeinschaft eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, weil die Gemeinde Christi das neue und wahre Israel darstelle. Aus dieser Substitutionslehre entwickelte sich der Vorwurf des ,Gottesmordes‘.34 Als Gegenbegriff zum Antisemitismus findet der Ausdruck ,Philosemitis31 Trimbur, Levante, 7. 32 Benz, Antisemitismus, 234. 33 Grammel, Antijudaismus, 9. – Vgl. Pfisterer, A-Z, 13: „Der entscheidende Unterschied zwischen Antijudaismus und Antisemitismus besteht darin, daß der Übertritt zum Christentum durch die Taufe – zumindest grundsätzlich – den Schlußstrich unter alle aus dem Judentum stammende Diskriminierung zog. Doch muß man zugeben, daß im alltäglichen Bereich die Grenzen zwischen Antijudaismus und Antisemitismus sich oft verwischten.“ 34 Zur antijudaistischen Deutung des Todes Jesu s. a. Oelke, Schuld, 14. – Zu der vor einigen Jahren geführten Diskussion, ob der bayerische Landesbischof Hans Meiser Antisemit war: Sein Aufsatz von 1926 ist insofern antisemitisch und nicht nur antijüdisch, als hier „die Schwierigkeiten, die im Zusammenleben der Juden mit den übrigen Staatsbürgern liegen“, auf die „Rassenverschiedenheit“ zwischen Juden und Deutschen zurückgeführt werden, der Jude an sich zudem mit dem klassischen Repertoire pejorativer Stereotype belegt wird (Meiser, Gemeinde, 350). – Meisers Judenbild ist freilich nicht originell, sondern entspricht in großen Teilen der antisemitischen Weltsicht, wie sie seit dem ausgehenden 19. Jh. in der AELKZ verbreitet wurde (s. Heinrichs, Judenbild). – Vgl. zudem die Beiträge in Herold/Nicolaisen, Meiser.
Begriffe
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mus‘ Verwendung, seit seiner Entstehung um 1880 meist in polemischen Zusammenhängen. Als Philosemiten gelten vielfach solche, die sich an den ,guten‘, vorbildlichen oder erfolgreichen Juden orientieren und darin weiterhin antisemitischen Stereotypen verhaftet bleiben würden.35 Diese strukturelle Gleichsetzung von Anti- und Philosemitismus evoziert eine moralische Identifizierung beider Phänomene als „zwei Seiten einer Münze“36, wobei aber übersehen wird, dass die Schoah nicht stattgefunden hätte, wenn mehr Deutsche Philosemiten gewesen wären. Problematisch und unpräzise ist der Begriff in einem polemischen Kontext.37 Ich verwende den Philosemitismusbegriff nicht polemisch-präskriptiv, sondern historisch-deskriptiv38, um Personen und Gruppierungen einordnen zu können, die eine an liberalen oder erwecklichen Vorbildern des 19. Jahrhunderts ausgerichtete Judenliebe pflegen, die zwar nicht immer frei von pejorativen Urteilen ist, sich aber vom traditionellen Antisemitismus auch kirchlicher Provenienz deutlich abhebt. Von Antisemitismus zu unterscheiden ist der ,Antizionismus‘, der in jüdischen, christlichen und islamischen sowie in streng-religiösen oder säkularen Formen existiert. Er beinhaltet eine strikte Ablehnung der zionistischen Bewegung und ihrer Ideale und bleibt im Gegensatz zu einem ,Nichtzionismus‘ einer Fixierung auf das Verhasste verhaftet. Die Gründung des Staates Israel hat die Antizionisten gespalten, weil nun unsicher ist, ob nur der Zionismus als angeblich gottlose bzw. nationalistisch-rassistische Ideologie oder gar der Staat Israel an sich bekämpft werden müsse. Seit der Hoch-Zeit des europäischen Antizionismus in Folge des Sechstagekrieges wird darüber debattiert, ob antizionistische Positionen nichts weiter als ein ,sekundärer‘ und scheinbar „ehrbare(r) Antisemitismus“ seien.39 Auffallend ist jedenfalls, dass kaum ein Antisemit ohne Antizionismus auskommt. 35 Diese Definition setzen z. B. die Studien Stern, Auschwitz; ders., Kirche; und Rensmann, Demokratie (s. bes. 86) voraus. 36 Lell, Judentum, 479. 37 Der polemische Sitz im Leben wurde z. B. deutlich im Vorfeld des sog. Purim-Streits Anfang der 1960er Jahre, als der Kirchentags-AG von Vertretern der Judenmission ein „unbiblischer theologischer Philosemitismus“ vorgeworfen wurde (J. G. Mehl zit. bei: Schroth, Auseinandersetzung, 166). – H. Maas wandte sich in den 1950er Jahren gegen einen Philosemitismus, der sich auf „ein paar hervorragende, ausnahmsweise gute oder gütige jüdische Menschen, ein paar geistig bedeutende Gelehrte und Forscher, Ärzte und Richter, Dichter und Künstler“ konzentriere, die übrigen Juden aber der Verachtung überlasse (zit. bei: Stern, Auschwitz, 293). Maas bezeichnete mit Philosemitismus eine ihm fremde, abzulehnende Einstellung. Gleichzeitig galt auch er in den Augen seiner Kritiker als ein Philosemit, der die israelischen Juden moralisch überhöhen würde. 38 In Anlehnung an Kinzig, Philosemitismus, 226. 39 Amery, Antisemitismus, 16. – S. a. Hanloser, Linksradikalismus; Kloke, Linke; Mertens, Antizionismus; Poliakov, Antizionismus; und Rensmann, Kosmopolitanismus, 168 f u. 180 f. – Vgl. Haury, Antisemitismus, 126: „Via Israel die Juden selbst als Völkermörder zu demaskieren ist die erfolgversprechendste Strategie der antisemitischen Verkehrung der Opfer zu Tätern.“ Für eine redliche Betrachtung der Nahostwahrnehmung ergibt sich freilich das Problem, dass Psychologisierungen wissenschaftlich kaum greifbar sind.
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Wahrnehmungstheoretische Überlegungen
Ich schließe mich in dieser Arbeit denen an, die für den deutschen Massenmord an den Juden die hebräische Bezeichnung ,Schoah‘ (= Katastrophe) dem alternativen, aber vielfach inflationär gebrauchten Terminus ,Holocaust‘ vorziehen. Das gilt selbstverständlich nicht für Zitate. Der englische Begriff ,Holocaust‘, der auf sein griechisch-lateinisches Äquivalent zurückgeht, das in Septuaginta und Vulgata ein Brand- oder Ganzopfer bezeichnet, ist durch seinen „der Sache unangemessen verklärenden Opferbezug“ problematisch.40 ,Holocaust‘ suggeriert, die Juden wären für einen letztlich positiven Endzweck geopfert worden. Unter dem Stichwort ,Judenmission‘ firmiert der spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts institutionalisierte Versuch von Christen, Juden zur Hinwendung zu Christus und zur Eingliederung in die verfasste Kirche zu bewegen. Auch wenn die Betreiber der Judenmission meist aus einer philosemitischen Tradition stammten und sich deshalb gegenüber den Nationalsozialisten angreifbar machten, stellte man das missionarische Bemühen um Juden im Zuge des jüdisch-christlichen Dialogs zunehmend in Frage. Namentlich die jüdischen Gesprächspartner der Kirchen hoben den tendenziell antijudaistischen, ja aggressiven Akt der Judenmission hervor, denn missionarischer Erfolg würde in jedem Fall zu einer Dezimierung der Judenheit führen. ,Judenmission‘ ist daher zu einem polemischen Kampfbegriff geworden, der selbst bei den judenmissionarischen Gruppen, die noch verblieben sind, so gut wie nicht mehr verwendet wird.41 Im Gegensatz zu dieser Polemik gebrauche ich ,Judenmission‘ als einen wertfreien, deskriptiv-historischen Ausdruck, der solche Organisationen, Personen und Ideen zusammenfasst, die im oben beschriebenen Sinne judenmissionarisch tätig waren oder diese Tätigkeit – und sei es nur theoretisch-theologisch – zu unterstützen pflegten. Für die historische Arbeit gibt es derzeit keinen Alternativbegriff, der die mit dem Wort ,Judenmission‘ verbundenen Einstellungen und Prämissen präziser beschreiben würde. Wie Axel Töllner deutlich gemacht hat, ist die verallgemeinernde Bezeichnung ,Judenchristen‘ schwierig, da sie im Gegensatz zu den ,Heidenchristen‘ Juden meint, die wie in der Antike an der jüdischen Lebensweise einschließlich der Beschneidung festhielten, aber gleichzeitig an Jesus als den Messias glaubten.42 Das trifft aber nicht mehr auf die Christen jüdischer Herkunft zu, die sich – sie selbst oder deren Vorfahren – einer christlichen Kirche angeschlossen haben, auch wenn sie vielfach als Judenchristen be40 Bethge, Schoah, 5. – Zur Begriffsgeschichte vgl. Scheffler, Holocaust. 41 Nur ,unerschrockene‘ Verfechter der Judenmission hielten an dem Begriff fest. So z. B. Bass, Judenmission, 15: „Dies Wort ist heute verpönt. Aber es paßt besser als ,Evangeliumsdienst unter Israel‘ oder ,Mission unter Israel‘. Bei diesen letzteren Namen nämlich kann dieser Dienst leicht als ein Dienst im Staate Israel verstanden werden, was er ja nicht ist. Vor allem aber wird durch den Namen ,Judenmission‘ klar, daß alle Juden gemeint sind, die im Staate Israel und auch die in der Diaspora.“ 42 So Tçllner, Rasse, 20.
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zeichnet worden sind. Es gibt allerdings getaufte Juden und israelische Staatsbürger, die an Jesus Christus glauben, sich gleichzeitig als Juden verstehen und daher zu Recht Judenchristen genannt werden könnten. Jedoch wollen sie nicht als Christen tituliert werden. Trotzdem schließt im ,offiziellen‘ Judentum das Jude-Sein ein Bekenntnis zu Jesus als dem Messias aus. Da die Selbstbezeichnung ,messianische Juden‘, mit der sich diese Bewegung innerhalb des Judentums verortet, erst Anfang der 1970er Jahre üblich wurde,43 spielt sie für meine Arbeit nur eine untergeordnete Rolle. Wenn die in meiner Studie verwendeten Quellen schlicht von ,Judenchristen‘ sprechen, ist somit nicht eruierbar, ob die besagten Personen oder Gemeinden nun wirklich die jüdischen Riten pflegten oder nicht. Deshalb benutze ich wie Töllner den Terminus ,Christen jüdischer Herkunft‘ und setze ,Judenchristen‘ in Anführungszeichen, wenn ich diese Redeweise aus den Quellen aufgreife. Wenn politische Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart theologisch gedeutet werden, kann gegebenenfalls von ,Heilsgeschichte‘ und ,Geschichtstheologie‘ gesprochen werden, was nach Oscar Cullmann dann vorliegt, wenn verschiedenste Ereignisse „in ein zusammenhängendes, besonderes göttliches Geschehen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfaßt“, eingereiht werden.44 Eine solche Deutung der israelischen Staatlichkeit tritt dann auf, wenn Geschehnisse im Umfeld dieses Gemeinwesens als Ausdruck der heilsgeschichtlichen Rolle des Judentums gelten. Eine Sonderform einer derartigen Interpretation ist die Einordnung der den Staat Israel betreffenden Ereignisse in die christliche Eschatologie als Endgeschichte, was in der Praxis so aussieht, dass die jüdische Entität in Palästina zu einer Vorerfüllung, einem Vorboten oder einem Zeichen der herannahenden Endzeit wird. Wenn diese Endzeit mit gewaltigen Katastrophen einhergeht und als bereits stattfindend oder unmittelbar bevorstehend beschrieben wird, spreche ich von ,Apokalyptik‘, zumal sich die Protagonisten einer Demnächsterwartung auf die apokalyptischen Bücher der Bibel beziehen. Grundsätzlich gilt: Alle endzeitlichen und apokalyptischen Deutungen sind heilsgeschichtlich ausgerichtet, doch nicht alle heilsgeschichtlichen Zuschreibungen sind eschatologisch oder apokalyptisch motiviert.
43 So Pfister, Juden, 67 – 75. 44 Cullmann, Heil, 3. – S. a. Ringleben, Geschichtstheologie.
4. Forschungslage Vielfach bearbeitet wurde bereits das Verhältnis zum Staat Israel und dem Nahostgeschehen von Seiten der Bundesrepublik Deutschland1 auf der einen und von Seiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) auf der anderen Seite.2 Der von Asher Ben-Natan und Niels Hansen3 herausgegebene Sammelband enthält wie vergleichbare Publikationen Lebenserinnerungen der israelischen Botschafter in der Bundesrepublik bzw. der westdeutschen Repräsentanten in Israel und stellt deshalb trotz seiner historiographischen Relevanz keinen wissenschaftlichen Beitrag im eigentlichen Sinne dar. Akademischer ist dagegen die ausführliche Studie von Hansen aus dem Jahr 2002.4 Das Verhältnis der Evangelischen Kirche zum Judentum nach 1945 ist bereits in etlichen historisch-chronologisch aufgebauten Monographien dargestellt worden.5 Irena Ostmeyer6 spezialisierte sich 2002 auf die Beziehung des DDR-Protestantismus zu den Juden. Land und Staat Israel spielen in allen diesen Veröffentlichungen bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Über deutsche protestantische Aktivitäten in Palästina seit dem 19. Jahrhundert und über das arabische Luthertum berichtet eine ganze Reihe an Arbeiten, aber nur einige betreffen auch das 20. Jahrhunderts.7 Im historischen Teil seiner Arbeit von 1999 geht Uwe Gräbe8 auch auf nahöstliche und ökumenische, den Staat Israel betreffende Stellungnahmen ein. Über die in Israel aktiven Kirchen und Gruppen bietet das Buch von Simon Schoon9 aus dem Jahr 1986 eine Fülle an Informationen aus niederländischer Perspektive; der Verfasser wählte jedoch ein systematisch-theologisches Vorgehen und kein zeitgeschichtliches. Die so genannten ,messianischen
1 So Vogel, Weg; ders., Politik, Bd. 1 – 3; Deutschkron, Verhältnis; Weingardt, Beziehungen; ders., Nahostpolitik; Jelinek, Deutschland; Pallade, Germany ; und Gerlach, Front. 2 So u. a. Schatzker, Juden; Timm, Hammer ; und Haury, Antisemitismus. 3 Ben-Natan/Hansen, Israel. – Vgl. Ben-Natan, Brücken. 4 Hansen, Schatten. 5 So Schweikhart, Dialog; Hermle, Kirche; Stern, Auschwitz; Rendtorff, Gott; Kammerer, Haare. 6 Ostmeyer, Schuld. 7 So Hertzberg, Jerusalem; Hanselmann, Palästinamission; Raheb, Erbe; Foerster, Mission; Ronecker/Nieper/Neubert-Preine, Erlöser; und Nothnagle/Abromeit/Foerster, Jerusalem. 8 Grbe, Theologie. 9 Schoon, Präsenz.
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Juden‘ in und außerhalb des Staates Israel behandeln Arnold Fruchtenbaum, Andreas Hornung, Stefanie Pfister sowie Kai Kjaer-Hansen und Ole Kvarme.10 Über die Wahrnehmung des Zionismus und des Staates Israel im angelsächsischen Protestantismus liegen zahlreiche Monographien vor.11 Einen Teil dieser angelsächsisch dominierten Geschichte nachzuzeichnen, intendiert Michael Pragai12, der langjährige Beauftragte der israelischen Regierung für den Kontakt zu den Kirchen. Er fragt in seiner Studie von 1990 danach, was Christen zur Rückkehr der Juden nach Palästina beigetragen hätten und überblickt dabei einen Zeitraum vom Mittelalter bis in die 1980er Jahre. Sein Schwerpunkt liegt auf Puritanern, Erweckten und Evangelikalen. Aus der deutschen Nachkriegszeit finden immerhin Hermann Maas, Axel Springer und Nes Ammim sowie die Katholikin Gertrud Luckner Erwähnung.13 Pragai folgt einer moralischen Intention, indem er die Christen danach beurteilt, ob sie Zionismus und Staat Israel unterstützen würden. Mit der umgekehrten Perspektive, der Bedeutung des Staates Israels für die Kirchen, beschäftigt sich Walter Kickel, der in seiner überblicksartigen Studie von 1984 zentrale Positionen und Verlautbarungen aus Judentum, Katholizismus, Protestantismus und Ökumene zusammenfasst und kommentiert. Helmut Gollwitzer würdigte diese Arbeit, indem er das Vorwort beitrug. Über Gremien und Theologen aus dem Bereich der EKD berichtet Kickel auf etwa 40 Seiten. Er referiert zunächst die kirchlichen Erklärungen zu Judentum und Schoah und lässt diese im Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980 gipfeln. Die EKD-Studie von 1975 ist in seinen Augen noch unbefriedigend.14 Dann kommen die ,Israeltheologen‘ Karl Barth, Gollwitzer, Friedrich-Wilhelm Marquardt und andere zu Wort. Interessant ist Kickels Feststellung, dass die Beschäftigung mit Israel zur gleichen Zeit einsetzte, als politische Theologien populär wurden. Inhaltlich bewertet der Autor die referierten Positionen danach, inwiefern sie „eine heilsgeschichtliche Sicht des Staates Israel“ ermöglichen.15 Als elaborierte zeitgeschichtlich und politikwissenschaftlich orientierte Monographie kann die Dissertation von Ulrike Koltermann16 gelten. Die Autorin geht hier 2001 der Frage nach, warum der Vatikan dem Staat Israel so lange die völkerrechtliche Anerkennung vorenthielt, und nennt die Rücksicht auf katholische Christen in arabischen Ländern, die Frage der ,Heiligen Stätten‘ sowie den umstrittenen Status Jerusalems als Gründe. Erst nach dem Sechstagekrieg gab der Vatikan seine Forderung nach einer Internationali10 Fruchtenbaum, Christianity ; Hornung, Juden; Pfister, Juden; und Kjaer-Hansen/Kvarme, Juden. 11 So u. a. Epstein, Zion; Fishman, Protestantism; und Merkley, Attitudes. 12 Pragai, Land. 13 Zu Maas s. a. Teil II, 1.5.2, zu Nes Ammim Teil II, 2.2.6. 14 S. a. Teil II, 3.4.6. 15 Kickel, Land, 220. 16 Koltermann, Päpste.
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sierung der Pilgerstätten auf. 1993 kam es endlich zu einem ,Grundlagenvertrag‘ zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel, der die Beziehung zwischen der katholischen Kirche und dem jüdischen Staat auf eine neue Basis stellte. Diese ,tour d’horizon‘ durch die Fülle selbstständig erschienener Beiträge aus dem Umfeld meiner Aufgabenstellung zeigt, dass das Verhältnis des deutschen Protestantismus zum Staat Israel noch nicht Gegenstand einer ausführlichen deskriptiv ausgerichteten Studie gewesen ist. Gleichwohl existiert zu diesem Thema eine Fülle von Aufsätzen und kleineren Schriften. Diese weisen jedoch mehr einen biblisch-systematischen als einen zeitgeschichtlichen Charakter auf. Somit gehören sie eher in den Bereich der Quellen als unter die Rubrik ,Forschungsgeschichte‘. Zu den wenigen Ausnahmen zählen etliche kurze Texte, die eine komprimierte Darstellung der einschlägigen Verlautbarungen und der wichtigsten Veröffentlichungen profilierter Theologen enthalten.17 Schon Ende der 1960er Jahre wird „Israels Sechs-Tage-Krieg im Spiegel kirchlicher Urteile“18 in kleineren Beiträgen beleuchtet. Beispielhaft dafür ist der Aufsatz des israelischen Historikers Yona Malachy, der 1969 die Haltung verschiedener Kirchen zum jüngsten Nahostkrieg aus proisraelischer Sicht bewertet. Malachy klagt darüber, dass die verfassten Kirchen aller großen Konfessionen aufgrund theologischer Vorbehalte und der Einflüsse verschiedener ,pressure groups‘ bisher keine klare Position gegenüber dem Staat Israel bezogen hätten, obwohl die „wichtigsten christlichen Zeitschriften in den Ländern Europas und Amerikas“ darüber ausgiebig zu diskutieren wüssten. Die von Malachy herangezogenen Stellungnahmen aus Europa und Nordamerika sowie dem Nahen Osten einschließlich Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) und Vatikan hätten sich zwar alle um den Frieden, aber kaum um die weitere Existenz Israels gesorgt.19 Als Beispiel für einen zeitgeschichtlichen Aufsatz sei noch auf den Beitrag des kanadischen Historikers John Conway aus dem Jahr 1999 verwiesen. Er setzt voraus, dass das Erschrecken über das Ausmaß der Judenvernichtung bei der Errichtung des jüdischen Staates nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe, denn „the full impact of the Holocaust was only realized in the late 1950s, and the awareness of the implications for Christianity and the Christian churches only developed in the 1960s and 1970s.“20 Die traditionelle Lehre der Enterbung des jüdischen Volkes habe die Christen, Protestanten wie Katho17 So Baumann, Kirchen; Ehmann, Solidarität; Herntrich, Paradigma; Rendtorff, Wandel; und ders., Zionismus. 18 So der Untertitel von Malachy, Nein. – Der Beitrag einer israelischen Zeitschrift ist von R. Rendtorff gekürzt und übersetzt worden. 19 Als positive Ausnahme wird der von K. Scharf initiierte Aufruf der Westberliner Kirchenleitung vom 16. Juni 1967 hervorgehoben (s. Teil II, 3.3.3). Malachy irritiert, dass gerade die durch ihren Antinazismus bekannten Vertreter der Bekennenden Kirche von einer antiisraelischen Haltung geprägt seien. Es sei ein Widerspruch, wenn man den Zionismus aufgrund seiner nationalen Ausrichtung ablehne, gleichzeitig aber die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien glorifiziere. 20 Conway, Founding, 459.
Forschungslage
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liken gleichermaßen, im Blick auf die 1948 erfolgte Staatsgründung Israels theologisch unvorbereitet gelassen. Den meisten Raum nehmen in Conways Darstellung die Positionen des Vatikans und des nordamerikanischen Protestantismus vor 1948 ein. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass eine detaillierte Untersuchung der Wahrnehmung des Staates Israel (und des Nahostkonflikts) im deutschen Protestantismus nötig ist. Dieser Eindruck wird durch einen Blick auf publizistikwissenschaftliche Darstellungen bestätigt. Zwar wurde bereits mehrfach inhaltsanalytisch über das christlich-jüdische Verhältnis gearbeitet,21 die Frage nach dem Staat Israel dabei aber außen vor gelassen. Nicht wenige Monographien versuchen allerdings das Israelbild der säkularen westdeutschen Printmedien nachzuzeichnen. Die vom Titel her vielversprechende Untersuchung von Kenneth Lewan22 aus dem Jahr 1970 enttäuscht den Leser einerseits wegen der unklaren Methodik und andererseits wegen des allzu offensichtlichen Versuchs, die Presseorgane lediglich als unbotmäßig proisraelisch zu dekuvrieren. Den wissenschaftlichen Standards entsprechen dagegen die inhaltsanalytisch ausgerichteten Monographien von Margot Sonnenberg und Astrid Hub, die beide das Bild Israels in der deutschen Tages- und Wochenpresse analysieren.23 Während sich Sonnenberg nur mit einem Jahr zwischen 1980 und 1981 beschäftigt, überblickt Hub die wesentlichen Zeitungen von 1956 bis 1982. Während Peter Krause 2002 eine Presseanalyse zur Berichterstattung über den Eichmann-Prozess vorlegt, fragt Rolf Behrens im Jahr 2003 nach dem Israelbild der Intifada-Jahre 1987 – 1992 und 2000 – 2002, wobei er sich auf das Nachrichtenmagazin Der Spiegel konzentriert.24 Damit überschneidet sich diese Studie z. T. mit der als ,Diskursanalyse‘ bezeichneten Forschungsarbeit von Siegfried und Margarete Jäger25, die 2003 neben dem Spiegel sechs weitere Tages- oder Wochenzeitungen danach befragt, wie Vorfälle der israelischen Politik aus den Jahren 2000 und 2001 beurteilt werden. Bei diesen wissenschaftlichen Arbeiten und einer Reihe kleinerer Beiträge scheint sich von Jahr zu Jahr das Verdikt zu verstärken, dass die Berichterstattung über Israel defizitär ist und von einer Focussierung auf Mord und Totschlag dominiert wird sowie „verdeckt oder offen antisemitische Zuschreibungen zu den Israelis enthält.“26 Eine Thematisierung der spezifisch kirchlichen Publizistik mit Blick auf den israelischen Staat fehlt bis dato. 21 22 23 24 25 26
So u. a. Haase, Presse; und Volkmann, Israelsonntag. Lewan, Nahostkrieg. Sonnenberg, Israel; und Hub, Image. Krause, Eichmann; und Behrens, Raketen. Jger/Jger, Medienbild. Heyder/Iser/Schmidt, Israelkritik, 157. – Vgl. Jger/Jger, Medienbild, 356 – 358 (und die Kurzfassung bei DISS, Nahost-Berichterstattung). – Neben den detaillierteren Studien gibt es eine Fülle kleiner Beiträge über das mediale Israelbild, u. a. Lichtenstein, Medien; MedienTenor, Anti-Semitismus-Debatte; ders., Krisenherd; und InitiativeAntisemitismuskritik, Israel. – Mehrere Aufsätze bei Faber/Schoeps/Stawski, Judenhass.
5. Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse und die Zeitschriftenauswahl des III. Teils 5.1 Beschreibung der Methode Die Methode der ,qualitativen Inhaltsanalyse‘, die hier nur kurz erläutert werden soll, wird im unten stehenden Exkurs ausführlicher dargelegt. Dort kann der daran interessierte Leser nachvollziehen, wie das umgangreiche, für den publizistikwissenschaftlichen Teil III verwendete Material erfasst und ausgewertet worden ist. Anhand der qualitativen Inhaltsanalyse werden die ausgewählten Zeitschriftenartikel untersucht und danach befragt, „ob bestimmte, kategorial vordefinierte Bedeutungssymbole vorkommen oder nicht.“1 Es geht im III. Teil der Studie also um inhaltliche Aussagen, die sich in den erfassten Texten finden und die als ,Kategorien‘ (Adjektiv,kategorial‘) bezeichnet werden. Dass die Kategorien bei einer ersten Durchsicht des kompletten Textmaterials aufgestellt werden, ermöglicht beim zweiten Durchgang durch die ausgewählten Zeitschriftenartikel ein systematisches Vorgehen, das sich von der in den Geisteswissenschaften sonst üblichen Form der Texterfassung, wie ich sie selbst auch im zeitgeschichtlichen Teil II anwende, unterscheidet. Die qualitative Inhaltsanalyse geht von untersuchungsleitenden Hypothesen2 aus, die durch die Analyse auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft und konkretisiert werden. Die ,synchronen‘ Hypothesen fragen danach, welche Inhalte die Texte zur gleichen Zeit (= synchron), also in jedem Zeitabschnitt oder gar in jedem Kalenderjahr erneut vermitteln. Diese ergeben die Fragestellungen, mit denen das ,Klassifizierungssystem‘ aufgestellt wird, wie es zu Beginn des publizistikwissenschaftlichen Teils III abgedruckt ist. In kurzen prägnanten Überschriften enthält das Klassifizierungssystem eine Anordnung der im ersten Durchgang durch das Material ermittelten Kategorien. Die ,diachronen‘ Hypothesen (diachron = durch die Zeit) lenken die Aufmerksamkeit auf mögliche Entwicklungen im Untersuchungszeitraum und auf Veränderungen im Laufe der Jahre. Die Zählung der Hypothesen 1 – 4, wie sie im Folgenden zu sehen ist, erleichtert die Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien.
1 Haft, Inhaltsanalyse, 415. 2 Zur Überprüfung der Hypothesen s. Teil IV, 3.4.
Beschreibung der Methode
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Synchron: Hypothese 1: Die Schaffung des Staates Israel und die mit dieser Entität verbundenen Ereignisse werden im Raum des westdeutschen Protestantismus in theologischer Hinsicht aufgenommen sowie heilsgeschichtlich und eschatologisch interpretiert (s. Kategorie 1). Hypothese 2a: Hintergrund des Staat-Israel-Verständnisses ist die moralische Verantwortung der Deutschen angesichts der Schoah (s. Kategorien 2.1 und 2.2). Hypothese 2b: Die israelische Gesellschaft ist den westdeutschen Autoren sowohl Vorbild als auch Projektionsfläche eigener Ideale (s. Kategorie 2.3) Hypothese 3a: Die theologische und moralische Betrachtungsweise zeitigen politische Konsequenzen, was voraussetzt, dass die kirchliche Publizistik weder un- noch apolitisch ist: Der israelisch-arabische Dauerkonflikt wird mit Beunruhigung aufgenommen und mit Vorschlägen zur Friedenslösung beantwortet (s. Kategorien 3.1 und 3.2). Hypothese 3b: Die Lösung des arabischen Flüchlingselends wird als eines der Hauptziele anvisiert (s. Kategorie 3.3). Hypothese 3c: Die Autoren können sich aber auch die israelische Oberhoheit über ganz Jerusalem und ganz Palästina vorstellen (s. Kategorien 3.4 und 3.5). Hypothese 4: Die politische Bewertung der israelischen Staatlichkeit und des Nahostkonflikts führt zu unterschiedlichen Sympathien und teilt sich deshalb in eine proisraelische und eine proarabische Betrachtungsweise (s. Kategorien 4 und 5). Diachron: Hypothese 5: Diese Rezipierung der den Staat Israel betreffenden Ereignisse und Einschätzungen ist seit 1948 nicht gleich geblieben, sondern Entwicklungen unterworfen gewesen. Hypothese 6: Das protestantische Interesse am jüdischen Staat kam erst mit den Modernisierungsschüben am Ende der 1950er und am Anfang der 1960er Jahre auf: „Der Staat Israel trat spät ins Bewußtsein meiner Generation. Als er gegründet wurde, waren wir vollauf mit anderen Dingen beschäftigt.“3 Hypothese 7: Vor 1967 standen die Periodika in einem ,traditionell‘4 positiven Verhältnis dem Staat Israel gegenüber. Hypothese 8: Weil sich mit dem Sechstagekrieg 1967 „auch in westlichen Ländern die Stimmung gegenüber Israel deutlich“5 ändert, wird auch die kirchliche Publizistik israelkritischer.
3 Rendtorff, Identifikation, 136. 4 Vgl. Rasche, Ton. 5 Ehmann, Solidarität, 151.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
5.2 Exkurs: Die Schritte der qualitativen Inhaltsanalyse Die Inhaltsanalyse, ohne das Epitheton ,qualitativ‘, ist bisher in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fachrichtungen, in der Publizistik und mittlerweile auch in der Theologie dazu verwendet worden, umfangreiches „Material, das aus irgend einer Art von Kommunikation stammt“6, sachgerecht und möglichst objektiv zu erfassen und auszuwerten. Es kann bei dessen Untersuchung ,quantifizierend‘ (,Frequenz‘) oder ,qualifizierend‘ (,Präsenz‘) vorgegangen werden. Die qualitative Inhaltsanalyse fragt danach, ob bestimmte, kategorial vordefinierte Bedeutungssymbole vorkommen oder nicht.“7 Die vorher festgelegten inhaltlichen ,Kategorien‘ ermöglichen ein systematisches Vorgehen, das sich von der in den Geisteswissenschaften üblichen Form der Texterfassung unterscheidet, welche von Inhaltsanalytikern als ,impressionistisch‘ oder ,hermeneutisch‘ abgelehnt – und damit leider pauschal inferiorisiert – wird. Die Objektivität soll sich bei der Inhaltsanalyse dadurch zeigen, dass jeder andere Forscher, der mit denselben Kategorien an das identische Textmaterial herangeht, zu gleichen Ergebnissen kommen müsste.8 In dieser Untersuchung folge ich im Wesentlichen und leicht vereinfacht der qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie von Philipp Mayring beschrieben und von Evelina Volkmann im Hinblick auf den christlichjüdischen Dialog angewandt worden ist.9 Die Durchführung der Inhaltsanalyse erfolgt nach sieben Schritten: (1) Problemformulierung, (2) Aufstellung der untersuchungsleitenden Hypothesen, (3) Wahl des inhaltsanalytischen Verfahrens, (4) Auswahl des Analysematerials, (5) Entwicklung 6 Mayring, Inhaltsanalyse, 9. 7 Haft, Inhaltsanalyse, 415. – Es ist offensichtlich, dass sich im Laufe des Untersuchungszeitraums kontinuierlich mehr und mehr Christen zum Staat Israel und den Vorgängen in Nahost äußerten. Allein die Anzahl der Zeitschriftenartikel zu diesem Themenkomplex stieg exorbitant. Dieser Anstieg war allerdings eingebettet in ein allgemein größer werdendes Medienangebot, das mit einem zunehmenden Interesse an globalen politischen Ereignissen einherging. Viele kirchliche Periodika wurden im Umfang größer; die Relation zwischen theologischen und politischen Themen änderte sich zugunsten der Politik. Ein bloßes Nachzählen der Zeitschriftenseiten, die sich in den verschiedenen Zeitphasen mit Israel beschäftigten, brächte deshalb kein sinnvolles Ergebnis, da der Anstieg der allgemeinen Berichterstattung einberechnet werden müsste. Was zur Anzahl der publizierten Texte zu sagen ist, gilt auch für die im Laufe der Zeit vermehrt abgegebenen Verlautbarungen protestantischer Gruppen und kirchlich-institutioneller Gremien. Der Wert der vorliegenden Studie besteht deshalb nicht aus quantitativen Beobachtungen, sondern aus der Frage, wie der Staat Israel thematisch-inhaltlich in drei Zeitphasen wahrgenommen wurde. 8 Der Begriff der Objektivität steht also nicht zu einer postulierten ,absoluten Wahrheit‘ in Relation, sondern meint eine auf wissenschaftlichen Regeln basierende ,Intersubjektivität‘. Vgl. Haft, Inhaltsanalyse, 418: „Das ,klassische‘ methodologische Kriterium der Objektivität wird in der Inhaltsanalyse durch Diskursfähigkeit der Ergebnisse gesichert“ (Herv. aufgehoben). – Vgl. Dahinden/Httenschiler, Forschungsmethoden, 501. 9 Vgl. Mayring, Inhaltsanalyse; und Volkmann, Israelsonntag, 104 – 108.
Exkurs: Die Schritte der qualitativen Inhaltsanalyse
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des Klassifizierungssystems, (6) Datenerhebung und -interpretation und (7) Endergebnisse. Im Einzelnen: Problemformulierung: „Ohne spezifische Fragestellung, ohne Bestimmung der Richtung der Analyse ist keine Inhaltsanalyse denkbar.“10 Die grundlegende Fragestellung des III. Teils dieser Arbeit lautet: Wie haben protestantische Periodika aus Westdeutschland die den Staat Israel betreffenden Ereignisse und Einschätzungen rezipiert? Damit ist bereits vorausgesetzt, dass sich Kirche und kirchliche Publizistik überhaupt mit dem Staat Israel auseinandergesetzt haben. Somit erhält das Verfahren einen deduktiven Charakter. Aufstellung der untersuchungsleitenden Hypothesen: Das deduktive Vorgehen geht von untersuchungsleitenden Hypothesen aus, die durch die Analyse auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft und konkretisiert werden. Die ,synchronen‘ Hypothesen ergeben die Fragestellungen, mit denen die Kategorien des ,Klassifizierungssystems‘ gebildet werden. Die Zählung der Hypothesen 1 – 4 soll die Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien erleichtern. Oben sind bereits die Hypothesen aufgelistet, die am Ende des Buches der Überprüfung unterzogen werden.11 Wahl des inhaltsanalytischen Verfahrens: Da es bei dieser Untersuchung um inhaltliche Aussagen (,Kommunikationsinhalte‘) zum Staat Israel geht, zielt der III. Teil dieser Studie auf eine Themenanalyse. Hier befindet man sich auf der semantischen Ebene. Dem Analyseziel gemäß ist die Nachzeichnung einer Entwicklung intendiert: Welche Themen wurden in welchem Zeitraum propagiert? Welche kamen erst später auf, welche wurden wieder fallen gelassen? Die ermittelten Aussagen vermitteln damit Erkenntnisse über den westdeutschen Protestantismus, wie er sich in der Publizistik manifestiert hat.12 Auswahl des Analysematerials: Da es nicht möglich ist, alle westdeutschen evangelischen Printmedien aus den Jahren 1948 bis 1972 als ,Grundgesamtheit‘ der zu analysierenden Texte heranzuziehen, muss eine möglichst repräsentative Auswahl (,Auswahleinheit‘) getroffen werden. Die herangezogenen Printmedien werden weiter unten beschrieben. Die ,Analyseeinheit‘ ist der meist mit einem Verfassernamen gekennzeichnete Text, Aufsatz oder Artikel einer Zeitschrift, der in irgendeiner Weise den Staat Israel thematisiert, sei es politisch-ethisch oder theologisch. Da die Evangelische Welt als Informationsblatt viele anonym veröffentlichte Redaktionsartikel enthält, wurden gerade hier Aufsätze ohne Autorennamen berücksichtigt. In den 10 Mayring, Inhaltsanalyse, 45. 11 S. a. Teil IV, 3.4. 12 Die Aussagen lassen Rückschlüsse auf die ,soziale Wirklichkeit‘ zu, in die hinein sie kommuniziert werden. So Merten, Inhaltsanalyse, 16. – Eine von der thematisch-semantischen Ebene unterschiedene Analyse-Richtung wäre die Beschreibung der Wirkungen, der Reaktionen der Leser auf die Texte; ich verzichte auf eine solche ,pragmatische Analyse‘, da die zur Verfügung stehenden Zeitschriften darüber kaum Informationen bieten. Die wenigen veröffentlichten Leserbriefe beispielsweise bieten diesbezüglich zu wenig Datenmaterial und werden deshalb wie Autorentexte behandelt.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
ausgewählten Periodika wurden alle Texte durchgesehen, die aufgrund ihres Titels oder eines Registereintrags eine Beschäftigung mit Judentum, Staat Israel, Naher Osten oder arabische Welt nahelegten. Wenn sie allerdings keine für die Analyse relevanten Aussagen über den israelischen Staat beinhalteten, wurden sie wieder beiseite gelegt und auch nicht in das Literaturverzeichnis übernommen. Um die Vergleichbarkeit zu gewähren und einem bestimmten Periodikum nicht über die Maßen Gewicht zu verleihen, wurden Artikel, die der ,weltlichen‘ Tagespresse entnommen und besonders in der Jungen Kirche dokumentiert worden sind, der Analyse nicht unterzogen. Die Beiträge haben unterschiedliche Längen, von einer nur wenige Zeilen umfassenden Buchvorstellung bis zur 30-seitigen Abhandlung. Entwicklung des Klassifizierungssystems: ,Klassifizierung‘ bzw. ,Kategorienbildung‘ bedeutet die Strukturierung des erhobenen Materials nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten. Das Ziel besteht „vornehmlich in einer sinnvollen Informationsreduktion, ohne daß wichtige Informationen verlorengehen.“13 Bei der Aufstellung des Kategorien- oder Klassifizierungssystems werden die Kategorien „in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt“ und während der ersten Analyse, der ,Probekodierung‘, überarbeitet und überprüft.14 Das bedeutet, dass anhand der Texte und unter Berücksichtigung der untersuchungsleitenden Hypothesen die relevanten inhaltlichen Aussagen ermittelt, zu größeren Gruppen zusammengefasst und in das Klassifizierungssystem aufgenommen werden. Textinhalte, die zwar den Staat Israel thematisieren, aber zur Fragestellung nichts beitragen, bleiben unberücksichtigt.15
13 Haft, Inhaltsanalyse, 417. – Vgl. Schulz, Inhaltsanalyse, 53: „Die Kategorien bei der Inhaltsanalyse entsprechen den Fragen bei einer demoskopischen Umfrage.“ 14 Mayring, Inhaltsanalyse, 48. 15 Dem von mir aufgestellten Klassifizierungssystem, das zu Beginn des III. Teils abgedruckt ist, liegen folgende Kodierungsregeln zugrunde: (1) Die ,Kontexteinheit‘ als der größte Materialbestandteil, der ausgewertet wird und unter eine Kategorie fallen kann, ist ein Aufsatz oder Artikel einer Zeitschrift. (2) Die ,Kodiereinheit‘ als der kleinste Materialbestandteil, der ausgewertet wird und unter eine Kategorie fallen kann, ist ein Satz, ein Teilsatz oder eine Wortgruppe innerhalb eines Satzes oder Teilsatzes, der oder die einen spezifischen Inhalt transportiert. In manchen Analyseeinheiten fallen zahlreiche Sätze oder Teilsätze unter dieselbe Kategorie, in anderen nur eine einzige Wortgruppe. (3) Nicht kategorisiert werden die in der Jungen Kirche (JK) abgedruckten Artikel oder Textpassagen aus der politischen Tagespresse, weil dies der JK ein zu großes Übergewicht verleihen würde und auch mit der Themenstellung nichts mehr zu tun hätte. Dokumentierte Erklärungen und Beiträge aus anderen kirchlichen Medien oder namentlich gekennzeichnete Texte von Politikern wurden dagegen aufgenommen. (4) Wenn ein Autor eine von ihm dargestellte Position ablehnt, wird die abgewiesene Einstellung nicht eigens kodiert, dafür aber die Ablehnung. Neutral referierte Ansichten anderer werden berücksichtigt und beim Literaturbeleg mit dem (dann abgekürzten) Zusatz „Zusammenfassung der Position von …“ oder „unter Zitierung von …“ versehen. (5) Die einzelnen Kategorien des Klassifizierungssystems sind in Form von Überschriften formuliert, auch wenn sich hinter ihnen inhaltliche Aussagen verbergen. Was eine Kategorie bedeutet, wird zu Beginn ihres erstens Vorkommens, meist also in der ersten Zeitphase, erläutert.
Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials
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Datenerhebung und –interpretation: Im zweiten Durchgang des Textmaterials wird das Klassifizierungssystem auf die Analyseeinheiten angewandt (,Datenerhebung‘). In der doppelten Sichtung des Materials liegt der besondere Aufwand der Inhaltsanalyse. Im zweiten Durchgang werden diejenigen Texte, die auf die mit den Kategorien gestellten Fragen nicht antworten, von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Die Datenerhebung erfolgte auf eigens dafür erstellten Listen und gehört nicht zu der hier vorliegenden Studie. Der hier abgedruckte publizistikwissenschaftliche Teil besteht aus der Dateninterpretation, die das Vorkommen der Kategorien darstellt, erläutert und zusammenfasst. Dies erfolgt nacheinander für jede der zeitlichen Phasen. Hierbei steht der ,qualitative‘, also der inhaltliche Aspekt im Vordergrund, nicht der quantitative.16 Begriffe wie ,Autor‘, ,Text‘, ,Artikel‘ o. ä. benutze ich dabei als Synonyme zu dem sperrigen und daher zu vermeidenden Ausdruck ,Analyseeinheit‘. Gemeint ist – grob gesagt – ein von einem Verfasser oder einer Verfassergruppe niedergeschriebener Aufsatz oder Artikel einer Zeitschrift.17 Endergebnisse: Am Ende der inhaltsanalytischen Betrachtung wird das Erarbeitete noch einmal zusammengefasst und eruiert, was die Analyse zur Lösung der eingangs erhobenen Fragestellung beigetragen hat. Das Augenmerk liegt dabei auch auf den Veränderungen, die sich von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt ergeben.
5.3 Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials Da es nicht möglich ist, alle westdeutschen evangelischen Printmedien aus den Jahren 1948 bis 1972 heranzuziehen, muss eine Auswahl getroffen werden. Meine Leitfragen sind dabei gewesen: Auf welche Periodika muss ich zurückgreifen, um erkennen zu können, mit welchen Themen sich engagierte Christen, Kirchenvorsteher, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen und Gemeinden, Religionslehrer, Pfarrer und anderweitig beschäftigte Theologen in Westdeutschland auseinandesetzten? Welche Zeitschriften gab es, die von diesen 16 Auf die Häufigkeit des Vorkommens kann nur in grober, nicht empirisch verifizierter Weise eingegangen werden. So wird z. B. deutlich, auch anhand der Literaturnachweise, ob eine bestimmte Kategorie in der jeweiligen Phase in nur einer Analyseeinheit oder in mehreren oder gar vielen Texten auftritt, wobei die Rede von ,wenigen‘, ,manchen‘, ,mehreren‘, ,vielen‘ oder den ,meisten‘ Autoren keine exakte Zahl anvisiert, sondern Eindrücke und Schätzwerte wiederspiegelt. 17 Um präzise zu sein muss man allerdings ergänzen: Gemeint ist nicht der Autor als geschichtliche Person, deren Ansichten im Laufe der Zeit Wandlungen unterworfen sind. Gemeint ist auch nicht der Text als Gesamtheit, sofern er eine Fülle an Inhalten transportiert. Gemeint ist allein die Moment- und Detailaufnahme eines inhaltstragenden Textbereichs, dessen Umfang mit den bereits eingeführten Begriffen ,Kontext- und Kodiereinheit‘ abgesteckt ist. Formulierungen wie ,Die Autoren sind der Meinung, dass …‘ heben deshalb nicht auf die Gesamtheit aller Analyseeinheiten ab, sondern betreffen ausschließlich die Analyseeinheiten, aus denen ein Textbereich unter die besagte Kategorie fällt.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
Personenkreisen gelesen werden konnten, weil sie sich sowohl an evangelische Laien als auch an Theologen wandten? Wie hießen die Printmedien, die nicht ein christliches Spezialthema behandelten, sondern Berichte und Aufsätze für ein allgemein an Kirche und Theologie interessiertes Publikum bereithielten? Was sind die Publikationsorgane, deren Leser Multiplikatoren waren und ihre Wertvorstellungen durch Verkündigung, Unterricht, Seelsorge und Diakonie in andere Milieus hineintrugen? Dieser Leitfragen wegen werden hier Zeitschriften herangezogen, die über die Grenzen einzelner Landeskirchen hinweg in der Bundesrepublik und Berlin (West) Verbreitung fanden und sich weder nur an die theologische Fachwelt noch an eine spezifisch kirchliche Berufsgruppe wandten (wie z. B. das Deutsche Pfarrerblatt). Ausgeschlossen sind aufgrund der Leitfragen auch solche Periodika, die als Informationsblätter kirchlicher Vereine oder Einrichtungen fungierten und vielfach, aber nicht immer der ,Kleinpublizistik‘ zuzurechnen waren. Die im II. Teil der Arbeit berücksichtigten Blätter Friede über Israel (FÜI) und Im Lande der Bibel (ILB) werden deshalb bei der Inhaltsanalyse übergangen, weil sie nicht auf die oben erwähnten Leitfragen Antwort geben. Denn sie richteten sich gerade nicht an ein breit interessiertes ,Kirchenvolk‘, sondern wandten sich an solche, die sich speziell über das Judentum bzw. über Palästina informieren wollten. Die von mir herangezogenen Periodika, die „von ihrem publizistischen Anspruch her zwischen einer überregionalen Wochenzeitung und einer theologischen Fachzeitschrift“18 stehen, wollten nicht religiös erbauen, sondern durch gezielte Informationen und Kommentare die Meinung der oben genannten Leserschaft prägen. Die Herausgeberkreise der Zeitschriften befanden sich in einer mehr oder weniger engen Anbindung an kirchenleitende Organe oder wurden wie im Falle der Jungen Kirche von einer einflussreichen kirchenpolitischen Gruppierung verantwortet. Damit das Analysematerial nicht nur überschaubar, sondern zudem vergleichbar bleibt, sind nur Monats- und Halbmonatsschriften und keine Wochenblätter aufgenommen worden. Die umfangreiche Kirchengebietspresse musste deshalb genauso außen vor bleiben wie Das Sonntagsblatt bzw. das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt. Auch auf die Zeitschrift Kirche in der Zeit (KiZ), die vom Rheinland ausgehend in den Unionskirchen Verbreitung fand, muss bei der Analyse verzichtet werden, nicht zuletzt deshalb, weil die hierfür tätigen Autoren auch für die anderen hier untersuchten Kirchenzeitungen schrieben – z. B. Gerhard Jasper und Helmut Gollwitzer. So kann davon ausgegangen werden, dass Kirche in der Zeit keine weiterführenden Erkenntnisse eingebracht hätte. Nach den genannten Kriterien sind folgende Printmedien – nach ihrer Entstehungszeit sortiert – herangezogen worden, die im Folgenden beschrieben und charakterisiert werden: Reformierte Kirchenzeitung (RKZ), 18 Haberer, Riese, 81.
Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials
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Junge Kirche (JK), Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung (ELKZ), Evangelische Welt (EvW), Lutherische Monatshefte (LM) und Evangelische Kommentare (EK). Reformierte Kirchenzeitung: Die seit 1851 bzw. 187719 herausgegebene Kirchenzeitung beendete ihre fast zehnjährige Kriegspause mit dem 90. Jahrgang 1949. Das zunächst in Wuppertal-Barmen, dann in NeukirchenVluyn zweimal monatlich erscheinende Blatt berichtete als „Organ des Reformierten Bundes“, so der Titelzusatz, aus den relativ wenigen reformierten Gemeinden Deutschlands. Herausgeber war zunächst Robert Steiner, dann bis 1974 Karl Halaski. Mit ihrem Wiedererscheinen 1949 verfolgte die auch von „Kirchenältesten stets mit Spannung erwartete und wohl auch gelesene RKZ“20 eine klare kirchenpolitische Blattlinie: „Wir sehen unsere Aufgabe darin, die uns in den Jahren des Kirchenkampfes geschenkten Erkenntnisse auch weiterhin für unsere Kirche nutzbar zu machen. Es sind leider in der Evangelischen Kirche in Deutschland Bestrebungen im Gange, wieder die alte Kirche aus der Zeit vor 1933 in den Vordergrund zu bringen. Wir werden darauf achten, daß dem widerstanden wird, und wir auf dem uns in Barmen gewiesenen Wege der Bekennenden Kirche weiter vorwärts schreiten.“21
Dieses Erbe machte sich zudem an der propagierten Ausrichtung an dem ,einen Wort Gottes‘ und an dem Zugeständnis fest, man werde politische Stellungnahmen nicht vermeiden können.22 Im Jahr 2000 fusionierte die RKZ mit anderen Periodika zu Zeitzeichen. Junge Kirche: Die aus dem Kirchenkampf hervorgegangene, zunächst in Oldenburg und später in Bremen erscheinende Monatsschrift entwickelte sich zu einem Periodikum, das aus ,linker‘ Perspektive urteilte.23 Neun Jahrgänge erschienen zwischen 1933 und 1941, der 10. Jahrgang erst wieder ab Januar 1949. Vom ersten Heft des Jahres 1949 bis einschließlich des zweiten Heftes des Jahres 1950 lautete der Titelzusatz Evangelische Kirchenzeitung. Nachdem die Schriftleitung einige Zeit auf einen Untertitel verzichtet und vorübergehend eine halbmonatliche Erscheinungsweise ausprobiert hatte, nannte sie ihr Publikationsorgan seit 1952 Protestantische Monatshefte. Damit war der Anspruch verbunden, „die echten Traditionen des Protestantismus“ zu repräsentieren und unter Relativierung der konfessionellen Unterschiede für die Einheit der Reformationskirchen sowie für die Mündigkeit der Gemeinde 19 Zwischenzeitlich erschien die RKZ unter anderen Namen. So Heinrichs, Judenbild, 139. – Zum Judenbild der RKZ bis 1918 s. ebd., 139 – 155. 20 Buitkamp, RKZ. 21 Steiner, Anfang, 3. 22 So de Quervain, Dienst, 149. 23 S. a. die Beiträge im Jubiläumsheft 2003, v. a. Buchstdt, Königsherrschaft; Finckh, Heinz Kloppenburg; und Hein-Janke, Frieden. – Vgl. Mehnert, Presse, 262 f.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
einzutreten.24 Zum Herausgeberkreis gehörte in den 1950er Jahren u. a. Walter Herrenbrück, Hans J. Iwand, Heinz Kloppenburg, Wilhelm Niemöller und Fritz Söhlmann. Beim Wiedererscheinen der Zeitschrift stellte Schriftleiter Söhlmann den Neubeginn bewusst in eine als heroisch angesehene Tradition der Bekennenden Kirche: „Wir, die Bekennende Kirche, haben 1936 unsere bekannten großen Denkschriften gegen das Unrecht der Konzentrationslager, die Unterdrückung der Glaubensfreiheit und die Behandlung der Juden veröffentlicht […] Wir haben also schon damals als Kirche auch ,politisch‘ gehandelt und nicht einfach duldend allem zugesehen.“25
Das Kontinuum erblickte die JK in der Kritik an den gegebenen politischen Verhältnissen und in der Ablehnung der „restaurativen Neuordnung der Evangelischen Kirche“, bei der sich die Bekennende Kirche größtenteils selbst aufgegeben habe.26 Die zweite These der Barmer Erklärung von 1934, wonach Christen nur Christus und nicht anderen Herren gehörten, wurde auch für die Nachkriegszeit in Anspruch genommen und führte dazu, dass die JK im Raum der Kirche zu den Blättern gehörte, die mit dem größten politschen Veränderungswillen auftraten. Parteipolitisch waren sich nahezu alle Autoren in der Distanz zu CDU/CSU einig. Der politischen Blattlinie wegen spielte der Nahostkonflikt in der JK eine größere Rolle als in anderen Zeitschriften; 1969 war sogar das ganze Oktoberheft der israelisch-arabischen Auseinandersetzung gewidmet. Dem progressiven Selbstverständnis entsprechend wählte man 1968 einen neuen Titelzusatz: Eine Zeitschrift europäischer Christen. In diesem Zusammenhang wurden einige nichtdeutsche Christen in den Mitarbeiterkreis aufgenommen, insbesondere zwei leitende Persönlichkeiten der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), der Franzose Georges Casalis und der bereits 1969 verstorbene Tscheche Josef Hromdka.27 Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung: Die von 1947 bis 1961 anfangs zweimal monatlich, später monatlich zunächst in München, dann in Berlin erscheinende, aber in Mittelfranken redigierte Zeitung wurde im Auftrag des 24 Iwand, Monatshefte, 358. 25 Sçhlmann, Kain, 25. 26 Kloppenburg, Kirche, 2. – Vgl. dazu die Kopie des Manuskripts (ZAEKHN, 62/640). – Vgl. Iwand, Monatshefte, 358. – Bzgl. einer simplen Restaurationsthese s. Vollnhals, Zeitgeschichte. 27 1975 vergrößerte die JK ihr Gewicht als linke Plattform, indem die Redaktionsmehrheit der von M. Niemöller gegründeten und nun vom Verlag eingestellten Stimme in die Mitverantwortung eintrat. Zudem schlossen sich die KBiW, die Mitarbeiter der 1969 entstandenen Zeitschrift akid und die von D. Sölle dominierten Christen für den Sozialismus (CfS) dem Team der JK an. Ob es nun noch möglich war, die Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus „schlagwortfrei“ (Kloppenburg, Kirche, 2) zu behandeln, sei dahingestellt. – Vgl. Mehnert, Presse, 263; und Meldung „,Junge Kirche‘ mit erweitertem Mitarbeiter- und Herausgeberkreis“, in: Epd.ZA Nr. 10 vom 15. 1. 1975.
Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials
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Rates der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) herausgegeben und stand für das konfessionelle Luthertum: „Weit davon entfernt, nur ein kirchenpolitisches Informations- und Agitationsblatt zu sein, möchte diese Kirchenzeitung alle die aufrufen, sammeln und zu Wort kommen lassen, die sich zu grundsätzlicher Mitarbeit daran vom lutherischen Bekenntnis her der Kirche theologisch verantwortlich wissen.“28
Auch wenn sich das Blatt nicht als Rechtsnachfolgerin der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung verstand, so wurde es trotzdem in deren Tradition eingeordnet, folgte also einer theologisch wie politisch eher konservativen Linie.29 Aktuelle politische Themen, welche die Verbreitung der Zeitschrift in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR gefährden konnten, wurden jedoch vermieden.30 Als Ernst Kinder, welcher an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau lehrte, im Jahre 1953 einen Ruf nach Münster (Westfalen) annahm, musste er, da Münster außerhalb der VELKD lag, die Schriftleitung an den Heilsbronner Pfarrer Richard Eckstein abgeben. Hinsichtlich des Judentums lag die ELKZ auf der Linie des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel (kurz Zentralverein), wodurch sie eine judenmissionarische Stoßkraft erhielt. Die das Judentum betreffenden Artikel wurden nahezu ausschließlich von Mitarbeitern des Zentralvereins bzw. seiner Zweigvereine verfasst, insbesondere von Personen wie Martin Wittenberg und Gerhard Jasper ; letzter publizierte auch in EvW, KiZ und RKZ. Evangelische Welt: Die 1947 von Focko Lüpsen in Bethel bei Bielefeld gegründete Zeitschrift firmierte zunächst als Nachrichtendienst der Evangelischen Kirche von Westfalen, wurde aber sehr schnell – so der neu formulierte Titelzusatz – zum Informationsblatt für die Evangelische Kirche in Deutschland ausgeweitet. Unter der Führung Lüpsens, der seit 1946 Direktor des Evangelischen Presseverbandes von Westfalen (und Lippe) (EPWL) und seit 1947 Geschäftsführer und Herausgeber des epd war, deckte die EvW den gesamtdeutschen Protestantismus in westlicher Perspektive ab und war durch eine zweiwöchentliche Periodizität gekennzeichnet.31 1967 ging die EvW zusammen mit anderen nicht streng konfessionsgebundenen Periodika in den Evangelischen Kommentaren auf. Wie bereits der Titelzusatz zeigt, standen Nachrichten und Informationen im Mittelpunkt der EvW, die trotz dieser Schwerpunktsetzung nicht völlig auf Autorenaufsätze verzichtete. Die meisten 28 Kinder, Aufgabe. 29 Vgl. Meiser, Geleit; Mehnert, Presse, 261; und o.Vf., Publizistische Entwicklungen, 298. – Zur Wahrnehmung des Judentums in der AELKZ zwischen ihrer Gründung 1868 und 1918 s. Heinrichs, Judenbild, 32 – 138. 30 So Hbner, Gruß, 215. 31 Zu Lüpsen vgl. Rosenstock, Presse, 183 – 190.212 – 214 u. 495; und Schwanebeck, Massenmedien, 405 – 408.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
Texte waren jedoch namentlich nicht gekennzeichnete Redaktionsartikel. Deshalb wird innerhalb des publizistikwissenschaftlichen Teils der vorliegenden Arbeit bei der EvW von dem Grundsatz abgewichen, sich auf Autorentexte zu beschränken. Lutherische Monatshefte: Die seit Januar 1962 in Hamburg veröffentlichte Monatsschrift erschien anstelle der ELKZ, dem Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen (INLL) sowie den konfessionsbewussten Lutherischen Nachrichten (LN) der Lutheraner innerhalb der Unionskirchen, ohne dass man dies „als eine direkte Fusion“ verstanden haben wollte.32 Vielmehr habe man gemerkt, so Erwin Wilkens, dass aufgrund der abnehmenden Leserzahl eine größere ,Konzentration‘ der evangelischen Publizistik nötig sei.33 1998 gingen die LM mit Zeichen der Zeit (ZdZ) eine enge Kooperation ein und nannten sich Zeichen der Zeit/Lutherische Monatshefte, bevor diese wiederum im Jahr 2000 mit den EK und der RKZ zu Zeitzeichen fusionierten. Während die ELKZ die Interessen der VELKD und der ihr angeschlossenen Gliedkirchen vertrat, wandten sich die LM an das Gesamtluthertum, also auch an die Lutheraner innerhalb der Unionskirchen. Weil bei der VELKD die Eigentumsrechte der LM lagen und sie Herausgeberkreis und Redakteure ernannte, weil zu diesem Herausgeberkreis Landesbischöfe wie Hermann Dietzfelbinger und Wilhelm Halfmann sowie Heinz Brunotte, Präsident des Lutherischen Kirchenamtes in Hannover, gehörten, fungierte die neue Zeitschrift faktisch als Organ der verfassten Kirche.34 Redaktionell war unter anderem der Theologe Paul Reinhardt, vorher bei den Lutherischen Nachrichten, zuständig. 1970 wurde der theologisch wie journalistisch gleichermaßen versierte Siegfried von Kortzfleisch zum Chefredakteur ernannt und gab den LM ein fortschrittlicheres Gepräge, sodass das Periodikum der Blattlinie der EK immer näher kam. Neben der lutherischen Ausrichtung betonte die Redaktion zunehmend die „ökumenische Verantwortung“, welche ein „konfessionelles Verbandsinteresse“ unmöglich mache.35 Sie wollte ihren Schwerpunkt nicht auf die Übermittlung von kirchlichen Nachrichten legen, wie es für die EvW charakteristisch sei, sondern „,gezielte‘ Information“ bieten und dabei „ein klares theologisches Gesicht“ besitzen. Die Zeitschrift, die „zu einem Kirchenblatt, aber 32 Schwennen, Monatshefte, 323. – Vgl. Mehnert, Presse, 261. 33 So Wilkens bei Schweizer Ev. Pressedienst/Wilkens /VELKD-Kirchenleitung, Korrespondenz. – S. a. Goebel, Kommentar. 34 Vgl. Heidtmann, Zeitschrift, 407: „Ob freilich die starke kirchenamtliche Bindung, die in der Zusammensetzung des Herausgeberkreises in Erscheinung tritt, für ein Informationsblatt zweckmäßig ist, sei noch dahingestellt.“ – Vgl. im Gegensatz dazu Schwennen, Monatshefte, 323: „Die Zeitschrift ist weder amtliches Organ der VELKD noch an irgend eine kirchliche Organisation gebunden.“ 35 Redaktion der LM, Kommentar. – Vgl. Rosenstock, Presse, 283 f.
Auswahl und Charakterisierung des Zeitschriftenmaterials
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nicht ein Blatt einer theologischen Schule werden“36 wolle, spiegele das Wissen wieder, dass die Kirche immer wieder neu Antworten auf die Fragen der Zeit finden müsse, und intendiere deshalb das Gespräch mit den aktuellen gesellschaftlichen Strömungen. Im Rückblick stellte ein Mitarbeiter der LM fest: „Die Lutherischen Monatshefte werden vor allem von Pastorinnen und Pastoren gelesen, wollen aber auch für alle anderen kirchlichen Berufe und für denkbereite Nichtfachleute verständlich sein.“37 Aufgrund der konfessionellen Unterschiede innerhalb des deutschen Protestantismus sah man eine publizistische Konzentration auf EKD-Ebene als nicht möglich an.38 Dem seit 1966 vorliegenden Konzept der Gründung einer Evangelischen Korrespondenz – so die Planungsbezeichnung der späteren EK – begegneten die LM mit deutlichem Misstrauen. Eine derartige Zeitschrift könne „keine Bereicherung, sondern lediglich eine Konkurrenz zu den bereits vorhandenen Blättern werden.“39 Dass man dafür auch noch Kirchensteuermittel verwenden wolle, sei nicht zu verantworten. Die LM führte in den 1960er Jahren das Anliegen der Judenmission fort, was exemplarisch an der Auseinandersetzung mit der Kirchentags-AG deutlich wurde. Paul Reinhardt, der zum Jahreswechsel 1966/67 die Redaktion verließ, nahm selbst nur zu wenigen Themen Stellung. Er äußerte sich nur dann, wenn er der Meinung war, „daß an diesen Fragen in unseren Tagen ganz bestimmte weitreichende Entscheidungen fallen. Dies gilt, wie mir scheint, für die Frage ,Kirche und Israel‘ ebenso wie für die Frage der ethischen Konsequenzen aus dem Evangelium oder auch für die Frage nach der Vermischung von theologischen und politischen Urteilen.“40
Evangelische Kommentare: In der von 1968 bis 2000 in Stuttgart erschienenen Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft – so der Titelzusatz – sind analog zu den LM im Zuge der Medienkonzentration die Zeitschriften EvW, KiZ und der Evangelische Literaturbeobachter aufgegangen.41 Aus konfessionellen Erwägungen heraus wollten LM und RKZ 1968 dieser großen Fusion nicht beitreten. Im Jahr 2000 mussten ZdZ/LM und RKZ schließlich doch aus Kostengründen mit den EK zusammengehen und bildeten das neue Periodikum Zeitzeichen; die konfessionellen Unterschiede waren weitgehend verblasst. Ihre Entstehung und Entwicklung verdanken die EK ihrem ersten Chefredakteur Günter Heidtmann, der zuvor als Redakteur 36 Schwennen, Monatshefte. 37 Isermann, Lob, 8. 38 So Wilkens bei Schweizer Ev. Pressedienst/Wilkens /VELKD-Kirchenleitung, Korrespondenz, 36 f. 39 So VELKD-Kirchenleitung bei ebd., 37. 40 Reinhardt, Rückschau. 41 So Goebel, Kommentar, 482. – Vgl. Schweizer Ev. Pressedienst/Wilkens /VELKD-Kirchenleitung, Korrespondenz; und Meldung „Neue Zeitschrift: ,Evangelische Kommentare‘“, in: Epd.ZA Nr. 124 vom 3. 6. 1967.
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Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
bei der KiZ tätig war und bereits 1970 starb. Eberhard Stammler wurde sein Nachfolger. Die Besitzrechte der Zeitschrift lagen bei einem Verein, dem neben den Landeskirchen der Arnoldshainer Konferenz die evangelischen Presseverbände, der DEKT sowie Einzelpersonen angehörten. Der Vereinsstatus garantierte dem redaktionellen Selbstverständnis nach die journalistische Unabhängigkeit der EK und kennzeichnete den Unterschied zum Konkurrenzblatt der LM. Die EK verstanden sich als erster Schritt auf das Ziel hin, „alle großen kirchlichen Informationszeitschriften zusammenzufassen.“42 Die EK wollten „über Fragen des ökumenischen, sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens informieren“ und waren „ein Organ, das dem Auftrag der Kirche in der Welt einen Dienst erweist, ohne den er in der heutigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr wirksam erfüllt werden könnte.“43 Aus diesem Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung resultierte ein politisches, „eher links-liberal(es)“44 Anliegen, das die EK von seinen Vorgängerorganen unterschied und das sich auch darin manifestierte, dass Stammler 1972 aus der CDU austrat. Besonders jüngere Redakteure wie Hans Norbert Janowski verrichteten ihre Tätigkeit aus dem Geist der ,68er-Bewegung‘ heraus. Eigentlich wollte man alle Berufsgruppen „vom Lehrer bis zum Ministerialbeamten, vom Arzt bis zum Industriellen“ erreichen, doch die Tendenz wurde von Anfang wahrgenommen, dass aus den EK eine rein binnenkirchliche Zeitschrift werden könnte.45
42 Beckmann, Günter Heidtmann, 317. – Vgl. Heidtmann, Zeitschrift; und Weeber, Tod. 43 O.Vf., Publizistische Entwicklungen, 298; und Beckmann, Günter Heidtmann, 318. – Vgl. Goebel, Kommentar, 482. 44 Rosenstock, Presse, 299. 45 Goebel, Kommentar, 482.
Teil II: Zeitgeschichte
1. Der Staat Israel als Störfaktor der Mission (1948 – 1957) 1.1 Einführung in den Zeitabschnitt Während man die 1960er Jahre in Anlehnung an Gerhard Schulze als ,Erlebnisgesellschaft‘ charakterisieren kann, ist die Bundesrepublik vor 1958 als ,Überlebensgesellschaft‘ zu kennzeichnen.1 Die Deutschen waren nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie mit sich selbst beschäftigt: Die Befriedigung der elementarsten Grundbedürfnisse, der Wiederaufbau der Infrastruktur, die Integrierung der Flüchtlinge aus den verloren gegangenen Ostprovinzen und die Bewältigung der 1949 vollzogenen Teilung des Landes. Diese Fragestellungen bestimmten auch das kirchliche Leben. Deshalb nahmen nur wenige Protestanten die Schaffung des Staates Israel im Mai 1948 zur Kenntnis,2 zumal im gleichen Jahr bedeutende kirchliche Zusammenschlüsse ins Leben gerufen wurden: Im März die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (AcK) in Kassel, im Juli die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland (VELKD) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Eisenach sowie im August der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Amsterdam. Die Evangelische Kirche befand sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer Situation „zwischen Aufbruch und Beharrung“, „zwischen Traditionswahrung und Neuorientierung.“3 Die Kirche ließ sich einerseits auf die neuen Gegebenheiten ein, darauf, dass sie nun in einem demokratisch-westlichen Staatswesen zu Hause war. Andererseits suchten viele Protestanten in den Neuanfängen dieser Zeit dadurch Halt zu gewinnen, dass sie an der traditionellen, vorzugsweise konfessionellen Theologie und Kirchlichkeit anknüpften. Der an Hermann Diems Entscheidungsfrage von 1946 anknüpfende und über Jahrzehnte hinweg geäußerte Restaurationsvorwurf ist in dieser Einseitigkeit für die Kirche der 1950er Jahre allerdings nicht zutreffend, auch nicht für das Verhältnis des Nachkriegsprotestantismus zum Judentum.4 Nicht jeder 1 So Schildt, Wohlstand, 30. – Vgl. Ders., Revolte, 8; und Schulze, Erlebnisgesellschaft. 2 Vgl. Herntrich, Vergangenheit, 9: „1948 hatten wir, hatten unsere Mütter und Väter andere Sorgen: Ihr eigenes Land lag noch weithin in Trümmern, ihre Kräfte waren bis an die Grenze des Menschenmöglichen absorbiert vom Aufbauwillen und der Schaffung einer lebenswerten Existenz und einer menschenwürdigen Zukunft für sich und ihre Nachkommen.“ – Vgl. zudem Oelke, Schuld, 8; und Rendtorff, Wahrheit, 31. – S.a. Zimmerli, Israel und die Christen, 8: „Zunächst war es ein sehr begrenzter Kreis von Deutschen, die sich für Israel interessierten.“ 3 Greschat, Aufbruch; und Vollnhals, Kirche. 4 Vgl. Diem, Restauration; Gollwitzer, Martin Niemöller ; und Herbert, Kirche, 9. – H. Oelke machte darauf aufmerksam, dass zwar die nationalsozialistischen Verbrechen die christliche
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einzelne Christ, aber die protestantische Christenheit als Ganzes war von dem wechselhaft starken, aber stets vorhandenen Bemühen gekennzeichnet, die ideologische Judenfeindschaft, wie sie vor 1945 üblich war, hinter sich lassen. Wo sich erneut Antisemitismus bemerkbar machte, gab es stets kirchlich Engagierte, die mahnend ihre Stimme erhoben.5 Die Art und Weise, wie der Staat Israel im Protestantismus der 1950er Jahre wahrgenommen oder ignoriert wurde, hing z. T. damit zusammen, dass die seit 1949 bestehende Bundesrepublik noch keine diplomatischen Beziehungen zum jüdischen Staat unterhielt und Deutschen die Einreise nach Israel bis auf wenige Ausnahmen untersagt blieb. Der erste Deutsche, der eine offizielle Einladung zu einem Israelbesuch erhalten hatte, war der Heidelberger Kreisdekan Hermann Maas. Seine Reiseberichte von 1950 und 1953 markierten den Beginn einer wachsenden Wahrnehmung des jüdischen Staates in der kirchlichen Öffentlichkeit. In diesen Zusammenhang gehören auch die Studientagungen des Deutschen Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel (DEADI): Der 1982 aufgelöste Ausschuss widmete seine dritte Tagung 1951 eigens dem Thema „Der neue Staat Israel und die Christenheit“. Die Tendenz eines wachsenden Interesses wurde durch das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen von 1952 und den Sinaifeldzug Israels 1956 verstärkt.
1.2 Von der Gründung des Staates Israel 1948 bis zum Suezkrieg 1956: Politischer Hintergrund6 In der Regel wird die Schaffung des Staates Israel als Folge der nationalsozialistischen Judenvernichtung angesehen, woraus die Überlegung folgt, ob es ohne die Schoah kein souveränes jüdisches Gemeinwesen in Palästina gegeben hätte. Dieser Schlussfolgerung ist immer wieder widersprochen worden mit dem Hinweis, dass bereits die zionistische Bewegung an der Staatwerdung
Wahrnehmung des Judentums nach 1945 radikal verändert hätten, man aber berücksichtigen müsse, dass die Christen der 1950er Jahre nicht über die Einsichten verfügten wie wir heute: „Der Blick zurück auf die Nachkriegsereignisse setzt voraus, dass Menschen unserer Tage gegenüber den handelnden Subjekten jener Zeit mit einem deutlichen Vorsprung an Wissen, Erfahrung und zwischenzeitlich gewachsenen Einsichten an das jüdisch-christliche Beziehungsfeld herantreten. Eine Vergegenwärtigung dieses Umbruchs in der Wahrnehmung kann womöglich vor allzu eilfertigen Schlüssen gegenüber den damals Beteiligten bewahren helfen“ (Oelke, Schuld, 3). 5 So warnte z. B. o.Vf., Judenmission in aller Welt, 442 vor einem „Wiederaufleben des Antisemitismus besonders in Deutschland“ oder gar „innerhalb der Kirchen.“ 6 Darstellung bei Krautkrmer, Krieg,, 42 – 55; Krupp, Staat Israel, 11 – 19.41 – 46; Morris, Victims, 180 – 269; Rotter/Fathi, Nahost-Lexikon, 52 – 55.99 – 102.319 u. 367 – 369; Schreiber, Schalom, 47 – 118; und Weingardt, Nahostpolitik, 61 – 63.
Von der Gründung des Staates Israel 1948 bis zum Suezkrieg 1956
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arbeitete und dieses Ziel auch ohne den Zweiten Weltkrieg hätte erreichen können, wenn auch nicht so schnell.7 Trotz Kenntnissen von den Ausmaßen der Schoah war die Weltgemeinschaft noch im letzten Kriegsjahr und unmittelbar nach Kriegsende eher reserviert gegenüber den zionistischen Plänen. US-Präsident Franklin D. Roosevelt versprach im Februar 1945 dem saudischen König, die Juden nicht gegen die Araber zu unterstützen. Erst mit Roosevelts Tod am 12. April 1945 bot sich dem ,Jischuw‘ die Möglichkeit einer Unterstützung durch die USA. Bei den amerikanischen Überlegungen spielte aber nicht nur die Schoah eine Rolle, sondern auch die Vermutung, dass die jüdischen ,Displaced Persons‘ (DPs) in verschiedenen europäischen Ländern nicht integrierbar wären – allein in Polen waren nach Kriegsende noch über 1000 Juden ermordet worden. So verkündete Präsident Harry S. Truman am 4. Oktober 1946, dass sich die USA für die Gründung eines lebensfähigen jüdischen Staates einsetzen würden.8 Trotz der prozionistischen Balfour-Erklärung von 1917 verfolgte Großbritannien als Mandatsmacht Palästinas mittlerweile eine restriktivere Einwanderungspolitik, die zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem Jischuw und den Briten führte. Der englische Außenminister Ernest Bevin hatte Ende 1945 einen binationalen „Palestinian, not Jewish, state“ vorgeschlagen und die Zionisten zur Kooperation aufgerufen, ansonsten würden sie antisemitische Reaktionen heraufbeschwören.9 Die zionistische Bewegung bestand aber auf einem souveränen jüdischen Gemeinwesen und noch mehr auf einer unbeschränkten Immigration. Der 23. Zionistenkongress in Basel appellierte schließlich im Dezember 1946 an die UNO, die jüdische Staatsgründung zu unterstützen. Aufgrund der fehlenden Rückendeckung aus den USA, der Beharrlichkeit des organisierten Zionismus und des Einwanderungsdrucks durch heimatlose europäische Juden sowie angesichts antibritischer Terrorakte in Palästina gab Großbritannien schließlich dem Druck des Jischuws nach. Premierminister Clement Attlee übertrug die weitere Regelung der Palästinafrage der UNO.10 Diese rief am 15. Mai 1947 das United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP) ins Leben. UNSCOP sollte Pläne für die Zukunft Palästinas ausarbeiten, wobei das Tauziehen um das Einwandererschiff Exodus im Sommer 1947 eher projüdische Sympathien bei den Komitteemitgliedern evozierte. Mit Zweidrittelmehrheit beschloss die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 den UNSCOP-Vorschlag einer Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat, welche durch eine Wirtschaftsunion mit7 So z. B. Bloch, Israel, 561 f. – Auch Wolffsohn, Schuld, 10 wendet sich gegen die Ansicht, dass erst die Schoah die Gründung eines jüdischen Staates ermöglicht habe. Hier werde der Person Hitlers ein Platz eingeräumt, der ihm nicht gebühre: „Der Mörder der Juden war nicht der Geburtshelfer des jüdischen Staates.“ – Zur Diskussion vgl. Michman, Forschung. 8 So Cohen, Truman 143 f; und Snetsinger, Truman 42. – Vgl. Krautkrmer, Krieg, 42 – 44. 9 Zit. bei: Morris, Victims, 177. 10 Zu Attlees möglichen Motiven s. Morris, Victims, 180 f.
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einander verbunden wären (Resolution 181).11 Jerusalem sollte als ,corpus separatum‘ einen internationalen Status bekommen. Der anvisierte arabische Staat wäre größer gewesen als die 1949 – 1967 von Ägypten und Jordanien besetzten palästinischen Gebiete westlich des Jordans. Für die Teilung stimmten die USA und die Sowjetunion12 sowie die meisten europäischen und lateinamerikanischen Staaten. Großbritannien und neun weitere Länder enthielten sich; die islamische Welt sowie Griechenland, Indien und Kuba votierten dagegen. Die Resolution erhielt von verschiedenen Seiten Kritik, weil deren Umsetzung zu einem „Flickwerk von Blöcken, die durch Korridore verbunden waren“, geführt hätte.13 Die Pragmatiker innerhalb des Jischuw waren über den UNBeschluss erfreut, wohingegen rechtszionistische Gruppen die Teilung ablehnten, weil sie ganz Palästina beanspruchten. Auch die Araber Palästinas verwarfen die Resolution, da sie die Gründung eines jüdischen Staates in ihrer Heimat nicht dulden wollten. Zwischen der UN-Vollversammlung und der israelischen Staatsgründung kam es zu Kampfhandlungen, die als Bürgerkrieg gelten können. Dabei versuchten jüdische Kämpfer, zusammenhängende Gebiete zu schaffen. Zionistische Untergrundorganisationen waren u. a. am 9. April 1948 für den Tod von 254 Arabern aus Deir Yassin verantwortlich. Auch palästinische Araber griffen in Guerillataktik jüdische Ortschaften an. In dieser Zeit begannen Araber die jüdisch dominierten Gebiete zu verlassen. Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob es sich um Flucht oder gezielte Vertreibung handelte. Auch über die Zahl der Flüchtlinge besteht keine Einigkeit. Benny Morris geht aufgrund der Berechnungen des britischen Außenministeriums von ca. 700 000 bzw. zwischen 600 000 und 760 000 Arabern14 aus, die in der Zeit von Dezember 1947 bis September 1949 das israelische Staatsgebiet verlassen hätten; weniger als 150 000 blieben in Israel zurück. Während proarabische Stimmen15 von einer intendierten Zwangs-
11 So United Nations, Resolution, 172 – 174. – Ebenso diskutiert wurde der Vorschlag eines binationalen Staates, was aber nicht mehrheitsfähig war. 12 Für Vogt, Israel-Kritik, 25 war die Rolle der UdSSR bei der Schaffung des Staates Israel entscheidender als die Zustimmung der USA. Das habe man später in linken Kreisen übersehen, als man versuchte, „die Schaffung des Staates Israel als ausschließliches Produkt westlicher imperialistischer Bestrebungen zu erklären.“ 13 Rushbrook Williams, Israel, 27. 14 So Morris, Victims, 252; und ders., Birth, 298. – Vgl. Rotter/Fathi, Nahost-Lexikon, 99. – Arabischen Angaben zufolge hätten fast 1 Million Palästinenser ihre Heimat verloren. Weingardt, Nahostpolitik, 62/Anm. 6, urteilt: „Die Schwankungen der Angaben […] erklären sich auch daraus, dass meist nicht exakt angegeben wird, auf welches Gebiet und welchen Zeitraum sich die Schätzungen beziehen.“ Da auch die in Flüchtlingslagern geborenen Kinder wieder den Flüchtlingsstatus erhielten, vergrößerte sich die Zahl der Flüchtlinge kontinuierlich. 15 Finkelstein, Konflikt, 118 – 123 postuliert, es habe keine offiziellen arabischen Aufforderungen an die Palästinenser gegeben, das Land zu verlassen. Vielmehr sei davon auszugehen, „dass die Araber Palästinas systematisch und vorsätzlich vertrieben worden sind“ (ebd., 112).
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umsiedlung sprechen, behaupten prozionistische Kreise16, die Palästinenser seien von den arabischen Führern zur Flucht aufgerufen worden oder aus anderen Gründen freiwillig geflohen. Benny Morris, der im Blick auf die israelische Geschichtsschreibung zu den ,New Historians‘ zählt, ist der Auffassung, dass die Wahrheit zwischen diesen beiden Polen liege. Die Flucht der Palästinenser sei aufs Ganze gesehen weniger intendiert, sondern mehr eine Folge der militärischen Auseinandersetzungen gewesen: „The Palestinian Refugee Problem was born of war, not by design, Jewish or Arab. It was largely a by-product of Arab and Jewish fears and of the protracted, bitter fighting that characterised the first Israeli-Arab war ; in smaller part, it was the deliberate creation of Jewish and Arab military commanders and politicians.“17
Auch wenn seit dem frühen Zionismus immer wieder von einem ,Transfer‘ der arabischen Bevölkerung gesprochen wurde und eine Reihe jüdischer Terroristen und israelischer Militärführer in diesem Sinne handelten, gab es wohl keine offizielle Vertreibungspolitik. Bis heute ist dagegen kaum nachvollziehbar, dass die arabischen Staaten – von Jordanien abgesehen – nicht fähig oder willens waren, 700 000 Personen gleicher Sprache und gleichen Glaubens in ihren jeweiligen Ländern zu integrieren, wo doch die Bundesrepublik Deutschland bis 1970 ca. 10 – 12 Millionen Vertriebene aufgenommen hatte, darunter auch solche, die vor der nationalsozialistischen Expansion keine deutschen Staatsbürger gewesen waren. Am 14. Mai 1948, dem Tag, als der britische Hochkommissar aufgrund des auslaufenden Mandats Palästina verließ, rief der Jüdische Nationalrat im Tel Aviver Stadtmuseum unter dem Porträt Theodor Herzls den Staat Israel aus. Die von David Ben-Gurion verlesene Gründungsproklamation, meist ,Unabhängigkeitserklärung‘ genannt, bezog sich auf einen Staat „im Land Israel“ als dem Gebiet, in dem das jüdische Volk einst entstanden sei, ohne daraus jedoch konkrete Grenzziehungen abzuleiten oder gar das ganze Mandatsgebiet einzufordern. Auch in der Diaspora habe das jüdische Volk nie von der Hoffnung abgelassen, wieder „in sein Land zurückkehren und dort seine politische Unabhängigkeit erneuern zu können.“ Die zionistische Siedlungstätigkeit habe die palästinische Wüste zum Blühen und der Bevölkerung den Segen des Fortschritts gebracht. Die Schoah habe erneut bewiesen, dass die „Heimatlosigkeit des jüdischen Volkes durch die Erneuerung des jüdischen Staates im Land Israel zu lösen“ sei. Die Balfour-Deklaration von 1917 und der UN16 Bard (Behauptungen, 323) vertritt z. B. die Ansicht, dass nur „eine Hand voll“ Araber wirklich vertrieben wurde; „die meisten sind ganz einfach geflohen, um nicht zwischen die Fronten des Krieges zu geraten.“ Und die Grundthese der umstrittenen Studie von Peters (From Time) besagt, dass ein Großteil der arabischen Bevölkerung Palästinas aus Wirtschaftsmigranten bestanden habe, die seit 1920 aus anderen arabischen Regionen nach Palästina eingewandert seien; damit erscheint ihre Flucht bzw. Vertreibung in den Augen Peters’ als moralisch weniger verwerflich. 17 Morris, Birth, 286. – Vgl. Finkelstein, Konflikt, 109 – 167, bes. 111.
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Beschluss von 1947 begründe das Recht der Juden auf eine nationale Heimstatt bzw. auf einen eigenen Staat in Palästina. Die neue Entität mit der Bezeichnung ,Israel‘ werde „all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht vollkommene soziale und politische Gleichberechtigung gewähren“ und die heiligen Stätten aller Religionen schützen.18 Die Gründungsproklamation rief zudem die arabische Bevölkerung auf, Frieden zu wahren und sich am Aufbau des Staates zu beteiligen. Mit den Nachbarstaaten wolle man in Frieden leben. Am Schluss drückten die 38 Unterzeichner unter Vermeidung des Gottesbegriffs ihre Zuversicht auf den ,Fels Israels‘ (Gen 49,24; 2Sam 23,3) aus. Womöglich wurde gerade diese Umschreibung Gottes bewusst gewählt, denn sie entstammt zum einen Jakobs Segen an seine Söhne, welcher Josef Standhaftigkeit gegenüber den Feinden verheißt, und zum anderen den letzten Worten König Davids, die von einer gerechten und gefestigten Herrschaft sprechen. David Ben-Gurion übernahm die Regierung des neuen Staates und wurde bei den ersten Wahlen als Ministerpräsident bestätigt; Chaim Weizmann wurde erster Staatspräsident. Die Truppen der arabischen Nachbarländer marschierten in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai in das ehemalige Mandatsgebiet ein und besetzten zuerst alle Gebiete, die nach dem Teilungsplan zum arabischen Staat gehören sollten. Damit hatte sich der Bürgerkrieg zum 1. israelisch-arabischen Krieg ausgeweitet, der in Israel als ,Unabhängigkeitskrieg‘ bekannt ist. Der junge israelische Staat stand der Übermacht der Armeen aus sieben arabischen Ländern gegenüber, auch wenn sich deren Truppenstärke letztlich als kleiner erwies als ursprünglich angenommen. Vor allem Ägypten, Transjordanien, Syrien und der Libanon, daneben auch der Irak, der Jemen und Saudi-Arabien entsandten ihre Einheiten. Mangelndes strategisches Planen sollte durch Auslöschungsphantasien wettgemacht werden: „This will be a war of extermination and a momentous massacre“, erklärte der Generalsekretär der Arabischen Liga, die Vernichtung der Juden voraussagend: „We will sweep them into the sea.“19 Die Vermittlungsversuche des von den UN eingesetzten schwedischen Diplomaten Graf Folke Bernadotte scheiterten letztlich auch an der Unnachgiebigkeit der Israelis, die sich vom Ausgang der Kampfhandlungen territoriale Zugewinne erhofften; im September 1948 wurde Bernadotte Opfer eines zionistischen Attentats. Der Krieg endete mit einem Sieg der Israelis und mit den in den ersten Monaten des Jahres 1949 unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen zwischen den Kombattanten. Mit etwa 6000 Gefallenen hatte Israel weniger Tote zu beklagen als die arabische Seite einschließlich der umgekommenen palästinensischen Zivilisten. Der Kriegsausgang wurde in den kommenden Jahrzehnten immer wieder zu einem Wunder verklärt.20 18 Israel (Staat), Unabhängigkeitserklärung. – In anderer Übersetzung dok. bei: Morgenstern, Kampf, 242 – 244. 19 Zit. bei: Morris, Victims, 219. 20 Vgl. Rushbrook Williams, Israel, 30: „Aber zum Erstaunen der Welt und – das stellt der
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Am 11. Mai 1949 wurde Israel in die UNO aufgenommen und von zahlreichen Staaten außer den arabischen anerkannt. Die Waffenstillstandslinien wurden de facto als internationale Grenzen angesehen. Das Gebiet, das Israel nun kontrollierte, war etwa um ein Drittel größer als das im UN-Teilungsbeschluss zugebilligte. In strategischer Hinsicht waren die Grenzlinien nicht gerade vorteilhaft für Israel, besonders wegen der ,Wespentaille‘ bei Herzliya: „Theoretically the eight-thousand-square-mile country could be cut in half in less than an hour by a determined armored thrust.“21 In Folge des Krieges kam der Gazastreifen unter ägyptische, das Westjordanland unter transjordanische Verwaltung. Die Schaffung des von der UNO einst vorgesehenen arabischen Staates im nichtisraelischen Gebiet Palästinas lag nicht in der Absicht der beiden Monarchen Faruk und Abdullah. Das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalems wurde im April 1950 als ,Cisjordanien‘ von Transjordanien offiziell annektiert, welches sich fortan ,Haschemitisches Königreich Jordanien‘ nannte. Jerusalem war zu einer geteilten, von Stacheldraht durchzogenen Stadt geworden. Die 1500 Juden, die im jüdischen Altstadtviertel lebten, wurden ihrer Heimat beraubt. Der Staat Israel hatte bereits im Dezember 1949 die Knesset von Tel Aviv nach West-Jerusalem verlegt und im Januar 1950 die Stadt Davids als – wenn auch völkerrechtlich nicht anerkannte – Hauptstadt proklamiert. An eine Internationalisierung der Heiligen Stadt war nun nicht mehr zu denken. Jordanien verweigerte sich einer internationalen Kontrolle der Heiligen Stätten und versperrte den Juden den Zugang zur so genannten Klagemauer und zum jüdischen Ölberg-Friedhof. Durch die Niederlage waren die arabischen Regierungen in ihrem Ehrgefühl gekränkt und kündigten einen weiteren Krieg und die Vernichtung des ,zionistischen Staates‘ an. Trotzdem kam es zu geheimen Friedensverhandlungen zwischen Israel und seinen verfeindeten Anrainern. Diese scheiterten jedoch daran, dass Israel zur Repatriierung der Flüchtlinge und zu den Gebietsabtretungen nicht bereit war, die Ägypten und Jordanien forderten, um nicht ihr Gesicht zu verlieren. Israelische Politiker schienen auch eher an einer Vergrößerung des eigenen Territoriums als an einer Verkleinerung interessiert gewesen zu sein, denn die zionistische Vision von einem Israel in natürlichen Grenzen – d. h. vom Mittelmeer bis zum Jordan – war nicht ausgeträumt.22 Die Spannungen zwischen Israel und seinen Nachbarn entluden sich unter Einwirkung der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich im Suezkrieg vom 29. Oktober bis zum 6. November 1956. Zu den Auslösern des Krieges gehörte die rechtswidrige Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser, die ägyptische Blockade der israelischen Schiffszufahrt am Golf von Akaba, die massive Aufrüstung der ägyptischen Besucher in Israel heute fest – auch zum Erstaunen vieler Israelis selbst, trat die Zerstörung nicht ein.“ 21 Morris, Victims, 259. 22 Vgl. ebd., 261 u. 289.
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Armee durch die Warschauer-Pakt-Staaten und schließlich die zahlreichen arabischen Untergrundkämpfer, die ,Fedajin‘, welche von Ägypten aus immer wieder nach Israel eindrangen. Der israelische Überraschungsangriff auf Ägypten und der Pakt Israels mit den ehemaligen ,imperialistischen‘ Großmächten belastete das Image Israels in der Weltöffentlichkeit. Die Besetzung des Gaza-Streifens und der Sinai-Halbinsel musste Israel auf internationalem Druck hin wieder aufgegeben; Nasser fühlte sich als eigentlicher Sieger. Frankreich und Großbritannien verloren ihren Einfluss in der Levante an die neuen Weltmächte USA und Sowjetunion. Damit war der Kalte Krieg auf den Nahen Osten ausgedehnt worden.
1.3 „Mit tiefem Mitgefühl“: Die traditionelle Palästinamission 1.3.1 Hintergrund Zunächst einmal beschäftigten sich vor allem diejenigen Einrichtungen und Vereine mit den Vorgängen im Nahen Osten, die seit dem 19. Jahrhundert die dortige Arabermission verantworteten bzw. die Palästinadeutschen repräsentierten. Das waren die 1950 im Palästinawerk zusammengefassten Organisationen der Kaiserswerther Diakonissen, des Syrischen Waisenhauses und der Evangelischen Jerusalem-Stiftung bzw. des Jerusalemsvereins sowie auf kirchlicher Ebene die evangelische Propstei in Jerusalem und das Kirchliche Außenamt (KA) der EKD.23 Nachdem die britische London Jews Society in Jerusalem bereits in den 1830er Jahren eine Gemeinde getaufter Juden ins Leben gerufen und dort ein Grundstück erworben hatte, auf das 1849 mit der Christ Church das erste protestantische Kirchengebäude des Osmanischen Reiches errichtet wurde, war auch die institutionelle Basis für eine Tätigkeit deutscher Protestanten in Palästina geschaffen. Aus der Präsenz der London Jews Society in Jerusalem entstand 1841 das protestantische ,Englisch-Preußische Bistum‘, das als „ein kirchengeschichtliches Unikum“24 bis 1866 bestand. Der von preußischer Seite vorgeschlagene Bischof Samuel Gobat förderte im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht mehr die Judenmission, sondern wandte sich den im Lande lebenden Arabern zu. In seiner langen Amtszeit von 1846 bis 1879 unterstützte der gebürtige Schweizer die Ansiedlung evangelischer Organisationen aus Deutschland und der Schweiz. Die Pilgermission St. Chrischona (seit 1846), das 23 Zum Palästinawerk s. Kaminsky, Reconstruction. – Vgl. auch Hanselmann, Palästinamission, 164; Hoffman, Zusammenbruch, 240 – 243; Kaminsky, Mission; und Meldung „Deutsches Evangelisches Palästinawerk am Werden“, in: Epd.ZA Nr. 59 vom 10. 3. 1951. – Zu den deutschen Einrichtungen allgemein s. Strobel, Mauern. 24 Lckhoff, Anglikaner, VII. – S. a. Perry, Zusammenarbeit.
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Kaiserswerther Diakonissenhospital und das Kaiserswerther Mädcheninternat (seit 1851) – später Talitha Kumi genannt – sowie das Syrische Waisenhaus (seit 1860) wirkten diakonisch und missionarisch unter den Arabern Palästinas, zum großen Teil unter Angehörigen der orientalischen Kirchen.25 Als die Pilgermission ihren Jerusalemer Stützpunkt 1872 aufgab, hatte ihr ehemaliger Mitarbeiter Johann Ludwig Schneller mit seiner Gründung des Syrischen Waisenhauses, das „zur größten Erziehungsanstalt im Osmanischen Reich“26 avancieren sollte, bereits ein neues Betätigungsfeld gefunden. Zur Unterstützung des protestantischen Bistums in Palästina und der dortigen von Deutschen geleiteten diakonischen Einrichtungen entstand 1852 in Berlin der Jerusalemsverein.27 Im Blickfeld des Jerusalemsvereins waren auch die deutschen Auslandsgemeinden in Jerusalem (seit 1852), Haifa (seit 1893) und Jaffa (seit 1897) sowie die aus der evangelischen Missionsarbeit hervorgegangenen arabischen Gemeinden in Bethlehem (seit 1856), Beit Jala (seit 1879), Hebron (seit 1884), Beit Sahour (seit 1900) und Jerusalem (seit 1903). Aus diesen Gemeinden entwickelte sich die 1959 selbstständig gewordene Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien, die seit 2005 den Zusatz und im Heiligen Land im Namen führt (ELCJ[HL]).28 Der leitende deutsche evangelische Pfarrer in Jerusalem führte seit 1898 den Titel ,Propst‘. Diese Amtsbezeichnung sollte genauso wie die im selben Jahr durch Kaiser Wilhelm II. eingeweihte Jerusalemer Erlöserkirche das Vakuum füllen, das durch Scheitern des Englisch-Preußischen Bistums hinsichtlich einer deutschen evangelischen Präsenz im Heiligen Land entstanden war.29 Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte der Propst als Ansprechpartner für die deutschen kirchlichen Organisationen in Palästina, vertrat die Interessen der EKD in der Region und stand bis 1979 an der Spitze der ELCJ, wozu auch die Aufsicht über einige evangelische Schulen gehörte. Zudem leitete der Propst die deutschsprachige Auslandsgemeinde auf dem Gebiet Jordaniens und später auch Israels, welche aber nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch nicht mehr existierte und in den 1950er und 1960er Jahren erst wieder im Aufbau begriffen war.30 Die Pröpste, die vom Jerusalemsverein und dem Kuratorium der Evangelischen Jerusalem-Stiftung vorgeschlagen und dann vom Ratsvorsitzenden der EKD berufen und vor Ort von diesem eingeführt wurden, hießen in meinem Untersuchungszeitraum: Johannes Döring (Amtszeit 1938 – 1954), Joachim Weigelt (Amtszeit 1954 – 1960), Carl Malsch (Amtszeit 25 Vgl. verschiedene Beiträge in Nothnagle/Abromeit/Foerster, Jerusalem. 26 Eisler, Mission, 97. – S. a. Lçffler, Syrisches Waisenhaus; und Waiblinger, Schneller. 27 S. a. Foerster, Mission; und verschiedene Beiträge in Nothnagle/Abromeit/Foerster, Jerusalem. 28 So Raheb, Erbe; und Raheb, Vergangenheit und Gegenwart. 29 So Carmel, Kaiser ; Carmel/Eisler, Kaiser ; und Krger, Erlöserkirche. 30 O. Dibelius berichtete von der von ihm als Ratsvorsitzender vorgenommenen Einführung von Propst Weigelt in Jerusalem am 28. März 1954 und stellte fest: „Eine deutsche Gemeinde existiert eigentlich nicht mehr“ (EKD, Protokolle, Bd. 8, 215, Anm. 11).
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1960 – 1965), Hansgeorg Köhler (Amtszeit 1965 – 1971) und Helmut Glatte (Amtszeit 1971 – 1979).31 Der deutsche Protestantismus in Palästina bis zum Zweiten Weltkrieg bestand nicht nur aus Mitarbeitern der kirchlich-sozialen Einrichtungen oder aus Konsulatsangehörigen, sondern auch aus Siedlern, die in der Landwirtschaft tätig waren oder Handwerksbetriebe unterhielten. Voraussetzung für eine Auswanderung in die Levante war nicht nur die wirtschaftliche Not in der Heimat gewesen, sondern auch eine endzeitlich-,schwärmerische‘ Frömmigkeit der Emigranten. Die erste auf Dauer angelegte Siedlung deutscher Bauern entstand 1850 bei Jaffa, wurde jedoch acht Jahre später nach häufigen Überfällen wieder aufgegeben.32 Es war dann die Württembergische Tempelgesellschaft, die es zwischen 1868 und 1907 vermochte, sieben dauerhafte Ansiedlungen zu gründen: Haifa, Jaffa, Sarona (bei Jaffa), Jerusalem, Wilhelma (bei Jaffa), Bethlehem in Galiläa und Waldheim (beide zwischen Haifa und Nazareth).33 Die Angehörigen der Tempelgesellschaft, oft missverständlich Templer genannt, waren pietistischer Herkunft mit einem kaum kirchlich-institutionell verankerten Gemeindeleben. Nach internen Spannungen schloss sich ein Teil der Siedler der preußischen Auslandskirche an, wurde von den Pfarrern des Jerusalemsvereins betreut und zur Unterscheidung von den kirchenunabhängigen Templern als ,Kirchler‘ apostrophiert.34 Von daher rührte auch die Aufmerksamkeit, die die Tempelgesellschaft von Seiten der verfassten Kirche in Deutschland erhielt. Weil zu viele Angehörige der Tempelgesellschaft bis 1945 der NSDAP beigetreten waren und ein nationalistisches Auslandsdeutschtum zelebriert hatten, konnte sich das entstehende jüdische Gemeinwesen kein Zusammenleben mit den Palästinadeutschen vorstellen. Im Jerusalemsverein entschuldigte man nach dem Krieg deren Verstrickung im Nationalsozialismus mit dem Hinweis, dass die Auslandsdeutschen von den Verbrechen kaum etwas hätten wissen können.35 Damit schloss sich der Jerusalemsverein der Selbstrechtfertigung der Templer an: „Wir müssen als Deutsche, die nicht in Deutschland wohnen, immer die jeweilige dort herrschende Regierungsform anerkennen […], ob wir mit ihr harmonieren oder nicht.“36 Für eine bloße Pflicht-Loyalität waren die Angehörigen der Tempelgesellschaft dann doch zu euphorische Anhänger Hitlers. Selbst in den Internierungslagern seit 1940 31 So Übersicht in Nothnagle/Abromeit/Foerster, Jerusalem, 341; und Strobel, Mauern, 87. 32 So Eisler, Kolonisten; und Perry, Ende. 33 So Carmel, Siedlungen, 37 – 79; und Kark/Thalmann, Innovation. – Vgl. auch v. Rabenau, Ansiedlungen; und Sauer, Tempelgesellschaft, 307 – 368. 34 Auch hinsichtlich der Palästinadeutschen sind die Begriffe Tempelgesellschaft und Templer mehrdeutig, können sie doch entweder die Gesamtheit der aus der Tempelgesellschaft hervorgegangenen Niederlassungen beschreiben – wie in meinen Ausführungen – oder sich auch nur auf die separatistisch-freikirchlich Organisierten beschränken. 35 So v. Rabenau, Ansiedlungen, 38. 36 Aus einer anonymen Schrift von 1945, zit. bei: Sauer, Tempelgesellschaft, 307.
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ließen sie sich weder durch britisches Wachpersonal, noch durch alliierte Zeitungen oder durch jüdische Mithäftlinge in ihrer Überzeugung verunsichern. Vielmehr blühten in den Camps nationalsozialistische Organisationen wie die Hitler-Jugend auf, und man versammelte sich um die wenigen RadioGeräte, um deutsche Kriegsberichtserstattung und Hitlers Durchhalteparolen zu hören.37 Der nachträgliche Entlastungsversuch, dass die Palästinadeutschen gerade deshalb glühende Nationalsozialisten gewesen wären, weil sie weniger von den Verbrechen gewusst hätten als ihre Landsleute in Deutschland, ist kaum überzeugend, solange nicht nachgewiesen werden kann, dass die Mitglieder der Tempelgesellschaft sich anders verhalten hätten, wären sie auf dem gleichen ,Kenntnisstand‘ wie die Deutschen in der Heimat gewesen – zumal man auch dort dazu neigte, Informationen über antisemitische Gräueltaten als Auslandspropaganda abzutun38. Nicht als Entschuldigung, aber als Erklärung lässt sich annehmen, dass das langjährige Leben im Ausland die Sehnsucht der Palästinadeutschen nach einer klaren nationalen Identität förderte und der nationalsozialistische Staat sich hier als willkommene Projektionsfläche kollektiver narzisstischer Hoffnungen anbot.39 Die Angehörigen der Tempelgesellschaft, die nicht als Internierte außer Landes gebracht worden waren, wurden von der britischen Mandatsregierung davon in Kenntnis gesetzt, dass sie noch vor dem 15. Mai 1948 das Land zu verlassen hätten. Mehr als 1500 von ihnen ließen sich dauerhaft in Australien oder Deutschland nieder. Nur einige wenige Schwerkranke blieben in Palästina zurück.40 Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte auch die deutsche Missionsarbeit in Palästina weitgehend lahmgelegt. Die Briten internierten 1940 zusammen mit den in Palästina lebenden Deutschen auch die Mitarbeiter und Diakonissen der kirchlichen Einrichtungen. Ein Großteil der deutschen Institutionen wurde unter britische Aufsicht gestellt und von Nicht-Deutschen geleitet.41 Auch nach dem Krieg war deutsche Missionsarbeit in Palästina aufs erste nicht möglich. Während sich alle Missionswerke um eine baldige Wiederaufnahme ihrer Tätigkeiten bemühten, sah das KA seine zentrale Aufgabe darin, „die möglichst vollständige Rückgabe des kirchlichen Grund- und
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So Sauer, Tempelgesellschaft, 273 – 314. S. a. Meier, Hakenkreuz, 157. Vgl. Lçffler, Protestanten, 143 – 146. Nachdem der Stuttgarter Erwin Keller im Juni 1953 bei kirchlichen Stellen nachgefragt hatte, „ob irgendwelche Maßnahmen getroffen oder beabsichtigt sind, um die Interessen der noch in Israel lebenden Deutschen wahrzunehmen“, nahm die Kirchenkanzlei Kontakt zum Auswärtigen Amt der Bundesregierung auf. Dieses setzte die Kirchenkanzlei davon in Kenntnisdass sich derzeit höchstens noch drei erkrankte und deshalb nicht ,transportfähige‘ Deutsche in Israel aufhielten. – S. a. Brief Kellers an den Stuttgarter OKR vom 15. 6. 1953, weitergeleitet an die Kirchenkanzlei, Kopie (EZA, 2/5251) und Brief des AA an die Kirchenkanzlei vom 10. 7. 1953 (EZA, 2/5251). 41 Vgl. Raheb, Vergangenheit und Gegenwart, 192.
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Häuserbesitzes im Ausland zu erreichen.“42 Im Blick auf alle kirchlichen Aktivitäten in Übersee galt, „that the missions regarded the immediate aftermath of war, from May 1945 onwards, as a ,collapse‘ rather than a ,liberation‘.“43 Der Bericht, den das KA 1950 der EKD-Synode vorlegte, galt auch für Palästina: „Das deutsche kirchliche Eigentum in den alliierten und den von Alliierten befreiten sowie einer Reihe von neutralen Ländern wurde auf Grund des Pariser Abkommens vom 14. Januar 1946 beschlagnahmt, um von interalliierten Kommissionen für Reparationszwecke nach einem in dem Abkommen festgelegten Schlüssel verteilt zu werden […] Das Zusatzabkommen gibt die Möglichkeit, Eigentum, das wohltätigen oder auch kirchlichen Zwecken dient, von der Beschlagnahme und der Versteigerung für Reparationszwecke auszuschließen.“44
Während nichtjüdische Deutsche das zukünftige Gebiet des Staates Israel bereits vor dessen Gründung verlassen mussten und deren Besitztümer genauso wie kirchlicher Grund und Boden beschlagnahmt wurden, konnten die protestantischen Werke im (trans-) jordanisch gewordenen Teil des Heiligen Landes ihre Arbeit wieder aufnehmen. Diejenigen, die das protestantische Engagement unter den Arabern Palästinas zu verantworten hatten, waren in den 1950er Jahren sehr zurückhaltend, politische Stellungnahmen zur Existenz des Staates Israel abzugeben. Das Erbe der Erweckungsbewegung, das die in Palästina tätigen Werke immer noch kennzeichnete, war eine mögliche Ursache. Die evangelischen Missionseinrichtungen waren, wie Gerhard Stratenwerth, der Vizepräsident des KA, betonte, zumeist „aus pietistischen Wurzeln“ entstanden. Deshalb hätten sie „in ihrer Arbeit nicht die Kirche, sondern die einzelne Seele gesehen.“45 Das hieß aber auch, dass neben den ekklesiologischen Aspekten auch die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge dem Ringen um das Individuum untergeordnet worden waren. Von daher hat es eine gewisse Folgerichtigkeit, dass Vertreter der Palästinamission weniger nach der theologischen Bedeutung des neuen jüdischen Staates, sondern nach dem Schicksal der arabischen Flüchtlinge im Allgemeinen und der eigenen Zöglinge im Besonderen fragten. Auf den Staat Israel blickten die evangelischen Einrichtungen einerseits aus der Perspektive des materiell Geschädigten, andererseits aus der Sicht sozialer Hilfswerke, die sich der Notleidenden karitativ anzunehmen hatten. Auffallend ist, dass sich Vertreter der Palästinamission kaum in den Zeitschriften zu Wort meldeten, abgesehen von dem seit 1955 erscheinenden In42 43 44 45
Wellnitz, Gemeinden, 187. Ustorf, Sailing, 229. EKD, Synodalbericht 3, 459. Brief Stratenwerths an Frick vom 21. 8. 1950 (EZA, 6/1579). – Vgl. Hanselmann, Palästinamission, 13: „Wie die neuzeitliche Mission der evangelischen Kirche allgemein, so steht auch die deutsche evangelische Palästinamission in engem Zusammenhang mit der Erweckungsbewegung.“
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formationsblatt Im Lande der Bibel, dem Publikationsorgan des Jerusalemsvereins. Die Kommunikation fand mit Hilfe kleinerer Schriften und in Form interner Texte statt.
1.3.2 Die deutschen Einrichtungen in Westjordanien Der US-amerikanische National Lutheran Council beschloss, sich des ,verwaisten‘ deutschen Missionseigentums anzunehmen, und schickte Edwin Moll Ende 1946 in die Levante. Dieses Engagement der US-Lutheraner ging schließlich im 1947 gegründeten Lutherischen Weltbund (LWB) auf.46 Molls Tätigkeit wurde von Johannes Döring, der – trotz erzwungener Unterbrechungen während der 40er Jahre – seit 1938 das Amt des evangelischen Jerusalemer Propstes bekleidete, als die einzige Möglichkeit gepriesen, den kirchlichen Besitz doch noch zu retten: „Dr. Moll hat mit grosser Energie und persönlichem Mut in den vergangenen Monaten alle Versuche jüdischer Stellen, sich in den Besitz unserer Gebäude zu setzen, bekämpft“, schrieb Döring, der im Verlauf der jüdisch-arabischen Kampfhandlungen nach Transjordanien und in den Libanon auswich, am Tag der israelischen Staatsgründung.47 Fünf Wochen später berichtete der Propst gar von ,jüdischen‘ Plünderungen der Missionseinrichtungen. Detaillierte Informationen bekam Döring offensichtlich von Edwin Moll, der im Sommer 1948 die Kriegsereignisse aus arabischer Perspektive beobachtete und die entstandenen Schäden an den kirchlichen Gebäuden – darunter die Erlöserkirche und das sich daran anschließende Muristan-Gebäude48 – akribisch festhielt. Molls Berichte, die eine antisemitische Stimmung transportierten, wurden übersetzt und von Döring an die deutschen kirchlichen Einrichtungen weitergeleitet: „Am 16. und 17. Juli bombardierten die Juden christliche und islamische Anstalten in hässlicher Weise als Vergeltung für die Zerstörung ihrer Synagogen in der Altstadt durch die Araber. Man muss aber sagen, dass die Juden ihre Synagogen als militärische Stützpunkte benutzten, sodass vom arabischen Gesichtspunkt ein Angriff darauf notwendig war.“49
46 Vgl. Hanselmann, Palästinamission, 163. – Die Arbeit an dem ,verwaisten‘ Missionseigentum wurde später in die CYCOM des LWB überführt. 47 Brief Dörings an KA und Missionswerke vom 14. 5. 1948 (EZA, 6/1610). – Vgl. Bericht über die Auslandsdeutschen vom 18. 3. 1949, dok. bei: EKD, Protokolle, Bd. 3, 118 f. – S. a. Brief Dörings an KA (Niemöller) vom 25. 6. 1948 (EZA, 6/1610). 48 So Schreiben Karnatz’ an Wurm. Berlin-Dahlem, 21. September 1948, in: EKD, Protokolle, Bd. 2, 680. 49 Bericht Molls vom 19. 8. 1948 (EZA, 2/351 und 6/1610).
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Moll ließ die Kirchenvertreter nicht im Unklaren darüber, dass ,die Juden‘ die eigentlichen ,Angreifer‘ („aggressors“50) im israelisch-arabischen Krieg waren. In seinen Augen waren die Opfer des Zweiten Weltkriegs nun selbst zu Tätern geworden: „Dieselben Leute, welche gegen ihre eigene Verfolgung in Europa Klage erhoben, üben hier in Palästina ebenso rücksichtslos die gleiche Art von Verfolgung aus.“ Da ,die Juden‘ nun den Nazis entsprachen, fürchtete selbst der in der Jerusalemer Altstadt ansässige US-Lutheraner um sein Leben: „Sollte es jedoch den Juden gelingen, durch die Stadtmauer zu brechen, müssten wir wie die Kaninchen ums nackte Leben laufen.“51 Der letzte Satz, der den Israelis eine besondere Mordlust attestierte, ist in den Unterlagen des KA mit Farbstift markiert worden. Moll bekannte sich aber auch zur amerikanischen Mitschuld am Leid der arabischen ,DPs‘, denn auch die USA hatten der Gründung eines jüdischen Staates zugestimmt.52 Während den Deutschen der Zugang zum Staat Israel verwehrt war, konnten sie in dem jordanischen Teil Palästinas ihre Arbeit wieder aufnehmen. Dieser Neuanfang wurde durch den ersten deutschen Gottesdienst nach der Kriegspause markiert, den Propst Döring an Weihnachten 1949 in der Jerusalemer Erlöserkirche feierte.53 Als man sich in Deutschland im Rahmen der kirchlichen Neuorganisation um eine Wiederaufnahme der früheren Palästinamission bemühte, erschien das Engagement Molls und des LWB plötzlich in einem zwiespältigen Licht. Dass sich die in Deutschland angesiedelten missionarisch-diakonischen Einrichtungen, welche ihr früheres Arbeitsfeld in Palästina hatten, 1950 zur Interessenvereinigung des Palästinawerks zusammenschlossen, diente dem Ziel, die eigenen Ansprüche effektiver dem LWB gegenüber vertreten zu können – ein gemeinsamer Auftritt, der 1969 wieder beendet wurde. Die deutschen Missionswerke waren aus politischen Gründen gezwungen, ihre Einrichtungen in Palästina in die Treuhänderschaft des LWB als einer nichtdeutschen kirchlichen Organisation zu geben, damit möglichst viele der beschlagnahmten Immobilien wieder kirchlichen Zwecken zugeführt werden konnten.54 Von israelischer Seite her war klar, „that formerly German-owned religious and charitable properties should be administered by non-German religious bodies of the same Christian denomination for the same purpose and to the same use to which the property was originally assigned.“55 So fürchtete 50 Bericht „Displaced Persons in the Holy Land/Heimatlose Flüchtlinge im Heiligen Land“ vom 26. 8. 1948, englisch und deutsch (EZA, 6/1610). 51 Bericht Molls vom 19. 8. 1948 (EZA, 2/351 und 6/1610). 52 So Bericht „Displaced Persons in the Holy Land/Heimatlose Flüchtlinge im Heiligen Land“ vom 26. 8. 1948, englisch und deutsch (EZA, 6/1610). 53 So Meldung in: EvW 4 (1950), 41. 54 S. a. KJ 1950 (77/1951), 346: „Das Eigentum der deutschen Palästinawerke, das Syrische Waisenhaus, Jerusalem-Verein, Jerusalemstiftung, Kaiserswerth, Karmelmission, Johanniterorden, ist dem Lutherischen Weltbund übertragen worden.“ 55 „German Church Property in Israel. Extract from the book ,Christians in Israel‘, published by
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man im Raum der EKD, der LWB verstehe sich auch im Blick auf den jordanischen Teil Palästinas nicht als Treuhänder des verwaisten Missionseigentums, sondern als dessen neuer Besitzer. Stratenwerth, der als Vizepräsident des KA mit den Nahostangelegenheiten betraut war, hegte den Verdacht, „daß die Zwangssituation, in der die deutschen Werke sich befinden, ausgenutzt wird, um sie sachlich ganz auszuschalten. Wenn dieser Verdacht richtig ist, bedeutet dies eine Grenzüberschreitung, die nicht widerspruchslos hingenommen werden darf.“56 Auch in konfessioneller Hinsicht war der Vorstoß des LWB ambivalent: Die ursprünglich uniert ausgerichtete Missionsarbeit erwecklicher Prägung geriet auf einmal in die Einflusssphäre lutherischer Kirchlichkeit. Als mit Robert Frick, Hans-Wilhelm Hertzberg und Bernhard Karnatz die führenden Männer des neuen Palästinawerks sowie Walter Freytag als Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Missionsrats (DEMR) im März 1952 nach Ost-Jerusalem reisten, um mit den Vertretern des LWB die weitere Arbeit festzulegen, erhielten sie – so fasste Siegfried Hanselmann die Ereignisse verkürzt zusammen – „vom Lutherischen Weltbund die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis für ihre Anstalten und Gemeinden zurück.“57 LWB und Palästinawerk einigten sich auch darauf, die Entstehung einer eigenen lutherischen Kirche in Palästina anzustreben, nicht streng konfessionell ausgerichtet, sondern lediglich auf der Basis von Luthers Kleinem Katechismus. Mit der Gründung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien (ELCJ) 1959 wurde diese Idee Wirklichkeit. Bis 1979 machte deren Synode „fortlaufend von der in ihrer Verfassung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch […], den deutschen Propst an der Erlöserkirche zu ihrem geistlichen Leiter zu wählen.“58 Das Gelände der Auguste-Viktoria-Stiftung, das bereits 1947 an Edwin Moll übergeben wurde, kam im Gegensatz zu anderen in Westjordanien gelegenen Einrichtungen nicht mehr unter deutsche Verwaltung, weil es aufgrund seiner Zugehörigkeit zur entmilitarisierten Zone am Skopusberg nicht allein der jordanischen Souveränität unterstand, sondern einer so genannten Gemischten Waffenstillstandskommission.59 Im Auguste-Viktoria-Gebäudekomplex hatte das Internationale Rote Kreuz während des israelisch-arabischen Krieges ein Krankenhaus für arabische Flüchtlinge eingerichtet. Am 1. Mai 1950 wurde das Gelände in die Treuhänderschaft des LWB gegeben, der mit Hilfe der UNO das Krankenhaus weiterführte und seine medizinische Flücht-
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the Government of Israel in October 1950“ (EZA, 6/1579). – Herv. vom Vf. – Vgl. Wellnitz, Gemeinden, 188/Anm. 124: „Unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft rechnete man auf seiten der EKD und der mit ihr verbundenen kirchlichen Werke nicht damit, daß auf absehbare Zeit deutsche Staatsangehörige dort [d. h. in Israel, GG] wieder würden tätig sein können.“ Brief Stratenwerths an Frick vom 8. 5. 1951 (EZA, 6/1579). – Vgl. die positive Deutung dieser Entwicklung bei Raheb, Erbe, 194. Hanselmann, Palästinamission, 164. Mehnert, Kirchen, 9. Vgl. Christensen, Dienst, 201.
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lingshilfe von hier aus betrieb.60 Das Schicksal des Armenischen Waisenhauses des Jerusalemsvereins zeigte übrigens, dass nicht nur Israel, sondern auch Jordanien an einst beschlagnahmten Grundstücken festhielt.61 Wie nahmen deutsche Protestanten und Kirchenvertreter von jordanischer Seite aus den Staat Israel wahr? Bei der besagten Palästinareise 1952, die auch anlässlich der Hundertjahrfeier des Jerusalemsvereins geschah, bedauerte es Karnatz, in Beirut starten zu müssen und nicht mehr wie früher von Jaffa aus nach Jerusalem fahren zu können: „Dieser Weg, der ganz im Bereich des neuen Staates Israel liegt, war uns verschlossen.“ Vom Turm der Erlöserkirche blickten die Vertreter des Palästinawerkes in den Westen der Stadt, nahmen sehnsuchtsvoll das Propsteigebäude und das Syrische Waisenhaus wahr und wurden an das geteilte Berlin erinnert: „Der Vergleich mit der Lage in der eigenen Heimat drängte sich uns zwangsläufig auf.“ Schweren Herzens fügte sich Karnatz der Einsicht, dass die bisherige kirchliche Arbeit im neuen jüdischen Staat nicht mehr fortgeführt werden könne, dass viele ehemalige kirchliche Besitzungen für immer verloren seien. Karnatz wollte nicht nur über kirchliche Verluste klagen, sondern rang sich zu der Erkenntnis durch, dass die vertriebenen Araber die eigentlichen Leidtragenden seien. Und auch hier drängte sich der Vergleich mit der deutschen Flüchtlingssituation auf: „Schon auf der Fahrt waren wir wiederholt an ausgedehnten Flüchtlingslagern vorbeigekommen, wo unter Zelten Tausende von arabischen Familien kümmerlich hausten, die aus Angst vor jüdischem Terror aus den Israel zugewiesenen westlichen Gebieten geflohen waren. Wir Deutschen empfanden dieses Elend im Gedanken an die Not in der eigenen Heimat mit tiefem Mitgefühl.“62
Der Vergleich Palästina-Deutschland enthielt, wenn man ihn konsequent weiterdachte, eine Parallelisierung zwischen dem Staat Israel und der stalinistischen Sowjetunion; letztere hatte unzählige Deutsche vertrieben und einen Teil der Hauptstadt okkupiert. In Karnatz’ Ausführungen erhielt Israel somit implizt einen feindlichen Charakter. In Fricks Reisebericht fanden sich diese Empfindungen angesichts der Not der Vertriebenen bestätigt, gleichzeitig äußerte sich der Leiter der Kaiserswerther Anstalt entsetzt über den arabischen Hass auf die Juden, der sich darin manifestierte, dass Frick mehrmals auf arabische Christen stieß, die Hitlers Judenpolitik befürworteten.63 Weitaus mehr war Ernst Schneller, der Enkel des Gründers des Syrischen Waisenhauses und der derzeitige Direktor der Theodor-Schneller-Schule in Amman, dafür bekannt, dass er die Schaffung des jüdischen Staates lediglich unter dem Aspekt zu betrachten pflegte, welches Unrecht dadurch an den 60 Vgl. Wolff, Handbreit, 104. 61 Vgl. Raheb, Erbe, 192 f. 62 Karnatz, Missionarisch-diakonische Arbeit im Heiligen Lande. Ein Reisebericht für die Freunde des Jerusalemsvereins von Juni 1952 (EZA, 6/1579). 63 So Frick, Missionsarbeit, 122.
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Arabern geschehen sei.64 Mit diesem profiliert proarabischen Verständnis, das vor judentums- und zionismuskritischen Äußerungen nicht zurückschreckte, blieben Schneller und andere ihrer Zeit vor 1945 relativ treu.65 In den Augen der eher philosemitisch ausgerichteten Vertreter der Judenmission waren die westdeutschen Unterstützerkreise des Syrischen Waisenhauses und der Palästinamission sowieso latent israelfeindlich. So warnte Martin Wittenberg 1957 vor der „unter dem Einfluß der Schneller-Leute [stehenden] arabophilen Pfarrerschaft“, der zufolge „das israelische Palästina alle Verbindung mit der Geschichte“66 – gemeint war die Heilsgeschichte – verloren habe. In der Kritik am politischen, nichtreligiösen Zionismus waren sich Palästinamission und Judenmission dagegen weitgehend einig. Beide setzten voraus, dass die zukünftige Geschichte Gottes mit den Juden von ihrer Bekehrung zu Christus abhinge. Ein Vorstandsmitglied des Jerusalemsvereins beklagte beispielsweise anlässlich der Hundertjahrfeier, dass der Zionismus mehr von weltlichen als von religiösen Motiven geprägt sei. Zion müsse demgegenüber weniger als eine konkrete Stadt, sondern vielmehr als ein geistlicher Ort beschrieben werden, der auf die Anbetung Gottes verweise: „Wir Protestanten möchten mit dem ganzen Einsatz unseres Glaubens in der Gottesstadt die Wege dessen ebnen, der ein Sohn Israels war, aber zugleich der Gottessohn.“67 Die Haltung von Karnatz, Frick und anderen entsprach auch dem Tenor, in dem die Artikel der Zeitschrift Im Lande der Bibel gehalten waren. Man beschrieb die kirchliche Arbeit in Palästina und ging dabei auf die Nöte der arabischen Bevölkerung, insbesondere der Flüchtlinge, ein.68 Auch wenn diese Nöte vielfach – nicht immer – in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Gründung Israels gestellt wurden, fand eine theologische oder politische Auseinandersetzung mit der israelischen Staatlichkeit in diesem Zeitabschnitt so 64 So W. Bellardis Bericht über eine Reise nach Palästina im Herbst 1957. Sonderdruck aus der Zeitschrift „Die Diakonieschwester“ von 1958 (EZA, 6/1582). 65 So waren vor 1945 die Brüder E. und H. Schneller sowie G. Jentzsch, Pfarrer und Missionsleiter des JV in Bethlehem 1926 – 1939, nicht nur NSDAP-Mitglieder, sondern pflegten die Juden Palästinas entweder zu ignorieren oder kritisch zu betrachten. Unter Absehung alles Jüdischen konstatierte z. B. Jentzsch um 1933, dass allein die Araber aus Bethlehem „die Landsleute des Christuskindes“ und „die Nachkommen jener Hirten“ der Bibel seien (Jentzsch, Weihnachten, o. J. [Nachlass F. Graf]). Die Juden dagegen werden bei den schädlichen Mächten „aus dem Westen“ mitgedacht, die jetzt „hier ein ganzes Volk und eine uralte Kultur“ zu ruinieren und den Arabern ihr Land zu entreißen suchten (JV-Rundschreiben Advent 1933 [s. ebd.]). – Vgl. Heilbronner, Antisemitismus, 157; und Lçffler, Gemeinden, 207. 66 Wittenberg, Rez. zu H. Maas. 67 Schlauck, Israel, 75. 68 Als Beispiel kann ein Beitrag in der Zeitschrift Im Lande der Bibel gelten, der das Elend der Vertriebenen beschreibt und dabei beflissen auf eine Nennung Israels verzichtet: „Diese Zeit in Bethlehem war nicht so leicht, weil in dieser Zeit viele unserer christlichen Brüder infolge des Palästina-Konflikts aus ihren Heimstätten vertrieben wurden, und manche von ihnen kamen nach Bethlehem in einem sehr erbärmlichen Zustand“ (Schehadeh, Pastor, 19). – Vgl. Nijim, Lebenslauf, 21: „Der arabisch-jüdische Krieg war hart für die Araber. Ich war erschüttert von der Armut und dem Elend der arabischen Flüchtlinge.“
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gut wie nicht statt. Grundsätzlich stellte man sich aber, bei Rezensionen etwa, auf einen dezidiert „arabischen Standpunkt“.69 Zu einer deutlicheren Politisierung der Zeitschrift im proarabischen Sinne kam es jedoch erst später, ansatzweise bereits Mitte der 1960er Jahre, vermehrt jedoch nach dem Sechstagekrieg. Von Westjordanien her blickten auch die deutschen Bibelwissenschaftler auf den Staat Israel, die sich seit 1953 regelmäßig in Ost-Jerusalem einfanden, um die traditionellen Lehrkurse des Deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des heiligen Landes wieder aufzunehmen. Die Arbeit der auch Palästina-Institut genannten Einrichtung war kriegsbedingt zum Erliegen gekommen und wurde trotz der zwischenzeitlich durchgeführten Lehrkurse erst 1964 mit der Anmietung eines Institutsgebäudes offiziell wieder eröffnet.70 Vom 13. August bis zum 15. Oktober 1953 führte Professor Kurt Galling erstmalig wieder einen Sommerkurs in Ost-Jerusalem durch.71 Für den damaligen Mitarbeiter Hans Walter Wolff war es im Blick auf den Lehrkurs letztlich „kein Schade, daß mit Jordanien zugleich nicht das Gebiet des Staates Israel, wohl aber Syrien und Libanon besucht werden kann.“72 Schließlich befinde sich der heutige israelische Staat, in den Wolff nur von der jordanischen Seite des Stacheldrahtes aus hinübersehen konnte, „jenseits aller alten biblischen Stätten.“73 Trotzdem beschäftigte den Theologen die Tatsache, dass die Juden derzeit keinen Zugang mehr zu ihrem Heiligtum, der Westmauer des Tempels, hatten: „Wo einst heiße Klagegebete zum Himmel stiegen, spielen jetzt ahnungslose Araberkinder, die in den Elendsquartieren des benachbarten, zerstörten Judenviertels zu Hause sind.“74 Als Alttestamentler konnte Wolff auch mit den Juden mitfühlen, die unter der Teilung der Stadt zu leiden hatten. Welchen Blick ein Landesbischof einer EKD-Gliedkirche auf den Staat Israel warf, kann anhand von Hanns Lilje illustriert werden. Der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD machte auf seiner Weltreise als LWB-Präsident im Dezember 1955 auch in Bethlehem und Ost-Jerusalem Station. An Liljes Reisebericht ist auffallend, dass er zwar die Israelis nicht direkt kritisiert, aber auf den israelischen Staat nur in solchen Zusammenhängen verweist, die negative Assoziationen wecken. Israel wird als Polizei- und Militärmacht wahrgenommen ohne auf legitime Sicherheitsaspekte zu rekurrieren. So spricht er von den Checkpoints lediglich als von den „Postenhäuschen der Israelis. Sie beherrschen die Straße völlig; sie können sie einsehen und unter 69 Eberhard, Rez. zu W. Cordan. 70 So Fritz, Jahre, 204 – 206. – Das Palästina-Institut ist nicht zu verwechseln mit dem Deutschen Verein zur Erforschung Palästinas, kurz Palästinaverein. S. a. Hbner, Palaestina exploranda. 71 Für den 20. September lud Propst Döring zur feierlichen Wiedereröffnung des Instituts in den Festsaal des Auguste-Viktoria-Hospitals ein. 72 Wolff, Archäologen, 622. 73 Wolff, Handbreit, 85. – Hierbei handelt es sich um den Bericht über die Reisestationen dieses Sommerkurses. Vgl. Wittenberg, Rez. zu H.W. Wolff; und ders., Rez. zu J. Jellinek. 74 Wolff, Handbreit, 85.
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Feuer nehmen.“ Dass die israelische Staatsgründung für die deutschen Missionseinrichtungen in Palästina einen herben Rückschlag bedeutet, kann Lilje nicht unerwähnt lassen. Und der Landesbischof rät denen, die an Jesu Wirkungsstätten Gott begegnen wollen, sich in Jordanien auf die Suche zu machen. Denn wer auf den Spuren des Heilands die „Stille der Erlösung“ erleben möchte, müsse in den Ost-Jerusalemer Garten Gethsemane kommen, denn am See Genezareth sei vor lauter „Lärm des Kampfes zwischen Israelis und Syrern“ keine Ruhe mehr zu finden. Der Besuch in arabischen Flüchtlingslagern erinnert Lilje daran, dass die weltweit größte Anzahl an Vertriebenen aus dem deutschen Volk komme. Und wie die Deutschen von jenseits der Oder und Neiße Heim und Hof verloren hatten, so müssten auch die Araber in den Camps voller Verbitterung mit ansehen, wie „drüben die israelischen Siedler ihren Pflug durch Äcker und Weingärten ziehen, die einst ihnen gehörten.“ Aber während die Bundesrepublik eine aktive Integration der Flüchtlinge betreibt, muss Lilje die arabischen Staaten für die gleichgültige Behandlung des Flüchtlingselends tadeln. Die Araber scheinen bestrebt zu sein, „aus politischen Gründen diese Wunden blutend zu erhalten.“ Was das Los dieser Vertriebenen deshalb „so niederziehend macht, ist die völlige Hoffnungslosigkeit. Es scheint, daß es um der Verhärtung der politischen Lage willen überhaupt keine Lösung gibt.“75 Bevor Lilje nach Palästina kam, sprach er in Ägypten mit Präsident Nasser. Der hannoversche Landesbischof war von ihm, der „frei von diktatorischen Allüren“ sei, sofort eingenommen. Lilje verstand nur Nassers Argumentation nicht, dass „1,2 Millionen Israelis eine Bedrohung für einen Staat darstellen sollen, der selber 22 Millionen Einwohner und weitere 20 Millionen potentieller Verbündeter hat.“76 Er verstand das deshalb nicht, weil er der Meinung war, dass das „äußerst höflich(e)“, das „sehr vernünftige und gemäßigte“ ägyptische Staatsoberhaupt nichts mit den „gefährlichen“ Vertretern der Arabischen Legion gemein hätte, die den „Erbfeind“ Israel „ins Meer jagen wollten.“77 Doch Lilje erlebte Nassers grundlegende Israelfeindschaft ein dreiviertel Jahr später während des Suezkriegs 1956, der sich nahezu zeitgleich mit dem Ungarnaufstand ereignete. Ohne für eine Seite Partei ergreifen zu wollen, schloss Lilje alle Notleidenden in Ungarn, Ägypten und Israel in sein Kirchengebet in der Marktkirche in Hannover ein. Auch in dem Telegramm, das der Landesbischof in seiner Funktion als Präsident des LWB an US-Präsident Eisenhower schrieb, brachte Lilje seine Sorge um die Menschen zum Ausdruck, „die in Ungarn und im Nahen Osten leiden.“78 Indem der Landesbischof auf einer Tagung in Potsdam die jüngsten Kampfhandlungen als 75 76 77 78
Lilje, Welt, 32 u. 36 – 38. – Vgl. Siegmund, Lilje, 144 – 147 u. 404 f. Lilje, Welt, 26. Ders., Memorabilia, 228. Zit. bei: Meldung „Landesbischof Lilje telegraphiert an Präsident Eisenhower“, in: Epd.ZA Nr. 255 vom 5. 11. 1956. – Vgl. Meldung „Das Gebet kann eine geschichtliche Großmacht sein“, in: Epd.ZA Nr. 257 vom 7. 11. 1956.
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Nachhutgefechte eines zu Ende gehenden kolonialen Zeitalters bezeichnete, durchbrach er jedoch die Äquidistanz, indem er implizit Israels Bündnis mit dem alten ,Imperialismus‘ in einen Kontrast zu den Befreiungsbewegungen Afrikas und Asiens stellte.79
1.3.3 Das deutsche Missions- und Kircheneigentum im Staat Israel Die erneute kirchliche Präsenz im jordanisch okkupierten Gebiet des Heiligen Landes stand in deutlichem Kontrast zu der Tatsache, dass der größere Teil der deutschen Besitzungen im Laufe des israelisch-arabischen Krieges an die israelische Seite fiel: „Der überwiegende Teil – zwei Drittel – des deutschen Missionsbesitzes, das Syrische Waisenhaus mit seinen Zweigunternehmungen, das Kaiserswerther Diakonissenhospital und die Mädchenschule Talitha Kumi, die Einrichtungen der Karmel-Mission, auch die Besitzungen des Jerusalemsvereins in Jaffa, Haifa und Waldheim, Kirchen und Schulgebäude, dazu die Propstei und das Schulgebäude in Jerusalem, und alle palästinadeutschen Siedlungen gingen in israelische Hände über.“80
Wenige Jahre nach der Schoah bedeutete das Vorhandensein deutschen Grundbesitzes auf israelischem Staatsgebiet ein enormes moralisches Problem. Da unzählige Juden während des Nationalsozialismus ihr Eigentum in Deutschland verloren hatten, schien eine Beschlagnahmung deutscher Liegenschaften in Israel ethisch gerechtfertigt zu sein. Bundeskanzler Konrad Adenauer akzeptierte die Enteignungen durch den Staat Israel, zumal er seit Ende 1949 die moralische Pflicht einer finanziellen ,Wiedergutmachung‘ an die Judenheit im Allgemeinen und seit 1951 an den Staat Israel im Besonderen betonte.81 Nachdem die britische Mandatsregierung das Jerusalemer Gelände des Syrischen Waisenhauses bereits am 17. März 1948 dem LWB übergeben hatte, wurde es von der zionistischen Hagana besetzt. Begründet wurde das mit seiner Lage „an einer überhöhten, strategisch wichtigen Stelle.“82 Dass es sich streng genommen um keinen deutschen Besitz mehr handelte, konnte die Enteignung nicht mehr abwenden. Auch die in Nazareth untergebrachten Schützlinge des 79 So Meldung „D. Lilje: Nachhutgefechte des Kolonialismus“, in: Epd.ZA Nr. 259 vom 9. 11. 1956. – Vgl. o.Vf., Christen. – Meldungen „Bittgottesdienste für den Frieden“, in: Epd.ZA Nr. 255 vom 5. 11. 1956. – „D. Niemöller : ,Christlicher Name besudelt‘“, in: Epd.ZA Nr. 255 vom 5. 11. 1956; und „Hilfe auch für den Nahen Osten“, in: Epd.ZA Nr. 259 vom 9. 11. 1956. 80 Foerster, Mission, 193. – Vgl. o.Vf., Gefährdung, 283. – M. Raheb spricht konkreter von 65 % des deutschen Besitzes (Raheb, Erbe, 192). 81 Zu den Wiedergutmachungsverhandlungen/Schilumim s. Teil II, 1.6. 82 Bericht v. Hentigs über ein Gespräch mit Dr. Markus von der Jewish Agency in Frankfurt/Main vom 12. 8. 1948 (EZA, 6/1578). – Vgl. Meldung in: KiZ 5 (1950), 78. – Vgl. „Schwere Schäden am christlichen Missionswerk in Palästina“, in: Epd-ZA vom 21. 5. 1948.
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Syrischen Waisenhauses waren evakuiert worden. In der Jerusalemer Propstei, die aufgrund ihrer Lage westlich des Jaffatores „in jüdischer Hand“83 war, errichtete der Staat Israel eine Industrieschule und ließ die deutschen Gebäudeinschriften entfernen. Die deutschen Auslandsgemeinden in Jaffa und Haifa, die zum größten Teil aus ehemaligen Angehörigen der Württembergischen Tempelgesellschaft bestanden, welche sich Jahre zuvor der Amtskirche wieder zugewandt hatten, existierten nicht mehr.84 Die Herrnhuter Unitätsdirektion fasste den Entschluss, das von dänischen Herrnhutern geleitete Aussätzigenheim Jesus-Hilfe in West-Jerusalem in die Hände des Jüdischen Nationalfonds zu legen, der es zu einer dermatologischen Klinik ausbaute.85 Im Januar 1950 begannen die langwierigen Verhandlungen über die Zukunft des ehemals deutschen Missionseigentums zwischen den Vertretern des LWB und des israelischen Finanzministeriums.86 Vom Weltbund aus waren in unterschiedlichem Ausmaß die beiden aus den USA stammenden Theologen Sylvester C. Michelfelder, Generalsekretär des LWB, und Frederick Nolde, Direktor der dem ÖRK zugeordneten Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (KKIA), involviert. Zudem wurden zwei Schweizer einbezogen, der Sonderbeauftragte (und Treuhänder) Charles Lutz und der Rechtsberater Max Habicht. Die israelische Regierung lehnte direkte Verhandlungen mit den deutschen Eigentümern ab, die auch formalrechtlich nichts mit den Angelegenheiten zu tun haben sollten. Israel gab bekannt, dass es zwar die Eigentumsrechte aller mit dem ÖRK und dem Internationalen Missionsrat (IMR) verbundenen Kirchen und Missionsgesellschaften anerkenne, den deutschen Besitz aber davon ausnehme. Das Syrische Waisenhaus und die anderen deutsche Einrichtungen in Jerusalem könnten deshalb einer israelischen Erklärung vom 24. Februar zufolge nicht mehr den früheren Eigentümern zurückgeben werden. Die starke Abneigung der Juden gegenüber den Deutschen verbiete das. Den Brüdern Hermann und Ernst Schneller war aber aufgrund der „unsichere(n) Grenze gegen Israel“ auch die Lage im Westjordanland zu prekär, um dort ihre Einrichtungen weiterzuführen: „Die Feindseligkeiten konnten wieder beginnen, der neue Aufbau konnte gestört werden, man konnte alles, was etwa aufgebaut war, wieder verlieren.“87 Die traditionsreiche Arbeit wurde schließlich in Ost-Jordanien und im Libanon fortgesetzt, wodurch sich die Schneller’schen Einrichtungen auch dem Zugriff des LWB entziehen konnten. In der Zwischenzeit berichtete das KA den nach Berlin-Weißensee gekommenen EKD-Synodalen, es sei nicht damit zu rech83 84 85 86
Brief Karnatz’ an Wurm vom 21. 9. 1948, in: EKD, Protokolle, Bd. 2, 680. – Vgl. Rhein, Arbeit, 9. Vgl. Wellnitz, Gemeinden, 183 f. So Hanselmann, Palästinamission, 179. – Vgl. Meldung in: EvW 4 (1950), 382. Vgl. Brief Stratenwerths an Prof. Kaufmann, Starnberg, vom 14. März 1950 (EZA, 6, 1578, Blatt 59). – S. a. o.Vf., Um das deutsche Eigentum; sowie Meldungen in: EvW 4 (1950), 234; und in: KiZ 5 (1950), 77 f. 87 Schneller, Waisenhaus, 24. – Dieser Abschnitt ist auch abgedr. bei: Hanselmann, Palästinamission, 168.
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nen, „daß deutsche Staatsangehörige an die Stätten einer jahrzehntelangen segensreichen Arbeit zurückkehren können, soweit sie im Bereich des Staates Israel liegen.“88 Die Knesset verabschiedete schließlich am 26. Juli 1950 das Gesetz über die Enteignung des deutschen Besitzes (,German Property Law‘). Paragraph 16 regelte die Frage des deutschen kirchlichen und Missionseigentums.89 Israel legitimierte die Konfiszierung als ,Wiedergutmachung‘ für die Übergriffe auf jüdisches Eigentum während der NS-Zeit. Man unterschied zwischen ,kultischen‘ und ,karitativen‘ Einrichtungen der Kirchen und erklärte sich lediglich dazu bereit, ,kultische‘ Institutionen, also Kirchengebäude, wieder ihrer Bestimmung zuzuführen.90 Die Enteignung konnte auch die KKIA nicht abwenden, die eine Rückgabe aller beschlagnahmten christlichen Liegenschaften forderte.91 Der Gesamtwert des deutsch-evangelischen Missionseigentums in Israel und Jordanien belief sich Schätzungen zufolge auf über 25 Millionen US-Dollar.92 Das KA lud unter der Leitung von Martin Niemöller ab Sommer 1950 zu mehreren ,Palästina-Konferenzen‘ nach Frankfurt ein und brachte hier die Vertreter des LWB mit den Verantwortlichen der deutschen Palästinamission zusammen.93 In erster Linie wurden auf den Konferenzen die deutschen Missionswerke über den Fortgang der Verhandlungen informiert. Im Mai 1951 setzte man die Delegierten der deutschen Werke davon in Kenntnis, dass das israelische Finanzministerium jetzt 425 000 israelische Pfund als Entschädigung angeboten habe unter der Auflage, „daß der Lutherische Weltbund eine Erklärung abgebe, daß die Entschädigungssumme nicht in Deutschland und für deutsche Zwecke benutzt würde. Sie dürfe nur unter der Verantwortung des Lutherischen Weltbundes verwandt werden.“94 Dem LWB war die angebotene Summe zu niedrig. Die Vertreter des Palästinawerks drängten allerdings auf eine rasche Einigung mit den israelischen Stellen, wohl um die Entschädigung an sich nicht zu gefährden. 88 EKD, Synodalbericht 3, 462. – Vgl. Brief des KAvom 23. 8. 1950 an die Teilnehmer der PalästinaKonferenz am 16. 8. 1950 (EZA, 612/10). – Zum „Wort zur Judenfrage“ der EKD-Synode von Berlin-Weißensee 1950 s. a. Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.12, 548 f; und Oelke, Schuld, 11 – 13. 89 Vgl. Zitate bei Kaminsky, Reconstruction, 235 f. – Vgl. Brief des KA vom 23. 8. 1950 an die Teilnehmer der Palästina-Konferenz am 16. 8. 1950 (EZA, 612/10). 90 So EKD, Synodalbericht 3, 462. – Vgl. Brief v. F. Nolde an F. C. Fry und P. C. Empie vom 31. 1. 1950 (EZA, 6/1578). 91 So Meldung „Drei Forderungen zur Internationalisierung Jerusalems“, in: Epd.ZA Nr. 160 vom 15. 7. 1950. 92 So EKD, Synodalbericht 3, 461. – An einer anderen Stelle ist von 37 – 60 Mio. $ die Rede. So Meldung „Um das Missionseigentum in Palästina“, in: Epd.ZA Nr. 154 vom 8. 7. 1950. – Vgl. auch o.Vf., Um das deutsche Eigentum, 170; und Meldung in: EvW 4 (1950), 460. 93 S. a. EZA, 6, 1754, Blatt 39 – 68. 94 Vermerk über die Besprechung von Vertretern des LWB und der deutschen Palästinawerke vom 23. 5. 1951 (EZA, 6/1579).
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Am 29. August 1951 wurde schließlich das Abkommen zwischen LWB und israelischer Regierung über das deutsche Missionseigentum unterzeichnet. Die israelischen Vertragspartner machten mit dem Hinweis auf die Ressentiments im Land deutlich, dass ein fehlendes Einlenken von Seiten des LWB das gesamte Abkommen gefährden würde.95 Israel blieb im Blick auf die kirchlichen Gebäude in Haifa und Jaffa bei seinen Zugeständnissen, weil es sich dabei um Kulträume handelte. So wurden die Kirchen und Pfarrhäuser in Haifa und Jaffa dem LWB übergeben, der sie wiederum im Benehmen mit dem Jerusalemsverein in die Hände der Norske Israelmisjon legte.96 Alle anderen Anstalten gingen in den Besitz des Staates Israel über. Der Staat Israel erklärte sich im Abkommen bereit, dem LWB – zum Teil in Raten – eine Kompensation im Werte von 550 000 israelischen Pfund (etwa 1 Million US-Dollar) zu zahlen. Weitere 50 000 US-Dollar wurden dem LWB für die Flüchtlingsarbeit zugesagt. Die Vertreter der betroffenen deutschen Einrichtungen sprachen sich in Übereinstimmung mit dem KA mehrheitlich dafür aus, das israelische Angebot als Zeichen guten Willens anzunehmen, auch wenn ihnen der erhaltene Gegenwert als zu gering erschien.97 Doch die starke Abwertung des israelischen Pfunds und der Verlauf der deutsch-israelischen Wiedergutmachungsgespräche (,Schilumim‘)98 ließen bald neue Verhandlungen nötig werden. Das Abkommen vom 29. August 1951 trat nicht in Kraft. Dem LWB schien es nun strategisch sinnvoll, von einem deutschen und nicht von einem international-lutherischen Missionseigentum zu sprechen. Man fürchtete, dass sich Israel letztlich doch nicht an seine Kompensationsverpflichtung halten können werde. Charles Lutz forderte im Frühjahr 1952 die Einrichtungen des Palästinawerks dazu auf, ja nicht „die einzigartige Gelegenheit zum Geld zu kommen“, zu verpassen. „Es wäre ja wirklich grotesk“, so Lutz weiter, „wenn die deutsche Regierung den Juden Milliarden-Beiträge zahlt, die jüdische Regierung aber den deutschen Werken die vereinbarte Summe schuldig bleibt.“99 Damit griff Lutz die Atmosphäre bei den ,Schilumim‘-Verhandlungen im niederländischen Wassenaar auf und teilte die Verärgerung derjenigen Mitglieder der Bundesregierung, welche die 95 S. a. „Text of Agreement between the Lutheran World Federation and the Government of Israel concerning former German Protestant Missions in Israel“ vom 29. 8. 1951, Kopie (EZA, 612/10). – Vgl. Meldung in: EvW 6 (1952), 53. – S. a. den Brief der EJST (Dibelius) an die Kuratoriumsmitglieder vom 18. 4. 1952 (EZA, 612/10): „Die israelitischen Unterhändler haben geltend gemacht, daß die jüdische Bevölkerung eine Freigabe dieser für öffentliche Zwecke benutzten Häuser unter keinen Umständen dulden und eine Außerachtlassung der öffentlichen Meinung das ganze Vertragswerk zum Scheitern bringen würde.“ 96 So Hoffman, Zusammenbruch, 245/Anm. 96. 97 Im Gegensatz zur israelischen Seite, die einen geringeren Wert veranschlagte, ging man in Deutschland davon aus, dass nicht mehr als fünf Prozent des Wertes des ehemals deutschen Missionsbesitzes für die Kirche gerettet werden konnte. – Vgl. Memorandum des KA vom 22. 5. 1952, Kopie (EZA, 612/10). 98 S. a. Teil II, 1.6. 99 Ch. Lutz, zit. im Brief R. Fricks an G. Stratenwerth vom 19. 4. 1952 (EZA, 6/1579).
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israelischen Forderungen für zu hoch hielten und mit ihren Einsprüchen eine zeitweilige Unterbrechung der Gespräche verursachten. In den Augen Franz Böhms, des Leiters der deutschen Verhandlungsdelegation bei den ,Schilumim‘-Verhandlungen, mit dem Stratenwerth Kontakt aufnahm, waren die derzeitigen deutsch-israelischen Verhandlungen derart grundsätzlicher Natur, dass Einzelfragen, zu denen auch die kirchlichen Aspekte gehörten, vor Abschluss des Abkommens nicht berücksichtigt werden könnten.100 Am Tag des Luxemburger Vertrags, dem 10. September 1952, wurde deshalb ein weiteres Abkommen unterzeichnet, das weitere Verhandlungen über eine Entschädigung des deutschen Vermögens in Israel vorsah. Schließlich wurde die wegen Währungsschwankungen und der Höhe der deutschen Wiedergutmachungszahlungen neu festgesetzte Entschädigungssumme – in einem Dokument vom 1. Juni 1962 war von 3,585 Millionen DM101 die Rede – in Raten bis 1963 dem LWB überwiesen. Da diese Gelder nach israelischen Vorgaben keinesfalls nach Deutschland fließen durften, verteilte sie der LWB unter den deutschen Institutionen mit der Auflage, diese ausschließlich für deren Bauvorhaben auf dem Gebiet Jordaniens und des Libanons zu verwenden. So wurden beispielsweise die Schnellerschulen des Syrischen Waisenhauses in Jordanien und im Libanon oder Talitha Kumi im westjordanischen Beit Jala neu errichtet. Im Zuge dieser Entschädigung konnte der LWB etliche traditionsreiche Gegenstände des alten Jerusalemer Syrischen Waisenhauses sicherstellen und wieder kirchlichen Zwecken zuführen, beispielsweise die Glocken der ehemaligen Anstaltskirche.102 Wie bereits erwähnt, nahm der westdeutsche Protestantismus auch Anteil am Los der Württembergischen Tempelgesellschaft. Nach der israelischen Staatsgründung begann das Gerangel über eine Entschädigung des ehemaligen Eigentums der Tempelgesellschaft.103 Mit dem deutsch-israelischen Wiedergutmachungsvertrag von 1952 verbanden die in Australien und in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen der Tempelgesellschaft die begründete Hoffnung, dass sie nicht leer ausgehen sollten. Nach langwierigen Ver100 So Brief G. Stratenwerths an R. Frick vom 23. 4. 1952 (EZA, 6/1579). 101 So Weingardt, Beziehungen, 44 f. – S. a. Kaminsky, Reconstruction, 238. 102 So „Text of Agreement between the Lutheran World Federation and the Government of Israel concerning former German Protestant Missions in Israel“ vom 29. 8. 1951, Kopie (EZA, 612/ 10). – Vgl. Brief des KA vom 23. 8. 1950 an die Teilnehmer der Palästina-Konferenz am 16. 8. 1950 (EZA, 612/10). – Meldung in: EvW 6 (1952), 53 [mit Foto der Glockenabnahme]. – In den 1960er Jahren versuchten Vertreter des Palästinawerks noch einmal vergeblich auszuloten, „ob mit dem Staate Israel noch einmal Verhandlungen aufzunehmen sind wegen einer Revision der Entschädigungssumme.“ Während E. Schneller und andere bei einer Sitzung des Palästinawerks1964 betonten, dass die Tempelgesellschaft aufgrund ihrer Beharrlichkeit letztlich auch einen höheren Betrag erhalten habe als ursprünglich festgelegt wurde, wies Stratenwerth dies Ansinnen zurück. S. a. Protokoll der Sitzung des Deutschen Palästinawerkes vom 25. 8. 1964 (EZA, 81/2/185). 103 Vgl. die Meldungen „Keine Deutschen mehr in Palästina“, in: Epd.ZA vom 19. 6. 1948; und „Das Ende der deutschen Templer-Kolonien in Palästina“, in: Epd.ZA Nr. 171 vom 28. 7. 1950.
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handlungen erklärte sich die israelische Regierung am 1. Juni 1962 zu einer Entschädigung für weltliches und privates deutsches Eigentum in der Höhe von 54 Millionen DM bereit, was nichts mit der bereits erwähnten Einigung zu tun hat, die Israel mit dem LWB getroffen hatte. Von der Entschädigung im Jahr 1962 profitierten die Templer am meisten, da ihnen als ehemalige Kolonisten der größte christlich-deutsche Privatbesitz in Palästina gehört hatte.104 Abschließend ist hinzuzufügen, dass die aus deutscher Feder stammenden Protokolle und Berichte über die Verhandlungen um das kirchliche Eigentum in der Regel kühl und sachlich gehalten waren. Zwar wurde z. B. die Aneignung verschiedener Gebäude in Haifa durch israelische Zivilisten als ,illegal‘ und ,unberechtigt‘ bezeichnet, doch war man sich bewusst, dass viele jüdische Einwanderer selbst nicht wussten, wie sie ein Dach über den Kopf bekommen sollten.105
1.4 „Zeugnis für Zion“: Die traditionelle Judenmission Eitel-Friedrich von Rabenau, Vorstandsmitglied des Jerusalemsvereins, meinte 1952 im Blick auf die ehemaligen Liegenschaften der Tempelgesellschaft im jetzigen Israel, dass er die Enteignung gerne als Entschädigung für nationalsozialistische Verbrechen akzeptieren würde, wenn „das jüdische Volk […] unseren Herrn Jesus Christus als seinen Messias“ anerkennen würde.106 Von Rabenaus Einstellung als Vertreter der Palästinamission korrespondierte hier mit der Position judenmissionarischer Kreise. Letztere beschäftigten sich in den 1950er Jahren neben den araberorientierten Protestanten am meisten mit dem Nahen Osten. Von Rabenaus Aussage zeigt auch, dass die Vorgänge im jüdisch gewordenen Teil des Heiligen Landes nicht ohngeachtet der christlichen Heilsgeschichte interpretiert wurden. Seine oben zitierten Worte fügten sich in den tradierten Konsens der christlichen Kirchen ein, dass Juden zu ihrem Heil ihr Jüdisch-Sein ablegen und sich den christlichen Konfessionen anschließen müssten. Da dieser Tradition wegen auch Mitglieder jüdischer Herkunft zu den evangelischen Kirchen gehörten, wurde 1933 und danach der Umgang mit der „Arierfrage in der Kirche“ (Martin 104 Vgl. Weingardt, Beziehungen, 18 u. 44 f; und Meldung „Israel zahlt 54 Millionen DM Entschädigung“, in: Epd.ZA Nr. 148 vom 2. 7. 1965. – Jasper, Wiedergutmachung, 13 f gibt am Beispiel der Templer zu bedenken, dass man nicht nur auf die formale Berechtigung der Schadenersatzansprüche pochen könne, sondern v. a. „das jüdische Problem als Ganzes und in seiner Tiefe“ begreifen müsse. 105 So heißt es über das Grundstück in Haifa: „Wie groß die Wohnungsnot in Palästina zurzeit ist, beweist die Tatsache, dass eine Anzahl Leute sich auch in der Kapelle eingenistet haben und dort wohnen, ebenfalls im Hühnerhaus hinter dem Pfarrhaus.“ S. a. Brief des KA vom 23. 8. 1950 an die Teilnehmer der Palästina-Konferenz am 16. 8. 1950 (EZA, 612/10). 106 v. Rabenau, Ansiedlungen, 39.
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Niemöller)107 zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche. Für letztere war ein Ausschluss108 von ,nichtarischen‘ Christen oder Pfarrern nicht mit dem Wesen der christlichen Kirche vereinbar und daher bekenntniswidrig. Die meisten Mitglieder der Bekennenden Kirche protestierten jedoch kaum gegen die Staat und Gesellschaft betreffende Bekämpfung „des Überhandnehmens des jüdischen Einflusses“ (Walter Künneth), worauf z. B. die Nürnberger Rassengesetze von 1935 zielten.109 Aus dem rassistisch motivierten Vorhaben der Nationalsozialisten, Christen jüdischer Herkunft aus den Kirchen auszuschließen und organisierte Judenmission zum Erliegen zu bringen, bezogen die Judenmissionsgesellschaften nach 1945 ihre Legitimation zum Zeugendienst.110 Zunächst ging es den Gesellschaften um eine weitestgehende Wiederherstellung der Vorkriegsaktivitäten. Sie nahmen ihre Arbeit in der Weise wieder auf, dass sie die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nur im Rahmen des üblichen kirchlichen Konsenses zur Sprache brachten.111 Dieser Konsens war anfangs noch sehr von „Abwehrstrategien“ bestimmt: „Häufig wird sehr allgemein gesprochen, das eigene Versagen verdeckt.“112 In diesem Kontext räsonierten die Judenmissionsgesellschaften in Folge der Staatsgründung Israels darüber, was dieses Ereignis von 1948 für den ,Dienst an Israel‘ zu bedeuten habe. Was judenmissionarische Aktivitäten im Staat Israel betraf, so gingen sie nach 1948 nur noch von nichtdeutschen Organisationen aus, insbesondere aus Großbritannien, den Niederlanden, den skandinavischen Ländern und den USA. Auf deutschem Territorium arbeiteten vor dem Zweiten Weltkrieg mit dem 107 Niemçller, Sätze. – Vgl. Meier, Hakenkreuz, 159. 108 Für einen Ausschluss votierte z. B. eine Aktennotiz der Berliner Kirchenkanzlei vom Juni 1934: „Grundsätzlich erscheint die Sammlung getaufter Juden in judenchristlichen Gemeinden als die richtige Lösung, die Rasseverschlechterung zu verhüten“ (zit. bei: Rçhm/Thierfelder, Juden, Bd. 1, 286). 109 Knneth, Kirche, 369. – Nach W. Gerlach „ist auch niemals offiziell von der B[ekennenden] K [irche] aus ein Protest gegen die Nürnberger Gesetze laut geworden; es sind nur Bedenken und Widerstand dort aufgekommen, wo staatliche Gesetze im Raum der Kirche greifen sollten“ (Gerlach, Zeugen, 322). 110 Für Th. Küttler ist es unangemessen, wenn man heute vom Zentralverein im Jahr 1945 eine Absage an die Judenmission erwarte: „Das hätte aus damaliger Sicht doch bedeutet, gegenüber der Judenmission auf einmal die Position einzunehmen, die bisher die nationalsozialistischen Gegner, die Deutschen Christen, eingenommen hatten […] Eine solche Erwartung ist geradezu grotesk“ (Kttler, Judenmission, 275 f). Erwartet wird dies aber von R. Brandau, der sein Kapitel über Judenmission nach 1945 mit dem kritisierenden Titel versieht: „Als wäre nichts geschehen“ (Brandau, Judenmission, 214). 111 So Haufler-Musiol, Zentralverein, 34: „Dies entspricht allerdings dem allgemein verbreiteten Prozeß der Verdrängung in den ersten Jahren nach 1945 und findet sich ebenso in anderen kirchlichen Äußerungen. Auch das ,Stuttgarter Schuldbekenntnis‘ vom 18./19. Oktober 1945 nennt weder eine (Mit-)Schuld der Kirche an den Verbrechen des Nationalsozialismus, noch nennt es ausdrücklich die Verbrechen an den Juden.“ 112 Oelke, Schuld, 12.
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Basler Verein der Freunde Israels, der Berliner Landeskirchlichen Judenmission, dem Kölner Rheinisch-Westfälischen Verein für Israel und dem Leipziger Evangelisch-Lutherischen Zentralverein für Mission unter Israel (kurz Zentralverein) vier Judenmissionsgesellschaften – kleinere Ableger ausländischer Organisationen nicht mitgerechnet.113 Der Zentralverein stellte neben dem genannten Basler Verein, welcher auch in Südwestdeutschland wirkte, die größte deutsche Judenmissionsgesellschaft dar. Das galt zumindest im Blick auf Finanzkraft und Wirkungskreis; die Förderer des Zentralvereins wurden in verschiedenen lutherischen Kirchen Deutschlands rekrutiert. „Zeugnis für Zion“114 – Der Zentralverein wählte diesen Titel für seine Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum 1971. Damit machte er deutlich, dass er noch 23 Jahre nach der israelischen Staatsgründung und 90 Jahre nach den russischen Judenpogromen, welche die erste ,Alija‘ und damit den Zionismus als nationale Bewegung auslösten, den Zionsbegriff in einem völlig unpolitischen Sinn als Synonym für die weltweite Judenheit verstanden wissen wollte. ,Zeugnis für Zion‘ – dieses Motto kennzeichnete die judenmissionarischen Kreise in den 1950er Jahren. 1.4.1 Judenmission und Ökumene Judenmissionarischen Kreise orientierten sich nicht nur am deutschen Kontext, sondern betrachteten sich als Teil einer internationalen Gemeinschaft, die ihre Agenda in einer Verlautbarung niederlegte, die auf der Gründungsversammlung des ÖRK ausgesprochen wurde und die die Judenmission auf ein neues Fundament zu stellen suchte. Die vom 22. August bis zum 4. September 1948 in Amsterdam tagende erste Vollversammlung des ÖRK empfahl den Mitgliedskirchen ihre Erklärung über „Das christliche Verhalten gegenüber den Juden“ zur Rezeption. Ausgangspunkt war das Erschrecken über die Ausmaße der Verbrechen der Schoah, welches am weiterhin gültigen Missionsauftrag gegenüber den Juden jedoch nichts ändere: „,Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur‘. Die Erfüllung dieses Auftrags fordert den Einschluß des jüdisches Volkes in unsere Aufgabe der Evangelisation.“115 In Ziffer 5 beschäftigte sich die Erklärung – noch während der israelischarabischen Kampfhandlungen – mit der Neugründung eines jüdischen Staates: „Wir sehen, daß die Schaffung des Staates ,Israel‘ dem christlichen Ringen mit dem jüdischen Problem eine neue, politische Dimension verleiht und den Antisemitismus durch politische Befürchtungen und Feindseligkeiten zu komplizieren droht […] Welche Stellung man auch zu der Schaffung eines jüdischen Staates und zu dem hier in Frage stehenden ,Recht‘ und ,Unrecht‘ von Juden und Arabern, Judenchristen und 113 Vgl. Rçhm/Thierfelder, Juden, Bd. 1, 281 – 310. 114 Dobbert, Zeugnis. 115 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.2, 326. – Bibelzitat aus Mk 16,15.
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arabischen Christen einnehmen mag, – die Kirchen haben die strenge Pflicht für eine Ordnung in Palästina zu beten und zu arbeiten, die so gerecht ist, wie das inmitten unserer menschlichen Unordnung nur sein kann; sie müssen nach Kräften unterschiedslos Hilfe für die Opfer dieses Krieges bereitstellen; sie müssen darum bemüht sein, die Nationen dahin zu beeinflussen, daß sie weit großherziger als bisher eine Zuflucht für ,Displaced Persons‘ bereitstellen.“116
Im vom ÖRK veröffentlichten deutschen Text fehlte allerdings der geäußerte Wunsch, dass sich der ÖRK noch intensiver mit dem Antisemitismus, dem christlich-jüdischen Gespräch und den „vielen verschiedenartigen Probleme(n), die durch die Errichtung des Staates Israel entstanden sind“, widme.117 Die israelische Staatsgründung wurde nicht etwa freudig begrüßt, sondern gab zu einer erneuten Sorge Anlass: Das „jüdische Problem“ und der damit verbundene Antisemitismus werde durch den neuen Staat verkompliziert. Die Rede vom „jüdischen Problem“ stand in der ganzen Erklärung singulär da, erinnerte an die ,jüdische Frage‘ der 1930er Jahre und suggerierte, dass die Juden selbst das Problem seien bzw. aufgrund ihres eigenen Verhaltens – die Schaffung des Staates Israel – den Antisemitismus fördern würden. Ein solches vom Text her naheliegendes, aber isolierte Verständnis dieses Satzes würde aber der Ziffer 3 der Erklärung widersprechen, wo der Antisemitismus abgewehrt und die christliche Mitschuld an der Judenfeindschaft bekannt wurde. Somit zeugt der Passus über den Staat Israel von der holprigen, unausgewogenen Entstehung dieses Konsenstextes und von der theologischen Ratlosigkeit der Verfasser : Während sie in soteriologischer Hinsicht die Absichten Gottes („Heilsplan“) mit der Judenheit genau kannten, während sie implizit die internationale Kirchengemeinschaft zum judenmissionarischen Einsatz im neuen Israel aufforderten,118 wurden sie angesichts möglicher theologischer Implikationen des für das Judentum epochalen Ereignisses sprachlos und angesichts der „politischen Dimension“ unentschieden. Der Hinweis, dass „die Nationen“ vermehrt Zufluchtsorte für ,Displaced Persons‘ (DPs) bereitstellen sollten, lässt erkennen, dass man in einer weiteren Einwanderung 116 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.2, 328. – Auch abgedr. bei: Gjerding, Dokumentation, 74. – Vgl. King, Palestinians I, 14 f; und Nieswandt, Erbe, 208 f. – Zu Amsterdam allg. s. Frieling, Ökumenekunde, 78 f; und Brandau, Judenmission, 171 – 175. – Nach A. Baumann wird man die Ausführungen von Amsterdam „kaum als ein enthusiastisches Willkommen für den neu gegründeten Staat ansehen können. Im Gegenteil: Der neue Staat wird vor allem als Problem wahrgenommen, das die sowieso schon vorhandenen Probleme weiter kompliziert. Es ist auch deutlicher Unwille darüber zu spüren, daß die Problematik nun auch noch eine ,politische‘ Dimension hat“ (Baumann, Kirchen, 13). – F. v. Hammersteins Urteil, der Staat Israel werde „in der Amsterdamer Botschaft […] positiv erwähnt“, wirkt beschönigend (Hammerstein, Verständnis, 11). 117 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.2, 329 (aus der engl. Fassung nachgetragen). 118 Vgl. ebd., 327: Die Kirchen müssen „ die Verantwortung für die Mission unter den Juden als normales Stück der Arbeit in der Pfarrgemeinde ansehen […] Wo es keine bodenständige Kirche gibt, oder wo die bodenständige Kirche dieser Aufgabe nicht gewachsen ist, kann es nötig sein, einen besonderen missionarischen Dienst von anderen Ländern her einzurichten.“
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von Juden nach Israel eine Verschlimmerung des „Palästinaproblems“ sah. Wer im ersten israelisch-arabischen Krieg nun Recht oder Unrecht habe, wollte der ÖRK nicht entscheiden. Womöglich suchte man zu vermeiden, durch eine Stellungnahme in die laufenden Kampfhandlungen einzugreifen.119 Im Blick auf die aktuellen Vorgänge im Nahen Osten war man sich nur bei der Notwendigkeit des Gebets und der humanitären Hilfe einig. Vom Gesamtduktus der Amsterdamer Erklärung her, die das christliche Zeugnis gegenüber den Juden auf eine neue Grundlage stellen wollte, stellte der Staat Israel eine Irritation dar, die die Verfasser nicht in ihren Rekurs auf den Heilsplan Gottes integrieren konnten. Das korrelierte mit dem substitutionstheologischen Argument, das der Missionsexperte Karl Hartenstein, Mitglied des Rates der EKD, 1952 in die Worte fasste: „Gott wird dieses Volk heimbringen, nicht in das irdische Palästina, sondern in das himmlische Jerusalem und zu dem lebendigen Christus und in das kommende Reich.“120 Neben dem ÖRKverstand sich auch der Internationale Missionsrat (IMR) als eine weltweit operierende ökumenische Vereinigung; beide standen sich sehr nahe, sodass folgerichtig der IMR 1961 in den ÖRK eingegliedert wurde. Das Komitee für christlichen Dienst an Israel im IMR, kurz Israelkomitee121, fungierte als internationale Arbeitsgemeinschaft der Judenmissionsgesellschaften, die auch zum Rengstorf-Ausschuss (DEADI)122 Beziehungen unterhielt. Im August 1952 kam das Israelkomitee zu einer Arbeitstagung unter der Leitung von Karl Heinrich Rengstorf in Bethel bei Bielefeld zusammen. Ernst Wilm, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, hob in seinem Grußwort hervor, die Mission an den Juden dürfe nur mit einem bußfertigen Herzen geschehen.123 Die Teilnehmer aus mehr als einem Dutzend verschiedener Nationen seien sich bewusst, so Göte Hedenquist, der Direktor des Komitees, dass Christen „für Jahrhunderte zwischen Christus und den Juden [standen], so daß die Juden Christen nicht gesehen und gefunden haben.“124 Jetzt gehe es darum, als Christen beiseite zu treten und Christus selbst ausstrahlen zu lassen. Ausländische Tagungsteilnehmer konnten aus eigener Anschauung über die derzeitige Situation im Staat Israel berichten. Der niederländische Pastor Johan Hendrik Grolle hatte bei seiner jüngsten Israelreise festgestellt, dass die im Heiligen Land lebenden Juden noch nicht beim Glauben ihrer Väter angelangt seien, was sich z. B. daran zeige, dass der Atheismus weiter verbreitet sei als die religiöse Orthodoxie. Trotzdem „geht eine lebendige Geistigkeit von diesem modernen
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Vgl. Marquardt (Marten), Staat Israel, 2. Hartenstein, Israel, 66. Ab 1961 fortgeführt als Ausschuss für Kirche und Judentum des ÖRK. S. a. Teil II, 1.4.3. So Meldung „Lehrkursus des Israelkomitees in Bethel eröffnet“, in: Epd.ZA Nr. 181 vom 6. 8. 1952. – Zu den einzelnen Vorträgen vgl. das Programmblatt (in ZAEKHN, 155/793). 124 Zit. nach o.Vf., Kirche und Israel, 564.
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Israel aus“, was sich an der Offenheit gegenüber der Person Jesu und dem Neuen Testament manifestiere.125 Rengstorf referierte über das „Judentum der Gegenwart“.126 Dieses habe seinen Schwerpunkt von Europa nach Nordamerika und Palästina verlegt. Das sei „für das Abendland Anklage und Frage in eins.“ Die Christenheit habe die jüdische Assimilation zu wenig für das christliche Zeugnis genutzt und sei deshalb mitverantwortlich für die derzeitige ,Dissimilation‘, die das Judentum wieder gestärkt und vereint habe. Das habe politische Folgen: „Wo immer auf der Welt heute Juden wohnen, da ist ,Israel‘ ihr Staat.“ Die jüdische Glaubensgemeinschaft hänge aber nicht nur „zionistischen Träumen“ an, sondern bemühe sich auch um eine innere Wiedergeburt: „Man weiß wieder um den Platz, den Gott diesem Judentum in der Welt gegeben hat und will ihn im Gehorsam gegen Gott auch ausfüllen.“ Deshalb riefen die Juden „ihren Staat in Palästina aus der Gefahr einer politischen Vereinseitigung heraus zur großen Sache der Propheten: Israel ist mehr als das Wunder eines säkularen Staates, Israel ist heute ein Phänomen, das alle Völker, besonders aber die Christenheit angeht.“ Der Staat Israel kam in Bethel als ein Phänomen in den Blick, das in Bezug auf die Judenmission zwar ein strategisches, aber kein inhaltliches Umdenken erforderte. Die Tagung blieb damit in den Bahnen der ÖRK-Vollversammlung von 1948. Mit seismografischem Gespür analysierten die Referenten der Betheler Tagung die Atmosphäre im Staat Israel dahingehend, ob sich mehr Anknüpfungspunkte zum christlichen Zeugnis fänden als bisher. Während Grolle ein größeres Interesse an der Person Jesu feststellte, sah Rengstorf die Identität der Juden durch „ihren Staat in Palästina“ gestärkt. Diese Aussage implizierte die Einschätzung, dass sich die Juden in und außerhalb des Staates Israel als psychologische Folge seiner Existenz gegenüber missionarischem Bestreben immunisiert hätten. Rengstorf rechnete damit, dass sich im Judentum der Geist der biblischen Propheten durchsetze, welcher selbstkritisch „zionistische Träume“ abwehrte. Mit ,Israel‘ sprach er die jüdische Glaubensgemeinschaft an, die sich nicht auf ein politisches Gemeinwesen reduzieren lasse. Damit drückte er aus, dass nicht der israelische Staat im Besonderen, sondern die Judenheit im Allgemeinen für die Christenheit relevant sei. Auch auf der 2. Vollversammlung des ÖRK, die vom 15. bis 31. August 1954 zu dem Hauptthema „Christus – die Hoffnung für die Welt“ in Evanston stattfand, kamen Judentum und Staat Israel zur Sprache, allerdings auf eine andere Art und Weise als 1948. Neben einer Diskussionsgrundlage des IMRIsraelkomitees hatte der dem ÖRK zugeordnete Beratende Ausschuss (,Advisory Commission‘), dem auch Karl Barth, Edmund Schlink und Heinrich 125 So ebd., 565; Zmf. d. Pos. v. J. H. Grolle. – Vgl. Grolle, Geistliches Leben, 33. 126 O.Vf., Kirche und Israel, 564 f; Zmf. d. Pos. v. K. H. Rengstorf. – Vgl. Meldung „Heutige Verteilung der Juden in der Welt“, in: Epd.ZA Nr. 186 vom 12. 8. 1952; und „Neue Ziele im Judentum“, in: Epd.ZA Nr. 191 vom 18. 8. 1952.
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Vogel angehörten, rechtzeitig vor der Vollversammlung einen umfangreichen Text zum Hauptthema vorgelegt. In ihm war davon die Rede, dass sich an „Israel“ die „Treue Gottes gegenüber Seinen Verheißungen“ manifestiere. In „der ganzen Geschichte Israels“ von den biblischen Königen bis heute sahen die Verfasser eine „Einheit“.127 Mit ,Israel‘ war hier das jüdische Volk als heilsgeschichtliche Größe gemeint. Als es darum ging, eine Erklärung128 zu entwerfen, mit der die Vollversammlung zum Dokument des Beratenden Ausschusses Stellung nehmen sollte, brachte Hanns Lilje einen Entwurf ein, der von der „neutestamentlichen Auffassung von der endlichen Erfüllung der Versprechen Gottes, die dem Volk des alten Israel gegeben wurden“, sprach.129 Auch wenn in diesen beiden Texten nicht vom Staat Israel die Rede war – die Wortwahl Liljes z. B. lässt auf einen judenmissionarischen Zusammenhang schließen –, wurden sie von Delegierten aus skandinavischen, nordamerikanischen und arabischen Kirchen problematisiert, von denen die einen eine Verletzung jüdischer Empfindlichkeit befürchteten (,Judenmission‘) und die anderen ein politisches Votum zugunsten des Staates Israel herauszuhören glaubten. Für schwedische Vertreter wurde hier ein einzelnes eschatologisches Zeichen – das jüdische Volk – gegenüber den anderen neutestamentlichen Zeichen überbewertet.130 Es kam zu einer „Revolte […] aus dem Plenum heraus.“131 Charles Malik, Mitglied der Vollversammlung und ehemaliger libanesischer UN-Botschafter, warnte die Delegierten vor einer Stärkung des politischen Zionismus durch den ÖRK: „Alle Versprechen, die dem alten Israel gegeben worden sind, wurden in Jesus Christus erfüllt. Es gibt keinerlei Grund zu sagen, daß die paulinische Lehre über die Juden in sich schließt ein weltliches Reich für die Juden am Ende der Zeiten.“132 Das Neue Testament spreche nur von der ,Rückkehr‘ der Juden zu Christus, nicht von ihrer Rückkehr nach Palästina. Die Worte Maliks und einiger arabischer Kirchenvertreter fielen auf fruchtbaren Boden, denn die Vollversammlung beschloss am 27. August mit 195 zu 150 Stimmen eine Erklärung, die gegenüber dem Entwurfstext auf alle umstrittenen Äußerungen verzichtete. Gerhard Jasper ließ in seinem Tagungsbericht133 einen evangelischen Delegierten aus Palästina zu Wort kommen, der zu bedenken gab, dass proisraelische Äußerungen auf der Weltkirchenkonferenz sich ungünstig auf die Situation der 127 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.3, 330. – Ferner abgedr. bei: Gjerding, Dokumentation, 76; und Lpsen, Evanston, 15. – Vgl. Brandau, Judenmission, 175 – 180; Loerbroks, Weisung, 43 – 47; Malachy, Nein, 97; Marquardt (Marten), Staat Israel, 4; und Nieswandt, Erbe, 209 f. – Zu Evanston vgl. Frieling, Ökumenekunde, 79 f; und Vogel, Jesus Christus, bes. 100. 128 S. a. Lpsen, Evanston, 53 – 55. 129 Zit. bei: Ebd., 345; und Kloppenburg, Evanston, 410, Vgl. auch Grbe, Theologie, 47 f. 130 So Wingren, Evanston, 203. 131 Beckmann, Aufgabe, 294. – Der Vf. war Teilnehmer der Konferenz. – Vgl. King, Palestinians I, 103. – Zur Position der amerikanischen Delegierten in Evanston vgl. Fishman, Protestantism, 155 – 159. 132 Malik, Telegramm an die ÖRK-VV, dok. bei: Kloppenburg, Evanston, 411. 133 S. a. Jasper, Behandlung, 56.
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Christen in der arabischen Welt auswirken könnten. Während Jasper für dieses Bedenken Verständnis aufbringen konnte, ärgerten ihn die „philosemitische(n) Einstellungen“ in Nordamerika, die offensichtlich werden ließen, dass dort „der Missionswille gegenüber Israel erlahmt ist.“ Jasper bedauerte, „daß man in der Vollversammlung nicht zu einem einheitlichen Wort über Israel geführt wurde“, wo doch die Vollversammlung von 1948 noch unmissverständlich zum christlichen Zeugnis gegenüber den Juden aufgefordert habe.134 Vierundzwanzig Delegierte aus europäischen und nordamerikanischen Kirchen, darunter Heinrich Vogel, Edmund Schlink, Martin Niemöller und Gerhard Stratenwerth, veröffentlichten drei Tage nach der Abstimmung eine eigene Erklärung zur „Hoffnung Israels“, in der sie von ihrer Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und von der Erwartung seiner Bekehrung zu Christus sprachen. Um möglichen Einwänden zuvorzukommen, betonten sie: „Unser Anliegen in dieser Sache ist rein biblisch und darf nicht mit irgendeiner politischen Stellungnahme dem Staate Israel gegenüber verwechselt werden.“135 Die Vollversammlung ließ diese Verlautbarung den Kirchen zukommen. Aber dass dieses Minderheitenvotum nur „von ,nordatlantischen‘ Delegierten“136 abgegeben wurde, charakterisierte die Neubesinnung auf das Judentum als eine rein europäisch-nordamerikanische Angelegenheit. Selbst die ausdrückliche Distanzierung von einer theologischen Bewertung des israelischen Staates änderte daran nichts. Die Diskussionen auf der Vollversammlung in Evanston verstärkten Tendenzen, die bereits in der ÖRK-Erklärung von 1948 anklangen: Heilsgeschichtliche Erwägungungen zum jüdischen Volk konnten in der ökumenischen Bewegung kaum noch vorgebracht werden, ohne dass tatsächliche oder vermeintliche politische Konnotationen auf Widerstand stießen. Orientalische Vertreter wie Malik vermochten den Substitutionsgedanken nicht zu relativieren, weil dies ihr politisches Selbstverständnis hinsichtlich der Gegebenheiten im Nahen Osten gefährdet hätte.
1.4.2 Der Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel Nachdem im 19. Jahrhundert in einigen lutherischen Landeskirchen Vereinigungen für Judenmission gegründet worden waren, fasste Franz Delitzsch 134 Ebd., 53. 135 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.3, 330. – Auch abgedr. bei: Gjerding, Dokumentation, 76; Jasper, Behandlung, 55; Kloppenburg, Evanston, 411 f; Lpsen, Evanston, 128; o.Vf., Die zweite Weltkirchenrats-Versammlung; und Berkhof/Boegner/Koechlin, Hoffnung. – Beckmann, Aufgabe, 294 täuscht sich: Weder waren es „über 30“ Unterzeichner noch kamen sie „aus allen Bereichen der Welt.“ – Vgl. auch Kickel, Land, 152 f. 136 Rendtorff, Dialog, 47. – Vgl. ebd.: „Das Thema ist seit diesem Eklat in Evanston nicht mehr auf die Tagesordnung einer Vollversammlung gekommen.“
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diese 1871 im Zentralverein zusammen.137 Nach der Auflösung 1935 riefen Karl Heinrich Rengstorf, der fast achtzigjährige Otto von Harling senior – der Vater des jüngeren Kirchenmannes gleichen Namens – und Ludwig Fündling den Zentralverein am 24. Oktober 1945 in Eversen bei Celle wieder ins Leben.138 Der alte Vereinssitz in Leipzig konnte nicht mehr bezogen werden, da die Voraussetzung zur unabhängigen und transnationalen Arbeit in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR nicht gegeben war. Rengstorf wurde Geschäftsführer und von Harling erster Vorsitzender ; nach dem Tod des letzteren 1953 nahm Rengstorf selbst bis 1971 die Stelle des Vorsitzenden ein. Im Bewusstsein, als Judenmissionsverein selbst Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung gewesen zu sein, glaubte man nach 1945, an der früheren Arbeit anknüpfen zu können.139 Nicht nur Teile des ÖRK, auch Vertreter des Zentralvereins zogen aus der Schoah die Erkenntnis, dass die Judenmission intensiver als bisher betrieben werden sollte. Im Zusammenhang mit dem Zentralverein entstand 1946 in Bayern die Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission, welche Wilhelm Grillenberger als ersten ,Berufsarbeiter‘ nach München entsandte und aus der 1959 der bayerische Evangeliumsdienst unter Israel durch die evangelisch-lutherische Kirche hervorging – „bis zur Gründung des ,Evangelisch-lutherischen Dienstes für Christen und Juden – Niedersachsen e.V.‘ (1982) der einzige Zweigverein des Zentralvereins“ der Nachkriegszeit.140 Die Haltung zum Zionismus vor 1948: In der von Franz Delitzsch begründeten Zeitschrift Saat auf Hoffnung (SaH), die neben dem später hinzugekommenen Blatt Friede über Israel (FÜI) als Sprachrohr des Zentralvereins fungierte, wurde der politische Zionismus von Anfang an als eine aus theologischer Sicht fragwürdige Bewegung angesehen. Den Versuch einer nationalen Wiedergeburt des jüdischen Volkes verstand man als einen weiteren Ausdruck dafür, dass das Volk Israel seinen Messias Jesus ablehnte: „Wie oft hat doch der treue Hirt gelockt / Sein Israel – das aber blieb verstockt.“ So hieß es 1903 in einem Gedicht, das gegenüber der nichtigen Hoffnung auf das irdische Palästina den Juden die wahre Heimat „im oberen Jerusalem“ in Aussicht stellte.141 Missionare beobachteten, dass ein Jude, der sich der zionistischen Idee öffnete, für das Evangelium unempfänglicher wurde. Wegen der Verwerfung Jesu, so ein 137 Vgl. Haufler-Musiol, Zentralverein; und Kttler, Judenmission. 138 So Schreiben Rengstorfs an den RELKD, Kloster Loccum, 30. März 1946, in: EvangelischLutherische Kirche Deutschlands, Protokolle, 381 f. – Vgl. Hermle, Kirche, 285 f. 139 Vgl. Kaiser, Mission unter Israel, 214: „Man muß resümierend festhalten, daß die Vertreter der Judenmission [vor 1933] aufs ganze gesehen trotz einer Reihe problematischer Äußerungen zur ,Judenfrage‘ nicht zu jenen nationalprotestantischen Antisemiten zu rechnen sind, die sich in der christlich-sozialen Bewegung sammelten.“ – Vgl. ders., Judenmission. 140 Haufler-Musiol, Zentralverein, 36. 141 Zit. bei: Dobbert, Zionismus, 94. – S. a. ebd., 100.
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Rezensent von Herzls Judenstaat, habe Gott die Juden zerstreut, und unstet würden sie umherirren bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie Christus als ihren Erlöser annähmen. Man ging deshalb davon aus, dass es dem Zionismus nicht gelingen könne, einen jüdischen Staat ins Leben zu rufen. Als schließlich 1948 der Staat Israel geschaffen wurde, musste das für die Repräsentanten des Zentralvereins eine Irritation bedeuten. Wie sollte man sich zu einem Staat verhalten, den es der klassischen Heilsgeschichte zufolge gar nicht geben durfte? Reinhard Dobbert meinte im Blick auf die Geschichte des Zentralvereins noch 1971, bis heute bleibe „uns ein gewisses Misstrauen gegenüber diesem zionistischen Staat, der inzwischen wurde, denn er ist, so wie er ist, sicher nicht die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen, immer noch warten wir auf die Rückkehr der Menschen in diesem Staat zum Gott der Väter.“142 Nur wer wie manche Vertreter der Judenmission den Staat Israel aus der Weltgemeinschaft isolierte, konnte die Bejahung dieses Gemeinwesens von biblischen Weissagungen oder von der Christlichkeit seiner Bevölkerung abhängig machen. Dobberts Postulat zeigt zudem, dass sich der Zentralverein in seiner Haltung zum politischen Zionismus in gewisser Weise auch nach 1948 treu blieb. Zeitschrift ,Friede über Israel‘:143 Die 1903 begründete und nach der Unterbrechung während der NS-Zeit erst wieder 1950 erscheinende Vierteljahreszeitschrift Friede über Israel bildete seit dem Wegfall des Periodikums Saat auf Hoffnung das offizielle Organ des Zentralvereins. Seit der Gründung des Staates Israel berichtete es in Form kurzer Meldungen laufend aus dem neuen jüdischen Gemeinwesen, wobei insbesondere das Schicksal der israelischen Christen und ihrer bürgerlichen Rechte bewegte. Die Arbeit der Norske Israelmisjon in Haifa wurde mit großem Interesse verfolgt. Otto von Harling junior, Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD, beschrieb den derzeitigen ,Kulturkampf‘ in der israelischen Gesellschaft zwischen orthodoxen und liberalen Juden und sah eine ,Kluft‘ im Entstehen, „die niemand anders als der König Israels überbrücken könnte.“144 Die Probleme des jungen Staates würden also dann ein Ende finden, wenn die Israelis in Jesus ihren Messias erkannten. Aber nicht nur die Schwierigkeiten, auch die herausragenden wirtschaftlichen und militärischen Leistungen wurden im Blick auf Christus gedeutet, als eine Vorahnung des Wunders nämlich, das Gott an den Juden vollbringe, wenn sie zu Christus fänden. In einer Zeit, in der die deutschen FÜI-Autoren noch auf Medieninformationen angewiesen waren, konnte immerhin Johan Hendrik Grolle bereits aus eigener Anschauung mitteilen, dass die Israelis von einem ,unausgesprochenen Messiasverlangen‘ erfüllt
142 Ebd., 101. 143 Zur Zeitschrift, ihren Themen und Akteuren s. Schulz, Bevormundung. 144 v. Harling, Probleme, 25.
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seien und sich deshalb sehr für Jesus interessieren würden: Es „wird in Israel das Neue Testament viel mehr gelesen, als wir gedacht hatten.“145 Wilhelm Grillenberger, zeitweilig FÜI-Schriftleiter, setzte seinem programmatischen und deshalb exemplarischen Aufsatz „Was bedeutet für uns Christen die Gründung des Staates Israel?“ von 1953 Ezechiel 34,11 – 13 voran und erklärte, dass der hier beschriebene ,Hirte‘ Christus darstelle, der auch der Messias des jüdischen Volkes sei. Bringt nun Jesus als der Messias Israels sein Volk wieder zurück ins Heilige Land? Grillenberger verwies auf die reformatorische Auslegung, die auch dem Artikel 17 der ,Confessio Augustana‘ zugrunde liege und besage, dass den Juden allein ein himmlisches Reich und nicht in ein irdisches verheißen sei. Diese Anschauung werde seit der Gründung des modernen israelischen Staates mehr und mehr angefochten. Viele sähen dieses Ereignis als ein Zeichen der Endzeit an, ohne zu beachten, dass Jesus selbst vor apokalyptischen Berechnungen gewarnt habe (Mk 13,32). Zunächst betrachtete Grillenberger die Schaffung des jüdischen Gemeinwesens rein menschlich-innerweltlich. Sie entspreche der alten jüdischen Zionssehnsucht, sei eine Folge der jahrhundertelangen Judenfeindschaft und stelle für „uns als Christen […] eine beständige Erinnerung an die Sünde unseres Volkes“ dar.146 Die Schoah gelte als die letztendlich ausschlaggebende Ursache der Staatsgründung. Unter erneuter Rekurrierung auf Ezechiel 34 versuchte Grillenberger zu belegen, dass die Zionisten bei der Schaffung ihrer eigenen politischen Entität im Heiligen Land in ihrer Ungeduld eigenmächtig gehandelt hätten, was selbst von Schalom Ben-Chorin eingeräumt werde: „Hat der gute Hirte Jesus Christus sie hinaufgeführt? Nein, sie sind ohne ihn gegangen. Sie wollen auch ihr Land ohne ihn wieder aufbauen.“147 Das hieß: Solange die Juden Christus noch nicht anerkennen würden, könnten die Ereignisse um den heutigen Staat Israel nicht als Taten Gottes angesehen werden. Grillenberger war lediglich bereit, in der Wiedergewinnung des Landes ein Zeichen göttlicher Treue zu erkennen: „Gott hat sein Volk noch nicht vergessen. Er hält ihm noch die Treue, die es, wiewohl in Unwissenheit, längst gebrochen hat.“148 Nun wurde Grillenberger noch deutlicher : Selbst wenn die Juden in Jesus ihren Messias finden würden, sei das Wohnen im Land trotzdem nicht der Inhalt ihrer Erlösung: „Das Neue Testament redet an keiner Stelle davon, daß Jesus dem Volke Israel den Besitz des Landes bringen wird, oder daß das von Jesus aufgerichtete Gottesreich geographisch in Palästina lokalisiert sein
145 Grolle, Geistliches Leben, 33. – Vgl. o.Vf., Kirche und Israel, 565; Zmf. d. Pos. v. J. H. Grolle. 146 Grillenberger, Christen, 6. 147 Ebd., 8. – An anderer Stelle wurde der Vf. noch deutlicher : „Es ist irreführend, wenn dem Volke Israel in Aussicht gestellt wird, es werde das Heil in der Form erleben, daß Jesus sie wieder ins heilige Land zusammenführt […] Als Jesus gekreuzigt wurde, starb mit ihm das nationaljüdische Messiasbild“ (Ders., Kreuz, o.S.). 148 Grillenberger, Christen, 8.
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wird.“149 Die israelische Staatsgründung sei deshalb kein Zeichen einer baldigen Bekehrung des jüdischen Volkes. Abschließend wies Grillenberger darauf hin, dass der neue Staat neue Chancen für die judenmissionarische Arbeit biete: „Vielleicht wird jetzt erst die Grundlage dafür entstehen, daß eine jüdische Volkskirche in hebräischer Sprache gegründet werden kann.“150 Dieser FÜI-Artikel hatte noch ein Nachspiel. Schalom Ben-Chorin fühlte sich zu Unrecht dargestellt. Was Grillenberger über ihn geschrieben habe, „findet sich in keinem meiner Bücher ; nicht in meinen Broschüren, Artikeln oder Reden und entspricht keineswegs meiner zionistischen Einstellung. Ganz im Gegenteil: seit frühester Jugend […] war ich in Wort und Schrift ein eifriger Propagandist des zionistischen Ideals der Rückkehr nach Erez-Israel.“151 BenChorin wolle dazu beitragen, das Land Israel aufzubauen und dadurch dem ,Gesalbten Gottes‘ den Weg zu bereiten. Grillenberger warf er zudem vor, mit den Verhältnissen im modernen Israel nicht vertraut zu sein. Der Getadelte räumte daraufhin ein, er habe die fälschlicherweise Ben-Chorin zugeschriebene Äußerung bei einem anderen Autor gelesen. Als Rengstorf – wie bereits vor ihm Hermann Maas152 – 1956 auf Einladung israelischer Regierungsbeauftragter Israel bereiste und darüber in Friede über Israel berichtete, sah er im jüdischen Staat in erster Linie die Zufluchtsstätte der verfolgten Juden. Gespräche mit Israelis waren Begegnungen mit denen, die den nationalsozialistischen Verbrechen entkommen konnten. Die Treffen mit den Überlebenden der Schoah erschütterten den Gast aus Deutschland zutiefst: „Wer einmal Abbildungen von den Mengen von Kinderkleidung und Spielzeug gesehen hat, die man – natürlich wohlgeordnet – an den Stätten der Massenvernichtung im Osten fand, wird die Bewegung des Besuchers begreifen.“153 Im Blick auf ein neues Miteinander zwischen Juden aus Israel und Christen aus Deutschland setzte Rengstorf ganz auf die Jugend in beiden Ländern. Abwehr apokalyptisch-schwärmerischer Positionen: Für den Neuendettelsauer Theologieprofessor Martin Wittenberg, Kuratoriumsmitglied des Zentralvereins, fußte die Notwendigkeit einer christlichen Beschäftigung mit dem Judentum auf zwei Faktoren: Neben der kürzlich zurückliegenden „Proklamation des Staates Israel“ war das die spezifische „Propaganda“, die dieses neue Gemeinwesen gerade in pietistischen und freikirchlichen Kreisen evozierte.154 Als Repräsentant der pietistisch-freikirchlichen Israelbetrachtung 149 150 151 152 153
Ebd., 9. Ebd., 11. Ben-Chorin, Richtigstellung, 26. S. a. Teil II, 1.5.2. Rengstorf, Land voller Leben, 9. – Vgl. auch ders., Eindrücke; und ders., Jerusalem – Nazareth – Kapernaum. – Vgl. dazu Meldung in: RKZ 97 (1956), 373; und den Brief Rengstorfs an die Mitglieder des Direktoriums und an die Vertrauensleute des Zentralvereins vom 10. 10. 1956 (EZA, 2/5252). 154 Wittenberg, Weg, 3.
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nannte Wittenberg in einer Buchveröffentlichung, die auf seinen Vorträgen basierte, nur einen Namen: Abram Poljak.155 Der zum christlichen Glauben konvertierte Jude Poljak, der lutherische und andere Apologetiker auf den Plan rief, erfuhr durch solche Exklusivnennungen eine enorme Aufwertung. Dabei war er nur einer von vielen, die auf der Basis einer chiliastischen Eschatologie davon ausgingen, dass das jüdische Volk gerade „am Ende der Zeiten“ (Ez 38,8.16) nach Palästina zurückkehren werde und die jetzige Schaffung des israelischen Staates zu den ,Zeichen der Endzeit‘ gehöre. Um die Nähe der apokalyptischen Ereignisse vor Augen zu führen, verwandten pietistische Endzeitprediger gerne die Metapher von der göttlichen Uhr : „Der kleine Zeiger auf der Weltenuhr Gottes rückt auf Mitternacht zu“156 – und zwar aufgrund der neuen israelischen Staatsgründung. Solche endzeitlichen Deutungen, die in der israelischen Staatsgründung ein heilsgeschichtliches Ereignis par excellance erblickten, gingen weniger von größeren protestantischen Organisationen aus, sondern von einem ,freien Markt‘ an religiösen Autoren und eigens zur Verbreitung von Israel-Schriften entstandenen Vereinigungen, die durch Zeitschriften, Bücher und Vorträge ihr Publikum in ganz Westdeutschland fanden. Wegen der dem Luthertum inhärenten Distanz zum Chiliasmus, die auf dem Artikel 17 der ,Confessio Augustana‘ gründete, sahen sich Organisationen, die den Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) bildeten – an prominenter Stelle der Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel – dazu berufen, die Auseinandersetzung mit solchen pietistisch-schwärmerischen Positionen zu führen, zumal sich der Zentralverein innerhalb des Luthertums sowieso für alle das Judentum betreffende Fragen zuständig wusste. Die Auseinandersetzung des Zentralvereins mit Poljak war exemplarisch für die Kritik der lutherischen Kirchen an diesem unübersichtlichen Segment protestantischer Frömmigkeit. Die negative Fixierung des Zentralvereins auf Poljak wurde dadurch verstärkt, dass dessen Vertreter wussten, selbst die dem IMR angehörende Internationale Judenchristliche Allianz (,Hebrew Christian Alliance‘) würde den selbst ernannten Endzeitpropheten mit Argwohn betrachten. Nachdem Poljak in Jerusalem eine Gruppe christusgläubiger Juden um sich geschart hatte, trat er am 8. April 1951 im symbolträchtigen Basel, der Geburtsstadt des politischen Zionismus, auf einem Kongress auf und kündigte für September 1951 eine Vortragstour durch die Bundesrepublik an. Der Referent in der Kirchenkanzlei, Otto von Harling, gleichzeitig zweiter Vorsitzender des Zentralvereins und Geschäftsführer des DEADI, wurde diesbezüglich bereits im Vorfeld aktiv. Er schrieb an die Landeskirchen und an verschiedene Institutionen von der Reise Poljaks und wies unmissverständlich darauf hin, dass die 155 So ebd. – Zu einer Kritik an Poljak von nichtlutherischer Seite s. Zimmerli, Der Staat Israel, 76. 156 Stegemann, Zukunft, 113. – S. a. die Beispiele bei Gronauer, Endzeitfrömmigkeit.
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im IMR zusammengeschlossenen Judenmissionsgesellschaften und auch die EKD-Kirchenkanzlei Poljaks Weg für sehr bedenklich hielten.157 Hauptkritikpunkt war hier Poljaks Forderung, Christen jüdischer Herkunft müssten sich in eigenen, von den Kirchen getrennten Gemeinden sammeln. Diese Forderung, die selbst für die Leiter der pietistischen Landeskirchlichen Gemeinschaften eine Grenze überschritt, basierte auf einer sehr speziellen Eschatologie, nach der die Verheißungen an das jüdische Volk von der Zukunft der Kirche abgekoppelt würden: Nachdem die ,Heidenchristen‘ entrückt worden seien, bildeten die ,Judenchristen‘ die religiöse und politische Gemeinde des 1000 Jahre regierenden messianischen Friedenskönigs, die von Jerusalem aus und als Nachfolgerin des Staates Israel über die Welt herrsche. Der Zentralausschuss der Inneren Mission, welche 1957 im Diakonischen Werk aufging, unterstützte bereits 1951 Harlings Vorstoß, indem er dessen Schreiben an den mit der Inneren Mission verbundenen Gnadauer Gemeinschaftsverband weiterleitete, „da die Zeitschriften von Herrn Poljak in den Gemeinschaftskreisen viele Leser haben.“158 Walter Michaelis, der Vorsitzende des Gemeinschaftsverbands, zeigte sich kooperativ : „Es ist bereits in unseren Vorstandssitzungen wiederholt auf die nicht unbedenkliche Wirksamkeit dieses Mannes hingewiesen worden.“159 Bereits die ersten Stellungnahmen gegen Poljak machten deutlich, dass es seinen Kritikern nur sekundär um die hier zu Tage tretende Bewertung der israelischen Staatlichkeit ging. In erster Linie nahm man Anstoß an Poljaks Abkehr von der klassischen Judenmission. Im August 1951 wurde Poljak im Messiasboten, der Zeitschrift der Berliner Landeskirchlichen Judenmission, von Hansgeorg Schroth vorgeworfen, er habe auf dem Basler Kongress in bewusster Anlehnung an Herzl und in deutlicher Überbietung desselben bereits das messianische Reich Israel ausgerufen. Wenn Poljak die Gründung des israelischen Staates als Offenbarungsereignis Gottes ansehe, würde er „die deutschchristliche Konzeption nun auf dem Boden Israels in der dortigen judenchristlichen Gemeinde“ wiederholen.160 Indem der Verfasser des Beitrags deutliche Parallelen zwischen dem Ansinnen Poljaks und dem Zionismus zu erkennen glaubte, offenbarte er gleichzeitig seine eigene Reserve gegenüber der zionistischen Bewegung. Schroths Polemik gegen die ,Judaisierung‘ der Gemeinde und gegen die vorchristliche, ,synagogale‘ Rede vom Reich Gottes war von einer antijüdischen Wortwahl gekennzeichnet. 157 So Briefe der Kirchenkanzlei (v. Harling) an die deutschen Kirchenleitungen, die Brüder-Unität Synode Ost und West, den Bund reformierter Kirchen, den Central-Ausschuss für Innere Mission, das Zentralbüro des Hilfswerks und an die ACK vom 16. 5. und 5. 7. 1951 (EZA, 2/ 5250). 158 Brief des Centralausschusses für die Innere Mission (Pastor Thomas) an die Kirchenkanzlei vom 17. 5. 1951 (EZA, 2/5250). 159 Brief des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (W. Michaelis) an die Kirchenkanzlei vom 9. 7. 1951 (EZA, 2/5250). 160 Schroth, Reichsvortrupp, 12.
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Am 3. September sprach Poljak vor Kreisen der Evangelischen Allianz in München, also in der Stadt, in der auch Wilhelm Grillenberger als Berufsarbeiter der bayerischen Judenmission wirkte. Das veranlasste den FÜISchriftleiter sich kritisch mit Poljak auseinanderzusetzen und ein theologisches Gutachten zu verfassen, das zu erkennen gab, dass sein Autor der Rede Poljaks beigewohnt haben musste. Grillenberger ließ das Gutachten noch im gleichen Monat Otto von Harling in der EKD-Kirchenkanzlei zukommen und veröffentlichte es in einer geglätteten Form als Sonderdruck der Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, welcher ein Jahr später in Friede über Israel noch einmal abgedruckt wurde.161 In dem Gutachten bejahte Grillenberger zwar, dass ,judenchristliche‘ Gemeinden in ,Erez Israel‘ „bewußt ihr Judentum im völkischen Sinne“ pflegten, der Inhalt ihrer Verkündigung dürfe sich allerdings nicht von der Lehre der gesamten Kirche unterscheiden.162 Ausgangspunkt der Poljak’schen Theologie sei die apokalyptisch-chiliastische Demnächsterwartung: Die Schaffung des jüdischen Staates künde die baldige Ankunft des Messias an. Bei der Parusie Christi würden die nach Palästina zurückgekehrten Juden diesen als ihren Messias und König anerkennen. Die im Heiligen Land lebenden christusgläubigen Juden bildeten als Keimzelle des künftigen messianischen Reiches bereits heute die ,Reichsgemeinde‘, während die Glieder der ,heidenchristlichen‘ Kirchen einschließlich der dort integrierten Christen mit jüdischen Vorfahren die ,Leibesgemeinde‘ formierten, die bei der Wiederkunft Christi im Gegensatz zur Reichsgemeinde ,entrückt‘ werde. Weil der Staat Israel die ,Brücke‘ zum neuen messianischen Reich darstelle, sei er in den Augen Poljaks ein heilsgeschichtliches Ereignis und eine ,Gründung Gottes‘. Deshalb klinge es „überraschend, daß Poljak weiterfährt: Aber zuvor muß dieser Staat zerstört werden. Auf den Trümmern des jüdischen Staates wird sofort das Reich Israel aufgerichtet werden.“163 Was Grillenberger so überraschte, sollte zu einem festen Bestandteil des apokalyptischen Lehrgebäudes des ,christlichen Zionismus‘ werden.164 Auch Wolfgang Wirth nahm gerade an solchen Gedanken Anstoß: „Wahrhaft eine fatalistische Zuschauerhaltung, die dem Bösen ungehindert Raum gibt!“165 Für Grillenberger hatte Poljak längst den Boden von Schrift und Bekenntnis verlassen. „Ein politisches Reich Israel […] kennt die Schrift als Inhalt der Zukunftserwartung nicht.“166 Wer die Gründung des Staates Israel als eine 161 So Schreiben Grillenbergers an die Kirchenkanzlei (v. Harling) vom 29. 9. 1951, Kopie (EZA, 2/ 5250); sowie Grillenberger, Abram Poljak [Nachrichten der ELKB]; und Ders., Abram Poljak [FÜI]. 162 Ebd., 47. 163 Ebd., 49. 164 S. a. die Beispiele bei Gronauer, Endzeitfrömmigkeit. 165 Wirth, Der Staat Israel, o.S. 166 Grillenberger, Abram Poljak [FÜI], 49 f. – Vgl. ders., Abram Poljak [Nachrichten der ELKB], o.S.: „Es ist irreführend, wenn man ihnen [d. h. den Juden, GG] von christlicher Seite
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,neue Gottesstunde‘ ausrufe, sei mit den Nazis vergleichbar, denn ein solches Denken habe „für unsere Ohren eine fatale Ähnlichkeit mit der Verkündigung, die wir im Jahre 1933 zu hören bekamen von den ,Deutschen Christen‘.“167 Hinzu kam Grillenbergers Kritik an Poljaks faktischem (nicht theoretischem) Verzicht auf Judenmission, die in den Augen des eigenwilligen Apokalyptikers vor der Wiederkunft Christi keine Verheißung habe. Weniger polemisch, aber nicht minder kritisch erhob fast zeitgleich der dem Zentralverein nahe stehende Gerhard Jasper seine Stimme gegen Poljak. Zunächst hielt Jasper fest, dass es in der Folge der Staatsgründung Israels nicht ungewöhnlich sei, wenn sich israelische Christen jüdischer Herkunft vermehrt nationalbewusst und zionistisch artikulieren würden. Poljak sei Teil dieser Entwicklung: „Poljak stellt das Kreuz in den Davidsstern hinein.“168 Auch Jaspers Kritik zielte weniger auf den hier zu Tage tretenden christlichen Zionismus als vielmehr auf den dahinter stehenden, eigenwillig ausformulierten Chiliasmus. Mehr als zehn Jahre später stellte Jasper mit Zufriedenheit fest, dass Poljak in Israel selbst keine nennenswerte Rolle mehr spiele, wenn er auch in „pietistischen Kreisen Deutschlands“ immer noch einen „großen Anhang“ hätte.169 Poljaks ,irreführende‘ Bestrebungen bestätigten den Zentralverein darin, dass es wichtig sei, gerade israelische Christen in die lutherische Kirchengemeinschaft zu integrieren. Auch deshalb schätzte man die unter der Leitung von Magne Solheim von der Norske Israelmisjon ausgehende Sammlung von christusgläubigen Juden in Haifa.170 In der Auseinandersetzung mit Poljaks Lehre fehlte allerdings meist die Überlegung, warum Gläubige auf die religiös-politische Apokalyptik ansprachen. Erst 1953, zwei Jahre nach dem ersten Deutschlandbesuch des Endzeitführers, ging von Harling deutlich selbstkritisch auf diese Frage ein: „Die Gleichgültigkeit der Kirche gegenüber dem Zionismus war ein Versäumnis, das sich in der Gegenwart zu rächen beginnt und die Gemeinden gegenüber Schwärmern vom Schlage eines Poljak völlig unvorbereitet gelassen hat.“171 Von Harling bedauerte, dass die Apologetik primär auf ekklesiologische Aspekten – die Trennung von ,heiden- und judenchristlicher‘ Gemeinde – rekurierte, Poljaks christlich-zionistische Apokalyptik hingegen kaum ernst nahm.
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vorschwärmt, sie würden eine Art Gottesstaat auf Erden gründen, oder sie würden das Missionsvolk der Zukunft sein, sie würden diejenigen sein, die im ,tausendjährigen Reich‘ die Regierung in der Hand haben und allen Völkern das Heil bringen werden. Alle diese Hoffnungen sind nicht aus dem Glauben an den gekreuzigten Messias, sondern an ihm vorbei unmittelbar aus dem Alten Testament geschöpft.“ Grillenberger, Abram Poljak [FÜI], 52. Jasper, Frage, 124. Jasper, Judenchristen, 333. So v. Harling, Gemeinde, 37. Zit. bei: Jasper, Kirche und Israel..
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Die Abgrenzung gegen Poljak machte deutlich, wie die Kirche bzw. die unter ihrem Dach arbeitenden Judenmissionsgesellschaften ihre Schwierigkeiten damit hatten, einer prozionistischen eschatologischen Israel-Erwartung theologisch etwas entgegenzusetzen, wo doch die politischen Ereignisse wie die Gründung des Staates Israel Leute wie Poljak zu legitimieren schienen. Während Kirche und Theologie lange mit der Frage rangen, ob die neue jüdische Entität in der Levante womöglich theologische Implikationen habe, wuchs in Teilen des Protestantismus das Bedürfnis nach schnellen, eindeutigen Antworten. Ein wachsender Markt an Israel-Schriften versuchte dieses Bedürfnis zu befriedigen und brachte die Protagonisten der Judenmission genauso in Bedrängnis, wie sie auch durch die Reserviertheit liberaler Christen der Missionstätigkeit gegenüber unter andauerndem Rechtfertigungsdruck standen. Martin Wittenberg und Gerhard Jasper : Es war eine übersichtliche Anzahl von Theologen und Autoren, die zwischen 1948 und 1958 den Protestanten in Deutschland Judentum und Staat Israel erläuterte. Zu ihnen gehörte Martin Wittenberg, ein Alttestamentler aus Neuendettelsau und ein führendes Mitglied des Zentralvereins und dessen bayerischen Ablegers. Obwohl Wittenberg erst 1973 in den Ruhestand trat, publizierte er nur in den 1950er Jahren ausgiebig zu Judentum und Staat Israel. Die jüdisch-christlichen Annäherungen während der 1960er Jahre, wo er sich auf der Seite der ,Unverbesserlichen‘ wiederfand, die an den klassischen Prämissen der Judenmission festhielten, trugen zur Emigration Wittenbergs aus der öffentlichkeitswirksamen Beschäftigung mit dem Judentum bei.172 Noch im Mai 1948, nur etliche Tage nach der Staatsgründung Israels, sprach Wittenberg im Auftrag der bayerischen Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission in Neuendettelsau „Zur geistigen Lage der gegenwärtigen Judenheit“. Zunächst beschrieb er die palästinischen Wirren zur Zeit der Mandatsherrschaft der Briten, welche einerseits ihre Besetzung des Landes mit Hilfe der Gewährung einer jüdischen Heimstätte heilsgeschichtlich-messianisch zu rechtfertigen suchten, andererseits den zionistischen Forderungen nach einem eigenen Staat fassungs- und verständnislos gegenüberstanden. Dann wandte sich Wittenberg dem Aufbau des jüdischen Gemeinwesens in Palästina zu. Bewundernd schilderte er die Urbarmachung des Landes und den wirtschaftlich-kulturellen Aufbau. Die jüdische Glaubensgemeinschaft in Palästina sei aber nicht nur von arabischer Seite aus bedroht, sondern leide zudem sehr unter ihren inneren Gegensätzen. Da gebe es die Disparität zwi172 Bezeichnend dafür war, dass sein 1968 gehaltener Vortrag über sein zwei Jahrzehnte lang vielfach modifiziertes Referatsthema „Der neue Staat Israel – biblische Verheißung oder nationaler Irrweg?“ (so der Titel von 1968, s. Wittenberg, Der neue Staat) nicht in einem EKDweit anerkanntem Printmedium erscheinen konnte, sondern nur in den Lutherischen Blättern, einer Zeitschrift, die von relativ wenigen konfessionell-konservativen sowie freikirchlichen Lutheranern rezipiert wurde.
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schen religiös-antizionistischen, national-religiösen und areligiös-nationalistischen Bevölkerungsteilen. Indem er Martin Buber zu Wort kommen ließ, gab Wittenberg zu verstehen, dass er den rein nationalistischen Weg für einen Irrtum hielt. Die Warnung vor einem jüdischen Nationalismus verband Wittenberg mit anderen Vertretern der Judenmission.173 Wittenberg stellte sogar die Frage, ob sich hier eine ähnliche Entwicklung anbahnen könnte „wie in Deutschland vor und nach 1933.“174 Wenn man noch hinzunehme, dass die Juden Palästinas aufgrund ihrer alles absorbierenden Aufbauarbeit keine Kapazität mehr für ein kontemplativ-geistliches Leben hätten, dann seien vielleicht doch diejenigen im Recht, die mit einem „tiefen Pessimismus dem zionistischen Leben von heute“ gegenüberstünden.175 Abschließend versuchte Wittenberg zu eruieren, inwieweit die heutige Judenheit für die christliche Botschaft offen sei. Aus der wahrgenommenen ,Krise‘ des Judentums wurde auf die Notwendigkeit einer Christusbegegnung geschlossen. In verschiedenen Vorträgen wiederholte der Neuendettelsauer Dozent seine Anfragen an die neue jüdische Staatlichkeit. „Zur Bedeutung des Staates Israel für die Christenheit“ – so lautete die Überschrift eines Referats, das Wittenberg 1949/50 in München, Nürnberg und Neuendettelsau hielt. Hier stellte er die These voran, dass die israelische Staatsgründung die Christenheit deshalb etwas angehe, weil sie von dem Volk vollzogen worden sei, aus dem auch Jesus stamme. Das Ereignis vom 14. Mai 1948 betreffe auch direkt den deutschen Protestantismus, weil die derzeit noch in Deutschland lebenden Juden nichts sehnlicher zu wünschten, als nach ,Erez Israel‘ auszuwandern. Dass es den Christen nicht gelinge, die Juden im Land zu halten, zeige, dass die Kirche kein glaubwürdiges Zeugnis abgebe. Aber immerhin habe das gesetzlich verankerte Prinzip der Glaubensfreiheit im Staat Israel dazu geführt, dass man dort auch Christ sein dürfe.176 In diesem Zusammenhang äußert der Alttestamentler sein Verständnis dafür, dass die israelische Regierung „bei Herausgabe deutschen Missionsguts an den Lutherischen Weltbund sich auf Kultusgebäude beschränken, Hospitäler und Schulen [jedoch] zurückhalten will.“177 Im Blick auf das jüdisch-christliche und israelisch-deutsche Verhältnis könne einer solchen Entscheidung durchaus zugestimmt werden. Die Christen hätten aber die jüdische Bevölkerung davor zu warnen, die eigene Orientierungslosigkeit „durch ein zionistisches Mythos-Judentum“ kom-
173 So beklagte z. B. Burgstahler, Israel, o.S. die „nationalistische Welle, die seit der Errichtung des Staates Israel durch das jüdische Volk geht“, wodurch die Hinkehr der Juden zu Christus noch mehr in die Ferne rücke. 174 Wittenberg, Lage, 182. 175 Ebd. 176 So Wittenberg, Bedeutung, 213. – Hingegen implizierte der Autor an anderer Stelle das Gegenteil: Der Zionismus erlaube „jede Religion zu haben, sogar keine zu haben, nur – Christ darf man nicht sein“ (Wittenberg, Judenfrage, 22). – Vgl. auch ders., Gleichberechtigung. 177 Wittenberg, Bedeutung, 213. – S. a. Teil II, 1.3.3.
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pensieren zu wollen.178 Indem Wittenberg gerade solche Kirchen in die Pflicht nahm, „die in ihren Ländern solch religiöse Überhöhung des Nationalen erlebten“, bemühte er erneut das schuld- und erinnerungsabwehrende Argument, dass eine zionistische Staatsdoktrin eine Neuauflage der nationalsozialistischen Ideologie darstellen könne.179 Nun referierte der Alttestamentler sowohl die ,realistische‘ – Staatsgründung als Zeigerstand der Weltuhr Gottes – als auch die ,spiritualistische‘ – ein rein säkulares Geschehen – Deutung des Ereignisses vom 14. Mai 1948. Wittenberg ging zu beiden Haltungen auf Distanz. Die ,spiritualistische‘ Deutung, welche das Ende jüdischer Hoffnungen proklamiere, demaskierte er als antijudaistisch. Und die ,realistische‘ Interpretation sei einer hemmungslosen „Phantastik“ erlegen, welche z. B. in der Wiederaufforstung Palästinas die Erfüllung bestimmter Verheißungen sehe.180 Um einen Mittelweg zwischen beiden Extremen zu finden, müsse auf Apostelgeschichte 1,6ff verwiesen werden, wonach es niemandem gebühre, die Stunde zu wissen, in welcher der Herr das ,Reich für Israel‘ errichten werde. Grundsätzlich konnte sich Wittenberg aber vorstellen, dass dem zu Christus bekehrten jüdischen Volk und Staat für die Zukunft ein Auftrag zugesagt sei. Bis zum Zeitpunkt der Bekehrung sei aber Zurückhaltung auferlegt. Ein viel publizierender Autor aus dem Umfeld des Zentralvereins war der aus Sachsen stammende Gerhard Jasper, von Berufs wegen Werbearbeiter der von Bodelschwinghschen Anstalten und Missionsinspektor der Bethel-Mission. Er veröffentlichte 1954 ein Buch über die „Wandlungen im Judentum“, in dem er die Entwicklungen schilderte, die das Judentum verändert hätten, wobei er zwischen Begriffen wie Juden, Zionisten und Israelis nicht sonderlich differenzierte. Vom Zionismus war hier „als nationale Verengung des Judentums“ die Rede.181 Jasper qualifizierte Herzls Bewegung deutlich ab, indem er betonte, „daß der moderne politische Zionismus nicht zu verwechseln ist mit jenen alten religiösen Zionsgedanken, die das Judentum seit dem Beginn der ,Galuth‘ […] als Ausdruck der religiösen Sehnsucht nach der Wiederkehr der
178 Ebd. 179 Ebd. – In abgeschwächter Form vertrat Wittenberg diesen Gedanken auch noch 1968, indem er sich – hinter jüdisch-israelkritischen Zeitzeugen wie Hans Rothfels und Hans-Joachim Schoeps versteckend – zustimmend gegenüber der These verhielt, der Staat Israel „sei im Grunde ein neu aufgelebter Nationalismus und damit im Grunde ein Anachronismus in einer Welt, die über die Völkergrenzen hinausgehe“ (Wittenberg, Der neue Staat, 118). 180 Ebd., 214. – Vgl. Wittenberg, Gedanken, 198. – In ders., Judenfrage, 22 wehrt der Vf. die ,realistische‘ Auffassung noch unerbittlicher ab, indem er fragt, „ob nicht jene jüdische Gruppe recht habe, die im Zionismus eine blasphemische Vorwegnahme eines endzeitlichen Gotteswunders sieht! Sicherlich könnte das Urteil Gottes über den Zionismus einst durchaus positiv lauten: dies aber gewiß nicht, ohne daß die Christenheit ihren Zeugendienst an den Israelis in Palästina […] ernstgenommen und geübt hätte.“ 181 Jasper, Wandlungen, 23.
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Tage Davids beherrscht haben.“182 Die Juden hätten seit der israelischen Staatsgründung teil am ,Fluch des Nationalismus‘.183 Jasper stellte mit den Positionen von Wilhelm Weinberg, Martin Buber und Schalom Ben-Chorin jüdische Stimmen zur israelischen Staatwerdung vor. Er kritisierte an ihnen die „Blut-und-Boden-Verbundenheit“, wonach sich Gott an das Land gebunden habe, dabei handele es sich bei Palästina nicht mehr um das „Land der Väter […], weil über ihm der Schatten des Kreuzes steht.“184 Das neue jüdische Nationalbewusstsein führe nicht nur zu einer Vermeidung der Christusfrage, sondern auch zu einer unakzeptablen Benachteiligung der Christen im neuen Staat. Der Israeli dürfe zwar Atheist sein. „Aber er darf nicht Christ sein.“185 Abschließend rang Jasper mit der pietistisch-apokalyptischen Israelrezeption, deren Auffassung, es gebe eine Weissagungen für Israel neben der Kirche, er deutlich zurückwies. Die Aufgabe der Kirche bestehe nicht darin, über die territoriale Wiederherstellung des endzeitlichen Israels nachzudenken, sondern sich mehr als bisher in der Judenmission zu engagieren. Alles andere sei eine ,Judaisierung‘ der Theologie. In ihren Texten warnten Wittenberg und Jasper vor einer nationalreligiösen Überhöhung der israelischen Staatlichkeit gerade dadurch, dass sie auf die jüngste deutsche Geschichte rekurrierten. Mit polemischen Gleichsetzungen („Blut und Boden“) wurden zionistische Juden faktisch als die neuen Nationalsozialisten dargestellt, die nichts aus der Geschichte gelernt hätten, während Wittenberg und in größerem Ausmaß Jasper sich als solche profilierten, die die ,wahren‘ Lehren aus der NS-Zeit gezogen hätten. Das zeugt gerade wenige Jahre nach dem Krieg von einem immensen Zynismus der beiden 182 Ebd. – Vgl. ders., Leid, 283; ders., Zur Sinndeutung, 315; und ders., Der Staat Israel, 359. 183 Unter Bezugnahme auf Susman, Hiob (in der Schreibweise ,Sußmann‘). – S. a. ebd., 116: Es dürfe „die Gefahr und Bedrohung nicht verkannt werden, die für das jüdische Volk heute wie immer in der Nationwerdung liegt.“ – Jasper, Mission an Israel, 59 warnt vor den „Gefahren eines unfruchtbaren Nationalismus“ in Israel. – Vgl. ders., Theokratie, 346; und Ders., Bedrohung, 486. 184 Jasper, Wandlungen, 33. – Vgl. ders., Leid, 283; ders., Zur Sinndeutung, 315 f; ders., Sinn der Wiederentdeckung, 454; und ders., Der Staat Israel, 360. – S. a. Buber, Israel. – Hier sei auf den Aufsatz Jaspers aus der Zeitschrift Judaica hingewiesen, der neben M. Susman, W. Weinberg und M. Buber hauptsächlich das 1956 erschienene Buch von Ben-Chorin, Antwort, behandelt. Jasper wiederholt seine harsche Kritik an der Verbindung „von Blut und Boden […], deren Fragwürdigkeit im Dritten Reich allzu deutlich wurde.“ Er hat nach der Lektüre der verschiedenen Schriften den Eindruck gewonnen, dass „der Zionismus nichts anderes ist als ein säkularisierter Messianismus des Judentums.“ Er betont noch einmal, dass Christus das Ende der jüdischen Hoffnung auf ein territoriales Israel sei. – Jasper, Versuch einer Sinndeutung, 134 u. 147. – Ben-Chorin selbst spricht von „den säkularisierten Formen des modernen jüdischen Messianismus“ im Zionismus (Ben-Chorin, Antwort, 110). 185 Jasper, Wandlungen, 40. – Auch abgedr. in ders., Gespräch. – S.a.. ders., Judenfrage, 209; und ders., Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. ders., Mission an Israel, 58: „Die innere geistige Lage der Judenheit des Staates Israel mit ihrem überspitzen Nationalismus hat die Stellung der Judenchristen, die sich zu einer judenchristlichen Allianz hier zusammengeschlossen haben, überaus schwierig werden lassen.“
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deutschen Theologen, die „vor und nach 1933“ (Wittenberg) nicht im Stande waren, einer nationalreligiösen Überhöhung Deutschlands zu wehren.
1.4.3 Der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) Der Deutsche Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel (DEADI)186 war in Folge der bereits 1947 eingeleiteten Zusammenarbeit verschiedener judenmissionarischer und karitativer Organisationen entstanden. Der Zentralverein kam am 9. Januar 1948 in Hannover mit weiteren, kleineren Einrichtungen darin überein, einen gesamtdeutschen Ausschuss ins Leben zu rufen, ohne jedoch die Selbständigkeit der einzelnen Organisationen in Frage zu stellen. Otto von Harling sah sich als Verbindungsmann zur Kirchenkanzlei der EKD und Gottfried Frohwein als Vertreter der bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Lutherische Judenmission. Offiziell und förmlich konstituierte sich der DEADI erst bei seiner Sitzung im Oktober 1948 in Darmstadt.187 Er verstand sich als deutscher Zweig des Israelkomitees im Internationalen Missionrat (IMR). Vorsitzender des DEADI war bis zu dessen Auflösung 1982 Karl Heinrich Rengstorf. Trotz der landeskirchenübergreifenden Ausrichtung des Ausschusses sollte der Charakter einer offiziellen Einrichtung der EKD bewusst vermieden werden.188 Die Verbindung zur EKD war eher locker und bestand vor allem über die Person von Harlings, der als Geschäftsführer und Schatzmeister fungierte. Die Ratsvorsitzenden Theophil Wurm bzw. Otto Dibelius fügten den Einladungsschreiben zu den ersten drei Studientagen nur wohlwollende Stellungnahmen bei. Man kann lediglich von einer „Zusammenarbeit mit der Kirchenkanzlei“ oder einem „Protektorat des Rates der Evangelischen Kirche“ sprechen.189 Bis zur Bildung der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (kurz Kirchentags-AG) 1961 bildeten DEADI und Zentralverein die wichtigsten überregionalen Gremien, die sich den Fragen des jüdisch-christlichen Gegenübers stellten.
186 Darstellung bei Hermle, Kirche, 205 – 213; und KJ 1953 (80/1954), 285 – 335, bes. 324 – 327. – Hermle, Kirche, 208 konstatiert, „daß die Arbeit dieses ,Ausschusses‘ im großen und ganzen in der Öffentlichkeit wie auch in den Kirchen weitgehend unbekannt blieb.“ Tatsache ist, dass man heute kaum noch über den DEADI spricht; damals wurde allerdings in verschiedensten Periodika über die Arbeit des DEADI, v. a. über die Studientagungen, berichtet. 187 Vgl. Rengstorf, Begegnung, 266 f. 188 So v. Harlings Memorandum vom 21. 3. 1950 (EKD, Protokolle, Bd. 4, 230). 189 KJ 1953 (80/1954), 324; und Jasper, Judenfrage, 218. – Der Rat der EKD hat in seiner Sitzung vom 8. 6. 1950 die lose Verbindung zum DEADI insofern bestätigt, als „er die weitere nebenamtliche Tätigkeit des Kirchenrats von Harling in verantwortlicher Funktion in dem Ausschuss für Dienst an Israel für wünschenswert hält“ (EKD, Protokolle, Bd. 4, 218). – Vgl. Hermle, Kirche, 209 – 213, bes. 211.
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Die Gründungstagung ,Kirche und Judentum‘ (1948): Als der DEADI vom 11. bis 16. Oktober 1948 zu seiner Gründungstagung in Darmstadt zusammenkam, ließ man sich von der fünf Monate vorher erfolgten israelischen Staatsgründung nicht das Gesprächsthema vorgeben. Das war auch nicht schwierig, da die Tagungsteilnehmer sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Lutherische Vertreter monierten, die EKD würde sich über den Ausschuss zu sehr in Sachen Judenmission engagieren und dabei vergessen, dass dies in erster Linie eine konfessionelle Aufgabe sei. Immerhin glaubten die Anwesenden, auf einer EKD-Veranstaltung zu sein.190 Zu den prominentesten Teilnehmern zählten Leo Baeck, der sich erstmals seit seiner Emigration wieder auf einer dreiwöchigen Deutschlandreise befand,191 sowie Hans Ehrenberg, Otto von Harling, Gerhard Jasper, Heinz Kloppenburg, Hermann Maas, Karl Heinrich Rengstorf und Martin Wittenberg. Als Höhepunkt empfand man neben dem Besuch des DP-Lagers Bensheim die Eröffnungsansprache des gastgebenden Kirchenpräsidenten Martin Niemöller.192 Hermann Maas führte in seinem Vortrag die schwierige Situation der Christen jüdischer Herkunft im Staat Israel vor Augen, deren Verhältnis zur Synagoge heute ähnlich problematisch sei wie zu Zeiten der Urgemeinde. Während der Heidelberger Kreisdekan den israelischen Staat an sich so gut wie nicht thematisierte und auch die anderen christlichen Redner die Existenz des jungen jüdischen Gemeinwesens ignorierten, war es für den jüdischen Referenten Leo Baeck selbstverständlich, in seinem Vortrag „Das Judentum auf alten und neuen Wegen“ darauf zu sprechen zu kommen. Den modernen Zionismus führte er auf die jüdische ,Renaissance‘ im 19. Jahrhundert zurück und ordnete ihn ein in die Bemühungen um eine innere Erneuerung des jüdischen Glaubens. Baeck bekannte sich zu „einer tiefen Liebe“ zum „Land Israel“, das aufgrund einer „Fügung der Vorsehung“ wieder zu einem Land der Juden geworden sei. Die dort lebenden Juden würden sich neu für die Bibel interessieren und seien deshalb auch für die Religion ihrer Väter aufgeschlossen. „Wer die Bibel hat, zu dem kommt heute oder morgen die Religion.“193 190 So J. Witts „Bericht über die Arbeitstagung Kirche und Judentum vom 11.–15. Oktober 1948 in Darmstadt“ vom 18. 10. 1948, Kopie (EZA, 2/5248 und ZAEKHN, 195/792). – Vgl. das Einladungsschreiben (LAELKB, III/51/1). 191 Zu Baecks Aufenthalt in der Bundesrepublik 1948 s. Homolka, Baeck, 75 – 77. 192 Zu Niemöllers Auftritt in Darmstadt vgl. Briefe Rengstorfs an Niemöller vom 12. 3. 1955 und vom 13. 1. 1982 (ZAEKHN, 62/684). – Niemöller referierte auch auch der DEADI-Tagung 1955 in Hildesheim. 193 Baeck, Werke 5, 45 f. – In der redaktionellen Einleitung (ebd., 35) wird der Vortrag auf 1949 datiert, wogegen archivalische Quellen auf 1948 verweisen (s. die Nachschrift in ZAEKHN, 155/ 792). Vgl. auch die Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Judaica (Ders., Judentum). – Ein Teilnehmer erinnert sich: „Einen weiteren Schritt in dem Gesundungsprozess des Judentums nennt Baeck die Vorgänge, die sich in Palästina vollziehen. Trotz mancher äusserlichen Fehlentwicklung sieht B[aeck] doch den Menschen dort von ,Jahrtausenden‘ wieder ergriffen. Das Kind wächst mit der Bibel auf, Worte der Bibel werden sogar von den Radikalisten gebraucht, so sind es die ,Jahrtausende‘ und ,die Bibel‘, die den Menschen in Palästina prägen.“ So J. Witts
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Die emotionale Verbundenheit der Israelis mit ihrem Land und der biblischen Geschichte, wertete Baeck als Ansatz eines religiösen Aufbruchs, den er offensichtlich selbst herbeisehnte. Ansonsten enthielt er sich einer theologischen Deutung des Zionismus, was lutherische Zuhörer unbefriedigend fanden. Ein teilnehmender Pfarrer äußerte den Wunsch, der DEADI sollte sich vermehrt mit chiliastischen Konzeptionen auseinandersetzen, in denen der Staat Israel ja eine spezifische Deutung erfahre. Martin Wittenberg war enttäuscht, dass Baeck nicht klipp und klar sagte, er würde „im politischen Zionismus das Wiederauftauchen alter Abwege Israels“ sehen.194 In seinem eigenen Redebeitrag konzentrierte sich Wittenberg ganz auf das Anliegen der Judenmission: „Wirkliche Christen werden die Eigenart der Juden verstehen und ihnen ihren köstlichsten Besitz, den Glauben an den Messias Jesus, nicht vorenthalten wollen.“195 Die zu Christus gekommenen Juden würden zusammen mit den ,Heidenchristen‘ das einzige und wahre Israel bilden. Ein Teilnehmer kommentierte, dass Wittenberg mit dieser Auffassung „nicht allgemeine Zustimmung“ fand.196 Die zweite Studientagung ,Kirche und Judentum‘ (1950): Auf der zweiten Studientagung vom 27. Februar bis zum 3. März 1950 in Kassel, an der u. a. Lothar Ahne, Hans Ehrenberg, Adolf Freudenberg, Johan Hendrik Grolle, Otto von Harling, Göte Hedenquist, Gerhard Jasper, Heinz Kloppenburg, Benjamin Locher, Gertrud Luckner, Fritz Majer-Leonhard und natürlich Rengstorf teilnahmen, wurde dem Staat Israel immerhin ein eigener Vortrag gewidmet. Ausgehend von „der schweren Schuld gegenüber der Judenschaft“ stand „diese Frage immer wieder im Hintergrund.“197 Der in Gauting lebende Schriftsteller Otto Freiherr von Taube versuchte am 2. März bei einem Kasseler Gemeindeabend, an dem auch Göte Hedenquist und Adolf Freudenberg198 sprachen, die Frage „Was geht das neue Israel uns Christen an?“ zu beantworten: „Menschen, welche die Bibel nicht für das Wort Gottes achten,
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„Bericht über die Arbeitstagung Kirche und Judentum vom 11.–15. Oktober 1948 in Darmstadt“ vom 18. 10. 1948, Kopie (ZAEKHN, 195/792). Wittenberg, Kirche und Judentum, 277. – Wie ein Aufsatz Wittenbergs aus dem Jahr 1968 zeigt, sammelte der Autor gerade Zitate von solchen jüdischen Intellektuellen, die dem Staat Israel kritisch gegenüber standen (s. ders., Der neue Staat, 115 – 117). Zmf. d. Pos. Wittenbergs im „Bericht [des sog. Redaktionsausschusses] über die Tagung ,Kirche und Judentum‘ in Darmstadt 11.–15. 10.48“, Kopie (ZAEKHN, 195/792). Witts „Bericht über die Arbeitstagung Kirche und Judentum vom 11.–15. Oktober 1948 in Darmstadt“ vom 18. 10. 1948, Kopie (EZA, 2/5248 und ZAEKHN, 195/792). O. Dibelius in der Einladung zur Studientagung, dok. bei: Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.11, 548; und Jasper, Land, 205. – Vgl. ders., Sinn der Wiederentdeckung, 453; Freudenberg, Studientagung; Hermle, Kirche, 224 – 235, bes. 231 f; und o.Vf., Das Gespräch. – S. a. Meldung „Die Kasseler Tagung ,Kirche und Judentum‘ eröffnet“, in: Epd.ZA Nr. 50 vom 28. 2. 1950. – Vgl. Teilnehmerliste, Kopie (LAELKB, III/51/1). Freudenberg referierte als Ersatz für den ursprünglich vorgesehenen H. Grüber. So das handschriftlich ergänzte Tagungsprogramm in EZA 2/5248.
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werden dem neugegründeten Staate Israel genau so gegenüberstehen wie der Gründung oder Erneuerung irgend eines Nationalstaates.“199 Bibelkundige Christen und orthodoxe Juden wüssten jedoch, dass sich das auserwählte Volk nicht den anderen Nationen gleichsetzen dürfe. Die Juden sollten ihre religiösen Ideen nicht mit nationalen austauschen, wie es im Zionismus der Fall sei, welcher das Begehren derer fortführe, die von Samuel einen König verlangten (1 Sam 8). Gleichwohl könne man die Staatsgründung auch in die Nähe der „Zeichen der Zeit“ bringen, welche das Weltenende ankündigten.200 Für den Referenten gab es der Heiligen Schrift zufolge drei solcher Zeichen: die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt (Mk 13,10), der große Abfall vom Glauben (2 Thess 2,3) und die Bekehrung der Juden zu Christus (Röm 11,26). Nun gebe es im Dunstkreis der Erweckungsbewegungen zahlreiche Autoren, welche die israelische Staatsgründung als Voraussetzung dafür werten würden, dass die im heiligen Land versammelte Judenheit den wiedergekommenen Christus als ihren Messias erkennen werde.201 Von Taube hielt dies durchaus für möglich, wollte sich jedoch nicht darauf festlegen. Der neue israelische Staat könne auch nur eine vorübergehende Erscheinung sein, die „in künftigen Kämpfen wieder verschwinden“ werde.202 Das klang so, als müsste sich Israel erst durch militärische Erfolge seine theologische Existenzberechtigung erkämpfen. Von Taubes Beitrag war jedenfalls ein Beispiel, wie behutsam formulierte heilsgeschichtliche Deutungen in das judenmissionarische Lehrgebäude eindrangen. Die dritte Studientagung ,Kirche und Judentum‘ (1951): Die vom 26. Februar bis 2. März 1951 abgehaltene dritte Studientagung des DEADI in Düsseldorf widmete sich ganz dem Thema „Der neue Staat Israel und die Christenheit“. Zu den Teilnehmern zählten u. a. Lothar Ahne, Hans Ehrenberg, Adolf Freudenberg, Günther Harder, Otto von Harling, Heinz Kappes, Gerhard Jasper, Heinz David Leuner, Benjamin Locher, Gertrud Luckner und Gerhard Stratenwerth.203 Es war Rengstorf im Vorfeld nicht gelungen, Martin Buber für ein Referat zu gewinnen: „Sie werden mir zubilligen, daß ich einen Eindruck davon habe, was es für Sie bedeuten würde, noch einmal nach Deutschland zu kommen, nachdem Sie 199 v. Taube, Israel, 96. – Zur Zeitschrift Saat auf Hoffnung vgl. Dobbert, Zionismus; Heinrichs, Judenbild, 496 f; und Kttler, Judenmission, 61 – 64. 200 v. Taube, Israel, 99. 201 So ebd., 101. – Diese Überzeugung ist auch in der evangelikalen Endzeitliteratur der Nachkriegszeit Konsens. Huy, Israel, 8 z. B. sieht in Ez 37 die Entstehung des Zionismus, die Staatsgründung und die Judenbekehrung als aufeinander folgende Vorgänge geweissagt, von denen nur noch der letzte ausstehe. Ez 37 prophezeit: „1. Die Gebeine kommen zusammen: Die Sammlung Israels aus den Völkern. 2. Es kommen Adern und Fleisch auf die Gerippe: Die Staatsgründung Israels im Land der Väter. 3. Es kommt der Odem, der Heilige Geist in sie: Die Bekehrung Israels zu seinem Messias.“ 202 v. Taube, Israel, 102. 203 So die Teilnehmerliste, Kopie (LAELKB, III/51/1). – Zum DEADI-Schreiben hinsichtlich der Wiedergutmachungsfrage s. Teil II, 1.6.2.
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unter so schmählichen Umständen dies Land Ihrer jahrzehntelangen Wirksamkeit haben verlassen müssen.“204 Den vorgesehenen Vortrag über „Israel – unser Land“ übernahm schließlich Wilhelm Weinberg. Diese Konferenz stand mehr als die vorhergehenden Zusammenkünfte „im Zeichen der Öffentlichkeit.“205 Der aus Düsseldorf stammende Bundesinnenminister Robert Lehr206, Vertreter der Landesregierung sowie der Landeshauptstadt unterstrichen die politische Bedeutung des christlich-jüdischen Austausches. Der EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius stellte der Tagung ein nur schriftlich vorgelegtes Grußwort voran, in dem er an die Synode von Berlin-Weißensee erinnerte und seine Hoffnung ausdrückte, dass die jetzige Tagung das Miteinander von Christen und Juden weiterhin fördern werde. Dabei schloss er eine Neubewertung heilsgeschichtlicher Theologumena nicht aus: „Grundlegende Einsichten in das Verhältnis von Weissagung und Erfüllung auf dem Boden der biblischen Offenbarung harren neuer Bearbeitung und Fruchtbarmachung.“207 Die Tagungsteilnehmer wollten gerade theologischen Aufgaben, die die israelische Staatlichkeit stellte, nicht ausweichen. Bei ihnen konnte die Überzeugung vorausgesetzt werden, dass die jüdische Nation kein Volk wie jedes andere sei. Die Frage war nur, „ob man im gleichen Sinne auch sagen könne: das Land Israel ist kein ,Land unter den Ländern‘, vielmehr kommt ihm eine sakrale Würde zu.“208 Hans Ehrenberg kam in seiner Bibelarbeit über verschiedene alttestamentliche Stellen zu dem Ergebnis, dass man nicht unbedingt sagen dürfe, die 204 Brief von K. H. Rengstorf an M. Buber vom 11. 3. 1950, in: Buber, Briefwechsel III, 240. – Der Grund für Bubers Absage lag offenbar darin, dass er noch kein Vertrauen zur deutschen Öffentlichkeit fassen konnte. Er war nur bereit, „in einem kleinen Kreis besonders eingeladener Menschen ein Gespräch zu führen“ (so K. H. Rengstorf an M. Buber vom 10. 7. 1950, in: Ebd., 256). Am 31. Januar 1951 sprach Buber schließlich auf seinem Weg nach London in Rengstorfs Wohnung über „Die Opferung Isaaks“ (so M. Buber an K. H. Rengstorf vom 19. 1. 1951, in: Ebd., 266). – Hansen, Schatten, 503 verwechselt Rengstorf mit Rendtorff und Münster mit Loccum, wenn er schreibt: „Buber wurde schon 1950 vom Direktor des evangelischen Institutum Judaicum Delitzschianum in Loccum, Rendtorff, zu einem Gespräch eingeladen, was er zunächst als verfrüht ablehnte, dann auf Drängen jedoch akzeptierte.“ 205 O.Vf., Der Staat Israel, 155. – Darstellung ferner bei Ahne, Staat Israel; Hermle, Kirche, 236 – 241; Jasper, Land; und Linz, Christen. – Vgl. Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 453; Meldung „Der neue Staat Israel und die Christenheit“, in: Epd.ZA Nr. 23 vom 27. 1. 1951; und „Bundesminister Dr. Lehr auf der Tagung „Israel und die Christenheit“, in: Epd.ZA Nr. 49 vom 27. 2. 1951. – S. a. das Foto in EvW 5 (1951), 208. 206 Vgl. Brief des Bundesministeriums des Innern an die Kirchenkanzlei vom 16. 2. 1951 (EZA, 2/ 5249). 207 O. Dibelius in der Einladung zur 3. Studientagung 1951 (EZA, 2/5249 und ZAEKHN, 155/792). – Mit dem „Wort zur Judenfrage“ der EKD-Synode von Berlin-Weißensee im April 1950 wurde von Seiten der EKD erstmals deutlich ausgesprochen, dass „Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben“ sei (Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.12, 548 f). Die Absage an den Antisemitismus war Folge dieser Einsicht. S. a. Oelke, Schuld, 11 – 13. 208 O.Vf., Der Staat Israel, 155. – Fast wortgleich bei Jasper, Land, 205.
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Wiederaufrichtung eines israelischen Staatswesens sei ein Zeichen der Endzeit. „Allerdings dürften wir auch nicht alle Vorgänge in die säkulare Ecke abdrängen wollen.“209 Den Vortrag über „Israel – Schnittpunkt der Weltgeschichte“ hielt der Schriftsteller Martin Beheim-Schwarzbach, der durch mythologische und religiöse Erzählungen sowie durch seine Übersetzung des Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ bekannt geworden war. Er sprach in Düsseldorf von Israel in seiner Doppelbedeutung als jüdisches Volk auf der einen und als neu gegründeter Staat auf der anderen Seite. Die Judenheit, wie sie in der Ahasver-Legende – den antijüdischen Hintergrund ignorierte der Referent– versinnbildlicht werde, sei kein Volk wie jedes andere, sondern stelle ein Geheimnis Gottes und eine Mahnung an das Christentum dar. Die Kibbuzim seien Anzeichen dafür, dass die Staatsgründung Israels eine ,Station‘ auf dem Weg zur Verwirklichung der ,messianischen Idee‘ sei, die sich in Frieden und Völkerverständigung manifestiere. Der israelische Staat sei folglich „der mythisch-politische Schnittpunkt, der jählings Realität geworden ist nach 2000 Jahren Galuth.“210 Damit meinte Beheim-Schwarzbach, dass in der Schaffung des jüdischen Staates die übernatürliche Welt – Religion und Mythologie – sowie der Bereich der Fakten und der irdischen Politik ausnahmsweise zusammenfielen. Während Theologen, die sich positiv auf die israelische Staatwerdung bezogen, diese in biblischen und damit überprüfbaren Kategorien interpretierten, entrückte Beheim-Schwarzbach, seinem novellistischen Schrifttum treu bleibend, ein punktuelles politisches Ereignis der Historie in eine nebulös-mythische Parallelwelt.211 Volkmar Herntrich, Mitglied des Rates der EKD, brachte in seinem Vortrag „Das Land der Verheißung“ die Position Martin Bubers in das Gespräch ein, indem er dessen kürzlich erschienenes Buch Israel und Palästina, dem zufolge das erwählte Volk nur im heiligen Land zu seiner Bestimmung kommen könne, einer kritischen Betrachtung unterzog.212 Herntrich hob hervor, dass selbst das Alte Testament seinen Schwerpunkt nicht auf die Heiligkeit des Landes lege, sondern auf die Preisgabe an Gott. Bubers Theologie des Landes sei abzulehnen, denn „diese jüdische Auffassung wäre ja Ersatz für unsere in den drei Artikeln unseres christlichen Glaubens niedergelegte Heilserwartung.“213 Für den hessischen Landesrabbiner Wilhelm Weinberg, welcher in seiner Rede „eine religiös-zionistische Position darlegte, stellte die israelische Staatsgründung zwar nicht die Erlösung, jedoch aber den „Beginn der Erlö209 Jasper, Land, 206; Zmf. d. Pos. v. H. Ehrenberg. 210 Ahne, Staat Israel, 222; Zmf. d. Pos. v. M. Beheim-Schwarzbach. – Vgl. Linz, Christen, 64. – Dieses Referat ist bei Hermle, Kirche, ausgelassen. 211 Zu seinem schriftstellerischen Werk s. Gçrtz, Beheim-Schwarzbach. 212 Vgl. Buber, Israel, 7: Es gehe bei der zionistischen Idee „nicht um ein Volk an sich, sondern um seine Verbindung mit einem Land, mit seinem heimatlichen Land.“ – Vgl. ebd., 11: „Wie das Volk, um sein volles Leben zu gewinnen, des Landes bedarf, so bedarf das Land des Volkes, um sein volles Leben zu gewinnen.“ 213 So Linz, Christen, 64; Zmf. d. Pos. v. V. Herntrich. – Vgl. Jasper, Land, 206.
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sung“ dar und sei dazu geeignet, „einen Juden unserer Tage zur Anbetung gegen Gott zu führen.“214 Bei der Gründung ihres eigenen Staates seien die Juden dem alten Traum der ,Sammlung der Zerstreuten‘ gefolgt, welche die biblischen Propheten verheißen hätten. Die christlichen Teilnehmer wollten nun von der christologisch ausgelegten Bibel her zu den vorgetragenen jüdischen Auffassungen Stellung nehmen. Rengstorf215 fragte in seinem Vortrag über das ,Alte und neue Jerusalem‘, wie die Entwicklungen im heiligen Land seit 1948 „mit Gottes Ziel“ in Verbindung stünden, „wie es die Heilige Schrift beider Testamente mit Jerusalem verknüpft sein läßt.“216 Er lieferte die Antwort gleich mit: Das Geschehen in und um Jerusalem habe hauptsächlich einen rein politischen Charakter und sei zu sehr von Unrecht geprägt, als dass man darin eine Erfüllung des göttlichen Heilsplans erkennen könne. Dem Referenten fehlte es im israelischen Gemeinwesen an völkerverbindender Menschenliebe und an einer religiösen „Hingabe, der der Dienst Gottes wichtiger ist als die Erfüllung der eigenen Wünsche“ in nationaler Hinsicht. Keineswegs wollte er vom ,hohen Ross‘ aus über Israel Gericht halten, tat es aber doch, indem er die eindringliche Frage den Israelis nicht ersparen zu können meinte: „Was tut ihr mit Gottes Land und mit Gottes Stadt?“217 Die Tagung endete mit dem Referat von Günther Harder über ,Die Zukunft Israels und die Zukunft der Kirche‘ anhand der Wiederkunftsreden Jesu und Römer 9 – 11 sowie mit einem christlich-jüdischen Rundgespräch.218 214 O.Vf., Der Staat Israel, 155; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. – Vgl. Jasper, Land, 206; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg; und Jasper, Die geistige Lage, 199. – Vgl. die Bezugnahme auf dieses Referat bei ders., Leid, 283; und ders., Zur Sinndeutung, 315. – In ders., Wandlungen, 33 hebt sich der Vf. kritisch von Weinberg ab. – Mit der Rede vom ,Beginn der Erlösung‘ griff Weinberg einen spezifischen jüdischen Terminus auf. S. a. Ravitzky, Messianism, 19 – 26. 215 Von Rengstorfs Referat abgesehen, wurden in den Periodika die Beiträge der Tagung nicht im Wortlaut, sondern nur in Zusammenfassungen wiedergegeben. Vgl. Hermle, Kirche, 236: „Da der geplante Abdruck der Vorträge in der Zeitschrift ,Saat auf Hoffnung‘ nicht zustande kam, können die Verhandlungen nur anhand einer Reihe von Berichten in Zeitschriften nachgezeichnet werden.“ 216 Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 147. – Nahezu identisch mit ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393. – Vgl. o.Vf., Der Staat Israel, 156. – Ein Vergleich zwischen dem in der „Evangelischen Welt“ abgedruckten Vortrag (Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes) und dem von L. Ahne für die „Junge Kirche“ erstellten Tagungsbericht (Ahne, Staat Israel, 224 f) zeigt, dass sich letzterer hauptsächlich für die Bedeutung Jerusalems in der neutestamentlichen Offenbarungsgeschichte und weniger für aktuelle politische Zusammenhänge interessierte. Dem folgt Hermle, Kirche, 237 f. Auch Jasper, Land, 206 handelt den Rengstorf-Vortrag kurz ab und legt seinen Schwerpunkt auf das Referat von V. Herntrich. Dass demgegenüber die „Junge Kirche“ später ausschließlich Rengstorfs Ausführungen über das heutige Jerusalem und den neuen Staat Israel dokumentierte (Rengstorf, Zum 10. Sonntag nach Trinitatis), lässt erkennen, dass die Redaktion der „Jungen Kirche“ auf die politischen Implikationen einen größeren Schwerpunkt legte. 217 Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 148; und ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393. 218 Als G. Harder zehn Jahre später auf diese Tagung zurückblickte, relativierte er die in juden-
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Auffallend ist, dass man sich in Düsseldorf trotz der eindeutigen Themenstellung mehr für das christlich-jüdische Gegenüber als für den Staat Israel interessierte. Das zeigt auch der Bericht in der Zeitschrift Friede über Israel, welcher die Existenz des Staates Israel nur in den wenigen Zeilen streifte, in denen das Referat von Weinberg zusammengefasst wurde.219 Die Frage, ob diesem Gemeinwesen nun eine sakrale Würde zukomme, konnte in Düsseldorf nicht explizit beantwortet werden. Während Beheim-Schwarzbach das Ereignis von 1948 als mythisches Geschehen einzuordnen versuchte, wollte Rengstorf das israelische Staatswesen aufgrund der nationalpolitischen Ausrichtung nicht mit dem Heilsplan Gottes in Verbindung bringen. Letztlich mussten viele Fragen „unbeantwortet bleiben, so daß hier seitens der evangelischen Theologie noch ein gut Stück Arbeit zu leisten sein wird.“220 So lag die Bedeutung des Treffens vornehmlich darin, das zeitgenössische Judentum in den Blick von evangelischer Kirche und Theologie gebracht zu haben. In Bezug auf eine intensivere Wahrnehmung des israelischen Staates blieb man gegenüber den Erwartungen zurück. Wäre Hermann Maas, der 1950 als erster Deutscher in Israel gewesen war, auf die Tagung gekommen, hätte er von seinen Reiseeindrücken berichten können, deren heilsgeschichtliche Konnotationen freilich nicht auf der Linie des DEADI gewesen wären. Aus dem Ausland hätte vielleicht sogar ein jüdischer Kenner des jungen Staates anreisen können. So konnte mit Landesrabbiner Weinberg nur ein einziger jüdischer Referent die Position des Judentums vortragen. Die vierte Studientagung ,Kirche und Judentum‘ (1952): Die vierte Tagung, bei der bereits „jeder Hinweis auf eine Verbindung mit der EKD fehlte“221, beschäftige sich vom 3. bis zum 7. März 1952 in Ansbach mit dem ,Menschen in christlicher und jüdischer Sicht‘. An der Konferenz, zur welcher die Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission in Bayern den Ausschuss eingeladen hatte, nahm diesmal wieder Hermann Maas teil, ohne allerdings zu referieren.222 Die Tagung begann mit einem Vortrag des liberalen Protestanten Erich Lüth, des Direktors der Staatlichen Pressestelle in Hamburg, der in seinen Ausführungen anmerkte, dass eine bloße „formale Wiedergutmachung“ an den Juden unzureichend sei; es müsse „eine von Herzenskräften getragene Tat der Liebe“ hinzukommen.223 Der Hamburger Protestant gab sich
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missionarischen Kreisen übliche Problematisierung des jüdisch-israelischen Patriotismus: „Man hat [im Staat Israel] einen selbstverständlichen Nationalstolz, und dennoch ist dieser Nationalismus qualitativ von jedem anderen unterschieden“ (Harder, Christen, 120). So Grillenberger, Der neue Staat Israel. O.Vf., Der Staat Israel, 155. Hermle, Kirche, 242. – Vgl. ebd., 241 – 248; KJ 1953 (80/1954), 308 f; Linz, Mensch; und o.Vf., Was ist der Mensch? – Demgegenüber ging G. Harder noch von einer „Tagung des Ausschusses der EKD“ aus (Harder, Ansbach, 107 [Untertitel]). Vgl. die Anmeldung Maas’ zur Studientagung vom 14. 1. 1952 (EZA, 2/5251). O.Vf., Was ist der Mensch?, 207; Zmf. d. Pos. v. E. Lüth. – Vgl. Ahne, Kirche, 202; o.Vf., Der
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kämpferisch: „Wir müssen auch gegen unsere Regierung protestieren, wenn sie nicht genug an Wiedergutmachung leistet.“224 Lüth war durch seine 1951 lancierte Aktion Friede mit Israel225 bekannt geworden, welche vom Ausschuss theoretisch, aber nicht praktisch unterstützt worden war. Lüths jetziger Vorschlag, der DEADI sollte bei der EKD den Antrag stellen, eine Kollekte zugunsten der neuen Aktion des Hamburgers, der ,Ölbaumspende‘ auszurufen, wurde von Rengstorf positiv aufgenommen, da er trotz seiner lutherisch-theologischen Standfestigkeit in politisch-humanitären Dingen progressiv handeln konnte.226 Lüth hielt die Mithilfe beim Aufbau des israelischen Staates für ein Zeichen eines deutschen Neufangs: „Die Oelbaumspende soll ein Tatbeweis dieser geschehenen Wiedergeburt sein. Dieses Werk soll den Juden die Gewissheit geben, dass die Mörder nicht mehr unter uns sind.“227 Allerdings wurde Rengstorfs Bestreben, ein konkretes Zeichen der Versöhnung zu setzen, vom Schatzmeister des Ausschusses, Otto von Harling, untergraben. Bereits Ende 1951 hatte er Zurückhaltung empfohlen, gerade wenn es darum gehe, die EKD-Spitze zu etwas bewegen zu wollen.228 Der lutherische Oberkirchenrat, der als Jurist in der Kirchenkanzlei der EKD arbeitete, sah in einem öffentlichen Eintreten der EKD für die Ölbaumspende eine undurchsichtige und zu vermeidende Vermengung von Kirche und Politik, da ein solches Eintreten bedeuten würde, dass die Kirche einem fremden Staatswesen materielle Hilfe zukommen lassen würde. Lüths Antrag wurde dann auch vom Ausschuss abgewiesen. Immerhin spendeten die in Ansbach Anwesenden fast 200 DM für einen noch zu pflanzenden ,Ansbachhain‘ in Israel.229 Wenige Wochen nach der Ansbacher Tagung versuchte Rengstorf noch einmal Lüths Aktion zu protegieren. Rengstorf bat die EKD-Kirchenkanzlei darum, wenigstens die Landeskirchen von der Möglichkeit einer Ölbaumspende in Kenntnis zu setzen.230 Daraufhin wies von Harling Rengstorf energisch auf den Beschluss des Ausschusses hin, wonach man mit dem Hinweis
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Mensch; und Jasper, Wiedergutmachung, 6 f. – S.a. Meldung „Gegen den Antisemitismus darf kein Mensch neutral bleiben“, in: Epd.ZA Nr. 54 vom 4. 3. 1952. Zusammenfassung von E. Lüths Vortrag in „Bericht über die 4. Studientagung über Kirche und Judentum in Ansbach am 3.–7. März 1952“ (LAELKB, III/51/1). Vgl. dazu Hansen, Schatten, 113 f; und Stern, Auschwitz, 323 f. Bachmann, Rengstorf, meint, dass Rengstorfs Mitgliedschaft in der SPD und seine Lektüre des Magazins „Der Spiegel“ Ausdruck einer für damalige Verhältnisse fortschrittlicheren Gesinnung sei. – Zur Ölbaumspende: Die im Januar 1952 begonnene Spendenaktion zur Pflanzung von Ölbäumen im Staat Israel „war in dieser Form einmalig in der jungen Bundesrepublik Deutschland“ (Foschepoth, Vergangenheit, 174). – Vgl. Sywottek, Lüth, 124 f. Zusammenfassung von Lüths Vortrag in „Bericht über die 4. Studientagung über Kirche und Judentum in Ansbach am 3.–7. März 1952“ (LAELKB, III/51/1). So Brief v. Harlings an Rengstorf vom 7. 11. 1951, Kopie (LAELKB, III/51/1). – Rengstorf selbst stand dem Engagement Lüths grundsätzlich positiv gegenüber (so Brief Rengstorfs an v. Harling vom 6. 9. 1951, EZA, 2/5250). So Ahne, Kirche, 202. So DEADI (Rengstorf) an Kirchenkanzlei vom 28. 3. 1952 (EZA, 2/5251).
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auf die Möglichkeit einer Spende nur an die Presse, aber nicht an die Kirchenkanzlei herantreten wollte. Denn die Kirchenkanzlei müsse, so von Harling, „mit der Befürwortung von Kollekten ausserordentlich zurückhaltend sein“ und könne nur Projekte von gesamtkirchlichem Interesse bedenken.231 Somit hatte von Harlings Widerstand den DEADI um die Gelegenheit gebracht, bereits 1952 ein humanitäres Zeichen des kirchlichen Versöhnungswillens zu setzen. Die Bedeutung des DEADI lag insgesamt darin, dass er bereits in den frühen Nachkriegsjahren ein Forum bot, in dem ohne das Vorzeichen der antisemitischen Rassenlehre232 über das Judentum informiert und eine theologische Selbstvergewisserung gesucht wurde sowie jüdische Gelehrte vor einem evangelischen Publikum ihre Sicht der Dinge darlegen konnten. Gegenüber der NSZeit war das ein Fortschritt. Somit zeigten sich bei der Arbeit des DEADI erste, positiv zu würdigende Ansätze einer christlichen Neubeschäftigung mit dem Judentum. Gleichwohl blieb die Tendenz erhalten, zwar nicht rassistisch, sondern theologisch vom „hohen Ross“ (Rengstorf) herab die Juden zu inferiorisieren, weil man selbst über den Heilsplan Gottes genau Bescheid zu wissen meinte. Auffallend ist, dass sich Rengstorf mit der Existenz des Staates Israel und seiner möglichen Bedeutung für die Theologie schwer tat. Trotzdem sollte man im Schatten der erst 1961 entstandenen KirchentagsAG die Bedeutung des DEADI nicht unterschätzen.233 Zwar stimmt es, dass sich der DEADI in den 1950er Jahren deutlich vom politischen Engagement der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit abgrenzte, bei deren Eintreten für Toleranz er die theologische Wahrheitsfrage vermisste.234 Aber es ist zu pejorativ formuliert, wenn es heißt, dass erst die Kirchentags-AG „einen entscheidenden Anfangspunkt des Gesprächs zwischen Juden und Christen nach dem Zweiten Weltkrieg“ gesetzt habe.235 Denn wie soll man in einem sich fortentwickelnden Geschichtsverlauf, in dem frühere Ereignisse die späteren bedingen, eindeutig bestimmen können, welcher Anfangspunkt 231 Brief v. Harlings an Rengstorf vom 10. 5. 1952 (EZA, 2/5251). – Hermle (Kirche, 247 f) weiß nur vom Brief Rengstorfs an die Kirchenkanzlei, nicht jedoch von v. Harlings zurechtweisender Antwort vom 10. 5. – Zum weiteren DEADI-Vorgehen hinsichtlich der Wiedergutmachungsfrage s. Teil II, 1.6.2. 232 Die Proponenten der Judenmission vertraten keinen primären Antisemitismus. Gleichwohl äußerten sie Motive eines sekundären Antisemitismus, indem sie den politischen Zionismus in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie brachten. 233 Das geschah, als M. Kock anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des EKiR-Synodalbeschlusses schrieb, dass die Erneuerung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen vornehmlich von zwei Gruppierungen vorangetrieben worden wäre, „den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ (Kock, Annäherung, 49). – Obwohl H. Oelke das Schuldbekenntnis der EKD-Synode von Berlin-Weißensee 1950 als „Standard“ würdigt, „der fortan nicht mehr unterschritten wurde“, sieht er theologische „Neuansätze“ im christlich-jüdischen Dialog auch erst in Folge der Gründung der Kirchentags-AG (Oelke, Schuld, 13 u. 16). 234 So Jasper, Fünfte Studientagung, 121. 235 Redaktionelle Einleitung zu o.Vf., Absage, 43.
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,entscheidend‘ war und welcher als irrelevant zu gelten hat? Viele Mitglieder der späteren Kirchentags-AG nahmen seit 1948 regelmäßig an den DEADITagungen über ,Kirche und Judentum‘ teil, und gerade junge Menschen konnten hier erstmals „einen wirklichen Juden sehen und reden hören.“236 Zudem wurde ein missionarischer Grundtenor im Laufe der Jahre für die Arbeit des Ausschusses immer weniger konstitutiv. Günther Harder würdigte diese Zusammenkünfte 1961 ausdrücklich als ,Gespräch‘, nachdem bereits die Initiatoren und Referenten der Studientagungen davon ausgingen, dass der Sinn der Begegnungen nicht darin liege, „einander zu überreden und überzeugen, sondern einander zu verstehen.“237 Auch Peter von der OstenSacken konzedierte den Tagungen des DEADI „die ersten tastenden Versuche eines anderen theologischen Zugangs auf das jüdische Volk.“238 Vom grundlegenden Bekenntnis zu Christus als dem einzigen Heilsmittler konnte und wollte der DEADI freilich nicht abweichen. Erst die Konfrontation im ,Purim-Streit‘ seit 1963 führte zu einer Trennung zwischen den in der Kirchentags-AG und im DEADI engagierten Personen und ließ in den Augen der ,Fortschrittlichen‘ den DEADI als eine Sammlung unbelehrbarer Konservativer zurück.239
1.5 „Präludium“ der messianischen Zeit: Die ,progressiven‘ Stimmen 1948 und danach gab es auch Bewertungen der israelischen Staatwerdung, die von den bisher geschilderten Haltungen abwichen und damit Positionen vorwegnahmen, die in größerem Ausmaß erst ab 1958 populär wurden. Diese Stimmen können deshalb als ,progressiv‘ bezeichnet werden, auch wenn deren Vertreter nicht in allem ,links‘ waren. Ich werde exemplarisch auf Kurt Scharf und insbesondere auf Hermann Maas eingehen.
1.5.1 Kurt Scharf Als einer der wenigen, die später in der Führung der EKD tätig sein sollten, bezog Propst Kurt Scharf, Leiter der Abteilung Brandenburg im Konsistorium 236 Harder, Christen, 111. – H. Kremers jedenfalls wusste 1980 noch den DEADI zu würdigen: Dessen „Tagungen, von denen einige auch im Bereich der rheinischen Kirche stattfanden, haben dem christlich-jüdischen Dialog in Deutschland die ersten entscheidenden Impulse gegeben und stellen u. W. auch den Beginn des Lernprozesses in der rheinischen Kirche dar“ (Kremers, Weg, 85). 237 Jasper, Gespräche. 238 v. der Osten-Sacken, Weg, 9. 239 Vgl. Stçhr, Ökumene, 293. – Zum Purim-Streit s. Teil II, 2.3.1.
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Der Staat Israel als Störfaktor der Mission (1948 – 1957)
der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, zur israelischen Staatsgründung Stellung. Spätestens mit dem Kirchenkampf hatte seine Theologie eine endzeitliche und biblizistische Note erhalten, ohne freilich die Berechtigung der historisch-kritischen Exegese abzustreiten.240 Sein linkspolitisches Engagement, durch das er in den 1970er Jahren zum ,roten Bischof‘ in der SpringerPresse avancierte, entsprang genauso einer biblizistisch-eschatologischen Schriftauslegung wie seine theologische Deutung des Staates Israel. Später bekannte er, dass ihn die heilsgeschichtliche Rolle „des modernen Israel“ bereits als Schüler beschäftigt habe.241 In Scharfs Nachlass befinden sich etliche pietistische Broschüren und Hefte aus der Zeit um 1950, die zeigen, dass er mit der Auffassung vom Staat Israel als Zeichen der Endzeit vertraut war.242 Bereits im Sommer 1948 griff Scharf in einem Periodikum mit dem treffenden Titel Zeichen der Zeit das Ereignis der Gründung des Staates Israel auf, der zwar abgeschieden „in einem Winkel der Erde“ liege, trotzdem „gegenwärtig ein Zentrum der Weltpolitik“ bilde. Das sei das Rätselhafte daran, dass gerade die Juden, die mehr als nur ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft seien, dieses Staatswesen ins Leben gerufen hätten. Dass die Juden jahrtausendelang als soziale Einheit überlebt hätten, könne neben dem Auftreten des Gottessohnes und der Existenz der Kirche als das „einzige göttliche Wunder der Geschichte von Dauer“ angesehen werden. Mit dem Idealismus, den die Juden beim Aufbau ihres jungen Staates an den Tag legten, würden sie die Klischeevorstellungen der NS-Zeit ein für allemal widerlegen: „Sie, von denen man sagt, sie scheuten die harte körperliche Arbeit, verwandeln die Wüste durch geniale Anbaumethoden in wogende Kornfelder.“ An dieser ,Wiedergeburt der Nation Gottes‘ versagten alle bisherigen Deutungsversuche: „Hier bleibt nur eine Deutung: die prophetisch-apokalyptische der Heiligen Schrift selbst.“ Könnte dieses Geschehen „nicht das augenfälligste ,Zeichen der Zeit‘ sein unter denen, die die heilsgeschichtliche Weissagung uns angekündigt hat? Durch die Gefolgsleute der Widermacht läßt der Herr sein Volk zusammentreiben an den Ort, an dem er es antreffen will bei seiner Wiederkunft! […] Ist dem so, dann wäre die Frage ,Israel und Palästina
240 So Zimmermann, Scharf, 40 f; und Berg, Kurt Scharf. – K. Scharfs Apokalyptik war seinen Zeitgenossen bekannt, führte sie doch z. B. im Fall H. Kloppenburgs zum Monitum, Scharfs „apokalyptische Grundauffassung“ würde den Propst daran hindern, die DDR „gerecht“ (d. h. positiv) zu beurteilen. So Kloppenburg, Bericht über mein Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser in Ostberlin am 13. 10. 1961, S. 2 (ZAEKHN, 62/640). 241 Scharf, Eindrücke, 3: „Ich darf sagen, daß mich das Problem des modernen Israel als ein Problem der Heilsgeschichte Gottes und als eine Frage an Theologie und Kirche vor vielen anderen Fragen seit meiner Schülerzeit beschäftigt hat.“ – Bzgl. des Verweises auf die Schulzeit kann mit ,modernem Israel‘ nur das zeitgenössische Judentum gemeint sein; vom Kontext her denkt der Leser allerdings an den Staat Israel, sodass Scharfs Wortwahl auch hier zwischen beiden Bedeutungen changiert. 242 So LABB 38/401.
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– heute‘ nicht nur eine Frage von höchster weltpolitischer Bedeutung, sondern eine Frage des Heils, ein Signal Gottes an seine Schöpfung.“243
Scharfs Ausführungen zeigen, dass er die israelische Staatlichkeit als einen ,Beweis‘ dafür ansah, dass sich die klassische Deutung selbst widerlegt hätte, wonach die Land- und Rückkehrverheißungen aufgehoben seien. Indem er in diesem Zusammenhang von der Wiederkunft Christi sprach, reihte er sich in diejenigen ein, die die Staatsgründung als ein Zeichen der Endzeit werteten. Daneben enthielt der Aufsatz des Berliner Propstes noch einen geschichtstheologischen Bewältigungsversuch des Dritten Reiches, da Gott die erneute Sammlung seines Volkes durch die antichristliche ,Widermacht‘ der Deutschen in die Wege geleitet hätte. Ohne Israel selbst bereist zu haben blickte Scharf ehrfurchtsvoll auf den dortigen Aufbau des Landes und nahm damit schon die Impressionen vorweg, von denen Hermann Maas überwältigt war, als er den Boden des jüdischen Staates erstmals betrat. Nachdem Scharf seinen enthusiastischen Beitrag von 1948 unter dem unmittelbaren Eindruck eines Geschichtsereignisses verfasst hatte, äußerte er sich in den darauf folgenden Jahren nicht mehr in solcher Deutlichkeit zu diesem Thema, wenn er sich auch in den Grundzügen theologisch und politisch treu blieb. Womöglich resultierte aus seinem Hineinwachsen in kirchenleitende Aufgaben und aus der volkskirchlichen Skepsis gegenüber heilsgeschichtlich-chiliastischen Konzeptionen, dass Scharf in dieser Hinsicht zurückhaltender wurde.
1.5.2 Hermann Maas Neben Scharfs Vorstoß ist vor allem das Wirken von Hermann Maas zu nennen, der ab 1946 als Heidelberger Kreisdekan fungierte und 1956 die Amtsbezeichnung ,Prälat‘ erhielt. Bereits kurz nach der Jahrhundertwende hatte er sich in einer singulären „Verbindung von Zionismus und liberaler Theologie“244 als ,christlichen Zionisten‘ bezeichnet. So wie Martin Niemöller im Blick auf den Kirchenkampf zu einer Symbolfigur wurde, so personifizierte Maas zusammen mit Heinrich Grüber das moralisch integre Verhalten gegenüber den Juden im nationalsozialistischen Regime. Der philosemitisch geprägte Maas nahm 1903 am 6. Zionistenkongress in Basel teil, also an der Zusammenkunft, bei der Theodor Herzl zum letzten Mal erschien und bei dem die Idee abgewiesen wurde, den ,Judenstaat‘ in Uganda und nicht in Palästina zu gründen. „Dort wurde ich Zionist“, schrieb Maas über Basel und sollte der dort gewonnenen ,Zionsliebe‘ ein Leben treu blei243 Scharf, Israel und Palästina, 275 u. 277 f. – Vgl. Manuskript und Korrekturfahnen in: LABB, 38/261. – Dieser Beitrag wurde auch im ,christlich-zionistischen‘ Evangelikalismus rezipiert. S. a. May, Israel, 87 f. 244 Geiger, Maas, 182.
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ben.245 Bereits 1933 hielt sich Maas mehrere Monate in Palästina auf, „um für die Rückkehr des jüdischen Volkes in die Heimat mitarbeiten zu können.“246 Für eine Sitzung des Theologischen Ausschusses zum Studium der Judenfrage der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche am 22. Februar 1937 hatte Maas eine Thesenreihe vorbereitet, in der er die zionistische Bewegung sogar als „eine endzeitliche Bewegung im christlichen Sinne“ bezeichnete.247 Damit schrieb er dem Zionismus eine Rolle im Heilsplan Gottes für das jüdische Volk zu. Auch wenn Maas von seinem Wesen und seiner Bildung her nicht die schwärmerische Romantik des anglikanischen HerzlGefährten William H. Hechler teilte, so finden sich doch beim Heidelberger manche Charakteristika eines ,christlichen Zionisten‘.248 Kreisdekan Hermann Maas war der erste christliche Deutsche, der offiziell vom Staat Israel zu einem Besuch im Land eingeladen und empfangen wurde, was eine gewisse Auszeichnung bedeutete.249 Seine Empfindungen der Reise vom 22. März bis zum 22. April 1950 drückte der 72-Jährige in einem Buch 245 Maas, Anwalt, 26. – Vgl. Kappes, Vorwort, in: Maas, Rachels Kinder, 5. – Zu Maas s. zudem Noss, Maas; Pragai, Land, 246 – 248; Rçhm/Thierfelder, Juden 2/1, 127 – 135 u. 289 – 292; und Zeiß-Horbach, Antisemitismus, 397 – 416. – Nach Ben-Chorin, Jerusalem, 116 soll Maas auch mit dem Gedanken gespielt haben, zum Judentum zu konvertieren. 246 Siegmund-Schultze, Versöhnung, 293. – Maas und Siegmund-Schultze kannten sich seit spätestens 1935 durch die Arbeit des „Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“, dessen Sekretär Siegmund-Schultze war. 247 Zit. bei: Rçhm/Thierfelder, Juden 2/1, 292. – Zu den theologischen Stellungnahmen von Maas von 1936 und 1937 s. a. Zeiß-Horbach, Antisemitismus, 405 – 409. – Seine Zuneigung zum Jüdischen machte Maas gegen den Antisemitismus immun; in seinem Pfarrhaus nahm er während der NS-Zeit hilfesuchende ,Nichtarier‘ auf. Der Rabbiner R.R. Geis zählte ihn bereits vor 1945 zu seinen Freunden. So Brief von R. R. Geis an K. Barth vom 6. 11. 1945, in: Geis, Leiden, 106; Brief von H. Kappes an R. R. Geis vom 8. 7. 1950, in: Ebd., 119; und Brief von H. Maas an R. R. Geis vom 30. 12. 1949, in: Ebd., 113 f. 248 Das kam wahrscheinlich daher, dass seine liberale theologische Grundhaltung durch die Hochschätzung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystik ergänzt wurde. Vgl. dazu Geiger, Maas, 184. – Zu Hechler und dem sog. ,christlichen Zionismus‘ s. Gronauer, Hechler. 249 Maas, Skizzen, 1 spricht davon, dass er „als erster Christ aus Deutschland nach all dem furchtbaren Geschehen nach Israel geladen war.“ – Vgl. Meldungen in: EvW 4 (1950), 352; und in: JK 11 (1950), 259. – S.a. Ben-Chorin, Jerusalem, 116; Hansen, Schatten, 113 f. u. 377; Hausner, Justice, 250; Keller/Lohrbcher/Marggraf, Versöhnung, 109; Pragai, Land, 248; und Siegmund-Schultze, Versöhnung, 293. – Bei Jelinek, Deutschland, 40 ist fälschlich von „Dekan Heinrich Maas“ die Rede; richtig ist dagegen auf S. 41 der Hinweis auf „Kreisdekan Hermann Maas“. Unzutreffenderweise hält Jelinek Maas jedoch für einen Emissär des katholischen „Vereins vom Heiligen Lande“ (vgl. auch ebd., 201). – Der Kölner Prälat Meiners, der nach Stier, Staat Israel, 351 „als erster Deutscher“ in Israel war, reiste nicht mit einem deutschen, sondern mit einem vatikanischen Pass nach Israel ein. – Es ist nicht plausibel, wieso Roser, Protestantismus, 191 im Blick auf F. Böhm von der „erste(n) offizielle(n) Reise eines Deutschen nach Israel“ spricht, wo er doch auf S. 169 zutreffend schreibt, dass Maas „als erster Deutscher eine offizielle Einladung nach Israel“ erhielt. – Auch E. Lüth war nicht der erste Deutsche in Israel, wie hin und wieder zu lesen ist. S. a. Sywottek, Lüth, 125: „Als ,erster deutscher Christ‘ erhielt er [d. h. E. Lüth, GG] 1953 eine ,Einreisegenehmigung‘ nach Israel, wie eine israelische Zeitung damals schrieb.“ – Vgl. Lth, Hamburger, 106 f.
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aus, das schon auf der erste Seite den Akzent darauf setzte, dass es sich bei Israel um das Land handele, „das sich Gott für seine größten Taten erwählt hat.“ Weil der Staat Israel von keinem westdeutschen Flughafen aus angeflogen wurde, stieg der Heidelberger in Zürich einer El-Al-Maschine zu. Nach der Landung in Lod überkam ihm das „Gefühl, nun auf geheiligtem Boden zu stehen.“ Vertreter der israelischen Regierung holten ihn am Airport ab und brachten ihn nach Tel Aviv. Bei Maas’ Israelaufenthalt handelte es sich nicht um einen privaten Individualtourismus, sondern um eine geführte Reise durch israelische Regierungsbeauftragte. Diese gingen davon aus, dass Maas den Aufbau des israelischen Gemeinwesens zu Hause positiv darstellen und damit einen Beitrag zur Entnazifizierung leisten werde. Der Kreisdekan selbst spürte angesichts des Fortbestehens antisemitischer Ressentiments die Verpflichtung, „unsre Jugend auf neuen Wegen zu führen.“250 In der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung galt Maas nach der Rückkehr aus Israel dann auch als „ein guter Botschafter Deutschlands.“251 Bei seiner mehrwöchigen Reise interessierten den Heidelberger vornehmlich die Orte, an denen heutige Juden zu Hause waren. Während Maas in seinem Bericht das pulsierende Leben Tel Avivs ausführlich zu loben wusste, widmete er dem Sachverhalt, dass die Araber aus Jaffa „jetzt die Stadt verlassen mußten“, nur einen Halbsatz. Während viele deutsche Städte noch in Schutt und Asche lägen, gedeihe Tel Aviv prächtig: „Haben wir nicht ein Recht, Gottes Lenken auch in diesem furchtbaren Wechsel zu sehen?“, fragte der Kreisdekan und bediente sich einer Geschichtstheologie, welche die göttliche Strafe an den Deutschen mit dem gesegneten Aufblühen der Israelis kontrastierte. Als Maas die blühenden Landschaften der Scharon-Ebene und des oberen Jordantales erblickte und ihr Erscheinungsbild mit den Eindrücken verglich, die er 17 Jahre zuvor gemacht hatte, begannen sich für ihn biblische Verheißungen wie Jesaja 35,1 f zu erfüllen. Dabei versuchte er einerseits sich davor zu hüten, die Demarkationslinie zur ,schwärmerischen‘ Apokalyptik hin zu überschreiten. Andererseits machte er gegenüber Proponenten der klassischen Sichtweise deutlich, dass man es im Land Israel bereits mit Vorerfüllungen eschatologischer Ereignisse zu tun habe: „Gewiß sind diese Verheißungen messianische Bilder, die auf die letzten Tage und einen neuen Aeon hinweisen. Aber was hier geschieht, ist doch schon ein Präludium.“252 Die Heilige Schrift war für Maas weniger ein Kursbuch künftiger Geschichtsstationen, als vielmehr ein Reiseführer, ja ein ,Baedeker‘ im Blick auf Vergangenes und Gegenwärtiges. Das gesellschaftliche Zusammenleben der Israelis führte Maas zu der Überzeugung, „daß von Israel noch viele Impulse ausgehen werden für die soziale Gestaltung des Lebens.“ In den Kibbuzim habe sich ein neues, soli250 Maas, Skizzen, 1. 3 u. 43. 251 Zit. bei: Meldung „Ein guter Botschafter Deutschlands“, in: Epd.ZA Nr. 99 vom 2. 5. 1950. 252 Maas, Skizzen, 4 u. 34.
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darisches Leben im Kollektiv herausgebildet, das eine Verwirklichung der jesuanischen Nachfolge- und Verzichtsethik sei: „Wenn wir der Sache einen Namen geben wollten, müßte ich mir außer vielen Stellen im Alten Testament vor allem auch Bilder aus der Urgemeinde des Neuen Testaments heranziehen.“253 Unter den Gemeinschaftssiedlungen, die Maas aufsuchte, blieb Dganya (Degania) am See Genezareth am eindrücklichsten in Erinnerung. In der Karwoche fuhr Maas zusammen mit einem Regierungsbeamten von Tel Aviv ,hinauf‘ nach Jerusalem. Der ernüchternde Straßenlärm konnte nicht verhindern, dass die ,Stadt der Verheißung‘ den Kreisdekan berührte: „Es ist etwas Unfassliches, sie wieder sehen zu dürfen […] Irgendwie gehört mein Herz und Leben dieser Stadt.“ Der Gang durch die transjordanisch verwaltete Altstadt war Maas und seinem israelischen Begleiter verwehrt. Durch das Hinnomtal bestiegen sie den Berg Zion, um zu der Stelle zu gelangen, von der aus man die Klagemauer sehen konnte. Viele Juden waren auf diesem Hügel versammelt, da sie ihrem Heiligtum nicht näher kommen konnten – für Maas ein Beispiel dafür, dass ,die Gefangenen Zions‘ noch nicht erlöst seien (Ps 126,1). Aber auch der Anblick verlassener arabischer Dörfer auf der Fahrt von Tel Aviv nach Beerscheba betrübte die Stimmung des Kreisdekans: Das Elend der arabischen Flüchtlinge, die „heute in ihren Lagern im Osten schmachten“, sei „ein unsagbar trauriges Menschenschicksal.“ Maas teilte die Einschätzung seiner israelischen Begleitperson, dass die Vertriebenen Opfer der arabischen Propaganda gewesen seien, sodass man sich davor hüten müsse, „den Juden die Schuld an diesem Schicksal aufzubürden.“ Dass aber trotzdem Araber in Israel wohnen bleiben konnten, rechnete Maas der israelischen Friedensbereitschaft zu. So verteidigte der Kreisdekan die zionistische Bewegung vor dem Verdacht des ,Chauvinismus‘ und sprach vom Recht der Juden auf ,Sammlung der Zerstreuten‘. Auch diese sei ein ,Präludium‘ der messianischen Zeit: „Diese Sammlung soll dem viel Größeren vorangehen, das wir heute noch nicht fassen […] können, was aber nur mit den Worten ,Erlösung‘ und ,Erfüllung‘ zu fassen ist, hinter denen groß und lebendig der Messias steht.“254 Zu seiner nächsten Israelreise, für die er eine Einladung des israelischen Außenministeriums und des Religionsministeriums erhalten hatte, machte sich Maas in der zweiten Jahreshälfte 1953 auf. Die beiden Ministerien „glaubten, daß mir dieser Besuch Gelegenheit gäbe, festzustellen, welche Fortschritte und Veränderungen das Land in den dreieinhalb Jahren seit meinem Besuch im
253 Ebd., 8 u. 10. 254 Ebd., 15.46 u. 22. – In den Nachträgen, die den „Skizzen“ angehängt sind, wird der Kreisdekan noch deutlicher : Der Zeitpunkt der Proklamation der israelischen Staatlichkeit vom 14. Mai 1948 sei „eine Gottesstunde“ gewesen und David Ben-Gurion „ein Handlanger Gottes“ (Maas, Skizzen, 69 f). Die Staatsgründung gehöre zur Geschichte des Reiches Gottes und zu den ,Zeichen der Zeit‘: „War das Exil ein Zeichen für Gottes Gericht, so ist die Heimkehr Zeichen für Gottes Erbarmen“ (ebd., 70). Israels Staatwerdung markiere jedoch noch nicht das absolute Ende der Zeit, denn die Details müssten Gott überlassen werden.
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Frühjahr 1950 gemacht habe.“255 Der badische Kreisdekan publizierte seine Reiseimpressionen in einem gefühlvoll geschriebenen Band unter dem programmatischen Titel „ – und will Rachels Kinder wieder bringen in das Land“. Der Buchtitel bezog sich auf Jeremia 31,15 f: Rahel weinte um ihre in die Zerstreuung geratenen Kinder und wurde mit der Verheißung auf ihre Rückkehr aus dem ,Land des Feindes‘ getröstet. Für Maas galt: „Wie wunderbar hat sich dies Wort heute erfüllt!“ Damit übertrug er die biblische Rede von Exil und Rückkehr auf Schoah und Staatsgründung im 20. Jahrhundert und bewegte sich hart an der Grenze zu einer apokalyptischen Lesart. Christen und Juden wurden gleichermaßen auf eine heilsgeschichtliche Schau verpflichtet: „Wer in der Gründung des Staates eine rein saeculare Angelegenheit sieht, der gehört zu den Ahnungslosen und Blinden, für die die Bibel harte Worte hat, wenn er auch ein frommer Jude ist.“256 Heinz Kappes, der Verfasser des Vorworts, befürchtete, dass gerade diese Sichtweise auf Kritik stoßen könnte und insistierte, dass man bei den Reise-Schilderungen keinen sachlich-profanen Bericht erwarten dürfe: „Hermann Maas […] sieht die Reich-Gottes-Geschichte gleichzeitig mit der von Menschen ,gemachten und vermachten‘ Geschichte.“257 Kappes’ Behutsamkeit war nicht unbegründet, denn die Reiseerlebnisse des Kreisdekans stießen durchaus auf Kritik. Martin Wittenberg z. B. monierte neben dem ,unevangelischen‘ Schriftgebrauch gerade die fehlende Distanz des Autors gegenüber den Geschehnissen im Land, sodass es sich bei der Publikation von Maas um „ein klein wenig zu persönliches Buch“ handele. Wenn Wittenberg behauptete, Maas betrachte „alles, auch Häßliches“, mit unterschiedslosem Wohlwollen, übertrieb er etwas.258 Die Prävalenz der ,Reich-Gottes-Geschichte‘ zeigte sich im Reisebericht auch an der Zusammenschau des Rahelgrabes zwischen Jerusalem und Bethlehem mit dem in der Nähe gelegenen Kibbuz Ramat Rakhel. Und gerade zwischen dem Kibbuz und der Heiligen Stätte verlief die israelisch-jordanische Grenzlinie, was für die Juden, die keinen Zugang zum Rahelgrab hatten, „das Abgeriegeltsein von der Heimat des Glaubens und Gedenkens“ bedeute. Der Kuppelbau des Rahelgrabes, der die Tradition von Genesis 35,19 f bewahren wollte und bei der zweiten Auflage des Buches auf dem Schutzumschlag abgebildet ist, symbolisierte für Maas die trauernde Rahel und folglich die verfolgten Juden während der NS-Zeit. Demgegenüber stand Ramat Rakhel, im „Freiheitskrieg“ 1948/49 „von einer tapferen Schar israelischer Jugend mit einem seltenen Heldenmut verteidigt“, für das wieder auferstandene Israel.259 Erneut war Maas von Zürich aus eingereist und wurde am Flughafen in Lod von einem Vertreter des Religionsministeriums abgeholt. Das Ministerium 255 Maas, Rachels Kinder, 13. – Vgl. Hinweis auf dieses Buch bei Wittenberg, Rez. zu J. Jellinek. – S.a. Meldung in: JK 14 (1953), 538. 256 Maas, Rachels Kinder, 8 u. 196 f. 257 Kappes, Vorwort, in: ebd., 5. 258 Wittenberg, Rez. zu H. Maas. 259 Maas, Rachels Kinder, 10 u. 9.
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hatte auch diesmal das Programm der Reise ausgearbeitet, bei der Maas noch genügend Zeit fand, jüdische Freunde zu besuchen, Synagogengottesdiensten beizuwohnen oder bei Vorträgen für die jüdisch-christliche Versöhnung einzutreten. Begegnungen mit Arabern waren in dem Reiseprogramm nicht vorgesehen. Auf der Fahrt nach Haifa ließ sich der Kreisdekan davon überzeugen, dass sich das Land in den letzten drei Jahren prächtig weiterentwickelt habe: mehr Landwirtschaft, mehr Wohn- und Industriegebiete, mehr Fahrzeuge. Während die Osmanen das Land einst veröden ließen, gedeihe unter den Israelis alles prächtig. Indem Maas die israelischen Leistungen akzentuierte, wollte er „die vorschnellen Urteile und falschen Bilder, die man sich hier so oft von den Israelis macht, zu überwinden“ helfen und „den Geist des neuen Israel“ vorstellen.260 Die Schilderung eines Synagogengottesdienstes in Haifa nahm Maas zum Anlass, den Vorwurf der zunehmenden Gottlosigkeit in Israel in seinem Reisebericht zu entkräften: „Man sagt so viel von dem großen Einbruch des Atheismus in Israel […] Natürlich kann man sich dabei auf allerlei nicht zu verkennende Zeichen berufen. Aber wieviele von diesen Zeichen trügen!“ Viele Israelis seien vielmehr von einer Art ,Erweckung‘ geprägt, woraus resultiere, dass der Zionismus nicht in den Abgrund einer rein politischen Ausrichtung stürze. Der Kreisdekan vermied eindeutige Äußerungen, die als judenmissionarisch ausgelegt werden könnten. Er gelangte anlässlich eines gemeinsamen Essens mit einem Angehörigen des Religionsministeriums in Jerusalem zu der Überzeugung, dass der Staat Israel allen Anschuldigungen zum Trotz völlige Religionsfreiheit gewähre: „Diese Freiheit der Religionsausübung benützend durchziehen christliche und islamische Sekten das Land mit ihren Missionen.“261 Bei der Begegnung mit Überlebenden der Schoah kamen immer wieder traumatische Erinnerungen zur Sprache, sodass Maas sich fragte, ob er als Deutscher überhaupt das moralische Recht habe, Juden gegenüberzutreten. Der Kreisdekan hatte Verständnis für die Ressentiments gegenüber Deutschen und bürdete sich bereitwillig diese Last auf: „Wer nach Israel geht, der muß dieses Leid, die bergeshohe Schuld tragen.“262 Bei Ein Kharod nahe den Bergen von Gilboa besuchte der Kreisdekan den nach ihm benannten Hermann-MaasWald.263 Maas war über diese Ehrung bereits an seinem 75. Geburtstag am 5. August 1952 durch Landesrabbiner Robert Raphael Geis unterrichtet worden. In Dganya (Degania) wurde Maas vom Knessetabgeordneten Josef Baratz empfangen, der in dieser Siedlung lebte und ein Buch über deren Geschichte veröffentlichen sollte. Der Heidelberger reflektierte zusammen mit den Kib260 261 262 263
Ebd., 27 f. Ebd., 141. Ebd., 38. – Auch zit. bei: Siegmund-Schultze, Versöhnung, 294. So Maas, Rachels Kinder, 35. – Vgl. Keller/Lohrbcher/Marggraf, Versöhnung, 116; und Pragai, Land, 325. – S.a. Meldung in: EvW 6 (1952), 482; und Meldung „Israelische Ehrung für Dekan Maas (Heidelberg)“, in: Epd.ZA Nr. 182 vom 7. 8. 1952.
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buzniks, die er bereits von seiner letzten Reise her kannte, das Wesen der israelischen Gesellschaft, die „durch eine ursprüngliche, lebendige, heroische Idee und durch ursprüngliche, lebendige, heroische Männer und Frauen“ zusammengehalten werde: „Ich habe an jenem Abend [in Dganya, GG] hineinsehen dürfen in Israels Wesenskern, in das Beste und Innerlichste der Kinder der Mutter Rachel.“264 Ähnliche Erfahrungen machte der Kreisdekan in der Ortschaft Shavei Tsiyon, die von Juden aus dem schwäbischen Rexingen gegründet worden war. Und in den israelischen Kinderdörfern bei Jerusalem war Maas von der ,Anmut und Schönheit‘ der Jugend sowie von der Aufopferungsbereitschaft der Erzieherinnen beeindruckt. Gerade die jüdische Frau sei von einem stillen Heldentum geprägt. Mit einem Vortrag in Haifa verabschiedete sich Maas am 14. Oktober vom heiligen Land, mit dessen Menschen und der sie tragenden zionistischen Bewegung er sich fortan „untrennbar“ verbunden wusste.265 Das Datum des 14. Oktober wurde in den Reiseerinnerungen des Kreisdekans festgehalten, weil sich an diesem Abend das israelische Massaker an 69 Einwohnern des arabischen Dorfes Qibya ereignete, das zwischen Tel Aviv und Ramalla auf jordanischer Seite lag.266 Der Heidelberger suchte nach Erklärungen und verwies in seinem Bericht auf den seelischen Notstand der jungen Israelis, welche die arabischen Übergriffe nicht mehr einfach hinnehmen konnten. Das Geschehnis beunruhigte Maas, ließ ihn aber an seinem Israelbild nicht irrewerden. Die politische Haltung der israelischen Regierung, welche auf militärische Stärke setze, hielt er zum Schutz Israels nach wie vor für angemessen.267 Im Jahr 1967 wurde Maas in Yad Vashem zusammen mit Heinrich Grüber an der Allee der Gerechten mit einem Baum und einer Namenstafel geehrt.
1.6 „Die selbstverständliche Pflicht“: Die ,Schilumim‘ (1952) 1.6.1 Politischer Hintergrund268 Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte Deutschland wieder zu neuem Ansehen in der Weltgemeinschaft verhelfen. Dabei war ihm die Westintegration
264 Maas, Rachels Kinder, 47. – Zu Dganya s. Baratz, Siedler; Freund, Strukturen; und Zimmerli, Israel, 57 – 70. 265 Maas, Rachels Kinder, 194. 266 Vgl. Morris, Victims, 271; und Winter, Frieden. – Dass einer der israelischen Täter, der 25jährige Ariel Scharon, einmal Ministerpräsident seines Landes werden würde, konnte Maas nicht ahnen. 267 So Maas, Rachels Kinder, 199: „Die arabischen Überfälle allein sind schuld daran, daß Israel eine große Rüstung unterhalten muß.“ 268 Darstellung bei Deutschkron, Verhältnis, 36 – 65; Jelinek, Deutschland, 44 – 265; Krupp,
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faktisch wichtiger als die Wiedervereinigung. Um in der westlichen Staatengemeinschaft akzeptiert zu sein, musste die Bundesregierung zeigen, dass sie sich von den Verbrechen des Nationalsozialismus distanziert und von dessen Ideologie gelöst hatte. Der Realpolitiker Adenauer trieb deshalb die Versöhnung mit den Juden voran. In seiner ersten Regierungserklärung vom 20. September 1949 erwähnte Adenauer die Opfer des Nationalsozialismus mit keiner Silbe. Erst am 11. November 1949 sprach er in einem Interview von einer ,Wiedergutmachung‘ gegenüber Juden (nicht gegenüber Israelis).269 Der Terminus ,Wiedergutmachung‘, der von einem jüdischen Emigranten in Amerika geprägt worden sein soll, stellte eine unglückliche Begriffswahl dar, implizierte er doch, man könne den Mord an den Juden wieder ungeschehen machen.270 Gleichwohl hat sich dieser Terminus in Bezug auf den Luxemburger Vertrag durchgesetzt, zumal dadurch der unbeliebtere Ausdruck ,Reparationen‘ vermieden werden konnte. Die israelische Seite sprach dagegen von ,recompense‘ (= Entschädigung) und führte zusätzlich – ausgehend vom Begriff ,Vergeltung‘ in Deuteronomium 32,35 und Jesaja 34,8 – den Neologismus ,Schilumim‘ im Sinne von ,Zahlungen‘ ein.271 Der Staat Israel richtete verschiedene Noten an die Siegermächte und forderte darin eine Wiedergutmachung von beiden deutschen Staaten in der Höhe von 1,5 Milliarden Dollar, auch wenn er keinen Rechtsanspruch auf Reparationen hatte, da er während des Krieges noch nicht existierte.272 Die Westmächte gaben zu verstehen, dass sie in dieser Sache selbst nichts unternehmen wollten und Israel sich direkt an die beiden deutschen Staaten zu wenden habe.273 Ohne eine westdeutsche Regierungserklärung war die israelische Seite nicht zu Verhandlungen mit der Bundesrepublik bereit. Schließlich erklärte Adenauer am 27. September 1951 vor dem Bundestag, dass im Namen des deutschen Volkes „unsagbare Verbrechen begangen worden [sind], die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung
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Staat Israel, 33 f; Rotter/Fathi, Nahost-Lexikon, 92 – 95; Timm, Hammer, 127 – 141; Vogel, Politik, Bd. 1, 3 – 133; und Weingardt, Nahostpolitik, 72 – 105. In verbaler Form: „das Unrecht […] soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist.“ Zit. bei: Weingardt, Nahostpolitik, 75. Zur Abwehr dieses Missverständnisses eröffneten die israelischen Delegierten die Verhandlungen mit dem Hinweis, dass deutsche Finanzleistungen nicht als ,Sühne‘ für den Massenmord angesehen werden dürften. So v. Jena, Versöhnung, 469. – Vgl. Deutschkron, Verhältnis, 37. Vgl. Y. A. Jelinek, Deutschland, 91 f. 1 Milliarde $ von der BRD und 500 Mio. $ von der DDR. – Vgl. Israelische Regierung, Note; und Timm, Hammer, 129. Die Sowjetunion antwortete zunächst nicht und erklärte dann im Blick auf die sog. Stalinnote vom 10. März 1952, dass man erst nach Abschluss eines sowjetisch-deutschen Friedensvertrages über Reparationszahlungen an Israel sprechen könne. Die DDR lehnte Wiedergutmachungsleistungen nach längerem Schweigen ab, weil sie sich nicht als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches betrachtete. S. a. Timm, Hammer, 131.
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verpflichten“, auch wenn die meisten Deutschen am nationalsozialistischen Unrecht nicht beteiligt gewesen wären. Die Bundesregierung wolle gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel „eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems“ finden. Dabei müsse allerdings die deutsche Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden.274 Die Abgeordneten aller Parteien stimmten dieser Proklamation zu, auch wenn sie in den Augen der Kritiker mehr eine Entlastungserklärung als ein Schuldbekenntnis war. Israel jedenfalls akzeptierte diesen Text als Zeichen guten Willens, womöglich wegen seiner wirtschaftlichen Lage. Nur am linken und rechten Rand lehnten Israelis die Aufnahme von Verhandlungen ab. In Wassenaar bei Den Haag begannen am 21. März 1952 die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik auf der einen sowie dem Staat Israel und der Claims Conference auf der anderen Seite; letztere vertrat die nicht-israelischen Juden. Leiter der israelischen Delegierten waren Giora Josephthal und Felix E. Shinnar. Die westdeutsche Delegation wurde von Franz Böhm (CDU) als Hauptverantwortlichem und Otto Küster (SPD) als Stellvertreter geleitet.275 Böhm war seit 1947 berufenes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und pflegte gute Beziehungen zu Martin Niemöller und zu Hans Kallenbach, dem Leiter der Evangelischen Akademie der Landeskirche. Eine knappe Woche nach Beginn der Verhandlungen, am 27. März, entdeckte die Münchner Polizei eine an Adenauer adressierte Paketbombe, deren Entschärfung einem Sprengstoffexperten das Leben kostete.276 Wenige Tage später, am 31. März, wurde in der Deutschen Botschaft in Den Haag eine Briefbombe aus dem Verkehr gezogen, die für die deutsche Delegation bestimmt war. Am Tag darauf konnte eine weitere Briefbombe entschärft werden. Alle drei Attentatsversuche brachten die Behörden mit der Organisation Jüdischer Partisanen in Verbindung, die in Bekennerschreiben davon sprach, dass das jüdische Volk dem deutschen die Rückkehr in die Gemeinschaft der 274 Adenauer, Wortlaut, 598. – Auch dok. bei: Roser, Protestantismus, 145 f; Vogel, Politik, Bd. 1, 45 – 47, hier 46. – Vgl. Japser, Wiedergutmachung, 8 – 10; Jelinek, Deutschland, 105 – 115; und Weingardt, Nahostpolitik, 79. 275 Der liberale Protestant Böhm, 1945 – 1946 erster hess. Kultusminister und nun Professor für Bürgerliches und Wirtschaftsrecht in Frankfurt/Main, hatte sich schon während der NS-Zeit gegen den Antisemitismus ausgesprochen und engagierte sich nach dem Krieg zusammen mit A. Freudenberg, Rabbiner W. Weinberg, Th. W. Adorno, M. Horkheimer und anderen in der Frankfurter GCJZ. Deswegen wurde er von der israelischen Seite auch schnell akzeptiert. Auch nach dem Schilumim-Abkommen engagierte sich in Böhm Form kleinerer Veröffentlichungen zugunsten Israels, so z. B. Bçhm/Bçhm, Reise; und Bçhm, Friede. – Zu Böhm vgl. Roser, Protestantismus, 141 – 193; und Stçhr, Ökumene, 292 u. 295. – Zu Böhm und Küster s.a. Deutschkron, Verhältnis, 48; und Weingardt, Nahostpolitik, 82 f. – Zu Böhms Einsicht in die moralisch-politische Pflicht der deutschen Zahlungen s. Bçhm, Einspruch, 44: Es handele sich rechtlich nicht um einen durch Israel erhobenen Wiedergutmachungsanspruch an geschädigten Juden, sondern „um einen reinen Staatsanspruch.“ Dieser werde damit begründet, „daß die Mandatsregierung und später der Staat Israel im ganzen 500 000 Flüchtlingsopfer der nationalsozialistischen Verfolgung in ihrem Lande habe aufnehmen müssen.“ 276 Zu den Anschlägen s. Sietz, Attentat.
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Völker niemals erlauben werde. Die Hauptverdächtigen waren keine verrückten Einzeltäter, wie die Bundesregierung verbreiten ließ, sondern kamen aus dem Umfeld der 1948 aufgelösten zionistischen Widerstandsgruppe Irgun, die einst gegen die britische Mandatsmacht in Palästina gekämpft hatte. Wegen der politischen Brisanz kam es nie zu einer Anklage der mutmaßlichen Täter ; schließlich wurden die Ermittlungen eingestellt. Die Verhandlungen in Wassenaar hätten schneller zu einem Ergebnis geführt, wenn Mitglieder der Bundesregierung die Forderungen Israels und der Claims Conference nicht als zu hoch zurückgewiesen hätten. Skeptiker wie Hermann Josef Abs, welcher die deutsche Delegation auf der Schuldenkonferenz in London im Mai 1952 leitete, wollten Wiedergutmachungsleistungen gegenüber der israelisch-jüdischen Seite von der Höhe der Reparationszahlungen an die Westmächte abhängig machen. Finanzminister Fritz Schäffer (CSU) hegte juristische Zweifel gegenüber den israelischen Ansprüchen. Die Delegierten Israels und der Claims Conference zogen den guten Willen der Bundesregierung zunehmend in Zweifel. Auf Wunsch der deutschen Seite wurden die Verhandlungen im April 1952 offiziell unterbrochen. Nicht nur die Israelis, auch Böhm und Küster waren derart empört, dass sie ihren Rücktritt einreichten. Küster warf der Bundesregierung vor, dass sie an der Wiedergutmachung wohl nie ernsthaft interessiert gewesen sei. Im Süddeutschen Rundfunk sagte er : „Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß das deutsche Volk wissen muß, in welchem Geist in Bonn die Entscheidung gefallen ist, daß das Unrecht der Hitlerzeit ungetilgt bleiben und sich auf unsere Söhne und Enkel forterben soll.“277 Die Bundesregierung wies solche Anschuldigungen zurück und erklärte, sie stehe nach wie vor zu der Regierungserklärung vom September 1951. Weil sich Adenauer kein Scheitern leisten konnte, stimmte er schließlich den inzwischen geforderten 4 Milliarden DM als Verhandlungsbasis zu. Auf Ergebnisse der Londoner Schuldenkonferenz konnte keine Rücksicht mehr genommen werden. Franz Böhm ließ sich von Adenauer überreden, wieder an den Verhandlungen teilzunehmen. Delegierte beider Seiten kamen im Mai und Juni zu neuen Vorgesprächen zusammen. Am 24. Juni 1952 wurden die Verhandlungen in Wassenaar offiziell wieder aufgenommen.278 Nun kam man relativ schnell zu einer Einigung, sodass am 10. September das Abkommen im Luxemburger Rathaus durch Bundeskanzler Adenauer und Israels Außenminister Moshe Sharett unterzeichnet werden konnte. Damit „hatten die ersten offiziellen staatsrechtlich zum Ausdruck gebrachten Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland begonnen.“279 Die 277 Kster, Tag, 334. 278 Deutschkron, Verhältnis, 60 nennt den 28. Juni und Weingardt, Nahostpolitik, 90 den 19. Juni als Beginn der zweiten Verhandlungsphase, während Jelinek, Deutschland, 202 vom 24. Juni spricht. 279 Vogel, Politik, Bd. 1, 144. – Zum Wortlaut des Abkommens s. Vogel, Politik, Bd. 1, 76 – 92. – Vgl. auch die Zusammenfassung bei Weingardt, Beziehungen, 19 f.
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Bundesrepublik hatte bewiesen, dass sie willens war, auch politische Konsequenzen aus der historischen Verantwortung zu ziehen. Der Vertragstext legte fest, dass die Bundesrepublik dem Staat Israel 3,45 Milliarden DM (823 Millionen US-Dollar) zahlen werde, in denen 450 Millionen DM für die Claims Conference enthalten seien. Die Bundesrepublik werde die drei Milliarden DM größtenteils in Form von Warenlieferungen zur Verfügung stellen – und hatte diese 1965 abgeschlossen. Der Staat Israel erklärte, dass nun alle seine Forderungen gegenüber der Bundesrepublik für alle Zeiten erfüllt seien. Das Luxemburger Abkommen blieb bei der israelischen und der westdeutschen Bevölkerung höchst umstritten. Nach einer Allensbach-Umfrage vom Sommer 1952 lehnten 44 % der Bundesbürger eine Wiedergutmachung grundsätzlich ab, 24 % hielten Reparationen über 3 Milliarden DM für zu hoch, nur 11 % für angemessen.280 Um den Kritikern zu begegnen, sagte Adenauer am 4. März 1953 im Bundestag, dass das Abkommen aufgrund einer moralischen Verpflichtung der Deutschen zustande gekommen sei, nicht aufgrund eines völkerrechtlichen Anspruchs des Staates Israel.281 Am 18. März stimmten 239 Bundestagsabgeordnete der Ratifizierung zu, 35 lehnten sie ab und 86 enthielten sich.282 Im Gegensatz zu CDU/CSU, FDP und DP stimmte die SPD einhellig zu; die KP lehnte geschlossen ab. Nachdem auch der Bundesrat das Ratifizierungsgesetz am 20. März gebilligt hatte, erlangte das Abkommen am 27. März 1953 Gültigkeit – fast ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen. Mit dem Abkommen hatte die Bundesrepublik den Staat Israel faktisch anerkannt. Für den wirtschaftlichen Aufbau Israels waren die materiellen Leistungen von immenser Bedeutung. Die arabischen Staaten protestierten gegen den Wiedergutmachungsvertrag als einseitige Unterstützung Israels.283 Zur Abwicklung des Abkommens wurde 1953 eine Israel-Mission in Köln eingerichtet, die Felix Shinnar leitete.
1.6.2 Protestantische Stimmen Zu den ,Schilumim‘-Verhandlungen waren ,offizielle‘, vor einem großen Publikum artikulierte Verlautbarungen der EKD nicht zu hören. Äußerungen aus den 1950er Jahren zeigten, dass sich der Rat der EKD mehr für die individuelle Wiedergutmachung an Opfern des Nationalsozialismus verantwortlich wusste und weniger für die kollektive am Staat Israel.284 Da es sich beim Luxemburger 280 So Weingardt, Nahostpolitik, 85. 281 So Adenauer in: Vogel, Politik, Bd. 1, 95 f; Wortlaut der Rede ebd., 93 – 100. – Vgl. Weingardt, Nahostpolitik, 92. 282 Zu den Zahlen im Einzelnen vgl. Weingardt, Nahostpolitik, 92. 283 So Jelinek, Deutschland, 217 – 234. 284 Vgl. z.B Schreiben des Rates der EKD an die Regierungen von BRD und DDR vom 5. 2. 1955, dok. in: KJ 1955 (82/1956), 60 – 62; sowie die Entwürfe des Schreibens an die Bundesregierung von O. v. Harling und H. Grüber, dok. bei: EKD, Protokolle, Bd. 8, 493 – 499.
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Vertrag um ein Abkommen zwischen zwei Regierungen handelte, betrachteten Kirchenvertreter dieses unter politischen Vorzeichen und hielten deshalb eine medienwirksam inszenierte Stellungnahme für weniger angebracht. Ein Vorstoß bei der Bundesregierung geschah dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es waren vor allem Einzelpersonen und Vereinigungen, die das öffentliche Bewusstsein zugunsten einer Wiedergutmachung am Staat Israel beeinflussen wollten. Etliche Personen waren durch ihre berufliche Stellung auch an wichtigen Stellen in die Strukturen der EKD und ihrer Landeskirchen eingebunden. Und einige dieser Prominenten gaben bis zur Vertragsunterzeichnung im September 1952 unermüdlich einen Appell nach dem anderen ab, von denen hier nur einige wesentliche herausgegriffen werden können. Einer, der sich bereits frühzeitig dafür einsetzte, dass die Wiedergutmachung an den jüdischen Opfern auf die Agenda der westdeutschen Politik kam, war der Berliner Propst Heinrich Grüber. Sein Streben nach einer jüdisch-christlichen Verständigung stand gegenüber seiner Hauptaufgabe – er war Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der DDR-Regierung – ziemlich isoliert da. Grüber verkörperte wegen seiner Jahre als Leiter der Berliner Evangelischen Hilfsstelle für nichtarische Christen (,Büro Grüber‘) in der NS-Zeit einen Deutschen, der der Judenverfolgung nicht tatenlos zugesehen hatte.285 Grüber beklagte bereits am 28. März 1949, also fast zwei Monate vor der offiziellen Gründung der Bundesrepublik, dass bislang „von keiner kirchenamtlichen Stelle ein grundsätzliches Wort zur Wiedergutmachungsfrage gesagt worden“ sei. Gemeint war eine Entschädigung der Opfer der sog. Nürnberger Gesetze, von denen allein unter den Protestanten in Berlin zweitausend Personen zu finden waren. Von den vom Staat Israel aufgenommenen Überlebenden der Schoah sprach Grüber nicht. Für ihn handelte es sich bei der Wiedergutmachung weniger „darum, eine Not zu lindern und ein Leid mitzuleiden, sondern es handelt sich um die selbstverständliche Pflicht, begangenes Unrecht wieder gut zu machen.“286 Eine solche Definition entsprach freilich genau dem Gegenteil dessen, was sich Israelis darunter vorstellten. Dort argumentierte man umgekehrt: Das an Juden verübte Verbrechen könne nicht wieder gutgemacht werden, allein das finanzielle Überleben der Opfer müsse sichergestellt werden.287 Grüber ließ die Wiedergutmachungsfrage auch in den nächsten zwei Jahren nicht aus den Augen und bezog schließlich auch den Staat Israel in seine Plädoyers mit ein. Zum dreijährigen israelischen 285 Dieses Engagements wegen war H. Grüber 1940 – 1943 in den KZs Sachsenhausen und Dachau. 1945 gründete der zum Propst ernannte Grüber die Evangelische Hilfsstelle für ehemals Rassenverfolgte in West-Berlin. S. a. Besier, Grüber ; Grber, Erinnerungen; Kloppenburg, Grüber ; und Ludwig, Opfer. 286 Grber, Kirche, 51. 287 So z. B. Israelische Regierung, Note, 36: „Ein derart entsetzliches Verbrechen kann nicht durch materielle Reparationen, ganz gleich welcher Art, gesühnt werden […] Was getan werden kann, ist dies: die Ersatzzahlung an die Erben der Opfer und die Wiedereingliederung der Überlebenden unter normalen Existenzbedingungen sicherzustellen.“
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Staatsjubiläum im Mai 1951 sprach er in der Berliner jüdischen Gemeinde in einem visionären Ton von einer Zeit, „wie ein befriedetes Israel einem friedlichen und geeinten Deutschland die Hand der Vergebung entgegenstreckt.“288 Und als der international agierende Christliche Friedensdienst bei seiner Tagung in Den Haag im Februar 1952 von der Bundesregierung die Bereitschaft zu Wiedergutmachungsleistungen an Israel forderte, fand sich auch Heinrich Grübers Unterschrift unter dem Appell.289 Bevor es zu einem visionären Händeschütteln von Israelis und Deutschen kommen konnte, musste noch mehr für jüdische Menschen getan werden. Drei Tage nach der Düsseldorfer Studientagung290 schrieb Karl Heinrich Rengstorf am 5. März 1951 im Namen des Deutschen Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel (DEADI) einen Brief an Bundeskanzler Adenauer und Bundesinnenminister Lehr. Er forderte die Bundesregierung auf, die Wiedergutmachungsfrage in Form von Entschädigungszahlungen an die Schoah-Überlebenden „als ganz besonders dringlich zu behandeln.“291 Dass man die Pflicht zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts immer noch nicht zufrieden stellend erfüllt habe, sei ein Grund zur Sorge. Das bisherige Versäumnis sei „ein wesentliches Hindernis für den inneren und äußeren Frieden unseres Volkes.“ Rengstorfs Brief hatte die jüdischen Opfer des NS-Regimes vor Augen; von einer Wiedergutmachung am jüdischen Staat war ein halbes Jahr vor Adenauers Erklärung zur deutschen Wiedergutmachungspflicht an Israel nicht die Rede. Rengstorf bat zudem über die Kirchenkanzlei den Rat der EKD, seinen Vorstoß zu unterstützen. Mit einem Verweis auf die Befindlichkeiten des ,Gesetzgebers‘ hielt man es allerdings nicht „für sachdienlich, den kirchlichen Standpunkt zu diesen Fragen vor einer breiten Öffentlichkeit geltend zu machen“, sodass eine eigene Eingabe des Rates der EKD an die staatlichen Stellen unterblieb.292 Heinz Brunotte, Leiter der Kirchenkanzlei, hielt es für das Beste, der Bundesregierung lediglich mitzuteilen, dass sich der Rat der EKD den Inhalt des DEADI-Schreibens zu eigen mache. Warum, so ist heute zu fragen, musste Öffentlichkeit gemieden werden? Wollte man die Bundesregierung vor antisemitischen Ressentiments aus der Bevölkerung bewahren oder fürchtete die kirchliche Seite gar, sie selbst könnte in das Kreuzfeuer der Kritik geraten? Rengstorfs Vorstoß, der in den Printmedien publik gemacht wurde, schien 288 O.Vf., Für echten Frieden; Zmf. d. Pos. v. H. Grüber. 289 Zit. bei: Meldung „Für Versöhnung zwischen Israel und Deutschland“, in: Epd.ZA Nr. 49 vom 27. 2. 1949. 290 Zur Düsseldorfer Studientagung s. Teil II, 1.4.3. 291 Dok. bei: KJ 1953 (80/1954), 308. – Auch abgedr. bei: DEADI, Schreiben [KiZ]; und ders., Schreiben [JK]. – Als Durchschlag vorhanden in EZA, 2/5249. – Vgl. Hermle, Kirche, 240 f; Jasper, Wiedergutmachung, 5; und Roser, Protestantismus, 168. 292 Brief der Kirchenkanzlei (H. Brunotte) an den Rat der EKD vom 10. 4. 1951 (EZA, 2/5250). – Vgl. Briefe des DEADI (Rengstorf) an den Rat der EKD vom 5. 3. 1951 (EZA, 2/5249 und 5250) und vom 7. 4. 1952 (EZA, 2/5251).
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in Teilen der Öffentlichkeit und bei der Bundesregierung eine gewisse Wirkung entfaltet zu haben. Das traf noch mehr auf die Aktion Friede mit Israel des Hamburgers Erich Lüth zu, der ein aktiver Unterstützer der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit war. In verschiedenen Zeitungen proklamierten er und sein Freund Rudolf Küstermeier im August und September 1951: „Wir suchen Frieden mit Israel“.293 In Lüths Augen gingen die bisherigen Bemühungen um Wiedergutmachung nicht weit genug, erfolgte ja sein Aufruf noch vor Adenauers klärender Stellungnahme vom 27. September. Der Leiter der Hamburger Pressestelle beklagte im publizierten Proklamationstext, „daß Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und auch die deutschen Universitäten nicht alle Angehörigen des deutschen Volkes zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung aufriefen.“294 Da die Politiker offenbar noch zögerten, wolle Lüth die Sache vorantreiben und hoffe darauf, dass sich viele Deutsche seiner Friedensbitte anschlössen, welche von „allen Kanzeln, Kathedern und Regierungsbänken Deutschlands“ auszugehen habe. Die Resonanz war unbeschreiblich. Lüth bekam unzählige zustimmende Zuschriften aus der Bevölkerung und musste in Adenauers Regierungserklärung vom 27. September eine unmittelbare Folge seiner eigenen Friedensbitte erblicken, wobei Lüth im Gegensatz zum Bundeskanzler eine erinnerungsabwehrende Wortwahl vermieden hatte. Neben Lüth, der am 3. März 1952 auf der 4. Studientagung des DEADI in Ansbach für die Wiedergutmachung an Israel eintrat, waren dort auch „Persönlichkeiten, die an massgebender Stelle mit der Regelung der Wiedergutmachung in Gesetzgebung und Praxis befasst sind, zu einer vertraulichen Aussprache“ eingeladen worden.295 Nach dem ermutigenden Echo auf seinen Brief vom letzten Jahr an die Bundesregierung fühlte sich Rengstorf in diesem Vorgehen bestätigt.296 Zu dem Gespräch, in dem es in erster Linie um die ,rassisch Verfolgten‘ ging, erschienen Vertreter verschiedener Ministerien sowie „der württemberg-badische Staatsbeauftragte für Wiedergutmachung“297 – 293 Lth, Frieden, 598. – Gekürzt aus Artikel der Neuen Zeitung vom 31. 8. 1951. – Nach G. Jasper sei erst dann in der deutschen Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Wiedergutmachung wahrnehmbar geworden, als E. Lüth und R. Küstermeier 1951 ihre Aufrufe lancierten (so Jasper, Wiedergutmachung, 6). – Vgl. Vogel, Politik, Bd. 1, 31 f; und Sywottek, Lüth, 116 – 127. 294 Lth, Frieden, 598. 295 DEADI (Rengstorf) an den Rat der EKD vom 7. 4. 1952 (EZA, 2/5251). – Vgl. Roser, Protestantismus, 168. 296 Der DEADI fühlte sich mit seinem Anliegen bei der Adenauer-Regierung gut aufgehoben. So lobte der dem Ausschuss nahe stehende G. Jasper im Nachhinein den Bundeskanzler für seine Wiedergutmachungserklärung vom 27. 9. 1951, der alle Parteien einmütig zugestimmt hätten. Diese einmütige Versöhnungsbereitschaft der Deutschen (die es so letztlich doch nicht gab) konstrastiert der Vf. mit dem Widerstreit der Meinungen in der israelischen Knesset und mit den sich ereifernden Protesten in der israelischen Öffentlichkeit. S. a. Jasper, Wiedergutmachung, 8 f. 297 Hermle, Kirche, 243.
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hierbei konnte es sich nur um Otto Küster handeln. Aus dem Treffen resultierten erneute Eingaben an den Bundeskanzler und weitere Politiker. Zwei Wochen nach der Ansbacher Tagung begannen die ,Schilumim‘-Verhandlungen in Wassenaar, sodass nun über Wiedergutmachung nicht mehr gesprochen werden konnte, ohne an den Staat Israel zu denken. Am 7. April 1952, fünf Monate vor Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens, bat Rengstorf in seiner Funktion als DEADI-Vorsitzender über die Kirchenkanzlei den Rat der EKD, dieser möge doch jetzt der DEADI-Initiative hinsichtlich der Wiedergutmachungsfrage durch eine eigene Eingabe bei den staatlichen Stellen Nachdruck verleihen. Rengstorf beabsichtigte dabei bewusst, „auf die schwebenden Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel“ einzuwirken. Denn er befürchtete nicht zu Unrecht, dass sich Politiker genötigt sehen könnten, auf die breite Ablehnung der Wiedergutmachung durch die Bevölkerung Rücksicht nehmen zu müssen. Leider habe sich „in unserem Volk“ noch nicht das Verständnis durchgesetzt, „dass eine Wiedergutmachung des im Namen des deutschen Volkes verübten Unrechts nun einmal die erste und unabdingbare Voraussetzung für einen gesunden Wiederaufbau darstellt.“298 Nachdem die ,Schilumim‘-Verhandlungen im April aussetzten, sah sich die Kirchenkanzlei dazu genötigt, die Eingabe Rengstorfs an den Rat der EKD erstmals nicht weiterzuleiten, um weitere politische Klärungen abzuwarten. Als man aber in Hannover realisierte, dass die Bundesregierung die Wiedergutmachung von den Ergebnissen der Londoner Schuldenkonferenz abhängig machen wollte, fühlte man sich herausgefordert: „Für die Behandlung von Wiedergutmachungsfragen sollten keinesfalls taktische Gesichtspunkte der Innen- oder Außenpolitik maßgebend sein“, hieß es in dem Schreiben der Kirchenkanzlei an die EKD-Ratsmitglieder, dem der Brief Rengstorf vom 7. April beigefügt war.299 In einem von der Kirchenkanzlei aufgesetzten Schreiben an den Bundeskanzler von Juni 1952 forderte der Rat der EKD schließlich die Wiederaufnahme der deutsch-israelischen Verhandlungen sowie eine weitergehende Unterstützung der in Deutschland lebenden Opfer des Nationalsozialismus.300 Zwischen dem Beginn der Verhandlungen in Wassenaar und der Vertragsunterzeichnung in Luxemburg gab es noch weitere Stimmen, die von der moralischen Pflicht der ,Schilumim‘ gegenüber Israel überzeugt waren. Unter kirchenleitenden Persönlichkeiten war es der hessen-nassauische Kirchenpräsident Martin Niemöller, der sich in seiner Funktion als Leiter des Kirchlichen Außenamtes (KA) auf einer USA-Reise befand und dem Aufbau, der deutschsprachigen Zeitung jüdischer Emigranten in New York, ein Interview gab, in dem er den Wunsch äußerte, „dass die Verhandlungen über die Re298 DEADI (Rengstorf) an den Rat der EKD vom 7. 4. 1952 (EZA, 2/5251). 299 Brief der Kirchenkanzlei an den Rat der EKD vom 1. 6. 1952, Entwurf (EZA, 2/5251). 300 So Brief des Rates der EKD an den Bundeskanzler von Juni 1952, Entwurf (EZA, 2/5251).
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parationen in Holland zum vollen Erfolge für Israel und die jüdischen Organisatoren führen würden.“301 Der Kirchenpräsident, der nicht gerade zu den Staat-Israel-Begeisterten302 gehörte, fügte hinzu, dass Franz Böhm zu seinen Freunden zähle. Auch der Heidelberger Hermann Maas nutzte das Forum eines jüdischen Mediums, das der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung (AJW). Durch seinen öffentlichen Vorstoß wollte Maas die Bundestagsabgeordneten dazu drängen, auf einen erfolgreichen Abschluss der ins Stocken geratenen Verhandlungen zu beharren. Denn es stehe in Wassenaar mehr auf dem Spiel als nur wirtschaftspolitische Fragen. Es gehe vielmehr um eine sittlich gebotene Hilfstat an dem Staat Israel, welcher – wie Maas bei seinen eigenen Reisen erlebte – den Überlebenden des nationalsozialistischen Verbrechens eine Heimat bot: „Ein steiniges, verwüstetes Land muß er durch sie kultivieren […] Sie, unsere Abgeordneten, haben das nicht mit eigenen Augen gesehen. Ich sah es und sehe es eigentlich täglich.“ Und um den zu erwartenden Einwänden zuvorzukommen, appellierte der Heidelberger Kreisdekan an die Politiker : „Reden Sie nicht von unseren Nöten. Wir haben Sie verdient.“303 Maas wusste von den massiven Vorbehalten innerhalb der deutschen Bevölkerung, und so plädierte er im April auf der Jahrestagung des Internationalen Versöhnungsbundes – Deutscher Zweig in Heidelberg ein weiteres Mal an die westdeutsche Öffentlichkeit, sich hinter die ,Schilumim‘-Verhandlungen zu stellen, auch wenn „wohl nur durch ein Wunder Gottes“ die deutschisraelische Versöhnung hergestellt werden könne.304 Vielleicht grenzte es in den Augen der Engagierten an ein Wunder, dass die Verhandlungen am 24. Juni 1952 wieder aufgenommen wurden. Da die Vertragsunterzeichnung aber noch ausstand, wurden die ,Schilumim‘ am Rande des 4. Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) Ende August 1952 in Stuttgart thematisiert. Der DEADI wollte keine eigene Veranstaltung anbieten. So organisierte Fritz Majer-Leonhard, der als Leiter der Stuttgarter Evangelischen Hilfsstelle für Rasseverfolgte selbst im DEADI engagiert war, zusammen mit Adolf Freudenberg für den 30. August ein Sondertreffen ,Dienst an Israel‘. Immerhin übermittelte Rengstorf ein Grußwort des DEADI.305 Zu den Referenten gehörte auch Hermann Maas, der vor ca. 300 Zuhörern über den ,Staat Israel und unser Volk‘ sprach. Der Kreisdekan betonte, dass kein Blick auf den jüdischen Staat von den deutschen Verbrechen absehen könne, und wusste den bisherigen Verlauf der Wiedergutmachungsverhandlungen zu würdigen. Allerdings könne die innere Umkehr nicht durch Geldzuwendungen ersetzt werden: „Umkehr ist keine Wiedergutmachung – vor Gott und 301 Aufbau vom 4. 4. 1952. Zit. bei: Roser, Protestantismus, 169. 302 Dazu s. Teil II, 3.4.4. 303 Maas, Um was es geht. – Zu Maas‘ Israelreisen s. Teil II, 1.5.2. – Vgl. Roser, Protestantismus, 170. 304 Zit. nach Meldung in: EvW 6 (1952), 263. – Vgl. Thierfelder, Maas, 23. 305 So Hermle, Kirche, 253; und Meldung „Israel – die Gottesfrage an die Völkerwelt“, in: Epd.ZA Nr. 201 vom 30. 8. 1952. – Vgl. Kammerer, Haare, 12 f.
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Menschen ist da vieles nicht mehr gutzumachen. Aber demütige Hilfe und Opfer ist möglich.“306 Maas’ Stellungnahme zu den ,Schilumim‘ stand ziemlich abseits des eigentlichen Kirchentagsgeschehens. Ein praktisches Ergebnis des Sondertreffens stellte der Auftakt einer Geldsammlung für das zwischen Latrun und Jerusalem gelegene Jugenddorf in Kiryat Ye’arim dar.307 Nach der Ratifizierung der ,Schilumim‘-Verträge bat Otto von Harling als derjenige, der in der EKD-Kirchenkanzlei für jüdische Themen zuständig war, um Verständnis dafür, dass sich die Leitungen der EKD und ihrer Gliedkirchen nicht deutlicher in der Öffentlichkeit für Wiedergutmachungen an den Juden und anderen Opfern des Nationalsozialismus eingesetzt hatten. Die kriegsgebeutelten Deutschen seien dazu anfangs nicht bereit gewesen, worauf die Kirche hätte Rücksicht nehmen müssen. Denn sie „mußte ja auch die seelische und wirtschaftliche Lage des Volkes, zu dem sie sprach, im Auge haben, wenn sie nicht völlig in den Wind reden wollte.“308 Jetzt, wo einflussreiche Kräfte in der Gesellschaft zu einem Ja zum Luxemburger Abkommen gefunden hätten, sei das anders geworden. In von Harlings Ausführungen manifestierte sich ein Selbstbild von einer Kirche, die sich primär als Seelsorgerin an der Bevölkerung und weniger als eine moralische Kraft betrachtet, welche mit Verve neue Themen vorantreibt.
306 Dok. bei: DEKT Stuttgart, Dokumente, 1952, 573 f, hier 573. – Vgl. die Berichte bei EZA 71,86/ 469 und ZAEKHN, 155/794; sowie Hermle, Kirche, 255 f. 307 Die Spenden gingen bei der Ev. Hilfsstelle für Rasseverfolgte ein, aber man hatte in Israel anfangs noch Bedenken, deutsches Geld anzunehmen. So schickte F. Majer-Leonhard das Geld zu Freunden in die Schweiz, die es dann in ihrer Währung nach Israel weiterleiteten. Bis 1967 kamen ca. 460 000 DM zusammen; 1987 sollen es insg. über 1,8 Mill. DM gewesen sein. – S. a. Hermle, Kirche, 144; und Thieringer, Otto-Hirsch-Medaille, 160. – Vgl. Meldungen „50 000 Mark für israelisches Kinderdorf“, in: Epd.ZA Nr. 12 vom 15. 1. 1965; und „Christliche Hilfe – ,Ermutigung für Israel‘“, in: Epd.ZA Nr. 118 vom 27. 5. 1967. – S. a. O.Vf., Kiriath Yearim. 308 KJ 1953 (80/1954), 307. – Vgl. Roser, Protestantismus, 165; und Wolffsohn, Schuld, 131.
2. Der Staat Israel als ,Motor‘ der christlich-jüdischen Annäherung (1958 – 1967) 2.1 Einführung in den Zeitabschnitt Die Umbrüche, die sich seit Ende der 1950er Jahre in der Gesellschaft vollzogen und auch den Protestantismus nachhaltig beeinflussten, wurden bereits in der Einleitung dargestellt. Überhaupt kam mit den 1960er Jahren in breiteren Bevölkerungsteilen ein ansteigendes politisches Interesse auf, das sich zunehmend auf die wirklichen oder vermeintlichen Fehlentwicklungen der Adenauer-Republik fokussierte.1 Und je länger das ,Dritte Reich‘ zurück lag, desto größer wurde die öffentliche Wahrnehmung der nationalsozialistischen Verbrechen und insbesondere der Schoah. Man denke etwa an den EichmannProzess2, durch dessen Medialisierung die Details und Hintergründe der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik einem immer größer werdenden Bevölkerungsteil bewusst gemacht wurden. Die bislang betriebene Aufarbeitung der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit erschien dann zunehmend als defizitär, zumal alte Eliten aus Politik und Justiz in Bonn immer noch ihren Einfluss geltend machten. Die Beschwichtigungsformel des Bundeskanzlers – ,Man schüttet nicht altes Wasser weg solange man kein frisches hat‘ – zog nicht mehr. Die vergangenheitspolitischen Diskurse wirkten sich auch auf die protestantische Wahrnehmung des Judentums und des Staates Israels aus. Hier kam es um 1960 nicht nur zu einem altersbedingten, sondern auch zu einem theologisch-politisch verursachten Generationenwechsel. Ein Blick in die kirchlichen Periodika zeigt, dass die wichtigsten Autoren, die den Lesern bisher Judentum und Staat Israel erklärt hatten, um 1960 mehr und mehr von der Bildfläche verschwanden, auch wenn sie noch Jahrzehnte weiterlebten. Das gilt v. a. für Autoren, die mit dem Zentralverein in Verbindung standen wie Gerhard Jasper, Karl Heinrich Rengstorf oder Martin Wittenberg. An ihre Stelle traten Autoren mit einer anderen, ,fortschrittlicheren‘ Ausrichtung. Der altersbedingte Generationenwechsel spielte natürlich auch eine Rolle. Die Generation, die sich in den 1960er Jahre mit großem Selbstbewusstsein und ungeheurem Veränderungswillen in Kirche und Theologie zu Wort meldete, war durch den gescheiterten Ersten Weltkrieg und die Weimarer Zeit geprägt worden, wurde also vor 1914 geboren.3 Dazu zählten Joachim Beck1 Vgl. Schildt, Nachkriegszeit, 15 f. 2 Dazu s. Teil II, 2.4.2. 3 Zur Einteilung der Generationen s. Siegfried, Konsens, 26.
„Meine zweite Taufe“: Israelreisen als theologische ,Erfahrung‘
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mann, Adolf Freudenberg, Helmut Gollwitzer, Heinrich Grüber, Günther Harder, Heinz Kloppenburg, Lothar Kreyssig, Hermann Maas, Martin Niemöller, Wilhelm Niesel, Kurt Scharf, Rudolf Weckerling, Ernst Wilm u.v.m. In ihrem Windschatten gelang es einer jüngeren Generation, sich im protestantischen Leben zu etablieren und diesem ihren Stempel aufzudrücken. Es handelte sich um diejenigen, die zwischen 1914 und 1937 auf die Welt gekommen waren und deren einschneidendstes Erlebnis das Jahr 1945 war : Personen wie Dietrich Goldschmidt, Franz von Hammerstein, Hans-Joachim Kraus, Heinz Kremers, Friedrich-Wilhelm Marquardt, Rudolf Pfisterer, Rolf Rendtorff, Eberhard Stammler und Martin Stöhr.
2.2 „Meine zweite Taufe“: Israelreisen als theologische ,Erfahrung‘ Der soziologische Begriff der ,Erlebnisgesellschaft‘ passt insofern in unsere Thematik, als der Staat Israel in dieser Zeit zunehmend aus der Perspektive der eigenen Anschauung wahrgenommen wurde. Allein zwischen 1958 und 1961 reisten parallel zum allgemeinen Anstieg des westdeutschen Fremdenverkehrs eine größere Anzahl kirchlicher Multiplikatoren und Gruppen nach Israel. Die Eindrücke, die sie zu Hause weitergaben, korrespondieren mit der allgemeinen sozialgeschichtlichen These, dass Auslandsaufenthalte der Nachkriegsdeutschen „keineswegs unwesentlich unsere Gesellschaft prägen.“ Der Einfluss der ersten Israelfahrer war umso größer, als sie noch eine Minderheit bildeten, deren Reiseberichten noch der Hauch des Exotischen innewohnte, da die Bundesrepublik erst „an der Schwelle zum Massentourismus“4 stand.
2.2.1 Israelreisen 1958 und 1959 Im März 1958 hielten sich mit den Landesbischöfen Hanns Lilje und Volkmar Herntrich zwei kirchenleitende Personen in Israel und Jordanien auf; gegenüber den Besuchen anderer Multiplikatoren wies diese Reise eine geringere Wirkungsgeschichte auf. Herntrich berichtete auf der Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Juni, dass es bei der Reise in erster Linie, aber nicht nur um einen Besuch der kirchlichen Einrichtungen gegangen sei.5 Lilje sagte nach seiner Rückkehr aus Israel, er sei nirgends auf Deutschenhass gestoßen.6 Sorge bereitete ihn allerdings die Dominanz jüdisch-religiöser Elemente, wodurch die Religionsfreiheit eingeschränkt sei. Chaim Wardi, Beauftragter für christliche Angelegenheiten im israelischen 4 Schildt, Urlaubstourismus, 69 u. 75. 5 So Protokoll der EKD-Ratssitzung in Berlin vom 13. 6. 1958, Kopie (EZA, 2/3200). 6 So Meldung „Kein Deutschenhaß in Israel“, in: Epd.ZA 95 vom 25. 4. 1958.
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Religionsministerium, erklärte im April, warum er es nicht gewagt habe, Lilje um die Schilderung seiner Reiseeindrücke für das Bulletin des Ministeriums zu bitten. Denn Wardi rechnete damit, dass den Landesbischof eine solche Anfrage aufgrund seiner „official position“ in Verlegenheit gebracht hätte.7 Dies hieß: Die Abfassung eines Textes für eine offizielle Regierungspublikation hätte als einseitige politische Stellungnahme ausgelegt werden können, und das galt als unvereinbar mit Liljes Ämtern in der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche in Deutschland (VELKD), in der EKD, im Lutherischen Weltbund (LWB) und im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Das hinderte Lilje freilich nicht daran, in späteren Jahren der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) beizutreten.8 Mit dem West-Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer besuchte in der Zeit vom 13. März bis zum 1. April 1958 einer der profiliertesten künftigen ,Israeltheologen‘ erstmals den Staat, der für ihn das „aufregendste Land der Erde“9 werden sollte. Gollwitzer wurde von seiner Frau Brigitte, die jüdische Vorfahren hatte, sowie von deren Eltern Adolf und Elsa Freudenberg begleitet. Im Flugzeug las Gollwitzer die 1950 veröffentlichte Schrift Martin Bubers über „Israel und Palästina“, was garantierte, dass der Israelfahrer die Reiseerlebnisse aus der Sicht des spezifisch Buber’schen Zionismus wahrnahm. Gollwitzers und Freudenbergs waren sich von Anfang an der Brisanz der Reise bewusst, die darin bestand, dass sie in Israel den Überlebenden der NaziVerbrechen vor die Augen treten würden: „Es muß jedem Deutschen, der nach Israel fährt, klar sein: jeder Jude, der heute noch lebt, lebt nicht wegen uns, sondern trotz uns.“10 Die Reise geschah auf Einladung der israelischen Regierung, die auch die Tourbegleiter stellte, und sah Begegnungen mit politischen Funktionsträgern vor. Zu letzteren zählte der bereits erwähnte Chaim Wardi. Auch jenseits der offiziellen Treffen kam es zu Kontakten – z. B. mit dem Philosophieprofessor Hugo Bergmann –, die auch von Israelis als ,menschlich‘ und ,persönlich‘ empfunden wurden. „Sie haben hier Freunde gefunden“, schrieb Gideon Kaminka aus Haifa an Gollwitzer.11 Den Kibbuz-
7 Brief Ch. Wardis an H. Gollwitzer vom 5. 5. 1958 (EZA, 686/736). – 1962 war Wardi der Anlass, dass im Vorfeld der katholischen Konzilserklärung „Nostra Aetate“ die Diskussion über die Textfassung zu den Juden verschoben wurde: Der Jüdische Weltkongress hatte die Entsendung Wardis nach Rom anlässlich der geplanten Erklärung angekündigt, was zu Protesten arabischer Kirchenvertreter führte. Sie fürchteten eine einseitige Stellungnahme zugunsten des Staates Israel. S. a. Koltermann, Päpste, 101 – 103. – Laut Brief von Hess an Gollwitzer vom 15./ 20. 5. 1958 (EZA, 686/736) trafen Lilje und Herntrich auch mit Moshe G. Hess vom israelischen Außenministerium zusammen. 8 Vgl. die Mitgliederliste vom 1. 3. 1967 (EZA, 681/84). 9 Gollwitzer, Land der Erde, 160. – Vgl. das handschriftl. Reisetagebuch H. Gollwitzers (EZA, 686/736) und den Reisebericht A. Freudenbergs vom 10. 5. 1958, Kopie (ebd.). – S. a. Freudenberg, Bilder; ders., Westen; und Goldschmidt, Laudatio, 397. 10 Gollwitzer, Israel und wir, 92. 11 Brief Kaminkas an Gollwitzer vom 11. 6. 1958 (EZA, 686/736). – Zu den Begegnungen mit
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Alltag erlebten die Reisenden im Kibbuz Giv’at Brenner südlich von Rekhovot, in dem Walter Liefmann, der Bruder Elsa Freudenbergs, wohnte. Das Gemeinschaftserlebnis im Kibbuz förderte Gollwitzers Affinität zu einer sozialistischen Gesellschaftsform.12 Gollwitzers Israelreise von 1958 legte auch den Grundstein für seine zeitweilige Nähe zu solchen ,erwecklichen‘ Kreisen, die einen progressiven Eindruck hinterließen. Auf dem Berg der Seligpreisungen begegnete er den Darmstädter Marienschwestern mit ihrer Oberin Basilea Schlink und war von deren Versöhnungsarbeit beeindruckt. 1959, auf dem Münchner Kirchentag, erinnerte er sich: „Mutter Basilea erzählte, wie sie […] von der Erkenntnis unserer Schuld an Israel gefasst und geschüttelt wurde und wie seither in dem immerwährenden Gebet der Marienschwestern in Darmstadt jede Nacht eine Stunde für den Staat Israel und seine Bewohner gebetet wird.“13
Die Israelfahrt von 1958 war neben dem Wissen um die Schoah der entscheidende Meilenstein im Blick auf Gollwitzers Entwicklung zu einer zunehmend judentumsfreundlichen Theologie. Ihm wurde erst hier deutlich bewusst, dass Jerusalem weder eine rein ,himmlische‘ Größe war wie in der traditionellen christlichen Theologie noch eine bloße Stätte biblischer Altertümer darstellte wie in der klassischen Exegese: „Damals erfaßte ich sinnlich, daß Jerusalem eine Stadt auf Erden ist“, ein heutiger Ort lebendigen Judentums.14 Daher war der Enthusiasmus, mit dem Gollwitzer in die Bundesrepublik zurückkehrte, kaum noch zu steigern: „Noch nie hat mich ein Land so fasziniert, so eingesogen in sein Leben, – es scheint mir auch nicht denkbar, daß es so bei einem anderen Land geschehen könnte. Denn es ist eben nicht irgendein Land.“15 Mit seinen Reiseimpressionen, die er mündlich vortrug16
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offiziellen israelischen Funktionsträgern s. Gollwitzer/Rendtorff, Gespräch, 16; und Reisebericht A. Freudenbergs vom 10. 5. 1958, Kopie (EZA, 686/736). Vgl. Pangritz, Gollwitzer, 360 f. Gollwitzer, Israel und wir Deutschen, 717. – Auch abgedr. bei: Ders., Forderungen, 249 – 255. – Vgl. Reisetagebuch H. Gollwitzers, Eintrag vom 25. 3. 1958 (EZA, 686/736); und Brief A. Freudenbergs an Mutter Martyria vom 13. 5. 1958 (ebd.). Gollwitzer, Judentum, 63. – Vgl. ders., Land der Erde, 160: „Es ist nicht zu verstehen, warum unsere Alttestamentler nicht hierher strömen, warum sie noch, als wäre nichts geschehen, lieber nach Jordanien ziehen. Dort sind in reicherer Anzahl die historischen Stätten, – aber hier ist jetzt das Volk, dieses Volk in seinem Lande, hier leben nicht nur die Steine des alten Bundes, hier leben seine Menschen.“ Ebd. – Dass die Israelreise Gollwitzers Annäherung an das Judentum maßgeblich mitbestimmt hat, ist vielfach anerkannt worden. S. a. Goldschmidt, Laudatio, 397; und Marquardt, Beitrag, 3. – Vgl. auch Schmidt, Evangeliumsdienst, 20. – Die jüdische Abstammung von Brigitte Gollwitzer wirkte verstärkend auf Helmuts Israelliebe ein: „Nach unserer ersten Reise nach Israel im Jahre 1958 erleichterte ich Brigitte die Rückkehr in die deutsche Heimat mit dem Versprechen, mindestens alle zwei Jahre eine Israelreise zu machen. Ein Versprechen, das ich einigermaßen einhalten konnte“ (zit. bei: Orth, Gollwitzer, 60).
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und schriftlich festhielt, beeinflusste Gollwitzer die Israelwahrnehmung vieler seiner Freunde und Schüler. Ein halbes Jahr nach Gollwitzer, Ende Oktober, reiste Propst Heinrich Grüber auf Einladung der Regierung Israels erstmals in dieses Land und konnte sich dadurch „endlich einen langen Wunsch erfüllen.“17 Er wurde von Ministerpräsident David Ben-Gurion und Staatspräsident Jizchak Ben-Zwi empfangen. Überhaupt empfand der Berliner Propst die Aufnahme durch die Israelis als äußerst herzlich. Freilich war es Grüber nicht möglich, das Land zu betreten, ohne die Gräuel der NS-Zeit vor Augen zu haben: „Bei einer Reise nach Israel drängen sich […] immer wieder die Bilder der Novembertage vor 20 Jahren vor die Seele und der furchtbaren Erlebnisse, deren Zeugen wir in KZ’s selbst wurden.“18 Nach seiner Rückkehr brachte auch Grüber seine Reiseeindrücke einem breiten Publikum nahe, versuchte jedoch viel mehr als z. B. Hermann Maas der israelischen Gesellschaft einen kritischen Spiegel vorzuhalten: Die Israelis stünden vor der Gefahr, Gott aus den Augen zu verlieren und der Ideologie des ,Amerikanismus‘ zu verfallen.19 Im Jahr darauf, vom 1. März bis zum 3. April 1959, reisten schließlich die Berliner Studentenpfarrer Friedrich-Wilhelm Marquardt, Joachim Hoppe und Rudolf Weckerling mit Angehörigen der örtlichen Evangelischen Studentengemeinde (ESG) auf Einladung des israelischen Studentenverbandes nach Israel sowie in den Libanon, nach Syrien und Jordanien.20 Mit der Person Marquardts betrat nach Gollwitzer nun ein weiterer künftiger ,Israeltheologe‘ das Land der Bibel. In Beirut, Damaskus und Jericho besuchten die Berliner Studenten arabische Flüchtlingslager. Das Betreten israelischen Bodens stand dann ganz unter dem Zeichen der Schoah: „Das schwerste Gepäckstück, das Sie mitführen“, so schärfte Weckerling den Reiseteilnehmern ein, „ist unsere Schuld an den Juden.“21 Auch diese jungen Deutschen wurden in ein straffes, von israelischer Seite ausgearbeitetes Programm eingespannt, das auch Informationsveranstaltungen durch Regierungsvertreter vorsah. Ein Gespräch mit dem Haifaer Professor Franz Ollendorff22 durfte genauso wenig fehlen wie 16 Z.B. am 10. 12. 1958 in Bonn unter Zuhilfenahme von Farbdias. So Brief von L. v. Borcke an die Mitglieder der Bonner GCJZ vom 1. 12. 1958 (EZA, 87/890). 17 Grber, Erinnerungen, 405. 18 Grber, Quo vadis, 115. 19 So ebd., 116 f. 20 So Pangritz, Schulweg, 176; ders., Wendung, 8 (und in dessen Nachfolge Meyer, Christologie, 48). – Rusnak, Post-Holocaust-Theology, 275 u. a. sprechen alle von der ersten Reise einer deutschen Studentengruppe nach Israel. Demgegenüber behauptet Kremers, Mission an Israel, 69, er sei bereits 1958 mit Studenten in Israel gewesen. In einer neueren Veröffentlichung spricht Pangritz nur noch von „eine(r) der ersten nach Israel eingeladenen Gruppen deutscher Studenten“ (Pangritz, Marquardt [BBKL], Online). – Zur Reise s.a. o.Vf., Deutsche Studenten. 21 Weckerling, Studentengemeinde, 408. – Zu dessen Reiseimpressionen s. a. ders., Hass, 97 – 102; und ders., Ollendorff. 22 Im Jahr darauf, im Juli 1960, war F. Ollendorff selbst zu Gast im ESG-Wohnheim in Berlin. Anlässlich der Verhaftung A. Eichmanns sprach er sich hier gegen Israel als Ort des Prozesses
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eine Begegnung mit dem 81-jährigen Martin Buber. Als sich die Reisegruppe zur Mitarbeit auf drei verschiedene Kibbuzim aufteilte, erlebte sie das Abbild einer gerechten Gesellschaft. Marquardt kehrte mit der Überzeugung heim, die Deutschen könnten in den Nahostkonflikt vermittelnd und versöhnend eingreifen: „Die Israelis waren brennend interessiert an unseren Berichten von der arabischen Seite […] So sind wir, die Deutschen, verpflichtet zum ,Dienst an Israel‘ auch auf der arabischen Seite.“23 Mehr noch als Marquardt interessierte sich allerdings Weckerling, später Auslandspfarrer in Beirut, für arabische Anliegen und warnte vor einem einseitigen ,Schuldgefühl‘ gegenüber den Juden, weil die Deutschen „Schuldner der Araber wie der Juden sind, denn ohne den Versuch der ,Endlösung‘, d. h. der völligen Ausrottung der Juden in Europa, wäre der Staat Israel nicht unter denselben Umständen entstanden und hätte das arabische Flüchtlingsproblem nicht diese Ausmaße angenommen.“24
Für Marquardt bestand die entscheidendste Auswirkung der Israelreise nicht in einer neuen Erkenntnis bezüglich der israelisch-arabischen Auseinandersetzung, sondern in der nun einsetzenden Ausrichtung seiner Theologie auf den Dialog mit dem Judentum. Hier sollte Marquardt über Gollwitzer noch weit hinausgehen. Rückblickend urteilte Marquardt: „Der Anlass für mein ganzes theologisches Unternehmen seit der Dissertation ist eine Reise nach Israel gewesen“, eine Reise, die in seinen Augen „meine zweite Taufe“ wurde.25 Nicht als Teil einer Reisegruppe, sondern alleine durchschritt der 21-jährige Michael Krupp am 28. Oktober 1959 das Mandelbaumtor und gelangte nach West-Jerusalem. Krupp, den die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (West) 1970 als Pfarrer nach Israel aussenden sollte, war auf dem Landweg über die Türkei und Jordanien in den jüdischen Staat eingereist. Nur aufgrund einer persönlichen Einladung eines Israeli hatte er ein Visum erhalten. Mit dem mehrmonatigen Aufenthalt erfüllte er sich einen lange gehegten Jugendtraum, auf den er sich intensiv vorbereitet hatte. Die Begegnungen mit Israelis waren von der Konfrontation mit den nationalsozialistischen Verbrechen bestimmt. Jede Freundlichkeit eines jüdischen Menschen zu einem Deutschen war für Krupp Anlass großer „Verwunderung“. Vielmehr hatte er Verständnis für die Zurückhaltung polnischer Schoah-Überlebender ihm gegenüber im Kibbuz Tirat Zvi bei Beit Sche’an. Doch gerade dieses engere aus. Lieber sollte man „den Prozeß vor einem internationalen Gerichtshof führen, um auch nur den Schein zu vermeiden, daß in diesem Fall statt Gerechtigkeit Ressentiments herrschten.“ So Ollendorff, Lebensprobleme, 339. – Vgl. Weckerling, Ollendorff. 23 Marquardt, Begegnungen, 151. 24 Weckerling: Salem, 98. 25 Marquardt in einem Interview in Amsterdam vom 25. 9. 1996. Zit. und übersetzt bei: Pangritz, Wendung, 8. – Vgl. Lehming/Liß-Walther/Loerbroks: Vorwort, in: Diess., Wendung, 9: „Mündlich hat er gelegentlich seine ganze theologische Arbeit als Nacharbeit seiner ersten Israelreise bezeichnet.“ – Vgl. Rusnak, Post-Holocaust-Theology, 275.
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Zusammenleben mit den Kibbuzniks von Tirat Zvi im Jahr 1959 prägten Krupp in der eigenen Wahrnehmung mehr als sein weiteres akademisches Studium: „Die Zeit unter diesen gemäßigt religiösen Juden mit einem großen Herz für Andersgläubige und einer sehr offenen Haltung gegenüber der Welt, lehrte mich mehr über Christentum und Judentum als alle theologischen Seminare in Deutschland.“26 Doch nicht alle späteren ,Israeltheologen‘ konnten bereits 1958/59 israelischen Boden betreten. Während deutsche Forscher in West-Jordanien in den 1950er Jahren in dem Bewusstsein arbeiteten, dass die meisten biblischen Stätten sowieso östlich der israelisch-jordanischen Grenze lagen und der Staat Israel für sie deshalb nur von untergeordneter Bedeutung war, bedauerte Rolf Rendtorff rückblickend aus der Distanz mehrerer Jahrzehnte, dass bei seinem ersten Aufenthalt in der Jerusalemer Altstadt im Herbst 1959 keine Möglichkeit bestand, den Westen der geteilten Stadt zu betreten. Rendtorff nahm in Ost-Jerusalem zusammen mit Günther Harder an dem Lehrkurs des PalästinaInstituts teil und konnte nur wehmütig hinüber nach Israel schauen: „Über die Mauer hinweg konnten wir die Fahne mit dem Davidsstern auf dem KingDavid-Hotel wehen sehen – ein Blick in eine fremde und für uns unzugängliche Welt.“27 2.2.2 Das zehnjährige israelische Staatsjubiläum Aus der zehnjährigen Wiederkehr der Gründung des Staates Israel im Mai 1958 resultierte eine Reihe von Aktionen, Vorträgen und Zeitschriftenartikeln, die erneut nach der Bedeutung des jüdischen Staates für die Christenheit fragten. Als Beispiel kann ein Referat Helmut Gollwitzers gelten. Wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land, am 10. Mai 1958, sprach Gollwitzer in Anwesenheit seiner Freunde Jochanan Bloch und Friedrich-Wilhelm Marquardt in der Freien Universität Berlin (FU) über seine persönliche Sicht des jüdischen Staates. Für eine westdeutsche Universität galt es als sehr ungewöhnlich, „daß man den Staatsgründungstag einer ausländischen Macht, auch noch unter Abspielen von deren Nationalhymne, begeht.“28 Gollwitzer konstatierte zu Beginn seiner Rede, dass an normalen Staatsgründungsjubiläen nur Betroffene teilnähmen; bei diesem Vortrag seien aber die meisten Hörer keine Bürger des Staates, dessen Jubiläum nun begangen werde: „Sie sind hierher gekommen in dem Bewußtsein, daß die Existenz des Staates Israel uns alle angeht und daß sie uns tiefer angeht als die Existenz 26 Aus einem Radio-Interview mit M. Krupp, zit. bei: Avidan, Michael Krupp, Online. – Vgl. Krupp, Christ, 190 – 194; und Krupp, Rückblick, 267. 27 Rendtorff, Identifikation, 137. – Vgl. ders., Weg, 2.– Zu dem Lehrkurs 1959 vgl. den Teilnehmerbericht von A. Kuschke (EZA, 2/3200); sowie Rendtorff, Abrahamstätten; und ders., Kontinuität, 71 f. 28 Marquardt, Genosse, 101.
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irgendeines anderen auswärtigen Staates.“ Drei Aspekte würden den Staat Israel für die Deutschen des Jahres 1958 bedeutsam machen: ein soziologisches, moralisches und ein theologisches Moment. Mit dem soziologischen Moment meinte Gollwitzer die Beobachtung, dass sich in Israel eine Gesellschaftsordnung durchgesetzt habe, die er als ,progressiv‘ verstand: „Damit bin ich selbst schon mitten in dem enthusiastischen Stil, den ich vor meiner Reise als Mangel der meisten Israelberichte empfunden habe.“29 Er berichtete voller Begeisterung von der Aufbauleistung der Israelis, die ein karges Land urbar gemacht hätten. Der tatkräftige zionistische Pionier vermittle ein ganz anderes Bild, als das, welches sich die Europäer jahrhundertelang von den Juden gemacht hätten. Das seit jeher dem Militarismus abgeneigte Judentum verfolge auch mit seiner Armee in Israel keine aggressiven Ziele; die Streitkräfte hätten sich hier vielmehr pädagogischen Aufgaben verschrieben. Gollwitzer konnte gar nicht anders, als diesen neuen, von einer Solidargemeinschaft getragenen Staat der bundesdeutschen Adenauer-Ära gegenüberzustellen: „Der israelischen Gesellschaft fehlen ganz die restaurativen Züge, die die unsrige kennzeichnen.“ Die Begriffe ,Bundesrepublik‘ und ,restaurativ‘ schienen für den Berliner Professor genauso zusammenzugehören wie für andere zum Terminus ,Mittelalter‘ nur das Adjektiv ,finster‘ passte. Weil aufgrund der Desavouierung der deutschen Jugend- und Singbewegung im Nationalsozialismus der Generation Gollwitzers die positiven Jugenderinnerungen geraubt wurden, geriet der Berliner Professor bei seiner Erinnerung an „Kraft, Natürlichkeit, Schönheit, Frische, Selbstbewußtsein“ der israelischen Jugend regelrecht ins Schwärmen.30 Der zweite Faktor, der den Staat Israel für die Deutschen wichtig mache, sei ein moralischer (,moralisches Moment‘): Israel wurde zur Zufluchtsstätte der jüdischen Verfolgten während der NS-Zeit, sodass die Juden in diesem Land „diejenigen sind, die uns, unserem Morden entgangen sind.“ Deshalb müsse man Verständnis dafür haben, dass sich Israel dem deutschen Massentourismus noch versperre. Für Gollwitzer war aber das Luxemburger Abkommen ein positives Signal für die Zukunft gewesen. Geld- und Materiallieferungen könnten zwar keine Verbrechen wiedergutmachen, sie könnten aber ein neues Miteinander initiieren, das in die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel zu münden habe. An dieser Stelle ging Gollwitzer auch auf die israelisch-arabischen Auseinandersetzungen ein und verteidigte das Existenzrecht des jüdischen Staates gegenüber denen, die es mit dem Hinweis auf Verbrechen an der arabischen Bevölkerung 29 Gollwitzer, Israel und wir, 82 f. – Vgl. Goldschmidt, Laudatio, 397; Hansen, Schatten, 466 f; Kickel, Land, 186 f; und Pangritz, Gollwitzer, 363 – 365. 30 Gollwitzer, Israel und wir, 87 u. 89. – Zu seinen Erfahrungen in der deutschen Jugendbewegung s. ders., Skizzen, 31 – 35. – An anderer Stelle kritisiert H. Gollwitzer das Missverständnis, „als solle nun die Welt zur Abwechslung statt am deutschen am jüdischen Wesen genesen“; die Bedeutung Israels liege gerade nicht in seinen Leistungen (ders., Weltbedeutung, 81).
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relativieren wollten. Es gebe jetzt nur eine Lösung, und zwar „diejenige, die nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft sieht und darum von den Fakten der Gegenwart ausgeht: die Juden sind hier und konnten nirgends anders hin als hierher.“31 Gollwitzer charakterisierte die israelische Regierung als friedliebend und nicht an territorialer Expansion interessiert. Der dritte Faktor, weswegen der jüdische Staat für die Deutschen eine Bedeutung habe, sei der theologische. Zum theologischen Moment gelangte Gollwitzer durch eine faktische Gleichsetzung der heutigen Israelis mit den biblischen Israeliten: „Es ist das Volk, dessen ganzes unerhörtes, unvergleichliches Schicksal bis zum heutigen Tage daher rührt, daß es in ein Gottesverhältnis geraten ist, das es nicht aufkündigen kann, auch wenn es möchte, und das sein Wesen und Schicksal bestimmt. Israel ist das theologische Volk Kat exochen. Wer das übersieht, versteht nichts von dem, was heute in Israel vor sich geht. Wer sich mit Israel beschäftigt, muß nolens volens zum Theologen werden.“
Der Berliner Theologe verwandte eine begriffliche Unschärfe, bei der unklar war, wann er mit ,Israel‘ das biblische Heilsvolk und wann er den modernen Staat meinte („in Israel“). Dieser mangelnden Differenzierung wegen blieb dem Zuhörer keine andere Lesart übrig als die einer Inkarnation Gottes im israelischen Gemeinwesen. Der Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass Gollwitzer die Staatsgründung von 1948 als „neue Landnahme“32 bezeichnete, wodurch die in der Hebräischen Bibel enthaltene Kategorie des Landes im Staat Israel seine aktuelle Erfüllung fand. Gollwitzer merkte, dass er sich damit im Urteil kritisch-neuzeitlicher Theologie auf dünnem Eis bewegte und ruderte sofort zurück: Ausdrücklich distanzierte er sich vor einer apokalyptisch-endgeschichtlichen Interpretation der israelischen Staatsgründung, allerdings ohne Gründe zu nennen. Deshalb wurde nicht erkennbar, was Gollwitzers Theologie, vom ,Endzeitfahrplan‘ abgesehen, von christlich-zionistischen Entwürfen unterschied. Auch die EKD blieb während der israelischen Staatsfeierlichkeiten nicht völlig untätig. Hermann Kunst, Bevollmächtigter des Rates am Sitz der Bundesregierung, verstand sich als kirchlicher Botschafter in Bonn und wusste, dass es zu seinen Aufgaben gehörte, zu ausländischen Diplomaten Kontakt zu halten. So war ihm am Austausch mit den relevanten jüdischen und israelischen Institutionen gelegen, namentlich mit der Kölner Israel-Mission. Hermann Kunst wurde selbstverständlich zu dem Bad Godesberger Empfang eingeladen, den die von Felix Shinnar geleitete israelische Wirtschaftsdelegation anlässlich der Staatsfeier am 24. April ausrichtete.33 Darüber hinaus 31 Gollwitzer, Israel und wir, 91 u. 94. 32 Ebd., 96 f. 33 Vgl. das Einladungsschreiben (EZA, 87/849).
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hielten sich die leitenden Organe der EKD gegenüber einer offiziellen Würdigung eines Staatsjubiläums allerdings sehr zurück.
2.2.3 Aktion Sühnezeichen vor 1967 Zu einer Organisation, die vielen jungen Menschen Erfahrungen in Israel vermitteln sollte, wurde Aktion Sühnezeichen (ASZ). Am 30. April 1958 trug Präses Lothar Kreyssig auf der EKD-Synode in Berlin-Spandau seinen Aufruf zur Gründung von Aktion Sühnezeichen vor: „Nicht als einen regulären Beitrag oder als einen Antrag an die Synode, sondern nur zur Unterrichtung der Synodalen.“34 Bereits vorher hatten Personen wie Joachim Beckmann, Helmut Gollwitzer, Heinrich Grüber, Kurt Scharf und Ernst Wilm ihre Unterstützung zugesagt. Und nach der Verlesung des Gründungsaufrufs wurde dieser von etwa zwei Drittel der Synodalen unterzeichnet. Kreyssig begründete die Notwendigkeit dieser Aktion, die zunächst den Namen ,Versöhnungszeichen‘ trug, mit dem Leiden, das „wir“ Deutsche den Juden und anderen Völkern Europas angetan hatten. „Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.“35 Frieden könne nur in einer Versöhnung wurzeln, bei der die Täter und ihre Nachkommen den ersten Schritt unternähmen. Deshalb bat Kreyssig „die Völker, die von uns Gewalt erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun, ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus […] als Sühnezeichen zu errichten.“36 Die Dienste seien keine Wiedergutmachungen, sondern Bitten um Vergebung. Bereits im Gründungsaufruf wurde der Staat Israel als anvisierter Wirkungsort von Freiwilligen angesprochen. Angesichts der Schoah sei der Versöhnungsdienst gerade dort von unbedingter Wichtigkeit. ASZ verstand sich zunächst als eine Einrichtung der evangelischen Kirche, wenn auch nicht im institutionellen Sinne. In den darauf folgenden Jahren organisierte sich ASZ als eigenständiger Verein, blieb aber finanziell von verschiedenen Landeskirchen abhängig. ASZ wurde zunächst als gesamtdeutsche Organisation gegründet, musste aber nach dem Mauerbau in Ost und West getrennt agieren. Schon 1960 erklärte das DDR-Außenministerium, 34 Weiss, Prophet, 334. – Zu ASZ s. zudem Bçhme, Sühnezeichen; Kammerer, Sühnezeichen; Kloke, Linke, 55 f; Krupp, Sühnezeichen; Mller, Sühnezeichen; Staffa, Sühnezeichen; und Vogel, Kultur, Bd. 6, 177 – 180. 35 Kreyssig in: EKD, Synodalbericht 10, 279. – Auch dok. bei: Rabe, Umkehr, 14; Skriver, Sühnezeichen, 13 f; Vogel, Kultur, Bd. 6, 175 f; und Weiss, Prophet, 455 f. – Vgl. Meldung „Aktion Versöhnungszeichen“, in: Epd.ZA Nr. 100 vom 2. 5. 1958. 36 Kreyssig in: EKD, Synodalbericht 10, 279. – Vgl. Brief von ASZ (L. Kreyssig) an die Mitglieder der Synode der EKD, des Rates und der Kirchenkonferenz vom 5. 5. 1958, Kopie (EZA, 2/5252): Die hier enthaltene Textfassung spricht anstelle von „Sühnezeichen“ von „Versöhnungszeichen“.
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dass DDR-Bürger für Einsätze im westlichen Ausland keine Reisegenehmigungen erhalten würden.37 Zu den anfänglichen Gegnern der ASZ zählte Otto von Harling. Allerdings konnte er seine Kritik aufgrund der Unterstützung durch die EKD-Synode nicht in seiner Funktion als Referent bei der Kirchenkanzlei vorbringen, sondern meldete sich im Blick auf seine Tätigkeit im Zentralverein und im Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) zu Wort. Der theologische Hauptkritikpunkt richtete sich gegen den der Aktion zugrunde liegenden unlutherischen Sühnegedanken. Von daher waren von Harlings Einwände gegen das von Kreyssig intendierte Israelengagement sekundär.38 Ein halbes Jahr später äußerte sich von Harling schon vorsichtiger und sprach von der Möglichkeit, dass seine Bedenken auch unbegründet sein könnten.39 Nach Israel wollte die erste Freiwilligengruppe unter der Leitung von Pfarrer Johannes Müller im April 1961 aufbrechen. Doch wegen des gerade begonnenen Eichmann-Prozesses40 wurde ASZ von verschiedenen Seiten gebeten, die Ausreise nach Israel aufzuschieben. Schließlich konnte Müller mit einer zehnköpfigen Gruppe im Oktober 1961 die Arbeit im Kibbuz Urim, der zwischen Beerscheba und dem Gaza-Streifen lag, beginnen. Die jüdische Genossenschaftssiedlung wurde den Volontären als eine ,bessere‘, weil freiwillige ,Kolchose‘ vorgestellt, als „eine wirkliche Familie“, deretwegen man Israel liebe.41 Zudem erfuhren die Mitarbeiter der ASZ, dass es in Urim Diskussionen darüber gegeben hatte, ob man die Anwesenheit von jungen Deutschen überhaupt akzeptieren könne. Die Bewohner von Urim waren darüber übereingekommen, dass man die jungen Deutschen in die Arbeitsbereiche Landwirtschaft, Gärtnerei und Küche eingliedern und ihnen nicht gestatten würde, als Gesamtgruppe am Hausbau tätig zu sein. Man sei noch nicht bereit, so ein Kibbuznik, die deutsche Versöhnungsgeste „durch die Errichtung eines Gebäudes [zu] verewigen.“42 Beobachtern zufolge war es für die fünf Frauen und fünf Männer nicht leicht, mit den Arbeitsleistungen der israelischen Kibbuzmitglieder Schritt zu halten. Die dritte, von Diakon Otto Schenk geleitete Israel-Gruppe kam 1963 nach West-Jerusalem, um auf dem Gelände des jüdischen Blindenheims in der Eli’ezer Halevi-Straße im Stadtteil Qiryat Moshe an der Fertigstellung eines 37 So Rabe, Umkehr, 34. 38 So Brief v. Harlings an Kreyssig vom 19. 5. 1958 (EZA, 2/5252): Den Israelis „liegt gar nicht an aufgerichteten Zeichen und stellvertretender Sühneleistung weniger Christen, sondern an einer gründlichen Sinnesänderung des ganzen deutschen Volkes […] Man würde es vielleicht sogar als kränkend empfinden, wenn unsererseits eine Arbeitsleistung in Israel, die für jeden Juden einen Ehrendienst bedeutet, als Sühne angeboten wird.“ 39 So Brief v. Harlings an Kreyssig vom 18. 12. 1958 (EZA, 2/5252). 40 Dazu s. Teil II, 2.4.2. 41 Eckern, Jerusalem, 66. – Vgl. ebd., 136. – S. a. Mller, Sühnezeichen. 42 Dok. bei Skriver, Sühnezeichen, 128. – Vgl. Seeger/Heidtmann, Propst, 499; und Grnberg, Schuldkomplex, 19.
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Schulgebäudes für blinde Kinder mitzuarbeiten. Im März 1964 konnte die Schule eingeweiht werden. Eine Begegnung mit dem 86-jährigen Martin Buber im November 1963 hinterließ einen tiefen Eindruck auf die Freiwilligen. Sie fragten den in Jerusalem lebenden Religionsphilosophen: „Was kann die deutsche Jugend für die Aussöhnung mit dem Staat Israel leisten, wenn sie nach einem Jahr Arbeit und gemeinsamen Leben in Israel nach Deutschland zurückkehrt?“ Buber forderte, die Deutschen müssten sich mehr mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen und alles daran setzen, dass eine derartige ,Entmenschlichung‘ wie in der NS-Zeit niemals mehr stattfinden werde. Im Blick auf die Gegenwart blieb er skeptisch: „Alle deutschen Besucher bei mir in Jerusalem haben mich nicht davon überzeugen können, daß eine große Zahl in Deutschland hinter ihnen steht.“43 Mit der Arbeit am Jerusalemer Blindenheim sollte sich der Schwerpunkt der Arbeit von ASZ mehr und mehr nach Jerusalem verlagern. Anstelle des Bauprojekts wurden schließlich Einsätze in sozialen Einrichtungen durchgeführt. Die Freiwilligendienste in den Kibbuzim wurden weitergeführt. Allerdings nahmen nur wenige Genossenschaftssiedlungen Deutsche auf. Manche Volontäre erlebten die Konfrontation mit der Realität der Kibbuzim als enttäuschend und ernüchternd: „Denn man kam mit reichlich idealistischen, sozialistischen Wunschwelten, die es nirgends auf der Welt lebendig gibt, in die fröhliche Realität des ach so menschlichen und undogmatischen Kibbuz.“44 Viele junge Deutsche kamen erstmals durch ASZ mit dem Staat Israel in Berührung und fungierten nach ihrer Rückkehr als Multiplikatoren eines positiven Israel- und Judenbildes: „Für uns alle war die Begegnung mit Israel gleichbedeutend mit der Begegnung mit dem Judentum.“ Fast alle Freiwilligen ließen sich von dem wirtschaftlichen und sozialen Aufbau in Israel beeindrucken: „Der junge Staat Israel reizte uns. Sein Ideenreichtum, sein Aufbauwille und seine neuen Gesellschaftsformen zogen uns an.“45 Gerade diejenigen, die längere Zeit in Israel lebten, empfanden den jüdischen Staat als ihre neue Heimat.
2.2.4 Der Münchner Kirchentag (1959) Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in München beschäftigte man sich bei einem ,Israelabend‘ am 13. August 1959 intensiv mit dem Judentum. Das Kirchentagsmotto „Ihr sollt mein Volk sein“ (Lev 26,12) gab 43 Dok. bei Schenk/Nessler, Brunnen, 6 f. 44 Ebd., 11. – Im gleichen Jahr, 1963, gingen die ersten Volontäre ins Kinderheim Ahavah in das nördlich von Haifa gelegene Qiryat Byalik. Später kam noch der Kibbuz Ashdot Ya’akov südlich des See Genezareths hinzu. In die sechste Israelgruppe, die im April 1965 im Kibbuz Bakhan an der israelisch-jordanischen Grenze nahe Tulkarem ihre Arbeit aufnahm, wurden mit drei Schweizerinnen erstmals Ausländer in eine deutsche Gruppe aufgenommen. 45 Ebd., 9.
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auch Anlass dazu. Während auf dem Kirchentag 1952 Hermann Maas der einzige deutsche Referent war, dessen Ausführungen über den jüdischen Staat auf eigenem Erleben beruhten, konnten 1959 alle Redner vom 13. August auf zurückliegende Israelaufenthalte blicken.46 Das alte Gelehrtenideal „Wer mit dem Kopf reisen will, der muß seinen Körper zu Hause lassen“47 hatte seine Gültigkeit verloren; Israelis zu kennen wog mehr als bloßes Bücherwissen. Einer, der im Frühjahr 1952 und im Herbst 1958 den jüdischen Staat besucht hatte, war der Göttinger Theologe Walther Zimmerli. Er referierte über ,Wir Christen und die Juden‘ und berichtete dabei von seinen Begegnungen mit jüdischer Frömmigkeit in Israel. Der Alttestamentler bekannte, seit seinen Reisen das Judentum als gegenwärtige, und nicht nur als historische Größe wahrzunehmen. Zwei Geschehnisse der letzten Jahre, Auschwitz und Israels Staatsgründung, würden uns daran erinnern, so Zimmerli, dass wir dem jüdischen Volk „durch lange Zeit etwas schuldig geblieben sind und nun umzulernen haben.“ Ausgehend von den Schriften Schalom Ben-Chorins und Martin Bubers versuchte Zimmerli den Kirchentagsbesuchern eine positivprophetische Sicht des Zionismus zu vermitteln: „So sehr diese Bewegung nationale und nicht religiöse Bewegung ist und sein will, so sehr lebt doch auch sie in ihrem Besten, ohne es eingestehen zu wollen, von dem im Alten Testament ergehenden Ruf her.“48 Der Vortrag Helmut Gollwitzers, der „sogar vier Mitglieder einer studentischen Reisegruppe mitgebracht“49 hatte, war noch ganz von der Euphorie der Israelreise im Jahr zuvor geprägt und trug einen ähnlichen Titel wie das vorhergehende Referat: ,Israel und wir Deutschen‘. Hier stellte der Berliner Theologe analog zu Zimmerli die Schoah und das neu gegründete Israel als Anlass für die christliche Neubesinnung gegenüber den Juden dar. Antisemitischen Klischees könne man am besten begegnen, wenn man den Staat Israel besuche und die Israelis als „ein bauernstarkes, kämpferisches Volk“ erlebe. Gollwitzer schilderte die heutigen Israelis als die idealen Menschen, die sich nicht nur durch Gemeingeist und Menschlichkeit auszeichneten, sondern sich auch, und das war für die Kirchentagsbesucher wichtig, „an das ihnen anvertraute Gotteswort gebunden“ wüssten. Angesichts der deutschen Schuld plädierte Gollwitzer für praktische Zeichen der Versöhnung und hob das bisherige Engagement von Erich Lüth, Lothar Kreyssig und den Darmstädter Marienschwestern hervor: „Wie wäre es, wenn Sie alle jetzt zu Hause durchsetzten, daß jede Gemeinde einen Baum in Israel stiftet?“50 46 Zu H. Maas auf dem Kirchentags-Sondertreffen vom 30. 8. 1952 s.: Maas, Volk. 47 Safranski, Schopenhauer, 64. 48 Zimmerli, Wir Christen, 707 u. 709. – Zum Kirchentag s. Kammerer, Haare, 15 – 18; Stçhr, Arbeitsgemeinschaft, 35; und Stçhr/Rendtorff, Arbeitsgemeinschaft. 49 Kammerer, Haare, 17. – Wahrscheinlich handelte es sich um Teilnehmer der im Frühjahr vom Berliner Studentenpfarrer F.W. Marquardt u. a. geleiteten Israelreise (s. Teil II, 2.2.1). 50 Gollwitzer, Israel und wir Deutschen, 716 – 718. – Vgl. Goldschmidt, Laudatio, 397; und Stçhr, Ökumene, 293.
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Aus den Anregungen in München entstand schließlich zwei Jahre später die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT.51 Wenn Gollwitzer und anderen das Verdienst zukam, auf einem Kirchentag die „Initialzündung“ für eine „intensivierte Debatte“ bezüglich des Judentums abgegeben zu haben52, dann galt das nicht erst für 1961, sondern bereits für das Protestantentreffen im Jahr 1959. Aufmerksamkeit erregte auf dem Münchner Kirchentag auch das erstmals aufgeführte ,Israel-Ruferspiel‘ der Darmstädter Marienschwesternschaft, welches offiziell den Titel „Israel, ein Spiel von Schuld und Sühne und vom Heimweg eines Volkes“ trug.53
2.2.5 Besuch der EKD-Delegation in Israel (1962) Das wachsende Interesse der Christen am Staat Israel blieb nicht ohne Auswirkungen auf die institutionelle EKD. Vom 1. bis 12. November 1962, so berichtete die Kirchenpresse, reiste eine „Delegation aus der Evangelischen Kirche in Deutschland“ auf Anregung Heinrich Grübers „halboffiziell“ für zehn Tage nach Israel.54 Grüber war bereits im Vorjahr, dem Jahr des Eichmann-Prozesses, zweimal in Israel gewesen. Den Berliner Propst begleiteten jetzt 31 Personen, darunter Franz von Hammerstein, Günter Heidtmann, Wilhelm Niesel, Kurt Scharf, Walter Sylten, Ernst Wilm und Adolf Wischmann. Niesel, Wilm und Scharf repräsentierten den Rat der EKD, letzterer als dessen Vorsitzender. Die Teilnehmer waren während der NS-Zeit zum größten Teil Angehörige der Bekennenden Kirche gewesen, darunter auch ehemalige Mitarbeiter des Büros Grüber. Ende des Monats beschwerte sich allerdings der württembergische Altbischof Martin Haug während der EKD-Ratssitzung, dass nicht alle Ratsmitglieder von der geplanten Reise in Kenntnis gesetzt bzw. zu ihrer Teilnahme eingeladen worden seien. Es sei daher falsch, dass die Unternehmung in der Presse „als offiziöse, wenn nicht offizielle Reise einer Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland hingestellt“ werde.55 Kurt Scharf konstatierte daraufhin, es habe sich um eine reine ,Privatunternehmung‘ auf Veranlassung Grübers gehandelt. Diese Kennzeichnung widersprach allerdings der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Reisegruppe, die vor der Öffentlichkeit so auftrat, als würde sie den deutschen Protestantismus 51 Dazu s. Teil II, 2.4.2. 52 Kuhlemann, Nachkriegsprotestantismus, 34. 53 Vgl. Kammerer, Haare, 14. – Für Landesbischof H. Dietzfelbinger (Dietzfelbinger, Auftrag, 82; Bischofsbrief vom 10. 3. 1960) war das Israel-Ruferspiel eher eine Erwähnung wert als die Vorträge Zimmerlis und Gollwitzers. 54 O.Vf., Reise, 700. – Ähnlich formulieren Seeger/Heidtmann, Propst, 498. – Zur Reise s. zudem Niesel, Gedenkfeier; o.Vf., Grüber, 92 – 103; sowie Meldung in: JK 24 (1963), 26 f. – Vgl. Reisefotos mit Grüber, Niesel, Scharf und Wilm in: RKZ 104 (1963), 3 u. 7. – Sylten, Entstehung, 167 f datiert die Reise fälschlicherweise auf das Jahr 1961. 55 Protokoll der EKD-Ratssitzung in Berlin vom 29./30. 11. 1962, Kopie (EZA, 2/5253).
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repräsentieren. Scharf wurde beauftragt, bei Grüber ausdrücklich nur mündlich56 nachzufragen, warum nicht alle Ratsmitglieder Einladungen erhalten hätten. So blieb die Frage offen, ob man bestimmte Ratsmitglieder bewusst nicht dabei haben wollte. Die Reise führte durch verschiedene Teile des Landes. Die Gruppe besuchte beispielsweise die Ortschaft Shavei Tsiyon zwischen Akko und Nahariya, welche von württembergischen Juden errichtet worden war. Für die dort liegende Ausgrabungsstätte einer frühchristlichen Kirche hatte die EKD 60 000 DM gespendet.57 Am 9. November nahm die Delegation am Gedenkakt zum 24. Jahrestag der Reichspogromnacht in Yad Vashem teil, in den Augen der Teilnehmer „der Zielpunkt der Reise.“ Von Hammerstein und Sylten, „deren Väter von den Nazis umgebracht worden sind“, legten an einem Sarkophag, der Asche aus KZ-Öfen enthielt, einen Kranz nieder.58 Grüber hielt an diesem Grabmal eine Ansprache, in der er „mit tiefer Bewegung“, ja „mit tiefer Beschämung“ der Opfer der Schoah gedachte.59 Niesel, Scharf und Wilm sprachen in ihrer Funktion als EKD-Ratsmitglieder im Anschluss an die Kranzniederlegung beim Empfang durch Leon Kubovi, den Leiter der Gedenkstätte, über „das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Verhältnis der Christenheit in Deutschland zum jüdischen Volk.“60 Niesel thematisierte die Vergangenheit und erklärte, dass die Bekennende Kirche, aus der die heutige EKD hervorgegangen sei, ein gutes Verhältnis zu Juden gehabt habe, was sich am Kampf gegen den Arierparagraphen, an persönlicher Hilfestellung und an der öffentlichen Verurteilung der Judenmorde manifestiert habe. Namentlich das Büro Grüber wurde hervorgehoben. Um nicht bei einer reinen Selbstglorifizierung zu verharren, konzedierte der Moderator des Reformierten Bundes: „Wie gering war unser Einsatz, verglichen mit dem unendlichen Leid, das durch uns Deutsche über Millionen Menschen gekommen ist.“61 Propst Scharf sprach über die kirchliche Gegenwart in Deutschland. So habe die EKD vor dem „Auftauchen neofaschistischer Erscheinungen“ gewarnt und angesichts des Eichmann-Prozesses62 zur Buße aufgerufen. Der 9. November gehe der Christenheit nicht nur als Gedenktag der Kristallnacht etwas an, sondern auch als 10. Todestag des ersten israelischen Präsidenten Chaim Weizmann. Das kirchliche Engagement zur jüdisch-christlichen Ver56 So handschriftl. Vermerk der Kirchenkanzlei unter der Protokollabschrift der EKD-Ratssitzung in Berlin vom 29./30. 11. 1962 (EZA, 2/5253). 57 Dazu s. Teil II, 2.4.2. 58 Niesel, Gedenkfeier, 517. – Vgl. Seeger/Heidtmann, Propst, 498 f. – Zu Walter Syltens Vater s. Thierfelder, Sylten. 59 Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Zit. aus dieser und den folgenden Reden aus: Grber/Niesel/Scharf, Zeugnisse. – Alle Ansprachen, z. T. mit geringfügungen stilistischen Änderungen, auch abgedr. bei: o.Vf., Grüber, 93 – 103. – Grübers Beitrag zudem dok. bei: Grber, Erinnerungen, 412. – Vgl. Weckerling, Zeuge, 65. 60 O.Vf., Reise, 700. 61 Auch zit. bei: Niesel, Gedenkfeier, 519. 62 Dazu s. Teil II, 2.4.2.
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ständigung, insbesondere die Aktion Sühnezeichen und die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT, wurde hervorgehoben. Scharf schloss seine Ansprache mit einem Hinweis auf die heilsgeschichtliche Rolle des jüdischen Volkes, zu der auch der Aufbau des Staates Israel gehöre: „Das Volk Israel ist einzigartig in seinem Leid. Es ist einzigartig in seinen Leistungen, in Rückkehr und Aufbau in seinem Lande […] Es wird einzigartig in seiner Zukunft sein, und diese Zukunft – das nun ist ein Spezifikum christlichen Glaubens – wird eng verbunden sein mit der Zukunft der Kirche.“
Für Scharf handelte es sich um den ersten Israelaufenthalt, den er sehr emotional erlebte.63 Diese, aber auch seine späteren Reisen ins Heilige Land beschrieb er nie – wie etwa Friedrich-Wilhelm Marquardt – als einen ,Wendepunkt‘ seiner Theologie. Vielmehr erlebte Scharf die Fahrten ins Heilige Land als Bestätigung seines bereits vorher gefassten Verständnisses vom Judentum und vom Staat Israel. Er ging deshalb auch nicht in die dezidierte Frontstellung gegenüber judenmissionarischen Impulsen, wie es progressive ,Israeltheologen‘ zunehmend taten. Den in Yad Vashem geäußerten eschatologischen Ausblick auf die nicht näher bestimmte Zusammengehörigkeit von Juden und Christen im Parusie-Christus präzisierte er noch Mitte der 1980er Jahre als seine Hoffnung, dass sich die Juden künftig dem Christuszeugnis gegenüber öffnen würden.64 Der eschatologische Schluss der Worte Scharfs in Yad Vashem bildete die Überleitung zu den Ausführungen von Präses Wilm. Auch wenn dieser über die zukünftigen Aufgaben der Christenheit referieren sollte, blieben seine Ausführungen doch mehr der Vergangenheit und der Gegenwart verhaftet. Wilm sprach von der Aufgabe der Erinnerung an die „sechs Millionen Toten“, „damit unsere nachfolgende Generation davor bewahrt wird, wieder auf so furchtbare Irrwege zu geraten.“ Nicht nur das Gedenken der Toten sei wichtig, sondern auch die Solidarität mit den lebenden Juden. Hier drückte Wilm seine Bewunderung für die Aufbauarbeit des israelischen Staates aus. Die EKDVertreter wollten zu Hause, so Wilm, von den Leistungen des israelischen Gemeinwesens berichten, damit auch das ,Wunder‘ der Entwicklung dieses Landes erkannt werde. Abschließend bekannte sich Wilm zur Notwendigkeit einer baldigen Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel. In Grübers Rückblick diente die Reise dem Zweck, bei Kirchenmännern Verständnis für den israelischen Staat zu wecken und von der Wichtigkeit einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu überzeugen.65 Und in der Tat 63 S. a. Scharf, Eindrücke, 3: „Ich habe noch nie in meinem Leben in einer so kurzen Zeitspanne so starke und so verschiedenartige Eindrücke gewonnen, wie bei unserem kürzlichen Israelbesuch.“ 64 So Scharf, Widerstehen, 25. – Vgl. Zimmermann, Scharf, 98 f. 65 So Grber, Erinnerungen, 411. – Zum deutsch-israelischen Botschafteraustausch s. Teil II, 2.4.4.
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beeinflusste die Reise das Israelbild der Teilnehmer in positiver Weise und förderte damit die deutsch-israelischen Beziehungen. Der Besuch der Delegation habe, so Petrus Huigens, einen starken Eindruck auf die Israelis gemacht.66 Huigens, Bundessekretär des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM), war kurze Zeit danach aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Günter Heidtmann dagegen bedauerte, dass in Yad Vashem keine prominenten Israelis zugegen waren und selbst Kubovi als Gastgeber das Treffen wegen einer Beerdigung vorzeitig verlassen musste.67 Zu einer wirklichen Begegnung mit Repräsentanten aus Politik und Gesellschaft kam es erst in den darauf folgenden Tagen, als Grüber Regierungsvertreter und ,alte‘ Bekannte zu einem Empfang lud, darunter Hugo Bergmann, Avital Ben-Chorin (in Vertretung ihres Mannes) und Generalstaatsanwalt Gideon Hausner. Hausner betonte noch einmal, wie wichtig der Eichmann-Prozess für die Identität Israels gewesen sei, gerade im Hinblick auf die Jugend. Martin Buber68 ließ seines Alters wegen lediglich Grüße übermitteln. Die Delegationsmitglieder wurden zudem im Außenministerium empfangen. Als Grüber im Sommer 1963 bekannt gab, dass er eine weitere Reise einer kirchlichen Delegation nach Israel plane, ermahnte ihn der Rat der EKD, er solle „die Einladungen möglichst bald an einen grösseren Kreis ergehen lassen.“69 Zudem wurde die von Grüber anvisierte Reisezeit um den 9. November wegen des Symbolgehalts abgelehnt; der 25. Jahrestag der Reichspogromnacht solle in Deutschland begangen werden.
2.2.6 Der deutsche Beitrag zu Nes Ammim Auch bei den Proponenten einer christlichen Siedlung in Israel namens Nes Ammim spielte die Kategorie der Erfahrung eine Rolle, der Erfahrung, mit eigenen Augen gesehen zu haben, dass eine große Anzahl von Juden wieder in ihrem biblischen Ursprungsland heimisch geworden sei. Diese Erfahrung führte bei dialogbereiten Christen zum Engagement für das Projekt Nes Ammim. Deren Leben im fertiggestellten Dorf Nes Ammim verstärkte noch ihren Einsatz für den israelischen Staat und seine Bewohner. Am 8. Dezember 1959 suchte der niederländische Pastor Roelof Bakker, der bereits auf dem Stuttgarter Kirchentags-Sondertreffen vom 30. August 1952 einen Vortrag gehalten hatte, den Velberter Pfarrer Erich David und seine Frau Elisabeth auf, um deutsche Unterstützer für eine christliche Siedlung in Israel 66 So Meldung in: JK 24 (1963), 26. – Hierbei wurde P. Huigens auch von D. Ben-Gurion empfangen. Huigens machte in den 1960er Jahren durch evangelikal geprägte Israelbücher auf sich aufmerksam. Vgl. Huigens, Begegnungen; und ders., Israel. 67 Seeger/Heidtmann, Propst, 500. 68 Vgl. Grber, Erinnerungen, 412: „Mit allen Gruppen, die ich im Lauf der Jahre nach Israel führte, besuchte ich auch Martin Buber, der immer wieder Zeit fand, mit uns zu sprechen.“ 69 Protokoll der EKD-Ratssitzung in Berlin vom 4./5. 7. 1963, Kopie (EZA, 2/5253).
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zu gewinnen.70 Trotz ihrer Zurückhaltung gegenüber den Deutschen aufgrund der Erfahrungen aus der NS-Zeit hielten die Niederländer einen deutschen Beitrag für unerlässlich, sollte es wirklich ein Projekt der Versöhnung werden. Bei seinem zweiten Besuch in Velbert am 6. und 7. Mai 1960 wurde Bakker von Johan Pilon begleitet. In der Gemeinde in Velbert wirkte als Presbyter Nikolaus Becker, später Schatzmeister und Vorsitzender des deutschen Nes Ammim-Vereins. Von dieser nordrhein-westfälischen Stadt aus arbeitete ein kleiner Kreis analog zu niederländischen und schweizerischen Bemühungen am Aufbau einer deutschen Unterstützergruppe. Am 8. März 1963 wurde schließlich in Velbert der Verein zur Förderung einer christlichen Siedlung in Israel NES AMMIM e.V. (kurz Nes Ammim-Verein) ins Leben gerufen und am 10. Mai in das Vereinsregister eingetragen.71 Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u. a. Nikolaus Becker, Horst Dahlhaus, Heinz Kremers, Elisabeth David und mit Waldemar Brenner von den Freien Evangelischen Gemeinden sogar ein Angehöriger einer evangelikalen Freikirche. Neben Brenner hatten sich auch andere „Brüder aus der deutschen evangelischen Allianz“ für die deutsche Vereinsgründung eingesetzt; der westfälische Pastor Paul Deitenbeck, langjähriger Vorsitzender der Evangelischen Allianz und Mitbegründer der Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium‘, gehörte Anfang der 1970er Jahre sogar zum Kuratorium des Nes Ammim-Vereins.72 In den folgenden Jahren zählte einige Prominenz zu den Kuratoriumsmitgliedern, darunter Joachim Beckmann, Helmut Gollwitzer, Karl Herbert, Hans Joachim Kraus, Kurt Scharf, Gerhard Stratenwerth und Ernst Wilm.73 Der ursprünglich aus pietistischem74 Umfeld stammende Heinz Kremers machte sich frühzeitig durch die theologische Durchdringung christlich-jüdischer Themen einen Namen. Dass er von Anfang an zu denen gehörte, welche die EKD dazu aufforderten, sich bei der Bundesregierung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel stark zu machen, verstand sich von selbst.75 70 So David, Legende, 42. – Damit widerspricht die Augenzeugin der ersten Stunde der bisherigen Nes-Ammim-Geschichtsschreibung (vgl. Becker/Koch, Bewahren, 24 f). – Zu Bakkers Vortrag in Stuttgart s. Bakker, Verantwortung. – Zu Nes Ammim allg. s. Becker, Nachruf; Koch, Zeichen; Lapide, Ness [!] Ammim; Pragai, Land, 305 – 308; Schoon, Präsenz, 34 u. 99 – 101; ders., Nes Ammim; und Schoon/Kremers, Nes Ammim. 71 Vgl. Koch, Velbert, 42; Dahlhaus, Vor 35 Jahren; und ders., Vierzig Jahre. 72 Rundbrief Jakob Bernaths vom 22. 3. 1963 (EZA, 6/1583). – Vgl. Liste der Kuratoriumsmitglieder von ca. 1972 (EZA, 81/3/102). 73 So Brief H. Dahlhaus’ an Strathenwerth vom 10. 6. 1963 (EZA, 6/1582) und Liste der Kuratoriumsmitglieder von ca. 1972 (EZA, 81/3/102) sowie redaktionelle Einleitung zu Lapide, Ness [!] Ammim, 292. 74 So Kremers, Mission an Israel, 69: „Meine Eltern, die in der Tradition des reformierten Pietismus standen, weckten in mir […] die Liebe zum jüdischen Volk.“ – Vgl. Schoon, Nes Ammim, 49; und Weyer, Leben, 1. 75 So Kremers, Verhältnis, 461: „Ich bin der festen Überzeugung, daß die Evangelische Kirche in Deutschland vom Evangelium her verpflichtet ist, in Wahrnehmung ihres Wächteramtes die
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Was die Siedlungsgründung in Israel selbst betraf, so fielen entscheidende Hürden am 11. Dezember 1960, als eine transnationale Delegation, zu der auch zwei Deutsche –Dahlhaus und der rheinische Pfarrer Lothar Ahne – gehörten, dem israelischen Finanzminister Levi Eshkol einen ersten Antrag überreichte.76 Demnach beabsichtige man, „nicht nur dem jungen Staat durch Wiedergutmachungen mit Anteilnahme und finanzieller Unterstützung zu helfen, sondern auch hinzuarbeiten auf gegenseitiges Wohlwollen und Verständnis auf dem Niveau konkreter menschlicher Beziehungen.“77 Die theologische Richtung, in die sich Nes Ammim entwickeln sollte, stand für Dahlhaus bereits frühzeitig fest: „von der Mission zum Dialog.“78 Nach schwierigen Verhandlungen genehmigte die israelische Regierung im Frühjahr 1963 den Aufbau des christlichen Moschavs Nes Ammim in der Ebene zwischen Nahariya und Akko; der Name mit der Bedeutung ,Zeichen für die Völker‘ (Jes 11,10) war in den Niederlanden entstanden. 1964 ließen sich die ersten Bewohner nieder ; Deutsche waren noch nicht darunter. Um dem Vorhaben auch eine theologische Grundlage zu geben, schrieb Heinz Kremers ein Memorandum und erbat dazu Stellungnahmen der Theologen Hendrikus Berkhof, Helmut Gollwitzer und Hans-Joachim Kraus. Unter Zuhilfenahme dieser Voten verfasste Kremers zusammen mit den Niederländern Jacobus Minnaar und Roelof Bakker unter dem Titel „Sinn und Aufgabe einer christlichen Siedlung in Israel“ den endgültigen Text, den er durch einen eigenen Kommentar ergänzte. Im Sommer 1964 stellte Kremers anhand dieses Memorandums das Selbstverständnis von Nes Ammim israelischen Repräsentanten vor, darunter Yonah Malachy, dem Referenten für christliche Kirchen im Religionsministerium. Dahlhaus urteilte rückblickend, dass dieses Memorandum „im Grunde schon alles“ enthalten habe, was auf der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 1980 zum Thema Juden und Christen beschlossen wurde.79 Das galt insbesondere von der Rede vom ,Zeichen der Treue Gottes‘. Kremers’ Memorandum bezog sich auf das zweifache ,Zeichen für die Völker‘ (hebr. = nes ammim), das Gott Jesaja 11,10 – 12 zufolge aufrichten werde: Zum einen verheiße Gott das Kommen des Erlösers aus dem Geschlecht Isais und zum anderen die Heimkehr des Volkes Gottes aus dem Exil. Diese Rückkehr des Gottesvolkes war für Kremers im 20. Jahrhundert erneut Realität geworden:
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Regierungen in Bonn und Pankow aufzufordern, so schnell wie möglich Israel diplomatische Beziehungen anzubieten.“ – Dazu s. Teil II, 2.4.4. So Litzka, Nes Ammim, 32 – 34. Memorandum aus dem Jahre 1960 an die israelische Regierung, in: Schoon/Kremers, Nes Ammim, 172. – In anderer Übersetzung ausführlich zitiert in: Pragai, Land, 306 f. Brief H. Dahlhaus’ an Strathenwerth vom 10. 6. 1963 (EZA, 6/1582). Dahlhaus, 35 Jahre Nes Ammim, 21.
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„Gott hat die zweite Verheißung zum ersten Mal erfüllt, als der Perserkönig Kyros das Volk Israel aus dem Babylonischen Exil heimkehren ließ. In unseren Tagen erfüllt Gott diese Verheißung zum zweiten Mal […] Und diese Heimführung ist ein Zeichen der Treue Gottes zu Israel, das er für alle Völker aufgerichtet hat.“
Die Einwohnerschaft von Nes Ammim bekenne also, dass ihnen „zwei große Taten Gottes in unserer Geschichte zum Zeichen geworden sind“, einerseits die Sendung Jesu Christi und andererseits die Rückkehr von „Rahels Kinder“ in ihr Heimatland.80 Mit dem Hinweis auf ,Rahels Kinder‘ bezog sich Kremers nicht nur auf Jeremia 31,15 – 17, sondern auch auf einen Buchtitel von Hermann Maas81. Da mit ,Israel‘ in Kremers’ Ausführungen das jüdische Volk und nicht der gleichnamige Staat gemeint war, implizierte dies keine religiöse Überhöhung der israelischen Staatwerdung, sondern eine heilsgeschichtliche Interpretation der neuen jüdischen Existenz im Heiligen Land. Wegen der fehlenden Abwehr von Missverständnissen bezüglich des Staates waren Ambiguitäten jedoch nicht auszuschließen. Um keiner apokalyptischen Auslegung Vorschub zu leisten, schloss Kremers seinen Kommentar zum Memorandum mit einer Auslegung von Ezechiel 37, wonach die endzeitliche Sammlung der Juden mit ihrer geistlichen Erweckung einhergehe. Da letztere aber noch nicht in Sicht sei, dürfe die aktuelle jüdische Besiedlung Palästinas nicht eschatologisch verstanden werden. Damit stimmte das Memorandum der Sache, wenn auch nicht der Formulierungen nach überein mit der Rede von Hermann Maas vom ,Präludium‘ der messianischen Zeit. Pinchas Lapide zufolge sei Nes Ammim gerade deshalb auf zunehmende Resonanz von christlicher Seite aus gestoßen, weil diese Siedlung im Gegensatz zu anderen kirchlichen Initiativen „die theologischen Implikationen der Wiedergeburt des Staates Israel“ beachtet hätte.82 Trotz aller Zustimmung rief Kremers’ Memorandum bei christlichen Gesprächspartnern mehr Widerspruch hervor als bei jüdischen, jedoch weniger wegen der Passagen über die Heimkehr der Juden, sondern aufgrund praktisch-politischer Probleme sowie der Distanz zur Judenmission. Auch in der EKD war Nes Ammim lange Zeit umstritten. Als Adolf Wischmann, Leiter des Kirchlichen Außenamtes (KA), unmittelbar vor der Gründung des deutschen Nes Ammim-Vereins vom Stuttgarter Prälaten Theodor Schlatter um ideelle Unterstützung der christlichen Siedlung gebeten wurde, musste der Präsident 80 Kremers/Bakker/Minnaar, Memorandum 1964, 167 f. – Bei Gollwitzer/Sterling (Gottesvolk, 141) wird Nes Ammim als „Panier der nichtisraelitischen Nationen“ übersetzt (das entspricht der Wendung ,Zeichen der Völker‘). Hier schwingt die Bedeutung mit, die christliche Siedlung sei das Banner oder Aushängeschild der christlichen Völker gegenüber Israel. – Zum Namen Nes Ammim vgl. auch Litzka, Nes Ammim, 5: „Als die Gründer sich zu diesem Namen entschlossen, wollten sie, daß Nes Ammim einerseits ein Zeichen der Solidarität der Völker mit Israel und dem jüdischen Volk, andererseits daß es auch ein Zeichen für die Völker werde, um ihnen ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen anzuzeigen.“ 81 „… und will Rachels Kinder wieder bringen in das Land“. S. a. Teil II, 1.5.2. 82 Lapide, Ness [!] Ammim, 293.
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des KA erst einmal Erkundungen von Seiten Dritter einholen. So wurde Anfang 1963 noch vor der offiziellen Vereinsgründung Heinrich Grüber um ein Votum gebeten, welcher eine Mitwirkung bei Nes Ammim von vornherein abgelehnt hatte und nun nichts an Eindeutigkeit zu wünschen übrig ließ: „Ich kann nur dringend warnen vor der sogenannten christlichen Siedlung ,Nes Ammim‘. Es stimmt nicht, daß die Regierung dieser Angelegenheit wohlwollend gegenübersteht.“83 Es handele sich hier um eine finanzielle Fehlinvestion, woraus sich noch ein großer Skandal entwickeln werde. Während Wischmann noch zögerte, ob er das Projekt in Israel für vertrauenswürdig halten sollte, stellte sich schließlich sein Vizepräsident Stratenwerth hinter die im März erfolgte Vereinsgründung und bekam vom Schweizer Nes AmmimSchatzmeister das Lob ausgestellt: „Sie haben uns in Deutschland die Tür für unsere Aufgabe geöffnet.“84 Mehr als Grüber monierte Otto von Harling die theologisch-konfessionellen Prämissen des Nes Ammim-Vereins: „Ich weise darauf hin, daß dieses Vorhaben sehr umstritten ist. Schon die Zusammensetzung des geplanten ,Kuratoriums‘ […] läßt eine bestimmte theologische u. kirchenpolitische Richtung erkennen (keine Mitglieder aus luth. Kirchen!). Ich empfehle daher Vorsicht u. Zurückhaltung.“85
Noch deutlicher urteilte Karl Heinrich Rengstorf, nachdem Dahlhaus als Vorsitzender des Nes Ammim-Vereins im Herbst 1963 einen Antrag auf Fördergelder an den Diakonie-Vorläufer Innere Mission und Hilfswerk der EKD gestellt hatte, z. B. im Rahmen von Brot für die Welt. Immerhin wurde ja auch die kirchliche Arbeit unter den Arabern Palästinas von Brot für die Welt gefördert. Als Rengstorf um ein Gutachten gebeten wurde, riet er im Namen des Deutschen Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel aus theologischen Gründen von einer Unterstützung ab, vor allem wegen des bei Nes Ammim zutage tretenden Verzichts auf Judenmission, was sich in der Siedlung in Israel in einer Nichtzulassung von Christen jüdischer Herkunft manifestierte. Rengstorf betonte, dass auch Heinrich Grüber, Lili Simon und Lothar Ahne den kategorischen Ausschluss von konvertierten Juden verurteilen würden, und kam zu dem Schluss: „Das ganze Projekt beruht auf reiner Schwärmerei, deren letzte Wurzeln mir nicht erkennbar sind. Ich kann nur raten, in dieses Unternehmen keinen Pfennig hineinzustecken. Es hat weder etwas mit Entwicklungshilfe noch mit ,Brot für die Welt‘ zu
83 Brief Grübers an KA (Schaeder) vom 1. 3. 1963 (EZA, 6/1583). – Vgl. Brief Th. Schlatters an Wischmann vom 2. 2. 1963 (EZA, 6/1583). 84 Brief Bernaths an Stratenwerth vom 19.4. 1963 (EZA, 6/1583). 85 Handschriftl. Zusatz v. Harlings zum Brief der Bremischen Kirchenkanzlei (Bergemann) an die EKD-Kanzlei vom 16. 9. 1963 (EZA, 2/5253).
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tun […] Man wird am besten so antworten, daß man mitteilt, es gäbe keinen Fonds.“86
Daraufhin bekam Dahlhaus die Mitteilung, dass Nes Ammim aller Voraussicht nach keine Gelder von Brot für die Welt bekommen werde.87 Stratenwerth hingegen setzte sich noch einmal für Nes Ammim ein, indem er gegenüber der Inneren Mission und Hilfswerk der EKD dem Kritiker Rengstorf bescheinigte, er hätte das eigentliche Ziel der christlichen Siedlung in Nordisrael übersehen, der es lediglich um die christlich-jüdische Aussöhnung gehe.88 Schließlich musste Stratenwerth selbst dem Vorsitzenden des Nes Ammim-Vereins zu verstehen geben, dass dessen Arbeit nicht in das Aufgabenfeld von Brot für die Welt gehöre.89 In den folgenden Jahren bemühten sich die Repräsentanten von Nes Ammim darum, dass sich Deutsche der Siedlung in Galiläa anschließen dürften. Doch erst als Israel nach dem erfolgreichen Sechstagekrieg 1967 neues Selbstvertrauen gewann und die Ressentiments den Deutschen gegenüber nachließen, konnten 1968 mit Helmut und Magdalene Bieler sowie 1969 mit Otto und Erna Busse die ersten Deutschen für längere Zeit nach Nes Ammim kommen. Zur offiziellen Aufhebung des israelischen Verbots einer deutschen Präsenz vom 18. Oktober 197090 hatte schließlich auch die Tatsache 86 Brief Rengstorfs an Innere Mission und Hilfswerk der EKD (Wolckenaar) vom 28. 10. 1963 (EZA, 6/1582). 87 So Brief der Inneren Mission und Hilfswerk der EKD (Wolckenaar) an Dahlhaus vom 26. 11. 1963 (EZA, 6/1582). 88 So Brief Stratenwerths an Innere Mission und Hilfswerk der EKD (Wolckenaar) vom 4. 12. 1963 (EZA, 6/1582). 89 So Brief Stratenwerths an Dahlhaus vom 11. 9. 1965 (EZA, 6/1584). – In späteren Jahren wiederholten sich die Diskussionen um eine finanz. Unterstützung der Siedlung in Israel. 1972 z. B. bat der Nes Ammim-Verein den Verteilerausschuss von Brot für die Welt direkt um Förderung. Der Beratung lag ein Gutachten eines Brot für die Welt-Mitarbeiters zugrunde, in dem dieser forderte, dass ein Projekt in Israel keine Gelder bekommen sollte, weil es kein Entwicklungsland sei. Aber weil ihm diese Begründung nicht ausreichte, fügte er hinzu: „Die Entwicklung Israels bedingte das Elend der arabischen Palästinenser […] Die Politik Israels ist expansionistisch“ (Gutachten Gerd Nickoleits vom 22. 9. 1972 in der Anlage zur Vorlage Nr. 43 für den Verteilerausschuss von Brot für die Welt für den 27. 9. 1972, Kopie [EZA, 6/1589]). Daraufhin, also wenige Wochen nach dem palästinensischen Überfall auf die israelische Olympia-Mannschaft in München, lehnte der Verteilerausschuss den Antrag des Nes Ammim-Vereins ab. Auf der Nürnberger Sitzung der kirchlichen Werke und Einrichtungen am 23. 11. beklagte sich Kremers darüber, dass in Israel tätige Einrichtungen mit einer feindseligen Haltung im Raum der Kirche zu rechnen hätten, und führte die Ausführungen Nickoleits als Beispiel dafür an. Damit drückte Kremers seinen Verdacht aus, dass Nes Ammim nur aufgrund der antiisraelischen Einstellung von Brot für die Welt nicht gefördert werde. Nachdem Mitarbeiter des KA mit Vertretern des Verteilerausschusses gesprochen hatten, wies Hohlfeld diesen Vorwurf zurück: Das Schreiben Nickoleits habe den Ausschuss nicht zur Ablehnung des Antrags veranlasst; entscheidend sei lediglich gewesen, dass Nes Ammim aufgrund seines Charakters als christlich-jüdische Begegnungsstätte nicht zum Aufgabenprofil von Brot für Welt passe (so Aktenvermerk Hohlfelds vom 28. 11. 1972 und Brief Hohlfelds an Kremers vom 14. 12. 1972 [EZA, 6/1589]). 90 So Becker/Koch, Bewahren, 55. – Andernorts wurde die Aufhebung des Vetos gegen die
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beigetragen, dass die christlichen Siedler von Nes Ammim während des Krieges 1967 – genauso 1973 – aus Solidarität wie selbstverständlich im Land geblieben waren. Indem die rheinische Landessynode am 10. Januar 1969 den Kirchenkreisen und Kirchengemeinden empfahl, Nes Ammim zu fördern, erhielt dieses Siedlungsprojekt eine offizielle Anerkennung von Seiten einer Landeskirche. Zudem wurde die Kirchenleitung von der Synode ermächtigt, „jährlich einen Förderungsbeitrag zu geben.“91 Neben der Evangelischen Kirche im Rheinland stellten auch die Landeskirchen von Westfalen und Hessen-Nassau Geldbeträge zur Verfügung. Dass der 2006 verstorbene Bundespräsident Johannes Rau als langjähriger Unterstützer von Nes Ammim bekannt war, symbolisierte den Rückhalt, den diese Initiative später im Protestantismus genoss.
2.3 „Respekt vor diesem jungen Staat“: Die lutherische Judenmission 2.3.1 Hintergrund Nach wie vor geht es bei dem Begriff ,Judenmission‘92 um einen deskriptiven Ausdruck, der ungeachtet tatsächlicher Missionsbestrebungen solche Organisationen, Personen und Theoreme zusammenfasst, die das unbedingt christliche Zeugnis einem bloßen Dialog gegenüber präferieren und sich als Sprachrohr der Christen jüdischer Herkunft betrachten. Die Regelung, in Nes Ammim keine getauften Juden aufzunehmen, wurde in diesen Kreisen als Verrat am Evangelium empfunden. Protagonisten der lutherischen Judenmission sahen sich als Teil eines transnationalen kirchlichen Netzwerks, zu dem auch eine Konsultation der Abteilung Weltmission des Lutherischen Weltbundes (LWB) gehörte. Dieses Gremium des LWB kam zwischen dem 26. April und dem 4. Mai 1964 im dänischen Løgumkloster unter der Überschrift „Die Kirche und das jüdische Volk“ zusammen. Gegenüber der ähnlich gelagerten Amsterdamer Erklärung des ÖRK von 1948 war der Abschnitt zur Abwehr des Antisemitismus genauso ausgeweitet wie der Passus, der das christlich-jüdische Gespräch betonte. Trotzdem verlange der Dialog nicht, „daß Christen davon Abstand nehmen, ihr Zeugnis zu geben“, denn: „Das Zeugnis gegenüber dem jüdischen Volke ist deutsche Anwesenheit auf 1971 datiert, so bei: Koch, Nes Ammim wird vierzig Jahre alt, 7; Litzka, Nes Ammim, 55; und Schoon, Nes Ammim, 51. – Bei Schoon/Kremers, Nes Ammim finden sich auf 12 u. 19 zwei verschiedene Jahresangaben. 91 Beschluß Nr. 77 vom 10. 1. 1969, in: EKiR, Handreichung Nr. 39, 115. – Vgl. Koch, Nes Ammim – Zeichen, 79. 92 S. a. Teil I, 3.2.
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vom […] Auftrag, den wir von Christus, dem Haupt der Kirche, bekommen haben, nicht zu trennen.“93 Mission und Dialog seien demnach also keine Gegensätze. So eindeutig wie das Autorenkollektiv in Løgumkloster den bleibenden Auftrag zum christlichen Zeugnis postulierte, so unentschlossen war es im Blick auf den Staat Israel: „Die Sammlung der Juden im Lande der Väter kann in Gottes Heilsplan besondere Bedeutung haben. Wir stehen jedoch diesem Tatbestand zu nahe, um jetzt schon ein Urteil über dessen religiöse Bedeutung zu haben: Gottes Handeln in der Geschichte vermögen wir nicht zu durchschauen.“94
Genauso wie sich judenmissionarische Kreise in Westdeutschland hinsichtlich der „Sammlung der Juden im Lande der Väter“ auf der Linie der LWB-Konsultation befanden, genauso stimmten sie auch deren Rede von der Unverzichtbarkeit des christlichen Zeugnisses gegenüber den Juden zu. So wirkt es im Nachhinein als vorhersehbar, dass es irgendwann zu einem Bruch zwischen Vereinigungen wie dem Evangelisch-Lutherischen Zentralverein für Mission unter Israel und dem Deutschen Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel (DEADI) auf der einen Seite sowie der neu entstandenen Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT (kurz KirchentagsAG)95 auf der anderen Seite kommen musste. Letztere entwickelte sich im Gegenüber von Juden und Christen sehr schnell weiter, wenn auch der interne Ablöseprozess von traditionellen Vorstellungen wie der Identifikation des jüdischen Messias mit dem endzeitlich wiederkommenden Christus nicht schmerzfrei verlief. Es war in den Jahren 1963/64 der so genannte ,PurimStreit‘, eine Auseinandersetzung über die Frage nach der Unverzichtbarkeit des Christuszeugnisses gegenüber den Juden, die den Bruch besiegelte. Die Protagonisten der Judenmission blieben am Ende in den Augen der ,Fortschrittlichen‘ als eine Sammlung unbelehrbarer Konservativer zurück. Der Streit begann im Januar 1963, als die Handreichungen des bayerischen Evangeliumsdienstes unter Israel, einem Zweigverein des Zentralvereins, einen umstrittenen Beitrag von Kirchenrat Johannes Mehl veröffentlichten. Mehl wandte sich hier gegen die christlich-jüdische Annäherung, wie sie auf dem Berliner Kirchentag 1961 in der Arbeitsgruppe VI, aus der die Kirchentags-AG hervorging, betrieben wurde. Er konstatierte, „daß auch für das alttestamentliche Gottesvolk seine (weitere) Zugehörigkeit zum Volke Gottes sich letztlich an seiner Stellung zum Kreuz Christi entscheidet“, denn ohne das
93 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.7, 343 f. – Die Verbindung zwischen der lutherischen Judenmission in Westdeutschland und der LWB-Konsultation ist bezeugt durch die Zitierung des Textes von Løgumkloster in Friede über Israel (s. LWB-Konsultation, Sinnspruch). 94 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.7, 343. – Bzgl. Kritik an Løgumkloster als ,halbherzig‘ s. Kickel, Land, 156 f; und Pfisterer, Land, 90 f. 95 S. a. Teil II, 2.4.2.
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Kreuz sei auch die Verehrung des alttestamentlichen Gottes nur ein Dienst an einem „selbstkonstruierten Götzen“.96 Diese schroffe, polemische Gegenüberstellung zwischen dem verworfenen jüdischen Irrglauben und der wahren christlichen Lehre bereitete selbst Mehls theologischem Weggefährten Martin Wittenberg Bauchschmerzen. Deshalb war Mehls Beitrag in den Handreichungen nur zusammen mit einem mäßigenden Kommentar Wittenbergs publiziert worden. Doch in den Kernaussagen stimmten beide Männer überein und trieben dadurch einen Keil zwischen ihrem missionarischen Anliegen und der Kirchentags-AG.97 Der Streit eskalierte, als er auch noch in das Gremium der Kirchentags-AG hineingetragen wurde. Zunächst verweigerte einer der jüdischen Gesprächspartner der Kirchentags-AG, Rabbiner Robert Raphael Geis, seine Teilnahme an einer für Januar 1964 geplanten Aussprache, bei der die Vertreter der gegensätzlichen Positionen, also auch Kirchenrat Mehl, zusammenkommen wollten. Geis wollte sich nicht mit einem „christlichen Antisemiten“98 wie Mehl an einen Tisch setzen. Dann erfuhr Geis, dass selbst seine christlichen Dialogpartner, Günther Harder und Helmut Gollwitzer, in ihren Vermittlungsversuchen dem Zentralverein und dem DEADI gegenüber eine bleibende Verpflichtung zum christlichen Zeugnis an Juden konzedierten. Darauf wurde es Rabbiner Geis „speiübel“.99 Er forderte von den christlichen Mitgliedern der Kirchentags-AG eine klare Positionierung gegen Judenmission, ansonsten könne er sich keine weitere Mitarbeit in der AG mehr vorstellen. Weil Geis seinen öffentlichen Protest in die ,Purimbetrachtung‘ der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung vom 8. März 1964 integrierte, wurden die Auseinandersetzungen als ,Purim-Streit‘ bekannt.100 Trotz solcher Konflikte um die neuen Entwicklungen des jüdisch-christlichen Dialogs war die Alltagsarbeit der Vertreter des Zentralvereins und des DEADI ganz unspektakulär davon bestimmt, den Kirchen und Gemeinden die das weltweite Judentum betreffenden Sachverhalte zu erklären und im Rahmen des eigenen Standpunktes theologisch zu deuten. Dabei versuchten sie auf die Entfaltung einer spezifischen Israeltheologie zu verzichten.
96 Zit. bei: Schmidt, Landeskirche, 40. – Zum Berliner Kirchentag 1961 s. Teil II, 2.4.2. 97 M. Wittenberg zit. bei: Schmidt, Landeskirche, 40: „Ich erlebe seit etwa 15 Jahren, wie man über mich herfällt, wenn ich davon spreche, daß in den furchtbaren Schicksalen des jüdischen Volkes auch Gerichte Gottes zur Vollstreckung kamen […] Mit Dir [d. h. J. G. Mehl, GG] zusammen kann ich nur dem von Dir zitierten Schlußsatz der Kirchentagschristen für ein Unglück halten: den Satz, daß Juden und Christen gemeinsam Gott preisen und Ihm im Lichte der biblischen Hoffnung überall auf Erden unter den Menschen dienen.“ 98 So in einem Brief vom 24. 9. 1963. Dok. bei Geis, Leiden, 233. 99 Geis, Purimbetrachtung, 244. 100 S. a. Brandau, Judenmission, 344 – 365; Kammerer, Haare, 34 f. u. 43 f; Kraus, Geis, 330 f; Pangritz, Gollwitzer, 365 f; Schroth, Auseinandersetzung; und Stçhr, Ökumene, 293 f.
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2.3.2 Diskussion um die Aktivitäten von Per Faye-Hansen In dem theologischen Vakuum, das in weiten Teilen der evangelischen Kirche angesichts des Staates Israel herrschte, rekrutierten ,freischaffende‘, kirchlich unabhängige Protestanten ihre Anhänger. Während in den frühen 1950er Jahren Abram Poljaks Lehre, dass auf dem Boden des Staates Israel das politische Friedensreich Christi errichtet werde, die Organisationen beschäftigte, die den DEADI bildeten, forderte gegen Ende des Jahrzehnts ein norwegischer Lutheraner mit ähnlich apokalyptischen, aber noch deutlicher proisraelischen Vorstellungen die Organe der EKD und die Vereinigungen der Judenmission heraus. Es war das Staatsjubiläum Israels 1958, das die EKD dazu zwang, auf Pastor Per Faye-Hansen und seinen deutschen Verein Freunde des KarmelInstituts aufmerksam zu werden. Exemplarisch stehen diese Diskussionen in diesem Zeitabschnitt für ein eschatologisches Israelbild, welches die Protagonisten der lutherischen Judenmission als ,Schwärmerei‘ perhorreszierten. Die leitenden EKD-Organe hielten sich im Blick auf eine offizielle Würdigung des israelischen Staatsjubiläums101 1958 bedeckt, um der von ihnen anvisierten Trennung der Bereiche Religion und Staatswesen gerecht werden zu können. Norddeutsche Unterstützer des in Haifa ansässigen und vom norwegischen Pastor Per Faye-Hansen geleiteten Karmel-Instituts wurden nun bereits im Vorfeld des Staatsjubiläums aktiv und forderten die EKD und den Arbeitskreis christlicher Kirchen dazu auf, anlässlich dieses Gedenktages israelischen Sozialeinrichtungen direkt oder mittels des Karmel-Instituts eine Spende zukommen zu lassen. Weil „der deutsche Mensch im Kollektiv“ an den Juden schuldig geworden war, so die Freunde des Karmel-Instituts, müsse neben dem Staat auch die Kirche ,Wiedergutmachung‘ leisten.102 Dass sich die Freunde des Karmel-Instituts an die EKD wandten, war nicht unbegründet. Immerhin leistete Faye-Hansen der EKD gute Dienste, indem er und seine Mitarbeiter im Auftrag des Kirchlichen Außenamtes (KA) zwei deutsche Protestanten seelsorgerlich betreuten, die wegen Spionagetätigkeit in einem nordisraelischen Gefängnis saßen. Weder der Ost-Jerusalemer Propst noch der deutsche Auslandspfarrer in Beirut hatten die Möglichkeit, die beiden Inhaftierten zu besuchen. Dass es keine deutsche evangelische Präsenz in Israel gab, führte in diesem Fall zu ganz praktischen Problemen. Faye-Hansen war ins Gespräch gekommen, nachdem das KA bei Hermann Maas nachgefragt hatte, ob er einen evangelischen Geistlichen mit deutschen Sprachkenntnissen in Nordisrael kenne, der für eine seelsorgerliche Aufgabe in Frage käme. Maas empfahl daraufhin Faye-Hansen, „der auch bei der is101 S. a. Teil II, 2.2.2. 102 Brief W. Nötzels im Namen der Freunde des Karmel-Instituts an die EKD-Synode vom 26.4. 1958 (EZA, 2/5252). – Das Anliegen wurde allerdings gleich dem Rat der EKD zur Entscheidung vorgelegt.
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raelischen Regierung in sehr gutem Ansehen steht, und bisher alle schwierigen Situationen mit grossem Takt gemeistert hat.“ Der badische Prälat hatte den Norweger bei seiner Israelreise 1950 in der ehemaligen Haifaer Templerkirche kennen gelernt und ihn 1954 zu Israelvorträgen nach Heidelberg eingeladen. Die moralische Integrität Faye-Hansens zog Maas nicht in Zweifel, da dieser aus Solidarität zu verfolgten Juden mit ihnen während der deutschen Besatzung Norwegens nach Palästina ausgewandert war. Faye-Hansens Vorträge hätten auch jetzt in Heidelberg „eine sehr tiefe Wirkung“ hinterlassen.103 Er und Maas wussten sich durch eine philosemitische und prozionistische Grundhaltung verbunden. Faye-Hansen übte die seelsorgerliche Betreuung umso lieber aus, nachdem er erfahren hatte, dass einer der beiden Gefangenen – im pietistischen Sinne – „ein Gotteskind geworden“ sei.104 Das von Faye-Hansen verantwortete Karmel-Institut verstand sich zwar nominell als lutherisch, fungierte aber als Anlaufstelle primär apokalyptisch geprägter Christen jüdischer Herkunft und war von der Arbeit der Norske Israelmisjon, die vom Zentralverein unterstützt wurde, institutionell getrennt. Deshalb gehörte Otto von Harling, als Oberkirchenrat der Kirchenkanzlei zugleich zweiter Vorsitzender des Zentralvereins und Schatzmeister des DEADI, zu den ersten, die eine kirchliche Unterstützung des Instituts zu verhindern suchten. Für ihn bedeutete das ,schwärmerische‘ Denken FayeHansens nicht nur eine Neuauflage des Zionismus eines Abram Poljak. Eine Spendensammlung sollte sich vielmehr nur auf ein solches Datum beziehen, das in Verbindung mit einem christlichen oder jüdischen Ereignis stehe: „Die Gründung des Staates Israel ist aber ein rein politischer Vorgang und schon deshalb m. E. grundsätzlich kein geeigneter Anlass für eine solche Aktion.“105 Demgegenüber meinte Landesbischof Hanns Lilje, dass der Rat der EKD den Spendenantrag weniger wegen der Verbindung mit dem israelischen Gedenktag ablehnen werde – was schließlich am 13. Juni geschah –, sondern weil das Karmel-Institut aufgrund der hier vertretenen Apokalyptik keinen geeigneten Empfänger darstelle. Hinzu kam, und das war für Lilje wichtig, dass Faye-Hansen „die Arbeit des Luth. Weltbundes“ in Nahost zu sabotieren pflege.106 Trotzdem wurden die deutschen Freunde des Karmel-Instituts dahingehend unterrichtet, dass gerade die Verknüpfung mit dem Staatsjubiläum für die Ablehnung des Spendenantrags ausschlaggebend gewesen sei, wobei zusätzlich darauf hingewiesen wurde, dass kirchliche Stellen bereits Sozial-
103 Brief Maas’ an KA (Krüger-Wittmack) vom 10. 9. 1956 (EZA, 6/1581). – Dort auch der weitere Schriftwechsel. 104 Brief des KA (Krüger-Wittmack) an Faye-Hansen vom 29. 8. 1957 (EZA, 6/1581). – Anlässlich einer Vortragstour durch die Bundesrepublik stellte sich Faye-Hansen am 12. 11. 1957 auch persönlich im Frankfurter KA vor. 105 Brief v. Harlings an den AcK-Vorsitzenden M. Niemöller vom 28. 4. 1958 (EZA, 2/5252). – Vgl. den ähnlich lautenden Brief v. Harlings an den Rat der EKD vom 21. 5. 1958 (EZA, 2/5252). 106 Brief Liljes an v. Harling vom 2. 6. 1958 (EZA, 2/5252).
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einrichtungen in Israel unterstützen würden, z. B. das Kinderheim Ahavah.107 In ähnlicher Weise wurden auch andere Anträge aus dem pietistischen Spektrum abgewiesen, die z. T. sehr offen für eine Finanzgabe an den Staat Israel plädierten.108 Trotz dieser Niederlage blieben die deutschen Anhänger Per Faye-Hansens nicht untätig. Neben den Freunden des Karmel-Instituts sammelten sie sich im Freundeskreis der Karmel-Seemannskirche Haifa und im Freundeskreis Zeum; diese Gruppierungen rekrutierten ihre Anhänger gerade aus den lutherischen Landeskirchen, waren lose miteinander verbunden und traten erst ab 1966 als geschlossene Größe auf. Im August 1963 versammelten sich 175 Angehörige dieser Freundeskreise aus Deutschland und den skandinavischen Ländern im dänischen Nyborg zu einer ,Karmel-Konferenz‘ und verabschiedeten eine von Per Faye-Hansen verfasste Erklärung, in der „Israels Wiederaufrichtung als eigener Staat“ als ein besonderes heilsgeschichtliches Ereignis bezeichnet wurde.109 Die klassische Judenmission wurde hier genauso abgelehnt wie die Vorstellung, die Kirche sei an die Stelle des jüdischen Gottesvolkes getreten. Für den Zentralverein war hier besonders die Tatsache brisant, dass sich der deutsche Repräsentant der ,Karmel-Konferenzen‘, der Kieler Kaufmann Friedrich Brode, gleichermaßen als ein aktives Mitglied des Zentralvereins verstand.110 Bei zwei weiteren, direkt hintereinander abgehaltenen ,Karmel-Konferenzen‘ in Oslo und Nyborg im Sommer 1965 wurde eine ähnlich lautende Botschaft verabschiedet, in der man das heilsgeschichtliche Verhältnis zwischen Juden und Christen mit Hilfe von Römer 11,17 bestimmte111: Nur einige wenige Juden, an deren Stelle die Christen in den Ölbaum eingepfropft worden wären, seien zur Zeit Jesu verworfen worden. Daraus folge, dass Juden und Christen seitdem als zwei heilsgeschichtliche Linien nebeneinander existierten und Mission an den Juden ein Verstoß gegen deren heilsgeschichtlichen Status bedeuten würde. An der diesjährigen Konferenz in Nyborg nahmen nicht nur zum wiederholten Male deutsche Pietisten und Freikirchler teil, sondern auch der Niederländer Johan Hendrik Grolle, der sich in der Liste derer findet, die die ,Botschaft‘ von Nyborg namentlich unterzeichneten. Grolle war Sekretär des Rates für das Verhältnis zwischen Kirche und Israel der 107 So Brief der Kirchenkanzlei (Brunotte) an W. Nötzel vom 19. 6. 1958 (EZA, 2/5252). 108 So z. B. ein ehemaliger Missionsinspektor der Liebenzeller Mission. Die Kirchenkanzlei wies das Ansinnen mit dem Hinweis zurück, die Kirche habe sich weniger für eine einseitige ,Wiedergutmachung‘ am Staat Israel einzusetzen, sondern müsse allen NS-Verfolgten, also den Individuen und nicht einem Kollektiv, gerecht werden (so Brief der Kirchenkanzlei an P. Achenbach vom 4. 5. 1959, [EZA, 2/5252]). 109 So „Botschaft an die theologischen Fakultäten, Kirchenleitungen, Missions-Gesellschaften, Bischöfe, Pröpste, Pfarrer, Prediger, Missionare und alle Mitchristen in den Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften“ vom 5.–9. 8. 1963 (LAELKB, III/51/34). 110 Vgl. Brief O. v. Harlings an das Luth. Kirchenamt vom 4. 10. 1967, Kopie (LAELKB, III/51/34). 111 So „Botschaft an die theologischen Fakultäten, Kirchenleitungen, Missions-Gesellschaften, Bischöfe, Pröpste, Pfarrer, Prediger, Missionare und alle Mitchristen in den Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften“ von Juli/Aug. 1965 (LAELKB, III/51/34).
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Nederlandse Hervormde Kerk und seit 1961 Mitglied der Kirchentags-AG.112 In den 1960er Jahren gab es also noch zahlreiche, freilich nicht unumstrittene Berührungspunkte zwischen den progressiven Erneuerern des jüdischenchristlichen Verhältnisses und der sich neu formatierenden pietistischevangelikalen Bewegung, die mit der 1966 gegründeten Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium‘113 nicht deckungsgleich war. Darüber, dass sein „alter Freund Pastor Grolle“ die ,Botschaft‘ der KarmelKonferenz mit seiner Unterschrift würdigte, äußerte sich Adolf Freudenberg in einem Schreiben an Martin Niemöller mit deutlicher Verwunderung, denn der Inhalt dieser Erklärung passte nicht zu dem Eindruck, den Grolle bisher auf Freudenberg gemacht hatte. In diesem Brief an Niemöller nahm Freudenberg selbst zur ,Botschaft‘ Faye-Hansens Stellung und riet den ehemaligen Kirchenpräsidenten davon ab, sich öffentlich dazu zu äußern, weil er vielleicht fürchtete, Niemöller würde bei dieser Gelegenheit die christliche Bejahung des Staates Israel in Zweifel ziehen. Freudenberg distanzierte sich zwar deutlich von dem „kunstvoll konstruierten eschatologischen Mythos“ des Norwegers, stellte sich jedoch selbst auf die Seite eines dezent heilsgeschichtlichen Denkens: „Im Glauben erkennen wir in der Heimkehr so vieler Juden ins Land der Väter einen Hinweis auf Gottes unwandelbare Treue zu seinem Bund.“114 Sowohl die Norske Israelmisjon als auch der deutsche Zentralverein verfolgten auch in den kommenden Jahren mit Argusaugen die Entwicklungen der von Per Faye-Hansen dominierten ,Karmel-Konferenzen‘ und deren Freundeskreise. Bezeichnend war, dass erst an zweiter Stelle vor einer religiösen Überhöhung des Staates Israel gewarnt wurde. In erster Linie sorgte man sich darum, dass hier jede „Missionierung des jüdischen Volkes durch die Kirche […] energisch abgelehnt“ werde.115 Der Zentralverein wurde von der Norske Israelmisjon davon in Kenntnis gesetzt, dass Pfarrer Faye-Hansen trotz Ordination kein Arbeitsverhältnis zu offiziell kirchlichen Einrichtungen unterhalte, sondern in Haifa ein rein ,privates Unternehmen‘ betreibe.116 Als besonders ärgerlich wurde deshalb empfunden, dass er in der israelischen Hafenstadt die ehemals deutsche Kirche in Besitz halte, die der LWB eigentlich der Norske Israelmisjon anvertraut habe. Die Diskussionen um Per Faye-Hansen zeigen erneut, dass judenmissionarisch orientierte Kreise und deren Anhänger in den Gremien der EKD damit überfordert waren, auf das Bedürfnis eines wachsenden Teils des Protestantismus einzugehen, die neue Staatlichkeit Israels heilsgeschichtlich zu be112 Vgl. Goldschmidt/Kraus, Bund, 312. 113 S. a. Hermle, Evangelikale. – Hier wird der Fokus auf die konservative Abwehr Bultmann’scher Theologie und auf die besagte Bekenntnisbewegung gerichtet. 114 Brief Freudenbergs an Niemöller vom 6. 10. 1965 (ZAEKHN, 62/577). 115 Brief der Norske Israelmisjon (Knut Tallaksen) an den Zentralverein vom 26. 11. 1965, Kopie (LAELKB, III/51/34). 116 So Brief der Norske Israelmisjon (Knut Tallaksen) an den Zentralverein vom 26. 11. 1965, Kopie (LAELKB, III/51/34).
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werten. Auch wenn es relativ leicht war, den „kunstvoll konstruierten eschatologischen Mythos“ (Freudenberg) eines Per Faye-Hansen zu widerlegen, so wurden die Themen des christlich-jüdischen Gesprächs der nächsten Jahre doch von solchen Personen wie Hermann Maas und Adolf Freudenberg bestimmt, die an dem ,schwärmerischen‘ Norweger zumindest seinen positiven theologischen Israelbezug gelten ließen. Die Protagonisten des DEADI konnten sich fortan mit ihren Orientierungsangeboten bei interessierten evangelischen Christen immer weniger durchsetzen.
2.3.3 Der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) In den Jahren nach der Gründung der Kirchentags-AG wurde Karl Heinrich Rengstorf, der Vorsitzende des DEADI, aufgrund seines judenmissionarischen Ansatzes und seiner charakterlichen Besonderheiten mehr und mehr an den Rand gedrängt. Er, der nach 1945 erste Begegnungen christlicher Theologen mit jüdischen Gelehrten inaugurierte, wurde auf einmal von den neuen Entwicklungen überrollt: „Es gehört zum Schwersten, was ein Mann erleben kann, wenn ihm am Ende seines Lebens das, worauf er seine Kraft und seine Liebe verwendet hat, unter den Händen zerbricht.“117 Dem Anliegen der in Berlin gegründeten Kirchentags-AG konnte sich Rengstorf nicht anschließen: „Was in Berlin geschehen ist, kommt weitgehend auf einen Verzicht darauf hinaus, dass auch die Kirche dem Judentum etwas zu sagen hat und nicht nur das Judentum der Christenheit.“118 Das Angebot zur Zusammenarbeit schlug Rengstorf aus, gleichwie auch etliche Vertreter der AG diesen nicht dabei haben wollten: „Rengstorf darf weder eingeladen werden noch kommen […] Sonst bleiben weg: Leuner / Geis / Kraus / Ehrlich“ und andere.119 Bei den Zusammenkünften des DEADI wurde nebenbei immer wieder der Staat Israel angesprochen, so auch auf der Hofgeismarer Studientagung über „jüdische und christliche Geistlichkeit“ vom 13. bis 16. März 1962. CVJMBundessekretär Petrus Huigens berichtete in Hofgeismar, „daß sich das religiöse Gespräch in Israel geradezu aufdränge“, mit Juden und Christen gleichermaßen. Wie sich am Referenten Ignaz Maybaum zeigte, einem Rabbiner aus London, besaßen die Verantwortlichen der Studientagung eine deutliche Affinität zu nichtzionistischen Juden. Maybaum konstatierte, dass die Galuth die Bestimmung des Judentums sei und bis zum Ende der Tage andauern 117 Rengstorf, 85 Jahre, 52. – Der 1971 geschriebene Satz über den Leiter des Delitzschianums, Otto von Harling Senior, als dieses während der NS-Zeit geschlossen werden musste, charakterisiert – isoliert betrachtet – auch Rengstorfs Gefühlslage angesichts der Entwicklungen ab den 1960er Jahren. Mit diesem Zitat sollen die neuen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte keinesfalls in die Nähe des NS-Unrechts gerückt werden. 118 Brief Rengstorfs an Freudenberg vom 21. 10. 1961, Kopie (EZA, 681/79). 119 Aktenvermerk Goldschmidts, undatiert [wohl Ende Oktober 1961] (EZA, 681/79).
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werde. Erst der Messias werde dem Exil ein Ende setzen: „Ich bete um eine lange Episode des Staates Israel“, bekannte Maybaum, nicht ohne anzumerken, dass die israelische Staatlichkeit nichts weiter als eine Episode der Geschichte sei.120 Damit wurde der Gedanke zurückgewiesen, dass das jüdische Gemeinwesen eine theologische Bedeutung hätte. Am Ende der Tagung berichtete eine Mitarbeiterin des Kinderheims Ahavah in Kiryat Byalik bei Haifa über ihre Arbeit; die soziale Einrichtung war einst in Berlin entstanden und 1934 nach Israel übergesiedelt.121 Über den deutschen Verein Ahawah-Kinderhilfe wurde diese soziale Einrichtung in Israel vom DEADI unterstützt. Ungeachtet der ambivalenten theologischen Haltung des Zentralvereins und des DEADI zum Staat Israel konnten auch sie sich der Sogkraft der neuen politischen Entität im Nahen Osten nicht entziehen.
2.3.4 Zeitschrift Friede über Israel Auch die Repräsentanten der Judenmission gerieten in den Bann ihrer eigenen Eindrücke, die sie auf Israelreisen gewonnen hatten. Bei aller Kritik und allen Differenzierungen setzte sich ein deutlich wahrnehmbarer Respekt gegenüber dem jüdischen Staat durch. Gleichwohl machten sie die Erlebnisse im Heiligen Land zu keinem Bestandteil einer Erfahrungs- und Israeltheologie. Seitdem der aus Rumänien stammende ehemalige Jude Jancu Moscovici Anfang 1963 als neuer ,Berufsarbeiter‘ des Zentralvereins fungierte, berichtete die Vereinszeitschrift Friede über Israel (FÜI) mit Sympathie, aber meist ohne Euphorie über den Staat Israel, u. a. in Moscovicis Beiträgen selbst. Dort stellte dieser im Blick auf den Nahostkonflikt die Friedensbereitschaft der Israelis dem Hass der Araber gegenüber. Für Israels Weigerung, der Forderung nach Repatriierung aller Flüchtlinge nachzukommen, hatte der neue Berufsarbeiter Verständnis: „Könnte sich Amerika leisten, etwa 50 Millionen kommunistisch eingestellte Russen einwandern zu lassen?“ Sorgen machte ihm insbesondere die feindliche Haltung der orthodoxen Juden gegenüber den Christen in Israel; 1963 seien etliche christliche Einrichtungen Ziel jüdischer Anschläge gewesen: „Die Bekämpfung der missionarischen Tätigkeit gehört schon zum alltäglichen Leben Israels.“ Moscovicis Hinweis auf diesen Sachverhalt zeigt, dass er sich für einen undifferenzierten Israel-Enthusiasmus nicht begeistern konnte. Denn seine „Liebe zu Israel hängt nicht ab von dem Bild des ,israelischen Superman‘, deswegen fällt sie auch nicht mit dem Bild des ,jüdischen Untermenschen‘“; seine Liebe zum jüdischen Volk und zum jüdischen Staat 120 Ahne, Geistigkeit, 271 u. 273. – Vgl. Huigens, Begegnungen; und ders., Israel. 121 Zu Ahavah vgl. Reisebericht A. Freudenbergs von April–Oktober 1965, 28, Kopie (ZAEKHN, 62/577): „Ich bleibe Professor Karl Heinrich Rengstorf in Münster dankbar dafür, daß er für uns Israelfreunde die Ahavah entdeckt und uns zur Hilfe willig gemacht hat.“
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sei allein in Christus gegründet.122 Theologisch gesehen war für Moscovici die Schaffung eines jüdischen Staates eine Sache der Vorsehung Gottes, die für ihn eine ,Lenkung‘ und damit mehr als ein bloßes Vorherwissen bedeute: „Daß ein Staat Israel entstehen würde, wußte Gott schon zu der Zeit, als die Juden nur vage Hoffnungen […] hegten.“123 Außergewöhnlich war, dass Friede über Israel im Aprilheft 1963 die enthusiastischen Reiseerinnerungen Gerhard Bergmanns abdruckte, welcher wenige Jahre später als Wortführer der Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium‘ von sich reden machte. Auffallend war neben Bergmanns Postulat, dass sich in den fruchtbaren israelischen Landschaften die „Prophezeiungen der Propheten für die Endzeit“ wie Ezechiel 36,33 – 35 erfüllt hätten, die idealisierte Schilderung der israelischen Tugenden, die mit einer verächtlichen Beschreibung arabischer Eigenarten einherging: Viele Araber, die Bergmann in Ost-Jerusalem getroffen hatte, waren in seinen Augen ,verluderte‘, ,verschmutzte‘ und ,zerlumpte‘ Gesellen. Auf der anderen Seite des Mandelbaumtores hingegen begegnete Bergmann sauberen und ordentlichen Menschen, denen er Glauben schenkte, als sie voller „Selbst- und Ehrbewußtsein“ postulierten: „Sie befinden sich hier in einem völlig anderen Land. Hier wird nicht gebettelt, hier wird nicht gestohlen.“ Aber auch den Deutschen hielt Bergmann einen Spiegel vor: Die israelischen Jugendlichen seien von einem fröhlichen Pioniergeist geprägt, von Tatendrang und Schaffensfreude: „Ich glaube, in Israel gibt es kein Halbstarkenproblem, einfach deshalb nicht, weil sie von einer Mission erfüllt sind.“124 Dezenter beurteilte der aus Melle in Niedersachsen stammende FÜISchriftleiter Wilhelm Koch seine Erlebnisse im Heiligen Land. Im Herbst 1964 befanden sich er und seine Frau auf ihrer ersten Israelreise; das Ehepaar hatte sich einer Schweizer Gruppe angeschlossen. Der Pastor aus Melle geriet bereits während des El Al-Fluges von Zürich nach Lod ins Schwärmen: „Angesichts dieses herrlichen Flugzeuges fing bei uns schon der Respekt vor diesem jungen Staat an.“ Auf die heroischen Erzählungen der Israelis vom Unabhängigkeitskrieg reagierte Koch allerdings mit ambivalenten Gefühlen: „Es tut uns Deutschen gut, davon zu hören, die wir in der Vergangenheit Heldentum allein gepachtet zu haben glaubten. Selbstverständlich sehen wir Deutschen in Erinnerung an unsere Vergangenheit hier die Gefahr des Nationalismus und manche Israelis weisen selber darauf hin. Ob es eine wirkliche Gefahr ist, kann ich nach so kurzem Besuch nicht beurteilen. Mir scheint es vorläufig ein berechtigter Stolz auf die eigenen Leistungen zu sein.“125 122 Moscovici, Rückblende, 3 u. 35. – Vgl. ders., Ben Zwi; u. ders., Scharett, 34 – 40. 123 Ders., Scharett, 38. 124 Bergmann, Juden, 54 u. 52 f. – Vgl. Schulz, Reise, 170: Während die ,nordischen‘ Menschen einschließlich der Deutschen von einer „oft quälenden Melancholie“ heimgesucht würden, „kommt einem in Israel als Grundstimmung überall Freundlichkeit und Freude entgegen.“ 125 Koch, Reiseeindrücke, 2 u. 6. – Vgl. Schulz, Reise, 170: „Uns beeindruckt in Israel die
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Auch wenn Koch die den Staat Israel betreffenden Dinge primär politisch aufzufassen gedachte, sah er sich dennoch genötigt einzuräumen, dass „jenes Geschehen irgendwie auch mit der Heilsgeschichte zu tun hat.“126 Damit orientierte sich Koch theologisch an der bewusst offenen und unabgeschlossenen Kennzeichnung, wie sie die Abteilung ,Weltmission‘ des Lutherischen Weltbundes im Frühjahr 1964 im dänischen Løgumkloster getroffen hatte und wie sie in FÜI als augenfälliger Sinnspruch abgedruckt wurde: „Die Sammlung der Juden im Lande der Väter kann in Gottes Heilsplan besondere Bedeutung haben. Wir stehen jedoch diesem Tatbestand zu nahe, um jetzt schon ein Urteil über dessen religiöse Bedeutung zu haben.“127 Koch bedauerte, dass es nicht möglich war, gleichermaßen zu Israelis und Arabern Freundschaften zu pflegen: „Professor Gollwitzers Wort, ,proisraelisch sein braucht doch nicht antiarabisch zu bedeuten‘ scheint vergeblich gesprochen zu sein.“128 Als die Reisegruppe im Märtyrerwald bei Jerusalem ein Bäumchen pflanzte, fühlte Koch die ganze Wucht der deutschen Schuld und ließ sich zu der im Rahmen von FÜI unerwarteten Aussage hinreißen, er könne nun verstehen, „was ein bekannter deutscher Theologe meinte mit seinem Ausspruch, daß einem angesichts aller dieser unzähligen Opfer das Wort von der ,Judenmission‘ im Halse stecken bleiben müsse.“ Kochs Reise beabsichtige auch nicht, „Missionsmöglichkeiten“ im jüdischen Staat auszukundschaften. Denn: „Der Zentralverein hat keine ,Arbeit‘ in Israel und gedenkt auch in Zukunft dort keine anzufangen. Unsere Reise hatte lediglich den Zweck, […] etwas für das Verhältnis von Kirche und Judentum […] zu lernen.“ Trotzdem hielt Koch daran fest, dass Christus auch die Zukunft des jüdischen Volkes sei. Weil sich in Kochs Augen die Lutheraner in Israel vorbildlich verhielten, konnte die panische Angst der Israelis vor Judenmission nur von ,Schwärmern‘ verursacht worden sein: „Es kommen oft Menschen nach Israel, die […] unter einseitiger Hervorhebung der prophetischen Worte der Bibel […] das Evangelium verkündigen wollen, aber in den Augen der Juden nur lächerlich wirken.“129
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Spannung zwischen der nationalen Verteidigungsidee mit der Idee der Gewaltlosigkeit, des Friedens, um den es geht.“ – Auch Rengstorf gehörte zu denjenigen, die mit Respekt und „mit Interesse den Weg des jungen Staates Israel verfolgen“ (Rengstorf, Israel [1964], 98). In weniger als einem Menschenalter hätten die Israelis ein unterentwickeltes Gebiet in eine Kulturlandschaft verwandelt. Koch, Reiseeindrücke, 85. LWB-Konsultation: Sinnspruch. – Vgl. Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.7, 343. Koch, Reiseeindrücke, 85. – Vgl. Gollwitzer, Der Staat Israel, 73. Koch, Reiseeindrücke, 6, 1 u. 87.
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2.4 „Uns als ganzes Volk unserer Vergangenheit stellen“: Politische Diskussionen 2.4.1 Die finanzielle Verantwortung der Kirche In den Weihnachtstagen des Jahres 1959 wurde die Kölner Synagoge durch das Aufmalen von Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen verunstaltet. Danach kam es andernorts zu ähnlichen Vorfällen, welche Entsetzen auslösten. Inwieweit die DDR hinter manchen dieser Aktionen stand, ist seitdem diskutiert worden.130 Die meisten Stellungnahmen aus dem Raum der Kirche betrafen die Gefahr eines wachsenden Antisemitismus. Zu den wenigen Voten, die sich dabei namentlich auf den Staat Israel bezogen, zählte das Telegramm, das Otto Dibelius, Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKBB) und zugleich EKD-Ratsvorsitzender, an Ministerpräsident David Ben-Gurion sandte: „Die evangelische Christenheit Deutschlands steht in tiefer Betroffenheit […] den Geschehnissen der letzten Tage und Wochen gegenüber. Ich möchte diese Empfindung hierdurch zum Ausdruck bringen und bitte gleichzeitig darum, aus einer soeben beendeten Hilfsaktion 100 000 DM für Notstände unter den israelischen Einwanderern zur Verfügung stellen zu dürfen.“131
Als dieses Telegramm in der Kirchenpresse abgedruckt wurde, kam es wegen der Verwendung der 100 000 DM zu Irritationen, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Rat der EKD selbst. War man sonst nach dem Grundsatz verfahren, Religion und Staatspolitik sorgfältig auseinanderzuhalten, so befürwortete der Ratsvorsitzende nun eine kirchliche Geldgabe an einen fremden Staat. Der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger nannte das Spendenangebot ,umstritten‘.132 Präses Wilm fragte am 12. Januar 1960 besorgt bei der Kirchenkanzlei nach, aus welchem Fonds die 100 000 DM genommen worden seien. Zudem habe er es „als sehr merkwürdig empfunden, daß der Ratsvorsitzende auf diese ganze notvolle Angelegenheit mit einem Geldgeschenk der Evangelischen Kirche antwortet.“133 Dibelius rechtfertigte sich mit dem Hinweis, dass der Geldbetrag nicht aus Kirchensteuermitteln gestammt habe, sondern „von einer bestimmten Seite, die nicht genannt werden möchte, zur Verfügung gestellt“ worden sei.134 130 Dass die Synagogenschänder zumindest z. T. von der Stasi angeheuert wurden, meinen Wolffsohn, Schuld, 31; und Wachs, Fall, 187 f. – Demgegenüber zieht Jelinek (Deutschland, 311 f) die DDR-Theorie in Zweifel. – S. a. Bergmann, Ereignis. 131 Dok. in: KJ 1960 (87/1961), 101. – Auch abgedr. bei: O.Vf., Die Christenheit, 23. 132 So Dietzfelbinger, Auftrag, 82; Bischofsbrief vom 10. 3. 1960. 133 Brief Wilms an Kirchenkanzlei (Brunotte) vom 12. 1. 1960 (EZA, 2/5253). – Vgl. Antwortschreiben der Kirchenkanzlei (v. Harling) an Wilms vom 24. 1. 1960 (ebd.) 134 Brief Dibelius’ an Stelzer vom 9. 11. 1962, Kopie (EZA, 2/5253).
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Deshalb hatte sich Dibelius wohl berechtigt gesehen, ohne Absprache mit anderen Gremien der EKD gehandelt zu haben. Zweieinhalb Jahre später wurde der Berliner Bischof, der den EKD-Ratsvorsitz inzwischen abgegeben hatte, erneut darauf angesprochen, mit welchem Recht er Geld an den Staat Israel gegeben habe, da die Kirche an den antisemitischen Ausschreitungen von 1959/60 keine Schuld trage. Am symbolträchtigen Tag des 9. November machte Dibelius deutlich, dass er nach wie vor zu seinem damaligen Vorgehen stand: „Christen werden es sich niemals nehmen lassen, auch da etwas gutzumachen, wo sie selber nicht die mindeste Schuld trifft.“135 Indem Dibelius im Alleingang eine Großspende an Notleidende in Israel zusagte, wich er nicht nur von dem Grundsatz ab, nach dem die Organe der EKD bisher gehandelt hatten: Die Kirche werde keine finanziellen Mittel an staatliche Stellen im Ausland weiterleiten. Zudem zog er mit seinem persönlichen Wiedergutmachungsversuch auch eine deutliche Konsequenz aus seiner eigenen Vergangenheit, da er zumindest in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Bewegung diese verharmloste und teilweise sogar in den Schutz nahm.136 Im Umfeld des Telegramms an Ben-Gurion veröffentlichte die in Dibelius’ Wirkungskreis fallende West-Berliner Provinzialsynode der EKBB im Januar 1960 eine Erklärung gegen den zunehmenden Antisemitismus, wie er sich in den Vorfällen der Weihnachtszeit manifestierte. Der Schlusssatz der Erklärung nahm dabei auf den Staat Israel Bezug: „Darum betet um den Frieden Gottes mit Israel. Betet um den Frieden Israels unter den Nationen, an den Grenzen seines Staates und in unserer Mitte.“137 Die Juden sollten demnach nicht nur in Europa, sondern auch im Nahen Osten sicher leben dürfen. Der Terminus ,Israel‘ bezeichnete hier das jüdische Volk als ethnisch-religiöse Größe, zu der man im Schlusssatz erfuhr, dass sie sogar einen eigenen Staat habe, dessen Grenzen zu schützen seien. Der Duktus der Erklärung machte deutlich, dass aus der Abwehr der Judenfeindschaft ein christliches Interesse am Staat Israel zu erfolgen habe. Durch ihren Beschluss vom 26. Februar 1960, mit dem die in BerlinSpandau tagende EKD-Synode allen Gemeinden empfahl, die Verlautbarung der EKBB „zu hören und zu beherzigen“, erhielt die Stellungnahme der Pro-
135 Brief Dibelius’ an Stelzer vom 9. 11. 1962, Kopie (EZA, 2/5253). – Vgl. Brief Stelzers an die Kirchenkanzlei vom 18. 10. 1962 (ebd.). 136 So wies er im März 1933 amerikanische Berichte über eine Judenverfolgung in Deutschland als feindliche Gräuelpropaganda zurück und konnte den Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 als eine notwendige politische Aktion bejahen. S. a. Stupperich, Dibelius, 205. 137 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.15, 552. – Auch dok. in: KJ 1960 (87/1961), 101 f; EKD, Synodalbericht 11, 423 f; und Christoph, Kundgebungen, Bd. 2, 55 f. – Zudem zit. bei: Kickel (Land, 169), der nicht klarstellt, dass dieser Satz nicht aus der eigentlichen EKDErschließung stammt, sondern dem Text der EKBB entnommen ist. – Vgl. Provinzialsynode der EKBB, Judenhaß, 100 f.
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vinzialsynode deutschlandweite Relevanz.138 Hinter dieser Empfehlung verbarg sich wohl auch eine gewisse Distanz, sonst hätte die EKD-Synode einen eigenen Text verfasst. Die Synode bat ferner den Rat der EKD um eine weitergehende Bearbeitung des jüdisch-christlichen Verhältnisses, was schließlich 1975 in die EKD-Studie „Christen und Juden“ mündete. Der Text der EKBB von 1960 war jedenfalls die erste offizielle Stellungnahme einer EKDGliedkirche, in der nicht nur das christlich-jüdische Beziehungsfeld behandelt, sondern eine explizite Verantwortung gegenüber dem Staat Israel gesehen wurde.139 Die kirchliche Bereitschaft zur Verantwortung blieb nicht ohne Folgen. Dibelius’ öffentlichkeitswirksame Finanzhilfe für den israelischen Staat von Januar 1960 ermutigte zahlreiche jüdische und israelische Organisationen, vermehrt EKD und kirchliche Institutionen um Spenden zu bitten. Nicht immer besaßen die Bittsteller einen seriösen Hintergrund; Missbrauch war nicht mehr auszuschließen. Deshalb lancierte der Zentralrat der Juden in Deutschland eine Empfehlung für potentielle Geldgeber, nur solche Einrichtungen oder Projekte zu unterstützen, die von der jüdischen Zentralwohlfahrtsstelle in Frankfurt am Main oder von der Israel-Mission in Köln befürwortet würden.140 Die EKD, die bereits mit dem Karmel-Institut141 ihre Erfahrung gemacht hatte, sollte nun vermehrt auf die Empfehlung des Zentralrats zurückgreifen, allerdings nur in den Fällen, in denen die Bittsteller der EKD unbekannt oder suspekt waren. So z. B. als die Kirchenkanzlei erfuhr, dass zahlreiche kirchliche Stellen im Frühjahr 1961 um Unterstützung einer Gesellschaft namens Kiryath Mattersdorf-Mattersburg (Burgenland) gebeten wurden, welche jüdische KZÜberlebende in einem Jerusalemer Vorort anzusiedeln gedachte. Otto von Harling erkundigte sich bei Fritz Majer-Leonhard, den er aus dem DEADI kannte und der aufgrund seiner Verbindungen zum israelischen Jugenddorf in Kiryat Ye’arim ein geeigneter Ratgeber zu sein schien. Majer-Leonhard verwies auf die Empfehlung des Zentralrats, gab jedoch zu verstehen, dass die EKD bei ihren Geldzuwendungen selbst das letzte Wort haben müsste. Als sich daraufhin von Harling bei der Frankfurter Zentralwohlfahrtsstelle nach Kiryath Mattersdorf erkundigte, erfuhr er, dass man dort die Gesellschaft für nicht vertrauenswürdig halte. Gründe wurden nicht genannt. Offensichtlich froh, die lästigen Bittsteller abweisen zu können, setzte von Harling die Lan-
138 EKD, Synodalbericht 11, 423. – Auch abgedr. bei: Goldschmidt/Kraus, Bund, 261 f; u. KJ 1960 (87/1961), 105. 139 Vgl. Ehmann, Solidarität, 151; und Kickel, Land, 169. – Der EKBB-Text lässt im Gegensatz zu Kickels Vermutung nicht erkennen, dass mit den erwähnten ,Wiedergutmachungsleistungen‘ ausdrücklich die bundesdeutschen Zahlungen an den Staat Israel gemeint sind. 140 So Pressemitteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland von März 1961 (EZA, 2/5253). 141 S. a. Teil II, 2.3.2.
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deskirchen von der Frankfurter Einschätzung in Kenntnis.142 Ähnlich wurde bei zahlreichen weiteren Anfragen verfahren. Komplizierter wurde es, als im Frühjahr 1963 mit dem Frankfurter Büro der State of Israel Bonds eine offizielle Institution an die Landeskirchen und an Innerer Mission und Hilfswerk mit der Bitte herantrat, sich an einer 300Millionen-Dollar Anleihe des Staates Israel zu beteiligen und sich die Pröpste Scharf und Grüber sowie Personen des öffentlichen Lebens bereits dafür stark gemacht hatten. Die meisten Landeskirchen wiesen die Anfrage wie die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau unter Kirchenpräsident Martin Niemöller „aus grundsätzlichen Erwägungen“ zurück. Eine einseitige finanzielle Unterstützung des Staates Israel würde die Äquidistanz gegenüber den arabischen Staaten aufs Spiel setzen und könnte die evangelische „Mohammedaner-Mission“ gefährden, hieß es aus Darmstadt.143 Dahinter stand nicht die prinzipielle Ablehnung eines politischen Wirkens der Kirche, sondern eine bestimmte Einschätzung des Nahostgeschehens unter der Voraussetzung, dass der Staat Israel trotz des nationalsozialistischen Judenmordes nicht bevorzugt behandelt werden dürfte. Es ist anzunehmen, dass Niemöller selbst für die Absage an die State of Israel Bonds verantwortlich war, blieb ihm doch die seinerzeit wachsende Begeisterung für den Staat Israel fremd.144 Neben der hessen-nassauischen zeichnete auch die bayerische Landeskirche keine Anleihe. Dagegen wurde die Idee von der badischen Landeskirche aufgegriffen, welche explizit dem Staat, „der eine Zufluchtsstätte für viele jüdische verfolgte Flüchtlinge und Vertriebene geworden ist“, eine Hilfe zuteilwerden lassen wollte und 250 000 DM zur Verfügung stellte.145 Gleichermaßen gedachte auch die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR), beim Aufbau des jüdischen Staates nicht abseits zu stehen und zeichnete eine Anleihe von 1 Million DM auf 10 Jahre: „Wir haben uns zu dieser Anleihe entschlossen, obwohl sie unter reinen finanzpolitischen Gesichtspunkten bei einer Verzinsung von rund 4 % nicht besonders reizvoll ist“, lautete die Begründung des Düsseldorfer Lan142 S. a. Brief v. Harlings an Rengstorf und Majer-Leonhard vom 31. 5. 1961, Brief Majer-Leonhards an v. Harling vom 22. 6. 1961 und Brief der Zentralwohlfahrtsstelle (M. Dessauer) an v. Harling vom 3. 7. 1961 (EZA, 2/5253). 143 Brief der EKHN-Kirchenverwaltung an Kirchenkanzlei vom 22. 4. 1963 (EZA, 2/5255). – Obwohl die Kirchenverwaltung grünes Licht gab, weil sie in der Anleihe kein finanzielles Risiko erblicken konnte, entschied die Kirchenleitung dagegen. Bei deren Überlegungen „spielte auch die Frage der Spannungen zwischen dem Staate Israel und den arabischen Staaten eine Rolle. Man wollte nicht in die Situation kommen, dass unsere Missionsarbeit etwa dadurch gefährdet werde, dass wir uns an der Anleihe des Staates Israel beteiligten, während wir uns an entsprechenden Anleihen der arabischen Staaten vielleicht nicht zu beteiligen willens seien.“ So Brief der Kirchenverwaltung der EKHN an den LKR München vom 22. 4. 1963 (LAELKB, LKR XIII/1561 [Israel]). – Vgl. Protokoll der LKR-Vollsitzung der ELKB vom 10. 6.–12. 6. 1963 und Brief von OKR Karg an State of Israel Bonds (W. Perry) vom 12. 6. 1963 (LAELKB, LKR XIII/ 1561 [Israel]). 144 S. a. Teil II, 3.4.4. 145 Brief des evangelischen OKR Karlsruhe an die Kirchenkanzlei vom 19. 4. 1963 (EZA, 2/5255).
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deskirchenamtes, das rein moralische und nicht pekuniäre Interessen geltend machte.146 Nachdem der Finanzbeirat der EKD realisiert hatte, dass die Entscheidungen der Landeskirchen sehr unterschiedlich ausgefallen waren, sah er von einem eigenen Vorschlag ab. Die Kirchenleitungen mussten realisieren, dass die Übernahme moralischer Verantwortung finanzielle Verpflichtungen mit sich brachte. Welchen Bittstellern man nun eine Kapitalhilfe gewährte, war eine Sache der Gewichtung von ethischen, theologischen und prinzipiellen Erwägungen. Die Diskussionen um die Förderungen zeigen, dass an eine strikte Trennung von Glaube und Staatspolitik letztlich nicht zu denken war und dass gleichzeitig die diffizile Unterscheidung zwischen beiden göttlichen Regimenten in der kirchenleitenden Praxis zu nicht gerade wenigen Optionen führte.
2.4.2 Der Eichmann-Prozess und der Berliner Kirchentag (1961) Zu Beginn der 1960er Jahre begann die bundesdeutsche Öffentlichkeit, die nationalsozialistische Vergangenheit nicht mehr nur mit geschichtsphilosophischen Erklärungsmustern zu bewältigen, sondern anhand konkreter Verbrechen aufzuarbeiten.147 Zum so genannten ,Auschwitz-Prozess‘ ab 1963, zur Debatte um die Verjährung von nationalsozialistischen Verbrechen und zur Frage nach der Verstrickung bestimmter Bonner Politiker mit dem NS-Regime kam die Diskussion um den Jerusalemer Eichmann-Prozess 1961. Letztere hatte mehr als die anderen Debatten einen transnationalen Charakter, da der Staat Israel und keine deutsche Institution Recht und Gerechtigkeit einklagte. Indem Propst Heinrich Grüber als einziger deutscher Zeuge in Jerusalem gegen Eichmann aussagte, geriet der Prozess und damit erneut der Staat Israel in das Blickfeld des deutschen Protestantismus. Der Jerusalemer Prozess und der Zeuge Heinrich Grüber : Der SS-Mann Adolf Eichmann, später Obersturmbannführer, übernahm 1939 die Leitung des Referats für ,Juden- und Räumungsangelegenheiten‘ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und war in dieser Funktion zunächst für Vertreibung und Auswanderung, dann für die Deportation von Juden in Konzentrationslager verantwortlich. Insbesondere den Tod von 400 000 ungarischen Juden legte man ihm später zur Last. Noch während des Krieges wurde Eichmann von USTruppen in Gewahrsam genommen, konnte aber nach Kriegsende aus dem 146 Brief des LKA der EKiR an die Kirchenkanzlei vom 17. 4. 1963 (EZA, 2/5255). – S. a. Brief der Kirchenkanzlei (Merzyn) an die westdeutschen Kirchenleitungen vom 10. 4. 1963 (EZA, 2/ 5255 und 87/849) und Brief der Kirchenkanzlei an Innere Mission und Hilfswerk vom 31. 7. 1963 (EZA, 2/5255). 147 Vgl. Schildt, Nachkriegszeit, 16. – Zum Eichmann-Prozess s. a. Jelinek, Deutschland, 335 – 356; Krause, Eichmann; Vogel, Politik, Bd. 1, 171 – 197; Weingardt, Nahostpolitik, 132 – 138; und Yablonka, Eichmann, 2004.
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Gefangenenlager fliehen und lebte unentdeckt, bevor er 1950 Deutschland verließ und als Richard bzw. Ricardo Klement nach Argentinien emigrierte. Dort wurde er in der Nähe von Buenos Aires am 11. Mai 1960 vom Mossad gefasst und unter Umgehung des argentinischen Rechts nach Israel entführt. Der öffentliche Prozess gegen Eichmann begann am 11. April 1961. Die israelische Bevölkerung setzte sich mehr denn je mit der Schoah auseinander. Insbesondere die Biederkeit des pflichtbewussten Bürokraten, dem man keinen eigenhändigen Mord nachweisen konnte, erregte die Gemüter. Sein Erscheinen passte nicht zur Vorstellung eines Nazi-Schergen, sodass Hannah Arendt in Eichmann die ,Banalität des Bösen‘ verkörpert sah.148 Auch die deutsche Öffentlichkeit nahm Anteil am Prozess und setzte sich zudem mit der Tatsache auseinander, dass die Gerichtsverhandlungen in Israel stattfanden. Wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk und wegen Kriegsverbrechen wurde Eichmann im Dezember 1961 zum Tod durch den Strang verurteilt. Das Gericht hatte ihn in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Eichmann selbst akzeptierte den Schuldspruch nicht, verwies in seinem Schlussplädoyer auf die Kategorien ,Gehorsam‘, ,Dienstpflicht‘ und ,Fahneneid‘ und sah sich als Opfer der israelischen Justiz. Am 1. Juni 1962 wurde das Urteil wenige Minuten nach Mitternacht vollstreckt.149 Der Fall Eichmann war bereits vor Prozessbeginn Gegenstand einer offiziellen kirchlichen Verlautbarung. Die gesamtdeutsche Synode der EKD – die letzte, an der Dibelius als Ratsvorsitzender mitwirkte – nahm am 17. Februar 1961 die von einem Ausschuss erarbeitete Entschließung zum bevorstehenden Prozess entgegen. Die Brisanz dieses Gerichtsverfahrens sah die Synodalerklärung in der neuen Konfrontation mit den nationalsozialistischen Verbrechen als „den geschichtlichen Ursachen der Katastrophe von 1945.“ Die Synode bedauerte, dass der Prozess aufgrund der politischen Lage vor einem israelischen und nicht vor einem gesamtdeutschen Gericht stattfinden werde, und hoffte auf ein gerechtes Urteil: „Volk und Staat Israel haben mit der Aburteilung eine schwere Last übernommen.“ Indem die Synode eine deutsch-jüdische Versöhnung anstrebte und diejenigen, die „an der Ermordung der sechs Millionen Juden mitgewirkt haben“, zu einem Schuldbekenntnis aufforderte, damit ihnen vergeben werde, lag sie auf der Linie von Grübers Sätzen, die dieser bei der Vernehmung artikulierte.150 Der fast 70-jährige Grüber trat in Jerusalem als einziger deutscher Ankla148 S. a. Arendt, Eichmann. 149 Jelinek (Deutschland, 355) nennt den 31. 5. 1962. 150 KJ 1961 (88/1963), 43. – Auch abgedr. bei: EKD, Synodalbericht 12, 364 f; EKD, Entschließung, 63; EKD, Gesamtdeutsche Synode; Lamm, Eichmann, 61 f; u. Goldschmidt/Kraus, Bund, 264 f. – Vgl. Kickel, Land, 169; u. Krause, Eichmann, 117 f. – E. Wilm beklagte, auf der Synode gehört zu haben, dass jemand sagte, man solle im Zusammenhang mit dem EichmannProzess nicht immer von deutscher Schuld reden, „denn dadurch könnte Israel veranlaßt werden, noch mehr Wiedergutmachung zu fordern“ (Wilm, Eichmann, 1). – S. a. Lamm, Eichmann, 16 – 18.
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gezeuge und als einer von zwei Nicht-Juden auf. Im Blick auf die NS-Zeit sah Grüber sich selbst als den Menschen, „der wohl am meisten mit Eichmann verhandelt und der ihm am klarsten widersprochen hat, bis er mich ins KZ brachte.“ Bereits 1945 hätte er, so erinnerte er sich, die Alliierten darauf aufmerksam gemacht, dass sie vor allem Eichmann als einen der Hauptverantwortlichen für den Massenmord festsetzen müssten. Weil das den Siegermächten nicht gelungen war, könne Grüber den Israelis zu den „Vorgängen bei der Verhaftung und beim Transport nach Israel“ keinen Vorwurf machen.151 Da sich die westdeutsche Bevölkerung weniger mit den Verbrechen Eichmanns zu beschäftigen scheine, sondern vielmehr der Frage nach der Rechtmäßigkeit des israelischen Vorgehens nachgehe, insistierte der Berliner Propst bereits vor Prozessbeginn, als er noch gar nichts von seiner Vorladung wusste, dass nur der israelische Staat zur Durchführung des Verfahrens gegen Eichmann berechtigt sei, weil sich die gesamte Weltgemeinschaft nicht für die verfolgten Juden eingesetzt habe und die Bundesrepublik noch zu viele Nationalsozialisten in hohen Ämtern dulde.152 Erst während des Prozesses wurde der Propst auf Anordnung des Generalstaatsanwalts Gideon Hausner zur Vernehmung geladen, weil in bisherigen Zeugenaussagen immer wieder Grübers Name gefallen war. Grüber durfte ohne Visum nach Israel einreisen und wurde von Dov Schmorak, einem Vertreter des Außenministeriums, empfangen und von diesem während des ganzen Aufenthalts umsorgt. Grüber hätte als Seelsorger jederzeit Eichmann aufsuchen dürfen, falls Letzterer darum gebeten hätte. Zumindest ließ Grüber dem Angeklagten eine Nachricht zukommen, in der er den ehemaligen Obersturmbannführer zu einem Schuldeingeständnis aufforderte: „Auf das Urteil wird das keinen Einfluß haben, aber Sie werden Tausenden von Menschen helfen. Sie werden Ihnen vielleicht etwas von der Bitterkeit nehmen können.“153 Bei seiner Zeugenaussage vom 16. Mai 1961 empfand sich der Propst als einer, der „zwischen dem Mann in der kugelsicheren Glaskabine […] und jenen Millionen“ stehe, „in deren Namen dieses Gericht Anklage gegen Eichmann erhob.“154 Während Grüber berichtete, was er von der Judenverfolgung miterlebt und welchen Eindruck der SS-Mann auf ihn gemacht habe, sah er sich selbst als ein Fürsprecher der Opfer der Schoah. Grüber erzählte von seinen Besuchen bei Eichmann im Berliner RSHA, bei denen er um Milderung der antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen bat. Grüber erinnerte sich, dass er auf Eichmanns Frage, wieso er sich überhaupt um die Juden kümmere, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter anführte, in dem ein 151 Grber, Sensation; und ders., Erinnerungen, 406. 152 So Grber, Sensation. – Vgl. dazu Wirth, Partner, 251. – Zur Meinung der deutschen Bevölkerung s. Deutschkron, Verhältnis, 122. 153 Dok. bei Grber, Erinnerungen, 407. – Zu diesem Abschnitt s. auch Guth, Lichtstrahl, 369 f; und Brief Stratenwerths an S. Koerner vom 5. 2. 1962 (EZA, 2/5253). 154 Grber, Erinnerungen, 409. – Der Wortlaut vollständig dok. bei: Nizkor-Project, Trial, Online; ausschnittsweise dok. bei: Schmorak, Eichmann.
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Nichtjude einem Juden half: „Der Herr, auf den ich allein höre, er sagt mir : ,Geh du und tue das gleiche.‘“155 Grüber nahm Eichmann als einen hasserfüllten und gewissenlosen „Landsknechttyp“ wahr, „der dasitzt wie ein Eisblock, wie ein Marmorblock.“156 Gleichwohl räumte Grüber ein, dass er den Angeklagten nicht mehr hätte identifizieren können, und machte mehrfach Gedächtnislücken geltend. Der Propst hatte noch bis zu seinem Eintreffen in Jerusalem geglaubt, dass Eichmann in einer palästinadeutschen TemplerKolonie geboren worden sei, weil der SS-Mann selbst diese Legende zu verbreiten pflegte. Grüber schilderte dem Gericht die Arbeit des Büros Grüber und würdigte die Mitarbeit ,seines Freundes‘ Hermann Maas. Der Propst berichtete aus eigener Anschauung, welche Behandlung die Juden in den KZs Sachsenhausen und Dachau erfahren hatten. Er hatte erlebt, wie vor allem Kranke, darunter Juden, zur Tötung abtransportiert wurden; auch sein Mitarbeiter Werner Sylten war im KZ umgekommen. Besonders das Schicksal der Kinder belastete ihn und seine Mithäftlinge. Das habe zu dem gehört, „was uns die Zeit am bittersten gemacht hat.“157 Die Vernehmung schloss Grüber mit einem, wie er es nannte, ,persönlichen Wort‘, das noch einmal sein Selbstverständnis auf den Punkt brachte: „Es ist mein Wunsch, daß diese Verhandlungen dazu beitragen, daß nicht bloß das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland geklärt wird, sondern daß der Menschheit geholfen wird.“ Und Grüber fügte noch hinzu: „Wir wollen alles unter Vergebung und Versöhnung stellen und auch den Angeklagten damit einbeziehen.“158 Grübers Zeugenaussage schien im Blick auf ein verbessertes deutsch-israelisches Verhältnis durchaus eine Rolle gespielt zu haben. Darauf deutete die Anzahl an Israelis, die ihren Dank gegenüber Grüber zum Ausdruck brachten. Die Ausführungen Grübers stellten auch die einzige Zeugenaussage dar, die vom Publikum mit Applaus gewürdigt wurde. Für Generalstaatsanwalt Hausner war Grüber ein Beispiel dafür, dass man den Glauben an die menschliche Fähigkeit zum moralischen Handeln noch nicht aufzugeben brauchte: „There were, after all, sparks of humanity even in Nazi Germany.“159 Der bleibende Wert der Aussage des Berliner Zeugen habe nicht, so Hausner, in seiner Bedeutung für den Prozessverlauf gelegen. Vielmehr sei das Verhältnis ,der Welt‘ zu den Israelis deutlich geworden, dass nämlich Juden nicht 155 Ankl.-Zeuge Propst Dr. Heinrich Grüber, Ger.-Sitz. 41, Jerusalem – 16. 5. 1961 – Zit. nach Schmorak, Eichmann, 397. – Anderer Wortlaut bei o.Vf., Grüber, 18. 156 Zit. nach Schmorak, Eichmann, 390. 157 Ebd., 399. – Über Grübers traumatisches Erlebnis, im KZ die Schuhe der in Auschwitz vergasten Kinder sortieren zu müssen, s. Grber, Quo vadis, 115. – Zu Sylten s. Thierfelder, Sylten. 158 Abgedr. bei: Grber, Erinnerungen, 409. – Vgl. Sylten, Entstehung, 167. 159 Hausner, Justice, 297. – S. a. Hausners Interview mit der Zeitung Ma’ariv vom 10. 9. 1961, zit. bei: Yablonka, Eichmann, 272, Anm. 64. – Zu den Stimmen über Grübers Aussage vgl. Wirth, Partner, 255 f.
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von allen Nicht-Juden gehasst werden würden. Martin Buber, der sich selbst im Blick auf Eichmann als Gegner der Todesstrafe zu erkennen gab,160 und zahlreiche Überlebende der Schoah zeigten sich von Grübers Aussage berührt und beeindruckt. Ein deutscher Journalist meinte: „Von heute ab können wir anders durch die Straßen von Jerusalem gehen. Bisher waren wir die Landsleute von Eichmann, ab heute sind wir die Landsleute von Heinrich Grüber.“161 Für viele Israelis war Grüber „ein Gerechter in Sodom“ und zum geachtetsten Bürger der Bundesrepublik geworden, der „die Juden wieder an einen gewissen Typ von Deutschen erinnert, der Zivilcourage und Gewissen hat.“162 Der Berliner Propst musste sich aber auch Kritik gefallen lassen, z. B. wegen seines ,persönlichen‘ Schlusswortes, in dem er in einen Predigtstil verfallen war und auch den Angeklagten in das göttliche Versöhnungswerk miteinschloss. Für manche Schoah-Überlebenden kam dies einer Verharmlosung des Verbrechens gleich.163 Es gab auch Prozessbeobachter, die Grübers Nimbus des ,guten Deutschen‘ zu relativieren suchten. Indem Hannah Arendt konstatierte, dass Grübers Aussage kaum etwas zur Aufdeckung von Eichmanns Verbrechen beigetragen habe, lag die Publizistin zwar auf der Linie Hausners, rückte Grüber aber mehr in ein negatives Licht: „Unfortunately, his testimony was vague; he did not remember, after so many years, when he had spoken with Eichmann, or, and this was more serious, on what subjects […] Apart from testifying to the existence of ,another Germany,‘ Propst Grüber did not contribute much to either the legal or the historical significance of the trial.“164
Grübers Rekurrierung auf Klischees und seine Urteile über die Person Eichmanns hätten ihn als keinen guten Menschenkenner ausgewiesen, so Arendt weiter. Zudem habe er der Verteidigung in die Hände gespielt, da auch er Eichmann nie auf den unmoralischen Charakter seines Tuns hingewiesen habe. Die Erinnerung des Vorsitzenden Richters Moshe Landau war keineswegs wohlwollender als die Arendts. Grübers Zeugenaussage sei nichts weiter
160 So Buber, Begnadigung, 34. – Vgl. Meldung in: RKZ 103 (1962), 183: Buber sei der Ansicht, „daß der Tod Eichmanns vielen seiner Mitschuldigen ein angeblich gutes Gewissen wiedergeben könne.“ 161 Grber, Erinnerungen, 410. – Ein anonymer Israeli in einem Brief an R. Weckerling: „Propst Grüber ist in diesen Wochen zum bekanntesten und beliebtesten Deutschen in Israel geworden. Seine Aussage im Eichmann-Prozeß wird immer wieder in Gesprächen erwähnt und sein persönliches Erscheinen hat viel dazu beigetragen, den deutsch-jüdischen Beziehungen hier ein anderes Gepräge zu geben.“ Zitiert nach Weckerling, Le Chaim, 9. 162 Tira, Prozeß, 372; und Guth, Lichtstrahl, 371. – Vgl. Besier, Grüber, 382; Kloppenburg, Grüber, 334; Weckerling, Zeuge, 64; und Yablonka, Eichmann, 61. 163 Vgl. Grber, Erinnerungen, 409: „Dieses Nachwort haben manche nicht so verstanden, wie es gemeint war, und es bedauert. Es sollte aber Eichmann ermöglichen, ein Wort der Reue und die Bitte um Vergebung zu finden.“ 164 Arendt, Eichmann, 129 f.
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als „a great show“ gewesen.165 Denn Grüber könne kaum als ,gerechter Heide‘ gelten, da er während der NS-Zeit nur konvertierte Juden zu retten versuchte. Zwischen Grübers Selbstwahrnehmung und dem Urteil anderer lag mitunter eine gewisse Diskrepanz. Angesichts seines Bemühens um ein verbessertes deutsch-israelisches Verhältnis verwunderte Grüber, dass er nach der Vernehmung weder ein Telegramm der Bundesregierung erhielt noch bei seiner Ankunft in Berlin von einem offiziellen Vertreter der Stadt empfangen wurde.166 Im westdeutschen Protestantismus waren es vor allem ,progressive‘ Kirchenleute, die Grübers Eintreten für die Juden zu würdigen wussten: „Er dient Israel, er dient dem Brückenbau, er dient seinem Lande“, kommentierte Heinz Kloppenburg Grübers Auftritt in Jerusalem.167 Grüber wollte auch nach seiner Rückkehr aus Jerusalem dem Brückenbau nach Israel dienen. Zu seinem 70. Geburtstag am 24. Juni 1961 bat Grüber seine Freunde, anstelle privater Geschenke „Geld für einen Wald in Israel zu sammeln, der zu Ehren meiner tapferen Mitarbeiter im Büro Grüber gepflanzt werden sollte.“168 Unter dem Eindruck des Eichmann-Prozesses verlief diese Sammlung erfolgreich. So wurde am Synedriumsberg an der israelisch-jordanischen Grenze bei Jerusalem der ,Grüber-Wald‘ aufgeforstet. Zur feierlichen Pflanzung am 18. Oktober, zu der Vertreter der israelischen Öffentlichkeit sprachen, war Grüber erneut ins Heilige Land gereist. Bei diesem Aufenthalt referierte der Propst am 14. Oktober vor dem Journalistenverband in Tel Aviv über die Judenverfolgung unter dem Nationalsozialismus. Dabei ging er auch auf das Luxemburger Abkommen ein. Die Zahlungen machten in Grübers Augen die Vergangenheit zwar nicht ungeschehen, stellten aber für die Überlebenden der Schoah eine sinnvolle „Starthilfe“ für einen Neuanfang in Israel dar.169 Bei dieser Reise wurde der Propst vom Bürgermeister der am Mittelmeer gelegenen Siedlung Shavei Tsiyon um einen finanziellen Beitrag zur Freilegung der am Strand entdeckten frühchristlichen Kirche gebeten. Grüber stellte eine Finanzhilfe der EKD in Aussicht, in der er erneut „einen symbolischen Akt“ erblickte, „der zu einer weiteren Entspannung des Verhältnisses von Kirche und Synagoge, von Deutschland und Israel beitragen soll.“170 Die Grüber zur Verfügung stehenden 40 000 DM wurden schließlich von Hermann Kunst durch 20 000 DM ergänzt, sodass die EKD mit einer Summe von 60 000 DM zur Ausgrabung beitrug. In der Kirchenkanzlei
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Zit. bei: Yablonka, Eichmann, 107. – Aus einem Interview mit Yablonka 1995. Vgl. Wirth, Partner, 256. Kloppenburg, Grüber, 334. Grber, Erinnerungen, 410. – Vgl. o.Vf., Grüber, 91 f; u. Pragai, Land, 325. – Schon zuvor hatte Grüber Baumpflanzungen als Zeichen dafür gewertet, dass die Israelis nicht vergangenheitsfixiert, sondern zukunftsorientiert seien: „Israel setzt keine toten Steine und Tafeln, sondern pflanzt Bäume zu Hainen.“ So Grber, Aufruf, 106. 169 Grber, Schuld. 170 Zit. nach Meldung in: EvW 16 (1962), 90.
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kommentierte man den Vorgang so: „Das im Haushalt nicht vorhandene Geld hat offenbar Prälat D. Kunst anderweitig beschafft.“171 Während Grübers Israelaufenthalt im Oktober 1961 war das weitere Schicksal Eichmanns noch ungewiss; das Urteil wurde erst im Dezember verkündet. Grüber war sonst gegen die Todesstrafe, hatte aber seit der Urteilsverkündung alle Bitten abgelehnt, ein Gnadengesuch an den israelischen Präsidenten zu richten. Am 1. Juni 1962, der Tag, der auf den Tod des SS-Mannes folgte, begründete Grüber vor der Deutsch-Israelischen Studiengruppe (DIS) in Göttingen sein Verhalten: „Als Deutscher glaube ich keine innere Berechtigung zu haben, dem Staatsoberhaupt des Staates Israel eine Bitte vorzutragen oder gar einen Ratschlag zu geben.“ Es scheint, als ob Grüber wegen der Kritik an seiner vor Gericht getroffenen Aussage, auch Eichmann in die Vergebung einzubeziehen, den Eindruck zu vermeiden suchte, er wolle einen Verbrecher verteidigen. In Göttingen stellte Grüber klar, dass die Deutschen aufgrund der NS-Vergangenheit moralisch nicht dazu legitimiert seien, Israel wegen der Hinrichtung Eichmanns zu brandmarken, zumal in der Bundesrepublik noch viele Juristen beschäftigt seien, die im Dritten Reich die Todesstrafe verhängt hätten. Ferner sei zu überlegen gewesen, ob wirklich „ein Gnadenerweis angebracht ist bei einem Manne, der, wie wir hören, bis zuletzt keine Reue zeigte und auch kein Wort der Verzeihung fand.“172 Der Berliner Kirchentag und die Berliner ESG-Reise: In der Zeit des EichmannProzesses kamen viele Protestanten vom 19. bis zum 23. Juli 1961 zum 10. Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Berlin zusammen. Hier widmete sich die neu gegründete Arbeitsgruppe VI, aus der die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT hervorging, ganz dem Verhältnis von Christen und Juden. Das geschah in dem Bewusstsein, dass „gerade im Jahr des Eichmann-Prozesses ein Kirchentag, wollte er sich den heißen Fragen der Gegenwart wirklich stellen, nicht an diesem Thema vorbeigehen“ könne.173 Der Besucherandrang bei den christlich-jüdischen Veranstaltungen wurde dann auch auf die Jerusalemer Gerichtsverhandlungen zurückgeführt: „Mit etwa 600 Teilnehmern hatte man gerechnet, gegen 10 000 kamen!“174 Die Veranstaltungen der Arbeitsgruppe VI kulminierten in der Podiumsdiskussion vom 22. Juli, bei der ein Text verabschiedet wurde, in dem die christlichen Teilnehmer erklärten, welche Konsequenzen sie aus dem Eichmann-Prozess ziehen wollten: „Der gegenwärtig in Jerusalem stattfindende Prozeß geht uns alle an. Wir evangelischen Christen in Deutschland erkennen, 171 Handschriftl. Anmerkung Brunottes auf dem Schreiben der Israelmission (L. Savir) an den Rat der EKD vom 12. 3. 1962 (EZA, 2/5253). – Zu dieser Finanzhilfe der EKD s. a. Teil II, 2.2.5. 172 Grber, Todesurteil, 414. – Auch abgedr. bei: O.Vf., Grüber, 87 f. 173 Goldschmidt/Kraus, Bund, 9. – Vgl. Kickel, Land, 170; und Stçhr, Arbeitsgemeinschaft. 174 Koch, Juden und Christen, 186. – Vgl. Grber in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 503: „Als wir vor Wochen an diese Gruppe dachten, meinten wir, wenn tausend kommen, wollen wir zufrieden sein. Nun sind es mehr als 10 000.“
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daß wir darin schuldhaft verwickelt sind.“175 Bei der Diskussion, die auf die Verlesung der Erklärung folgte, kamen einige Referenten noch einmal auf den Fall Eichmann zu sprechen. Während eine Darmstädter Marienschwester den Prozess in Israel als „von Gott gewollt“ deklarierte, damit die Deutschen ihre Schuld erkennen würden, schilderte Heinrich Grüber seine Eindrücke aus Jerusalem.176 Für die verlesene Verlautbarung lag die einzig angemessene Reaktion auf die Gerichtsverhandlungen darin, den Verbrechen des NS-Staats ins Auge zu sehen. Daraus habe u. a. ein aufrichtiges Interesse am Schicksal des Staates Israel zu folgen: „Auch muß von uns Deutschen alles getan werden, was dem Aufbau und dem Frieden des Staates Israel und seiner arabischen Nachbarn dient.“177 Die Erklärung zielte allerdings nicht auf die Beobachtung des Nahen Ostens, sondern auf die Erwählung des Judentums (,erwähltes Volk‘) – für die Arbeitsgruppenleitung „die Quintessenz unserer ganzen Arbeit.“178 Aber auch wenn die Erklärung keine Stellungnahme zum Staat Israel sein wollte, so stellte Günther Harder nach der Verlesung des Textes klar, dass es zur Anerkennung der bleibenden Erwählung der Juden gehöre, den Staat Israel zu akzeptieren: „Israels Weg und damit auch sein neuer Staat geht uns unmittelbar an.“179 Eine frühere Fassung der verabschiedeten Verlautbarung enthielt noch eine Forderung nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel, die das Kirchentagspräsidium wieder streichen ließ.180 Diese Forderung wurde bei der anschließenden Diskussion nachgeholt. Die evangelische Theologin Lili Simon, die sich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft dem Zugriff des NS-Regimes entzogen und von 1941 bis 1952 im Heiligen Land gelebt hatte, erläuterte den Textpassus, der den Staat Israel thematisierte, und appellierte dabei an die Bundesregierung, diesen Staat endlich anzuerkennen. Nur auf diese Weise könnten die Deutschen ihre Vergangenheit ein Stück weit in Ordnung bringen, zumal sie auch dafür verantwortlich seien, dass die Staatsgründung so schnell erfolgt sei, was wiederum die arabischen Staaten verärgert habe: „So fühlen wir also unsere Mitschuld an der Mißstimmung, die die Gründung des Staates Israel unter den arabischen Staaten 175 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.16, 553. – Auch abgedr. bei: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 487; Kirchentags-AG, Juden und Christen; Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 76 f; Goldschmidt/Kraus, Bund, 123 – 125; Kammerer, Haare, 25 f; KJ 1961 (88/1963), 49; Kupisch, Kirchentag, 540 – 542; Stçhr, Erinnern, 144 f; und Weckerling, Le Chaim, 157 f. – Vgl. Krause, Eichmann 119 f; und EZA, 681/79. 176 Schwester Martyria in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 502. – Zu Grüber s. ebd., 503 – 505. 177 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.16, 553 f. 178 Harder bei Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 77. 179 Harder in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 501. 180 So Kammerer, Haare, 26 f. – Der entsprechende Satz im Entwurf lautet: „Angesichts der Spannungen im Nahen Osten wäre es ein wirkungsvoller Beitrag zur Gewinnung des Friedens, wenn das Angebot diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel betrieben und zugleich die Entwicklungshilfe für die arabischen Nachbarn intensiviert würden“ (Typoskript aus dem IKJ, zit. bei: Kammerer, Haare, 26 f). – Zu den deutsch-israelischen Beziehungen s. Teil II, 2.4.4.
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hervorgerufen hat.“181 Simons Ausführungen blieben auf der politischen Ebene; die vorher bei einer anderen Kirchentagsveranstaltung getroffene heilsgeschichtlich-eschatologische Charakterisierung des Staates Israel wiederholte sie an diesem Tag nicht mehr.182 Demgegenüber wollte der jüdische Journalist Schalom Ben-Chorin bei der Frage nach der Ursache des heutigen israelisch-arabischen Gegensatzes „die Heilige Schrift aufschlagen und die Bibel selbst befragen.“183 Der Ausspruch des Sehers Bileam in Numeri 23,9 habe sich bis heute bewahrheitet und sei zum Schicksal der alten wie der neuen israelischen Staatlichkeit geworden, dass Israel von seinen Nachbarn als Fremdkörper betrachtet und deshalb angefeindet werde. Mit dieser Beurteilung tendierte Ben-Chorin zu einer Fixierung des israelisch-arabischen Verhältnisses auf eine immerwährende Feindschaft. Das Engagement der Leute, die hinter der Arbeitsgruppe VI standen, ging nach dem Kirchentag weiter. Aus der Arbeitsgruppenleitung entwickelte sich die regelmäßig tagende Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim DEKT, die im Januar 1962 in Arnoldshain offiziell ins Leben gerufen wurde. Zu den ersten Mitgliedern dieser Kirchentags-AG gehörten Personen, die man wegen ihrer Bemühungen um eine jüdisch-christliche Annäherung teils bereits kannte, teils erst noch kennen lernen sollte.184 In den Augen der Initiatoren hatte sich auf dem Berliner Kirchentag der „Durchbruch“ zur Abkehr vom christlichen „Überlegenheitsbewußtsein“ gegenüber dem Judentum ereignet: „Die Zeit der Judenmission im pietistischen Sinn ist vorüber.“185 Wegen der damit verbundenen Schwerpunktverlagerung kam es zum Konflikt mit den im DEADI organisierten Einrichtungen. Für konfessionell-lutherische Theologen bedeutete das Selbstbewusstsein der Kirchentags-AG eine Provokation, auch wenn der Kirchentag 1961 gegenüber den Juden gar nicht auf das Christuszeugnis, das von der ,Judenmission‘ unterschieden wurde, verzichten wollte.186 Karl Heinrich Rengstorf blieb dem Kirchentag gleich ganz fern: „Ich kann da nicht mitmachen, weil das Entschei181 Simon in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 495. – Auch abgedr. in: Goldschmidt/Kraus, Bund, 134 f. – Zur politischenHaltung Simons s. Gnther, Antisemitismus, 128. 182 „Es könnte doch sein, obwohl ich das nicht mit solcher Bestimmtheit zu sagen wage, wie manche es tun: daß dieses Geschehen um Israel ein Glockenzeichen vom nahen Ende ist […] Kann ein als Staat verfaßtes Israel Gottes Willen entsprechen? Ich meine: ja!“ Dok. bei Goldschmidt/Kraus, Bund, 74. 183 Ben-Chorin in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 496. 184 Personen wie S. Ben-Chorin, E. Bethge, E. L. Ehrlich, D. Goldschmidt, A. Freudenberg, R. R. Geis, H. Gollwitzer, H. Grüber, G. Harder, H. J. Kraus, H. D. Leuner, F.-W. Marquardt, R. Pfisterer, L. Simon, R. Weckerling, C. Westermann, W. Wirth, W. Zimmerli und – als „das jüngste Mitglied“ (Stçhr, Marquardt, 203) – M. Stöhr. 185 Goldschmidt/Kraus, Bund, 13; und Harder in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 501. – Die Kirchentags-AG sah sich als „die einzige Gruppe in Deutschland“, die einen „jüdisch-christlichen Dialog gerade auf dem theologischen Gebiet“ führte. So Gollwitzer in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 300. 186 So Harder in: DEKT Berlin, Dokumente, 1961, 501: „Wir sind auch Israel das ChristusZeugnis schuldig.“
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dende nicht zur Sprache kommt“, schrieb Rengstorf an Martin Buber und kritisierte zudem „das Ineinander von Politischem und Religiösem im Kirchentag.“187 Das war auch das Monitum von Oberkirchenrat Paul Reinhardt, einem Redakteur der Lutherischen Monatshefte, der angesichts der Staat-IsraelThematik einen Primat des Politischen befürchtete: „Mit ,dem Aufbau und dem Frieden des Staates Israel und seiner arabischen Nachbarn‘ ist’s ja nicht getan. Der Kirche Jesu Christi muß es um die theologischen Fragen gehen.“188 Die Mitglieder der Kirchentags-AG waren auch außerhalb der regelmäßigen Treffen aktiv. Mit der zunehmenden Häufigkeit von Israelreisen konnten sie mehr junge Menschen von ihren Ansichten überzeugen als es den Vertretern der klassischen Judenmission gelang. Der Berliner Studentenpfarrer Rudolf Weckerling, selbst Mitglied der Kirchentags-AG, flog zweieinhalb Jahre nach dem ersten Israelbesuch189 im August und September 1961 erneut mit einer Gruppe der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) ins Heilige Land. Die Veranstalter hatten überlegt, ob der Eichmann-Prozess nicht zu einem Klima geführt habe, das eine Reise derzeit nicht sinnvoll erscheinen lasse. Aufgrund der positiven Voten israelischer Kontaktpersonen und der Eindrücke vom Berliner Kirchentag waren diese Bedenken wieder zerstreut worden: „Der Prozeß hat auf die Haltung der [israelischen, GG] Bevölkerung gegenüber Besuchern aus Deutschland gar keinen Einfluß gehabt.“190 Die Berliner ESG hatte sich insofern bereits mit der Thematik auseinandergesetzt, als Joachim Hoppe ein halbes Jahr zuvor in ihrem Namen einen Brief an einen befreundeten Kibbuz in Israel geschrieben hatte, in dem man sich den moralischen Fragen, die der Fall Eichmann aufwarf, stellte: „Wir sind als junge Deutsche Teilhaber unserer Geschichte und insofern können wir uns der […] Mitverantwortung nicht entziehen.“191 Indem man diesen Brief in der Jungen Kirche veröffentlichte, wandte man sich wohl doch eher an ein deutsches als an ein israelisches Publikum. Davon zeugen auch die massiven Angriffe auf die Schlussstrichmentalität in der westdeutschen Bevölkerung. Im Mittelpunkt der ESG-Reise des Jahres 1961 stand dann auch die Mitarbeit in verschiedenen Kibbuzim und die Versöhnung zwischen Deutschen und Israelis. Wie bereits 1959 fragte Weckerling auch diesmal nach dem deutschen Beitrag zu einem israelisch-arabischen Frieden und gebrauchte in seiner Reiseschilderung eine ähnliche Terminologie wie damals: „Wir sind als Deutsche Schuldner beider Seiten.“192 Diese Selbstcharakterisierung als ,Schuldner‘ der israelischen wie der arabischen Seite ist allerdings nicht ganz unproblematisch, denn sie steht in der Gefahr, die jüdische Schoah mit der 187 Brief von K.H. Rengstorf an M. Buber vom 20. 8. 1961, in: Buber, Briefwechsel III, 525 – 527, hier 526. 188 Reinhardt, Synagoge, 79. – Unter Bezugnahme auf die Erklärung der Kirchentags-AG. 189 S. a. Teil II, 2.2.1. 190 Weckerling, Le Chaim, 24. – Zur Reise s. auch Hansen, Schatten, 506. 191 ESG Berlin, Eichmann, 338. 192 Weckerling, Le Chaim, 83.
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arabisch-palästinensischen Nakba – beides bedeutet Katastrophe – gleichzusetzen. 2.4.3 Affäre Malsch 1962/63 Ein innerkirchlicher Streit entstand um eine angebliche Äußerung des in OstJerusalem tätigen deutschen evangelischen Propstes Carl Malsch. Diese Auseinandersetzung war typisch für viele politische Debatten der späten AdenauerZeit. So kritisierten progressive Kreise, dass Personen, die im NS-Staat einflussreiche Ämter innehatten, auch in der Bundesrepublik Karriere machen konnten, oder dass ehemalige Nationalsozialisten als Raketentechniker in Ägypten arbeiteten. Nun kann man die Affäre um Malsch nicht mit solchen Fällen gleichsetzen, aber die Strukturen solcher Streitigkeiten ähnelten sich. Progressive Christen – und Juden – sahen in der Jerusalemer Propstei und in der deutschen Palästinamission alte und falsche Kontinuitäten am Werk, die der deutsch-jüdischen Aussöhnung im Weg standen. Aufgrund der früheren NSDAP-Mitgliedschaft führender Palästinadeutscher wie der Brüder Hermann und Ernst Schneller, des Bethlehemer Pfarrers Gerhard Jentzsch und des leitenden Arztes des Kaiserswerther Krankenhauses, Eberhard Gmelin, konnten solche Vorwürfe nicht so einfach entkräftet werden. Der Vorwurf einer ungebrochenen Judenfeindschaft betraf vor allem die Brüder Schneller. So beschwerte sich Vikarin Marianne Timm, Hamburger Vertrauensfrau des Jerusalemsvereins, gegenüber Schalom Ben-Chorin über die Verantwortlichen des Syrischen Waisenhauses: „Ich selber habe es ja schon mehrfach erlebt, dass Mitglieder des Hauses Schneller in unverantwortlicher Weise antiisraelische Reden führten.“193 Für die christliche und jüdische Öffentlichkeit weitaus interessanter war allerdings die Haltung der Jerusalemer Propstei zu Judentum und Staat Israel, handelte es sich beim Propst doch um einen Repräsentanten der EKD. Am 21. September 1962 veröffentlichte der israelische Journalist Schalom Ben-Chorin, der erst ein Jahr zuvor auf dem Berliner Kirchentag referierte, einen bissigen Artikel in der deutschsprachigen Zeitung Jedioth Chadashoth. Vier Monate nach der Hinrichtung Eichmanns, die die Verbrechen des ,Dritten Reiches‘ erneut ins Bewusstsein rückte, warf Ben-Chorin Malsch antiisraelische Hasstiraden vor. Von diesen Äußerungen war der Journalist durch einen im Zeitungstext nicht genannten Pfarrer der badischen Landeskirche in Kenntnis gesetzt worden. Das öffentliche Interesse hinter einem solchen Bericht lag natürlich in der politischen Brisanz, wenn ein deutscher Kirchenvertreter aus Jerusalem gegen Juden oder Israel hetzen würde. Ben-Chorin hatte sich bereits 1956 darüber beschwert, „daß sich gerade christliche Theologen solchem Zeugnis verschließen“ würden, wonach in der israelischen Staatsgründung eine Teilerfüllung von Ezechiel 37 zu erkennen 193 Brief Timms an Ben-Chorin vom 1. 3. 1963, Kopie (EZA, 612/22).
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sei.194 Und auch das, was man im Organ des Jerusalemsvereins lesen konnte, ließ in den Augen eines dialogbereiten Israeli die frostige Reserviertheit erkennen, welche die Propstei gegenüber dem jüdischen Staat einnahm. Ein halbes Jahr vor Ben-Chorins Artikels räsonierte Malsch in der Zeitschrift Im Lande der Bibel über die geteilte Stadt Jerusalem und kam zu dem Schluss: „Deutsche wurden an Juden schuldig, jetzt haben sie ihre Mauer, die sie nicht wollten. Juden wurden an Arabern schuldig, jetzt haben sie ihre Mauer, die sie nicht wollten.“195 Beide Trennungsmauern führte Malsch auf die Gottlosigkeit sowohl des nationalsozialistischen Deutschlands als auch des heutigen Israels zurück. Solche Zeilen mussten auf Ben-Chorin anstößig wirken, wurde hier doch nicht nur Israel der Glaubenslosigkeit bezichtigt und die Schuld an der Teilung der Stadt gegeben, sondern vielmehr die Schoah mit der Vertreibung der Palästina-Araber auf eine Stufe gestellt. Nun hätte Malsch dem Artikel Ben-Chorins zufolge den badischen Pfarrer, der ihn um Unterstützung beim Grenzübertritt nach Israel gebeten habe, „unwirsch“ und voller Zorn angefahren: „Was haben Sie denn in Israel verloren? Das ganze Land ist zusammengestohlen und 90 % der Bevölkerung sind Atheisten.“ Angesichts der bisherigen Stellungnahmen des Propstes meinte Ben-Chorin, diesem eine solche Aussage zutrauen zu können. Die Malsch zugeschriebene Äußerung maß der Journalist an der Israelliebe von Heinrich Grüber und Hermann Maas, denn „am wenigsten steht es einem Deutschen in Jerusalem an, den antiisraelischen Kurs seiner Umgebung so uneingeschränkt mitzumachen.“196 Dieser Zeitungsartikel sorgte bei Vertretern der Kirchentags-AG für Aufsehen, namentlich bei Adolf Freudenberg, Dietrich Goldschmidt, Grüber und Günther Harder. Letzterer setzte den Vorsitzenden des Jerusalemsvereins, Bernhard Karnatz, vom Inhalt in Kenntnis, nicht ohne hinzuzufügen, dass dieser Vorwurf nicht zu dem Ein194 S. Ben-Chorin, Antwort, 43. 195 Malsch, Steine, 2. 196 O.Vf. [Ben-Chorin], Seelsorger, o.S.. – Die deutschsprachige Zeitung aus Palästina bzw. Israel erschien von 1935 bis 1973. – Die Ehefrau des Propstes, E. Malsch, blickte auf die damalige Diskussion so zurück: „Mein Mann hielt oft Vorträge vor Touristen und Pilgergruppen. Da berichtete er auch von der Situation der Palästinenser, was natürlich auch schon Kritik an Israel beinhaltete […] Die Zuhörer waren damals ganz unkritisch gegen Israel. Und irgendjemand hat einem Reporter gegenüber behauptet, mein Mann sei ein Antisemit (oder so ähnlich). Jedenfalls hat das eine Zeitung behauptet. Das Gegenteil war aber der Fall. Als Mitglied der Bekennenden Kirche hat er in der Nazi-Zeit jüdische Freunde gehabt usw“ (Malsch/Krupp, Leserbriefe, 62). Allerdings lief Ben-Chorins Vorwurf nicht auf Antisemitismus hinaus, sondern auf Antiisraelismus; Malschs heutiges Verhalten stand zur Debatte, nicht seine Rolle während der NS-Zeit. – E. Malschs Rechtfertigung war eine Reaktion auf eine Aussage M. Krupps, wonach sich der Propst „standhaft“ geweigert habe, „ – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten des Klerus anderer Kirchen – […] Israel zu besuchen“ (Krupp, Initiative [Gemeindebrief], 25; zuvor abgedr. bei: Ders., Rückblick, 268). Frau Malsch bezog diesen Satz auf ihren Mann, während Krupp dessen Vorgänger Joachim Weigelt meinte, der nach Aussagen Malschs während seiner Amtszeit tatsächlich nie in Israel gewesen sein soll (so Brief Malschs an KA vom 12. 12. 1962 [EZA, 612/22]).
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druck passe, den man bisher von Malsch gewonnen habe, und dass es sich deshalb „hier um eine tendenziöse Verzerrung handeln müsse.“197 Das Schreiben des Berliner Pfarrers Harald Hasper, eines Vorstandsmitglieds des Jerusalemsvereins, war demgegenüber viel schroffer. Wenn sich Malsch wirklich derart geäußert habe, müsse man ihm „einen energischen Verweis“ erteilen, weil er das Ansehen der deutsch-evangelischen Arbeit in Jerusalem beschädigt habe.198 Haspers Appell zeigt genauso wie die oben erwähnte Äußerung von Marianne Timm, dass auch Mitglieder des traditionell proarabischen Jerusalemsverein in den 1960er Jahren ein sensibles Gespür dafür entwickelten, wann aus womöglich legitimer Israelkritik nicht mehr tragbare „antiisraelische Reden“ (Timm) würden. Karnatz sah sich im Namen des Jerusalemsvereins und der Evangelischen Jerusalem-Stiftung – letztere hatte Malsch für das Propstamt vorgeschlagen – genötigt, den Vorwürfen nachzugehen und schrieb am 25. November an Malsch, dass er zwar nicht glaube, dass die Worte tatsächlich von ihm stammten, dieser aber dazu Stellung nehmen solle, denn es sei „zu befürchten, dass sich die Sache in weiten Kreisen herumspricht und nicht nur Ihr persönliches Ansehen schädigt, sondern auch unsere Arbeit im Heiligen Lande in Misskredit bringt.“199 Zudem wies Karnatz den Propst auf eine Anschuldigung Grübers hin, wonach sich Malsch für die Menschen in Israel nicht interessieren und den Christen dort nicht helfen würde. Nicht nur Karnatz, auch Bischof Otto Dibelius wurde auf Ben-Chorins Zeitungsartikel aufmerksam. Dibelius gegenüber sagte Malsch, er wolle sich nicht im Detail mit einem Text auseinandersetzen, der auf eine anonyme Anzeige hin geschrieben worden sei. Trotzdem sei „der Inhalt des Artikels unwahr.“200 Gegenüber Karnatz betonte der Propst, dass er alle Touristen, die ihn nach den Einreiseformalitäten nach Israel fragten, darüber unterrichte, dass man beim spanischen Konsulat eine Erlaubnis zum Grenzübertritt am Mandelbaumtor beantragen müsse. Auch Reisende, die von Israel nach Jordanien kommen, berate er. Niemand werde schroff abgewiesen. Gegenüber Ben-Chorins Anklage, Malsch würde einen antiisraelischen Kurs fahren, machte er deutlich, er bewege sich „nur im Rahmen der Tatsachen“ und verschweige deshalb vor niemanden „die schwierige innere Situation“, in die Jordanien aufgrund der arabischen Flüchtlinge aus Israel geraten sei. Damit räumte Malsch ein, dass er die israelische Politik durchaus zu kritisieren pflegte. Zu Grübers Vorwurf, Malsch habe kein Interesse an den Menschen in Israel, sagte der Propst, dass er gar nicht die Möglichkeit habe, Christen in Israel zu betreuen, „weil wir keine evangelische deutsche Arbeit in Israel 197 198 199 200
Brief Harders an Karnatz vom 1. 11. 1962 (EZA, 612/22). Brief Haspers an Karnatz vom 19. 11. 1962 (EZA, 612/22). Brief Karnatz’ an Malsch vom 25. 11. 1962 (EZA, 612/22). Brief Malschs an Dibelius. Zit. nach Malschs Brief an Karnatz vom 11. 12. 1962 (EZA, 612/22). – Dieser Brief des Propstes „scheint aber Dibelius nicht erreicht zu haben“ (Brief Karnatz’ an Stratenwerth vom 24. 1. 1963; EZA, 612/22).
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haben, sodaß für mich bei den entsprechenden Behörden keine Begründung für einen Pass vorliegt.“201 Gegenüber dem Kirchlichen Außenamt (KA), das Malsch offiziell berufen hatte, gab der Propst allerdings zu, dass die ihm vorgeworfene Äußerung, obwohl verzerrt wiedergegeben und aus dem Kontext gerissen, einen wahren Kern beinhalte: „Der Satz ,Was wollen Sie in Israel?‘, ist niemals von mir so isoliert gebraucht worden, sondern höchstens im Zusammenhang mit der Bitte, doch mehr Zeit auf Jordanien zu verwenden, um den hiesigen Problemen objektiv gegenüber stehen zu können.“
Einseitig proisraelische Besucher würden von Malsch darauf aufmerksam gemacht werden, dass bis auf den Abendmahlssaal alle heiligen Stätten in OstJerusalem lägen und dass es unter den hiesigen Arabern auch Christen gebe: „Ich sehe es als eine meiner Aufgaben an, immer wieder die Haltung der Jordanier gegenüber Israel meinen Besuchern zu erläutern.“ Wie Zeitschriftenartikel von Heinz Kremers und anderen zeigten, so der Propst weiter, würden in Deutschland viele einseitig proisraelische Stellungnahmen publiziert, denen die Notlage der Araber unbekannt sei. Malsch habe auch nie ,von 90 % Gottlosen in Israel gesprochen‘, denn er verfüge hier nicht über die Kenntnis genauer Zahlenangaben. Es sei wohl von der ,Säkularisierung‘ die Rede gewesen und davon, „daß das Selbstverständnis Israels durchaus nicht übereinstimmt mit den eschatologischen Erwartungen mancher Christen, die sie mit dem jetzigen Staat Israel verbinden.“ Malsch gab aber zu, dass er durchaus die Angabe ,90 %‘ gebrauche, allerdings in Bezug auf das Land, das sich die Israelis angeeignet hätten. Auch wenn er sich bewusst sei, dass die Prozentangabe nicht stimme, so dementiere er nicht den Vorwurf, die Israelis hätten den größeren Teil des Landes von den Arabern ,gestohlen‘. Vor den zionistischen Masseneinwanderungen hätten die Araber gut mit den Juden zusammengelebt und keinen „militanten Antisemitismus“ gekannt.202 Inzwischen wurde auch der badische Pfarrer, dessen Gespräch mit BenChorin die Affäre auslöste, in das KA gebeten, um selbst zur Aufklärung des Falles beizutragen.203 Gegenüber Gerhard Stratenwerth, dem Vize-Präsidenten des KA, zeigte sich dieser empört, dass Ben-Chorin die Sache so aufgebauscht habe. Die Worte des Jerusalemer Propstes an ihn seien nur zwischen Tür und Angel gefallen. Stratenwerth konnte nicht verheimlichen, dass ihn der ganze Vorfall verärgerte, sodass er eine „Mahnung“204 in Erwägung zog. Stratenwerth räumte zwar ein, dass der Pfarrer den Propst missverstanden habe, bestand 201 Brief Malschs an Karnatz vom 11. 12. 1962 (EZA, 612/22). 202 Brief Malschs an KA (Wischmann/Stratenwerth) vom 12. 12. 1962 (EZA, 612/22). – S. a. Kremers, Verhältnis; und Pilgram, Sozialstaat. 203 So Brief Karnatz’ an Dibelius vom 12. 1. 1963 (EZA, 612/22). 204 Brief Stratenwerths an Malsch vom 28. 12. 1962 (EZA, 612/22). – Demgegenüber schrieb Stratenwerth an Karnatz: „Einen dienstlichen Bescheid haben wir hier überhaupt nicht erwogen“ (Brief vom 29. 1. 1963; (EZA, 612/22).
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aber darauf, dass Malsch „in seiner exponierten Stellung“ künftig vorsichtiger agieren müsse.205 Dezent warf er dem Propst Einseitigkeit zugunsten der Araber vor. Wer vom israelischen ,Diebstahl des Landes‘ spreche, dürfe die gegen die Juden gerichtete Politik der ,arabischen Führer‘ vor und nach der Staatsgründung nicht verschweigen. Stratenwerth versuchte, den Propst auf einen neutraleren Kurs zu bringen: „Für mich ist die Spannung zwischen Israel und den Arabern geradezu ein Schulbeispiel dafür, dass Dinge sich so verfilzen können, dass man als Mensch nicht mehr in der Lage ist, zu sagen, auf welcher Seite das Recht liegt. Man kann wohl feststellen, dass auf beiden Seiten unendlich viel Unrecht liegt, darum kann man nicht eine Lösung finden, indem man das Recht spricht, sondern eine Lösung kann nur gefunden werden, wenn beide sich unter das Unrecht beugen […] Solange diese Bereitschaft nicht da ist, habe ich wenig Hoffnung, dass es ein Weiterkommen gibt.“206
Dibelius votierte im Januar 1963 dafür, endlich „die ganze Sache zu den Akten zu schreiben“ und einen „tüchtigen Mann“ wie Malsch nicht mit Ermahnungen zu belasten. Selbst wenn die Kirchenleitung lediglich ihr Missfallen gegenüber Malschs Äußerungen kundgebe, ohne dass dies Konsequenzen für den Propst hätte, dann werde das „den Juden, der dahinter steht“, erst recht provozieren: „Und dann kommt mit Sicherheit ein neuer Artikel, der vielleicht noch giftiger ist als der erste.“207 Dibelius wollte weder die geäußerte Haltung des Jerusalemer Propstes zum Nahostkonflikt an die Öffentlichkeit tragen noch vor ,dem Juden‘, den er offensichtlich nicht kannte, einknicken. Deshalb teilte Stratenwerth mit, dass er den Fall Malsch vertraulich behandeln werde, damit die Angelegenheit zur Ruhe komme. Abschließend schärfte der VizePräsident des KA dem Propst ein, sich Reisenden gegenüber nicht „allzu unbefangen“ zu äußern, denn bei seiner Rolle als EKD-Repräsentant könnten „harmlos gesprochene Sätze als mehr oder minder offizielle Äußerungen“ angesehen werden.208 Für diejenigen, die sich um eine christlich-jüdische Aussöhnung bemühten, war der Fall allerdings noch nicht erledigt. Dass der deutsche Propst ein Gegner des Staates Israel sei, hatte sich in ihrem Bewusstsein verankert. Grüber ließ nicht locker und sprach im darauf folgenden Herbst erneut davon, dass „die arabischen Christen in Jordanien eine bewußt antiisraelische Stellung einnehmen, die ja auch vom derzeitigen Propst unterstützt wird.“209
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Brief Stratenwerths an Karnatz vom 28. 12. 1962 (EZA, 612/22). Brief Stratenwerths an Malsch vom 28. 12. 1962 (EZA, 612/22). Brief Dibelius’ an Karnatz vom 15. 1. 1963 (EZA, 612/22). Brief Stratenwerths an Malsch vom 31. 1. 1963 (EZA, 612/22). – Vgl. Brief Karnatz’ an Malsch vom 2. 2. 1963 (EZA, 612/22). 209 Brief Grübers an Strathenwerth vom 15. 10. 1963 (EZA, 6/1582). – G. Harder erinnerte sich 1968, dass Ben-Chorin im Blick auf Malsch zu ihm gesagt hätte: „Ich erwarte nicht vom Propst in Jerusalem, daß er für Israel eintritt. Das kann er in seiner Umgebung nicht. Ich erwarte aber,
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Schließlich nahm Grüber auch Adolf Wischmann, den Präsidenten des KA, ins Visier und warf ihm vor, er befände sich in seiner Haltung zum Staat Israel auch auf der Seite von Malsch. Die Brisanz dieser Anschuldigung bestand darin, dass damit die gesamte Auslandsarbeit der EKD unter ein israelkritisches Vorzeichen gestellt wurde. Wischmann weigerte sich, seine „Liebe zu Israel in besonderer Weise unter Beweis“ stellen zu müssen und gab zu bedenken: „Ich meine, daß eine gute Betreuung unserer Aufgaben in jordanischen Teil nicht gute Beziehungen zu Israel ausschließt und umgekehrt.“210 Der KA-Präsident insistierte abschließend, dass seine Behörde u. a. ökumenische Kontakte zu pflegen habe und es nicht sicher sei, ob eine politische Entität wie der Staat Israel als ein solcher Gesprächspartner gelten könne.
2.4.4 Diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel (1965) Politischer Hintergrund211: Nach dem ,Schilumim‘-Abkommen212 kam es noch nicht sofort zu einer gegenseitigen diplomatischen Anerkennung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel. Der Bundesrepublik wurde von Seiten Israels übel genommen, dass sie jahrelang keine Anstalten machte, die zwischenstaatlichen Beziehungen zu normalisieren. Außer Spanien und Portugal hatte im westlichen Europa zuletzt nur Westdeutschland den Staat Israel nicht anerkannt. Die Bundesregierung fühlte sich an die ,Hallstein-Doktrin‘ gebunden, mit der sie die Anerkennung der DDR verhindern wollte. Die Sorge war nicht ganz unbegründet, hatte der ägyptische Staatspräsident Nasser doch schon 1956 „mit der Anerkennung der DDR für den Fall einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv gedroht.“213 Auf dem Weg zum Diplomatenaustausch war die Begegnung zwischen Adenauer und Ben-Gurion im New Yorker Waldorf Astoria Hotel vom 14. März 1960 durchaus ein Meilenstein, weil hier im Geheimen über eine künftige deutsche Kredithilfe verhandelt wurde. Aber der Versuch der bis 1963 amtierenden Adenauer-Regierung, Israel für den Verzicht auf eine völkerrechtliche Anerkennung mit einer Kredit- und Rüstungshilfe zu entschädigen, ließ sich auf Dauer nicht aufrechterhalten. Der Druck der westdeutschen und
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daß er nicht in die arabische Hetze mit einstimmt und Abträglichkeiten über Israel in Umlauf setzt“ (Brief G. Harders an KA [A. Hohlfeld] vom 11. 6. 1968 [EZA, 6/1587]). Brief Wischmanns an Grüber vom 5. 2. 1964 (EZA, 6/1582). – Vgl. die Notiz Wischmanns an Stratenwerth vom 20. 1. 1964 (EZA, 6/1583): „Propst Grüber ist selber der Meinung, daß ich antiisraelisch eingestellt sei, wobei vorausgesetzt wird, daß Sie es sowieso sind. Beides stimmt ja so auf gar keine Weise.“ Darstellung bei Jelinek, Deutschland, 268 – 291 u. 431 – 467; ders./Blasius, Ben Gurion; Rau, Beziehungen; und Vogel, Politik, Bd. 1, 144 – 157. S. a. Teil II, 1.6. Jelinek/Blasius, Ben Gurion, 310.
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israelischen Öffentlichkeit wurde zu groß. Adenauer schwenkte um und äußerte im Sommer 1963 seinen Wunsch nach baldiger Herstellung offizieller Beziehungen zu Israel, was bis zum Ende seiner Kanzlerschaft im Oktober allerdings nicht realisiert werden konnte. Die Tatsache, dass deutsche Rüstungsexperten in Ägypten an der befürchteten Vernichtung Israels mitwirkten, belastete zusätzlich das deutschisraelische Verhältnis. Seit Ende 1962 beschäftigte sich die Knesset mit diesem Thema. Israels Außenministerin Golda Meir forderte die Bundesregierung auf, die Wissenschaftler zur Rückkehr an den Rhein zu veranlassen. Sie hatte kein Verständnis dafür, dass die Bundesrepublik gegen die Waffenexperten am Nil keine wirksamen Maßnahmen ergriff – was aus Gründen der Forschungsfreiheit und des freien Reiseverkehrs kaum möglich war. Nur durch „Lockangebote“ konnte Bonn versuchen, die Raketenexperten zurückzuködern.214 Unabhängig von der Frage, was Israel damals wirklich wissen konnte, stellten Forscher fest, dass die Gefahr aus Ägypten überbewertet wurde und die Focussierung auf die Raketentechniker Teil einer antideutschen Kampagne gewesen war.215 Nachdem der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht von Ägyptens Präsident Nasser im Februar 1965 empfangen wurde und die ,HallsteinDoktrin‘ damit hinfällig geworden zu sein schien, beschloss Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) am 7. März ohne Rücksprache mit anderen Regierungsmitgliedern, „dem Staat Israel die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anzubieten. Der Zorn im Auswärtigen Amt und selbst im Kanzleramt war erheblich.“216 Die Knesset stimmte am 16. März für diplomatische Beziehungen, die durch den Notenaustausch beider Regierungschef am 12. Mai offiziell wurden. Im August traten die Botschafter ihren Dienst an: Asher Ben Natan in Bonn und Rolf Friedemann Pauls in Tel Aviv. Von den dreizehn arabischen Staaten hielten nach Abschluss der Vereinbarungen nur Marokko, Tunesien und Libyen ihre Beziehungen zur Bundesrepublik aufrecht. Allerdings kam es auch nicht zur befürchteten Anerkennung Ost-Berlins. Nach einigen Jahren stellten auch die anderen arabischen Staaten die abgebrochenen Beziehungen zur Bundesrepublik wieder her. Protestantische Stimmen im Vorfeld: Zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Raum der Kirche setzten sich schon frühzeitig für einen deutsch-israelischen Botschafteraustausch ein und verbanden das mit der Forderung an die Kir214 Wolffsohn, Schuld, 35. 215 So Jelinek, Deutschland, 418 f: „Bei einigen der am ägyptischen Projekt beteiligten Wissenschaftler handelte es sich tatsächlich um ehemalige Nationalsozialisten und Antisemiten. Wiederum ein Teil davon hatte an den V1- und V2-Raketenprojekten mitgearbeitet. Doch die meisten ausländischen Wissenschaftler waren junge Hochschulabgänger, die aus Karrieregründen in Ägypten arbeiteten. Die israelischen Anschuldigungen waren offensichtlich übertrieben.“ 216 Ebd., 458.
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chen, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden. Es waren zum einen dieselben Kreise, die sich bereits für die Wiedergutmachungsverhandlungen stark gemacht hatten. Zum anderen zählten dazu Vertreter der jüngeren Generation, die sich als progressiv verstanden. Diese Personen trugen zu einem innerkirchlichen Klima bei, das schließlich den Rat der EKD zu einer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung bewog. So beklagte der Bad Vilbeler Pfarrer Adolf Freudenberg, evangelisches Vorstandsmitglied des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in seinem Bericht zur Israelreise 1958, dass es noch immer keine diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel gebe. Freudenberg wusste, dass die ,Hallstein-Doktrin‘ und andere politische Überlegungen die eigentlichen Gründe für die Zurückhaltung der Bundesregierung waren. Trotzdem sei endlich „nachzuprüfen, ob diese Ursachen […] den Erfordernissen einer lebensvollen Entwicklung der wirtschaftlichen, geistigen und politischen Beziehungen zu Israel“ noch genügten.217 Falls es zur Errichtung einer deutschen Botschaft in Israel kommen würde, sollte dies in den Augen des Bad Vilbeler Pfarrers auf alle Fälle in West-Jerusalem geschehen, nicht in Tel Aviv. Als Freudenberg sieben Jahre später, am 6. März 1965, erneut israelischen Boden betrat, ahnte er noch nicht, dass Bundeskanzler Erhard einen Tag später seine Entscheidung zugunsten der diplomatischen Beziehungen fällen würde. Freudenberg registrierte, dass sich die Israelis zwar „von uns verraten und verkauft“ fühlten, jedoch neues Vertrauen schöpften. Wenige Tage zuvor hatte Freudenberg erleben müssen, dass sein Engagement für deutsch-jüdische Versöhnung negative Folgen mit sich brachte. Denn die geplante Einreise nach Israel über Libanon, Syrien und Jordanien scheiterte an der jordanischen Grenzkontrolle, weil dort Freudenbergs Name auf der Liste der unerwünschten Personen stand. So musste er zurück nach Beirut und über Athen nach Israel einfliegen – und auf den Gang durch die Jerusalemer Altstadt verzichten. Dafür wurde er Ende März in Sde Boker mit einer Audienz bei David Ben-Gurion entschädigt, die Felix Shinnar, der Leiter der Kölner IsraelMission, vermittelt hatte. Nun wusste der Bad Vilbeler bereits vom Vorstoß des Bundeskanzlers und unterhielt sich mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten über eine weitergehende Normalisierung der deutsch-israelischen Beziehungen. Nach wie vor war Freudenberg davon überzeugt, dass der Sitz des deutschen Botschafters unbedingt in Jerusalem sein sollte, denn „Jerusalem ist die längst etablierte und gesetzmäßige Hauptstadt des Landes.“218 Auch Heinrich Grüber setzte sich dafür ein, „in Deutschland […] die Notwendigkeit deutlich zu machen, diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufzunehmen.“219 Die von ihm angeregten Israel217 Reisebericht A. Freudenbergs vom 10. 5. 1958, Kopie (EZA, 686/736). – Dazu s. Teil II, 2.2.1. 218 Reisebericht A. Freudenbergs von April–Oktober 1965, Kopie, S. 12 (ZAEKHN, 62/577). 219 Grber, Erinnerungen, 411.
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reisen dienten diesem Zweck, insbesondere die Reise der EKD-Delegation im November 1962.220 Im gleichen Jahr schloss sich der Propst einer Berliner Initiativ-Gruppe aus Einzelpersonen und verschiedenen Organisationen an, die für eine völkerrechtliche Anerkennung warben. Dabei rechtfertigte Grüber sein einseitig proisraelische Engagement mit der Verantwortung aufgrund der Schoah: „Die Welt muß verstehen, daß wir mehr als bei allen anderen Völkern durch die Anerkennung und Unterstützung dieses Staates etwas wiedergutzumachen versuchen, was wir in der Vergangenheit verschuldet haben.“221 In Vorträgen in zahlreichen Städten Westdeutschlands und darüber hinaus wiederholte er diese Botschaft von der besonderen deutschen Verpflichtung. So erklärte er im Mai 1964 seinen Freunden in Zürich, dass deutsche Techniker nicht länger die Rüstungsindustrie eines Landes unterstützen dürften, das Israel vernichten wolle. Nicht nur rationale Argumente bewogen ihn zu dieser Forderung. Grüber rekurrierte auf die biblische Heilsgeschichte und sah damit im modernen Israel eine Fortführung des alttestamentlichen Gottesvolkes: „Wir wissen, daß über diesem Volk, das durch die Jahrhunderte verfolgt wurde, die Verheißung des Herrn der Geschichte steht: ,Ich will dich behüten wie meinen Augapfel!‘“222 Grübers Anschluss an die Berliner Initiativ-Gruppe zeigt die Notwendigkeit einer Vernetzung von Einzelpersonen zu größeren Gruppierungen, denen sich auch Theologen öffnen mussten, wollten sie politische Ziele wirkungsvoll artikulieren. Ein wichtiger Anlaufpunkt für ein Engagement zugunsten des Staates Israel waren die seit 1957 entstandenen Deutsch-Israelischen Studiengruppen (DIS), die an verschiedenen Hochschulstandorten vom akademischen Nachwuchs gebildet wurden. Dozenten aus den theologischen Fakultäten und für Israel aufgeschlossene Kirchenleute waren hier gern gesehene Referenten. Als der Göttinger Theologieprofessor Walther Zimmerli am 25. Mai 1962 vor der Bonner DIS referierte, lehnte er zwar jede heilsgeschichtliche Deutung der israelischen Staatlichkeit ab und berief sich dabei auf die klassische christliche Substitutionslehre. Gleichzeitig forderte er die baldige Herbeiführung des deutsch-israelischen Botschafteraustausches und konnte sich bei seiner Polemik gegen die CDU-Regierung der Zustimmung der Bonner Studenten sicher sein.223 Kontakt zur DIS in Berlin hielt auch der 38-jährige Professor Rolf Rendtorff, damals Rektor der Kirchlichen Hochschule, indem er im Frühjahr 1963 eine DIS-Gruppe durch das Heilige Land begleitete – Rendtorffs erster 220 S. a. Teil II, 2.2.5. 221 Grber, Beziehungen. 222 Grber, Israelfrage, 326. – Diese Weissagung, bei der es sich um kein wörtliches Bibelzitat handelt, gleicht am ehesten Dtn 32,10 in Verbindung mit Sach 2,12. –Vgl. Vortrag vom 12. 11. 1963, Sonderdruck (EZA, 81/2/256). – Zur Rede von Israel als ,Augapfel‘ s. Weckerling, Friede u. Israel, 625. 223 So Zimmerli, Der Staat Israel, 90: „Daß etwa unser von einer christlichen Partei regierter Staat […] es bis heute nicht fertiggebracht hat, normale politische Beziehungen zu Israel aufzunehmen […], treibt einem immer neu die Schamröte ins Gesicht.“
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Aufenthalt im Staat Israel, nachdem er 1959 nur Jordanien bereist hatte.224 Seine erste Israelreise war für die Herausbildung seines theologischen und politischen Profils „von großer Bedeutung“, nicht zuletzt durch die Nähe zu den progressiv eingestellten Studenten, die auch einige Wochen in einem Kibbuz mitarbeiteten: „Dies war der Anfang meiner ,Politisierung‘.“225 Erstmals lernte der Alttestamentler modernes jüdisches Leben kennen und entwickelte Freundschaften zu israelischen Intellektuellen wie Ernst Simon und Zwi Werblowsky. Nach der Rückkehr wusste Rendtorff, dass er sich für eine baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen einzusetzen habe. Rendtorff fand Unterstützung im Berliner Pfarrer Dieter Schoeneich, der fast zur gleichen Zeit wie er mit einer Gruppe von Gemeindehelfern in Israel gewesen war. Gemeinsam wollten sie verschiedene Bundestagsabgeordnete von der Notwendigkeit eines Botschafteraustausches überzeugen und suchten dafür noch eine kirchenleitende Persönlichkeit, die dem Vorhaben mehr Autorität verleihen würde. So wandten sie sich am 29. Mai 1963 an Kirchenpräsident Martin Niemöller, der ihnen aufgrund seiner Kirchenkampferfahrung ein geeigneter Ansprechpartner zu sein schien. Da wegen der Mitwirkung deutscher Techniker an der ägyptischen Rüstungsforschung erneut eine Gefährdung jüdischen Lebens von Deutschen ausgehe, so der Brief an Niemöller, bedeute eine Stellungnahme für Israel „nicht eine einseitige Parteiergreifung gegen die arabischen Staaten“, sondern sei Ausdruck moralischer Verantwortung, der sich auch die Kirche nicht entziehen könne.226 Obwohl Rendtorff und Schoeneich versuchten, mit dieser Formulierung den zu erwartenden Einwand einer proisraelischen Einseitigkeit zu entkräften, machte ihnen der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau unmissverständlich klar, dass er sich mit der politischen ,Israelfrage‘ nicht näher befassen wolle und nur ein solches Nahostengagement befürworte, das mehr Verständnis für arabische Positionen zeige. In der Kampagne für den Botschafteraustausch vermisste Niemöller die Äquidistanz: „Dass sich die Araber durch die Schaffung eines jüdischen Staates in der Mitte der arabischen Welt durch Eingreifen von aussen gefährdet und attackiert sehen, das kann ich ihnen nicht übel nehmen. Und ich glaube nicht, dass unsere deutsche Schuld gegenüber den Juden durch die Unterstützung des Staates Israel in irgendeiner Weise geringer wird […] Inwiefern aber die Evangelische Kirche eine positive Aufgabe und ein positives Interesse am Staate Israel haben soll oder darf, ist mir bis zur Stunde schleierhaft.“227
224 S. a. Teil II, 2.2.1. 225 Rendtorff, Weg, 3; und ders., Identifikation, 138. – S. a. ders., Israel-Engagement [1979], 155; Ders., Marquardt, 24; Ders., Kontinuität, 78 f. – Vgl. zudem Nieswandt, Erbe, 234 – 239. 226 Brief Rendtorffs und Schoeneichs an Niemöller vom 29. 5. 1963 (ZAEKHN, 62/684). 227 Brief Niemöllers an Rendtorff vom 16. 6. 1963, Kopie (ZAEKHN, 62/684). – Zu Niemöllers Haltung gegenüber dem Staat Israel s. a. Teil II, 3.4.4.
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So sollte Niemöller zwar zur Ikone der Friedensbewegung werden, kam allerdings für einen christlich-jüdischen Dialog, der eng mit der deutsch-israelischen Annäherung verzahnt war, nicht mehr in Frage. Anstelle Niemöller konnte Kurt Scharf dazu gewonnen werden, zusammen mit Rendtorff und Schoeneich von Berlin nach Bonn zu fahren, um „im Bundestag Leute zu finden, die bereit waren, sich für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel zu engagieren.“228 Aus diesen Politikerbegegnungen entstand schließlich die Idee zur Gründung einer Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Innerhalb des Rates des EKD sollte sich Scharf als derjenige erweisen, mit dem ,Israeltheologen‘ in Universität und Kirche rechnen konnten. Ein Theologe, der ähnliche Überzeugungen vertrat wie Scharf, war Helmut Gollwitzer. Seine jüngste Nahostreise, die ihn mit Ehefrau Brigitte ab dem 25. März 1963 für mehrere Wochen durch Libanon, Jordanien und Israel führte, war vom Unmut über die stockende deutsch-israelische Annäherung geprägt.229 Nachdem Gollwitzers in Ost-Jerusalem mit Propst Malsch zusammengetroffen waren – die politische Haltung des Propstes wurde nicht moniert –, reisten sie am 1. April über das Mandelbaumtor nach Israel ein. Dort besuchten sie neben Aktion Sühnezeichen jüdische Freunde wie Hugo Bergmann, Franz Ollendorff und Martin Buber. Als sie am 23. April ihre Heimreise in Haifa antraten, konnten sie vom Schiff aus Rendtorffs DISGruppe grüßen. Die politischen Eindrücke der Reise wertete Gollwitzer aus, indem er im Juni in der Freien Universität Berlin auf Einladung der DIS auf die Herstellung amtlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel zu sprechen kam. Unter den Zuhörern war auch Kollege Rendtorff.230 Gollwitzer forderte von der Bundesregierung ein Bekenntnis zur deutschen Verantwortung für den Staat Israel, wozu an erster Stelle der Botschafteraustausch gehöre. Er warf der Bundesregierung vor, einer einseitig proarabischen Maxime zu folgen: „Es gibt 40 Millionen Araber und 2 12 Millionen Israelis, und danach müssen wir uns doch richten!“231 Indem Gollwitzer Sacharja 2,12 zitierte – Israel als Gottes Augapfel –, drohte er der Bundesregierung indirekt mit dem Gericht Gottes. Eineinhalb Jahre später schlossen sich Gollwitzer und Rendtorff mit zwölf anderen Hochschullehrern zusammen, um am 16. November 1964 an Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU), an Bundeskanzler Erhard, an Bundesaußenminister Gerhard Schröder (CDU) und an weitere Politiker einen ,Offenen Brief‘ zu richten, der in der Frage gipfelte, ob die Bundesrepublik wirklich mit dem ,Geiste der Hitlerzeit‘ gebrochen habe, weil sie – abgesehen von der arabischen Welt – zu den wenigen Staaten gehöre, die Israel 228 Rendtorff, Identifikation, 138. – S. a. ders., Kontinuität, 84. – Vgl. Brief Schoeneichs an Scharf vom 26. 5. 1964 (EZA, 81/2/256). 229 S. a. handschriftl. Reisetagebuch B. Gollwitzers (EZA, 686/561). 230 So Rendtorff, Israel-Engagement [1979], 155; und ders., Weg, 3. 231 Gollwitzer, Der Staat Israel, 80. – Vgl. Marquardt, Beitrag, 3 f; Pangritz, Gollwitzer, 367; und Rendtorff, Israel-Engagement [1979], 155 – 165.
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eine normale Anerkennung versagten: „Wer einem Staate normale diplomatische Beziehungen verweigert, stellt damit dessen Existenzrecht und Bestand in Frage oder schließt sich denen an, die dies tun.“232 Bereits ein halbes Jahr später folgte ein ähnliches Schreiben, bei dem Gollwitzer ,im Namen von über 400 deutschen Hochschullehrern‘ davor warnte, „daß wir uns aufs neue schämen müssen, Deutsche zu sein.“233 Auch wenn der Bundestagspräsident weniger Interesse am deutsch-israelischen Dialog zeigte als z. B. sein Vize Carlo Schmid (SPD), stimmte Gerstenmaier dem Anliegen der Bittsteller im Grundsatz zu, hatte er sich doch bereits im Oktober 1963 für eine ,Normalisierung‘ der deutsch-israelischen Beziehungen ausgesprochen.234 Dass sich die Kirchliche Bruderschaft in Westfalen unter der Federführung von Heinz Kloppenburg dem Schreiben der 400 Hochschullehrer anschloss, weist erneut darauf hin, dass sich das politische Engagement über den akademischen Bereich hinaus in den kirchlichen Raum hinein erstreckte.235 Schon im Jahr zuvor hatte sich der Leiterkreis der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (KBiW) auf seiner Stuttgarter Landestagung vom 22. bis 24. Mai 1964 darüber empört, dass die Bundesrepublik zu Ägypten, wo gesuchte Nazis Unterschlupf gefunden hätten, diplomatische Beziehungen unterhalte, nicht aber zu Israel. Die KBiW bezog ihre Legitimation aus den Erfahrungen der Bekennenden Kirche, deren politische Frontstellung sie in die Nachkriegszeit hinein verlängerte – Wiederbewaffnung als ,status confessionis‘ –, wodurch sie in Opposition zur bürgerlichen Ordnung der verfassten EKD und ihrer Gliedkirchen geriet. Die an Kurt Scharf gesandte Erklärung der KBiW von Mai 1964 machte deutlich, dass sie sich weniger aus Israelliebe, sondern eher aus allgemein gesellschaftspolitischen Erwägungen heraus zum Handeln gerufen sah. Denn mehr als andere Verlautbarungen betonte diese Erklärung, dass man das Plädoyer für eine diplomatische Anerkennung Israels nicht antiarabisch verstanden wissen wollte: „Wir verkennen nicht, daß die Begründung des israelischen Staates unter problematischen Umständen erfolgt ist.“ Zudem solle durch Kontaktaufnahme zu Muslimen der Hass der Araber auf Israel abgebaut werden. Der Text der KBiW wies auch eine starke innenpolitische Komponente auf, indem man bei den Deutschen eine Doppelmoral diagnostizierte, die sich zwar über „das unversöhnliche arabische Vorgehen“ echauffierten, gleichzeitig aber „nationale Rechtsansprüche auf die Ostgebiete“ erhoben.236 Mit z. T. wörtlicher Übereinstimmung forderte die Theo232 Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27. – Vgl. Hansen, Schatten, 593; und Kloke, Linke, 59 f. 233 Gollwitzer, Telegramm. – An den Bundeskanzler vom 12. 2. 1965. 234 So Gerstenmaier bei einer Ausstellungseröffnung am 14. 10. 1963, Niederschrift des Presseamts der Stadt Köln (EZA, 87/849). – Vgl. Rendtorff, Kontinuität, 84. 235 So Kloppenburg, Telegramm. 236 KBiW, Israel, 326 f. – Die Erklärung wurde unterzeichnet von H. Rücker, W. Schlenker, W. Simpfendörfer und G. Weber. – Vgl. Brief Rückers an Scharf vom 24. 5. 1964 (EZA, 81/2/256). – Zur KBiW vor 1960 s. Buchstdt, Kirche.
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logische Arbeitsgemeinschaft des Kirchenbezirks Stuttgart-Bad Cannstatt im Sommer 1964 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel.237 Diese Auflistung an evangelischen Stimmen zugunsten eines deutsch-israelischen Botschafteraustauschs ließe sich noch weiterführen.238 Man denke z. B. an die Voten der Evangelischen Studentengemeinden (ESG) und der Evangelischen Akademikerschaft, die neben den Verlautbarungen der Kirchlichen Bruderschaften und der zahlreichen Hochschullehrer von Gruppen und Initiativen stammten, deren primäres Ziel nicht die Begegnung mit dem Judentum war. Vielmehr waren deren Appelle zugunsten Israels Teil einer umfassenden Protestkampagne, die auch von der Abgrenzung vom innenpolitischen und innerkirchlichen Gegner motiviert war. So verfestigte sich mehr und mehr eine öffentliche Meinung innerhalb des Protestantismus, die weder die Kirchenleitungen noch letztlich die Bundesregierung ignorieren konnten. Im Juli 1964 hatte auch die Diskussion im Rat der EKD begonnen, ob man bei der Bundesregierung für die Herstellung diplomatischer Beziehungen eintreten solle. Das Engagement des Rates und der Gliedkirchen der EKD: In der 25. Sitzung des Rates der EKD vom 2. und 3. Juli 1964 setzte sich Wilhelm Niesel, der Moderator des Reformierten Bundes, dafür ein, dass der Rat bei der Bundesregierung für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel eintrete.239 Kurz vorher hatten sich bereits Grüber und Freudenberg im Namen der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT (Kirchentags-AG) an Niesel und an den Präses der EKD-Synode, Hans Puttfarcken, gewandt, nachdem schon Ratsvorsitzender Scharf im Mai eine Erklärung der KBiW erhalten hatte. Obwohl der Rat der EKD durch Stellungnahmen dieser Art mehr und mehr in Zugzwang geriet, machte Hermann Kunst, der Bevollmächtigte des Rates bei der Bundesregierung, auf der Sitzung im Juli Vorbehalte geltend, die sich aus einem Gespräch mit Bundesaußenminister Schröder ergeben hatten.240 Der Haupteinwand war, dass man die Zementierung der deutschen Teilung durch die Anerkennung der DDR von Seiten der arabischen Staaten verhindern wollte, was für Kunst mit dem Interesse der (noch) gesamtdeutschen EKD übereinstimmte. Somit befand sich Kunst gegenüber den proisraelischen Vorstößen Niesels in der Rolle des Antipoden, da seine Hal237 Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. 238 Weitere Plädoyers für die Aufnahme diplomat. Beziehungen kamen von Seiten der EAiD (14./ 15. 11. 1964), der ESG (6.–8. 1. 1965), der ASZ-West (16. 2. 1965). – S. a. Schreiben Bannachs an Mitglieder der EAiD vom 17. 11. 1964 (EZA 6, 1584); und Kopie des Beschlusses (EZA, 87/850); sowie KJ 1964 (91/1966), 77. – Vgl. Block/Buczys/Cates, Sühnezeichen, 176 (Aufruf auch bei EZA, 81/2/256); ESG, Stellungnahme, 175; Meldung „Aktion ,Sühnezeichen‘ an die Bundesregierung“, in: Epd.ZA Nr. 41 vom 18. 2. 1965; Rabe, Umkehr, 66; und Vogt, Israel-Kritik, 128–130. 239 So Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 2./3. 7. 1964, Kopie (EZA, 2/1810, 2/5253 u. 87/850). – S. a. Brief Grübers an Scharf vom 22. 6. 1964 (EZA, 81/2/256); Brief Niesels an Scharf vom 23. 6. 1964 (EZA, 81/2/256); Brief Freudenbergs an Goldschmidt, Gollwitzer, Harder u. a. vom 29. 6. 1964 (EZA, 81/2/256). 240 So Brief Kunsts an Scharf vom 6. 11. 1964 (EZA, 87/850).
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tung mit der Position des Auswärtigen Amtes korrelierte. Zunächst beschloss der Rat, dass Kunst die Frage nach dem Botschafteraustausch noch einmal mit Bonn besprechen und dabei ankündigen solle, dass die EKD eine öffentliche Verlautbarung beabsichtige.241 Auf der 26. Sitzung des Rates vom 26. und 27. August berichtete Kunst über die Ergebnisse seiner Gespräche sowie den gegenwärtigen Stand der bundesdeutschen Außenpolitik und akzentuierte dabei erneut die Vorbehalte gegen den Botschafteraustausch.242 Zu seinem Leidwesen wurde über den Vortrag nicht mehr diskutiert, obwohl bereits auf der nächsten Sitzung die Entscheidung fallen sollte. Kunst befürchtete, dass die Nuancen seiner Argumentation dann vergessen sein würden. Das dürfte wiederum den proisraelischen Ratsmitgliedern entgegen gekommen sein, die sich noch einmal vergewisserten, dass Bischof Kurt Scharf auch tatsächlich auf ihrer Seite war.243 Kunst hoffte hingegen, dass er die noch ausstehende Abstimmung zu seinen Gunsten beeinflussen könnte und setzte dabei auf die ,Brüder‘ aus der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD).244 Um den Druck der kirchlichen Öffentlichkeit zu minimieren, bemühte sich Kunst in der Zwischenzeit darum, ESG-Generalsekretär Heinrich Constantin Rohrbach von einem Plädoyer für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen abzubringen.245 Doch letztlich konnte Kunst das proisraelische Vorgehen der ESG und der ihr nahe stehenden Evangelischen Akademikerschaft (EAiD) nur verzögern, nicht aber verhindern. Denn im Anschluss an eine Verlautbarung der EAiD beschloss die Hochschulkommission der ESG auf ihrer Bonner Sitzung vom 6. bis 8. Januar 1965 eine Stellungnahme zugunsten des Botschafteraustausches. Den Bemühungen Kunsts standen die Freudenbergs und Gollwitzers gegenüber, die in weiteren Briefen an Scharf appellierten, seinen proisraelischen Kurs beizubehalten.246 In der 27. Sitzung des Rates der EKD vom 15. und 16. Oktober 1964 in Berlin legte Niesel den von ihm erarbeiteten Entwurf einer Stellungnahme vor, welche von der Sorge ausging, dass auf das baldige Ende der Verpflichtungen aus dem ,Schilumim‘-Abkommen keine weiteren deutsch-israelischen Beziehungen folgen würden. Der Rat wisse um die deutschlandpolitischen Interessen der Bundesregierung – so der Entwurfstext –, meine aber, dass der Normalisierung der deutsch-israelischen Beziehungen nach „allem, was wir Deutschen den Juden gegenüber auf uns geladen haben“, Priorität zukomme. Zudem müsse Bonn alles tun, damit sich deutsche Fachleute nicht mehr an der 241 So Brief der Kirchenkanzlei (v. Harling) an Kunst vom 16. 7. 1964 (EZA, 2/5253 und 87/850). 242 So Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 26. und 27. 8. 1964 in Berlin, Ziffer 10/S. 5 f (EZA, 2/ 1810) und Brief Kunsts an Riedel vom 2. 10. 1964 (EZA, 87/850). 243 Vgl. Brief Wilms an Scharf vom 24. 8. 1964 (EZA, 81/2/256). 244 So Brief Kunsts an Riedel vom 2. 10. 1964 (EZA, 87/850). 245 So Brief Kunsts an Rohrbach vom 24. 9. 1964 (EZA, 87/850). 246 So Brief Freudenbergs vom 25. 9. und Brief Gollwitzers an Scharf vom 17. 11. 1964 (EZA, 81/2/ 256).
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Herstellung ägyptischer Angriffswaffen beteiligen würden. Nur wenn sich das deutsche Volk nach diesen „moralische(n) Erfordernisse(n) ersten Ranges“ richte, dürfe „es hoffen, daß auch seine eigene Zukunft heil werden wird.“247 Die Argumentation des Textes zielte damit auf einen Primat der Ethik gegenüber der Realpolitik. Kunst konnte die Abstimmung nicht mehr wie geplant beeinflussen, da auch etliche Bischöfe der VELKD zugunsten dieses Briefes votierten. Dem Bonner EKD-Beauftragten kam der Rat insofern entgegen, als Niesels nur marginal überarbeiteter Text vertraulich bleiben und nicht veröffentlicht werden sollte. Damit sollte verhindert werden, dass die Bundesregierung von der verfassten Kirche an den Pranger gestellt werden würde. So wurde Kunst beauftragt, das von Scharf am 26. Oktober unterzeichnete und an Bundespräsident Lübke adressierte Schreiben bei letzterem persönlich abzugeben. Erhard, Schröder und Gerstenmaier sollten Kopien erhalten.248 Am 6. November wurde Kunst beim Bundespräsidenten vorstellig und erläuterte ihm den Ratsbeschluss. Lübke bekräftigte erneut die deutschlandpolitische Haltung der Bundesregierung, aus der resultiere, dass der Bitte der EKD zurzeit nicht entsprochen werden könne. Kunst stimmte dem Bundespräsidenten zu, weil er zwar „als Christenmensch“ die Überzeugungen des Rates teile, als Staatsbürger jedoch ein politisches Vorgehen bevorzuge, welches die Araber nicht echauffiere.249 Damit präferierte Kunst die Real- gegenüber der Moralpolitik. Drei Tage später, am symbolträchtigen Datum des 9. November, wandte sich Freudenberg, diesmal in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Deutschen Koordinierungsrates (DKR) der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, an den Rat der EKD mit der Bitte, eine vom Koordinierungsrat veranlasste Unterschriften-Petition öffentlich zu unterstützen. Der Koordinierungsrat, der aufgrund seines Charakters als angesehener politischer Interessenverband nicht ignoriert werden konnte, hatte seine Unterschriftensammlung am 26. Oktober mit den Leitworten „Schluß mit der Diskriminierung Israels“ und „Wir fordern diplomatische Beziehungen!“ gestartet.250 Mitte November konnten schon um die 20 000 Unterschriften gezählt werden. Als Freudenberg 247 Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 15./16. 10. 1964, Anlage 2 (EZA, 2/1810; Kopie in 87/850). – Entspricht Brief Scharfs an Lübke vom 26. 10. 1964, Kopie (EZA, 2/5254 und 81/2/256). – Vgl. Wolffsohn, Schuld, 134; und Hansen, Schatten, 593 (dort zit. ohne Quellennachweis). 248 Vgl. Brief Kunsts an Gerstenmaier vom 6. 11. 1964 (EZA, 87/850) und an Beckmann vom 27. 2. 1965 (EZA, 87/850). – Erst nach dem 12. 5. 1965 wurde die kirchliche Öffentlichkeit von der Bitte an die Bundesregierung in Kenntnis gesetzt. S. a. KJ 1964 (91/1966), 76. 249 Brief Kunsts an Gerstenmaier vom 6. 11. 1964 (EZA, 87/850). – Vgl. Brief Kunsts an Scharf (ebd.). 250 Flugblatt zur Petition (EZA, 81/2/256 und 87/890). – Die Unterschriftensammlung wurde in Zusammenarbeit mit dem DGB durchgeführt. – Vgl. Brief Freudenbergs an Kunst vom 17. 11. 1964 (EZA, 87/850); Brief Freudenbergs an Scharf, Kunst, Beckmann und Wilm vom 9. 11. 1964 (EZA, 87/850 und 81/2/256); sowie GCJZ, Aufruf, 627 f; und Meldung „Schluß mit der Diskriminierung Israels“, in: Epd.ZA Nr. 265 vom 16. 11. 1964.
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die Mitglieder des Rates der EKD um eine Weiterempfehlung der Petition bat, wusste er nichts von dem Brief des Ratsvorsitzenden an den Bundespräsidenten, welcher bewusst vertraulich bleiben sollte, damit der Rat gerade nicht an die Öffentlichkeit treten musste. Dementsprechend war das Antwortschreiben von Hermann Kunst an Freudenberg in einem freundlichen, aber zurückhaltenden Ton verfasst, womit er seine eigentliche Haltung diplomatisch verschleierte.251 Der Bonner EKD-Bevollmächtigte fürchtete indes, dass sich Scharf oder Wilm für eine öffentliche Unterstützung der Unterschriftenaktion stark machen könnten, was den Vertraulichkeitscharakter des Schreibens an Lübke obsolet machen würde. Erneut hoffte Kunst, die „Brüder aus der Vereinigten Lutherischen Kirche“ würden sein Anliegen sekundieren.252 Auf die Beschlüsse der Landeskirchen hatte der EKD-Bevollmächtigte in Bonn aber nur geringen Einfluss. Mit der hannoverschen Landessynode machte sich ausgerechnet eine Mitgliedskirche der VELKD öffentlich für eine deutsch-israelische Annäherung stark. Die nach einer fünfstündigen Diskussion am 12. November beschlossene Verlautbarung unterschied sich darin von anderen Stellungnahmen, dass sie der Bundesregierung nicht das Heft aus der Hand nehmen wollte und lediglich „weiterhin gangbare Wege mit dem Ziele eines geordneten politischen Zusammenlebens beider Staaten“ einforderte.253 Diese vage Formulierung musste allerdings im gegenwärtigen politischen Klima für ein Plädoyer zugunsten des Botschafteraustausches gehalten werden. Angesichts dieser und anderer proisraelischer Voten kam der bayerische Oberkirchenrat Heinrich Riedel, ständiger Vertreter des Landesbischofs und selbst Mitglied des Rates der EKD, von seiner bisherigen Haltung, die mit der von Kunst korrelierte, zunehmend ab. Riedel fragte sich nun selbst, ob „ethische Gesichtspunkte nicht ein stärkeres Gewicht haben als die Rücksicht auf die Araber.“254 Ende des Monats und Anfang Dezember lagen Ratsvorsitzendem Scharf die inhaltlich übereinstimmenden Schreiben von Lübke, Erhard und Schröder vor, die eine Antwort auf das bisher vertraulich gehaltene Plädoyer des Rates darstellten. Die Politiker bekräftigten die Position, dass sich die Haltung der Bundesrepublik gegenüber Israel zwar grundsätzlich nach moralischen Grundsätzen zu richten habe. „Bei der Entscheidung, wann wir diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen sollten, müssen jedoch auch andere Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden.“255 Das Wort ,wann‘ ließ erkennen,
251 So Brief Kunsts an Freudenberg vom 12. 11. 1964 (EZA, 87/850). 252 Brief Kunsts an Riedel vom 12. 11. 1964 (EZA, 87/850). 253 Hann. Landessynode, Israelfrage. – Vgl. Meldung „Hannoversche Landessynode zur Israelfrage“, in: Epd.ZA Nr. 262 vom 12. 11. 1964; und KJ 1964 (91/1966), 77. – Vgl. Brief Dohrmanns an Scharf vom 20. 11. 1964, mit beigefügtem Antrag an die Landessynode (EZA, 81/2/ 256). 254 Brief Riedels an Kunst vom 23. 11. 1964 (EZA, 87/850). 255 Brief Erhards an Scharf vom 28. 11. 1964 (EZA, 81/2/256; Kopie in 87/850). – Vgl. Brief Lübkes
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dass die Bundesregierung den Botschafteraustausch nicht prinzipiell ausschloss, jedoch auf eine Situation zu warten gedachte, die dem Hauptziel ,Wiedervereinigung‘ weniger abträglich erschien. In der 28. Sitzung des Rates der EKD vom 3. und 4. Dezember 1964 in Berlin nahm man die Antwort der Bundesregierung zur Kenntnis. Um einerseits den deutschlandpolitischen Interessen Bonns nicht entgegenzuarbeiten und andererseits dem öffentlichen Druck, der sich erneut mit der Petition des DKR aufgebaut hatte, ein Stück weit nachzugeben, erklärte schließlich der Rat in einem Kommuniqu an die kirchlichen Presse-Redaktionen, dass er seine ,Erwägungen‘ bezüglich der deutsch-israelischen Beziehungen und der in Ägypten tätigen deutschen Rüstungsexperten der Bonner Regierung übermittelt habe. Auch wenn bewusst keine Details weitergegeben wurden, verlor der Brief an Lübke damit seine ursprünglich intendierte Vertraulichkeit. Schon am 4. Dezember meldete der epd den Vorstoß des Rates der EKD.256 Prompt musste sich der Rat den Vorwurf gefallen lassen, dass sich die Kirche, welche sich um geistliche Dinge zu kümmern habe, überhaupt derart politisch artikuliere. Andere Stimmen waren radikaler und forderten gegenüber dem Rat der EKD, dass die Israelis das widerrechtlich von ihnen gestohlene Land endlich räumen müssten.257 Dies waren gegenüber der Präponderanz proisraelischer Appelle jedoch Einzelvoten. Nachdem das Engagement des Rates der EKD publik geworden war, tat sich die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland leichter, am 15. Januar 1965 in Bad Godesberg die Bundesregierung zu einem baldigen Botschafteraustausch aufzufordern.258 Über Präses Beckmann leitete Kunst den Beschluss am 27. Februar an Außenminister Schröder weiter – zu einem Zeitpunkt, als auch die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (West) ihrer Sorge um die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen Ausdruck verlieh.259 Und das waren dann auch die Wochen, in denen sich die
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an Scharf vom 26. 11. und Brief Schröders an Scharf vom 2. 12. 1964 (EZA, 81/2/256; Kopien in 87/850). – S. a. Wolffsohn, Schuld, 36. S. a. Kommuniqu über die Sitzung des Rates der EKD am 3./4. 12. 1964 in Berlin (EZA, 2/ 1896); Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 3./4. 12. 1964, Kopie (EZA, 2/1811 und 87/850); und Meldung „EKD-Synode 1965 in Frankfurt/Main und Magdeburg“, in: Epd.ZA Nr. 280 vom 4. 12. 1964. S. a. Brief von Otto Kanold an den EKD-Rat vom 5. 12. 1964; und Brief von Alfred Höhne an den EKD-Rat vom 8. 12. 1964 (EZA, 81/2/256). So Beschluss Nr. 34 vom 15. 1. 1965, in: EKiR, Handreichung Nr. 39, 115. – Auch wiedergegeben im Brief Beckmanns an Kunst vom 24. 2. 1965 (EZA, 87/850). – Vgl. Meldung „Aus ethischen und menschlichen Gründen“, in: Epd.ZA Nr. 12 vom 15. 1. 1965. – Bei der Abfassung des Beschlusses soll Heinz Kremers maßgeblich beteiligt gewesen sein. So H. J. Barkenings im Gespräch mit dem Vf. am 2. 3. 2005. S. a. Briefe Kunsts an Beckmann und Schröder vom 27. 2. 1965 (EZA, 87/850); und Brief Schröders an Beckmann vom 11. 3. 1965, Kopie (EZA, 87/850). – Vgl. Weingardt, Nahostpolitik, 154. – Zur berlin-brandenburgischen Erklärung s. Meldung „,Tiefe Sorge‘ um Beziehungen zu Israel“, in: Epd.ZA Nr. 40 vom 17. 2. 1965. Indem man sich hier auf die West-
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Ereignisse überstürzten. Als Schröder am 11. März antwortete, brauchte er nur noch auf den am 7. März gefassten Entschluss des Bundeskanzlers über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen hinzuweisen. Protestantische Reaktionen: Nachdem am 12. Mai 1965 diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufgenommen wurden, wandte sich ein Großteil der protestantischen Kreise, die sich dafür eingesetzt hatten, wieder anderen Themen zu. Das Primärziel war ja nun erreicht. Vornehmlich die Gruppierungen, die sich dem christlich-jüdischen Dialog verpflichtet wussten, zeigten ein unverändertes Interesse am Staat Israel. Dazu zählte die Kirchentags-AG, die sich auf dem Kölner Kirchentag vom 28. Juli bis zum 1. August 1965 zum dritten Mal mit dem Forum ,Juden und Christen‘ der Öffentlichkeit präsentierte. Nachdem die AG bereits im Zusammenhang des Dortmunder Kirchentages 1963 einen Brief an Außenminister Schröder entworfen, diesen aber womöglich gar nicht abgeschickt hatte,260 wollte sie 1965 in Köln erneut kritische Urteile über die deutsche Nahostpolitik fällen und die Bundesrepublik wiederum zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen auffordern. Dies war jedoch mit dem Ereignis vom 12. Mai 1965 hinfällig geworden. Im Verlauf der Forumsveranstaltungen wurden Überlegungen vorgetragen, welche Auswirkungen der Botschafteraustausch für die Nahostpolitik der Bundesrepublik haben könnte. Das Diktum Gabriele Kammerers, dass hier „die biblisch-theologische Frage nach dem Verhältnis des jüdischen Volkes zu seinem Land Israel […] nur am Rande gestellt und gar nicht erörtert“ worden sei, ist nur zum Teil richtig.261 Zwar wurde diese Frage durchaus ,nur am Rande‘ gestellt, aber es trifft nicht zu, dass sie ,gar nicht erörtert‘ worden wäre. Bei seinem Vortrag am 29. Juli betonte z. B. Hans-Joachim Kraus, dass man einerseits den biblischen und den heutigen Staat Israel nicht einfach gleichsetzen könne. Es bestehe aber andererseits „daran kein Zweifel, daß die Verheißungen des Alten Testaments an Israel adressiert sind und daß auch die heutigen Juden in der Selbstidentifizierung mit dem Israel der alten Zeit leben und aufgehen.“262 Diese Aussage liest sich als ein Plädoyer für die Anerkennung des Selbstverständnisses der Juden auch im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Erez Israel. Auch das Podiumsgespräch am 31. Juli 1965 über die Verantwortung für den Staat Israel und den Frieden im Nahen Osten ließ theologische ErwäBerliner Synodalerklärung von Jan. 1960 berief (Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.15, 551 f), machte man deutlich, dass der Glaube an die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes Auswirkungen auf das politische Engagement gegenüber dem Staat Israel habe. 260 Vgl. Entwurf des Briefs als Anhang eines Schreibens von W. Koch an Goldschmidt vom 2. 8. 1963 (EZA, 681/80); und Kammerer, Haare, 61 f. – Nach ebd., 41 f, Anm. 21 existiert zwar in F.W. Marquardts Handakte der Entwurf des Schreibens an Schröder, nicht aber sein Gegenstück im Archiv des AA. 261 Kammerer, Haare, 64. 262 Kraus in: DEKT Köln, Dokumente, 1965, 669. – Vgl. o.Vf., Sorge um die Judenerklärung.
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gungen nicht völlig außer Acht. Die Referenten setzten voraus, dass die theologische Neubesinnung im christlich-jüdischen Miteinander auch Auswirkungen auf die christliche Betrachtung des Staates Israel haben müsse. Helmut Gollwitzer betrat die religiöse Ebene, indem er erklärte, die Christen müssten die Tatsache bejahen, dass für Juden „das erwählte Volk und das gelobte Land zusammengehören.“263 Überwiegend blieben jedoch auch Gollwitzers Ausführungen dem politischen Bereich verhaftet. So seien weniger die Israelis, sondern vielmehr die Deutschen für das arabische Flüchtlingsproblem mitverantwortlich, denn aufgrund der Judenverfolgung sei es zur übereilten israelischen Staatsgründung gekommen. Der Schweizer Hans Fleig warf ein, dass man gerade in Deutschland dafür Verständnis haben müsste, dass die evakuierten Araber nicht in Kairo, sondern in Palästina wohnen wollten. Die nach 1945 aus dem Osten vertriebenen Deutschen würden ja auch gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren. Überhaupt machten sich die ausländischen Diskussionsteilnehmer mehr für die arabische Seite stark und ließen die weitere Aussprache stellenweise zu einem Schlagabtausch von proisraelischen versus proarabischen Argumenten werden. Um hier vermittelnd einwirken zu können, traten manche mit dem Anspruch auf, beiden Seiten gegenüber gerecht zu urteilen. So räumte Freudenberg ein, „daß auch vom Staat Israel aus Propaganda gemacht wird“, was uns erst recht dazu animieren sollte, „hier anständig, rechtschaffen und freimütig“ Wege des Friedens zu suchen. Im Blick auf die konkrete Verantwortung der Christen befürwortete Freudenberg „das schlichte, liebevolle Beispiel“ der Darmstädter Marienschwestern, die sich im Jerusalemer Beth Abraham der Überlebenden der Schoah annähmen.264 Freudenberg hatte bei seiner letzten Israelreise diese Einrichtung genauso besucht wie Nes Ammim und die israelische Zentrale von Aktion Sühnezeichen. Wie sein Schwiegervater berief sich auch Gollwitzer auf ein faires Urteil, das gerade keine ,einseitige Parteinahme‘ darstelle. Bei den Trägern der in Jordanien tätigen Einrichtungen wie dem Syrischen Waisenhaus, sah Gollwitzer die Gefahr, „daß ihre Liebe zu den arabischen Menschen, denen sie dienen, sie nicht dazu verführt, einseitige proarabische Stellungnahmen in diesem israelisch-arabischen Konflikt zu vollziehen.“265 Zwischen den Kirchentagen 1965 und 1967, in denen die Politik eine zunehmend dominierende Rolle spielte, entstand 1966 unter Beteiligung von protestantischen Theologen und Kirchenleuten die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG), die sich einen rein politischen Auftrag gab und deren Gründung zu den unmittelbaren Folgen des Botschafteraustausches zwischen 263 Gollwitzer in: DEKT Köln, Dokumente, 1965, 723. – Vgl. Gollwitzer/Sterling, Gottesvolk, 133 – 143. 264 Freudenberg in: DEKT Köln, Dokumente, 1965, 723 u. 738. – Vgl. Reisebericht A. Freudenbergs von April–Oktober 1965, Kopie, 32 – 34 (ZAEKHN, 62/577). 265 Gollwitzer in: DEKT Köln, Dokumente, 1965, 746.
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Bonn und Tel Aviv gezählt werden kann.266 Die Vorbereitungen fielen noch in die Zeit, als ihre Initiatoren für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen plädierten. Nachdem diese erfolgt war, erhielt die DIG, die am 21. März zu ihrer internen, am 19. Mai 1966 zu ihrer öffentlichen Gründungsversammlung sowie ein Jahr später zur Neuwahl des Präsidiums zusammenkam, eine neue Ausrichtung. Zum Präsidenten wurde 1966 MdB Gerhard Jahn (SPD) ernannt, der am 8. Mai 1967 von MdB Ernst Benda (CDU) abgelöst wurde. Heinrich Grüber war Ehrenpräsident und Kuratoriumsvorsitzender. Rendtorff und der Bankier Walter Hesselbach fungierten als Vizepräsidenten, 1967 kam Heinz Westphal hinzu. Dem Präsidium gehörten aus dem kirchlichen Bereich der Journalist Christoph von Imhoff und der Katholik Willehad Eckert an sowie neben Rendtorff die Protestanten Nikolaus Becker, Vorsitzender des deutschen Nes-Ammim-Vereins, und Walter Sylten, dessen Vater als ,nicht-arischer‘ Pfarrer im KZ umgekommen war. Auch wenn versucht wurde, Politiker aller großen Parteien zu akquirieren, so war die SPD-Dominanz doch unübersehbar, nicht nur mit den Personen Jahn und Rendtorff, sondern auch mit den Politikern Willy Brandt und Adolf Arndt267, die auf der öffentlichen Gründungsversammlung referierten. Da sich die DIG als politische Organisation verstand, wurde Kunst in seiner Funktion als EKD-Bevollmächtigter in Bonn über ihre Aktionen regelmäßig informiert. Kunst bemühte sich nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem israelischen Botschafter in Kontakt zu bleiben. Das mindeste waren die gegenseitigen Glückwünsche für das neue Jahr. Der Botschafter Ben-Natan unterstrich diese Geste durch Einladungen zu den israelischen Staatsjubiläen und die jährliche Zusendung von Pampelmusen.268 Zudem wurde Kunst von der Presse-Abteilung der israelischen Botschaft laufend mit Informationsmaterial zur Situation im Nahen Osten versorgt. Im Orient selbst waren durch den deutsch-israelischen Botschafteraustausch die Verhältnisse für Deutsche nicht unbedingt einfacher geworden. Für den Ost-Jerusalemer Propst bedeutete dies eine neue Herausforderung, musste doch verhindert werden, dass das Ansehen der deutschen Einrichtungen im Königreich Jordanien, das die Kontakte zur Bundesrepublik abgebrochen hatte, Schaden litt. Carl Malsch, der ein halbes Jahr nach dem 12. Mai 1965 nach Hamburg zurückberufen wurde, betonte in seinem Tätigkeitsbericht, dass trotz der jüngsten „politischen Spannung“ seine eigenen
266 Vgl. dazu Ben-Natan, Brücken, 89 f; Rendtorff, Israel u. der Zionismus; ders., Dreißig Jahre; ders., Kontinuität, 84 – 89; und Sylten, Entstehung, 167 – 175. 267 Über Arndts Rede waren nicht alle Freunde Israels begeistert. Vom Gollwitzer-Freund Jochanan Bloch, Mitbegründer der West-Berliner DIS, wurde sie z. B. als ,antizionistisch‘ verurteilt. Seine Kritik gipfelte in dem Vorwurf, „daß eine Deutsch-Israelische Gesellschaft, die sich die Thesen Arndts zu eigen macht, die Interessen Israels gefährdet“ (Bloch, Israel, 563). 268 S. a. Brief Kunsts an Ben-Natan vom 21. 12. 1966 (EZA, 87/850). – Vgl. Unterlagen in EZA, 87/ 851.
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„freundlichen Beziehungen“ zu Gouverneur und Bürgermeister von Ost-Jerusalem anhielten.269 Malschs Nachfolger, Hansgeorg Köhler, sorgte sich wieder mehr um die Stellung des Propstes in der jordanischen Gesellschaft angesichts proisraelischer Entwicklungen in West-Deutschland. Als Altbundeskanzler Adenauer im Mai 1966 Israels Ministerpräsident Eshkol und seinen Vorgänger BenGurion besuchte, meinte Köhler in den jordanischen Zeitungen und bei seinen arabischen Gemeindegliedern Empörung festzustellen. Denn es werde hier, so schrieb der Propst an Bernhard Karnatz, „immer wieder darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik […] neues Unrecht tun würde.“ Obwohl damit die ökonomische und militärische Unterstützung Israels mit den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs auf eine Stufe gestellt wurde, hielt Köhler die Diskussion in der jordanischen Öffentlichkeit für fair : „Ich habe nicht den Eindruck, daß die Zeitungen hetzen. Sie berichten objektiv.“ Um dies zu belegen, fügte der Propst seinem Schreiben Zeitungsausschnitte bei, in denen davon die Rede war, wie sich die Deutschen in ihrem „guilty conscience“ von der „Zionist propaganda“ unterdrücken ließen und nicht wahrhaben wollten, dass die Zahlen der jüdischen Schoah-Opfer übertrieben seien.270 Köhlers Wahrnehmung der jordanischen Presse als ,ausgewogen‘ zeigt, dass ihm die arabischen Befindlichkeiten vertrauter waren als die Fortschritte im christlich-jüdischen Gespräch. Nicht einmal jene die Schoah relativierenden Aussagen in den von ihm selbst ausgewählten Belegen irritierten ihn.
269 Bericht von Malsch über seine Tätigkeit von 1960 – 1965, Kopie (EZA, 81/2/188). 270 Brief Köhlers an EJST (Karnatz) vom 7. 5. 1966, Kopie (EZA, 81/2/188). – Zu Adenauers Besuch in Israel 1966 s. Jelinek/Blasius, Ben Gurion, 319 – 323.
3. Der Staat Israel als Politikum (seit 1967) 3.1 Einführung in den Zeitabschnitt 1967 und die darauf folgenden Jahre gelten in der Retroperspektive meist als die Zeit der Studentenrevolution. Der Tod des 26-jährigen Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in Berlin (West) erschossen wurde, und das Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke vom 11. April 1968 markieren zwei der prägnantesten Ereignisse jener Zeit. Den gewaltsamen Ausschreitungen und eventartigen Protestaktionen ist es zuzuschreiben, dass das Jahr ,1968‘ im Gedächtnis der Beteiligten zur Chiffre der gesellschaftlichen und politischen Veränderungsprozesse innerhalb der Bundesrepublik wurde.1 Dass diese isolierte Sichtweise die Modernisierungsschübe seit Ende der 1950er Jahre marginalisiert, fand bereits Erwähnung.2 Das Neue, das die Studentenbewegung mit sich brachte, war zum einen die Aufsplitterung des linken Spektrums in zahlreiche Gruppierungen unterschiedlicher Radikalität und zum anderen die Vergrößerung des linken Milieus nebst einer voranschreitenden Popularisierung progressiver Ideen. Die 1969 erfolgte Wahl Willy Brandts zum ersten SPD-Bundeskanzler symbolisiert diese Milieuvergrößerung, die mit einem erneuten Generationenwechsel einherging: Die Weltsicht der zwischen 1938 und 1948 Geborenen sollte zunehmend die öffentlichen Diskurse prägen. Progressive Vertreter der älteren Generation, die zwischen 1914 und 1937 das Licht der Welt erblickt hatten, fungierten gegenüber den ihnen nachfolgenden ,68er‘ als Stichwortgeber und brachten diesen „nicht selten Sympathie entgegen, weil sie in den Jüngeren Verbündete im Kampf für eine politische und kulturelle Erneuerung der Bundesrepublik sahen.“3 Den Radikalisierungen innerhalb der Studentenbewegung standen die Älteren jedoch irritiert gegenüber. Gegenüber der vorhergehenden Zeitepoche gilt: Personen und gesellschaftliche Institutionen, die sich gegenüber Neuerungen sträubten und konservativen Mentalitäten verhaftet blieben, gerieten zunehmend in die Defensive und drohten marginalisiert zu werden. Konstitutiv für die junge 68er-Generation war der nahezu unerschütterliche 1 Vgl. Mnkel, Brandt, 13: „Bis vor einigen Jahren galt noch ,1968‘ als die Chiffre für die sechziger Jahre. Dies war und ist zum Teil Folge der Geschichtspolitik der Protagonisten dieser Generation, die so ihren formulierten Anspruch, die eigentlichen ,Modernisierer‘ der Bundesrepublik zu sein, untermauern wollen.“ 2 S. a. Teil I, 2. 3 Siegfried, Konsens, 26.
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Glaube an die eigenen Möglichkeiten zur gerechten Weltgestaltung.4 Je größer diese Glaubensgewissheit wurde, desto stärker trat der westliche ,Imperialismus‘ als primäres Übel in Erscheinung, zumal die USA mit dem antikommunistisch motivierten Vietnamkrieg ihr bisheriges Eintreten für Freiheitsund Menschenrechte desavouierten. Die Solidarität der ,Neuen Linken‘ gebührte in erster Linie den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Auch im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kam es zu Veränderungen, als am 10. Juni 1969 die Grundordnung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR in Kraft trat und damit die Trennung der ostdeutschen Landeskirchen von der EKD definitiv vollzogen war. Da die verbliebenen Ratsmitglieder ein Alter erreicht hatten, das eine erneute Kandidatur bei der 1973 beginnenden Wahlperiode unwahrscheinlich machte, zeichnete sich auch im Rat der EKD ein Generationenwechsel ab.5 Die Säkularisierung der westdeutschen Gesellschaft brachte die verfasste Kirche in eine prekäre Lage, weil junge Protestanten wegen des Traditionsschwunds eine radikale Modernisierung der kirchlichen Handlungsfelder betrieben und dadurch eine tiefe Kluft zwischen progressiven und konservativen Kräften rissen. Ausdruck dieser Kluft war ein Diktum des bayerischen Landesbischofs Hermann Dietzfelbinger, der in den ,umstürzlerischen‘ christlichen Bewegungen ein Wiederaufleben der Häresie der Deutschen Christen zu erkennen meinte: „[W]enn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war.“6 Das Auseinanderbrechen der evangelischen Kirche konnte allerdings verhindert werden, weil der „ökonomische Faktor“7 – also die exorbitant gestiegenen Einnahmen aus Kirchensteuern – den Kirchenleitungen die Möglichkeit bot, den unterschiedlichen Lagern finanziell wie personell entgegenzukommen.
3.2 Der Sechstagekrieg 3.2.1 Die politische Entwicklung im Vorfeld des Krieges Im Vorfeld des ,Sechstagekriegs‘ – auch ,Junikrieg‘ genannt – kam es zu verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten. Nachdem Israel 1964 das Wasser des Sees Genezareth zu großräumiger Bewässerung zu nutzen begann, beschlossen Syrien und Jordanien die Sper4 Vgl. Schildt, Nachkriegszeit, 21: „In keiner anderen Phase der westdeutschen Geschichte herrschte in breiten Kreisen der Bevölkerung eine derart ungebrochen optimistische Sicht auf die Zukunft wie im letzten Drittel der 60er und im ersten Drittel der 70er Jahre.“ 5 S. a. v. Kortzfleisch, Generation, 214. 6 EKD, Synodalbericht 20, 33. 7 Hauschild, Evangelische Kirche in der Bundesrepublik, 64.
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rung der Jordan-Quellflüsse. Zwischen Januar 1965 und Juni 1967 übten verschiedene Gruppen der neu entstandenen und von Syrien unterstützten Palestine Liberation Organization (PLO) etwa 120 bewaffnete Überfälle auf israelisches Territorium aus.8 Anfang 1967 nahmen die Kampfhandlungen an der syrisch-israelischen Grenze zu: Von den Golanhöhen aus schoss das syrische Militär auf israelische Dörfer am See Genezareth. Israels Verteidigungsmaßnahmen, darunter die Verletzung des syrischen Luftraums und der Abschuss syrischer Flugzeuge, wurde in Damaskus und Kairo als aggressiver Akt gedeutet. Am 12. Mai 1967 meldete eine Nachrichtenagentur, dass Israel angeblich plane, Syrien anzugreifen, um das dortige Regime der Baath-Partei zu beseitigen. Das Gleiche teilte die Sowjetunion einen Tag später den Regierungen in Kairo und Damaskus mit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Sowjetunion Ägypten in einen Krieg treiben wollte, damit das israelische Kernkraftwerk Dimona südöstlich von Beerscheba zerstört werden würde.9 In Moskau wusste man womöglich, dass Dimona der Ort des geheimen israelischen Atomwaffenprogramms war. Präsident Gamal Abdel Nasser, dessen Heimatland Ägypten zusammen mit Syrien bis 1971 auch unter der Bezeichnung Vereinigte Arabische Republik (VAR) firmierte, ließ Teile seiner Armee in den demilitarisierten Sinai einmarschieren; die hier stationierten UN-Truppen hatten zur Verwunderung der Israelis ohne Protest und Widerstand das Feld geräumt. Die von Nasser veranlasste Sperrung des Golfs von Akaba am 22. Mai 1967 verriegelte Israels Meereszugang in Richtung Süden. Kairo nahm in Kauf, dass damit für Israel ein ,casus belli‘ gegeben war. In Ägypten und Syrien sprachen die Medien von der bevorstehenden Vernichtung Israels; einzelne Stimmen riefen zum ,heiligen Krieg‘ gegen Israel auf. PLO-Chef Ahmed Shukeiry kündigte an: „[T]here will be practically no Jewish survivors.“10 Israels Führung fand heraus, dass ägyptische Militärs bereits Luftangriffe auf Dimona und auf andere strategisch bedeutsame Ziele planten. Am 25. Mai marschierten Einheiten aus dem Irak in Syrien auf, um dem Verbündeten beizustehen. Auch Amman gestattete die Stationierung ägyptischer und irakischer Truppen an der jordanisch-israelischen Grenze.
3.2.2 Die Kampfhandlungen vom 5. bis 10. Juni 1967 Auch wenn späteren Erkenntnissen zufolge die arabischen Armeen Israel wahrscheinlich nicht wirklich hätten vernichten können – allein schon wegen 8 So Morris, Victims, 303. – Zum Krieg s. Hub, Image, 18 – 22; Krautkrmer, Krieg, 61 – 68; Krupp, Staat Israel, 71 – 105; Morris, Victims, 302 – 386; Rotter/Fathi, Nahost-Lexikon, 186 f; Vogel, Politik, Bd. 1, 340 – 393; Steiniger, Sechstagekrieg, 33 – 38; und Weingardt, Nahostpolitik, 182 – 197. 9 So Aronson, Atomwaffen, 277. 10 Zit. bei: Morris, Victims, 310.
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ihrer mangelnden Ausbildung und Motivation –, so war Israel doch mit der Möglichkeit „eines koordinierten arabischen Angriffs von allen Seiten“ konfrontiert.11 Sein Staatsgebiet zwischen Herzliya und Kalkilya war nur 16 km breit, wodurch einmarschierende Truppen das Land sehr schnell in zwei Hälften hätten teilen können. Mit West-Jerusalem und Tel Aviv besaß der israelische Staat auch nur zwei Ballungszentren; die Besetzung nur eines von beiden hätte Israels Wirtschaft entscheidend gelähmt. Deshalb musste unbedingt verhindert werden, dass ein Krieg auf dem eigenen Territorium ausgetragen werden würde. Zudem wollte Israel keine militärische Schwäche offenbaren und pflegte deshalb auf Abschreckung zu setzen. Dieser Gründe wegen entschloss sich Israel zu einem präventiven Vorgehen, was Elmar Krautkrämer wie folgt auf den Punkt brachte: „Für die arabischen Länder und die Sowjetunion und ihre Verbündeten galt Israels Krieg als Aggression. Für Israel aber war es ein für seine Sicherheit und weitere Existenz notwendiger Präventivschlag.“12 Verschiedene israelische Politiker hofften auch auf territoriale Zugewinne. Am 5. Juni eröffnete die israelische Luftwaffe die Kampfhandlungen, indem sie die ägyptischen Airports angriff. Der größte Teil der ägyptischen Flugzeuge wurde nicht in der Luft, sondern bei diesen Aktionen zerstört. Anfangs hoffte Israel, Amman könnte aus dem Krieg herausgehalten werden. Doch bereits am ersten Kriegstag telefonierte König Hussein von Jordanien mit Ägyptens Präsident Nasser, welcher von seinen angeblichen Erfolgen im Sinai sprach. Erst aufgrund dieser Nachricht schossen die Jordanier auf West-Jerusalem, was Israel zum Einmarsch in das Westjordanland und zur Zerstörung auch der jordanischen Luftwaffe veranlasste: „Nassers Lüge hat das Schicksal der Palästinenser des Westjordanlandes und in Ostjerusalem mit verschuldet.“13 Als am 10. Juni der von den Vereinten Nationen (UN) durchgesetzte Waffenstillstand eintrat, hatte Israel den ganzen Sinai einschließlich des GazaStreifens, das Westjordanland und die Golanhöhen erobert. Gegenüber 10 – 15 000 gefallenen Soldaten aus Ägypten, 800 aus Jordanien und 500 aus Syrien, trauerte Israel um etwa 800 Tote. 200 – 300 000 Araber verließen in Folge des Krieges das Westjordanland und den Gaza-Streifen, 80 – 90 000 die GolanHöhen.14 Inwieweit es sich dabei um Flucht oder Vertreibung handelte, ist hier genauso umstritten wie bei den Ereignissen im Zuge der israelischen Staatsgründung. Auch wenn von einer systematischen Vertreibung nicht die Rede sein kann – dazu fehlte die Autorisierung durch die Regierung und ein konzertiertes Vorgehen –, so ist doch bekannt, dass eine Reihe von israelischen Kommandanten arabische Dörfer gezielt dem Erdboden gleichmachen ließen. 11 12 13 14
Krautkrmer, Krieg, 63. Ebd., 65. – Vgl. Morris, Victims, 321. Schreiber, Schalom, 124. So Morris, Victims, 327. – Ähnliche Zahlenangabe bei Rotter/Fathi, Nahost-Lexikon, 99. – Dagegen spricht Hub (Image, 21) von mehr als 500 000 Flüchtlingen.
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Nur die Zerstörung von vier Orten bei Latrun wurde aufgrund deren Nähe zum Flughafen nachträglich vom Kabinett gebilligt. Etwa 17 000 Palästinenser aus dem Westjordanland durften später wieder zurückkehren.
3.2.3 Die politischen Auswirkungen Die israelische Bevölkerung erlebte nach dem Krieg eine Zeit der Hochstimmung und des Freudentaumels; man erwartete ein Leben in Sicherheit und Frieden. In einer größer werdenden Minderheit wurden auch religiös-messianische und nationalistisch-expansionistische Stimmen laut. Die Sowjetunion und die meisten kommunistischen Staaten reagierten auf den Kriegsausgang mit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Israel. Die USA begannen sich mehr im Nahen Osten zu engagieren und wurden erst jetzt zu einer ,Schutzmacht‘ Israels. Am 19. Juni ließ Ministerpräsident Levi Eschkol Kairo und Damaskus die Botschaft zukommen, Israel werde sich aus dem Sinai und dem Golan zurückziehen, falls beide arabischen Länder zu einem Friedensabkommen bereit wären. Vom Gaza-Streifen und dem Westjordanland war nicht die Rede, weil sich die Regierungsmitglieder über die Zukunft dieser Gebiete nicht einig geworden waren. Ägypten und Syrien lehnten dieses Angebot ab. Im Spätsommer 1967 bekannte sich die arabische Gipfelkonferenz im sudanesischen Khartum zum Ziel der Rückgewinnung aller von Israel besetzten Gebiete, was eine Ablehnung jeglicher Friedensgespräche und eine Nichtanerkennung des Staates Israel mit einschloss. Dies wiederum zwang Israel, dem eigenen Sicherheitsbedürfnis Priorität einzuräumen. Den Status Ost-Jerusalems wollte die israelische Regierung nicht zum Gegenstand von Verhandlungen machen. Am 26. Juni erklärte sie die Altstadt und umliegende Gebiete zu einem Bestandteil des Staates; die Annexion war jedoch erst 1980 abgeschlossen. Als dann am 29. Juni die Teilung Jerusalems aufgehoben wurde und die jüdische wie die arabische Bevölkerung beide Seiten der Stadt besuchen durfte, bedeutete das auch für die ausländischen Christen, dass sie sich ohne Grenzkontrollen in der Heiligen Stadt bewegen konnten. Die Westmauer des Tempelbergs wurde wieder zu einer jüdischen Wallfahrtsstätte, das jüdische Viertel der Altstadt wieder jüdisch besiedelt. Seit Ende Juli vertrat die regierende Arbeitspartei den noch mehrfach überarbeiteten ,Allon-Plan‘, der eine Teilung des Westjordanlandes zwischen Israel und Jordanien anvisierte und dementsprechend die Errichtung von Siedlungen in einigen der neu hinzugewonnenen Landstriche nach strategischen Gesichtspunkten zuließ. Selbst darüber hinaus blieb dem Kabinett kaum etwas anderes übrig, als bereits entstandende oder noch im Entstehen begriffene Niederlassungen zu genehmigen: „Auch ihrem Selbstverständnis nach säkulare Regierungsmitglieder kapitulierten vor nationalreligiösen Eiferern, die einen göttlich begründeten Anspruch auf das Land, auf ,Erez Israel‘, zu reali-
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sieren trachteten.“15 1977 lebten bereits 11 000 Israelis in den besetzten Gebieten, in den 1990er Jahren wurde die 150 000-Marke überschritten. Am 22. November 1967 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die viel diskutierte Resolution 242, die einerseits den Rückzugs Israels „aus den Gebieten (forderte), die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden“, andererseits die Araber dazu ermahnte, die Souveränität des Staates Israel anzuerkennen.16 Nicht von der Schaffung eines Palästinenserstaates war die Rede, sondern von der Lösung des Flüchtlingsproblems. Uneinigkeit herrschte im Nachhinein über den genauen Wortlaut der Resolution: Während die französische Version, die auch obiger Übersetzung zugrunde liegt, von „l’evacuation des territoires occups“ spricht, weiß der englische Text nur von einer „evacuation from territories occupied in the recent conflict.“17 Das Fehlen des bestimmten Artikels vor „territories“ bot Israel einen gewissen Freiraum. Für die arabischen Staaten war Israels Rückzug aus den besetzten Gebieten Voraussetzung für einen Friedensvertrag, wogegen er für Israel das Ergebnis eines solchen sein sollte. Indem die Resolution vom Recht eines jeden Nahoststaates sprach, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben, konnte Israel argumentieren, dass der bisherige Grenzverlauf diese Sicherheit gerade nicht gewährte. An den Grenzen zu Ägypten und Jordanien schossen die gegnerischen Artillerien kontinuierlich aufeinander, was als Zermürbungskrieg bezeichnet wurde. Zu den Folgen des Sechstagekrieges gehörte auch die Stärkung der palästinensischen Bewegung. Das Versagen der arabischen Staaten zwang die Palästinenser dazu, das nationale Anliegen selbst in die Hand zu nehmen: „So erwies sich der Sechstagekrieg als Wendepunkt von einem israelisch-arabischen Konflikt zu einem israelischpalästinensischen Konflikt.“18 Auch die deutsch-israelischen Beziehungen blieben nicht unbeeinflusst vom Krieg in der Levante. Die politischen und ökonomischen Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel wurden im Laufe des Jahres 1967 fester. Als Altbundeskanzler Adenauer am 19. April verstarb, reisten zur Trauerfeier der frühere Ministerpräsident David Ben-Gurion und der derzeitige Außenminister Abba Eban an. Als der neue Nahostkrieg ausbrach, bemühte sich der Bundestag in einer Plenardebatte am 7. Juni zwar um formale Neutralität. Dies bedeutete aber, so Außenminister Willy Brandt, „keine moralische Indifferenz und keine Trägheit des Herzens“, weshalb die Bundesregierung auch der israelischen Bitte um Zusendung von Gasmasken zum Zivilschutz entsprach.19 Während die Bundesregierung offiziell zur Nichteinmischung verpflichtet war, artikulierte sich die westdeutsche Bevölkerung
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Diner, Warten, Online. – Vgl. Morris, Victims, 335 f. UN, Resolution 242, 165. Zit. bei: Weingardt, Nahostpolitik, 188, Anm. 29. Ebd., 187. Zit. bei: Vogel, Politik, Bd. 1, 355.
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eher solidarisch zum kämpfenden Israel.20 In zahlreichen Städten kam es vor und während des Krieges zu Sympathiekundgebungen, von denen viele von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit oder kirchlichen Gruppen initiiert waren. Als Altbundeskanzler Ludwig Erhard im Herbst 1967 in Israel weilte, bedankte sich Ministerpräsident Eschkol für die breite Solidarität der Westdeutschen: „Diese spontane Erhebung des deutschen Volkes wurde von unserem Volk mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.“21 Der damit einhergehenden Verschlechterung der deutsch-arabischen Beziehungen versuchte die Bundesregierung gezielt entgegenzuwirken.
3.3 Protestantische Reaktionen auf den Sechstagekrieg 3.3.1 „Der Friede ist gefährdet“: Stellungnahmen vor dem 5. Juni Die Spannungen zwischen dem Staat Israel und Ägypten, die sich hauptsächlich in Präsident Nassers Sperrung des Golfs von Akaba am 22. Mai manifestierten, alarmierten vereinzelt wachsame Freunde Israels. Am 24. Mai, zwei Tage nach Nassers Affront und fast zwei Wochen vor Ausbruch des Krieges, erhielt Kurt Scharf ein Schreiben Adolf Freudenbergs, ob er als Mitglied des Kuratoriums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) das bereits abgeschickte Telegramm der Kuratoriumsmitglieder Helmut Gollwitzer, Heinrich Grüber, Hermann Maas u. a. nachträglich unterstützen wolle.22 In diesem Telegramm wurde das Präsidium der DIG um eine öffentliche Erklärung gebeten, dass sich die Bundesregierung im Blick auf den Nahostkonflikt für eine Offenhaltung des Golfs von Akaba für israelische Schiffe einsetzen möge. Bischof Scharf gab an diesem Tag nicht nur sein Einverständnis zu dem Telegramm, sondern wollte auch innerhalb der Kirche auf die Gefährdung des Staates Israel aufmerksam machen. Deshalb schrieb er an die West-Berliner Pfarrerschaft: „Daß der Friede an den Grenzen des Staates Israel im gegenwärtigen Zeitpunkt aufs äußerste gefährdet ist, steht außer Frage […] Wir bedenken, daß das Verhalten unseres Staates vor dreißig Jahren gegenüber jüdischen Menschen zu einem wesentlichen Teil Anlaß zur Bildung […] des Staates Israel in seiner heutigen Form
20 Einer Umfrage zufolge ergriffen 55 % der Westdeutschen Partei für Israel, während nur 6 % sich auf die Seite der Araber stellen. So Deutschkron, Verhältnis, 338. 21 Zit. bei: Vogel, Politik, Bd. 1, 385 f. 22 So Brief Freudenbergs an Scharf vom 22. 5. 1967 mit Aktenvermerk vom 24. 5. 1967 (EZA, 81/2/ 256).
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gewesen ist. Wir sind dessen gewiß, daß ein Gebet um den Frieden an den Grenzen des Staates Israel auch den […] arabischen Völker dient.“23
Damit nahm Scharf auf die Erklärung der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom Januar 1960 Bezug, die sich bereits um den Frieden an den Grenzen des israelischen Staates gesorgt hatte.24 Als Hauptgrund für seinen Vorstoß nannte Scharf das Wissen um die Schoah. Der Hinweis auf die arabischen Völker sollte den Eindruck zerstreuen, die Solidarität zu dem bedrohten Israel sei antiarabisch motiviert. Die Erwähnung der DIG, in deren Kuratorium eine Reihe von Kirchenleuten saß, verweist auf die große Schnittmenge zwischen Kirche, Politik und Gesellschaft beim Thema Israel. Besonders deutlich wurde dies bei dem Anfang Juni lancierten Aufruf ,Hilfe für Israel‘, der vom Bundestagsabgeordneten Adolf Arndt (SPD) initiiert und vom Schriftsteller Günter Grass medienwirksam protegiert wurde. Schließlich machte sich die DIG diesen Appell offiziell zu eigen, sodass letztlich zahlreiche kirchlich engagierte Israelfreunde zu den Unterzeichnern gehörten, darunter am ranghöchsten Bischof Kurt Scharf.25 Im Blick auf die Kirchenleute ist zu beachten, dass diese eher in eigener Verantwortung handelten und weniger in ihrer Funktion als Amtsträger der verfassten Kirche in Erscheinung traten. In der Praxis ließ sich beides nicht immer voneinander trennen, wie das Exempel Kurt Scharf zeigt. Seine öffentliche Unterstützung des Appells blieb nicht unwidersprochen. Die Kritiker monierten, dass gerade ein Bischof so konkret politisch Stellung bezogen hätte. Ein Kirchenmitglied aus Frankfurt am Main schrieb erbost an Scharf, dass dieser sich zwar als „unbedeutender Pfarrer“ so eindeutig hätte politisch positionieren dürfen, nicht jedoch als stellvertretender Vorsitzender des Rates der EKD. Wenn er es nicht schaffe, sich in der Nahostpolitik neutral zu verhalten, habe er seine „Ämter in unserer Kirche niederzulegen.“26 Im Raum der Kirchen schloss sich neben Einzelpersonen auch der eine oder andere Verband dem Aufruf ,Hilfe für Israel‘ an. Das Evangelische Jugendwerk in Bayern forderte im Blick auf diesen Appell die jungen Kirchenglieder dazu auf, „sich offen zur Freiheit Israels und der Unantastbarkeit seiner Lebens23 Brief Scharfs an alle Superintendenten, Pfarrer, Pastorinnen und Hilfsprediger vom 24. 5. 1967 (LABB, 38/471). – S.a. Zimmermann, Scharf, 129. – Vgl. Meldung „Bischof Scharf ruft zum Gebet um den Frieden im Nahen Osten auf“, in: Epd.ZA Nr. 118 vom 27. 5. 1967; und KJ 1967 (94/1969), 125. 24 S. a. Teil II, 2.4.1. 25 Personen wie N. Becker, A. Freudenberg, H. Gollwitzer, D. Goldschmidt, H. Grüber, Chr. v. Imhoff, G. Luckner, E. Lüth, H. Maas, R. Rendtorff, K. Scharf, W. Sylten. – S. a. Arndt, Aufruf; Ben-Natan, Herausforderungen, 34; DIG-Prsidium und Kuratorium, Hilfe; und o.Vf., Zur Dokumentation, 16 f. – Vgl. DIG-Pressemitteilung von Anfang Juni 1967 (EZA, 81/2/256 und 87/ 850). – Der Aufruf war mit einer Spendenaktion zugunsten des israelischen Staates verbunden, die bis Anfang Juli 150 000 DM, insgesamt sogar über 3 Milliarden DM ergab. So Meldung „Stuttgart: 150 000 Mark für Israel“, in: Epd.ZA Nr. 154 vom 10. 7. 1967. – S.a. Westphal/ Radhauer, Arbeit, 157. 26 Brief eines Frankfurters (Unterschrift unleserlich) an Scharf vom 4. 6. 1967 (EZA, 81/2/256).
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rechte zu bekennen.“27 Für den 6. Juni kündigte das Jugendwerk eine Solidaritätskundgebung in Nürnberg an, das es zusammen mit der Gewerkschaftsjugend durchführen wolle. Die Evangelische Landjugend in Bayern ging noch weiter als der von MdB Arndt initiierte Appell: In Erinnerung an den Aufenthalt einer bayerischen Gruppe in einem Kibbuz ließ Landjugendpfarrer Hans Roser verlautbaren, bei einer Eskalation der politischen Lage im Nahen Osten könnten die Kinder des Kibbuz in Bayern Aufnahme finden.28 Mit dem Appell des Evangelischen Arbeitskreises ,Kirche und Israel‘ in Hessen und Nassau vom 31. Mai 1967 trat eine Vereinigung hervor, die weniger politisch, sondern mehr theologisch argumentierte. In Anbetracht „des ungekündigten Bundes Gottes mit dem Volk Israel“ wurden die Gemeinden zur Verbundenheit mit dem nun gefährdeten jüdischen Staat aufgefordert. Aus der dialogorientierten Neubesinnung auf Römer 9 – 11 folgte hier direkt die Solidarität zum Staat Israel. Die Solidarität resultierte ferner wie bei Bischof Scharf aus der geschichtlichen Verantwortung. Denn gerade die Christen in Deutschland dürften in den Augen des Arbeitskreises „nicht noch einmal“ jüdische Menschen preisgeben.29 Irritierend ist an der kurzen Erklärung der undifferenzierte Gebrauch des Israel-Begriffs: Da wird vom „ungekündigten Bundes Gottes mit dem Volk Israel“ gesprochen und dann im nächsten Satz davon geredet, dass der ,Heilige Krieg‘ Ägyptens zu einer „tödlichen Bedrohung Israels“ beitrage. Erwähltes Gottesvolk und Staat Israel fielen nahezu in eins, Theologie („Bund“) ging in einem allzu rasanten Schritt in Politik („Bedrohung“) über.
3.3.2 „Nicht mit Gleichmut“: Stellungnahmen seit dem 5. Juni Die Nachricht vom Kriegsausbruch zwischen Israel und den arabischen Staaten führte weltweit wie in der westdeutschen Christenheit zu spontanen Friedensaufrufen und zu zahlreichen Fürbittgottesdiensten.30 Überall in der Welt, aber gerade auch in der Bundesrepublik sahen sich christliche Verbände sowie Gremien der verfassten Kirchen zu Stellungnahmen veranlasst. Die 27 Zit. bei: Meldung „Evangelische Jugend mit Israel solidarisch“, in: Epd.ZA Nr. 123 vom 2. 6. 1967. – Neben der Evangelischen Jugend in Bayern war es die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands, die ihre Verbundenheit mit dem nun bedrohten Staat Israel bekundete. S. a. Meldung „Evangelische Jugend betont Verbundenheit mit Israel“, in: Epd.ZA Nr. 125 vom 5. 6. 1967. 28 So Meldung „Evangelische Landjugend in Bayern will Kibbuz-Kinder aufnehmen“, in: Epd.ZA Nr. 124 vom 3. 6. 1967. 29 KJ 1967 (94/1969), 125 f. – Der Aufruf, den u. a. A. Freudenberg, M. Stöhr und W. Wirth unterzeichneten, wurde auch dem KA zugesandt (EZA 6/1585). – Auch dok. bei: O.Vf., Zur Dokumentation, 15. – Vgl. Meldung „Christen sollen für Frieden zwischen Arabern und Israelis eintreten“, in: Epd.ZA Nr. 121 vom 31. 5. 1967. 30 S. a. Beckmann, Nahost-Konflikt; O.Vf., Der Krieg, 339; und ders., Auf der Suche nach Frieden, 374.
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Vielzahl an evangelischen Appellen aus der zweiten Jahreshälfte ist nicht zu überblicken, seien es Aufrufe der evangelischen Jugendverbände31, seien es prominente Kirchenmänner wie Heinrich Grüber, die sich bei den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit oder der DIG für Israel stark machten.32 Aufgrund der anhaltenden Debatten zwischen proisraelischen und propalästinensischen Protestanten ab dem Jahr 1968 steigerte sich die Zahl an Erklärungen, Bücher und Zeitschriftenartikel noch einmal ins nahezu Unermessliche. Deshalb kann hier nur ein Teil der Verlautbarungen herausgegriffen werden. Am ersten Kriegstag, am Montag, den 5. Juni 1967, oblag es dem neuen EKD-Ratsvorsitzenden Hermann Dietzfelbinger, eine kurze Erklärung an die Öffentlichkeit und an die Kirchengemeinden zu richten: „Der offene Ausbruch von Haß und Verbitterung zwischen den Israelis und den arabischen Völkern ist für alle Menschen Anlaß zu einem großen Erschrecken und muß uns alle demütigen. Außerdem berührt uns als Christen die Tatsache tief, daß die Stätten der biblischen Geschichte, an denen Jesus Christus den Menschen den Frieden Gottes offenbar gemacht hat, erneut in Kriegsgeschehen hineingezogen werden. Laßt uns in diesen Tagen ernsthafter als bisher zu Gott um die Gabe und die Kraft seines Friedens flehen. Im Gedenken an die Völker, die von einem Krieg bedroht sind, bitten wir die Politiker dringend, in der Verantwortung vor Gott und den Menschen alles zu tun, eine große Katastrophe von der Welt abzuwenden.“33
Mit einem Aufruf zu Fürbittgottesdiensten endete die Erklärung. Kennzeichnend war, dass der Ratsvorsitzende die Ereignisse als normales Kriegsgeschehen auffasste, indem er aller kriegsbedrohter Völker unterschiedslos gedachte. Auch wenn Dietzfelbinger bewusst jede Konkretion vermied, erinnerte sein Hinweis auf andere kriegsbedrohte Völker an Vietnam, den anderen Krisenherd dieser Zeit. Auffallend an der Erklärung war zudem, dass die spezifisch christliche Betroffenheit primär über die Sorge um die Heiligen Stätten zum Ausdruck kam. Dietzfelbingers Verlautbarung spiegelte ein Verständnis von Kirchenleitung wieder, für das politische Neutralität konstitutiv war. Der Ratsvorsitzende wollte weder zugunsten der Israelis noch der Araber Partei ergreifen. Von einer besonderen Verpflichtung der Deutschen oder der Christen gegenüber dem jüdischen Staat sprach Dietzfelbinger nicht. Darin unterschied er sich von seinem EKD-Vorgänger Kurt Scharf, blieb jedoch seinen eigenen Vorgaben treu. Der bayerische Landesbischof hatte sich schon 31 S. a. Meldung „Appell der evangelischen und katholischen Jugend“, in: Epd.ZA Nr. 126 vom 6. 6. 1967. 32 Vgl. Meldungen „Aufruf zu Geld- und Sachspenden“, in: Epd.ZA Nr. 126 vom 6. 6. 1967; „Propst Grüber: Auch den arabischen Flüchtlingen helfen“, in: Epd.ZA Nr. 134 vom 15. 6. 1967; und H. R. [!], Israel. – Vgl. o.Vf., In Sorge; Zmf. d. Pos. v. H. Grüber. 33 Dok. in: KJ 1967 (94/1969), 126. – Auch abgedr. bei: Christoph, Kundgebungen, Bd. 2, 264; Dietzfelbinger, Aufruf; und o.Vf., Der Krieg, 339. – Vgl. Meldung „Eine große Katastrophe von der Welt abwenden“, in: Epd.ZA Nr. 126 vom 6. 6. 1967.
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1960 gegen den von ihm wahrgenommenen Trend des christlich-jüdischen Dialogs gewandt, aus Römer 9 – 11 ein Plädoyer gegen den Antisemitismus oder für die Förderung des deutsch-israelischen Verhältnisses herauszulesen. Der Dienst des neuen Gottesvolkes am alten bestand für den Landesbischof darin, „Israel zum Glauben [zu] reizen.“34 Damit hatte er 1960 allen Versuchen, aus der biblischen Heilsgeschichte politische Forderungen zu kondensieren, eine Absage erteilt. Am Abend des 5. Juni entgrenzte Dietzfelbinger bei seiner Ansprache im Bayerischen Rundfunk noch einmal die israelisch-arabischen Auseinandersetzungen zu einem allgemeinen Konflikt, der seine Ursache in persönlicher Unversöhnlichkeit hatte: „Schon daß wir Frieden unter uns schaffen und halten, ist nicht ohne Bedeutung. Große Kriege entstehen oft aus kleinen Spannungen, nationalistischen Übersteigerungen, aus Rachegefühlen, die sich unvermerkt zu einem reißenden Strom sammeln.“35 Die Nachricht vom Beginn des Nahostkriegs am 5. Juni veranlasste Landeskirchen und Kirchengemeinden am Abend des ersten Kriegstages Fürbittgottesdienste abzuhalten, die von ihrer Botschaft her je nach Veranstalter variierten.36 Weitere Friedensgottesdienste fanden unter der Woche und insbesondere am Sonntag, dem 11. Juni, statt. Die Kollekten wurden in der Regel den Notleidenden des Krieges zugeführt. Die West-Berliner Protestanten erfuhren vom Kriegsausbruch, als die öffentliche Wahrnehmung von den Studentenunruhen dominiert war. In der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fand am 5. Juni um 23 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst mit Bischof Scharf, Monsignore Erich Klausener und Oberrabbiner Cuno Chanan Lehrmann statt. In der Fürbitte ergriff Scharf im Gegensatz zu Dietzfelbinger sehr wohl Partei und rief den „Hirte(n) Israels“ um Rettung für sein Volk vor der arabischen Bedrohung an: „Die arabischen Nachbarn Israels […] bestreiten das Lebensrecht der Juden in Palästina. Das jüdische Volk, kaum daß es sich wieder in Palästina gesammelt hat, soll erneut dem Untergang überantwortet werden. Wir flehen dich an für Israel: Stelle den Frieden her an seinen Grenzen!“
Ferner wusste das Gebet darum, dass die Christen in Deutschland wegen der nationalsozialistischen Verbrechen mitverantwortlich für die Sicherheit der Israelis seien. Dann bat der Bischof um die Bewahrung der jungen Freiwilligen, die auch während des Krieges in Israel zu bleiben gedachten, um in den Kibbuzim und an anderen Orten zum Aufbau des Landes beizutragen – womit in erster Linie Aktion Sühnezeichen gemeint war. Schließlich hoffte Scharf auf die Einsicht der arabischen Staaten, dass sie erkennen würden, „daß der Krieg 34 Dietzfelbinger, Auftrag, 84; Bischofsbrief vom 10. 3. 1960. 35 Zit. bei: Meldung „Bitten wir Gott, die Welt in Frieden zu erhalten“, in: Epd.ZA Nr. 126 vom 6. 6. 1967. 36 So Meldung „Fürbitte für den Frieden im Nahen Osten“, in: Epd.ZA Nr. 125 vom 5. 6. 1967.
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auch sie tödlich bedroht.“37 Scharfs aktuelle Parteinahme zugunsten der Israelis hinterließ bei Beobachtern den Beigeschmack, dass Christen und Juden gemeinsam „für einen Sieg Israels beteten.“38 Positiv erlebte allerdings Friedrich-Wilhelm Marquardt diesen christlich-jüdischen Gottesdienst – genauso wie den elf Tage später.39 Er lobte am Gottesdienst des 5. Juni die Spontaneität und die Emotionalität der christlichen Solidarität zum Staat Israel: „Der äußere Dialog zwischen Juden und Christen wurde hier vom inneren Dialog des gespaltenen Gottesvolkes mit Gott bereits überboten.“40 Ähnlich wie sein bayerischer Amtsbruder kommentierte auch Scharf in einer Rundfunkansprache den Kriegsausbruch, allerdings hatten seine Worte im Sender Freies Berlin eine etwas andere Stoßrichtung. Der Bischof sprach von „dämonische(n) apokalyptische(n) Perspektiven“, die in dem arabischen Hass auf das jüdische Volk zum Tragen kämen und gegen die „angebetet werden“ müsse. Damit wurde die Solidarität zum bedrohten Israel – zwischen Staat und Volk wurde nicht differenziert – zu einer primären Glaubenspflicht und die arabische Welt zum endzeitlichen Feind Gottes erklärt: „Es geht nicht nur um die Wiederherstellung des Friedens im Nahen Osten, sondern um die Bewahrung des Volkes Israel als eines Volkes von heilsgeschichtlicher Bedeutung.“41 Neben seiner Erklärung als EKD-Ratsvorsitzender schrieb Dietzfelbinger in seiner Eigenschaft als bayerischer Landesbischof am Tag darauf, dem 6. Juni, seinen Pfarrern, dass die Christen auch angesichts des derzeitigen Krieges die Aufgabe hätten, „das Wort von der Versöhnung zu verkündigen“ und für den Frieden zu beten. Was die materielle Unterstützung anging, warnte der Landesbischof vor Einseitigkeit: „Wie in Vietnam, so wird auch im Nahen Osten darauf geachtet werden müssen, daß Betroffene in beiden Lagern sind und daß auf beiden Seiten Christen in Bedrängnis geraten.“ Neben den arabischen Einrichtungen des Jerusalemsvereins seien auch solche Kibbuzim zu bedenken, die mit kirchlichen Gruppen in der Bundesrepublik in Kontakt stünden. Im Blick auf politische Verlautbarungen oder öffentliche Sympathiekundgebungen sollten die Pfarrer äußerste Vorsicht walten lassen: „Einseitige Stellungnahmen, so begründet sie sein mögen, können auch in falscher Weise politisch mißbraucht werden und neue Zwietracht schüren.“42 Unter Heranziehung eines Midrasch-Zitates betonte der Landesbischof, dass es nicht im Willen Gottes liege, zusammen mit den Siegern zu jubeln. Diese Ausführungen 37 Scharf, Israel-Fürbitte. – Vgl. o.Vf., Der Krieg, 339; O.Vf., In Sorge (Zmf. d. Pos. v. K. Scharf); und Zimmermann, Scharf, 129. 38 Deutschkron, Verhältnis, 339. 39 S. a. Teil II, 3.3.3. 40 Marquardt, Christentum [1970], 244. 41 Zit. nach Zimmermann, Scharf, 129 f. – Der gleiche Text ist auch abgedr. bei: Karnetzki, Charismatiker, 24 f. 42 Dietzfelbinger, Auftrag, 232 f; Bischofsbrief vom 6. 6. 1967. – Vgl. Meldung „Für die Not der Menschen engagieren“, in: Epd.ZA Nr. 128 vom 8. 6. 1967.
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erwecken den Eindruck, als seien sie bewusst gegen Scharf gerichtet und dem Versuch geschuldet, ein Übergreifen der West-Berliner ,Zustände‘ auf Bayern zu verhindern. Nach Dietzfelbinger und Scharf beeilten sich weitere kirchenleitende Personen Erklärungen zum Frieden abzugeben. Der badische Landesbischof Hans-Wolfgang Heidland, der Kieler Bischof Friedrich Hübner und sein oldenburgischer Amtsbruder Gerhard Jacobi sowie die Kirchenpräsidenten der hessen-nassauischen und der pfälzischen Landeskirche, Wolfgang Sucker und Theodor Schaller, nahmen den zweiten Kriegstag, den 6. Juni, zum Anlass, die Christen an ihre weltweite Friedenspflicht zu erinnern. Schaller verglich den jetzigen Nahostkrieg mit den militärischen Auseinandersetzungen in Vietnam, welche ,uns‘ ähnlich erschüttert hätten. Demgegenüber betonte der Hannoversche Landesbischof Hanns Lilje, dass sich beim neuen Krieg die Gebrechlichkeit der Weltordnung „brutaler und unmittelbarer“ manifestiere als bei der schon seit Jahren bestehenden Vietnam-Krise. Gerade weil ein Krieg im Nahen Osten den Christen mehr bewege als in einer anderen Krisenregion, sei die Gefahr gegeben, dass hierbei „auch unsere Emotionen geweckt“ und der „Haß“ auch auf „uns“ übergreife.43 Liljes Haltung war nicht nur mit der seines lutherischen Amtsbruders aus Bayern vergleichbar, indem sich der Hannoveraner jeder Parteinahme enthielt. Mit den letzten Worten warnte Lilje vielmehr vor einer persönlichen Positionierung auf eine Seite der Kriegskontrahenten, weil dadurch der ,Hass‘ aus dem Nahen Osten übernommen werde. Der württembergische Bischof Erich Eichele folgte seinen Amtskollegen erst später mit einer eigenen Stellungnahme nach, wobei er im Gegensatz zu diesen Partei ergriff und sich auf die Seite derer stellte, die sich im Kriegsgeschehen mit dem Staat Israel solidarisierten. In der Stuttgarter Stiftskirche betonte Eichele, dass das Lebensrecht der Juden in Palästina jetzt wie einst in Nazi-Deutschland von Vernichtung bedroht sei.44 Für Donnerstag, den 8. Juni, reiste Dietzfelbinger nach Berlin und predigte in seiner EKD-Funktion bei einem Abendgottesdienst in der Kaiser-WilhelmGedächtniskirche – drei Tage nach Scharfs christlich-jüdischem Fürbittgottesdienst im selben Gotteshaus. Im Auftrag des Rates der EKD, der am gleichen Tag zu einer Sitzung zusammengekommen war, nahm Dietzfelbinger erstmals darauf Bezug, dass der den israelischen Juden angedrohte Völkermord von den Deutschen ,nicht mit Gleichmut hingenommen‘ werden könne, auch wenn politische und militärische Nichteinmischung geboten sei. Weil allen Völkern des Nahen Osten das Lebensrecht gebühre und der Staat Israel in seiner Existenz gefährdet sei, müsse man solidarisch sein. Der Landesbischof zeigte freilich auch Verständnis für das Leid, das viele Araber bisher hätten 43 Dok. in: KJ 1967 (94/1969), 127. – Vgl. Meldung „Landeskirchen rufen zu Gottesdiensten für den Frieden auf“, in: Epd.ZA Nr. 127 vom 7. 6. 1967. 44 So Meldung „Eichele: Völkermord kann keinen Konflikt lösen“, in: Epd.ZA Nr. 129 vom 9. 6. 1967.
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erfahren müssen.45 Unter dem Einfluss der anderen Ratsmitglieder war Dietzfelbinger von seinem strikten Neutralitätskurs abgewichen und musste im Wissen um die deutsche Geschichtsverantwortung konzedieren, dass der israelischen Seite doch mehr Solidarität gebührte als der arabischen. Erwin Wilkens46, Oberkirchenrat der EKD-Kirchenkanzlei in Hannover, machte deutlich, dass der der Presse zur Verfügung gestellte Bericht über die Predigt des Ratsvorsitzenden in der Gedächtniskirche „an die Stelle einer solennen Erklärung des Rates selbst“ trete: „Im Blick auf diese Ansprache hat der Rat von einer weiteren formulierten Erklärung zu den Vorgängen im Nahen Osten abgesehen.“47 Nicht Dietzfelbingers unparteiische Friedenserklärung vom 5. Juni wurde zu einer offiziellen Verlautbarung der EKD, sondern seine Ansprache vom 8. Juni, in der er der Verbundenheit mit den bedrohten Juden Ausdruck verlieh. Auf bayerischem Boden setzte Dietzfelbinger allerdings seinen Neutralitätskurs fort. So rief die Landessynode bei ihrer Ansbacher Frühjahrstagung am 8. März 1968 zum globalen Frieden auf und ordnete den weiterhin schwelenden Nahostkonflikt neben Vietnam, Nigeria und Sudan allgemein in die Krisenregionen dieser Welt ein. Der Begriff ,Israel‘ kam gar nicht erst vor, von bedrohten Juden war nicht mehr die Rede. Bewusst wurden politische Analysen oder gar Schuldzuweisungen unterlassen: „Wir Christen sind nicht Schulmeister der Weltgeschichte, nicht Besserwisser und nicht auch Politiker“, fasste Dietzfelbinger diese Grundhaltung zusammen.48
3.3.3 „Gottes Verheißung“: Aufruf der West-Berliner Kirchenleitung Neben dem ökumenischen Gottesdienst in der Gedächtniskirche kam Bischof Scharf mit Monsignore Klausener und Oberrabbiner Lehrmann am 16. Juni noch einmal zusammen, diesmal in der voll besetzten Synagoge in der Berliner Pestalozzistraße. In seiner Ansprache berichtete Scharf von einem Tonband, das der Leiter von Aktion Sühnezeichen (ASZ) in Jerusalem, Diakon Otto Schenk, nach Berlin gesandt hatte. Auf dem Band sprach Schalom Ben45 So EKD, Rechenschaft, 1968, 87 f. – Zmf. d. Pos. v. H. Dietzfelbinger auch abgedr. bei: Christoph, Kundgebungen, Bd. 2, 265; EKD, Lage; O.Vf., Der Krieg, 339; und o.Vf., In Sorge. – Vgl. Meldung „Rat der EKD: Israels Lebensrecht muß anerkannt werden“, in: Epd.ZA Nr. 128 vom 9. 6. 1967. 46 E. Wilkens selbst befürchtete, die christliche Israelsolidarität könne nach dem für Israel erfolgreichen Sechstagekrieg zu einem neuen christlichen Militarismus führen, wenn bejaht werden würde, dass das auf sich allein gestellte Israel für sein Lebensrecht notfalls mit Gewalt einzutreten habe, weil die weltweite Völkergemeinschaft die Sicherheit Israels nicht garantieren könne: „Die gefährlichste Schlußfolgerung aus dem Nahost-Krieg wäre es, wollte man dem Krieg wieder Ordnungsaufgaben in der Welt zuweisen“ oder in ihm ein unvermeidbares Mittel der Politik sehen (Wilkens, Schlußfolgerungen). – Vgl. o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375. 47 Schreiben Wilkens‘ vom 12. 6. 1967 (EZA, 6/1585). – Vgl. EKD, Synodalbericht 18, 15. 48 Dietzfelbinger, Ruf.
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Chorin49 über die Freude, welche die Juden empfänden, endlich wieder Zugang zur Jerusalemer Altstadt und zur Klagemauer zu haben. Gleichzeitig, so BenChorin weiter, müssten die Israelis jetzt ihren Beitrag zu Frieden und Versöhnung leisten. In seiner Auslegung des Losungswortes Sprüche 2,6 f ließ Bischof Scharf keine Euphorie angesichts des israelischen Sieges erkennen. Vielmehr war er sich zahlreicher Probleme bewusst: „Der Krieg ist zunächst nur unterbrochen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Nöte unter den beteiligten Ländern sind ungeheuer […] Auch Flüchtlingsnöte haben ein ganz großes Ausmaß angenommen.“50 Hier und in anderen Bereichen gelte es zu helfen. Deshalb griff Scharf die Bitte von ASZ auf, gerade jetzt junge Leute dazu zu ermutigen, im Nahen Osten ihren Dienst zu tun. Während dieses Synagogengottesdienstes wurde auch ein in den Tagen zuvor beschlossener „Aufruf an die evangelischen Gemeinden“ verlesen, mit dem die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (West) bewusst an die Weißenseer Erklärung von 1950 anknüpfte. Damit erhob der Aufruf den Anspruch, die angemessene Konkretisierung des 1950 beschrittenen Weges darzustellen. Das von Scharf verantwortete und von Günther Harder mitverfasste Dokument „sollte“ nach der Einschätzung Rudolf Pfisterers „als eine Verlautbarung der EKD noch während des Sechstagekriegs veröffentlicht werden, ist aber damals in dieser Form nicht zustande gekommen.“51 Unabhängig davon, welche Personen sich wirklich hinter diesem ,sollte‘ verbargen, so ist davon auszugehen, dass sich Scharf innerhalb des Rates der EKD für eine möglichst proisraelisch-theologische Stellungnahme mit offiziellem Charakter stark machte. Weil er dabei nur einen Teilerfolg erzielte, nutzte er seine bischöfliche Autorität zur Lancierung einer West-Berliner Verlautbarung. Diese provinzialkirchliche Erklärung erinnerte die Gemeinden daran, dass aufgrund des UN-Teilungsplanes von 1947 und der Aufnahme Israels in die UNO 1949 der israelische Staat anerkannt sei (Punkt 1). Deshalb müsse man für das Lebensrecht dieses Landes eintreten, wozu auch die freie Schifffahrt am Golf von Akaba zähle (Punkt 2). Der dritte Punkt, dessen erster Satz diejenige Textpassage war, die sich an die Weißenseer Erklärung von 1950 anlehnte, erhielt die meiste Resonanz: „Gottes Verheißung ist über dem von ihm gewählten Volk Israel in Kraft geblieben. Obwohl zum Staat Israel nur ein Teil der Juden in der Welt gehört, ist dieser in die Absichten Gottes mit hineingenommen. Darum bezeugt allenthalben: Wer Israel auslöschen will, widersteht Gottes Verheißung und Willen.“52 49 Zur Tonbandrede Ben-Chorins vgl. v. Hammerstein in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 367. 50 Scharf, Synagogen-Gottesdienst, 327. – Vgl. Gollwitzer, Der Staat Israel [Werke 9], 140; und Zimmermann, Scharf, 130. 51 Pfisterer, Zionismus, 172. 52 EKBB (West), Aufruf. – Auch abgedr. bei: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 361 f; KJ 1967 (94/ 1969), 128. – Textauszüge ferner bei: Meldung „Für Israels Lebensrecht eintreten“, in: Epd.ZA
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Punkt 4 appellierte an die Christen, dem Staat Israel durch persönliche oder finanzielle Hilfeleistung beizustehen. Durch erneutes Schweigen dürfe man keine weitere Schuld auf sich laden (Punkt 5). Abschließend riefen die Verfasser zur Fürbitte auf und wollten dabei namentlich auch der orientalischen Christen gedacht wissen (Punkt 6). Dieser Aufruf enthielt in Punkt 3 die Quintessenz von Scharfs theologischem Staat-Israel-Verständnis, auch wenn seine Aussagen von 1948 dieses in ihrer heilsgeschichtlichen Ausprägung noch übertroffen hatten.53 Auch beim aktuellen Aufruf wurde zwischen Judentum und Staat Israel nur insofern differenziert, als dass letzterer nur von einem Teil der Judenheit gebildet werde. Gleichwohl beinhaltete der Aufruf mit den Punkten 1 und 2 eine ausreichende Begründung westlicher Israelsolidarität: Als völkerrechtlich anerkannter Staat besitze das jüdische Gemeinwesen ein nicht bestreitbares Existenzrecht. Dass der jetzige Aufruf ,harmloser‘ war als Scharfs generelle Position, zeigte sich an seinem Beitrag für das Berliner Sonntagsblatt Die Kirche, in dem der Bischof den zurückliegenden Waffengang und die arabische Drohung mit der Vernichtung Israels als Beispiel der „Dämonie apokalyptischen Kriegsgeschehens“ und damit als Vorwegnahme künftiger endzeitlicher Ereignisse ansah. Der bedrohte Staat Israel gehöre „hinein in die Geschichte des Gottesvolkes des Alten Bundes.“ Auch wenn er es wolle, könne der jüdische Staat kein Staat wie jeder andere sein, weil „der Gott der Geschichte“ auch an der Geschichte des Staates Israel zeige, „daß es ihn gibt.“54 Der von Scharf verlesene Aufruf vom 16. Juni sorgte für heftige Diskussionen. Manche würdigten den Appell als eine israelfreundliche Ausnahme unter den kirchlichen Verlautbarungen weltweit.55 Meist stieß der Aufruf jedoch auf Widerspruch, vor allem wegen seines 3. Punktes. Die Kontroverse drehte sich darum, ob dem Staat Israel eine heilsgeschichtliche Bedeutung zukomme. Die Redaktion der Evangelischen Welt vermisste an dem von Scharf verantworteten Appell den „nüchternen Realismus“ anderer Stellungnahmen und warnte vor der Konsequenz „heilsgeschichtlicher Deutungen des Erfolges der israelischen Waffen.“56 In der Reformierten Kirchenzeitung stellte man Scharfs Votum gar in die Nähe zu „pietistischen Broschüren“.57 Und Rudolf
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Nr. 134 vom 15[!]. 6. 1967; Karnetzki, Charismatiker, 25; Pfisterer, A–Z, 171; und Zimmermann, Scharf, 130. – Zum „Wort zur Judenfrage“ der EKD-Synode von Berlin-Weißensee im April 1950 s. Teil II, 1.4.3, Anm. 204. S. a. Teil II, 1.5.1. Scharf, Friede. – Dass die Existenz Israels eine Art Gottesbeweis darstellte, illustrierte Scharf mit der viel zitierten Anekdote über Friedrich den Großen, der Baron von Kottwitz aufgefordert habe, einen Gottesbeweis zu nennen und als Antwort erhielt: ,Majestät, die Juden!‘ S. a. Teil III, 3.1.2, Anm. 26. So z. B. Malachy, Nein, 100. O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375. Kunath, Israel [2. Teil], 21.
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Weckerling schrieb aus Beirut, dass „unter den arabischen Christen Aufregung über die Erklärung, die Bischof Scharf abgegeben haben soll“, bestünde.58 Um eine sehr ausführliche Widerlegung des bischöflichen Aufrufs bemühte sich der West-Berliner Superintendent Walter Bodenstein, der darin auch die Zustimmung Martin Niemöllers fand.59 Für Bodenstein ließ der Aufruf erkennen, dass hier theologische Aussagen der Politik untergeordnet würden, wodurch die Theologie „ihre Überzeugungskraft“ verliere und in Gefahr gerate, „der religiös maskierte Ausdruck innerweltlicher Einstellung zu werden […] Von daher betrachtet hat der Aufruf zu sehr den Charakter einer einseitigen Sympathiekundgebung für Israel mit einer unverkennbaren Parteinahme gegen die Araber. Die Evangelische Kirche ist aber nicht zum Schiedsrichter zwischen Juden und Arabern aufgerufen.“
Bodenstein problematisierte zudem den Satz, wonach Gottes Verheißung über dem Volk Israel in Kraft geblieben sei. Wenn damit die Verheißung an Abraham gemeint sei, so stehe doch außer Zweifel, dass sie ihre Erfüllung in Jesus Christus gefunden habe. Mit der Kreuzigung Jesu habe das Judentum zu Gottes Weg Nein gesagt. Man solle jetzt den jüdisch-christlichen Gegensatz aus politischen Gründen genauso wenig nivellieren, wie man 1933 die jüdischchristliche Verbundenheit aus politischen Gründen hätte zerreißen dürfen. Problematisch sei vor allem die Wendung, dass der Staat Israel in die Absichten Gottes mit hineingenommen sei, denn jeder Mensch, jedes Ereignis und jeder Staat stehe in einem Bezug zu Gottes Absichten, nicht nur Israel. Eine heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel sei nicht mit der Bibel, auch nicht mit Römer 9 – 11, in Einklang zu bringen. Abschließend echauffierte sich Bodenstein über die prophetisch-politische Autorität, die sich Bischof Scharf anmaße und die weit über das hinausgehe, „was man einer kirchenleitenden Behörde oder Persönlichkeit nach evangelischem Verständnis zubilligen kann.“ Der Superintendent befürchtete hier eine gefährliche Tendenz zur „Verabsolutierung der eigenen Überzeugung […] als der allein gottgewollten und kirchlich legitimen.“60 Den im christlich-jüdischen Dialog Engagierten blieb nicht verborgen, dass Bodenstein neben der Mahnung zur Trennung von Religion und Politik mit einer schroffen Substitutionslehre argumentierte. Deshalb setzte Harder, der an der Abfassung des Aufrufs beteiligt war und diesen nun zu verteidigen gedachte, an diesem Punkt an, indem er gegen Bodenstein den GottesvolkCharakter des heutigen Judentums hervorhob. Harder betonte, dass der neu zu deutende Text von Römer 11 nicht wegen der Ereignisse von 1967 für das 58 So Brief Weckerlings an KA (A. Hohlfeld) vom 20. 6. 1967, Kopie (EZA, 81/2 – 188). 59 Vgl. Brief Niemöllers an A. Freudenberg vom 18. 12. 1967 (ZAEKHN, 62/577). 60 Bodenstein, Betrachtungen. – Die Textpassagen, die die Kirchenleitung deutlich kritisieren, fehlen in der gekürzten Fassung bei: Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468. – Vgl. Meldung „Kritik am Aufruf der Berliner Kirchenleitung zum Nahost-Konflikt“, in: Epd.ZA Nr. 151 vom 6. 7. 1967.
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christliche Verhältnis gegenüber den Juden maßgeblich sei, sondern aufgrund des kirchlichen Versagens angesichts der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Harder wies den Vorwurf zurück, der Aufruf stelle einen Missbrauch des Evangeliums zu politischen Zwecken dar. Nicht die Politik bestimme hier die Theologie, vielmehr habe eine verantwortliche Theologie „ihre Auswirkung im Raum der Politik.“ Was nun den Staat Israel betreffe, so habe es „dem Aufruf völlig fern gelegen, diesen Staat als das Ziel der Wege Gottes mit Israel, als Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie, als Heilsvolk Gottes oder in ähnlicher Weise zu bezeichnen.“ Auch sei von der israelischen Staatsgründung als eschatologischem Ereignis nicht die Rede gewesen. Bodenstein habe daher den Aufruf missverstanden. Die Bedeutung des israelischen Staates liege für die Christen allein darin, dass er von einem Teil der Judenheit gebildet werde und deshalb auch Anteil an der Erwählung habe. Wenn dieser Teil der Judenheit tödlich bedroht sei, müsse die Kirche darauf hinweisen, „daß dies nicht nur Völkermord, sondern Frevel gegen Gott ist.“61 So umfasse die Solidarität gegenüber dem Judentum auch immer den Staat Israel. Die Debatte zwischen Bodenstein und Harder machte nicht nur deren unterschiedlichen theologischen Ansatz offenbar, sondern ließ auch eine Differenz zwischen dem Scharf’schen und dem Harder’schen Staat-Israel-Verständnis deutlich werden. Denn Bodenstein hatte mit seinem Angriff auf den Aufruf Scharfs nicht nur dessen expliziten Wortlaut einer Kritik unterzogen, sondern indirekt auch verschiedene heilsgeschichtliche Äußerungen des Bischofs aus anderen Zusammenhängen an den Pranger gestellt. So konnte Harder sagen, der Superintendent habe den Aufruf missverstanden, weil Harder als Mitverfasser im Gegensatz zu Scharf jede eschatologische Deutung ausschloss. In seinem Bericht vor der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Brandenburg am 22. Juni wollte Scharf den Vorwurf aus dem Weg räumen, er würde jegliches Verhalten der israelischen Regierung für göttlich sanktioniert erachten. Wenn man jedoch von der Judenheit als dem ,erwählten Volk‘ spreche, betreffe das in seinen Augen auch den Staat Israel als einem jüdischen Gemeinwesen. ,Erwählung‘ sei kein Blankoscheck, sondern „will vielmehr sagen: Gott hat die Juden zum Schauspiel gesetzt unter den Völkern, daß Gericht und Gnade an ihnen in exemplarischer Weise offenbar werde.“62 61 Harder, Antwort, 3. – Vgl. den ähnlichen Gedankengang bei: Harder, Erläuterung. – S. a. den gekürzten Text bei: Scharf/Bodenstein/Harder, Israel. – Vgl. zudem Meldung „Kritik an der West-Berliner Kirchenleitung zurückgewiesen“, in: Epd.ZA Nr. 156 vom 12. 7. 1967. – Ähnlich wie Harder nimmt auch R. M. Heydenreich Scharfs Aufruf gegenüber Bodenstein in Schutz: Die Thesen des Superintendenten verrieten „eine bestürzende Ignoranz gegenüber theologischen Wandlungen“ der letzten Zeit, also gegenüber den Fortschritten im christlich-jüdischen Dialog. Die Verfasserin des Artikels selbst sah „in geschichtlichen Entwicklungen Gottes Hand am Werke“, woraus sie folgerte: „Für mich persönlich ist aber auch die Entstehung des Staates Israel ein Signal Gottes in der Geschichte“ (Heydenreich, Antwort, 3). 62 Zit. nach Zimmermann, Scharf, 130. – Es bleibt unverständlich, wen Zimmermann mit den „Evangelikalen [meint], die Israel letztlich als von Gott verstoßen ansehen“ und gegen Scharfs Haltung zum Staat Israel opponiert hätten (Ebd.). Es waren ja gerade die Evangelikalen, die
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Mit diesen Äußerungen erklärte der Bischof den Staat Israel nicht nur erneut zu einer Art Gottesbeweis, sondern gab zudem seiner Überzeugung Ausdruck, dass die jahrhundertelange Verfolgungsgeschichte der Juden ein göttliches Gericht an ihnen sei. Auch wenn Scharf mit seinen Stellungnahmen anlässlich des Sechstagekrieges innerhalb seiner Kirche angefochten blieb, wurde er in den Gruppierungen des christlich-jüdischen Dialogs als mutiges Vorbild geehrt und wegen seiner Verdienste am 25. März 1971 mit der ,Buber-Rosenzweig-Medaille‘ der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet. In der Laudatio von Rolf Rendtorff avancierte der am 16. Juni 1967 in der Synagoge verlesene ,Aufruf der Westberliner Kirchenleitung‘ zum Hauptgrund für die Medaillenverleihung: „Dieser von Bischof Scharf entscheidend mitverantwortete Aufruf ist eine einsame Stimme unter den Verlautbarungen christlicher Kirchen und Organisationen in jenen Tagen geblieben“ und habe sich besonders erfreulich von den ausweichend-unsolidarischen Stellungnahmen des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) abgehoben.63
3.4 Weitere Diskussionen und Entwicklungen 3.4.1 „Weg zum Frieden“: Kirchentag in Hannover (21.–25. Juni 1967) Der 13. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover, zu dem erneut keine Christen aus der DDR anreisen durften, konnte am jüngsten Nahostkrieg nicht vorbeigehen. Das Programm, auch das der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen (Kirchentags-AG), wurde kurzfristig umdisponiert und das Thema ,Frieden‘ stärker herausgearbeitet. Die Veranstaltungen dieser AG erhielten somit Titel wie ,Juden und Christen – ihr biblischer Friedensauftrag‘ oder ,Juden und Deutsche – ihr Weg zum Frieden‘. Die Veranstalter wunderten sich, dass die Kirchentags-AG trotz des israelisch-arabischen Krieges schlechter besucht war als die Arbeitsgruppe ,Bibel und Gemeinde‘. Man konnte sich das nur damit erklären, dass der aktuelle Streit zwischen ,liberaler‘ Theologie und der Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium‘ mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.64 Das verhältnismäßig geringere Interesse an den Themen der Kirchentags-AG stand im Widerspruch zum Selbstverständnis der für den jüdisch-christlichen Dialog Verantwortlichen, stellten diese doch auf dem Protestantentreffen in Hannover ihre Verdienste für die Annäherung von Israels Sieg 1967 als göttliche Bestätigung der heilsgeschichtlichen Rolle des jüdischen Staates ansahen. 63 Rendtorff, Rede, 137. 64 So Rasch, Hannover, 378. – Zur Kirchentags-AG in Hannover 1967 s. Kammerer, Haare, 63 – 71; und O.Vf., Plädoyers. – Zur Bekenntnisbewegung vgl. Hermle, Evangelikale, 333 – 338.
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Juden und Christen und für die bereits zurückliegende Aufnahme der deutschisraelischen Beziehungen heraus.65 Was die Wahrnehmung der öffentlichen Verlautbarungen der verfassten Kirchen betrifft, so bedauerten die Mitglieder der Kirchentags-AG, dass sich die EKD in „keiner klaren“ Weise zum Krieg im Nahen Osten geäußert habe.66 Dietzfelbingers Worte vom 8. Juni, die sich der Rat der EKD zu eigen gemacht hatte, galten aufgrund ihres Verzichts auf theologische Zuschreibungen und des nicht absolut proisraelischen Standpunkts als defizitär. Umso mehr lobte die AG die Stellungnahme der WestBerliner Kirchenleitung, zumal Günther Harder als Mitverfasser des Scharf ’schen Aufrufs ein starkes Gewicht in der Kirchentags-AG besaß. Die Kollekte des Eröffnungsgottesdienstes vom Mittwochabend kam den israelischen und arabischen Kriegsopfern unter der Zivilbevölkerung zugute, während die Spendeneinnahmen bei den Veranstaltungen der Kirchentags-AG dem ,Haus Pax‘ von Aktion Sühnezeichen zur Verfügung gestellt wurden.67 Bei den Referaten und Diskussionsrunden der AG kamen unterschiedliche Stimmen zu Wort, von denen hier nur einige wiedergegeben werden. Robert Raphael Geis dankte den Deutschen für ihre Solidarität dem israelischen Staat gegenüber, warnte aber davor, das heutige Israel mit dem biblischen Gottesvolk gleichzusetzen und die militärischen Auseinandersetzungen als ,Heiligen Krieg‘ im Sinne des Alten Testaments zu werten. Es habe sich beim Sechstagekrieg vielmehr um einen rein profanen Defensivkrieg gehandelt: „Verteidigungskrieg – in Ordnung; es blieb nichts anderes übrig, sonst würden wir schon nicht mehr existieren.“68 Die eigentliche Schuld am Ausbruch des jüngsten Krieges liege bei den USA. Weil die Sowjetunion dem US-Engagement in Vietnam zu wenig entgegenzusetzen wisse, habe sie die Araber in ihrer Gegnerschaft zu Israel unterstützt. Die Ausführungen von Geis wurden dahingehend kritisiert, dass er die USA zum alleinigen Sündenbock mache.69 Friedrich-Wilhelm Marquardt betrachtete deutlicher als Geis die heutigen Israelis als ein Teil der Judenheit in Kontinuität zu dem seit alters her bestehenden Volk Gottes. Deshalb hätte auch der Gott Israels beim Verlauf des Sechstagekrieges seine Hand im Spiel gehabt. Gleichzeitig wandte sich Marquardt angesichts endzeitlicher Voten aus dem Publikum gegen die Vorstel65 S. a. Gollwitzer in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 300. – S. a. Reichmann in: ebd., 321: „Noch zur Zeit des Berliner Kirchentages erschien diese Anknüpfung diplomatischer Beziehungen ein kühner Vorschlag, für den sich gerade deshalb diese Arbeitsgemeinschaft in einer Entschließung einsetzte.“ 66 Goldschmidt in: ebd., 361. 67 S. a. Meldung „Kollekten für Nahost und Vietnam“, in: Epd.ZA Nr. 138 vom 21. 6. 1967; „,Aktion Sühnezeichen‘ sammelt für Israel“, in: Epd.ZA Nr. 141 vom 24. 6. 1967; und Gollwitzer in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 313. 68 So Geis in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 305. – Vgl. Meldung „Rabbiner Geis: Das heutige Israel kein ,Gottesvolk‘“, in: Epd.ZA Nr. 140 vom 23. 6. 1967. – Man beachte, dass die Überschrift der epd-Meldung mehrdeutig ist und in einer Weise formuliert ist, dass es antijüdischen Ressentiments entgegenzukommen scheint. – Vgl. zudem Geis, Friedensauftrag. 69 So Beckmann, Nahost-Konflikt.
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lung, in den israelisch-arabischen Auseinandersetzungen würden sich alttestamentliche Weissagungen im eigentlichen Sinne erfüllen. Denn die biblischen Propheten sprächen über ihre Gegenwart oder die nahe Zukunft: „Es gibt keine Voraussagen über Jahrhunderte hinweg und also auch nicht für uns die Gelegenheit, […] an den Ereignissen unserer Gegenwart abzulesen, ob alttestamentliche Prophezeiungen jetzt eingetreten sind oder anfangen einzutreten.“70 Marquardt wollte die Verheißungen der Bibel nicht mit den gegenwärtigen Tagesereignissen in eins setzen. Indem er jedoch hervorhob, dass die jüngsten Geschehnisse an alttestamentliche Texte ,erinnerten‘, rekurrierte er auf ein gegenständliches bzw. metaphorisches Textverständnis. Während ein israelischer Gast der Ansicht widersprach, die arabischen Drohungen seien nicht ernst zu nehmen gewesen,71 warb der ehemalige Jerusalemer Propst Carl Malsch, der bereits zuvor kritisierte, dass bei den Kirchentagsveranstaltungen der muslimische Gesprächspartner fehle, um Verständnis für den arabischen Standpunkt. Mit ihm meldete sich eine Stimme der ,alten‘ Palästinamission zu Wort, die sich in den nächsten Jahren mehr und mehr mit den Voten der israelkritischen ,neuen Linken‘ decken sollte. Malsch wies auf die nur schwer zu verkraftenden Gebietsverluste der Araber in Palästina seit dem Beginn der zionistischen Einwanderung hin. Er räumte aber ein, dass die arabische Politik nicht immer von Klugheit gekennzeichnet sei: „Araber denken oft in dem Verhältnis: alles oder gar nichts. Das ist ihre kindische, ihre kindliche Auffassung von Politik.“72 Von den Denkvoraussetzungen der Araber her müsse man aber verstehen, dass die mehr als eine Million73 palästinensischer Flüchtlinge von 1948/49 in ihre Heimat zurückwollten. Zuletzt forderte Malsch die Bundesregierung zur strikten Neutralität auf, ohne selbst neutral, sondern bewusst parteiisch zu sein. Diese Widersprüchlichkeit rechtfertigte er mit der von ihm diagnostizierten proisraelischen Einseitigkeit in der Bundesrepublik.74 Helmut Gollwitzer problematisierte auf dem Kirchentag den vielfach kolportierten Begriff des ,Präventivkriegs‘, der einen etwas anrüchigen, aggressiven Beigeschmack erhalten hatte. Von daher versuchte er Israels Vorgehen als bloße Verteidigung zu charakterisieren, indem er konstatierte, dass ein 70 Marquardt in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 306. 71 So Rabau in: ebd., 345. – Vgl. Meldung „Für den Frieden zwischen Juden und Arabern“, in: Epd.ZA Nr. 141 vom 24. 6. 1967; und o.Vf., Plädoyers. 72 Malsch in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 347. – S. a. ebd., 311. – Vgl. Meldung „Für den Frieden zwischen Juden und Arabern“, in: Epd.ZA Nr. 141 vom 24. 6. 1967; und o.Vf., Plädoyers. 73 Mit dieser Zahl orientierte sich der ehemalige Propst an den arabischen Angaben, von denen er auch bei anderen Vorträgen ausging (s. Malsch/Hoppe, Araber, 6). – Unter Berücksichtigung britischer Berechnungen muss man eher von 700 000 Vertriebenen sprechen (s. Teil II, 1.2). 74 Bereits am 14. Juni stellte Malsch in Berlin fest: „Wir Deutschen haben ein sehr genaues Bild von dem Recht, das Israel zukommt, aber nur sehr wenige von uns haben das Unrecht wahrgenommen, das den Arabern in den letzten 20 Jahren angetan wurde“ (Malsch/Hoppe, Araber, 7).
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„Schlag gegen jemanden, der mir das Messer an den Hals setzt, bevor er mir das Messer in den Hals sticht“, keine Prävention, sondern schlichte Notwehr sei.75 Angesichts des bedrohten Israels relativierte Gollwitzer sogar die ansonsten von ihm favorisierte Position des Pazifismus, indem er dem jüdischen Staat ein Recht auf Selbstverteidigung zugestand.
3.4.2 „Proisraelisch, nicht antiarabisch“: Helmut Gollwitzer Dass Gollwitzer weiterhin dem Pazifismus nahe stand, verdeutlichte seine harsche Kritik am Vorgehen der USA im Vietnamkrieg, den er erst kürzlich, am 16. Juni 1967, auf einer Veranstaltung der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in München als „Kolonialkrieg“ und – bezugnehmend auf die Lehre vom ,bellum iustum‘ – als ,ungerechten‘ Krieg dechiffriert hatte.76 Aufgrund der aktuellen Lage bezog der Theologieprofessor entgegen der ursprünglichen Planung im Anschluss an das Vietnam-Referat zum israelischarabischen Krieg Stellung. Als der Christian-Kaiser-Verlag das Referat zusammen mit den spontanen Äußerungen publizieren wollte, verweigerte Gollwitzer die Veröffentlichung seiner aktuellen Nahost-Aussagen. Stattdessen ließ er seine Ausführungen zu Vietnam zusammen mit dem älteren Aufsatz „Der Staat Israel und die Araber“ abdrucken, der 1963 und 1964 in den Zeitschriften DISkussion und Stimme erschienen war.77 Diese Aussagen aus einer Zeit, in der noch keine deutsch-israelischen Beziehungen bestanden, hielt Gollwitzer für geeignet, in die neue Situation nach dem Sechstagekrieg hineinzusprechen. Gleichwohl ergänzte er den Aufsatz mit einem am 10. August verfassten aktuellen Nachwort. Der erneut publizierte Text ging von der Maxime aus, „daß pro-israelisch sein nicht bedeutet, anti-arabisch zu sein“, und umgekehrt.78 So als würde er ein arabisches Publikum ansprechen, versuchte Gollwitzer die Sichtweise der Araber, die er durch keine Quellen belegte, zu korrigieren. Für den Frieden sei es notwendig, dass die Araber von ihrem Rechtsempfinden abrücken und den Istzustand anerkennen würden, gerade im Blick auf die Flüchtlingsfrage: „Man kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen […] Fruchtbar und 75 Gollwitzer in: DEKT Hannover, Dokumente, 1967, 346. – S. a. ebd., 364: Er selbst neige zum Pazifismus, „habe mich aber bisher nicht entschließen können, diese Position als die christlich allein mögliche anzusehen […] Wer Israel das Recht der Selbstverteidigung abspricht, der möge zuerst in Deutschland mit allen Konsequenzen dafür eintreten, daß der deutsche Staat das Recht der Selbstverteidigung aufgibt.“ 76 Gollwitzer, Vietnam, 54. – Herv. aufgehoben. – Zu dieser Schrift Gollwitzers vgl. Kickel, Land, 187 f; und Vogt, Israel-Kritik, 30 f. 77 Gollwitzer, Vietnam, 55 – 95. –S.a. ders., Der Staat Israel [1963]; und ders., Der Staat Israel [1964], 73 – 84. 78 Gollwitzer, Der Staat Israel [Werke, Bd. 9], 103. – Statt „pro-israelisch“ steht in der früheren Fassung „proisraelitisch“ (ders., Der Staat Israel [1964], 73).
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möglich ist nur noch eines (und das gilt ebenso für die Deutschen in der OderNeiße-Frage!): vom status quo aus nach vorn zu denken.“ Im Gegensatz zu den Arabern scheine Israel eher zu einem Frieden bereit zu sein. Hier gebe es keinen antiarabischen Hass. Gollwitzer ging davon aus, dass die weltweite Staatengemeinschaft an einem dauerhaften Frieden interessiert sei, „weil für die Menschheit schlechthin die moralische Verpflichtung besteht, eine zweite Judenausrottung nicht mehr zuzulassen.“ Dass sich die Menschheit für die Erhaltung des Staates Israel einsetze, könne er „nur von einem Standort aus begründen, der nicht von allen geteilt wird, nämlich von dem Satz des Propheten Sacharja [12,2]“, wonach derjenige, welcher Israel antaste, Gottes Augapfel antaste.79 Gollwitzer berief sich letztlich auf eine theologische Richtschnur, von der aus er die Nahostgeschehnisse beurteilt. Der Berliner Theologe fügte dem Aufsatz für den Christian-Kaiser-Verlag aktuelle Anmerkungen anlässlich des Sechstagekrieges bei, die er am 10. August 1967 niedergeschrieben und vorab in der Zeitschrift Stimme veröffentlicht hatte.80 Der Verfasser zog sein Resümee aus den deutschen Reaktionen auf den israelischen Waffengang: Weil Israels Sieg durch militärische Stärke zustande gekommen sei und dies ,imperialistisch‘ gedeutet werden könne, habe sich bei linken Studierenden und bei oppositionellen kirchlichen Gruppen im Gegensatz zu den ersten Solidaritätsbekundungen die Stimmung gegenüber Israel wieder gewandelt – „also gerade in den Kreisen, die in früheren Jahren durch ihre Sympathie und ihre Verantwortung für Israel gekennzeichnet waren.“ Gollwitzer warnte davor, sich aufgrund einer wachsenden Antipathie gegen die US-Politik in einen Antiisraelismus hineintreiben zu lassen. Die Imperialismus-These sei eine „Neuauflage des alten Mythos von der zionistischen Weltverschwörung.“81 Nun versuchte der Verfasser die ,linken‘ Fehleinschätzungen des Sechstagekrieges zu widerlegen und stellte ihnen seine ,Tatsachen‘ gegenüber :82 Man könne aufgrund der langjährigen arabischen Drohungen nicht von einer israelischen Aggression sprechen, da der Kriegszustand seit 1948 andauere: „Wer Israel der Aggression anklagt, möge – immer mit einem Blick auf die Landkarte, auf diese militärisch so unmöglichen Grenzen! – sagen, was er anstellte der israelischen Regierung getan hätte.“ Indem Gollwitzer konstatierte, dass die israelischen Kampfhandlungen „nicht ein Präventivkrieg, sondern das Zurückstoßen eines schon am Halse sitzenden Messers“ gewesen seien, griff er das Bild auf, das er bereits auf dem Kirchentag in Hannover gebraucht hatte.83 Nun appellierte Gollwitzer an die Christen, auch den Staat Israel in die Neubesinnung auf das jüdisch-christliche Verhältnis einzubeziehen. Bevor man 79 80 81 82 83
Gollwitzer, Der Staat Israel [Werke, Bd. 9], 117 f.115 u. 116. S. a. Gollwitzer, Zum Nah-Ost-Konflikt. Gollwitzer, Der Staat Israel [Werke, Bd. 9], 134 u. 137. S. a. ebd., 135 – 138. – Abschnitt auch abgedr. bei: Vogt, Israel-Kritik, 132 f. Gollwitzer, Der Staat Israel [Werke, Bd. 9], 136 f. – S. a. Teil II, 3.4.1.
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polemisch verkündige, dass die alttestamentlichen Landverheißungen in Christus erfüllt seien, habe man sich intensiver mit der Rolle des Landes im Judentum zu beschäftigen. Die Kirche müsse zumindest den Staat Israel als eine „Größe von theologischer Relevanz für die Christen“ anerkennen. Darum habe die Kirchenleitung von West-Berlin richtig gehandelt, als sie sich mit dem bedrohten Israel solidarisierte, „wogegen leider der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sich nicht zu einem ähnlichen Wort entschließen konnte.“84 Abschließend wies Gollwitzer darauf hin, dass die von ihm propagierte Israelsolidarität nicht identisch sei mit einer bedingungslosen Akzeptanz jeder politischen Entscheidung der Regierung Israels. Gleichwohl lehnte er einseitige Verlautbarungen wie die des Arbeitsausschusses der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) als antiisraelisch ab. Vor allem störte sich Gollwitzer an der Weigerung der CFK, politische Konsequenzen aus der Treue Gottes zum jüdischen Volk zu ziehen. Hier entlarvte er die Doppelmoral der CFK, die sonst immer „für die politische Relevanz des christlichen Glaubens“ eintrete, aber im Blick auf Israel auf eine strikte Trennung von Religion und Politik beharre.85
3.4.3 „Keine religiöse Verklärung“: Erklärungen von CFK und ÖRK Der Arbeitsausschuss der von Gollwitzer kritisierten Christlichen Friedenskonferenz (CFK) war am 4. Juli 1967 im Kloster Sagorsk bei Moskau zusammengekommen. Zum Ausschuss gehörte als deutscher Vertreter Oberkirchenrat Heinz Kloppenburg als Vorsitzender des westdeutschen Regionalausschusses der CFK; er war an der Verabschiedung des Textes vom 4. Juli beteiligt.86 In weltpolitischer Hinsicht vertrat die CFK unter der Präsidentschaft des Prager Theologen Josef Hromdka die Interessen der WarschauerPakt-Staaten. Der Ausschuss drang in seiner Erklärung vom 4. Juli 1967 zunächst einmal auf eine strikte Trennung zwischen theologischen und politischen Argumenten: 84 Ebd., 140. 85 Ebd., 142. 86 Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 456. – Zur CFK s. Besier/Boyens/Lindemann, Protestantismus; Casalis/de Graaf/Jacoby, Friedenskonferenz; und Scheerer, Linien. – Den Kritikern der Sagorsker Erklärung gab Kloppenburg zu verstehen, dass diese nicht mit Antisemitismus in Verbindung gebracht werden dürfe. Die Verlautbarung wolle nur verhindern, „daß man den für uns Christen unauflösbaren Zusammenhang der Geschichte des jüdischen Volkes mit der Heilsgeschichte Gottes nicht zu einer unbiblischen Rechtfertigung oder gar Verklärung politischer Entscheidungen benutzt“ (Kloppenburg, Erklärung, 456). Auch würden bereits die biblischen Propheten die Regierung ihres Landes tadeln (weshalb das Christen auch im Blick auf Israel tun dürften). Aufgrund der eigenen Vergangenheit stünden die Deutschen in der Gefahr, die arabische Seite zu ignorieren. Zudem könne man die Erklärung allein deshalb nicht für antijüdisch halten, weil sie mit der Zionismus-Interpretation von Susman (Hiob) übereinstimme (so Kloppenburg, Hinweis, 596).
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„Was auch immer Christen als Volk des Neuen Bundes von der Treue Gottes zum Volk des Alten Bundes zu bezeugen haben, darf sie nicht hindern zu erkennen: Der Staat Israel ist ein moderner säkularer Staat wie jeder andere, dessen Handeln an den Maßstäben der internationalen Verpflichtungen gemessen werden muß, den Frieden zwischen den Völkern zu bewahren. Es ist vor jedem Versuch zu warnen, dem Krieg des Staates Israel eine religiöse Verklärung zu geben.“
Israels militärisches Vorgehen wurde zudem als ,Aggressionskrieg‘ kritisiert. Die CFK-Erklärung bedauerte, dass der Staat Israel wiederholt UN-Resolutionen missachtet habe, und forderte einen Rückzug aus den besetzten Gebieten, die Klärung der Flüchtlingsfrage und den Respekt vor der islamischen Kultur. Israel solle keine Einmischungsversuche ,imperialistischer‘ Weltmächte mehr zulassen: „Die Nahostkrise steht in engem Zusammenhang mit dem Vernichtungskrieg, der von den USA in Vietnam geführt wird, und mit dem Militärputsch in Griechenland […] Sie ist ein Beweis dafür, daß die konservativen Mächte […] sich den Befreiungsbewegungen der Völker widersetzen […] Wer zu Vietnam und Griechenland […] schweigt, hat kein Recht, zu den Fragen des Nahen Ostens zu reden.“87
Indem hier der Nahostkonflikt in den Zusammenhang der ,Befreiungsbewegungen der Völker‘ gestellt wurde, drohte eine Entwicklung, wonach Gegner der US-Außenpolitik und des Vietnamkrieges nahezu automatisch zu Gegnern des israelischen Staates wurden. Dass das nicht im Sinne jener ,Altlinken‘ war, die sich seit Ende der 1950er Jahre um ein gutes deutsch-israelisches sowie christlichjüdisches Verhältnis bemühten, erklärt Gollwitzers oben erwähnte Kritik, wie er sie am 10. August niederschrieb. Das erklärt auch, dass er und fünf weitere westdeutsche Mitglieder88 der CFK die Contenance verloren und einen Tag vorher, am 9. August, eine deutliche Gegenerklärung verfasst hatten. Dabei pochten deren Verfasser auf die theologischen Implikationen der israelischen Staatlichkeit. Christen müssten bezeugen, dass Gottes Treue auch heute über dem jüdischen Volk in Kraft geblieben sei und die Juden im Staat Israel auch unter dieser Verheißung stünden: „Diese im Kirchenkampf notvoll gewonnene theologische Einsicht können wir Christen in Deutschland nicht mehr preisgeben.“ Der Staat Israel könne deshalb nicht einfach mit anderen Staaten auf die gleiche Stufe gestellt werden. Die Gegenerklärung versuchte nun, die gegen Israel vorgebrachten Argumente en dtail zu entkräften. So sei der Staat Israel bereits vor Beginn der letzten Kriegshandlungen in seinem Überleben gefährdet gewesen, da die arabischen Staaten schon lange einen Völkermord angekündigt hätten, welcher an die nationalsozialistische Praxis erinnere. Man forderte die arabischen 87 Rendtorff /Henrix, Dokumente, E.I.8, 346 – 348. – Auch abgedr. bei: CFK, Erklärung [EvW]; Dies., Erklärung [JK]; und dies., Friedenskonferenz. – S.a. CFK/Mitarbeiter der CFK/ Kloppenburg, Blick; Gollwitzer, Vietnam, 100 f; Loerbroks, Weisung, 69 – 72; und Marquardt, Erwählung, 41. 88 Darunter K. Immer, E. Wilm und E. Wolf.
Weitere Diskussionen und Entwicklungen
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Staaten zur Anerkennung der Grenzen Israels (von 1948/49) auf, so „wie vom deutschen Volk erwartet werden muß, daß es die Existenz der Oder-Neiße-Linie anerkennt.“ Auf die Forderung ,Wer zu Vietnam und Griechenland schweigt …‘ erwiderte die Gegenerklärung: „Wer zum Krieg in Vietnam und zur Militärdiktatur in Griechenland nicht schweigt, der darf auch zur Bedrohung Israels – die auch nach dem Waffenstillstand geblieben ist – nicht schweigen.“89 In das gleiche Horn stießen neben den Autoren der Gegenerklärung auch weitere Verfechter der christlich-jüdischen Annäherung. Beispielsweise entdeckte Friedrich-Wilhelm Marquardt wie Gollwitzer den argumentativen Schwachpunkt der CFK in dem Widerspruch, dass sie in allen ihren Stellungnahmen die Einheit von Glaube und Politik beanspruche, diese Einheit aber hinsichtlich des Staates Israel außer Kraft setze.90 Mehr als 20 Jahre später hatte die Debatte um die CFK-Verlautbarung für Rolf Rendtorff einen exemplarischen Charakter erhalten: „Diese Kontroverse zeigt sehr deutlich, welchen Schwierigkeiten sich jede theologische Arbeit an den Fragen des Verhältnisses der Kirche zum Judentum in ökumenischen Gremien gegenübersieht.“91 Denn wenn die christliche Neubesinnung auf das Judentum politische Ergebnisse zeitigte, kam man sofort in Konflikt mit arabischen und palästinensischen Interessen. Gegenüber der CFK-Verlautbarung wurde die „Erklärung zur NahostFrage“ des Zentralausschusses (ZA) des ÖRK als ausgewogener empfunden. Vom 15. bis 26. August kam dieser zu seiner Jahrestagung in Heraklion auf Kreta zusammen. Zu den Teilnehmern aus der Bundesrepublik zählten u. a. Hanns Lilje, Martin Niemöller und Wilhelm Niesel. Da die Mehrheit im ZA das Vorhaben russisch-orthodoxer Kirchenvertreter zu verhindern wusste, den Staat Israel namentlich zu verurteilen und direkt zum Rückzug aufzurufen, hielt man den verabschiedeten Text von Heraklion für neutral und fair. Die Erklärung nannte zahlreiche Voraussetzungen für einen gerechten Frieden, die letztendlich auf eine Herbeiführung des Vorkriegszustandes abzielten: Keine Nation dürfe das Territorium einer anderen annektieren; alle arabischen Vertriebenen müssten in ihre Wohnorte zurückkehren dürfen; der freie Zugang zu den heiligen Stätten müsse allen Religionen eingeräumt werden. Der Text sprach noch nicht von ,Palästinensern‘, sondern von ,arabischen Vertriebenen‘ und der ,arabischen Nation‘. Bei genauerer Hinsicht fällt trotz aller Bemühung um Äquidistanz eine Einseitigkeit ins Auge, insbesondere in diesem harmlos klingenden Satz:
89 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.9, 348 f. – Auch abgedr. bei: CFK/Mitarbeiter der CFK/Kloppenburg, Blick; Gollwitzer, Vietnam, 101 – 103; Mitarbeiter der CFK/Kloppenburg, Verlautbarung [JK], 504 f; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536 f; und dies., Verlautbarung [RKZ]. – S. a. Meldung „Jedem neuen Antisemitismus wehren“ und „Deutsche CFK-Mitglieder protestieren gegen Verurteilung Israels“, in: Epd.ZA Nr. 202 vom 4. 9. 1967. 90 Marquardt, Erwählung, 47. – Ähnlich ders., Christentum [1970]. 91 Rendtorff, Hat denn Gott, 53.
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„Die Araber fürchteten sich vor der Dynamik und einer möglichen Expansion Israels; die Israelis, die gerade der Verfolgung in anderen Kontinenten entronnen waren, fürchteten sich vor den wenigstens mündlich geäußerten Drohungen, daß man sie erneut aus ihrer Heimat vertreiben werde.“92
Hier wurde suggeriert, dass die Furcht der Araber auf einer realen Gefahr beruht habe, während die Angst der Israelis unbegründet gewesen sei. Die vermeintlich einfühlsam beschriebene Schoah-Erfahrung bekam in diesem Kontext den Hautgout einer traumabedingten Realitätsverzerrung. Wegen dieser Einseitigkeit war es naheliegend, dass die Kirchentags-AG die ÖRKErklärung mit Enttäuschung aufnahm. Dietrich Goldschmidt meinte, diese Stellungnahme sei nichts weiter als „eine zweite UNO-Erklärung.“93
3.4.4 „Ein fremdes Volk auf arabischem Boden“: Martin Niemöller Martin Niemöller, der der oben erwähnten Tagung in Heraklion beiwohnte, war nicht nur über seine Mitgliedschaft im Zentralausschuss des ÖRK in Nahostfragen involviert. Dabei publizierte er gar keine profilierten Voten zum israelisch-arabischen Gegeneinander, sondern trat allgemein als Mahner des Friedens auf. In dieser Rolle fungierte er z. B. als Referent bei dem Podiumsgespräch „Israel, Vietnam und die Christenheit“, welches das örtliche Evangelische Bildungswerk zusammen mit der Volkshochschule und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Dortmund am 28. September 1967 veranstaltete. Unter der Leitung von Heinz Kloppenburg waren die Gesprächsteilnehmer Niemöller, Lothar Ahne, Joachim Kanitz und Martin Stöhr. Niemöller, der im nicht-öffentlichen Umfeld94 bereits mitgeteilt hatte, dass er die israelfeindliche Haltung der arabischen Staaten gut verstehen könne, hielt sich coram publico mit israelkritischen Äußerungen zurück. Bei der Veranstaltung in Dortmund plädierte er allgemein für den Frieden und betonte, man könne bei militärischen Auseinandersetzungen wie denen in Vietnam oder im Nahen Osten nicht einfach einen Schuldigen ausmachen.95 Gleichzeitig hob er hervor, dass die Beurteilung des israelisch-arabischen Gegensatzes zu großen Meinungsverschiedenheiten in der Christenheit geführt habe. Kloppenburg hingegen warnte vor einem ,latenten Rassendenken‘, 92 Dok. in: KJ 1968 (95/1970), 413 f, hier 413. – Auch abgedr. bei: ÖRK (ZA), Bewußtsein; Ders., Heraklion; Ders., Nahost-Frage; und ders., Kreta, 459 f. – Vgl. Meldung „Ökumenischer Rat gegen Annexion besetzter Gebiete“, in: Epd.ZA Nr. 193 vom 24. 8. 1967. 93 Zit. bei: Meldung „Enttäuschung über Nahost-Resolution der Ökumene“, in: Epd.ZA Nr. 196 vom 28. 8. 1967. 94 S. u. 95 Vgl. handschriftliches Stichwort-Manuskript Niemöllers (ZAEKHN, 62/640); Brief Niemöllers an A. Freudenberg vom 27. 11. 1967 (ZAEKHN, 62/577); und Meldung „Niemöller : Christen haben nicht zu richten“, in: Epd.ZA Nr. 222 vom 27. 9. 1967.
Weitere Diskussionen und Entwicklungen
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dass man zwar den Arabern einen geplanten Völkermord an den Juden vorwerfe, die Vernichtung der Vietnamesen durch die USA aber nicht missbillige. Niemöllers Auftritt in Dortmund zeigt erneut, dass er hinsichtlich des Geschehens in der Levante seine öffentliche von seiner privaten Meinung trennte, welche sich nicht unbedingt widersprachen, jedoch voneinander unterschieden waren. Gegen die Erwartungen der Erneuerer des christlich-jüdischen Verhältnisses hatte er sich ja in den frühen 1960er Jahren nicht zu einer Teilnahme an proisraelischen Initiativen überreden lassen.96 Nach dem Sechstagekrieg setzte er mit seinen privaten Äußerungen zudem langjährige Freundschaften aufs Spiel. Bereits im Juni 1967 kam es zu einem zeitweiligen Bruch mit dem Ehepaar Adolf und Elsa Freudenberg. Niemöller sagte bei einem gemeinsamen Essen – wie er sich einen Monat später erinnerte –, „daß ich, wenn ich Araber wäre, bestimmt Antisemit wäre, weil hier ein fremdes Volk auf meinem Boden einen Staat gegründet hat, den meine Väter seit 1200 Jahren bewohnt haben.“97 Freudenbergs waren fassungslos. Elsa Freudenberg klagte, dass sie erstmals seit 33 Jahren Niemöller nicht mehr verstehe und darüber sehr traurig sei, „daß Du ernstlich den Juden ihre Heimat bestreitest.“98 Daraufhin machte der ehemalige Kirchenpräsident noch einmal deutlich, dass er „den Staat Israel niemals mit der Heilsgeschichte Israels in Zusammenhang bringen“ könne und er sich danach richte, wo die Menschen am hilfsbedürftigsten seien, und „zweifellos leiden heute in der arabischen Welt mehr Menschen als im israelischen Staat.“99 Mit dem Diktum, dass der zeitgenössische jüdische Staat nicht einmal in einem angedeuteten heilsgeschichtlichen Kontext zum biblischen Israel stünde, stellte sich Niemöller – wie auch die Reaktion der Freudenbergs erkennen ließ – bewusst außerhalb der damaligen Annäherungen von Juden und Christen. In Niemöllers konsequentem theologischem Universalismus war kein Platz für eine partikulare, die Kategorie des ,Landes‘ einbeziehende Erwählung.
3.4.5 „Verdacht der Judenfeindschaft“: Die ,neue Linke‘
Überhaupt wurden selbst eingefleischte Israelfreunde kritischer, als die erste Erleichterung wegen des israelischen Überlebens verflogen war. Als FriedrichWilhelm Marquardt am 5. Januar 1968 vor den Mitgliedern der Kirchentags-AG in Arnoldshain referierte, fand die überall wahrzunehmende Israelsolidarität nicht mehr seine volle Zustimmung. Bei diesem Urteil spielte freilich auch das Phänomen eine Rolle, dass zunehmend konservative Kräfte das Thema, das ursprünglich eine linke Domäne gewesen war, zu okkupieren schienen: 96 97 98 99
S. a. Teil II, 2.4.4. Brief Niemöllers an E. Freudenberg vom 22. 7. 1967 (ZAEKHN, 62/577). Brief E. Freudenbergs an Niemöller vom 28. 6. 1967 (ZAEKHN, 62/577). Brief Niemöllers an E. Freudenberg vom 22. 7. 1967 (ZAEKHN, 62/577).
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„Ich kann nicht absehen von der Kriegs- und Siegesbegeisterung in West-Deutschland. Sie war einmal mehr ein Hinweis auf die in den Seelen der Menschen völlig unverarbeitete Vergangenheit; die Erinnerung an den Blitzkrieg und -sieg gegen Polen im September 1939 gab die Kategorie her, mit der die Leute die Ereignisse des Sommers 1967 faßten.“100
Mit dem israelischen Sieg würden sich die Deutschen von der Verantwortung gegenüber den nationalsozialistischen Verbrechen dispensieren und die arabische Niederlage zu einer Vorwegnahme des künftigen Triumphes über den Kommunismus machen. Nur diese psychologische Konstellation erklärte in Marquardts Augen die öffentliche Anteilnahme im Juni 1967. Vor diesem Hintergrund könne man die antijüdische Gegenreaktion der jungen Linken zwar nicht billigen, jedoch verstehen. Mit seiner psychologischen Deutung traf Marquardt jedoch nicht nur eine Aussage über die neue konservative Israel-Begeisterung, sondern gab in erster Linie einen Einblick in seine persönliche Distanz zum bürgerlichen politischen Milieu. Seine Sätze ließen einen tiefen Ärger darüber vermuten, dass die Konservativen den Linken das Thema ,Israel‘ weggenommen hätten. Wenn seine Deutung zuträfe, dass der Antikommunismus der Westdeutschen die neue Solidarität zum Staat Israel nach 1967 bedingte, dann wäre auch umgekehrt wahr, dass die marxistische Ausrichtung der Linken deren jetzige proarabische und propalästinensische Ausrichtung erklärte. Insgesamt legt sich die Annahme nahe, dass die Affinität zu einer Seite im Nahostkonflikt nicht nur am Verhalten der Kriegsparteien lag, sondern von den Mentalitäten in der Bundesrepublik mitbestimmt wurde. Es war zunächst einmal die außerkirchliche ,neue Linke‘, die sich im Laufe des Jahres 1968 von der Israelsolidarität der frühen 1960er Jahre lossagte.101 Weil der Staat Israel an den besetzten Gebieten festhielt, büßte er bei vielen jungen Menschen, die im Gegensatz zu den ,Altlinken‘ keine persönliche Erinnerungen mehr an die NS-Zeit hatten, seinen moralischen Kredit ein. Diejenigen Stimmen gewannen an Glaubwürdigkeit, die bereits vor 1967 vor einem ,imperialistischen‘ und expansionistischen Israel warnten. Hinzu kam, dass es den Palästina-Araber mit ihren mehrjährigen Bemühungen endlich gelang, als ,Palästinenser‘ und als ein von einer westlichen Kolonialmacht unterdrücktes Dritte-Welt-Volk wahrgenommen zu werden. Die neue Israelkritik kam am stärksten aus den Reihen der Studentenbe100 Marquardt, Christentum [1970], 241. – Der Text ist eine leicht überarbeitete Version des ursprünglichen Vortrags. – Für R. Pfisterer gehört Marquardts Text zur neuen Entwicklung, wonach man sich in „beiden großen christlichen Kirchen“ endlich um Verständnis des Zionismus bemühe (Pfisterer, Zionismus, 136). 101 Vgl. Thoma, Vorläufer, 514: „Ab Sommer 1968 spätestens gibt es die ,neue Linke‘.“ – Zur ,neuen Linken‘ und Israel s. Brosch/Elm/Geissler, Solidarität; Gollwitzer/Kusche, Studenten; Hanloser, Linksradikalismus; Kloke, Linke; Ders., Alptraum; Ludwig, IsraelKritik; Renger, Linke; Stçhr, Dreinreden, 315 – 318; Vogt, Israel-Kritik, 27 – 42; und Weingardt, Nahostpolitik, 194. – Zu den frühen sechziger Jahren s. Teil II, 2.2.1 und 2.2.2.
Weitere Diskussionen und Entwicklungen
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wegung, namentlich aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Nach den Attentaten auf Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke war die Stimmung hier besonders aufgeheizt. Symptomatisch war das Verhalten der radikalisierten Studenten gegenüber Asher Ben-Natan, dem ersten israelischen Botschafter in der Bundesrepublik. Als dieser im Frühjahr 1968 der Verleihung des ,Friedenspreises des Deutschen Buchhandels‘ beiwohnen wollte, wurde der Botschaftswagen vor der Frankfurter Paulskirche von revoltierenden Studenten aufgehalten. Ben-Natan legte die restlichen Meter zu Fuß zurück, „nicht ohne zuvor den Demonstranten zuzurufen, sie benähmen sich wie die Nazis.“102 Der Botschafter sah sich in die Zeit der antisemitischen Ausschreitungen der 1930er Jahre zurückversetzt. Am 9. Juni 1969 wurde der Botschafter bei einer Veranstaltung in der Frankfurter Universität von deutschen und arabischen Studenten aus dem Umfeld von SDS und Al Fatah niedergeschrien, nachdem er erklärt hatte, er würde jeden als ,Nazi‘ bezeichnen, der die Fahne Israels mit Füßen trete. Bei weiteren Veranstaltungen in Hamburg und Nürnberg kam es gar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen proisraelischen und propalästinensischen Teilnehmern. In München, der letzten Station seiner Vortragsreise, wurde Ben-Natan mit einer Parole konfrontiert, die alle „bislang bekannten weitaus in den Schatten stellt: ,Erst wenn in Israel in 50 Supermärkten Bomben explodiert sind, wird dort Frieden herrschen‘.“103 Dieser neue Antiisraelismus, der mit dem Tabu der Immunität eines Botschafters brach, führte zu neuen diplomatischen Spannungen zwischen Israel und der Bundesrepublik. Deshalb wurde Hermann Kunst vom Rat der EKD dazu beauftragt, Ben-Natan mitzuteilen, dass die EKD-Leitung mit Bestürzung „von der unwürdigen Behandlung, die Sie in den vergangenen Wochen an einigen der Universitäten dieses Landes erfuhren“, Kenntnis genommen habe.104 Mit einer kleinen Verzögerung gewann der neue Trend auch bei den Evangelischen Studentengemeinden (ESG) mehr und mehr Anhänger. Während diese einst begeisterte Israelfahrer waren und für den deutsch-israelischen Botschafteraustausch eintraten,105 wurden nun auch hier vermehrt israelkritische Stimmen laut. Das Widersprüchliche lag darin, dass die arabischen Staaten wegen ihrer angeblichen Rechtslastigkeit einst abgelehnt wurden, während man diese jetzt auf der Seite der progressiven Bewegungen lokalisierte. Allerdings bestand das Kontinuum zwischen der früheren und der jetzigen Einschätzung darin, dass man sich in beiden Fällen in der Gefolgschaft der ,Schwachen‘ und ,Bedrohten‘ wähnte. Als Exempel dieser neuen Israelkritik können die ESG-Nachrichten dienen. Hier veröffentlichte man 102 Ben-Natan, Herausforderungen, 36. – S. a. Deutschkron, Verhältnis, 344 f. 103 Kraushaar, Bombe, 102. – S.a. ebd., 89; Geiss, Israel, 575 f; und Stammler, Komplicenschaft. 104 Brief Kunsts an Ben-Natan vom 25. 7. 1969 (EZA, 87/851). 105 S. a. Teil II, 2.2.1 und 2.4.4.
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proarabische Verlautbarungen aus ökumenischen Zusammenhängen wie z. B. die Stellungnahme der World Student Christian Fellowship (WSCF), die sich auf ihrer Tagung in Beirut im Mai 1968 streng antizionistisch artikulierte, die israelische ,Aggression‘ verurteilte und Al Fatah vor dem Terrorismusverdacht in Schutz nahm. Zudem wurde das Leiden der ,palästinensischen Araber‘ (nicht ,Palästinenser‘) mit der Not der Schwarzen in Südafrika auf eine Stufe gestellt.106 Ein Jahr später publizierten die ESG-Nachrichten ein Flugblatt des Hamburger Allgemeinen Studentenausschusses (AStA), dem zufolge die antiisraelischen Ausschreitungen der „Genossen des SDS“ anlässlich der Vorträge Ben-Natans durch „Fanatismus und Militanz“ der ,Zionisten‘ verschuldet worden seien. Ferner war von einem „primitiv-emotionalen Philosemitismus“ die Rede, der „das Schuldgefühl vieler Deutschen“ ausnütze.107 Dass die ESG kein monolithischer Block waren und dieser antizionistische Kurs selbst innerhalb der Gruppierungen nicht unwidersprochen blieb, verdeutlichte die Stellungnahme des Darmstädter Studentenpfarrers Martin Stöhr, der in seiner Kritik am WSCF-Text daran festhielt, „daß die Juden und das Land Israel in einer historischen und theologischen Beziehung stehen, die nicht einfach übergangen werden kann.“108 An anderer Stelle diagnostizierte Stöhr in der Zionismuskritik der jungen Linken sogar einen latenten Antisemitismus: „Es genügt nicht, sich selbst als links oder sozialistisch zu verstehen, um automatisch vom Verdacht der Judenfeindschaft befreit zu sein.“109 Es waren Debatten wie diese, die Stöhr dazu brachten, den Zionismus als „Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes“ zu beschreiben.110 Die Hoch-Zeit des antizionistischen Diskurses innerhalb der ESG begann allerdings erst 1973, als die vom 7. bis 11. Juni durchgeführte Israelreise von Bundeskanzler Willy Brandt scharf angegriffen wurde.111 Nachdem sich die Teilnehmer des Kirchentages in Hannover 1967 einen Schlagabtausch zwischen proisraelischen und propalästinensischen Argumenten geliefert hatten, nahmen die Vertreter des christlich-jüdischen Dialogs auf dem 14. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart vom 16. bis 20. Juli 1969 die Gelegenheit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Antizionismus der ,neuen Linken‘ wahr. Die Kirchentags-AG wurde durch die neuen Entwicklungen zunehmend in Bedrängnis gebracht: „Erklärtermaßen links und erklärtermaßen auf der Seite Israels – die Arbeitsgemeinschaft sitzt zwischen zwei Stühlen.“112 Das Kirchentagspräsidium fürchtete bei einer Thematisierung des Nahostkonflikts Unruhen und verlangte Objektivität, was zur Einladung des Fatah-Vertreters Ali Hassan Salameh führte. Trotz kritischer Zwischenrufe aus 106 107 108 109 110 111 112
So WSCF, Gerechtigkeit. O.Vf, Asher Ben-Natan. Stçhr, Gerechtigkeit, 60. Stçhr, Linke, 277. Stçhr, Pharao, 132 (Untertitel). S. a. Teil IV, 1. Kammerer, Haare, 65. – Vgl. Stçhr, Arbeitsgemeinschaft.
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dem Publikum konnte die AG ihre Vorträge zum israelisch-arabischen Antagonismus durchführen. So betonte Marquardt in seinem Referat, dass der Zionismus nicht nationalistisch, geschweige denn rassistisch, sondern durch und durch jüdisch sei und damit in enger Relation zum Selbstverständnis des Judentums stehe. Eine Spiritualisierung der biblischen Landverheißung wies er deshalb zurück: „Jesus Christus ist nicht Nein, sondern Ja und Amen auf alle Verheißungen. Auch auf diese.“113 Von der Kategorie des ,Landes‘ sei aber die Frage nach dem Staat Israel zu unterscheiden. Dem kritischen Kirchentagspublikum ist es wohl zuzuschreiben, dass Marquardt deutlicher als sonst konstatierte, er selbst würde kein ,heilsgeschichtliches‘ Verständnis der israelischen Staatsgründung vertreten. Seine Ausführungen lassen erkennen, dass Marquardt zum einen eine eschatologische Interpretation ausschließen wollte und zum anderen eine religiöse Überhöhung des israelischen Staatswesens samt seiner Politik abzuwehren gedachte.114 Diese Einschränkungen änderten nichts an der Tatsache, dass Marquardt das Wohnen der Juden im Land mit der Geschichte Gottes in Verbindung brachte und damit eben doch heilsgeschichtlich deutete.115 Marquardt führte die Ursache des neuen linken Hasses genauso wie im Januar 1968 in Arnoldshain erneut in einer etwas monokausalen Herleitung auf den deutschen Konservativismus zurück, der sich in der Gestalt der ,Springer-Presse‘ proisraelisch geriere, um durch die Anteilnahme am israelischen Patriotismus das verloren gegangene Nationalgefühl wiederzugewinnen. Der jüdische Mitarbeiter der Kirchentags-AG, Robert Raphael Geis, verstieg sich in Stuttgart sogar zu der Aussage, dass der nur „vordergründig philosemitisch“ auftretende Medienmogul Axel Springer heute gegen die Linken hetzen würde wie „wie einst die Nazipresse gegen die Juden.“116
113 Marquardt, Zusammenhang, 902. – Kickel (Land, 192) täuscht sich, wenn er den bereits 1968 vorgetragenen Text von F.-W. Marquardt über „Christentum und Zionismus“ für dessen auf dem Kirchentag 1969 gehaltenes Referat hält (Marquardt, Christentum [1970]). 114 S. a. Marquardt, Zusammenhang, 903: „Die Gründung des heutigen Staates Israel ist kein heilsgeschichtliches Ereignis. Sie hat uns dem Reiche Gottes nicht näher gebracht. Sie steht ganz im Zwielicht der Weltgeschichte.“ 115 Zumal Marquardt an anderer Stelle die israelische Siedlungstätigkeit in den 1967 besetzten Gebieten in einen messianischen Kontext gestellt hat. Zur Kritik daran s. Kriener, Landverheißung. 116 Vgl. Geis, Bergpredigt, 878 f: „Wie kann das jüdische Jerusalem sich durch erhebliche Spenden von einem Axel Springer bestechen lassen, ihn als freiheitlichen Demokraten feiern, weil er vordergründig philosemitisch auftritt und mit seinem sehr unwürdigen Wohltätertum verdeckt, daß er in seiner Presse gegen Dutschke und die Linke hetzt wie einst die Nazipresse gegen die Juden?!“ – Vgl. Geis/Marquardt, Gerechtigkeit, 5 – 19. – Beim Wiederabdruck 1971 wurde „Dutschke und die Linke“ ersetzt durch „die Neue Linke“ (Geis, Minorität, 230).
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3.4.6 Die EKD-Studienkommission ,Kirche und Judentum‘ Ohne großes Publikum wie bei den Diskussionen des Stuttgarter Kirchentages 1969 verliefen dagegen die Gespräche in der vom Rat der EKD 1967 einberufenen Studienkommission ,Kirche und Judentum‘.117 Nach einer längeren Vorbereitungszeit nahm sie am 28. November 1968 die Arbeit auf. Damit wurde deutlich, dass die Kirchenleitung die christlich-jüdische Begegnung zu einer offiziellen Sache zu machen gedachte und den Graben zwischen judenmissionarischen und dialogbereiten Gruppierungen überbrücken wollte. Bereits am 15. Januar 1965 hatte die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland auf Betreiben Heinz Kremers einen Antrag an die EKD gestellt zur Einrichtung einer Studienkommission, die sich mit dem Judentum beschäftigen sollte.118 Auch die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg hatte in diese Richtung gewirkt. Dass alle innerhalb der EKD vorkommenden Ansichten über das Judentum auch in der neuen Studienkommission vertreten sein würden, galt als Voraussetzung für die spätere Rezeption der Ergebnisse, weshalb eine große personelle Schnittmenge mit dem nahezu zeitgleich initiierten Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche in Deutschland (VELKD)119 und der Kirchentags-AG bestand. Hauptstreitpunkt war dann auch die Frage, ob und inwiefern christliche Mission an Juden legitim sei: „Über Jahre hinweg hatten sich die Kontrahenten in dieser Kommission nur Redeschlachten geliefert.“120 Bereits die Festlegung der einzelnen Kommissionsmitglieder121 im Vorfeld der konstituierenden Sitzung war ein aufwendiges Verfahren. Friedrich-Wilhelm Marquardt und Franz von Hammerstein waren erst auf das Drängen Helmut Gollwitzers hin in die Kommission berufen worden – im Falle Marquardts mit Hilfe einer kleinen Volte: Da Marquardt von der Kirchenkanzlei nicht vorgesehen war, schleuste Gollwitzer seinen Schüler und Freund dadurch in die Kommission, dass er sich zunächst von Marquardt vertreten ließ. Als dieser dann sein Engagement unter Beweis stellen konnte, setzte Gollwitzer gegen
117 Zur Kommission und der aus ihrer Arbeit hervorgegangenen Studie s. a. Oelke, Schuld, 17 f. 118 S. a. Brief des LKA der EKiR (Beckmann) an die Kirchenkanzlei vom 29. 1. 1965 (EZA, 2/5256); Brief Niemeiers an die Kommissionsmitglieder vom 13. 1. 1969, mit Marquardts Protokoll der 1. Sitzung vom 28. 11. 1968 (EZA, 2/5256); EKiR, Handreichung Nr. 39, 115; und Weyer, Leben. 119 S. a. Teil II, 3.6.2. 120 Baumann, Bohren, 10. 121 Der Kommission gehörten zunächst u. a. an: W. Andersen, R. Dobbert, H. Gollwitzer, G. Harder (Vorsitz), H. Kremers, OKR K. Kremkau, S. v. Kortzfleisch, F.-W. Marquardt, F. MajerLeonhard, O. Michel, W. Monselewski, P. v. der Osten-Sacken, R. Rendtorff, K.H. Rengstorf, L. Simon, M. Stöhr. In den 1970er Jahren kamen A. Baumann und F. v. Hammerstein dazu. So Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 15./17. 11. 1967, S. 10 f (EZA, 2/1816).
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den Willen Gottfried Niemeiers, des Vizepräsidenten der EKD-Kirchenkanzlei, die Berufung Marquardts als ordentliches Kommissionsmitglied durch.122 In der konstituierenden Sitzung vom 28. November 1968 sprach Kommissionsvorsitzender Günther Harder in seinem Referat auch über den jüdischen Staat und folgte damit seiner bislang unveröffentlichten Thesenreihe „Was bedeutet der Staat Israel für die Christenheit?“ Die Frage nach einer heilsgeschichtlichen Bedeutung dieses Gemeinwesens konnte in Harders Augen nur mit der Kategorie des Glaubens beantwortet werden. Bei seinen Ausführungen griff er auf eine Formulierung von Kremers123 aus dem Jahr 1964 zurück: „Der Staat Israel ist ein Zeichen der Treue Gottes zu dem Volk Israel, dessen Existenz durch den Staat erneut erwiesen wird“, so Harder. Die Landverheißungen seien ernst zu nehmen und dürften nicht vergeistigt werden. Trotzdem könnten Christen keine Aussagen über den jüdischen Staat an Christus vorbei treffen. Von 2. Korinther 3,14 f und Römer 10,3 ausgehend habe man „keine Vollmacht zu sagen, daß der Staat Israel schon die Erfüllung der prophetischen Verheißungen ist“ und dass sich in ihm bereits eine eschatologische Vollendung zeige.124 Ezechiel 37 erfülle sich in Christus, nicht im Staat Israel. Harders Rede vom Staat Israel als ,Zeichen der Treue Gottes‘ machte Zugeständnisse an eine heilsgeschichtliche Theologie, ohne von einer buchstäblichen Erfüllung biblischer Verheißungen reden zu müssen. Zur Klärung virulenter Fragen einschließlich des ,Landes‘ analysierten die Kommissionsmitglieder Texte aus der Ökumene, darunter den vom ÖRK im Sommer 1967 in Bristol angenommenen Ausschussbericht ,Die Kirche und das jüdische Volk‘ (,Bristol-Papier‘), der wegen des Unrechts an den Arabern Palästinas explizit auf eine theologische Bewertung der israelischen Staatlichkeit verzichtete.125 Hilfreich für die Meinungsbildung innerhalb der Kommission war der 1971 vom ÖRK herausgegebene ,Fragebogen‘, der bei der Neubesinnung auf das Judentum 17 Probleme benannte, z. B.: Wenn Juden aufgrund alttestamentlicher Verheißungen ein Wohnrecht in Palästina hätten, würden sie damit auch einen Anspruch auf einen eigenen Staat besitzen (Frage 12)? Und hieße dies, dass auch Christen diesen Staat theologisch legitimieren sollten (Frage 13)?126 Die EKD-Kommission folgte keineswegs der subtilen Tendenz des ÖRK122 So Briefe Gollwitzers an die Kirchenkanzlei (Niemeier) vom 6. 1. und 9. 12. 1968 (EZA, 2/ 5256). – S. a. Brief Niemeiers an Gollwitzer vom 17. 1. 1968 (EZA, 2/5256). 123 S. a. Teil II, 2.2.6 124 Harder, Was bedeutet. – Vgl. Brief Niemeiers an die Kommissionsmitglieder vom 13. 1. 1969, mit Marquardts Protokoll der 1. Sitzung vom 28. 11. 1968 (EZA, 2/5256). – S.a. v. Hammerstein, Ökumene, 20. 125 S. a. Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.I.10, 350 – 363. 126 Abgedr. bei: Hammerstein, Verständnis, 157 f. – Vgl. Lçhr, Gespräch; und ÖRK-Komitee, Bibelauslegung. – Zur weltweiten Resonanz auf den ÖRK-Fragebogen vgl. Kammerer, Haare, 106: „Aus der sogenannten Dritten Welt treffen keine Antworten ein, die arabische Orthodoxie verweigert sich einer theologischen Herangehensweise an die Israelfrage.“ – Zur Kritik an den ,suggestiven‘ Fragen s. Grbe, Theologie, 73.
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Fragebogens, mit Hilfe der Theologie das völkerrechtlich verbriefte Existenzrecht Israels 23 Jahre nach dem Faktum der Staatsgründung in Zweifel zu ziehen. Bei der Beantwortung des Fragebogens bejahte die EKD-Kommission vielmehr das aus dem Selbstverständnis des Judentums erwachsene Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat. Lediglich eine theologische Legitimierung des Staates Israel lehnte die Kommission ab: „Welche Gestalt aber der Staat annimmt und welche Grenzen er hat, ist nach Meinung der Kommission aus der Bibel nicht zu erheben und daher nicht theologisch zu definieren, sondern nur politisch zu regeln.“127 Die Arbeit der Studienkommission mündete schließlich in die dem Rat der EKD am 1. März 1975 vorgelegte Studie, deren Passagen über den Staat Israel maßgeblich von Rolf Rendtorff128 verfasst worden waren. Weil es sich um ein Kompromisspapier handelte, waren nicht alle Mitglieder der Studienkommission und des Rates der EKD völlig mit dem Text zufrieden. Rendtorff urteilte, „daß die Studie im einzelnen und im ganzen bis zuletzt sehr umstritten war.“129 Nachdem einige gewünschte Veränderungen berücksichtigt und missverständliche Formulierungen modifiziert worden waren, ließ der Rat die Studie am 10. Juni veröffentlichen, womit sie „offiziösen Rang erhalten“ hatte130 Indem sich die Studie über das Judentum auch dem Staat Israel zuwandte, bekannten die Verfasser, dass dieses jüdische Gemeinwesen mehr sei als ein normaler Staat und als „politische Größe […] zugleich in den Rahmen der Geschichte des erwählten Volkes“ gehöre. Es wurde konstatiert, dass dies gerade auch für Christen relevant sei („Dies ist auch für Christen von Bedeutung“), wobei offen blieb, ob und inwiefern eine spezifisch theologische Bedeutung impliziert war. Das gleichzeitige Rekurrieren auf das israelischjüdische Selbstverständnis erlaubte dem Leser die Distanzierung von der damit verbundenen Charakterisierung des Staates Israel. Gleichermaßen konnte ein Leser diese Passage auch so interpretieren, dass die israelische Staatlichkeit auch für seinen eigenen Glauben und seine eigene Theologie wichtig sei. Die Formulierungen der Studie blieben hier absichtlich unscharf. Unklar war, worauf sich das Demonstrativpronomen ,dies‘ bezog: nur auf den letzten Teilsatz, der von einer sicheren Existenz der Juden im Lande sprach; oder auf den gesamten Satz, der zusätzlich von einer biblischen Tradition im Zusammenhang des ,erwählten Volkes‘ wusste.131 Eindeutig war die Studie erst 127 Schnell, Getrennt, 413. 128 So Rendtorff, Hat denn Gott, 65. – Nach R. Nieswandt hat R. Rendtorff „die Passagen zu Land und Staat Israel formuliert“ (Nieswandt, Erbe, 238). 129 Rendtorff, Stamm, 496. 130 Redaktion der LM zu Lapide, Abkehr, 395. 131 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.19, 573. – Vgl. ebd.: „Mit seinem Namen Israel und in seiner Gründungsurkunde stellt er [d. h. der Staat Israel, GG] sich ausdrücklich in die biblische Tradition des Judentums und damit in den Zusammenhang der Geschichte des erwählten Volkes; er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Existenz dieses Volkes im Lande seiner Väter zu
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wieder bei der politisch-moralischen Verantwortung: Nach der Schoah hätten die Christen die Verpflichtung, „den völkerrechtlich gültigen Beschluß der Vereinten Nationen von 1947 anzuerkennen“, damit „den Juden ein gesichertes Leben in einem eigenen Staat“ möglich sei.132 Das Besondere dieser Staat-Israel-Passagen war, dass die EKD das jüdischisraelische Selbstverständnis offiziell anerkannte und im Blick auf die Schoah eine christliche Verantwortung für das Wohlergehen dieser Entität festschrieb. Hinter den theologischen Konzepten der ,Israeltheologen‘ Gollwitzer, Marquardt u. a. blieb die EKD-Studie bewusst zurück.
3.5 Die kirchlichen Aktivitäten in Israel/Palästina Neben den Debatten politisch interessierter Protestanten in Westdeutschland, beschäftigten sich solche evangelischen Organisationen mit den Veränderungen im Nahen Osten nach dem Sechstagekrieg, die in Israel und den besetzten Gebieten ihr Tätigkeitsfeld besaßen. Das waren die Ost-Jerusalemer Propstei und die traditionellen deutschen evangelischen Einrichtungen im nun ehemaligen Westjordanien sowie deren deutsche Unterstützerkreise wie der Jerusalemsverein. Dazu gehörten ferner Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und das Diakonische Werk der EKD.
3.5.1 Das Diakonische Werk Das Diakonische Werk (DW) hielt sich seit dem 6. Juni 1967 für Hilfsmaßnahmen im Nahen Osten bereit. Ganz unspektakulär und ohne große Affinität zu einer konkreten Kriegspartei wollte es allen Notleidenden helfen, egal auf welcher Seite sie stünden. Am 9. Juni wurde das DW vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) angesichts der arabischen Flüchtlingsnot um Unterstützung gebeten. Der für Israel glückliche Kriegsausgang sorgte dafür, dass die meiste Hilfe den Arabern zugute kommen sollte. Nach Abschluss der Kampfhandlungen sagte das DW am 12. Juni 1967 für die Opfer des Nahostkriegs in Ägypten, Israel, Jordanien und Syrien Sachspenden, vor allem Zelte und Decken, im Wert von ca. 400 000 DM zu, dazu eine Finanzhilfe von 250 000 DM.133 Die erste Soforthilfsmaßnahme bestand in der Unterstützung sichern. [Neuer Absatz, GG] Dies ist auch für Christen von Bedeutung.“ – S. a. EKD, Christen und Juden I – III. 132 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.19, 573. 133 So Brief des DW (Schober/Geißel) an die gliedkirchlich-diakonischen Werke der EKD/West vom 14. 6. 1967 (EZA, 6/1585); Meldung „Diakonisches Werk für Nahost-Hilfe gerüstet“, in: Epd.ZA Nr. 127 vom 7. 6. 1967; und „Diakonisches Werk beteiligt sich an Nahost-Hilfe“, in: Epd.ZA Nr. 132 vom 13. 6. 1967; sowie o.Vf., Der Krieg, 340.
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der Errichtung eines arabischen Flüchtlingslagers bei Amman in Jordanien in Zusammenarbeit mit der Theodor-Schneller-Schule.134 Weitere Hilfeleistungen, die über den ÖRK oder den Lutherischen Weltdienst abgewickelt wurden, folgten, sodass das DW bis Oktober über 1,3 Mio. DM an Unterstützung für Ägypten, Ost- und Westjordanien zur Verfügung gestellt hatte, wobei die Maßnahmen, die unter dem Begriff ,Soforthilfe‘ liefen, bereits im Juli abgeschlossen waren.135 Um sein Versprechen einzulösen, wirklich allen, nicht nur den arabischen Kriegsopfern, helfen zu wollen, überwies das DWeinen Betrag von 100 000 DM an den Vereinigten Christenrat in Israel (UCCI) zur Unterstützung israelischer Kriegsopfer.136 3.5.2 Die Propstei in der Amtszeit Hansgeorg Köhlers Verlauf und Ausgang des Junikrieges 1967 bedeutete auch hinsichtlich der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen im plötzlich abgetrennten Westjordanien „eine geschichtliche Wende.“137 Die Kirchen sahen sich aufgrund der politischen Spannungen und der schwierigen Lebensbedingungen mit der zunehmenden Tendenz konfrontiert, dass Christen das Land verließen und dieser Aderlass die Gemeindearbeit gefährdete. Das Kirchliche Außenamt (KA) der EKD hatte den deutschen Pfarrern in Ägypten, Jordanien und im Libanon bereits einige Wochen vor Kriegsbeginn freigestellt, ihre Familien nach Deutschland zurückzuschicken, wovon diese, darunter Propst Hansgeorg Köhler in Ost-Jerusalem, aber keinen Gebrauch machten. Demgegenüber waren viele Kaiserswerther Diakonissen, die im Mädchenheim Talitha Kumi in Beit Jala arbeiteten, vor Ausbruch der Kampfhandlungen an den Rhein zurückgekehrt. Am ersten Kriegstag ließ Köhler seine Familie und die meisten Mitarbeiter nach Amman bringen, während er in Jerusalem blieb.138 Am Hauptgebäude des Auguste-Victoria-Hospitals auf dem Ölberg wurde am 6. Juni 1967 das dritte Stockwerk zerstört, sodass nach Beendigung der Kampfhandlungen die Arbeit des Krankenhauses nur noch mit der Hälfte der Kapazität weitergeführt werden konnte.139 Der Lutherische Weltbund (LWB) 134 So Meldung „Diakonisches Werk stellt Hilfe für Jordanien bereit“, in: Epd.ZA Nr. 136 vom 19. 6. 1967; und o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374. – Vgl. Meldung „Jordanien-Hilfsaktion des Diakonischen Werkes angelaufen“, in: Epd.ZA Nr. 138 vom 21. 6. 1967. 135 So Brief des DW an die gliedkirchlich-diakonischen Werke der EKD/West vom 10. 10. 1967 (EZA, 6/1587). – S. a. Meldung „Nahost-Soforthilfe des Diakonischen Werkes abgeschlossen“, in: Epd.ZA Nr. 156 vom 12. 7. 1967. 136 So Meldung „Diakonisches Werk hilft auch in Israel“, in: Epd.ZA Nr. 148 vom 3. 7. 1967. 137 Protokoll der Vorstandssitzung des JV vom 21. 7. 1967 (EZA, 6/1733). 138 So Kçhler, Tagebuch, 19. – Vgl. Meldung „Keine Nachricht von deutschen Pfarrern in Nahost“, in: Epd.ZA Nr. 127 vom 7. 6. 1967. 139 So Brief des DW (Schober/Geißel) an die gliedkirchlich-diakonischen Werke der EKD/West (EZA, 6/1585); und Meldung in: EvW 21 (1967), 375. – Vgl. Meldung „Hilfsaktion des Lu-
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schätzte den Schaden auf 250 000 bis 400 000 US-Dollar. Das israelische Militär begründete den Beschuss mit der Aussage, jordanische Truppen hätten vom Kirchturm aus geschossen. Später erklärte sich die israelische Regierung bereit, als Ausgleich eine Entschädigung zu zahlen. In der Jerusalemer Altstadt wurden kirchliche Gebäude dagegen kaum in Mitleidenschaft gezogen. Die Weihnachtskirche und die evangelische Schule in Bethlehem waren allerdings durch Artilleriefeuer beschädigt worden. Allein für die Renovierung des Schuldaches rechnete man mit einem Betrag von 16 000 DM.140 Der Tod von deutschen Staatsangehörigen war in den kirchlichen Einrichtungen nicht zu beklagen; in einem evangelischen Heim bei Ramallah kamen allerdings zwei arabische Kinder ums Leben. KA-Präsident Adolf Wischmann teilte dem Evangelischen Pressedienst (epd) zwei Tage nach Kriegsausbruch besorgt mit, dass er immer noch keine Nachricht von den deutschen Pfarrern in Ägypten, im Libanon und in Jordanien habe, womit auch die deutsche Präsenz in Ost-Jerusalem gemeint war.141 Erst am 9. Juni ließ Propst Köhler das EKD-Außenamt über die Deutsche Botschaft in Tel Aviv mitteilen, dass hier in Jerusalem „alle deutschen Mitarbeiter und Gemeindeglieder wohlbehalten seien.“142 Seinem traditionellen Auftrag gemäß sorgte sich der Jerusalemsverein primär um den Fortbestand der kirchlichen Einrichtungen und ihrer arabischen Schützlinge sowie allgemein um die arabischen Flüchtlinge. Bernhard Karnatz war im vereinsinternen Schriftverkehr vornehmlich am Schicksal der Araber interessiert: „Im Augenblick bewegt uns vor allem die Not, die über das ganze Land hereingebrochen ist und die durch die Flucht von Tausenden von Arabern nach dem Osten ins Unvorstellbare gesteigert wird.“143 In einem an die westdeutschen Landeskirchen gerichteten Spendenbrief vom 14. Juni kam der Jerusalemsverein unter dem Leitwort ,Hass abbauen – Not lindern – Frieden bereiten‘ der wahrgenommenen Israel-Solidarität entgegen, um sich von dieser Position aus als Anwalt des Friedens präsentieren zu können: „Wir sind traurig und bestürzt über die haßerfüllten Worte arabischer Führer gegen Israel und die katastrophalen Folgen des daraus entstandenen Krieges.“144 Von ,Palästinensern‘ war in dem Spendenbrief nicht die Rede; man wolle aber das
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therischen Weltdienstes in Nahost“, in: Epd.ZA Nr. 154 vom 10. 7. 1967; Meldung in: JK 30 (1969), 109; und Meldung in: RKZ 111 (1970), 263. So Protokoll der Vorstandssitzung des JV vom 12. 8. 1967 (EZA, 6/1733); und Azar/Garlichs, Kampftage. So Meldung „Keine Nachricht von deutschen Pfarrern in Nahost“, in: Epd.ZA Nr. 127 vom 7. 6. 1967. Kçhler, Schlacht. – Vgl. Brief des JV (Christel Dibelius) an KA vom 22. 6. 1967, dort Kopie eines Telegramms der Deutschen Botschaft in Tel Aviv (EZA, 6/1733). – Vgl. auch die vervielfältigten Berichte Köhlers über die Zeit vom 4.–18. 6. 1967 (EZA, 6/1585). Brief Karnatz’ an die Mitglieder und Freunde des JV vom 19. 6. 1967 (EZA, 6/1733). Schreiben des JV an die Leitungen der westdeutschen evangelischen Landeskirchen vom 14. 6. 1967 (EZA, 6/1733). – Vgl. Meldung „Jerusalemsverein hilft notleidenden Arabern“, in: Epd.ZA Nr. 144 vom 28. 6. 1967.
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Leid der in Not geratenen arabisch-lutherischen Christen lindern helfen. Bereits Ende Juni gab ein Beauftragter des Jerusalemsvereins den ersten Spendenbetrag in der Jerusalemer Propstei ab. Für die Propstei und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien (ELCJ), welcher der Propst als geistlicher Leiter vorstand, war die Zeit nach dem Krieg von der politischen Unsicherheit geprägt, dass man nicht wusste, ob Westjordanien einschließlich Ost-Jerusalem dem Haschemitischen Königreich wieder zurückgegeben oder von Israel annektiert werden würde.145 Die neue Lage führte dazu, dass die Gemeindeglieder in Amman von der Leitung der ELCJ abgeschnitten waren, ein Umstand, der nur durch besondere Besuchsregelungen gemildert werden konnte. Seit Ende des Jahres rechnete man in der Propstei allerdings mit einer bleibenden israelischen Besetzung des Westjordanlandes.146 Während viele proisraelische Publizisten festzustellen pflegten, dass die israelische Gesellschaft keinen Hass auf die Araber kennen würde, meinte Köhler anderes beobachtet zu haben: „Ich bedauere besonders, daß ich vielen Israelis begegnet bin, die auf die arabische Bevölkerung verächtlich herabsehen.“147 Pläne der Israelis, auf einem Grundstück des LWB gegenüber dem AugusteVictoria-Hospital ein militärisches Hauptquartier zu errichten, führten zum Konflikt mit dem Weltbund. Die Beschlagnahme des Grundstücks wurde damit begründet, „daß dieses Gelände während des Sechstagekrieges von jordanischen Truppen besetzt gewesen und befestigt worden sei.“148 Der LWB-Beauftragte in Jerusalem, Donald P. Scott, bestritt diese Behauptung mit dem Hinweis, dass die jordanische Armee das Grundstück nie betreten hätte. In den krisenhaften Monaten nach dem Junikrieg, in denen es viel zu regeln gab, wurde Propst Köhler mehr als bisher zum Hauptansprechpartner der in der Palästinamission tätigen Werke. Dadurch könne man sagen, „daß der Gedanke des Palästinawerkes in Palästina selbst verwirklicht ist, ohne daß eine Organisation hätte geschaffen werden müssen.“149 Vom 9. bis 12. Februar 1968, mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsende, besuchte der EKD-Ratsvorsitzende Hermann Dietzfelbinger Jerusalem, um sich primär über die Kriegsschäden und den Stand der Diskussionen um das Gelände des Auguste-Victoria-Hospitals zu informieren.150 Der bayerische Landesbischof befand sich auf dem Rückweg seiner Neuguinea- und Austra145 So Kçhler, Land, 4; und Meldung „Geteilte Kirche in Jordanien“, in: Epd.ZA Nr. 148 vom 3. 7. 1967. 146 Vgl. Leube, Kirche, 19: „Israel scheint sich in den besetzten Gebieten auf die Dauer einzurichten […] Die Presse spricht nicht mehr von besetzten, sondern von ,neuen‘ Gebieten.“ 147 Kçhler, Land, 3. 148 Meldung in: JK 30 (1969), 109. – Vgl. Meldung in: RKZ 110 (1969), 23. 149 Kçhler, Land, 5. 150 So Protokoll der Kuratoriumssitzung der EJST in Berlin vom 10. 11. 1967 (EZA, 81/3/100); Reisebericht K. Kremkaus vom 12. 2. 1968 (EZA, 81/3/100); Meldung „Landesbischof Dietzfelbinger aus Asien zurück“, in: Epd.ZA Nr. 37 vom 13. 2. 1968; und o.Vf, Landesbischof Dietzfelbinger.
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lienreise. Zusammen mit Propst Köhler und Oberkirchenrat Klaus Kremkau vom KA traf Dietzfelbinger noch am ersten Tag, dem 9. Februar, mit Chaim Wardi vom israelischen Religionsministerium zusammen. Danach verbrachte er ein gemeinsames Essen im King-David-Hotel mit dem deutschen Botschafter Rolf Pauls aus Tel Aviv. Am Tag darauf begegnete er Scott vom LWB. Alle diese Gespräche dienten dazu, die Interessen der Kirche trotz der neuen Situation im Heiligen Land zu wahren und die israelischen Pläne für das Auguste-Victoria-Areal zu eruieren. Erwartungsgemäß besuchte der Ratsvorsitzende zudem die Heiligen Stätten und die von der EKD betreuten Einrichtungen in Ost-Jerusalem, Bethlehem und Umgebung. Dabei konnte sich Dietzfelbinger ein Bild von den Kriegsschäden machen. Martin Noth, der als Leiter des Deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des heiligen Landes (Palästina-Institut) „recht kritische Berichte über das Verhalten der Israelis gegenüber den Arabern in den besetzten Gebieten“ abzugeben wusste, führte Dietzfelbinger und Kremkau durch die Geburts- und die Weihnachtskirche in Bethlehem.151 Der von Noth geplante Ausflug nach Qumran musste wegen eines militärischen Zwischenfalls ausfallen. Dass es Ernst Schneller von der Theodor-Schneller-Schule in Amman nicht vermochte, zum Besuch des Ratsvorsitzenden die neue Jordangrenze zu passieren, ließ ihn an eine zweite Berliner Mauer denken, die Jordanien in zwei Hälften teilte: „Es gibt erstaunliche Parallelen zwischen Jordanien und Deutschland. Die Unmöglichkeit von direkten Verhandlungen sind hier wie dort ungefähr gleich begründet. Ein Verkehr hin und her kann nur durch das Rote Kreuz bezw. [!] den Roten Halbmond vermittelt werden […] Die Lage der Flüchtlinge, die im Jordantal in ihren keinerlei Schutz bietenden Zelten, [!] wie die Hasen mit Weib und Kind über den Jordan weg erschossen werden, ist verzweifelt […] Wenn man das so nahe auf der ,Pelle‘ hat, wie wir und täglich Kontakt mit diesen armen Leuten hat, dann fragt man sich immer wieder vergeblich, warum die ganze Welt diesen gefährlichen Krisenherd ignoriert.“152
Damit folgte Schneller den Deutungsmustern der bisherigen Palästinamission153 und assoziierte den Staat Israel mit der Sowjetunion, welche freie Völker unterjochte. Zudem stellte er den jüdischen Staat als eine grausame Schreckensherrschaft dar, in der unschuldige Frauen und Kinder ,wie die Hasen‘ abgeschossen werden würden. Israelische Regierungskreise interessierten sich weitaus mehr für die Einstellung des deutschen evangelischen Repräsentanten in Jerusalem. Dietzfelbingers Palästina-Aufenthalt war überschattet vom Vorwurf, Propst Köhler sei zu antiisraelisch eingestellt. Kremkau schilderte in seinem Reisebericht, dass der Botschafter Pauls beim gemeinsamen Essen moniert habe, ihm seien „von 151 Reisebericht K. Kremkaus vom 12. 2. 1967 (EZA, 81/3/100). 152 Brief E. Schnellers an KA (Wischmann) vom 12. 2. 1968 (EZA, 6/1587). 153 S. a. Teil II, 1.3 und 2.4.3.
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israelischer Seite Klagen über unvorsichtige politische Äußerungen des Propstes zu Ohren gekommen.“ So habe der Propst beispielsweise „den Untergang des von den Ägyptern versenkten Zerstörers ,Eilath‘ gutgeheißen.“154 Am Abend darauf, dem 10. Februar, sprach Kremkau den Propst direkt auf den Antiisraelismus-Vorwurf an, da es ihn als Mitarbeiter des KA etwas anging, wenn die deutsche kirchliche Arbeit im Heiligen Land in ein schlechtes öffentliches Licht geraten sollte. Köhler wies die Anschuldigungen zurück: Er stehe in einem guten Verhältnis zu den israelischen Behörden und habe die Versenkung des israelischen Kriegsschiffes nie gutgeheißen. Zudem könnten sich andere Kirchenvertreter beliebig politisch äußern, ohne dass dies zu Verstimmungen auf israelischer Seite führen würde. Dass jedoch sein Verhältnis zu Pauls sehr angespannt sei, konnte der Propst nicht abstreiten. Kremkau gab sich mit den Erklärungen Köhlers zufrieden und beendete das Thema mit der in solchen Fällen üblichen Ermahnung, bei politischen Aussagen etwas vorsichtiger zu sein und sich, das kam noch hinzu, um ein gutes Auskommen mit dem Botschafter zu bemühen. Köhler selbst irritierte die Anschuldigung des Antiisraelismus, weil er seinem eigenen Selbstverständnis zufolge nur dem Prinzip der Nächstenliebe folgte. Angriffe auf seine Person deutete er deshalb als Teil jener ,Verleumdungen‘, die jeder Christ in der Nachfolge erdulden müsste.155 Von seiner Warte aus beobachtete der Propst die proisraelischen Initiativen in Westdeutschland mit Sorge, befürchtete er doch, dass die islamische Gesellschaft die evangelischen Kirchen Vorderasiens dem Lager des ,Feindes‘ zuordnen würde. Als sich deshalb 1970 der Verband der Stadtgemeinden Israels an die EKD wandte und um eine finanzielle Hilfe für ein ,Haus der Jugendbegegnung‘ in Bat Yam bei Tel Aviv bat, schaltete sich Köhler in die Diskussion ein und riet von einer offiziellen Unterstützung durch die EKD ab: „Die Befürwortung einer im Staat Israel betriebenen Jugendarbeit würde mit Sicherheit von der arabischen Öffentlichkeit wahrgenommen werden – ich denke an die große Zahl arabischer Studenten in Deutschland – und als einseitige Parteinahme ausgelegt werden. Eine weitere Belastung unserer kirchlichen Dienstes [!] in der arabischen Welt wäre die sichere Folge.“156
Es ist offensichtlich, dass sich Köhler von Amts wegen der arabischen Seite verpflichtet wusste. Für die Vertrauensbildung gegenüber den palästinensischen Christen schien ihm eine gewisse Einseitigkeit unausweichlich, zumal die Pröpste bis 1979 zugleich geistliche Leiter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien waren. Dass dabei Köhler die Erkenntnisse der christlich154 Brief E. Schnellers an KA (Wischmann) vom 12. 2. 1968 (EZA, 6/1587). 155 So Kçhler, Marhaba, 4 f: „Der Auftrag, daß wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst, behält Gültigkeit […] Wir werden nicht nur Kritik erfahren, sondern wir müssen uns auf leidenschaftliche Abwehr gefasst machen, die wir auch in Form von Verleumdungen, vielleicht auch einmal Verfolgungen, werden ertragen müssen.“ 156 Brief Köhlers an KA (Wischmann) vom 9. 9. 1970 (EZA, 6/1588).
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jüdischen Begegnungen weniger beachtete, als es für ihn möglich gewesen wäre, hatte sich bereits 1966 gezeigt. Die Diskussion um Köhlers wirklichen oder vermeintlichen Antiisraelismus erinnert in vielem an die Debatte um die Äußerungen Carl Malschs.157 In Köhlers Amtszeit kam allerdings der plötzliche ,Regierungswechsel‘ erschwerend hinzu: Hatte sich der Propst bislang ausschließlich mit jordanischen Ämtern gut zu stellen, musste er von einer Woche auf die andere zu israelischen Behörden in Beziehung treten. Köhler stand nun mehr als bisher unter Beobachtung der Israelis, die in ihm eben keinen Vertreter einer beliebigen orientalischen Kirche, sondern einen Deutschen aus dem Volk der Täter sahen. Köhler stand auch mehr unter der Beobachtung westdeutscher Christen, da ein Besuch in der Propstei fortan zum Programm fast jeder Israelreise gehörte. Jedenfalls war es für den Propst unmöglich, sich apolitisch zu geben. Es war, wie Vikar Jürgen Wehrmann 1972 sagte: „Man täuscht sich, wenn man meint, die Kirchen sollten oder könnten sich am Krisenherd Jerusalem aus der Politik heraushalten.“158
3.5.3 Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste Im Gegensatz zu den deutschen Einrichtungen, die auf die traditionelle Palästinamission zurückgehen und sich nach dem Ende des Sechstagekrieges 1967 plötzlich mit israelischen Behörden auseinandersetzen mussten, konnte die Arbeit der noch relativ jungen Aktion Sühnezeichen (ASZ) im eigentlichen israelischen Staatsgebiet bruchlos fortgeführt werden. Während des Krieges blieben mehr als 30 Freiwillige der ASZ in Israel, nachdem nur die nach damaliger Rechtslage Minderjährigen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, nach Deutschland zurückkehren mussten: „Diese selbstverständliche, praktische Solidarität freute viele Israelis und öffnete unmittelbar nach dem Krieg der Arbeit zahlreiche Türen.“159 Da der Krieg das Nahostgeschehen mehr als zuvor im öffentlichen Bewusstsein der Westdeutschen verankerte, stieg die Zahl der Volontäre nach Kriegsende sprunghaft an. Bereits am 20. Juli 1967 konnte die elfte ASZ-Gruppe ihre Tätigkeit in Israel aufnehmen.160 Die Verantwortlichen von ASZ, die ihrer Organisation 1968 den Namenszusatz ,Friedensdienste‘ gaben (daher fortan ASF), beschlossen, dass die Volontäre nicht in den besetzten Territorien tätig werden sollten, „um den endgültigen Status dieser Gebiete nicht vorwegzubestimmen.“161 Zu Köhler s. Teil II, 2.4.4; zu Malsch s. Teil II, 2.4.3. Wehrmann, Brennpunkt, 20. Schenk/Nessler, Brunnen, 12. So Meldung „Neuer Einsatz der ,Aktion Sühnezeichen‘ in Israel“, in: Epd.ZA Nr. 158 vom 14. 7. 1967; und „22 junge Menschen nach Israel verabschiedet“, in: Epd.ZA Nr. 165 vom 22. 7. 1967. 161 Bçhme, Sühnezeichen, 142. – Zum Namenszusatz s. Weiss, Prophet, 337.
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Trotzdem blieben sie dem jüdischen Staat auch nach dem Junikrieg treu verbunden. Diakon Otto Schenk, der als ASF-Beauftragter in Israel fungierte, lieferte im August 1968 eine sehr israelfreundliche Schilderung der Situation nach dem Sechstagekrieg. Das Verhalten der Israelis in den besetzten Gebieten bezeichnete er als vorbildlich. Allerdings würden die arabischen Schulen weiterhin israelkritisch unterrichten und hätten nur offensichtliche Hetze gegen Israel aus Schulmaterial entfernt. Antiisraelischer Hass finde sich leider „besonders bedauerlich bei den zahlreichen europäischen Missionsschulen.“162 Schenks Arbeit lag ein Verständnis des Zionismus zugrunde, das von Martin Buber geprägt war. Da diese Buber’sche Auffassung, die auch den Arabern ein Heimatrecht in Palästina zugestand, nicht mehr so recht zum Verhalten der Israelis zu passen schien, konnte auch Schenk nicht verhindern, dass sich die junge Generation, aus der ASF die Freiwilligen rekrutierte, zunehmend israelkritischer artikulierte, zumal diese Generation „in ihrem Selbstverständnis mehr von der Perzeption des aktuellen Palästinakonflikts als von einem vergangenheitsbezogenen Sühnegedanken bestimmt“ war.163 Insbesondere nach 1970 kam es wegen der andauernden israelischen Besatzung unter den Volontären zu bisher nicht gekannten Diskussionen, in denen die israelische Politik problematisiert wurde. Konsequenterweise versuchten ASF-Aktivisten bereits unmittelbar nach 1967 Kontakt zu Palästinensern aufzunehmen. Über eine Begegnung mit arabischen Schülern in Beit Jala im September 1968 berichtete Gottfried Mehnert: „Für die jungen Deutschen der Aktion Sühnezeichen war es das erste Gespräch mit jungen Arabern […] Es war für die deutschen Gesprächspartner sicherlich wertvoll, die Ansichten unserer arabischen Sekundarschüler kennenzulernen und einmal auch die andere Seite unmittelbar zu hören. Denn nur in der persönlichen, menschlichen Begegnung können schließlich Wege des gegenseitigen Verstehens gefunden werden.“164
Im Jahr 1968 forderten Verantwortliche der ASF und weitere Kirchenleute einen von der EKD finanzierten deutschen evangelischen Pfarrer in Israel. Bereits auf dem Dortmunder Kirchentag 1963 hatte die Kirchentags-AG von der Notwendigkeit eines Begegnungszentrums in Israel für Reisegruppen aus dem Raum der EKD gesprochen.165 Das Begegnungszentrum sollte von einem eigens dafür ausgesandten Pfarrer geleitet werden, da von vornherein klar war, dass allein wegen der Grenze der Ost-Jerusalemer Propst dafür nicht in Frage kam. Rudolf Weckerling wurde als möglicher Leiter des Begegnungszentrums ins Gespräch gebracht. Wegen der ungelösten Finanzierungsfrage konnten 162 Schenks Bericht aus Israel von Aug. 1968, Kopie (EZA, 6/1588). – Vgl. Schenk/Nessler, Brunnen. 163 Kloke, Linke, 131. – Vgl. Mller, Sühnezeichen, 205 f. 164 Mehnert, Sühnezeichen, 24 f. 165 So Brief Harders an Wischmann vom 9. 4. 1968 (EZA, 6/1587). – Vgl. Protokoll der EKDRatssitzung vom 28. und 29. 5. 1964 in Berlin (EZA, 2/1810); und Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 4. und 5. 2. 1965 in Berlin (EZA, 2/1811).
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diese Pläne allerdings nicht verwirklicht werden, sodass Weckerling 1965 Auslandspfarrer in Beirut im Libanon wurde. Nun erklärte sich der aus Essen stammende Vikar Michael Krupp, der sich derzeit mit einem wissenschaftlichen Stipendium in Israel aufhielt, dazu bereit, „die Betreuung von evangelischen Reisegruppen nebenher zu übernehmen.“166 1968 wurden also die Überlegungen wegen „eines ,kirchlichen‘ Botschafters in Israel“167 und eines kirchliches Zentrums zur deutsch-israelischen Begegnung erneut auf das Tapet gebracht. Wenn daraus eine offizielle EKD-Initiative werden sollte, kam man am KA nicht vorbei. Der neuen territorialen Situation entsprechend wäre Propst Köhler bzw. ein ihm zugeordneter Theologe am ehesten als dessen Leiter in Frage gekommen, zumal man mit dem Propsteigebäude in der Jerusalemer Altstadt bereits über Räumlichkeiten verfügte. Doch die Urheber der Idee des Begegnungszentrums waren vom christlichjüdischen Dialog geprägt und verlangten, dass der Inhaber einer solchen Position nicht nur über ausreichend hebräische Sprachkenntnisse verfügen sollte, sondern zudem das Vertrauen der israelischen Regierung genießen müsste. Dies traf in den Augen Günther Harders nicht für Köhler zu: „Tatsache ist, daß der Propst von Jerusalem im Staat Israel, schlicht gesagt, kein Vertrauen hat. Wenn wir Reisegruppen nach Israel schicken wollen, die […] mit allen möglichen Gruppen innerhalb Israels in lebendigen Gedankenaustausch treten sollen, dann können wir sie nicht mit dem Propst in Jerusalem in Verbindung bringen […] Dabei ist noch zu bedenken, daß der Propst, ganz abgesehen von seiner persönlichen Haltung, das Erbe seiner Vorgänger trägt, ob er will oder nicht. Das Verhalten von Propst Malsch hat mehrfach erhebliches Ärgernis in Israel hervorgerufen.“168
Was christliche Reisegruppen betraf, so wurde hier die Haltung Köhlers zum jüdischen Staat durchaus kritisch gesehen. So meinte der Geschäftsführer des Frankfurter Reise- und Feriendienstes, dass Reiseteilnehmer immer wieder darüber klagten, „der Propst ist antiisraelisch, wenn nicht gar antisemitisch eingestellt.“169 Der Frankfurter Studentenpfarrer Dieter Trautwein beschwerte sich im Namen von 23 Israelfahrern, dass die Informationen, die Köhler den Besuchergruppen vermittle, „nicht nur bedenklich einseitig, sondern fahrlässig verzerrt waren.“170 Im Blick auf die Räumlichkeiten verfolgten die Dialogbewegten das Ziel, das bereits von ASF genutzte ,Haus Pax‘ im West-Jerusalemer Stadtteil Kiryat Moshe, seit 1971 in der Ein Gedi-Straße im Stadtteil Talpiot, als Dienstort des 166 Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 28./29. 5. 1964 in Berlin (EZA, 2/1810 und 5253). 167 Protokoll der Klausurtagung des EKD-Rats vom 10.–15. 1. 1968, S. 3 (EZA 2/1817). 168 Brief Harders an KA (A. Hohlfeld) vom 11. 6. 1968 (EZA, 6/1587). – S. a. Protokoll der Sitzung der ASZ vom 1. 2. 1968 (EZA, 6/1587); Brief Harders an Wischmann vom 9. 4. 1968 (EZA, 6/ 1587); Brief Kremkaus an Scharf vom 26. 3. 1968 (EZA, 6/1587). 169 Brief Zitzmanns an Köhler vom 29. 4. 1968 (Kopie, EZA, 6/1587). – Zur Begegnung zwischen dem Propst und R. Zitzmann s.a. Kçhler, Tagebuch, 23. 170 Brief Trautweins an KA vom 23. 7. 1968 (EZA, 6/1587).
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von der EKD auszusendenden Pfarrers und als Anlaufstelle für Reisegruppen zu nutzen. Diese Idee konnte auch jetzt nicht wie ursprünglich geplant verwirklicht werden. Aber indem sich beim Ausbau des ,Hauses Pax‘ neben der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch kirchliche Stellen beteiligten, z. B. aufgrund des Engagements von Kurt Scharf und Günther Harder die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (West),171 konnte im Rahmen der ASF ein Schulungs- und Begegnungszentrum unterhalten werden. Auch war es nicht die offizielle EKD, die 1970 mit Pfarrer Krupp einen evangelischen Theologen nach Israel entsandte, sondern die Westberliner Kirche. Krupp leitete zunächst als Nachfolger Schenks die Arbeit der ASF in Israel und war dann ab 1978 für die neue Initiative Studium in Israel verantwortlich, die deutschen Theologiestudierenden einen Aufenthalt an der Hebräischen Universität in Jerusalem ermöglichte. Mit dem Beginn von Studium in Israel wurde eine Entwicklung abgeschlossen, die bereits 1971 begonnen hatte, als sich Rolf Rendtorff an Göte Hedenquist wandte, den in Stockholm ansässigen Direktor des Jerusalemer Schwedischen Theologischen Instituts. Rendtorff machte sich gegenüber Hedenquist für bereits bestehende Pläne eines Ausbaus des Instituts unter Beteiligung deutscher Wissenschaftler stark.172 Damit sollte auch für deutsche Theologen die Möglichkeit entstehen, sich in Jerusalem um den christlichjüdischen Dialog zu bemühen. Verhandlungen zwecks einer Unterstützung durch die EKD kamen allerdings nicht zustande, weil Ratsvorsitzender Dietzfelbinger anlässlich der Amtseinführung von Propst Helmut Glatte „gewisse Bedenken gegenüber dem von Prof. Rendtorff verfolgten Plan einer Professur im Zusammenhang mit dem Schwedischen Theologischen Institut“ äußerte.173
3.5.4 Die Propstei in der Amtszeit Helmut Glattes Insgesamt hatte es Köhlers Nachfolger, der Kölner Pfarrer Helmut Glatte, einfacher, weil dieser sich vom ersten Arbeitstag an auf die Situation seit 1967 einstellen konnte. Am 31. Oktober 1971 wurde Glatte als erster Propst im von Israel besetzten Ost-Jerusalem in sein Amt eingeführt.174 Am gleichen Tag nahm man die gründlich renovierte Erlöserkirche samt neuer Orgel wieder in Gebrauch. Das Datum, der Reformationstag, sollte an die Einweihung der Kirche durch Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1898 erinnern.175 Bei Glattes 171 So Brief Harders an Wischmann vom 9. 4. 1968 (EZA, 6/1587). – S. a. DIG-Mitteilung vom 11. 4. 1968 an die Mitglieder der DIG (EZA, 87/851). 172 So Brief Rendtorffs an Hedenquist vom 8. 11. 1971, Kopie (EZA, 6/1589). 173 Aktenvermerk Kremkaus vom 10. 2. 1972 (EZA, 6/1589). 174 So Arnold, Erlöserkirchgemeinde. – S. a. EKD, Rechenschaft, 1972/73, 207. 175 H. Dietzfelbinger ließ sich zur Vorbereitung des Einführungsgottesdienstes eigens Kopien vom Ablauf der Einweihung 1898 erstellen (EZA, 81/3/101). – Zum Gottesdienst s. Mehnert, Erlöserkirche, 4 f.
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Amtseinführung waren der EKD-Ratsvorsitzende Dietzfelbinger – zugleich Vorsitzender der Evangelischen Jerusalem-Stiftung –, der Präsident des Kirchlichen Außenamtes, Adolf Wischmann, die Vertreter verschiedener Jerusalemer Kirchen und – das war gegenüber der letzten Einführung neu – der deutsche Botschafter Jesco von Puttkamer aus Tel Aviv sowie Repräsentanten des israelischen Religionsministeriums zugegen. Der Rat der EKD hatte zuvor unter Zustimmung des Kuratoriums der Jerusalem-Stiftung den 54-jährigen Glatte als einen von neun Bewerbern berufen. Bei dieser Personalentscheidung musste berücksichtigt werden, dass die Aufgaben eines Propstes wegen der veränderten Lage seit 1967 eine neue Komplexität erhalten hatten, musste man doch bei Palästinensern und Israelis gleichermaßen um Sympathie und Vertrauen werben.176 Auch auf kirchlicher Seite stand der neue Propst nicht nur arabischen Christen gegenüber, sondern sollte zusätzlich die deutschen Protestanten in Israel repräsentieren, zu denen auch die eher proisraelisch ausgerichteten Volontäre der ASF und Pfarrer Michael Krupp zählten. Glatte trat sein Amt zu einer Zeit an, als man jederzeit den Ausbruch eines neuen Nahostkrieges befürchtete. Zur Friedenssicherung setzte der neue Propst, wie er bei seiner Amtseinführung betonte, auf einen ,Dialog aus Liebe‘ zwischen Juden, Christen und Muslimen. Ohne auf die israelische Staatlichkeit einzugehen charakterisierte er Jerusalem als „die Stadt, auf die Gott immer wieder in besonderer Weise die Hand gelegt hat“, die „Stadt der großen Verheißungen Gottes.“177 Diese Botschaft fand den Gefallen des Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger, der über Glatte urteilte: „Glatte macht mir einen recht guten Eindruck und ich hoffe, daß er die äußerst schwierige und wohl noch schwieriger werdende Aufgabe doch bewältigen wird. Jerusalem ist ja im Schnittpunkt der verschiedensten Bewegungen, und hier die Liebe und Versöhnungskraft Christi zu verkündigen und zu leben ist eine schwere Aufgabe.“178
Mit Glattes Einführung war also die Hoffnung verbunden, dass der Gegensatz zwischen der eher proisraelischen ASF und der proarabischen Propstei endlich aufgelöst werden könnte zugunsten einer ausgewogenen Haltung und einer doppelten Solidarität Israelis und Palästinensern gegenüber. 176 So Protokoll der Kuratoriumssitzung der EJST in München vom 30. 11. 1970 (EZA, 81/3/101); Girardet, Glatte; und o.Vf., Der neue Propst. 177 Glatte, Predigt, 1. – Vgl. Arnold, Erlöserkirchgemeinde, 6; und Rothschild, Lutheraner, 483. 178 Brief H. Dietzfelbingers an Wilhelm Karl Prinz von Preußen vom 3. 11. 1971 (EZA, 81/3/101). – Vor der Frankfurter EKD-Synode berichtete Dietzfelbinger am 7. 11. von seinem jüngsten Aufenthalt in Jerusalem. Während er die im Heiligen Land lebenden Juden unerwähnt ließ, erinnerte er sich gern an die nahöstlichen Kirchenvertreter, von denen man erfahren könne, „wie die kleinen Häuflein der Christen in vielen Völkern scheinbar zwischen allen Stühlen sitzen, hin- und hergerissen durch die nationalen Strömungen und durch die politischen Geschehnisse“ (Dietzfelbinger in: EKD, Synodalbericht 21, 38). – In sprachlich veränderter Form auch abgedr. bei: Dietzfelbinger, Versöhnung, 24.
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3.6 „Keine besondere ,Israeltheologie‘“: Zentralverein und VELKD-Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ nach Juni 1967 3.6.1 Zeitschrift Friede über Israel Ausgewogen zu urteilen entsprach in den Augen seiner Vertreter der Intention des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel, da dessen Mitglieder ihrer theologischen Prämissen wegen nicht nur der arabischen Seite179 gegenüber distanziert blieben. Die Sorge um eine sakrale Überhöhung des Staates Israel war ein Haupthinderungsgrund dieser Lutheraner, sich eine spezifische ,Israeltheologie‘ zu eigen zu machen. Nach 1967 veröffentlichte Friede über Israel (FÜI), die Zeitschrift des Zentralvereins, noch mehr als bisher Informationen über den Staat Israel und Stellungnahmen zum aktuellen Geschehen. Dabei handelte die Redaktion in dem Selbstverständnis, einer ausgewogenen Urteilsbildung zu dienen: „Die einen verdammen Israel, und die anderen heben es in den Himmel. Aber beides ist nicht unsere Aufgabe.“180 Trotzdem konnte man sich der Dankbarkeit über den israelischen Blitzsieg nicht entziehen: „Wir freuen uns mit über den raschen vollständigen Sieg, den das kleine Israel errungen hat, denn ein längerer Krieg hätte keinen Sieg gebracht, sondern die Vernichtung.“181 Vom theologischen Grundsatz her blieben Verein und Zeitschrift auch nach 1967 noch dem judenmissionarischen Anliegen verbunden, obwohl eine praktische Missionsarbeit wegen mangelnder Möglichkeiten und fehlendem Erfolg kaum noch durchgeführt wurde. Der vom Zentralverein angestellte Missionar Martin Levy Bass führte die verstärkten Schwierigkeiten auf den Sechstagekrieg zurück, weil sich im Zuge der neuen Israeleuphorie auch die westdeutschen Juden vermehrt mit dem Staat Israel identifizierten und aufgrund eines selbstbewussteren Judentums gegenüber Evangelisierungsversuchen immun zu sein schienen: „Dies hat unsere Arbeit […] sehr erschwert.“182 Da aber der jüngste Nahostkrieg ein starkes Informationsbedürfnis in den Kirchengemeinden evozierte, verbrachte der Missionar Bass einen Großteil seiner Arbeitszeit mit Vortragsreisen. Sein am meisten angefordertes Referat zwischen Juni 1967 und Juni 1968 trug den Titel „Der Staat Israel: Biblische Erfüllung oder nur nationaler Irrweg?“183 Zumindest die Siegeseuphorie der Israelis wurde allgemein als Irrweg be179 Auch wenn eine Israeleuphorie unter Häresieverdacht gestellt wurde, schloss sich der Zentralverein keinem wohlfeilen Proarabismus an: „Warum ist es normal, wenn das reiche Kuweit Jordanien finanziell unterstützt, und verkehrt, wenn Juden aus den USA Israel unterstützen?“ (Moscovici, Rez. zu U. Avnery, 61). 180 Lçhr, Bericht, 107. 181 Grillenberger, Gedanken, 76. 182 Bass, Arbeitsbericht, 103. 183 Ebd.
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zeichnet, weil sie die Juden so selbstsicher mache, dass sie für die Christusbotschaft noch unempfänglicher würden. Karl Würzburger, Christ jüdischer Herkunft, schrieb im September 1967 den Israelis das Jesuswort aus Lukas 19,42 ins Stammbuch: „Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tage, was zu deinem Frieden dient!“184 Damit wurde impliziert, dass es ohne den Glauben an Christus keinen Frieden im Nahen Osten geben könne, ja dass den israelischen Juden bei fortdauernder Verstocktheit ein Gottesgericht drohe. In Jesaja 19,19 – 25 fand Würzburger bestätigt, dass sich der Friede erst einstellen werde, wenn sich zunächst Ägypten und (As-)Syrien und danach Israel zum „Herrn“ = Christus bekehrt haben würden. Diese geschichtstheologische Schau von der Bekehrung aller orientalischen Nationen einschließlich Israels provozierte den Protest eines Lesers. Für diesen stellten Würzburgers Ausführungen „eine äußerst fatale Schwärmerei“ dar, die an die Irrlehre der pietistisch-apokalyptischen Zeitschrift Kontakt mit Israel erinnere. Gerade von FÜI erwarte man, dass es sich den „Israel-Schwärmereien“, die insbesondere „nach den letzten militärischen Erfolgen Israels“ rapide um sich griffen, standhaft in den Weg stelle, „so wie es vor ein paar Jahren schon einmal Amtsbruder Dr. Mehl gegen die entsprechenden Schwärmereien der Kirchentags-Arbeitsgruppe ,Juden und Christen‘ getan hat.“185 Weniger als Würzburger schreckte der norwegische Pfarrer Magne Solheim, der israelische Christen in Haifa betreute und dabei vom Zentralverein unterstützt wurde, vor heilsgeschichtlichen Implikationen zurück.186 Mit der Zitierung von Psalm 124,1 – 3 enthob er den jüngsten israelisch-arabischen Krieg der profanen Wirklichkeit und entrückte ihn in die Welt Gottes: Wäre der Herr nicht bei Israel gewesen, so wäre es lebendig verschlungen worden. Auch wenn eine tatsächliche Missionierung von Juden kaum noch praktiziert wurde, so war den Engagierten des Zentralvereins die Solidarität zu Christen jüdischer Herkunft nach wie vor ein Hauptanliegen. Als der ,Berufsarbeiter‘ Wilhelm Grillenberger im August 1968 nach Israel reiste, besuchte er in erster Linie die Gemeinden getaufter Juden in Jaffa und Haifa. Diese seien in seinen Augen Ausdruck der „Hoffnung, daß die Sache des Reiches Christi im jüdischen Volke eine Zukunft hat.“187 Über den ausbleibenden Missionserfolg tröstete sich Grillenberger mit der Erkenntnis hinweg, dass die Existenz der damals ,Judenchristen‘ – später vielfach ,messianische 184 Wrzburger, Predigt, 99. – Vgl. Grillenberger, Gedanken, 80: „Was hülfe es Israel, […] wenn es Frieden mit allen Nachbarn und hohes Ansehen bei allen Völkern gewönne, und verfehlte sein eigentliches Ziel: in Christus seinen Herrn zu finden.“– S. a. Lçhr, Grundlagenkrise, 45: „Die Mission unter Israel […] freut sich mit denen aus Israel, die im Land der Väter wieder eine Heimat gefunden haben; aber sie will immer mehr : sie ruft zum Glauben an Jesus Christus.“ 185 Wrzburger/Vasterling, Briefwechsel, 155 f. – Zur Zeitschrift Kontakt mit Israel s. Teil II, 3.6.3, zu J. Mehl und dem Purim-Streit s. Teil II, 2.3.1. 186 So Solheim, Briefe, 23. 187 Grillenberger, Begegnung mit jüdischen Christen, 134.
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Juden‘ – genannten Gläubigen in Israel das erste Anzeichen einer künftigen, zumindest eschatologischen Judenbekehrung sei. Kirchliche Initiativen, die unter Israelis wirkten, ohne Christus zu bezeugen, lösten in FÜI immer wieder Empörung aus. So bedauerte der Schriftleiter Detlef Löhr, dass sich Michael Krupp 1971 bei der Einweihung des neuen Hauses von Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste (ASF) in Talpiot über die ,Dummköpfe‘ lustig gemacht hätte, die den Leuten von ASF Missionsabsichten unterstellten. Löhr merkte an, dass der Zentralverein die Arbeit der ASF nur zu gut kenne und deshalb nicht zu den ,Dummköpfen‘ zu rechnen sei, die meinten, die Verantwortlichen der ASF hegten Missionsabsichten. Vielmehr bedauere man deren offensichtliches „Versagen als Zeugen ihres Glaubens“.188 Für Reinhard Dobbert gab es gerade bei solchen Gruppen einen Zusammenhang zwischen dem Verzicht auf das Christuszeugnis und bestimmten theologischen Deutungen der israelischen Staatlichkeit: „Gerade die fatale Theologie der ,Deutschen Christen‘ sollte doch davor warnen, allzu schnell aus einem Staat – und sei es dieser besondere Staat Israel – ein theologisches Problem zu machen. Es kann und darf keine besondere ,Israeltheologie‘ geben!“189
Auf den ersten Blick erinnert diese Äußerung an die unseligen Gleichsetzungen von NS-Regime und Staat Israel, welche Martin Wittenberg und Gerhard Jasper um das Jahr 1950 den Israelis vorhielten.190 Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass Dobbert nicht Israel kritisierte, sondern christliche Theologien, bei denen er eine religiöse Überhöhung des jüdischen Gemeinwesens befürchtete. Der Hinweis auf die ,Deutschen Christen‘ lässt auf einen Ansatz schließen, der eine strukturelle Verwandtschaft zwischen verschiedenen politischen Theologien zu erkennen meinte, unabhängig davon, ob diese rechts oder links seien oder auf den Staat Israel bezogen wären.191
3.6.2 VELKD-Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ Um eine Monopolstellung der publikumswirksam agierenden Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (kurz Kirchentags-AG) in der Besinnung der Christen auf das Judentum zu verhindern, schuf die Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) im Dezember 1967 einen eigenen Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘. Dieser arbeitete mit den ähnlich ausgerichteten Gremien des Lutherischen Weltbunds (LWB) und des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) zusammen und wies innerhalb Deutschlands perso188 189 190 191
Lçhr, Rückblick, 4. Dobbert, Staat Israel, 189. S. a. Teil II, 1.4.2 und Teil III, 1.5.2. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Slenczka, Theologie.
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nelle Überschneidungen zu dem Zentralverein, seinen Zweigvereinen, dem Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) und der EKD-Studienkommission auf.192 Vorläufer dieses Arbeitskreises war ein Unterausschuss des VELKD-Missionsausschusses. Nicht nur der bisherige Unterausschuss, auch der neue Arbeitskreis verstand sich als Antipode zum „grundsätzlichen Philosemitismus“, wie er etwa in Gertrud Luckners Freiburger Rundbrief oder in Nes Ammim gepflegt werde.193 Der VELKD-Arbeitskreis initiierte für den 2. bis 23. März 1971 seine erste Studienreise nach Israel, die von Detlef Löhr geleitet wurde und an der sich andere Engagierte des Zentralvereins wie Arnulf Baumann194 und Martin Levy Bass beteiligten. In Abgrenzung zu den Israelfahrten aus dem Umfeld der Kirchentags-AG stand nicht die Begegnung mit Juden, sondern die mit Christen jüdischer Herkunft im Mittelpunkt. Die Berichte von der Reise 1971 zeigten, dass der Aufenthalt im jüdischen Staat – anders als die Fahrten der ,progressiven‘ Israelreisenden Ende der 1950er Jahre – zu keinen neuen Erkenntnissen führte. Die Erlebnisse und Eindrücke wurden im Rahmen des bereits Gewussten gedeutet. Die Reiseteilnehmer blieben innerhalb der Positionen, die man im Zentralverein bereits in früheren Jahren bezog. Mit dem ,Dialog-statt-Mission‘-Programm der christlichen Siedlung Nes Ammim, in der der Touristenbus auf seiner Fahrt von Akko nach Shavei Tsiyon hielt, wollten sich die Reiseberichterstatter nicht auseinandersetzen; der Besuch dort wurde nur einmal kurz erwähnt.195 Für Joachim Biallas war Israel weniger der Staat heutiger Juden, sondern „vor allem das Heimatland Jesu von Nazareth und das Land der Bibel.“196 Das israelische Gemeinwesen bekamen die Reiseteilnehmer trotzdem zu Gesicht und erlebten es in seiner ganzen Ambivalenz. Zum einen sprachen sie respektvoll von den Leistungen der Israelis, die sich nicht nur in mehreren Schlachten siegreich verteidigt, sondern zudem ihr Land aufgebaut hätten: „Ihr im Alten Testament wurzelnder Glaube war ihnen Befehl, das Land zu bebauen, Sümpfe trockenzulegen […] und neue landgebundene Gemeinschaften im Geist der von Gott gebotenen Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu gründen.“197 Zum anderen warnten die Berichte der Reise von 1971 vor einem neuen, nationalistischen ,Mythos Israel‘, dem immer mehr Israelis anhängen und sich auf diese Weise von der Religion entfernen würden. Biallas befürchtete eine Wiederholung des Ereignisses von 1933, nunmehr mit jüdischem Vorzeichen: „Wird sich ein übersteigertes Nationalbewußtsein entwickeln, ein neuer ,Blut192 So KJ 96 (1969), 395 f. – Zum VELKD-AK gehörten Ende der 1960er Jahre u. a. R. Dobbert (Vorsitzender), D. Löhr, W. Monselewski, N.-P. Moritzen, P. Reinhardt, E.L. Schmidt und M. Wittenberg. – Zur EKD-Kommission s. Teil II, 3.4.6. 193 Protokoll der Sitzung des VELKD-AK vom 11./12. 3. 1968 (LAELKB, III/51/29). 194 Zu Baumanns Sicht der Israelreise s. Baumann, Land. 195 So Lçhr, Land Jesu, 80. 196 Biallas, Israel, 72. 197 Otte, Israel, 83. – Vgl. Biallas, Israel, 74.
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Der Staat Israel als Politikum (seit 1967)
und-Boden-Mythos‘ mit religiös verklärtem Sendungsbewußtsein, das die Wunder Gottes in seiner Geschichte nur als Selbstbestätigungen ansieht?“198 Diese Aussage war nun freilich eine nahezu exakte Wiederholung des problematischen Diktums von Gerhard Jasper aus dem Jahr 1954, der mit der Rede von ,Blut und Boden‘ die Israelis als Nazis von heute titulierte.199 Ähnlich gewann Detlef Löhr aus den Impressionen der einst von Kreuzfahrern hart umkämpften Stadt Akko eine Mahnung an den heutigen Staat Israel, denn „wer mit dem Schwert um dies Land kämpfen will, findet hier keine bleibende Statt und sucht vergeblich nach dem Frieden.“200 Martin Levy Bass, der nicht wusste, dass dies seine letzte Israelreise werden sollte, berichtete mit auffallender emotionaler Kälte von seinen Eindrücken im Heiligen Land. Diese Teilnahmslosigkeit hatte ihre Ursache in der Überzeugung, dass das Land Jesu erst dann zur Heimat der Juden werden könne, wenn diese Christus angenommen hätten. Die Begegnung mit orthodoxen Juden in Safed und Mea Shearim stieß ihn erst recht ab. Die schwarz gekleideten Juden mit Schläfenlocken und großen Hüten seien „Verewiger des Bildes vom unterdrückten Gettojuden“ und erschienen ihm „als Bewohner einer gespensterhaften, fremden Welt – die konnte nicht meine Heimat sein.“201 Umso wichtiger war ihm die Begegnung mit der von Magne Solheim geleiteten Gemeinde jüdischstämmiger Christen in Haifa, die ein Jahr zuvor ein neues Kirchenzentrum erhalten hatte. Auch vor einem Besuch einer evangelikal geprägten Gemeinde ,messianischer Juden‘ schreckte Bass nicht zurück: „Gewiß, man mag dieser Gruppe etwas Enthusiastisches vorwerfen. Doch dabei sollte man vorsichtig sein, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ,Junge Christen‘ immer leicht zum Enthusiasmus neigen.“202
3.6.3 Diskussion um die Aktivitäten von Per Faye-Hansen Der für Israel siegreiche Kriegsverlauf und die Wiedervereinigung Jerusalems sorgten in den nun mit dem Terminus ,evangelikal‘ bezeichneten Gemeinschaftskreisen, innerkirchlichen Bibelzirkeln und Freikirchen für eine enthusiastische Stimmung und ließ bei ihnen die Gewissheit aufkommen, dass das apokalyptische Zeitalter deutlich näher gekommen sei. Vor allem die von 198 Biallas, Israel, 74. 199 So Jasper, Wandlungen, 40. – S. a. Teil II, 1.4.2. 200 Lçhr, Land Jesu, 80. – In der auf seinen Reisebericht folgenden FÜI-Ausgabe wird D. Löhr noch deutlicher : „Israels Staatwerdung“ stelle „heute eine ernsthafte, schwere Gefährdung seiner Hoffnung“ dar, die darin bestehe, in Christus die Erfüllung aller an das jüdische Volk gegebenen Verheißungen zu erkennen. Bei seinem Kampf um das Land könnte der israelische Staat, wenn er nicht aufpasse, „alles verlieren, was Gott ihm zugesagt hat“ (Ders., Hoffnung, 125). 201 Bass, Heimat, 75. 202 Ebd., 76 f.
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Per Faye-Hansen203 dominierten Freundeskreise scharten in den lutherischen Landeskirchen eine größer werdende Anhängerschaft um sich. Im Laufe des Jahres 1968 befand sich Faye-Hansen auf einer Vortragstour in der Bundesrepublik. Die VELKD und der Zentralverein verfolgten diese Entwicklung wie in früheren Jahren äußerst kritisch. Unmittelbar nach Beendigung des Sechstagekrieges berichtete der schleswig-holsteinische Kirchenrat Friedrich Scharbau von dem Gespräch, das er mit dem Kieler Kaufmann Friedrich Brode geführt hatte, dem norddeutschen Stellvertreter Faye-Hansens und dem Redakteur der Zeitschrift Kontakt mit Israel.204 Brode sei Mitglied des Zentralvereins und behaupte, er stehe in Verbindung mit Karl Heinrich Rengstorf, Helmut Gollwitzer und Eduard Lohse. Scharbau räumte ein, dass sich Brode auf einem Abweg befinde, weil er nicht sehe, dass die Juden Christus annehmen müssten, um des Heils teilhaftig zu werden. Auch wenn Brode einen ausgesprochenen Chiliasmus vertrete, wonach der wiedergekommene Christus von Jerusalem aus über sein Reich regieren werde, das bei den Apokalyptikern in Kontinuität zum Staat Israel gedacht ist, so wollte Scharbau den Kieler Kaufmann nicht als Irrlehrer verdammen. Scharbaus Kollegen in der VELKD und im Zentralverein drängten jedoch auf eine schärfere Verurteilung dieser Kreise. Das Lutherische Kirchenamt setzte am 2. August 1967 die Gliedkirchen der VELKD davon in Kenntnis, dass die Frankfurter Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland Faye-Hansens Aktivitäten (z. B. Freundeskreis Zeum und Zeitschrift Kontakt mit Israel) nicht befürworten könne und die VELKD deshalb vor einer kirchlichen Unterstützung dieser Gruppierungen abrate.205 Im Lutherischen Kirchenamt freute sich Horst Becker und schrieb an den bayerischen Zweigverein des Zentralvereins: „Sie werden verstehen, daß es ein ,gefundenes Fressen‘ war, daß ich im jüdischen Pressedienst auf die koordinierende Wohlfahrtsstelle in Frankfurt stieß und daß diese unverzüglich mir mitteilte, daß man von offizieller Seite weder mit dem Freundeskreis Zeum noch mit Kontakte mit Israel etwas zu tun haben will.“206
Otto von Harling, juristischer Oberkirchenrat in der EKD-Kirchenkanzlei und zweiter Vorsitzender des Zentralvereins, blies in das gleiche Horn: Nicht nur
203 S. a. Teil II, 2.3.2. 204 So „Stellungnahme von Kirchenrat Scharbau (Ev.-luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins) zu ,Freundeskreis der Karmel-Seemannskirche‘ in Haifa, Israel“ vom 12. 6. 1967, Kopie (LAELKB, III/51/34). 205 Schreiben des Luth. Kirchenamts (Dr. Keller-Hüschemenger) an die Gliedkirchen der VELKD und an den Unterausschuss Kirche und Judentum u. a. vom 2. 8. 1967, vervielfältigt (LAELKB, III/51/34). 206 Brief Beckers an E. L. Schmidt vom 18. 8. 1967 (LAELKB, III/51/34).
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Der Staat Israel als Politikum (seit 1967)
vor den schwärmerischen Vorstellungen Faye-Hansens, sondern auch vor denen Brodes sei zu warnen.207 1969 veröffentlichte der neue VELKD-Arbeitskreis ,Kirche und Judentum‘ ein im Wesentlichen von Ernst Ludwig Schmidt erarbeitetes Gutachten über die von Faye-Hansen geprägte Zeitschrift Kontakt mit Israel. Das Gutachten stellte fest, dass problematische theologische Aussagen innerhalb der Zeitschrift allein schon durch die Anklänge an die Botschaft Abram Poljaks zustande kämen. Die israelische Staatsgründung von 1948 gelte in Kontakt mit Israel als das elementare heilsgeschichtliche Ereignis der Endzeit, das nur noch durch den siegreichen Sechstagekrieg von 1967 übertroffen werden konnte. Auffallend sei seit dem letzten israelischen-arabischen Krieg die „stete Steigerung der apokalyptisch-spekulativen Tendenz“. Die theologische Kritik an dieser Apokalyptik basierte auf der neutestamentlichen Christusbotschaft. Die Zeitschrift setze ,Israel‘ an die Stelle Christi, denn die Nationen der Welt könnten nur durch ,Kontakt mit Israel‘, also durch Solidarität zum Judentum und zum jüdischen Staat, Rettung im endzeitlichen Gericht erfahren. Der vielschichtige Begriff ,Israel‘ werde nicht definiert, sodass zwischen weltweiter Judenheit, erwähltem Gottesvolk und dem israelischen Staatswesen kein Unterschied bestehe. „Die heilsgeschichtliche Deutung der Staatwerdung Israels wird nicht dem gerecht, was das Neue Testament mit dem in Jesus Christus geschaffenen ,Neuen Bund‘ und der in ihm erschienenen ,Erfüllung‘ meint.“208 Das neutestamentliche Verständnis von Kirche werde in der Zeitschrift somit aufgegeben. Abschließend wurden Kirchenleitungen und die Gemeinden als Adressaten des Gutachtens gebeten, diese endzeitlich motivierten Kreise nicht zu unterstützen. Bei der Beschäftigung mit dem Gutachten wurde den Mitgliedern des Arbeitskreises ,Kirche und Judentum‘ die Vielzahl an „fundamentalistischen Gruppen“ und Aktivitäten bewusst, die neben Kontakt mit Israel „apokalyptischen Vorstellungen“ zum jüdischen Israel anhingen. Angesichts diverser Schnittmengen209 zwischen dem Staat-Israel-Verständnis ,schwärmerischer‘ Apokalyptiker und dem progressiver Israelfreunde fragten sich die Mitglieder des Arbeitskreises, ob „die Haltung der ,Kirchentagsgruppe‘ und der ,Holländer‘“ letztlich auf die bereits älteren Positionen pietistisch-enthusiastischer
207 So v. Harling an das Luth. Kirchenamt vom 4. 10. 1967, Kopie (LAELKB, III/51/34). 208 AK Kirche und Judentum, Gutachten [FÜI], 19. – Als das Gutachten zusätzlich in Blick in die Welt abgedruckt wurde, stellte man diesem ein Zitat von A. v. Jüchen voran, das die endzeitliche Deutung der Gründung des Staates Israel verwarf und diese „heilsgeschichtlich gesehen“ als einen „Rückschritt“ bezeichnete (AK Kirche und Judentum, Gutachten [Blick in die Welt]). Mit Jüchen versuchte man die apokalyptische ,Schwärmerei‘ durch die Betonung der klassischen Substitutionslehre zu widerlegen: Der neue Bund löse den alten ab und deshalb könne alles, was den Staat Israel betreffe, nur noch rein profan betrachtet werden. S. a. v. Jchen, Atheismus, 45. 209 S. a. Teil IV, 2.2.3.
„Keine besondere ,Israeltheologie‘“
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Couleur zurückgingen.210 Neben den Vorstellungen der Kirchentags-AG waren es die Verlautbarungen der Nederlandse Hervormde Kerk, die sich aus der Sicht des Arbeitskreises auf ,schwärmerische‘ Wurzeln zurückführen ließen.211 Was mit den ,älteren Positionen‘ gemeint war, wurde nicht näher ausgeführt. Wahrscheinlich wurde auf pietistische und freikirchliche Endzeitlehren rekurriert, wie sie bereits vor 1945 bestanden und in denen das Judentum eine besondere Rolle im Heilsplan Gottes einnahm.212
210 Protokoll der Sitzung des VELKD-AK vom 15./16. 1. 1969, S. 3 (LAELKB, III/51/29). 211 Die Nederlandse Hervormde Kerk hatte bereits 1959 für ein heilsgeschichtliches Verständnis der israelischen Staatlichkeit votiert: „Wie aber soll die Kirche diese Erscheinung des Staates Israel, und nun gerecht, beurteilen? Wir meinen darin auf jeden Fall ein Zeichen Gottes sehen zu dürfen“ (Nederlandse Hervormde Kerk, Israel, 1961, 61). 212 Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert schrieb J. H. Jung-Stilling: „Das Land Palästina wird also dereinst, und vielleicht bald in christliche Hände kommen, und dann dem Jüdischen Volk wieder eingeräumt werden“ (Jung-Stilling, Heimweh, 420).
Teil III: Publizistik
Vorbemerkungen: Das Klassifizierungssystem Anhand der ,qualitativen Inhaltsanalyse‘ werden die ausgewählten Zeitschriftenartikel danach untersucht, ob sich in ihnen bestimmte inhaltliche Aussagen finden, die als ,Kategorien‘ bezeichnet werden.1 Dass die Kategorien bei einer ersten Durchsicht des kompletten Textmaterials mittels untersuchungsleitenden Hypothesen2 aufgestellt werden, ermöglicht beim zweiten Durchgang ein systematisches Abfragen nach den festgelegten Inhalten. Die ermittelten Kategorien ergeben in Form von prägnant formulierten und thematisch angeordneten Überschriften das unten abgedruckte ,Klassifizierungssystem‘. Das auf jede der drei Zeitphasen angewandte Klassifizierungssystem zeigt mögliche Entwicklungen im Untersuchungszeitraum auf und lenkt den Blick auf Veränderungen im Laufe der Jahre.3 Im ersten Zeitabschnitt der vorliegenden Studie war das politische Interesse der Autoren geringer ausgebildet als in späteren Jahren. Weil die Kategorien des Klassifizierungssystems aus dem gesamten Untersuchungszeitraum heraus entwickelt worden sind, kann man erkennen, dass beispielsweise bestimmte Fragestellungen in den 1950er Jahren noch keine Rolle spielten, obwohl sie in der Zeit nach 1967 von nicht geringer Bedeutung waren. Die Gründe dafür sind manchmal ganz banal. Da es in den ersten Nachkriegsjahren noch keine Friedensbewegung in Israel gab, konnte sie in den herangezogenen Artikeln dieses Zeitraums auch nicht genannt werden.4 Auch alle Überlegungen, die sich aus der 1967 erfolgten Besatzung des Westjordanlandes durch Israel ergaben, kamen im ersten Zeitabschnitt nicht vor. Wenn also die Ausführungen des III. Teils eine Kategorie auslassen, hat das allein im nicht vorhandenen Befund seine Ursache.
1 2 3 4
Zur Methode und der Auswahl der Periodika s. Teil I, 5. Zur Überprüfung der Hypothesen s. Teil IV, 3.4. Diese Entwicklungen werden in der Ergebnissicherung deutlich (s. Teil IV, 3). Folglich fehlt für die erste Phase die Kategorie „Sympathie mit der israelischen Friedensbewegung“ aus der Ziffer 3.1 des Klassifizierungssystems.
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Vorbemerkungen: Das Klassifizierungssystem
Übersicht des Klassifizierungssystems: 1. RELIGIÖSE UND THEOLOGISCHE ASPEKTE 1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit Die allgemeine Frage nach der Relevanz des Staates Israel für die Christenheit Der Staat Israel im christlich-jüdischen Gegenüber 1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel Theologische Komponenten der israelischen Staatlichkeit Anerkennen der Zionssehnsucht als Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses Der Staat Israel im Kontext der Verheißungen an das jüdische Volk Der Staat Israel im Kontext endzeitlicher Erwartungen Kritik am Vorwurf der mangelnden Religiosität 1.3 Kritik einer theologischen bzw. heilsgeschichtlichen Deutung des Staates Israel Kritik an einer heilsgeschichtlich-eschatologischen Deutung Die christliche Relativierung des jüdischen Verständnisses des ,Landes‘ Israel als säkularer und religiös indifferenter Staat Israel zwischen Theokratie und Demokratie, Religion und Politik
2. SÄKULARE ASPEKTE 2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah 2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah Die deutsche Schuld als Ursache der Verantwortung Konkrete Anlässe 2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel Bewunderung der wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen Bewunderung der Verwirklichung gesellschaftlicher Ideale Kritik an einer Glorifizierung der israelischen Aufbauarbeit
Vorbemerkungen: Das Klassifizierungssystem 3. DER NAHOSTKONFLIKT IM ALLGEMEINEN 3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit Der Nahostkonflikt als Beunruhigungsfaktor Plädoyer für Frieden und Gerechtigkeit Sympathie mit der israelischen Friedensbewegung 3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens Gegenseitige Anerkennung des Lebensrechts des anderen Forderung nach einem binationalen bzw. föderativen Staat in Palästina Ablehnung der Idee eines binationalen bzw. föderativen Staates in Palästina Das Engagement der Weltmächte in Nahost 3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem Forderung nach Lösung der Flüchtlingsfrage Verständnis für die israelische Position Verständnis für die arabisch-palästinensische Position 3.4 Der Status Jerusalems Jerusalem als eine israelische Stadt Zurückweisung des israelischen Anspruchs auf ganz Jerusalem Die Rolle der heiligen Stätten 3.5 Der Status der seit 1967 besetzten Gebiete (ohne Ost-Jerusalem) Verständnis für die israelische Besatzung Kritik an der israelischen Besatzung
4. PARTEINAHME FÜR DEN STAAT ISRAEL 4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel Die Bedrohung des Staates Israel Das Existenzrecht des Staates Israel Christliche Solidarität zum Staat Israel 4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel Gegen den Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus Gegen den Vorwurf des Nationalismus und Rassismus Bewusste Zurückhaltung gegenüber Kritik an Israel 4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen Kritik an den arabischen Kirchen Kritik an westlichen Kirchen und ökumenischen Vereinigungen Kritik an der antizionistischen Linken 4.4 Kritik am palästinensischen Terrorismus
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Vorbemerkungen: Das Klassifizierungssystem
5. PARTEINAHME FÜR DIE ARABISCH-PALÄSTINENSISCHE SEITE 5.1 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Lebensrechts Anerkennung des arabisch-palästinensischen Selbstbestimmungsrechts Anerkennung des arabisch-palästinensischen Wunsches nach einem eigenen Staat 5.2 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft Allgemein Der Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus Der Vorwurf des Nationalismus und Rassismus
1. Erste Phase (1948 – 1958) 1.1 Religiöse und theologische Aspekte 1.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit Die allgemeine Frage nach der Relevanz des Staates Israel für die Christenheit: Die Verfasser der Zeitschriftenartikel, die auf das zeitgenössische Judentum Bezug nahmen, gingen bereits 1948 davon aus, dass die „Ereignisse seit dem 14. Mai dieses Jahres in Palästina […] in besonderer Weise die Blicke der Christenheit auf sich gezogen“ hätten und theologische Fragen aufwürfen, unabhängig davon, wie die Autoren die Gründung des Staates Israel im Einzelnen theologisch und politisch beurteilten.1 Bereits Johann Albrecht Bengel „hat vor mehr als 200 Jahren gesagt: ,Ganz besonders soll die Christenheit aufmerken, wenn es im Heiligen Lande rumort.‘ Das tut es aber heute gewaltig.“2 So forderten in der Nachkriegszeit gerade auch der pietistische Israel-Enthusiasmus und der jüdisch-religiöse Zionismus zu einer Antwort durch die Kirche heraus. Nach der Staatsgründung stellte der israelische Sinaifeldzug 1956 das nächste Ereignis dar, dessentwegen sich viele Augen auf den Staat Israel gerichtet hätten. Als bemerkenswert galt bereits die Tatsache, dass dieser Staat die biblische Bezeichnung ,Israel‘ trage und damit auf den Gottesnamen ,El‘ verweise. Die Texte stellten deswegen immer wieder die Frage, was das, „was heute in, um und mit Jerusalem geschieht und was darüber hinaus in Israel vor sich geht, mit Gottes Ziel zu tun [habe], wie es die Heilige Schrift beider Testamente mit Jerusalem verknüpft sein läßt.“3 Christologisch akzentuiert: Wie waren „die Verheißungen des Alten Testamentes“, welche eine national-territoriale Zukunft des Volkes Israel nahe legen, „in ihrem Verhältnis zu Jesus zu sehen“?4 1 Wittenberg, Lage, 179. – Vgl. ders., Rez. zu J. Jellinek; Buchrucker, Rez. zu K. Hartenstein; Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 453; Ders., Zur Sinndeutung, 315; und ders., Der Staat Israel. – S. a. Lohmeyer, Judenfrage [1955], 125: „Daß seit Mai 1948 der Staat Israel existiert und daß Juden aus 64 Ländern der Erde in die Heimat ihrer Väter zurückkehrten, läßt unsere Gemeindeglieder aufhorchen.“ 2 Hesse, Jude, 16. – Vgl. Jasper, Zur Sinndeutung, 315; Lohmeyer, Judenfrage [1957], 12; und o.Vf., Der Staat Israel, 155. 3 Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 147. – Vgl. ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393; O.Vf., Flucht; und Wittenberg, Bedeutung, 214. – S. a. Obendiek, Rez. zu E. Jost-Suter. 4 Jasper, Zur Sinndeutung, 315. – Die Redaktion der EvW behauptete, dass sie das Gespräch fortsetzte, „das seit der Errichtung des Staates und dem Beginn seiner unterschiedlichen theologischen Deutung […] nicht zur Ruhe gekommen ist“ (redaktionelle Einleitung zu: Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 453).
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Erste Phase (1948 – 1958)
Wohlgemerkt, hier handelte es sich nicht um Antworten, sondern lediglich um Fragen. Die Periodika wollten damit ihren Beitrag zur Diskussion über die theologische Deutung dieses Phänomens leisten. Die Relevanz des jüdischen Volkes für das Christentum bestand zunächst einmal darin, dass aus ihm der als Gottessohn verehrte Jesus Christus stammte. Gleichermaßen lag die Relevanz des Landes Israel darin, dass dieses Jesu irdische Heimat gewesen war. Judentum, Land und Staat Israel wurden in den Artikeln in der Regel differenziert, aber als zusammengehörig betrachtet, sodass der moderne Staat und der Jude Jesus aufeinander bezogen werden konnten: „In besonderer Weise aber sind wir auf Gründung und Selbstbehauptung des IsraelStaates aufmerksam gemacht, nun sie das Volk vollzieht, dessen […] Kronprätendenten […] wir als unsern und der Judenheit Herren und künftigen Weltvollender bekennen.“5
Der Staat Israel im christlich-jüdischen Gegenüber: Relevant wurde der Staat Israel ganz konkret in der Frage, auf welche Weise sich die neue Entität auf das christlich-jüdische Verhältnis auswirkte. In der ersten Phase wollten die Autoren wissen, was aus Israels Staatlichkeit für das klassische Anliegen der Judenmission resultierte. Dass diese neue Situation in irgendeiner Hinsicht Auswirkungen haben würde, bezweifelte niemand, „denn zum ersten Male steht die Gemeinde Jesu im Laufe ihrer Geschichte einem geschlossenen Volk Israel gegenüber, während sie bisher nur Juden in der Zerstreuung begegnet ist.“6 Während sich Vertreter der deutschen Judenmission darüber freuten, dass britische und skandinavische Missionare ungehindert im israelischen Staat arbeiten konnten, beklagten sie gleichzeitig, dass sie selbst die nach Palästina emigrierten Juden nicht mehr mit dem Evangelium erreichen könnten: „Zur Bedeutung des Staates Israel für die Christenheit Deutschlands gehört, daß seit 1948 bis zur Stunde der Abzug der Juden aus Deutschland in großem Maße sich abspielt.“7 Die vorübergehende Anwesenheit jüdischer ,Displaced Persons‘ (DPs) in den Auffanglagern bot die letzten Verkündigungsmöglichkeiten, die leider zu wenig wahrgenommen worden seien. Texte, in denen die Lage der Juden nicht nur in der Diaspora, sondern selbst in Palästina unter dem Stichwort der ,Krise‘ verhandelt wurde, spekulierten auf eine größere Offenheit für die christliche Verkündigung „unter den Gliedern des Volkes Israel“ auf dem Boden des Heiligen Landes.8 Wenn enthusiastisch davon gesprochen wurde, dass die israelische Regierung das „gesamte kirchliche Eigentum, auch das deutsche“, den „Missionsgesellschaften“ zurückgeben wolle (was so nicht stimmte), dann ist das im Kontext der unmittelbar zuvor erfolgten Bekanntgabe der Bekehrung zweier Juden nur so zu 5 6 7 8
Wittenberg, Bedeutung, 213. Lohmeyer, Judenfrage [1955], 125. – Vgl. Jasper, Arbeit, 426. Wittenberg, Bedeutung, 213. – Vgl. Jasper, Arbeit, 426. Grillenberger, Jahresfest. – Vgl. Wittenberg, Lage, 182 u. 185.
Religiöse und theologische Aspekte
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lesen, dass man den Zeitpunkt erwarte, an dem deutsche Missionare auch unter Israelis zu evangelisieren begännen.9 Denn die Christenheit müsse auf jeden Fall ihren ,Zeugendienst‘ an den Israelis ernst nehmen. Unabhängig von einer deutschen Beteiligung an diesem ,Zeugendienst‘ hofften die Verfasser auf eine kollektive Judenbekehrung, wobei schon heute „jeder Christ aus Israel ein eschatologisches Zeichen sei.“10 So hielten die Autoren in der Gesellschaft Israels akribisch nach Anzeichen einer jüdischen Öffnung für Jesus Ausschau: „Jesus wird heute im Staate Israel der größte Jude, der je gelebt hat, genannt, und der Gedanke ist nicht abwegig, den Prozeß Jesu zu revidieren und seine Kreuzigung als ein Fehlurteil zu bezeichnen.“11 Demgegenüber wurde einschränkend konstatiert, dass die Rückkehr ins Heilige Land die Juden nicht zu einer größeren Messiaserwartung geführt habe. Die Gründung des Staates könne deshalb nicht als Vorbereitung auf die noch ausstehende Bekehrung der Juden angesehen werden: „Darüber sollten uns auch die modernen jüdischen Jesusromane nicht hinwegtäuschen.“12 Auch die Entdeckung Jesu als jüdischem Rabbi ändere nichts an der Tatsache, dass die Juden den Anspruch Jesu als Gottessohn ablehnten. Vertreter der Judenmission beklagten, dass der israelische Umgang mit den im Land lebenden ,Judenchristen‘ der staatlich garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit widerspräche: „Im Staate Israel kann der Jude religionslos sein. Aber der Judenchrist wird als ,Meschumid‘, als Verräter an der Sache Israels empfunden.“13 Christliche Ehepartner von Israelis erhielten nur dann die Staatsbürgerschaft, wenn sie zum Judentum konvertierten. In israelischen Medien werde zwar von Kirchen auf israelischem Staatsgebiet gesprochen, die Existenz von christusgläubigen Juden aber peinlichst verschwiegen. In Israel habe man Angst, dass eine positive Haltung zu den ,Judenchristen‘ die jüdische Identität gefährde, wonach Staat, Volk und Religion unentrinnbar zusammengehörten.14 Deshalb werde die christliche Missionsarbeit, die im Staat Israel „ein Wagnis des Glaubens“ sei und bliebe, von den Behörden besonders kritisch beobachtet, wobei besonders „die direkte Evangelisation […] immer noch unter starken Einschränkungen“ leide.15 Ein Autor stellte deshalb sogar
9 Grillenberger, Jahresfest; Zit. v. K. H. Rengstorf. – Vgl. Wittenberg, Judenfrage, 22. 10 Wittenberg, Gedanken, 199. – ,Israel‘ meint hier das jüdische Volk. 11 Hesse, Jude, 17; Bezug auf 2 Kor 3,16. – Vgl. Wittenberg, Bedeutung, 213. – Zur Bezugnahme auf 2 Kor vgl. Jasper, Zur Sinndeutung, 318. 12 Jasper, Gespräch. – Vgl. ders., Judenfrage, 209. 13 Ebd. – Vgl. Jasper, Israel für Toleranz, 406; Ders., Gespräch; Ders., Arbeit, 427; Ders., Zur Sinndeutung, 316; O.Vf., Gefährdung, 282; Wittenberg, Judenfrage, 22; und ders., Gedanken, 199. – An anderer Stelle war vom Eindruck die Rede, „daß zwar Europäer, Amerikaner, Araber in Israel [als Christen, GG] sein dürften, aber keine Menschen des jüdischen Volkes“ (Wittenberg, Gleichberechtigung). 14 So Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Hier wird S. Ben-Chorin zitiert: „Mit der Taufe hat der Judenchrist sich eines Sakrilegs schuldig gemacht.“ – Vgl. Jasper, Judenfrage, 209. 15 Jasper, Arbeit, 427; und o.Vf., Judenmission in aller Welt, 443.
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Erste Phase (1948 – 1958)
die bewusst polemische Frage, „ob hier [in Israel] mit einem Male der hitlerische Grundsatz ,Ein Blut – Ein Volk – Ein Glaube‘ herrsche.“16
1.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel Theologische Komponenten der israelischen Staatlichkeit: Autoren, die vor einer heilsgeschichtlichen Charakterisierung der israelischen Staatlichkeit zurückschreckten, erkannten dessen ungeachtet durchaus theologische Aspekte in der neuen jüdischen Entität. Es handelte sich dabei um Zuschreibungen, die über eine rein profane Weltbetrachtung hinausgingen und trotz demokratisch-moderner Gesellschaftsform die These von sich wiesen, Israel sei nichts weiter als ein rein säkularer Staat. Verfasser, die dagegen eher zu heilsgeschichtlichen Beschreibungen neigten, setzten es als selbstverständlich voraus, dass der Staat Israel theologische Komponenten aufweise. Wer nach einer möglichen religiösen Bedeutung des Staates Israel fragte, wollte wissen, ob dieses Land als ein Land wie jedes andere bezeichnet werden könnte, oder ob ihm „eine sakrale Würde“ zukomme, gar einem „Sakrament“ vergleichbar sei.17 Auch wenn diese Frage vielfach offen gelassen wurde, kam niemand an den symbolischen Implikationen israelischer Politik vorbei. Die israelische Staatsgründung 1948 sei genauso wie die israelische Eroberung der Sinai-Halbinsel 1956 „keine rein politische Stunde ohne metaphysische Hintergründe.“18 Deshalb ging auch die Schilderung von General Moshe Dayans Einnahme des Sinai-Berges als Ort der Mose-Theophanie über eine bloß neutrale Berichterstattung hinaus.19 Judenmissionarische Autoren wiesen zwar die religiöse Überhöhung des Staates Israel zurück, sahen in diesem aber trotzdem kein rein profanes Gemeinwesen, da man eben Juden und Israelis nicht „als Volk neben andere Völker stellen“ dürfe.20 Nicht alle Vorgänge in Israel könnten in die säkulare Ecke abgedrängt werden. Auch dürfe man nicht generell behaupten, „daß das israelische Palästina alle Verbindung mit der Geschichte“, d. h. mit dem Alten Testament und der Heilsgeschichte, verloren habe, wie es etwa in der „arabophilen Pfarrerschaft“ verbreitet werde.21 Selbst im rein politischen Zionismus als der staatstragenden Bewegung Israels würden alte religiöse Impulse schlummern. Anerkennen der Zionssehnsucht als Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses: Der Verweis auf den Zionismus zeigte, dass sich die Autoren bereits im ersten Zeitabschnitt darum bemühten, die jüdische Position zu Wort kommen zu 16 17 18 19 20 21
Wittenberg, Gleichberechtigung. O.Vf., Der Staat Israel, 155. Maas, Unbekanntes Israel, 577. – Vgl. Ben-gavriÞl, Sinai, 72. So o.Vf., Die wissenschaftliche Ausbeute. Wittenberg, Judenfrage, 22. Ders., Rez. zu H. Maas. – S. a. Jasper, Leid, 283.
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lassen. Das hieß jedoch nicht, dass sich die christliche Theologie automatisch verpflichtet fühlte, diese Auffassungen zu übernehmen. Aber mit der Rekurrierung auf jüdische Eigencharakterisierungen war eine gewisse Anerkennung der jüdischen und auch der zionistischen Haltung gegeben. So erfuhren die Leser, dass die israelische Staatsgründung in den Augen jüdischer Repräsentanten zwar nicht die Erlösung, aber den „Beginn der Erlösung“ darstellte und dazu geeignet sei, „einen Juden unserer Tage zur Anbetung gegen Gott zu führen.“22 Deshalb gelte die Rückkehr nach ,Erez Israel‘ als die vordringlichste Aufgabe des jüdischen Volkes, denn „erst wenn sein größter Teil […] wieder in Palästina sei, werde die Schechina, die Gnadengegenwart Gottes, voll auf dem Judentum ruhen.“23 Es kamen auch Israelis zu Wort, die das zionistische Vorhaben nicht derart eschatologisch deuteten, sondern mehr eine „völkische Wiedergeburt“ anvisierten, „um Gott zu dienen mit einem Psalm auf den Lippen und dem Spaten in den Händen.“24 Andere Zeitschriftenartikel gingen über das bloße Referieren oder Informieren hinaus. Christen sollten sich demnach jüdische Positionen nicht nur anhören, sondern diese als Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses bewusst anerkennen. Die Beschäftigung der Christen mit der ,Judenfrage‘ müsste „das weltgeschichtlich merkwürdige und aufregende Phänomen des Judentums nach seinen eigenen Voraussetzungen ernst“ nehmen.25 Als Vorbild eines Christen, der die Juden in ihrem Sosein zu respektieren vermochte, wurde Hermann Maas aufgeführt. In solchen Zusammenhängen fanden sich zahlreiche Aussagen, bei denen das zionistische Unterfangen und die daraus resultierende Schaffung eines jüdischen Staates explizit in den historischen Kontext der Tradition der jüdischen Zionssehnsucht gestellt wurden. Es wurde anerkannt, dass das jüdische Volk seit alters her in einer einzigartigen Beziehung zu Palästina stehe. Diese Sehnsucht erst ließ den Juden Palästina als geheiligtes Land, als ,Erez Israel‘ erscheinen. Deshalb konnten die Pioniere des Zionismus weder nach Uganda noch nach Argentinien, sondern ausschließlich nach Palästina emigrieren. Das Sehnen nach dem Land lag auch der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 zugrunde: „Es ist die uralte Zionssehnsucht der Frommen Israels auf Grund der prophetischen Worte des Alten Testaments, die gleichfalls bei der Gründung des Staates Israels Pate gestanden hat.“26 Jedes Passahfest habe man mit den Worten beschlossen: ,Das nächste Jahr in Jerusa-
22 O.Vf., Der Staat Israel, 155; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. – Vgl. Jasper, Leid, 283; und ders., Zur Sinndeutung, 315. 23 Wittenberg, Lage, 180. 24 Eberhard, Rez. zu Ch. Weizmann. 25 Obendiek, Rez. zu E. Jost-Suter. – Vgl. Maas, Unbekanntes Israel, 578; und SiegmundSchultze, Versöhnung, 293. 26 Jasper, Leid, 283. – Vgl. Ahne, Staat Israel, 222 (Zmf. d. Pos. v. M. Beheim-Schwarzbach); Jasper, Zur Sinndeutung, 315; und ders., Der Staat Israel, 359.
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lem‘. Es handele sich hierbei um den Traum vom „Kibbuz hagalujot“, der Sammlung der Zerstreuten.27 Der Staat Israel im Kontext der Verheißungen an das jüdische Volk: Die im Zuge der Neubesinnung auf das Judentum üblich gewordene Relecture von Römer 9 – 11 führte bereits in den 1950er Jahren zu der Aussage, dass die biblischen Verheißungen an die Judenheit weiterhin gälten. Das Theologumenon, dass das jüdische Volk von Gott erwählt sei, hatte vielfach auch Auswirkungen auf das Verhältnis der Kirche zum Staat Israel, sofern dieser als eine jüdische Entität wahrgenommen wurde. Ausgangspunkt war hier der Sachverhalt, dass die Bibel das Land den Erzvätern und dem israelitischen Volk verhieß. Inwieweit die alttestamentliche Konzeption des Landes auch noch nach der Christusoffenbarung aufrechterhalten werden konnte, war allerdings zum Streitthema zwischen konfessionellen und judenmissionarischen Kreisen auf der einen und den im Dialog Engagierten auf der anderen Seite geworden. Wer die Glaubensgemeinschaft der Juden als von Gott erwählt betrachtete, musste deshalb noch nicht den Staat Israel mit heilsgeschichtlichen Attributen versehen. Gleichwohl zeigte es sich, dass dort, wo man das Judentum positiv sah, auch der jüdische Staat vermehrt in den Kontext biblischer Verheißungen hineingestellt wurde, wenn auch oft unbestimmt und holzschnittartig. Generell wollten dabei die hier untersuchten Periodika die eigene Position von der als unreflektiert angesehenen Euphorie pietistisch-erwecklicher Kreise unterschieden wissen. Das Schema ,Weissagung und Erfüllung‘28 fand bei progressiven Autoren trotzdem seine Anwendung: Die Massenimmigration der vom nationalsozialistischen Völkermord heimgesuchten Juden nach Palästina sei eine Erfüllung der Verheißung von Jeremia 31,15 f: Rahels Kinder sollten aus Nazi-Deutschland als dem ,Land des Feindes‘ wieder „in ihre Heimat kommen.“29 Und wenn die Juden „aus Südarabien, aus völlig kulturlosem Zustand, in Flugzeugen aus 2000-jähriger Verbannung zurückkehren“ erinnere das an die in Jesaja 60 geweissagte Sammlung der Zerstreuten: „Wer sind die, die da fliegen wie die Wolken und wie die Tauben zu ihren Schlägen“ (Jes 60,8)? Daraus könne gefolgert werden: „Aufs Ganze gesehen, werden wir sagen dürfen, daß wir vor einer dritten Heimkehr in das jüdische Land stehen“, denn „Juden aus allen Teilen der Welt“ ziehen „in den neuen Staat Israel.“30 27 Maas, Unbekanntes Israel, 578. – Vgl. Ahne, Staat Israel, 224 (Zmf. d. Pos. v. K. H. Rengstorf): „Die Sehnsucht des frommen Juden außerhalb des Landes gipfelt in dem Satz: ,Nächstes Jahr in Jerusalem!‘“ 28 Zum klassischen Begriffspaar s. Bultmann, Weissagung, 162: „Nach der im Neuen Testament wie in der kirchlichen Tradition herrschenden Auffassung ist die Weissagung verstanden als die Voraussage eines künftigen Geschehens, und die Erfüllung ist das Eintreffen des Vorausgesagten. Ist die Weissagung von Gott autorisiert, so ist sie gewissermaßen ein Versprechen Gottes, das im späteren Geschehen seine Erfüllung findet.“ 29 Siegmund-Schultze, Versöhnung, 293; Bezug auf H. Maas, Rachels Kinder, 8. 30 Hesse, Jude, 18.
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Die Inanspruchnahme biblischer Prophetie zeigte, dass sich die Autoren bei der Beschreibung von Schoah und jüdischem Neuanfang geschichtstheologischer Topoi bedienten: „Gott sucht sein auserwähltes Volk vor den Augen der Menschheit heute gnädig heim.“31 Diese Tendenz wurde durch die Aufnahme jüdisch-israelischer Impulse noch verstärkt, denn dort fand das Schema Gericht und Gnade seine Entsprechung. Da den Texten die israelische Staatsgründung als Ausdruck der den Juden neu zuteil werdenden göttlichen Barmherzigkeit galt, wurden die Judenverfolgungen der früheren und des gegenwärtigen Jahrhunderts konsequenterweise in die Nähe göttlicher Gerichte an seinem untreuen Volk gerückt. Der Staat Israel im Kontext endzeitlicher Erwartungen: Die eben aufgeführten Beispiele verzichten auf eine Datierung der angesprochenen Ereignisse im göttlichen Heilsplan. In den Artikeln wurde der Staat Israel nirgends explizit als Erfüllung spezifisch endzeitlicher Verheißungen verstanden. Man stieß nur vereinzelt auf relativ unkonkrete Äußerungen, wonach die Staatsgründung Israels „ein Schritt in der Geschichte des Reiches Gottes“ gewesen sei.32 Der israelische Staat galt ferner einer anderen singulären Stimme als „der mythisch-politische Schnittpunkt“, „der jählings Realität geworden ist nach 2000 Jahren Galuth.“33 Kritik am Vorwurf der mangelnden Religiosität: Hauptkritikpunkt am politischen Zionismus war seit jeher, dass er zwar biblische Motive benutze, dabei aber eine säkulare Gesellschaftsform anstrebe und daher nichts zur religiösen Erneuerung des jüdischen Volkes beitrage. Diese Kritik am Zionismus wurde seit 1948 immer wieder auf den Staat Israel übertragen. Wer jedoch den jungen jüdischen Staat in den Kontext biblischer Verheißungen stellte, ließ dieses Monitum nicht gelten. Hier wurde die Beobachtung beleuchtet, dass die jüdische Glaubensgemeinschaft in Israel nicht nur „zionistischen Träumen“ anhing, sondern sich um eine „innere Renaissance“ bemühte. Im neuen Staat fand eine „Einkehr zum echten Judentum“ statt, die jüdische Religion gewann an Bedeutung, insbesondere in Bezug auf Erziehung und Integration der verschiedenen Bevölkerungsschichten.34 Dazu gehörte, dass die jüdischen Feste wieder „im Anschluß an die alten biblischen Bezeichnungen gefeiert“ wurden.35 Auch wer keinen religiösen Neuaufbruch in 31 Ebd. – Eine Variante des Schemas Gericht und Gnade fand sich bei Wittenberg, Judenfrage, 37: Der Staat Israel wurde hier mit der Stadt Henoch verglichen, die nach Kains gleichnamigen Sohn benannt war (Gen 4,17). Dadurch wäre der jüdische Staat trotz des vorhergehenden Gerichts dem Schutz des Höchsten nicht entzogen. 32 Maas, Unbekanntes Israel, 577. 33 Ahne, Staat Israel, 222; Zmf. d. Pos. v. M. Beheim-Schwarzbach. 34 Maas, Unbekanntes Israel, 577. – Vgl. Grolle/Redaktion, Leben, 207. 35 Siegmund-Schultze, Versöhnung, 293. – Auch könne „das Wiederaufleben des Siebenjahresfestes als ein Zeichen der Erneuerung alter Sitten in Israel“ gelten (O.Vf., Judenmission in
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Israel wahrnahm, musste einräumen, dass nicht alle Israelis nationalistisch ausgerichtet seien, sondern sich durchaus um ein Glaubensleben bemühten. Man könnte deshalb nicht generell sagen, dass die israelische Gesellschaft aus „einem weithin glaubenslosen, säkularisierten und dazu bodenfremden Volke“ bestehe.36 Dass die israelische Gesellschaft nicht areligiös sei, meinten die Autoren auch im Umgang mit der Bibel wahrzunehmen. Man erkenne, dass die Hebräische Bibel im israelischen Gemeinwesen den Charakter eines primären Nationaldokuments eingenommen hatte: „Man liest die Bibel wie in keinem anderen Land der Welt und sucht sich aus dem prophetischen Wort buchstäblich Weisungen für das, was in dem Gelobten Land zu geschehen hat.“37 Man benutzte die biblischen Angaben sogar zum Auffinden von Bodenschätzen oder um geeignete Lagen für Weinanbau und Aufforstungen ausfindig zu machen. Das Alte Testament stellte „das klassische Schulbuch in dem jungen Staat“ dar ; schon Kinder wiesen eine erstaunliche Bibelkenntnis auf.38 Die Rolle, welche biblische Motive und Traditionen im öffentlichen Leben spielten, verwies auf das Bestreben des israelischen Volkes, „das beste Erbe seiner Vergangenheit zum Leben zu erwecken.“39 Nicht immer geschah diese Anknüpfung unter rein säkular-nationalistischen Vorzeichen. Viele Israelis hätten dabei durchaus religiöse Anliegen gehabt. Angesichts der Rezeption der Bibel als Nationalliteratur stellten Vertreter der Judenmission die Frage, wie man nun „mit Vollmacht“ die Judenheit davon überzeugen könne, „daß das Gefälle des Alten Testaments auf Jesus von Nazareth hingeht“, nicht auf einen heutigen Staat in Palästina.40
1.1.3 Kritik an einer theologischen Bedeutung des Staates Israel Kritik an einer heilsgeschichtlich-eschatologischen Deutung: Gegenüber den positiv-theologischen Zuschreibungen überwogen die Versuche, einer heilgeschichtlichen Überbewertung des modernen Israels den Boden zu entziehen. Die konfessionell ausgerichteten Autoren warnten dabei primär vor den „schwarmgeistigen und sektiererischen Kreisen“41, sekundär aber auch vor
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aller Welt, 443). – S. a.: „Man weiß wieder um den Platz, den Gott diesem Judentum in der Welt gegeben hat und will ihn im Gehorsam gegen Gott auch ausfüllen“ (o.Vf., Kirche und Israel, 565; Zmf. d. Pos. v. K. H. Rengstorf). – Vgl. o.Vf., Der Staat Israel, 155; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. Wittenberg, Rez. zu H. Maas. – Vgl. ders., Gedanken, 197. Hesse, Jude, 17. – Vgl. Ben-gavriÞl, Sinai, 72; und Maas, Unbekanntes Israel, 577. – S. a. Lohmeyer, Judenfrage [1955], 125. O.Vf., Israel und Ökumene, 471; Zmf. d. Pos. v. H. D. Leuner. – Vgl. Grolle/Redaktion, Leben, 207. Wittenberg, Gedanken, 197. Ebd. O.Vf., Ein Zeichen, 214. – Als Beispiel wurden die Evangeliumschristen in Russland genannt.
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liberalen Pionieren des Dialoggedankens, zu denen an erster Stelle Hermann Maas gehöre; deren Staat-Israel-Euphorie wurde in den Aufsätzen kaum minder als ,schwärmerisch‘ eingeschätzt. Wenn die Texte wissen wollten, ob „bei allen weltlichen Vorgängen vielleicht doch die Wiederaufrichtung des Staates Israel ein Hinweis Gottes ist auf die beginnende Endzeit und damit auf das Ende der Leiden Israels“42, dann handelte es sich um eine rhetorische Frage, denn die verneinende Antwort folgte unmittelbar. Auch wenn die meisten Autoren nicht genau wussten, was der Staat Israel bedeutete, so waren sie sich doch darin sicher, für was er nicht stand. Gleichermaßen war die scheinbar ergebnisoffene Frage zu betrachten, ob Schalom Ben-Chorin Recht habe, wenn er in der Erweckung der Totengebeine in Ezechiel 37,1 – 14 zwei verheißene Ereignisse erkenne, zum einen die Staatwerdung, die mittlerweile eingetreten sei, und zum anderen die noch ausstehende Geistausgießung.43 Weil die Israel-Apokalyptik bereits „in manchen rechtgläubigen christlichen Gemeinden“44 Fuß gefasst hatte, sahen sich die Verfasser in ein prophetisches Wächteramt gerufen (vgl. Ez 3,16ff), dessen Aufgabe die Abwehr von Irrlehren war : „Die Frage nach der heilsgeschichtlichen Bedeutung des wiedererstandenen Staates Israel bewegt heute viele bibellesende Kreise unserer Kirche.“45 Die Texte polemisierten gegen diejenigen, die „einem phantasiegeladenen und unnüchternen Christentum“ anhingen und „alles, was in Palästina geschieht, heilsgeschichtlich deuten.“46 Wer in der israelischen Staatwerdung ein Zeichen dafür sehe, dass die Judenheit als auserwähltes Volk heute die Politik des Reiches Gottes auf Erden betriebe, müsse sich fragen lassen, ob er „mit solchen Thesen nicht doch einem Mythos und einer illegitimen Geschichtstheologie“ diente. Alleinige Zeichen des hereinbrechenden Gottesreiches seien demgegenüber ausschließlich „Wort und Sakrament.“47 Deshalb könne man sich auch nicht die Position von Hermann Maas zu Eigen machen. An der dispensationalistischen Israelliteratur wurde ferner ihr
42 Jasper, Leid, 283. – Vgl. ders., Sinn der Wiederentdeckung, 455; und ders., Judenfrage, 213 f. 43 So Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 454; und ders., Leid, 283. – Vgl. ders., Judenfrage, 214; Kloppenburg, Evanston, 411 (Zit. v. Ch. Malik). – Zu Ben-Chorin s. Jasper, Zur Sinndeutung, 315. – Vgl. Ben-Chorin, Antwort, 41 – 45. 44 O.Vf., Ein Zeichen, 214. 45 Steiner, Rez. zu G. Schrenk, 68 f. 46 O.Vf., Ein Zeichen, 214 (Zmf. d. Pos. v. H.W. Hertzberg); und Buchrucker, Rez. zu K. Hartenstein. 47 Wittenberg, Rez. zu W. Vischer. – Gegen diese Aussage Vischers: „Die Tatsache, daß es heute wieder einen Staat Israel in Palästina gibt, und die Umstände, unter denen dieser Staat gegründet wurde, sind ein Zeichen dafür, daß die Juden auch heute noch ein auserwählter Knecht sind, durch den Gott die Politik seines Reiches auf der Erde treibt“ (Vischer, Israel, 26 f). – Ein anderer Text wandte sich gegen ,messianische‘ Anklänge bei Ben-Gurion (Jasper, Selbstverständnis). – Vgl. Wittenberg, Rez. zu H. Maas.
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mehrheitliches „Schweigen über den uns aufgetragenen Evangeliumsdienst an Israel“, d. h. deren ungenügendes judenmissionarisches Interesse beklagt.48 Im Zuge der Kritik an pietistisch-schwärmerischen Auffassungen stieß auch das auf den Nahen Osten bezogene religiöse Sendungsbewusstsein der Briten und US-Amerikaner auf Unverständnis: Gegner von apokalyptischen Deutungen setzten sich mit der Tatsache auseinander, dass es „in weiten Kreisen der angelsächsischen Welt“ üblich gewesen sei, jeden Schritt auf dem Weg zum jüdischen Staat „als ein beinahe messianisches Ereignis“ aufzufassen. Bereits die britische Mandatsmacht hätte in dem Bewusstsein gelebt, „eine heilsgeschichtliche Aufgabe“ erledigen zu müssen, denn „man empfand es weithin […] als eine Mitwirkung bei der Erfüllungen der Verheißungen Gottes an das Volk der Erwählung, wenn unter dem britischen Mandat Israel in stärkster Weise in das Land der Väter zurückzuströmen […] vermochte.“49 Nach dem Rückzug Großbritanniens aus Palästina drang den Autoren zufolge die USA in das Vakuum der Deutung chiliastischer Ereignisse. Als Beispiel eines Israel-Enthusiasten wurde 1949 „ein nach zweijährigem Palästina-Aufenthalt in seine Heimat zurückgekehrter amerikanischer Missionar“ aufgeführt, der auf die israelische Staatsgründung mit einer euphorischen „millenarische(n) Erwartung“ reagierte.50 Dass die Autoren zu einer Einordnung des Ereignisses vom Mai 1948 in einen apokalyptischen ,Fahrplan‘ auf Distanz gingen, lag an ihrer Hermeneutik, die es ihnen unmöglich machte, „in dem neuen Staat ,ein eindeutiges Zeichen der beginnenden Endzeit‘, eine ,neue Offenbarungsstufe‘ in der Abfolge der Ereignisse im heilsgeschichtlichen Prozeß“ zu sehen.51 Bei der Periodisierung der eschatologischen Ereignisse wäre Vorsicht angebracht, denn es gebühre uns nicht, Gottes Plan zu ergründen: „Wir wollen uns hüten, […] nach einzelnen Bibelstellen ablesen zu wollen, wo der Zeiger auf Gottes Weltenuhr heute steht.“52 Hinter der pietistisch-erwecklichen Ansicht verbarg sich den Texten zufolge also eine naive Exegese samt einer „Problemlosigkeit, die mit der Schrift umging, als könnten wirklich alle ihre Sätze mit einiger Geduld zu einem glatten Gesamtbild von uns vereinigt werden.“53 Hier schöben sich rein 48 49 50 51
Wittenberg, Rez. zu J. Conrad, 258. Wittenberg, Lage, 179 f. O.Vf., Ein Zeichen, 214. Jasper, Zur Sinndeutung, 317. – Vgl. ders., Leid, 284; Obendiek, Rez. zu E. Jost-Suter ; O.Vf., Ein Zeichen, 214; Steiner, Rez. zu G. Schrenk, 69; und Wittenberg, Rez. zu W. Vischer (gegen Flemming, Judenproblem). 52 Hesse, Jude, 16; unter Bezug auf Apg 1,7 und gegen G. Wasserzug-Traeder. – Das Motiv von Israel als ,Zeiger auf Gottes Uhr‘ existierte bereits in der Gemeinschaftsbewegung vor 1918 (so Heinrichs, Judenbild, 303). Dieses Motiv fand nach 1945 nicht nur in pietistischen (so z. B. Schble, Schatten), sondern auch in normalkirchlichen Kreisen Verwendung: „Je mehr der Zeiger der Weltenuhr vorrückt, um so schärfer treten die Konturen der Welt- und Gottesgeschichte hervor“ (Jnicke, Offenbarung, 38). 53 Wittenberg, Rez. zu J. Conrad, 258.
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menschliche Wünsche in den Vordergrund und prägten die Auslegung: „Vor allem aber kommt man durch Kombinieren, Systematisieren, Chronologisieren und Periodisieren von Schriftstellen zu den seltsamsten Ergebnissen.“54 Ein eindeutiges Zeichen der Endzeit läge erst vor, wenn sich die Juden kollektiv zu Christus bekehrt hätten. Die Verheißung von 2. Samuel 7,12 f erfülle sich nicht in einem modernen jüdischen Staat, sondern in der ewigen Königsherrschaft des wiedergekommenen Christus. Von daher drängte sich einem Verfasser die Frage auf, „ob nicht jene jüdische Gruppe recht habe, die im Zionismus eine blasphemische Vorwegnahme eines endzeitlichen Gotteswunders sieht!“55 Letztendlich müsse deutlich gesagt werden, dass die „chiliastische(n) Hoffnungen“ gewisser Kreise „eine verwirrende Fülle irregeleiteter Gedanken ausgelöst“ hätten.56 Trotz aller Aversion gegen apokalyptische Interpretationen traten in den Analyseeinheiten gewisse Nuancen auf; in der Judenmission tätige Autoren urteilten tendenziell philosemitischer und heilsgeschichtlich orientierter als solche, die sich nur auf die konfessionelle Theologie beriefen und einer Substitution und Spiritualisierung das Wort reden. Judenmissionarisch gesinnte Texte ließen einen Spielraum offen, inwieweit national-territoriale Weissagungen aus dem Alten Testament zu einem künftigen Zeitpunkt erfüllt werden würden, nämlich dann, wenn sich die Judenheit Christus zugewandt habe. Denn „die göttliche Rückführung Israels ins Verheißungsland“ vollzog sich keineswegs „unabhängig vom Glauben Israels.“57 Aus dieser Konzession resultierte lediglich eine Abwehr heilsgeschichtlicher Überbewertungen für die Jetztzeit: Man müsse sowohl zur ,realistischen‘ (Staatsgründung als Vorzeichen der Heilsvollendung) als auch zur ,spiritualistischen‘ Deutung (Staatsgründung als rein säkular-profanes Geschehen) auf Distanz gehen.58 Denn einerseits gebe es selbst innerbiblisch eine Tendenz zur Spiritualisierung der Landverheißungen, andererseits jedoch hafte den Weissagungen bleibend etwas Materielles und Immanentes an. Heilsgeschichtliche Zuschreibungen der israelischen Staatlichkeit waren damit zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, faktisch aber bis zur eschatologischen Judenbekehrung aufgeschoben. Die christliche Relativierung des jüdischen Verständnisses des ,Landes‘: Deshalb blieben viele Artikel gegenüber der jüdischen Rückkehr nach Palästina reserviert, denn nur in Christus als dem wahren Messias Israels könne „der Jude im Galuth von 1948 daheim sein […] im Lande der Ruhe des Volkes 54 55 56 57
Steiner, Rez. zu G. Schrenk, 68. – S. a. Jasper, Leid, 284. Wittenberg, Judenfrage, 22. Jasper, Zur Sinndeutung, 317. – S. a. Obendiek, Rez. zu E. Jost-Suter. Wittenberg, Rez. zu W. Schäble. – Vgl. ders., Gedanken, 199; hier unter Berufung auf Apg 3,18 – 21. – Auch ein anderer Text sprach von der „Tatsache, daß die Schrift die Rückkehr der Juden mit der ,Umkehr‘ zum Herrn in Verbindung bringt“ (o.Vf., Ein Zeichen, 214 f; Zmf. d. Pos. v. H.W. Hertzberg). 58 So Wittenberg, Bedeutung, 214. – Vgl. ders., Gedanken, 198.
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Gottes.“59 Wichtig war den Autoren, dass man sich bei der Frage nach der „Sinndeutung“ des Staates Israel nicht von einer philosemitischen oder zionistischen Propaganda leiten lasse, sondern „um ein Urteil von der Schrift her“ ringe – wodurch Zionismus und biblische Botschaft von vornherein als Antipoden gesehen wurden.60 Konstitutiv für ein Urteil war den meisten Autoren, dass „wir im Neuen Testament keinen Anhalt“ für die Errichtung des Staates Israel als ein Heilsgeschehen fänden.61 Das Neue Testament kenne keinen nationalen Fortbestand Israels. Das Gegenteil sei der Fall: Apostelgeschichte 1,6 – 8 verbiete den Aposteln die Erwartung eines irdischen ,Reichs für Israel‘, Römer 9 – 11 spreche von der Hinwendung der Juden zu Christus und auch die Johannesoffenbarung wisse nichts von einer jüdischen „Rückkehr als ein Zeichen der Wiederkunft Christi.“62 Wesentlich war den Texten, dass alttestamentliche Verheißungen, auch die des Landes, nicht am Christuszeugnis vorbei betrachtet werden könnten. Am Verhältnis der Juden zu Christus wurde alles weitere festgemacht. Manche Autoren folgten dabei einer schroffen Substitutionslehre: Weil die Juden Christus nicht angenommen hätten, seien sie aus dem Reich „hinausgestoßen“ worden „in die Finsternis“ (Mt 8,12); den Weinberg namens Israel habe Gott anderen gegeben (Mk 12,9).63 Letzteres attestierte nicht nur der Kirche die Volk-Gottes-Würde, sondern beschrieb die Araber als die heilsgeschichtlich legitimierten Herren Palästinas. Es gebe keine „Bindung des Heils an das politische Israel.“64 Auch Autoren, die nicht ganz so streng urteilten, waren von einer ,geistlichen‘ und nicht von einer weltimmanenten Bedeutung der biblischen Prophetie überzeugt: „Israel glaubt, aufgrund der Verheißung des Alten Testaments berechtigt zu sein, auf die Verklärung und Verwirklichung des irdischen Jerusalems zu hoffen. Aber diese Hoffnung ist und wird erfüllt ,in spiritueller Weise‘ durch Christus.“65 Das Heil gehe nicht vom Staat Israel aus, sondern nur von Christus als dem Sohn Israels. In diesem Zusammenhang wurde hin und wieder die Frage diskutiert, ob Palästina als heiligem Land eine sakrale Würde zukomme. Manches Votum 59 Wittenberg, Lage, 185. 60 Wittenberg, Gedanken, 198. – Vgl. Steiner, Rez. zu G. Schrenk, 69: „Wir haben […], wenn wir über Israel reden, zuerst auf die Heilige Schrift zu hören.“ 61 Jasper, Zur Sinndeutung, 318. – Vgl. Jasper, Leid, 284: „Wenn Paulus aber Röm. 11 davon redet, daß am Ende der Wege Gottes in diesem Äon ,ganz Israel‘ gerettet werde (Vers 26), so nimmt er mit keinem Worte darauf Bezug, daß dazu Israel in Palästina gesammelt werde, als sei das der Weg dazu.“ – S. a. ders., Sinn der Wiederentdeckung, 454. 62 O.Vf., Ein Zeichen, 215; Zmf. d. Pos. v. H.W. Hertzberg. 63 So ebd.; Zit. v. H.W. Hertzberg. – Vgl. ebd.: „Jetzt heißt die Gemeinde Christi auserwähltes Geschlecht und heiliges Volk, ist also an die Stelle des Volkes Israel getreten.“ 64 Buchrucker, Rez. zu K. Hartenstein. – Vgl. Jasper, Zur Sinndeutung, 318; O.Vf., Das Gespräch; Kloppenburg, Evanston, 411 (Zit. v. Ch. Malik); und Steiner, Rez. zu G. Schrenk, 69. 65 Jasper, Zur Sinndeutung, 318. – Vgl. ders., Sinn der Wiederentdeckung, 454; und ders., Judenfrage, 214. – S. a. Obendiek, Rez. zu E. Jost-Suter.
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war hier eindeutig: „Nach dem evangelischen Verständnis […] gibt es keine heiligen Orte und Stätten mehr.“66 Die Auffassung wurde zurückgewiesen, dass die viel beschworene Heiligkeit des Landes „eine mit seinem Boden unmittelbar als Wirkensmacht verbundene, nicht christusbezogene, an Ihm vorbei habbare Heiligkeit wäre.“67 Selbst das Alte Testament lege die Verheißung nicht in die Naturhaftigkeit des Landes, sondern in Gotteshingabe und Gotteserkenntnis. Die protestantische Abwehr einer „merkwürdige(n) Landmystik“68 betraf gleichermaßen christliche wie jüdische Positionen. Israel als säkularer und religiös indifferenter Staat: Eine Reihe von Texten, in denen eschatologische Überbewertungen zurückgewiesen wurden, ging davon aus, dass das israelische Gemeinwesen trotzdem mehr sei als ein normaler Staat. An dieser Stelle sind nun solche Stimmen zu nennen, die den säkularen Strömungen der israelischen Gesellschaft eine besondere Aufmerksamkeit schenkten und die Judenheit einschließlich der israelischen Staatsbürger als „ein Volk wie andere auch“ betrachteten: Das Judentum sei „mit der Aufrichtung des Staates Israel in eine Reihe neben die anderen Völker“ getreten.69 Diese Argumentation war ein weiterer Versuch, ein heilsgeschichtliches Verständnis des Israel-Staates auszuschließen. Nur wenige Autoren hielten auf ganz intransigente Weise daran fest, dass dem Staat Israel in keinerlei Hinsicht theologische Bedeutung zukomme. Die Existenz eines jüdischen ,Reiches‘ nach Christus „ist ein Geschehen allein in der politischen Geschichte […] und hat weder mit Eschatologie noch mit christlicher Theologie etwas zu tun.“70 Das war auch die Position, mit der sich Hans Wilhelm Hertzberg, ehemals evangelischer Propst zu Jerusalem, in die Diskussion einschaltete.71 Andere Texte drückten ihre Relativierung religiöser Zuschreibungen weniger resolut, bisweilen auch nur subtil aus. Während viele Autoren anerkannten, dass der Staat Israel seine Entstehung dem jüdischen Gedenken an Zion verdanke, konnte der Hinweis auf diese traditionelle Sehnsucht auch dem Interesse dienen, den areligiösen, säkularen Charakter des israelischen Staates zu akzentuieren. So kam in einem Text Franz Rosenzweig zu Wort, der einst hervorgehoben habe, dass Palästina für das jüdische Volk gerade als uner66 67 68 69
Jasper, Leid, 284. Wittenberg, Bedeutung, 214. Jasper, Der Staat Israel, 360; gegen Buber, Israel. O.Vf., Ein Zeichen, 215 (Zit. v. H.W. Hertzberg); und Jasper, Judenfrage, 213. – Es fällt natürlich auf, dass der Vf. in anderen Texten in eine gegenteilige Richtung zu argumentieren schien, wenn er z. B. behauptete, dass im politischen Zionismus religiöse Motive schlummerten (so Jasper, Leid, 283). 70 Kloppenburg, Evanston, 411; Zit. v. Ch. Malik. 71 So O.Vf., Ein Zeichen; Zmf. d. Pos. v. H.W. Hertzberg. – Auffallend ist hier der generelle antijudaistische Unterton, wenn Hertzberg distanziert von ,diesem Geschlecht‘ sprach, das „sein seltsamstes aller Volksleben“ weiterführte und „als letzter in der Schlange zu warten“ hätte, bis es nach Röm 11 würdig befunden würde, das Heil zu finden (ebd., 215; Zit. v. Hertzberg).
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reichbares „Land seiner Sehnsucht“ von Bedeutung sei, denn „die Heiligkeit des Landes entrückt das Land seinem unbefangenem Zugriff.“72 Was der Jude Rosenzweig in seinem philosophischen Hauptwerk 1921 geschrieben hatte, um jüdische Befindlichkeit auszudrücken, wurde nach der israelischen Staatsgründung von einem Christen aufgegriffen, um den religiös-traditionellen Anspruch der Israelis auf ihr bereits existierendes Gemeinwesen in ,Erez Israel‘ in Frage zu stellen. Insbesondere die Schilderung einer defizitären Frömmigkeit vieler Israelis diente den Autoren im Argumentationshergang dazu, den jüdischen Staat als ein rein säkulares Gemeinwesen in Erscheinung treten zu lassen sowie den Eindruck zu zerstreuen, in der israelischen Staatwerdung habe ein messianisches Ereignis stattgefunden. Man wies darauf hin, dass die im Heiligen Land lebenden Juden zwar äußerlich in der Heimat ihrer ,Väter‘, jedoch nicht innerlich bei deren Glauben angelangt seien.73 ,Biblizistische‘ Christen hätten noch nicht verstanden, dass der Zionismus keine religiöse, sondern eine rein politische Bewegung darstellte. Das zeigte sich daran, dass der Atheismus weiter verbreitet sei als die traditionelle Orthodoxie, „denn die überwiegende Mehrheit der Israeli [!] war areligiös eingestellt“, was zu einer neuen Form der Assimilation geführt habe.74 Dass sich einer Umfrage zufolge 15 – 20 % der israelischen Bevölkerung als atheistisch sehe, rief bei den Autoren entsetztes Kopfschütteln hervor. Damit sei die These Ben-Gurions widerlegt, wonach die Judenheit nur in ,Erez Israel‘ dem in der Diaspora drohenden Assimilierungsprozess entgehen könne. Der Bevölkerung fehle es an einer im Glauben gegründeten Menschenliebe, was zu ungerechtem Verhalten gegenüber den Arabern geführt habe.75 Viele Kibbuzim besäßen nicht einmal eine Synagoge. Die hebräische Bibel diene weniger als ein Glaubensbuch denn als ein Geschichtsbuch, das den nationalen Pathos stärke. Die Israelis hätten zwar die Sprache des Alten Testaments wieder belebt, aber „Wann wird es der Geist des Alten Bundes sein?“76 Das Monitum des mangelnden religiösen Lebens in der israelischen Gesellschaft wurde dadurch sekundiert, dass jüdische Gewährsmänner zitiert wurden. So sehe der jüdische Gelehrte Hugo Bergmann die Gefahr, dass Israel aufgrund der mit dem Aufbau des Landes verbundenen Betriebsamkeit „keinen Sabbat mehr, keine Feier, keine Muße, keine Kontemplation, keine
72 Jasper in: ELKZ 10 (1956), 347; Zit. aus Rosenzweig, Stern, 377 f. 73 So o.Vf., Kirche und Israel, 565; Zmf. d. Pos. v. J. H. Grolle. – Vgl. o.Vf., Ein Zeichen; Zmf. d. Pos. v. H.W. Hertzberg. 74 Jasper, Bedrohung, 486; Bezug auf Buber, Wende, 13 – 33. – S. a. o.Vf. in: EvW 6 (1952), 565 (Zmf. d. Pos. v. J. H. Grolle); Jasper, Weg, 69; und Wittenberg, Bedeutung, 213. 75 So Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 148; und ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393. 76 O.Vf., Kirche und Israel, 565. – M. Wittenberg fragte, ob in Israel „der Ersatz des alten Glaubens durch den neuen eigenen Mythus“ bevorstehe (Wittenberg, Lage, 182).
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Beschäftigung mehr mit dem Sinn seines Lebens“ habe.77 Auch Schalom BenChorin habe festgestellt, dass die nationale ,Regeneration‘ des Judentums in Palästina eine tiefere Assimilation erzeugt habe als die individuelle Emanzipation während des 19. Jahrhunderts.78 Israel zwischen Theokratie und Demokratie, Religion und Politik: Der Assimilierungsdruck und die Modernitätsschübe innerhalb des zeitgenössischen Judentums führten zu deutlich wahrnehmbaren Mentalitätsunterschieden zwischen modernen säkularen Israelis und beispielsweise den orthodoxen Juden. Eine Reihe von Texten versuchte – tatsächlich oder vermeintlich neutral – die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft zwischen Demokratie und Theokratie, zwischen „Zionismus und der Orthodoxie“79 zu schildern. Der Kontext der Aussagen ließ allerdings das Urteil zu, dass die Hinweise auf einen israelischen „Geisteskampf“80 den Zweck verfolgten, das Missverständnis des modernen Israels als einer heilsgeschichtlichen Größe auszuschließen. In etlichen Artikeln diente die Schilderung des ,Kulturkampfes‘ auch offen dazu, das israelische Nationalbewusstsein in Frage zu stellen. Manchmal fungierte die Schilderung der kulturellen Zerrissenheit, die sich in der „Unzahl von Gruppen, Parteien und Weltanschauungen“ manifestierte, nur als negative Hintergrundfolie, um die verheißungsvolle zukünftige Entwicklung des jungen Gemeinwesens umso leuchtender erstrahlen zu lassen.81 Eine Verunglimpfung Israels wegen seiner internen Spannungen gelte in diesem Fall als unangebracht. Dass sich orthodoxe Juden noch einer Gleichberechtigung der Frau in den Weg stellten, gehöre dementsprechend nur zu den „Übergangsschwierigkeiten aufgrund der besonderen Verhältnisse in dem noch jungen Staat.“82 Das In- und Gegeneinander von religiösen und säkularen Elementen konnte also als bloße Anfangsschwierigkeit des neuen Gemeinwesens dargestellt werden, das an den Ursprung der USA erinnerte, bei dem auch zwischen aufgeklärten Deisten und biblizistischen Puritanern vermittelt werden musste.83 Ausgeprägt waren jedoch die Warnungen vor einer Vermischung von Religion und Politik und insbesondere vor einer politischen Inanspruchnahme biblischer Texte. Wenn die jüdische Besiedlung Palästinas in der „Sprache von Exodus und Josua“ gedeutet werde, bestehe die Gefahr, dass man in die „Vokabeln der Hl. Schrift politischen Gehalt“ hineinlege.84 Ein solcher ,Missbrauch‘ der Bibel zu politischen Zwecken steuere eine Gesellschaft direkt auf eine 77 78 79 80 81 82 83 84
Wittenberg, Lage, 182. So Jasper, Zur Sinndeutung, 315; Bezug auf Ben-Chorin, Antwort, 19. O.Vf., Judenmission in aller Welt, 443. Jasper, Israel für Toleranz, 406. Eberhard, Erziehungsprobleme, 254. O.Vf., Gleichberechtigungsprobleme. Niebuhr, Israel, 22. Wittenberg, Bedeutung, 213.
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Theokratie oder einen „Kirchenstaat“85 zu. Nur selten wies ein Autor nüchtern und ohne Kassandraruf darauf hin, dass „Israels Obrigkeit“, vor die Wahl zwischen einem weltlichen und einem religiösen Staatsmodell gestellt, „das erste dem zweiten vorzuziehen“ habe, wenn sie demokratisch sein wollte.86 In manchen Beiträgen wurde das Problem der Theokratie allerdings nicht als ein Phänomen der Kontingenz, sondern als bereits im Wesen des Staates Israel verankert gesehen: Man könne die Paradoxie nicht unerwähnt lassen, dass Israel der religiöseste und zugleich der säkularste Staatsversuch sei. Deshalb stehe man heute „vor einem drohenden Kulturkampf im Staate Israel, der mit dem Gegensatzpaar Demokratie und Theokratie umschrieben ist.“87 Die Auseinandersetzungen hatten ihre Ursachen in folgenschweren Entscheidungen aus der Zeit der Staatsgründung. Auch wenn man keine Theokratie gewollt habe, so sei trotzdem „der Orthodoxie die bevorrechtete Stellung einer Staatsreligion zuerkannt“ und ihr zu viel Einfluss eingeräumt worden.88 Der Staat Israel erhielt kein Lob für eine Verankerung in Religion und Glauben, was an anderer Stelle ja stets eingeklagt wurde. Im Gegenteil: Die jüdische Orthodoxie habe sich mit dem Zionismus verbunden und sei deshalb „weithin national und weniger religiös“ geprägt; mit ihrer ostentativen Frömmigkeit versuche sie den übersteigerten Nationalismus der israelischen Bevölkerung zu kompensieren.89 Man reagierte mit Entsetzen auf Medienberichte, wonach Politiker „synagogale Führer aufgefordert hätten, Amt und Dienst der alttestamentlichen Profeten zu übernehmen und die Regierung, einschließlich des Staatspräsidenten, jederzeit, wenn nötig, offen und frei zu kritisieren.“90 Wenn Eiferer das gesamte öffentliche Leben auf die Basis der Thora stellen wollten, werde das Gesetz verabsolutiert und Gott verdunkelt. So erschien die Frage unvermeidbar, ob man „nicht im politischen Zionismus das Wiederauftauchen alter Abwege Israels sehen“ müsse.91 Zu diesen Irrwegen wurde der Wunsch der Juden gerechnet, ein Volk wie jedes andere zu sein, was sich exemplarisch in 1. Samuel 8 an der Forderung nach einem König manifestierte. Der moderne zionistische Staat wurde dadurch mit dem klassischen „Abfall Israels von seiner Urbestimmung“, der folgenschweren Verwerfung der „Königsherrschaft Gottes über Israel“ in Verbindung gebracht.92 85 Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 454. 86 Niebuhr, Israel, 23. 87 Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. Jasper, Israel für Toleranz, 406; Ders., Theokratie, 346; Ders., Weg, 70; und ders., Der Staat Israel, 359. 88 Jasper, Theokratie, 345. 89 Ebd., 346. 90 Wittenberg, Gedanken, 197. 91 Wittenberg, Kirche und Judentum, 277. – Eher konstatierend und deshalb weniger kritisch urteilte demgegenüber ein anderer Textbeitrag: Seit dem Basler Zionistenkongress „verschob sich die Grundlage des Judentums; aus einer religiösen wurde es zu einer politischen Erscheinung […] Nicht mehr die Lehre stand im Mittelpunkt der Diskussionen, sondern die Schaffung eines jüdischen Staates“ (o.Vf., Kirche und Synagoge, 454). 92 Jasper, Leid, 284.
Säkulare Aspekte
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Die Autoren parallelisierten dabei die Schaffung der israelitischen Monarchie mit der Gründung des modernen Staates Israel. Dabei beriefen sie sich auch auf ein viel gelesenes Buch von Margarete Susman.93 Mit dem Vorwurf, Israel wolle die „Königsherrschaft Gottes“ illegitimerweise abstreifen, ließen etliche Texte ein religiöses Staatsbild erkennen, das nicht mehr zum Wesen eines modernen demokratischen Gemeinwesens passte. Viele Autoren waren jedoch in der Lage, den Staat Israel auch in seinem säkularen Charakter zu beschreiben. Die Folgen der Schoah waren hier an erster Stelle zu nennen.
1.2 Säkulare Aspekte 1.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah Den Staat Israel konnte man in Deutschland nicht unabhängig von der Schoah und dem Bewusstsein eigener Schuld betrachten. Daran wurden die Deutschen allein schon wegen der Reisebeschränkungen erinnert, aus der die „Schwierigkeiten hier für uns Deutsche“ resultierten, über den Staat Israel „aus eigener Anschauung zu reden.“94 Wer aber die Gelegenheit hatte, das Land bereits in diesem Zeitabschnitt zu bereisen, musste sich darauf einlassen, mit den Erinnerungen der Schoah-Überlebenden konfrontiert zu werden: „Wer nach Israel geht, der muß dieses Leid, die bergeshohe Schuld tragen.“95 Viele Texte nahmen in einer Mischung zwischen gläubigem Staunen und irritierter Verwunderung zur Kenntnis, dass die Wiedererrichtung eines jüdischen Staatswesens gerade im Anschluss an die größte Katastrophe des Judentums geschehen sei. Die israelische Staatsgründung ereigne sich „in einem Augenblick, da alle Gewalten über Israel zusammenschlugen und allein die Verzweiflung übriggeblieben sei“, was man als Beispiel dafür ansehen dürfe, „wie aus Zusammenbruch und Vernichtung neues Leben werden, wie aus dem ,Nihil‘ die schöpferische Tat kommen könne.“96 Hierbei bedienten sich die Autoren geschichtstheologischer Topoi. So konnte man der Schoah noch etwas Positives abgewinnen, hatte sie doch die Ausbildung einer jüdischen Identität und Zusammengehörigkeit erst recht gefördert und dazu
93 Nach M. Susman dürfe „die Gefahr und Bedrohung nicht verkannt werden, die für das jüdische Volk heute wie immer in der Nationwerdung liegt“ (Susman, Hiob [1996], 116). 94 Wittenberg, Rez. zu J. Jellinek. 95 Siegmund-Schultze, Versöhnung, 294. – Unter Zit. v. Maas, Rachels Kinder, 38. 96 O.Vf., Der Staat Israel, 155; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. – Vgl. Wittenberg, Gedanken, 198: „Neben den furchtbaren Abgrund, in den sie [d. h. die Judenvernichtung, GG] das europäische Judentum zwischen 1933 und 1945 hineingeführt hat, hat die Geschichte den palästinensischen Aufschwung [d. h. den jüdischen Aufschwung, GG] gestellt.“ – Vgl. Hesse, Jude, 18.
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beigetragen, dass sich auch Diasporajuden mit dem Staat Israel solidarisierten: „Wo immer auf der Welt heute Juden wohnen, da ist ,Israel‘ ihr Staat.“97
1.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah Die deutsche Schuld als Ursache der Verantwortung: Die Gründung Israels galt als Resultat der Schoah, Hitler gar als heimlicher Staatsgründer : „Die Aufrichtung des Staates Israel stellt die unmittelbare Folge der furchtbaren Katastrophe des Judentums unter Hitler dar.“98 Diese Ursachenanalyse führte nicht dazu, die Rolle des historischen Zionismus auszublenden, aber auch die Pläne Theodor Herzls galten als Reaktion auf den Antisemitismus seiner Zeit. Etliche Leser mochten Entlastung empfunden haben, dass in der Publizistik berichtet wurde, die Deutschen seien nicht das einzige Volk, das sich des Antisemitismus schuldig gemacht habe. Schließlich sei es nach 1945 vielerorts zu judenfeindlichen Ausschreitungen gekommen. Zudem hätte sich der Westen gegenüber den zionistischen Bestrebungen nach der Schaffung eines eigenen Staates noch sehr lange reserviert gezeigt: „Man bekam den Eindruck, als würden auch die Alliierten im Grunde zufrieden gewesen sein, wenn Hitler das gesamte europäische Judentum ausgerottet hätte.“99 Trotz dieser Entlastungsversuche und solcher, die auf einer Geschichtsphilosophie basierten, bemühte man sich darum, die moralische Verantwortung der Christen ernst zu nehmen. Ungeachtet aller Affinität zu providentiellem Denken wollte man nicht so weit gehen, die Schoah als Strafe Gottes zu betrachten. Denn wer den Judenmord als „Strafhandeln Gottes an Seinem abtrünnigen Volke“ sehe, habe keinen Blick für die spezifisch deutsche Verantwortung für die Menschen im Staat Israel.100 So gründete sich das IsraelEngagement auf dem Wissen um die kirchliche Mitschuld. Christen sollten deshalb die Menschen im Staat Israel durch Taten der Nächstenliebe unterstützen „als ein Zeichen um Israels selbst willen und als ,ein Zeugnis Christi‘ an die Menschen, an denen die christliche Kirche nicht so gehandelt hat, wie sie sollte.“101 Konkrete Anlässe: Wie sich die deutsche und christliche Verantwortung angesichts der Schoah konkretisierte, zeigte sich in der Diskussion um die ,Schilumim‘-Verhandlungen. In den Monaten vor der Unterzeichnung des Abkommens forderte man die ,Wiedergutmachung‘ als entscheidende moralische Verpflichtung der Deutschen. Bei der Sühnung dieser „Ehrenschuld“ 97 98 99 100 101
O.Vf., Kirche und Israel, 564; Zmf. d. Pos. v. K. H. Rengstorf. Jasper, Judenfrage, 214. – Vgl. fast wortgleich ders., Sinn der Wiederentdeckung, 453. Wittenberg, Lage, 181. Wittenberg, Gedanken, 198. O.Vf., Israel und Ökumene, 472; Zmf. d. Pos. v. H. D. Leuner.
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könne Deutschland beweisen, dass es guten Willens sei, aus seiner „finsteren Epoche“ zu lernen.102 Aber nicht nur die Deutschen, auch die Christen wurden in die Pflicht genommen: „Es geht da nicht nur um eine abendländische Verantwortung, sondern um eine eminent christliche Verpflichtung.“103 Die israelischen Ansprüche auf Wiedergutmachung seien grundsätzlich berechtigt. Dass die „Schadenersatzleistung“ einer Bitte der Deutschen um Verzeihung gleichkomme und wichtigste Voraussetzung für eine christlich-jüdische Aussöhnung sei, wird auch im Nachhinein anerkannt.104 Im Vorfeld des Abkommens zeigte sich eine gewisse Ungeduld angesichts der zahlreichen Worte, die zur deutsch-jüdischen Aussöhnung fielen, gerade auch in Adenauers Regierungserklärung vom 27. September 1951: „Nun sollten diesen Worten auch recht bald die Taten folgen, wie es von vielen Seiten mit Recht gefordert worden ist.“105 Ein Scheitern der Verhandlungen könne sich die Bundesregierung nicht leisten, meinte ein Verfasser : „Was geschieht, wenn diese Begegnung in Mißtrauen und Zorn scheitern müßte, ist geschichtlich und menschlich nicht auszudenken.“106 Doch ein anderer konstatierte, dass die Verhandlungen bereits gescheitert seien. Denn die Unnachgiebigkeit des „antisemitischen“ Finanzministers Fritz Schäffer werde noch dazu führen, „daß das Unrecht der Hitlerzeit ungetilgt bleiben und sich auf unsere Söhne und Enkel forterben soll.“107 Grundsätzlich galt, dass die Finanzhilfe der Bundesrepublik für Israel immens wichtig sei, denn dieses Land stehe „vor übermenschlich großen Aufgaben.“108 Manche Autoren stellten im Vorfeld aber nicht nur Forderungen an die Bundesregierung, sondern wussten bereits das bisherige Engagement zu würdigen. Adenauers Regierungserklärung vom 27. September 1951 über das Wiedergutmachungsgesetz sei ein wichtiger Schritt in die Zukunft und verdiene deshalb „die volle Zustimmung aller rechtlich denkenden Menschen.“109 Das ,Kulturland‘ Deutschland fange durch die Aussöhnung mit dem Judentum wieder dort an, wo es in der Weimarer Republik aufhörte: „Seit der Erklärung der Bundesregierung vom 28. [!] September 1951 darf der deutsche Name aufs Neue mit Achtung in der Welt genannt werden, und es wird auch für die deutschen Juden wieder eine Ehre bedeuten, Deutscher zu sein.“110 Auch im Nachhinein wurde das Vorgehen der Bundesregierung als vorbildlich anerkannt.111 102 Kster, Tag, 335; und Cohn, Bundesrepublik, 337. – Vgl. DEADI, Schreiben [JK]; und Adenauer, Wortlaut, 598. 103 O.Vf., Kirche und Israel, 565. 104 Jasper, Fünfte Studientagung, 122. – Vgl. Grillenberger, Rez. Zu G. Jasper; und SiegmundSchultze, Versöhnung, 292. 105 Neukamp, Wiedergutmachung, 37. – Vgl. Adenauer, Wortlaut, 598. 106 Maas, Um was es geht, 212. 107 Kster, Tag, 335 u. 334. 108 Maas, Um was es geht, 211. 109 Neukamp, Wiedergutmachung, 37. 110 Cohn, Bundesrepublik, 336 f. 111 So Grillenberger, Rez. Zu G. Jasper.
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Immer wieder war davon die Rede, dass man eigentlich nicht von einer ,Wiedergutmachung‘ reden solle, „denn die sechs Millionen Morde sind doch nicht wieder gutzumachen.“112 Der Hinweis darauf, dass die Verbrechen der NS-Zeit durch Geldzuwendungen nicht getilgt werden könnten, dürfe die Wiedergutmachungsbemühungen jedoch nicht diskreditieren. Daneben konnte der Gedanke der Wiedergutmachung unter Rekursnahme auf die mittelalterliche Rechtsgeschichte auch positiv aufgegriffen werden. Bei den deutschen Zahlungen handele es sich somit nicht um Schadenersatzleistungen – denn das sei in diesem Falle gar nicht möglich –, sondern um ,Sühne‘ und ,Genugtuung‘: „Die Sprecher des Volkes Israel haben, ihre eigenen auf Strafe oder gar auf ewige Unsühnbarkeit plädierenden Volksgenossen abschüttelnd, die Hand zur Genugtuung geboten. Deutschland hat sich mit Recht beeilt, sie anzunehmen.“113 Offen kritische Stimmen gegen die Wiedergutmachung am Staat Israel gab es in den kirchlichen Periodika nur am Rande. So wurde einmal im Vorfeld darauf hingewiesen, dass zu den Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns nicht nur „Glaubensjuden“, sondern auch „Tausende von Christen jüdischer Abstammung“ gehörten.114 Auch letztere müssten bei den Wiedergutmachungsverhandlungen mit berücksichtigt werden; Hilfeleistungen dürften nicht nur den Bürgern des Staates Israel zukommen. An anderer Stelle wurden juristische Einwände geltend gemacht. Demnach habe das Abkommen als problematisch zu gelten, „weil man darüber streiten könnte, ob der Staat Israel als einziger Gläubiger für alle herrenlosen jüdischen Güter auftreten darf.“ Noch problematischer seien allerdings die Geldzuwendungen an die Claims Conference, denn „nicht organisierte jüdische und nicht-jüdische Opfer des Nationalsozialismus“ würden leer ausgehen.115
1.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel Bewunderung der wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen: Mit deutlicher Wertschätzung, bisweilen auch mit ostentativer Begeisterung, registrierten die Texte die „stürmische Aufwärtsbewegung der Bevölkerung“ Israels und erkannten die „Aufbauenergie“ und die Opferbereitschaft an, mit denen die Israelis ihren jungen Staat auf feste Beine zu stellen versuchten: „Der Staat Israel steht wirtschaftlich und kulturell, politisch und militärisch gerüstet da und läßt sich schon aus dem vorderen Orient nicht mehr wegdenken.“116 Der Jasper, Fünfte Studientagung, 122; Zit. aus einer nicht näher bezeichneten Quelle. Kster, Recht, 155. Neukamp, Wiedergutmachung, 37. Hammerschmidt/Mansfeld, Wiedergutmachung, 238. – Vgl. Berkenhoff, Wiedergutmachung, 220. 116 Eberhard, Erziehungsprobleme, 253; Siegmund-Schultze, Versöhnung, 293; und Hesse, Jude, 17.
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enthusiastische Ton mancher Texte ließ erkennen, dass deren Verfasser in Israels Leistungswillen ein Vorbild für den Aufbau des vom Krieg zerstörten Deutschlands sahen. Das israelische „Experiment“ habe nur aufgrund der Durchdrungenheit der Zionisten mit „hohem sittlichem Idealismus“ und ihrer „Erschließung innerer Kraftquellen des Judentums“ gelingen können.117 Die Bevölkerung gehe die jeweiligen Herausforderungen wagemutig an. Staunend nahm man zur Kenntnis, dass Verhalten und Charakter des heutigen Israelis nichts gemein hätten mit den Klischees, die Antisemiten über den typischen Juden zu kolportieren pflegten. Jahrhundertelang sei der Jude dem Antisemitismus wehrlos ausgeliefert gewesen, heute nähme er als Israeli wie ein „Held“ seine „Existenz“ in die eigene Hand.118 Die vom NS-Staat als ,parasitär‘ verschriene Judenheit erschien den Autoren als eine Bevölkerungsgruppe, die für ihren Unterhalt selbst zu sorgen vermochte: „Zu den charakteristischen Eigenheiten des Juden gehört sein Fleiß. In Israel wird gearbeitet.“119 Die vermeintliche „Händlergesellschaft“ mache mit ungeheurem „Willen zur Arbeit“ die Wüste urbar.120 Der Hinweis auf die öden Landstriche, die heute „in paradiesische Gärten umgewandelt“ worden seien, verleitete die Autoren zu polemischen Bemerkungen über den Umgang mit dem Land in osmanischer Zeit: „Durch planmäßige Anpflanzungen von Bäumen und Bewässerung von Einöden ist es bereits dahin gekommen, daß der Frühregen und Spätregen, von dem die Bibel redet und der unter der Mißwirtschaft der Türken verschwunden war, wieder eingetreten ist.“121
Fast täglich entstehe eine neue Siedlung auf unbebautem Land. Die Israelis würden sich aber nicht nur auf Landwirtschaft beschränken, sondern sich gleichermaßen um die Industrialisierung des Landes bemühen: Die „landwirtschaftliche und wirtschaftliche Erschließung des Landes“ sei „wahrhaft imponierend.“122 Dass der Aufbau trotz unsicherer Zukunft vorangetrieben
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Eberhard, Rez. zu Ch. Weizmann. Ahne, Staat Israel, 222; Zmf. d. Pos. v. M. Beheim-Schwarzbach. Hertzberg, Naher Osten, 203. Wittenberg, Lage, 181. – Vgl. ebd.: „Es kann einem Deutschen nur geraten werden, wenn er vom Palästina-Judentum redet, alle die Gedanken fahren zu lassen, die ihm durch die nationalsozialistische Schilderung des Zionismus eingeimpft sind.“ – Vgl. Maas, Unbekanntes Israel, 578 – 580. – S. a. Hesse, Jude, 16: „Es entstand ein neues Judengeschlecht von Bauern und Handwerkern. Die Mohammedaner zogen in die Stadt und die Juden aufs Land.“ – Diese Art von Würdigung erinnert daran, wie die „Deutsche Evangelische Kirchenzeitung“ 50 Jahre vorher den Zionismus dafür lobte, dass er aus einem unsteten, ,parasitären‘ Volk endlich wieder ein sesshaftes und bodenständiges Gemeinwesen mache (so Heinrichs, Judenbild, 238). 121 Hesse, Jude, 17. 122 Jasper, Der Staat Israel, 360.
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wurde, zeugte von der einzigartigen Zuversicht der Israelis: „Israel setzt keine toten Steine und Tafeln, sondern pflanzt Bäume zu Hainen.“123 Zudem wussten viele Texte auch die kulturelle Aufbauarbeit zu würdigen, in der erstklassige Fortschritte erzielt würden, obwohl die israelische Regierung „doch keine Staatskasse bei der Gründung“ 1948 besessen und deshalb nur über „ein begrenztes Budget“ verfügt habe. Zum kulturellen Bereich seien vornehmlich die herausragenden Errungenschaften auf pädagogischem Gebiet zu rechnen. Von der erzieherischen Tätigkeit in Kindergarten, Schule und Erwachsenenbildung verlangte die israelische Gesellschaft vor allem die Integration der Neueinwanderer, sodass aus den Menschen unterschiedlichster Herkunft eine zusammengehörige „Staatsbürger-Gemeinschaft“ werde, die von „bewusster Jüdischheit“ geprägt und von einer neuen nationalen Identität bestimmt sei. Dieser Verschmelzungsprozess sei einzigartig auf der Welt.124 Der Erwachsenenbildung dienten die „eindrucksvollen Leistungen“ in Literatur, Theater, Musik und Kunst, welche das allgemeine „Kulturniveau zu heben“ beabsichtigten.125 Nicht nur habe die zionistische Bewegung das Hebräische wieder belebt, sondern ein reges geistig-schöpferisches und intellektuelles Leben in dieser Sprache herausbilden können: „Im Jahre 1946 erschienen in Palästina, wo es über 80 hebräische Verleger gibt, ungefähr jeden Tag drei Bücher in hebräischer Sprache.“126 Bewunderung der Verwirklichung gesellschaftlicher Ideale: Die Sympathie, die man dem jungen Staat Israel entgegenbrachte, wurde auch dadurch genährt, dass man Anzeichen einer idealen Gesellschaftsordnung zu erkennen glaubte, die ohne den Zwang des real existierenden Sozialismus auskomme: „Israel sei das einzige Land der Erde, wo die kommunale Lebensform freiwillig und nicht Staatsform sei.“127 Das galt vor allem im Blick auf die Genossenschaftssiedlungen: „In den Kibbuzim wird etwas vom Urchristentum der Apostelgeschichte sichtbar, das im Christentum von heute nicht verwirklicht ist.“128 Zudem trage gerade das gemeinschaftliche Leben in den Kibbuzim dazu bei, dass Einwanderer aus aller Herren Länder zu der neuen, der israelischen Nation zusammengeschweißt würden. Aber auch außerhalb der genossenschaftlich organisierten Ansiedlungen habe die israelische Regierung viel getan, um die
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Grber, Aufruf, 106. Eberhard, Erziehungsprobleme, 254 u. 253. Wittenberg, Lage, 182; und Eberhard, Erziehungsprobleme, 255. Wittenberg, Lage, 182. – Vgl. Eberhard, Erziehungsprobleme, 255. – An anderer Stelle wurde bewundert, was für „eine lebendige Geistigkeit von diesem modernen Israel“ ausginge (o.Vf., Kirche und Israel, 565; Zmf. d. Pos. v. J. H. Grolle). 127 Ahne, Staat Israel, 222; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. – Vgl. Eberhard, Erziehungsprobleme, 255, Anm. 1: „Man lebt hier ,kommunistisch‘ (genossenschaftlich), man arbeitet ,kommunistisch‘ (genossenschaftlich), aber man ist nicht kommunistisch im staatspolitischen Sinne.“ 128 Ahne, Staat Israel, 222; Zmf. d. Pos. v. M. Beheim-Schwarzbach.
Der Nahostkonflikt im Allgemeinen
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sozialen Nöte der Neueinwanderer zu lindern, welche die Übergangslager schnell verließen und ein menschenwürdiges Leben führen konnten.129 Kritik an einer Glorifizierung der israelischen Aufbauarbeit: Neben den Lobhuldigungen warnten auch einige kritische Stimmen vor einer Idealisierung des Staates Israel und seiner Leistungen. Der Kult um den wirtschaftlichen Aufbau des jüdischen Staates und „das Feiern des schaffenden Israelis“ müssten von christlicher Seite aus beanstandet werden. Man dürfe sich durch den „eindrucksvollen Versuch seiner Gestaltung eines neuen Lebens in Palästina“ nicht den Blick auf die problematischen Aspekte des jüdischen Staates verstellen lassen.130 Auch die Kibbuzim verkörperten nicht einfach perfekte soziale Ideale, wie man vielfach meine. Das in ihnen und im gesamten Gesellschaftsleben gepflegte Solidaritätsbewusstsein entstamme geistesgeschichtlich gesehen dem russischjüdischen Sozialismus des 19. Jahrhunderts, wodurch heute „der Staat Israel ein ideengeschichtlicher Anachronismus, ein kurioser Winkel liberaler Vergangenheit“ darstelle.131 Von daher lasse sich erklären, wieso in den Kibbuzim eine „Theologie ohne Gott“ und ein „säkularisierter Messianismus als Synthese zwischen Sozialismus und Zionismus“ gelehrt werde.132 Die Ideale der Kibbuzim wurden in solchen Textpassagen nicht als fortschrittlich, sondern als überlebt betrachtet. Aus diesen und anderen Aspekten schloss man, dass der Staat Israel die zionistischen Versprechen nicht habe einhalten können. Die Berichte über sich reduzierende Immigrationszahlen sowie über eine schleichende Auswanderung aus Israel galten als Bestätigung für diese Auffassung.
1.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen 1.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit Der Nahostkonflikt als Beunruhigungsfaktor : Neben theologischen, landeskundlichen und gesellschaftlichen Aspekten zogen politische Fragen die Aufmerksamkeit auf sich. Denn der Staat Israel wurde nicht in einem politischen Vakuum, sondern inmitten ihm feindlich gesinnter Nationen errichtet. Unter dem Eindruck des ersten israelisch-arabischen Krieges 1948/49 sorgten sich die Texte um das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen im Land der Bibel und wollten ihre „Anteilnahme an dem tragischen Geschehen zum Ausdruck zu bringen, von dem der Friede unter den Menschen im Hei129 130 131 132
So Eberhard, Erziehungsprobleme, 253 f. Wittenberg, Bedeutung, 214; und ders., Judenfrage, 22. Jasper, Der Staat Israel, 360. – Vgl. ders., Zur Sinndeutung, 315. Ders., Zur Sinndeutung, 316; Bezug auf S. Ben-Chorin.
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ligen Lande täglich gestört wird.“133 Der Nahe Osten könne „mit einem tätigen, Sorge und Angst verbreitenden Vulkan“ verglichen werden.134 Auch die Geographie sei von dem andauernden Kriegszustand betroffen. So sei der See Genezareth seit 1948 „zu einem Zankapfel zwischen zwei verfeindeten Nationen gemacht“ worden, was „die Schönheit dieser Landschaft“ zerstöre.135 Plädoyer für Frieden und Gerechtigkeit: Die wenigen Texte, die in diesem Zeitabschnitt diesen Aspekt thematisierten, wollten Christen in die Pflicht nehmen, für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten einzutreten und dafür Fürbitte zu leisten.136 Nicht nur während des ersten israelisch-arabischen Krieges, auch bei der Eskalation der Suezkrise 1956 kamen Friedensappelle vornehmlich von ökumenischer Seite.137 In der Betrachtung der Friedensmöglichkeiten waren nur die Nachbarstaaten Israels und die Weltmächte einbezogen, nicht aber die arabische Bevölkerung Palästinas. Letztere fand vornehmlich als humanitäres Flüchtlingsproblem Beachtung.138
1.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens Das Engagement der Weltmächte in Nahost: Gerade der Westen sei dazu aufgerufen, zu einem Frieden im Nahen Osten beizutragen, weil er aufgrund seiner bisherigen kolonialen Ambitionen in der Region Schuld auf sich geladen habe: „Das Abendland und besonders der Westen, der in das Leben und die Politik des Nahen Ostens so entscheidend und verhängnisvoll in den letzten Jahrzehnten eingegriffen hat, hat hier eine klare und nicht fortzudisputierende Verantwortung.“ Zum Einwirken des Westens auf die Levante gehöre auch die Entstehung des Staates Israel, denn hier sei „ein Staats- und Wirtschaftsgebilde nach der Art europäisch-amerikanischer Länder entstanden […], das mit dem eigentlichen Morgenland nur noch wenig in Verbindung steht.“139 Während des Suezkriegs 1956 hätten sich Großbritannien und Frankreich ein weiteres Mal von ihrer imperialen Seite gezeigt. Die Leser wurden informiert, dass Kirchenführer aus der weltweiten Ökumene die Großmachtpläne der beiden europäischen Nationen als Verstöße gegen „den Geist und den Wortlaut der Charta der Vereinten Nationen“ kritisierten.140 ÖRK, Frieden, 281. Rosenkranz, Nationalismus, 673. Hesse, Jude, 17. So ÖRK, Frieden. So o.Vf., Christen, 648. S. u. Hertzberg, Naher Osten, 203 u. 202. – Vgl. ebd., 203: England werde von den Arabern „fast mehr gehaßt […] als die Juden, weil ihm die eigentliche Schuld an dem Unglück von 1948 und der vorangegangenen Entwicklung gegeben wird.“ 140 O.Vf., Christen, 648; Zit. v. Dr. Fisher, Erzbischof von Canterbury.
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Der Nahostkonflikt im Allgemeinen
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Ansonsten erschien die westliche Welt als geopolitische Gegnerin der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten; beide Blöcke rangen auf ihre Weise um die Vormachtstellung im Nahen Osten.141
1.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem Forderung nach Lösung der Flüchtlingsfrage: Da es den Deutschen zu Beginn der 1950er Jahre zwar nicht möglich war, den Staat Israel zu bereisen, sie aber durchaus die arabischen Nachbarstaaten einschließlich des Westjordanlandes besuchen konnten, wurden sie mit dem Elend der arabischen Vertriebenen konfrontiert. Manche Deutsche waren auch für die Flüchtlingshilfe des Lutherischen Weltbundes (LWB) tätig. Die Forderung nach einer Beendigung des Elends der Vertriebenen setzte die Wahrnehmung des Problems voraus: „In elenden Flüchtlingslagern fristeten sie ihr Leben oder kamen zu Tode.“142 Das Schicksal der arabischen Flüchtlinge verwies auf ein ungelöstes Problem. Manche Autoren vermieden es bewusst, die Ursache des Elends einseitig auf der israelischen oder arabischen Seite zu verorten. Man sprach dann davon, dass es eine „unheilige Politik“ gewesen sei, die zum Flüchtlingsproblem geführt habe.143 Das gleiche galt im Blick auf die aktuellen politischen Implikationen von Flucht und Vertreibung: „Im nahen [!] Osten bleibt das arabische Flüchtlingsproblem in dem unheilvollen Bereich politischer Machenschaften.“144 Man wandte sich darüber hinaus auch ausdrücklich gegen eine politische Instrumentalisierung des Flüchtlingsproblems, indem man darauf hinweist, dass es nur in einer Weise erörtert werden dürfe, die „weder antisemitisch ausnutzend noch prozionistisch bagatellisierend“ sei.145 Unabhängig von einer politischen Stellungnahme zum israelisch-arabischen Konflikt waren sich die Autoren einig, dass das Flüchtlingsproblem gelöst und den Menschen geholfen werden müsse: „Die Flut des Elends um uns herum ist ungeheuerlich […] Das erfordert […], daß wir mit unserer Hilfe die größtmögliche Zahl unter den leidenden Menschen erreichen.“146 Not und Verzweiflung hätten seit 1948 stetig zugenommen. Der Zustand der Flüchtlinge wäre noch erbärmlicher, wenn nicht die Vereinten Nationen (UN) und der LWB mit dem Nötigsten aushelfen würden. Doch wegen ungelöster politischer Fragen könnten nicht alle zur Verfügung gestellten UN-Hilfsgelder an ihr Ziel gelangen. Die Vertriebenen würden mit ihren großen Familien 141 142 143 144 145 146
So Rosenkranz, Nationalismus, 673 f. O.Vf., Samariterdienst. – Vgl. Jasper, Der Staat Israel, 359. Steinhausen, Flüchtlingsarbeit, 115. Rees, Flüchtlingsproblem, 267. Wittenberg, Rez. zu W. Vischer; Bezug auf Vischer, Israel, 46 f. Steinhausen, Flüchtlingsarbeit, 114. – Der aus der hannoverschen Kirche stammende Vf. ist Direktor des Hilfswerks der LWB-Abteilung Weltdienst in Syrien.
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zumeist nur in Notunterkünften hausen, teilweise nur in Lehmhütten oder Zelten: „Sie haben keine Arbeit, sie sind auf einen kleinen Raum beschränkt und praktisch von der Welt abgeschnitten.“ Die hygienischen Verhältnisse seien miserabel, Epidemien vorprogrammiert. Die Lager seien zumeist in Jordanien, teilweise aber auch in Syrien: „Von den rund 100 000 Palästinensern in Syrien leben 30 000 in Damaskus. Etwa jeder 10. Einwohner dieser Stadt ist ein Flüchtling.“147 Verständnis für die israelische Position: Wer dem israelischen Staat Vorwürfe machte, wurde an die vielen Juden in den orientalischen Ländern erinnert, die entweder vertrieben oder sich aufgrund zunehmender Diskriminierung zum Verlassen ihrer Heimat genötigt sahen: „Man denke auch an die Vertreibung vieler Juden aus Ägypten, die unter dem Gesichtspunkt geschah, man wolle sich von der ,fünften Kolonne‘, den ,geheimen Auslandsisraelis‘ befreien.“148 Weil der Staat Israel zahlreiche Juden aus der arabischen Welt aufgenommen habe, könne er die geflohenen Araber nicht mehr zurückkehren lassen. Gegenüber einer einseitigen Schuldzuweisung an Israel betonten die Texte die arabische (Mit-)Verantwortung für die Not der Evakuierten. Die Flüchtlinge trügen einen Anteil an ihrem fortdauernden Elend, da sie sich weigerten, „ihre Lager anders zu verlassen als zu der von ihnen ständig geforderten Rückkehr in die Heimat.“149 Allein an dieser Haltung seien alle Versuche gescheitert, die Flüchtlinge in die arabischen Staaten zu integrieren. Zudem fand sich die Anklage, „daß die arabischen Flüchtlinge weithin auf Anraten der arabischen Heerführer das Land verlassen haben“ und weniger aufgrund israelischer Intervention.150 Verständnis für die arabisch-palästinensische Position: Etliche Textpassagen identifizierten sich mit der arabisch-palästinensischen Haltung in der Flüchtlingsfrage und sahen Zionisten und Israelis als Hauptverursacher der arabischen Not. Das zeigte sich bereits bei Aussagen, die auf dem ersten Blick neutral erschienen: „Sieben Jahre sind jetzt vergangen, seit die palästinischen Araber ihre Häuser und ihre Heimat verlassen und vor den Juden weichen mußten.“151 Hier wurden die arabischen Opfer von den jüdischen Tätern unterschieden. Manchmal waren die Schuldzuweisungen an die Adresse Israels noch präziser : Die einseitig nationale Prägung der zionistischen Bewegung habe im Verbund mit einem mangelnden religiösen Fundament zu ungerechtem Verhalten gegenüber der arabischen Bevölkerung geführt.152 Israel 147 148 149 150 151 152
Steinhausen, Flüchtlingsarbeit, 115 u. 114. Jasper, Der Staat Israel, 360. Hertzberg, Naher Osten, 203. Jasper, Der Staat Israel, 359. Steinhausen, Flüchtlingsarbeit, 114. So Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 148; und ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393.
Der Nahostkonflikt im Allgemeinen
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habe in Bezug auf die arabischen Flüchtlinge Schuld auf sich geladen, weshalb das bis heute andauernde Elend der Vertriebenen „eine moralische Wunde des Staates“ Israel sei.153 Wenn ein Verfasser einen Lagerbewohner auf der syrischen Seite des See Genezareths unkommentiert seine Hoffnung auf Rückkehr zum Ausdruck bringen ließ, offenbarte das die politische Haltung des Autors: „Dort drüben auf der anderen Seite des Sees sind unsere Häuser. Nur ein Wandel in der Politik könnte uns unsere Wohnstätten und unser altes gewohntes Leben wiedergeben.“154 Über eine eventuelle Mitschuld der arabischen Staaten am Elend der Evakuierten dachten diese Autoren nicht nach. Die nicht stattgefundene Integrierung der Palästina-Araber in die Länder des Nahen Ostens wurde auf die ,beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten in den Aufnahmeländern‘ zurückgeführt: „[D]ie beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten in den Aufnahmeländern haben es verhindert, daß die große Mehrzahl von ihnen [d. h. der Flüchtlinge, Anm. GG] in der neuen Umgebung absorbiert […] werden konnte.“155 Überhaupt fiel den Deutschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit die ,Sym-Pathie‘ mit den arabischen Vertriebenen alles andere als schwer: „Der Nahe Osten hat mit Deutschland zwei Dinge gemeinsam. Das eine ist die Trennung, die mitten durch die Hauptstadt geht […] Und zum andern sind es die Flüchtlinge. Etwa 800 000 Araber sind von dem Vormarsch Israels und der Okkupation weiter Teile des Landes betroffen, etwa 150 000 durch die gegenwärtige Grenzziehung, der Rest als eigentliche Flüchtlinge.“156
1.3.4 Der Status Jerusalems Die Frage nach der Haltung der Periodika zu Jerusalem war insofern berechtigt als diese Stadt „gleichsam als pars pro toto für das ganze Land steht.“157 Von daher ist es verwunderlich, dass der Status der Heiligen Stadt nicht häufiger thematisiert wurde, während dies in der Zeit, nachdem Israel 1967 Ost-Jerusalem eingenommen hat, öfter geschah. Mit der Teilung der Stadt hatte man sich nach 1948/49 abgefunden. Die jordanische Besetzung der Jerusalemer Altstadt provozierte nahezu keine Reaktionen, verglichen mit der Diskussion, die nach dem Sechstagekrieg anhob. Jerusalem als eine israelische Stadt: Die Forderung, dass ganz Jerusalem unter israelische Herrschaft kommen sollte, wurde in dieser Phase nur zweimal 153 154 155 156
Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. ders., Der Staat Israel, 359. Steinhausen, Flüchtlingsarbeit, 115. Ebd., 114. Hertzberg, Naher Osten, 203. – Auch ein anderer Beitrag nannte 800 000 Flüchtlinge (Wittenberg, Rez. zu W. Vischer; Bezug auf Vischer, Israel, 46 f). 157 Gossmann, Land, 157.
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ausgesprochen. Von Heinz David Leuner wusste man zu berichten, dass er sich „gegen die von Seiten des Lutherischen Weltbundes wie auch von vatikanischen Kreisen vertretene Forderung nach einer Internationalisierung Jerusalems“ gewandt hatte und verlangte: „Die Heilige Stadt müsse ganz und ungeteilt an Israel kommen.“158 An anderer Stelle wurde bedauert, dass noch immer „die Drahtverhaue mitten durch Jerusalem“ hindurchgingen, obwohl „das ganze Land in den Händen der Juden“ sein müsste.159 Die Rolle der heiligen Stätten: Wegen des ersten israelisch-arabischen Krieges 1948/49 sorgten sich Christen darum, ob der Hass zwischen Juden und Muslimen den freien Zugang zu den heiligen Stätten einer jeden dort involvierten Religion gefährden könnte.160 An anderer Stelle war man präziser : Die Teilung Jerusalems hatte die untragbare Situation geschaffen, dass „die Juden fern von dem Platz, wo einst der Tempel stand“, gehalten würden.161 Auch die Forderung nach einer Internationalisierung Jerusalems unter UN-Schirmherrschaft wurde in Erwägung gezogen, weil nur sie den Schutz der Pilgerorte zu gewähren schien.162
1.4 Parteinahme für den Staat Israel Bei der Klassifizierungsnummer 4 geht es um tendenziell proisraelische Aussagen politischer Natur. Die Kategorien, in denen kein Befund vorlag, wie z. B. die Frage nach der Anerkennung des Existenzrechts Israels oder nach der spezifisch christlichen Solidarität zu diesem Staat, machen deutlich, dass der Nahostkonflikt erst in den späteren Zeitabschnitten differenzierter wahrgenommen wurde. Die Diskussionslage wurde dann ausgefeilter, weil paradoxerweise eine kritische Öffentlichkeit die Existenz Israels in ihrer Legitimität erst dann anzweifelte, als sich Israel nach 1967 auf der Höhe seiner Macht befand. Dass Israelfreunde in den 1950er Jahren noch keine Kritik an den politischen Aussagen aus dem Bereich der Ökumene übten,163 resultierte daher, dass die ökumenischen Erklärungen dieser Zeit politisch nur sehr vage blieben und damit auch noch nicht die Angriffsflächen boten wie später. Diese Überlegungen gelten analog auch in dem umgekehrten Fall, wo unter der Klassifizierungsnummer 5 tendenziell proarabische Aussagen zusammengefasst wurden. 158 159 160 161 162 163
O.Vf., Israel und Ökumene, 472. Hesse, Jude, 17. So ÖRK, Frieden, 281. Hesse, Jude, 17. So o.Vf., Um den Schutz. S. a. Teil III, Vorbemerkungen: Kategorie 4.3.
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1.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel Die Bedrohung des Staates Israel: Wer dem jungen jüdischen Staat prinzipiell wohlgesonnen war, sah diesen von übermächtigen Feinden umgeben, die das weltweit einzigartige Gemeinwesen wieder zu eliminieren drohten. So mussten die Autoren realisieren, dass die Juden immer noch nicht ohne Menetekel einer künftigen Vernichtung leben konnten, „daß die Judennot mit der Staatsgründung nicht überwunden ist“, weil es fraglich sei, „ob der Staat Israel immer besteht.“164 Der Zionismus sei einst davon ausgegangen, dass man nur in Palästina den Anfeindungen entgehen könne; die Realität sehe nun anders aus. In vielen Artikeln wurden die arabischen Länder als Aggressorstaaten betrachtet: „Bereits 24 Stunden nach der Proklamation des neuen Staates begann der Kampf der arabischen Nachbarstaaten gegen Israel.“ Im Blick auf den ersten israelisch-arabischen Krieg 1948/49 galt als wichtig: „Die Araber konnten schon nach wenigen Monaten zurückgedrängt werden.“165 Im Blick auf den israelischen Sinaifeldzug war man der Meinung, dass bereits die politische Entwicklung vor dem Ausbruch des Krieges 1956 die Gefahr einer ernsten Bedrohung der Existenz des Staates Israel beinhaltet habe.166 Der Hass gegen Israel habe in der arabischen Welt seit 1948 kontinuierlich zugenommen. Nasser sollte in einem Zeitungsinterview gesagt haben: „Es gibt nicht die geringste Möglichkeit für einen Frieden zwischen den Arabern und Israel.“167 Und in Radio Kairo wurde angekündigt, dass Israel mit Sicherheit vernichtet werde. Angesichts dieser „Orgie der Feindschaft“ sei es verständlich, „wenn sich in Israel Stimmen finden, die zu einem Präventivkrieg gegen die Araber raten.“168 Auch nach dem Waffengang von 1956 blieb „die Frage der Sicherheit des Staates Israel gegenüber etwaigen Aggressionen von arabischer Seite“ virulent.169
1.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel Gegen den Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus: Die Zeitschriftenartikel, die zugunsten Israels geschrieben wurden, wiesen die arabischen Beschuldigungen zurück, der jüdische Staat betreibe gegenüber den Nachbarländern eine militärisch-aggressive und expansionistische Politik: „Der Staat Israel ist nicht als Produkt des Krieges entstanden, sondern in seiner Abwehr.“170 Gegenüber der arabischen Dominanz habe Israel keine Alterna164 165 166 167 168 169 170
Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. ders., Der Staat Israel, 359. Lohmeyer, Judenfrage [1955], 125. So o.Vf., Das israelisch-arabische Problem, 694. – Vgl. B., Kirche, 188. Ebd.; Zit. des ägyptischen Staatspräsidenten. – Vgl. Ben-gavriÞl, Sinai, 71. B., Kirche, 188 f. Redaktionelle Einleitung zu Ben-gavriÞl, Sinai, 71. Ahne, Staat Israel, 224; Zmf. d. Pos. v. W. Weinberg. – Vgl. B., Kirche, 188.
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tive gehabt, als sich auf sein starkes Militär zu verlassen. Wer ein ,kriegerisches‘ Israel anklage, übersehe, dass der junge jüdische Staat von seinen Nachbarn nicht in Frieden gelassen werde. Das habe sich auch in den kriegerischen Auseinandersetzungen von 1956 gezeigt: „Tatsächlich bildete der Sinaifeldzug sozusagen einen ,Verzweiflungsakt‘ gegen die drohenden Kriegsvorbereitungen Ägyptens.“171 Israel hege „offenbar keine Gebietsansprüche“ jenseits der Waffenstillstandslinien von 1948/49, auch nicht im Blick auf Jerusalem.172 Israel sehe die Grenzen von 1948 als endgültig an und habe keinen Expansionsdrang. Israel wolle nichts anderes „als die Versöhnung mit der arabischen Welt.“173 Die Israelis seien sich der arabischen Anliegen durchaus bewusst und würden keinen Hass gegen die Nachbarstaaten kennen. Gegen den Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Der Vorwurf des aggressiven Expansionsdrangs stand oft im Zusammenhang mit der Missbilligung des israelischen Umgangs mit den nationalen Minderheiten im eigenen Land. Der jüdische Charakter des Staates führte immer wieder zu der Rüge, Israel würde aus nationalistischen oder rassistischen Gründen Nicht-Juden diskriminieren. Der israelische Umgang mit nationalen Minderheiten wurde in diesem Zeitabschnitt aber nur selten thematisiert, geschweige denn von berechtigten oder unberechtigten Vorhaltungen in Schutz genommen. Wenn es doch geschah, wurde die für orientalische Verhältnisse einmalige Schulausbildung herausgestellt, welche die israelischen Araber dank des Bildungssystems genießen dürften. Die Abschaffung des Schulgeldes, der Geschlechterdiskriminierung und der arabischen Erziehungsmethode von „Stockregiment und Gedächtnisdrill“ bringe dem arabischen Bürger Israels langfristig den Segen „der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit mit dem jüdischen Nachbar.“174
1.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen Kritik an den arabischen Kirchen: Autoren, die das Christentum auf einen freundschaftlichen Kurs gegenüber Judentum und Staat Israel auszurichten gedachten, registrierten genau, dass sie damit bei arabischen Kirchen kein Gehör fanden. Die Reaktionen arabischer Kirchenführer auf die Existenz eines jüdischen Staates in Palästina schockierte sie vielmehr. Leider würden sich die arabischen Christen in ihrem Hass auf alles Jüdische und Israelische nicht von ihrer muslimischen Umwelt unterscheiden. Das zeigte sich insbesondere daran, 171 Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. ders., Der Staat Israel, 359; und o.Vf., Das israelischarabische Problem. 172 O.Vf., Israel und Ökumene, 472; Zmf. d. Pos. v. H. D. Leuner. 173 Maas, Unbekanntes Israel, 579. – Vgl. Ben-gavriÞl, Sinai, 72. 174 Eberhard, Erziehungsprobleme, 254.
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„daß kleine evangelische Gemeinden in der arabischen Welt Vorderasiens es nicht mehr wagen, über alttestamentliche Texte zu predigen und sich den Arabern gegenüber als die Kirchen des Neuen Testaments bezeichnen. Selbst in den anglikanischen Gemeinden kommt es vor, daß Worte wie ,Zion‘, ,Jerusalem‘, ,Israel‘ auch aus der Liturgie entfernt werden.“175
Mit einem Zitat des rum-orthodoxen Patriarchen in Damaskus, Alexander III., wurde die antisemitisch ausgerichtete Israelfeindschaft der Kirchenführer dargelegt: „Bei den heiligen Stätten, der Wiege der Christenheit auf Erden, hat sich eine Bande von Vagabunden niedergelassen, die versucht, einen fiktiven Staat zu gründen, in Verwirklichung ihrer perversen Träume. Die Juden haben erneut einen Beweis für die Wahrheit der Beschreibung in den heiligen Büchern geliefert, in denen sie als Feinde Gottes bezeichnet werden.“176
Die Autoren waren darüber echauffiert, dass arabische Kirchenvertreter bereits jede Erwähnung des Judentums als ,Israel‘ für eine einseitige proisraelische Stellungnahme erachteten: „Bei aller Anerkennung der Anliegen der arabischen Christen war das Problem doch nicht einfach auf die von ihnen gebrauchte Formel zu bringen.“177 Kritik an der antizionistischen Linken: Polemik gegen linke und kommunistische Israelfeindschaft fand sich in diesem Zeitabschnitt nur an einer Stelle, obwohl der zionismuskritisch begründete Prager Slnsky´-Prozess 1952 von antisemitischen Einstellungen bestimmt war und auf einen möglichen Zusammenhang von Antisemitismus und Antizionismus schließen ließ. In einem Zeitschriftenartikel wandte man sich gegen das Vorgehen kommunistischer Staaten, die zwar behaupteten, von jeglichem Antisemitismus frei zu sein, gleichzeitig jedoch massiv gegen den Zionismus Front machten. Wer gegen den Zionismus vorgehe, bekämpfe das Judentum überhaupt: „Im Kampf gegen den Zionismus wirkt sich aber trotz aller Dialektik purer Antisemitismus aus.“178 Zu diesem Antisemitismus-Vorwurf kam es, obwohl der Text auch dem Judentum zahlreiche ,Probleme‘ attestierte.
175 B., Kirche, 188. 176 Ebd., 189; Zit. v. Patriarch Alexander III. 177 Kloppenburg, Evanston, 411; Bezug auf die „völlig unerwartete und seltsame Auseinandersetzung“ auf der ÖRK-VV in Evanston. 178 O.Vf., Zionismus, 154.
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1.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite 1.5.1 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft Allgemein: Unter der Klassifizierungsnummer 5 werden tendenziell proarabische Aussagen zusammengefasst. Dass Kritik an der Politik und am gesellschaftlichen Erscheinungsbild des Staates Israel grundsätzlich berechtigt war, wurde von den Autoren vorausgesetzt, auch von denen, die den Anspruch erhoben, Freunde des jüdischen Volkes zu sein. Es wirkte auf solche, die sich als „nüchterne Beobachter“ betrachteten, befremdlich, wenn jemand wie Hermann Maas im Staat Israel „alles, auch Hässliches“, positiv zu sehen versuche.179 Es herrschte die Auffassung vor, dass man zwar nicht von einer erhabenen Warte aus über Israel zu Gericht sitzen wolle, dass es aber durchaus legitim sei, die Israelis auf Probleme hinzuweisen: „Es geht hier nicht um Kritik […] Aber es geht um eine Frage […]: Was tut ihr mit Gottes Land und mit Gottes Stadt? Wo ist Gott in euerm Planen und Bauen“?180 Hier wurde aus der Perspektive einer Dogmatik geurteilt, bei der die israelische Gesellschaft gegenüber dem zurückblieb, was man als den Willen Gottes zu erkennen glaubte. Die Befindlichkeiten der arabischen Kirchen wurden in dieser Phase nur selten artikuliert. Die Texte konnten aber ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass sie sich gegenüber dem jüdischen Staat distanziert verhielten. Man müsse z. B. bedenken, dass proisraelische Äußerungen auf der Weltkirchenkonferenz sich ungünstig auf die Situation der Christen in der arabischen Welt auswirken könnten.181 Der Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Die Autoren beunruhigte, dass „die überwiegende Mehrheit der Israeli [!] […] von nationalen oder gar nationalistischen Gedanken beherrscht“ sei.182 Ja, die Juden Israels seien „der Versuchung des Nationalismus“ verfallen.183 Das geschehe nicht ohne Grund, denn bereits der frühe Zionismus sei eine dezidiert nationale Bewegung gewesen und habe sich die eigentlich schon überlebte nationalstaatliche Idee zu eigen gemacht. Die Texte warnten die Israelis davor, die eigene Orientierungs179 Wittenberg, Rez. zu H. Maas. 180 Rengstorf, Jerusalem – die Stadt Gottes, 148; und ders., Zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 393. – Zwar fand sich bei beiden Stellen auch der Satz: „Niemand denkt daran, sich gegenüber dem jungen und tapferen Staat Israel auf das hohe Pferd zu setzen.“ Diese Aussage war jedoch dem Zweck untergeordnet, etwaige Bedenken zu zerstreuen, der Vf. würde Israelkritik von einer arroganten Position aus betreiben. 181 So Jasper, Behandlung, 56; Bezug auf einen arabischen Protestanten aus Palästina. 182 Jasper, Bedrohung, 486; Bezug auf M. Buber. – Vgl. Buber, Wende, 24: „Von allen Arten der Assimilation, die wir im Laufe unserer Geschichte geübt haben, ist diese, die nationale Assimilation, die schlimmste und gefährlichste.“ – Vgl. Jasper, Theokratie, 346. 183 Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 453. – Vgl. ders., Judenfrage, 214; und o.Vf., Wiederaufbau, 89 (Zit. v. O. v. Harling).
Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite
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losigkeit „durch ein zionistisches Mythos-Judentum“ und einen „Glauben an Blut und Boden“ kompensieren zu wollen, welcher den Boden ,erlösen‘ wolle.184 Der im zionistischen Staat zutage tretende primitive Patriotismus offenbare nur eine „archaische Romantik“ und verrate die Verpflichtung der jüdischen Gemeinschaft, sich nicht der Völkerwelt gleichzustellen.185 Auch Martin Bubers Zionismus wurde hier eingeordnet, wenn der Religionsphilosoph von der jüdischen „Verbindung mit einem Land“ und von der „Heiligkeit des Landes“ sprach.186 Solche Tendenzen würden die Gefahr einer „religiösen Überhöhung des Nationalen“ fördern und könnten eine ähnliche Entwicklung anbahnen „wie in Deutschland vor und nach 1933.“187 Deshalb sei auch die in Israel übliche Verehrung der Ben-Gurion-Bilder mit Skepsis zu betrachten. So wie der Zionismus als der Schöpfer des Staates Israel „eine Emanzipation Israels im nationalen Sinne zu erreichen“ suchte, so habe die Emanzipation des Judentums im 19. Jahrhundert die „Flucht aus der religiösen Bindung des Rabbinismus“ angestrebt.188 Da auf die damalige Assimilation die Katastrophe der Judenvernichtung gefolgt sei, erfülle es einem heute mit Sorge, ob die Wiederaufrichtung des Staates Israel auch wirklich das Ende der jüdischen Leiden bringe: „Wie die Emanzipation dem Judentum nicht die erhoffte Lösung seiner Not brachte, so wird auch Israels säkularer Nationalismus ihm nicht die erhoffte Lösung bringen.“189 Freilich müsse man als Christ selbstkritisch wahrnehmen, dass der nationalistische Zionismus nur deshalb entstanden sei, weil die Judenheit von den christlichen Nationen nie akzeptiert worden seien und man ihr die Emanzipation verweigert habe.190 Die Christen seien also am zionistischen Nationalismus mitschuldig. Dass die israelische Mehrheitsgesellschaft die arabische Minorität im ei184 Wittenberg, Bedeutung, 213; und ders., Judenfrage, 37. – Vgl. ders., Gleichberechtigung. – Dass sich im nationalen Selbstbewusstsein der zionistischen Bewegung ein Geist der Unbußfertigkeit manifestiere, wurde bereits ein halbes Jahrhundert vorher in der Zeitschrift „Die Reformation“ verkündet (so Heinrichs, Judenbild, 251). 185 Jasper, Zur Sinndeutung, 316; Bezug auf S. Ben-Chorin. – Vgl. Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 453; und ders., Gespräch (Bezug auf M. Susman). – Vgl. Susman, Hiob [1996], 150: „Keine Lebensgestaltung ist für das [jüdische] Volk durchdringender zu fürchten als die nach dem Vorbild der heutigen Völkerwelt.“ 186 Buber, Israel, 7 f. 187 Wittenberg, Bedeutung, 213; und ders., Lage, 182. – Vgl. ders, Bedeutung, 215: Die Wunder, die viele in den Ereignissen um die israelische Staatwerdung zu erkennen meinen, könnten womöglich „denen gleichen, die einst im Dritten Reiche so vielen das Recht zu geben schienen, mit Glockensang und Orgelklang Hitlers Taten zu feiern.“ – S.a. ders., Judenfrage, 22: „Der Zionismus wird in vielen Kreisen der Christenheit empfohlen und gerechtfertigt anhand von Konstruktionen ähnlich jenen, durch die 1933 manch guter Christ sein Ja zum Nationalsozialismus damit begründete, daß Hitler dem deutschen Arbeiter das Recht zukommen lasse, das ihm die christlich-soziale Bewegung einst nicht habe erfechten können.“ – S. a. Jasper, Der Staat Israel, 359. 188 Jasper, Leid, 283. – Vgl. ders., Zur Sinndeutung, 315; Bezug auf Ben-Chorin, Antwort, 19. 189 Jasper, Sinn der Wiederentdeckung, 455. 190 So Jasper, Judenfrage, 214.
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genen Land unterdrücken könnte, wurde in dieser Zeitphase nicht gesehen. Palästina-Araber wurden nur als Flüchtlinge wahrgenommen.191 Ein Autor wies lediglich darauf hin, dass bereits Theodor Herzl mit seiner ,primitiven‘ These von einem Volk ohne Land und einem Land ohne Volk „das Araberproblem“ völlig übersehen habe.192
191 S. a. Teil III, 1.3.3. 192 So Jasper, Zur Sinndeutung, 316. – Vgl. ders., Der Staat Israel, 359. – Dabei war es gar nicht Herzl, der die Formulierung „A land without people for a people without a land“ erstmals benutzte. Der englische Lord Ashley alias Shaftesbury prägte 1854 dieses Schlagwort, das 1901 von Israel Zangwill aufgegriffen und zur Losung der zionistischen Bewegung gemacht wurde (so Morris, Victims, 42).
2. Zweite Phase (1959 – 1967) 2.1 Religiöse und theologische Aspekte 2.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit Die allgemeine Frage nach der Relevanz des Staates Israel für die Christenheit: Dass Gründung und Existenz des Staates Israel – dem „Rang des Epochalen“1 zugehörig – für die Christenheit relevant sei, wurde nicht mehr eigens begründet, sondern schlichtweg vorausgesetzt. Der Staat Israel im christlich-jüdischen Gegenüber : Autoren, die noch mit dem klassischen Anliegen der Judenmission sympathisierten, fragten sich auch in diesem Zeitabschnitt, wie die Kirche der jüdischen Bevölkerung im neuen Staat zu begegnen habe: „Was es für uns als Christen bedeutet, daß Juden […] es unternehmen, ein jüdisches Staatswesen zu gründen, ist eine Frage an die Kirche Jesu Christi und nach ihrer Aufgabe in diesem Staatswesen.“2 Dass die weltweite Kirche der jungen israelischen Nation auch missionarisch gegenübertreten solle, wurde hier noch vorausgesetzt. Das Ereignis von 1948 verkomplizierte jedoch den christlichen Dienst an den Juden, weil der Begriff ,Israel‘ mehrdeutig geworden war : „Seitdem der Staat Israel entstanden ist, sind die Schwierigkeiten der theologischen Formulierung noch gewachsen. Während man bisher vom ,Dienst an Israel‘ sprechen oder ähnliche Wendungen gebrauchen konnte, die die Würde Israels betonen wollen, ist gerade diese Bezeichnung heute besonders belastet, daß Aussagen über Israel, die die biblische Stellung Israels meinen, als Aussagen über den Staat Israel mißverstanden werden.“3
An anderer Stelle machte man sich noch deutlicher für den Missionsgedanken stark, indem darauf hingewiesen wurde, dass bloße Kenntnisse des Judentums und Besuche im Staat Israel nichts brächten, wenn sie nicht in den Dienst der Evangeliumsverkündigung an die Juden gestellt werden würden.4 Doch mehr und mehr Texte der Phase II betrachteten das Vorhandensein eines Staates mit jüdischer Majorität primär als Chance für die christlich-jüdische Aussöhnung, ohne dass die Autoren damit den Gedanken aufgegeben 1 2 3 4
Freudenfeld, Experiment, 468. Reinhardt, Synagoge, 79. Reinhardt, Kommentar. So o.Vf., Hemmungen, 346.
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hatten, Juden kämen nur über Christus zum Heil. Man ging davon aus, dass sich in Israel anhand der gemeinsamen heiligen Schriften das religiöse Gespräch geradezu aufdränge. Die israelischen Juden seien „zu echten Religionsgesprächen auf partnerschaftlicher Grundlage“ bereit, wenn man ihr Land nicht mehr nur „als christliches Missionsfeld“ betrachte.5 Israelische Gelehrte fänden auf protestantischer Seite in Israel nicht immer ein angemessenes Gegenüber für eine christlich-jüdische Begegnung. Dadurch hinke der Dialog in Israel den Gesprächsansätzen in den westlichen Ländern nach. Christen sollten endlich auch im Lande Jesu „das Verhältnis zwischen Kirche und Israel zum Guten beeinflussen.“6 Voraussetzung dazu sei, dass sich Christen die jüdische Religion vertraut machen würden, was nur „an dem einzigen Ort, an dem die Juden in der Mehrheit sind, vorgenommen werden sollte, nämlich in Israel.“7 Nach wie vor erklärten sich Protestanten solidarisch angesichts der „Schwierigkeiten und Belange der Christen in Israel, besonders der Christen jüdischer Herkunft.“8 Als Angehörige einer Minorität würden sie argwöhnisch beobachtet werden. Noch immer werde „der Judenchrist von vielen Juden als Verräter betrachtet, der sich dem gefährlichsten Feind des jüdischen Volkes angeschlossen hat, nämlich der Kirche.“9 Der Staat Israel müsse sich entscheiden, ob er die Christenheit so behandeln wolle, wie es sich für einen demokratischen Staat gehöre, „oder ob er die groteske Situation beibehalten möchte, daß ein Jude, der Christ wird, im nationalen Sinne nicht mehr Jude sein kann, während ein Jude, der Atheist ist, im nationalen Sinne sein Judesein behält.“10 ,Judenchristliche‘ Gemeinden stünden leider vor erheblichen Problemen. Beispielsweise seien sie „in Fragen des Personenstands der Jurisdiktion des Rabbinats unterstellt“, denn: „Offiziell gibt es keine Judenchristen.“11 Ein Autor wusste zwar um die „schwierige Situation der Judenchristen“, die isoliert und vereinsamt lebten, tadelte den jüdischen Staat deshalb jedoch nicht.12
2.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel Theologische Komponenten der israelischen Staatlichkeit: Analog zur Frage nach der Relevanz des Staates Israels für die Christenheit schien es in diesem Zeitabschnitt hinsichtlich eines grundsätzlichen theologischen Aspekts des politischen Israels keinen Klärungsbedarf zu geben. Dass Israel in einer nicht näher bestimmten Weise theologisch bedeutsam sei, wurde vorausgesetzt: 5 6 7 8 9 10 11 12
Pilgram, Bericht, 419. – S. a. Ahne, Geistigkeit, 271; Zmf. d. Pos. v. P. Huigens. Boertien, Lage, 213. – Vgl. Gjerding, Kirche, 280. Ebd. LWB, Ergebnisse, 279. Gjerding, Kirche, 280. Reinhardt, Kirche, 264; Zmf. d. Pos. von A. Gjerding. Boertien, Lage, 215. – Vgl. LWB, Ergebnisse, 279. Pilgram, Bericht, 419. – Vgl. ebd., 420.
Religiöse und theologische Aspekte
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„Israel kann nicht verstanden werden als ,ein Land wie jedes andere‘, auch wenn die Israelis selbst ihren Staat oft so verstehen wollen.“13 Anerkennen der Zionssehnsucht als Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses: Deutlicher als zuvor wurden die Christen zur Anerkennung der jüdischen Eigencharakterisierung sowie „des israelischen Selbstverständnisses“14 aufgerufen. Wer die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes bejahe, müsse auch „Israels Weg“ zustimmen – hier bezeichnete ,Israel‘ die Glaubensgemeinschaft der Juden –, einem Weg, der eben zur Gründung des neuen Staates geführt habe.15 Auch in diesem Zeitabschnitt konstatierten die Texte, dass der Zionismus und der daraus hervorgegangene Staat in historischer Kontinuität zum jüdischen „Heimweh“16, zur jahrhundertelangen Verbundenheit der Juden mit ,Erez Israel‘ stehe. Die Juden hätten nicht irgendwo, sondern in „dem alten Heimatgebiet“ ihr neues Zuhause gefunden.17 Der Traum vom eigenen Staat habe die jüdischen Siedler in Palästina zu Höchstleistungen angespornt. Gleichwohl versuchten manche Aufsätze das Judentum differenzierter wahrzunehmen: „Aber dieser Staat Israel ist die Erfüllung der Sehnsucht und des Zieles nur einer ganz bestimmten, wenn auch mächtigen Richtung des Weltjudentums, des Zionismus.“18 Viele andere jüdische Gruppen, vor allem die orthodoxen und die in westlichen Ländern assimilierten, könnten im israelischen Staat nicht das verheißene Land erblicken. Aufs Ganze gesehen fungiere jedoch die Zionssehnsucht als einigendes Band der israelischen Gesellschaft. Der Staat Israel im Kontext der Verheißungen an das jüdische Volk: Verschiedene Texte – mehrheitlich aus der Feder Heinrich Grübers – operierten offensiv mit dem Verheißungsbegriff: Die Rückkehr der Juden nach Palästina galt als Gottes Führung. Das jüdische Volk „hat den Boden gefunden, den Gott ihm einst verheißen hat, und es ist sich seines Auftrages und seiner Verheißung dort auf diesem Boden bewußt geworden.“19 Der Staat Israel wäre „ohne das Wissen“ der Juden „um die Verheißung Gottes“ nicht entstanden.20 Angesichts einer militärischen Bedrohung des Staates Israel war davon die Rede, dass über dem jüdischen Volk, „die Verheißung des Herrn der Geschichte stand: ,Ich will dich behüten wie meinen Augapfel!‘“21 Damit bekam der Staat Israel dem Autor zufolge Anteil am Erwählungscharakter des Gottesvolkes. Da
13 14 15 16 17 18 19 20 21
Orthmann, Paradies. Freudenfeld, Experiment, 465. Harder bei Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 78. Freudenfeld, Experiment, 465. Brummack, Vertreibung, 359. Pilgram, Bericht, 416. – Vgl. ebd., 417. Grber, Quo vadis, 115. Orthmann, Paradies. Grber, Israelfrage, 326.
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war es konsequent, dass er über diejenigen das Gottesgericht ausrief, die den jüdischen Staat bedrohten oder seiner Existenzgefährdung tatenlos zusahen. Vereinzelt wurde die jüdische Einwanderung nach Palästina in dieser Zeit mit der Formulierung gekennzeichnet, die erst durch die rheinische Synodalerklärung22 von 1980 in größerem Maßstab bekannt werden sollte. Das, was bisher den Juden im Land der Bibel widerfahren war, galt bereits in den 1960er Jahren als ,Zeichen der Treue Gottes‘ und damit als Bestätigung der biblischen Glaubenswahrheiten. Allerdings fungiere nicht der Staat an sich als ,Zeichen‘, sondern die bloße ,Sammlung‘ von Juden in Palästina: „Gottes Lebens- und Friedensbund mit Israel ist nicht gekündigt. Er besteht fort. Wir verstehen das Überleben Israels, seine erneute Sammlung im Lande der Verheißung und unter den Nationen als Zeichen der Treue Gottes. Das bestätigt auch uns seine Zusagen.“23
Kritik am Vorwurf der mangelnden Religiosität: Die Autoren konzedierten, dass viele Israelis im jüdischen Glauben nicht mehr zu Hause seien, schrieben ihnen aber – um einen Begriff Paul Tillichs aufzugreifen – eine ,latente‘ Gottesbeziehung zu: „Aber dennoch sind sie, ob sie es wissen wollen oder nicht, in ihrer Denk- und Handlungsweise vom Judentum her bestimmt.“24 Wer sich dezidiert „antireligiös“ verhalte, habe „in dieser feindlichen Haltung viel von dem jüdischen Gotteseifer“ bewahrt. Aufs Ganze gesehen sei der Glaube in Israel eine allgegenwärtige Größe, „denn über Religion sich zu unterhalten tritt hier fast an die Stelle des Wettergesprächs bei anderen Völkern.“25 Die Enttäuschung vieler Touristen über die Areligiosität beruhe daher auf einer Fehleinschätzung. In Zusammenhang mit der Frage nach der Religiosität der Israelis stand das Nachdenken über die Rolle der Bibel im jüdischen Staat. Gerade an der Stellung der Bibel im nationalen Leben erkannten die Autoren eine ,latente‘ Frömmigkeit der Israelis. Die Bibel stelle in Israel die ,nationale Literatur‘ dar. Ohne Übertreibung könne man sagen, „daß jedes Kind, das die Schule verläßt, die Bibel so gut kennt und so sehr liebt, wie in anderen Ländern höchstens ein Professor für Altes Testament.“26
22 23 24 25 26
Vgl. Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.29, 593 – 596. Weckerling, Friede u. Israel, 626; Bezug auf die 2. Prager Friedenskonferenz 1964. Boertien, Lage, 213. – Vgl. Tillich, Theologie, Bd. 3, 179 f. O.Vf., Bericht, 343. – Vgl. Freudenfeld, Experiment, 467. O.Vf., Bericht, 343. – Vgl. Freudenfeld, Experiment, 467; Jasper, Sorgen, 581 (Bezug auf E. Simon); und Weckerling, Studentengemeinde, 410.
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2.1.3 Kritik einer theologischen bzw. heilsgeschichtlichen Bedeutung des Staates Israel Kritik an einer heilsgeschichtlich-eschatologischen Deutung: Auch wer sich vorstellen konnte, dass die ,Sammlung der Juden im Lande der Väter‘ in einer nicht näher zu bestimmenden Weise mit Gottes Heilsplan in Verbindung stand, warnte vor einer theologischen Überhöhung dieses Sachverhalts: „Wir stehen jedoch diesem Tatbestand zu nahe, um jetzt schon ein Urteil über dessen religiöse Bedeutung zu haben: Gottes Handeln in der Geschichte vermögen wir nicht zu durchschauen.“27 Andere Verfasser urteilten noch eindeutiger. So wurde Ben-Gurions These, „daß der Staat Israel ein ,Werkzeug zur Verwirklichung der messianischen Vision‘ sei“, entschieden zurückgewiesen.28 Ein Autor wandte sich gegen den vielfach anzutreffenden Überschwang, „als sei der Alte Bund mit der Rückkehr bereits wiederhergestellt.“29 Die christliche Relativierung des jüdischen Verständnisses des ,Landes‘: Dass sich die Zeitschriftenartikel von „einem eigentümlichen Hereinnehmen der heidnisch-erdhaften, grausam-heiligen Mächte des Landes Israel“ in die jüdische oder christliche Religion distanzierten, war eine zeitgemäße Variante des in Phase I dominanten Postulats, dass in Christus die Kategorie des Landes überwunden sei.30 Es fand sich ferner das theologische Urteil, dass die Juden mit Zionismus und Staat Israel ihrer eigenen Bestimmung auswichen, der zufolge sie das Exil als gottgegeben zu ertragen hätten.31 Die christliche Lesart dieser auch von Juden artikulierten Ansicht besagte, dass die Juden nach Christus ihr Recht auf das Land verloren hätten. Israel als säkularer und religiös indifferenter Staat: Deutlich war das Votum zu vernehmen, den Staat Israel als profanes Gemeinwesen zu betrachten, denn schließlich wolle er eine Demokratie sein. Man dürfe auch nicht übersehen, dass von den Juden „längst nicht alle und längst nicht alle aus biblischen Beweggründen“ nach Palästina gekommen seien.32 Wer in Israel mehr sehe als einen säkularen Staat, wer diesen gar zu einem Thema der Theologie mache, der rede einer illegitimen Vermischung von Religion und Politik das Wort.33 Wie im vorhergehenden Zeitabschnitt so fanden sich auch jetzt Textpassagen, in denen die kritische Analyse des religiösen Lebens der Israelis instrumentalisiert wurde, um den rein säkularen Charakter des neuen jüdischen 27 28 29 30 31 32 33
LWB, Ergebnisse, 278. Jasper, Gesprächsmöglichkeit, 272. Freudenfeld, Experiment, 468. Baehr, Kirche, 180; gegen die Pos. v. Rabbiner Rubenstein. So Ahne, Geistigkeit, 273; Zmf. d. Pos. v. Rabbiner Maybaum. Reinhardt, Synagoge, 79. S. u.
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Staates zu konstatieren. Dieses Vorgehen stand im Gegensatz zu dem bereits beschriebenen Versuch, die Israelis vor dem Vorwurf mangelnder Religiosität in Schutz zu nehmen.34 Die Kritik an Israels Glaubenslosigkeit geschah auch mit dem Verweis auf jüdische Stimmen. So wurde der Jerusalemer Professor Ernst Simon zitiert, der im Blick auf jüdische Frömmigkeit bei einem Großteil seiner Landsleute Desinteresse und Apathie diagnostizierte. Das Judentum habe demnach in Israel seine „dynamische Kraft“ verloren.35 An einer Stelle wurde eine israelische Frau mit der Aussage zitiert, dass die meisten Israelis zu einem religiösen Leben „jetzt keine Zeit haben“, ja sogar „das Judentum […] so gerne verleugnen wollen, um normale Staatsbürger sein zu können.“36 Obwohl die Autoren die Dominanz religiöser Fragestellungen im öffentlichen Leben als ,theokratische‘ Tendenzen brandmarkten,37 betrachteten sie gleichzeitig das in ihren Augen defizitäre Frömmigkeitsverhalten als Schwachstelle des neuen Gemeinwesens. Da die israelische Gesellschaft von weltanschaulichen und kulturellen Gegensätzen geprägt sei, müsse sie allein der Integration halber um eine höhere Einheit, um einen Gottesbezug wissen. Nur für einen Vertreter der Judenmission war allerdings die nicht vorhandene theologische Fundierung deshalb problematisch, weil sie die erhoffte Christusbegegnung der Israelis erschwere.38 Anders Heinrich Grüber. Er dachte nicht mehr in judenmissionarischen Kategorien, wenn er die Befürchtung aussprach, dass die Israelis nicht zum Worte Gottes zurückfänden und die Weisungen ihres Herrn außer Acht ließen: „Israel heißt auf deutsch: Streiter Gottes. Die Frage bleibt, ob der Ton auf der letzten Silbe des Wortes liegen bleibt, auf der Silbe ,el‘, die Gott bedeutet. Man soll nicht nur Kämpfer, Arbeiter, Wissenschaftler und Politiker sein, sondern man muß sich bewußt bleiben, daß man Arbeiter, Wissenschaftler, Politiker im Volke Gottes ist, das von dorther den Auftrag hat.“
Demnach bräuchten Israelis keine Christen zu werden, um im Heilsplan eine Rolle zu spielen. Sie müssten aber gottesfürchtig sein. Denn als erwähltes Volk stehe Israel nach wie vor unter der Drohung des ,Lo-Ammi‘ („Nicht mein Volk“, Hos 1,9). Damit ging für Grüber die Klage einher, dass sich Israel bereits den anderen Völkern dieser Welt gleichgestellt habe. Denn selbst wenn die Menschen „in Moskau wie in Chicago“ zu seelenlosen ,Robotern‘ zu werden schienen, so hätte diese Entwicklung gerade in Israel vermieden werden müssen.39 Das Räsonieren über die Profanität Israels zeitigte bei Grüber ein anderes Ergebnis: Nicht eine Widerlegung theologischer Zuschreibungen wurde angestrebt, sondern das Bedauern artikuliert, dass das moderne Israel 34 35 36 37 38 39
S. a. Teil III, 2.1.2. Jasper, Sorgen, 581; Zit. v. E. Simon. O.Vf., Bericht, 343. S. u. So Reinhardt, Synagoge, 81. Grber, Quo vadis, 117 f.
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aufgrund seiner säkularen Wesensart die ihm zukommenden heilsgeschichtlichen Aufgaben nicht wahrzunehmen vermöge. Wie auch immer die Autoren zu argumentieren wussten, so gelangten sie doch zu dem gleichen Resultat: Das säkulare Israel stand im Widerspruch zu den Erwartungen, die Christen aufgrund biblischer Überlegungen an die Sammlung der jüdischen Nation im Heiligen Land stellten. Israel zwischen Theokratie und Demokratie, Religion und Politik: Manche Autoren wollten den „Konflikt zwischen Orthodoxie und Liberalismus“ nicht kritisieren, sondern einfach nur verstehen lernen.40 Die israelische Gesellschaft sei weltanschaulich gespalten, was die Zukunft des jüdischen Staates ungewiss erscheinen lasse: „Vom orthodoxen Judentum, das sich gegen die Staatswerdung auflehnt und ein neues Reich erst mit dem Wiederkommen des Messias erwartet, bis hin zu einem Freidenkertum nüchternster – um nicht zu sagen – radikalster Art.“41 Von einer in sich geschlossenen jüdischen Glaubensnation könne deshalb nicht gesprochen werden. Andere Texte verließen die reine Deskription und hoben warnend hervor, dass die verschiedenen Glaubensrichtungen in sich „gefährliche Sprengkräfte“ bärgen, vor allem, wenn Rabbinat und religiöse Parteien das Gemeinwesen auf das „Fundament der Thora“ stellen möchten: „Viele Israelis aber leiden darunter, daß ihr Staat in so starkem Maße ein ,Religionsstaat‘ ist.“42 Es sei problematisch, dass die jüdisch-orthodoxe Minderheit durch staatliche Gesetze das Verhalten der Mehrheit bestimme und Nichtreligiöse benachteilige. Daraus würden ein „Kulturkampf“43 sowie ,theokratische Tendenzen‘ resultieren. Letztere seien der Grund dafür, dass die israelische Regierung die Protestanten noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt habe.44 Aufgrund der vermeintlichen jüdischen Affinität zur Theokratie sahen manche Autoren die Israelis in Gefahr, Religion und Politik zu verquicken. Diese Tendenz habe bereits von deutschen Israel-Enthusiasten Besitz ergriffen, weshalb ein Vertreter der konfessionellen Judenmission warnte: „Es gilt biblisch-theologisch zu reden und eine Vermischung theologischer und politischer Aussagen sorgfältig zu vermeiden.“45
40 O.Vf., Bericht, 343. 41 Grber, Quo vadis, 116. – Vgl. Freudenfeld, Experiment, 465: „Hier Zion – dort ein Volk wie andere. Hier Synagoge – dort liberal-sozialistische Demokratie. Hier Thora und Talmud – dort allgemeine Grundrechte westlicher Verfassungen.“ 42 Pilgram, Bericht, 416 f; und Freudenfeld, Experiment, 466. 43 Jasper, Gesprächsmöglichkeit, 272. 44 So Boertien, Lage, 214 f. – Vgl. Gjerding, Kirche, 280; und Schmidt, Tagebuch, 184. 45 Reinhardt, Kommentar.
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2.2 Säkulare Aspekte 2.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah Dass Israel das Land war, in dem die überlebenden Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung Zuflucht fanden, wurde den Lesern der Periodika wiederholt in Erinnerung gebracht, zum Beispiel bei der Wiedergabe der Jerusalemer Rede von Eugen Gerstenmaier, aber auch in anderen Texten.46 Die „Entstehung des Staates Israel“ und die „Vernichtungslager des NS-Staates“ würden zusammen die beiden „analogielosen Erfahrungen“ der jüdischen, ja der menschlichen Existenz bilden.47 Der Gedanke, dass das jüdische Volk gerade zu dem Zeitpunkt in seine Heimat gelangt sei, als die Deutschen sich des übergroßen Verbrechens an ihm schuldig gemacht hätten, begegnete uns in dieser Phase in einer abgewandelten Form: „Wir dürfen gerade als Christen, die wir uns diesem Volk in Schuld und Leid verbunden wissen, hier [d. h. in der jüdischen ,Heimkehr‘, GG] etwas sehen von Gottes gnädiger Führung.“ Ein Schuldeingeständnis, das Bewusstsein „des eigenen Versagens“, schloss den Glauben an die göttliche Vorsehung nicht aus.48 Im Gegenteil: Das Wissen um die Schoah konnte auch Grund dafür sein, wieso explizit die Deutschen „eine besondere Verpflichtung“ gegenüber der Erkenntnis hätten, dass „Israel“ bis heute nur aufgrund der „Verheißung Gottes“ existiere.49 Ende der 1950er Jahre begannen christliche Reisegruppen und Individualtouristen aus der Bundesrepublik vermehrt den Staat Israel aufzusuchen. Dabei wurden sie auf Schritt und Tritt mit ihrer Herkunft aus einem Tätervolk konfrontiert: „Wenn man in ein Land und zu einem Volk kommt, gegen das man mit seinem Volk schuldig geworden ist, dann ist alle Freude der Begegnung […] überlagert von dem Gefühl der Mitschuld an den Verbrechen des eigenen Volkes.“50 Israel-Reisende wurden zwangsläufig daran erinnert, „daß Israel […] eine zweitausendjährige Leidensgeschichte außerhalb seiner Heimat hat, die auf das engste verknüpft ist mit der Geschichte unseres Volkes.“51 Im Heiligen Land erlebte man, dass ,Auschwitz‘ „der totale Bankrott des Christentums gewesen“ sei.52 In einem Zeitschriftenartikel war man darüber erstaunt, wie freundlich sich Israelis trotz der Schoah gegenüber Deutschen verhielten: „Haben die Juden vergessen können? Wohl kaum, aber sie konnten
46 47 48 49 50
Vgl. Gerstenmaier, Wandlung. – S. a. ders., Juden; und Giscala, Rechtschaffenheit, 413. Baehr, Kirche, 180; Zmf. d. Pos. von Rabbiner Rubenstein. Grber, Quo vadis, 115. Orthmann, Paradies. – S. a. auch Teil III, 2.1.2. Grber, Quo vadis, 115. – Vgl. ESG Berlin, Eichmann, 337; und Weckerling, Studentengemeinde, 408. 51 Schmidt, Tagebuch, 168. 52 Ahne, Geistigkeit, 271; Zmf. d. Pos. v. P. Huigens.
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Unterschiede machen und verurteilten nicht ,die Deutschen‘ pauschal.“53 Eine Stipendiatin, die an der Hebräischen Universität studierte, betonte demgegenüber mehr das bleibend Trennende zwischen Deutschen und Israelis. In ihren Augen sei es für Israelis noch zu früh für eine Aussöhnung: „Ich hörte auf, mir einzubilden, daß durch meine Person ein Beitrag geschehen müsse, um wieder Brücken zu bauen, und daß ich zu diesem Zweck möglichst vielen Menschen begegnen müsse. ,Hör endlich auf, dich als deutsche Botschafterin in Israel zu fühlen‘, sagte mir ein Freund, als ich eines Tages ziemlich am Ende meiner Kraft war von der Überfülle der Begegnungen und Erlebnisse. Ich lernte, jetzt nur zu hören, aufzunehmen, mich selbst bereitmachen zu lassen für meine Aufgabe, die nicht hier, sondern nur in Deutschland liegt.“54
2.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah Die deutsche Schuld als Ursache der Verantwortung: Die Autoren gingen davon aus, dass die Deutschen dem Staat Israel gerade deshalb „Gerechtigkeit und Achtung widerfahren lassen“ müssten, weil „gegen dessen Menschen Deutschland so furchtbar schuldig geworden ist.“55 Die Weltgemeinschaft, einschließlich der arabischen Staaten, müsse ein Verständnis für diese besondere deutsche Verpflichtung entwickeln und dürfe der Bundesrepublik daher keine einseitig proisraelische Haltung vorwerfen: „Die Welt muß verstehen, daß wir mehr als bei allen anderen Völkern durch die Anerkennung und Unterstützung dieses Staates etwas wiedergutzumachen versuchen, was wir in der Vergangenheit verschuldet haben.“56 Wenn der israelische Staat vom arabischen „Vorhaben eines neuen Völkermordes an den Juden“ bedroht sei, dürfe man gerade in Deutschland nicht schweigen, denn ,wir‘ hätten die israelischen Juden in diese neue Gefahr gebracht: „Durch die hitlerische Politik der Ausrottung haben wir in den von uns besetzten Gebieten unter der Judenschaft eine Massenauswanderung nach Palästina ausgelöst, was schließlich zur Proklamation des Staates Israel führte.“57 Auch die Berichte über Otto Dibelius’ Telegramm an David Ben-Gurion 1960 und über die Reise der vermeintlich offiziellen Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland
53 54 55 56
Schmidt, Tagebuch, 168. O.Vf., Bericht, 341. Wilm, Was ich, 65. – Vgl. KBiW, Israel, 326; und Hann. Landessynode, Israelfrage. Grber, Beziehungen. – Vgl. ders., Israelfrage, 325: Als Deutsche haben wir „eine besondere Verpflichtung dem Staat [d. h. Israel, GG] gegenüber […], der eine Heimat werden kann für das Volk, von dem wir einen Drittel vernichtet haben.“ 57 Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. – Vgl. GCJZ, Aufruf, 628; und o.Vf., Sorge um die Judenerklärung, 476.
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(EKD) nach Israel 1962 ließen erkennen, dass man sich um ein sicheres Leben der dort wohnenden Juden angesichts der deutschen Schuld sorgte.58 Gegenüber diesem proisraelischen Konsens und der moralischen Integrität seiner Protagonisten hatte die Kritik einen schweren Stand. Ein Autor flüchtete sich deshalb in die Zitierung eines israelischen Staatsbeamten, der den Sühnegedanke problematisierte, wie er insbesondere Aktion Sühnezeichen zugrunde liege: „Was wollen die jungen Menschen, die zu uns kommen, eigentlich sühnen? Etwa die Sünden ihrer Väter, für die sie nicht verantwortlich sind?“ Die Bemühungen um ein verantwortliches Verhalten im Lichte der Schoah wurden bei diesem Einzelvotum als „Selbstbefriedigung“ abgetan, welche nicht das Wohl der Israelis, sondern die eigene Rehabilitation im Blick habe.59 Konkrete Anlässe: In diesem Zeitabschnitt existierten mehr Anlässe als zuvor, den Staat Israel mit den Augen der jüngsten deutschen Geschichte wahrzunehmen. Dabei enthielten die Artikel immer wieder polemische Ausfälle gegen die offizielle bundesrepublikanische ,Vergangenheitsbewältigung‘. Im Rückblick erschien das Luxemburger Abkommen nicht nur als große moralische Leistung, sondern auch als bloße „Herausgabe gestohlenen Gutes“, als eine berechnende Tat, um in der Völkergemeinschaft wieder „gesellschaftsfähig“ zu werden.60 Die meisten Texte betonten jedoch die positiven Folgen des ,Schilumim‘-Vertrags. Dadurch habe Westdeutschland zum Aufbau Israels beigetragen, wenn nicht gar diesen erst möglich gemacht. Die Wiedergutmachungsleistungen machten die Vergangenheit natürlich nicht ungeschehen, würden aber für die Überlebenden der Schoah eine wichtige ,Starthilfe‘ darstellen.61 Alle Texte waren sich darin einig, dass man bei bloßen Geldzuwendungen nicht stehen bleiben dürfe. Über das Finanzielle hinaus gebe es „eine moralische Wiedergutmachung, die ebenso wenig unterlassen werden darf.“62 Gerade dazu habe sich die Bundesregierung durch die Unterzeichnung des Wiedergutmachungsvertrags bekannt. Das wichtigste deutsch-israelische Diskussionsthema war in diesem Zeitabschnitt die Frage nach den diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Die Autoren setzten voraus, dass sich dabei zeige, ob die Deutschen aus ihrer Vergangenheit gelernt hätten und ob die Christen das Verhältnis zu den 58 So o.Vf., Die Christenheit, 23; und ders., Reise. – Vgl. Niesel, Gedenkfeier. – S. a. auch Teil II, 2.2.5 und 2.4.1. 59 Pilgram, Bericht, 420. – Die Anspielungen auf ASZ sind unmissverständlich. 60 Giscala, Rechtschaffenheit, 415. 61 So Grber, Schuld: „Eine nur finanzielle Wiedergutmachung genügt nicht, das habe ich in Deutschland oft genug betont. Mit Geld kann man sechs Millionen Menschen nicht zum Leben zurückrufen. Aber man kann denen, die mit den Toten durch Leid und Not verbunden sind, das Leben lebenswerter machen und ihnen dazu verhelfen, daß sie im Lande ihrer Väter eine neue Heimat finden und dort sicher wohnen.“ – Vgl. Pilgram, Bericht, 418. 62 Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. – S. a. Block/Buczys/Cates, Sühnezeichen, 176.
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Juden wirklich auf eine neue Grundlage stellen wollten. Der bisher ausgebliebene Botschafteraustausch gefährde die ersten hoffnungsvollen deutsch-israelischen Begegnungen,63 sei zudem peinlich und „beschämend für die Bundesrepublik“ und lasse der „israelische(n) Bevölkerung in zunehmenden Maße fragwürdig“ erscheinen, dass „das heutige Deutschland mit dem Geiste der Hitlerzeit gebrochen“ habe.64 Die diplomatische Anerkennung Israels könne verhindern, „daß wir uns aufs neue schämen müssen, Deutsche zu sein.“65 Die Texte enthielten in der Regel Appelle an die Regierenden und an die Bevölkerung, oder sie forderten den mündigen Zeitgenossen zu gesellschaftlichem Engagement auf: „Die politischen Instanzen sollten immer wieder auf das hingewiesen werden, was hier auf diplomatischem Wege noch zu tun ist“, zumal ja selbst „von führenden Politikern“ die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel bereits gefordert werde.66 Die Autoren wussten darum, dass der jüdische Staat wiederholt einen Botschafteraustausch angeboten habe. Deshalb gelte: „[D]en ersten Schritt müßten wir tun.“67 Die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel dürfe nicht hinter der Verpflichtung zur Wiedergutmachung zurücktreten. Wer dem israelischen Staat die als eine logische und „notwendige Konsequenz“ aus dem Luxemburger Abkommen zu betrachtende diplomatische Anerkennung verweigere, stelle Israels Existenzrecht in Frage: „Wollen wir hier wieder einmal durch Schweigen schuldig werden?“68 Gerade wegen des Unrechts, das die Deutschen den Juden angetan hätten, müsse man nun „die gegenseitigen Beziehungen“ fördern. Die völkerrechtliche Anerkennung Israels sei deshalb eine „Gewissenssache“ und gehöre nicht in den Bereich des kalten realpolitischen Kalküls.69 Die Vorgaben der „unglückselige(n) Hallsteindoktrin“ dürften die Normalisierung der Beziehungen zu Israel nicht verhindern.70 Die Bundesrepublik müsse mit Israel die gleichen Kontakte pflegen wie mit der arabischen Welt: „Es ist […] unbegreiflich, daß unsere Regierung zu einem Staat wie Ägypten, 63 So Fahlbusch/Meyer/Dohrmann, Anerkennung. – Vgl. GCJZ, Aufruf, 628; und Giscala, Rechtschaffenheit, 414. 64 Wilm, Was ich, 65; und vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27. – Vgl. Pilgram, Bericht, 419; GCJZ, Aufruf, 628; und Gollwitzer, Telegramm. – S.a. Block/Buczys/Cates, Sühnezeichen, 176: „Mit allergrößter Sorge sehen wir [d. h. ASZ, GG], daß durch die Politik der Bundesregierung gegenüber dem Staat Israel unsere langjährige Arbeit in diesem Land unglaubwürdig wird.“ 65 Gollwitzer, Telegramm. 66 Kupisch, Kirchentag, 542; und KBiW, Israel, 326. 67 GCJZ, Aufruf, 627. – Vgl. ESG, Stellungnahme, 175; und Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27. 68 Block/Buczys/Cates, Sühnezeichen, 176; und Grber, Israelfrage, 325. – Vgl. o.Vf., Reise, 701 (Zmf. d. Pos. von E. Wilm); und KBiW, Israel, 326. 69 Hann. Landessynode, Israelfrage, 703; und GCJZ, Aufruf, 628. – Vgl. Fahlbusch/Meyer/ Dohrmann, Anerkennung; und Grber, Israelfrage, 325. 70 Block/Buczys/Cates, Sühnezeichen, 176. – Vgl. Pilgram, Bericht, 419.
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der den Mord an Juden als ,politisches Delikt‘ wertet […], ungetrübte Beziehungen pflegt, während dem Staat Israel die Anerkennung verweigert wird.“71 Der befürchteten Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten könne „durch Einsatz wirtschaftlicher und politischer Argumente“ begegnet werden.72 Von den arabischen Staaten dürfe man sich nicht unter Druck setzen lassen. Den Drohungen Nassers, der in die Nähe Hitlers gerückt wurde, sei mit Mut zu widerstehen: „Wollen wir wieder einmal den Pressionen eines Diktators nachgeben?“73 Die Rede von einer deutsch-arabischen Freundschaft dürfe nie zu einer antiisraelischen Einstellung führen. Die Bundesregierung müsse nun zeigen, dass sie nicht in Kauf nehme, dass „wiederum die Vernichtung von Juden mit deutscher Unterstützung“ betrieben werde. In diesem Zusammenhang müsse betont werden, dass die Bundesregierung mit einer diplomatischen Anerkennung Israels „keineswegs einseitig gegen die arabischen Staaten Partei ergreifen“ würde.74 Insgesamt werde ein Botschafteraustausch zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten beitragen, da die Bundesregierung mit beiden Konfliktparteien in Freundschaft leben könne. Auch wenn die Aufforderungen an die Politiker überwogen, appellierten die Texte durchaus an die EKD, an einzelne Gliedkirchen und an kirchliche Gruppierungen.75 Nicht nur die Deutschen als Bürger eines Staates, auch die Christen, insbesondere die Kirchenleitungen, wurden in die Verantwortung genommen. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 müsse sich jetzt darin bewähren, dass die Kirche für die völkerrechtliche Anerkennung eintrete. Insofern sich ranghohe EKD-Repräsentanten für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ausgesprochen hatten, wurde dies in der Publizistik gewürdigt.76 Synodenbeschlüsse, die einen Appell an die Bundesregierung enthielten, wurden abgedruckt. Es war auffallend, dass innerhalb der kirchlichen Periodika das Plädoyer für diplomatische Beziehungen mit Israel nahezu einhellig war. Nur an einer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass die Forderung des Botschafteraustauschs keine Aufgabe von Kirche und Theologie sei.77 71 KBiW, Israel, 326. – Nahezu identisch mit Aussage der Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. – Vgl. GCJZ, Aufruf. 72 Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27. 73 Grber, Israelfrage, 325. – Vgl. ders., Beziehungen; und Fahlbusch/Meyer/Dohrmann, Anerkennung. 74 Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 28. – Vgl. Fahlbusch/Meyer/Dohrmann, Anerkennung; GCJZ, Aufruf, 628; Grber, Beziehungen; und Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. 75 S. a. ESG, Stellungnahme, 175; und Fahlbusch/Meyer/Dohrmann, Anerkennung. – Vgl. Hann. Landessynode, Israelfrage, 703: „Aus dieser christlichen Verantwortung heraus bittet sie [d. h. die Synode, GG] den Herrn Landesbischof, der Bundesregierung den dringenden Wunsch der Landessynode zu übermitteln, weiterhin gangbare Wege mit dem Ziele eines geordneten politischen Zusammenlebens beider Staaten zu suchen.“ 76 So o.Vf., Reise, 701; Zmf. d. Pos. von E. Wilm. 77 So Reinhardt, Kommentar : „Wenn es z. B. unlängst hieß, solange die Bundesrepublik den Staat Israel noch nicht anerkannt habe, ,sollten wir uns schämen, überhaupt mit Juden über
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Weitere Diskussionen, die den Staat Israel in Bezug auf die ,Vergangenheitsbewältigung‘ fokussierten, entstanden angesichts des Eichmann-Prozesses und der Affäre um ehemalige nationalsozialistische Wissenschaftler in Ägypten. Das Jerusalemer Gerichtsverfahren gegen Adolf Eichmann wurde zum Anlass genommen, die Deutschen an ihre Verantwortung für die Vergangenheit zu mahnen: „Der gegenwärtig in Jerusalem stattfindende Prozeß geht uns alle an. Wir evangelischen Christen in Deutschland erkennen, daß wir darin schuldhaft verwickelt sind.“78 Dass das Gerichtsverfahren in Israel stattfand, wurde deshalb gewürdigt, weil ein in Westdeutschland geführter Prozess wohl kaum positive Auswirkungen auf eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit hätte, weil man Eichmann als Einzeltäter abtun würde.79 Heinrich Grübers Aussage im Eichmann-Prozess habe die Israelis „wieder an einen gewissen Typ von Deutschen erinnert, der Zivilcourage und Gewissen hat.“80 Hier wurde vorausgesetzt, dass das Verfahren gegen den nationalsozialistischen Verbrecher zu einem Motor der Beziehungen mit Israel werden könnte, wenn deutlich werde, dass inzwischen viele Deutsche ein besseres, ein anderes Deutschland verkörperten. Grüber jedenfalls dankte der israelischen Regierung, dass sie Eichmann regelmäßige seelsorgerliche Begleitung gestattet habe. Und wegen der Hinrichtung eines Verbrechers, der bis zuletzt keine Reue gezeigt habe, wolle er trotz seiner Gegnerschaft zur Todesstrafe keine Kritik am Staat Israel üben.81 Neben der Einsicht in die moralische Notwendigkeit des Prozesses schoben sich andere, u. a. auf deutsche Gegebenheiten bezogene Überlegungen. Einige Beiträge sorgten sich um den guten Ruf Deutschlands. Sie zweifeln daran, ob gerade ein israelisches Gericht zu einem angemessenen Urteil in der Lage sein werde: „Volk und Staat Israel haben mit der Aburteilung eine schwere Last übernommen.“82 Der Prozess dürfe nicht zu einem neuen Hass zwischen Deutschen und Juden führen. Zur Aussöhnung zwischen beiden Völkern wäre es besser, Eichmann würde vor ein deutsches oder internationales Gericht gestellt werden, weil die in Israel geltende Todesstrafe als Akt der Rache ausgelegt werden könnte, sodass der Eindruck entstünde, „daß in diesem Fall statt Gerechtigkeit Ressentiments herrschten.“83 Man fürchtete, der Prozess werde zu einer „erneuten Isolierung des deutschen Volkes“ beitragen.84
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Christus zu sprechen‘, so kann solche Rede nur als ein höchst bedauerliches Zeichen der Vermischung theologischer und politischer Argumentation bezeichnet werden.“ Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 76; und Kupisch, Kirchentag, 541. – Vgl. EKD, Gesamtdeutsche Synode, 141 f; und Halfmann, Juden, 40. So ESG Berlin, Eichmann, 337. Kloppenburg, Grüber, 334; Zit. einer nicht näher bezeichneten Stimme „aus Israel“. So Grber, Todesurteil. EKD, Gesamtdeutsche Synode, 141 f. Ollendorff, Lebensprobleme, 339. – Vgl. Buber, Begnadigung, 34. Halfmann, Juden, 40. – Vgl. ebd.: Der Berliner Mauerbau, der im gleichen Jahr wie der
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Dass Israel als der Zufluchtsort der Überlebenden der Schoah wahrgenommen wurde, manifestierte sich auch in der Auseinandersetzung um ehemalige nationalsozialistische Wissenschaftler in Ägypten. Die Autoren der Periodika erkannten, dass die deutsch-israelischen Beziehungen durch die Mitwirkung von „Hitlers Spießgesellen“ bei der Herstellung von arabischen Angriffswaffen belastet würden.85 Die nationalsozialistischen Wissenschaftler und ihre ägyptischen Gastgeber seien durch den gemeinsamen Hass auf Israel miteinander verbunden. Wenn die Bundesregierung nicht endlich dagegen einschreite, zeige sie, dass sie einseitig „für die Araber und gegen Israel Partei ergreift.“86 Die ,Altnazis‘ in Ägypten „müßten im Sinne von Artikel 26 des Grundgesetzes unter Strafe gestellt werden.“ Man dürfe nicht zulassen, dass deutsche Wissenschaftler bei einer erneut „geplanten ,Endlösung‘“, der militärischen Vernichtung Israels, „praktische Hilfe leisten.“87 Demgegenüber gab es auch den Versuch, den Vorwurf zu entkräften, dass Ägypten mit ehemaligen Nationalsozialisten gemeinsame Sache mache und dadurch auf seine Weise eine ,Endlösung der Judenfrage‘ intendiere. Zwar sei es aus deutscher Sicht bedauerlich, dass etwa 250 deutsche Techniker in einem Land tätig seien, das mit Israel in Feindschaft lebe. Dass Ägypten diese Forscher eingestellt habe, sei aber nicht aus einer ideologischen Gesinnung heraus geschehen, sondern aus Fachkräftemangel und aus Unwissenheit, da „die Araber die Untaten des Dritten Reiches ja nicht am eigenen Leib verspürten.“ Folglich gelte: „Die nationalsozialistische Vergangenheit ist nicht für die Regierung der Grund, die Techniker zu verpflichten, sondern für die Techniker die Ursache ihrer Verpflichtung nach Ägypten.“88 Verständnis für die israelische Empörung über diese Situation enthielt dieser Text nicht.
2.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel Bewunderung der wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen: Die Autoren verwiesen auf das schwere, aber eindrucksvolle „Aufbauwerk hier im Lande, das wir bei jedem Besuch erneut bewundern.“89 Landwirtschaftliche Kultivierung und Industrialisierung seien auch deshalb notwendig, weil Israel künftig mit noch mehr Einwohnern rechnen müsse. Vor allem wenn sich der
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Eichmann-Prozess die Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe, könnte ein „göttliches Gericht“ für den „unsäglichen Greuel des millionenfachen Judenmords“ darstellen. Grber, Israelfrage, 325. – Vgl. ESG, Stellungnahme, 175; Fahlbusch/Meyer/Dohrmann, Anerkennung; Grber, Quo vadis, 116; und vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27. Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 28. – Vgl. ESG, Stellungnahme, 175 f. KBiW, Israel, 327; und Grber, Israelfrage, 325. – Vgl. Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. Andel, Pharao, 539. Grber, Schuld. – Vgl. o.Vf., Reise, 701; Orthmann, Paradies; und Weckerling, Studentengemeinde, 411.
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Eiserne Vorhang öffnen werde und die sowjetischen Juden ausreisen dürften, müsse man auf einen plötzlichen Bevölkerungsanstieg vorbereitet sein.90 Weil das Land heute mehr Leute ernähren könne „als in der Zeit der Herrschaft der Sultane“, würde es sich wieder in das Land verwandeln, „in dem Milch und Honig fließt.“91 Erst den Israelis sei es folglich gelungen, Palästina aus seiner Verarmung herauszureißen: „Es ist das eigenartige in Israel, immer und überall in Israel können sie darauf verweisen, wie es vor 10, vor 20 Jahren war : Wüste, Einöde, – wie es heute ist: fruchtbares Land, auf dem Tausende, Zehntausende siedeln, – und wie es dort drüben in 10, in 20 Jahren sein wird, wo jetzt noch Wüste und Einöde ist. Wo einst die malariaverseuchten Hulesümpfe sich oberen Jordan hinzogen, ist heute fruchtbares, gesundes Land für Zehntausende.“
Gerade die jüdischen Arbeiter würden die Basis für eine erfolgreiche israelische Volkswirtschaft bilden: „Das ins Land geflossene Kapital, so entscheidend und notwendig es für den Aufbau war und auch in Zukunft sein wird, stellt doch nur den einen Teil dar, – den anderen schafft der Israeli selbst durch seine Zähigkeit, durch seinen Fleiß, durch seine Energie.“92 Leistungsbereitschaft, Hingabe und Opfer der Juden in Palästina „machten die Wiedergeburt einer Nation erst möglich.“93 Man müsse endlich „begreifen, welche Tüchtigkeit der Jude zu entfalten in der Lage ist“, wenn es darauf ankomme.94 Der „eindrucksvolle Aufbau dieses Staates“ habe „die unsinnigen Behauptungen der nationalsozialistischen Propaganda widerlegt, daß Juden mit eigener Hand keine produktive Arbeit leisteten.“95 Die Texte entdeckten in den Israelis gerade die Eigenschaften, welche der Nationalsozialismus in den ,Ariern‘ zu erkennen glaubten: „Wir sahen gesunde Mütter, eine natürliche Jugend, gute Soldaten, fleißige Bauern […], die allen Rassenhaß Lügen strafen.“96 Darin meinte man einen Beweis gefunden zu haben, dass die antisemitischen Vorbehalte gegenüber den Juden nicht mit der Realität übereinstimmten. Das Interesse an den kulturellen und pädagogischen Errungenschaften ließ in diesem Zeitabschnitt nach. Man staunte lediglich über die „viele(n) geistig aufgeschlossene(n) und intellektuelle(n) Menschen“, die unabhängig von moderner Vergnügungsindustrie nach Feierabend kulturellen Interessen nachgingen.97
90 91 92 93 94 95 96 97
So Pilgram, Bericht, 418. Brummack, Vertreibung, 359. Pilgram, Bericht, 418. Freund, Strukturen, 79. Pilgram, Bericht, 418. O.Vf., Reise, 701. Grber, Quo vadis, 115 f. Freund, Strukturen, 81.
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Bewunderung der Verwirklichung gesellschaftlicher Ideale: Für die Verfasser der Zeitschriftenartikel wurden in den Kibbuzim „Strukturen einer neuen Gesellschaft“ sichtbar.98 Dort erlebe man „einen organisch gewachsenen Sozialismus“, der letztlich aus religiöser Bindung komme und bewusst den Weg vom Ich- zum Wir-Denken beschritten habe.99 Eine solche Gemeinschaftssiedlung stelle kein Relikt aus der Zeit der zionistischen Urbarmachung des Landes dar, sondern sei „ein fortdauerndes soziales Experiment, das geeignet ist, unsere manchmal allzu selbstgenügsamen wirtschaftlichen und sozialen Leitbilder in einigen wichtigen Punkten in Frage zu stellen.“ Der politische Zionismus gebe sich hier die Form einer auf das Allgemeinwohl ausgerichteten Erneuerungsbewegung. Vor allem deshalb, weil das den Kibbuz tragende „,konkurrenzlose‘ System, in dem doch der wirtschaftliche Anreiz zur Leistung ganz fehlt, ausgezeichnet funktioniert.“ Das widerlege die „Axiome der klassisch-liberalen Wirtschaftsideologie“, welche auf Leistung und Wettbewerb setzten.100 Im Gegensatz zum kapitalistischen System, in dem man arbeite um Geld zu verdienen, besitze die Arbeit im Kibbuz einen wirklichen Eigenwert und stelle daher einen Lebenswert dar. In „schwerer entsagungsvoller, aber produktiver Arbeit“ könnten die Kibbuzniks an ihrer Seele gesunden.101 Alle Arbeiten würden als gleichwertig gelten. In diesen Produktionsgemeinschaften habe somit „die alte Utopie von einer eigentumslosen und egalitären Gesellschaft ihren bisher vielleicht umfassendsten Ausdruck gefunden.“ Gleichwohl handele es sich bei den Kibbuzim um keine „kollektivistische Zwangsgemeinschaft, sondern um einen freiwilligen, vom Geist der Solidarität getragenen Zusammenschluß, aus dem sich der einzelne auch jederzeit wieder lösen kann.“102 Der Erfolg der Kibbuzim basiere also auf Solidarität und Gemeinschaftssinn sowie auf dem Vermögen, diese Ideale an die nachfolgende Generation weiterzugeben. Dass die Kinder die meiste Zeit des Tages von den Eltern getrennt seien und gemeinsam erzogen würden, sahen die Aufsätze in diesem Zusammenhang als Vorteil an. Kritik an einer Glorifizierung der israelischen Aufbauarbeit: In anderen Textpassagen hielt man wenig davon, angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs in Israel „sich in staunender Emphase zu ergehen“, vielmehr müssten die ungelösten Probleme, vor denen das Land stehe, in aller Nüchternheit wahrgenommen werden.103 Im Westen würden viele klischeehafte, „überholte Vorstellungen“ über die Kibbuzim existieren. Auch im Blick auf die Produktionsgenossenschaften galt: „Die Situation des Staates Israel ist in 98 99 100 101 102 103
Ebd., 78. – Vgl. Schmidt, Tagebuch, 169. Grber, Quo vadis, 117. Freund, Strukturen, 78 u. 83 f. Grber, Quo vadis, 115. Freund, Strukturen, 78 u. 80. Freudenfeld, Experiment, 468.
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vieler Hinsicht sehr anders, als es weithin der deutschen Vorstellungswelt entspricht.“104 Israel sei nicht das Land der kommunistisch geprägten Kibbuzim, da kaum 5 % der Bevölkerung in solchen lebten und die Siedlungen auch nicht unbedingt als sozialistisch zu bezeichnen seien. Den Kibbuzim stünden mit dem Abtreten der Generation der ersten ,Pioniere‘ erhebliche Wandlungen in wirtschaftlicher und ideologischer Hinsicht bevor. Selbst Autoren, welche die Kibbuzim als gesellschaftliches Leitbild präsentierten, mussten einräumen, dass das Prinzip der Solidargemeinschaft in den Produktivgenossenschaften gefährdet sei. Der zunehmende Wohlstand in der israelischen Gesellschaft trage neue Bedürfnisse und daher „neue Spannungsmomente“ in die Kibbuzim hinein, sodass man für die Zukunft mit einer harten „Bewährungsprobe des Systems der Einkommensgleichheit“ rechnen müsse.105 Auch mit einer zunehmenden Abwanderung aus den Kibbuzim sei zu rechnen.
2.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen 2.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit Der Nahostkonflikt als Beunruhigungsfaktor: Auch wenn dieser Zeitabschnitt von keinen offenen militärischen Auseinandersetzungen bestimmt war, erschien der israelisch-arabische Antagonismus manchem Autor unauflösbar. Simple Ratschläge an die Konfliktparteien seien hier nicht möglich, denn es sei schwer „in dieser Frage, für die es in absehbarer Zeit keine Lösung zu geben scheint, einen gerechten Standpunkt einzunehmen.“106 Plädoyer für Frieden und Gerechtigkeit: Wer für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten plädierte, war in der Regel von Zuversicht und Optimismus geprägt und wollte im Blick auf den politischen Konflikt eine neutrale Haltung einnehmen bzw. beiden Kontrahenten gerecht werden. Viele Texte verlangten gerade von der Bundesrepublik und ihren Bürgern eine solche Ausgewogenheit: „Auch muß von uns Deutschen alles getan werden, was dem Aufbau und dem Frieden des Staates Israel und seiner arabischen Nachbarn dient.“107 Jeder Schritt auf dem Weg zu einem israelisch-arabischen Frieden sei ein Beitrag zur
104 105 106 107
Pilgram, Bericht, 416. – Vgl. ebd., 418. Freund, Strukturen, 84 u. 83. Andel, Pharao, 540. Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 76; und Kupisch, Kirchentag, 542. – Dieses Votum der Arbeitsgruppe VI des Kirchentages 1961 wurde von derselben Gruppe 1965 in Köln bekräftigt (so o.Vf., Sorge um die Judenerklärung, 476).
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„Bewahrung des Weltfriedens.“108 Auch das Gebet stelle einen Beitrag zum Frieden dar.109 In diesem Zusammenhang hoffte man, dass auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik „einen Beitrag zur Normalisierung der Verhältnisse im Nahen Osten leisten“ werden.110 Denn nur wenn man beiden Seiten freundschaftlich verbunden sei, könne man sich um einen „friedlichen Ausgleich zwischen den verfeindeten Völkern“ bemühen.111 Schon Ben-Gurion sollte 1960 im New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel Bundeskanzler Adenauer beschworen haben, „seinen Einfluß bei den arabischen Staaten dahingehend geltend zu machen, daß endlich Friede werde.“112 In den Artikeln kam den Kirchen und kirchlichen Gruppierungen zunehmend die Bedeutung zu, als Experten der Friedensarbeit zu agieren und sich damit angesichts der allgemeinen Säkularisierungstendenz neu zu profilieren. So galt es in den Texten als verheißungsvoll, dass gerade christliche Organisationen wie die Evangelischen Studentengemeinden einen Raum böten, in dem „sich junge Araber und Israelis zu Gesprächen über eine friedliche Koexistenz im palästinischen Raum begegnen“, wie es vor Ort kaum denkbar wäre.113 Dadurch könne der gegenseitige Hass abgebaut werden. Kirchenvertreter aller Konfessionen könnten durchaus als Vermittler auftreten, wie man an der Palästinareise von Papst Paul VI. gesehen habe, der gleichermaßen „dem König Hussein sein Salam und dem Präsidenten Schasar sein Schalom entboten hat.“ So sollten Christen „um den ehrlichen Maklerdienst zwischen den Stiefbrüdern Israel und Ismael wissen.“114
2.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens Gegenseitige Anerkennung des Lebensrechts des anderen: Auffallend war, dass sich die Wahrnehmung des Nahen Ostens in diesem Zeitabschnitt zunehmend politisierte. Mehr und mehr Autoren stellten Konfliktlösungsstrategien vor, wie sie in den kirchlichen Printmedien bisher unbekannt waren. So fand sich Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. So Provinzialsynode der EKBB, Judenhaß, 101. Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 28. GCJZ, Aufruf, 628. Pilgram, Bericht, 419. – Davon stand nichts in den israelischen und deutschen Gesprächsaufzeichnungen (dok. bei: Jelinek/Blasius, Ben-Gurion, 330 – 344). Ben-Gurion hätte nur gesagt: „We are surrounded […] by the Arabs since the establishment of the State. I have not been against you helping the Arabs […] They are against us. We are not against them. Our aim is to live in peace and help others to the extent we can“ (ebd., 334). – Vgl. Vogel, Politik, Bd. 1, 144 – 157. 113 Pilgram, Bericht, 419. – Vgl. KBiW, Israel, 327. 114 Grber, Israelfrage, 326. – Vgl. ders., Beziehungen, 437: „Gerade wir Deutschen sind berufen, […] im Streite zwischen den Stiefbrüdern Ismael und Israel – Juden und Arabern – als ehrliche Makler aufzutreten.“
108 109 110 111 112
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immer wieder der – eigentlich banale, aber richtige – Gedanke, dass es nur durch eine Anerkennung des Lebensrechts des anderen zu einem Frieden kommen könne. Dahinter stand die Erkenntnis, dass Waffengewalt keine politischen Probleme löse.115 Der Glaube an einen gerechten Ausgleich zwischen Juden und Muslimen drückte sich auch darin aus, dass ein Presseorgan den bereits 1919 verfassten Brief des haschemitischen Prinzen Feisal abdruckte, in dem dieser gegenüber dem Zionisten Felix Frankfurter proklamierte: „Wir arbeiten gemeinsam an der Erneuerung und dem Wiederaufbau des Nahen Ostens, und unsere beiden Bewegungen ergänzen einander.“116 Wer in der deutschen Bevölkerung für ein positives Bild vom jüdischen Staat warb, wollte gleichzeitig deutlich machen, dass eine proisraelische Haltung einer möglichen israelisch-arabischen Entspannung nicht im Wege stehe: „Eine positive Einstellung zum Staate Israel erfordert keine antiarabischen Stimmungen.“117 Forderung nach einem binationalen bzw. föderativen Staat in Palästina: Nur vereinzelt fanden sich in diesem Zeitabschnitt Hinweise, dass die Probleme zwischen Israel und seinen Nachbarn hätten vermieden werden können, wenn der Jischuv bereit gewesen wäre, mit den Arabern in einem Staat zusammenzuleben. Das sei ja auch das Angebot des Prinzen Feisal 1919 gewesen, der zu seinem zionistischen Gesprächspartner sagte, es sei „Raum genug im Lande für uns beide.“118 Die Juden in Palästina hätten 1948 keinen eigenen Staat ins Leben rufen, sondern „einer Konföderation von Staaten“ beitreten sollen.119 Indem diese auf die Versäumnisse der Vergangenheit bezogenen Aussagen in den Printmedien dokumentiert wurden, verliehen die Redakteure der Idee Nachdruck, die Konflikte könnten auch heute gelöst werden, wenn es zu einem bi- oder multinationalen Staat in Nahen Osten käme. Das Engagement der Weltmächte in Nahost: Die Konflikte könnten auch gelöst werden, wenn sich die Weltmächte dementsprechend verhalten würde. Die Autoren forderten, dass „der Vordere Orient aufhören solle, Kraftfeld der konkurrierenden Großmächte, das hieß, Objekt fremder Politik zu sein.“120 Nur dann könnten Israelis und Araber im Nahen Osten nachbarschaftlich zusammenleben. Diese Mahnung richteten die Autoren formal an beide Konfliktparteien, praktisch nahmen sie aber eher Israel in die Pflicht. Dass Israel als westlicher Brückenkopf in der arabischen Welt agiere, habe die Situation verschärft. Israels Bündnis mit den alten Kolonialmächten habe sich daran gezeigt, dass es beim zweiten israelisch-arabischen Krieg von 1956 115 116 117 118 119 120
So o.Vf., Das Problem, 36. Feisal, Araber [1966], 63. Grber, Beziehungen. Feisal, Araber [1966], 63. Buber, Leben, 85. O.Vf., Das Problem, 35; Bezug auf israelische Regierungskreise.
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zusammen mit Großbritannien und Frankreich ein gegen Ägypten gerichtetes ,Komplott‘ ausgearbeitet habe.121 Die israelische Gesellschaft stehe wie die westeuropäische vor der Gefahr, dem ,Amerikanismus‘ zu verfallen, welcher in gleicher Weise wie der ,Bolschewismus‘ eine Ersatzreligion darstelle.122 Weitaus seltener waren die Stimmen, die das sowjetische Engagement im Nahen Osten thematisierten. Zudem ging man hier schnell dazu über, Israel dafür verantwortlich zu machen.123 Wer Israel etwas Gutes tun wollte, versuchte demgegenüber die sowjetische Propagandathese von Israels „Unterordnung unter Amerika“ oder vom Zionismus als „Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes“ in Zweifel zu ziehen, damit der jüdische Staat nicht mehr als Vorposten des Westens in Erscheinung trete.124 Die mögliche Funktion Israels als „europäische(r) Brückenpfeiler im Nahostraum“ wurde aber nicht von allen Autoren negativ gesehen.125 Europa sei verpflichtet, diesen Vorposten nicht aufzugeben, und dürfe sich deshalb nicht von seiner Verantwortung für den israelischen Staat dispensieren. Aufgrund der arabischen Feindschaft bleibe Israel gar nichts anderes übrig, als sich an die westliche Weltmacht anzuschließen: „Der Nahe Osten ist für Israels Handel gesperrt, daher sind diese Bemühungen [um Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und dem Westen, GG] ungeheuer wichtig.“126
2.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem Forderung nach Lösung der Flüchtlingsfrage: Die Aggressivität, mit der arabische Medien die Flüchtlingsnot herausstellten, nahmen die Presseorgane als Hinweis auf das tatsächliche Ausmaß des Leids und auf die Dringlichkeit seiner Lösung auf. Als Christen und als Deutsche „sollten wir Hilfe bei der Lösung der arabischen Flüchtlingsnot anbieten.“127 Nur „durch eine allgemeine Anstrengung auf internationaler Basis“ könne „das Elend der arabischen Flüchtlinge“ behoben werden, ohne den Staat Israel zu gefährden.128 Vielleicht könnten Israelis und Araber auch selbst in gemeinsamen Projekten 121 Andel, Pharao, 535. 122 So Grber, Quo vadis, 117. – Der Amerikanismus bestand für Grüber darin, den Menschen zum Ausgangspunkt aller Maßnahmen zu erheben sowie Fortschritt und Wissenschaft zu vergöttern. 123 So o.Vf., Das Problem, 36: Die „Tore des Vorderen Orients öffneten sich dem Einfluß Russlands“ aufgrund des israelischen Sieges im Sinaikrieg 1956. 124 Jasper, Die Lage der Juden [1961], 136; und ders., Die Lage der Juden [1962], 421 (Bezug auf sowjetische Quellen). 125 Pilgram, Bericht, 419. 126 Schmidt, Tagebuch, 169. 127 KBiW, Israel, 327. – Vgl. o.Vf., Das Problem, 35. 128 Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. – Vgl. Buber, Leben, 85; und o.Vf., Das Problem, 36.
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zur Linderung der Not beitragen. Auf alle Fälle müssten die Exilierten in irgendeiner Weise materiell entschädigt werden. Verständnis für die israelische Position: Die meisten Araber im Israel zugesagten Gebiet hätten sich „dem großen ,Absaugen‘“, welches von den Nachbarstaaten initiiert wurde, nicht entziehen können.129 Der Aufruf der Gegner Israels an die arabische Bevölkerung zum Verlassen des Landes sei ein falscher Schritt gewesen. Die Araber Palästinas seien ,freiwillig‘ geflohen, Israel müsse viele jüdische Neueinwanderer integrieren und habe eine begründete Angst, heimkehrende Araber könnten als ,eine fünfte Kolonne‘ die Existenz des israelischen Staates bedrohen – wegen dieser Dinge könne ihnen die Rückkehr nicht erlaubt werden.130 Zudem gebe es in den arabischen Staaten genügend Raum zur Ansiedlung. Dass Israel keine Vertreibung der Araber initiiert habe, zeige sich daran, dass die in Israel verbliebenen Araber heute ein gutes Auskommen hätten.131 Zudem wurden die arabischen Staaten kritisiert, die Flüchtlinge als Druckmittel gegen Israel zu benutzen.132 Verständnis für die arabisch-palästinensische Position: Ganz anders beurteilten die proarabischen Stimmen die Flüchtlingsfrage. Dass „die Begründung des israelischen Staates unter problematischen Umständen erfolgt“ und der arabischen Bevölkerung Unrecht widerfahren sei, könne nicht geleugnet werden.133 Wahrscheinlich hätte es gar kein Flüchtlingsproblem gegeben, wenn das jüdische Gemeinwesen in Palästina nicht einen eigenen souveränen Staat ins Leben gerufen hätte. Grundsätzlich dürfe man den Gedanken einer Rückkehr der geflohenen Araber ins israelische Staatsgebiet nicht von vornherein ausschließen. Wer mit Hilfe einer völkerrechtlichen Argumentation das Heimatrecht der Deutschen jenseits von Oder und Neiße einklagte, bestand auf die Bereitschaft des israelischen Staates, die arabischen Flüchtlinge wieder heimkehren zu lassen. „Auch die Lage der um des Staates Israel willen aus ihrer Heimat vertriebenen Araber […] wird sich nur durch eine Koexistenz lösen lassen, für die die Israelis im Norden, in Galiläa selbst schon jetzt ein Beispiel liefern.“134
2.3.4 Der Status Jerusalems Jerusalem als eine israelische Stadt: Wie in Phase I wünschte sich auch in diesem Zeitabschnitt kaum ein Autor die israelische Oberhoheit über die wiederver129 130 131 132 133 134
Pilgram, Bericht, 416. So o.Vf., Das Problem, 36; Bezug auf die ,offizielle Einstellung des Staates Israel‘. So Pilgram, Bericht, 416. Ebd., 420. KBiW, Israel, 326. – Vgl. Buber, Leben, 85; und o.Vf., Das Problem, 36. Brummack, Vertreibung, 359. – ,Koexistenz‘ meinte hier keinen binationalen Staat.
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einigte ,Hauptstadt Israels‘. Ein Verfasser beklagte, dass „die Altstadt von Jerusalem mit dem Tempelplatz“ noch in jordanischem Besitz sei: „Die Orthodoxen unter den jüdischen Glaubensrichtungen erkennen den neuen Staat [Israel, GG] auch darum nicht an, weil er die Stätte der Errichtung, des 3. Tempels Salomos, den Tempelplatz Alt-Jerusalems noch nicht in Besitz hat!“135 Zurückweisung des israelischen Anspruchs auf ganz Jerusalem: Ein anderer Text beschrieb den Zustand der Teilung zwar als „äußerst bedrückend“, aber indem der Autor die gegenwärtige Situation als Ausdruck gleichberechtigter jüdischer wie muslimischer Ansprüche beschrieb, akzeptierte er die Teilung und war weit davon entfernt, einen israelischen Ansprach auf ganz Jerusalem zuzustimmen: „Die arabische und israelische Welt stoßen hier mit aller Wucht aufeinander und jede ringt um ihre Ansprüche und Lebensrechte nicht nur mit den Mitteln der Gewalt, sondern zugleich unter dem steten Hinweis auf geheiligte Traditionen.“136 Die Rolle der heiligen Stätten: Protestantische Pilger zu den heiligen Stätten Palästinas wurden aufgefordert, sich mit ,nüchternen‘ Bibelworten wie Johannes 4,21 zu wappnen, wonach Gott nicht an bestimmten Orten, sondern im Geist und in der Wahrheit angebetet werde. Die neutestamentliche Botschaft mache unabhängig vom Glauben an spezielle ,Gnadenorte‘, sodass man, „um in Jerusalem zu leben, nicht unbedingt in Jerusalem gewesen sein muß.“137
2.4 Parteinahme für den Staat Israel 2.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel Die Bedrohung des Staates Israel: Die Autoren begründeten ihr Eintreten für den jüdischen Staat mit den Ankündigungen der arabischen Regierungen, „eines Tages die Israelis wieder ins Meer zu treiben“ und den jungen Staat auszulöschen.138 Der jüdische Staat befinde sich „in einem akuten, den Weltfrieden gefährdenden Notstand“ und sei von einem gegen ihn geführten Krieg bedroht.139 Man müsse auf jeden Fall verhindern, dass „die Drohungen Wirklichkeit werden, die jetzt immer wieder ausgestoßen werden, daß man Israel auslöschen will.“140 Die Araber sollten wissen, dass „wir“ als Christen 135 136 137 138 139 140
Pilgram, Bericht, 417. Fischer, Stätte, 93. Weckerling, Studentengemeinde, 410. – Vgl. Fischer, Stätte, 93. Pilgram, Bericht, 419. – Vgl. Schmidt, Tagebuch, 169. Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. Grber, Israelfrage, 325.
Parteinahme für den Staat Israel
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„dieses Vorhaben verabscheuen“; darüber zu reden sei eine entscheidende Aufgabe innerhalb der Weltökumene.141 Die Autoren meinten zu wissen, dass Israelis mit den gegenwärtigen Grenzlinien nicht zufrieden sein könnten. Israel lebe ihretwegen in ständiger Alarmbereitschaft und ohne ausreichende Sicherheit: „Umklammert wird der Staat Israel von 951 Kilometern Frontlinie gegen ,feindliche Nachbarn‘.“142 Überhaupt sei die Grenzziehung nicht besonders sinnvoll gewesen, wofür die UN verantwortlich zu machen sei, die nach dem Krieg 1949 verfügt habe, dass die aktuellen Waffenstillstandslinien die neuen Grenzen bildeten. Das bedeute eine Zickzacklinie, an der ständige Schussbereitschaft herrsche. Das Bemühen, Israel zu schwächen, zeige sich exemplarisch an der israelisch-syrischen Grenze: „Die Syrer versuchen, hier den Jordan abzuleiten, um Israel von dem lebenswichtigen Wasser abzuschneiden.“143 Konflikte seien daher vorprogrammiert. Der Druck von außen hatte in den Augen einiger Texte auch positive Folgen für das jüdische Gemeinwesen im Heiligen Land, insbesondere im Blick auf das israelische Gemeinschaftsgefühl: „Wichtiger Faktor für Israels Volkwerdung ist gewiß die bedrohte Lage.“144 Sinnbild für den israelischen Willen zur Selbstbehauptung sei deshalb die Festung Massada. Die Frage nach dem Botschafteraustausch spielte auch angesichts der arabischen Drohkulisse eine Rolle. Wenn die Bundesrepublik sich nicht eindeutig auf die Seite Israels schlage – so die Forderung vor dem 12. Mai 1965 –, sei sie mitverantwortlich, wenn „der Haß der arabischen Nachbarländer gegen Israel sich einmal in einem furchtbaren Krieg austoben sollte.“145 Das Existenzrecht des Staates Israel: In diesem Zeitabschnitt wurde erstmals das ,Existenzrecht‘ Israels hervorgehoben und gegenüber seinen wirklichen oder möglichen Bestreitern proklamiert. Alle Staaten der Weltgemeinschaft müssten dieses Recht anerkennen. Auch Westdeutschland sei dazu verpflichtet, „dem Schicksal des neuen Staates Israel nicht mit verschränkten Armen gleichgültig zuzusehen“, sondern sich „dafür einzusetzen, daß die Existenz dieses Staates und seine Fortentwicklung gewährleistet bleiben.“146 Das Eintreten für das Existenzrecht Israels stand häufig im Zusammenhang mit dem Plädoyer für einen deutsch-israelischen Botschafteraustausch: „Wer einem Staate normale diplomatische Beziehungen verweigert, stellt damit dessen Existenzrecht und Bestand in Frage.“147 141 142 143 144
KBiW, Israel, 327. Pilgram, Bericht, 416. Schmidt, Tagebuch, 169. Pilgram, Bericht, 418 – S. a. Schmidt, Tagebuch, 184: „Massada ist heute ein Symbol für den Willen des neuen Israel, seine Existenz als freier Staat nicht wieder zu verlieren.“ 145 Wilm, Was ich, 65. – Vgl. Theol. Arbeitsgemeinschaft, Aussöhnung, 627. 146 KBiW, Israel, 326. 147 Vierzehn Hochschullehrer, Anerkennung, 27.
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Der Bezug auf die deutsche Situation drückte sich auch in der Forderung aus, die Deutschen könnten von den arabischen Staaten erst dann die Respektierung der durch die Schaffung Israels entstandenen Grenzen verlangen, wenn sie selbst bereit wären, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen: „Wenn aber wir Deutsche nationale Rechtsansprüche auf die Ostgebiete erheben, rechtfertigen wir […] die arabische Forderung nach Vertreibung oder Vernichtung des israelischen Volkes.“148 Christliche Solidarität zum Staat Israel: Explizit fand sich erstmals in Phase II die Aussage, dass insbesondere die Christen Verantwortung für den Staat Israel hätten, und zwar als spezifischen Ausdruck ihres Glaubens. Forderungen an die Politik gälten deshalb auch für die Kirchen: „Es bleibt eine der dringlichsten Fragen, was uns [d. h. die Christen, GG] in Europa die Existenz dieses Staates Israel bedeutet.“149 Organisationen wie die Darmstädter Marienschwesternschaft würden deshalb einen unersetzlichen Dienst verrichten. Wenn davon die Rede war, dass das Eintreten für den Staat Israel „Verheißung“ habe, dann kam damit unausgesprochen eine Vorstellung zum Tragen, die in Anlehnung an Genesis 12,3 und Sacharja 2,12 mit dem göttlichen Segen für den rechnete, der sich auf die Seite des jüdischen Volkes schlug. Umgekehrt galt freilich auch: „Eine politische und wirtschaftliche Freundschaft mit den arabischen Ländern, die von deren Seite auf dem Haß gegen Israel gegründet ist, kann keine Verheißung haben.“150
2.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel Gegen den Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus: In den 1960er Jahren lasen die Autoren aus der sowjetischen Propaganda zunehmend den Vorwurf heraus, Israel sei ein aggressiv-imperialistischer Staat. Sie bestanden darauf, dass man der Sowjetunion darin widersprechen müsse, der Staat Israel sei der „Hauptsammelplatz der imperialistischen Judenheit der ganzen Welt“ und der Zionismus könne nur als ,verräterisch‘ gelten.151 Der Staat Israel sei keine militaristisch-aggressive Macht, zumal er bereits im ersten israelischarabischen Krieg von 1948/49 nur in „Notwehr“ gehandelt habe.152 Gegen den Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Ähnlich verhielt es sich mit dem sowjetischen und arabischen Monitum, die israelische Gesellschaft sei aufgrund ihrer Betonung des jüdisch-ethnischen Elements nationalistisch und 148 149 150 151
KBiW, Israel, 327. Pilgram, Bericht, 420. Wilm, Was ich, 65. Jasper, Die Lage der Juden [1962], 421; gegen sowjet. Äußerungen. – Ähnlich ders., Die Lage der Juden [1961], 136. 152 KBiW, Israel, 326. – Vgl. Pilgram, Bericht, 416.
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rassistisch geprägt. Für die Autoren habe Israel jedoch mit der Integration der arabischen Minderheit – 12 % der Bevölkerung – bereits bewiesen, dass es zu einer israelisch-arabischen Koexistenz bereit sei. Der Staat Israel unternehme viele Versuche, das Verhältnis zu den Arabern zu verbessern: „Schulen werden gebaut, die Dörfer erhalten Licht und Wasser.“153 Die Araber seien gleichberechtigte Bürger, sie gingen „in Frieden und voller religiöser Freiheit ihrem Gewerbe nach und sind Teilhaber am sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt des Landes.“154 Es läge lediglich an der Propaganda der arabischen Staaten und an deren Nationalismus, wenn Arabern in Israel die Loyalität mangele. Zurückhaltung gegenüber Kritik an Israel: Wer dem jüdischen Staat wohlgesonnen war, legte sich gegebenenfalls gegenüber einer Kritik an Israel Zurückhaltung auf, was in Phase II explizit nur an einer Stelle geschah. Dahinter stand die Überzeugung, dass es gerade den Deutschen nicht gut anstehe, gegenüber Israel zu Gericht zu sitzen: „Als Deutscher glaube ich keine innere Berechtigung zu haben, dem Staatsoberhaupt des Staates Israel eine Bitte vorzutragen oder gar einen Ratschlag zu geben.“155
2.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen Kritik an den arabischen Kirchen: In einem Beitrag wurde der Verwunderung Ausdruck verliehen, dass gerade in Israel als dem Staatswesen mit der dichtesten jüdischen Population noch kein Dialog zwischen Juden und Christen – gemeint sind die arabischen Kirchen – begonnen habe. Die Ursache dafür liege wohl in der „selbstsichere(n) und eigensinnige(n) Weise“, mit der die orientalischen Kirchen seit Jahrhunderten „mit Juden umgehen.“156 Kritik an westlichen Kirchen und ökumenischen Vereinigungen: An einer Stelle wurde kritisiert, dass sich der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und der Lutherische Weltbund (LWB) mehr um die Araber kümmerten und vergäßen, dass auch in Israel Christen lebten: „Vielleicht hat die zwischenkirchliche Hilfe des Ökumenischen Rates der Kirchen, vielleicht hat der Lutherische Weltdienst den Blick bisher allzu sehr auf die von den Randstaaten Israels als politisches Druckmittel gegen diesen unerwünschten Staat an dessen Grenzen massierten und konzentrierten arabischen Flüchtlinge gerichtet und dabei manche Aufgabe an den Christen in Israel übersehen.“157 153 154 155 156 157
Schmidt, Tagebuch, 169. Pilgram, Bericht, 416. – Vgl. Brummack, Vertreibung, 359. Grber, Todesurteil, 414. Boertien, Lage, 213. Pilgram, Bericht, 420.
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Kritik an der israelfeindlichen Linken: Auch in diesem Zeitabschnitt wies nur ein Autor darauf hin, „daß der Kommunismus grundsätzlich antizionistisch sei“, was durch verschiedene Vorfälle in der Sowjetunion deutlich werde. „Man hatte in Rußland zunächst gehofft, den Staat Israel für seine Ziele zu gewinnen. Als aber dieser Versuch scheiterte, wurden die Juden dort plötzlich ,Kosmopoliten, die der internationalen Bourgeoisie‘ angehören.“ Auch wenn die Sowjetunion ständig beteuere, den Antisemitismus zu bekämpfen, sei nicht zu übersehen, dass in diesem Antizionismus „der Antisemitismus in einem neuen Gewand sich zeigte, eben als Absage an die jüdische Nation und den jüdischen Internationalismus.“158 Obwohl anderen nationalen Gruppen in Russland eine ethnische Organisierung eingeräumt werde, bliebe das den Juden bis heute verwehrt. Man müsse deshalb sowjetischen Veröffentlichungen entgegentreten, welche den jüdischen Staat verunglimpften.
2.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite 2.5.1 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Lebensrechts Anerkennung des arabisch-palästinensischen Selbstbestimmungsrechts: Weniger die Palästina-Araber, sondern die arabischen Staaten standen bei den Autoren, die für die arabische Seite Partei ergriffen, im Mittelpunkt des Interesses. Ein Text, der für einen baldigen deutsch-israelischen Botschafteraustausch plädierte, konnte gleichermaßen fordern, dass „der Blick für die arabischen Nachbarn des Staates Israel nicht verlorengehen“ dürfe, da sie „in ihrer wirtschaftlichen Notlage dringend unsere Hilfe“ bräuchten.159 Nicht palästinensisch-arabische Politiker, sondern der ägyptische Präsident zog die Aufmerksamkeit auf sich. Niemand könne noch bestreiten, dass Nassers politische und soziale Vorstellungen für Ägypten einen viel versprechenden Weg in die Zukunft wiesen. Seit der ,Revolution‘ von 1952 habe der ägyptische Präsident erfolgreich daran gearbeitet, das Land im fortschrittlichen Sinne zu erneuern: „Die übrige Welt hat sich bisher kaum ein einigermaßen zutreffendes Bild von Nasser gemacht. Von allen lebenden Staatsmännern ist sein Antlitz in der Vorstellung der Menschen am meisten verzerrt.“ Wer im Blick auf die arabischen Staaten mehr Demokratie einklage, gehe an den orientalischen Verhältnissen völlig vorbei und wisse nicht, „daß es im Nahen Osten nur eine verschwindend dünne Bevölkerungsschicht gibt, die zu echter politischer Willensäußerung fähig ist.“160 158 Jasper, Die Lage der Juden [1962], 421; Bezug auf Buber/Goldmann, Juden; und Gollwitzer, Gefangenschaft. 159 Kupisch, Kirchentag, 542. 160 Andel, Pharao, 375 u. 379.
Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite
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2.5.2 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft Allgemein: In vielen Zeitschriftenartikeln galt Israelkritik als völlig legitim. Wenn man sich als Deutscher in Israel weder anti- noch philosemitisch gebe, sondern sich ganz natürlich verhalte, sei man für die Israelis „einfach ein guter Freund, von dem man sich auch alle mögliche Kritik an israelischen Angelegenheiten gefallen“ lasse. Den jüdischen Staat zu tadeln sei auch deshalb gerechtfertigt, weil die Israelis selbst „die schärfsten Kritiker ihres eigenen Volkes sein können.“161 Man müsse auch verstehen, dass den arabischen Kirchen in Israel nichts anderes übrig bleibe, als israelkritisch zu sein. Weil die muslimischen Nachbarstaaten Linientreue verlangen würden, wären arabische Christen als Verräter abgestempelt, wenn sie sich mit jüdischen Israelis solidarisierten.162 Ein Autor versuchte zudem die Aufrüstungsanstrengungen und die Israelfeindschaft Ägyptens zu rechtfertigen, indem er betonte, dass die Niederlage im Krieg von 1948/49 sowie die negative Erfahrung von 1956 für das ägyptische „Ressentiment gegenüber Israel“ verantwortlich seien.163 Der Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus: Nicht der Staat Israel sei in seiner Existenz gefährdet. Im Gegenteil: Israel selbst sei es, der „eine imperialistische Aggression“ an den Tag lege und seine Nachbarländer bedrohe. Das habe sich am Krieg von 1956 gezeigt, der dazu geführt habe, „daß Ägyptern der Schock über den Angriff der Israelis auf die Sinai-Halbinsel 1956 noch tief in den Knochen sitzt. Sie fürchten ständig einen neuen Überfall, der sie wieder unvorbereitet treffen“ könnte.164 Nasser selbst trage an diesem Krieg keine Schuld. Ägypten habe nun Angst, erneut Opfer des israelischen Imperialismus zu werden. Der Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Die Autoren beobachteten im Staat Israel eine gefährliche „Mystifikation eines nationalen Enthusiasmus“, der als Ausdruck jüdischer Assimilation angesehen wurde.165 Man müsse deshalb fragen, ob der Staat Israel ein „romantisches Selbstmißverständnis“ darstelle.166 Israelis, die sich in religiöser Hinsicht nicht mehr im Judentum zu Hause fühlten, würden versuchen „diesen Verlust jüdischer Substanz durch einen vehementen jüdischen Nationalismus zu kompensieren.“167 Sorgenvoll blickten die Texte auf das Phänomen, dass „überall die Flaggen als heiliges
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O.Vf., Bericht, 342. So Gjerding, Kirche, 280. Andel, Pharao, 374. Ebd., 539. Jasper, Gesprächsmöglichkeit, 272. Reinhardt, Synagoge, 81; Bezug auf G. Harder. Boertien, Lage, 213.
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Zweite Phase (1959 – 1967)
Symbol in Erscheinung treten.“168 Selbst Christen jüdischer Herkunft würden hier keine Ausnahme bilden. Das „neu entstehende israelische Nationalgefühl“ erschwere letztlich die Integration der Araber im eigentlichen Israel.169
168 Grber, Quo vadis, 117. 169 Schmidt, Tagebuch, 170.
3. Dritte Phase (1967 – 1972) 3.1 Religiöse und theologische Aspekte 3.1.1 Der Staat Israel als Thema der Christenheit Die allgemeine Frage nach der Relevanz des Staates Israel für die Christenheit: Im dritten Zeitabschnitt spitzten sich die Auseinandersetzungen unter den Autoren in Folge des Sechstagekriegs zu. Die Argumente wurden politischer und waren deutlicher von einem ideologischen Blockdenken bestimmt als früher. Dass die Verfasser der Artikel nun auf mehrere israelische Kriege zurückblicken konnten, in denen sich der jüdische Staat behauptet hatte, war für manche ein Anlass, nach religiösen Implikationen zu suchen. Als ein Grund für die religiöse Relevanz des Staates Israel wurde die Beobachtung ausgemacht, dass man in Geschichte und Gegenwart dieser Entität auf zu viele unerklärbare, ja ,unhistorische‘ Phänomene stoße. Dass es nach fast 2000 Jahren wieder zu einer jüdischen Staatsgründung gekommen sei und dieser Staat trotz Kriege überlebt habe, „das allein wirft schon eine schier unendliche Reihe von Ismen und Pseudotheorien der politischen Wissenschaft und der internationalen Beziehungen über den Haufen.“1 Neben diesem eindringlichen Votum stellte ein Beitrag auch nur einfach fest, dass in der Christenheit unterschiedliche Interpretationen der israelischen Staatwerdung existierten, die zum Teil den Konfessionen zugeordnet werden könnten. Während „man in der reformierten Tradition mit ihrem starken Nachdruck auf dem Alten Testament und der Bundesvorstellung“ eher eine heilsgeschichtliche Deutung des israelischen Staatswesens finde, würde „orthodoxe, in hohem Grad auch lutherische Theologie dazu“ neigen, „der Rückkehr der Juden nach Palästina und der Gründung des Staates Israel keine theologische Bedeutung zuzuschreiben.“2 Diese konfessionelle Zuordnung zeigte, dass man bereits auf eine längere, selbstverständlich gewordene Israelrezeption zurückblickte. Der Staat Israel im christlich-jüdischen Gegenüber : Der Sechstagekrieg ließ in vielen Artikeln die Überzeugung zurück, dass das jüdisch-christliche Verhältnis mit der Wahrnehmung des Nahostkonflikts korreliere. Für die Autoren stand fest, dass der christlich-jüdische Dialog beeinträchtigt oder gar unterbrochen werde, wenn Christen zum arabischen Aufmarsch gegen den israe1 Lapide, Unglaube, 360. – Vgl. ders., Gott, 514. 2 Gjerding, Elemente, 160.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
lischen Staat schwiegen: „Zu den neueren Opfern der mangelnden Bereitschaft oder der Unfähigkeit des offiziellen Christentums für den bedrohten israelischen Staat in Wort und Tat einzutreten, gehört der jüdisch-christliche Dialog.“3 Das impliziere, dass es zu einem fruchtbaren Gespräch zwischen Juden und Christen nur dann kommen könne, wenn Christen die jüdische Bindung an ,Erez Israel‘ akzeptieren würden. Die christliche Siedlung Nes Ammim, deren europäische Bewohner während des Krieges im Land blieben, wurde im Blick auf deren Anteilnahme als vorbildlich dargestellt. Dass viele Israelis trotz aller Solidaritätsbekundungen noch zu keinem Dialog mit Christen bereit seien, dürfe nicht irritieren: „Um all dies kühl und reif zu durchdenken, ist das heutige Israel jedoch noch zeitlich dem Hitler-Genozid und geographisch den Nasser-Drohungen allzu nahe. Um Glaubensangelegenheiten zu besprechen, braucht man mehr Frieden als Israel ihn bis heute je genießen konnte.“4
3.1.2 Die theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel Theologische Komponenten der israelischen Staatlichkeit: In den Artikeln wurde jetzt wieder mehr als zuvor darum gerungen, ob die Existenz eines jüdischen Staates und seine Bedrohung durch den jüngsten Nahostkrieg ein Thema der Theologie sei. Etliche Stimmen warnten davor, „Israel als einen rein säkularen Staat anzusehen“, auch wenn Judentum und Staat Israel nicht gleichgesetzt werden dürften.5 Damit wurde nicht abgestritten, dass Israel auch ein säkularer Staat sei, man betonte lediglich, dass Israel mehr sei: „Er ist eine politische Größe, insofern er ein Staat wie andere ist. In der Staatsgründungserklärung von 1948 wird er dann auch als moderner Staat mit dessen typischen Merkmalen dargestellt. Dennoch wird in dieser gleichen Urkunde auf die ,Weissagungen der Propheten‘ Bezug genommen. Darin aber signalisiert sich eine religiöse Bezugnahme im Selbstverständnis des Staates Israel.“6
Der heutige Staat stehe „eben in Kontinuität mit dem Israel, das auch der Gott der Christen sich wie die Christenheit auserwählte als Zeuge seiner Existenz und seines Wollens in dieser Welt.“7 Das Heimatrecht der Juden in Palästina sei deshalb auch theologisch zu vertreten. Wenn das heutige Israel lediglich ein Säkularstaat sei, dann wäre Josuas Landnahme auch nur ein normaler Feldzug 3 Barth, Israel, 590. – Vgl. Kunath, Israel [2. Teil], 21; und Malachy, Nein, 102. 4 Lapide, Ness [!] Ammim, 292. – Vgl. Lell, Judentum, 480. 5 Stendahl, Judentum, 77. – Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 458 (Dok. einer namentlich nicht gekennzeichneten Position); Lapide, Unglaube, 363; und Lçffler, Enklave, 285. 6 Harder bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 469. 7 Stçhr, Stellungnahme, 576.
Religiöse und theologische Aspekte
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gewesen, ohne theologische Implikationen.8 Die Juden hätten fast zweitausend Jahre lang den Verlust ihres Landes überlebt, ohne ihre Nationalität aufzugeben. Israel müsse deshalb als ein jüdischer Staat angesehen werden und sei kein profaner Staat wie jeder andere. Das „moderne Israel“ sei also als „eine theologische Frage“ ernst zu nehmen, zumal Israel „heute der einzige Staat in der Welt [sei], der auf Glauben und Idealismus gegründet wurde.“9 Von der Frage nach den theologischen Komponenten der israelischen Staatlichkeit war es ein logischer Schritt zur Frage nach den religiösen Aspekten des Nahostkonflikts. Während die einen noch untersuchen wollten, „auf welche Weise religiöse Faktoren auf den Konflikt einwirken“10, setzten andere bereits voraus, dass die Auseinandersetzungen theologische Brisanz enthielten: „Der israelisch-arabische Konflikt […] hat einen theologischen Kern, der ihn so bitter und verzehrend macht, wie er es ist. Keine der beiden Seiten kann nationale und theologische Anliegen säuberlich trennen.“11 Anerkennen der Zionssehnsucht als Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses: Sowohl Autoren, die eine heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel ablehnten als auch solche, die dieser Konzeption zustimmten, rekurrierten auf das jüdische Selbstverständnis. Vertreter einer heilsgeschichtlichen Denkweise sahen in der traditionellen jüdischen Zionssehnsucht einen zusätzlichen Beleg für die Richtigkeit ihrer Annahmen. Im Gegensatz dazu versuchten andere das jüdische Wohnrecht in Israel zu legitimieren, ohne auf heilsgeschichtliche Konstituenten zurückgreifen müssen: „Es kann weder unseres Amtes sein, unter Benutzung derselben [d. h. einer geschichtstheologischen Kategorie, GG] bedenkenlos jede politische Entscheidung Israels zu sanktionieren, weil es ja im verheißenen Lande sitze, – es kann aber ebenso wenig zu der Empfehlung gegriffen werden, nur ruhig das Exil zu tragen, denn in ihm erfülle sich des Volkes Schicksal, dem erst am Ende der Zeiten Heil zugesagt sei.“12
Einer Anerkennung des jüdischen Selbstverständnisses kam in den Texten mehr denn je Beweiskraft zu, weshalb die Christen hier deutlich in die Pflicht genommen wurden. Da eine biblizistische Argumentation nach dem Schema Weissagung und Erfüllung nicht überall einen großen Kredit genoss und sich die klassische Dogmatik als zu judentumskritisch erwiesen hatte, bildete das jüdische Selbstverständnis mehr denn je den archimedischen Punkt einer christlichen Israelrezeption. Mit der neuen christlichen Pflicht zur Respektierung der jüdischen Zionssehnsucht wurde den Lesern die Möglichkeit genommen, sich durch den Rekurs auf traditionelle Theologumena – die Größe 8 9 10 11
So Lapide, Ness [!] Ammim, 293. Lçffler, Enklave, 285; und Lapide, Unglaube, 360. ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen, 472; und ders., Lage, 457. Barth, Israel, 592. – Vgl. Gjerding, Elemente, 159: „Tatsächlich aber dürfte es schwierig sein, jedes theologische Element auszuklammern.“ 12 Dietrich, Zionismus, 476.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
,Land‘ ist kein Bestandteil christlicher Dogmatik oder kirchlichen Bekenntnisses – von der Solidarität zu Israel zu dispensieren. Die Kirche habe „allen Grund, ernst zu nehmen und mitzuhelfen, daß ein Volk, geprägt durch seine besondere Geschichte, in einem Land wohnen möchte, das ihm von Anfang her Land der Sehnsucht war und blieb.“13 Die Christenheit müsse anerkennen, dass der jüdische Glaube auf ein Land ausgerichtet sei: „Wir haben dem Judentum nicht vorzuschreiben, daß seine religiösen Intentionen nicht an ein Land oder eine Stadt gebunden sein dürften.“14 Konstitutiv für das Judentum sei, dass Weissagungen der Bibel nicht spiritualisiert würden.15 Christen hätten daher zu respektieren, dass für viele Juden „die Schaffung des Staates weithin eine Erfüllung der prophetischen und messianischen Verheißung“ bedeute – eine Aufforderung, die noch nichts darüber aussagte, ob die Christen selbst das glauben müssten, was sie als Glaubenslehre bei Juden akzeptierten.16 Die jüdische Zionsidee wurde in den Texten detaillierter erläutert. Die Juden standen den Autoren zufolge in einer historischen und theologischen Beziehung zum Land Israel. Das heutige Israel sei bereits ein Glaube gewesen, lange bevor es zum Staat geworden sei: „Das jüdische Gebetbuch enthält unzählige Stellen, die sich auf Zion, Jerusalem und das Land der Väter beziehen.“17 Das verheißene Land habe in der jüdischen Tradition durch zwei Jahrtausende hindurch eine Rolle gespielt. Immerhin habe es ohne Unterbrechung Juden im Heiligen Land gegeben.18 Wegen der Zionssehnsucht sei auch ,ein weltlicher Jude‘ wie Theodor Herzl und eine ,weltliche‘ Bewegung wie der Zionismus nicht an Palästina vorbeigekommen: „Für die Juden ist Zion die eigentliche Heimat, in die sie jetzt zurückgekehrt sind.“19 Der Sprung vom Judenstaat vor 2000 Jahren zum dem der Gegenwart dürfe deshalb nicht als forciert angesehen werden. Aus dieser Landverbundenheit folgte für eine Reihe von Autoren, dass der Staat Israel kein Projekt einer eigenständigen zionistischen Bewegung sei, sondern einen unverzichtbaren Bestandteil des zeitgenössischen Judentums bilde. Heute „bedeutet die Existenz des Staates für viele Juden einen Bezugspunkt, der für ihr Selbstverständnis konstitutiv geworden ist.“20 Im Ge13 Kunath, Israel [2. Teil], 21. 14 Stendahl, Judentum, 77. 15 So Stçhr, Stellungnahme, 574. – Vgl. v. Hammerstein, Ökumene, 20; Zit. aus: Harder, Was bedeutet. 16 Pfisterer, Präsenz, 155. 17 Gjerding, Elemente, 159. – Vgl. Lapide, Gott, 514. – Vgl. zudem Susman, Hiob [1968], 592: „Der Zionismus, der diesen halb säkularisierten Namen erst in der modernen Welt erhalten hat, begleitet als Zionsliebe, als Zionssehnsucht, als nie erloschenes Heimweh seit den Zeiten der Tempelzerstörung das Schicksal des jüdischen Volkes.“ 18 So Kunath, Israel [1. Teil], 220. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 574. 19 Meinardus, Kommentar, 313. – Vgl. Becker, Jahre, 271; Gjerding, Elemente, 159; Kunath, Israel [1. Teil], 220; Rothschild, Wissen, 78; und Stçhr, Stellungnahme, 574. 20 Dietrich, Zionismus, 475. – S. a. Geis, Friedensauftrag, 184; v. Hammerstein, Ökumene, 20
Religiöse und theologische Aspekte
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gensatz zur Diaspora biete der Staat Israel den Juden endlich wieder Identität. Und seit dem Sechstagekrieg hätten auch die weitgehend assimilierten nordamerikanischen Juden ihre traditionelle Zionssehnsucht entdeckt. Der Staat Israel im Kontext der Verheißungen an das jüdische Volk: Von der Anerkennung des jüdischen Verhältnisses zu ,Erez Israel‘ bis zur Integrierung der israelischen Staatlichkeit in die christliche Auslegung der biblischen Verheißungsgeschichte war es nur ein kleiner, aber entscheidender Schritt. In vielen Artikeln hatte der Staat Israel gerade deshalb Anteil an der göttlichen Erwählung, weil er von einem Teil der Judenheit gebildet wurde, deren Erwählungscharakter schon vorausgesetzt war. Denn das „Volk der Juden, das in Israel zu neuer Staatsbildung geschritten ist“, sei „nach wie vor Träger einer besonderen Verheißung Gottes.“21 Das israelische Volk, das sich in Kontinuität mit dem Gottesvolk der Bibel befinde, stehe weiterhin unter der Verheißung Gottes: „Obwohl zum Staat Israel nur ein Teil der Juden in der Welt gehört, ist dieser in die Absichten Gottes mit hineingenommen.“22 Wer dies nicht anerkenne, „droht dem Antisemitismus zu verfallen.“23 In diesem Zusammenhang konnte die Existenz eines jüdischen Staates zu einem ,Zeichen der Treue Gottes‘ gegenüber seinem Volk werden. Da „Gottes Treue auch heute über dem Volke Israel in Kraft geblieben“ sei, stehe die israelische Bevölkerung unter der göttlichen Verheißung.24 Die Rede vom ,Zeichen der Treue Gottes‘ konnte im Umkehrschluss implizieren, dass der nationalsozialistische Massenmord ein Zeichen der Untreue Gottes oder seines Volkes gewesen sei. Dieser Implikation wurde stattgegeben, wenn die Schoah und die darauf folgende israelische Staatsgründung als Manifestation von Gericht und Gnade betrachtet wurden: „Das Gericht Gottes über sein Volk, dem sechs Millionen Märtyrer zum Opfer fielen, und die Gnade Gottes, der seinen ungekündigten Bund mit Israel nicht vergessen hat.“25 Im Zuge einer solchen Argumentation wurde die Existenz des Staates Israel auch als Beweis für die Existenz Gottes in Anspruch genommen:
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(Zit. aus: Harder, Was bedeutet); und v. Imhoff, Generation, 13 (Bezug auf eine jüdische Einwanderin). – Vgl. Rothschild, Wissen, 77: „Eine […] Erkenntnis hat sich in Deutschland durchgesetzt: daß sich die Juden überall als mit den Juden des Staates Israel durch Schicksalsgemeinschaft verbunden verstehen, also als eine Familie.“ Kloppenburg, Bemerkungen, 378. – Vgl. Harder bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 469; CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; Dies., Antisemitismus, 536; Dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 576: „Seine Zusagen hat Gott nirgendwo widerrufen.“ Scharf bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468. – Vgl. Kunath, Israel [2. Teil], 21. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536; Dies.,Verlautbarung, 219; und dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536; Dies., Verlautbarung, 219; und dies. / Kloppenburg, Verlautbarung, 504.. – Vgl. v. Hammerstein, Ökumene, 20; Zit. aus: Harder, Was bedeutet. Lapide, Unglaube, 363. – Vgl. ders., Gott, 515.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
„,Nennen Sie mir einen Beweis für die Existenz Gottes!‘, sagte einst Friedrich der Große zu seinem Hofphilosophen. ,Die Juden, Majestät!‘, war Voltaires kurze Antwort. Die heutige Antwort auf diese selbe Frage […] lautet einstimmig: ,Der Staat Israel‘.“26
Die heilsgeschichtliche Deutung des Staates Israels zeitigte die theologische Konsequenz, dass politische Feinde des Staates Israel nicht nur einen antisemitisch motivierten Völkermord sekundieren, sondern zugleich einen unverzeihlichen Gottesfrevel verüben würden: „Wer Israel auslöschen will, widersteht Gottes Verheißung und Willen.“27 Wer aggressive Absichten gegenüber dem jüdischen Staat hege, schade sich letztlich selbst, denn Israel als Volk und als Glaubensgemeinschaft „ist der brennende Dornbusch, und wer sich an ihm vergreift, verbrennt sich die Finger, weil er an ein Geheimnis Gottes rührt, das unserem Zugriff entzogen ist.“28 Der Staat Israel im Kontext endzeitlicher Erwartungen: Nur wenige Texte gingen über die Integrierung der israelischen Staatlichkeit in die christlich ausgelegte Verheißungsgeschichte hinaus und postulierten eine jetzt bereits angebrochene oder erst noch zu beginnende eschatologische Heilszeit, die von neutestamentlichen Motiven herkommend mit der Endzeit bzw. mit dem danach anhebenden messianischen Friedensreich korrelierte. Diese äußerst seltene Position trat in dieser Phase nicht im Gewand christlicher Endzeitlehre auf, sondern stammte aus einer jüdischen Feder. Unter der Voraussetzung, dass für jeden, der an die Bibel glaubte, die Geschichte einen tieferen Sinn haben müsse, galt: „Wenn die Rückkehr der Verbannten aus Babylon einen Wendepunkt bedeutete, konnte die Rückkehr der Juden aus fünf Kontinenten nicht weniger schicksalsträchtig und heilversprechend sein.“ Die in Jesaja 11 verheißene Rückkehr der Zerstreuten nach Zion sei „in unseren Tagen und vor unseren 26 Lapide, Unglaube, 363. – Die Anekdote über Friedrich den Großen wurde immer wieder herangezogen, selten aber auf den Staat Israel bezogen. Während dieses Zitat den Philosophen Voltaire im Gesprächspartner zu erkennen glaubte, fungierten bei anderen Autoren Friedrichs Leibarzt, General Ziethen oder Baron von Kottwitz als des Königs Gegenüber: So z. B. bei Hesse (Jude, 14) als Leibarzt; bei Jasper (Mission, o.S.) als General Ziethen [„Der eine oder andere aber kennt die Anekdote, daß Friedrich der Große plötzlich seinen General Ziethen aufforderte: ,Ziethen, einen Beweis für Gott!‘ Die kurze Antwort des frommen Generals hieß: ,Majestät, die Juden.“]; bei Scharf (Friede) als Baron von Kottwitz. – Vgl. auch Barth, KD III/3, 238, hier allerdings in Ablehnung des Beweischarakters. – H. Dietzfelbinger folgerte 1960 aus dieser Anekdote: „Wer es mit dem Wirken Gottes in der Welt zu tun hat, wird blind, wenn er im Blick auf das Volk Israel die Augen schließt“ (Dietzfelbinger, Auftrag, 82). – Bei Rosenzweig (Stern, 520) war der besagte Gesprächspartner des Königs gar ein Pfarrer. 27 Scharf bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468. 28 Kloppenburg, Bemerkungen, 378. – Allerdings warnte der Autor trotz seiner eigenen heilsgeschichtlichen Implikationen vor einer religiösen Überhöhung der israelischen Politik, denn „es kann doch das, was vom Glauben her zur Frage Israel zu sagen ist, nicht zu einer Romantisierung des Staates Israel und zur prüfungslosen Bejahung alles dessen, was er tut, führen“ (ebd., 381). Gerade die Gottesverheißungen zwängen die Israelis zu einem anderen, zu einem friedfertigeren Verhalten. – Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 456 u. 459.
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Augen zur Wirklichkeit“ geworden.29 Gegenüber einer solchen apodiktischen Aussage versuchte ein anderer Text neutral zu beschreiben, dass viele Juden und Christen in der Staatsgründung ein eschatologisches Ereignis erblickten: „In der Regel sehen die meisten religiösen Juden in dem, was geschehen ist, eine Art von prä-messianischem Ereignis […] Konservative Christen verfolgen sehr oft eine ganz ähnliche Linie, wenn sie von der Rückkehr der Juden in das Heilige Land als von einem eschatologischen Ereignis sprechen. Es ist ein Zeichen, das vor dem zweiten Kommen Christi erwartet wird.“30
Kritik am Vorwurf der mangelnden Religiosität: Manche Autoren brachten gerade den Sechstagekrieg zu einem ,Wendepunkt‘ einer neuen Religiosität in Israel in Verbindung. Der jüngste Waffengang habe „die religiösen Elemente in einer suchenden Jugend wieder stärker aufleben lassen, als man es vor 1967 gekannt hat.“31 Der Sieg habe den Israelis die Möglichkeit gezeigt, wieder aus dem Inferno aufzusteigen und das eigene Land aufzubauen. In den meisten Artikeln wurde das Thema aber wie in den vorhergehenden Zeitphasen unabhängig von Kriegsereignissen betrachtet. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung säkular leben wolle, könne sie nicht einfach als religionslos bezeichnet werden. Angeblich würden 81 % der Israelis an die Grundwerte der jüdischen Religion glauben. Die Frage „Ist Gott in Israel tot?“ wurde deshalb mit Nein beantwortet.32 Die jungen Israelis seien weniger atheistisch als vielmehr ,antitheistisch‘ ausgerichtet, weil sie vermuteten, die traditionelle Religion habe dazu beigetragen, dass sich die Juden während der NS-Zeit widerstandslos hätten töten lassen. Auch wenn der gesellschaftsprägende Charakter der Bibel „als Grundbuch Israels“33 nicht mehr so wahrnehmbar sei wie früher, wirke ihre identitätsstiftende Kraft aus der Zeit der Diaspora immer noch nach: „Was achtzehn Jahrhunderte lang gang und gäbe war, kann nicht kurzerhand in zwanzig Jahren rückgängig gemacht werden.“34 Das Buch der Bücher lebe in jedem Israeli, auch wenn er nichts davon wisse: „Der Geschichtsunterricht bindet sie an ihre alttestamentliche Tradition.“35 Deshalb würden mittlerweile selbst marxistische Kibbuzim beginnen, Synagogen zu errichten.
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Lapide, Ness [!] Ammim, 293. – S. a. ders., Gott, 515 Gjerding, Elemente, 159. v. Imhoff, Generation, 14. – Vgl. Lapide, Gott, 514. Lapide, Gott. – S. a. ders., Unglaube, 362. – Vgl. ders., Gottesfinsternis, 27 – 34. Geiss, Israel, 559. Lapide, Unglaube, 361. – Vgl. ders., Gott, 514. Lell, Judentum, 478.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
3.1.3 Ablehnung einer theologischen bzw. heilsgeschichtlichen Bedeutung des Staates Israel Kritik an einer heilsgeschichtlich-eschatologischen Deutung: Autoren, die kritisch wahrnahmen, dass der Sechstagekrieg unter Christen enthusiastischreligiöse Sinngebungen dieses Waffengangs evozierte, reagierten mit deutlichem Widerspruch. Wer den Erfolg der israelischen Waffen heilsgeschichtlich interpretierte, gab den Texten zufolge die gebotene Nüchternheit im Umgang mit politischinnerweltlichen Geschehnissen auf.36 Das militärische Handeln Israels könne keine Manifestation der Gnade Gottes sein: „Wir müssen die Richtigkeit der Auffassung bestreiten, daß die israelische Besatzung Jerusalems und weiter Teile Palästinas die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung darstellt.“37 Selbst das Volk Gottes sei für sein Verhalten Gott gegenüber rechenschaftspflichtig und dürfe kein Unrecht tun – womit die Autoren voraussetzen, dass der Staat Israel Unrecht verübe. Auch ein Text, der den Staat Israel in den Kontext biblischer Landzusagen stellte, konnte davor warnen, die Staatwerdung „als volle Erfüllung der prophetischen Verheißungen“ zu sehen; diese Warnung fokussierte auf die volle, umfassende Erfüllung.38 Noch einhelliger wurde die Auffassung zurückgewiesen, die Gründung des israelischen Staates und sein militärischer Erfolg im jüngsten Krieg seien als Bestandteil des göttlichen Heilsplans ein Zeichen der bevorstehenden Endzeit. Die Vertreter eines solchen apokalyptischen Denkens wurden nicht mehr nur als ,pietistisch‘ tituliert, sondern zunehmend als ,evangelikal‘ oder ,fundamentalistisch‘ bezeichnet.39 Die Auffassung wurde zurückgewiesen, „daß durch die militärische Einnahme der Stadt Davids nun auch die eschatologische Voraussetzung für das Kommen des Messias geschaffen sei.“40 Selbst wer dem Staat Israel eine theologische Bedeutung zumaß, grenzte sich in der Regel von eschatologischen Zuschreibungen ab: „Gott verschafft uns durch die Heilige Schrift keine ,Blaupausen‘ über die Zukunft.“41 Die biblischen Verheißungen seien keine Mitteilungen über zukünftige Ereignisse. Man könne nicht mit der Bibel in der Hand in dem, was mit dem Staat Israel geschieht,
36 So o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375; Bezug auf K. Scharfs Aufruf vom 16. 6. 1967. 37 Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 586. – Vgl. ebd.: „Wenn Jesus deutlich machte, daß Gott weder auf dem Berge Garizim noch zu Jerusalem angebetet werden soll (Joh. 4, 21), – können dann Christen glauben, daß Gottes Verheißung durch die von dem modernen politischen Staat Israel vollzogene Okkupation erfüllt sei?“ 38 v. Hammerstein, Ökumene, 20; Zit. aus: Harder, Was bedeutet. 39 So z. B. Malachy, Nein, 100. 40 Meinardus, Kommentar, 313. – S. a. Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 586. 41 Kroon, Israel, 607.
Religiöse und theologische Aspekte
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endzeitliche Prophezeiungen erfüllt sehen, sonst wäre „Israel als gesichtslose Größe […] nur Mittel zum (End-)Zweck.“42 Wenn ein Autor seine jüdischen Dialogpartner nicht verprellen wollte, verbot er es lediglich den Christen, den israelischen Staat als das eschatologische „Ziel der Wege Gottes mit Israel“ zu bezeichnen. Ob die jüdische Staatsgründung ein Zeichen der Endzeit sei „und in welcher Hinsicht, dies muß den Israelis, ja, der ganzen Judenschaft, selbst zu entscheiden überlassen bleiben.“43 Die christliche Relativierung des jüdischen Verständnisses des ,Landes‘: Hintergrund der Abwehr heilsgeschichtlicher Sinngebungen waren zum einen eine Reihe exegetischer Einzelbeobachtungen, zum anderen eine hermeneutisch-dogmatische Gesamtschau. Immer noch wurde zuweilen das Axiom vertreten: „Die Kirche ist das neue ,Israel Gottes‘ (Gal. 6, 16).“44 Vor allem arabische Kirchenvertreter, aber auch westliche Lutheraner warnten davor, den Zionismus mit der Bibel zu rechtfertigen. Gegenüber der Auffassung vom Staat Israel als Erfüllung biblischer Verheißungen brauche man „eine nüchterne biblische Sicht.“45 Eine universale Botschaft wie die des Christentums könne doch keinen jüdischen Nationalismus unterstützen: „Seit Jesus gilt die Landverheißung allen, die leiden und verfolgt werden.“46 Vom Neuen Testament her gebe es kein Heiliges Land. Wer im Staat Israel eine Erfüllung der Heilsgeschichte sehe, müsse sich im Klaren sein: „Hier wird man sich wohl kaum auf Paulus berufen können, denn wo ist in Römer 9 – 11 von einer irdischen Staatengründung Israels die Rede“?47 Zu dieser Relativierung alttestamentlicher Aussagen durch den Hinweis auf die neutestamentliche Botschaft trat nach 1967 die Polemik gegen jede Bezugnahme auf die Bibel. In der heutigen Zeit könne man sich nicht mehr auf biblische Motive berufen: „Die Welt hat sich seit dem Alten Testament nun einmal erheblich verändert; Anweisungen und Leitbilder einer erst nomadischen, dann bäuerlichen Gesellschaft brauchen Jahrtausende später nicht mehr unbedingt ins Atomzeitalter hineinzupassen.“ Das gelte vor allem für 42 Kunath, Israel [2. Teil], 21. – Vgl. ebd.: „Für jedes Ereignis des Krieges werden entsprechende Bibelstellen gefunden. Nasser wird in Hes. 29,3 entdeckt […] Erschreckend ist der Fatalismus, mit dem gewisse fromme Kreise den Krieg hinnehmen – und die folgenden fröhlich als Zeichen der Endzeit in Kauf nehmen wollen. Peinlich ist, wie wenig ihnen an den Menschen in Israel (von den anderen im Nahen Osten ganz zu schweigen!), gelegen ist.“ 43 Harder bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 469. 44 Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 586. 45 Kunze, Rez. zu W. Zimmerli, 283. – Vgl. Gjerding, Elemente, 160. 46 Lçffler, Enklave, 286; Bezug auf Metropolit George Khodr. – S. a. Vischer, Christen, 274; Bezug auf arabische Positionen gegenüber dem ÖRK in Cartigny 1969. – Vgl. Kroon, Israel, 607: „Wenn die Schrift ,Jerusalem‘ als die Mitte sieht, bedeutet das sicher nicht, daß Gott eine geographische Vorliebe hat. So bedeutete auch das ,gelobte Land‘ viel mehr als das geographische Kanaan, nämlich eine irdische Konkretisierung und Realisierung (Verwirklichung), von Gottes Plan mit den Menschen (Gottes Verheißung!), wo auch immer in der Welt.“ 47 Bodenstein bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
das Buch Josua, das in Israel auch als Schullektüre Verwendung finde: „Das Buch Joshua ist die erste Schilderung eines Völkermordes in der Weltliteratur, eben der Kaaniter nach der Eroberung Jerichos durch Joshua, Moses Nachfolger.“ Die Landverheißungen seien die Propaganda der damals herrschenden Klasse. Deshalb müsse Israel endlich verzichten auf „die Fiktion der angeblichen Gottesverheißung“ und „der jüdischen Exklusivität innerhalb eines weitgehend eroberten Landes unter Verletzung der Rechte der bisherigen Einwohner.“48 Überhaupt müsse verhindert werden, „daß die Bibel zur Unterstützung parteiischer politischer Standpunkte mißbraucht wird“ – wobei hier mit ,parteiisch‘ proisraelisch gemeint war.49 Israel als säkularer und religiös indifferenter Staat: Trotz aller Besonderheiten wurde Israel als ein normales Staatswesen postuliert, dessen Normalität sich z. B. in der ausdifferenzierten Gesellschaft manifestiere: Der „Staat Israel ist ein moderner säkularer Staat wie jeder andere.“50 Jeder Staat sei in die Absichten Gottes mit hineingenommen, nicht nur der israelische. Der israelische Staat sei nicht aus der Weltgeschichte herausgehoben, sondern ein rein innerweltliches Phänomen und habe die gleiche Verpflichtung zum Frieden wie andere Länder. Deshalb sei auch „vor jedem Versuch zu warnen, dem Krieg des Staates Israel eine religiöse Verklärung zu geben.“51 Das heutige Israel dürfe sich nicht mit dem auserwählten Gottesvolk der Bibel gleichsetzen und meinen, es besitze „ein Recht auf staatliche Herrschaft in Palästina.“52 Niemand dürfe von den Palästinensern verlangen, dass sie eine religiöse Begründung der Anwesenheit der Juden in Palästina akzeptieren würden.53 Zur Abwehr einer religiösen und zugunsten einer rein säkularen Charakterisierung des Staates Israel konnte auch 1. Samuel 8,7 in Anspruch genommen werden, womit die Schaffung eines jüdischen Staates als wenig gottwohlgefällig qualifiziert wurde. In einem Beitrag kam die Enttäuschung zum Ausdruck, dass das jüdische Volk zwar viel Energie in den neuen Staat investiert habe, sich aber kaum um eine Beziehung zu Gott bemühe. In der
48 Geiss, Israel, 559.578 u. 585. 49 ÖRK (ZA), Erklärung der Ökumene, 607. 50 CFK, Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 453; Dies., Friedenskonferenz; und dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33. – Vgl. Bodenstein bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468; Geiss, Israel, 560; und Kloppenburg, Gegenfragen. – S. a. 51 CFK, Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 453; Dies., Friedenskonferenz; und Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33. 52 Geiss, Israel, 582. – Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 461 (Dok. d. Position von J. Hromdka); und Rasch, Hannover, 378 (Zmf. d. Pos. v. R. R. Geis). 53 Vgl. Braunschweig, Palästinenserfrage, 576: „Und wer möchte im Ernst den […] Palästinensern einen Vorwurf daraus machen, daß sie die theologischen Überlegungen, die die Anwesenheit des Volkes Israel in Palästina zur unaufgebbaren Hoffnung werden lassen, nicht nachvollziehen können, besonders da diese Überlegungen weder auf christlicher noch auf jüdischer Seite Allgemeingut sind?“
Religiöse und theologische Aspekte
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Sprache von 1. Samuel 8 wurde beklagt, dass die Judenheit zwar „nach einem“, aber nicht „nach seinem König“, als nach Gott frage.54 Israel zwischen Theokratie und Demokratie, Religion und Politik: Manche Texte meinten genau zu wissen, dass Israel ein verhängnisvolles theokratisches System aufweise, weil dieses Land von einer jüdischen Staatsreligion bestimmt werde. Es sei gefährlich, „einen Staat auf dem Primat aufzubauen, den eine bestimmte religiöse Tradition beansprucht.“55 Indem die Autoren eigens erwähnten, dass dies „nicht nur“ für Israel gelte, sondern für alle Länder der Erde, machten sie deutlich, dass sich ihr Vorwurf doch in erster Linie an Israel richtete, denn die gleichen Autoren schrieben nur gegen Israel, nicht gegen andere Staaten. Die Verfasser waren dankbar, wenn sie sich auf Israelis berufen konnten. So hatte bereits Uri Avnery die zu große Macht des Rabbinats beklagt. Dort zeige sich erneut der religiöse Fanatismus eines Elia, der dem weltoffenen König Ahab unnötig das Regieren schwer gemacht habe.56 Der israelischen Regierung wünschte man die Erkenntnis, dass in der Wechselwirkung von Theologie und Politik unzählige Gefahren lägen. Der Staat Israel müsse sich entscheiden, ob er sich eher theologisch oder politisch sehe: „Entweder Israel ist etwas Besonderes in dieser Welt, dann müßte es auf die üblichen Attribute des Machtstaates und seine Praktiken verzichten. Oder es ist ein Machtstaat wie die anderen auch, dann muß es sich den harten Gesetzen der Machtpolitik unterwerfen, an denen Israel sehr wohl zugrunde gehen könnte.“57
Neben dem schroffen Theokratie-Vorwurf existierte auch eine neutralere Wahrnehmung. Die bisher üblichen divergierenden Urteile über die israelische Gesellschaft – einerseits als Gottesstaat, andererseits als gottloser Staat – verunsicherten Autoren, sodass sie die Widersprüchlichkeit auflösen wollten: „Ich habe den Verdacht, beide Schlußfolgerungen sind richtig – und ebenso beide falsch.“58 Dass die israelische Gesellschaft „Atheisten, liberale und orthodoxe Juden sowie Christen jüdischer, arabischer und sonstiger Volkszugehörigkeit umfaßt“, beweise zusätzlich, dass der Staat Israel ein rein innerweltliches Phänomen sei. „Diese Fülle von Gegensätzen hat der junge Staat auszuhalten, und für sie ist er wie kein anderer prädestiniert.“59
54 Brunner, Staat, 589. – Vgl. Kloppenburg, Gegenfragen; Mitarbeiter der CFK/Kloppenburg, Verlautbarung, 506; und CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 35. 55 Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572. 56 So Kunath, Israel [1. Teil], 220. 57 Geiss, Israel, 582. – Vgl. Stendahl, Judentum, 78. 58 Lapide, Unglaube, 360. 59 Lell, Judentum, 478.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
3.2 Säkulare Aspekte 3.2.1 Israel als Zufluchtsort von Überlebenden der Schoah Die Staatsgründung hatte den Autoren zufolge vor Augen geführt, dass es dem Judentum gelungen sei, aus dem ,Inferno‘ zu steigen, „um neu sein Ahnenland aufzubauen.“60 Die Schoah habe den Prozess der Staatwerdung beschleunigt: „Emotional gab Auschwitz der jüdischen Staatsgründung in Palästina Auftrieb.“61 Es gehe dem Staat Israel deshalb darum, „den wenigen Überlebenden der Katastrophe […] eine Zuflucht, eine Heimat, ein Stück festen Bodens unter den Füßen zu geben.“62 Die Texte reflektierten das Phänomen, dass die israelischen Juden fest dazu entschlossen seien, kein zweites Mal zu Opfern zu werden. Dies wurde zum einen durchaus positiv aufgenommen: Wegen der Erfahrung der Schoah sei das israelische Volk unter dem Leitwort ,surviving‘ zu einer eingeschworenen Gemeinschaft geworden, „die zurückschlägt, wenn sie bedroht ist, und die das Ergebnis des Warschauer Aufstandes umkehrt.“63 Ein Israeli wurde mit den Worten zitiert: „Niemals wollen wir uns wieder schlachten lassen wie Schafe.“64 Über den israelischen Überlebenswillen konnte auch neutral berichtet werden, z. B. dass junge Israelis nach dem jüngsten militärischen Erfolg das Ausmaß des nationalsozialistischen Mordes an den Juden nicht begreifen könnten: „Nicht so sehr, daß sie getötet wurden, erscheint den jungen Sabres unverständlich, sondern die Tatsache, daß sie nicht sechs SS-Divisionen umbrachten, ehe sie nach Auschwitz gingen.“65 Der Entschluss der Israelis, nicht mehr Opfer zu sein, wurde zum anderen von Autoren zum Anlass genommen, eine reelle Bedrohung Israels zugunsten eines bloßen psychologisch erklärbaren Bedrohungsgefühls zu relativieren. Dass sich die Israelis derart vor den arabischen Drohungen fürchten und die Araber im eigenen Land unterdrücken würden, hänge mit der Angst vor einem neuen Holocaust zusammen, sei aber in Wirklichkeit unbegründet: „Die jüdischen Einwanderer übertrugen – psychologisch verständlich – allzu leicht ihren Haß gegen ihre Peiniger […] nunmehr auf die Araber.“66
60 Lapide, Gott, 514. 61 Geiss, Israel, 564. – Vgl. Kramers, Votum, 609. 62 Susman, Hiob [1968], 590. – Nur vereinzelt wird darauf hingewiesen, dass die weltweite Solidarität mit Israel nicht nur auf der Schoah basieren dürfe. So Rothschild, Wissen, 78. 63 Barth, Israel, 588. 64 Lell, Judentum, 478. 65 Lapide, Unglaube, 362. – S. a. ders., Gott, 514. 66 Geiss, Israel, 561. – Vgl. ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 502; Ders., Kreta, 459 f; und Flapan, Friedensinitiative, 596.
Säkulare Aspekte
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3.2.2 Die spezifische Verantwortung wegen der Schoah Die deutsche Schuld als Ursache der Verantwortung: Von diesen Reflexionen über die Schoah-Rezeption in Israel war es nur ein kleiner Schritt zu einer Anklage des Judenstaates. Denn aus dem deutschen Fehlverhalten während der NS-Zeit resultierte in den Augen etlicher Autoren keine Verantwortung mehr für den Staat Israel, sondern zugunsten der Palästinenser, weil diese wegen der von Deutschen verübten Judenermordung hätten leiden müssen. Die Artikel folgerten, dass das deutsche Verantwortungsbewusstsein „in dem verständlichen Gebanntsein“ durch die Vergangenheit dort seine Grenzen habe, wo eine kritische Stellungnahme zur israelischen Eroberungs- und Besatzungspolitik verhindert werden solle.67 Die westliche Christenheit müsse sich fragen lassen, ob sie nicht ihre Schuld am Antisemitismus einfach nur abgewälzt habe, indem sie einen unterdrückerischen Staat unterstütze. Denn das frühere Leiden der Juden rechtfertige nicht das Unrecht, das Israel den palästinensischen Arabern angetan habe. Hier wurde ein libanesischer Kirchenführer wiedergegeben: „Bedenkt es doch: wir waren nie Antisemiten und müssen nun dafür bezahlen, daß Ihr Antisemiten wart.“68 Die israelische Regierung dürfe nicht erwarten, dass man ihr wegen Auschwitz einen ,politischen Blankoscheck‘ ausstelle: „Die Tatsachen des [jüdischen] Volkseins und des Antisemitismus legitimieren nicht eine Politik, die versucht, sich über die Existenz der Palästinenser hinwegzusetzen.“69 Man bekomme den Eindruck, „Israel ginge mit den KZ-Greueln gleichsam in der Welt hausieren.“70 Demgegenüber machten sich nach wie vor andere Texte dafür stark, die jüngsten Solidaritätsbekundungen mit dem durch einen neuen Völkermord bedrohten Israel als Ausdruck der deutschen und der christlichen Verantwortung angesichts der Schoah zu betrachten. Während und nach dem Junikrieg von 1967 wurde betont, dass man als Deutscher gegenüber den Juden und folglich auch gegenüber den Israelis sensibel zu sein habe. Die jüngste Vergangenheit verbinde Deutsche und Israelis miteinander, weshalb man den neuen Nahostkrieg nicht einfach „vom bequemen Fernsehstuhl aus betrachten“ dürfe, sondern sich auf die Seite der Bedrohten zu schlagen habe.71 Denn in Israel lebten Menschen, „die der nationalsozialistischen Herrschaft und 67 Kloppenburg, Erklärung, 456. – Vgl. Vischer, Christen, 274; Bezug auf arabische Positionen bei der christlich-islamischen Begegnung des ÖRK in Cartigny im März 1969. 68 Kloppenburg, Erklärung, 460; Dok. d. Pos. des Metropoliten Ignatius. – S. a. Ohse, Araber, 501; Zmf. d. Pos. v. Bischof Sarkissian. 69 Dietrich, Zionismus, 476. – Vgl. Geiss, Antwort, 89; und Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572. – Etwas abgeschwächt findet sich diese Forderung auch bei Stçhr, Stellungnahme, 575: „Selbstverständlich sollen und dürfen nicht die arabischen Staaten bezahlen, was das sogenannte christliche Abendland den Juden an Unrecht und Mord zufügte.“ 70 Geiss, Israel, 564. 71 O.Vf., Der Krieg, 339; Zmf. d. Pos. von Bischof Heidland. – S. a. Stammler, Komplicenschaft.
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dem Judenmord in Deutschland entronnen sind.“72 Das müsse bei jeder Kritik an der israelischen Politik mitbedacht werden. Man war „der Überzeugung, daß der den jüdischen Bewohnern des Staates Israel angedrohte Völkermord in Deutschland nicht mit Gleichmut hingenommen werden könne, so sehr die Vernunft politische und militärische Neutralität gebiete.“73 Durch Schweigen dürfe man nicht neue Schuld auf sich laden oder „eine weitere Endlösung des Judentums“ dulden.74 Konkrete Anlässe: Aus der Distanz von über 15 Jahren ließen einige Artikel noch einmal den Luxemburger Vertrag von 1952 Revue passieren. Wer aus seiner Ablehnung des bundesrepublikanischen ,CDU-Staats‘ keinen Hehl machte, kritisierte die ,Schilumim‘ deshalb, weil diese „die ressentimentfördernde Distanz in der technischen Entwicklung“ zwischen Israelis und Arabern nur gefördert hätten. Das wiege umso schwerer als die Adenauer-Regierung mit dem Luxemburger Abkommen in erster Linie keiner moralischen Pflicht gefolgt sei, sondern es „primär als Entreebillett in die westliche Staatengemeinschaft“ benutzt habe.75 Diese Analyse ähnelte der Kritik, wie sie DDR-Staatsratsvorsitzender Ulbricht in einem Brief an Präsident Nasser geübt hatte.76 Andere Texte würdigten stattdessen die Wiedergutmachungszahlung als einen Versuch, „einen Ausgleich und die Versöhnung mit den Juden anzustreben.“77 Heute wäre es „wahrscheinlich noch leichter als zu Adenauers frühen Tagen, für die […] Wiedergutmachung an Israel und die Juden ein einstimmiges parlamentarisches Votum zu erhalten.“ Man wandte sich dann auch gegen die Behauptung einer Zeitung, dass es den USA beim Luxemburger Abkommen gelungen sei, in unangemessener Weise „die milliardenschweren Reparationsgelder für die Zionisten in Israel herauszupressen.“78 In ähnlicher Weise wurde auf die 1965 aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik zurückgeblickt. Dank dieses Botschafteraustauschs habe sich „das zwischenstaatliche Klima seither
72 O.Vf., Der Krieg, 339; Zmf. d. Pos. von G. Jacob. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; DIG-Prsidium und Kuratorium, Hilfe, 389; Kloppenburg, Bemerkungen, 379; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies. / Kloppenburg, Verlautbarung, 505; Scharf bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468; und Stçhr, Stellungnahme, 574. – S. a. Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219: „Wir Deutsche, die wir in schrecklicher Weise an Israels schuldig geworden sind, haben eine Mitverantwortung für den Staat Israel als die letzte Heimat vieler Menschen, die aus unserem Land stammen und dem von uns Deutschen ins Werk gesetzten Völkermord an den europäischen Juden entronnen sind.“ 73 O.Vf., Der Krieg, 339; Dok. d. Pos. v. H. Dietzfelbinger. – Vgl. Scharf bei Scharf/Bodenstein/ Harder, Israel, 468. 74 Kunath, Israel [1. Teil], 206. – Vgl. ders., Israel [2. Teil], 21. 75 Geiss, Israel, 564. 76 So Ulbricht, Botschaft, 387. 77 Hondrich, Juden, 629. 78 V. Imhoff, Spiel, 54.
Säkulare Aspekte
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stetig“ verbessert.79 Es sei gut gewesen, dass die Bundesregierung sich nicht habe von den arabischen Staaten erpressen lassen. Zudem wussten proisraelische Linke, „daß es die deutsche Industrie, das deutsche Großkapital […] gewesen ist, das die proarabische Politik der Bundesregierung bis 1965 bestimmt hat“ und dass erst Bundeskanzler Erhard diese „Lobbies“ zurückgedrängt habe.80 Das Bewusstsein der Schoah prägte auch viele Reaktionen auf den Überfall palästinensischer Terroristen auf das israelische Olympia-Team auf deutschem Boden am 5. September 1972. In der israelischen Öffentlichkeit sei angesichts der Münchner Geiselnahme „ein Schatten auf den Ruf der Deutschen“ gefallen, „so als sei Fürstenfeldbruck, der Judenmord der Araber, eine Konsequenz aus Dachau, dem Judenmord der Nazi-Deutschen.“ Die Münchner Geiselnahme habe erneut gezeigt, dass „es zwischen dem deutschen Volk […] und Israel keine ,normalen‘ Beziehungen wie zu irgendeinem anderen Land geben kann.“81
3.2.3 Die Frage nach dem Vorbildcharakter des Staates Israel Bewunderung der wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen: Die „unbestreitbaren Aufbauleistungen“ des Staates Israel forderten den Autoren Bewunderung und Respekt ab. Diese Leistungen hätten zur internationalen Sympathie gegenüber diesem Land beigetragen.82 Israelis seien stolz auf das bisher Erreichte. Aus einem reinen Agrarstaat sei ein moderner Industriestaat geworden: „Wer heute durch das Land fährt, gewahrt – gemessen an früheren Erlebnissen – mit Erstaunen, in welchem Tempo eine Unzahl neuer Industriebauten aus der Erde schießt.“83 Ohne junge Menschen, die bereit seien, sich ganz in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, hätte das israelische Volk seinen Staat nicht bauen können: „Der Mut und die Schaffenskraft der Menschen in Israel sind einige der bewundernswürdigsten Ereignisse unseres Jahrhunderts.“84 Junge Israelis legten Sümpfe trocken und pflanzten Bäume in die Einöde. Mit Obstgärten und Äcker ließen sie die Wüste ergrünen: „Sie machen bezahlte Überstunden, damit die Weissagungen der Propheten Amos, Jeremia und Hesekiel wahr werden.“85 Die größte Aufgabe sei die Integration der Einwanderer gewesen, wobei sich die hebräische Sprache als sehr hilfreich erwiesen habe. Aus der 79 80 81 82
Hondrich, Juden, 629. – S. a. v. Imhoff, Spiel, 54. Gollwitzer/Kusche, Studenten, 401. V. Kortzfleisch, Tod, 515; und ders., Ungeschick, 630. Geiss, Israel, 564. – Vgl. Becker, Jahre, 270; Lell, Judentum, 478; Stçhr, Stellungnahme, 574; und Susman, Hiob [1968], 592. 83 v. Imhoff, Generation, 14. – Vgl. v. Ledebur, Armut, 74 f. 84 Becker, Jahre, 271. 85 Lapide, Unglaube, 362. – S. a. Becker, Jahre, 271; und Lapide, Laboratorium, 9.
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Erschließung des Landes könne der Zionismus eher einen Anspruch auf Palästina ableiten als auf ein vermeintlich historisches Recht: „Dieses, das Recht der Produktivität, ist das eigentliche kolonisatorische Recht.“86 Bewunderung der Verwirklichung gesellschaftlicher Ideale: Israel wurde als „die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten“ gerühmt, die die arabischen Länder im Blick auf die Verwirklichung der Gleichberechtigung in den Schatten stelle.87 Die israelische Gesellschaft sei offen und pluralistisch. Auch wenn es bei der Umsetzung der Menschenrechte noch etwas hapere, werde sich Israel „noch deutlicher zu einem demokratisch-pluralistischen Staatswesen zu mausern“ vermögen, „wenn es nicht mehr bedroht ist von seinen Nachbarn.“88 In den israelischen Genossenschaftssiedlungen sei der Versuch der Bildung einer neuen Menschengemeinschaft gemacht worden, die keinen Staatszentralismus kenne wie die Sowjetunion: „Man wird Israels Aufbau und Sozialismus nur verstehen können, wenn man ein Jahr in einem Kibbuz gelebt hat, jener zukunftsträchtigen Form eines ideologiefreien Sozialismus.“89 Israel habe in ökonomischer, landwirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht derart viel geleistet, dass es die Entwicklungsländer in Afrika und in anderen Erdteilen optimal unterstützen könne. Die Staaten der Dritten Welt würden von den Kenntnissen profitieren, die Israel beim Aufbau seines Landes erworben habe: „Der Staat Israel war gerade zehn Jahre alt, als die meisten afrikanischen Länder ihre Unabhängigkeit gewannen. So war Israel fähig, ihnen Erfahrungen zu vermitteln, die noch frisch waren.“90 Gerade die Forschung an den Universitäten spiele hier eine große Rolle. In dieser Weise habe sich eine Ankündigung aus dem Jahr 1949 erfüllt: „Der Staat Israel wird ein Laboratorium der ganzen Menschheit sein, ein Laboratorium, in welchem grundsätzlich alle Fragen gelöst werden müssen, mit denen die Menschheit ringt.“91 Kritik an einer Glorifizierung der israelischen Aufbauarbeit: Auf die Pionierund Aufbauleistung der Israelis wollten etliche Verfasser nicht mehr eingehen, da dies in ihren Augen oft genug geschehen sei. Vor lauter Bewunderung des israelischen Aufbauwerkes hätten es die Deutschen jahrelang versäumt, sich um Frieden zwischen Israelis und Arabern zu mühen.92 Deshalb müsse man jetzt auf die Schattenseiten aufmerksam machen: So seien z. B. die KibbuzGemeinschaften sehr intolerant, wenn Mitglieder andere politische Anschauungen hätten als von der Mehrheit erwünscht. Ferner dürfe nicht
86 87 88 89 90 91 92
Buber, Nationalheim, 487. Kunath, Israel [2. Teil], 5. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 575. Kunath, Israel [2. Teil], 4. Lell, Judentum, 478. – Vgl. Buber, Nationalheim, 488. v. Ledebur, Armut, 75. Lapide, Laboratorium, 12; Zit. v. van Passen. So Kloppenburg, Bemerkungen, 380 f.
Der Nahostkonflikt im Allgemeinen
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übersehen werden, dass viele Kibbuzim auf enteignetem arabischem Grund errichtet worden seien: „Die Doppelbödigkeit des arabisch-israelischen Verhältnisses wird einem so recht klar, wenn man mit einem linkssozialistischen, antichauvinistischen Israeli spricht, der in einem Kibbuz auf enteignetem arabischen Boden wohnt, sich dessen bewußt ist und an diesem Faktum innerlich leidet, weil er für sich nun auch keine andere Lebensgrundlage mehr sieht.“
Die israelische Gesellschaft an sich sei bereits sozial ungerecht und unsolidarisch, denn sie habe wie die USA „die soziale Ordnung des Hühnerhofs mit einer genau festgelegten Rang- und Hackordnung.“93 Texte, in denen die Kibbuzim ihren Nimbus als gesellschaftliche Avantgarde verloren hatten, äußerten Kritik an Israels „wirtschaftlich-soziale[r] ,Verwestlichung‘, sein [en] Eintritt in die westeuropäische Wohlstands- und Überflussgesellschaft im Sinne der kapitalistisch-materialistischen Zivilisation und Lebensweise.“94 Auch die stereotype Vorstellung, die Israelis hätten die Wüste fruchtbar gemacht und die Araber seien zu moderner Landwirtschaft unfähig, wurde von einem Text zurückgewiesen. Und selbst wenn: „[B]essere Methoden in der Landwirtschaft können Eigentumsrechte nicht auslöschen.“95
3.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen 3.3.1 Sorge um Frieden und Gerechtigkeit Der Nahostkonflikt als Beunruhigungsfaktor : Der neue Krieg des Jahres 1967 erschütterte die Christen wie kaum ein anderes Ereignis dieser Zeit: „Der offene Ausbruch von Haß und Verbitterung zwischen den Israelis und den arabischen Völkern ist für alle Menschen Anlaß zu einem großen Erschrecken.“96 Es ging die Angst um, dass sich dieser regionale Konflikt zu einem 93 Geiss, Israel, 566 u. 560. – S. a. ebd., 558. 94 Kramers, Votum, 610; Bezug auf Friedmann, Ende. – G. Friedmann fragte aus einer sozialistischen Sicht, ob die Gründung des jüdischen Staates und die Anpassung an die westlichen Industriegesellschaften zu einem Erschlaffen des spezifisch Jüdischen führte, das er als Gegensatz zur westlichen Zivilisation betrachtete: „Ohne jeden Zweifel sind in den urbanen Zonen Israels immer häufiger Phänomene zu beobachten, die aus psychologischer und soziologischer Sicht für eine Industriegesellschaft charakteristisch sind. Israel scheint bereit, das zu akzeptieren“ (ebd., 249). 95 Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 585. 96 Dietzfelbinger, Aufruf; und o.Vf., Der Krieg, 339 (Dok. d. Pos. v. H. Dietzfelbinger). – Vgl. Kloppenburg, Bemerkungen, 378; Malachy, Nein, 98; ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 502; Ders., Kreta, 459 f; ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen, 471; und ders., Lage, 456.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
dritten Weltkrieg ausweiten könne.97 Auch die auf den Sechstagekrieg folgende Kälte zwischen den Kriegsgegnern sowie die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern erfüllten die Christen mit Besorgnis: „Wenn es nicht bald zu einer Lösung kommt, ist ein bitterer Krieg vorgezeichnet.“98 Man schien von einer Situation der Entspannung weiter entfernt zu sein als je zuvor : „Niemand weiß, ob morgen der Nahe Osten brennen wird.“99 Das Beunruhigende am Nahostgeschehen rührte daher, dass der komplexe Charakter des bereits so lange andauernden israelisch-arabischen Konflikts wahrgenommen wurde: „Heute scheint die Lage im Nahen Osten noch hoffnungsloser und auswegloser zu sein als das anscheinend unlösbare Vietnamproblem.“100 Deshalb komme die Urteilskraft des mündigen Bürgers allmählich an ihre Grenzen: „Die Konfliktsituation im Nahen Osten ist schier hoffnungslos kompliziert. Recht und Unrecht sind auf beiden Seiten so eng verquickt, daß es für die Zeitgenossen mit etwas Kenntnis der historischen Voraussetzungen und der politisch-sozialen Problematik schwerfallen muß, sich überwiegend oder gar eindeutig und uneingeschränkt für die eine oder die andere Seite zu entscheiden, im Gegensatz zu anderen Konflikten, wie Vietnam, Biafra oder dem Rassenkonflikt in den USA. Für einen Deutschen, der die jüngere deutsche Vergangenheit kennt, wird diese klare Entscheidung noch schwerer. Wenn man nach Israel kommt und sich nach allen Seiten offen und kritisch umhört, so wird eine ohnehin komplizierte Sachlage noch komplizierter und hoffnungsloser.“101
Plädoyer für Frieden und Gerechtigkeit: Die Periodika ermahnten alle am Nahostkonflikt beteiligten Länder einschließlich der Großmächte zur Friedensarbeit.102 Auch die Bundesregierung wurde 1967 aufgefordert, „sich für einen gerechten, dem Frieden dienenden Ausgleich im Nahen Osten zu ver97 So Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 584. 98 Kloppenburg, Hinweis, 596; Bezug auf den arabischen Autor Al Joundi. – Vgl. CFK, Vereinte Nationen, 146; und Redaktion der JK, Frieden, 181. 99 Lefringhausen, Entwicklung, 209. – Vgl. Becker, Jahre, 271. – Ein anderer Autor fürchtete, „daß, wenn die Dinge so weitergehen wie bisher, Israel in einer entsetzlichen Katastrophe untergehen wird“ (Geiss, Israel, 559). 100 Barth, Israel, 588. – S. a. Abschnittsüberschrift „Der Nahe Osten als Zweites Vietnam“ bei Lefringhausen, Entwicklung, 209. – Vgl. Baumgartner, Plädoyers, 437; Geis, Friedensauftrag, 185; O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375 (Zmf. nicht näher genannter Beiträge in der frz. Zeitschrift Rforme); und Rasch, Hannover, 378 (Bezug auf die Kirchentags-AG). 101 Geiss, Israel, 557. – Vgl. Benedict, Fronten, 90; und Kunath, Israel [1. Teil], 205. – S. a. redaktionelle Einleitung zu Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 570: „Wir dürfen es uns nicht zu leicht machen und allzu schnell hier ,ja‘ und dort ,nein‘ sagen.“ 102 So CFK, Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; Dies., Antisemitismus, 537; Dies. / Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f; ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 502 f; und ders., Kreta, 459 f. – Zu den Großmächten s. Teil III, 3.3.2.
Der Nahostkonflikt im Allgemeinen
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wenden.“103 Manche Friedensappelle verbanden ihre Nahost-Betrachtung mit der Forderung nach einer „Beendigung der amerikanischen Aggression in Vietnam“, denn das gewaltsame Vorgehen der USA „provoziert in anderen Teilen der Welt Versuche, die dortigen Probleme auf gleiche Weise zu lösen.“104 Hier wurde die israelisch-arabische Auseinandersetzung zur Projektionsfläche antiamerikanischer Ressentiments. Manche Autoren waren der Meinung, Israel müsse den ersten Schritt des Friedens tun, „weil dann die Araber in politischen Zugzwang gerieten.“105 Denn der israelische Staat als „geistiger Mittelpunkt für das ganze Weltjudentum“ habe seine „weltgeschichtliche Aufgabe“ zu erfüllen und „für die Aufrichtung eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens auf Erden zu wirken.“106 Es waren geschichtstheologische Überlegungen, die dazu führten, dass die israelische Regierung mehr als die arabische Seite in die Pflicht genommen wurde. Auch die Kirchen wurden aufgerufen, einen Beitrag zur Friedenssicherung zu leisten. Sie sollten ihre Regierungen an deren politische Pflichten erinnern.107 Vatikan und Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) hätten ihre Vermittlung anzubieten, „um zwischen Israel und den Arabischen Staaten eine Verständigung herbeizuführen.“108 Das gelte auch für die orientalischen Kirchen. Die weltweite Christenheit sei aufgefordert, „die ihr von Gott anvertrauten Kräfte des Friedens und der Versöhnung noch entschiedener als bisher in die politischen Spannungen der Welt hineinzutragen.“109 Die Mitarbeiter von Aktion Sühnezeichen wurden dazu verpflichtet, für „einen friedlichen Ausgleich [Israels, GG] mit seinen arabischen Nachbarn“ einzutreten.110 Dass Gott Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn wolle, lasse sich an Jesaja 19,22 – 25 ablesen.111 Zur christlichen Sorge um den Frieden gehöre auch die Fürbitte.112 Sympathie mit der israelischen Friedensbewegung: In diesem Zeitabschnitt gewannen die Positionen der israelischen Friedensbewegungen Bedeutung. 103 O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374; Zmf. d. Pos. der EJD. 104 Hromdka/Ondra, Naher Osten, 384. – S. a. CFK, Erklärung [EvW], 538; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33 f; und de Gaulle, Wortlaut. 105 Geiss, Israel, 585. – Vgl. Flapan, Friedensinitiative, 594; Bewegung f. Frieden und Sicherheit, Friedensprogramm; und Weckerling, Search, 405 (unter Berufung auf das Quäker-Dokument „Search for Peace in the Middle East“). 106 Kramers, Votum, 609. 107 So o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375: Zmf. d. Pos. des „Kirchlichen Friedensbundes“ in der Schweiz. – Vgl. Khnert, Ägypten, 109. 108 Halaski, Reisen. – S. a. Gjerding, Elemente, 160. 109 O.Vf., Der Krieg, 339; Zmf. d. Pos. von H. Dietzfelbinger vom 8. Juni, im Original ganzes Zit. hervorgehoben. – Vgl. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 571 f. 110 ASZ, Dienst, 647. 111 So CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 35; Kloppenburg, Gegenfragen; und Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Verlautbarung, 506. 112 So Dietzfelbinger, Aufruf; und o.Vf., Der Krieg, 339 (Dok. d. Pos. v. H. Dietzfelbinger). – Vgl. ÖRK, Stellungnahme; und Scharf bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468.
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Vor allem sozialistischen Gruppierungen traute man aufgrund ihrer gesellschaftsverändernden und völkerverbindenden Kraft die vernünftigste Politik zu.113 Die Existenz dieser friedensgesinnten Kreise innerhalb der israelischen Gesellschaft ermöglichte es linken Autoren, antiisraelischen Entgleisungen die Stirn zu bieten.114 Personen wie Uri Avnery wurden zu viel zitierten Gewährsleuten, auch wenn sie in Israel selbst eher Außenseiter darstellten.115 Eine Tel Aviver Bewegung, zu der auch Simcha Flapan und Zwi Werblowsky gehörten, sprach sich offen für einen baldiges Ende der Besatzungspolitik aus.116 Insbesondere die Autoren der Jungen Kirche wurden nicht müde, auf die Friedensbewegten in Israel hinzuweisen: „Wer wußte bei uns bis vor kurzem, u. a. erst durch die ,Junge Kirche‘, von der Existenz nicht-chauvinistischer, anti-annexionistischer Gruppen in Israel?“117 Der bereits 1965 verstorbene Martin Buber galt als vorbildhafter Israeli, der sich um Versöhnung mit den Arabern bemüht habe.118
3.3.2 Möglichkeiten des Zusammenlebens Gegenseitige Anerkennung des Lebensrechts des anderen: Unter dem Eindruck des Sechstagekrieges war man mehr als vorher von der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den konträren Interessen überzeugt. Es könne kein Regierungsstandpunkt ohne weiteres übernommen werden, vielmehr müsse ein Kompromiss gefunden werden, der sich nicht einseitig zuordnen lasse: „Es geht uns nicht und niemals darum, den unseligen Gegensatz zwischen Juden und Arabern dadurch zu vertiefen, daß wir ideologische Positionen auf der einen oder anderen Seite beziehen.“119 Deshalb müsse darauf bestanden werden, dass „allen Völkern das Lebensrecht“ im Nahen Osten gebühre, „einschließlich Israels und der arabischen Nationen.“120 Die Autoren drängten daher darauf, dass die Anliegen der Israelis und der 113 114 115 116
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Vgl. Sozialist. AK, Erklärung. Vgl. Dietrich, Zionismus, 471. So Kunath, Israel [1. Teil], 220; und Geiss, Israel, 562 u. 575. So Council „For Peace and Security – Against Annexations“, Friede, 402. – Vgl. Bewegung f. Frieden und Sicherheit, Friedensprogramm; Flapan, Friedensinitiative, 592 f; und Grab, Mittelostkonflikt, 79. Geiss, Antwort, 88. So Kloppenburg, Bemerkungen, 380; Ders., CFK-Erklärung, 461 (Dok. der Pos. v. J. Hromdka); Buber, Zionismus; und Dietrich, Zionismus, 476 f (Bezug auf Buber, Jude). v. Imhoff, Spiel, 55. – S. a. Frz. Regionalausschuss, Frieden, 382; Geiss, Antwort, 89; und Warneck, Hoffnung. – Vgl. Rothschild, Wissen, 79: „Israelis will es bis heute nicht einleuchten, warum ein Deutscher zwischen Israel und ,den Arabern‘ glaubt wählen zu müssen.“ O.Vf., Der Krieg, 339 (Zmf. d. Pos. von H. Dietzfelbinger vom 8. Juni); und ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494. – S. a. Ders., Heraklion, 503; Ders., Kreta, 459; Ders., Erklärung der Ökumene, 606; ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen; Ders., Lage, 456; und MllerRçmheld, Rat, 599.
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Palästinenser gleichermaßen Gehör fänden. Man wollte „das Recht der Juden auf einen eigenen Nationalstaat“ in gleicher Weise anerkennen wie „das Recht der palästinensischen Araber auf Selbstbestimmung.“121 Israelis und PalästinaAraber müssten dazu beide auf einen Totalanspruch verzichten und den potenziellen Opfer-Status des jeweils anderen anerkennen. Diese Überzeugung manifestierte sich auch in der erneuten Veröffentlichung des Schreibens Feisals an Felix Frankfurter aus dem Jahre 1919.122 Nur unter Voraussetzung einer solchen gegenseitigen Anerkennung werde es bei der erhofften Aussöhnung zwischen den Gegnern zu einem wirklich ,gerechten‘ Frieden kommen. Diese Aussagen setzten einen Standpunkt voraus, bei dem Streitfragen nicht durch Kriege, sondern durch Verhandlungen zu klären seien. Noch immer gab es Texte, die im Blick auf solche Verhandlungen die arabischen Regierungen als Vertreter des ,palästinensischen Volkes‘ ansahen.123 Ein Autor hatte eine genaue Vorstellung davon, welche Vereinbarungen ein Friedensvertrag enthalten müsse: „Freie Durchfahrt durch den Suez-Kanal und durch die Meerenge von Tiran, Entmilitarisierung der Sinai-Halbinsel, gemeinsame Ausbeutung von Bodenschätzen und Kultivierung der Sinaiwüste, Entmilitarisierung der syrischen Golan-Höhen, Rückgabe der eroberten Gebiete an Ägypten und Syrien, Freihafen mit freiem Zugang für Jordanien im Gaza-Streifen, freie Entscheidung der Araber im Westjordanland, ob autonomer Staat oder Anschluß an Jordanien, enge wirtschaftliche Verflechtung mit Jordanien und Schaffung von gemeinsamen Bewässerungsprojekten.“124
Bei der Forderung nach einem gerechten Ausgleich zwischen Israelis und Arabern unterschieden sich die Artikel darin, dass die einen mehr von einer propalästinensischen und die anderen eher von einer proisraelischen Perspektive her urteilten. Aus propalästinensischer Sicht wurde konstatiert, dass erst dann die Existenz des israelischen Staates anerkannt werden könne, wenn zuvor das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser verbrieft sei. Hier wurde von Israel der erste Schritt verlangt.125 Wichtig war den Autoren, dass die Unterstützung des israelischen Lebensrechtes „keine Demonstration gegen das Arabertum und seine berechtigten Interessen“ bedeute.126 Umgekehrt wurde aus proisraelischer Sicht gefordert, dass den Palästi121 Sozialist. AK, Erklärung. – S. a. Braunschweig, Palästinenserfrage, 576; Geiss, Antwort, 85; Ders., Israel, 557; Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 571; und o.Vf., Der Krieg, 339 (Zmf. d. Pos. von H. Dietzfelbinger vom 8. Juni). 122 So Feisal, Araber [1969]. – Vgl. Hinweis auf Feisals Text bei Kloppenburg, Bemerkungen, 379. 123 S. a. Ebd., 381 f. 124 Becker, Jahre, 272. – S. a. CFK, Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33 f; und Hromdka/Ondra, Naher Osten, 384. 125 Vgl. Kunath, Israel [1. Teil], 257; ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 502; und ders., Kreta, 459. 126 O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374; Zmf. d. Pos. der EJD. – Vgl. v. Wahlert, Brot, 59.
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nensern nur dann Selbstbestimmung gewährt werden könne, wenn zuvor von arabischer Seite die Existenz Israels garantiert sei. Denn auch die jüdische Bevölkerung Palästinas, „die infolge ihrer aktuellen Situation überzeugt ist, ohne den Staat nicht leben zu können“, habe ein Recht auf Selbstbestimmung.127 Der Staatscharakter des jüdischen Gemeinwesens dürfe nicht mehr hinterfragt werden. Wenn die Araber dies anerkennten, ließen sich die Streitfragen am Verhandlungstisch klären. Forderung nach einem binationalen bzw. föderativen Staat in Palästina: Immer mehr Autoren entwickelten Konfliktlösungsideen, unter denen der bereits bekannte Vorschlag einer Schaffung eines binationalen bzw. föderativen Staates eine besondere Stellung besaß. Gegenüber der Möglichkeit eines Staatenbundes128 dachten die meisten Autoren eher an einen Bundesstaat mit mindestens zwei ethnisch orientierten Kantonen, über deren rechtliche Eigenständigkeit divergierende Ansichten bestanden. Angesichts der israelischen Besetzung arabischen Territoriums besaß die Föderationsidee gegenüber den frühen 1960er Jahren eine höhere Dringlichkeit. Als Vorbild von multinationalen Staaten wurden Belgien, Kanada, die Schweiz und die Tschechoslowakei ins Spiel gebracht, ohne zu bedenken, dass es sich bei letzterem um zwei verwandte Völker handelte – bekanntlich blieb selbst deren Föderation nicht von Dauer.129 Der erhoffte binationale Staat in der Levante solle allen „Völker(n) Palästinas“ – genannt werden „Juden, Moslems und Christen“ – „gleiche Rechte und Chancen“ garantieren.130 Man erinnerte sich daran, dass bereits Martin Buber 1948 den jüdischen Nationalstaat beargwöhnt und ein binationales Gesamtpalästina präferiert habe. Bubers damals kaum beachtete Vorstellungen genossen auf einmal höchsten Kredit: „Anders als in der Urzeit dürfen wir mit dem jetzt darin [d. h. in Palästina, GG] ansässigen Volk einen Bund schließen, um gemeinsam mit ihm das Land zum Vorland Vorderasiens zu entwickeln – zwei selbständige Völker gleichen Rechtes […], aber beide vereint […] in der gemeinsamen föderativen Verwaltung der gemeinsamen Geschäfte.“131
Die Texte waren realistisch genug, um zu wissen, dass ein Föderalstaat ,Palästina‘ nicht frei von Konflikten wäre, wie man sie auch von Belgien, Kanada oder der Schweiz kenne. „Aber die möglichen Nöte, denen ein föderativer
127 Dietrich, Zionismus, 472. – S. a. Rasch, Hannover, 378; Zmf. d. Pos. v. Rabau. 128 Texte, die von einer ,jüdisch-arabischen Kooperation‘ sprachen, ließen es offen, ob es sich um einen Bundesstaat oder einen Staatenbund handeln sollte. So Sozialist. AK, Erklärung. 129 So Geiss, Israel, 583 ff. – Vgl. ders., Antwort, 86; und Abileah, Hussein, 604. 130 Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572. 131 Buber, Zionismus, 486. – Vgl. Ders., Nationalheim, 489; und Dietrich, Zionismus, 476 f (Bezug auf Buber, Jude).
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palästinensischer Staat standzuhalten hätte, wären gering gegenüber den gegenwärtigen Drohungen eines neuen Krieges.“132 Ablehnung der Idee eines binationalen bzw. föderativen Staates in Palästina: Wegen der Dominanz optimistischen Machbarkeitsglaubens wagte es kaum jemand, konkrete Friedensvorschläge in Zweifel zu ziehen. Das Plädoyer für einen binationalen Staat, so hieß es bei wenigen Autoren, „bleibt angesichts des gegenwärtigen Zustandes reine Utopie, um nicht zu sagen blanker Hohn.“133 Zudem gingen sie davon aus, dass der arabische Vorschlag für ein solches Zusammenleben beider Völker nur Vorwand palästinensischer Herrschaftsansprüche über das ganze Land sei. Das Engagement der Weltmächte in Nahost: Mehr denn je räsonierte man über die Rolle der Weltmächte in Vorderasien. Mit Beschämung wurde festgestellt, dass „zahlreiche Staaten durch Waffenlieferungen an beide Parteien zum Ausbruch des Sechstagekrieges die materiellen Voraussetzungen geschaffen haben.“134 Wenn die Waffenlieferungen nicht eingestellt würden, werde das Blutvergießen nie enden. Viele Textpassagen verbanden mit einer möglichen Intervention der Großmächte eine positive Entwicklung. Die Großmächte sollten zusammen für den Frieden eintreten: „Es geht also darum, den gordischen Knoten nicht zu zerschlagen, sondern ihn aufzuknüpfen. Das kann wohl nur durch die Großmächte geschehen.“135 An anderen Stellen wurde der Gedanke vorangetrieben, dass sich Europa und die Großmächte aus dem Nahen Osten heraushalten sollten; ihr Engagement wurde negativ bewertet: „Die großen Weltmächte müssen aufhören, ihre eigenen Sonderinteressen in diesem Gebiet zu verfolgen.“136 So wie Juden und Araber während des Ersten Weltkriegs „Objekte und Betrogene“ des Osmanischen Reichs und der europäischen Kolonialmächte gewesen wären, so seien sie auch heute der Spielball in den Händen der Großmächte.137 Israel
132 Barth, Israel, 589. 133 Baumgartner, Plädoyers, 437; gegen Salamehs Vortrag auf dem DEKT 1969. – Vgl. Grab, Mittelostkonflikt, 78: „Eine Föderativlösung ist unter den heutigen militärischen, politischen und psychologischen Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten illusionär.“ 134 O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375: Zmf. d. Pos. des „Kirchlichen Friedensbundes“ in der Schweiz. – Vgl. o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien; Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA. 135 Janowski, Knoten. – S. a. CFK, Erklärung [EvW], 538; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick; Flapan, Friedensinitiative, 592; Janowski, Weltkrieg; Kloppenburg, Hinweis, 596; Kunath, Israel [1. Teil], 205; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536; Dies., Verlautbarung, 219; ÖRK (ZA), Bewußtsein, 495; Ders., Heraklion, 503; und ders., Kreta, 459 f. 136 ÖRK (VV), Uppsala, 466. – Vgl. Ders., Fragen, 472; Ders., Lage, 456; O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375; und Lell, Judentum, 479. 137 Stçhr, Stellungnahme, 574.
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dürfe nicht in den Ost-West-Gegensatz hineingezogen werden – was es aber schon war. Auch die Bundesrepublik müsse strikte Neutralität wahren.138 Die „imperialistische Politik der Sowjetunion“ wurde als unglaubwürdig dekuvriert, weil Moskau mit zweifachem Maß messe: „Gegen die Aggression Israels ist die UdSSR klar aufgetreten; die Besetzung der CSSR wollen die Russen nicht im Weltforum [d. h. in den Vereinten Nationen (UN), GG] verhandelt wissen.“139 Man merkte, dass die Sowjetunion alles versuche, „den Westmächten den Einfluß auf die arabische Welt“ abzuringen.140 Mit dem Hinweis auf die Rolle der USA im Vietnamkrieg konnte allerdings auch das antiisraelische Engagement der Sowjetunion entschuldigt werden: „Weil Russland – leider! – den Amerikanern bei ihrem verabscheuungswürdigen Krieg in Vietnam nicht wehren kann, bekommen die Araber die Erlaubnis, ihren Konflikt mit Israel hochzuspielen.“141 Überhaupt wurde die Rolle der USA überwiegend kritisch gesehen. Gerade durch die Nähe zu den USA sei Israel zu einem „Faktor der Unruhe und des mangelnden Gleichgewichtes in diesem Teil der Welt“ geworden.142 Eine gewisse Ähnlichkeit der USA-Kritik zu dem Inhalt eines Briefs Walter Ulbrichts an Nasser war augenfällig.143
3.3.3 Das arabisch-palästinensische Flüchtlingsproblem Forderung nach Lösung der Flüchtlingsfrage: Im Zuge des Sechstagekrieges riefen kirchliche Zeitschriften erneut zur materiellen Hilfe für die „heimatlosen arabischen Flüchtlinge alten und neuen Datums“ auf.144 Nicht jeder Aufsatz wollte dies als Affront gegen Israel betrachten. Angesichts des Ausmaßes der Not hätten sich auch die Kirchen mehr von ihrer karitativen Seite zu zeigen.145 Auch der Staat Israel wurde aufgefordert, die Flüchtlinge finanziell zu entschädigen oder ihnen zumindest Hilfe zukommen zu lassen.146 Jedoch 138 139 140 141 142 143
So Rasch, Hannover, 378; Zmf. d. Pos. v. C. Malsch. Stçhr, Stellungnahme, 577; und Kunath, Israel [2. Teil], 5. Lefringhausen, Entwicklung, 209. Geis, Friedensauftrag, 185. Frz. Regionalausschuss, Frieden, 382. – Vgl. Geiss, Israel, 581. So Ulbricht, Botschaft. – Die USA-Kritik war schon seit den 1950er Jahren Bestandteil der Nahostwahrnehmung der DDR. So Timm, Hammer, 131. 144 O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374; Zmf. d. Pos. von H. Grüber. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies., Verlautbarung, 219; Dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504; ÖRK (ZA), Erklärung der Ökumene, 606 f; O.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442 (Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA); und o.Vf., Was wird, 473. 145 So o.Vf., Der Krieg, 340 (Zmf. d. Pos. des ÖRK); und o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374 (Darstellung der Vorhaben von ÖRK, LWB und EKD). 146 So CFK, Erklärung [EvW], 538; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33 f; und Grab, Mittelostkonflikt, 79.
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gehe es nicht nur um materielle Hilfe für die Vertriebenen. Man müsse auch endlich eine „gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage“ finden.147 Verständnis für die israelische Position: Proisraelische Autoren machten darauf aufmerksam, dass Israel nach 1949 einen umfangreichen Beitrag zur Lösung der Flüchtlingsfrage geleistet hätte, wenn sich die arabischen Staaten auf Friedensverhandlungen einzulassen bereit gewesen wären: „Obwohl Israel den Arabern volle Entschädigung für das verlorene Eigentum anbot, war die Antwort der Araber Vertreibung von 500 000 Juden aus den arabischen Staaten und abgrundtiefer Haß bis in die Gegenwart.“148 Es gehe auch nach dem Sechstagekrieg nicht an, dass man sich nur um das Schicksal der neuen Flüchtlinge sorge, nicht aber um die weitere Existenz der israelischen Staatlichkeit. Dass Vertriebene in strategisch wichtige Regionen wie z. B. der Latrun-Gegend nicht mehr zurückkehren könnten, müsse man verstehen, denn es gehe hier um die Sicherheit Israels.149 Immerhin habe sich Israel bereit erklärt, viele geflohene ,Westjordanier‘ wieder aufzunehmen. Doch Jordanien rufe diese Zurückgekehrten zum Aufstand gegen Israel auf: „So schnell wurde Mitleid in politische Münze umgewechselt.“ Überhaupt würden die arabischen Staaten die Flüchtlinge als Druckmittel gegen Israel instrumentalisieren, ihnen aber keine Hilfe zukommen lassen: „Immer wenn die kriegerischen Töne und Aktionen der arabischen Welt nicht mehr werbewirksam sind, müssen die Palästina-Flüchtlinge herhalten, um das Mitleid der Weltöffentlichkeit zu erwecken.“150 Schon 1947 hätten die arabischen Regierungen ihre Landsleute zum Verlassen der jüdischen Teile Palästinas aufgerufen und ihnen versprochen, „daß sie bald mordend und plündernd zurückkommen könnten.“151 Verständnis für die arabisch-palästinensische Position: Es waren vornehmlich linke Autoren und ökumenische Autorengruppen, die darauf hinweisen, dass der Nahostkonflikt seine Ursache nicht in arabischer Aggression, sondern in dem Unrecht habe, das den Arabern bei Israels Staatsgründung widerfahren sei: „Die Existenz des Staates Israel beruht auf einer Ungerechtigkeit, die vor zwanzig Jahren begangen wurde und die einen nicht mehr rückgängig zu machenden Tatbestand geschaffen hat.“152 Die Ungerechtigkeit der Vertrei147 Benedict, Fronten, 90. – Vgl. Kloppenburg, Bemerkungen, 381; ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen, 472; und ders., Lage, 456. 148 Becker, Jahre, 271. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 574. – S. a. ebd., 576. – Vgl. Kunath, Israel [1. Teil], 232: „Ihre Propaganda war auch nicht geeignet, Israel in irgendeiner Weise die Rückkehr der Flüchtlinge schmackhaft zu machen.“ 149 So Cary, Mitteilung, 279; Bezug auf Minister M. Dayan. – Vgl. Malachy, Nein, 98. 150 Kunath, Israel [1. Teil], 233 u. 232. – S. a. Geiss, Israel, 561; und o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 374 (Zmf. d. Pos. v. H. Grüber). 151 Kloppenburg, Erklärung, 457; Dok. einer niederländischen Position. – S. a. Kunath, Israel [1. Teil], 232. 152 Frz. Regionalausschuss, Frieden, 382. – Vgl. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572: „Das ungeheure menschliche Leiden, das diese [d. h. die jüdische, GG] Eroberung her-
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bung der Araber sei bereits im frühen Zionismus angelegt gewesen: „Es wird erzählt, Max Nordau sei, als er zum erstenmal Genaueres darüber erfuhr, daß es Araber in Palästina gibt, entsetzt zu Herzl gekommen und habe gerufen: ,Das habe ich nicht gewusst – dann begehen wir ja Unrecht!‘“153 Wegen dieses Unrechts solle Israel als Hauptverantwortlicher die „skandalöse Lage der arabischen Flüchtlinge“ – 1,5 Millionen Araber hätten bis 1967 ihre Heimat verlassen müssen – beenden.154 Schließlich seien die Araber geflohen, weil sie 1948/49 befürchten mussten, ein ähnliches Massaker erleiden zu müssen wie die Bewohner des Dorfes Dir Jassin.155 Die israelische Darstellung, die Flüchtlinge hätten 1948 und 1967 ihre Heimstätten freiwillig verlassen, sei unwahr. Wer im Nahen Osten lebe, wisse, „daß immer ein erheblicher Druck […] ausgeübt wurde, um die Araber zum Weggang zu ,ermutigen‘.“156 Der Junikrieg 1967 habe gegenüber den Ereignissen von 1948/49 zu weiteren Vertreibungen geführt; Israel versuche in den besetzten Gebieten „die arabische Bevölkerung zum Exodus zu bewegen.“157 Israel habe die Fluchtbewegung „durch Bereitstellung von Bussen“ tatkräftig unterstützt.158 Obwohl die Bevölkerung der palästinensischen Dörfer Jalu, Beit Nuba und Emmaus keinen Widerstand geleistet habe, seien ihre Häuser 1967 zerstört und die über 4000 Personen vertrieben worden, wobei die Israelis eine Rückkehr kategorisch ausschließen würden.159 Das israelische Militär habe das Elend der Vertriebenen noch vergrößert, indem es Napalm abgeworfen habe.160 Aus dieser Schuldzuweisung an die Adresse Israels resultierte die Forderung nach einer „Wiederansiedlung der arabischen Flüchtlinge.“161 Die „Repatriierung aller Personen, die bereits vor den jüngsten Feindseligkeiten geflüchtet waren“, sei eines der wirksamsten Mittel, das derzeitige Flüchtlingselend zu lindern.162
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vorgebracht hat, kann nicht wegdiskutiert werden.“ – S. a. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 35; Gollwitzer/Kusche, Studenten, 400; Kloppenburg, Gegenfragen; und Mitarbeiter der CFK/Kloppenburg, Verlautbarung, 506. Buber, Nationalheim, 488. – Vgl. Gjerding, Elemente, 159. Frz. Regionalausschuss, Frieden, 382. – Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 460 (Dok. d. Pos. des Metropoliten Ignatius); Kloppenburg, Hinweis, 596; Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572; und o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442 (Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA). So Kunath, Israel [1. Teil], 232. Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 585. Benedict, Jordanien, 580. – S. a. ÖRK, Stellungnahme. Kunath, Israel [1. Teil], 233. – Vgl. Braunschweig, Palästinenserfrage, 573. So Near East Council of Churches, Kirche, 53. – Dieser Darstellung widerspricht Cary, Mitteilung, 279 f; Bezug auf Minister M. Dayan. So Barth, Israel, 588. Council „For Peace and Security – Against Annexations“, Friede, 402. – Vgl. Benedict, Jordanien, 580; Bewegung f. Frieden und Sicherheit, Friedensprogramm, 602; CFK, Vereinte Nationen, 147; Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572; ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 503; und ders., Kreta, 459 f. O.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442; Zmf. d. Pos. des Nationalrats der US-
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3.3.4 Der Status Jerusalems Jerusalem als eine israelische Stadt: Aufgrund des aktuellen Kriegsausganges war die Debatte über die israelische Besetzung Ost-Jerusalems und des Westjordanlandes gegenüber den vorhergehenden Zeitabschnitten neu. Nachdem israelische Fallschirmjäger die Jerusalemer Altstadt erobert hatten, konnte proklamiert werden: „Die wiedervereinigte Stadt ist die Hauptstadt des Landes.“ Die Vereinten Nationen würden sich mit ihrer Verurteilung der Annektierung der Altstadt unglaubwürdig machen, denn als „die Jordanier das zur internationalen Stadt erklärte Jerusalem“ besetzten, habe auch niemand protestiert.163 Die Texte implizierten, dass Christen, die das jüdische Selbstverständnis anerkennen wollten, „für das Anrecht Israels auf das ungeteilte Jerusalem“ eintreten müssten.164 Für die Juden sei mit der Einnahme Ost-Jerusalems ein langer Wunsch in Erfüllung gegangen: „Das seit Jahrtausenden gesprochene Gebet um die Befreiung Jerusalems ist endlich erhört. An der Klage- oder Westmauer […] kann zum ersten Male seit fast zwanzig Jahren wieder gebetet werden.“165 Auch wer sich nicht zum politischen Status Jerusalems äußerte, sprach den Juden ein größeres Recht an der Heiligen Stadt zu, denn die jüdische „Religion ist nicht an ,Stätten‘ gebunden, sondern an das Land, nicht an das, was in Jerusalem geschah, sondern an Jerusalem selbst.“166 Zurückweisung des israelischen Anspruchs auf ganz Jerusalem: Andere Texte schrieben Alt-Jerusalem einen genuin arabischen Charakter zu und enthielten die klare Aufforderung an die Israelis, sich aus dem Ostteil der Stadt zurückzuziehen. Die „Einverleibung des arabischen Teils der Stadt durch Israel, die offiziell zu einer endgültigen, auch durch Verhandlungen nicht rückgängig zu machenden politischen Tatsache erklärt wurde“, erschwere den Frieden und sei nicht zu billigen.167 Israel dürfe durch die Besetzung kein Fait accompli schaffen. Die arabische Oberhoheit über ganz Jerusalem einschließlich der Weststadt wurde nicht verlangt, sondern man dekuvrierte lediglich die „religiös-chauvinistischen“ Motive der israelischen Annexion.168 Die Israelis dürften Ost-Jerusalem nicht für sich in Anspruch nehmen, da die Stadt bereits vor Davids Eroberung als nichtjüdischer Ort existiert habe
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Kirchen. – S. a. ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494; Ders., Heraklion, 503; ders., Kreta, 459; und o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 473. Kunath, Israel [1. Teil], 268. – Vgl. Lapide, Laboratorium, 10; und Stçhr, Stellungnahme, 577. Malachy, Nein, 100. Meinardus, Kommentar, 313. Stendahl, Judentum, 77. – S. a. Lçffler, Enklave, 286. Flapan, Friedensinitiative, 594. – Vgl. Kloppenburg, Erklärung, 458. Benedict, Jordanien, 582. – S. a. o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442; Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA.
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und seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. überwiegend arabisch gewesen sei. Auch der Name gehe nicht auf das Hebräische (,Stadt des Friedens‘) zurück, sondern stehe im Zusammenhang mit einer kanaanäischen Gottheit (,Ort des Schalem‘). Zudem wurde auf die Bedeutung der heiligen Stadt in der islamischen Tradition hingewiesen, woraus folge, dass die Araber Jerusalem aus religiösen Gründen nie werden aufgeben könnten.169 Nach dem Sechstagekrieg entdeckte eine Reihe von Autoren – flankiert vom Vatikan und anderen Kirchen – die in den Jahren zuvor kaum beachtete Forderung der UNO von 1947, wonach in Jerusalem eine internationale Sonderzone gebildet werden sollte. Denn nur eine internationale Präsenz in Jerusalem entspräche der Bedeutung dieser Stadt für drei Weltreligionen.170 Ein internationalisiertes Jerusalem könne „ein Symbol der Verständigung unter den Menschen“ und „ein Zeichen des Segens im Herzen der Welt“ sein.171 Insbesondere seien „die Juden von dieser Lösung zu überzeugen, da die Muslime einem international verwalteten Jerusalem gewiß den Vorzug geben würden vor einer israelisch verwalteten Stadt.“172 Die Rolle der heiligen Stätten: Für die Autoren war es erschütternd, „daß die Stätten der biblischen Geschichte, an denen Jesus Christus den Menschen den Frieden Gottes offenbar gemacht hat, erneut in Kriegsgeschehen hineingezogen werden.“173 Nachdem Israel die Jerusalemer Altstadt besetzt hatte, forderten die Texte unisono den freien Zugang zu den heiligen Stätten auch für Christen und Muslime.174 Manche Artikel waren der Meinung, dass Israel die religiösen Stätten besser schützen könne als die Jordanier, welche zahlreiche Synagogen zerstört, die Würde des jüdischen Ölbergfriedhofs verletzt und an der Klagemauer Latrinen errichtet hätten.175 Dabei sei das christliche oder muslimische Recht auf die heiligen Stätten geringer als der jüdische Anspruch auf die Stadt Jerusalem.176 Erneut wurde auf die protestantische Identität rekurriert, wonach es nach Johannes 4,21 – 24 keine heiligen Stätten gebe und ,das Heilige‘ nicht lokalisiert werden könne.177
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So Meinardus, Kommentar, 313. – S. a. Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 585. So o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 473. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573. Meinardus, Kommentar, 313. Dietzfelbinger, Aufruf. – S. a. o.Vf., Der Krieg, 339. So ÖRK (ZA), Bewußtsein, 495; Ders., Heraklion, 503; Ders., Kreta, 459 f; O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375 (Zmf. d. Pos. v. Wilkens); ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen, 472; und ders., Lage, 456. – Vgl. Kloppenburg, Bemerkungen, 381. 175 So Christlich-jdische Arbeitsgemeinschaft, Naher Osten, 617; Kunath, Israel [1. Teil], 268; Lapide, Laboratorium, 10; Rothschild, Unheiliges; und Stçhr, Stellungnahme, 577. 176 So Stendahl, Judentum, 77. 177 So o.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375.
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3.3.5 Der Status der seit 1967 besetzten Gebiete (ohne Ost-Jerusalem) Verständnis für die israelische Besatzung: Der Hauptgrund, die israelische Besetzung der neu eroberten Gebiete gutzuheißen, war der Sicherheitsaspekt. Israels „Grenzen sind nach dem Juni-Krieg für die Verteidigung ideal.“178 Israel habe seine Grenzen zu den arabischen Nachbarn von 960 km auf 620 km verkürzen können. Da die Syrer immer wieder auf israelische Dörfer geschossen hätten, könne Israel aus Sicherheitsgründen die Golanhöhen nicht mehr hergeben. Zudem wolle Syrien immer noch das Jordanwasser ableiten. Israel wäre zu Verhandlungen über das besetzte Westjordanland bereit, wenn sich Jordanien auf Friedensgespräche einlassen würde, weil eine Annektierung aus demographischen Gründen nicht in Frage käme. Auch wer die Besetzung kritisch sah, konnte Israel doch aus Sicherheitsgründen „Modifizierungen der Grenzen“ konzedieren.179 Kritik an der israelischen Besatzung: Doch gegenüber diesen wenigen Stimmen überwogen die Voten, die die Besatzungspolitik aufs schärfste verurteiten. Bereits unmittelbar nach dem Junikrieg wurde vor einer territorialen Erweiterung Israels gewarnt, sollte sich Israel nicht mehr hinter die Waffenstillstandslinie von 1949 zurückziehen.180 Selbst wer dem Staat Israel gegenüber wohlgesonnen war, forderte: „Von Israel muß bei der neuen Festlegung der Grenzen Mäßigung verlangt werden.“181 Dass in den Jahren nach 1967 immer noch kein Ende der Besatzung eingeleitet worden war, nährte für die Autoren den Verdacht israelischer Annektierungsabsichten. Wenn Israel wirklich nur einen Verteidigungs- und keinen Eroberungskrieg geführt hätte, würde es die Gebiete schnellstens zurückgegeben. Die fortdauernde Besetzung widerspreche der ständigen Beteuerung, „daß Israels Ziele allein Friede und Sicherheit, nicht jedoch territoriale Gewinne sind.“182 Eventuelle Annexionen „verfälschen die geistige Tradition des Judentums ebenso sehr wie das demokratische und humanitäre Bild“ des israelischen Staates.183 Von den israelischen Zielen im Sinne einer Groß-Israel-Politik würden beispielsweise neue Landkarten zeugen, die die eroberten Gebiete als eigenes Staatsgebiet auswiesen. Auch dass Brot für die Welt „im israelisch besetzten Teil Westjor178 Kunath, Israel [1. Teil], 205. – Vgl. ebd., 257; und Becker, Jahre, 272. 179 Flapan, Friedensinitiative, 597. 180 So o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442; Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA. – Vgl. Benedict, Fronten, 92. 181 CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies., Verlautbarung, 219; und dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 505. 182 Flapan, Friedensinitiative, 594. – S. a. Barth, Israel, 588; Benedict, Jordanien, 579 f; Geiss, Israel, 569 u. 573; und Grab, Mittelostkonflikt, 79. 183 Council „For Peace and Security – Against Annexations“, Friede, 402. – Vgl. Bewegung f. Frieden und Sicherheit, Friedensprogramm, 603.
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daniens“ ein Bewässerungsprojekt betreibe, aus dem vornehmlich die Israelis Nutzen zögen, wurde als Teil einer schleichenden Annektierung betrachtet.184 Deshalb wurde nicht nur die befürchtete Inbesitznahme neuer Gebiete beanstandet, sondern von Israel der vollständige Rückzug gefordert, oft in Verbindung mit einem Rekurs auf die UN-Resolution vom 22. November 1967: „Keine Nation darf das Territorium einer anderen Nation mit Waffengewalt behalten oder annektieren.“185 Ohne Rückzug könne es zu keiner Entspannung im israelisch-arabischen Konflikt kommen, zumal Israel sowieso nicht „anderthalb Millionen Araber in seinen Staat von zweieinhalb Millionen Israelis aufnehmen“ wolle.186 Manche Texte verknüpften die an Israel gerichtete Rückzugsforderung mit Friedens- und Sicherheitsgarantien von Seiten der arabischen Staaten: „Deshalb sollte kein besetztes Gebiet geräumt werden, ohne daß ein Friedensübereinkommen […] geschlossen wurde.“187 Vereinzelt wurde der Grenzverlauf zwischen Israel und den besetzten Gebieten mit der Oder-Neiße-Linie in Verbindung gebracht. So war davon die Rede, dass es sich beim Wunsch der Israelis nach Einverleibung der Westbank um nichts anderes handelte als um die deutsche Hoffnung auf Beseitigung der DDR und auf „Wiedergewinnung der verlorenen Ostgebiete.“188 Mit der Gleichsetzung ,revisionistischer‘ Deutscher mit ,expansionistischen‘ Israelis wurde der deutsche Konservativismus auf Israel projiziert: „Ähnlich wie die Bundesrepublik […] verzichtete Israels politische Führung auf fixierte und sanktionierte Staatsgrenzen und begnügte sich bisher mit Demarkationslinien, sicherlich um […] bei der endgültigen Fixierung möglichst freie Hand zu behalten […] Die Diskussionen in Israel um Annexion oder Nichtannexion der besetzten Gebiete erinnern an die Annexionsdebatte in Deutschland während des 1. Weltkrieges und an die Auseinandersetzungen um die Anerkennung der Oder-NeißeGrenze in der Bundesrepublik.“189
184 v. Wahlert, Brot, 58; Bezug auf Vikar Wehrmann von der Jerusalemer Propstei. 185 ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494. – S. a. ders., Heraklion, 503; und ders., Kreta, 459. – Vgl. CFK, Vereinte Nationen, 147; Dies., Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33; de Gaulle, Wortlaut; Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573; ÖRK (VV), Uppsala, 466; Ders., Fragen, 471 f; ders., Lage, 456; Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 586; und Weckerling, Search, 405. 186 Kloppenburg, Bemerkungen, 381. 187 Council „For Peace and Security – Against Annexations“, Friede. – Vgl. Kloppenburg, Bemerkungen, 381; und ÖRK (ZA), Erklärung der Ökumene, 606. 188 Gollwitzer/Kusche, Studenten, 401. 189 Geiss, Israel, 579. – In anderen Beiträgen wurde der Vergleich der deutschen Grenzen mit denen in Nahost abgelehnt. So CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 35; Kloppenburg, Gegenfragen; und Mitarbeiter der CFK/Kloppenburg, Verlautbarung, 506.
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3.4 Parteinahme für den Staat Israel 3.4.1 Das Existenzrecht des Staates Israel Die Bedrohung des Staates Israel: Die Bedrohung Israels durch die arabischen Staaten hatte sich den Artikeln zufolge gerade beim Sechstagekrieg gezeigt, denn hier hätten „60 Millionen Araber gegen 2,5 Millionen Israelis“ gekämpft.190 Daher galt: „Für Israel wäre die Alternative zum Sieg nicht eine verlorene Schlacht oder ein verlorener Krieg gewesen, sondern die völlige Vernichtung.“191 Bei Kriegsausbruch habe der Staat Israel vor der Frage des nackten Überlebens gestanden, weshalb der Krieg eine rein „defensive Aktion“ gewesen sei, um die arabische „Aggression“ abzuwehren.192 Die arabischen Staaten, die allein durch „den Haß gegen Israel“ zusammengehalten würden, hätten in den Jahren vor dem Krieg den UN-Beschluss von 1947 missachtet und einen „Völkermord an Israel“ geplant.193 Deren Drohungen hätten an die Reden und an die Praxis der Nationalsozialisten erinnert. Schon im Vorfeld des Krieges sei durch die arabische Welt eine für Israel bedrängende Situation geschaffen worden. Ägypten habe den Golf von Akaba blockiert und den Suez-Kanal für israelische Schiffe gesperrt: „Erst diese einseitigen Akte haben die erneute Krise im Nahen Osten heraufgeführt.“194 In der Zeit nach dem Krieg gingen viele Texte davon aus, dass auch der Sieg Israels die Bedrohung durch die Araber nicht habe abwenden können. Deshalb hatte man Verständnis dafür, dass die Israelis auf den zionistischen Charakter ihres Staates solange nicht verzichten könnten, solange sie nicht in Frieden leben würden: „Denn wer bei der augenblicklichen Haltung der Araber kein Zionist ist, gibt sich auf.“195 Die Situation bleibe also auch nach dem Sieg von 1967 bedrohlich, und das erst recht, als Nasser zwei Jahre später 190 Lefringhausen, Entwicklung, 209. 191 Barth, Israel, 588. – S. a. Kloppenburg, Erklärung, 457 (Dok. einer niederländischen Position); und Susman, Hiob [1968], 590. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 576.: „Hätten Ägypten, Jordanien und Syrien gesiegt, stünden heute die Christen wie die Weltöffentlichkeit mit Scham und Trauer vor den überlebenden Juden, Schuldbekenntnisse produzierend, die ihnen erspart blieben, da Israel sich alleine helfen konnte.“ 192 Council „For Peace and Security – Against Annexations“, Friede, 402. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies., Verlautbarung, 219; und dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f. 193 Geis, Friedensauftrag, 184; und Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536. – Vgl. Beckmann, Nahost-Konflikt; CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; DIGPrsidium und Kuratorium, Hilfe, 389; Kloppenburg, Bemerkungen, 379; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 505; und Rasch, Hannover, 378. 194 Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 536. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Malachy, Nein, 98; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; und dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f. 195 Kunath, Israel [1. Teil], 221.
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den Waffenstillstand mit Israel aufgekündigt und einen Abnutzungskrieg begonnen habe. Immer noch vereinige sich die arabische Welt unter der Losung: „Werft die Juden ins Meer!“196 Unabhängig von dem tatsächlichen Ausmaß der Bedrohung Israels müsse man verstehen, dass die bloß empfundene Existenzgefährdung zu einem bestimmten Verhalten der Israelis führe: „Das Gefühl, zutiefst bedroht zu sein, haben weder der militärische Erfolg von 1967 noch die erstaunliche wirtschaftliche Prosperität der letzten Jahre wesentlich lindern können.“197 Israel werde aber nicht nur durch die arabischen Staaten bedroht, sondern zunehmend durch palästinensische Befreiungsbewegungen wie Al Fatah: „Die arabische, die feindliche Umwelt lebt nicht nur draußen jenseits der neuen Grenzen, sondern auch drinnen im eigenen Land.“198 Das Existenzrecht des Staates Israel: Aufgrund dieser Bedrohungen war es in den Augen der Verfasser wichtiger denn je, dass die arabische Welt und die internationale Staatengemeinschaft den Staat Israel völkerrechtlich anerkenne und sein Existenzrecht bejahe.199 Alle diesbezüglichen Anstrengungen seien bislang vergeblich geblieben: „Noch immer gilt das Programm der arabischen Gipfelkonferenz von Khartoum: Kein Friede mit Israel. Keine Anerkennung Israels. Keine Verhandlungen mit Israel.“200 Nur die Anerkennung Israels bringe der Region den Frieden. Gelegentlich verglichen Texte den jüngsten israelisch-arabischen Krieg mit den militärischen Auseinandersetzungen in Vietnam. Während in Fernost der amerikanische ,Imperialismus‘ das Lebensrecht des vietnamesischen Volkes gefährde, stellten in Nahost die arabischen ,Aggressoren‘ die Existenz des israelischen Staates in Frage: „Der Krieg in Vietnam, den wir verurteilen, darf nicht dazu führen, andere Aggressoren mit anderen Maßstäben zu beurteilen.“ Diesem Vergleich wurde noch ein weiterer an die Seite gestellt: „So wie vom deutschen Volk erwartet werden muß, daß es die Existenz der Oder-Neiße-Linie anerkennt, so muß auch von den arabischen Staaten die Anerkennung der Grenzen Israels gefordert werden.“201 Weder die Deutschen noch die Araber könnten verloren gegangene Gebiete zurückverlangen. 196 Becker, Jahre, 271. – Vgl. Beckmann, Nahost-Konflikt; v. Imhoff, Minarette, 113; Lapide, Unglaube, 363; und Lefringhausen, Entwicklung, 210. 197 v. Kortzfleisch, Ungeschick, 630. – Vgl. Gollwitzer/Kusche, Studenten, 401; und Lapide, Ness [!] Ammim, 293. 198 Lell, Judentum, 479. – Vgl. Flapan, Friedensinitiative, 593. 199 So Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537. – S. a. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; Dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f. – Vgl. Becker, Jahre, 270; und o.Vf., Auf der Suche nach Friedensgarantien, 442; Zmf. d. Pos. des Nationalrats der Kirchen in den USA. 200 Kunath, Israel [1. Teil], 205. 201 Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Kunath, Israel [1. Teil], 220; Mitarbeiter der CFK, Verlautbarung, 219; und dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 505. – S. a. Grab, Mittelostkonflikt, 75: „Ebenso wie
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Christliche Solidarität zum Staat Israel: Die Autoren, die Israel als bedroht wahrnahmen, zogen die Notwendigkeit einer kirchlichen Solidarität zum jüdischen Staat nicht in Zweifel, sodass diese Fragestellung nicht allzu oft thematisiert wurde. Die spezifisch christliche Verantwortung wurde am häufigsten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sechstagekrieg betont. Allein die bloße Existenzgefährdung Israels war für die einen bereits Motivationsgrund zur Unterstützung: „Die Solidarität mit dem Staat Israel ergebe sich vor allem aus der Drohung, ihm dieses Lebensrecht zu nehmen“, so wurde eine Stellungnahme aus den Kriegstagen zusammengefasst.202 Andere begründeten ihre Anteilnahme am Nahostgeschehen heilsgeschichtlich203 : Weil ein Krieg gegen Israel die Juden als das erwählte Gottesvolk treffe, müsse die Kirche für den jüdischen Staat eintreten.204 Zur christlichen Solidarität mit Israel gehörte den Artikeln zufolge auf alle Fälle das Gebet, das in der Regel als gottesdienstliche Fürbitte gedacht war : „Gedenkt der Bedrohten und Bedrängten unablässig in Fürbitte!“205 Die öffentlichen Solidaritätsbekundungen in vielen westdeutschen Städten wurden als „eines der erfreulichen Zeichen christlicher Gewissensentscheidung in Deutschland“ begrüßt.206
3.4.2 Widerlegung der Kritik am Staat Israel Gegen den Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus: Wegen des gewonnenen Krieges und der fortdauernden Besatzung geriet der Staat Israel immer mehr in die Schusslinie seiner Kritiker. Deshalb nahmen auch in den Texten die Bemühungen zu, Israel gegenüber Vorwürfen in den Schutz zu nehmen. So wurde konstatiert, der Staat Israel betreibe keine „imperialistische und aggressive Politik gegenüber den arabischen Staaten.“207 Er habe sich im
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die Bundesrepublik bisher das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges territorial nicht anerkannt hat, […], so haben die arabischen Staatsmänner sich niemals mit dem territorialen Ergebnis des israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948 abgefunden. Sie haben die völkerrechtliche und staatliche Existenz Israels ebensowenig anerkannt, wie die Bundesrepublik diejenige der DDR […] Wenn ein Vergleich überhaupt gezogen werden kann, […], so ist Israel in dieser Hinsicht, so sonderbar es klingen mag, in der Lage der DDR, die ja auch völkerrechtliche Anerkennung fordert.“ O.Vf., Der Krieg, 339; Dok. d. Pos. v. H. Dietzfelbinger. – Vgl. ASZ, Dienst, 647. S. a. Teil III, 3.1.2. So Harder bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 469. – Vgl. v. Hammerstein, Ökumene, 20; Bezug auf G. Harder. Scharf bei Scharf/Bodenstein/Harder, Israel, 468. – Vgl. Kunath, Israel [2. Teil], 21; Malachy, Nein, 98; und o.Vf., Der Krieg, 339. Beckmann, Nahost-Konflikt. Malachy, Nein, 100. – Vgl. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; DIGPrsidium und Kuratorium, Hilfe, 389; Kloppenburg, Erklärung, 458; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies., Verlautbarung, 219; Dies. / Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f; und Rothschild, Wissen, 79.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
Sechstagekrieg nur gegen die arabische Übermacht verteidigt und somit aus Notwehr gehandelt. Israel wolle verhandeln und nicht erobern. Die Periodika wandten sich gegen die von Charles de Gaulle im November 1967 aufgestellten Thesen, wonach sich Israel sowohl beim Sinaifeldzug 1956 als auch beim Junikrieg 1967 als ein bellikoser und expansionistischer Staat erwiesen habe.208 Der Imperialismus-Vorwurf gegen Israel sei hinfällig angesichts der Bündnisse der arabischen Welt „mit monarchistischen Diktaturen“ und „imperialistische(n) Großmächte(n)“.209 Selbst der Verweis auf die Groß-Israel-Bewegung sei kein Beleg für den expansionistischen Charakter dieses Landes.210 Auch wenn es in Israel nationalistische Tendenzen gebe, sei es übertrieben, von einem faschistoiden Staat zu sprechen: „Der Vergleich der israelischen Besetzung mit faschistischer Besetzung läßt jedes Augenmaß für Realitäten, die sich unter faschistischer Besatzung und die sich unter israelischer Besatzung ereignen, vermissen.“211 Auch die „Vertreibung der Flüchtlinge“ durch Israel könne nicht „mit der Vernichtung der Juden durch die Nazis verglichen“ werden.212 Anders als vor 1967 wurde der Staat Israel nun vermehrt als ,Büttel‘ der USA wahrgenommen. Im Gegensatz zu der oben gebotenen Sichtweise213, wo Israel als Objekt der Ränke der Großmächte galt und letztere gebrandmarkt wurden, ging es jetzt um eine Verteidigung Israels gegen den Vorwurf, es würde aktiv und freiwillig die Interessen des US-,Imperialismus‘ und des West-Kapitalismus vertreten. Es wurden Intellektuelle wie Isaac Deutscher kritisiert, für die Israel „als amerikanischer Satellit“ galt.214 Es sei eine Verzerrung, wenn jemand in Israel einen „Vorposten des westlichen Kapitalismus“ sehe, der dazu da sei, „die sozialistische Revolution der arabischen Völker“ zu vereiteln.215 Die Kontakte Israels zu bestimmten Regierungen würden daher rühren, dass es „auf die Dauer nur westliche Länder waren, die zu seiner Unterstützung bereit waren.“216 Man wandte sich auch gegen die Stimmen, die Israel durch den süffisanten Hinweis diskreditieren wollen, dass „der Zionismus seiner
208 So Pfisterer, De Gaulle. – Vgl. ders., Gott, 154. 209 Lefringhausen, Entwicklung, 209 f. 210 Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 576 (gegen Internat. Seminar in Beirut, Erklärung): „Nichts wird davon gesagt, wie stark diese Gruppe [d. h. die Groß-Israel-Bewegung, GG] ist, nichts davon, daß sie nicht zuletzt durch eine intransigente Haltung der meisten arabischen Politiker wächst, daß man also die Kreise in Israel produziert und stärkt, die man dann als Chauvinisten kritisiert.“ 211 Stçhr, Stellungnahme, 577. – Vgl. Geiss, Israel, 578; Ders., Antwort, 81; Grab, Mittelostkonflikt, 76; und Kunath, Israel [2. Teil], 21. 212 Malachy, Nein, 99. 213 Vgl. Teil III, 3.3.2. 214 Malachy, Nein, 100. – Vgl. Benedict, Fronten, 90. 215 Gollwitzer/Kusche, Studenten, 401. 216 Stçhr, Stellungnahme, 577; gegen Internat. Seminar in Beirut, Erklärung.
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Entstehung nach in wesentlichen Teilen eine bürgerliche Nationalbewegung mit Kolonisationsambitionen gewesen“ sei.217 Gegen den Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Die alte Vorhaltung, der jüdische Staat würde seine arabische Minderheit diskriminieren, erhielt mit der Besetzung der eroberten Gebiete und den hier lebenden Palästinensern neue Nahrung. Grundsätzlich wurde das Monitum, Israel sei ein nationalistisch-rassistisches Gemeinwesen, mit der Bemerkung zurückgewiesen, dass der zu Unrecht gescholtene Judenstaat allen seinen Bürgern die Menschenrechte gewähre, was in vielen als ,fortschrittlich‘ gepriesenen Ländern der Dritten Welt nicht der Fall sei.218 Im Gegensatz zu den Arabern kenne der israelische Bürger „noch keinen Haß“ gegen andere Volksgruppen.219 Israel habe das osmanische Millet-System übernommen und dadurch allen religiösen Minderheiten Autonomie gewährt: „Das Privatleben katholischer Bürger Israels wird katholischer geregelt, als das der Italiener in Italien, der Heimat der Mutterkirche.“220 Die etwa 300 000 arabischen Staatsbürger Israels seien völlig gleichberechtigt und integriert: „Zum ersten Mal ziehen israelische Araber, Männer wie Frauen, als Arbeiter in israelische Industriegebiete unter gleichen sozialen Bedingungen wie die jüdischen Arbeiter ein.“221 Die arabische Bevölkerung profitiere vom wirtschaftlichen Aufschwung und vom gesellschaftlichen Fortschritt des Landes. Auch gegenüber den Arabern im besetzten Westjordanland verhalte sich Israel fair. Daran ändere auch das Fehlverhalten einzelner Politiker nichts. „Die Israelis haben den Arabern die Verwaltung voll überlassen […] Freizügigkeit in ganz Israel ist ihnen gewährt, Auslandsreisen sind gestattet […] Der Jordan ist eine halboffene Grenze geworden, über die täglich fleißig gehandelt wird.“222 Die Annektierung Ost-Jerusalems habe 60 000 Arabern die volle Gleichberechtigung mit den Israelis und den Anschluss an das Wassernetz gebracht. Araber „aus Ost-Jerusalem, Judäa und Samaria“ könnten sich gleichberechtigt an der wiedervereinigten Hebräischen Universität einschreiben und würden damit einen Beitrag zur Annäherung der beiden Nationen leisten.223
217 Dietrich, Zionismus, 471. 218 So Grab, Mittelostkonflikt, 76. – Vgl. v. Imhoff, Generation, 14: „Israel hat bisher bewiesen, daß es mit Minderheiten leben kann. Man vergleiche das Schicksal der Drusen in Israel mit dem derjenigen im Irak!“ – S. a. Rothschild, Wissen, 79; und Stçhr, Stellungnahme, 574. 219 Lell, Judentum, 479. 220 Lapide, Unglaube, 361. 221 v. Imhoff, Generation, 14. 222 Kunath, Israel [1. Teil], 257. – Vgl. Grab, Mittelostkonflikt, 76 (Bezug auf Minister M. Dayan); und Rothschild, Wissen, 79. 223 So Lapide, Laboratorium, 11.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
Bewusste Zurückhaltung gegenüber Kritik an Israel: Kein Artikel behauptete, man dürfe die Entscheidungen der israelischen Regierung nicht kritisieren. Angesichts der vielen Vorhaltungen gegenüber Israel bestanden proisraelische Autoren lediglich auf einer fairen und situationsgerechten Kritik: „Der große Unterschied, wie man diese Fragen stellt, ist entscheidend. Stellt man sie vom hohen Roß desjenigen, der selbst nicht in dieser Lebensgefahr steht, und der es leicht hat, moralisch zu verurteilen, […], oder stellt man sie im Bewußtsein der höchsten Bedrängnis, in der sich das israelische Volk und auch die israelische Regierung befinden […]?“224
Die Menschen im jüdischen Staat würden unter der Überheblichkeit ihrer westlichen Kritiker leiden. Es wurde ein Israeli zitiert, der beklagt, dass selbst die sich liberal und weltoffen gerierenden Christen versuchten, „uns moralische Belehrungen für unseren Krieg mit den Arabern zu geben.“225 Nur wer alle Faktoren beachte, die auf den Nahostkonflikt einwirkten, dürfe an der israelischen Politik Kritik üben. Dezidierten Israelkritikern wurde vorgeworfen, „sich die Sicht für die Realität“ verstellt zu haben und bloß „Vorurteilen und Halbwahrheiten Vorschub“ zu leisten.226 Der Blick auf den Staat Israel und die zionistische Bewegung müsse genauso differenziert erfolgen wie die Beurteilung der arabischen Länder, bei denen man sich ja redlich bemühe, fortschrittliche Entwicklungen positiv zu würdigen.227 Die deutschen Medien würden aufs Ganze gesehen ein einseitig israelkritisches Bild des Nahostkonflikts liefern. Es handele sich hier um eine „verkürzte Optik, in der der deutsche Zeitungsleser die Situation Israels erfährt.“228
3.4.3 Kritik an ,antiisraelischen‘ Institutionen und Kreisen Kritik an den arabischen Kirchen: Verschiedene Zeitschriftenaufsätze beklagten, dass die Kirchen im Vorderen Orient einseitig ihre Solidarität zu den arabischen Regierungen bezeugten. Sie würden ihre politische Einseitigkeit auch theologisch zu legitimieren versuchen, indem sie das Judentum seiner Verheißungen beraubten. Der christliche Antijudaismus sei im Nahen Osten noch stärker ausgeprägt als der islamische, weil den Christen die Judenfeindschaft „aus christlicher Tradition kräftiger eingeflößt wurde als den Moslems. Wie weit Versuche tragen, den Gemeindegliedern die Kontinuität zwischen Israel einst und jetzt nahezubringen, bleibt ungewiß.“229 Die ori224 Gollwitzer/Kusche, Studenten, 401. – S. a. ASZ, Dienst, 646; und v. Hammerstein, Ökumene, 20 (Bezug auf G. Harder). 225 Lell, Judentum, 480. 226 Pfisterer, De Gaulle, 38. 227 So Sozialist. AK, Erklärung. – Vgl. Grab, Mittelostkonflikt, 74 u. 79. 228 Rothschild, Wissen, 79. 229 Kunath, Israel [2. Teil], 21. – S. a. Lçffler, Enklave, 285.
Parteinahme für den Staat Israel
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entalischen Kirchen würden zwar für die Rechte der Palästinenser eintreten, sprächen aber nicht vom Leiden der Christen oder Juden in den arabischen Staaten sowie vom jüdischen Flüchtlingsproblem. Ihre politischen Positionen führten somit zu einer Stärkung der israelfeindlichen Kräfte im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und im Vatikan: „Da nun diese orientalischen Kirchen entweder Teil der römischen Kirche oder Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates sind, taktiert man in Rom natürlich vorsichtig, in Genf aber allzu vorsichtig und manchmal schon an der Grenze der Diskriminierung der Juden in Israel.“
Die Muslime hätten ihr politisches Ziel erreicht, „die christlichen Denominationen für den Kampf gegen Israel“ zu gewinnen.230 Auffallend sei gewesen, dass die Kirchen, welche jedes Vorgehen Israels zu tadeln pflegten, auf einmal geschwiegen hätten, als die UN-Truppen vor dem Junikrieg 1967 von der Sinai-Halbinsel abgezogen seien und Israels Grenze nach Ägypten ungeschützt zurückgelassen hätten. Kritik an westlichen Kirchen und ökumenischen Vereinigungen: Den Artikeln zufolge habe die israelkritische Haltung arabischer Kirchen den ÖRK und den Vatikan sowie zahlreiche ökumenische Initiativen stark beeinflusst. So würden die Christen aus dem Nahen Osten dazu beitragen, dass sich auch in westlichen Kirchen eine auf dem theologischen Antijudaismus basierende Israelfeindschaft hielte.231 In erster Linie brandmarkten die Autoren an den kirchlichen Stellungnahmen aus dem Umfeld des Sechstagekrieges, dass sie sich zwar um den Frieden und das Flüchtlingsschicksal, nicht aber „um den physischen Bestand des Volkes im Staat Israel“ sorgten.232 So wie die Kirchenleitungen „während der Zeiten von Auschwitz“ geschwiegen hätten, so würden sie es heute angesichts der arabischen Vernichtungswünsche wieder tun.233 Die Drohungen gegenüber Israel würden nicht ernst genommen werden. Nach dem Sechstagekrieg geriet der ÖRK erneut ins Visier der Kritik, als Generalsekretär Eugene Carson Blake anlässlich des Münchner Attentats 1972 mehr die Härte der Polizei anklagte als die Erpressung durch palästinensische Terroristen.234 Mit der aufkommenden Palästinenser-Wahrnehmung in Europa entstanden die ersten Ansätze einer propalästinensischen politischen Theologie, die im Kontext der Befreiungstheologien von ökumenischen Initiativen in die westdeutschen Kirchen getragen wurden. Ein Text distanzierte sich aus-
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V. Imhoff, Minarette, 114 u. 113. – Vgl. Malachy, Nein, 99. – Zum ÖRK s. unten. So Gjerding, Elemente, 159; Lçffler, Enklave, 285; und Malachy, Nein, 100. Ebd., 98. – S. a. Pfisterer, Präsenz, 155. Barth, Israel, 590. Vgl. Kçnig, Abschied. – S. a. auch Teil IV, 1.
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Dritte Phase (1967 – 1972)
drücklich von der hier zugrunde liegenden Gleichsetzung von ,Armen‘ mit Palästinensern, weil das die Christen nur einseitig in die Pflicht nehme: „Die Schlußfolgerung daraus ist einfach: Da die Kirche immer auf der Seite der Armen stehen muß, muß sie unbedingt – dies wird manchmal sogar als bedingungslos missverstanden – für die Sache der Palästinenser eintreten und sich darum gegen Israel stellen.“235
Kritik an der antizionistischen Linken: Einen gewissen Raum nahm in den Zeitschriften die Auseinandersetzung mit der proarabischen Neuen Linken ein, von denen sich israelfreundliche ,Altlinke‘ zusammen mit anderen abgrenzten: „Seit dem Ausbruch der Nahostkrise im Mai 1967, zunehmend seit dem Sieg der Israelis Anfang Juni, haben Teile der Linken des Westens begonnen, den Staat Israel anzuklagen. Sie folgten damit der offiziellen Politik des Ostblocks.“236 Die Auffassungen der Neuen Linken würden einen doktrinären Charakter aufweisen und sich in ihrer Argumentation „fragwürdiger Abstützhilfen“ bedienen.237 Vom hohen Ross herab werde Israel abgeurteilt, als Befehlsempfänger des ,US-Imperialismus‘ oder sogar als faschistisch diffamiert.238 Verwunderlich sei besonders, dass sich die Linke so ausschließlich auf den israelisch-arabischen Konflikt gestürzt habe und kaum Interesse an Ungerechtigkeiten in anderen Regionen der Erde zeige.239 Es werde z. B. die Unterdrückung des palästinensischen Volkes angeklagt, aber nicht die Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Truppen verurteilt. Als Beispiel der neuen antiisraelischen Linken galt der von einer „antiimperialistischen und antikapitalistischen Ideologie“ indoktrinierte Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der hinter vielen israelfeindlichen Kundgebungen stehe.240 Hier würde man mit einer „kurzschlüssigen Logik“ die Frontstellung des Vietnamkriegs auf die Kontrahenten des Nahostkonflikts übertragen und „Israel mit den USA, Al Fatah mit dem Vietkong“ gleichsetzen, um so „zu einer überwiegend unreflektierten und pseudorevolutionären Identifizierung mit der arabischen Sache gegen Israel zu gelangen.“241 Auch würde nicht gesehen, dass die arabischen Staaten gar nicht sozialistisch, sondern eher ,halbfaschistisch‘ seien: „Gerade diese Gruppen, die so erbarmungslos die Fehler der westlichen Demokratien aufgedeckt haben, sind nicht fähig zu sehen, daß sie in den arabischen Staaten 235 Pfisterer, Präsenz, 155; Bezug auf die frz. Palästinenser-Solidarität. 236 Kunath, Israel [2. Teil], 20. – Vgl. Geiss, Israel, 578; Ders., Antwort, 81; Gollwitzer/ Kusche, Studenten, 400; Malachy, Nein, 100; Pfisterer, Präsenz, 154; Rothschild, Wissen, 79; und Weckerling, Search, 406. 237 Benedict, Fronten, 90. 238 S. a. Teil III, 3.4.2. und 3.5.2. 239 So Rothschild, Wissen, 80. – Vgl. Dietrich, Zionismus, 471 u. 474. 240 Stammler, Komplicenschaft. – Vgl. Geiss, Israel, 557. 241 Geiss, Israel, 581.
Parteinahme für den Staat Israel
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halbfeudale Gebilde vor sich haben, die Milliarden für die Rüstung aufwenden, die sie den unterentwickelten Millionen der Fellachen vorenthalten.“242
In solchen Zusammenhängen tauchte in größerem Ausmaß der Begriff Antizionismus als zeitgenössische Spielart des Antisemitismus auf. Die in propalästinensischen Kreisen zu hörende Erklärung, „daß die gegenwärtige arabische Feindschaft gegen Israel nicht vom Antisemitismus herrühre, ist eine Leerformel, da Haß gegen Israel oder Antizionismus zu den gleichen Vernichtungsschlägen führen können.“243 In einer irrationalen Weise sei der Zionismus in den Augen der Araber zum ,Sündenbock‘ schlechthin geworden. Antizionismus sei deshalb Antisemitismus, weil man „nicht nur dem einzelnen Juden, sondern Israel als Volk das Recht auf eine national-jüdische Existenz“ abspreche.244 In Deutschland versuche man mit Hilfe des Antizionismus „das christliche Gewissen von dem Schuldkomplex der Judenvernichtung“ zu befreien.245 Die linke Israelfeindschaft sei deshalb eine Neuauflage des alten Antisemitismus und gerate dadurch „in eine höchst verdächtige Komplicenschaft mit den alten Reaktionären.“246 Es sei kein Zufall, dass linkswie rechtsradikale Gruppen in ihrem Hass auf den ,Weltzionismus‘ das gleiche antisemitische Vokabular benutzen würden. Gegenüber dieser Bekämpfung des linken Antizionismus im Westen fiel die bereits aus Phase I und II bekannte Qualifizierung der kommunistischen Staaten als judenfeindlich kaum ins Gewicht. Nur vereinzelt wiesen Textpassagen darauf hin, dass die israelfeindliche Politik des Ostblocks dort „zu einem kräftigen Wiederaufleben des alten Antisemitismus“ geführt habe.247 In der UdSSR würden Juden, die sich öffentlich zu ihrem Jude-Sein bekennten, automatisch als ,zionistische‘ Agenten diffamiert.248
3.4.4 Kritik am palästinensischen Terrorismus Neu war in diesem Zeitabschnitt die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus palästinensischer Provenienz. Viele Texte waren von der Überzeugung 242 Kunath, Israel [2. Teil], 20. – Vgl. Gollwitzer/Kusche, Studenten, 400; und Grab, Mittelostkonflikt, 74. 243 Stçhr, Stellungnahme, 574 f; gegen Internat. Seminar in Beirut, Erklärung. 244 Pfisterer, Präsenz, 155. 245 Malachy, Nein, 102. – S. a. ebd.: „Der Jude, der sich als Sieger und Eroberer erwies, dem es gelang, die Existenz seines Staates mit Waffengewalt zu sichern […] – dieses neue Phänomen beseitigte völlig das traditionelle Bild, das dem christlichen Mythos vom ,ewigen Juden‘ entsprach.“ 246 Stammler, Komplicenschaft. – Vgl. Stendahl, Judentum, 78; Geiss, Israel, 557; Hondrich, Juden, 633; Rothschild, Wissen, 80; und Weckerling, Search, 406 (Bezug auf das Quäker-Dokument „Search for Peace in the Middle East“). 247 Kunath, Israel [2. Teil], 20. 248 So v. Imhoff, Generation, 160.
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bestimmt, dass die palästinensische Befreiungsorganisation Al Fatah zusammen mit ähnlichen Zusammenschlüssen das Ziel verfolge, Israel auszulöschen. Angesichts „des spektakulären Aufstiegs von Al Fatah und seinen Verbündeten“ nahmen die Autoren nicht mehr nur die arabischen Staaten als Feinde Israels wahr. PLO-Chef Jassir Arafat sei selbst zu einer Bedrohung für die Regierungen der arabischen Welt geworden. Die Strategie der palästinensischen Freischärler sei dabei trügerisch und selbstmörderisch: „Ihr Ziel ist es, die gesamte arabische Welt in einen totalen Krieg mit Israel zu stürzen, ohne Rücksicht auf die Siegeschancen oder die Folgen.“249 Selbst wenn sich Arafat inzwischen geändert haben sollte und keinen Völkermord mehr plane, so beabsichtige er doch einen Staatsmord, einen ,Politizid‘.250 Die GuerillaKämpfer gingen gegen unschuldige Zivilisten, sogar gegen Kinder vor und könnten deshalb als ,Mörder‘ bezeichnet werden.251 Deren Rücksichtslosigkeit zeige sich bei verschiedenen Flugzeugentführungen und Geiselnahmen, bei der Auslösung des Bürgerkriegs in Jordanien 1970 und bei Münchner Geiselnahme 1972. Das „schrecklicher Massaker von München“ habe sowohl die „Sympathie für die Sache der Palästinenser“ schrumpfen lassen als auch „die Hoffnungen auf ein einigermaßen friedliches Arrangement in der palästinensischen Frage auf absehbare Zeit vernichtet.“252 Selbst Verfasser von Artikeln, die sich angesichts der Verschärfung des bundesdeutschen Ausländerrechts auf die Seite der Araber stellten, äußerten sich schockiert über das Töten unschuldiger Menschen durch Palästinenser : „Nach dem 5. September in München wird nichts mehr so sein wie vorher […] Der Terror muß direkt und überall, wo er auftritt, vorbeugend bekämpft werden.“253 In den Augen der Autoren verschärfte der Terror den Nahostkonflikt zunehmend, weil er die israelische Regierung zu harten Maßnahmen zwinge.254 Mit Dekolonialisierung bzw. Abwehr des ,Neokolonialismus‘ hätten die palästinensischen Terroristen genauso wenig gemein wie mit den antifaschistischen Widerstandsbewegungen während des Zweiten Weltkriegs.255 Wenn ein 249 Flapan, Friedensinitiative, 593. – S. a. Bewegung f. Frieden und Sicherheit, Friedensprogramm, 603 250 So Grab, Mittelostkonflikt, 77 f. 251 So Kunath, Israel [1. Teil], 269; und Christlich-jdische Arbeitsgemeinschaft, Naher Osten, 617. 252 V. Kortzfleisch, Tod, 515; und Stammler, Weltbürgerkrieg, 577. – So wurde bereits über frühere Terrortaten geurteilt. – S. a. Janowski, Weltkrieg, 566: „Damit haben sie [d. h. die Terroristen, GG] nicht nur ihre politischen Ziele, für die die Palästinenser in der Weltöffentlichkeit mehr und mehr Verständnis gefunden hatten, gründlich desavouiert, sondern dafür gesorgt, daß diese politischen Ziele sich durch die kriminellen Methoden hindurch überhaupt nicht mehr artikulieren lassen.“ 253 Koch, Belagerungszustand, 578. 254 So Grab, Mittelostkonflikt, 79. 255 So Kunath, Israel [1. Teil], 269. – Vgl. Stçhr, Stellungnahme, 577: „Den Konflikt IsraelAraber in das grobe Raster des Neokolonialismus einzuspannen, heißt die Tatsachen zu vergewaltigen.“
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Autor dabei den Vergleich zwischen den ,Freiheitskämpfern‘ der Al Fatah und der Vietcong für unzulässig hielt, wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass die ,hehren Ziele‘ der Vietcong nicht mit den unseligen Attentaten der palästinensischen Terroristen auf eine Stufe gestellt werden durften.256 Gewaltsamer Widerstand könne nur als eine wirkliche Ultima ratio bejaht werden, aber eine solche Situation sei im Nahostkonflikt nicht gegeben, da man die Möglichkeit zu Verhandlungen noch nicht ausgeschöpft habe.
3.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite 3.5.1 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Lebensrechts Anerkennung des arabisch-palästinensischen Selbstbestimmungsrechts: In Phase III entdeckten die Autoren erstmals die Notwendigkeit, für das Lebensrecht der nun als ,Palästinenser‘ wahrgenommenen Araber Palästinas in einer Weise einzutreten, die über bloße Flüchtlingshilfe hinausging. Nicht die Interessen der arabischen Staaten, sondern die der palästinensischen Bevölkerung wurden unterstützt: „Es sei nicht zuletzt Aufgabe unserer Kirche, treuhänderisch […] die Interessen der nichtjüdischen Bevölkerung zu vertreten.“257 Um die legitimen Interessen der Palästinenser anerkennen zu können, dürfe man sie nicht nur als Gegner Israels betrachten, sondern müsse „diese längst verschlissene Freund-Feind-Schablone“ überwinden.258 Darüber hinaus unterstützten die Aufsätze – unabhängig von der Frage nach einem souveränen Staat – den Wunsch der Palästinenser nach nationaler Selbstbestimmung: „Die Palästinenser wollen nicht mehr das Objekt der karitativen Hilfe oder des politischen Kalküls sein; sie wollen selbst handeln und als Subjekt in die sie in erster Linie angehende Frage eingreifen.“259 In den Artikeln wurde um Verständnis für eine Nationalbewegung wie Al Fatah geworben, weil diese nur aufgrund der israelischen Härte entstanden sei: „Die sich ständig verringernde Wahrscheinlichkeit einer politischen Lösung des Nah-Ost-Konfliktes auf Grund der israelischen Unnachgiebigkeit hat zur Gründung von Palästina-Befreiungsbewegungen geführt.“260 Auch in den Gewaltakten – der Begriff Terrorismus wurde gemieden – sahen manche Autoren nur eine Reaktion auf den Angriffskrieg der Israelis 1967 und die sich daran anschließende Besatzung. Man könne nicht die militärischen Vorstöße der Israelis als legitime Verteidigungsmaßnahmen rechtfertigen und den pa256 257 258 259
So Geiss, Israel, 581. v. Wahlert, Brot, 58; Bezug auf Vikar Wehrmann von der Jerusalemer Propstei. Braunschweig, Palästinenserfrage, 575. Ebd., 573. – Vgl. Benedict, Fronten, 92; Mller-Rçmheld, Rat, 599 (Bezug auf die Erklärung des ZK des ÖRK von Canterbury vom 20. August 1969); und Sozialist. AK, Erklärung. 260 Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573. – Vgl. Braunschweig, Libanon, 345.
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lästinensischen Befreiungskampf pauschal als Terrorismus brandmarken.261 Al Fatah verstehe sich als ,antifaschistische’ „Widerstandsbewegung“, „als revolutionäre Bewegung mit humanitären Zielen“, vermeide „die Tötung von Kindern und Unschuldigen“ und wende sich nur gegen die israelische Besatzung und Kolonisierung.262 Die nicht zu verleugnenden Negativ-Seiten der Bewegung wurden in den Textpassagen auf den syrischen bzw. ägyptischen Fremdeinfluss zurückgeführt. Neben der Herleitung des Terrorismus aus dem israelischen ,Eroberungskrieg‘ sah man die Ursache der palästinensischen Gewalt in der „faktische(n) Diskriminierung der Araber“ in Israel und den besetzten Gebieten.263 So befänden sich die Palästinenser in einer ähnlichen Lage wie z. B. die Schwarzen in Südafrika, womit Israel zu einem Apartheidsregime erklärt wurde: „Wir meinen, daß das Leben des vietnamesischen Volkes auf Grund der amerikanischen Aggression, das Leiden der farbigen Völker Südafrikas auf Grund der Apartheid, das Leiden der farbigen Völker Rhodesiens infolge des weißen Rassismus und das Leiden der Araber wegen des israelischen Zionismus analog sind und in einem Zusammenhang gesehen werden müssen.“264
Überhaupt galt nun die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Israel und den Arabern als ein Zusammenprall zwischen Erster und Dritter Welt und sei somit „eine besonders tragische Form der Begegnung zwischen den reichen Ländern und denen, die sich in der Entwicklung befinden.“265 Virulent wurde die Terrorismusdebatte konkret nach dem Münchner Geiseldrama von 1972.266 Nun gerieten die proarabischen Autoren in die Defensive. Anstatt die Täter zu verteidigen, griffen die Texte die Anti-Terror-Politik der Bundesregierung an. Die Maßnahmen gegen terrorverdächtige Ausländer würden vorwiegend oder gar „immer nur die Unschuldigen“ treffen. Die Möglichkeit, dadurch neue Anschläge zu verhindern, wurde mit der lapidaren Auskunft abgetan, „daß echte Terroristen vermutlich über einwandfreie Pässe 261 So Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 585 f. – S. a. Braunschweig, Palästinenserfrage, 574: „Die Orientalen sind ihrer Konstruktion nach keine Selbstmordkandidaten; vielmehr ziehen sie es vor, unnötigen oder unabsehbaren Risiken auszuweichen. Die Einsatzbereitschaft der palästinensischen Kommandos ist die Ausnahme.“ 262 CFK, Vereinte Nationen, 146; und Benedict, Jordanien, 581 u. 584. – Vgl. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573: „Für die palästinensischen Araber scheint diese Bewegung eine den europäischen Widerstandsbewegungen in den von den Nazis besetzten Ländern während des Zweiten Weltkriegs vergleichbare Rolle zu spielen.“ – S. a. Pfr. und Missionare im Libanon, Appell, 586. 263 Geiss, Israel, 567. 264 Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573. 265 Frz. Regionalausschuss, Frieden, 383. – Vgl. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573: „Der Kampf der arabischen Völker ist vergleichbar den nationalen Befreiungskämpfen vieler anderer Völker in der Dritten Welt.“ 266 S. a. Teil IV, 1.
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und Alibis verfügen dürften.“267 Um palästinensische Gewaltakte künftig zu verhindern, müssten andere Konsequenzen gezogen werden: „Wozu wir uns nach dem Schock von München wirklich aufrufen lassen sollten, ist die Veränderung der Lebensverhältnisse, in denen Menschen zu Terroristen werden.“268 Man sorgte sich nicht um eine Verschlechterung des deutsch-israelischen Verhältnisses durch die eventuelle Duldung von Terroristen im Land, sondern befürchtete vielmehr, dass die Maßnahmen der Bundesregierung der Auftakt zu einer neuen Ausländerhetze sein könnten: „Wird der in jedem Volk latent vorhandene Fremdenhaß und Rassismus durch das Vorgehen gegen ,die Araber‘ nicht geschürt werden?“269 Anerkennung des arabisch-palästinensischen Wunsches nach einem eigenen Staat: Zum ersten Mal berichteten die Periodika über das Streben der palästinensischen Bewegung nach einem eigenen Staat, und das durchaus wohlwollend: „Golda Meirs arrogantes Wort, es gäbe schon 14 arabische Staaten, und sie wüsste nicht, welchen Vorteil ein fünfzehnter bringen könnte, läßt jedoch nicht viel an israelischer Einsicht in dieser Richtung erwarten.“270 Man nahm zustimmend zur Kenntnis, dass sich ein mögliches palästinensisches Gemeinwesen nicht nur von Israel abgrenze, sondern auch zu Jordanien auf Distanz gehe: Denn die palästinensische Bewegung strebe nach einem sozialistischen Gesellschaftsmodell, weshalb sie nicht nur den westlich geprägten Staat Israel problematisieren würde, sondern gleichermaßen das ,feudalistisch‘ regierte Jordanien, was deutlich mache, dass der Antizionismus der Palästinenser kein Antisemitismus sei.271 So wurde die Vision von der Gründung eines Staates Palästina von den Autoren bejaht, zumal dies den Palästinensern ein positives Ziel vorgebe: „Haben die christlichen Kirchen das theologische, politische Gewicht der Ziele zur Kenntnis genommen, die die palästinensische Revolution verfolgt, nämlich nicht die Vernichtung des jüdischen Volkes, sondern die Errichtung eines wirklich demokratischen Staates?“272
3.5.2 Verständnis für Israelkritik bzw. Israelfeindschaft Allgemein: Einen breiten Raum nahm die Diskussion um eine sachgerechte Israelkritik ein. Ausgehend vom ideologischen Anliegen, dass Kriege und 267 268 269 270 271 272
Koch, Belagerungszustand, 578. Braunschweig, Schock, 479. Koch, Belagerungszustand, 578. Geiss, Israel, 573 f. So Braunschweig, Palästinenserfrage, 574. Vischer, Christen, 274; Bezug auf arabische Positionen bei der christlich-islamischen Begegnung des ÖRK in Cartigny im März 1969.
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Nationalstaaten in einer egalitären Weltgemeinschaft aufzuheben seien, fanden die Autoren die Kritik an einem Land folgerichtig, das sich militärisch zu wehren wusste und bewusst jüdisch bleiben wollte. Denn gerade wer „als junger antichauvinistischer Deutscher, ohne Vergasungskomplex mit entsprechendem unkritischem Philosemitismus […] aufmerksam und kritischen Auges heute durch Israel geht“, könne an den problematischen Aspekten dieses Landes nicht vorbeisehen.273 Der deutsche Philosemitismus dürfe nicht dazu führen, dass man Israelis in eine Sonderrolle dränge. Die Textpassagen wehrten sich dagegen, durch theologische Zuschreibungen den Staat Israel der Kritik enthoben sein zu lassen; das sei „religiöse Schwärmerei“. Zudem sei es auch ein Kennzeichen der biblischen Prophetie gewesen, auf das Unrecht der Könige des Gottesvolkes hinzuweisen. Weil das moderne Israel „einen Blitzkrieg mit Napalm“ geführt habe, sei es deshalb genauso zu tadeln wie andere Staaten, die dasselbe täten.274 Auch Zeitschriftenartikel, die für den Staat Israel eintraten, behaupteten nicht, „daß Israel stets im Recht ist oder daß sein politisches Verhalten und seine Ansprüche stets von allen unterstützt werden müßten.“275 Deshalb hätte es der israelische Botschafter Asher Ben-Natan verstehen müssen, dass er bei seiner Vortragsreise 1969 von linken Studenten und ihren arabischen Kommilitonen herausgefordert worden sei.276 In einer offenen Diskussion sei es legitim, das politische Vorgehen des Staates Israel zu hinterfragen. Von dieser Warte aus nahmen verschiedene Texte die bundesdeutsche Medienlandschaft als einseitig proisraelisch und daher nicht objektiv wahr. Daher hätte es auch die westdeutsche Bevölkerung schwer, sich ein ausgewogenes Urteil zu bilden, denn „die proisraelische Manipulation durch die Presse hält uns gefangen.“277 Die Ursache dieser Manipulation sah man darin, dass sich der antikommunistisch orientierte Konservativismus des Themas Israel angenommen hätte: „Die seltsamsten Leute sind Freunde Israels geworden, was ihnen ja auch Gelegenheit gibt, alte Ressentiments gegen die Sowjetunion zu erneuern.“278 Wegen der schwierigen Lage der Palästinenser äußerten die Texte durchaus Verständnis dafür, dass die Kirchen im Nahen Osten die israelische Politik 273 Geiss, Israel, 579. – Vgl. ders., Antwort, 85. – Zum Philosemitismus s. a. Benedict, Jordanien, 579: „Aus guten Gründen sind wir Philosemiten und im arabisch-israelischen Konflikt spontan Partei. Aber unsere Parteinahme […] ließ uns kaum auf die Argumente der arabischen Seite hören, die schon immer ebenso gewichtig waren wie die israelischen, die nach dem JuniKrieg aber nur bei Infragestellung der eigenen humanitären Prinzipien weiter zu verleugnen sind.“ 274 Kroon, Israel, 608 f. 275 Stendahl, Judentum, 78. 276 So Stammler, Komplicenschaft. 277 Benedict, Jordanien, 584. – Vgl. Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 573. – G. Dietrich beklagte die „massiv proisraelische Propaganda der Springer-Presse“ (Dietrich, Zionismus, 471). 278 Kloppenburg, Bemerkungen, 378. – Vgl. Frz. Regionalausschuss, Frieden, 382.
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nicht gutheißen konnten: „Junge Menschen christlicher Herkunft sind heute im Libanon die radikalsten Anhänger Arafats und seiner El Fatah.“ Die Christen würden dabei nicht primär aus antijüdischen Motiven heraus handeln, sondern seien nur darum bemüht „die eigene Kirche vor Repressalien zu bewahren.“279 Der Vorwurf der Aggressivität und des Imperialismus: In den Artikeln wollte man die als öffentliche Meinung vermutete Ansicht widerlegen, der israelische Staat sei ein kleiner David, der im Sechstagekrieg einen übermächtigen arabischen Goliath besiegt habe. Im Gegenteil: Israel „tritt mit der Panzerung Goliaths auf.“280 Die Araber hätten daher durchaus Grund gehabt, sich „vor der Dynamik und einer möglichen Expansion Israels“ zu fürchten, was sich mit dem ,Aggressionskrieg‘ im Juni 1967 auch bewahrheitet habe.281 Selbst als ,Präventivkrieg‘ sei der israelische Angriff unnötig gewesen, denn bei den arabischen Drohungen habe es sich um reine Verbalattacken gehandelt. Erst nach der bitteren Erfahrung von 1967 seien die Araber vom bloßen Wort zur Tat übergegangen, was den Gedanken implizierte, dass Israel selbst für palästinensische Gewalttaten die Verantwortung trage. Die Expansionspolitik, die nach wie vor für Israel kennzeichnend sei, müsse scharf verurteilt werden: „Wir sind gegen Eroberung durch militärische Macht, eine Handlungsweise, durch die Israel sich im Nahen Osten seit seiner Gründung ausgezeichnet hat.“282 Die Besetzung ,Westjordaniens‘ offenbare die Gefährlichkeit des israelisch-zionistischen Imperialismus. Die israelische Aggressionspolitik zeige sich auch an den überzogenen Vergeltungsmaßnahmen, die belegen würden, „wie nervös und kurzsichtig die israelische Regierung auf die immer stärker werdenden palästinensischen Guerillas reagiert.“283 Dazu gehöre nicht nur der Einsatz von Napalm während der Kriegshandlungen, sondern auch der Vorfall von Karameh vom 21. März 1968: Aus lauter Frustration habe das israelische Militär die Flüchtlingsstadt dem Erdboden gleichgemacht.284 Israel Kampf gegen die arabischen Staaten wurde mit der US-Intervention in Vietnam und mit der Militärdiktatur in Griechenland verglichen. Die Ereignisse in Israel, Vietnam und Griechenland seien „ein Beweis dafür, daß die
279 V. Imhoff, Minarette, 112 u. 114. – Vgl. Ohse, Araber. 280 Geiss, Israel, 584. 281 ÖRK (ZA), Bewußtsein, 494. – Vgl. ders., Heraklion, 502; und ders., Kreta, 459. – S. a. Benedict, Jordanien, 582; Braunschweig, Libanon, 345; CFK, Erklärung [EvW], 537; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; Dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; de Gaulle, Wortlaut; Kloppenburg, Bemerkungen, 381; Ohse, Araber, 501; und Ulbricht, Botschaft, 387. 282 Internat. Seminar in Beirut, Erklärung, 572. – S. a. Benedict, Jordanien, 582; und CFK, Vereinte Nationen, 146 f. 283 Janowski, Knoten. 284 So Benedict, Jordanien, 578 f.
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konservativen Mächte in der ganzen Welt sich den Befreiungsbewegungen der Völker widersetzen.“285 Der Vorwurf des Nationalismus und Rassismus: Wie in den vorhergehenden Zeitabschnitten diagnostizierten die Texte in der israelischen Gesellschaft einen verhängnisvollen Nationalismus: „Wie auf dem Wege zur klassenlosen Gesellschaft die Diktatur des Proletariats leicht zum Selbstzweck werden kann, ist im Falle Israels die nationale Selbstbehauptung zum Selbstzweck geworden.“286 Frieden im Nahen Osten sei aber nur möglich, wenn Israel seine „nationalistische Überheblichkeit“ aufgebe und eine „Achtung vor der kulturellen Eigenart der islamischen Welt“ entwickle.287 Der bisherige patriotische Trotz Israels angesichts der äußeren Bedrohungen wandle sich mit dem Sieg von 1967 zu einer nationalistischen Euphorie. Das verwunderte zum einen, weil „das Judenvolk nun ausgerechnet bei dem Götzen Zuflucht sucht“, der es in Form des Nationalsozialismus „bis zum Verbluten verwundet hat.“288 Und das verwunderte zum anderen, weil die israelische Regierungspartei als links verortet wurde: „Ein gewisser Sog zum Nationalismus ist nicht zu verkennen. Und dieser ist sozialistisch geprägt. Das ergibt eine eigentümliche Form von ,Nationalsozialismus‘.“289 Auch wenn die hier angedeuteten Analogien zum NS-Staat nicht weiterverfolgt wurden, so fanden die Autoren im israelischen Gemeinwesen doch deutliche Ähnlichkeiten mit „dem wilhelminischen oder auch mit dem bundesrepublikanischen Deutschland.“290 Letztere wurden gleichermaßen als ,chauvinistisch‘ abgelehnt. Warnend verwiesen Aufsätze auf die biblischen Israeliten, denen auch „Grund und Boden genommen“ worden sei, sobald „nationalistische Züge“ überhand genommen hätten.291 Martin Bubers erneut gedruckter Essay stellte einen Kassandraruf gegen einen nationalistischen Zionismus dar : „Dieser ,Zionismus‘ entweiht den Namen Zion; er ist nichts mehr als einer der krassen Nationalismen unserer Zeit, die keine höhere Autorität als das – vermeintliche! – Interesse der Nation anerkennen.“292 In ähnlicher Weise sprach Margarete Susman vom „Fluch des Nationalismus“, der das Judentum von innen heraus gefährde.293 Dass die Redaktion der Jungen Kirche diese 20 Jahre alten 285 CFK, Erklärung [EvW], 538; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; und dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33 f. 286 Dietrich, Zionismus, 475. 287 CFK, Erklärung [EvW], 538; Dies., Erklärung [JK], 454; Dies., Friedenskonferenz; und dies. / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 33 f. 288 Brunner, Staat, 589. 289 Lell, Judentum, 478. – S. a. CFK / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Blick, 34; Mitarbeiter der CFK, Antisemitismus, 537; Dies., Verlautbarung, 219; Dies./Kloppenburg, Verlautbarung, 504 f; und O.Vf., Auf der Suche nach Frieden, 375. 290 Geiss, Israel, 579. 291 Kroon, Israel, 608. – S. a. Geiss, Antwort, 85. 292 Buber, Zionismus, 485. – Auch abgedr. bei: Buber, Jude, 349 f. 293 Susman, Hiob [1968], 591. – Vgl. Kloppenburg, Hinweis.
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Texte gerade in dieser Zeit der Öffentlichkeit zugänglich machte, ließ auf deren eigene Befürchtungen schließen. Vereinzelt wurde der Umgang Israels mit seiner arabischen Minderheit zum Anlass genommen, dem Nationalismus des jüdischen Staates einen rassistischen Beigeschmack zu geben. Denn auch wenn die Araber in Israel faktisch wohlhabender seien als ihre Landsleute im übrigen Orient, würden sie trotzdem „keinesfalls als vollberechtigte Staatsbürger angesehen“ werden.294 Schlecht gehe es vor allem den Dorfbewohnern, denen das beste Land weggenommen worden sei.295 Auch die Palästinenser in den besetzten Gebieten müssten sich mit Tätigkeiten weit unter ihrem intellektuellen Niveau zufrieden geben und würden deshalb fast automatisch bei den Widerstandsorganisationen landen. Grundsätzlich merke man: „[E]iner dünnen Erobererschicht steht eine fast ausschließlich arabische Bevölkerung gegenüber.“296
294 Kloppenburg, Bemerkungen, 380. 295 So Geiss, Israel, 565 f. 296 Benedict, Jordanien, 582.
Teil IV: Ausblick und Ergebnis
1. Ausblick Ein weiteres politisches Ereignis, das zur Reflexion über den Nahostkonflikt veranlasste, war die tödlich endende Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München am 5. und 6. September 1972.1 Das Verbrechen wurde einhellig verurteilt, zumal erstmals seit 1945 wieder Juden auf deutschem Boden umgekommen waren. Diskussionsstoff boten zum einen die Äußerungen von Eugene Carson Blake, dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Er sah bereits einen Tag nach dem Münchner Verbrechen dieses als eine Tat einzelner Extremisten an, die für den palästinensischen Befreiungskampf nicht repräsentativ seien. Zudem verurteilte er die deutschen Sicherheitskräfte zumindest indirekt dafür, den Forderungen der Geiselnehmer nicht nachgekommen zu sein. Dies löste bei der Bundesregierung und der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Empörung aus, die darin eine Einmischung in bundesdeutsche Angelegenheiten sowie eine Verharmlosung der Tat erblickten.2 Zum anderen diskutierten politische Kreise und kirchliche Gruppierungen über das von der Bundesregierung am 4. Oktober 1972 erlassene Verbot der Organisationen Generalunion palästinensischer Studenten (GUPS) und Generalunion palästinensischer Arbeiter (GUPA). Ihnen konnte die Regierung zwar keine Beteiligung an der Geiselnahme nachweisen, betrachtete sie jedoch als ideelle und finanzielle Unterstützer des bewaffneten Kampfes.3 Im Blick auf eine Bewertung des Staates Israel trugen diese Debatten kaum etwas aus. Primär um das Wesen des jüdischen Staates ging es aber in dem Streit um den antiisraelischen ,Offenen Brief‘ des Arbeitsausschusses der Evangelischen Studentengemeinden (ESG) an Bundeskanzler Willy Brandt vom 26. Mai 1973. Das Verbot palästinensischer Organisationen sowie die bevorstehende Israelreise des Bundeskanzlers vom 7. bis 11. Juni waren für einige ESG-Aktivisten Anlass 1 S. a. Dok. „Der Schatten von München wird bleiben“, in: Epd.ZA Nr. 173 vom 7 .9. 1972; EKD, Synodalbericht 22, 30; ELKB, Verhandlungen, Bd. 49, 17; Meldungen „Evangelische Trauer um die Opfer von München“, in: Epd.ZA Nr. 173 vom 7. 9. 1972; „Niemöller: Über München Vietnam nicht zu vergessen“, in: Epd.ZA Nr. 175 vom 11. 9. 1972; Vogel, Politik, Bd. 1, 435 – 457; und Weingardt, Nahostpolitik, 220 – 224. 2 So Auszug aus dem Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 21./22. September 1972 in Hannover, Kopie (EZA, 87/852); Blake, Telegram; Meldung „Blake kritisiert Polizeiaktion von Fürstenfeldbruck“, in: Epd.ZA Nr. 173 vom 7. 9. 1972; „Genscher weist Kritik des Weltkirchenrats zurück“, in: Epd.ZA Nr. 175 vom 11. 9. 1972; „Heinemann besucht den Weltkirchenrat“, in: Epd.ZA Nr. 176 vom 12. 9. 1972; „Der Weltkirchenrat zum Massaker von München“, in: Epd.ZA Nr. 177 vom 13. 9. 1972; und „Präsident Wischmann kritisiert Generalsekretär Blake“, in: Epd.ZA Nr. 183 vom 21. 9. 1972. 3 Zu GUPS und GUPA s. Abdel Hadi/El-Labadi/Paech, BRD, 123 – 130.
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Ausblick
genug, die palästinensischen Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Text des Briefs, an dessen komplizierter Entstehungsgeschichte auch arabische Studenten der aufgelösten GUPS beteiligt waren, gipfelte in der Aussage, dass sich die Politik des Staates Israel „in vieler Hinsicht nicht von der Politik eines faschistischen Staates unterscheidet.“4 Die sich daran anschließende Diskussion zeigte, dass diese vermeintliche Entlarvung der Israelis als die Nazis von heute selbst in den westdeutschen Studentengemeinden und den ihnen nahe stehenden Kreisen nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß.5 Mit dem Wesen des Staates Israel rang auch die EKD-Studie „Christen und Juden“ aus dem Jahr 1975,6 die als Kompromisspapier hinter vielen persönlichen Stellungnahmen zurückblieb. Gleichwohl wurde eine christliche Bedeutung dieser Entität von Seiten der verfassten Kirche festgeschrieben, auch wenn man in Details sehr unbestimmt blieb. Daran konnte sich auch künftig kaum etwas ändern. Der EKD-Text von 1975 wurde mit den beiden Studien von 1991 und 2000 fortgeschrieben; man hielt hier an der Dialektik fest, dass man die jüdische „Verbindung von Volk und Land“ zu würdigen habe, der israelische Staat jedoch ein säkularer Staat sei.7 Die nachfolgenden EKDStudien wichen damit von dem Weg ab, den der rheinische Synodalbeschluss von 1980 mit der Qualifizierung der „Errichtung des Staates Israel“ als „Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ gegangen war.8 Die neue EKD,Orientierungshilfe‘ von 2012 ließ die Rede vom ,Zeichen der Treue Gottes‘ der Begrifflichkeit nach wieder gelten, aber nur in dem Sinne, dass die israelische Staatsgründung „als ein Mittel“ erscheine, „um unter den Bedingungen der unerlösten Welt und angesichts der realen Konflikte im Nahen Osten Jüdinnen und Juden ein Leben im Land Israel in Recht und Frieden zu ermöglichen.“9 Weitere politische Geschehnisse, die zu Verlautbarungen aus dem protestantischen Bereich führten, waren der Jom-Kippur-Krieg im Herbst 1973 und der israelische Libanonfeldzug 1982. Während der arabische Überraschungsangriff vom 6. Oktober 1973 weitreichende Sympathiebekundungen zugunsten Israels hervorrief, resultierte aus der israelischen Besetzung des Südlibanons eine deutliche Imageverschlechterung des jüdischen Staates auch im Raum der Kirche. Die in den 1980er Jahren ausformulierte palästinensische 4 ESG-Arbeitsausschuss, Brief, 13. – S. a. „Offener Brief an Bundeskanzler Brandt zu seinem Israel-Besuch“, Kopie (EZA, 36/1320); und Gronauer, Politik. – Zu Brandts Israelreise vgl. Gerlach, Front, 100 f; Harpprecht, Kanzleramt, 175 – 211; und Vogel, Politik, Bd. 1, 453 – 457. 5 Darauf verweist das in den ESG-Nachrichten dokumentierte Pro und Contra. So beauftragte z. B. der badische Landesverband der EAiD, in der sich ehemalige ESGler sammelten, die Theologen Gollwitzer und Rendtorff zu einer ausführlichen Widerlegung des Offenen Briefes. So Gollwitzer/Rendtorff, Brief. – S. a. Vogt, Israel-Kritik, 198 – 203. – Vollständiger Text auch in EZA, 36/1288. 6 S. a. Teil II, 3.4.6. 7 Henrix/Kraus, Dokumente, E.III.24, 663. – S. a. ebd., E.III.72, 862 – 932; und EKD, Christen und Juden I – III, 2002. – Zur Orientierungshilfe von 2012 s. EKD/UEK/VELKD, Land. 8 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.29, 594. 9 EKD/UEK/VELKD, Land, 107 f.
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Befreiungstheologie brachte eine neue Hoch-Zeit christlicher Israelkritik mit sich, was Irritationen zwischen den Vertretern des christlich-jüdischen Dialogs und den Befürwortern der palästinensischen Freiheitsrechte provozierte. Ein derartiger Streit brach vor und während des Zweiten Golfkriegs aus, den alliierte Streitkräfte unter der Führung der USA im Januar und Februar 1991 gegen den Irak ausfochten. Anlass zur Diskussion waren die Vernichtungswünsche, die der irakische Präsident Saddam Hussein gegen den Staat Israel richtete, und die reale Bedrohung, in der sich Israel wiederfand, als ingesamt 39 irakische Scud-Raketen im Land einschlugen. Trotzdem protestierte die kirchliche Friedensbewegung des nun vereinigten Deutschlands zusammen mit ihren ,weltlichen‘ Pendants aufgrund der pazifistischen Vorgaben gegen den alliierten Waffengang und lancierte eine Kampagne unter der Parole ,Kein Blut für Öl‘. Der lippische Landessuperintendent Ako Haarbeck echauffierte dialogbereite Juden mit der Aussage: „Nicht einmal die Bereitschaft zu einem weiteren Völkermord des irakischen Herrschers Saddam Hussein, besonders an Israel, rechtfertigt den Krieg.“10 Die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (Kirchentags-AG), die ihr 30-jähriges Bestehen in diesem Sommer hätte festlich begehen wollen, geriet in eine tiefe Krise, weil unterschiedliche Einschätzungen des Krieges zur Entfremdung führten. Fünf Mitglieder des Vorstandes, darunter Edna Brocke und Martin Stöhr, gaben ihren Rücktritt bekannt. Noch im Februar bejahte ein ,Geheimpapier‘ der AG den alliierten Waffengang: „Wir sehen jetzt jedoch keine andere Möglichkeit als diese gewaltsame Beendigung der irakischen Aggression.“11 Ein weiterer Schauplatz des Diskurses um Israel/Palästina wurde der Ökumenische Weltgebetstag vom 4. März 1994, den palästinensische Frauen vorbereitet hatten. Die Liturgie stieß bereits im Vorfeld auf Kritik von Seiten proisraelischer Christen und prominenter Juden und veranlasste auch die Kirchenleitungen zu Stellungnahmen. Für Pnina Nav Levinson bediente die Liturgie klassische antijüdische Klischees und parallelisierte den gekreuzigten Juden Jesus mit den leidenden Palästinensern.12 Eine analoge Debatte entzündete sich im kleineren Rahmen am Weltgebetstag vom 7. März 2003, der von libanesischen Frauen erarbeitet worden war und ähnliche Fragen aufwarf wie 1994.13 So entstehen an den in der vorliegenden Studie angesprochenen Themen bis heute unentwegt neue Konflikte.
10 Zit. bei: Brocke, Auschwitz, 64. – Als Beispiel antiisraelischer Äußerungen kirchlicher Friedensaktivisten s. die Stellungnahme eines Studentenpfarrers: Veerkamp, Fayek. 11 Zit. bei: Kammerer, Haare, 139. 12 So Levinson, Beten. – Vgl. Bechmann, Schuhe; und Klein, Weltgebetstag. 13 S. a. Menzendorf, Kritik.
2. Ergebnis des historischen Teils 2.1 Erste Phase (1948 – 1957) Die Deutschen waren nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie mit ihren eigenen existenziellen und wirtschaftlichen Problemen und mit der Bewältigung der 1949 vollzogenen Teilung des Landes beschäftigt. Deshalb nahmen in quantitativer Hinsicht relativ wenige Protestanten die Schaffung des Staates Israel im Mai 1948 zur Kenntnis (woraus keine Schlussfolgerungen in qualitativer Hinsicht zu treffen sind). Insgesamt kann gesagt werden: Das Schwanken zwischen Neuanfang und Traditionswahrung kennzeichnete auch das Verhältnis des Protestantismus zum Judentum und zum neuen Staat Israel. Es beschäftigten sich zum einen die Einrichtungen und Vereine mit den Vorgängen im Nahen Osten, welche die dortige Arabermission verantworteten bzw. die Palästinadeutschen repräsentierten, zum anderen die judenmissionarisch ausgerichteten Kreise. Daneben existierten bereits die Protagonisten einer liberaleren Form der christlich-jüdischen Begegnung, die zu Mentoren der jüngeren Generation arrivierten und damit als ,progressiv‘ gelten konnten.
2.1.1 Die Palästinamission Während alle nichtjüdischen Deutschen das zukünftige Gebiet des Staates Israel bereits vor dessen Gründung verlassen mussten und deren private Besitztümer genauso wie kirchlicher Grund und Boden beschlagnahmt worden waren, konnten die protestantischen Werke im jordanisch gewordenen Teil des Heiligen Landes ihre Arbeit wieder aufnehmen. Auf den neuen jüdischen Staat blickten die im Palästinawerk zusammengefassten Organisationen, die Jerusalemer Propstei und das Kirchliche Außenamt der EKD einerseits aus der Perspektive der materiell Geschädigten, andererseits aus der Sicht sozialer Hilfswerke, die sich der arabischen Flüchtlinge karitativ anzunehmen wussten. Auffallend ist, dass sich Vertreter der Palästinamission in den verbreiteten kirchlichen Zeitschriften kaum zu Wort meldeten. Die Haltung zum Staat Israel zeigte sich eher in Eigenpublikationen und in internen Schreiben. Charakteristisch war der Reisebericht von Bernhard Karnatz aus dem Jahr 1952: Durch seinen Vergleich Palästina-Deutschland und Jerusalem-Berlin erhielt Israel implizit den Charakter einer ,Feindmacht‘ in Analogie zur Sowjetunion.1 Der 1 So Karnatz, Missionarisch-diakonische Arbeit im Heiligen Lande. Ein Reisebericht für die Freunde des Jerusalemsvereins von Juni 1952 (EZA, 6/1579).
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Geist des materiell Geschädigten und der Flüchtlingssolidarität prägte auch den Lutherischen Weltbund (LWB), der das Palästinawerk treuhänderisch, in den Verhandlungen mit der israelischen Regierung zwecks Entschädigungszahlungen für die kirchlichen Liegenschaften vertrat. Die Verhandlungsdokumente selbst waren sachlich gehalten; antijüdische Ausfälle gegen Israel waren ihnen nicht zu entnehmen, auch wenn andere Texte, z. B. der Kriegsbericht Edwin Molls von 1948, von einem antisemitischen Unterton bestimmt waren.2 Die Schaffung des Staates Israel war auf alle Fälle ein finanzieller und organisatorischer Störfaktor in der Palästinamission.
2.1.2 Die Judenmission Die Position, dass die Juden in erster Linie zu Christus zu finden hätten und dass sich an Christus ihr Heil entscheide, dominierte viele kirchliche Veröffentlichungen dieser Zeit. Den judenmissionarischen Kreisen ging es nach 1945 keineswegs um eine bloße Wiederherstellung der bisherigen Aktivitäten. Sie reorganisierten sich im Bewusstsein der nationalsozialistischen Verbrechen, auch wenn sie daraus noch andere Lehren zogen als spätere progressive ,Israeltheologen‘. Die Proponenten der Judenmission bezogen ihre Legitimation gerade aus der nationalsozialistischen Unterbindung der Judenmission. Die Existenz eines jüdischen Staates in der Levante evozierte die Frage, wie man unter den neuen Umständen dem missionarischen Anliegen und insbesondere der Verbundenheit mit den dortigen Christen jüdischer Herkunft gerecht werden könne. Die israelische Staatsgründung wurde hier als ein äußerst ambivalentes Unterfangen wahrgenommen, das eine Deutung im Blick auf Christus verlangte. Der Staat Israel irritierte, weil er bestimmte politische Fragen an die Theologie stellte und dem klassischen eschatologischen Denken zu widersprechen schien, wonach den Juden das himmlische Jerusalem und nicht das irdische Palästina geweissagt sei.3 Grundsätzlich sah man das gegenwärtige Judentum in einer Verbindung zum biblischen Gottesvolk stehen und wusste den Staat Israel auch als Zufluchtsstätte der Verfolgten zu würdigen. Während die einen die Weissagung des Landes im Wirken Christi erfüllt sahen, spielten andere behutsam mit dem Begriff der ,Verheißung‘, grenzten sich aber gleichermaßen von apokalyptischen wie nationalen Interpretationen ab. Man blickte sorgenvoll auf eine zionistische ,Blut und Boden‘-Theologie und beschwor damit faktisch das Menetekel eines neuen Nationalsozialismus herauf, diesmal in jüdischer Gestalt. Wenn Deutsche, die gerade den Hitlerstaat hinter sich gelassen haben, derart mit Vergleichen zum Nationalsozialismus ope2 So Bericht Molls vom 19. 8. 1948 (EZA, 2/351 und 6/1610). 3 Vgl. Hartenstein, Israel, 66.
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Ergebnis des historischen Teils
rieren, beurteilt man das heute vielfach als sekundären Antisemitismus aus Schuldabwehr.4 Insbesondere sah sich der Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel (Zentralverein) dazu aufgerufen, gegen pietistisch-endzeitliche Optionen vorzugehen. Diese manifestierten sich in dieser Zeitperiode in der Person des getauften Juden Abram Poljak, der ab 1951 vor Kreisen der Evangelischen Allianz das unmittelbar bevorstehende Millennium ausrief. Im Staat Israel sah Poljak die Keimzelle des Tausendjährigen Reiches.
2.1.3 Progressive Stimmen Nach Mai 1948 gab es auch Bewertungen der israelischen Staatsgründung, die von den bisher geschilderten Haltungen abwichen und damit Positionen vorwegnahmen, die in größerem Ausmaß erst ab 1958 populär wurden. Als einer der wenigen, die später eine leitende Funktion in der EKD innehaben sollten, bezog Kurt Scharf bereits frühzeitig zur israelischen Staatsgründung Stellung. Im Sommer 1948 nannte er die soeben erfolgte „Wiedergeburt der Nation Gottes“ das „augenfälligste ,Zeichen der Zeit‘“, das er nur ,prophetischapokalyptisch‘ zu deuten wusste.5 Neben Scharfs Vorstoß ist vor allem das Wirken des Heidelberger Kreisdekans Hermann Maas zu nennen, der sich selbst als ,christlichen Zionisten‘ bezeichnet hatte. Maas wurde 1950 als erster Deutscher von der israelischen Regierung zu einem Besuch des Landes eingeladen. Der daraufhin entstandene Reisebericht und das nach dem nächsten Israelaufenthalt 1953 entstandene Buch wurden charakteristisch für einen Großteil der Israelliteratur.6 Wichtig zu wissen ist, dass es sich nicht um einen privaten Individualtourismus handelte, sondern um geführte Reisen durch israelische Regierungsbeauftragte. Sie gingen davon aus, dass Maas den Aufbau des israelischen Gemeinwesens zu Hause positiv darstellen und damit einen spezifischen Beitrag zur Entnazifizierung leisten werde. Der Israeli wurde in den Reiseberichten als der fleißige Arbeiter und Bauer geschildert, der Sümpfe trocken lege und die Wüste zum Leben erwecke sowie in den Kibbuzim die ideale Gesellschaftsund Wirtschaftsform entwickelt habe. Damit sollte bewusst den tradierten antisemitischen Klischees entgegengearbeitet werden. Bei Maas kam auch noch die heilsgeschichtliche Komponente hinzu. Sowohl in der israelischen Staatsgründung als auch in den boomenden Städten und den ertragreichen Feldern erkannte er die Erfüllung biblischer Verheißungen. In den Augen der Vertreter der Judenmission war Maas damit zu weit gegangen. 4 S. a. Teil I, 3.2. 5 Scharf, Israel und Palästina, 278. 6 So Maas, Skizzen; und ders., Rachels Kinder.
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2.1.4 Das ,Schilumim‘-Abkommen von 1952 Der Luxemburger Vertrag vom 10. September 1952, der die Wiedergutmachungsverhandlungen beendete, war das herausragendste Ereignis im deutsch-israelischen Verhältnis seit 1948. Die westdeutschen Kritiker machten vor allem juristische und wirtschaftliche Einwände geltend. In diese Stimmungslage hinein forderten Kirchenmänner wie Hermann Maas und Heinrich Grüber sowie der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel (DEADI) die staatliche Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts an den von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen. Zunächst dachte man nur an eine individuelle, nicht an eine kollektive Entschädigung. Sobald aber die israelischen Vorstellungen auf dem Tisch waren, setzten sich diese engagierten Protestanten auch für die Schilumim ein. Vertreter der Judenmission und die Kreise um Maas und Grüber zogen hier an einem Strang. In der Öffentlichkeit wurde allerdings mehr das Wirken der eher politisch und gerade nicht konfessionell agierenden Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit bekannt, in denen liberalere Protestanten aktiv waren. Zu ihnen gehörte neben Franz Böhm, dem Leiter der deutschen Delegation bei den Schilumim-Verhandlungen, der evangelische Hamburger Erich Lüth, der im Spätsommer 1951 viel beachtete Annoncen lancierte, in denen er unter dem Schlagwort ,Frieden mit Israel‘ um eine deutsch-israelische Aussöhnung warb. Weniger die verfasste Kirche, sondern der Protestantismus im Allgemeinen trug zu einem öffentlichen Klima bei, welches das Abkommen von 1952 ermöglichte. Die offizielle EKD hielt sich in den Diskussionen um die ,Schilumim‘ wie überhaupt bei allem, was den Staat Israel betraf, bedeckt. Otto von Harling, Oberkirchenrat in der Kirchenkanzlei der EKD, rechtfertigte dieses Verhalten damit, dass die Kirche auf ,die seelische und wirtschaftliche Lage des Volkes‘ Rücksicht zu nehmen hatte. Man verstand sich gerade nicht als progressiver Trendsetter, sondern wollte als Kirche eine Seelsorgerin an der Bevölkerung sein. Der Suezkrieg von 1956 war dann auch der erste Nahostkrieg, der von kirchlicher Seite – in sehr bescheidenem Ausmaß – mit Friedensaufrufen und Bittgottesdiensten begleitet wurde. Eine besondere Solidarität zu Israel gab es dabei nicht.
2.2 Zweite Phase (1958 – 1967) 2.2.1 Israelreisen als theologische ,Erfahrung‘ Der soziologische Begriff der ,Erlebnisgesellschaft‘ passt insofern in unsere Thematik, als der Staat Israel in dieser Zeit zunehmend aus der Perspektive der eigenen Anschauung wahrgenommen wurde. Israelis zu kennen wog mehr als
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Bücherwissen. Allein zwischen 1958 und 1961 reisten parallel zum allgemeinen Anstieg des westdeutschen Tourismus etliche kirchliche Multiplikatoren und Gruppen nach Israel: Heinrich Grüber, Adolf Freudenberg und Helmut Gollwitzer als Einzelpersonen, Friedrich-Wilhelm Marquardt und Rudolf Weckerling mit Studentengruppen. Deren Israelfahrten wiesen gegenüber dem Besuch der Landesbischöfe Hanns Lilje und Volkmar Herntrich eine weitaus größere Wirkungsgeschichte auf. Die Theologieprofessoren Rolf Rendtorff und Günther Harder, die beide an einem wissenschaftlichen Lehrkurs des Palästinainstituts teilnahmen, durften 1959 nur von der Jerusalemer Altstadt aus in ihr Traumland Israel blicken. Die Existenz des Staates Israel wurde – neben der Schoah – zum Ausgangspunkt einer Erfahrungstheologie, einer spezifischen ,kontextuellen Theologie‘. Die Ausrichtung am lebendigen Israel war die positive Kehrseite der an einem negativen Geschichtsereignis orientierten ,Theologie nach Auschwitz‘. Am deutlichsten hat das FriedrichWilhelm Marquardt in einem Interview ausgedrückt: „Der Anlass für mein ganzes theologisches Unternehmen seit der Dissertation ist eine Reise nach Israel gewesen“, die von 1959 nämlich, die „meine zweite Taufe“ wurde.1 Die Schilderungen der Israelreisen um 1960 variieren im Ausmaß der Euphorie und der Kritik, weisen aber im Großen und Ganzen inhaltliche Parallelen zu den Veröffentlichungen von Hermann Maas auf: Man war sich bewusst, dass man in Israel als Angehöriger des Tätervolks den Überlebenden des größten deutschen Verbrechens gegenübertrat. Die Aufbauleistung der israelischen Nation wurde von vielen Berichterstattern als ein gewaltiges Faszinosum, der Israeli mithin als idealer Mensch beschrieben. Wenn man bedenkt, dass Juden vor 1945 nur Destruktives zugetraut wurde, war die Begeisterung der Israelfahrer verständlich. Der neuen, problematischen Tendenz, dass die Sympathie gegenüber den Israelis nun von deren Leistung – und später von deren Friedensbereitschaft – abhängig gemacht werden könnte, waren sich die Reiseberichterstatter kaum bewusst. Die Beobachtungen im Land wurden von ihnen vielfach mit biblischen Verheißungen in Verbindung gebracht. Und das Gemeinschaftserlebnis in den Kibbuzim ließ ihnen den Sozialismus als die bessere Gesellschaftsform erscheinen. Für viele kirchliche Pilger in den jüdischen Teil des Heiligen Landes galten fortan eine politisch linke Haltung und Israelliebe als zwei Seiten einer Medaille. Zu Organisationen, die vielen jungen Menschen Erfahrungen in Israel vermitteln sollten, wurden die 1958 ins Leben gerufene Aktion Sühnezeichen (ASZ) und der 1963 gegründete Nes Ammim-Verein. In freiwilligen Arbeitseinsätzen wollte ASZ jungen Deutschen die Möglichkeit geben, die Opfer des Zweiten Weltkriegs und folglich auch die Juden im Staat Israel um Verzeihung zu bitten. Während die erste ASZ-Freiwilligengruppe im Herbst 1961 nach
1 Marquardt in einem Interview in Amsterdam vom 25. 9. 1996. Zit. und übersetzt bei: Pangritz, Wendung, 8.
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Israel gelangte, konnten sich erst ab 1968 deutsche Bewohner in der nordisraelischen Siedlung Nes Ammim niederlassen. Wegen theologischer Vorbehalte wurden ASZ und Nes Ammim von Lutheranern aus dem Umfeld der Judenmission argwöhnisch begutachtet. Trotz ihrer ambivalenten Haltung zum Staat Israel, gerieten auch judenmissionarische Kreise in den Bann ihrer eigenen Israel-Impressionen. Ungeachtet ihres kritischen Abwägens setzte sich auch bei ihnen Respekt gegenüber dem jüdischen Staat durch. Gleichwohl machte man hier die Erlebnisse im Heiligen Land zu keinem Bestandteil einer Erfahrungstheologie.
2.2.2 Die „Delegationsreise“ der EKD 1962 An der von Heinrich Grüber geleiteten Israelfahrt von November 1962 nahmen namhafte Vertreter der EKD teil. Für den Ratsvorsitzenden der EKD, Kurt Scharf, war es der erste Aufenthalt in Israel. In der Presse war von einer „Delegation“ der EKD die Rede, was nach etwas Offiziellem klang, obwohl nicht einmal alle Mitglieder des Rates eingeladen worden waren. Offensichtlich wollten sich Grüber und Scharf in ihrem politisch-moralischen Anliegen nicht durch israelskeptische Lutheraner ausbremsen lassen. In Grübers Augen diente die Reise dem Zweck, bei den Kirchenmännern Verständnis für den israelischen Staat zu wecken und von der Wichtigkeit einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu überzeugen. Kurt Scharfs Ansprache in der Gedenkstätte Yad Vashem lag auf der Linie seiner bisherigen Deutung der israelischen Staatlichkeit, indem er die jetzige ,Einzigartigkeit‘ des ,Volkes Israel‘ – zwischen Judentum und der israelischen Staatsbevölkerung unterschied er nicht – geschichtstheologisch in das Eschatologische hinein verlängerte. 2.2.3 Zusammenarbeit zwischen Progressiven und Pietisten Während solche Pietisten, die in den Ereignissen des Nahen Ostens untrügliche Zeichen der Endzeit sahen, in den 1950er Jahren schnell unter Sektenverdacht gerieten, zogen in den 1960er Jahren progressive und pietistische Israelfreunde zeitweilig an einem Strang. Nicht erst der Berliner Kirchentag von 1961 brachte die Existenz eines neuen jüdischen Staates einem größeren Publikum nahe. Auf dem Protestantentreffen in München 1959 berichteten studentische Teilnehmer der von Marquardt und Weckerling geleiteten Reise zusammen mit Gollwitzer von ihren jeweiligen Erfahrungen in Israel. Und die Darmstädter Marienschwesternschaft, die heute allgemein als konservativevangelikal gilt und vom offiziellen kirchlichen Leben größtenteils abgeschnitten ist, beeindruckte die Kirchentagsteilnehmer durch ihr ,Israel-Ruferspiel‘. Zudem schilderte Gollwitzer, wie tief ihn das Israel-Engagement der Marienschwestern berührt habe.
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Zwei weitere Beispiele einer pietistisch-progressiven Zusammenarbeit: Als 1963 im Rheinland der deutsche Nes Ammim-Verein ins Leben gerufen wurde, der sich der Verbesserung des christlich-jüdischen Verhältnisses widmete, war unter den Gründungsmitgliedern auch ein Freikirchler : Waldemar Brenner, der Redakteur des Gärtners, der Zeitschrift der Freien Evangelischen Gemeinden. Zudem: Der Reformierte Johan Hendrik Grolle unterstützte sowohl die apokalyptisch-schwärmerischen Israelkonferenzen des Norwegers Per Faye-Hansen als auch die progressive Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag. Es waren letztlich die Auseinandersetzungen wegen der Judenmission sowie die Neubewertung des Nahostkonflikts nach 1967, die diese Zusammenarbeit von prozionistischen Evangelikalen und Linken wieder zunichte machte.
2.2.4 Innerprotestantische Auseinandersetzungen Das Nes Ammim-Projekt, dessen deutscher Zweigverein 1963 ins Leben gerufen wurde, blieb innerkirchlich noch lange umstritten. Der Aufbau der christlichen Siedlung in Nordisrael wurde in theologischer Hinsicht von Heinz Kremers sekundiert. Der eschatologisch-messianische Kontext des aus Jesaja 11 entnommenen Namens Nes Ammim zeigte genauso wie das von Kremers verfasste Memorandum, dass dieser Arbeit in Israel eine dezidiert heilsgeschichtliche Theologie zugrunde gelegt wurde. Für Kremers hatte Gott 1948 die biblische Rückkehrverheißung zum zweiten Mal erfüllt. Diese erneute Heimführung der Juden bezeichnete er als ,Zeichen der Treue Gottes‘, womit die bis dato umstrittene Formulierung der rheinischen Synodalerklärung von 1980 vorweggenommen wurde. Angesichts dieser Theologie befürchteten konfessionelle Lutheraner einen Rückfall in eine schwärmerisch-pietistische Irrlehre. Ob es dieser negativen Einschätzung zuzuschreiben war, dass es dem Nes AmmimVerein nicht gelang, von Brot für die Welt unterstützt zu werden, ist nicht endgültig geklärt. Insgesamt mussten kirchliche Führungskräfte realisieren, dass die Übernahme moralischer Verantwortung finanzielle Verpflichtungen mit sich brachte: Unter immer mehr Bittstellern hatten die Leitungsgremien eine Auswahl zu treffen, wem sie Kapitalhilfen gewähren wollten. Ein anderer Streit entstand um eine angebliche Äußerung des Ost-Jerusalemer Propstes Carl Malsch. Progressive Christen – und Juden – sahen in der Jerusalemer Propstei und in der deutschen Palästinamission ungute Kontinuitäten am Werk. Der West-Jerusalemer Journalist Schalom Ben-Chorin, jüdischer Gesprächspartner der Kirchentags-AG, berichtete am 21. September 1962 in der Zeitung Jedioth Chadashoth von israelfeindlichen Äußerungen des Propstes. Dieser Artikel sorgte in protestantischen Dialog-Kreisen für Aufsehen. Im Kirchlichen Außenamt und bei Bernhard Karnatz, dem Vorsitzenden des Jerusalemsvereins, gingen teils gemäßigte, teils heftige Beschwerdebriefe ein. Malsch verteidigte sich auf die Angriffe, dass er die inkriminierte Aussage so nie
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getroffen habe, konzedierte jedoch, eine proarabische politische Einstellung zu haben. Angesichts einseitig proisraelischer Artikel in deutschen Kirchenzeitungen sehe er es als seine Aufgabe an, gegenüber deutschen Touristen die arabische Position zu erläutern. Mit der Bitte an Malsch, er möge neutraler urteilen und müsse sich in seiner exponierten Stellung vorsichtiger ausdrücken, wurde die Affäre im Januar 1963 zu den Akten gelegt. In der Öffentlichkeit bekannter wurden die Debatten um den Jerusalemer Eichmann-Prozess 1961 und um den deutsch-israelischen Botschafteraustausch, welcher 1965 Wirklichkeit wurde. Beim Eichmann-Prozess, der den Staat Israel als Ankläger ins Spiel brachte, war Propst Heinrich Grüber als einziger deutscher Zeuge beteiligt. Er verstand sich in Jerusalem als Botschafter des ,anderen‘ Deutschlands, das sich um gute Beziehungen zu Israel bemühte und sich nicht der Verbrechen der Nazis schuldig gemacht hatte. Zu den kirchlichen Folgeerscheinungen des Prozesses gehörte auch die Gründung der Kirchentags-AG auf dem Berliner Kirchentag 1961, die unter dem Einfluss der Jerusalemer Ereignisse stand. Die christliche Vergangenheitsbewältigung implizierte hier die Forderung, „dem Aufbau und dem Frieden des Staates Israel und seiner arabischen Nachbarn“ zu dienen.2 Dass die Bundesregierung aufgrund der ,Hallstein-Doktrin‘ noch lange gezögert hatte, Israel anzuerkennen, wurde von progressiven Kreisen als Skandal empfunden. Protestantische Theologen gehörten zu einem politischen, eher der SPD nahestehenden Netzwerk, das seit ca. 1960 die Anerkennung Israels forderte. Nicht alle Personen und Initiativen, die sich hier engagierten, verfolgten als Primärziel eine Begegnung mit dem Judentum. Vielmehr waren deren Appelle zugunsten Israels Teil einer umfassenden Protestkampagne gegen die als ,reaktionär‘ und antikommunistisch betrachtete Haltung der Bundesregierung. Ab Juli 1964 wurde diese Frage auch innerhalb des Rates der EKD diskutiert. Wilhelm Niesel, der sich in Übereinstimmung mit dem Ratsvorsitzenden Kurt Scharf wusste, setzte sich nachdrücklich dafür ein, dass der Rat die Bundesregierung zur Herstellung diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel offiziell aufforderte. Gegenspieler war Hermann Kunst, der als Bevollmächtigter des Rates in Bonn die Position des Auswärtigen Amtes teilte und einen Vorstoß der EKD verhindern wollte. Kunst unterlag letztlich, weil Niesels Anliegen von einer Mehrheit der Ratsmitglieder unterstützt wurde. Das von Niesel verfasste Schreiben an die Bundesregierung wurde am 26. Oktober 1964 von Scharf unterzeichnet. Um den Jahreswechsel 1964/65 votierten mit Hannover und dem Rheinland auch westdeutsche Landessynoden für einen Botschafteraustausch. Nicht nur bei der Ostdenkschrift von 1965, auch im Blick auf Israel agierten die EKD und einige ihrer Gliedkirchen in einem Sinn, der als politisch progressiv galt. So hatte der westdeutsche Protestantismus den öffentlichen Druck erheblich mit
2 Rendtorff/Henrix, Dokumente, E.III.16, 553 f.
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verstärkt, durch den Bundeskanzler Erhard sich gezwungen sah, gegen den Willen des Außenministers die Anerkennung Israels in die Wege zu leiten.
2.3 Dritte Phase (seit 1967) 2.3.1 EKD und Gliedkirchen Die sich im Frühjahr 1967 zuspitzenden Spannungen zwischen dem Staat Israel und Ägypten alarmierten bereits vor Ausbruch des Sechstagekriegs einzelne Freunde Israels, an prominenter Stelle kirchliche Kuratoriumsmitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Kurt Scharf war einer der wenigen Kirchenführer, die gegenüber ihrer Pfarrerschaft bereits im Mai von einer drohenden Gefährdung Israels sprachen. Die Nachricht vom Kriegsausbruch zwischen Israel und den arabischen Staaten führte weltweit wie in der westdeutschen Christenheit zu spontanen Friedensaufrufen und zu zahlreichen Fürbittgottesdiensten. Christliche Verbände, Gremien und kirchenleitende Personen sahen sich zu Stellungnahmen veranlasst. Nicht immer spielte hier die Sorge um den israelischen Staat eine Rolle. So genügte dem EKD-Ratsvorsitzenden Hermann Dietzfelbinger der Waffengang an sich als Anlass für seine Erklärungen vom 5. Juni, in denen er absolute Neutralität wahrte und keine der beiden Kriegsparteien präferierte. Er universalisierte den aktuellen Krieg, indem er allgemein vor Unversöhnlichkeit und übertriebenem Nationalismus warnte. Hier war der neue israelisch-arabische Krieg zunächst einmal nur eine politische Krise neben anderen. Im Auftrag des Rates der EKD wich der Landesbischof jedoch drei Tage später von seinem strikten Neutralitätskurs ab, indem er betonte, dass der den israelischen Juden angedrohte Völkermord die Deutschen nicht gleichgültig lassen könne. Nicht Dietzfelbingers unparteiische Friedenserklärung vom 5. Juni wurde zu einer offiziellen Verlautbarung der EKD, sondern seine Ansprache vom 8. Juni, in der er der Verbundenheit mit den bedrohten Israelis Ausdruck verlieh. Bischof Kurt Scharf hingegen ergriff unter Zuhilfenahme heilsgeschichtlicher Kategorien während des Krieges und danach sehr deutlich Partei zugunsten Israels. Die höchsten Wellen schlug der in einem Gottesdienst am 16. Juni verlesene ,Aufruf‘, für den der Staat Israel derart „in die Absichten Gottes mit hineingenommen“ sei, dass die politischen Feinde dieses Staatswesens zugleich als Gegner Gottes gälten.3 Die Kritiker des ,Aufrufs‘ reagierten sowohl mit einer Mahnung zur Trennung von Religion und Politik als auch mit einem Insistieren auf der klassischen Substitutionslehre.
3 EKBB (West), Aufruf.
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2.3.2 Weitere Diskussionen und Entwicklungen In der auf den Junikrieg folgenden Zeit wurde der jüngste Waffengang im Nahen Osten zusammen mit den aktuellen Entwicklungen noch häufig thematisiert, z. B. auf dem Kirchentag in Hannover zwei Wochen nach dem Krieg. Der ehemalige Jerusalemer Propst Malsch warb um Verständnis für den arabischen Standpunkt. Mit ihm meldete sich eine Stimme der ,alten‘ Palästinamission zu Wort, die sich in den nächsten Jahren mehr und mehr mit den Voten der israelkritischen ,neuen Linken‘ decken sollte. Es war zunächst einmal die außerkirchliche ,neue Linke‘, die sich im Laufe des Jahres 1968 von der Israelsolidarität der frühen 1960er Jahre lossagte. Als es den Palästinensern gelang, sich als eine progressive Befreiungsbewegung zu profilieren, bekam der Staat Israel, der seit dem Junikrieg 1967 jordanisches, syrisches und ägyptisches Territorium okkupiert hielt, ein Imageproblem. Für viele junge Linke erschien deshalb eine Aufkündigung der Solidarität mit Israel folgerichtig zu sein. Mit einer kleinen Verzögerung gewann der neue Trend auch bei den Evangelischen Studentengemeinden (ESG) Anhänger, ohne aber die ganze kirchliche Linke antiisraelisch werden zu lassen. Denn ,Israeltheologen‘ wie Helmut Gollwitzer und Friedrich-Wilhelm Marquardt bemühten sich weiterhin um eine heilsgeschichtliche Deutung, die sich allerdings von endzeitlich-apokalyptischen und biblizistischen Varianten abhob. Gollwitzer relativierte sogar die ansonsten von ihm favorisierte Position des Pazifismus, indem er dem jüdischen Staat ein Recht auf Selbstverteidigung zugestand. Den Versuch der Prager Christlichen Friedenskonferenz (CFK), den Staat Israel auf eine Stufe mit ,imperialistischen‘ Ländern und ,rechten‘ Militärdiktaturen zu stellen, beantworteten Gollwitzer und andere Protagonisten des christlich-jüdischen Gesprächs mit deutlichem Protest. Den argumentativen Schwachpunkt der CFK-Erklärung vom 4. Juli 1967 entdeckte man in dem Widerspruch, dass die CFK in allen ihren Stellungnahmen die Einheit von Glaube und Politik beanspruche, diese Einheit aber hinsichtlich des Staates Israel außer Kraft setze. Kritisch gegenüber einer mangelnden Trennung von Glaube und Politik waren auch die Vertreter des Zentralvereins und des neuen Arbeitskreises ,Kirche und Judentum‘ der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD). In Kontinuität zu älteren judenmissionarischen Vorgaben stellte man hier besondere ,Israeltheologien‘ unter Häresieverdacht und warnte die israelische Gesellschaft vor nationaler Überheblichkeit. Die Angehörigen der ,Israeltheologien‘ sowie deren Kritiker kamen seit 1968 in der EKD-Studienkommission ,Kirche und Judentum‘ zusammen, deren Arbeit in die erste EKD-Studie „Christen und Juden“ von 1975 mündete. In diesem zurückhaltenden Kompromisspapier anerkannte die EKD das jüdisch-israelische Selbstverständnis und schrieb die christliche Verantwortung für das Wohlergehen der israelischen Entität dem Wissen um die Schoah zu.
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2.3.3 Kirchliche Aktivitäten in Israel/Palästina Verlauf und Ausgang des Junikrieges bedeutete auch hinsichtlich der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen im plötzlich abgetrennten Westjordanien eine Unsicherheit. Man wusste nicht, ob das Westjordanland einschließlich OstJerusalem dem Haschemitischen Königreich wieder zurückgegeben oder von Israel annektiert werden würde. Die neue Lage führte dazu, dass die Gemeindeglieder in Amman von der Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien, welcher Propst Hansgeorg Köhler vorstand, abgeschnitten waren. Der Palästina-Aufenthalt des EKD-Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger im Februar 1968 war überschattet vom Vorwurf israelischer Regierungskreise, der Propst sei zu antiisraelisch eingestellt. Daran war auf alle Fälle richtig, dass sich Köhler der arabischen Seite gegenüber verpflichtet wusste. Die Diskussion um Köhlers wirklichen oder vermeintlichen Antiisraelismus erinnert an die Debatte um die Äußerungen Carl Malschs. Auch Köhler beachtete die Erkenntnisse der christlich-jüdischen Begegnungen weniger, als es für ihn möglich gewesen wäre. Innerhalb der deutschen Gemeinde in Jerusalem wurde der Propst zu einem Gegenspieler der tendenziell proisraelischen Mitarbeiter und Freunde von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, die Köhler misstrauten.
3. Ergebnis des publizistikwissenschaftlichen Teils1 3.1 Erste Phase (1948 – 1958) Auffallend an der ersten Phase ist, dass sich vornehmlich Theologen aus dem Umfeld des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel zu Wort meldeten, darunter an prominenter Stelle Martin Wittenberg, Gerhard Jasper und Karl Heinrich Rengstorf. Die davon unterschiedene, als ,arabophile Pfarrerschaft‘ titulierte Gruppe,2 die bereits vor dem Krieg Kontakt zu Palästina pflegte, hielt sich – von Hans-Wilhelm Hertzberg abgesehen – vorwiegend im Hintergrund. Manche Mitglieder des Jerusalemsvereins waren gewiss aufgrund ihrer früheren Affinität zum Nationalsozialismus kompromittiert, aber das traf wohl kaum auf alle zu. Man darf auch nicht übersehen, dass die meisten Autoren dieser Zeitspanne den Staat Israel noch nicht bereisen konnten, ihre Kenntnisse folglich aus jüdischen oder ausländischen Quellen schöpften. Deutungshintergrund der Texte war somit weniger der Nahe Osten realiter, sondern ein Amalgam aus tradierten Vorstellungen und aktuellen geschichtstheologischen Verarbeitungsversuchen des ,Dritten Reiches‘. Im Folgenden und im Blick auf die zwei weiteren Phasen werden die Ergebnisse des publizistikwissenschaftlichen Teils nach den fünf Hauptkategorien wiedergegeben: 1) Religiöse und theologische Aspekte; 2) Säkulare Aspekte; 3) Der Nahostkonflikt im Allgemeinen; 4) Parteinahme für den Staat Israel; 5) Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite. 3.1.1 Religiöse und theologische Aspekte Die Verfasser, die sich oft einem judenmissionarischen Anliegen verpflichtet wussten, legten dar, dass die Existenz eines jüdischen Staates für Kirche und Theologie – in einer noch näher zu bestimmenden Weise – relevant sei, zunächst einmal, weil Jesus aus dem Judentum stammte. Letzteres musste sich das Nachkriegschristentum erst wieder bewusst machen, nachdem deutschnationale Kreise vor und während der NS-Zeit versuchten, den Galiläer Jesus rassisch als Arier zu verorten.3 Dass Juden seit 2000 Jahren wieder ein poli1 Vgl. Gronauer, Wahrnehmung. 2 So Wittenberg, Rez. zu H. Maas. 3 S. a. Fenske, Jesus. – Vgl. Ratzinger, Salz, 265: „Ich bin in der Nazi-Zeit in die Schule gegangen
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Ergebnis des publizistikwissenschaftlichen Teils
tisches Gemeinwesen errichtet hatten, bedeutete aber eine Irritation des klassischen Verständnisses, wonach den Juden eher das himmlische Jerusalem und weniger das irdische Palästina verheißen sei. Die Wiederaufnahme der sog. ,Mission unter Israel‘ geschah nach 1945 unter neuen Bedingungen und blieb im Blick auf den modernen jüdischen Staat virtuell. In dem Interesse der Israelis an der historischen Person Jesu sahen die Autoren eine neue Offenheit gegenüber dem christlichen Glauben. Durchgängig wurde kritisiert, dass der jüdische Staat unter Missachtung der Religionsfreiheit verhindern wolle, dass sich seine Bürger dem Christentum zuwandten. Israelische Christen jüdischer Herkunft wurden deshalb als benachteiligt dargestellt. Die Texte gingen davon aus, dass die Judenheit als Religionsgemeinschaft – und nicht die Israelis als Nation – zum alten Bundesvolk in Beziehung stehe und deshalb keine bloße Menschengruppe wie jede andere bilde. Was daraus im Blick auf die Schaffung eines neuen jüdischen Gemeinwesens in Palästina folgte, wurde unterschiedlich beantwortet. Zunächst einmal wurde festgehalten, dass die israelische Staatlichkeit in einer unspezifischen Form auch theologisch von Bedeutung sei. Während daher das moderne Israel nur unbestimmt in den Zusammenhang heilsgeschichtlicher Theologumena gestellt wurde, fand eine eschatologische Deutung kaum Zustimmung. Gegenüber einer heilsgeschichtlichen Überhöhung der israelischen Staatlichkeit, besonders wenn sie von pietistischer Seite aus vorgenommen wurde, bestanden massive Vorbehalte. Vor einer Inanspruchnahme der biblischen Landverheißungen zu politischen Zwecken wurde gewarnt. Konstitutiv für ein biblisches Urteil war den Autoren, dass man im Neuen Testament keinen Anhalt für die Gründung des Staates Israel als ein Heilsgeschehen finde. In den Artikeln traten gewisse Nuancen auf; in der Judenmission tätige Autoren urteilten tendenziell philosemitischer und heilsgeschichtlich orientierter als solche, die sich nur auf die konfessionelle Theologie beriefen sowie einer Spiritualisierung und Substitution das Wort redeten. Judenmissionarisch gesinnte Texte ließen einen Spielraum offen, inwieweit alttestamentliche Weissagungen am jüdischen Volk in der Zukunft erfüllt werden würden, wenn es sich Christus zugewandt habe. Die traditionelle jüdische Zionssehnsucht wurde in den Texten zumindest referiert, vielfach auch als legitimer Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses respektiert. Während manche Aufsätze eine Renaissance der Religion im Staat Israel begrüßten, sahen andere im Einfluss jüdisch-orthodoxer Gruppen auf Regierungsbelange das Menetekel einer künftigen Theokratie. Zugleich wurde die Frage gestellt, ob sich die Israelis in ihrem zionistischen Hochgefühl erneut auf die nationalen Abwege des alttestamentlichen Israels begeben hätten. Die gleichzeitige Abwehr sowohl religiös-theokratischer als auch national-säku-
und habe die Tendenz ,deutscher Christen‘ erlebt, Christus zum ,Arier‘ zu machen: Als Galiläer sei er gar kein Jude gewesen.“
Erste Phase (1948 – 1958)
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larer Tendenzen rührte aus der Überzeugung, dass beide Entwicklungen der Bekehrung der Juden im Wege stünden.
3.1.2 Säkulare Aspekte In großer Übereinstimmung wurde der Staat Israel als Zufluchtsort der Überlebenden der jüdischen ,Katastrophe‘ beschrieben. Manchmal wurde dieser Sachverhalt geschichtstheologisch unterstrichen. Indem der kirchliche Beobachter auch hinter den grausamsten Partien der Weltgeschichte die göttliche Providenz erkannte, entlastete er sich ein Stück weit von der Mitschuld an der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Der Schoah konnte sogar etwas Positives abgewonnen werden, habe sie doch erst die israelische Staatsgründung ermöglicht und trage bis heute dazu bei, dass die Juden in aller Welt zu einem neuen Identitäts- und Gemeinschaftsgefühl finden würden. Die wenigen Autoren, welche so die Grausamkeit der nationalsozialistischen Verbrechen in einem höheren Sinn aufzulösen gedachten, überschritten die Grenze des politisch Erträglichen und des moralisch Verantwortbaren. Geschichtstheologische Tendenzen änderten jedoch nichts an dem Sachverhalt, dass die gegenwärtige ethisch-politische Verantwortung der Christen auf der einen und der Deutschen auf der anderen Seite ernst genommen wurde. Das zeigte sich bei der Diskussion um die deutschen ,Wiedergutmachungs‘-Zahlungen an Israel (,Schilumim‘), die als moralische Selbstverständlichkeit überwiegend bejaht wurden. Sofern sie sich überhaupt zu diesem Thema äußerten, positionierten sich die kirchlichen Periodika fast vollständig auf der ,progressiv‘-projüdischen Seite innerhalb des bundesrepublikanischen Diskurses. Die meisten Artikel waren sich darin einig, dass der israelischen Nation Achtung und Respekt wegen des wirtschaftlichen Aufbaus sowie der kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften gebühre. Auch wenn nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, spiegelten sich hier die Sehnsüchte, aber auch die Leistungen der westdeutschen Gesellschaft wieder. Erste Enttäuschungen in der kapitalistischen Nachkriegswirklichkeit ließen zusammen mit den Kenntnissen des real existierenden Sowjetkommunismus die vermeintlich bessere Gesellschaftsform im israelischen Kibbuz erkennen. Autoren mit philosemitischer Ausrichtung sahen im fleißigen Israeli eine offenkundige Widerlegung antisemitischer Klischees. Der neue israelische Bauernstand erfuhr eine ausdrückliche Würdigung. Hier wirkte noch die im Nationalsozialismus verbreitete stereotype Gegenüberstellung vom ehrbaren deutschen Bauernstolz und dem ruchlosen jüdischen Krämergeist nach. Neben allen Lobhuldigungen warnten auch einige kritische Stimmen vor einer Glorifizierung des Staates Israel und seiner Leistungen.
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Ergebnis des publizistikwissenschaftlichen Teils
3.1.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen Neben theologischen, landeskundlichen und gesellschaftlichen Aspekten zogen politische Fragen die Aufmerksamkeit auf sich. Denn der Staat Israel wurde nicht in einem politischen Vakuum, sondern inmitten von Nationen errichtet, die der Entstehung einer souveränen jüdischen Entität ablehnend gegenüberstanden. Die Frage nach dem Zusammenleben der Nationen in Frieden und Gerechtigkeit spielte in dieser Phase trotz der zwei Nahostkriege 1948/49 und 1956 eine untergeordnete Rolle. Aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit und Gegenwart galt das ,Abendland‘ allerdings für die Vorgänge in der Levante mitverantwortlich. Der Staat Israel erschien hier als ein ohnmächtiger Spielball, der zwischen dem West- und dem Ostblock hin und her geworfen werde und dadurch in Bedrängnis gerate. Die arabischen Flüchtlinge fanden durchaus Beachtung, allerdings nicht als Vertreter eines bestimmten Volkes, sondern als Not leidende Individuen, denen die kirchlichen Einrichtungen in Palästina karitativ begegnen wollten. Weil die Palästinaflüchtlinge an die deutschen Vertriebenen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße erinnerten, war ihnen Sympathie und echtes Mitfühlen gewiss. Eine Reihe von Artikeln sah die Ursache des Flüchtlingsproblems im tendenziell nationalistischen Charakter des jüdischen Staates. Andere vermieden bewusst jede einseitige Schuldzuweisung und benutzten Wendungen, die an ein nicht zu verhinderndes Verhängnis denken ließen. Gegen Ende des Zeitabschnitts mehrten sich die Stimmen, die einen einseitigen Schuldvorwurf an die Adresse Israels deutlich zurückwiesen. Über den nicht erfüllten UN-Beschluss von 1947, der neben einem jüdischen einen palästinensisch-arabischen Staat und Jerusalem als internationalisierte Zone vorgesehen hatte, machte man sich keine Gedanken. Dass nicht ganz Jerusalem zu Israel gehörte, wurde z. T. bedauert, in der Regel wurde jedoch die (trans)jordanische Annektierung des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems widerspruchslos hingenommen. 3.1.4 Parteinahme für den Staat Israel Proisraelisch ausgerichtete Texte wussten um die Gefährdung der Existenz des Staates Israels. Ihnen stand ein spezifisches Bedrohungsszenario vor Augen, in dem die arabischen Staaten als die eigentlichen Aggressoren auftraten. Argumentativ begründet wurde das Existenzrecht eines jüdischen Staates in Palästina nicht, es galt als indiskutabel. Die Vorhaltung, Israel verhalte sich expansionistisch oder imperialistisch, wurde in den Beiträgen zurückgewiesen. Die Grenzen des Waffenstillstands von 1949 galten als endgültig. Nur in wenigen Zeitschriftenartikeln wurde die Gleichberechtigung der Araber in Israel positiv herausstellt. Schockiert nahmen die Autoren die antisemitisch
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orientierte Israelfeindschaft aus dem Mund arabischer Kirchenführer zur Kenntnis. Polemik gegen kommunistischen Antizionismus fand sich nur an einer Stelle.
3.1.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite. Da die Araber Palästinas in dem Zeitabschnitt bis 1958 ausschließlich als Flüchtlinge bzw. individuell Notleidende wahrgenommen wurden, fand eine Diskussion über ein mögliches nationales Selbstbestimmungsrecht nicht statt. Dass Kritik an der Politik des Staates Israel berechtigt sei, wurde stillschweigend vorausgesetzt, auch von denen, die den Anspruch erhoben, Freunde des jüdischen Volkes zu sein. Eine explizite Warnung vor einem gegenüber seinen Nachbarstaaten aggressiv auftretenden Israel fand man in den Periodika dieser Zeitphase nicht. Auch für den Suezkrieg 1956 wurde weniger Israel, sondern das machtvolle Europa verantwortlich gemacht. Demgegenüber fand sich eine breit angelegte Problematisierung des wirklichen oder vermeintlichen israelischen Nationalismus, welcher Erinnerungen an das Jahr 1933 wachrief. Die prononcierten Vergleiche zwischen nationalsozialistischer Ideologie und patriotischem Zionismus wären nach den Kriterien heutiger Antisemitismusforschung nicht nur als Entlastungsversuch von deutscher Schuld zu werten, sondern könnten zudem als Ventil eines fortbestehenden Antijudaismus gelten.4 Waren Deutsche moralisch berechtigt, wenige Jahre nach der Schoah den Israelis Lektionen bezüglich Nationalismus zu erteilen? Jedenfalls beängstigte die Autoren mehr die historische Parallele von Berlin 1933 und Tel Aviv 1948 als z. B. die Sorge um das Wohlergehen der arabischen Minderheit in Israel.
3.2 Zweite Phase (1959 – 1967) Wie bereits bei der Ergebnissicherung der Phase I angesprochen wurde, lag ein Hauptunterschied zwischen den 1950er und 1960er Jahren darin, dass zum einen eine neue und durchaus anders geprägte Autorengruppe in den Vordergrund rückte und dass zum anderen die Personen, die über den Staat Israel 4 Zu diesem Kriterium auf aktuellerem Hintergrund s. Mertens, Antizionismus, 93: „Außerdem bietet die Anlegung besonders strenger moralischer Maßstäbe an den jüdischen Staat seinen kritischen Beobachtern die Möglichkeit, die israelisch-jüdische Kritik an der Bundesrepublik […] zu relativieren und zur Entlastung zu instrumentalisieren, beispielsweise wenn israelische Militäraktionen gegen die revoltierende palästinensische Zivilbevölkerung mit dem Verhalten des nationalsozialistischen Deutschlands gegen die jüdischen Bürger seit Mitte der 30er Jahre verglichen wurden.“
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schrieben, dieses Land z. T. auch wirklich bereist hatten, was je nach Vorprägung Auswirkungen auf die Wahrnehmung hatte. 3.2.1 Religiöse und theologische Aspekte Im Gegensatz zur ersten Phase wurde nun nicht mehr in extenso ausgeführt, dass die Existenz des Staates Israel für die Christenheit relevant sei. Das galt als selbstverständlich. In diesem Zeitabschnitt gab es weiterhin Stimmen, die dem Gedanken Nachdruck verliehen, ein jüdischer Staat in der Levante würde die Judenmission vor neue Herausforderungen, aber auch vor neue Chancen stellen. Vorstöße dieser Art traten aber hinter die von den Christen erwartete Dialogbereitschaft zurück. Gerade in einer Zeit, in der vermehrt Israelreisen veranstaltet wurden, erschien der jüdische Staat als der Ort, an dem das Judentum am intensivsten und am authentischsten erlebt werden könne. Gleichwohl sorgte man sich weiterhin um die ungünstige Rechtslage der Christen jüdischer Herkunft in Israel. Deutlich wurden die Christen zur Respektierung des jüdischen Selbstverständnisses aufgerufen: Wer die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes anerkenne, müsse auch „Israels Weg“ zustimmen, der zur Gründung seines neuen Staates geführt habe.5 Die Existenz des jüdischen Staates wurde zwar deutlicher, aber doch seltener als zuvor in den Kontext der alttestamentlichen Verheißungen gestellt. Auffällig ist, dass sie mit dem Begriff des ,Zeichens der Treue Gottes‘ in Verbindung gebracht wurde. Die Vorhaltung, dass Israel ein gottloses Land sei, ließ man in diesem Zusammenhang nicht gelten. Aussagen, die an eine eschatologische Bedeutung der israelischen Staatlichkeit denken lassen, fanden sich in den Analyseeinheiten dieses Zeitabschnitts jedoch nicht. Neben diesen positiven Zuschreibungen stößt man auf Formulierungen, die eine heilsgeschichtliche Deutung von vornherein als illegitim erscheinen lassen. Das Interesse am Kampf gegen theologische Überhöhungen der israelischen Staatlichkeit war aber gegenüber Phase I merklich zurückgegangen. Eine ostentative Auseinandersetzung mit der biblischen Landverheißung im Sinne der judentumskritischen Spiritualisierungs- und Substitutionstradition trat in den Hintergrund. Stattdessen versuchten christliche Periodika unter Berufung auf Quellen aus dem nichtzionistischen Judentum die Kategorie ,Land‘ zu relativieren. Die Anerkennung eines jüdischen Selbstverständnisses konnte also auch gegen eine theologische Deutung des Staates Israel instrumentalisiert werden. Das theologische Ringen um das Vorhandensein des jüdischen Staates trat nach 1959 gegenüber der politischen Beschäftigung mit Israel ins Hintertreffen. Dazu trugen auch die Stimmen bei, die im Gegensatz zu anderen an dem angeblich defizitären Frömmigkeitsverhalten der Israelis nicht mehr vorbei5 Arbeitsgruppe/Harder/Ben-Chorin, Kirchentag 1961, 78.
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sehen wollten oder im Staat Israel eine ungesunde Vermischung von Religion und Politik verwirklicht sahen. So entstand in den Periodika ein doppeltes Bild: Einerseits kam es zu einer größeren Bereitschaft, das jüdische Selbstverständnis auch im Blick auf die Kategorie des Landes anzuerkennen. Gleichzeitig sorgte das real existierende Israel für Irritationen, weil es sich in vielen Punkten nicht in den vorformulierten Erwartungshorizont einfügte.
3.2.2 Säkulare Aspekte Dass Israel der Zufluchtsort der überlebenden Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung war, bestimmte die christliche Wahrnehmung des Staates Israel und das aufkommende Israel-Engagement. Die israelische Staatwerdung galt nach der Schoah als die analogielose jüdische Erfahrung schlechthin. Vor allem die ersten Israelfahrer waren auf Schritt und Tritt mit den deutschen Verbrechen konfrontiert als einer stets präsenten Vergangenheit. Das Verhalten der Israelis wurde deshalb als ambivalent erlebt: einerseits überraschend freundlich, andererseits gegenüber zu großen Annäherungen reserviert. Geschichtstheologische Überlegungen unter Einbeziehung der nationalsozialistischen Judenvernichtung traten im Vergleich zum ersten Zeitabschnitt zurück, kamen aber weiterhin vor. Das Bewusstsein um die deutsche Schuld und um das eigene Versagen nahm zu. In diesem Zeitabschnitt gab es mehr Anlässe als in den Jahren zuvor, den Staat Israel mit den Augen der jüngsten deutschen Geschichte zu sehen. Neben dem Rückblick auf das Luxemburger Abkommen stand hauptsächlich die Frage nach den diplomatischen Beziehungen zu Israel im Mittelpunkt des Interesses. Für die Autoren war klar : Aus dem ,Wiedergutmachungsvertrag‘ hatte der Botschafteraustausch als eine moralische Notwendigkeit zu folgen. Auf mögliche arabische Reaktionen dürfe keine Rücksicht genommen werden. Selbst wenn in den Artikeln Aufforderungen an Politiker überwogen, appellierten die Texte auch an die EKD, an einzelne Gliedkirchen und an kirchliche Gruppierungen. Weitere Diskussionen entstanden angesichts des EichmannProzesses und der Affäre um ehemalige nationalsozialistische Wissenschaftler in Ägypten. Die Bewunderung für die israelischen Aufbauleistungen blieb nahezu ungebrochen. Fortschrittsoptimistisch rechnete man damit, dass dank des Kultivierungs-Know-Hows der Staat Israel in der Lage sein werde, ein rasantes Bevölkerungswachstum zu verkraften. Als negative Hintergrundfolie fungierte der verwahrloste Zustand des Landes, wie ihn die Osmanen hinterlassen hätten. Die Rede von den ,blühenden Landschaften‘ griff auf einen Topos zurück, der sich schon bei Theodor Herzl fand.6 Und auch in diesem Zeitab6 Vgl. die Überschrift des Dritten Buches des Romans „Altneuland“: „Das blühende Land“ (Herzl, Altneuland/Judenstaat, 83).
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schnitt galten die ,fleißigen Bauern‘ Israels erneut als Widerlegung des alten Rassenhasses. Das Interesse an den kulturellen und pädagogischen Errungenschaften ließ in dieser Phase nach. Dafür sah man, wie gehabt, in den Kibbuzim die neue, bessere Gesellschaft abgebildet. Deutlicher als zuvor wurde in diesem Enthusiasmus die Unzufriedenheit mit der in der Bundesrepublik vorherrschenden ,liberalen Wirtschaftsideologie‘ kompensiert. Wenn davon die Rede war, dass Menschen in einem derart vom Wir-Gefühl geprägten Umfeld „seelische Gesundheit“7 erhalten würden, dann bekamen solche Texte den Charakter eines erbaulich-sozialromantischen Traktats. Kein Wunder also, dass einige wenige Stimmen vor einer Verklärung warnten.
3.2.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen Auch wenn in diesem Zeitabschnitt keine offenen militärischen Auseinandersetzungen von sich reden machten, erschien der unvermindert anhaltende israelisch-arabische Antagonismus manchen unlösbar. Die meisten Autoren waren allerdings optimistischer und verliehen ihrer Hoffnung auf eine gerechte Friedenslösung Ausdruck. Der Aspekt des Friedens spielte in den 1960er Jahren gegenüber Phase I eine spürbar dominantere Rolle. Man ging so weit, in einer gelungenen Koexistenz von Israelis und Arabern einen Beitrag zur ,Bewahrung des Weltfriedens‘ zu erblicken – eine Einschätzung, die umgekehrt leicht dazu führen konnte, dass man einem der Konfliktparteien die Last aufbürdete, für den unheilvollen Zustand der ganzen Welt verantwortlich zu sein. Der Streitfall bezüglich der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik wurde in die Friedensfrage integriert: Die Waffen könnten erst schweigen, wenn der Westen ein ,normales‘ Verhältnis zu beiden Seiten im Nahen Osten einnehme. Gerade den Kirchen und ihren Gruppierungen kam in den Texten zunehmend die Bedeutung zu, sich als Experten der Friedensarbeit zu profilieren. Auffallend ist, dass sich die Wahrnehmung des Nahen Ostens in diesem Zeitabschnitt zunehmend politisierte. Mehr und mehr Autoren stellten Konfliktlösungsstrategien vor, wie sie in den kirchlichen Presseorganen bisher unbekannt waren. So fand sich immer wieder der – eigentlich banale, aber richtige – Gedanke, dass es nur durch eine Anerkennung des Lebensrechts des anderen zu einem Frieden kommen könne. Ganz vereinzelt gab es Hinweise, dass die Probleme zwischen Israel und seinen Nachbarn vermieden werden könnten, wenn es zu einem bi- oder multinationalen Staat im Nahen Osten käme. Die Autoren waren sich aber darin einig, dass es keinen Frieden geben könne, solange Vorderasien noch im ,Kraftfeld der konkurrierenden Großmächte‘ stehe. Diese als Mahnung fungierende Bestandsaufnahme richteten 7 Grber, Quo vadis, 115.
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die Autoren formal an alle Konfliktparteien, praktisch nahmen sie aber eher Israel und den Westen in die Pflicht. Das arabische Flüchtlingselend fand in Phase II nicht mehr die Aufmerksamkeit wie in den Jahren zuvor; angesichts der großen politischen Fragen schien die individuelle Not eher ins Hintertreffen zu geraten. Es waren vielmehr die Stimmen dominant, die davor warnten, das Problem der Vertriebenen einseitig gegen Israel zu instrumentalisieren. Man war davon überzeugt, dass die Nachbarstaaten die Araber Palästinas zur Flucht aufgefordert hätten. Dass nur West-Jerusalem zu Israel gehörte, wurde an einer Stelle zwar bedauert, an anderer jedoch als Ausdruck nicht vereinbarer, gleichberechtigter Interessen zwischen Israel und Jordanien akzeptiert. Niemand sonst schien sich an der jordanischen Annektierung Ost-Jerusalems zu stören. Während im ersten Zeitabschnitt noch ein Autor darüber echauffiert war, dass die Juden keinen Zugang zur Klagemauer hätten, fand man sich in Phase II damit ab, profilierte sich vielmehr als Angehöriger eines Protestantismus, für den es keine Heiligen Stätten gäbe. 3.2.4 Parteinahme für den Staat Israel Trotz fehlender Kriege nahmen die proisraelisch ausgerichteten Analysen die arabische Drohung ernst, wonach ,die Juden wieder ins Meer getrieben‘ werden sollten. Die ungünstige Grenzziehung berücksichtige keine Sicherheitsaspekte und könne die angekündigte Auslöschung Israels beschleunigen. Der Druck von außen hatte in den Augen einiger Texte auch positive Folgen für das jüdische Gemeinwesen im Heiligen Land, insbesondere im Blick auf das nationale Identitätsgefühl. In diesem Zeitabschnitt wurde erstmals das Existenzrecht Israels hervorgehoben und gegenüber seinen wirklichen oder möglichen Bestreitern proklamiert. Die Bundesregierung stehe faktisch auf der Seite derer, die dieses Recht ablehnten, solange sie den Staat Israel nicht diplomatisch anerkenne. Der Bezug auf die deutsche Situation drückte sich auch in der Forderung aus, die Deutschen könnten von den arabischen Staaten erst dann die Respektierung der durch die Schaffung Israels entstandenen Grenzen verlangen, wenn sie selbst bereit wären, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen. Diese Argumentation zeigte, dass deren Urheber mehr durch die Gegnerschaft zu einer bundesdeutschen Revisionspolitik motiviert war, als dass er sich Sorgen um das Wohl Israels gemacht hätte. Explizit fand sich erstmals in Phase II die Aussage, dass gerade die Christen als spezifischen Ausdruck ihres Glaubens Verantwortung für den Staat Israel hätten. Die Stimme derer, die Israel vor dem Vorwurf des aggressiven Expansionismus in Schutz nahmen, wurde im Vergleich zu Phase I leiser. Dagegen fanden sich mehr Zeitschriftenartikel, die es für ungerechtfertigt hielten, wenn Israels Anstrengungen zur Förderung der arabischen Bürger im eigenen Land
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übersehen würden. Nur an jeweils einer Stelle wurde kritisiert, dass die arabischen Christen zu judentumskritisch wären und dass sich ÖRK und LWB mehr um die jordanischen Araber kümmerten als um die Christen Israels. Auch in diesem Zeitabschnitt wies nur ein Autor darauf hin, dass der Kommunismus antizionistisch und damit antisemitisch sei. 3.2.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite Weniger die Palästina-Araber, sondern die arabischen Staaten standen im Mittelpunkt des Interesses. Kritik an der Politik Israels galt auch dann als legitim, wenn sie von Deutschen ausgeübt werde. Den antiisraelischen Ressentiments auf arabischer Seite wurde ein gewisses Verständnis entgegengebracht. In Phase II fand sich erstmals der Vorwurf an Israel, es betreibe eine „imperialistische Aggression“ gegenüber seinen Nachbarstaaten.8 Auch nach innen sei ein besorgniserregender Nationalismus zu beobachten. Dieser wurde erstmals als die Ursache für die defizitäre Integration der arabischen Bevölkerungsteile ausgemacht.
3.3 Dritte Phase (1967 – 1972) Im Blick auf die Gruppe der Verfasser ist auffallend, dass im Zuge der Professionalisierung der kirchlichen Publizistik, die in der Gründung der Evangelischen Kommentare 1968 einen prägnanten Ausdruck gefunden hatte, die Zahl der schreibenden Pfarrer und Theologen zugunsten der kirchlich engagierten Berufsjournalisten und der Vertreter nichttheologischer Fachrichtungen abnahm (z. B. Immanuel Geiss, Siegfried Kortzfleisch, Hans Norbert Janowski, Eberhard Stammler). Letztere warfen neue Fragestellungen in die Debatte, die sich weniger vor dem Forum tradierter theologischer Wahrnehmungsmuster verantworteten, sondern eher mit den Vorstellungen der zeitgenössischen Umwelt kongruent gingen. Auch bei der Entscheidung, welche Pfarrer und Theologen nach wie vor die Vorgänge im Nahen Osten kommentieren dürften, hatten die Journalisten innerhalb der Redaktionen maßgeblichen Einfluss. Daneben räumte man der weltweiten Ökumene größeren Raum ein, insbesondere den Verlautbarungen des ÖRK, der auch als Sprachrohr der orientalischen Kirchen fungierte. Die publizistische Professionalisierung und die ökumenische Ausrichtung führten im Kontext des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas zur zunehmenden Politisierung der Nahostperzeption. Mit der unbedingten Israeltreue auf der einen und der Palästinensersolidarität auf der anderen Seite ging eine Polarisierung einher, 8 Andel, Pharao, 539.
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die den Meinungspluralismus der vorhergehenden Zeitabschnitte übertraf. Hinsichtlich der Verfasser ist bemerkenswert, dass mehr als zuvor jüdische Autoren zu Wort kamen, z. T. in Form eines Wiederabdrucks älterer Texte – von Martin Buber und Margarete Susman –, meist jedoch in Gestalt eigener aktueller Beiträge – von Simcha Flapan, Robert Raphael Geis, Pinchas Lapide, Yona Malachy und Eli Rothschild. Schalom Ben-Chorin, einer der wichtigsten jüdischen Gesprächspartner der Kirchentags-AG seit 1961, trat in den untersuchten Periodika überhaupt nicht mehr als Autor in Erscheinung. Auch arabische Autoren blieben deutlich unterrepräsentiert. 3.3.1 Religiöse und theologische Aspekte Neben diversen Kontinuitäten in der kirchlichen Israelrezeption resultierten aus dem Sechstagekrieg verschiedene Umbrüche. Diese fielen nicht immer besonders dramatisch aus. Oft wurden nur die bereits bestehenden fortschrittlichen Entwicklungslinien weiterverfolgt und deren konservative Pendants in den Hintergrund gedrängt. So brach das Thema Judenmission im Grunde genommen völlig ab und machte einer anvisierten Dialogkultur Platz. Die Existenz des jüdischen Staates stellte nicht mehr das christliche Zeugnis gegenüber den Juden vor eine neue Herausforderung, sondern die christliche Fähigkeit zur Solidarität. Auch die israelischen Christen jüdischer Herkunft, die sich zunehmend als ,messianische Juden‘ verstanden, fanden kein Interesse mehr. Die Relevanz des Staates Israel für die Theologie wurde mehr betont als in der vorhergehenden Phase. Die Verknüpfung dieser Relevanz mit der Herkunft Jesu aus dem Judentum hatte gegenüber den 1950er Jahren seine Notwendigkeit verloren. Das christlich-jüdische Gegenüber wurde eher auf dem Hintergrund des jüngsten Krieges diskutiert. Von den theologischen Komponenten der israelischen Staatlichkeit, mit denen man sich wieder in ähnlichem Umfang beschäftigte wie in Zeitphase I, war es ein logischer Schritt zur Frage nach den religiösen Aspekten des Nahostkonflikts im Allgemeinen. Unter der Voraussetzung, dass theologisch Geschulte diese religiösen Aspekte präziser einzuordnen vermochten als deren areligiös-säkulare Zeitgenossen, reklamierten publizistisch tätige Theologen und christliche Journalisten für sich den Status von Experten. Deutlicher und ausführlicher als zuvor wurden die Christen zur Anerkennung der jüdischen Zionssehnsucht aufgefordert. Einer solchen Anerkennung des jüdischen Selbstverständnisses kam mehr denn je Beweiskraft zu. Da eine biblizistische Argumentation nach dem Schema Weissagung und Erfüllung nicht überall einen großen Kredit genoss, bildete das jüdische Selbstverständnis mehr denn je den archimedischen Punkt einer christlichen Israelrezeption. Damit unternahmen Protagonisten heilsgeschichtlicher Israeldeutungen sowie Skeptiker den Versuch, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der es ohne theologische Steilvorlagen ermöglichte, ein christliches Ja
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zum Heimatrecht der Juden in Palästina zu finden. Je nach Profil des Autors wurde dabei entweder von einer erneuten ,Landnahme‘ der Juden gesprochen oder im Gegensatz dazu vor geschichtstheologischen Entgleisungen gewarnt. Von der Anerkennung des jüdischen Verhältnisses zu ,Erez Israel‘ bis zur Integrierung der israelischen Staatlichkeit in die christliche Lesart der biblischen Erwählungsgeschichte war es nur ein kleiner, aber entscheidender Schritt. In vielen Artikeln hatte der Staat Israel gerade deshalb Anteil an der göttlichen Verheißung, weil er von einem Teil der Judenheit gebildet wurde, deren Erwählungscharakter schon vorausgesetzt war. In diesem Zusammenhang wurde die Existenz des jüdischen Staates als ein ,Zeichen der Treue Gottes‘ gegenüber seinem Volk bezeichnet – woraus aber folgen könnte, dass die Vernichtung dieses Staates ein Zeichen der Verwerfung durch Gott wäre. Eine Betrachtung der israelischen Staatlichkeit als Teil der eschatologischendzeitlichen Heilszeit fand nur selten statt, wenn auch mehr als in Phase II. Wie in den vorhergehenden Zeitabschnitten wurde im Zusammenhang der theologischen Aspekte der Vorwurf zurückgewiesen, dass die israelische Gesellschaft religionslos sei. Der Unterschied bestand vor allem darin, dass manche Autoren aufgrund der jüngsten Kriegserlebnisse die Entwicklung einer neuen Religiosität zu erkennen meinten – was fragen ließ, wie die Texte vor 1967 die Religiosität der Israelis postulieren konnten, wenn die Erfahrung des Krieges noch nicht vorausgesetzt werden konnte. Von den Aufsätzen, die den Staat Israel positiv in die christliche Theologie zu integrieren wussten, setzen sich die Kritiker heilsgeschichtlicher und endzeitlicher Deutungen ab. Der Kampf gegen eine religiöse Überhöhung der israelischen Staatlichkeit, der in Phase II abgeebbt war, nahm wieder ein Ausmaß an, das an die Zeit nach 1948 erinnerte. Den Texten nach 1967 wohnte eine apologetische Tendenz inne, da sie eine Zeitströmung zu widerlegen suchten, die in den Augen der Autoren eine moderne Variante alter Irrlehren darstelle. Dieses apologetische Insistieren geschah mit Nachdruck, da gerade der Sechstagekrieg die neuen, inzwischen auch als ,evangelikal‘ titulierten ,Schwärmereien‘ gefördert habe. Hintergrund der Abwehr endzeitlicher Sinngebungen war zum einen eine Reihe exegetischer Einzelbeobachtungen, zum anderen eine hermeneutisch-dogmatische Gesamtschau, die nur noch teilweise auf der traditionellen Substitutionslehre fußte. Gegenüber dem ersten Zeitabschnitt war in Phase III das Bemühen zurückgegangen, eine Israeltheologie unter Zuhilfenahme neutestamentlicher Einsichten zu widerlegen; die apodiktische Christozentrik hatte deutlich nachgelassen. Dazu trat nach 1967 die innerweltlich motivierte Polemik gegen jeden Bibelbezug. Die Betonung der säkularen Charakteristika des Staates Israel diente nur noch der Abwehr theologischer Überhöhungen sowie der Durchsetzung einer israelkritischen Politik und war nicht mehr – wie z. T. in Phase II – Ausdruck des Bedauerns, dass Israel gegenüber den heilsgeschichtlichen Erwartungen zurückbleibe. Kritiker des Staates Israel perhorreszierten nach wie vor vermeintlich theokratische Tendenzen.
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3.3.2 Säkulare Aspekte In verlässlicher Kontinutität galt der Staat Israel als Zufluchtsort der Holocaustüberlebenden. Der früheren Bedrohung durch den NS-Staat wurde aufgrund des jüngsten Krieges die aktuelle Bedrohung durch die arabisch-islamische Umwelt an die Seite gestellt. Die Solidaritätsbekundungen mit dem durch einen anvisierten Völkermord neu in Frage gestellten Israel galten wie zuvor als Ausdruck der deutschen und der christlichen Verantwortung angesichts der Schoah. Daneben wurde das Wissen um die Schoah auch instrumentalisiert, um das Verhalten der Israelis zu psychologisieren: Wegen der früheren Erfahrungen würden sich die Israelis heute so aggressiv verhalten. Von da war es nur ein kleiner Schritt zu einer Anklage: Das frühere Leiden der Juden rechtfertige nicht das Unrecht, das Israel den palästinensischen Arabern angetan habe. Daraus folgte die Forderung, dass Christen, sofern sie aus der deutschen Geschichte gelernt hätten, mit den Palästinensern, den später so apostrophierten ,Opfern der Opfer‘9, solidarisch sein müssten. Das war eine Neuerung gegenüber den früheren Zeitabschnitten, in denen das Lernen aus der NS-Zeit stets auf Juden und Israelis bezogen war. Das Luxemburger Abkommen wurde im Rückblick wie bisher als Versöhnungsgeste der Deutschen an Israel betrachtet. Nur wenige Stimmen monierten, dass der Wiedergutmachungsvertrag deshalb problematisch gewesen sei, weil er die Israelis gegenüber den Arabern bevorzugt hätte. Der Botschafteraustausch von 1965 war für die proisraelische Linke ein moralischer Akt gegen den Einfluss der kapitalistischen arabischen Lobby auf die Politik der Bundesrepublik. Ein neues Ereignis, das nach 1967 auf die Schoah Bezug nahm, war das Münchner Geiseldrama von 1972. Man ging davon aus, dass dies die deutsch-israelischen Beziehungen erschweren würde, weil erstmals nach 1945 wieder Juden auf deutschem Boden umgekommen waren. Die Aufbauleistungen des Staates Israel forderten den Autoren weiterhin Respekt ab, nur nicht mehr in dem früheren Ausmaß. Die Entwicklung zum Industriestaat wurde deutlicher als bisher hervorgehoben. Das Interesse am ,ideologiefreien‘ Sozialismus der Kibbuzim hatte abgenommen; Israel wurde mehr als kapitalistischer Staat wahrgenommen. Man rühmte die israelische Gesellschaft für ihren demokratisch-pluralistischen Charakter. Das soziale Anliegen des Judenstaates zeige sich daran, dass er die Entwicklungsländer an seinem Knowhow teilhaben lasse. Auf der anderen Seite spielten bei der Abwehr der Glorifizierung Israels erstmals die Palästinenser eine Rolle: Der
9 Vgl. Wodak, Opfer. – Vgl. zudem die implizite Kritik des Opfer-der-Opfer-Begriffs bei: Haury, Logik, 153: „Denn schon die von Anfang an [im Antizionismus, GG] kursierende Täter-OpferMetaphysik, die die Palästinenser zu den ,Opfern der Opfer‘ erklärte und damit die Juden zu ,Tätern‘, diente der Relativierung der deutschen Verbrechen.“
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Ausbau des Landes von Seiten der Israelis könne nicht gerühmt werden, weil er zu Lasten der arabischen Bevölkerung geschehen sei. 3.3.3 Der Nahostkonflikt im Allgemeinen Die Artikel spiegelten die Tatsache wieder, dass der Sechstagekrieg die Christen wie kein anderes Nahost-Ereignis erschüttert hatte. Man fürchtete, dass sich der regionale Konflikt zu einem dritten Weltkrieg ausweiten könne. Der Beunruhigungsfaktor war umso höher, je mehr der komplexe Charakter des israelisch-arabischen Konflikts wahrgenommen wurde und eine Lösung in weite Ferne gerückt zu sein schien. Gleichzeitig stieg die Zahl der Friedensappelle an Regierungen, staatliche Zusammenschlüsse, Kirchen und ökumenische Vereinigungen deutlich an. Erstmals wurde eine israelische Friedensbewegung registriert, mit der sich viele Autoren verbunden fühlten. Immer mehr Autoren entwickelten Konfliktlösungsideen. Man war sich einig, dass nur durch Kompromisse ein Ausgleich zwischen Israelis und Arabern erzielt werden könne. Unklar blieb, welcher Konfliktpartner den ersten Schritt zu tun habe, jedoch geriet den Texten zufolge Israel aufgrund des jüngsten Krieges mehr und mehr in Zugzwang. Der Vorschlag einer Schaffung eines binationalen bzw. föderativen Staates in Palästina fand im Gegensatz zu früher eine breite Unterstützung. Die Skeptiker, welche diese Idee für utopisch hielten, bildeten eine Minorität. Mehr denn je räsonierten die Artikel über die verhängnisvolle Rolle der Weltmächte in Vorderasien, wobei sie sich auf die Antipoden USA und Sowjetunion konzentrierten; der ,Westen‘ im Allgemeinen einschließlich der europäischen Länder trat in den Hintergrund. Anlässlich neuer arabischer Fluchtbewegungen im Junikrieg 1967 wurde die Frage nach dem an den aktuellen wie früheren Vorkommnissen Schuldigen virulent. Es waren vornehmlich linke Autoren und ökumenische Kreise, die Israel für die Entwurzelung der Palästinenser verantwortlich machten, während der jüdische Staat in anderen Analysen vor diesem Verdikt in Schutz genommen wurde. Letzteren war aber anzumerken, dass sie in die Defensive geraten waren. Allgemeingut war die seit 1948 vorherrschende Auffassung, dass den Flüchtlingen karitativ geholfen werden müsse. Aufgrund des aktuellen Kriegsausganges war die Debatte über die israelische Besetzung Ost-Jerusalems und des Westjordanlandes gegenüber den vorhergehenden Zeitabschnitten neu. Analog zur Flüchtlingsfrage konkurrierten im Blick auf den Status Jerusalems zwei gegensätzliche Positionen miteinander, wobei auch hier die Sicht, die Israels Vorgehen rechtfertigte, in die Defensive geraten war und sich letztlich religiös legitimieren musste. Demgegenüber entdeckte die proarabische Seite auf einmal den alten UNBeschluss einer Internationalisierung der Heiligen Stadt, was während der Zugehörigkeit zu Jordanien kein Thema war. Nachdem Israel die Jerusalemer Altstadt besetzt hatte, verlangten die Texte gleichermaßen den freien Zugang
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zu den heiligen Stätten für Juden, Christen und Muslime – eine Forderung, die proarabische Autoren in den 19 Jahren zuvor nicht auf das Tapet gebracht hatten. Der Hauptgrund, die israelische Besetzung der neu eroberten Gebiete gutzuheißen, war der Aspekt einer sicheren Grenzziehung. Doch gegenüber diesen wenigen Stimmen überwogen die Voten, die die Besatzungspolitik aufs schärfste verurteilten. Der polemische Rekurs auf den Umgang ,revisionistischer‘ Deutscher mit der Oder-Neiße-Linie sollte dem progressiven Leser die moralische Problematik des israelischen Verhaltens vor Augen führen. Während der Vergleich mit den deutschen Grenzen früher gegen die arabische Seite gerichtet worden war,10 wurde er nun gegen Israel verwandt – letzteres war unlogischer, denn im deutschen und arabischen Fall ging es um die NichtAkzeptanz eines Gebietsverlustes, im Fall Israels handelte es sich um die Besetzung eines fremden Territoriums.
3.3.4 Parteinahme für den Staat Israel Die akute Bedrohung Israels durch arabische Vernichtungsankündigungen blieb in vielen Artikeln weiterhin ein virulentes Problem. Proisraelisch ausgerichteten Texten zufolge hatte selbst der israelische Sieg 1967 hier keine Abhilfe geschaffen. Zum Hass der arabischen Nachbarländer kam die Bedrohung durch den palästinensischen Terrorismus, was gegenüber den ersten beiden Zeitabschnitten neu war. Aufgrund dieser Gefahrenlage war es in den Augen der Verfasser wichtiger denn je, dass auch die arabische Welt den Staat Israel völkerrechtlich anerkenne und sein Existenzrecht bejahe. Nachdem die Bundesregierung einem Botschafteraustausch mit Israel zugestimmt hatte, seien nun andere Staaten gefragt, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Erneut wurde ein Vergleich mit den deutschen Grenzen gebraucht, diesmal wieder gegen die Araber gerichtet: Wie vom deutschen Volk zu erwarten sei, dass es die Oder-Neiße-Linie anerkenne, so müsse auch von den arabischen Staaten die Anerkennung der Grenzen Israels gefordert werden. Die Autoren, die Israel als bedroht wahrnahmen, zogen die Notwendigkeit einer kirchlichen Solidarität zum jüdischen Staat nicht in Zweifel. Die spezifisch christliche Verantwortung wurde am häufigsten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sechstagekrieg betont. Wegen des gewonnenen Krieges und der fortdauernden Besatzung geriet der Staat Israel immer mehr in die Schusslinie seiner Kritiker. Deshalb mehrten sich auch in den Aufsätzen die Bemühungen, Israel gegenüber den Vorwürfen in Schutz zu nehmen. So wurde konstatiert, der Staat Israel betreibe keine aggressive Politik gegenüber den arabischen Staaten, sondern würde sich nur verteidigen. Indem sich aber die Autoren dagegen wehrten, 10 S. a. Teil III, 2.4.1.
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dass Israel als ,Büttel‘ der ,imperialistischen‘ und kapitalistischen USA gelte – welche aufgrund des Vietnamkriegs ihren moralischen Kredit verloren hatten –, bekannten sie sich selbst zu ihrer eigenen kapitalismuskritischen und antiamerikanischen Sichtweise, in der für ein wirtschaftsliberales Israel an der Seite der USA kein Platz war. Die alte Vorhaltung, der jüdische Staat würde seine arabische Minderheit diskriminieren, erhielt mit der Besetzung der eroberten Gebiete und den hier lebenden Palästinensern neue Nahrung. Das Monitum, Israel sei ein nationalistisch-rassistisches Gemeinwesen, wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass der israelische Staat allen seinen Bürgern die gleichen Rechte gewähre. Kein Text behauptete, man dürfe die Entscheidungen der israelischen Regierung nicht kritisieren. Proisraelische Autoren bestanden lediglich auf einer fairen Kritik. In diesem Zusammenhang wurde der Berichterstattung in Deutschland erstmals vorgehalten, sie sei einseitig israelkritisch. Auf die israelfeindliche Rolle der Kirchen und kirchlichen Zusammenschlüsse wurde mehr denn je rekurriert. Es wurde beklagt, dass die arabischen Kirchen einseitig ihre Solidarität zu ihren Regierungen bezeugen und die eigene Israelfeindschaft mit einem schroffen Antijudaismus legitimieren würden. Den Artikeln zufolge habe die israelkritische Haltung arabischer Kirchen den ÖRK und den Vatikan sowie zahlreiche ökumenische Initiativen stark beeinflusst, sodass auch diese wiederum einseitig antiisraelisch urteilen würden. Einen gewissen Raum nahm in den Texten die Auseinandersetzung mit der proarabischen ,Neuen Linken‘ ein, die als antizionistisch und damit tendenziell antisemitisch wahrgenommen wurden. Gegenüber dieser Bekämpfung des linken Antizionismus im Westen fiel die bereits aus Phase I und II bekannte Qualifizierung der kommunistischen Staaten als israelfeindlich kaum ins Gewicht. 3.3.5 Parteinahme für die arabisch-palästinensische Seite In diesem Zeitabschnitt entdeckten die Autoren erstmals die Notwendigkeit, für das Lebensrecht der nun als ,Palästinenser‘ wahrgenommenen Araber Palästinas in einer Weise einzutreten, die über bloße karitative Hilfe hinausging. Die Palästinenser befänden sich in einer ähnlichen Lage wie z. B. die Schwarzen in Südafrika – womit Israel zu einem unterdrückerischen Apartheidsregime erklärt wurde –, sodass die Artikel in den palästinensischen Befreiungsgruppen ,Widerstandsbewegungen‘ erblickten, deren Gewaltanwendungen nicht von vornherein als moralisch illegitim galten. Zum ersten Mal berichteten die Periodika über das Streben der palästinensischen Bewegung nach einem eigenen Staat, und das durchaus wohlwollend, wenngleich das Thema erst in den Jahren nach Phase III vehement forciert wurde. Einen breiten Raum nahm die Diskussion um eine sachgerechte Israelkritik ein. Ausgehend vom ideologischen Anliegen der Autoren, dass Kriege und
Überprüfung der Hypothesen
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Nationalstaaten in einer egalitären Weltgemeinschaft aufzuheben seien, war die Kritik an einem Land folgerichtig, das sich militärisch zu wehren wusste und bewusst jüdisch bleiben wollte. Dabei wurde vorausgesetzt, dass ,antiimperialistische‘ Deutsche nicht antisemitisch sein und deshalb mit moralischer Legitimation über Israel zu Gericht sitzen könnten. Die Texte, die in Israels Kriegen expansionistische Aggressionen zu erkennen meinten, nahmen zu. Das Argument, der jüdische Staat würde sich nur verteidigen, war im Zuge des Sechstagekrieges weniger glaubhaft geworden. Der Umfang, in dem man in Phase III den israelischen Nationalismus geißelte, ähnelte dem Ausmaß, mit dem man sich seit Ende der 1940er Jahre dieser Thematik gestellt hatte. Erneut publizierte Texte von Martin Buber, Margarete Susman und Robert Brunner sprachen mit der Botschaft von damals in die Situation nach dem Sechstagekrieg hinein. Das süffisante Wortspiel, dass die nationale Orientierung der sozialistischen israelischen Arbeiterpartei zu einem ,Nationalsozialismus‘ führe, diskreditierte die Israelis als Nazis der Jetztzeit.
3.4 Überprüfung der Hypothesen Von Anfang an wurde im westdeutschen Protestantismus die Existenz des Staates Israel reflektiert, in den 1950er Jahren zunächst von Vertretern der judenmissionarischen Zusammenschlüsse und von ,progressiven‘ Einzelpersonen. Hypothese 6 stimmt deshalb nur quantitativ, nicht jedoch qualitativ.11 Durch alle drei Zeitphasen hindurch wurde die theologische Relevanz des Staates Israel vorausgesetzt (Hypothese 1). Was dessen heilsgeschichtliche Bedeutung betraf, so fand ein hartnäckiges Ringen um ein rechtes Urteil statt. Viele Texte bemühten sich um eine unkonkrete, dafür aber behutsame heilsgeschichtliche Zuschreibung. Diese fand in Phase I unter einer judenmissionarischen Prämisse statt, welche in Phase II zugunsten des Dialoggedankens zurücktrat; in Phase III war die frühere Prämisse so gut wie völlig verschwunden. In allen Zeitabschnitten gab es Texte, in denen die Existenz des Staates Israel in den Kontext der jüdischen Erwählung gestellt wurde. Einer religiösen Überhöhung der jetzigen israelischen Staatlichkeit oder einer eschatologisch-apokalyptischen Sichtweise wurde nur äußerst selten das Wort geredet; durchgehend bestanden massive Vorbehalte gegenüber solchen Interpretationen. Von daher ist Hypothese 1 dahingehend zu korrigieren, dass zwar heilsgeschichtliche, aber keine eschatologische Deutungen befürwortet wurden. Der Kampf gegen eine religiöse Überhöhung der israelischen Staatlichkeit, der in Phase II etwas abgeebbt war, nahm nach dem Sechstagekrieg wieder ein Ausmaß an, das an die Zeit nach 1948 erinnert. Die moralische Verantwortung der Christen angesichts der Schaoh wurde 11 Zu den Hypothesen s. Teil I, 5.1 und 5.2.
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Ergebnis des publizistikwissenschaftlichen Teils
durchgehend ernst genommen (Hypothese 2a). In großer Übereinstimmung wurde der Staat Israel als Zufluchtsort der Überlebenden des nationalsozialistischen Massenmordes wahrgenommen, wobei das Bewusstsein um deutsche Schuld in Phase II am größten war. Deutlicher als je zuvor wurde nach 1967 der früheren Bedrohung der Juden durch den NS-Staat die aktuelle Bedrohung der Israelis durch die arabisch-islamische Umwelt an die Seite gestellt. Im Gegenzug dazu postulierten andere Autoren, dass derjenige, der aus der deutschen Geschichte gelernt habe, sich jetzt in Phase III den Palästinensern zuwenden müsse, und dass das frühere Leiden der Juden nicht das heutige Unrecht der Israelis rechtfertige. Die meisten Artikel waren sich darin einig, dass der israelischen Nation Achtung und Respekt wegen des wirtschaftlichen Aufbaus und der gesellschaftlichen Errungenschaften gebühre (Hypothese 2b). Hier spiegelten sich die Sehnsüchte der westdeutschen Autoren wieder sowie deren Enttäuschungen über die bundesrepublikanische Realität: Der Sozialismus der Kibbuzim wurde gegenüber der westlichen Marktwirtschaft präferiert. Die ,fleißigen Bauern‘ Israels galten in Phase I und II als Widerlegung des alten Rassenhasses. Gegenüber den früheren Zeitabschnitten ließ das Interesse am israelischen Vorbild in Phase III etwas nach; Israel wurde mehr als ein kapitalistischer Staat wahrgenommen. Durchgehend warnten kritische Stimmen nur vereinzelt vor einer Glorifizierung des israelischen Aufbauwillens. Insgesamt geriet das theologische Ringen um das Vorhandensein des jüdischen Staates in Phase II gegenüber der politischen Beschäftigung mit Israel ins Hintertreffen (Hypothese 3a). Diese Entwicklung setzte sich nach 1967 fort. Durchgehend wurde der Sorge wegen der israelisch-arabischen Gegnerschaft Ausdruck verliehen. Die Frage nach dem Zusammenleben der Nationen in Frieden und Gerechtigkeit spielte in Phase I eine noch untergeordnete Rolle. Phase II war eher von optimistischen Vorschlägen zur Konfliktlösung gekennzeichnet. Der Sechstagekrieg führte allerdings zu einer Beunruhigung und zu daraus resultierenden Friedensappellen, die alles Bisherige in den Schatten stellten. Der Vorschlag einer Schaffung eines binationalen bzw. föderativen Staates in Palästina erhielt im Gegensatz zu früher eine breite Unterstützung. Die arabischen Flüchtlinge fanden Beachtung, allerdings mehr in Phase I als in Phase II und dort nicht als Vertreter eines bestimmten Volkes, sondern als Not leidende Individuen (Hypothese 3b). In Phase II stand weniger die Lösung des Flüchtlingselends im Mittelpunkt; der Fokus lag vielmehr auf den möglichen Hintergründen der einstigen Flucht oder Vertreibung. Aufgrund neuer arabischer Fluchtbewegungen im Junikrieg 1967 wurde die Frage nach dem Schuldigen an den Vertreibungen mehr denn je virulent. In Phase III war die Debatte über die israelische Besetzung Ost-Jerusalems und des Westjordanlandes gegenüber den vorhergehenden Zeitabschnitten neu (Hypothese 3c). Die Sicht, die Israels Vorgehen rechtfertigte, geriet in die Defensive, sodass im
Überprüfung der Hypothesen
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Gegensatz zur Formulierung der Hypothese die meisten Autoren die israelische Oberhoheit über ganz Jerusalem und ganz Palästina ablehnten. Proisraelisch ausgerichtete Texte wussten über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg um die Gefährdung des Staates Israel; ihnen stand ein Bedrohungsszenario vor Augen, in dem die arabischen Staaten als die eigentlichen Aggressoren auftraten (Hypothese 4). Den Autoren des III. Zeitabschnitts zufolge schuf hier auch der siegreiche Sechstagekrieg keine Abhilfe. Zum Hass der arabischen Nachbarländer kam in Phase III die Bedrohung durch den palästinensischen Terrorismus, was gegenüber den ersten beiden Zeitabschnitten neu war. In Phase II wurde erstmals das Existenzrecht Israels hervorgehoben und gegenüber seinen wirklichen oder möglichen Bestreitern proklamiert. Dagegen schmälerten die ,kriegsfreien‘ Jahre unmittelbar vor 1967 die Notwendigkeit, den jüdischen Staat wie in Phase I vor dem Vorwurf des aggressiven ,Imperialismus‘ in Schutz zu nehmen; in Phase I fand sich nur die Widerlegung dieses Vorwurfs, nicht ein solcher selbst. Im dritten Zeitabschnitt nahmen die Bemühungen wieder zu, an Israel geäußerte Kritik zu widerlegen. In diesem Zusammenhang wurde die Haltung der orientalischen Kirchen, des ÖRK und der Neuen Linken problematisiert. Als proarabisch konnte gelten, wenn in verschiedenen Textzusammenhängen Verständnis für die Gegner Israels geäußert oder der jüdische Staat besonders gegeißelt wurde. In Phase I fand eine breit angelegte Problematisierung des israelischen Nationalismus statt, welcher Erinnerungen an das Jahr 1933 wachrief und dadurch Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Zionismus evozierte. Als Leidtragende galten in Phase I und II insbesondere die palästinischen Araber. Im zweiten Zeitabschnitt las man erstmals vom Vorwurf an Israel, es betreibe eine ,imperialistische Aggression‘ gegenüber seinen Nachbarstaaten. Aber erst in Phase III entdeckten die Autoren die Notwendigkeit, für das Selbstbestimmungsrecht der nun als Palästinenser wahrgenommenen Araber Palästinas einzutreten, wodurch der Terrorismus zu einer legitimen Befreiungsbewegung avancierte. Unter der Voraussetzung, dass ,antiimperialistische‘ Deutsche nicht antisemitisch sein könnten, erschien die Kritik an Israels Expansionismus geboten. Der Umfang, in dem man in Phase III den israelischen Nationalismus in die Nähe des Faschismus rückte, ähnelte dem Ausmaß, mit dem man sich seit Ende der 40er Jahre dieser Thematik gestellt hatte. Diese Zusammenfassung verweist auf verschiedene Modifikationen in der Wahrnehmung des Staates Israel zwischen den einzelnen Zeitabschnitten (Hypothese 5). Gleichzeitig kann man diese Verschiebungen nicht auf eine eindimensionale Früher-jetzt-Linie bringen. Die Vorstellung, dass der westdeutsche Protestantismus vor dem Sechstagekrieg proisraelisch agierte, um dann zwischen 1967 und 1972 israelfeindlich zu werden, ist nur halb richtig (Hypothesen 7 und 8). Die Israelkritik in den späten 1960er Jahren ähnelte ja in manchem der in den 1950er Jahren, nur dass die Vorbehalte erst einer ,rechten‘ und dann einer ,linken‘ Gesinnung entsprangen. Gleichwohl gilt, dass die
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friedliche Phase II am ehesten die Hoch-Zeit des Proisraelismus darstellte. In Phase III nahmen auch nicht nur die aus propalästinensischer Sicht geäußerten Verbalattacken gegen Israel zu, sondern gleichermaßen die proisraelischen Widerlegungsversuche dieser Angriffe, sodass die kirchliche Publizistik zumindest in qualitativer Hinsicht in einem andauernden Schlagabtausch verharrte, aus dem kein eindeutiger Sieger hervorging.
4. Schluss In dieser Studie wurde die Wahrnehmung des Staates Israel im westdeutschen Protestantismus von 1948 bis 1972 unter Einschluss der kirchlichen Publizistik nachgezeichnet. Der historische und der publizistikwissenschaftliche Teil bestätigen sich gegenseitig. Es wurde deutlich, dass sich der Protestantismus von Anfang an mit dem Staat Israel auseinandersetzte, wobei die Partizipierung der westdeutschen Christen am Nahostgeschehen im Laufe der Jahre stetig anstieg. Verschiedene protestantische Staat-Israel-Vorstellungen wurden nicht primär auf der Ebene der Kirchenleitungen ausgebildet, sondern auf einer Ebene darunter entwickelt: Theologen und Publizisten, Initiativgruppen und Einzelpersonen brachten in Büchern, Verlautbarungen und Zeitschriftenartikeln die Themen ein, die letztlich auch von Mitgliedern der Kirchenleitungen Besitz ergriffen bzw. die Kirchenleitungen zum Handeln zwangen. Auch im Blick auf die Gesamtgesellschaft trug der Protestantismus zu einem Klima bei, in dem sich die Bundesregierung gegenüber Israel öffnen konnte. Man denke etwa an das ,Schilumim‘-Abkommen oder den Botschafteraustausch. Es dauerte allerdings bis in die 1960er Jahre, dass die offizielle EKD auf die Bühne trat und sich beispielsweise zugunsten der deutsch-israelischen Anerkennung aussprach. Hintergrund des zögerlichen Eintretens der verfassten Kirche war das anfängliche Bemühen, einer Politisierung der Kirche zu wehren. Weder der Rat der EKD noch die von ihm einberufenen Kommissionen waren ein monolithischer Block; ihre Mitglieder wurden von z. T. gegensätzlichen Interessen bestimmt, was sich exemplarisch an den Unterschieden festmachen lässt, wie die Bischöfe Hermann Dietzfelbinger und Kurt Scharf auf den Sechstagekrieg reagierten. Gegenüber den pointierten Voten von Einzelpersonen blieben die Gremien der EKD deshalb Kompromisspositionen verhaftet. Das Verhältnis zwischen Theologie und Politik war auch einer der Hauptunterschiede der Staat-Israel-Rezeption in den 1950er und späten 1960er Jahren. Bestimmten einst theologische Prämissen das Urteil über den jüdischen Staat, so waren später eher innerweltliche Kategorien ausschlaggebend. Die Überschriften der drei Zeitspannen verdeutlichen dies: Während bis Ende der 1950er Jahre eine judenmissionarisch orientierte Heilsgeschichte ,weltliche‘ Themen dominierte („Der Staat Israel als Störfaktor der Mission“), schoben sich Ende der 1960er Jahre politische Deutungsmuster, die Frage nach Recht und Unrecht, in den Vordergrund („Der Staat Israel als Politikum“): Die politische Pro-Israel-Theologie wurde vom propalästinensischen Engagement deutlich in Frage gestellt.
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Schluss
Zwischen Phase I und III liegt der Zeitabschnitt, in dem die Begegnung mit dem Staat Israel den christlich-jüdischen Austausch förderte, was wiederum die Ausbildung heilsgeschichtlicher Betrachtungen unterstützte („Der Staat Israel als ,Motor‘ der christlich-jüdischen Annäherung“). Besonders in Phase II waren viele bereit, aus der christlichen Neubesinnung auf das Judentum politische Konsequenzen zu ziehen und den Staat Israel weitestgehend zu unterstützen. Das bis heute nicht ausgeräumte Dilemma daran war, dass man damit in Konflikt mit arabisch-palästinensischen und folglich mit ökumenischen Interessen geriet, insbesondere nach 1967. Die eingangs zitierte These einer ,traditionell israelfreundlichen Haltung‘1 der Evangelischen Kirche, die erst in jüngster Zeit israelkritisch werde, stimmt so nicht. Der historische wie der publizistikwissenschaftliche Teil der Arbeit kommen zu dem Ergebnis, dass das Verhältnis zum Staat Israel durchgehend ambivalent war, dass Protagonisten einer proisraelischen und proarabischen Einstellung ständig um Einfluss kämpften. Als feste Tradition bildeten sich lediglich ein prinzipielles Ja zum jüdischen Selbstverständnis und das Bekenntnis zum Existenzrecht des jüdischen Staates heraus. Letzteres war aus völkerrechtlicher Hinsicht zwar obsolet, hatte aber seinen Hintergrund darin, dass dieses Existenzrecht durchaus theologisch bestritten werden konnte. Der protestantische Diskurs um den Staat Israel lässt letztlich den Wert einer Diskussionskultur deutlich werden. Dass in dem dauerhaften Ringen um das rechte Verständnis profilierte Einzelpositionen abgeschliffen wurden und Kompromisshaltungen vielfach eine größere Durchsetzungskraft aufwiesen, muss kein Nachteil sein. Die Chance des deutschen Protestantismus liegt darin, dass die unvermeidliche Pluralität, die zwar in Irrwege führen kann, auch die Möglichkeit in sich birgt, genau solche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Auch im Blick auf die Staat-Israel-Rezeption gilt, dass diejenigen, die aus proisraelischer oder proarabischer Hinsicht eindimensionale geschichtliche Entwicklungslinien gezogen haben – sei es als Verfalls- (früher gut, heute schlecht) oder als Erfolgsgeschichte (früher schlecht, heute gut) –, irgendwann von der Faktizität eines Diskurses überrascht werden, in dem sich das Maßvolle und Bescheidene gegenüber allen Radikalpositionen als stärker erweist.
1 S. a. Teil I, 1.
Zeittafel 1938 – 1954 1946 14. 1. 1946 1947 15. 5. 1947 Sommer 1947 29. 11. 1947
1947 – 1961 1947 – 1967 März 1948 14. 5. 1948
Juli 1948 22. 8.–4. 9. 1948 11.–16. 10. 1948 1949 11. 5. 1949 23. 5. 1949 12. 8. 1949 7. 10. 1949 Dezember 1949 Weihnachten 1949 1949 – 2000 1950
Januar 1950
Johannes Döring als Jerusalemer Propst Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission in Bayern gegründet Pariser Reparationsabkommen zur Klärung von Reparationsansprüchen gegen Deutschland Gründung des LWB in Lund UNSCOP ins Leben gerufen Tauziehen um das jüdische Einwandererschiff Exodus Beschluss der Teilung Palästinas in der Resolution 181 der UNO-Vollversammlung; daraufhin Beginn eines jüdisch-arabischen Bürgerkriegs als Vorstufe des Israelischen Unabhängigkeitskriegs ELKZ erschienen EvW erschienen Gründung der AcK in Kassel Gründungsproklamation des Staates Israel; danach Beginn des Israelischen Unabhängigkeitskriegs (Palästinakrieg) oder 1. israelisch-arabischen Kriegs Gründung der EKD und der VELKD in Eisenach Gründungs-Vollversammlung des ÖRK in Amsterdam Gründungstagung des DEADI in Darmstadt Wiedererscheinen der JK Aufnahme Israels in die UNO Gründung der BRD Unterzeichnung der Genfer Konventionen Gründung der DDR Umzug der Knesset von Tel Aviv nach Jerusalem 1. deutscher Gottesdienst in der Jerusalemer Erlöserkirche nach dem 2. Weltkrieg RKZ erschienen Zusammenschluss der in Palästina tätigen missionarischen und diakonischen Einrichtungen und Vereine zum Deutschen Evangelischen Palästinawerk Proklamierung West-Jerusalems als israelische Hauptstadt Beginn der Verhandlungen über das deutsche Missionseigentum zwischen LWB und israelischem Finanzministerium
404 27. 2.–3. 3. 1950 22. 3.–22. 4. 1950 April 1950
Zeittafel
2. Studientagung des DEADI in Kassel 1. Israelreise von Hermann Maas Annektierung des Westjordanlands einschließlich OstJerusalems durch (Trans-)Jordanien 23.–27. 4. 1950 ,Wort zur Judenfrage‘ auf der EKD-Synode in BerlinWeißensee 26. 2.–2. 3. 1951 3. Studientagung des DEADI in Düsseldorf 29. 8. 1951 Abkommen zwischen LWB und israelischer Regierung über das deutsche Missionseigentum in Israel August/Sept. 1951 Erich Lüths Aktion Friede mit Israel September 1951 Umstrittene Vortragstour Abram Poljaks 27. 9. 1951 Adenauers Erklärung zur deutschen Wiedergutmachungspflicht Hundertjahrfeier des JV 3.–7. 3. 1952 4. Studientagung des DEADI in Ansbach 21. 3. 1952 Beginn der deutsch-israelischen Schilumim-Verhandlungen August 1952 Arbeitstagung des IMR in Bethel 30. 8. 1952 Sondertreffen ,Dienst an Israel‘ beim 4. DEKT in Stuttgart 10. 9. 1952 Unterzeichnung des deutsch-israelischen SchilumimVertrags in Luxemburg (Luxemburger Abkommen) November 1952 Prager Slnsky´-Prozess mit antisemitischem Hintergrund 13. 8.–15. 10. 1953 1. Nachkriegskurs des Palästina-Instituts in Ost-Jerusalem Sommer/Herbst 1953 2. Israelreise von Hermann Maas 15.–31. 8. 1954 2. ÖRK-Vollversammlung in Evanston 1954 – 1960 Joachim Weigelt als Jerusalemer Propst 1955 Beginn der Zeitschrift ILB, dem Publikationsorgan des JV, als Nachfolgerin der Neuesten Nachrichten aus dem Morgenlande 1955 Palästinareise des LWB-Präsidenten Landesbischof Hanns Lilje 1956 Israelreise von Karl Heinrich Rengstorf 29. 10.–6. 11. 1956 Suezkrieg oder 2. israelisch-arabischer Krieg März 1958 Landesbischöfe Hanns Lilie und Volkmar Herntrich in Israel und Jordanien 13. 3.–1. 4. 1958 1. Israelreise von Helmut Gollwitzer und Adolf Freudenberg 30. 4. 1958 Aufruf zur Gründung von ASZ in Berlin-Spandau 10. 5. 1958 Gollwitzers Vortrag zum 10. israelischen Staatsjubiläum Oktober 1958 1. Israelreise von Heinrich Grüber
Zeittafel
1959
1. 3.–3. 4. 1959 13. 8. 1959 Herbst 1959 Weihnachten 1959 Anfang 1960 Januar 1960 26. 2. 1960 1960 – 1965 17. 2. 1961 11. 4. 1961 16. 5. 1961 19.–23. 7. 1961 Aug./Sept. 1961 Oktober 1961 1962 – 1998 13.–16. 3. 1962 1. 6. 1962
21. 9. 1962 1.–12. 11. 1962 Januar 1963
8. 3. 1963 März/April 1963 Mai/Juni 1963 24.–26. 7. 1963
405
Gründung der ELCJ Bayerischer Evangeliumsdienst unter Israel durch die evangelisch-lutherische Kirche als Nachfolger der Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission Erklärung der Nederlandse Hervormde Kerk über Kirche u. Israel 1. Israelreise der Berliner ESG ,Israelabend‘ beim 9. DEKT in München Rolf Rendtorff und Günther Harder in Ost-Jerusalem Beginn einer Serie antisemitischer Schmierereien Dibelius’ Telegramm an Ben-Gurion Erklärung der EKBB (West) gegen Antisemitismus Empfehlung der EKBB-Erklärung von Seiten der EKDSynode Carl Malsch als Jerusalemer Propst Entschließung der EKD-Synode zum Eichmann-Prozess Beginn des Eichmann-Prozesses Heinrich Grübers Zeugenaussage beim EichmannProzess Aus der Arbeitsgruppe VI beim 10. DEKT in Berlin entsteht die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen 2. Israelreise der Berliner ESG 1. ASZ-Gruppe in Israel Pflanzung des ,Heinrich-Grüber-Waldes‘ in Israel LM als Nachfolgeorgan von ELKZ, INLL und LN erschienen Studientagung des DEADI in Hofgeismar Israelische Entschädigung für weltliches und privates deutsches Eigentum, wovon am meisten die Württembergische Tempelgesellschaft profitierte Adolf Eichmanns Hinrichtung Auslösung der ,Affäre Malsch‘ durch einen Zeitungsartikel Schalom Ben-Chorins Besuch der EKD-Delegation in Israel Auslösung des Purim-Streits zwischen der Kirchentags-AG und dem Zentralverein sowie innerhalb der Kirchentags-AG (bis 1964) Gründung des deutschen NES AMMIM-Vereins 1. Israelreise Rolf Rendtorffs Nahostreise Helmut Gollwitzers Briefwechsel zwischen Rolf Rendtorff und Martin Niemöller 11. DEKT in Dortmund
406 August 1963 1963 – 1965 1964 26. 4.–2. 5. 1964 24. 5. 1964 2./3. 7. 1964
Herbst 1964 26. 10. 1964
12. 11. 1964 16. 11. 1964 4. 12. 1964 1965 – 1971 15. 1. 1965 12. 2. 1965 16. 2. 1965 März 1965 12. 5. 1965 28. 7.–1. 8. 1965 Juli/August 1965 19. 5. 1966 1967 22. 5. 1967 24. 5. 1967 Anfang Juni 1967 2. 6. 1967 5.–10. 6. 1967 5. 6. 1967
Zeittafel
Karmel-Konferenz in Nyborg Auschwitz-Prozess Gründung der PLO Konsultation der LWB-Abteilung ,Weltmission‘ in Løgumkloster Erklärung der KBiW bzgl. diplomat. Beziehungen Beginn der Diskussion im Rat der EKD, ob man bei der Bundesregierung für die Herstellung diplomat. Beziehungen eintreten solle 1. Israelreise des FÜI-Schriftleiters Wilhelm Koch Vertraulicher Brief des Rates der EKD an den Bundespräsidenten bzgl. diplomat. Beziehungen Beginn der Unterschriftensammlung des DKR der GCJZ bzgl. diplomat. Beziehungen Erklärung der Hann. Landessynode bzgl. diplomat. Beziehungen Offener Brief von 14 Hochschullehrern an die Bundesregierung bzgl. diplomat. Beziehungen Meldung des epd bzgl. des Briefs des Rates der EKD an den Bundespräsidenten Hansgeorg Köhler als Jerusalemer Propst Erklärung der EKiR-Landessynode bzgl. diplomat. Beziehungen Telegramm von 400 Hochschullehrern an den Bundeskanzler bzgl. diplomat. Beziehungen Telegramm der Kirchl. Bruderschaft in Westfalen an den Bundeskanzler bzgl. diplomat. Beziehungen Israelreise von Adolf Freudenberg Diplomat. Beziehungen zwischen BRD und Israel 12. DEKT in Köln Karmel-Konferenzen in Oslo und Nyborg Gründung der DIG EK als Nachfolgeorgan von EvW erschienen Sperrung des Golfs von Akaba durch Präsident Nasser Proisraelischer Solidaritätsaufruf Bischof Scharfs an die Westberliner Pfarrerschaft Politischer Aufruf ,Hilfe für Israel‘ von Kirchenleuten unterstützt Studentenunruhen erhalten mit dem Tod von Benno Ohnesorg eine erste Symbolfigur Sechstagekrieg (Junikrieg) oder 3. israelisch-arabischer Krieg Erklärung des EKD-Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger
Zeittafel
6. 6. 1967 8. 6. 1967 16. 6. 1967
21.–25. 6. 1967 4. 7. 1967 15.–26. 8. 1967 31. 8./1. 9. 1967
22. 11. 1967 1968 9.–12. 2. 1968 11. 4. 1968 10.–19. 5. 1968 28. 11. 1968 Dez 1967 1968 – 2000 März 1969 Juni 1969 10. 6. 1969 16.–20. 7. 1969 18. 10. 1970 1971 März 1971 25. 3. 1971 1971 – 1979 5. 9. 1972 26. 5. 1973 7.–11. 6. 1973
407
1. christlich-jüdischer Fürbittgottesdienst mit Bischof Scharf Stellungnahmen weiterer Kirchenleitungen Ansprache Dietzfelbingers als offizielle Stellungnahme der EKD 2. christlich-jüdischer Fürbittgottesdienst mit Bischof Scharf, inkl. Verlesung eines umstrittenen proisraelischen Aufrufs 13. DEKT in Hannover Israelkritische Erklärung der CFK Erklärung des ZA des ÖRK in Heraklion ,Drei Neins‘ der Arab. Liga in Khartum: Kein Friede mit Israel, keine Anerkennung, keine Verhandlungen mit Israel UN-Resolution 242 Umbenennung der ASZ in ASF EKD-Ratsvorsitzender Dietzfelbinger in Jerusalem Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke WSCF-Tagung in Beirut Gründung der EKD-Studienkommission ,Kirche und Judentum‘ Gründung des VELKD-Arbeitskreises ,Kirche und Judentum‘ EK als Nachfolgeorgan der EvW, KiZ und Evangelischer Literaturbeobachter erschienen Erste Begegnung des ÖRK mit muslimischen Theologen in Cartigny bei Genf; auch der Nahostkonflikt kam zur Sprache Tumulte bei Vortragsreise des Botschafters Asher BenNatan Abtrennung des BEK der DDR von der gesamtdeutschen EKD 14. DEKT in Stuttgart Aufhebung des israelischen Verbots einer deutschen Präsenz in Nes Ammim 100-jähriges Jubiläum des Zentralvereins 1. Israelreise des AK ,Kirche und Judentum‘ der VELKD Buber-Rosenzweig-Medaille der GCJZ für Kurt Scharf Helmut Glatte als Jerusalemer Propst Palästinensische Geiselnahme israelischer Sportler in München Offener Brief des ESG-Arbeitsausschusses an Willy Brandt Israelreise von Bundeskanzler Willy Brandt
408 6.–25. 10. 1973 10. 6. 1975
Zeittafel
Jom-Kippur-Krieg (Oktoberkrieg) oder 4. israelischarabischer Krieg EKD-Studie „Christen und Juden“
Hebräische und arabische Begriffe Palästinensische Befreiungsorganisation (zu arab. fath = Eroberung, Sieg) Alija Einwanderung von Juden nach Palästina seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert (hebr. = Aufstieg; von Jaffa kommend muss man nach Jerusalem aufsteigen) Beth Abraham Jerusalemer Zweigstelle der Darmstädter Marienschwesternschaft (hebr. = Haus Abrahams) Erez Israel Land Israel Fedajin Arabische Untergrundkämpfer bzw. Terroristen; Begriff bis in die 1980er Jahre geläufig (arab. = die Opferbereiten) Galuth Jüdische Diaspora / Leben der Juden außerhalb des Heiligen Landes seit 70 n. Chr. bzw. 135 n. Chr. (hebr. = Exil, Verbannung) Hagana Paramilitärische Organisation der zionistischen Bewegung seit Anfang der 1920er Jahre. Zunächst wollte die Hagana nur den Jischuw gegen arabische Übergriffe verteidigen, später bekämpfte sie unter Anwendung terrorist. Methoden die britische Mandatsregierung. Ende Mai 1948 wurde die Eingliederung der Hagana in die neu gegründeten IDF beschlossen (hebr. = Verteidigung) Intifada Palästinens. Volksaufstand zur ,Abschüttelung‘ der israel. Besatzung (arab. = Aufstand, zu arab. abschütteln) Irgun (Zwai Le’umi) Zionistische Terrorgruppe, die 1935 aus einer Abspaltung der Hagana entstanden war und 1948 wie diese in die IDF eingegliedert wurde (hebr. = nationale Militärorganisation) Jischuw Die in Palästina ansässige jüdische Bevölkerung vor der Staatsgründung (hebr. = Siedlung, bewohntes Land) Knesset Israelisches Parlament (hebr. = Versammlung) Mossad Israelischer Auslandsgeheimdienst (hebr. = Institut) Nakba Die Erfahrung der Vertreibung und anderer Folgen des israel. Unabhängigkeitskriegs für die Palästinenser (arab. = Katastrophe) Nes Ammim Christliche Siedlung in Israel (hebr. = Zeichen für die Völker, Jes 11) Al Fatah
410 Ramat Rakhel Schechina
Schilumim
Schoah Shavei Tsiyon Yad Vashem
Hebräische und arabische Begriffe
Jüdische Siedlung nahe dem Rahelgrab (hebr. = Rahelshöhe) Gnadengegenwart Gottes seinem Volk, in seinem Land, in seinen Heiligtümern und im einzelnen Menschen. Nach Martin Buber „die in die Welt niedergestiegene und ihr Los miterleidende Präsenz Gottes.“1 Eine Reihe von wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Israel und der BRD, darunter Wiedergutmachungs- und Reparationszahlungen (hebr. = Zahlungen; Vergeltung) Der Massenmord an den Juden im 20. Jh. (hebr. = Katastrophe) Nordisraelische Ortschaft (hebr. = Heimkehrer nach Zion) Israelische Gedenkstätte für die Opfer der Schoah (hebr. = Hand und Name, Jes 56,5)
1 M. Buber, Israel, 1950, 207.
Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen Der in den Anmerkungen verwandte Begriff ,Kopie‘ verweist – mit Ausnahme des gewöhnlichen Druckens – auf alle Möglichkeiten der Zeit, ein einmaliges Originaldokument zu vervielfältigen, z. B. mit Hilfe von Durchschlägen, Abschriften, Hektographien.
Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA) Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD 1943 – 1968 351 / 1810 / 1811 / 1812 / 1816 / 1817 / 1896 / 3200 / 3201 / 5248 / 5249 / 5250 / 5251 / 5252 / 5253 / 5254 / 5255 / 5256 Bestand 6: Kirchliches Außenamt (KA) 1578 / 1579 / 1581 / 1582 / 1583 / 1584 / 1585 / 1587 / 1588 / 1589 / 1591 / 1610 / 1733 / 1754 Bestand 36: Evangelische Studentengemeinde (ESG) 01 – 132 / 1288 / 1320 Bestand 71: 86 – 469 Bestand 81: Palästina (Palästinawerk, Jerusalemverein, Evangelische Jerusalemstiftung usw.) und Israel 2 – 185 / 2 – 188 / 2 – 256 / 3 – 100 / 3 – 101 Bestand 87: Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung 849 / 850 / 851 / 852 / 890 Bestand 612: Jerusalemverein (JV) 10 / 22 Bestand 681: Nachlass Dietrich Goldschmidt. 79 / 80 / 84 Bestand 686: Nachlass Helmut Gollwitzer 561 / 736
Landeskirchliches Archiv Berlin-Brandenburg (LABB), Berlin Bestand 38: Nachlass Bischof Kurt Scharf 261 / 471
412
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bestand 45: Amtsakten Kurt Scharf 281 / 282 / 295 / 310
Landeskirchliches Archiv der ELKB (LAELKB) Bestand Vereine III/51: Evangeliumsdienst unter Israel 1 / 26 / 29 / 34 Bestand LKR XIII: Evangelische Kirchen im Ausland 1561 [Israel]
Zentralarchiv der EKHN (ZAEKHN) Bestand 62: Nachlass Martin Niemöller 577 / 640 / 684 Bestand 155: Ev. Arbeitskreis für den Dienst an Israel in Hessen und Nassau 792 / 793 / 794
Nachlass Pfarrer Fritz Graf (1906 – 1957) (Privatbesitz Gerhard Gronauer) Reiseunterlagen und Fotos einer Palästinareise 1933 Schriften der evangelischen Kirche/des Jerusalemsvereins aus Bethlehem von ca. 1933
Verzeichnis der im publizistikwissenschaftlichen Teil analysierten Texte Abileah, Joseph: Ein Brief an König Hussein, in: JK 30 (1969), 603 – 605. Adenauer, Konrad: Wortlaut der Regierungserklärung, in: JK 12 (1951), 597 – 598. Ahne, Lothar: Der neue Staat Israel und die Christenheit, in: JK 12 (1951), 222 – 226. – „Jüdische und christliche Geistigkeit“. Studientagung über Kirche und Judentum vom 13.–16. März in der Ev. Akademie Hofgeismar, in: JK 23 (1962), 271 – 274. Aktion Shnezeichen (ASZ): Dienst für den Frieden. Der Jahresbericht 1970, in: JK 32 (1971), 646 – 654. Andel, Horst: Der neue Pharao. Nassers Ägypten im zweiten Jahrzehnt nach der Revolution, in: JK 24 (1963), 372 – 379.533 – 542. Arbeitsgruppe VI des Kirchentages / Harder, Günther / Ben-Chorin, Schalom u. a.: Aus der Arbeitsgruppe VI des Kirchentages 1961, in: LM 1 (1962), 76 – 81. B., S. d. [!]: Kirche und Israel, in: JK 17 (1956), 188 – 189.
Verzeichnis der im publizistikwissenschaftlichen Teil analysierten Texte 413 Baehr, Jürgen: Kirche und Judentum, in: EvW 17 (1963), 179 – 180. Barth, Markus: Israel im Alleingang?, in: JK 30 (1969), 588 – 592. Baumgartner, Christoph: Plädoyers für einen Systemwechsel. Kirche – Juden und Christen: EK 2 (1969), 436 – 437. Becker, Nikolaus: Zwanzig Jahre – Staat Israel, in: EK 1 (1968), 270 – 272. Beckmann, Heinz: Der Nahost-Konflikt, in: LM 6 (1967), 314. Benedict, Hans-Jürgen: Überlegungen nach einem Besuch in Jordanien, in: JK 29 (1968), 578 – 584. – Zwischen den Fronten. Eine israelische Antwort auf Isaac Deutscher, in: JK 31 (1970), 90 – 92. Ben-GavriÞl, M.Y.: Der Zug nach Sinai, in: EvW 11 (1957), 71 – 72. Berkenhoff, Georg: Wiedergutmachung – eine unerfüllte Pflicht. Tauziehen um das Bundesgesetz, in: JK 14 (1953), 220 – 222. Bewegung fr Frieden und Sicherheit: Ein israelisches Friedensprogramm, in: JK 30 (1969), 602 – 603. Block, Irmgard / Buczys, Ernst / Cates, Paul u. a.: Die Aktion Sühnezeichen appelliert an die Bundesregierung, in: JK 26 (1965), 176 – 177. Boertien, Maas: Die Lage der evangelischen Kirchen in Israel, in: RKZ 102 (1961), 211 – 215. Braunschweig, Peter : Was geht im Libanon vor?, in: JK 30 (1969), 345 – 348. – Worum es eigentlich geht. Die Palästinenserfrage, in: JK 31 (1970), 573 – 576. – Schwierigkeiten mit dem Nasser-Image, in: JK 31 (1970), 650 – 653. – Nach dem Schock von München, in: JK 33 (1972), 477 – 479. Brummack, Carl: Vertreibung und Heimatrecht, in: LM 2 (1963), 350 – 359. Brunner, Robert: Israels Staat (1. Sam. 8) [1947], in: JK 29 (1968), 589 – 590. Buber, Martin: M. Buber für Begnadigung Eichmanns. Brief des Professors an den Landesverband Saar des Internationalen Versöhnungsbundes vom 26. September 1961, in: JK 23 (1962), 33 – 34. – Leben, Demokratie, Weltall, in: JK 24 (1963), 84 – 85. – Zweierlei Zionismus [1948], in: JK 28 (1967), 485 – 487. – Jüdisches Nationalheim und nationale Politik in Palästina [1929], in: JK 28 (1967), 487 – 489. Buchrucker, Armin-E.: Rez. zu K. Hartenstein, Israel, 1952, in: ELKZ 7 (1953), 140. Cary, R.: Eine Mitteilung der Israelischen Botschaft, in: JK 30 (1969), 279 – 280. Christliche Friedenskonferenz (CFK) / Mitarbeiter der CFK / Kloppenburg, Heinz: Im Blick auf die III. Allchristliche Friedenversammlung, in: LM 7 (1968), 33 – 35. Christliche Friedenskonferenz (CFK): Die Sagorsker Erklärung der CFK, in: EvW 21 (1967), 537 – 538. – Die Sagorsker Erklärung des Arbeitsausschusses der Christlichen Friedenskonferenz zur Situation im Nahen Osten, in: JK 28 (1967), 453 – 454. – Prager Friedenskonferenz und Israel, in: RKZ 108 (1967), 185. – An die Vereinten Nationen. Schreiben vom 20. Februar 1969, in: JK 30 (1969), 146 – 147.
414
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Verzeichnis der im publizistikwissenschaftlichen Teil analysierten Texte 415 – Deutsche und Juden. Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier am 4. August 1966 vor dem Jüdischen Weltkongreß in Brüssel, in: LM 5 (1966), 482 – 484. Gesellschaft fr christlich-jdische Zusammenarbeit (GCJZ): Aufruf, in: JK 25 (1964), 627 – 628. Giscala, Johanna: Billige Rechtschaffenheit, in: JK 21 (1960), 413 – 415. Gjerding, Anker : Christliche Kirche in Israel, in: LM 3 (1964), 279 – 280. – Religiöse Elemente im Nahost-Konflikt, in: EK 2 (1969), 159 – 160. Gollwitzer, Helmut: Telegramm an Bundeskanzler Erhard, in: JK 26 (1965), 176. Gollwitzer, Helmut / Kusche, Ulrich: Warum sind Deutschlands linke Studenten antiisraelisch eingestellt? – Ein Interview, in: JK 30 (1969), 400 – 401. Grab, Walter : Nochmals zum Mittelostkonflikt. Eine Erwiderung, in: JK 31 (1970), 73 – 80. Grillenberger, Wilhelm: Jahresfest des Ev.-Luth. Zentralvereins für Mission unter Israel, in: ELKZ 3 (1949), 334. – Rez. zu G. Jasper, Wiedergutmachung, o. J., in: ELKZ 9 (1955), 256. Grolle, Johan Hendrik / Redaktion: Das religiöse Leben in Israel, in: JK 15 (1954), 206 – 208. Grber, Heinrich: Ein Aufruf, in: JK 18 (1957), 106 – 107. – Quo vadis, Israel?, in: JK 20 (1959), 115 – 118. – Von der Schuld aller Völker und Kirchen. Zur Judenverfolgung unter dem Nationalsozialismus, in: EvW 15 (1961), 649. – Für diplomatische Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Staat Israel, in: RKZ 103 (1962), 437. – Propst Grüber über das Todesurteil gegen Eichmann, in: JK 23 (1962), 414 – 415. – Propst Grüber zur Israelfrage, in: JK 25 (1964), 325 – 326. Halaski, Karl: Vergebliche Reisen?, in: RKZ 110 (1969), 81 Halfmann, Wilhelm: Juden und Christen, in: LM 1 (1962), 39 – 40. Hammerschmidt, Helmut / Mansfeld, Michael: Sondersendung über die Wiedergutmachung des Senders München, in: JK 16 (1955), 235 – 242. Hammerstein, Franz von: Ökumene nicht ohne Juden. Zum 70. Geburtstag von Günther Harder am 13. Januar 1972, in: JK 33 (1972), 19 – 21. Hannoversche Landessynode: Zur Israelfrage, in: JK 25 (1964), 702 – 703. Hertzberg, Hans-Wilhelm: Der unbewegliche Nahe Osten in Bewegung. Eindrücke einer Orientreise, in: ELKZ 6 (1952), 202 – 203. Hesse, Hermann Albert: Der ewige Jude heute als Frage Gottes an uns, in: RKZ 96 (1955), 14 – 18.35 – 38. Hondrich, Curt: „Juden raus! Tod den Juden!“ Der alte Antisemitismus ist noch immer virulent, in: LM 9 (1970), 629 – 633. Hromdka, J. L. / Ondra, J. N.: Präsident und Generalsekretär der CFK zur Situation im Nahen Osten vom 8. Juni 1967, in: JK 28 (1967), 384 – 385. Imhoff, Christoph von: Im Schatten der Minarette. Das christliche Getto zwischen Euphrat und Nil, in: LM 9 (1970), 112 – 114. – Israel – dritte Generation. Die Industrialisierung schafft neue Strukturen, in: LM 10 (1971), 12 – 14.
416
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Abkürzungen Die Abkürzungen der Zeitschriften, Lexika und Buchreihen folgen Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG2). Die biblischen Bücher werden nach den Loccumer Richtlinien abgekürzt (ebd., XXXI). Eine Institution, deren Kürzel im politischen und kirchlichen Raum als bekannt gilt (z. B. CDU oder EKD), wird meist nur in abgekürzter Form wiedergegeben. Eine weniger bekannte Organisation wird bei ihrer Erstnennung im Kapitel ausgeschrieben (z. B. DEADI). Folgende Kürzel werden verwendet: AA abgedr. AcK AG AJW AK akid Anm. ASF AStA ASZ Aufl. Bd./Bde. bearb. Begegnungen BEK(DDR) bes. Blick in die Welt
BPB BRD Bsp. bzw. ca.
Auswärtiges Amt der BRD abgedruckt Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Arbeitsgemeinschaft Allgemeine Jüdische Wochenzeitung Arbeitskreis Aktion Kirchenreform Informationsdienst, Zeitschrift Anmerkung(en) Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, ehemals ASZ Allgemeiner Studierendenausschuss Aktion Sühnezeichen, in der BRD seit 1968 aufgrund Namenszusatz ASF (in der DDR blieb es bei ASZ) Auflage Band/Bände bearbeitet Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum, Hannover, 2000 ff. Vorgängerzeitschrift: FÜI, 1903 ff. Bund Evangelischer Kirchen (in der DDR) besonders Blick in die Welt. Monatliche Beilage zu den Nachrichten für die ELKB (früherer Untertitel: Monatliche Beilage zu den Nachrichten für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern) Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn Bundesrepublik Deutschland Beispiel beziehungsweise circa
Abkürzungen
CDU CFD CFK CfS Claims Conference CSU CYCOM d. h. d.J. DDR DEADI DEK DEKT DEMR ders./dems./dies. DGB DIAK DIG DIS DISkussion DISS DKR der GCJZ Dok. (d. Pos.) dok. DP DP(s)
DW EAiD ebd. EJST EKBB (West) EKBB
EKD EKHN
473
Christlich-Demokratische Union Christlicher Friedensdienst Christliche Friedenskonferenz Christen für den Sozialismus Conference on Jewish Material Claims Against Germany Christlich-Soziale Union Commission on Younger Churches and Orphaned Missions des LWB das heißt des/dieses Jahres Deutsche Demokratische Republik Deutscher Evangelischer Ausschuss für Dienst an Israel, inoffiziell auch Rengstorf-Ausschuss genannt Deutsche Evangelische Kirche, Vorläuferin der EKD Deutscher Evangelischer Kirchentag Deutscher Evangelischer Missionsrat derselbe/demselben/dieselbe Deutscher Gewerkschaftsbund Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten Deutsch-Israelische Gesellschaft Deutsch-Israelische Studiengruppe(n) Zeitschrift der DIS Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung Deutscher Koordinierungsrat der GCJZ, Bad Nauheim Dokumentation (der Position) dokumentiert Deutsche Partei, bundesdeutsche Partei seit 1949 Displaced Person(s), meist bzgl. heimatloser Juden gebraucht, die in der Nachkriegszeit in westdt. Lagern lebten, bevor sie in der Regel in die USA oder nach Israel emigrierten Diakonisches Werk Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ebenda Evangelische Jerusalem-Stiftung, Hannover Gebiet der EKBB in Berlin (West) Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (heute Evangelische Kirche Berlin Brandenburg-schlesische Oberlausitz = EKBO) Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
474 EKiR EKKPS EKvW ELCJ
ELKB EMW epd.ZA ESG ESG-N etc. ev./evang. EZA f FAZ frz. FU GG GCJZ geb. gest. GUPA GUPS GVP hann. Herv. Hg. hg. IDF IKJ IKRK ILB
IMR
Abkürzungen
Evangelische Kirche im Rheinland Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen Evangelische Kirche von Westfalen Evangelical Lutheran Church in Jordan/EvangelischLutherische Kirche in Jordanien (seit 2005 Evangelical Lutheran Church in Jordan and the Holy Land, ELCJHL) Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg Zentralausgabe des Evangelischen Pressedienstes Evangelische Studentengemeinde(n) ESG-Nachrichten, Stuttgart et cetera evangelisch Evangelisches Zentralarchiv, Berlin folgende [Seite] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tageszeitung, Frankfurt am Main, 1949ff französisch Freie Universität (West-Berlin) Anmerkung durch den Verfasser (Gerhard Gronauer) Gesellschaft(en) für christlich-jüdische Zusammenarbeit geboren gestorben Generalunion palästinensischer Arbeiter Generalunion palästinensischer Studenten Gesamtdeutsche Volkspartei hannoversch Hervorhebung Herausgeber herausgegeben Israel Defense Forces/Israelische Streitkräfte Institut Kirche und Judentum bei der Kirchl. Hochschule Berlin / Veröffentlichungen aus dem IKJ Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Genf Im Lande der Bibel, Berlin, 1955 ff. Zeitschrift des JV, heute hg. vom Berliner Missionswerk der EKBB im Zusammenwirken mit dem JV. Vorgängerzeitschrift: Neueste Nachrichten aus dem Morgenlande, 1857 – 1941. Internationaler Missionsrat, 1963 in den ÖRK ein-
Abkürzungen
INLL internat. insg. Israelkomitee
JV KA kath. KBiW Kirche u. Mann Kirche Kirchentags-AG KKIA
Korr. KP KZ LABB LAELKB LKA LKR luth. LWB MdB Messiasbote MKiZ
Nes Ammim
475
gegliedert (englisch International Missionary Council, IMC) Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen, Zeitschrift international insgesamt Komitee für christlichen Dienst an Israel im IMR (englisch International Missionary Council’s Committee on the Christian Approach to the Jews, IMCCAJ) Jerusalemsverein, Berlin Kirchliches Außenamt (der EKD) (römisch-)katholisch Kirchliche Bruderschaft in Württemberg Kirche und Mann. Evangelisches Monatsblatt für Fragen der Zeit, Gütersloh Kirche, Berlin (Zeitschrift) Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem DEKT Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten beim ÖRK (englisch Commission of the Churches on International Affairs, CCIA) Korrespondenzblatt. Hg. v. Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in der ELKB, Altenkunstadt Kommunistische Partei Konzentrationslager Landeskirchliches Archiv Berlin-Brandenburg, Berlin Landeskirchliches Archiv der ELKB, Nürnberg Landeskirchenamt Landeskirchenrat lutherisch Lutherischer Weltbund, Genf (englisch Lutheran World Federation, LWF) Mitglied des Bundestages Messiasbote. Nachrichten der Berliner Landeskirchlichen Judenmission Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte, 1987 – 2006, Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte (ab 2007), München Nes Ammim – Zeichen für die Völker. Zeitschrift des dt. Nes-Ammim-Vereins (später Nes Ammim International)
476 Nr. NS NSDAP NZZ o. ä. o. J. o.O. o.Vf. OKR ÖRK Palästina-Institut Pfr. PLO Pos. Rengstorf-Ausschuss Rez. RSHA S. s. S. a. / s. a. s. o. s. u. SBZ SDS sog. SPD theol. u. u. a. UCCI UdSSR UN/UNO UNSCOP unter Zit. USA usw. v. v. a. VAR
Abkürzungen
Nummer Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zürcher Zeitung oder ähnliche(s) ohne Jahr ohne Ort ohne Verfasser Oberkirchenrat Ökumenischer Rat der Kirchen/Weltrat der Kirchen, Genf (englisch World Council of Churches, WCC) Dt. evang. Institut für Altertumswissenschaften d. heiligen Landes Pfarrer Palestinian Liberation Organisation / Palästinensische Befreiungsorganisation Position s. DEADI Rezension Reichssicherheitshauptamt Seite siehe Siehe/siehe auch siehe oben siehe unten Sowjetische Besatzungszone Sozialistischer Deutscher Studentenbund so genannt Sozialdemokratische Partei Deutschlands theologisch und unter anderem/und andere United Christian Council in Israel/Vereinigter Christenrat in Israel Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations (Organisation) / Vereinte Nationen, New York United Nations Special Committee on Palestine unter Zitierung Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter von/vom vor allem Vereinigte Arabische Republik: 1958 – 1961 Staaten-
Abkürzungen
VB VELKD vgl. VV WELT WSCF z. B. z. T. z. Zt. ZA ZAEKHN ZdZ/LM Zeichen ZEIT Zeitzeichen Zentralverein
zit./Zit. ZJD Zmf. (d. Pos. v.) ZThG
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bund zwischen Ägypten und Syrien, nach der Auflösung der Föderation bis 1971 Staatsbezeichnung Ägyptens. Internationaler Versöhnungsbund – Deutscher Zweig Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands vergleiche Vollversammlung Die Welt, Tageszeitung, Berlin, 1946ff World Student Christian Fellowship zum Beispiel zum Teil zur Zeit Zentralausschuss Zentralarchiv der EKHN, Darmstadt Zeichen der Zeit/Lutherische Monatshefte, Zeitschrift Zeichen, Zeitschrift der ASF Die Zeit, Wochenzeitung, Hamburg, 1946ff Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Stuttgart, 2000ff Evangelisch-Lutherischer Zentralverein für Mission unter Israel (heute Evangelisch-Lutherischer Zentralverein für Begegnung von Christen und Juden) zitiert/Zitat(e) Zentralrat der Juden in Deutschland Zusammenfassung (der Position von) Zeitschrift für Theologie und Gemeinde, Oldenburg, 1996ff
Personenregister/Biographische Angaben Bei Personen, deren Lebensabriss sich dort findet, wird am Ende des Biogramms verwiesen auf: Braun, Hannelore / Grnzinger, Gertraud (Hg.): Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919 – 1949. Göttingen 2006. Die biographischen Angaben sind aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und enthalten Informationen aus den Archiven der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Berlin), der Evangelischen Kirche im Rheinland (Düsseldorf), der Evangelischen Kirche von Westfalen (Bielefeld), der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Stuttgart), der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Nürnberg), der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hannovers (Hannover) und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Kiel). Abdullah I. (auch Abdallah), König von Jordanien 59 geb. 1882 Mekka, gest. 30. 7. 1951 Jerusalem, 1946 bis zu seinem Tod König des Haschemitischen Königreichs (Trans-)Jordanien. Abs, Hermann Josef, Bankier 118 geb. 15. 10. 1901 Bonn, gest. 5. 2. 1994 Bad Soden, 1948 – 1952 Vorstandsvorsitzender der Kreditanstalt für Wiederaufbau, 1952 Leiter der Delegation der Bundesrepublik auf der Londoner Schuldenkonferenz sowie Vorstandssprecher der Süddeutschen Bank, 1957 – 1967 Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Adenauer, Konrad, Bundeskanzler 72, 115 – 119, 121 f., 126, 133, 173, 178 f., 193, 199, 273, 306, 330 geb. 5. 1. 1876 Köln, gest. 19. 4. 1967 Bad Honnef-Rhöndorf, 1917 Oberbürgermeister in Köln, 1933 Entlassung, 1945 erneut Oberbürgermeister in Köln, 1946 Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone, 1948 Mitglied und Präsident des Parlamentarischen Rates, 1949 Mitglied des Bundestages sowie bis 1963 Bundeskanzler (1951 – 1955 zugleich Bundesaußenminister), 1950 Bundesvorsitzender der CDU. Adorno, Theodor W., Dr.phil., Philosoph, Soziologe 117 geb. 11. 9. 1903 Frankfurt am Main, gest. 6. 8. 1969 Visp (Schweiz), 1931 Privatdozent für Philosophie in Frankfurt, 1933 als Jude Lehrverbot, 1934 Exil in England und den USA, 1949 Rückkehr nach Frankfurt, 1950 stellvertretender Direktor des Instituts für Sozialforschung. Ahne, Lothar, Dr.theol., Pfarrer 99 – 105, 144, 146, 156, 220, 259 – 261, 275 f., 283, 290, 293, 296 geb. 2. 2. 1914 Insterburg (Ostpreußen), gest. 1992, 1946 Pfarrer in Wilhelmshaven, 1952 Pfarrer im Haus der helfenden Hände in Beienrode bei Königslutter, 1954 Pfarrer in Essen-Altenessen (rheinische Landeskirche), 1964 – 1974 Pfarrer
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in Friedrichsfehn-Petersfehn (oldenburgische Landeskirche), landeskirchlicher Beauftragter für Kirche und Israel, 1974 Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Alexander III. (auch Alexandros III.) 285 1928 – 1958 rum-orthodoxer Patriarch von Antiochien mit Sitz in Damaskus. Arafat, Jassir, Politiker 356, 361 geb. 24. 8. 1929 Kairo, gest. 11. 11. 2004 Clamart (Frankreich), 1957 Mitbegründer der Fatah, 1968 Vorsitzender der Fatah, 1969 Vorsitzender der PLO, 1996 Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete. Arendt, Hannah, Dr.phil., Philosophin 164, 167 geb. 14. 10. 1906 Linden (bei Hannover) als Johanna Arendt, gest. 4. 12. 1975 New York, 1924 Philosophiestudium in Marburg, Freiburg (Breisgau) und Heidelberg, 1933 Flucht nach Frankreich, 1941 Auswanderung in die USA, 1944 Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations, 1947 Lektorin im SchockenVerlag in New York, 1949 Geschäftsführerin der „Jewish Cultural Reconstruction Corporation“, 1953 Professur am Brooklyn College in New York, 1961 Teilnahme am Jerusalemer Eichmann-Prozess als Journalistin, 1963 Universitätslehrerin in Chicago, 1967 bis zu ihrem Tod Professur an der New School for Social Research in New York. Arndt, Adolf, Jurist, SPD-Politiker 192, 201 f. geb. 12. 3. 1904 Königsberg (Preußen), gest. 13. 2. 1974 Kassel, 1933 Rechtsanwalt, 1945 Oberstaatsanwalt in Marburg, 1949 bis zu seinem Ruhestand Mitglied des Bundestages, bis 1961 Geschäftsführer der SPD im Bundestag, 1963 Kultursenator in Berlin (West), 1964 Vorsitzender des Deutschen Werkbundes, 1969 Ruhestand. Attlee, Clement, britischer Premierminister 55 geb. 3. 1. 1883 London, gest. 8. 10. 1967 London, 1935 – 1955 Vorsitzender der britischen Labour Party, 1945 – 1951 Premierminister. Avnery, Uri, Journalist, Schriftsteller 240, 327, 336 geb. 10. 9. 1923 Beckum (Westfalen) als Helmut Ostermann, 1924 Umzug nach Hannover, 1933 Auswanderung nach Palästina, 1938 – 1942 Mitglied der Untergrundbewegung Irgun, Teilnahme an drei israelisch-arabischen Kriegen, journalistische Tätigkeit, 1950 – 1990 Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Ha’olam Haseh („Diese Welt“), 1965 – 1973 Mitglied der Knesset, ab 1967 scharfe Kritik am Zionismus und Forderung der Rückgabe der besetzten Gebiete, 1975 Mitbegründer des Israelischen Rates für Israelisch-Palästinensischen Frieden, 1977 – 1981 erneut Mitglied der Knesset, 1993 Mitbegründer der Friedensinitiative Gusch Schalom, 1995 Auszeichnung mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück, 1997 Aachener Friedenspreis, zahlreiche weitere Auszeichnungen. Baeck, Leo, Dr.phil., Rabbiner 98 f. geb. 23. 5. 1873 Lissa (Provinz Posen), gest. 2. 11. 1956 London, 1895 Rabbiner in Oppeln, 1907 in Düsseldorf, 1912 in Berlin, 1913 Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, 1933 – 1943 Präsident der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, 1938 – 1955 Präsident der „Weltunion für progressives
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Judentum“, 1943 Deportation ins KZ Theresienstadt, 1945 Emigration nach London, Gastvorlesungen in Großbritannien und den USA. Bakker, Roelof, Dr.theol., Pastor 142 – 145 geb. 12. 6. 1902 Enschede (Niederlande), gest. 10. 8. 1977 Rotterdam, 1930 reformierter Pastor in Kampen (Niederlande), 1935 bis zu seinem Ruhestand Pastor in Rotterdam für die Arbeit unter Juden, Vorsitzender des Committee on the Christian Approach to the Jews im Internationalen Missionsrat, 1959 Gründungsinitiative von Nes Ammim, 1970 Ruhestand. Bannach, Horst, Theologe 185 geb. 14. 4. 1912 Allenstein (Ostpreußen), gest. 23. 6. 1980 Stuttgart, Generalsekretär der Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland. [Personenlexikon, 25.] Baratz, Josef (auch Joseph, Yosef) 114 f. geb. 8.5. 1890 Kosnitza (Russisches Reich), gest. 14. 12. 1968 Dganya Alef (Degania A) am See Genezareth, 1906 Auswanderung nach Palästina, 1910 Gründungsmitglied des jüdischen Kibbuz Dganya, 1949 – 1953 Knessetabgeordneter. Barth, Karl, Dr.theol., Dr.theol. h.c., Theologe 29, 35, 82, 110, 322 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel, Universitätslehrer. [Personenlexikon, 27.] Bass, Martin Levy, Pfarrer jüdischer Herkunft 32, 240, 243 f. geb. ca. 1905 Hamburg, gest. 1971 München, 1915 Eintritt ins Israelitische WaisenInstitut Hamburg, 1928 Emigration nach Buenos Aires (Argentinien), 1930 Leitungsassistent, später Direktor einer Dosenfabrik sowie journalistische Nebentätigkeiten, 1936 Heirat einer jüdischen Frau, 1939 Entlassung aufgrund seines Judeseins durch den italienischen Fabrikeigentümer, 1940 Konversion zum Christentum und Taufe in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Buenos Aires, dann Laienmissionar unter jüdischen Flüchtlingen aus Europa und Abteilungsleiter einer anderen Dosenfabrik, 1944 Theologiestudium am lutherischen Seminar Argentiniens (Missouri-Synode), 1948 Ordination und Tätigkeit als Gemeindepfarrer, 1965 Rückkehr nach Deutschland und hauptamtlicher Mitarbeiter im Evangelisch-Lutherischen Zentralverein für Mission unter Israel und im bayerischen Evangeliumsdienst unter Israel in München. Baumann, Arnulf, Theologe 36, 80, 226, 243 geb. 2. 4. 1932 Klöstitz (Bessarabien), Theologiestudium in Erlangen, Tübingen, Heidelberg und Göttingen, Autor und Mit-Herausgeber der Zeitschrift Friede über Israel, 1971 Referent des Landesbischofs der hannoverschen Landeskirche, 1976 Leiter des Diakonischen Werks in Wolfsburg, 1997 Ruhestand. Becker, Horst, Theologe 245 geb. 29. 10. 1926 Bad Nauheim, 1954 Gemeindepfarrer in Limburg (Lahn), 1959 Missionar in Tansania, 1961 Stellvertreter des Bischofs in Moshi (Tansania), 1965 Oberkirchenrat im Kirchenamt der VELKD in Hannover, 1972 Direktor des bayerischen Missionswerks in Neuendettelsau, zeitweilig 2. Vorsitzender des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel, 1991 Ruhestand. Becker, Nikolaus, Dr.h.c. 143, 147, 192, 201, 320, 331, 334, 337, 341, 345, 348 geb. 18. 11. 1929 Stettin, gest. 19. 7. 2002 Düsseldorf, Studium der Rechtswissen-
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schaften und der Theologie, 1962 Mitarbeiter des Landeskirchenamts der rheinischen Landeskirche in Düsseldorf, 1963 Gründungsmitglied des deutschen NesAmmim-Vereins, langjähriger Vorsitzender, 1977 Finanzdezernent, Oberkirchenrat und Mitglied der Kirchenleitung, 1981 juristischer Präsident des Landeskirchenamts, Vorstandsvorsitzender der Dortmunder Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank), Mitglied in den Finanzausschüssen von EKD und EKU, 1997 Ruhestand. Beckmann, Joachim, Dr.phil., Lic.theol., Theologe 50, 83 f., 127, 135, 143, 187, 189, 202, 213, 226, 347 – 349 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf, Präses, Theologieprofessor. [Personenlexikon, 31.] Beheim-Schwarzbach, Martin, Schriftsteller 102, 104, 259, 261, 275 f. geb. 27. 4. 1900 London, gest. 7. 6. 1985 Hamburg, Übersetzer (z. B. 1937 M. Mitchells „Vom Winde verweht“), 1939 Emigration nach London, 1945 – 1950 Offizier der britischen Control Commission for Germany im Nachkriegsdeutschland. Bengel, Johann Albrecht, Theologe 255 geb. 24. 6. 1687 Winnenden, gest. 2. 11. 1752 Stuttgart, Vertreter des Pietismus. Ben-Chorin, Avital, 142 geb. 1923 Eisenach als Erika Fackenheim, 1936 Flucht und Auswanderung nach Palästina, Hebräischlehrerin, Ehe mit Schalom Ben-Chorin. Ben-Chorin, Schalom, Dr.h.c. 87 f., 96, 110, 138, 170 f., 173 – 177, 208, 257, 263, 269, 277, 287, 291, 301, 305, 376, 386, 391 geb. 20. 7. 1913 München als Fritz Rosenthal, gest. 7. 5. 1999 Jerusalem, 1931 Studium der Germanistik und der vergleichenden Religionswissenschaft in München, 1935 Auswanderung nach Palästina und Berufstätigkeit als Journalist, 1937 offizielle Namensänderung unter Heranziehung seines bereits bisher verwendeten Pseudonyms (Bedeutung „Friede“ und „Sohn der Freiheit“), 1956 erster Besuch in der Bundesrepublik, 1958 Mitbegründer der ersten jüdischen Reformgemeinde Israels in Jerusalem, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag sowie Mitglied des Freundeskreises von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Israel, 1970 – 1987 Gastdozenturen in Jerusalem, Tübingen und München, 1982 Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Benda, Ernst, Jurist 192 geb. 15. 1. 1925 Berlin, gest. 2. 3. 2009 Karlsruhe, Jurist, CDU-Politiker, 1957 – 1971 Mitglied des Bundestages, 1967 – 1970 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1968/69 Bundesinnenminister, 1971 – 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Ben-Gurion, David, israelischer Ministerpräsident 57 f., 112, 130, 142, 159 f., 178, 180, 193, 199, 263, 268, 287, 293, 297, 306 geb. 16. 10. 1886 Plonsk (Polen) als David Gruen, gest. 1. 12. 1973 Tel Aviv, 1906 Auswanderung nach Palästina, 1921 Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes
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Histadrut, 1935 Vorsitzender der Jewish Agency, 1948 – 1953 und 1955 – 1963 israelischer Ministerpräsident. Ben-Natan, Asher, Botschafter 34, 192, 201, 223 f., 360 geb. 15. 2. 1921 Wien als Arthur Piernikatz, 1938 Auswanderung nach Palästina, Mitglied des Kibbutzes Seraim-Dovrat, 1945 Kommandant der Organisation „Bricha“ in Österreich, 1947 Mitarbeiter von David Ben Gurion, 1948 Direktor der Informationsabteilung im israelischen Außenministerium, 1951 Studium am Institut für Höhere Internationale Studien in Genf, 1953 Generaldirektor eines israelischen Staatsbetriebes, 1956 Beauftragter des israelischen Verteidigungsministeriums in Europa, 1959 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums, 1965 Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, 1970 in Frankreich, 1975 – 1986 Kommunalpolitiker in Tel Aviv und Berater von israelischen Politikern. Ben-Zwi, Jizchak, Staatspräsident 130 geb. 6. 12. 1884 Poltawa (Russisches Reich) als Isaak Schimschilewitsch, gest. 23. 4. 1963 Jerusalem, 1907 Auswanderung nach Palästina, 1952 bis zu seinem Tod Staatspräsident Israels. Bergmann, Gerhard, Dr.phil., Theologe 157 geb. 25. 7. 1914 Hagen, gest. 20. 11. 1981 Esslingen, 1934 Predigerausbildung am Seminar St. Chrischona (Riehen bei Basel), 1938 Beginn des Theologiestudiums in Tübingen und Münster, Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft, Fortsetzung des Studiums in Bonn und Heidelberg, Vikariat in Delmenhorst, 1954 Pfarrer in Remscheid, 1959 hauptamtlicher Evangelist der Deutschen Zeltmission, 1963 Israelreise, 1966 Mitbegründer der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Vorstandsmitglied der Deutschen Evangelischen Allianz. Bergmann, Hugo Samuel (auch Schmuel Hugo Bergman), Universitätslehrer 128, 142, 183, 268 geb. 25. 12. 1883 Prag, gest. 18. 6. 1975 Jerusalem, Philosophiestudium in Prag und Berlin, 1907 Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Prag, 1920 Auswanderung nach Palästina und Aufbau der Bibliothek der Hebräischen Universität in Jerusalem, 1935 Philosophieprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Berkhof, Hendrikus, Universitätslehrer 84, 144 geb. 11. 6. 1914 Appeltern (Gelderland), gest. 17. 12. 1995 Leiderdorp (Südholland), reformierter Professor für Systematische Theologie in Leiden. Bernadotte, Graf Folke, UN-Vermittler 58 geb. 2. 1. 1895 Stockholm, gest. 17. 9. 1948 Jerusalem, Offizier der schwedischen Armee, Präsident des schwedischen Roten Kreuzes, ab 20. 5. 1948 UN-Vermittler in Palästina, Opfer eines Attentats der zionistischen Untergrundorganisation Lechi. Bethge, Eberhard, Dr.h.c.mult., Theologe 32, 171 geb. 28. 8. 1909 Warchau (bei Jerichow), gest. 18. 3. 2000 Wachtberg (bei Bonn), 1935 Studieninspektor am Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde bzw. Groß-Schlönwitz (Pommern), 1936 Ordination zum Pfarrer, 1940 Missionsinspektor der Goßner-Mission in Berlin, 1943 Wehrdienst, 1945 persönlicher Referent von Bischof Dibelius, 1946 Studentenpfarrer in Berlin (Ost und
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West), 1953 Auslandspfarrer in London, 1961 bis zu seinem Ruhestand Leiter des Pastoralkollegs der Evangelischen Kirche im Rheinland in Rengsdorf, 1969 Honorarprofessor in Bonn, 1967 bis zu seinem Ruhestand Mitglied der rheinischen Kirchenleitung, 1976 Ruhestand. Bevin, Ernest, britischer Außenminister 55 geb. 9. 3. 1881 Winsford (England), gest. 14. 4. 1951 London, britischer Politiker der Labour Party, 1940 Arbeitsminister, 1945 bis zu seinem Tod Außenminister. Bieler, Helmut und Magdalena 147 1968 erstes deutsches Ehepaar in der christlichen Siedlung Nes Ammim (Israel). Blake, Eugene Carson, Dr.theol., ÖRK-Generalsekretär 353, 367 geb. 7. 11.1906 Saint Louis (Missouri), gest. 31.7. 1985 Stamford (USA), 1928 – 1929 presbyterianischer Geistlicher in Lahore (Indien), 1932 Hilfsprediger in New York, 1935 Prediger in Albany, 1940 Prediger in Pasadena (Kalifornien), 1961 Generalsekretär der United Presbyterian Church, 1966 Generalsekretär des ÖRK, 1972 Ruhestand. Bloch, Jochanan (auch Yohanan), Dr.phil. 55, 132, 192 geb. 1919 Berlin, 1933 Auswanderung nach Palästina, 1938 Jurastudium in Jerusalem, 1943 Rechtsanwalt in Tel-Aviv, 1946 Privatlehrer, 1948/49 Wehrdienst, 1956 – 1961 Philosophiestudium an den Universitäten Heidelberg und Berlin (West), 1957 Mitbegründer der Deutsch-Israelischen Studiengruppen an der Freien Universität in Berlin (West) und weiteren Hochschulen, 1961 Dozent für Sozialwissenschaften in Beerscheba. Bodenstein, Walter, Dr.theol., Universitätslehrer 210 f., 318, 321 f., 325 f., 330, 335, 349 geb. 1914 Harburg (Elbe), gest. 28. 12. 2004 Kiel, Superintendent in Berlin (West), 1968 Universitätslehrer für evangelische Religion und ihre Didaktik in Kiel, 1980 Ruhestand. Bçhm, Franz, Dr.jur. 76, 110, 117 f., 124, 373 geb. 16. 2. 1895 Konstanz, gest. 26. 9. 1977 Rockenberg (Hessen), Leiter der Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel. [Personenlexikon, 39.] Brandt, Willy, Bundeskanzler 19, 192, 194, 199, 224, 367 f. geb. 18. 12. 1913 Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm, gest. 8. 10. 1992 Unkel (Rheinland), SPD-Politiker, 1933 Flucht nach Norwegen, 1940 nach Schweden, 1947 Rückkehr nach West-Deutschland, 1957 – 1966 Regierender Bürgermeister von Berlin (West), 1964 – 1987 SPD-Bundesvorsitzender, 1966 Vizekanzler und Bundesaußenminister, 1969 Bundeskanzler, 1974 Rücktritt. Brenner, Waldemar 143, 376 geb. 7. 7. 1918, gest. 22. 10. 1998, Schriftleiter von Der Gärtner – Zeitschrift des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, 1963 Gründungsmitglied des deutschen Nes-Ammim-Vereins. Brocke, Edna, Publizistin 21, 369 geb. 31. 8. 1943 Jerusalem, Studium der Politologie, Anglistik und Soziologie in Jerusalem und Regensburg, 1968 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland und Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deut-
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schen Evangelischen Kirchentag, seit 1988 Leiterin der Gedenkstätte Alte Synagoge der Stadt Essen, 1991 Rückzug aus der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘, 2002 Preisträgerin der Buber-Rosenzweig-Medaille. Brode, Friedrich 153, 245 f. Kaufmann in Kiel, deutscher Unterstützer des Karmel-Instituts von Per Faye Hansen. Brunner, Robert, Theologe 327, 362, 397 geb. 26. 12. 1905 Winterthur (Schweiz), gest. 10. 3. 1971 Meilen (Schweiz), Pfarrer in Rothenfels, Suhr und Basel, 1945 Gründung der Zeitschrift Judaica, 1949 Direktor der Schweizer Judenmission. Brunotte, Heinz, Dr.theol.h.c. 48, 121, 153, 159, 169 geb. 11. 6. 1896 Hannover, gest. 2. 2. 1984 Hannover, Präsident der der Kirchenkanzlei der EKD. [Personenlexikon, 46.] Buber, Martin, Dr.phil., Universitätslehrer 29, 94, 96, 100 – 102, 128, 131, 137 f., 142, 167, 172, 183, 212, 236, 267 f., 286 f., 301, 307 – 309, 314, 332, 336, 338, 342, 362, 391, 397 geb. 8.2. 1878 Wien, gest. 13.6. 1965 Jerusalem, Studium der Kunstgeschichte, Literatur und Philosophie in Wien, Berlin, Leipzig und Zürich, 1923 – 1933 Lehrauftrag für jüdische Religionswissenschaft in Frankfurt am Main, 1938 Professor für Sozialphilosophie in Jerusalem, 1949 – 1953 Leiter des Instituts für Erwachsenenbildung, 1951 Emeritierung. Bultmann, Rudolf, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Theologe 22, 25 f., 154, 260 geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede (Oldenburg), gest. 30. 7. 1976 Marburg, Universitätslehrer. [Personenlexikon, 48.] Burgstahler, Theodor, Pfarrer 94 geb. 7. 1. 1896 Karlsruhe, gest. 25. 10. 1965 Ulm, 1929 Pfarrer in Remda (Thüringen), 1934 Mitarbeiter der Berliner Landeskirchlichen Judenmission, 1937 Mitarbeiter einer Stuttgarter Versicherungsgesellschaft, 1945 freier Judenmissionar in Ulm, 1948 Mitarbeiter des Vereins der Freunde Israels in Ulm, 1953 Pfarrer im Haus Gotteshilfe in Berlin (West), 1961 Ruhestand. Busse, Otto und Erna 147 1969 zweites deutsches Ehepaar in der christlichen Siedlung Nes Ammim (Israel). Casalis, Georges, Dr.theol., Theologe 46, 217 geb. 1917 Paris, gest. 16. 1. 1987 Managua (Nicaragua), 1935 – 1939 Theologiestudium in Paris und Basel, 1940 Pfarrer in Lyon und Teilnahme am französischen Widerstand, 1946 Militärpfarrer und Berater der französischen Militärregierung in Berlin, 1950 Pfarrer und Promotion in Straßburg, 1958 Vizepräsident der Christlichen Friedenskonferenz, 1960 – 1973 Professor an der Facult libre de Thologie Protestante in Paris, Mitarbeiter der Zeitschrift Junge Kirche. Cullmann, Oscar (auch Oskar), Lic.theol., Theologe 33 geb. 25. 2. 1902 Straßburg, gest. 16. 1. 1999 Chamonix (Frankreich). [Personenlexikon, 54 f.] Dahlhaus, Horst 143 f., 146 f. geb. 1927, Studium der Volks- und Betriebswirtschaft in Köln, Mitarbeiter beim
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Sozialwissenschaftlichen Institut der rheinischen Landeskirche in Velbert, 1963 Gründungsmitglied des deutschen Nes-Ammim-Vereins, 1966 Gründungsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Tätigkeit in der Erwachsenenbildung (Theodor-Heuss-Akademie), 1973 Direktor der Bundeszentrale für Politische Bildung, 1992 Ruhestand. David, Erich, Pfarrer 142 f. geb. 14. 2. 1913 Löwenberg (Schlesien), gest. 10. 7. 2004, Theologiestudium in Bielefeld-Bethel, Marburg (Lahn) und Breslau, 1938 Vikariat in Mallmitz (Schlesien), 1939 Militärdienst, 1945 Hilfsprediger in Neuwied und umliegenden Dörfern, 1949 Gemeindepfarrer im Kirchspiel Honnefeld bei Neuwied, 1953 bis zum Ruhestand Gemeindepfarrer in Velbert, 1963 Gründungsmitglied des deutschen Nes-Ammim-Vereins, 1978 Ruhestand. Dayan, Moshe (auch Mosche Dajan), General und Politiker 258, 341 f., 351 geb. 20. 5. 1915 Dganya Alef (Degania A), gest. 16. 10. 1981 Tel Aviv, 1939 britische Haft wegen illegaler paramilitärischer Aktionen, 1941 Beteiligung am Zweiten Weltkrieg unter alliierten Befehlen, dabei Verlust des linken Auges, 1954 Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, 1959 – 1964 Landwirtschaftsminister, 1967 – 1974 Verteidigungsminister, 1977 – 1979 Außenminister. De Gaulle, Charles, Präsident Frankreichs 350 geb. 22. 11. 1890 Lille (Nord), gest. 9. 11. 1970 Colombey-les-Deux-glises (HauteMarne), 1912 Militärdienst, 1916 – 1918 Kriegsgefangenschaft in Deutschland, 1940 erneut Militärdienst, 1945 – 1946 Ministerpräsident der provisorischen Regierung Frankreichs, 1959 – 1969 Präsident. Deitenbeck, Paul, Pfarrer 143 geb.13. 7. 1912, gest. 3. 12. 2000 Lüdenscheid, Theologiestudium in Tübingen, Jugendpfarrer in Bielefeld, Wehrdienst, 1945 – 1948 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1949 Pfarrer für Volksmission und Seelsorge im Kirchenkreis Lüdenscheid, 1952 bis zu seinem Ruhestand Gemeindepfarrer in Lüdenscheid, 1957 – 1987 Vorsitzender der Deutschen Zeltmission, 1958 – 1979 Zweiter Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, 1963 Gründungsmitglied des deutschen NesAmmim-Vereins, 1966 Mitbegründer der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, 1973 Initiator des Gemeindetages unter dem Wort in Dortmund, 1982 Ruhestand. Delitzsch, Franz, Dr.phil., Lic.theol., Universitätslehrer 84 f. geb. 23. 2. 1813 Leipzig, gest. 4. 3. 1890 Leipzig, 1844 Theologieprofessor in Leipzig, 1846 in Rostock, 1850 in Erlangen, 1863 Gründung der Zeitschrift Saat auf Hoffnung, 1867 Universitätslehrer erneut in Leipzig, 1871 Gründung des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für die Mission unter Israel, 1886 Gründung des Institutum Judaicum Delitzschianum in Leipzig. Deutscher, Isaac (auch Isaak), Schriftsteller und Journalist 350 geb. 3. 4. 1907 Chrzanw (Österreich-Ungarn), gest. 19. 8. 1967 Rom, Studium der Geschichte, der Literatur und der Philosophie in Krakau und Warschau, 1926 – 1932 Mitglied der Kommunistischen Partei Polens, 1939 Auslandskorrespondent einer polnischen Zeitung in London, 1942 freier Mitarbeiter für britische Zei-
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Personenregister/Biographische Angaben
tungen, 1946 Beginn seiner Forschungsarbeit an den Biographien von Stalin, Trotzky und Lenin. Dibelius, Otto, Dr.phil., Lic.theol., Bischof 61, 75, 97, 99, 101, 159 – 161, 164, 175 – 177, 231, 297 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin, Bischof, Ratsvorsitzender der EKD. [Personenlexikon, 58.] Diem, Hermann, Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 53 geb. 2. 2. 1900 Stuttgart, gest. 27. 2. 1975 Tübingen, Theologieprofessor. [Personenlexikon, 59 f.] Dietzfelbinger, Hermann, Dr.theol.h.c. 48, 139, 159, 195, 203 – 207, 213, 232 f., 238 f., 322, 330, 333, 335 – 337, 344, 349, 378, 380, 401 geb. 14. 7. 1908 Ermershausen (Haßberge), gest. 15. 11. 1984 München, 1935 Pfarrer in Rüdenhausen, 1939 theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenamt in München, 1945 Rektor des Predigerseminars in Nürnberg, 1953 Rektor der Diakonissenanstalt in Neuendettelsau, 1955 bayerischer Landesbischof, 1967 – 1973 Vorsitzender des Rates der EKD, 1975 Ruhestand. Dobbert, Reinhard, Theologe 79, 85 f., 100, 226, 242 f. geb. 23. 1. 1926 Hamburg, 1957 Gemeindepfarrer in Burgsinn (Unterfranken), Geschäftsführer des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel, 1972 Prodekan in Nürnberg, 1985 Dekan. Dçring, Johannes, Propst 61, 65 f., 70 geb. 22. 10. 1900 Rheydt, gest. 11. 11. 1969 Köln, 1926 Pfarrer in Brebach bei Saarbrücken, 1932 Kreisjugendpfarrer, 1938 – 1954 Propst in Jerusalem, 1940 – 1949 interniert, 1949 Beauftragter für kirchliche Angelegenheiten der Nahostabteilung des Lutherischen Weltbundes, 1954 Pfarrer in Sonnborn bei Elberfeld, 1962 Ruhestand. Dutschke, Rudi, Dr. phil. 194, 223, 225 geb. 7.3. 1940 Schönefeld (Provinz Brandenburg), gest. 24. 12. 1979 Aarhus (Dänemark), 1958 Studienverbot in der DDR wegen Wehrdienstverweigerung, Lehre als Industriekaufmann,1961 – 1968 Studium in Berlin (West), 1962/63 Mitbegründer der Subversiven Aktion, 1964 Anschluss der Subversiven Aktion an den Sozialistischen Deutschen Studentenbund, 1968 schwere Verletzung bei Attentat, 1969 Aufenthalt in England, 1971 Soziologiedozent in Aarhus (Dänemark). Eban, Abba, Dr. h.c., israelischer Außenminister 199 geb. 2. 2. 1915 Kapstadt (Südafrika) als Aubrey Solomon Eban, gest. 17. 11. 2002 Tel Aviv, 1947 britischer Verbindungsoffizier zum United Nations Special Committee on Palestine, Mitarbeiter der UNO in New York, 1952 Vize-Präsident der UNVollversammlung, 1959 – 1988 Abgeordneter der israelischen Knesset, 1960 israelischer Kultus- und Bildungsminister, 1963 stellvertretender Ministerpräsident, 1966 – 1974 Außenminister, 1967 und 1970 Besuche in der Bundesrepublik Deutschland als erster israelischer Außenminister. Eckert, Willehad Paul, Dr.phil. 192 geb. 21. 1. 1926 Köln als Paul Gerhard Maria Eckert, gest. 18. 1. 2005 Düsseldorf, Studium der Germanistik, der Katholischen Theologie und der Philosophie, 1952
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Priesterweihe, 1956 – 1974 Dozent für Philosophiegeschichte an der Hochschule der Dominikaner Walberberg bei Bornheim (Rheinland), 1965 katholischer Vorsitzender des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit, 1966 – 1975 Herausgeber der Zeitschrift Emuna, 1977 Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Köln. Eckstein, Richard, Kirchenrat 47 geb. 7. 12. 1899 Nürnberg, gest. 19. 5. 1982 Münsing (Oberbayern), 1919 Theologiestudium in Erlangen und Tübingen, 1922 Ordination, 1927 Pfarrer in Hohenaltheim (Ries), 1929 Hauptschriftleiter der Allgemeinen Rundschau in Zirndorf, 1934 Studienrat in München, 1936 Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Pasing, 1941 Vorsteher des Evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau, 1953 Leiter des Katechetischen Amts in Heilsbronn sowie Schriftleiter der EvangelischLutherischen Kirchenzeitung, 1968 Ruhestand. Ehrenberg, Hans, Dr.rer.pol., Dr.phil. 98 – 102 geb. 4. 6. 1883 Altona, gest. 31. 3. 1958 Heidelberg, vom Judentum konvertierter evangelischer Theologe. [Personenlexikon, 68.] Ehrlich, Ernst Ludwig, Dr.phil., Dr.theol.h.c., jüdischer Gelehrter 155, 171 geb. 27. 3. 1921 Berlin, gest. 21. 10. 2007 Riehen (bei Basel), 1940 Judaistikstudium in Berlin, 1943 Flucht in die Schweiz und Fortsetzung des Studiums in Basel, Lehraufträge und Vortragstätigkeit in West-Deutschland und der Schweiz, 1958 Generalsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz, 1961 – 1994 Europadirektor der Vereinigung B‘nai B’rith, 1962 – 1965 Kardinalsberater in Rom bezüglich der Konzilserklärung Nostra Aetate, 1972 Honorarprofessor für neuere jüdische Geschichte in Bern. Eichele, Erich, Dr.theol., Landesbischof 206 geb. 26. 2. 1904 Stuttgart, gest. 11. 6. 1985 Stuttgart, Theologiestudium in Tübingen und in den USA, 1931 Mitarbeiter am Evangelischen Stift in Tübingen, 1934 Pfarrer in Stuttgart, 1944 Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche, 1951 Prälat in Ulm, 1962 Landesbischof, 1969 Ruhestand. Eichmann, Adolf 37, 126, 130, 136, 139 f., 142, 163 – 170, 172 f., 296, 301 f., 377, 387 geb. 19. 3. 1906 Solingen, gest. 31. 5. 1962 Tel Aviv, 1934 Sicherheitsdienst der SS in Berlin, 1935 Referent für jüdische Angelegenheiten, 1938 Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, 1939 in Prag, 1940 Leiter der Reichszentrale für jüdische Auswanderung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, 1941 – 1945 Leiter des Referats Juden- und Räumungsangelegenheiten im RSHA, 1942 Protokollführer bei der Wannseekonferenz, 1945 Kriegsgefangenschaft unter falschem Namen, 1946 Flucht, 1950 Einwanderung nach Argentinien als „Ricardo Klement“, 1960 Gefangennahme durch den Mossad, 1961 Todesurteil durch das Jerusalemer Bezirksgericht. Erhard, Ludwig, Dr.rer.pol., Bundeskanzler 179 f., 183, 187 f., 200, 331, 378 geb. 4. 2. 1897 Fürth, gest. 5. 5. 1977 Bonn, Studium der Betriebswirtschaft und der Soziologie in Frankfurt am Main, 1947 Honorarprofessor in München, später in
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Bonn, 1949 – 1963 Bundeswirtschaftsminister, 1963 Bundeskanzler, 1966 Bundesvorsitzender der CDU, 1967 Ruhestand. Eschkol (auch Eshkol), Levi, israelischer Ministerpräsident 198, 200 geb. 25. 10. 1895 Oratowo (Russisches Reich) als Levi Schkolnik, gest. 26. 2. 1969 Jerusalem, 1910 Gründungsmitglied des jüdischen Kibbuz Dganya Alef (Degania A) am See Genezareth, Mitbegründer der Gewerkschaft Histadrut und der israelischen Arbeitspartei, 1951 israelischer Finanzminister, 1963 Ministerpräsident, 1969 Ruhestand. Faruk I. (auch Faruq), König von Ägypten 59 geb. 11. 2. 1920 Kairo, gest. 18. 3. 1965 Rom, 1936 König von Ägypten, 1952 Absetzung nach Militärputsch. Faye-Hansen, Per, Pfarrer 151 – 155, 244 – 246, 376 geb. in Norwegen, gest. 1992, 1938 Missionar in Haifa, 1942 Rettung norwegischer Juden in Oslo, 1949 Leiter des Karmel-Instituts sowie Pfarrer an der Skandinavischen Seemannskirche in Haifa, 1969 Pfarrer an der Skandinavischen Seemannskirche in Aschdod (Israel), 2007 Ehrung als „Gerechter unter den Völkern“ in Yad Vashem. Feisal I (auch Faisal), König des Irak 307, 337 geb. 20. 5. 1883 Ta’if (Arabien), gest. 8. 9. 1933 Bern, 1916 Unabhängigkeitskämpfe gegen das Osmanische Reich, 1917 Vater wurde Herrscher des Königreichs Hedschas (daher Feisals Titel „Prinz“), 1919 Leiter der arabischen Gesandtschaft auf der Pariser Friedenskonferenz, Unterzeichnung des Feisal-Weizmann-Abkommens, 1920 König von Syrien, 1921 König des Irak. Flapan, Simha (auch Simcha), israelischer Historiker und Politiker 29, 328, 335 f., 339, 343, 345, 348, 356, 391 geb. 27. 1. 1911 Tomaszw Mazowiecki (Polen), gest. 13. 4. 1987 Israel, 1930 Emigration nach Palästina, 1957 Gründung der Zeitschrift New Outlook, 1959 nationaler Sekretär der israelischen Arbeitspartei und Leiter der Abteilung für arabische Angelegenheiten innerhalb der Partei, 1981 Ruhestand. Fleig, Hans, Dr. phil., Journalist 191 geb. 4. 11. 1916 Basel, gest. 19. 2. 1988, 1948 Korrespondent der Schweizer Zeitung Die Tat in London, 1951 Leiter des Auslandsressorts, 1961 Auslandsredakteur der Zürcher Woche in Zürich. Frankfurter, Felix, Jurist 307, 337 geb. 15. 11. 1882 Wien, gest. 22. 2. 1965 Washington D. C., 1894 Emigration in die USA, Jurastudium in Cambridge (Massachusetts), 1919 Vertreter des Zionismus an der Pariser Friedenskonferenz, 1939 Richter am Obersten Gerichtshof der USA, 1962 Ruhestand. Freudenberg, Adolf, Dr.jur., Pfarrer 99 f., 117, 124, 127 – 129, 154 – 156, 171, 174, 180, 185 – 188, 191, 200 – 202, 210, 220 f., 374 geb. 4. 4. 1894 Weinheim (Bergstraße), gest. 7. 1. 1977 Bad Vilbel, Ehe mit getaufter Jüdin Elsa Freudenberg, Mitglied des Committee on the Christian Approach to the Jews im Internationalen Missionsrat, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsge-
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meinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. [Personenlexikon, 79.] Freudenberg, Elsa 128 f., 221 geb. 19. 2. 1897 als Elsa Liefmann, gest. 1. 12. 1988, Taufe als Kind jüdischer Eltern, Medizinstudium bis zum Physikum, Glied der Bekennenden Gemeinde in Dahlem, Ehe mit Adolf Freudenberg. Freytag, Walter, Dr.phil., Dr.theol.h.c., Theologe 67 geb. 28. 5. 1899 Neudietendorf (Thüringen), gest. 24. 10. 1959 Heidelberg, Missionswissenschaftler. [Personenlexikon, 80.] Frick, Robert, Lic.theol., Dr.theol.h.c. , Theologe 64, 67 – 69, 75 f. geb. 3. 9. 1901 Charlottenburg, gest. 13. 2. 1990 Düsseldorf, Direktor der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, 1950 – 1954 und 1966 – 1969 Vorsitzender des Palästinawerks. [Personenlexikon, 81.] Friedrich, Johannes, Dr. theol., Landesbischof 11, 25 geb. 20. 6. 1948 Gadderbaum, 1979 Gemeinde- und Studentenpfarrer in Nürnberg, 1985 Propst in Jerusalem, 1991 Dekan in Nürnberg, 1999 Landesbischof der bayerischen Landeskirche, 2011 Gemeindepfarrer in Windsbach-Bertholdsdorf, 2013 Ruhestand. Friedrich, Norbert, Dr.phil., Historiker und Theologe 12, 20 geb. 1962, 1991 – 1994 und 1998 – 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bochum, seitdem Leiter der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth. Friedrich II., der Grosse, König von Preußen 322 geb. 24. 1. 1712 Berlin, gest. 17. 8. 1786 Potsdam, 1740 Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen, 1772, König von Preußen. Frohwein, Gottfried, Dr.med., Christ jüdischer Herkunft 97 geb.7.11.1902 Wilna, gest. 27. 7. 1970 Fonthill (Ontario), 1927 praktischer Arzt in Thüngen (Unterfranken), 1934 Missionsarzt unter Juden in Wilna im Dienst einer englischen Missionsgesellschaft, 1939 Übersiedlung der Familie nach London, während Frohwein in Wilna bleibt, 1945 Rückkehr als Arzt nach Thüngen, 1946 Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für Lutherische Judenmission in Bayern, 1948 Auswanderung zu seiner Familie nach London, 1956 nach Kanada. Fndling, Ludwig, Pastor 85 geb. 4. 7. 1893 Hannover, gest. 26. 5. 1973 Hannover, 1925 Pastor in Hüpede (bei Hannover), 1932 in Wietzendorf (Lüneburger Heide), 1945 Beteiligter bei Wiedergründung des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel. Galling, Kurt, Lic.theol., Dr.phil., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 70 geb. 8. 1. 1900 Wilhelmshaven, gest. 12. 7. 1987 Tübingen, Theologieprofessor. [Personenlexikon, 84.] Geis, Robert Raphael, Rabbiner 110, 114, 150, 171, 213, 225, 320, 334, 340, 347, 391 geb. 4. 7. 1906 Frankfurt am Main, gest. 18. 5. 1972 Karlsruhe, Inhaftierung im KZ Buchenwald, Auswanderung nach Palästina, England, in die Niederlande und in die Schweiz, 1952 Rückkehr nach Deutschland und Landesrabbiner für Baden, 1956 Rücktritt nach internen Spannungen, dann Umzug nach Düsseldorf und intensive Vortragstätigkeit, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft
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,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1969 Honorarprofessur an der Pädagogischen Hochschule Duisburg. Geiss, Imanuel, Dr. phil., Universitätslehrer 26, 29, 155, 223, 323, 326 – 331, 333 – 338, 341, 345 f., 350, 354 f., 357 – 363, 390 geb. 9. 2. 1931 Frankfurt (Main), gest. 20. 2. 2012 Bremen, Mitglied der GVP, später SPD, 1955 Studium der Anglistik, Geschichte und Politikwissenschaft in München, 1959 Dozent in Hamburg, 1969 Gastprofessur in Tel Aviv, 1973 Professor für Neuere Geschichte in Bremen, 1996 Ruhestand. Gerstenmaier, Eugen, Dr.theol., Politiker 183 f., 187, 296 geb. 25. 8. 1906 Kirchheim (Teck), gest. 13. 3. 1986 Oberwinter (bei Remagen), Bundestagspräsident. [Personenlexikon, 87.] Glatte, Helmut, Propst 62, 238 f. geb. 4. 11. 1916 Liegnitz, gest. 2. 12. 2010 Köln, Pfarrer der rheinischen Landeskirche, 1971 Propst in Jerusalem und Leiter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien (letzteres bis 1977), 1979 Auslandspfarrer in Benidorm (Spanien), 1985 Ruhestand. Gobat, Samuel, Bischof 60 geb. 26. 1. 1799 Crmines (Schweiz), gest. 12. 5. 1879 Jerusalem, 1820 Ausbildung im Basler Missionshaus, 1826 Missionsaufenthalte in Ägypten und Abessinien, 1832 Heimaturlaub, 1835 Missionsaufenthalte in Abessinien und Malta, 1846 Bischof des Englisch-Preußischen Bistums in Jerusalem. Goldschmidt, Dietrich, Dr., Soziologe 127 – 129, 133, 138, 154 f., 161, 164, 169 – 171, 174, 185, 190, 201, 213, 220 geb. 1914 Freiburg (Breisgau), gest. 20. 5. 1998 Berlin, Studium des Maschinenbaus und der Sozialwissenschaften in Berlin, Göttingen und Birmingham, 1959 Lehrauftrag an der Kirchlichen Hochschule in Berlin (West) für Religionssoziologie, 1961 – 1991 Mitglied der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1963 Honorarprofessor für Soziologie an der Freien Universität Berlin, 1964 – 1973 Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, 1967 – 1984 Mitglied der EKD-Synode, 1985 – 1991 Vorsitzender der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung, 1986 – 1990 Vorstandsvorsitzender der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. Gollwitzer, Brigitte, Christin jüdischer Herkunft 129, 183 geb. 12. 10. 1922 Berlin, gest. 1986, Tochter von Adolf und Elsa Freudenberg, Glied der Bekennenden Gemeinde in Dahlem, 1938 Ausreise und landwirtschaftliche Ausbildung in Estavayer-le-Lac (Schweiz), 1940 Hauswirtschaftslehre an der Bäuerinnenschule Uttewil (Schweiz), 1942 Ausbildung zur Gemeindehelferin am Institut des ministres fminins in Genf, 1945 Gemeindehelferin in Frankfurt am Main, 1951 Heirat mit Helmut Gollwitzer. Gollwitzer, Helmut, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 19, 29, 35, 44, 53, 127 – 135, 138 f., 143 – 145 , 150, 158, 171, 183 – 186, 191 f., 200 f., 208, 213 – 219, 222, 226 f., 229, 245, 299, 314, 331, 342, 346, 348, 350, 352, 354 f., 368, 374 f., 379 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim (Mittelfranken), gest. 17. 10. 1993 Berlin, 1951 Heirat
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mit Brigitte Freudenberg, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. [Personenlexikon, 90.] Grbe, Uwe, Dr.theol., Propst 25, 34, 83, 227 geb. 12. 6. 1965 Korbach (Waldeck), 1985 Theologiestudium in Qubec, Münster, Jerusalem und Heidelberg, 1993 Vikariat in Rastede (Ammerland), 1995 Doktoralstudien in Heidelberg, 1999 Gemeindepfarrer in Edewecht (Ammerland), 2003 – 2006 Mitglied der EKD-Synode, 2006 Propst in Jerusalem, 2012 Verbindungsreferent Nahost bei der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) sowie Geschäftsführer des Evangelischen Vereins für die Schneller-Schulen (EVS). Grass, Günter, Schriftsteller, Grafiker und Bildhauer 15, 201 geb. 16. 10. 1927 Danzig (Freie Stadt Danzig), 1948 – 1956 Studium der Grafik und Bildhauerei in Düsseldorf und Berlin, 1959 schriftstellerischer Durchbruch durch den Roman „Die Blechtrommel“, 1980 – 1992 Mitgliedschaft und ehrenamtliche Mitarbeit in der SPD, 1999 Nobelpreis für Literatur. Grillenberger, Wilhelm, Pfarrer 85, 87 f., 91 f., 104, 240 f., 256 f., 273 geb. 5. 8. 1911 Treuchtlingen, gest. 15. 12. 1998 Honhardt (Württemberg), 1939 Pfarrer in Neudorf-Suffersheim (Mittelfranken), 1949/50 nebenamtlicher, 1951 hauptamtlicher Judenmissionar des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel in München, 1957 Pfarrer in Veitsbronn-Obermichelbach (Mittelfranken), 1973 in Fürth, 1979 Ruhestand. Grolle, Johan Hendrik, Pfarrer 81 f., 86 f., 99, 153 f., 261 f., 268, 276, 376 geb. 22. 7. 1899 Amsterdam, gest. 26. 2. 1974 Groningen, 1918 Theologiestudium in Amsterdam und Utrecht, 1923 reformierter Pfarrer, 1928 in Utrecht, 1947 Sekretär des Protestantse Raad voor Kerk en Isral sowie Mitglied des Committee on the Christian Approach to the Jews im Internationalen Missionsrat, 1951 erste Israelreise, 1965 Ruhestand. Grber, Heinrich, Theologe 19, 99, 109, 115, 119 – 121, 127, 130, 135, 139 – 142, 146, 162 – 171, 174 f., 177 f., 180 f., 185, 192, 200 f., 203, 276, 291, 294 – 304, 306 – 308, 310, 313, 316, 340 f., 373 – 375, 377, 388 geb. 24. 6. 1891 Stolberg (Rheinland), gest. 29. 11. 1975 Berlin, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. [Personenlexikon, 92 f.] Haarbeck, Ako, Dr. theol., Landessuperintendent 369 geb. 20. 1. 1932 Hörstgen (bei Moers), 1952 Theologiestudium in Wuppertal, Bonn und Göttingen, 1959 Promotion, dann Vikariat in Wuppertal-Elberfeld, Duisburg und Dierdorf (Westerwald), 1961 Gemeindepfarrer in Dierdorf sowie Jugend- und Schulpfarrer im Kirchenkreis, 1969 Gemeindepfarrer in Nordhorn (Grafschaft Bentheim), 1971 Superintendent, 1980 bis zu seinem Ruhestand Landessuperintendent der lippischen Landeskirche sowie stellvertretender Vorsitzender des Reformierten Bundes, 1980 – 1989 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste, 1985 – 1994 Mitglied im Rat der EKD, 1996 Ruhestand. Habicht, Max, Jurist 73 geb. 1899 Schweiz, gest. 1986, Quäker, Jurist, Rechtsberater bei den Verhandlun-
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Personenregister/Biographische Angaben
gen zwischen Lutherischem Weltbund und Staat Israel um das ehemalige deutsche Missions- und Kircheneigentum. Halaski, Karl, Dr.theol.h.c., Theologe 45, 335 geb. 9. 11. 1908 Graudenz (Westpreußen), gest. 25. 1. 1996 Frankfurt (Main), 1928 Theologiestudium in Münster (Westfalen), Marburg (Lahn) und Berlin, 1932 Vikariat in Dortmund, Hamm (Westfalen) und Bochum, 1935 Ordination und Hilfsprediger in Datteln und Wunderthausen (bei Berleburg), 1940 Militärdienst, 1945 Gemeindepfarrer in Wunderthausen, 1951 – 1960 in Gruiten (bei Haan), 1951 – 1974 Schriftleiter der Reformierten Kirchenzeitung sowie Vorstandsmitglied des Gemeinschaftswerks Evangelische Publizistik, 1960 Generalsekretär des Reformierten Bundes, 1973 Ruhestand. Halfmann, Wilhelm, Dr.theol.h.c., Bischof 48, 301 geb. 12. 5. 1896 Wittenberg, gest. 8. 1. 1964 Kiel. [Personenlexikon, 97.] Hallstein, Walter Peter, Politiker 178 – 180, 377 geb. 17. 11. 1901 Mainz, gest. 29. 3. 1982 Stuttgart, 1950 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, 1951 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1954 Erarbeitung der sog. Hallstein-Doktrin, mit der anderen Staaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR erschwert werden sollte, 1958 – 1967 Vorsitzender der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Hammerstein, Franz von (eigentlich Franz Freiherr von Hammerstein-Equord), Dr.theol. 80, 127, 139 f., 208, 226 f., 320 f., 324, 349, 352 geb. 6. 6. 1921 Berlin, 1944 Gestapohaft in Berlin-Moabit (wegen Beteiligung zweier Brüder am Hitlerattentat vom 20.7.), 1945 KZ Buchenwald, Regensburg und Dachau, 1958 Mitbegründer der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, 1969 Generalsekretär der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, 1975 Sekretär der Consultation on the Church and the Jewish People des ÖRK sowie Mitarbeiter der ÖRK-Programmeinheit Glaube und Zeugnis, 1978 Direktor der Evangelischen Akademie in Berlin (West), 1986 Ruhestand. Harder, Günther, Dr.jur., Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 100, 103 f., 107, 127, 132, 150, 170 f., 174 f., 177 f., 185, 208, 210 f., 213, 226 f., 236 – 238, 291, 301, 305, 315, 318, 320 – 322, 324 – 326, 330, 335, 349, 352, 374, 386 geb. 13. 1. 1902 Groß-Breesen (Provinz Brandenburg), gest. 12. 9. 1978 Berlin, Theologieprofessor, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. [Personenlexikon, 99.] Harling, Otto von (Junior), Jurist 85 f., 89 – 92, 97 – 100, 105 f., 119, 125, 136, 146, 152 f., 155, 159, 161 f., 186, 245 f., 286, 373 geb. 4. 8. 1909 Leipzig (als Sohn von Harling Senior), gest. 12. 4. 1993 RonnenbergEmpelde, 1932 im Justiz- und 1938 – 1945 im Marine-Verwaltungsdienst, 1946 – 1949 Angestellter der Kirchenkanzlei der EKD, 1950 bis zu seinem Ruhestand dort Oberkirchenrat, 1948 Geschäftsführer der ACK, 1953 protestantischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hannover, 1953 – 1971 zweiter Vorsitzender des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel sowie Geschäftsführer und Schatzmeister des Deutschen
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Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel, 1963 Geschäftsführer der EKDKammer für Öffentliche Verantwortung, 1974 Ruhestand. Harling, Otto von (Senior), Dr.theol.h.c. 85 geb. 22. 12. 1866 Eversen (bei Celle), gest. 11. 12. 1953 Eversen, Direktor des Institutum Judaicum Delitzschianum in Leipzig, Vorsitzender des Evangelisch-lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel. [Personenlexikon, 99.] Hartenstein, Karl, Dr.theol. 81, 255, 263, 266, 371 geb. 25. 1. 1894 Cannstatt, gest. 1. 10. 1952 Stuttgart, Missionstheologe. [Personenlexikon, 100.] Hasper, Harald, Pfarrer 175 geb. 1. 2. 1912 Berlin-Zehlendorf, gest. 24. 1. 1996 Berlin- Zehlendorf, 1935 Vikariat in Berlin, 1937 Hilfsprediger in Berlin, 1939 in Rangsdorf (Provinz Brandenburg), 1940 Militärdienst, 1944 Pfarrer in Groß Neuendorf (Provinz Brandenburg), 1947 in Rangsdorf, 1949 in Berlin-Steglitz, 1961 in Berlin-Friedrichswerder, 1972 Ruhestand, 1973 kurzzeitig Referent beim Generalsuperintendenten, Vorstandsmitglied des Jerusalemsvereins. Haug, Martin, Dr.theol., Dr.theol.h.c., Landesbischof 139 geb. 14. 12. 1895 Calw, gest. 28. 3. 1983 Freudenstadt, 1949 – 1962 Landesbischof der württembergischen Landeskirche. [Personenlexikon, 101.] Hausner, Gideon, Jurist 110, 142, 165 – 167 geb. 26. 9. 1915 Lemberg (Österreich-Ungarn), gest. 15. 11. 1990 Jerusalem, 1927 Auswanderung nach Palästina, 1960 – 1963 israelischer Generalstaatsanwalt, 1961 Chefankläger gegen Adolf Eichmann, 1974 Minister der israelischen Regierung. Hechler, William, endzeitlich motivierter Förderer des Zionismus 21, 110 geb. 1. 10. 1845 in Benares (Indien), gest. 30. 1. 1931 London, Ausbildung zum Missionar am Seminar der anglikanischen Church Missionary Society in London, 1871 Missionar in Lagos (Westafrika), 1873 Hauslehrer am großherzoglichen Hof in Karlsruhe, 1879 Pfarrer der Church of England in London, 1882 Osteuropareise im Auftrag der London Jews Society, 1883 gescheiterter Vermittlungsversuch zwischen den Interessen Großbritanniens und Preußens bezüglich des englischpreußischen Bistums in Jerusalem, 1886 Chaplain an der britischen Botschaft in Wien, seit 1896 Förderer Theodor Herzls, 1898 Initiator der Begegnungen Herzls mit Kaiser Wilhelm II. in Konstantinopel und Jerusalem, 1910 Ruhestand. Hedenquist, Göte, Dr.theol.h.c., Theologe 81, 99, 238 geb. 29. 4. 1907 Norrköping (Schweden), gest. 1996 Schweden, 1925 Theologiestudium, 1936 Leiter der Wiener Missionsstation der Svenska Israelsmission, 1940 Pfarrer in Norrköping, 1942 Pfarrer einer Diakonissenanstalt in Stockholm, 1946 Sekretär in dem im Aufbau begriffenen ÖRK, 1950 Direktor des Committee on the Christian Approach to the Jews im Internationalen Missionsrat, 1960 – 1975 Direktor der Svenska Israelsmission (Umbenennung in Riksorganisation Kyrkan och Judendomen). Heidland, Hans-Wolfgang, Dr.theol., Landesbischof 206, 329 geb. 20. 7. 1912 Koblenz, gest. 11. 1. 1992 Malsburg-Marzell (bei Lörrach), 1945 Pfarrer in Heidelberg, 1949 Mitglied der Kirchenleitung (Oberkirchenrat), 1960
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Professor für Praktische Theologie in Heidelberg, 1964 Landesbischof der badischen Landeskirche, 1980 Ruhestand. Heidtmann, Günter, Pfarrer und Journalist 48 – 50, 136, 139 f., 142 geb. 17. 6. 1912 Düsseldorf, gest. 1. 5. 1970 Stuttgart, Chefredakteur der Evangelischen Kommentare. [Personenlexikon, 103.] Heinemann, Gustav, Dr.jur., Dr. rer.pol., Dr.theol.h.c., EKD-Synodalpräses, Bundespräsident 19, 367 geb. 23. 7. 1899 Schwelm (Westfalen), gest. 7. 7. 1976 Essen. [Personenlexikon, 105.] Herbert, Karl, Dr.theol.h.c., Theologe 53, 143 geb. 14. 7. 1907 Frankfurt am Main, gest. 2. 8. 1995 Alsbach (Bergstraße), Theologiestudium in Frankfurt, Tübingen, Erlangen und Berlin, 1932 Gemeindepfarrer in Oberhörlen (bei Gladenbach), 1940 Wehrdienst, 1945 erneut in Oberhörlen, 1948 bis zu seinem Ruhestand Mitglied des Leitenden Geistlichen Amtes der hessen-nassauischen Landeskirche, 1950 Propst für Nordnassau in Herborn, 1965 Oberkirchenrat und stellvertretender Kirchenpräsident, 1972 Ruhestand. Herntrich, Volkmar, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer und Landesbischof 102 f., 127 f., 374 geb. 8. 12. 1908 Flensburg, gest. 14. 9. 1958 Lietzow (bei Nauen). [Personenlexikon, 109.] Herrenbrck, Walter, Landessuperintendent 29, 46 geb. 3. 4. 1910 Stockport (Großbritannien), gest. 31. 7. 1978 Oldenburg, 1937 Ordination, reformierter Pfarrer in Tergast (Ostfriesland), 1950 in Leer, 1963 in Hannover, ab 1951 Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland, 1975 Ruhestand. Hertzberg, Hans Wilhelm, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 34, 67, 263, 265 – 268, 275, 278, 280 f., 381 geb. 16. 1. 1895 Lauenburg (Pommern), gest. 1. 6. 1965 Kiel, 1923 – 1930 Propst in Jerusalem. [Personenlexikon, 110.] Herzl, Theodor, Dr. phil., Begründer des politischen Zionismus 57, 86, 90, 95, 109 f., 272, 288, 320, 342, 387 geb. 2. 5. 1860 Budapest, gest. 3. 7. 1904 Edlach (Niederösterreich), Jurist, 1887 Redakteur der „Wiener Allgemeinen Zeitung“, 1891 Pariser Korrespondent der Neuen Freien Presse aus Wien, 1896 bis zu seinem Tod Redakteur der Neuen Freien Presse in Wien, 1896 Veröffentlichung der Schrift „Der Judenstaat“, 1897 Gründung der zionistischen Zeitung Die Welt sowie Einberufung des ersten Zionistenkongresses nach Basel. Hesselbach, Walter 192 geb. 20. 1. 1915 Frankfurt am Main, gest. 5. 11. 1993 Walenstadt (Schweiz), 1952 Vorstandsmitglied der hessischen Landeszentralbank, 1958 Vorstandssprecher der Bank für Gemeinwirtschaft, 1961 Vorstandsvorsitzender, 1977 – 1985 Mitglied des Aufsichtsrats.
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Hitler, Adolf, Reichskanzler und Diktator des Deutschen Reiches 55, 62 f., 68, 272, 287, 300, 302, 318 geb. 20. 4. 1889 Braunau am Inn (Österreich-Ungarn), gest. 30. 4. 1945 Berlin. Hohlfeld, Arved, Oberkirchenrat 147, 178, 210, 237 geb. 21. 10. 1908 Berlin, gest. 17. 7. 2003 Berchtesgaden, Jurist, 1945 Regierungsdirektor in Wiesbaden, 1958 juristischer Oberkirchenrat im Kirchlichen Außenamt der EKD, 1967 Vizepräsident des Kirchlichen Außenamtes, Vertreter der EKD im Verwaltungsrat des Deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des heiligen Landes, Kuratoriumsmitglied der Evangelischen JerusalemStiftung, 1973 Ruhestand. Hoppe, (Gerhard) Joachim, Dr.theol. 214 geb. 10. 11. 1930 Stettin, gest. 3. 4. 1993 Berlin, 1949 Ausbildung am „Seminar für Kirchlichen Dienst“ in Berlin-Zehlendorf, 1952 Theologiestudium, 1958 Vikariat in Berlin-Frohnau und Berlin-Wilmersdorf, 1960 – 1962 Hilfsprediger in BerlinZehlendorf, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1962 Kreiserziehungspfarrer im Kirchenkreis Berlin-Zehlendorf, 1966 Referent bei der Kirchlichen Erziehungskammer in Berlin (West), 1970 Leiter des Amts für Religionsunterricht, 1979 Oberkonsistorialrat, 1982 Professor für Religionspädagogik an der Freien Universität in Berlin (West), 1992 Ruhestand. Horkheimer, Max, Dr.phil., Sozialphilosoph 117 geb. 14. 2. 1895 Zuffenhausen, gest. 7. 7. 1973 Nürnberg, 1930 Professor für Sozialphilosophie und Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main, 1933 als Jude Flucht in die Schweiz, 1934 Exil in den USA, 1949 Rückkehr nach Frankfurt, 1950 erneut Direktor des Instituts für Sozialforschung, 1964 Emeritierung. Hromdka, Josef L., Theologe 46, 217, 326, 335 – 337 geb. 8. 6. 1889 Hotzendorf (Mähren), gest. 26. 12. 1969 Prag, Theologiestudium in Wien, Basel, Heidelberg und Aberdeen, 1912 lutherischer Pfarrer, 1919 Pfarrer der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, 1920 Professor für Systematische Theologie an der Fakultät seiner Kirche in Prag, 1939 Flucht in die Schweiz und Lehrtätigkeit am Theologischen Seminar in Princeton (New Jersey), 1947 Wiederaufnahme der Professur in Prag, 1948 Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK, 1954 Mitglied des Exekutivausschusses des ÖRK, 1958 Präsident der Christlichen Friedenskonferenz, Mitarbeiter der Zeitschrift Junge Kirche. Huber, Wolfgang, Dr. theol., Universitätslehrer, Bischof 16 geb. 12. 8. 1942 Straßburg, 1960 – 1966 Theologiestudium in Heidelberg, Göttingen, Tübingen, 1966 – 1968 Gemeindepfarrer, 1968 – 1980 Mitarbeiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg, 1980 – 1984 Universitätslehrer in Marburg, 1984 – 1994 in Heidelberg, 1994 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, 2003 zugleich Vorsitzender des Rates der EKD, 2009 Ruhestand. Hbner, Friedrich, Lic.theol., Bischof 47, 206 geb. 25. 6. 1911 Bangalore (Indien), gest. 6. 6. 1991 Kiel, 1930 Theologiestudium,
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Personenregister/Biographische Angaben
1937 Missionsdienst in Indien, 1948 Gemeindepastor in Wyk auf Föhr, 1950 Oberkirchenrat der VELKD in Hannover, 1962 Propst in Stormarn, 1964 Bischof des Sprengels Holstein der schleswig-holsteinischen Landeskirche, ab 1977 des Sprengels Holstein-Lübeck der nordelbischen Landeskirche, 1981 Ruhestand. Huigens, Petrus, Pfarrer 142, 155 f., 290, 296 geb. 1916 in den Niederlanden, gest. 13. 8. 1972 Eiserfeld (Siegerland), langjähriger Sekretär des CVJM-Westbundes, zuletzt Gemeindepfarrer in Eiserfeld-Niederschelden. Hussein, Saddam, irakischer Staatspräsident 369 geb. 28. 4. 1937 al-Audscha (bei Tikrit), gest. 30. 12. 2006 al-Kazimiyya (bei Bagdad), 1979 bis 2003 Staatspräsident und Premierminister des Irak. Hussein I., König von Jordanien 197 geb. 14. 11. 1935 Amman als Angehöriger der haschemitischen Dynastie, gest. 7. 2. 1999 Amman, 1952 bis zu seinem Tod König. Imhoff, Christoph Freiherr von, Dr. jur., Journalist 192, 201, 321, 323, 330 f., 336, 348, 351, 353, 355, 361 geb. 11. 4. 1912 Nürnberg, gest. 8. 9. 1986 Starnberg, Jurastudium, 1933 Volontariat bei den Münchner Neuesten Nachrichten, 1935 Redakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, 1945 – 1953 Chefredakteur der Neuen Furche, 1950 Mitbegründer der Christlichen Presse-Akademie in Bad Boll, 1952 stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post, 1958 Ressortleiter des Kölner Stadtanzeigers, 1964 stellvertretender Chefredakteur des Handelsblattes, 1966 stellvertretender Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten sowie Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1969 freier Journalist in Nürnberg, Mitbegründer des Publizistischen Ausschusses des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Immer, Karl, Lic.theol., Theologe 218 geb. 1. 5. 1888 Manslagt (Ostfriesland), gest. 6. 6. 1944 Meinberg (Lippe). [Personenlexikon, 121.] Iwand, Hans Joachim, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 46 geb. 11. 7. 1899 Schreibendorf (Schlesien), gest. 2. 5. 1960 Bonn. [Personenlexikon, 121.] Jacobi, Gerhard, Dr.h.c., Bischof 206 geb. 25. 11. 1891 Bremen, gest. 12. 7. 1971 Oldenburg, 1954 – 1967 Bischof der oldenburgischen Landeskirche. [Personenlexikon, 122.] Jahn, Gerhard, Politiker 192 geb. 10. 9. 1927 Kassel, gest. 20. 10. 1998 Marburg, Jurist, 1957 – 1990 Mitglied des Bundestages (SPD), 1966/67 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1967 Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1969 – 1974 Bundesjustizminister. Janowski, Hans Norbert, Pfarrer und Journalist 50, 339, 356, 361, 390 geb. 28. 1. 1938 Stettin, Theologiestudium in Bonn, Göttingen, Tübingen und Heidelberg, 1973 Redakteur der Evangelischen Kommentare, später Chefredakteur, 1993 Geschäftsführer des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik sowie Rundfunkbeauftragter der EKD, 2002 Ruhestand.
Personenregister/Biographische Angaben
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Jasper, Gerhard, Theologe 44, 47, 77, 83 f., 92 f., 95 – 103, 105 – 107, 121 f., 126, 242, 244, 255 – 259, 263 – 270, 272 – 275, 277, 279 – 281, 283 f., 286 – 288, 292 – 295, 308, 312, 314 f., 322, 381 geb. 30. 7. 1891 Georgsmarienhütte (Niedersachsen), gest. 23. 7. 1970 in BielefeldBethel, 1919 Missionsinspektor des Sächsischen Haupt-Missionsvereins in Dresden, 1925 Direktor der Bibel- und Missionsschule Herrnhut, 1927 Missionsinspektor der Bethel-Mission sowie Werbearbeiter der v. Bodelschwinghschen Anstalten, Mitglied im Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel und für diesen Verbindungsmann zum Deutschen Evangelischen Missionsrat, 1959 Ruhestand. Jentzsch, Gerhard, Pfarrer 69, 173 geb. 24. 3. 1892 Magdeburg, gest. 25. 12. 1965 Berlin, Studium der Theologie und der vergleichenden Sprachwissenschaft, 1914 – 1918 Kriegsteilnahme, 1923 Pfarrer in Neu-Rössen, dann in Bethlehem, 1933 kurzzeitig Mitglied der SA und der Deutschen Christen, 1934 Mitglied der Jerusalemer Ortsgruppe der NSDAP, 1939 Pfarrer in Pankow, 1940 – 1945 Kriegsteilnahme, 1945 – 1948 britische Kriegsgefangenschaft, danach Klinikpfarrer in Berlin-Tegel. Josephthal (auch Yoseftal), Giora, Dr.jur., israelischer Politiker 117 geb. 9. 8. 1912 Nürnberg als Georg Josephthal, gest. 22. 8. 1962 Luzern, Jurastudium in Heidelberg, Berlin, München und Basel, 1938 Auswanderung nach Palästina, 1952 Leiter der israelischen Delegation bei den Wiedergutmachungsverhandlungen, 1956 Generalsekretär der israelischen Arbeitspartei, 1960 Arbeitsminister, 1961 bis zu seinem Tod Minister für Wohnungsbau und Entwicklung. Jung-Stilling, Johann Heinrich, Augenarzt und Schriftsteller 247 geb. 12. 9. 1740 Grund (Siegerland), gest. 2. 4. 1817 Karlsruhe. Kaminka, Gideon Guido, Dr. 128 geb. 30. 7. 1904 Wien, gest. 8. 9. 1985 Haifa, 1923 Studium der Architektur in Wien, 1928 freier Architekt in Wien, 1931 Anstellung in einem Architektenbüro, 1933 Auswanderung nach Palästina und freier Architekt in Haifa, 1950 – 1978 Stadtrat in Haifa. Kammerer, Gabriele, Journalistin 34, 124, 135, 138 f., 150, 170, 190, 212, 224, 227, 369 Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Frankreich, Studium der Evangelischen Theologie, Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main und Berlin, 1999 freie Journalistin. Kanitz, Joachim, Pfarrer 220 geb. 28. 3. 1910 Altraden (Provinz Posen), gest. 30. 10. 1996 Berlin-Zehlendorf, 1928 Theologiestudium in Erlangen, Bonn und Berlin, 1933 Vikariat in Dobrilugk (Provinz Brandenburg), 1934 Hilfsprediger der Bekennenden Kirche in BerlinLichterfelde, Crossen (Oder), Finkenwalde (Pommern), Spandau und Brandenburg (Havel), 1937 Hilfsprediger in Klinkow und Hohenseefeld (Provinz Brandenburg), 1939 Militärdienst, 1946 Hilfsprediger in Lübeck, 1947 Pfarrer in Berlin-Lichterfelde, 1956 – 1969 Pfarrer in Berlin-Zehlendorf, ab 1961 Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz, 1969 Klinikseelsorger, 1979 Ruhestand.
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Personenregister/Biographische Angaben
Kappes, Heinz, Pfarrer 100, 110, 113 geb. 30. 11. 1893 Fahrenbach (Baden), gest. 1. 5. 1988 Stuttgart. [Personenlexikon, 129 f.] Karnatz, Bernhard, Dr.jur.h.c. 65, 67 – 69, 73, 174 – 177, 193, 231, 370, 376 geb. 29. 3. 1882 Verden (Aller), gest. 18. 3. 1976 Berlin, 1942 – 1970 Vorsitzender des Jerusalemsvereins, auch langjähriger Geschäftsführer der Evangelischen Jerusalem-Stiftung. [Personenlexikon, 130.] Kinder, Ernst, Dr.theol., Dr.h.c.mult., Universitätslehrer 47 geb. 11.5. 1910 Barmen, gest. 2. 2. 1970 Münster (Westfalen), 1947 – 1953 Schriftleiter der Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung, 1947 Professor für Systematische Theologie in Neuendettelsau, 1953 in Münster (Westfalen). Kjaer-Hansen, Kai, Pfarrer 35 1976 – 1978 Geistliche Betreuung von Dänen in Israel. Klausener, Erich, Monsignore, römisch-katholischer Theologe 204, 207 geb. 1917 als Sohn des 1934 von der SS ermordeten Staatsbeamten gleichen Namens, Ordinariatsrat im Bistum Berlin, Chefredakteur des Petrusblattes des Bistums Berlin. Kloppenburg, Heinz, Dr.theol.h.c., Oberkirchenrat 29, 45 f., 83 f., 98 f., 108, 120, 127, 167 f., 184, 217 – 220, 263, 266 f., 285, 301, 318, 321 f., 326 f., 329 f., 332 – 337, 339 – 349, 360 – 363 geb. 10. 5. 1903 Elsfleth (Wesermarsch), gest. 18. 2. 1986 Bremen, 1953 – 1978 Herausgeber der Zeitschrift „Junge Kirche“, 1961 – 1973 Mitglied der Kommission für internationale Angelegenheiten des ÖRK, 1967 Vorsitzender des westdeutschen Regionalausschusses der Christlichen Friedenskonferenz. [Personenlexikon, 137.] Koch, Wilhelm, Pfarrer 157 f. geb. 22. 10. 1913 Osnabrück, gest. 5. 5. 1969 Melle, 1941 Ordination und Hilfspfarrer in Lavelsloh bei Nienburg (Weser), 1945 Hilfspfarrer und 1949 Pfarrer in Melle (Niedersachsen), 1962 Schriftleiter der Zeitschrift Friede über Israel sowie Geschäftsführer des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel. Kock, Manfred, EKD- Ratsvorsitzender 16, 106 geb. 14. 9. 1936 Burgsteinfurt (Westfalen), Theologiestudium in Bielefeld-Bethel, Münster und Tübingen, 1970 Jugendpfarrer in Köln, 1976 Gemeindepfarrer in Köln-Bickendorf, 1980 Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord, 1988 – 1992 und 1994 – 1998 Präses der Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU), 1997 Präses der rheinischen Landeskirche sowie Ratsvorsitzender der EKD, 2003 Ruhestand. Kçhler, Hansgeorg, Propst 25, 62, 193, 230 – 235, 237 f., 380 geb. 19. 9. 1927 Weimar, gest. 8. 5. 2008 Kiel, 1954 Gemeindepastor in Rühlertwist (Emsland), 1957 Militär- und Polizeiseelsorger, 1958 Leiter des Landespfarramtes für Polizei und Zollgrenzdienst, 1965 Propst in Jerusalem, 1971 Gemeindepastor in Göttingen, 1972 – 2002 stellvertretender Vorsitzender des Jerusalemsvereins, 1973 Superintendent in Holzminden, 1989 Ruhestand.
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Kortzfleisch, Siegfried von, Dr.theol., Journalist 48, 195, 226, 331, 348, 356, 390 geb. 5. 7. 1929 Dresden, Theologiestudium in Mainz, Basel und Göttingen, 1955 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll, 1961 stellvertretender Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 1970 Chefredakteur der Lutherischen Monatshefte, 1982 – 1986 stellvertretender Chefredakteur des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts. Kraus, Hans-Joachim, Dr.theol., Universitätslehrer 127, 143 f., 150, 154 f., 161, 163 f., 169 – 171, 190 geb. 17. 12. 1918 Essen, gest. 14. 11. 2000 Essen, Theologiestudium, 1949/50 Lehrstuhlvertretung in Göttingen, 1951 Professor in Bonn, 1954 Professor für Altes Testament in Hamburg, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1968 Professur für Reformierte Theologie in Göttingen, 1982 – 1990 Moderator des Reformierten Bundes, 1984 Emeritierung. Kremers, Heinz, Theologe 22, 107, 127, 130, 143 – 145, 147 f., 176, 189, 226 f., 376 geb. 19. 10. 1926 Rheydt, gest. 25. 5. 1988 Moers, Theologiestudium in Wuppertal, Tübingen und Göttingen, 1954 Landespfarrer im Katechetischen Amt der rheinischen Landeskirche, 1959 Professur an der Pädagogischen Akademie in Kettwig bei Essen (seit 1968 Pädagogische Hochschule Ruhr, Abteilung Duisburg, seit 1972 Gesamthochschule Duisburg, seit 1980 Universität-Gesamthochschule, heute Universität Duisburg-Essen), 1960 Mitbegründer von Nes Ammim (Israel), langjähriger Vorsitzender des deutschen Nes-Ammim-Vereins, 1986 Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Kremkau, Klaus, Oberkirchenrat 226, 232 – 234, 237 1959 Pfarrer in Kairo, 1965 Oberkirchenrat im Kirchlichen Außenamt der EKD, Mitglied der EKD-Studienkommission ,Kirche und Judentum‘. Kreyssig, Lothar, Dr.jur., Konsistorialpräsident 127, 135 f., 138 geb. 30. 10. 1898 Flöha (Sachsen), gest. 5. 7. 1986 Bergisch-Gladbach. [Personenlexikon, 145.] Krger-Wittmack, Georg, Dr.jur., Jurist in der Kirchenverwaltung 152 geb. 5. 3. 1902 Berlin, gest. 2. 7. 1986 Darmstadt. [Personenlexikon, 146.] Krupp, Michael, Dr.theol., Theologe 54, 115, 131 f., 135, 174, 196, 237 – 239, 242 geb. 1938 Elbing (Ostpreußen), 1959 – 1960 erster Israelaufenthalt, Studium der Theologie und der Judaistik, 1966 Heirat einer Jüdin, 1970 Entsendung nach Israel durch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg (West), Leiter von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Jerusalem, 1978 bis zu seinem Ruhestand Studienleiter von Studium in Israel, 2003 Ruhestand. Kubovi, Leon Aryeh (auch Kubovy) 140, 142 geb. 2. 11. 1896 Kurschenen (Litauen) als Leon Kubowitzki, gest. 16. 5. 1966 Jerusalem, Jurist, 1945 Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, 1948 Auswanderung nach Israel und Diplomat, 1959 bis zu seinem Tod Leiter der Gedenkstätte Yad Vashem. Kunst, Hermann, Dr.theol., EKD-Bevollmächtigter, Militärbischof 134, 168 f., 185 – 189, 192, 223, 377
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Personenregister/Biographische Angaben
geb. 21. 1. 1907 Ottersberg (Hannover), gest. 6. 11. 1999 Bonn. [Personenlexikon, 149.] Kster, Otto, Jurist 117 f., 123, 273 f. geb. 4. 1. 1907 Stuttgart, gest. 7. 3. 1989 Stuttgart, Jurastudium in Tübingen, München und Berlin, 1933 als Richter amtsenthoben, 1935 Rechtsanwalt, 1945 Wiedergutmachungsbeauftragter im Justizministerium in Württemberg-Baden (ab 1952 Baden-Württemberg), 1952 stellvertretender Leiter der Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel. Kstermeier, Rudolf, Journalist 122 geb. 1903, gest. 1977, 1933 Herausgeber der Zeitschrift Der Rote Stoßtrupp sowie Verhaftung durch das NS-Regime, 1945 – 1950 Chefredakteur der Zeitung Die Welt, 1950 Israelreise (erhielt als erster deutscher Journalist ein Einreisevisum), 1953 Nachrichtenkorrespondent für dpa und NDR in Tel Aviv, 1968 Ruhestand. Kvarme, Ole Christian, Bischof 35 1976 Im Auftrag der Norske Israelmisjon Pfarrer an der ,judenchristlichen‘ EliasKirche und Leiter des Ebenezer-Heims in Haifa für Christen jüdischer Herkunft bzw. messianische Juden, 1982 Leiter des Caspari-Zentrums für Christen jüdischer Herkunft, 2005 Bischof von Oslo. Landau, Moshe, Richter und Präsident am israelischen Obersten Gericht 167 geb. 29.4.1912 Danzig, gest. 1.5.2011 Jerusalem, 1930 Jurastudium in London, 1933 Auswanderung nach Palästina, 1937 Rechtsanwalt, 1940 Amtsrichter in Haifa, 1953 Richter am Obersten Gericht, 1976 Vizepräsident, 1980 Präsident, 1982 Ruhestand. Lapide, Pinchas, Dr.phil., jüdischer Gelehrter 29, 143, 145, 228, 317 – 323, 327 f., 331 f., 343 f., 348, 351, 391 geb. 28. 11. 1922 Wien, gest. 23. 10. 1997 Frankfurt am Main, 1938 Flucht, 1940 Einwanderung nach Palästina, 1951 israelischer Diplomat in Brasilien und Italien, 1963/64 Koordinator des staatlich-israelischen Pilgerkomitees zur Vorbereitung des Papstbesuches, 1964 Direktor für Publikationen im staatlichen Presseamt in Jerusalem, 1965 stellvertretender Leiter des Presseamtes, 1969 Studienaufenthalt in West-Deutschland, 1972 Leiter des Presseamtes, 1973 Dozent an der Bar-IlanUniversität in Ramat Gan bei Tel Aviv, 1975 Übersiedlung nach West-Deutschland. Lehr, Robert, Dr.jur., Dr.med.h.c., Politiker 101, 121 geb. 20. 8. 1883 Celle, gest. 13. 10. 1956 Düsseldorf, 1924 Oberbürgermeister von Düsseldorf, 1933 Amtsenthebung und Verhaftung, 1945 Oberpräsident der Rheinprovinz, 1946 Präsident des nordrhein-westfälischen Landtages, 1949 – 1953 Mitglied des Bundestages (CDU), 1950 – 1953 Bundesinnenminister. Lehrmann, Cuno Chanan, Dr., Rabbiner 204, 207 geb. 15. 6. 1905 Strezow (Galizien, Österreich-Ungarn), gest. 6. 9. 1977 Luxemburg, 1933 Examen am Rabbinerseminar Berlin und Emigration in die Schweiz, 1934 Privatdozent für jüdische Literatur in Lausanne, 1936 Rabbiner in Freiburg (Üechtland), 1949 Landesrabbiner von Luxemburg, 1958 Universitätsdozent in Ramat Gan (Israel), 1960 – 1970 Rabbiner in Berlin (West), 1967 Vorstandsmitglied der westdeutschen Rabbinerkonferenz, 1970 Ruhestand.
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Leuner, Heinz David, Pfarrer jüdischer Herkunft 100, 155, 171, 262, 272, 282, 284 geb. 15. 9. 1906 Breslau, gest. 23. 9. 1977 London, Journalist, 1933 Flucht nach Prag, 1937 Taufe, 1939 Emigration nach Schottland, 1940 Theologiestudium, 1944 Pfarrer der Schottischen Kirche, 1950 Europasekretär der Internationalen Judenchristlichen Allianz und Herausgeber der Zeitschrift Der Zeuge sowie Mitglied des Committee on the Christian Approach to the Jews im Internationalen Missionsrat, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Levinson, Pnina Nav, Religionsphilosophin 369 geb. 1921 Berlin, gest. 3. 8. 1998 Jerusalem, 1935 Auswanderung nach Palästina, Mitbegründerin und Professorin der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg mit Ehemann von Nathan Peter Levinson, 1986 Ruhestand. Liefmann, Walter 129 geb. 1898, Bruder von Elsa Freudenberg, Ausbildung zum Mathematiklehrer, 1933 Auswanderung nach Palästina, Einwohner des Kibbuz Giv’at Brenner bei Rekhovot. Lilje, Hanns, Dr.theol., Landesbischof 70 – 72, 83, 127 f., 152, 206, 219, 374 geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover. [Personenlexikon, 157 f.]. Locher, Benjamin, Pfarrer 99 f. geb. 16. 1. 1909 Elberfeld (Rheinland), gest. 18. 5. 1987 Düsseldorf, Theologiestudium in Münster (Westfalen), Zürich und Bonn, 1933 Vikariat in Gummersbach und London, 1935 Studienurlaub, 1936 Hilfsprediger in Oberhausen-Alstaden und Amsterdam, 1937 Ordination und Studieninspektor des reformierten Predigerseminars Elberfeld, 1940 Militärdienst, 1946 reformierter Gemeindepfarrer in Elberfeld, 1958 Direktor des neu gegründeten Seminars für kirchliche Dienste in Düsseldorf, 1970 Ökumenebeauftragter der rheinischen Landeskirche, Mitglied der EKD-Synode und der Synode der EKU, 1978 Ruhestand. Lçhr, Detlef, Pfarrer 227, 240 – 244 geb. 1930 Braunschweig, gest. 31. 12. 1973 Goslar, 1956 Gemeindepfarrer in Offleben (Niedersachsen), 1963 in Goslar, Schriftleiter der Zeitschrift Friede über Israel. Lohse, Eduard, Dr.theol., Universitätslehrer und Landesbischof 245 geb. 19. 2. 1924 Hamburg, 1945 Theologiestudium in Bielefeld-Bethel und Göttingen, 1950 Konviktsinspektor an der Kirchlichen Hochschule Hamburg, 1956 Professor für Neues Testament in Kiel, 1964 in Göttingen, 1971 Landesbischof der hannoverschen Landeskirche, 1975 – 1978 zugleich Leitender Bischof der VELKD, 1979 – 1985 Ratsvorsitzender der EKD, 1988 Ruhestand. Lbke, Heinrich, Bundespräsident 187 – 189 geb. 14. 10. 1894 Enkhausen (Sauerland), gest. 6. 4. 1972 Bonn, 1953 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (CDU), 1959 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, 1969 Ruhestand. Luckner, Gertrud, Dr.rer.pol. 35, 99 f., 201, 243 geb. 26.9. 1900 Liverpool (England) als Jane Hartmann, gest. 31. 8. 1995 Freiburg (Breisgau), Studium der Volkswirtschaft, 1934 Eintritt in die römisch-katholische
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Personenregister/Biographische Angaben
Kirche, 1938 Mitarbeiterin in der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg, 1943 Inhaftierung im KZ Ravensbrück wegen Hilfe an Juden, 1948 Gründung des Freiburger Rundbriefes, 1980 Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Lpsen, Focko, Theologe und Journalist 47, 83 f. geb. 22. 5. 1898 Burweg (bei Stade), gest. 31. 3. 1977 Bielefeld. [Personenlexikon, 162 f.] Lth, Erich, Journalist 104 f., 110, 122, 138, 201, 373 geb. 1. 2. 1902 Hamburg, gest. 1. 4. 1989 Hamburg, 1928 Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft, 1929 Parteisekretär der Deutschen Demokratischen Partei, 1931 Geschäftsführer eines Händlerverbandes, 1935 Leiter der Literarischen Abteilung der Pfaff A.G., 1943 Wehrmacht, 1946 – 1953 und 1958 – 1964 Direktor der Staatlichen Pressestelle Hamburg, 1951 Initiator der Aktion „Friede mit Israel“, 1952 Vorstandsmitglied der neu gegründeten Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg. Lutz, Charles, Schweizer Diplomat 73, 75 geb. 30. 3. 1895 Walzenhausen (Schweiz) als Carl Lutz, gest. 12. 2. 1975 Bern, 1920 Mitarbeit an der Schweizer Botschaft in Washington sowie an mehreren Konsulaten in den USA, 1935 – 1940 Vizekonsul in Jaffa (Palästina), 1942 – 1945 Vizekonsul in Budapest (Ungarn), dort Beitrag zur Rettung von etwa 62.000 Juden, nach dem Krieg im Auftrag des Lutherischen Weltbundes Treuhänder des deutschen Missionseigentums in Israel, 1954 Konsul in Bregenz (Österreich), 1961 Ruhestand, 1964 Ehrung als „Gerechter unter den Völkern“ in Yad Vashem Maas, Hermann, Theologe 31, 35, 54, 69, 88, 98, 104, 107, 109 – 115, 124 f., 127, 130, 138, 145, 151 f., 155, 166, 174, 200 f., 258 – 263, 271, 273, 275, 284, 286, 372 – 374, 381 geb. 5. 8. 1877 Gengenbach (Schwarzwald), gest. 27. 9. 1970 Heidelberg. [Personenlexikon, 164.] Madauss, Erika (genannt Mutter Martyria), Marienschwester 129, 170 geb. 1904, gest. 28. 2. 1999 Darmstadt, sozialpädagogische Ausbildung in Hamburg und London, 1947 Mitbegründerin der Evangelischen Marienschwesternschaft in Darmstadt. Majer-Leonhard, Fritz, Pfarrer jüdischer Herkunft 99, 124 f., 161 f., 226 geb. 11. 3. 1915 Frankfurt am Main, gest. 6. 8. 1995 Gerlingen, 1937 1. theologisches Examen, als „Mischling 1. Grades“ kein Vikariat, 1944 Lager Wolfenbüttel, 1945 Vikar in Stuttgart und seither Leiter der Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, 1947 Pfarrer in Stuttgart-Feuerbach, 1964 Pfarrer bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, 1968 Pfarrer an der Lutherhauskirche in Stuttgart, 1980 Ruhestand. Malachy, Yonah (auch Yona) 36, 83, 144, 209, 318, 324, 333, 341, 343, 347, 349 f., 353 – 355, 391 geb. 1930 Frankfurt am Main, gest. 1972, 1945 Auswanderung nach Palästina, Mitarbeiter im Referat für christliche Angelegenheiten im israelischen Religi-
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onsministerium, 1961 Herausgeber der Zeitschrift Christian News from Israel, 1967 Mitherausgeber der Encyclopaedia Judaica. Malik, Charles, Dr.phil., Universitätslehrer, Diplomat und Politiker 83 f., 263, 266 f. geb. 1906 Bitirran (Libanon), gest. 28. 12. 1987 Beirut, griechisch-orthodoxer Christ, Studium der Mathematik und Physik an der American University in Beirut, 1932 Philosophiestudium in Freiburg (Breisgau), 1933 an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), 1937 Promotion, 1938 – 1945 und 1962 – 1976 Philosophieprofessor an der American University in Beirut, 1945 libanesischer Gesandter in den USA und in Kuba, 1948 Mitwirkung an der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UN, 1953 Botschafter in den USA, 1956 Außenminister im Libanon, 1958 Präsident der UN-Vollversammlung, 1966 – 1972 Vizepräsident der United Bible Societies, 1967 Präsident des World Council of Christian Education bis zu dessen Eingliederung in den ÖRK 1971, 1981 – 1983 Philosophieprofessor an der Catholic University of America in Washington, Mitglied in verschiedenen UN-Organisationen sowie Delegierter in der Vollversammlung des ÖRK. Malsch, Carl, Propst 61, 173 – 178, 183, 192 f., 214, 235, 237, 340, 376 f., 379 f. geb. 20. 5. 1916 Hamburg, gest. 13. 9. 2001 Hamburg, 1936 Theologiestudium in Bethel, Rostock, Berlin und Erlangen, 1943 Hilfsprediger an St. Katharinen in Hamburg, 1944 Pastor in Landau an der Isar zur Betreuung ausgebombter Hamburger, 1945 Gemeindepastor in Hamburg-Klein Borstel, 1954 Studentenpfarrer in Hamburg, 1960 – 1965 Propst an der Erlöserkirche in Ost-Jerusalem und geistlicher Leiter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien, 1964 in dieser Rolle Begegnung mit Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras von Konstantinopel, 1965 Hauptpastor an St. Petri in Hamburg und Leitung der Stadtmission, 1975 letzter Senior der Hamburgischen Pfarrerschaft und damit Vertreter des Landesbischofs vor Bildung der nordelbischen Kirche 1977, 1981 Ruhestand, 1988 Niederlegung des Vorsitzes der Hamburger Stadtmission. Malsch, Elisabeth 174 Ehefrau von Carl Malsch und Patentante von Jürgen Wehrmann. Marquardt, Friedrich-Wilhelm, Dr.theol., Universitätslehrer 24, 29, 35, 81, 83, 127, 129 – 132, 138, 141, 171, 182 f., 190, 205, 213 f., 218 f., 221 f., 225 – 227, 229, 374 f., 379 geb. 2. 12. 1928 Eberswalde (Provinz Brandenburg), gest. 25. 5. 2002 Berlin, 1947 Theologiestudium in Marburg, Berlin (West) und Basel, 1953 Vikariat in Lindau (Bodensee), 1954 Promotionsstudien bei Helmut Gollwitzer in Bonn, 1957 Studentenpfarrer an der Freien Universität in Berlin (West), 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1963 Gollwitzers Assistent an der Freien Universität, 1968 erster Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille für seine Doktorarbeit „Die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie“, 1972 Professor an der Freien Universität, 1976 Direktor des dortigen Instituts für Evangelische Theologie mit dem Fachgebiet Religionsgeschichte als Nachfolger Gollwitzers, 1997 Emeritierung.
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Personenregister/Biographische Angaben
Maybaum, Ignaz, Rabbiner 155 f., 293 geb. 2. 3. 1897 Wien, gest. 1976 London, Judaistikstudium in Berlin, 1926 Rabbiner in Bingen, Frankfurt (Oder) und Berlin, 1939 Flucht nach England, 1947 Rabbiner in London, 1956 Dozent am Leo Baeck College in London, 1963 Ruhestand. Mehl, Johannes G., Kirchenrat 31, 149 f., 241 geb. 12. 3. 1907 Gunzenhausen, gest. 10. 7. 1993 Ansbach, 1937 Ordination, 1939 Pfarrer in Appetshofen (Ries), 1950 – 1967 Schriftleiter der Zeitschrift für Gottesdienst und Kirchenmusik, 1969 Beauftragter der für liturgische und hymnologische Fragen in der bayerischen Landeskirche, 1975 Ruhestand. Mehnert, Gottfried, Dr. theol., Pastor 45 – 48, 67, 236, 238 geb. 14. 11. 1927 Dresden, 1961 Gemeindepastor in Kiel, Autor der Zeitschrift Im Lande der Bibel, 1971 – 1977 Mitarbeit beim Evangelischen Presseverband in Kiel, 1972 ehrenamtlicher geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein, 1977 erneut Gemeindepastor in Kiel, 1990 Ruhestand. Meir, Golda, israelische Ministerpräsidentin 179, 359 geb. 3. 5. 1898 Kiew als Golda Mabowitsch, gest. 8. 12. 1978 Jerusalem, 1906 Auswanderung in die USA, verheiratete Meyerson, 1921 Einwanderung nach Palästina, 1949 bis zu ihrem Ruhestand Abgeordnete der Arbeitspartei in der israelischen Knesset, 1949 Ministerin für Arbeit und soziale Sicherheit, 1956 – 1965 Außenministerin, 1969 Ministerpräsidentin, 1974 Ruhestand. Meiser, Hans, Landesbischof 30, 47 geb. 16.2. 1881 Nürnberg, gest. 8.6. 1956 München. [Personenlexikon, 169 f.] Merzyn, Friedrich Heinrich, Dr.jur., Dr.theol.h.c., Oberkirchenrat 163 geb. 2. 6. 1904 Kassel, gest. 17. 1. 1991 Hannover, 1931 Gerichtsassistent und Hilfsrichter, 1936 juristischer Hilfsarbeiter und Konsistorialrat in der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei, 1937 Predigerseminar Hofgeismar, 1939 Oberkonsistorialrat, 1941 Oberkirchenrat bei der Deutschen Evangelischen Kirche, 1945 bis zu seinem Ruhestand in der Kirchenkanzlei der EKD, 1959 Vorsitzender des Finanzbeirates der EKD, 1965 Ruhestand. Michaelis, Walter, Dr.theol.h.c., Vorsitzender des Gnadauer Verbandes 90 geb. 4. 3. 1866 Frankfurt (Oder), gest. 9. 10. 1953 Göttingen. [Personenlexikon, 174.] Michelfelder, Sylvester Clarence, Theologe 73 geb. 27. 10. 1889 New Washington (Ohio), gest. 30. 9. 1951 Chicago, Studium am Evangelical Lutheran Theological Seminary in Columbus (Ohio), ab 1914 lutherischer Pfarrer in verschiedenen Gemeinden in Ohio und Pennsylvanien, 1926 Leiter der Lutheran Inner Mission Society in Pittsburgh (Pennsylvanien), 1931 Pfarrer in Toledo (Ohio), 1945 Exekutivsekretär des Lutherischen Weltkonvents, 1947 Exekutivsekretär des Lutherischen Weltbundes und dort Leiter der Abteilung für Allgemeine Nothilfe der Wiederaufbau-Abteilung. Minnaar, Jacobus, niederländischer Unterstützer von Nes Ammim 144 f. Moll, Edwin, Dr., Theologe 65 – 67, 371 geb. 1892 Victoria (Australien), gest. 2. 11. 1961 Madison (Wisconsin), 1914
Personenregister/Biographische Angaben
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Pfarrer der „Lutheran Church-Missouri Synod“, während des 1. Weltkriegs britischer Major der Luftwaffe im Nahen Osten, danach Gemeindepfarrer der United Lutheran Church in America in Wisconsin, Kalifornien und Illinois, 1940 „secretary“ einer Auslandsmissionsgesellschaft, 1946 Palästina-Beauftragter der Commission on Younger Churches and Orphaned Missions des National Lutheran Council der USA, 1947 Initiator des Provisional Committee of the Palestinan Evangelical Lutheran Church, 1949 Direktor der Nahostabteilung des Lutherischen Weltbundes in Ost-Jerusalem, 1954 Rückkehr in die USA, 1957 Ruhestand. Morris, Benny, Dr.phil., Historiker 56 f. geb. 1948 in Ein HaHoresh (Israel), Studium der Geschichte in Jerusalem und Cambridge (England), Journalist der Jerusalem Post, 1990 freiberuflicher Historiker, 1997 Professor für Nahoststudien in Beerscheba. Moscovici, Jancu (auch Iancu), Pfarrer jüdischer Herkunft 156 f., 240 geb. 20. 11. 1923 Harlau (Rumänien), gest. 28. 5. 2002 Altenmedingen (Niedersachsen), 1943 Konversion zum Christentum und Taufe, 1945 Missionar der Norske Israelsmisjon in Rumänien, 1956 Ordination zum lutherischen Pfarrer in Klausenburg (Siebenbürgen), 1963 sog. Berufsarbeiter des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel in Hamburg, 1967 Übernahme in die hamburgische Landeskirche sowie Pastor in Hamburg-Langenhorn, 1978 Altenheimseelsorger, 1980 Pastor in Hamburg-Lemsahl-Mellingstedt, 1985 Ruhestand. Mller, Johannes, Pfarrer 135 f., 236 geb. 9. 12. 1909 Graslitz (Böhmen), gest. 15. 2. 1999 Berlin-Tempelhof, Theologiestudium, 1935 Hilfsprediger in Neuentempel, Friedland und Seelow (Provinz Brandenburg) sowie in Brandenburg (Havel), 1942 Pfarrer in Güstebiese (Neumark), 1945 in Lohne (Oldenburg), 1946 in Berlin-Friedenau, 1955 – 1972 Gefängnisseelsorger in Berlin-Plötzensee, 1961 Leiter der ersten Israelgruppe von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, 1972 Gefängnisseelsorger in Berlin-Moabit, 1975 Ruhestand, langjährige Tätigkeit als Vorstands- und Kuratoriumsmitglied von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1993 Entgegennahme der Buber-Rosenzweig-Medaille für Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. Nasser, Gamal Abdel, ägyptischer Präsident 59 f., 71, 178 f., 196 f., 200, 283, 300, 314 f., 318, 325, 330, 340, 347 geb. 15. 1. 1918 Beni Mor (bei Alexandria), gest. 28. 9. 1970 Kairo, 1936 militärische Laufbahn in Ägypten. 1948/49 Teilnahme am 1. israelisch-arabischen Krieg, 1952 Beteiligung am Sturz von König Faruk I. von Ägypten, 1953 stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister, 1954 bis zu seinem Tod Minister- und Staatspräsident, 1958 – 1961 Präsident der Vereinigten Arabischen Republik (VAR). Naumann, Michael, Dr.phil., Journalist und Politiker 15 geb. 8. 12. 1941 Köthen, 1969 Redakteur, 1972 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bochum und Oxford, 1978 Redakteur bei den Wochenzeitungen Die Zeit und Der Spiegel, 1984 Geschäftsführer im Rowohlt Verlag, 1995 Verlags-
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Personenregister/Biographische Angaben
tätigkeiten in den USA, 1998 Kulturstaatsminister (SPD), 2001 Herausgeber und Chefredakteur bei Zeit, 2010 – 2012 Chefredakteur bei Cicero. Niemeier, Gottfried, Dr. phil., Dr. theol., Theologe 226 f. geb. 18. 6. 1906 Wetter (Ruhr), gest. 6. 2. 1984, 1931 Hilfsprediger in der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Rom, 1933 Pfarrer in Arnsberg (Sauerland), 1939 Militärdienst, 1946 erneut Pfarrer in Arnsberg und zugleich Dozent am Katechetischen Seminar der westfälischen Landeskirche, 1953 Oberkirchenrat in der Kirchenkanzlei der EKD, 1965 Vizepräsident, 1972 Ruhestand. Niemçller, Martin, Dr.theol.h.c., Kirchenpräsident 53, 65, 72, 74, 78, 84, 98, 109, 117, 123, 127, 152, 154, 162, 182 f., 210, 219 – 221, 367 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt (Westfalen), gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden. [Personenlexikon, 185.] Niemçller, Wilhelm, Dr.theol.h.c., Theologe 46 geb. 7. 4. 1898 Lippstadt, gest. 13. 10. 1983 Bielefeld. [Personenlexikon, 185 f.] Niesel, Wilhelm, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Moderator des Reformierten Bundes 127, 139 f., 185 – 187, 219, 298, 377 geb. 7. 1. 1903 Berlin, gest. 13. 3. 1988 Frankfurt. [Personenlexikon, 186.] Nolde, (Otto) Frederick, Dr.theol., Theologe 73 geb. 30. 6. 1899 Philadelphia (Pennsylvanien), gest. 17. 6. 1972 Philadelphia, 1923 Ordination als lutherischer Pfarrer, 1925 – 1928 Pfarrer an der Grace Lutheran Church in Wyndmoor (Pennsylvanien), 1943 Professor am Lutheran Theological Seminary in Philadelphia, 1948 – 1969 Direktor der Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten des ÖRK, 1948 Mitwirkung an der Ausarbeitung des Artikels 18 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UN. Nordau, Max, Dr. med., Arzt und Schriftsteller 342 geb. 29. 7. 1849 Pest (Ungarn) als Maximilian Simon Südfeld, gest. 22. 1. 1923 Paris, 1873 Beginn zahlreicher Europareisen, 1880 Emigration nach Paris, 1897 Hauptautor des „Basler Programms“ des Ersten Zionistischen Kongresses. Noth, Martin, Lic.theol., Universitätslehrer 233 geb. 3. 8. 1902 Dresden, gest. 30. 5. 1968 Subeita/Shivta (Israel), 1964 – 1968 Leiter des Deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des heiligen Landes in Jerusalem. [Personenlexikon, 187.] Ohnesorg, Benno 19, 194, 223 geb. 15. 10. 1940 Hannover, gest. 2. 6. 1967 Berlin (West), 1964 Studium der Romanistik und Germanistik an der Freien Universität in Berlin (West), Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde. Ollendorff, Franz, Universitätslehrer 130 f., 183, 301 geb. 15. 3.1900 Berlin, gest. 9. 12. 1981 Haifa, 1918 Studium der Elektrotechnik in Berlin, 1922 Assistent für Elektrotechnik an der Universität Danzig, 1924 Mitarbeiter in der Forschungsabteilung von Siemens in Berlin, 1928 Privatdozent an der Technischen Hochschule Berlin, 1933 Lehrverbot als Jude, 1937 Auswanderung nach Palästina, 1939 Professur für Elektrotechnik in Haifa, 1954 Auszeichnung mit dem Israel-Preis des Staates Israel.
Personenregister/Biographische Angaben
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Osten-Sacken, Peter von der, Dr.theol., Universitätslehrer 107, 226 geb. 3. 3. 1940 Marienburg (Westpreußen) als Peter-Christian Freiherr von der Osten-Sacken und Rhein, Theologiestudium in Göttingen, Kiel und Heidelberg, 1973 Professur für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Berlin (West), 1974 – 2007 Leiter des Instituts Kirche und Judentum in Berlin, 1993 Professur für Neues Testament und Christlich-Jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin (nach Eingliederung der Hochschule in die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität), 2005 Emeritierung sowie Auszeichnung mit der BuberRosenzweig-Medaille. Paul VI., Papst 306 geb. 26. 9. 1897 Concesio (bei Brescia) als Giovanni Battista Montini, gest. 6. 8. 1978 Castel Gandolfo, 1922 Mitarbeiter im Staatssekretariat des Vatikans, 1952 ProStaatssekretär, 1954 Erzbischof von Mailand, 1958 Kardinal, 1963 Papst. Pauls, Rolf Friedemann, Dr.jur., Diplomat 179, 233 f. geb. 26. 8. 1915 Eckartsberga (bei Naumburg/Saale), gest. 4. 5. 2002, 1956 Botschaftsrat in den USA, 1960 Vertreter des Botschafters in Griechenland, 1963 Unterabteilungsleiter in Bonn, 1965 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, 1968 in den USA, 1973 in China, 1976 bei der NATO, 1980 Ruhestand. Pfisterer, Rudolf, Dr.theol.h.c., Theologe 30, 127, 149, 171, 208 f., 222, 320, 350, 352 – 355 geb. 28. 3. 1914 Weinsberg (Württemberg), gest. 29. 10. 2005 Schwäbisch Hall, Theologiestudium in Tübingen, Bonn und Königsberg (Preußen), 1948 Betreuung von Kriegsgefangenen in Montlimar (Südfrankreich), 1953 Pfarrer an der Jugendstrafanstalt Schwäbisch Hall, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1970 Dekan im Strafvollzug für die württembergische Landeskirche, 1977 Ruhestand, 1986 Professor ehrenhalber des Landes Baden-Württemberg, 1992 Auszeichnung mit der Otto-Hirsch-Medaille wegen Engagements für die christlich-jüdische Zusammenarbeit. Pilon, Johan, Dr.med. 143 geb. 1917 Java (Niederländisch-Indien), gest. 1975 Israel, Sohn eines niederländischen Missionars, 1951 Arzt in Tiberias (Israel), 1959 Gründungsinitiative von Nes Ammim. Poljak, Abram 89 – 93, 151 f., 246, 372 geb. 10. 3. 1900 in Mahiljou (Russisches Reich), gest. 28. 10. 1964 Breganzona (Tessin), getaufter Jude, der in den 1920er/30er Jahren in Berlin als Journalist und freier Schriftsteller tätig war, 1935 Gründung der Judenchristlichen Union in Jerusalem, 1940 – 1944 Internierung in England und Kanada, 1947 Gründung einer judenchristlichen Gemeinschaft in Palästina, 1951 Rückkehr nach Europa (Schweiz und Bundesrepublik), 1952 Gründung der Judenchristlichen Reichsbruderschaft, 1954 Umbenennung in Reichsbruderschaft Jesu Christi, 1955 Gründung der sog. Patmos-Siedlung und des Patmos-Verlages in Möttlingen bei Liebenzell.
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Personenregister/Biographische Angaben
Pragai, Michael J. 35, 110, 114, 143 f., 168 geb. Berlin, 1936 Auswanderung nach Palästina, verschiedene Tätigkeiten im israelischen Außenministerium, seit 1967 Beauftragter für den Kontakt zu den Kirchen. Puttfarcken, Hans, Dr. jur., Präses der EKD-Synode 185 geb. 18. 12. 1902 Düsseldorf, gest. 10. 12. 1971 Wiesbaden, 1920 – 1927 Medizinund Jurastudium in Breslau und Frankfurt am Main, 1946 Ministerialrat im hessischen Justizministerium, dann Ministerialdirigent und Leiter der Personalabteilung, 1961 – 1970 Präses der EKD-Synode. Puttkamer, Jesco von, Diplomat 239 geb. 20. 2. 1919 Neustrelitz, gest. 5. 1. 1987 Oberaudorf (bei Rosenheim), 1947 Beginn der journalistischen Tätigkeit, 1958 Redakteur der SPD-Parteizeitung Vorwärts, 1959 Chefredakteur, 1971 deutscher Botschafter in Israel, 1975 in Jugoslawien, 1979 in Portugal und 1981 in Schweden, 1984 Ruhestand. Rabenau, Eitel-Friedrich von, Dr.phil., Theologe 62, 77 geb. 13. 1. 1884 Schweidnitz (Schlesien), gest. 5. 10. 1959 Berlin, stellvertretender Vorsitzender des Jerusalemsvereins. [Personenlexikon, 199 f.] Rau, Johannes, Dr.h.c.mult., Bundespräsident 19, 148, 178 geb. 16. 1. 1931 Wuppertal, gest. 27. 1. 2006 Berlin, 1965 – 1999 Mitglied der rheinischen Landessynode, 1966 – 1974 Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1978 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, 1999 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, 2000 Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille, 2004 Ruhestand. Reinhardt, Paul, Oberkirchenrat, Superintendent 48 f., 172, 243, 289 f., 293 – 295, 300, 315 geb. 6. 3. 1914 Düsseldorf, 1939 Ordination und Hilfsprediger in Düsseldorf, 1945 in Herchen (Sieg), 1946 in Elberfeld, 1947 Gemeindepastor in Elberfeld, 1953 in Oldenburg, 1961 Oberkirchenrat in Hamburg und Redakteur der „Lutherischen Monatshefte“, 1966 Vorsteher des Diakonissenmutterhauses Bethanien in Quakenbrück, 1969 Superintendent des Kirchenkreises Bückeburg der schaumburglippischen Landeskirche, 1973 Pastor in Wilhelmshaven, zeitweilig Schatzmeister des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel. Rendtorff, Rolf, Dr. theol., Universitätslehrer 11, 34, 36, 39, 53, 74, 79 f., 83 f., 99, 101, 127, 129, 132, 138, 149, 158, 160, 170, 181 – 184, 190, 192, 201, 212, 218 f., 226 – 229, 238, 292, 368, 374, 377 geb. 10. 5. 1925 Preetz (Holstein), 1942 Wehrdienst, 1945 Theologiestudium in Kiel, Göttingen und Heidelberg, 1958 Professur für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule in Berlin (West), 1963 an der Universität Heidelberg, 1965 Mitbegründer der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (langjähriger Vizepräsident), 1975 maßgebliche Beteiligung an der Studie „Christen und Juden (I)“ der EKDStudienkommission „Kirche und Judentum“, 1977 Mitbegründer des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten„(langjähriger Vorsitzender), 1978 Mitbegründer von Studium in Israel, 1991 maßgebliche Beteiligung an der
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Studie „Christen und Juden II“ der EKD-Studienkommission „Kirche und Judentum“, 1990 Emeritierung. Rengstorf, Karl Heinrich, Lic.theol., Dr.h.c.mult., Universitätslehrer 18, 81 f., 85, 88, 97 – 101, 103 – 106, 121 – 124, 126, 146 f., 155 f., 158, 162, 171 f., 226, 245, 255, 257, 260, 262, 268, 272, 280, 286, 381 geb. 1. 10. 1903 in Jembke (bei Lüneburg), gest. 24. 3. 1992 Münster (Westfalen). [Personenlexikon, 205.] Riedel, Heinrich, Oberkirchenrat 186, 188 geb. 17. 3. 1903 Nürnberg, gest. 8. 6. 1989 München. [Personenlexikon, 207.] Rohrbach, Heinrich Constantin, Pfarrer 186 1962 Generalsekretär der Evangelischen Studentengemeinden in der Bundesrepublik, 1968 Leiter des Instituts für Jugend- und Sozialarbeit am Burckhardthaus in Gelnhausen. Roosevelt, Franklin D., US-Präsident 55 geb. 30. 1. 1882 Hyde Park (New York), gest. 12. 4. 1945 Warm Springs (Georgia), Politiker der Demokratischen Partei, 1933 bis zu seinem Tod Präsident der USA. Rosenzweig, Franz, Dr.phil., jüdischer Historiker und Philosoph 212, 267 f., 322 geb. 25. 12. 1886 Kassel, gest. 10. 12. 1929 Frankfurt am Main, 1905 Medizinstudium, 1907 Studium der Geschichte und Philosophie, 1914 Beteiligung am Ersten Weltkrieg, 1920 Aufbau des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main. Roser, Hans, Dr. h.c., Pfarrer und Politiker 202 geb. 7. 3. 1931 Claffheim (heute Ansbach), gest. 15. 6. 2005 Roth (Mittelfranken), 1963 – 1969 Landjugendpfarrer der bayerischen Landeskirche in Pappenheim, 1969 – 1976 Mitglied des Bundestages (CSU), 1979 Gemeindepfarrer in Roth, 1987 Ruhestand. Rothschild, Eli, israelischer Historiker 239, 320 f., 328, 336, 344, 349, 351 f., 354 f., 391 Rcker, Hans, Pfarrer 184 geb. 1. 2. 1905 Neckarsulm, gest. 18. 4. 1999 Backnang, 1934 Pfarrer in Löwenstein, 1947 in Schwäbisch Hall, 1956 in Ebersbach (Fils), 1970 Ruhestand, Mitglied der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg. Salameh, Ali Hassan, Fatah-Funktionär 224, 339 geb. 1940, gest. 22. 1. 1979 Beirut, Ingenieur, als Leiter der Terrorgruppe Schwarzer September für das Olympia-Attentat 1972 in München mitverantwortlich. Schffer, Fritz, Politiker 118, 273 geb. 12. 5. 1888 München, gest. 29. 3. 1967 Berchtesgaden, Jurastudium in München, 1945 Mai bis September bayerischer Ministerpräsident, 1945/46 Mitbegründer der CSU, 1949 – 1957 Bundesfinanzminister, 1957 – 1961 Bundesjustizminister. Schaller, Theodor, Dr.hc., Theologe 206 geb. 15. 9. 1900 Dahn (Pfalz), gest. 6. 4. 1993 Speyer, 1964 – 1969 Kirchenpräsident der pfälzischen Landeskirche. [Personenlexikon, 214.] Scharbau, Friedrich (auch Friedrich-Otto), Dr. theol. h.c 245 geb. 4. 10. 1935 Kiel, Theologiestudium in Kiel und Göttingen, Gemeindepastor in
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Personenregister/Biographische Angaben
Kiel, Studieninspektor am Predigerseminar in Preetz, Kirchenrat der schleswigholsteinischen Landeskirche, Oberkirchenrat der nordelbischen Landeskirche, 1983 Präsident des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD in Hannover, 2000 Ruhestand. Scharf, Kurt, Dr.theol.h.c., Bischof 36, 107 – 109, 127, 135, 139 – 141, 143, 162, 183 – 189, 200 – 213, 237 f., 318, 321 f., 324 – 326, 330, 335, 349, 372, 375, 377 f., 401 geb. 21. 10. 1902 Landsberg (Warthe), gest. 28. 3. 1990 Berlin, Bischof, EKD-Ratsvorsitzender. [Personenlexikon, 215.] Schasar, Salman (auch Zalman Shazar), Dr.h.c., israelischer Politiker 306 geb. 6. 10. 1889 Mir (Russisches Reich) als Schneiur Salman Rubaschow, gest. 5. 10. 1974 Jerusalem, Studium der jüdischen Geschichte in Sankt Petersburg, Straßburg und Berlin, 1924 Auswanderung nach Palästina, journalistische und schriftstellerische Tätigkeit, 1949 Mitglied der israelischen Knesset (bis 1963) und Erziehungsminister (bis 1950), 1963 Staatspräsident, 1973 Ruhestand. Schenk, Otto, Diakon und Pfarrer 136 f., 207, 235 f., 238 geb. 28. 6. 1936, gest. 20. 7. 2006 Groß-Umstadt, Diakon in Berlin (West), später Pfarrer, 1963 Leiter der dritten Israelgruppe von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF), 1966 – 1974 Beauftragter von ASF in Israel, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, Mitglied im Evangelischen Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau, Vorsitzender von LOMDIM – christlicher Verein zum Kennenlernen des Judentums. Schlatter, Theodor, Lic.theol., Theologe 145 f. geb. 2. 6. 1885 Bern, gest. 13. 1. 1971 Ludwigsburg. [Personenlexikon, 217.] Schlenker, Walter, Dekan 184 geb. 21. 6. 1928 Schwenningen, 1954 Vikariat, 1957 Pfarrer im Schuldienst in Nagold, 1965 Pfarrer in Kemnat (bei Esslingen), 1975 Dekan in Tuttlingen, 1987 Ruhestand, langjähriger Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg. Schlink, Edmund, Dr.phil., Lic.theol., Universitätslehrer 82, 84 geb. 6. 3. 1903 Darmstadt, gest. 20. 5. 1984 Heidelberg. [Personenlexikon, 218 f.] Schlink, Klara, Dr.phil. (genannt Mutter Basilea), Marienschwester 129 geb. 21. 10. 1904 Darmstadt, gest. 21. 3. 2001 Darmstadt, Gründerin und Leiterin der Evangelischen Marienschwesternschaft in Darmstadt. [Personenlexikon, 219.] Schmid, Carlo, Dr.jur., Politiker 184 geb. 3. 12. 1896 Perpignan (Frankreich) als Karl Schmid, gest. 11. 12. 1979 Bad Honnef, 1945 – 1947 Präsident der provisorischen Regierung des Landes Württemberg-Hohenzollern, 1946 – 1950 Justizminister des Landes WürttembergHohenzollern (SPD), 1949 Bundestagsvizepräsident, 1966 Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, 1969 erneut Bundestagsvizepräsident, 1972 Ruhestand. Schmidt, Ernst Ludwig, Pfarrer 11, 246 geb. 5. 5. 1929 Friesenhausen (Unterfranken), 1956 Gemeindepfarrer in Unterreichenbach (seit 1960 zu Schwabach), Mitarbeiter des bayerischen Evangeliums-
Personenregister/Biographische Angaben
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dienstes unter Israel durch die evangelisch-lutherische Kirche, Mitglied des VELKD-Arbeitskreises ,Kirche und Judentum‘. Schmorak, Dov B., Diplomat 165 f. geb. 15. 12. 1929 Galizien (Polen), 1950 Einwanderung nach Israel, 1951 Mitarbeiter im israelischen Außenministerium, 1954 – 1956 Wehrdienst, 1961 Sprecher des Generalstaatsanwalts Gideon Hausner während des Eichmann-Prozesses, 1963 Diplomat an der israelischen Botschaft in Stockholm, 1966 in London, 1972 Botschafter in Montevideo (Uruguay), 1980 in Buenos Aires (Argentinien), 1987 in Mexiko-Stadt, 1991 Ruhestand. Schneller, Ernst, Ingenieur 68 f., 73, 76, 173, 233 geb. 1901, gest. 1986, Sohn von Theodor Schneller und Bruder von Hermann Schneller, Ausbildung zum Ingenieur, 1927 Leiter des Werkhofs des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, 1940 Schließung des Waisenhauses, 1949 nach der Ausweisung aus dem Staat Israel Vorsitzender des Evangelischen Vereins für das Syrische Waisenhaus in Köln, 1959 Initiator der Grundsteinlegung der TheodorSchneller-Schule in Amman (Jordanien), 1966 Direktor der fertiggestellten Schule. Schneller, Hermann, Theologe 69, 73, 173 geb. 4. 10. 1893 Jerusalem, gest. 29. 3. 1993 Tübingen, Sohn von Theodor Schneller und Bruder von Ernst Schneller, Theologiestudium und Ordination zum Pfarrer, zeitweiliger Dienst in den Betheler Anstalten, 1923 Inspektor und 1927 Direktor des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, 1940 Schließung des Waisenhauses, 1948 aus dem Staat Israel ausgewiesen, 1949 – 1951 Leiter des Lutheran Orphanage for Boys in Bethlehem sowie Beauftragter für erzieherische Angelegenheiten der Nahostabteilung des Lutherischen Weltbunds in Ost-Jerusalem, 1952 Direktor der Johann-Ludwig-Schneller-Schule in Khirbet Kanafar (Libanon), 1960 Ruhestand. Schneller, Johann Ludwig 61 geb. 15. 1. 1820 Erpfingen (Württemberg), gest. 18. 10. 1896 Jerusalem, 1838 Lehrer, 1843 Leiter der Strafanstalt Vaihingen (Enz), 1847 Hausvater in der Pilgermission St. Chrischona, 1854 Ausreise nach Jerusalem, 1860 Gründung des Syrischen Waisenhauses. Schneller, Theodor, Theologe 68, 230, 233 geb. 25. 9. 1856 Jerusalem, gest. 16. 4. 1935 Jerusalem, Sohn von Johann Ludwig Schneller, dem Gründer des Syrischen Waisenhauses, Lateinschule und Theologiestudium in Deutschland, 1896 Leitung des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, 1923 Wiederaufnahme der Leitung nach der Amtsenthebung durch die Briten im Zuge des Ersten Weltkriegs. Namengeber der Theodor-Schneller-Schule in Amman (Jordanien). Schoeneich, Dieter, Pfarrer 182 f. geb. 2. 6. 1931 Berlin, Theologiestudium, 1958 Vikariat in Berlin-Bohnsdorf, 1960 Hilfsprediger in Berlin-Spandau, 1961 Pfarrer in Berlin-Neukölln, dann in BerlinHaselhorst, 1967 in Husum (Nordfriedland). Schoon, Simon, Pfarrer und Universitätslehrer 27, 34, 143 f., 148 geb. 1944, 1974 – 1980 Pfarrer und Seminarleiter in Nes Ammim, Pfarrer in Gouda,
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Personenregister/Biographische Angaben
1982 Promotion in Kampen (Niederlande), Universitätslehrer in Kampen, Vorsitzender des Rates Juden und Christen in den Niederlanden. Schrçder, Gerhard, Dr.jur., Politiker 183, 185, 187 – 190 geb. 11. 9. 1910 Saarbrücken, gest. 31. 12. 1989 Kampen (Sylt), 1953 Bundesinnenminister (CDU), 1961 Bundesaußenminister, 1966 Bundesverteidigungsminister, 1969 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, 1980 Ruhestand. Schroth, Hansgeorg 31, 90, 150 Mitarbeiter in der Berliner Landeskirchlichen Judenmission, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Scott, Donald P., Mitarbeiter des Lutherischen Weltbundes 232 f. Shaftesbury, 7. Earl of (genannt Lord Ashley, später Lord Shaftesbury), Politiker 288 geb. 28. 4. 1801 London als Anthony Ashley-Cooper, gest. 1. 10. 1885 Folkestone (Kent). Sharett (auch Scharet), Moshe, Politiker 118 geb. 15. 10. 1894 Cherson (Russisches Reich) als Mosche Schertok, gest. 7. 7. 1965 Jerusalem, 1906 Auswanderung nach Palästina, Jurastudium in Konstantinopel, Wirtschaftsstudium in London, 1933 Leiter der politischen Abteilung der Jewish Agency, 1948 israelischer Außenminister, 1953 – 1955 Ministerpräsident. Shinnar (auch Schinnar), Felix E., Dr. 117, 119, 134, 180 geb. 1905 Stuttgart, gest. 1983, Jurastudium in Tübingen, Heidelberg und Frankfurt am Main, 1934 Auswanderung nach Palästina, Verlagsdirektor der Zeitung Ha’aretz, 1951/52 eigentlicher israelischer Verhandlungsführer bei den Wiedergutmachungsverhandlungen, 1953 – 1964 Leiter der israelischen Handelsdelegation, der sog. Israel-Mission in Köln. Shukeiry, Ahmed, PLO-Führer 196 geb. 1. 1. 1908 Tebnine (Libanon), gest. 26. 2. 1980 Amman (Jordanien), Jurastudium in Jerusalem, 1950 Generalsekretär der Arabischen Liga, 1957 Gesandter Saudi-Arabiens bei der UNO, 1964 Vorsitzender der neugegründeten PLO, 1967 Rücktritt. Simon, Ernst Akiba, Dr.phil., Universitätslehrer 182, 292, 294 geb. 15. 3. 1899 Berlin, gest. 18. 8. 1988 Jerusalem, Studium der Germanistik und der Philosophie in Berlin und Heidelberg, 1928 Auswanderung nach Palästina, Schullehrer, 1935 Dozent für Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, 1950 Professor für Philosophie und Pädagogik, Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Simon, Lili (auch Lilly), Dr.phil., evangelische Christin jüdischer Herkunft 146, 170 f., 226 geb. 23. 12. 1908 Königsberg (Preußen), gest. 6. 1. 1989 Wuppertal, 1929 Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie, 1936 Lehrerin an der Mädchenschule der britischen Church Missions to the Jews in Bukarest, 1941 Flucht nach Palästina, Missionsassistentin der Church Missions to the Jews in Tel Aviv, Englischlehrerin in
Personenregister/Biographische Angaben
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Tel Aviv und Rekhovot, 1952 Rückkehr nach Deutschland, 1953 – 1958 Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Bremen, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1965 Studienleiterin an der Evangelischen Jugendakademie in Radevormwald. Simpfendçrfer, Wilhelm, Politiker 184 geb. 25. 5. 1888 Neustadt (Haardt), gest. 4. 5. 1973 Heilbronn. [Personenlexikon, 238 f.] Slnsky´, Rudolf, jüdischer Politiker 285, 404 geb. 31. 7. 1901 Nezveˇstice (Böhmen), gest. 3. 12. 1952 Prag, 1921 Mitarbeiter der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, 1938 Flucht in die Sowietunion, 1945 Generalsekretär der Kommunistischen Partei, 1952 Todesurteil wegen Hochverrats. Sçhlmann, Fritz, Theologe und Journalist 46 geb. 14. 4. 1905 Hannover, gest. 30. 9. 1977 Hannover. [Personenlexikon, 240.] Solheim, Magne, Pfarrer 92, 241, 244 geb. 1911 in Norwegen, ca. 1940 im Auftrag der „Norske Israelsmisjon“ Sammlung christusgläubiger Juden in Rumänien, 1949 bis zum Ruhestand Sammlung christusgläubiger Juden und Leitung einer Gemeinde in Haifa, Unterstützung durch den Evangelisch-Lutherischen Zentralverein für Mission unter Israel, gleichzeitig Direktor der Bible Society in Israel, 1976 Eröffnung des EbenezerHeims in Haifa für Christen jüdischer Herkunft bzw. messianische Juden, 1976 Ruhestand und Rückkehr nach Norwegen. Sçlle, Dorothee, Dr.theol., Theologin 46 geb. 30.9. 1929 Köln, gest. 27. 4. 2003 Göppingen, 1968 Initiatorin der „Politischen Nachtgebete“, 1975 – 1987 Professur für Systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York. Springer, Axel, Dr. h.c., Zeitungsverleger 35, 108, 225, 360 geb. 2. 5. 1912 Altona (bei Hamburg), gest. 22. 9. 1985 Berlin (West), ab 1946 Gründung und Aufkauf von Publikationsorganen und Aufbau des eigenen Verlagshauses, 1978 erster Träger der Leo-Baeck-Medaille. Stammler, Eberhard, Pfarrer und Journalist 50, 127, 223, 329, 354 – 356, 360, 390 geb. 14. 8. 1915 Ulm, gest. 9. 1. 2004 Stuttgart, Theologiestudium in Tübingen, 1938 Pfarrer in Blaubeuren, 1939 Wehrdienst, 1945 erneut in Blaubeuren, 1947 Mitbegründer und Redakteur des Hamburger Sonntagsblatts, 1949 Jugendpfarrer in Stuttgart, 1952 Chefredakteur der Jungen Stimme, 1964 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Christ und Welt, 1965 freier Publizist, 1970 – 1983 Chefredakteur der Monatszeitschrift Evangelische Kommentare. Steiner, Robert, Schriftleiter 45, 263 – 266 geb. 22. 11. 1901 Eiserfeld (Sieg), gest. 3. 8. 1982 Königsfeld (Taunus). [Personenlexikon, 247.] Stçhr, Martin, Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 11, 23, 107, 117, 127, 138, 150, 169 – 171, 202, 220, 222, 224, 226, 318, 320 f., 329 – 332, 339 – 341, 343 f., 347, 350 f., 355 f., 369 geb. 1932 in Singhofen (bei Nassau), Theologiestudium in Mainz, Bonn und Basel,
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Personenregister/Biographische Angaben
Pfarrer in Wiesbaden-Amöneburg, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1961 – 1969 Studentenpfarrer in Darmstadt, 1965 – 1984 evangelischer Vorsitzender des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 1969 Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain, 1986 Professur für Systematische Theologie an der Universität-Gesamthochschule Siegen, 1990 Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden, 1998 Emeritierung. Stratenwerth, Gerhard, Vizepräsident des EKD-Außenamts 64, 67, 73, 75 f., 84, 100, 143, 146 f., 165, 175 – 178 geb. 20. 7. 1898 Barmen, gest. 25. 5. 1988 Frankfurt (Main). [Personenlexikon, 251.] Sucker, Wolfgang, Dr.h.c., Kirchenpräsident 206 geb. 21. 8. 1905 Liegnitz, gest. 30. 12. 1968 Darmstadt. [Personenlexikon, 253.] Susman, Margarete (aufgrund Heirat eigentlich Margarete von Bendemann), Dr.h.c., jüdische Schriftstellerin 96, 217, 271, 287, 320, 328, 331, 347, 362, 391, 397 geb. 14. 10. 1872 Hamburg, gest. 16. 1. 1966 Zürich, Philosophiestudium in München und Berlin, essayistische Tätigkeit in Deutschland und seit 1934 in der Schweiz. Sylten, Walter 11, 139 f., 166, 192, 201 geb. 16. 2. 1930 Bad Köstritz (Thüringen) als Sohn des Pfarrers Werner Sylten (der 1942 als „Halbjude“ im KZ Hartheim bei Linz umgekommen ist [Personenlexikon, 253]), Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft sowie Mitarbeiter der Evangelischen Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte an der Seite Heinrich Grübers, später Mitarbeiter der Senatskanzlei in Berlin (West) unter Regierendem Bürgermeister Heinrich Albertz, Verwaltungschef im Bezirksamt Berlin-Zehlendorf. Taube, Otto Freiherr von, Schriftsteller 99 f. geb. 21. 6. 1879 Reval, gest. 30. 6. 1973 Tutzing. Tillich, Paul, Universitätslehrer 292 geb. 20. 8. 1886 Starzeddel (Provinz Brandenburg), gest. 22. 10. 1965 Chicago (Illinois). [Personenlexikon, 259]. Timm, Marianne, Pfarrerin 173, 175 geb. 8. 2. 1913 Hamburg, gest. 1. 11. 1993 Hamburg, Theologiestudium in Marburg, Bonn und Rostock, 1939 – 1949 Vikarin in Hamburg-Winterhude sowie Studentenseelsorgerin, 1941 Reisesekretärin für Evangelische Studentengemeinden, 1949 Religionspädagogin an der Evangelischen Akademie Hamburg, 1962 Pfarrvikarin am Katechetischen Amt der hamburgischen Landeskirche (später PädagogischTheologisches Institut), 1969 Pastorin am Katechetischen Amt, 1979 Ruhestand. Tçllner, Axel, Dr.theol., Theologe 32 f. geb. 1968 Marktoberdorf (Allgäu), 1989 Theologiestudium in Erlangen, Kiel und Jerusalem, 1997 Vikariat in Nürnberg, 2000 Promotionsstudien, 2003 Pfarrer in Lauf (Pegnitz), Nürnberg, 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Projekt Synagogen-Gedenkband Bayern. Trautwein, Dieter, Dr.theol., Theologe, Liederdichter 237 geb. 30. 7. 1928 Holzhausen (Kreis Biedenkopf), gest. 9. 11. 2002 Frankfurt am
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Main, Theologiestudium in Marburg, Mainz und Heidelberg, Vikariat in Königstein, Limburg und Bad Nauheim, 1963 Stadtjugend- und Studentenpfarrer in Frankfurt am Main, 1970 Propst, 1988 Ruhestand. Truman, Harry S., US-Präsident 55 geb. 8. 5. 1884 Lamar (Missouri), gest. 26. 12. 1972 Kansas City (Missouri), Politiker der Demokratischen Partei, 1945 – 1953 Präsident der USA. Ulbricht, Walter, Vorsitzender des DDR-Staatsrats 179, 330, 340, 361 geb. 30. 6. 1893 Leipzig, gest. 1. 8. 1973 Berlin, 1907 Tischlerlehre, 1928 – 1933 Abgeordneter der KPD im Reichstag, 1933 Flucht ins Ausland, Aufenthalt in der Sowjetunion, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1946 Mitglied des Zentralsekretariats der SED, 1947 Stellvertreter des SED-Vorsitzenden, 1949 Stellvertreter des Ministerpräsidenten der DDR, 1953 bis zu seinem Ruhestand 1. Sekretär des Zentralkomitees der SED, 1960 Vorsitzender des Staatsrates der DDR und des Nationalen Verteidigungsrates, 1971 Ruhestand. Vogel, Heinrich, Dr.theol., Universitätslehrer 34, 83 f. geb. 9. 4. 1902 Pröttlin (Provinz Brandenburg), gest. 26. 12. 1989 Berlin. [Personenlexikon, 265.] Vollmer, Jochen, Dr.theol., Pfarrer 15 geb. 1939, Gemeindepfarrer in Balingen (Württemberg), Vorsitzender des Konvents der Beistandspfarrer für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende in der württembergischen Landeskirche. Wardi, Chaim, Dr. 127 f., 233 geb. 1901 Italien, gest. 1975 Israel, 1948 Beauftragter für christliche Angelegenheiten im israelischen Religionsministerium, 1950 Veröffentlichung des Buches „Christians in Israel. A Survey“, 1962 arabische Proteste wegen seiner angekündigten Entsendung nach Rom anlässlich der das Judentum betreffenden Konzilserklärung Nostra aetate. Weber, Gotthilf, Dekan 184 geb. 14. 9. 1900 Großgartach (bei Heilbronn), gest. 29. 5. 1987 Stuttgart, Theologiestudium, 1925 Religionslehrer in Heidenheim (Brenz), 1928 Pfarrer in Haiterbach bei Nagold, 1931 Geschäftsführer des Evangelischen Volksbundes, 1934/35 Mitarbeiter im Präsidium der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen, 1936 Pfarrer in Schwenningen, 1947 Dekan in Göppingen, 1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt, 1967 Ruhestand. Weckerling, Rudolf, Pfarrer 19, 127, 130 f., 140, 167, 170 – 172, 181, 210, 236 f., 292, 296, 302, 310, 335, 346, 354 f., 374 f. geb. 3. 5. 1911 in Biebrich (bei Wiesbaden), 1929 – 1934 Theologiestudium, 1945 Pfarrer in Berlin-Spandau, 1953 Studentenpfarrer in Berlin (West), 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1962 Pfarrer in Lagos (Nigeria), 1964 Pfarrer der deutschen Gemeinde in Beirut, 1971 Mitarbeiter am Ökumenisch-Missionarischen Institut in Berlin (West), 1976 Gemeindepfarrer in Berlin (West), 1981 Ruhestand. Wehrmann, Jürgen, Propst 235, 346, 357 geb. in Berlin, Patensohn von Elisabeth Malsch, Theologiestudium in Heidelberg,
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Personenregister/Biographische Angaben
in den USA und in Berlin (West), 1970 – 1972 Vikar an der Jerusalemer Propstei, 1979 – 1985 Propst in Jerusalem, Gemeindepfarrer in Berlin-Charlottenburg. Weigelt, Joachim, Propst 61, 174 geb. 20. 2. 1913 Breslau, gest. 5. 4. 1988 Bischofswiesen, 1939 Studentenpfarrer in Breslau, 1947 Pfarrer in Würzburg, 1949 in Schnodsenbach (Mittelfranken), 1952 Studentenpfarrer in Erlangen, 1954 Missionspfarrer des Jerusalemsvereins in Bethlehem, 1954 – 1960 Propst an der Erlöserkirche in Ost-Jerusalem, 1959 geistlicher Leiter der neu gegründeten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien, 1960 Pfarrer in Oberaudorf-Kiefersfelden (Oberbayern), 1969 in Berchtesgaden, 1980 Ruhestand. Weinberg, Wilhelm, Dr.rer.pol., Rabbiner 96, 101 – 104, 117, 259, 262, 266, 271, 276, 283 geb. 3. 4. 1901 Dolina (Galizien, Österreich-Ungarn), gest. 1976 USA, Studium der Politikwissenschaft in Wien, 1939 Rabbinerdiplom an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Inhaftierung durch den NS-Staat und Flucht in die Sowjetunion, 1945 Gründung und Leitung der Jüdischen Volkshochschule in Hallein (Salzburg), 1949 hessischer Landesrabbiner und Gemeinderabbiner in Frankfurt am Main sowie jüdisches Vorstandsmitglied der Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 1951 Auswanderung in die USA. Weizmann, Chaim, Dr., israelischer Staatspräsident 58, 140, 259, 275 geb. 27. 11. 1874, Motal (Russisches Reich), gest. 9. 11. 1952, Rehovot (Israel), Chemiestudium in Deutschland und der Schweiz, 1900 Promotion in Freiburg (Üechtland), 1904 Professur an der Universität Manchester, 1921 Präsident der Zionistischen Weltorganisation, 1949 bis zu seinem Tod erster Staatspräsident Israels. Werblowsky, Zwi, Dr.phil., Universitätslehrer 182, 336 geb. 1924 in Frankfurt am Main, Auswanderung nach Palästina, 1951 Dozent für Jüdische Studien in Leeds (England), dann in Manchester, 1956 Religionswissenschaftler an der Hebräischen Universität in Jerusalem, 1962 Professur. Westphal, Heinz, Politiker 192, 201 geb. 4. 6. 1924 Berlin, gest. 30. 10. 1998 Bonn, 1965 bis zu seinem Ruhestand Mitglied des Bundestages (SPD), 1967 Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1969 – 1974 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, 1972 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1977 – 1985 Vizepräsident, 1982 Bundesarbeitsminister, 1983 Bundestagsvizepräsident, 1990 Ruhestand. Wilhelm II, Kaiser 61, 238 geb. 27. 1. 1859 Berlin als Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, gest. 4. 6. 1941 Haus Doorn (Niederlande), 1888 König von Preußen und Kaiser des Deutschen Reiches, 1918 Abdankung. Wilkens, Erwin, Dr.theol.h.c., Vizepräsident der EKD-Kirchenkanzlei 48 f., 207, 344 geb. 11. 7. 1914 Lingen (Ems), gest. 28. 1. 2000, 1945 Gemeindepfarrer, 1951 theologischer Referent im Lutherischen Kirchenamt in Hannover, 1964 Oberkir-
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chenrat in der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover, 1974 – 1980 Vizepräsident der Kirchenkanzlei. 81, 127, 135, 139 – 141, 143, 159, 164, 186 – 188, Wilm, Ernst, Dr.theol.h.c., Präses 218, 297, 299 f., 311 f. geb. 27. 8. 1901 Reinswalde (Niederlausitz), gest. 1. 3. 1989 Lübbecke. [Personenlexikon, 276.] Wirth, Wolfgang, Dr.phil., Theologe 91, 171, 202 geb. 25. 1. 1922 Berlin, Theologiestudium, 1953 Vikariat in Mannheim und Donaueschingen, 1955 Pfarrer in Treschklingen (bei Bad Rappenau), 1957 hauptamtlicher Mitarbeiter des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel in München als Nachfolger Grillenbergers, 1959 – 1963 Militärpfarrer in Fürstenfeldbruck und Starnberg, 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, 1963 Studentenpfarrer in Frankfurt am Main, 1971 Dozent an der Pädagogischen Hochschule Duisburg für Evangelische Theologie und ihre Didaktik (seit 1972 Gesamthochschule, seit 1980 Universität-Gesamthochschule, heute Universität Duisburg-Essen), 1986 Mitglied der EKD-Studienkommission „Kirche und Judentum“ sowie des Ausschusses „Christen und Juden“ der Evangelischen Kirche im Rheinland, 1987 Ruhestand. Wischmann, Adolf, Dr.theol.h.c., Präsident des EKD-Außenamts 25, 139, 145 f., 176, 178, 231, 233 f., 236 – 239, 367 geb. 17. 10. 1908 Brockel (bei Rotenburg an der Wümme), gest. 27. 10. 1983 Rotenburg an der Wümme. [Personenlexikon, 277.] Wittenberg, Martin, Dr.theol., Theologe 29, 47, 69 f., 88 f., 93 – 99, 113, 126, 150, 242 f., 255 – 259, 261 – 272, 275 – 277, 279, 281, 286 f., 381 geb. 10. 12. 1911 Bochum, gest. 13. 9. 2001 Gräfenberg, Theologiestudium in Königsberg (Preußen), Tübingen und Münster. 1937 Pfarrer in Berlin, 1938 in München, 1942 in Linden bei Markt Erlbach, 1943 Militärdienst, 1946 kommissarischer, ab 1947 hauptamtlicher Mitarbeiter am Pastoralkolleg in Neuendettelsau, 1946 – 1950 zusammen mit Friedrich Wilhelm Hopf Leitung der Arbeitsgemeinschaft für lutherische Judenmission in Bayern, weiterhin Vorsitzender der theologischen Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft sowie Kuratoriumsmitglied des Evangelisch-lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel, 1947 nebenamtlicher Mitarbeiter, dann bis 1973 Professor an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, dort Gründung des Collegiums Judaicum, Mitglied des Unterausschusses „Kirche und Judentum“ des Missionsausschusses der VELKD. Wolf, Ernst, Lic.theol., Dr.theol. h.c., Universitätslehrer 218 geb. 2. 8. 1902 Prag, gest. 11. 9. 1971 Garmisch-Partenkirchen. [Personenlexikon, 278 f.] Wolff, Hans Walter, Lic.theol., Dr.theol., Universitätslehrer 68, 70 geb. 17. 12. 1911 Barmen, gest. 22. 10. 1993 Heidelberg, 1931 Theologiestudium in Bethel, Göttingen und Bonn, 1935 Vikar in Münster (Westfalen), 1937 Hilfsprediger in Solingen, 1940 Wehrdienst, 1946 Gemeindepfarrer in Solingen, 1952 Professor für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, zeitweilig
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Mitarbeiter beim Deutschen evangelischen Institut für Altertumswissenschaften des heiligen Landes in Ost-Jerusalem, 1959 Professor für Altes Testament in Mainz, 1967 in Heidelberg, 1978 Emeritierung. Wurm, Theophil, Dr.theol.h.c., Landesbischof 65, 73, 97 geb. 7. 12. 1868 Basel, gest. 28. 1. 1953 Stuttgart. [Personenlexikon, 280.] Wrzburger, Karl, Dr.phil., Rundfunkredakteur 241 geb. 10. 3. 1891 Bayreuth, gest. 18. 11. 1978 Hausen am Albis (Schweiz), evangelischer Christ jüdischer Herkunft, 1910 Philosophiestudium, 1916 Militärdienst, 1919 Promotion, freier Schriftsteller und weitere Tätigkeiten, 1928 Rundfunkredakteur bei der Deutschen Welle GmbH in Berlin, 1933 Entlassung durch die Nationalsozialisten, 1936 Flucht in die Schweiz, 1948 Kulturdezernent in Bayreuth, 1959 Ruhestand in der Schweiz, Autor der Zeitschrift Friede über Israel. Zangwill, Israel, jüdischer Schriftsteller 288 geb. 21.1. 1864 London, gest. 1. 8. 1926 Midhurst (Sussex). Zimmerli, Walther, Lic.theol., Dr.theol.h.c., Universitätslehrer 53, 89, 115, 138 f., 171, 181, 325 geb. 20. 1. 1907 Schiers (Kanton Graubünden), gest. 4. 12. 1983 Oberdiessbach (Kanton Bern), 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft ,Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. [Personenlexikon, 282 f.]