Für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche: Eugen Gerstenmaiers religiöse und theologische Entwicklung im Spannungs- und Handlungsfeld von Kirche und Staat bis 1945 [1 ed.] 9783666564918, 9783525564912


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German Pages [541] Year 2020

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Für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche: Eugen Gerstenmaiers religiöse und theologische Entwicklung im Spannungs- und Handlungsfeld von Kirche und Staat bis 1945 [1 ed.]
 9783666564918, 9783525564912

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Karl Brauer

Für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche Eugen Gerstenmaiers religiöse und theologische Entwicklung im Spannungs- und Handlungsfeld von Kirche und Staat bis 1945

Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 76

Vandenhoeck & Ruprecht

Karl Brauer

Für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche Eugen Gerstenmaiers religiöse und theologische Entwicklung im Spannungs- und Handlungsfeld von Kirche und Staat bis 1945

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0874 ISBN 978-3-666-56491-8

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Religiöse Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Grundlegendes zur religiösen Sozialisation . . . . . 1.2 Familiäre Sozialisation und religiöse Verwurzelung 1.3 Jugendbewegung und religiöse Befreiung . . . . . .

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2 Theologische Studien und Auseinandersetzungen . . . . . . . . . . . 2.1 Die Bedeutung von Literatur und Bildung . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 August Winnig und die Entscheidung erster politischer Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Friedrich Schiller und die Erweiterung der Gedankenwelt . 2.1.3 Oswald Spengler und die Erkenntnis zu mehr Bildung . . 2.1.4 Christian Moser und das Abitur . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Theologische Lehrer und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Studienbeginn in Tübingen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Bei Friedrich Brunstäd in Rostock . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Bei Emil Brunner in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Bei Adolf Keller in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Engagement für die Bekenntnisfreiheit der Kirche . . . . . . . . 2.3.1 „Zur Frage Nationalsozialismus und Christentum“ – Gerstenmaier vs. Oskar Riegraf . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 „Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche“ – Gerstenmaier vs. Werner Trumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 „Hände weg von der Kirche“ – Gerstenmaier vs. Joachim Hossenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 „Diffamierung unseres kirchlichen Handelns“ – Gerstenmaier vs. Gerhard Schinke . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 „Treten Sie ab!“ – Gerstenmaier vs. Ludwig Müller . . . .

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3 Theologische Vertiefung und Vorhaben . . . . . . . . . . . 3.1 Die Welt als Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Schöpfungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . Schöpfungsoffenbarung und Christusoffenbarung Gottesbewusstsein und Selbstbewusstsein . . . . .

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Inhalt

Gottesbeziehung und Gotteserkenntnis 3.1.2 Schöpfungsordnung . . . . . . . . . . Schöpfung und Welteinheit . . . . . . Schöpfung und Entwicklung . . . . . . Schöpfung und Geschichte . . . . . . . 3.2 Die Kirche und die Schöpfung . . . . . . . . 3.2.1 Schöpfung und Sünde . . . . . . . . . 3.2.2 Erlösung, Geist und Offenbarung . . . 3.2.3 Schöpfung und neue Schöpfung . . . . 3.3 Vikariat in Gaildorf . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Kampf um die Dozentur . . . . . . . . . . .

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4 Zwischen Kirche und Staat – Im Dienst des Kirchlichen Außenamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der zunehmende Einfluss des Staates . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Entstehung eines Reichskirchenministeriums . . . . . 4.1.2 Das Kirchliche Außenamt unter Theodor Heckel . . . . . 4.2 Die Komplexität der Dienstverhältnisse in Berlin . . . . . . . . . 4.3 „Die eine christliche Kirche“ – Im Dienst für die Ökumene . . . 4.3.1 Die internationale Ökumene und die Konferenz in Chamby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Weltkirchenkonferenz in Oxford und deren Umfeld . . 4.3.3 Auf ökumenischer Mission in England und Skandinavien . 4.4 „Von Kirche zu Kirche geben sich grüßende Hände“ – Die Beziehungen zur Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Die kirchendiplomatische Auslandsarbeit auf dem Balkan. 4.4.2 Die Bemühungen um die skandinavischen Kirchen . . . . 4.4.3 Publizistische Beiträge im Zeichen des Krieges . . . . . . 4.5 Von der Kaschierung über die Denunziation bis zur neuen Perspektive – Das Problem der politischen Glaubwürdigkeit . . 5 Zwischen Beruf und Berufung – Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Vom kirchlich motivierten zum politischen Widerstand . . . . 5.1.1 Der innere Zwiespalt und die konsequente Entscheidung 5.1.2 Zivile Ansätze des Widerstandes . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Eine Denkschrift für die britische Regierung . . . . . . . 5.2 Im Kreisauer Kreis – Gerstenmaier alias Roggenmüller . . . . 5.2.1 „Ein Mann von Wurm“ – Der Weg zum Kreisauer Kreis 5.2.2 Das Reich der Kreisauer – Überlegungen zum Tag X plus 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Der Tyrannenmord als Frage der Moral . . . . . . . . .

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Inhalt

5.3 Mit Bibel und Pistole – Der 20. Juli 1944 . . . . . . . . . . . 5.4 „Gesang im Feuerofen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Das Verhör – Im Knebelgriff der Gestapo . . . . . . . 5.4.2 Die erfahrene „Wirklichkeit Gottes“ . . . . . . . . . . 5.4.3 Die „Una Sancta in vinculis“ im „Kindergarten des Todes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Vor dem Volksgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Die Strategie des weltfremden Kirchenmannes . . . . . 5.5.2 „Gott hat ein Wunder getan“ – Das verblüffende Urteil 5.5.3 Das Zuchthaus St. Georgen und die Befreiung . . . . . 5.6 Die unmittelbare Bewertung des Widerstandes . . . . . . . .

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Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokument I: Protestschreiben Theologenschaften aus Rostock und Erlangen an Reichsbischof Ludwig Müller vom 23. November 1934 . Dokument II: Beilage zum Protestbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokument III: Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte vom 11. Januar 1945 morgens aus der Haftanstalt Tegel vor der Urteilsverkündigung des Volksgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . Dokument IV: Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte vom 11. Januar 1945 abends aus der Haftanstalt Tegel nach der Urteilsverkündigung des Volksgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . Dokument V: Brief Helmuth James Graf von Moltke an Eugen Gerstenmaiers vom 13. Januar 1945 in der Haftanstalt Tegel . . . . . Dokument VI: Brief Eugen Gerstenmaiers an Helmuth James Graf von Moltke vom 18. Januar 1945 in der Haftsanstalt Tegel . . . . . . Dokument VII: Predigt Eugen Gerstenmaiers über Hiob 42, 1–2 und 5–6 vom 29. April 1945 im Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . 1. Archivalische Quellen . . . . . . . . . . 2. Mündliche und schriftliche Auskünfte 3. Veröffentlichte Quellen und Literatur .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die ich im Januar 2019 an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln eingereicht und im März 2019 verteidigt habe. Während des Entstehungsprozesses bis hin zum gelingenden Abschluss dieser Arbeit konnte ich die bereitwillige und großartige Unterstützung zahlreicher Menschen erfahren, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Allen voran sei mein Doktorvater Prof. Dr. Siegfried Hermle (Köln) genannt, der meine kirchengeschichtlichen Interessen schon während des Studiums forderte und förderte. Dies intensivierte sich schließlich als ich sein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl wurde und an seiner Seite die universitären Strukturen aus einer für mich neuen und wunderbaren Perspektive kennenlernen durfte. Er regte die vorliegende Arbeit an und begleitete meine Forschung mit stetig spürbarem Interesse an allen Fortschritten. Ich bin ihm nicht nur für die fachliche und konzeptionelle Betreuung meiner Arbeit dankbar, sondern auch für seine akademische Philosophie, die er für mich darin zum Ausdruck brauchte, dass er mir durch viele eingeräumte Freiheiten eine lernförderliche Umgebung am Institut für Evangelische Theologie in Köln schuf, in der ich konzentriert und zielgerichtet arbeiten konnte. Auch dass er mir jederzeit mit größtem Verständnis und Flexibilität am Lehrstuhl begegnete, als erst mein Sohn und später meine Tochter zur Welt kamen, war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Überdies durfte ich ihn als lebendig engagierten Christen erfahren, von dem ich sowohl im heiteren Gespräch als auch der kontroversen Diskussion zwischenmenschlich viel gelernt habe. Die sechsjährige Zusammenarbeit mit ihm war für mich deshalb eine ganz besondere Zeit, die ich nicht missen und für die ich mich von Herzen bedanken möchte. Ebenso bedanken möchte ich mich bei meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Meyer-Blanck (Bonn), der meine Forschung von Anfang an begleitete und nachhaltig unterstützte. Ich denke gern an die gemeinsamen Gespräche im Umfeld seines Doktorandenkolloqiums zurück, die mir entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung meiner Arbeit gaben. Darüber hinaus ist apl. Prof. Dr. Thomas Martin Schneider (Koblenz / Landau) aufrichtig zu danken. Er unterstützte meine Arbeit als Drittbetreuer und gab sehr anregende fachliche Hinweise, die ich vor allem in der Überarbeitungsphase gewinnbringend nutzen konnte. Prof. Dr. Wolfgang Hasberg (Köln) komplettierte die Prüfungskommission um meine Arbeit als Vorsitzender aus fachfremder Perspektive. Auch bei ihm möchte ich mich herzlich für den

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Vorwort

kritischen Blick und die sehr angenehmen Gespräche bedanken, die gern auch den Bereich der Kirchengeschichte verließen. Der Kommission der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und den beiden Herausgebern, Prof. Dr. Harry Oelke (München) und Prof. Dr. Siegfried Hermle, bin ich zudem zu Dank verpflichtet, dass sie meine Arbeit rasch in die Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ aufgenommen haben. Finanziell wurde die Drucklegung dieser Arbeit durch großzügige Zuschüsse der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sowie der Evangelischen Kirche im Rheinland unterstützt. Den Entscheidungsträgern sei dafür herzlich gedankt. Diese Forschungsarbeit hätte wenig wissenschaftliche Ausgangslage gehabt, wenn ich nicht von so vielen Menschen bei der Recherche und der Sichtung von wichtigem Quellenmaterial in den verschiedenen Archiven quer durch Deutschland unterstützt worden wäre. Ihnen allen sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Besonders hervorheben möchte ich Konrad Kühne von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die guten sechs Monate der Nachlasslektüre und -auswertung im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin wären für mich nur halb so produktiv gewesen, wenn er mir nicht durch seine kompetenten Hinweise geholfen und auch die netten Gespräche am Rande weitere Horizonte eröffnet hätte. Darüber hinaus sei auch Dr. Peter Beier vom Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Michael Bing vom Landeskirchliches Archiv in Stuttgart, Dr. Angela Hartwig vom Universitätsarchiv in Rostock und Renate Schattel vom Stadtarchiv in Kirchheim unter Teck für ihre freundliche Kooperation und unmittelbare Hilfe gedankt. Ein ganz besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang auch Cornelia Irena und Dr. York Christian Gerstenmaier, die mir mit großer Offenheit sowohl am Anfang als auch am Ende dieser Arbeit als sehr angenehme Gesprächspartner über ihrem Vater zur Verfügung standen. Von ihnen erhielt ich nicht nur die Genehmigung, die im Archiv für Christlich-Demokratische Politik gesperrten Nachlassakten zu studieren und für diese Arbeit zu verwenden, sondern auch die Möglichkeit, Einblick in persönliche Dokumente ihres Vaters im elterlichen Haus zu nehmen. Danken möchte ich an dieser Stelle auch meinen Freunden und Kollegen Annemarie Helbing, Johanna Herbst, Lennart Jentsch, Anne Jürgensen, Gerald Müller, Mareike Rabe, Carmen Schiege und Alexandra Staufenbiel, die große Teile dieser Arbeit Korrektur lasen und mich in meinem Vorhaben stets motivierten. Besonderer Dank gebührt darüber hinaus Prof. em. Dr. Klaus Ebert, der meine Forschung kontinuierlich mit einem – seinem Naturell entsprechenden – kritischen Blick begleitete, die Arbeit komplett las und mir mit seiner Expertise sowohl als Kirchenhistoriker als auch Theologe stets wertvolle Hinweise geben konnte. Dass der akademische Betrieb an der Universität nicht alles im Leben ist, sondern sich die Welt uns in einem weiten Forschungsbegriff wunderbarer Faszinationen erschließt, hielten mir meine Freunde Robin Nitsch, Robert Rabe und Niklas Veltkamp immer wieder vor Augen. Ich danke euch von Herzen dafür.

Vorwort

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Die Fertigstellung dieser Arbeit wäre freilich ohne die Unterstützung und den Halt meiner Familie ausgeschlossen gewesen. Tief empfundene Dankbarkeit gilt deshalb meiner Frau Tina Brauer, die sehr viel Verständnis für unzählige Stunden am Schreibtisch aufbrachte und mir unentwegt moralisch zusprach. Ebenso dankbar verbunden bin ich meiner Mutti Dagmar Brauer. Sie hat immer ihr ganzes Vertrauen in mich gesetzt und durch ihre liebevolle Unterstützung einen zentralen Anteil daran, dass diese Arbeit sowohl auf den Weg als auch zum Abschluss gebracht werden konnte. Aufgrund dessen möchte ich euch beiden diese Arbeit von Herzen in Liebe widmen. Köln, im Oktober 2019

Karl Brauer

Einleitung Das Verhältnis von Staat und Kirchen gehört ohne Frage zu den spannendsten Forschungsfeldern der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Die Weimarer Nationalversammlung bestimmte jenes Verhältnis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1919 verfassungsrechtlich grundlegend neu. Staat und Kirchen wurden getrennt. Die neue Verhältnisbestimmung beruhte jedoch nicht auf dem Grundkonzept der Laizität, sondern auf der Freiheit der Religionswahl und den Möglichkeiten einer geschützten Religionsausübung in einem weltanschaulich neutralen Staat. Als Körperschaften des öffentlichen Rechtes standen die Kirchen folglich nicht nur vor der Herausforderung, eigene institutionelle Strukturen auf- und auszubauen, sondern konnten auch die Chance wahrnehmen, ihre gesellschaftliche Rolle gegenüber dem Staat entsprechend unabhängig und frei zu definieren. Da die Kirchen weiterhin einen zentralen Platz im öffentlichen Gemeinschaftswesen einnahmen und mit dem Staat in vielen Bereichen eng kooperierten, hatte Ulrich Stutz schon 1929 das junge Verhältnis als „hinkende Trennung“1 bezeichnet. Es war offensichtlich verfassungsrechtlich gewollt, dass die Kirchen einen Öffentlichkeitsauftrag im Staat wahrnahmen und der Staat wiederum vom Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger mit den sie prägenden Überzeugungen leben konnte. In den 1930er Jahren wirkten sich die weltwirtschaftlichen Probleme und politischen Umbrüche auch auf jene Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirchen aus. Die 28 evangelischen Landeskirchen hatten sich in kürzester Zeit eigene Verfassungen gegeben und zu einem Kirchenbund zusammengeschlossen. Vor dem Hintergrund der veränderten politischen Machtverhältnisse ab 1933 standen die Landeskirchen vor der Frage, wie sie sich gegenüber dem nationalsozialistischen Staat verhalten und inwieweit sie sich an dessen Prinzipien strukturell anpassen sollten. Dazu standen sich mehrere Gruppen mit kirchenleitendem Anspruch konträr gegenüber. Mit zahlreichen und stark repressiv durchgeführten Maßnahmen verband sich der Versuch des nationalsozialistischen Staates, die Kirchen aus dem Kern des öffentlichen Gemeinschaftswesen mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Daraus entwickelte sich zwischen 1933 und 1945 eine Dynamik auf kirchlicher Seite, die sich zwischen Zuspruch und Anspruch, zwischen Anpassung und Widerstand beschreiben lässt. In diesem Gesamtzusammenhang setzten sich viele Menschen für die Freiheit und Unabhängigkeit der evangelischen Landeskirchen von staatli1 Stutz, Diplomatie, 54.

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Einleitung

chen Ansprüchen und Einflüssen ein. Sie versuchten auf der einen Seite gegen die ideologische Diffamierung des Christentums vorzugehen und rekurrierten dazu allein auf die biblische Botschaft als kirchlichen Handlungsauftrag. Auf der anderen Seite waren sie auch bereit, Kompromisse mit dem totalitären Staat einzugehen, um den Fortbestand kirchlicher Strukturen und kirchlichen Lebens zu sichern. Zu diesen Menschen gehörte der Theologe Eugen Gerstenmaier. Er kam aus der studentisch-kirchlichen Opposition, wurde für das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche tätig und engagierte sich letztlich im politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur baute Gerstenmaier ein evangelisches Hilfswerk auf und zog 1949 in den Deutschen Bundestag als Abgeordneter der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) ein. Im Rahmen des von Konrad Adenauer angestrebten Konfessionsproporzes2 konnte er sich in der politischen Landschaft der jungen Bundesrepublik Deutschland rasch als eine Art protestantischer Wortführer etablieren. Darüber hinaus prägte er zwischen 1954 und 1969 als Bundestagspräsident nicht nur die parlamentarische Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mit, sondern gehörte durch seine Position im Fraktionsvorstand und Präsidium sowie als stellvertretender Parteivorsitzender auch zum inneren Führungskreis der CDU. Bezeichnungen wie „Gewissen der Nation“3 oder „Chefideologe der Union“4 bringen zum Ausdruck, wie er jene politischen Schlüsselpositionen mit Inhalt füllte. Seine thematisch dementsprechend umfassende Bibliografie muss vor eben jenem Hintergrund betrachtet werden.5 Ein Blick auf die veröffentlichte Literatur über Gerstenmaier erweckt zudem schnell den Eindruck, dass es bereits durch die große Anzahl von Aufsätzen und monographischen Untersuchungen zu einer wissenschaftlich differenziert angelegten Aufarbeitung seines Lebens, seiner Tätigkeitsfelder und seines Handelns gekommen sein muss. Eine genaue Sichtung der mannigfachen Publikationen macht jedoch deutlich, dass es sich dabei primär um Veröffentlichungen handelt, bei denen die Autorinnen und Autoren subjektiv und fast schon hagiographisch Gerstenmaiers aktiven Wirkzeitraum als CDUPolitiker in den Fokus nahmen. Anzuführen sind in diesem Zusammenhang vor allem summarische Artikel6 und Beiträge in Aufsatzsammlungen.7 DaVgl. Schwarz, Ära, 19–27; und ders., Adenauer, 348–364. Sethe, Gewissen. Klein, Gerstenmaier, 247. Die Bibliothek des Deutschen Bundestages kategorisierte seine Bibliografie in 15 Bereiche: Reden als Parlamentspräsident; Würdigungen und Gedenkreden; Staatsordnung und Gesellschaftsbild; Außenpolitik; Europäische Einigung; Wiedervereinigung Deutschlands; Deutsches Nationalbewusstsein; Widerstand; Deutsche und Juden; Kirche und Politik; Diakonie und Sozialpolitik; Bildung und Kultur; Naturschutz; Afrika; und Zeitgeschichte (vgl. Heck, Widerstand, 241–264). 6 Vgl. u. a. Buchstab, Politik, 71–75; Herzog, Liebe; und Rau, Gerstenmaier, 105–112.

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Einleitung

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rüber hinaus hat sich die Forschung Gerstenmaier bisher vordergründig in der Aufarbeitung von Teilaspekten seines Wirkens angenommen. Neben seinem Engagement im Widerstand gegen den Nationalsozialismus8 und innerhalb der kirchlichen Strukturen9 wurden vor allem seine Tätigkeiten als Politiker und Bundestagspräsident10 zusammenfassend untersucht und dargestellt. Derzeit liegen darüber hinaus zwei biografisch angelegte Publikationen über Gerstenmaier vor. In der von Johannes Hermanns aus dem Jahr 1966 stammenden und 66 Seiten umfassenden Veröffentlichung wurden mehrere Zeitabschnitte aus Gerstenmaiers Leben aufgegriffen und ohne Anmerkungsapparat der Versuch unternommen, ihn in seiner eigenen durchlebten Geschichte bis hin zu seinem Amt als Bundestagspräsident als wichtige „Persönlichkeit der Gegenwart“11 zu betrachten. Daniela Gniss, von der die zweite biografische Veröffentlichung stammt, stellte dazu richtig fest, dass Hermanns Gerstenmaiers Wirken nur „im Ansatz beleuchtet“ hatte und kontroverse Themen „kaum Erwähnung“12 fanden. Mit 514 Seiten legte Gniss 2005 die erste wissenschaftliche und umfassende Biografie über Gerstenmaier vor, bei der sie eine Vielzahl von Quellen und über 70 Nachlässe aus 26 verschiedenen Archiven für ihre Bearbeitung heranzog. Obwohl sich die Autorin diesem enorm umfangreichen Quellenmaterial annahm, verblassten in ihrer gewählten Form der Darlegung die angekündigten Entfaltungen der spezifischen Charakteristika Gerstenmaiers gegenüber den Schilderungen der Rahmenbedingungen seines Lebens. Zudem kann den biografischen Ausführungen ein hohes Maß an subjektiven – und teilweise auch unzutreffenden – Wertungen entnommen werden. Nicht grundlos schätzte Daniel Koerfer die Arbeit deshalb als „schwache Biografie“13 ein, da sie keine wirkliche Annäherung an Gerstenmaier und eine Reflexion über dessen Wirken erkennen lasse.14 Auch Karl-Joseph Hummel urteilte in seiner Rezension über die Biografie, dass es Gniss nicht gelungen sei, ihre Fragestellung vor dem Hintergrund einer fehlenden quellenkritischen Aus-

7 Vgl. Gerstenmaier, Reden, 2 Bde; Kunst, Freiheit; und Heck, Widerstand. 8 Vgl. Kunze, Gerstenmaier, 139–155; Brauer, Bibel, 349–378, und Scholtyseck, Gerstenmaier, 215–223; 9 Vgl. Kaiser, Gerstenmaier, 69–92; Meier, Gerstenmaier, 185–201; und Honecker, Gerstenmaier, 225–236. Vor diesem Hintergrund sei auch auf die Dokumentation über Gerstenmaier verwiesen, die sich stark auf Zeitzeugen stützte (vgl. Schlabrendorff, Gerstenmaier). 10 Vgl. u. a. Fromme, Gerstenmaier, 155–167; Schick, Bundestagspräsident, 102–109; Klein, Gerstenmaier, 247–256; Lçffelholz, Gerstenmaier, 111–128; Mçller, Gerstenmaier, 95–126; Gniss, Gerstenmaier, 173–192; Ferdinand, Gerstenmaier, 106–112; Stickler, Gerstenmaier, 217–226; Lammert, Demut, 238–246; und Morsey, Gerstenmaier, 257–269. 11 Hermanns, Gerstenmaier, 8. 12 Gniss, Politiker, 15. 13 Koerfer, Klein. 14 Vgl. ebd.

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Einleitung

einandersetzung zu beantworten.15 Zudem konstatierte Hummel in seiner Kritik weiter, dass Gniss Gerstenmaiers „Verwurzelung im Protestantismus […] zwar gelegentlich in attributiver Form postuliert, aber nicht anhand konkreter Begebenheiten verdeutlicht“16 habe. Diese Kritiken machen eine Leerstelle in der wissenschaftlichen Forschung zu Gerstenmaier offenkundig. Eine Arbeit zum intentionalen Handeln Gerstenmaiers vor dem Hintergrund seiner ihn prägenden Religiosität und der sich bei ihm entwickelten Theologie im Spannungs- und Handlungsfeld von Staat und Kirche liegt derzeit nicht vor. Gniss betonte in ihrer Gerstenmaier-Biografie an verschiedenen Stellen zwar, dass es bei dem Theologen zu einer Verschmelzung von kirchlichem und politischen Engagement gekommen sei und sich dies gar wie ein roter Faden durch sein Leben zog,17 ließ diese Aussage jedoch als Hypothese ohne weitreichende Auseinandersetzung und Interpretation weitgehend offen stehen. Die vorliegende Arbeit generiert ihren Forschungsansatz aus jener Leerstelle und wird sich der Frage nach Gerstenmaiers prägendsten Elementen seiner Biografie bis 1945 widmen. Dazu muss zum einen untersucht werden, wie sich Gerstenmaier sowohl religiös als auch theologisch entwickelte und zum anderen, wie sich seine daraus resultierenden Prägungen wiederum auf sein sowohl kirchliches als auch politisches Handeln auswirkten. Von besonderem Interesse werden in diesem Zusammenhang zudem seine intrinsischen Motivationen und ambivalenten Korrelationen sein. Auf dieser Grundlage lässt sich die Forschungsfrage dieser Arbeit wie folgt formulieren: Wie und mit welcher Intensität wirkte sich Eugen Gerstenmaiers religiöse und theologische Genese auf seine bewusst getroffenen Entscheidungen und daraus resultierenden Handlungen bis 1945 aus? Die differenzierte Beantwortung dieser Leitfrage ist als Grundvoraussetzung seines Wirkens nach 1945 zu verstehen. Um dieser Zielsetzung adäquat nachgehen zu können, muss Gerstenmaiers Lebensgeschichte in enger Verbindung mit dem historischen und theologischen Kontext der Zeit betrachtet werden. Obgleich die Komplexität seiner Persönlichkeit nie ganz zu erfassen ist, müssen die Interdependenzen seiner religiösen Sozialisation vor dem Hintergrund der ihn am nachhaltigsten beeinflussten Momente herausgearbeitet und in Beziehung zu seiner Entwicklung gesetzt werden. Ebenso ist der Genese seiner – bisher wissenschaftlich noch nicht betrachteten – theologischen Ansätze und seines wissenschaftlichen Arbeitens nachzugehen, um zu überprüfen, ob sich diese in seinen handlungsorientierten Bestrebungen manifestierten. Darüber hinaus ist sein Wirken zwischen Beruf und Berufung differenziert in den Blick zu nehmen, um entsprechende Wirkungszusammenhänge in seinen Tätigkeitsfeldern 15 Vgl. Hummel, Rezension. 16 Ebd. 17 Vgl. u. a. Gniss, Politiker, 13, 15, 17, 22.

Einleitung

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zwischen Kirche und Staat, zwischen Religion und Politik bis 1945 beschreiben zu können. Die Quellenlage zu Gerstenmaier ist sehr disparat. Um seine Entwicklung und sein intentionales Handeln bis 1945 angemessen nachzeichnen und interpretieren zu können, musste auf zahlreiche Archive zurückgegriffen werden. Neben den kirchlichen und politischen Archiven in Berlin,18 Koblenz19 und Stuttgart20 wurde vor allem im Universitätsarchiv in Rostock (UAR) sowie im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin (ACDP) gearbeitet. Die Gerstenmaier-Akten im UAR sind erst seit wenigen Jahren zugänglich, sodass diese im Rahmen der vorliegenden Arbeit erstmalig wissenschaftlich ausgewertet und in Beziehung gesetzt werden konnten. Das ACDP beherbergt Gerstenmaiers überlieferten Nachlass, der aus mehreren Privatarchiven zusammengetragen wurde. Obwohl dem dortigen Findbuch zu entnehmen ist, dass Gerstenmaier selbst vor der Übergabe seiner persönlichen Unterlagen an das ACDP einen erheblichen Teil der Akten vernichtet habe,21 umfasst der Nachlass insgesamt 13,25 laufende Meter. Vor allem sein persönliches Schriftgut aus Jugend- und Studienzeit, seine umfassenden Korrespondenzen mit zahlreichen Weggefährten sowie die Unterlagen aus seinen beruflichen Tätigkeitsfeldern waren für diese Studie von entscheidender Bedeutung.22 Darüber hinaus konnte auch der gesperrte Teil des Nachlasses mit Genehmigung von Gerstenmaiers Nachfahren eingesehen und in die Arbeit zur Beantwortung der Fragestellung mit einbezogen werden. Neben dem umfangreichen und zum großen Teil unveröffentlichten Archivmaterial wurden als Quellen auch Publikationen von und mit Gerstenmaier kritisch rezipiert und in die vorliegende Arbeit eingebaut, denen Informationen zur Beantwortung der Leitfrage entnommen werden konnten.23 Besonders hervorzuheben sind die beiden autobiografischen Veröffentlichungen von Eugen und Brigitte Gerstenmaier. Sowohl Gerstenmaiers Lebensbericht „Streit und Friede hat seine Zeit“ von 1981 als auch die Erinne-

18 Intensiv recherchiert wurde in Berlin im Bundesarchiv (BArch); im Evangelischen Zentralarchiv (EZA); im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages (PA-DBT); im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA); sowie im Archiv für Diakonie und Entwicklung (ADE). 19 In Koblenz wurde in der dortigen Abteilung des Bundesarchivs (BArch) geforscht. 20 In Stuttgart wurde im Landeskirchliches Archiv (LKAS) recherchiert sowie darüber hinaus im Stadtarchiv in Kirchheim unter Teck (StadtA Ki). 21 Vgl. Findbuch 01-210 im ACDP. 22 Im Hinblick auf die rezipierten Quellen wurden auf der einen Seite offensichtliche Rechtschreibfehler stillschweigend korrigiert sowie auf der anderen Seite alte Rechtschreibregeln, verwendete Groß- und Kleinschreibung und umgangssprachliche Ausdrucksmittel wortgetreu übernommen. 23 Vgl. u. a. Gerstenmaier, Jugendbewegung; Ders., Mächte, 98–103; Ders., Kirche, 100–128; und Ders., Kreis, 221–246. Vgl. zudem die beiden Interviews mit Gerstenmaier bei Gaus, Staatsmann, 117–139; und Gross, Gespräch, 9–54.

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rungen seiner Frau „Zwei können widerstehen“ von 199224 zeigen mit den aufgenommenen Bibelstellen aus Prediger 3,8 und 4,12 in den Publikationstiteln, wie eng sich die beiden Ehepartner mit dem Christentum verbunden fühlten. Um zur Genese dieser Verbundenheit und deren Entfaltung zurück zu kommen, stützt sich diese Arbeit zudem auf historische und persönliche Parallelüberlieferungen. Die briefliche Korrespondenz zwischen Helmuth James Graf von Moltke und seiner Frau Freya Gräfin von Moltke sei an dieser Stelle für die zu untersuchenden Wirkungszusammenhänge aus Gerstenmaiers Prägungen stellvertretend genannt.25 Diese Arbeit baut sich weitgehend chronologisch auf und beginnt im ersten Kapitel mit Gerstenmaiers religiöser Genese. Dazu wird zunächst grundlegend gefragt, was unter religiöser Sozialisation zu verstehen ist, um daran anschließend diese an seiner Kindheit und Jugendzeit zu spiegeln. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf seinem Engagement und seiner Entwicklung in den christlichen Jugendkreisen liegen. Das zweite Kapitel widmet sich seinen theologischen Studien und den verschiedenen Auseinandersetzungen in der kirchlichen Opposition während seines Studiums in Tübingen, Rostock und Zürich. Auch hier wird der Fokus auf seinem Engagement liegen und untersucht, in welcher Form er für die Freiheit und Unabhängigkeit der evangelischen Landeskirchen gegenüber inneren und äußeren Einflüssen stritt. Seine theologische Vertiefung und die entsprechenden weiteren beruflichen Vorhaben werden im dritten Kapitel in den Blick genommen. Auf der einen Seite werden dazu die Aussagen und Standpunkte aus Gerstenmaiers wissenschaftlichen Qualifikationsschriften erstmalig herausgearbeitet und zum zeitgenössischen Diskussionsstand der Theologie in Beziehung gesetzt. Auf der anderen Seite wird sein angestrebter wissenschaftlicher Werdegang mit allen wichtigen Stationen betrachtet. Das vierte Kapitel nimmt sich seines Wirkens im Kirchlichen Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche an. Nach einer grundlegenden historischen Einordnung der kirchlichen Behörde folgt eine Untersuchung von Gerstenmaiers Tätigkeiten sowohl in Berlin als auch im Ausland in einem Labyrinth von sich kreuzenden kirchlichen und politischen Interessen. In diesem Zusammengang werden nicht nur seine theologischen Positionen, sondern auch die Intentionen seiner Kommunikationswege und angefertigten Berichte vor dem Hintergrund seiner Entwicklung herauszuarbeiten sein. Das fünfte und letzte Kapitel hat Gerstenmaiers Engagement im politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zum Inhalt. Obgleich Joachim Scholtyseck 2006 schrieb, dass die „Forschung inzwischen umfassend“26 über Gerstenmaiers Wirken im deutschen Widerstand informiert sei, werden in diesem Kapitel zahlreiche Bereiche analysiert, die bisher noch wenig oder gar keine 24 Vgl. Gerstenmaier, Streit; und Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei. 25 Vgl. Moltke, Briefe; und Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe. 26 Scholtyseck, Gerstenmaier, 215.

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wissenschaftliche Beachtung gefunden haben.27 Stellvertretend seien dazu die Beziehungen von Theophil Wurm zum Kreisauer Kreis oder auch Gerstenmaiers Rolle in der Gefängnisgemeinschaft mit Alfred Delp und Moltke in Berlin-Tegel genannt. Ein zusammenfassendes Fazit beendet die Arbeit. Wie wichtig es ist, der Fragestellung dieser Arbeit differenziert nachzugehen, zeigte Martin Honecker 2006 in der Vermutung, dass sich Gerstenmaiers Engagement zwischen den kirchlichen und staatlichen Institutionen nach 1945 nicht nur auf seine kirchenpolitischen Tätigkeiten und seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zurückführen lasse, sondern eben auch auf seinen eigenen religiösen und theologischen Ansatz.28 Spätere Charakterisierungen wie „provokanter Protestant“29 und „christlicher Politiker“30 belegen, wie Gerstenmaiers Prägungen nach 1945 in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Aufgrund dessen ist es unabdingbar, sich wissenschaftlich Gerstenmaiers religiöser und theologischer Entwicklung anzunehmen, um sein intentionales Handeln entsprechend einordnen und interpretieren zu können. Letztlich sei nicht verschwiegen, dass es eine beabsichtigte Nebenintention der vorliegenden Arbeit ist, die Person und das Wirken Eugen Gerstenmaiers bis 1945 wieder in Erinnerung zu rufen, um eine erneute Auseinandersetzung mit ihm zu ermöglichen, denn wie Helmut Kohl 1986 betonte, sei Gerstenmaier ein „Glücksfall für die deutsche Geschichte“31 gewesen.

27 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Gerstenmaier selbst bei renommierten Widerstandsforschern wie Peter Steinbach oder Günter Brakelmann bisher zwar als Mitwirkender im Kreisauer Kreis in pointierter Form Erwähnung fand, jedoch nicht in einer wünschenswerten Ausführlichkeit auf dessen spezifisches Handeln eingegangen wurde. 28 Vgl. Honecker, Gerstenmaier, 229. 29 Gottlieb, Hund. 30 Fromme, Selbstzucht. 31 Weizs cker/Jenninger/Kohl, Abschied.

1 Religiöse Genese Rückblickend auf sein bewegtes Leben, zahlreiche bewältigte Herausforderungen und getroffene Entscheidungen wurde Gerstenmaier 1981 von Johannes Gross im Rahmen eines Interviews1 nach dem Prägendsten seiner Kindheit gefragt. Er antwortete darauf mit fünf wichtigen Stationen, die sein junges Leben bestimmten und für seine frühe Sozialisation maßgeblich waren. Gerstenmaier nannte in einem ersten Punkt „mein Elternhaus“ sowie „vor allem den prägenden Einfluß meiner Mutter“, zweitens die „Kirche, zusammen mit der im Elternhaus geübten Frömmigkeit“, drittens „die großartige Erfahrung der Jugendbewegung“, viertens die „Begegnung mit Schillers Werk“ und schließlich „das Studium“2 als fünften Punkt. Den ersten drei von ihm selbst als prägend beschriebenen Stationen wird im folgenden Kapitel unter der Maßgabe seiner religiösen Genese nachgegangen. Dabei wird spezifisch geprüft, welchen Einfluss die religiöse Sozialisation auf Gerstenmaiers frühe Entwicklung nahm und wie diese sein Werden und Sein grundlegend beeinflusste. Der historischen und biografischen Auseinandersetzung mit Gerstenmaier wird ein Unterkapitel über die religiöse Sozialisation mit einer sozialwissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Schwerpunktsetzung vorangestellt, um damit sowohl die für den weiteren Verlauf relevanten Begriffe zu klären als auch in den Betrachtungsgegenstand im Überblick einzuführen.

1.1 Grundlegendes zur religiösen Sozialisation Wenn nach der religiösen Sozialisation eines Heranwachsenden gefragt wird, dann kommen stets mehrere Dimensionen der Lebenswirklichkeit eines Individuums in den Blick der Betrachtung. Da Religion als ein „gesellschaftliches Phänomen“3 bezeichnet werden kann, stehen durch ihre soziale, alltagsweltlich verflochtene und kulturprägende Gestalt nicht nur Erziehung und Bildung im dynamischen Sozialisations- und Entwicklungsprozess des Heranwachsenden im Fokus, sondern besonders auch die Rolle und Wirkung der 1 Das Gespräch wurde im Dezember 1980 aufgezeichnet, am 24. 8. 1981 in einer ZDF-Fernsehreihe erstausgestrahlt und 1982 von Karl B. Schnelting in einem Porträtband abgedruckt (vgl. Gross, Gespräch, 9–54). 2 Ebd., 16. 3 Fraas, Sozialisation, 540.

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einzelnen – oft ineinandergreifenden – Sozialisationsagenturen samt ihrer -agenten.4 Um das Verhältnis der religiösen Sozialisation im Entwicklungsprozess des Heranwachsenden beschreiben zu können, ist zunächst zu klären, was sich sowohl hinter dem Begriff der Sozialisation als auch der sich in ihm entfaltenden Wert- und Wirkmechanismen verbirgt. Die theoretischen Erkenntnisse dienen als Grundlage für die weitere Beschäftigung mit Gerstenmaiers Kindheit und Jugend. Im Rahmen der Forschung wird der Sozialisationsbegriff zumeist für Fragestellungen gebraucht, die untersuchen, wie Individuen durch ihre gesellschaftlichen und sozialen Umwelten in ihrem Denken und Handeln, ihren Wertbildungen und Handlungsmustern beeinflusst werden, sich simultan jedoch zu selbstständigen und eigenverantwortlich handlungsfähigen Subjekten entfalten. Terminologisch ist Sozialisation von Bildung und Erziehung klar zu unterscheiden. Nach Bernd Schröder schließt die Sozialisation die beiden Begriffe jedoch mit ein. Der zentrale Unterschied sei demnach in der bewussten und unbewussten Internalisierung auszumachen. Während es sich bei Bildung und Erziehung um absichtsvoll und zielgerichtet gestaltete Vorgänge handle, bezeichne Sozialisation die unabsichtliche und nicht-zielgerichtete Aneignung von hauptsächlich sozialen Umwelten durch den Menschen selbst sowie deren Einflussnahme auf ihn.5 Wenn man Schröder in seinem Gedankengang folgt, dann ist Sozialisation auf dieser Grundlage nur bedingt gestaltbar. In der Sozialisationsforschung6 kann von einer breiten Diversität an grundlegenden Sozialisationsdefinitionen7 und Sozialisationstheorien8 gesprochen werden. Erstmals wurde der Terminus der Sozialisation von dem französischen Soziologen mile Durkheim verwendet. Er verstand darunter alle „Einwirkungen der Erwachsenengeneration auf diejenigen, die noch nicht reif sind für das Leben in der Gesellschaft“9. Peter Berger und Thomas Luckmann bestimmten Sozialisation darüber hinaus in ihrer richtungweisenden 4 Sozialisationsagenturen lassen sich als die Träger der politischen Kultur und des menschlichen Zusammenlebens in einer jeden Gesellschaft definieren. Sie vermitteln alle für die Gesellschaft relevanten Kenntnisse, Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen. Neben der Institution der Familie gehören vor allem die Schule, Medien, Alltagskulturen, Jugendverbände, Peers und die Universität samt ihrer Protagonisten zu den zentralen Sozialisationsagenturen. 5 Vgl. Schrçder, Religionspädagogik, 327 f. 6 Zu den historischen Entwicklungen innerhalb der Sozialisationsforschung, deren Weiterentwicklung und enger Verwobenheit mit den Forschungsfeldern der Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Ethnologie, Anthropologie, Theologie und Geschichtswissenschaft vgl. Hurrelmann/ Grundmann/Walper, Sozialisationsforschung, 14–31. 7 Zu der Vielseitigkeit an Sozialisationsdefinitionen vgl. M hler, Sozialisation, 41–46. 8 Zu der Unterscheid- und Kombinierbarkeit von psychologischen (Persönlichkeitstheorien, Lerntheorien, Entwicklungspsychologien) und soziologischen (Systemtheorien, Handlungstheorien, Gesellschaftstheorien) Sozialisationstheorien vgl. Hurrelmann, Sozialisationstheorie, 48–126. 9 Scherr, Sozialisation, 46.

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Studie als die „grundlegende und allseitige Einführung des Individuums in die objektive Welt einer Gesellschaft“10. Demnach lässt sich Sozialisation als ein interaktives Zusammenspiel von verschiedenen Umwelten verstehen, welches das menschliche Miteinander konstituiert, reproduziert und einem stetigen Wandel unterzieht. Sie beschreibt den „Prozess, durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biopsychischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen.“11 Demzufolge umfasst der Sozialisationsbegriff – über die Genese des Individuums in der Form einer eigenen, originären Individualität hinaus – auf der einen Seite die Entwicklung individueller und kollektiver Handlungsmuster, Normen und Werte sowie auf der anderen Seite die gesellschaftlich-kulturelle Integration, die so bezeichnete „Vergesellschaftung“12 des Heranwachsenden. Unterschieden die älteren Sozialisationstheorien noch lediglich zwischen in die Gesellschaft hineinwachsenden Kindern und Jugendlichen einerseits sowie eigenständig handlungsfähigen Erwachsenen andererseits, so herrscht in der neueren Forschung breiter Konsens, dass Sozialisation mehr ist als die subtile Anwendung von Erfahrung und Wissen aus der ersten in der zweiten Lebensphase des Menschen. Sozialisation wird heute mehrheitlich als ein lebenslanger, permanent fließender und komplexer Prozess betrachtet, der keine zeitliche und räumliche Begrenztheit kennt. Daraus ergeben sich unter anderem aufgrund der Mehrdimensionalität13 des Begriffs verschiedene Phasenbeschreibungen14 im Entwicklungsprozess des Individuums, die eine Fokussierung auf ein theoretisches Konzept an dieser Stelle notwendig machen. Berger und Luckmann unterschieden zwischen primärer und sekundärer Sozialisation; den beiden Phasen, die für diesen Zusammenhang von Interesse sind. Sie verstanden die primäre Sozialisation als die „erste Phase, durch die 10 11 12 13

Berger/Luckmann, Wirklichkeit, 140 f. Hurrelmann/Grundmann/Walper, Sozialisationsforschung, 25. Drehsen/Mette, Sozialisation, 2008. Albert Scherr untergliedert in drei zu unterscheidende Dimensionen: in die Personalität, die sind in der gesellschaftlichen Bestimmtheit des Einzelnen ausdrückt; in die Individualität, die das Individuum kennzeichnende Besonderheit hervorhebt; und in die Subjektivität, die sich in der mit allen gemeinsame Sprach-, Handlungs- und Selbstbestimmungsfähigkeit zeigt (vgl. Scherr, Sozialisation, 46). 14 Neben den klassischen Differenzierungen zwischen primärer und sekundärer Sozialisation unterscheidet beispielsweise Barbara Hölscher zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Sozialisation. Als tertiäre Sozialisation bezeichnet sie die sich im Erwachsenenalter verändernden sozialen Interaktionen, Kontexte und Umweltbedingungen durch mögliche Berufsoder Elternrollen (vgl. Hçlscher, Sozialisation, 754 f). Kurt Mühler geht noch einen Schritt weiter und differenziert zwischen Primärsozialisation in Familie, Sekundärsozialisation in vor allem Peergroups, Tertiärsozialisation im Erwachsenenalter und Quartärsozialisation im Stadium des Alters (vgl. M hler, Sozialisation, 46–49).

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der Mensch in seiner Kindheit zum Mitglied der Gesellschaft wird“ und die sekundäre Sozialisation als jeden späteren „Vorgang, der eine bereits sozialisierte Person in neue Ausschnitte der objektiven Welt ihrer Gesellschaft einweist.“15 Jeder Mensch wird demnach im Rahmen der ersten Phase in eine definierte Gesellschaftsstruktur objektiver Wirklichkeit hineingeboren und trifft darin auf die „signifikant Anderen“16. Ihnen ist die Sozialisation des Heranwachsenden primär anvertraut. Sie vermitteln, modifizieren und filtern ihm die Welt nach ihren eigenen gesellschaftlichen Rollen und eigenen biografisch begründeten Empfindlichkeiten. Über das bloße kognitive Lernen hinaus internalisiert der Heranwachsende auch Gefühlsbindungen des „signifikant Anderen“. Durch die daraus resultierende Identifikation mit ihnen wird das Kind wiederum fähig, sich „als sich selbst und mit sich selbst zu identifizieren, seine eigene subjektiv kohärente und plausible Identität zu gewinnen.“17 Berger und Luckmann zeigen damit freilich, dass die primäre Sozialisation im Blick auf die eigene Identität kein einseitiger, mechanischer Prozess ist, sondern vielmehr eine Dialektik zwischen objektiv zugewiesener Fremdidentifizierung und subjektiv angeeigneter Selbstidentifikation. Die Herausbildung einer ersten Identität samt einer eigenen Grundpersönlichkeit führten die beiden Soziologen auf die Interaktion des Individuums mit den „signifikant Anderen“ zurück. Da nur diese dem Kind als Sozialisationsagenten vorgesetzt sind, ist eine Identifikation mit ihnen unvermeidlich.18 So gesehen kann in diesem Zusammenhang auch von der „Unmöglichkeit einer wertneutralen Erziehung“19 gesprochen werden. Aus jener Identifikationsalternativlosigkeit wird zudem ersichtlich, welch hohe Bedeutung aus der Primärsozialisation für die frühen Handlungsmuster des Heranwachsenden resultiert. Dem bei Geburt weltoffenen Kind wird darin eine erste Grundstrukturierung in geografischer, sozialer, kultureller und religiöser Ausprägung vermittelt, in der sich wesentliche Verhaltens- und Interaktionsformen zu festeren Persönlichkeitszügen stabilisieren. Jürgen Habermas stellte fest, dass die Erlebnisse und Erfahrungen der frühen Kindheit einen besonders prägenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Individuums ausüben und dem Kind oft zu Grundmustern lebenslanger Orientierung werden.20 Folgt man dem Aspekt des interpersonalen Vertrauens von Christel Hopf in ihrer Bindungsforschung,21 so haben die Agenten in der Primärsozialisation den zentralsten Einfluss auf den Heranwachsenden. Kurt Mühler konstatiert 15 Berger/Luckmann, Wirklichkeit, 141. Zur primären und sekundären Sozialisation vgl. ebd., 139–157. 16 Als „signifikant Anderen“ definierten Berger und Luckmann die engste Familie als erste Sozialisationsagenten, die mit dem Individuum in Verbindung treten (vgl. ebd., 140–142). 17 Ebd., 142. 18 Vgl. ebd., 142–145. 19 Fraas, Schüler, 151. 20 Vgl. Habermas, Thesen, 15. 21 Vgl. Hopf, Bindung.

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darüber hinaus, dass in dieser Phase eine im „späteren Leben nie wieder erlangbare Gewissheit und Klarheit des zweifelsfrei Richtigen“22 gründet. Die primäre Sozialisation gilt nach Berger und Luckmann als beendet, wenn die Vorstellungen, Normen, Werte und Verhaltensweisen der „signifikant Anderen“ im Bewusstsein des Individuums gefestigt wurden. Erst unter dieser Voraussetzung könne der Heranwachsende als „ein nützliches Mitglied der Gesellschaft“23 mit einem Selbst- und Weltbezug beschrieben werden. Die sekundäre Sozialisation nimmt die in der Primärsozialisation gelegten Fundamente des Individuums auf und stellt es in der Auseinandersetzung mit der Welt vor neue Herausforderungen. Sie findet weniger im familiären, sondern vielmehr im außerfamiliären Bereich durch Instanzen institutionalisierter Erziehung, Bildung und Ausbildung sowie durch Peergroups statt und spezifiziert die vorher erlernten Werte, Normen und Verhaltensweisen weiter. Da Berger und Luckmann in ihrer Forschung davon ausgingen, dass die Gesellschaft ihr Wissen nach den Prinzipien der Arbeitsteilung vermittelt, basiert die sekundäre Sozialisation auf einem Erwerb von „rollenspezifischem Wissen“ und einem „Sich-zu-eigen-Machen eines jeweils rollenspezifischen Vokabulars“24 durch weitere Sozialisationsagenten über die Familie hinaus. Das Spezifikum der religiösen Sozialisation ist es nun, nach dem Verhältnis aus dem Gesamtprozess der Sozialisation und der darin manifestierten religiösen Entwicklungsmomente zu fragen.25 Aus der breiten Theoriebildung zur religiösen Sozialisation26 und auf der Grundlage des vorangegangenen Definitionsversuches der Sozialisation im Allgemeinen als Summe aller bewussten und unbewussten Lernprozesse in den sozialen Beziehungen der primären und sekundären Sozialisation lässt sich die religiöse Sozialisation als prägende Korrelation zwischen dem Heranwachsenden und seinen religiösen Bezugspersonen und -instanzen beschreiben. Für den religiösen Sozialisationsprozess sind drei aufeinander aufbauende Entfaltungsebenen von besonderer Bedeutung. Durch die Vermittlung von religiösen Alltagsriten, Angeboten und Erfahrungen – wie bspw. einer kontinuierlichen Gebetspraxis, dem Gespräch über Phänomene des Glaubens oder dem regelmäßigen Kirchenbesuch – kann es auf der ersten Ebene zu einer aktiven Verarbeitung bei dem Heranwach22 23 24 25 26

M hler, Sozialisation, 56. Berger/Luckmann, Wirklichkeit, 148. Ebd., 149. Vgl. Preul, Religion, 144. Die Theoriebildung zur religiösen Sozialisation spiegelt vor allem die Unterschiedlichkeit der sozialisationstheoretischen Ansätze. Einige Theorien sind an dieser Stelle hervorgehoben: Nach der Integrationstheorie ( mile Durkheim, Talcott Parsons) hat Religion die Einheit der Gesellschaft zu garantieren. Durch die Kompensationstheorie (Ludwig Feuerbach, Karl Marx) wird der Religion die Aufgabe von Kontingenzbewältigung (Peter Berger, Thomas Luckmann, Niklas Luhmann u. a.) auferlegt. Religiöse Sozialisation lässt sich in diesem Sinn als ein Aspekt der Enkulturation fassen. Die Ichtheorie (Manfred Arndt) fragt nach der sowohl hemmenden als auch fördernden Bedeutung der religiösen Sozialisation fu¨ r die Entwicklung eines gesunden Ichbewusstseins des Einzelnen (vgl. Fraas, Sozialisation, 540 f).

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senden kommen. Dieser aktive Prozess kann wiederum in einer kognitiven und emotionalen Implementierung jener religiösen Erlebnisse und Erfahrungen im persönlichen Bereich des Heranwachsenden münden. Die zweite Ebene baut darauf auf, indem sich die persönlichen Implementierungen auf die religiösen Deutungs- und Handlungsdispositionen auswirken. Der Heranwachsende nimmt nicht nur die kognitiven und emotionalen Erkenntnisse sowie die gemachten Erfahrungen für sich an, sondern verknüpft diese miteinander und überträgt sie auf sein eigenes Handlungsumfeld. Die dritte Ebene kann religiöse Lebensdeutung auf der Grundlage der erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen zum Resultat haben. Somit kommt der Sozialisation als solcher nach Hans-Jürgen Fraas ein religiöser Aspekt zu, da sinnstiftende Elemente sozialisiert werden.27 Die Vermittlung von Religiosität samt ihren Inhalten, Einstellungen und Verhaltensweisen kann dabei – ähnlich wie zuvor beschrieben – mit „unbewusster“28 oder „motivkräftiger“29 Intentionalität ablaufen. Neben den Sozialisationsagenturen der engen und weiten Familie, der Schule und Universität, den Jugendverbänden und Peers wird zuweilen auch den Kirchen als Ort der öffentlich sichtbaren Religion eine wichtige Rolle im dynamischen Sozialisationsprozess des Heranwachsenden beigemessen. Die erfahrbare religiöse Gemeinschaft – nicht nur mit Geistlichen, sondern auch mit der gesamten Gemeinde – kann über die festen Elemente der Taufe und Konfirmation hinweg Identifikation und religiöse Implementierung schaffen. Obwohl die Kirchen als dominante Sachverwalter christlicher Religion fungieren, sind sie nach Volker Drehsen und Norbert Mette als „nur bedingt religiös-sozialisationsfähig“30 zu charakterisieren. In der Forschung herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass für den Tradierungsprozess des Religiösen vor allem dem Elternhaus im Rahmen der primären Sozialisation die Schlüsselrolle zukommt und den Kirchen – wenn überhaupt – nur eine nebengeordnete. In der Obhut der engsten Familie werden die Heranwachsenden mit individuellen Frömmigkeitsformen konfrontiert und mit den Geheimnissen des Glaubens vertraut gemacht. So belegte in der Forschung beispielsweise die empirisch angelegte IV. EKD-Studie über Kirchenmitgliedschaft von 2006, dass die religiöse Prägekraft bei dem engsten Familienkreis, den Eltern und Großeltern liegt.31 Daraus kann abgeleitet werden, dass sich das eigene Glaubensverhältnis stark an das im Elternhaus erlebte

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Vgl. ebd., 140 f. Schrçder, Religionspädagogik, 328. Drehsen/Mette, Sozialisation, 2011. Ebd. Die in jener repräsentativen Studie nach der religiösen Prägekraft Befragten geben in erster Linie die Eltern mit 85 Prozent an (81 Prozent meinen, dass diese ihr Verhältnis zu Kirche und Religion positiv beeinflusst haben). An zweiter Stelle nannten sie die Großeltern mit 72 Prozent, davon 70 Prozent positiv (vgl. Schrçder, Religionspädagogik, 334).

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anlehnt.32 Die V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft von 2014 stellte verschiedene Aspekte der religiösen Sozialisation in einen breiteren Rahmen.33 „Empfindet der eine sich als religiös sozialisiert, wenn er gelegentlich mit den Eltern über religiöse Themen gesprochen hat, sieht ein anderer religiöse Sozialisation nur dann als gegeben an, wenn damit eine Vielzahl gemeinsamer religiöser Praktiken verbunden ist.“34 Auch wenn Gert Pickel aus den Empirie-Erkenntnissen resümierte, dass die Beurteilung der vorgenommenen Selbstbewertung nur begrenzte Relevanz besäßen, so kann die eigene Selbstzuschreibung – ob religiös sozialisiert oder nicht – für das Verständnis der eigenen Religiosität bedeutender sein als eine externe Beurteilung anhand von objektiven Faktoren religiösen Verhaltens.35 Beides – sowohl die Selbstbewertung Gerstenmaiers in der Form seines hinterlassenen Schriftgutes und seiner Korrespondenz als auch die entsprechende Beurteilung seiner biografischen Stationen – wird im Folgenden Grundlage für die Beschreibung seiner Entwicklung sein. Der besondere Schwerpunkt wird dabei auf der religiösen Sozialisation innerhalb seines Umfeldes und der mit ihm interagierenden Sozialisationsagenturen samt ihrer -agenten liegen.36

1.2 Familiäre Sozialisation und religiöse Verwurzelung Karl Albrecht Eugen Gerstenmaier wurde am 25. August 1906 im württembergischen Kirchheim unter Teck am Rande der Schwäbischen Alb als erstes Kind der Eheleute Albrecht Gottlob und Gottlobin Albertine Rosine Gerstenmaier geboren. Die junge Familie lebte gemeinsam mit den Großeltern mütterlicherseits, Johann Albert und Christiane Gottlobin Lauffer, in einem vom Großvater auf zweieinhalb Etagen erbauen Haus in der Kirchheimer Austraße. Die frühe Sozialisation Gersternmaiers wurde in seinen ersten Lebensjahren durch zahlreiche Faktoren bestimmt und beeinflusst. Über das auf ihn primär einwirkende enge Umfeld der familiären Sozialisationsagenten hinaus kann von einem direkten sowie auch indirekten Einfluss des breiten Lebensumfelds ausgegangen werden. Diese Einflüsse beziehen sich vor allem auf die strukturellen und sozioökonomischen Veränderungen seiner Heimatstadt zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert. Kirchheim unter Teck war als würt32 33 34 35 36

Vgl. Huber/Friedrich/Steinacker, Kirche, 68. Vgl. Pickel, Jugendliche, 60–72. Ebd., 68. Vgl. ebd. Die Theorien zur religiösen Entwicklung (Tiefenpsychologie: Sigmund Freud, Erik H. Erikson, Robert Kegan; und strukturgenetische Entwicklungstheorie: Jean Piaget, Fritz Oser/Paul Gmünder) werden dabei zwar berücksichtigt, jedoch nicht weiter analytisch spezifiziert.

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tembergische Amtsstadt bereits seit dem Mittelalter ein zentraler politischer, wirtschaftlicher und geistlicher Mittelpunkt der Region an Lauter und Lindach. Vor allem die strategisch gute Lage am Fuße der Alb sowie die enge Verbindung aus Landwirtschaft und Gewerbe schufen die Voraussetzungen für eine frühe Industrialisierung innerhalb der Stadt. Sabine Widmer beschrieb den industriellen Entwicklungsprozess in zwei Industrialisierungsphasen: in einer ersten Phase siedelten sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts primär kleinere Betriebe im Textil-, Holz- und Papiersektor an, die im Laufe der Jahre jedoch rasch an Größe zunahmen.37 Nachdem 1864 mit der ersten privaten Eisenbahngesellschaft Württembergs in Kirchheim unter Teck die Grundlagen für die infrastrukturellen Anpassung an die Bedürfnisse der Industrie bereitgestellt waren, folgte die zweite Phase, in der sich nun vorrangig der Metallsektor ausbildete.38 Die Neuansiedlung und entsprechende Expansion von Industrie und Gewerbe hatte neben den sich verändernden sozialen Bedingungen ebenso starke Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung der Stadt: innerhalb eines Jahrhunderts verdoppelte sich die Einwohnerzahl.39 Obwohl die Industrie spätestens zur Jahrhundertwende die dominante Position im Wirtschaftsgefüge in Kirchheim unter Teck darstellte, blieben Landwirtschaft und Handwerk aufgrund ihrer gefestigten Traditionen als wichtige Elemente erhalten.40 Die wirtschaftliche Weiterentwicklung der Stadt zeichnete sich auch in Gerstenmaiers Familie ab. Gingen sowohl sein Großvater als auch sein Vater dem bodenständigen Handwerk eines Schreiners nach, gelang es dem Vater im Rahmen seiner Möglichkeiten Karriere zu machen. Er stieg zum Betriebsleiter des örtlichen Klavierbauers Kaim41 auf. Dies bedeutete für die Familie jedoch bei Weitem keinen Wohlstand. Sie blieb weiterhin zur substanziellen Existenzsicherung vor allem durch die Initiative des Großvater, den Gerstenmaier selbst als „biederen Handwerker“42 beschrieb, in der traditionellen Landwirtschaft verhaftet und bewirtschaftete einen Acker zur Eigenversorgung mit Kartoffeln, Dinkel und Gemüse.43 Durch die traditionellen Strukturen und 37 Zu nennen sind hier vor allem die Textilbetriebe der Firma Kolb & Schüle AG, Firma Faber & Becker und Firma Otto Leckebusch (vgl. Schwenkel, Heimatbuch, 476–488). 38 Vgl. Widmer, Kirchheim, 185–187. 39 Die Einwohnerzahlen stiegen kontinuierlich. 1834: 6042, 1885: 7987, 1905: 10300, 1933: 12417 (vgl. Schwenkel, Heimatbuch, 440 f). Obwohl in der veröffentlichten Literatur verschiedene Einwohnerzahlen auftauchen, wird immer der gleiche Trend des Bevölkerungsanstiegs ersichtlich (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 26; und Widmer-Butz, Aufbruch, 637). 40 Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt vgl. Frasch, Kirchheim, 353–439; Schwenkel, Heimatbuch, 466–515; und Widmer-Butz, Aufbruch, 599. 41 Die Firma wurde 1820 von Instrumentenmacher Franz Anton Kaim gegründet und seit 1901 in dritter Generation von der Familie Kaim geleitet. Zur Geschichte der Firma bist zur GmbH 1908 und AG 1922 und den Absatzmärkten im In- und Ausland vgl. Widmer-Butz, Aufbruch, 540 f, 607 f; und Schwenkel, Heimatbuch, 474 f. 42 Gerstenmaier, Haus, 50. 43 Vgl. ebd.

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harten landwirtschaftlichen Bodenbedingungen im Raum der Schwäbischen Alb musste Gerstenmaier schon in seiner Kindheit Verantwortung für die Versorgung der Familie mit übernehmen. Folgt man Andreas Gestrichs Ausführungen über Familienstrukturen zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, so wurde Mitarbeit der Kinder bei der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung der Felder nicht nur zu Versorgungs-, sondern auch zu Erziehungszwecken eingesetzt. „Die traditionelle christliche Vorstellung vom Kind war die des kleinen Su¨ nders. Mu¨ hsal und Arbeit waren daher auch Instrumente, seinen Eigenwillen zu brechen, was als Kernstu¨ ck jeder christlichen Erziehung angesehen wurde.“44 Dass Gerstenmaier in seiner Kindheit „schwer gearbeitet“ hatte und gute 60 Jahre später bei der Abfassung seiner Lebenserinnerungen immer noch meinte, sein „Kreuz zu fühlen“45, steht außer Frage. Es kann davon ausgegangen werden, dass Gerstenmaier vor allem durch die Arbeit auf den kargen Böden des Albvorlandes seinen Charakter in Zähigkeit und Hartnäckigkeit formte. Dass diese Charaktereigenschaften sich schon früh bei ihm ausbildeten und ihn bis ins hohe Alter prägten, lassen sich durch seine eigenen Ausführungen im Rahmen einer SFB-Fernsehsendung vom 22. Juli 1964 belegen.46 Betrachtet man die Ausprägung des kirchlichen Lebens und des religiösen Milieus in Kirchheim unter Teck, dann wird schnell ersichtlich, dass es mit seinem ehemaligen Kloster, den Kirchen und kirchlichen Stiftungen „reicher als in allen anderen Bezirksgemeinden“47 der Region zu beschreiben ist. Dies lässt sich nicht nur auf die kontinuierlich gute personelle Situation mit richtungsweisenden Theologen im evangelischen Dekanat Kirchheim unter Teck zurückführen,48 sondern vor allem auch auf die besondere Prägung der kirchlichen Frömmigkeit. Der Pietismus49 in seiner württembergischen Ausformung hatte bereits in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt in der Stadt erreicht und beeinflusste in seiner besonderen Art des

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Gestrich, Geschichte, 38. Gerstenmaier, Streit, 16. Vgl. Gaus, Staatsmann, 121. Schwenkel, Heimatbuch, 403. Die personelle Situation umfasste seit der Reformation in Kirchheim unter Teck drei Stellen: den Stadtpfarrer, der gleichzeitig auch als Dekan wirkte, und zwei Diakone (genannt: „Stadthelfer“ und „Notzinger Helfer“). Nach dreijährigen Bemühungen genehmigte der württembergische Landesherr am 11. 9. 1909 eine weitere ständige Pfarrstelle für Kirchheim unter Teck. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts leisteten folgende Dekane Dienst in der Gemeinde: 1819–1841 Jonathan Friedrich Bahnmeier; 1842–1848 Christian Gottlob Moser; 1848–1868 Karl Ludwig Weitzel; 1869–1887 Karl Theodor Wächter; 1887–1901 Karl Sixt Kapff; 1901–1909 Albert Julius Landenberger; 1909–1919 Gustav Pezold; 1920–1929 Karl Hoss; 1930–1946 Otto Martin Leube (vgl. u. a. LKAS PDK Best.-Nr. 331 a). 49 Zum Pietismus im Allgemeinen vgl. Bayreuther, Geschichte; Brecht/Deppermann/G bler/Lehmann, Geschichte (4 Bde); Brecht, Art. Pietismus, 606–631; Jung, Pietismus; und Wallmann, Pietismus.

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Altpietismus50 das kirchliche und schulische Leben entscheidend.51 Im Folgenden wird zu zeigen sein, was der Pietismus im damaligen gesellschaftlichen Leben implementierte und wie er für Gerstenmaier zu einem roten Faden in seinem jungen Leben wurde. Der Pietismus kann zweifelsfrei neben dem angelsächsischen Puritanismus52 als bedeutendste religiöse Erneuerungsbewegung des Protestantismus in Europa seit der Reformation bezeichnet werden. Er entstand im 17. Jahrhundert und entfaltete sich in den folgenden Jahrhunderten regional verschieden. Obwohl die Pietisten differenziert theologisch diskutierten und reflektierten, theologische Werke verfassten und auch an verschiedenen Universitäten lehrten,53 handelte es sich bei ihnen nicht um eine neue Richtung der Theologie, sondern eher um eine Frömmigkeitsbewegung, die eine gelebte Religiosität, einen aktiv praktizierten Glauben in der speziellen Form der praxis pietatis in das Zentrum des menschlichen Handelns stellte. Im Rahmen dieser Individualisierung und Verinnerlichung des Glaubens wurden neue Formen persönlicher Frömmigkeit und des gemeinschaftlichen Lebens entwickelt. Die Anwendbarkeit erstreckte sich nach dem Bottom-up-Prinzip von dem einzelnen Christenmenschen über die collegia pietatis, Konventikel und Stunden bis hin zur Gemeinde und sogar Gesamtkirche. Die Theologie sollte der Praxis dienen und hatte alles mit der Heiligen Schrift zu begründen. Inspiriert von Martin Luthers propagiertem „Priestertum aller Gläubigen“54 entwickelte sich der Pietismus zu einer Gemeinschafts- und Laienbewegung. Der biblischen Exegese kam dabei eine besondere Bedeutung zu: Jeder Gläubige hatte die Möglichkeit, die Bibel eigenständig auszulegen. In pietistischen Kreisen entstand in diesem Zusammenhang eine „dynamische Kraft“55, die in einem hohen religiösen Selbstbewusstsein der Gläubigen ihr Ziel hatte. Darüber hinaus legte der Frankfurter Prediger Philipp Jakob Spener 1675 mit seiner Schrift „Pia desideria“ ein Reformprogramm in sechs Punkten vor, welches die pietistischen Kernthesen in einem Konzept verarbeitete. Damit drückte Spener sein „herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche“56 aus und kritisierte radikal die kirchlichen Zustände seiner Zeit. Er benannte deutlich die biblische Verheißung für die Gläubigen und die in ihr begründete eschatologische Hoffnung. Die mit dieser Schrift begonnene Reformbewegung veränderte nicht nur das

50 Der Altpietismus ist eine Strömung innerhalb des Pietismus, bei dem als Charakteristikum eine besondere Bibelzentrierung zu finden ist. 51 Vgl. Schwenkel, Heimatbuch, 404; und Mayer, Heimatbuch, 112–132. 52 Vgl. Deppermann, Puritanismus, 11–55. 53 So bspw. August Hermann Francke in Halle und Gottfried Arnold in Gießen. 54 Zur Konzeption von Luthers „Priestertum aller Gläubigen“ vgl. Luther, Adel; und Ders., Freiheit. Zur Rezeption vgl. Voss, Gedanke. 55 Lieburg, Laienprediger, 252. 56 Spener, Pia desideria.

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kirchliche, sondern auch das öffentliche Leben in vielen Regionen Deutschlands. Sie hinterließ tiefe Spuren in Gesellschaft und Kultur. In Württemberg entfaltete sich der Pietismus besonders nachhaltig.57 „Keine andere Landeskirche wurde so intensiv und so dauerhaft pietistisch geprägt wie die württembergische.“58 Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert kann von einer engen Verzahnung von Speners pietistischen Gedanken und leitenden Ämtern innerhalb der württembergischen Kirche gesprochen werden. So nahm der Tübinger Professor und spätere Prälat Johann Andreas Hochstetter eine führende Rolle bei der Erneuerung der Landeskirche ein. Er bereitete der pietistischen Bewegung 1688 über eine Reform der Studienordnung mit einer Stärkung von Exegese und Homiletik sowie am 28. Februar 1694 durch das „Edikt betreffend die Pietisterey“ den Weg. Das durch Hochstetters Initiativen erwirkte und in der württembergischen Kirche gesicherte „Daseinsrecht“59 für den Pietismus entwickelte sich unter dem maßgeblichen Einfluss des Theologen und Staatsmannes Georg Bernhard Bilfinger weiter. Das von ihm verfasste und vom württembergischen Herzog Carl Friedrich am 10. Oktober 1743 verkündete „Generalreskript betreffend die Privatversammlungen der Pietisten“ implementierte nicht nur einen definierten Freiraum für die pietistischen Gemeinschaften innerhalb der württembergischen Kirche, sondern gestand dem Pietismus auch ein „Heimatrecht“60 zu.61 Die Konventikel bzw. die von Spener empfohlenen Erbauungsversammlungen in den Privathäusern der Gläubigen62 wurden unter anderem durch das so bezeichnete Pietistenreskript – einmalig in der Kirchengeschichte – zu einem festen Bestandteil der württembergischen Kirchenverfassung.63 Die besondere Eigenart des Pietismus in Württemberg ist insbesondere auf die Leistung der richtunggebenden Theologen Johann Albrecht Bengel, Friedrich Christoph Oetinger und Johann Christoph Blumhardt zurückzuführen. Das eschatologische Interesse an Zukunftsfragen und -hoffnungen bestimmte das theologische Denken der Zeit und radikalisierte sich zuweilen in den Formen von Chiliasmus und Spiritualismus. Die innerweltliche Verwirklichung eines tausendjährigen Gottesreiches nach Offenbarung 20, 1–14 und die lebendig erfahrbare Wirkungen des göttlichen Geistes fand unter den Württembergern verbreitete Resonanz. 57 Zu der Geschichte, den verschiedenen Strömungen und den Besonderheiten des Pietismus in Württemberg vgl. Bayreuther, Geschichte, 228–288; Brecht, Pietismus, 225–295; Holtz, Theologie; Lehmann, Pietismus; Sch fer, Heil; und Wallmann, Pietismus, 204–235. Für einen Überblick zum Forschungsstand des Pietismus in Württemberg vgl. Fritz, Pietismus, 31–43. 58 Jung, Pietismus, 26. 59 Brecht, Pietismus, Bd.1, 340. 60 Reininghaus, Religion, 165. 61 Zu den Bestimmungen und Möglichkeiten des Reskripts vgl. Sch fer, Heil, 140. 62 Zur Bedeutung und Implementierung von Erbauungsstunden und -versammlungen im württembergischen Pietismus vgl. Breymayer, Mit dem Herzen, 354–367. 63 Vgl. Wallmann, Pietismus, 204.

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Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass der Pietismus auch in Kirchheim unter Teck die Grundlagen des religiösen und gesellschaftlichen Lebens bildete.64 Die Bevölkerung war zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit etwa 9000 Menschen in der Gemeinde überproportional evangelisch geprägt.65 Die gelebte Frömmigkeit des Pietismus war allgegenwärtig und bestimmte den gesellschaftlichen Geist. Dies lässt sich nicht nur im kirchlichen Raum, sondern inmitten der Familienstrukturen belegen. Vor allem die Vornamen von Gerstenmaiers Eltern (Albrecht Gottlob und Gottlobin Albertine Rosine) unterstreichen die pietistische Prägung und religiöse Verwurzelung der Familie. Auch die Tatsache, dass Gerstenmaier 22 Tage nach seiner Geburt am 16. September 1906 durch den zweiten Stadtpfarrer Karl Hoss in der Kirche St. Martin, dem Mittelpunkt des kirchlichen Lebens in Kirchheim unter Teck, getauft wurde, zeigt die traditionelle Verhaftung der Familie im religiösen und kirchlichen Milieu. Als Taufzeugen benannten die Eltern den Kaufmann Friedrich Wilhelm Lauffer66 und die aus Stuttgart stammende Elisabeth Hohl.67 Gemeinsam nahmen diese mit den Eltern stellvertretend für den jungen Gerstenmaier Gottes Zusage und uneingeschränkte Liebe als Geschenk durch die Taufe an. Mit diesem Bekenntnis verpflichteten sie sich, den Getauften an religiöse Rituale und Traditionen heranzuführen sowie dafür Sorge zu tragen, dass er in den christlichen Glauben hineinwächst. Die Erziehung des Heranwachsenden oblag jedoch den Eltern als primären Sozialisationsagenten. In ihrer Verantwortung lagen die Erziehungsmethoden, welche im pietistischen Württemberg stark von der Pädagogik August Hermann Franckes68 inspiriert waren. In Franckes Verständnis drückte sich die Erbsünde des Menschen im Beharren auf seinem Eigenwillen aus. Um sich davon zu befreien, müsse sich der Mensch Gottes Willen vollständig unterwerfen. Die zeitgenössische evangelische Erziehungslehre setzte unter anderem durch Franckes Impulse die Überzeugung um, den natürlichen Eigenwillen des Heranwachsenden zu brechen, um ihn für Gottes Gnade 64 Dies belegen unter anderem die sittlich-moralischen Gemeindebeschreibungen der jeweiligen Dekane und auch die entsprechenden Visitationsberichte aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (vgl. Widmer-Butz, Aufbruch, 569–637). 65 Vgl. Schwenkel, Heimatbuch, 521. Andere Zahlen zeigen, dass ca. 95 Prozent der Kirchheimer Bevölkerung evangelischen Glaubens waren (vgl. Widmer-Butz, Aufbruch, 637). 66 Friedrich Wilhelm Lauffer war Gerstenmaiers Onkel mütterlicherseits. Er hatte einige Jahre lang in Westafrika eine Faktorei geleitet und weckte durch zahlreiche Erzählungen und auch mitgebrachte Trophäen Gerstenmaiers bis ins hohe Alter nicht mehr abbrechendes Interesse für Afrika (vgl. Gerstenmaier, Streit, 17). 67 Vgl. Taufbuch 1906, Dekanatsarchiv Kirchheim/Teck; und EZA 2/P14,7. 68 Zur pädagogischen Konzeption Franckes im Rahmen seiner Hauptschrift „Kurtzer und Einfältiger Unterricht. Wie Die Kinder zur wahren Gottseligkeit und Christlichen Klugheit anzuführen sind“, die im Fortfolgendem als Traditionsquelle Grundlage ist, vgl. Francke, Unterricht, 46–112. Zum allgemeinen Wirken und zur Pädagogik Franckes vgl. Brecht, Francke, 440–539.

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empfänglich zu machen. Francke verstand unter dem Brechen des natürlichen Eigenwillens freilich nicht die „Unterdrückung der Individualität des Kindes“ durch körperliche Züchtigungsmaßnahmen – wie es in der pädagogischen Geschichte des Pietismus oft falsch verstanden wurde69 –, sondern vielmehr den theologischen Sinn dieser Aussage, nämlich „die Selbstmächtigkeit des Menschen gegenüber Gott“70. Wirkmächtig wurde dies in der Äquivalenz von Gottes Liebe und der vom Heiligen Geist geschaffenen Liebe des Menschen zu Gott, die nach Francke der Eigenliebe des Menschen fern blieb. Demnach vermittelte sich Gottseligkeit in der Form der Gemeinschaft mit Gott als Ziel des Menschen am gelungensten, wenn die Erziehenden dem Heranwachsenden ein positives Beispiel ihres Seins gaben, katechetische Unterweisung schon in der frühen Kindheit einsetzten und mit dem Kind liebevoll christliche Verhaltensweisen einübten. An dieser Stelle wird deutlich, welchen wichtigen Einfluss die primären Sozialisationsagenten im Rahmen der religiösen Sozialisation auch in Franckes Ansatz hatten. Im Haushalt Gerstenmaier übernahm Mutter Albertine traditionell den Hauptanteil des elterlichen Erziehungsauftrages.71 Sie formte durch ihren Glauben und ihr daraus resultierendes Handeln – ganz in der Strenge des württembergischen Pietismus und auch in Franckes pädagogischen Ansätzen verwurzelt – Gerstenmaiers frühes Weltbild, erzog ihn zu Selbstdisziplin und Sparsamkeit und machte ihn mit den Wertmaßstäben des Pflichtgefühls und der Ehrbarkeit vertraut. Den von Francke herausgestellten Haupttugenden der Liebe zur Wahrheit, Gehorsam und Fleiß fühlte sich Albertine Gerstenmaier in ihrer Erziehung verpflichtet. Lügen und Müßiggang hatten keinen Platz dabei. Die fleißige und für Gerstenmaier oft so harte Mitarbeit in der Landwirtschaft wurde – wie es auch Francke beschrieb – als zum Menschsein gehörig betrachtet. Sie diente jedoch nicht allein der „Daseinserhaltung, sondern der Ehre Gottes sowie dem Nutzen des Nächsten“72. Daher gilt sie nicht – wie Gestrich beschrieb – als Mittel zum Brechen des Eigenwillens,73 sondern vielmehr als Frucht des Glaubens und ist so auch im pietistischen Gedankengut verankert. Auf dieser Grundlage bildete Albertine Gerstenmaier für ihren Sohn nicht nur einen „ethischen Maßstab“74, sondern gab durch ihr sanftmütiges Wesen auch dem gesamten Haushalt „Frieden und Wärme“75. Sie sorgte dafür, dass es dem jungen Gerstenmaier „jedenfalls in geistiger und in seelischer Hinsicht“ an „überhaupt nicht[s]“76 fehlte. Die enge Bindung und 69 Vgl. Welp, Willensunterweisung; und Schellenberg, Pietismus, 17–38. 70 Brecht, Francke, 490. 71 Zum Rollenbild der Frau und Mutter im pietistischen Württemberg zwischen Frömmigkeit und Lebenspraxis vgl. Gleixner, Pietismus, 271–310. 72 Brecht, Francke, 491. 73 Vgl. Gestrich, Geschichte, 38. 74 Gespräch des Autors mit Cornelia Irena Gerstenmaier (Oberwinter) am 28. Februar 2014. 75 Gerstenmaier, Haus, 53. 76 Gross, Gespräch, 16.

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innige Beziehung zu seiner Mutter lässt sich mit der brieflichen Korrespondenz, die Gerstenmaier mit ihr während seines Studiums und seiner ersten Arbeitsjahre in Berlin führte, eindrücklich belegen.77 Ähnlich wie von seiner Mutter wurde der Heranwachsende von deren Mutter, seiner Großmutter Christiane Gottlobin Lauffer geprägt, die dadurch eine ebenso entscheidende Rolle im Rahmen seiner Primärsozialisation einnahm. Auch bei ihrem Vornamen lässt sich die pietistische Verwurzelung feststellen. Gerstenmaier beschrieb sie als eine „fromme Frau“, als die „Zuflucht meiner schwäbischen Kindheit“78. Sie trat durch ihre Eigenart und ihr Handeln als Protagonistin seiner religiösen Sozialisation auf, indem sie dem Heranwachsenden nicht nur Beispiel und Auskunft bei zentralen Lebensfragen gab, sondern ihn auch in das Thema einführte, das sein späteres Leben prägen sollte.79 Sie weckte sein Interesse an der Welt der Bibel und führte ihn in die traditionelle Religiosität des Pietismus praktisch ein. Damit folgte sie ebenso der Pädagogik Franckes, der die Bibel als sola scriptura ganz im Zentrum der pietistischen Unterweisung sah. Eine „dicke alte Bilderbibel“80 diente im Hause Gerstenmaier neben einer Lesebibel der Großmutter für den Heranwachsenden zunächst zur haptischen und später zur kognitiven Vergegenwärtigung der Geschichten des Alten und Neuen Testamentes. Das Kind sollte nach Francke besonders mit dem Evangelium konfrontiert werden, dies möglichst auch selbst lesen können sowie die Fähigkeit entwickeln, die Geschichten und Erfahrungen aus der Schrift auf sich selbst zu beziehen. Francke wies ebenso der heimischen Gebetspraxis einen hohen Stellenwert zu. Die Erziehenden sollten mit den Heranwachsenden andächtig das Beten einüben und die Fähigkeit schulen, eigene Gebete zu artikulieren.81 Vermutlich nahm Großmutter Lauffer für den jungen Gerstenmaier genau diese Rolle ein. Die Neugier und Freude daran schlug sich bei ihm in einer aktiv emotionalen und gedanklichen Verarbeitung der praktizierten Religiosität auf seiner persönlichen Ebene nieder. Die Auswirkungen auf seine religiösen Deutungs- und Handlungsdispositionen lassen sich vor diesem Hintergrund in der im Pietismus oft zu findenden Differenz zwischen Gottesfurcht und Gottvertrauen beschreiben. Der regelmäßige Gottesdienst- und Stundenbesuch – vermutlich vor allem in Begleitung der Großmutter –, die vermittelte Gebetspraxis und die spätere eigenständige Lektüre der Bibel schufen bei ihm bereits in jungen 77 Vgl. die familiäre Korrespondenz (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Über den frühen Tod seiner Mutter bestürzt, hielt Gerstenmaier trotzdem ihre Grabrede. Er legte eine Stelle aus dem 2. Kor aus und fasste dabei die Beziehung zu seiner Mutter in einem Satz zusammen: „Wenn ich sagen soll, was meine Mutter für uns, für mich lebenslang bedeutet hat, so kann ich sagen, daß Gott uns mit ihr einen hellen Schein ins Herz gegeben hat.“ (Gerstenmaier, Streit, 105). 78 Ebd., 17. 79 Vgl. Brauer, Bibel, 350 f. 80 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 17. 81 Vgl. Brecht, Francke, 491.

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Jahren nicht nur ein festes Fundament des Glaubens, sondern auch eine selbstverständliche religiöse Lebensdeutung auf der Grundlage der erworbenen Kompetenzen. Die in seiner engeren und weiteren Familie82 sowie seinem gesamten gesellschaftlichem Umfeld manifestierte, fromme, biblizistisch und heilsgeschichtlich orientierte Prägung der Theologie des württembergischen Pietismus bestimmte somit seine kindlichen Denk- und Verhaltensweisen entscheidend. „Überlege ich’s mir recht, so war für meine Kinder- und Jugendjahre die Lage meines Elternhauses so wichtig wie das Haus selbst.“83 Aus diesem Satz Gerstenmaiers lässt sich einerseits die enge emotionale Bindung des Heranwachsenden an sein Elternhaus mit all seinen Bewohnern erkennen, andererseits wird darin jedoch auch ein weiterer Aspekt deutlich, der in seiner Kindheit eine für ihn wichtige Rolle spielte: Die Nähe des Hauses in der Au zu den Bächen Lauter und Landach eröffneten ihm viele Möglichkeiten. Erkundungs- und Entdeckungstouren, bei denen die Jagd nach Stichlingen und Weißfischen für die eigenen Aquarien sowie die Suche nach versteinerten Fossilien im Schiefer im Mittelpunkt standen, prägten seine Kindheit. Auch wenn die damalige Freizeitgestaltung aufgrund der schon zahlreichen Verpflichtungen des Heranwachsenden begrenzt war, so genoss er die Touren ausgiebig und mit kindlicher Leidenschaft.84 Da die junge Familie sehr schnell wuchs und Gerstenmaier bald der älteste von acht Geschwistern war,85 musste er schon früh – seit dem Tod von Großvater Lauffer 1912, spätestens jedoch seit der Konskribierung seines Vaters – lernen, sich für die Familie mit zu engagieren. Der Erste Weltkrieg bildete für den Heranwachsenden die erste Zäsur seiner behüteten Kindheit. Bereits am 31. Juli 1914 wurde der Kriegszustand unter Trommelschlägen in Kirchheim unter Teck bekannt gemacht.86 Auch wenn der kaum achtjährige Gerstenmaier die anfängliche Euphorie, die das ganze Deutsche Reich ergriff und sich vielerorts in spontanen Kundgebungen sowie feierlichen Gottesdiensten ausdrückte, nicht zu fassen und einzuordnen vermochte, so verstand er, dass nun Krieg war.87 Im Blick auf die Rolle der evangelischen Landeskirchen zu dieser Zeit ist festzustellen, dass sie die anfänglichen Kriegseuphorien des Deutschen Reiches unterstützten. Auf der Grundlage des landesherrlichen Kirchenregimentes und aus der daraus re82 Gerstenmaier beschrieb bspw. den pietistischen Einfluss seines Onkels Karl als „außerordentlich“ auf ihn. Seine eiserne Disziplin, seine Güte und Frömmigkeit, die ihn zum „vorbildlichen Jünger Jesu“ machten, faszinierten ihn (Gerstenmaier, Streit, 23). 83 Gerstenmaier, Haus, 50. 84 Vgl. ebd., 50–52. 85 Hermann (*4. 3. 1908), Ruth (*19. 8. 1909), Hanna (*15. 9. 1911), Walter (*17. 1. 1914), Maria und Albrecht (*12. 12. 1917), Gerhardt (*12. 11. 1919) (vgl. Kirchliches Familienregister, VIII. 644, Dekanatsarchiv Kirchheim unter Teck). 86 Vgl. Der Teckbote, 1. August 1914. 87 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 15.

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sultierenden engen Verbindung von Thron und Altar ist die Haltung der evangelischen Landeskirchen vor und während des Krieges freilich vor diesem Hintergrund zu sehen. Die kirchliche Identifikation mit dem nationalen Staat – in der Form des politischen Systems des deutschen Kaiserreiches – offerierte ein religiöses Pflichtbewusstsein zum gottgewollten Einsatz und zur Verteidigung von Heimat, Nation und Volk. Zahlreiche Theologen und Pfarrer beider Konfessionen beschworen unter dem Ruf „Gott ist mit uns“ die religiöse und auch politische Geschlossenheit des Kaiserreiches. Sie propagierten den bevorstehenden Krieg und proklamierten den zu erringenden Sieg als gerechtes Werk Gottes.88 Wolfgang Mommsen konstatierte in diesem Zusammenhang zutreffend, dass „nationales Sendungsbewußtsein und christlicher Glaube […] gerade in der Anfangsphase eine Symbiose ein[gingen]“89. Diese Symbiose spiegelt sich auch im Handeln der staatlichen und kirchlichen Institutionen im liberal-konservativ geprägten Kirchheim unter Teck wider.90 Nachdem sich der württembergische König Wilhelm am 2. August 1914 leidenschaftlich an seine Soldaten wandte und dem Kriegszustand die Mobilmachung folgen ließ, stimmten in Kirchheim unter Teck Regierungsrat Wilhelm Gauger und Dekan Gustav Pezold gemeinsam auf den Krieg ein und appellierten an die karitative Opferbereitschaft der Bevölkerung: „So braucht man wohl nun zu aller erst waffenstarrende, tatendurstige Männer für den Kampf, aber auch offene, mildtätige Hände für alle Nöte und Bedürfnisse. […] So ergeht dann an die Bewohner jeden Alters, Geschlechts und Standes von Stadt und Amt, […] die herzliche Bitte, von Haus zu Haus beizusteuern […].“91

Die Stadtverwaltung versprach darüber hinaus, dass die materielle Versorgung von Familien, deren Männer Kriegsdienst leisteten, durch die Kommune und Privatspenden gewährleistet sei. In Kirchheim unter Teck müsse niemand darben und Not leiden.92 Es ist zu vermuten, dass auch Familie Gerstenmaier in diesem Rahmen von der Stadt unterstützt wurde. Ganz pragmatisch versuchten vor diesem Hintergrund Kirche, Stadt, Verbände und Kriegswohlfahrtspflege zusammenzuarbeiten, um gemeinsam auf der einen Seite die schwerer werdende Versorgungslage der Bevölkerung samt der daraus entstehenden Lebensmittelrationierungen zu organisieren und auf der anderen Seite den Menschen Mut zu machen. Als die Stadt jedoch wenige Wochen danach mit der harten Realität des Krieges konfrontiert wurde und sich her88 Zu der kirchlichen Legitimation des Krieges und der entsprechenden Kriegspropaganda in und außerhalb der Kirche vor und während des Ersten Weltkriegs vgl. Brakelmann, Kriegstheologie; Hammer, Kriegstheologie; Meier, Kirche, 691–724; und Pressel, Kriegspredigt. 89 Mommsen, Umdeutung, 250. 90 Zur politischen Willensbildung in Kirchheim unter Teck vgl. Widmer, Kirchheim, 174–177. 91 Kilian, Weltkrieg, 661 f. 92 Aus einem Bericht von Gemeinderat Otto Ficker geht hervor, dass im Dezember 1914 bereits 252 und im Dezember 1915 schon 384 Familien unterstützungsbedürftig waren (vgl. Kilian, Weltkrieg, 662).

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ausstellte, dass es keine schnellen Entscheidungen an den Fronten wie 1870/71 geben würde, änderte sich die anfängliche Euphorie.93 Wurden die ersten Siege noch mit Dankgottesdiensten und Fackelzügen gefeiert, verstummte dieser Jubel mit der Ankunft der ersten Verwundeten am Bahnhof in Kirchheim unter Teck. Auch Gerstenmaier erinnerte sich an jenen 6. September 1914, als der erste Zug eintraf und die Bevölkerung mit Blumen in den Händen vor einem als Reservelazarett hergerichteten Fabrikneubau hoffnungsvoll, fast feierlich, wartete, um die Männer zu empfangen. Auf die brutalen und durchgebluteten Verletzungen sowie die Apathie der Verwundeten schien allerdings niemand vorbereitet gewesen zu sein.94 Die Gemeinde reagierte mit allwöchentlichen Kriegsbetstunden in der Kirche zu St. Martin, um für die Männer im Feld zu bitten, der Gefallenen zu gedenken und den Einwohnern der Stadt Hoffnung zu geben. Dort hielt vermutlich auch Gerstenmaier Fürbitte für seinen – nunmehr zum Kriegsdienst einberufenen – Vater und seine Onkel.95 Obwohl sein Vater unversehrt aus dem Krieg zurückkehren konnte, verlangte die Kriegs- und Nachkriegszeit von dem jungen Gerstenmaier einen erheblichen Einsatz für die Versorgung der Familie.

1.3 Jugendbewegung und religiöse Befreiung Über die erbitterten vier Jahre des Ersten Weltkrieges samt Hunger und Ungewissheit hinaus stand der mittlerweile jugendliche Gerstenmaier auch in der Nachkriegszeit nicht nur vor der Herausforderung „den Pfennig [zu] ehren – im Widerstand gegen die Not“96, sondern lernte zu dieser Zeit die auch in Kirchheim unter Teck stark vertretene Jugendbewegung kennen. Sie wurde für ihn zu einer „großartige[n] Erfahrung“97 und beeinflusste sein junges Leben entscheidend. Doch was versteht man aus heutiger Perspektive unter dem geläufigen Terminus der Jugendbewegung und wie konnte diese auf Gerstenmaier einen derartigen Einfluss nehmen, dass sich seine in der Primärsozialisation manifestierten Wertmaßstäbe in einem solchen Maße veränderten, dass in diesem Zusammenhang gar von einer religiösen Befreiung seines bis dahin gefestigten Weltbildes gesprochen werden kann? Im Folgenden wird weniger die Vielfalt der einzelnen Gruppen und Bünde in ihrer Genese, ihren Zusammenschlüssen und Spaltungen nachgezeichnet, sondern vielmehr ein skizzenhafter Blick auf die Jugendbewegung als solche samt ihren 93 Vgl. ebd., 666. 94 1467 Männer wurden in Kirchheim unter Teck zum Kriegsdienst eingezogen. Bis zum Ende des Krieges erreichte 284 Familien die Todesnachricht von gefallenen Ehemännern und Söhnen. Fast jeder Fünfte verlor auf dem ,Felde der Ehre‘ sein Leben (vgl. ebd., 669). 95 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 15 f. 96 Ebd., 18. 97 Gross, Gespräch, 16.

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jugendbewegten Erlebnis- und Erfahrungsbereichen geworfen. Dieser Blick soll auf der einen Seite ein grundlegendes Verständnis dafür vermitteln, warum die Jugendbewegung „ohne Zweifel […] zu den faszinierendsten pädagogischen Ereignissen“98 des 20. Jahrhunderts zählte. Auf der anderen Seite wird Gerstenmaiers Interesse an und Engagement innerhalb der Jugendbewegung vor diesem Hintergrund gespiegelt sowie seine Rolle und Entwicklung innerhalb der verschiedenen jugendbewegten Strukturen hinterfragt. Das Phänomen der Jugendbewegung wurde im ausgehenden 20. Jahrhundert ausgiebig erforscht.99 Trotz der Breite und Tiefe des Forschungsstandes kann die Jugendbewegung noch immer als eine „ideengeschichtlich und demographisch diffuse Erscheinung, die […] nur schwer auf einen Nenner zu bringen ist“100, bezeichnet werden, da in ihr zahlreiche zeithistorische Gegebenheiten unter dem Einfluss von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklungen zusammenlaufen. Die ersten Vorstufen der späteren Jugendbewegung lassen sich bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts finden.101 In der sogenannten Wilhelminischen Epoche standen die sprunghafte Entwicklung der Industrie, Technik und Wissenschaft mit ihren diversen Begleiterscheinungen den gesellschaftlichen Lebensformen und den – in den sozialen Strukturen der alten Klassengesellschaft verhafteten – Wert- und Verhaltensmustern diametral gegenüber. Diese Disparität war mit den unterschiedlich geäußerten Ansprüchen schwer in Einklang zu bringen. Vor allem das mittelständige Bürgertum bekam dies am „fühlbarsten zu spüren“102, indem es einerseits durch die Technisierung und Industrialisierung überfordert wurde und seine alte Identität verlor, andererseits vermochte es sich nicht aus „eigener Kraft auf die neue Situation einzustellen und geriet in eine Defensivhaltung, die es in einem Verzweiflungsakt umso blinder an den alten Werten festhalten ließ.“103 Dieses spannungsreiche Verhältnis konkretisierte Erik H. Erikson in einem Rückgriff auf Max Weber mit einer nicht erfolgten bürgerlichen Übernahme von zum Teil aristokrativen Privilegien und Idealen, wie es in anderen westlichen Nationen durch demokratische Revolutionen und die Forderungen nach Freiheit gelungen war. Diese Entwicklung bekam vor allem die junge Generation in den auf sie wirkenden 98 Rosenbusch, Jugendbewegung, 11. 99 Die Jugendbewegung wurde vor allem in den 1970er bis 90er Jahren unter zeitgeschichtlichen, soziologische, pädagogischen, theologischen und psychologischen Aspekten gedeutet. Einen Forschungsüberblick, eine Auflistung bereits erforschter und noch zu erforschender Bestände und Nachlässe sowie einen Einblick in aktuelle Projekte gibt das Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein (vgl. Archiv der deutschen Jugendbewegung). 100 Knoll, Typisch, 15. 101 Zu den gesellschaftlichen und sozialhistorischen Voraussetzungen für das Entstehen der Jugendbewegung samt ihrer Geschichte vgl. Kindt, Jugendbewegung, 3 Bde; Barth, Jugend; Knoll, Typisch, 11–33; und Rosenbusch, Jugendbewegung, 15–38. 102 Rosenbusch, Jugendbewegung, 18. 103 Ebd.

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bewussten und unbewussten Erziehungsweisen zu spüren. „Der durchschnittliche (deutsche) Vater repräsentierte nur zu oft die Gewohnheiten und die Ethik des Oberfeldwebels oder eines kleinen Beamten, der – in ein wenig kurz währende Autorität gekleidet – nie mehr sein würde, hingegen ständig in Gefahr stand, weniger zu werden.“104 Der von Fritz Stern geprägte Terminus des Kulturpessimismus105 umfasst jenes schier unauflösbare Dilemma zwischen der Unsicherheit des Bürgertums durch die modernen Ausformungen des Liberalismus, Materialismus und Industrialismus auf der einen Seite und dem zunehmend überhöhten Autoritätsanspruch des wilhelminischen Regimes auf der anderen Seite.106 Das Idealbild einer gefestigten Ordnung schien oberste Priorität zu haben. Es wurde jedoch gleichzeitig von den zeitgenössischen Anforderungen und Gestaltungsansprüchen in Frage gestellt. Die Entstehung der Jugendbewegung ist nun genau vor diesem Hintergrund zu fassen. Arno Klönne wertete sie als „Ausdrucksmöglichkeit gesellschaftlich situationsbedingter Probleme“ der jungen Generation, vor allem aber auch im Blick auf die Vielschichtigkeit der Bewegung „als Symptome der Verunsicherung oder Erschütterung bisher vorherrschender Werte und des Auftretens oder Geltungsanspruchs neuer normativer Orientierung, mitunter auch als Vorboten oder Vehikel der Reformulierung oder Radikalisierung tradierter Gesellschaftsbilder.“107 Winfried Mogge präzisierte in seiner Forschung gar das Bedürfnis junger Menschen nach jugendbewegten Strukturen als bewusste und gemeinsame „Antihaltung gegen die Starrheit der wilhelminischen Gesellschaft, gegen ,Bürger- und Verbindungsmief‘, gegen die Erziehungsnormen der Welt der ,Alten‘“108. Der Begriff der Jugendbewegung umfasst auf dieser Grundlage all jene Gruppierungen und Lebensformen, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vor allem im deutschsprachigen Raum – ausgehend von einer Gemeinschaft aus Schülern und Studenten bürgerlicher Herkunft in Berlin/ Steglitz – unter der Bezeichnung „Wandervogel“ entwickelt haben.109 Die Entstehung der Bewegung wird in dem Gegensatz zwischen der beschriebenen fortschreitenden Industrialisierung Deutschlands und einer Loslösung der Jugendlichen von den engen Vorgaben ihres schulischen und gesellschaftlichen Umfeldes greifbar. Die Ideale der Romantik und die Vorstellungen eines mittelalterlichen Scholarentums dominierten die 1901 gegründete erste jugendbewegte Organisation der Wandervögel ebenso stark wie eine Hinwendung zum freien Naturerleben. Die Gruppe wuchs schnell, spaltete und ver104 105 106 107 108 109

Erikson, Kindheit, 327 f. Vgl. Stern, Kulturpessimismus. Vgl. Rosenbusch, Jugendbewegung, 16–18. Klçnne, Art. Jugendbewegung, 423. Mogge, Seit’, 40. Zur Geschichte der Jugendbewegung zwischen Wandervogel, Bündischer Jugend und HitlerJugend vgl. Hellfeld, Jugend; Giesecke, Wandervogel; und Gçtz von Olenhusen, Jugendreich.

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einte sich zu einer kaum mehr zu überblickenden Zahl meist kleiner Gemeinschaften. Immer neue Zusammenschlüsse und Bünde entstanden, sodass die damit gewachsene spezifische Jugendkultur als „historisch einmalig und als Hervorbringung einer besonderen deutschen Gesellschafts- und Geistesgeschichte“110 bezeichnet werden kann. Joachim H. Knoll und Julius H. Schoeps stellten im Resümee einer Tagung111 pointiert fest, dass man den Geist und das Lebensgefühl der Jugendbewegung nur in Erfahrung bringen könne, wenn man sich den Charakteristika zuwende, die sich aus Natur, Erlebnis, Lagerfeuer und Beisammensein der Altersgleichen zusammenfügen. Jugendbewegung sei „über den Lebenszusammenhang stets auch Lebensgemeinschaft geworden“112. Dass sich die Bewegung betont individualistisch gab, zeigte sich vor allem im Rahmen des ersten Freideutschen Jugendtages im Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner113 in Nordhessen. In der sogenannten Meißnerformel artikulierten die Führer der Jugendbewegung klar ihren Standpunkt: „Die Freideutsche Jugend will ihr Leben nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.“114 Freilich ist die „Manifestation dieses ,neuen Jugendwillens‘“115 in der für die Bewegung grundlegend gewordenen Formel mehrdeutig vor dem Hintergrund der jugendbewegten Bedürfnisse zu interpretieren: Sie belegt auf der einen Seite die eigenbestimmte Forderung der jungen Generationen nach mehr Autonomie. Die Konzeption der normgesteuerten Bevormundung durch die Erwachsenenwelt sollte dem Anspruch einer neuen jugendlichen Bewusstheit und Eigenwertigkeit in Eigenerziehung und Eigenverantwortlichkeit weichen.116 Auf der anderen Seite kann die Formel als klare Kampfansage der Bewegung gegen die Gesellschaftsauffassung der damaligen Zeit gewertet werden, aus der sich eine politische Philosophie mit „antiaufklärerischen, antiliberalen und nationalistisch-völkisch“ gestimmten Wertmaßstäben entwickelte, die sich in ihrer Selbstbetrachtung „als ,konservativ-revolutionär‘ definierte“117. Der Erste Weltkrieg hatte eine „wesentliche Zäsur“118 in der Jugendbewegung zur Folge. Durch den Kampf, die Niederlage und die Revolution blieb wenig Raum für jugendbewegte Entfaltung, sodass sich nach dem Krieg we110 Klçnne, Art. Jugendbewegung, 423. 111 Gemeint ist die 29. Jahrestagung der Gesellschaft für Geistesgeschichte vom Herbst 1986 in der Evangelischen Akademie Mühlheim/Ruhr zum Thema „Logos und Eros. Zur Phänomengeschichte der Jugendbewegung“. 112 Knoll/Schoeps, Typisch, 7. 113 Zum „Fest der Jugend“ auf dem Hohen Meißner vgl. Mogge/Reulecke, Hoher Meißner. 114 Ziemer/Wolf, Wandervogel, 443; und Kindt, Dokumentation, Bd. 2, 495. 115 Mogge, Seit’, 40. 116 Vgl. Schrçder, Leitbegriffe, 11. 117 Klçnne, Art. Jugendbewegung, 424. 118 Schrçder, Leitbegriffe, 12.

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niger das Selbstverständnis, sondern vor allem die Ausrichtung und Aufstellung der Bewegung an sich veränderte.119 Mit der Forderung der jugendlichen Führungskreise, dass man neu anfangen müsse,120 verband sich auch eine engere Verknüpfung mit der kirchlichen Jugendarbeit, die als sogenannte Jugendpflege ebenso ihren Ursprung in der Industrialisierung nahm. Dem damit einhergehenden sozialen Wandel und der darin liegenden Verunsicherung traditionellen kirchlichen Denkens und Lebens versuchte man bewusst religiöse Freizeitbetreuung, sozialpflegerische Tätigkeit und neue Formen christlicher Bildung entgegenzusetzen, die die Integrationsfähigkeit der Kirchen in einer sich zunehmend säkularisierenden Welt erhalten sollten.121 Die Wurzeln der kirchlichen Jugendarbeit sind in ihrer ältesten Tradition jedoch auf den Pietismus zurückzuführen und mit den Leistungen August Hermann Franckes und Ernst Gottlieb Woltersdorfs für die organisierte Jugenderziehung eng zu verbinden.122 Spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges kann von einer klaren Trennung zwischen kirchlicher Jugendarbeit und profaner Jugendbewegung nicht mehr gesprochen werden. Der Begriff der Jugendbewegung umfasste zunehmend jegliches selbständige Agieren junger Menschen, ob religiös oder nicht. Er integrierte alle Gruppen unter einem Dach. Dieser Symbiose entsprang für die kirchliche Jugendarbeit ein erheblicher Zugewinn an jugendlicher Partizipation sowie eine Erweiterung des christlichen Gruppenlebens. Mit der Aneignung jener sozialen Kompetenzen und Möglichkeiten verband sich jedoch auch eine indirekte Übernahme der jugendbewegten Ideologie, ihrer konservativ-revolutionären Ideale von Selbsterziehung und -bestimmung, die unter anderem zu antidemokratischen Lösungsansätzen der gesellschaftlichen Herausforderungen tendierten und teilweise in den ideologischen Vorraum des Nationalsozialismus führten.123 Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Jugend in ihren eigenen Organisationsformen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, spätestens jedoch seit dem Fest auf dem Hohen Meißner, als wesentlicher und bedeutender Bestandteil der deutschen Gesellschaftsgeschichte betrachtet werden kann. Das Phänomen der Jugendbewegung entfaltete sich auch in Gerstenmaiers schwäbischer Heimat. Religiöse Gruppierungen von Jugendlichen hatten 119 120 121 122

Vgl. ebd., 13–35. Vgl. Helwig, Blume, 252. Vgl. Klçnne, Art. Jugendbewegung, 424. Zur Geschichte der evangelischen Jugendarbeit vgl. Eysholdt, Jugendarbeit, 13–449; Brandenburg, Anfänge; und Deresch, Jugendarbeit, 39–60. 123 Partielle Überschneidungen der deutschen Jugendbewegung mit der aufkommenden nationalistischen Ideologie lassen sich durch eine schwierige Mischungen aus nationalgeschichtlich überformten christlichen Werten und politischen Mythen feststellen. Dies wurde vor allem in der Zusammenfügung der Leitbilder „Jugendreich – Gottesreich – Deutsches Reich“ oder in Leitsätzen wie „Alles für Deutschland, Deutschland für Christus“ offenkundig (vgl. Klçnne, Art. Jugendbewegung, 424 f). Für die weiteren Überschneidungen von Jugendbewegung und Nationalsozialismus vgl. Gçtz von Olenhusen, Jugendreich.

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in Kirchheim unter Teck eine lange Tradition. Nach den Beschreibungen von Prälat Paul Pfizenmaier waren „Bubenstunden auf dem Boden pietistischer Gemeinschaften“124 die erste Art von freien Zusammenkünften junger Menschen. Eine solche Gruppe lässt sich erstmals 1734 in der Stadt nachweisen.125 Unter der Leitung des zweiten Stadtpfarrers Johann Philipp Sigel von Kirchheim unter Teck trafen sich „Sonntag vormittags nach dem Gottesdienst“126 anfänglich Jungen auf die Dauer von einer Stunde, um über die Predigt zu sprechen und Gemeinschaft über den Gottesdienst hinaus zu haben. Die Arbeit mit jungen Menschen in den sogenannten Bubenstunden entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte unter anderem über Gesprächskreise für Männer oder Frauen,127 eine „Gesellschaft für Ledige“ sowie einem „evangelischen Jünglingsverein“128 in Kirchheim unter Teck weiter und mündete 1905 in der Gründung einer Ortsgruppe129 des „Christlichen Vereins junger Männer“ (CVJM).130 Mit diesem Schritt verband sich nicht nur die Loslösung der evangelischen Jugendarbeit aus der Regionalität hin zu einer Öffnung bzw. einem Anschluss an die international agierende, bereits 1844 in London entstandene YMCA-Bewegung,131 sondern auch die Bündelung verschiedenster lokaler Gruppen und Gemeinschaften von evangelischen Jugendlichen in einem Verband, von dem wiederum eine Untergliederung in diverse Aktions- und Gruppenformen ausging. Die Gründung des CVJM in Kirchheim unter Teck trug einen wichtigen Anteil an der ideellen Auseinandersetzung und organisatorischen Implementierungen der evangelischen Jugendarbeit innerhalb der aufkommenden landesweiten Jugendbewegung.

124 125 126 127

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Sorg, Ernte, 46. Vgl. Hermann, Geschichte, 13; und Schwenkel, Heimatbuch, 404. Erb, CVJM, 121. Dekan Jonathan Friedrich Bahnmeier bot in Kirchheim unter Teck bereits an Sonntagabenden in seinem Haus Gesprächskreise für junge Männer und Frauen im Wechsel getrennt an. Hier wurden ganz im pietistischen Sinne biblische und historische Geschichten erzählt und auf das aktuelle Leben angewandt (vgl. Widmer-Butz, Aufbruch, 574). Dekan Karl Theodor Wächter schrieb 1870 in einem Gemeindebericht: „Die […] Jugend ist zu Ausgelassenheit geneigt und zeigt nicht viel Anstandssinn und christlichen Ernst.“ Doch nach Wächter gebe es auch Ausnahmen, die „christliche Elemente zu sammeln“ zu versuchten. Hier beschrieb er die Rolle des evangelischen Jünglingsvereins samt ihres Jünglingssaals für die nach seiner Meinung nach richtige Erziehung der Jugend als bedeutend (Widmer-Butz, Aufbruch, 632). Am 27. November 1905 erfolgte die Eintragung beim Amtsgericht ins Vereinsregister als „Christlicher Verein junger Männer“ (vgl. Erb, CVJM, 137). Zur Geschichte der evangelischen Jugendarbeit in Kirchheim unter Teck vgl. Erb, CVJM, 121–164. Die von George Williams gegründete „The Young Men’s Christian Association“ verfolgte das Ziel, jungen Männern eine Glaubens- und Lebensorientierung nach christlichen Wertmaßstäben zu geben. Die Organisation wurde in den Folgejahren zu einer weltweiten christlichen Bewegung für junge Männer (vgl. Kupisch, CVJM, 11–98).

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Am 11. April 1920, dem ersten Sonntag nach dem Osterfest, wurde Gerstenmaier in der Kirche St. Martin konfirmiert.132 Die Konfirmation wurde bereits in der Reformationszeit entwickelt und 1723 in Württemberg „im Streben nach persönlicher Frömmigkeit“133 bewusst eingeführt,134 um jungen Menschen die Aneignung christlicher Lehre über das Gespräch und die Praktiken mit den primären Sozialisationsagenten hinaus zu ermöglichen sowie eine Verinnerlichung des Glaubens durch religionspädagogische Faktoren zu unterstützen. Ganz im Sinne der pietistischen Tradition bekräftigte und bekannte der dreizehnjährige Gerstenmaier seinen christlichen Glauben und konnte – durch die im Vorfeld abgehaltene mehrjährige Unterweisung – nun Rechenschaft über seinen Glauben ablegen.135 Mit der Konfirmation verband sich ein knappes Jahr später auch der schulische Abschluss der mittleren Reife. Gerstenmaier schrieb in seinen Erinnerungen, dass er kein besonders guter Schüler war und ihm der Unterricht wenig Freude bereitete.136 Ihm fehlte es jedoch weniger an der notwendigen Intelligenz, sondern mehr an einem grundlegenden Verständnis, was ihm Wissen und Bildung bringen konnten. Er verließ die Realschule und begann eine betriebliche Ausbildung als Kaufmann bei der mittelständischen und lokal etablierten Textilfirma August Geiger KG.137 Auch wenn er viel lieber eine Lehre als Bankkaufmann wahrgenommen hätte138 oder Schauspieler geworden wäre und einer militärischen Laufbahn zudem auch nicht abgeneigt war,139 entschied er sich für den „Kaufmannsstift“140. Aus den vorliegenden Quellen lässt sich nicht erkennen, dass seine Eltern aktiv Einfluss auf die Berufswahl des Vierzehnjährigen nahmen. Es ist dennoch zu vermuten, dass er mit dem Schulabschluss unbewussten, unausgesprochenen Erwartungen seiner Eltern folgte. So strebte er eine solide Ausbildung an, um auf dem schnellsten Weg zu Eigenerwerb zu kommen, um dadurch wiederum seine Familie finanziell entlasten zu können. Der weltweite Konjunktureinbruch von 1921 und die rasch fortschreitende Geldentwertung, die schon 1914 eingesetzt hatte,141 wirkte sich ebenso auf die 132 Es wurden 84 Jungen und 73 Mädchen an jenem Tag konfirmiert (vgl. Konfirmationsbuch Kirchheim/Teck, Dekanatsarchiv Kirchheim/Teck). 133 Erb, CVJM, 121. 134 Vgl. Hauer, Schulentwicklung, 137. 135 Die Einführung der Konfirmation brauchte in Württemberg neue Möglichkeiten zum Katechisieren und auch einen Leitfaden für den vorbereitenden Unterricht – das Konfirmandenbüchlein – hervor, welches in der vorbereitenden christlichen Unterweisung maßgeblich genutzt wurde (vgl. Schuster, Gesichtspunkte, 116–129). 136 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 18; 20. 137 Die Firma August Geiger KG wurde 1865 in Kirchheim unter Teck gegründet und ging in ihrem Kerngeschäft der Veredelung und Ausrüstung von Geweben nach. Vgl. Schwenkel, Heimatbuch, 483. 138 Vgl. Gaus, Staatsmann, 121. 139 Vgl. Gross, Gespräch, 16. 140 Gerstenmaier, Streit, 20. 141 Zur deutschen Inflation von 1914 bis 1924 vgl. Kerstingjoh nner, Inflation; und Feldmann, Disorder.

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wirtschaftliche Situation in Kirchheim unter Teck aus und betraf auch Familie Gerstenmaier. Vater Albrecht bekam in seiner Klavierfabrik die Auswirkungen der Inflation in der Form von Entlassungen und Lohndumping zu spüren.142 Faktisch trug auch diese Ausgangslage und die entsprechende finanzielle Unsicherheit dazu bei, dass der Besuch einer weiterführenden Schule sowohl zeitlich als eben auch monetär für Gerstenmaier nicht möglich war. In der Retrospektive lassen sich dennoch deutliche Aversionen zum Entschluss zu einer kaufmännischen Lehre feststellen: „Daß ich Kaufmannsstift werden mußte, war eben nicht eine Wahl meines Herzens, sondern eine Notwendigkeit.“143 Die darin offenkundig werdende Spannung zwischen der praktischen Realität und den von Gerstenmaier anscheinend noch unklar definierten persönlichen Zielvorstellungen für sein eigenes Leben, schlug sich auch in der dreijährigen Ausbildung nieder. Den Büroalltag, die in seinen Verantwortungsbereich fallenden Aufgaben des Ablegens und Schreibens von Frachtbriefen sowie den Besuch der städtischen Handelsschule empfand er zumeist als trist und langweilig. Trotz der Bemühungen eines seiner Berufsschullehrer, Hermann Günther, dem es gelang, für Gerstenmaier greifbare Zusammenhänge zwischen Berufs- und Lebenspraxis herzustellen,144 die ihm eine Grundlage der beruflichen Rechtfertigung in eigener Akzeptanz boten, wäre diese Zeit nach Gerstenmaiers Interpretation „nahezu verloren gewesen, wenn nicht die Jugendbewegung mit der Vielgestalt ihrer Bünde, ihrer Ideale und auch Illusionen mir Beschwingtheit und geistige Fülle und Anregung gegeben hätte.“145 Die Ausbildung und die sich anschließenden sechs Jahre Berufstätigkeit bei der mittelständigen Firma Leopold Stecher146 wurden für Gerstenmaier nach eigener Einschätzung „nur durch die Tatsache der Jugendbewegung erträglich.“147 Sie gab ihm eine geistige Heimat, eine wirkliche Herausforderung im Ausgleich zu seinem ihn nicht befriedigenden Berufsalltag. Die Auswirkungen der Jugendbewegung waren im Rahmen der Sekundärsozialisation für die Entwicklung des jungen Gerstenmaier von entscheidender Bedeutung, da ihn diese nicht nur im jugendlichen Alter prägten, sondern weit darüber hinaus. Aus seinen eigenen Lebensdarstellungen ist zu entnehmen, dass er sich aus einem frommen schwäbischen Elternhaus in traditioneller Kirchlichkeit kommend, der Jugendbewegung anscheinend nicht entziehen konnte. Die „Jugendbewegung griff nach uns“148 konstatiert 142 143 144 145 146

Vgl. Gniss, Gerstenmaier, 28. Gaus, Staatsmann, 122. Vgl. Gerstenmaier, Streit, 20. Gross, Gespräch, 17. Die Firma Stecher hatte in Kirchheim unter Teck eine lange Tradition und ging der Fabrikation von Einlegesohlen und Plattfußeinlagen nach (vgl. Schreiben von Hugo Rupp an den EOKR von 1929. In: EZA 2/P14). 147 Gaus, Staatsmann, 121. 148 Gerstenmaier, Haus, 53.

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einen offenkundigen Automatismus, der auf die evangelische Jugend in Kirchheim unter Teck und eben auch auf Gerstenmaier einwirkte. Für ihn schien es eine gegebene Selbstverständlichkeit zu sein, seine Freizeit mit anderen ähnlich Sozialisierten wertgebunden in organisierter Selbstbestimmung zu verbringen. Nach den Forschungen von Andreas Gestrich lässt sich dieses Phänomen in der Zeit der Weimarer Republik auf über 40 Prozent der Jugendlichen übertragen,149 die sich eigenständig in Vereinen und Gesellschaften organisierten und engagierten. Gerstenmaier schloss sich zunächst dem örtlichen CVJM an. Die Gruppe „junger Burschen“ war im ganzen „unakademisch und dem praktischen Leben verhaftet“150. Sie bestand in erster Linie aus Handwerkern, jungen Arbeitern, Angestellten sowie einigen höheren Schülern und Studenten. Die berufliche Tüchtigkeit spielte in der Gesellschaft der jungen Männer eine ebenso große Rolle wie der sie verbindende christliche Glaube und das Bedürfnis, sich über den Horizont der eigenen Tätigkeit anderen Themen zu widmen, sich auszutauschen und fortzubilden. Der CVJM kombinierte in erstaunlicher Weise spirituelle und gesellschaftliche Fragestellungen miteinander. Damit stieß er auf ein breites Interesse unter den Jugendlichen, da hierdurch nicht nur deren Lebenswirklichkeit sowie die zeitgenössischen Probleme und Herausforderungen angesprochen werden konnten, sondern auch Gemeinschaft und christliche Lösungsansätze eine Alternative zum Alltag boten. Neben den wöchentlichen Bibelstunden am Sonntagabend, bei denen biblische Aussagen und Geschichten ganz in pietistischer Tradition diskutiert und reflektiert wurden, erfreute sich der sogenannte Dienstagskranz „großer Beliebtheit“151 unter den jungen Menschen in Kirchheim unter Teck. Hierbei handelte es sich um einen Gesprächskreis, der im Kern einen urchristlichen Hauskreischarakter in sich trug und nach den Leitlinien der Spenerschen collegia pietatis ausgerichtet war. Er wurde von den jeweils Älteren geleitet und reihum in den Wohnungen der Teilnehmer abgehalten. Darüber hinaus bildete sich um Hugo Benzing, dem Vereinswart des CVJM in Kirchheim unter Teck, eine Gruppe, die regelmäßig zu Gebetsgemeinschaften zusammen kam.152 Gerstenmaier gehörte dem Dienstagskranz und vermutlich auch der Gebetsgemeinschaft an. Aus seinen persönlichen Tagebucheinträgen vom Juli 1923 ist zu entnehmen, mit welchen theologischen Fragestellungen sich die Gruppe beschäftigte und welchen Stellenwert die Diskussionen in Gerstenmaiers innerer Auseinandersetzung sowie religiösen Positionierung einnahmen. Der Rechtfertigungsgedanke spielte dabei eine wesentliche Rolle. Es ist zu erkennen, wie sich der junge Gerstenmaier in seinem Tagebuch vor dem Hintergrund der gött149 150 151 152

Vgl. Gestrich, Geschichte, 46. Gerstenmaier, Streit, 20. Erb, CVJM, 143. Vgl. ebd.

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lichen Gerechtigkeit den Römerbrief des Paulus vergegenwärtigte und die zentralen Stellen Römer 1,16 f; 8,2 und 10,4153 für sich auslegte. In Anlehnung an Luthers reformatorische Erkenntnis und entsprechend resultierende Theologie der vier soli war es für ihn offensichtlich: „Wenn ich in Christus bin, so bin ich frei.“154 Gerstenmaier erkannte, wenn er von Gott den Glauben als Geschenk und Christus wiederum im Glauben für sich als Retter annahm, dann sei er vor Gott gerecht und frei.155 Die im Rahmen der Primärsozialisation vermittelten religiösen Inhalte verdichteten sich für Gerstenmaier im Kreis des Dienstagskranzes über die gemeinschaftlichen biblischen Diskussionen und hatten einen entscheidenden Anteil an seiner religiösen Weiterentwicklung. Er beschrieb in seinen Erinnerungen, dass nach einem entsprechenden Bibelstudium, welches anscheinend bei den Treffen an erster Stelle stand, im Anschluss in der Gruppe stets verschiedene „Fragen der Zeit und der Kirche“156 erörtert wurden. Das Konzept imponierte ihm. Er fand in seinen jugendbewegten Jahren Gefallen daran, in intellektueller Weise über kirchliche Problemstellungen, politischen Zeitgeist und wirtschaftliche Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bibel zu diskutieren.157 Vor allem seine Tagebucheinträge vom Oktober und November 1923 zeigen, dass er an den aktuellen wirtschaftlichen Inflationsnöten sowie den politischen Ereignissen in München äußerst interessiert war.158 Obwohl die Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft waren, selbst teilweise wirtschaftliche Not in den Zeiten der Inflation zu ertragen hatten und sich verschiedenen politischen Strömungen zugehörig fühlten, verliefen die Treffen nach Gerstenmaiers Darstellung „immer in würdiger, zurückhaltender Weise. Jedes demagogische Wort und alle parteiliche Schärfe verboten sich in diesem Kreis ganz von selbst.“159 Im Dienstagskranz wurden hin und wieder auch externe Referenten eingeladen, die ihre Expertise und Kompetenz zu den sich anschließenden Diskussionen einbrachten. Dabei machte Gerstenmaier auch erste politische Erfahrungen. Die Begegnung mit Wilhelm Simpfendörfer gehörte dazu. Der aus Korntal stammende und in der dortigen Gemeinde politisch aktiv gewordene Lehrer reagierte 1924 auf die zunehmende Radikalisierung der 153 Vgl. Röm 1,16 f: „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): ,Der Gerechte wird aus Glauben leben.“‘ Röm 8,2: „Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Röm 10,4: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende, zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt.“ 154 ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/1. 155 Vgl. ebd. 156 Gerstenmaier, Streit, 20. 157 Vgl. Brauer, Bibel, 352. 158 Vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/1. 159 Gerstenmaier, Streit, 21.

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Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die als politische Heimat zahlreicher Protestanten in der Weimarer Republik galt, und gründete den ChristlichSozialen Volksdienst (CSVD).160 In jener Gruppe schlossen sich verschiedene pietistische und freikirchliche Kreise zu Gesinnungsgemeinschaften zusammen, um die „Stimme Christi durch berufene Vertreter auch in unseren Parlamenten zu Gehör [zu] bringen“161 und damit der christlichen Verantwortung für diese Welt politisch gerecht zu werden. Es ist davon auszugehen, dass Simpfendörfer auch in Kirchheim unter Teck für seine parteiähnliche Gruppe warb und die Plattform des Dienstagskranzes dafür nutzte. Für Gerstenmaier ergab sich bei jener Begegnung nicht nur ein Einblick in die politisch agierenden pietistischen Netzwerke, sondern auch die Erkenntnis, dass eine in Wahrhaftigkeit betriebene, christlich orientierte Politik auf einem politischen Pragmatismus, der neben den Mitteln seines Handelns auch ganz klar seine Ziele benennt, aufgebaut sein müsse.162 Obwohl sich der CSVD im parlamentarischen Raum bewegte und politisch agierte, bezeichnete er sich selbst nicht als Partei und verzichtete auch auf ein eigenes Programm, da seine Mitglieder der „Überzeugung waren, dass ihr Handeln im Einklang mit dem Willen Gottes“163 stehen müsse und eine Partei nicht für die großen Zusammenhänge in Gottes Auftrag sprechen könne. Der praktizierte dezisionistische Ansatz des CSVD entsprach weniger politischen, sondern mehr missionarischen Bestrebungen. Dies zeigte sich vor allem darin, dass die christliche Gemeinschaft durch den CSVD bewusst darauf aufmerksam gemacht wurde, „dass sie eine Missionsaufgabe auch dem öffentlichen Leben der Volksgemeinschaft gegenüber zu erfüllen hat.“164 Gerstenmaier konnte durch die Impulse des CSVD prägende Erfahrungen sammeln. Die Erkenntnis der Inkompatibilität der religiösen Ansätze des CSVD mit dem realpolitischen Arbeitsfeld trugen für ihn unter anderem dazu bei, dass sich bei ihm ein Verständnis entwickelte, in dem zwischen Politik und Religion in ihrer missionierenden Form zu trennen war.165 Seine spätere Skepsis gegenüber religiös agierenden pietistischen Kreisen innerhalb der Politik nahm im Dienstagskranz ihren Ursprung und wirkte sich auf das Engagement des jungen Gerstenmaier in einem schleichenden Prozess der Distanz aus. Über den Dienstagskranz und die wöchentlichen Bibelstunden hinaus brachte sich Gerstenmaier auch bei der Christlichen Pfadfinderschaft (CP)166 ein. Als eine Art Gemeinschaftserziehungssystem, in dem Staat und Gesell160 Zur Geschichte und Bedeutung des CSVD ab 1924 bis 1933 sowie dessen Relevanz bei der Gründung der CDU vgl. Opitz, Volksdienst. 161 Bausch, Lebenserinnerungen, 74. 162 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 21. 163 Opitz, Volksdienst, 94. 164 Bausch, Lebenserinnerungen, 301. 165 Vgl. Gaus, Staatsmann, 134 f. 166 Zur Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands vgl. Kindt, Dokumentation, Bd. 3, 654–679; und Keyler, Pfadfinderschaft, 198–200.

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schaft nebeneinander stehend auf die Jugend einwirkten,167 kam das Pfadfindertum aus England nach Deutschland. „Lawinenartig“168 breitete sich die neue Gemeinschaftsform vor allem innerhalb der Strukturen des CVJM aus und kulminierte in der deutschlandweit agierenden CP. Organisatorisch setzten sich in der CP ebenso „bündische Formen“169 durch, die zum einen von dem „unerschöpflichen Erbe“170 der evangelischen Jugendarbeit zehren konnten und zum anderen auch breiten Anschluss an die autonome Jugendbewegung nahmen. 1912 wurde unter Otto Mammele auch in Kirchheim unter Teck eine eigene Pfadfinderabteilung im örtlichen CVJM gegründet.171 Die CP unterschied sich in ihrer äußeren Form deutlich von ihrer inneren Orientierung. Wurde die CP zum einen militärisch in Kompanien, Bataillone und Regimente172 organisiert und glich durch paramilitärischen Drill, Kriegsspiele und Feldübungen eher einer vormilitärischen Ausbildung als einer Jugendgruppe, wurde in ihrer kulturellen Arbeit zum anderen „größtes Gewicht auf religiöse Motive“173 gelegt. Die innere Orientierung der CP beschrieb Gerstenmaier im Rahmen eines CVJM-Festvortrages174 rückblickend damit, dass die CP „die Pflege der Vaterlandsliebe, der Hilfsbereitschaft und der Naturverbundenheit mit dem ungebrochenen Bibelverständnis des schwäbischen Pietismus“175 miteinander zu verbinden versuchte. Aus den Manifesten der CP ist zudem zu konstatieren, dass sich der pietistische Frömmigkeitstypus, auf dessen Grundlage sich die von Gerstenmaier angesprochenen Maxime unter anderem bildeten, mit dem zeitgenössisch-nationalistischen Bewusstsein zunehmend verband. Diese ideelle Grundorientierung wurde von den Jugendlichen zumeist unreflektiert bejaht.176 Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die äußere Form der CP über die innere Orientierung dominierte, sondern eher, dass beide nebeneinander standen; somit ein sehr breites Spektrum der gemeinschaftlichen Aktion abbildeten und zuweilen auch ineinander fielen. Aufgrund dessen ist es wichtig, Form und Orientierung nicht in einer negativen Konnotation zu verallgemeinern und im Vorraum des Nationalsozialismus zu verorten, sondern separat kritisch zu betrachten. Die ersten Kontakte Gerstenmaiers zur CP reichten bis in seine frühe Kindheit zurück und machten damit auch einen wichtigen Punkt in seiner Sozialisation aus. Nach seinem Lebensbericht gingen in „meinem Elternhaus 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176

Zum besonderen Ansatz der Erziehung im Pfadfindertum vgl. Siefert, Aufbruch, 23. Erb, CVJM, 141. Kindt, Dokumentation, Bd. 3, 655. Smidt, Sinn, 519. Vgl. Erb, CVJM, 140. Die Kirchheimer Gruppe gehörte zum vierten württembergischen Pfadfinderregiment und stellte eine eigene Kompanie (vgl. Ebd.). Laqueur, Jugendbewegung, 180. Der Festvortrag wurde 1968 zum Thema „Die Tradition der Väter im Geist der Zeit“ von Gerstenmaier gehalten. Erb, CVJM, 141. Vgl. Kindt, Dokumentation. Bd. 3, 668–671.

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der Vorkriegszeit […] die Kirchheimer Pfadfinderführer aus und ein.“177 Im Glauben für die gerechte Sache zu kämpfen, zogen sie freiwillig in den Ersten Weltkrieg und ließen ihr Leben.178 Anscheinend gab es freundschaftliche Beziehungen oder auch religiöse Verbundenheit zwischen Gerstenmaiers Eltern und einigen führenden Pfadfindern, an deren Auswirkungen Gerstenmaier als Kind selbst partizipierte. Über den Krieg hinaus blieb ihm die CP stets präsent. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass Mutter Albertine die Erinnerungen ihres Sohnes an die Gefallenen aus den Reihen der CP so pflegte und wach hielt, dass „sie [die CP-Führer] etwas heroisiert in meinem [Gerstenmaiers] Bewußtsein stehen.“179 Diese positive Bewertung trug unter anderem dazu bei, dass die CP zu einem wesentlichen Bestandteil in Gerstenmaiers Jugend wurde und er später – nach den Recherchen von Günther Erb – „selbst [als] begeisterter Pfadfinder“180 beschrieben werden kann. Neben seiner Mitgliedschaft übernahm er bei der CP in den Strukturen des CVJM rasch Führungsaufgaben und leitete eine kleine Gruppe.181 Die Jugendlichen praktizierten ein besonderes Eigenleben bündischen Stils. Sie verbrachten einen Großteil ihrer Freizeit in der freien Natur, beim Sport, bei Geländespielen und verschiedensten Zeltlagern auf Orts-, Bezirks- und Bundesebene. Die Verkündigung und der geistige Input kamen dabei nicht zu kurz. Selbst gestaltete Andachten, Morgenwachen, Bibelbesprechungen und Gottesdienstbesuche gehörten für die CP ganz selbstverständlich zum Programm.182 Dies verbanden die Jugendlichen oft auch mit gemeinnützigen Arbeitseinsätzen und stellten dadurch ihre religiösen Moralvorstellungen unter Beweis. Die christliche Tat für den Nächsten prägte neben dem eigenen geistigen Wachstum durch Information und Austausch die Arbeit der CP und machte ihre innere Orientierung aus. Dies lässt sich durch zwei sehr detailliert beschriebene CP-Fahrtberichte aus Gerstenmaiers Tagebuch vom Sommer 1923 belegen. Neben der Schilderung einer Schwarzwaldwanderung erscheint vor allem das von Gerstenmaier beschriebene mehrtägige Bundestreffen im Monbachtal von Interesse, um einen Einblick in einen typischen Tagesablauf solcher CP-Treffen zu erhalten: „Zuerst war Morgenwache! Um 8 h Frühstück und um 1/2 9 h Bibelkranz […]. Dann war Freizeit bis 11 h[,] nach der wir in den Wald gingen zum Waldgottesdienst […]. Nach dem Mittagessen gings zum Baden an die Nagold, und um 4 h zu einem Fachreferat. Nach dem Abendessen sprach noch Prof. Haberl,183 der mit 177 Gerstenmaier, Streit, 23. 178 Zu den Gefallenen gehörten Otto Mammele, Karl Bantlin und Eugen Schöllkopf (vgl. Erb, CVJM, 142). 179 Gerstenmaier, Streit, 23. 180 Erb, CVJM, 141. 181 Vgl. Sammlung des Kirchheimer Standesamtes über Gerstenmaier vom 31. 3. 1955 (StadtA Ki KiC 5); und Schreiben von Pfarrer Hugo Rupp an den EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 182 Vgl. Erb, CVJM, 145. 183 Der Wiener Religionsprofessor Hans Haberl galt zu seiner Zeit als einer der bedeutendsten

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stürmischen Heilrufen begrüsst wurde, und um 10 h gingen wir wieder ins Heim nach Liebenzell.“184

Gerstenmaier beschrieb die Aktionen und Zusammenkünfte stets in schillernden Farben und mit vielen Superlativen. Daraus wird ersichtlich, dass ihn diese Art der Gemeinschaft, die Vielfalt an körperlichen und geistigen Ertüchtigungen positiv bewegte. Es kann an dieser Stelle gar von einer spirituellen Euphorie gesprochen werden, die vor allem im Bericht zur Schwarzwaldwanderung offenkundig wird. Gerstenmaier schloss seinen Bericht mit der Formel „Mit uns ist Gott […] Heil, Heil, Heil!“185 Damit zeigte er nicht nur, dass er die Sprache der Jugendbewegung internalisiert hatte, sondern auch, auf welchem Fundament sich die Aktionen und Zusammenkünfte bewegten. Darüber hinaus gehörte auch die sogenannte Singbewegung186 zur aktiven Freizeitgestaltung der CP. Sie resultierte aus der jugendbewegten Suche nach innerlich wahrhaftiger Lebensgestaltung und selbstverantwortlicher Lebensgemeinschaft. Dadurch, dass die Traditionen der Jugendbewegung mehr und mehr Einzug in die Aktivitäten des CVJM und der CP hielten, brachte die Singbewegung neben neuen Farben, die das „hergebrachte Bild der unjugendlichen traditionellen Konfirmandenanzüge“187 sichtlich veränderten, auch eine Ausweitung des gesungenen Liedgutes mit sich. Es kam zu einer Mischung von religiösen und weltlichen Gesängen, die von vielen Jugendlichen positiv und bereichernd aufgenommen wurde. So auch von Gerstenmaier: „Ich atmete dabei auf, denn obwohl unser vielgesungenes BK-Lied [gemeint ist hier der Bibelkreis] unentwegt zu Bekennermut mahnte – ,trifft uns auch Spott, treu unserem Gott‘ –, so wurde ich meine Befangenheit und mein Unbehagen doch nur schwer los, wenn ich mich marschierenderweise im Bekennen üben sollte.“188 Hierin lassen sich erste Spannungen zwischen religiöser Praxis und öffentlicher Umsetzung in Gerstenmaiers innerer Auseinandersetzung mit dem Pietismus ablesen, die sich in den folgenden Jahren zu einer persönlich-religiösen Differenzierung weiter entwickelten. Diese Spannungen verdichteten sich für ihn auch in seinem familiären Umfeld. Während seiner kaufmännischen Lehr- und Arbeitsjahre nahm die Singbewegung im kleinen Rahmen über die Arbeit des CVJM und der CP hinaus auch Einzug im Hause Gerstenmaier. Zu musischen Abenden mit Klavier-, Geigen-

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evangelischen Theologen mit ökumenischer Erfahrung und als maßgebliche intellektuelle Persönlichkeit innerhalb des CVJM. Dies belegen zahlreiche Zeitgenossen. So bezeichnete bspw. Johannes Busch Haberl als einen „Mann, der vom Evangelium gepra¨ gt war und deshalb fu¨r viele ein Segen wurde.“ (Busch, Johannes, 40). ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/1. Ebd. Zur deutschen Singbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vgl. Wuttke, Geist; Stephani, Jugendbewegung; Stier, Singbewegung, 272–276; und Kolland, Jugendmusikbewegung. Gerstenmaier, Streit, 22. Ebd.

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und Gitarrenbegleitung lud die Familie gern ein. Es wurde im Hause Gerstenmaier vom schlichten geistlichen Volkslied bis zum anspruchsvollen Madrigal viel gesungen und gelacht.189 Damit lässt sich freilich belegen, wie die Familie ihre pietistisch gelebte Frömmigkeit unter anderem ausdrückte und welchen positiven Einfluss Gerstenmaiers Eltern auf die religiöse Sozialisation ihres Sohnes zu nehmen versuchten. Im Rahmen der pietistischen Verwurzelung schien dies eine Selbstverständlichkeit zu sein. Dass Gerstenmaier die sogenannte Singbewegung sein Leben lang begleitete, zeigen seine Erinnerungen an zahlreiche Abende in der Parlamentarischen Gesellschaft, in denen man zusammensaß und sang. Die Bündischen schienen sich unweigerlich an der Art des Singens und der Breite des Liedgutes zu erkennen: „Es war jedesmal eine beglückende Wiedergeburt alter, halbverklungener, verschütteter Gemeinsamkeit quer durch alle Fraktionen.“190 Die Entfaltung der Jugendbewegung in Gerstenmaiers Lebenswelt ging mit einem „zunehmenden Stilwandel unserer religiösen Lebensäußerung“191 einher, die sich einer inneren Auseinandersetzung mit dem Pietismus nicht entziehen konnte. Diese Differenzierung vollzog sich bei Gerstenmaier von außen nach innen. Inspiriert von der belebenden Weite der Jugendbewegung, welche die geistige Enge des Pietismus und die im Verein ritualisierte Handlungspraxis zu überstrahlen schien, hatten die damaligen schwelenden Richtungskämpfe innerhalb des CVJM einen erheblichen Anteil daran, dass sich Gerstenmaier von den starren pietistischen Leitbildern befreien wollte. Seit den frühen zwanziger Jahren bestanden auch in Kirchheim unter Teck zwischen den Anhängern der traditionellen pietistisch geprägten Jugendpflege und liberalisierten christlichen Jugendlichen deutliche Spannungen, welche sich in harten und entschlossenen Diskussionen über die Grundsätze einer engen oder weit geöffneten Vereinsarbeit entluden. Während sich die im CVJM sammelnde pietistische Gruppe ganz den missionarischen Grundsätzen der Pariser Basis192 von 1855 verpflichtet fühlte, verstand sich die liberale Gruppe in der geistigen Tradition der Jugendbewegung, die sich neben dem Streben nach jugendlichem Eigenleben auch in einer Kritik an der bewusst betriebenen Mission ausdrückte. Für die Liberalen war es unverkennbar, dass man den „Forderungen der Gegenwart […] nicht ausweichen, sie vielmehr ergreifen, versittlichen und dem Pflichtenkodex des bündischen Lebens ein189 190 191 192

Vgl. Gerstenmaier, Haus, 53. Gerstenmaier, Streit, 26. Ebd., 23. Die Pariser Basis kann als Grundlage der Arbeit des CVJM bezeichnet werden. Sie wurde bei der ersten CVJM-Weltkonferenz im August 1855 in Paris veröffentlicht. Nach ihrem Wortlaut sollte die Mission im Zentrum jeder CVJM-Aktivität stehen: „Die CVJM haben den Zweck, junge Männer miteinander zu verbinden, welche Jesum Christum nach der Heiligen Schrift als Gott und ihren Heiland anerkennen, in ihrem Glauben und Leben seine Jünger sein und gemeinsam danach trachten wollen, das Reich ihres Meisters unter den jungen Männern auszubreiten.“ (Kupisch, CVJM, 119).

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ordnen“193 musste. Man wollte zwar weiterhin Überzeugungs- und Gesinnungsgemeinschaft mit einem festen Ordnungswillen bleiben, jedoch bei aller Spiritualität aus der geistigen Isolierung heraustreten. Sie wollten auch politische Fragen auf ihrer Tagesordnung zur Diskussion stellen, was die pietistische Gruppe wiederum kritisierte.194 Hugo Rupp, der zweiter Stadtpfarrer in Kirchheim unter Teck von 1920 bis 1930 war,195 erinnerte sich 1929 in einem Schreiben an den Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart (EOKR) mit den Worten: „Etliche Jahre hindurch dauerten die Gegensätze und Reibungen […]“196. Damit veranschaulichte er den zeitlichen Horizont der Spannungen im CVJM zwischen den beiden Gruppen. Obwohl es Schlichtungsversuche gab, endeten die Richtungskämpfe in einer Spaltung des CVJM. Mit Zögern hatte sich Gerstenmaier dazu entschlossen, mit der pietistischen Gruppe zu brechen, sich den Liberalen anzuschließen und aus dem CVJM auszutreten. Trotz der unmittelbar klaren pietistischen Sozialisation durch sein Elternhaus, welches „mit den kirchlichen Kreisen, die den CVJM trugen, eng verknüpft“197 war, ging er diesen Schritt und trat damit offen in einen anscheinenden Konflikt mit seiner Mutter, der die pietistische Frömmigkeit stets als Leitfaden ihres Erziehungsverständnisses diente. Jedoch wurde diese Befürchtung zu keiner Realität. Von Seiten seiner Eltern hörte er zu seiner persönlichen Trennung vom CVJM und dessen religiöser Auffassung „kein Wort des Vorwurfs, nicht einmal der Mahnung. Das war keineswegs Gleichgültigkeit. Es war Großherzigkeit und Vertrauen.“198 Seine Eltern praktizierten an dieser Stelle offensichtliche Toleranz gegenüber den Entscheidungen ihres Sohnes und förderten damit seine Selbstständigkeit. Daniela Gniss vermutete zudem im Blick auf sein Engagement im CVJM, dass ihm die Austrittsentscheidung nicht leicht gefallen sei, da er als Gruppenführer schließlich eine besondere Verantwortung für die ihm im Verein anvertrauten Jugendlichen empfand.199 Dieser Einschätzung ist freilich der in Gerstenmaiers Weltbild schon viel früher anzusetzende innere Konflikt, die lange unterdrückte „Rebellion gegen gewisse Äußerungen“200 des pietistischen Frömmigkeitscharakters vorzuordnen, der den Bruch mit dem CVJM nur konsequent erscheinen lässt. Gerstenmaier beschrieb in seinen Lebenserinnerungen, dass ein „schwelendes Unbehagen“ gegen den Lebensstil und die Theologie des Pietismus sich zwar mehr und mehr in seinem jugendlichen Verständnis verdichtete, jedoch erst mit der Lektüre von Wilhelm Stählins „Fieber und Heil in der Jugend-

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Ebd., 80. Vgl. Erb, CVJM, 146. Vgl. Betsch, Magisterbuch, 104 f; und LKAS, PDK Best.-Nr. 531b. EZA 2/P14. Gerstenmaier, Streit, 25. Ebd. Vgl. Gniss, Gerstenmaier, 30. Gerstenmaier, Streit, 23.

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bewegung“ zu „gedanklicher Klarheit“201 für ihn wurde. In dem kleinen Büchlein ging der lutherische Theologe Stählin deutlich offensiv gegen die materialistische und intellektuelle Konservierung der Jugendbewegung vor und betonte die Wichtigkeit von deren Weiterentwicklung.202 Er sah die Jugendbewegung an einem Scheideweg. Entweder würde sie in einer „umfassenden Volksbewegung“ münden oder in einem „selbstgenügsamen und darum unfruchtbaren Sektendasein versanden.“203 Die von Stählin oftmals kritisch benannte „Wandervogel-Orthodoxie“204 stand in seiner Interpretation im Gegensatz zur gegenwärtigen Lage. Er unterstrich die Bedeutung von Engagement, Familie und Beruf, von Religiosität, Ehre und Pflicht für die Zukunftsfähigkeit der Jugendbewegung und argumentierte darüber hinaus an vielen Stellen auch theologisch.205 Es ist zu vermuten, dass Stählins gedankliche Argumentation206 Gerstenmaier das „Tor in ein weites Land“207 öffnete. Damit erweiterte sich nicht nur seine kritische Wahrnehmungs-, Reflexionsund Deutungskompetenz, sondern ließ ihn im Zuge dessen auch aus der gedanklichen Enge des Pietismus ausbrechen. Die lutherischen Impulse Stählins mündeten für Gerstenmaier auch in einer vertieften Beschäftigung mit Luthers Rechtfertigungs- und Zwei-Reiche-Lehre. Die Frage nach der Rechtfertigung vor Gott bildete – wie durch seine Tagebuchauszüge oben beschrieben – einen wichtigen Kulminationspunkt im theologischen Wachstum Gerstenmaiers.208 Es kann darüber hinaus festgestellt werden, dass ihm die lutherische Zwei-Reiche-Lehre209 in der Kombination mit Stählins Ausführungen über das Verhältnis von Staat und Kirche mit ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen 201 202 203 204 205

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Ebd. Zu Stählins Stellung in der Jugendbewegung vgl. Meyer-Blanck, Leben, 30–37. St hlin, Fieber, 5. Ebd. Michael Meyer-Blanck setzte sich mit der praktischen Theologie Stählins auseinander und arbeitete aus seinen Werken (unter anderem auch aus Fieber und Heil) drei Schlüsselkategorien (Leben, Leib und Liturgie) heraus, mit denen sich Stählins lutherische Theologie ansatzweise beschreiben lässt (vgl. Meyer-Blanck, Leben, 64–410). Stählin proklamierte – von der Krise der Jugend und deren Kultur ausgehend – den bewussten Willen zu neuen Formen innerhalb der Jugendbewegung (vgl. St hlin, Fieber, 8–37). Der jugendbewegten Gemeinschaft gestand er durch Gewissenhaftigkeit und Verantwortung oberste Priorität zu (vgl. ebd., 37–43) und betonte dies ebenso im Verkehr der Geschlechter (vgl. ebd., 43–51). Im zentralen Teil des Buches mit der Überschrift „Werden und Wollen“ widmete er sich seiner Interpretation des Lebens. Er betonte besonders die Freiheit des Individuums und interpretierte diese auch theologisch (vgl. ebd., 52–71). Die Angst vor dem Altwerden dürfe bei der Jugend nicht vorherrschend sein. Man müsse sich neuen Herausforderungen stellen. Stählin nutzte das Bild der Ehe, um zu zeigen, wie sich die Jugendbewegung weiterentwickeln sollte (vgl. ebd., 71–85). Mit dem Kapitel „Erlösung“ schloss er seinen Appell an die Jugendbewegung theologisch konnotiert und beendete sein gezeichnetes Bild mit der Metapher, dass die Jugend mit Fieber zum Heil genesen müsse (vgl. ebd., 85–90). Gerstenmaier, Streit, 23 f. Vgl. Tagebucheinträge (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/1). Zur Definition, theologischen Verortung und Forschungslage zu Luthers Zwei-Reiche-Lehre vgl. Schrey, Reich; und Anselm/H rle/Kroeger, Art. Zweireichelehre, 777–793.

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samt ihrer Machtausübung in der Form von Gesetz und Evangelium denken ließ und sich hierin eine theologische Grundlage bildete, auf der er sein Verständnis der Welt im Gegensatz zum Reich Gottes sowie sein entsprechendes Handeln aufbaute. Dieser Sachverhalt wird an anderer Stelle noch differenzierter betrachtet.210 Festzuhalten ist zunächst, dass ihm sowohl Luther als auch Stählin zur „Zuflucht und großen Autorität“211 im Rahmen der sich anbahnenden Trennung vom Lebensstil und der Theologie des Pietismus wurden. Der Austritt aus dem CVJM ging zudem auch auf eine Auseinandersetzung mit Erich Stange, dem Reichswart des CVJM Deutschland, zurück, die eine Trennung vom CVJM für Gerstenmaier unumgänglich machte212 und die sich auch darüber hinaus fortsetzte.213 In der Folge des Bruches gründete Gerstenmaier eine eigene Pfadfindergruppe, die nach dem CVJM-Protokollbuch nicht mehr als „zum Verein gehörig“214 betrachtet wurde. Ihm folgten rund zehn Personen, die sich mit ihm solidarisch erklärten und ebenfalls aus dem CVJM austraten. Der kleine Kreis bestimmte Gerstenmaier zu ihrem Leiter. Ihm gelang es, „die Gruppe geschlossen beisammenzuhalten und ihr neuen Zuzug und Nachwuchs zu verschaffen.“215 Da sich zahlreiche Neukonfirmierte von der neuen Gruppe mehr angezogen fühlten als vom CVJM, verlangte die pietistische Gruppe gar ein Verbot, da die Gruppe um Gerstenmaier „außer dem Hauptziel, Junge Männer zu Christus zu führen, auch andere Ziele verfolgte.“216 Was sich genau hinter diesen anderen Zielen verbarg, ist nicht überliefert. Zu vermuten ist, dass die Gerstenmaier-Gruppe in der Tradition des Dienstagskranzes stand und sich über religiöse Themenbereiche hinaus auch mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragen kritisch beschäftigte. Die Gruppe war weitgehend isoliert, praktizierte jedoch trotzdem ein aktives Gemeinschaftsleben. Erst nach geraumer Zeit217 schlossen sich die Ju210 Vgl. Kapitel 5.1. 211 Gerstenmaier, Streit, 24. 212 Stange war es nach Gerstenmaiers Einschätzung nicht gelungen, den CVJM eine moderne Prägung zu verleihen. Die Missionsgedanken dominierten sein Handeln über jede andere Herausforderung (vgl. ebd.). 213 In einem Artikel mit dem Titel „Jugendbewegung am Ende?“ nahm Gerstenmaier 1931 zu einer von Stange prognostizierten Sterbestunde der Jugendbewegung kritisch Stellung. Er betonte die Weiterentwicklung sowie die Bedeutung der Jugendbewegung: „Den jungen Menschen vor diese letzten Schanze – die Botschaft des Evangeliums – zu stellen, in seinem persönlichen Ringen neben ihm zu stehen und mit ihm den mannhaften Einsatz ins Leben zu wagen, darin sieht die evangelische Jugendbewegung heute ihre besondere Aufgabe.“ (vgl. Gerstenmaier, Jugendbewegung. In: Der Teckbote vom 16. September 1931). 214 Erb, CVJM, 146. 215 Schreiben von Hugo Rupp an den EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 216 Erb, CVJM, 146. 217 Hugo Rupp umschrieb in einem offiziellen Schreiben an den EOKR 1929 (EZA 2/P14) diesen Zeitraum wie folgt: „Etwa 1–1 1/2 Jahr lang war er [Gerstenmaier] dabei ganz auf sich selbst gestellt und sah sich während dieser Zeit in den verschiedenen Lagern der Jugendbewegung

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gendlichen einem überregionalen Bund der Jugendbewegung an. Sie wandten sich der Christdeutschen Jugend (CDJ) zu und nahmen an deren „Lebensart und Denkweise“218 teil. Die CDJ entstand 1921 als eine Abspaltung aus der evangelischen Neulandbewegung219 um den damaligen Wortführer Leopold Cordier220 sowie um die wichtigen Mitglieder Paul Lange, Friedrich Langenfaß und Theodor Ellwein. 1927 benannte sich die CDJ in Christdeutscher Bund (CDB) um. Die Bewegung war dezidiert evangelisch geprägt und bekannte sich in ihrer Satzung von 1924 zur „Mitarbeit an der Erneuerung des Volkslebens im Geiste Jesu Christi.“221 Die CDJ diskutierte deshalb auch vor allem theologische Fragestellungen mit großem Engagement.222 Neben dem besonderen Gewicht auf der „reformatorischen Botschaft“223 betonte der Theologe Cordier im Publikationsmedium der CDJ, den Christdeutschen Stimmen (CDS), dass es ihm auf eine Doppelbezogenheit von Christsein und Deutschsein ankomme, wobei klar sein musste: „Wir betonen das ,Christ‘ […] Uns ist das Christsein das erste, das Tragende der Bewegung.“224 Die CDJ ist in ihren Grundsätzen und Strukturen klar von den Deutschen Christen zu unterscheiden.225 Sie wollte durch ihr Angebot einer adäquaten Erwachsenenbildung alle Bevölkerungsschichten, insbesondere aber die Landjugend sowie erwerbslose Jugendliche, erreichen. In Kirchheim unter Teck drang sie zur Gerstenmaier-Gruppe durch. Diese trat mit der Aufnahme in die CDJ aus ihrer jugendbewegten Isolation heraus und wurde somit erneut Teil der bündischen Jugend. Gerstenmaier fasste den wichtigen Schritt des Anschlusses an die CDJ mit folgenden Worten zusammen: „Die Welt hatte sich für uns geweitet, das Leben im Bund war frisch, sprühend lebendig und nahm uns mit.“226 In die CDJ brachte sich Gerstenmaier ebenso energisch, „mit Ernst und Geschick, mit voller Hingabe und Treue“227 ein, wie vorher in den CVJM. Das Aktivitätenrepertoire umfasste zahlreiche Kreisabende, Fahrten, Wanderungen, bündische und überbündische Treffen mit vielen Festen und Feiern auch mit dem Bund Deutscher Jugend und der in Stuttgart ansässigen Sozialisti-

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um, um sich in der Folgezeit nach selbstständigem Prüfen zum Eintritt in den Christdeutschen Bund […] zu entschliessen.“ Gerstenmaier, Streit, 25. Für die Auseinandersetzungen innerhalb der Neulandbewegung 1920/1921 und die Entstehung der CDJ vgl. Toboll, Jugendbewegung, 154–202. Zu Cordier, dessen Bedeutung für die Jugendbewegung und der CDJ vgl. Mittermaier, Cordier, 1–51; und Herbert, Erinnerungen, 243–250. Toboll, Jugendbewegung, 245. Vgl. Christdeutsche Stimmen, Bd. 3 (1923); und Bd. 4 (1924). Schwab, Cordier, 459. Toboll, Jugendbewegung, 196. Zur Weiterentwicklung des CDJ bzw. des CDB und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus vgl. Toboll, Jugendbewegung, 255–272. Gerstenmaier, Streit, 25. Schreiben von Hugo Rupp an den EOKR von 1929 (EZA 2/P14).

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schen Arbeiterjugend.228 In einer Verbindung aus den allgemeinen Motiven der Jugendbewegung und den Bedürfnissen der jüngeren Jugendlichen nach neuen diskursiven Themen sowie gerechter Wahrnehmung durch die Älteren waren in der CDJ bereits 1924 sogenannte Jungstreiterkreise entstanden. Ihnen ging es um die Stellung der Jüngeren innerhalb der Bewegung, um die Weiterentwicklung und Nachwuchsförderung innerhalb der CDJ. Als innerhalb der Führungsriege des CDB über die zukünftige Nachwuchssicherung diskutiert wurde, mischte sich auch Gerstenmaier lautstark ein. Den CDS sind diesbezüglich mehrere Artikel zu entnehmen, die Gerstenmaiers Engagement in dieser Frage unterstreichen und ihn als Sprachrohr der Jungstreiter beschreiben lassen. „Die aus dem Seelenrettertum der alten Verbände herausgewachsenen Methoden […] sind für uns schlechterdings unmöglich.“229 Nach Gerstenmaier standen die Jüngeren zu sehr unter dem Einfluss und der jugendbewegten Philosophie der Älteren. Diese prägten die Formen und Inhalte der Jüngeren so sehr, dass gar von einer Belastung gesprochen wurde.230 Eine ablehnende Praxis vom missionarischen Wesen, welches zu seiner inneren Konfrontation und zum letztlichen Bruch mit der pietistischen Praxis und dem CVJM führte, wird zudem an dieser Stelle ersichtlich. Gerstenmaiers gemeinsame Argumentation mit Gretel Lachenmann231 für eine Führung des CDB, welche die Jugend nicht überfordern, sondern zur praktischen Mitarbeit in den Kreisen anleiten und zur Persönlichkeitsbildung beitragen solle, unterschied sich jedoch nicht von dem übergeordneten Ziel der Gesamtbewegung: „Über jeder Jungstreiter-Arbeit muß das letzte Ziel stehen, Gott, Christentum, Evangelium.“232 Gerstenmaier war es wichtig – über die bündische Treue hinaus – auf den ganzen Menschen zu schauen und die Ideale der Jugendbewegung im Blick zu haben. „Wir erziehen unsere Jungstreiter also nicht für den Bund, sondern wollen ihnen bewusst zu einer zuchtvollen Selbsterziehung und einer klaren Selbstständigkeit verhelfen.“233 Es könne demnach keine Erziehung weder zum christdeutschen Bund noch zum Menschen an sich geben. „Der christdeutsche Mensch wird nicht von irgend jemand christdeutsch erzogen, sondern er hört und gehorcht von sich aus, von innen her, dem Aufruf, der ihn trifft.“234 Der Aspekt der Freiheit des Individuums kommt an dieser Stelle erneut zum Tragen. Er nahm in Gerstenmaiers Biografie wesentlichen Raum ein und bestimmte oft sein Handeln, auch entgegen anderer Konventionen und Positionen. Die Legitimation der Jungstreiter sowie deren strukturelle Aufstellung beschäftigte ihn mehrere Jahre. Er zeigte in diesen Fragen einen langen Atem. 228 229 230 231 232 233 234

Vgl. Gerstenmaier, Streit, 26. Gerstenmaier, Art. Jungstreiterfrage. Vgl. ebd. Vgl. Lachenmann, Art. Arbeit. Toboll, Jugendbewegung, 217 f. Gerstenmaier, Art. Jungstreiterfrage. Ebd.

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Zunächst wurde sein Antrag, die Jungstreiter auf der Bundesversammlung des CDB offiziell zuzulassen und den Jüngeren damit eine gebündelte Stimme zuzuweisen 1927 abgelehnt,235 auch seine Vorschläge für eine straffere Führung in der Jungstreiterschaft unter einem Reichsjugendstreiterführer wurden auf der Bundesversammlung 1929 nicht für notwendig und möglich erachtet.236 Er brachte sich jedoch trotzdem konstruktiv in die Weiterentwicklung der Jungstreiter sowie deren Verbindungen zum CDB ein und koordinierte darüber hinaus die Zusammenarbeit mit anderen Bünden. In dieser Funktion mündeten seine Bemühungen 1930 in einem Zusammenschluss aller Jungstreiter zur Christdeutschen Jungenschaft.237 Zudem brachte er sich in den CDS auch zu strukturellen Fragen zwischen Jüngeren und Älteren im CDB ein238 und äußerte sich zu anderen Bünden direkt. So kritisierte und lobte er zugleich 1928 den Wechsel der Gemeinschaft Köngener Brücke239 zur Deutschen Freischar in einer solidarisierenden und theologisch begründeten Weise, die zeigt, dass die Themen Religiosität und Freiheit zu seinen Herzensangelegenheiten innerhalb seines Engagements gehörten.240 „Es ist klar, dass diese Haltung der innerlichen Freiheit auch Jesus gegenüber eine ganz andere Voraussetzung für einen religiösen Neubau schafft […].“241 Gerstenmaiers hermeneutische Argumentationen dieser Zeit belegen, wie er auf den pietistischen Lebens- und Moralvorstellungen aufbaute, sich unter dem besonderen Aspekt der Freiheit jedoch gleichfalls von diesen entfernte, indem er die Selbstständigkeit des Individuums innerhalb von funktionierenden Gemeinschaften über das Gemeinschaftsgefüge hinaus betonte242 und an anderer Stelle den Dienst für die bündische Idee forderte.243 Diese Ambivalenz wurde 235 Vgl. ebd. 236 Vgl. Toboll, Jugendbewegung, 220 f. 237 Diese Fusion bestand solange bis eine Konfrontation mit der Hitlerjugend das Schicksal der Gruppe besiegelte (vgl. ebd., 221.). 238 Die Frage um die Älterenschaft gehörte zu den wichtigsten strukturellen Diskussionen innerhalb der Bewegung. Das Verhältnis Bund-Beruf-Familie wurde hart in Bezug auf den mehrseitigen Anspruch der Älteren diskutiert (vgl. ebd., 244). Die Lösung bestand in der Neugestaltung der Bundesstruktur unter klaren Maßstäben für die Älteren. Gerstenmaier machte sich zum Sprecher einer zweiten Möglichkeit: Er erhob das Verbleiben der Berufstätigen im Bund zum Maßstab ihrer Leistungsfähigkeit. Ohne die Älterenschaft sei das „Bild des Bundes nicht ganz und nicht gültig“, da „sein Wesen immer weniger das Wesen eines Jugendbundes ist, sondern mehr und mehr bestimmt wird aus dem Lebensernst reifender und gestaltender Männer und Frauen“ (vgl. ebd., 245; und Gerstenmaier, Art. Bund). 239 Der Köngener Bund ging 1920 unter dem Einfluss der Jugendbewegung aus einer Abspaltung von vor allem pietistisch geprägten Württembergern aus den Schülerbibelkreisen hervor. „Das selbstständige ,Erleben Gottes‘ jenseits aller dogmatischen Fesseln, die Freiheit von jeder äußeren Autorität (v. a. der Amtskirchen) und die Offenheit gegenüber anderen Rel[igionen] gehören zum Selbstverständnis der Köngener.“ (Olenhusen, Art. Köngener, 1574 f). Ausführlicher zum Bund der Köngener vgl. Brandenburg/Daur, Brücke. 240 Vgl. Gerstenmaier, Art. Köngener. 241 Ebd. 242 Vgl. ebd. 243 Vgl. Gerstenmaier, Art. Bund.

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durch mehrere Herausforderungen umrahmt, denen sich Gerstenmaier in den 1920er Jahren ausgesetzt sah und die zu einer Verschränkung von Sein und Wollen führten: der immer größer werdenden Fülle von unterschiedlichen jugendbewegten Bünden samt ihrer vielfältigen Zusammenschlüsse und Scheidungen, einer deutlicher werdenden politischen Instabilität der Weimarer Republik sowie der für ihn persönlich arbeitstechnisch-alltägliche „Stumpfsinn meines Kontors“244 als Kaufmann. Zusammenfassend kann im Hinblick auf die Betrachtung der Primär- und Sekundärsozialisation Gerstenmaiers festgehalten werden, dass sich bei ihm im Rahmen seiner Kindheits- und Jugendjahre in Kirchheim unter Teck ein festes pietistisch motiviertes Moral- und Wertverständnis sowie ein kritisch reflektiertes christliches Fundament des Glaubens ausbildete. Über Gerstenmaiers eigene Beschreibungen seines religiösen Empfindens in der Form von „Voll der Gloria!“245, wie er im Dezember 1923 in seinem Tagebuch schrieb, differenzierte sich sein Verständnis von Religion und Glauben in seiner Jugend durch den maßgeblichen Einfluss der christlichen Jugendarbeit sowie der allgemeinen Jugendbewegung stark und entwickelte sich weiter. Die religiöse Genese Gerstenmaiers ist untrennbar mit den beschriebenen zentralen Agenturen und Agenten seiner Primär- und Sekundärsozialisation zu verbinden. Sein persönliches Glaubensverständnis zwischen Begeisterung und kritischer Differenzierung ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Seine familiäre Sozialisation und sein Engagement in den jugendbewegten Kreisen brachte ihn in „Kontakt mit der ganzen, etwas aufgewühlten, zuweilen auch nervösen, aber doch, wie ich meine, redlichen geistigen Bewegtheit der damaligen Jugend und Jugendbewegung, die für mich [Gerstenmaier] etwas unendlich Bereicherndes war.“246 Aus Gerstenmaiers eigenen retrospektiven Beschreibungen über diese Zeit, aber auch aus den direkten zeitgenössischen Quellen, ist zu ersehen, welche Bedeutung diese Jahre für ihn selbst hatten und mit welcher großen Empathie er sich mit ihr auch später noch identifizierte.247 „Je älter ich werde, desto mehr bin ich mir meiner Ursprünge bewusst.“248 Dieser Satz von 1966 an den Bürgermeister von Kirchheim unter Teck zeigt, wie ihm diese Zeit während seiner Ausbildungs- und Arbeitsjahre als kaufmännischer Angestellter „Glanz und Fülle, Schwung und Richtung“249 verlieh. Die in dieser Lebensphase erwachsene Interdependenz mit seinem Elternhaus, dem Pietismus sowie den Strukturen und Möglichkeiten der Jugendbewegung prägte nicht nur sein religiöses sowie theologisches Verständnis entscheidend, sondern auch seinen weiteren Lebensweg. 244 245 246 247

Gerstenmaier, Streit, 25. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/1. Gaus, Staatsmann, 121. Dies konnte auch Alexandra Schotte in ihrer Abhandlung über Gerstenmaiers jugendbewegte Zeit feststellen (vgl. Schotte, Gerstenmaier, 273–280). 248 Brief Gerstenmaiers an Oberbürgermeister Kröning vom 20. 9. 1966 (StadtA Ki KiC 5). 249 Gerstenmaier, Streit, 22.

2 Theologische Studien und Auseinandersetzungen Die von Gerstenmaier 1981 im Rahmen eines Interviews mit Johannes Gross genannten fünf wesentlichen Punkte, die seine junge Persönlichkeit nachhaltig prägten,1 werden auch in diesem Kapitel eine wichtige Rolle spielen. Vor allem wird die Betrachtung der vierten und fünften Station im Vordergrund stehen. Sowohl die von Gerstenmaier angeführte Literatur, die ihn in seinen Entscheidungsfindungen beeinflusste und sein frühes Denken formte, als auch seine weiterführende schulische sowie auch akademische Ausbildung werden in ihrer Gesamtheit an dieser Stelle unter der Maßgabe von ihn prägenden Korrelationen untersucht. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf Gerstenmaiers theologischen Studien nach dem Abitur und seinem Engagement innerhalb der universitären Strukturen liegen. Zum Zweck der Übersichtlichkeit wird zwischen diesen beiden Punkten – seiner wissenschaftlichen Entwicklung und seinem studentischen Engagement – zu trennen sein, auch wenn es dabei zu chronologischen Überlappungen und kleinen Sprüngen kommen wird.

2.1 Die Bedeutung von Literatur und Bildung „Unser Tag ist düster, unsere Welt ist grau, unseren Morgen netzt weder Regen noch Tau, unser Sinn ist leer, unser Ohr wird taub, wir schlürfen müde durch Schutt und Staub. Der Gleichtakt der Kolben im Kesselhaus, das Surren des Motors tagein und tagaus, das Klopfen und Hämmern und fluchende Schrein wird uns zur ewigen dumpfen Pein. O Sonne, o Schönheit, o flutendes Licht, o Leben, das durch die Schatten bricht, aus unserer Herzen Bedrängnis und Qual grüssen wir hungernd dich allzumal.“2

1 Vgl. Gross, Gespräch, 16; und Kapitel 1. 2 Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002).

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Mit diesen Gedichtzeilen hielt Gerstenmaier seinen Alltag während seiner Zeit als Kaufmann in einem Tagebucheintrag fest.3 Wenige Jahre später, nachdem er dem betrieblichen Angestelltendasein den Rücken gekehrt hatte, zitierte er die Zeilen im Rahmen eines unveröffentlichten Aufsatzes, den er im Vorfrühling 1931 unter dem Titel „Wort und Gestalt. Eine Rückschau und ein Bekenntnis“ verfasste, erneut.4 Mit den poetischen Zeilen brachte er zum Ausdruck, welchen Spannungen er sich damals zwischen seiner äußeren und inneren Wirklichkeit ausgesetzt fühlte. Neben den düsteren Beschreibungen des alltäglichen Gleichklangs im Betrieb, die zeigen, wie trist, sinnentleert und stumpfsinnig er die von ihm ausgeführten Tätigkeiten empfand, ist vor allem die hoffnungsvoll anmutende dritte Strophe hervorzuheben. In seinem Aufsatz von 1931 schrieb Gerstenmaier, dass das Gedicht als „ein Zeugnis meiner damaligen Wanderung zwischen den beiden Welten“5 gesehen werden könne. So ist die Vermutung naheliegend, dass er mit der dritten Strophe auf sein Leben außerhalb des Betriebes anspielte. Die Jugendbewegung füllte für ihn während seiner Zeit als Kaufmann die geistige und emotionale Leere, die der Betrieb nicht zu füllen vermochte. Sie charakterisierte für Gerstenmaier die andere Welt und ließ sie als „Leben“ die „Schatten“ durchbrechen. Über die jugendbewegten Zusammenkünfte, Kreise und Aktionen hinaus,6 bei denen die intensive Lektüre der Bibel und andere erbauliche Schriften im Fokus standen, wurde der Heranwachsende in seiner Jugend von einiger Literatur geprägt, die seine Erkenntnisse und daraus resultierenden Entscheidungen wesentlich beeinflusst haben. Jene Literatur sowie deren Autoren sind freilich auf die Impulse aus der Jugendbewegung zurückzuführen. Sie verursachten bei Gerstenmaier nicht nur eine Art Vorbildfunktion innerhalb seiner Denkstrukturen, sondern auch ein besonderes Maß an identitätsstiftenden Momenten in seinem Leben. 2.1.1 August Winnig und die Entscheidung erster politischer Partizipation Am 22. Juli 1964 wurde Gerstenmaier von Günter Gaus im Rahmen einer SFBFernsehsendung offen gefragt, was er damals als wahlberechtigter Bürger der Weimarer Republik gewählt habe.7 „[…] ich habe immer, solange es sie gab, die Volkskonservativen8 gewählt, […]“9 antwortete er und spezifizierte dies im 3 Jene Tagebuchseiten sind nicht mehr überliefert. Es ist zu vermuten, dass die Gedichtzeilen zwischen 1928 und 1929 in Kirchheim unter Teck entstanden sind, als Gerstenmaier bei der Firma Leopold Stecher beschäftig war und ihn die betriebliche Eintönigkeit zunehmend beschäftigte. 4 Vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002. 5 Ebd. 6 Vgl. dazu Kapitel 1.3. 7 Vgl. Gaus, Staatsmann, 123. 8 Zu den Volkskonservativen, ihrer Geschichte, ihrer Struktur und ihren politischen Zielsetzungen vgl. Jonas, Volkskonservative; und Jones, Sammlung, 265–304.

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gleichen Satz mit „[…] und zwar nicht deshalb, weil mir das Programm besonders klar gewesen wäre, sondern weil auf der Liste der Volkskonservativen einige Namen standen, die mir aus der Literatur vertraut waren.“10 Aus seiner Antwort lässt sich erkennen, welchen Stellenwert die Literatur für ihn hatte. Noch vor parteipolitischen Inhalten beeinflusste sie seine ersten politischen Entscheidungen. Was Wilhelm Stählin mit seinem Buch „Fieber und Heil in der Jugendbewegung“ für Gerstenmaiers innere Orientierung im Rahmen seiner religiösen Befreiung bedeutete, das bedeuteten ihm zwei Bücher von August Winnig11 für seine politische Orientierung im Rahmen seiner frühen politischen Sozialisation. Das erste von Gerstenmaier angeführte Buch dieses Autoren ist „Frührot“ von 1924. Winnig verarbeitete in diesem Werk seine Jugend. Er brachte sie in eine besondere Beziehung zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung und reflektierte seine Rolle darin.12 Zwischen Winnig und Gerstenmaier sind deutliche Parallelen im Hinblick auf deren Erziehung und soziokulturelle Hintergründe feststellbar. Auch wenn der aus einfachen Verhältnissen und einer kinderreichen Familie mit elf Geschwistern stammende Winnig innerhalb seiner Primärsozialisation mit dem Pietismus nicht in Berührung kam, so kann bei ihm trotzdem von einer starken religiösen Erziehung und einer deutlich kritischen Auseinandersetzung damit in seiner Jugend gesprochen werden.13 Die biografischen Beschreibungen und Einstellungen des rebellischen Jungsozialisten beeindruckten Gerstenmaier so sehr, dass er sich mit dem politisch äußerst aktiven Winnig „spontan sozialisierte“14 und sich zu seiner eigenen pietistischen Prägung ein kritisches Verhältnis auftat. „Die Welt des Sozialismus war mir bis zu Winnigs ,Frührot‘ innerlich fremd geblieben“, schrieb Gerstenmaier später. „Die Welt aus der ich kam, stand ihr feindlich gegenüber. Nun entdeckte ich Züge in ihr, die mich tief ergriffen. Eine Kampfbewegung für Gerechtigkeit, eine Freiheitsbewegung pochender Herzen.“15 Obwohl Gerstenmaier Winnigs Engagement besonders durch den Aspekt der Freiheit schätzte, da sich damit zahlreiche seiner eigenen Gedanken bestätigten und darüber hinaus weiter festigten, können keine weiterführenden parteipolitischen Assoziationen im Hinblick auf den Sozialismus 9 10 11 12

Gaus, Staatsmann, 123. Ebd. Zu Winnig vgl. Ribhegge, Winnig; und Landgrebe, Winnig. Ausgehend von ausführlichen Erlebnisbeschreibungen seiner Heimat und Großfamilie setzte sich Winnig mit vorwiegend sozialistischen Problemstellungen auseinander und berichtete über die Entwicklung der Arbeiterbewegung. Besonders eindrücklich erscheinen dabei seine jugendpolitischen Erkenntnisse und eigenen Streikbeteiligungen für mehr Gerechtigkeit und Freiheit (vgl. Winnig, Frührot). 13 Vgl. ebd., 178–185; und Ribhegge, Winnig, 25–33. 14 Gerstenmaier, Streit, 26. 15 Ebd.

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konstatiert werden, die über eine Bewunderung Winnigs in seiner Jugendzeit hinausgingen. Bei dem zweiten Buch Winnigs, das Gerstenmaier mehrfach anführte, handelt es sich um „Vom Proletariat zum Arbeitertum“ von 1930. Auch hier verknüpfte Winnig wieder die zeitgenössischen Entwicklungen mit seiner eigenen Biografie. Er konnte vom Gewerkschaftsvertreter zum SPD-Parlamentarier in der Weimarer Nationalversammlung bis hin zum Oberpräsident von Ostpreußen aufsteigen. Jedoch nach dem gescheiterten Kapp-Putsch von 1920, den Winnig unterstützt hatte, wurde er sowohl seiner Ämter enthoben als auch aus der SPD ausgeschlossen. In der nachfolgenden Zeit, in der er sich sowohl ideologisch als auch politisch von den Sozialdemokraten entfernte und den Volkskonservativen anschloss, entstand „Vom Proletariat zum Arbeitertum“. Darin rechnete Winnig deutlich mit dem Sozialismus und seinen Maximen ab: „An der sozialistischen Bewegung können wir heute studieren, wie lange ein Apparat ohne Seele laufen kann. Diese Bewegung ist entseelt. Sie hat keinen Glauben, aber sie hat Macht. Sie hat keinen Wert, aber sie hat Geld. Sie hat keinen Auftrieb, aber sie hat Masse. Einem solchen Wesen ist sicherlich die zeitliche Grenze gesetzt. Sie wird an dem Schicksal zerschellen, das sie leugnet. Aber keiner kann sagen, wann und wie.“16

Die negative Konnotation der sozialistischen Bewegung bestimmt den roten Faden des Buches. Winnig spiegelte darin zudem die zeitgenössische Gesellschaftskrise und betonte, dass letztlich allein Gemeinschaft, Volkstum und Staat als „willentlich geschlossene Träger des Schicksals“17 diese Krise überwinden könnten. Winnigs persönlicher Weg, seine gemachten Erfahrungen, bewältigten Herausforderungen sowie auch seine sich trotz Spannungen entwickelte christliche Integrität,18 war für Gerstenmaier zur damaligen Zeit eine „Art Vorbild“19 in seiner eigenen Entwicklung. Die Lektüre von Winnigs Büchern brachte ihm nahe, welchen Stellenwert die eigene Überzeugung im Charakterbild eines Menschen einnehmen musste, um Selbstvertrauen zu entwickeln und zu seiner Meinung nachhaltig zu stehen. „Eigentlich haben diese beiden Bücher meine ersten politischen Entscheidungen bestimmt […]“20, resümierte Gerstenmaier in seinem Lebensbericht. Winnigs Lebensweg beeindruckte ihn so sehr, dass er darauf hin die Volkskonservativen wählte, ohne sie genauer zu kennen. Da Winnig jedoch auf deren Liste stand, schenkte Gers16 Winnig, Proletariat, 6. 17 Ebd., 217. 18 Wilhelm Ribhegge legte 1973 eine historische Persönlichkeitsanalyse über Winnig vor, aus der diese Aspekte für die Zeit nach dem Bruch von 1920 besonders hervorgehen (vgl. Ribhegge, Winnig, 194–294). 19 Gaus, Staatsmann, 123. 20 Ebd.

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tenmaier ihnen sein Vertrauen.21 Auch wenn dieser Sachverhalt naiv zu wirken scheint, unterstreicht er die besondere Bedeutung von Literatur für Gerstenmaiers persönliche Genese. Wenn man von dem weitgehend übereinstimmenden Wertekanon absieht, ist bei Gerstenmaier von keiner praktisch-politischen Nähe zu den Volkskonservativen in der Weimarer Zeit auszugehen.22 Darüber hinaus sind keine parteipolitischen Beteiligungsversuche oder Ambitionen in die Richtung der Volkskonservativen belegt. Festzuhalten ist, dass Gerstenmaier von Winnigs Arbeit stark beeindruckt war. Während seiner späteren beruflichen Tätigkeit für das Kirchliche Außenamt in Berlin23 nahm er zu Winnig deshalb auch Kontakt auf. Infolge eines Treffens „in vollkommener Offenheit“24 schrieb er an seine Mutter, dass er den Schriftsteller in einen von ihm zu bildenden ökumenischen Ausschuss „zu meiner Freude“25 berufen konnte. Winnig habe sich gern dazu bereit erklärt. Über die Lektüre seiner Bücher und über die ökumenische Zusammenarbeit mit ihm während der nationalsozialistischen Zeit in Berlin hinaus kann zudem vermutet werden, dass Gerstenmaier mit Winnigs späteren christlich-konservativen Idealen und Wertmustern d’accord ging.26 2.1.2 Friedrich Schiller und die Erweiterung der Gedankenwelt Gerstenmaiers Horizont erweiterte sich im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit als Kaufmann neben den Impulsen aus der Jugendbewegung vor allem auch durch den Einfluss seiner Eltern. So beschrieb er sein Elternhaus in einem Interview mit folgenden Worten: „[…] ich hatte eine Mutter, einen Vater, überhaupt mein Elternhaus, wo geistige Fragen, nicht nur politische Fragen, sondern Fragen des Geistes überhaupt, auch der geistigen Bildung, der klassischen Bildung, immer wieder angesprochen, immer wieder verhandelt wurden.“27 Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass Gerstenmaiers Eltern von ihrem Sohn erwarteten, dass er sich an den heimischen Diskussionen beteiligte und entsprechend dazu beitrug. An dieser Stelle ist nicht zu klären, in welchem Umfang Albrecht und Albertine Gerstenmaier im Rahmen ihrer beruflichen und privaten Möglichkeiten selbst jene von Gerstenmaier angesprochenen Fragen adäquat einbringen und vertreten konnten. Festzu21 22 23 24

Vgl. Gerstenmaier, Streit, 26. Vgl. Philippi, Genese, 210. Vgl. Kapitel 4.3.2. Brief Gerstenmaiers an seine Mutter vom 21. 6. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 2). 25 Ebd. 26 Winnig war auch während der NS-Zeit ein kritisch denkender christlich-konservativer Geist. Dies brachte ihn in die Nähe der Widerstandskämpfer des 20. 7. 1944. Nach 1945 gehörte er zu den Gründern der CDU. 27 Gaus, Staatsmann, 122.

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halten ist jedoch, dass sie die Entwicklung ihres Sohnes über ihre kleinbürgerlichen Möglichkeiten hinaus förderten und sein Interesse an vor allem deutscher Literatur weckten. Die Literatur nahm in Gerstenmaiers intellektueller Entwicklung nicht zuletzt deshalb einen wichtigen Stellenwert ein. Ihr ist während seiner Jugendund Kaufmannszeit eine zentrale Bedeutung zuzumessen. Aus dem oben schon erwähnten unveröffentlichten Aufsatz „Wort und Gestalt. Eine Rückschau und ein Bekenntnis“ von 1931, in dem er den Versuch wagte, „von den Entscheidendsten meiner Begegnungen mit den Meistern der deutschen Literatur zu berichten“28, geht hervor, dass die von ihm als bereichernd empfundene Literatur ein sehr breites Spektrum umfasste. In der Betrachtung seiner Einschätzungen und Würdigungen wird nicht nur deutlich, dass er im Lauf seiner Jugend einen regelrechten literarischen Spaziergang durch die verschiedenen Epochen der deutschen Literatur- und Philosophiegeschichte unternahm, sondern auch auf die griechischen Denker und außerdeutschen Klassiker zurückgriff. So beschäftigte er sich in seiner Freizeit u. a. mit Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Hölderlin, Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Gerhard Hauptmann, Hermann Hesse, Stefan Zweig, Platon, Aristoteles und William Shakespeare. Er las und studierte ihre Werke.29 Durch die verschiedenartige Lektüre erweiterte sich sein emotionales und rationales Verständnis seiner Umwelt dahingehend, dass er für ihn etablierte Selbstverständlichkeiten nun infrage stellte und seine persönliche Rolle im Gefüge seiner sozialen Umwelt mehr und mehr hinterfragte. Gerstenmaier würdigte auch Friedrich Nietzsche und Paul de Lagarde, denen er die „Förderung und Festigung in entscheidenen Fragen“30 zu verdanken habe. Was sich genau hinter diesen entscheidenen Fragen verbirgt, wurde von Gerstenmaier nicht spezifiziert. Zu konstatieren ist jedoch, dass die Auseinandersetzung mit der Literatur wesentlich auf sein Denken Einfluss nahm. Mit Rudolf G. Binding erkannte er darüber hinaus: „Das Leben, das du lebst, muss zutiefst erlebt sein, denn nicht anders zwingst und erringst du dein Leben.“31 An dieser fundamentalen Erkenntnis lässt sich erschließen, dass sich die Literatur nicht nur auf Gerstenmaiers Gedanken, sondern eben auch auf sein Handeln, seine Entscheidungen und sein Wesen auswirkte. Einen zentralen Einfluss auf Gerstenmaiers Entwicklung hatte sein Interesse an literarischen Werken aus der Zeit des Sturm und Drang, an der deutschen Literatur in der Epoche der Klassik. „Schiller und Goethe waren die leuchtenden, aber fast die beiden einzigen Gestirne an dem sich weiter wölbenden Himmel meiner inneren Welt und in ihrem Licht sah ich mein

28 29 30 31

Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). Vgl. ebd. Ebd. Ebd.

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Leben.“32 Die besondere Bedeutung dieser beiden Meister der deutschen Literatur wird für Gerstenmaier in diesem Zitat deutlich erkennbar. Gerstenmaier schätzte die Werke Johann Wolfgang von Goethes, jedoch stand er ihnen nicht so nahe, wie denen von Friedrich Schiller.33 Um es mit Gerstenmaiers eigenen Worten zu sagen: „[…] nichts war so unbedingt hinreissend, so begeistert und begeisternd wie dieser Friedrich Schiller. Seine Verse wurden […] [mir] zum täglich Brot, Wort und Gedanke des grossen Meisters wurde mit aller Kraft der Intuition und eines ungebrochenen Glaubens erfasst, die Schönheit der Sprache, die hinreissende Glut wurde zur Musik und die grossen Konturen der Schillersehen Welt wurden die Vorbilder beim Bau der eigenen.“34

Schiller begeisterte Gerstenmaier mit seiner differenzierten Betrachtung der Welt, seinem leidenschaftlichen Freiheitskampf gegen die Tyrannei sowie seinen Idealen, die von Humanismus und Aufklärung nachhaltig gezeichnet waren. In seinen Werken setzte sich Schiller mit gesellschaftlichen Problemlagen zwischen feudal-aristokratischen und bürgerlichen Herausforderungen kritisch auseinander35 und trat so auch als Historiker36 auf. Durch seine Kunst wollte der oft als „sperrige Denker und rastlose Sinnsucher“37 dargestellte Schiller die Menschen – ausgehend von seinem Konzept des Theaters als moralische Anstalt – zu vernünftigen, freien und weltoffenen Wesen erziehen. Auf dieser Grundlage wurde er für Gerstenmaier durch seine Werke38 zum „Held und Ideenbildner“39, zum „Führer meiner Jugend“40. Schillers identitätsstiftende Wirkung war innerhalb der Jugendbewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch intensive Lektüre und verschiedenartige Gedenkfeiern sehr stark ausgeprägt.41 Die ambivalente Nationalisierung Schillers hatte bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt und gipfelte in einem regelrechten Personenkult.42 Schiller diente für viele Jugendliche als Vorbild. Für Gerstenmaier ging die intrinsische Auseinandersetzung und Identifika32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Beispielhaft seien an dieser Stelle Schillers Werke „Die Räuber“, „Kabale und Liebe“ sowie „Don Carlos“ genannt. Zu den gesellschaftskritischen Auseinandersetzungen darin vgl. Hofmann, Schiller, 23–59. Zu Schillers Wirken als Historiker vgl. R sen, Identität, 178–193; und Hofmann, Schiller, 74–78. Knopp/Arens, Besten, 246. Da nicht überliefert ist, welche Werke Gerstenmaier genau von Schiller las, ist hypothetisch zu vermuten, dass er sich dem Gesamtwerk Schillers annäherte und nicht nur dramatische, sondern auch lyrische und epische Werke von ihm las. Gerstenmaier, Streit, 19. Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). Vgl. Sommer, Feierkult; Hofmann, Schiller, 183–193; und Oellers, Schiller (2 Bde.). Zur Nationalisierung Schillers im 19. und 20. Jahrhundert sowie auch dessen nationalstaatlicher Missbrauch vgl. Mosse, Nationalisierung, 108; und Sommer, Feierkult, 9–11.

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tion mit Schiller jedoch so weit, dass Schiller für ihn als der „Lenkende und Bestimmende in den Entscheidungen jener Jahre“43 gesehen werden kann. In dieser Aussage Gerstenmaiers wird die tiefgreifende Faszination und Überzeugung von Schillers vorgebrachten Wertvorstellungen erkennbar. An Schillers Gedankenwelt und seine Rangordnung der Lebenswerte anschließend, erweiterte Gerstenmaier seine eigene Weltanschauung. In Kombination mit der christlichen Botschaft des Evangeliums waren für ihn vor allem die von Schiller immer wieder ins Zentrum gerückten Themen der Freiheit, Brüderlichkeit und Selbstbestimmung gegenwärtig. An diesen Grundfesten und deren weiterer Vertiefung lässt sich Gerstenmaiers Entwicklung sowohl in seiner Jugend als auch später im Studium sowie seiner kirchlichen und politischen Laufbahn spiegeln. Sie sind mit seinem intrinsischen Handeln eng zu verbinden und auch von Schillers Impulsen dahin gehend zu verstehen, dass das Individuum mit aktivem oder passivem Widerstand reagieren muss, wenn jene Grundfesten in ihrer Existenz bedroht sind. Gerstenmaier stilisierte Schiller später zu seinem persönlichen Maßstab, dem er „ein Leben lang die Treue hielt“44. 2.1.3 Oswald Spengler und die Erkenntnis zu mehr Bildung So sehr Friedrich Schiller die Gedankenwelt und Werteordnung des jungen Kaufmanns formte, wurde er durch die Beschäftigung mit Oswald Spengler und seinem zweibändigen Werk „Der Untergang des Abendlandes“ umso mehr beeinflusst und im Blick auf seine weitere kognitive Entwicklung entscheidend geprägt. Innerhalb der Jugendbewegung waren die beiden Bände ein viel diskutiertes Thema.45 In diesem Umfeld kam auch Gerstenmaier mit ihnen in Kontakt. Er erstand die beiden Bücher antiquarisch und stellte bei der Lektüre fest: „Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto weniger konnte ich mich ihr [Spenglers Gedankenführung] entziehen.“46 Gerstenmaier war mit „staunende[r] Achtung“47 vordergründig von Spenglers kulturphilosophischen Gedankengängen und seiner analytischen Methodik beeindruckt. Auf dieser Grundlage lernte er den der Konservativen Revolution48 nahestehenden 43 Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 44 Gerstenmaier, Streit, 19. 45 In einer bemerkenswerten Studie über das Literaturkonzept der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung zwischen 1896 und 1923 stellte Malte Lorenzen die ambivalenten Wirkungen der Literaturdiskussionen innerhalb der Bewegung auf die Jugendlichen heraus. Spengler sei mit seinem Werk in diesem Zusammenhang eine hohe Bedeutung zuzumessen (vgl. Lorenzen, Wandern, 75–360). 46 Gerstenmaier, Streit, 27. 47 Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 48 Zur rechtskonservativen Ideologie dieser umstrittenen Gruppe und ihren Untergruppierungen vgl. Mohler, Revolution; und Korotin/Eickhoff, Sehnsucht.

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Geschichtsphilosophen zu schätzen und in jugendbewegten Diskussionen zu verteidigen. Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ war nach dessen Erstveröffentlichung49 längst ein Bestseller geworden, als Gerstenmaier mit ihm während seiner Kaufmannszeit – vermutlich zwischen 1928 und 1929 – in Berührung kam. Der damalige Erfolg Spenglers beruhte nach Axel Schildt auf dem Missverständnis eines aktuellen Untergangsszenarios, welches durch den Titel des Werkes hervorgerufen wurde.50 Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg kam es zu Fehlinterpretationen, da der von Spengler definierte Untergang nicht selten mit der deutschen Kapitulation gleichgesetzt wurde. Nach Spenglers Intention lag der Schwerpunkt von „Der Untergang des Abendlandes“ jedoch nicht in einer historischen Zäsur und deren Aufarbeitung, sondern in einer ganzheitlichen Darstellung der Universalgeschichte.51 Und das in einer ganz besonderen Form. Spengler hatte den philosophischen „Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen“52 – wie es vor ihm noch keiner getan hatte. Dadurch, dass er die Weltgeschichte nicht als Universalie, sondern als Pluralität der Kulturen interpretierte, brach er freilich nicht nur mit dem klassischen Historismus von Augustin bis Hegel, der von nur einer Menschheit als Subjekt der Weltgeschichte ausging, sondern auch mit der abendländischen Tradition des welthistorischen Denkens. Spengler verband seine geschichtsphilosophische Darstellung mit der Überzeugung, dass Kulturen im Hinblick auf ihre Genese und Weiterentwicklung stets bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen würden: entstehen, reifen, kulminieren und vergehen.53 Von einer wechselseitigen Beeinflussung ging er nicht aus. Jede Kultur folgte demnach nur ihrer eigenen vom Schicksal her determinierten Gesetzmäßigkeit und musste als Zivilisation bezeichnet werden, wenn sie ihren Zenit überschritten hatte. Mit der Unterscheidung von organisatorischer Kultur und mechanistischer Zivilisation ist ein wichtiges Hauptthema der Konservativen Revolution zu konstatieren,54 welche auch schon Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ diskutiert hatte.55 Spengler prophezeite der abendländischen Kultur den Untergang und stieß damit nach den Erschütterungen des Ersten Weltkrieges auf eine breite Leserschaft. In diesem Zusammenhang ist jedoch weniger von einer pessimistischen Grundhaltung oder einer nihilistischen Nähe zu Nietzsche56 zu spre49 Der erste Band „Gestalt und Wirklichkeit“ erschien 1918 in erster Auflage in Wien, der zweite Band „Welthistorische Perspektiven“ 1922 in München. Das Gesamtwerk wurde aufgrund der hohen Nachfrage sehr oft aufgelegt. 50 Vgl. Schildt, Abendland, 25. 51 Vgl. Spengler, Untergang, Bd. 1, 63–69. 52 Ebd., 1. 53 Vgl. ebd., 225–236. 54 Vgl. Stutz, Spengler, 75–85. 55 Vgl. Maass, Spengler, 21–23. 56 Vgl. Brock, Nietzsche.

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chen als mehr von einem Versuch, seine Leser zu einem Lebenskonzept nach dem Vorbild des heroischen Realismus zu motivieren, sich also auf neue zivilisatorische Gegebenheiten einzustellen und nicht zu versuchen, sich krampfhaft an vergangenen Zeiten festzuklammern.57 Dass sich in der ersten Hälfte der 1920er Jahre um Spengler und sein Werk eine spannungsreiche Debatte in vor allem intellektuellen Kreisen und der Jugendbewegung entbrannte,58 ist auf dieser Grundlage wenig verwunderlich. Verschiedenste Visionen aus der Mitte der Gesellschaft, aber auch von linken und rechten Extremen dominierten die Diskussionen um die Zukunftsgestaltung der Weimarer Republik.59 Insbesondere die Zerrüttungen der Weltwirtschaft und die krisenartigen Auswirkungen in Deutschland fachten – durch Inflation und Massenarbeitslosigkeit beeinflusst – die Diskurse über die gesellschaftliche und politische Weiterentwicklung Deutschlands an. Auch Kirchheim unter Teck war von dieser wirtschaftlichen Krisenstimmung betroffen.60 In diesem Rahmen kam Gerstenmaier mit Spengler in Berührung. „Ein starker Einbruch in mein Denken“61 hatte die Beschäftigung mit den beiden Bänden zum Resultat. Jener von Gerstenmaier beschriebene Einbruch drückte sich auch darin aus, dass er an seine eigenen kognitiven Grenzen kam. Er las den ersten Band und blieb im zweiten stecken. In diesem Denkprozess ist die „Erkenntnis [zu fassen], daß mir zu seinem [Spenglers] Verständnis, jedenfalls zu einem vollen Verständnis eine hinreichende Bildung fehlte.“62 Die Lektüre von „Der Untergang des Abendlandes“ war „für einen Mann meines Bildungsweges eine etwas schwierige Sache“63. Gerstenmaier fehlten zu dieser Zeit vor allem Kenntnisse in den alten Sprachen und auch Erfahrungen im Umgang mit den Methoden der Geisteswissenschaften. Obwohl er die Leitideen Spenglers verstand, hatte er darüber hinaus den Willen, das Werk gänzlich zu verstehen, um Selbstständigkeit und Freiheit für sich und seine sich aufbauende Gedankenwelt zu erlangen. So konstatierte er: „Ich mußte mehr lernen, ich muß mehr wissen.“64 Damit fasste Gerstenmaier den entscheidenden Entschluss: „Ich muß unbedingt studieren […].“65 Die Bedeutung dieser Entscheidung war fundamental. Daniela Gniss wertete Gerstenmaisers Auseinandersetzung mit Spengler als ein Schlüsselerlebnis in seinem 57 Vgl. Maass, Spengler, 23. 58 Vgl. Briefs, Untergang; Schroeter, Streit; und Dickel, Auferstehung. Zur kritischen Auseinandersetzung um die Spengler-Debatte vgl. Koktanek, Spengler 269–281; und Herz, Morgenland, 49–70. 59 Zu den Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland zwischen 1918 und 1933 vgl. Graf, Zukunft, 65–377. 60 Vgl. Kilian, Weltkrieg, 680–684. 61 Gerstenmaier, Wort (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 62 Gerstenmaier, Streit, 27. 63 Gaus, Staatsmann, 122. 64 Ebd. 65 Gross, Gespräch, 17. Als ähnliche Beschreibungen zu diesem Entschluss vgl. Gerstenmaier, Streit, 27.

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Leben.66 Dieser Einschätzung kann sich im Hinblick auf die für Gerstenmaier resultierenden Veränderungen mit dieser Entscheidung angeschlossen werden. Der mutige Schritt, alles Gewohnte für mehr Bildung hinter sich zu lassen und einen Wechsel des Betätigungsfeldes anzustreben, markierte den wichtigsten Wendepunkt im Leben des jungen Kaufmanns. Gerstenmaier in diesem Zusammenhang mit kritischen Auslegungen von Spenglers Werk in Verbindung zu bringen, die darin letztlich den Faschismus und den Nationalsozialismus ideologisch zu rechtfertigen versuchten, steht in keinem Verhältnis.67 Der Erkenntnisgewinn von Gerstenmaier aus Spenglers Werk lässt sich primär auf die Faszination seiner Gedankenführung und geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen beziehen als auf eine inhaltliche Kompatibilität. Zu einer inhaltlichen Internalisierung von Spenglers Thesen sind keine Nachweise überliefert und auch Parallelen nur schwer zu ziehen. Darüber hinaus sind die ideologischen Vorwürfe gegen Spengler haltlos. Joseph Goebbels versuchte Spengler zwar für die nationalsozialistische Bewegung propagandistisch zu vereinnahmen, schaffte es jedoch nicht, da Spengler eine Beteiligung an Wahlpropaganda ablehnte. Der Versuch endete gar nach heftigem Widerstand Spenglers mit der Anweisung von Goebbels: „Die Regierung bittet, von diesem Manne keinerlei Notiz mehr zu nehmen.“68 Der Vorwurf, Spengler habe sich als Opportunist erwiesen, geht fehl. Er kann hingegen als Gegner des NS-Regimes gewertet werden. Dies zeigte sich u. a. durch den Entschluss, aus dem Vorstand des Nietzsche-Archivs 1935 auszutreten, als dieses begann, mit den neuen Machthabern aktiv zusammenzuarbeiten.69 2.1.4 Christian Moser und das Abitur Infolge der Auseinandersetzung mit verschiedener Literatur und Philosophie in Eigenrecherche sowie in den Diskussionskreisen der Jugendbewegung entstand bei Gerstenmaier das Bedürfnis nach mehr Bildung und der Wunsch, studieren zu wollen, um somit komplexere Zusammenhänge verstehen und vor allem auch rekonstruieren zu können. Was er genau studieren wollte, ließ sich zu dem Zeitpunkt, als er das Bedürfnis bei der Beschäftigung mit Spengler verspürte, noch nicht klar definieren. Da Gerstenmaier nach seiner Konfirmation 1920 bereits die Schule verließ, war ein Studienbeginn nur möglich, wenn er das Abitur nachholen würde. Dieser wichtige Schritt verband sich nicht nur mit einer notwendigen, fortwährenden und strategisch-kontinu66 Vgl. Gniss, Gerstenmaier, 32. 67 Zum zeitgenössischen Verhalten Spenglers und der entsprechenden Kritik vgl. Henkel, Spengler, 188 f.; und Stutz, Spengler, 201–238. 68 Bohrmann, NS-Presseanweisungen, 242. 69 Vgl. Maass, Spengler, 96.

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ierlichen Lernleistung, da immerhin eine beachtliche Fülle von Unterrichtsstoff und vor allem auch die alten Sprachen nachgeholt werden mussten, um überhaupt die Aufnahmeprüfung zu bestehen, sondern auch mit einer finanziellen Herausforderung. Die anstehende Vorbereitung zur Aufnahmeprüfung und der auf ihn zukommende Schulalltag machten die Kündigung seiner kaufmännische Anstellung unumgänglich. Klar war, dass er das Ziel des Abiturs nur schwer ohne Hilfe meistern konnte. In diesem Zusammenhang war die Rolle seines ehemaligen Lehrers an der Kirchheimer Realschule von entscheidender Bedeutung. Christian Moser kam bereits während des Ersten Weltkrieges mit Familie Gerstenmaier in Kontakt. Nach Gerstenmaiers Erinnerungen nahm er sich seiner durch die vielen Kinder „hart überforderten Mutter“70, Albertine Gerstenmaier, an und hatte es sich, während Vater Albrecht Gerstenmaier in Verdun im Schützengraben lag, zur Aufgabe gemacht, den ältesten Spross der Familie vor „allzu großer Nachlässigkeit in schulischen Dingen“71 zu bewahren. Gerstenmaier vermutete, dass Moser ihn schon damals ins Herz geschlossen hatte, da er seine Zuchtrute deutlich mehr als andere Schulkameraden zu spüren bekam.72 Zwischen Moser und Albrecht Gerstenmaier bestand eine freundschaftliche Beziehung, welche die Vermutung nahelegt, dass Moser durch die bewusste Förderung und auch körperliche Züchtigung von Gerstenmaier zu dieser Zeit meinte, den Erziehungsauftrag in Stellvertretung für Albrecht Gerstenmaier wahrnehmen zu müssen. Gerstenmaiers Verhältnis zu Moser kann trotzdem als wertschätzend und vertrauensvoll beschrieben werden, da Moser in der Familie nicht nur als „unser Christian“73 bezeichnet wurde, was zeigt, in welcher Form er wirkte und dadurch fast selbstverständlich zur Familie dazugehörte, sondern auch Gerstenmaiers Weg zum Studium entschieden vorbereitete. Moser erkannte in Gerstenmaier anscheinend großes Potential, das es zu fördern galt. Er begleitete ihn vermutlich auch während seiner Ausbildungs- und Arbeitsjahre im Hintergrund. Gerstenmaiers bewusster Entschluss zum Studium wurde von Moser nachhaltig unterstützt. Man kann ihn gar als wichtigsten Protagonisten in Gerstenmaiers Abitur-Realisierungsprozess beschreiben. Der inzwischen pensionierte Moser überzeugte – wahrscheinlich Anfang 1929 – nicht nur Albertine Gerstenmaier davon, dass ein Studium genau der richtige Schritt für ihren Sohn sei, sondern räumte auch etwaige Zweifel bei Gerstenmaier selbst aus, die ihn im Blick auf seine Begabung und sein Verständnis von Spenglers Schriften beschäftigten. Moser hatte „mich unablässig [zum Abitur] gedrängt“74, erinnerte sich Gerstenmaier später. Um dies zu ermöglichen, hatte 70 71 72 73 74

Gerstenmaier, Streit, 27. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Gross, Gespräch, 17.

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Moser für ihn bereits im Frühjahr 1929 Stoff- und Unterrichtspläne vorbereitet, nach denen er in den nächsten Monaten neben seiner kaufmännischen Tätigkeit vor allem griechische und lateinische Vokabeln sowie auch Mathematik zu lernen hatte.75 Zudem wurde vereinbart, dass Gerstenmaier seine sichere Beschäftigung bei der Firma Leopold Stecher im August 1929 kündigen sollte, um sich ganz mit Moser für die Aufnahme als ordentlichen Schüler in die Oberprima des humanistischen Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart, eines der renommiertesten Gymnasien Württembergs, vorzubereiten. In diesem Zusammenhang war es wohl sehr hilfreich, dass Moser ein „verbissener schwäbischer Altphilologe“76 war, dem es durch seine Erfahrung und pädagogischen Ansätze gelang, das sehr ambitionierte Vorhaben „ohne Krampf“77 zu schaffen. Dass Moser seine Dienste als Gerstenmaiers Privatlehrer vergütungsfrei78 zur Verfügung stellte, zeigt, wie sehr ihm Gerstenmaier am Herzen lag. Aufgrund der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise und ihren bereits 1929 schon spürbaren Auswirkungen stellte jene Kündigung seines sicheren Arbeitsverhältnisses ein großes Risiko dar. Sein Vater meinte, dass er ein „grenzenlos leichtsinniger Bursche“79 sei und auch seine damaligen Kollegen erklärten ihn für „leicht verrückt“80. Trotz aller Bedenken entschloss sich Gerstenmaier dazu. Er beschrieb diesen Schritt in seinen Lebenserinnerungen als äußerst erfüllend. Der Terminus der Freiheit spielte dabei eine zentrale Rolle. Er löste sich von den Zwängen des Alltags und zog „in die Freiheit“81 sowie zu seinem 23. Geburtstag in ein „neues Leben. Die Stunde der Freiheit und der großen Veränderung war angebrochen.“82 Mosers Einsatz für Gerstenmaier beschränkte sich nicht nur auf die intellektuelle Weiterentwicklung und Leistungsfähigkeit seines Schülers, sondern auch auf dessen finanzielle Absicherung. Da Gerstenmaier ab September 1929 kein Gehalt mehr zu verzeichnen hatte und ihn seine Familie aufgrund der vielen Geschwister83 nur eingeschränkt unterstützen konnte, bekräftigte Moser Gerstenmaiers Bemühungen um eine Art Studienhilfe als Stipendium beim Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart (EOKR) und warb bereits ab Juni 1929 für ihn. In zwei dem EOKR zugegangenen Berichten schilderte Moser die Fortschritte seines Schülers als „erfreulich“84 und „sehr bedeu-

75 76 77 78 79 80 81 82 83 84

Vgl. ebd. Gerstenmaier, Streit, 27. Ebd., 29. Vgl. ebd., 28. Gaus, Staatsmann, 124. Gerstenmaier, Streit, 28. Ebd., 22. Ebd., 28. Zu diesem Zeitpunkt waren es vier Brüder und drei Schwestern. Brief von Christian Moser an den EOKR vom 24. 6. 1929 (EZA 2/P14).

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tend“85. Neben ihm wurde Gerstenmaier in diesem Zusammenhang auch durch den zweiten Stadtpfarrer von Kirchheim unter Teck, Hugo Rupp, bei seinen Bemühungen vor dem EOKR in der Form eines offiziellen Schreibens86 unterstützt. Aus Rupps Argumentation für Gerstenmaier lassen sich drei wesentliche Punkte fassen, die eine finanzielle Förderung durch den EOKR rechtfertigen sollten. Zunächst führte Rupp Gerstenmaiers Fähigkeiten und Charakterzüge – ähnlich wie von Moser beschrieben – heran und unterstrich sie als besonders: „Er ist ein talentvoller, geistig bewegter und beweglicher Mensch, der schon sehr viel gelesen hat, sich mit ethischen, religiösen und philosophischen Fragen und Problemen gerne und viel abgibt und sich müht, den Dingen auf den Grund zu kommen. Es ist ihm Lebensbedürfnis, sich über diese Fragen auseinanderzusetzen. Über alle […] Fragen und Literatur ist er fast fabelhaft orientiert; allem nach liest und arbeitet er sehr rasch. […] Eifer, Wille, Fähigkeit und Reife des Eugen G. schiene es mir durchaus zu rechtfertigen, dass sich die Studienhilfe in weitgehendem Masse seiner annehmen würde und ihm den Weg bereiten hülfe.“87

Rupp konstatierte, dass er Gerstenmaier als Gemeindeglied zu schätzen gelernt habe und er ihm die nötige Geistes- und Willenskraft zutraue, das Abitur und auch ein Studium bewältigen zu können. Gerstenmaier habe seine Familie aus einem festen Pflichtgefühl finanziell in ihrer Existenz unterstützen wollen und somit eine Ausbildung mit rascher beruflicher Absicherung wahrgenommen, anstatt einer weiterführenden Schullaufbahn. Die Umsetzung seines Abitur-Vorhabens könne nur an der Geldfrage scheitern, wenn sein Einkommen wegfallen würde. Aufgrund seiner familiären Situation sei Gerstenmaier auf Hilfsquellen angewiesen, um die Rupp den EOKR für Gerstenmaier nachhaltig bat. Als dritten und wichtigsten Punkt für Gerstenmaiers Förderwürdigkeit durch den EOKR führte Rupp das Ziel seines Studiums an. Gerstenmaier wolle Theologie studieren und könne bald „in unserer Landeskirche als tüchtiger, für Zeit und Ewigkeit aufgeschlossener Pfarrer“88 zur Verfügung stehen. In einem eigenen Gesuch von 1929 an den EOKR beschrieb Gerstenmaier ebenso den „seit langem gehegten Wunsch, der evangel.[ischen] Kirche als Pfarrer zu dienen“89. Von der Jugendbewegung her hätte er ein lebendiges Verhältnis zur Kirchengemeinde aufgebaut, sodass dadurch unter anderem in einem „immer stärkeren Maße“90 der Wunsch zum Theologiestudium in ihm wuchs. Nicht 85 Brief von Christian Moser an den EOKR vom 14. 11. 1929 (EZA 2/P14). 86 Das Schreiben trägt den Titel: „Aeusserung des Pfarramts zu dem Gesuch des Eugen Gerstenmaier um Verwillung aus der Studienhilfe“ (EZA 2/P14). 87 Schreiben von Pfarrer Hugo Rupp an den EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 88 Ebd. 89 Gesuch Gerstenmaiers um Beihilfe aus den Mitteln der evangelischen Studienhilfe beim EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 90 Ebd.

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nur Pfarrer Rupp, sondern auch seine maßgebenden Wegbegleiter und Vorbilder in der Jugendbewegung, Paul Le Seur und Leopold Cordier91, hätten ihn dazu ermutigt. Dass Gerstenmaier ein Theologiestudium anstreben wollte, ist erstmals an diesem Punkt der überlieferten Aktenlage zu entnehmen. An dieser Stelle ist deshalb zu hinterfragen, ob der beschriebene Wille zum Theologiestudium und zum Pfarramt den realen Wünschen von Gerstenmaier entsprach. Da sich Gerstenmaier 1931 nicht allein in evangelischer Theologie, sondern sich noch zwei in anderen Fächern immatrikulierte, liegt die Überlegung nahe, dass er die Argumentation für das Pfarramt vor dem EOKR möglicherweise strategisch nutzte, um den Schritt zu einem akademischen Weg realisieren zu können. Begründen lässt sich diese Vermutung in einer Kombination aus seiner religiösen Sozialisation und der weitreichenden religiösen Differenzierungen während der Jugendbewegung. Jedoch ist es nicht auszuschließen, dass Gerstenmaier eben während seiner kaufmännischen Tätigkeit, in den religiösen Diskussionskreisen und seinen jugendbewegten Aktivitäten, die ihn mit vielen verschiedenen Menschen über Kirchheim unter Teck hinaus in Kontakt brachten, das Bedürfnis zunehmend hegte, die Theologie weniger aus frommen Momenten heraus zu hinterfragen, sondern mehr als Wissenschaft zu begreifen. Gerstenmaier erbat in seinem Gesuch an den EOKR 1929 eine Summe von 1500 RM92 für die anstehende finanzielle Kompensation. Noch vor seiner Kündigung zum 31. August 1929 veranlasste der EOKR am 22. Juli 1929 das Dekanatamt Kirchheim zur Übertragung der ersten Rate von 200 RM.93 Nach intensiver Vorbereitung bestand Gerstenmaier die Aufnahmeprüfung am 23. April 1930 „illustre ohne Schwierigkeiten.“94 Für „meinen alten Christian“95 stellte dies einen Triumph dar, für Gerstenmaier war es eine Ermutigung für den Schritt hin zum Abitur. Seiner Aufnahme in die Klasse IXa des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums folgte das nächste Gesuch vor dem EOKR auf finanzielle Unterstützung. Zu beachten ist dabei, dass Gerstenmaier nicht nur erneut betonte, dass er geringe finanzielle Mittel besitze und von seinen Eltern nichts erwarten könne, sondern auch, dass er „sich auf das Studium der Theologie vorbereitet“96. Er betonte sein Ziel ganz klar und erbat weitere 1200 RM bis zu seinem Abitur im Frühjahr 1931. Rupp wirkte auch an 91 Auch Rupp konstatierte in seinem Schreiben: „Es scheint namentlich Cordier gewesen zu sein, der den Gedanken und Entschluss zum Pfarramt in ihm guthiess und festigte.“ (Schreiben von Pfarrer Hugo Rupp an den EOKR von 1929). 92 Vgl. Gesuch Gerstenmaiers um Beihilfe aus den Mitteln der evangelischen Studienhilfe beim EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 93 Vgl. Veranlassung des EOKR an das Dekanatamt vom 22. 7. 1929 (EZA 2/P14). Es sind aufgrund der Aktenlage kontinuierlich Übertragungen für Gerstenmaier festzustellen. Vgl. EZA 2/P14. 94 Gerstenmaier, Streit, 29. 95 Ebd. 96 Gesuch Gerstenmaiers um Beihilfe aus den Mitteln der evangelischen Studienhilfe beim EOKR vom 26. 4. 1930 (EZA 2/P14).

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dieser Stelle unterstützend, da er Gerstenmaiers Gesuch erneut befürwortete und auch weiterhin eine finanzielle Botenfunktion für ihn übernahm.97 Als ordentlicher Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums und finanziell durch den EOKR abgesichert98 verließ Gerstenmaier seine Heimatstadt und zog in das Stuttgarter Lutherstift, in dem ihm vermutlich ebenso durch Rupp über den EOKR ein Platz vermittelt wurde.99 Im Gymnasium vertiefte er seine Literaturkenntnisse aus der Jugendbewegung und brachte sein Wissen über die Fächergrenzen hinaus miteinander in Verbindung. Vor allem in den ihm große Freude bereitenden Fächern Deutsch, Geschichte und Religion gelang es ihm mit sehr guten und guten Leistungen zu überzeugen; die alten Sprachen, Englisch und auch Mathematik waren hingegen mit größeren Anstrengungen verbunden.100 Über den schulischen Alltag hinaus nutzte er die Möglichkeiten der Großstadt, besuchte bildungsbürgerliche Veranstaltungen im Gustav-Siegle-Haus und auch den Stuttgarter Marktplatz, „sooft ich konnte“101. Letzterer fungierte zur damaligen Zeit als eine Art Plattform für politisch Interessierte. Die unentwegten Diskussionen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten förderten bei Gerstenmaier die „Lust am Disput, [und] die Neugier auf die Argumente zogen […] [ihn] unwiderstehlich an“102. Gerstenmaiers politisches Interesse schien sich während dieser Zeit zu intensivieren, auch wenn sich seine Meinungsbildung von keiner der beiden dominierenden Ideologien inspirieren ließ. Seine Faszination von den intellektuellen Möglichkeiten der Großstadt ist in diesem Zusammenhang zu betonen, da sie für seine Entwicklung über die ihm bekannten Bereiche hinaus von großer Wichtigkeit war. Der metaphorische Blick über den Tellerrand, sein intensiver Lerneifer und Fleiß ließen ihn im Frühjahr 1931 das Abitur mit Auszeichnung bestehen. Als Klassenbester wurde ihm sogar der sogenannte Scheffelpreis103 verliehen.104

97 Vgl. Äußerungen des Pfarramtes von Rupp am 28. 4. 1930 auf dem Gesuch Gerstenmaiers um Beihilfe aus den Mitteln der evangelischen Studienhilfe beim EOKR vom 26. 4. 1930 (EZA 2/ P14). Der Aktenlage sind kontinuierliche finanzielle Übertragungen für Gerstenmaier zu entnehmen (vgl. EZA 2/P14). 98 Die finanzielle Absicherung durch den EOKR bestand noch bis zum 6. 8. 1932 fort (vgl. die Erlasse des EOKR an das Dekanatamt Kirchheim. In: EZA 2/P14). 99 Vgl. die Anfrage zum Lutherstift im Schreiben von Pfarrer Hugo Rupp an den EOKR von 1929 (EZA 2/P14). 100 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 29 f; und die schulischen Ergebnisse aus seinem Reifezeugnis des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums bei Gniss, Gerstenmaier, 36. 101 Gerstenmaier, Streit, 30. 102 Ebd. 103 Der nach Joseph Victor von Scheffel benannte Preis wird seit 1928 nur an die besten Abiturienten eines Jahrgangs vergeben. Einen besonderen Stellenwert nimmt bei der Vergabe die Abiturleistung im Fach Deutsch ein. 104 Vgl. Erlass des EOKR an das Dekanatamt Kirchheim vom 25. 4. 1932 (EZA 2/P14); und Gniss, Gerstenmaier, 35 f.

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2.2 Theologische Lehrer und Inhalte „Religion? Was sollen wir damit? Recht für vergangene Zeiten oder für Menschen, die sich immer wieder in die Reste einer an sich längst überwundenen Gefühlsromantik flüchten. Kirche? Was sollen wir Gebildeten – und vor allem wir Halbgebildeten – mit einer solchen geradezu mittelalterliche Institution? Heute, im hellen Licht des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der Technik, der Rationalisierung!“105

Ob man „im hellen Licht des zwanzigsten Jahrhunderts“ noch Religion, Kirche und letztlich auch Glaube brauche, beschreibt im wesentlichen Gerstenmaiers Kernmotivation für einen Artikel unter der Überschrift „Hochwürden in spe“, der kurz vor seinem Abitur in der Vossischen Zeitung veröffentlicht wurde. In der Reihe „Wenn die Schule hinter uns liegt“ kamen Schüler zu Wort, die sich mit ihren Perspektiven nach dem Abitur und ihren individuellen Berufswünschen teilweise auch kritisch auseinandersetzten. Es ist deutlich zu erkennen, dass Gerstenmaier in dem Artikel vom 5. April 1931 nicht nur die „religiösen Eindrücke seiner Jugendzeit“106 und die zeitgenössischen Herausforderungen verarbeitete, sondern auch, dass er die stetig gewachsene107 Motivation für seinen Berufswunsch im Dienst der Kirche in einer zeitgemäßen Notwendigkeit beschrieb. Diese Notwendigkeit resultierte für ihn aus der gesellschaftlichen Krise, die sich freilich aus der deutschen Deflationspolitik unter Heinrich Brüning mit ihren weitreichenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen im Zuge der Weltwirtschaftskrise entwickelt hatte.108 Durch die zunehmende Rationalisierung und Mechanisierung sah Gerstenmaier einen sich verschärfenden Kampf um die geistig-seelischen Werte, um die Gültigkeit einer Rangordnung aller Lebenswerte, die einem Kampf um den Sinn des Daseins gleichkam. Zu diesem Kampf seien alle gerufen, die an die Macht des Geistes glaubten.109 Gerstenmaiers Beobachtungen kommen vor dem Hintergrund seiner scharfen Formulierungen einem wertbezogenen Blick aus der Metaebene gleich und betonen die Bedeutung des Glaubens im „Kampf der Lebendigen gegen das Tötende“110 als Möglichkeit, die Krisensituation zu überwinden. Der Artikel ist in diesem Zusammenhang als ein leidenschaftliches Plädoyer für das Studium der Theologie und letztlich für das Pfarramt zu werten. Anscheinend verband Gerstenmaier mit jenem Amt die Hoffnung, den Menschen eine Alternative zu der von ihm kritisierten Gerstenmaier, Hochwürden. Brauer, Bibel, 352. Vgl. die Korrespondenz zwischen Gerstenmaier, Rupp und dem EOKR in Kapitel 2.1.4. Zu Heinrich Brünings Deflationspolitik und dem Krisenmanagement Deutschlands zwischen 1930 und 1932 vgl. Schulz, Büning, 13–574. 109 Vgl. Gerstenmaier, Hochwürden. 110 Ebd.

105 106 107 108

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Rationalisierung und Mechanisierung bieten zu können. Eine Alternative, die durch Gottes Wirken selbst den seelisch-emotionalen Raum auszufüllen vermochte, der bei den Menschen durch die Weltwirtschaftskrise samt ihren sozialen Folgen in Deutschland entstanden war. Da die Person des Pfarrers nach Gerstenmaier in besonderer Weise beauftragt sei, in unverbrüchlichem Gehorsam gegen das Unbedingte auf die Ordnung der Werte hinzuweisen, ohne die das Leben letztlich sinnlos sei, komme ihm in diesem Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zu. „Er [der Pfarrer] ist berufen, auf immer neuen Wegen Verkünder des Ewigen zu sein, ist berufen, Helfer nicht der Weltflüchtigen, sondern derer zu sein, die im Kampf des Tages stehen.“111 Gerstenmaier beschrieb den primären Auftrag des Pfarrers hier sowohl als einen seelsorgerischen als auch einen kämpferischen für die Menschen, die unter den Konsequenzen der Zeit litten. Zudem betonte er zur Aufgabe des Pfarrers: „Es ist keine Winkelangelegenheit, um die es sich dabei handelt, keine überholte Sache, keine Sentimentalität und keine Romantik. Wahrlich zeitgemäß ist dieser Beruf, denn wahrhaft zeitgemäß ist letztlich nicht das, was eine Zeit hat, und was der Ruf des Tages begehrt, sondern, was sie braucht.“112 Daniela Gniss sah Gerstenmaier durch diesen Artikel „von einem gewissen Sendungsbewusstsein beseelt“113, das seiner schon in der Jugendbewegung artikulierten Kernforderung nach der Freiheit des Individuums entsprach. Dieser Einschätzung ist weitgehend zuzustimmen. Zudem ist auf der einen Seite zu betonen, dass Gerstenmaier im Rahmen des Artikel dem Berufsbild und -ethos des Pfarrers zwar eine hohe soziale Wertschätzung und gesellschaftliche Wichtigkeit in seiner Verkündigungsund Seelsorgeleistung zuteil werden ließ, aber nicht zu erkennen gab, ob das Pfarramt denn auch seinem eigenen Berufswunsch entsprach. Auf der anderen Seite ist jedoch zu konstatieren, dass er in die theologische Arbeit deutliche Hoffnung für die Menschen in jenem beschriebenen Zeitalter der Rationalisierung setzte, die wiederum primär durch den Beruf des Pfarrers umgesetzt werden konnten, sodass er das Pfarramt geradezu ergreifen musste, um seinen eigenen Ansprüchen genügen zu können. Doch wollte er dies wirklich? 2.2.1 Studienbeginn in Tübingen Am 7. Mai 1931 immatrikulierte sich der 25jährige Gerstenmaier als ordentlicher Student an der württembergischen Eberhard-Karls-Universität Tübingen114 und gelobte dem Rektor durch Handschlag, „den akademischen Gesetzen Gehorsam zu leisten, den Lehrern Achtung und Ehrerbietung zu 111 112 113 114

Ebd. Ebd. Gniss, Gerstenmaier, 36. Zur Universitätsgeschichte vgl. Sch fer/Wischnath, Universitätsgeschichte.

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erweisen, seinen Studien mit Eifer obzuliegen und ein der Universität würdiges sittliches Leben zu führen.“115 Dieses Versprechen war für ihn „kein Jux“116, sondern nach dem langen und beschwerlichen Weg vom Kaufmann hin zur Immatrikulation mit dem Bestreben verbunden, dem akademischen Leben mit Ehrfurcht und Respekt zu begegnen. Er versprach sich vom Studium sowohl eine intellektuelle Weiterentwicklung als auch stets neu zu bewältigende Herausforderungen statt eines tristen Berufsalltags. Dass der Beruf des Pfarrers bei Gerstenmaier nicht als definiertes Ziel seinen Studienbeginn prägte, wird letztlich aus seiner getroffenen Fächerwahl ersichtlich. Von den jugendbewegten Idealvorstellungen klar beeinflusst,117 begann er sein Studium mit einer Mischung aus Germanistik, Philosophie und Theologie. Er war sich selbst bewusst darüber, dass diese Kombination „kein rechtes Ziel“118 ergab. Vielleicht musste diese Kombination auch kein klares Ziel ergeben, da es vielleicht erst einmal darum ging, sich einen breiten Überblick über die Universitätslandschaft und deren Möglichkeiten zu verschaffen. Theologie – so lässt sich aus seinem Weg von der Jugendbewegung zum Studium vermuten – galt jedoch als sicheres Fach. Mehr aus wissenschaftlichem Erkenntnisdrang und weniger aus frommen Motivlagen heraus wollte er all ihre Disziplinen studieren; nach eigenen Aussagen sogar im Gegensatz zu seinem pietistisch geprägten Elternhaus.119 Seine religiösen Gesprächskreise, die Jugendbewegung und auch die Befreiung von den pietistischen Lebensmustern waren vor diesem Hintergrund entscheidend.120 Darüber hinaus gab er im Interview mit Günter Gaus zu erkennen, dass ihm Germanistik und Philosophie „reizvoller“121 erschienen als ein rein theologisches Studium. Es ist zu vermuten, dass Gerstenmaier den Universitätsstandort Tübingen aus finanziellen und logistischen Überlegungen in deutlicher Nähe zu seiner Heimatstadt Kirchheim unter Teck wählte, um sowohl die räumliche Entfernung zu seiner Familie gering zu halten als auch Nebenbeschäftigungen während des Studiums nachgehen zu können. Wenn man die Studienwahl Gerstenmaiers jedoch theologisch bedenkt, so wird klar, dass die beiden theologischen Fakultäten in Tübingen seinerzeit zu den renommiertesten in Deutschland gehörten. Im Sommersemester 1931 waren insgesamt 4002 Studierende an der Universität Tübingen eingeschrieben.122 Davon besuchten

115 116 117 118 119 120 121 122

Einschreibeurkunde vom 7. 5. 1931 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). Gerstenmaier, Streit, 31. Vgl. Gross, Gespräch, 17 f. Gerstenmaier, Streit, 30. Vgl. Gaus, Staatsmann, 123. Vgl. dazu Kapitel 1.3. Gaus, Staatsmann, 123. Vgl. Adam, Hochschule, 221. Ab dem Wintersemester 1931/1932 sank die Gesamtzahl der Studierenden rapide ab.

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25,2 Prozent eine der beiden theologischen Fakultäten.123 Die seit ihrer Gründung 1535 in einer außerordentlich reformatorischen Tradition stehende Evangelisch-Theologische Fakultät musste Gerstenmaier in ihrer besonderen theologischen Entfaltung durch die sogenannte Tübinger Schule124 bekannt gewesen sein. Anzunehmen ist, dass er sich von der – durch die Tübinger Schule inspirierte – Theologie innerhalb der Fakultät intellektuell angezogen fühlte, da diese die Exegese mit ihrer Einführung und Anwendung von geschichtswissenschaftlichen Methoden grundlegend verändert hatte. Die dadurch unter anderem resultierende erkenntnismäßige Hierarchisierung zwischen göttlicher Offenbarung und der menschlichen Vernunft sollte sein theologisches Denken während seiner akademischen Laufbahn nachhaltig prägen.125 Betrachtet man die von Gerstenmaier besuchten Veranstaltungen in den ersten beiden Semestern in Tübingen so fällt inhaltlich auf, dass er im Sommersemester 1931126 lediglich eine theologische Vorlesung hörte und sich erst ab dem Wintersemester 1931/1932127 mehr mit der Theologie beschäftigte. Die Disziplin der Systematischen Theologie schien sein Interesse dabei durchge123 Vgl. ebd., 157. Bis zum Wintersemester 1935/1936 wuchs der Anteil der Theologiestudierenden stetig auf 41,6 Prozent an. Danach sank er wieder. 124 Es ist dabei zwischen der Älteren und der Jüngeren Tübinger Schule zu differenzieren. Die Positionen der Älteren Tübinger Schule lassen sich mit einem biblischen Supranaturalismus sowie der Überzeugung von einer in der Bibel enthaltenen übernatürlichen Wahrheit umschreiben, die den Inhalt der christlichen Lehre bilde und die göttliche Offenbarung über aller Vernunft stehen lasse. Die Positionen der Jüngeren Tübinger Schule lassen sich eher in einem vorbehaltlosen Bemühen um eine konsequente Geschichtsbetrachtung und einer unbefangenen religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise auf das Christentum insgesamt erschließen (vgl. Kçpf, Art. Schulen, 165–171; und Ders., Geschichtsbetrachtung). 125 Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2. 126 Gerstenmaier wurden im Sommersemester 1931 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Ev.-Theologische Fakultät: VL Dogmatik I (ST bei Heim) und Hebräischkurs (Sprachkurs bei Zitt); Philosophische Fakultät: Hauptprobleme der Philosophie (Philosophie, Erkenntnistheorie und Metaphysik bei Oesterreich), VL Geschichte der deutschen Literatur vom Naturalismus bis zur Gegenwart (Germanische Philologie bei Kluckhohn) und VL Geschichte und Aufgaben der deutschen Literaturgeschichte (Germanische Philologie bei Kluckhohn); Medizinische Fakultät: Ausgewählte Kapitel aus der Lehre vom SeelischAbnormen (mit Krankenvorstellungen) für Hörer aller Fakultäten (Geistes- und Nervenkrankheiten bei Gaupp). Vgl. dazu Gerstenmaiers Testatbuch aus Tübingen (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 127 Gerstenmaier wurden im Wintersemester 1931/1932 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Ev.-Theologische Fakultät: SE Alttestamentliches Proseminar (AT bei Weiser), VL Kleine Propheten (AT bei Weiser), SE Neutestamentliches Proseminar (NT bei Kittel), VL Galaterbrief (NT bei Traub), VL Die Theologie der Gegenwart (ST bei Haenchen) und Kolloquium über Theologie und Ontologie (ST bei Heim und Assistent); Philosophische Fakultät: SE Hegel und Aristoteles (Philosophie bei Haering und Simon), VL Hegel, sein Werk und seine Bedeutung für die Gegenwart (Philosophie bei Haering), VL Deutsche Literatur im Zeitalter des Barock (Germanische Philologie bei Kluckhohn) und VL Deutsche Dichtung der Gegenwart (Germanische Philologie bei Kluckhohn). Vgl. dazu Gerstenmaiers Testatbuch aus Tübingen (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3).

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hend zu bündeln. Der Lehrstuhlinhaber Karl Heim und auch der als Privatdozent lehrende Ernst Haenchen standen durch ihre historisch-kritische Bibeltheologie der Tübinger Schule deutlich nahe. Die Eigentümlichkeit von Heims bibeltheologischem Ansatzes bestand darin, dass er in ihm die erkenntnistheoretische Skepsis mit einem christozentrischen Glauben zu verbinden versuchte. Die Offenbarungsproblematik stand dabei ganz im Mittelpunkt. Nach Heim konnte der Mensch über den Sinn des Lebens nur Gewissheit128 erlangen, wenn er die Offenbarung als Geschenk annahm.129 Darüber hinaus versuchte Heim innerhalb seines Ansatzes Theologie und Naturwissenschaft aufeinander zu beziehen. Der Theologe war davon überzeugt, dass die naturwissenschaftliche Welterklärung nicht umhin konnte, etwas wissenschaftlich nicht Erklärbares in die Welterklärung mit aufzunehmen. Das Unerklärbare war bei ihm das Irrationale, das wiederum zu einem zentralen Phänomen seiner Theologie wurde.130 Heims dogmatische Vorlesung empfand Gerstenmaier in seinem ersten Semester „am anziehendsten, weil interessantesten“131. Diese Tatsache ist neben Heims Inhalten sicher auch auf den Umstand zurückzuführen, dass er im Rahmen dieser Vorlesung einige christdeutsche Freunde aus seiner jugendbewegten Zeit wieder traf und zwischen den Kommilitonen im Anschluss an die Vorlesung eine Art „Dauerdiskussion über die Möglichkeit und Grenzen menschlicher Welt- und Gotteserkenntnis“132 entstand. Diese für ihn vertraute und bekannte Diskussionskultur aus seiner Jugend wurde durch Heims wissenschaftliche Impulse genährt. Heims sicher auch kontroversen Ansätze führten unter den Kommilitonen nicht nur zu offenbarungstheologischen Diskussionen, sondern vor allem bei Gerstenmaier auch zu einer intellektuellen Grundlegung der revelatio-Problematik, die ihn das ganze Studium hindurch beschäftigte.133 Die Euphorie bei Studienbeginn, die sich aus Gerstenmaiers Aufzeichnungen deutlich herauslesen lässt, hatte sich zum Endes des ersten Semesters gelegt. Seine „einst so sehnsüchtigen und dementsprechend überhöhten Vorstellungen von der Universität [wurden] wesentlich geläutert […]“ und es zeichnete sich für ihn immer noch „kein klares Berufsziel […]“ ab, auch wenn er sich nach eigener Aussage der Theologie „am meisten“134 zugeneigt fühlte. Wenn man seine ersten beiden Semester inhaltlich zusammenfasst, dann wird klar, dass er zwar in Philosophie und Germanistik zahlreiche Veranstaltungen besuchte und zuweilen auch von Paul Kluckhohns Literaturwissenschaft an-

128 Die Glaubensgewissheit machte einen zentralen Schwerpunkt seiner theologischen Arbeit aus. Vgl. u. a. Heim, Gewißheitsproblem; und Ders., Glaubensgewißheit. 129 Vgl. Rohls, Theologie, Bd. 2, 102 f. 130 Vgl. ebd., 284 f. 131 Gerstenmaier, Streit, 32. 132 Ebd. 133 Vgl. dazu Kapitel 3.1.1. 134 Gerstenmaier, Streit, 32.

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getan war,135 da diese es vermochte, die Größen der Literatur zu ihrem reflexiven Thema zu machen und damit Gerstenmaiers mannigfache Lektüre aus der Jugendbewegung wach hielt, der Schwerpunkt seines Studiums jedoch – aufgrund der Fülle von Veranstaltungen und abgelegten Leistungen – bei der Theologie gesetzt wurde. Er machte in Tübingen das Hebraicum, erledigte die bibelwissenschaftlichen Proseminare und legte schriftlich drei biblische Arbeiten vor.136 Da er nach den ersten beiden Semestern nur theologische Arbeiten verfasst hatte, kann vermutet werden, dass er sich schon ab dem zweiten Semester bewusst auf die Theologie konzentrierte und die beiden anderen Fächer eher nebenher zur diskursiven Ergänzung liefen. Eine akademische Ausbildung und ein entsprechendes studentisches Leben konnten sich zur damaligen Zeit nur wenige junge Menschen leisten. Da Gerstenmaier von seiner Familie finanziell nicht unterstützt werden konnte,137 war er auf sein eigenes Engagement zur Sicherung seines Unterhaltes angewiesen. Obwohl er noch regelmäßig bis zum Spätsommer 1932 mit Studienhilfen durch den EOKR unterstützt wurde,138 musste er darüber hinaus weiter aktiv werden. So arbeitete er in seinen ersten Semesterferien als Werksstudent in einem Textilunternehmen in Kirchheim unter Teck und Dank der Unterstützung seines Freundes Paul Collmer aus der gemeinsamen CVJM-Zeit während des Semesters auch im Tübinger Studentenwerk mit.139 Um weitere finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, bemühte sich Gerstenmaier zum Beginn seines zweiten Tübinger Semesters um ein Stipendium bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes (SdDV). Da er von den kirchlichen Institutionen bereits als „recht fähiger Mann, der fleißig arbeitet“140, geschätzt wurde und als „geistig sehr lebendig, aber auch ziemlich selbstbewusst“141 galt, was auch gleichzeitig seine Schwäche umschrieb, hoffte er nun darüber hinaus auf die Unterstützung des Staates, um sein Studium intensiver und selbstbestimmter wahrnehmen zu können. Das Auswahlverfahren fand im Winter 1931 statt. Aus einem Bericht von Wilhelm Hoffmann, dem Leiter der Tübinger Studentenhilfe und dem Vertreter der SdDV, vom 2. Dezember 1931 135 Vgl. Bewerbung um Aufnahme als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 136 Eine AT-Exegese hatte 2. Sam 2, 1–7 und eine NT-Exegese hatte 1. Joh 1, 18–23 zum Thema. Zudem liegt eine AT-Hausarbeit zur Entstehung des Davidischen Königtums über Juda und Israel (1. Sam 30–2. Sam 6) vor (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 137 Vgl. Kapitel 2.1.4. 138 Die letzten beiden Anweisungen des EOKR an das Dekanatamt Kirchheim sind vom 25. 4. 1932 (150 RM) und vom 6. 8. 1932 (100 RM) belegt (vgl. EZA 2/P14). 139 Aus beiden Beschäftigungen bezog Gerstenmaier Geld, das er zu seinem Unterhalt verwendete (vgl. Gerstenmaier, Streit, 32); und vgl. Erlass des EOKR an das Dekanatamt Kirchheim vom 25. 4. 1932 (EZA 2/P14). 140 Handschriftliche Äußerungen des Pfarramtes auf einem Gesuch Gerstenmaiers um Beihilfe aus den Mitteln der evangelischen Studienhilfe beim EOKR vom 15. 4. 1932 (EZA 2/P14). 141 Notizen auf einem Erlass des EOKR an das Dekanatamt Kirchheim vom 25. 4. 1932 (EZA 2/ P14).

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über Gerstenmaiers Eignung ging folgende zentrale Beurteilung hervor: „Wenn man ihn ferner mit dem Durchschnitt der Theologiestudenten vergleicht, so ist er sicherlich, was Aktivität, wissenschaftliches Interesse und Problembewusstsein angeht, den meisten stark überlegen.“142 Die Einschätzung des studierten und promovierten Theologen Hoffmann kulminierte nach dem fachlichen und persönlichen Gespräch mit Gerstenmaier gar in dem Satz: „Alles in allem glaube ich, dass, wenn einer der diesjährigen Tübinger Bewerber ersthaft in Frage kommt, es Gerstenmaier ist.“143 Mit der damals sogenannten Bezeichnung des Vorsemesters, einer Art Probezeit, in der sich Gerstenmaier bewähren musste, wurde er wenige Zeit später als einer von 130 aus 700 Bewerbern in die SdDV aufgenommen.144 In seinem Dank für die Aufnahme bekräftigte er, dass er sein Studium zu einer „ernsten[,] aber auch sehr schönen Pflicht“145 machen wolle. In dem Schreiben kündigte er zugleich an, seinem Studium eine neue Richtung geben zu wollen und die Universität zu wechseln. 2.2.2 Bei Friedrich Brunstäd in Rostock Die inhaltliche Grundlage für Gerstenmaiers Wechselwillen bildete die Lektüre einer Publikation von Friedrich Brunstäd. In der kleinen Schrift „Reformation und Idealismus“146 verarbeitete der promovierte Philosoph, der seit 1925 den Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Rostock inne hatte, sein wissenschaftlich-theologisches Programm. Brunstäd vertrat darin die These, dass Reformation und Idealismus nach ihrer Geschichte und Aufgabe innerlich zusammengehörten. Dazu beurteilte er die Geisteshaltung des 19. Jahrhunderts als ein Wiederaufleben der Aufklärung, um die darin begründete Kulturkrise der Gegenwart durch eine innere Erneuerung des deutschen Idealismus zu überwinden. Die idealistischen Vorstellungen übernahm er dabei nicht vorbehaltlos, sondern ging mit ihren Missverständnissen und Inkonsequenzen, mit Immanuel Kant und Georg Friedrich Wilhelm Hegel sehr kritisch um. Durch die Ansätze einer erkenntnistheoretischen Definition des deutschen Idealismus – in Anlehnung an Luther – 142 Beurteilung für die SdDV durch Hoffmann vom 2. 12. 1931 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-001/3). 143 Ebd. 144 Vgl. Brief der SdDV an Gerstenmaier vom 29. 1. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 145 Brief von Gerstenmaier an die SdDV vom 15. 2. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 146 In „Reformation und Idealismus“ verarbeitete Brunstäd einen Vortrag, den er auf einer Tagung der Luther-Gesellschaft in München am 18. 7. 1925 hielt (vgl. Homrichhausen, Engagement, 127). Die Schrift erschien direkt 1925 als kleine Broschüre und wurde 1957 in einen Sammelband aus Brunstäds Schriften aufgenommen (vgl. Brunst d, Reformation; und Ders., Aufsätze, 77–97).

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manifestierte Brunstäd die Basis für eine Fortsetzung eines reformatorischen Glaubens- und Weltverständnisses. Aus der daraus resultierten Neubestimmung eines Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriffs, der von der Kritik der Vernunft ausging und sich vor ihr bewähren musste, versuchte Brunstäd eine neue Logik aufzubauen, die den Glauben nicht verdrängen, sondern aufzeigen wollte, was Glaubenserkenntnis aus Offenbarung ist.147 Gerstenmaier war von Brunstäds Gedankenführung innerhalb der Schrift derart beeindruckt, dass er „spornstreichs zur Tübinger Universitätsbibliothek lief und mir alles geben ließ, was dort von Brunstäd zu haben war.“148 Brunstäds genereller Ansatz lässt sich mit Gerstenmaiers Worten in den Bemühungen beschreiben, die im „deutschen Idealismus kulminierte Philosophie des Abendlandes in eine Symbiose zu bringen mit dem Glauben der Christenheit in der Gestalt der lutherischen Reformation.“149 Durch diese – auch oft als Brunstäds Lebenswerk umschriebene – „Philosophie aus dem Glauben“150 lässt sich seine Theologie in einem orginären Werk der Lutherrenaissance sowie im Horizont Kants und Hegels als „wissenschaftliche Untersuchung und Darstellung der wahren oder gültigen Religion und der religiösen Wahrheit“151 fassen. Religion war für ihn „Ich-Erlebnis“: eine Offenbarung der unbedingten Persönlichkeit Gottes und ein Erlebnis ursprünglicher Vermittlungstotalität im Wertwiderstreit der Gemeinschaft freier Gewissen in Gott als Grund und Ziel der Kultur.152 In seiner Kulturtheologie standen alle Werte – religiöse, sittliche, politische, kulturelle und soziale – unter Gottes Anspruch und Zuspruch.153 Da Brunstäd durch seinen philosophisch-theologischen Ansatz154 weit über Rostock hinaus Ansehen genoss155 und er durch seine zahlreichen Publikationen156 mit den sich bei ihm bedingenden Bereichen der Philosophie, Religionsphilosophie und Theologie Gerstenmaiers uneingeschränkte Aufmerksamkeit hatte, entschloss sich der Tübinger Student nach Rostock zu wechseln.157 In einem Brief an den EOKR konstatierte Gerstenmaier sogar: „Die Richtung meiner Studien führte mich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu der 147 Vgl. Brunst d, Reformation; Beyer, Vermächtnis, 100; und Homrichhausen, Engagement, 127. 148 Gerstenmaier, Streit, 33 f. 149 Ebd., 35. 150 Bautz, Brunstäd, 777 f. 151 Ebd. 152 Vgl. Assel, Brunstäd, 1806; und Homrichhausen, Engagement, 120. 153 Vgl. Haendler, Brunstäd, 210. 154 Zu Brunstäds umfassender Theologie vgl. Schneider, Denken. 155 Zur Erinnerungskultur an Brunstäd vgl. Haendler, Erinnerungen, 129–206. 156 Zu nennen sind hier vor allem die Publikationen „Die Staatsidee der politischen Parteien“ (Berlin 1920), „Die Idee der Religion. Prinzipien der Religionsphilosophie“ (Halle 1922) und „Theologie als Problem“ (Rostock 1930). 157 Zu Gerstenmaiers Faszination an Brunstäds Gesamtansatz vgl. u. a. Haendler, Erinnerungen, 186–189.

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Systematischen Theologie und Philosophie Prof. Brunstäds nach Rostock.“158 Da ihn die „Heimische Theologie trotz aller Anregung, die ich ihr verdanke, nicht befriedigte,“159 verband er mit dem Wechsel die Möglichkeit, sein Studium „durch den persönlichen Kontakt mit massgebenden Dozenten intensiver und tiefer zu gestalten“160, wie er der SdDV brieflich mitteilte. Ein weiterer Grund für den Wechsel wird aus dem Brief vom 15. Februar 1932 darüber hinaus ersichtlich. Gerstenmaier schien dem „Mitschwimmen in dem grossen Strom, der sich hier durch alle theolog. Auditorien wälzt und fast alles nivelliert“161, an der Universität Tübingen überdrüssig und erhoffte sich „an einer kleineren theologischen Fakultät rascher und besser [studieren] zu können als das hier an der von Theologen überfluteten Universität“162 der Fall war. Der Vergleich zwischen der Universität Tübingen und der Mecklenburgischen Landesuniversität im Blick auf die Studierendenstatistik zeigt, wie groß die quantitativen Unterschiede waren. Von den zum Sommersemester 1932 in Rostock eingeschriebenen 2686 Studierenden gingen 225 – also 8,4 Prozent – dem Theologiestudium an der vom Neuluthertum geprägten Theologischen Fakultät nach.163 Auch wenn die Zahlen in den Quellen und der Literatur leicht variieren,164 so kann festgehalten werden: die Fakultät hatte 1932 den höchsten Studierendenstand seit ihrer Gründung erreicht und ragte – nicht zuletzt durch Brunstäds Engagement165 – durch eine überregionale Attraktivität hervor.166 Gerstenmaier verließ kurz vor Beginn des Sommersemesters 1932 Würt158 Brief Gerstenmaiers an den EOKR Stuttgart vom 7. 9. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1; und EZA 2/P14). 159 Bewerbung als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 160 Brief von Gerstenmaier an die SdDV vom 15. 2. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 161 Ebd. 162 Ebd. 163 Vgl. Buddrus/Fritzlar, Professoren, 31, 498. 164 Dieser Untersuchung liegen drei verschiedene Ausgangsquellen zugrunde, aus denen sich unterschiedliche Zahlen herauslesen lassen: Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar benannten in ihrer Studie 225 Studierende im SoSe 1932 an der Theologischen Fakultät (vgl. Buddrus/ Fritzlar, Professoren, 31, 498); der Statistik aus dem Rostocker Universitätsarchiv sind hingegen 306 Studierende (283 Männer und 23 Frauen) zu entnehmen (vgl. UAR, 2.03.1, 213). Ähnlich ist dies in den folgenden Semestern. Daniela Gniss bezog sich in ihrer GerstenmaierBiografie auf Zahlen aus dem Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde und benannte im SoSe 1938 lediglich 49 Studierende (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 39); die Statistik aus dem Rostocker Universitätsarchiv hingegen 52 Studierende (51 Männer und 1 Frau) (vgl. UAR, 2.03.1, 213). 165 Brunstäd war 1928–1929 Dekan der Theologischen Fakultät, 1930–1931 Rektor der Universität (während dieser Zeit erarbeitete Brunstäd eine neue Verfassung für die Universität, die 1932 eingeführt wurde), 1931–1932 Prorektor der Universität, 1932–1933 und 1936–1937 wieder Dekan der Theologischen Fakultät (vgl. Buddrus/Fritzlar, Professoren, 92). 166 Die Studierendenzahlen blieben während Gerstenmaiers Studium für Rostocker Verhältnisse konstant hoch: SoSe 1932: 306, WiSe 1932/33: 265, SoSe 1933: 295, WiSe 1933/34: 244, SoSe 1934: 278, WiSe 1934/35: 243, SoSe 1935: 209 (vgl. UAR, 2.03.1, 213).

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temberg gen Ostsee mit hohen Erwartungen sowie einem mindestens genauso hohen Anspruch an sich selbst. Am 2. Mai 1932 immatrikulierte er sich an der Universität Rostock.167 Seinem Bericht an die SdDV über sein erstes Semester an der Mecklenburgischen Landesuniversität und dritten Gesamtsemester vom Oktober 1932 ist zu entnehmen, dass der Wechsel für ihn von immenser Bedeutung und das Semester bis jetzt sein „schönstes und reichstes“168 war. Er beschrieb sein Studium in Rostock „wesentlich gestraffter, konsequenter und deshalb auch tiefgehender“ als in Tübingen. Anders als im „theologisch übervölkerten Tübingen“ war für ihn in Rostock der enge „regelmässige persönliche Verkehr“ mit den Dozierenden von „grösstem persönlichem und wissenschaftlichem Wert“. Das Adjektiv „persönlich“ dominiert den Bericht. Gerstenmaier zeigte damit den sich für ihn veränderten Maßstab auf, der zu einer theologischen „Durchdringung und Verlebendigung des wissenschaftlichen Stoffes“ sowie auch weltanschaulicher Auseinandersetzung führte. Durch den „persönlichen Kontakt mit meinen Lehrern“, wie Gerstenmaier in einem weiteren Schreiben an die SdDV vom 10. November 1932 betonte, wurde „mein Studium hier [in Rostock] ausserordentlich fruchtbar.“169 Besonders hervorzuheben sind im Sommersemester 1932170 die besuchten Lehrveranstaltungen von Brunstäd, aber auch Helmuth Schreiner und Johannes von Walter, die mit sieben von elf Veranstaltungen einen Löwenanteil seines Studiums ausmachten. Zu beobachten ist bei den attestierten Lehrveranstaltungen zudem, dass Gerstenmaier seinen Schwerpunkt in Rostock klar auf die Theologie legte.171 Brunstäd vermochte es in jenem ersten Rostocker Semester nicht nur Gerstenmaier wegweisend theologisch zu inspirieren, sondern ihm auch wieder eine religiöse Basis zu geben. Spätestens seit den Auseinandersetzungen um die pietistische Frömmigkeit innerhalb der Jugendbewegung war der basale Glauben für Gerstenmaier mit Attributen konnotiert, die ihn auf 167 Vgl. Testatbuch Rostock I (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 168 Semesterbericht von Gerstenmaier an die SdDV vom Oktober 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Alle weiteren Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote auf diese Quelle. 169 Bewerbung um Aufnahme als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 170 Gerstenmaier wurden im Sommersemester 1932 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: VL Ethik (ST bei Brunstäd), VL Religionsphilosophie (ST bei Brunstäd), SE Schleiermacher (ST bei Brunstäd), VL Johannesevangelium (NT bei Büchsel), VL Kirchengeschichte der Reformationszeit (KG bei von Walter), SE Luthers reformatorische Hauptschriften (KG bei von Walter), VL Praktische Theologie II – Ev. Pädagogik, Katechetik, Pastoraltheologie (PT bei Schreiner) und VL Religion und Ethos in den Weltanschauungskämpfen der Gegenwart (ST bei Schreiner); Philosophische Fakultät: VL Deutsche Volkskunde (Germanistik bei Teuchert), SE Deutsches Proseminar – Einfu¨ hrung in die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise (Germanistik bei Flemming) und Kunstgeschichtliche Übungen – Backsteingotik mit Exkursionen (Archäologie und Kunstgeschichte bei Sedlmaier). Vgl. Testatbuch Rostock I (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 171 Vgl. ebd.

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emotionale Distanz zu eben jenem hielten. Brunstäds idealistischer Ansatz aus der Verbindung von Philosophie und Theologie wurde für Gerstenmaier zur Brücke zwischen Denken und Glauben. Obwohl er weiterhin unablässig „immer wieder“172 die Bibel las, dominierten Zweifel. Nicht die Existenz eines „weltjenseitigen, personenhaften Gott[es war für ihn] ein Wagnis, ein schweres Wagnis“173, sondern der Glaube an genau diesen in seiner Einfachheit stellte die Herausforderung dar. Brunstäd bestärkte Gerstenmaier mit seiner philosophischen Theologie – und vermutlich auch mit vielen persönlichen Gesprächen – darin, „daß es auch der kritische Kopf eingehen könne, ja eingehen müsste, wenn er seine menschliche Berufung und Bestimmung erfassen wolle.“174 Gerstenmaier meinte in seinen Erinnerungen später darauf arbeitshypothetisch eingegangen zu sein.175 Über den die Zweifel überwindenden Mut hinaus bedeutete dies auch, dass bereits nach dem ersten Rostocker Semester sein berufliches Ziel des Pfarramtes nicht mehr im Mittelpunkt stand. Die Bewerbung zum vollwertigen Mitglied der SdDV bestätigte dies. Darin hieß es, dass er nicht nur die „Wissenschaft sehr lieben gelernt habe, sondern – und das ist mir das Entscheidende – […] nun auch gewiss bin, darin am besten dienen zu können.“176 Gerstenmaier wollte auf der einen Seite seine theologische Beschäftigung im Sinne Brunstäds vertiefen und auf der anderen Seite den Weg in die Wissenschaft beruflich verfolgen. Die von ihm bei Johannes von Walter zum Ende des Semesters vorgelegte kirchengeschichtliche Arbeit zum Thema „Ulrich von Hutten. Beurteilungen seit Ende des Weltkrieges“177 zeigte, dass Gerstenmaier auch dazu in der Lage war. Von Walter bewertete die Arbeit am 28. Juli 1932 mit der handschriftlichen Bemerkung „Druckreif 1“178. Damit beurteilte Gerstenmaier nicht nur etwaige Zweifel an seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten als „niedergemäht“179, sondern ging auch bestärkt in sein weiteres Studium. Dass ihn die wissenschaftlichen Inhalte aus Rostock auch über das Semester hinaus beschäftigten, belegt ein Brief, den Gerstenmaier am 6. Oktober 1932 an den praktischen Theologen Helmuth Schreiner aus seiner württembergischen Heimat schrieb. Darin betonte er: „3 Wochen bin ich auf der Alb rumgelaufen und habe den

172 173 174 175 176

Gerstenmaier, Streit, 35. Ebd., 35 f. Ebd., 36. Vgl. ebd. Bewerbung um Aufnahme als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 177 In der Arbeit widmete sich Gerstenmaier der zeitgenössischen Huttenforschung um David Friedrich Strauss, Paul Kalkoff, Paul Held, Fritz Walser, Hajo Holborn und Otto Flake in dem Wissen, dass Geschichtsschreibung Geschichtsdeutung ist. Seine Losung in der Arbeit ist humanistisch mit „ad fontes!“ bei der Auseinandersetzung mit den Historikern zu beschreiben (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 178 Ebd. 179 Gerstenmaier, Streit, 36.

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pädagog. und theol. Teil des schwäb. Christdeutschen Bundes mit Ihrer Pädagogik und Br’s [Brunstäds] Ethik versorgt.“180 Über die theologische und religiöse Inspiration von Gerstenmaier durch seinen Lehrer hinaus ist zudem davon auszugehen, dass der Rostocker Professor seinen Schüler auch politisch ansatzweise prägte. Brunstäd galt in der Zeit der Weimarer Republik als eine Art Vordenker der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und spielte somit auch im Bereich der demokratischen Strukturen eine Rolle.181 In seinen ideenpolitischen Überlegungen verarbeitete er nicht nur seine philosophischen Ansätze, sondern versuchte die DNVP auch als Milieupartei des nationalkonservativen Luthertums zu begründen.182 Da Gerstenmaier die Publikationen des Theologen studierte und viel Zeit an seiner Seite – vor allem über die regulären Hochschulveranstaltungen hinaus – verbrachte, ist in diesem Zusammenhang zu vermuten, dass Gerstenmaier von seinem Lehrer auch politisch inspiriert wurde. Wenngleich sich der Student nicht nachweislich in die DNVP einbrachte, so wurde seine politisch-konservative Weltanschauung durch Brunstäd weiter vertieft. Das nun folgende Wintersemester 1932/1933183 wurde mit 14 attestierten Lehrveranstaltungen zu seinem produktivsten Semester während des Studiums. Mit Gerstenmaiers Bericht über zwei Vorsemester an die SdDV vom 15. Februar 1933 lässt sich indessen seine wissenschaftliche Weiterentwicklung im Rahmen seines vierten Gesamtsemesters beschreiben. Obwohl er darin angab, dass ihn die Theologie und Philosophie Brunstäds „so in Anspruch nahm, dass ich nebenher nur zu verhältnismässig wenig anderem kam“184, standen neben Brunstäds Lehre auch wieder mehrfach Schreiner und 180 Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 06. 10. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier 01-210-004/ 2). 181 Friedrich Wilhelm Graf beschrieb in seiner Forschung gar, dass Brunstäd „wie kein anderer Parteiintellektueller mit hoher Zielstrebigkeit und hoher publizistischer Relevanz“ (Graf, Zeitgeist, 8) die politische Weltanschauung der DNVP definierte und entsprechend beeinflusste. 182 Zu den ideenpolitische Überlegungen vgl. u. a. Brunst d, Weltanschauung, 54–82. Zu Brunstäds allgemeinem Staatsverständnis vgl. Tanner, Verstaatlichung, 228–232. 183 Gerstenmaier wurden im Wintersemester 1932/1933 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: VL Dogmatik I (ST bei Brunstäd), VL Christentum und Wirtschaft – Krisis des Kapitalismus (ST bei Brunstäd), SE Sakramente (ST bei Brunstäd), VL Römerbrief (NT bei Büchsel), VL 1. Petrusbrief (NT bei Rendtorff), VL Jesaja (AT bei Jespen), VL Luthers Theologie (KG bei von Walter), VL Christentum und Deutschtum in ihren geschichtlichen Beziehungen (KG bei von Walter), VL Kirchengeschichtliche Sozietät: Augustin, de civitate dei (KG bei von Walter), VL Praktische Theologie I–Lehre von der Kirche, Liturgik, Homiletik (PT bei Schreiner), VL Gestaltungsaufgaben der Kirche – Wohlfahrtspflege, Rassenhygiene, Sozialpolitik (PT bei Schreiner) und SE Praktischtheologisches Seminar: Homiletische Abteilung (PT bei Schreiner); Philosophische Fakultät: VL Sprache und Volk (Allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft bei Weisgerber) und VL Die Kelten und ihr Einfluß auf Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker (Allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft bei Weisgerber).Vgl. dazu Testatbuch Rostock I (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 184 Bericht über zwei Vorsemester von Gerstenmaier an die SdDV vom 15. 2. 1933 (ACDP, Nachlass

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von Walter im Fokus. Diese drei Lehrer waren es auch, die ihn in Rostock maßgeblich förderten und forderten, sodass er sich ihnen zu „sehr grossem persönlichen Dank verpflichtet“ zu fühlen schien. Sein eigenes Denken hatte sich – dem Bericht nach – im Gespräch mit ihnen zu bewähren. An dieser Stelle wird erneut offenkundig, welche wichtige Stellung die persönlich-vertraute Dimension einer Schüler-Lehrer-Beziehung in seiner wissenschaftlichen Entwicklung innehatte. Die drei Lehrstuhlinhaber schienen von Gerstenmaier ebenso viel zu halten wie er von ihnen, da sie in besonderer Weise auf ihn eingingen: Brunstäd übertrug ihm das Seniorat seines Systematischen Hauptseminars, was einer ehrenamtlichen Assistenz gleichkam; von Walter lud ihn in seine kirchengeschichtliche Sozietät185 ein, die für Gerstenmaier eine „sehr wertvolle Arbeitsgemeinschaft“186 wurde; und auf die Einladung von Schreiner nahm er schließlich auch an dessen homiletischem Seminar teil. Letzteres galt innerhalb des Fakultätsbetriebes als Ort, an dem sich „wissenschaftliches Denken, persönliche Gesinnung und Initiative […] mit der Aufgabe der praktischen Gestaltung“ trafen. Auch wenn die Vorstellung des Pfarramtes in weite Ferne gerückt war, wurde ihm „dieses Seminar sehr lieb“. Aus dem Seminar ging Gerstenmaiers erste Predigt hervor, die er zum Thema „Wirkendes Geheimnis“ über das Gleichnis vom Sämann (Mt 13, 1–23) am 20. März 1933 in der Rostocker Universitätskirche hielt. Hierin wandte er sein homiletisches Können an und übertrug die Aussagen des Gleichnisses auf den Glauben, zuweilen auch seinen eigenen.187 Gerstenmaiers Leidenschaft war jedoch die Systematische Theologie. Er interessierte sich während des Semesters auch weiterhin für die systematische Durchdringung und Verlebendigung des wissenschaftlichen Stoffes. So legte er in Brunstäds Hauptseminar zwei Referate vor, die sich mit den zeitgenössisch-theologischen Diskussionen um das Abendmahl beschäftigten.188 Darüber hinaus besuchte er auch letztmalig germanistische Vorlesungen. „Dann ließ ich sie [die Germanistik] ganz fahren. Ich hatte mich getäuscht. Sie fesselte

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Gerstenmaier, 01-210-005/1). Alle weiteren Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote auf diese Quelle. In diesem kleinen Kreis um von Walter wurde im WiSe 1932/1933 Augustinus Gottesstaat gelesen und diskutiert (vgl. Gerstenmaier, Streit, 36). Bericht über zwei Vorsemester von Gerstenmaier an die SdDV vom 15. 2. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Alle weiteren Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote auf diese Quelle. Vgl. Predigt von Gerstenmaier in der Universitätskirche vom 20. 3. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). Und vgl. Kapitel 2.3. Eines zum Thema „Die Althaus-Lutherische Abendmahllehre“, in dem er sich mit zwei aktuellen Werken von 1931 zum Abendmahl auseinandersetzte („Die lutherische Abendmahlslehre in der Gegenwart“ von Paul Althaus und „Zum gegenwärtigen Gespräch über das Abendmahl“ von Wilhelm Niesel) und eines zum Thema „Das Abendmahl bei Schlatter“, das eine Auseinandersetzung mit Mt 26, 26–29 und Schlatters Position im Fokus hatte (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002).

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mich immer weniger“189, erinnerte sich Gerstenmaier. So sehr er von Kluckhohns Literaturwissenschaft in Tübingen angetan war, brach er sein germanistisches Nebenfach nach seinem vierten Semester endgültig ab und konzentrierte sich primär auf die Theologie.190 Zum Ende des Semesters wurde er am 13./14. März 1933 in die SdDV als vollwertiges Mitglied aufgenommen191 und fortan mit der Nummer M 122/32 geführt. Mit der Unterstützung der SdDV stellten finanzielle Sorgen, die er noch in seiner Bewerbung zur Mitgliedschaft vom 10. November 1932 schilderte,192 kein Hindernis mehr dar, um das Studium auch weiterhin fortzusetzen. Das Sommersemester 1933193 wurde für Gerstenmaier „formender, stärker als jedes andere bis jetzt“194, was nicht zuletzt auch mit seinem kirchenpolitischen Engagement zusammenhing.195 Die Studien bei der wissenschaftlichen Trias aus Brunstäd, Schreiner und von Walter bildeten mit acht von elf Lehrveranstaltungen in seinem fünften Semester erneut den Schwerpunkt. Besonders hervorzuheben ist neben einem sehr lebendigen Seminar bei Schreiner196 wiederum eine Veranstaltung bei Brunstäd,197 in dem sich Gerstenmaier vor allem mit Friedrich Gogartens 1932 erschienenen Werk „Poli189 Gerstenmaier, Streit, 34. 190 Nur während seines Auslandssemesters im Sommer 1934 besuchte er an der Universität Zürich noch einmal drei germanistische Veranstaltungen (vgl. Kapitel 2.2.3). 191 Vgl. Brief der SdDV an Gerstenmaier vom 16. 3. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 192 Gerstenmaier beschrieb eine familiäre Notsituation. „Ich bin deshalb ganz auf mich allein gestellt“, merkte er an, da sich die wirtschaftliche Lage seines Elternhauses aufgrund des drohenden Zusammenbruchs der Firma seines Vaters dramatisch verschlechtert hatte (vgl. Bewerbung um Aufnahme als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 193 Gerstenmaier wurden im Sommersemester 1933 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: VL Dogmatik II (ST bei Brunstäd), SE Systematisches Seminar – Sozialethik (ST bei Brunstäd), VL Synoptiker (NT bei Büchsel), VL Kirchengeschichte I – Altertum (KG bei von Walter), VL Symbolik – Kirchen- und Sektenkunde (KG bei von Walter), SE Augustana (KG bei von Walter), VL Psychoanalyse und Seelsorge (PT bei Schreiner), SE Praktisch-theologisches Seminar – Homiletische Abteilung (PT bei Schreiner) und SE Praktisch-theologisches Seminar – Religionspädagogische Abteilung (PT bei Schreiner); Philosophische Fakultät: VL Die Gesetze der moralischen Welt – Rechtsphilosophie und Ethik (Philosophie bei Ebbinghaus) und SE Uebungen im Anschluß an Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Philosophie bei Ebbinghaus). Vgl. dazu Testatbuch Rostock I (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 194 Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 30. 8. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1). 195 Vgl. dazu Kapitel 2.3. 196 Das Apologetische Seminar bei Schreiner beurteilte Gerstenmaier wie folgt: „Das lebendigste Seminar, das ich bis jetzt überhaupt erlebt habe. […] Es galt die Probleme der völk. Religiosität an den Hauptvertreter und ihren Richtungen aufzuzeigen, zur Diskussion zu stellen und scharf die wesentlichen Kriterien pro und contra herauszuholen.“ (Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 197 Gerstenmaier übernahm auch in diesem Seminar über Sozialethik die Rolle des Seniors (vgl. ebd.).

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tische Ethik“ auseinandersetzte und für seine theologische Weiterentwicklung in großen Teilen rezipierte. Der in Breslau lehrende Gogarten bündelte als lutherischer Theologe nicht nur Gerstenmaiers Interesse, weil er – ähnlich wie Brunstäd – in erster Linie religionsphilosophisch arbeitete,198 sondern auch, weil er die Ethik von einem neuen geschichtlichen Wirklichkeitsverständnis, vom Menschen selbst her zu fassen versuchte. Gogarten ging in seinem Werk von der These aus, dass der Weltkrieg die Epoche der Humanität und Autonomie beendet hatte. Der bisher selbstständig handelnde Mensch, der „sein Sein nicht als ein Für-sich- und Aus-sich-sein versteht, sondern als ein Vomandern-her-sein“199, war in seiner Seinsweise nunmehr als höriges Wesen200 unter eine fremde Macht getreten. Gogartens Ethik gestaltete sich als Explikation dieser Hörigkeit des menschlichen Ichs in seiner Beziehung zum Du, dem das Ich gegenüber verantwortlich war. Die ethische Erkenntnis war es nun, dass der Mensch durch die Nichteinhaltung dieser Verantwortung der Macht des Bösen verfallen war.201 Der christliche Glaube war nach Gogarten durch die Christusoffenbarung an dieser Stelle bedeutend, indem Gott dem bösen Menschen sowohl gut als auch das Gute Gottes in der Schöpfung war. Die gute Schöpfung versinnbildlichte bei Gogarten vor allem der obrigkeitliche Staat als göttliche Schöpfungsordnung. Nur er konnte Leben ermöglichen, da er die Seinsweise des Menschen mit der Hilfe des Gesetzes bewahrte.202 In Anlehnung an Gogartens religionsphilosophischen Ansatz konstatierte Gerstenmaier die Wechselwirkung zwischen menschlichem Sein und staatlichem Handeln während Brunstäds Seminar in einer Arbeit über Gogartens „Politische Ethik“ wie folgt: „Das politische Sein ist nicht eine Modifikation des menschl. Seins unter anderen, sondern das menschl. Sein überhaupt, das vor allem Tun liegt. Der Staat ist der verfasste Ausdruck dieses politischen Seins, die Gesellschaft ist Produkt und Form des menschlichen Tuns. Wo das Tun des Mensch nicht mehr aus seinem Sein begriffen wird, da wird es willkürlich. Folge: die Verabsolutierung des Gesellschaft. […] Der Mensch wird Mittel. Das aber bedeutet Entmenschlichung der menschl. Existenz. […] Die Menschlichkeit des menschl. Lebens beruht in seiner verantwortlichen Hörigkeit, die als verantwortliche nur in Freiheit möglich ist. […] Aufgabe des Staates ist es, seinen Untertanen die Freiheit zu garantieren. Der Staat gibt dem Menschen die Freiheit, indem er ihn vor der in die Nichtigkeit stossenden Macht des Bösen bewahrt.“203 198 Zur Theologie Gogartens vgl. Henke, Art. Gogarten, 563–567; Bauer, Freiheit; und Lessing, Geschichte, 31–36, 328–331. 199 Gogarten, Ethik, 19. 200 Vgl. ebd., 15. 201 Vgl. ebd., 62. 202 Vgl. ebd., 198 f; und Rohls, Theologie, Bd. 2, 254. 203 Gogartens „Poltische Ethik“ von Gerstenmaier vom 6. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002).

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Mit einer garantierten Freiheit des Menschen in staatlicher Verantwortung lässt sich der Kern von Gerstenmaiers Arbeit beschreiben. Auch wenn er zum Obrigkeitsstaat als Schöpfungsordnung später eine andere theologische Position bezog,204 so kann in dieser Arbeit beobachtet werden, wie Gerstenmaier theologisch über Brunstäds Ansatz hinaus wuchs und mehrheitlich die Themen Freiheit und Offenbarung kognitiv durchdrang. Darüber hinaus ist aus Gerstenmaiers Semesterbericht an die SdDV vom September 1933 zu entnehmen, wie er sich zwischen Übernahme und Widerspruch kritisch mit Gogartens Theologie und nationalkonservativer Ethik beschäftigte. So sehr er Gogartens dynamischen Geschichtsbegriff teilte, hielt er „das Fehlen jeder positiven Eschatologie“205 für unzulänglich. Den Grund dafür sah er „zweifellos in einer unzureichenden Rechtfertigungslehre.“ Aus der religionsphilosophischen Auseinandersetzung mit Gogarten folgerte er „erneut die Notwendigkeit einer [eigenen] theol. Arbeit an diesem Punkt.“ Gerstenmaier kündigte damit sein eigenes theologisches Vorhaben an. In der systematisch-theologischen Diskussion um Freiheit, Rechtfertigung und Offenbarung kristallisierte sich mehr und mehr eine eigene wissenschaftliche Arbeit heraus, zu der Brunstäd ihn schon längst aufgefordert hatte.206 Die Vorbereitung für eine entsprechende Promotion traf er bereits zum Ende seines fünften Semesters. Neben Brunstäd war in diesem Prozess auch der Leiter der SdDV, Hermann Brügelmann, maßgebend. Er forderte Gerstenmaier bei einer Unterredung am 28. August 1933 während seines Arbeitsdienstes für die SdDV in Dresden207 auf, eine Promotion sofort anzugehen. Der daraus resultierende Promotionsantrag an die SdDV, der von Gerstenmaier bereits am 30. August 1933 gestellt wurde, entstand parallel zu einem Brief an Brunstäd. Darin berichtete Gerstenmaier nicht nur von den Veränderungen innerhalb der SdDV im nationalsozialistischen Sinne und bezeichnete Brügelmann durch seinen persönlichen Widerstand als einen „tadellose[n] Kerl“208, sondern bat seinen Lehrer auch, ihn zu unterstützen und ein baldiges Gutachten anzufertigen, sodass er mit der Promotion beginnen könne, um sein Studium nach Möglichkeit in der Kombination aus Examen und Promotion beenden zu können. Im Promotionsantrag begründete Gerstenmaier sein Vorhaben detailliert. Obwohl er eigentlich geplant habe, nach neun Se204 Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2. 205 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Alle weiteren Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote auf diese Quelle. 206 Vgl. Brief Gerstenmaiers an die SdDV vom 31. 7. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 207 Obwohl Gerstenmaier den freiwilligen Arbeitsdienst vermeiden wollte (vgl. ebd.), arbeitete er vom 15. 8. bis 15. 9. 1933 innerhalb der akademischen Selbsthilfe bei der SdDV in Dresden mit (vgl. Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 30. 8. 1933. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 208 Ebd. Brügelmann leitete von 1932 bis 1934 die SdDV, ehe er seine Stelle aus politischen Gründen kündigte. Er wollte nicht in die NSDAP eintreten.

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mestern in Germanistik zu promovieren, hatten sich jedoch durch Brunstäd die „Gewichte […] verlagert. Ich bin Theologe geworden.“209 Für eine systematisch-theologische Arbeit sei bereits eine Fragestellung zur Rechtfertigungslehre herangewachsen, die „auf das ganze Feld der Theologie wie auf das der Geschichtsphilosophie gesehen, sehr fruchtbar sein kann, wenn sie ordentlich gelöst wird. […] Schliesslich sind wir ja dazu da, um das zu tun, was an der Zeit und notwendig ist.“210 Am 21. November 1933 erhielt Gerstenmaier von der SdDV „grundsätzliche Zustimmung zu [seinen] Promotionsplänen.“211 Im folgenden Wintersemester 1933/1934212 kam das Studium und auch eine entsprechende Konzentration auf die Promotion aufgrund seines studentischen Engagements213 „viel zu kurz.“214 Trotzdem vollzog sich „meine wissenschaftliche Hauptarbeit“ im Seminar Brunstäds, in dem er primär über Albrecht Ritschls Verständnis von Rechtfertigung und Versöhnung arbeitete. In seinem Semesterbericht würdigte er zudem Schreiner: „Der Schwung, den er in seine Arbeit gebracht hat, sucht seinesgleichen. Eine ganz ausserordentliche Formkraft und mitreissende Lebendigkeit heben diese Seminare über die meisten hinaus, die ich kenne.“ Interessant zu beobachten ist, dass Gerstenmaier in seinen Aufzeichnungen während des Studiums und auch danach lediglich die bereits besprochene Trias seiner Lehrer ansprach und auf deren Prägekraft hinwies. Hochschullehrer wie beispielsweise Friedrich Büchsel, bei dem er in seinem nunmehr sechsten Semester drei neutestamentliche Veranstaltungen besuchte und abschloss, jedoch – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnte. Dies legt die Vermutung nahe, dass ihn die theologischen Bereiche der genannten Professoren-Trias aus Kirchengeschichte, systematischer und praktischer Theologie mehr zu inspirieren schienen als Altes und Neues Testament. Zu unterstreichen ist zudem, dass sich aus der anfänglichen und guten Schüler-Lehrer-Beziehung zu Brunstäd und Schreiner eine fruchtbare Freundschaft von gegenseitiger Wertschätzung und gegenseitigem Interesse entwickelte. Die briefliche Korrespondenz zwischen den 209 Promotionsantrag Gerstenmaiers an die SdDV vom 30. 8. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 210 Ebd. 211 Brief Brügelmanns an Gerstenmaier vom 21. 11. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 212 Gerstenmaier wurden im Wintersemester 1933/1934 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: SE Rechtfertigungslehre (ST bei Brunstäd), SE Religionsgeschichtliche Übungen (ST bei Brunstäd), VL Korintherbriefe (NT bei Büchsel), VL Theologie des Neuen Testaments (NT bei Büchsel), SE Johannes und Synoptiker (NT bei Büchsel), VL Theologie des Alten Testaments (AT bei Quell), SE Praktisch-theologisches Seminar – Homiletische Abteilung (PT bei Schreiner) und SE Praktisch-theologisches Seminar – Religionspädagogische Abteilung (PT bei Schreiner); Philosophische Fakultät: SE Übungen u¨ ber die Gottesbeweise bei Thomas von Aquino (Philosophie bei Ebbinghaus). Vgl. dazu Testatbuch Rostock I (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3; und UAR, 1.09.0, Gers, E). 213 Vgl. dazu Kapitel 2.3. 214 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). Alle weiteren Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote auf diese Quelle.

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beiden Professoren und Gerstenmaier während des Studiums – und auch weit darüber hinaus – ist in diesem Zusammenhang als eindrücklicher Beleg dafür anzuführen.215 Theologisch durch einen einsemestrigen Studienaufenthalt in Zürich216 bereichert, trat er mit dem Wintersemester 1934/1935217 sein letztes Semester in Rostock vor dem Examen und der Promotion an. Erwartungsgemäß arbeitete er schwerpunktmäßig „wissenschaftlich fast ausschließlich systematisch“218 im Seminar Brunstäds, wie er in seinem letzten Semesterbericht an die SdDV angab, obwohl er quantitativ – ähnlich wie in seinem sechsten Semester im Neuen Testament – in diesem achten Semester auch drei Veranstaltungen im Alten Testament bei Gottfried Quell abschloss. Da Gerstenmaier der Prüfungskommission der württembergischen Landeskirche unterlag, bat er den EOKR in Stuttgart bereits vor dem Beginn des Semesters darum, die erste theologische Dienstprüfung im Laufe des nächsten Jahres in Rostock ablegen zu dürfen. In dem Brief vom 7. September 1934 schrieb er auch, dass er sich zudem mit „einer im Wesentlichen fertig vorliegenden Arbeit“219 zum sogenannten lic.theol., zum Lizentiaten der Theologie,220 promovieren wolle. Der entsprechenden Genehmigung folgte am 20. Februar 1935 die Bitte an den

215 Vgl. die Korrespondenz zwischen Gerstenmaier und Brunstäd (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) sowie die zwischen Gerstenmaier und Schreiner (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Daraus geht hervor, dass Gerstenmaier mit den beiden genannten auch sehr viel Zeit persönlich verbrachte. Beispielhaft sei ein Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) zitiert: „[…] als ich vor einigen Wochen mit Brunstäd fast jeden Tag am Strand lag.“ Dies zeigt, wie intensiv die Freundschaft zwischen Schüler und Lehrer war. Kurz nach Brunstäds überraschenden Tod schrieb Gerstenmaier am 16. 11. 1944 aus dem Gefängnis seiner Frau Brigitte: „Brunstäd tot – das ist eine schwere Botschaft für mich. Mein zweiter Vater. Ich weiß nicht, ob du ganz erfassen kannst, was dieser Mann für mein Sein und werden bedeutet und gewesen ist.“ (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 83–85, hier: 83). 216 Vgl. dazu Kapitel 2.2.3. 217 Gerstenmaier wurden im Wintersemester 1934/1935 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: VL Dogmatik II (ST bei Brunstäd), VL Evangelium und Sozialismus (ST bei Brunstäd), SE Ontotogie, Idealismus, Theologie (ST bei Brunstäd), VL Kirchengeschichte IV (KG bei von Walter), VL Geschichte Jesu (NT bei Büchsel), VL Geschichte Israels bis zur Zeit Jesu (AT bei Quell), SE Messiaserwartung im Alten Testament (AT bei Quell) und VL Deuterojesaja (AT bei Quell); Philosophische Fakultät: VL Geschichte der deutschen Philosophie von Fichtes Idealismus bis zur Gegenwart (Philosophie bei Ebbinghaus) und VL Allgemeine Pädagogik (Pädagogik bei Schreiner). Vgl. dazu Testatbuch Rostock II (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3; und UAR, 1.09.0, Gers, E). 218 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 21. 3. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 219 Brief Gerstenmaiers an den EOKR Stuttgart vom 7. 9. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1; und EZA 2/P14). 220 Zur Bedeutung, Geschichte und Umwandlung des Lizentiatengrades in den theologischen Doktor vgl. Weber, Umwandlung, 366–374.

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Rostocker Dekan der Theologischen Fakultät um die Zulassung zur Prüfung vor Ort.221 Nach intensiver Vorbereitung schloss Gerstenmaier seine erste theologische Dienstprüfung am 17. Oktober 1935 mit dem Gesamtprädikat sehr gut ab.222 Ihm gelang es die Prüfer sowohl mit seiner wissenschaftlichen Arbeit, den Klausuren und mündlichen Prüfungen223 als auch seiner Prüfungspredigt224 über die Perikope vom reichen Jüngling (Mk 10, 17–25) zu überzeugen. In Letzterer konnte er nicht nur sehr gut zeigen, dass er es vermochte, biblische Geschichten unter religions-philosophischen Gesichtspunkten im lutherischen und kantischen Stil auszulegen sowie die Rolle des Menschen als Gottsucher aus dem Gleichnis herauszuarbeiten, sondern auch die Spannungen zwischen einem Bekenntnis zum Evangelium und der Hinwendung von vor allem jungen Menschen zur herrschenden nationalsozialistischen Staatsräson anhand des Gleichnisses zu spiegeln. Das Ende der Predigt bündelte seine Ängste, aber auch seine Hoffnungen in einer Entschlossenheit zur Entsagung: „Deutschlands Jugend steht in einer Stunde, die für viele zur ernsten inneren Entscheidung werden muss. Es wird immer weniger selbstverständlich, dass diese Jugend Christus folgt. Für viele ist es aber schon jetzt ein hartes Entweder-Oder: Gefolgschaft Christi oder wirtschaftliche, politische Macht, Rang und Ansehen. […] die deutsche Jugend vor Christus – lasst uns beten und kämpfen, dass diese Berufung nicht misshört und dann zur Tragödie eines Volkes wird. Denn an dem Ruf dessen, der hier ruft, entscheiden sich die Schicksale der Einzelnen und der Völker zum Tode oder zum Leben, zum ewigen Leben. Hier gilt die Wahrheit: ,Wer die Kraft fand allem zu entsagen, ward erst kräftig alles zu erjagen!‘ Amen.“225

Die Predigt kann – in aller von Gerstenmaier verfassten Vorsicht – als Zeichen seines Missmutes zum Nationalsozialismus im Hinblick auf die kirchliche Freiheit gewertet werden. Damit entsprach er auf der einen Seite den ideologischen Maßstäben der fünf ihn zu beurteilenden Professoren226 und auf der anderen Seite der ihn finanziell fördernden SdDV, die sich durch die natio221 Vgl. Schreiben Gerstenmaiers an Schreiner vom 20. 2. 1935 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 222 Vgl. Zeugnis über erste theologische Prüfung vom 17. 10. 1935 (EZA 2/P14; und UAR, 1.09.0, Gers, E). 223 Vgl. Protokoll über mündliche Prüfung von Becker, Bachmann und Gerstenmaier in den 5 Disziplinen vom Oktober 1935 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 224 Vgl. Prüfungspredigt Gerstenmaiers vom September 1935 (UAR, 1.09.0, Gers, E). Es wurden für die Predigt handschriftlich folgende Noten vergeben: Schreiner (gehobenes gut am 16. 9.), Büchsel (gut am 20. 9.), von Walter (gut am 6. 10.), Quelle (sehr gut am 12. 10.) und Brunstäd (sehr gut am 15. 10.). 225 Prüfungspredigt Gerstenmaiers vom September 1935 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 226 Schreiner, Büchsel, von Walter, Quelle und Brunstäd standen dem Nationalsozialismus eher kritisch als wohlwollend gegenüber (vgl. Buddrus/Fritzlar, Die Professoren, 363–365 (über Schreiner); 96 f (über Büchsel); 426 f (über von Walter); 321 f (über Quell); und 92 f (über Brunstäd).).

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nalsozialistische Gleichschaltungspolitik seit 1933 als staatliche Stiftung gravierend verändert hatte.227 Der von Gerstenmaier geplante doppelte Studienabschluss aus theologischem Examen und Promotion wurde realisiert. Die vorgelegte Examensarbeit war ihm „unter der Hand zu einem Buch geworden, das meine Fakultät ohne weiteres als Dissertation angenommen hat.“228 Am 18. Oktober 1935 bewarb er sich beim Dekan der Theologischen Fakultät mit seiner Arbeit zum Thema „Schöpfung und Offenbarung“229 als Lizentiat der Theologie230 und unterzog sich am 31. Oktober 1935 dem Rigorosum.231 Am Reformationstag 1935 hatte Gerstenmaier nun sowohl seine erste theologische Dienstprüfung mit sehr gut und auch die Promotion mit dem Gesamturteil summa cum laude in der Tasche.232 Parallel zu seinem Abschlüssen versuchte er bei der SdDV die finanzielle Förderung einer zweiten Promotion im Bereich der Philosophie zu erwirken. Er argumentierte in einem Schreiben vom 18. Oktober 1935, dass er sein philosophisches Studium zwar nicht abgeschlossen habe, er jedoch im Auftrag des Kirchlichen Außenamtes233 nach Cambridge gehen und dort unter anderem lehren solle. Da sich seine wissenschaftliche Arbeit auf der Grenze beider Fakultäten bewege, brauche er beide akademische Grade und wolle sich zum kommenden Wintersemester in Berlin immatrikulieren.234 Zudem fragte er bei Schreiner brieflich an, ob er bei ihm vor der Philosophischen Fakultät in Rostock promovieren könne.235 Als sein Antrag zur finanziellen Unterstützung bei der SdDV jedoch aus formalen Gründen abgelehnt wurde,236 schrieb er Schreiner noch am selben Tag, dass er eine zweite Promotion auch ohne Unterstützung der SdDV auf die „eigene Kappe“237 nehmen wolle. Obwohl Schreiner jenem Projekt von Gerstenmaier zugetan war, teilte er ihm am 227 Vgl. Kunze, Fall, 11–29; und Ders., Studienstiftung, 205–262. 228 Brief Gerstenmaiers an die SdDV vom 18. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1). 229 Zum wissenschaftlichen Inhalt seiner Dissertation vgl. Kapitel 3.1. 230 Vgl. Brief Gerstenmaiers an von Walter vom 18. 10. 1935 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 231 Vgl. Brief Gerstenmaiers an die SdDV vom 26. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1); und Brief EOKRs an Gerstenmaier vom 31. 10. 1935 (EZA 5/3330). 232 Vgl. Mitteilung Gerstenmaiers an den EOKR vom 4. 11. 1935 (EZA 2/P14). 233 Zur genaue Betrachtung vgl. Kapitel 4. 234 Gerstenmaier wollte bei dem Berliner Philosophen Alfred Baeumler zu einem philosophischpolitischen Thema promovieren. „Die Sache wäre mir sympathisch, weil Bäumler ein zwar sehr umstrittener aber doch immerhin ein ,politischer‘ Philosoph ist, mit dessen Intention ich weiterhin übereinstimme.“ (Brief Gerstenmaiers an die SdDV vom 18. 10. 1935. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 235 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 13. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 236 Vgl. Brief Linkes von der SdDV an Gerstenmaier vom 14. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 237 Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 14. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 2).

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29. Dezember 1935 mit, dass die Philosophische Fakultät seinen Antrag negativ beantwortet habe. Als Alternative schlug er Gerstenmaier eine philosophische Promotion bei Julius Ebbinghaus im Hauptfach und bei Brunstäd sowie bei ihm selbst im Nebenfach vor.238 Da Gerstenmaier jene Perspektiven finanziell als auch fachlich weniger zusagten, beendete er das Vorhaben einer zweiten Promotion. Am 28. Januar 1937 wurde ihm dann nach dem Abschluss eines ordnungsgemäßen Promotionsverfahrens samt mündlicher Prüfung die Würde eines Lizentiaten der Theologie mit dem Gesamturteil „ausgezeichnet“ verliehen.239 Damit standen ihm alle Möglichkeiten im Bereich der akademischen Theologie offen. 2.2.3 Bei Emil Brunner in Zürich

Über Brunstäds Theologie hinaus wollte Gerstenmaier seinen theologischen Horizont während des Studiums erweitern und gleichzeitig an den aktuellen Impulsen und Diskussionen innerhalb der Theologie teilhaben. Die Dialektische Theologie bestimmte als theologische Ausprägung bzw. als theologische Denkrichtung seit ca. 1920 das zentrale Betätigungs- und Auseinandersetzungsfeld vieler zeitgenössischer Theologen. Bei ihr handelte es sich nicht um eine theologische Schule im klassischen Sinne, sondern eher um eine „lockere Arbeits- und Kampfgemeinschaft mit erheblichen inneren Differenzierungen und unscharfen Rändern“240, deren Hauptvertreter aus den Traditionszusammenhängen der Liberalen Theologie und des religiösen Sozialismus kamen. Vor allem Karl Barth, Friedrich Gogarten, Rudolf Bultmann und Emil Brunner prägten das theologische Gesicht jener Bewegung. Sie betonten in ihren Werken vor allem die Jenseitigkeit Gottes sowie die Souveränität seiner Offenbarung. Dies stellten sie über und gegen alle anderen Ansätze, die das menschliche Denken und Erleben in der Kultur, Philosophie und Religion als geistigen Besitz definiert und geschaffen hatten. Ihre Radikalität bedingte sich aus der theologisch-ideologischen Zeit des Ersten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen, die zu einer allgemeinen Krise des Kulturbewusstseins führten. So wird im Rahmen der Dialektischen Theologie auch oft von einer Theologie der Krisis gesprochen und sie als Zeittheologie gewertet. Die zentrale theologische Erkenntnis der Dialektischen Theologie lässt sich in dem Ausgangspunkt beschreiben, dass der Mensch – auch als Glaubender – immer mit leeren Händen vor Gott steht. Damit knüpfte sie eng an die Theologie der Reformation an und prägte die theologischen Diskussionen sowie kirchlichen 238 Vgl. Brief Schreiner an Gerstenmaier vom 29. 12. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 239 Vgl. Urkunde Verleihung der Lizenziatenwürde an Gerstenmaier vom 28. 10. 1937 (UAR, 2.03.2, Gers, E; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-029/1). 240 H rle, Theologie, 683.

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Auseinandersetzungen vor allem in der Zeit des nationalsozialistischen Aufstiegs in Deutschland.241 Gerstenmaier war mit der Dialektischen Theologie bereits während der Jugendbewegung in Berührung gekommen. Karl Barth schien ihm im Zusammenhang mit seiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem Pietismus eine große Hilfe gewesen zu sein.242 Jedoch war es nun im Laufe seines Studiums weniger Barth, an dessen Theologie er interessiert war, sondern mehr der in Zürich seit 1924 lehrende Systematische Theologe Emil Brunner. Die theologische Arbeit Brunners243 reizte Gerstenmaier so sehr, dass er sich entgegen anfänglichen Bedenken dazu entschied,244 bei ihm studieren zu wollen. Das Sommersemester 1934245 verbrachte der Theologiestudent somit nicht in Rostock, sondern nach einem zweiten Versuch246 in Zürich. Die dortige Theologische Fakultät konnte auf eine lange evangelische Tradition zurückblicken.247 Obwohl zum Sommersemester 1934 lediglich 95 Theologiestudierende immatrikuliert waren, was bei einer Gesamtstudierendenzahl von 2153 an der Universität recht klein erscheinen mag248 und noch viel überschaubarer als in Rostock war, hatte die Fakultät für Gerstenmaier einen besonderen Reiz im Blick auf seine theologische Weiterentwicklung, nämlich Emil Brunner. Brunner galt schon damals als einer der Mitbegründer der Dialektischen 241 Zur Dialektischen Theologie vgl. Gestrich, Denken; Lessing, Geschichte, 23–48; Gibellini, Handbuch, 11–29; H rle, Theologie, 683–696; und Korsch, Theologie, 809–815. 242 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 55. 243 Zur Brunners theologischer Arbeit vgl. Jehle, Brunner, 179–292. 244 Die Bedenken teilte Gerstenmaier mit seinem Kommilitonen Bachmann beispielsweise in einem Brief vom 9. 4. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1): „Ich bin furchtbar gespalten, ob nicht doch Zürich das Richtige ist.“ In einem weiteren Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 15. 4. 1934 (ebd.) begründete er dann jedoch seinen Entschluss für Zürich: „Ich ziehe deshalb vor, in der Sammlung, Ruhe und mit notwendigen Abstand auch hier zu arbeiten […] – darum Zürich.“ 245 Gerstenmaier wurden im Sommersemester 1934 in den folgenden Fakultäten folgende Veranstaltungen attestiert: Theologische Fakultät: VLVernunft und Offenbarung – Dogmatik Teil I (ST bei Brunner), SE Systematisches Seminar: Reformatorische Bekenntnisschriften (ST bei Brunner), VL Repetitorium der Dogmengeschichte (ST bei Gut) und VL Die Entstehung und Ausbreitung der Kirche bis 600 – Kirchengeschichte Teil I (KG bei Blanke); Philosophische Fakultät: VL Mensch und Gott (Philosophie bei Grisebach); SE Moderne Phänomenologie – Husserl-Heidegger (Philosophie bei Grisebach), VL Die Romantik (Germanistik bei Ermatinger), VL G. Hauptmann und andere moderne Dramatiker (Germanistik bei Faesi) und Kolloquium über zeitgenössische deutsche Literatur (Germanistik bei Faesi). Vgl. dazu Testatbuch Zürich (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-001/3). 246 Gerstenmaier wollte eigentlich schon im Wintersemester 1933/1934 in Zürich studieren, kehrte aber aus nicht benannten Gründen nach Rostock zurück (vgl. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Es ist zu vermuten, dass ihm die Auslandsförderung durch die SdDV erst zum Sommersemester 1934 zugesprochen wurde und somit finanzielle Gründe anzuführen wären. 247 Vgl. Schmid, Fakultät. 248 Vgl. Universit t, Bericht, 34.

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Theologie.249 Seine Habilitationsschrift „Erlebnis, Erkenntnis und Glaube“ von 1921 nahm in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle ein. Hier diskutierte er seine grundsätzliche Kritik am religiösen Subjektivismus und Individualismus, die nach seiner Interpretation Selbstvergötterungen des Menschen darstellten.250 Ähnlich wie Barth und Gogarten betonte er die hohe Bedeutung der Christologie. Er charakterisierte den Glauben als „das passive An-sich-Geschehenlassen der Gott-Mensch-Beziehung“251, als einen Einbruch des Jenseitigen ins Diesseitige und somit als eine durch das Wort vermittelte Offenbarung. Im Glauben sah er die Vernunft vollendet. Da er den absoluten Gegensatz von Gott und Mensch betonte, setzte seine Religionsphilosophie am Menschen – in dessen Fragwürdigkeit und Zwiespältigkeit – den Anknüpfungspunkt für die göttliche Offenbarung, was ihn in dieser Frage von Barth unterschied. Brunner entwickelte diesen Ansatz eigenständig weiter. Er betonte in seinem Aufsatz „Die andere Aufgabe der Theologie“ von 1929, dass es nicht genüge, wenn die Theologie sich auf ihre dogmatische Aufgabe beschränke und den christlichen Glauben allein nach innen zur Darstellung und Verständigung bringe. Die Theologie müsse auch eine eristische Aufgabe übernehmen und mit ihren Gegnern, den Andersgläubigen und Ungläubigen das Gespräch suchen.252 Brunners besonderes theologisches Denken253 war so auch im Kern von einem „missionarischen Anliegen“254 geprägt, da ihm daran lag, den christlichen Glauben als Alternative zu den zeitgenössischen Entwicklungen zu betonen. Neben der in seinem Ansatz zentralen Eristik255 unternahm Brunner zudem den Versuch, die Natürliche Theologie256 in ihrem Verhältnis zwischen Natur und Gnade neu zu bestimmen und damit die Gotteserkenntnis auch außerhalb der Offenbarung in Jesus Christus zu diskutieren. Da die Natürliche Theologie durch die Deutschen Christen negativ konnotiert war und Barth sie aufgrund seiner christlogischen Zentrierung kategorisch ablehnte, kam es zwischen Brunner und Barth 1934 nicht nur zu einer publizistischen Kontroverse, sondern auch zu seiner Aufkündigung der theologischen Weggenossenschaft durch Barth.257 249 250 251 252 253

254 255 256 257

Zu Brunner vgl. Beintker, Brunner, 236–242. Vgl. Brunner, Erlebnis. Rohls, Theologie, Bd. 2, 256. Vgl. Brunner, Aufgabe, 257–276. Eckhard Lessing umriss drei Momente, die für den Entwicklungsgang seines Denkweges entscheidend waren: 1. Der Versuch alles von Gott her zu begründen und somit die Eigenständigkeit der Theologie zu festigen; 2. Trotz der Spannungen zwischen Theologie und Philosophie ihre Gemeinsamkeiten zu betonen; 3. Die eristische Theologie als existenzielle Theologie zu fassen (vgl. Lessing, Geschichte, 44–48). Brunner, Skizze, 644. Zur Bedeutung der Eristik bei Brunner vgl. Roth, Gott, 464–540. Vgl. dazu Kapitel 3.1. Die Kontroverse begann bereits 1932. Barth kritisierte Brunner in seiner „Kirchlichen Dogmatik I/Teilband 1“ mit scharfen Worten. 1934 reagierte Brunner wiederum mit seiner Schrift „Natur und Gnade. Zum Gespräch mit Karl Barth“ und kritisierte Barths Römerbriefver-

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Gerstenmaier schien von Brunners Mut zur Natürlichen Theologie in dem Wissen um drohende Missdeutungen beeindruckt gewesen zu sein. In einem Brief schrieb er am 20. Juni 1934 an Bachmann: „Sein Krach mit Barth gefällt mir“258. Darüber hinaus würdigte er in seinen Erinnerungen Brunners theologische Durchdringung und Neubelebung der Natürlichen Theologie und kritisierte, dass Barth „in seiner christologischen Monotonie [der Natürlichen Theologie] jede religiöse Relevanz“259 abgesprochen hatte. Die theologische Kontroverse zwischen Brunner und Barth spiegelte sich anscheinend auch in Brunners Lehrveranstaltungen im Zürcher Semesterbetrieb wider. Gerstenmaier partizipierte in jenem theologisch „reichen Sommersemester“260 deutlich an Brunners Ansatz und grenzte sich mehr und mehr von Barth ab. An Brunstäd schrieb er während des Semesters: „Das Kapitel Barth-Brunner bin ich so überdrüssig, dass ich jetzt im ganzen wohl noch viel negativer zu der so genannten dialektischen Theologie stehe als vorher.“261 Erwähnenswert ist zudem, dass Gerstenmaier bei Brunner die theologischen Ansätze Brunstäds weiterführte und zur Anwendung brachte. Am 23. Mai 1934 schrieb er seinem Rostocker Lehrer über das Studium bei Brunner: „Ich spüre hier auf dieser Plattform erst recht, was ich bei Ihnen gelernt habe.“262 In seinem Semesterbericht an die SdDV vom 8. Oktober 1934 schrieb er über seine theologische Entwicklung, dass er bei Brunner arbeiten wollte, „um eine Bewährungsprobe meiner eigenen theol. Arbeit ablegen zu können.“263 Dies schien ihm zu gelingen. Im Rahmen seiner beiden – später vorgelegten – wissenschaftlichen Qualifikationsschriften lässt sich nachhaltig belegen, dass er sich theologisch sehr nahe bei Brunner positionierte.264 Nach Gerstenmaier gehörte das Sommersemester 1934 in Zürich zu „meinen wissenschaftlich ertragreichsten Semestern. Ich habe eigentlich in vollem Mass das gefunden, was ich gesucht und erwartet hatte: die Möglichkeit zur Konzentration und wissenschaftlichen Arbeit.“265 Im Hinblick auf

258 259 260 261 262 263 264 265

ständnis. Die natürliche Offenbarung könne man nicht bestreiten. Barth wiederum antwortete mit der Schrift „Nein! Antwort an Emil Brunner“ und widersetzte sich Brunners Verständnis deutlich (vgl. vor allem Brunner, Natur; und Barth, Nein). Zur Kontroverse in der Betrachtung vgl. Jehle, Brunner, 293–322; und Sauer, Theologisch, 267–284. Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 20. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). Gerstenmaier, Streit, 55. Ebd., 54. Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 17. 7. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 23. 5. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1).

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seine theologische Entfaltung schrieb er bereits während des Semesters an seinen Kommilitonen Bachmann: „[…] im übrigen hat mich sozusagen die Arbeit gefressen. Ich kann dir flüstern, dass mir erst so allmählich vollends klar zum Bewusstsein kommt, was ich nicht weiss.“ Die konstruktive Freude über die Grenzen, an die er theologisch zu stoßen schien, drückte Gerstenmaier auch in Bezug auf seine wissenschaftliche Arbeit aus: „Meine Bekenntnisschriften wachsen mir von Tag zu Tag mehr ans Herz.“266 Er arbeitete vor allem bei Brunner und legte am 15. Juli 1934 bei ihm eine 47seitige Arbeit zum Thema „Dogma und Bekenntnisschrift. Eine problemgeschichtliche und systematische Untersuchung“ vor. Hier entfaltete er nicht nur die Geschichte und Bedeutung des Dogmas für die Existenz des christlichen Glaubens aus evangelischer Perspektive, sondern bewertete dies auch im Vergleich zur aktuellen Situation in Deutschland. Er betonte zudem die Gefahren der gegenwärtigen kircheninternen Streitigkeiten: „Die deutsche Kirche der Reformation steht im Kampf. Seit mehr als einem Jahr ist diese Tatsache vor aller Augen. Das Bild ist für Kämpfer und Zuschauer in vielem dasselbe. Theologisches und kirchenpolitisches Gezänk, zusammenfallende Fassaden, leere Reden, beschämende Ängstlichkeit, offener Abfall, unmögliche Rettungsaktionen, charakterloses Schielen, Neigung zum Konventikel. – Ein wenig weiter und die Kirche der deutschen Reformation ist ein Trümmerhaufen des Geistes, über dem die Geier jeglichen Gefieders flattern.“267

Jene unveröffentlichte Arbeit bei Brunner bildete für ihn den „Prüfstein meines eigenen Denkens und Könnens.“268 Obwohl die Arbeit von Brunner mit „verheißungsvoll“269 bewertet wurde, war sie im Ergebnis „kein Erfolg wie die kirchengeschichtliche bei Johannes von Walter“270. Sie hatte jedoch zum Resultat, dass die kritische Bewertung zum „Anfang einer festen Freundschaft“271 mit Brunner wurde. Ebenso wie in Rostock schätzte Gerstenmaier auch in Zürich den engen Kontakt zu den Dozenten. „Eine besondere Rolle spielten [dabei] die offenen Abende bei den Dozenten“272, wie Gerstenmaier in seinem Semesterbericht konstatierte. Hier wurden neben theologischen Diskussionen auch überregionale politische Themen – wie vor allem die Situation

266 Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 20. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 267 ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002. 268 Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 17. 7. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 269 Handschriftliche Beurteilung Brunnens auf der Arbeit (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210002.). 270 Gerstenmaier, Streit, 54. 271 Ebd. 272 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1).

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in Deutschland – diametral betrachtet und beiläufig zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut und gefestigt. Der Austausch zwischen Gerstenmaier und der ihn finanziell fördernden SdDV ist während des Auslandssemesters zudem als intensiv zu beschreiben. Gerstenmaier korrespondierte während dieser Zeit vor allem mit Hermann Brügelmann und beschrieb in seinen Briefen die Studienbedingungen und Sachlagen vor Ort in einer besonders förmlichen und in Teilen auch für ihn ungewöhnlich nationalistisch anmutenden Art und Weise. Er kannte Brügelmann spätestens seit seinem Dienst in Dresden 1933 persönlich und schätzte ihn wegen seiner nonkonformen Haltung zum NS-Staat. Die Korrespondenz zwischen den beiden trägt jedoch einen anderen Charakter als ihr Verhältnis erwarten lässt. Zu vermuten ist, dass der Schriftverkehr nicht nur von Brügelmann, sondern auch von anderen Vertretern der SdDV gegengelesen wurde und Gerstenmaiers stets in Gefahr war. So wählen beide einen überbürokratischen Ton, der die kirchlichen und politischen Entwicklungen in Deutschland staatskonform betrachtete.273 Brügelmann war bestrebt, Gerstenmaier während des Sommersemesters in Kontakt mit der Deutschen Studentenschaft (DSt)274 in der Schweiz sowie auch anderen Studienstiftlern in Zürich zu bringen. Letzteres konnte relativ zügig hergestellt werden, da Helmut Schiek – ebenso ein Theologiestudent – neben Gerstenmaier der einzige Studienstiftler in Zürich war.275 Ihn kannte Gerstenmaier bereits aus Tübingen und verbrachte viel Zeit während des Semesters in Form von einigen Wanderungen und Reisen mit ihm.276 Brügelmann forderte Gerstenmaier zudem auf, sich selbstständig um Kontakt zum Vertrauensdozenten der SdDV in Zürich, Eberhard Grisebach, zu bemühen.277 Grisebach hatte den Lehrstuhl für Philosophie, Pädagogik und Psychologie inne und war durch seine Freundschaft zu Friedrich Gogarten278 bekannt. Durch seine sogenannte dialogische Ich-Du-Philosophie hatte Grisebach die philosophischen und theologischen Diskussionen der 1920er- und 1930er-Jahre mehrfach angeregt279 und war so auch für Gerstenmiaers theologische Entwicklung von Interesse. Im Kern baute Grisebach seine Philosophie auf einer 273 Vgl. u. a. Brief Brügelmanns an Gerstenmaier vom 25. 4. 1934; Brief Brügelmanns an Gerstenmaier vom 8. 5. 1934, Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 2. 6. 1934; und Beiliegender Brief zum Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 274 Zur Geschichte, Struktur und den Zielen der DSt vgl. Lçnnecker, Vorbild, 37–53. 275 Vgl. Brief Brügelmanns an Gerstenmaier vom 25. 4. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 276 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Reichsstudentenwerk vom 23. 7. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 277 Vgl. Brief Brügelmanns an Gerstenmaier vom 8. 5. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 278 Zum Dialog zwischen Grisebach und Gogarten vgl. Freyer, Dialog, 108–116. 279 Zur Philosophie und auch Theologie Grisebachs vgl. Eisenhut, Auffassung, 148–165; und Schmidt, Ausgang.

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radikalen Kritik der Innerlichkeit in ihrem Anspruch auf das zwischenmenschliche Dasein auf, die vor allem von Gogarten und auch Brunner übernommen wurde.280 Gerstenmaier besuchte in jenem Semester Grisebachs Vorlesung zum Verhältnis Gott und Mensch sowie auch ein Seminar. In seinem Semesterbericht bewertete er Grisebachs Lehre als interessant,281 in seinen Erinnerungen dann später als langweilig.282 Von einer Übernahme bzw. Anteilnahme an Grisebachs philosophischen Impulsen ist bei Gerstenmaier nur über Brunner auszugehen. Die Verbindung zur DSt, der Gerstenmaier in Rostock zögernd begegnete, konnte in Zürich schnell hergestellt werden. In seinem Semesterbericht betonte Gerstenmaier, dass er „nach Kräften [in der DSt] mitgearbeitet“283 habe, was seinem Naturell eigentlich widersprach. Zu seinem Engagement zählten auch zwei Vorträge, die er zum einen in Zürich zum Thema „Wissenschaft und politische Gestaltung“ und zum anderen auf einer Führertagung der DSt in Genf zum Thema „Der deutsche Wille zur Wissenschaft“ gehalten habe.284 Er schien sich so sehr zu beweisen, dass der Führer der DSt in der Schweiz ihn gar am 19. Juni 1934 bat, die Führung der DSt in Zürich zu übernehmen.285 Obwohl er in einem beiliegenden Brief zu seinem Semesterbericht schrieb, dass er dieses Amt – „obwohl es mich locken würde“286 – abgelehnt habe, gab er in einem späteren Ermittlungsverfahren gegen ihn zu Protokoll, dass er das Amt bereits in Zürich angenommen habe.287 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Frage nach Gerstenmaiers Systemkonformität und -nonkonformität. Auch wenn Jochen-Christoph Kaiser von einem renitenten und nonkonformen Verhalten Gerstenmaiers während seiner Studienzeit schrieb,288 so war diese dennoch nicht vollständig frei von einer Bereitschaft zu Kompromissen mit der nationalsozialistischen Staatsräson. Dies lässt sich vor allem mit den Aufnahmeanträgen in die ReiterSA im Wintersemester 1933/34 und in die NSDAP in jenem Sommersemester 1934 in Zürich belegen. Vor dem Hintergrund des bereits erfolgten Engagements in der Studen-

280 Vgl. Meyer, Grisebach, 98. 281 Vgl. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 282 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 54. 283 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 284 Vgl. ebd. 285 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 20. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 286 Beiliegender Brief zum Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 287 Vgl. Erklärung Gerstenmaiers in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). 288 Vgl. Kaiser, Gerstenmaier, 72.

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tenschaft289 kann jedoch nicht von einer nationalsozialistischen Überzeugung Gerstenmaiers ausgegangen werden, sondern eher von einem erhofften persönlichen Nutzen, den die prestigeträchtige Reiter-SA mit sich brachte. In dieser schwierig zu überschauenden Gesamtsituation hatte Gerstenmaier offensichtlich „taktisch zu lavieren“290 begonnen und wurde im Januar 1934 Mitglied im SA-Reitersturm 1/111.291 Damit beugte er sich dem wachsenden gesellschaftlichen Druck und bediente einen äußeren Schein. Über die wirklichen Hintergründe der Mitgliedsbereitschaft sind jedoch keine zweifelsfreien Aussagen, sondern nur Spekulationen möglich. Obwohl Gerstenmaier den Aufnahmeantrag in die Reiter-SA gestellt hatte, kam er über den Anwärterstatus nie hinaus, da er den zu leistenden Dienst als „langweilig“ und „widerwärtig“292 empfand und ihn aufgrund dessen – so oft es ging – mied. Es ist zu vermuten, dass Gerstenmaier der Reiter-SA freiwillig angehören wollte, um so zu versuchen, dem üblichen SA-Dienst auszuweichen, da die Mitglieder der Reiter-SA von diesem befreit waren. Zudem verband sich mit der Mitgliedschaft auch die Teilnahme an studentischen Lagern, an denen Gerstenmaier auch partizipieren wollte.293 Der Aufnahmeantrag in die NSDAP wurde im Frühsommer 1934 in Zürich von ihm gestellt. In einem Brief an Brügelmann vom 2. Juni 1934 berichtete er, dass er „vor wenigen Wochen durch Eilbrief aufgefordert wurde Pg. zu werden.“294 Nach einigen Überlegungen habe er zugestimmt, Parteigenosse der NSDAP zu werden. Diese Entscheidung beschrieb er an Brügelmann weiter als Möglichkeit, „Deutschland ungehinderter dienen zu können“, fügte aber auch den Zusatz hinzu: „Alles andere kommt nicht in Betracht.“295 Dies verdeutlicht wiederum, dass er der Option der Mitgliedschaft zwar zustimmend, aber in der Frage der Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit in der Partei mit Zurückhaltung begegnete. Da Gerstenmaier jedoch nie Mitglied der NSDAP wurde,296 289 Vgl. dazu Kapitel 2.3. 290 Scholtyseck, Gerstenmaier, 216. 291 Vgl. Erklärung Gerstenmaiers in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). 292 Gerstenmaier, Streit, 42. 293 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Dut vom 23. 5. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 294 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 2. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1). Es ist nicht zu entschlüsseln, wer ihn dazu anhielt. Zu vermuten ist jedoch, dass er von Enno Freerksen, dem Rostocker Studentenschaftsführer, dem er freundschaftlich gegenüber stand, dazu aufgefordert wurde. 295 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 2. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1). 296 Aus einem Schnellbrief Reinhard Heydrichs in seiner Position als Chef der Sicherheitspolizei und des SD vom 27. August 1941 an das Auswärtige Amt geht hervor, dass Gerstenmaier der „NSDAP oder einer ihrer Gliederungen“ nicht angehöre (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/1). Ebenso erklärte Gerstenmaier selbst in einem Bericht über den Umsturzversuch am 20. Juli 1944, den er am 2. Mai 1945 in Bayreuth kurz nach der Befreiung aus dem Zuchthaus verfasste, „nie einer politischen Partei angehört“ zu haben (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). Mit dem Verweis auf die Akte R 3001/186868 belegt eine schrift-

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lässt sich über die Gründe des nicht weitergeleiteten, nicht angekommenen oder im Rahmen der formalen Aufnahmesperre für neue Mitglieder in die NSDAP zwischen Mai 1933 und Mai 1937297 abgelehnten Mitgliedsantrags nur spekulieren.298 Dass Gerstenmaier in Zürich bestrebt war, sich – anders als in Rostock – zurückhaltend zu politischen und ideologischen Fragen zu äußern, um somit vor der SdDV keine formalen Fehler zu begehen, belegt ein Zeugnis über das Semester in Zürich, das seine Konformität mit dem „neuen Deutschland“ belegen sollte: „Er hat mit grösstem Eifer und Ernst seine Studien betrieben und sich durch eine ganz vorzügliche systematisch-theologische Arbeit im Seminar von Professor Brunner ausgewiesen. Aufgrund seiner geistigen Gewandtheit und seines gründlichen theologischen Wissens hat er sich bei Aussprachen durch große Schlagfertigkeit ausgezeichnet und es verstanden, zu aktuellen wissenschaftlichtheologischen und kirchlichen Problemen in eindrucksvoller Weise Stellung zu nehmen. Besonders fiel auf, mit wieviel Umsicht, Geschick und Nachdruck er es verstanden hat, seiner Überzeugung für die Lebenskraft des neuen Deutschlands Ausdruck zu geben und damit in schweizerischen Kreisen Verständnis zu wecken für die Wandlung im Deutschen Reich.“299

Walter Gut, der damalige Dekan der Theologischen Fakultät und Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie, Religionspsychologie, Dogmengeschichte und Symbolik, fertigte jenes Gutachten an. Obwohl Gerstenmaier bei ihm eine Vorlesung besuchte, ist jedoch unklar, inwieweit sich die beiden kannten. Es kann gemutmaßt werden, dass Gut als Kollege und Freund Brunners gehandelt hatte. Gerstenmaier bewertete sein Verhältnis zur SdDV in diesem Punkt rückblickend mit dem Satz: „Die Persilschein-Ära hatte begonnen.“300 Festzuhalten ist, dass Gerstenmaiers Verhalten in Zürich als ambivalent gewertet werden muss. Vor dem Hintergrund der zunehmenden ideologischen Radikalisierung in Deutschland und seiner finanziellen Abhängigkeit von der SdDV wollte er auf der einen Seite in Zürich mit „Konzentration“301 und in „Sicherheit“302 studieren. Er handelte im Zuge dessen anscheinend so,

297 298 299 300 301 302

liche Mitteilung des Bundesarchivs Berlin auf Nachfrage des Autors ebenfalls keine kartenkundige NSDAP-Mitgliedschaft Gerstenmaiers. Der Aufnahmeantrag liegt zudem nicht vor. Vgl. zu den möglichen Ursachen Wetzel, NSDAP, 74–90; und Widmann, Willkür, 110–122. Vgl. Brauer, Bibel, 360 f. Zeugnis über das Sommersemester in Zürich von Dekan Gut vom 28. 8. 1934 (EZA 2/P14). Gerstenmaier, Streit, 57. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 2. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1).

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wie es von ihm als deutschem Stipendiaten erwartet wurde.303 Dies lässt sich aus der betrachteten Korrespondenz deutlich herauslesen.304 In seinem Semesterbericht schrieb er über die Zürcher Universität fast abwertend: „Ich war einer der ganz wenigen Deutschen in diesem allmählich international werdenden Verein.“305 Durch die internationale Ausrichtung der Universität kam es freilich zwischen deutschen Studierenden und anderen Nationalitäten sowie Migranten aus Deutschland zu kontroversen Diskussionen. In Kolloquien und Seminaren habe man deshalb „alle Hände voll zu tun, um allen offenen und versteckten Angriffen zu begegnen.“306 Gerstenmaier kritisierte dabei, dass es „unseren Leuten nur in den seltensten Fällen [gelang], die Grundbegriffe des Nationalsozialismus in klarer und überzeugender Weise in dieser liberalen Welt zur Geltung zu bringen.“307 Er empfand den Hass und die Missachtung gegenüber Deutschland als „unerträglich“308. Nach der Interpretation von Daniela Gniss sah er sich deshalb auch in der Pflicht, sich bei der DSt zu engagieren sowie „die Kritik des Auslands an Deutschland zu entkräften und die wahren Zustände in seiner Heimat aufzuzeigen.“309 Dieser anscheinend Ausweglosigkeit seines staatskonformen Handelns ist auf der anderen Seite jedoch ein widerstrebendes Verhalten in Bezug auf die innerkirchlichen Auseinandersetzungen in Deutschland entgegenzusetzen. Die Erinnerungen von Kurt Stöckling belegen, dass Gerstenmaier auch in Zürich deutlich gegen Reichsbischof Ludwig Müller sowie für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche Stellung bezog.310 Gerstenmaiers Rolle schien in303 In einem Rundschreiben an die Mitglieder und Vorsemester des SdDV vom 10. 7. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1) hieß es: „Eine größere Anzahl unserer Mitglieder steht bereits in den Reihen der SA, SS, St, HJ oder hat am Wehrsport und an Arbeitslagern teilgenommen. Diese bislang dem freien Ermessen des Einzelnen überlassene Betätigung wird in Zukunft zur allgemeinen Pflicht gemacht werden. […] Es ist unerläßlich, die innere Bereitschaft hierzu mitzubringen oder zu gewinnen. Zweifellos wird sich hierzu jeder als Deutscher und besonders als Student seine eigenen Gedanken machen.“ 304 Dies wurde auch sprachlich an der Verwendung von nationalsozialistischen Termini und Grußformeln deutlich. So verwendete er „Heil Hitler“ nur bei offiziellen Schreiben (vgl. Beiliegender Brief zum Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1; Schreiben Gerstenmaiers an Dekan Schreiner vom 20. 2. 1935. In: UAR, 1.09.0, Gers, E; Brief Gerstenmaiers an Reichsstudentenwerk vom 23. 7. 1935. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1; Brief Gerstenmaiers an die SdDV vom 18. 10. 1935. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1; Brief Gerstenmaier an Dekan von Walter vom 18. 10. 1935. In: UAR, 2.03.2, Gers, E; und Brief Gerstenmaier an Rostocker Fakultät vom 25. 11. 1937. In: UAR, 2.03.2, Gers, E). 305 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 306 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 2. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 1). 307 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 308 Ebd. 309 Gniss, Gerstenmaier, 51. 310 Zu Gerstenmaiers Rolle im Kampf für die Freiheit des Bekenntnisses vgl. Kapitel 2.3.

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nerhalb der DSt im Sinne der Bekennenden Kirche (BK) hervorzustechen: „Wenn irgendwo auf höherem Niveau Rededuelle ausgetragen wurden, war seine Klinge die gefürchtetste.“311 Trotz seines ambivalenten Verhaltens während des Sommersemesters in Zürich muss ebenso betont werden, dass Gerstenmaiers Studien neben seiner wissenschaftsexternen Beschäftigung im Fokus standen. In Zürich wurde im Wesentlichen auch seine Promotion – vermutlich auch in vertieften Gesprächen mit Brunner – vorbereitet. Brunner schien von Gerstenmaiers Leistungsbereitschaft überzeugt gewesen zu sein. Er bat seinen Schüler sogar in Zürich bei ihm zu bleiben,312 was Gerstenmaier jedoch ablehnte und sich für Rostock entschied.313 2.2.4 Bei Adolf Keller in Genf Bevor Gerstenmaier jedoch an die Universität nach Rostock zurückkehrte, nahm er im Anschluss an das Züricher Sommersemester an einem ökumenischen Seminar in Genf teil. Jenes Seminar war das erste seiner Art und wurde von Adolf Keller, der seit 1926 beziehungsweise 1929 „vergleichende Kirchenkunde“314 an den Universitäten Zürich und Genf lehrte, organisiert und geleitet. Keller verstand es durch seinen ökumenischen Ansatz und seine Arbeit, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. In seiner Funktion als zweiter Generalsekretär der Bewegung für Praktisches Christentum wurde er zur treibenden Kraft der Ökumene. Marianne Jehle-Wildberger bezeichnete ihn gar als „Pionier der ökumenischen Bewegung“315. Mit seinem ersten ökumenischen Seminar, das zum Vorläufer des Institut œcum nique in Bossey wurde, verband er den ambitionierten Anspruch, dass die Teilnehmer zu einer aktiven und ernsthaften Arbeitsgemeinschaft werden sollten.316 Vom 30. Juli bis zum 18. August 1934 trafen zumeist Theologiestudierende im höheren Semester aus Deutschland, Skandinavien, den Niederlanden und Frankreich mit jungen amerikanischen Dozenten, aber auch anerkannten Wissenschaftlern wie Martin Dibelius und Experten der Ökumene wie Willem 311 Erinnerungen Stöcklings an seine Studienzeit vom 9. 2. 1959 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-019/2). 312 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 62. 313 Schreiner und Brunstäd hatten an Gerstenmaiers erneuten Entschluss für Rostock einen erheblichen Anteil. Die intensive und freundschaftliche Korrespondenz zwischen den beiden Professoren und Gerstenmaier währendes des Sommersemesters 1934 in Zürich erstreckt sich auf mehr als 50 erhaltene Briefe (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1 und 01-210004/2). Beispielhaft sei ein Ausschnitt aus einem Brief Schreiners an Gerstenmaier vom 29. 6. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) angeführt: „Kommen Sie bald wieder. Wir haben Sie hier nötig.“ 314 Pfister, Keller, 431. 315 Jehle-Wildberger, Keller, 3. 316 Vgl. ebd., 337.

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Adolf Visser ’t Hooft zusammen.317 Gerstenmaier gehörte der deutschen Delegation an. Er erhielt vom Kirchlichen Außenamt (KA) der DEK ein Stipendium von 150 RM und hatte den Auftrag, das „Bewußtsein der Verantwortung für die ökumenische Verbundenheit der dt. Theologie und des dt. Protestantismus mit den chr. Kirchen der Welt“318 zu betonen und danach über das dreiwöchige Seminar in Genf persönlich Bericht in Berlin zu erstatten.319 Wie Gerstenmaier zu der Beauftragung und somit seiner ersten Dienstleistung für das KA kam, kann aufgrund der Aktenlage nicht hinreichend beantwortet werden. Zu vermuten ist jedoch zum einen, dass er von Brunner, der zu dieser Zeit als der bedeutendste Theologe der ökumenischen Bewegung galt und auch mit Keller befreundet war,320 dafür vorgeschlagen wurde. Zum anderen kann gemutmaßt werden, dass Gerstenmaier samt seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft dem Leiter des KA, Theodor Heckel, nicht unbekannt war, da er zusammen mit dessen Vetter, Walther Foertsch, in Rostock studierte und mit jenem befreundet war.321 Die vertieften theologischen Diskussionen und Kontroversen über die nationalen Grenzen und theologischen Schulen hinaus faszinierten Gerstenmaier. In einem Brief an einen Studienfreund betonte er gar den „heftige[n] Kampf gegen die Barthianisch-dialek.[tische] Theologie“ vor Ort und gab einen amerikanischen Professor zustimmend sinngemäß wieder: „Barth donnert, aber es ist kein Licht.“322 Darüber hinaus kam Gerstenmaier in Genf auch zum ersten Mal in Kontakt mit sowohl der griechischen Orthodoxie323 als auch der ökumenischen Bewegung.324 Der Studienaufenthalt wurde somit für ihn zu einer Plattform, auf der er in seiner späteren beruflichen Tätigkeit im KA sowie auch im konspirativen Widerstand aufbauen sollte. Hier lernte er beispielsweise Hans Schönfeld, der seit 1931 als Direktor der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates agierte, kennen. Durch „endlose Gespräche“325 im Garten von Schönfelds Haus am Genfer Stadtrand entstand – über das Seminar hinaus – zwischen den beiden eine Freundschaft, die auf ge317 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 58. 318 Brief Krummachers an Gerstenmaier vom 13. 7. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 319 Vgl. Erklärung Gerstenmaiers in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1); und Brief Krummachers an Gerstenmaier vom 9. 8. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2), aus dem auch hervorgeht, dass Gerstenmaier auch über das Stipendium alle Zusatzkosten erstattet wurden. 320 Vgl. Jehle, Brunner, 323–333, 339–346. 321 Zum Verhältnis zwischen Gerstenmaier und Heckel vgl. Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Die freundschaftliche Beziehung zwischen Foertsch und Gerstenmaier lässt sich in der überlieferten brieflichen Korrespondenz sehr gut nachweisen (vgl. ebd.). 322 Brief Gerstenmaiers an Harms vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 323 Vgl. ebd. 324 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 57. 325 Ebd., 58.

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genseitiger Wertschätzung beruhte und vor allem während des Zweiten Weltkrieges für den deutschen Widerstand unverzichtbar wurde. Gerstenmaier achtete vor allem Schönfelds „vollendete Hingabe an die ökumenische Sache“326, von der er sich für seine eigene Arbeit auch inspirieren ließ. In seinem Semesterbericht von 1934 hielt Gerstenmaier fest: „Für mich persönlich waren diese Wochen noch eine erhebliche Bereicherung und eine wesentliche Erweiterung meines Blickfelds. Politische, kulturelle und kirchliche Probleme stiessen hier aufeinander. Die scharfe Auslese und das Niveau der Arbeit machten trotz aller nationalen Gegensätze eine fruchtbare Arbeit möglich.“327

Jene fruchtbare Arbeit im Seminar skizzierte auch Keller in seinem Bericht an den Ökumenischen Rat. Er war erstaunt, dass das theologische Niveau der meisten Teilnehmer „ungewöhnlich hoch“328 war und trotz der verschiedenartigen Zusammensetzung der Teilnehmerschaft ein „brüderlicher und verständnissuchender Geist“329 im Seminar herrschte. Zudem sei nicht nur die Nützlichkeit, sondern auch die Durchführbarkeit seiner Ideen gelungen.330 In seinen Erinnerungen würdigte Gerstenmaier Keller als „Großmeister der frühen Ökumene“331. Auf ihn ist es nicht zuletzt zurückzuführen, dass sich Gerstenmaier nach seinem Studienabschluss in Rostock hin zur Ökumene orientierte und Mitarbeiter des KA wurde. Hier konnte er in Anlehnung an Keller auch eigene theologische Akzente innerhalb der ökumenischen Bewegung setzen. Dabei baute er stark auf den Erfahrungen aus Genf und dem sich in der Nachfolgezeit verfestigten Netzwerk auf.332 Nach jenem theologisch und zwischenmenschlich sehr intensiven Seminar reiste Gerstenmaier im Herbst 1934 mit seinem Studienfreund Helmut Schiek noch drei Wochen nach Italien, bevor es wieder zurück nach Rostock ging. Ein Brief vom 2. Oktober 1934 an Foertsch umfasste nicht nur die Reiseroute der beiden Studenten, die sie über Mailand, Bologna, Florenz, Orvieto, Rom, Nervi und Genua zurück nach Genf führte, sondern auch eine spannende Eindrucksbeschreibung von einer Gruppenaudienz im Vatikan. In einer Mischung aus Stolz und Witz schrieb Gerstenmaier, dass er „dem Papst den Ring geküsst“333 habe und dadurch jedoch nicht katholisch geworden sei. Das in der 326 Ebd. 327 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 8. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 328 Jehle-Wildberger, Keller, 337. 329 Ebd. 330 Da die systematische Erörterung zentraler und weitreichender Fragen eine längere und andauernde Behandlung erforderten, beantragte Keller in dem Bericht auch die Förderung von permanenten ökumenischen Seminaren (vgl. ebd., 337 f). 331 Gerstenmaier, Streit, 58. 332 Vgl. vor allem dazu Kapitel 4.2, 4.3 und 4.4. 333 Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2).

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deutschen Literatur vielbesungene Bildungserlebnis einer Italienreise beeindruckte Gerstenmaier darüber hinaus nachhaltig, da es im Blick auf seine religiöse Entwicklung tiefgreifende Akzente seiner Frömmigkeit bestärkte. Diese skizzierte er in seinen Erinnerungen eindrücklich. Auch wenn sich Gerstenmaier bereits während seiner Jugendzeit von der Praxis des Pietismus entfernt hatte und „mehr in der Reflexion als ,aus Glaubensgehorsam‘ Theologe geworden“334 war, so brach in Italien die „brachiale Vitalität, die christlichem Glauben innewohnen kann“335, über ihn herein. Besonders hervorzuheben ist dabei die religiöse Wirkung von Luca Signorellis Kunst auf ihn. Das berühmte Fresko „Die Auferstehung des Fleisches“ im Dom zu Orvieto beschäftigte Gerstenmaier besonders lang. Jene Reflexion daraus schien durch die sinnliche Vergegenwärtigungen von frömmigkeitsgeschichtlichen und biblischen Aussagen innerhalb von Signorellis Kunst seine Beziehung zur „Transzendenz im Sinne der weltjenseitigen und weltüberlegenen Realität eines ,personhaften‘ Gottes“336 zu steigern. Die Intensität seines Glaubens vermochte sich durch die ihm vergegenwärtigte „christliche Botschaft von der Ewigkeit des sterbenden Menschen in seiner individuellen Personhaftigkeit“337 zu vergrößern, sodass er für sich noch einmal erkannte, dass das „ewige Leben […] nicht Auflösung der Individualität im abstrakt Allgemeinen, sondern ihre Vollendung in der neuen Welt Gottes“338 bedeutete. Diese tief eschatologische Erkenntnis während seiner Italienreise lässt sich als eine erneute Vereinigung von seinem kritisch-reflektierten Ansatz mit dem Pietismus interpretieren, da die emotional-spirituellen Elemente aus Signorellis Kunst zu einer religiösen Auseinandersetzung und dann auch individuellen Festigung der christlichen Glaubensbotschaften bei ihm führten. Die detaillierten Wirkungsbeschreibungen in Gerstenmaiers Erinnerungen zeigen zudem, welche religiöse Prägekraft und vor allem Langzeitwirkung jene Reise auf ihn hatte. Ähnlich wie sich Johann Wolfgang von Goethe an seine künstlerischen Begegnungen während seiner Italienreise erinnerte, bei der er „empfunden habe, was eigentlich ein Mensch sei. – Zu dieser Höhe, zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie wieder gekommen“339, so kann auch Gerstenmaiers Reise anhand seiner Beschreibungen als einer seiner religiösen Kulminationspunkte gesehen werden, die ihn freilich bekräftigten, für die Freiheit des Evangeliums zu kämpfen. Das sich an die Italienreise anschließende Wintersemester 1934/1935 in Rostock ist vor diesem Horizont zu betrachten.

334 335 336 337 338 339

Gerstenmaier, Streit, 59. Ebd. Ebd. Ebd., 60. Ebd. Eckermann, Gespräche, 248.

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2.3 Engagement für die Bekenntnisfreiheit der Kirche „Die Gewissheit, die hier spricht, ist der Glaube. Der Glaube als eine gewisse Zuversicht dessen, das man nicht sieht. – Gewissheit ist Wurzelhaftigkeit, Festigkeit, Kraft. Darum ist die Gewissheit unseres Glaubens eine Kraft, die das Leben auch den tragen lässt, für den es sehr schwer geworden ist. Aber eben deshalb, weil der Glaube als lebendige Kraft eine Gabe ist, ist er zugleich eine Aufgabe. Jede Kraft ist Bewegung, in irgendeiner Weise ein Vorwärts. […] Die Gabe verpflichtet.“340

Der Glaube verpflichtet. Gerstenmaier war sich dessen zutiefst bewusst. Seine Predigt über das Gleichnis vom Sämann in der Rostocker Universitätskirche vom 20. März 1933 belegt dies. Über die hermeneutische Darlegung und Interpretation von Mt 13, 1–23 hinausgehend lässt die Predigt Gerstenmaiers theologisch motivierte Rechtfertigungsgrundlage seines eigenen Handeln erkennen. Der Glauben kann in diesem Zusammenhang als die höchste Maxime seines Handelns beschrieben werden, da er zur Aufgabe wird, wenn das Gewissen vor Herausforderungen steht, die es durch innere Korrelationen nicht bereit ist mit zu tragen. Jene Rechtfertigungsgrundlage seines Handelns spiegelte sich in seinem studentischen Engagement nachhaltig wider. Während seines kompletten Studiums engagierte sich Gerstenmaier ehrenamtlich innerhalb der studentischen Selbstverwaltung in verschiedenen Bereichen und begleitete zahlreiche Positionen, die ihm viel Raum gaben, um Diskussionen öffentlichkeitswirksam zu führen, Meinungen zu bündeln und klar zu seiner Interpretation der Wahrheit zu stehen. Der sich im Laufe seines studentischen Engagements steigernde Kampf für die Freiheit des Evangeliums und gegen die nationalsozialistische Inanspruchnahme bzw. ideologische Implementierung von NS-Wertmaßstäben in den kirchlichen Strukturen wird im Folgenden anhand von zentralen Konfrontationen beschrieben. Gerstenmaiers schriftliches sowie auch praktisches Engagement wird unter dem Gesichtspunkt seines Beitrages zu den innerkirchlichen Diskursen und Entwicklungen der Zeit reflektiert. Dabei werden freilich auch die Beziehungen zu seinen theologischen Lehrern eine wichtige Rolle spielen, die im vorhergehenden Kapitel aus der ihn wissenschaftlich prägenden Perspektive beschrieben wurden.

340 Predigt von Gerstenmaier in der Universitätskirche vom 20. 3. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002).

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2.3.1 „Zur Frage Nationalsozialismus und Christentum“ – Gerstenmaier vs. Oskar Riegraf Das protestantische Verständnis zum nationalen Staat in seiner sittlichen Notwendigkeit und gottgegebenen Ordnung in Berufung auf den paulinischen Römerbrief341 und die lutherische Auslegung des vierten Gebotes im Großem Katechismus342 war für Gerstenmaier ein wesentlicher Bestandteil seiner frühen Sozialisation. Die pietistischen Tendenzen zum Obrigkeitsgehorsam entwickelten sich für ihn durch die geistigen Impulse aus der Jugendbewegung nicht zu einer blinden Unterwerfung unter das vermeintliche Faktum einer staatlichen Herrschaft, sondern eher zu einer freien Bejahung von Gesetzen und struktureller Ordnung. Da sich Gerstenmaier trotz seiner differenzierten Auseinandersetzung mit dem Pietismus im „nationalprotestantischen Milieu“343 verwurzelt fühlte, stand er den politischen Entwicklungen innerhalb der Weimarer Republik zu Beginn seines Studiums in Tübingen zwar interessiert, aber dennoch distanziert gegenüber.344 Das Studienfach der Theologie kristallisierte sich in Gerstenmaiers ersten Semestern als sein primärer Studienschwerpunkt gegenüber der Philosophie und Germanistik heraus. Bereits in Tübingen zeigte er ein bewusstes Interesse an theologischen Themen und Debatten über die universitären Veranstaltungen und Verpflichtungen hinaus. Er arbeitete während seiner ersten beiden Semester ehrenamtlich im Tübinger Wirtschaftskörper der studentischen Verwaltung im Bereich Pressesachen mit345 und setzte in der Redaktion sowie kleinen Veröffentlichungen theologische Akzente, die die These nach seiner theologischen Reifung und Fokussierung schon zu Studienbeginn untermauern. So sehr ihn der „ganze politische Betrieb“ in Deutschland spätestens seit dem Rücktritt von Reichskanzler Heinrich Brüning „verdroß“346, verfolgte er die kirchenpolitische Entwicklung im Verhältnis zwischen dem Christentum 341 Das landesherrliche Kirchenregiment hatte in seiner Symbiose von Landesherr und evangelischer Kirche seit der Reformation knapp 400 Jahre die Mentalität des deutschen Protestantismus geprägt. Die traditionelle Staatsbejahung vieler Protestanten auf der Grundlage von Röm 13, 1–7 veränderte sich trotz der verfassungsrechtlichen Trennung von „Thron und Altar“ in der Weimarer Republik seit 1919 nur wenig. Zum Verhältnis von evangelischer Kirche und Weimarer Republik, zur theologischen Unterstützung und Kritik für das neue demokratische System sowie zum Problem der politischen Identität der Kirchen nach 1919 vgl. Nowak, Kirche; Tanner, Demokratiekritik, 23–36; Schwçbel, Stimme, 37–68; und Jacobs, Religion, 69–104. 342 Zu Luthers Interpretation der Obrigkeit im vierten Gebot vgl. Metzger, Katechismus, 50–53. 343 Stickler, Gerstenmaier, 218. 344 Vgl. Brauer, Bibel, 354. 345 Vgl. Bewerbung um Aufnahme als Mitglied von Gerstenmaier an die SdDV vom 10. 11. 1932 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 346 Gerstenmaier, Streit, 37.

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und dem aufkommenden Nationalsozialismus umso aufmerksamer. Im Unterschied zur katholischen Kirche347 begegneten die Protestanten der nationalsozialistischen Bewegung mit einem breiten Spektrum unterschiedlichster Standpunkte.348 Das mehrheitliche Wohlwollen der Protestanten gegenüber dem Nationalsozialismus gründete vor allem in der strategisch durchdachten Religionspolitik der NSDAP, die ausgehend von ihrem Parteiprogramm vom 24. Februar 1920 im Artikel 24 von einem „positiven Christentum“ sprach, welches die Partei als ihre Grundhaltung vertreten und jeden möglichen Konfrontationskurs mit den Kirchen vorerst vermeiden wollte.349 In der hoffnungsvollen Annäherung vieler Protestanten an die Ideologie des Nationalsozialismus erkannte Gerstenmaier frühzeitig theologische Spannungen und vertrat seine Meinung auch öffentlich. Sein Engagement in diesem Rahmen ist als ein deutlicher Beleg dafür zu werten, dass er schon sehr früh für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus einstand. Hervorzuheben ist eine Auseinandersetzung mit einem seiner Kommilitonen aus der Theologie. Gerstenmaier sah sich im Winter 1931/1932 veranlasst, auf einen Artikel von Oskar Riegraf350 unter dem Titel „Christentum und Nationalsozialismus“ aus der Ausgabe 35 der Württemberger Hochschulzeitung zu reagieren. Riegraf setzte sich darin mit zwei 1931 erschienenen Schriften von Helmuth Schreiner und Wilhelm Stapel auseinander.351 Auf der Grundlage der beiden Schriften versuchte Riegraf das Verhältnis zwischen der nationalsozialistischen Bewegung und ihrer programmatischen Stellung zum Christentum zu bewerten. Dabei kritisierte er deutlich Schreiners Position,352 die in ihrem Kern die Gottesfrage vor dem Hintergrund der dogmatischen Haltung der Kirche zum Nationalsozialismus theologisch diskutierte sowie klar zwischen nationalsozialistischer Ideologie und den Maßstäben des Evangeliums differenzierte. Anzumerken ist, dass Riegraf unter seinen Kommilitonen für seinen „glühenden Einsatz für die Sache des Nationalsozialismus“ und seine „idea347 Zu der relativ einheitlichen ablehnenden Haltung der katholischen Kirche gegenüber den (vor allem kulturpolitischen) Anschauungen des Nationalsozialismus zwischen 1930 und 1933 vgl. Zimmermann-Buhr, Kirche. 348 Vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 8–11, 38–67. 349 Zu den nationalsozialistischen Versprechen und Standpunkten gegenüber den Kirchen bis hin zur Novellierung aller möglichen Konflikte mit dem Christentum vgl. Strohm, Kirchen, 10–16; Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 6 f, 29–38; und Scholder, Kirchen, Bd. 1, 93–299. 350 Zur Person Riegraf vgl. Werner, Riegraf; und L chele, Hitlerjugend, 157–178. 351 Es handelte sich dabei um „Sechs Kapitel über Christentum und Nationalsozialismus“ von Stapel und „Der Nationalsozialismus vor der Gottesfrage – Illusion oder Evangelium?“ von Schreiner (vgl. Stapel, Kapitel und Schreiner, Nationalsozialismus). 352 Konnotativ begegnete Riegraf Schreiners theologischem Standpunkt mit Beurteilungen wie „stichelnde Kritik“, „böswillig“, „verdreht und verleugnet“, „gewissenlos“ sowie „unaufrichtig und unwahrhaftig“ (Riegraf, Christentum).

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listische Verbohrtheit“353 bekannt war. Mit diesem Wissen – und sicher auch einer eigenen Einschätzung – antwortete Gerstenmaier in Ausgabe 36 der Württemberger Hochschulzeitung vom 15. Januar 1932 mit einem teilweise provokativen Artikel unter dem Titel „Politisches Messiastum? Zur Frage Nationalsozialismus und Christentum“ dem Artikel Riegrafs, der als Theologiestudent die Schriften von Stapel und Schreiner bereits, so Gerstenmaier, „nationalsozialistisch besprochen“354 habe. Gerstenmaier schien hier einen theologischen Gegensatz in der Bewertung der Schriften setzen zu wollen. Damit mischte er sich aktiv in die damalige Auseinandersetzung zwischen der institutionalisierten Kirche im besonderen Rahmen der Dialektischen Theologie und den weltanschaulichen Hintergründen sowie Ansprüchen des Nationalsozialismus in unmittelbarer Beziehung zur Kirche ein.355 Im Artikel kritisierte Gerstenmaier seinen Kommilitonen Riegraf scharf. Seine theologische Bewertung von Stapel und Schreiner habe „weder Gefühl noch Verständnis […], sonst hätte er sich nicht […] in dieser Weise vergreifen können“356. Riegraf habe – durch seine Parteiperspektive357 inspiriert – vor allem Schreiner „oberflächlich und ungerechtfertigt“358 interpretiert. Gerstenmaier unterstrich hingegen, dass, wenn man beide Autoren einigermaßen unvoreingenommen lese, dann müsse man zur Überzeugung kommen, dass hier „Männer Stellung nehmen, denen es um das Schicksal Deutschlands wahrhaftig toternst ist und die das schon lange [durch weitere theologische Veröffentlichungen] bewiesen haben.“359 Um seine theologische Argumentation gegen Riegraf zu erweitern, zog Gerstenmaier zu Stapel und Schreiner auch noch Richard Karwehl hinzu. Vor allem eine Predigt des Pfarrers aus Osnabrück stand dabei im Fokus, die in der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ unter dem Titel „Politisches Messiastum. Zur Auseinandersetzung zwischen Kirche und Nationalsozialismus“ 1931 veröffentlicht wurde360 und breite Resonanz erfuhr.361 Karwehl war unter dem Eindruck von Karl Barths Interpretation des Römerbriefes zur Dialektischen Theologie übergegangen und legte mit seiner Predigt den Nachweis vor, dass der Nationalsozialismus jeder grundlegenden Wahrheit des Christentums eine antichristliche Alternative gegenüberstellte. Er analysierte dabei vor allem Hitlers persönliche Gedankenentwicklung in „Mein Kampf“ und kritisierte 353 L chele, Hitlerjugend, 160. 354 Gerstenmaier, Messiastum. 355 Zu den Hintergründen und Themen der Auseinandersetzung vgl. Nowak, Kirchen, 187–202, bes. 187–189. Zu den theologischen Beiträgen der Zeit in unmittelbarer Begegnung zwischen Kirche und Staat bis zum Ende der Weimarer Republik vgl. Krumwiede, Kirche, 184–246. 356 Gerstenmaier, Messiastum. 357 Riegraf trat bereits 1930 in die NSDAP ein. Vgl. Werner, Riegraf. 358 Gerstenmaier, Messiastum. 359 Ebd. 360 Vgl. Karwehl, Messiastum, 519–543. 361 Vgl. Schirrmacher, Kriegsreligion, Bd. 1, 350; Seitschek, Messianismus, 84; und Graf, Zeitgeist, 87.

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die daraus resultierten nationalsozialistischen Weltanschauungen und Vorhaben in definierten Parallelen362 zum Christentum als „politisches Messiastum“. Der Nationalsozialismus habe den „jüdischen Messianismus […] durch den germanischen Messianismus“363 ersetzt und betreibe so ein „politisches Messiastum“, in dem rassische über religiöse Leitmotive dominierten. Gerstenmaier schien von Karwehls Analyse und „scharfer theologischer Auseinandersetzung“364 beeindruckt gewesen zu sein. Nicht nur, dass er seinen Artikel ebenso mit dem Terminus des politischen Messiastum überschrieb, sondern auch der Duktus seiner Beurteilung zeigt, dass er Karwehls Position internalisiert hatte. Gerstenmaier ging in seiner Bewertung davon aus, dass im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Weltanschauung der Mensch in seiner blutmäßigen Bestimmtheit stünde, von dem alles aus ging.365 Mit Karwehl nahm er diesen anthropozentrischen Ansatz theologisch auf, der urteilte, dass sich die nationalsozialistische Weltanschauung durch die Idee eines Gottes kröne, der wiederum das „Wunder arischer Mensch“366 geschaffen habe. Karwehl konstatierte zudem, dass diese Idee dem Nationalsozialismus sowohl die metaphysische Rückendeckung gab als auch ihm bestätigte, was er schon ohne sie wusste. Das Besondere liege nun in Karwehls Folgerung: „Ein Gott aber, dessen faktische Bedeutung darin besteht, dürfte kein Gott sein, sondern ein Götze.“367 Der Missbrauch der Schöpfung wurde darüber hinaus durch eine säkularisierte Eschatologie innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie unterstützt, die die Kirche nach Karwehl auf den Plan rufen müsse, denn Hitler verkündige schließlich: „Ein neues Zeitalter ist im Werden – es geht um die Entscheidung von Ewigkeitsfragen“368. Diese Erhöhung der nationalsozialistischen Ideale in die Sphären des Metaphysischen und deren Verbindung mit eschatologischen Ausrichtungen sei für das Volk nicht förderlich, das nach Karwehl nicht von Ideologien lebe, sondern von Gottes Wort. Diesem leidenschaftlichen Plädoyer für die Freiheit und Unabhängigkeit des Evangeliums fühlte sich Gerstenmaier nahe. Auch wenn er einige Gedankengänge und Folgerungen Karwehls für eine „ziemlich starke Zumutung“369 hielt, unterstützte er Karwehls Position. Die Gemeinsamkeit von Stapel, Schreiner und Karwehl war nach Gerstenmaier darin zu fassen, dass keiner von ihnen ein „zeitgemäß zurechtfri362 Karwehl hob vor allem die Parallelen aus den Begrifflichkeit und Sichten der Erbsünde, Gottesebenbildlichkeit, Reich Gottes, Predigt, Wolke von Zeugen, Gericht und Kirche zwischen der Kirche und dem Nationalsozialismus hervor. Vgl. Karwehl, Messiastum, 540–542. 363 Ebd., 540. 364 Gerstenmaier, Messiastum. 365 Vgl. ebd. 366 Karwehl, Messiastum, 527. 367 Ebd. 368 Ebd., 540. 369 Gerstenmaier, Messiastum.

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siertes Christentum“370 in Deutschland wollte. Alle drei wandten sich damit vor allem gegen die dogmatisch-theologische Inanspruchnahme der christlichen Botschaft für die nationalsozialistische Ideologie. Durch die Synthese der Schriften in ihrer wesentlichen Aussage versuchte Gerstenmaier in seinem Artikel die Freiheit der Kirche in eindeutiger Abgrenzung zum Nationalsozialismus zu betonen. Auch diskutierte er die Frage, ob man als Christ aktiver Teil der nationalsozialistischen Bewegung werden konnte. Für Gerstenmaier war klar, dass diese Entscheidung eine ernste sei, aber eine Entscheidung des Einzelnen bleibe.371 Dem eindeutig interpretierbaren Nein aus Karwehls Schrift setzte Gerstenmaier die Auffassung Schreiners entgegen. Der in Rostock lehrende Theologe sah es als entscheidend an, ob sich der Nationalsozialismus von seiner ideologischen Hinwendung zu Alfred Rosenbergs völkischer „Blutreligion“ befreie oder nicht.372 Darüber hinaus argumentierte er: „Die soziale und nationale Freiheit unseres Volkes ist ein Gottesauftrag, dem wir Gehorsam zu leisten haben. Und aus der Tiefe des Wesens des Nationalsozialismus tritt uns ein Wille entgegen, der uns auf diesen Gottesauftrag hinweist.“373 Schreiner fügte hinzu, dass derjenige, der dem Ruf des Nationalsozialismus mit einem ungebrochenem Ja beantworte, Gefahr laufe, Verrat an dem Freiheitswillen der Nation zu begehen.374 Dies bezog Gerstenmaier auf das Verhältnis zwischen der nationalsozialistischen Bewegung und dem einzelnen Christen. Solange die Bewegung nicht den Anspruch erhebe, Kirche zu sein, so könne auch von der Kirche in Entscheidungen ihrer Glieder nicht eingegriffen werden.375 Die Freiheit der Partizipation, die gleichzeitig eine entsprechende Verantwortung und auch Gefahr in sich trug, lag also als Gottesauftrag bei jedem Einzelnen. Die Umschreibung Gerstenmaiers, dass die nationalsozialistische Bewegung auf der einen Seite „Welt“ sein wolle, was einen umfassenden Anspruch umschreibt, auf der anderen Seite jedoch gleichzeitig – unter Berücksichtigung

370 Ebd. 371 Vgl. ebd. 372 Gemeint ist hier die von Rosenberg vorgebrachte Ideologie in seinem 1930 veröffentlichten Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“. Rosenberg definierte darin Ansätze einer Rassentheorie. Er versuchte in einem politischen und religiösen Glaubenskonzept die Vorstellung einer „Rassenseele“ und einer „Religion des Blutes“ zu verbinden (vgl. Rosenberg, Mythus). Schreiner fügte seiner Bedingung der Lossagung von Rosenbergs Ideologie eine Konsequenz an: „Tut er das nicht, dann gibt es für die Kirche und ihre Verkündigung nur die Möglichkeit, seiner weltanschaulichen Haltung unerbittlich zu widerstehen und zu bekennen: wir glauben an den heiligen Geist. Der Glaube an das heilige Blut enthält den dämonischen Versuch, mit Hilfe einer Illusion des Menschen an die Stelle Gottes zu setzen.“ (Schreiner, Nationalsozialismus, 51). 373 Schreiner, Nationalsozialismus, 60 f. 374 Vgl. ebd., 61. 375 Vgl. Gerstenmaier, Messiastum.

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von Stapels Ansatz – „keine weltanschaulich neutrale Bewegung“376 sein könne und auch nicht sein wolle, legt ein Paradoxon in seinem Artikel offen. Gerstenmaier unterschied in der Folgerung seines Artikels nicht zwischen Nationalsozialismus und Christentum, zwischen Staat und Kirche. Er widersprach auch nicht der Inanspruchnahme von variierten christlichen Grundsätzen, sondern warnte nur vor einer „dogmatisch-theologischen Vergewaltigung“ und einem wiederauferstehenden „Materialismus“377. Seine eigene Kritik an der Frage und dem Verhältnis zwischen Christentum und Nationalsozialismus ist zu dieser Zeit – anders als bei Schreiner und Karwehl – eher als seicht zu beschreiben, auch wenn er die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche in enger Assoziation mit den beiden genannten Autoren betonte. Dieser Sachverhalt zeigt, dass sich Gerstenmaier schon während seiner ersten beiden Semester in Tübingen eindringlich mit zeitgenössischen Schriften und theologischen Kontroversen beschäftige sowie mit seiner eigenen Meinung zum Diskurs beitrug. Es ist zu konstatieren, dass er gemäß seinen – seit der Jugendbewegung gefestigten – Attributen der Freiheit handelte und den Nationalsozialismus zu dieser Zeit noch nicht pauschal verurteilte. Trotz seines seichten Ansatzes ließ die Reaktion Riegrafs nicht lange auf sich warten, der mit einem Artikel unter dem Titel „Politische Taschenspielereien. Eine Antwort auf: ,Politisches Messiastum“‘ in Ausgabe 38 der „Württemberger Hochschulzeitung“ auf Gerstenmaier antwortete. Riegraf wollte in dem Artikel als bekennender Nationalsozialist und Christ Gerstenmaiers „Naivität zurückweisen“ und seine Position als „reichlich banal“378 offenlegen. Die weiteren Anfeindungen gegen Gerstenmaiers Position und auch seine wiederholte Kritik an Schreiners Schrift gipfelte in der Forderung nach einer doppelten Bürgerschaft des Christen: eine im Reich Gottes und eine im Reich Hitlers.379 Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Kommilitonen wurde nach Riegrafs Antwort auf Gerstenmaier nicht weiter vertieft, jedenfalls sind der Literatur und den Akten dazu keine weiteren Angaben zu entnehmen. 2.3.2 „Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche“ – Gerstenmaier vs. Werner Trumpf Der Wechsel Gerstenmaiers von Tübingen nach Rostock zum Sommersemester 1932 fand in einer kirchenpolitisch hoch brisanten Zeit statt. Die Nationalsozialisten versuchten spätestens seit 1932 ihren Einflussbereich in der evangelischen Kirche auszubauen, indem sie strategisch nach der kirch376 377 378 379

Ebd. Ebd. Riegraf, Taschenspielereien. Vgl. ebd.

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lichen Basis griffen.380 Obwohl sich vor allem Hitler zu kirchlichen Belangen in der Öffentlichkeit bis zur Machtübernahme am 30. Januar 1933 betont neutral gab, förderten die Nationalsozialisten planmäßig Gruppierungen innerhalb der evangelischen Kirche, die sich den Idealen der nationalsozialistischen Bewegung offen gegenüber zeigten und gar bereit waren, die Kirche im Sinne des NS-Gedankengutes umzugestalten. Die Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC), die später auch Reichsbewegung Deutsche Christen genannt wurde, entstand im Februar 1932 vor diesem Hintergrund.381 Die Richtlinien der DC vom 26. Mai 1932 belegen in diesem Zusammenhang durch ihre teilweise fast wörtlichen Adaptionen aus dem Parteiprogramm der NSDAP eindrücklich, dass die DC eine ideologische sowie auch pragmatische Nähe zum Nationalsozialismus anstrebten. Neben dem Bekenntnis zu einem „positiven Christentum“ übernahmen sie in ihren Richtlinien auch rassistische, antisemitische und führungsstrategische Programmpunkte der NSDAP mit dem Ziel, diese innerhalb der Kirche zu implementieren.382 Durch die massive Inanspruchnahme von christlichen Traditionen und religiöser Sprache, die sich vor allem in der bewussten Verwendung von pseudoreligiösem Vokabular und christlich anmutenden Bekenntnisformulierungen auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ausdrückte,383 gelang es der neuen Reichsregierung bei einem Großteil der Protestanten eine wohlwollende 380 Vgl. Dierk, Gott, 172. 381 Völkisch-religiöse Gruppen sammelten sich bereits vor der Entstehung der DC im 1921 gegründeten Bund für Deutsche Kirche (vgl. Meier, Bund, 177–198) und auch im 1925 gegründeten Tannenbergbund (vgl. Finker, Tannenberg-Bund, 668–671). Bereits 1929 entstand in Thüringen eine Kirchenbewegung Deutsche Christen mit den Zielen, eine überkonfessionelle deutsche Nationalkirche zu schaffen und die traditionelle Trinitätslehre durch die Trinität aus Gott, Führer und Volk umzuinterpretieren (vgl. Arnold, Entjudung, Bd. 1, 41–98). Zur Entstehung und Entwicklung der DC unter der Berücksichtigung dieser Strömungen bis 1933 vgl. Meier, Christen, 1–37; und Fenske, Jesus. 382 Zu den Richtlinien vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 47 f; und Strohm, Kirchen, 13 f. 383 Anzuführen sind an dieser Stelle drei beispielhafte Äußerungen: 1. Der Rundfunkaufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk vom 1. Februar 1933, in dem die neue Reichsregierung „das Christentum als Basis unserer gesamten Moral“ definierte und mit gebetsähnlichen Formulierungen um den Segen Gottes bat (vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 87). 2. Die Wahlkampfrede Hitlers im Berliner Sportpalast vom 10. Februar 1933, die er mit einer dem Vaterunser nachempfundenen Glorifizierung des Deutschen Reiches gemäß „der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. – Amen!“ enden ließ (vgl. Domarus, Hitler, 208). Und 3. Die Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933, in dem er betonte, dass die neue Reichsregierung im „Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes“ sehe. Er versprach zudem den christlichen Kirchen nicht nur allgemeinen Schutz und entsprechende Förderung durch den Staat, sondern garantierte auch ihre rechtliche Unantastbarkeit (vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 91 f). Zu der allgemeinen sowie spezifischen Verankerung von religiösen Begrifflichkeit im Gottesbild und der Weltanschauung Hitlers sowie auch zur politischen Nutzbarmachung von pseudoreligiösen Vokabular vgl. Schirrmacher, Kriegsreligion, 2 Bde.

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Stimmung zu erzeugen sowie Hoffnung und Vertrauen aufzubauen. Parallel wuchs auch der Zuspruch zu den DC. Nach den Schätzungen der Mitgliederzahlen kann davon ausgegangen werden, dass die DC 1933 bis zu einem Drittel des protestantischen Milieus repräsentierten.384 Der politische Wille der DC zur Umgestaltung der evangelischen Kirche zeigte sich – ausgehend von den ersten maßgeblichen Weichenstellungen und politischen Beschlüssen der neuen Reichsregierung385 – besonders in der mit großem Propagandaaufwand durchgeführten ersten Reichstagung der DC vom 3. bis 5. April 1933 in Berlin. Hier beanspruchten die DC – in dem Wissen, dass sie auf eine breite Unterstützung der NS-Staatsorgane bauen konnten – die Macht innerhalb der evangelischen Kirche und forderten sowohl die Einführung des staatlich fixierten Arierparagraphen im kirchlichen Umfeld als auch die Bildung einer Reichskirche mit einem Reichsbischof als Führer an der Spitze der Kirche. In einer zum Ende der Tagung veröffentlichten „Entschließung“ brachten sie nicht nur Deutschtum und Christsein in enge Verbindung, sondern forderten auch die vorbehaltlose Anerkennung der nationalen Erhebung, indem sie mit dem Satz „Der Staat Adolf Hitlers ruft nach der Kirche, die Kirche hat den Ruf zu hören.“386 ihre Ausführungen enden ließen. Infolge der DC-Reichstagung weiteten sich die Diskussionen in der evangelischen Kirche um eine grundlegende Reform aus. Weitgehend stimmten die Kirchenleitungen mit den DC in der Bejahung des neuen Staates überein, jedoch wollte man im Gegensatz zu ihnen eine von staatlichen Eingriffen unabhängige Reform.387 Das Bewusstsein zur Schaffung einer besseren kirchlichen Interessenvertretung gegenüber der Staatsgewalt stand im Vordergrund. Die Landeskirchen waren bereit, eine kirchliche Reform zu tragen. Nachdem nun auch der angesehene ehemalige westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner mit seinem wirkungsvollen „Aufruf an alle Lutheraner“ vom 13. April 1933 die Bildung einer reichsweiten „Evangelischen Kirche Deutscher Nation“ auf der Grundlage der beiden reformatorischen Bekenntnisse gefordert hatte,388 wurde mit der Umgestaltung des 1922 gegründeten lockeren Zusammenschlusses der 28 Landeskirchen, dem Deutschen Evangelischen Kirchenbund, begonnen. Da die Evangelische Kirche der altpreußischen Union als größte Landeskirche den Kirchenbund dominierte, berief deren Präsident, Hermann Kapler, als Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, dem Leitungsgremium des Kirchenbun384 Vgl. Gailus, Christen, 223–261, bes. 224 f. 385 In diesem Zusammenhang sind vor allem das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 und die Vorbereitung auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 anzuführen. 386 Entschließung der DC auf der ersten Reichstagung in Berlin vom 5. April 1933 (Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 93). 387 Vgl. Strohm, Kirchen, 25. 388 Zu Zoellners Stellung und seinem Aufruf vgl. Philipps, Zoellner 115–126; und Scholder, Kirchen, Bd. 1, 371–374.

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des, am 23. April 1933 ein sogenanntes Dreimännerkollegium ein, das damit beauftragt wurde, eine Reform der Verfassung des deutschen Protestantismus vorzubereiten. Dem Ausschuss gehörten Kapler für die Unierten, der hannoversche Landesbischof August Marahrens für die Lutheraner und der Studiendirektor des Elberfelder Predigerseminars Hermann Albert Hesse für die Reformierten an. Hitler schien jene vom Staat unabhängigen Reformberatungen nicht gutzuheißen und intervenierte. Da er darauf drang, die landeskirchliche Zersplitterung des deutschen Protestantismus zu überwinden und er die entstehende evangelische Reichskirche als Gegengewicht zum starken Katholizismus positioniert sehen wollte, ernannte er bereits am 25. April 1933 den bis dahin weitgehend unbekannten Königsberger Wehrkreispfarrer und Leiter der ostpreußischen DC, Ludwig Müller,389 zu seinem „Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche“390 und somit zu seinem Vertrauensmann für evangelische Kirchenfragen. Obwohl Müllers kircheninterne Position eher als unklar und seine theologische Kompetenz als eher gering zu beschreiben war, wurde er sogleich zu den Beratungen des Dreimännerkollegiums im Kloster Loccum hinzugezogen. Nach knapp vier Wochen veröffentlichte der durch Müller ergänzte Ausschuss am 20. Mai 1933 das sogenannte Loccumer Manifest, das in wenigen Worten die Grundzüge einer künftigen Verfassung für die entstehende Deutsche Evangelische Kirche (DEK) umriss.391 Ein Reichsbischof lutherischen Bekenntnisses sollte demnach an der Spitze der DEK stehen, dem ein geistliches Ministerium zur Seite gestellt werden sollte.392 Schon während der Beratungen des Dreimännerkollegiums entbrannte ein folgenreicher innerkirchlicher Streit um die Personalie des zukünftigen Reichsbischofs. Die DC forderten vehement Müller als Hitlers Vertrauensmann für das Amt und übertrugen ihm am 15. Mai 1933 die Schirmherrschaft über die DC. Gert Haendler konstatierte in diesem Zusammenhang zutreffend, dass Müller die Bestrebungen zur einheitlichen DEK offensichtlich ausnutzen wollte und sollte, um die evangelische Kirche eng an das neue Regime zu binden.393 Müller schien mit seiner Wahl zum Reichsbischof klar zu 389 Zu Müllers Werdegang und Person bis 1933 vgl. Schneider, Reichsbischof, 17–102; zu den Umständen und Zielsetzungen der Ernennung durch Hitler vgl. ebd., 103–110. 390 Die persönliche Ernennung Müllers wurde durch den „besonderen Auftrag [von Hitler ergänzt], alle Arbeiten zur Schaffung einer evangelischen deutschen Reichskirche zu fördern.“ (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 94). 391 Bereits die Einleitung des Manifestes lässt eine Verschmelzung von kirchlichen und staatlichen Positionen erkennen: „Unser heißgeliebtes deutsches Vaterland hat durch Gottes Fügung eine gewaltige Erhebung erlebt. In dieser Wende der Geschichte hören wir als evangelische Christen im Glauben den Ruf Gottes zur Einkehr und Umkehr, den Ruf auch zu einer einigen Deutschen Evangelischen Kirche.“ (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 96). 392 Vgl. ebd. 393 Vgl. Haendler, Reichsbischof, 322.

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rechnen.394 Jedoch nominierten die Vertreter der 28 evangelischen Landeskirchen am 27. Mai 1933 trotz kirchenjuristischer Bedenken mit 31 zu 55 Stimmen nicht Müller, sondern den hochangesehenen Leiter der Betheler Anstalten, Friedrich von Bodelschwingh d. J.,395 zu ihrem Reichsbischof.396 Dies bedeutete eine eindeutige Zurückweisung des von Hitler begünstigten Müller. Offensichtlich schienen sich die versammelten Kirchenführer der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst gewesen zu sein. Sie sprachen sich mehrheitlich für die Unabhängigkeit der entstehenden DEK gegenüber dem neuen Regime aus. In seinem „Wort an die evangelische Christenheit“ bekannte sich Bodelschwingh nach der Wahl als „Reichsdiakon“ sogleich dazu, die Kirche von innen heraus erneuern zu wollen.397 Damit baute er auf kirchliche Eigenständigkeit in der Frage ihrer Erneuerung. Auf die Wahl, die wenig später aufgrund der fehlenden rechtlichen Legitimation in eine Designation umgewandelt wurde, folgte nicht nur Protest der DC,398 sondern auch von führenden Nationalsozialisten.399 Das nun einsetzende „Kesseltreiben“400 gegen Bodelschwingh wirkte sich auf das gesamte kirchliche Leben in ganz Deutschland aus.401 An der Universität Rostock entluden sich die Proteste besonders heftig, in denen auch Gerstenmaier eine wichtige Rolle einnahm. Es kann davon ausgegangen werden, dass Gerstenmaier die politischen und kircheninternen Entwicklungen sowie das Erstarken der DC aufmerksam verfolgte. Neben seinen intensiven Studien bei Brunstäd, von Walter und Schreiner blieb jedoch wenig Zeit, sich in die kirchenpolitische Gemengelage einzubringen. Das änderte sich im Sommersemester 1933. Auch wenn Gerstenmaier im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme noch glaubte, dass das „Hakenkreuzproblem“402 bald ausgestanden sei, so beanspruchte die innerkirchliche Auseinandersetzung „uns Theologen in diesem Semester auf das Stärkste“403. In jenen zeitgenössischen kirchlichen Fragen wurde er 394 Zu Müllers Rolle im Dreimännerkollegium und zu seiner Niederlage gegen Bodelschwingh vgl. Schneider, Reichsbischof, 110–128. 395 Zur Frömmigkeit, Theologie, dem Amtsverständnis sowie der Diakoniepolitik des sogenannten „Pastor Fritz“ vgl. Bernd, Frömmigkeit, 21–37; und Kaiser, Bodelschwingh, 38–53. 396 Vgl. Haendler, Reichsbischof, 323. 397 Vgl. Bodelschwinghs Wort an die evangelische Christenheit vom 27. 5. 1933 (Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 97–99). 398 Vgl. Müllers Rundfunkvortrag vom 27. 5. 1933 und die Berichterstattung darüber (Schneider, Reichsbischof, 129) sowie Hossenfelders Protestschreiben an Kapler gegen die Wahl Bodelschwinghs vom 29. 5. 1933 (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 97). 399 Sowohl der Reichskanzler als auch der Reichspräsident weigerten sich, den neuen designierten Reichsbischof zu empfangen. Mit diesen Mitteln drückten sie ihren Protest gegenüber der autarken Wahl aus. 400 Strohm, Kirchen, 28; und Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 72. 401 Zur Kampagne gegen Bodelschwingh und Müllers Griff nach der Macht vgl. Schneider, Reichsbischof, 129–139. 402 Gerstenmaier, Streit, 37. 403 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1).

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nachhaltig von seinen theologischen Lehrern inspiriert.404 Hervorzuheben ist an dieser Stelle Brunstäd, der sich mit dem begonnenen Kirchenkampf und seiner damit zusammenhängenden theologischen Erörterungen „lebhaft beschäftigte“405 und für Gerstenmaier somit eine Vorbildfunktion einnahm. Die Schüler-Lehrer-Beziehung zwischen beiden war nicht zuletzt auch über den Lehrbetrieb hinaus im Sommersemester 1933 besonders eng, da Gerstenmaier die Leitung der Rostocker Stipendiatengruppe der SdDV übernommen hatte406 und Brunstäd der Vertrauensdozent der Rostocker Studienstiftler war. Im Zuge der Designation Bodelschwinghs am 27. Mai 1933 zum Reichsbischof begann Gerstenmaier im brunstädschen Sinne zu handeln. Anlass dafür bot ein Telegramm von Jurastudent Werner Trumpf,407 der sich als Vorsitzender des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) und somit Führer der Studentenschaft an der Universität Rostock schriftlich an das höchste Leitungsgremium der evangelischen Kirche, den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss, wandte. Das Telegramm wurde dem Rostocker Anzeiger am 31. Mai 1933 bekannt und am 1. Juni 1933408 mit dem folgendem Wortlaut veröffentlicht: „Stattgefundene Wahl des Reichsbischofs keine befriedigende Lösung einer inneren Verbindung von Kirche und Volk. Studentische Jugend will Kämpfer der nationalen Revolution zur Erfüllung der wahren Aufgabe der Kirche. Wir stehen vertrauensvoll hinter dem Kampf des Wehrkreispfarrers Müller, des Beauftragten Adolf Hitlers.“409

404 Die gesamte Lehrerschaft der Theologischen Fakultät stand der deutschchristlichen Theologie sowie auch der nationalsozialistischen Weltanschauung fern gegenüber (vgl. Deinert, Studierenden, 86). Beispielsweise setzte sich Schreiner unter anderem in einer mit Walter Künnerth veröffentlichten Monografie mit dem Titel „Die Nation vor Gott“ auf dem Boden eines biblisch orientierten konservativen Luthertums kritisch mit der deutschchristlichen Theologie auseinander (vgl. Schreiner/K nneth, Nation, 38–53; 56–74). Zu Schreiners theologischen und praktischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus vgl. Nowak, Schreiner, 61–65. 405 Brief Gerstenmaiers an Ringleben vom 7. 7. 1982 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-045/ 1). Vgl. zu Brunstäds theologischer Arbeit auch Rohls, Theologie, Bd. 2, 466 f. 406 Vgl. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 407 Zur Gründung und Etablierung des NSDStB an der Universität Rostock sowie zu Trumpfs Rolle vgl. Deinert, Studierenden, 45–74. 408 Gerstenmaier ging in seinen Erinnerungen (vgl. Gerstenmaier, Streit, 39) sowie Daniela Gniss in ihrer Gerstenmaier-Biografie (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 42) von einer Veröffentlichung des Telegramms am 31. 5. 1933 aus. Aufgrund der Quellenlage ist dies jedoch zu widerlegen, da das Telegramm erst in Nr. 126 des Rostocker Anzeigers am 1. 6. 1933 veröffentlicht wurde (vgl. Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 und das Protestschreiben (Abschrift) Bartholdis an Trumpf ohne Datum. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 409 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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Die durch Trumpf vorgenommene klare Positionierung der Rostocker Gesamtstudentenschaft hinter Müller und somit hinter den DC rief innerhalb der Rostocker Theologenschaft heftigen Protest hervor. Für Gerstenmaier war damit das „Signal zum Kampf“410 gegeben. Die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. Juni 1933 wurden von Gerstenmaier in einem mit Schreibmaschine geschriebenen Bericht am 2. Juni 1933 zusammengefasst und von seinen Kommilitonen Wilhelm Wrage, Fritz Schäfer, Walther Foertsch und Friedrich Wilhelm von Seydlitz handschriftlich „für die Wahrheit“411 mit unterschrieben. Der Bericht skizziert sehr detailliert, was als Reaktion auf Trumpfs Telegramm passierte. Gerstenmaier beschrieb, dass sich direkt am frühen Morgen eine Reihe von Theologiestudierenden bei dem Leiter der evangelischen Fachschaft, Joachim Bartholdi, eingefunden hatten. Die Kommilitonen forderten die Einberufung einer Fachschaftssitzung, um geschlossen gegen Trumpfs Stellungnahme protestieren zu können. Da jedoch eine hochschulöffentliche Stellungnahme des Fachschaftsleiters aus formalen Gründen nicht möglich war,412 entschlossen sich einige Kommilitonen – darunter auch Gerstenmaier – eine Protestaktion sofort unter eigener Regie in die Wege zu leiten. Es sollten Unterschriften unter den Theologiestudierenden zu folgendem Telegramm an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss gesammelt werden: „(Zahl) evangelische Studenten der Universität Rostock bekennen sich zu der Entscheidung der evgl. Kirchenführung und grüßen ihren Reichsbischof bereit zu Gefolgschaft.“413 Gerstenmaiers Bericht zufolge kamen sehr zügig über einhundert Unterschriften zusammen. Noch vor Mittag wurde das Telegramm dann auch versandt. Darüber hinaus erklärte sich Bartholdi als Vorsitzender der Fachschaft auf Drängen seiner Kommilitonen doch zu einem Protestschreiben an Trumpf bereit.414 Er verfasste zusammen mit Gerstenmaier und Walther Foertsch einen „geharnischten Protest gegen den Studentenführer“415, der von Gerstenmaier später als „unser schnieker brauner Trumpf […] [und als] ein Mann ohne jede Beziehung zur Kirche“416 charakterisiert wurde. Die Kommilitonen 410 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 411 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 412 Eine Fachschaftssitzung konnte nach der neuen Fachschaftsordnung nur durchgeführt werden, wenn diese vom Fachamtsleiter bzw. Führer der Studentenschaft genehmigt wurde. Da keiner der beiden erreicht und somit keine Genehmigung erteilt werden konnte, war keine spontane Einberufung einer Fachschaftsitzung am Morgen des 1. 6. 1933 möglich. 413 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 414 Das Schreiben war persönlich an Trumpf adressiert und nicht als hochschulöffentliche Stellungnahme aufgrund der zu beachtenden Formalia ausgelegt. 415 Gerstenmaier, Streit, 40. 416 Ebd., 39.

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protestierten vermutlich direkt am frühen Mittag des 1. Juni 1933 „namens der theologischen Fachschaft gegen die Ablehnung der Berufung des Reichsbischofs der evangelischen Kirche durch den Führer der Rostocker Studentenschaft“417 und begründeten dies mit drei wesentlichen Argumenten, die die Auffassung der Mehrheit der Fachschaft wiedergaben: Sie erinnerten Trumpf im ersten Punkt rein formal daran, dass die Gesamtstudentenschaft in Rostock interkonfessionell sei. Da nun die Wahl des Reichsbischofs eine rein innerkirchliche evangelisch-konfessionelle Angelegenheit war, sei die „Unzuständigkeit einer Erklärung des Führers einer interkonfessionellen Körperschaft […] demnach erwiesen.“418 Im zweiten Punkt betonten die drei, dass die Theologen nur Gott und ihrem Gewissen verpflichtet seien. So forderten und bekannten sie deshalb die „völlige Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber jeder politischen oder außerkirchlichen Instanz.“419 Der große Dienst der evangelischen Kirche an Volk und Reich könne nicht anders getan werden. Damit unterstrichen sie die klare Trennung zwischen Staat und Kirche und sprachen sich zudem gegen die Auffassung der DC aus. Der dritte Punkt umriss abschließend weitestgehende Einigkeit zu Trumpf und den DC, indem die drei Kommilitonen formulierten, dass sich die studentische evangelische Jugend zum Führerprinzip bekenne, den Liberalismus verwerfe und Gehorsam gegenüber der obersten Führung der evangelischen Kirche fordere.420 Das Protestschreiben ging Trumpf umgehend zu, der gegen 11 Uhr in der Universität eintraf und sogleich die Veröffentlichung des Schreibens untersagte. Um 12 Uhr verfügte er dann die Amtsenthebung Bartholdis und die Ernennung des „linientreuen“421 Hans Werner von Meyenn zum kommissarischen Leiter der theologischen Fachschaft. Dieser rief eine Fachschaftssitzung für 20 Uhr ein. Gerstenmaiers Bericht zufolge kamen dazu schätzungsweise 80 Kommilitonen sowie zahlreiche nichttheologische SA- und SSFunktionäre in Uniform, die sich um Trumpf und von Meyenn scharten. Nachdem von Meyenn das Unternehmen „einiger Herren“ – damit waren vor allem Gerstenmaier und seine Kommilitonen angesprochen, die das Telegramm an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss initialisiert hatten – auf das „schärfste als Undiszipliniertheit“ gerügt und Maßnahmen gegen weitere solche Unterfangen angekündigt hatte, eskalierte die Versammlung mit einer „äußerst scharfen Zurechtweisung“ der gesamten Theologenschaft durch Trumpf, der seine Argumentation gegen Bodelschwingh aus seiner nationalsozialistischen Betrachtungsweise bekräftigte und darauf baute, dass sich „in der Kirchenleitung staatsgefährliche reaktionäre Elemente durchge417 Protestschreiben (Abschrift) Bartholdis an Trumpf ohne Datum (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 418 Ebd. 419 Ebd. 420 Vgl. ebd. 421 Deinert, Studierenden, 87.

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setzt“422 hätten, denen entgegenzutreten sei. Da jegliche Wortmeldungen bereits vorab durch Trumpf untersagt waren und der Saal nach den Wutreden der beiden Amtsträger zwangsgeräumt wurde, kulminierte jener Ausgang der Fachschaftssitzung in einer fassungslosen Empörung der Theologenschaft. Im Protest zogen etwa 70 der zwangsweise entfernten Kommilitonen in die nahegelegene Universitätskirche. Dort entwickelte sich eine spontane „Kundgebung im gottesdienstlichem Gewand“423, bei der die Kommilitonen direkt am Anfang das berühmte Lutherlied „Eine feste Burg“ gemeinsam sangen und somit ihrem Protest solidarisch Gestalt verliehen. Gerstenmaier schrieb in seinem Bericht, dass danach ein Kommilitone auf die Stufen zum Chor trat und unter der leeren Kanzel das aussprach, „was das tiefste Anliegen unseres ganzen Protestes war.“424 In seinen Erinnerungen präzisierte er diesen benannten Kommilitonen mit seiner eigenen Person. Demnach wurde er vor Ort aufgefordert zu reden.425 Trotz anfänglichen Zögerns trat er vor seine Kommilitonen und sprach unvorbereitet: „Unsere vornehmste Freiheit, die Freiheit des Bekenntnisses ist bedroht. Damit ist das Herzstück der deutschen evgl. Kirche bedroht. Es geht uns nicht um irgend eine Opposition oder irgendwelche reaktionären Maßnahmen. Was wir wollen, ist die Bekenntnisfreiheit unserer Kirche und unseres Glaubens. Wir wenden uns leidenschaftlich gegen jeden Anspruch oder Einspruch des Staates gegen unsere Kirche. Wenn wir auf unserem akademischen Arbeitsplatz nicht mehr die Möglichkeit haben, frei und ungehindert die Wahrheit zu bezeugen, mit der wir vor deutsche Gemeinden treten sollen, bleibt uns nichts übrig als von dem Boden aus zu sprechen, an dem wir uns zu gemeinsamer Feier und gemeinsamen Gebet zusammenfinden. Hier gilt weder Befehl noch Verordnung. Wir bezeugen die freie Überwindung durch das Wort. Wir bekennen die Freiheit im Heiligen Geist.“426

Die Rede Gerstenmaiers ist ein eindrücklicher Beleg dafür, wie sich die anfängliche Reaktion von einigen evangelischen Theologiestudierenden auf das Telegramm Trumpfs, das sie in dessen Allgemeinheit nicht so stehen lassen wollten, zu einem leidenschaftlichen Bekenntnis für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber von staatlichen Eingriffen weiterentwickelte. Damit bezogen Gerstenmaier und seine Kommilitonen klare Position für den lutherischen Kandidaten Bodelschwingh als Reichsbischof und gegen die Forderungen der DC. Auf Gerstenmaiers Rede folgte der Lutherchoral „Nun bitten wir den heiligen Geist“, den ein Kommilitone an der Orgel ohne vor422 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 423 Gerstenmaier, Streit, 40. 424 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 425 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 40. 426 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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herige Absprache anstimmte. Indem man Luther erneut sprechen ließ, brachten die Kommilitonen noch einmal zum Ausdruck, wen und was sie als Maßstab ihres Handeln charakterisierten. Obwohl Gerstenmaier rückblickend die sich in der Universitätskirche spontan ereignete Liturgie etwas übertrieben vorkam,427 so spiegelte sie doch die in ganz Deutschland angespannte innerkirchliche Situation und den Kampf für die kirchliche Unabhängigkeit eindrücklich wider. Infolge der gottesdienstlichen Kundgebung wurde Gerstenmaier das „fast eindeutige Vertrauen“ seiner Kommilitonen im Gegensatz zu von Meyenn ausgesprochen und er zum „Führer und Sprecher der theologischen Opposition“428 ernannt. Diese Rolle ermächtigte ihn im Namen seiner Kommilitonen zu agieren und so auch weitere Schritte gegen die deutschchristliche sowie nationalsozialistische Vereinnahmung der Kirche zu gehen.429 Auch am 2. Juni 1933 ebbte die Erregung unter den Theologiestudierenden nicht ab. Walther Foertsch schrieb als „überzeugter Nationalsozialist“430, Mitglied des NSDStB und Theologiestudent431 einen erneuten Brief an Trumpf, in dem er betonte, dass es sich bei der Frage für oder gegen Bodelschwingh oder Müller „um die Lebensfrage der Kirche“432 handle. Jene Tragweite und Bedeutung schien Trumpf nicht bewusst zu sein. Die Kirche dürfe nicht zur Magd des Staates erniedrigt werden. Er plädierte dafür, dass sie Kameradin des Staates sein müsse.433 Nicht nur die evangelischen Theologiestudierenden begrüßten die Entscheidung für von Bodelschwingh, sondern auch das komplette Professorium der Theologischen Fakultät sprach sich im Rostocker Anzeiger vom 3. Juni 1933 für ihn aus.434 Darüber hinaus ereignete sich an der Fakultät ein gewalttätiger Zwischenfall. Da unter den Theologiestudenten immer noch Unterschriften für Bodelschwingh gesammelt wurden, kam es mit einem Kommilitonen, der sich bei der SA engagierte, zu einer Schlägerei,435 als dieser die herumgehenden Listen an sich riss. Der praktische Theologe Schreiner musste zudem seine Vorlesung wegen der Erregung ausfallen lassen. Die Situation befriedete sich erst, als sich die Fakultät, das 427 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 40. 428 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 429 Die Ernennung war die Voraussetzung für sein Agieren im Kapitel 2.3.3. 430 Brief von Foertsch an Trumpf vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 431 Foertsch war wie viele andere seiner Kommilitonen darüber hinaus auch Mitglied bei den DC. Die Ereignisse um Bodelschwingh und die Gefahr um die Eigenständigkeit der Kirche erregten ihn jedoch wahrscheinlich so sehr, dass der bei den DC austreten wollte (vgl. Brief Foertsch an Genz vom 15. 7. 1933, Brief Foertsch an Gerstenmaier vom 15. 7. 1933 und vom 17. 7. 1933. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 432 Brief von Foertsch an Trumpf vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 433 Vgl. ebd. 434 Vgl. Haendler, Reichsbischof, 323. 435 Juliane Deinert ging in ihrer Untersuchung in Rückbezug auf andere Quellen gar von mehreren Schlägereien aus (vgl. Deinert, Studierenden, 88).

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Rektorat und gar ein Regierungsvertreter des mecklenburg-schwerin’schen Ministeriums für Unterricht einschalteten und eine Art Burgfrieden anordneten.436 2.3.3 „Hände weg von der Kirche“ – Gerstenmaier vs. Joachim Hossenfelder Der angeordnete Burgfrieden währte zwischen der evangelischen Theologenschaft und den nationalsozialistisch gesinnten Hochschülern mit Trumpf an der Spitze nur kurz. Knappe zwei Wochen später kulminierte die Auseinandersetzung erneut. Am 11. Juni 1933 hatte der Führer der Deutschen Studentenschaft (DSt)437 reichsweit studentische Vollversammlungen befohlen, um an den Universitäten für Mu¨ ller und gegen Bodelschwingh als Reichsbischof zu werben.438 Entgegen einiger formaler Unstimmigkeiten mit der Universitätsleitung439 lud letztlich Trumpf als Führer der Rostocker Studentenschaft und somit DSt-Verantwortlicher durch Flugblätter,440 Plakate441 und im Rostocker Anzeiger unter dem Titel „Studentenvollversammlung“ alle evangelischen Studierenden am 16. Juni 1933 um 20.30 Uhr in den Rostocker Sportpalast ein. Der DC-Mitbegründer Joachim Hossenfelder sowie der Jenaer Privatdozent Hans Michael Müller sollten zum Thema „Das gläubige Dennoch der Deutschen Christen“ sprechen.442 436 Bericht über die Vorgänge innerhalb der Universität Rostock am 1. 6. 1933 vom 2. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 437 Die DSt war ein Zusammenschluss aller Studentenausschüsse an deutschen Universitäten zwischen 1919 und 1945. Sie wurde seit 1931 vom NSDStB bestimmt und war durch das Führerprinzip geprägt. Gerhard Krüger leitete sie seit 1933. Vgl. ausführlich dazu Jarausch, Studenten, 141–175; und Faust, Eroberung, 49–59. 438 Zum Erlass Krügers vgl. Meisiek, Theologiestudium, 202. 439 Der Rostocker Senat plante die von Trumpf anberaumte Vollversammlung im Rahmen einer Senatssitzung am 14. 6. 1933 zu verbieten, da die Einladung und die Tagesordnung nicht eingereicht sowie ein Widerspruch zur Verfassung der Rostocker Studentenschaft befürchtet wurde. Zudem glaubte man, dass „die akademische Ruhe und Ordnung durch die Abhandlung der Versammlung auf das schwerste gestört wird.“ (Brief des Rektors an das Ministerium für Unterricht vom 15. 6. 1933. In: UAR, 2.03.1, 105). Darauf hin rief der NSDStB zu einem Boykott aller Vorlesungen an der Universität auf (vgl. Haendler, Reichsbischof, 323). Zur Klärung wurde das Ministerium für Unterricht hinzugezogen, da Trumpf das Verbot des Senats unverständlich empfand, weil er sich als befugt ansah, eine Studentenvollversammlung im Sinne der Satzung der Rostocker Studentenschaft einzuberufen (vgl. Rostocker Anzeiger vom 16. 6. 1933. In: UAR, 2.03.1, 105). Wie der Rostocker Anzeiger dann am 17. 6. 1933 berichtete, wurde das Versammlungsverbot kurz vorher vom Ministerialpräsidenten Granzow aufgehoben (vgl. Rostocker Anzeiger vom 17. 6. 1933. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). In einem weiteren Artikel im Rostocker Anzeiger vom 17. 6. 1933 wurde unter dem Titel „Einigung zwischen Rostocker Studentenführer und Rektor“ von einer Schlichtung der Parteien durch das Ministerium für Unterricht berichtet (vgl. ebd.). 440 Vgl. das Werbeflugblatt. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1. 441 Vgl. ein Werbeplakat. In: UAR, 2.03.1, 105. 442 Vgl. Rostocker Anzeiger vom 16. 6. 1933 (UAR, 2.03.1, 105).

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Mit Hossenfelder wurde einer der maßgebendsten und populärsten Protagonisten der DC nach Rostock eingeladen.443 Als erster Reichsleiter der DC nutzte er vielfach die Gelegenheit, seine christlich-völkischen Botschaften als DC-Spitzenprediger in Kirchen, als Hauptredner auf DC-Kundgebungen, durch Traktate, Zeitungsartikel und Rundfunkansprachen zu verbreiten.444 Er verstand die DC als die „SA Jesus Christi“445, die sich dem Kampf um die sozialen und geistigen Nöte Deutschlands anzunehmen habe. Parallel zum Erstarken der DC hatte sich bereits am 12. Mai 1933 eine kirchenpolitische Gruppe aus evangelischen Pfarrern und Theologen zusammengefunden, die sich den massiven Verletzungen des Bekenntnisses durch die DC entgegen stellen wollten. Sie nannten sich programmatisch „Jungreformatorische Bewegung“ (JB), um damit deutlich zu machen, dass es ihnen um die Wahrung der reformatorischen Bekenntnisse ging. Die Theologie des jungen Luther – vor allen Dingen seine theologia crucis – übte auf die Bewegung einen entscheidenden Einfluss in ihrem theologischen Denken aus, die sie auch in deutlichen Abstand zu Barths Calvinismus, Bultmanns Entmythologisierung und Harnacks Liberalismus brachte.446 Die JB forderte in ihrem Gründungsaufruf unter anderem, dass beim Neubau der evangelischen Kirche einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt werden dürfe.447 Die Bewegung ist somit als Gegengewicht zu den DC zu interpretieren. Ihr schlossen sich in kürzester Zeit herausragende Theologen – wie auch Schreiner und Brunstäd – an.448 In Rostock entstand darüber hinaus eine studentische Gruppe der JB, die sich als „Kampfbruderschaft“ bezeichnete.449 Gerstenmaier schien dieser Gruppe anzugehören. In einem späteren Brief an Martin Niemöller teilte er mit, dass er während des Sommersemesters die studentische Opposition in Rostock führe und innerhalb der JB im Kirchenkampf engagiert sei.450 Auch wenn es über die briefliche Erwähnung hinaus nicht eindeutig nachzuweisen ist, dass Gerstenmaier dieser Gruppe angehörte, so ist trotzdem zu belegen, dass er für die Anliegen der JB stritt.451 Dies wurde besonders 443 444 445 446 447 448 449 450 451

Zu Hossenfelders Wirken für die DC vgl. Vehse, Leben, 73–123. Vgl. Gailus, Christen, 229. Brakelmann, Kirchenkampf, 25. Den kompletten Wahlaufruf Hossenfelders vgl. ebd. Zur Entstehung, den Zielen und der Theologie der JB vgl. Assel, Bewegung, 709 f; und Neumann, Bewegung. Vgl. den Gründungsaufruf der JB vom 12. 5. 1933 (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 110 f). Vgl. Vernehmungsprotokoll Heckels durch Langrehr vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). Neben Rostock entstanden ähnliche studentische Gruppen auch in Berlin, Bonn, Erlangen, Go¨ ttingen, Leipzig, Marburg und Mu¨ nster (vgl. Meisiek, Theologiestudium, 196 f: und Deinert, Studierenden, 88 f). Vgl. Brief Gerstenmaiers an Niemöller vom 27. 9. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210025; und 004/2). Retrospektive Darstellungen von Zeitgenossen im Rahmen eines späteren Prozesses belegen diese These (vgl. Vernehmungsprotokoll von Wolfgang Theopold vom 13. 12. 1960; Verneh-

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während der Vollversammlung der evangelischen Studentenschaft am 16. Juni 1933 deutlich. Über den Verlauf und die sich anschließenden Reaktionen der Kundgebung liegen dieser Arbeit zahlreiche Artikel aus dem Rostocker Anzeiger, briefliche Korrespondenz, ein ausführlicher Bericht von Walther Foertsch und Wilhelm Wrage sowie das öffentlich vorgetragene Statement Gerstenmaiers vor, auf die im Folgenden zurückgegriffen wird. Hossenfelder und Hans Michael Müller standen als renommierte deutschchristliche Redner im Zentrum der Kundgebung im Sportpalast. Der Rostocker Anzeiger vom 17. Juni 1933 berichtete unter dem Titel „Versammlung der evangelischen Studenten“ sehr genau über die Wortbeiträge und resümierte direkt am Anfang, dass die Veranstaltung „außerordentlich stark besucht“452 gewesen sei. Während Hossenfelder „mit großer Wärme“453 seine Ausführungen eher allgemein hielt, das Wesen und die Grundgedanken der Religion schilderte sowie die Auffassung der DC über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat skizzierte, wurde Privatdozent Müller deutlicher. Er betonte in seiner Rede die klaren Gegensätze zwischen den Anhängern Bodelschwinghs und den DC. Nach seiner Meinung müsse eine völkische Gemeinschaft zwischen Kirche und Staat hergestellt werden.454 Foertsch und Wrage konstatierten in ihrem Bericht darüber hinaus, dass Hans Michael Müller präzise auf die Personalfrage des Reichsbischofs einging und meinte: nicht der Staat wolle Ludwig Müller mit allen Machtmitteln an die Spitze der Kirche stellen, sondern das Kirchenvolk fordere den Vertrauten seines Führers als Reichsbischof.455 Nach seinem Verständnis schien eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den Kirchenleitungen, die mehrheitlich für Bodelschwingh votierten, und den gesamten Mitgliedern der 28 Landeskirchen als Kirchenvolk zu bestehen. Beide Redner forderten zur Einheit innerhalb der evangelischen Kirche unter Ludwig Müller auf. Nach den Wortbeiträgen der beiden Deutschchristen wurde zur Diskussion aufgefordert. Da sich nach Gerstenmaiers Erinnerungen niemand meldete, den Rednern jedoch widersprochen werden musste, erhob er nach eigener Aussage seine Stimme dagegen.456 Aus dem Bericht von Foertsch und Wrage geht jedoch hervor, dass eine Erklärung bereits im Vorhinein ausformuliert vorbereitet und auch der Versammlungsleitung vorab angekündigt war.457 Gerstenmaier schien als Sprecher der evangelischen Theologenschaft maß-

452 453 454 455 456 457

mungsprotokoll von Wilhelm Bachmann vom 5. 4. 1961; und Vernehmungsprotokoll von Theodor Heckel vom 14. 4. 1961. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). Rostocker Anzeiger vom 17. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Bericht von Foertsch und Wrage über die Vollversammlung vom 16. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). Vgl. Gerstenmaier, Streit, 41. Vgl. Bericht von Foertsch und Wrage über die Vollversammlung vom 16. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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geblich daran mitgewirkt zu haben, da er diese auch vortrug. Er appellierte direkt zu Beginn leidenschaftlich für die Freiheit und Unabhängigkeit der evangelischen Kirche, die sich im Auftrag Gottes an der Kirche begründe. Niemand und nichts in der Welt könne diesen Auftrag abändern oder beschränken. Gerstenmaier begründete den Protest im Namen der Theologiestudierenden mit dem Evangelium selbst: „Weil die Kirche keine andere Waffe hat, als die Wahrheit des frei überwindenden Wortes, fallen alle ihre Entscheidungen ausschließlich danach, was ihr im Evangelium aufgetragen ist. Es ist sinnlos, diese Kirche, deren Verkörperung grundsätzlich die sichtbare Kirche ist[,] mit irgendwelchen Gewaltmitteln anzugreifen. Der Einsatz einer interkonfessionellen Machtgruppe, wie es die deutsche Studentenschaft darstellt, bei der Entscheidung von kirchl. Fragen müssen wir deshalb vom Wesen der Kirche her ablehnen.“458

Weiter betonte Gerstenmaier auch den formalen Aspekt, dass es nicht Sache der DSt sei, in befohlenen Vertrauenskundgebungen zu kirchlichen Angelegenheiten Stellung zu nehmen – so wie es die Universitätsleitung in Bezug auf die Satzung der Studentenschaft auch schon getan hatte. In aller Deutlichkeit drückte er dazu seine Ablehnung aus: „Wir protestieren erneut im Namen der Freiheit unseres Bekenntnisses gegen die Vergewaltigung unserer Überzeugung.“459 Darüber hinaus wehrte er sich gegen jede Form von Gewaltanwendung bei Fragen, die die Kirche betreffen. Die evangelische Kirche wolle in Liebe zu Volk und Reich das Evangelium verkünden. Da seine Stellungnahme unter anderem aus biblischer Rechtfertigung heraus erfolgte und er im „gebundenen Gewissen“460 an die Richtigkeit des Protestes gefangen war, sind deutliche Parallelen in der strategischen Argumentation zu Luthers berühmten Bekenntnis vor dem Reichstag 1521 in Worms zu erkennen. Ohne Bodelschwingh beim Namen zu nennen, bekannte er sich zu der Entscheidung der Kirchenleitung. „Wir haben, solange man uns nicht durch klare Beweise in völliger Freiheit im Gewissen überwindet, zu der Leitung unserer Kirche das Vertrauen, dass sie von ganzem Herzen bereit ist, an ihrem Teil mitzubauen an dem Reich, das uns Gott in diesen Monaten zu bauen anbefohlen hat. Wir vertrauen, daß es niemand gelingen wird, diese unsere Kirche zu irgendeinem reaktionären Hort zu machen. Ganz und ungeteilt und vorbehaltlos, wie wir zum Bekenntnis unserer Kirche stehen, müssen und wollen wir darum zu dem neuen Reich der Deutschen stehen.“461

458 Gerstenmaiers handschriftlich unterschriebene Vorlage zur Vollversammlung vom 16. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 459 Ebd. 460 Ebd. 461 Ebd.

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Vor allem der letzte Satz zeigt, wie Gerstenmaier ganz klar zwischen Kirche und Staat differenzierte. Er lehnte die politische Einmischung zwar keineswegs ab, aber er betonte die kirchliche Unabhängigkeit gegenüber Eingriffen von außen. Foertsch und Wrage zeigten in ihrem Bericht auf, dass die Erklärung mit einigen Schwierigkeiten und Tumulten verbunden war. Von den 2000 anwesenden Studierenden war schließlich ein Viertel in SA-Uniformen erschienen. Gerstenmaier konnte sich jedoch durchsetzen. Seine Erklärung wurde von den „nicht in Braunhemden erschienenen Teil der Versammlung mit lebhaftem Beifallsgetrampel“462 aufgenommen. Trumpf meldete sich daraufhin als Führer der DSt in Rostock zu Wort, um sowohl die Studentenschaft als auch die Dozentenschaft der theologischen Fakultät zu diffamieren. Er machte den nicht anwesenden Dozenten den Vorwurf, dass sie nicht den Mut zur öffentlichen Auseinandersetzung hätten, es jedoch nicht unterlassen könnten, ihre Studierenden gegen die Führung der Studentenschaft aufzuhetzen, die sich wiederum bei den Professoren lediglich nur in Vorteil bringen wollten.463 Die scharfe Verurteilung Trumpfs hatte wiederum ebenso scharfe direkte Reaktionen aus der evangelischen Theologenschaft zur Folge.464 Hossenfelder wurde in seinem Schlusswort nun deutlicher.465 So diplomatisch er zu Beginn noch sprach, legte er sich nun „scharf für Müller ins Mittel“466 und konstatierte in seinem Schlusssatz, dass es bei dem aktuellen Kampf weniger um Personen ginge, „sondern um die grundsätzliche Frage, dem Volke die Seele zu geben, dem braunen Mann die Heimat.“467 Zum Ende wurden noch drei Telegramme bekannt gegeben,468 das Horst-Wessel-Lied gesungen und die Veranstaltung mit einem Siegheil auf das Deutsche Reich beendet.469 Den direkten Reaktionen innerhalb der Versammlung folgten am nächsten Tag noch weitere. Foertsch wies brieflich die durch Trumpf „absolut unbe462 Bericht von Foertsch und Wrage über die Vollversammlung vom 16. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 463 Vgl. ebd. 464 Als direkte Reaktion folgte der spontane Protest eines nicht namentlich bekannten Studierenden. Der Leiter der Versammlung griff jedoch direkt ein und ließ den Zwischenrufer durch die SA abführen. Einen zweiten Kommilitonen, der sich zu Wort meldete, wurde das Wort nicht mehr erteilt. Auf die Gesichtspunkte, die Gerstenmaier in seiner Erklärung geltend gemacht hatte, wurde nicht mehr eingegangen (vgl. ebd). 465 Gerstenmaier schrieb in seinen Erinnerungen, dass Hossenfelder daraufhin sehr wütend und fast perplex reagierte, wie es Studierende nur wagen konnten gegen Müller Front zu machen. In seinen Augen war Hossenfelder ein „fanatischer Nationalsozialist und hatte einen Wust von politisch-kirchlichen Großmachtideen im Hirn.“ (Gerstenmaier, Streit, 41). 466 Bericht von Foertsch und Wrage über die Vollversammlung vom 16. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 467 Rostocker Anzeiger vom 17. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 468 Im ersten Telegramm wurde Müller das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Studentenschaft ausgesprochen, das zweite verlangte von Bodelschwingh den sofortigen Rücktritt und das dritte stellte eine Vertrauenskundgebung für Landesbischof Heinrich Rendtorff dar. 469 Vgl. Rostocker Anzeiger vom 17. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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gründete Beleidigung sowohl unserer theologischen Lehrer als auch unserer Kommilitonen auf das Schärfste“470 zurück. Gerstenmaier forderte Trumpf darüber hinaus auf, dass seine Beleidigungen „hochschulöffentlich zurück[zu]nehmen“471 seien, da er sich nicht an die vor der Versammlung getroffene Vereinbarung, in sachlichen Auseinandersetzungen zur Kirchenfrage nicht zu intervenieren und keine persönlichen Diffamierungen vorzunehmen, gehalten habe.472 Der Zuspruch für Gerstenmaier und seine verlesene Erklärung „Hände weg von der Kirche“473 drückte sich nicht nur am nächsten Tag in zugewandten Dankesbekundungen seiner Kommilitonen aus474 und trug „mir den Spitznamen Bodelschwingh“475 ein, sondern wirkte auch darüber hinaus. Die Korrespondenz mit Christoph Harpprecht, dem zweiten Stadtpfarrer von Kirchheim unter Teck, zeigt, welche Kreise sein „Kampf um die Bekenntnisfreiheit und Selbstständigkeit der Kirche“476 über das universitäre Umfeld hinaus zog.477 Aus den dargestellten Abläufen wird deutlich, wie kontrovers die beiden Lager zueinander standen. An der Frage um den Reichsbischof und dessen Legitimation entzündete sich bei Gerstenmaier eine wesentliche Veränderung, die nicht nur seine Selbstwahrnehmung und seine Rolle innerhalb der Studentenschaft nachhaltig veränderten, sondern auch sein Verhältnis zur Kirche.478 Er trat aus der reinen wissenschaftlichen Betrachtung seines Studiums heraus und politisierte sich. Obwohl sich diese Dynamik vorerst auf die kirchenpolitischen Agitationen beschränkte, schien sie aus einer persönlichen

470 Brief von vermutlich Foertsch an Trumpf vom 17. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/1). 471 Brief Gerstenmaiers an Trumpf vom 17. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 472 Trumpfs Reaktion folgte am 26. 6. 1933. Er sah seine Äußerungen als Missverständnis an. Der Studentenführer schien sich der besonderen Eigenart der evangelischen Fakultät nicht bewusst gewesen zu sein, so skizzierte es zumindest der Rostocker Rektor. Nach Trumpfs Aussage hin war eine Beleidigung nicht beabsichtigt gewesen (vgl. Entschuldigungsschreiben von Trumpf vom 26. 6. 1933. In: UAR, 1.03.0, R 12 C 2). 473 Gerstenmaier, Streit, 41. 474 Gerstenmaiers Einsatz schien von vielen Studierenden goutiert zu werden, auch von solchen, die „ich zum harten Kern der Nationalsozialisten an unserer Universität zählte.“ (Ebd.). 475 Ebd. 476 Brief Gerstenmaiers an Stadtpfarrer Harpprecht vom 26. 6. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 477 Der leidenschaftliche Meinungsaustausch kann an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Jedoch sei angemerkt, dass Harpprecht durch seine klaren Meinungen sicher auch Gerstenmaier gute Impulse zum Weiterdenken gab. So wurde bspw. der Predigtstil der DC diskutiert. Harpprecht schrieb dazu in einem Brief an Gerstenmaier vom 26. 7. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2), dass man kaum noch wisse, „ob Adolf Hitler oder Christus der Heiland sein soll!“ 478 Rückblickend sagte Gerstenmaier dazu: „Wenn mein Verhältnis zu meiner Kirche vorher ein eher traditionelles vorgegebenes war, so wurde es – herausgefordert durch die Auseinandersetzungen mit dem militanten Nationalsozialismus und dem nationalsozialistischen Studentenbund – im Kirchenkampf ein immer bewussteres.“ (Gross, Gespräch, 18).

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Notwendigkeit zu erwachsen.479 In seinem Semesterbericht vom September 1933 an die SdDV rechtfertigte er sein Handeln: „Als Theologe habe ich in gleicher Weise für die Unverletzlichkeit des Bekenntnisses wie für meine in ernster Arbeit gewonnene wissenschaftliche Erkenntnis einzutreten. Ich hätte demgemäss in dem uns aufgezwungenen kirchenpolitische Kampf restlos für die Geltung und Gestaltung der Kirche nach dem im Bekenntnis verfassten Verständnis des Evangeliums zu kämpfen. Im ersten Abschnitt des Kampfes handelte es sich um die grundsätzliche Wesensbestimmung der Kirche und die sich daraus ergebende Unabhängigkeit nach Art. VII der Conf. Aug. Im zweiten Abschnitt galt es von diesem Wesen aus zu den aktuellen Forderungen und Aufgaben Stellung zu nehmen, im kirchlichen Wahlkampf bekenntnisgemäss zu verfahren und eine immer schwieriger werdende, riesengrosse Aufklärungsarbeit zu leisten.“480

Die von ihm und seinen Kommilitonen vorangetriebene Auseinandersetzung lässt sich als Zeichen des offenen Widerstandes gegen die deutschchristliche Vereinnahmung des Evangeliums und der evangelischen Kirche interpretieren. Die Ablehnung der DC-Ansätze ging auch nach dem Amtsverzicht Bodelschwinghs am 24. Juni 1933 weiter.481 Zum Ende des Sommersemesters 1933 wurde Gerstenmaier aufgrund seines Einsatzes als beauftragter Sprecher der evangelischen Theologenschaft dann offiziell zum „Leiter meiner Fachschaft“482 gewählt.483 Er fasste dies als „stillschweigendste aber sichtbarste 479 Vgl. Brauer, Bibel, 356. 480 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 481 Nach nur wenigen Wochen im designierten Amt trat Bodelschwingh aufgrund von dem ihm entgegengebrachten Druck durch die DC und mangelnder Unterstützung aus den eigenen Reihen zurück ohne das Amt überhaupt angetreten zu haben. Zur Rücktrittsbegründung Bodelschwinghs vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 99 f. Zu den Ursachen des Rücktritts vgl. Haendler, Reichsbischof, 324. Zu einer Gesamteinschätzung Bodelschwinghs kirchenpolitischen Verhaltens vgl. Nicolaisen, Fritz, 82–100. 482 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 483 Das studentische Amt der Fachschaftsleitung übernahm er auf Grundlage des Quellenmaterials erst zum Ende des Sommersemesters (vgl. ebd.) und nicht wie von Daniela Gniss ohne Quellenangabe behauptete schon im Wintersemester 1932/33 (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 40). Lediglich aus Gerstenmaiers Aussage während eines später gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens vom 30. 11. 1934 geht hervor, dass er am 30. 1. 1933 Amtsleiter (genauere Beschreibungen und Funktionen dieses Amtes liegen nicht vor), jedoch nicht Fachschaftsleiter wurde (vgl. UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). In den 1980er Jahren schrieb er zudem einen Artikel über seine württembergische Heimat: „Ich saß in Rostock, am anderen Ende Deutschlands, und war dort am Vormittag des 30. Januar 1933 Leiter der Theologischen Fachschaft geworden […].“ (Gerstenmaier, Haus, 53). Das zeitgenössische Quellenmaterial belegt trotzdem – auch entgegen Gerstenmaiers Erinnerungen –, dass er erst im Sommersemester 1933 Fachschaftsleiter wurde. Dies bestätigte auch Wolfgang Theopold im Rahmen einen späteren protokollarischen Vernehmung am 13. 12. 1960 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025).

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Anerkennung unserer guten Sache und ihrer Wahrheit“484 auf und folgte damit demokratisch legitimiert auf den durch Trumpf provisorisch ernannten von Meyenn. 2.3.4 „Diffamierung unseres kirchlichen Handelns“ – Gerstenmaier vs. Gerhard Schinke 1933 gestaltete sich auch in der zweiten Jahreshälfte kirchenpolitisch sehr ereignisreich und folgenschwer. Parallel zu einer verschärften nationalsozialistischen Politik der Gleichschaltung485 unterzeichneten am 11. Juli 1933 Vertreter aller evangelischen Landeskirchen die neue Verfassung der DEK.486 Diese machte gemeinsam mit einem kurz darauf erfolgten Reichsgesetz den Weg frei für allgemeine Kirchenwahlen, die vom Staat auf den 23. Juli 1933 festgesetzt wurden. Aufgrund der relativ knappen Wahlkampfzeit sowie der massiven Unterstützung der DC durch die NSDAP und letztlich durch Hitler selbst, endeten die Kirchenwahlen mit einem überwältigenden Erfolg für die DC.487 Die Wahlergebnisse führten zu einer grundlegenden Umgestaltung der evangelischen Landeskirchen488 und gipfelten schließlich in der ersten deutschen Nationalsynode am 27. September 1933 in Wittenberg. Mit der dort erfolgten Wahl zum Reichsbischof und damit zum wichtigsten kirchenpolitischen Protagonisten der DEKwar Ludwig Müller auf dem „Höhepunkt seiner Macht“489 angekommen. Obwohl die Delegierten einstimmig für Müller votierten, war seine Position 484 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom September 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). In einem späteren Ermittlungsverfahren gegen Gerstenmaier erklärte er am 30. 11. 1934: „Ich habe mich derzeit [als Fachschaftsleiter] bemüht die Ruhe unter den Theologiestudierenden an der hiesigen Universität wieder herzustellen, die infolge der Massnahmen der seinerzeitigen Reichskirchenregierung (Hossenfelder) hervorgerufen waren. Die Beruhigung der Theologischen Studentenschaft gelang mir auch.“ (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). 485 Im Zuge der NS-Gleichschaftungspolitik wurden Parteien zerschlagen, Gewerkschaften verboten und die Pressefreiheit beschränkt. Die Gleichschaltung wurde auch auf unpolitische Bereiche ausgedehnt. Als neue Dachorganisationen sind bspw. die Hitler-Jugend, der Bund Deutscher Mädel, die Organisation Kraft durch Freude und auch der NSDStB zu nennen. 486 Die neue Verfassung war ein äußerst problematischer Kompromiss, da sie aufgrund der Zeitumstände u. a. das Führerprinzip unterstrich (vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 73; 103–107). 487 Zur umfangreichen Unterstützung der DC durch die NSDAP und Hitler selbst vgl. den Wahlaufruf der NSDAP im Völkischen Beobachter vom 19. 7. 1933 und die Rundfunkansprache Hitlers vom 22. 7. 1933 (ebd., 121–123). Zu den Ergebnissen der Kirchenwahl nach Landeskirchen vgl. ebd. 123 f. 488 Bis auf Bayern, Württemberg und Hannover wurden allen Landeskirchen nach den Wahlen durch deutschchristliche Kirchenleitungen bestimmt. Deshalb wird in der Literatur auch oft zwischen den intakten (Bayern, Württemberg und Hannover) und den zerstörten Landeskirchen unterschieden. 489 Schneider, Reichsbischof, 152.

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innerhalb der DEK nicht unangefochten. Der von Pfarrer Martin Niemöller kurz zuvor initiierte Pfarrernotbund490 spielte dabei eine wesentliche Rolle und kann aufgrund seiner Intentionen als „Keimzelle der Bekennenden Kirche“491 bezeichnet werden. Entgegen der kirchenrechtlichen Übernahme des staatlich propagierten Arierparagraphens, der eine Beschäftigung von Kirchenbeamten und Pfarrern jüdischer Herkunft in der DEK verbieten sollte, wurden bereits während der Synode in großer Anzahl Flugblätter mit dem Protest von 2000 Pfarrern verteilt.492 In schwerer Gewissensnot forderten sie die Sicherstellung der vollen Freiheit der evangelischen Verkündigung, die sich menschlichen Ansprüchen nicht beugen dürfe.493 Da auch Gerstenmaier im Rahmen seines Einsatzes für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche einen kirchenrechtlich implementierten Arierparagraphen theologisch als unbegründbar empfand und ihn somit auch ablehnte,494 ließ er sich schnell von den Zielsetzungen des Pfarrernotbundes überzeugen. Brieflich korrespondierte Gerstenmaier zu dieser Zeit mit seinem Lehrer Schreiner. Bereits am 6. September 1933 schrieb er ihm im Bezug auf die Diskussion um den Arierparagraphen aus intrinsischer Motivation: „Ich melde mich deshalb hiermit kriegsfreiwillig. – Was ist zu tun und was wird getan?“495 Durch Schreiners Kontakt- und Informationsvermittlung496 wurde Gerstenmaier parallel zu Müllers Wahl in Wittenberg aktiv497 und wandte sich nach Rücksprache mit dem Stuttgarter EOKR direkt an Niemöller. Er schrieb ihm, dass er gerade in seiner württembergischen Heimat sei und eine Reihe von Pfarrern bereits motiviert habe, die bereit seien, seinem Ruf zu folgen. Zudem betonte er: „Von allem was augenblicklich geschehen kann, halte ich

490 Zur Genese, den Vorhaben und der Struktur des Pfarrernotbundes vgl. Niemçller, Pfarrernotbund; Gailus, Pfarrernotbund, 490–492; Gerlach, Zeugen; und Kupisch, Genesis, 722–730. 491 Strohm, Kirchen, 37. 492 Zu den Vorgängen vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 620–626. 493 Vgl. die Eingabe der 2000 Pfarrer an die Nationalsynode vom 27. 9. 1933 (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 130 f). 494 In einem Brief an Schreiner vom 6. 9. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) zeigte sich Gerstenmaier über die flächendeckende kirchliche Einführung des Arierparagraphens besorgt. Er fragte Schreiner: „Bricht die Kirche, die zu diesen Prararaphen […] ja sagt, nicht den Dritten Glaubensartikel?“ und teilte seinem Missmut mit. „Hier ist nicht Jude noch Grieche“ (Gerstenmaier, Streit, 50) bestätigte für Gerstenmaier im Rückgriff auf Gal, 3,28, dass die rassische NS-Ideologie nicht auf die Kirche ausgedehnt werden dürfe. 495 Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 6. 9. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 496 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 47. 497 Brieflich teilte Gerstenmaiers Schreiner am 22. 9. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2) aus Kirchheim unter Teck folgendes mit: „[…] melde ich hiermit das Ergebnis meines ersten Streifzuges in den Gefilden der schwäbischen Theologie und Kirchenpolitik. Erfreulich. Vielleicht bedeutsam.“ Er beschrieb die Stimmung gegen den Arierparagraphen zudem als aufgeheizt. Die Pfarrer seien zum äußersten Widerstand entschlossen.

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selbst diesen Notbund für am richtigsten und auch zweckmäßigsten.“498 Gerstenmaier schickte Niemöller die Adressen der besagten Pfarrer und bot an, einen Zweig des Notbundes in Württemberg aufbauen zu wollen. Stadtpfarrer Harpprecht sollte dazu der Mittelsmann werden. Bischof Wurm stellte Gerstenmaier darüber hinaus noch weitere Adressen zur Verfügung.499 Parallel zum Brief an Niemöller schrieb Gerstenmaier am 27. September 1933 auch Brunstäd. Darin brachte er sein Engagement vor dem EOKR in Stuttgart zum Ausdruck: „[…] augenblicklich versuche ich mit meinen Mittelsleuten die verschiedenen Gruppen hinter die D.C.-Opposition zu bringen und darüber hinaus den Niemöllerschen Notbund zu organisieren.“ Indem er schrieb, dass er schon eine ganze „Reihe massgebender Pfarrer dazugebracht“ habe, wird ersichtlich, dass er anscheinend mit vielen Pfarrern persönlich Kontakt aufnahm und die Sache Niemöllers verbreitete. Der Dahlemer Pfarrer bedankte sich wenige Tage später brieflich für Gerstenmaiers Engagement und bestätigte, dass er aus Württemberg noch keine weiteren Briefe erhalten habe.500 Somit kam Gerstenmaier die Rolle des Vermittlers in seiner Heimatlandeskirche zu. In einem späteren Brief an Brügelmann umschrieb er seine versuchte Netzwerkbildung und bestätigte, dass die „Sache […] schliesslich auch nett funktioniert“501 habe.502 Von Württemberg kam Gerstenmaier zum Wintersemester 1933/1934 wieder nach Rostock zurück. Jenes Semester kann im Hinblick auf sein Engagement in den Gremien der studentischen Selbstverwaltung wegen der begleiteten Ämter als Kulminationspunkt seiner ehrenamtlichen Arbeit an der Universität umschrieben werden. Alles begann mit der Ernennung von Enno Freerksen zum neuen Führer der Rostocker Studentenschaft und zum Nachfolger von Trumpf. Gerstenmaier war über diese Entwicklung äußerst erfreut, da er Freerksen bereits als engagierten Studienstiftler kennengelernt hatte und mit ihm einige Hoffnungen für gelingende studentische Arbeit verband. In einem Brief brachte er dies zum Ausdruck: „Ich bin froh, hier mit Freerksen zusammenarbeiten zu können, dessen Haltung zur Wissenschaft der meinen

498 Brief Gerstenmaiers an Niemöller vom 27. 9. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025; und 004/2). 499 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 47. 500 Vgl. Brief Niemöllers an Gerstenmaier vom 3. 10. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 501 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 6. 12. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 502 Im weiteren Verlauf der kirchlichen Auseinandersetzung ging Gerstenmaier zu Niemöller mehr und mehr auf Distanz. Die Beschreibungen aus einem Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 9. 4. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) sind stellvertretend für jene methodische Entfremdung heranzuziehen: „Mit Niemöller habe ich mich ziemlich verkracht. Ich bin der Meinung, dass der Mann zurücktreten sollte. Seine politischen Methoden, sind völlig unmöglich, so tapfer und gut sein entschlossener Kampf ist. Aber die Saloppheit N’s kostet uns vielzuviel.“

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durchaus entspricht.“503 Die gute Kooperation mit dem neuen Studentenführer zeigte sich auch in der Tatsache, dass Freerksen Gerstenmaier zum Leiter des Amtes für Wissenschaft der Rostocker Studentenschaft machte und ihm eine tragende Verantwortung in der studentischen Selbstverwaltung übertrug.504 Mit diesem Wechsel war er nun Teil der nationalsozialistisch durchdrungenen Strukturen der DSt, ohne jedoch ein Parteibuch zu besitzen. Auch wenn Gerstenmaier die Leitung der theologischen Fachschaft dafür ungern aufgab, so war er doch beruhigt, dass sein „engster Studienfreund und getreuer Gesinnungsgenosse Wilhelm Bachmann“505 die Fachschaft übernahm und somit für Kontinuität und Kooperation gesorgt war. In seinem Semesterbericht an die SdDV skizzierte er seine Arbeit als Amtsleiter sehr detailliert. Gerstenmaiers wesentlichstes Projekt kann unter seiner Parole „Zurückführung des Studenten zur Wissenschaft“506 zusammengefasst werden. Hierzu führte er Arbeitsgemeinschaften in Rückgriff auf die Fachschaften ein, bei denen es darum ging, die persönliche und wissenschaftliche Entwicklung der Studierenden an der Universität zu fordern und zu fördern. Dass er sich von der theologischen Fachschaft nicht lösen konnte, lässt sich in der Ausgestaltung der Arbeitsgemeinschaften belegen. Hier leitete er selbst eine zum Verhältnis von Philosophie und Theologie sowie eine über moderne apologetische Fragen. Zudem organisierte er mit Bachmann ein Wissenschaftslager für die theologische Fachschaft in Graal-Müritz. Da er bei seiner Arbeit für die theologische Fachschaft auf eine gute Kooperation mit der Dozentenschaft der Fakultät bauen konnte, lobte er in seinem Semesterbericht selbige fast schon euphorisch als vorbildlich. Das Fundament sei „zweifellos die innere und äußere, sachliche und menschliche Geschlossenheit dieser Fakultät.“507 Über sein praktisches Wirken an der Hochschule hinaus nahm er auch überregionale Treffen und Tagungen wahr: so etwa das Reichsführerlager auf Schloss Salem, die Studentenwerkstagung in Frankfurt/ Oder und die Amtsleitertagung in Brieselang. Auf letzterer kam er mit den organisatorischen Problemen der Reichsfachschaft evangelischer Theologie in Berührung und wurde schließlich mit der Geschäftsführung sowie allen notwendigen Vollmachten beauftragt.508 Mit dieser Ämterkumulation verbanden sich für ihn zahlreiche Chancen. 503 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 6. 12. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 504 Vgl. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 505 Gerstenmaier, Streit, 42. 506 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 507 Ebd. 508 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 16. 3. 1934 (Kirchheim) (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1); und Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1).

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Bereits im Sommersemester 1933 hatte er sich konzeptionell an einer allgemeinen deutschen Studienreform beteiligt509 und nun die Möglichkeit, die seit vielen Jahren diskutierte Neugestaltung des theologischen Studiums510 federführend vor der Reichskirchenregierung (RKR), dem sogenannten geistlichen Ministerium des Reichsbischofs, in Berlin mit zu verhandeln und eigene Schwerpunkte zu setzen.511 Die damit verbundenen zahlreichen Sitzungen wurden jedoch von der ungeklärten kirchenpolitischen Situation samt der Problematik um Müller überschattet.512 Nach Gerstenmaiers Meinung war jenes Problem schließlich „kein Amtsproblem, sondern eine Personenfrage.“513 Auch wenn er nach eigener Aussage in seinen Ämtern als „wissenschaftlicher Leiter [der Rostocker Studentenschaft] und Beauftragter

509 Die SdDV forderte in einem Rundschreiben vom 10. 7. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1) alle Mitglieder und Vorsemester auf, am gedanklichen und praktischen „Neubau der Hochschule“ mitzuwirken. Dies wurde mit folgendem Anspruch begründet: „Der neue deutsche Staat hat das öffentliche Leben in allem seinen Teilen nach nationalsozialistischen Grundsätzen zu gestalten.“ Gerstenmaier antwortete der SdDV am 17. 7. 1933 und fügte dem Schreiben zwölf Thesen für eine allgemeine Studienreform bei (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1), die aus einer „leidenschaftlichen Beteiligung an dem Kampf um Sinn und Form der Universität und des deutschen Studenten“ erwachsen seien. Zahlreiche Thesen kreisten um Erziehung, den Ethos der Wissenschaft und den Anspruch des Führertums. In der Rostocker Universitäts-Zeitung Nr. 4 vom 19. 2. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210002) ging Gerstenmaier in seiner Rolle als Amtsleiter für Wissenschaft unter dem Titel „Wissenschaft und Wirklichkeit“ noch einmal auf seine These vom Juli 1933 ein. Die deutsche Universität könne demnach keine Experimente ertragen, die ihrem Wesen fern liegen. Er forderte eine Synthese von Wissenschaft und Wirklichkeit, was keine Gleichschaltung der Universitäten bedeute, sondern eine Erziehung des Menschen nach den Erkenntnis- und Wirkungszusammenhängen nach Kant. 510 Theologische Studienreformdebatten reichten weit bis vor 1933 zurück. Auf deutschchristliche Initiative und im Zutun von Reichsbischof Müller setzten 1933/1934 jedoch intensivierte Diskussionen ein. Der deutschchristliche Theologe Erich Seeberg kann in diesem Zusammenhang als entscheidender Protagonist angeführt werden. Er wollte eine konsequente „Gesamterziehung des Staates“ (Seeberg, Menschwerdung, 266) erreichen und die „Bildung nach der Wirklichkeit des völkischen Lebens“ (ebd., 271) umgestalten. Dementsprechend seien staatliche und theologische Ausbildungsvorstellungen gleichzuschalten sowie die theologische Wissenschaft in eine allgemeine deutsche Theologie umzuformen (vgl. ebd., 267 f). Zu Seeberg und seinen Ansätzen vgl. ebd., 266–272; Meisiek, Theologiestudium, 208–210; und Kaufmann, Seeberg, 216–243. 511 In einem Brief an Brunstäd vom 16. 3. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) betonte Gerstenmaier, dass er die Geschäfte der Reichsfachschaft übernommen habe, um gegenüber der RKR die studentischen und auch bekenntnisorientierten Interessen bei der Studienreform zu vertreten: „Ich kann mich nicht entschliessen kampflos diesen Brüdern das Feld zu überlassen und übernehme deshalb sofort die Geschäfte.“ In jenem Brief skizzierte er zudem ausführlich seine Ideen zur Studienreform. 512 Zu Müllers Machtstreben und neuen kirchenpolitischen Konzeptionen vgl. Schneider, Reichsbischof, 153–191. 513 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1).

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für die theol. Studienreform der ev. theol. Reichsfachschaft“514 versuchte, zwischen RKR und Opposition zu vermitteln, kann davon ausgegangen werden, dass er keine neutrale und ausgleichende Rolle gegenüber Hitlers Vertrauensmann während der Verhandlungen einnahm. Generell ging es ihm bei der sachlichen Verbindung zwischen Kirche und Universitätstheologie, zwischen RKR und theologischem Nachwuchs auch hier wieder um die „Selbstbehauptung der Kirche“515 und somit um die kirchliche Unabhängigkeit von externen Eingriffen.516 In einem Brief an einen Studienfreund fasste er die Arbeit in Berlin scharf zusammen: „Jede Sitzung ein Skandal. […] Völlig verfahrener Laden.“517 Die Verhandlungen in Berlin gingen mit einem weiteren Thema d’accord, welches „in diesem Wintersem.[ester] unsere Rostocker Universitätsdiskussion völlig beherrscht“518 und Gerstenmaiers Aufmerksamkeit in seinen Ämtern sowie als Theologiestudent beansprucht hatte. Es ging um den sogenannten Deutschglauben, um die völkisch-religiöse Bewegung.519 Brieflich konstatierte Gerstenmaier: „Wir stehen ganz unmittelbar vor schweren Auseinandersetzungen grössten Umfangs mit der sich immer mehr konstituierenden 3. Konfession.“520 Die sich um Jakob Wilhelm Hauer und Ernst Graf zu Reventlow scharende Gruppe bildete nach den Ansätzen Rosenbergs demnach eine „mythogermanische Front“521, die eine „verdammte Geschichtsmixe514 Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 15. 4. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 515 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 516 In einem späteren Ermittlungsverfahren gegen Gerstenmaier erklärte er die Ausweglosigkeit seines Handelns vor der Reichskirchenregierung am 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1): „Es lag uns […] daran so schnell wie möglich eine moderne im Nationalsozialismus gemässe Reform des theologischen Studiums durchzusetzen. Alle Versuche scheiterten, weil die Reichskirchenregierung sich zu keinem Handeln entschließen konnte.“ Dies deprimierte Gerstenmaier so sehr, dass er bereits am 15. 4. 1934 an Bachmann (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) schrieb: „Ich will deshalb nicht weiterführen. Für das Organisatorische ist mir die Zeit zu schade.“ An Brunstäd schrieb er 15. 4. 1934 (ebd.) zudem, dass sich die Zusammenarbeit zwischen der DSt und der Reichsfachschaft schwierig gestalteten. Am 18. 4. 1934 schien Gerstenmaier dann den Entschluss gefasst zu haben, die Arbeit in der Reichsfachschaft niederzulegen, da er Schreiner brieflich am selben Tag (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) bat, ob er ihm nicht einen „Mann nennen [könne], der die organisatorische Leitung der Reichsfachschaft bis auf weiteres zu übernehmen bereit wäre? Ich muss jemand nominieren! Möglichst jemand, der theolog. zuverlässig, kipol. sicher (in unserem Sinn) und irgendwie Nazi ist!“ Damit endete Gerstenmaiers Leitungsfunktion in der Reichsfachschaft. 517 Brief Gerstenmaiers an Harms vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 518 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 519 Zur völkisch-religiösen Bewegung vgl. Puschel/Vollnhals, Bewegung. 520 Brief Gerstenmaiers an Brügelmann vom 6. 12. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 521 Ebd.

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rei“522 betreibe. Obwohl Gerstenmaier das Evangelium als eine „freie Sache“523 charakterisierte, hatte seiner Meinung nach jeder Kompromiss zwischen der „Seite Rosenbergs und dem ,Christentum’ Scheidung von der deutschen Reformation, Preisgabe des Evangeliums“524 zum Resultat. Hier gebe es nur ein Entweder-Oder. Er stritt für das reine Evangelium. In seinem Semesterbericht skizzierte er dies folgendermaßen: „Ich freue mich auf jeden sauberen und ehrlichen Kampf, auch auf diesen. Und ich freue mich doppelt, ihn als deutscher Theologe kämpfen zu können. Wohlan, ,wir sind die erste Reihe, wir greifen an!‘ Gegen ein Missverständnis müssen wir dabei sehr aufmerksam sein. Es ist nicht an dem, dass wir in diesem Kampf das Unsere suchen. Dann können wir schweigen. Ein ernster Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, dass für uns Deutsche Religion eben gerade nicht Privatsache ist. Sie ist die Wurzel jedes echten Kulturschaffens, die innere Bindung, die straffer und fester bindet und verantwortlich macht als jede äussere Verordnung und Organisation. […] Die Synthese zwischen Deutschtum und Evangelium hat die deutsche Geschichte gerade in ihren Höhepunkten gestaltet. Sie wird sie auch in Zukunft gestalten – oder Deutschland wird keine Höhen mehr haben. Daran ändern die zum Teil geradezu krampfhaften Versuche um eine neue Synthese oder eine möglichst selbstständige Antithese gar nichts. Man bedenke dabei bloss dies: Jede voreilige Synthese ist ein Irrtum. Jede Anti-These bleibt im Banne der Thesis.“525

Da Gerstenmaier der Meinung war, dass „wir deutschen evang. Theologen hier mitzureden haben“526, mischt auch er sich in die Debatte öffentlich ein. Die Rostocker Universitätszeitung bildete in jener Zeit das Medium, in dem sich die Auseinandersetzungen innerhalb der Studierendenschaft widerspiegelten. In Bezug auf die völkisch-religiöse Bewegung ist vor allem ein Artikel Gerstenmaiers von Interesse, der unter dem Titel „Protestantische Gefolgschaft oder mythologisches Rebellentum?“ am 7. Dezember 1933 in der Rostocker Universitätszeitung veröffentlicht wurde. Hier antwortete er Gerhard Schinke, einem Kommilitonen aus der Philosophie, der in der vorangegangenen Ausgabe der Universitätszeitung einen Beitrag unter dem Titel „Germanisches Rebellentum und deutscher Protestantismus: Martin Luther“ verfasst hatte. Schinke vermischte darin den Begriff des Rebellentums sehr stark mit dem Wesen des Protestantismus und rückte Luther in ein germanisch-heldisches Licht. Darüber hinaus pries er den allgemeinen germanischen Rebellen mit religiösen Zügen und denunzierte den deutschen Protestantismus in seiner

522 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). 523 Ebd. 524 Ebd. 525 Ebd. 526 Ebd.

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Entwicklung. Dieser habe in der deutschen Geschichte zu wenig Stärke bewiesen und sei dem Germanentum unterlegen.527 Schinke war zu dieser Zeit Schulungsreferent des NS-Studentenbundes im Gau Mecklenburg-Lübeck und aufgrund der von ihm angestoßenen Kontroversen in der Theologischen Fakultät bereits bekannt.528 Darüber hinaus schien er sich einen Ruf als „SS-Mann und rabiate[r] Rosenberganhänger“529 gemacht zu haben.530 Gerstenmaier reagierte in seinem Artikel auf die dargelegten Ansätze von Schinke. Er nutzte diese auch, um der völkisch-religiösen Bewegung „die reine Lehre [des Evangeliums] und […] die Tatsache der Offenbarung Gottes in Christus“531 gegenüber zu stellen. Nach einer terminologischen Differenzierung und historisch-theologischen Klärung der von Schinke verwendeten Begriffe ging Gerstenmaier mit dem von Schinke propagierten „modernem Mythogermanentum“532 und dessen Geschichtsinterpretation scharf ins Gericht. Im Christentum gehe es nach Gerstenmaier im Gegensatz zu Schinkes Darlegung nicht um die alleinige Entscheidung zur bindenden Treue an eine Macht, sondern um das Evangelium samt dessen Wahrheiten und geschichtsgestaltender Kraft an sich. Dies habe schon Rosenberg nie verstanden. So könne auch Luther nicht von dem Evangelium und seinem Gewissen losgelöst betrachtet werden. Gerstenmaier baute auch an dieser Stelle erneut auf die Botschaft und daraus resultierende Kraft des Evangeliums: „Wir glauben nicht, dass irgend etwas, das diesen in der Geschichte der Völker Waltenden leugnet, geschichtsmäßig und d. h. bleibend wirklichkeitsmächtig wird, denn es steht außerhalb der lebendig waltenden personenhaften Wirklichkeit Gottes, der furchtlos und treu zu dienen höchste Freiheit ist. So bezeugte Luther die Wahrheit des Evangeliums und damit erneut auch die reine Botschaft der alten Kirche: servitium Dei summa libertas!“533

Die Gottesknechtschaft sei die höchste Freiheit, die ein Christenmensch erlangen könne. Damit knüpfte Gerstenmaier an die lutherische Theologie an und erteilte der völkisch-religiösen Bewegung eine deutliche Absage. Über den theologischen Diskussionsgegenstand unter den Kommilitonen hinaus ist auch die daraus resultierende Wirkungsgeschichte von Interesse, da 527 Vgl. Schicke, Rebellentum. 528 Schinke wurde auch von Schreiner als „Feind“ wahrgenommen (Brief Schreiner an Gerstenmaier vom 17. 5. 1934. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 529 Gerstenmaier, Streit, 63. 530 Ein Brief vom Führer des Sturm 2/21 der SA an die Gauleitung der NSDAP im Gau MeckLübeck vom 25. 1. 1935 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179) bestätigte dies. Darin hieß es: „SA-Mann Gerhard Schinke kenne ich aus der Kampfzeit als vorbildlichen SA-Kameraden und fanatischen Kämpfer für die Idee unseres Führers.“ 531 Gerstenmaier, Gefolgschaft. 532 Ebd. 533 Ebd.

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sie Gerstenmaiers Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche erneut unterstreicht. Anscheinend gingen Schinke spätestens im Herbst 1934 die sachlichen Argumente für die fast schon wissenschaftlich geführte Kontroverse aus, sodass es zu diffamierenden Anschuldigungen kam. In einer „besonders rüden Weise“534 beschimpfte Schinke öffentlich alles Christliche, die Rostocker Theologen und eben auch Gerstenmaier. Am 27. November 1934 gab dieser dann als Amtsleiter für Wissenschaft in Anwesenheit zahlreicher Kommilitonen vor der Führung der Rostocker Studentenschaft eine Beschwerde über Schinke zu Protokoll. Demnach behauptete dieser, dass Gerstenmaier und Bachmann sowie auch die gesamte Theologenschaft eigentlich DC seien, „nun aber umgefallen sind und jetzt gegen den unter ihrer Mitwirkung eingesetzten Reichsbischof Stunk machen und damit Treubruch und Verrat begehen.“535 Da sich Gerstenmaier dadurch in seinem Engagement für die kirchliche Bekenntnisfreiheit persönlich angegriffen fühlte, reagierte er und kritisierte dies als Verleumdung, die von Schinke zu „durchsichtigen Zwecken“536 erhoben wurden, um die theologische Studentenschaft „in böswilliger Weise politisch“537 zu diffamieren. Darauf hin wurde ein universitäres Disziplinarverfahren zügig eingeleitet.538 Bereits am 6. Dezember 1934 wurden zahlreiche Zeugen verhört539 und die Sache vor Universitätsrichter Hans 534 Gerstenmaier, Streit, 63. 535 Protokollarische Aussage Gerstenmaiers vom 27. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Die Aussage wurde von Walther, Brenner, Bachmann, Theopold, Bomhard, Behm und Seyferth handschriftlich als Zeugen und Fürsprechern unterschrieben. 536 Ebd. 537 Ebd. 538 20 Theologiestudierende (Gerstenmaier gehörte nicht zu den Unterzeichnern) baten Rektor Paul Schultze in einem Brief, dass ein Disziplinarverfahren gegen Schinke einzuleiten sei. Darin wiederholten sie noch einmal die Anschuldigungen, die auch Gerstenmaier in seiner Beschwerde bei der Führung der Rostocker Studentenschaft vorgebracht hatte (vgl. Brief von 20 Theologiestudierenden an Schultze von Anfang Dezember 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Die Reaktion erfolgte sehr zeitnah (vgl. Aufforderungsschreiben von Walsmann an Schinke und Gerstenmaier zur Vernehmung vom 3. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). 539 Zahlreiche Studierende wurden im Blick auf Schinkes denunzierendes Verhalten gehört. Helga Süssmann bestätigte in ihrer Aussage, dass Schinke offen denunzierend gegen Bachmann und Gerstenmaier vorgegangen sei (Aussage Süssmanns vor Walsmann vom 10. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Darüber hinaus berichtete ein Student (Unterschrift nicht lesbar) über die Sonnenwendfeier der Rostocker Studentenschaft im Juni 1934 in Warnemünde. Dort habe Schinke sich abfällig über das Christentum geäußert (vgl. Bericht eines Studenten vom 6. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Auch Ewald Jessel führte ein Beispiel über Schinkes abfälliges Verhalten gegenüber dem Christentum an. Ende März 1934 sprach er von gequälten Christenseelen als er einen falschen Akkord auf einer Gitarre spielte. Er beleidigte zudem einen Radiopastor auf das Schärfste. Man müsse ihn aufhängen, soll er gerufen haben (vgl. Bericht Jessels vom 6. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Ausschlaggebend für das Urteil war jedoch der Bericht von Wolfgang Theopold über Schinkes Aussagen bei einem Studentenschaftstreffen in Leipzig von 16.–18. 4. 1934. Schinke solle sich dort zum Parteiprogramm der NSDAP, zum Artigel 24 und dessen vermeidlicher Wirklichkeit geäußert und gefragt haben, ob denn Hitler überhaupt zu dem Punkt des positiven Christentums stünde (vgl. Bericht Theopolds vom 6. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177).

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Walsmann verhandelt. Obwohl Schinke die Vorwürfe im Wesentlichen abstritt,540 schrieb Walsmann an Rektor Paul Schultze, dass ein Verbleiben Schinkes in der Rostocker Universität auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Verfahren und seiner „derartigen Ehrauffassung […] schwer tragbar“541 sei. Das Disziplinarverfahren gegen Schinke fand in einer Phase an der Universität Rostock statt, als auch gegen Gerstenmaier bezüglich der Frage um sein Engagement gegen Reichsbischof Müller ermittelt wurde. 2.3.5 „Treten Sie ab!“ – Gerstenmaier vs. Ludwig Müller Die Diskussion um den im September 1933 gewählten Reichsbischof Müller ebbte an der Rostocker Fakultät nicht ab. Vor dem Hintergrund seiner marginalen Kompetenzen erwies sich innerhalb weniger Monate, dass der ehemalige Wehrkreispfarrer „ziemlich unfähig für sein Amt“542 war. Karl Kupisch konstatierte zudem, dass „Müllers einfältige vaterländisch-christliche Schmuckblatthomiletik“543 für die Bewältigung der kirchlichen Herausforderungen nicht ausreichte. Dies zeigte sich unter anderem in den Nachwirkungen des sogenannten Sportpalastskandals, der nicht nur zur Niederlegung von Müllers Schirmherrschaft über die DC führte, sondern auch zu einem Autoritätsverlust und Zerfall der gesamten DC-Bewegung.544 Aber auch die im Dezember 1933 von Müller vorangetriebene Eingliederung des Evangelischen Jugendwerks mit seinen knapp 7 Millionen Mitgliedern in die Hitler-Jugend schadete ihm nachhaltig.545 Seine kirchenpolitischen „Missgriffe“546 gingen 1934 unter den Maßgaben seiner rabiaten Eingliederungspolitik weiter und verursachten letzten Endes die Konstituierung der Bekennenden Kirche (BK).547 Die entsprechend an540 Vgl. Aussage Schinkes vor Walsmann vom 6. 12. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Im Rahmen einer erneuten Aussage Schinkes vom 14. 12. 1934 bestritt der die Vorwürfe erneut und auch die ihm nun vorliegenden Anschuldigungen seiner Kommilitonen (vgl. Aussage Schinkes vor Walsmann vom 14. 12. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). 541 Bericht Walsmann an Schultze vom 14. 12. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 177). 542 Haendler, Reichsbischof, 325. 543 Kupisch, Idealismus, 205. 544 DC-Gauobmann Reinhold Krause stellte am 13. 11. 1933 im Berliner Sportpalast vor 20 000 Zuhörern seine radikalen völkischen Positionen vor. Er forderte u. a. die Befreiung vom Alten Testament und die Beseitigung von der „Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus“. Die Rede führte zu einer Krise und schließlich auch zur Spaltung der DC. Zum Sportpalastskandal und seinen Folgen vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 701–715; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 122–145. 545 Müller missachtete bei der Eingliederung alle kirchenrechtlichen Grundsätze und brach auch alle Zusagen an die evangelischen Jugendführer. Zur Gleichschaltung der evangelischen Jugendverbände vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 146–153. 546 Haendler, Reichsbischof, 328. 547 Zu Müllers Gleichschaltungsversuchen der Landeskirchen, der Rolle von den als Reichswalter der DEK ernannten August Jäger in diesem Prozess und dem entsprechenden Widerstand

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haltende Kritik an seiner Person kulminierte schließlich im Oktober 1934, als die lutherischen Landesbischöfe von Württemberg und Bayern, Theophil Wurm und Hans Meiser, durch den „übelste[n] Handlanger des Reichsbischofs“548, Reichsverwalter August Jäger, abgesetzt wurden. Gegen den willkürlichen Umgang mit den Bischöfen – vor allem auch gegen den ausgesprochenen Hausarrest für die Bischöfe als eine Art Schutzhaft – ergab sich ein breiter öffentlicher Massenprotest, der weit über die deutschen Grenzen hinaus wahrgenommen und unterstützt wurde.549 Da ein nachhaltiger Imageschaden für das Deutsche Reich im Ausland befürchtet wurde, schaltete sich die Reichsregierung in den Kirchenkonflikt ein.550 Die beiden genannten Bischöfe wurde gemeinsam mit August Marahrens, dem Landesbischof von Hannover, telegrafisch für den 30. Oktober 1934 nach Berlin zu einer Unterredung mit Hitler eingeladen. Neben der erfolgten Rehabilitierung der Bischöfe wurde deutlich, dass Hitler Müller keine Unterstützung mehr zukommen lassen wollte.551 Durch jene mangelnde Rückendeckung von Hitler und der Reichsregierung wurde der Reichsbischof in der Folgezeit von zahlreichen theologischen Würdenträgern und kirchlichen Gremien zum umgehenden Rücktritt aufgefordert. Die Halbmonatsschrift Junge Kirche dokumentierte in ihrer Ausgabe vom 17. November 1934 allein acht dieser Rücktrittsforderungen.552 Da für

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gegen die Gleichschaftungspolitik durch die sich bildende BK vgl. Schneider, Reichsbischof, 191–217; Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 78–84, 176–230; Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 204–220; und Strohm, Kirchen, 40–58. Gerstenmaier, Streit, 62. In einem Brief vom 20. 9. 1934 berichtete Gerstenmaiers an Schreiner aus Württemberg (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2): „Der ganze OKR ist inzwischen beurlaubt. […] alle Theologen im OKR haben die Vereidigung abgelehnt. Prälaten und Stadtdekane sind gefolgt. 900 Pfarrer stehen hinter Wurm. Landauf, landab haben länger als eine Woche jeden Abend die Glocken zu den Bekenntnisgottesdiensten geläutet. Jetzt hat die Regierung eingegriffen. Verbot. Die Gemeinden wachen langsam auf.“ Zudem schrieb Gerstenmaier in seinen Erinnerungen, dass die Protestdemonstrationen in Süddeutschland vor allem von aufgebrachten Gemeinden ausgingen. „Es zeigte sich: Jäger hatte die Walze überdreht. Selbst brave Marschierer, die in ,unserem Führer‘ noch wie selbstverständlich das Heil Deutschlands sahen, waren bereit, gegen den Reibi auf die Barrikaden zu gehen.“ (Gerstenmaier, Streit, 63). Darüber hinaus gingen auch vor allem von englischen Kirchenführern scharfe Proteste gegen die verfassungswidrige Eingliederungspolitik aus (vgl. Thierfelder, Einigungswerk, 48). Vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 83 f. Hitler schien erkannt zu haben, dass es Müller nicht gelungen war, die nationalsozialistischen Machtansprüche in der evangelischen Kirche vollends durchzusetzen. Der Rücktrittsforderung für Müller von Meiser entgegnete Hitler: „Kann er ja machen, wer hindert ihn daran? Ich bin nicht verwandt und nicht verschwägert mit ihm, ich beziehe keine Subvention von ihm. Er kann machen, was er will!“ (Wurm, Erinnerungen, 122). Zu der Unterhaltung vgl. auch die Dokumentation über die Rehabilitierung der süddeutschen Bischöfe und den Rücktritt von Jäger vom Oktober 1934 (Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 228–230). Die einzelnen Rücktrittsforderungen wurden von folgenden Personen oder Gremien an Müller geschickt: 1. von den Bischöfen Wurm, Meiser, Marahrens und Zänker; 2. vom Bruderrat der DEK; 3. von der Arbeitsgemeinschaft der missionarischen und diakonischen Verbände und

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Müller ein Rücktritt partout nicht in Frage kam,553 wurde der Widerstand gegen ihn intensiver. Die theologischen Hochschullehrer erneuerten am 22. November 1933 ihre Rücktrittsforderung. Wegen der von Müller „verschuldeten Zerrüttung der Kirche [war sich] die deutsche evangelische Theologie bei aller Mannigfaltigkeit in nichts so einig wie in dieser Forderung […].“554 Die unterzeichnenden Theologieprofessoren beriefen sich in ihrer weiteren Begründung auf Luther, die evangelische Jugend und ihre Verantwortung als Lehrer: „Wir und unsere Studenten haben es von Luther gelernt, dass theologische Überzeugungen in kirchlichen Entscheidungen lebens- und volksnah bewahrt werden müssen. Der leidenschaftliche Widerstand nahezu der gesamten theologischen Jugend gegen Ihr Kirchenregiment nimmt Ihnen jedes Recht, von der Zukunft eine Einigung der Kirche unter Ihrer Führung zu erwarten. […] Aus der uns als theologischen Lehrern der Kirche aufliegenden Verantwortung beharren wir auf der Forderung Ihres Rücktrittes.“555

Insgesamt unterzeichneten nach der Rechnung von Gert Haendler 146 deutsche evangelische Theologieprofessoren die Forderung nach Müllers Rücktritt.556 Da Brunstäds Unterschrift sowohl auf der Erklärung vom 6. als auch vom 22. November 1934 zu finden ist und er seine „entschlossene Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche“557 auch öffentlich bekannte, kann davon ausgegangen werden, dass Gerstenmaier über die Handlungen seines Lehrers bestens informiert war. Da Gerstenmaier die ideologische Infiltration des kirchlichen Verantwortungsbereiches bereits mehrfach abgelehnt und hingegen die bekenntnismäßige Unabhängigkeit der evangelischen Kirche betont hatte, wurde auch er erneut aktiv. Inspiriert vom Handeln seiner theologischen Lehrer und der studentischen Theologenschaft aus Tübingen558 konspirierte er gemeinsam

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Werk der DEK; 4. vom Evangelischen Verein der Gustav-Adolf-Stiftung; 5. vom Lutherischen Rat der DEK; 6. vom Martin-Luther-Bund; 7. von 119 theologischen Hochschullehrern aus den ganzen Deutschen Reich; und 8. von 9 theologischen Hochschullehrern, die sich den 119 Kollegen anschlossen. Zu den Inhalten der Rücktrittsforderungen vgl. Junge Kirche, 2 (1934), 957–961. Zur brieflichen Begründung Müllers von Mitte Oktober vgl. ebd., 961. AELKZ, 67 (1934), 1143. Ebd., 1144. 117 Professoren unterschrieben beide Erklärungen, 11 nur am 6. 11. 1934 und 18 nur am 22. 11. 1934. Zu den aufgelisteten Unterzeichnern vgl. Haendler, Reichsbischof, 330 f. Buddrus/Fritzlar, Professoren, 92. Im späteren polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen Gerstenmaier, Seyferth und Arndt erklärten die drei unabhängig von einander am 30. 11. 1934, dass sie von den Protestbriefen – sowohl der Theologieprofessoren mit ca. 140 Unterschriften als auch von den Tübingern mit 557 Unterschriften vom 15. 11. 1934 – hörten und nun selbst handeln wollten. Gerstenmaier begründete ein eigenes Schreiben wie folgt: „Da uns aber die Sprache und Stil dies Schreibens [aus Tübingen] nicht gefiel, beschlossen wir, ein eigenes Schreiben an den Herrn Reichsbischof

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mit elf Kommilitonen559 am 21. November 1934 in der Wohnung von Erich Arndt. Gerstenmaier wurde darauf hin mit der Abfassung eines Protestbrief gegen Reichsbischof Müller betraut.560 Als sich die Theologiekommilitonen auf die endgültige Fassung des Schreibens geeinigt hatten, wurden bereits in der Nacht noch zahlreiche Durchschläge angefertigt. Da der Protestbrief eine „taktische, politische und vor allem kirchenpolitische Notwendigkeit“561 zum Ausdruck bringen sollte, wurde er als Gemeinschaftsprojekt der evangelischen Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen lediglich von Gerstenmaier und seinem Erlanger Kommilitonen, Walter Seyferth,562 unterzeichnet. Am 22. November 1934 wurde an der Rostocker Fakultät mit der Sammlung von Unterschriften begonnen und bereits am Abend des 23. November 1934 insgesamt 610 Unterschriften auf dem Protestbrief an Müller vermerkt.563 Der Protestbrief564 betonte, dass die Studierenden der beiden Fakultäten nicht mehr zu schweigen vermochten, da sie die DEK durch Müller und seine deutschchristlichen Helfer in ihrer „Existenz, ihre Aufgabe und ihrer öffentlichen Geltung in unerhörter Weise“565 gefährdet sahen. Müller wurde in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass ihm jegliches Vertrauen seiner potenti-

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abzufertigen. Da zwischen Rostock und Erlangen eine gemeinsame alte Theologische Tradition besteht, ist der Austausch von Studenten zwischen unseren beiden Fakultäten schon immer sehr rege gewesen.“ (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). Daniela Gniss ging in ihrer Studie von einem Kommilitonenkreis von rund 20 Personen aus (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 55). Dies Zahl ist nachweislich falsch. Sowohl aus der Erklärung von Seyferth als auch aus der von Arndt in dem genannten Ermittlungsverfahren vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179) werden lediglich zwölf Kommilitonen namentlich aufgeführt: Eugen Gerstenmaier, Walter Seyferth, Erich Arndt, Karll, Wilhelm Bachmann, Rudolf Walter, Bliemeister, Fritz Schäfer, Lüdke, Schliemann, Hans Jürgen Behm und Dieter Behm. Vgl. Erklärung Gerstenmaiers in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). Gerstenmaier, Streit, 63. Obwohl Gerstenmaier in seinen Erinnerungen von einem Paul Seifert schrieb (vgl. ebd), handelte es sich bei dem Erlanger Kommilitonen jedoch um Walter Seyferth. Dies wird aus den Unterlagen des UAR mehr als deutlich. Auf insgesamt 16 Listen kamen in Rostock 190 Unterschriften zusammen, von denen 150 von evangelischen Theologiestudierenden stammten. 420 kamen am 23. 11. 1934 per Telegramm aus Erlangen und wurden von Seyferth in Vollmacht hinzugefügt (vgl. Erklärung Seyferths in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 179). Die Rostocker Polizei konstatierte in ihrem Ermittlungsverfahren gegen Gerstenmaier und Genossen vom 29. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1) richtig, dass nicht alle 215 Rostocker Theologiestudierenden hinter dem Protestbrief standen. Aufgrund der deutlichen Aktenlagen im Hinblick auf die Anzahl der unterzeichnenden Studierenden müssen die Recherchen von Gniss und Deinert als ungenau bewertet werden (vgl. Gniss, Gerstenmaier, 56; und Deinert, Studierenden, 91). Der Protestbrief ist im Anhang als Dokument I vollständig abgedruckt. Protestbrief der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2; UAR, 1.03.0, R 11 F 179; UAR, 1.03.0, R 11 F 177; BArch N 1266/1624).

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ellen Gefolgschaft fehle und weder die evangelische Jugend noch die theologische Studentenschaft hinter ihm stünden. Deshalb stellte der Brief so auch seine Vollmacht über die DEK in Frage. Müller wurde immer wieder persönlich angesprochen. Den Unterzeichnenden schien es jedoch nicht vordergründig um seine Person zu gehen, sondern eher um die Sache, „zu der wir gefordert sind, und der wir dienen wollen.“566 Daraus sei ihr Kampf für Christus und Deutschland erwachsen. Müller wurde aufgefordert, die „Bahn frei zum Neubau“567 des deutschen Protestantismus zu machen, da er bisher „alle bauwilligen Kräfte an der Entfaltung“568 gehindert habe. Der Kern des deutschen evangelischen Kirchenvolkes stehe längst geschlossen gegen seine Herrschaft. Darin seien sich nicht nur die Studierenden, sondern auch deren akademischen Lehrer einig. Am Ende des Briefes wurde noch einmal deutlich, wie der Protest der theologischen Professorenschaft Einzug in den studentischen Protest erhielt. Weitestgehend respektvoll forderten die Kommilitonen: „Treten Sie ab!“569 Dem Protestbrief wurde vermutlich bei der Unterschriftensammlung in Rostock und Erlangen eine Beilage570 unter dem Titel „Unsere Anklage gegen Reichsbischof Ludwig Müller und Rechtswalter Jäger“ hinzugefügt, die den knappen Brief an Müller mit theologischen Argumenten noch einmal präzisierte. Auch wenn es sich nicht klar belegen lässt, so ist anzunehmen, dass die ausführliche Beilage ebenso aus Gerstenmaiers Feder stammte. Die Vermutung kann mit der Schwerpunktsetzung und dem stilistischen Duktus der Beilage begründet werden. Drei wesentliche Kritikpunkte lassen sich in der Beilage unterscheiden: die Verfälschung des Evangeliums, die Zersetzung des Bekenntnisses und die Erschütterung der Grundlage der Kirche.571 Für den ersten Kritikpunkt wurden neun Begebenheiten angeführt, die zeigten, wie Müllers Kirchenpolitik wider das Evangelium war. Beispielhaft sei das zweite Geschehnis angeführt: „2. Der Reichsbischof verharmlost die Heiligkeit des Eides: Auf der Nationalsynode am 9. August 1934 liess er ein Gesetz über den Diensteid der Pfarrer vorlegen trotz Matth. 5, 34. Auf die Einwände gegen diesen Eid erwiderte der Reichsbischof: ,Stellen Sie doch Ihre Bedenken zurück und nehmen Sie das Gesetz einmal vorläufig an. Wir machen nichts für die Ewigkeit, sondern sind in unserer Arbeit, die vor neuen Dingen steht, so eingestellt, dass wir dann bei der nächsten Tagung die Aenderung vollziehen.‘“572 566 567 568 569 570 571

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Die Beilage zum Protestbrief ist im Anhang als Dokument II vollständig abgedruckt. Vgl. Beilage zum Protestbrief der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 572 Beilage zum Protestbrief der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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Der zweite Kritikpunkt zeigte in sechs Begebenheiten, wie sich vor allem Reichswalter Jäger und somit auch Müller der Zersetzung des Bekenntnisses schuldig machten, in dem sie gegen die Maßstäbe des reinen Evangeliums handelten. Beispielhaft sei das fünfte Geschehnis angeführt: „5. Die 28 Thesen der Deutschen Christen, die heute in Geltung sind, enthalten nach dem Gutachten der Leipziger Theologischen Fakultät grobe Irrlehren. Trotzdem bekennt sich der Reichsbischof immer wieder, so auch anläßlich seiner Einführungsfeierlichkeiten am 22./23. Sept. zu den Deutschen Christen. ,Ich war immer Deutscher Christ, bin es und werde es immer sein.‘“573

Im dritten Kritikpunkt wurden Müller Entscheidungen und kirchenpolitische Richtungsänderungen zum Vorwurf gemacht, die die evangelische Kirche in ihren Grundlagen erschütterten. Er habe sich nicht gegen die deutschchristlichen Irrtümer, die eine Entthronung von Christus selbst zur Folge hatten, gewehrt. Auch sei er nicht gegen eine Politisierung der Kirche vorgegangen, sondern habe diese nur noch gefördert. Recht habe er zu oft in Unrecht verkehrt, eigene Mahnworte nicht eingehalten und der Wahrheit nicht die Ehre gegeben. Die zwölf sehr ausführlich geschilderten Begebenheiten endeten mit einer geistlichen Liedstrophe Martin Luthers,574 die er 1529 als Nachdichtung der gregorianischen Antiphon „Da pacem, Domine, in diebus nostris“ verfasst hatte.575 In „Verleih uns Frieden ewiglich“ baten die Autoren gebetsartig am Schluss der Beilage um irdischen, kirchenpolitischen Frieden. Nur Gott könne in letzter Instanz den Kampf beenden und Frieden schenken. Damit zeigten Gerstenmaier und seine Kommilitonen, auf wessen Macht sie vertrauten. Beide Dokumente stellten keine Generalabrechnung mit dem Nationalsozialismus dar, sondern richteten sich lediglich gegen die Totalitätsansprüche innerhalb der Kirche und gegen die deutschchristliche Ideologie des Reichsbischofs. Mit der Unterschrift wandten sich die Unterzeichner zwar gegen Müller, betonten jedoch gleichzeitig die Loyalität zu Hitler: „So sehr wir hinter dem Führer stehen, so wenig hinter Ihnen.“576 Da der Protestbrief freilich auch von Studierenden, die dem NS-Regime wohlgesonnen gegenüber standen,577 unterschrieben werden sollte, formulierten die Autoren im Duktus der Zeit, um das politische Risiko der Unterschrift auf ein Minimum zu reduzieren. Die 573 574 575 576

Ebd. Vgl. ebd. Zu Luthers „Verleih uns Frieden gnädiglich“ vgl. Marti, Frieden, 77–80. Protestbrief der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2; UAR, 1.03.0, R 11 F 179; UAR, 1.03.0, R 11 F 177; BArch N 1266/1624). 577 Mit dem Brief waren auch „Parteigenossen und SA-Leute“ zur Unterschrift gebeten, die sich gegen die kirchenpolitische Entwicklung stellen wollten. Zudem war auch der Mitunterzeichner Seyferth ein „SS-Mann“ (Gerstenmaier, Streit, 63). Seyferth gab im Ermittlungsverfahren gegen ihn am 30. 11. 1934 zudem an, dass er auch Mitglied der HJ und SA sei (UAR, 1.03.0, R 11 F 179).

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abschließende Formel unter dem Protestbrief „Heil Hitler“ bekräftigte dies noch einmal und versinnbildlicht Gerstenmaiers Ambivalenz. Der Protestbrief wurde am Abend des 23. November 1934 als Telegramm nicht nur dem Reichsbischof zugestellt, sondern in Abschrift auch dem Reichsinnenministerium, dem EOKR in Schwerin und der Theologischen Fakultät in Rostock.578 Zudem wurde Fachschaftsleiter Erich Arndt beauftragt, weitere Fachschaften im Deutschen Reich über die Aktion in Kenntnis zu setzen.579 Dies tat er dann auch am 26. November 1934 und schrieb den theologischen Fachschaften in Kiel, Königsberg, Greifswald, Bonn, Breslau, Giessen, Leipzig, Marburg, Göttingen, Jena, Halle, Tübingen, Berlin und Bethel.580 Als einzige Antwort ist ein Brief von Heinrich Albertz aus Halle überliefert, der pfarramtlich beglaubigt mitteilte, dass sich „150 Theologiestudenten an der Universität Halle-Wittenberg unterschriftlich“581 mit der Forderung aus Rostock und Erlangen an den Reichsbischof solidarisch erklärt hätten. Der öffentlichen Bekanntmachung des studentischen Protestes folgten mehrere Konsequenzen für die Kommilitonen. Als erstes wurde ein kriminalpolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen „Gerstenmaier und Genossen“ wegen „Angriff gegen den Reichsbischof und gegen die Deutschen Christen“582 eingeleitet. Da die Kriminalbeamten vermuteten, dass Gerstenmaier die „treibende Kraft“583 dieser Aktion war, wurde diese auch nach ihm benannt und aktenkundig gemacht. Am 29. November 1934 folgte daraufhin die Durchsuchung der Wohnungen von Gerstenmaier, Seyferth und Arndt sowie schließlich die Inhaftierung in sogenannter Schutzhaft im Rostocker Polizeiamtsgefängnis. Da sich Professor von Walter für die drei Kommilitonen stark gemacht hatte584 und ihnen kein Straftatbestand nachgewiesen werden konnte, wurden sie im Anschluss an die Vernehmungen am 30. November 578 Vgl. Erklärung Gerstenmaiers in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). 579 Im Ermittlungsverfahren gegen Arndt vom 30. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179) erklärte er, dass er für jenes Vorgehen bereits am 27. 11. 1934 seines Amtes enthoben wurde. Aus dem Bericht des stellvertretenden Gaustudentenbundsführers und stellvertretenden Führers der Rostocker Studentenschaft, Günther Roch, vom 14. 12. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179) geht hervor, dass sich Gerstenmaier wegen der Absetzung Arndts äußerst erregt war und sich bei dem Prozess auch die höchste Ebene der DSt einschaltete. Feickerts schrieb am 1. 12. 1934 an Kroeger (UAR, 1.03.0, R 11 F 179), dass „diese Absetzung aus dem Grunde erfolgt ist, weil die Studentenschaft selbst sich in kirchenpolitische Fragen nicht hineinmischen kann.“ Damit sollten die Theologiestudierenden in ihren öffentlichen Äußerungen von oberster Stelle gemaßregelt werden. 580 Vgl. Brief Arndts vom 26. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 581 Brief Albertz’ im Namen der Theologiestudenten der Universitäten Halle-Wittenberg an Gerstenmaier vom 13. 12. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 582 Ermittlungszusammenfassung gegen Gerstenmaier und Genossen vom 29. 11. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179; und BArch DO 4/1). 583 Ebd. 584 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 66.

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1934 wieder entlassen.585 Als zweite Konsequenz folgte – lediglich für Gerstenmaier – am 3. Januar 1935 die finanzielle Suspendierung aus der SdDV bis zum „Abschluss des vom Reichstatthalter in der bekannten Angelegenheit eingeleiteten Verfahrens“586 gegen ihn.587 Die dritte und schwerwiegendste Konsequenz infolge des öffentlichen Protestes war die Einleitung eines universitären Disziplinarverfahrens gegen die Kommilitonen auf staatliche Forderung hin. Einem Schreiben des mecklenburgischen Ministeriums für Unterricht an den Rostocker Rektor vom 8. Januar 1935 nach sollte bei einem anzusetzenden Verfahren „den beteiligten Studenten eindringlichst zum Bewusstsein zu bringen sein, daß sie durch ihr Vorgehen […] nicht nur die Ordnung an der Universität gestört, sondern sich auch gegen die Autorität des Staates […] aufgelehnt hätten.“588 Da die Wahrung der Staatsautorität den Kern des Verfahrens bilden solle, müsse auch das begonnene Verfahren gegen Schinke mit einbezogen werden.589 Mit den Vorbereitungen eines Disziplinarverfahrens gegen die Studierenden wurde sogleich begonnen. Interessant ist, dass sich Schreiner als Dekan der Theologischen Fakultät in den Prozess einschaltete und dem Universitätsrichter Walsmann auf Anfrage eine „Orientierungsskizze zum Stand des deutschen Kirchenkampfes“ am 16. Januar 1935 vorlegte, die freilich als dessen eigene Sichtweise zu werten ist. Darin fasste er die dem Reichsbischof zahlreich zugegangenen Rücktrittsforderungen zusammen und verteidigte die Rostocker Theologenschaft in ihrem Handeln leidenschaftlich. Diese hätte „von Anfang an – auf die Mehrzahl der Studierenden gesehen – immer eindeutig gegen die Verfälschung des Evangeliums durch die ,DC‘ gestanden. Sie hat sich gleichzeitig auch gegen die volksfremde Theologie Karl Barths gewandt, damals wie heute.“590 Die Ablehnung Müllers als Reichsbischof sei an allen Universitäten gleich groß. Von einer Meuterei könne keine Rede sein. Schreiner dementierte zudem etwaige Gerüchten, dass die Studierenden vom Professorium gegen Müller aufgehetzt worden seien.591 Zwischen dem 24. und 26. Januar 1935 wurden Seyferth, Rudolf Walther, Schinke und Gerstenmaier von Universitätsrichter Hermann-Arnold Schult-

585 Vgl. die Ermittlungsakten (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 586 Brief von Wirtschaftskörper der Rostocker Studentenschaft an Gerstenmaier vom 5. 1. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 587 Am 2. 3. 1935 wurde die Suspendierung aufgrund des erfolgten Freispruchs wieder aufgehoben (vgl. Brief Linkes an Gerstenmaier vom 2. 3. 1935. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/1). 588 Brief Bergholter an Schutze vom 8. 1. 1935 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 589 Vgl. ebd. Der Beginn des Verfahrens wurde bereits in Kapitel 2.3.4 dargelegt. 590 Orientierungsskizze Schreiners an Walsmann vom 16. 1. 1935 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 591 Vgl. Orientierungsskizze Schreiners an Walsmann vom 16. 1. 1935 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). Auch Gerstenmaier betonte in seinen Erinnerungen: „Meine Lehrer sprangen hilfreich ein.“ (Gerstenmaier, Streit, 66).

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Theologische Studien und Auseinandersetzungen

ze-von Lasaulx verhört.592 Der dem Verfahren beiwohnende Universitätssekretär Georg Jördens teilte daraufhin mit, dass im Rahmen der Verhandlung vor dem Disziplinargericht am 28. Januar 1935 nicht nur gegen Schinke, Gerstenmaier und Seyferth wegen Verstoßes gegen §37 Ziffer 11 der Disziplinarvorschriften ermittelt werde, sondern auch wegen der Gefährdung der Ordnung und Sitte des akademischen Lebens gegen Walther, Rudolf Schneider, Horst Becker, Kurt Lojewski, Hans Latkowski, Friedrich Wilhelm Bull, Hans-Heinrich Judaschke, Rudi Weiß, Detlev von Walter, Walter Brenner, Karl Glaser und Hans Bomhard.593 Den Verhandlungsakten sind dazu zahlreiche Dokumente zu entnehmen.594 Die abgegebenen und handschriftlich unterschriebenen Äußerungen von Gerstenmaier und Seyferth vom 28. Januar 1935 sind dabei im Blick auf theologische Rechtfertigung ihres Handelns gegen Reichsbischof Müller von besonderem Interesse. Im Punkt vier ihrer Begründung stützten sich die beiden auf Artikel 7 und Artikel 28 der Confessio Augustana (CA).595 Die im Bekenntnis genannten Prinzipien der Einigkeit und des Friedens, die ein Bischof zu fördern habe, sahen sie bei Müller nicht umgesetzt. So musste gehandelt werden. „Ausserdem haben sich die Dinge inzwischen so entwickelt, dass durch die Vermengung des Kirchenpolitischen mit dem Politischen und die immer wieder versuchten politischen Diffamierung der kirchlichen Opposition ganz unmittelbar die Gefahr gegeben ist, dass beste und treueste Teile des Deutschen Volkes, die mit unbedingter Treue zu Führer und Reich stehen, im Gewissen beschwert werden. Wir haben das im Laufe von 2 Jahren an vielen unserer Kameraden so sehr erlebt, dass wir das Unrecht, das hier vor Gott und dem Reich begangen wird, nicht mehr verschweigen wollen.“596

Auch hier machten die beiden erneut deutlich, dass zwischen der Loyalität zum Reich und zur Kirche zu unterscheiden sei. Da sich Gerstenmaier im Sommersemester 1934 ausführlich in Brunners Seminar mit dem reformatorischen Bekenntnisschriften beschäftigt und dazu auch eine Arbeit vorgelegt hatte,597 ist die bekenntnisorientierte Argumentation in der Erklärung vermutlich primär auf sein Engagement zurückzuführen. Nach einer Differenzierung des Verfahrens598 wurden alle Angeklagten nach 592 Vgl. die Aussagen aus den Verhören von Seyferth und Walther vom 24. 1. 1934, von Schinke vom 25. 1. 1934 und von Gerstenmaier vom 26. 1. 1934 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 593 Vgl. Mitteilung Jördens’ vom 26. 1. 1935 (UAR, 1.03.0, R 11 F 179). 594 Deinert irrte mit ihrer Darstellung, dass es im UAR keine Unterlagen zum Disziplinarverfahren gebe (Deinert, Studierenden, 91). 595 Zu Artikel 7 (Von der Kirche) und Artikel 28 (Von der Gewalt und Vollmacht der Bischöfe) der CA vgl. Bekenntnisschriften, 61, 120–133. 596 Vgl. Äußerung von Gerstenmaier und Seyferth vom 28. 1. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 597 Vgl. Kapitel 2.2.3. 598 Die geschilderten Vorgänge wurden schließlich in drei Gruppen unterschieden: a) Der Waffenverruf gegen cand. phil. Schinke; b) Die Befragung Schinke vor der Universität; und c) Die

Engagement für die Bekenntnisfreiheit der Kirche

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den erfolgten Verhandlungen freigesprochen.599 Im Hinblick auf den Protestbrief an den Reichsbischof konstatierte der Universitätsrichter, dass es zu keiner Verletzung der akademischen Disziplin gekommen sei. Zudem wurde im Urteil betont, wie eng sowohl Seyferth als auch Gerstenmaier durch ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten zum „jungen nationalsozialistischen Deutschland“600 standen und so keine Gefährdung der Staatsautorität zu befürchten sei. Es ging lediglich um die evangelische Kirche. Dies machte Gerstenmaier auch in einem – in der ersten Ausgabe 1935 der Zeitschrift Wort und Tat veröffentlichten – Artikel mit dem Titel „Eine Fakultät im apologetischen Kampf“ im Rückgriff auf drei Schriften Schreiners noch einmal deutlich. Der Öffentlichkeitscharakter der Kirche sei durch den Reichsbischof bedroht und es handle sich im geistigen Ringen um Christus und Deutschland immer um die Aufgabe der Theologen.601 Seinem Bericht über das Wintersemester 1934/ 1935 an die SdDV ist zudem die Beschreibung einer dringlichen Notwendigkeit seines Handelns zu entnehmen: „Es ist eben immer das Alte: man kann nicht hinter dem Schreibtisch sitzen bleiben, wenn etwas geschehen muss. Ich halte es für meine Pflicht – und habe immer dafür gehalten – dann herauszugehen und anzupacken. […] Schutzhaft, Disziplinarverfahren, Freispruch, Ehrenhändel, alles zusammen hat diesem Semester Farbe geben. […] Ich weiß, weshalb ich gerade deswegen Theologe geworden bin.“602

Obwohl Gerstenmaier auf der Grundlage des öffentlichen Protestbriefes durch das universitäre Gerichtsverfahren keine unmittelbaren Folgen zuteil wurden, so war er dennoch in den polizeilichen Akten als potentieller Unruhestifter vermerkt. Dies sollte ihm später als „Anstiftung zum bewaffneten Aufruhr“603 zum Verhängnis werden.

599

600 601 602 603

Form des Briefes an den Reichsbischof (vgl. UAR, 1.03.0, R 11 F 179). Somit wurde gegen Schinke ein zweites Mal ermittelt (zum ersten Mal vgl. Kapitel 2.3.4). Der Tatbestand der Kommilitonen aus der evangelischen Fachschaft wurde am 28. und 31. 1. 1935 verhandelt (vgl. Schlussbericht der Disziplinarsache gegen div. vom 21. 2. 1935 in beglaubigter Kopie. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1; BArch N 1266/1624; und UAR, 1.03.0, R 11 F 179). Die Sache um Schinke wurde am 16. 2. 1935 mit derm Verhör von zahlreichen Zeugen verhandelt und mit einem urteil am 9. 5. 1935 zum Abschluss gebracht (vgl. Protokoll über Befragung vom 16. 2. 1935 und Schlussbericht der Disziplinarsache gegen Schinke vom 9. 5. 1935. In: UAR, 1.03.0, R 11 F 177). Gerstenmaier vermutete, dass sich Walter Hallstein, der dem Gericht als Professor ebenso angehörte, für ihn stark gemacht und seine Disziplinargerichtskollegen von seiner Unschuld überzeugt hätte (vgl. Gerstenmaier, Streit, 66). Schlussbericht der Disziplinarsache gegen div. vom 21. 2. 1935 in beglaubigter Kopie (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1; BArch N 1266/1624; und UAR, 1.03.0, R 11 F 179). Vgl. Gerstenmaier, Fakultät, 24–26. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 21. 3. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). Gerstenmaier, Streit, 64.

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Theologische Studien und Auseinandersetzungen

Ludwig Müller, der im Volksmund auch „Reibi“ genannt wurde, kam allen Rücktrittsforderungen nicht nach. Er hielt an seinem Amt verbissen fest, sodass er bald den Spitznamen „Bleibi“ erhielt.604 Der NS-Staat schaltete sich nicht nur in den Protest der Theologiestudierenden ein, sondern auch in den der Theologieprofessoren. Am 28. Februar 1935 erinnerte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, daran, dass theologische Fakultäten staatliche Einsichtungen und Professoren der Theologie Staatsbeamte seien. Er versuchte jene „unhaltbaren Zustände“ zu beenden und ordnete an: „Den evangelisch-theologischen Fakultäten ist jede öffentliche Stellungnahme im Kirchenstreit untersagt.“605 Da der Widerstand trotzdem nicht abriss606 und eine Befriedung des Streites um Müller auch für die staatlichen Instanzen keine realisierbare Zukunftsperspektive umriss, griff die Reichsregierung offensiv in den diskursiven innerkirchlichen Prozess ein. Die Einrichtung eines Reichsministeriums für kirchliche Angelegenheiten sollte die Lösung des Konfliktes bringen. Hanns Kerrl wurde als Reichsminister ernannt. Er sollte eine Art von neubelebten Summepiskopatsrechten607 im Namen Hitlers wahrnehmen und für Ordnung in der DEK sorgen. Kerrl verfügte sodann die Bildung eines Reichskirchenausschusses. Der frühere westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner wurde auf Vorschlag von Landesbischof Marahrens zum Vorsitzenden und somit zum obersten Repräsentanten des deutschen Protestantismus bestimmt. Somit war Reichsbischof Müller faktisch entmachtet.608

604 Vgl. Schneider, Reichsbischof, 215 f. 605 Haendler, Reichsbischof, 331. 606 Beispielsweise antwortete die Rostocker Fakultät am 12. 4. 1935 dem Reichsminister wiederum und betonte: „Wir sind als Professoren der Theologie berufen, in Forschung und Lehre der Wahrheit Gottes zu dienen. Wir haben deshalb überhaupt keine Möglichkeit, da, wo unserer Kirche öffentlich Unrecht geschieht, zu schweigen. Wir würden unserem Amt ungehorsam, wenn wir aufhören, öffentlich verkündigter Irrlehre öffentlich zu begegnen.“ (Ebd.). 607 Die Summepiskopatsrechte des Landesherren wurden auch landesherrliches Kirchenregiment genannt und beschrieben seit der Reformation die Leitungsgewalt eines Inhabers einer Territorialgewalt über das evangelische Kirchenwesen seines Territoriums. Sie fanden mit den Bestimmungen im Artikel 137 zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen innerhalb der Weimarer Reichsverfassung von 1919 ihr Ende. Zur Historie sowie zum Ende des Summepiskopats vgl. Heckel, Religionsbann, 130–162; und Krumwiede, Kirchenregiment, 59–68. 608 Zur neuen staatlichen Kirchenpolitik, der Einrichtung eines Reichskirchenministeriums und koordinierter Kirchenausschüsse sowie zur faktischen Entmachtung Müllers vgl. Kapitel 4.1.1.

3 Theologische Vertiefung und Vorhaben Wenn theologisch nach Wirklichkeit und Wahrheit der Welt gefragt wird, dann kommen alle dogmatischen Topoi in Betracht. Besonders sind jedoch die Lehren von Schöpfung und Sünde hervorzuheben. Mit dem Evangelium können Antworten auf die Erlösung und Vollendung dieser Welt durch Jesus Christus gegeben werden. In jener bezeugenden Rolle lebt die Bedeutung der Kirche. Sich diesem Duktus annähernd, dachte und handelte auch Gerstenmaier im Rahmen seiner theologischen Ausbildung und Tätigkeit. Für ihn vollzog sich Gottes Heilsgeschichte mit der Welt in der historischen Wirklichkeit der Kirche Jesu Christi. Nur darin sah er Schöpfung, Erlösung und Vollendung miteinander verbunden.1 Um die Bedeutung der Kirche für die Welt nach Gerstenmaier theologisch zu entfalten, muss nach dessen Verständnis von Schöpfung und Sünde, der Beziehung zwischen Gott und Mensch, gefragt werden. Im Folgenden wird zum einen Gerstenmaiers theologischen Ansatz epistemologisch in seinen Interdependenzen innerhalb seiner wissenschaftlichen Qualifikationsschriften gefasst. Dazu werden in erster Linie seine Gedankengänge und deren Genese unter Berücksichtigung von externen Adaptionen der zeitgenössischen – insbesondere der konventionell lutherischen – Theologie sowie von wissenschaftlichen Einflüssen seiner theologischen Lehrer auf ihn zu beschreiben sein. Zum anderen werden auch seine angestrebten beruflichen Stationen bzw. Vorhaben unter der Maßgabe von ihn prägenden Korrelationen dargestellt.

3.1 Die Welt als Schöpfung Auf der Grundlage des christlichen Glaubens offenbart sich Gott in der Bibel selbst als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist. Gott gibt sich demnach als der Dreieinige zu erkennen: als Schöpfer, als Jesus Christus und als Allumfasser der Welt. In der Trinität liegt sowohl die Unterscheidung als auch die unauflösbare Einheit, die Wesensgleichheit Gottes in drei Artikeln des Glaubens begründet. Gerstenmaier beschäftigte sich während seiner akademischen Laufbahn intensiv mit den drei Glaubensartikeln. Da er sich durch seine theologischen Lehrer2 der Systematischen Theologie am meisten verbunden fühlte und sie 1 Vgl. Gerstenmaier, Kirche, 165. 2 Vgl. dazu Kapitel 2.2.

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Theologische Vertiefung und Vorhaben

als „das Gespräch des Glaubens mit der Vernunft, der Dogmatik mit der Philosophie“3 verstand, wandte er sich auch in seinen wissenschaftlichen Qualifikationsschriften systematisch-theologisch den Glaubensartikeln zu. Eine differenzierte theologische Untersuchung des ersten Artikels im christlichen Glauben legte er im Rahmen seiner 1937 im Furche-Verlag in Berlin erschienenen Inauguraldissertation „Schöpfung und Offenbarung“4 vor. Das göttliche Schöpfungswerk stand darin ganz im Fokus. In seiner 1938 ebenfalls im Furche-Verlag erschienenen Habilitationsschrift „Die Kirche und die Schöpfung“5 nahm er die Abhandlungen seiner Dissertation auf6 und weitete sein theologisches Blickfeld sowohl auf den zweiten als auch auf den dritten Artikel des christlichen Credo aus. Der zentrale Kern seiner wissenschaftlichen Arbeit kann jedoch in der theologischen wie philosophischen Durchdringung und Auseinandersetzung mit der Schöpfungsoffenbarung, der Wirk- und Handlungsmacht des Schöpfers in Raum und Zeit als zentrales pars pro toto innerhalb der Theologie von ihrem Ursprungsgedanken her ausgemacht werden. Mit Blick auf die beiden Qualifikationsschriften ist festzuhalten, dass sich sowohl Gerstenmaiers thematische und methodische Explikationen als auch deren differenzierte Applikationen mit einem aufeinander aufbauendem und ineinander verschränktem theologischen Gedankenspaziergang mit ausgeprägt lehrbuchartigem Anspruch vergleichen lassen. Die darin entworfene bzw. nachgezeichnete Theologie mit ihren globalen wie speziellen Begriffscharakterisierungen erweist sich grosso modo als recht komplexe Verbindung der lutherischen Lehre mit theologischen wie philosophischen Ansätzen bei vor allem Friedrich Brunstäd, Helmuth Schreiner, Wilhelm Lütgert, Werner Wiesner, Karl Barth sowie ferner auch bei Emil Brunner, Immanuel Kant, Friedrich Schleiermacher, Albrecht Ritschl und Helmut Thielicke. Anders als Brunstäd, dessen wissenschaftliche Arbeit zumeist ohne Zitate und Bezugnahmen auskam und dadurch heute oft irreduzibel erscheint, hat sich Gers3 Promotionsantrag Gerstenmaiers an die SdDV vom 30. 8. 1933 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1). 4 Der vollständige Titel Gerstenmaiers Dissertation lautet „Schöpfung und Offenbarung. Systematische Untersuchung zu einer Theologie des ersten Artikels“ (vgl. Gerstenmaier, Schöpfung). Im Folgenden werden Zitate und Entlehnungen daraus direkt im Text in Klammern unter der Angabe des Kürzels I und der Seite angegeben. 5 Der Titel der Habilitationsschrift lautet „Die Kirche und die Schöpfung. Eine theologische Besinnung zu dem Dienst der Kirche an der Welt“ (vgl. Gerstenmaier, Kirche). Im Folgenden werden Zitate und Entlehnungen daraus direkt im Text in Klammern unter der Angabe des Kürzels II und der Seite angegeben. 6 Die schöpfungstheologischen Auseinandersetzungen und Erkenntnisse aus seiner Dissertation wurden wortgleich auf den Seiten 25 bis 100 innerhalb seiner Habilitationsschrift abgedruckt, die auch den zweiten und dritten Artikel systematisch-theologisch unter dem erweiterten Gesichtspunkt des kirchlichen Bekenntnisses zu dem dreieinigen Gott ausgehend von der Schöpfung betrachtete. In seiner Dissertation setzte Gerstenmaier so die Voraussetzung für seine Habilitation.

Die Welt als Schöpfung

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tenmaier mit den Genannten unter Hinzuziehung von literarischen Verweisen und Fußnoten teils negativ paraphrasierend und ablehnend, teils positiv zustimmend und für sich rekurrierend auseinandergesetzt. Trotzdem bleibt die Genese und Verdeutlichung von Begriffsprägungen und Denkwegen häufig nur schwer herleitbar. 3.1.1 Schöpfungsverständnis Schöpfungsoffenbarung und Christusoffenbarung Die Generalthese Gerstenmaiers, von der die Bestimmung seines Untersuchungsgegenstandes in alle Richtungen systematisch-theologisch erfolgte, kulminierte in dem Satz: „der Mensch [erkennt] den Schöpfer nicht von der Schöpfung her, sondern die Schöpfung vom Schöpfer her […]“ (I, 5; 15). Dieser Gedanke war für Gerstenmaier dahingehend begründend, dass er von einer theologischen Möglichkeit der Schöpfungserkenntnis durch den Menschen ausging. Als zentrale Bedingung für jene Erkenntnis der Welt als Schöpfung Gottes setzte er voraus, dass sich der Mensch als Geschöpf Gottes selbst erkennen müsse, denn nur dadurch verstehe er seinen Lebenszusammenhang, in dem er seine Existenz habe (vgl. I, 5). Auf der Grundlage dieser Generalthese und des daraus resultierenden anthropologischen Gedankens lässt sich Gerstenmaiers Ansatz von seinem Ursprung her in starker Anlehnung an die hermeneutische Erkenntnislehre der Natürlichen Theologie beschreiben, die von einem allen Menschen innewohnendem Wissen um Gottes Existenz und einer durch die Schöpfung gegebenen Ordnung ausging. Dass das Verhältnis zur Natürlichen Theologie zu einem der zentralen Streitthemen innerhalb der evangelischen Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte,7 zeigten über die deutschchristlichen Adaptionen8 hinaus vor allem die beiden Mitbegründer der Dialektischen Theologie Karl Barth und Emil Brunner in ihrem berühmten Disput.9 Der in Zürich lehrende Brunner versuchte auf der einen Seite darzulegen, dass die Kirche die Ablehnung der Natürlichen Theologie auf Dauer nicht halten könne. Darüber hinaus bezeichnete er die Überwindung der ablehnenden Haltung als „die Aufgabe unserer theologischen Generation, [die] […] zur rechten theologia naturalis zurückfinden“10 müsse. Auf der anderen Seite entgegnete der zu dieser Zeit noch in Bonn lehrende Barth Brunners Aufforderung in der Quintessenz: „Die evangelische Kirche und 7 Vgl. Kock, Theologie, 1–16, 23–102; und Sparn, Theologie, 90–92. 8 Zur Bedeutung der Natürlichen Theologie in der theologischen Positionierung der Glaubensbewegung Deutscher Christen vgl. Sonne, Theologie, 15–55. 9 Vgl. Kapitel 2.2.3. Zur Kontroverse darüber hinaus vgl. Sauter, Theologisch, 267–284; Stewart, Theologie, 7–31; und Jehle, Brunner, 293–322. 10 Brunner, Natur, 44.

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Theologie würde an ihr [der theologia naturalis] nur kranken und sterben können.“11 Als Schüler Brunners versuchte Gerstenmaier jene Ablehnung zu überwinden und nicht alle anthropologischen Grundfragen der Versöhnungslehre unterzuordnen, sondern die theologische Möglichkeit der Schöpfungserkenntnis durch den Menschen in den Blick zu nehmen. Eine theologische Positionierung gegen Barth, der nach Alister McGrath die Natürliche Theologie als „potentielle Subversion der göttlichen Offenbarung und als Ausdruck sündiger menschlicher Autonomie“12 kritisierte, war die Folge seines theologischen Denkweges. Gerstenmaier griff mit seinem Ansatz in die zeitgenössisch-theologische Auseinandersetzung um das Schöpfungs- und Offenbarungsverständnis13 ein und widersprach dem vorherrschenden Ansatz der Dialektischen Theologie, die das direkte menschliche Erkenntnisvermögen in Bezug auf Gott strikt ablehnte und dadurch jede Konvergenz des Menschen einer vorausgehenden Offenbarung Gottes unterordnete. Gerstenmaier wandte sich direkt gegen Karl Barth, der „in der breiteren Öffentlichkeit […] als Protagonist der dialektischen Theologie gefeiert (und bekriegt)“14 wurde. Gerstenmaiers Kritik an Barth begründete sich darin, dass dieser das Offenbarungswort Gottes grundsätzlich auf die Christusoffenbarung beschränke und somit urteile, „dass der Mensch den Schöpfer nicht von der sündenverderbten Schöpfung her, sondern sich und die Schöpfung allein vom Erlösergott in Christus her erkenne.“ (I, 6) Der Priorisierung des zweiten über den ersten Glaubensartikel durch Barths Auslegungen15 und somit der Weltbegründung von der Erlösung her konnte Gerstenmaier nicht zustimmen. Auch wenn Barth nach Matthias Fischer die göttliche Offenbarung in Christus untrennbar mit der menschlichen Erkenntnis „des wahren Sollen und wahren Selbst als wahres Menschsein“ zu verbinden versuchte, um darüber hinaus einen „Spagat zwischen göttlicher Absolutheit und raumzeitlicher Bedingtheit des Menschen in der Person Jesu Christi“16 zu schaffen, sah Gerstenmaier in der dogmatischen Fokussierung Barths auf die eine Offenbarung in Christus einen Widerspruch zu der auf der Heiligen Schrift stehenden Lehrtradition der Kirche und ihrer von Christus über Paulus bis in die Gegenwart auch real geübten Praxis, die wiederum das Wort nicht allein auf die Christusoffenbarung beschränke, sondern die Schöpfungsoffenbarung als Wort Gottes in der Schöpfung bezeuge. Barths Methode schmälere faktisch den Totalitätsanspruch Gottes an der Welt (vgl. I, 11 Barth, Nein, 63. 12 McGrath, Schläft, 249. 13 Zu den theologischen Positionierungen innerhalb der Zeitgeschichte um das Schöpfungs- und Offenbarungsverständnis vgl. u. a. Althaus, Ordnungen; Brunst d, Offenbarung; L tgert, Schöpfung; Wiesner, Offenbarungsproblem. 14 Nichtweiss, Dialektik, 323. 15 Vgl. Barth, Nein; und Ders., Credo, 21–28. 16 Fischer, Offenbarung, 58. Zum Offenbarungsverständnis Barths vgl. ebd., 23–64.

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6; 76 f). Das einzige und allein gültige Kriterium für die Einheit und Ganzheit der Offenbarung war für Gerstenmaier das Wort Gottes, „denn es sind nicht die Inhalte der Welt, die dem Menschen die Welt als Schöpfung offenbar werden lassen, sondern das Wort, das der Schöpfer durch diese seine Schöpfung zu ihm spricht.“ (I, 9) Damit ist Gerstenmaier keineswegs als Anhänger einer Inspirationslehre zu beschreiben, sondern eher als theologischer Pragmatiker, der den ersten vor dem zweiten Glaubensartikel im theologischen Diskurs eines kontinuierlichen Interaktions- und Reflexionsprozesses über Gott und die Welt angewendet haben wollte. Nach Gerstenmaier könne darüber hinaus nur legitim theologisch von der Schöpfung her entfaltet werden, da die Christusoffenbarung des Neuen Testamentes die Schöpfungsoffenbarung bezeuge und so durch die revelatio specialis auch die revelatio generalis in Sicht komme (vgl. I, 6). Gerstenmaiers deutliches Plädoyer für die revelatio generalis, der allgemeinen Offenbarung Gottes in den Werken seiner Schöpfung sowie die damit verbundene Möglichkeit und Wirklichkeit der Gottesoffenbarung auch außerhalb von Jesus Christus, grenzte ihn von Barth und dessen ausschließlich christozentrischer Herangehensweise ab. Entgegen seiner unmittelbaren Einsicht, dass die Unterscheidung in specialis und generalis eine „contradictio in adiecto“ (I, 8) in sich sei, schien die Generalität der Schöpfungsoffenbarung im Rahmen seines Denkansatzes theologische Voraussetzung für die Offenbarung des göttlichen Selbst in und durch Christus als besonderer und zentraler Teil der Heilsgeschichte Wirklichkeit zu haben. Dass die theologische Auseinandersetzung darüber die zeitgenössischen Diskussionen überdauerte, zeigen beispielhaft Paul Tillich, der – ähnlich wie Gerstenmaier – die Heilsoffenbarung in Christus ohne eine von ihm bezeichnete Grundoffenbarung als „unmöglich“17 ansah und damit der einseitigen Isolation des göttlichen Wortes innerhalb der Dialektischen Theologie – und somit Barth – widersprach,18 und Wilfried Härle, der die Exklusivität der in Christus erschlossenen Heilsoffenbarung in der revelatio specialis „paradoxerweise ,umfassender‘ als die revelatio generalis“19 interpretierte. Da Gerstenmaier die Voraussetzung und gar „Sinnfülle“ (II, 17) für den zweiten und dritten Glaubensartikel im ersten sah, der auf die „Grundfragen menschlichen Lebens überhaupt“ (II, 18) antworte, könne die Theologie nicht zur Christologie verkürzt werden. Für ihn war klar: die „Christologie ist ein Teil der Theologie, der zentrale zwar, aber nicht der begründende.“ (I, 78)

17 Tillich, Werke Bd. 8, 94. 18 Zum Charakter der Grundoffenbarung vgl. Tillich, Werk, Bd. 8, 92–97; und Kubik, Tillich, 287–294. 19 H rle, Dogmatik, 100.

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Gottesbewusstsein und Selbstbewusstsein Um Gerstenmaiers Schöpfungsverständnis durchdringen zu können, muss zunächst nach dem Bewusstsein des Geschöpfs20 gefragt werden. In der Differenzierung des menschlichen Bewusstseins zwischen dem Schöpfer und dem eigenen Selbst beschäftigte sich Gerstenmaier zunächst mit Albrecht Ritschls theologischem Ansatz der Gotteserkenntnis im Glauben als Werturteil und mit Friedrich Schleiermachers Ansatz der schlechthinnigen Abhängigkeit als Grundbeziehung des Menschen zu Gott (vgl. I, 10–15), um den Boden für eine deutlich kritische, wie aber auch fruchtbare und für Gerstenmaier erkenntnisreiche Auseinandersetzung mit Wilhelm Lütgert und dessen Werk zu schaffen.21 Der ganz in der Theologie Hermann Cremers handelnde und die Greifswalder Schule22 prominent vertretende Lütgert erneuerte Schleiermachers Ansatz der schlechthinnigen Abhängigkeit in seiner Begründung des Glaubens als eine in Wissen und Handeln zu unterscheidende Verhaltensweise des Menschen zu Gott dahingehend, dass er vor allem das Bewusstsein des Menschen von der Offenbarung beeinflusst sah. Lütgert nutzte dafür den Begriff des Kreaturgefühls23 und betrachtete das menschliche Wissen um Gottes Leistungen nur darin hinreichend, wenn in einer Bezogenheit aus einer Einheit von Natur und Geschichte eine Erfahrung Gottes zur Entfaltung komme. So stand bei ihm auf der einen Seite die Natur als göttliche Schöpfung – „Zur Offenbarung wird uns die Schöpfung dadurch, daß sie das Kreaturgefühl in uns weckt“24 – und auf der anderen Seite die Geschichte, die Lütgert mit dem menschlichen Wissen um göttliche Leitung und Fürsorge im Wesentlichen betonte.25 Das Kreaturgefühl wiederum, welches Lütgert als „innerstes, tiefstes Bewußtsein“ beschrieb, nutze er, um zu zeigen, dass „Gottesbewußtsein und Selbstbewußtsein ineinander“26 lagen. Gerstenmaier zufolge unternahm er damit den Versuch, Anselm von Canterburys ontologischen Gottesbeweis über Immanuel Kant, der diesen und andere Gottesbeweise aufgrund seines Ansatzes über die philosophische Auseinandersetzung mit der Vernunft selbst ablehnte,27 in einem Verbund aus der Theologie 20 Zur begriffs- und theologiegeschichtlichen Betrachtung des Bewusstseins vgl. Holderegger, Person, 86–99. 21 Vgl. dazu die briefliche Korrespondenz mit Brunstäd (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 22 Die Greifswalder Schule versuchte in ihrem Mittelpunkt Exegese und Dogmatik mit einem Bekenntnis zur positiven Theologie als Grundlage zu verbinden (vgl. Lessing, Geschichte, 43–57, 116–129, 229–237). 23 Für Lütgerts Bestimmung des Kreaturgefühls im Geschöpf vgl. M ller, Gotteserkenntnis, 190–200. 24 L tgert, Schöpfung, 154. 25 Vgl. ebd., 205–215. 26 Ebd., 95. 27 Kant ging es vor allem in seinen erkenntnistheoretischen und moralphilosophischen Haupt-

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des ersten Artikels mit dem deutschen Idealismus zu retten, um den Zusammenhang zwischen Schöpfung und Erlösung als einen kausal-teleologischen zu beschreiben, deren gemeinsamer Anknüpfungspunkt das Kreaturgefühl als Zeugnis der Schöpfung im menschlichen Bewusstsein sei (vgl. I, 14). Lütgert ging dadurch gegen die Kantsche Kritik der Gottesbeweise vor und versuchte das „Auseinandertreten von Naturalismus und Spiritualismus an der Wurzel zu vermeiden“28. Auch wenn Gerstenmaier den lütgerschen Ansatz des Ineinanderliegens vom menschlichen Gottes- und Selbstbewusstsein befürwortete und für seine Theologie annahm, Lütgert gar – nicht zuletzt aufgrund seiner Ablehnung des restringierten Offenbarungsverständnisses der Dialektischen Theologie auf dem zweiten Artikel des Glaubens29 – wohlwollend gegenüber stand,30 so beschrieb er dennoch „das Unzureichende“ in Lütgers Darstellung in der Frage der idealistischen Adaption des menschlichen Mehr an Geistsein als Natursein weitgehend kritisch: „In unserem Geist bezeugt uns der Schöpfer sein Werk als das Seine. Die Schöpfung, die Natur ist dafür nicht der Grund, sondern das Mittel. Durch die Werke seiner Schöpfung spricht Gott zu uns in unserem Geist.“ (I, 15) Da in Gerstenmaiers Verständnis die Schöpfung „nur Werkzeug und Sprechrohr, nicht aber Sprecher“ sei, kam auch hier seine ursprüngliche Generalthese zur Geltung: der Mensch erkennt den Schöpfer nicht von der Schöpfung her, sondern die Schöpfung vom Schöpfer her. Gerstenmaier begründete sein Urteil mit der Natur, die als „Grundfaktor der Geschichte selbst“ in Lütgerts Darstellung verkannt werde, da schon der „Kulturwille und die Kulturkraft des deutschen Idealismus“ der „Gegenbeweis gegen Lütgerts These von der Ausschaltung der Natur durch den Idealismus“ (I, 15) darstellen würden. Damit legte Gerstenmaier den Fokus weder auf ein Mehr an Geistsein noch auf ein Mehr an Natursein. Resümierend lässt sich festhalten, dass Gerstenmaier mit Lütgert dahingehend übereinstimmte, dass Gottesbewusstsein und Selbstbewusstsein unmittelbar und untrennbar miteinander verbunden waren. Der Mensch konnte werken „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) und „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) um die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung, um das Erkenntnisvermögen des Menschen überhaupt, welches sich nach ihm primär auf die Sphäre des sinnlich Wahrnehmbaren beschränkte. Eine Erkenntnis der Transzendenz war so für den Menschen daraus resultierend nicht möglich und die scholastischen Gottesbeweise mit ihrer rational-metaphysischen Gotteserkenntnis nicht gültig (vgl. vor allem Kant, Kritik, 512–540: Abschnitt vier: Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes; Abschnitt fünf: Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes; und Abschnitt sechs: Von der Unmöglichkeit eines physikotheologischen Beweises). 28 Sparn, Lütgert, 499. 29 Vgl. L tgert, Schöpfung, 135–178. 30 Die Sympathie für Lütgerts Lehre stützte sich eben auf dessen Priorisierung des ersten Glaubensartikels in dessen Offenbarungsverständnis als Voraussetzung für den zweiten: „[D]er Glaube an den Erlöser setzt den Glauben an den Schöpfer voraus und ist in ihm begründet.“ (Ebd., 154).

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danach seinem Selbst nicht innewerden, ohne sich nicht gleichzeitig Gott bewusst zu werden; eben in der Weise des nach Lütgert herausgestellten Kreaturgefühls. Die kognitive Erkenntnisperspektive des Geschöpfs hatte danach zum Resultat, dass Gottesbewusstsein und Selbstbewusstsein ineinander lagen. Gottesbeziehung und Gotteserkenntnis Aus jenem Ineinanderliegen deduzierte Gerstenmaier wiederum, dass die menschliche Gottesbeziehung um ihr Woher und Wohin implizit selbst wisse. Darum sei die Gottesbeziehung des Menschen, seine religiöse Existenz, auch seine „Urfunktion überhaupt“ (I, 16). Diesem Gedanken legte Gerstenmaier eine kritische Auseinandersetzung sowie die daraus resultierende deutliche Ablehnung von Werner Wiesners Versuch zugrunde, die Geschöpflichkeit des Menschen aus einer Analyse des menschlichen Selbstverstehens zu beschreiben und den von ihm vertretenen Terminus der christlichen Offenbarung auf die Christusoffenbarung zu beschränken.31 Daraus leitete Gerstenmaier zu seiner theologischen Deutung des ursprünglichen Selbstverstehens über, welches dem Menschen „in aller seiner innersubjektiven Verschiedenheit […] als Einheit gegeben“ (I, 16) sei.32 Danach müsse die Verifizierung jeder Aussage über den Menschen „jedenfalls zunächst grundsätzlich nicht“ (I, 20) von der Christusoffenbarung, sondern von der Schöpfungsoffenbarung aus erfolgen, da – den auch von Wiesner verwendeten Begriff des „Sachgemäßen“33 als rationale-kognitive Wahrheitsbeschreibung nutzend – die „Christusoffenbarung die Schöpfungsoffenbarung nicht aufhebt, sondern sie erfüllt“ (I, 20). Jede von der menschlichen Geschöpflichkeit ausgehende existenzphilosophische Analyse sei nur sinnvoll, wenn sie unter der Bedingung der Schöpfungsoffenbarung stehe; die Wahrheitsfrage des forschenden Menschen so unter jene Bedingung trete, um in die „rechte Richtung“ (I, 20) auf Gott und seine Verheißung hin gestellt zu sein. Gerstenmaiers Erkenntnisund Beziehungskette wird darin ebenso ersichtlich wie dessen theologisches Offenbarungsverständnis in der Form einer aufeinander aufbauenden Hierarchisierung; beginnend bei der allgemeinen Schöpfung, kulminierend in Christus. Mit dem Blick auf die Offenbarung in Christus spitzte Gerstenmaier seine Position darüber hinaus mit einem weiteren Aspekt noch einmal zu: „Man sollte zubilligen, daß es auch außerhalb der Christusoffenbarung nicht bloße Richtigkeit, sondern auch Wahrheit gibt.“ (I, 21) Christus sei als bezeugte Wahrheit, als veritas una, zwar beschlossen, jedoch „alle wirkliche Wahr31 Vgl. Wiesner, Schöpfungsordnung, 34–148. 32 Vgl. Gerstenmaiers theologische Differenzen mit Wiesner vor allem in I, 17–19 und 23–25. 33 Vgl. Wiesner, Schöpfungsordnung, 32.

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heitsbeziehung vor und außer Christus als suchender Dienst vor dem einen Schöpfergott […] [zudem eine] auf Christus weisende Schöpfungsgnade und darum Wahrheit“ (I, 21), die sich nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Philosophie zeige. Eine genaue theologische Klärung, was sich hinter „vor und außer Christus“ verbarg, fand an dieser Stelle nicht statt. Es ist zu vermuten, dass Gerstenmaier damit die Möglichkeit und Wirklichkeit anderer Gottesoffenbarungen,34 also sein Verständnis von der göttlichen Offenbarung auch außerhalb von Jesus Christus und somit auch seine Gewichtung der Schöpfungsoffenbarung zum Ausdruck brachte.35 Damit machte er freilich nicht nur seinen theologischen Abstand zu einem exklusiven Offenbarungsverständnisses in Jesus Christus, wie es bspw. die primär von Karl Barth verfasste Barmer Theologische Erklärung von 1934 in ihrem ersten Artikel beschrieb,36 deutlich, sondern auch zum anthropologischen Ansatz der Dialektischen Theologie. Eine deutliche theologische Nähe Gerstenmaiers ist darüber hinaus zu dem von Paul Althaus vertretenen Konzept der Uroffenbarung festzustellen. Althaus lehnte die christozentrische Offenbarungslehre der Dialektischen Theologie mit ihrer Verneinung einer Selbsterschließung Gottes außerhalb von Christus ab und musste sich dadurch vor allem dem Spott Barths stellen.37 Der versierte Lutherforscher ging im Unterscheid zur Offenbarung des Heils in Christus durch den Begriff der Uroffenbarung Gottes vielmehr von einer ursprünglichen Selbstbezeugung, einer Grundoffenbarung Gottes allen Menschen gegenüber – sowohl in den oft rätselhaften Strukturen ihrer Existenz als auch in der Natur und Geschichte – aus.38 Von einer Adaption jenes Konzepts kann für den gerstenmaierschen Ansatz ausgegangen werden. Der Terminus Wahrheit nahm vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung ein. Gerstenmaier definierte ihn in diesem Kontext nicht als etwas an sich Seiendes, sondern als „handelnder Vollzug, Tat“, als „Akt des Schöpfers“ (I, 22) selbst. Alles Denken habe darin seinen Grund, denn „alles ,wahrhafte‘ Denken ist ein Akt der Freiheit, das heißt ein in der Schöpfergemeinschaft gegründeter, aus der Wahrheit der Schöpfung als Tat lebender und zur Wahrheit drängender Vollzug personhaft-bewußter Gottesgemeinschaft.“ (I, 22) Die menschliche Erkenntnisbeziehung war somit im Rahmen der Wahr34 Zu den „nicht zahlreich[en], aber markant[en]“ Aussagen des Neuen Testaments über Gottes Offenbarung außerhalb von Jesus Christus vgl. H rle, Dogmatik, 98 f. 35 Dieser wesentliche Aspekt kam auch im Gespräch des Autors mit Cornelia Irena Gerstenmaier (Oberwinter) am 28. Februar 2014 zum Tragen. 36 „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 208). 37 Barth urteilte vernichtend über das Konzept der Uroffenbarung: „Der Begriff der ,Uroffenbarung‘ […] ist ein vollkommen leerer (oder aber nur mit Illusion zu füllender) Begriff.“ (Barth, KD IV/1, 47). 38 Vgl. Althaus, Wahrheit, 37–94; Ders., Ur-Offenbarung, 4–24 und Choi, Konzept, 17–118.

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heitsfrage ein vom Schöpfer ausgehender Prozess der Freiheit, der freilich auf ihn, den Schöpfer, und nicht Christus zurück ging. Rudolf Bultmanns Paradoxie vom „nichtwissenden Wissen“39 des Menschen in der Frage um die Offenbarung hinzuziehend und gleichzeitig abweisend, beschrieb Gerstenmaier in der Applikation des biblischen Beispiels der Areopagrede des Paulus in Apg. 17, 22–34 die Offenbarungserkenntnis des Menschen als „tathaftes Geschehen des in Bewußtsein Lebendigen“(I, 26).40 Aus der Schrift sah er seine These bestätigt, dass die Gottesbeziehung für die eigene Erkenntnisbeziehung grundlegend war und dass aus dem menschlichen Bewusstsein der Schöpfer selbst sprach; Gottesbewusstsein und Selbstbewusstsein lagen so wiederum ineinander. In Gerstenmaiers Verständnis war die Offenbarung Gottes vor dem Menschen ein „Ruf in seinen Dienst“, die Offenbarungserkenntnis des Menschen ein „tathaftes Hören auf diesen Ruf“ (I, 28), also Gehorsam. Das bedeutete, dass man die „Frage des Gesetzes gar nicht von der Schöpfung ablösen [könne], denn beide sind ineinander gebunden, als das Gesetz die Lebensordnung der Schöpfung nach dem Willen Gottes darstellt.“ (I, 28) Dies hieße in der Übertragung jener göttlichen Ordnung auf den Menschen ein Zweifaches: Zum einen sei der Mensch als Teil der Schöpfung in eine vorausbestimmte Ordnung des Schöpfers eingebunden, einem Kausalzusammenhang zwischen Geburt und Tod unterworfen sowie Herr der Schöpfung, die jedoch weniger eine absolute Herrschaft im klassischen Sinne, sondern eher eine Lehnsherrschaft bedeute, die dem Gesetz des Schöpfers stets unterworfen bleibe, der Mensch jedoch freie Entscheidungen treffen könne. Zum anderen falle der Mensch aus der Lebensordnung der Schöpfung, wenn er sich dieser als Sünder entziehe, das Gesetz missachte oder breche. Gottes offenbarendes Tun geschehe zwar weiter, jedoch werde es dem Menschen zur „rätselhaften Unruhe und Ahnung“, das Gesetz zum „Zuchtmeister des Widerstrebenden“. Der Mensch werde durch die Sünde nicht einfach „apersonale Wesenheit“, sondern erweise sich die „bruchstückhafte Erkenntnis des Gesetzes auch noch in dem sündenbeschwerten Irren und Fehlen der Religionen als bruchstückhafte Erkenntnis Gottes.“ (I, 28 f) Der Theologe leitetet so die menschliche Gotteserkenntnis auch aus dem Gesetz ab. Gerstenmaier unterstrich seine dominante Auffassung der revelatio generalis darüber hinaus in der menschlichen Geschöpflichkeit selbst. Da die allgemeine Offenbarung die „positive Tat Gottes über alle Sünde hinaus bezeichnet, die sich in der Fähigkeit des Menschen bekundet“, müsse man den „ganzen Menschen als Antwort“ (I, 33) im göttlichen Offenbarungsverständnis verstehen. Die Schöpfungsoffenbarung bezeichne so das „Positive“, das der Christusoffenbarung vorausging, die weder Sein noch Bewusstsein der

39 Vgl. Bultmann, Offenbarung, 13–34. 40 Zur Auslegung und Bedeutung der paulinischen Areopagrede vgl. Hoppe, Philosoph, 114–134.

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allgemeinen Offenbarung begründe, sondern ihren Sinn erfülle und ihre Erkenntnis vollende (vgl. I, 33 f). 3.1.2 Schöpfungsordnung Schöpfung und Welteinheit Die menschliche Geschöpflichkeit bildete nach Gerstenmaier die „Mitte des Schöpfungszusammenhangs, in der sich die Schöpfung als Weltganzheit und Welteinheit, das heißt als Natur und Geschichte zu erkennen gibt.“ (I, 35) Aufgrund der Erkenntnis des Menschen „in und durch die Schöpfung“ zu sein, komme dadurch in dem geschlossenen Begriff der Schöpfung das „unaufhebbare Ineinander“ (I, 35 f) von Natur und Geschichte zum Ausdruck. Gerstenmaier schlussfolgerte aus der schöpferisch übergreifenden und unbedingten Tat Gottes, aus dem von ihm bezeichneten Schöpferwillen eine kausale und zugleich teleologische Bedeutung für die Schöpfungsordnung: Der Sinn im Wirklichkeitszusammenhang innerhalb der Schöpfung liege im Geordnetsein von Raum und Zeit (vgl. I, 37). Die transzendentale Ästhetik Kants in ihrer Bedeutung von Raum und Zeit für das menschliche Wahrnehmungsvermögen41 in kritischer Auseinandersetzung nutzend, erklärte Gerstenmaier die Dimensionen der Ursetzung von Raum und Zeit in ihrem sich bedingenden Verhältnis und gleichzeitiger Begründung von Natur und Geschichte als Schöpfungsinhalte, die in ihrem Zusammenspiel auf die „Zielbezogenheit der Welt als Schöpfung“ (I, 39) wiesen. Mit dem Begriff des Gestaltmoments beschrieb er jene gemeinsame Beziehung auf die Schöpfungsinhalte zwischen der Totalität des Raumes und der Universalität der Zeit als „Prädikate des Bedingten“ (I, 41) sowie die Struktur der raumzeitlichen Bewegung als „Gestaltbildung“ (I, 45), deren Gestalt sich wiederum in der korrespondierenden Ganzheit der „geschaffene[n] Werk[e] des Schöpfers zu dem von ihm bestimmten Ziel“ (I, 47) fassen ließe. Gerstenmaiers Ansatz ist in der Auseinandersetzung mit Kant im Blick auf Schöpfung und Welteinheit weniger als Kritik an dessen epistemischen Kategorien sowie seinen transzendentalen Beziehungen von Raum und Zeit zu verstehen, sondern eher als deren Erweiterung auf den Schöpfungszusammenhang und die vor allem kategoriale Dimension der Wirklichkeit.

41 Vgl. Kant, Kritik, 75–105.

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Schöpfung und Entwicklung Die sich in der Theologie Augustins von einer creatio, einer Schöpfung als einmaligem und abgeschlossenen Akt Gottes42 vermittelnde Schwierigkeit im Zusammendenken von Raum und Zeit innerhalb der Schöpfungslehre, fand ihre Weiterentwicklung unter anderem in Schleiermachers Glaubenslehre.43 Dem Ansatz der creatio continua, einer fortgehenden Schöpfung, schloss sich auch Gerstenmaier zustimmend an. Auch wenn zwischen Schöpfung und Entwicklung konsequent zu unterscheiden sei,44 vermittle sich nur in der creatio continua, in der kontinuierlichen Fortbildung des Gewordenen, das Bewusstsein des Menschen geschaffen zu sein, und damit auch das Gottesbewusstsein (vgl. I, 49). Die Schöpfung sei als apriorisch sich immer wieder erneuernde Ganzheit45 in ihrer unabweisbaren individuellen Gestaltung dadurch „keine objektive Erfahrung, sondern ein Glaubensfaktum“ (I, 51). Da die creatio continua ihre echte Bestimmtheit durch die Geschichte erhalte (vgl. I, 52), ging Gerstenmaier in der Charakterisierung aller geschöpflichen Existenz von einem „kontinuierliche[n] Werden“, einem „Gestaltwandel“ (I, 52) im sich kennzeichnenden Lebensprozess des Menschen aus. Auf diese Weise bezeuge sie durch die unvermindert andauernde Schöpfermacht und Kraft „Gottes fortgehendes schöpferisches Tun, das die geschaffene Welt nicht sich selbst überlässt, sondern sie erhält, indem er immer neu an ihr schafft.“ (I, 55) Gerstenmaier konnte darin nicht nur die Treue des Schöpfers an seiner Schöpfung nachweisen, sondern auch die unveränderliche Ewigkeit der Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung. Gott war in Gerstenmaiers Verständnis der die Schöpfung tragende (Seins-)Grund, wodurch diese wiederum zum Ort der heilsgeschichtlichen Erfahrung für den Menschen wurde.

42 Vgl. CA, Art. I für die dahingehend prägende Lehrbildung innerhalb der Theologie. 43 Vgl. Schleiermacher, Glaube, 195–204. 44 Über die Unterscheidung hinaus seien Schöpfung und Entwicklung jedoch auch nicht zu trennen. In Gerstenmaiers Verständnis der creatio continua entsprach die Entwicklung einer zielgerichteten Aktualität der Schöpfung, einer Entelechie (vgl. I, 53). 45 Die Betrachtung der Schöpfung unter den Bedingungen von Raum (räumlicher Umfang/Natur) und Zeit (zeitliche Tiefe/Geschichte) standen bei Gerstenmaier für das menschliche Bewusstsein im Fokus. „Raum und Zeit werden erst da zur Geschichte, wo sie vom Menschen in personenhaft-handelnder Freiheit ,übernommen‘ werden, das heißt, wo das Bewußtsein erwacht und die Wirkung zur Tat wird.“ (I, 51) Brunstäds Unterscheidung des Bewusstseins folgend (vgl. Brunst d, Idee, 101), zielte Gerstenmaier auf die menschliche Ganzheit an sich: „Der Ursprung als Ganzheit würde dann nicht mehr vor uns liegen. Weil die Schöpfung nicht unsere Tat ist, sondern unsere Tat begründet, wir ,selbst‘ also Folge und nicht Grund sind, Teil und nicht Ganzes, umgreifender wir den Ursprung weder als Akt noch als Sein, sondern sind umgriffen.“ (I, 51).

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Schöpfung und Geschichte Schöpfung beschrieb in Gerstenmaiers Ansatz sowohl den Akt als personhaft schaffend-gestaltende Tat des Unbedingten als auch das Sein als geschaffene Gestalt. Dementsprechend war Schöpfung auch „seinsbegründende, schaffende Tat, die mit dem Anfang den Fortgang setzt, das Sein bewegt und dem auf ein Ziel hin handelnden Akt darin wieder unterordnet.“ (I, 56) Für Gerstenmaier war das Grundverständnis von Akt und Sein in Natur und Geschichte konkret (vgl. I, 55). In der Zusammenführung der Natur als Sein und Werden, als geordnet-bezogene Totalität der Gestaltmomente (Raum) und der Geschichte als Gesamtzusammenhang alles personenhaft-zeitlichen Handelns, als Vollzug der Universalität der Gestaltmomente (Zeit) sowie daraus resultierend auch des Prinzips der Freiheit (vgl. I, 58 f) sah Gerstenmaier den Menschen – in beispielhaften Parallelen aus den Psalmen und den Werken der Weimarer Klassik – als kulturschaffende „Vollendung der Natur“ (I, 57). Geschichte bzw. Geschichtlichkeit war darum wirkende Kultur in der entsprechenden Raumzeitlichkeit. Da sich Natur und Geschichte durch Raum und Zeit (vgl. I, 55–61) genau wie Freiheit und Gemeinschaft (vgl. I, 62 f) in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Bedeutung gegenüber standen, kann in Gerstenmaiers Denkansatz von einer global korrelativen Bestimmung seiner Begriffspaare ausgegangen werden. Dies wird vor allem in der Übertragung jener Korrelate deutlich: „Die Universalität übergreift die Totalität und stiftet sie immer neu, indem sie dieselbe handelnd vollzieht. Dem Verhältnis Schöpfung als Akt und Sein entsprechen darum Zeit und Raum als Universalität und Totalität und Geschichte und Natur als Gesamtzusammenhänge des uns faßbar Gegebenen.“ (I, 59) Die Welt als Schöpfung zeigte sich in Gerstenmaiers Verständnis vor allem in diesem zentralen Aspekt. Da das menschliche Ich seine Erfüllung im Eingebundensein in die Gemeinschaft finde, der Mensch so in der Gemeinschaftsgebundenheit seine Existenz habe und die Person auf diese Weise Freiheit und Verbindlichkeit sei (vgl. I, 62), bezeichnete Gerstenmaier den Menschen – im „naturhafte[n] Kollektiv“ und „blutsverbundene[r] Tatgemeinschaft“ (I, 64) stehend – in seiner gegebenen Ganzheit als Träger und Vollzieher der geschichtlichen Tat, als Handelnden innerhalb der Schöpfungsordnung (vgl. I, 64). Aus dem sich gegenseitig bedingenden „In-Freiheit-Geschaffensein“ und „In-Gemeinschaft-Geschaffensein“ (I, 64) schlussfolgerte er wiederum, dass die Schöpfung im Sein nicht nur geschichtliche Potentialität und Aktualität, sondern Schöpfungsordnung im Volk selbst sei. Die Verwendung zeitbezogener Termini in dem Zusammenspiel von Rasse, Volk, Blut und Boden zur Erläuterung der Geschichtlichkeit als Bedingung und Ausdruck der menschlichen Existenz in allen Korrelationen für das Geschaffensein (vgl. I, 60 f) entfachte nach 1945 eine Kontroverse über Gers-

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tenmaiers Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut.46 Auch wenn eine sprachliche Anschlussfähigkeit durchaus besteht, können aus der theologischen Betrachtungsweise jener Sachverhalte, die klar von einer politischen oder gar völkischen Entfaltung zu unterscheiden sind, inhaltlichen Parallelen zur nationalsozialistischen Ideologie oder auch deutschchristlichen Annäherung nachgewiesen werden. Auch wenn die Prägung des Begriffspaars Blut und Boden in der Tat zu einem „Schlüsselwort des Nationalsozialismus mit dem Rang eines kultischen Symbols“47 und somit auch zum Kern der nationalsozialistischen Ideologie gehörte, muss an dieser Stelle auf die historische Genese bzw. die Zeit vor der ideologischen Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten verwiesen werden. Unter anderem wurde das Begriffspaar schon von Oswald Spengler im zweiten Band seines kulturphilosophischen Hauptwerkes „Untergang des Abendlandes“ von 1922 mehrfach verwendet, um das innige Verbundensein von Land und Mensch zu beschreiben.48 Da sich Gerstenmaier in seiner Jugendzeit vielfach mit dem Werk Spenglers und 46 Die vielfach kritisierte Textstelle in Gerstenmaiers Dissertation lautet: „Wo ein Volk nichts mehr davon weiß, daß ihm Blut und Boden, Rasse und Landschaft zur geschichtlichen Tat, zur Erfüllung seines geschichtlichen Berufes gegeben sind, weil es für ihn taub geworden ist, wird es diese Bedingungen seiner völkischen und geschichtlichen Existenz mißachten und sie pervertieren. Wo ein Volk seinen geschichtlichen Beruf mißversteht oder seine sittliche Aufgabe im Weltganzen mißachtet, für die es seine naturhaften Bedingungen als sinnhafte Mittel einzusetzen hat, verfehlt es in seiner kollektiven Selbstverabsolutierung das Ziel seiner Geschichte, den Sinn seines Daseins und verspielt damit die eigentliche Geltung seiner völkisch-geschichtlichen Existenzbedingungen: Blut und Boden, Rasse und Landschaft. Alle Theorien, die Blut und Boden nicht in ihrem Angelegtsein auf die Erhebung zur geschichtlichen Wirklichkeit anerkennen, verkehren die naturhafte Leiblichkeit eines Volkes, Blut und Boden, in Widernatur. Sie rauben dem Volk die Würde, weil sie seinen geschichtlichen Beruf leugnen, der als Berufung zum Ziel der Schöpfung seinen echten geschichtlichen Sinn und damit seine lebenspendende, vorwärtstreibende, Widerstand bezwingenden Macht offenbart.“ (I, 60) In späteren Propagandakampagnen, die gegen Gerstenmaier als „Feind der sozialistischen Staaten“ von der DDR geführt wurden, wurden Ausschnitte aus der Dissertations- und Habilitationsschrift – vor allem freilich der oben zitierte Passus – immer wieder angeführt und interpretiert (vgl. dazu Gniss, Politiker, 418–441). In einem Gerichtsverfahren in den 1960er Jahren, das Gerstenmaier wegen übler Nachrede gegen Ramcke und Maßmann führte, kamen zudem verschiedene Interpretation zu seinen wissenschaftlichen Qualifikationsschriften zum Tragen. Ein Brief von Schreiner an Amts- und Landgerichtsrat Langrehr vom 12. 10. 1960 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-025) sei hier beispielhaft zur wissenschaftlichen Relativierung angeführt: „Ich kannte es [seine Qualifikationsschriften] ja schon vorher genau als ein streng theologisches Buch. Ich habe gesucht und gesucht, aber nirgendwo eine Äußerung über Rassenfragen oder Euthanasie im NS gefunden.“ Auch Gerstenmaier betonte in seiner Vernehmung am 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025): „Ich bestreite, dass mein Buch ,Die Kirche und die Schöpfung‘ im mindesten mit dem Nationalsozialismus irgendetwas zu tun hat […]. Auf die Auseinandersetzung mit den naturhaften Gegebenheiten menschlicher und volkhafter Existenz, also Volk, Rasse, Geschichte, Geschichtlichkeit usw., bin ich vor allem deshalb eingegangen, weil es sich um die damals aktuellsten Kampf- und Streitgegenstände der christlichen Theologie mit dem Rassismus des Nationalsozialismus gehandelt hat […].“ 47 Schmitz-Berning, Vokabular, 111. 48 Vgl. ebd., 110 f.

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dessen Gedankenführung auseinandersetzte,49 ist zu vermuten, dass bei Spengler nach der Begründung seiner gedanklichen Adaption zu fragen ist. Zudem stellte Gerstenmaier im Vorwort seiner Habilitationsschrift mit einem Verweis auf die „geistige Kampflage der Gegenwart“ (II, 5) und damit indirekt auf die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der Zeit verweisend heraus, dass seine theologische Erörterung nicht als Beitrag innerhalb dieses Kampfes, sondern vielmehr aus einem breiteren Anschauungsfeld der Erfahrungen in diesem Kampf über das von ihm so bezeichnete Binnendeutschtum50 hinaus zu verstehen sei (vgl. II, 5 f). Von einer nationalsozialistischen Anschlussfähigkeit im Denken Gerstenmaiers kann dementsprechend kaum gesprochen werden. Durch die kritische Abgrenzung von Helmut Thielickes Geschichtsbegriff51 und der Klärung seines Verständnisses der „einen Geschichte, ihrem einen Ursprung, ihrem einen Ziel, aber ihrem doppelten Gesicht,52 nämlich dem von der Schöpfung her geprägten und dem von der Sünde zerstörten“ (I, 66), ging Gerstenmaier einen Schritt weiter und fragte, ob der Staat ebenso als Schöpfungsordnung anzusehen sei (vgl. I, 68).53 Mit seiner Determination „Der Staat ist die Aktionsform, in der ein Volk geschichtlich eigenständig existiert“ (I, 69) griff er in den theologisch-zeitgenössischen Diskurs54 ein und bestimmte, dass das Volk – und damit auch der Staat – in seiner theologischen Besinnung als Schöpfungsordnung erkannt werden müsse (vgl. I, 72). Der Mensch stand auch hier unter der Voraussetzung, dass „der Wille, auch der Schöpferwille Gottes, sich nicht aus den staatlichen Maßnahmen erheben läßt, sondern dass diese Maßnahmen umgekehrt an den Willen Gottes gewiesen sind, der nach dem Zeugnis der Schrift den Menschen gerade als geschichtlich Handelnden (Röm. 2, 14/15)55 in das Herz geschrieben, das heißt unverbrüchlich gegeben ist“ (I, 73), 49 Vgl. Kapitel 2.1.3. 50 Mit Binnendeutschtum meinte er hier vermutlich die verschiedenen kirchenpolitischen Strömungen innerhalb und außerhalb der DEK. 51 Thielicke unterschied zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Dimension der Geschichte, in der einen Gott und in der anderen der Mensch Subjekt sei (vgl. Thielicke, Geschichte, 8–26, 268–274), welche seine „ureigenste Lebensfrage“ ausmachte und beeinflusste: „nämlich, wie sich die vertikale Dimension des Offenbarungsgeschehens zu den horizontalen Lebensbereichen verhält, in denen wir natürlicherweise leben.“ (Thielicke, Stern, 89). 52 Gerstenmaier unterschied zwischen der Geschichte der „unversehrten“ Schöpfung (in statu integritatis) und der „gefallenen“ Schöpfung (in statu corruptionis), also einer „Selbstverwirklichung der Schöpfung nach dem Willen des Schöpfers zu dem ihr gesetzten Ziel“ und einer „verfehlte[n] Selbstverwirklichung, Selbstzerstörung, weil Ungehorsam gegen den Willen des Schöpfers als Verleugnung des von ihm gewiesenen Ziels.“ (I, 65 f). 53 Vgl. darüber hinaus auch Kapitel 10 in Gerstenmaiers Habilitation, in der er sich mit dem Bezugsverhältnis von Kirche und Staat auseinandersetzte in II, 259–269. 54 Zu Staat und Schöpfungsordnung vgl. Althaus, Ordnungen, 13–26; Thielicke, Geschichte, 85–192; Wiesner, Schöpfungsordnung, 166–179. 55 Röm 2,14 f: „Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun, was das Gesetz

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im Zentrum der gegebenen Ordnung. Auf biblischer Grundlage wurde der Staat von Gerstenmaier als Ordnung Gottes verstanden. Damit lässt sich Gerstenmaier ebenso wie Paul Althaus und Emil Brunner dem vom Martin Honecker beschriebenen ordnungstheologischen Argumentationstyp zuordnen.56 In einer abschließenden Erwägung plädierte Gerstenmaier unter der bedingten Voraussetzung, die Welt als Schöpfung vom Schöpfer her zu verstehen, dafür, grundsätzlich von der Schöpfung und Schöpfungsoffenbarung innerhalb des ersten Glaubensartikels zu handeln (vgl. 74). Somit nahm er seine eingangs gesetzte Generalthese noch einmal auf und schloss mit ihr die theologische Betrachtung im Rahmen seiner Dissertation ab.

3.2 Die Kirche und die Schöpfung 3.2.1 Schöpfung und Sünde In seiner zweiten Qualifikationsschrift,57 seiner Habilitation „Die Kirche und die Schöpfung“, umschrieb Gerstenmaier seine Intention im Untertitel der Arbeit: „Eine theologische Besinnung zu dem Dienst der Kirche an der Welt“. Der Theologe stellte den Tatbestand der Schöpfungsoffenbarung, den er in seiner Dissertation in einem Verhältnis der Welt als Schöpfung darlegte, in einen breiteren und differenzierteren Wirkungsbereich. Um das „Bewußtsein des ganzen Lebenszusammenhangs der Kirche mit der Schöpfung“ (II, 5) fassen zu können, diskutierte er im Rahmen seiner systematisch-theologischen Arbeit vor allem anthropologische, kosmologische, hamartiologische, soteriologische und eschatologische Gesichtspunkte mit dem Ziel, einer von ihm definierten Grundbeziehung der Kirche Jesu Christi in dieser Welt nachzugehen. Jene Erweiterung der „Bestimmung des Bezugsverhältnisses von Kirche und Schöpfung“ (II, 23) umfasste als Ganzes sowohl den „Versuch, das Ja der Kirche zu der Welt aus ihrem Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott zu begründen und neu zu vergegenwärtigen“, als auch das „Ja der Kirche zur Welt als Schöpfung“ (II, 5) zu festigen, die wiederum auf Gerstenmaiers Kernthese aus seiner Dissertation, also der menschlichen Erkenntnis der Schöpfung vom Schöpfer her, fußte.58 Die Kirche in ihrer naturhaften Bindung an die Welt fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt […]“ 56 Vgl. Honecker, Staat, 37 f. 57 Zum organisatorischen Hintergrund und Gerstenmaiers Ziel einer Dozentur vgl. Kapitel 3.4. 58 Auch wenn Gerstenmaier im Vorwort seiner Habilitation angab, dass der erste Teil der Arbeit seine Dissertation in umgearbeiteter Fassung beinhalten sollte (vgl. II, 6), so muss festgehalten werden, dass es sich dabei um keine Umarbeitung, sondern um eine exakte, wortgetreue

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stellte für ihn den zentralen Ausgangspunkt der Untersuchung dar. Durch deren Dienst an der Welt in dem Gestaltungswillen und der Gestaltungskraft des Menschen fokussierte er unter dem besonderen Zeichen der Sünde des Menschen und des Todes Gottes lebendig wirksame Schöpfung. Um das Verhältnis von Anthropologie und Hamartiologie sowie den Begriff der Sünde bei Gerstenmaier beschreiben zu können, muss deren Lokalisierung in der menschlichen Wirklichkeit eine „doppelte Fessel“ (II, 103) vorangestellt werden: Da die Welt sündig sei, heiße dies konkret für den Menschen „Ich bin Sünder“, was wiederum bedeute, wenn der Mensch als Subjekt Sünder sei, dass auch „die Welt, deren Teil ich bin“, sündig sei (II, 103). Aus diesem reziproken Dualismus seines hamartiologischen Verständnisses lässt sich auf den Tatbestand der Erbsünde schließen, die von Gerstenmaier als „Erkenntnis unserer Wirklichkeit schlechthin“ (II, 106) und als eines der „tiefsten Zeugnisse der Kirche von ihrer Verbundenheit mit der Welt“ (II, 152) angeführt wurde. Einer gründlichen systematisch-theologischen Erschließung der Lehrgeschichte zur Sünde folgend, setzte Gerstenmaier bei der Theologie der Reformatoren an. Am 3. Mai 1935 schrieb er in diesem Zusammenhang seinem Lehrer Brunstäd: „Ach was habe ich Bekenntnisschriften gepflügt, richtig gepflügt.“59 Aus Luthers Lehre, der Confessio Augustana, deren Apologie und der Konkordienformel schlussfolgerte er die reformatorischen Erkenntnisse zur Sünde in zwei Punkten, auf deren theologischer Explikation auch seine hamartiologischen Gedanken gründeten.60 Zum einen könne man feststellen, dass Schöpfung und Sünde nicht zu identifizieren seien: „Wir sind und bleiben Gottes Geschöpf in aller Sünde.“ (II, 130) Zum anderen lasse sich von der reformatorischen Erbsündenlehre her sagen, dass die Sünde nicht nur als „fatum, überpersönliches Schicksal, sondern zugleich [als] persönliche Schuld“ (II, 130) in den Tiefen des menschlichen Wesens offenbar werde. Der Zustand der Sünde war auf diese Weise in der menschlichen Wirklichkeit präsent und stellte „eine nie zu tilgende und nie zu verharmlosende Realität“61 der menschlichen Existenz dar. Es war dem Menschen praktisch unmöglich, ohne Sünde zu leben. Von Emanuel Hirschs Lehre, die zwar ebenso auf den Reformatoren gründete, ihren Ausgangspunkt jedoch in der Einheit von Schöpfung und

Wiedergabe der Dissertation auf den Seiten 27 bis 100 seiner veröffentlichten Habilitationsschrift handelte. 59 Brief Gerstenmaiers an Brunstäd vom 3. 5. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 60 Vor allem in der von Luther früh entwickelten Demutstheologie lassen sich Überschneidungen zu Gerstenmaiers Ansatz feststellen. Luthers Erkenntnis, dass der Mensch stets als Sünder vor Gott stehe und auch nicht anders vor ihm stehen könne, bildete die Grundlage für Gerstenmaiers Betrachtung. Zur Sünde in Luthers Verständnis vgl. zur M hlen, Luther II., 538–542; und Lohse, Theologie, 264–273. 61 Brecht, Luther, 133.

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Sünde hatte,62 grenzte sich Gerstenmaier deutlich ab. Er fand Zustimmung bei Paul Althaus, der eine „strenge Notwendigkeit“63 in der Unterscheidung von Schöpfung und Sünde sah. Darauf aufbauend kritisierte Gerstenmaier, dass sich Hirsch einer Modifikation des reformatorischen Lehrgehalts hingab, „in der die jedenfalls ihrer Intention nach reformatorischen Erkenntnis simul creatus et peccator, Geschöpf und Sünder zugleich, unter der Hand abgewandelt wurde zu dem Irrtum: qua creatus peccator als Geschöpf Sünder.“ (II, 135) Damit mache Hirsch Gott selbst zum „Urheber der Sünde“ (II, 135). Auf dieser Grundlage schloss sich Gerstenmaier auch Emil Brunners Kritik zustimmend an, der Hirschs Ansatz eine „gnostische Irrlehre“64 nannte. Dass Gott die Sünde als solche nicht gewollt habe und so auch nicht Urheber der Sünde sein könne, stellte Gerstenmaier in der Hinzuziehung seines Präzeptors heraus.65 Brunstäd lehrte, „daß der Mensch nicht gut, sondern zum Guten, das heißt frei geschaffen sei.“ (II, 140) Gut war demnach in Gerstenmaiers Ansatz mit frei gleichzusetzen. So sehr sich Gerstenmaier der reformatorischen Lehre verbunden fühlte, so grenzte er sich in einem wesentlichen Punkt jedoch von ihr ab: im Verständnis der Geschichte. Die Reformatoren lehrten die Erbsünde als „personhafte Schuld“, als „wirkliche Sünde“ des Menschen und somit die Geschichte als „personhaftes Geschehen“66. Für Gerstenmaier spielte die Geschichte eine substantielle Rolle,67 die nach seinem Verständnis globaler gefasst werden müsse. Er beschrieb sie – entgegen der Reformatoren – als „Aktualität der Schöpfergemeinschaft“ (II, 106). Da der Mensch sich der Geschichte nicht entziehen könne, sei er Geschichte. Geschichtlichkeit meine darum einen spezifischen Charakter der menschlichen Geschöpflichkeit. Sie bedeutete „Zielgerichtetsein“ (II, 111). Der Mensch war auf Gott hin geschaffen. Dieser grundlegende Urstand des Menschen sei auch seine Urgeschichte. Das menschliche „Zu-Ihm-Geschaffensein“ zu freier Eigenständigkeit in der Gemeinschaft mit dem Schöpfer war in jener gedanklichen Abfolge als „Zielsein, als zielbezogene Tat“ auch „die dem Geschöpf […] bleibende Schöpfergnade“ (II, 113). Als Sünde bezeichnete Gerstenmaier den Bruch mit jener geschichtlichen Aktualität innerhalb der Schöpfergemeinschaft. Er sah dafür die Bedingungen in zwei Punkten: in der Freiheit und in der Gemeinschaft, zu denen der Mensch in seiner Bestimmung geschaffen war und seinen Bestand gewann. 62 Hirschs Systematik baute auf die reformatorische Lehre. Er ging von der „gänzlichen Sündhaftigkeit des Menschen in allem seinem Tun“ aus und versuchte „ein konkret Gutes und konkret Böses“ zu unterscheiden (Hirsch, Schöpfung, 79). 63 Althaus, Theologie, 58. 64 Brunner, Gebot, 586. 65 Vgl. Brunst d, Idee, 296 f. 66 Vgl. dazu Gerstenmaiers Auseinandersetzung mit der reformatorischen Lehrgeschichte in II, 120–131. 67 Vgl. Unterkapitel Schöpfung und Geschichte (in 3.1.2).

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Auf der von Gerstenmaier differenzierten Grundlage der Lehre Brunstäds68 ergab sich für ihn, dass in der gegebenen Freiheit der menschlichen Existenz in voller Selbstbestimmung auch die Möglichkeit der Sünde gesetzt war, die „dann immer noch und gerade wegen dieser gottgewollten Selbstständigkeit des Menschen eigene Tat“ (II, 142) blieb. Die eigene Tat nun, die Gerstenmaier zuvor in der Geschichtlichkeit, in dem „tathaften Inbeziehungsein“ (II, 149) aller Handlung zu lokalisieren versuchte, schien für die Sünde die zwingende und valide Voraussetzung zu sein. Mit der Einführung des Begriffs der Personhaftigkeit sowie deren Gleichstellung mit dem Terminus der Freiheit deutete Gerstenmaier das menschliche Sein in einem transzendentalen Charakter in „Besonnenheit zum Anderen“ (II, 107 f) und elaborierte so die menschliche Vergänglichkeit sowie die göttliche Beständigkeit im Diesseits.69 Dadurch nun, wenn der Mensch sich von der Gemeinschaft absondere oder sie in egoistischer Beharrung breche, verliere er nicht nur seinen Bestand und verspiele seine Freiheit, sondern zerstöre er auch die Transzendenz zum Schöpfer. Die Unbegreiflichkeit der Sünde entstand für Gerstenmaier sowohl in der „Verfehlung unserer geschichtlichen Möglichkeit“ (II, 115) im Rahmen der eigenen Tat als auch in der paradoxen Verneinung der Personhaftigkeit in den Tiefen des menschlichen Wesens. Da der Mensch aber nun nicht in der Sünde, sondern in Freiheit geschaffen war, sich in der Personhaftigkeit jedoch die Möglichkeit der Sünde beschloss, sei die geschichtliche Tat des Menschen für den Bruch innerhalb der Aktualität der Schöpfergemeinschaft grundlegend.70 Die geschichtliche Tat war für Gerstenmaier das signifikante Kriterium in seinem Sündenverständnis. Die eigene Tat war wiederum als deren Korrelat zu werten. Von den gerstenmaierschen Ausgangsbedingungen zur Sünde (Freiheit und Gemeinschaft) her betrachtet, die a priori ineinander lagen, existierte der Mensch nur in und aus der Gemeinschaft eben als freies Individuum. Wenn nun aber der Mensch „diese Existenz (als geschichtliche) in eigene Tat übernehme und als eigene Tat (das bedeutet wiederum als geschichtliche) verkehre“ (II, 154), setzte Gerstenmaier voraus, dass der Mensch die geschichtliche Tat immer und unter keiner Einschränkung in eigene Tat per68 So sehr sich Gerstenmaier der Theologie Brunstäds verbunden fühlte, so ging er an einigen Stellen seiner Sündenlehre zu ihm in Abstand. Am 1. 5. 1935 schrieb Gerstenmaiers an Bachmann (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1): „Es ist eine ziemlich schwierige Sache durch die Reformatoren hindurch über Schleiermacher, Ritschl Schlatter (der mir noch den positivsten Ansatz bot), gegen Hirsch und mit Brunstäd contra Brunstäd zum Nachweis meines alten Satzes zu gelangen.“ Weiter konstatierte er sein gutes Verhältnis zu Brunstäds Ansatz. 69 Gerstenmaiers Anthropologie knüpfte in dem Zusammenhang der Darstellung des Menschen als „Hinübergehender“ (II, 112) eng an die anthropologische Interpretation Friedrich Nietzsches, der in seinem dichterisch-philosophischen Werk „Also sprach Zarathustra“ schrieb, dass der Menschen „eine Brücke und kein Zweck […], dass er ein Übergang und kein Untergang“ war (Nietzsche, Zarathustra, 12. Zur Auslegung im Hinblick auf die Anthropozentrizität bei Nietzsche vgl. Joisten, Überwindung, 76–78, 91–97). 70 Vgl. vor allem Unterkapitel Gefallene Schöpfung in II, 117–119.

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vertierte. Damit breche er nicht nur die Schöpfergemeinschaft in seinem aktuellen Sein, sondern werde auch zu „dem die Sünde der Welt Tuenden und darum auch für sie Verantwortlichen“ (II, 154). Der zentrale Zusatz in diesem Gedanken war: „Nur als eigene Tat ist die Sünde der Welt meine Schuld, denn nur mit ihr trete ich in den Schuldzusammenhang der Geschichte ein.“ (II, 154) Damit konstatierte Gerstenmaier die Sünde als Erbsünde auf der Grundlage der Geschichtlichkeit im menschlichen Sein.71 Gerstenmaier sah aus dem tätigen Schuldigsein72 und dem gegebenen Gewissen73 des Menschen bestätigt, dass der Mensch „Geschöpf und Sünder zugleich“ (II, 147) sei. Da aus dem reformatorischen sola gratia des Evangeliums die Erkenntnis entspringe, dass der Mensch ganz Sünder sei (vgl. II, 151), war für Gerstenmaier die gnädige und bedingungslose Zuwendung Gottes zu seinem Geschöpf eben darin vorausgesetzt, dass der Mensch im Ganzen Sünder war und der Gnade Gottes bedurfte. Auf der Basis einer Dialektik von Geschöpf und Sünder ist Gerstenmaiers theologisches Verständnis der Sünde unter Hinzuziehung der geschichtlichen Ganzheitsbeziehung des Menschen sehr eng mit der reformatorischen Sündenlehre zu verbinden.

71 „Unsere Geschichtlichkeit ist bestimmt als Sein in der Zeit. Die Zeit aber wird zur Geschichte durch unsere Tat, deren zusammenhangsstiftende Wirkung im Heil wie im Unheil, aber wiederum erst durch die Zeit möglich wird. Tat und Untat geschehen in der Gemeinschaft der Geschichte und verbinden uns daher immer erneut und unaufhebbar mit der Geschichte als Tatwie als Schuldgemeinschaft.“ (II, 155) Gerstenmaier setzte zudem die wissende Ganzheitsbeziehung des Menschen in der Gemeinschaft voraus, denn „Wo der Mensch um sein Geschaffensein weiß, weiß er um die Ganzheit, aus der er lebt. Wo er sich als Sünder weiß, erkennt er diese Verbundenheit auch in seiner Schuldigkeit. Er weiß, daß seine Sünde keine Privatangelegenheit ist. Seine Sünde betrifft die Gemeinschaft, in der der geschaffen ist, in der er lebt.“ (II, 156 f). 72 Zu Gerstenmaiers Auslegung des menschlichen Schuldseins muss die folgende Ausführung noch hinzugefügt werden: „Nur die sündige Tat, sei es nun in Gedanken, Worten oder Werken, macht den Menschen schuldig. Es kommt dabei zunächst nicht auf das Quantum der Sünden an, sondern auf die Schuldigkeit des Sünders, auf das Betroffensein seiner Personeinheit und Ganzheit von der Sünde und ihrer Schuld. Weil das Handeln, das der Mensch in dieser seiner Personheit und Ganzheit selber ist, nicht teils gut, teils böse, sondern sowohl gut als auch böse ist, weil es gebrochene Aktualität ist und weil der ganze Mensch diese gebrochene Aktualität ist, darum ist der Mensch als Ganzer Sünder und das heißt schuldig.“ (II, 136). 73 Gerstenmaier führte das Gewissen als „existentielle[n] Ausdruck“ (II, 148) der Gottesbeziehung in einem weiteren Schritt an und wandte sich damit in Anlehnung an Lütgerts Lehre (vgl. L tgert, Schöpfung, 103–105) von einem einseitig bösen Verständnis des Gewissens als Schuldbewusstsein ab. Da der Mensch, das Ich im Gewissen am tiefsten um seine Bewusstheit, seine Beschaffenheit und seine Geschichtlichkeit wisse, so habe es auch das Wissen darum, „daß es die Ordnung, in die es hineingebunden ist, nicht nach Belieben außer acht lassen darf, daß es nicht tun kann, was es will, sondern unter ein Sollen gestellt ist, das heißt in Beziehung auf einen Überlegenen, Höheren lebt.“ (II, 149) Darum liege der Schwerpunkt des Gewissens auf der „Bewußtseinshaftigkeit unserer Existenz, auf dem Wissen um uns selber in unserer Einheit und Ganzheit“ (II, 149).

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3.2.2 Erlösung, Geist und Offenbarung Die von Gerstenmaier verfolgte Hierarchisierung innerhalb seines Offenbarungsverständnisses vollendete sich in Christus. Das dogmatische Bekenntnis „Herr ist Christus“ durchzog formelhaft wie ein roter Faden seine Betrachtungen. Er charakterisierte den Zusammenhang zwischen Weltschöpfung, Welterlösung und Weltvollendung als die „drei Stücke der einen Wahrheit“ (II, 163), in deren Bezeugung sich die Existenz der Kirche entfalte. Damit setzte Gerstenmaier nicht nur die drei Stücke zueinander abhängig in Beziehung, sondern machte auch deren theologische Bedeutung für den öffentlichen Auftrag der Kirche deutlich. Da Christus als dem „bevollmächtigte[n] Sohn des Vaters und Schöpfers […] die Herrschaft über die ganze Schöpfung zu“ (II, 163) komme, argumentierte Gerstenmaier theologisch, dass die Herrschaft Christi in der Welt über die des Menschen74 hinaus nicht mit Gewalt und Gesetz aufgerichtet worden sei, sondern mit seiner Hingabe für ihre Erlösung. Dadurch erwies sich Christus „in der Überlegenheit des schenkenden Sichhingebens für die Welt als ihr wirklicher Herr.“ (II, 164, 253) Die Kulmination der einzelnen Artikel fasste Gerstenmaier darin ineinander, dass sich der Glauben an den die Welt erlösenden Christus in dem Glauben an den Weltschöpfer vollende. So sei die Erlösung bereits in der Schöpfung angelegt und die Kirche durch das Werk Christi unlösbar mit der Welt verbunden (vgl. II, 164). Die Bedeutung der Kirche fokussierte Gerstenmaier aus jener Ausschließlichkeit der verbindenden Botschaft als „Trägerin der Verkündigung und der Verheißung“ auf die Rolle der Handlungsentfaltung des Weltziels an der „Verwirklichung des Heilsplans Gottes mit der Welt als seiner Schöpfung“ (II, 165). In einem nächsten Schritt versuchte Gerstenmaier, die unmittelbare Beziehung und Bedeutung der kirchlichen Botschaft von der Offenbarung Gottes in Christus für die Welt als Schöpfung theologisch sowie praktisch-kirchlich zu hinterfragen. Dazu betrachtete er neben der theologischen wie philosophischen Differenzierung zwischen Unschuld und Urschuld (vgl. II, 166–174) sowie zwischen Akt und Sein (vgl. II, 174–180) auch die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Sünder (vgl. II, 180–185) und die Rechtfertigung des Geschöpfs vor Gott – insbesondere unter den Gesichtspunkten propter Christum und per fidem (vgl. II, 185–196). Damit komprimierte Gerstenmaier nicht nur zwei der lutherischen soli (sola fide und solus Christus) innerhalb seines Begründungszusammenhangs der Beziehung zwischen Schöpfung und 74 Gerstenmaier schränkte damit das Handeln der Menschen als „Herren“ der Schöpfung keineswegs ein, sondern ergänzte es durch die Vollendung in Christus: „Aber der Mensch ist es, auf den hin die Welt geschaffen ist, dem sie ,gegeben‘ ist in der Schöpfung, damit er über sie herrsche zur Ehre Gottes. Und der Mensch ist es auch, der durch seine Sünde diese Gabe verspielt, sie aber als ein durch Christus Gerechtfertigter neu empfängt in der Vergebung und Vollendung.“ (II, 165).

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Erlösung75 als die zentralen dogmatischen Kernaussagen der Soteriologie, sondern lenkte erneut seinen Fokus auf den Mittelpunkt des kirchlichen Bekenntnisses: „Herr ist Christus“. Aufgrund dieses Sachverhaltes erweiterte sich Gerstenmaiers ursprüngliche Erkenntnisformel des Geschöpfs – der Mensch erkennt den Schöpfer nicht von der Schöpfung, sondern die Schöpfung vom Schöpfer her – für das kirchliche Handeln durch die Ergänzung des Erlösers: „Die Welt wird als Schöpfung Gottes in Christus nur dort und insoweit erkannt, als sich der Mensch als ein in Christus gerechtfertigtes Geschöpf erkennt.“ (II, 192) Dadurch näherte er sich nicht etwa Karl Barth und dessen christozentrischer Perspektive wieder an, sondern weitete sein Schöpfungsverständnis im Rahmen des kirchlichen Bezugsfeldes nur auf Christus und die Erlösung des Menschen durch ihn aus. Gerstenmaier übertrug den Schöpfungszusammenhang zudem auch auf den dritten Glaubensartikel. Im Heiligen Geist bekenne die Una sancta ecclesia Gott als „den gegenwärtig wirkenden Schöpfergott“, als „handelnde[n] Vollzieher“ (II, 197) des Zieles der Schöpfung zum Reich Gottes. Gerstenmaier charakterisierte auf der Grundlage der schöpfenden und geschöpften Einheit des Geistes76 die intrinsische Lokalisierung der Gottesebenbildlichkeit des Geschöpfs im menschlichen Geist- und Personsein.77 Dadurch werde der Mensch zum Wahrzeichen Gottes in der Schöpfung, mehr noch zur Mitte der 75 In Korrelation des vierten Artikels von der Confessio Augustana, des sogenannten Rechtfertigungsartikels sah Gerstenmaier in den Axiomen propter Christum und per fidem die Grunderkenntnisse der lutherischen Theologie soteriologisch gegeben. Das propter Christum habe eben nicht nur Beziehung auf die Erlösung, sondern auch auf die Schöpfung. „In seinen beiden Beziehungen erhellt es den zusammenhangsstiftenden Heilsplan und Liebeswillen Gottes, der als der selbe unwandelbar in Christus die Welt schuf, sie darum auch wegen Christus unter dem Widerpart der Sünde erhält und um Christi willen den Sünder durch den Glauben als sein Geschöpf und Ebenbild ,rechtfertigt‘.“ (II, 187) Als einzige und entscheidende Bedingung für die Rechtfertigung sei per fidem in diesem Begründungszusammenhang anzuführen. Zum dogmatischen Verständnis des soteriologischen Bezugsfelds vgl. Seils, Heil, 622–637. 76 Die Einheit des Geistes bildete in Gerstenmaiers Ansatz ein Wesensmerkmal in Verständnis der Imago Dei. „Die beiden Sätze: Gott ist Schöpfer, und Gott ist Geist, sind identisch. Sie umschreiben, mehr, sie begründen den Sachverhalt von der Einheit des Geistes. Als Geist ist Gott der eine Schöpfer; und weil er der Schöpfer ist, ist er der Geist. […] Indem Gott schafft, offenbart er sich als Geist.“ (II, 198) Und da der Geist Gottes im Rahmen der Schöpfung auf den Menschen als alleinige Kreatur überging, war das Geschöpf durch den Geist mit Gott verbunden. Gerstenmaier verwandte sich stets für die Einheit des Geistes. Dadurch widersprach er auch der Unterscheidung dessen innerhalb der dialektischen Theologie. Gegen den von Barth versierten geistigen Qualitätsunterschied zwischen Gott und Mensch stellte Gerstenmaier sein Konzept von der Einheit des Geistes. Da mit dem Qualitativen das Absolute schwinde, könne es nach Gerstenmaier nur einen relativen Modalitätsunterschied und keinen absoluten Qualitätsunterschied des Geistes geben. „Der geschaffene Geist gründet als solcher in der Einheit des Schöpfergeistes, seine ,Qualität‘ kann allein von dieser Einheit her, in ihr und zu ihr hin bestimmt werden. Die Verneinung dieser Einheit als einer im Unterschied bestehenden führt zur Verneinung der echten Modalität und damit der Individuation, die die Schöpfung ist.“ (II, 202). 77 Gerstenmaier goutierte damit vor allem Brunstäd und dessen Offenbarungsverständnis in Bezug auf Geist und Person (vgl. Brunst d, Offenbarung, 28).

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Schöpfung, zur Manifestation einer Einheit, die zwischen Schöpfer und Schöpfung, zwischen Gott und Welt ihren Bestand habe (vgl. II, 198 f). Aus dem Geistsein und der Einheit des Geistes leitete Gerstenmaier eine Tateinheit, eine „sinnerfüllte, weil zielbezogene Bewegung“ (II, 204) ab, die den Geist des Menschen als eine „umgriffen-umgreifende“ (II, 205) Bewusstheit verstand. Der Geist sei demnach der Sinn als bewusste Tat, eine zum Ziel hin handelnde Bewegung. Damit sei der Geist auch nur Geist in seinem sinnerfüllenden Tun und der Geist als sinnerfüllendes Tun wiederum Freiheit. Frei heiße in diesem Zusammenhang, dass die Schöpfung eine Selbstentscheidung des Geistes sei, da der Geist aus sich heraus schaffe und sein Ziel selbst wähle (vgl. II, 205 f). In der Übertragung korrelierte Gerstenmaiers Charakterisierung des geschöpften Geistes mit dem Verstand, aus dessen Zielbezogenheit der Geschichte das selbstverantwortete Handeln des Geschöpfes resultierte. Gerstenmaier deutete das Handeln, die Tat des Geschöpfs in einer „Art personhafter Beziehung“ (II, 175) zu der Tat des Schöpfers. Für ihn war die Schöpfungstat Gottes die tatbegründende Voraussetzung „unseres Tunkönnens“, da „alles, was uns gegeben ist, […] uns aufgegeben“ sei (II, 174). Dadurch spezifizierte Gerstenmaier – nicht zuletzt auf der Grundlage der imago Dei – nun die Verantwortung des Geschöpfs aus dessen personhafter Ganzheit. Die Gottesebenbildlichkeit sei dem Menschen trotz aller Sündhaftigkeit78 in seinem Subjektsein als ein Vermögen, als creatus in der creatio zugefallen und bildete aufgrund dessen die Grundlage seiner Verantwortlichkeit (vgl. II, 175–178). Nach Gerstenmaier gibt es keine legitime Möglichkeit vom Tatbestand der Schöpfungsoffenbarung bei der theologischen Erfassung des Offenbarungsbegriffs abzusehen. Da die Offenbarung nur aus der eigentümlichen Beziehung von Schöpfung, Erlösung und Vollendung theologisch zureichend betrachtet werden könne, argumentierte Gerstenmaier auch in diesem Zusammenhang ausgehend von der Geschichte.79 Die Geschichtlichkeit der Offenbarung bedeutete nach Gerstenmaier darum nicht nur die Unterwerfung des Sohnes unter die Weltgestalt der Sünde, unter die Relativität des Geschichtlichen, sondern zugleich die Bestätigung der unter dieser Weltgestalt verborgenen, im Christuswort geschaffenen Schöpfung Gottes durch Christus. Für die Geschichtlichkeit der Offenbarung heiße es demzufolge, dass das Wort in die Welt einging und die Christusoffenbarung die Schöpfungsoffenbarung nicht aufhob, sondern ihre Tatbestände bestätigend aufrichtete und sie über die Weltgestalt der Sünde hinaus mit sich selbst verband. Gerstenmaier verdeutlichte, dass durch das Eintreten von Christus in die Geschichte die ursprüngliche Wesensbeziehung von Schöpfer und Geschöpf, von Gott und 78 Gerstenmaier sah in Anlehnung an Brunstäd den ganzen Menschen als Sünder, aber eben auch als handelndes Geschöpf, da das „Sündersein nur aus seinem Geschöpfsein“ lebe (vgl. II, 180–183). 79 Vgl. Unterkapitel Schöpfung und Geschichte (in Kapitel 3.1.2).

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Mensch ihre objektive Neubegründung erhielt. Die Objektivität dieses Geschehens wiederum bezeichnete er als eine wirkliche, echte Geschichtlichkeit, die als solche eben nicht nur die transzendente Qualifizierung eines relativen geschichtlichen Aktes darstellte, sondern eben selbst dieses geschichtliche Ereignis sei. Aufgrund dessen sei die Bedeutung der Geschichtlichkeit der Offenbarung nicht nur auf die erneute Verbindung von Gott und Welt, von Gott und Mensch beschränkt, sondern eben auch auf die Verbindung zwischen Gottes offenbarendem Handeln im Christuswort der Schöpfung und dem der Erlösung auszurichten (vgl. II, 226 f). Gerstenmaier erweiterte in diesem Zusammenhang auch sein Verständnis der revelatio generalis aus den Schlussfolgerungen seiner Dissertation (vgl. I, 6 f) und übertrug es auf den Habitus der Kirche. Die Beziehung der Kirche zur Welt sei demnach nur aus dem ganzen Offenbarungszeugnis der Trinität legitim. Eine Beschränkung des Deus revelatus auf revelatio generalis, specialis oder specialissima lehnte Gerstenmaier danach ab. Theologisch richtig und kirchlich verbindlich sei allein von der Einheit der Offenbarung des dreieinigen Gottes als Schöpfer, Erlöser und Vollender zu reden (vgl. II, 233). Da die Kirche nicht von der Einheit des dreieinigen Gottes absehen könne, habe die Ganzheit der Offenbarung als Schöpfungsoffenbarung und Christusoffenbarung in ihr Geltung (vgl. II, 236 f). 3.2.3 Schöpfung und neue Schöpfung In der Frage um den Wirkungsbereich der Schöpfung versuchte Gerstenmaier die Offenbarung Gottes, die er zuvor an diversen Glaubensfakten spiegelte und deren theologische Erkenntnisvermittlung systematisch im Rahmen der Offenbarung ausdifferenzierte, auf das Selbstverständnis der Kirche zu übertragen. Dabei verstand er die Kirche weniger als strukturierte Institution, sondern eher als „communio sanctorum, als die Gemeinde der von Christus Erwählten“ (II, 247). Wenn Gerstenmaier nun von der Kirche sprach, so setzte er diese gleich mit der Gemeinde als weltliche Existenzform des manifestierten Glaubens an Christus. Aus der göttlichen Verheißung, der Menschwerdung des Logos und der Ausgießung des Heiligen Geistes schlussfolgerte Gerstenmaier, dass der dadurch verheißene Anbruch des Reiches Gottes auch dessen Vollendung darstellte: „Darum hat die Gemeinde Jesu Christi nicht nur die Verheißung, das ,neue Gottesvolk‘ zu werden, sondern es zu sein.“ Mit Bezug auf den ersten Petrusbrief 2, 9 ließ er seine Interpretation kulminieren: „Die Kirche lebt also nicht nur in der Erwartung der neuen Schöpfung, sondern sie ist neue Schöpfung und harrt darum ihrer Vollendung.“ (II, 248) Damit sei in Christus die Loslösung von der alten, durch die Sünde verderbten Schöpfung gegeben und der Weg für die neue Schöpfung geebnet. Obwohl Gerstenmaier die eschatologischen Spannungen einer geschichtlich wirksamen Wirklichkeit im Raum der neuen Schöpfung erkannte, sah er die geschichtliche Wirklich-

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keit der geschöpflichen Lebensgemeinschaft mit Christus in der Gegenwärtigkeit seines Geistes und Willens im Wort und Sakrament, im Leben der Gemeinde erneuert. Die unter dem Kreuz des Herrn stehende Kirche war so als neue Schöpfung auf der einen Seite mit der Welt verbunden; ihr auf der anderen Seite durch den Fortbestand der Sünde aufgrund des Widerstreits zwischen Gut und Böse jedoch auch der „Weg des Leidens“ (II, 249) gewiesen. Gegen die Macht der Sünde und aller von ihr geprägten Existenzformen stelle die Kirche nach Gerstenmaier die „Kampfgemeinschaft Jesu Christi“ (II, 249) dar und sei als ecclesia crucis eben auch ecclesia militans. Nur unter dem „Schild Gottes“ (II, 250) könne die Kirche die Sünde entmachten und ihrem sendungsbewussten Werk der Heilsverkündigung des dreieinigen Gottes in der Welt nachgehen. Da Gerstenmaier spezifizierte, dass die Kirche Jesu Christi nicht nur eine religiöse Lebensgemeinschaft in „allgemein-menschliche[r] oder völkischreligiöse[r] Selbstdarstellung“, sondern mehr eine christliche Glaubensgemeinschaft, eine „personhaft-gemeindliche Lebenseinheit mit dem ,ganz Anderen‘“ (II, 257) sei, manifestierte er damit auch den Handlungsbereich der Kirche samt ihrer Botschaft innerhalb des Volkes als Aufgabe. Die Botschaft der Kirche stelle vor dem Volk als einer naturhaften und personenhaft-geschichtlichen Gegebenheit der Schöpfung eine verpflichtende Ganzheit dar (vgl. II, 258 f). Aufgrund der Gegebenheit, dass sich sowohl der Öffentlichkeitsanspruch der Kirche als auch der öffentliche Machtanspruch des Staates innerhalb des Volkes begegneten, erfüllten nach Gerstenmaier sowohl die Kirche als auch der Staat eine dienende Aufgabe gegenüber dem Volk, die sich lediglich in ihrem Integrationszentrum unterschieden. Der Staat agierte demnach auf der Grundlage des Gesetzes und die Kirche im Raum von Erlösung und Gnade (vgl. II, 265), also auf der Basis des Evangeliums. Der Rechtshistoriker Friedrich von Halem behauptete im Gegensatz dazu, dass es die vornehmste Aufgabe des Staates sei, eben durch dessen Wahrung der Sittlichkeit und Moral, auch für das Seelenheil der Menschen und deren Weltanschauung verantwortlich zu sein.80 Gerstenmaier hingegen nahm von einer Monopolisierung des Dienens von staatlicher Seite ebenso Abstand wie von einer möglichen Überlagerung der jeweiligen Integrationszentren samt ihrer daraus erwachsenden gesellschaftlichen Aufgabe. Er spezifizierte die Rolle der Kirche in der Auseinandersetzung mit dem Staat gar unter einer dreigliedrigen Determination. Die Kirche kämpfe mit dem Staat „nicht um die Freiheit des Einzelnen, sondern sie kämpft um die Freiheit ihrer Verkündigung und ihres seelsorgerlichen Dienstes an dem ganzen Gemeinschaftsgefüge. Sie kämpft nicht um eine möglichste Freiheit vom Staat, sondern um die christliche Lebensgemeinschaft der völkischen Gemeinschaft als solcher.

80 Vgl. Luks, Halem, 49.

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Sie kämpft für den Staat selbst, indem sie um die Legitimität seiner Staatsinhalte kämpft.“ (II, 269)

Im letzten Punkt wird ersichtlich, dass die vorher klar bestimmte Unterscheidung nicht bedeutete, dass es zu keiner Interaktionsmöglichkeit der Kirche innerhalb des Staates kommen konnte. Gerstenmaier fixierte die gesellschaftliche Grenze staatlichen Handelns dort, wo sich der Staat nicht mehr an sein Integrationszentrum gebunden wisse, wo er sich „selbst absolut setzt“ und „seine eigene Gemeinschaft nicht mehr schützt, sondern gefährdet und verletzt“ (II, 267). Wenn es dadurch nun zu einem „staatlichen Verderben des Volkes“ komme, so dürfe die Kirche diesem Sachverhalt nicht „teilnahmslos und tatenlos“ gegenüberstehen, sondern müsse sich an ihren öffentlichen Auftrag gebunden fühlen und selbst handeln, da sie andernfalls ihren Dienst verraten würde und nicht mehr Kirche Jesu Christi sei. Obwohl der Theologe den beschriebenen Kampf nicht als einen politischen, sondern als einen „seelsorgerliche[n] Dienst der Kirche an dem Staat und der völkisch-staatlichen Gemeinschaft“ (II, 269) zu fassen versuchte, so gipfelten seine Handlungsmaßnahmen doch in der Forderung: „Wo immer um die Schöpfung Gottes, um ihren Bestand gekämpft wird, dort hat die Kirche die Waffen zu segnen und mitzukämpfen.“ (II, 270) Jener Kulmination in den Bedingungen der ecclesia militans ist in Gerstenmaiers theologischer Betrachtung jedoch wenig bis keine Präferenz zuzuweisen, sondern eher der Betonung eines karitativen Duktus’ für den kirchlichen Handlungsspielraum im Rahmen des Staates. Als dessen bedingungsloser Ausgangspunkt des Dienstes, des wahrhaft kirchlichen Handelns in der Welt, galt für Gerstenmaier die Liebe Jesu Christi, aus welcher der seelsorgerische Anspruch für die Kirche auf der Grundlage ihres Integrationszentrums entsprang. Das der Kirche aufgetragene Wort forderte eben auch ihre Tat. „Sie verkündigt nicht nur mit dem gesprochenen Wort, sondern auch mit dem schweigenden Tatwort der Liebe“ (II, 271), welches ebenso mit entsprechender Handlung zu interpretieren ist. Da der Staat nach Gerstenmaier nicht auf die Seele seiner Menschen verzichten könne, um seine Ziele zu verwirklichen und die Kirche die Seele der Menschen unter die Herrschaft Jesu Christi rufe (vgl. II, 275), war der Kampf um die Öffentlichkeitsgeltung der Kirche darum ein „Kampf um die Seele des Volkes für Christus, aber eben deshalb nicht Machtwille, sondern Liebeswille.“ (II, 276) Daraus wird deutlich, dass es Gerstenmaier um die Wahrung der kirchlichen Eigenständigkeit und die Freiheit des kirchlichen Bekenntnisses ging. Damit weitete er in seinem Ansatz nicht nur die klassische Aufgabe des von Luther skizzierten Wächteramtes der Kirche über den Staat aus,81 sondern gab auch eine theologische Begründung dafür, dass bei ihm jegliche völkischtheologische Abwandlung der göttlichen Trinität hin zu anderen Konstella81 Zu Luthers Obrigkeitsverständnis und dem kirchlichen Auftrag im Wächteramt vgl. Stegmann, Auffassung, 454–500.

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tionen, die politische Nutzbarmachung von theologischen Termini82 oder auch die Verankerung von NS-Ideologie im Kirchenrecht – bspw. in der Form des Arierparagraphen und des Führerprinzips – keine Zustimmung finden konnten.83 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Gerstenmaiers systematische Bemühung, das Werk der Kirche als die neue Schöpfung, als Handlungsauftrag im Diesseits zu beschreiben, stets vor der Vollendung der Schöpfung unter dem „souveräne[n] Machtakt Gottes“ (II, 278) stand. Dabei fokussierte er sich nicht – wie in seiner Dissertation – lediglich auf den ersten Glaubensartikel, sondern nahm alle drei in den Blick, um jene vollendete Schöpfung im kommenden Reich Gottes zu fassen: „Weil wir aber aus dem Wort seiner Schöpfung und der Offenbarung seines Christus und ihrer Bezeugung als Wahrheit im Heiligen Geist wissen, daß von ihm und durch ihn und zu ihm alle Dinge sind, trachtet seine Kirche nach dem kommenden Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, in dem ihr die vollendete Schöpfung gewiß ist.“ (II, 285)

Dieses Zitat aus dem letzten Kapitel seiner Habilitationsschrift lässt Gerstenmaiers theologischen Ansatz in einem kirchlichen Handlungsauftrag im Diesseits kulminieren. Seine leidenschaftliche Bindung daran und sein daraus resultierendes Engagement auf den Schnittstellen von Kirche und Staat muss an jenem theologischen Maßstab der vollendeten Schöpfung gespiegelt werden, um das Denken und Handeln des aus Kirchheim unter Teck stammenden Theologen fassen zu können. Nicht nur seine religiöse Genese ist vor diesem Hintergrund in Bezug auf die ihn bestimmenden intrinsischen Korrelationen zu beachten, sondern eben auch seine wissenschaftlichen Ansätze, seine Theologie.

3.3 Vikariat in Gaildorf Obwohl Gerstenmaier noch im Rahmen seines Abiturs die zeitgemäße Notwendigkeit des Pfarrberufes beschrieb und somit seine beruflichen Vorstellungen skizzierte, entfernte er sich im Laufe seines Studiums mehr und mehr davon, einer Gemeinde als Pfarrer vorzustehen.84 Er wurde dennoch Theologe. Der Theologie fühlte er sich als Geisteswissenschaftler verbunden und strebte in Brunstäds Vorbild und Tradition eine akademische Laufbahn an.85 Bereits seit Sommer 1935 bestand zwischen ihm und dem Leiter des Kirchlichen Außenamtes (KA) der DEK in Berlin, Theodor Heckel, ein reger Kontakt. Im 82 83 84 85

Vgl. Schirrmacher, Kriegsreligion, 113–346. Zu seinem aktiven Handeln in Umsetzung dessen vgl. Kapitel 2.3. Vgl. dazu Kapitel 2.2. Vgl. dazu Kapitel 3.4.

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KA verbanden sich für Gerstenmaier mehrere Perspektiven nach dem Abschluss des Studiums: auf der einen Seite waren es die beruflichen Erfahrungen im kirchenpolitischen und -diplomatischen Umfeld der Institution, die ihn im Hinblick auf seine theologischen Interessensfelder reizten, und auf der anderen Seite war es die ihm von Heckel zugesagte Möglichkeit, seine eigenen akademischen Vorstellungen weiterhin zu verfolgen und umzusetzen, die ihn letztlich überzeugte von Rostock nach Berlin wechseln zu wollen.86 Trotz jener beruflichen Perspektiven in Berlin fühlte sich Gerstenmaier seiner württembergischen Landeskirche stark verbunden. Bereits am 7. September 1934 schrieb er an den EOKR in Stuttgart, dass er aus Gründen der ihm entgegengebrachten Unterstützung „in der Kirche meiner Heimat […] dienen“87 wolle. Gerstenmaier intendierte mit seinem mecklenburgischen Abschluss in den württembergischen Kirchendienst aufgenommen zu werden. Auch wenn er noch im Juli 1935 an Schreiner schrieb, dass er mit dem EOKR überein gekommen war, ihn in die Liste der Pfarramtsbewerber aufzunehmen,88 favorisierte er den Dienstantritt bei Heckel in Berlin mit einer Beauftragung seiner Landeskirche dafür.89 Aus mehreren Briefen zwischen Heckel, Gerstenmaier und dem EOKR geht hervor, dass es bereits während Gerstenmaiers Examensphase in Rostock eine mündliche Absprache mit dem württembergischen Landesbischof Theophil Wurm über eine mögliche Dienstverpflichtung Gerstenmaiers durch Stuttgart für das KA in Berlin gegeben hatte.90 Im Rahmen eines Glückwunschschreibens des EOKR zu Gerstenmaiers erfolgreich abgelegter ersten theologischen Dienstprüfung wurde sogleich unterstrichen, dass es keine Einwände gegen eine Beschäftigung beim KA gäbe, er jedoch erst zum „anständigen Geistlichen Württembergs“ ordiniert werden könne, wenn er „eine anständige Stelle im württ. Kirchendienst zugewiesen“91 bekommen habe. Das Vikariat konnte Gerstenmaier demnach nicht umgehen, wenn er in Württemberg ordiniert werden wollte. Wurm betonte in einem Brief an Heckel vom 7. November 1935 darüber hinaus, dass es ihm „im Blick auf die weitere Entwicklung des jungen Amtsbruders“ notwendig erschien, ihn „für einige Zeit ganz in den Kirchendienst einzustellen.“ Zudem argumentierte er weiter: „Es wäre schade, wenn er nicht im Alltagsdienst des Pfarrers die Schranken kennen lernen würde, deren auch der be86 Vgl. dazu Kapitel 4.1.2 und 4.2. 87 Brief Gerstenmaiers an den EOKR Stuttgart vom 7. 9. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1; und EZA 2/P14). 88 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 12. 7. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 89 Vgl. die Korrespondenz mit Heckel in der zweiten Jahreshälfte 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 90 Vgl. Brief Heckels an Gerstenmaier vom 24. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 2); Brief Gerstenmaiers an EOKR vom 26. 10. 1935 (EZA 2/P14); und Brief Heckels an Wurm vom 4. 11. 1935 (EZA 5/3330; und EZA 2/P14). 91 Brief EOKRs an Gerstenmaier vom 31. 10. 1935 (EZA 5/3330; und EZA 2/P14).

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fähigtste Theologe inne werden muss, wenn er ein Diener Christi und seiner Kirche und nicht bloss eine kirchliche oder wissenschaftliche Leuchte werden soll.“92 Wurm, der Gerstenmaier bereits gut durch dessen lokales Engagement im Umkreis des sogenannten Pfarrernotbundes kennengelernt hatte, wollte den jungen Theologen nicht direkt für den kirchendiplomatischen Dienst im Auftrag der württembergischen Landeskirche freistellen, wenn er nicht zuvor grundlegende pfarramtliche Einblicke in eine württembergische Gemeinde genommen hatte. Somit kam das Vikariat in den Blick. Auch Heckel unterstützte Wurm schließlich in seiner Bedingung, bat ihn jedoch auch sogleich um eine Verkürzung von Gerstenmaiers zu leistenden Vikariates auf ein Vierteljahr.93 Da Wurm in ein verkürztes Vikariat schließlich einwilligte und dem jungen Theologen auch versprach, ihn „rechtzeitig nach Berlin ziehen zu lassen“94, beantragte Gerstenmaier seine Ordination in den württembergischen Kirchendienst. Damit schien sein Verhältnis zur württembergischen Landeskirche eine „klare Basis“95 zu bekommen. Am 16. November 1935 erging der Erlass des EOKR zu Gerstenmaiers Ordination an das Dekanatamt Kirchheim unter Teck.96 Direkt am Folgetag wurde er dann im Rahmen eines Vormittagsgottesdienstes in der Kirchheimer Hauptkirche, der Marktkirche, „als Diener der evangelischen Kirche“97 auf die lutherischen Bekenntnisse ordiniert.98 Ab dem 22. November 1935 hatte er in der Kleinstadt Gaildorf, einem früheren württembergischen Oberamtsstädtchen gute 60 km von Stuttgart entfernt, als Stadtvikar Dienst zu tun.99 Gemeinsam mit dem den Kirchenkreis verwaltenden Dekan Martin Strebel bildete er nun die evangelische Geistlichkeit der Stadt. Nach Gerstenmaiers Erinnerungen bot die Stadt das „Bild der heilen Welt“100. Die Gemeinde war „herkömmlich kirchlich“101 – also pietistisch – geprägt und die Menschen beschrieb er als „schaffige Leute“102, die vor allem Autoritäten achteten. Zu seinen festen Aufgaben in Gaildorf gehörten vor allem katechetische Dienste. So hatte er nicht nur den Religionsunterricht an der Volksschule zu leiten, sondern oftmals auch den Konfirmandenunterricht sowie die sonntägliche Christenlehre für Jugendliche nach dem Gottesdienst, 92 Brief Wurms an Heckel vom 7. 11. 1935 (EZA 5/3330). 93 Vgl. Brief Heckels an Gerstenmaier und Wurm vom 12. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; EZA 5/3330; und EZA 2/P14). 94 Brief Gerstenmaiers an Heckel 15. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; und EZA 5/3330). 95 Ebd. 96 Vgl. Erlass des EOKR an Dekanatamt vom 16. 11. 1935 (EZA 2/P14). 97 Verpflichtungsurkunde Gerstenmaiers vom 17. 11. 1935 (EZA 2/P14). 98 Vgl. Notiz des Dekanatamts Kirchheim unter Teck an EOKR vom 17. 11. 1935 (EZA 2/P14). 99 Vgl. Brief EOKRs an Heckel vom 18. 11. 1935 (EZA 5/3330; und EZA 2/P14). 100 Gerstenmaier, Streit, 68. 101 Ebd. 102 Ebd.

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die die Konfirmation bereits abgeschlossen hatten. Retrospektiv stellte er fest: „Mich reizte das Gespräch mit dieser Jugend.“103 Die Jugendarbeit schien ihm ebenso große Freude zu bereiten wie seine homiletischen Aufgaben. In den sonntäglichen Predigten, die er zumeist dann am nächsten Montagmorgen bei ausgedehnten Spaziergängen mit dem Dekan kritisch besprach,104 konnte Gerstenmaier das umsetzen, was er bei Schreiner im Seminar gelernt hatte. Seine zahlreichen Verpflichtungen forderten ihn sehr und erlaubten ihm wenig Freizeit. In einem Brief an eine Freundin aus Rostock vom 5. März 1936 skizzierte er: „Der letzte Sonntag war [eine] grosse Sache. Ich hatte hier den ganzen Dienst, einen außerordentlich starken Kirchenbesuch, einen schwierigen Text, der mich bis zum Sonntag morgen am Schreibtisch festgehalten hatte, dann Taufen, Christenlehre […].“105 Der Dekan forderte und förderte ihn entsprechend. Eine Predigt über 1. Kor. 1, 23–31 vom 22. März 1936 muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, da sie zeigt, wie deutlich er den Handlungsauftrag aus seinem theologischen Ansatz betonte und in die Praxis des gelebten Glaubens transferierte. Bereits in der Einleitung sagte er: „Wer im Kampf der Meinungen, Weltanschauungen und widerstrebenden Gewalten sich behaupten will, der muss wissen, was er will und wo er hingehört.“106 Durch den Blick auf die großen Vertreter des Christentums (Stephanus und Paulus) versuchte er die Herausforderung des Glaubens zu beschreiben, um letztlich dazu aufzufordern: „Ach, liebe Gemeinde, lasst uns in den kommenden Kämpfen unseres Volkes und unserer Kirche enger zusammenstehn! Lasst uns die Reihen schliessen und wenn es sein muss, wie die Väter gemeinsam Gut und Blut und Ehre wagen für Christus und Deutschland! Lasst uns Mann für Mann und Frau für Frau mit dem deutschen Zeugen Jesu Christi, mit Martin Luther bekennen: […].“107

Damit lässt sich nicht nur sein theologischer Ansatz praktisch belegen, sondern auch seine klare theologische Positionierung hin zur BK und gegen die deutschchristliche Theologie. Es zeigt sich, dass er seinem Einsatz für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche auch während seines Vikariates treu blieb. Auf dieser Grundlage kam es auch zu Konflikten mit dem örtlichen Kreisleiter der NSDAP, der Gerstenmaier nicht allein schon dafür verurteilte, weil er als Vikar zu den „überstaatlichen Mächten“108 gehörte und somit durch den Nationalsozialismus bekämpft werden müsse, sondern auch dafür, weil er schon einmal wegen Ungehorsam verhaftet worden war109 und ihn dieser Sachverhalt per se verdächtig mache.110 103 104 105 106 107 108 109

Ebd. Vgl. ebd., 69. Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 5. 3. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Predigt Gerstenmaiers vom 22. 3. 1936 in Gaildorf (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). Ebd. Gerstenmaier, Streit, 68. Vgl. Kapitel 2.3.5.

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Über die zu leistenden katechetischen und homiletischen Aufgaben hinaus hatte Gerstenmaier während seiner Zeit in Gaildorf Krankenhausseelsorge im örtlichen Bezirkskrankenhaus zu leisten. Jene seelsorgerischen Aufgaben in Form von Gesprächen am Krankenbett bildeten für ihn eine besondere Herausforderung. Die Kranken begehrten „für ihre bedrängte Seele [Trost], den ich unerfahrener junger Mann, ich reflektierender, mental gestimmter Intellektueller aus eigenem gar nicht zu bieten vermochte.“111 Die Bibel und das Gesangbuch wurden ihm während dieser Lebensphase eine große Hilfe. Er schien auch einen neuen, ganz praktischen Zugang dazu zu bekommen. Obwohl er sich primär als schlichter Bote verstand, was sogleich eine Befreiung für ihn war,112 lässt sich die Aufgabe im Krankenhaus auch als Bereicherung für ihn beschreiben. So schwer die Hürde der Seelsorge auch war, so intensiv gestaltete sich der Kontakt zu den Diakonissen im Krankenhaus. Weit über seine Zeit in Gaildorf hinaus blieb er mit ihnen brieflich im Kontakt und berichtete über seinen Alltag im KA.113 Am 28. Mai 1936 schrieb er den Schwestern aus Berlin im Hinblick auf seine Gaildorfer Zeit, dass er „unmittelbare lebendige Erinnerungen“ an die Kleinstadt und seine dortigen Aufgaben habe, „die einem hier den Rücken streifen und die Klingen schärfen.“114 Dies zeigt, wie ihn die kurze Zeit des Vikariates anscheinend trotzdem menschlich prägte. Ursprünglich war mit dem EOKR vereinbart worden, dass Gerstenmaier bis zum 15. Februar 1936 in Gaildorf Dienst zu leisten habe.115 Absprachegemäß beantragte Heckel am 11. Februar 1936 die Beurlaubung Gerstenmaiers für die Mitarbeit im KA. In jenem Brief betonte er sogleich, dass Gerstenmaiers neue Aufgabe in Berlin auch für die württembergische Landeskirche ein Gewinn von besonderer Möglichkeit sei.116 Damit deutet Heckel die funktionale und strategische Rolle Gerstenmaiers für Wurm in Berlin bereits an. Der EOKR sagte darauf hin zwar die Finanzierung der gerstenmaierschen Stelle zu großen Teilen zu,117 jedoch teilte er auch mit, dass Gerstenmaier erst zum 15. April 110 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 68. Der Kreisleiter machte keinen Hehl daraus, dass er politisch von Gerstenmaier nichts hielt. Auf Nachfrage des SD im Sommer 1941 zu Gerstenmaiers politischer Glaubwürdigkeit, schrieb der Kreisleiter in Folge einer persönlichen Diffamierung: „Gerstenmaier ist also mit aller Vorsicht zu genießen.“ (Vgl. Brief SD an AAvom 27. 8. 1941. In: PAAA, R 98797). 111 Gerstenmaier, Streit, 70. 112 Vgl. ebd. 113 Vgl. bspw. Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936; Brief der Gaildorfer Schwestern an Gerstenmaier vom 3. 5. 1936; und Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 12. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 114 Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 115 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Heckel 15. 11. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; und EZA 5/3330). 116 Vgl. Brief Heckels an EOKR vom 11. 2. 1936 (EZA 5/3330; und EZA 2/P14). 117 Vgl. Vermerk KA vom 14. 2. 1936 (EZA 5/3330). In einem Brief an Gretel vom 5. 3. 1936 (ACDP,

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1936 beurlaubt werden könne und bis dahin noch in Gaildorf zu wirken habe.118 Nicht nur Heckel brachte sein Bedauern über die Verzögerung zum Ausdruck,119 sondern auch Gerstenmaier reagierte heftig. Obwohl es ihm in Gaildorf gefiel, schrieb er zum einen am 5. März 1936 an eine Freundin aus Rostock: „Ich habe wieder Hunger nach strenger wissenschaftlicher Arbeit“120 und betonte damit, dass ihm die gesammelten pfarramtlichen Erfahrungen in Gaildorf ausreichten. Zum anderen schrieb er am 15. März 1936 in Ungeduld auf Berlin an seinen Freund Wilhelm Bachmann, dass sein „Schicksal bis zum 15.4. besiegelt“ sei und er dann endlich von dem „Kuhdorf“121 weg nach Berlin könne. Damit brachte er schon fast eine Art Verbitterung über die Kommunikation und letztliche Entscheidung des EOKR zum Ausdruck. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Gerstenmaier während seines verkürzten Vikariates von knapp fünf Monaten die Theologie als eine praktische Wissenschaft kennenlernte.122 Er konnte sowohl in den zwischenmenschlichen Bereichen der Seelsorge und religiösen Kommunikation dazulernen123 als auch in seiner homiletischen Entfaltung theologisch der „barthianischen Verseuchung“124 weiter entgegen treten. Damit übertrug er die Gedanken aus seiner wissenschaftlichen Arbeit weitestgehend auf die Praxis und lernte nicht nur als Theologe zu handeln, sondern eben auch als Pfarrer.

3.4 Kampf um die Dozentur Schon während des Studiums fand Gerstenmaier vor allem in den systematisch-theologischen Seminaren bei Brunstäd und auch innerhalb der Instan-

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Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) schrieb Gerstenmaier dazu: „Mit Berlin sind entsprechende finanzielle Abmachungen, die zugleich mein beamtenrechtliches Verhältnis günstig gestalten, getroffen.“ Vgl. Brief EOKR an KA vom 19. 2. 1936 (EZA 5/3330; und EZA 2/P14). Die Mitteilung an das Dekanatamt Gaildorf erfolgte gut einen Monat später (vgl. Brief EOKR an Ev. Dekanatamt Gaildorf vom 10. 3. 1936. In: EZA 5/3330; und EZA 2/P14). Vgl. Brief Heckels an EOKR vom 27. 2. 1936; und Brief Heckels an Gerstenmaier vom 27. 2. 1936 (EZA 5/3330). Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 5. 3. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 15. 3. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). Vgl. Gerstenmaier, Streit, 69. In einem späteren Brief an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) resümierte Gerstenmaier dazu: „Die kleine Stadt bot kaum eine Möglichkeit der inneren und äusseren Entfaltung. Aber mit großer Dankbarkeit denke ich an die Menschen, denen ich dabei hin und wieder begegnet bin und mit denen mich ein starkes Überpersönliches verbunden hat.“ Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 15. 3. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1).

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zen der studentischen Selbstverwaltung große Freude daran, anderen Kommilitonen Wissen und wissenschaftliche Methoden zu vermitteln. In Bezug auf zwei theologische Arbeitsgemeinschaften, die er als Fachschaftsvorsitzender organisiert hatte, schrieb er in seinem Semesterbericht vom Mai 1934 an die SdDV: „Ich gestehe, dass ich gern doziere. Ich kann schliesslich nicht anders.“ Zudem berief er sich auf ein Gedicht Goethes, in dem es hieß: „Wozu such ich den Weg so sehnsuchtsvoll, wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll.“125 Daraus lässt sich schließen, dass Gerstenmaier bereits recht früh seine Leidenschaft für das Dozieren entdeckte und dieser dann auch stetig nachging. Vor allem sein Lehrer Brunstäd förderte und forderte ihn dabei. Der Systematiker übertrug Gerstenmaier während seiner Seminare immer wieder leitende Verantwortung126 und unterstützte somit die Entwicklung seiner Hochschullehrerpersönlichkeit nachhaltig. Er begleitete Gerstenmaier zudem während seiner theologischen Examensarbeit/Dissertation intensiv127 und schieb ihm nach der Lektüre jener Arbeit am 30. Juli 1935: „Den Vogel der Missfälligkeit haben Sie mit Ihren 183 Seiten abgeschossen. Oh das ist ja beinahe eine chinesische Literatur. Immerhin hat mich Ihr Inhalt mit der 125 Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom Mai 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/1). Gerstenmaier zitierte den Vers aus Goethes Gedicht nicht ganz korrekt. Er heißt richtig: „Warum sucht’ ich den Weg so sehnsuchtsvoll, wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll.“ (Goethe, Werke, Bd. 1, 151). 126 Vgl. Kapitel 2.2.2. 127 Vgl. dazu vor allem die briefliche Korrespondenz zwischen den beiden (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). Gerstenmaier wurde darüber hinaus auch von Schreiner intensiv begleitet (vgl. dazu auch die briefliche Korrespondenz zwischen Gerstenmaier und Schreiner in: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Gerstenmaier berichtete Schreiner im Prozess der Genese seiner Arbeit immer wieder von seinen Fortschritten und holte sich auch Rat bei Herausforderungen ein, wie bspw. in einem Brief vom 28. 5. 1935 (Ebd.): „Ich pumpe wie ein Maikäfer das gegenwärtig auch tun würde, aus Leibeskräften, um den Gipfel, soweit er halt für meine schwachen Kräfte erreichbar ist, anzufliegen. Soll heissen: ich will die Grundgedanken meiner ,Geistlehre‘ als 3. Teil an den Schluss meiner Arbeit setzen. Mein 1. Teil ist fertig. Er würde wohl ausreichen als Examensarbeit, aber das befriedigt nicht.“ Neben seinen Professoren besprach er sich auch mit einigen Kommilitonen. Aus einem Brief an Bachmann vom 10. 7. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) geht bspw. hervor, wie er während der Abfassung der Arbeit auf der einen Seite an seine religiösen Grenzen stieß und auf der anderen Seite auch die Wissenschaft in den diesseitigen Erkenntniszusammenhängen von Gottes Schöpfung hinterfragte: „Der Glaube ist ja wirklich ein Wagnis. Wenn nicht nur das Wort so heruntergewirtschaftet wäre. Ich bin in einem sehr gemischten Gefühl ausgeliefert, das zwischen Ironie, Schmerzhaftigkeit, Resignation variiert. Was ist unsere ganze Wissenschaft! Ein schwankendes Schiffchen! Ich verstehe immer weniger, warum sich die Leutchen in unserem Laden nur so die Haare herausreissen, über Dinge, von denen wir vielleicht nur wissen können, dass wir nichts Eigentliches über sie aussagen können. – Meine Arbeit ist im Positiven wohl nur ein stottern von Geheimnissen, darüber hinaus eine neue Bezeugung des Primates der ,praktischen Vernunft‘. Siehe mein lieber, was können wir schon von Raum und Zeit, Erbsünde und Trinität aussagen! […] Alles kommt an seine Grenzen. Wie ein gähnendes, alles verschlingendes Gespenst habe ich immer wieder die Wahrheit des Satzes erfahren: Omnis determinatio est negatio.“

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Länge versöhnt. Schliesslich sind Sie ein Unicum, und da darf das Ihre Arbeit auch sein. […] In mancher Hinsicht haben Sie sich selbst übertroffen.“128

Der Brief und auch die Bewertung von Gerstenmaiers Arbeit mit dem Gesamturteil „ausgezeichnet“129 zeigen, welche Erwartungen der Lehrer in seinen Schüler setzte. Auf der inhaltlichen Grundlage seiner Dissertation130 wurde Gerstenmaier durch Brunstäd weiter gefördert und auch dazu angehalten, eine Habilitationsschrift anzufertigen sowie eine wissenschaftliche Laufbahn anzustreben.131 Parallel zu seiner Dienstzeit im KA132 und unter dem Wohlwollen von Heckel legte Gerstenmaier jene vermutlich bereits 1937 seinem Lehrer vor. Dem späteren Gutachten Brunstäds zu Gerstenmaiers Arbeit ist ein hohes Maß an wissenschaftlichem Lob und persönlicher Wertschätzung zu entnehmen.133 Der Denkstil und auch die Sprache seien „lebendig und ansprechend und bekunden eine umfassende philosophische weltanschauliche Bildung und ursprüngliche wirklichkeitsnahe Geistigkeit.“134 Auch Friedrich Büchsel lobte in seinem Zweitgutachten Gerstenmaiers „wirklich ungewöhnliche Kraft systematischen Denkens.“135 Gerstenmaier habe mit seiner Schrift bewiesen, dass „er in die akademische Arbeit gehört und für die Bildung der theologischen Jugend erhebliches zu leisten im Stande ist.“136 Der Weg zu einem eigenen Lehrstuhl gestaltete sich für Gerstenmaier im NS-Staat jedoch schwer. Unmittelbar nach der Machtübernahme vom 30. Januar 1933 transferierten die Nationalsozialisten ihre Gleichschaltungsansprüche und Umgestaltungsvorhaben zügig auf die Bildungspolitik.137 Dem neu gegründeten Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) wurden unter Reichsminister Bernhard Rust am 1. Mai 1934 alle Befugnisse und Gestaltungsspielräume über das deutsche Bildungswesen übertragen. Damit wurde Rust auch der Auftrag zur Neugestaltung des deutschen Hochschulwesens erteilt. Da die Hochschullehrerschaft 128 Brief Brunstäds an Gerstenmaier vom 30. 7. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 129 Ebd. 130 Zu den theologischen Inhalten der Dissertationsschrift vgl. Kapitel 3.1. 131 Vgl. dazu ein Rechtsgutachten Rudolf Reinhardts vom 23. 8. 1963, welches u. a. auf einem ausführlichen Interview mit Gerstenmaier und der Auswertung von zahlreichen Akten beruhte (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-029/1). 132 Vgl. dazu Kapitel 4. 133 Zu den theologischen Inhalten der Habilitationsschrift vgl. Kapitel 3.2. 134 Habilitationsgutachten Brunstäds für Gerstenmaier von vermutlich 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 135 Habilitationsgutachten Büchsels für Gerstenmaier vom 12. 5. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 136 Ebd. 137 Zum Anpassungsdruck und zur Anpassungsbereitschaft innerhalb der nationalsozialistischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik vgl. Gr ttner, Wissenschaft, 143–165; Titze, Hochschulen, 209–258; Heiber, Universität, 3 Bde.; und Vossen, Systemwechsel, 19–27. Im besonderen Hinblick auf die Theologischen Fakultäten vgl. Rendtorff, Wissenschaftsverständnis, 19–43; und Wolgast, Hochschulpolitik, 45–79.

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ideologisch in Lehre und Forschung nun schwer kontrollierbar und den neuen Machthabern somit suspekt war, trat bereits am 13. Dezember 1934 eine neue Reichshabilitationsordnung als Instrument einer – im nationalsozialistischen Sinne wirksamen – Personalsteuerung und -erneuerung in Kraft. Die Fakultäten wurden im Hinblick auf ihre rechtlichen Möglichkeiten bei den Lehrstuhlbesetzungen entmachtet und „radikal umgestaltet“138, da sie fortan nur noch bereits promovierten Kandidaten den „akademischen Grad des habilitierten Doktors oder Lizentiaten seines Faches (beispielsweise Dr. med. habil, Lic. theol. habil.)“139 verleihen konnten. Das Entscheidende für eine Dozentur, die Lehrbefugnis, konnte nur noch der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erteilen.140 Zudem wurde neben bestehenden öffentlichen Lehrproben auch die verpflichtende Teilnahme an einem Gemeinschaftslager und einer Dozentenakademie als festes Element in das Auswahlverfahren zur Prüfung und Bewährung von neuem wissenschaftlichen Personal hinzugefügt.141 Am Ende jener beiden Lager – oft zusammen auch Dozentenlager genannt – wurden Persönlichkeitsexpertisen über die Absolventen erstellt, die ein erhebliches Gewicht bei der Beurteilung der gesamten Habilitationsleistung hatten.142 Der öffentlichen Begründung zufolge sollten dadurch die vermeintlich „volksfremden Stubengelehrten“ und auch „schwächlichen Papierseelen“143 von den Hochschulen ferngehalten werden. Freilich dienten diese mehrwöchigen Dozentenlager sowie auch das gesamte neustrukturierte Habilitationsverfahren vor allem der ideologischen Überprüfung der potentiellen Lehrstuhlinhaber. Damit war für den Erhalt einer Lehrbefugnis nicht mehr ausschließlich die fachliche Kompetenz ausschlaggebend, sondern auch die politische und ideologische Kompatibilität mit dem NS-Regime. Anzumerken ist an dieser Stelle noch, dass sich die verschiedenen Träger der nationalsozialistischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik in ihren Zuständigkeits- und Entscheidungsbereichen zumeist überschnitten. Neben dem REM sind als bedeutendste Akteure auch der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund (NSDDB)144, die Hochschulkommission der NSDAP145 und die Abteilung Wissenschaft im Amt Rosenberg146 zu nennen, die innerhalb der Neustrukturierung der Bildungs- und Wissenschaftsland138 Kluge, Universitäts-Selbstverwaltung, 100. 139 §2 Reichshabilitationsordnung (UAR, 2.03.2, Gers, E; und Amtsblatt, Reichshabilitationsordnung, 12–14). 140 Vgl. §9 Reichshabilitationsordnung (ebd.). 141 Vgl. §10–12 Reichshabilitationsordnung (ebd.). 142 Zur Konzeption der NS-Dozentenlager vgl. Losemann, Konzeption, 87–109; und Ders., Reformprojekte, 99–116. 143 Titze, Hochschulen, 232. 144 Zur Struktur, den Rechten und Pflichten des NSDDB vgl. Nagel, Schrecken, 115–132. 145 Zur Hochschulkommission der NSDAP vgl. Kçnig, Hochschulkommission, 184–213. 146 Zu jener 1934 eingerichteten Dienststelle für Kultur- und Überwachungspolitik Rosenbergs als „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ vgl. Bollmus, Amt.

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schaft maßgeblich mitwirkten sowie über mögliches Personal mitzubestimmen hatten.147 Bei aller Fokussierung auf seine Habilitation hatte sich Gerstenmaier auf dieser neu implementierten Grundlage im Hochschulrecht so auch einem Dozentenlager der NS-Machthaber parallel zu seiner Beschäftigung beim KA zu stellen, um schließlich Probevorlesungen halten zu können und letztlich eine Lehrbefugnis durch Reichsminister Rust erteilt zu bekommen. Im Rahmen dieses primär formalen Vorgangs um jene Erteilung der Venia Legendi waren im Zuge des bereits genannten Ämterchaos’ zahlreiche Akteure und Institutionen involviert. Obwohl zu Gerstenmaiers besonderem Fall eine sehr große Fülle an überliefertem Aktenmaterial aus verschiedenen Archiven vorliegt, kann der Prozess um seine schließlich nicht erteilte Lehrbefugnis nicht lückenfrei rekonstruiert werden. Der Spagat zwischen der einzuhaltenden Formalia, den subjektiven Einschätzungen sowie den entsprechenden Entscheidungen spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die gemeinsamen Schnittmengen aus den drei Bereichen, um das Handeln der entscheidenden Protagonisten nachvollziehen zu können. Gerstenmaier war gewillt, allen formalen Schritten hin zu einer Dozentur zu entsprechen. Da die Absolvierung eines Dozentenlagers unbedingte Voraussetzung für den Erhalt einer solchen war und die Zulassung dazu jedoch zumeist vom Wohlwollen der nationalsozialistischen Machthaber abhing,148 benötigte Gerstenmaier Fürsprecher, die für ihn warben und eine Zulassung bewirken konnten. Brunstäd hatte bereits am 16. September 1937 im Namen der Rostocker Fakultät Gerstenmaiers Aufnahme zu einem Dozentenlager beim REM beantragt und in dem Brief auch mitgeteilt: „Die Fakultät hat keinerlei Bedenken, an der wissenschaftlichen Befähigung Gerstenmaiers ist nicht zu zweifeln.“149 Seinen maßgeblichen Fürsprecher fand Gerstenmaier jedoch in Hans Koch, seines Zeichens ordentlicher Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Breslau und Direktor des Osteuropa-Instituts, der gegen Ende 1937 eine Dozentenakademie leiten sollte. Da Koch ein enger Freund Heckels war, griff Gerstenmaier auf seinen Arbeitgeber zurück. „Heckel bat ihn, meine Einberufung zum gleichen Lager zu veranlassen.“150 Obwohl Koch schließlich selbst an dem Dozentenlager wegen Krankheit nicht teilnehmen konnte, erreichte er dennoch Gerstenmaiers Zulassung. Vom 4. bis 30. Oktober 1937 nahm Gerstenmaier an einem Dozentenlager auf Schloss Tännich bei Rudolstadt in Thüringen teil.151 51 junge Dozenten und Habilitanden aller Fakultäten standen während dieser Zeit unter der 147 148 149 150 151

Zum Ämterchaos vgl. Gr ttner, Wissenschaft, 143–146. Vgl. Losemann, Reformprojekte, 104–106; und Hinz, Auslese, 55–58. Brief Brunstäds an das REM vom 16. 9. 1937 (UAR, 2.03.2, Gers, E). Gerstenmaier, Streit, 99. Vgl. Gerstenmaiers Dienstleistungszeugnis für Teilnahme an Dozentenlager in Tännich (EZA 2/P46); und Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 2. 10. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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Obhut von SA-Obersturmbannführer Willi Grundig, der das Gemeinschaftslager leitete, und dem in Königsberg Psychologie lehrenden Friedrich Plattner, der die Leitung der Dozentenakademie inne hatte. Jeder Teilnehmer musste während dieser Zeit freie Vorlesungen aus seinem Fachgebiet ohne Hilfsmittel halten, über die dann im Plenum diskutiert wurde. „Der Mann sollte zeigen, daß er sein Gebiet im Kopf habe.“152 Dazu waren drei Themen einzureichen, aus denen Plattner am Tag vor dem Auftritt eines auswählte. Der Dozentenakademieleiter bestimmte für Gerstenmaier das Thema „Die Lehre von der Erbsünde“, welches wohl zu den anspruchsvollsten Themen der Systematischen Theologie gehört. Gerstenmaier schrieb in seinen Erinnerungen über die freie Vorlesung, dass er über die Geschichtlichkeit des Menschen gesprochen und einen „Abriß der christlichen Anthropologie in der Konfrontation mit dem aufgeputzten, unwirklichen und unwahren, damals gängigen heroischen Menschenbild“153 gegeben habe. Damit schloss er inhaltlich klar an seine Habilitationsschrift an und ging auch zur Völkischen Theologie der DC in Abstand. Obwohl Gerstenmaier der einzige evangelische Theologe auf Tännich war, gab es auch Diskussionen über religiöse und kirchenpolitische Themen, bei denen es weniger um den Kirchenkampf an sich, sondern eher um die Zukunft des Christentums ging. Dabei stand die von vielen Nationalsozialisten propagierte Deutschgläubigkeit im Vordergrund.154 Dass Gerstenmaier trotzdem am organisatorischen Ablauf des Dozentenlagers, den vielschichtigen wissenschaftlichen Inhalten und auch den kontroversen Diskussionen vor Ort Gefallen fand, belegen zahlreiche Briefe, die er im Anschluss aus Tännich versandte. Beispielhaft seien zwei genannt: Am 12. November 1937 schrieb er den Diakonissen im Gaildorfer Krankenhaus und skizzierte darin: „Diese Wochen [im Dozentenlager] waren die schönsten im ganzen Jahr. Ich hatte […] zwar sehr viel Arbeit, aber diese Arbeit war im ganzen doch beglückend schön und dankbar.“155 Ähnlich euphorisch drückte er sich auch in einem Brief vom 19. November 1937 an seinem Freund Wilhelm Pressel aus, in dem er zunächst schrieb, dass er das Dozentenlager mit „gutem Erfolg hinter mich gebracht“ habe. Er konstatierte die Zeit auf Tännich als eine „einzige beglückende Arbeitsmöglichkeit seelsorgerlich-kirchlicher Art“156 und brachte darin sogleich zum Ausdruck, dass ihn nicht nur die wissenschaftlichen Expertisen der Teilnehmenden bereicherten, sondern auch die zwischenmenschlichen. Im Rahmen eines späteren Gerichtsverfahrens sagte Helmut Kaiserling über das Dozentenlager folgendes aus: „Obwohl sich dort schätzungsweise 50 Dozenten befanden, beherrschte Dr. Gerstenmaier geistig weitgehend das 152 153 154 155

Gerstenmaier, Streit, 100. Ebd., 101. Vgl. ebd. Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 12. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 156 Brief Gerstenmaiers an Pressel vom 19. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2).

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Lager. Es kam dort zu sehr scharfen weltanschaulichen Auseinandersetzungen.“157 Dies zeigt, wie sich Gerstenmaier nicht nur entsprechend seiner Passion für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche einsetzte, sondern auch entsprechend seines Naturells Stellung bezog. In seinen Erinnerungen artikulierte Gerstenmaier die Vermutung, dass unter den Teilnehmern auch Gestapo-Spitzel waren, die in steigender Härte immer wieder Kampfpositionen der NS-Ideologie vertraten, jedoch auch am geringeren Intellekt zu erkennen waren.158 Aus diesem Grund bildeten sich auf Tännich „rasch Gruppen Gesinnungsverwandter“159. Zu den Teilnehmern Kurt Kramer und Rudolf Zenker entstand so eine freundschaftliche Beziehung, da alle drei schnell erkannten, „wes Geistes Kind wir waren.“160 Anscheinend wurde innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und auch darüber hinaus auf Tännich offensichtlich, dass Gerstenmaier nicht mit den ideologischen Normanforderungen des NS-Staates konform ging. Zenker bestätigte dies später: „Es war schon dort in unserem Kreise klar erkennbar, dass er gegen den Nationalsozialismus kompromisslos eingestellt war.“161 Diese weltanschauliche Einstellung wurde ihm am Ende des Dozentenlagers zum Verhängnis. Das „taktische Finassieren“162 gegen sein Gewissen schien ihm zu diesem Zeitpunkt noch unmöglich gewesen zu sein. Aus der erstellten Persönlichkeitsexpertise von Plattner und Grundig ist zwar zu entnehmen, dass die beiden Lagerleiter Gerstenmaier auf der einen Seite als „kameradschaftlich“ und „diensteifrig“ charakterisierten, ihn auf der anderen Seite in Bezug auf seine ideologischen und religiösen Einstellungen jedoch nachhaltig verurteilten: „Er hat einerseits eine gewisse positive Einstellung zum Nat.-Soz. [Nationalsozialismus], andererseits aber lehnt er den Nat.-Soz. als Weltanschauung, die sich mit der Protestantisch-christlichen Weltanschauung messen könne, leidenschaftlich ab. Er sieht sozusagen die Möglichkeit einer Lösung des Konfliktes Nat.Soz. – Kirche nur darin, dass der Nat.-Soz. protestantisch wird. G[erstenmaier] ist eine Art ,Gottesstreitfigur‘ und mit der für solche Figuren kennzeichnenden durch nichts zu erschütternden Konsequenz der Haltung ausgestattet. Man wird sich also vor Augen halten müssen, dass Gerstenmaier ein Mann ist, der unter allen Umständen und in jeder Verwendung nicht nur als entschlossener Verteidiger des

157 Vernehmungsprotokoll von Kaiserling vom 11. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210025). 158 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 100 f. 159 Brief Gerstenmaiers an Losemann vom 8. 12. 1978 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-041/ 2). 160 Gerstenmaier, Streit, 100. 161 Vernehmungsprotokoll von Zenker vom 20. 9. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210025). 162 Gerstenmaier, Streit, 102.

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Protestantismus auftreten, sondern dass er auch (und zwar erfolgreich!) für ihn werbend tätig sein wird.“163

Mit dieser fast schon vernichtenden Expertise um Gerstenmaier als eine Art „Gottesstreitfigur“ wird klar, dass er sich auf Tännich für seine akademische Karriere vorwiegend unvorteilhaft verhalten hatte. Da die Begutachtung Gerstenmaier zudem als entschlossenen „Verteidiger des Protestantismus“ skizzierte, stand er durch seine leidenschaftliche Bindung zum Christentum im Widerspruch zu den NS-Machthabern, die die Kirchen durch ihre Politik mehrheitlich versuchten an den Rand der Gesellschaft zu drängen.164 Obwohl Plattner ihm auf Kochs Empfehlung „distanziert wohlwollend“165 gegenüber stand, teilte dieser Gerstenmaier in einem persönlichen Gespräch zum Ende des Dozentenlagers mit, dass er ihn für einen theologischen Lehrstuhl „zu gefährlich“166 erachte und er es lieber mit einer philosophischen Dozentur versuchen solle. Da er jedoch nicht zu einem anderen Fach desertieren wollte, ermutigte ihn Heckel, den Kampf um die Dozentur nicht aufzugeben.167 Diesen Kampf ging er fortan formal und strategisch an. Anders als Daniela Gniss, die bereits im Antritt des Dozentenlagers Gerstenmaiers „letzte Chance zur Erreichung seines Ziels“168 terminierte und darin auch den Kampf um die Venia Legendi kulminiert sah, muss aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen werden, dass der wirkliche Kampf um die Dozentur erst deutlich nach Plattners verwehrter Fürsprache begann. Gerstenmaier hielt weiterhin alle Formalia ein und wandte sich gemäß §4 der Reichshabilitationsordnung mit einem ausformulierten Lebenslauf169 und allen weiteren notwendigen Unterlagen170 am 25. November 1937 an den Rostocker Rektor Ernst Ruickoldt mit 163 164 165 166 167 168 169

Zit. nach Gniss, Politiker, 85. Vgl. Strohm, Kirchen, 62–80. Gerstenmaier, Streit, 99. Ebd., 102. Vgl. ebd., 103. Gniss, Politiker, 83. Dem ausführlichen Lebenslauf vom 25. 11. 1937 (UAR, 2.03.2, Gers, E) ist auch eine Begründung für seinen Wunsch nach einer Dozentur zu entnehmen, die vor allem im Hinblick auf ihre sprachliche Ausgestaltung von Interesse ist: „Der Wunsch und Wille, innerhalb des Universitätsganzen von meinem Fachgebiet aus der deutschen völkischen Existenz zu dienen, lässt mich jetzt den Weg zur Universität zum zweitenmal suchen. Das erstemal suchte ich ihn nicht ohne Mühe als Ältester einer grossen Geschwisterschar aus der Wirklichkeit des Industriebetriebs heraus. Damals waren es die Grundfragen völkischer Existenz, die mich auf den Weg gebracht haben. Heute geh ich ihn zum zweitenmal, weil ich jetzt noch gewisser erkannt habe, dass die deutsche völkische Existenz in besonderem Mass eine geistige Existenz ist. Die vielfache Berührung mit dem Ausland hat mir das ebenso bestätigt, wie jetzt die Dozentenakademie und die dort verhandelten Lebensfragen, die heute der deutschen Universität aufgegeben sind. Weil ich sie für mich wichtig genug halte, um im Dienst des Reiches ein Leben daran zu setzen, suche ich aus der Lerngemeinschaft der Universität heraus, jetzt einen Weg in ihre Lehr- und Lebensgemeinschaft.“ 170 Vgl. §4 Reichshabilitationsordnung (UAR, 2.03.2, Gers, E; und Amtsblatt, Reichshabilitationsordnung, 12–14).

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der Bitte um Zulassung zur Habilitation. In dem Brief schrieb er auch, dass ihm das REM eine „Zulassung zur Dozentur an der Universität Berlin […] bei alsbaldiger Erledigung des Habilitationsverfahrens in unmittelbare Aussicht gestellt“171 hatte. Unklar ist an dieser Stelle, ob dem REM zu dieser Zeit der mutmaßlich erteilten Auskunft an Gerstenmaier bereits die Persönlichkeitsexpertise aus dem Dozentenlager vorlag oder ob nicht Gerstenmaier die in Aussicht gestellte Möglichkeit in Berlin strategisch nutzen wollte, um den Habilitationsvorgang zu beschleunigen. Dass die vom REM in Berlin in Aussicht gestellte Dozentur nicht von Gerstenmaier aus der Luft gegriffen war, belegt ein Brief Brunstäds an das mecklenburgische Landesministerium für Unterricht über den Rostocker Rektor vom 4. Dezember 1937, in dem er ebenso auf diese Information Bezug nahm. Er erbat darin in erster Linie nach §4.4 der Reichshabilitationsordnung um das Einverständnis der Landesunterrichtsverwaltung zu Gerstenmaiers Habilitation. Darüber hinaus bemerkte er, dass zu Gerstenmaiers „wissenschaftliche[r] Qualifikation zur Dozentur kein Zweifel bestehen kann“ und es gewünscht sei, „dass das Verfahren beschleunigt durchgeführt wird.“172 Nachdem das Landesministerium bereits am 15. Dezember 1937 von der Rostocker Fakultät den Fragebogen über die arische Abstammung173 des Bewerbers nach §4.2 der Reichshabilitationsordnung erneut angefragt hatte,174 verstrichen mehrere Monate. Während jener Wartezeit ging Gerstenmaier einer Einladung der Evangelischen Theologischen Fakultät in Wien im Frühjahr 1938 nach und hielt dort ab dem 10. März 1938 eine Vorlesungsreihe. Diese Möglichkeit und auch das Wiedersehen mit seinem ökumenischen Lehrer Keller kam nicht von ungefähr, da in absehbarer Zeit der Systematiker der Wiener Fakultät emeritiert werden sollte.175 Damit eröffnete sich Gerstenmaier neben Berlin eine weitere Möglichkeit auf einen theologischen Lehrstuhl. Da rein formal alle Papiere korrekt vorlagen, erteilte das Landesministerium der Rostocker Fakultät am 30. April 1938 das Einverständnis, die Habilitation nach §5 der Reichshabilitationsordnung Gerstenmaiers vorzunehmen.176 Die wissenschaftliche Aussprache zur Habilitation fand drei Wochen später am 18. Mai 1938 statt. Der Prüfungskommission gehörten neben dem Rostocker Rektor Ruickoldt und Gerstenmaiers Präzeptor Brunstäd auch Büchsel als aktueller Dekan der Fakultät und die Rostocker Professoren von Walter, Quell, Alfred Jepsen, Fritz Engelke sowie Erich Winkel als Vertrau-

171 Brief Gerstenmaiers an Ruickoldt vom 25. 11. 1937 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 172 Brief Brundstäds an Landesministerium vom 4. 12. 1937 (UAR, 1.09.0, Gers, E). 173 Vgl. den Fragebogen zur Feststellung der arischen Abstammung vom 1. 8. 1937 mit Auszügen aus den Familienregistern (UAR, 2.03.2, Gers, E). 174 Vgl. Brief Landesministerium an Fakultät vom 15. 12. 1937 (UAR, 1.09.0, Gers, E; und 2.03.2, Gers, E). 175 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 103–105. 176 Vgl. Brief Landesministerium an Fakultät vom 30. 4. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E).

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ensmann der Dozentenschaft an. Büchsel schrieb in einem Bericht über die wissenschaftliche Aussprache: „[Gerstenmaier] hielt einen völlig freien Vortrag von etwa 45 Minuten über das Thema ,Theologische Prolegomena zu einer Phänomenologie des Geistes‘. Er gab in sehr gewandten Ausführungen einen Durchblick durch die deutsche Geistesgeschichte der letzten Menschenalter, besonders der Gegenwart, und entwickelte die Grundzüge der sich aus ihrer ergebenden Aufgabe für die systematische Theologie: an die Stelle der philosophischen Metaphysik […] hat eine Neugründung der Lehre vom Geist als der gestaltsmäßigen Konkretion zu treten. Sie ist durchzuführen in einer Lehre von der Schöpfung, der Menschwerdung, der Kirche, den Sakramenten, die nicht wie die Theologie Karl Barths in zeitfeindlichem Abstand zu verharren, sondern die lebendigen Kräfte der Zeit positiv aufzunehmen hat.“177

Der Bericht spiegelt den traditionell lutherisch-theologischen Geist der Rostocker Fakultät wider, in den sich Gerstenmaier mit seinem wissenschaftlichen Programm einfügte. Es ist zu erkennen, wie Gerstenmaier entsprechend seiner wissenschaftlichen Qualifikationsschriften argumentierte und auch schon Schwerpunkte seiner Forschung zu umreißen schien. Der Habilitand schien nach Büchsel durch seinen Vortrag den vollgültigen Beweis geschaffen zu haben, dass „seine Habilitation uneingeschränkt zu befürworten ist. Sie wird dem Nachwuchs der Hochschullehrerschaft ein in jeder Beziehung wertvolles Glied zuführen.“178 Nachdem daraufhin der Rostocker Rektor die Ermächtigung zur Habilitation Gerstenmaiers beim mecklenburgischen Landesministerium wiederum beantragt hatte,179 genehmigte selbiges diese,180 sodass wiederum die Theologische Fakultät in Rostock Gerstenmaier am 24. Juni 1938 die Würde des lic. theol. habil. verleihen konnte.181 Damit wurde das Habilitationsverfahren ordnungsgemäß an der Universität beendet.182 Nun musste sich Gerstenmaier mit seiner Verleihungsurkunde in die Hände des REM begeben und auf dessen Wohlwollen hoffen. Am 25. Juli 1938 beantragte er bei Reichsminister Rust schließlich die Erteilung der Lehrbefugnis für das Fachgebiet der Systematischen Theologie innerhalb evangelisch-theologischer Fakultäten.183 Erst als dann drei Monate später der Rostocker Rektor über das mecklenburgische Landesministerium Brief Büchsels an Ruickoldt vom 19. 5. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E). Ebd. Vgl. Brief Ruickoldts an Landesministerium vom 20. 6. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E). Vgl. Brief Landesministerium an Ruickoldt vom 23. 6. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E). Vgl. Verleihungsurkunde vom 24. 6. 1938 (UAR, 2.03.2, Gers, E; EZA 2/P46; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-029/1). 182 Ab diesem Zeitpunkt verwendete er auch nicht mehr in seinem offiziellen Briefkopf des KA Lic. theol. Gerstenmaier, sondern Dr. theol. habil. Gerstenmaier. Vgl. Brief Gerstenmaiers an Hirsch vom 7. 7. 1938 (EZA 5/4008). 183 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Rust vom 27. 7. 1938 (UAR, 1.09.0, Gers, E).

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in Stellvertretung für Gerstenmaier die Venia Legendi erneut beantragte,184 forderte das REM Gerstenmaier am 7. November 1938 zur öffentlichen Lehrprobe gemäß §10 der Reichshabilitationsordnung auf. Er solle sich mit drei Vorschlägen an die Berliner Fakultät wenden.185 Noch am selben Tag übermittelte Gerstenmaier dem Dekan der Fakultät drei Themen als Vorschlag für die entsprechenden Lehrproben. Der Mitteilung ist durch handschriftliche Bemerkungen und ein Kreuz an dem ersten Vorschlag zu entnehmen, dass sich der Dekan für das Thema „Kirche und Welt – Grundfragen evangelischer Ethik“ entschied.186 Gerstenmaier hatte so nun am 14., 15. und 17. November 1938 einstündige Vorlesungen über das festgelegte Thema zu halten.187 Das daraus resultierte und dem REM zugesandte Gutachten des Dekans wies Gerstenmaiers vorgetragene Gedankenführung188 nicht nur als „lebendig und ansprechend“ aus, sondern erbat auch gleichzeitig aufgrund seiner „Persönlichkeit hinter dem Ganzen“189 die Ernennung zum Dozenten. Dem Berliner Gutachten folgten Ende 1938 – wahrscheinlich auf Bitte Gerstenmaiers hin – noch weitere Persönlichkeitsgutachten, die vor den Trägern der NS-Wissenschaftspolitik vor allem die nationalsozialistische Vertrauenswürdigkeit Gerstenmaiers mit dem sogenannten Dritten Reich zu unterstreichen schienen. So schrieb Hans Koch, der für Gerstenmaier im Rahmen des Dozentenlagers bereits wichtig geworden war und ihn durch seine Auslandsarbeit für das KA kennengelernt hatte, am 16. Dezember 1938, dass er Gerstenmaier für die Hochschule befürworte. „Er fiel mir von allen am Anfang und dann stets von neuem durch das große Geschick auf, mit welchem er die nationalsozialistischen Fragen vor angelsächsischen oder skandinavischen Gelehrten und Studenten vertrat.“190 Auch Gerstenmaiers früherer Kommilitone Enno Freerksen schrieb in seiner Funktion als Gaudozentenbundführer an den Berliner Dozentenbundführer, dass er „Gerstenmaier als einen absolut geraden, auf184 Vgl. Brief Ruickoldts an REM vom 17. 10. 1938 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 185 Vgl. Brief REM an Gerstenmaier vom 7. 11. 1938 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 186 Die anderen beiden Vorschläge Gerstenmaiers waren: 2. „Wahrheit und Wirklichkeit – Prologomena zu einer theologischen Anthropologie“ und 3. „Die Lehre von der Sünde – in der evangelischen Theologie der Gegenwart“ (vgl. Mitteilung Gerstenmaiers an Berliner Dekan vom 7. 11. 1938. In: UAR, 2.03.2, Gers, E). 187 Vgl. Bekanntmachung der Berliner Fakultät vom 7. 11. 1938 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 188 Auch in den Vorlesungen lehnte er sich inhaltlich an seine Habilitationsschrift an: „[Gerstenmaier] zeichnete in der ersten Vorlesung die theologisch-geschichtliche Situation, daß die alte Kulturethik letzten Endes zu einer Vertrauenskrisis bezüglich des Geistes überhaupt geführt hat und daß daher ein neuer Ansatz für Ethos gesucht werden muß. Vorlesung 2 sah den richtigen Ansatz im evangelischen Rechtfertigungsglauben, der aber durch den Gedanken, daß Christus auch das Prinzip der Schöpfung gewesen sei, zu dieser in Beziehung gesetzt wurde. Damit soll dem Echos der Weg in die Welt gewiesen werden. Vorlesung 3 gilt dann dem richtigen Aufbau der Ethik. Auf dem Hintergrund einer Kritik an der deskriptiven wie der normativen Ethik sieht er die Notwendigkeit und Bedeutung einer kritischen Ethik entwickelt.“ (Gutachten Berliner Dekan an REM vom 18. 11. 1938. In: UAR, 2.03.2, Gers, E). 189 Ebd. 190 Gutachten Kochs für Gerstenmaier vom 16. 12. 1938 (BArch DO 4/1; und EZA 5/3330).

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richtigen Mann kennengelernt [habe], für dessen menschliche und politische Zuverlässigkeit ich mich verbürge.“ Zudem betonte er: „Insbesondere ist es ihm hoch anzurechnen, dass er als Theologe immer bereit war, die Belange der Kirche gegen die des Staates zurückzustellen […]. G. ist ein Aktivist von unermüdlicher Arbeitskraft.“191 In dem klaren Wissen einer vermittelten Falschinformation, denn Gerstenmaiers Handeln war während seiner Studienzeit – und nur diese konnte Freerksen einschätzen – alles andere als die Belange der Kirche zurückstellend,192 trat Freerksen für Gerstenmaier ein. Nach den erfolgten Lehrproben hatte sich Gerstenmaier erneut in Geduld zu üben. Während dieser Zeit korrespondierte er mit seinem Freund Bachmann. Aus mehreren Briefen ist die Hoffnung Gerstenmaiers auf die Erteilung der Lehrerlaubnis – nicht zuletzt durch die vielen positiven Gutachten, die ihm anscheinend bekannt gewesen waren – deutlich herauszulesen.193 Jedoch kam es anders. Die entsprechenden Ereignisse aus seiner Studienzeit sowie auch die Persönlichkeitsexpertise aus dem Dozentenlager holten ihn ein. Vermutlich auf Grundlage dieser schließlich kommunizierten Informationen wandte sich der Berliner Dekan am 28. Dezember 1938 erneut an das REM und schränkte das positive Gutachten und die beantragte Dozentur für Gerstenmaier vom 18. November 1938 deutlich ein. Jenes Gutachten fuße lediglich auf seinen wissenschaftlichen Leistungen bei den Probevorlesungen. „Die politische Qualifikation wurde dabei stillschweigend vorausgesetzt […]. Über diese Qualifikation bei einem ihr lediglich zu einem bestimmten Zweck zugewiesenen und persönlich unbekannten Anwärter zu befinden, glaubt sich die Fakultät […] weder in der Lage noch befugt.“194 Gniss vermutete zudem, dass in diesem Zusammenhang auch das Agieren des Kirchenhistorikers Hans-Georg Opitz dafür mitentscheidend war. Als Kommissionsmitglied der Berliner Fakultät, DC- und NSDAP-Mitglied war er nicht gewillt, das positive Gutachten für Gerstenmaier mitzutragen. Er versuchte nicht nur Gerstenmaiers politische Unzuverlässigkeit in den Vordergrund zu stellen, sondern insistierte auch bei mehreren Parteistellen.195 Zudem initiierte Opitz zu Beginn 1939 auch einige Gutachten, die Gerstenmaier als Gegner des Nationalsozialismus klassifizierten.196 Über den weiteren Verlauf des Verfahrens innerhalb der Instanzen der NSWissenschaftspolitik existieren keine wesentlichen Akten mehr. Dies lässt sich 191 Gutachten Freerksens für Gerstenmaier vom 20. 12. 1938 (BArch DO 4/1; und UAR, 2.03.2, Gers, E). 192 Vgl. Kapitel 2.3. 193 Vgl. Briefe Gerstenmaiers an Bachmann vom 21. 11. 1937; und 10. 12. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 194 Brief Berliner Dekan an REM vom 28. 12. 1938 (UAR, 2.03.2, Gers, E). 195 Vgl. Gniss, Politiker, 87 f. 196 Vgl. Begutachtung Gerstenmaiers durch die mecklenburgische Studentenbundführung vom 10. 2. 1939; und Brief der Reichsstudentenbundführung an den Berliner NSDDB vom 20. 2. 1939 (ebd., 88).

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unter anderem mit der subjektiven Entscheidungskraft in jenen Instanzen – speziell des REMs im Hinblick auf die Erteilung der Venia Legendi – unter der besonderen Beachtung der politischen und ideologischen Eignung der potentiellen Lehrstuhlinhaber erklären. Gerstenmaiers Erinnerungen kann dazu entnommen werden, dass er unablässig immer wieder beim REM in Berlin vorstellig wurde und sich nach der Lehrerlaubnis erkundigte, da alle Formalia der Reichshabilitationsordnung vor der Universität erfüllt waren, er das Dozentenlager erfolgreich wahrgenommen und auch Probevorlesungen gehalten hatte. Vermutlich ein knappes Jahr nach den öffentlichen Lehrproben wurde er schließlich gegen Ende 1939 vom Führer des NS-Dozentenbundes der Universität Berlin vorgeladen. Dieser teilte ihm persönlich unverblümt mit, dass der Stellvertreter des Führers in München seine Zulassung zur Dozentur aus politischen Gründen abgelehnt habe.197 Auf die Frage Gerstenmaiers nach dem Warum entgegnete jener: „Weil Sie ein unversöhnlicher Gegner des Führers und der Bewegung sind.“198 Mit dieser Information zerschlug sich Gerstenmaiers akademischer Werdegang. Auch spätere Versuche der erneuten Prüfung der Akten blieben ohne Erfolg.199 Die letztliche Verwehrung der Venia Legendi zeigt, welchem Ämter- und Zuständigkeitschaos Gerstenmaier innerhalb der Instanzen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik zwischen 1937 und 1939 ausgesetzt war, denn die erfolgte Untersagung der Lehrerlaubnis kommunizierte ihm schließlich nicht – wie in der Reichshabilitationsordnung vorgesehen – das REM, sondern ein Vertreter des NSDDB auf die Entscheidung von vermutlich Rudolf Heß aus München hin. Anzunehmen ist, dass sich – obwohl alle formalen Bedingen erfüllt waren – das REM aus seiner Verantwortung zog und die nächst höhere Dienststelle konsultierte, die wiederum die Mitteilung der Entscheidung nicht an das REM, sondern an den NSDDB weiterdelegierte. Möglich wäre auch, dass sich der Stab des Stellvertreters des Führers in München in jenem brisanten Fall aufgrund der vorliegenden Gutachten und der Persönlichkeitsexpertise über das REM als höhere Instanz hinwegsetzte und somit selbiges auch außen vor ließ, indem es den NSDDB für sich agieren ließ. Abschließend zu klären ist dieser Sachverhalt nicht mehr.200 Die konti197 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 105–107. 198 Ebd., 106. 199 Zu nennen ist bspw. der Versuch Heckels, der sich am 6. 6. 1940 brieflich an den Reichskirchenminister (BArch DO 4/1; und EZA 5/3330) wandte, Gerstenmaiers „politisch wie wissenschaftlich ausgezeichnete“ Arbeit für das Reich lobte und um erneute Prüfung seiner Akten vor dem REM bat. Jedoch sah Heckel später auch ein, dass die Venia Legendi Gerstenmaier unter den politisch-ideologischen Gegebenheiten im Deutschen Reich verwehrt blieb. So schrieb er am 24. 1. 1941 an die Kirchenkanzlei (EZA 5/3330), dass „jetzt die Aussicht auf die Erlangung eines Lehrauftrages an einer Universität in weite Ferne [für Gerstenmaier] gerückt“ sei. 200 In diesem Zusammenhang liegt lediglich ein Schreiben des REM an das Reichskirchenministerium vom 22. 11. 1939 vor, in dem mitgeteilt wurde, dass Gerstenmaier für eine Dozentur von der Dienststelle des Stellvertreters des Führers in München nicht als angebracht erachtet

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nuierlich praktizierte Beschneidung der theologischen Fakultäten in ihrer Akquise von Nachwuchs während des Nationalsozialismus zeigt zudem,201 dass Gerstenmaier kein Einzelfall war, der als Theologe den politischen und ideologischen Erwartungen des NS-Regimes nicht entsprach.

wurde (vgl. Gniss, Politiker, 88). Anzumerken ist an dieser Stelle noch, dass Gniss in ihrer Gerstenmaier-Biografie die für und gegen den Theologen vorgelegten Gutachten in andere – zeitlich nicht auf einander aufbauende und auf einander bezogene – Zusammenhänge stellte und somit die bestehenden Lücken durch ihre Interpretation schloss. Die vorliegenden Akten lassen jedoch die Rolle des REM verblassen. 201 Zum Ringen um den theologischen Nachwuchs vgl. Besier, Geschichte, 251–275.

4 Zwischen Kirche und Staat – Im Dienst des Kirchlichen Außenamtes 4.1 Der zunehmende Einfluss des Staates Um Gerstenmaiers kirchenpolitische Arbeit infolge seines beruflichen Wechsels von Gaildorf nach Berlin einordnen zu können, muss zunächst in der Verhältnismäßigkeit der Beziehungen zwischen Staat und Kirche unterschieden werden: auf der einen Seite zwischen den nationalsozialistischen Macht- und Totalitätsansprüchen gegenüber den kirchlichen Strukturen und Einflussbereichen sowie auf der anderen Seite zwischen den kirchenpolitischen und theologischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber den staatlichen und kirchenexternen ideologischen Einflüssen. Im folgenden Kapitel liegt der Schwerpunkt primär auf ersterem. Die staatspolitischen Maßnahmen gegenüber den einzelnen evangelischen Landeskirchen werden in den Blick genommen. Die mannigfachen innerkirchlichen Auseinandersetzungen um das richtige Verhältnis zum Staat und auch der von der BK ausgehende Widerstand können an dieser Stelle nur am Rande betrachtet werden. Gerstenmaier traf in Berlin auf zahlreiche staatliche und kirchliche Institutionen, die die Kirchenpolitik ab 1934/1935 maßgeblich bestimmten. Um die damaligen tiefreichenden kirchenpolitischen Spannungen im Deutschen Reich, denen Gerstenmaier in seinen neuen Tätigkeiten ausgesetzt war, nachvollziehen zu können, muss sowohl die Entstehung und Rolle des Reichsministeriums für die Kirchlichen Angelegenheiten, das umgangssprachlich auch Reichskirchenministerium genannt wurde, als auch das Kirchliche Außenamt der DEK betrachtet werden. Nur unter der Maßgabe der inner- und außerdeutschen Arbeit sowie der daraus resultierenden kirchenpolitischen Wirkmächtigkeit der beiden genannten Institutionen sind Gerstenmaiers Handlungsstränge und auch -zwänge zwischen Kirche und Staat, zwischen Religion und Politik zu verstehen. Darüber hinaus ist bereits an dieser Stelle anzumerken, dass eine kritische Betrachtung und opportune Bewertung von Gerstenmaiers sowohl beruflicher als auch persönlicher Situation auf den kirchlichen und staatlichen Schnittstellen auch immer simultan aus der Metaebene geschehen muss. Für die Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Quellenmaterial in den weiteren Kapiteln ist die analysierende Einschätzung des einstigen Diplomaten Ernst von Weizsäcker zu berücksichtigen:

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„Benützt die Forschung Quellen des Dritten Reiches, so möge sie bedenken: niemand kam damals zum Ziel, wenn er nicht der herrschenden Ausdrucksweise Rechnung trug. Vorschläge vernünftig gebildeter Beamter oder Offiziere und fast alle ihre Argumente waren solche ad hominem. Ohne Kenntnis von Haupt- und Nebenadressaten sind sie historisch kaum verwertbar. Wer in jener Periode in Deutschland politisch wirken wollte, schrieb ja nicht, um später als kluger Warner dazustehen, nicht um seine Seele zu retten. Er sprach und schrieb in Konkurrenz mit Psychopathen und für Psychopathen. Geschichtsforscher werden das erkennen.“1

4.1.1 Die Entstehung eines Reichskirchenministeriums Anfang 1935 wurde offensichtlich, dass die kirchenpolitische Situation im Deutschen Reich eines neuen Ansatzes bedurfte. Drei wesentliche Gründe sprachen aus nationalsozialistischer Sicht dafür, dass sich die Reichsregierung zu einer Intervention in den innerkirchlichen Bereich des Protestantismus – zur Wahrung ihrer eigenen Interessen – mit dem Ziel einer Befriedung und Neuordnung genötigt sah.2 Als erster Grund sind Reichsbischof Müllers gescheiterte Gleichschaltungsbestrebungen der Landeskirchen zu einer Reichskirche zu nennen.3 Aus jenem Scheitern leiteten sich innenhalb der NSDAP zwei Konzepte im Umgang des Staates mit den Kirchen ab: Die radikalen Kräfte setzten auf eine weltanschauliche Distanzierung des Staates von den Kirchen und präferierten eine strikte Trennung von Nationalsozialismus und Christentum.4 Sie standen mit ihrer Vorstellung konträr zu der anderen 1 Weizs cker, Erinnerungen, 264. 2 Zwischen dem Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche wurde bereits im Juli 1933 ein Reichskonkordat geschlossen. Vgl. dazu Strohm, Kirchen, 30–35. 3 Zu den anhaltenden innerkirchlichen Auseinandersetzung um Reichsbischof Müller vgl. Kapitel 2.3. 4 Der erste nationalsozialistische Lösungsansatz zielte auf eine strikte juristische und finanzielle Trennung von Staat und Kirche. Um eine religiöse Neutralität des Staates gegenüber den Kirchen zu erreichen, sollten nicht nur die Rechtsstellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und alle damit verbundenen Privilegien entfallen, sondern auch das staatliche Aufsichtsrecht bei gleichzeitigem Fortbestehen der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit. Godehard Ebers unterschied bereits 1930 drei Grundformen einer möglichen Trennung: 1) Vollständige Trennung, bei der allen Religionsgemeinschaften juristisch im Vereinsrecht verankert werden sollten; 2) Radikale Trennung, bei der den Kirchen ihr gesamtes Vermögen entzogen werden sollte und sie nur noch unter staatlicher Aufsicht weiter Bestand haben dürfte; 3) Hinkende Trennung, bei der den Kirchen ein gewisses Maß an Selbstständigkeit gewährt wurde (vgl. Ebers, Grundriß, 213–217). Umgesetzt wurde im Deutschen Reich mit einer Ausnahme im Modellgau Wartheland (zur verwirklichten Trennung von Staat und Kirche vgl. Kneifel, Kirche; und G rtler, Nationalsozialismus) keine der besagten Trennungskonzeptionen. Sie wurden lediglich von den Nationalsozialisten zur Drohung gegenüber kirchlichen Gruppen benutzt. Zum Lösungsansatz der Trennung vgl. Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus, 202–204; Kreutzer, Reichskirchenministerium, 64 f; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 38–40.

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parteiinternen Strömung, die lediglich mehr staatliche Kontrolle über die Kirchen forderte.5 Jene beiden nationalsozialistischen Lösungsansätze im Umgang mit den christlichen Kirchen lehnten sich sehr stark an den zweiten Grund an, der ein staatliches Handeln im innerkirchlichen Bereich verursachte. Ende 1934 standen im Raum der evangelischen Landeskirchen zahlreiche Gruppierungen neben- und gegeneinander. Die dabei auf verschiedenen Wegen geltend gemachten kirchenleitenden Ansprüche sorgten für eine komplexe und schwer überschaubare kirchenpolitische Gesamtsituation.6 Als ein dritter Grund kann zudem das außerdeutsche Interesse am innerdeutschen Kirchenkampf angeführt werden, das spätestens seit Anfang 1934 kontinuierlich stieg. Nicht zuletzt aufgrund jener starken Aufmerksamkeit, die der Kirchenkampf im Ausland genoss und bei der sich eine nicht zu leugnende Sensationslust mit bisweilen auch Untertönen antideutschen Ressentiments vermischten,7 intervenierte die Reichsregierung im kirchlichen Bereich. Da sich eine valide Lösung der innerkirchlichen Problematik durch ein bestimmtes Handeln der Reichsregierung nicht ohne schwerwiegenden Widerstand aus Kirchen, Gesellschaft und auch Partei gestalten ließ, musste eine Zwischenlösung gefunden werden. Als Inspiration dafür diente in einem „besonderen Maße“8 die Denkschrift „Staat und evangelische Kirche“ von Wilhelm Stuckart.9 Der ehemalige Staatssekretär im REM legte diese samt zwei Gesetzentwürfen bereits am 21. Januar 1935 dem Chef der Reichskanzlei, Hans

5 Der zweite nationalsozialistische Lösungsansatz zielte auf die Wiedereinführung des Summepiskopats bzw. des landesherrlichen Kirchenregimentes. Damit berief man sich auf das evangelische Kirchenwesen, in dem bis 1918 die oberste Leitungsgewalt in der Kirche vom Staatsoberhaupt ausgegangen war. Vor allem die mehrheitlich staatstreuen DC und auch Reichsbischof Müller präferierten diese Lösung, da sie sich davon eine Stärkung ihrer Position versprachen. Konträr wiederum standen dazu drei Denkschriften („Die Lage in der evangelischen Kirche“ von Lutz Graf Schwerin von Krosigk; „Kirche und Staat“ im Auftrag Hitlers vom Reichsinnenministerium; und „Politik und Religion. Geschichte und Lage des evangelischen Kirchenstreits von 1933/35“ von Hermann von Detten), die zwischen 1934 und 1935 bei staatlichen Institutionen vorgelegt wurden. In ihnen wurde mehrheitlich zu einer Neutralität von Staat und Partei in kirchlichen Fragen aufgefordert und sich gegen den Reichsbischof zur Befriedung der kirchenpolitischen Lage ausgesprochen. Die Möglichkeiten gestalteten sich für Hitler schwierig, da er seit 1934 weder daran interessiert war, die DC weiter zu unterstützen, noch die BK anzuerkennen. Zum Lösungsansatz des Summepiskopats vgl. Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus, 203 f; Kreutzer, Reichskirchenministerium, 65–67; und Marahrens, Staatskirchenhoheit, 47 f. 6 Zu den unterschiedlichen Kirchenleitungskonzeptionen der BK und DC, den Ergebnissen der zweiten und dritten Reichsbekenntnissynode sowie der Intentionen und Arbeit der Ersten Vorläufigen Kirchenleitung, der Bruderräte und des Reichsbruderrates vgl. Penssel, Kirchenleitungskonzeptionen; und Besier, Kirchen, 26–113. 7 Vgl. Schjørring, Perspektiven, 9. 8 Marahrens, Staatskirchenhoheit, 48. 9 Zu Stuckarts Werdegang, seiner Rolle im REM und später im RIM vgl. Jasch, Staatssekretär, 17–372.

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Heinrich Lammers, und somit auch Hitler vor.10 In seiner Denkschrift betonte Stuckart, dass Sinn und Ziel des nationalsozialistischen Umbruchs der „völkisch-nationalsozialistische Volksstaat“11 sei und alle irdischen Einrichtungen diesem Ziel zu dienen hätten. Dafür schlug er zwei Varianten zur Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche vor. Von der ersten Möglichkeit, der „restlose[n] Trennung des Staates von der evangelischen Kirche“, riet Stuckart aufgrund der noch fehlenden Voraussetzungen und auch der möglichen Risiken (geistige Überwindung der Kirche, fehlendes Vorhandensein einer neuen völkischen Religiosität und Sicherheit, dass die vom Staat getrennte Kirche nicht zum Sammelbecken der Reaktion wird) weitgehend ab und präferierte die zweite Möglichkeit, „die abwartende Neutralität des Staates mit verschärfter Aufsicht über die Kirche.“12 Stuckart drängte auf eine klare Abgrenzung der Lebensbereiche und unterstützte damit die parteiinterne Strömung, die auf mehr staatliche Kontrolle über die Kirchen setzte. Der staatlichweltliche Bereich müsse möglichst weit ausgedehnt und der kirchlich-religiöse Bereich lediglich auf Wortverkündung und Seelsorge beschränkt werden. Kirchliche Eingriffe in den staatlich-weltlichen Bereich seien zudem von vornherein zu unterbinden. Dies rechtfertigte Stuckart mit den erheblichen finanziellen Mitteln, die der Staat für die Kirchen Jahr um Jahr aufbringe.13 Darüber hinaus betrachtete er das kirchliche Vermögen als „deutsches Volksvermögen“, dessen „ordnungsgemäße Verwaltung und Verwendung […] in volklichem, kirchlichem und staatlichem Interesse“14 liege und somit nicht nur eine staatliche Kontrolle und Oberaufsicht über die kirchliche Finanz- und Vermögensverwaltung von Nöten sei, sondern auch die Einwirkung des Staates auf die kirchliche Gesetzgebung, Rechtssprechung und Ämterverwaltung.15 Um diese Missstände beheben zu können, schlug Stuckart die Einrichtung einer staatlichen Stelle im Reichsinnenministerium (RIM) vor, die allein für alle kirchlichen Angelegenheiten zuständig sein müsse.16 Stuckarts Vorschlag zur Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche stand klar unter dem totalitären Vorzeichen des Nationalsozialismus. Staatskirchenrechtlich betrachtet zielte sein skizziertes Konzept gar auf eine „völlige gesellschaftspolitische Entmachtung der evangelischen Kirche“17 und somit auf eine Verdrängung der selbigen aus dem öffentlichen Leben. Der ehemalige Staatssekretär im REM schien mit seiner Denkschrift auf den

10 Vgl. die Denkschrift samt der Gesetzesentwürfe bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 281–289. 11 Ebd., 282. 12 Ebd. 13 Vgl. ebd., 283–285. 14 Ebd., 286. 15 Vgl. ebd., 286–288. 16 Vgl. ebd., 284 f. 17 Besier, Kirchen, 58.

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Reichskanzler Eindruck gemacht zu haben.18 Bereits am 29. Januar 1935 bekam Stuckart die Möglichkeit, seine Vorstellungen Hitler persönlich in der Reichskanzlei darzulegen. Daraufhin überarbeitete Stuckart seine Gesetzentwürfe und korrespondierte mit dem RIM, das wiederum einen Gesetzentwurf über die „Entwirrung der Rechtslage in der Deutschen Evangelischen Kirche“ auf den Weg brachte.19 Jedoch kam es anders als von Stuckart, der mittlerweile in die Dienste des RIM eingetreten war, erdacht und von Reichsinnenminister Wilhelm Frick geplant. Hitler schien Frick vermutlich keine weiteren Kompetenzen in der Kirchenfrage einräumen zu wollen, da er über seinen Führungsstil verärgert war.20 Er setzte auf eine eigenständige Zentralstelle in Form eines neuen Reichsministeriums, das sich allen kirchlichen Angelegenheiten annehmen sollte. Obwohl Stuckarts Vorschlägen nicht in Gänze entsprochen wurde, so zeichnete er doch den Weg vor, den Hitler wenig später beschritt. Damit kann Stuckart durchaus als Initiator einer herbeigeführten Wendung in der staatlichen Kirchenpolitik bezeichnet werden. Am 16. Juli 1935 wurde schließlich ein Reichsgesetz zur Bildung eines Kirchenministeriums verkündet. Auf den Reichsminister ohne Geschäftsbereich Hanns Kerrl21 sollten demnach die bisher im RIM und REM bearbeiteten kirchlichen Angelegenheiten übertragen werden.22 Allein Kerrl wurden im unmittelbaren Führungskreis um Hitler „gewisse Bibelkenntnisse“23 nachgesagt, die ihn anscheinend für die Verantwortung über alle kirchlichen Angelegenheiten qualifizierten. Mit seinem sogenannten Reichskirchenministerium (RKM) verband Kerrl den Auftrag, die kirchenpolitische Situation zu entwirren und den Artikel 24 des NSDAP-Parteiprogramms real umzusetzen.24 Bereits am 24. September 1935 kam er seiner ordnungspolitischen 18 Nach einem Vermerk von Lammers auf dem Anschreiben Stuckarts vom 21. 1. 1935 ist zu vermuten, dass Hitler die Denkschrift selbst gelesen haben muss. Lammers notierte: „Der Herr Reichskanzler hat Kenntnis“ (zit. nach Kreutzer, Reichskirchenministerium, 71). 19 Vgl. ebd., 71 f. 20 Zum Verhältnis zwischen Hitler und Frick vgl. Frçhlich, Tagebücher, 492 f. 21 Kerrl wurde bereits am 22. Juni 1934 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt und galt spätestens seitdem als enger Vertrauter Hitlers. Zuvor hatte der nationalsozialistische Politiker schon hohe Staatsämter inne. So war er preußischer Landtagspräsident und auch preußischer Justizminister. Zu Kerrl vgl. vor allem Buss, Reichskirchenministerium, 140–170; Kreutzer, Reichskirchenministerium, 100–130; und Fuchs, Kerrl, 1147–1149. 22 Vgl. das Reichsgesetz in Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 294. Zur Diskussion, ob der Erlass nicht zunächst eine neue Reichsbehörde unter Kerrl anstatt ein neues Fachministerium anstrebte und wie sich Kerrl in die letztendliche Konstituierung des Reichsministeriums für kirchliche Angelegenheiten einbrachte vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 75–79; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 66–78. 23 Strohm, Kirchen, 68. 24 Zu Artikel 24 vgl. Kapitel 2.3.1. Kerrl betrachtete seine Bestrebungen als Vorgehen zur Stärkung des NS-Regimes. Dies brachte ihm jedoch auf Dauer einen erheblichen Widerstand der völkisch gestimmten Kräfte innerhalb der NSDAP ein, da seine Strategie zur Stabilisierung des Staates durch kräftige, geordnete und anerkannte Kirchen wiederum dem nationalsozialistischen To-

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Funktion für die Kirchen nach und erließ gemeinsam mit Hitler das „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“. Darin wurde „mit tiefer Besorgnis“25 der Reichsregierung die Zerrissenheit des Kirchenvolkes sowie die Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen durch den Kampf verschiedener kirchlicher Gruppen zum Ausdruck gebracht. Kerrl wurde durch den einzigen Paragraphen des Gesetztes zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der DEK ermächtigt. Damit konnte er Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft für alle evangelischen Landeskirchen erlassen.26 Jenes auch sogenannte Sicherungsgesetz glich einer Art „Ermächtigungsgesetz“27 für den Reichskirchenminister, mit dem er in den folgenden Jahren insgesamt 17 Durchführungsverordnungen auf den Weg brachte. Kerrl verfolgte als paradoxes Ziel die Schaffung einer nationalsozialistischen und christlichen Staatskirche, die er durch die Zusammenfassung der kirchlichen Mitte wiederum mit kirchlichen Kräften selbst zu verwirklichen erhoffte.28 So wies die erste Durchführungsverordnung auf Grundlage des Sicherungsgesetzes am 3. Oktober 1935 die Bildung von Kirchenausschüssen an: Ein Reichskirchenausschuss (RKA) sollte die DEK leiten und Verordnungen in innerkirchlichen Angelegenheiten erlassen können (§ 1, Abs. 1 und 2); zudem sollten einem Landeskirchenausschuss (LKA) für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union (ApU) und weiteren Provinzialkirchenausschüssen die gleichen Kompetenzen zukommen (§ 2, Abs. 1, 2 und 3).29 Darüber hinaus entstanden wenige Zeit später noch zahlreiche weitere LKA, wie bspw. am 29. November 1935 in Kurhessen-Waldeck.30 Diese neuen kirchlichen Leitungsorgane sollten nach Kerrls Vorstellung eine letztlich unmögliche Balance zwischen allen kirchlichen Kräften bilden und sowohl die Strömungen der DC als auch der BK mit geeigneten Vertretern widerspiegeln.31 Für den Vorsitz des RKA konnte der Reichskirchenminister auf Vorschlag von August Marahrens den auch in der BK angesehenen und geschätzten

25 26 27 28 29 30 31

talitätsanspruch und der geplanten „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ (vgl. die Rede Fricks vom 7. 7. 1935 in Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 292 f) widersprachen. Zu Kerrls Bestrebungen und entsprechenden Widerstand aus den eigenen Reihen vgl. Stahl, Nationalsozialismus, 47 f; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 68–82. Zu Kerrls Kompetenzen in Abgrenzung zu anderen Dienststellen und Reichsministerien sowie zum organisatorischen Aufbau des RKM vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 79–98. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 294. Vgl. das Gesetz in ebd., 294 f. Schneider, Reichsbischof, 218. Vgl. Scholder, Kirche, 28. Vgl. die Durchführungsverordnung in Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 301 f. Zur Genese und Arbeit des LKA in Kurhessen-Waldeck vgl. Stahl, Nationalsozialismus, 47–50. Zum Auftakt der Kirchenausschusspolitik vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 78–101.

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ehemaligen Generalsuperintendenten von Westfalen, Wilhelm Zoellner,32 gewinnen. Auch wenn sich damit in BK-Kreisen eine augenscheinlich positive Wandlung der NS-Kirchenpolitik versprochen wurde, zerschlug der erste gemeinsame Aufruf des RKA und des LKA der ApU vom 17. Oktober 1935 alle Hoffnungen. Darin hieß es, dass man „die nationalsozialistische Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden“ begrüße und die evangelischen Gemeinden bitte, „in Fürbitte, Treue und Gehorsam zu Volk, Reich und Führer zu stehen.“33 Auch wenn Kerrl es durch die eingesetzten Kirchenausschüsse nie vermochte, alle Kräfte in den evangelischen Kirchen zu vereinigen, so entmachtete er mit der Implementierung der Kirchenausschüsse nicht nur Reichsbischof Müller34 in seinen Kompetenzen und zeichnete den Niedergang zahlreicher deutschchristlicher Kirchenleitungen vor, sondern generierte damit auch den maßgeblichen Grund für die Spaltung der BK.35 4.1.2 Das Kirchliche Außenamt unter Theodor Heckel Bereits in der oben genannten ersten Durchführungsverordnung Kerrls wurde im § 1 Abs. 4 die Beziehung der sich neu ausrichtenden DEK zum sogenannten Kirchlichen Außenamt (KA) skizziert. Demnach schien es dem RKM in seinem kirchenordnenden Bestreben wichtig, dass allein die bereits existierende Institution des KA für alle Beziehungen der DEK „zu ihren außerdeutschen Teilen und zu den Kirchen des Auslandes“36 zuständig sein sollte. Doch welche Art von Institution bildete das KA mit welchen Kompetenzen im spannungsreichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche ab? Wie waren die Beziehungen des KA zur DEK, zum NS-Regime und letztlich auch zur BKvor dem weitreichenden Hintergrund evangelischer Auslandsdiasporafürsorge zu fassen? Um diesen Fragen gerecht zu werden, muss ein Blick sowohl auf die Strukturgeschichte des KA als auch auf die besondere Rolle von Theodor Heckel in diesem Gefüge gerichtet werden, da nach Rolf-Ulrich Kunze die Institutionsgeschichte des KA untrennbar mit der professionellen Biografie ihres Leiters verbunden war.37 Mit der „Verordnung des Reichsbischofs betreffend die Kirchliche Auslandsarbeit“ verfügte Ludwig Müller am 21. Februar 1934 im „Zuge der Neugestaltung der Deutschen Evangelischen Kirche und im Sinn des Art. 4 ihrer Verfassung […] mit sofortiger Wirkung das Kirchliche Amt für auswärtige Angelegenheiten bei der Deutschen Evangelischen Kirche (Kirchli32 Zu Zoellners Person und Wirken vgl. Schneider, Zoellner, 567–572; Ders., Zoellner, 49–62; Philipps, Zoellner; und Ders., Anliegen, 113–129. 33 Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 303. 34 Zu Müllers Entmachtung vgl. Schneider, Reichsbischof, 218–227. 35 Zum Streit um die Kirchenausschüsse und zur Spaltung der BK vgl. Besier, Kirchen, 337–429. 36 Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 301. 37 Vgl. Kunze, Außenamt, 59.

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ches Außenamt).“38 Damit wurde das KA als eigenständige kirchliche Behörde39 der DEK gegründet und ihr im Rahmen der Verordnung Müllers, die am 23. Februar 1934 im Gesetzblatt der DEK veröffentlicht wurde, zugleich eine zweifache Aufgabenbeschreibung zugewiesen. Das KA hatte auf der einen Seite die „Verbundenheit mit den deutschen evangelischen Kirchen, Synoden und Gemeinden im Ausland zu wahren und zu festigen; ferner die Beziehungen zu den befreundeten Kirchen des Auslandes zu pflegen.“40 Fast wörtlich wurden an dieser Stelle die ideell konzipierten Aufträge aus dem Artikel 4 der DEK-Verfassung vom 11. Juli 1933 aufgenommen41 und letztlich kirchenordnungspolitisch innerhalb des KA realisiert. In diesem ersten wesentlichen Aufgabenfeld wird sichtbar, dass sich das KA sowohl um die deutschen evangelischen Gemeindeglieder und Pfarrer im Ausland zu kümmern hatte als auch um die sich international im Aufbau befindliche Ökumene und deren verzweigte Instanzen. Da zu jener Zeit das ökumenische Bewusstsein innerhalb der evangelischen Kirchen im Deutschen Reich „noch wenig entwickelt“42 war und sich auch die internationalen zwischenkirchlichen Beziehungen erst anfingen zu festigen,43 sah Heinz Joachim Held im ersten Aufgabenfeld des KA eine „sichtbare Reihenfolge […] der Prioritäten“44 und Britta Wellnitz wertete die Nennung der evangelischen Auslandsarbeit und erst danach der ökumenischen Bemühung gar als „Rangfolge dieser beiden Aufgaben“, die aus der „schwerpunktmäßige[n] Ausrichtung der bisherigen Tradition und Praxis“ resultierte und letztlich auch auf die „Verantwortung des deutschen Gesamtprotestantismus“45 für sich selbst abzielte. Auf der anderen Seite ging aus der Verordnung hervor, dass das KA „ferner fu¨ r eine geschlossene Ordnung und den wirksamen Einsatz der gesamten freien evangelischen Inlandsarbeit auf den verschiedensten Gebieten auslandskirchlichen Dienstes entschiedene Sorge zu tragen“ und auch die ¨ berfu¨ hrung der gesamten volksdeutschen kirchlichen Auslandsta¨ tigkeit „U […] mit allen Mitteln zu vollziehen“ habe. Letztlich fügte Müller klar fordernd noch hinzu: „Die erforderlichen Maßnahmen zu einer kraftvollen kirchlichen Fu¨ hrung der Aufgaben im In- und Ausland sind ins Werk zu setzen. Das 38 Gesetzblatt der DEK, Nr. 9 (1934). Zudem abgedruckt u. a. bei Kunze, Heckel, 129; Gbiorczyk, Heckel, 527; und Niemçller, Kirche, 332. 39 Zum rechtlichen Status des KA als eigenständige Behörde vgl. Wellnitz, Gemeinden, 138–147. 40 Gesetzblatt der DEK, Nr. 9 (1934). 41 In Art. 4 Abs. 4 und 5 der Verfassung der DEK vom 11. 7. 1933 hieß es: „(4) Die Verbundenheit mit den evangelischen Deutschen im Ausland hat sie zu wahren und zu festigen. (5) Sie pflegt die Beziehungen zu den befreundeten Kirchen des Auslandes.“ (Beckmann, KJ 1933–1945, 27). 42 Held, Einsichten, 271. 43 Zu den ökumenischen Bestrebungen vgl. Frieling, Weg, 34–70; Weisse, Christentum, 33–474; und Besier, Kirchenkampf 1933–1939, 13–86. 44 Held, Einsichten, 271. 45 Wellnitz, Gemeinden, 138.

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Kirchliche Außenamt ist mir unmittelbar unterstellt.“46 Konkret sollte es demnach im zweiten Aufgabenfeld der praktischen Arbeit des KA darum gehen, die kirchliche Fürsorgetätigkeit über die deutschen Auslandsgemeinden enger als bisher an die DEK als Heimatkirche zu binden, sie gar einer stärkeren kirchenregimentlichen Lenkung und Einflussnahme der DEK – und somit auch dem Reichsbischof – zu unterwerfen. Müllers Intention für das KA zielte darüber hinaus auf die Vereinigung und Konzentration der diversen freien innerdeutschen Träger der Auswanderer- und Auslandsdiasporafürsorge, deren Teilzuständigkeiten u. a. noch bei den Landeskirchen lagen, unter die Ägide der neu geschaffenen Behörde.47 Man kann in diesem Rahmen gar von einer Art Gleichschaltungsbestrebung der kirchlichen Auslandsarbeit sprechen und die „deutliche volksdeutsche Engführung“48 kritisieren. Die Verquickung von kirchlicher Auslandsdiasporafürsorge und nationaler Volkstumsarbeit wurde von der DEK jedoch nachhaltig unterstützt und auch gefördert, wie die Meldung des Evangelischen Pressedienstes vom 26. Februar 1934 belegt.49 Zugespitzt fragte sich Peter Gbiorczyk in späterer kritischer Auseinandersetzung mit dem KA, ob die deutschen Auslandsgemeinden und -kirchen einer „kraftvollen kirchlichen Fu¨ hrung“ durch ein zentralisiertes Amt überhaupt bedurften, das sie unter anderem mit Pfarrern und NS-Propaganda versorgte?50 So provokant diese Frage auch erscheinen mag, weist sie doch auf den problematischen Kern der neu installierten und zugleich instrumentalisierten Behörde hin. Obwohl mit der Gründung des KA im weitesten Sinne die Verfassung der DEK kirchenordnungspolitisch umgesetzt wurde, unterstellte sich Müller die eigenständig handelnde Behörde unmittelbar nach dem Führerprinzip. Von dieser Bestimmung ausgehend liegt die Vermutung nahe, dass deutschchristlich geprägtes Personal die Umsetzung der von Müller gesetzten Aufgaben innerhalb des KA anzugehen hatte. Genau deshalb ist die Personalie von Theodor Heckel, der durch den Reichsbischof zum Leiter des 46 47 48 49

Gesetzblatt der DEK, Nr. 9 (1934). Vgl. Wellnitz, Gemeinden, 141. Held, Einsichten, 271. „Die Verbundenheit mit den deutschen evangelischen Gemeinden, Synoden und Kirchengemeinschaften im Auslande wurde schon bisher auf verschiedenen Wegen gepflegt. Die wachsende Bedrängnis, die über die deutschen evangelischen Kirchengemeinschaften weithin in der Welt gekommen ist, macht jedoch eine planvolle Zusammenarbeit notwendig. Das Gesamtgebiet der volksdeutschen Arbeit steht unter Problemen und Aufgaben, die geistige und theologische Auseinandersetzungen immer wieder erfordern. Erinnert sei nur an die Missstände der Minderheitenfrage, den Mangel an einem Volkstumsrecht und an die Bedeutung der Muttersprache für die Pflege der christlichen Erziehung. Der geistliche Charakter der Verbundenheit mit den volksdeutschen evangelischen Gemeinden im Auslande wird durch die Berufung eines Bischofs als Leiter des neuen Amtes nachdrücklich betont. Der damit erstrebte festere Zusammenhang der volksdeutschen Kirchen zielt auf nichts anderes, als was von anderen festländischen und überseeischen Kirchen ihrerseits schon längst ins Werk gesetzt worden ist.“ (zit. nach ebd., 272). 50 Vgl. Gbiorczyk, Heckel, 527.

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KA ernannt und dem sogleich der „Titel Bischof mit dem Recht zum Tragen eines bischöflichen Amtskreuzes verliehen“51 wurde, im Zusammenhang mit Gerstenmaiers Tätigkeit in Berlin von entscheidender Bedeutung. Heckel entstammte der bayrischen Landeskirche und war dementsprechend lutherisch geprägt.52 1928 gelang ihm ein überraschender Karrieresprung nach Berlin. Er wurde mit der Leitung des Auslandsreferates im damaligen Kirchenbundesamt (KBA)53 unter dem einflussreichen Kirchenpolitiker Hermann Kapler betraut. Im Rang eines Oberkonsistorialrates agierte er somit für den 1922 gegründeten Deutschen Evangelischen Kirchenbund (DEKB)54 und war sowohl für die Verwaltung der deutschen Auslandsgemeinden als auch für die ökumenischen Beziehungen zuständig.55 Darüber hinaus war ihm im KBA die Schulpolitik und die theologisch-wissenschaftliche Arbeit anvertraut worden.56 Heckels Amtsverständnis bildete sich während seiner Tätigkeit im KBA maßgeblich aus. Kunze beschrieb es in der Form einer „Praxis der Althausschen ,Theologie der Ordnungen‘, als eine Übertragung des jungkonservativen Staats- und Volksverständnisses auf eine neulutherische Theologie“57 und Birger Maiwald sah es beeinflusst von der Vorstellung eines „gesamtkirchlichen Aufbaus im Zeichen der den Kirchen zugefallenen Autonomie.“58 Obwohl Heckel dementsprechend als konservativer Lutheraner beschrieben werden kann, war das Pathos des Kirchenbeamten während dieser Zeit weniger staatskirchlich, sondern eher von dem Willen zu kirchenpolitischen Reformen getragen.59 Das bedeutete jedoch nicht, dass er sich vor den staatlichen Stellen der Weimarer Republik verschloss. Im Gegenteil: Er sammelte wesentliche Erfahrungen im zwischenund gesamtkirchlichen Umgang mit dem Staat; besonders im Umfeld der finanziellen Abhängigkeitsverhältnisse zur wirkungsvollen und umfassenden Ausführung seiner Tätigkeiten.60 Noch bevor der DEKB kirchenrechtlich durch die Verfassung der DEK im Juli 1933 abgelöst wurde, ließ Müller – damals noch als „Bevollmächtigter des 51 Gesetzblatt der DEK, Nr. 10 (1934). 52 Zu Heckels akademischen und beruflichen Werdegang über München, Solln und Erlangen bis 1928 vgl. Kunze, Heckel, 13–90. 53 Zur Arbeit und Struktur des KBAvgl. Kirchenbundesamt, Kirchenbund, 1924–27; und Ders., Kirchenbund, 1927–30. 54 Zur Geschichte und den Aufgaben des DEKB vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 34–39; und Boberach/Nicolaisen/Pabst, Handbuch 15–65. 55 Vgl. Maiwald, Notiz, 195. Heckel plädierte während seiner Zeit im KBA in liberaler Art und Weise für ein Eigenrecht der Auslandsgemeinden im Sinne von Selbstverwaltung und Selbstverpflichtung (vgl. Heckel, Gemeinden, 137–151). Zu Heckels allgemeinen Aufgabenbereichen vgl. u. a. Heckel, Auslands-Diaspora-Arbeit, 11–23. 56 Vgl. Kunze, Heckel, 96–109. 57 Ebd., 114. 58 Maiwald, Notiz, 204. 59 Vgl. dazu auch Nowak, Kirche, 216–231. 60 Zu den finanziellen Abhängigkeiten des KBA vom Staat vgl. Kunze, Heckel, 115; und Wright, Parteien, 78–80.

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Reichskanzlers für Fragen der evangelischen Kirche“ – im Rahmen seiner Gleichschaltungsbestrebungen am 28. Juni 1933 das KBA durch SA-Truppen besetzen.61 Infolge dieser Machtdemonstration und der sich anschließenden verfassungsgemäßen Neuordnung der strukturellen Verhältnisse für die DEK wurde ein Drittel der beschäftigten Kirchenbeamten gemeinsam mit Kapler in den altersbedingten Ruhestand versetzt.62 Neben den verbliebenen Kirchenjuristen war Heckel der einzige Theologe, der innerhalb der neuen Verhältnisse im kirchlichen Dienst weiter arbeiten konnte. In diesem Umgestaltungsprozess wurde dem konservativen Lutheraner die Leitung der neu eingerichteten Auslandsabteilung der Reichskirchenregierung (RKR) übertragen, durch deren Bestand die Aufgaben des späteren KA nach Maiwalds Meinung „vollständig antizipiert“63 waren. Aufgrund Heckels beruflicher Weiterentwicklung ist die Frage zurecht angebracht, ob seine Berufung ein gutes halbes Jahr später im Februar 1934 zum Leiter des KA entweder durch seine fachliche Vorgeschichte lediglich als konsequenter Schritt und Weiterführung seiner kontinuierlichen Arbeit für die Auslandsgemeinden und -kirchen angesehen werden kann oder ob sich nicht doch eine gewisse Eigendynamik bei ihm auf Müllerscher Linie im deutschchristlichen Sinne während der Tätigkeit für die RKR entwickelte, die den Reichsbischof dazu veranlasste, ihn aufgrund dessen in jedes hohe und auch einflussreiche Amt innerhalb der DEK zu setzen? Da Heckels „berufliches, persönliches und menschliches Schicksal“ nach Kunze mit dem KA „aufs engste verbunden“64 war, zielte die Rezeptionsgeschichte des KAvor 1945 auch weniger auf die Behörde an sich ab, sondern eher auf Heckels Person. Freilich kann eine Verstrickung des aus Bayern stammenden Lutheraners in die autokratische Kirchenpolitik des Reichsbischofs und später auch in die der staatlich legitimierten Institutionen mit kirchenleitenden Ansprüchen nicht geleugnet oder relativiert werden. Jedoch müssen zudem zahlreiche kritische Bewertungen aus der Literatur65 als „vollkommen überzogen“66 abgetan wer61 Vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 444–446; und Boberach/Nicolaisen/Pabst, Handbuch 69–97. Zum übergeordneten Wirken Müllers im Rahmen der neuen DEK-Verfassung vgl. Schneider, Reichsbischof, 103–146. 62 Da das KBA eine relativ kleine Behörde des DEKB war, mussten zusammen mit Kapler nur drei Kirchenbeamte den Dienst quittieren. Sechs KBA-Beamte wurden in die neuen Strukturen der RKR integriert (vgl. Kunze, Heckel, 126 f.). 63 Maiwald, Notiz, 215. 64 Kunze, Heckel, 126. 65 An verkürzten Darstellungen und Pauschalurteilen in Bezug auf Heckel mangelt es nicht: Karl Dietrich Bracher behauptete, dass er Mitglied der DC gewesen sei und nur so Leiter des KA wurde (Bracher, Diktatur, 415 f.). Dass dies jedoch nachweislich falsch war (vgl. Gerstenmaier, Außenamt, 310), interessierte auch Klaus Scholder nicht, der Heckel als „völlig dem Reichsbischof und dessen Linie verschrieben“ betrachtete (Scholder, Kirchen, Bd. 2, 104). Armin Boyens ließ die Kritik an Heckel kulminieren, indem er ihn als lediglich „ausführendes Organ“ des Reichsbischofs bezeichnete, dem es im Prinzip nur darum ging, „im ökumenischen Rahmen die Interessen einer souveränen Nationalkirche durchzusetzen“ (Ders., Kirchen-

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den. Um die Frage nach Heckels beruflicher Kontinuität oder eben taktischpolitischer Berechnung beantworten zu können, müssen sowohl die zeithistorischen Umstände als auch Heckels persönlich-theologischer Ansatz bedacht werden. 1977 mahnte Gerstenmaier in einem Aufsatz über das KA an, dass im Rahmen der Rezeptionsgeschichte des KA Heckels „Zwangslage in Rechnung zu stellen“ sei. Gleichzeitig skizzierte er die bischöfliche Amtsübernahme Heckels unter Müllers Ägide als „Makel“, der dem Lutheraner in der BK und „damit auch in den weiten Teilen des ausländischen Kirchentums nie vergeben wurde und der ihn auch in den lutherischen Landeskirchen Deutschlands zeitweilig suspekt machte.“67 Gewiss übernahm Heckel das neu eingerichtete KA im Februar 1934 in einer Hochphase des Kirchenkampfes68 und stellte sich damit in den Dienst der mehrheitlich deutschchristlich geführten DEK unter den Reichsbischof. Jedoch war oder wurde er dazu weder Mitglied bei den DC noch in einer NS-Organisation oder gar in der NSDAP selbst.69 Heckel stand der JB70 theologisch und kirchenpolitisch nahe. Es ist zu vermuten, dass sowohl seine religiöse Sozialisation in Bayern als auch seine wissenschaftlichtheologische Arbeit71 daran einen entscheidenden Anteil trugen. Er orientierte

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kampf, Bd. 1, 96 f.). Damit machte sich Heckel in Boyens Augen als „politische[r] Hausknecht des Dritten Reiches“ (Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 197) schuldig. Zu ähnlichen Wertungen kam auch Peter Gbiorczyk, der Heckels Wirken viel zu verkürzt in Beziehung zur DEK dargestellt hat (vgl. Gbiorczyk, Heckel, 527 f.). Die in Auswahl dargelegte Rezeptionsgeschichte zeigt, dass die Auseinandersetzung um Heckel in einen größeren Zusammenhang der Historisierung des Nationalsozialismus gestellt werden muss (zur Historisierungsdebatte vgl. Broszat, Historisierung, 1–14), um zu einer validen wissenschaftlich-analytischen Erstellung von Heckels Rolle im KA und deren historischen Entwicklung zu kommen. Dementsprechend muss von pauschalisierten Urteilen, die in Bezug auf Heckel oft politisch-theologisch geprägt waren, zwingend Abstand genommen und auch die Metaebene bedacht werden. Kunze, Außenamt, 61. Auch Gerstenmaier ging 1977 in einem Aufsatz über das KA mit den „Kritiker[n] des alten Kirchlichen Außenamtes und ihre Nachbeter“ hart ins Gericht. Sie waren nach Gerstenmaier nicht in der Lage, „seine [Heckels] Motive unvoreingenommen zu prüfen und zu würdigen, seine Prätentionen und Schwachheiten in Vergleich zu setzen mit dem, was seine kirchenpolitischen Gegner und seine theologischen Verdammer zur gleichen Zeit verkorksten, von menschlicher Nachsicht und christlicher Barmherzigkeit gar nicht zu reden.“ (Gerstenmaier, Außenamt, 309). Dies schien weniger eine Relativierung von Schuld zu sein als mehr einer Würdigung von Heckels Leistungen vor dem Hintergrund seiner Zwänge. Gerstenmaier, Außenamt, 307. Vgl. Kapitel 2.3. Anders als sein Bruder Johannes Heckel, der sich als evangelischer Staats- und Kirchenrechtler einen Namen machte und Mitglied sowohl in der NSDAP als auch in mehreren NS-Organisationen war (vgl. Schmoeckel, Insel, 106; und Busch/Morell/Scheik, Heckel, 295 f.), kann Theodor Heckel faktisch keine Mitgliedschaft nachgewiesen werden. Gerstenmaier beschrieb in seinem bereits genannten Aufsatz, dass ausschließlich Friedrich-Wilhelm Krummacher als einziger Mitarbeiter des KA Mitglied der NSDAP war (vgl. Gerstenmaier, Außenamt, 318). Vgl. Kapitel 2.3.3. Heckel wurde 1928 bei Paul Althaus in Erlangen mit einer Arbeit über den Theologen Richard Rothe promoviert. Zu Heckels Forschung vgl. Heckel, Exegese; und Kunze, Heckel, 80–84.

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sich nach Gerstenmaiers Erinnerungen in Auseinandersetzungen um die Positionierung der Kirche dementsprechend auch sehr „streng an Luthers Lehre von den beiden Reichen Gottes72 zur rechten und zur linken Hand.“73 Sein Bereich war die Kirche. Er verstand sein Wirken in ihr als „nationale Pflicht“74 im Corpus des Staates. Luthers theologia crucis75 spielte in seinem handlungsorientierten Verständnis eine wichtige Rolle. Sie übte dementsprechend einen starken Einfluss auf ihn aus. Vom Ausgangspunkt des paulinischen Obrigkeitsverständnisses lehnte er Widerstand gegen den Reichsbischof und die bestehenden Verhältnisse als „zutiefst deutschnationale[r] Lutheraner“76 und als „Patriot“77 nachhaltig ab. Auch wenn er nicht alle politischen Entwicklungen gut hieß, galt seine politische Loyalität dem Deutschen Reich und allen entsprechenden Hierarchien. Zeit seines Lebens blieb er einer imperativen Interpretation der Obrigkeit nach Römer 13 treu78 und verkörperte sowohl in seiner Person als auch seinem Amt jenen lutherischen Sonderweg in der Theologie.79 Auf dieser Grundlage setzte er auch den von Müller fixierten Auftrag des KA als dessen Leiter loyal um. Aus zahlreichen Schreiben an die deutschen Auslandsgemeinden und -kirchen sowie aus Redebeiträgen auf ausländischen Symposien und Tagungen lässt sich erschließen,80 wie Heckel die nationale 72 73 74 75 76 77 78

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Zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers vgl. Mantey, Schwerter; und M ller, Reiche, 417–437. Gerstenmaier, Streit, 73. Ebd. Zu Luthers theologia crucis, die unmittelbar an die Kernaussagen von Paulus anknüpfte vgl. Korthaus, Kreuzestheologie, 100–120; und Dieter, Luther, 107–129. Kunze, Außenamt, 76. Gerstenmaier, Streit, 73. Aus den zahlreichen kritischen Stimmen zu Heckels Obrigkeitsverständnis sei Martin Honecker stellvertretend genannt: „Aber er stellte in falsch verstandener Obrigkeitsuntertänigkeit das Kirchliche Außenamt in den Dienst der Außenpolitik des Deutschen Reiches.“ (Honecker, Gerstenmaier, 227). Zur theologischen Denkrichtung des nationalen Luthertums oder auch zur neuen lutherischen Theologie mit besonderer Berücksichtigung der Erlanger Richtung vgl. Rohls, Geschichte, 631–635; und Lessing, Geschichte, Bd. 2, 48–89. Drei Auszüge seien an dieser Stelle stellvertretend angeführt: (1) Heckels Osterschreiben von 1934 an die Gemeinden in Südamerika, Afrika und Australien: „Wir stehen in einem Bund gleichen Glaubens und gleichen Blutes. Wir wollen dienen mit allen Kra¨ ften, die eine reformatorische Kirche fu¨ r das evangelische Volkstum bereit hat. Wir wissen uns durch die Bande des deutschen Volkstums und des evangelischen Glaubens verbunden.“ (zit. nach Gbiorczyk, Heckel, 527). (2) Heckels Ansprache auf der Ostlandtagung des Verbandes der Deutschen im Ausland in Ko¨ nigsberg vom Pfingstsonntag 1935: „Deutsche Bru¨der und Schwestern! Ein Herzschlag geht durch uns alle hindurch. Mit Urgewalt ist das Volksgefu¨hl aus allen Tiefen aufgebrochen und ist in uns allen ma¨ chtig geworden. Wir alle haben uns heute in dieser wunderbaren Geschlossenheit vereinigt […]. Hier ist mehr als Naturkraft, hier ist mehr als Menschenwerk. Hier ist Gott der Herr selbst am Werk. Ihm geben wir die Ehre […] mir kann niemand den Glauben rauben, daß die Urgewalt dessen, was in der Reformation aufbrach, und das, was heute aus den Tiefen vo¨ lkischen Geschehens emporsteigt, sich noch einmal zu einem unlo¨ slichen Bund finden mu¨ssen […]. Aus Gottes Hand nehmen wir unser Volkstum, unsere Sprache und unser Werk zu Lehen […]. Laßt euch nicht beirren in eurer Treue zum evangeli-

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Erhebung innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches theologisch im deutschchristlichen Sinne des Reichsbischofs loyal vertrat und die DEK in ihrem Sendungsbewusstsein im Ausland repräsentierte. Für ihn galt die „innerste Beziehung von Glaube und Volkstum […] nirgends so deutlich als in dem Leben der volksdeutschen Kirchengemeinschaften“81, wie er in einem Grußwort an die zentralen Staats- und Parteistellen kurz nach seinem Amtsantritt schrieb. Daran knüpfte sich auch sein ganzes Engagement. Besonders zeigte sich dies in einem Memorandum, das Heckel im Frühjahr 1934 über die zukünftige Arbeitsweise des KA verfasste.82 Darin spiegelten sich nicht nur die an ihn herangetragenen völkisch-ideologischen Erwartungen und die im KA fixierten Aufgaben wider, sondern er versuchte damit auch die Möglichkeiten einer gewissen kirchenpolitischen „Eigenständigkeit“83 des KA gegenüber der DEK und des NS-Staates herauszustellen. Nach Kunze zeigte er damit sehr deutlich sein „Lavieren zwischen ,Volkstums‘-Programmatik, ,außen-kirchenpolitischer‘ Selbstrechtfertigung und den Notwendigkeiten der praktischen Betreuungsarbeit“. Zudem seien darin auch schon erste Anzeichen seiner „ehrgeizige[n] Ambition im Blick auf die mögliche Bedeutung der ,kirchlichen Außen[politik]‘ für die ,große Politik‘“84 erkennbar. Letzteres präzisierte Heckel in einem ausführlichen Aufsatz, der 1935 im „Jahrbuch für Auslandsdeutschtum und evangelische Kirche“ unter dem Titel „Neue Ziele“ erschien.85 Hier entwickelte er seine bisherige Arbeit für die deutsche Auslandsdiaspora weiter. Indem er „alte antiwestliche, ,volkstumstheoretische‘ Ansätze und lutherische[n] Nationalprotestantismus zu einer [zweifachen] Vision von [zum einen] ,kirchlicher Außenpolitik‘ und [zum anderen] ,deutschem Weltprotestantismus‘“86 verdichtete, übertrug er aus eigener Motivation bereitwillig87 das staatliche Expansionsstreben auf den kirchlichen Bereich. Beide Visionen bedingten sich freilich. Die Grundlagen

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schen Glauben und zu eurem deutschen Volkstum. Euch, ihr Volksdeutschen, die ihr ka¨ mpft und streitet, darf ich als Leiter des Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche versichern, daß ich mit meinem Herzblut im Gehorsam gegen Gottes Gebot dieses Amt fu¨r euch alle fu¨ hre. Das sei mein Flehen und Bitten an diesem Pfingsttage: Rechte Lehnstra¨ ger wollen wir sein! O Herr, dein Geist uns bereit, laß uns ritterlich ringen, durch Tod und Leben zu dir dringen.“ (zit. nach ebd.) (3) Heckels Grußwort auf der 14. Tagung der La-Plata-Synode in Buenos Aires 1937: „Die nationale Erhebung im Reich hat uns mit neuem Stolz erfu¨llt. Laßt uns die Fahne der dankbaren Treue hochhalten und auf die großen Taten des Fu¨ hrers sehen. In dem schweren Freiheitskampf, den das deutsche Volk zu bestehen hat, sei unsere Liebe vorbildlich und unser Glaube voller Kraft.“ (zit. nach ebd.) . Zit. nach Kunze, Heckel, 132. Zum Inhalt des Memorandums und dessen Schwerpunkten vgl. ebd., 136–138. Maiwald, Notiz, 222. Kunze, Heckel, 138. Vgl. Heckel, Ziele, 3–21. Kunze, Heckel, 141. Kunze konstatierte zu Heckels bereitwilligen Bestrebungen: „[…] je mehr sich die nationalsozialistische Herrschaft festigte, desto deutlicher wurden seine Anpassungsgesten.“ (Kunze, Außenamt, 70).

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dazu manifestierte Heckel im Nationalsozialismus.88 „Je kräftiger die völkischen Bewegungen sich Raum schaffen“, analysierte er, „um so ernsthafter müssen die überstaatlichen kirchlichen Beziehungen gestaltet werden.“89 Seine Vision von einer „kirchlichen Außenpolitik“ baute also auf einer aktiven völkischen Mitgestaltung der Kirchen auch außerhalb des Deutschen Reiches auf, die einen „deutschen Weltprotestantismus“ und eben nicht die Ökumene als „Zukunftsaufgabe“90 für die DEK klar benannte. Nach Roland Löffler verfolgte Heckel durch seine Vision einer „kirchlichen Außenpolitik“ drei wesentliche Ziele: Erstens wollte er den Einfluss der BK auf die deutschen Auslandsgemeinden reduzieren. Zweitens versuchte er vor allem die Auslandsgemeinden in Osteuropa enger an die DEK zu binden. Um schließlich drittens einen aus der deutschen Reformation gespeisten und von der DEK dominierten „deutschen Weltprotestantismus“ entstehen zu lassen, der nicht nur die lutherischen Kirchen Nordeuropas umschließen, sondern auch Teile der Orthodoxie beeinflussen sollte. Diese Ziele kulminierten nach Löffler schließlich darin, dass Heckel damit parallel zur offensiven NS-Außenpolitik in die umkämpften Gebiete der internationalen Kirchenbeziehungen vorstieß, um nicht zuletzt die Vorherrschaft Roms und vor allem Canterburys zu brechen.91 Mit seiner skizzierten Vision von einer Art kirchlichen Hegemonialbestrebung im deutschen Sinne überschritt Heckel nicht nur deutlich die „Grenze von der defensiven kirchenpolitischen Reaktion zur politischen Aktion“92, sondern beanspruchte dadurch auch, die Maxime des KA – und somit der DEK – ganz neu zu definieren. Dass sein Offenbarungsverständnis der deutschen Geschichte von Luther bis zu Hitler sowie seine kirchenumfassende Vorstellung von einem deutschgeprägten Weltprotestantismus kritische Stimmen vor allem aus der BK hervorrufen musste,93 ist wenig verwunderlich.94 Interessant ist dabei zu beachten, dass Heckel und seinem KA 88 Heckel benannte drei Grundlagen für eine kirchliche Außenpolitik, die aus dem nationalsozialistischen Handeln resultierten: „1. Der Nationalsozialismus hat den Damm gegen Asien aufgerichtet. Die Vernichtung des Kommunismus ist mehr als die Beseitigung einer wirtschaftlich-gesellschaftlichen Ideologie und Partei. […] 2. Der Nationalsozialismus hat die Überwindung des sozialen Problems entschlossen angefaßt. […] 3. Der Nationalsozialismus hat die Grundstruktur des öffentlichen Lebens im Wesen verändert. […] Reich und Volk, Führung und Gefolgschaft Herrschaftsordnung und Bewegung sind die Grundbegriffe, in denen sie Struktur des Dritten Reiches sich abzeichnet und ausgestaltet.“ (Heckel, Ziele, 12 f). 89 Ebd., 20. 90 Ebd. 91 Vgl. Lçffler, Protestanten, 164. 92 Kunze, Außenamt, 70. 93 Beispielhaft sei an dieser Stelle das spannungsreiche Verhältnis von Heckel und Willem Adolph Visser’t Hooft genannt. Vgl. dazu Schubert, Visser ’t Hooft, 40–43. 94 Freilich gab es nicht nur Kritik, sondern auch viel Zuspruch. Seine Vision eines „deutschen Weltprotestantismus“ wurde in der Folgezeit viel rezipiert und weiter gedacht. Hervorzuheben ist an dieser Stelle Ernst Schubert, der in seinem Aufsatz „Abriß einer volksdeutschen evangelischen Kirchengeschichte“ Heckels Ansatz weiter ausführte (vgl. Schubert, Abriß, 3–41). Bereits auf der ersten Seite skizzierte er die deutschen Expansionsbestrebungen: „Der […] erst

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spätestens seit jenem Aufsatz die Aufmerksamkeit der vielschichtigen Instanzen des NS-Staates gewiss war. Obwohl ein hohes staatliches Interesse sowohl an den kirchlichen Auslandstätigkeiten als auch an den kirchlichen Kontakten und Netzwerken im Ausland bestand, gab es immer mehr Kräfte innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung, die Heckels Visionen mit Skepsis begegneten. Zum einen schien das KA für den Nationalsozialismus ein „nützliches Werkzeug zur Verfolgung ihrer volkstums-ideologischen Ziele“95 für eine positive Darstellung des deutschen Staates gegenüber dem Ausland sowie einer offensiven Verfolgung der nationalsozialistischen Deutschlandpolitik innerhalb der kirchlichen Auslandstätigkeit zu sein.96 Zum anderen wurden die Ambitionen des Lutheraners gleichwohl als gefährliches Sicherheitsrisiko für den neuen deutschen Staat gesehen,97 da es zu schwer kontrollierbaren Verselbständigungen kommen konnte, die der NS-Außenpolitik hätten schaden können. Trotz Heckels unmittelbarer Loyalität zur DEK und seiner proaktiven Argumentation für eine nationale Erhebung sowohl des Deutschen Reiches als auch des deutschen Protestantismus bestand zwischen ihm und Reichsbischof Müller ein schwieriges Verhältnis.98 Während der Vollversammlung des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum (ÖRPC) im August 1934 auf der dänischen Insel Fanø wurde dies besonders offensichtlich. Müller bemängelte fernmündlich bereits nach den ersten Konferenztagen Heckels Verhandlungsführung als zu liberal und interpretierte darin einen Verrat des KA-Leiters an der RKR.99 Vor den „Augen der Weltöffentlichkeit“100 setzte er ihn daraufhin als Leiter der deutschen Delegation auf Fanø ab und berief den linientreuen DC-Pfarrer Walter Birnbaum als reichsbischöflichen Kommissar an seine Stelle, der kurzerhand aus Berlin eingeflogen wurde.101 Damit un-

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durch das Dritte Reich wirklich zum Siege geplante Gedanke des deutschen Volkstums hat uns nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit mit neuen Augen sehen gelehrt. […] Die deutsche Geschichte ist nicht nur die Geschichte des Deutschen Reiches, sondern Deutschlands, d. h. sie reicht, soweit die deutsche Zunge klingt. Überall, wo ein deutscher Pflug über eigene Erde geht, ja überall in der Welt, wo deutsche Volksgenossen ihre Arbeit tun, ist deutsches Vaterland. Dasselbe gilt von der deutschen Kirchengeschichte.“ (Ebd., 3). „Zum ersten Mal seit der Reformation ist wieder eine große deutsche Volksbewegung entstanden und ein gesamtdeutsches Geschichtsbewußtsein lebendig geworden.“ (Ebd., 40). Wellnitz, Gemeinden, 148. Vgl. dazu Heckels Rhetorik bei Redebeiträgen auf in- und ausländischen Symposien und Tagungen in Bezug auf seine volkstumstheoretischen Ansätze. Vor allem Reinhard Heydrichs Skepsis gegenüber dem KA war groß (vgl. Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 137 f). Zum desavouierenden Verhältnis zwischen Heckel und Müller vgl. Kunze, Heckel, 127 f. Vgl. dazu Heckels autobiografische Erinnerungen bei ebd., 147. Kunze, Außenamt, 72. Auch wenn Martin Dreher über Heckels Verhalten 1934 auf Fanø urteilte, dass er sich „in unverantwortlicher Weise gegen die Bekennende Kirche ausgesprochen und den Reichsbischof ,auf dem Ho¨ hepunkt seiner kirchenzersto¨ renden Wirksamkeit‘ feierlich gestu¨ tzt“ (Dreher, Kirche, 138) habe, muss an dieser Stelle beton werden, wie sich die außendeutsche Wahr-

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tergrub Müller als höchster Vertreter der DEK nicht nur Heckels Autorität vor den internationalen Kirchenvertretern nachhaltig, sondern brachte ihn auch innerhalb der DEK in eine fast unhaltbare Lage.102 Obwohl Müller sich bemühte, eine Erklärung des ÖRPC zu den kirchenpolitischen Vorgängen im Deutschen Reich, dem kirchlichen Selbstverständnis des deutschen Protestantismus und den autoritären Machtansprüchen des Nationalsozialismus zu verhindern, wurde diese dennoch verfasst.103 Durch den innerevangelischen Kirchenkampf fielen schließlich der ideologische Anspruch und die kirchenpolitische Praxis in Heckels Arbeit – vor allem in der Auslandsdiasporabetreuung – so weit auseinander, dass die Existenz des KA gar zur Disposition stand. Je schwieriger nun die Situation zwischen der DEK und der BK wurde, desto geringer wurden auch Heckels Chancen, seinen Ansprüchen nach innen gerecht und im Ausland als Verhandlungspartner ernst genommen zu werden.104 Auch als der Reichsbischof durch die Gründung des RKM ab 1935 immer mehr an Einfluss und Bedeutung innerhalb der DEK verlor,105 riss Heckels Engagement für das KA nicht ab. Dass er in der Folgezeit im Umgang mit der BK zahlreiche Konflikte106 auszutragen und fragwürdige Kompromisse mit dem NS-Regime einzugehen hatte, kann nicht bestritten werden. Dazu müssen jedoch die Zwangslagen von staatlicher Seite bedacht werden, denen sich Heckel in „erheblichem Maße“107 zu stellen hatte und die ihm im Zuge seiner erworbenen Professionalität dazu veranlassten, taktisch und kirchenpolitisch entgegen etwaiger eigener Überzeugungen im deutschchristlichen Sinne loyal gegenüber Führer und Reich zu handeln. Drei wesentliche Zwänge seien an dieser Stelle angeführt: die Verflechtung von Kirche und Staat in außerdeutschen Fragen, die Finanzierung der Auslandsgemeinden und die Propagan-

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nehmung von Heckel und seines KA durch Müllers rabiates Vorgehen veränderte. Ausführlicher zu den Vorfällen auf Fanø vgl. Kunze, Heckel, 144–151. Entgegen allen Autoritätsschwierigkeiten konnte sich Heckel auch der Sympathie zahlreicher Konferenzteilnehmer durch das Handeln Müllers gewiss sein. Vgl dazu Boegner, Leben, 181. Vgl. die Resolution des ÖRPC auf Fanø bei Weisse, Christentum, 545 f. Zu den Vorgängen auf Fanø vgl. auch Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 110–112. Vgl. Kunze, Außenamt, 71; und Scholder, Kirchen, Bd. 1, 617 f. Vgl. Kapitel 4.1.1. Zwei Konflikte seien an dieser Stelle hervorgehoben: (1) ein Autoritätskonflikt mit dem Kirchlichen Auslandsseminar auf Schloss Ilsenburg im Harz 1935. Im Auftrag des KA wurden hier Pfarrer und Vikare für den kirchlichen Dienst in Südamerika ausgebildet. Der Seminarleiter Hermann Schlingensiepen hatte seine Einrichtung jedoch ohne Absprache mit Heckel dem preußischen Bruderrat der BK unterstellt. Daraufhin beendete Heckel die Zusammenarbeit, was zu einer letztendlichen Schließung des Seminars führte (vgl. Kunze, Heckel, 152–158). Und (2) ein Kompetenzkonflikt zwischen dem KA, Bonhoeffer und dem schwedischen Erzbischof Erling Eidem (vgl. ebd., Heckel, 158–161). Bonhoeffers o¨ kumenisches Wirken geriet immer wieder in Spannung mit dem KA. Zu den Kontroversen zwischen Heckel und Bonhoeffer vgl. auch Scholder, Kirchen, Bd. 1, 616–618; Gbiorczyk, Heckel, 528; und Bethge, Bonhoeffer, 579–581. Maiwald, Notiz, 227.

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damaschinerie des NS-Staates. Die Arbeit des KA war nicht nur vom Wohlwollen der RKR und später des RKM abhängig, sondern auch von dem der Reichsregierung und des Auswärtigen Amtes (AA). Ohne einen gewissen „Goodwill der Reichsbehörden“108 wären Heckel und seinen Mitarbeitern keine Visitationsreisen zu den Auslandsgemeinden sowie kein Zugang zu den internationalen Netzwerken der Kirchen möglich gewesen, da alle Reisetätigkeit an entsprechende Pässe und Genehmigungsverfahren gebunden war, die vom Staat gewährt wurden. Zudem deckten die Mittel aus der DEK den Gesamtaufwand des KA nur zum Teil. Um den Finanzbedarf und die Versorgung der Auslandsgemeinden dennoch gewährleisten zu können, flossen aus dem Etat des AA hohe Zuschüsse,109 die wiederum von regelmäßigen Devisengenehmigungen abhängig waren und somit wiederum vom Wohlwollen des totalitären NS-Regimes. Obwohl Heckel in seinem kirchenpolitischen Handeln nach Gerstenmaier und Kunze immer wieder bestrebt war, die deutschen Auslandsgemeinden aus allen kirchlichen und politischen Konfliktfeldern herauszuhalten,110 musste er sich doch in seiner Informationspolitik der NS-Pressezensur unterwerfen, die seine Kommunikationswege überwachte und ihm ungeniert Propagandaliteratur diktierte, die den deutschen Auslandsgemeinden ein manipuliertes Deutschlandbild vermitteln sollten.111 Die inhaltliche Ausrichtung des KA änderte sich mit Kriegsbeginn 1939. Nicht nur, dass Heckels Stellung als Amtsleiter aus politischen Gründen zeitweilig akut bedroht war und er für die Erhaltung seiner Behörde generell zu kämpfen hatte,112 unternahm er mit der Gründung des „Evangelischen Hilfswerkes für Internierte und Kriegsgefangene“113 einen Versuch der Neupositionierung des KA, um dessen Nützlichkeit auch unter Kriegsbedingungen unter Beweis zu stellen.114 Parallel zu jenen Bemühungen setzte sich Heckel mit seinen Mitarbeitern im KA auch in Kriegszeiten weiterhin für die deutschen evangelischen Auslandsgemeinden ein, vertrat die DEK international und pflegte den Kontakt zu den evangelischen Kirchen des Auslandes.115 Die Kirchenkonferenz in Treysa116 vom 27. bis 31. August 1945 beendete schließ108 109 110 111 112 113

Gerstenmaier, Streit, 74. Vgl. Wellnitz, Gemeinden, 153 f. Vgl. Gerstenmaier, Außenamt, 308 f; ders., Streit, 74; und Kunze, Heckel, 186 f. Vgl. Wellnitz, Gemeinden, 150. Vgl. Maiwald, Notiz, 227 f. Zum Hilfswerk vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 31–39; Heckel, Hilfswerk, 1153–1155; und Kunze, Heckel, 171–176. 114 Vgl. Kunze, Außenamt, 63. 115 Vgl. dazu Kapitel 4.3, 4.4 und 4.5. 116 Zur Kirchenkonferenz in Treysa vgl. vor allem Smith-von Osten, Treysa, 102–163; und Wischnath, Kirche, 40–168. Zur Auslandsarbeit der EKD seit 1945 und der Weiterentwicklung des KA unter neuem Vorzeichen vgl. Wellnitz, Gemeinden, 155–345. Zu Gerstenmaiers Ambitionen und der letztendlichen Gründung eines Evangelischen Hilfswerkes nach Kriegsende vgl. Gerstenmaier, Hilfswerk; Ders., Hilfe, 53–73; Ders., Heimatlose, 74–86; Ders.,

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lich seine Arbeit für das KA und enthob ihn all seiner Ämter in einer „menschlich allerdings äußerst fragwürdige[n] Vorgehensweise.“117 Festzuhalten ist, dass sich Heckels Wirken als Leiter des KA nur unter dem Eindruck der von Ernst von Weizsäcker beschriebenen Komplexität zeitgeschichtlicher Herausforderungen fassen lässt.118 Auf den Schnittstellen von Kirche und Staat musste sich Heckels anfängliche Vorstellung einer klaren Trennung von Theologie und Politik parallel zu seiner gleichzeitigen Neigung zu volkstumspolitischem Denken vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Hegemonialbestrebungen als Illusion erweisen. Heckel war klar dem Reichsbischof und später den Instanzen des RKM unterstellt. Sein Amt jedoch als Belohnung für seine ideologische Anpassung zu beschreiben und ihn ausschließlich auf seine Bereitschaft zu Kompromissen mit dem totalitären NS-Regime zur Erhaltung seiner Behörde zu reduzieren, geht fehl, da Heckels ideologische Anpassungsbestrebungen eher als Folge seines Amtes zu skizzieren sind. Nach Kunzes präziser Einschätzung brachte ihn sein kirchenpolitischer Kurs, die Integrität der evangelischen Auslandgemeinden im nationalsozialistischen Staat angesichts der volkstumspolitischen Begehrlichkeiten unter kirchlicher Führung zu behaupten, in eine Zwangslange, die ihn nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Fehleinschätzungen im Blick auf einen funktionalen Charakter der NS-Kirchenpolitik zunehmend zu demonstrativeren Anpassungen und Kompromissen bis hin zur Selbstaufgabe führten.119 Gerstenmaier stand als enger Mitarbeiter Heckels vor ähnlichen Herausforderungen, die er jedoch auf andere Weise im Zusammenspiel von Anpassung und Widerstand anzugehen vermochte.120

4.2 Die Komplexität der Dienstverhältnisse in Berlin Im Frühjahr 1936 wechselte Gerstenmaier im Anschluss an ein verkürztes Vikariat aus dem württembergischen Gaildorf nach Berlin. Bereits vor seiner Ordination und dem Antritt seiner zweiten theologischen Ausbildungsphase stand in Absprache zwischen dem EOKR in Stuttgart und dem KA in Berlin, zwischen Wurm und Heckel fest, dass Gerstenmaier in die Reichshauptstadt abgeordnet werden sollte, um dort sowohl im kirchendiplomatischen Dienst zu arbeiten als auch die Interessen der württembergischen Landeskirche vor

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Flüchtlinge, 75–78; Ders., Flüchtlingsproblem; Ders., Forderungen, 396–397; und ADE, Allg.Slg. 1633. Kunze, Heckel, 184. Vgl. von Weizsäckers Zitat in Kapitel 4.1. Vgl. Kunze, Außenamt, 63. Vgl. dazu Kapitel 4.3–4.5 und 5.

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den Institutionen der DEK und des RKM zu vertreten.121 Förmlich wurde er dazu aus dem württembergischen Kirchendienst beurlaubt.122 Doch warum bemühte sich Heckel als Leiter des KA so sehr um den jungen Theologen aus Kirchheim unter Teck? Um der Frage adäquat nachzugehen, müssen mehrere Perspektiven und Einflüsse beachtet werden. Heckel war zunächst ein Schüler von Brunstäd aus dessen Erlanger Zeit. Die beiden Theologen pflegten über die gemeinsame universitäre Verbindung hinaus eine enge Freundschaft.123 Auf dieser Grundlage ist zu vermuten, dass sich zwischen Heckel und Gerstenmaier schnell eine gemeinsame wissenschaftliche Basis im Sinne Brunstäds bildete, auf der in der weiteren Zusammenarbeit aufgebaut werden konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Heckel für Gerstenmaier einsetzte, als dieser sich im Sommer 1934 für ein ökumenisches Seminar bei Adolf Keller in Genf bewarb und letztlich als Mitglied der deutschen Delegation daran teilnehmen durfte.124 Weiterhin war Gerstenmaier mit Heckels Vetter, seinem Kommilitonen Walther Foertsch, gut befreundet, sodass auch ein persönlicher Zugang über Brunstäd hinaus zum Leiter des KA vermutet werden kann.125 Heckel schien von Gerstenmaiers leidenschaftlichem Einsatz für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche in den Vereinigungen der studentischen Selbstverwaltung nachhaltig beeindruckt gewesen zu sein,126 obwohl sich dieser primär gegen den Reichsbischof und somit Heckels direkten Vorgesetzten richtete. Dies kann nicht nur als weiterer Beleg dafür gewertet werden, dass Heckel und Müller kein gutes Verhältnis zueinander pflegten, sondern auch dafür, dass Gerstenmaier mit seinem Hang zum Widerspruch bei anderen Menschen eine entsprechende Wirkung erzielen konnte. Konträr dazu stehend vermochte es Gerstenmaier zudem, konstruktive Erfahrungen in Zusammenarbeit mit der RKR als ehemaliger Reichsfachschaftsleiter der evangelischen Theologen vorweisen zu können.127 Bereits im März 1935 baute Heckel auf Gerstenmaiers Kompetenzen auf, als er ihm die Perspektive eröffnet, im Auftrag des KA zum Ende des Jahres nach England zu gehen.128 Kurz bevor Gerstenmaier sein erstes theologisches Examen in Rostock ablegte, wurden die Überlegungen konkreter. Die Korrespondenz zwischen ihm und Heckel zeigt, wie sehr der Leiter des KA an einem 121 122 123 124 125

Vgl. Kapitel 3.3. Vgl. Brief Gerstenmaiers an den EOKR vom 2. 11. 1936 (EZA 2/P14). Vgl. Gerstenmaier, Streit, 67. Vgl. Kapitel 2.2.4. Zum persönlichen Verhältnis zwischen Gerstenmaier und Heckel vgl. Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 126 Vgl. Kapitel 2.3. 127 Zu Gerstenmaiers Mitarbeit an einer neuen deutschen Studienreform vgl. Kapitel 2.3.4. 128 Was genau Gerstenmaier im Auftrag des KA in Cambridge tun sollte, ist nicht bekannt. Er selbst gab an ein paar Stellen an, dass er lehren solle. Vgl. Semesterbericht Gerstenmaiers an die SdDV vom 21. 3. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/1).

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Beschäftigungsverhältnis Gerstenmaiers in Berlin interessiert war. So sprach Heckel zunächst von „Möglichkeiten einer baldigen unmittelbaren Zusammenarbeit hier in Berlin“129 und wenig später von seinem Plan, Gerstenmaier „im Einvernehmen mit der württembergischen Landeskirche seitens des Kirchlichen Außenamtes einen besonderen Auftrag zur Förderung der deutschen theologischen Mitarbeit an der Stockholmer Bewegung zu geben.“130 Die facettenreichen Angebote zeigen, wie sehr Heckel an Gerstenmaier interessiert war. Auch Brunstäd unterstützte die baldige Tätigkeit des jungen Theologen für das KA in Berlin nachhaltig.131 Am 20. April 1936132 trat Gerstenmaier seinen Dienst in der Reichshauptstadt an. Gemeinsam mit seinem Kommilitonen Wilhelm Bachmann, den Heckel ebenso nach Berlin holte, begann er seine Arbeit nicht direkt im KA, sondern in einer kleinen Nebenstelle, die sich mit der Vorbereitung der ökumenischen Weltkirchenkonferenzen von 1937 in Oxford und Edinburgh zu befassen hatte.133 Neben der wissenschaftlichen und organisatorischen Vorbereitung der Konferenzen wurden die beiden Kommilitonen von Heckel direkt bei Dienstantritt mit einer weiteren Aufgabe betraut. Gerstenmaier erinnerte sich später, dass dies für beide sehr überraschend kam.134 Sie wurden dienstlich zusätzlich dem Vorsitzenden des RKA, Wilhelm Zoellner, unterstellt. Bachmann wurde dessen persönlicher Referent und Gerstenmaier dessen Redenschreiber.135 Damit hatten die beiden jungen Theologen unmittelbaren Zugang zu dem höchsten kirchenpolitischen Leitungsgremium der DEK und waren so nun selbst der staatlichen Kontrolle des RKM ausgesetzt. Zoellner versuchte in seinem wichtigen Amt – ähnlich wie Heckel – der Kirche in Treue zu dienen und gleichzeitig dem Staat mit Loyalität zu begegnen. Seine Bemühungen konzentrierten sich darauf, der zunehmenden Kirchenfeindschaft innerhalb der NSDAP und des Staates mit geordneten kirchlichen Strukturen zu begegnen. Über die faktische Entmachtung Müllers hinaus136

129 Brief Heckels an Gerstenmaier vom 14. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 130 Brief Heckels an Gerstenmaier vom 24. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; und EZA 5/3330). 131 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 67. 132 Krummacher bat Gerstenmaier darum, bis zum 20. 4. 1936 in Berlin zu sein und seine Stelle anzutreten (vgl. Brief Krummachers an Gerstenmaier vom 20. 3. 1936. In: EZA 5/3330). Dieser Bitte kam Gerstenmaier auch nach (vgl. Brief Gerstenmaiers an Krummacher vom 2. 4. 1936. In: ebd.). Kurz darauf bestätigten sowohl Krummacher (vgl. Brief Krummachers an EOKR vom 9. 5. 1936. In: ebd.) als auch Heckel (vgl. Brief Heckels an EOKR vom 9. 5. 1936. In: EZA 2/ P14) Gerstenmaiers Dienstantritt am 20. 4. 1936 gegenüber dem EOKR. 133 Vgl. dazu genauer Kapitel 4.3. 134 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 77. 135 In seinen Erinnerungen schrieb Gerstenmaier dazu keck: „Heckel hatte meine kirchenpolitische Kunstfertigkeit erheblich überschätzt.“ (Ebd.) Zoellner schien Gerstenmaier durch die neue Tätigkeit herauszufordern. 136 Vgl. Schneider, Reichsbischof, 218–226.

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versuchte er in seinem neuen kirchenordnenden Bestreben, gemäßigte Vertreter sowohl der DC als auch der BK mit einzubeziehen.137 Aus den mannigfachen brieflichen Korrespondenzen, die Gerstenmaier zu Freunden und Familie pflegte, lässt sich retrospektiv ein Bild seiner kirchendiplomatischen Anfangszeit in Berlin nachzeichnen. So schrieb er beispielsweise am 10. Mai 1936 an eine Freundin, dass ihm der Übergang in die Reichshauptstadt dieses Mal „recht schwer“ gefallen sei, da es aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben, die er als „sehr weitläufig, wissenschaftlich, kirchenregimentlich und politisch“ skizzierte, eine „Menge von Widerständen und Widrigkeiten zu überwinden“138 galt. Metaphorisch schrieb er darüber hinaus wenig später an seine Eltern: „Das Vielerlei der Arbeit, der Ämter und Personen, der Erfordernisse und Hemmnisse erweckt den Eindruck, dass man sich auf einer dauernd in der Schwebe befindenden Schaukel herumbewege. Alles scheint zu wanken und zu schwanken, nichts scheint fest greifbar zu sein oder zu werden. Dieser Zustand schwindet allmählich bei mir, wennschon ich mir sagen muss, dass er auch mit dem tatsächlichen Zustand des Kirchenschiffs weiterhin übereinstimmt. Ich sehe hier jeden Tag den Steuerleuten auf die Hand. […] es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit den Leuten, die heute die Kirche steuern, sachlich oder persönlich zusammen wäre.“139

Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden des RKA stand Gerstenmaier in Berlin an der Seite des Mannes, der das „Steuer des Kirchenschiffs“140 fest in den Händen zu halten schien. Da ihm „der alte Zöllner […] immer väterlich wohlwollend“141 begegnete, konnte Gerstenmaier auch eine weitere – für ihn besondere – Aufgabe im Auftrag der württembergischen Landeskirche wahrnehmen. Diese beschrieb er in seinen Korrespondenzen als seinen „württbg. Auftrag“142 und bezeichnete sich gar als „württbg. ,Nuntius‘ bei der Reichskirchenregierung“143 in Berlin.

137 Trotz großer diplomatischer Mühen, die Zoellner in seiner Arbeit auf sich nahm, scheiterte sein Vorhaben letztlich am Widerstand der BK. Zu den Konflikten in der BK gegen die staatlich initiierte Ausschusspolitik sowie auch die daraus resultierte Spaltung der BK vgl. Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 256–259, 325–353; und Besier, Kirchen, 337–429. 138 Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 139 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 140 Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 141 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 142 Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 143 Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2).

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„Mein württbg. Auftrag hat mich tagelang in den Gefilden der hohen Kirchenpolitik festgehalten. […] Zusammenfassend kann man sagen, dass sich das Schifflein der Kirche zwar wankend und schwankend, aber doch leidlich zielbestimmt im Getöse der Wellen vorwärtsbewegt. Es ist eben ein unablässiger Kampf. […] Meine illegale Amtsbezeichnung, mit der ich im Reichskirchenamt belegt werde, erinnert an katholische Zeiten und Ordnungen. Der württbg. ,Nuntius‘ war einige Zeit ein Problem, das die Gemüter in den vielen Ämtern beschäftigte.“144

Die Aufgabe verband sich anscheinend mit kleinen und größeren Herausforderungen für ihn. Kirchenrat Erich Eichele hielt in diesem Zuge in einem Bericht vom 23. Juli 1936 über Gerstenmaier fest: „Unter der Hand scheint Gerstenmaier neben seiner Tätigkeit für das Kirchl.[iche] Aussenamt in die Rolle einer Art von Geschäftsträger der württ.[embergischen] Landeskirche beim Reichskirchenausschuss hinüberzugreifen.“145 Eichele deutete damit an, dass diese spezifische Aufgabenbeschreibung keine offizielle und festgesetzte, sondern eher eine sich ergebende und sich sprunghaft nutzbar machende Beauftragung sein sollte, auf die der EOKR in Stuttgart und speziell Landesbischof Wurm zurückgreifen konnten, wenn württembergische Belange berührt wurden. Obwohl sich die württembergische Landeskirche nach Norbert Haag aus verschiedenen kirchlich-theologischen Strömungen speiste und durch eine spannungsreiche Vielfalt geprägt war, so lässt sie sich doch als beharrende Garantin für die rechtliche und organisatorische Selbständigkeit aller Kirchen – auch unter den Bedingungen des totalitären Staates – beschreiben.146 Die Freiheit und Unabhängigkeit der Verkündigung war der württembergische Kirchenleitung schlechterdings unantastbar. Spätestens nach der ersten Bekenntnissynode in Barmen ging sie in deutliche Distanz zum Nationalsozialismus und fühlte sich im hohen Maße ihren theologischen Traditionen verpflichtet.147 Da Gerstenmaier bereits während seiner Studienzeit den gleichen kirchlich-theologischen Ansatz verfolgte, war er für jene kirchendiplomatische Beauftragung in Berlin prädestiniert. Die württembergische Kirchenleitung setzte viel Vertrauen in den jungen Theologen,148 sodass dieser in der 144 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 145 Bericht für Eichele vom 23. 7. 1936 (EZA 2/P14). 146 Vgl. Haag, Nationalsozialismus. 147 Zum Verhältnis zwischen württembergischer Landeskirche und Nationalsozialismus vgl. ebd.; Nowak, Christentum, 255 f; und ausführlich Sch fer, Landeskirche, 6 Bde. 148 Das Vertrauensverhältnis lässt sich durch die umfangreiche Korrespondenz zwischen Gerstenmaier und dem EOKR belegen (vgl. vor allem Brief Gerstenmaiers an Pressel vom 13. 5. 1936. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; und Brief Gerstenmaiers an den EOKR vom 2. 11. 1936. In: EZA 2/P14). Dies schien der Theologe so gut zu machen, sodass ihm der EOKR sowohl eine weitere Beurlaubung aus dem württembergischen Kirchendienst als auch die Zahlung von weiteren Zuschüssen unmittelbar zusagte (vgl. Brief EOKR an KA vom 6. 11. 1936. In: EZA 5/3330; und EZA 2/P14). Erst wenn seine Beschäftigung in Berlin endete, sollte

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Folgezeit gar als persönliches Sprachrohr Wurms im konspirativen Untergrund agierte.149 Gerstenmaier berichtete dem EOKR in regelmäßigen Abständen von den Entwicklungen in Berlin. Zu Oberkirchenrat Wilhelm Pressel erwuchs in dieser Zeit ein besonderes Verhältnis,150 da zwischen den beiden Theologen nicht nur deutliche theologische Parallelen festzustellen waren, sondern Pressel in Stuttgart auch als Vertrauter des Landesbischofs agierte.151 So informierte Gerstenmaier Pressel beispielsweise über etwaige Pläne aus Berlin zum Rücktritt Wurms. Dieser sollte demnach altersbedingt freiwillig abtreten und zugleich seinen Nachfolger benennen. Innerhalb von zwei Monaten sollte „diese Komödie gespielt“152 werden. Da Wurm jedoch rechtzeitig darüber unterrichtet war, konnte er entsprechend reagieren. Zudem machte Gerstenmaier seine Position zur kirchlichen Ausschusspolitik immer wieder deutlich: „Obwohl ich hier genug zu schlucken habe und mir vieles ganz und gar nicht passt, glaube ich trotzdem, dass der RKA augenblicklich noch die einzige Karte und der einzige Draht ist, den wir im Spiel der öffentlichkeitsbestimmenden Mächte haben. Versagt auch dieser Draht, dann sacken wir wohl zum Unheil Deutschlands ab in die Privatisierung. […] Wir müssen trotz allen Schwierigkeiten versuchen, dieses Instrument noch mehr zu erobern ohne uns erobern zu lassen.“153

Mit dieser Meinung entsprach er dem kirchenpolitischen Ansatz des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (RELKD), der im Zuge der Spaltung der BK im März 1936 von den drei lutherischen Bischöfen der intakten Landeskirchen Bayern, Württemberg und Hannover als eigene Leitung gegründet worden war.154 Der RELKD, der auch Lutherrat genannt wurde, verstand sich unter der Federführung Bayerns zwar als Teil der BK,155 lehnte jedoch eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen und

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Gerstenmaier wieder in Württemberg Dienst tun (vgl. Brief EOKR an KA vom 24. 11. 1936. In: ebd.). Vgl. Kapitel 5.2. Das zunächst berufliche Verhältnis zwischen den beiden Theologen entwickelte sich schnell weiter. Eine tiefe Freundschaft entstand, die sich nicht nur in gegenseitigen Besuchen, sondern auch in der Korrespondenz wieder fand. So redete Pressel Gerstenmaier bspw. mit „Lieber Freund“ (Brief Pressels an Gerstenmaier vom 24. 9. 1937. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/2) und Gerstenmaier Pressel mit „Lieber Bruder Pressel“ (Brief Gerstenmaiers an Pressel vom 19. 11. 1937. In: ebd.) an. Zu Pressels Konfrontationen mit dem nationalsozialistischen Regime als Studentenpfarrer in Tübingen, sein Ausschluss von den DC und der NSDAP sowie seiner Beschäftigung ab 1933 als Oberkirchenrat in Stuttgart und Mitarbeiter Wurms vgl. LKAS A 227; und Wischnath, Pressel, 299–310. Brief Gerstenmaiers an Pressel vom 13. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Ebd. Zum Beschluss zur Bildung einer geistlichen Leitung für die lutherischen Kirchen und Gemeinden der BK vom 22. 3. 1936 vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 331 f. Zum RELKD allgemein vgl. Reese, Bekenntnis, 444–446. Vgl. das Programm des RELKD bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 336.

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vor allem mit dem RKA nicht so kategorisch ab wie der sogenannte Dahlemer Flügel der BK und dessen Zweite Vorläufige Kirchenleitung (VKL II). Ihm ging es um die Bestandssicherung der Kirche gegenüber dem Staat. Mit dem RELKD entstand so ein weiteres Gremium mit kirchenleitenden Anspruch, das auf Kosten der Einheit der BK eine eigenständige Kirchenpolitik betrieb.156 Gerstenmaier stand als Mitarbeiter Zoellners automatisch in direktem Kontakt mit den drei lutherischen Bischöfen.157 Damit entsprach er nicht nur seinem württembergischen Auftrag, sondern ging darüber hinaus. Am 8. August 1936 schrieb er seinen Eltern: „Seit 3 Tagen tue ich fast nichts anderes mehr, als bis zur Erschöpfung bei den lutherischen Bischöfen reihum Vortrag zu halten. Gestern Abend vor Marahrens im Luth. Rat,158 heute früh 2 Stunden lang bei Meiser und Wurm.“159 Gerstenmaier fungierte offensichtlich als eine Art kirchendiplomatisches Bindeglied zwischen dem RKA und dem RELKD, zwischen Zoellner und den drei Landesbischöfen. Er schien seine Arbeit so überzeugend zu machen, dass er von Wurm die „amtliche Aufforderung zum Übertritt als württ.[embergischer] Bevollmächtigter in den Luth.[erischen] Rat“160 erhielt. In dem Brief an seine Eltern schrieb er weiter, dass er abgelehnt habe und begründete es mit Verweis auf die erlangte Position fast schon zu trivial,161 um ernst genommen zu werden. Mit einem dem EOKR und Wurm vorgelegten von ihm so bezeichneten „Gegenentwurf“ konnte er schließlich doch überzeugen, weiter im KA unter Heckel und gleichzeitig im RKA unter Zoellner beschäftigt zu bleiben.162 In einem Brief an Pressel be-

156 Vgl. Strohm, Kirchen, 72. 157 Vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Mutter vom 21. 6. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/2). 158 Gerstenmaier verwendete an dieser und anderen Stellen noch die Bezeichnung „Lutherischer Rat“. Dieser wurde in der zweiten Jahreshälfte 1934 als Zusammenschluss der führenden Vertreter des Luthertums mit dem Ziel gegründet, das lutherische Bekenntnis in der BK zu wahren und sich zugleich mit den Kirchenausschüssen die Option einer staatlich anerkannten Kirchenleitung offen zu halten. Der „Lutherische Rat“ wurde im März 1936 mit der Gründung des RELKD abgelöst (vgl. Strohm, Kirchen, 71 f). Warum Gerstenmaier an dieser Stelle noch die alte Bezeichnung verwendet, ist nicht bekannt. 159 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 8. 8. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 2). 160 Ebd. 161 „Aber ich denke ja gar nicht daran, jetzt nachdem ich mich hier im Sattel festgesetzt habe, beim General aus- und eingehen kann, sein Vertrauen habe und ein eigenes festes Referat bekommen habe, jetzt also ausgerechnet aus diesem Sattel zu steigen und wieder einen neuen auszuprobieren.“ (Ebd.). 162 Spannend ist, dass Gerstenmaier in seinen Lebenserinnerungen diese Sachlage um seinen möglichen Wechsel als württembergischer Repräsentant in den Lutherrat ganz anders darstellte. Darin schrieb er: „Ich wäre gerne in ihre Berliner Zentrale gegangen. Aber Wurm und mein eigenes Gewissen sagten mir, daß ich zunächst einmal auf den Platz zu bleiben habe, auf den ich gestellt war.“ (Gerstenmaier, Streit, 79). Demnach schien es nicht nur bei Gerstenmaier, sondern auch bei Wurm Vorbehalte gegeben zu haben. Dass er diesen Perspektivwechsel in jene repräsentative, aber gleichzeitig auch sehr unsichere Stellung im BK-internen Kon-

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gründete er seine Argumentation stichhaltig. Demnach habe er in seinen bisherigen Funktionen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um im Sinne der württembergischen Kirchenleitung zu agieren. Wenn er Württemberg etwas nützen solle, dann müsse er dort bleiben, wo er sei.163 Da nun Pressel kurze Zeit später Wurms ständiger Vertreter im RELKD wurde, bedeutete dies nicht, dass Gerstenmaier zum württembergischen Landesbischof weniger Kontakt hatte. Das Gegenteil war der Fall.164 Neben den skizzierten Aufgabenbereichen trat Gerstenmaier im Auftrag von Heckel auch als Dozent in Erscheinung. Dazu schrieb er in einem Brief fast euphorisch: „Am meisten Freude macht mir das Seminar, das mir mein Chef […] abgetreten hat, und in dem ich nach Herzenslust doziere.“165 Mit dieser weiteren Aufgabe kam er seiner lehrenden Leidenschaft in Vorbereitung seiner wissenschaftlichen Weiterqualifizierung166 nach. Erwähnenswert ist zudem, dass er trotz der ihm aufgetragenen Aufgabenfülle unmittelbar die Nähe nach Rostock schätzte und nutzte. Im Brief hielt er weiter fest: „Etwas vom besten ist das Zusammenkommen mit meinen alten Rostocker Leuten. Mit Brunstäd war ich ein paar Tage hier zusammen, ebenso mit Schreiner.“167 Die Möglichkeiten des wissenschaftlichen und wohl auch persönlichen Austausches mit seinen ehemaligen Lehrern schien ihm in der Berliner Anfangszeit eine willkommene Gelegenheit zu sein, um auf der einen Seite seine alten Freundschaften und den fachlichen Austausch zu pflegen sowie auf der anderen Seite gleichzeitig neue Kontakte – vor allem im wissenschaftlichen und ökumenischen Bereich – mithilfe der Rostocker zu knüpfen.168 Über die berufliche Tätigkeit für Heckel, Zoellner und Wurm hinaus suchte sich Gerstenmaier in seiner Anfangszeit in Berlin auch einen geistigen Ankerpunkt. So schrieb er an die Gaildorfer Diakonissen: „Ich freue mich immer auf den Sonntag, auf die Gemeinde und den Gottesdienst, denn dort hat man dann wenigstens ganz sichtbar etwas von dem vor Augen, wofür man sich die ganze Woche hindurch abmüht.“169 Anscheinend hatte Gerstenmaier in Berlin eine Gemeinde gefunden, die seinen theologischen Ansprüchen entsprach, die

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fliktfeld gern wahrgenommen hätte, so wie er es in seinen Erinnerungen beschrieb, lässt sich durch die überlieferten zeitgeschichtlichen Quellen nicht bestätigen. Vgl. Brief Gerstenmaiers an Pressel vom 12. 8. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 2). In einem Brief an seine Eltern vom 9. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) skizzierte Gerstenmaier seinen regen Kontakt zu Wurm. Er war immer an der Seite des Landesbischofs und stand zu seiner Verfügung, wenn sich dieser in Berlin aufhielt. Zudem berichtete er ihm weiter von den Entwicklungen im RKA (vgl. Brief Gerstenmaiers an Wurm vom 3. 12. 1936. In: LKAS, D1 Best.-Nr. 132, 4). Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Vgl. Kapitel 3.4. Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Vgl. Kapitel 4.3. Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2).

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ihm Kraft für den Alltag gab und die seinen Glauben in möglichen Anfechtungen wach hielt. Zu vermuten ist, dass die Gemeinde sich an der BK orientierte und ihr kein deutschchristlicher Pfarrer vorstand.170 Aus dem Brief vom 28. Mai 1936 lässt sich nicht nur Gerstenmaiers Bedürfnis während seiner Anfangszeit in der Reichshauptstadt zum geistigen Austausch herauslesen, sondern auch sein Interesse zum eigenen homiletischen Arbeiten. Die Aussage „[…] ich würde gern predigen“171 belegt, dass ihm bei seiner Vielzahl an wissenschaftlichen und kirchendiplomatischen Aufgaben doch eine fehlte, die er hin und wieder gern wahrgenommen hätte. Er hatte sich jedoch bewusst für einen anderen Weg entschieden, der seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte.

4.3 „Die eine christliche Kirche“ – Im Dienst für die Ökumene 4.3.1 Die internationale Ökumene und die Konferenz in Chamby Abgesehen von den zahlreichen kirchendiplomatischen und administrativen Betätigungsfeldern, die Gerstenmaier während seiner Anfangszeit in Berlin zusätzlich wahrnahm, konzentrierte sich sein eigentlicher Auftrag, für den er aus dem württembergischen Kirchendienst beurlaubt wurde, auf eine im Vorhinein klar definierte Aufgabenbeschreibung. Er sollte an der „Stockholmer Bewegung“172 theologisch mitarbeiten und „die planvolle Anteilnahme der Deutschen Evangelischen Kirche an der ökumenischen Studienarbeit […] sichern.“173 Gemeinsam mit Bachmann wurde ihm sowohl die Weltkirchenkonferenz für Praktisches Christentum in Oxford 1937 als auch die im gleichen Jahr stattfindende Weltkirchenkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Edinburgh wissenschaftlich und organisatorisch anvertraut.174 Dazu wurde er von Heckel primär nach Berlin geholt. Von der ökumenischen Arbeit hatte Gerstenmaier bei seinem Dienstantritt noch „wenig Ahnung“175. Aus seinen persönlichen Briefen ist zu erkennen, wie ihn diese Aufgabe in Anspruch nahm. So schrieb er an eine Freundin: „Meine ökumenisch-politische Arbeit steht am Anfang, viel Orientierung und Ein-

170 Die Vermutung stützt sich auf Gerstenmaiers deutliche kirchlich-theologische Abneigung gegenüber den DC. Genauere Informationen über die besagte Gemeinde sind nicht überliefert. 171 Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 172 Brief Heckels an Gerstenmaier vom 24. 10. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; und EZA 5/3330). 173 Heckel, Einleitung, 13. 174 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 97. 175 Ebd., 79.

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arbeitung ist zu bewältigen.“176 Wenig später schon berichtete er seinen Eltern, dass sein ökumenisches Wirken „allmählich ein Gesicht“177 bekomme. Wiederum einen knappen Monat darauf schrieb er im Geburtstagsgruß an seine Mutter sogar, dass die „ausserordentlichen Schwierigkeiten innerkirchlicher Art“ sein ökumenisches Engagement stark belasten würden, er sich jedoch mit „meine[r] ganze[n] Kraft“178 darum kümmere. Dies zeigt, wie er sich innerhalb kürzester Zeit in die ineinander verschränkten Herausforderungen der international verzweigten ökumenischen Gemeinschaft und in die innerkirchlichen Konflikte einarbeiten konnte. Dabei spielte ihm auf der einen Seite wohl sein breites Aufgabenspektrum in die Hände, das ihm zu allen entscheidenden kirchlichen Gremien in Berlin Zugang gewährte. Auf der anderen Seite bekam er als Mitarbeiter Heckels direkt von Anfang an den internationalen ökumenischen Misskredit an Heckels Person zu spüren. Da der KA-Leiter seit der Konferenz auf Fanø179 von 1934 in der „ökumenischen Welt so gut wie ruiniert“ galt, war er „stets eine Belastung meiner [Gerstenmaiers] ökumenischen Arbeit“180 in Berlin. Da paradoxerweise Heckel zusammen mit Friedrich-Wilhelm Krummacher im KA die gesamte Verantwortung für die ökumenischen Beziehungen der DEK zu tragen hatte,181 gestalteten sich die deutschen Interventionen unter jenen persönlichen Vorzeichen innerhalb der internationalen Ökumene schwierig. Es mag nicht nur ein förmlich-administrativer Schritt gewesen sein, dass die wissenschaftliche und koordinative Vorbereitung der beiden Weltkirchenkonferenzen bewusst in eine Nebenstelle des KA ausgegliedert wurde. Dass darüber hinaus den beiden ökumenisch relativ unerfahrenen Theologen Gerstenmaier und Bachmann die Verantwortung für jenes neu geschaffene Sonderamt übertragen wurde, unterstreicht, wie das KA und somit die DEK die ökumenische Arbeit in ihrem Gesamttableau gewichtete. Dem entgegenstehend setzte Heckel freilich viel Vertrauen in die beiden von Brunstäd empfohlenen Theologen für deren neue Aufgaben in Berlin, sodass trotz möglicher Bedenken von einer Kompetenzorientierung bei der Entscheidung gesprochen werden kann. Doch warum waren die beiden Weltkirchenkonferenzen dem KA so wichtig? Die ökumenische Christenheit blickte bereits 1936 auf eine bemerkenswerte Geschichte zurück. Schon 1919 trug der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom ein Memorandum auf der Tagung des Weltbundes für Freund-

176 Brief Gerstenmaiers an Gretel vom 10. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 177 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 178 Brief Gerstenmaiers an seine Mutter vom 21. 6. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 179 Vgl. Kapitel 4.1.2. 180 Gerstenmaier, Streit, 76. 181 Vgl. ebd., 75.

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schaftsfragen der Kirchen (WFK)182 im niederländischen Oud Wassenaar vor, in dem er die zeitliche Notwendigkeit einer Weltkirchenkonferenz betonte und zugleich Ziele für eine internationale christliche Bruderschaft formulierte.183 Unter der ambitionierten Intention, das christliche Gewissen mit einer gemeinsamen und starken Stimme international und überkonfessionell vertreten zu können, begann ein langer Vorbereitungsprozess, der von vielen verschiedenen Visionen sowie zahlreichen weiteren Zusammenkünften begleitet wurde. Zwei voneinander unabhängige, aber trotzdem auf einander bezogene Strömungen entstanden in diesem Prozess: die Bewegung für Praktisches Christentum (BPC) und die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (BGK).184 Da sich die BPC bereits im August 1920 während einer Vorbereitungskonferenz in Genf darauf verständigte, dass in ihren Diskussionen alle Fragen der Glaubenslehre und Kirchenverfassung ausgeklammert werden sollten,185 konstituierte sich parallel die BGK unter eben diesen Gesichtspunkten.186 Den Kulminationspunkt der ökumenischen Vorbereitungen bildeten schließlich die beiden Weltkirchenkonferenzen 1925 in Stockholm und 1927 in Lausanne. Die BPC tagte mit 661 offiziellen Vertretern verschiedenster Konfessionen und Kirchen aus insgesamt 37 Ländern in Stockholm. Die Konferenz war so hochrangig besetzt, sodass gar vom „ersten ökumenischen ,Konzil‘ der Neuzeit“187 gesprochen wurde.188 Die thematischen Beratungen189 endeten

182 Zu den Aufgaben, der Arbeit und zur Struktur des WFKvgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 17 f; Dam, Weltbund; und Grotefeld, Friedensförderung, 46–72. 183 In seinem Memorandum definierte Söderblom drei wesentliche Ziele für die ökumenische Christenheit: „A) Gemeinsame Lehre und gemeinsames Bemühen um internationale christliche Bruderschaft und eine organisierte Einheit der Völker; B) Christliche Grundsätze und christliches Handeln für eine soziale Erneuerung der Gesellschaft; und C) Eine gemeinsame Stimme des christlichen Gewissens.“ Zit. nach Frieling, Weg, 50. Zu der Konferenz in Oud Wassenaar und dem Memorandum Söderbloms vgl. Weisse, Christentum, 33–74. 184 Die BPC wurde international unter der Bezeichnung „Life and Work“ und die BGK unter „Faith and Order“ bekannt. 185 Zur BPC, den Vorbereitungen der Stockholmer Konferenz, dem Hintergrund der deutschen Beteiligung und der Rolle des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes vgl. Fink-Stove, Weg; Frieling, Weg, 62 f; und Weisse, Christentum, 123–233. 186 Zur BGK, ihrer Vorgeschichte und ihren Dimensionen vgl. Gassmann, Konzeptionen, 11–132; und Frieling, Bewegung. 187 Frieling, Weg, 58. 188 Obwohl die Einheit der Kirche vor allem im Abschlussgottesdienst, den Patriarch Photius von Alexandrien genau 1600 Jahre nach dem Ersten Ökumenischen Konzil von Nicäa hielt und das nicänische Glaubensbekenntnis in Griechisch sprach, für die meisten Teilnehmer greifbar wurde, war die Bezeichnung eines neuen Konzils freilich nicht nur kirchenrechtlich, sondern auch wegen des Fehlens der römisch-katholische Kirche und einiger anderer Kirchen fraglich. 189 Die Konferenz fand nach dem Prinzip der Sektionsarbeit statt und behandelte sieben Themen: Die Verpflichtung der Kirche gegenüber Gottes Weltplan; Die Kirche und die wirtschaftlichen und industriellen Fragen; Die Kirche und die sozialen und sittlichen Fragen; Die Kirche und die Beziehung der Völker zueinander; Die Kirche und die christliche Erziehung; Methoden der

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schließlich nicht in Beschlüssen, sondern in einer kollektiven Botschaft, die auf der einen Seite klarstellte, dass es trotz bestehender Lehrunterschiede in den Kirchen eine gemeinsame kirchliche Praxis im Geiste Jesu Christi als Zeugnis des gemeinsamen Glaubens gebe. Auf der anderen Seite brachten die Konferenzteilnehmer in ihrer Botschaft die Gewissheit zum Ausdruck, dass die Kirchen der Welt mit ihrem Sein und ihrem Handeln etwas zu sagen hätten, das alle Ideologien überragen würde.190 Die erste Weltkirchenkonferenz der BGK fand zwei Jahre später in Lausanne statt und profitierte in ihrer internationalen Wahrnehmung stark vom positiven Echo der BPC-Konferenz in Stockholm.191 439 stimmberechtigte Delegierte aus insgesamt 127 orthodoxen, lutherischen, reformierten, anglikanischen und Freikirchen beteiligten sich innerhalb von sieben zentralen Themenbereichen an der Konferenz.192 Auch einer deutschen Delegation gelang trotz erheblicher Hürden die Teilnahme.193 Im Ergebnis verständigte sich die versammelte kirchliche und theologische Vielfalt der nicht-römisch-katholischen Christenheit in Lausanne auf ein „erstaunliches Maß an unbestrittenen Gemeinsamkeiten“194 im christlichen Glauben.195 Den Kirchen gelang es zum ersten Mal, durch offizielle Delegierte einen Fundamentalkonsens festzustellen. Somit kann die Konferenz durchaus als kirchengeschichtlicher Meilenstein der Ökumene bezeichnet werden. Generell sprach sich sowohl die erste Weltkirchenkonferenz der BPC als auch die der BGK gegen erhöhten Nationalismus aus und unternahmen den Versuch, die nicht-römisch-katholischen Christenheit in ihren Gemeinsamkeiten zu einen und den Weg eines gemeinsamen Sprachrohrs für das christliche Gewissen im Sinne Söderbloms weiter zu ebnen.

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praktischen und organisatorischen Zusammenarbeit der Kirchengemeinschaften; Die Fortsetzung der Konferenz. Zum Ablauf, den Inhalten und der Botschaft der Stockholmer Konferenz, jedoch auch zu den diskursiven Themen wie der Reich-Gottes-Frage vgl. Weisse, Christentum, 235–376; und Deissmann, Bewegung. Vgl. Frieling, Weg, 63. Auch die Lausanner Konferenz fand nach dem Prinzip der Sektionsarbeit statt und behandelte ebenso sieben Themen: Der Ruf zur Einheit; Die Botschaft der Kirche an die Welt – Das Evangelium; Das Wesen der Kirche; Das gemeinsame Glaubensbekenntnis der Kirche; Das Amt der Kirche; Die Sakramente; Die Einheit der Christenheit und das Verhältnis der bestehenden Kirchen zu ihr. Da sich auf der einen Seite der 1922 gegründete Deutsche Evangelische Kirchenbund für Bekenntnisfragen nicht zuständig fühlte und obwohl die deutschen Landeskirchen mehrheitlich von einer amtlichen Konferenzbeteiligung Abstand nahmen, gelang es dennoch durch das Engagement von Friedrich Siegmund-Schultze und dem deutschen Zweig des WFK eine Teilnahme von 40 deutschen Kirchenführern und Theologen zu ermöglichen. Zu Problemen und Kompromissen der deutschen Teilnahme vgl. Voigt, Ökumene, 166–171. Frieling, Weg, 64. Zu den Diskussionen, Sektionen und Einigungen der Konferenz vgl. Sasse, Weltkonferenz; Siegmund-Schultze, Weltkirchenkonferenz; Gassmann, Konzeptionen, 134–192; und Koslowski, Einheit, 50–55.

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Die internationale Ökumene nahm in den Folgejahren organisatorisch Form an. Vor allem innerhalb der BPC ergaben sich wegweisende Strukturen: 1926 wurde in Genf ein Internationales Sozialwissenschaftliches Institut unter der Leitung des Theologen Adolf Keller sowie 1930 eine Forschungsabteilung unter der Leitung des Nationalökonomen und Theologen Hans Schönfeld eingerichtet, um den universalen ökumenischen Lernprozess zu fördern. Keller bot in diesem Zusammenhang in Genf dreisprachige ökumenische Seminare an, zu denen auch Gerstenmaier während seiner Studienzeit Zugang fand.196 Darüber hinaus konstituierte sich 1930 aus dem Stockholmer Fortsetzungsausschuss der Ökumenische Rat für Praktisches Christentum (ÖRPC),197 der nicht nur weltweite christliche Gesprächs- und Interventionsbereitschaft über Konfessionsgrenzen hinaus verfolgen wollte, sondern auch die umfassenden institutionalisierten Weichen eines Ökumenischen Rates der Kirchen stellen sollte.198 Unter dieser Maßgabe verfolgten die Ökumeniker in den dreißiger Jahren die nationalistischen Bestrebungen im deutschen Protestantismus sowie dessen Beziehungen zur nationalsozialistischen Bewegung sehr aufmerksam.199 Nicht nur die DC, sondern auch weite Teile der von ihr geprägten und geführten DEK gingen auf kritische Distanz zur internationalen Ökumene, da sich diese in ihren Zielen nicht mit den deutschchristlich-theologischen Hegemonialansprüchen vereinen ließ.200 Als weiterer wesentlicher Grund für die Distanz muss zudem angeführt werden, dass die ökumenische Bewegung – vor allem in der Form des ÖRPC – offensiv die BK in ihren innerkirchlichen Bestrebungen unterstützte und sich kirchenpolitisch klar auf deren Seite positionierte.201 Obwohl es auf Fanø zu offenen Differenzen und Verwerfungen inner- und außerkirchlicher Art gekommen war,202 konnte der Kommunikationsprozess zwischen der primär deutschchristlich geprägten DEK und der mehr und mehr institutionalisierten Ökumene nicht einfach ruhen. Zu wichtig schienen auf der einen Seite die internationalen ökumenischen Netzwerke für die deutschen Interessen zu sein, als dass mit ihnen einfach gebrochen werden konnte.203 Auf der anderen Seite konnte auch die ökume196 Vgl. Kapitel 2.2.4. Zu den Ergebnissen der ökumenischen Seminare und der entsprechenden Studienarbeit vgl. Oekumenischer Rat f r Praktisches Christentum, Mission; Ders., Zweites; und Ders., Drittes. 197 Vgl. Wegener-Fueter, Kirche, 24. 198 Zur Weiterentwicklung der ökumenischen Bewegung, zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam sowie dessen Arbeit vgl. Ökumenischer Rat der Kirchen, Amsterdam; Link/M ller-Fahrenholz, Hoffnungswege; und Wendland, Kirche, 127–158. 199 Vgl. Schjørring, Perspektiven, 31–40. 200 Vgl. dazu den Punkt zehn der DC-Richtlinien vom 26. 5. 1932 bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 48. 201 Zur klaren Unterstützung der BK durch den ÖRPC in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 106–131. 202 Vgl. Kapitel 4.1.2. 203 Zur Wirkung der internationalen Ökumene in Deutschland vgl. Voigt, Ökumene, 91–271.

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nische Bewegung den Kontakt mit der DEK nicht versiegen lassen, da die BK als deren bevorzugter Verhandlungspartner zunehmend unter staatlichem Druck stand und eine Intensivierung der Repressionen vor allem im Hinblick auf die Reisegenehmigungen für deren Protagonisten zu befürchten war. Dementsprechend ging die ökumenische Bewegung auch auf die DEK in Form des KA als kirchlichen Verhandlungspartner zu. Es ist wenig verwunderlich, dass die Ökumene dem KA mit großer Skepsis und Gerstenmaier als KAMitarbeiter anfänglich mit Vorbehalten begegnete. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie er sich trotzdem mit seinen Kompetenzen sowohl als Vertrauter Heckels und Zoellners als auch Wurms über die persönliche Ebene in der internationalen Ökumene profilieren konnte. Die für 1937 geplanten zweiten Weltkirchenkonferenzen der BPC in Oxford und der BGK in Edinburgh sind vor diesem Hintergrund zu betrachten. Gerstenmaier und Bachmann, die vom KA mit der wissenschaftlichen und organisatorischen Vorbereitung der Konferenzen für die deutsche Delegation betraut worden waren, gingen ihre Aufgabe strategisch und effizient an. Dazu übernahm Gerstenmaier die federführenden Vorbereitungen für Oxford und Bachmann die für Edinburgh.204 Für die Oxforder Weltkirchenkonferenz koordinierten die Exekutivkomitees des WFK und des ÖRPC mehrere internationale Vorbereitungstagungen, um sowohl zentrale Fragestellungen der Ökumene als auch die damit zusammenhängenden Probleme zu besprechen. Die letzte Tagung vor der zweiten Weltkirchenkonferenz sollte vom 21. bis 25. August 1936 im schweizerischen Chamby bei Montreux unter der Geschäftsführung des Briten Joseph Houldsworth Oldham stattfinden. Nach Armin Boyens hatte Oldham in „beispielloser Zielstrebigkeit, Umsicht und Energie […] gewaltige theologische Arbeit“205 im Vorfeld der Konferenz geleistet, die es nun zu festigen galt.206 Die Konferenz in Chamby fiel in Gerstenmaiers Verantwortungsbereich. Von den inhaltlichen Vorbereitungen ganz abgesehen,207 stand Gerstenmaier von Anfang an vor den beiden skizzierten innerkirchlichen Fronten, die sich gegenseitig aus Legitimationsgründen ausschlossen und jeweils Ansprüche einer deutschen Alleinvertretung gegenüber der internationalen Ökumene geltend machten. Auf der einen Seite hatte sich die offizielle Vertretung der Reichskirchenleitung in Form von Wilhelm Zoellner, dem RKA, dem RELKD sowie dem für die ökumenischen Belange in der DEK zuständigen KA mit Heckel an der Spitze positioniert. Auf der anderen Seite formierte sich die VKL II der BK, die den bekenntnisorientierten Pfarrer Hans Böhm federführend 204 Aus diesem Grund wird der Schwerpunkt im Folgenden auf der Weltkirchenkonferenz in Oxford liegen. 205 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 135. 206 Das viel diskutierte Studienheft „Kirche, Staat und Volk“ (vgl. Oldham, Kirche), das Oldham bereits kurz nach der Konferenz auf Fanø 1935 herausbrachte, wird im folgenden Kapitel genauer aufgegriffen. 207 Diese werden im Folgenden ausführlich im Hinblick auf Oxford erläutert.

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mit der Pflege der ökumenischen Beziehungen betraut hatte.208 Die brisante Frage, ob beide Lager bei der letzten Vorbereitungstagung in Chamby als eine gemeinsame deutsche Delegation auftreten konnten, erhitzte die Gemüter und war im Frühjahr 1936 zu einem „Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen über Deutschland hinaus geworden.“209 Jenes „Tauziehen“210, wie es Gerstenmaier in seinem Erinnerungen bezeichnete, prägte die Vorbereitungen von Chamby,211 die für ihn in enger Kooperation mit Schönfeld und dem ÖRPC stattfanden.212 Im Sinne Zoellners konnte man sich schließlich darauf einigen, eine aus allen kirchlichen Gruppen zusammengesetzte deutsche Delegation zu bilden, obwohl dies dem Beschluss der vierten Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen widersprach.213 Chamby wurde zur ersten offiziellen Auslandsreise für Gerstenmaier im Rahmen seiner neuen Tätigkeiten in Berlin. In einem Brief an seinen Freund Hermann spezifizierte er seine Funktion während der Tagung. Der junge Theologe reiste nach seinen eigenen Beschreibungen als „Sekretär der deutschen Delegation und [als] persönlicher Referent des Generalsuperintendenten“214 in die Schweiz. Demnach trat er offenbar mehr als Mitarbeiter Zoellners anstatt als Mitarbeiter Heckels vor der gemischten deutschen Delegation in Erscheinung, die unter anderem aus namenhaften Bekenntnistheologen wie Otto und Martin Dibelius, Dietrich Bonhoeffer, Karl Koch und auch seinem Präzeptor Brunstäd bestand. Da sich Gerstenmaier der BK immer noch sehr nahe fühlte, schien ihm die Wirkung seiner Person als direkter Mitarbeiter Zoellners, dem auch die Mehrzahl der mitgereisten Bekenntnistheologen mit Hochachtung begegneten, vorteilhafter sowohl im Kommunikationsprozess mit der gemeinsamen deutschen Delegation als auch mit den internationalen Kirchenvertretern gewesen zu sein. Dass Gerstenmaier nicht 208 209 210 211

Vgl. Schjørring, Perspektiven, 81. Ebd. Gerstenmaier, Streit, 79. Zu den spezifischen Vorbereitungen der Konferenz in Chamby mit allen wesentlichen Kompromissen zwischen den beiden deutschen Lagern sowie auch der internationalen Hilfe dabei durch Bischof George Bell und Erzbischof Erling Eidem vgl. Schjørring, Perspektiven, 81–86; und Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 144–156, 342–346. 212 Zur Vorbereitung von Chamby vgl. die Korrespondenz zwischen Gerstenmaier und Schönfeld in EZA 5/4008. 213 Vgl. den Beschluss der vierten Reichsbekenntnissynode auf eine verneinte Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen in Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 328–331. Konfrontationen waren zwischen den beiden Lagern unter diesem Sachverhalt schon vorprogrammiert. Hinzu kam noch, dass Zoellner in seinem kirchenordnenden Bestreben zwar darauf bedacht war, alle kirchlichen Gruppen zu repräsentieren, die DEK jedoch allein zu vertreten. Boyens skizzierte dagegen, dass die VKL II eine eigene Delegation nach Chamby sandte (vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 146). Die steht als Einzeldarstellung konträr zu den anderen zahlreichen Aufzeichnungen (vgl. bspw. Schjørring, Perspektiven, 81). Es muss davon ausgegangen werden, dass es tatsächlich eine Delegation, jedoch mit divergierenden Lagern gab. 214 Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1).

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auf die berufliche Nähe des auf Fanø diskreditierten Heckel baute, hatte einen ganz pragmatischen Grund. Er kam nämlich mit ganz konkreten Vorstellungen nach Chamby und präsentierte dort eine Idee, die ihn viele Wochen im Voraus der Konferenz beschäftigt hatte. Ihm schwebte eine internationale und ökumenisch organisierte Beobachtungs- und Informationsstelle vor, die nicht „Gräuelmärchen, sondern verläßliche Nachrichten über die tatsächliche Entwicklung im kirchlichen und weltanschaulichen Feld Deutschlands, aber auch anderer Staaten mit ähnlichen Problemen bringen sollte.“215 Durch klare und ungefilterte Informationen plante Gerstenmaier „die zermürbenden Kontroversen in der ringenden Kirche einzustellen“216 und die innerkirchlichen Auseinandersetzungen im deutschen Protestantismus zu überwinden. Darüber hinaus sollte die Stelle eine Art ökumenische Hilfsorganisation für emigrierte Juden und andere Opfer staatlicher Gewalt sein. Gerstenmaier war zudem eine „möglichst gewichtige, anrufbare Spitze“ wichtig, die in der „Lage wäre zu intervenieren oder international abgestimmte Interventionen auch politischer Instanzen des Auslandes in Gang zu bringen.“217 Jene Idee lehnte sich eng an Söderbloms Vision eines gemeinsamen internationalen Gremiums für das christliche Gewissen für den internationalen Protestantismus an, nur eben unter einem anderen Schwerpunkt. Obwohl die Idee schon vor der Konferenz zu kontroversen Diskussionen geführt hatte, da sowohl Heckel als auch Brunstäd wegen der möglichen ausländischen Interventionen in die innerkirchlichen Angelegenheiten in Deutschland für Gerstenmaiers Vorschlag nicht zu gewinnen waren,218 wollte er trotzdem in Chamby das Potential der gemeinsamen deutschen Delegation nutzen, um „das Auge auf den gemeinsamen Feind zu richten und etwas Praktisches zu tun.“219 Sein ambitioniertes Handeln, das sich primär im Sinne Zoellners beschreiben lässt, sekundär jedoch einen staatsliberalen Fokus setzte, ging auf eine Motivation zurück, die Gerstenmaier retrospektiv in seinen Erinnerungen beschrieb: „Ich sah damals nur den Kampf mit einem militant kirchenfeindlichen Staat aufziehen. Ich glaubte nicht, daß mit den theologischen und kirchenpolitischen Verhaltensweisen der damaligen Kirche ein hinreichender Widerstand gegen die sich langsam zum Angriff auf dem Bestand der Kirche formierenden Kräfte des nationalsozialistischen Staates organisiert werden könne. Ich hatte den Versuch unterstützt, mit diesem Staat in Frieden zu leben. Ich hatte sein Wahrheitsmoment gewissenhaft und tolerant erwogen. Ich hatte mich in meiner eigenen theologischen Arbeit bemüht, die theologische Relevanz von Volk und Staat, von Rasse 215 216 217 218 219

Gerstenmaier, Streit, 79. Ebd. Ebd., 79 f. Vgl. ebd., 80. Ebd.

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und Geschichtlichkeit zu erfassen. Ich war kein Nationalsozialist, aber ich gab mir Mühe, obwohl mir vieles überhaupt nicht passte, ein loyaler Deutscher zu sein. Aber es gab Grenzen. Die Botschaft der Bibel stand nicht zur Disposition des Staates und die Kirche des dritten Glaubensartikels auch nicht.“220

Der Ausschnitt spiegelt Gerstenmaiers innere Ambivalenz während seiner frühen Berliner Tätigkeiten wider. Auf der einen Seite wollte er – ähnlich wie seine Vorgesetzten Zoellner und Heckel – loyal der Kirche im nationalsozialistischen Staat dienen. Auf der anderen Seite festigten sich seine intrinsischen Korrelationen für die Freiheit und Unabhängigkeit des kirchlichen Bekenntnisses, die ihn bereits während seiner Studienzeit bewegten und sein Handeln charakterisierten. Anhand der parataktischen Form des zitierten Ausschnittes und der wiederholten Anapher „Ich“ lässt sich die Eindringlichkeit der Frage nach kirchlicher Autonomie auch für seinen Berufseinstieg belegen. Die von Gerstenmaier im Querschnitt betrachteten staatlichen Wahrheitsmomente in Kombination zu den der Kirche mehr und mehr auferlegten Repressionen sowie der festzustellende gravierende Unterschied zwischen staatlichem Schein und Sein veranlasste ihn, eine Beziehung zum NS-Staat zu entwickeln, die sich als doppeldeutig beschreiben lässt: Trotz aller anmutenden Loyalität war es für ihn unmissverständlich, dass das Evangelium nicht zur staatlichen Disposition stand und dass gegen die militante Kirchenfeindschaft vieler führender Nationalsozialisten vorzugehen war. Genau vor diesem Hintergrund wollte Gerstenmaier die Konferenz in Chamby als Chance für seine Idee nutzen, um die kirchliche Autonomie mit internationaler Hilfe über die innerkirchlichen Auseinandersetzungen im deutschen Protestantismus hinaus zu unterstreichen. Die Realitäten vor Ort enttäuschten ihn jedoch. In erster Linie wirkten sich dabei seine negativen Erfahrungen innerhalb der deutschen Delegation aus. Obwohl Hanns Lilje in seinem Bericht über die Konferenz schrieb, dass es keine offenen Spannungen in der deutschen Delegation gegeben habe, „weil die Beteiligten sich bemühten, schwierige Fragen entweder zu vermeiden oder auf dem Wege privater Verhandlungen zu klären“221, standen sich die beiden Lager konfrontativ gegenüber und beschränkten den inhaltlichen Austausch so nur auf ein Minimum.222 In einem Brief kurz nach der Konferenz an seinen Freund Hermann machte Gerstenmaier seinem Ärger darüber Luft: „Ich habe mich in Chamby während der Ratstagung des Ökum. Rates mit den Leuten [den von ihm als Dahlemiten bezeichneten Teil der Delegation] vollends verkracht. Größere Anmasslichkeit mit theologischen Argumenten habe ich nie erlebt. Dafür habe ich in der BK nicht gekämpft.“223 Wenn man Gerstenmaiers Darstel220 221 222 223

Ebd. Bericht von Lilje über Chamby 1936 zit. nach Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 350–352, hier 352. Vgl. Gerstenmaier, Streit, 81. Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1).

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lungen mit denen von Lilje sowie auch dem kritischen Bericht der VKL II von Böhm224 vergleicht, so wird deutlich, dass es über die offiziellen Tagungsdiskussionen viele wichtige Gespräche am Rande der Konferenz über den Bestand des deutschen Protestantismus gegeben haben muss, die wiederum Spannungen erzeugten, obwohl man sie vermeiden wollte. Trotz jener Ernüchterung nutzte Gerstenmaier die internationale Bühne von Chamby, um vor anderen Kirchenführern für seine Idee zu werben. Bei dem dänischen Bischof Ove Valdemar Ammundsen, der damals schon – ähnlich wie Keller – als Pionier der ökumenischen Bewegung galt,225 fand er Gehör. Ammundsen würdigte Gerstenmaiers Idee, hielt sie allerdings derzeit für nicht realisierbar. Der Bischof führte Gerstenmaier vor Augen, dass sich die Genfer Zentrale des ÖRPC um diese vorgetragenen Intentionen kümmern wolle und dass er von der zweiten Weltkirchenkonferenz in Oxford eine wesentliche Förderung in diesem Sinne erwarten könne.226 Schönfeld, der als Leiter der Forschungsabteilung ÖRPC mit Gerstenmaier während der Konferenz in Chamby eng zusammenarbeitete und ihn auch Ammundsen als Gesprächspartner nahelegte, bestätigte in einem späteren Bericht das offene Gespräch zwischen den beiden Theologen.227 Alle Hoffnung richteten sich nun auf Oxford. Das inhaltliche Ergebnis der Konferenz in Chamby war mit wenigen Überraschungen verbunden. Sowohl das Thema als auch die Unterthemata für die Weltkirchenkonferenz in Oxford waren weitgehend unstrittig und wurden entsprechend fixiert.228 Nach Liljes Einschätzung überraschte dagegen die „Frage einer einheitlichen [deutschen] Delegation“229. Man einigte sich darauf, wie die 21 für Oxford zur Verfügung stehenden deutschen Plätze paritätisch zwischen den beiden Lagern aufgeteilt werden sollten,230 obwohl die Frage nach dem Delegationsleiter weiterhin offen blieb.231 Der Bischof der Church of

224 Vgl. den Bericht bei Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 347–350. 225 Zu Ammundsens ökumenischer Arbeit vgl. vor allem Beyer/Glenthøj, Ammundsen, 264–271. 226 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 80. 227 Vgl. Menn, Ordnung, 228. 228 Das Thema „Kirche, Volk und Staat“ wurde bereits während der Konferenz auf Fanø fixiert und blieb weiterhin bestehen. In Chamby einigte man sich auf fünf Unterthemata/Sektionen: 1. Die Kirche und das Volk, 2. Die Kirche und der Staat, 3. Kirche, Volk und Staat im Verhältnis zum Wirtschaftsleben, 4. Kirche, Volk und Staat im Verhältnis zur Erziehung, 5. Die eine heilige Kirche (una sancta) und die Völkerwelt (a world of nation). Ein ursprünglich geplantes 6. Unterthema „Die Christenheit und der Krieg“ sollte im fünften Unterthema mit bearbeitet werden (vgl. den Bericht von Böhm in Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 348). 229 Bericht von Lilje in ebd., 352. 230 Jene paritätische Lösung gliederte Boyens ohne wirklichen Beleg in eine Drittellösung auf. Demnach sollen der RKA, die VKL II sowie der RELKD jeweils ein Drittel der Delegation stellen (vgl. ebd., 148). 231 Vgl. Voigt, Ökumene, 239.

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England, der Anglikaner George Bell,232 schien bei diesem Kompromiss mittels seiner „diplomatischen Bemühungen in vielen Privatgesprächen“233 mit deutschen Delegierten neben den Sitzungen entscheidend mitgewirkt zu haben.234 Jenes Ergebnis war auch für Gerstenmaier wichtig, da er nun seine weiteren Vorbereitungen mit jenem Wissen um die deutschen Teilnehmer vertiefen konnte. Zudem bildete Chamby für ihn einen ersten Kulminationspunkt seiner ökumenischen Arbeit, da er vor Ort alle wesentlichen Vertreter der ökumenischen Bewegung kennenlernen konnte. Deshalb waren die Teilnahme und die Aufgaben vor Ort trotz der kontroversen Erfahrungen mit dem Dahlemer Flügel der BK und seiner nicht zur Umsetzung gekommenen Idee eine „große Freude“235, wie er kurz nach der Konferenz an Zoellner schrieb. Ferner verstand er, wie wichtig entsprechende Netzwerke waren, um eigene Ideen voran zu bringen und Mehrheiten zu bilden. In diesem Zusammenhang ist auch seine Beziehung zu Schönfeld zu beschreiben. Vorerst schienen beide durch ihre Aufgaben und ihr Handeln von einander profitierten zu wollen. Dies zeigte sich insbesondere in einem Brief, den Schönfeld am 28. September 1936 an Gerstenmaier sandte: „Sie wissen ja, wie wichtig es uns sein wird, mit Ihnen in lebendiger persönlicher Fühlung zu bleiben und falls eine Aussprache einmal innerhalb der Zukunft notwendig sein sollte, so wissen Sie auch, dass ich persönlich immer gern dazu bereit bin.“236 Später entwickelte sich die Beziehung zu einer lebendigen Freundschaft weiter,237 die im Hinblick auf die spätere konspirative Arbeit beachtet werden muss.238 4.3.2 Die Weltkirchenkonferenz in Oxford und deren Umfeld Die Vorbereitungen der zweiten Weltkirchenkonferenz der BPC in Oxford nahmen nach dem Abschluss der Konferenz in Chamby deutlich an Fahrt auf. Nach einer gewissen Einarbeitungszeit wurde Gerstenmaier am 1. August 1936 noch einmal offiziell mit den Vorbereitungen der Weltkirchenkonferenz für die DEK betraut. In einem Brief an seinen Freund Hermann beschrieb er dies ausführlich und skizzierte, dass er nun eine eigene kleine Abteilung bekommen habe, die „als Geschäftsstelle der DEK hier in Charlottenburg in

232 Bell war ein enger Verbündeter der BK und nahm für den deutschen Widerstand auch eine wichtige Rolle ein. Zu Bells Wirken vgl. Chandler, Patronage, 47–70. 233 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 147. 234 Vgl. den ausführlichen Bericht vom 8. 9. 1936, den Bell an Erzbischof Eidem sandte in ebd., 343–346. 235 Brief Gerstenmaiers an Zoellner vom 28. 9. 1936 (EZA 5/4008). 236 Brief Schönfelds an Gerstenmaier vom 28. 9. 1936 (EZA 5/4008). 237 Vgl. die briefliche Korrespondenz zwischen den beiden Theologen in EZA 5/4008. 238 Zur Beziehung von Gerstenmaier und Schönfeld im Widerstand vgl. Kapitel 5.2.1 und 5.2.2.

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unmittelbarer Nähe der Kirchenkanzlei und des Aussenamtes sitzt.“239 Der enge Konnex zu den wesentlichen kirchenpolitischen Instanzen war somit gegeben. Neben der organisatorischen Koordination für die in Chamby beschlossene gemeinsame deutsche Delegation konzentrierte sich die in Gerstenmaiers Händen liegende wissenschaftliche Vorbereitung der Konferenz vor allem theologisch und philosophisch auf das während der Konferenz auf Fanø festgesetzte Konferenzthema „Kirche, Volk und Staat“. Der Brite Oldham legte bereits im Frühjahr 1935 im Namen der Forschungsabteilung des ÖRPC Studien zum selben Thema vor,240 die die thematische Ausrichtung der Weltkirchenkonferenz in Oxford bestimmen sollten. Hier verarbeitete der versierte Ökumeniker und Missionstheologe auf 48 Seiten die „ungeheure Ausdehnung der Funktion des Staates“, die seiner Beschreibung nach zu den „eindrucksvollsten Veränderungen der letzten Jahrhunderte“241 zähle. Das zeitgenössische Phänomen eines totalen Staates242 war seiner Meinung nach für alle Kirchen theologisches Neuland. Auf der einen Seite brachte der totale Staat das traditionelle kirchliche Staatsverständnis zwar an den Rand seiner eigenen Leistungsfähigkeit, auf der anderen Seite erkannte Oldam dies gleichzeitig als große Chance, die es kirchlich zu nutzen galt.243 In diesen großen Zusammenhang ordneten sich die Vorbereitungen von deutscher Seite thematisch ein. Die in Oxford zu diskutierenden Fragen – wie beispielsweise „Welchen Dienst soll und kann die Kirche der Welt leisten, und welche Forderungen hat die Kirche um ihres Auftrags willen an die Welt zu richten?“244 – sollten im Rahmen dieser Vorbereitungen differenziert besprochen werden. Gerstenmaier steuerte insgesamt sechs von ihm ins Leben gerufene Forschungsgruppen, die nach seiner Einschätzung „alle namenhaften Kapazitäten, Theologen und Nichttheologen umfassen, die der deutsche Protestantismus heute noch vorzuweisen“245 habe. Insgesamt sollte es sich 239 Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 240 Vgl. Oldham, Kirche. 241 Ebd., 7. 242 Oldham definierte den totalen Staat wie folgt: „Der totale Staat ist ein Staat, der den Menschen in der Ganzheit seines Seins mit Beschlag belegt; der seine eigene Autorität zur Quelle aller Autorität macht; der es ablehnt, die Unabhängigkeit von Religion, Kultur, Erziehung und Familie in ihren eigenen Lebensgebieten anzuerkennen; der allen seinen Bürgern eine bestimmte Weltanschauung aufzuzwingen sucht; und der bestrebt ist, auf dem Wege über alle Organe öffentlicher Meinungsbildung und Erziehung einen bestimmten Menschentyp in Uebereinstimmung mit seinem eigenen Verständnis von Sinn und Ziel menschlicher Existenz zu schaffen. Ein Staat, der solche Ansprüche erhebt, behauptet für sich selbst nicht nur Staat, sondern auch Kirche zu sein.“ (Ebd., 9). 243 Zu Oldhams Thesen vgl. ebd., 7–48; Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 138–140; und Huttner, Kirchen, 111–113. 244 Heckel, Einleitung, 7. 245 Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1).

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dabei um ungefähr 50 Theologen, theologische Laien, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler sowie auch einige Politiker gehandelt haben, die innerhalb der sechs Gruppen an den Diskussionsgrundlagen für die fünf in Chamby festgelegten Sektionen der Oxforder Konferenz in „offenem Gedankenaustausch“246 mitarbeiteten. Nach Heckel waren die Arbeitstreffen im Berliner Harnackhaus von „dem lebendigen Willen zur Gemeinschaftsarbeit beseelt“247, was wiederum zu einem sehr guten Arbeitsklima führte. Den Forschungsgruppen gehörten unter anderen Otto Dibelius, Wilhelm Stählin, Karl Heim, Theophil Wurm, August Marahrens, Paul Althaus, Hans Beyer, Wilhelm Zoellner, Heinz-Dietrich Wendland, Helmuth Schreiner und Friedrich Brunstäd an.248 Besonders stolz schien Gerstenmaier über eine Personalie zu sein, die er für die Forschungsgruppe Wirtschaftsfragen gewinnen konnte: August Winnig. Mehrfach verlieh er seiner Freude in Briefen darüber Ausdruck, dass er den christlich-konservativen Sozialdemokraten, der für seine eigene politische Sozialisation und schließlich auch seine politische Identität eine sehr wichtige Rolle spielte,249 für die Mitarbeit überzeugen konnte.250 In einem Brief an seine Eltern spezifizierte Gerstenmaier zu den Forschungsgruppen darüber hinaus noch einmal: „Mit der Entwicklung meines eigenen Sachgebiets bin ich zufrieden; ich habe nun fast alle kirchlich und wissenschaftlich führenden Leute, die für die oekumenische Arbeit in Betracht kommen, glücklich unter einen Hut gebracht. Ein Kunststück, wenn man dabei allein mehr als 30 Professoren gerecht werden soll. Die radikalen Dahlemiten tun nicht mit, die wilden DC brauche ich nicht.“251

Damit drückte er deutlich aus, wer ihm wichtig war und wer nicht. Da es in Chamby zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und dem Dahlemer Flügel der BK gekommen war,252 erwartete Gerstenmaier von den sogenannten Dahlemiten – auch wenn er sie anscheinend angefragt hatte – keinen wissenschaftlichen Mehrwert für seine ökumenische Vorarbeit für Oxford. Für sein Vorgehen stützte er sich also auf den lutherisch geprägten Flügel der BK, deren Mitglieder die staatliche Ausschusspolitik mittrugen. In erster Linie waren dies sowohl der RELKD als auch die lutherisch bestimmten Bruderräte der BK.253 246 Heckel, Einleitung, 14. 247 Ebd. 248 Eine genaue Liste der mitwirkenden Personen liegt nicht mehr vor bzw. kann nicht mehr rekonstruiert werden. 249 Vgl. Kapitel 2.1.1. 250 Gerstenmaier betonte dies stolz sowohl im Brief an seinen Freund Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) als auch in einem Brief an seine Mutter vom 21. 6. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 251 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 9. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 252 Vgl. dazu Kapitel 4.3.1. 253 Dieser Sachverhalt wurde ihm später zum Vorwurf gemacht. Vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 138.

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Gerstenmaier stand während der Vorbereitungen mit zahlreichen Menschen aus der ökumenischen Bewegung in regem Kontakt. Hervorzuheben sind freilich die beiden wesentlichen Verantwortungsträger der Forschungsabteilung des ÖRPC in Genf, Nils Ehrenström und der bereits erwähnte Schönfeld, sowie der mit der Gesamtvorbereitung der zweiten Weltkirchenkonferenz betraute Oldham.254 Sie tauschten sich intensiv über die Entwürfe der deutschen Konferenzbeiträge, die Zusammensetzung der Gruppen und die Einschätzung von deren Leiter aus, empfahlen und verschickten sich diverse Literatur und trafen gemeinsame Absprachen zum Konferenzablauf in Oxford.255 So teilte Ehrenström Gerstenmaier beispielsweise am 12. Februar 1937 mit, dass sich der ÖRPC darauf verständigt habe, die Diskussionsgrundlagen für die fünf Sektionen in vier Hauptteile256 aufzugliedern. Dies setzte Gerstenmaier in seinen sechs Forschungsgruppen entsprechend um. Die vielfältigen Aufgaben in Form von Reisen, Vorträgen, Gesprächen und Verhandlungen sowie die fortwährende Berichterstattung über die Weiterentwicklungen der Vorbereitungen an Heckel, Meiser und Wurm257 forderten so viel Zeit und Kraft, dass er im Brief an Hermann gar schrieb: „Ein persönliches Leben besitze ich gegenwärtig kaum noch. Werktag und Sonntag haben fast das gleiche Gesicht.“258 Diese Stelle zeigt, mit welcher Akribie er seine Koordinierungsaufgaben anging, auch wenn er dafür auf einiges verzichten musste, das er gern – ehrenamtlich – wahrgenommen hätte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jener weitere Satz: „Ich bedaure oft, dass ich hier nie mehr in den Talar komme.“259 So sehr ihn seine wissenschaftliche Beauftragung auszufüllen schien, fehlte ihm demnach trotzdem der lebendige Kontakt zu einer Gemeinde. Auch wenn sich dieser wohl eher auf die homiletischen als auf die sonstigen pfarramtlichen Aufgaben eines Theologen bezog, besuchte er den sonntäglichen Gottesdienst sooft er 254 Zu Oldhams Rolle bei den Vorbereitungen vgl. ebd., 134–144. 255 Vgl. die briefliche Korrespondenz zwischen Schönfeld, Ehrenström, Oldham und Gerstenmaier zwischen dem 9. 1. 1937 und dem 2. 3. 1937 sowie 10. 3. 1937 und 2. 6. 1937 (EZA 5/4008). 256 Die Beiträge sollten nach folgendem Muster gegliedert sein: 1. Tatbestandsaufnahme, die die „wesentlichsten Merkmale und die tieferen Triebkräfte der gegenwärtigen Lage“ herausarbeiten sollte; 2. Übersicht über Fragen und Aufgaben geben, die eine internationale Stellungnahme fordern; 3. Darstellung einer christlichen Haltung zu diesen Fragen bieten; 4. Hinweise sollten auf unmittelbare praktische Aufgaben zusammengefasst werden, „die sich aus der neu erkannten Verantwortung der Kirche für den betreffende Lebensbereich ergaben.“ (Brief Ehrenströms an Gerstenmaier vom 12. 2. 1937 in EZA 5/4008). Ein Blick auf den abschließenden Bericht der Weltkirchenkonferenz zeigt, dass jenes viergliedrige Muster im Wesentlichen auch vor Ort umgesetzt wurde. Vgl. dazu die Berichte aus den fünf Sektionen (vor allem die Sektion II zum Thema Kirche und Staat) in Forschungsabteilung, Kirche, 51–266. 257 An Heckel berichtete er, weil dieser sein direkter Vorgesetzter war; an Meiser berichtete er, weil dieser der Vorsitzende des RELKD war; und an Wurm berichtete er wegen seiner speziellen württembergischen Beauftragung. 258 Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 259 Ebd.

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konnte.260 Vor diesem Hintergrund zeigte sich wiederum die tiefe religiöse Verwurzelung sowie pietistische Prägung Gerstenmaiers, die einen Teil seiner Frömmigkeit immer noch klar bestimmte. Die Freiheit und Unabhängigkeit des kirchlichen Bekenntnisses beschäftigten ihn auch während der Vorbereitungen für Oxford. So war er trotz der räumlichen Distanz zu Rostock immer noch in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in Mecklenburg involviert. An seine Eltern schrieb er: „Der Kirchenkampf hat sich in Mecklenburg neu belebt. Wir geben nicht nach, bis der dortige wilde DC-Oberkirchenrat gestürzt ist. Die Dinge treiben – von uns willentlich gefördert – auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Staat hinaus. Abgesehen von den kirchenregimentlichen Angelegenheiten, ist dies in allen Fragen der Erziehung, Bildung, Öffentlichkeitsarbeit unvermeidlich.“261

In enger Verbindung zu seinem Lehrer Brunstäd setzte er sich fern des mecklenburgischen Schauplatzes vor dem RKA und eben auch vor Zoellner für eine bekenntnisorientierte Kirchenleitung an der Ostsee ein. Er verband dadurch jenes „alte Kampfgebiet“ mit einem neuen: dem „Grosskampf mit dem marschierenden Neuheidentum“262. Vermutlich schien er damit auf die staatlichen Interventionen in der Kirchenpolitik sowie die von Teilen der nationalsozialistischen Bewegung geförderte religiöse Gegenströmung zum Christentum hinaus zu wollen. Dass es schon 1936 zwischen dem RKA und dem RKM zu kirchenpolitischen Anspannungen gekommen war, steht außer Frage. Nach knappen 16 Monaten kooperativer Tätigkeit zwischen den beiden Institutionen entluden sich die aufgebauten Spannungen am 12. Februar 1937 mit dem Rücktritt des RKA unter Zoellner.263 Über die breit gefächerten Rücktrittsgründe264 hinaus 260 Vgl. ebd. 261 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 9. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 262 Brief Gerstenmaiers an Hermann vom 22. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 263 Zu den Vorgängen vgl. Besier, Kirchen, 631–640. 264 Als Gründe für den Rücktritt können folgende genannt werden: (1) Die von Kerrl in seiner ersten Durchführungsverordnung vom 3. 10. 1935 angewiesene Bildung von Kirchenausschüssen konnte neben dem RKA nicht in allen Landeskirchen durchgesetzt werden. So wurde unter anderem in den deutschchristlich geführten Landeskirchen Thüringen, Anhalt und Mecklenburg kein LKA gebildet. Kerrl unternahm wegen möglicher Gegenwirkung der NSDAP nichts, um seine eigene Verordnung durchzusetzen. (2) Kerrl und das RKM vermochten es nicht, den Widerstand einiger Reichsstatthalter gegen die kirchlichen Neuordnungsbestrebungen zu überwinden und Reichsgewalt gegen die Ländergewalt durchzusetzen. (3) Die seit 1936 im ganzen Reich zugenommene antichristliche Propaganda konnte trotz der Denkschriften der BK und auch des RKA nicht gemindert werden. (4) Die Berufung des aus der Kirche ausgetretenen und als bekannt antichristlich handelnden Hermann Muhs zum Staatssekretär im RKM im November 1936 rief eine heftige Auseinandersetzung zwischen Kerrl und Zoellner hervor. (5) Die Komplikationen im Rahmen der Vorbereitungen der Weltkirchenkonferenz in Oxford hatten Zoellner stark verstimmt. (6) Die Arbeit des RKA

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hieß es in der Erklärung von Zoellner, dass die „innerkirchliche Autorität und Glaubwürdigkeit [des RKA] ernstlich in Frage gestellt wurde und durch die uneingeschränkt vordringende antichristliche und antikirchliche Propaganda“265 einiger NS-Instanzen sowie der zunehmenden staatlichen Repressionen gegen die DEK eine verantwortungsvolle kirchliche Arbeit nicht mehr möglich sei.266 Die Nachricht verbreitete sich rasch und wurde unterschiedlich bewertet. So hielt beispielsweise die Thüringerin Marie Begas, die sich schon früh der BK angeschlossen hatte und als Sachbearbeiterin im Eisenacher Landeskirchenamt alle Entwicklungen des Kirchenkampfes akribisch dokumentierte, in ihrem Tagebuch fest: „Der R.K.A. ist zurückgetreten. Gott sei Dank! In letzter Minute! Beinahe hätten die Brüder es fertig gebracht, die ganze Kirche zu zerbrechen. Groooooße Stunde!!“267 Mit dem Rücktritt des RKAwar nicht nur die „Ära Zoellners“268 zu Ende, sondern auch die Politik des RKM, mit Hilfe von Kirchenausschüssen die evangelische Kirche neu zu ordnen, klar gescheitert. Die DEK war erneut einem „erbarmungswürdigen Zustand innerer Zerrissenheit“269 ausgesetzt. Im Hinblick auf eine staatlich legitimierte Kirchenleitung entstand gegenüber der BK ein Vakuum, das Reichskirchenminister Kerrl als selbst ernannter Vertreter einer Synthese von Christentum und Nationalsozialismus zu füllen versuchte270 und schließlich per Verordnung der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei unter ihrem Präsidenten, dem Juristen Friedrich Werner, die Leitung der DEK übertrug.271 Gerstenmaier war vom Scheitern der Ausschusspolitik direkt betroffen, da

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wurde vom RKM nicht entsprechend gewürdigt. So wurden fertig ausgearbeitete Pläne der Verfassungskammer des RKA zur Neuordnung der Kirche nach dem Bottom-up-Prinzip nicht beachtet, geschweige denn umgesetzt. (7) Den letzten Impuls zum Rücktritt gab der Fall Lübeck. Die Lübecker DC-Kirchenleitung hatte neun Pfarrer wegen deren Tätigkeit für den Bruderrat der BK aus dem Kirchendienst entlassen. Als sich der RKA hinter die Pfarrer stellte und das RKM um Intervention bat, wurde diese verweigert. Darüber hinaus wurde Zoellner von der Gestapo im Auftrag des RKM am 5. 2. 1937 gehindert, in Lübeck zu predigen. (8) Zwei innere Gründe kamen hinzu: a) Dem RKA wurde von zahlreichen Kirchenführern die notwendige kirchliche Legitimation versagt. b) Die inneren Auseinandersetzungen unter den acht Mitgliedern des RKA schienen unüberwindlich. DC-Pfarrer Walter Wilm intrigierte gegen Zoellner beim RKM und Landesbischof Ludwig Diehl versagte wegen seiner Parteigebundenheit mehrmals einmütige Beschlüsse (vgl. Brunotte, Bekenntnis, 93). Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 320. Vgl. die gesamte Rücktrittserklärung des RKA vom 12. 2. 1937 in ebd., 318–321. Tagebucheintrag vom 12. 2. 1937 in Begas, Tagebuch, 608. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 149. Gerstenmaier, Streit, 85. Bereits 13. 2. 1937 legte er in einer programmatischen sowie drohenden Rede vor Kirchenvertretern seine weiteren Pläne im Blick auf die DEK dar. Die Kirche dürfe kein Staat im Staate sein und sich auch nicht anmaßen, den Staat belehren zu wollen. Wer gegen den Staat oder die NSDAP redete, dem drohte er Disziplinarmaßnahmen an (vgl. die Rede in Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 321–325). Zu den weiteren Entwicklungen durch die 17. Durchführungsverordnung Kerrls vom 10. 12. 1937 im Blick auf die schwierige Situation der Leitung der DEK durch die Kirchenkanzlei vgl. Brunotte, Bekenntnis, 98–111; und Marahrens, Staatskirchenhoheit, 74–80.

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er sich sowohl als Mitarbeiter Heckels als auch Zoellners an den Schnittstellen mehrerer Institutionen bewegte.272 Am 14. März 1937 berichtete er seinen Eltern brieflich von den Ereignissen in Berlin. Demnach stand der RKA schon längere Zeit mit dem RKM „auf Kriegsfuss“273. Der „ganze Krach“274 um die eigentliche Aufgabe des RKA, die das RKM jedoch nach Gerstenmaiers Meinung nicht umgesetzt sehen wollte, sei nun eskaliert und habe zum „saueren“275 Rücktritt Zoellners geführt. Gerstenmaier schrieb seinen Eltern ferner, dass er Zoellner trotzdem über die weiteren Entwicklungen fast täglich weiter Bericht erstattete.276 Dies unterstrich nicht nur die loyale Haltung Gerstenmaiers zu seinem ehemaligen Vorgesetzten, sondern auch seine Abneigung gegenüber der destruktiven Politik des RKM. Im Rahmen jener strukturellen kirchenpolitischen Umbrüche gingen die Vorbereitungen unter Gerstenmaiers Aufsicht weiter voran. Für Oxford sollte – über die Arbeit der sechs Forschungsgruppen hinaus – ein wissenschaftlicher Tagungsband entstehen, der als deutscher Beitrag zu den „Gesamtvorbereitungen der Weltkirchenkonferenz“277 verstanden werden konnte. Heckel appellierte in dem kurz vor Oxford erschienen und von Gerstenmaier herausgegebenen Werk „Kirche, Volk und Staat. Stimmen aus der Deutschen Evangelischen Kirche zur Oxforder Weltkirchenkonferenz“278 nach einem langen Abriss über das sowohl traditionsreiche als auch positive Verhältnis der DEK zur ökumenischen Bewegung in der Einleitung, dass es „stets das Anliegen des deutschen Protestantismus [gewesen sei], an der theologischen Fundierung der ökumenischen Bewegung mitzuwirken“279 und dadurch einen bewussten Beitrag zu den „noch im Fluß befindlichen ökumenischen Gesprächen“280 aus deutscher Perspektive aufzuzeigen. Das Werk müsse deshalb im Zusammenhang mit dem weitschichtigen Material der letzten Jahre betrachtet werden, da es von allem anderen deutschen Engagement losgelöst nicht zu fassen sei.281 In seinen Erinnerungen beschrieb Gerstenmaier die Rolle von Heckel bei den Vorbereitungen des Bandes recht ausführlich. So zurückhaltend sich der KA-Leiter bei den Gesamtvorbereitungen einbrachte, desto mehr steigerte sich sein Interesse während der sichtlichen Fortschritte aus den sechs Forschungsgruppen.282 Aus deren Arbeit heraus entstanden schließlich 16 Beiträge, die Gerstenmaier in dem bereits genannten Band 272 Vgl. Kapitel 4.2. 273 Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 14. 3. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/2). 274 Ebd. 275 Ebd. 276 Vgl. ebd. 277 Heckel, Einleitung, 12. 278 Zum Gesamtwerk vgl. Gerstenmaier, Kirche. 279 Heckel, Einleitung, 10. 280 Ebd., 11. 281 Vgl. ebd., 15. 282 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 81.

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zusammenfasste und zur Weltkirchenkonferenz vorzulegen gedachte. Darunter reihten sich viele theologische, aber auch einige gesamtgesellschaftliche sowie staats- und völkerrechtliche Abhandlungen ein, die ihre Schwerpunkte unter anderen auf Wirtschaft und Erziehung setzten.283 Gerstenmaier brachte als Herausgeber des Bandes einen eigenen Beitrag unter dem Titel „Die Kirche und die Kirchen“284 ein, der im Hinblick auf die Ökumene zu beachten ist, da er als ein Plädoyer für die weltweit vernetzte Gemeinschaft der Christenheit unter definierten Voraussetzungen gewertet werden kann. In Anlehnung an seine Qualifikationsschriften setzte sich Gerstenmaier darin systematisch mit dem von ihm so beschriebenen kirchlichen „Kernproblem der Ökumene“285 sowie deren öffentlichkeitswirksamer Wahrnehmung auseinander. Ausgehend von der una sancta ecclesia, wie sie im Credo der Christenheit bekannt wird, skizzierte er, dass es „keine Möglichkeit [gebe], sachgemäß von der Kirche, den Kirchen und ihren kirchlichen Bemühungen zu handeln, als indem von der einen Kirche des einen Herrn gehandelt wird.“286 Aus der reformatorischen Tradition, dem siebten und achten Artikel der Confessio Augustana sowie den von Luther verfassten Schmalkaldischen Artikeln sah er den „Glaube[n] an die nur zu glaubende Eine heilige christliche Kirche“287 belegt. Der Glaube an den Bestand der Kirche falle demnach in eins mit dem Glauben an ihre Einheit, da er denselben Grund habe.288 Nach Gerstenmaier nahm die Kirche ein ausdrückliches Schlüsselamt im Dienst an der Welt ein, da ihre Seelsorge an der Welt letztlich all das in jenem Dienst sei, was sie sei und sein wolle.289 Obwohl Gerstenmaier die Vielfalt der Kirchen bedachte290 und auf deren Bekenntnisverschiedenheiten hinwies,291 definierte er die wichtigste Voraussetzung für die Ökumene im kirchlichen Bekenntnis selbst.292 Die Ökumene könne „darum als zusammengehörige Gesamtheit der Kirchen auch nur so weit reichen, als diese

283 Zu den Autoren gehörten Paul Althaus, Friedrich Brunstäd, Johannes Behm, Otmar Freiherr von Verschuer, Gerhard May, Hans Gerber, Martin Dibelius, Gerhard Ohlemüller, HeinzDietrich Wendland, Wilhelm Menn, Helmuth Schreiner, Theodor Ellwein, Constantin Frick und Gerstenmaier selbst. Zu den Artikel vgl. Gerstenmaier, Kirche. 284 Vgl. Gerstenmaier, Kirchen, 100–128. 285 Gerstenmaier, Streit, 82. 286 Gerstenmaier, Kirchen, 102. 287 Ebd., 103. 288 Vgl. ebd., 103. 289 Vgl. ebd., 106. 290 Vgl. ebd., 107–112. 291 Vgl. ebd., 112–117. 292 Im Bekenntnis und in dessen Besonderheiten liege auch der Mittelpunkt der gemeinsamen theologischen Arbeit in der Ökumene. „Hier hat die Theologie jeder Kirche ihre erste unmittelbar ökumenische Aufgabe, indem sie die kirchliche Individualität, der sie dient, unablässig auf diesen Mittelpunkt ihres Bekenntnisses hinweist und alle kirchlichen Besonderheiten daran prüft und danach ausrichtet.“ (Ebd., 121).

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Kirchen in ihrer Bekenntnismitte übereinstimmen.“293 Bei der weltweit vernetzten Ökumene komme es im Kern auf die Bezeugung der Einzelkirchen an. „Zur Kirche gehört darum, wer an den j}qior wqist|r glaubt, d. h. wer ihm als seinem Gott und Herrn lebt. Sein Denken, auch sein theologisches Denken mag dann ein Teil davon sein. Die eine Wahrheit, ohne die es keine Einheit der Kirche gibt, ist darum nicht in der Vereinerleiung der theologisch-kirchlichen Denkformen und Lehrgestalten zu suchen, sondern allein in der Gleichgerichtetheit und Gleichbestimmtheit der Kirche und kirchlichen Gestaltung als der jeweiligen Gemeinschaft derer, die in den verschiedensten Vorstellungsgehalten und Gedankengefügen, mit den unterschiedlichsten Mitteln und in den mannigfachsten Sprachen und Ausdrucksformen alle auf den einen Christus als die eine Mitte ihrer verschiedenen Bekenntnisformen hinleben und darin die eine Wahrheit der Kirche offenkundig machen, daß Christus ,darum für alle gestorben ist, auf daß die, so da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist‘ (2. Kor. 5, 15).“294

Das Bekenntnis zu Christus mache nach Gerstenmaier also den Kern der Ökumene aus, denn Christus sei überall dort, wo sein Wort und Sakrament in ihrer ganzen Sicht- und Hörbarkeit gepredigt und verwaltet werde. Überall, wo das geschehe, „ist darum die Eine heilige Kirche in ihrer Einheit sichtbar gegenwärtig. Denn: ubi Christus, ibi ecclesia.“295 Die „leidenschaftliche Bemühung“296 um die strukturelle Organisation der Ökumene sei an diese Bedingung geknüpft. Dies bildete für Gerstenmaier die bedingungslose Voraussetzung für die zu bauenden ökumenischen Strukturen. Gerstenmaiers weite Definition der Ökumene machte ein breites Spektrum des ökumenischen Handelns über die nationalkirchlichen Bestrebungen der DEK hinaus möglich. Vor dem Hintergrund des staatlichen Totalitarismus und des auf ihm lastenden Druckes von allen Seiten ist sie trotzdem als mutiger Beitrag zu einer internationalen und überkonfessionellen Vernetzung der Christenheit unter Christus zu werten. Bewusst schien sich Gerstenmaier der Rolle des Staates bei der zu bauenden Ökumene nur am Rande zu widmen. Ähnlich wie in seinen Qualifikationsschriften297 sowie im Duktus der ZweiReiche-Lehre Luthers sprach er sich gegen eine Vermischung von kirchlichem und staatlichem Bereich aus. „Für alle darf darum der Öffentlichkeitsanspruch, den sie [die Einzelkirche] innerhalb ihres Staates […] ausübt, weder einen direkten (klerikal-institutionellen), noch einen indirekten (demokratisch-liberalen) politischen Herrschaftsanspruch bedeuten.“298 Damit versuchte Gerstenmaier sowohl die Grenze des Staates als auch der jeweiligen 293 294 295 296 297 298

Ebd., 119. Ebd., 122 f. Ebd., 124. Ebd., 123. Vgl. Kapitel 3.1.2. Gerstenmaier, Kirchen, 127.

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nationalen Einzelkirche aufzuzeigen. Jene klare Trennung hatte mit der ökumenischen Arbeit jedoch nur sekundär zu tun, da die ökumenische Zusammenarbeit primär unter einheitlichen Bekenntnis zu Christus zu fassen war. Die Genese des Bandes war mit einigen Herausforderungen verbunden. So erinnerte sich Gerstenmaier später, dass sowohl Rosenberg als auch das Reichspropagandaministerium (RPM) in den Entstehungsprozess intervenierten und die staatlichen Instanzen „durch dubiose Figuren einen jämmerlichen Brei nationalsozialistischen ,Gedankenguts‘ verspritzen“299 ließen, den er als Verantwortlicher in einem gewissen Rahmen zu kompensieren gewillt war. „Ich war für scharfe Zurückweisung. Mein kluger Chef jedoch für Nichtbeachtung und loyale Haltung gegenüber dem Staat.“300 Heckel überzeugte seinen Mitarbeiter schließlich zu politischen Zugeständnissen mit dem Argument: „Wollen Sie gedruckt oder verboten werden?“301 Damit ließ sich Gerstenmaier auf Beiträge ein, die er unter anderen Umständen abgelehnt hätte. Dies zeigt zweifelsfrei, welchen Einfluss der kooperationswillige Bischof auf seinen Mitarbeiter hatte. Mit dem „Blick auf die deutsche Zensur“302 druckte Gerstenmaier sowohl einen Artikel von Otmar Freiherr von Verschuer303 über „Erbbiologische Erkenntnisse zur Begründung der deutschen Bevölkerungs- und Rassenpolitik“304 als auch eine „Antibolschewistische Kundgebung volksdeutscher Kirchenführer“305 ab. Die Abhandlung des führenden Rassenhygienikers aus Frankfurt am Main empfand Gerstenmaier – obwohl er von Verschuer nach einem Besuch positiv gesonnen war306 – als „für mindestens überflüssig, Heckel für optisch nützlich.“307 Noch größere Probleme hatte Gerstenmaier mit dem zweiten genannten Beitrag, auf den wiederum Heckel großen Wert legte. Der Bischof wollte durch jene Kundgebung zahlreicher volksdeutscher Kirchenführer eine klare Abgrenzung zum immer militanter werdenden Kommunismus schaffen308 und somit vermutlich den Nationalsozialismus als bessere Staatsideologie legitimieren, auch wenn sich dies nur zwischen den Zeilen lesen lässt. 299 300 301 302 303 304 305 306

307 308

Gerstenmaier, Streit, 81. Ebd. Ebd. Ebd., 82. Zur Person und Arbeit von Verschuer vgl. Peter, Einbruch; und Zirlewagen, Verschuer, 1437–1447. Vgl. Verschuer, Erkenntnisse, 63–75. Vgl. NN, Führer, 97–99. „Ich suchte den Biologen in seinem Frankfurter Institut auf, legte ihm die Situation dar und fand in ihm einen Mann, der weitab von Rassenfanatismus sich seit langem mit Fragen der Genetik beschäftigte. Warum er in den Ruf gekommen war, Rassist zu sein, ist mir nicht klar geworden. Er schrieb seinen Beitrag. Unter normalen Verhältnissen wären gegen seine Publikation begründete Einwände nicht zu erheben gewesen. Aber mir mißfiel die – an sich leere – Geste gegenüber dem Regime.“ (Ebd., 81). Gerstenmaier, Streit, 81. Vgl. ebd., 81 f.

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Über die beiden thematisch mit vielen Kompromissen behafteten Artikel hinaus war Gerstenmaier zudem daran gelegen, bei allen Beiträgen des Bandes einen gewissen konzilianten Stil zu wahren. In einem Brief an Schönfeld schrieb er kurz vor Oxford, dass er sich „größte Mühe gegeben [habe], bei den Arbeiten unseres Sachverständigenkreises jede sachlich irgendwie vermeidbare Polemik zu verhindern und […] darum das zu der Konferenz erschienene deutsche Studienbuch in jeder Hinsicht so unpolitisch als möglich“309 gestaltet habe. Nur mit viel Diplomatie sei es ihm gelungen, einige Autoren „zu dieser sich in vieler Hinsicht gar nicht von selbst [zu] verstehenden Haltungen veranlassen [zu] können.“310 Gerstenmaier versuchte in dem Brief sein Handeln gleichzeitig zu rechtfertigen: „Es sind keinerlei vordergründige, sachfremde Erwägungen, die mich [dazu] zwingen, […] sondern der Ernst einer über private und persönliche Beurteilungen und Ansichten hinausgehenden gesamtkirchlichen Verpflichtung.“311 Darüber hinaus wandte sich Gerstenmaier im Vorfeld der Konferenz in der brieflichen Korrespondenz mit der Forschungsabteilung des ÖRPC in Genf auch gegen Beiträge, die sowohl diesem Duktus als auch seiner Theologie nicht entsprachen. Aus diesem Grund sprach er sich gegen einen Beitrag von Werner Wiesner aus.312 Er lehnte die Auffassung des Systematikers – ähnlich wie schon in seiner Dissertation313 – ab, da Wiesner im Rahmen seines Schöpfungsverständnisses seinen wissenschaftlichen Fokus im barthianischen Sinne klar auf die Christusoffenbarung anstatt auf die Schöpfungsoffenbarung setzte.314 Dies finde in der lutherischen Theologie und der Lehrtradition des DEK keine Zustimmung.315 Er wollte es nicht akzeptieren, dass Wiesners Beitrag als „private Äusserung eine mindestens offiziöse Publizität erhält, die nur dann gerechtfertigt wäre, wenn es sich um eine für das betreffende Kirchentum und seine Theologie besonders charakteristische Darstellung handeln würde.“316 Auf dieser Grundlage missbilligte Gerstenmaier den Beitrag Wiesners für Oxford mit Nachdruck.317 Durch dieses Faktum wird erkennbar, wie Gerstenmaier nicht nur durch den Band, sondern auch durch sein Amt seine eigene Theologie transportierte, dafür energisch stritt und sie – in dem ihm möglichen Rahmen – gefestigt sehen wollte. Auch Heckel verteidigte in der Einleitung des Bandes den kompromissbereiten Stil318 der Beiträge und unterstrich, dass die deutschen Sachver309 310 311 312 313 314 315 316 317 318

Brief Gerstenmaiers an Schönfeld vom 23. 6. 1937 (EZA 5/4008). Ebd. Ebd. Der Beitrag sollte in die erste Sektion „Kirche und Gemeinschaftsleben“ mit einfließen. Vgl. Kapitel 3.1.1. Vgl. Wiesner, Schöpfungsordnung, 34–148. Vgl. Brief Gerstenmaiers an Schönfeld vom 23. 6. 1937 (EZA 5/4008). Ebd. Vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 138. Vgl. Heckel, Einleitung, 11–15.

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ständigen „nicht Theologie mit Politik und Politik mit Theologie vermengen wollten.“319 Mit dem Band und seinem ideologisch wie thematisch breit aufgestellten Artikeltableau versuchten Heckel und Gerstenmaier demnach, so diplomatisch wie nur irgend möglich die deutsche Delegation für Oxford vor der nationalsozialistischen Staatsräson repräsentieren zu wollen und jeder auch nur im Ansatz möglichen Konfrontation im Vorhinein aus dem Weg zu gehen. Aufgrund der dargelegten Zwänge erscheint Boyens Darstellung übertrieben, der den von Gerstenmaier herausgebrachten Band als Produkt einer Studienarbeit bezeichnete, die ausschließlich auf einseitig zusammengesetzte Studiengruppen sowie einen konform gehenden Personenkreis baute.320 Dass an dem Band keine Mitglieder aus dem Dahlemer Flügel der BK – wohlgemerkt auch aus deren eigener Ablehnung heraus – mitwirkten, lässt es nicht zu, alle Autoren des Bandes als einseitig zu diskreditieren. Die Darstellung geht deshalb fehl, da diese den Einsatz von beispielsweise Theodor Ellwein321 sowie Helmuth Schreiner und Friedrich Brunstäd für die BK als Ganzes herabwürdigt.322 Auch Karl Barths Polemik gegen die Autoren des Bandes aus dem Jahr 1956 muss unter dem gleichen Vorzeichen gewertet werden. Er schrieb, dass „diese christlichen Schlangenkünstler […] für das Heraufkommen und für die zwölfjährige Erhaltung des Dritten Reiches – auch wenn sie nachher unter die Verschwörer gegangen sind – nicht in letzter Linie verantwortlich zu machen sind.“323 Die kooperative Fähigkeit einer Vielzahl von Theologen, die auf diesem Wege die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber staatlichen Einflüssen zu wahren versuchten, wurde damit in ein Licht gestellt, das den leidenschaftlichen Einsatz jener Theologen schlecht erscheinen ließ und in keiner Weise entsprach. Entgegen Barths retrospektiver Meinung wurde der von Gerstenmaier herausgegebene Band auch positiv bewertet. So beispielsweise durch Wurms Vertrauten, den lutherischen Theologen Pressel, der in einem Brief an Gerstenmaier schrieb: „Sie sind doch ein wackerer Bursche, dass Sie den Mut und die Freudigkeit

319 Ebd., 12. 320 Vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 137. Zudem geht die Darstellung von Boyens dahingehend fehl, dass er sich in Bezug auf die Genese des Bandes ausschließlich auf eine Arbeitstagung jener von ihm so bezeichneten ökumenischen Studiengruppen des KA vom 22.–23. 1. 1937 in Berlin stützte, aus der heraus der Band entstanden sei (vgl. ebd.). Die Genese des Bandes fußt jedoch auf der Grundlage der überlieferten Korrespondenzen ganz klar auf einem längeren Prozess der Gespräche und des Austausches der sechs Forschungsgruppen. Jeder Beitrag wurde von diesen geprüft sowie durch den jeweiligen letztendlichen Autor und Gerstenmaier als Herausgeber verantwortet. 321 Ellwein ist als Vertreter der sogenannten neutralen Mitte zwischen DC und BK einzuordnen. 322 Ähnlich muss auch der Darstellung von Daniela Gniss widersprochen werden, die in ihrer Gerstenmaier-Biografie skizzierte, dass der Sammelband mit den Zielen des Nationalsozialismus aus heutiger Sicht weitgehend übereinstimmte (vgl. Gniss, Politiker, 75). 323 Barth, Kirchenkampf, 88.

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haben, solch ein dickes und inhaltsreiches Buch in dieser ernsten, arbeitsreichen und drangsalvollen Zeit herauszubringen.“324 Bei aller Konzilianz ging Gerstenmaiers Strategie nicht auf. Die Gestapo verbot den Band und untersagte ferner die Auslieferung der bereits gedruckten Exemplare. Damit hatte Gerstenmaier nicht gerechnet. Verwundert stellte er im Nachhinein fest: „Waren dem Band nicht alle Schneidezähne gezogen?“325 Erst später wurde der Band wieder zugänglich. Das Vorgehen der Gestapo zeigt zum einen, wie hochsensibel jegliches kirchliche Arbeiten im Rahmen der Ökumene gewertet wurde und zum anderen, wie unberechenbar der Staat in Bezug auf die kirchlichen Institutionen agierte, obwohl bei diesem Beispiel jeder möglichen Brisanz im Vorhinein mit Kompromissen begegnet wurde. Über die Genese des Tagungsbeitrages von deutscher Seite hinaus bewegten die kirchlichen und staatlichen Instanzen im Vorfeld der Weltkirchenkonferenz in Oxford zwei generelle Fragen nachhaltig: Konnte wirklich – so wie in Chamby vereinbart – eine gemeinsame deutsche Delegation gebildet werden und sollte es vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Entwicklungen überhaupt zu einer deutschen Teilnahme in Oxford kommen? Beide Fragen im Hinblick auf das zu behandelnde Konferenzthema „Kirche, Volk und Staat“ zu stellen, war deshalb angebracht, weil es schon während der Hochphase des deutschen Kirchenkampfes 1933/1934 das hochgradig sensible Spannungsverhältnis zwischen der ökumenischen Bewegung und dem deutschen Nationalstaat unterstrich. Die christliche Botschaft musste nach Karl Stürmer in der Folgezeit schließlich nicht nur mit der ideologischen Propaganda des Deutschen Reiches sowie den davon ausgehenden heidnisch-säkularen Strömungen konkurrieren, sondern auch mit den autoritären und totalitären Regimen in Italien, Spanien und der Sowjetunion. Genau deshalb sei auch das Konferenzthema gewählt worden, weil es aufgrund der bedrohlichen Weltlage für den christlichen Glauben um die Existenz der gesamten Kirche Jesu Christi ginge.326 Zahlreiche führende Nationalsozialisten fühlten sich und ihre Ansprüche nach Andreas Möckel von den ökumenischen Konferenzen und deren Arbeit wiederum bedroht, sodass sie diese in Kategorien des „(in ihren Augen guten) ,Nationalen‘ und des (schlechten) ,Internationalen‘“327 deuteten. Obwohl die Begrifflichkeiten „ökumenisch“, „international“, „national“ und „landeskirchlich“ bei den nationalsozialistischen Machthabern rhetorisch und ideologisch oftmals durcheinander gingen, musste derjenige, der sich zur christlichen Ökumene und weltweiten Kirche bekannte, den Vorwurf des Vaterlandsverrates sowie staatliche Repressalien erwarten.328 Die nationalso324 325 326 327 328

Brief Pressels an Gerstenmaier vom 24. 7. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Gerstenmaier, Streit, 82. Vgl. St rmer, Konzilien, 388. Mçckel, Volkskirche, 188. Vgl. ebd.

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zialistische Deutungsweise der sogenannten Internationalen, der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung aus dem 19. Jahrhundert,329 war mit der weltweiten Ökumene in jener Auslegung zu eng verbunden, sodass viel Mut dazu gehörte, sich zu dieser Zeit ökumenisch zu bekennen. Die BK und auch ein Großteil der Vertreter des RELKD sowie des KA taten genau dies; oder sie akzentuierten zumindest die Bedeutung der ökumenischen Bewegung für das Deutsche Reich und die Welt. Die Bereitschaft, „eine einheitliche deutsche Delegation [für Oxford] zu benennen“330, war nach Landesbischof Marahrens, der für den RELKD sprach, dementsprechend hoch. Auch die VKL II hatte ihre Delegierten331 zeitnah vorgeschlagen, sodass nur noch die endgültige Zusammensetzung der deutschen Gesamtdelegation sowie die Frage nach dessen Leiter offen war. Da der von Zoellner gebildete Benennungsausschuss332 für die Konferenz durch das Ende des RKA im Februar 1937 keine Rolle mehr zu spielen schien, erhob Heckel Ansprüche auf die Delegationsleitung. Er wollte jenes Amt unter allen Umständen innehaben, die BK versuchte dies wiederum mit allen Mitteln zu vereiteln.333 Aufgrund der entstandenen Konflikte sprach sich Heckel – relativ abrupt – am 7. Mai 1937 gegen eine generelle Entsendung einer deutschen Gesamtdelegation zur Weltkirchenkonferenz in Oxford aus und erklärte, dass mit der Teilnahme nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren sei.334 Damit intervenierte Heckel nachdrücklich in den seit mehreren Jahren laufenden innerkirchlichen Vorbereitungsprozess. Das KA stand infolgedessen „zwischen allen Feuern“335 und Gerstenmaier als leitender Verantwortungsträger für die Vorbereitungen in der Bredouille. Nicht nur die kirchliche Seite befasste sich mit der Wetkirchenkonferenz in Oxford, sondern auch die staatliche. Es schien bereits im Vorfeld der deutschen Teilhabe zwischen mehreren staatlichen Stellen – dem AA, dem RKM, dem RIM, dem REM, dem RPM sowie dem Büro Ribbentrop als auch dem Amt Rosenberg – ein „ziemliches Durcheinander und sogar Gegeneinander“336 in der Frage um den Aufgabenbereich sowie das Rollenverständnis jener möglichen deutschen Delegation für die Konferenz gegeben zu haben. Ferner wurden die wissenschaftlichen Vorbereitungen mit mehreren Schriften aus 329 Zur internationalen Arbeiterbewegung vor allem im Hinblick auf Europa vgl. Buschak, Arbeiterbewegung; und Abendroth, Geschichte. 330 Brief Marahrens an das AA vom 15. Mai 1937. Zit. nach Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 150. 331 Die Delegierten sollten Karl Koch, Diedrich Bonhoeffer, Otto Dibelius, Karl Immer, Martin Niemöller, Reinhold von Thadden und Hans Böhm sein. Dazu kam noch eine ganze Reihe von Experten, die die Delegierten unterstützen sollten. 332 Dem Benennungsausschuss gehörten Wilhelm Zoellner, Theodor Heckel, Hanns Lilje, Hans Wahl, Friedrich Krummacher und Gerstenmaier an (vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 148). 333 Vgl. Voigt, Ökumene, 239. 334 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 150. 335 Gerstenmaier, Streit, 85. 336 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 151.

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dem Kreise Rosenbergs337 sowie mit den Thesen des in Marburg lehrenden Kirchenhistorikers Ernst Benz nachhaltig diskreditiert. Benz, der ein erbitterter Gegner der BK war,338 betonte die Gefahren einer deutschen Teilnahme in Oxford. Nach seiner Einschätzung stünde die BK unter dem „Schutz des ausländischen Protestantismus“339 und wolle Machtpolitik innerhalb der DEK betreiben. Die Bemühungen um eine gemeinsame Delegation sei zwar löblich, würde jedoch „von Seiten der BK ,gerammt‘“340 werden, wenn sich diesen die Gelegenheit dazu bieten würde. „Skandalmöglichkeiten verschiedenster Art“ sowie Entscheidungen im „antinationalsozialistischen Sinn“341 seien während der Konferenz zu hoch. So empfahl Benz entweder die Gesamtdelegation auf den nationalsozialistischen Standpunkt hin zu verpflichten oder die Teilnahme generell zu untersagen.342 In einem ersten Schritt wurden daraufhin am 14. Mai 1937 die Pässe von mehreren nominierten Delegierten der BK eingezogen. In einem zweiten Schritt erteilte schließlich Hitler selbst am 3. Juni 1937 den Befehl, die Teilnahme der deutschen Delegation an der zweiten Weltkirchenkonferenz der BPC staatlich zu unterbinden.343 Infolgedessen wurde auch Gerstenmaier und Bachmann der Pass von der Gestapo abgenommen. In seinen Erinnerungen skizzierte Gerstenmaier, wie die beiden jungen Theologen ihrer „Empörung freien Lauf“344 darüber ließen sowie enttäuscht und letztlich verbittert waren, da nun all „unsere Arbeit für die Katz“345 schien. In einem Brief an Schönfeld vom 23. Juni 1937 zeigte er sich um die Ereignisse zwar ermattet,346 betonte demgegenüber seine Hoffnung,

337 Wilhelm Brachmann legte im Mai 1937 die Schrift „Der Weltprotestantismus in der Entscheidung. Ein theologisches Gespräch mit dem ökumenischen Christentum über seine weltanschaulichen Grundlagen“ vor, in der er der ökumenischen Bewegung vorwarf, dass sie zum Versailler Vertrag geschwiegen und somit kein Recht habe, sich in deutsche innerkirchliche Verhältnisse zu den Themen Kirche, Volk und Staat einzumischen (vgl. Brachmann, Weltprotestantismus). Im August 1937 legte zudem Alfred Rosenberg selbst mit der Hetzschrift „Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der ,Mythus des 20. Jahrhunderts’“ einen Widerspruch zur ökumenischen Bewegung und generell zum Christentum vor. Darin widersprach er jeglichen ökumenischen Bestrebungen und forderte eine Loslösung der deutschen Bevölkerung von den Lehren des Christentums (vgl. Rosenberg, Rompilger). 338 Vgl. Mçckel, Volkskirche, 190. 339 Bericht Benz’ vom 27. 11. 1936 (EZA 5/4008). 340 Ebd. 341 Ebd. 342 Da die Vorschläge von Benz an höchster staatlicher Stelle Anklang fanden, wurde er mit der Vorbereitung der beiden Konferenzen in Oxford und Edinburgh aus Hochschulebene staatlich betraut (vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 153). 343 Vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 154. 344 Gerstenmaier, Streit, 83. 345 Ebd., 82. 346 Ähnlich enttäuscht reagierte auch Marahrens für den RELKD in einem Brief an das AA vom 26. 5. 1937 sowie an den Lordbischof von Chichester am 3. 6. 1937: „Zu unserem schmerzlichen Bedauern wird sich die Beschickung der Konferenz nicht durchführen lassen.“ (Zit. nach ebd.).

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dass die deutschen Konferenzbeiträge, an denen Gerstenmaier so intensiv gearbeitet hatte, in Oxford trotzdem Gehör finden würden.347 Zwischen dem 12. und 26. Juli 1937 fand schließlich die zweite Weltkirchenkonferenz der BPC wie geplant in Oxford statt. Waren die europäischen Vorkonferenzen noch primär von der innerkirchlichen Konfrontation zwischen einem reformiert-barthianischen und einem national-konservativen lutherischen Flügel bestimmt, so zeigte sich in Oxford ein viel bunteres Bild der kirchlichen Meinungsvielfalt.348 425 ordentliche Delegierte aus insgesamt 120 Kirchen und 40 Ländern349 tagten in der britischen Universitätsstadt ohne die deutsche Delegation. Die staatlich verhinderte Anwesenheit jener Delegation sowie die jüngsten Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern der BK sorgten dafür, dass das Bezugsverhältnis von Kirche und Staat, von christlicher Freiheit und staatlicher Totalität freilich noch mehr im Fokus der Konferenzteilnehmer rückte als ursprünglich geplant. Nach Oldham war das Hauptthema in Oxford dadurch aktueller denn je: „der Kampf auf Leben und Tod zwischen christlichem Glauben und den säkularen und heidnischen Strömungen unserer Zeit.“350 So ließ es sich die Gesamtkonferenz nicht nehmen, bereits am 19. Juli 1937 zur Abwesenheit der deutschen Delegation eine Stellungnahme abzugeben.351 Obwohl die Konferenz nicht als „verlängerter Arm der Politik erscheinen“352 wollte, zeigten sich die Delegierten in ihrer sogenannten Grußbotschaft an die DEK „tief bewegt angesichts der Prüfungen vieler Pfarrer und Laien, die unerschütterlich von Anfang an in der bekennenden Kirche für die Herrschaft Christi und für die Freiheit der Kirche Christi, Sein Evangelium zu verkünden, eingetreten sind.“353 Damit brachten sie auf der einen Seite deutlich ihre Verbundenheit mit den evangelischen Christen im Deutschen Reich zum Ausdruck, ohne dabei den deutschen Staat direkt zu verurteilen. Auf der anderen Seite würdigten sie den entschiedenen „Kampf gegen die Verfälschung und Unterdrückung des christlichen Zeugnisses“354 und bekannten sich zur BK. Damit trat genau das ein, was die nationalsozialistischen Stellen im Deutschen Reich befürchteten: Die internationale Ökumene sprach sich für die kirchlichen Strukturen im deutschen Protestantismus aus, die sich 347 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Schönfeld vom 23. 6. 1937 (EZA 5/4008). 348 Vgl. Schjørring, Gewissensethik, 280 f. 349 Hervorzuheben ist die außerordentlich stark vertretene Delegation aus Nordamerika, denen die zumeist europäischen Flügelstreitigkeiten mehrheitlich fremd waren. Zu den teilnehmenden Kirchen und Teilnehmern nach den Sektionen vgl. Forschungsabteilung, Kirche, 282–297. 350 Ebd., 12. 351 Vgl. die „Stellungnahme der Konferenz zur Abwesenheit der Delegierten der Deutschen Evangelischen Kirche“ in Forschungsabteilung, Kirche, 267 f; und Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 500 f. 352 Mçckel, Volkskirche, 193. 353 Forschungsabteilung, Kirche, 267. 354 Ebd., 267 f.

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nicht polizeilich in Form der nationalsozialistischen Vorstellungen kontrollieren ließen. Thematisch tagten die Delegierten in den fünf – in Chamby festgelegten – Sektionen,355 die sich primär ethischer Fragen annahmen.356 Die Sektionen ließen sich durch Vorberichte aus den jeweiligen Ländern von den jeweiligen Delegationen – wie es auch Gerstenmaier für die deutschen Beiträge mit seiner Veröffentlichung vorgesehen hatte – inspirieren. Vor Ort wurden diese als Grundlage für weitere Berichte benutzt, die im Plenum wiederum diskutiert und überarbeitet wurden.357 Obwohl es keine deutsche Delegation gab, bedeutete dies nicht, dass keine deutschen Vertreter vor Ort waren, die die deutschen Interessen vertraten. Neben den Abgesandten von deutschen Freikirchen nahmen in Oxford auch Delegierte aus den sogenannten volksdeutschen Kirchen teil, die besonders stark in der zweiten Sektion zur kirchlich-staatlichen Problematik vertreten waren.358 Jene volksdeutschen Teilnehmer besuchten nach Boyens Anfang Juli 1937 eine Schulung im KA in Berlin, zu der Gerstenmaier einen Diskussionsplan ausgearbeitet hatte und Heckel die Erwartung aussprach, „daß sich die (volksdeutschen) Kirchen ihrer Verbundenheit mit dem Heimatland der Reformation bewußt sein möchten“359. Ferner konstatierte Boyens, dass diese Gruppe während der Konferenz sowohl in brieflicher als auch telegrafischer Verbindung zu Heckel stand, nach Berlin berichtete und von dort direkt oder über die deutsche Botschaft in London ihre Instruktionen empfing. Es ist zu vermuten, dass Gerstenmaiers Rolle im Rahmen der Korrespondenz zwischen Heckel und den volksdeutschen Vertretern in der zweiten Sektion eine erhebliche gewesen sein muss, da sich die fixierte Funktion des Staates zu weiten Teilen mit der aus

355 Die erste Sektion beriet zum Thema „Kirche und Gemeinschaftsleben“ (vgl. den abschließenden Bericht der Sektion in Forschungsabteilung, Kirche, 53–115), die zweite zur Problematik über „Kirche und Staat“ (vgl. den abschließenden Bericht der Sektion in ebd., 116–157), die dritte um die Verhältnismäßigkeit von „Kirche, Volk und Staat in ihrer Beziehung zur Wirtschaftsordnung“ (vgl. den abschließenden Bericht der Sektion in ebd., 158–199), die vierte zum Thema „Kirche, Volk und Staat auf dem Gebiet der Erziehung“ (vgl. den abschließenden Bericht der Sektion in ebd., 200–238) und die fünfte zur spannenden Frage „Die Kirche Christi und die Welt der Nationen“ (vgl. den abschließenden Bericht der Sektion in ebd., 239–259). Zur inhaltlichen Arbeit in den Sektionen vgl. auch Schjørring, Gewissensethik, 281–284. 356 Den dogmatischen Fragen widmete sich die zweite Weltkirchenkonferenz der BGK in Edinburgh vom 3.–18. 8. 1937. Zu den Themen, Diskussionen, Beschlüssen und zum deutschen Beitrag vgl. Frieling, Bewegung, 187–228. 357 Zur Arbeit der Konferenz und dem detaillierten Programm, welches die Arbeit widerspiegelt vgl. Forschungsabteilung, Kirche, 22–49, 275–279. 358 Neben dem reichsdeutschen Methodistenbischof Otto Melle waren folgende fünf der neun volksdeutschen Vertreter in der zweiten Sektion vertreten: Bischof Philipp Popp (Jugoslawien), Oberkirchenrat Friedrich Giesecke (Tschechoslowakei), Pastor Adolf Jesch (Tschechoslowakei), Professor Franz Fischer (Österreich) und Richard Hildt (Polen) (vgl. ebd., 290). 359 Zit. nach Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 162.

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seinen Qualifikationsschriften deckt.360 Von einer theologischen Implementierung oder zumindest einer kirchendiplomatischen Kompromissfindung bei dem letztlichen Sektionsbericht, bei dem sich auch das KA wiederfinden konnte, kann ausgegangen werden,361 auch wenn der vom „KA getriebene Aufwand an Energie, Zeit und Finanzen […] in keinem Verhältnis zu dem Ergebnis seiner Bemühungen“362 stand. Obwohl in der Gesamtdebatte viele verschiedene Standpunkte zutage traten, wurde am 24. Juli 1937 in der Oxforder Town Hall eine „Botschaft an die christlichen Kirchen“363 verabschiedet, die von der Forschungsabteilung des ÖRPC unter dem Gesamttitel „Kirche und Welt in ökumenischer Sicht“ wenig später mit allen Sektionsberichten veröffentlicht wurde. Im Hinblick auf das zentrale Verhältnis zum Staat hieß es im lutherischen Sinne, dass die Kirche Trägerin der Botschaft Jesu Christi sei und „letzten Endes […] niemand als die Kirche den Staat auf seine Grenzen hinweisen“364 könne. In diesem freiheitlichen Auftrag gegenüber dem Staat verwurzelt, hielten es die Delegierten ferner für wünschenswert, die BPC und die BGK mit einander zu verbinden, um ein „gemeinsames Vorgehen der Kirchen zu erleichtern“ und die „Vertiefung und Stärkung des ökumenischen Bewusstseins in den Kirchen zu fördern“365. Dazu wurden einem so bezeichneten Fünfunddreißigerausschuss alle weiteren Kompetenzen zur Gründung eines Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) übertragen.366 Die in Oxford gefundenen grundlegenden Übereinstimmungen in ethischen Fragen bestimmte die gesamte ökumenische Bewegung in den darauf folgenden Jahren sowie „das Selbstverständnis der Kirchen und ihr Verhalten zueinander“367 maßgeblich. Die Beschlüsse von Oxford wurden im Deutschen Reich breit rezipiert368 sowie von Gerstenmaier und dem KA in enger Kooperation mit der Forschungsabteilung des ÖRPC ausführlich ausgewertet.369 Gerstenmaier hatte sich – obwohl der deutschen Delegation die Teilnahme in Oxford verwehrt wurde – in der zwischenkirchlichen Arbeit bewährt und war zu „einem geachteten Gesprächspartner gereift“370. Dies schien auch Heckel erkannt zu 360 Vgl. Kapitel 3.1.2. 361 Zu den Einflüssen der volksdeutschen Vertreter in der zweiten Sektion vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 158–163; sowie den Bericht der zweiten Sektion in Forschungsabteilung, Kirche, 116–157, bes. 133. 362 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 163. 363 Vgl. Forschungsabteilung, Kirche, 260–266. 364 Ebd., 131. 365 Ebd., 272. 366 Vgl. den ersten Bericht des Fünfunddreißigerausschusses in ebd., 270–274; und Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 501–503. 367 St rmer, Konzilien, 389. 368 Zur Rezeption der Beschlüsse von Oxford vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 239–284. 369 Vgl. die Korrespondenz zwischen Gerstenmaier und Schönfeld vom 27. 11. 1937 bis 2. 2. 1938 (EZA 5/4008). 370 Gniss, Politiker, 93.

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haben. So schrieb Gerstenmaier an seinen Freund und Kollegen Bachmann im Herbst 1937: „H[eckel] scheint mich hier auch gerne festzuhalten. […] Die Ök[umene] ist z.[ur] Z.[eit] ein ziemlich schwieriges Pflaster […]. Jedenfalls lässt er mir viel Freiheit.“371 Dies zeigt, wie Gerstenmaier auch nach dem Ende seiner OxfordVorbereitungen weiter von Heckel gefördert wurde. Etwaige Zweifel an der Fortsetzung der Tätigkeit für das KA waren vom Tisch. Bachmann schrieb ihm dazu aufbauend: „Dein Arbeitsfeld ist nicht mehr Gaildorf, auch nicht Württemberg, sondern das Reich, die DEK! Ob dieses Reich in Berlin, Leipzig oder Bremen liegt, ist gleichgültig. Ein Zurück in die schwäbische Alb gibt es […] nicht mehr.“372

Nachdem sich auch die zweite Weltkirchenkonferenz der BGK in Edinburgh für die Pläne eines gemeinsamen ÖRK ausgesprochen hatte, gingen die Fusionsbestrebungen zügig voran. Auf einer Tagung in Utrecht vom 9. bis 12. Mai 1938 nahm der ÖRK durch die Vereinigung der beiden ökumenischen Bewegungen Gestalt an. Ein sogenannter „Vorläufiger Ausschuß für den Ökumenischen Rat (im Aufbau begriffen)“ sollte die einstweilige Leitung des ÖRK unter dessen Vorsitzenden William Temple und dessen Generalsekretär Willem Adolf Visser ’t Hooft373 bilden. Zudem wurde ein Verfassungsentwurf vorgelegt, der sicherstellen sollte, dass die ökumenische Bemühung der bisherigen Weltkirchenkonferenzen ungeschmälert fortgesetzt werden könne und dass der ÖRK ein Instrument der Kirchen sein werde, das nur im Auftrag der Kirchen handeln könne, selbst aber keine kirchenrechtlichen Kompetenzen über die Kirchen habe.374 Jener Sachverhalt wird im Folgenden noch von Interesse sein. 4.3.3 Auf ökumenischer Mission in England und Skandinavien Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zwischen primär DEK und BK vor Augen blickte Gerstenmaier auch nach dem Tod Zoellners375 hoffnungsvoll auf die kirchlichen Entwicklungen, die aus Oxford resultieren sollten. So schrieb er am 12. November 1937 den Gaildorfer Diakonissen: „Indessen erkennt man aber doch, dass alle Feindschaft, ja Vernichtungswille unserer mächtigen Gegner [gemeint sind wohl die staatlichen Instanzen], das 371 Brief Gerstenmaier an Bachmann vom 21. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 372 Brief Bachmann an Gerstenmaier vom 24. 8. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/ 1). 373 Visser ’t Hooft wurde zur Leitfigur des ÖRK. Zu seinem Leben und seiner ökumenischen Arbeit vgl. die bemerkenswerte Biografie von Schubert, Visser ’t Hooft. 374 Vgl. Frieling, Weg, 70. 375 Zoellner verstarb während der Oxforder Konferenz am 16. 7. 1937.

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Wachsen der Kirche in die Tiefe und in die Breite nicht aufhalten kann, ja sogar befördert, sodass ich an massgebenden Stellen doch immer wieder getrosten Mutes sagen kann: Irret Euch nicht: Der Herr der Kirche hat ,ein grosses Volk in dieser Stadt!‘ […] Die Kirche Jesu Christi stirbt nicht.“376

Trotz aller Hoffnung, die Gerstenmaier aus der Ökumene und dem Evangelium schöpfte, brachten ihn die kirchenpolitischen Spannungen sowie die Erfahrungen mit den Reichsbehörden im Hinblick auf eine mögliche Dozentur377 im Herbst und Winter 1937 an die Grenzen seiner kirchendiplomatischen Belastbarkeit. Besonders wird dies aus einem Brief an Bachmann vom 10. Dezember 1937 ersichtlich. Dort schrieb er: „Berlin ist ein grosser Greuel. Das Gift wirkt so penetrant, dass ich in diesen Tagen erneut ganz ernsthaft erwogen habe, nach Weihnachten einfach nicht mehr zu kommen. Aber die Pflicht!“378 Obwohl nicht nur das Verhältnis zwischen der DEK und dem nationalsozialistischen Regime zerrüttet war, sondern sich auch die innerkirchlichen Gremien weiterhin mit Vorwürfen konfrontierten und an eine gemeinsame Geschlossenheit nicht zu denken war,379 gehörte es nicht zu Gerstenmaiers Naturell, eine begonnene Aufgabe abzubrechen. Auch wenn er diesen Gedanken des Rückzugs aus dem KA vor Heckel mehrfach nach seinen eigenen Ausführungen artikulierte, warben insbesondere Schönfeld, Wurm und Brunstäd für den Verbleib Gerstenmaiers im KA, indem sie immer wieder auf ihn unterstützend einwirkten und ihn in seiner Arbeit bestätigten.380 Infolge jener kleinen depressiv erscheinenden Phase Ende 1937 – die im engen

376 Brief Gerstenmaiers an Schwestern in Gaildorf vom 12. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 377 Vgl. Kapitel 3.4. 378 Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 10. 12. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 379 Ganz metaphorisch beschrieb er den Zustand im RELKD in einem Brief an seinen Freund Pressel vom 19. 11. 1937 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2) wie folgt: „Inzwischen habe ich mich wieder davon überzeugen können, dass ich hier zwar auf einem leichten und darum zuweilen schwankenden Kahn fahre, der gar nicht zu vergleichen ist mit der Behäbigkeit des weitmaschigen Schiffs in der Grossadmiralstrasse [gemeint ist hier die GroßadmiralPrinz-Heinrich-Straße, in der die Geschäftsstelle des RELKD saß] – der Name sagt schon alles –, der deshalb auch weit mehr Chancen zum Versaufen eröffnet als das wenn auch nicht mit geblähten Segeln, so doch immerhin dahinsegelnde hochgebordete Lutherschiff. Aber, mein lieber einsichtiger Freund, der Kahn fährt rascher als das dicke Schiff. Der Kahn fährt wendiger, und wenn man ab und zu wenigstens die Aussicht hat, für kurze Zeit dabei Steuer und Ruder zu fassen, so kommen für meine Begriffe in diesen kurzen Augenblicken mancherlei Dinge zustande, die mit dem grossen Schiff nicht zu machen sind.“ Gerstenmaier wolle jedoch weiterhin den Ozean studieren, der von Schiffen befahren werde. „Sobald ich sehe, dass aus dem Frachtschiff oder Handelsdampfer eine Kreuzer wird, wie Du ihn gerne haben möchtest und wie ich ihn zeitweilig erträumte […], wenn das geschieht, sind wir sofort an Bord. Dazu bedarf es wohl einer leidlich revidierten Schiffsleitung.“ 380 Vgl. Ausführungen Gerstenmaiers über seine Tätigkeit im KA vom April 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025).

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Zusammenhang mit seinem Kampf um die Dozentur gesehen werden muss381 – brachte er sich im Folgejahr wissenschaftlich erneut mit Inbrunst in die Fortsetzung des ökumenischen Gespräches ein. Die von ihm ins Leben gerufenen Forschungsgruppen, die ursprünglich als Vorbereitung für Oxford gedacht waren, arbeiteten in Teilen auch nach dem Konferenzabschluss weiter zusammen. Daran war Gerstenmaier gelegen. Ein detailliertes Verlaufsprotokoll vom 19. Februar 1938 belegt, wie die ökumenische Forschungsarbeit durch ihn und das KA nach Oxford weiter betrieben wurde, wie die künftige deutsche Forschungsarbeit aufgebaut sein und wer sich daran beteiligen sollte. Demnach definierten die Wissenschaftler Paul Althaus, Martin Dibelius, Heinz-Dietrich Wendland und Wilhelm Menn gemeinsam mit Hans Wahl, Heckel, Krummacher und Gerstenmaier vom KA und Schönfeld von der Forschungsabteilung des ÖRPC die Prämissen für die fortgesetzte ökumenische Arbeit im Rahmen der DEK.382 Ein erster Themenbereich umriss die Frage „Wie verhält sich das Dogma der Kirche zu der Wirklichkeit, in der wir leben.“ Der zweite Themenbereich umfasste „Das Neue Testament und unsere geschichtliche Wirklichkeit“383. An den beiden herausgestellten Schwerpunktthemen wird deutlich, welches Interesse die Wissenschaftler gemeinsam mit dem KA an einer hermeneutischen Realitätsbetrachtung sowie einer fundamentaltheologischen Selbstreflexion verband. Man wollte sich mit den Wirklichkeitsbeziehungen des Christentums zur Welt auseinandersetzen. Darüber hinaus planten die Männer, sowohl die Kirche als auch die una sancta ecclesia differenzierter zu behandeln, „um über den Sinn der ökumenischen Arbeit und Organisation der Kirche nachdenken zu helfen.“384 Zahlreiche Besprechungen und kleine Tagungen folgten. Eine von Gerstenmaier organisierte ökumenische Arbeitstagung am 29. April 1938 in Berlin ist vor dem Hintergrund seines theologischen Gestaltungswillens und der Ausweitung der beiden genannten wissenschaftlichen Themenbereiche hervorzuheben.385 Im KA besprachen sich an jenem Tag Althaus, Dibelius, Wendland, Menn, Schönfeld, Brunstäd und Franz Fischer mit Gerstenmaier über dessen vorgelegten Arbeitsplan, der beide Themenbereiche umfasste. Man einigte sich schließlich auf weitere theologische Arbeitsbereiche, die wissenschaftlich angegangen werden sollten.386 Ende 1938 legte Gerstenmaier 381 382 383 384 385

Vgl. Kapitel 3.4. Vgl. Verlaufsprotokoll von Wahl über eine Sitzung am 19. 2. 1938 in Berlin (EZA 5/4008). Ebd. Ebd. Gerstenmaier kündigte den Gegenstand der Besprechung in der Einladung bereits an. Die weitere Gestaltung der deutschen ökumenischen Arbeit und die Beratung eines wissenschaftlichen Arbeitsplanes sollte im Fokus stehen. Vgl. Einladung Gerstenmaiers zur ökumenischen Arbeitstagung vom 20. 4. 1938 in Berlin (EZA 5/4008). 386 In einem Arbeitsplan wurden weitere theologische Arbeitsfelder zusammengetragen. Dabei ging es (1) um die Beziehung der christlichen Verkündigung auf die gegenwärtige Situation; die

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– ähnlich wie weiterer Theologen aus dem Kreis387 – eine Publikation zum ersten Themenbereich vor, die sich mit dem Thema „Christus und das Dogma“388 beschäftigte. Der Frage des Dogmas ging Gerstenmaier unter dem besonderen Vorzeichen der Christusnachfolge nach. Mit dem Dogma habe schon die Alte Kirche einen „Schutzwall um die junge Christenheit gezogen, der sie bewahren sollte vor der Unterwanderung durch mystisch-magische Frömmigkeit und vor der Überflutung durch gnostische Weltspekulationen.“389 Von der Alten Kirche bis hin zur Gegenwart zeichnete Gerstenmaier die historische Entwicklung der Dogmenfrage nach. Er konzentrierte sich dabei auf die Gotteserkenntnis und übertrug den theologischen Spannungsbogen in die zeitgenössischen Herausforderungen der Kirche.390 An dieser Stelle lassen sich erneut deutliche Parallelen zu seinen wissenschaftlichen Qualifikationsschriften feststellen, innerhalb derer er jene Fragen schon ausführlich besprochen hatte.391 Gerstenmaier versuchte das Dogma der Kirche auf die zeitgenössische Realität zu beziehen und stellte in seinem systematischen Zusammenhang fest: „Der Christus des christlichen Dogmas ist keine ideelle menschliche Möglichkeit, sondern eine geschichtliche Tatsächlichkeit. Das christliche Dogma ist kein Imperativ, sondern das Zeugnis einer Wirklichkeit. Es meint nicht eine Idee, sondern eine Verwirklichung. Denn das Neue Testament verkündigt nicht eine Christusidee, sondern eine Christuswirklichkeit. Seine Botschaft besteht nicht in der Vermittlung eines neuen Befehls, sondern in der Verkündigung des Ereignisses.

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Prägung der geschichtlichen Wirkung durch Kirche und Evangelium (Alte Kirche bis Reformation); die Prägung der kirchlichen Lebensformen und der evangelischen Verkündigung durch die geschichtliche Wirkung (Urgemeinde bis Reformation); und (2) um die Wandlung der geschichtlichen Gegebenheiten; die Spannungen zwischen kirchlicher Sprach-, Denk- und Lebensform und geschichtlicher Gegebenheit; sowie die Bedeutung der Situationsverschiebung für das Selbstverständnis der Kirche und ihre Verkündigung. Vgl. Arbeitsplan der ökumenischen Arbeitstagung vom 29. 4. 1938 in Berlin (EZA 5/4008). Vgl. bspw. die Veröffentlichungen Menn, Kirche, 220–251; Wendland, Christus, 78–85; und Ders., Schöpfung, 152–158. Vgl. Gerstenmaier, Christus, 158–161. Ebd., 158. „In dem Bild des Christus sieht der Mensch tiefer als irgendwo sonst, was er sein soll. In dem Bilde Christi erkennt er in Wahrheit sein Urbild und wird seiner verlorenen Wirklichkeit erst recht gewahr. Wie aber, und das ist das entscheidende, gewinnt er sie wieder? […] Entscheidend ist, ob man es ist oder wie man es wird. […] Die Entgrenzung des Dogmas in das Ethos einer allgemeinen Christusidee ist darum kein Weg zur Verlebendigung der christlichen Verkündigung, zur Befruchtung des Christentums, sondern sie ist eine Zerfallserscheinung. Die tiefe Krisis, der heute alle geistigen Werte ausgesetzt sind, die Vertrauenskrisis des Geistes, hat mit dem Wert und der Geltung des Ideellen auch den Wert und die Bedeutung der Christusidee und ihrer Kulturethik in den Fundamenten erschüttert. […] Die Spannung unserer Zeit besteht darum nicht eigentlich zwischen Glauben und Denken, Dogma und Vernunft, Philosophie und Glauben, sie beruht vielmehr auf dem Gegensatz von Glaube und Wirklichkeit, Dogma und Geschichte.“ (Ebd., 159 f). Vgl. Kapitel 3.1.1 (Unterkapitel Gottesbeziehung und Gotteserkenntnis).

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,Siehe ich verkündige euch große Freude. Euch ist heute der Heiland geboren.‘ Hier tritt die Wirklichkeit über die Idee, das Ereignis vor den Befehl, die Gabe vor die Aufgabe. Der Weg des Menschen zu Gott wird zur Wahrheit und Wirklichkeit durch den Weg Gottes zu den Menschen.“392

Gerstenmaiers dogmatische Christuswirklichkeit ist nicht etwa in Barths dialektischen Zusammenhang einzuordnen, sondern fügte sich vielmehr in sein eigenes Verständnis von der Schöpfungsoffenbarung ein.393 An „Christus und das Dogma“ spiegelte sich erneut Gerstenmaiers methodischer Einsatz mit der Schöpfungslehre bei der Entfaltung der Christologie wider. Dass Gerstenmaier neben dem wissenschaftlichen Austausch über theologische sowie kirchenverbindende Fragen auch stark an der Vernetzung der Kirchen über Konfessions- und Landesgrenzen hinaus interessiert war, belegen zahlreiche Briefe und Korrespondenten nicht nur nach Genf,394 sondern auch nach Übersee. Im Frühjahr 1939 schrieb er beispielsweise dem in New York lehrenden Theologen Henry P. van Dusen: „Es ist uns hier ein grosses Anliegen, dass sich die Wolken der Zeit bald lichten und unsere Kirchen und Völker in einer aufrichtigen Freundschaft und in wahrem Frieden miteinander verbunden in die Zukunft gehen. Nach wie vor bin ich der Überzeugung, dass dabei auch gerade unsere gemeinsame Arbeit von Bedeutung sein kann. Ich werde jedenfalls hier in meinem Freundeskreis in der Deutschen Evangelischen Kirche alles versuchen, um dem uns verbindenden Werk auch weiterhin zu dienen.“395

In jenem Brief brachte Gerstenmaier nicht nur seine zwischenkirchlichen Ambitionen sowie sein Verständnis von der Bedeutung der Ökumene für die Welt zum Ausdruck, sondern zeigte in den „Wolken der Zeit“ auch subtil, dass jene Ambitionen sich großen Herausforderungen – sowohl mit den erstarkenden antikirchlichen Kräften im Deutschen Reich als auch mit den verschiedenen Akteuren innerkirchlicher Art – zu stellen hatten. Das folgende Beispiel verdeutlicht jene Sensibilität. Am 20. März 1939 hielt der Erzbischof von Canterbury, Cosmo Gordon Lang, im britischen Oberhaus eine Rede, in der er auf den deutschen Einmarsch in die nationalsozialistisch sogenannte „Rest-Tschechei“ vom 15. März 1939 sowie den Bruch des Münchner Abkommens entschieden reagierte. Er forderte alle christlichen Kirchen auf, sich gegen die nationalsozialistische Eroberungspolitik zu positionieren.396 Jene Rede hatte eine 392 Gerstenmaier, Christus, 160. 393 Vgl. Kapitel 3.1.1 (Unterkapitel Schöpfungsoffenbarung und Christusoffenbarung). 394 Schönfeld bescheinigte Gerstenmaier beispielsweise im Rahmen der gemeinsamen Zusammenarbeit in einem persönlichen Brief an Bachmann vom 24. 2. 1939 (EZA 5/4008) einen „ständigen Einsatz für die ökumenische Arbeit.“ 395 Brief Gerstenmaier an van Dusen vom 24. 4. 1939 (EZA 5/4008). 396 Vgl. Schubert, Visser ’t Hooft, 41 f.

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heiße Debatte im Deutschen Reich über die kirchlich-staatliche Vermischung zur Folge, die in der Godesberger Erklärung der so bezeichneten Nationalkirchlichen Einung Deutscher Christen397 gipfelte. Die mehrheitlich von deutschchristlichen Kirchenführern unterzeichnete Erklärung wertete jegliches „Überstaatliches und internationales Kirchentum […] weltprotestantischer Prägung“ als „politische Entartung des Christentums.“398 Damit wurde ohne Rücksprache mit dem KA399 unverblümt die ökumenische Bewegung scharf angegriffen. Die einstweilige Leitung des ÖRK regierte wiederum auf der Grundlage eines Entwurfes von Barth mit einer Kundgebung an die christlichen Kirchen400 und Heckel darauf mit einem Telegramm, in dem er die „sofortige Zurückziehung der Kundgebung“401 forderte. Der ÖRK habe seine Kompetenzen mit der Kundgebung weit überschritten und sich in die innerdeutschen Angelegenheiten eingemischt.402 Nach der Auslegung des KA widersprach der ÖRK mit seiner Intervention seinen eigenen in Utrecht 1938 festgelegten Prämissen der einzelkirchlichen Neutralität. Aus einer zunächst konfrontativen Debatte entstand ein Konflikt, der die deutschen Beziehungen nach Genf an die Grenze der diplomatischen Belastbarkeit führte. Heckel schien gegen den ÖRK so aufgebracht gewesen zu sein, dass Krummacher und Gerstenmaier ihn nur schwer überzeugen konnten, die „Verbindung mit der Ökumene aus zwingenden kirchlichen, aber auch aus wohlerwogenen politischen Gründen nicht abreißen [zu] lassen“. Es sei die Pflicht des KA, „das immer monotoner werdende Bild eines entchristlichten Deutschland, wie es im öffentlichen Bewusstsein des Auslands mehr und mehr aufscheine, wahrheitsgemäß zu korrigieren. Und es sei unser legitimes kirchliches und politisches Interesse, der Vereinsamung des deutschen Protestantismus in der Welt entgegenzuwirken.“403 Eine Schlichtung des Streits zwischen Heckel und Visser ’t Hooft404 konnte schließlich – nicht zuletzt durch 397 Jene Gruppe war als völkisch-religiöser Einigungsversuch gedacht und bildete eine Nachfolgeorganisation der DC. Sie wurde von Reichskirchenminister Kerrl unterstützt. Zur Nationalkirchlichen Einung vgl. Kn ppel, Einigungsversuche, 153. 398 Vgl. die Godesberger Erklärung in Beckmann, KJ 1933–1945, 284 f, hier 285. 399 vgl. Gerstenmaier, Streit, 86. 400 Vgl. die Kundgebung an die christlichen Kirchen in Beckmann, KJ 1933–1945, 319 f. Im dritten Punkt hieß es: „Die Kirche Jesu Christi ist allein Jesus Christus Treue schuldig, und die rechte Unterscheidung zwischen Politik und Weltanschauung auf der einen Seite und dem christlichen Glauben auf der anderen Seite ist daher diejenige, die dazu dient klarzumachen, daß Jesus Christus nicht einige, sondern alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, und daß die Kirche seine Herrschaft über alle Gebiete des Lebens einschließlich Politik und Weltanschauung zu verkündigen hat.“ (Ebd., 320). 401 Telegramm Heckels vom 6. 5. 1939 (Ebd.). 402 Vgl. ebd. Boyens zufolge war auch Gerstenmaier an dem Telegramm beteiligt. Dies schlussfolgerte er deshalb, weil auch seine Paraphe auf dem Original zu finden war (vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 1, 259). 403 Gerstenmaier, Streit, 87. 404 Nach Schubert war Visser ’t Hooft stets daran gelegen, einen Balanceakt zwischen öffentlicher Solidarität und politischer Rücksichtnahme gegenüber der DEK zu wahren (vgl. Schubert,

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Krummachers und Gerstenmaiers Einfluss auf Heckel sowie Liljes und Böhms Einfluss auf Visser ’t Hooft – erreicht werden. Am Ende stand bei allen Beteiligten die Erkenntnis, dass das KA mittlerweile „das einzige Organ [der DEK war], das reguläre und verbindliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Ökumene ermöglichen“405 konnte. Diese von Gerstenmaier formulierte Zuspitzung der kirchlichen Zuständigkeit wurde mit Sicherheit nicht von den Gremien der BK getragen. Da jedoch das KA von staatlicher Seite als einzige kirchenpolitische Instanz mit außerdeutscher Relevanz und kirchenverfassungsmäßiger Kompetenz wahrgenommen wurde, trifft die Formulierung zu, wenn man bedenkt, dass das KA zum einen Kontinuität in der ökumenischen Arbeit wahrte und zum anderen kirchliche Interventionen vor dem Staat hin und wieder vor dem Hintergrund der kirchlichen Freiheit und Unabhängigkeit erwog. Letzteres beschreibt keine Hauptaufgabe der Behörde, sondern zeigt, dass dem KA durch seinen ordnenden, kooperativen und dadurch auch oft kritisierten Stil Möglichkeiten gegenüber dem Staat gegeben waren, von denen die VKL II oder der RELKD weit entfernt waren. Dass Gerstenmaier an einer kontinuierlichen Fortsetzung der ökumenischen Arbeit interessiert sowie zu Interventionen gegen staatliche Maßnahmen in Bezug auf den deutschen Protestantismus bereit war, belegt eine europäisch-amerikanische Studienkonferenz vom 15. bis 19. Juli 1939 in York, an der er gemeinsam mit Heckel als Vertreter des KA teilnahm. Auf Einladung des Erzbischofs von York, William Temple, und der Forschungsabteilung des ÖRK trat im Palace des Erzbischofs ein internationaler Kreis von Ökumenikern zusammen, um einerseits im Zeichen der Oxforder Weltkirchenkonferenz weiter zu arbeiten und andererseits sich mit der Weiterentwicklung des ÖRK zu beschäftigen.406 So „unerheblich“407 die Ergebnisse der Konferenz auch waren, desto mehr ist ihr Umfeld im Hinblick auf Gerstenmaiers Wirken und dessen Kommunikationskanäle von Interesse. Kurz nach der Konferenz legte er sowohl dem RKM als auch erstmalig der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes (AA) und dem Büro Ribbentrop einen 24seitigen Bericht vor, der neben dem Tagungsgegenstand vor allem über sein diplomatisches Netzwerken am Rand der Konferenz Auskunft gab. Mit dem Bericht kam er nicht nur seinem beruflichen Auftrag für das KA in Kooperation mit den staatlichen Behörden nach, sondern setzte sich zudem in eigener Überlegung sowie mit Heckels Hilfe für die Freiheit und Unabhängigkeit des kirchlichen Visser ’t Hooft, 40). Gerstenmaier schätzte den Theologen aufgrund seiner Persönlichkeit sehr: „Eine brillante Intelligenz machte ihn darüber hinaus zu einem Kirchendiplomaten, der es auch mit den dafür erzogenen Mitgliedern der römischen Kurier aufnehmen konnte. Politisch habe ich ihn zu den Gegnern Deutschlands gezählt.“ (Gerstenmaier, Streit, 85). 405 Ebd., 88. 406 Gerstenmaier wirkte im Rahmen der Weiterentwicklung des ÖRK bereits vor der Konferenz bei einem Treffen des ÖRK bei Paris im Januar 1939 mit (vgl. Protokoll vom 29. 1. 1939. In: EZA 5/4008). 407 Gerstenmaier, Streit, 95.

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Bekenntnisses im Deutschen Reich geschickt ein. Der Bericht ist als Beleg dafür anzuführen, wie Gerstenmaier und eben auch das KA an sich auf der einen Seite staatliche Loyalität und Informationsvermittlung praktizierte sowie auf der anderen Seite gleichzeitig die kirchlichen Interessen gegenüber den NS-Behörden umzusetzen versuchte. Gerstenmaier beschrieb in einem ersten Teil des Berichtes ausführlich den Tagungsverlauf mit allen beschlossenen ökumenischen Weiterentwicklungen408 und betonte, dass die „wissenschaftlichen Verhandlungen […] vollkommen frei von allen politischen oder halbpolitischen Erwägungen und Angriffen“409 geblieben waren und dass er sich vor Ort bemüht habe, die deutsche und skandinavische Theologie wieder enger in Verbindung zu bringen.410 So wohlwollend und kooperativ der erste Teil des Berichtes in seinem Charakter gegenüber den Berichtsempfängern auch schien, desto bestimmender muss der zweite Teil gewertet werden. Hier zeichnete Gerstenmaier zahlreiche informelle Gespräche, die er rund um die Konferenz geführt hatte, nach411 und analysierte – im Zuge der sogenannten Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens – die in seinen Augen im April 1939 auf Befehl Hitlers erfolgte falsche Abschaffung der kirchlichen Morgenfeiern bzw. religiösen Andachten im deutschen Rundfunk.412 Der Deutsche Dienst der British Broadcasting Corporation (BBC) plante nämlich aufgrund des nationalsozialistischen Verbots mit der Übertragung von deutschsprachigen Gottesdiensten in größerem Umfang zu beginnen.413 408 In York wurde nahtlos an die Verhandlungen vom Januar 1939 in St. German bei Paris angeknüpft. Die ökumenische Arbeit sollte sich mehr auf Fachgremien stützen. Ein Kreis von theologischen, philosophischen und soziologischen Sachverständigen wurde in York diskutiert, der sich dem Wesen des christlichen Ethos und dem Kulturproblem der christlichen Ethik zum Thema „Die Kirche als ethische Realität und Macht“ widmen sollte. Es war geplant, dass dem Gremium 14 Gelehrte (4 Amerikaner, 4 Engländer, 3 Skandinavier, je 1 aus Holland, Schweiz und Deutschland) angehören. Gerstenmaier zeichnete die Debatten vor Ort nach und beschrieb die Verschiedenheit der kontinentalen und anglikanischen Betrachtungs- und Behandlungsweisen (vgl. Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939. In: EZA 5/168). 409 Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939 (EZA 5/168). 410 Die Beziehungen nach Skandinavien werden in diesem Kapitel noch erläutert. 411 So sprach er u.a mit dem Kulturphilosophen Arnold Toynbee vom Institut für Internationale Angelegenheiten über die Oberhauserklärung und wurde dabei mit der Kriegsmotivation des Empire konfrontiert (vgl. Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939. In: EZA 5/168). Retrospektiv gab Gerstenmaier weitere Gespräche wieder, die er während seiner Englandreise führte. Ähnlich wie Toynbee führte ihm auch ein namentlich nicht bekannter Admiral der Navy vor Augen, dass bald alle Kanonen der zivilen Welt gegen Deutschland gingen, wenn es seine Expansionspolitik weiter so betreibe. Ähnliche Kriegswarnungen sprachen in seiner Gegenwart auch Temple und der Lordbischof von Chichester, George Bell, aus, die Gerstenmaier wiederum in seinem Bericht zu transportieren versuchte (vgl. Gerstenmaier, Streit, 92 f). 412 Zum Ende der kirchlichen Morgenfeiern vgl. Altmannsperger, Rundfunk, 27 f. 413 Gerstenmaier beschrieb die Gründe in seinem Bericht wie folgt: „Der völlige Ausfall gottesdienstlicher Feiern im deutschen Rundfunk habe den englischen Rundfunk veranlasst, schon

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In der Religious Broadcast Division (RBD), der Kirchenabteilung der BBC, wurden emsig die entsprechenden Pläne ausgearbeitet. Da die BBC ohne Zweifel der „bekannteste und am meisten gehörte Feindsender im Dritten Reich“414 war, wurde mit der Übertragung eine aus deutscher Sicht gefährliche „Grauzone zwischen Verkündigung und Propaganda bzw. psychologischer Kriegsführung“415 berührt, die nicht dem Willen der deutschen Behörden entsprechen konnte. Diesen Sachverhalt nutzte Gerstenmaier geschickt bei einem Treffen mit Eric Fenn, dem Assistant Director RBD, am 13. Juli 1939 kurz vor der Konferenz in York für sich. Der studierte Theologe Fenn traf sich in diesem Zeitraum mit mehreren Verantwortungsträgern im deutschen Protestantismus, um deren Meinung und Unterstützung zu den Plänen einzuholen.416 So kam er auch mit Gerstenmaier zusammen, der in seinem späteren Bericht über die Planungen der BBC und das Gespräch betonte: „Ich machte Direktor Fenn auf die eminenten Schwierigkeiten aufmerksam, die aus einer solchen Maßnahme für die Beurteilung des kirchlichen Lebens und Daseins erwachsen könnten, dass ich ja nur schwerlich eine wirklich objektive, unpropagandistische und unpolitische Sendung auf englischen Sendern ermöglichen lassen würde. Der deutschen Kirche und den deutschsprachigen Christen in der Welt wäre wenig gedient mit Gottesdiensten, die das Gepräge der polit. Propaganda oder der Atmosphäre der Emigranten tragen würden. Ich müsse deshalb nachdrücklich davor warnen […].“417

In seinem offiziellen Bericht äußerte Gerstenmaier also offensichtlich Bedenken gegen die Pläne der BBC. Ähnlich wie Heckel, der sich wenig später ebenfalls brieflich an das AA wandte und im Zuge der möglichen Rundfunkgottesdienste der BBC in deutscher Sprache vor „antideutschen Spitzen“418 warnte, verfolgte Gerstenmaier mit seinen ausführlichen Beschreibungen der Pläne und der möglichen Folgen ein klares politisches Ziel: nämlich die Wiedereinführung von religiösen Übertragungen im deutschen Rundfunk durchzusetzen. Ähnlich forderte auch Heckel im Nachgang von Gerstenmaiers Gespräch mit Fenn, dass es „außerordentlich zu begrüßen [sei], wenn der d[eu]t.[sche] Rundfunk dieser englischen Massnahme durch rechtzeitige Wiederaufnahme christl.[icher] Gottesdienste u.[nd] Morgen-

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im Blick auf die zahlreichen deutschsprachigen Bewohner englischer Mandatsgebiete, aber auch im Blick auf deutsche Kranke usw., die nicht mehr am Gottesdienst in der Kirche teilnehmen könnten, deutschsprachige Gottesdienste zu senden.“ (Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939. In: EZA 5/168). P tter, Rundfunk, 95. Roggelin, Hildebrandt, 218. Neben Gerstenmaier kam Fenn auch mit Julius Rieger und Franz Hildebrandt, die für die VKL II sprachen, sowie mit Hanns Lilje, der den RELKD repräsentierte, zusammen (vgl. ebd., 219–223). Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939 (EZA 5/168). Brief Heckels an AA vom 12. 8. 1939 (EZA 5/168).

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feiern den Wind aus den Segeln nähme.“419 Die beiden Theologen instrumentalisierten also die englischen Planungen für ihre kirchlichen Interessen; zumal es dabei nicht nur auf die Durchführung ankam, sondern eben auch auf den Plan an sich, den die beiden wiederum als Verhandlungsgrundlage vor den deutschen Behörden zu nutzen gedachten. Interessant erscheint vor diesem Hintergrund zudem ein Memo von Fenn, das er kurz nach dem Treffen mit Gerstenmaier am 14. Juli 1939 angefertigt hatte und das als Parallelüberlieferung zu Gerstenmaiers Bericht zu werten ist. Darin lobte er Gerstenmaier zunächst mit deutlichen Worten. Es sei ihm zu verdanken, dass die DEK „in money and in ideas“420 den Kontakt zur ökumenischen Bewegung gehalten habe und auch weiterhin Einsatz zeige. Nach Fenns Zusammenfassung war es jedoch Gerstenmaier, der die Gottesdienstübertragungen der BBC angesprochen habe. „Dies würde der Kirche eine Waffe gegen das Propagandaministerium in die Hand geben; denn dieses müsse dann zugeben, wie peinlich es sei, daß nun die christliche Verkündigung von außen komme.“421 Gerstenmaier schien es zudem wichtig, an den konkreten Plänen der RBD zur Ausgestaltung des Formates mitzuwirken. Nach seinen Vorstellungen sollten die Gottesdienste „theologically objective (i. e. free from political motive)“422 sein und ferner die Sprecher Briten sein oder gar anonym bleiben. Die Parallelüberlieferung zeigt, wie proaktiv sich Gerstenmaier in jenen Themenbereich einbrachte, um nicht zuletzt mit dem etwaigen Planungsgegenstand einen größtmöglichen Verhandlungsspielraum für sich und das KA vor den deutschen Behörden für die Wiedereinführung von religiösen Programmpunkten in den deutschen Rundfunk zu schaffen. Vergleicht man nun die beiden Berichte und reduziert Gerstenmaiers Äußerungen um ihre politisch notwendigen Zugeständnisse, dann ähneln sich die beiden Versionen in ihren Grundaussagen sehr.423 Fenn skizzierte – anders als Gerstenmaier – in seinem Memo jedoch, dass viel mehr konstruktive Impulse von dem KA-Mitarbeiter ausgingen, als sie dieser in seinem Bericht umschrieb. Bedenkt man dazu den Empfängerkreis und die Intention, dann stellt sich heraus, dass Gerstenmaier in jener kommunikativen Frage eine Strategie nutzte, die die englischen Pläne als Druckmittel stilisierte. Dass er in seinem Bestreben um die Wiedereinführung von Gottesdienstübertragungen im deutschen Rundfunk nationalsozialistische Propaganda förderte, wie es ihm später von der Nationalen Front in der DDR unterstellt wurde,424 ist in jenem Vorgehen nur mit sehr viel Phantasie zu interpretieren. Entgegen den

419 420 421 422 423 424

Ebd. Zit. nach Roggelin, Hildebrandt, 220. Ebd. Zit. nach ebd. Vgl. ebd., 222. Vgl. Nationalrat, SD-Agenten, 18.

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fortschreitenden Planungen der RBD425 und aller positiver Argumentation wurden religiöse Sendungen erst wieder zum Ende des Zweiten Weltkrieges im deutschen Rundfunk genehmigt.426 Im Bericht über die Konferenz in York erwähnte Gerstenmaier bereits, dass er sich vor Ort bemüht habe, die deutsche und skandinavische Theologie wieder enger in Verbindung zu bringen.427 Hinter den förmlichen Phrasen steckte wohl eine gezielte, aber unkonkrete Kontaktaufnahme zu skandinavischen Kirchenführern, die sich der theologischen Tradition im Stammland der Reformation verbunden fühlten. Dieser Sachverhalt wurde im AA aller Wahrscheinlichkeit nach positiv zur Kenntnis genommen, da Gerstenmaier wenig später ein persönlicher Auftrag erteilt wurde, der in einem ähnlichen Duktus zu definieren war. Kurz nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des Deutschen Reiches auf Polen im September 1939 wurde Gerstenmaier von Fritz von Twardowski in das AA vorgeladen. Der promovierte Diplomat leitete die Kulturabteilung VI, die primär als kulturpolitische Abteilung des AA bezeichnet wurde. Twardowski war im AA somit für die wissenschaftliche Volkstumsarbeit, die Presse und das Schrifttum der deutschen Volksgruppen im Ausland sowie die Minderheiten im Deutschen Reich zuständig. In seinen Aufgabenbereich fiel also auch die Kooperation mit dem KA. Der Kriegszustand und die zunehmende außenpolitische Isolation des Deutschen Reiches beschäftige zu dieser Zeit alle deutschen Behörden intensiv. Aufgrund dessen sollte sich Gerstenmaier auf Twardowskis Wunsch nach Skandinavien begeben und bei den örtlichen Kirchenführern wegen einer nordischen Friedensinitiative sondieren.428 Doch warum wandte sich der Diplomat an den dienstjungen Gerstenmaier und nicht an Heckel oder Krummacher? Zwei wesentliche Gründe sind dafür anzuführen: Zum einen wurde Gerstenmaier kurz nach dem Beginn des Krieges die Leitung des ökumenischen Referates im KA durch Heckel übertragen, da sich Krummacher freiwillig als Militärpfarrer gemeldet hatte. Damit erkannte Heckel die gewachsene Rolle Gerstenmaiers innerhalb der ökumenischen Bewegung an und baute auf seinen ökumenischen Einsatz,429 425 Zur Weiterentwicklung und auch zur Konzeption eines Sendungskonzeptes vgl. Roggelin, Hildebrandt, 223–234. 426 Vgl. Altmannsperger, Rundfunk, 28 f. 427 Vgl. Bericht Gerstenmaiers über die Studienkonferenz York vom 31. 7. 1939 (EZA 5/168). 428 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 120. 429 Sein ökumenischer Einsatz kann bspw. mit deinem Brief an Henry van Dusen vom 24. 4. 1939 (EZA 5/4008) unterstrichen werden. Über seinen Ansatz der ökumenischen Arbeit schrieb er dem in New York lehrenden Theologieprofessor: „Es ist uns hier ein großes Anliegen, dass sich die Wolken der Zeit bald lichten und unsere Kirchen und Völker in einer aufrichtigen Freundschaft und in wahrem Frieden miteinander verbunden in die Zukunft gehen. Nach wie vor bin ich der Überzeugung, dass dabei auch gerade unsere gemeinsame Arbeit von Bedeutung sein kann. Ich werde jedenfalls hier in meinem Freundeskreis in der Deutschen

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den er diplomatisch, geschickt und energisch um- und einzusetzen vermochte. Durch jene nun in seiner Hand liegende „ökumenische und zwischenkirchliche Arbeit“430 wurde ihm nicht nur ein wichtiger Verantwortungsbereich im KA zuteil, sondern auch mehr Einfluss auf dessen kirchenpolitischen Kurs gewährt. In jenem neuen Angestelltenverhältnis war Gerstenmaier somit erster Ansprechpartner für die Ökumene und die ökumenischen Beziehungen der DEK ins Ausland. Als zweiter Grund für Twardowskis Wahl ist die Anerkennung Gerstenmaiers sowohl im In- als auch Ausland anzuführen. Dass der neue Leiter des ökumenischen Referates im KA von seinem Vorgesetzten Heckel geschätzt wurde, steht außer Frage. Wichtiger für Twardowski war zudem, dass Gerstenmaier – anders als Heckel – als geachteter Gesprächspartner innerhalb der ökumenischen Bewegung galt.431 Er hatte sich seit Chamby, über Oxford bis York ein beachtliches Netzwerk über die Genfer Zentrale hinaus erarbeitet, in dem seine organisatorische wie theologische Meinung geschätzt war.432 Obwohl er freilich Konfrontationen nicht scheute und auch provozieren konnte, waren seine kirchendiplomatischen Kompetenzen in den internationalen Netzwerken der Ökumene sowie seine Position qua Amt ausschlaggebend für Twardowskis Auftrag. So sollte er sich nun nach Skandinavien begeben. Die Sache müsse jedoch ein striktes „kirchliches Gesicht behalten.“433 Dies schien Twardowski nach Gerstenmaiers Erinnerungen äußerst wichtig gewesen zu sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach sollte damit von deutscher Seite auf den Beginn einer Friedensinitiative reagiert werden, die am 6. September 1939 von den beiden führenden Persönlichkeiten der norwegischen Kirche – dem Bischof von Oslo, Eivind Berggrav, und dem Leiter der norwegischen Laienbewegung „Die Innere Mission“, Professor Ole Hallesby – initiiert wurde.434 Zudem schienen der Reichsregierung nach der Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich „ernste Bedenken“435 gekommen zu sein, sodass der skandinavische Klerus für einen Friedensappell gewonnen werden musste. Ganz offensichtlich nutzte das AA seine Verbindungen zum KA für seine eigenen Interessen und kam somit auf Gerstenmaier zu. Den offiziellen Zweck der Reise schilderte Gerstenmaier in seinem später angefertigten Bericht noch einmal klarer. Demnach bestand seine Aufgabe zum einen darin, „Informationen über die

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Evangelischen Kirche alles versuchen, um dem uns verbindenden Werk auch weiterhin zu dienen.“ Aussage Heckels in der Strafsache Gerstenmaier gegen Ramcke vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). Bspw. Schönfeld schätzte Gerstenmaiers „ständigen Einsatz für die ökumenische Arbeit.“ (Brief Schönfelds an Bachmann vom 24. 2. 1939. In: EZA 5/4008). Vgl. Brief Edwin Espys an Gerstenmaier vom 4. 5. 1938 (EZA 5/4008). Gerstenmaier, Streit, 121. Zu Bischof Berggravs Friedensinitiativen am Anfang des Zweiten Weltkrieges vgl. Heiene, Bischof, 138–153. Brief Gerstenmaiers an Ludlow vom 27. 2. 1968 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-038/1).

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augenblickliche Haltung und Stimmung in den führenden kirchlichen und akademischen Kreisen Skandinaviens“ zu sammeln und den Versuch zu wagen, „die dortigen Friedensbestrebungen in ihrem Umfang und ihrer Intensität zu erkunden und in geeigneter Weise zu beeinflussen.“436 Alle Auslandsreisen waren nach Kriegsbeginn an außenpolitische Interessen des Deutschen Reiches gebunden. Anders wäre die Genehmigung eines Visums nicht möglich gewesen. Er knüpfte seine Zusage allerdings an die Bedingung, dass er diese Aufgabe nur gemeinsam mit Schönfeld und Ehrenström wahrnehmen könne. Nachdem Heckel die Reise noch einmal formal beantragt hatte437 und sowohl Twardowski438 als auch die beiden Theologen zugestimmt hatten, wurde Gerstenmaier für das AA kriegsdienstverpflichtet und zudem als unabkömmlich (UK) klassifiziert.439 Damit hatte er nun nicht nur Heckel, sondern auch dem AA offiziell zu berichten. Diese Verpflichtung hatte zum Resultat, dass er mit dem nationalsozialistischen Regime noch enger und kooperativer zusammenarbeiten musste als bisher. Es ist wenig verwunderlich, dass die in den sechziger Jahren von DDR-Kreisen gegen Gerstenmaier geführte Kampagne jene Skandinavienreise besonders herausstellte und ihn als „NaziEmissär gegen [die] skandinavische Friedensbestrebungen“440 disqualifizieren wollte. In seinen Erinnerungen skizzierte Gerstenmaier jedoch, dass er die Zusage zur Reise erst nach vielerlei Abwägung mit seinen Freunden Paul Pagel und Josef Wirmer getroffen habe.441 In der Hoffnung, dass er in Skandinavien weiter an seinem primär kirchlichen Netzwerk in der Überzeugung für ein anderes Deutschland bauen konnte, und in der Überzeugung, dass innenpolitische Herausforderungen im Frieden an größere Erfolge geknüpft waren als im Krieg, sagte er schließlich dem Sonderauftrag der kulturpolitischen Abteilung des AA in Rahmen der nordischen Friedensmission zu.442 Vom 27. September bis zum 20. Oktober 1939 begaben sich Gerstenmaier, Schönfeld und Ehrenström unter einem ökumenischen Deckmantel mit 436 Undatierter und unadressierter Bericht Gerstenmaiers über die Skandinavienreise (EZA 517/ 52; und BArch DO 4/1). 437 Heckel schrieb in seinem Antrag: „zwecks Abwehr der Propaganda der Westmächte [wolle Gerstenmaier] eine informatorische Reise in die nordeuropäischen Länder unternehmen.“ (Brief Heckels an AA vom 22. 9. 1939. In: PAAA, R 67651). 438 Vgl. Mitteilung AA an KA vom 23. 9. 1939 (PAAA, R 67651). 439 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 121; und Brief Gerstenmaiers an Ludlow vom 30. 8. 1967 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-038/1). 440 Nationalrat, SD-Agenten, 40–42. 441 Zu dieser Zeit engagierte sich Gerstenmaier bereits im politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus (vgl. dazu Kapitel 5.1). 442 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 121–123. In einem Brief an Heinrich Grüber begründete Gerstenmaier im Dezember 1960 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-027) seine Entscheidung für die Mission später noch einmal: „Ich habe dieser Verpflichtung zugestimmt, weil ich keine Sehnsucht danach hatte, in dem von Hitler und Stalin gemeinsam inszenierten Völkermord Waffen zu tragen und weil mir diese Maßnahme des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit bot, weiter das zu tun, war ich für notwendig hielt.“

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staatlichem Auftrag, aber auch eigenen Intentionen nach Skandinavien. Über die Reise liegen zwei zeitgenössische Berichte vor, die unterschiedliche Schwerpunkt in ihrer Informationsvermittlung setzen. Ein Bericht vom 11. November 1939 ist stärker von Reiserouten und kirchlichen Bestandsbeschreibungen geprägt, die weitgehend gedanklich verschachtelt und in einem akademischen Stil formuliert wurden, der den informativen Gehalt auf ein Minimum reduziert.443 Dagegen enthält ein undatierter Bericht detaillierte Einblicke in die zahlreichen geführten Gespräche und die Versuche der drei Beteiligten, in die Entwicklung der nordischen Friedensinitiative zu Einfluss zu nehmen.444 Da sich jedoch in beiden Berichten politische Zugeständnisse in ihrem Stil erkennen lassen, ist zu vermuten, dass beide an die kulturpolitische Abteilung des AA adressiert oder eben zumindest für die Weiterleitung an jene gedacht waren. Die drei Emissäre reisten über Kopenhagen, Lund und Stockholm nach Uppsala, Sigtuna und Oslo, um schließlich ihre Reise wieder in Kopenhagen zu beenden. Dabei trafen sie bei 90 bis 100 Besuchen – zumeist auf Ehrenströms Initiative – die wichtigsten skandinavischen Kirchenführer, Vertreter von kirchlichen Verbänden und Fakultäten. In diesem Rahmen konnten sie nach dem undatierten Bericht eine „deutschfreundliche Haltung“445 beobachten. Der eigentlichen Aufgabenbeschreibung ihrer Reise konnten sie sich nach Gerstenmaiers Erinnerungen allerdings nur schwer widmen. So sprachen sie in Kopenhagen mit dem ersten Bischof der dänischen Kirche, Hans FuglsangDamgaard, oder ähnlich mit dem Bischof von Lund, Edvard Magnus Rohde, eher über die Gestaltung der ökumenischen Arbeit im Krieg als über die nordische Friedensinitiative. Erst mit dem Erzbischof von Uppsala, Erling Eidem, konnten sie offener sprechen.446 Er verwies die drei nach Norwegen zu Berggrav, dem deutschfreundlichen Initiator der kirchlichen Friedensinitiative in Skandinavien. Der Bischof von Oslo plante zwischen den kriegführenden Parteien kirchlich zu vermitteln. Dazu baute er seine Friedensinitiative auf den Prinzipien der christlichen Versöhnung auf und versuchte dabei, theologische und praktisch Gesinnungs- und Verantwortungsethik miteinander zu kombinieren.447 Sein Bestreben zeigte sich bspw. darin, dass er kurz nach Hitlers sogenannter Friedensrede448 vom 6. Oktober 1939 den amerikanischen Präsidenten, Franklin D. Roosevelt, per Telegramm aufforderte, mit den kriegführenden Parteien in Den Haag ein schlichtendes Gespräch zu

443 Vgl. Bericht Gerstenmaiers über Skandinavienreise vom 11. 11. 1939 (EZA 5/199). 444 Vgl. Undatierter und unadressierter Bericht Gerstenmaiers über die Skandinavienreise (EZA 517/52; und BArch DO 4/1). 445 Ebd. 446 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 121 f. 447 Vgl. Heiene, Bischof, 141. 448 Zu Hitlers sogenannten Friedensrede, dem Inhalt und den Intentionen vgl. Wildt, Ordnung, 129–137.

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führen.449 Wiederum kurz danach trafen Gerstenmaier, Schönfeld und Ehrenström in Oslo ein, um mit Berggrav zu sprechen.450 Dieser empfing die drei auch. In seinem undatierten Bericht skizzierte Gerstenmaier nicht nur Berggravs Wesen, sondern auch dessen Intention sehr ausführlich: Berggrav sei „zweifellos der aktivste von den skandinavischen Kirchenführern. Er macht aus seiner inneren Verbundenheit mit dem Mutterland der Reformation keinen Hehl und ist wegen seiner realpolitischen Einsicht und seiner auf praktische, unmittelbare Tagesnotwendigkeiten gerichteten Hilfsmaßnahmen in ganz Skandinavien geschätzt. Berggrav hat sich wiederholt bei öffentlichen Veranstaltungen der Kirche, der Universität, des Staates und im Rundfunk nachdrücklich für eine nordische Friedensinitiative eingesetzt. Er ist der ausgeprägteste Vertreter der sog. positiven Neutralität, die ihre Aufgabe darin sieht, in der gegenwärtigen Auseinandersetzung nicht als unbeteiligter Zuschauer beiseite zu stehen, sondern sich nach Kräften mit allen erreichbaren Mitteln für eine aktive Friedenspolitik einzusetzen.“451

Gerstenmaier berichtete vor den staatlichen Stellen sehr nüchtern über Berggravs Einsatz und empfahl in diesem Zuge drei wesentliche Punkte im Umgang mit den skandinavischen Friedensbestrebungen, die von deutscher Seite zur Wahrung der deutschen Interessen in Skandinavien zu unternehmen seien. Zum einen müsse wirkungsvoll in eine weitere positive deutsche Atmosphäre investiert werden. Gerstenmaier empfahl dazu einen gesteigerten Kultureinsatz an den nordischen Universitäten, also eine engere Kooperation in der Wissenschaft zwischen Skandinavien und dem Deutschen Reich. Zum anderen müssten Wege gefunden werden, um den deutschen Einfluss auf die Planung und Steuerung der Friedensbestrebung und ihren politischen Zusammenhang sicherzustellen. Es dürfe nicht zu einer Isolierung des Deutschen Reiches kommen. Zum dritten müsse sich mehr um die orthodoxen Kirchen des Balkans gekümmert werden, da sie der bolschewistisch-ideologischen Okkupation ausgesetzt seien.452 Relativ unspezifisch, jedoch klar in den Forderungen bezog Gerstenmaier in seinen zeitgenössischen Berichten Stellung. In seinen Erinnerungen hingegen beschrieb er, dass die drei Männer Berggrav erst zur Friedensinitiative hätten überreden müssen und dass er diese an die Mitwirkung von Eidem und Fuglsang-Damgaard knüpfte.453 Richtig ist zwar, dass der primär norwegische 449 Vgl. Heiene, Bischof, 148. Zu den Friedensbemühungen vgl. zudem Murtorinne, Kirchen, 212–227. 450 Gerstenmaier erinnerte sich, dass sie sich am 8. 10. 1939 mit Berggrav in Oslo trafen (vgl. Gerstenmaier, Streit, 123). Gunnar Heiene skizzierte in seiner Forschung hingegen, dass das Treffen am 10. 10. 1939 stattgefunden haben muss (vgl. Heiene, Bischof, 143). 451 Undatierter und unadressierter Bericht Gerstenmaiers über Skandinavienreise (EZA 517/52; und BArch DO 4/1). 452 Vgl. ebd. 453 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 125.

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Friedensimpuls auf eine ganz Skandinavien umfassende Friedensinitiative unter Berggravs Zeichen einer positiver Neutralität während der wenig später in Kopenhagen stattgefundenen skandinavischen Kirchenführerkonferenz ausgeweitet werden sollte, jedoch nicht, dass die Skandinavier dazu hätten überzeugt werden müssen.454 Obwohl die Ergebnisse der Reise sich nur auf einen guten Eindruck reduzieren ließen, den Gerstenmaier für die DEK und in gewisser Weise auch für das Deutsche Reich hinterlassen hatte, schien Twardowksi mit Gerstenmaiers Arbeit und seiner Informationspolitik relativ zufrieden zu sein, da er ihn nun kontinuierlich für sich und das AA beanspruchte.455 In einer späteren Korrespondenz mit einem Wissenschaftler der Queen Mary University of London legte Gerstenmaier die Abläufe in Skandinavien 1939 noch einmal ausführlich dar und beschrieb zudem sowohl seine als auch Berggravs Rolle im Rahmen der skandinavischen Vermittlungsversuche. Bemerkenswert ist dabei, dass Gerstenmaier seinen übergeordneten Auftraggeber Twardowski als „mir wohlgesonnene[n] und meinen oppositionellen Anschauungen wohl auch mit Verständnis gegenüberstehende[n]“456 Leiter der kulturpolitischen Abteilung des AA charakterisierte. Darüber hinaus habe er Gerstenmaier auch „weder Ratschläge gegeben noch Vorschriften“457 für die Umsetzung des Auftrags gemacht. Daraus lässt sich schließen, dass Gerstenmaiers Intentionen außerhalb der staatlichen Interessen wiederum staatlich durch Twardowskis Person gestützt wurden und dem Theologen relativ freie Hand sowohl vor, während als auch nach der Reise gelassen wurde. Dadurch wurde es Gerstenmaier ermöglicht, in diesem Rahmen zu reisen sowie im Sinne der kirchlichen Freiheit und Unabhängigkeit zu handeln. Aufgrund dieser Tatsache sind die ökumenischen Bemühungen Gerstenmaiers in ihrer Analyse in einem weit verzweigten Labyrinth sich kreuzender Interessen einzuordnen, an denen zahlreiche Menschen aus sowohl Kirche als auch Staat mitwirkten. Nicht nur seine Theologie entfaltete und festigte sich in der zwischenkirchlichen Arbeit, sondern auch seine Bestrebungen, sich für ein anderes Deutschland einzusetzen.458 Die sich im Rahmen dieser Tätigkeit aufbauenden Verbindungen im In- und Ausland waren die zwingende Voraussetzung für Gerstenmaiers Wirken im deutschen Widerstand und können auch nur vor dessen Hintergrund interpretiert werden. Gerstenmaiers Handeln losgelöst von der Vision eines anderen Deutschlands zu interpretieren, so wie es die DDR-Propaganda in den sechziger Jahren tat, geht fehl. Dass es bei ihm zu einem Interessenskonflikt kam, steht außer Frage. Dass die National454 Zu Berggravs Gesamtbemühungen vgl. Heiene, Berggrav; und Heling, Theologie. 455 Besonders hervorzuheben ist in diesem Rahmen eine Veröffentlichung Gerstenmaiers unter dem Titel „Frankreichs Protestantismus im Krieg“, die äußerst ambivalent zu werten ist. Vgl. Kapitel 4.4.3. 456 Brief Gerstenmaiers an Ludlow vom 30. 8. 1967 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-038/1). 457 Brief Gerstenmaiers an Ludlow vom 27. 2. 1968 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-038/1). 458 Vgl. Kapitel 5.1.

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sozialisten in seiner Person jedoch ein „Geschick“ entdeckten, „faschistische Ideologie religiös verkleidet darzubieten“ und er deshalb als „Prototyp des Chauvinisten im religiösen Gewand“459 stilisiert werden konnte, ist deswegen unangemessen, da dieser Ansatz Gerstenmaiers konspirativen Einsatz für die Netzwerke des deutschen Widerstandes nicht beachtete, sondern ihn nur nutzbar machen wollte, um Gerstenmaier politisch zu diffamieren.460

4.4 „Von Kirche zu Kirche geben sich grüßende Hände“ – Die Beziehungen zur Orthodoxie 4.4.1 Die kirchendiplomatische Auslandsarbeit auf dem Balkan Dem Leiter des ökumenischen Referats im KA oblagen auf Grundlage seines Aufgabentableaus die kirchendiplomatischen Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen im In- und Ausland. Gerstenmaier war somit qua Amt für die Kontaktpflege zur Orthodoxie verantwortlich. Die Intensivierung der Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen war für ihn in seiner Position nicht nur eine Dienstverpflichtung für das KA, sondern mehr ein Nachgehen seiner eigenen Interessen. Die Orthodoxie faszinierte ihn schon seit geraumer Zeit. Vor allem die orthodoxen Kirchen auf dem Balkan galten nach seiner Einschätzung entgegen den sonst üblichen Säkularisierungserscheinungen „als Ideal einer Volkskirche“461, da ihnen die Bevölkerung tief verwurzelt die Treue hielt. Gerstenmaier bewunderte deshalb ihre „Struktur und zäh verteidigte Tradition“462. So sah er bei den orthodoxen Kirchen viele Synergieeffekte für das ökumenische Gespräch, das er für die DEK verantwortete. Eine Abkapselung der Orthodoxie von der Ökumene kam für ihn nicht in Frage, denn die Ökumene brauche den „Kontakt, der ökumenische Denker die Denkgemeinschaft, die Nationalkirche wenigstens ein Minimum an Verbindung und den Austausch mit der ökumenischen Realität. Ich tat dafür, was immer ich konnte.“463 Retrospektiv betrachtet, intensivierte Gerstenmaier ab 1939 die Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen auf dem Balkan als eigne Schwerpunktsetzung seiner ökumenischen Arbeit. Obwohl er die volkskirchlichen Aktivitäten und Strukturen der Orthodoxie auf dem Balkan bewunderte, war seine Fokussierung nicht nur an sein eigenes Interesse, sondern eben auch an das von mehreren staatlichen Stellen gebunden. 459 Die Wirtschaft vom 12. 9. 1957. 460 Die Verbindungen Gerstenmaiers zum Ausland und deren Nutzbarmachung für den deutschen Widerstand werden im Weiteren noch erläutert. Vgl. dazu Kapitel 5.2. 461 Gerstenmaier, Streit, 119. 462 Ebd. 129. 463 Ebd.

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Gerstenmaiers Beförderung im KA sowie seine sondierenden Aufgaben in Skandinavien464 für die kulturpolitische Abteilung des AA blieben auch bei der Informationsabteilung des AA nicht unbemerkt. Die noch relativ junge Behörde wurde nach Kriegsbeginn im AA mit der Aufgabe eingerichtet, Informationen über das feindliche und verbündete Ausland zu sammeln, auszuwerten und die deutschen Reichsstellen über deren Lage in jeglicher Hinsicht ausgiebig zu unterrichten. Zum primären Ziel der Informationsabteilung gehörte der Versuch, die außerdeutsche Stimmung im deutschen Sinne zu beeinflussen.465 Dazu wurde freilich geeignetes Personal benötigt. Auf dieser Grundlage sah der Leiter der Informationsabteilung, der Diplomat Günther Altenburg, in Gerstenmaier und seinem Amt großes Potential für die Interessen seiner Behörde. Gerstenmaiers Erinnerungen nach stimmte er rasch einer Nebentätigkeit für die Informationsabteilung zu, „weil das, was mir am Herzen lag, so vielleicht eher zu erreichen war.“466 Weiter skizzierte und rechtfertigte er später, dass ihm die Informationsabteilung mehr bot als umgekehrt. „Der Posten ermöglichte mir, allerdings unter Aufbietung eines zeitweilig anstrengenden Mummenschanzes, die Durchführung kirchlichökumenischer Aufgaben, die in anderer Form nicht mehr durchzuhalten gewesen wären.“467 Von der kulturpolitischen Abteilung des AA wurde Gerstenmaier im Winter 1939/1940 dementsprechend der Informationsabteilung überstellt und dort dem promovierten Juristen Altenburg unterstellt.468 Damit gehörte er einem großen Mitarbeiterstab innerhalb der Behörde an469 und lernte während seiner Tätigkeit die ebenfalls dort Beschäftigten Adam von Trott zu Solz und Hans Bernd von Haeften kennen.470 Die vage Definition der Aufgaben in der Informationsabteilung ermöglichte es den Mitarbeitern, Verbindungen zu Menschen im Ausland aufzunehmen oder zu festigen, die anderen deutschen Staatsbürgern wegen des Kriegszustandes weitgehend verschlossen blieben. Kurz gesagt: Gerstenmaier sicherte sich durch die inoffizielle Beschäftigung in der Informationsabteilung des AA die Aufrechter-

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Vgl. Kapitel 4.3.3. Vgl. Conze, Hort, 98. Gerstenmaier, Streit, 128. Ebd., 129. Altenburgs ambivalente Rolle im nationalsozialistischen Deutschland rief nach 1945 zahlreiche Kontroversen hervor. Auf der einen Seite weigerte er sich in die SS einzutreten und machte sich als „Bevollmächtigten des Reichs für Griechenland“ (ab 1941) für die Lebensmittelversorgung der griechischen Bevölkerung stark. Auf der anderen Seite war er in jener Position maßgeblich an der Deportation der griechischen Juden in die Vernichtungslager beteiligt. Zur unterschiedlichen Beurteilung vgl. u. a. Conze, Amt, 255–257: und Aly, Volksstaat, 282 f. 469 Die Zahl der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter in der Informationsabteilung wuchs stetig. Am 1. 9. 1942 gehörten dem Mitarbeiterstab der Behörde 260 Menschen an (vgl. Longerich, Propagandisten, 51). Gerstenmaier galt wegen seiner Hauptanstellung im KA als inoffizieller Mitarbeiter. 470 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 128.

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haltung seiner Reisetätigkeit zu den ausländischen Kirchen und somit die Möglichkeit, seine ökumenischen Aufgaben im KA weiterhin wahrzunehmen. Während sich Heckel ab 1939 in erster Linie um die deutschen Auslandsgemeinden und deren finanzielle Versorgung in Form von endlosen Devisengenehmigungsverfahren kümmerte,471 nahm sich Gerstenmaier der orthodoxen Kirchen auf dem Balkan an. Seine kirchendiplomatischen Bemühungen müssen jedoch im Spiegel der Expansionsbestrebungen des Deutschen Reiches interpretiert werden, da die Reichsregierung nach den militärischen Operationen im Norden und Westen Europas spätestens seit Sommer 1940 eine intensivierte Balkanpolitik betrieb.472 Da nicht nur die Deutschen ein starkes außenpolitisches Interesse an den Balkanstaaten hatten, sondern auch andere europäische Staaten und nicht zuletzt die Sowjetunion, sollte Gerstenmaier im Dienst der Informationsabteilung des AA vor Ort Verwendung finden. Wie sich Gerstenmaier dementsprechend in offiziellen Schreiben anpasste und seinen Sprachduktus veränderte, wird beispielsweise aus einem Brief an das AA ersichtlich, in dem er die Teilnahme an einer Regionalkonferenz der orthodoxen Kirchen im Mai 1940 in Dubrovnik beantragte sowie um Ein- und Ausreisevisa für Jugoslawien bat. Er wolle sich dort mit Vertretern der orthodoxen Kirche Bulgariens, Rumäniens, Griechenlands und Jugoslawiens treffen. Dabei werde sich „voraussichtlich auch die erwünschte Gelegenheit bieten, die Wirkung der inzwischen bekannt gewordenen anglikanischen Besuchsreise auf dem Balkan zu erkunden und geeignete Gegenmaßnahmen zu unterstützen.“473 Die zitierte Stelle zeigt, dass es an Gerstenmaier herangetragene Aufträge gegeben haben muss, deren Umsetzungsmöglichkeit er während der Konferenz sah und er so in seiner Rolle als „deutscher Sachverständiger“474 teilnehmen wollte. Was genau unter den „geeignete[n] Gegenmaßnahmen“ zu verstehen war, kann nur spekuliert werden. In aller Voraussicht sollte es sich auf eine deutschfreundliche Beeinflussung der Konferenzteilnehmer beziehen. Die Regionalkonferenz der orthodoxen Kirchen in Dubrovnik wurde letztlich „wegen militärischer Ereignisse“475 auf den 20. Juli 1940 in Novisad verschoben. Gerstenmaier reiste mit dem Wohlwollen des AA über Belgrad in 471 Vgl. Heckel, Gemeinden, 137–151; Maiwald, Notiz, 195; und Wellnitz, Gemeinden, 153 f. 472 Die Reichsregierung baute auf eine reibungslose Versorgung und ideologische Erweiterung des Deutschen Reiches. Dazu stützten sich die außenpolitischen Bemühungen im Balkan auf vier wesentliche Punkte: (1) Die Aufrechterhaltung der Versorgungslinien aus dem Balkan, da Überseezufuhren durch die Seeblockade weitestgehend unmöglich waren. (2) Die Verhinderung von alliierten oder sowjetischen Landungen in der Region. (3) Die Erhaltung des Status quo. (4) Die Wahrung der italienischen Interessen, um das Verhältnis zum Achsenpartner nicht unnötig zu belasten. Zu der intensivierten Balkanpolitik des Deutschen Reiches ab 1940 vgl. Bloch, Reich, 306 f; Olshausen, Balkanpolitik, 707–727; und Elvert, Balkan, 167–169. 473 Brief Gerstenmaiers an AA vom 26. 4. 1940 (EZA 517/52; und BArch DO 4/1). 474 Ebd. 475 Mitteilung Gerstenmaiers an AA vom 17. 7. 1940 (EZA 517/52; und BArch DO 4/1).

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die serbische Universitätsstadt.476 Über die Ergebnisse der „zwischenkirchlichen Arbeitstagung der orthodoxen Balkankirchen“477 liegt ein Bericht Heckels über die Resultate der Konferenz vor, den er einen knappen Monat danach dem AA zukommen ließ. Da Heckel selbst nicht an der Konferenz teilnahm, liegt die Vermutung nahe, dass der Bericht von Gerstenmaier stammen musste und nur von Heckel unterzeichnet wurde. Jedoch ist der Bericht Teil eines breit angelegten Arbeitsprogramms des KA zu den orthodoxen Kirchen auf dem Balkan, auf das gleich ausführlicher eingegangen werden muss. In dem Bericht hieß es zunächst, dass in Novisad Maßnahmen besprochen worden seien, um die orthodoxen Kirchen und ihre kulturellen Organisationen zu einem „aktiveren Einsatz gegen die steigende Propaganda auf dem Balkan zu bringen.“478 Darüber hinaus wurde veranlasst, dass die Nationalkirchen von Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien „alsbald antibolschewistische Aktionen in grösserem Umfang“479 vorbereiten wollten. Darauf müssten nach Votum des Berichtes die Bischöfe und kirchlichen Organisationen noch vorbereitet werden. Heckel teilte dem AAweiter drei bereits veranlasste Maßnahmen gegen den Bolschewismus mit480 und stellte klar, dass das KA – also Gerstenmaier vor Ort – dadurch „im Sinne der weiteren Annäherung der Balkankirchen an Deutschland“481 gehandelt hätte. Nun müssten geeignetes Material, Geld und sachkundige Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, um die Maßnahmen entsprechend umzusetzen.482 Von einer deutschen Beteiligung dürfe allerdings nichts bemerkbar sein.483 Ähnlich wie der Bericht über die Konferenz in Novisad ist ein Arbeitsplan des KA vom 10. Juli 1940 zu verstehen, der im August 1940 an die kulturpolitische Abteilung des AA gesandt wurde. Der Plan skizzierte eine neue Strategie des KA, durch welche es sich gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern in seiner Existenz auch während des Kriegs zu legitimieren suchte. Demnach habe der Sieg des Deutschen Reiches über die Westmächte 476 Nach der erneuten Beantragung informierte Twardowski die deutsche Gesandtschaft in Belgrad über Gerstenmaiers Kommen (vgl. Telegramm AA an deutsche Gesandtschaft in Belgrad vom 17. 7. 1940. In: EZA 517/52) und das AA genehmigte seine Reise (vgl. Notiz AA vom 19. 7. 1940. In: BArch DO 4/1). 477 Bericht Heckels an AA vom 21. 8. 1940 (EZA 517/52; und BArch DO 4/1). 478 Ebd. 479 Ebd. 480 Die Maßnahmen sahen wie folgt aus: „1) Ein antibolschewistischer, kirchlich-nationaler Feldzug, der mit Flugschriften und Broschüren die Massen zu erfassen sucht. 2a) Antibolschewistische Schulungstagungen für die Schriftleiter der kirchlichen Presse, b) Schulungstagungen für orthodoxe Priester und Lehrer zur Bekämpfung sowjet-russischer Propagandisten und Agenten auf dem Lande. 3) Der Einsatz von antibolschewistischem, religiösem Film- und Bildmaterial, vor allem in den Dörfern und kleinen Städten des Balkans.“ (Ebd.). 481 Ebd. 482 Nach der bereits mehrfach genannten Diffamierungsschrift des DDR-Nationalrates förderte das AA die Aktion mit 30 000 RM (vgl. Nationalrat, SD-Agenten, 48). Valide Überprüfungen können jedoch nicht vorgenommen werden. 483 Vgl. Bericht Heckels an AA vom 21. 8. 1940 (EZA 517/52; und BArch DO 4/1).

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einen politischen Neubau Europas unter deutscher Vorherrschaft zur Folge, der von einer kulturellen Neugestaltung begleitet werden müsse. In jenem Verhältnis sei nach dem Plan auch die Neugewichtung der europäischen kirchlichen Organisationen in ihrer Beziehung zum Deutschen Reich wichtig. Explizit stellte der Plan das Verhältnis zu den nordischen und orthodoxen Kirchen als bedeutend heraus.484 Das KA wolle sich „der neuen Außenpolitik des Reiches für eine sachgemäße Propaganda zur Verfügung stellen“485 und skizziert dementsprechend eigene Aufgaben,486 die es im Rahmen der kirchendiplomatischen Außenbeziehungen anzugehen gedachte, sodass der „westliche Protestantismus seine Stütze in dem Mutterland der Reformation finden“487 könne. Die orthodoxen Kirchen waren als „strenge Nationalkirchen von besonderer Bedeutung in diesem Zerrgürtel“488. Deshalb wurden zudem Schritte aufgezeigt, die im Umgang mit der Orthodoxie zu gehen seien.489 Beispielhaft sei die Förderung des klerikalen Nachwuchses hervorgehoben, auf die an anderer Stelle noch einzugehen sein wird. Spannend ist, dass sowohl dem Bericht über die Konferenz in Novisad als auch dem Arbeitsplan des KA ein erhöhtes Engagement Heckels zu entnehmen ist. Da er für die strategische Ausrichtung des KA verantwortlich war, sah er in Gerstenmaiers Aufgaben für die Informationsabteilung des AA eine Legitimations- oder gar Überlebensmöglichkeit für seine Behörde. Obwohl Heckel seine eigenen Arbeitsschwerpunkte hatte, trat er im Fall der orthodoxen Balkankirchen als konzipierender Protagonist vor den nationalsozialistischen Stellen in Erscheinung. Im Gegensatz dazu muss Gerstenmaier eher 484 Vgl. Arbeitsplan des KA an das AA 10. 7. 1940 (EZA 2/P47). Der Plan ist abgedruckt bei Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 319–321. 485 Arbeitsplan des KA an das AA vom 10. 7. 1940 (EZA 2/P47). 486 Vier wesentliche Aufgaben wurden angeführt: „1. Die Beziehungen zu den verschiedenen Evangelischen Kirchen auf dem Kontinent müssen in eine systematisch geordnete Form gebracht werden. 2. Die orthodoxen Kirchen auf dem Balkan, mit denen zum Teil bereits freundschaftliche Beziehungen bestehen, müssen noch intensiver an das Reich heran geholt werden. 3. Die Kirchen Amerikas werden auf dem Weg der materiellen Hilfe besonders im westlichen Europa versuchen vorzugehen, um auf diese Weise die Hand im Spiele zu haben. Dies ist kaum zu verhindern, aber anzustreben bleibt, diese kirchlichen Mittel durch geeignete Zwischenschaltung des Kirchlichen Außenamtes zu lenken. 4. Die während des Krieges in Gemeinschaft mit den Dienststellen des Auswärtigen Amtes erfolgreich betriebene Information und Abwehraktion der feindlichen Ideologien darf nicht aufhören, sondern muss erheblich verstärkt werden, um die geistigen Barrikaden niederzulegen.“ (Ebd.). 487 Ebd. 488 Ebd. 489 Im Plan wurden folgende Punkte mit Summen aufgezeigt, die die Umsetzung in Anspruch nehmen würde: (1) Neugestaltung der deutschen lutherischen Institute (50 000 RM). (2) Die Intensivierung der Arbeit mit den orthodoxen Kirchen durch a) Durchsetzung mit deutscher Literatur; b) Übersetzung und Drucklegung deutscher Werke und eigener orthodoxer wissenschaftlicher Studien; c) Studienarbeit für orthodoxes Recht; d) Heranziehung des höheren Klerus zu Studien in Deutschland (30 000 RM). (3) Die Arbeit im westlichen Protestantismus (80 000 RM). (4) Abwehr und Beeinflussung der amerikanischen Kirchen (40 000 RM) (vgl. ebd.).

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als ausführender Protagonist bewertet werden, auch wenn er mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl an dem Bericht als auch an dem Arbeitsplan mitgewirkt hatte. Die strategisch-konspirative Neuausrichtung des KA, die vor den nationalsozialistischen Stellen kommuniziert wurde, schien aufzugehen. Gerstenmaier wurde im November 1940 von der Informationsabteilung des AA beauftragt, nach Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien zu reisen, „um dort innerhalb der orthodoxen Kirchenkreise eine getarnte antibolschewistische Aktion durchzuführen.“490 Gerstenmaier schien sich in der offiziellen Kommunikation ganz auf den bolschewistisch-kommunistischen Abwehrkampf zu fokussieren.491 Retrospektiv definierte er den Zweck jener offiziellen Ausdrucksweise mit folgenden Worten: „Meine Bemühungen galten der Abwehr kommunistischer Einflussnahmen in den Balkankirchen. Das war meine simple Platte, die ich mir zurecht gelegt hatte und die ich immer wieder laufen ließ. Sie zog im allgemeinen ausgezeichnet. Den Organisationen der NSDAP fehlten hinreichend gebildete Leute, die diese Kaschierung meiner legitimen kirchlichen Aufgaben zu durchschauen vermochten.“492

Hinzu kam, dass er als kirchlicher Vertreter die Säkularisierungstendenzen der europäischen Länder mit Argwohn beobachtete. „In dem militanten Nationalsozialismus und dem noch militanteren Kommunismus sah ich ihre aktuellsten und bedrohlichsten Erscheinungen.“493 Da er jedoch nicht offenkundig im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses gegen den Nationalsozialismus vorgehen konnte, nutzte er die von ihm so offiziell immer wieder bezeichnete Abwehr kommunistischer Einflussnahmen auf dem Balkan auf der Grundlage des nationalsozialistischen Kampfes gegen den ideologischen Gegner, um seine Reisetätigkeit sowie seine Auslandskontakte und -netzwerke zu rechtfertigen. Auch wenn seine Berichterstattung offiziell unter gewissen nationalsozialistischen Vorzeichen auf Grundlage des neuen KA-Arbeitsplanes stand, die ihm später den Vorwurf einbrachte, dass er ein „kirchlich getarnten NS-Führungsoffizier auf dem Balkan“494 gewesen sei, ist der Mehrwert jener Reisen für die nationalsozialistischen Machthaber schwer belegbar. Zumeist ging er über Bedeutungsbeschreibungen der orthodoxen Kirchen, Informationsvermittlungen von deren Herausforderungen sowie die Skizzierung von Aktionsversuchen aus dem kommunistisch-bolschewistischen Lager vor Ort nicht hinaus. Gerstenmaiers Reise nach Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien, zu der er 490 491 492 493 494

Notiz AA vom 30. 11. 1940 (PAAA, R 98797). Vgl. dazu auch Brief Gerstenmaiers an AA vom 30. 11. 1940 (PAAA, R 98797). Gerstenmaier, Streit, 137. Ebd., 146. Nationalrat, SD-Agenten, 47.

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im November 1940 von der Informationsabteilung des AA beauftragt wurde, belegt diese These. Sein 10seitiger Reisebericht vom Dezember 1940 gibt darüber Auskunft, was Gerstenmaier auf dem Balkan tat und vor allem darüber, wie er es kommunizierte. Zunächst berichtete er von einem Gespräch mit Ernst Gamillscheg,495 dem Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Bukarest, und unterstrich die „unerschütterlich starke Stellung“ der orthodoxen Kirche. Sie sei zudem die einzige Institution in Rumänien, die eine „durchgreifende Bedeutung“ bei den Menschen habe und „religiös eine unangefochten höchst bedeutsame Position im Land“ einnehme. Aufgrund dessen sei es nach Gerstenmaiers Einschätzung wichtig, sich um die rumänische Orthodoxie zu bemühen. Schließlich stelle die Kirche einen „erstklassigen und zuverlässigen Faktor im ganzen Volk dar.“ Seinem Auftrag entsprechend äußerte er sich auch zum vor Ort steigenden bolschewistischen Einfluss. Würde man die deutschen Gegenaktionen richtig ansetzen, dann würden sie „nicht als Propaganda entwertet werden können, sondern würden, soweit sie von Kirchen getragen seien, als Ausdruck echten Interesses und wirklicher Freundschaft gefunden.“496 Ähnliches berichtete er von einem Gespräch mit dem Theologen Nichifor Crainic in Bulgarien. Auch dort steige der bolschewistische Einfluss.497 Durch den Bericht wird ersichtlich, wie geschickt Gerstenmaier mit seinen Auftraggebern kommunizierte. Die relativ oberflächlichen Informationsmuster belegen, dass er weder die nationalsozialistische Ideologie noch die Politik des Deutschen Reiches unterstützte oder gar förderte, sondern seine Auslandaufenthalte nutzte, um seine ökumenischen Intentionen voran zu bringen und in gewisser Weise auch gegen den „ihm verhassten Kommunismus“498 vorzugehen. Zu seiner kirchlichen Strategie auf dem Balkan gehörte zweifelsfrei ein Stipendienprogramm für orthodoxe Theologiestudenten in Deutschland, das bereits im skizzierten Arbeitsplan zur Neuausrichtung des KA unter dem Punkt „Heranziehung des höheren Klerus zu Studien in Deutschland“499 fixiert wurde. Die Nationalsozialisten schienen sich davon mehr zu versprechen als es im Hinblick auf die ökumenischen Intentionen Gerstenmaiers hergab.500 Bereits im akademischen Studienjahr 1938/1939 erhielt das KA vom AA erstmals Mittel für die Finanzierung von zwei Stipendiaten der rumänischen 495 Über das Wirken des Romanisten Gamillscheg während des Dritten Reiches und seiner Haltung zum Nationalsozialismus vgl. Hausmann, Krieg, 61–99. 496 Reisebericht Gerstenmaiers nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien vom Dezember 1940 (EZA 5/201). 497 Vgl. Reisebericht Gerstenmaiers nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien vom Dezember 1940 (EZA 5/201). 498 Impekoven, Humboldt-Stiftung, 294. 499 Arbeitsplan des KA an das AA vom 10. 7. 1940 (EZA 2/P47). 500 Zu den nationalsozialistischen Intentionen an der akademischen Förderung von Ausländern im Deutschen Reich am Beispiel der Alexander von Humboldt-Stiftung vgl. Impekoven, Humboldt-Stiftung, 159–385.

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Kirche in Deutschland. Die Fixierung im Arbeitsplan des KA von 1940 schien eine feste Implementierung einer kontinuierlichen und staatlich geförderten Stipendienarbeit zum Resultat zu haben, da Gerstenmaier schon während seiner ersten Balkanreise im Dezember 1940 mit Crainic über Stipendienangelegenheiten sprach.501 Während dieser Zeit entwickelte das KA in Verbindung mit der Alexander von Humboldt-Stiftung bereits eine relativ breite Studienarbeit für ein deutsches Stipendienprogramm für orthodoxe Theologiestudenten, das in der späteren Kommunikation allgemein als Deutsches Studienwerk für Ausländer bezeichnet wurde.502 Nach Gerstenmaier bestand dessen kirchlicher und ökumenischer Sinn darin, den jungen Jeromonachen und Archimandriten der südosteuropäischen Orthodoxie, aus denen wiederum die Bischöfe der jeweiligen orthodoxen Kirchen hervorgingen, einen Zugang zur deutschen Theologie zu ermöglichen. Er hoffte damit, sowohl das zukünftige Personal als auch die liturgischen Traditionen der orthodoxen Kirchen für das ökumenisch-theologische Gespräch zu öffnen.503 Dementsprechend wurde Gerstenmaier mit der Bearbeitung und Umsetzung des Stipendienprogramms in Südosteuropa betraut. „Sowohl die Auswahl als auch die Betreuung der orthodoxen Stipendiaten lag in seiner Hand.“504 Im Rahmen von zwei weiteren Balkanreisen im Frühsommer und Herbst 1941505 versuchte Gerstenmaier die eingeräumten Stipendiatenstellen paritätisch in den südosteuropäischen Ländern gemeinsam mit den entsprechenden Vertretern der Orthodoxie und Wissenschaft vor Ort zu besetzen.506 Nach Twardowski lag Gerstenmaiers Aufgabe im Zuge der offiziellen Kommunikation darin, die „politische Stellung der Bewerber nach[zu]prüfen“507 und fachkundig zu entscheiden. Obwohl die deutschen Gesandtschaften in den

501 Vgl. Reisebericht Gerstenmaiers nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien vom Dezember 1940 (EZA 5/201). 502 Vgl. bspw. Brief Gerstenmaiers an Abteilung Deutschland vom 16. 8. 1941 (PAAA, R 98797); und Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 503 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 130. 504 Impekoven, Humboldt-Stiftung, 294. 505 Gerstenmaier wohnte einer Tagung von bulgarischen, serbischen und rumänischen Theologen im Mai 1941 in Bulgarien bei (vgl. Mitteilung Deutsche Gesandtschaft in Belgrad an AA vom 26. 2. 1941. In: PAAA, R 269715; EZA 517/52; und BArch DO 4/1). Zudem begab er sich vom 2. bis 22. 9. 1941 im Auftrag des AA nach Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien, um beider örtlichen Orthodoxie zu sondieren (vgl. Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941. In: EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 506 Bspw. wurde für die bulgarische Orthodoxie Prof. Stefan Zankow als Rektor der Universität in Sofia und die Heilige Synode mit dem Vorschlagsrecht der Bewerber betraut (vgl. Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941. In: EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 507 Telegramm Twardowskis an Deutsche Gesandtschaft in Athen vom 1. 9. 1941 (PAAA, R 67686).

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jeweiligen Ländern dazu angehalten waren, Gerstenmaier zu unterstützen,508 oblag die Entscheidung letztlich ihm. Da keine wirklichen Kriterien dafür definiert worden waren, hatte Gerstenmaier bei der Auswahl relativ freie Hand. Er musste sich weder an kirchlich-dogmatische noch nationalsozialistisch-ideologische Muster halten. Ihm lag vor allem an der Qualität für die orthodoxen Theologiestudenten in Deutschland. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass er selbst die Stipendiaten – „so oft ich konnte“509 – im Rahmen seiner eigenen theologischen Bildung und Prägung betreute. Als deutscher Theologe aus der theologischen Schule Brunstäds kommend, schien er sich regelrecht dazu verpflichtet zu fühlen, in Arbeitsgemeinschaften und Seminaren der Stipendiaten mitzuwirken sowie sie mit den „Prämissen und Methoden der deutschen Geisteswissenschaft vertraut zu machen.“510 Welchen quantitativen Umfang das von ihm gesteuerte Programm einnahm, kann heute nicht mehr detailliert nachvollzogen werden. Außerhalb der Berichte Gerstenmaiers an das AA lassen sich wenig aussagekräftige Quellen finden. Dass das Studienwerk jedoch prosperierte und die Plätze begehrt waren, versuchte Gerstenmaier in seinen Erinnerungen zu zeigen.511 Belegen lässt sich dies in der Korrespondenz zwischen der Abteilung Deutschland des AA und Gerstenmaier in der Vorbereitungen seiner zweiten Balkanreise 1941. Nicht nur dass er jeden seiner Schritte rechtfertigen musste, wird auch ersichtlich, dass allein während dieser Reise insgesamt 26 Stipendiatenstellen beim Deutschen Studienwerk für Ausländer besetzt werden sollten.512 Das KA bot dementsprechend über mehrere Jahre einer Vielzahl von orthodoxen Jungtheologen eine Studienmöglichkeit in Deutschland mit finanzieller Unterstützung des AA unter Gerstenmaiers ökumenischen Vorzeichen, bis das AA 1943 dem KA die Kompetenz über die Auswahl entzog.513 Anzumerken ist darüber hinaus, dass mit der Betreuung orthodoxer Jungtheologen aus den Balkankirchen immer wieder versucht wurde, für Gerstenmaier vor den staatlichen Stellen zu werben und seine Reisen sowie sein Handeln zu recht508 Vgl. Telegramm Twardowskis an Deutsche Gesandtschaften in Belgrad, Bukarest, Sofia und Athen vom 30. 8. 1941 (EZA 517/52; und PAAA, R 67686). 509 Gerstenmaier, Streit, 130. 510 Ebd. 511 Vgl. ebd. 512 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Abteilung Deutschland vom 16. 8. 1941 (PAAA, R 98797). Die letztendliche Aufteilung der vergebenen Plätze ist dem anschließenden Bericht zu entnehmen (vgl. Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941. In: EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). Nach einer Notiz im AA vom 14. 11. 1941 (PAAA, R 67686) wurden 24 der 26 Stipendiatenplätze vor Ort und zwei im Anschluss an die Reise an Ukrainer vergeben. Aus den Akten ist leider nicht zu entnehmen, an welchen Theologischen Fakultäten die Stipendiaten studierten. 513 Als Grund wurde die politische Unzuverlässigkeit des KA und angeblich unsachgemäß geführte Verwendungsnachweise für die Finanzierung der Stipendiaten angeführt (vgl. Gniss, Politiker, 117).

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fertigen. So schrieb Heckel beispielsweise bereits am 6. Juni 1940 an den Reichskirchenminister, dass Gerstenmaier die Betreuung „politisch wie wissenschaftlich gleich in ausgezeichneter Weise auch während des Krieges durchgeführt“ habe und „schon jetzt gesagt werden [kann], dass durch diese Tätigkeit dem nationalsozialistischen Deutschland in Südosteuropa dauernde Freunde gewonnen werden.“514 Über die Verantwortung für das beschriebene Stipendienprogramm hinaus oblag Gerstenmaier im Raum der orthodoxen Kirchen Südosteuropas ein „Propagandafeldzug gegen den Kommunismus.“515 Mit dessen Planung hatte er sich nach den Korrespondenzen und Berichten zufolge eingehend im offiziellen Sprachduktus sowie Berichtsmodus vor dem AA zu befassen. Da sich im Sommer 1941 zahlreiche religiöse Machtfragen in den südosteuropäischen Ländern auftaten, die starken Einfluss auf die politische Ausrichtung der Region zu nehmen schienen, war die Reichsregierung auf Grundlage ihrer außenpolitischen Bestrebungen besonders an den Entwicklungen vor Ort interessiert.516 Wilhelm Stuckart zufolge waren die Achsenmächte auf den Balkan zur Sicherung ihrer eigenen „nationalen Energien“517 angewiesen. Und da die „Verquickung von Staat und Kirche […] hier doch sehr tiefgehend“518 war, so wie es die deutsche Gesandtschaft in Sofia im Herbst 1941 an das AA berichtete, wurde versucht, in der Region die deutschen Interessen zu wahren. An dieser Stelle kam Gerstenmaiers Auftrag für das AA zum Tragen. Entsprechend den außenpolitischen Ambitionen des Deutschen Reiches rechtfertigte er seine zweite Balkanreise 1941 vor der Abteilung Deutschland des AA damit, dass die kirchlichen Verbindungen zu den südosteuropäischen Ländern gefestigt und gegebenenfalls die „Fäden […] neu geknüpft werden“519 müssten. Das AA schien sich primär auf die antikommunistischen Versuche Gerstenmaiers auf dem Balkan zu konzentrieren, sodass es seine kirchliche Arbeit vor Ort unterstützte und entsprechend seine insgesamt dritte Balkanreise genehmigte.520 Vom 2. bis zum 22. September 1941 besuchte Gerstenmaier schließlich zahlreiche kirchliche und auch staatliche Würdenträger in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien. Über die Reise und deren Verlauf liegt ein 514 Brief Heckels an den Reichskirchenminister vom 6. 6. 1940 (BArch DO 4/1; und EZA 5/3330). 515 Mitteilung Deutsche Gesandtschaft in Belgrad an AA vom 26. 2. 1941 (PAAA, R 269715; EZA 517/52; und BArch DO 4/1). 516 Zu der deutschen Außen- und Kirchenpolitik auf dem Balkan vgl. Sˇkarovskij, Kirchenpolitik, 76–105. 517 Zit. nach Elvert, Balkan, 169. 518 Bericht Deutsche Gesandtschaft in Sofia an AA vom 22. 9. 1941 (PAAA, R 67686). 519 Brief Gerstenmaiers an Abteilung Deutschland vom 16. 8. 1941 (PAAA, R 98797). 520 Das Genehmigungsverfahren erstreckte sich dennoch über mehrere Wochen, da zahlreiche Länder durchreist werden mussten und organisatorische Unstimmigkeiten zu überwinden waren (vgl. Brief Gerstenmaiers an AA vom 18. 8. 1941. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/1; sowie Brief Gerstenmaiers an AA vom 28. 8. 1941. In: PAAA, R 98797).

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18seitiger Bericht Gerstenmaiers vom 24. September 1941 vor,521 durch den auf der einen Seite die bereits genannte These522 über seine Berichterstattung an das AA noch einmal bestätigt werden kann und auf der anderen Seite ein Rahmengerüst seiner Bekämpfung der bolschewistischen Einflüsse abzulesen ist. So berichtete er über die serbisch-orthodoxe Kirche, dass es immer wieder zu Verwerfungen zwischen Serben und Kroaten wegen der antideutsch-orientierten Politik des Patriarchen Gavrilo Dozˇic´ komme. Da die Kirche für die Bevölkerung dennoch eine hohe Bedeutung habe, schlug Gerstenmaier eine „geeignete kirchliche Führung“ vor, die er in Nikolaj Velimirovic´, dem Bischof von Zˇicˇa und Ohrid, sah. Da seine Autorität anerkannt und er ein „leidenschaftlicher Gegner des Bolschewismus“ sei, müsse man ihn in „Front und Führung“523 bringen. Hier zeigt sich, welche Gewichtung die antibolschewistische Grundausrichtung hatte, die jedoch nichts an der Inhaftierung Velimirovic´s durch die deutschen Besatzer wenige Zeit später änderte, da ihm Beziehungen zu Widerstandskämpfern vorgeworfen wurden.524 Ob Gerstenmaier von Velimirovic´s Tätigkeit in den widerstrebenden Netzwerken gewusst hatte, kann nicht beantwortet werden. Zu vermuten ist es jedoch. Eine ähnlich strukturierte Berichterstattung kann auch zur bulgarischen Orthodoxie aus dem Bericht herausgelesen werden. Hier sei die Patriarchatsfrage zwischen drei Metropoliten zu klären, von denen zwei aufgrund ihres Studiums in Deutschland gute Beziehungen zur deutschen Kultur und Wissenschaft hätten. Paisy von Vratsa und Kyrill von Plovdiv könnten demnach als „zuverlässig deutschfreundlich angesehen“ werden und stünden somit im Gegensatz zum dritten Mitbewerber, dem Metropoliten Stefan von Sofia, der eher „panslawistische Ideen in der bulgarischen Orthodoxie“ vertrete. Gerstenmaier brachte die beiden prodeutschen Metropoliten mit der deutschen Gesandtschaft in Sofia zusammen. Die Metropoliten schienen auf eine deutsche Vermittlung zu ihren Gunsten in der griechischen Orthodoxie sowie der Beseitigung des Schismas für die Patriarchatswahl unter kanonischen Bedingungen zu hoffen. Gerstenmaier knüpfte dies seinem Bericht nach daran, wie „aktiv und intensiv die bulg. Kirche sich weiterhin an der in ihrem eigenen Interesse gelegenen antibolschewistischen Propaganda beteiligen 521 Auch wenn Michail Sˇkarovskij in seiner Studie zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches gegenüber den orthodoxen Kirchen in Osteuropa behauptete, dass es sich bei Gerstenmaier nicht um Eugen Gerstenmaier gehandelt haben solle, sondern um einen anderen Mitarbeit der AA (vgl. Sˇkarovskij, Kirchenpolitik, 88), so ist nachweislich von Gerstenmaier als Autoren des Berichtes auszugehen. 522 Gerstenmaiers Berichte an das AA gingen über Bedeutungsbeschreibungen der orthodoxen Kirchen, Informationsvermittlungen von deren Herausforderungen sowie die Skizzierung von Aktionsversuchen aus dem kommunistisch-bolschewistischen Lager selten hinaus. 523 Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 524 Zu Nikolaj Velimirovic´ vgl. Byford, Bishop, 128–152.

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würde.“525 Die Metropoliten wollten nach Gerstenmaier tun, was sie konnten.526 Spannend ist, dass der relativ neutrale Amtsinhaber, Metropolit Neofit von Vidin, bis 1944 Oberhaupt der bulgarisch-orthodoxen Kirche blieb und ihm dann Stefan von Sofia als Patriarch folgte.527 Gerstenmaiers Gewichtungen blieben auch hier vage. Den Aufenthalt in Bulgarien nutzte er zugleich, um seinen ökumenischen Intentionen nachzukommen. So traf er sich auch mit seinem „Vertrauensmann in der orthodoxen Kirche Bulgariens“528, dem an der Universität Sofia lehrenden Erzpriester Stefan Zankow, den Gerstenmaier zu den „erfahrensten ökumenischen Persönlichkeiten des europäischen Südostens“529 zählte, um nicht nur Stipendienangelegenheiten zu regeln,530 sondern auch das ökumenische Gespräch zu suchen und sein Netzwerk in Bulgarien auszubauen.531 Ähnlich berichtete Gerstenmaier über seinen Besuch in Griechenland. Die griechisch-orthodoxe Kirche verhielt sich während dieser Zeit sehr „widerspruchsvoll“532, da sie einerseits gegen die deutschen Besatzer stand, andererseits jedoch mit ihnen kollaborierte. Auch hier führte Gerstenmaier mehrere Gespräche mit kirchlichen Vertretern; unter anderem zum bulgarischen Schisma.533 Daraus resultierend bezeichnete er Nikolaos Louvaris, den Dekan der Theologischen Fakultät in Athen, als einen „erklärten Deutschfreund“ sowie den Erzbischof von Athen, Damaskinos Papandreou, als einen „Freund Deutschlands“534. Interessant ist, dass sich Letzterer als wichtiger Geistlicher der griechisch-orthodoxen Kirche seit der deutschen Besatzung zu einer der wichtigsten Figuren des nicht-kommunistischen Widerstands in Griechenland entwickelte, da er ein Netzwerk im griechisch-orthodoxen Klerus auf525 Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 526 Vgl. auch Sˇkarovskij, Kirchenpolitik, 98 f. 527 Zur bulgarisch-orthodoxen Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. Dçpmann, Kirche, 55–85. 528 Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 88 f. 529 Gerstenmaier, Streit, 129. 530 Vgl. Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 531 Nach Boyens traf Gerstenmaier dank Zankows Vermittlung schon während seiner ersten Balkanreise mit der Heiligen Synode in Sofia, dem Stadtklerus und auch zahlreichen Metropoliten im Land zusammen (vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 89). 532 Sˇkarovskij, Kirchenpolitik, 100. 533 Dies berichtete die Deutsche Gesandtschaft in Athen auch in einem Brief an das AA vom 29. 9. 1941 (EZA 517/52; PAAA, R 67686; und BArch DO 4/1). Gerstenmaier sprach mit Papandreou über das bulgarische Schisma. Der Bischof von Athen „erhoffte und erflehte den Beistand des Deutschen Reiches besonders gegen die Bedrückung der griechischen Orthodoxie durch das bulgarische Episkopat.“ 534 Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686).

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baute, das versuchte, die Notlagen der Bevölkerung zu lindern, die aus der Besatzung resultierten. Zudem wandte er sich später offen gegen die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Griechenland.535 Gerstenmaier schien Teil dieses Netzwerkes geworden zu sein, da er im Frühjahr 1942 versuchte, Getreidelieferungen über Ägypten nach Griechenland verschiffen zu lassen.536 Dies entsprach den Intentionen des Netzwerkes von Damaskinos Papandreou. Hier zeigt sich, welche Differenz zwischen Gerstenmaiers Berichten im Hinblick auf den Erzbischof von Athen als „Freund Deutschlands“ und seinem tatsächlichen Handeln in Form von Hilfsaktionen für die griechische Bevölkerung kurze Zeit später gezogen werden muss. Schein und Sein lagen hier sehr weit auseinander. Mit der Bewertung Rumäniens schloss Gerstenmaier seinen Bericht ab. Auch hier behaupte die orthodoxe Kirche einen „ausserordentlichen Einfluss im Volk“. Dieser sei ein „stabiler Faktor“ im Gefüge des Staates. Nichifor Crainic spiele dabei eine entscheidende Rolle. Er habe nicht nur eine „zuverlässige deutsche Orientierung“, sondern sehe auch eine „Möglichkeit der neuen Zusammenfassung der Gesamtorthodoxie unter der Vormacht Deutschlands […] als durchaus gegeben an.“ Eine Verletzung des rumänischorthodoxen Patriarchats müsse von deutscher Seite unbedingt vermieden werden.537 Damit machte Gerstenmaier zum einen Hoffnung auf eine deutsche Einflussnahme im Rahmen der Gesamtorthodoxie und zum anderen empfahl er, von deutscher Seite in Rumänien nicht politisch zu intervenieren. Neben jener inneren Verschränkung äußerte er sich auch zur antibolschewistischen Propaganda, die intensiviert werden müsse. Nach dem Bericht habe er die Vorbereitungen dafür vor Ort schon getroffen.538 Gerstenmaiers Berichterstattung wurde im AA positiv zur Kenntnis genommen.539 Dies war Grund genug, um ihn in der bereits erwähnten diffamierenden DDR-Kampagne aus den 70er Jahren sarkastisch zum „Sachverständigen der Hitlerpolitik auf dem Balkan“540 zu machen. Anders als durch das AA wurde Gerstenmaiers Arbeit auf dem Balkan vom Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) kritisch beurteilt.541 Als erster wesentlicher Punkt wurde kurz nach Gerstenmaiers dritten Balkanreise angeführt, dass sein Stipendienprogramm mit den 535 Vgl. Gedenkorte, Damaskinos. 536 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 142 f; und Brief Heydrichs an Ribbentrop vom 13. 4. 1942 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 537 Vgl. Bericht Gerstenmaiers zur Orthodoxie in Serbien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien an AA vom 24. 9. 1941 (EZA 517/52; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 67686). 538 Vgl. ebd. 539 Vgl. Brief SD an AA vom 24. 11. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/1). 540 Nationalrat, SD-Agenten, 49. 541 Zur Arbeit des SD auf dem Balkan und in Bezug zu dessen Religionspolitik vgl. Birn, Kollaboration, 303–323; und Dierker, Jesuiten, 86–117.

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deutschen Interessen wenig kompatibel sei. Man befürchtete, dass die orthodoxen Theologiestudenten durch ihr Studium auf dem Reichsgebiet „weitgehend mit deutschen Anschauungen vertraut gemacht [werden] und […] dadurch die Waffen [erhalten], die gegebenenfalls in einer geeinten planslawischen Bewegung auf den Balkan gegen das Reich verwendet werden können.“542 Da Gerstenmaier in seiner Arbeit „in keiner Weise den gegenwärtigen politischen Interessen des Reiches gerecht“543 werde, dürften nach Meinung des SD nur besonders ausgewählte Einzelfälle ein Stipendium in Deutschland erhalten. Noch klarer drückte sich der SD gegenüber dem RKM in einem Schreiben vom 22. April 1942 über Gerstenmaiers Balkanaktivitäten aus. Hier wurde ihm als zweiter wesentlicher Punkt unterstellt, dass er auf dem Balkan das Ziel verfolge, „diese Kirchen [gemeint waren die orthodoxen Südostkirchen] unter Ausnutzung der politischen und militärischen Machtstellung des Reiches an das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche zu binden.“544 Anscheinend gingen dem SD von seinen zahlreichen Auslandsagenten differenzierte Informationen zu, die Gerstenmaiers Arbeitsschwerpunkt auf dem Balkan anders bewertet hatten, da sie seine ökumenischen Aktivitäten kritisierten. Festzuhalten ist, dass Gerstenmaier im Rahmen seiner Tätigkeit auf dem Balkan ambivalent agieren musste. Er bewegte sich auf der einen Seite im Auftrag des nationalsozialistischen Systems und berichtete von den orthodoxen Kirchen in Südosteuropa direkt der Informationsabteilung des AA in damals üblicher Propagandasprache. Nicht zu leugnen ist sein Bestreben, gegen die bolschewistischen Kräfte aus dem Osten angegangen zu sein, da er in ihrer Ideologie eine Bedrohung der kirchlichen Autonomie und Arbeit sah. Auf der anderen Seite knüpfte er zahlreiche Verbindungen in seinem eigenen ökumenischen Interesse und baute ein Stipendienprogramm in diesem Sinne für orthodoxe Theologiestudenten auf. Zu beachten ist bei der Beurteilung seiner kirchendiplomatischen Auslandsarbeit auf dem Balkan zudem, dass er in seiner Berichterstattung an das AA vor allem Menschen als geeignete Kirchenführer oder eben Verbindungsmänner zum Deutschen Reich präferierte, obwohl sie sich im Untergrund gegen die deutsche Besatzung vor Ort engagierten. Darüber hinaus muss in diesem Zusammenhang eine spätere Aussage Heckels berücksichtigt werden, aus der hervor geht, dass Gerstenmaier neben den offiziellen Berichten, die offenkundig eine „Tarnfarbe trugen“, jeweils parallel noch einen „streng vertrauliche[n] Bericht für einen engsten Kreis“ im KA angefertigte, der die Situation in dem jeweiligen Land „ungeschminkt“ darstellte. Weiter führte der KA-Leiter im Rahmen der Aussage fort, dass er jene im KA gesammelten Zweitberichte vertraulicher Art kurz nach dem ge542 Brief SD an AA vom 24. 11. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 543 Ebd. 544 Brief SD an RKM vom 22. 4. 1942 (BArch DO 4/1).

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scheiterten Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 aus Sicherheitsgründen verbrennen musste, da deren Existenz für Gerstenmaier und andere „lebensbedrohlich“545 gewesen wären. So sind jene Zweitberichte heute leider nicht mehr erhalten. Aufgrund dieser Komplexität ist von pauschalen Wertungen zu Gerstenmaiers Arbeit auf dem Balkan Abstand zu nehmen, da diese nur im Spiegel der kirchenpolitischen Zwänge im Deutschen Reich, der dargelegten differenzierten Aufgabenbeschreibung des KA sowie des geheimen Parallelhandelns des Theologen bewertet werden kann. 4.4.2 Die Bemühungen um die skandinavischen Kirchen In dem bereits erwähnten Arbeitsplan zur kulturellen Neugestaltung Europas des KA vom 10. Juli 1940 wurde neben der bedeutsamen Beziehung zu den orthodoxen Kirchen auf dem Balkan auch die Verbindung zu den skandinavischen Kirchen als außerordentlich wichtig für die deutschen Interessen herausgestellt. In Bezug auf die kulturpolitische Außenarbeit hieß es in dem Plan: „Luther ist für die nordischen Kirchen und darüber hinaus ein Symbol und eine geistige Sammlungsparole […].“546 Das Erbe der Reformation und Luther selbst nutzend,547 hoffte das KA, die Verbindungen zu den lutherischen Kirchen Skandinaviens neu knüpfen zu können, da diese während des Kirchenkampfes in den dreißiger Jahren stark gelitten hatten.548 Hinter dem sprachlich sehr propagandistisch wirkenden Plan zur Festigung der deutschen Hegemonialbestrebungen mit Hilfe des KA verbarg sich jedoch auch ein völlig entgegengesetztes Ziel. Das KA war daran interessiert, mit Unterstützung der skandinavischen Kirchen sowohl die DEK in ihrer Bedeutung im deutschen Staatsgefüge zu verteidigen549 als auch deren besondere Rolle in einer ökumenischen Gemeinschaft zu proklamieren, das nicht als Handlangerin des Nationalsozialismus agierte.550 Da sich bereits Anfang 1940 das Nordische Ökumenische Institut (NÖI) in Sigtuna als ökumenische Einrichtung aller skandinavischen Kirchen unter Harry Johanssons Leitung gegründet hatte,

545 Vernehmungsprotokoll Heckels durch Langrehr vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 546 Arbeitsplan des KA an das AA vom 10. 7. 1940 (EZA 2/P47). 547 Nach dem Plan sollten sich „die in Deutschland befindlichen lutherischen Institute für die kulturpolitische Außenarbeit in einheitlicher Form und Lenkung und in einer neuen psychologischen Weise angesetzt werden. Hierfür stehen zur Verfügung: 1. die Lutherhalle in Wittenberg als Sammelstätte der historisch-künstlerischen archivarischen Arbeit. 2. Die Luthergesellschaft für die aktuelle Lutherforschung mit ihrem Schrifttum. 3. Die Lutherakademie für den speziellen Schulungsaustausch in den lutherischen Kirchen. 4. Das sog. Hainsteinwerk in Eisenach.“ (Ebd.). 548 Vgl. Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 31. 549 Vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 83–85. 550 Vgl. Ryman, Sigtuna-Gruppe, 74–79.

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waren im Rahmen der ökumenischen Bewegung die Kontakte nach Skandinavien für das KA unabdingbar. Gerstenmaier nahm in seiner Position als Leiter des ökumenischen Referates eine zentrale Rolle in jener zwischenkirchlichen Vermittlung ein. Vom 7. bis 16. September 1940 reiste er gemeinsam mit Schönfeld auf Einladung des NÖI nach Schweden.551 Gerstenmaier, Schönfeld und Ehrenström waren zu dieser Zeit weit über die ökumenischen Bemühungen hinaus miteinander verbunden,552 sodass davon ausgegangen werden kann, dass Gerstenmaiers ökumenische Vorstellungen die Reise dominierten. Neben Erzbischof Eidem und zahlreichen anderen Leitern der schwedischen Kirche trafen die Theologen mit Vertretern von kirchlichen Vereinigungen sowie Freikirchen zusammen und besuchten die theologischen Fakultäten in Lund sowie Uppsala. Nach Eino Murtorinne gab es im Rahmen der Verhandlungen zwischen den deutschen Gästen und den schwedischen Kirchenführern „grundsätzliche Zustimmung zu Gerstenmaiers Plänen für eine ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen auf dem europäischen Kontinent“553. Diese zielte neben dem wissenschaftlichen Austausch in ökumenischen Fragen zwischen den schwedischen und deutschen Universitäten vor allem auf die Stipendienmöglichkeiten für Theologiestudenten der beiden Länder. Von den Ergebnissen der Verhandlungen berichtete zudem die Deutsche Gesandtschaft in Stockholm am 2. Oktober 1940 an das AA. Gerstenmaier habe demnach mit Eidem und dem NÖI eine „neue Vereinbarung über die Förderung der Beziehungen zwischen den skandinavischen Kirchen und dem Kirchlichen Aussenamt getroffen“554. Aus den beiden Darstellungen wird offenkundig, dass Gerstenmaier im Rahmen seines offiziellen Handelns darum bemüht war, den nordischen Protestantismus an das KA und somit an die DEK zu binden. Damit ging er auf der einen Seite den grundsätzlichen Zielen des KA-Arbeitsplanes vom Juli 1940 zur kulturellen Neugestaltung Europas unter deutscher Dominanz in den ersten Schritten nach. Auf der anderen Seite verfolgte er jedoch zugleich – im ständigen Austausch mit Schönfeld und Ehrenström sowie auch unter deren Beeinflussung – inoffiziell die Vernetzung der europäischen Kirchen unter den internationalen Institutionen der Ökumene.555 Gerstenmaier und Schönfeld hatten eigentlich geplant, nach dem Abschluss der Gespräche in Schweden weiter nach Finnland zu reisen, um dort im deutschen sowie ökumenischen Sinne zu sondieren. Jedoch wurden sie kurzfristig nach Berlin zurückbeordert, sodass die Reise nach Finnland nicht stattfinden konnte. Dies führte in der finnischen Kirche zu Verstimmungen, da 551 Vgl. Bericht der Deutschen Gesandtschaft in Stockholm an AA vom 2. 10. 1940 (BArch DO 4/1; EZA 517/52; und PAAA, R 98797). 552 Vgl. u. a. Kapitel 4.3.3. 553 Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 32. 554 Bericht der Deutschen Gesandtschaft in Stockholm an AA vom 2. 10. 1940 (BArch DO 4/1; EZA 517/52; und PAAA, R 98797). 555 Vgl. dazu genauer Kapitel 5.2.2.

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die Finnen mit den Plänen des KA und mit dem Besuch Gerstenmaiers als dessen Abgesandten eigene sicherheitspolitische Interessen verknüpften.556 Die deutsch-finnische Zusammenarbeit in kirchlichen Fragen wurde davon jedoch nicht perspektivisch beeinflusst, da sie von Heckel in den folgenden Monaten intensiv weiterverfolgt wurde.557 Dies belegt unter anderem die Gründung der Luther-Agricola-Gesellschaft zur Erforschung des theologischen und kirchlichen Erbes der Reformation Ende 1940.558 Stellvertretend für Skandinavien konzentrierte sich Gerstenmaier im Weiteren vor allem auf die finnische Kirche. Aus einem Schreiben der deutschen Gesandtschaft in Helsinki an das AA vom 10. Mai 1941 geht hervor, dass Gerstenmaier mit kirchlichen Vertretern des Landes kontinuierlich „Fühlung aufgenommen und sich bemüht [habe], eine Zusammenarbeit mit den deutschen Stellen in die Wege zu leiten.“559 Darüber hinaus war er bei der LutherAgricola-Gesellschaft ein willkommener theologischer Gesprächspartner. So wurde er im Rahmen einer landesweiten Pfarrertagung des Pfarrverbandes der finnischen Kirche nach Lapua eingeladen, um in einer Doppelvorlesung über das Thema „Die Seelsorge des Volkes und private Seelsorge“ Ende Mai 1941 zu referieren. Der Einladung entsprechend reiste Gerstenmaier vom 28. Mai bis zum 5. Juni 1941 nach Finnland.560 Erste Station nahm er in Lapua. Nach den Studien Murtorinnes weckte Gerstenmaier mit seinem auf der Pfarrertagung gehaltenen Vortrag bei den finnischen Pfarrern eine besondere Zufriedenheit aufgrund seiner betont kirchlichen Grundintention. Gerstenmaier betonte demnach, dass die Volkskirchen einerseits auf das öffentliche Leben einzuwirken haben, andererseits jeder Christ die Pflicht habe, als einzelner Christ aufzutreten.561 In den Grundaussagen von Gerstenmaiers Vortrag spiegelte sich erneut seine Theologie aus seinen Qualifikationsschriften wider. Hier hatte er bereits die Entfaltung des einzelnen Christenmenschen in der Schöpfungsordnung als „In-Gemeinschaft-Geschaffensein“ sowie „InFreiheit-Geschaffensein“ definiert.562 Die von Murtorinne beschriebene Zufriedenheit der Pfarrer über Gerstenmaiers Vortrag lässt sich zudem auf die reformatorische Prägung des Dargelegten zurückführen, da eine Nähe zu Luthers Freiheitsverständnis deutlich erkennbar ist.563 556 Zu den finnischen Erwartungen, Reaktionen und Weiterentwicklungen vgl. Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 33–35. 557 Zu den weiteren Bemühungen des KA um die Verbindungen nach Skandinavien vgl. ebd., 35–43. 558 Zur Luther-Agricola-Gesellschaft als Annäherung zwischen Finnland und dem Deutschen Reich vgl. ebd., 44–58. 559 Schreiben Deutsche Gesandtschaft in Helsinki an AA vom 10. 5. 1941 (PAAA, R 98797). 560 Vgl. Reisebericht Gerstenmaiers vom 15. 8. 1941 (PAAA, R 98797). 561 Vgl. Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 74–76. 562 Vgl. Kapitel 3.1.2 (Unterkapitel Schöpfung und Geschichte). 563 In Luthers Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von 1520 hieß es: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemand untertan; eine Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (WA 7, 21, 1–4).

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Der Vorsitzende des Pfarrerverbandes und zudem Hauptpfarrer von Helsinki, Paavo Virkkunen, agierte während Gerstenmaiers Finnlandreise als dessen primärer Ansprechpartner für die finnisch-lutherische Kirche. Er lud den Vertreter des KA auch nach Helsinki ein, um dort mit ihm und einem kleineren Kreis von Theologen erneut ins Gespräch zu kommen. Über jene Gespräche in der finnischen Hauptstadt liegt ein ausführliches Memorandum Virkkunens vom 7. Juni 1941 vor,564 in dem er fast schon perplex über Gerstenmaiers politische Offenheit berichtete. Der Theologe sprach von einer „Endabrechnung mit Rußland“, die „in nächster Zeit gemacht werden“565 müsse. Damit deutete er den am 22. Juni 1941 beginnenden Ostfeldzug des Deutschen Reiches sowie den Bruch des Hitler-Stalin-Paktes bereits Anfang Juni 1941 offen an. Gerstenmaier musste nach Murtorinne zu dieser bewussten Informationsweitergabe vom AA „grünes Licht“566 bekommen haben, um kirchenpolitische Vorarbeit zu leisten, da die finnischen Kirchen in den später eroberten russischen Gebieten die kirchliche Wiederbelebung verantworten sollten. Interessant ist, dass parallel zu Gerstenmaiers Finnlandreise die Abschlussverhandlungen zwischen den deutschen und finnischen Militärbehörden in Helsinki über die militärische Zusammenarbeit in der sogenannten Operation Barbarossa stattfanden.567 Dieser Sachverhalt kann als Beleg für Gerstenmaiers politische Verwendung durch die Informationsabteilung des AA angeführt werden. In einem weiteren Punkt agierte Gerstenmaier entsprechend des KA-Arbeitsplanes sowie im Auftrag der Informationsabteilung, wie es in seinem späteren Bericht an das AA hieß. Er hatte infolge dessen die „finnisch-orthodoxe Kirche in die propagandistische Beeinflussung der Gesamtorthodoxie des Ostens und Südostens [mit] einzubeziehenden.“568 Obwohl es sich bei der finnischen Orthodoxie um eine Minoritätenkirche gegenüber der lutherischen Staatskirche handle, komme ihr in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und dem Bolschewismus eine steigende Bedeutung zu. Die finnische Orthodoxie sei nicht nur eine staatlich anerkannte autokephale Nationalkirche geworden, sondern es genieße auch ihr Erzbischof Herman bei der finnischen Nationalregierung großes Vertrauen. Sie sei deshalb nicht zu unterschätzen.569 Ähnlich wie auf dem Balkan sollte mit der Förderung von antibolschewistischen Aktionen das Selbstbewusstsein der finnischen Orthodoxie gestärkt, eine Abwehrhaltung gegen die Sowjetunion aufgebaut und die Zusammenfassung zu einer europaweiten Gesamtorthodoxie proklamiert

564 565 566 567 568 569

Abgedruckt bei Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 207–210. Zit. nach ebd., 208. Ebd., 79. Zu den Verhandlungen vgl. Manninen, Beziehungen, 88–92. Reisebericht Gerstenmaiers vom 15. 8. 1941 (PAAA, R 98797). Vgl. ebd.

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werden.570 Daneben galt es sowohl die lutherische als eben auch die orthodoxe Kirche Finnlands auf eine künftig durchzuführende religiöse Missionierung im Osten vorzubereiten.571 Da sich jedoch die Kontaktherstellung zur finnischorthodoxen Kirche innerhalb von Gerstenmaiers kurzem Zeitfenster in Finnland erfolglos gestaltete, ließ er seinem Bericht nach der finnischen Orthodoxie einen größeren Geldbetrag als „Freundschaftsbeweis des Reiches im Kampf gegen den Bolschewismus“572 zukommen. Insgesamt baute sich sein Bericht über die Reise nach Finnland ähnlich auf wie jener über die Balkanreisen573 und muss somit in denselben Kontext eingeordnet werden. 4.4.3 Publizistische Beiträge im Zeichen des Krieges Während Gerstenmaiers Dienstzeit im KA entstanden in den ersten Kriegsjahren einige Publikationen aus seiner Feder. Auf der einen Seite schien er damit seinem kooperativen Auftrag im Sinne der politischen Staatsräson gerecht zu werden, indem er sein geisteswissenschaftliches Können und theologisches Wissen aufbereitete, um Informationen und persönliche Eindrücke öffentlich zu machen, die zum Nachdenken anregen oder in entsprechende Aktionen münden sollten. Auf der anderen Seite ging er in den Publikationen seinen eigenen Interessen nach, die sich neben der Faszination an außerdeutschen Kulturkreisen auf die theologisch-hermeneutische Auseinandersetzung mit religiösen Fragen der Zeit konzentrierten. Drei Beiträge Gerstenmaiers – der Aufsatz „Mächte und Mönche“, die Monografie „Frankreichs Protestantismus im Krieg“ und die religionsethische Auseinandersetzung „Die Zukunft der Person“ – seien an dieser Stelle herausgegriffen, um jene beschriebene Ambivalenz praktisch zu belegen. In Gerstenmaiers Erinnerungen kamen seine dienstlichen Reisen nach Skandinavien und Südosteuropa in ihrer Gesamtheit kaum zur Entfaltung. Eine Stelle ist jedoch im Hinblick auf unseren Betrachtungsgegenstand von besonderer Bedeutung: „Jede Auslandsreise, ob sie nun in den lutherischen Norden oder in den orthodoxen Südosten Europas ging, brachte mir die enge, äußerlich unerschütterliche Verbindung von Volkstum und Kirche vor Augen. In Finnland und in den Gebirgsklöstern Bulgariens stand ich am unmittelbarsten unter dem Eindruck, daß es dabei um mehr als einen Tatbestand der Tradition gehe. Der Frömmigkeitscharakter, dem ich dort begegnete, erinnerte mich vor aller Verschiedenheit des Ausdrucks stark an die Bilder und Eindrücke, die ich in früher Jugend bei den 570 Zu dem weiteren deutsch-finnischen Bündnis gegen den Bolschewismus vgl. Murtorinne, Kirchenbeziehungen, 82–91. 571 Vgl. ebd. 572 Reisebericht Gerstenmaiers vom 15. 8. 1941 (PAAA, R 98797). 573 Vgl. Kapitel 4.4.1.

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Zusammenkünften schwäbischer Pietisten gewonnen hatte. Hier trug ein starker, nach innen gewandter persönlicher Glaube eine Gemeinschaft und prägte ihre Lebensform.“574

Die oben beschriebene Faszination knüpfte sich den Eindrücken nach eng an Gerstenmaiers primäre und sekundäre Sozialisation in Kirchheim unter Teck. Die Tradition und der Frömmigkeitscharakter der orthodoxen Kirchen schienen in ihm vor allem während seiner beiden Balkanreisen 1941 vertraute Assoziationen zum württembergischen Pietismus zu wecken, die er in einem Artikel zum Thema „Mächte und Mönche. Bilder und Gedanken im Südosten“575 weiter verarbeitete. Ende 1941 erschien der Artikel in der Zeitschrift Zeitwende als eine Art lebendiger Bericht über die orthodox geprägten Länder in Südosteuropa. Am Anfang des Artikels berichtete Gerstenmaier in bunten Ausschmückungen und Bildern von einem königlichen Zeremoniell, dem er wohl bei seiner zweiten Balkanreise 1941 in Sofia beiwohnen durfte. Die Rolle der orthodoxen Kirche schien ihm dabei so sehr zu imponieren, dass er schrieb: „Gottesdienst als Staatsakt oder Staatsakt als Gottesdienst gibt denen zu denken, denen die Symphonie zwischen Staat und Kirche eine geschichtliche Erinnerung oder eine Unmöglichkeit geworden ist.“576 Damit betonte er nicht nur die enge Verbundenheit von Staat und Kirche in Bulgarien, sondern gedachte auch der Zeiten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, in denen in Deutschland Staat und Kirche noch eng verbunden waren und die Kirchen nicht wie im derzeitigen Verständnis des deutschen Nationalsozialismus an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Gerstenmaier fuhr mit einer fast schon romantischen Beschreibung von Bulgariens Klosteranlagen fort. Dabei skizzierte er die strukturelle Hierarchie der bulgarisch-orthodoxen Kirche von den einfachen Bischöfen, über die Erzbischöfe und Metropoliten bis hin zum Patriarchen in der „Hand des Mönchtums“ liegend. Dies sei eine „starke Hilfe für die straffe Geschlossenheit der Kirche und die Voraussetzungen der strengen hierarchische Ordnung“. Er mutmaßte, dass dies die „entschlossene Bewahrung der kirchlichen Tradition“ fördere. Anders als im Protestantismus habe die Tradition in der Orthodoxie schließlich eine grundlegend andere Bedeutung. Maßstab der Kirche im Osten sei die Tradition und die nach der Tradition zu interpretierende Heilige Schrift. Gerstenmaier ließ es sich in diesem theologischen Zusammenhang nicht nehmen, den Maßstab der Reformationskirchen in Luthers Grundsatz der sola scriptura als Gegensatz dazu aufzuzeigen, indem er schrieb: „Die Tradition kann Geltung nur beanspruchen soweit sie schriftgemäß ist.“577 Obwohl die Orthodoxie in der bulgarischen Gesellschaft stark verwurzelt sei, 574 575 576 577

Gerstenmaier, Streit, 145 f. Vgl. Gerstenmaier, Mächte, 98–103. Ebd., 99. Ebd., 100.

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ging das Mönchtum dennoch zurück. Gerstenmaier war sich in seinem Artikel auf Grundlage seiner Reisen trotzdem sicher, dass die Kirchen des Südostens ähnlich wie die Pietisten in Württemberg entgegen allen Herausforderungen für die Bewahrung ihres Erbes eintreten werden: „Sie [die orthodoxe Kirche] wird kämpfen um ihre Traditionen und um ihr Symbol.“578 Zum Ende des Artikels übertrug er seine Beobachtungen aus Bulgarien und den anderen orthodox geprägten Ländern auf einen weiten ökumenischen Horizont, indem er schlussfolgerte: „Gleich uns fahren sie [die orthodoxen Kirchen] mit ihren Völkern in einem Boot auf dem Meer der Geschichte. Aber sie fahren nach dem gleichen Stern der Christenheit zu gleichem Ziel. Und von Bord zu Bord, von Kirche zu Kirche geben sich grüßende Hände.“579 Mit jenem metaphorischen Schlusswort des Artikels beschrieb er die südosteuropäische Orthodoxie als Teil der internationalen Ökumene und baute auf die gegenseitigen Synergien für das ökumenische Gespräch. Die symbolträchtig definierten „grüßende[n] Hände“ zeigen, wie ihm an einem Austausch und einer Vernetzung über nationale und kirchenpolitische Grenzen hinweg gelegen war. Von einer polemisch-politischen Instrumentalisierung des von Gerstenmaier gelieferten Materials kann in dem Artikel nicht ausgegangen werden, da es sich hier primär um situative Beschreibungen von Beobachtungen vor Ort handelte, die im Kern seinen ökumenischen Arbeitsbereich im KA im Verhältnis zu seinen ökumenischen Reisen auf dem Balkan berührten. Viel differenzierter gestaltete sich dies in der zweiten von Gerstenmaier verfassten Schrift. Mit „Frankreichs Protestantismus im Krieg“580 kam er 1940 nach eigener Aussage dem Wunsch der Informationsabteilung des AA nach, sich an einer kritischen Publikationsreihe gegen Frankreich zu beteiligen.581 Karl Epting hatte 1940 die Leitung des neu gegründeten Deutschen Instituts in Paris übernommen582 und bereits direkt nach Kriegsbeginn in „beachtliche[r] publizistische[r] Aktivität“583 mit der Herausgabe einer Schriftenreihe zum Thema „Frankreich gegen die Zivilisation“ begonnen, die er in seiner neuen Position in Paris noch weiter intensivierte.584 Unter dem Pseudonym Matthias Schwabe gab er zahlreiche Beiträge heraus, die ganz im Dienst der nationalsozialistischen Propaganda standen und als eine Art zukünftige deutsche 578 579 580 581 582

Ebd., 102. Ebd., 103. Vgl. Allemann, Protestantismus. vgl. Gerstenmaier, Streit, 131. Epting war von 1934–1939 als Leiter der Zweigstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Paris eng mit den deutsch-französischen Kulturbeziehungen befasst (vgl. Michels, Institut, 18–36) und bei der Gründung des Deutschen Instituts in Paris maßgeblich beteiligt (vgl. ebd., 56–64). Das Pariser Institut gehörte mit seinen 34 Wissenschaftlern bei Weitem zu den größten und am besten ausgestatteten deutschen Institutionen seiner Art (vgl. Schçttler, Ressourcen, 189). 583 Michels, Institut, 37. 584 Zur Schriftenreihe vgl. ebd., 37–43.

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auswärtige Kulturpolitik zu lesen waren.585 Gerstenmaier erklärte seine Beteiligung an Eptings Reihe später damit, dass es sich hierbei „um eine Art Pflichtleistung“586 gehandelt habe, da er „auch einmal etwas vorzeigen“ musste, „was meine UK-Stellung“587 für das AA rechtfertigen konnte. Damit gestand er in gewisser Weise ein, dass er sich an der propagandistischen Reihe bewusst beteiligte, um vor allem seine Reise- und Kontaktmöglichkeiten im Sinne der Ökumene weiter nutzen zu können, da er dafür auf den Goodwill des AA angewiesen war. Jedoch betonte er, dass sein Manuskript vor der Veröffentlichung „ohne mein Wissen und meine Zustimmung geändert“588 wurde.589 Da sowohl das Original-Manuskript als auch Akten aus Eptings Frankreich-Zeit nicht überliefert wurden, lässt sich nicht mehr nachweisen, inwieweit Epting als selbsternannter Bearbeiter der Schriftenreihe auf die inhaltliche Gestaltung Einfluss genommen hat.590 Ähnlich wie Epting gab Gerstenmaier als Autor nicht seinen eigenen Namen an, sondern wählte mit Albrecht Allemann eine Pseudonym, das nicht nur Bezug auf seine eigene Geschichte nahm,591 sondern auch die Beziehung zum Deutschen Reich zum Ausdruck brachte. In einem späteren Brief vom 7. März 1970 erklärte er das Pseudonym als eine Art Protest gegen die deutsche Zensur und die seiner Meinung nach unangemessene Wahl des Titels für seinen Beitrag.592 Von dieser späteren Erklärung ganz abgesehen, schien er offensichtlich das Pseudonym auch bewusst zu verwenden, um selbst im Geheimen zu bleiben und nicht in einen möglichen kirchlichen oder eben ökumenischen Misskredit zu geraten. Dies tat er in geschickter Voraussicht, da Marc Boegner, einer der seiner Zeit bedeutendsten Theologen und Führer des französischen Protestantismus sowie einer der Vizepräsidenten des ÖRK, die

585 Zu den Beiträgen vgl. ebd., 38 f. 586 Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 587 Gerstenmaier, Streit, 132. 588 Ebd. 589 Die Veränderungen bezogen sich primär auf den zweiten Teil der Broschüre (vgl. Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 590 Michels, Institut, 40. Mit genauem Blick auf „Frankreichs Protestantismus im Krieg“ lässt es sich nur vermuten, dass Epting Gerstenmaiers Manuskript nach seinen Maßstäben korrigierte. Dies könnte durch den mehrfachen Verweis auf Schriften von Matthias Schwabe belegt werden (vgl. bspw. Allemann, Protestantismus, 60, 62). 591 Albrecht war nicht nur der Name seines Vaters, sondern auch sein zweiter Vorname (vgl. Kirchliches Familienregister, VIII. 644, Dekanatsarchiv Kirchheim/Teck). Darüber hinaus schlug Gerstenmaier seiner Frau während seiner späteren Haftzeit die Verwendung eines ähnlichen Pseudonyms (Albrecht Allmann) für sich vor, um mit ihr weiterhin über eine fiktive Adresse im Kontakt zu bleiben (vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 31. 1. 1945. In: Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 157–159, hier: 157). 592 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Benno Fischer vom 7. 3. 1970 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-037).

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Publikation des Deutschen Instituts in Paris kurz nach der Herausgabe als „Hetzschrift“593 bezeichnete. Doch was diskutierte Gerstenmaier in der 76seitigen Publikation, die damals schon derartig kritisch beurteilt wurde? Der Theologe veröffentlichte die Schrift nach seiner retrospektiven Darstellung in der „Bewunderung für die Kampf- und Leidensgeschichte des französischen Protestantismus“, um damit dem deutschen Protestantismus die „Geschichte des französischen Protestantismus ins Bewusstsein [zu] rufen, was auch eine kleine Minderheit, selbst in der Verfolgung, für die Geschichte, für das Sein und Werden eines mächtigen Staates bedeuten kann.“594 Vergegenwärtigt man sich „Frankreichs Protestantismus im Krieg“ ausführlich, dann wird schnell klar, dass diese von Gerstenmaier beschriebene Intention in der Publikation – wenn überhaupt – nur im ersten analysierend beschreibenden Teil zum Tragen kam. Der Schwerpunkt ist eher in einer propagandistisch-kritischen Beurteilung – von den historischen Entwicklungen bis hin zur aktuellen Situation – des französischen Protestantismus zu fassen. Im ersten Teil des Buches beschrieb Gerstenmaier den Protestantismus in Frankreich als eine „absolute konfessionelle Minderheit“595, der es durch die ökonomisch geprägten Charakterzüge des Calvinismus zwar gelungen sei, einen Großteil des französischen Grundbesitzes zu bewirtschaften, jedoch nicht, sich nach der Französischen Revolution gesellschaftlich zu behaupten.596 Ab jenem historischen Großereignis könne man von keiner kirchlichen Bindung des französischen Volkes mehr sprechen, da der Laizismus ab diesem Zeitpunkt die französische Kultur prägte und an die Stelle der Kirchen bei der aufgeklärten Intelligenz der Glaube an die Ideale der Revolution trat.597 Die Darstellung der historischen Entwicklung des Protestantismus in Frankreich zwischen Anspruch und Zuspruch598 kulminierte darin, dass Gerstenmaier den Franzosen schließlich attestierte: „Kreuzzugsgedanke, Kreuzzugsleidenschaft und Kreuzzugsethos sind den Franzosen wie niemand vertraut.“ Nur eben, dass bei jenen Kreuzzügen nicht mehr das „Bild des Gekreuzigten vor sich her [getragen würde], sondern die Banner der Menschlichkeit, des Rechts, der Moral, der Freiheit, der Zivilisation.“599 Damit zeigte Gerstenmaier auf, dass sich die religiösen Wertmaßstäbe in Frankreich vor allem im letzten Jahrhundert mehr und mehr verwuschen und von keiner kirchlichen Machtposition mehr ausgegangen werden könne, die in die Weltgemeinschaft getragen wurde. Im zweiten Teil des Buches übertrug Gerstenmaier jenen vorher historisch 593 594 595 596 597 598 599

Michels, Institut, 80. Gerstenmaier, Streit, 132. Allemann, Protestantismus, 7. Vgl. ebd., 10. Vgl. ebd., 8. Vgl. ebd., 13–33. Ebd., 38.

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skizzierten Kreuzzugsgeist auf das 20. Jahrhundert. Demnach habe sich der französische Protestantismus spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges vom deutschen Protestantismus und somit auch vom deutschen Volk deutlich entfernt. Der Versailler Vertrag müsse in diesem Zusammenhang als zentraler Moment gewertet werden, da dieser nach Gerstenmaiers Darstellung das „deutsche Volk wie einen Verbrecher zu degradieren und zu bestrafen“600 gedachte und der französische Protestantismus nichts zur „Bekämpfung der Kriegsschuldlüge“601 beigetragen habe. Er blieb „unchristlich stumm“602 als sich „das deutsche Volk […] in unerhörter Fronarbeit fieberhaft zusammen“ krampfte sowie „ausgehungert, ausgeblutet, ausgeplündert […] unabläßlich für die Diktatoren von Versailles“603 fronte. Durch dieses untätige Verhalten sei der französische Protestantismus nicht nur der „Niveaulosigkeit und Primitivität“604 verfallen, sondern lasse sich auch der „französische Kreuzzugsgeist“605 im negativen Sinne zur Schwächung des Deutschen Reiches und des deutschen Protestantismus belegen. Entsprechend der deutschen Kriegslügen- und Dolchstoßpropaganda konstatierte Gerstenmaier letztlich: „Der am 1. September 1939 ausgebrochene Krieg ist in Wirklichkeit am 28. Juni 1919 zu Versailles dem deutschen Volk erklärt worden.“606 Spannend ist, dass die propagandistische Aufarbeitung der Versaillesproblematik oder die Kriegsrechtfertigung mit eben dieser in sonst keinen anderen Schriften oder Korrespondenten Gerstenmaiers eine Rolle spielte. Aus diesem Sachverhalt heraus kann gemutmaßt werden, dass der Theologe hier in einer sprachlich, stilistisch und argumentativen Art und Weise kommunizierte, die ihm eigentlich nicht entsprach und nur seinem Auftrag geschuldet scheint. Eine andere Möglichkeit ist, dass Epting diesen Teil des Buches stark nationalsozialistisch redigierte. Gerstenmaier definitiv zuzuschreiben ist die Kritik an Karl Barth, der Ende 1939 die christlichen Kirchen in Frankreich zum Krieg aufgerufen habe.607 Der dritte Teil des Buches gestaltete sich ähnlich vorwurfsvoll, jedoch bei Weitem komplexer gegen die aktuelle Arbeit des französischen Protestantismus. In dem ihm wichtigen Themenbereich der Ökumene warf Gerstenmaier den Franzosen eine „unerhörte Steigerung ihres Machtbewußtseins“608 sowie einen „universalistischen Trieb“ vor, „an der größeren Gemeinschaft teilzuhaben, ja in ihr führend zu sein.“609 Jenes Geltungsbedürfnis drücke sich in der 600 601 602 603 604 605 606 607 608 609

Ebd., 47. Ebd., 50. Ebd., 69. Ebd., 52. Ebd., 42. Ebd., 47. Ebd., 51. Vgl. ebd., 45 f. Ebd., 61. Ebd., 62.

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beanspruchten Führung in der Ökumene aus. Dazu charakterisierte er Boegner als entscheidenden Protagonisten.610 Durch die universalistische Prägung sei der französische Protestantismus im Begriff, „seine Substanz in der gefährlichsten Form des Kulturprotestantismus aufzulösen, in dem militanten kulturpolitischen Synkretismus spezifisch französischen Charakters.“ Der Synkretismus wurde in diesem Zusammenhang als „Wesensgegensatz zur Reformation“ definiert, da es „kaum eine ernstere Bedrohung protestantischer Substanz als ihre Verflüchtigung in allgemein kulturelle, politische und propagandistische Mischformen“611 gebe. Gerstenmaier versuchte durch die historische Entwicklung zu zeigen, wie intensiv sich seiner Ansicht nach in Frankreich religiöse Energien und politische Überzeugungen miteinander vermischten, die wiederum zu einer „Auflösung der protestantischen Substanz“612 führen würden. Die übersteigerte politische Funktion des französischen Protestantismus überschatte seine unmittelbar geistliche und theologische Funktion und führe zu einer echten Bedrohung seiner Existenz sowie seiner ganzen Zukunft.613 Festzuhalten ist, dass sich die Schrift „Frankreichs Protestantismus im Krieg“ in der Reihe des Deutschen Instituts in Paris klar gegen den französischen Protestantismus in seiner inneren und äußeren Perspektive richtete. Auf dieser Grundlage wurde sie vor den staatlichen Institutionen prononciert argumentativ durch das KA genutzt. Die Schrift diente in erster Linie als Beleg für die Loyalität der kirchlichen Behörde und seiner Mitarbeiter gegenüber dem NS-Staat. In diesem Sinne betonte Heckel in einem Brief vom 6. Juni 1940 an den Reichskirchenminister die politische Zuverlässigkeit ihres Mitarbeiters Gerstenmaier mit den Worten: „In dieser Schrift [er meint Frankreichs Protestantismus im Krieg] beweist sich ebenso wie in seiner übrigen Arbeit das klare Urteil und der charaktervolle entschlossene Einsatz Gerstenmaiers für das Reich.“614 Damit verfolgte Heckel die Intention, die Vertrauenswürdigkeit seines Mitarbeiters zu unterstreichen und zugleich die Arbeit seiner Behörde zu rechtfertigen. Gerstenmaier muss wegen des systemkonform anmutenden Duktus und der propagandistischen Aussagen in der Schrift klar kritisiert werden. Die Kritik von den kirchlichen Zwängen gegenüber dem NS-Regime, den entgegengesetzt erbrachten Leistungen für das ökumenische Gespräch sowie der kirchlichen Wahrnehmung der DEK im Ausland loszulösen, wäre unangemessen. Die Schrift lediglich als „Beweis seiner Staatsloyalität“615 zu interpretieren, wie Daniela Gniss es tat, kommt vor diesem Hintergrund deutlich zu 610 Boegners Lebensweg und dessen Strategie in der Weltkirchenpolitik wurde nicht nur negativ dargestellt, sondern seine Erfolge durchaus auch gewürdigt (vgl. ebd., 63–71). 611 Allemann, Protestantismus, 71 f. 612 Ebd., 72. 613 Vgl. ebd., 72–74. 614 Brief Heckels an den Reichskirchenminister vom 6. 6. 1940 (BArch DO 4/1; und EZA 5/3330). 615 Gniss, Politiker, 102.

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kurz. Es muss die Verhältnismäßigkeit bei der Bewertung der Schrift bedacht werden. Da zudem nicht rekonstruiert werden kann, welche Stellen und Inhalte des Buches tatsächlich von Gerstenmaier stammten und was später redigiert oder hinzugefügt wurde, ist im Umgang mit der Schrift mit einer erhöhten Sensibilität zu arbeiten. Die dritte Schrift Gerstenmaiers war ein primär systematischer Text zur evangelischen Sozialethik, der unter dem Titel „Die Zukunft der Person. Zum Kulturwandel und Strukturproblem der christlichen Ethik“ 1942 veröffentlicht werden sollte. Gemeinsam mit dem Verleger Herbert Renner, dem Leiter des Wichern-Verlages, plante Gerstenmaier die Herausgabe einer Monatsoder Vierteljahreszeitschrift unter dem Gesamttitel „Orient und Occident. Beiträge zur Religionssoziologie und europäischen Geistesgeschichte“, um nicht nur der zunehmenden Säkularisierung im Deutschen Reich geisteswissenschaftlich entgegen zu steuern, sondern auch eine neue Plattform für theologische und religionsphilosophische Diskussionen zu schaffen. Für die erste Ausgabe konnten nach Gerstenmaier namhafte Gelehrte wie Georgi Florowski, Ulrich von Hassel, Nichifor Crainic und Rudolf Alexander Schröder gewonnen werden, die Aufsätze beisteuerten.616 Gerstenmaier selbst sollte mit seinem Artikel das Hauptthema des Bandes ansprechen: den Personalismus, in dem der Theologe mit „vielen Gleichgesinnten und Gleichgestimmten in den europäischen Völkern das eigentliche Produkt der christlichen Erziehung und Kultur des Abendlandes“617 sah. Da der christlich verstandene Personalismus618 sowohl von der bolschewistischen als auch der nationalsozialistischen Ideologie in deren kollektiver Tendenz der Gewichtung der Gesamtheit über den Einzelnen ein zeitgenössisch heikles Thema für eine Publikation darstellte, wurde dagegen staatlich vorgegangen. Nicht nur, dass dem Projekt kein Papier für den Druck bewilligt wurde, sprachen die nationalsozialistischen Behörden auch ein „rüdes Verbot“619 aus und beschlagnahmten die Publikation. Gerstenmaiers und Renners Planungen waren somit vom Tisch. Doch was skizzierte vor allem Gerstenmaier in seinem Beitrag, der zu einem derartigen Missmut bei den nationalsozialistischen Machthabern führte, sodass die Veröffentlichung des gesamten Bandes verboten wurde? In Gerstenmaiers Nachlass existiert eine Abschrift des 35seitigen Aufsatzes,620 der an dieser Stelle von seinen Grundaussagen her wiedergegeben werden muss, um zu überprüfen, warum das entworfene personalistische Konzept des Theologen inmitten der völkischen Ideologie des Nationalsozialismus als 616 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 144–146. 617 Ebd., 146. 618 Zum christlich verstandenen Personalismus und als Einführung in das personalistische Denken vgl. Harth-Peter, Religion, 513–551. 619 Gerstenmaier, Streit, 146. 620 Vgl. Gerstenmaier, Zukunft, 1–35 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002).

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„revolutionär“621 betrachtet werden konnte, wie es bereits Günter Schmölders zu fassen versuchte.622 Gerstenmaier begann seinen Artikel mit einer Problembeschreibung. Er kritisierte, dass sich seiner Beobachtung nach derzeit die christliche Dogmatik in der Ethik auflöse, sich die allgemeine Geistigkeit in eine zeit- und weltnahe Kulturethik verwandle. Jene kulturethische Auflösung des Dogmas habe zu einer „rapiden Verflüchtigung der christlichen Substanz geführt“623, die sich wiederum in einer aktuellen Vertrauenskrise des Geistes beschreiben lasse. Der Träger jener Vertrauenskrise sei der dem „völkisch-organischem Gemeinschaftszusammenhang entfremdete Massenmensch“624, der seine Heimat in der Klasse und seinen Glauben im Materialismus habe. Die Vermassung des Menschen sei in diesem Zusammenhang nicht nur ein wirtschaftlich-soziologischer Prozess, sondern auch ein gesellschaftlich-religiöser. Zum Phänomen der Vermassung konstatierte Gerstenmaier weiter: „Sie ist ein alle Gemeinschaftsbildungen tief beeinträchtigender, personhaft-individueller Vorgang. Der Mensch wird von äusseren Faktoren ohne Kompensationsmöglichkeiten so absorbiert, dass mit der fortschreitenden Normung und Typisierung seiner individuellen Lebensvorgänge eine reziproke Minderung seiner personalen Unmittelbarkeit und Entscheidungsfähigkeit eintritt.“625

Die Ansprüche der Vermassung sowie deren aktive Umsetzung in der menschlichen Lebensgestaltung führten seiner Darstellung nach zu einer „Schrumpfung der Person“626, einer Minderung der individuellen Identität und religiösen Bindung. Gerstenmaier zeigte, wie aus der Diskrepanz zwischen Christentum und Idealismus das Problem der Vermassung resultierte und bereits in der darstellenden Erkenntnis eine lange Geschichte habe, die von Adolf Stöcker über Georg Wilhelm Friedrich Hegel bis hin zu Friedrich Nietzsche reichte.627 Interessant an dem Artikel ist, dass Gerstenmaier zur Spiegelung des kritisierten Problems der Vermassung den Bolschewismus und nicht den Nationalsozialismus heranzog, obwohl dieser ähnliche ideologische Ideale in Bezug auf das Personsein des Menschen verfolgte. Da nun aber der Bolschewismus ein erklärtes Feindbild in der nationalsozialistischen Ideologie darstellte und man sich derzeit mit der Sowjetunion im Krieg befand, nutzte Gerstenmaier die Kontraststellung zwischen den beiden Systemen aus und 621 Schmçlders, Sozialismus, 15. 622 Erst 1953 wurde der Text als Festgabe für Helmuth Schreiner zum 60. Geburtstag unter dem Titel „Die Zukunft der Person. Prolegomena zu einer evangelischen Sozialethik“ veröffentlicht (vgl. Gerstenmaier, Zukunft, 62–75). 623 Gerstenmaier, Zukunft, 2 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 624 Ebd., 3. 625 Ebd. 626 Ebd. 627 Vgl. ebd., 4 f.

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spiegelte die praktisch-ideologische Wesensart des Bolschewismus, um der nationalsozialistischen Staatsräson in gewissem Maße zu entsprechen, obwohl sich die getroffenen Grundaussagen auch auf den Nationalsozialismus beziehen ließen. So konstatierte Gerstenmaier, dass sich der Bolschewismus der Vermassung angenommen habe, nämlich „in der absoluten Reduktion der menschlichen Individualität auf den allein gemeinsamen biologischen Bestand.“ Weiter schlussfolgerte er: „Indem er so die totale Vermassung organisierte, eröffnete der Bolschewismus einen gigantischen Kampf gegen das Personsein des Menschen überhaupt.“628 Da nun aber der Personalismus das Ergebnis einer jahrhundertelangen abendländisch-christlichen Erziehung sei, rief Gerstenmaier auf, gegen den „aggressiven Bolschewismus“629 vorzugehen. Man könnte an dieser Stelle den Versuch einer Rechtfertigung der deutschen Militärmanöver im Osten sehen. Da der Nationalsozialismus jedoch den gleichen Maximen in der Destruktivität des Personseins entsprach und Gerstenmaier auch seiner Ideologie das christliche Gegenmodell präsentierte, muss von jenem Interpretationsansatz Abstand genommen werden. Im zweiten Teil des Beitrags versuchte Gerstenmaier praktische Antworten auf die aktuelle Vertrauenskrise des Geistes und die in Mitleidenschaft gezogene Geltung des christlichen Dogmas in primär der reformatorischen Theologie und Anthropologie sowie dem Humanismus zu finden.630 Demgemäß kam er im dritten Teil auf das Strukturproblem der christlichen Ethik zu sprechen. Die christliche Ethik631 fasste er nach einer ausführlichen Rezeption der Lehren von Gogarten und Georgu Fedotov sowie seiner theologischen Lehrer Brunner und Brunstädt in ihrer Struktur und Intention als personalistisch, politisch und materialistisch.632 Dementsprechend forderte er eine personalistische Sozialethik auf Grundlage des Christentums, in der es um das wahre Menschsein im Personsein des nach Gott geschaffenen Menschen gehen müsse. Die Ethik wolle schließlich „dem Menschen zu seinem wahren Menschsein verhelfen“ und sei darum „personalistische Ethik“633, die nicht auf die Wahrheitsfrage oder auf die Schuldfrage verzichten könne. Auf dieser Grundlage müsse sie sich „auf Gedeih und Verderb jeder Theorie und Praxis entgegenwerfen, die den Menschen zum Massenartikel und Wirtschaftsobjekt 628 629 630 631

Ebd., 5. Ebd. Vgl. ebd., 7–17. Die christliche Ethik definierte Gerstenmaier im ersten Teil des Artikels wie folgt: „Weil der Sinn und das Ziel der christlichen Ethik die Gestaltung und Erfüllung des menschlichen Lebens aus einem Ursprung und seiner Berufung ist, darum kann christliche Ethik nur wahrhaft menschliche Ethik sein. Sie meint das menschliche Dasein in seiner persönlichen Unmittelbarkeit und in seiner unaufhebbaren Zeit- und Gemeinschaftsverflochtenheit zugleich. Christliche Ethik meint christliches Leben. Sie meint nicht eine kultische oder moralischreligiöse Überhöhung der menschlichen Existenz, sondern die wahrhaft menschliche Erfüllung dieser Existenz in ihrem Zeit- und Weltverhaftetsein.“ (Ebd., 6). 632 Vgl. ebd., 17–34. 633 Ebd., 30.

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verzweckt.“634 Gerstenmaier schien hiermit den Auftrag an die Kirchen klar zu formulieren, sich aktiv gegen die Verzweckung des Einzelnen zu engagieren und die christliche Botschaft für die Zukunft der Person offensiv zu vertreten. Er formulierte es zum Ende des Aufsatzes noch einmal mit folgenden Worten: „Die christliche Botschaft meint das konkrete Leben. Die Wahrheit will verwirklicht sein. Der christliche Glaube schafft seine Lebensgestalt. Wo diese Verwirklichung ausbleibt, wird er zur lebensohnmächtigen Theorie, zum wirklichkeitsfremden System. Es gibt keinen Logos ohne Ethos, keine christliche Dogmatik ohne christliche Ethik. Das christliche Leben, die christliche Ethik sind in ihrer unbedingten Transzendentalität nicht der Beweis für die schliessliche Irrationalität des christlichen Glaubens, sondern sie machen damit offenbar, dass das wahre Menschsein aus einer transzendenten Tiefe und Wirklichkeit lebt. Sie ist zwar in dieser Welt ungreifbar geheimnisvoll, aber sie ist dennoch überindividuell geschichtsmächtig und persönlich lebensentscheidend wie nichts anderes. Auf ihrer Wiedergewinnung im Kampf unserer Zeit steht die Zukunft der Person.“

Gerstenmaiers Intention, seine entworfene personalistische Sozialethik einem breiten Leserkreis durch die Veröffentlichung zugänglich zu machen und neue gesellschaftlich-religiöse Diskussionen anzuregen, scheiterte mit dem Verbot des Bandes durch die nationalsozialistischen Machthaber. Die Schaffung einer neuen Plattform für theologische und religionsphilosophische Diskussionen war dem „Denken der Nazis diametral entgegengesetzt.“635 Anscheinend wurde der ideologische Gegensatz trotz bolschewistischer Behandlung und Verurteilung erkannt und als mehrdeutig für die Zielsetzungen des nationalsozialistischen Regimes gesehen. Trotz oder vielleicht genau wegen dieser rabiaten Vorgehensweise fand Gerstenmaiers Ansatz Einzug in die konspirative Arbeit des Kreisauer Kreises.636

4.5 Von der Kaschierung über die Denunziation bis zur neuen Perspektive – Das Problem der politischen Glaubwürdigkeit Die skizzierte Ambivalenz in Gerstenmaiers Publikationen während des Krieges wurde auch von den nationalsozialistischen Behörden wahrgenommen. Dass es sich spätestens ab 1941 immer schwieriger gestaltete, Gerstenmaiers zwiespältige Verhandlungspositionen und seine ökumenische Bestrebungen für das KA und die DEK zu kaschieren, zeigt ein Antrag des SD. Bereits am 1. März 1941 sprach jener von einer „umfassenden staatspoliti634 Ebd. 635 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 39. 636 Vgl. Schmçlders, Sozialismus, 14 f; und Philippi, Genese, 101. Zu Gerstenmaiers Arbeit im Kreisauer Kreis vgl. Kapitel 5.2.

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schen Begutachtung des Dr. Gerstenmaier“637, die eingeleitet werden müsse. Jene Begutachtung ging jedoch eher auf die sich mehrenden Auslandsreisen und kirchlichen Kontakte des Theologen als auf seine Publikationen zurück. Festzuhalten bleibt, dass Gerstenmaier in seinen Tätigkeiten für das KA und das AA spätestens ab dem Frühjahr 1941 durch das RSHA kontrolliert und überwacht wurde. Obwohl der SD Anfang April 1941 an das AA schrieb „In politischer, kirchenpolitischer und krimineller Hinsicht ist er nicht in Erscheinung getreten. Der NSDAP, einer ihrer Gliederungen, oder einem ihr angeschlossenen Verband, mit Ausnahme der NSV,638 gehört er nicht an“639 wurde Gerstenmaier wenige Wochen später als sogenannter Bekenntnisfrontler vom SD beurteilt.640 Neben dem SD wurde der Theologe noch durch eine weitere Behörde denunziert: die Ableitung Deutschland des AA. Diese entstand am 7. Mai 1940 unter der Leitung von SA-Brigadeführers Martin Luther aus einer Zusammenlegung der Referate Deutschland und Partei im AA und hatte im besonderen Interesse des Außenministers den Kontakt zur NSDAP und ihren Gliederungen zu pflegen.641 Die Abteilung Deutschland fachte den Argwohn gegen Gerstenmaier noch weiter an. Sie war der Ansicht, dass er „als Bekenntnisfrontler für Sonderaufträge im Ausland nicht mehr eingesetzt werden“ könne. Zudem habe die Informationsabteilung des AA aus den „Balkanfahrten des Dr. Gerstenmaier keinerlei positive Ergebnisse gehabt.“642 Die genaue Begutachtung der von Gerstenmaier vorgelegten Berichte zeigt, wie intensiv er als vermeintlicher Bekenntnisfrontler in seiner Tätigkeit sowohl vom SD als auch der Abteilung Deutschland ins Fadenkreuz genommen wurde. Der Druck auf das KA und auf Gerstenmaier selbst wurde dementsprechend größer. Seinen Erinnerungen nach war es primär SS-Brigadeführer Franz Walter Stahlecker zu verdanken, dass er seinen Dienst für das AA nicht schon im Frühjahr 1941 beenden musste, da sich dieser für ihn verwandte.643 In diesem Zeitraum wurde auch die UK-Stellung des Theologen im Einvernehmen mit dem RKM verlängert, wie Heckel am 31. Mai 1941 festhielt. Der Chef des KA betonte in diesem Zusammenhang die „außerordentliche poli637 Telegrafische Beantragung an den SD vom 1. 3. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 638 Über die Mitgliedschaft Gerstenmaiers in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) liegen außerhalb des Schnellbriefes vom 4. 4. 1941 keine Informationen vor. 639 Schnellbrief SD an AA vom 4. 4. 1941 (PAAA, R 98797). 640 Vgl. Brief SD an AA vom 18. 4. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-004/1). 641 Zur Arbeit der Abteilung Deutschland des AA vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Amt, 142–152; und Fahlbusch, Deutschtumspolitik, 578–580. 642 Stellungnahme der Abteilung Deutschland des AA vom 8. 5. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1). 643 Gerstenmaier schrieb: „Ich hatte ihm meine Thesen und Parolen über die Bedeutung der südosteuropäischen orthodoxen Nationalkirchen immerhin so glaubwürdig gemacht, daß er offensichtlich für meine weitere Verwendung plädierte.“ (Gerstenmaier, Streit, 138).

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tische Bedeutung“ Gerstenmaiers, auf die „nicht verzichtet werden“644 könne. So verbleib er vorerst weiter im Dienst für die Informationsabteilung des AA. Die Bemühungen des SD rissen jedoch nicht ab. Es wurden immer mehr Informationen über Gerstenmaier eingeholt und ausgewertet. Am 27. August 1941 schickte der SD dem AA ein Schreiben des NSDAP-Kreisleiters aus Backnang, der Gerstenmaier anscheinend aus dessen Vikariatszeit in Gaildorf kannte. Gerstenmaier sei demnach mit „aller Vorsicht zu genießen.“645 Dass der SD zudem in das persönliche Umfeld des Theologen eindrang, belegt auch die Beschattung des Ehepaares Gerstenmaier während seiner Hochzeitsreise nach Rom im Herbst 1941.646 Darüber hinaus wurde der SD auch nicht müde, Gerstenmaiers Arbeit zu diskreditieren. So wurde wiederum an das AA geschrieben, dass Gerstenmaier im Rahmen seiner dritten Balkanreise „in keiner Weise den gegenwärtigen politischen Interessen des Reiches gerecht“647 werde, das Stipendienverfahren schlecht konzipiert sei und zu weiteren Reisen die Zustimmung versagt werden müsse. In Bezug auf jenen SD-Bericht vom 24. November 1941 forderte nun auch die Abteilung Deutschland, die Zusammenarbeit zwischen Gerstenmaier und dem AA zu beenden. Dies geht aus einer Notiz von SS-Sturmbannführer Walter Büttner, dem „wichtigsten Mitarbeiter [Luthers] in der Abteilung Deutschland“648, an die Informationsabteilung des AA hervor, in der er schrieb: die „Abteilung D[eutschland] hat von Anbeginn der Tätigkeit Dr. G[erstenmaier]s sehr skeptisch gegenübergestanden und sich gegen seine Verwendung durch das AA ausgesprochen.“649 Dies bestätige nun der vorliegende SD-Bericht. Daher fordere die Abteilung Deutschland neben der Entziehung Gerstenmaiers AA-Dienstpasses auch die Aufhebung seiner vom AA ausgestellten UK-Stellung.650 Nach mehreren Monaten der Konsolidierung und einer Vielzahl von Gesprächen in der Informationsabteilung des AA über Gerstenmaier hieß es in einer zusammenfassenden Mitteilung jener Dienststelle vom 1. April 1942 in Bezug auf eine Unterredung mit Gerhard Krüger, der Gerstenmaier beschattete, dass „auf die Person Herrn G[erstenmaiers] unbedingt verzichtet werden muss.“ Darüber hinaus wurde auch Büttners

644 Schriftstück Heckels (nicht adressiert) vom 31. 5. 1941 (BArch DO 4/1). 645 Brief SD an AA vom 27. 8. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 646 Nach seinen Erinnerungen wurden die Eheleute Gerstenmaier in Rom von Gerhard Krüger beschattet, der später weiterleitete, dass „mein Treiben nicht geheuer“ und „Daß ich kein Nazi sei“ (Gerstenmaier, Streit, 138). 647 Bericht SD an AAvom 24. 11. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 648 Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Amt, 143. 649 Notiz Büttners vom 30. 12. 1941 (PAAA, R 98797; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 650 Vgl. ebd.

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Position wiedergegeben: „Er lehnte jedoch auch Herrn G[erstenmaier] hundertprozentig ab und bezeichnete ihn sogar als gefährlich.“651 Parallel zu den Untersuchungen ging Gerstenmaier seiner Arbeit – unwissend von der Diskussion um seine Person im AA – weiter nach. Am 2. April 1942 beantragte er beim AA eine erneute Reise zum „Zweck der Information“652 nach Südosteuropa, die von Heckel nachhaltig unterstützt wurde.653 Dass Gerstenmaiers Position im AA zu jener Zeit intern zur Disposition stand, belegt eine Notiz des Legationssekretärs in der Presseabteilung des AA, Walter Staudacher, der am 9. April 1942 zu Gerstenmaiers Reisewilligkeit festhielt: „gegen den Plan stehen die anderen Orts vorliegenden Bedenken gegen die Person G[erstenmaier]’s und im weiteren des Einsatzes kirchlicher Männer für solche politischen Aufgaben überhaupt.“654 Am 13. April 1942655 folgte nach langem Vorlauf schließlich ein Schreiben vom Leiter des RSHA und Chef des SD, Reinhard Heydrich, an Außenminister Joachim von Ribbentrop, in dem er ausführlich über die Arbeit des KA berichtete. Vor allem die „außerordentlich aktive und umfangreiche Tätigkeit im Ausland“ stand dabei im Vordergrund. Heckel und sein Mitarbeiterstab hätten demnach ein umfangreiches Netz von Verbindungen und Beziehungen aufgebaut, um „das Schwergewicht des Weltprotestantismus wieder auf das Ursprungsland, auf Deutschland, zurückzuverlegen.“ Das KA „verstand es dabei, die jeweilige kirchenpolitische Situation geschickt für sich auszunutzen und gleichzeitig nach außen hin seine Neutralität zu wahren.“ Gerstenmaiers Balkan-Aktivitäten wurden in diesem Zuge an der vorgebrachten These gespiegelt. Das Schreiben endete mit der Feststellung: „Die Folge dieser Politik wird u.a sein, daß auch der deutsche Protestantismus, dessen antivölkische und antinationalsozialistische Haltung gerade während des gegenwärtigen Krieges immer wieder bewiesen werden konnte, mit Hilfe des Auslandes neuen Auftrieb erhält und deshalb mit erheblich größeren Forderun651 Mitteilung des AA vom 1. 4. 1942 (PAAA, R 98797). 652 Brief Gerstenmaiers an AA vom 2. 4. 1942 (PAAA, R 98797). 653 Heckel schrieb am 17. 4. 1942 an die kulturpolitische Abteilung des AA (PAAA, R 98797): „Zur Verstärkung und zum planmäßigen Ausbau der deutschen Einflussnahme auf die orthodoxen Balkankirchen beabsichtige ich, die ehemaligen theologischen Stipendiaten in den einzelnen orthodoxen Nationalkirchen in geeigneter Form zusammenzufassen und mit den deutschen wissenschaftlichen Instituten in Sofia, Bukarest, Belgrad und Athen in engere Verbindung zu bringen.“ Die Ergebnisse der Stipendien seien nämlich „sehr gut“ und es sei unerlässlich mit Stipendiaten „in einer dem Reichsinteresse dienenden Weise“ in Verbindung zu bleiben, um gegen den Einfluss Moskaus im Südosten vorzugehen. Gerstenmaier solle sich der Aufgabe widmen, die Länder aufsuchen, und neue Stipendiaten auswählen. 654 Notiz Staudachers vom 9. 4. 1942 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; und PAAA, R 98797). 655 Fabian von Schlabrendorff datierte das Schreiben auf den 2. 4. 1942 und druckte es in seiner Gerstenmaier-Dokumentation ab (vgl. Schlabrendorff, Gerstenmaier, 28–30). Dem Schreiben aus dem ACDP ist jedoch der 13. 4. 1942 als Abfassungsdatum zu entnehmen (vgl. ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1).

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gen dem Nationalsozialismus gegenübertreten wird. Bischof Heckel bietet nach meiner Auffassung in persönlicher Hinsicht nicht die Gewähr, die politischen Interessen des Reiches im Ausland – und sei es nur auf dem kirchlichen Sektor – einwandfrei zu vertreten. Als deutscher evangelischer Bischof verfolgte er lediglich das Ziel, die Stellung der evangelischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus mit Hilfe seiner Auslandsbeziehungen zu festigen.“656

Der außenpolitische Einfluss des KA für die Interessen des Deutschen Reiches zu arbeiten, sollte demnach beschnitten werden. Heydrich legte für Ribbentrop anschaulich dar, dass das KA – vor allem in der Person von Heckel und Gerstenmaier – nicht im Sinne der nationalsozialistischen Bestrebungen agierte, sondern primär versuchte, seine eigene Position sowie die der DEK im Ausland zu festigen. Dies widersprach den kirchenpolitischen Ansätzen des Nationalsozialismus, der eher ein Interesse daran hatte, die Kirchen und deren Einflussbereiche an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Heckel und Gerstenmaier wurde durch Heydrich unmissverständlich die politische Glaubwürdigkeit abgesprochen. Ribbentrop reagierte gute sechs Wochen später am 1. Juni 1942 auf das Schreiben. Er wies seinen Staatssekretär Ernst von Weizsäcker schriftlich an, alle „beteiligten Abteilungsleiter vertraulich“ darüber in Kenntnis zu setzen, „daß das Auswärtige Amt künftig keinerlei Beziehungen mehr zu dem Leiter des Kirchlichen Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche, Bischof D. Theodor Heckel, oder seinem Vertreter, Dr. Eugen Gerstenmaier, zu unterhalten hat.“ Die Angelegenheit sollte nach Ribbentrops Weisung so behandelt werden, „daß die Beendigung dieser Beziehungen nach außen hin nicht auffällig in Erscheinung tritt.“657 Wie genau die Beziehungen des AA zum KA beendet wurden, ist nicht überliefert. Gerstenmaier schrieb in seinen Erinnerungen lediglich, dass er im Frühsommer 1942 das AAverlassen musste und all seine eingeleiteten Unternehmungen in Südosteuropa stecken blieben.658 Die Kaschierung der kirchlichen und kirchenpolitischen Interessen des KA unter dem Deckmantel der Staatsloyalität sowie der Erklärung, dass man im Sinne des Staates arbeiten wolle, führte letztlich zu einem Problem der politischen Glaubwürdigkeit Gerstenmaiers, das in den Denunziationsbestrebungen des SD und der Abteilung Deutschland erfolgreich kulminierte. Das Vorgehen ordnete sich in die mit Kriegsbeginn intensivierte nationalsozialistische Strategie der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens ein, 656 Schreiben Heydrichs an Ribbentrop vom 13. 4. 1942 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210004/1). 657 Zit. nach Schlabrendorff, Gerstenmaier, 30. 658 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 142 f. Dass Gerstenmaier relativ abrupt davon erfuhr, dass sowohl die Informationsabteilung als auch die kulturpolitische Abteilung des AA den Kontakt zum KA abbrach und somit auch keine Reisegenehmigungen mehr bewilligt werden konnten, lässt sich aus mehreren Schriftstücken herauslesen, die der Detailplanung von Gerstenmaiers nächster Reise nach Griechenland dienten (vgl. Telegramm Deutsche Gesandtschaft in Athen an AAvom 5. 5. 1942. In: PAAA, R 98797; und Brief Gerstenmaiers an AA vom 13. 5. 1942. In: ebd.).

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mit welcher führende Protagonisten des Nationalsozialismus zunehmend versuchten, den deutschen Kirchen und ihren Institutionen nicht nur feindlich zu begegnen, sondern sie auch vor ihren Mitgliedern in Bedrängnis zu bringen.659 Obwohl im Frühsommer 1942 Gerstenmaiers Verwendung für das AA endete, konnte er sich kirchlich weiter festigen und seine Karriere im KA ausbauen. Bereits seit April 1940 war er formal aus dem württembergischen Kirchendienst auf „unbestimmte Zeit in das Angestelltenverhältnis“660 zur Kirchenkanzlei der DEK in Berlin übergegangen. Mit Verweis auf Gerstenmaiers umfangreiche Aufgaben im KA, „die er in ausgezeichneter Weise löste“, hatte Heckel dann am 24. Januar 1941 die Übernahme seines Mitarbeiters in ein Beamtenverhältnis beantragt, da er „die Arbeit Dr. Gerstenmaiers in besonderem Masse zu schätzen gelernt“661 habe. Nach einem längeren bürokratischen Prozess662 wurde Gerstenmaier schließlich mit der Zustimmung des RKM am 10. August 1942 in ein Kirchenbeamtenverhältnis auf Lebenszeit mit der Amtsbezeichnung Konsistorialrat berufen.663 Dafür schied er aus dem württembergischen Kirchendienst offiziell aus664 und wurde von Oberkonsistorialrat Johannes Gisevius gemäß §3 der Kirchenbeamtenordnung der DEK am 20. August 1942 vereidigt. Die Vereidigung band sich freilich an den Führereid, den Gerstenmaier nicht verweigerte. Demnach musste er folgende Worte sprechen: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“665 Dem Schwur folgten die Unterschriften von Gerstenmaier und Gisevius auf der Vereidigungsurkunde. Zu bemerken ist, dass Gerstenmaier bereits am 9. Januar 1941 – kurz vor der Beantragung des Beamtenverhältnisses durch Heckel – ein sogenanntes Treuegelöbnis auf Hitler nach §2 der Allgemeinen Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst

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Zu den Entkonfessionalisierungsbestrebungen ab Kriegsbeginn vgl. Strohm, Kirchen, 81–92. Brief Kirchenkanzlei an den EOKR vom 31. 5. 1940 (EZA 2/P14). Brief Heckels an Kirchenkanzlei vom 24. 1. 1941 (EZA 5/3330; EZA 2/P46; und EZA 2/P48). Die Kirchenkanzlei teilte Heckel nach seinem Antrag für Gerstenmaier ohne eine Nennung von Gründen mit, dass ein Beamtenverhältnis derzeit für ihn nicht möglich sei (vgl. Brief Kirchenkanzlei am KAvom 7. 4. 1941. In: EZA 5/3330). Es kann vermutet werden, dass sich mit der Personalia Gerstenmaier schon damals eine gewisse Brisanz verband. Nach längeren Verhandlungen teilte schließlich das RKM allen entscheidenden kirchlichen Institutionen mit, dass keine Bedenken zu der Überführung Gerstenmaiers von einem Angestellten- in Beamtenverhältnis vorlägen (vgl. Brief RKM an KA, Kirchenkanzlei und Finanzabteilung der DEK vom 12. 5. 1942. In: ebd.). 663 Vgl. Brief Kirchenkanzlei an EOKR vom 10. 8. 1942 (LKAS, A 127 Best.-Nr. 774); sowie Brief Kirchenkanzlei an RKM vom 10. 8. 1942 (BArch R 5101/32). 664 Die Entlassung erfolgte rückwirkend zum 1. 8. 1942 (vgl. Brief EOKR an Gerstenmaier vom 18. 8. 1942. In: LKAS, A 127 Best.-Nr. 774). 665 Vereidigung Gerstenmaiers vom 20. 8. 1942 (EZA 2/P46).

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abgelegt hatte,666 das sich in seine Loyalität gegenüber dem Staat einordnen ließ und seinen beruflichen Aufstieg in der DEK umrahmte, den er als Theologe zu gehen gewillt war. Die Frage um den Führereid markierte damals längst einen „Tiefpunkt“667 für die Kirchen, da die Diskussion um die Eidesleistung vor allem die BK in einen „sehr ernsten Konflikt“668 stürzte. Auf der einen Seite sah man sich nach Römer 13 zur staatsbürgerlichen Treue zum Deutschen Reich und dessen Führung verpflichtet, auf der anderen Seite vertrat gerade diese Staatsführung Ideale und Prinzipien, die nicht mit den christlichen Maximen vereinbar waren.669 Gerstenmaier ging jenen Weg ohne nachweislichen Widerspruch. Die kirchliche Beförderung und die offensichtlich staatsloyale Haltung schützte ihn jedoch nicht vor den nationalsozialistischen Sicherheitsbehörden, die seine Ambivalenz zu durchschauen begannen. Umso erstaunlicher erscheint es, dass Gerstenmaier nach dem Abbruch der Beziehungen zum AA im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), der obersten Kommando- und Verwaltungsbehörde der deutschen Streitkräfte, eine neue Möglichkeit fand, seinen Auslandskontakten und -beziehungen weiterhin nachzugehen sowie diese in konspirativer Ausrichtung noch zu intensivieren. Der Chef der Amtsgruppe Ausland/Abwehr, Admiral Wilhelm Canaris, schien ihn gemeinsam mit Hans Schönfeld wohlwollend aufgenommen zu haben. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Gerstenmaier, dass er und Schönfeld der Abteilung I Wi (Wirtschaft) zugeteilt wurden. „Canaris hielt es für richtig, die theologischen Vögel, die ihm dergestalt zugeflogen kamen, durch seinen ungemein liebenswürdigen Stellvertreter, den General Hans Oster, einen Pfarrerssohn, vergattern zu lassen.“670 Zu fragen ist an dieser Stelle, welche Kompetenzen Gerstenmaier für die militärische Spionage in der Abteilung Wirtschaft befähigten. Da sich im von Canaris geleiteten Amt Ausland/Abwehr frühzeitig ein Zentrum des Widerstandes gegen Hitler bildete,671 ist zum einen zu vermuten, dass Menschen einer gewissen Gesinnung bewusst in ihre Dienste des Amtes gestellt wurden, um die Konspiration zu bereichern. Zum anderen schienen Gerstenmaiers kirchliche Stellung und seine zwischenkirchlichen Kontakte einen weiteren Beitrag für seine Verwendung zu leisten, mit denen Canaris auch gut für den Theologen strategisch argumentieren konnte. Im Amt Ausland/Abwehr lernte er Hans von Dohnanyi, einen Schwager Dietrich Bonhoeffers, sowie Karl Ludwig von Gutten666 Er musste sprechen: „Ich gelobe: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein und meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen.“ (Treuegelöbnisnachweis Gerstenmaiers vom 9. 1. 1941. In: EZA 2/P46). 667 Neddens, Iwand, 30. 668 Zipfel, Kirchenkampf, 121. 669 Zur Frage um den Führereid und zur Krise in der BK vgl. ebd., 119–124; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 43–61. 670 Gerstenmaier, Streit, 143. 671 Zu Canaris und seiner patriotischen Ambivalenz vgl. Mueller, Canaris; und Hçhne, Canaris.

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berg und Justus Delbrück kennen, die für seine spätere Tätigkeit im Widerstand wichtig wurden.672 Das OKW eröffnete Gerstenmaier die Möglichkeit, seine Reisetätigkeit unter einer informativ-militärischen Tarnung seiner ökumenischen Interessen und konspirativen Kontakte zum Ausland in Zeichen des Widerstandes fortzusetzen, obwohl er im AA als persona non grata galt. In diesem Rahmen plante er im Auftrag des OKW unter dem Vorzeichen der militärischen Spionage zahlreiche Auslandsreisen, wie beispielsweise zwischen dem 10. Mai und 10. August 1943 nach Ungarn, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Türkei, Schweiz, Spanien und Portugal.673 Der Theologe konnte seine Reisetätigkeit als Ressortchef der Ökumene für das KA noch bis zum Spätherbst 1943 mit Hilfe des OKW wahrnehmen. Dann brachen für ihn alle Möglichkeiten ab, da ihm sein Pass endgültig von der Gestapo entzogen und er genauer observiert wurde. Doch wie kam es dazu? Um die Frage adäquat zu beantworten, muss zunächst ein Schritt zurück in das Privatleben des Theologen gegangen werden. Gerstenmaier hatte Ende 1938 im Rahmen einer Vorlesungsreihe über die Grundlagen der evangelischen Dogmatik und Ethik in der Berliner Frauenschule der Inneren Mission die 27jährige Brigitte von Schmidt kennengelernt. Die „Auslandsdeutsche aus dem äußersten Nordosten“674 schien schnell von der Intelligenz des 32jährigen sowie seiner Betonung der geistigen Überlegenheit des christlichen Glaubens über den Säkularismus der Zeit und die geistigen Ahnen des Nationalsozialismus beeindruckt gewesen zu sein.675 Das gemeinsame widerständige Denken verband die beiden nachhaltig.676 Im Herbst 1941 wurden sie von Brigittes Vater Georg von Schmidt in Dresden getraut677 und bezogen die gemeinsame Wohnung in der Goethestraße 12.678 Die junge Familie Gerstenmaier plante 1943 die Emigration nach Schweden. 672 Vgl. Kapitel 5.2.2. 673 Vgl. Mitteilung KA an Wehrmeldeamt vom 19. 4. 1943 (EZA 5/3330). 674 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 36. Brigitte Gerstenmaiers Familie entstammte der estnischen Insel Oesel und musste nach dem Ersten Weltkrieg ihre Heimat verlassen. Die Familie baute sich im sächsischen Hohenstein ein neues Heim auf. Zur Herkunft und Familie vgl. ebd., 11–34. 675 Brigitte Gerstenmaier erinnerte sich später mit folgenden Worten daran: „In diesem theologischen Kurs, der im übrigen mit das beste an der ganzen schule war, tauchte vor Weihnachten 1938 ein junger Mann auf, dem ein Ruf als brillanter Lehrer schon vorausgeeilt war, und tatsächlich war er das. Er hatte Mut, der schlängelte sich nicht in vorsichtigen Windungen um die NS-Herrschaft herum: Es war sonnenklar, daß er auf der anderen Seite stand, und natürlich war ich glücklich, dankbar und freute mich auf jede Stunde in ,Dogmatik‘.“ (Ebd. 31 f). 676 Brigitte Gerstenmaier wurde von ihrem Vater stark geprägt. Er gehörte als Pfarrer der Bekenntnisfront in der Sächsischen Schweiz an und begründete dort einen Zweig des Pfarrernotbundes (vgl. ebd., 19–25). 677 In einem Brief vom 16. 2. 1941 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2), mit dem Gerstenmaier bei Brigittes Eltern um die Hand ihrer Tochter anhielt, betonte er, dass ihn „eine tiefe, wenn auch nicht ungefährdete Gemeinsamkeit des Herzens und des Denkens“ mit Brigitte verbinde. 678 Vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 37.

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„Wir freuten uns wie Schneekönige“679, erinnerte sich Brigitte Gerstenmaier später über die Planungen ins neutrale Ausland zu gehen. Gerstenmaier wollte in Stockholm die vakante Stelle des deutschen Pfarrers übernehmen und somit den Dienst für das KA quittieren. Damit wäre er zwar immer noch als Auslandspfarrer durch das KA betreut gewesen, hätte jedoch aus den mehr und mehr festgefahrenen Strukturen ausbrechen können. Zu vermuten ist, dass die Planungen mit den für ihn immer eingeschränkter zur Verfügung stehenden beruflichen Perspektiven in Zusammenhang standen, aber auch mit den sich häufenden Bombardierungen von Berlin sowie der Geburt der ersten Tochter des Ehepaares, Cornelia Irena, am 18. April 1943. Es war geplant, dass Familie Gerstenmaier am 19. November 1943 in Stockholm eintrifft.680 Die Ausreise wurde jedoch von der Gestapo unterbunden, da Gerstenmaier sich geweigert hatte, als Informant für den SD vor Ort zu agieren. Er schien zu keinerlei Art von Kooperation mehr bereit zu sein. Brigitte Gerstenmaier schrieb dazu: „[…] wir waren uns beide darin einig, daß wir nicht einmal fiktiv, zum Schein, ,denen‘ den kleinen Finger reichen wollten.“681 Im Spätherbst 1943 schien bei Gerstenmaier ein Umdenken stattgefunden zu haben, das ihn und seine Frau – neben der so und so schon vorhandenen inneren konspirativen Bestrebungen entwuchs, denen sie teilweise auch gemeinsam nachgingen. Infolge des Ausreiseverbotes ging Gerstenmaier seiner eingeschränkten Beschäftigung im KA weiter nach und intensivierte sein Engagement gegen den Nationalsozialismus und vor allem gegen Hitler.

679 Ebd., 55. 680 Vgl. Brief Sekretariat Gerstenmaiers an Amanuens Lindgren vom 4. 6. 1969 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-038/1). 681 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 56.

5 Zwischen Beruf und Berufung – Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus 5.1 Vom kirchlich motivierten zum politischen Widerstand Wenn im Zusammenhang mit Gerstenmaier von Widerstand gegen den Nationalsozialismus gesprochen wird, dann kann weder von einer stetigen oder apodiktisch-intrinsischen Verhaltensweise noch von einem klar abgrenzbaren oder definierbaren Handlungsmuster seiner Person zwischen 1933 und 1945 ausgegangen werden. Allein ein Blick auf die begriffliche Relationsbestimmung des Widerstandes angesichts seiner Vielfalt von Verhaltensformen und Gestaltungsmöglichkeiten zeigt, vor welcher Herausforderung die zeitgenössische Forschung bis heute bei der Einordnung von persönlichem Engagement gegen die nationalsozialistische Herrschaft gestellt ist.1 Im Rahmen dieser Diskussion warnte der Sozialhistoriker Ian Kershaw zu Recht 1984 auf einer Tagung2 vor einer Begriffsausweitung auf tendenziell „fast jedes Verhalten außer ausgesprochener Begeisterung für das Regime“3 und forderte stattdessen eine klare Unterscheidung der verschiedenen Erscheinungs- sowie Verhaltensformen des Widerstandes. Heute liegen zahlreiche Modelle vor, in denen der Versuch unternommen wurde, das breite Spektrum des Widerstandes – auch aus der Tradition des Christentums heraus – begrifflich zu differenzieren und zu klassifizieren. Eine der ersten Präzisierungen legte Eberhard Bethge vor, der in einem Aufsatz über Adam von Trott zu Solz fünf Stufen des Widerstandes skizzierte: den „einfachen passiven Widerstand“, den „offene[n] ideologische[n]“ Widerstand, die „Mitwisserschaft an Umsturzvorbereitungen“, die „aktive Vorbereitung für das Danach“ und die „aktive Konspiration“4. In diesen Handlungsweisen ließen sich alle wesentlichen Verhaltensformen – angefangen von der allgemeinen Verweigerung des Hitlergrußes bis hin zum minutiös geplanten und umgesetzten Staatsstreich – fassen. Anders gingen Klaus Gotto, Hans Günter Hockerts und Konrad Repgen im Rahmen ihrer katholischen 1 Zum weitläufigen Widerstandsbegriff in seinem Spannungsverhältnis von Relation und Handlung vgl. vor allem Daase, Widerstand, 3–9; H ttenberger, Vorüberlegungen, 117–134; und Miethke/Strohm/Reuter, Widerstand, 739–774. 2 Gemeint ist die Internationale Wissenschaftliche Konferenz zum 40. Jahrestag des 20. Juli 1944, die vom 2. bis 6. 7. 1984 in Berlin stattfand. Die Beiträge wurden ein Jahr später von Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach in einem umfassenden Band veröffentlicht (vgl. Schm deke/ Steinbach, Widerstand). 3 Kershaw, Widerstand, 783. 4 Bethge, Trott, 221 f.

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Kirchenkampfforschung vor. Sie entwickelten ausgehend vom jeweiligen Risiko der Beteiligten vier Stufen des Widerstandes. Angefangen mit einer „punktuellen Nonkonformität“ über die zumeist gesellschaftliche „Verweigerung“ und dem „öffentlichen Protest“ bis hin zur generellen Loyalitätsaufkündigung in Form von „Widerstand im engeren Sinne“5 reichten die Bestimmungen der Forscher. Eine ähnliche Stufengewichtung legten auch Detlev Peukert6 und Richard Löwenthal7 in ihren Modellen der Differenzierung und Klassifizierung von Widerstand vor.8 Die Modelle zeigen in ihrer Übertragung, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in einem breiten Verhaltensspektrum zu fassen ist. Dementsprechend kann auch Gerstenmaiers intrinsisches Handeln aus persönlicher Notwendigkeit und unmittelbaren Zwangslagen zwischen 1933 und 1945 nicht in einer starren Kategorie oder Stufe bestimmt, sondern muss als sukzessiver Prozess über alle dargelegten Stufen beschrieben werden. Und genau darin liegt die Besonderheit. Das widerständige Bestreben des Theologen wurzelte bereits in seinen Jugendjahren,9 entfaltete sich während seiner Studienzeit10 und kulminierte schließlich in seinen Tätigkeiten für das KA in der parallelen Konspiration. Gerstenmaiers proaktives Handeln gegen den Nationalsozialismus ist nur in dieser Klimax auf allen genannten Stufen des Widerstandes greifbar. Das Besondere dabei ist, dass sich sowohl sein Engagement als auch seine Schwerpunktsetzung weiterentwickelten: Angefangen beim Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber den deutschchristlichen Einflüssen11 steigerte sich seine oppositionelle Haltung gegen den Nationalsozialismus bis hin zum Politischen. Die bei Gerstenmaier spätestens ab 1938 omnipräsente Einsicht, vom kirchlichen zum politischen Widerstand übergehen zu müssen, um damit gegen das nationalsozialistische Regime agieren zu können, wird in diesem Kapitel unter der besonderen Voraussetzung seiner Intransigenz besprochen.

5 6 7 8

Gotto/Hockerts/Repgen, Herausforderungen, 103 f. Vgl. dazu auch Hehl, Herrschaft, 95. Vgl. Peukert, Volksgenossen, 96–98. Vgl. Lçwenthal, Widerstand 14–23. Darüber hinaus können freilich noch mehr Modelle angeführt werden, die sich zwar in ihren Definitionen des Widerstandes oder eben der Resistenz unterscheiden, in ihren funktionalen Zusammenhängen jedoch als ähnlich zu bestimmen sind. Zu den weiteren Modellen und auch zur Widerstandsforschung während des Nationalsozialismus im Allgemeinen vgl. vor allem Tenfelde, Grundlagen, 799–812; Altmeyer, Widerstand, 24–42; Hehl, Herrschaft, 49–115; Steinbach, Widerstandsforschung, 597–622; und Mallmann/Paul, Resistenz, 99–116. 9 Vgl. Kapitel 1.3. 10 Vgl. Kapitel 2.1, 2.2 und vor allem 2.3. 11 Gerstenmaiers kirchlich motivierter Widerstand wurde vor allem in Kapitel 2.3 thematisiert.

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5.1.1 Der innere Zwiespalt und die konsequente Entscheidung Gerstenmaiers eher traditionelles Verhältnis zur Kirche entwickelte sich bereits im Rahmen seines Studiums unter dem gravierenden Eindruck der innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit den DC in den Jahren 1933 und 1934 zu einer kontinuierlichen Verteidigung der kirchlichen Freiheit und somit zu einem bewussteren Verhältnis weiter. So sehr er zwischen Kirche und Staat zu trennen vermochte und die kirchliche Unabhängigkeit vor staatlichen Einflüssen verteidigte, lebte er ab dem 30. Januar 1933 nach seiner eigenen Einordnung in „einem inneren Zwiespalt“, den er „einmal stärker, einmal schwächer“12 erlebte, der ihn jedoch nie ganz verließ. Jener innere Zwiespalt resultierte letztlich in einer inneren Distanzierung zum nationalsozialistischen Regime, die nicht bedeutete, dass Gerstenmaier sich äußerlich sowohl dem Staat als auch den teilweise neuen kirchlichen Strukturen unter partiell nationalsozialistisch angepassten Maßstäben verschloss. Im Gegenteil: Der innere Zwiespalt trieb seine akademischen Vorhaben und zugleich auch seine zwischenkirchliche Arbeit für Heckel im KA voran,13 sodass im weitesten Sinne gar von einer Befruchtung der inneren Abwehrhaltung für seine äußere Karriere gesprochen werden kann, die freilich ihre Grenze hatte, so etwa während des Dozentenlagers auf Schloss Tännich.14 Dass Gerstenmaier in Heckel – entgegen manch anderer Einschätzung15 – als Brunstäds Schüler einen Vorgesetzten und zugleich einen Mentor für das kirchendiplomatische Einsatzfeld fand, in dem sich ein ähnlicher, wesensbestimmender Zwiespalt entfaltet hatte und der damit äußerst professionell im Sinne der kirchlichen Freiheit zwischen Staat und Kirche umzugehen vermochte, belegen zahlreiche Briefe, die Gerstenmaier weit vor dem Beginn seines Dienstverhältnisses in Berlin verfasst hatte. So schrieb er beispielsweise am 2. Oktober 1934 seinem Kommilitonen Foertsch, dass Heckel ein „hervorragend kluger Kerl [sei], aber [ein] sehr gewagtes Spiel“16 im KA eingehe. Ein knappes halbes Jahr später stellte Gerstenmaier in einem Brief an seinen Rostocker Präzeptor Schreiner über den Chef des KA fest: „Der Mann gehört doch zu uns.“17 Gerstenmaier konnte im Rahmen seiner Tätigkeit für das KA und Heckel lernen, mit seinem inneren Zwiespalt umzugehen, das heißt dem 12 13 14 15 16 17

Gerstenmaier, Streit, 108. Vgl. vor allem Kapitel 4.3 und 4.4. Vgl. Kapitel 3.4. Vgl. Kapitel 4.1.2. Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Brief Gerstenmaiers an Schreiner vom 21. 3. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). Dass Gerstenmaier und Heckel am Anfang ihrer Zusammenarbeit ein besonderes Verhältnis verband, belegten zudem auch ein Brief Gerstenmaiers an Bachmann vom 6. 3. 1935 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1) sowie ein Brief Gerstenmaiers an seine Eltern vom 28. 5. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2).

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Staat in gewissem Maße loyal mit Kompromissen zu begegnen und Synergien, die sich in seinem Beruf ergaben, wiederum zur Befriedung seines Zwiespaltes zu nutzen. Er hatte – vor allem durch seine zahlreichen Reisen ins Ausland und zusätzlichen Aufträge für das AA – die Möglichkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Deutschen Reiches ein primär kirchliches Netzwerk von Gleichgesinnten aufzubauen, die ähnlich wie er über den Nationalsozialismus dachten und zum Teil auch schon handelten. Seine Kompromissbereitschaft in ihrer inneren Form fand jedoch im Herbst 1938 mit einer „Einsicht in eine unausweichliche Notwendigkeit“18 ein abruptes Ende. Gerstenmaier erinnerte sich später ganz genau an jenen 29. September 1938, an dem er eine Entscheidung traf, die sein weiteres Leben nachhaltig bestimmen sollte. Gerstenmaier verweilte am Abend in heiterer Gesellschaft mit Freunden in einem Restaurant am Berliner Bahnhof Zoo und hörte über Rundfunk von den Verhandlungen Hitlers mit dem italienischen Regierungschef Benito Mussolini, dem britischen Premierminister Neville Chamberlain sowie dem französischen Ministerpräsidenten douard Daladier in München. Alle Heiterkeit wandelte sich schnell in Perplexität um. Bedrückt ging Gerstenmaier in seine Wohnung in der Goethestraße 12 und hörte bis in die frühen Morgenstunden neben der deutschen Berichterstattung französische, englische, schweizerische und niederländische Kommentierungen über sein Radio.19 Das in der Nacht zwischen den Regierungschefs entstandene sogenannte Münchner Abkommen regelte die Abtretung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich binnen weniger Tage und beendete die von deutscher Seite gezielt zur Eskalation gebrachte Sudentenkrise.20 Obwohl das Abkommen als Höhepunkt der französischen und britischen Appeasement-Politik21 gewertet werden kann, förderte es gerade die weitere Expansion der nationalsozialistischen Hegemonie sowie die Heroisierung Hitlers als siegreichen Führer. Dessen war sich auch Gerstenmaier bewusst. Diese Gewissheit wurde ihm zu einer Entscheidung: „Der Mann riskiert den Krieg. Er will ihn. Der Mann muss weg.“22 Er sah keinen anderen Ausweg mehr: Hitler müsse umgebracht werden. Keiner seiner Schergen, die Gerstenmaier auch als Hitlers Paladine bezeichnete, würde ihn ersetzen können.23 In jener Nacht personifizierte Gerstenmaier den Nationalsozialismus und wandte sich intrinsisch mit aller Radikalität gegen Hitler. Bis zu diesem Zeitpunkt hielt er es noch für möglich,

18 Gerstenmaier, Streit, 108. 19 Vgl. ebd., 108 f. 20 Zum Münchner Abkommen, seinen Voraussetzungen und Folgen vgl. Zarusky/Z ckert, Abkommen; und Glotz/Pollok/Schwarzenberg/Ziegler, München. 21 Zur Appeasement-Politik von vor allem dem Vereinigten Königreich vgl. Schrçder, Appeasement, 82–97; und Schmidt, England. 22 Gerstenmaier, Streit, 109. 23 Vgl. ebd; und Gross, Gespräch, 18 f.

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„dem Regime mit angemessener kritischer Distanz gegenüberzustehen, aber dennoch ein loyaler Deutscher und ein Christ zu sein, der sich nicht mit der Frage auseinandersetzen bräuchte, ob er selbst mit seiner eigenen Person eine Tat befürworten, mitermöglichen und mitdurchführen müsse, gegen die sich sein eigenes Innere, sein Gefühl und sein Gewordensein sträubten.“24

Da Gerstenmaier nicht bestrebt war, lediglich auf eine gewaltsame Intervention von innen oder außen zu hoffen und für eine Wandlung in der deutschen Expansionspolitik zu beten,25 verlangte die letztlich im „Mord Hitlers kulminierende [und] sprunghaft vollzogene kognitive Neuausrichtung“26 seiner Gedankenwelt im letzten Schritt auch nach der Konsequenz: „Man – nein ich – mußte selbst mit antreten.“27 Festzuhalten ist, dass Gerstenmaier damit aus seiner eher als passiv zu klassifizierenden Oppositionshaltung, die ihm während seiner Studienzeit im Sinne der kirchlichen Freiheit kurzweilig zu einer aktiv-offensiven Rolle geworden war, heraus trat und sich zum bewussten Widerstand der nächsten Stufen bereit erklärte. Nach jener Nacht im September 1938 ist zudem von einem Übergang vom ausschließlich kirchlich motivierten hin zum politischen Widerstand zu sprechen, da er nun die Notwenigkeit seines eigenen Handelns in einem breiteren Horizont erkannt hatte, das den ausschließlichen Raum der Kirche verlassen musste, um wirkungsvoll zu sein. Nur durch eine Veränderung an der Spitze des Staates und dementsprechend auch am System konnte letztlich die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche garantiert werden. Gerstenmaier wollte sich ab diesem Zeitpunkt über die zwingenden Notwendigkeiten seiner beruflich Kooperation hinaus nicht mehr zurückhalten und nach Loyalität mit dem Nationalsozialismus ringen, sondern sich aktiv und vor allem offensiv für ein anderes Deutschland engagieren. Der Erkenntnis und der entsprechenden Konsequenz folgte nun die zielstrebige Suche nach ähnlich entschlossenen Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld. Damit kann der Beginn der nächsten Stufe seines sukzessiven Widerstandsprozesses beschrieben werden. 5.1.2 Zivile Ansätze des Widerstandes Die mit dem Münchner Abkommen in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 von Gerstenmaier gefasste Entscheidung, dem Nationalsozialis24 Gerstenmaier, Streit, 109. 25 Bisher hatte es gegen Hitler bereits mehrere erfolglose Anschlagsversuche gegeben. Stellvertretend seien Ludwig Aßner und sein vergifteter Brief (vgl. Sigmund, Diktator, 198) sowie die oppositionelle Gruppe um Helmuth Mylius mit ihrem kurz vor der Ausführung durch Verhaftungen vereitelten Anschlag (vgl. Wegener, Weishaar, 50) genannt. 26 Brauer, Bibel, 365. 27 Gerstenmaier, Streit, 110.

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mus nun auch politisch in der Konspiration entgegen treten zu wollen und Hitler zu beseitigen, verfestigte sich am 15. März 1939 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der sogenannten „Rest-Tschechei“ durch die deutsche Wehrmacht nachhaltig. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei sowie die folgende Einrichtung des Protektorates Böhmen und Mähren wurden nicht nur als offener Bruch des Münchner Abkommens gesehen, sondern führten auch zu einer Zuspitzung der internationalen Situation. Eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den europäischen Mächten wurde immer wahrscheinlicher.28 Gerstenmaier sah Hitler durch die Annexion als einen „brutale[n] Schwindler“ entlarvt und interpretierte die deutsche Invasion als „blanke[n] Terror und [als] eine Provokation, die einen Aufschrei der ganzen rechtschaffenden Welt hervorrufen“29 müsse. Der Wille zum Handeln gegen den totalitären Nationalsozialismus spitzte sich bei Gerstenmaier mit diesem Ereignis zu. So kam er wenige Wochen nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei „auf die erste Fährte, die mich in den deutschen Widerstand führte.“30 Im Interview mit Gaus erinnerte sich Gerstenmaier, dass er durch einen württembergischen Landsmann, der damals schon Major im OKW war,31 mit Josef Wirmer, Jakob Kaiser und Paul Pagel bekannt gemacht wurde. Der dabei gefallene Satz „Ich war Junggeselle und warf mich in diese Verbindung“32 unterstreicht sowohl die persönliche Hingabe als auch die damit verbundene Erwartung des Theologen, etwas bewegen zu wollen und gemeinsam mit den ähnlich denkenden Männern nun auch zu können. In seiner Memoiren präzisierte Gerstenmaier seine anfänglichen Verbindungen zum zivilen Widerstand. Demnach lernte er in Berlin zunächst Pagel ohne externe Vermittlung kennen. Der bereits 1934 aufgrund seines Bekenntnisses zur Weimarer Republik zwangspensionierte Regierungsrat aus Mecklenburg brachte Gerstenmaier wiederum in Verbindung mit dessen Freund, dem aus der Tradition des politischen Katholizismus kommenden Juristen Wirmer. Gerstenmaier nannte in diesem Zusammenhang zudem Fritz Straßmann, der das vorläufige Quartett der widerständig denkenden Männer komplettierte.33 Die von Horst Sassin in den 1980er Jahren betriebene For28 Zur Zerschlagung der Tschechoslowakei sowie den gefolgten Reaktionen von vor allem dem Vereinigten Königreich und Frankreich vgl. Broszat, Reaktion, 253–280. 29 Gerstenmaier, Streit, 114. 30 Ebd., 115. 31 Trotz vielfältiger Recherchen konnte nicht herausgefunden werden, um wen es sich bei jener von Gerstenmaier beschriebenen Verbindungsperson handelte. Da Gerstenmaier in seinen späteren Erinnerungen die Verbindungen zu den ersten Widerstandskreisen präzisierte, kann vermutet werden, dass er die Sachverhalte im Rahmen des Interviews verwechselte. Die Vermutung stützt sich darauf, da er (1) 1939 selbst noch keine Verbindungen zum OKW unterhielt und noch viel wichtiger (2) keine nennenswerten Kontakte von Wirmer, Kaiser oder Pagel zum OKW festzustellen sind. 32 Gaus, Staatsmann, 126. 33 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 115.

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schung und entsprechende Korrespondenz mit Gerstenmaier legte offen, dass es sich bei der von Gerstenmaier genannten vierten Person im konspirativen Kreis nicht um den bekannten Chemiker Fritz Straßmann, der zusammen mit Otto Hahn die Kernspaltung entdeckte, handelte, sondern um den Berliner Landgerichtsrat Ernst Strassmann.34 In jenem Sommer und Herbst 1939 trafen sich Pagel, Wirmer, Strassmann und Gerstenmaier – nachdem sie ausgekundschaftet hatten, „wes Geistes Kind wir waren“35 – „sooft wir konnten“ nicht nur „zum Trost in unserer Einsamkeit“, sondern auch weil es nach Gerstenmaiers Feststellung leichter zu ertragen war, „wenn man wußte, daß man mit seiner Distanz und Ablehnung nicht allein stand zu dem, was bei Tag und Nacht auf allen Straßen, in allen Zeitungen, in jedem deutschen Rundfunksender gepriesen und verkündigt wurde.“36 In dem kleinen Kreis um Pagel wurde in dessen Wohnung in BerlinCharlottenburg dementsprechend „fleißig geschimpft und räsoniert“37. Bei den Gesprächen standen vor allem Themenfelder wie die Gewissenskultur, die Bejahung der Werttradition auf christlicher Grundlage und die Angst eines bevorstehenden Krieges im Vordergrund. Gerstenmaier war dabei mit seinen 33 Jahren der Jüngste; gefolgt von Wirmer mit 38, Strassmann mit 41 und Pagel mit 45 Jahren. Obwohl sich die vier Zivilisten selbst nicht als Widerstandskreis bezeichneten, so können ihre diskursiven Überlegungen sowie ihre Konspiration doch als Widerstand im weitesten Sinne gewertet werden. Der „Pagel-Kreis“38 gab sich in diesem Zusammenhang gegenseitige Stütze: „Wir hielten uns aneinander fest, und so trieben wir mit dem großen Strom dem Krieg entgegen.“39 Die Gruppe war sich im Rahmen ihres nonkonformen Gedankenaustausches einig, dass ein Putsch gegen die nationalsozialistische Führungsschicht nur durch das Militär durchführbar sei. Derzeit sahen sie dafür jedoch wenig Chancen. Zu schnell und zu erfolgreich verlief der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Polen.40 Sie vereinbarten deshalb – entgegen etwaiger Resignation – sich an einer systematischen „Knüpfung eines Netzes von Nichtmilitärs zu beteiligen.“41 Dadurch erhofften sie, Gleichgesinnte zu finden, „die nicht nur bereit waren, auf unserer Linie zu denken, sondern auch zu handeln, wenn es sich als möglich erwies.“42 Diese Bestrebung der vier religiös sozialisierten43 und „vom Denkansatz her ho34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Vgl. Sassin, Liberale, 472. Gross, Gespräch, 19. Gerstenmaier, Streit, 115. Gaus, Staatsmann, 126 f. Sassin, Liberale, 185. Gerstenmaier, Streit, 116. Zum Polenfeldzug vgl. Piekałkiewicz, Polenfeldzug; und Bçhler, Überfall, 91–214. Gerstenmaier, Streit, 116. Ebd. Pagel war Protestant. Für ihn waren die ethischen Grundsätze des Christentums von hoher Bedeutung (vgl. Oelze, Wiederentdeckt, 310). Wirmer war Katholik. Er war vor 1933 Syndikus der katholischen Studentenverbände und zudem Zentrumspolitiker (vgl. Moll, Zeugen,

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mogene[n]“44 Männer zeigt, dass sie bereit waren, strategischer und eben auch politisch denkender vorzugehen. Die anvisierte Netzwerkbildung des Kreises führte Gerstenmaier mit zahlreichen Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik zusammen. So lernte er in Wirmers Haus die beiden Gewerkschaftsführer Jakob Kaiser45 und Max Habermann46 kennen. Seinen Erinnerungen nach stand bei den Treffen die Reorganisation einer rechtsstaatlich geordneten Gesellschaft und Wirtschaft im Rahmen der diskutierten Umsturzbestrebungen im Vordergrund. Da es jedoch immer noch keine nennenswerten Verbindungen zum Militär gab, blieben die Überlegungen auf den zivilen Kontext beschränkt und es hieß sich weiterhin in Geduld zu üben.47 Durch Kaiser, der bereits 1938 mehrere Monate wegen des Verdachts hochverräterischer Betätigung in Haft der Gestapo verbracht hatte, war wiederum sowohl die Verbindung zu Wilhelm Leuschner,48 einem weiteren wichtigen Gewerkschaftsführer, als auch zum Kölner Kreis,49 dem Kaiser als führendes Mitglied angehörte, gegeben. Die Männer waren vor allem bemüht, politisch engagierte Menschen anzusprechen. Spannend ist zudem ein weiterer Sachverhalt des Pagel-Kreises im Hinblick auf seine konspirativen Verbindungen. Pagel gehörte bereits seit Mitte der 1930er Jahre zur Führungsriege einer liberalen Widerstandsgruppe um den Kaufmann Hans Robinsohn, den Journalisten Oskar Stark und den bereits genannten Strassmann.50 Der zwangspensionierte Pagel war mit Strassmann also über seinen eigenen Kreis hinaus in einer schon viel länger bestehenden weiteren Gruppe aktiv, die sich mit der programmatischen Gestaltung der deutschen Politik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft beschäftigte. Die später sogenannte Robinsohn-Strassmann-Gruppe definierte sich nach Sassin als „demokratische Auffangorganisation“, die den „politischen Leerraum zwischen NSDAP und KPD auszufüllen“51 versuchte. Sie umfasste ungefähr 60 Mitglieder und bemühte sich um die Bildung von Multiplikatoren zur Verbreitung ihres liberal-demokratischen Gedankengu-

44 45 46 47 48 49 50 51

186–189). Strassmann wurde evangelisch erzogen. Wegen seines jüdischen Adoptivvaters kam es während des Nationalsozialismus immer wieder zu Rechtfertigungen. Er war bis 1930 in der Deutschen Demokratischen Partei organisiert und schließlich auch Vorstandsmitglied des Reichsbundes der demokratischen Jugendverbände (vgl. Sassin, Liberale, 21–25). Die drei Genannten waren zudem auch im Gegensatz zu Gerstenmaier bereits politisch engagiert. Brauer, Bibel, 365. Zu Kaisers Wirken während des Nationalsozialismus vgl. Nebgen, Kaiser. Zu Habermanns Wirken während des Nationalsozialismus vgl. R tters, Habermann, 37–70. Vgl. Gerstenmaier, Streit, 134. Zu Leuschners Wirken während des Nationalsozialismus vgl. Ulrich/Zibell, Leuschner, 293–334. Zu den Planungen und den Kontakten des Kölner Kreises vgl. B cker, Kreis, 49–82. Vgl. Oelze, Pagel. Sassin, Liberale, 69 f.

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tes.52 Dazu sammelte sie Informationen und korrespondierte mit zahlreichen Akteuren im Ausland unter der Zielstellung, die entscheidenden außerdeutschen Protagonisten wissen zu lassen, dass es außerhalb der Nationalsozialisten noch Andersdenkende in der deutschen Zivilbevölkerung gab.53 Gerstenmaier gehörte der Gruppe nachweislich nicht an. Da sich die Arbeitshypothese der Robinsohn-Strassmann-Gruppe primär auf die „Notwenigkeit einer geistigen Überwindung“54 des Nationalsozialismus und weniger auf einen gewaltsamen Umsturz des Systems bezog, ist zu vermuten, dass Gerstenmaier der Gruppe mit seiner Ansicht zur Legitimität des Tyrannenmordes55 zu radikal erschien. Eine weitere Möglichkeit kann zudem sein, dass Strassmann Gerstenmaier nicht das nötige Vertrauen für die Aufnahme in den weiteren Kreis entgegenbrachte. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass Gerstenmaier eine Mitarbeit angeboten wurde. Ob der Theologe von der Existenz der Gruppe, die damals keinen eigenen Namen besaß und von der Forschung erst relativ spät als Widerstandskreis erkannt worden ist,56 trotzdem wusste und über deren Arbeit informiert war, kann heute nicht mehr beantwortet werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Pagel-Kreis über viele Jahre hin im losen Kontakt zueinander blieb. Die Männer trafen sich nach Kriegsbeginn in unregelmäßigen Abständen. Wenn dies der Fall war, dann besprachen sie heikle politische Fragen und tauschten sich über neue Verbindungen zu Gleichgesinnten aus. So wurde Gerstenmaier beispielsweise von der Gruppe überzeugt, eine Friedensmission für das AA nach Skandinavien anzutreten.57 Dort legte er Bischof Berggrav eine von der Gruppe entwickelte Theorie offen, dass ein „Staatsstreich der Armee im Krieg noch viel schwerer [sei] als im Frieden“58. Die kirchlich ausgeloteten Verbindungen trug er dann wiederum in die Gruppe.59 Es ist festzustellen, dass sich der Pagel-Kreis über die Zeit – trotz Gerstenmaiers Fernbleiben in der Robinsohn-Strassmann-Gruppe – durch eine freundschaftlich-vertrauensvolle Verbindung auszeichnete. So sprach Gerstenmaier in einem späteren Artikel von Pagel und Wirmer als „meinen damaligen nächsten Freunden im deutschen Widerstand“60. Einen ähnlich hohen Stellenwert maß auch Pagel den Mitgliedern der Gruppe während der nationalsozialistischen Herrschaft später bei.61 52 Vgl. Oelze, Wiederentdeckt, 310. 53 Zur Arbeit der Robinsohn-Strassmann-Gruppe vgl. Sassin, Liberale, 17–246; und Benz, Widerstandsgruppe, 437–471. 54 Sassin, Liberale, 70. 55 Zu Gerstenmaier Auffassung zum Tyrannenmord vgl. Kapitel 5.2.3. 56 Wengst, Dehler, 68. 57 Vgl. Kapitel 4.3.3. 58 Gerstenmaier, Streit, 124. 59 Vgl. Sassin, Liberale, 206. 60 Gerstenmaier, Kreis, 243. 61 Vgl. Oelze, Pagel.

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5.1.3 Eine Denkschrift für die britische Regierung Gerstenmaier folgte der Intention des Pagel-Kreises und versuchte das besagte Netzwerk von Gleichgesinnten auszubauen. Da er bereits ab Herbst 1939 sowohl bei der kulturpolitischen Abteilung als auch ab Winter 1939/1940 bei der Informationsabteilung des AA berufliche Verwendung gefunden hatte,62 lernte er in diesem Rahmen die beiden befreundeten Juristen Adam von Trott zu Solz und Hans Bernd von Haeften kennen.63 Trott leitete in der Informationsabteilung seit Juli 1940 das Referat für Propaganda und Gegenpropaganda in Großbritannien, den USA und im Fernen Osten. Bereits vor seinem Dienstantritt hatte er versucht – sowohl in Großbritannien als auch in den USA – ein anderes Bild des Deutsches Reiches mit Hilfe seiner Oxforder Studienfreunde bei wichtigen Entscheidungsträgern zu vermitteln.64 Geschickt konnte er seine berufliche Position nun nutzen, um sich in den deutschen Widerstand mit zuverlässigen Informations- und Kontaktmöglichkeiten einzubringen.65 Im Frühjahr 1941 gelangten Trott und Haeften in den Kreisauer Kreis (KK) um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Trott übernahm dort schnell die Hauptverantwortung für die inhaltliche Positionierung des Kreises in außen- und zwischenstaatlichen Fragen sowie die Kontaktversuche zum englischsprachigem Ausland.66 Gerstenmaier, Trott und Haeften schienen schnell Vertrauen zu einander gefunden zu haben. Dies belegt eine geheime Intervention im Jahr 1942, in die Gerstenmaier – noch bevor er selbst Mitglied des KK wurde – einbezogen wurde. Als der Russlandfeldzug im Frühjahr 1942 auf seinem Höhepunkt angekommen schien,67 dachten die drei Männer nach Gerstenmaiers Lebensbericht, dass es höchste Zeit sei, sich an die britische Regierung zu wenden. Sie wollten neben einer Analyse der aktuellen Situation die zu erwartenden Entwicklungen skizzieren und ihre eigenen politischen – vor allem aber europäischen – Vorstellungen entfalten.68 Nach Jan Schubert erhofften sich die drei Männer damit von der britischen Regierung eine Zusicherung hinsichtlich der territorialen Nachkriegsordnung zu erhalten, mit der sie vor ausgewählten deutschen Generälen für den Widerstand gegen das national62 Vgl. Kapitel 4.3.3. 63 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 128. 64 Zu Trotts Bemühungen und den stattgefundenen Gesprächen in Großbritannien und den USA 1939/1940 vgl. Krusenstjern, Sinn, 364–427. 65 Zu Trotts Wirken im deutschen Widerstand vgl. ebd., 440–524. 66 Vgl. Klemperer, Verschwörer, 39–43. Im Juni 1941 übermittelte Visser ’t Hooft über Genf bereits einen programmatischen Brief Trotts an dessen Freunde in den USA. Zu dem Vorgang, den Inhalten und dem Resultat vgl. ebd., 233 f; und Schubert, Visser ’t Hooft, 92 f. 67 Zum Deutsch-Sowjetischen Krieg vgl. Hartmann, Barbarossa; und Ders./H rter/Lieb/ Pohl, Krieg. 68 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 140.

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sozialistische Regime argumentieren und werben konnten.69 Mit dieser Aktion setzten Gerstenmaier, Trott und Haeften ihre Hoffnungen auf eine „übernationale Solidarität“70 in Bezug auf ihre Nachkriegsvisionen. Sie ist darüber hinaus als Versuch zu beschreiben, vom zivilen zum militärischen Widerstand überzugehen, um somit einen politischen Umsturz möglich zu machen. Die drei Männer bauten im weiteren Verlauf auf ihre bereits bestehenden Netzwerke. Sie machten ihre verschiedenen zivilen und kirchlichen Kontakte für ihre gemeinsame Intention nutzbar. Gerstenmaier sollte nach seiner eigenen Aussage die schriftliche Vorlage anfertigen und Trott die englische Version davon liefern. Über viele Abende hinweg trafen sich die drei Männer in Gerstenmaiers Berliner Wohnung in der Goethestraße 12 und diskutierten über den Entwurf, bis sie sich „auf Komma und Punkt geeinigt“71 hatten. Am Ende jener Revision stand in den letzten April-Tagen 1942 die vorerst fertige Denkschrift. Da man diese nicht einfach nach London schicken konnte, schloss sich daran ein langwieriger geheimer Transportprozess an. Gerstenmaiers Freund aus der zwischenkirchlichen Arbeit, der in Genf als Leiter der ökumenischen Forschungsabteilung agierende Theologe Hans Schönfeld, beförderte die Denkschrift von Berlin nach Genf in die Schweiz. Bevor Schönfeld die Denkschrift jedoch dem Generalsekretär des ÖRK, Willem Visser ’t Hooft, für den Weitertransport übergab, ließ er sie von seinen Freunden im deutschen Konsulat in Genf, Albrecht von Kessel und Gottfried von Nostitz, redigieren.72 Welchen Einfluss die beiden Herren im Rahmen der Endbearbeitung letztlich auf das Dokument ausübten, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden. Da es keine Überlieferungen von den involvierten Personen nach 1945 dazu gibt, ist zu vermuten, dass es sich hier primär um eine formale Korrektur handelte. Die endgültige Fassung der Denkschrift73 wurde danach Visser ’t Hooft übergeben und von ihm wiederum über Südfrankreich, Spanien und Portugal in das Vereinigte Königreich nach London weitergeleitet. Absprachegemäß überreichte er sie dort dem britischen Lordsiegelverwalter Sir Stafford Cripps, der die Denkschrift letztlich Anfang Mai 1942 an den britischen Premierminister Winston Churchill weitergab.74 Damit gelangte die Denkschrift der drei Männer schließlich zum Chef der britischen Regierung. Visser t’ Hooft und Cripps wirkten in diesem Prozess 69 70 71 72 73

Vgl. Schubert, Visser ’t Hooft, 93. Krusenstjern, Sinn, 455. Gerstenmaier, Streit, 140. Vgl. ebd. Der endgültige Text der Denkschrift wurde 1957 in der englischen Originalversion in einem Artikel von Hans Rothfels veröffentlicht. Rothfels hatte eine Abschrift der Denkschrift direkt von Visser ’t Hooft aus dessen persönlichem Archiv erhalten (vgl. Rothfels, Memoranden, 392–395). Ger van Roon druckte den Text der Denkschrift 1967 erneut ab (vgl. Roon, Neuordnung, 572–575). Eine deutsche Übersetzung der Denkschrift findet sich in Auszügen bei Walter Lipgens (vgl. Lipgens, Europa-Föderationspläne, 125–128) und komplett bei Günter Brakelmann (vgl. Brakelmann, Kreis, 200–204). 74 Vgl. Visser ’t Hooft, Welt, 190–192; und Rothfels, Memoranden, 391.

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klar im Auftrag von Trott,75 Schönfeld hingegen auf Bitten von Gerstenmaier sowie Kessel und Nostitz im Zuge der Koordinierung von Schönfeld.76 Hier zeigt sich, wie die Synergien der verknüpften Netzwerke Früchte trugen. Im Folgenden wird skizziert, was in der Denkschrift stand, die Churchill erhalten hatte.77 Äußerlich ist das Dokument in fünf Punkte untergliedert, inhaltlich lassen sich diese jedoch auf zwei reduzieren. Im ersten Teil, den Hans Rothfels als prophetischen Teil der Denkschrift bezeichnete,78 beschrieben die Verfasser die gegenwärtige Situation – ohne dabei explizit vom Deutschen Reich zu sprechen – mit einer dreifachen Bedrohung für nicht nur Europa, sondern die ganze Welt. Erstens sprachen sie die intensive Massenzerstörung von Leben und der wirtschaftlichen Substanz an, die untrennbar mit dem Krieg zu verbinden seien. Zweitens beobachteten sie die überall wachsende totalitäre Kontrolle des menschlichen Lebens, die durch die Kriegsführung zu einer Absorption aller nationalen Reserven und Ressourcen führe. Drittens sprachen sie von einem Trend zur anarchistischen Auflösung, die mit einem schrittweisen Abbau der Personenrechte und des zivilen Lebens einher gehe.79 Diese fast schon als düster zu wertende Beschreibung wird durch den zweiten Teil der Denkschrift ergänzt, in dem die Verfasser zu Solidarität in verantwortungsbewussten Kreisen im Westen über den Atlantik hinaus mit jenen Kräften im Deutschen Reich aufriefen, die einen beständigen Kampf gegen den Nihilismus und seine nationalsozialistischen Ausprägungsformen geführt hatten und führten.80 In diesen Formulierungen treten gleich mehrere Intentionen der Verfasser zutage: Die drei Männer sprachen nicht nur die britische, sondern auch gleichzeitig die amerikanische Regierung an, um ihre Überlegungen in einen breiteren Hörerkreis und Kontext zu stellen. Zudem betonten sie das Engagement der Kirchen gegen die nationalsozialistische Beanspruchung ihres Wirkungsraumes. Mit den von ihnen so bezeichneten Kräften im Deutschen Reich brachten sie zum Ausdruck, dass der Widerspruch gegen den Nationalsozialismus nicht ein rudimentärer, sondern ein sich in allen Gesellschaftsbereichen mehr und mehr entwickelnder Prozess sei. 75 Dass Trott in diesem Prozess eine entscheidende Bedeutung zukam, wird aus Visser ’t Hoofts Erinnerungen ersichtlich. Er bezeichnete den hessischen Adeligen als einen inbrünstigen Europäer, der „sein Vaterland zwar sicherlich liebte“, dem es jedoch „in erster Linie um die Rettung der gemeinsamen europäischen Kultur“ ging (Visser ’t Hooft, Welt, 189 f.). 76 In aller Wahrscheinlichkeit war auch der deutsche Generalkonsul in Genf, Wolfgang Krauel, über die Aktion informiert. Schönfeld arbeitete während seiner konspirativen Tätigkeit sehr eng mit dem Konsulat zusammen. Krauel war ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus. Dies zeigte sich vor allem darin, dass er sich 1943 – als er nach Berlin zurück berufen wurde – für das Exil in der Schweiz entschied (vgl. Klemperer, Verschwörer, 53, 391). 77 Im Folgenden wird aus der englischen Originalversion (abgedruckt bei Roon, Neuordnung, 572–575) frei übersetzt und mit Vergleichen auf den englischen Text Bezug genommen. 78 Vgl. Rothfels, Memoranden, 391. 79 Vgl. Roon, Neuordnung, 572. 80 Vgl. ebd., 573.

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Trotz der vielen Unterschiede gebe es nach der Beschreibung der Verfasser ein gemeinsames Erbe, das es zu erhalten gelte. Was sie genau mit dem Erbe meinten, blieb jedoch offen. Zu vermuten ist, dass sie sich hier an christlichen Wertmaßstäben orientierten, die mit dem nationalsozialistischen Regime zunehmend abgebaut wurden. Die Verfasser betonten zudem ihre Bereitschaft, einen Teil der Verantwortung für die Entwicklung im Deutschen Reich zu übernehmen und auch Schuld zu akzeptieren. Nach einem bewusst gesetzten Gewissensappell folgte nach Walter Lipgens das „positive Programm“81 der drei Männer. Sie betonten im weiteren Verlauf der Denkschrift, dass der Weg in eine europäische Katastrophe nur durch den Sturz des Regimes abzuwenden sei. Dem Niedergang der nationalsozialistischen Herrschaft könne dann entweder eine anarchistische Auflösung oder eine zivilisierte Regierung im europäischen Sinne folgen. Die Verfasser präferierten letzteres, das allerdings nur zu ermöglichen sei, wenn die vorzutragenden Vorstellungen Unterstützung außerhalb des Deutschen Reiches erfahren würden. Bemerkenswert ist, dass in diesem Zusammenhang erneut von jenen die Veränderungen tragenden Kräften gesprochen wurde. Die drei Männer differenzierten sie diesmal jedoch und betonten, dass diese von den Ideen und aus den Kreisen der christlichen Opposition heraus inspiriert seien. Ein von ihnen so bezeichnetes kämpferisches Christentum sei derzeit bemüht, den ungebrochenen Kern des Widerstandes zu bilden und wirkungsvolle Verbindungen zu anderen Gruppen zu suchen.82 Obwohl Klemens von Klemperer der Denkschrift „deutlich Trotts Handschrift“83 beigemessen hatte, wird spätestens an dieser Stelle erkennbar, dass Gerstenmaiers Einfluss nachhaltig aus dem Text spricht. Die betont religiösen Grundzüge sowie die Wertmaßstäbe auf christlichen Fundamenten sind unzweifelhaft auf seinen Einfluss und seine Kenntnisse aus anderen christlich inspirierten Kreisen zurückzuführen. Ebenso ist auch der folgende Punkt in der Denkschrift mit Gerstenmaier in Verbindung zu bringen: die Betonung der Wichtigkeit des menschlichen Personseins. Zur Rettung der persönlichen Integrität des Individuums setzten die Verfasser den Nationalsozialismus mit dem anarchischen Bolschewismus gleich und prononcierten die praktische Anwendung der christlich-europäischen Tradition für den politischen und verfassungsmäßigen Wiederaufbau der deutschen Gesellschaft. Um zu zeigen, dass die drei Männer auf einer breiten Basis von ähnlich Denkenden standen, zählten sie dazu Gruppen auf, die die Rekonstruktion des Deutschen Reiches in jenem Rahmen unterstützen wollten: substantielle Teile der Arbeiterklasse, einflussreiche Kreise der Wehrmacht und Beamtenschaft sowie die bereits genannten kämpferischen Gruppen aus den Kirchen.84 81 82 83 84

Lipgens, Europa-Föderationspläne, 126. Vgl. Roon, Neuordnung, 573. Klemperer, Verschwörer, 242. Vgl. Roon, Neuordnung, 573 f.

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Die eigentliche Vorstellung ihrer Vision eines neuen Deutschen Reiches fassten die drei Männer erst zum Ende der Denkschrift in sechs Punkte, die sie als Gesprächsgrundlage vorstellten. Erstens setzten die Verfasser auf eine generelle Dezentralisierung. Kleinere und größere Einheiten sollten mit lokaler Selbstverwaltung nach modernen und sozialistischen Prinzipien Einzug in alle Bereiche des politischen und wirtschaftlichen Lebens finden. Damit wurde der zentralistischen Steuerung des derzeitigen Staates vehement widersprochen. Zweitens befürworteten die drei Männer einen ausgeprägten Föderalismus auf deutscher und europäischer Ebene. In diesem Zusammenhang glaubten sie an die Notwendigkeit eines freien polnischen und tschechischen Staates im Rahmen deren ethnographischen Grenzen. Drittens betonten sie den Verzicht auf wirtschaftliche Autarkie im In- und Ausland. Viertens wollten sie eine politische und wirtschaftliche Neuordnung Europas, die frei von Konzepten wie die des Status quo oder des Status quo ante war. Der Schwerpunkt müsse demnach primär auf sozialer und politischer Sicherheit liegen. Spannend ist auch der fünfte Punkt, in dem sie zum Ausdruck brachten, dass ein neues Deutsches Reich bereit sei, sich an einer internationalen Lösung der Judenfrage zu beteiligen. Der sechste Punkt beschloss die Vorstellungen. Hier drückten die Verfasser aus, dass die neue Regierung mit allen anderen Nationen zusammenarbeiten wolle, um das Elend der nationalsozialistischen Herrschaft zu überwinden.85 Die inhaltliche Grobzusammenfassung und entsprechende Analyse der Denkschrift zeigt, dass die Verfasser eine Zerschlagung des Deutschen Reiches mit ihren offenen Vorschlägen verhindern wollten und eine neue europäische Ordnung im Gegenzug präferierten. Da die Denkschrift in der ersten Person Plural verfasst wurde, offeriert sie durch ihre Ausdrucksweise nicht nur das alleinige Gemeinschaftswerk der drei Männer zu sein, sondern beansprucht zudem, dass es über Gerstenmaier, Trott und Haeften hinaus, die die Denkschrift selbstverständlich nicht unterzeichneten, noch weit mehr Menschen im Deutschen Reich gab, die hinter den skizzierten Überlegungen und Überzeugungen standen. Ger van Roon konstatierte in seiner Forschung, dass die Denkschrift in ihrer inhaltlichen Ausrichtung mit den Planungen des KK übereinstimmte und wertete sie deshalb als „Kreisauer Arbeit“86. Darüber hinaus bezeichnete auch Schubert das Dokument als „eine Denkschrift des Kreisauer Kreises“87 mit Bezug auf die ausführlichen Überlegungen zu einer föderalen Organisation Europas. Auch Günter Brakelmann ordnete die Denkschrift den Kreisauer Texten zu.88 Obwohl sich belegen lässt, dass von Moltke über die Aktion der drei Männer informiert und auf die Antwort der

85 86 87 88

Vgl. ebd., 574 f. Ebd., 302. Schubert, Visser ’t Hooft, 93. Vgl. Brakelmann, Kreis, 195–204.

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britischen Regierung gespannt war,89 kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass die Denkschrift ein Werk des KK war, da zum einen die drei Männer autark vom Kreis an dem Dokument arbeiteten und zum anderen sowohl Gerstenmaier als auch die beiden Redigierer vom deutschen Konsulat, Kessel und Nostitz, dem KK zu jenem Zeitpunkt nicht angehörten. Ungeachtet der Tatsache, dass Trott und Haeften durch den KK ideell stark inspiriert wurden, sollte bei der Denkschrift nicht von einem Kreisauer Dokument gesprochen werden, sondern umgekehrt bestimmte sie die Kreisauer Diskussionen über die zukünftige Außenpolitik und europäische Ausrichtung entscheidend mit. Nun sei noch ein Blick auf die Rezeption der in London angekommenen Denkschrift gerichtet. In seinen Memoiren erinnerte sich Visser t’ Hooft, dem wiederum von Cripps acht Tage nach der Übergabe des Dokumentes an Churchill berichtete wurde, dass der britische Premierminister die Denkschrift sorgfältig studiert und sie als sehr ermutigend bezeichnet habe.90 In einem Brief an Rothfels vom 24. Mai 1957 präzisierte Visser t’ Hooft dies dadurch, indem er schieb, dass Churchill das Dokument mit der schriftlichen Randbemerkung „very encouraging“91 versehen habe.92 Doch was resultierte aus der lobenden Aussage des britischen Regierungschefs? Nichts. Die Randbemerkung bedeutete keineswegs, dass Churchill darauf reagierte, geschweige denn sich von der Denkschrift in seinem Handeln beeinflussen ließ. Er nahm die Vorstellungen der drei Männer ausschließlich zur Kenntnis und veranlasste – bis auf die Weiterleitung der Denkschrift im Rahmen des regulären Dienstweges zur Abteilung des Foreign Office, in der sie von Spezialisten weiter analysiert wurde – nichts. Über das nüchterne Vorgehen des britischen Premierministers spekulierte Klemperer, dass es Churchill wahrscheinlich ermutigend empfand, wie in Form der Denkschrift endlich Meinungsverschiedenheiten über die Führung des Deutschen Reiches zutage traten, in denen er den Keim des baldigen Untergangs hatte sehen können.93 Natürlich ist darüber hinaus zu vermuten, dass sich Churchill für das Vereinigte Königreich zum einen nicht mit den territorialen Vorstellungen der Denkschrift einverstanden zeigte. Zum anderen stand die britische Regierung zum Zeitpunkt der Denkschrift nach einer fünfmonatigen Verhandlungsdauer kurz vor dem Abschluss eines britisch-sowjetischen Bündnisvertrages, der

89 Dass Moltke von Trotts Bestrebungen unterrichtet war, belegt ein Brief an seine Frau Freya vom 30. 6. 1942 (vgl. Moltke, Briefe, 387). 90 Vgl. Klemperer, Verschwörer, 243. 91 Zit. nach Schubert, Visser ’t Hooft, 97. 92 Diese Berichterstattung wurde von der späteren Geschichtsschreibung aufgenommen (vgl. Rothfels, Memoranden, 392; und Lipgens, Europa-Föderationspläne, 125). Auch Gerstenmaier gab den Sachverhalt in seinen späteren Veröffentlichungen über die Denkschrift so wieder (vgl. Gerstenmaier, Streit, 141; und Ders., Kreis, 237). 93 Vgl. Klemperer, Verschwörer, 243.

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den Auftakt einer sogenannten Anti-Hitler-Koalition bilden sollte.94 Da in der Denkschrift die Sowjetunion als europäischer Bedrohungsfaktor bezeichnet wurde und sich die britische Regierung nun mit der sowjetischen verbinden wollte, um gemeinsam militärisch gegen das Deutsche Reich vorzugehen, kann dies als weiterer Grund für Churchills Zurückhaltung in Betracht gezogen werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass aus der Denkschrift keine Folgen für den deutschen Widerstand resultierten. Die erhoffte Reaktion der Briten blieb genauso aus wie die damit ermöglichte Argumentation vor deutschen Generälen für einem Umsturz der deutschen Verhältnisse. Die Alliierten bauten auf keine Veränderung oder gar Versöhnung, wie es sich viele deutsche Widerstandskreise vorstellten und die Denkschrift auch so transportierte, sondern spätestens seit der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 auf die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches.95 Im Rahmen von Gerstenmaiers späterer politischer Tätigkeit traf er 1950 mit Churchill in Straßburg zusammen. Dort kamen die beiden nach einem Abendessen auf die Denkschrift zu sprechen. Gerstenmaier skizzierte dazu in einem späteren Artikel, dass sich der britische Politiker an die Aktion gut erinnern konnte und deren Verlauf bedauerte.96

5.2 Im Kreisauer Kreis – Gerstenmaier alias Roggenmüller 5.2.1 „Ein Mann von Wurm“ – Der Weg zum Kreisauer Kreis Um Gerstenmaiers Weg in den KK nachvollziehen zu können, müssen mehrere innere und äußere Faktoren bedacht sowie die maßgeblichen Intentionen und Verbindungen der konspirativen Netzwerke untereinander in Zusammenhang gesetzt werden. Von besonderer Bedeutung werden in diesem Kapitel Personen sein, die Gerstenmaiers Entscheidung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus teilten und ihre kirchliche Stellung nutzten, um die äußerlich wahrnehmbare Position des Theologen grosso modo in der Konspiration zu protegieren. Hervorzuheben sind in diesem Rahmen insbesondere der in Stuttgart wirkende Wurm sowie der in Genf beschäftigte Schönfeld. Das positive Verhältnis zwischen Gerstenmaier und Wurm entwickelte sich von einem anfänglich losen Kontakt zu einer vertrauensvollen Beziehung 94 Das Abkommen wurde am 26. 5. 1942 zwischen dem Vereinigten Königreich und der Sowjetunion sowie am 11. 6. 1942 zwischen den USA und der Sowjetunion unterzeichnet (vgl. Zeidler, Kriegsende, 28 f.). 95 Die in der Atlantik-Charta vom 15. 8. 1941 festgelegten Prinzipien der Hoffnung auf eine bessere Zukunft hatten damit keine Geltung mehr. 96 Vgl. Gerstenmaier, Kreis, 237.

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weiter. Der württembergische Landesbischof unterstützte den ambitionierten Studenten aus Rostock bereits im September 1933 bei einem Versuch, in Absprache mit Niemöller einen württembergischen Zweig des Pfarrernotbundes zu gründen und gegen die Implementierung des Arierparagraphen im Kirchenrecht vorzugehen.97 Schon damals zeigte sich Gerstenmaier nicht nur von der theologischen Autorität des Landesbischofs, sondern auch von seiner Rolle in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen der Zeit tief beeindruckt. In diesem Zusammenhang schrieb er seinem Freund Foertsch am 2. Oktober 1934: „Mit Wurm hat mich seit diesem Frühjahr, in den ich verschiedene Male mit und für ihn im Berlin gewirkt habe, eine warme Verehrung verbunden. Der einzige Mann, 20 Jahre älter als Brunstäd, mit dem ich mich sofort sehr gut und tief verstanden habe, in der ganzen Kompanie der deutschen Ki[rchenkampf]Kämpfer.“98

Gerstenmaiers Beziehung zu Wurm intensivierte sich über die gemeinsame, lutherisch-theologisch inspirierte Basis mit seinem Dienstantritt im KA unter Heckel in Berlin. In der Reichshauptstadt agierte Gerstenmaier in verschiedenen Positionen als Wurms Mittelsmann und Bindeglied zu den kirchenleitenden Gremien der DEK.99 Dort erbrachte er zudem „gewisse Sonderaufträge für den Oberkirchenrat“100 in Stuttgart und stellte sich in den folgenden Jahren immer wieder in den Dienst des Landesbischofs, wie ein Brief Gerstenmaiers an den EOKR vom 1. November 1938 belegt: „Selbstverständlich stehe ich […] auch in Zukunft jederzeit zu Ihrer bzw. des Herrn Landesbischof persönlicher Verfügung, wo und wann immer es Ihnen ratsam erscheint.“101 Obwohl Wurms Denken – anders als bei Gerstenmaier – aktiver „politischer Widerstand […] fern“102 lag, da er „den neuen Staat als von Gott gesetzte Obrigkeit“103 im paulinischen Sinne anerkannte, entschloss er sich nach Jörg Thierfelders Forschung, spätestens ab 1939 sein kirchliches Wächteramt wahrzunehmen und Beschwerdebriefe an die nationalsozialistischen Machthaber zu richten, um „das Ende der gegen die Kirchen und bedrohten Minderheiten gerichtete Politik“104 zu fordern.105 Besonders hervorzuheben ist sein Protestbrief an Reichsinnenminister Wilhelm Frick, in dem der württembergische Landesbischof mit religiösen und moralischen Argumenten im 97 Vgl. Kapitel 2.3.4. 98 Brief Gerstenmaiers an Foertsch vom 2. 10. 1934 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 99 Vgl. Kapitel 4.2. Darüber hinaus leitete er auch brisante Briefe persönlich weiter (vgl. Brief Schreiners an Gerstenmaier vom 6. 5. 1935. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 100 Mitteilung des EOKR an Kasse vom 26. 11. 1936 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2). 101 Brief Gerstenmaiers an den EOKR vom 1. 11. 1938 (EZA 2/P14). 102 Meier, Kirchenkampf Bd. 3, 452. 103 Thierfelder, Wurm, 50. 104 Ebd., 54. 105 Zu Wurm und dessen Engagement vgl. ebd., 47–60; und Ders., Wurm, 743–758.

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Juli 1940 gegen das sogenannte Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten protestierte.106 Der Brief fand nicht nur deutschlandweit Verbreitung, sondern wurde auch von Papst Pius XII. als „das mutige Schreiben aus Württemberg“107 gewürdigt. Wurms „persönlicher Mut“108 schien Gerstenmaier nachhaltig zu inspirieren. Durch das öffentliche und kirchendiplomatische Agieren des württembergischen Landesbischofs sowie auch das gute Verhältnis zwischen den beiden Theologen fühlte er sich ermutigt, die Autorität Wurms in der DEK und vor allem auch im RELKD zu nutzen, um gegen die Übergriffe des nationalsozialistischen Staates vorzugehen. Dabei sollte es nicht nur um die Freiheit und Unabhängigkeit der kirchlichen Verkündigung gehen, sondern auch um die Maßnahmen, die staatlich legitimiert gegen Nichtarier und Menschen aus den besetzten Gebieten ergriffen wurden. Gerstenmaier versuchte in diesem Sinne Wurm im Winter 1941/1942 für eine Eingabe beim RELKD zu gewinnen, sodass dieser sich mit einer Stimme an Hitler persönlich wenden könne, um vor allem auf die moralisch verwerflichen Massenmorde und Vernichtungsaktionen in den Ostgebieten hinzuweisen. Wurm zeigte sich nach Gerstenmaiers Erinnerungen dazu bereit, eine Art Protestschreiben in den RELKD einzubringen. Gerstenmaier sollte zugleich eine Vorlage anfertigen.109 Er handelte und stellte einen Entwurf bereit,110 in dem es auszugsweise hieß: „Im Namen Gottes erheben wir vor dem deutschen Volk und seiner Zukunft unsere Stimme mit der Bitte, die verantwortliche Führung des Reiches wolle der Verfolgung und Vernichtung wehren, der viele Männern und Frauen im deutschen Machtbereich ohne gerichtliches Urteil unterworfen werden. Nachdem die dem deutschen Zugriff unterliegenden Nichtarier in größtem Umfang beseitigt worden sind, hören wir, das nunmehr auch die bisher verschont gebliebenen sogenannten privilegierten Nichtarier erneut in Gefahr sind, in gleicher Weise behandelt zu werden. […] Diese Absichten stehen ebenso wie die gegen die anderen Nichtarier ergriffenen Vernichtungsmaßnahmen im schärfsten Widerspruch zu dem Gebot Gottes und verletzen das Fundament alles abendländischen Denkens und Lebens: das gottgegebene Urrecht menschlichen Daseins und menschlicher Würde überhaupt. In der Berufung darauf erheben wir gleichermaßen feierlich unsere Stimme gegen zahlreiche Maßnahmen in den besetzten Gebieten. Ohne Ansehen der Nation oder der Konfession begehren wir namens der deutschen evangeli106 107 108 109 110

Vgl. Wurms Protestbrief vom 19. 7. 1940 bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 638 f. Zit. nach ebd., 521. Thierfelder, Einigungswerk, 54. Vgl. Gerstenmaier, Streit, 147. Gerstenmaier wies in einer Fußnote in seinen Erinnerungen darauf hin, dass seine Schwester Maria bei einem Besuch eine Abschrift des Entwurfes angefertigt hatte, die bei ihr die Zeit überdauerte und somit erhalten blieb (vgl. ebd., 602). Von ihr bekam er also die Abschrift, aus welcher der von Gerstenmaier später abgedruckte Auszug entnommen wurde. Auf einem anderen Weg wurde der Entwurf nicht überliefert. Deshalb wird er an dieser Stelle auch noch einmal wiedergegeben.

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schen Christenheit, daß auch den der Macht des Reiches unterworfenen Nationen und Konfessionen die volle Freiheit der Religionsausübung und eine den Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit entsprechende Behandlung gewährleistet werde.“111

Der Entwurf ist als Ausdruck des kirchlichen Wächteramtes zu interpretieren. Er mahnte zur Achtung der Menschenrechte und unterstrich neben der Freiheit zur Religion auch das Recht auf Leben. Mit klarer Sprache klagte Gerstenmaier an, dass die im Namen des Deutschen Reiches durchgeführten Maßnahmen sowohl mit den Geboten des Christentums als auch der abendländischen Tradition nicht kompatibel seien. Da Gerstenmaier im RELKD einen entscheidenden Protagonisten im Raum des deutschen Protestantismus sah, bat er Wurm den Entwurf dort zu positionieren. Kirchendiplomatisch brachte der württembergische Landesbischof diesen auch in den RELKD ein. Das Gremium hielt ihn jedoch für „zu gefährlich“112, um sich damit an den Reichskanzler zu wenden. Zu frisch schien das Schicksal des leitenden Kirchenjuristen im RELKD, Martin Gauger, gewesen zu sein, der aufgrund seiner Haltung zum Nationalsozialismus in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenschein ermordet wurde.113 Auch wenn es der Entwurf nicht zur Veröffentlichung schaffte, so zeigt er doch durch seine Ausrichtung, dass Gerstenmaier zum offenen Widerstand bereit war. Darüber hinaus belegte die Zusammenarbeit zwischen Wurm und Gerstenmaier in diesem Punkt ein weiteres: „Ich vertraute diesem Bischof […] und er vertraute mir.“114 Nach Kurt Meier war der württembergische Landesbischof spätestens ab 1941 zu einer „Art Schlüsselfigur in der evangelischen Kirche“115 geworden. Über den kirchenpolitischen Einfluss Wurms war sich nicht nur Gerstenmaier, sondern eben auch Moltke bewusst. Er hatte im Januar 1940 gemeinsam mit seinem weitläufig Verwandten Yorck einen Kreis ins Leben gerufen, um über eine künftige geistige und politische Neuordnung des Deutschen Reiches nachzudenken.116 Rasch hatten sich um die beiden Männer Gleichgesinnte versammelt,117 die in ihrer Gesamtheit schon bis zur ersten Tagung des Kreises vom 22. bis 25. Mai 1942 auf dem schlesischen Gut Moltkes in Kreisau – wodurch der KK auch seinen Namen erhielt – bemüht waren, Querverbindungen zu anderen, ähnlich denkenden Männern und konspirativen Gruppen 111 112 113 114

Gerstenmaier, Streit, 147. Ebd., 148. Zu Gauger vgl. Bçhm, Entscheidung, 36 f; und Oehme, Märtyrer, 72–79. Gerstenmaier, Streit, 149. Auch Wurm bezeichnete Gerstenmaier später als „meinem Vertrauensmann“ (Brief Wurms an Popitz vom 6. 7. 1943. In: Sch fer, Landeskirche, Bd. 6, 1337 f). 115 Meier, Kirchenkampf Bd. 3, 454. 116 Zur Vorgeschichte des KK, seiner „Geburtsstunde“ (Philippi, Genese, 41) sowie seinen Zielen vgl. Roon, Neuordnung, 210–225; und Philippi, Genese, 40–48. 117 Zu den ersten Mitgliedern und dem Entstehungsprozess des KK in seinen sich verschränkenden Verbindungen vgl. ebd., 48–69; und Brakelmann, Christsein, 55–106.

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aufzubauen. Im Rahmen der ersten Tagung in Kreisau festigten sich im Kreis erste Überlegungen, die nicht nur die Ergebnisse ihrer geheimen Diskussionen auf den Punkt brachten, sondern auch konstatierten, auf welcher Grundlage sie ihre Arbeit basieren ließen.118 Im Christentum sahen sie „wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes“ und die Basis „für den Neubau des Abendlandes“119 gegeben. Damit brachten die Kreisauer zum Ausdruck, welche Rolle die Kirchen bei ihren Überlegungen spielen sollten. Der Konnex zu zentralen Verantwortungsträgern der katholischen Kirche wurde schnell hergestellt,120 die Verbindungen zur evangelischen Kirche fehlten jedoch. Diese Leerstelle vermochten selbst Yorck und Otto Heinrich von der Gablentz mit ihrem protestantischen Profil im Kreis nicht zu füllen. Moltke wollte Kontakt zur besagten Schlüsselfigur im Protestantismus, er wollte Kontakt zu Wurm herstellen. An dieser Stelle wiederum nahm Gerstenmaier die entscheidende Rolle ein. Doch wie kamen Gerstenmaier und Moltke zu einander? Nach Freya Gräfin von Moltkes Erinnerungen hatte Gerstenmaier während seiner Tätigkeit für die Informationsabteilung des AA sowohl Moltke als auch Yorck im Winter 1939/1940 flüchtig kennengelernt.121 Da seine Beschäftigung für das AA auf Ribbentrops Anweisung im Frühsommer 1942 abrupt endete, fand er – wie ausführlich dargelegt – in Folge dessen gemeinsam mit Schönfeld, seinem engen Freund aus der Genfer Zentrale des ÖRK, Verwendung beim OKW in der Amtsgruppe Ausland/Abwehr unter Canaris.122 Während dieser Zeit waren die beiden Theologen zu einem „Doppelleben gezwungen“123, das es ihnen jedoch ermöglichte, weiter ihren Bestrebungen nachzugehen. Unter Canaris war auch der Jurist Moltke als Sachverständiger für Kriegsrecht und internationales Recht beschäftigt. Im Rahmen von zwei späteren Interviews berichtete Gerstenmaier, dass er mit dem schlesischen Großgrundbesitzer über Schönfelds Vermittlung in Kontakt gekommen sei.124 Blickt man auf die schriftliche Korrespondenz zwischen Moltke und seiner Frau Freya, dann wird offensichtlich, dass die beiden sehr schnell sehr intensiv miteinander ins Gespräch kamen.125 Über Gerstenmaier erhoffte sich Moltke nun eine Verbindung zum württembergischen Landesbischof zu bekommen. Die erste Erwähnung fand 118 Die Ergebnisse der Besprechungen vom 22.–25. 5. 1942 fixierte Moltke am 27. 5. 1942 in Kreisau in drei Punkten (abgedruckt bei Roon, Neuordnung, 542–544). 119 Ebd., 542. 120 Zum Kontakt des KK zu Konrad Kardinal Graf von Preysing, Augustin Rösch und Alfred Delp vgl. ebd., 235–241. 121 Vgl. Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 195. Ähnlich skizzierte es auch Fabian von Schlabrendorff in seiner Dokumentation über Gerstenmaier von 1965 (vgl. Schlabrendorff, Gerstenmaier, 31). 122 Vgl. Kapitel 4.5. 123 Klemperer, Verschwörer, 53. 124 Vgl. Gaus, Staatsmann, 127; und Gerstenmaier, Ostdeutscher, 3. 125 Im Folgenden wird darauf differenziert eingegangen.

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Gerstenmaier – ohne dabei mit seinem Namen bezeichnet zu werden – in einem Brief Moltkes an seine Frau vom 4. Juni 1942. Dort schrieb der Jurist, dass er am Tag zuvor mit einem „Mann, der sozusagen Wurm’s Vertreter in Berlin ist“, gemeinsam mit Yorck, Haeften und Theodor Steltzer zu einer „3stündigen Unterhaltung“ in seiner Berliner Wohnung in der Derfflingerstraße 10 zusammengekommen war, um „die Voraussetzungen der Mitwirkung Wurm’s“126 im KK zu klären.127 Erfreut über das Gespräch schrieb Moltke weiter, dass der Versuch „wohl positiv ausgegangen“ sei, da Wurm Mitte des Monats herkommen solle, damit sich dann ein „wesentlicher Punkt der Kreisauer Programme in seiner Durchführbarkeit zu erweisen“128 habe.129 Gerstenmaier nahm die Verbindung zu Wurm sogleich auf. In seinen Erinnerungen skizzierte er, dass er sich über das „hochverräterische Unternehmen“ des Kreises zwar bewusst war, in das die Kirche seiner Meinung nach nicht selbst hineingezogen werden dürfe, jedoch sah er in der Begegnung auch die Chance, dem längst „fälligen Protest der Kirche“130 Ausdruck zu geben. Dieser Ambivalenz konnte nur der persönliche Einsatz Abhilfe verschaffen, zu dem Gerstenmaier längst bereit war. Anscheinend musste Moltke ihn über die Zielsetzung des KK in Kenntnis gesetzt haben, da er Wurm in aller Offenheit davon berichtete und dieser wiederum zu Gerstenmaier gesagt haben solle: „Ich werde mit Graf Moltke sprechen. Nehmen Sie an dem Gespräch teil.“131 Das gemeinsame Treffen wurde weiter geplant. Am 19. Juni 1942 schrieb Moltke an seine Frau, dass am Nachmittag „ein Mann von Wurm da“ war; erneut ohne Gerstenmaier beim Namen zu nennen. Weiter schrieb er: „das sieht aussichtsreich aus. Die Hauptschlacht soll Mittwoch um 14.30 tagen und wohl den ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen.“132 Damit brachte er ausdrucksstark auf den Punkt, wie viel bei der Begegnung besprochen werden müsse und wie wichtig diese auch für ihn sei. Auf das Treffen bereitete er sich „sorgfältig“133 vor. Der schlesische Großgrundbesitzer schien bei der von Gerstenmaier vermittelten Begegnung nichts dem Zufall überlassen zu wollen. Am 24. Juni 1942 um 17 Uhr trafen schließlich Gerstenmaier und Wurm mit Moltke und Yorck in der Derfflingerstraße 10 zusammen. Sie sprachen nach 126 Brief Moltkes an seine Frau vom 4. 6. 1942 (Moltke, Briefe, 375). 127 Roon vermutete, dass es sich bei dem Mann von Wurm um Wilhelm Pressel, Wurms ständigen Vertreter seit 1936 im RELKD, gehandelt habe. Damit lag Roon jedoch nachweislich falsch (Roon, Neuordnung, 241). 128 Brief Moltkes an seine Frau vom 4. 6. 1942 (Moltke, Briefe, 375). 129 Moltke bezog sich damit auf die Besprechungen vom 22.–25. 5. 1942. Darin hieß es dazu: „Wir begrüßen und anerkennen den bereits erfolgten Zusammenschluß von führenden Männern bestehend aus je einem Bischof als Vertreter der beiden großen christlichen Bekenntnisse, für eine einheitliche Regelung aller die Gestaltung des öffentlichen Lebens betreffenden gemeinsamen Fragen der christlichen Weltanschauung.“ (Roon, Neuordnung, 542). 130 Gerstenmaier, Streit, 150. 131 Ebd. 132 Brief Moltkes an seine Frau vom 19. 6. 1942 (Moltke, Briefe, 382 f). 133 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 195.

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Gerstenmaiers Erinnerungen anfänglich über die christliche Orientierung des öffentlichen Lebens und das Schulproblem. Später – als sich Moltkes „Vorsicht und Anspannung immer mehr“ gelockert hatte – auch über die weiteren Überlegungen des KK ohne sich dabei im Detail zu verlieren. Moltke, der das Gespräch leitete, stieß bei Wurm anscheinend auf so viel „Verständnis und Zustimmung“134, sodass direkt ein zweites Gespräch vereinbart wurde.135 Euphorisch berichtete Moltke noch am Abend seiner Frau per Brief von dem guten Ausgang der Besprechung.136 Damit konnte Moltke den Erfolg für sich in Anspruch nehmen, dass sein Kreis nun auch die Verbindung zu der besagten protestantischen Schlüsselfigur hergestellt hatte, die als Voraussetzung für eine weitere geheime Zusammenarbeit zu sehen war. An jenem konfessionellen Proporz hatte Gerstenmaier einen entscheidenden Anteil. Er sollte nun auch im Weiteren als Verbindungsmann zu Wurm agieren. Die Beziehung zwischen Gerstenmaier und Moltke festigte sich derweil ab Ende Juni 1942 stetig. Über die positive Verbindung zu Wurm hinaus schien Gerstenmaier durch seine intellektuellen Fähigkeiten schnell zu überzeugen. Michael Balfour und Julian Frisby, die gemeinsam mit Freya von Moltke die briefliche Korrespondenz zwischen ihr und ihrem Mann Helmuth während der nationalsozialistischen Zeit in den 1970er Jahren für die Öffentlichkeit aufgearbeitet hatten, zählten aus sämtlichen an Freya gerichteten Briefen insgesamt 15 Treffen des KK 1942 und 18 Zusammenkünfte 1943/1944, bei denen Gerstenmaier anwesend war.137 Die Autoren differenzierten bei ihrer Zählung jedoch nicht zwischen gemeinsamen Verabredungen und Treffen zwischen lediglich Gerstenmaier und Moltke sowie zwischen konspirativen Treffen mehrerer Mitglieder des KK, an denen auch Gerstenmaier teilnahm. Die Durchsicht der Briefe Moltkes an seine Frau ergab schließlich, dass Gerstenmaier – ausgenommen der bereits angesprochenen Planungstreffen zu und mit Wurm vom Juni und Juli 1942 sowie der zweiten Tagung in Kreisau vom 16. bis 18. Oktober 1942 – allein zwischen September und Dezember 1942 brieflich nachweisbar mindestens 17 Mal mit Moltke allein oder eben mit Teilen des KK an verschiedenen Orten in Berlin – vor allem aber in Moltkes, Yorcks oder seiner Wohnung – zusammen kam.138 Aus den Briefen lässt sich 134 Gerstenmaier, Streit, 151. 135 Das zweite Treffen fand offenbar am 19. 7. 1942 erneut in Moltkes Wohnung statt (vgl. Moltke/ Balfour/Frisby, Moltke, 195). Am 13. 7. 1942 hatten Moltke, Yorck und Gerstenmaier das Treffen gemeinsam vorbereitet (vgl. Briefe Moltkes an seine Frau vom 13. und 14. 7. 1942. In: Moltke, Briefe, 392–394). 136 Zudem schrieb er: „Ich bin von der Anstrengung dieser 2 1/2 Stunden so mitgenommen, daß ich nicht mehr denken kann. […] ganze Geschichte so widerstandslos und glatt gegangen, daß mir dabei nicht recht geheuer ist. Aber ich habe mir auch grosse Mühe gegeben.“ (Brief Moltkes an seine Frau vom 24. 6. 1942. In: ebd., 386). 137 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 192. 138 Folgende Zusammenkünfte können allein zwischen September und Dezember 1942 gezählt werden: (1) Moltke, Gerstenmaier und Brigitte Gerstenmaier am 7. 9. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 8. 9. 1942. In: Moltke, Briefe, 401 f); (2) Moltke, Gerstenmaier und Einsiedel

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sehr gut rekonstruieren, wie Gerstenmaier in den KK hinein wuchs. So schrieb Moltke am 8. September 1942: „Gestern abend war sehr nett und auch produktiv. Gerstenmaier ist ein Mann, um den man sich Mühe geben muss, und der nicht von alleine in die Kategorie fällt, die einem passt, aber dafür lohnt es sich auch, und wenn es gelänge, ihn voll zu integrieren, so wäre das ein erheblicher Fortschritt. […] Ich habe die Gelegenheit benutzt, mich über allerhand Fragen theologischer Dogmatik und der Kirchengeschichte belehren zu lassen, so über die heutige Bedeutung von Tridentinum und Augustana, die Stellung von Karl Barth, u.s.w. Es war jedenfalls lehrreich.“139

Der Briefausschnitt belegt Gerstenmaiers Interesse, sich gedanklich aktiv in den Kreis um Moltke einzubringen. Darüber hinaus zeigt er, wie sich Moltke von den Wesenszügen des Theologen, seiner theologischen Bildung und intellektuellen Hartnäckigkeit inspirieren ließ und ihn dadurch schließlich als Bereicherung empfand. Dass Gerstenmaier spätestens ab Herbst 1942 als vollwertiges Mitglied des KK und nicht nur als Verbindungsmann zu Wurm betrachtet werden kann, wird durch einen weiteren Brief von Moltke an seine Frau belegt, in dem er über die konspirative Arbeit berichtete: „Abends waren Gerstenmaier und ich bei Peter. Es war nicht nur sehr nett, sondern wir haben auch sichtlich beachtliche Fortschritte gemacht. Jedenfalls ist es wirklich erfreulich, was für einen Zuwachs wir mit Gerstenmaier gewonnen haben.“140

am 12. 9. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 12. 9. 1942. In: ebd., 405); (3) Moltke, Gerstenmaier, Guttenberg und Kiep am 14. 9. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 14. 9. 1942. In: ebd., 406); (4) Moltke und Gerstenmaier am 28. 9. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 29. 9. 1942. In: ebd., 414); (5) Moltke und Gerstenmaier am 5. 10. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 6. 10. 1942. In: ebd., 418); (6) Moltke und Gerstenmaier am 24. 10. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 25. 10. 1942. In: ebd., 424 f); (7) Moltke und Gerstenmaier am 29. 10. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 28. 10. 1942. In: ebd., 427); (8) Moltke, Yorck und Gerstenmaier am 2. 11. 1942 (vgl. Briefe Moltkes an seine Frau vom 2. und 3. 11. 1942. In: ebd., 428 f); (9) Moltke, Gerstenmaier und Trott am 5. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 5. 11. 1942. In: ebd., 431); (10) Moltke, Gerstenmaier und König am 7. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 7. 11. 1942. In: ebd., 431 f); (11) Moltke und Gerstenmaier am 9. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 9. 11. 1942. In: ebd., 433); (12) Moltke und Gerstenmaier am 12. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 12. und 13. 11. 1942. In: ebd., 436 f); (13) Moltke, Gerstenmaier, Steltzer, Trott und Yorck am 16. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 17. 11. 1942. In: ebd., 438 f); (14) Moltke, Gerstenmaier, Yorck und Delp am 25. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 25. und 26. 11. 1942. In: ebd., 441 f); (15) Moltke, Gerstenmaier und Yorck am 27. 11. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 27. 11. 1942. In: ebd., 442 f); (16) Ankündigung Treffen Moltke, Gerstenmaier und deren Frauen im Dezember 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 26. 11. 1942. In: ebd., 441 f); (17) Ankündigung Treffen im Plenum mit Gerstenmaier am 17. 12. 1942 (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 26. 11. 1942. In: ebd., 441 f). 139 Brief Moltkes an seine Frau vom 8. 9. 1942 (ebd., 401 f). 140 Brief Moltkes an seine Frau vom 3. 11. 1942 (ebd., 428 f).

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Das Vertrauensverhältnis zwischen Gerstenmaier und Moltke verstetigte sich ebenso wie ihre freundschaftliche Beziehung zueinander. Wurde der ambitionierte Theologe in den Briefen 1942 noch lediglich als „Gerstenmaier“ benannt, änderte sich seine Bezeichnung ab Januar 1943 in „Eugen“ ab.141 Die fortgesetzte Korrespondenz unter der Nennung des Vornamen verdeutlicht, wie das Verhältnis zwischen Gerstenmaier und Moltke eine neue persönliche Ebene erreicht hatte.142 Nach Gerstenmaiers Erinnerungen bildete sich ein geregelter Kontakt zwischen ihm und dem KK heraus. Vor allem zu Moltke intensivierte sich dieser im Winter 1942/1943. Die Aussage „Wir trafen uns mehrfach in der Woche“143 belegt die Verstetigung der Treffen. Klaus Philippi skizzierte in seiner Forschung gar, dass Gerstenmaier in jenem Zeitraum Moltke „fast jeden Tag eine Stunde“144 besuchte und sich mit ihm über die neusten Entwicklungen austauschte. Damit bezog er sich auf die Erinnerungen von Gerstenmaiers Frau Brigitte, die ähnlich über die regelmäßigen Zusammenkünfte bei den Gerstenmaiers in der Goethestraße 12 berichtete und von sehr viel Heiterkeit zwischen ihrem Mann und dem schlesischen Grafen schrieb.145 Über die vielen Treffen mit Moltke allein, in größerer Gesellschaft mit anderen Kreisauern oder eben auch mit anderen Gruppen im Frühjahr, Sommer und Herbst 1943 hinaus kulminierte das freundschaftliche und arbeitstechnische Verhältnis zwischen Moltke und Gerstenmaier im November 1943, als nicht nur Moltke, sondern auch Gerstenmaier nach einem Bombenangriff auf Berlin obdachlos wurden. Beide zogen in Folge ihres Wohnungsverlustes bei Yorck in der Hortensienstraße 50 ein.146 Das schlichte Reihenhaus in Berlin-Lichterfelde bildete spätestens ab diesem Zeitpunkt „Treffpunkt und Mittelpunkt für uns Kreisauer“147 und trug zu einer Intensivierung der konspirativen Arbeit bei, die sich nun primär auf die drei miteinander wohnenden Männer stützte. Die „enge Lebensgemeinschaft“ war für den Theologen von „besonderer Erlebnisdichte“148 geprägt, wie er später in einem Artikel schrieb. Gerstenmaier nahm nicht nur durch seinen neuen 141 Vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 6. 1. 1943 (ebd., 449) sowie die zahlreich folgenden. 142 Es ist zu vermuten, dass ein Treffen zwischen Familie Moltke und Familie Gerstenmaier im Dezember 1942 dazu beigetragen hatte. Da dazu jedoch nur die Ankündigung (Brief Moltkes an seine Frau vom 26. 11. 1942. In: ebd., 441 f) überliefert ist, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. 143 Gerstenmaier, Streit, 151. 144 Philippi, Genese, 104. 145 Vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 42 f. 146 Gerstenmaiers Frau Brigitte war zu diesem Zeitpunkt schwanger und fand auf einem Pfarrhof im mecklenburgischen Schloen bei Gerstenmaiers Schwester Hanna eine neue Unterkunft, deren Mann der örtliche Pfarrer war und sich derzeit im Krieg befand. Neben dem Einzug seiner Frau nahm Gerstenmaier auch eine Teilvertretung wahr: „Sooft ich konnte, versorgte ich die verwaiste Pfarre nebenher, predigte, traute und taufte […].“ (Gerstenmaier, Streit, 179). 147 Ebd. 148 Gerstenmaier, Kreis, 227.

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Wohnort an allen wichtigen Treffen des engeren und weiter gefassten Kreises teil, sondern hatte mit seiner Meinung und seiner Mitwirkung entscheidenden Einfluss auf die beiden Adeligen, die den KK gegründet hatten.149 Nach seinen Beschreibungen verliefen die Tage seit dem Einzug bei Yorck bis zur Verhaftung Moltkes im Januar 1944 durch die Gestapo immer ähnlich ab: Bis 19 Uhr führten die drei Männer ihre unterschiedlichen beruflichen Verpflichtungen aus und trafen sich dann bei Yorck, „aßen zusammen, tauschten die neusten Informationen aus und gingen dann der Bearbeitung der noch nicht abgeschlossenen Kreisauer Entwürfe nach.“150 In diesem Rahmen diskutierten sie die politische und militärische Lage, besprachen den Zustand der Opposition und koordinierten Verabredungen sowie gesellschaftliche Verbindungen zu anderen Gruppen.151 Allein von dieser Tatsache ausgehend, kann gesagt werden, dass die letztlichen Entwürfe des KK eine nicht zu unterschätzende Handschrift Gerstenmaiers tragen mussten, da er nicht nur einen Großteil seiner Freizeit in die Überlegungen und den Ausbau des Netzwerkes investierte, sondern sich auch bei allen wesentlichen Diskussionen und getroffenen Entscheidungen ab 1942 im engsten Kreis um Moltke und Yorck befand. 5.2.2 Das Reich der Kreisauer – Überlegungen zum Tag X plus 1 Rückblickend zählte Gerstenmaier seine zwei aktiven Jahre in der Mitte des KK „zu den reichsten meines Lebens.“152 Durch Moltke lernte er nicht nur die „eigentliche, geregelte Oppositionsarbeit“153 kennen, sondern auch rasch den festen Kern des KK. Doch wer gehörte zu jenem festen Kern? Der einzelnen Mitgliedern des KK hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten ebenso ausführlich angenommen wie deren inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und Gesamtvorhaben.154 Auch wenn die Mitgliederzahl der Gruppe als „schwimmend“155 bezeichnet werden kann, da immer wieder Menschen hinzu kamen oder den Kontakt verloren, in speziellen Fragen konsultiert wurden oder als gefestigte Repräsentanten in Kirche oder Gesellschaft im Sinne des Kreises Verwendung finden sollten, kann davon ausgegangen werden, dass zum KK um dessen Gründer, Moltke und Yorck, gut 20 weitere Menschen gehörten, die dem Kreis im engeren Sinne zuzuordnen sind. Die ersten Mitglieder schöpften die beiden Gründer aus ihrem unmittelbaren Umfeld, der sozialpolitischen 149 150 151 152 153 154

Im folgenden Kapitel wird darauf differenzierter eingegangen. Gerstenmaier, Streit, 179. Vgl. ebd., 152. Ebd., 152. Gross, Gespräch, 19. Allgemein zum KKvgl. u. a. Karpen, Kreis; Zeller, Geist, 70–89; Brakelmann, Kreis, 67–85; Winterhager, Kreis; Mommsen, Gesellschaftsbild, 178–186; Ullrich, Kreis; und Roon, Neuordnung. 155 Kroeger, Rolle.

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Arbeit oder auch der Tätigkeit im OKW. So kamen Horst von Einsiedel, Hans Peters, Carl Dietrich von Trotha, Hans Lukaschek, Otto Heinrich von der Gablentz und Adolf Reichwein relativ früh in den Kreis.156 Später stießen Carlo Mierendorff, Adam von Trott zu Solz, Hans Bernd von Haeften, Harald Poelchau, Theodor Haubach, Julius Leber, Paulus van Husen, Augustin Rösch und Theodor Steltzer dazu.157 1942 folgten noch Alfred Delp, Lothar König158 und schließlich Gerstenmaier.159 Neben den Männern dürfen freilich die Frauen Freya Gräfin von Moltke, Marion Gräfin Yorck von Wartenburg, Clarita von Trott zu Solz und Rosemarie Reichwein nicht vergessen werden, die sich bei den Zusammenkünften des Kreises oder in privaten Gesprächen mit ihren Gatten ebenso inhaltlich in die konspirative Arbeit einbrachten.160 Über den KK im engeren Sinne hinaus führte Brakelmann in einer Forschung 110 weitere Menschen aus Politik, Gesellschaft, Militär und Kirchen auf, die als Kontaktpersonen in intensiver und loser Konsultation und Kooperation über die Zeit mit den KK zusammenarbeiteten.161 Die genannten Mitglieder des Kreises im engeren Sinne repräsentierten allein schon durch ihre Lebensläufe und aktuellen beruflichen Positionen verschiedene gesellschaftliche Gruppen, politische Lager und christliche Kirchen. Diesen Sachverhalt machten sich Moltke und Yorck bewusst zueigen,162 um damit den gesamtgesellschaftlichen, parteiübergreifenden und

156 Zu der Rolle von Einsiedel im deutschen Widerstand vgl. Roon, Neuordnung, 99–93; zu Peters vgl. ebd., 109–115; und Trott, Peters; zu Trotha vgl. Trotha, Trotha; zu Lukaschek vgl. Ellmann, Lukaschek; und Abmeier, Rolle, 159–176; zu Gablentz vgl. Klein, Protestantismus, 96–107; und Boeckh, Gablentz, 186–188; zu Reichwein vgl. Hohmann, Begleiten; und Amlung, Reichwein. 157 Zu der Rolle von Trott im deutschen Widerstand vgl. Wuermeling, Trott; und Groeben, Trott, 217–225; zu Haeften vgl. Haeften, Leben; und dies., Schriftliches; zu Poelchau vgl. Harpprecht, Poelchau, 91–223; und Mehlhorn, Ohr; zu Haubach vgl. Zimmermann, Haubach; und Hammer, Haubach; zu Leber vgl. Beck, Leber; und Altrichter, Politik, 77–88; zu Husen vgl. Schindler, Husen; und Hummel, Husen, 189–224; zu Rösch vgl. Rçsch, Kampf; und Wolfsteiner, Mann; zu Steltzer vgl. Alberts, Steltzer; und Kleinmann, Steltzer, 482–491. 158 Zu der Rolle von Delp im deutschen Widerstand vgl. Saltin, Leben; und Feldmann, Delp; zu König vgl. Roon, Neuordnung, 200–203; und Bleistein, Dossier, 11–32. 159 In seinen Erinnerungen nannte Gerstenmaier lediglich 12 Mitglieder des KK, die er im Laufe seiner Tätigkeit kennengelernt hatte (Moltke, Yorck, Mierendorff, Haubach, Haeften, Trott, Delp, Husen, Steltzer, Reichwein, Einsiedel und Trotha). Acht weiteren Personen (Peters, Lukaschek, Schmölders, Leber, Poelchau, Waetjen, Rösch und König) sei er während seiner Zeit im KK nicht begegnet und entnahm diese erst der späteren Literatur (vgl. Gerstenmaier, Streit, 151). Dass Gerstenmaiers Aufzählung und die Zuweisung zum engen Kreis nicht ganz korrekt ist, belegt bspw. Peters, den Gerstenmaier angab, nicht kennengelernt zu haben, jedoch mit ihm nachweislich vom 16.–18. 10. 1942 auf der zweiten Tagung des KK in Kreisau verweilte. 160 Zur Rolle der Frauen im KK vgl. Meding, Mut; Wartenburg, Stärke; Moltke, Erinnerungen; Geyken, Frauen, 58–64, 136–140, 193–198, 252–255, 270 f. 161 Vgl. Brakelmann, Kreis, 99–101. 162 Matthias Kroeger charakterisierte die beiden Gründer des KK mit jeweils ihren Stärken als

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ökumenischen Charakter ihres Diskussionskreises zu festigen. Die Zusammensetzung des KK als „Querschnitt durch das Volk“163 war schließlich die Voraussetzung dafür, ein weit verzweigtes Geflecht der deutschen Opposition für ihre Vorhaben nutzbar zu machen und durch ihre gemeinsame Intention zugleich ein „durchgreifendes Gefühl der Zusammengehörigkeit“164 zu bilden. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder versucht, die Mitglieder des Kreises in Kategorien zu fassen,165 um dadurch die Unterschiede der Mitglieder und die entsprechenden Lagerbildungen sichtbar zu machen. Dies mag vielleicht im Hinblick auf die Zusammensetzung des KK hilfreich sein, jedoch kann keine Kategorisierung durchgehend überzeugen,166 da sich eine Zuordnung der beteiligten Männer und Frauen zu nur einer definierten Gruppe als schwierig gestaltet. Die Gruppe kann zudem nicht als festes Gebilde beschrieben werden, sondern eher als „formloser Zusammenschluss“167 von Menschen mit einer gemeinsamen Grundlage, die primär von einem reformkonservativen Geist der Jugendbewegung168 sowie einer starken religiösen Sozialisation und Prägung169 der Mitglieder inspiriert war. Letztlich verband alle Kreisauer im Falle

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gutes gemeinsames Team wie folgt: „Moltke war der Kopf und Yorck war das Herz des Kreises“ (Kroeger, Rolle). Gerstenmaier im Interview mit Wolf Dietrich im Süddeutschen Rundfunk vom 20. 7. 1957 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-084/4). Gerstenmaier, Streit, 152. Hervorzuheben ist u. a. Wilhelm Ernst Winterhager mit seiner Einteilung in die adelige Gruppe (Moltke, Yorck, Einsiedel, Gablentz, Trott, Trotha und Haeften), die sozialistische Gruppe (Reinwein, Mierendorff, Haubach und Leber), die katholische Gruppe (Lukaschek, Peters, Husen, Delp, Rösch und König) und die protestantische Gruppe (Steltzer, Poelchau und Gerstenmaier). Zur Kategorisierung Winterhagers vgl. Winterhager, Kreis, 12 f. Jene Kategorisierung Winterhagers findet sich in leichter Abwandlung der Literatur immer wieder (vgl. Philippi, Genese, 48 f; und Prinz, Kreis). Damit ist vor allem die Unterscheidung von Beruf, Konfession und persönlicher Einstellung gemeint. Gerstenmaier, Streit, 151. Etwa die Hälfte der Mitglieder im engeren Sinne kamen aus den Traditionen der Jugendbewegung. Hervorzuheben sind freilich die schlesischen Arbeitskreise unter der Leitung von Eugen Rosenstock-Huessy, an denen Moltke, Yorck, Einsiedel, Peters, Trotha, Gablentz, Steltzer, Lukaschek und Reichwein teilnahmen und sich darüber kennengelernt hatten. Die Traditionen der Jugendbewegung können somit als prägend im KK beschrieben werden (vgl. Winterhager, Kreis, 84; und Brakelmann, Begegnungen, 187 f). Natürlich muss in diesem Zusammenhang zwischen religiöser Sozialisation und religiösem Sozialismus unterschieden werden. Erstere resultiert aus der primären und sekundären Sozialisation (vgl. Kapitel 1.1), wo hingegen der religiöse Sozialismus eher als politisch-ideologischer Ansatz zu betrachten ist, der auf einem Eintreten von Christinnen und Christen aufgrund ihres Glaubens für eine sozialistische Gesellschaftsordnung basiert. Als religiöse Sozialisten lassen sich im KK Trott, Poelchau, Reichwein, Haubach und Mierendorff beschreiben. Darüber hinaus galten Einsiedel und Trotha vom religiösen Sozialismus beeinflusst. Die Gewichtung der religiösen Sozialisten zeigte sich im KK vor allem dadurch, dass man bemüht war, gleichermaßen Arbeiter- und Kirchenführer für die Unterstützung der Pläne zu gewinnen (vgl. Schuppener, Nichts, 93 f).

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eines deutschen Zusammenbruchs die Bestrebung, eine tiefgreifende, ethisch fundierte Neuordnung der sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse auf eben jener christlich inspirierten Grundlage zu errichten. Der „Tag X plus 1“170 bildete die bestimmende Zäsur für den Kreis, an der sich alle Planungen messen lassen mussten. Dafür wurden in einem ersten Schritt theoretische Diskussionsgrundlagen im Rahmen von häufigen stattfindenden Arbeitstreffen in kleineren Kreisen akribisch entworfen,171 die dann in einem zweiten Schritt während der drei Tagungen in Kreisau zwischen 1942 und 1943 diskutiert und deren Ergebnisse schließlich fixiert wurden. Doch wie sahen die Überlegungen des KK im Hinblick auf die deutsche Neuordnung nach einem Umsturz der Verhältnisse aus und wie arbeitete der Kreis daran? Um die Frage nach dem sogenannten Reich der Kreisauer beantworten zu können, werden im Folgenden – neben den drei Tagungen auf Moltkes schlesischen Gut in Kreisau – primär die konspirative Arbeit des Kreises in Berlin, die Rolle Gerstenmaiers bei den zahlreichen kleineren und größeren Zusammenkünften sowie seine Kontaktpflege zum Ausland für den KK im Fokus stehen. Gerstenmaier kam erst relativ spät mit dem KK in Kontakt. „Als ich im Sommer 1942 in den Kreisauer Kreis kam, fand ich die einheitliche – nahezu programmatische – Bejahung des christlichen Glaubens als Richtlinie der von den Kreisauern angestrebten ideellen Staatsinhalte bereits vor.“172 Dies gefiel dem Theologen und daran knüpfte er an. Schnell wurde er durch seine intellektuellen Fähigkeiten ein geachtetes und zentrales Mitglied des Kreises.173 Albrecht von Moltke bestimmte in seiner Forschung Gerstenmaiers Mitwirkung im KK in drei zentralen Bereichen: Kirche, Kultur und Erziehung; Außenpolitik und Europaplanung; sowie die zukünftige Staatsordnung.174 Hier lag nicht nur der Schwerpunkt seiner Reputation, sondern auch der Fokus seines Interessenfeldes. Nachdem auf der bereits genannten ersten Tagung das Verhältnis von Kirche und Staat ausführlich besprochen wurde,175 fand vom 16. bis 18. Oktober 1942 die zweite Tagung des Kreises mit einem deutlich strafferen Programm in Kreisau statt.176 Für Gerstenmaier bildete die zweite Tagung seine erste mehrtägige Begegnung mit dem KK. Diesmal standen der 170 Gerstenmaier, Streit, 157. 171 Dazu trafen sich die Kreisauer in Berlin hauptsächlich im Haus von Husen oder Yorck, in der Wohnung von Trott, Moltke oder Gerstenmaier (Gerstenmaier, Kreis, 227). 172 Gerstenmaier, Streit, 159. 173 Vgl. Kapitel 5.2.1. 174 Vgl. Moltke, Vorstellungen, 80. 175 Zu den Ergebnissen der ersten Tagung vgl. Roon, Neuordnung, 542–544. 176 Ursprünglich waren zwei Zusammenkünfte im Herbst 1942 geplant. Da zwei aufeinander folgende Zusammenkünfte jedoch als zu gefährlich erschienen, wurden die beiden geplanten Termine zu einem Wochenende zusammengefasst (vgl. Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 198). Es nahmen an der Tagung folgende Personen teil: die Ehepaare Moltke und Yorck, Yorcks Schwester Irene, Steltzer, Peters, Einsiedel, Haubach, Delp, Gerstenmaier und Hermann Maaß, der als Abgesandter Wilhelm Leuschners auftrat, den Planungen des Kreises jedoch skeptisch begegnete.

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neue Staats- und Wirtschaftsaufbau im Vordergrund, sodass viel über den Ausbau der Selbstverwaltung und die Dezentralisierung des Deutschen Reiches diskutiert wurde.177 Darüber hinaus schien die Grundsatzerklärung der ersten Tagung noch einmal im Hinblick auf die religiös-sittliche Erneuerung des deutschen Volkes auf der Basis des Christentums überarbeitet worden zu sein. Nach Gerstenmaiers Erinnerungen einigte man sich auf einen zweiten Entwurf, der die Bedeutung des Christentums für den Kreis noch einmal differenzierte: „Die Regierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung unseres Volkes, für die Überwindung von Haß und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft. Der Ausgangspunkt liegt in der verpflichtenden Besinnung des Menschen auf die göttliche Ordnung, die sein inneres und äußeres Dasein trägt. Erst wenn es gelingt, diese Ordnung zum Maßstab der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern zu machen, kann die Zerrüttung unserer Zeit überwunden und ein echter Friedenszustand geschaffen werden.“178

Gerstenmaier schrieb dazu, dass er auf der Tagung „theologische und politische Bedenken gegen den apodiktischen Auftakt“ des letzten Satzes geäußert habe, da es ihm widerstrebte, den Erfolg eines politischen Programms an eine Bedingung zu knüpfen, die in „keines Menschen Hand gegeben“179 sei. Obwohl seine Intervention nicht zu einer Abänderung der Formulierung führte, belegt die Tatsache der Debatte doch, wie er versuchte, durch seine theologischen Impulse Einfluss im Kreis zu nehmen. Ähnlich ist Gerstenmaiers Rolle wiederum im Hinblick auf die Vor- und Nachbereitung der zweiten Kreisauer Tagung zu fassen. In Berlin brachte er sich im Rahmen zahlreicher Treffen intensiv und kooperativ ein, sodass sich Moltke von Gerstenmaiers „Beitrag besonders befriedigt“180 zeigte. Dies belegen nicht nur mehrere Briefe Moltkes an seine Frau im Vor- und Nachhinein der Tagung,181 sondern auch Gerstenmaiers erhöhte Präsenz in den Winter177 Vgl. die Ergebnisse der zweiten Tagung bei Roon, Neuordnung, 545–550. Zur zweiten Tagung an sich vgl. Brakelmann, Yorck, 180–187. Zur Wirtschaftsauffassung der Kreisauer vgl. Ders., Wirtschaftsauffassung, 139–146. Zudem muss mit Freya von Moltkes Worten folgendes festgestellt werden (Moltke, Erinnerungen, 52): „Keine der Kreisauer Zusammenkünfte war eine reine Arbeitstagung. Es gab zwischendurch in kleinen Gruppen die schönsten Spaziergänge. Und sonntags gab es Kirchgänge zu Fuß nach Gräditz, wo jeder in seine Kirche gehen konnte.“ 178 Gerstenmaier, Streit, 158. Aus den Unterlagen des KK ist jene Fixierung dieses Teilstücks erst in den Grundsätzen für die Neuordnung vom 9. 8. 1943 zu entnehmen (vgl. Roon, Neuordnung, 561). Ob sich Gerstenmaier im Zeitraum der Diskussion darüber irrte oder ob das Teilstück wirklich erst ein gutes Jahr später von Moltke in den Grundsätzen zur Neuordnung fixiert wurde, kann heute nicht mehr klar nachvollzogen werden. 179 Gerstenmaier, Streit, 159. 180 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 198. 181 Hervorzuheben ist sowohl ein Brief Moltkes an seine Frau vom 6. 10. 1942 (Moltke, Briefe,

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monaten 1942/1943 in der Mitte des KK. Moltkes brieflicher Korrespondenz ist zu entnehmen, dass die klare Meinung und kohärente Position des evangelischen Theologen gefragt waren. Durch diesen Umstand flossen Gerstenmaiers Ansätze verschiedenartig in die weiteren Formulierungen, Vorbereitungen und Verbindungen des KK mit ein. Doch wie sind diese in jenen Wintermonaten praktisch zu greifen? Erstens wurde Gerstenmaier mit seiner Expertise in schwierig zu diskutierende und kontroverse Fragestellungen einbezogen: „T[rott] war sehr widerspenstig, aber mit G[erstenmaier]’s Hilfe wurde er in einer 3-stündigen Diskussion gezähmt. Er [Gerstenmaier] ist erstaunlich intelligent[,] aber dadurch sehr belastet.“182 Mit dem Briefausschnitt skizzierte Moltke Gerstenmaiers geschätztes und zugleich ambivalentes Wesen sehr trefflich. Auf der einen Seite schien er die „kristallklare Art von G[erstenmaier]’s Denkapparat“, wie er in einem weiteren Brief schrieb, zu schätzen und für „jede Unterhaltung doch ganz erheblich“183 zu halten. Auf der anderen Seite zeigte er sich über die zum Teil „sehr aggressiven Haltungen und Äusserungen“184 des Theologen verwundert. Beides trug jedoch zur weitgehenden themenübergreifenden Konsensfindung im Kreis bei.185 Zweitens wurde Gerstenmaier durch seine unmissverständliche Haltung und stetige Argumentation für einen gewaltsamen Umbruch der Verhältnisse186 in die Kooperationsversuche mit anderen deutschen Widerstandskreisen187 einbezogen. Man kann auf Grundlage seiner immer deutlicher werdenden Unrast auch sagen, dass seinem Vernetzungswunsch im KK Raum gegeben wurde. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die Kontaktaufnahme zur Gruppe um Carl Friedrich Goerdeler.188 Mit dem Versuch der Zusammenarbeit schlugen Johannes Popitz und Gerstenmaier, auf deren primäre Initiative die Kooperation zurück ging,189 die Brücke des KK zur

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418) vor der Tagung, in dem er schrieb: „Abends war ich bei Gerstenmaier, der gerade aus der Schweiz zurückkam und von dort einiges Interessantes mitbrachte. Wir haben jedoch hauptsächlich über die Vorbereitungen von Kreisau gesprochen […].“ und ein Brief vom 25. 10. 1942 nach der Tagung, in dem er hieß: „Gestern nachmittag hatte ich eine lange und befriedigende Unterhaltung mit Gerstenmaier […]. Er war sichtlich noch unter dem Spell der drei Tage in Kreisau und mir war das selbstverständlich sehr angenehm. Ich hatte mit ihm allerhand Fragen der weiteren praktischen Arbeit zu besprechen und er war gut in Form.“ (Ebd., 424 f). Brief Moltkes an seine Frau vom 5. 11. 1942 (Moltke, Briefe, 431). Brief Moltkes an seine Frau vom 13. 11. 1942 (ebd., 437). Brief Moltkes an seine Frau vom 5. 11. 1942 (ebd., 431). Vgl. dazu die Briefe Moltkes an seine Frau vom 17., 26. und 27. 11. 1942 (ebd., 438–443). Vgl. Kapitel 5.2.3. Nach Günter Schmölders bestand der deutsche Widerstand insgesamt aus zwölf bürgerlichen und fünf militärischen Kreisen (vgl. Schmçlders, Sozialismus, 9 f). Zum Goerdeler-Kreis und dessen Arbeit vgl. Klemperer, Verschwörer, 197–201, 296–305; Meyer-Krahmer, Goerdeler; und Ringshausen, Widerstand, 225–260. Vgl. Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 204.

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militärischen Opposition, da der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler wiederum konspirativ eng mit dem vormaligen Generalstabschef Ludwig Beck zusammenarbeitete.190 Obwohl Moltke der Vernetzung vorerst mit Ablehnung begegnete, versuchten Popitz, Gerstenmaier, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Ulrich von Hassell über viele Wochen ein geheimes Treffen der führenden Köpfe der beiden Kreise vorzubereiten und „eine Plattform für eine solche Begegnung zu schaffen.“191 Gerstenmaier bezeichnete Schulenburg in diesem Zusammenhang als einen „unbeirrte[n] Dränger und Mahner zur Tat“192, der als Kontaktmann zu den Militärs agierte. Am 8. Januar 1943 fand das langfristig geplante Treffen193 zwischen Moltke, Yorck, Trott, Schulenburg und Gerstenmaier auf der einen sowie Goerdeler, Beck, Hassell, Popitz und Jens Peter Jessen auf der anderen Seite in Yorcks Wohnung in der Hortensienstraße 50 statt.194 Aus drei wesentlichen Überlieferungen195 kann die erste Zusammenkunft zwischen dem KK und dem Goerdeler-Kreis gut rekonstruiert sowie Gerstenmaiers Rolle reflektiert werden. Zwischen beiden Kreisen bestanden nicht nur gravierende Unterschiede im Widerstandsverständnis,196 sondern auch in der Vorbereitung und in den Erwartungen an das Treffen. So schrieb Hassell wenige Tage nach dem ersten Gedankenaustausch in sein Tagebuch: „Recht interessant, aber im Grunde wenig befriedigend eine große Aussprache der ,Jungen‘ und der ,Alten‘ bei W[artenburg]. Die ,Jungen‘, die im Gegensatz zu den ,Alten‘ nach außen als Einheit auftraten, wurden geistig von dem mir wenig sympathischen, angelsächsisch-pazifistischen Gen[eralstabs]chef [Moltke] geführt. Am besten gefiel mir wieder Roggenmüller [Gerstenmaier], mit dem Geißler [Popitz] und ich schon vorher eine Aussprache hatten. Geibel [Beck] leitete sehr weich und zurückhaltend. Scharfer, von Pfaff [Goerdeler] bewußt, aber erfolglos verschleierter Gegensatz zwischen diesem und den Jungen, vor allem auf sozialem Gebiet. Pf[aff = Goerdeler] ist doch eine Art Reaktionär.“197

Hassell skizzierte, wie die Vorstellungen der Kreise aufeinander trafen. In gewisser Weise würdigte er jedoch die Kreisauer Planungen, die stark in Richtung Weimarer Verhältnisse strebten.198 Zudem benutzte er in seinen 190 191 192 193 194 195 196 197 198

Zu Goerdeler und Beck als Führer des zivilen Widerstandes vgl. Mommsen, Beck, 89–102. Gerstenmaier, Streit, 168. Gerstenmaier, Kreis, 228. Von Kreisauer Seite wurde das Treffen final am 6. 1. 1943 zwischen Moltke, Yorck und Gerstenmaier vorbereitet. Moltke schrieb darauf hin seiner Frau am gleichen Abend noch: am „Freitag steigt das Fest“ (Moltke, Briefe, 449). Zu dem Treffen vgl. auch Brakelmann, Yorck, 188–192. Vgl. Hassells Tagebucheintrag vom 22. 1. 1943 (Hassel, Tagebücher, 345–347); Brief Moltkes an seine Frau vom 9. 1. 1943 (Moltke, Briefe, 450 f); und Gerstenmaiers Erinnerungen (Gerstenmaier, Streit, 168–170). Zum tragenden Unterschied zwischen KK und Goerdeler-Kreis vgl. Fest, Staatsstreich, 163 f. Hassell, Tagebücher, 347. Vergleicht man die Gemeinschaftsdokumente des Goerdeler-Kreises mit den Entwürfen des

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Aufzeichnungen Tarnnamen, die in einer Mischung aus Berufsbezeichnungen, Charaktereigenschaften und kreativen Pseudonymen entstanden. Bemerkenswert ist, dass ihm Gerstenmaier – alias Roggenmüller – bei den Verhandlungen, die von Moltke und Goerdeler geleitet wurden, positiv auffiel. Zu vermuten ist, dass Gerstenmaier dem Goerdeler-Kreis inhaltlich sehr zugewandt und offen begegnete, da dieser im letzten Schritt von militärischer Gewalt ausging, um seine Planungen zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang schien der Theologe zwischen beiden Gruppen ausgleichend zu wirken und Hassells Wertschätzung zu erhalten. Dies lässt sich auch mit Gerstenmaiers Erinnerungen belegen. Demnach kulminierte der erste Gedankenaustausch zwischen beiden Gruppen in mehreren harten Auseinandersetzungen: „Bei uns galt Goerdeler zwar als ein ehrenwerter, aber an vergangenen Verhältnissen orientierter Mann. Er hingegen hielt Moltke für einen anglophilen Pazifisten und uns insgesamt für weltfremde Idealisten, zeitweilig sogar – verärgert – für Salonbolschewisten. […] Obwohl unsere Ideen sicher weithin im Kontrast zu denen der ,Exzellenzen‘ standen, sprach Goerdeler mit uns wie ein Kanzlerkandidat mit den Vertretern einer kleinen Partei, die er für die von ihm zu führende Koalitionsregierung gewinnen möchte. […] Schließlich wurde es mir zu viel. Ich sagte, der Herr Oberbürgermeister möge verstehen, daß es uns mit unseren sozialstaatlichen Vorschlägen nicht darum gehe, nur ein Klima der patriarchalischen Herablassung im zukünftigen Deutschen Reich heraufzuführen. Wir möchten neue Rechtsmittel schaffen, Grundrechte, auf die sich jeder Deutsche berufen könne.“199

Gerstenmaier übernahm an dieser Stelle die Rolle des Vermittlers und Erklärers. Wenngleich der KK dem Goerdeler-Kreis im weitesten Sinne auch entgegen kam und Goerdeler als zukünftigen Reichskanzler akzeptierte, traten „bei dem Treffen viele Bruchlinien offen zutage“200, die auch die zum Ende der Gespräche gereichte gelbe Erbsensuppe nicht zu kitten vermochte. Moltke trat noch in der Nacht nach dem Treffen mit Trott, Yorck und Gerstenmaier zu einer „Manöverkritik“201 zusammen, um das weitere Vorgeben mit dem Goerdeler-Kreis zu diskutieren. Die stetig fortgesetzten Gespräche belegen, dass der KK trotz aller Unterschiede kooperieren wollte und Gerstenmaier in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle in der Vermittlung einnahm.202

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KK, so werden vor allem signifikante Unterschiede in der Sozialpolitik, der Wirtschaftsliberalität sowie in der Frage nach dem Verhältnis von Legislative und Exekutive bzw. dem Deutschen Reich und den nachgeordneten Verwaltungseinheiten ersichtlich (vgl. Stickler, Totalität, 113 f; Schramm, Beck; und Roon, Neuordnung, 542–571). Gerstenmaier, Streit, 169 f. Schilmar, Europadiskurs, 324. Brief Moltkes an seine Frau vom 9. 1. 1943 (Moltke, Briefe, 450 f). Aus den Hassell-Tagebüchern sind zahlreiche Berichte über weitere Treffen zu entnehmen.

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Drittens wurde Gerstenmaier im KK als Fachmann für kirchliche Fragen und Kontakte wahrgenommen.203 Er bildete mit seinen Verbindungen zum Protestantismus das Pendant zu Moltkes Dauerdialog zum Katholizismus.204 Nicht nur Gerstenmaiers Konnex zu Wurm war für den Kreis ausschlaggebend, sondern auch seine Beziehungen zu anderen Kirchen im Ausland, denen er allein schon durch seine beruflichen Verpflichtungen im KA als ÖkumeneVerantwortlicher nachzugehen hatte. Wichtig war vor diesem Hintergrund, dass Heckel seinem Mitarbeiter „in den Fragen meines Referates immer mehr freie Hand“205 ließ und er so Beruf mit Berufung verbinden konnte. Vor allem die skandinavischen Kirchen waren für den KK von großem Interesse.206 In Stockholm hatte sich frühzeitig ein „denkbar wichtiger Kontaktplatz des anderen Deutschland“ gebildet und das Nordische Ökumenische Institut (NÖI) in Sigtuna leistete unter Harry Johansson dem deutschen Widerstand „wesentliche Dienste.“207 1942 hatte der KK den Kontakt mit dem NÖI aufgenommen, um die Positionen der deutschen Opposition zielgerichtet zu verbreiten. Gerstenmaier nahm in diesem Bestreben eine wichtige Aufgabe für den KK ein, da ihm die kirchlichen Strukturen und Verantwortungsträger bereits aus seiner Arbeit für das KA vertraut waren.208 Er fuhr im Zuge dessen sooft er konnte nach Schweden. Dort wurde er durch Johanssons Vermittlung mit führenden politischen Köpfen, Bischöfen, Kabinettsmitgliedern und Beamten des Landes zusammengebracht, sodass sich diese „eigene Eindrücke von der tatsächlichen Existenz und [der] Verhaltensweise des ,anderen Deutschland‘“209 machen konnten. In dieser Kohärenz reisten auch Moltke drei Mal und Trott vier Mal zwischen 1942 und 1944 nach Schweden.210 Björn Ryman kritisierte in seiner Forschung zu Recht, dass bisher unzureichend anerkannt sei, wie sich die Verbindungen des KK nach Schweden auf

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Beispielhaft seien die Einträge vom 28. und 29. 3. 1943 (Hassell, Tagebücher, 355–360), vom 28. 7. 1943 (ebd., 374–377) und vom 19. 9. 1943 (ebd., 388–392) zu nennen. Vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 27. 11. 1942 (Moltke, Briefe, 442 f). Zu Moltkes Dauerdialog zum Katholizismus sowie seinen Verbindungen zu den deutschen Bischöfen vgl. Brakelmann, Christsein, 107–153; und Roon, Neuordnung, 235–245. Auch Gerstenmaier versuchte über seine protestantische Position in Kontakt mit wichtigen Vertretern der römisch-katholischen Kirche zu kommen. Anzuführen ist in diesem Zusammenhang vor allem ein Treffen mit Robert Leiber im Arbeitszimmer des Pfarrers der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom, Erich Dahlgrün. Leiber war nicht nur Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana, sondern auch persönlicher Mitarbeiter und Beichtvater von Papst Pius XII. Leiber und somit auch Papst Pius XII. wurden von Gerstenmaier über die deutsche Opposition entsprechend informiert (vgl. Gerstenmaier, Streit, 176). Ebd., 175. Zu den weiteren Verbindungen des KK zu alliierten Widerstandskreisen im Ausland vgl. Klemperer, Verschwörer, 309–326. Gerstenmaier, Streit, 139. Zu den Bemühungen des KA um die skandinavischen Kirchen und Gerstenmaiers Rolle vgl. Kapitel 4.4.2. Gerstenmaier, Streit, 142. Vgl. Ryman, Sigtuna-Gruppe, 79–84; und Klemperer, Verschwörer, 256–260.

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einem bereits bestehenden ökumenischen Netzwerk aus Gerstenmaier, Schönfeld, Ehrenström und Johansson aufbauten. Über das Dreieck Berlin, Genf und Sigtuna tauschten sich die Männer bereits vor Gerstenmaiers Tätigkeit im KK aus und versuchten gegen den Nationalsozialismus Zeichen zu setzen.211 Ab 1942 intensivierte sich die Beziehung unter dem Vorzeichen der detaillierten Planungen des KK. Johansson war nach Ryman in diesem Zusammenhang „wie eine Spinne im Netz der Geheimoperationen der Kreisauer in Schweden“ und stand dabei trotzdem in „Gerstenmaiers Schatten.“212 Das bedeutete nicht, dass Johansson Gerstenmaier in theologischen und ekklesiologischen Diskussionen sowie der entscheidenden zwischenkirchlichen Kommunikation nicht gewachsen war, sondern eher, dass er aufgrund seines Gemütes „als Mann hinter der Bühne“213 charakterisiert werden konnte.214 Neben Johansson kam im Berlin-Genf-Sigtuna-Netzwerk vor allem Schönfeld eine entscheidende Rolle zu. Schönfeld war „mehr als unser Kurier“, wie Gerstenmaier später schrieb, sowie „sicher der aktivste und beweglichste Vertreter des deutschen Widerstandes in der ökumenischen Welt.“215 Er brachte am 31. Mai 1942 das sogenannte Schönfeld-Memorandum als „Statement by a German pastor at Stockholm“ auf den Weg, welches den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Auszügen beschrieb, die Ziele für ein neues demokratisches Deutsches Reich skizzierte und Visionen für einen Bund von freien europäischen Ländern darlegte, der auf einer supranationalen Zusammenarbeit der einzelnen Staaten beruhen sollte.216 Schönfeld griff dabei zahlreiche Überlegungen der Kreisauer auf. Somit kann das Memorandum auf den Austausch im Berlin-Genf-Sigtuna-Netzwerk zurückgeführt werden. Inwieweit „sein Freund Eugen Gerstenmaier“217 an der Entstehung des Memorandums mitgewirkt hatte, kann quellentechnisch nicht belegt werden. Im Hinblick auf die inhaltliche Gewichtung und den stetigen Austausch ist eine gedankliche Mitwirkung Gerstenmaiers jedoch zu vermuten. Die kontinuierliche Informationsweitergabe und Kontaktvermittlung im Berlin-Genf-Sigtuna-Netzwerk band sich nicht nur an Schweden; auch im Deutschen Reich kam es zu gemeinsamen Treffen. Dies belegt ein Brief Gerstenmaiers, den er am 14. Januar 1971 auf eine Anfrage zur Schwedenverbindung des KK an den Historiker Peter Hoffmann sandte. 1943 habe er 211 212 213 214

Vgl. Ryman, Sigtuna-Gruppe, 74 f. Ebd., 75. Ebd. Ryman stellte im Rahmen seiner Forschung zudem heraus, dass Johansson und Gerstenmaier „eine lebenslange Beziehung“ (ebd., 78) verband, die aus der gemeinsamen geheimen Arbeit zwischen 1940 und 1944 resultierte. 215 Gerstenmaier, Kreis, 238. 216 Vgl. die englische Originalversion des Memorandums bei Roon, Neuordnung, 575–577 und die deutsche Übersetzung bei Brakelmann, Kreis, 215–218. 217 Ryman, Sigtuna-Gruppe, 78.

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sich demnach im Auftrag der Kreisauer mit Schönfeld und Johansson im Haus des Möbelfabrikanten Willy Knoll in Stuttgart getroffen. Die Zusammenkunft beinhaltete neben einer „verhältnismässig exakten Situationsbesprechung und einem eingehenden Gespräch über unsere Auslandskontakte“218 auch einen Austausch zu den weiteren Initiativen zwischen dem KK und den in Schweden sowie der Schweiz vernetzten Ökumenikern. Anzunehmen ist, dass dabei auch die Nachwirkung des Schönfeld-Memorandums zur Sprache kam. Im Sommer 1943 steigerte sich Gerstenmaiers Engagement im KKweiter. In diesem Zeitraum schien es bereits offensichtlich zu sein, dass der Krieg für das Deutsche Reich nicht mehr zu gewinnen war. Zu groß waren die militärischen Verluste an der Ostfront und immer mehr Informationen über die menschenrechtswidrigen Verbrechen der Wehrmacht sowie der SS wurden bekannt. Vor diesem Hintergrund fand die dritte Tagung des KK vom 12. bis zum 14. Juni 1943 auf Moltkes schlesischem Gut statt.219 Diesmal kreisten die Diskussionen thematisch um die Grundlagen einer neuen Außen- und Wirtschaftspolitik sowie den juristischen Umgang mit den nationalsozialistischen Kriegsverbrechern.220 Freilich wurden auch diese Themen akribisch im kleineren Kreis in Berlin vorbereitet. Passagen Moltkes an seine Frau wie „Adam, Eugen, Peter und Marion […] haben wieder ein Stück des Weges durch den Dschungel geklärt“221 oder „Wir haben die Fortschritte besprochen, die Pfingsten betreffend von diesen beiden [Yorck und Gerstenmaier] gemacht worden sind. Sie sind im ganzen befriedigend. Jedenfalls scheint alles einigermassen programmässig gegangen zu sein“222 belegen, wie sich Gerstenmaier in die Vorbereitungen einbrachte. Hervorzuheben ist, wie der KK den Protest des württembergischen Landesbischofs gegen die Reichsbehörden verfolgte und mit ihm sich im stetigen Gespräch befand. Bereits am 12. März 1943 hatte Wurm beim Reichskirchenminister gegen die Deportation von sogenannten Mischlingen und Juden in sogenannten Mischehen interveniert.223 Dass der KK über die weitere Planung von Wurms Protest informiert war, zeigen zwei Briefe Moltkes an seine Frau.224 Nach einem Treffen mit Wurm und Pressel bei Gerstenmaier schrieb Moltke am 6. Mai 1943: „W[urm] machte wieder einen so guten und weisen Eindruck.“225 Der württembergische Landesbischof wandte sich in diesem Zeitraum mehrfach an Politiker und benannte schonungslos die deutschen Verbrechen an den Juden. Den Höhe218 Brief Gerstenmaiers an Hoffmann vom 14. 1. 1971 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-037). 219 An der Tagung nahmen folgende Personen teil: die Ehepaare Moltke und Yorck, Yorcks Schwester Irene, Delp, Husen, Trott, Einsiedel, Reichwein und Gerstenmaier. Zur dritten Tagung vgl. Bleistein, Dossier, 179–299; und Brakelmann, Yorck, 196–208. 220 Vgl. die Beschlüsse der dritten Tagung bei Roon, Neuordnung, 550–556. 221 Brief Moltkes an seine Frau vom 20. 4. 1943 (Moltke, Briefe, 475). 222 Brief Moltkes an seine Frau vom 5. 5. 1943 (EBD., 479 f). 223 Vgl. die Intervention Wurms bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 659 f. 224 Vgl. Briefe Moltkes an seine Frau vom 5. und 6. 5. 1943 (Moltke, Briefe, 479 f). 225 Brief Moltkes an seine Frau vom 6. 5. 1943 (ebd., 480).

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punkt bildete schließlich sein Appell an Hitler und die Reichsregierung vom 16. Juli 1943, in dem er gegen die bekannt gewordenen Massenmorde protestierte.226 Sein Protest war „ohne Beispiel“227 und wurde von den Kreisauern nachdrücklich gelobt. Moltke schrieb dazu euphorisch: „Eugen’s Chef hat endlich sein Meisterwerk von sich gegeben. Es ist wirklich ein Meisterwerk, etwas ganz Bedeutendes und ich freue mich [über] Eugen’s Erfolg sehr.“228 Die Begeisterung des Grafen demonstriert, dass Gerstenmaier in die Genese des Protestes anscheinend mit eingebunden war oder zumindest zwischen Wurm und dem KK Informationen weitergab. Da Wurms Protest schnell im kirchlichen Umfeld zirkulierte und auch im Ausland Beachtung fand, ist zu vermuten, dass auch daran Gerstenmaier einen entscheidenden Anteil hatte. Der Versuch von Moltke und Gerstenmaier, die Fuldaer Bischofskonferenz über Konrad Graf von Preysing zu einer ähnlichen Protestaktion zu bewegen, war nicht von Erfolg gekrönt.229 Die Überlegungen des KK zur zukünftigen Neugestaltung waren sowohl innerhalb der drei Tagungen in Kreisau als auch bei mannigfachen Gesprächen in Berlin ausführlich diskutiert worden. Im Sommer 1943 wurden die Ergebnisse im kleinen Kreis vor allem in Moltkes Wohnung präzisiert, zusammengefasst und schriftlich fixiert. Mit leichten Abänderungen und Ergänzungen entstanden daraus die auf den 9. August 1943 datierten „Grundsätze für die Neuordnung“230 des Deutschen Reiches. Damit gab sich der Kreis ein Programm, das die groben Linien ihrer Visionen für die Zeit nach einem Zusammenbruch „unabhängig von tradierten Ideen, von wissenschaftlichen Lehrmeinungen und bekannten juristischen und theologischen Kontroversen und Begriffsbildungen“231 skizzierte. Zudem spiegelte es die Bedeutung der beiden Gruppen wider, die beim Wiederaufbau nach der Auffassung der Kreisauer die Träger der geistig-sittlichen Neuordnung darstellen sollten; nämlich die Arbeiterschaft und die Kirchen.232 „Es gab allerlei wichtige Differenzen, und es war erfreulich zu sehen, wie stark das Gemeinsame doch war, welches solche Differenzen erträglich machte“233, schrieb Moltke über den Entstehungsprozess an seine Frau. Wie intensiv sich Gerstenmaier in die Endphase des Papiers mit einbrachte, zeigen die gehäuften Treffen in verschiedenen Konstellationen am 27., 28., 29. und 30. Juli 1943, bei denen Gerstenmaier stetig anwesend war.234 Ebenso auf den 9. August 1943 datierte 226 227 228 229 230 231 232 233 234

Vgl. den Protest Wurms bei Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 662–664. Arnhold/Lenhard, Kirche, 49. Brief Moltkes an seine Frau vom 18. 7. 1943 (Moltke, Briefe, 508). Zum Versuch vgl. Gerstenmaier, Streit, 167. Zu den Kontakten zwischen Preysing, Moltke und dem KK vgl. Knauft, Preysing, 196–210. Vgl. die Grundsätze für die Neuordnung bei Roon, Neuordnung, 561–567. Gerstenmaier, Streit, 182 f. Vgl. Roon, Neuordnung, 256. Brief Moltkes an seine Frau vom 18. 7. 1943 (Moltke, Briefe, 508). Vgl. Briefe Moltkes an seine Frau vom 27./28./29./30. 7. 1943 (ebd., 511–515).

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der KK die finale Fassung der „Erste[n] Weisung an die Landesverweser“,235 die sich vordergründig der strukturellen Reorganisation des Reiches widmete. Obwohl Gerstenmaier schrieb, dass personelle Erwägungen dabei nicht im Vordergrund standen, wurde für das Amt des Reichsverwesers vom KK Wurm präferiert, der jedoch auf Gerstenmaiers Nachfrage hin wenig Ambitionen dafür zeigte.236 Gerstenmaier ist nicht nur durch seine vielfältige Präsenz, sondern vor allem durch seine thematischen Impulse als zentrales Mitglied des KK wahrzunehmen. Freya von Moltke und Marion Yorck von Wartenburg schrieben 1945 über ihn: „Für die Diskussionen des Freundeskreises war seine sprungbereite geistige Intensität und sein philosophisch geschulter klarer Verstand anregend und belebend.“237 Als Theologe hatte er sich bereits 1942 parallel zu seinem Eintritt in den KK in die sichtbare Lücke zwischen Protestantismus und Nationalsozialismus vorgewagt. Anders als im Katholizismus gab es auf evangelischer Seite kein geschlossenes System verbindlicher Soziallehren. Nach Ger van Roon fiel es in der damaligen Zeit schwer, sich ausschließlich an Luthers Zwei-Reiche-Lehre zu orientieren.238 Die persönliche, individualistische Existenz wurde durch die totalitären Ansprüche des Staates mehr und mehr gefährdet. Gerstenmaier forderte vor diesem Hintergrund – in einem nicht zur Veröffentlichung gekommenen Artikel239 – eine „personalistische Ethik“240 auf christlicher Grundlage, der es um das wahre Menschsein im Personsein des nach Gott geschaffenen Menschen gehen müsse. Damit wandte er sich gegen die Verdinglichung des Individuums, gegen die Verzweckung des Einzelnen, die sowohl vom Nationalsozialismus als auch vom Kommunismus ausging. Den Auftrag der Kirchen benannte er darin, sich mit der christlichen Botschaft entgegen jener zeitgenössisch-gesellschaftlichen und -politischen Tendenz klar zu einer menschenwürdigen Ordnung in einer Synthese von Freiheit und Bindung des Individuums zu bekennen. Gerstenmaiers Ansatz einer evangelischen Sozialethik floss in die konspirativen Überlegungen des KK ebenso mit ein;241 wie Delps erst 1944 abgeschlossene Arbeit „Die dritte Idee“, in der er eine eher katholisch geprägte Sozialethik für das neue Deutschland entwarf.242 Hervorzuheben ist in diesem Zusammengang die konsequent abgelehnte Zusammenarbeit mit Kommu235 Vgl. die erste Weisung an die Landesverweser bei Roon, Neuordnung, 567–571. 236 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 171 f. 237 Erinnerungen von Marion Yorck und Freya Moltke vom 15. 10. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 238 Vgl. Roon, Neuordnung, 189. 239 Zum Inhalt und dem vergeblichen Versuch der Publikation des Artikels „Die Zukunft der Person. Zum Kulturwandel und Strukturproblem der christlichen Ethik“ 1942 vgl. Kapitel 4.4.3. 240 Gerstenmaier, Zukunft, 30 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-002). 241 Vgl. Schmçlders, Sozialismus, 15. 242 Vgl. Delps Arbeit „Die dritte Idee“ bei Brakelmann, Kreis, 340–371. Zur sozialethischen Diskussion der Arbeit vgl. M ller, Sozialethik, 137–156.

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nisten, die sich sowohl in Gerstenmaiers Artikel als auch im KK widerspiegelte. „Wir beabsichtigten nicht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Wir sahen in Stalin […] eine noch üblere Ausgabe des totalitären Staates als in der Herrschaft Hitlers.“243 In der Zusammenführung seines intellektuellen, ideengeschichtlichen und theologischen Einflusses ist erneut zu konstatieren, wie Gerstenmaier Beruf und Berufung miteinander verband. Mit der Fertigstellung der Grundsatzpapiere intensivierte der KK im Herbst 1943 seinen Austausch mit anderen Personen und Gruppen. Die entscheidende Person war in diesem Zusammenhang ohne Frage Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Jedoch pflegte vorerst nicht Claus, sondern sein Bruder Berthold Schenk Graf von Stauffenberg den Kontakt zu Moltke, den er über das OKW kennenlernen konnte. „[M]indestens viermal“244 hatte der beim Oberkommando der Marine (OKM) beschäftigte Vetter Yorcks an Treffen des KK in Berlin teilgenommen. Obwohl ihm, dem „handlungswilligen Positivsten“, der Kreis „zu theoretisch“245 erschien, brachte er seinen Bruder Claus, der beim Oberkommando des Heeres (OKH) tätig war, 1943 sowohl mit dem KK als auch dem Goerdeler-Kreis zusammen und wirkte bei der Gesamtverschwörung nachweislich mit.246 Erstmals erwähnte Moltke Claus Stauffenberg in einem Brief an seine Frau vom 31. Dezember 1943: „Gestern war der ältere Bruder Stauffenberg da. Ein guter Mann, besser als mein Stauffi, männlicher und mit mehr Charakter.“247 Der Ausschnitt belegt, dass Moltke zu Berthold ein vertrautes Verhältnis gepflegt haben musste und Claus auf ihn einen „nachhaltigen Eindruck“248 gemachte hatte. Ähnlich beschrieb auch Gerstenmaier in seinen Erinnerungen die erste Begegnung mit dem aus Süddeutschland stammenden Adeligen. Von ihm schien eine „Kraft der Anziehung aus[zugehen], die ich mit angenehmer Verwunderung empfand.“ Weiter schrieb er: „Ich meine, daß schon damals jener Eindruck geheimer Bestimmung von ihm ausging, den ich erst zu artikulieren vermochte, als uns seine geschichtliche Rolle deutlich zu werden begann.“249 Spannend ist, dass Gerstenmaier die erste Begegnung mit Stauffenberg – anders als Moltke – bereits im Herbst 1943 datierte. Schulenburg hatte demnach die beiden StauffenbergBrüder zu einem Treffen bei Yorck mitgebracht. Die Unterhaltung schien „lebhaft“ und „heiter“250 verlaufen zu sein. Auch Brakelmann benannte in seiner Yorck-Biografie, dass im September und Oktober 1943 mehrere Treffen zwischen Stauffenberg und den Kreisauern stattgefunden hatten.251 Wann 243 244 245 246 247 248 249 250 251

Gerstenmaier, Streit, 152. Vitzthum, Staatswissenschaften, 92. Ebd. Vgl. ebd. Briefe Moltkes an seine Frau vom 31. 12. 1943 (Moltke, Briefe, 580 f). Brakelmann, Moltke, 306. Gerstenmaier, Streit, 180. Ebd., 179. Vgl. Brakelmann, Yorck, 204 f.

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genau Stauffenberg letztlich die Verbindung zum KK fand, ist an sich unerheblich, da eines ab Ende 1943 immer klarer wurde: Der KK wollte sich an den Staatsstreichplänen Stauffenbergs beteiligen. Obwohl die Position zu einen Attentat weiterhin innerhalb des KK umstritten blieb,252 können die Kreisauer spätestens ab diesem Zeitpunkt zu Stauffenbergs breit aufgestelltem Netzwerk gezählt werden. Mit diesem Schritt verband sich ein gravierender Wandel der intentionalen Ausrichtung des KK. Der Anschluss an Stauffenberg hatte zum Resultat, dass die Kreisauer über das von Moltke später skizzierte „Wir haben nur gedacht“253 hinaus gehen wollten. Den bisherigen Wartestand ließ der Kreis damit hinter sich und wandte sich nach seiner ausführlichen, abstrakten Beschäftigung mit einem postnationalsozialistischen Deutschen Reich einer „intensivierten Kontaktpflege und der Schaffung von weiteren Querverbindungen zum militärischen Widerstand“254 zu. Obwohl der KK im Januar 1944 infolge Moltkes Verhaftung durch die Gestapo seinen „Kopf“255 verlor,256 steigerte sich die Zusammenarbeit in den nächsten Monaten. Gerstenmaier schrieb dazu, dass es viele Treffen mit Stauffenberg und seinen Freunden in Yorcks Wohnung oder im OKW in der Bendlerstraße 11–13 gegeben habe und dass die militärischen Vorbereitungen energisch voran eilten.257 Der KK war bereit, seine programmatischen Vorstellung innen- und außenpolitischer Art, die seit Herbst 1943 vollendet vorlagen, in eine Debatte nach einem erfolgreichen Staatsstreich einzubringen. Dazu wurden Haubach und Gerstenmaier vom Kreis gebeten, die „Kreisauer Entwürfe einer Schlußredaktion zu unterziehen“258. Inwieweit dabei Änderungen oder Anpassungen der Grundsatzerklärung vorgenommen wurden, kann heute aufgrund der fehlenden Überlieferung nicht mehr bestimmt werden. Festzustellen bleibt, dass sich ein Großteil der Kreisauer in die Planungen des Staatsstreichs um Stauffenberg und den entsprechenden militärischen Widerstand integrierten und integrieren ließen.

252 253 254 255 256

Vgl. Kapitel 5.2.3. Briefe Moltkes an seine Frau vom 10. 1. 1945 (Moltke, Briefe, 602). Brauer, Bibel, 371 f. Kroeger, Rolle. Gerstenmaier verwahrte sich 1967 in einem Artikel gegen Roons Darstellung, dass es ab Januar 1944 keinen KK, sondern nur noch Kreisauer gab (vgl. Roon, Neuordnung, 288). Dies bezeichnete Gerstenmaier als „objektiv falsch“. „Die Darstellung geht aber auch von einer unhaltbaren Auffassung der inneren Struktur und des Charakters des Kreises selber aus. Denn bei aller Bedeutung Moltkes für den ganzen Kreis kann doch keine Rede davon sein, daß der Kreis nach Moltkes Verhaftung gewissermaßen kopflos fremden Einflüssen verfallen wäre, die in Moltkes Anwesenheit nicht hätten aufkommen können. Wer sich die Sache so verstellt, hat keine Ahnung von dem Charakter und der Selbstständigkeit aller Kreisauer.“ (Gerstenmaier, Kreis, 232). 257 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 180 f. 258 Ebd., 181.

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5.2.3 Der Tyrannenmord als Frage der Moral Um eine Neuordnung der staatlichen Verhältnisse auf der ethisch fundierten Grundlage des Christentums Wirklichkeit werden zu lassen, wie es sich der KK vorstellte,259 bedurfte es eines gelungenen Staatsstreiches als zwingender Voraussetzung für die Umsetzung der Kreisauer Visionen. Dem inhaltlichen Konsens für die aktive Neugestaltung des postnationalsozialistischen Deutschen Reiches stand jedoch eine kontroverse Diskussion um das einzusetzende Mittel für einen Staatsstreich entgegen, die wie keine andere Frage den diskursiven Geist des Kreises prägte. Obwohl sich der KK während der dritten Kreisauer Tagung zu Pfingsten 1943 ausführlich mit der „Bestrafung von Rechtsschändern“260 beschäftigt hatte und es weitgehende Einigkeit für einen rechtsstaatlichen Wiederaufbau im Sinn des Prinzips nulla poena sine lege gab,261 stellte ein diskutiertes Attentat auf Hitler als Voraussetzung für einen gelingenden Staatsstreich zweifellos das zentrale Konfliktthema des KK dar. Da es sich bei dem sogenannten Tyrannenmord um eine äußerst sensible Frage handelte, wird im Folgenden der Schwerpunkt auf der religiös und moralisch inspirierten Rechtfertigung der Bereitschaft zum Mord an einem Tyrannen sowie besonders auf Gerstenmaiers Begründung seiner Position liegen.262 Doch wie kann der Tyrannenmord zeithistorisch eingeordnet werden? Per Definition bezeichnet der Begriff an sich die Tötung eines als ungerecht empfundenen Herrschers, eines Tyrannen, der seine Bevölkerung mutwillig und gewaltsam unterdrückt. Nach Friedrich Schoenstedt müsse dabei zwischen der Tyrannei ohne amtliche Legitimation und der Tyrannei mit legalem Amt differenziert werden.263 In Hitlers Person vereinten sich in gewisser Weise beide Formen zu einer „Inkarnation des totalen Bösen in der Politik.“264 Wie sollte nun mit einer derartigen Interpretation der staatlichen Obrigkeit um259 Vgl. Kapitel 5.2.2. 260 Vgl. den von Husen primär vorbereiteten und von Moltke notierten Umgang mit Rechtsschändern in den Ergebnissen sowohl in einem ersten Entwurf vom 14. 6. 1943 als auch einem zweiten vom 23. 7. 1943 bei Roon, Neuordnung, 553–560. 261 Nach dem Gesetzlichkeitsgrundsatz (keine Strafe ohne Gesetz) fasste Gerstenmaier das einheitliche Vorhaben zur Rechtsstaatlichkeit in seinen Erinnerungen präzise zusammen: „Da wir auf Hitlers Terror nicht neuen Terror folgen lassen wollten, mußten wir einen blutigen revolutionären Racheakt an den Repräsentanten des Regimes und ihren Henkersknechten zu verhindern suchen. Wir wollten keine Nacht der langen Messer. Wir wollten Recht. Geordnet gehandhabtes und vollzogenes Recht. […] Wir waren entschlossen, an den fundamentalen Grundsätzen des Rechtsstaates festzuhalten, richtiger: sie wieder auf den Leuchter zu stellen.“ (Gerstenmaier, Streit, 165). 262 Dabei wird vor allem mit Dokumenten und Rechtfertigungen nach 1945 gearbeitet, da zu diesem Themenbereich so gut wie keine zeitgenössischen Quellen überliefert bzw. angefertigt wurden. 263 Vgl. Schoenstedt, Tyrannenmord, 50 f. 264 Foerster, Hitler, 38.

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gegangen werden und wie beurteilten dies die Kirchen? Das paulinische Obrigkeitsverständnis aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes beeinflusste nicht nur Martin Luther in seiner politischen Ethik und entsprechenden Theologie maßgeblich,265 sondern auch die protestantische Interpretation der staatlichen Obrigkeit während der nationalsozialistischen Zeit.266 Mit Verweis auf Luthers defensive Haltung zum Staat, die einen Tyrannenmord mit ethischen und theologischen Argumenten schier unmöglich machte, wirkte sich diese auf die Widerstandsbereitschaft der deutschen, mehrheitlich christlich geprägten Bevölkerung nachhaltig aus.267 Obwohl sich Gerstenmaier primär als lutherischer Theologe beschreiben lässt, erkannte er lange vor seiner konspirativen Mitarbeit im KK, dass eine Änderung der politischen Gegebenheiten durch einen Staatsstreich nur gelingen könne, wenn Hitler gewaltsam beseitigt würde.268 Stand seine konsequente Erkenntnis, nur über einen Tyrannenmord zum Ziel kommen zu können, also gegen seine theologische Prägung und seinen Glauben? Hoben sich beide intrinsischen Voraussetzungen für entsprechendes Handeln nicht gegenseitig auf ? Der lutherische Theologe Hans Asmussen ging auf diesen Zusammenhang in einer späteren Gedenkpredigt ein.269 Auf der Grundlage von Hebräer 11, 33–35 skizzierte er zwei Fragen, mit denen sich die Christen während der nationalsozialistischen Herrschaft beschäftigen mussten und die sie mit dem Glauben zu beantworten suchten: „Wenn die Dinge des allgemeinen Wohles so aussichtslos geworden sind, wie sie es unter Hitler waren, wenn die eigene Kraft nicht ausreicht, um das zu ändern, da die geltenden Gesetze einer Änderung entgegenstehen, soll man dann die Änderung Gott anheim stellen, oder soll man über die eigene Kraft und gegen das geltende Gesetz gewaltsam eine Änderung erstreben? Die andere Frage ist zugleich damit gestellt. Darf ich, sofern ich mich für eine gewaltsame Lösung entscheide, das mir von Gott gegebene Leben in die Schanze schlagen und auch das Leben derer, die mir anvertraut sind, riskieren?“270

Gerstenmaier neigte sich beiden Fragen positiv zu. Er wollte die nach Römer 13 göttlich legitimierte Obrigkeit nicht für sein eigenes Denken und Handeln anerkennen. Mehr noch sah er in Hitler und seinen Schergen durch deren Denken und Handeln, deren Selbstvergötterung und Pseudoreligiosität –

265 Zu Luthers politischer Ethik und Theologie vgl. St mke, Friedensverständnis, 73–272. 266 Zum theologischen Obrigkeitsverständnis am Beispiel von Emanuel Hirsch vgl. Reimer, Hirsch, 274–297. 267 Zum ethischen und rechtlichen Problem mit dem Widerstand auf der Seite der Kirchen vgl. Ringshausen, Problem, 191–202; und Wassermann, Widerstand, 203–213. 268 Vgl. Kapitel 5.1.1. 269 Asmussen predigte am 20. Juli 1961 in Berlin-Dahlem über Hebräer 11, 33–35. 270 Asmussen, Tyrannenmord.

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ähnlich wie Otto Dibelius später271 – eine „pervertierte Obrigkeit“272 gegeben, der ein gläubiger Christ entgegentreten müsse. Einem inneren Rückzug der Christen in den metaphorischen Elfenbeinturm widersprach der Theologe damit vehement. Die Lutherinterpretation der deutschen Theologie war nach seiner Auffassung an ihre Grenze gestoßen.273 In einer späteren Predigt über Römer 13,1–10274 entfaltete er seine Interpretation der christlichen Ausgangslage. Da für ihn eine „fromme Weltflucht […] keine Möglichkeit wahren christlichen Daseins in dieser Welt“275 darstellte, insistierte er: „Von uns Christen ist vielmehr eine höchst persönliche Stellungnahme zum Staat gefordert.“276 Jeder Christ müsse sich demnach eine Meinung bilden und sich daran messen lassen können. Die „persönliche Stellungnahme“ zielte hier mehr oder minder darauf ab, dass jeder Christ auch gleichzeitig Staatsbürger war und sich vor den weltlichen Gegebenheiten nicht verschließen konnte. Weiter führte er in der Auslegung von Römer 13 fort: „Der Apostel will nicht einfach unseren äußeren Gehorsam im Staat, sondern er will unsere Mitverantwortung, unsere innere politische Stellungnahme und Anteilnahme an der staatlichen Ordnung, er will unsere Liebe, und das heißt, er will auch unsere Gewissensentscheidung zu staatlichen Geboten und Befehlen. […] Das Wort gilt für die Beziehung, für das Verhältnis des Christen zur gegebenen staatlichen Gemeinschaft. Es ist das Fundament der Freiheit wie der Bindung des Christen im Staat und an den Staat. An der von Gott gebotenen und geschenkten Liebe ist alles zu prüfen. Gehorsam und Widerstand gegen staatlichen Befehl und Staatsgewalt entscheiden sich in ihr. Die Liebe gebietet uns, für das Recht zu zeugen und der Ungerechtigkeit zu widerstehen. Die Liebe gebietet den freien Gehorsam, der etwas anderes ist als die mechanische Mitläuferrolle oder die furchtsame Untertanengesinnung.“277

In der Liebe spiegelten sich für Gerstenmaier die Maxime des Obrigkeitsgehorsams wider, die in ihren Grundfesten an das Gewissen gebunden war. Daraus schlussfolgerte er weiter:

271 Zum Perversionsverständnis von Dibelius vgl. Dibelius, Grenzen; und Greschat, Römer, 63–93. 272 Gerstenmaier, Streit, 178. 273 In einem späteren Brief an Hörr vom 2. 12. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2) schrieb Gerstenmaier: „Diese Interpretation hat sich mit ihren Kunststücken in der Rechtfertigung des Nationalsozialismus so verspielt, dass sie nicht mehr erörtert zu werden braucht. Sie hat es verstanden, aus der Not eine Tugend zu machen, aber welchen Dienst sie damit Luther, der Reformation, der Kirche oder der Heiligen Schrift erwiesen hat, das ist eine andere Frage.“ 274 Gerstenmaier hielt die Predigt am 30. 1. 1949 in der Stockholmer St. Gertrud Gemeinde. 275 Gerstenmaier, Predigt, 37. 276 Ebd., 41. 277 Ebd., 42.

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„Der Widerstand mag im Namen der Ordnung geboten und der Kampf gegen die Träger der Staatsmacht von uns gefordert sein. […] Maßstab und Prüfstein dabei kann für den Christen nur die Liebe zu den Brüdern und zur Gott gebotenen Gerechtigkeit sein. Die Kirche soll einen solchen Widerstand nicht organisieren, denn ihr ist weder Gewalt noch Schwert anvertraut. Aber die Kirche soll sorgen, daß die Maßstäbe der Entscheidung nicht verfälscht und die Klarheit der Gewissensentscheidung nicht verdunkelt werden.“278

Obwohl Gerstenmaier die Kirche nach der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre ganz klar dem geistigen Bereich zuordnete und ihr das Wächteramt gegenüber dem weltlichen Bereich zusprach, dürfe kein genereller Widerstand von ihr ausgehen, der das moralisch-sittliche Wächteramt überschritt. Nach dieser Auslegung gestaltete sich das Gerechtigkeitsempfinden eines jeden Christen individuell auf der Basis seiner aufzubringenden Liebe. Jeder Gläubige müsse sein Gewissen vor Gott prüfen, wie er zu den weltlichen Entwicklungen stehe und entscheiden, wie er sich daraufhin zu verhalten habe. Die Argumentation mit Luthers Obrigkeitsverständnis griff nach Gerstenmaier zu kurz für eine Zurückhaltung vor offenkundiger Ungerechtigkeit, insbesondere unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass noch andere Lutherworte die Beziehung von Gehorsam, Obrigkeit, Gewissen und der Rechtfertigung vor Gott aufnahmen. Nämlich: „Verflucht sei aller Gehorsam in den Abgrund der Hölle, so der Obrigkeit, Vater, Mutter, ja auch der Kirche gehorsam ist, so dass er Gott ungehorsam ist. Hier kenne ich weder Vater, Mutter, Freundschaft, Obrigkeit oder christliche Kirche.“279 Luther hatte das biblische Wort aus Apostelgeschichte 5,29 „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ ebenso in seiner Lehre verinnerlicht. In einer späteren Korrespondenz nahm Gerstenmaier diese Spannung bei Luther zwischen Römer 13 und Apostelgeschichte 5 hermeneutisch auf und zeigte damit, dass eine letzte Kluft beim Abwiegen des Für und Widers übrig bleibe, die „durch ein feines Wagnis des Gewissens und der Tat übersprungen werden muß.“ Jener Sprung müsse seiner Auslegung nach „schließlich in der letzten Hoffnung auf die Gnade Gottes hin gewagt“280 werden. In der Bereitschaft zum Tyrannenmord empfand er schließlich theologisch, religiös und moralisch keine Widersprüche. Im Gegenteil: Wie schon Friedrich Schiller in seinem Werk Wilhelm Tell das Naturrecht des Menschen eng mit dem Widerstandsrecht in den Aussagen seines Protagonisten Werner Stauffacher verband,281 sah Gerstenmaier im Tyrannenmord ein legitimes 278 Ebd., 42 f. 279 WA 28, 24. Gerstenmaier nahm dieses Luther-Zitat auch in einen späteren Brief auf, in dem er auf Vorwürfe reagierte, er habe mit dem 20. Juli 1944 gegen Christus gehandelt (vgl. Brief Gerstenmaiers an Hörr vom 2. 12. 1946. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2). 280 Brief Gerstenmaiers an Klasse 5b aus Calw vom 28. 1. 1950 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-035/1). 281 In der zweiten Szene des zweiten Aufzuges schrieb Schiller in seinem Werk: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird

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Mittel zur Befreiung von Gewalt durch Gewalt.282 Diese Position wurde nach 1945 immer wieder vor allem von anderen Theologen kritisiert. Aus den zahlreichen Zuschriften,283 die Gerstenmaier erhielt, sei eine herausgegriffen, die offenlegt, dass Gerstenmaier auch nach 1945 nicht müde wurde, seine Entscheidung zu rechtfertigen. Pfarrer Hans Hörr aus dem hessischen Schlitz schieb Gerstenmaier am 30. August 1946 einen langen Brief und betonte: „Vor Gott aber gibt es keine Rechtfertigung für diese Haltung. Jeder Gewaltakt, jede revolutionäre Verschwörung gegen die Obrigkeit, die ja nur möglich sind durch Verletzung der Wahrheit und des Eides, ist eines Christen unwürdig. Man kann nicht eine verbrecherische Obrigkeit mit einem Verbrechen aus dem Weg räumen.“284

Gerstenmaier reagierte am 2. Dezember 1946 ebenso mit einen sehr langen, argumentativ ausführlichen und im Charakter sehr scharfen Brief, warum er sich für den Schritt der Gewalt entschieden hatte: „Erstens ist eine verbrecherische Obrigkeit keine Obrigkeit, zweitens leben wir, anders als Paulus und die Urgemeinde, auf dem Boden der modernen Staatsverfassung nicht als ,Untertanen‘, d. h. als politisch letztlich unzuständige Objekte, sondern als mitverantwortliche Subjekte und drittens ist der innere und äußere Kompromiss, den viele Deutsche, die mit Ernst Christen sein wollen, mit dem

die Last – greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel, und holt herunter seine ew’gen Rechte, die droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich wie die Sterne selbst – Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, wo Mensch dem Menschen gegenübersteht – Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben – Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen gegen Gewalt […]“ (Schiller, Tell, 45). 282 Vgl. Brauer, Bibel, 371. 283 Von den direkten Briefen an Gerstenmaier sind nur noch wenige überliefert. Da er jedoch in einem Briefe an Hans Hörr vom 2. 12. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2) betonte, dass er viele Zuschriften und Kritik erhalten habe, jedoch längst nicht auf alle antworten könne und wolle, zeigt sich, dass es sich um ein großes Volumen gehandelt haben muss. Zwei weitere Antwortbriefe sind neben dem bereits genannten noch erhalten geblieben (Brief Gerstenmaiers an Heinrich Schmidt vom 9. 12. 1946. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210036/1; und an Ursula Stade vom 5. 3. 1947. In: Ebd.). Darüber hinaus wurde Gerstenmaier auch von Bildungseinrichtungen um Äußerungen gebeten. So fragte die Klasse 5b aus Oberschule in Calw im Schwarzwald am 7. 12. 1949 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1) brieflich an: „Darf ein Geistlicher grundsätzlich an einer Verschwörung teilnehmen?“ Gerstenmaiers verblüffender Antwortbrief vom 28. 1. 1950 (ebd.) wurde gar in der Calwer Zeitung am 18. 2. 1950 unter dem Titel „Darf ein Geistlicher an einer Verschwörung teilnehmen?“ veröffentlicht (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-011). Darüber hinaus wurde Gerstenmaier zum Thema mehrfach interviewt (so bspw. das Interview im Süddeutschen Rundfunk vom 20. 7. 1957. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-084/4) und nahm an TV-Diskussionen zum Thema teil (Verschriftlichung der ZDF-Sendung „Der politische Mord“ vom 6. 6. 1968: In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-088/2; und Verschriftlichung einer TV-Diskussion im NDR vom 20. 7. 1984. In: Ebd.). 284 Brief Hörrs an Gerstenmaier vom 30. 8. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2).

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System Hitlers gemacht haben, so faul, dass er sich in keiner Weise auf das Evangelium, geschweige gar auf die ganze Heilige Schrift berufen kann.“285

Eindrücklich argumentierte er mit seinem Gewissen, das sich gegen das „Nichtstun“286 stemmte. Ähnlich legte Gerstenmaier die angesprochene Gewissensentscheidung in einem späteren Artikel im Evangelischen Staatslexikon unter dem Titel „Widerstandsrecht und Widerstandspflicht“287 dar. Auch hier berief er sich auf Luther und interpretierte seine Aussagen zum Widerstandsrecht dahingehend, dass es ein göttliches Gebot zum aktiven oder eben gewaltsamen Widerstand gebe, wenn sich die Rechtlosigkeit in Form eines ruchlosen Despoten aufschwinge und dessen menschlicher Machtwille als alleinige Quelle des Rechts gelte. Ein entsprechendes Widerstandsrecht müsse dann ausgeübt werden, um die Erhaltung oder Wiederherstellung des natürlichen Rechts nach Maßgabe von sittlichen Grundsätzen zu sichern. Auch in diesem Zusammenhang spezifizierte er die Rolle der Kirche noch einmal: Sie sei als Trägerin organisierten Widerstandshandelns ungeeignet und könne dem einzelnen Christen nur eine allgemeine Orientierung bieten. Die letztliche Entscheidung zum Widerstand liege in der Gewissensentscheidung des einzelnen Gläubigen, dessen Pflicht aus der Situation erwachse.288 Und diese Pflicht nahm Gerstenmaier sehr ernst. Seine Gewissenshaltung ließ ihn „entgegen dem 5. Gebot und der ethischen Problematik in einem Grenzbereich zwischen Unrecht und Gerechtigkeit denken.“289 Sie sorgte auch dafür, dass das Thema des Tyrannenmordes im KK „lebhaft umstritten“290 war.291 Intensiv setzte sich Gerstenmaier in diesem Rahmen vor allem mit Moltke auseinander. Der schlesische Großgrundbesitzer verneinte jede Art von äußerster Gewalt und etwaigen Attentatsplänen. In jener Ablehnung spiegelte sich nach Gerstenmaiers Wahrnehmung „sein puritanisch-angelsächsisches Erbe“ wider. Aufgrund dessen könne man Moltkes Einsatz in den Diskussionen des KK nicht primär „religiös, sondern [eher] moralisch“292 begründen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die religiöse Argumentation bei Moltke keine Rolle spielte.293 Ein Attentat lehnte er auch aus politischen 285 286 287 288 289 290 291 292 293

Brief Gerstenmaiers an Hörr vom 2. 12. 1946 (ebd.). Ebd. Vgl. Gerstenmaier, Widerstandsrecht, 2497–2501. Vgl. ebd.; und Brauer, Bibel, 371. Zur weiteren Differenzierung von Widerstandsrecht und Widerstandspflicht vgl. Grundmann, Widerstandsrecht, 2502–2510. Brauer, Bibel, 371. Thielicke, Ethik, Bd. 2, 438. Ähnliche Gewissensprobleme und Auseinandersetzungen wie im KK bestanden auch im Goerdeler-Kreis (vgl. Ritter, Goerdeler, 389–410). Gerstenmaier, Kreis, 232. Moltkes innere Spannung kulminierten aufgrund seiner religiösen Ausgangslagen in einem persönlich-moralischen Dilemma. Vgl. dazu die Erinnerungen des norwegischen Bischofs Berggrav im Gespräch mit Moltke zur Frage des Tyrannenmordes bei Brakelmann, Moltke,

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Gründen ab. Für ihn war die Gefahr einer neu aufflammenden Dolchstoßlegende zu groß, mit der er die Glaubwürdigkeit der Kreisauer Pläne zur Neuordnung des Deutschen Reiches in ihrer Umsetzung gefährdet sah.294 Obwohl Gerstenmaier die von Moltke präferierten rechtsstaatlichen Methoden als „etwas Nobles“ würdigte, kritisierte er Moltkes Position als etwas „Unrealistisches, ja Dilettantisches.“295 Gerstenmaier hatte in dieser Frage nicht nur eine Kontroverse mit Moltke, sondern auch mit Steltzer. Brigitte Gerstenmaier, die „bei zahlreichen Gesprächen [des KK] anwesend“296 war, erinnerte sich später an eine „heftige Auseinandersetzung“297 über die Frage des Attentates an einem Abend Anfang 1943 bei Yorck zwischen den beiden Männern. So bildeten sich spätestens mit der Fertigstellung des programmatischen Grundsatzpapiers im KK zwei Lager heraus: Moltke und Steltzer idealistisch eifernd auf der einen Seite, die gegen ein Attentat als bedingende Voraussetzung für einen Staatsstreich argumentierten; sowie Gerstenmaier und Delp als die zwei wesentlichen Theologen im Kreis auf der anderen Seite, die im Tyrannenmord die letzte, aber einzige Möglichkeit für die Befreiung von Gewalt durch Gewalt sahen. Wie sehr das Thema den Kreis beschäftigte, zeigt zudem die Positionierung Yorcks. Gerstenmaier schätzte die treuverbundene Freundschaft zu dem Grafen wie zu keinem anderen im KK: „Peter Yorck gehört zu den wenigen, mit denen ich eng verbunden zu der Höhe meines Lebens stieg.“298 Wenn die Diskussionen im KK jedoch auf das Attentat kamen, rebellierte „sein Gewissen, sein kultiviertes, lutherisch erzogenes, preußisches Gewissen“. Gerstenmaier gelang es trotzdem, seinen Freund von der Notwendigkeit eines Attentates auf Hitler für einen gelingenden Staatsstreich zu überzeugen: „Es muß sein. Wir konnten nicht anders. Gott sei uns gnädig.“299 Obgleich sich Moltke nie ganz von der Ausweglosigkeit dieser Lösung überzeugen ließ,300 konstatierte Gerstenmaier in einer späteren Diskussion:

294 295 296 297 298 299 300

242. In der Literatur lässt sich zudem vielfältig finden, dass Moltke religiös gegen ein Attentat argumentierte. So bspw. bei Philippi, Genese, 305; und Ringshausen, Widerstand, 373 f. Vgl. Mommsen, Vorstellungen, 11; und Brakelmann, Moltke, 219. Gerstenmaier, Kreis, 236. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 37. Ebd., 40. Gerstenmaier, Streit, 184. Gerstenmaiers lange Charakterisierung Yorcks in seinen Erinnerungen zeigt, wie tief die beiden freundschaftlich verbunden waren (vgl. ebd. 182–187). Ebd., 180. Zu Yorcks Wandel vgl. auch Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, 289. In dem angesprochenen Brief an die Klasse 5b aus Calw vom 28. 1. 1950 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1) legte Gerstenmaier noch einmal die zeithistorischen Gründe dar, mit denen er im KK argumentierte: „(1) Erscheint es mir nicht richtig, als evangelischer Theologe etwas zu fordern und von anderen zu verlangen, wozu ich selber nicht bereit war und woran ich mich persönlich nicht beteiligen wollte. Nicht, daß der Pfarrer oder der Theologe in solchen Dingen vorangehen soll. Der Meinung bin ich auch nicht. Ich hätte es aber nicht für richtig gehalten, mich von einer Tat auszuschließen, die zweifellos von vornherein hochgefährlich, nach meiner festen Überzeugung aber unerläßlich geworden war. Ich hätte entweder die Tat als solche verwerfen, ja verhindern müssen, oder aber mußte ich sie billigen und dann auch für mich selber die Konsequenzen zeihen, daß ich voll und ganz die Verantwortung dafür

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„Helmut[h] von Moltke hatte zum Schluss auch keine Argumente mehr gegen meine Argumentationskette.“301 Das bedeutet jedoch nicht, dass er seine Position zu einem Tyrannenmord änderte,302 auch wenn ein Attentat letztlich unter einem Großteil der Kreisauer „stillschweigend beschlossene Sache“303 war, wie Gerstenmaier in einem späteren Interview berichtete. Demzufolge dominierte das zweitgenannte Lager das erste stark. Welche moralischen Herausforderungen und inneren Kämpfe der Theologe trotz aller Argumentation für den Tyrannenmord in sich trug und wie intensiv sich bei ihm Gottes- und Nächstenliebe mit einander in Bezug auf die Frage des Attentats verschränkten, zeigt auch ein Ausschnitt aus einem späteren Artikel: „Ich hätte es mir nie vergeben, wenn wir Deutsche zugelassen hätten, daß Millionen Unschuldiger von der Hand des Unmenschen erwürgt würden, ohne daß mit übernehme und mich selber ebenso daran beteilige, wie meine Freunde und Kameraden. (2) Schon vor dem Krieg, aber erst recht während des Krieges, wurde von Jahr zu Jahr und von Monat zu Monat (mindestens demjenigen, der bessere Nachrichten hatte und die Lage Deutschlands auch gelegentlich von Außen sehen konnte), immer mehr zur Gewißheit, daß der Weg Hitlers Deutschland in vollständige Verderben führen müsse. Wenn die vollständige Katastrophe abgewendet werden sollte, gab es, so wie die Dinge lagen, nur zwei Möglichkeiten, nämlich a) Hitler davon zu überzeugen, daß sein Weg falsch sei und ihn aus freien Stücken zur Umkehr bewegen oder b) wenn das für aussichtslos gehalten werden mußte, ihn gewaltsam daran zu hindern, hunderttausende, ja Millionen von Menschen in den Untergang zu führen. (3) Hitler hatte den Weg des Rechts verlassen. Er hatte nicht nur die Verfassung, auf die er vereidigt worden war, sowie eine Reihe von Reichsmaßnahmen außer Kraft gesetzt, sondern er hat auch zahllose Anordnungen getroffen, die rechtlich nicht nur völlig unhaltbar waren, sondern Verbrechen von so großem Umfang darstellten, daß sie das deutsche Volk als Ganzes mitsamt seiner großen Tradition vor der ganzen Welt auf das Schwerste belasten mußten. Mann kann nicht und man darf nicht ungestraft dem Recht absagen und es immer wieder gewaltsam brechen, ohne Gefahr zu laufen, die Gegenkräfte auf den Plan zu rufen, die schließlich um die Wahrung des Rechts und zur Bewahrung vor einer schweren Katastrophe gegen den Rechtsbrecher antreten. Als meine Freunde und ich gegen Hitler zur Waffe griffen, taten wir es in dem Bewußtsein, einen Mann zu beseitigen, der in verbrecherischer Weise das Recht eines großen Volkes gebrochen und sich selber außerhalb der Rechtsordnung der Menschheit gestellt hat. (4) Die tiefste Frage ist natürlich auch dabei, ob selbst in solchen Fällen der Christ seinerseits Gewalt anwenden darf. Ich glaube, daß der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 nicht hätte gemacht zu werden brauchen, wenn die Christenheit Deutschlands im ganzen das getan hätte, was das Neue Testament zweifellos für sehr viel richtiger hält als die Gewalt, nämlich, gegen das Unrecht, das von unserer eigenen Staatsführung begangen worden ist, zu zeugen.“ 301 Verschriftlichung einer TV-Diskussion im NDR mit Gerstenmaier vom 20. 7. 1984 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-088/2). 302 Nach dem Prozess vor dem Volksgerichtshof sprach Gerstenmaier am 23. Januar 1945 ein letztes Mal mit Moltke über die theologischen, moralischen und politischen Gesichtspunkte, die den Großteil des KK zu einem Attentatsversuch veranlasst hatten. Gerstenmaier appellierte, dass Moltke seinen Frieden mit der Frage machen solle, der zwar bereitwillig ein Gemeinschaftsgefühl zum KK betonte, jedoch seine Ansichten nicht widerrief (vgl. Moltke/Balfour/ Frisby, Moltke, 292; und Gerstenmaier, Streit, 222 f). 303 Gross, Gespräch, 25.

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wir auch nur einmal den sichtbaren Versuch machten, ihm mit allen Mitteln, die wir aufzubieten vermochten, in den Arm zu fallen. Hinter dieser Verpflichtung, die nach meiner Überzeugung für ein an der Bibel orientiertes Gewissen unabweisbar sei, trat selbst das andere mir fast ebenso wichtige Argument zurück, daß wir es Deutschlands Existenz und Ehre schuldig gewesen seien, so zu handeln. Niemals hätten wir ohne diese Tat anderen Völkern und künftigen Geschlechtern gegenüber hinreichend glaubwürdig machen können, daß es ein anderes Deutschland gegeben habe. Denn dieses Deutschland beglaubigte sich nicht mit schönen Gedanken und guten Plänen, sondern schließlich allein durch eine Tat, in der wir uns ohne Rücksicht selbst einsetzten. Auf Moltkes erneuten Einwand, daß diese Tat gegen Gottes Gebot verstoße, antwortete ich, daß das nach meiner Erkenntnis nur scheinbar richtig sei, denn sie entspreche dem Liebesgebot Jesu.“304

Formal kam es im KK zu keiner „theoretischen Einigung darüber, ob man Adolf Hitler im Zweifelsfall auch mit Gewalt beseitigen dürfe.“305 Die Situation der Ausgangslage veränderte sich erst mit der Verhaftung Moltkes am 19. Januar 1944 durch die Gestapo306 und der breiteren Zuwendung großer Teile des Kreis zum militärischen Widerstand um Stauffenberg.307

5.3 Mit Bibel und Pistole – Der 20. Juli 1944 Die militärische Opposition gegen Hitler und seine Politik nahm mit Stauffenbergs Wechsel zum Allgemeinen Heeresamt nach Berlin im Herbst 1943 eine neue Qualität an.308 Der Leiter der Wehrmachtsbehörde im OKH, Friedrich Olbricht, hatte Stauffenberg trotz seiner schweren Kriegsverwundung angefordert und ihn zum Stabschef ernannt. Olbricht pflegte zu jener Zeit intensiven Kontakt zum Goerdeler-Kreis und kann als eine treibende Kraft im Rahmen der militärischen Umsturzüberlegungen gesehen werden.309 Unter seiner Obhut wurde der katholisch erzogene Stauffenberg310 nicht nur mit wichtigen Kompetenzen in der militärischen Administration ausgestattet, sondern konnte dadurch auch an die bereits bestehenden oppositionellen

304 Gerstenmaier, Kreis, 234. 305 Gerstenmaier, Ostdeutscher, 6. 306 Zu den Gründen der Verhaftung, die nichts mit dem KK zu tun hatten, vgl. Moltke, Erinnerungen, 70 f. 307 Zu Stauffenbergs Rechtfertigung von Eidbruch und Tyrannenmord vgl. Vitzthum, Stauffenberg, 107–122. 308 Zur militärischen Opposition vor Stauffenbergs Wechsel nach Berlin vgl. Schlabrendorff, Offiziere, 36–76. 309 Zu Olbrichts Rolle im militärischen Widerstand vgl. Page, General, 147–201. 310 Zu Stauffenbergs christlicher Erziehungen und dem Christlichen in seinem Handeln vgl. Kaffanke, Christliche, 59–70.

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Netzwerke anknüpfen.311 Seine entsprechenden Pläne für einen Staatsstreich, die er militärisch und politisch energisch vorantrieb, bekamen auf der Grundlage seines sozialethisch begründeten Verantwortungsbewusstseins mit einer personellen Umstrukturierung im Stab des Ersatzheeres unter der Leitung von Generaloberst Friedrich Fromm die entscheidende Chance. Mit Stauffenbergs Ernennung zum Stabschef des Ersatzheeres Mitte Juni 1944 und seiner Beförderung zum Oberst im Generalstab von Fromm am 1. Juli 1944 wurde die Voraussetzung geschaffen, einen Umsturzversuch des militärischen Widerstandes zu wagen.312 Generalmajor Henning von Tresckow drängte Stauffenberg spätestens seit der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und der sich zuspitzenden militärischen Situation für das Deutsche Reich zu einem Attentat auf Hitler.313 In seiner neuen Position hatte Stauffenberg die Möglichkeit, einen Sprengkörper zu einer Lagebesprechung in das streng bewachte Führerhauptquartier Wolfsschanze nahe dem ostpreußischen Rastenburg einzuschleusen und Hitler mittels einer Detonation zu töten. Am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr detonierte die Bombe und Hitler überlebte leicht verletzt. Sowohl das misslungene Attentat als auch das so bezeichnete Unternehmen Walküre als Umsturzplan wurden wie selten ein anderes Ereignis in der deutschen Geschichte gründlich erforscht.314 In diesem Kapitel wird es deshalb weniger um die genaue Nachzeichnung der Vorgänge des 20. Juli 1944 gehen,315 sondern darum, wie Gerstenmaier sich an diesem Tag aus dem Netzwerk des KK heraus verhielt, um zu klären, welche Rolle er im Rahmen des Umsturzplanes einnehmen sollte.316 Bereits seit Mitte 1942 hatte Gerstenmaier parallel zu seinen beruflichen Verpflichtungen im KA unter Canaris in der Amtsgruppe Ausland/Abwehr des OKW Verwendung gefunden.317 Das OKW bildete neben dem OKM, dem OKH und dem Oberkommando der Luftwaffe (OKL) die höchste Stabsorganisation der Wehrmacht. Die für militärische Spionage zuständige Amtsgruppe Aus311 Zu Stauffenbergs Kontakten zur Opposition ab Herbst 1943 und seinen Planungen einer Verschwörung vgl. Venohr, Stauffenberg, 185–338. 312 Zu Stauffenbergs Karriere vgl. Zeller, Stauffenberg, 298–301. 313 Zum Verhältnis von Stauffenberg und Tresckow vgl. Hoffmann, Stauffenberg, 159–172. 314 Die Literatur zu dem Attentats- und Staatsstreichversuch ist „uferlos“ (Stiftung, Rolle, 73). Zur Darstellung und Forschung zum 20. Juli 1944 vgl. u. a. Zeller, Geist, 218–269; Fest, Staatsstreich, 241–293; Hoffmann, Widerstand; Hamerow, Attentäter, 363–408; Schlabrendorff, Offiziere, 101–130; Venohr, Stauffenberg, 339–400; Kniebe, Operation; und Uebersch r, Stauffenberg, 14–49. 315 Zu einer chronologischen Darstellung der Ereignisse vgl. Walle, 20. Juli, 364–376. 316 Dabei wird neben zahlreichen Parallelüberlieferungen vor allem auf Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009), seinen weitgehend ähnlichen Artikel „Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944“ vom 23. und 24. 6. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010), sein handschriftlich unter Eid unterzeichnetes Vernehmungsprotokoll vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-025), seine späteren Erinnerungen sowie zahlreiche andere Erklärungen zwischen 1945 und 1950 zurückgegriffen. 317 Vgl. Kapitel 4.5.

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land/Abwehr war bereits frühzeitig im sogenannten Bendlerblock, einem Gebäudekomplex im Berliner Stadtteil Tiergarten, nicht nur zu einem „Sammelbecken“ der militärischen Opposition, sondern auch zu einem „Brennpunkt der Konspiration“318 geworden. Sowohl hier als auch im OKH verknüpften sich die verschiedenen Widerstandskreise um Stauffenberg miteinander und bereiteten den Staatsstreich organisatorisch vor.319 Dabei galt der Grundsatz, dass die Beteiligten aus Selbstschutz nur insofern in Details eingeweiht wurden als es unbedingt erforderlich war. Über die militärisch-technischen und zeitlichen Planungsabläufe der Unternehmungen hatte Gerstenmaier keine genaue Kenntnis.320 Die Planungen wurden jedoch immer detaillierter. Doch Gerstenmaier verließ Anfang Juli 1944 mit seiner Frau Brigitte „fluchtartig“321 Berlin. Sein Freund Bachmann wurde kurz zuvor von der Gestapo verhaftet. Bachmann stand dem 1939 gegründeten Evangelischen Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene,322 einer Sonderabteilung des KA, als Geschäftsführer vor und kümmerte sich unter anderem um die kirchliche Versorgung von Fremdarbeitern. Da auch Gerstenmaier die „geistige Betreuung der Fremdarbeiter […] am Herzen“323 lag und bei Bachmanns Verhaftung einige belastende Dokumente von der Gestapo sichergestellt wurden,324 fahndete die Staatspolizei auch nach ihm.325 Dieser Sachverhalt wurde Gerstenmaier später von der NS-Justiz noch negativ ausgelegt. Im österreichischen Kärnten sollte er in Absprache mit den Kreisauern bis zum besagten Tag X ausharren. Bereits kurze Zeit später erhielt er von Yorck eine offene Postkarte mit der kaschierten Mitteilung, dass die „Hochzeit […] am 18., spätestens am 20. Juli stattfinden“326 werde. Obgleich er sich in Sicherheit befand, entschied er sich direkt mit dem Erhalt der Postkarte nach Berlin zurückzukehren. Als Begründungen können seine Äußerungen „Wir waren jedoch alle der Auffassung, dass wir es der Welt und uns selbst schuldig seien, alles, was wir sind und haben, daran zu wagen“327 und „Ehe wir in Schande, 318 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 319 Zum Prozess vgl. Mommsen, Alternative, 159–206. 320 Vgl. Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 321 Gross, Gespräch, 25. 322 Zum Hilfswerk vgl. Boyens, Kirchenkampf, Bd. 2, 31–39; Heckel, Hilfswerk, 1153–1155; und Kunze, Heckel, 171–176. Zu Bachmanns Rolle vgl. Wischnath, Kirche, 30 f, 98 f. 323 Erinnerungen von Marion Yorck und Freya Moltke vom 15. 10. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 324 Vgl. Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 325 Vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 6. 326 Gerstenmaier, Streit, 189. 327 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009).

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Schutt und Blut ersticken müßten, wollten wir lieber kämpfend untergehen“328 angeführt werden. Diese Aussagen im Plural belegen, dass neben seinen zahlreichen Mitstreitern aus dem Umfeld des KK auch er der „moralischen Vollendung“329 der Kreisauer Planungen sowie dem vorbereiteten Umsturzversuch zu jenem Zeitpunkt ohne Kompromisse zugetan war. Er erklärte sich damit bereit, nicht mehr ausschließlich mit Überlegungen und Worten gegen das nationalsozialistische Regime vorzugehen, sondern nun auch mit Gewalt kämpfen zu wollen.330 Bevor Gerstenmaier mit seiner Frau zurück nach Berlin reiste, statteten sie am 18. Juli 1944 noch Wurm in Stuttgart einen Kurzbesuch ab, um ihm sowohl von dem bevorstehenden Ereignis zu berichten331 als auch zu sagen, dass es Zeit sei, sich „unverzüglich an seine Rundfunkrede“332 zu machen und bereit zu halten. Im Rahmen der umfassenden Planungen wurde mit dem württembergischen Landesbischof vereinbart, dass er beim Gelingen des Staatsstreichs eine Rede über alle deutschen Sender halten sollte, um für Vertrauen in die neue Reichsregierung zu werben.333 In dieser konspirativen Absprache zeigt sich, welche gesamtgesellschaftliche Bedeutung Wurm auch vom Kreis um Stauffenberg zugesprochen wurde und wie Gerstenmaier in der neuen Zusammensetzung des militärischen Widerstandes als Kontaktmann und Bote zu Wurm fungierte. Am 19. Juli 1944 fuhren die Gerstenmaiers im Schnellzug weiter nach Berlin. Aufgrund der Bombardierung von Schweinfurt am selben Tag kamen die beiden erst in den Morgenstunden des 20. Juli 1944 in Berlin an. Da die Yorcks tatsächlich auf einer Hochzeit in Weimar waren, fanden sie den vereinbarten Treffpunkt in deren Wohnung verwaist vor. Lediglich die „treue Hausgehilfin“334 trafen sie an, die einen versteckten Kurzbrief Yorcks aus ihrem Kochbuch holte und diesen den beiden Ankommenden übergab.335 Yorck hatte dort für Gerstenmaier notiert, dass der 20. Juli der erwartete Tag X sei. Er solle sich bis zu seiner Rückkehr aus Weimar im Keller des Hauses versteckt halten, da die Gestapo nach ihm suche. Im Laufe des Vormittags kam 328 Gerstenmaier, Streit, 186. 329 Gespräch des Autors mit Cornelia Irena Gerstenmaier (Oberwinter) am 28. Februar 2014. 330 Dazu hatte sich Gerstenmaier bereits 1943 im Zuge einer Aufforderung Schulenburgs bereit erklärt (vgl. Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 331 Vgl. Wurm, Erinnerungen, 172 f; Gerstenmaier, Kreis, 243 f; und Sch fer, Landeskirche, Bd. 6, 350. 332 Gerstenmaier, Streit, 189. 333 Vgl. Gross, Gespräch, 25. 334 Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). Brigitte Gerstenmaier bezeichnete die Haushälterin als „die unentbehrliche Hilfe, Mariechen“ (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 49). 335 Die Darstellung des Informationsflusses, jenes Briefinhaltes und des Treffens mit Yorck variierte in Gerstenmaiers Darstellungen leicht (vgl. ebd.; Gerstenmaier, Streit, 190; und Gross, Gespräch, 26).

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Yorck zurück und informierte Gerstenmaier über das weitere Vorgehen. Kurz darauf ging der Graf weiter in den Bendlerblock und sagte Gerstenmaier zu, dass er ihn am Nachmittag holen lasse. Darüber hinaus übergab er dem Theologen seine Privatpistole, eine Browning, samt Munition und teilte ihm die Parole „Heimat“ für das OKWmit. Gerstenmaier war sich „der Schwere der Stunde“336 bewusst. Ihm musste spätestens ab diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass es nun kein Zurückweichen mehr geben könne und er sowohl als Zivilist als auch Mann der Kirche in uneingeschränkter Solidarität zu denen – so bspw. zu Yorck – stehen müsse, die seit geraumer Zeit auch durch ihn zu diesem Schritt gedrängt worden waren.337 Den ganzen Tag verbrachte Gerstenmaier im Keller und wartete auf Nachricht aus dem OKW. Gegen 17 Uhr hörte er im Radio von einem misslungenen Attentat auf Hitler. Zur gleichen Zeit rief Yorck an, der ihm eigentlich einen Wagen schicken wollte, und forderte ihn auf, unverzüglich zum Bendlerblock in das ihm bekannte Dienstzimmer Stauffenbergs zu kommen. Als Gerstenmaier Yorck sogleich auf die eben gehörte Rundfunkmeldung aufmerksam machte, dass „die Sache aber offenbar nicht planmässig abgelaufen“338 sei, entgegnete dieser ungewöhnlich offen am Telefon, dass dies unwahre Behauptungen der Goebbelschen Propaganda seien, da Stauffenberg und sein Adjutant die Detonation mit eigenen Augen gesehen hätten. Gerstenmaier machte sich sogleich fertig und bat die Hausgehilfin, einige Lebensmittel zusammen zu packen – wohl wissend, dass die anstehenden Obliegenheiten voraussichtlich viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Dieses Detail sollte später noch wichtig für ihn werden.339 In aller Eile steckte er in seine rechte Jackentasche die ihm von Yorck überlassene Pistole und in die linke seine kleine Taschenbibel.340 Diese beiden Gegenstände versinnbildlichen Gerstenmaiers begründeten Willen zum aktiven Handeln auf der Grundlage seiner intrinsischen Korrelationen: auf der einen Seite die Bibel als geistiges Symbol der christlichen Botschaft, als Zeichen von Trost und Hoffnung; auf der anderen Seite die Pistole als konventionelles Mittel, sich gegen aufkommende Gewalt verteidigen zu wollen und zu können.341 Bibel und Pistole spiegeln darüber hinaus Gerstenmaiers Aktionsbereich zwischen Kirche und Staat, zwischen Beruf und Berufung wider. In der Symbiose beider Gegenstände lassen sich sowohl die Interdependenzen seines Widerstandsbildes als auch seine Handlungsmaxime trefflich beschreiben. Dass der Bibel eine gleichgewichtige Bedeutung zu der Pistole zugemessen werden kann, 336 Gerstenmaier, Streit, 191. 337 Vgl. ebd., 190. 338 Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 339 Vgl. Kapitel 5.4.1. 340 Vgl. Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 341 Vgl. Brauer, Bibel, 373.

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belegt das Interview mit Gross, in dem Gerstenmaier sagte, dass er die Bibel „für alle Fälle“342 eingepackt habe. Daraus lässt sich schließen, dass er seine Taschenbibel nicht nur aus Reflex einsteckte, sondern mit einer klaren Intention: Neben der Bereitschaft zur Gewalt durch die Pistole war er mit der Bibel gewillt, der christlichen Botschaft als Theologe Raum zu geben. Brigitte Gerstenmaier verabschiedete ihren Mann an der Straßenbahn – nach ihren Beschreibungen mit dem „festen Gefühl, was auch käme, das Richtige zu tun“343. Gerstenmaier fuhr danach zum Bendlerblock. Dort passierte er mit der verabredeten Parole das Wachpersonal und wurde zu den Diensträumen von Olbricht und Stauffenberg in die zweite Etage des Gebäudes durchgelassen. Schulenburg berichtete ihm sogleich von der planmäßigen Durchführung des Attentats. Die Ausführung des Unternehmens Walküre bündelte nach Gerstenmaiers Beobachtungen die Energien der Anwesenden deutlich. Alle gingen ihren definierten Aufgaben zielführend nach. Jedoch blieben die Auskünfte, was genau in der Wolfsschanze passierte, nicht eindeutig. Stauffenbergs Augenzeugenbericht stand gegen die immer energischer werdenden Meldungen des Deutschlandsenders. Da Gerstenmaier der „Fortgang der Aktion so katastrophal“344 erschien, bot er sich an, mit militärischer Unterstützung das Rundfunkhaus in der Masurenallee zu besetzen, um die aktuelle Berichterstattung zu unterbinden, der nationalsozialistischen Propaganda entgegenwirken zu können und das Medium für die Oppositionellen nutzbar zu machen. Darauf hin wurde dem Theologen mitgeteilt, dass der Auftrag bereits erteilt worden sei und man nur noch auf die Vollzugsmitteilung warte, die jedoch nie kam.345 Gerstenmaier beschrieb die Lage später mit folgenden Worten: „Es war wie ein Feuer, das infolge [von] Sauerstoffentzug in sich zusammenfällt und dessen letzte, zuckende Flammen ausgetreten werden.“346 Im Laufe des Abends wurde Gerstenmaier von Schulenburg eine Bestellung zum Militärbevollmächtigten ausgehändigt, die von Generaloberst Erich Hoepner als Inhaber der vollziehenden Gewalt in Berlin unterzeichnet war. Dem Theologen wurden die Weisungsbefugnisse für das RKM und das REM als zeitweilige Ressortzuständigkeit übertragen. Obwohl die Bestellung für Gerstenmaiers Kompetenzen sprach, betrachtete er die Zuweisung, über die er ganz offenkundig nicht im Vorhinein informiert wurde, kritisch. Mit dem REM kannte er sich zu wenig aus und das RKM gedachte er sogleich aufzulösen.347 Bei aller kritischen Einschätzung Gerstenmaiers in diesem Zusammenhang wurde ihm damit – vor allem jedoch durch die Zuständigkeit für das 342 Gross, Gespräch, 26. 343 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 6. 344 Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Langrehr vom 6. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 345 Vgl. ebd. 346 Gerstenmaier, Streit, 192. 347 Vgl. Erklärung Gerstenmaiers vom 18. 10. 1949 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1).

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RKM – die Möglichkeit eröffnet, die von ihm immer wieder geforderte Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche staatspolitisch umzusetzen sowie die kirchlichen Institutionen zu stärken. Aufgrund dessen muss seine später immer wieder gleich beschriebene Reaktion als verwunderlich angesehen werden. Als schließlich der Bendlerblock gegen 21 Uhr von Teilen des Berliner Wachbataillons auf Befehl aus der Wolfsschanze besetzt und über Rundfunk verkündet wurde, dass Hitler bald zum deutschen Volk sprechen werde, verschärfte sich die Situation unter den Verschwörern. Die Vermutung dominierte, dass das Attentat tatsächlich gescheitert war und der Staatsstreich somit vor dem Ende stand. Dies bestätigte sich durch die telefonische Mitteilung des „mitverschworenen Generals Fellgiebel aus dem Führerhauptquartier“348, der berichtete, dass Hitler unverletzt überlebt habe. Obwohl die Männer „entschlossen [waren], die Sache durchzufechten bis zum bitteren Ende und unsere Köpfe so teuer wie möglich zu verkaufen“349, da sie letztlich wussten, welches Wagnis sie eingegangen waren, sollte nach Olbrichts Wunsch alles gesittet zugehen. Gegen 22.30 Uhr startete eine Gruppe von Offizieren unter der Führung der Oberstleutnante Karl Pridun, Bolko von der Heyde und Franz Heber unter der Parole „Für oder gegen den Führer“ einen bewaffneten Vorstoß gegen die Verschwörer.350 Nach einer kurzen telefonischen Verständigung mit dem RSHA begannen sie „zu meutern, indem sie uns kurzerhand mit Maschinenpistolen, Handgranaten und Maschinengewehren überfielen.“351 Als Gerstenmaier Heyde bewaffnet auf Stauffenberg zugehen sah, griff er nach seiner Pistole. Wenngleich sich die weiteren Darstellungen unterschieden,352 wurde Stauffenberg nach einem kurzen Schusswechsel getroffen und Olbricht ermahnte, das Schießen zu beenden. Die Männer schienen ihre Situation zu begreifen und begannen Papiere zu vernichten. Zusammen mit Schwerin [von Schwanenfeld] und Yorck verbrannte ich die letzten uns erreichbaren Operationspläne“353. Da Gerstenmaier der einzige unter den Verschwörern in Stauffenbergs Dienstzimmer war, der zivile Kleidung trug, schlug er vor, ein Hinausgelangen für die Männer zu sondieren. Bei dem 348 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 349 Gross, Gespräch, 26. 350 Vgl. Walle, 20. Juli, 375. 351 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 352 Gerstenmaier erklärte später, wie Heyde Gerstenmaiers Pistole bemerkte und zugleich hinter einem Stahlschrank Deckung suchte. „Ich überlegte, schieße ich oder nicht. Ich hätte dem Mann in die Füße schießen können, aber davor hatte ich Hemmungen.“ (Gross, Gespräch, 26). Heydes Darstellung basierte hingegen darauf, dass Gerstenmaier geschossen hatte (vgl. Befragungen, Erklärungen und Prozessakten im Fall Albert Sperber, Bolko von der Heyde und Franz Herber (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1). Hier stand Aussage gegen Aussage. 353 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009).

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Versuch wurde er von Heber festgenommen und in einem Zimmer zur Hofseite festgesetzt.354 Bereits um 22.50 Uhr war der bewaffnete Gegenstoß im Bendlerblock beendet und Generaloberst Fromm befreit worden, der sogleich alle Beteiligten verhaften ließ und ein „standgerichtliches Urteil“355 über Stauffenberg und dessen Adjutanten Werner von Haeften sowie über Olbricht und dessen Adjutanten Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim wegen Hoch- und Landesverrates verkündete.356 Parallel wurde Gerstenmaier von Heyde als Mitverschwörer identifiziert. Er soll gesagt haben: „Der Kerl gehört zum engsten Kreis der Verräter. Er sitzt schon den ganzen Nachmittag hier.“357 Damit schien Gerstenmaiers Schicksal entschieden. Knappe anderthalb Stunden später wurde Fromms Urteil von einem Sonderkommando von zehn Unteroffizieren im Innenhof des Bendlerblocks vollstreckt. Gerstenmaier hörte noch den letzten Ruf Stauffenbergs,358 bevor die Salven auf die vier Männer niedergingen.359 Als die anderen Festgenommenen, denen eine Flucht aus dem Bendlerblock nicht gelungen war, wenig später der SS unter Otto Skorzeny übergeben wurden und Gerstenmaier seinen Namen nennen musste, hörte er einen Gestapomitarbeiter im Hintergrund rufen: „Der Konsistorialrat? […] Na so was, den suchen wir seit 4 Wochen.“360 Die von der Gestapo bei Bachmann sichergestellten kirchlichen Akten und die Fahndung schienen ihn nun einzuholen. Da Hitler auf Fromms eigenmächtige Entscheidung der vier ersten Exekutionen erbost reagierte361 und in einer am 21. Juli 1944 um 1 Uhr ausgestrahlten Rundfunkansprache an das deutsche Volk Aufklärung versprach,362 wurden die beteiligten Männer – entgegen Gerstenmaiers Befürchtung, ebenso im Innenhof hingerichtet zu werden363 – gefesselt aus dem Bendlerblock abgeführt. Reichsinnenminister Heinrich Himmler hatte angewiesen, 354 Vgl. Gross, Gespräch, 27 f. 355 Walle, 20. Juli, 375. 356 Zwischen 23.15 und 23.45 Uhr wurde Beck die Gelegenheit zur Selbsttötung eingeräumt, die jedoch nach Misslingen von einem Feldwebel vollendet wurde (vgl. ebd., 376). 357 Erklärung Gerstenmaiers vom 18. 10. 1949 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1). 358 Stauffenberg rief: „Es lebe das heilige Deutschland.“ (Mommsen, Alternative, 266). Zur Diskussion zwischen Dienst und Patriotismus sowie zu Stauffenbergs Motiven vgl. Wette, Reich, 73–92. 359 Sehen konnte er die Hinrichtungen jedoch nicht (vgl. Eidesstattliche Versicherung Gerstenmaiers vom 9. 5. 1946. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2). 360 Gross, Gespräch, 28. 361 Zu Fromms Rolle zwischen loyaler Opposition und legalem Staatsstreich im Vorfeld sowie dem Umgang mit ihm nach dem Staatsstreich vgl. Kroener, Mann, 583–734. 362 Vgl. die Rundfunkrede bei Domarus, Hitler, 2127–2129. 363 „Ich hielt es für selbstverständlich, daß wir als die nächste Reihe unten im Hof an die Wand gestellt würden. […] Daß meine Frau und auch mein Vater und meine Geschwister mein Tun billigen würden, war mir gewiss. In jener Stunde war ich jenseits von Kummer und Schmerz. Es war getan. Es war geschehen. Die Welt konnte es sehen. Es gab ein anderes Deutschland. Das übrige stand in Gottes Hand.“ (Gerstenmaier, Streit, 196).

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dass er „lebende Gefangene [wollte], um von ihnen die Namen anderer Verschwörer und alle Details des Komplotts zu erfahren.“364 Gerstenmaier wurde nach seiner Darstellung zusammen mit Schulenburg, Yorck, Berthold Stauffenberg, Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, Fritz von der Lancken und Robert Bernardis in das Hausgefängnis der Gestapo in der PrinzAlbrecht-Straße 8 gebracht.365 So sehr der 20. Juli 1944 zu einem Befreiungsschlag von Hitlers politischer Dominanz und gleichzeitig zum Neustart eines anderen Deutschland werden sollte, schlug das nationalsozialistische Regime direkt am Folgetag brutal zurück, sodass sowohl das geplante Attentat als auch der Staatsstreichversuch in diesem Zusammenhang als die „letzte große innenpolitische Zäsur“366 im Deutschen Reich unter Hitler gesehen werden kann.

5.4 „Gesang im Feuerofen“ 5.4.1 Das Verhör – Im Knebelgriff der Gestapo „Eine ganze kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab praktisch der deutschen Wehrmachtsführung auszurotten“367 hieß es von Hitler während seiner bereits genannten Rundfunkansprache an das deutsche Volk. Mit aller Härte reagierte der nationalsozialistische Staat auf das Attentat und den versuchten Staatsstreich.368 Direkt am 21. Juli 1944 wurden in einem ersten Gestapobericht 29 Namen gelistet und im Amt IV des RSHA unter SS-Gruppenführer Heinrich Müller eine „Sonderkommission 20. Juli“369 gegründet, die sich in elf Sachgebiete gliederte und über die Zeit bis zu 400 Mitarbeiter umfasste. Nicht nur unmittelbar in die Pläne Involvierte wurden verfolgt und verhaftet, sondern auch Menschen, die unbeteiligt waren und bereits vorher politisches Missfallen des Regimes erregt hatten. Die „Aktion Gewitter“370 vom Amt IV des RSHA löste eine umfassende Verhaftungswelle aus, die ein erneutes Erstarken 364 Dulles, Verschwörung, 245. 365 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 197; und Erklärung Gerstenmaiers vom 18. 10. 1949 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1). Ulrike Hett und Johannes Tuchel wiesen in ihrer Forschung nach, dass sich unter den Abtransportierten zudem Hoepner und Barnim von Ramin befanden (vgl. Hett/Tuchel, Reaktionen, 377). 366 Ebd. 367 Zit. nach Domarus, Hitler, 2127. Mit ähnlichen Worten wandte sich auch Martin Bormann an die Reichsleiter, Gauleiter und Verbändeführer (vgl. Rundschreiben Bormanns vom 26. 7. 1944. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/2). 368 Zur staatlichen Reaktion und den Folgen vgl. Fest, Staatsstreich, 294–324; Hett/Tuchel, Reaktionen, 377–389; und Uebersch r, Stauffenberg, 145–167. 369 Zur Sonderkommission vgl. Jacobsen, Sonderkommission, 109–116. 370 Zur Aktion Gewitter vgl. Kissener, Aktion, 185–198.

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der politischen Opposition verhindern sollte. In Folge dessen leitete die Gestapo mindestens 41 Festnahmelisten an die Sonderkommission weiter, aus denen ungefähr 700 Verhaftungen resultierten.371 Die „Rachegelüste der NSFührung“372 spiegelten sich vor allem im Vorgehen gegen die Familien der Verschwörer mit der sogenannten „Sippenhaft“373 deutlich wider. Gerstenmaier wurde in den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1944 in den Keller des Berliner Gestapo-Hauptquartiers in der Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht und ging resigniert davon aus, „in der Morgenfrühe erschossen zu werden.“374 Jedoch kam es anders. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD sowie gleichzeitige Leiter des RSHA, Ernst Kaltenbrunner, widmete sich am Morgen persönlich den Gefangenen; weniger um sie gezielt zu verhören, sondern mehr um sich ein eigenes Bild zu machen. Allein die Frage „Wo ist denn der Zivilist?“375 zeigt, dass Gerstenmaier, der im Gegensatz zu seinen Mitgefangenen als einziger zivile Kleidung trug, zu Beginn des Aufklärungsprozesses noch gesondert bewertet wurde. Das erkannte auch Gerstenmaier, der „blitzartig zu dem Entschluß [kam], doch noch den Versuch zu machen, meinen Kopf zu retten.“376 Auf die Frage Kaltenbrunners, was er denn im OKW zu suchen gehabt hätte, erzählte Gerstenmaier eine „harmlose Idiotenversion“377, die alle Mitgefangenen aufgrund der Hellhörigkeit des Kellers vernehmen konnten: Er sei ausgebombt und wohne bei einem Freund, den er nicht antreffen konnte. Gleich als er von dem Attentat auf den Führer hörte, machte er sich auf den Weg zum OKW, um sich zu erkundigen, was passiert sei und sogleich um seinem Freund etwas Essen zu bringen, da er davon ausging: „im Oberkommando werden sie nun die Nacht festgenagelt sein.“378 Kaltenbrunner blieb skeptisch. Gerstenmaier war jedoch nun „entschlossen, um meinen Kopf zu kämpfen“379. Unter der Leitung von SS-Sturmbannführer Karl Neuhaus sollte das Verhör fortgesetzt werden. Der promovierte Theologe hatte ab 1934 beachtlich Karriere gemacht.380 Er leitete die Abteilung A 1a im Amt IV des RSHA, die sich mit dem politischen Katholizismus beschäftigte. Im Rahmen der frisch gegründeten „Sonderkommission 20. Juli“ war er für die umfassenden kirchli371 Vgl. Steinbach, Juli, 305 f; Hett/Tuchel, Reaktionen, 377–379; und Hoffmann, Widerstand, 604–608. In der Literatur gehen die Zahlen zu den Verhaftungen und Hinrichtungen sehr weit auseinander. Zur Diskussion und einem Zahlenzusammenführung vgl. Klemperer, Verschwörer, 540. 372 Hett/Tuchel, Reaktionen, 379. 373 Zur Sippenhaft nach dem 20. Juli 1944 vgl. Hase, Rache; und Salzig, Sippenhaft, 165–184. 374 Gross, Gespräch, 29. 375 Ebd. 376 Gerstenmaier, Streit, 197. 377 Gross, Gespräch, 29. 378 Ebd. 379 Gerstenmaier, Streit, 198. 380 Zur Karriere von Neuhaus im NS-Staat vgl. die 49seitige Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1).

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chen Angelegenheiten sowie in der Gruppe XI für die Sippenhaftdurchführungen zuständig.381 Unter diesen Voraussetzungen fiel Gerstenmaier in den Zuständigkeitsbereich des SS-Sturmbannführers. Da 1953 in Frankfurt am Main ein Prozess gegen Neuhaus wegen Aussageerpressung geführt wurde, kann Gerstenmaiers Vernehmung aufgrund der vorliegenden Aktenlage gut nachgezeichnet werden.382 Am 21. Juli 1944 begann gegen Nachmittag das erste Verhör in der Charlottenburger Gestapo-Dienststelle in der Meineckestraße 10 durch Neuhaus. Der SS-Sturmbannführer schlug vor Gerstenmaiers Augen eine Akte auf, aus der hervorging, dass er bereits 1934 in Rostock von der Gestapo „wegen Anstiftung zum bewaffneten Aufruhr“383 verhaftet worden sei384 und nun rasch gestehen solle. Vor zehn Jahren habe er es schließlich schon einmal versucht. Neuhaus insistierte, dass seine führende Mittäterschaft an dem am Tag zuvor stattgefundenen Staatsstreich außer allem Zweifel sei. Dies sah Neuhaus in Gerstenmaiers Systemnonkonformität von 1934 während seines Studiums bestätigt. Da Gerstenmaier trotz wüsten Beschimpfungen im lauten Ton und der angedrohten Verlegung in das Konzentrationslager Buchenwald zu sechs Wochen Arbeit im Steinbruch bei seiner Kaltenbrunner bereits unterbreiteten Version seiner Rolle im OKW blieb, führte das erste Verhör zu keinem Ergebnis. Obwohl Gerstenmaier in den nächsten zwei Wochen – vor allem am 22. und 23. Juli 1944 – von Neuhaus „mit steigender Strenge“385 vernommen wurde, kam es zu keinem von Neuhaus erwarteten Geständnis. Am 4. August 1944 erging von Hitler der Befehl, eine „rücksichtslose Säuberungsaktion auch von dem letzten der am Anschlag vom 20. Juli 1944 beteiligten Verbrecher“386 durchzuführen, was bedeutete, dass mit brutalsten Mitteln gegen alle Verdächtigen vorzugehen war. Kurz zuvor wurde Gerstenmaier in das Berliner Gefängnis in der Lehrter Straße 3 verlegt, in dem ein besonderer Flügel für die Gefangenen zur Verfügung stand, die im Zusammenhang mit dem Staatsstreichversuch vermutet wurden.387 Dort teilte er sich die Zelle 220 mit Schulenburg bei schlechten Haftbedingungen388 und verharrte ungefähr zwei Wochen ohne weiteres Verhör. Dies änderte sich am 18. August 1944. Gefesselt wurde Gerstenmaier am Vormittag in die Meineckestraße 10 gebracht und von Neuhaus verhört. Dabei sparte dieser nicht mit weiteren Drohungen und hatte eine Pistole stets griffbereit. Im Zuge der Er381 Vgl. Hett/Tuchel, Reaktionen, 382 f. 382 Vgl. vor allem die Korrespondenz, Vorladungen und Vernehmungen in ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1. 383 Urteil gegen Neuhaus vom 15. 12. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-013). 384 Vgl. Kapitel 2.3.5. 385 Gerstenmaier, Streit, 199. 386 Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-008/1). 387 Vgl. Hett/Tuchel, Reaktionen, 378; und Tuchel, Strick, 35–39. 388 Zu den Haftbedingungen in der Lehrter Straße 3 vgl. Tuchel, Strick, 89–130.

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mittlungen und Verhöre waren immer mehr Details vom KK bekannt geworden. Aufgrund dessen intensivierte sich die Vernehmung mit „barschem Ton“, sodass Gerstenmaier Mühe hatte, die „Fassung zu bewahren“389 und bei seiner Version zu bleiben. Die bei dem Gespräch verwendeten Ausdrücke „Ganove, Mordbube, Charakterlump, Schweinehund, Lumpenclique, Schlappschwanz, Jammergestalt […]“390 spiegelten die sprachliche Qualität der Vernehmungsart wider. Da Gerstenmaier nicht abstreiten konnte und wollte, dass er dem KK angehörte, versuchte er den Kreis – entgegen der Beschreibungen von Neuhaus – eher als einen „evangelisch-katholischen […] Gesprächskreis dar[zustellen], in dem man sich auch Gedanken darüber gemacht habe, wie nach dem Krieg die Neuordnung Europas aussehen könnte.“391 Die Darstellung schien dem „versierten ehemaligen evangelischen Theologen“392, wie Brakelmann Neuhaus später charakterisierte, zu missfallen, sodass er zu anderen Mitteln griff. Der SS-Sturmbannführer rief seine Sekretärin herbei und diktierte ihr im Beisein von Gerstenmaier ein Fernschreiben an die Gestapoleitstelle in Schwerin, in dem es hieß, dass seine Frau Brigitte,393 die zur Zeit bei seiner Schwester in Schloen wohnhaft war, unverzüglich in Haft zu nehmen und nach Berlin zu überstellen sei. Zudem sei seine einjährige Tochter Cornelia der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) unverzüglich zu übergeben. Die harte Androhung des Verantwortlichen für die Sippenhaft sollte den Theologen letztlich brechen und zur erwarteten Aussage zwingen.394 Jedoch blieb Gerstenmaier trotz aller innerer Zerrissenheit um seine Familie und der erneuten Nachfrage, „ob ich eher meine Nächsten opfern als die Wahrheit sagen wolle“395, bei seiner „Idiotenversion“, sodass Neuhaus ihm „mangelnden Familiensinn“396 vorwarf und sich mit seinem Vorgesetzten Müller über das weitere Vorgehen beraten musste. Zwei Stunden vergingen, bis eine „verschärfte Vernehmung“397 beschlossen 389 Gerstenmaier, Streit, 203. 390 Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-008/1). 391 Gerstenmaier, Streit, 204. 392 Moltke, Land, 48. 393 Brigitte Gerstenmaier hatte ihren Erinnerungen nach bei Neuhaus mehrfach vorgesprochen und die „vollkommen ahnungslose Hausfrau“ (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 58) gespielt. Da ihr der Zugang zu ihrem Mann verwehrt wurde, hatte sie sich zudem für bessere Haftbedingungen ausgesprochen (vgl. ebd., 60) sowie „hin und wieder [versucht], den Gefängniskomplex von allen Seiten zu umrunden und dabei so laut wie möglich, Landsknechtlieder zu pfeifen oder zu singen, die Eugen mir beigebracht hatte. […] Die vage Hoffnung, ihn an einem Zellenfenster zu sehen, erfüllte sich aber nicht.“ (Ebd., 72). 394 Zu den persönlichen Sippenhaft-Schicksalen der Frauen und Kinder aus dem Freundeskreis der Gerstenmaiers vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 64–69. 395 Gerstenmaier, Streit, 204. 396 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 60. 397 Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-008/1).

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wurde. Zwei SS-Männer führten Gerstenmaier dazu auf Neuhaus’ Befehl in den Keller der Gestapo-Dienststelle. Mit einem mit Nagelköpfen gespickten Stock wurde der Theologe dort bis kurz vor die Bewusstlosigkeit geprügelt.398 Im Anschluss an jene „Sonderbehandlung“ wurde Gerstenmaier wieder hinaufgeführt, „in die Ecke gestellt“, von Neuhaus „rechts und links, rechts und links in die Fresse gehauen“399 und zu fünf bis sechs Kniebeugen gezwungen. Erich Hahnenbruch, der die Abteilung B 2 im Amt IV des RSHA leitete und somit die Oberaufsicht der polizeilichen Bekämpfung des Protestantismus inne hatte, wohnte dem intensivierten Verhör bei und bestätige im Rahmen des späteren Prozesses gegen Neuhaus die brutalen Methoden.400 Obwohl festgestellt wurde, dass Gerstenmaier sich „lieber totschlagen [lässt], als anders auszusagen“401, wurde er am Abend mit der Drohung in das Gefängnis zurück geschickt, dass am nächsten Tag „zwei Polizeihunde und Badehose vorhanden seien, mit denen man neue Versuche im Keller veranstalten könne“402. In seinen Erinnerungen sowie weiteren Korrespondenzen skizzierte Gerstenmaier nicht nur seine Angstzustände, sondern auch die in ihm gedanklich wachsenden Konsequenzen mit entsprechenden Handlungsmöglichkeiten für ihn.403 398 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 204. In dem späteren Urteil gegen Neuhaus hieß es vom 15. 12. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-013): „Die Tür wurde geschlossen und der Zeuge über den Tisch gelegt. Dann schlug Bandow [einer der SS-Männer] mit den präparierten Stock so lange auf Rücken und Gesäss des Zeugen ein, bis das Blut an den Beinen herunterlief.“ Weiter wurde die schockartige Wirkung für Gerstenmaier beschrieben und von menschlicher Erniedrigung sowie körperlicher Misshandlung, die die „Würde der Persönlichkeit vermissen liess“, gesprochen. 399 Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-008/1). 400 Vgl. ebd. 401 Urteil gegen Neuhaus vom 15. 12. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-013). 402 Begründung der Verurteilung von Neuhaus vom 17. 6. 1953 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-008/1). 403 Nach seinen Beschreibungen war er kein ängstlicher Mensch, „jetzt aber erfuhr ich, was Angst ist.“ (Gerstenmaier, Streit, 205). Da er sich bewusst darüber war, dass er die Verhörmethoden nicht lange physisch ertragen konnte, aber trotzdem widerstehen wollte, war er willens, sich die Pulsadern mit einer bei ihm in der Zelle versteckten Glasscherbe zu öffnen. „Ehe ich sie [seine Freunde] in Gefahr brachte, […] wollte ich lieber aus dieser Welt des Mords und des Totschlags in die Ewigkeit fliehen. Ernstliche Bedenken des Glaubens hatte ich dabei nicht.“ (Ebd., 207). Angeführt sei zudem noch ein Brief an Erwin Wilkens vom 7. 9. 1977 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-041/1), in dem er die Situation ähnlich beschrieb: „In den Wochen nach dem 20. 7. 1944 gab es bei jedem Fliegerangriff auf Berlin in unserem Gefängnis in der Lehrterstrasse Selbstmorde und Selbstmordversuche. Sie wurden in der Regel mit Glassplittern durchgeführt, mit denen sich eine Reihe meiner Freunde die Pulsadern öffneten. Obwohl ich von Natur aus weder zur Panik noch zum Selbstmord neige, hielt ich in jenen Wochen der verschärften Vernehmung immer einige geeignete Glassplitter für mich selber versteckt. Die Gestapo war unermüdlich bei den Zellenrevisionen hinter diesen Glassplittern her. […] Ganz im Unterschied zu Ihnen und Ihrer halbtheologischen Erwägung bin ich der Meinung, daß es auch dem Christen gestattet ist, nach Abwägung aller Umstände und gewissenhafter Prüfung den Schritt in den Tod zu tun.“

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Am 19. August 1944 wurde das Verhör in der Meineckestraße 10 fortgesetzt. Gerstenmaier bleib bei seiner Version und den beschriebenen ökumenischen Intentionen des KK. Eine erneute „verschärfte Vernehmung“ fand nicht statt, da auf der einen Seite Personal an diesem Tag fehlte und Neuhaus vermutlich von seinem Vorgesetzten Müller eine entsprechende Order bekam.404 Hingegen zwang Neuhaus Gerstenmaier, das niederzuschreiben, was er zu sagen hatte.405 Eine „breite, auf Verharmlosung angelegte Geschichte unserer ,ökumenischen‘ Gespräche“406 entstand, in welcher der Theologe versuchte, so nah wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben, jedoch nicht zu viel preiszugeben. Neuhaus hatte Gerstenmaiers Scharade längst durchschaut. Dementsprechend formulierte Gerstenmaier wenige Monate später an seine Frau brieflich: „Neuhaus haßte mich grimmiger als alle andern – wie er mir frei kundtat […].“407 Ein Geständnis oder ein Verrat seiner Freunde war aus Gerstenmaier nicht heraus zu bekommen.408 Am Abend brachte der SS-Sturmbannführer den Verhörten persönlich in die Lehrter Straße 3 zurück und ordnete an, dass der Theologe Essen von seiner Familie empfangen dürfe. Dies bildete für Gerstenmaier einen „Lichtstrahl in meiner Höhle des Elends“409. Er konnte durch diese Erlaubnis von Neuhaus erahnen, dass seine Familie nicht in Sippenhaft genommen wurde und das diktierte Fernschreiben an die Gestapoleitstelle in Schwerin nur taktischer Natur war. Diese Tatsache führte nicht nur dazu, dass Brigitte ihrem Mann Verpflegung und zudem Informationen über versteckte Kassiber zukommen lassen konnte,410 sondern auch dazu, dass Gerstenmaier später ein Gnadengesuch für Neuhaus befürwortete.411 404 Karl Brandt hatte sich vor Müller für Gerstenmaier eingesetzt. Dies geht aus einer Eidesstattlichen Erklärung Brigitte Gerstenmaiers vom 14. 12. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1) hervor, in der sie schrieb, dass Brandt „trotzdem versuchte […], wovon ich mich selber mehrfach überzeugen konnte, wiederholt, Müller umzustimmen, um das Leben meines Mannes zu retten.“ Zu Brandts weiterer Verwendung für Gerstenmaier vgl. Kapitel 5.5.1. 405 Die von Gerstenmaier angefertigte Niederschrift wurde nicht überliefert. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese direkt an Kaltenbrunner für seiner Berichte weitergeleitet wurde. 406 Gerstenmaier, Streit, 206. 407 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 24. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 147). 408 Dazu sagte Neuhaus später im Rahmen einer Vernehmung durch Pries vom 21. 2. 1962 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025) aus: „Gerstenmaier hat von sich aus bei diesen Vernehmungen nichts zugegeben, was wir nicht schon wussten. Im übrigen hat er versucht, die Tätigkeit des Kreisauer Kreises geschickt zu verharmlosen. Ich erinnere, dass er sagte, er sei eigentlich nur deswegen gelegentlich nach Kreisau gefahren, um mal wieder ordentlich zu essen. Irgendwelche Namen von Angehörigen des Kreisauer Kreises oder von anderen an dem Umsturzversuch beteiligten Personen hat er mit Sicherheit nicht angegeben.“ 409 Gerstenmaier, Streit, 207. 410 An seinem Geburtstag am 28. 8. 1944 erhielt Gerstenmaier eine Tüte mit Brötchen und Pflaumen. Daraufhin traten ihm Freudentränen in die Augen und er schieb dazu in seinen Erinnerungen: „Ich biß [in ein Wurst-Butter-Brötchen] hinein – und der Herzschlag stockte mir. Ich habe ein Kassiber zwischen den Zähnen. Meine Frau schrieb mir, wer inzwischen aus unserem nächsten Freundeskreis hingerichtet worden war und wer, wie Adam von Trott, damit unmittelbar rechnen müsse. Das war für meine eigene Einlassung von Bedeutung. Ich konnte

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Im Rahmen des breit angelegten Verhörs sammelten Neuhaus und zahlreiche weitere Gestapo-Mitarbeiter Informationen und Aussagen, die an Kaltenbrunner in Form von gebündelten und analysiereten Protokollen weitergeleitet wurden. Daraus fertigte der Leiter des RSHA die sogenannten „Kaltenbrunner-Berichte“412 an, die täglich an Martin Bormann als Chef der Partei-Kanzlei der NSDAP und engen Hitler-Vertrauten adressiert wurden. Brakelmann zeigte sich in seiner Forschung erstaunt, dass ausgerechnet diese Berichte einen besonderen Schwerpunkt auf die christlichen Motive der Verschwörer zu legen schienen.413 Dass dieser Sachverhalt nicht zufällig war, zeigten die späteren Prozesse.414 Bereits am 7. August 1944 stellte Kaltenbrunner heraus, dass die „Verschwörerclique […] verschiedenartige Beziehungen zu den Konfessionen“ habe und zudem eine „Reihe von Personen, die mit dem Anschlag vom 20. Juli 1944 in engster Beziehung steht, […] per-

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die Toten jederzeit als Zeugen für meine Behauptungen benennen, ohne Gegenüberstellungen befürchten zu müssen.“ (Ebd., 208). Brigitte Gerstenmaier beschrieb später, wie sie das Kassiber angefertigt hatte: „Ich nahm die Krumme heraus, beschrieb ein winziges Blatt Seidenpapier mit den wichtigsten Nachrichten, Cellophan drum, Butter und Schmierwurst darauf, und das fertige Brötchen wurde wieder in Cellophan gepackt, damit man im Gefängnis gleich sehen konnte, was es war.“ (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 61). Neuhaus wurde am 15. 12. 1953 wegen Aussageerpressung in den Fällen Gerstenmaier, Delp, Reisert und Heinrich Höfler schuldig gesprochen und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt (vgl. Urteil vom 15. 12. 1953. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-013; und Ramm, Juli, 411–414). Am 25. 6. 1954 wandte sich Neuhaus’ Rechtsanwalt Ernst Rode mit der Bitte eines Gnadengesuches brieflich an Gerstenmaier sowie Margarete Neuhaus am 30. 6. 1954 erneut. Am 22. 7. 1954 teilte Gerstenmaier Margarete Neuhaus mit, dass er sich für eine Begnadigung aussprechen wolle, da Neuhaus seine Familie verschont hatte. Noch am gleichen Tag schrieb er Justizminister Rudolf Amelunxen: „Ich bin der Meinung, daß Neuhaus rechtens verurteilt wurde und glimpflich davon gekommen ist. Aber ich möchte den Gedenktag des 20. Juli nicht verstreichen lassen, ohne auch meinerseits einen Beitrag zur Versöhnung unseres Volkes zu leisten. Meine Frau hat mir wiederholt davon berichtet, daß Neuhaus sie seinerzeit zwar scharf und denkbar unfreundlich behandelt, sie aber dennoch nicht in Haft genommen hat, was er leicht hätte tun können. Ich glaube, daß sich auf diesen Umstand bei einer Beurteilung des von Neuhaus vorgelegten Gnadengesuches einiges zu seinen Gunsten gründen läßt.“ Neuhaus wurde am 9. 12. 1954 aus der Haft entlassen (vgl. Dankesbrief von Neuhaus an Gerstenmaier vom 19. 12. 1954). Am 20. 12. 1955 fand ein versöhnendes Treffen in Bonn statt (vgl. Brief Gerstenmaiers an Neuhaus vom 22. 12. 1955). Auf das Treffen reagierte Höfler als ebenfalls von Neuhaus Verhörter am 23. 3. 1956 in einem Brief an Gerstenmaier: „Du hast eine wirklich christliche Tat getan, als du Karl Neuhaus in so menschlicher Weise empfangen hast.“ Gerstenmaier engagierte sich nach dem versöhnenden Treffen gar für Neuhaus’ berufliche Wiedereingliederung und verschaffte ihm mehrere Jobangebote (Bausparkasse Wüstenrot, Bundesverband deutsche Industrie und Gerling-Konzern). Die gesamten Korrespondenzen zum Fall Neuhaus befinden sich primär, wenn nicht anders angegeben in ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/1. Die Kaltenbrunner-Berichte befinden sich größtenteils im BArch und wurden 1984 von HansAdolf Jacobsen herausgegeben (vgl. Jacobsen, Kaltenbrunner-Berichte, 2 Bde). Zu den Berichten vgl. Ders., Sonderkommission, 109–116; und Ramm, Analyse, 41–90. Vgl. Brakelmann, Widerstand, 35. Vgl. Kapitel 5.5.1 und 5.5.2.

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sönlich konfessionell stark gebunden“415 sei. Darüber hinaus zeichnete er ein umfassendes Bild des KK. Obwohl Gerstenmaier sowohl auf seiner „Idiotenversion“ über seine Rolle im OKW am 20. Juli 1944 als auch auf seiner Darstellung des KK beharrte und Heckel unmittelbar nach dem gescheiterten Staatsstreich alle Unterlagen mit „verfänglicher Natur“416 über den KK in Gerstenmaiers KA-Dienstzimmer vernichtete hatte, führte Kaltenbrunner eine schier erdrückende Beweislast gegen Gerstenmaier und die Kreisauer zusammen. Dem Bericht vom 25. August 1944 ist auf der einen Seite zwar zu entnehmen, dass Kaltenbrunner aufgrund der „abschliessenden Vernehmungen des Konsistorialrates Gerstenmaier“ den KK gemäß Gerstenmaiers Duktus als Gruppe skizzierte, die zu einer „evangelisch-katholischen Tagung von Geistlichen und Laien“ nach Kreisau geladen hatte, um über die „Belebung des geistigen und geistlichen Lebens in Deutschland sowie die religiöse Wiedergeburt unseres Volkes“417 zu diskutieren. In diesen Formulierungen spiegelten sich Gerstenmaiers geschickt vorgetragenen Ausführungen deutlich wider. Auf der anderen Seite kam es in Bezug auf die Kontakte des KK zum Goerdeler-Kreis, die Gerstenmaier aufgrund vorliegender Beweise nicht abstreiten konnte, auch zu Verfänglichkeiten.418 Kaltenbrunner zitierte Gerstenmaier zudem mit dem Satz: „Es ist bestimmt kein Zweifel, dass sämtliche Teilnehmer an diesen Zusammenkünften keine inneren Beziehungen zum Nationalsozialismus hatten.“419 Mit dieser Aussage führte Kaltenbrunner die 415 Jacobsen, Kaltenbrunner-Berichte, Bd. 1, 167. 416 Zit. nach Kunze, Heckel, 177. Heckel skizzierte später in seiner Autobiografie: „Diese Mitteilung [vom Attentat] versetzte mich in begreifliche Erregung, denn wenn ich auch nichts von dem festen Termin des Attentates wusste, überhaupt nichts von der Absicht eines Attentates, so wusste ich doch von den seit Jahren laufenden Bemühungen der Widerstandsbewegung […]. Ich wusste auch, dass Dr. Gerstenmaier zu diesem Kreis gehörte.“ (Zit. nach ebd.). Obwohl Heckel nicht dem Verschwörerkreis angehörte, gab es zwischen ihm und Gerstenmaier für den Fall einer Inhaftierung eine „verabredete Sprachregelung“, die der Bischof im Nachgang des 20. Juli 1944 auch der Gestapo vortrug: „In einer nach außen dokumentierten Ruhe und Entschiedenheit erklärte ich, daß diese Behauptung über Gerstenmaier für mich absolut unglaublich sei, ich kannte Dr. Gerstenmaier seit Jahren; er habe immer mit größter Energie sich für das Recht und die Freiheit der Kirche eingesetzt, aber niemals habe er zum Schaden des Reiches gehandelt.“ (Zit. nach ebd., 178). Heckel war es auch, der alle wesentlichen kirchlichen Behörden nach Gerstenmaiers Verhaftung informierte (vgl. Vermerk KA an Kirchenkanzlei vom 7. 8. 1944. In: EZA 2/P48). Zu der verabredeten Sprachregelung zwischen Heckel und Gerstenmaier vgl. auch Vernehmungsprotokoll Heckels durch Langrehr vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 417 Bericht Kaltenbrunners an Bormann vom 25. 8. 1944 (BArch NS 6/11). 418 Kaltenbrunner konstatierte dies wie folgt: „Gerstenmaier war sich nach seinem eigenen Geständnis darüber klar, dass eine Gruppe oppositioneller Generäle und der Kreis um Goerdeler einen Sturz der nationalsozialistischen Regierung anstrebte. Von den Attentatsplänen dagegen will er nie etwas gehört haben. Eine Anzeige habe er nicht erstattet, weil er der Auffassung gewesen sein will, dass es sich bei den Plänen Goerdelers und der Generäle um eine nicht ernst zu nehmende Angelegenheit gehandelt habe.“ (Ebd.). 419 Zit. nach ebd.

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„Verschwörerclique“ vor. Trotz aller vorgelegten Beweise und aufgeschlüsselten Netzwerke konstatierte der RSHA-Leiter vorerst, dass sich der „Kreis um Moltke und Gerstenmaier“ von aktiven Umsturzplänen „offenbar fern gehalten hat“ und sich in erster Linie mit der „Stellung der Kirche im Staat, mit dem Verhältnis moderner Weltanschauungen zum Christentum“420 auseinandergesetzt hatte. Dieser offenkundigen Schwerpunktsetzung des KK ging Kaltenbrunner in einem weiteren elfseitigen Bericht vom 4. Oktober 1944 unter dem Titel „Zusammenfassende Übersicht über die konfessionellen Bindungen und kirchlichen Beziehungen der Verschwörerclique“ noch einmal kritisch in der ideologischen Darbietung der nationalsozialistischen Staatsräson nach. Das Christentum beschrieb er hier als bindendes Element zwischen den Männern im Kreis und Gerstenmaier als Kontaktperson zu Wurm und Heckel.421 Weitere spezialisierte Berichte folgten an Bormann.422 Während die Gestapo weiterhin die Geschehnisse vom 20. Juli 1944 aufarbeitete und jedwede Netzwerke zerschlug, die auch nur im Entferntesten mit der politischen Opposition zu tun hatten, wurde Gerstenmaier gemeinsam mit Delp am 27. September 1944 nach schweren Luftangriffen, die das Gefängnis in der Lehrter Straße 3 schwer beschädigt hatten, in die Haftanstalt BerlinTegel verlegt. „Ich steckte meine Bibel und meine Zahnbürste ein und war fertig“423, erinnerte sich Gerstenmaier später an die Verlegung, bei der die beiden Männer von der Gestapo in die Obhut des normalen Justizvollzuges übergeben wurden. Der Personalakte Gerstenmaiers ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass er als „Untersuchungshäftling“ bei der Einlieferung 60 kg Gewicht bei 1,66 m Größe hatte und unter der Nummer 1450/44 in der Abteilung 8 des Hauses 1 der Haftanstalt untergebracht wurde.424 Am 28. September 1944 wurde auch Moltke nach Tegel verlegt. Hoch emotional und euphorisch schien das Wiedersehen im Korridor der Anstalt mit dem Grafen abgelaufen zu sein, da Gerstenmaier es in seinen Erinnerungen ebenso skizzierte: „Ich war so erfreut ihn wiederzusehen, daß ich unbekümmert um das Ritual, das Sprechen verbot, laut hallend durch den Gang Helmuth, Helmuth! rief und ihm mit hocherhobenen gefesselten Händen zuwinkte. Eugen, Eugen! schallte es zurück.“425

420 Ebd. 421 Vgl. Bericht Kaltenbrunners an Bormann vom 4. 10. 1944 (BArch NS 6/11; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-008/2). 422 Vgl. u. a. den 16seitigen Bericht „,Das Volk‘ und ,die Arbeiterschaft‘ in den Vorstellungen des Verschwörerkreises“ Kaltenbrunners an Bormann vom 24. 11. 1944 oder den 27seitigen Bericht „Auslandsbeziehungen der Verschwörer“ Kaltenbrunners an Bormann vom 29. 11. 1944 (BArch NS 6/15). 423 Gerstenmaier, Streit, 210. 424 Personalakte Gerstenmaier der Haftanstalt Tegel (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/ 3). 425 Gerstenmaier, Streit, 211.

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5.4.2 Die erfahrene „Wirklichkeit Gottes“ Aus dem Wiedersehen der drei Kreisauer in Tegel resultierte in der Folgezeit eine intensive Gemeinschaft und gelebte Freundschaft auf der Basis des Gebetes und der im Geheimen verborgenen Kontemplation.426 Der von Delp so bezeichneten „Una Sancta in vinculis“427 ging ein bedeutungsvolles Erlebnis von Gerstenmaier voraus, das nicht nur seinen persönlichen Glauben auf eine neue Stufe hob, sondern auch seiner religiösen Argumentation eine neue Qualität verlieh. In einem späteren Interview erläuterte der Theologe, dass er „lange gezaudert [habe], ob ich das überhaupt publizieren“ sollte, da es sich hierbei schließlich um ein „ganz persönliches, inneres Erlebnis“ handelte, das für ihn von so „lebensrettender Bedeutung“428 war. Auf dieser Grundlage muss in diesem Rahmen sowohl jenem Erlebnis selbst als auch dessen Auswirkungen429 nachgegangen werden, um Gerstenmaiers religiöse Biografie weiter zu entfalten. Dazu wird nicht nur auf seine Erinnerungen zurückgegriffen, in denen er das Erlebnis 1981 erstmalig öffentlich skizzierte, sondern auch auf seine zeitgenössischen Korrespondenzen aus dem Gefängnis mit seiner Frau, seiner Schwester und seinen Freunden vor Ort per Brief und Kassiber. Obwohl Gerstenmaier schriftlich verfügte, dass Letztgenannte nicht einem Archiv übergeben und veröffentlicht werden sollten,430 gab seine Frau Brigitte einen Großteil der Gefängnisbriefe als Ergänzung zu „seine[r] Biografie“431 1992 heraus. Damit schloss sie eine Leerstelle im Leben ihres Mannes, die eine weitere Erforschung des genannten, tief religiösen Erlebnisses nun möglich macht.432 Seit Gerstenmaiers Erfahrungen im Rahmen der Jugendbewegung entwi426 Zur Gemeinschaft vgl. Kapitel 5.4.3. 427 Delp, Schriften, Bd. IV, 60. 428 Gross, Gespräch, 30 f. Das Erlebnis war „für mich von solcher Bedeutung gewesen, dass ich mir sagte, ich kann nicht mein Leben erzählen und das Wichtigste unter den Tisch fallen lassen.“ (Ebd., 31). 429 Zu der Entfaltung und den Auswirkungen des Erlebnisses vgl. Kapitel 5.4.3. 430 Vgl. die Notiz Gerstenmaiers am 5. 2. 1981 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). Weiter schrieb Gerstenmaier in seinen Erinnerungen über die Briefe: „Sie taugen nicht zur Veröffentlichung, aber sie vermitteln mir auch heute noch einen Eindruck von der großen Intensität unseres Lebens- und Gemeinschaftsgefühls, das uns damals erfüllte und verband. Und sie zeigen, ähnlich wie Moltkes Abschiedsbriefe an seine Frau oder – knapper – diejenigen Trotts, welche machtvolle Bedeutung die Bibel und das Gebet für uns gewannen.“ (Gerstenmaier, Streit, 214). 431 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 1. 432 Die in Brigitte Gerstenmaiers Veröffentlichung nicht abgedruckten überlieferten Briefe und Kassiber, die sich in einer gesperrten Akte im Nachlass Gerstenmaiers im ACDP in Sankt Augustin befinden, konnten im Rahmen dieser Arbeit mit der Genehmigung von Gerstenmaiers Nachfahren eingesehen werden. Da es sich hierbei um sehr persönliche Mitteilungen handelt, werden sie zurückhaltend rezipiert und nur zur Beschreibung der intensiven Wirkung des religiösen Erlebnisses verwendet.

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ckelte sich seine Frömmigkeit im Spiegel einer starken Reflexion weiter,433 sodass sein Verhältnis zur Religion und zum Christentum eine primär wissenschaftliche Ausrichtung erhielt. Diese Entwicklung bestimmte nicht nur seine Studienzeit, sondern vor allem auch seine Motivationen zwischen Beruf und Berufung ab 1935. Sie dominierte bei ihm stets über ein blindes Vertrauen in Gottes Wort und Werk. Obgleich ihn seine pietistische Sozialisation nachhaltig geprägt und ihn die beiden theologischen Ausbildungsphasen in seiner Persönlichkeit geformt hatten, bestand dennoch eine als latent zu beschreibende persönliche Distanz zur Erbaulichkeit der christlichen Botschaft. Dies bedeutete nicht, dass er den Grundaussagen und Wertmaßstäben des Christentum in seinem Leben keine zentrale Bedeutung zugestand. Im Gegenteil: Die Rechtfertigung seines Handelns baute im Großteil auf jenen Maximen auf. Gerstenmaiers Frömmigkeit nahm nun in Folge des 20. Juli 1944 eine neue Intensität an und kulminierte in dem bereits angesprochenen Erlebnis. Bereits während der Gestapo-Untersuchungshaft in der Prinz-AlbrechtStraße 8 und später der Lehrter Straße 3 verbrachte er viel Zeit mit der Rekapitulation von Gedichten sowie Liedern und Chorälen aus dem Gesangbuch. Darüber hinaus nahm er sich während der Zeit im Gefängnis vor, die „Bibel von A bis Z hintereinander durchzulesen.“434 Anzunehmen ist, dass Gerstenmaier zu Beginn der Untersuchungshaft weder Bibel noch Gesangbuch zur Verfügung hatte und somit auf seine Erinnerungen bei jener Rekapitulation zurück greifen musste. Dies lässt sich mit den Erinnerungen von Gerstenmaiers Frau belegen, die schrieb, dass sie bei Neuhaus vorstellig wurde und den SS-Sturmbannführer bat, ihrem Mann „wenigstens seine Bibel zu geben oder sonst etwas zu lesen“, sodass er nicht „verrückt“435 werde. Gerstenmaier schien zum Ende seiner Zeit in der Lehrter Straße 3 auch eine Bibel bekommen zu haben, in der er lesen und mit der er studieren konnte, da er kurz vor der Verlegung nach Tegel eine Bibel eingepackt hatte.436 Gerstenmaier datierte sein zentrales Erlebnis selbst auf den 17. August 1944,437 einen Tag vor der „verschärften Vernehmung“ in der Meineckestraße 10. Er saß an jenem Tag nach einem dürftigen Mittagessen in seiner Zelle, rezipierte Lieder und plötzlich ging ihm adhoc ein Bibelwort durch den Kopf: „Ich werde nicht sterben, sondern leben.“ Aufgrund der fehlenden Bibel versuchte er es aus seinem Gedächtnis vollständig zu rekonstruieren. Ob ihm dies in jenem Moment oder erst später mit einer Bibel gelang, kann nicht mehr 433 434 435 436 437

Vgl. Kapitel 1.3. Gerstenmaier, Streit, 201. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 60. Gerstenmaier, Streit, 210. Vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 124). Auch Gerstenmaier Frau bestätigte das für ihn so wichtige Datum in ihren Erinnerungen, indem sie schrieb: „Eugen kratzte mit einem Nagel, den er in seiner Zelle fand, das Datum des 17. 8. 1944 in den Fensterrahmen ein.“ (Ebd., 78).

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geklärt werden. Ungeachtet dieser Frage heißt es in Psalm 118,17: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen.“ Impulsiv und sprungartig schienen Gerstenmaier diese Worte zu berühren und zu erfüllen: „Da durchzuckte mich der Gedanke: das gilt ja dir.“438 Der Theologe bezog den Vers aus dem Psalm 118, der in seiner Gänze ein dankbares Bekenntnis zur Hilfe Gottes umfasst, auf sich persönlich. „Ungesucht und unbedacht“439 war ihm das Wort „ein Befehl.“440 Er schöpfte daraus die Zusage Gottes, dass er nicht sterben, sondern den Nationalsozialismus überleben und die Werke des Herrn verkündigen werde. Ohne weitere Konkretisierung lässt sich dieser tief religiöse Moment nicht nur als „Art Vision“441 beschreiben, sondern auch als Theophanie, da Gerstenmaier in dem Erlebnis Gottes Zuspruch für seine eigene Situation in einer für ihn unerklärlichen Form wahrgenommen hatte. Diese Selbstoffenbarung Gottes durch die Worte aus Psalm 118,17 waren dem Gefangenen zu einer „Verheißung“ geworden: „Diese Worte wurden mir zu der Erfahrung meines Lebens. Nicht nur weil ich in das Leben zurückkehren durfte, sondern mehr noch weil mir diese Verheißungen und ihre Erfüllung zu persönlichen Erfahrung der Wirklichkeit Gottes geworden ist. Ich kann sie nicht beschreiben. Ich ging damit fortan nicht auf Wolken und war auch nicht über alle Zweifel erhaben – im Gegenteil.“442

Gott wurde dem Theologen Wirklichkeit in jenem Erlebnis. Die Psalmworte stärkten seinen Geist und wurden ihm zu einem „Wunder“443, das sein Denken ab diesem Zeitpunkt im Hinblick auf das weitere Verhör und den anstehenden Prozess vor dem Volksgerichtshof stark beeinflussen sollte. Er hatte durch die spürbare göttliche Präsenz in dem Erlebnis einen neuen Zugang zum Glauben gefunden. Wenn man vom christlichen Glauben spricht, muss in sachlicher Hinsicht in diesem Zusammenhang theologisch zwischen Glaubensinhalt und Glaubensakt unterschieden werden. Die lutherische Orthodoxie differenzierte darüber hinaus den Glauben in drei Ebenen: notitia, assensus und fiducia. Die Kenntnisnahme der Glaubensinhalte, ihre Wahrnehmung, ihre sprachliche Benennung sowie ihr Verstehen umfasst die erste Ebene der notitia. Die assensus drückt als zweite Ebene sowohl die Zustimmung zu den Glaubensinhalten, deren Prüfung und Anerkennung der Wahrheitsmomente sowie die Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben aus. Die fiducia beschreibt schließlich den „Akt des Sich-Anvertrauens, des Zur-Ruhe-Kommens des

438 Gerstenmaier, Streit, 202. 439 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 124). 440 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 78. 441 Ebd., 77. 442 Gerstenmaier, Streit, 203. 443 Ebd., 201.

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Willens in Christus“444 sowie eben das persönliche Vertrauen in Gott. Der Kenntnisnahme und der intellektuellen Zustimmung folgten bei Gerstenmaier nun in seiner Situation „das Vertrauen, der Verlaß darauf auch gegen allen Augenschein.“445 Damit waren alle drei Ebenen des Glaubens als Akt, der den Inhalt voraussetzt, komplettiert; nicht durch die wissenschaftliche Reflexion der Theologie, sondern durch die sinnliche Begegnung mit dem Wort aus Psalm 118. „Ich kann nicht sagen, dass mir in der großen Spannung zwischen Verheißung und Zweifel die Theologie eine nennenswerte Hilfe gewesen wäre. Obwohl ich aus einer konservativ bestimmten theologische Schule kam und der Richtung auch im ganzen treu geblieben war, nützte mir die theologische Reflexion, in der ich geübt war, wenig.“446

Erst im affektiven und bedingungslosen Glauben auf der Ebene der fiducia gelang ihm dies. In der von ihm so bezeichneten „Verheißung“ durch Psalm 118,17 sah der Theologe das Vertrauen in Gott und seinen Plan für sich begründet, obgleich ihn „eine äußerste innere Spannung“ begleitete. Später konnte er die Ursprünglichkeit des Erlebnisses nicht mehr klar definieren: „Hatte mich ein sublimierter Lebenswille im Fang oder war mir tatsächlich eine Verheißung zuteil geworden, die mir zum Beweis, zum persönlichen Beweis der Wirklichkeit des Gottes der Bibel werden würde?“447 Dass das beschriebene Erlebnis die Frömmigkeit des Theologen im Gefängnis nachhaltig prägte und es sich gar als Wesensmerkmal in seiner Kommunikation sowohl vor Ort als auch zur Außenwelt beschreiben lässt, belegen vor allem die überlieferten Briefe und Kassiber aus Tegel. In einem ersten erhaltenen Brief an seine Schwester Maria berichtete Gerstenmaier Anfang Oktober 1944 von dem Erlebnis: „Ps[alm] 118, 17 ist mir verheißen“448. Auf dieser Grundlage skizzierte er weiter seine Absicht, nicht etwa in innerlicher Resignation und Trauer zu versinken, sondern auf Gottes Verheißung zu vertrauen: „Hoffen, glauben! – Das ist jetzt die Parole! In einer solchen Zeit macht man Ernst mit seinem Christentum oder es zerrinnt einem unter den Füßen.“449 Im Glauben bündelten sich in diesem Rahmen seelischer Trost und hoffnungsvolle Zuversicht für den Theologen. Dies zeigt sich vor allem in den Briefen an seine Frau Brigitte. Am 16. November 1944 schrieb Gerstenmaier an seine „allerliebste Frau“ wie folgt:

Schrçder, Religionspädagogik, 209. Gerstenmaier, Streit, 203. Ebd., 202. Ebd., 203. Brief Gerstenmaiers an seine Schwester Maria von Anfang Oktober (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). 449 Ebd.

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„Gott lügt nicht, und ich fantasiere nicht und überhebe mich auch nicht. Ich komme durch und wieder hinaus! Meine Gewißheit steht nach wie vor allein auf dem Wort, das mir gegeben ist. […] Heute ist Sonntag. Ich bin am Buche Ruth. Und ganz frisch und getrost. Die Verheißung trügt nicht! Sei ganz zuversichtlich!“450

Klar wird an dem zitierten Ausschnitt, dass hier eine intrinsische Gewissheit sprach, die aus Gerstenmaiers Erlebnis mit Psalm 118 resultierte. Die Erbaulichkeit der Zeilen spiegeln seinen inneren Zustand wider, der von Hoffnung erfüllt war. Selbstverständlich ist zudem zu vermuten, dass Gerstenmaier durch diese Briefe auch seiner Familie Mut in der derzeitigen Situation machen wollte. Wie ihm dies gelang, zeigt ein Ausschnitt aus einem Brief seiner Frau kurz vor der Urteilsverkündigung, als diese erfahren hatte, dass der Reichsanwalt die Todesstrafe für ihren Mann beantragt hatte: „Gott weiß was er tut, und es ist ja sogar noch möglich, daß er dich leben läßt.“451 Dass Gerstenmaier von einer „rätselhaften Gewissheit erfüllt“452 war, nicht sterben zu müssen, beeinflusste nicht nur sein Handeln in seinem unmittelbaren Umfeld in Form von brieflicher Korrespondenz, Gebeten und der Kontemplation in der „Una Sancta in vinculis“,453 sondern auch seine religiöse Prägung nach 1945.454 5.4.3 Die „Una Sancta in vinculis“ im „Kindergarten des Todes“ Die Verlegung in die Haftanstalt Tegel am 27. September 1944 brachte für Gerstenmaier in Folge seines religiösen Erlebnisses in der Lehrter Straße 3 eine Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen mit sich. Da er ab jenem Zeitpunkt nicht mehr unter der Verantwortung der Gestapo stand, sondern der nationalsozialistischen Justiz übergeben wurde, konnte er nun Möglichkeiten wahrnehmen, die ihm zuvor verwehrt wurden. Obgleich sich an den strengen Haftbedingungen wenig änderte, ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der herkömmliche Justizvollzug mit seinen berufserfahrenen Gefängnismitarbeitern in Tegel der intensiven Verfolgung und Bestrafung der mutmaßlich am 20. Juli 1944 Beteiligten durch das nationalsozialistische Regime eher mit Skepsis begegnete. Das Wachpersonal musste 450 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 16. 11. 1944 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 85). 451 Brief Brigitte Gerstenmaiers an ihren Mann vom 10. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 86). 452 Harpprecht, Poelchau, 153 f. 453 Vgl. dazu Kapitel 5.4.3. 454 Wie sehr ihn das Erlebnis weiterhin beschäftigte, zeigt bspw. ein Brief an seine Freundin aus der Jugendzeit, Maria Mejer-Eppinger, vom 12. September 1978 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-041/2). Hier skizzierte er ähnlich wie in den Gefängnisbriefen 1944/1945 die zentrale Bedeutung von Psalm 118,17 für sein physisches und psychisches Überleben.

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freilich professionell auf die ungewöhnliche Situation in ihrer Anstalt reagieren, dass neben verurteilten Dieben und Mördern nun auch Professoren, Adelige, Botschafter, Militärs und eben auch Kirchenbeamte kurzzeitig untergebracht werden sollten. Die Abteilung 8 des Hauses 1 der Haftanstalt wurde von den Häftlingen nicht ohne Grund „Totenhaus“455 genannt, da in den Zellen dort die Männer untergebracht wurden, die mit einer Verurteilung zum Tode rechnen mussten. Der auf den 11. Oktober 1944 datierte Haftbefehl des Ermittlungsrichters vor dem Volksgerichtshof legte gegen Gerstenmaier und sechs weitere Personen456 fest, dass die Gefangenen, die nach Tegel verlegt wurden, wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft zu verwahren seien. Weiter hieß es darin: „Sie werden beschuldigt, gemeinschaftlich es unternommen zu haben, mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern und den Führer seiner verfassungsmässigen Gewalt zu berauben und damit zugleich im Inland während eines Krieges gegen das Reich der feindlichen Macht Vorschub zu leisten.“457

Da der Vorwurf des Hochverrates im Raum stand, verhängte man gegen die Männer scharfe Sanktionen. In einem Brief schrieb Gerstenmaier dazu später: „Nach der Überführung in die Strafanstalt Tegel wurden wir dann Tag und Nacht gefesselt unter Lampen gelegt.“458 Die strengen Haftbedingungen und das absolute Kontaktverbot der Gefangenen untereinander in der Abteilung 8 wurde jedoch vor Ort inoffiziell flexibel gehandhabt. Das Besondere in Tegel war zudem, dass die Gefangenen externen Besuch unter Aufsicht empfangen und mit der Außenwelt brieflich unter entsprechender Zensur korrespondieren durften. Gerstenmaier empfing in diesem Rahmen mehrfach seine Frau sowie seine Schwester Maria.459

455 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 10; Gross, Gespräch, 30; Harpprecht, Poelchau, 152; und Gerstenmaier, Streit, 211. 456 Der Haftbefehl bezog sich auf die in Tegel Inhaftierten: Moltke, Haubach, Gerstenmaier, Steltzer, Sperr, Reisert und Fürst Fugger von Glött. 457 Haftbefehl des Ermittlungsrichter gegen Moltke, Haubach, Gerstenmaier, Steltzer, Sperr, Reisert und Fürst Fugger von Glött vom 11. 10. 1944 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027). Der Haftbefehl ist zudem abgedruckt bei Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 547 f; und Roon, Neuordnung, 594 f. 458 Brief Gerstenmaiers an Erwin Wilkens vom 7. 9. 1977 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210041/1). Ähnlich beschrieb dies auch Brigitte Gerstenmaier in ihren Erinnerungen (vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 63). 459 Obwohl Brigitte Gerstenmaier in ihren Erinnerungen angab, zwei Mal eine Besuchserlaubnis während der Zeit in Tegel bekommen zu haben (vgl. ebd., 72 f), geht aus den überlieferten „Sprechzetteln“, mit denen man sich für einen Besuch von 15 Minuten zwischen 10 und 13 Uhr wochentags anmelden musste, hervor, dass Gerstenmaiers Frau Brigitte den „Untersuchungshäftling […] im Beisein eines Beamten“ am 16. 11. 1944, 29. 11. 1944, 11. 12. 1944, 3. 1. 1945, 15. 1. 1945 und 26. 1. 1945 sprechen durfte. Gerstenmaiers Schwester Maria besuchte ihn am 15. 12. 1944 (vgl. Personalakte Gerstenmaier der Haftanstalt Tegel. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3).

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Ein „Glücksfall“460 für die Gefangenen waren darüber hinaus die Gefängnisseelsorger der Anstalt mit dem katholischen Geistlichen Peter Buchholz auf der einen und dem evangelischen Geistlichen Harald Poelchau auf der anderen Seite. Obwohl sich die Arbeitsteilung zwischen den Seelsorgern eigentlich an die jeweiligen Konfessionen der Gefangenen band, hielt Klaus Harpprecht in seiner Publikation fest: „[…] doch in Wirklichkeit waren beide für alle da.“461 Mit Poelchau trafen die nach Tegel verlegten Männer ihren alten Freund aus dem KK wider.462 „P.[oelchau], der Getreue“463, wie ihn Gerstenmaier in einem Brief an seine Frau bezeichnete, nahm mit seinem katholischen Amtskollegen464 nicht nur eine ganz besondere Rolle in der Kommunikation zwischen den Gefangenen ein, sondern auch im Rahmen des Kontaktes nach außen. Über die von der Gefängnisleitung genehmigten und teilweise auch zensierten Briefe hinaus wurde vor allem Poelchau für Moltke und Gerstenmaier der zentrale „Mittler zur Außenwelt.“465 Er schmuggelte täglich mit „unerhörtem Mut“466 unzensierte Briefe und Kassiber aus dem Gefängnis heraus. Fast jeden Abend holten Brigitte Gerstenmaier und Freya von Moltke die authentischen Schriftstücke ihrer Männer in der Wohnung von Harald und Dorothee Poelchau in der Afrikanischen Straße in Berlin-Wedding ab und übergaben dort entweder vorbereitete eigene Briefe an ihre Männer oder fertigten vor Ort Antworten an, die Polchau am nächsten Tag wieder mit nach Tegel nahm und diese wiederum heimlich den Gefangenen übergab.467 Die beiden Ehefrauen bildeten zu jener Zeit – ähnlich wie ihre Männer – eine starke Gemeinschaft mit regelmäßigem Austausch.468 So schrieb Brigitte Gerstenmaier in ihren Erinnerungen nicht nur: „[Mit] Freya war alles leichter zu bestehen“469, sondern auch: „Ich lebte mit diesen Briefen.“470 Diese Aussage unterstreicht, welche innige Bedeutung die Briefe für die Ehepartner ein460 461 462 463 464 465 466 467 468

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Harpprecht, Poelchau, 145. Ebd. Zu Poelchau vgl. Kapitel 5.2.2. Morgenbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 87). Gerstenmaier schätzte neben Poelchau auch Buchholz sehr. So schrieb er in einem Brief an seine Frau am 25. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 149): Buchholz sei „ein feiner Mensch, den ich sehr gerne habe“. Gerstenmaier, Streit, 212. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 81. Vgl. ebd.; und Moltke, Erinnerungen, 75 f. Wie sich die Gemeinschaft der Frauen gestaltete, die eine „Freundschaft fürs ganze Leben“ (Moltke, Erinnerungen, 76) begründete, ist zahlreichen Briefen Freya Moltkes an ihren Mann zu entnehmen Vgl. dazu die Briefe vom 16. 11. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 203–206); 24. 11. 1944 (ebd., 228–230); 25. 11. 1944 (ebd., 233–236); 27./28. 11. 1944 (ebd., 246–248); 5./6. 12. 1944 (ebd., 270–272); 8. 12. 1944 (ebd., 288–295); 11. 12. 1944 (ebd., 312–316); 14. 12. 1944 (ebd., 324–328); 2. 1. 1945 (ebd., 430–433); 3. 1. 1945 (ebd., 439–442); 8. 1. 1945 (ebd., 465–467); 17./18. 1. 1945 (ebd., 516–520); und 23. 1. 1945 (ebd., 538–541). Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 64. Ebd., 72.

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nahmen. Im Vergleich zu den Moltkes wurden von den Gerstenmaiers nur wenige Briefe überliefert. Günther Saltin bezeichnete die später veröffentliche Korrespondenz zwischen Freya und Helmuth von Moltke als „ein Geschenk an die Christenheit und die Menschen überhaupt.“471 Ähnlich kann auch der knapper überlieferte Briefwechsel zwischen Brigitte und Eugen Gerstenmaier charakterisiert werden, da auch aus ihm eine tiefe Verbundenheit mit nachhaltiger Wirkung spricht.472 Ähnlich wie Poelchau schmuggelte auch Buchholz für Delp und andere Gefangene Briefe und Kassiber aus dem und in das Gefängnis.473 Die beiden Geistlichen „riskierten für uns Kopf und Kragen“474, wie Gerstenmaier später Poelchau und Buchholz würdigte. Ihnen ist zu verdanken, dass die Menschen heute Einblick in die inneren Auseinandersetzungen der Gefangenen zwischen Angst, Hoffnung und Gotteslob nehmen können. Doch was machte die von Delp so bezeichnete „Una Sancta in vinculis“475 in Tegel aus und wie gestaltete sich ihre gemeinsame Kontemplation? Um der Frage adäquat nachgehen zu können, muss zunächst geklärt werden, wie die Gefangenen bei striktem Kontaktverbot miteinander kommunizieren konnten. Den Quellen können dazu vier Möglichkeiten entnommen werden, die einen religiösen und erbaulichen Austausch zuwege brachten. Erstens konstatierte Brakelmann, dass die beiden Pfarrer von großer Wichtigkeit für das gemeinschaftliche Gespräch unter den Männern waren.476 Sie beförderten Kassiber vor allem zwischen Moltke, Delp und Gerstenmaier hin und her. Zudem dienten sie als Kuriere von mündlichen Mitteilungen zwischen den drei Männern, die in benachbarten Zellen untergebracht waren.477 Zweitens nutzen die Gefangenen den täglichen Hofgang zur Kommunikation. Da bei jenen Rundgängen im Innenhof der Anstalt das Sprechen streng verboten war, fanden die Männer trotzdem geschickte Wege, um den Hofgang zum Austausch zu nutzen. Delp beschrieb in einem Kassiber eine verbale Verständigungsmöglichkeit in diesem Rahmen: „[…] jeden Tag werden wir eine Stunde herumgeführt, stur im Kreis, gut bewacht, mit Gewehren etc. Alle anderen Menschen werden vorher verscheucht. Da gehen 471 Saltin, Gesang, 20. 472 Darauf wird in diesem Kapitel und im Kapitel 5.5.2 noch näher einzugehen sein. 473 Darüber hinaus gab es auch noch weitere Personen, die als Boten agierten. So bspw. die Sozialfürsorgerin Marianne Hapig, die ebenso Dokumente von Delp aus der Anstalt schmuggelte, die u. a. einige Jahre später unter dem Titel „Im Angesicht des Todes“ veröffentlicht wurden (vgl. Delp, Angesicht). 474 Gerstenmaier, Streit, 212. 475 Delp, Schriften, Bd. IV, 60. 476 Vgl. Brakelmann, Ökumene, 25. Zur Praxis der verborgenen Kommunikation über die Pfarrer vgl. Vernehmungsprotokoll Buchholzs durch Langrehr vom 29. 9. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). 477 Gerstenmaier saß in Zelle 300 (vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Schwester Maria vom 14. 10. 1944. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3).

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wir dann im Kreis, alle gefesselt, Grafen und Beamte, Offiziere und Arbeiter, Diplomaten und Wirtschaftler. An manchen Ecken kann man gegen die Wand sprechen, dann hörts der Hintermann. So werden die Gespräche im ,Kindergarten des Todes‘ geführt.“478

Der Ausschnitt zeigt, wie kreativ die Männer im von Delp so bezeichneten „Kindergarten des Todes“ werden konnten, um das Sprechverbot auszuhebeln. Ähnlich beschrieb Moltke in einem Brief an seine Frau vom 9./10. Dezember 1944 den Einfallsreichtum der Männer im Tegeler Innenhof: „In unserer Freistunde gehe ich jetzt immer schleichend im inneren, kleinen Kreis auf gleicher Höhe wie Delp und Eugen im großen […].“479 Auch dieses Vorgehen, bei dem die Gefangenen offensichtlich unmittelbare Freiheit genossen, ermöglichte einen verbalen Austausch. Eine dritte Möglichkeit erwähnte Gerstenmaier in einem Brief vom 16. November 1944 an seine Frau. Er habe sich bei der „gestrigen SprechBadestunde“480 mit Moltke ausgetauscht. Zu vermuten ist vor dem Hintergrund des Briefes, dass die Gefangenen auch die Benutzung der sanitären Anlagen für das Gespräch nutzten. Dies bestätigte später auch der Mitgefangene Ewald Heinrich von Kleist.481 Weiter berichtete Gerstenmaier in seinen Erinnerungen von einer vierten Möglichkeit, wie die Gefangenen Schriftstücke oder Kassiber untereinander austauschten, ohne dabei auf die Pfarrer angewiesen zu sein: „Beiden Geistlichen wurde zwar bald verboten, die Zelle von Delp zu betreten. Aber ich lernte schnell, sogar in Fesseln dem Gefährten die Papiere abzunehmen, die er in seine linke Rocktasche gesteckt hatte. Das geschah in der Regel morgens beim Kübeln oder beim Antreten zur Freistunde.“482

Die administrativen Gegebenheiten des Vollzugs wurden von den Gefangenen größtenteils akzeptiert und für sich mit eigenen ausgeklügelten Systemen nutzbar gemacht. Über die vier Möglichkeiten der Kommunikation hinaus stand das Wachpersonal der Abteilung 8 mehrheitlich sowie die Gefängnisverwaltung in Teilen den Männern wohlgesonnen gegenüber. Obgleich der für das Haus 1 zuständige Aufsichtsbeamte „keinen Spaß“483 verstand, wurde ein Hauptwachtmeister mit dem Namen Klaus immer wieder als besonders ko-

478 Delp, Schriften, Bd. IV, 50. 479 Brief Moltkes an seine Frau vom 9./10. 12. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 303). 480 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 16. 11. 1944 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 83). 481 Dem Vernehmungsprotokoll Kleists durch Langrehr vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025) kann entnommen werden, dass dieser in Tegel „sowohl in Freistunde als auch beim Duschen fast täglich Gelegenheit gehabt“ habe, mit Gerstenmaier und Moltke zu sprechen. 482 Gerstenmaier, Streit, 212. 483 Ebd., 214.

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operativ beschrieben.484 Unter diesem Umstand nahm auch die Lebensmittelversorgung der Gefangenen neben der regulären Haftverköstigung nicht ab. Es wurden immer wieder „Auge[n] zu[gedrückt], wenn Gräfin Moltke schlesische Wurst und meine Frau mecklenburgischen Schinken mitbrachte.“485 Am 1. Oktober 1944 erhielt Delp sogar eine besondere Schmuggelware: ein paar Hostien und eine kleine Flasche Wein für die Eucharistie.486 In jenen Konventionen bildete sich im Oktober 1944 die sogenannte „Una Sancta in vinculis“ in der Abteilung 8 des Tegeler Gefängnisses als ökumenische Gebets-, Schriftlese- und Gesprächsgemeinschaft heraus. Wenngleich „die Männer im Eisen“487 nur eingeschränkt miteinander verbal kommunizieren konnten und in keinem Fall eine präsent-persönliche Gemeinschaft hatten, nutzten sie die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um ein „Stück gemeinsames Leben“488 zu erfahren. Zu dem „harten Kern“489 der Gemeinschaft gehörten nach Günther Saltin vor allem Moltke, Delp, Gerstenmaier und Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött. Auch Dietrich Bonhoeffer wurde als „stummer Teilhaber“490 dazu gezählt, da er die Männer in der Abteilung 8 mit Schriften und Gebetsvorlagen aus dem Isolationstrakt der Anstalt versorgte.491 Glött und Bonhoeffer sind in der Betrachtung des Austausches zwischen den Freunden aus dem KK jedoch nur sekundär als Teil der Gemeinschaft zu verstehen.492 Die eigentliche „Una Sancta in vinculis“ wurde zwischen den beiden Protestanten Moltke und Gerstenmaier sowie dem Katholiken Delp praktiziert. Im Gegensatz zu Moltke hatten Gerstenmaier und Delp eine differenzierte theologische Ausbildung aufgrund ihres Studiums genossen, was nicht bedeutete, dass es dem theologischen Laien Moltke an theologischer Bildung fehlte. Spätestens seit seiner Inhaftierung im Januar 1944 vertiefte der Graf sein eigenständiges Studium. Zum einen wurde die Bibel Moltkes „ständige 484 Vgl. Harpprecht, Poelchau, 154; Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945; sowie vom 21. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 121, 136). 485 Gerstenmaier, Streit, 213. 486 Vgl. Brakelmann, Ökumene, 26. 487 Delp bezeichnete die Gefangenen in einem Kassiber mit jener Wendung (zit. nach Brakelmann, Ökumene, 26). 488 Brakelmann, Ökumene, 26. 489 Saltin, Gesang, 18. 490 Ebd., 19. 491 Bonhoeffer befand sich in Isolationshaft in einem anderen Bereich der Haftanstalt. Poelchau verbreitete jedoch Schriften von Bonhoeffer und auch die von ihm stammenden „Gebete für Gefangene“. Über Poelchau hatte so auch Bonhoeffer schriftlichen Zugang zur „Una Sancta in vinculis“. Vgl. dazu Fuchs, Sancta, 219–236. 492 Wenn man das von Saltin 2014 herausgegebene erbauliche Buch „Gesang im Feuerofen“ mit dem Untertitel „Die ökumenische Bibellektüre von Helmuth James Graf von Moltke, Alfred Delp, Eugen Gerstenmaier und Joseph Ernst Fugger von Glött in der Haftanstalt Berlin-Tegel“ kritisch und intensiv betrachtet, dann wird auch deutlich, dass sich jener „Gesang“ vor allem auf Moltke, Delp und Gerstenmaier konzentrierte (vgl. Saltin, Gesang).

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Begleiterin.“493 Jeden Tag las er einige Stunden in der Heiligen Schrift. Zum anderen studierte er nach Brakelmanns Forschung in der Haft auch „theologische Bücher von Schlatter, Heiler, Wünsch, Künneth, Brunstäd, Troeltsch, Holl und Einleitungen über historisch-kritische Probleme des Alten und des Neuen Testaments.“494 Darüber hinaus hatte er ein umfangreiches Lutherstudium begonnen und arbeitete während der Haft 42 Lutherschriften durch.495 Schon vor der gemeinsamen Zeit in Tegel hatte sich Gerstenmaier als „kompetenter und zuverlässiger ,Lieferant‘ dieser Werke“496 erwiesen. In diesem Zusammenhang las Moltke im Juni 1944 auch Gerstenmaiers Werk „Die Kirche und die Schöpfung“.497 Am 25. Juni 1944 notierte Moltke in seinem Gefängnistagebuch: „Gestern früh habe ich erst das zweite Buch der Könige ausgelesen und habe danach mit dem Gerstenmaier’schen Buch ,Die Kirche und die Schöpfung‘ angefangen, das rasend schwer ist. Ich habe manchmal eine halbe Stunde zu einer Seite gebraucht, und es ist für mich kaum zu verstehen, nachdem ich doch zu diesen Gedankenkreisen laienhaft drin bin. Für den normalen Laien muss das Buch m. E. ganz unverständlich sein.“498

Drei Tage später schrieb er an der selben Stelle, dass er Gerstenmaiers Buch gelesen habe. Anders als in seinem Tagebuch würdigte und kritisierte er im gleichen Zeitraum seinen Freund Gerstenmaier in einem Brief an seine Frau: „Ich ackere zurzeit an Eugen’s Buch: Die Kirche und die Schöpfung. Es ist ein ausgezeichnetes Buch über das Thema von ganz fundamentaler Bedeutung, weil es nämlich letzten Endes unternimmt, die Kirche zu einer positiveren Stellung zur Schöpfung zu setzen und dabei die Erbsündenlehre in eine für uns verständliche Form zu bringen; ich erinnere mich, dass ich gegen diese Teile der Lehre beim Konfirmandenunterricht furchtbar demonstriert und dem guten Pastor schreckliche Schwierigkeiten bereitet habe, denen weder er noch ich gewachsen waren. Das Buch von Eugen ist leider schon für mich, der ich immerhin mit diesen Fragen mich befasst habe, kaum verständlich. Manche Seite kostet mich 20 Minuten bis eine halbe Stunde. Was der normale Laie, der sich nicht mit solchen Fragen abgegeben hat, mit einem solchen Buch anfangen soll, ist mir unverständlich. E[ugen] sollte unbedingt dasselbe Thema für Laien erörtern; ob er sich über die Bedeutung der Frage für das praktische Leben klar ist?“499 493 494 495 496 497

Brakelmann, Widerstand, 46. Ebd., 44. Vgl. ebd. Ebd. Zu Gerstenmaiers Habilitationsschrift vgl. Kapitel 3.1 und 3.2. Bereits am 6. 5. 1944 notierte Moltke in sein Gefängnistagebuch (Moltke, Land, 140 f): „Abends habe ich ein paar Seiten aus dem Gerstenmaierschen Buch ,Die Kirche und die Schöpfung‘ gelesen.“ Es vergingen sieben Wochen bis er das Buch beendete. 498 Tagebucheintrag Moltkes vom 25. 6. 1944 (ebd., 149). 499 Brief Moltkes an seine Frau vom 25./26./27. 6. 1944 (ebd., 283–285).

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Der Ausschnitt zeigt in Kombination mit den weiteren zeitgenössischen Werken von namenhaften Theologen, wie sich Moltke während seiner Haft in die theologischen Diskurse zwischen 1920 und 1940 hineinarbeitete und -dachte. Auch wenn er nicht alle Gedankengänge bei Gerstenmaier systematisch nachvollziehen konnte, so versuchte er zumindest die thematischen Schwerpunktsetzungen zwischen Schöpfungslehre und ekklesiologischer Wirkung zu verstehen. Jene Partizipation entfaltete sich auch im Rahmen der erbaulichen Gemeinschaft in Tegel. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl Delp und Gerstenmaier als auch Moltke auf ihren Zellen dauerhaft und durchgängig eine Bibel zur Verfügung hatten. Die Heilige Schrift bildete gemeinsam mit der darin vermittelten Botschaft vom Heil das Herzstück der Gemeinschaft. Auf dieser Grundlage verständigten sich die drei Männer nicht nur über ihre tägliche Lektüre, sondern tauschten sich auch über Glaubenserfahrungen aus. In diesem Sinne kann zwischen zwei Ebenen der „Una Sancta in vinculis“ unterschieden werden: die Begegnung mit dem einen Christus in der Bibellese und im schriftlichen Gespräch darüber auf der einen Seite sowie die Kommunikation über Glaubensfragen und Gottes Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Das selbsternannte „Dreigespann“500 wertete während seiner gemeinsamen Zeit die Bibel nicht selektiv aus, indem die Männer etwa bevorzugt jene Textstellen rezipierten, die sich mit der Theodizee-Thematik beschäftigten und in denen es um das Leid der Gerechten in Gottes Schöpfung ging. Sie stellten sich vielmehr nach Saltin dem „Gesamt der biblischen Botschaft“ und fanden darüber zu Gottvertrauen als „Quelle jener Gelassenheit, mit der sie vor ihrem irdischen Richter“501 zu bestehen vermochten. Die biblische Lektüre der drei Männer war zuerst noch unstrukturiert und wenig auf einander abgestimmt. Wie sehr diese jedoch den Tagesablauf und somit den Gefängnisalltag der Freunde eindrucksvoll bestimmte, kann einem Brief Moltkes an seine Frau entnommen werden: 1 Uhr in der Nacht: Erstes Aufwachen und rezitieren von Gesangbuchliedern; 6.30 Uhr: Lesen von Gesangbuchliedern unter dem Abschnitt „Morgen“ und 100 Kniebeuge machen; 7.10 Uhr: Fesseln werden abgenommen, Waschen, Frühstück, Beginn des beinahe täglichen Briefes an Freya; 9.15 Uhr: Fesseln werden angelegt, Psalmrezitation; 9.30–10.10 Uhr: Hofgang, dabei Glaubensgespräch mit Gerstenmaier und Delp, evtl. Absprachen zum Prozess; Danach in der Zelle: Aufsagen der gelernten Bibelstellen, evtl. Zeitungslektüre; 11.45 Uhr: Fesseln werden abgenommen, Mittagessen, Schreibarbeiten, Anlegen der Fesseln, Fortsetzung des Rezitierens von biblischen Texten, evtl. Lernen weiterer Texte, Lesen der Bibelstellen nach Plan; 16 Uhr: Fesseln abgenommen, weiterlesen; 17.30 Uhr: Abend500 Brief Moltkes an seine Frau vom 31. 12. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 420). 501 Saltin, Gesang, 20 f.

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brot; 18 Uhr: Bettfertig sein, Fesseln werden angelegt, Abendlieder aus Gesangbuch, evtl. Psalmen.502

Hier wurde bereits ein Lesen nach Plan von Moltke skizziert. Da in der Literatur jedoch erst ab der Bekanntgabe des Prozesstermines gegen Ende 1944 von einer kollektiven Lektüre biblischer Texte nach Plan gesprochen wird, ist zu vermuten, dass jeder Gefangene vorerst eigenen Leseplänen nachging, die wiederum für das gemeinschaftliche Gespräch verwendet wurden. Für einen gemeinsamen Bibelleseplan der drei Männer war schließlich Gerstenmaier verantwortlich.503 Er stellte Bibelstellen für die tägliche Lektüre zusammen, die jedoch nur lückenhaft überliefert wurden.504 Obwohl aus der gemeinsamen Lektüre auch kleine inhaltliche Streitfragen entstanden,505 führte der Plan zu einer textlichen Verbundenheit der drei Freunde, die ihnen wiederum die Kraft der Gemeinschaft durch das Wort verlieh. Die Lesegemeinschaft wurde in Tegel von einer kontinuierlichen Gebetsgemeinschaft ergänzt. Die Freunde griffen dabei neben freien Formulierungen auch auf traditionell-tradierte Gebetsformen zurück. Hervorzuheben ist dabei die Umsetzung von Novenen. Überwiegend wird jene Gebetsform in der katholischen Kirche praktiziert, bei der an neun aufeinander folgenden Tagen bestimmte Gebete gemeinsam, wechselseitig oder allein gesprochen werden. Dies kann mit einem täglich wiederkehrenden Gebet erfolgen oder damit, dass ein Gebetsteil der Novene konstant bleibt und einer sich täglich ändert. Nach Brakelmann gab es zwei Novenen in Tegel, bei denen „Delp offene Ohren und Herzen bei seinen Brüdern fand.“506 Saltin terminierte eine der beiden Novene gar auf den 8. Dezember 1944.507 Unabhängig von der Terminierung und inhaltlichen Ausgestaltung dieser besonderen Gebetsform zeigt deren Umsetzung, dass sich die Lebendigkeit der Gebetsgemeinschaft in Tegel an keine konfessionellen Muster oder Vorgaben binden ließ. Moltke, Gerstenmaier und Delp schienen weder zwischen ihrer unterschiedlich verlaufenen konfessionellen Sozialisation und kirchlichen Verwurzelung noch zwischen manifestierten Dogmen und alten Leitsätzen, die die Kirchen seit Jahrhunderten von einander trennten, sichtbar zu differenzieren. 502 Vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 26. 10. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 106 f); und Saltin/Hossfeld, Füßen, 101 f. 503 Nach Moltke hatte er Gerstenmaier um die Erstellung eines gemeinsamen Bibelleseplanes gebeten, da er die gleichen Lektionen lesen wollte, wie der Theologe (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 5.–7. 1. 1945. In: Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 458). 504 Für den Abend des 11. 1. 1945 hatte Gerstenmaier beispielsweise Lukas 5, 1–11, also den wunderbaren Fischfang und die Berufung der ersten Jünger, ausgesucht (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 10./11. 1. 1945. In: Moltke, Land, 338). Zu den Schwerpunktsetzungen des Plans vgl. Saltin, Gesang, 77–79. Zu den Wirkungen vgl. das aufgegriffene Beispiel mit Jona 2 in Kapitel 5.5.2. 505 Vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 2./3. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 438). 506 Brakelmann, Ökumene, 26. 507 Vgl. Saltin, Gesang, 143 f.

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Sie setzten ihre Gebetskraft allein auf die Begegnung, auf den Dialog mit Gott in Christus. Delp schrieb dazu Gerstenmaier zum Jahreswechsel 1944/45: „Die geschichtliche Last der getrennten Kirchen werden wir als Last und Erbe weitertragen müssen. Aber es soll daraus niemals wieder eine Schande Christi werden. An die Eintropfutopien [gemeint sind wohl Kompromisse zwischen den beiden großen Konfessionen] glaube ich so wenig wie Du, aber der Eine Christus ist doch ungeteilt und wo die ungeteilte Liebe zu ihm führt, da wird uns vieles besser gelingen als es unsern streitenden Vorfahren und Zeitgenossen gelang. […]“508

Obgleich konfessionelle Unterschiede auch konfessionelle Unterschiede blieben, setzten die drei Männer auf den „Einen Christus“ sowie die „ungeteilte Liebe“ als Ankerpunkt ihrer Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund ist Jörg Ernesti klar zu widersprechen, der in seiner Forschung zur Zwischenkirchlichkeit im nationalsozialistischen Staat schlussfolgerte, dass sich Delp mit der Trennung der Kirchen abgefunden habe.509 Ausgehend von dem zitierten Kassiber an Gerstenmaier kann im Rahmen der Tegeler Gemeinschaft davon keine Rede sein. Die drei Freunde eröffneten sich vielmehr gemeinsam trotz verschiedener Konfessionen Wege der Begegnung mit Christus. In einer beeindruckenden Dynamik des religiösen Zueinanderfindens in der Liebe Gottes lässt sich der Kern der „Una Sancta in vinculis“ beschreiben. Ähnlich wie in ihren Kreisauer Überlegungen510 lebten sie in ihrer religiösen Praxis in Tegel eine Überkonfessionalität, die das Gemeinsame der christlichen Botschaft betonte, wiederum ähnlich wie Gerstenmaier es im Rahmen seiner Tätigkeit für das KA im Umfeld von Oxford vertrat.511 In diesem Sinne fuhr auch das Kassiber Delps an Gerstenmaier fort: „[…] Ich habe auch außer der Messe das Sakrament immer in der Zelle und rede mit dem Herrn oft über Dich. Er weiht uns hier zu einer neuen Sendung. Alles Gute und seinen gnädigen Schutz.“512

Die Weihe zu einer „neuen Sendung“ umreißt den gemeinsamen Auftrag der Kirchen erneut. Im gemeinsamen Zeugnis in Wort und Tat sahen die drei Freunde in Tegel den Weg zu Christus, denn schließlich hat das „Haus des Vaters viele Wohnungen mit je eigenen Zugängen“513. In der Anerkennung dieser Tatsache ist die „Una Sancta in vinculis“ als primär ökumenische Gemeinschaft zu verstehen. Nach der Klärung der Art und Weise kann nun auf die zweite Ebene der Gemeinschaft, der Kommunikation über Glaubensfragen und Gottes Ge508 509 510 511 512 513

Delp, Schriften, Bd. IV, 76 f; und ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3. Vgl. Ernesti, Ökumene, 315. Vgl. Kapitel 5.2.2. Vgl. Kapitel 4.3.2. Delp, Schriften, Bd. IV, 77. Saltin, Darstellung, 115.

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rechtigkeit, eingegangen werden. Gerstenmaier hatte die Wirklichkeit Gottes in Form einer Theophanie bereits im Gefängnis in der Lehrter Straße 3 erfahren.514 Er sollte demnach nicht sterben, sondern leben und die Werke des Herrn verkündigen. Jene innere Gewissheit drückte er auf der Grundlage seines Glaubens auch brieflich nach außen immer wieder aus. So schrieb er am 14. Oktober 1944 seiner Schwester Maria: „Ich bin mir der gewissen Zuversicht, daß mich Gott weiterhin behütet, wie er mich seither behütet hat u.[nd] daß uns ein glückliches Zusammenleben beschert werden wird. Jetzt muß man glauben u.[nd] vertrauen. […] Ich bin ganz zuversichtlich, daß Gott mich richtig führt u.[nd] so führt, daß wir zu danken haben.“515

Darüber hinaus beschränkte sich Gerstenmaiers Frömmigkeit in der Haft nicht nur auf die biblische Botschaft in Psalm 118. Die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit war für seine religiöse Entfaltung unverzichtbar. So konstatierte er an seine Schwester am 25. November 1944: „Meine Zuversicht ist ganz unerschüttert“ und hielt im Nachsinnen über Jesaja 12 fest: „Sein Wort ist ohne Trug.“516 Wie Gerstenmaiers Frömmigkeit seinen Gefängnisalltag kontinuierlich prägte, kann mit einem weiteren Brief an seine Schwester vom 16. Dezember 1944 belegt werden. Aus jenem geht der feste Glaube hervor, dass er „mit Gottes Hilfe auch weiterleben werde. Darauf steht freilich alles, aber gerade das ist mir gewiß. Gott hat uns nicht u.[nd] wird uns nicht stecken lassen.“517 Der Theologe stützte sich leidenschaftlich auf seine Überzeugung und vertraute in Gottes Zusage. Die von ihm beschriebene Verheißung, die sich für ihn in Psalm 118,17 manifestierte, übertrug sich auch auf die Gemeinschaft in Tegel. Mit welcher Intensität sich Gerstenmaier mit seinem persönlichen Glauben in die „Una Sancta in vinculis“ einbrachte, kann Moltkes Briefwechsel mit seiner Frau sehr gut entnommen werden. So schrieb der Graf am 9./10. Dezember 1944, dass er mit Delp und Gerstenmaier in den letzten Tagen im Innenhof der Anstalt „stets das gleiche Gespräch über den Glauben“ geführt habe. Die beiden Theologen behaupteten nämlich, „man müsse beten für sein Leben und daran glauben, dass diese Bitte erfüllt wird“. Er habe darauf immer wieder gesagt, „dass das zu weit geht: Was Gott will, kann ich ihm nicht vorschreiben, auch nicht vorglauben.“518 Obwohl Brakelmann Moltkes Überzeugung darin zu fassen versuchte, „dass Gott jedem persönlich, der sich redlich und beharrlich um die Botschaft bemüht, den Weg offenbart, den er ihm zugedacht hat“519, wird an dieser Stelle eine Diskrepanz zu Delp und Gerstenmaier evident. Die beiden 514 Vgl. Kapitel 5.4.2. 515 Brief Gerstenmaiers an seine Schwester Maria vom 14. 10. 1944 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). 516 Brief Gerstenmaiers an seine Schwester Maria vom 25. 11. 1944 (ebd.). 517 Brief Gerstenmaiers an seine Schwester Maria vom 16. 12. 1944 (ebd.). 518 Brief Moltkes an seine Frau vom 9./10. 12. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 303). 519 Brakelmann, Widerstand, 46.

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Theologen vertraten einen anderen Ansatz. Sie kommunizierten ein beständiges und unbedingtes Vertrauen in Gottes positive Führung. Auf dieser Grundlage wurde die Frage, was denn eine der Vorsehung Gottes gemäße Haltung sei, zwischen Moltke, Delp und Gerstenmaier immer wieder thematisiert.520 Wie Gerstenmaier schließlich seine Position in der „Una Sancta in vinculis“ verstand, wird wiederum aus einem Kassiber Delps, in dem er über einen Hofgang berichtete, offenkundig: So „fragte ich gestern einen protestantischen Mitbruder [Gerstenmaier], ob wir noch einmal Gottesdienst hielten? Aber sicher, sagte er. Eher hoff[e] ich mich zu Tode, als dass ich im Unglauben krepiere!“521 Eine umfassende Hoffnung prägte seine Haltung. Dies wurde auch zwischen den Moltkes zum Thema. Freya Moltke sah darin eine religiöse Stärke: „Da hast Du es schwerer als Eugen, der seiner Hoffnung so sicher ist […].“522 Ihr Mann hingegen konnte mit dem „Eugen’schem Optimismus […] nichts anfangen.“523 Nichtsdestotrotz kamen die drei Männer immer wieder über Gottes Plan und ihre persönliche Haltung ins Gespräch. Am 27./ 28. Dezember 1944 umriss Moltke in einem bewegenden Brief an seine Frau sowohl seinen Glauben als auch die lebendige Diskussion zwischen den drei Männern auf dieser Grundlage: „Die vielen Beweise seiner Gegenwart, seine Fürsorge, seine Liebe, die er uns hat spüren lassen; wie er uns gezeigt hat, dass er uns auch in dem Unglück meines Todes, auch in der Betrachtung dieses Unglücks halten und tragen kann, wie er durch eine Fülle von einzelnen kleinen ,Zufällen‘ es uns ermöglicht hat, aus dem vollkommen hoffnungslos verlorenen Tatbestand ganz allmählich eine Verteidigung aufzubauen, die, wenn ich die an sich richtigen Behauptungen, dass alle Nachrichten von der Polizei und Abwehr stammten, aufrecht erhalten und glaubhaft machen kann, zum ersten Mal selbst menschlich gesprochen eine Chance bietet. Das alles ist ein Wunder, und wir müssen es dankbar annehmen. Wenn ich nur die beiden wildgewordenen Theologen nicht hätte, die mir immer einreden wollen, sie hatten dem lieben Gott in die Karten geguckt und wüssten daher, wie das Spiel ausgeht. Sonst sind sie mir sehr lieb, aber in der Beziehung unerträglich.“524

Delp und Gerstenmaier trieben den kontemplativen Austausch in der Gemeinschaft der drei Männer weiter voran. Psalm 118 schien in diesem Zusammenhang nicht nur für Gerstenmaier von entscheidender Bedeutung gewesen zu sein. Obwohl sich Moltke gegen das hoffnungsvolle Sein der „beiden wildgewordenen Theologen“ wehrte, kommunizierte er das Psalmwort 520 521 522 523 524

Vgl. Saltin, Gesang, 68. Delp, Schriften, Bd. IV, 50. Brief Freyas an Moltke vom 15./16. 12. 1944 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 337). Brief Moltkes an seine Frau vom 20. 12. 1944 (ebd., 370). Brief Moltkes an seine Frau vom 27./28. 12. 1944 (ebd., 392).

„Gesang im Feuerofen“

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mehrfach brieflich an seine Frau.525 Am 10./11. Januar 1945 schrieb er gar, dass die drei Freunde erneut über Psalm 118,17 sinniert hätten. Gerstenmaier hatte ihn offenbar zur Lektüre im Rahmen des gemeinsamen Bibelleseplans ausgesucht. Der Satz: „Eugen hat ihn [den Psalmvers] sich zwar für eine andere Lage gedacht, aber er ist viel wahrer geworden, als wir es je für möglich hielten“526, zeigt, was der Vers schließlich auch bei Moltke und für die Gemeinschaft bewirkte. Aufgrund des immer wiederkehrenden Gespräches der drei Männern über die Kraft der biblischen Botschaft und auch der entsprechenden Korrespondenz darüber nach außen ist anzunehmen, dass Gerstenmaier nicht müde darin wurde, seinen Freunden im Gefängnis von seiner persönlichen Überzeugung in die positive Verheißung Gottes zu berichten. Dies wirkte auch über die „Una Sancta in vinculis“ hinaus. So beschrieb der ehemalige Mithäftling Ewald Heinrich von Kleist die Erfahrungen mit Gerstenmaier im Gefängnis später mit den Worten: „Ich habe damals wenige Menschen erlebt, die eine so feste, aufrechte, entschlossene, nichts bereuende, sondern im Gegenteil, zu ihren Taten stehende Haltung zeigten, wie Eugen Gerstenmaier.“ Über die spirituellen Begegnungen mit ihm brachte Kleist weiter zu Papier: „Mich hat dabei immer besonders beeindruckt, daß man das Gefühl hatte, daß er seine Kraft aus einem ganz fest fundierten und klaren Glauben an Gott bezog.“527 Vergleichbar wurde die Gemeinschaft auch vom Gefängnispersonal wahrgenommen. So hielt die damalige Sozialfürsorgerin Marianne Hapig, die – ähnlich wie die beiden Pfarrer – Korrespondenzen aus dem und in das Gefängnis im Rahmen ihrer Dienstzeit schmuggelte, in ihrem Tagebuch fest: „Das sind mir neuartige Insassen hier im Gefängnis, jetzt auf meine alten Tage. Die halbe Nacht beten sie, am Tage studieren sie und für unsereins haben sie immer noch ein gutes Wort.“528 Damit brachte die langjährige Mitarbeiterin in der Haftanstalt Tegel zum Ausdruck, wie die „Una Sancta in vinculis“ im Gefängnis wahrgenommen wurde. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die ökumenische Gebets-, Schriftleseund Gesprächsgemeinschaft zwischen Moltke, Delp und Gerstenmaier ein bewegendes Beispiel dafür ist, was geschieht, wenn sich Menschen sinnlich und kognitiv mit ihrem ganzen Leben auf die Heilige Schrift einlassen und diese ganzheitlich auf ihr Leben – auch über den Tod hinaus – beziehen.529 In diesem Sinne wurde die ökumenische Gemeinschaft den drei Männern zu

525 Bereits in einem Kassiber Moltkes an seine Frau vom 8. 10. 1944 (Saltin, Gesang, 15) schrieb er: „Übrigens ist mir auch der Psalm 118, vor allem Vers 17 und 18 behilflich.“ In den Neujahrswünschen an seine Frau betonte er Psalm 118 erneut (vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 31. 12. 1944. In: Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 420). 526 Brief Moltkes an seine Frau vom 10./11. 1. 1945 (Moltke, Land, 340). 527 Kleist, Brief, 38. 528 Hapig, Tagebuch, 49. 529 Vgl. Saltin, Gesang, 12.

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Zwischen Beruf und Berufung

einem „gemeinsamen, intensiv sub specie aeternitatis530 gelebten Leben“531 in der Gefangenschaft. Sie stärkte und formte die Männer in der Kontemplation. Gerstenmaier betonte die Bedeutung der „Una Sancta in vinculis“ für sein persönliches Sein und Werden später in seinen Erinnerungen. So schrieb er über den Zeitraum zwischen dem Gestapoverhör und seiner Verlegung nach Bayreuth: „Die dazwischenliegenden Monate [in Tegel] wurden für mich die Zeit, in der ich mein Leben wahrscheinlich am dichtesten und intensivsten geliebt habe.“ Weiter hielt er fest: „In der engen Gemeinschaft mit Helmuth Moltke und Alfred Delp und in der brieflichen Verbundenheit mit meiner Frau wurden sie mir zu einer Höhe des Lebens.“532

5.5 Vor dem Volksgerichtshof 5.5.1 Die Strategie des weltfremden Kirchenmannes Moltke, Delp und Gerstenmaier gingen in der Haftanstalt Tegel nicht nur religiösen Fragen nach. Sie bereiteten sich zudem im gegenseitigen Austausch sowohl mental als auch strategisch auf den anstehenden Prozess vor dem Volksgerichtshof (VGH) vor. Da die ursprünglich auf den 8. Dezember 1944 terminierte Verhandlung zum Jahresende mehrfach verschoben wurde,533 ging den Männern erst am 6. Januar 1945 ein Vorladungsschreiben des Oberreichsanwaltes beim VGH zu. Daraus ging lediglich hervor, dass am 9. Januar 1945 ab 9 Uhr in der Strafsache gegen Moltke und sechs Mitangeklagte534 wegen Landesverrates vor dem ersten Senat des VGH in der Bellevuestraße 15 verhandelt werden sollte.535 Die Hauptverhandlung fand schließlich am 9. und 10. Januar 1945 gegen Moltke, Delp und Gerstenmaier aus dem KK sowie gegen Franz Sperr, Franz Reisert und Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött aus dem katholischen Widerstand in Bayern statt. Die Verhandlung gegen Haubach und Steltzer wurde unterdessen abgetrennt.536 Um den Prozess adäquat nachvollziehen und letztlich bewerten zu können, muss zunächst ein Blick auf die Instanz des VGH gerichtet werden. 530 Der von Spinoza oft verwendete Ausdruck „sub specie aeternitatis“ kann grob mit „unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit“ übersetzt werden. 531 Gerstenmaier, Streit, 214. 532 Ebd., 212. 533 Vgl. Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 29; und Brakelmann, Ökumene, 27. 534 Das Vorladungsschreiben nannte namentlich Moltke, Haubach, Gerstenmaier, Steltzer, Sperr, Reisert und Glött. Delp fehlte dabei. 535 Das Vorladungsschreiben teilte zudem die vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger den Gefangenen namentlich mit (vgl. Vorladungsschreiben an Gerstenmaier vom 6. 1. 1945. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). 536 Vgl. Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 29.

Vor dem Volksgerichtshof

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Der VGH wurde bereits am 24. April 1934 nach dem sogenannten Reichstagsbrandprozess als Sondergericht eingerichtet537 und sollte nach Otto Georg Thierack, der dem VGH zwischen 1936 und 1942 als Präsident vorstand, eine „volkshygienische Aufgabe“538 im nationalsozialistischen Staat wahrnehmen. Infolge des gescheiterten Attentates und Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 wurde dem Gericht eine zentrale Aufgabe zuteil.539 In diesem Zusammenhang notierte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 23. Juli 1944 in sein Tagebuch: „Das Strafgericht, das jetzt vollzogen werden muß, muß geschichtliche Ausmaße haben. Auch die eine unklare Stellung bezogen haben, haben die Todesstrafe verdient.“540 Dementsprechend wurden nicht nur die unmittelbar Beteiligten energisch verfolgt, sondern auch diejenigen, die mit den Verschwörern in weitläufiger Verbindung standen.541 Nachdem ein sogenannter Ehrenhof unter dem Vorsitz von Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt mit dem Ziel eingerichtet wurde, alle mutmaßlich Militärverdächtigen aus der Wehrmacht auszuschließen, um sie damit nicht dem zuständigen Reichskriegsgericht zuführen zu müssen, sondern eben dem VGH,542 trieb die nationalsozialistische Justiz die entsprechenden Prozesse vor dem VGH schnell und systematisch voran. Roland Freisler543 kam vor diesem Hintergrund als Präsidenten des VGH eine entscheidende Bedeutung zu. Seiner Verantwortung oblag es, dem Wunsch von Goebbels zu entsprechen und hart über die Verschwörer des 20. Juli 1944 zu urteilen. Dem kam er mit erbarmungslosem Eifer nach. In über 50 Prozessen wurden über 100 Todesurteile ausgesprochen.544 Peter Steinbach teilte die Verhandlungen zum 20. Juli 1944 vor dem VGH in drei Phasen ein.545 Zunächst ging die nationalsozialistische Justiz in der ersten Phase im August 1944 rabiat gegen die Militärs vor, die sich gegen das nationalsozialistische Regime gestellt hatten.546 Dabei wurden die ersten drei Prozesse zu öffent537 Zur Entstehung, der Zuständigkeit des VGH sowie seinem Wandel zum ordentlichen Gericht 1936 vgl. Wagner, Volksgerichtshof, 13–78; und Marxen, Volk, 17–31. 538 Zit. nach Wagner, Volksgerichtshof, 797. 539 Zu der Verfolgung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 durch den VGH vgl. ebd., 660–794. 540 Zit. nach Steinbach, Juli, 306. 541 Vgl. dazu Kapitel 5.4.1. 542 Zum Ehrenhof und seinen Aufgaben vgl. Ramm, Juli, 69–81; und Uebersch r, Ehrenhof, 22–27. 543 Zu Freisler vgl. vor allem Ortner, Hinrichter; und Ramm, Juli, 148–179. 544 Aufgrund der lückenhaften Aktenlage, die entweder durch die Kriegshandlungen zerstört oder von den Ämtern und Gerichten gezielt vernichtet wurden, liegen keine genauen Zahlen vor, sodass nur Schätzungen vorgenommen werden können (vgl. Wagner, Volksgerichtshof, 796–831). 545 Vgl. Steinbach, Juli, 310–314. 546 Der erste Prozess am 7./8. 8. 1944 endete mit Todesurteilen für Erwin von Witzleben, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Erich Hoepner, Karl Friedrich Klausing, Paul von Hase, Hellmuth Stieff, Albrecht von Hagen und Robert Bernardis. Der zweite Prozess fand am 10. 8. 1944 statt mit Todesurteilen für Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Berthold Schenk Graf von

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lichkeitswirksamen Schauprozessen stilisiert, um nicht nur die politischen Gegner zu diffamieren, sondern auch die nationalsozialistische Dominanz im Deutschen Reich öffentlich zu manifestieren. Eine aufwendige Film- und Fotodokumentation, die „jedes Detail der Freislerschen Prozessführung“547 penibel aufzeichnete, belegt, wie Freislers Verhandlungsführung im Rahmen der ersten drei Prozesse eine „reine Farce“548 war. Hingegen wurden die nachfolgenden sieben Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, um Hitlers These vom 21. Juli 1944 zu wahren, dass es sich bei dem Attentatsversuch nur um eine „ganz kleine Clique ehrgeiziger“549 Offiziere gehandelt habe. Die zweite Prozessphase richtete sich gegen alle Beteiligten aus der Zivilgesellschaft, die an konspirativen Konzeptionen eines postnationalsozialistischen Deutschen Reiches mitdachten und -arbeiteten. Dieser Phase wurde neben dem Verfahren gegen den Goerdeler-Kreis auch das Verfahren gegen die Mitglieder des KK zugeordnet.550 Letztlich wurden in der dritten Phase im Rahmen einer ganzen Prozessserie im Oktober 1944 auch die Menschen angeklagt, die die unmittelbaren Verschwörer unterstützten oder ihnen bei der Flucht geholfen hatten.551 Die Prozesse sollten in der Folge des 20. Juli 1944 ingesamt zu einem „sich überschlagende[n] Triumph des Bösen“552 werden. Der Prozess gegen Moltke, Delp, Gerstenmaier, Sperr, Reisert und Glött wurde auf den 9. und 10. Januar 1945 terminiert. Drei Tage vor Verhandlungsbeginn wählte der VGH Pflichtverteidiger für die Männer in der Haftanstalt Tegel aus und wies diese den Gefangenen zu.553 Die Möglichkeit, einen eigenen Verteidiger auszusuchen, bestand dementsprechend nicht. Der promovierte Jurist Bruno Grünwald wurde Gerstenmaier zugeteilt, der nach eigener Aussage vorab keinen Einblick in die Ermittlungsakten554 nehmen

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Stauffenberg, Georg Hansen, Erich Fellgiebel und Alfred Kranzfelder. Der dritte Prozess war auf den 15. 8. 1944 terminiert und endete mit Todesurteilen für Adam von Trott zu Solz, Hans Bernd von Haeften, Egbert Hayessen, Bernhard und Hans-Georg Klamroth sowie Wolf Heinrich Graf von Helldorf. Die Prozesse vier bis zehn fanden zwischen dem 21. und 29. 8. 1944 mit 30 Todesurteilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Steinbach, Juli, 310. Ebd., 311. Zit. nach Domarus, Hitler, 2127. Am 7./8. 9. 1944 wurde Carl Friedrich Goerdeler, Josef Würmer, Ulrich von Hassell, Wilhelm Leuschner und Paul Lejeune-Jung der Prozess gemacht. Sie wurden ebenso zum Tode verurteilt wie Adolf Reichwein, Julius Leber und Hermann Maass am 20. 10. 1944. Der Prozess vom 9./ 10. 1. 1945 endete für Helmuth James Graf von Moltke, Franz Sperr und Alfred Delp mit einem Todesurteil. So wurden im Oktober 1944 u. a. Erich und Elisabeth Gloeden, Hans Sierks, Carl Marks sowie Elisabeth Kuznitzky zum Tode verurteilt. Steinbach, Juli, 304. Vgl. Vorladungsschreiben an Gerstenmaier vom 6. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-005/3). Bis zum Verhandlungsbeginn waren die Akten auf einen Umfang von sieben Bänden Be-

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konnte, da diese ausschließlich Freisler vorbehalten blieben. Einen Tag vor Verhandlungsbeginn konnte er am 8. Januar 1945 jedoch sowohl Brigitte Gerstenmaier als auch Gerstenmaier selbst sprechen. Im Rahmen des Treffens schien Grünwald seinem Mandanten die 27seitige Anklageschrift übergeben zu haben, da der Jurist später anmerkte, dass Gerstenmaier darin vieles für entstellt und unrichtig hielt.555 Die Anklageschrift nahm die Formulierungen des Haftbefehls556 auf und belegte alle Angeklagten mit der Generalanschuldigung des Hoch- und Landesverrates. Darüber hinaus definierte sie den Charakter des KK mit scharfen Worten und warf dem Kreis vor, dass er „an die Stelle der das Volksganze tragenden NSDAP die Kirchen als neue Ordnungselemente“557 nach dem Krieg implementieren wollte. Spezifisch beschäftigten sich zwei Seiten des Dokumentes mit Gerstenmaier. Relativ genau wurden seine Verbindungen zu Moltke und Yorck beschrieben sowie auch betont, dass er für den Kontakt zu Wurm zuständig gewesen sei. Ebenso wurde seine Teilnahme an dem Treffen mit Goerdeler im Januar 1943558 klar belegt. Die Schlussfolgerung war, dass Gerstenmaier von den Plänen des „Hauptes der antinationalsozialistischen Revolution und dem politischen Treuhänder oppositioneller Generäle“559 gewusst haben müsse. Gerstenmaier hatte eine knappe Zeitspanne von einer Nacht, um sich auf die Verhandlung inhaltlich vorbereiten zu können. Neben der Anklageschrift lagen ihm zur Genese seiner Verteidigungsstrategie jedoch auch Informationen vor, die sich auf die – für Grünwald bislang verschlossen gebliebenen – Ermittlungsakten stützten. Gerstenmaiers Frau und Poelchau hatten einen entscheidenden Anteil daran, dass der Gefangene von dem Ermittlungsstand gegen ihn weit vor dem Prozessbeginn erfuhr. Doch wie kamen sie wiederum an die Informationen, die sie Gerstenmaier zu seiner adäquaten Verteidigung weiterleiteten? Dazu muss ein Blick zurück auf den Herbst 1944 gerichtet werden. Brigitte Gerstenmaier kam bereits ab dem 20. Juli 1944 – kurz nachdem sie ihren Mann in den Bendlerblock verabschiedet hatte – absprachegemäß bei Kurt Kramer unter.560 Kramer war damals außerordentlicher Professor für Physiologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und mit Gersten-

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weismaterial angewachsen (vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945. In: Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 102). Vgl. Vernehmungsprotokoll Grünwalds vom 9. 12. 1963 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-027). Vgl. Kapitel 5.4.3. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 99). Vgl. Kapitel 5.2.2. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 101). Vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 69.

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maier seit geraumer Zeit befreundet.561 Schon kurz nach der Verhaftung Gerstenmaiers durch die Gestapo setzte Brigitte Gerstenmaier alles daran, Informationen über den Ermittlungsstand gegen ihren Mann zu erhalten. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 14. Dezember 1946 skizzierte sie später, wie sie im Herbst 1944 Informationen beschaffte und diese ihrem Mann zukommen ließ.562 Kramer hatte dabei eine wichtige Position inne. Da er mit dem Mediziner Karl Brandt, der seit 1934 zum engen Führungskreis um Hitler als dessen Begleitarzt gehörte sowie als einer der Hauptprotagonisten im sogenannten Euthanasie-Programm563 agierte, gut bekannt war, ergab sich eine Chance. Kramer konnte den prominenten Nationalsozialisten schließlich zu einer Intervention bei Heinrich Müller, dem Leiter des Amtes IV im RSHA und somit dem Vorgesetzten von Neuhaus, für Gerstenmaier gewinnen. Nach den Beschreibungen von Brigitte Gerstenmaier erhielt Brandt auf direktem Wege über Müller Einsicht in die Ermittlungsakten. Dieser gab die erlangten Informationen wiederum geheim an Kramer weiter,564 der diese dann Brigitte Gerstenmaier zutrug, die danach die Informationskette über Poelchau bei ihrem Mann letztlich enden ließ.565 Brandt ließ Brigitte Gerstenmaier über Kramer jedoch auch sagen, dass die Angelegenheit ihres Mannes „aussichtslos“ sei, „da der Oberreichsanwalt ebenso wie die Geheime Staatspolizei seine Mitschuld für erwiesen hielten.“ Trotz seiner hoffnungslosen Einschätzung der Lage versuchte Brandt, wie Brigitte Gerstenmaier in ihren Erinnerungen bezeugte, „wiederholt, Müller umzustimmen, um das Leben meines Mannes zu retten.“566 561 Vgl. dazu Kapitel 3.4. 562 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Brigitte Gerstenmaiers vom 14. 12. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1). 563 Aus einem privatdienstlichen Geheimschreiben Hitlers von Oktober 1939, welches jedoch auf den 1. 9. 1939 zurückdatiert wurde, geht hervor, dass Brandt und Philipp Bohler „unter Verantwortung beauftragt [sind], die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken […] der Gnadentod gewährt werden kann.“ (Reiter, Geheimpolitik, 181). In der Forschung gilt seine Rolle bei der Organisation der systematischen Tötung von psychisch Kranken sowie Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene vor allem bei der sogenannten Kindereuthanasie ab 1939, der Aktion T4 ab 1940, der Aktion 14f13 ab 1941 und der sogenannten Aktion Brandt ab 1943 als unumstritten. Vgl. dazu. Aly, Aktion T4; Benzenhçfer, Tod; Ders., Kinderfachabteilungen; Burleigh, Tod; Friedlander, Weg; und S ss, Volkskörper. 564 In einem späteren Brief an Hardt vom 11. 8. 1947 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1) schrieb Gerstenmaier sogar, „dass er [Brandt] in einem besonders schweren Augenblick dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes meine Strafakten für kurze Zeit entwunden hat und sie meinen Freunden zugänglich gemacht hat.“ 565 Gerstenmaier schrieb dazu in einem Brief an Servatius vom 30. 11. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1): „Dass sich Brandt tatsächlich demgemäss für mich verwendet hat, habe ich aus Andeutungen der Geheimen Staatspolizei, ausdrücklich aber durch den damaligen Gefängnisgeistlichen in Tegel, Dr. Harald Poelchau […] noch im Gefängnis erfahren.“ 566 Eidesstattliche Erklärung Brigitte Gerstenmaiers vom 14. 12. 1946 (ACDP, Nachlass Gersten-

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Doch wie war Brandt die uneingeschränkte Einsicht in die Ermittlungsakten der Gestapo möglich und warum setzte er sich für Gerstenmaier ein? Der Medizinhistoriker Ulf Schmidt versuchte Brandt in einer Biografie als ambivalenten Menschen in jenem bizarren Funktionsumfeld um Hitler zu fassen sowie die bei ihm sichtbare „Kombination aus politischen und ideologischem Radikalismus mit einer besonderen Form von Rationalität, medizinischer Ideologie und Weltanschauung“567 zu durchdringen. Auf Grundlage des von Ian Kershaw herausgearbeiteten Prinzips der „distanzierten Führung“568 zeigte Schmidt auf, wie sich kumulative Prozesse ausgehend von Befehlen Hitlers bis hin zur radikalen Umsetzung durch Brandt aus einem Konglomerat von vorauseilendem Gehorsam und Widerstandslosigkeit entwickelten. Unter Anwendung des Führerprinzips und dem entsprechenden Unterstellungsverhältnis der sogenannten totalen Verantwortung von Hoheitsträgern innerhalb der Organisationsstrukturen der NSDAP, aus der sich eine Unterordnung sämtlicher Amtsträger unter die Disziplinargewalt des Hoheitsträgers ableitete,569 kann gemutmaßt werden, dass Brandt als enger Vertrauter Hitlers und seit Juli 1942 dessen Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen eine „Funktion inne hatte, in der er überall hingehen konnte.“570 Wolfgang Schäfer hielt in seiner Untersuchung zu den Strukturen der NSDAP in Anlehnung an die Definition des Herrschaftsbereiches der Hoheitsträger innerhalb der NSDAP fest, dass diese autonom agieren und Einfluss nehmen konnten.571 Da Müller als Amtschef im RSHA in jener Hierarchie nun unter Brandt stand, konnte der Mediziner aufgrund seiner Speziallegitimation innerhalb der Parteistruktur ohne Einschränkungen auf die Akten zugreifen. Kurz gesagt: Brandt intervenierte aufgrund der Bitte seines guten Bekannten Kramer für Gerstenmaier im polykratischen Chaos des nationalsozialistischen Staates, weil er es einfach konnte.572

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maier, 01-210-035/1). Auch in ihren Erinnerungen erklärte Brigitte Gerstenmaier, dass es sich um eine „dicke Akte“ handelte und „daß nicht der Schimmer einer Hoffnung bestände, daß Eugen mit dem Leben davonkäme“ (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 69), da er zu tief drin steckte. Schmidt, Arzt, 16. Vgl. ebd., 36 f, 181–184. In Abgrenzung zu Max Webers Prinzip der „charismatischen Führung“ vgl. zum Prinzip der „distanzierten Führung“ Kershaw, Hitler, 665–667; und Ders., NS-Staat, 128–147. Das Organisationsbuch der NSDAP definiert den Bereich der Unterstellungsverhältnisse ganz klar: „Die disziplinäre Unterstellung bedeutet für den Unterstellten, daß er im Auftrag des ihm disziplinär Übergeordneten handelt, bedeutet führungsmäßige, persönliche, politische Unterstellung und Verantwortung des Unterstellten gegenüber dem disziplinär Übergeordneten in allen Fragen seines ihm zugewiesenen Arbeitsgebietes.“ (Ley, Organisationsbuch, 93). Gespräch des Autors mit Karl-Adolf Brandt am 16. 1. 2015. Vgl. Sch fer, NSDAP, 79 f. Ob die Möglichkeit der Akteneinsicht bzw. deren Entwendung und Weitergabe an Gerstenmaier sowie auch die positive Intervention bei Müller nun als Zeichen für die von Brandt mehr und mehr erkannte Agonie des NS-Systems und damit einhergehenden nonkonformen Beurteilung des Anschlags auf Hitler am 20. Juli 1944 oder eben nur als freundschaftlicher Dienst

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unter wissenschaftlichen Kollegen gegenüber Kramer zu beurteilen sind, kann heute nicht mehr geklärt werden. Das fortwährende Machtstreben Brandts, der unmittelbare Einfluss auf Hitler sowie auch seine Ernennung zum Reichskommissar des Führers für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Ende August 1944 brachte schließlich mit sich, dass sich seine machtpolitischen Gegner – vor allem Bormann und Goebbels – zunehmend gegen ihn wandten und eine Intrige um Theo Morell für sich nutzbar machten, die schließlich in der Verurteilung Brandts zum Tode durch Hitler selbst im April 1945 endete. Fraglich bleibt dabei, welche Rolle mögliche Verbindungen zur Opposition und somit zu den Verantwortlichen des Attentates auf Hitler am 20. Juli 1944 bei dem von Goebbels verantworteten Standgericht gespielt haben (vgl. Schmidt, Hitlers Arzt, 466–504). Da sich nach Kriegsende fast die gesamte medizinische NS-Elite durch Selbstmord einer Strafe entzogen hatte, wurde Brandt trotz der letztendlich exogenen Überwerfung mit Hitler im Nürnberger Ärzteprozess vom 9. Dezember 1946 bis 20. August 1947 zum Hauptangeklagten im Fall „Vereinigte Staaten vs. Karl Brandt et al.“ ernannt (zum Nürnberger Ärzteprozess in seiner Gesamtdarstellung und Diskussion vgl. Ebbinghaus/Dçrner, Vernichten). Schon vor der Urteilsverkündung am 20. August 1947 nahmen Brandts Frau Anni und sein Anwalt Robert Servatius zu verschiedenen kirchlichen Würdenträgern Kontakt auf, um für ein Gnadengesuch zu werben. Da Gerstenmaier bereits 1946 in einem Brief an Servatius, als dieser die Verteidigung von Brandt übernommen hatte, deutlich machte, dass er sich aus Dankbarkeit gegenüber Brandt aufgrund seiner eigenen Vergangenheit und derzeitigen Wahrnehmung „verpflichtet“ (Brief Gerstenmaiers an Servatius vom 30. 11. 1946. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210035/1) fühlte, wurde auch er konsultiert. Gerstenmaier bat gar den neuen Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Rudolf Hardt, am 11. 8. 1947 (ebd.) ein Gnadengesuch für Brandt zu unterstützen. Er selbst meinte, dass sich dies „auf jeden Fall […] begründen lässt“, da „die Euthanasie keineswegs als Kriegsverbrechen betrachtet werden dürfe, sodass der Nürnberger Gerichtshof für Brandt als nicht zuständig betrachtet werden müsste.“ Jene juristische Beurteilung eines möglichen Verstoß gegen die Artikel 60, 63 und 64 der Genfer Konvention geht auch aus einem Bittgesuch von Servatius an den Militärgouverneur für die amerikanische Besatzungszone Deutschlands vom 28. August 1947 hervor, welches Gerstenmaier ebenso vorlag. Schmidt bezeichnete das von Gerstenmaier angesprochene „Vermischen verschiedener Fragen, ob nämlich das ,Euthanasie‘-Programm der Nazis als verbrecherisch einzustufen war oder nicht und ob das Tribunal juristisch berechtigt war, Brandt vor Gericht zu stellen oder nicht“ als „eine der Strategien, mit denen Gerstenmaier und andere Kirchenführer gezielt“ (Schmidt, Arzt, 601) gegen jene Prozesse vorgingen. Den Kirchen kam in der Tat nach Norbert Frei damals eine „bereitwillig akzeptierte Schlüsselrolle“ (Frei, Vergangenheitspolitik, 137) bei der Kriegsverbrecherfürsorge zu (zu den Gründen vgl. ebd., 133–163; und Vollnhals, Kirche, 45–120). Bis Anfang 1948 gingen zahlreiche Petitionen und Gnadengesuche für Brandt ein (Schmidt, Arzt, 601–604). Neben dem Gnadengesuch der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel vom 17. September 1947, in dem Konsistorialrat Hardt Brandt menschlich verteidigte (vgl. Gnadengesuch vom 17. 9. 1947. In: Hauptarchiv der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, 2/39-192, Bl. 718), erklärte auch Gerstenmaier in seinem Gnadengesuch – vor allem von dem die ganze Korrespondenz beherrschenden Motiv der Dankbarkeit stehend – vom 1. 9. 1947 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1), dass ihn das juristische Verfahren und Todesurteil nach internationalen Rechtssätzen „stark bewegt“ habe, sein Grund zur Stellung dieses Gnadengesuches aber vielmehr auf einer „menschlichen Beziehung [beruhe], die zwischen Prof. Dr. Karl Brandt und mir in einem Zeitpunkt eingegangen ist, in dem ich mich in ähnlicher Lage befand wie Prof. Karl Brandt heute.“ Brandt habe durch die Weitergabe von Ermittlungsständen des RSHA über Mittelsmänner an Gerstenmaier und wiederholt positive Intervention gezeigt, dass er sich – von „dem Studium des Aktenmaterials der Reichsstaatsanwaltschaft, wie aus der Kenntnis

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Mit dem Wissen um die Sachstände aus den Ermittlungsakten und den Anschuldigungen aus der ihm am 8. Januar 1945 ausgehändigten Anklageschrift baute Gerstenmaier seine Verteidigung auf. Drei mehrseitige, handschriftlich angefertigte und teilweise kryptisch anmutende Aufzeichnungen Gerstenmaiers wurden dazu überliefert und sind dem gesperrten Teil seines Nachlasses zu entnehmen.573 Darin versuchte er zum einen auf die ihm entgegengebrachten Vorwürfe prägnant einzugehen und zum anderen seine entsprechende „Verteidigungslinie“574 zu skizzieren. Diese gliederte er in drei Bereiche. Erstens nahm er zur „Gesamtbeschuldigung“ Stellung und bezeichnete den Vorwurf des Hochverrates – mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern und den Führer seiner verfassungsmäßigen Gewalt zu berauben – als „durchaus unzutreffend“575. Zweitens legte er eine umfängliche Begründung in Stichpunkten dar, die sowohl die Tätigkeit des KK umschrieb als auch dessen Mitglieder namentlich nannte. Auffällig ist dabei, dass er nur Kreisauer erwähnte, die sich ebenfalls vor dem VGH verantworten mussten oder die schon hingerichtet worden waren. Namen wie Gablentz, Poelchau oder Wurm fehlten bei aller Penibilität der Aufzeichnungen gänzlich. Daraus kann wiederum vermutet werden, dass er das Wissen von den Kontakten zur Außenwelt sowie aus den Ermittlungsakten entsprechend implementierte. Ebenfalls skizzierte er in dem zweiten Bereich seine „Kenntnis von Goerdeler“ unter anderm mit den Worten: „Kein Wort von Putsch oder Umsturz gefallen“576. Darüber hinaus notierte er weitere politische Gespräche und beschrieb erneut – ähnlich wie schon vor Kaltenbrunner und Neuhaus – seine Rolle am 20. Juli 1944 im OKW. Im letzten Passus des zweiten Bereiches kam er auch auf die Anzeigepflicht zu sprechen, die er nach der Anklageschrift nicht wahrgenommen hätte. Dazu notierte er, dass er an die Gerüchte im Zusammenhang mit Goerdeler nicht geglaubt habe und er diese auch nicht beweisen konnte. Deshalb sei er nicht zur Polizei gegangen. Im letzten Bereich legte Gerstenmaier „Meine eigene Grundlinie[n] bzw. Anliegen“ dar. Hier erklärte er stichpunktartig, aber dennoch differenziert seine Position zum Verhältnis von Staat und Kirche sowie dem Verhältnis der Konfessionen zueinander. Darüber hinaus betonte er: „mit dem Führer u.[nd]

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meiner politischen Vergangenheit ohne jeden Zweifel“ wissend – „für einen erklärten Gegner des Nationalsozialismus“ und „erklärten Gegner der Euthanasie“ einsetzen würde. Da sich Brandt „dessen ungeachtet für mich verwandte, hat er nach meiner Überzeugung nicht nur ein zu respektierendes menschliches Verhalten an den Tag gelegt, sondern auch seinen – gelinde gesagt – Vorbehalten gegen den Nationalsozialismus und seine Praxis einen ihn in diesem Zeitpunkt unter Umständen selbst gefährdenden Ausdruck verliehen.“ Vgl. die drei Dokumente o.D. in ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3. Eines der drei Dokumente wurde von Gerstenmaier mit diesem Terminus überschrieben. Dieses Dokument wird im Folgenden primär verwendet und mit „Verteidigungslinie“ zitiert. Verteidigungslinie (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). Ebd.

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nicht gegen den Führer“ sowie „Niemals dabei gegen das Reich!“577 Aus Gerstenmaiers „Verteidigungslinie“ lässt sich erkennen, wie unverfänglich er bestimmte Informationen unterstrich und andere wiederum gänzlich nicht beachtete. Darüber hinaus zeigt sich in den Aufzeichnungen, dass er zur offensichtlichen Lüge bereit war. In einem späteren Interview rechtfertigte er seine Vorgehensweise pointiert mit folgenden Worten: „Das waren Schutzbehauptungen. Das waren Einlassungen zur Rettung unseres Kopfes. Kurz und gut: wir haben die Unwahrheit gesagt, bewusst und willentlich, weil das die einzige Möglichkeit war, um unsern Kopf zu kämpfen, und weil wir uns auch sittlich dazu berechtigt glaubten. Ich, der Theologe, sage Ihnen das heute noch: Ich bin einem Mordsystem dieser Art, das mir jedes Rechtsmittel verweigert, nicht die Wahrheit schuldig – unter gar keinen Umständen!“578

Mit jener äußeren und inneren Vorbereitung ging Gerstenmaier in die Verhandlung. Der erste Senat des VGH setzte sich an jenen Tagen aus dessen Präsidenten Freisler, Volksgerichtsrat Johannes Köhler, Gartentechniker und Kleingärtner Hans-Fritz Kaiser, Kaufmann Georg Seubert, Bürgermeister Bernhard Ahmels und Landgerichtsdirektor Kurt Schulze als Vertreter von Oberreichsanwalt Ernst Lautz zusammen.579 In einem verhältnismäßig kleinen Saal im zweiten Stock des VGH drängten sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 9. Januar 1944 neben den Angeklagten „Gestapisten in Zivil und Uniform, Schupos, Anwälte und Justizbeamte“580 eng aneinander. Zuerst wurde Delp vernommen.581 Freisler ging mit aller Härte und einem „hasserfüllten Verhandlungsstil“582 in einer „polemisch-widerwärtig[en]“583 Art nicht nur gegen den Jesuiten vor, sondern schien über die gesamte römischkatholische Kirche richten zu wollen. Danach folgten die Vernehmungen von Reisert, Sperr und Glött. Um 17 Uhr endete der erste Verhandlungstag. Am 10. Januar 1944 begann Freisler mit Moltke und knüpfte an seinen Stil vom Vortag mit Vorwürfen wie Hochverrat, Jesuiterei, Leichenfledderei, Defaitismus und Reaktion an.584 Auf die Vernehmung des Grafen folgte am zweiten 577 Ebd. 578 Gaus, Staatsmann, 128. 579 Über die Verhandlung und die Urteilsverkündigung fertigte Gerstenmaier einen beeindruckenden Brief an seine Frau in der Nacht vom 13. zum 14. 1. 1945 an, in dem er auf 41 Manuskriptseiten (vgl. Brief Gerstenmaiers an Lilje vom 5. 1. 1948. In: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2) minutiös den Verhandlungsverlauf skizzierte. Das Original des Briefes ist im gesperrten Teil des Gerstenmaier-Nachlasses erhalten. Abgedruckt wurde er 1992 bei Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 97–127. 580 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 103). 581 Zu Delps Verhandlung vgl. Brakelmann, Delp, 129–158; und Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 105–107). 582 Steinbach, Juli, 312. 583 Gerstenmaier, Streit, 218. 584 Zu Moltkes Verhandlung vgl. Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 26–32; Overesch, Gott,

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Verhandlungstag Gerstenmaier als letzter Anzuhörender, auf den an dieser Stelle besonders eingegangen werden muss, um seiner Strategie weiter nachzugehen. Gerstenmaier schilderte auf Nachfrage Freislers zunächst seinen persönlichen Werdegang bis zum Studium. Gemäß seiner „Idiotenversion“585 aus den Gestapo-Verhören kam er zu seiner Wohnsituation bei Yorck und berichtete, wie er Moltke kennengelernt habe. Relativ zügig kam Freisler auf die Tagungen in Kreisau zu sprechen. Nun griff Gerstenmaiers kurz vorher erstellte Verteidigungslinie, die er freilich vor Ort spontan variieren musste. Mit Bezug auf seine theologische Ausbildung stellte er die Treffen zunächst als religiöse Gesprächskreise dar, bei denen evangelische und katholische Fragen auf der „Linie meiner amtlichen Tätigkeit in der ökumenischen Studienarbeit“586 diskutiert wurden. Den Austausch ordnete er den Bestrebungen der Una Sancta unter. Gerstenmaier präsentierte sich leicht naiv, weitgehend zerstreut und dennoch schlagfertig. Mit welchem kurzweiligen Schlagabtausch die Vernehmung voranschritt, bei der eine lange Darlegung schier unmöglich erschien, kann folgendem Ausschnitt aus dem Vernehmungsprotokoll des VGH entnommen werden: „F[reisler]: Was haben Sie denn nun in Kreisau so erlebt? G[erstenmaier]: Ja, also beim ersten Mal, ich war ja zwei Mal in Kreisau …; F: Ja, ja, das wissen wir, beim ersten Mal, beim ersten Mal!; G: Also Oktober 42, Verzeihung, Herr Präsident, vorhin bei Moltke wurde mal von einer Januar- oder einer Februar-Besprechung …; F: Die Daten sind nicht absolut gleich, deshalb spreche ich immer von der ersten oder zweiten Tagung.; G: Dann ist die erste Oktober 42.; F: Na schön, also dann von dieser Tagung.; G: und bei der ersten im Oktober 42, da kam ich hin, die dauerte etwa 2, ich glaube starke 2 Tage.; F: Sie hat zweieinhalb Tage gedauert, das wissen wir auch, richtig!; G: Und am ersten Tag, da ging es eigentlich um lauter grundsätzliche, da ging es wirklich kirchlich los; es ging über die Frage der religiösen Substanz, ob überhaupt damit noch viel zu machen sei. Die meisten Menschen …; F: Ja, was heisst noch viel zu machen sei?; G: Die meisten Menschen seien doch keine Christen mehr.; F: Na, ja.“587

In jenem gleichbleibenden Duktus verlief die weitere Vernehmung. Gerstenmaier baute auf seine Rolle im KA und betonte seine ökumenische Arbeit im Rahmen der Oxforder Weltkirchenkonferenz. Er zeigte gar sein 1937 herausgegebenes Buch „Kirche, Volk und Staat“588 vor und versucht damit die

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97–120; die Briefe Moltkes an seien Frau vom 10. 1. 1945 und 10./11. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 468–482); und Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 108–111). Gross, Gespräch, 29. Gerstenmaier, Streit, 219. Vernehmungsprotokoll Gerstenmaiers durch Freisler o.D. (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-027). Vgl. dazu Kapitel 4.3.2.

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Kreisauer Überlegungen für eine Nachkriegsordnung in einer Verwirklichung der darin manifestierten Gedanken zu begründen.589 Freisler reagierte darauf mit „unaussprechlicher Verachtung“ und erklärte: „so könne bloß ein solcher weltfremder Kirchenmensch“590 denken. Eine „beharrliche Irreführung“591 kennzeichnete Gerstenmaiers weitere Verteidigung. Strategisch verwies er immer wieder darauf, dass er Theologe sei und von weltlichen Dingen nicht viel verstehe. Als er auf den geplanten Reichsaufbau angesprochen wurde, antwortete er entsprechend, dass ihn dies nicht interessiert habe, da er ja kein Verwaltungsjurist sei. Ähnlich reagierte er auf die Frage nach Schulenburgs Gebietskarte, die ebenso nicht in sein Interessengebiet fiel. Kontinuierlich betonte der Theologe, dass ihm die von Freisler skizzierte Tragweite der Kreisauer Gespräche nicht bewusst gewesen sei, sondern ihn lediglich die ökumenische Studienarbeit interessiert habe.592 Freisler fragte Gerstenmaier schließlich, was er sich denn eigentlich bei all dem gedacht habe. Darauf antwortete er selbstbewusst: „Eigentlich nur das Beste.“593 Zum Ende der Vernehmung schien bei Gerstenmaier Nervosität zu dominieren. Moltke schrieb am Abend nach der Verhandlung an seine Frau: „Eugen war, wie ich am Schlusswort merkte, etwas unruhig.“594 Der Prozess wurde aufmerksam von zahlreichen Beobachtern des nationalsozialistischen Regimes verfolgt. Über Gerstenmaiers Vernehmung berichtete ein Vertreter der Partei-Kanzlei der NSDAP mit starken persönlichen Wertungen direkt an Bormann im Führerhauptquartier, der wiederum die Informationen über den Verhandlungsstand direkt an Hitler weiter gab. In diesem Fernschreiben spiegelten sich nicht nur Gerstenmaiers zentrale Verteidigungseckpunkte wider, sondern auch Freislers Vernehmungsstil. So wurde notiert, dass der Theologe ein „geschwätziger kleiner Mann“ sei, der „viel mit den Händen“ sprach. Abfällig konstatierte der Beobachter über Gerstenmaiers breite Darstellung des KK: „Man hatte das Gefühl, daß, wenn das Reich Gottes in Gefahr gewesen wäre, G.[erstenmaier] besser funktioniert hätte.“595 Spannend ist in dem Fernschreiben zudem, wie der Beobachter den hoch geschätzten Freisler unterschwellig kritisierte. „Die Art und Weise, wie Freisler Gerstenmaier vernahm, war im Großen und Ganzen nicht befriedigend.“ Obwohl der vorsitzende Richter Gerstenmaiers theologischen Beschreibungen mit viel „offenem

589 Vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 115 f). 590 Ebd., 116. 591 Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). 592 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 219. 593 Ebd. 594 Brief Moltkes an seine Frau vom 10. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 468). 595 Fernschreiben Lorenzens an Bormann vom 10. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027).

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Hohn“596 begegnete, ging er gegen Moltke und Delp schärfer vor.597 Auch als der Theologe anscheinend schwäbisch-mundartlich von seinen dienstlichen Tätigkeiten im KA als „Geschäft“ sprach, drehte Freisler ihm das „Wort im Munde herum und sprach fortan nur noch von dem ,Kirchengeschäft‘, wobei er sich überdies bemühte, das Wort Geschäft möglichst jüdisch auszusprechen.“ Weiter führte der Beobachter aus: „Sachlich waren die Ausfälle Freislers nicht nötig, denn die Schuld Gerstenmaiers lag ohnedies klar zutage. Sie hinterließen aber den peinlichen Eindruck, daß das Gericht sich dem Angeklagten gegenüber ins Unrecht setzte und waren um so mehr zu bedauern, als im übrigen die Verhandlungsführung Freislers wiederum wahrhaft glänzend war.“598

Spannend bei Gerstenmaier Vernehmung war, dass weder die DEK noch seine Verbindung zu Wurm eine Rolle spielten. Freisler stützte sich ausschließlich auf die beiden Kreisauer Tagungen und die Begegnung mit Goerdeler. Direkt nach dem Abschluss der Vernehmung bekam der Theologe von Moltke zu hören: „Es ist gut, sehr gut gegangen.“ Auch Grünwald sagte ihm: „Ich bin mit der Verteidigung sehr zufrieden.“599 Unmittelbar nach dem Abschluss der Vernehmungen folgte das Plädoyer von Schulze als Vertreter des Oberreichsanwaltes. Gerstenmaier sei demnach: „Ein blasser Theoretiker, wie er im Buche steht, ganz anders wie Moltke. Ein Kirchenmann, Konsistorialrat und Theologe, der von den Dingen keine Ahnung hat, in die er sich verwickelt. Wahrscheinlich anerkennenswert in seinem Fach, von Politik keine Ahnung.“600

Obwohl Schulze den Vorwurf des Hochverrates und der Feindbegünstigung fallen ließ, sah er die Schuld des Theologen aufgrund einer Verletzung der Anzeigepflicht in einem besonders schweren Fall nach § 139,2 RStGB begründet. Dafür beantragte er für Gerstenmaier und ebenso für Moltke, Delp, Sperr sowie Reisert die Todesstrafe. Wenngleich Grünwald, den Gerstenmaier im Übrigen sehr schätzte,601 in seinem Verteidigungsplädoyer noch versuchte, die Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln, sollte das Urteil am Folgetag um 16 Uhr verkündet werden. Zusammenfassend lässt sich aus den betrachteten Quellen sagen, dass 596 Ebd. 597 Zu den vermutlichen Gründen vgl. Kapitel 5.5.2. 598 Fernschreiben Lorenzens an Bormann vom 10. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027). 599 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 118). 600 Ebd. 601 Gerstenmaier schrieb an seine Frau, dass er froh über den „gute[n] Grünwald“ sei, da er als Christ ein „frommer, ruhiger Mann“ war und im Prozess alles tat, „was ich wünschte“ (ebd., 97 f).

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Gerstenmaier seine Verteidigungsstrategie zwischen vorgetäuschter Unwissenheit und ausschließlich theologischem Interesse an den Kreisauer Zusammenkünften aufbaute. Freislers Verhandlungsführung belegte zudem, dass es in dem Prozess nicht primär um die Verschwörer aus dem KK oder dem bayrischen Widerstand ging, sondern eher um die ideelle Vernichtung der Angeklagten, die eine andere Gesinnung vertraten, die dem Nationalsozialismus radikal entgegen stand.602 Dass der vorsitzende Richter gegen das Christentum verhandelte, lässt sich mit einem Satz belegen, den er während Moltkes Vernehmung603 sagte: „Nur in einem sind das Christentum und wir [Nationalsozialisten] gleich: wir verlangen den ganzen Menschen!“604 Wie ignorant und entschieden er gegen die christliche Religion vorging, zeigte sich auch an Delps Vernehmung, der kurz nach dem Prozess in einem Kassiber über Freisler schrieb: „Sachlich könnte ich sagen, was ich wollte: einem Jesuiten glaubt man nicht, da er grundsätzlich Reichsfeind und vor allem ein Feind der NSDAP ist.“605 Hochverrat begehe dementsprechend, wer Freisler nicht passe.606 Und genau das taten die sich engagierenden Christen. Auch der Prozessbeobachter bestätigte in seinem Fernschreiben an Bormann, dass Freisler aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber den christlichen Kirchen „keinen Hehl“ machte und er besonders den Jesuitenorden607 als die „Verkörperung des Bösen an sich hingestellt [habe], von dem uns eine eisige Wand trennen müsse.“608 Kurz nach dem Prozess fasste Moltke die Verhandlungen vor dem VGH in einem Brief an Delp mit folgenden Worten zusammen: „So bleiben Sie, Gerstenmaier und ich als das wahre Objekt des Prozesses übrig; und damit gilt die wahre Offensive Freislers gegen die katholische Kirche und gegen die protestantische Kirche […].“609 Aufgrund dieser offensichtlichen 602 Ähnlich schrieb Gerstenmaier später in einem Artikel im Rheinischen Merkur vom 16. Juli 1954 unter dem Titel „Die Tatgemeinschaft des christlichen Gewissens ist ein Vermächtnis“. Er konstatierte, dass es bei dem Prozess nicht um „erwiesene oder unerwiesene Straftaten [ging], sondern […] um die Aburteilung und Vernichtung einer Gesinnung und Haltung, die das Dritte Reich nicht ertragen konnte.“ Nämlich das Christentum. 603 Die Aburteilung des Christentums nahm in Moltkes Vernehmung weiten Raum ein. Er schrieb dazu seiner Frau am 12. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 484): „Wie gut, dass die wahre Debatte [gemeint ist über das Christentum] nur zwischen Freisler und mir war, denn sonst hätte Eugen diese Maske nie aufbehalten können. Mit mir hat Freisler über das Christentum und die Kirche gesprochen, nicht mit dem an sich zuständigen Eugen.“ 604 Brief Moltkes an seine Frau vom 10./11. 1. 1945 (ebd., 478). 605 Delp, Schriften, Bd. IV, 98. 606 Vgl. Brief Moltkes an seine Frau vom 10. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 469). 607 Der Jesuitenorden versinnbildlichte für Freisler die römisch-katholische Kirche, die er strengstens verurteilte. Gegen die evangelischen Kirchen, also die DEK, ging er trotz ähnlicher Verurteilungen weniger scharf vor, da sie für ihn als „nationale Trottel“ (Gerstenmaier, Streit, 200) galten. 608 Fernschreiben Lorenzens an Bormann vom 10. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027). 609 Brief Moltkes an Delp zwischen dem 13. und 23. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 565).

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Schwerpunktsetzung gegen die christlich inspirierten Kreise muss Freisler klar als „Gesinnungsrichter“610 bewertet werden. 5.5.2 „Gott hat ein Wunder getan“ – Das verblüffende Urteil „Gerstenmaier etwas mitgenommen“611 schrieb Moltke noch am Abend des 10. Januar 1945 nach dem Plädoyer der Oberreichsanwaltschaft in einem kurzen Kassiber an Trotha. Offensichtlich schien ihm die beantragte Todesstrafe – ähnlich wie Delp612 – sehr nahegegangen zu sein. Der Jesuit und der Konsistorialrat hatten in den zurückliegenden Monaten vor Moltke und nach außen kontinuierlich ihren festen Glauben an Gottes Fügung kommuniziert. Damit wirkten sie als Hoffnungsträger und -stifter. Trotz der destruktiv wirkenden Nachricht der beantragten Todesstrafe, die auch Brigitte Gerstenmaier sehr traf, machte sie ihrem Mann Mut und schrieb ihm noch am Abend seiner Vernehmung: „Gott weiß, was er tut, und es ist ja sogar noch möglich, daß er Dich leben läßt.“613 Sie vertraute – wie ihr Mann – auf Gottes Fügung. Wie intensiv den Theologen die Theodizee-Problematik bis zur Urteilsverkündung beschäftigt haben muss und wie fest er sich dabei auf die ihm widerfahrene Verheißung614 – nicht zu sterben, sondern zu leben – stützte, wird aus vielen überlieferten Quellen erkennbar. Wenngleich ihm die Dehnung der Frist zwischen dem Plädoyer der Oberreichsanwaltschaft und dem Urteil zu einer „schweren Last“615 wurden, sagte er bereits am frühen Morgen des 11. Januar 1945 zu Delp, dass er dabei bleibe und mit Gottes Zusage durchkomme.616 Mit Poelchau führte er in den Morgenstunden zudem ein seelsorgerisches Gespräch, in dem er mit dem Gefängnispfarrer über die Variationen des 118. Psalms zwischen Täuschung und Wirklichkeit sprach. Kurz danach schrieb er seiner Frau einen bewegenden Brief,617 aus dem sein fester Glaube sprach: „In dem Augenblick, in dem ich schreibe, bin ich der tiefen Gewißheit: Wirklichkeit. Die Verheißung wird sich heute erfüllen. Ich glaube, daß mir das Gott heute morgen von neuem gesagt hat. […] Gott verlangt von mir, daß ich nicht 610 Brakelmann, Ökumene, 28. 611 Kassiber Moltkes an Trotha vom 10. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 563). 612 Gerstenmaier schrieb im Brief an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 119): „Am meisten erschüttert mich der Umfall Delps nach dem Plädoyer des Oberreichsanwalts.“ Dies belegt Delps Reaktion. 613 Brigitte Gerstenmaier an ihren Mann vom 10. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 86). 614 Vgl. Kapitel 5.4.2. 615 Gerstenmaier, Streit, 221. 616 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 119). 617 Der Morgenbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 ist im Anhang als Dokument III abgedruckt.

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nach rechts und links schaue, sondern allein nach vorn, auf Ihn, auf Sein Wort, und daß ich glaube, konkret glaube, ohne zu markten oder zu spekulieren oder umzudeuten.“618

Gemäß des bekannten Jesuswortes aus Markus 9,23 waren alle Dinge möglich, dem der da glaubt. So suchte der Theologe Stärkung im Gebet und Hoffnung in der Bibellektüre.619 Gerstenmaiers ganzes Sein war „vorwärtsgezogen auf die große Erfahrung der Wirklichkeit Gottes und der unmittelbaren Wahrheit seines Wortes“, sodass er weiter im Brief an seine Frau konstatierte: „Ps[alm] 118,17/18 wird an mir in Erfüllung gehen, weil Gott es mir so gesagt hat und auf vieles, vieles Beten mir bis in diese Stunde immer wieder gesagt und bestätigt hat.“620 Demütig erlebte Gerstenmaier die letzten Stunden des Wartens auf das Urteil vor dem VGH in einem „atemberaubenden, das Herz jagenden Dialog mit Gott, dem lebendigen Gott und seinem Wort“621. Am späten Nachmittag des 11. Januar 1944 wurde „im Namen des Volkes“622 das 21seitige Urteil durch Freisler im VGH verlesen. Nach einer knappen Charakterisierung des Prozesses verurteilte er in aller Kürze Moltke, Delp und Sperr zum Tode, Gerstenmaier zu sieben Jahren Zuchthaus und sieben Jahren Ehrverlust, Reisert zu fünf Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust sowie Glött zu drei Jahren Zuchthaus. Danach kam er zu einer ausführlichen Urteilsbegründung. Im Hinblick auf die vorgetragene Charakterisierung zu Gerstenmaier ist interessant zu beobachten, dass Freisler zahlreiche Formulierungen vom Vortag wieder aufnahm und auch Bezug auf die Einschätzung von Schulze nahm. Dem entsprechend begründete er: „Wenn man lediglich in die Akten schaut, hat man unbedingt den Eindruck, dass Gerstenmaier aktiv am Hochverrat Moltkes mitarbeitete. Aber der Eindruck der Hauptverhandlung war doch ein anderer. Gerstenmaier, der sehr viel kirchliche Verbandsbesprechungen im Ausland wahrgenommen hat, ist ein Mann mit einer uns völlig unverständlichen Weltschau. Mehrmals schloss der von Verhältnissen und Zuständen in der Kirche vor uns in der Hauptverhandlung auf den Staat, wo er doch ebenso sein müsse!!! Er macht zwar den Eindruck eines recht robusten, in seiner Persönlichkeit scheinbar fast bauernmässig starken Mannes, aber Gespräche mit ihm zeigen, daß er doch vollkommen weltfremd ist. Es ist deshalb

618 Morgenbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 87 f). 619 Im Brief an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (ebd., 119) betonte er, dass er die Heilige Schrift wahllos aufschlug und bei Jeremia 46,28 landete. Aus der Zusage Gottes an Jakob konnte er Hoffnung schöpfen. 620 Morgenbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 88 f). 621 Ebd., 91. 622 Urteil gegen Moltke, Gerstenmaier, Steltzer, Sperr, Reisert, Glött und Delp vom 11. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/2; und 01-210-027).

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nicht völlig unmöglich, daß er nicht begriffen hat, daß die Besprechungen im Moltke-Kreis staatsfeindlich und hochverräterisch waren.“623

Aus diesem Ausschnitt wird ersichtlich, dass seine kluge Verteidigungsstrategie aufging und ihn das Gericht als „vollkommen weltfremd“ wahrnahm. Nichtsdestotrotz sei er nach Freislers Begründung nicht nur bei den Tagungen in Kreisau und den Abendgesprächen in Berlin dabei gewesen, sondern auch bei dem verräterischen Treffen mit Goerdeler. Auch wenn Gerstenmaier bei der Vernehmung glaubhaft machen konnte, dass er den „Sinn der Besprechung nicht erfasst“ habe, sei er trotzdem über Goerdelers Vorhaben informiert gewesen und habe diese nicht gemeldet. Weiter konstatierte Freisler, dass ihn „seine Weltfremdheit“ nicht vor einem gerechten Urteil schützen könne. „Immerhin ließ die Persönlichkeit Gerstenmaiers und der offene und ehrliche Eindruck, den er auf uns gemacht hat, zu, diesen Fall der Nichtanzeige nicht als allerschwersten anzusehen.“624 Aufgrund dessen könne Gerstenmaier mit einer Zuchthausstrafe davonkommen. Es sei zudem ehrlos gewesen, dass er seine Pflicht als Bürger vernachlässigt und Goerdeler nicht angezeigt habe. Deshalb müsse er auch sieben Jahre ehrlos werden.625 Moltke schrieb kurz nach dem Prozess an seine Frau, dass Freisler Gerstenmaier zudem als einen „politischen Schafskopf“626 bezeichnete habe. Auch der Mitangeklagte Glött erinnerte sich später, dass der Theologe als „Dummkopf“627 beschimpft worden sei. Der Berichterstatter der ParteiKanzlei skizzierte die Urteilsbegründung in einem Fernschreiben an Bormann ähnlich. Er betonte zudem, dass Gerstenmaier zwar als weltfremd beschrieben werden müsse, er jedoch „unter Umständen noch für die Gemeinschaft wiederzugewinnen“628 sei. Gerstenmaiers geschickte Verteidigungsstrategie zwischen Naivität und beruflicher Begründung seiner Mitwirkung bei den Kreisauer Gesprächen schien aufgegangen zu sein. Der VGH nahm ihn als „Weltfremden und Unwissenden“629 wahr. Trotzdem wirkte er „sichtlich erschüttert“630 auf die Urteilsverkündigung, da er nach dem Fernschreiben wohl mit der Todesstrafe gerechnet habe. Selbst schrieb Gerstenmaier zwei Tage nach dem Prozess an seine Frau dazu: „Als ich aus Freislers Mund mein Urteil hörte, wurde ich weder ohnmächtig noch aufgeregt. Nur heiße Ohren bekam

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Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Brief Moltkes an seine Frau vom 12. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 484). Aussage Glötts vom 6. Dezember 1960 (Schlabrendorff, Gerstenmaier, 36 f). Fernschreiben Lorenzens an Bormann vom 12. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027). 629 Aussage Glötts vom 6. 12. 1960 (Schlabrendorff, Gerstenmaier, 36 f). 630 Fernschreiben Lorenzens an Bormann vom 12. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210027).

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ich.“631 Obgleich Gestapobeamte direkt bei der Urteilsverkündigung im Gerichtssaal noch „Fehlurteil“632 riefen, interpretierte Gerstenmaier das Urteil als Bestätigung seiner Verheißung.633 Am Abend des 11. Januar 1945 schrieb er erneut seiner Frau und ließ seinen glaubensstarken Emotionen freien Lauf.634 „Gott hat gesprochen. Ich soll leben.“635 Damit begann er seinen lebensbejahenden und gebetsartig wirkenden Text. Er empfand seine in der Lehrter Straße 3 erlebte Verheißung als bestätigt und konstatierte: „Gott hat ein Wunder getan. Sichtbar, greifbar. Das ist ohne Zweifel.“636 Darüber hinaus unterstrich er: „Die Wirklichkeit Gottes, die Wahrheit seines Wortes ist da.“637 Die sinnlichen Bestätigungen und formulierten Superlative überschlugen sich regelrecht in dem Brief. Der Herr war ihm zum Retter geworden und sein Glaube erfüllte ihn nachhaltig. In Bezug auf seine Verteidigung schrieb er nicht, dass er sich gut verkauft habe, sondern dankte der schier unendlichen Macht des Transzendenten. „Gott gefiel es, die Gegner mit Blindheit zu schlagen“638 zeigt, wie der Theologe Gottes Wirken während des Prozesses interpretierte. Der Brief lässt sich als eindrücklicher Beleg für Gerstenmaiers intensive Gottesbeziehung anführen, die längst nicht mehr primär wissenschaftlicher Natur war, sondern sich durch Glauben, Vertrauen und persönlicher Hingabe auszeichnete.639 Seine frommen Darlegungen kulminierten in einem zweiten Abendbrief am 11. Januar 1945 schließlich in den Worten: „Deus est und Deus est pro nobis.“640 Obgleich Gerstenmaier bereit war, „an das freie Wunder Gottes zu glauben“641, schrieb er im Juni 1945 in einem Bericht für die Neue Zürcher Zeitung, dass er das Urteil für „nicht erklärlich“642 hielt. Darin wird erkennbar, dass er 631 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 125). 632 Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 9. 633 Vgl. dazu Kapitel 5.4.2. 634 Der erste Abendbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 ist im Anhang als Dokument IV abgedruckt. 635 Erster Abendbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 91). 636 Ebd., 92. 637 Ebd., 93. 638 Ebd., 92 f. 639 In seinen Erinnerungen schrieb er dazu (Gerstenmaier, Streit, 222): „Nach jenem Urteil brauchte ich nicht mehr arbeitshypothetisch von Gott zu sprechen. Der Gott der Bibel ist mir Wirklichkeit geworden.“ 640 Zweiter Abendbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 94). Gerstenmaiers Frau antwortete im am Folgetag bewegend in einem Brief vom 12. 1. 1945 (ebd., 95 f) mit den Worten: „Erlöst aus der Hand unserer Feinde. Eugesle, ich hätte nicht gedacht, daß Gott ein so persönlicher und lebendiger Gott ist.“ – „Erinnerst Du Dich an Stefan Georges ,Ich diene meinem größten Herrn.‘? Ja, wir wollen ihm beide dienen unser Leben lang.“ 641 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 13./14. 1. 1945 (ebd., 123). 642 Gerstenmaier Artikel „Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944“ in der NZZ vom 23. und 24. 6. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010).

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nicht willens war, die von ihm wahrgenommene Verheißung öffentlich nach außen zu kommunizieren. Das Verhalten lässt vermuten, was ihm jenes hoch persönliche Erlebnis für seine Glaubenswelt und letztlich seine Gottesbeziehung bedeutet haben muss. 36 Jahre mussten vergehen, bis er von diesem Glaubenserlebnis 1981 im Rahmen seiner Memoiren erstmals öffentlich berichtete. An dieser Stelle ist in Bezug auf das vergleichsweise milde Urteil noch zu erwähnen, dass Gerstenmaier nicht nur geschickt aufgrund seiner Verteidigungsstrategie im Prozess selbst agierte, sondern auch, dass er prominente Fürsprecher sowohl während seiner Haftzeit als auch für den Prozesses selbst hatte, von denen er zu diesem Zeitpunkt nichts wusste. Drei hohe Nationalsozialisten sind dabei hervorzuheben, die für ihn auf verschiedenen Ebenen intervenierten. Neben dem bereits erwähnten Brandt,643 der sich im RSHA bei Müller für Gerstenmaier positiv aussprach, versuchte auch der SS-Obergruppenführer Gottlob Berger den Theologen zu retten. Joachim Scholtyseck arbeitete in seiner Forschung über den sogenannten „Schwabenherzog“ heraus, dass sich der treue Gefolgsmann Himmlers nach den Ereignissen des 20. Juli 1944 eher zufällig für Gerstenmaier – anscheinend direkt bei Hitler persönlich – einsetzte.644 Die wichtigste Intervention ging jedoch auf die Ehefrau des stellvertretenden Reichspressechefs Helmut Sündermann bei Freisler persönlich zurück.645 Elisabeth Sündermann war mit Gerstenmaiers Schwester Hanna Schwarz gut bekannt. Sie hatten sich im Rahmen der Schullandheimbewegung beruflich kennengelernt und allmählich angefreundet. Schwarz war sich über die hohe Position des Mannes ihrer Freundin bewusst, denn schließlich gehörte dieser als SS-Obersturmbannführer sowie stellvertretender Reichspressechef der NSDAP und der Reichsregierung zum unmittelbaren Umfeld von Hitler. Sie wusste auch, dass das Ehepaar Sündermann mit dem Ehepaar Freisler befreundet war. Als ihr Bruder nach dem 20. Juli 1944 verhaftet wurde, wandte sie sich zunächst vergeblich an Helmut Sündermann, um herauszufinden, wo ihr Bruder verblieben war. Als sie schließlich von der Anklage vor dem VGH hörte, traf sie sich mit Elisabeth Sündermann und bat sie, sich bei Freisler für ihren Bruder zu verwenden. Diese willigte ein.646 Im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens kurz vor der Verhandlung vor dem VGH warb Elisabeth Sündermann für Gerstenmaier.

643 Vgl. Kapitel 5.5.1. 644 Vgl. Scholtyseck, Gerstenmaier, 219 f; Ders., Schwabenherzog, 77–110; und Ders., Bosch, 500–529. 645 Der Sachstand um die Intervention wurden im Rahmen eines Verfahrens, das Gerstenmaier in den 1960er Jahren gegen Ramcke führte, mit detaillierten Zeugenaussagen aufgearbeitet. Auf jene Zeugenaussagen wird im Folgenden primär zurückgegriffen. 646 Vgl. Vernehmungsprotokoll Schwarz’ durch Langrehr vom 13. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025).

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„Als ich an dem Abend, an dem Freisler und Frau uns besuchten, das Gespräch auf den Fall Dr. Gerstenmaier brachte, war Freisler zunächst erstaunt, bis ich ihm erläuterte, dass ich mit Frau Schwarz befreundet war und die Familie Dr. Gerstenmaiers gut kannte, und dass ich Dr. Gerstenmaier keine strafbare Handlung zutraue. Er hörte mich ruhig an und ich erklärte zum Schluss, dass, selbst wenn etwas gegen Dr. Gerstenmaier vorliegen sollte, man doch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen könne.“647

Elisabeth Sündermann erinnerte sich weiter, dass Freisler darauf hin zu ihr gesagt habe, dass Gerstenmaier besonders belastet sei. Freisler schien die Bitte Frau Sündermanns jedoch aktiv – entgegen der Beweislast – im Rahmen des Prozesses zu berücksichtigen, da der VGH-Präsident kurz nach dem Prozessabschluss bei Elisabeth Sündermann „anrief und fragte, ob ich mit dem Urteil zufrieden sei.“648 Dieses Telefonat belegt, wie Freisler der Bitte „Gnade vor Recht“649 folgte. Schwarz vermutete, dass Freisler sich für die temperamentvolle Frau Sündermann interessierte und sie wiederum mit ihm gut konnte.650 Somit war das Urteil gegen Gerstenmaier nicht nur auf dessen intelligente Verteidigungsstrategie zurückzuführen, sondern eben auch auf das Wohlwollen Freislers aufgrund der positiven Intervention durch Elisabeth Sündermann. Mit dem Urteil demonstrierte Freisler seine Macht. An diesem Fall zeigt sich, wie willkürlich die nationalsozialistische Justiz, für die Freisler an der Spitze des VGH stand, agierte. Leben und Tod waren nicht in erster Linie von objektiven Ermittlungen, Sachständen und Beweisen abhängig, sondern eher von dem subjektiven Gutdünken des vorsitzenden Richters. Die Tage nach dem Urteil gestalteten sich in der Haftanstalt Tegel in einer Mischung aus Gebet, Dankbarkeit, Trauer und Lethargie. „Über Eugen bin ich einfach selig“651 schrieb Moltke am 12. Januar 1944 an seine Frau. Der Graf wirkte nach dem Prozess „glücklich, erfüllt und von einer brüderlichen Wärme und Gelöstheit, wie ich sie so nie zuvor an ihm erlebt habe.“652 Und „Delp sprudelte vor Witz, geistreich und lächelnd, als führen wir in die Ferien.“653 Die Haltung seiner Freunde beeindruckte Gerstenmaier nachhaltig. Die Gemeinschaft der „Una Sancta in vinculis“654 hatte nach dem Prozess noch knappe zwei Wochen Bestand. Bis Moltke zusammen mit Sperr, Haubach, Nikolaus Groß und Eugen Bolz am 23. Januar 1945 sowie Delp mit Goerdeler und Popitz am 2. Februar 1945 hingerichtet wurden, tauschten sich die 647 648 649 650 651 652 653 654

Vernehmungsprotokoll Palmer-Gebhardts durch Langrehr vom 25. 9. 1961 (ebd.). Ebd. Ebd. Vgl. Vernehmungsprotokoll Schwarz’ durch Langrehr vom 13. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025). Brief Moltkes an seine Frau vom 12. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 484). Erster Abendbrief Gerstenmaiers an seine Frau vom 11. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 92). Gerstenmaier, Streit, 221. Vgl. dazu Kapitel 5.4.3.

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Männer weiter gemäß ihren Möglichkeiten aus und gingen Gerstenmaiers Bibelleseplan weiter nach. Auf eine Begebenheit in der religiösen Kommunikation zwischen Gerstenmaier und Moltke soll an dieser Stelle noch einmal beispielhaft für die Schriftlesegemeinschaft eingegangen werden. Beim Hofgang am 13. Januar 1945 kamen die beiden Freunde ins Gespräch über die biblische Tageslektüre. Moltke hatte sich versehentlich eine falsche Bibelstelle notiert, sodass er sich – zurück in seiner Zelle – sogleich Jona 2 vornahm. Dabei erlebte er für sich eine durchdringende und erfüllende Sinngebung, auf die er Gerstenmaier einen Brief schrieb.655 Zum Ende resümierte er: „Lieber Eugen, uns sind zu wunderbare Dinge widerfahren, als daß wir noch ein Recht hätten, an irgendetwas zu zweifeln. Ich meine ja nach wie vor, daß Gott mir auch den Inhalt der nächsten Sekunde niemals offenbaren will, sondern daß er verlangt, daß ich im Dunkeln einem Ziel zugehe, das nur er kennt und das sehr wohl Plötzensee heissen kann. Daß er mir aber einen Auftrag erteilt hat, dessen bin ich gewiss; […] daß ich diesen Auftrag erkenne genau 3 Tage nachdem ich ihn gehört habe, ist erstaunlich und daß ich ihn durch jene Stelle Jona 2 erkenne, ein Wunder.“656

Durch Gerstenmaiers bewusst für jenen Tag ausgewählte Lektüre von Jona 2, in der die Kraft des Gebetes seine Wirkung in Gottes Macht am Beispiel Jonas entfaltete, erkannte auch Moltke seinen kontemplativen Auftrag, der im Tod seine Vollendung finden sollte. Im gemeinsam verbundenen Gebet fanden die Freunde erneut Trost und Hoffnung. Darüber hinaus kamen sie über die Auslegung jener Stelle kontrovers ins Gespräch. In diesem Sinne antwortete Gerstenmaier wenige Tage später seinem Freund brieflich657 und schrieb: „Übrigens ist es nicht richtig, dass Gott uns nicht auch sagen, jedenfalls zuweilen sagen will, was Er mit uns in der nächsten Sekunde vorhat. Er sagt zwar nicht dies und jenes, aber Er sagt z. B.: Jetzt wird nicht geträumt und gefaselt, sondern tapfer gestorben, und Er sagt auch zuweilen sehr nachdrücklich, jetzt wird nicht gestorben, hör auf mit Deiner Todesbesessenheit, jetzt wird noch tapferer, noch großherziger, noch kühner, noch gläubiger und hingegebener – d. h. die Bibel „demütig“ – gelebt. Gelebt in meinem Dienst! Das sagt Gott z. B. auf den Blättern der Bibel viel öfters als das Umgekehrte.“658

Gerstenmaier versuchte auch in diesem Rahmen Moltke mit klaren Worten die Macht des Gebetes vor Augen zu führen, um ihn somit zu mehr Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit zu motivieren. Metaphorisch schrieb er weiter: „Er [Gott] greift dem Tod und dem Teufel in den Rachen und zieht uns heraus. 655 656 657 658

Der Brief Moltkes an Gerstenmaier vom 13. 1. 1945 ist im Anhang als Dokument Vabgedruckt. Brief Moltkes an Gerstenmaier vom 13. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). Der Brief Gerstenmaiers an Moltke vom 18. 1. 1945 ist im Anhang als Dokument VI abgedruckt. Brief Gerstenmaiers an Moltke vom 18. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 566 f).

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Aber es muss geglaubt sein.“ Gerstenmaier entnahm seine fromme Beständigkeit im Gebet wiederum der Heiligen Schrift und wies Moltke darauf hin, dass der Glaube vielleicht „nicht die prima causa für das, worum wir bitten“ sei, „aber es sieht in der Bibel doch oft so aus.“659 Zur fortwährenden Vertiefung dieser Wahrheit riet er Moltke zur Lektüre weiterer Bibelstellen, um somit erneut auf die direkte Kommunikation mit Gott hinzuweisen und die Macht des Gebetes zu unterstreichen.660 Der kraftvolle Brief endete mit dem Aufruf: „Also, lieber Helmuth, wollen wir uns mit Gottes Hilfe weiter durchbeten und durchglauben. Bleiben Sie fest, fest, fest! Sie können es auch, es wird nicht über die Kraft gehen, denn Gott ist doch mit uns.“661 Moltke nahm sich abermals die Worte Gerstenmaiers intensiv zu Herzen.662 Das zitierte Schriftstück ist nicht nur als erneutes Zeugnis von Gerstenmaiers fester Gottesbeziehung anzuführen, sondern auch als Nachweis dafür, dass die „Una Sancta in vinculis“ nach dem Urteil nicht zerbrach, sondern sich in Teilen sogar noch vertiefte. Dementsprechend gestaltete sich auch die letzte persönliche Begegnung zwischen Moltke und Gerstenmaier, die ihnen das Wachpersonal in Tegel im Geheimen arrangiert hatte. In dem anderthalbstündigen Gespräch im medizinischen Trakt der Haftanstalt legten sie alle wesentlichen Meinungsverschiedenheiten663 bei und nahmen dankbar Abschied von einander.664 Ab Moltkes Hinrichtung gestalteten sich die Tage in Tegel trostlos. Obwohl Gerstenmaier vom Wachpersonal überaus wohlwollend „wie ein rohes Ei“665 659 Ebd., 567. 660 „Ich denke z. B. an Jeremia 39,18–Schluss, oder an Hebr. 10,35 und 38/39, überh. Hebr. 11/12, vor allem aber an Röm. 4,18–22, wo Paulus ein gewaltiges Thema des ganzen A.T. aufnimmt und mit den immer wiederholten Aussagen Jesu verbindet, denken Sie nur – ich greife wahllos in die Fülle – an Luk. 5,12/13; Luk. 7,7–9; Matth 15,28 usw. Wobei ich gestehen muss, dass das alle Maße sprengende Wort Mark. 9,23 jedenfalls in seiner buchstäblichen Bedeutung auch jetzt noch meine Kraft übersteigt. Aber dafür müsste ich eigentlich Buße tun in Sack und Asche. Überhaupt – ich, der Theologe, ausgestattet mit allen Graden akademischer theol. Weisheit kann, nein darf jetzt nur mit Hiob sagen, was Hib 42, 5/6 steht. Das heiße ich das Wunder.“ (ebd.). 661 Ebd., 566 f. 662 Wie intensiv Moltke die Worte des Theologen beschäftigten, kann einem Brief Freyas an Moltke vom 19. 1. 1945 (Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 526) entnommen werden. Sie schrieb: „[…] ich möchte nicht, dass Eugen in der Glaubensfrage so an Dir zerrt. Was für Eugen gilt, den ich in seiner ganzen Haltung und Art sehr bewundere und liebe, der mir in diesen Monaten, ohne dass ich ihn sah, sehr ans Herz gewachsen ist, gilt noch lange nicht für dich. Damit will ich nicht sagen, dass ich an Deine Verheißung nicht glaube […].“ Freya verurteilte Gerstenmaier nicht, sondern war ihm sehr zugetan. Dies belegt ein Kassiber Freya Moltkes an Gerstenmaier vom 25. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3): „Gott befohlen, lieber Eugen! Ich liebe Sie und Brigitte sehr.“ 663 Vgl. dazu Kapitel 5.2.3. 664 Gerstenmaier, Streit, 222; und Brief Gerstenmaiers an Lilje vom 5. 1. 1948 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2). 665 Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 24. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 148). Auch in einem Brief vom 21. 1. 1945 schrieb Gerstenmaiers an seine Frau (ebd., 136): „Es

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behandelt wurde, ging der Verlust der Gemeinschaft mit Moltke und Delp nicht spurlos an ihm vorbei.666 Selbst Poelchau vermochte dies nicht zu kompensieren. Da Gott nach Gerstenmaiers Interpretation jedoch wolle, dass er „nicht stehen bleiben, sondern tapfer weiterpflügen“667 solle, kam er persönlich mit dem Gefängnisseelsorger und vor allem brieflich mit seiner Frau sowohl ins Gespräch als auch in einer neuen Art von kontemplativen Austausch zusammen. Dabei sprach er kontinuierlich von seiner erfahrenen Verheißung668 und entfaltete mit einem wachen Geist systematisch-theologische Abhandlungen.669 Darüber hinaus hinterfragte er auch die Zusammenhänge des gescheiterten Umsturzvorhabens.670 Wichtig für jene letzten Tage im Gefängnis in Tegel ist noch zu erwähnen, dass Gerstenmaier sich Gedanken über eine kirchliche Neuordnung machte. In diesem Zusammengang entwarf er eine Proklamation für die DEK und bat Wurm in einem Brief vom 20./ 22. Januar 1945 die Leitung der DEK zu übernehmen.671

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ist zum Lachen, wenn man sieht und erlebt, wie alle möglichen Leute ankommen und Wert darauf legen, mich ihrer Zuneigung, Sympathie, ja ihres Einverständnisses zu versichern.“ Dies belegt: „Ich kann mich zwar immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß Helmuth nicht mehr da ist […].“ (Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 28. 1. 1945. In: ebd., 152). Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 24. 1. 1945 (ebd., 145 f). Unter vielen brieflichen Belegen an seine Frau sei auf eine vom 28. 1. 1945 (ebd., 155) verwiesen: „Ich komme auf jeden Fall durch, weil Gottes Güte es nun einmal so beschlossen hat.“ Eine wesentliche „theologische Meditation […] von solcher Kraft und Tiefe“ (ebd., 82) ist dabei hervorzuheben. Am Sonntag, den 21. 1. 1945 schrieb er seiner Frau einen überaus langen Brief (vgl. ebd., 127–139). Einige Sätze seien an dieser Stelle hervorgehoben: „Ich erlebe daran, was ich ,theoretisch‘ schon lange wusste und auch vertrat, daß Gott uns erst die Augen auftun muss, um zu sehen, zu verstehen, zu begreifen was vor uns liegt, was uns umgibt, was uns gegeben ist.“ (ebd., 130); „Gott ist Geist, d. h. Er schafft und baut und durchspielt alle Dinge mit Ordnung, Sinn, Gestalt; Er waltet und fügt, Er bindet und löst – nach Seiner Ordnung, nach Seinem Gesetz.“ (ebd., 132); und „Es ist wahr, auch das habe ich mir oft sagen müssen in diesen Wochen: Unsere höchste Gottes Erkenntnis ist eine internationale Erkenntnis des Geistes im Geist aber gar nicht eine systematisch geordnete Auflösung der Welt- und Lebensrätsel.“ (ebd., 136). Die Kollektivschuldfrage spielte dabei eine wichtige Rolle: „Gott wollte es dem törichten und eitel und oberflächlich und feige gewordenen deutschen Volk nicht gestatten, daß es so leichten Kaufs davonkomme und deshalb straft Er uns nicht nur mit dem äußersten Wahnsinn dieses fluchbeladenen Tyrannensystems, sondern auch mit den Russen und dazu noch damit, daß Er uns die besten nimmt.“ (Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 24. 1. 1945. In: ebd., 147 f). Vgl. Brief Gerstenmaiers an Wurm vom 20./22. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/3); und Sch fer, Landeskirche, Bd. 6, 353 f. Zur weiteren kirchlichen Entwicklung und Gerstenmaiers Rolle bei der Gründung eines evangelischen Hilfswerkes vgl. Wischnath, Kirche, 40–319.

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5.5.3 Das Zuchthaus St. Georgen und die Befreiung Am 24. Januar 1945 sagte ein Wachtmeister noch zu Gerstenmaier, dass es wohl ein halbes Jahr dauern könne, bis er aus Tegel wegkomme.672 Eine gute Woche später wurde er am 2. Februar 1945 gemeinsam mit Glött in das Zuchthaus St. Georgen nach Bayreuth verlegt. Die Gefangenen bewältigten den Weg nach Bayern zunächst mit einem breitbauchigen Kohlenkahn, den sie auch „Arche Noah“ nannten, dann weiter in überfüllten Güterzügen und vom Bayreuther Güterbahnhof zu Fuß in die Anstalt.673 Gerstenmaiers Gefängnispersonalakte ist zu entnehmen, dass die Männer am 16. Februar 1945 im Zuchthaus St. Georgen eintrafen, der Theologe mit der Nummer 1382/44 geführt wurde und seine Unterbringung im Zellenbau der Anstalt I erfolgte. Die Aufnahmeverfügung wurde auf den 17. Februar 1945 datiert und der Anstaltsarzt stufte ihn nach seiner Ankunft in die Rasse ostisch-dinarisch mit dem Zusatz pyknisch ein.674 Das Zuchthaus St. Georgen bot eigentlich Platz für 1200 Gefangene. Zu jenem Zeitpunkt war es mit ungefähr 5000 Menschen aus mehreren Nationen vollkommen überbelegt.675 Auf dieser Grundlage befanden sich in den Einzelzellen auch mehrere Häftlinge gleichzeitig, sodass nicht nur eine unangenehme Situation entstand, sondern auch ein „lauter und rauer Ton“676 herrschte.677 Da zwischen kriminellen und politischen Gefangenen nicht wie in Tegel unterschieden wurde, sprach sich auch schnell herum, dass Gerstenmaier zu dem Kreis um Stauffenberg gehörte. In seinen Erinnerungen schrieb der Theologe, dass er von den kriminellen Mitgefangenen regelrecht umgarnt wurde, er es jedoch tunlichst vermied, sowohl vor den Mitgefangenen als auch vor der Anstaltsleitung über seine Vergangenheit zu berichten, da er befürchtete, zu einer bestimmten Kategorie von Gefangenen zu gehören, die angesichts des zügigen Vormarsches der Alliierten per Befehl Hitlers noch kurz vor Kriegsende hätten liquidiert werden können.678 Zu seiner guten Ausgangslage trug bei, dass die Akten aus Tegel nie in Bayreuth ankamen.679 672 Vgl. Brief Gerstenmaiers an seine Frau vom 24. 1. 1945 (Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 149). 673 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 223 f; und Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 160. In einem Artikel zum Thema „Ich war im Zuchthaus von Bayreuth“ in der Welt am Sonntag vom 11. 4. 1965 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-094/3) beschrieb er zudem den Transport nach Bayreuth sowie die Verfahrensweisen vor Ort. 674 Vgl. Personalakte Gerstenmaier des Zuchthauses St. Georgen in Bayreuth (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). 675 Vgl. Weinmann, Lagersystem, 216. Allgemein zum Strafvollzug während des Nationalsozialismus vgl. Mçhler, Strafvollzug, 9–302. 676 Gerstenmaier, Streit, 225. 677 Zur Situation im Zuchthaus St. Georgen 1945 vgl. Meyer, Götterdämmerung, 106–112. 678 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 226. 679 Vgl. Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 160.

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Da die Anstalt St. Georgen nicht nur ein Zuchthaus, sondern eben auch ein Arbeitshaus war, wurde Gerstenmaier zunächst der Anstaltsstrickerei zugeteilt. Dort musste er zunächst Strümpfe stopfen, wenig später eine Handstrickmaschine bedienen und dann an einem Handwebstuhl Tragegurte weben. Nach geraumer Zeit wurde er in die Anstalt II versetzt und zum Schreiber der Schlosserei berufen. Eintönig und stupide beschrieb er seine Tätigkeit dort: „Ich saß den ganzen Tag an einem kleinen Tischchen vor einer Liste, in der ich die Namen der zur Arbeit Angetretenen und die Krankenliste festzustellen hatte. Es war totlangweilig.“680 Anders als in Tegel schien in Bayreuth brieflicher Kontakt nach außen nicht möglich gewesen zu sein, da zum einen keinerlei Schriftstücke überliefert wurden sowie zum anderen Brigitte Gerstenmaier am 1. April 1945 in einem Brief an Wurm schrieb: „Von Eugen kann ich absolut nicht erfahren, wo er eigentlich ist.“681 Demnach konnte anscheinend auch Poelchau nicht in Erfahrung bringen, wohin Gerstenmaier verlegt worden war. Zudem konnte auch von einem kontemplativen Austausch in Bayreuth keine Rede mehr sein. Jedoch durften die Gefangenen Gottesdienste in der Gefängniskirche besuchen. Ein lutherischer Pfarrer predigte dort am Karfreitag und beschloss den Gottesdienst mit Fürbitten auf Reich und Führer. Gerstenmaier skizzierte seine Reaktion auf diesen Gottesdienst in einem späteren Brief. Demnach habe er sich im Anschluss zum Pfarrer „vorführen zu lassen, um ihm zu sagen, er möge politische Gefangene von der Mitnahme zum Führergebet verschonen, das übersteige das, was diesen Leuten zugemutet werden könne und der Würde des Gebets angemessen sei.“682 Obwohl sich Gerstenmaier während seiner Zeit in Bayreuth zurückhaltend verhielt, schien er in dieser Situation nicht anders zu können, als dem Pfarrer seine Position zum Fürbitteninhalt deutlich zu machen. Als am 14. April 1945 Bayreuth von amerikanischen Militärverbänden erobert wurde, hatte das lange Warten ein Ende. So erinnerte sich die Mitgefangene Dörthe Winter, dass Gerstenmaier an jenem Tag durch die Anstalt lief und rief: „Ihr seid frei.“683 Alle Gefangenen verließen das Zuchthaus. Ein Schriftstück des Liberated House of Correction Bayreuth vom selbigen Tag bestätigte, dass Häftling 1382/44 von der amerikanischen Armee befreit wurde und „jetzt wieder freier deutscher Bürger“684 sei. Gerstenmaier erinnerte sich, dass sich schnell kleine Grüppchen bildeten. Da die Befreiten Angst vor herumziehenden SS-Kommandos hatten, liefen sie eine Zeit lang mit einer amerikanischen Einheit mit. Kurz darauf saß er jedoch wider Erwarten im 680 681 682 683 684

Gerstenmaier, Streit, 227. Brief Brigitte Gerstenmaiers an Wurm vom 1. 4. 1945 (LKAS D1 Best.-Nr. unverz.). Brief Gerstenmaiers an Stahl vom 5. 6. 1978 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-041/2). Zit. nach Kenkmann, Kontakthalten, 73. Schriftstück des Liberated House of Correction Bayreuth vom 14. 4. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/2).

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Zuchthaus ein, da auch die Amerikaner zunächst nichts mit den ehemaligen Häftlingen anfangen konnten.685 Zurück in der Anstalt wurde Gerstenmaier gebeten, einen Dank- und Befreiungsgottesdienst für die auf Heimreisegelegenheit Wartenden zu halten. Da die Gefängniskirche zu klein für die vielen ehemaligen Häftlinge war, wurde mit einem Plakat unter dem Titel „Erster evangelischer Gottesdienst nach der Befreiung“686 für Sonntag, den 29. April 1945 um 9 Uhr in den Markgrafensaal der Anstalt II eingeladen. Die Predigt sollte Gerstenmaier halten. Unter welchen Modalitäten er zu dieser Möglichkeit kam, ist nicht überliefert. Zu vermuten ist, dass er sich bereitwillig als Mithäftling und ordinierter Pfarrer zur Verfügung stellte, denn schließlich – wie die Briefe an seine Frau aus Tegel zeigen – hatte er seine Freude an der biblisch-systematischen Exegese nicht verloren. Obwohl er seit seinem Vikariat keine homiletischen Aufgaben mehr wahrgenommen hatte, kam er dieser Aufgabe offenbar gern nach. Entsprechend bewusst wählte er einen Predigttext aus dem letzten Kapitel des Buches Hiob aus. Die beeindruckende Auslegung dazu lässt sich als ein Querschnitt seiner religiösen Erfahrungen wahrnehmen und muss deshalb an dieser Stelle näher in den Blick genommen werden.687 Gerstenmaier begann seine Predigt mit einer knappen Ansprache an die versammelte Gemeinde, in der er die ereignisreichen letzten Tage zwischen Ende und Beginn zusammenfasste sowie einlud, die Augen auf ein neu aufzuschlagendes Kapitel der Weltgeschichte zu richten.688 Er teilte seine Predigt in drei Teile ein, in deren Mittelpunkt der biblische Text aus Hiob 42, 1–2 und 5–6 stand: „Und Hiob antwortete dem Herrn und sprach: Ich erkenne, daß du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. Ich hatte von dir mit den Ohren gehört; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“689

Anhand des ausgewählten Predigttextes lässt sich Gerstenmaiers religiöse Entwicklung nach dem 20. Juli 1944 zwischen Verheißung, Erkenntnis und entsprechendem Handeln trefflich spiegeln. Der erste Predigtteil widmete sich noch primär den Entbehrungen der letzten Jahre sowie der Trauer um die unzähligen Toten, die auf den Schlachtfeldern und im Widerstand gegen die Tyrannei gefallen oder ermordet worden waren. Zudem verstand Gerstenmaier die nun gewonnene Freiheit als Chance, die Zukunft unter anderen Maßstäben zu gestalten.690 685 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 230. 686 Plakat über die Gottesdienstankündigung (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3). 687 Die Predigt über Hiob 42, 1–2 und 5–6 Gerstenmaier vom 29. 4. 1945 ist im Anhang als Dokument VII abgedruckt. 688 Vgl. Gerstenmaier, Reden, Bd. 1, 25 f. 689 Ebd., 25. 690 Vgl. ebd., 26–29.

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Daran fügte sich der zweite Teil der Predigt an, in dem er nun auf Hiob und dessen „tiefe Gotteserkenntnis“691 einging. Der Protagonist des Buches musste erst durch die Tiefen des Lebens gehen, um alle resignierende Weltdistanz zu überwinden. Erst durch „alle Feuer der Verzweiflung“692 habe Hiob Gottes Wirklichkeit erfahren. Mit jener Erkenntnis sei ihm der ewige „Sinn der Weltgeschichte und des Menschen“693 sichtbar geworden. Da in diesen Tagen nun auch mit den Pfeilern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die Weltanschauung des Regimes zusammengebrochen sei, habe nach Gerstenmaiers Auslegung Gottes stille Gewalt einen Sieg errungen. Mit „Was wir nicht zu tun vermochten, Gott hat es getan“694 versuchte der Theologe zu zeigen, was der Betrachter des Hiobwortes erkennen möge und appellierte: „Wir sind nicht nur Leidgeprüfte, wir sind Tiefbeschenkte, denn jeder Tag unserer Freiheit, jede Stunde unseres neugewonnenen Lebens tut uns kund: Gott lebt!“695 Damit richtete Gerstenmaier den Blick ganz auf Gottes geschichtlich wirkende Macht und ließ die Klimax seiner Predigt im dritten Teil kulminieren. Die biblische Botschaft bündelte er im Spiegel Hiobs in der dreistufigen Erkenntnis: „Gott ist für uns! Gott ist für den Menschen! Gott ist für die Welt!“696 Gott solle deshalb weniger theoretisiert, spintisiert und diskutiert werden, da er „unserem Lebens innewerden“697 wolle. Wie Hiob bewies, führe Gottes Weg und seine Liebe nicht immer nur über Höhen, sondern auch in Abgründe zwischen Tod und Teufel.698 An dieser Stelle ließ Gerstenmaier einen breiten Interpretationsspielraum für die versammelte Gemeinde offen, in dessen Raum sich die Befreiten selbst verorten konnten. Die Buße stand am Ende von Hiobs Gotteserkenntnis, die nun auch für das neu aufzuschlagende Kapitel der Weltgeschichte gelten möge.699 Den Kern seine Predigt führte der Theologe zum Ende hin noch einmal in folgendem Satz zusammen: „In dieser kampfdurchtobten Welt und in dem arbeitsreichen Leben, das uns erwartet, werden wir das uns aus Gottes Güte neu geschenkte Leben erst wahrhaftig gewinnen und vollenden, wenn wir es nicht mehr aus Kopf und Herz und Sinnen lassen: ,Gott ist!‘ Und: ,Gott ist für uns!‘“700

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Gerstenmaier seine homiletischen Ausführungen eng an seine eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus 691 692 693 694 695 696 697 698 699 700

Ebd., 29. Ebd., 30. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 31. Ebd. Vgl. ebd., 32 f. Vgl. ebd., 34. Ebd.

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Zwischen Beruf und Berufung

der Gefängniszeit knüpfte. Zu der brieflich-kontemplativen Korrespondenz mit seiner Frau können dazu viele Parallelen in der Wortwahl und im Inhalt gezogen werden.701 Die ihm widerfahrene Verheißung bestimmte sein Denken und Handeln nachhaltig, was die Predigt wiederum eindrücklich belegt.

5.6 Die unmittelbare Bewertung des Widerstandes „Mein lieber Freund, Du siehst: Gott will, dass ich lebe. Und er erlaubt mir anscheinend sogar wieder bälder zu arbeiten […].“702 Mit diesen persönlichen Worten leitete Gerstenmaier einen Brief vom 26. Mai 1945 an seinen ehemaligen Lehrer aus Zürich, Emil Brunner, ein und charakterisierte damit seinen damaligen Zustand in „meiner einstweiligen Bleibe“703, dem Zuchthaus in Bayreuth. Auf der einen Seite lässt sich aus den Zeilen deutlich Gerstenmaiers Freude über die ihm widerfahrene Verheißung entnehmen.704 Auf der anderen Seite betonte der Theologe, wie wichtig es ihm sei, bald wieder seine Arbeit aufnehmen zu können. Doch was bedeutete das? Eine Rückkehr in das KA nach Berlin? Eine Fortsetzung seiner ökumenischen Tätigkeit? Weder noch. Gerstenmaiers Gedanken und Planungen stützen sich ganz und gar auf die noch zu definierende Hilfstätigkeit der DEK in der Nachkriegssituation. In seinem Bericht zum Umsturzversuch vom 2. Mai 1945 betonte er bereits die Notwendigkeit, dass die zivile Verwaltung schnell wieder aufgebaut werden und die Kirche als öffentliche Institution dabei eine wichtige Rolle spielen müsse, um einer „totalen Proletarisierung und damit der Gefahr eines gespenstischen Nihilismus“ entgegenwirken zu können. Weiter hieß es: „Nur auf dem Grund einer inneren Erneuerung, einer echten Rechristianisierung wird es für uns Deutsche eine Zukunft geben.“705 Gemäß den Kreisauer Visionen setzte sich Gerstenmaier bereits während seiner Zeit im Gefängnis – sowohl in Tegel als auch in Bayreuth – mit der Frage auseinander, wie man aus der persönlichen Verantwortung heraus, die sein christliches Selbstverständnis nachhaltig prägte, zu kirchlichen Selbsthilfeaktionen kommen könne und wie diese wirkungsvoll zu koordinieren seien.706 Poelchau erklärte später, dass jene Planungen schon „in der Zelle in BerlinTegel“707 begonnen hätten. In diesem Zusammenhang hatte sich Gerstenmaier im Januar 1945 auch brieflich an Wurm gewandt und ihm sowohl seine Ideen 701 702 703 704 705

Vgl. Kapitel 5.5.2. Brief Gerstenmaiers an Brunner vom 26. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-031/1). Ebd. Vgl. Kapitel 5.4.2 und 5.5.2. Gerstenmaiers Artikel „Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944“ vom 23. und 24. 6. 1945 in der NZZ (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). 706 Ebd. 707 Zit. nach Wischnath, Kirche, 40.

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zur kirchlichen Hilfstätigkeit unterbreitet als auch ihn um die Übernahme der DEK-Leitung gebeten.708 In Bayreuth festigten sich seine Überlegungen weiter. Gute sechs Wochen nach der Befreiung traf Gerstenmaier im Hof des Zuchthauses nun auf einen Delegierten vom internationalen Komitee des Roten Kreuzes aus Genf, den er bereits während seiner zwischenkirchlichen Arbeit für das KA kennengelernt hatte, und trug ihm seine Ideen vor. Jean Pfeiffer709 bot dem Theologen darauf hin an, ihn mit in die Schweiz zu nehmen, um dort mit dem ÖRK darüber sprechen zu können. Daraufhin wandte sich Gerstenmaier an Adolf Keller und schrieb: „Ich kann Ihnen nicht sagen, mit welcher Freude ich die Gelegenheit ergreife, in den Mittelpunkt unserer gemeinsamen Arbeit zurückzukommen und die Möglichkeit zu haben einige Grundfragen unserer zukünftigen Arbeit mit Ihnen und den anderen Herren in Genf besprechen zu können. […] Noch weiss ich nichts von meiner Familie, aber ich betrachte es als Geschenk Gottes, dass er mich der Arbeit wiedergeben will.“710

Aus dem Brief geht weiter hervor, dass er mit Hilfe Pfeiffers einen Wehrpass und einen Passierschein von der amerikanischen Militärregierung in Bayreuth erhalten habe, mit dem er am 2. Juni 1945 die Grenze zur Schweiz passieren wolle. So geschah es auch. In Zürich wurde Gerstenmaier sowohl von Schönfeld als auch von Brunner überaus herzlich in Empfang genommen.711 In enger Verbundenheit mit Wurm712 kam er in den folgenden Wochen mit dem ÖRK in Genf über die deutsche Wiederaufbauarbeit sowie die Gründung eines deutschen evangelischen Hilfswerkes ins Gespräch.713 In diesem Zusammenhang wandte er sich auch an Preysing, um katholische Parallelplanungen zu motivieren.714 Im selben Zeitraum kam es darüber hinaus zu einer ersten Bewertung des deutschen Widerstandes durch Gerstenmaier selbst und wiederum zu einer Bewertung seiner Bewertung. 708 Vgl. Brief Gerstenmaiers an Wurm vom 20./22. 1. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210005/3). 709 Gerstenmaier gab in seinen Erinnerungen an, dass es sich dabei um Jean Koester handelte (vgl. Gerstenmaier, Streit, 232). Aus den zeitgenössischen Briefen ist jedoch zu entnehmen, dass es sich um Jean Pfeiffer handelte. 710 Brief Gerstenmaiers an Keller vom 26. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1). 711 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 232 f. 712 Wie eng Gerstenmaier mit Wurm verbunden war, belegt bspw. ein Brief Gerstenmaiers an Berg vom 1. 6. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1), in dem er ihn bat, dem württembergischen Landesbischof auszurichten, dass er (1) „mit aller Energie“ an Grundlagen politischer und praktischer Art für das Hilfswerk der DEK in Genf arbeite; er (2) die Neuordnung der DEK mit einer möglichen deutschen militärischen Zentralverwaltung klären wolle; und er (3) von Genf nach Stuttgart fahren wolle. 713 Zu den Inhalten vgl. Wischnath, Kirche, 40–42. 714 So schrieb Gerstenmaiers an Preysing am 18. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210036/1): „Zusammen mit deutschen und ausländ. Freunden versuche ich hier die ersten Voraussetzungen für ein deutsches Hilfswerk zu schaffen, das auf dem Gedanken der Selbsthilfe stehend einen Ausgleich […] schaffen will […].“

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Der Ökumenische Pressedienst (ÖPD) hatte am 18. Juni 1945 zu einer Pressekonferenz nach Genf geladen, auf der Gerstenmaier erstmals einer breiten internationalen Öffentlichkeit als Überlebender des 20. Juli 1944 vorgestellt wurde. In dem Vortrag mit anschließender Aussprache rezipierte er maßgeblich seinen ersten Bericht vom 2. Mai 1945715 und baute diesen weiter aus. Biografisch skizzierte er dabei chronologisch und detailreich, wie er in den deutschen Widerstand kam und sowohl die Vorbereitungen als auch die Auswirkungen des missglückten Staatsstreiches selbst mittrug. Im direkten Anschluss an die Pressekonferenz wurde Gerstenmaier vom federführenden Auslandsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Albrecht Müller, angesprochen, der seine persönlichen Darlegungen gern veröffentlichen wollte.716 Wenig später erschienen am 23. und 24. Juni 1945 Gerstenmaiers Ausführungen unter dem Titel „Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944. Ein Bericht von Konsistorialrat Dr. theol. Eugen Gerstenmaier“ als zweiteiliger Beitrag in der NZZ.717 Der Artikel wurde in seiner Gesamtheit sowohl im Ausland als auch in Deutschland vielfach nachgedruckt.718 Zu dessen Wirkung war es nach Klemperer „zweifellos eine Stilfrage, ob Gerstenmaier recht daran getan“719 hatte, seine eigene Person derart in den Mittelpunkt der Ereignisse zu stellen und damit eine entsprechende Auseinandersetzung geradezu herauszufordern. Aufbauend auf Klemperers Einschätzung muss jedoch festgestellt werden, dass Gerstenmaier in dem Bericht neben den innerkirchlichen Auseinandersetzungen zwischen 1933 und 1935 vor allem die konspirativen Verbindungen im deutschen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges zu skizzieren versuchte. Da er dies freilich aus seiner Perspektive und seinem – bei weitem nicht umfassenden – Wissen heraus tat, flossen dementsprechend auch mehr oder weniger eigene Impulse seines Engagements innerhalb dieser Auseinandersetzungen und Verbindungen als Rechtfertigung seines Handelns gegen den Nationalsozialismus mit ein. Von einer Selbstinszenierung oder gar Selbstheroisierung kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein, sondern eher von einem persönlichen Erlebnisbericht. Der Veröffentlichung in der NZZ folgte eine publizistische Debatte, die 715 Vgl. Gerstenmaiers „Bericht: Umsturzversuch 20. Juli 1944“ vom 2. 5. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-009). Den Bericht hatte er auf Anraten der amerikanischen Militärregierung in Bayreuth angefertigt. 716 Vgl. Gerstenmaier, Streit, 236; und den Dankesbrief Gerstenmaiers an Müller vom 21. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). 717 Vgl. Gerstenmaiers NZZ-Artikel „Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944“ vom 23. und 24. 6. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). 718 Aus einem Brief Gerstenmaiers an Rudolf von Ekesparre vom 22. 9. 1949 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1) geht hervor, dass der Artikel im Rahmen der britischen Gefangenen-Betreuung Verwendung fand: „Die Engländer haben damit offenbar in ihren Kriegsgefangenen- und politischen Lagern Aufklärung zu geben versucht.“ Zudem wurde der Artikel vom Chefredakteur der Konstanzer Zeitung in Broschürenform nachgedruckt. 719 Klemperer, Verschwörer, 390.

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ihren Fokus auf die generelle Deutung der Rolle Gerstenmaiers im deutschen Widerstand legte und deshalb abschließend noch von Interesse ist. Jener von Johannes Michael Wischnath so bezeichneten „Pressefehde“720 sind eindrucksvoll verschiedene Interpretationsansätze über Gerstenmaiers Person sowie sein Wirken zwischen 1933 und 1945 zu entnehmen. Im Folgenden werden drei wesentliche Beurteilungen im Nachgang der Pressekonferenz des ÖPD im Mittelpunkt stehen: die von Arthur Frey, dem Leiter des Evangelischen Pressedienstes in der Schweiz (EPD); die von Karl Barth, der als Professor für Systematische Theologie in Basel internationales Ansehen genoss; und die von Emil Brunner, der als Lehrstuhlinhaber für Systematik in Zürich ebenso zu internationaler Bekanntheit gekommen war. Den Aufschlag machte Frey am 27. Juni 1945 mit einer Meldung im EPD unter dem Titel „Merkwürdige Berichterstattung“. Darin reagierte er unmittelbar auf den Bericht in der NZZ und setzte sich kritisch mit Gerstenmaier auseinander. Demnach habe der Theologe so getan, als ob er schon immer ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei. Mit Verweis auf dessen zwielichtige Tätigkeit im KA schrieb er weiter: „Das Gegenteil ist der Fall.“721 Seine plakativen Aussagen steigerte er mit einer weiteren Meldung des EPD am 11. Juli 1945. Unter dem Titel „Zum Bericht Gerstenmaiers“ betonte der Journalist erneut, dass Gerstenmaier als Mitarbeiter des KA „keine Glaubwürdigkeit“722 zukommen könne. Er bezichtigte ihn gar der Verfälschung und fragte, wie es ihm nur gelungen sei, die NZZ „mit diesen Berichten so hereinzulegen?“723 In einem ähnlichen Duktus reagierte auch Barth auf Gerstenmaiers Ausführungen mit zwei umfangreichen Beiträgen. Dabei kann der erste Artikel unter dem Titel „Der Bericht Dr. Gerstenmaiers“ vom 1. Juli 1945 in der NZZ noch als harmlos gewertet werde, da dieser fast keine Wertungen beinhaltete, sondern vordergründig auf den deutschen Widerstand an sich einging und anerkannte, dass „im deutschen Volk Kräfte lebendig waren, die sich der passiven Identifizierung mit dem nationalsozialistischen Regime widersetzten.“724 Lediglich die von Gerstenmaier verwendete Bezeichnung „Energien des Widerstandes“725 nahm Barth mehrfach kritisch auf, jedoch ohne dabei über dessen Rolle während des Nationalsozialismus zu urteilen. Dies änderte sich schlagartig in seinem zweiten Artikel vom 12. Juli 1945.726 Unter dem Titel „Neueste Nachrichten zur neueren deutschen Kirchengeschichte“ ging er im 720 721 722 723 724

Wischnath, Kirche, 41. Meldung des EDP vom 27. 6. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). Meldung des EPD vom 11. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). Ebd. Barths Artikel „Der Bericht Dr. Gerstenmaiers“ vom 1. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-010). 725 Ebd. 726 Vgl. Barth, Nachrichten, 216–218. Ernst Wolf druckte den Artikel 1956 in der Reihe „Theologische Existenz heute“ erneut ab (vgl. ders., Kirchenkampf, 84–89).

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Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz erneut auf Gerstenmaiers Bericht in der NZZ ein und definierte diesen als „Selbstdarstellung“727. So konstatierte er weiter: „was zu viel ist, ist zu viel – [deshalb] gedenke ich nicht zu schweigen.“728 Barth meinte nun Gerstenmaiers Position im Widerstand richtig stellen zu wollen und begann argumentativ direkt damit, dass es der „Verschwörerlaufbahn Gerstenmaiers […] an Dunkelheiten und Unwahrscheinlichkeiten“729 nicht zu fehlen schien. Er habe den Namen Gerstenmaier im Zusammenhang mit den kirchlichen Auseinandersetzungen sowie dem Widerstand nie gehört und fordere deshalb Beweise für seine Behauptungen. Damit stellte Barth, der den deutschen Kirchenkampf bis zu seiner Emigration in die Schweiz 1935 maßgeblich mitbestimmt hatte,730 Gerstenmaiers Ausführungen klar infrage. Darüber hinaus kam er auf die kirchlichen Verbindungen zur nationalsozialistischen Ausschusspolitik zu sprechen.731 Diese seien ein „üble[r] Versuch“ gewesen, die BK zu einem „faulen Frieden“732 mit den DC zusammenzubringen. Als Mitarbeiter Heckels habe Gerstenmaier im KA daran einen entscheidenden Anteil gehabt. Besonders kritisch hob Barth den von Gerstenmaier 1937 herausgegebenen Sammelband „Kirche, Volk und Staat“733 hervor. Dieses Buch spiegele die „Leistungen eines Vereins von Schlangenkünstlern“ wider, die eine „wohlberechnete theologische Werbeschrift für das Dritte Reich zu liefern wussten.“ Im Unterschied zu den leidenden bekenntnistreuen Pfarrern und Gemeinden seien es diese „christlichen Schlangenkünstler“ gewesen, die seiner Meinung nach für das „Heraufkommen und für die zwölfjährige Erhaltung des Dritten Reiches […] nicht in letzter Linie verantwortlich zu machen sind.“734 Dementsprechend widersprach Barth der Darstellung Gerstenmaiers auf „das bestimmteste“735 und ließ seine Polemik gegen ihn in folgendem Satz kulminieren: „Die deutsche evangelische Kirche ist jetzt in eine merkwürdige Zeit eingetreten. Der grobe (und dumme) Teufel ist mit Gestank abgegangen. Die Stunde des feinen (und klugen) Teufels scheint angebrochen: die Stunde der grossen verkannten 727 Barths Artikel „Neueste Nachrichten zur neueren deutschen Kirchengeschichte“ vom 12. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-033/1). 728 Ebd. 729 Ebd. 730 Vgl. bspw. seine Rolle bei der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 bei Schneider, Barmen, 40–63. 731 Vgl. dazu Kapitel 4.1.1 und 4.2. 732 Barths Artikel „Neueste Nachrichten zur neueren deutschen Kirchengeschichte“ vom 12. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-033/1). 733 Vgl. dazu Kapitel 4.3.2. 734 Barths Artikel „Neueste Nachrichten zur neueren deutschen Kirchengeschichte“ vom 12. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-033/1). 735 „Dass er ausgerechnet in der Ecke, wo das Gegenteil alles kirchlichen Bekennens und Handelns geradezu Prinzip war, die Kirche gerettet haben will, das ist eine Behauptung, der hier, ob es da oder dort gefällt oder nicht, auf das bestimmteste widersprochen werden muss.“ (Ebd.).

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Antinazis, Bekenner, Helden und Beinahe-Märtyrer, die Stunde der glänzenden Alibis – die Stunde, wo der alte theologisch-kirchlich-politische Essig (womöglich unter dem Segen ahnungsloser alliierter Besatzungsbehörden, offenbar unter dem Segen der ökumenischen Bewegungen und sicher sub specie aeternitatis) eilig, geschickt und fromm, statt weggeschüttet, aus der dritten in die vierte Flasche umgegossen werden soll. Wer das gutheisst, der bewundere, propagiere, fördere und pflege – in Deutschland selbst oder von der Schweiz aus – den Typus Eugen Gerstenmaier.“

Wenngleich einer kritischen Betrachtung von Gerstenmaiers Ausführungen in der NZZ nicht widersprochen werden kann, so muss auf Barths dargelegte Bewertung mit den Worten von Otto Dibelius geantwortet werden: „Der Artikel war böse und ungerecht.“736 Barth ging im scharfen, teilweise sogar aggressiven Ton gegen Gerstenmaier vor. Im Vergleich der beiden Beiträge des Baseler Systematikers wird ersichtlich, dass Barth seine Meinung von dem einen zu dem anderen Artikel über Gerstenmaier grundlegend änderte; bzw. nicht mehr zu schweigen gedachte, weil er seine Art der Wahrheit nun kundtun müsse. Festzustellen ist dabei, dass Barth weniger gegen Gerstenmaier selbst vorzugehen schien, sondern vor allem gegen das KA und die kirchenpolitische Offenheit des RELKD gegenüber der nationalsozialistischen Ausschusspolitik.737 Aus diesem Grund fielen in Barths zweitem Artikel auch die Namen Heckel, Zoellner und Wurm im durchaus kritischen Zusammenhang. Aufgrund des NZZ-Artikels konzentrierte sich nun alle Polemik Barths auf Gerstenmaier. In dem KA-Mitarbeiter personifizierten sich für ihn alle kirchenpolitischen Fehler der DEK zwischen 1933 und 1945. Ihn machte Barth zum Spiegel und teilweise auch Grund der kirchlichen Probleme während der nationalsozialistischen Zeit. Damit forderte Barth indirekt auch, dass im Rahmen der neu zu bauenden deutschen Kirche kein Platz für Gerstenmaier aufgrund seiner Verfehlungen sein dürfe. Betrachtet man nun wiederum Barths Ausführungen kritisch, dann wird schnell klar, dass er Gerstenmaier und dessen Aversionen gegen den Dahlemer Flügel der BK aus seiner zwischenkirchlichen Arbeit wohl kannte, ihn jedoch weder im Rahmen des lutherisch geprägten BK-Flügels verortet hatte noch ihm die Beteiligung an widersträndigen Gedanken und Handlungen gegen den Nationalsozialismus zugestand. Seine Echauffiertheit über den angeführten Band für die Oxforder Weltkirchenkonferenz belegt dies. Zwei weitere Gründe lassen sich nennen, warum Barth so negativ auf Gerstenmaier reagierte. Auf 736 Zit. nach Schlabrendorff, Gerstenmaier, 44. 737 Zu diesem Zusammenhang sagte Heckel später in einer Vernehmung durch Langrehr vom 14. 4. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025) aus: „Karl Barth vertrat die These, dass der Weg von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck notwendig zu Adolf Hitler führte. Luthers Theologie und das Luthertum trügen für diese autoritäre Staatsauffassung und das moderne Heidentum in ihr die Verantwortung. Nach dieser verzerrten Geschichtskonstruktion könnten in der Tat alle Lutheraner, die in ihrer Sozialethik von Luther bestimmt sind, als Nationalsozialisten angesehen werden.“

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der einen Seite war Gerstenmaier ein theologischer Schüler und zugleich enger Freund von Brunner. Es ist so zu vermuten, dass Barth über Gerstenmaier den bestehenden theologischen Disput auf einer anderen Ebene fortzusetzen gedachte, den die beiden Lehrstuhlinhaber seit geraumer Zeit miteinander führten.738 Auf der anderen Seite kann auch gemutmaßt werden, dass Barth auf Gerstenmaier schlecht zu sprechen war, da dieser den Baseler Theologen im Rahmen seiner wissenschaftlichen Qualifikationsschriften mehrfach wegen seiner Theologie kritisiert hatte.739 Gerstenmaiers Reaktion auf Barths kulminierende Wut erging nicht öffentlich, sondern privatschriftlich an Müller. Am 21. Juli 1945 schrieb er dem NZZ-Redakteur, dass er Barths Artikel zwar für eine „skandalöse Sache“740 halte, jedoch im gleichen Stil nicht darauf antworten wolle.741 Unter dem Titel „Zum Zeugnis für Dr. Gerstenmaier“ publizierte Brunner an seiner Statt in der Sonntagsausgabe der NZZ vom 22. Juli 1945 wiederum einen Artikel, in dem er ausführlich auf die Beurteilungen von Frey und Barth einging. Er fühle sich „genötigt, gegen diese Art von leichtfertigen Journalismus Verwahrung einzulegen und als Zeuge für Dr. Gerstenmaier aufzutreten.“742 Und so kritisierte der Theologe aus Zürich, dass die Anprangernden Gerstenmaier persönlich überhaupt nicht kannten, er ihm hingegen in den „letzten Jahren sehr häufig und ausführlich“ begegnet sowie in „sein theologisches, kirchliches und politisches Denken eingeweiht“743 gewesen sei.744 So hatte er auch Kenntnis von 738 Vgl. dazu Kapitel 2.2.3. 739 Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2. 740 Brief Gerstenmaiers an Albrecht Müller vom 21. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-010). 741 Weiter schrieb Gerstenmaier: „Ich habe Barth nie gesehen, er mich auch nicht. Seine Theologie halte ich für ein Verhängnis, seine Kenntnis des deutschen Kirchentums in den letzten 10 Jahren für mehr als oberflächlich, seine Prätentionen geschmacklos, seine Kirchenpolitik für genau ebenso unqualifiziert wie seine ,Freies Deutschland‘-Politik. Von der Abwesenheit nicht nur jeder persönlichen Vornehmheit, sondern auch jeden Gewissens in diesem Kirchenblattaufsatz ganz zu schweigen. – Das möchte ich einstweilen aber nicht in die Öffentlichkeit tragen, sondern nur sagen, dass ich selbstverständlich zu jedem von mir veröffentlichten Wort als der nackten Wahrheit stehe. Es gibt genug Zeugen in der Welt, die nicht um meiner blauen Augen, sondern um der historischen Richtigkeit wie um der sittlichen Wahrheit willen das bestätigen müssen. Fragen Sie einmal Brunner.“ (Ebd.). 742 Brunners Artikel „Zum Zeugnis für Dr. Gerstenmaier“ vom 22. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-033/1). 743 Ebd. 744 Schreiner bestätigte diesen Sachverhalt später im Rahmen seiner Vernehmung durch Langrehr vom 10. 10. 1960 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025) und sagte: „[…] und auch ich habe ihn [Barth] 1946 besucht und dabei feststellen müssen, daß er über die wirklichen Verhältnisse in der BKvöllig unorientiert war. Gerade daß er erklärte, er habe Dr. Gerstenmaier nicht gekannt, beweist, wie wenig Beziehungen er zur BK in Deutschland hatte. Dr. Gerstenmaier hat die Theologische Fakultät in Rostock, die geschlossen zur BK gehörte, nach Kräften unterstützt und ging mit seinen Anschauungen mit uns dadurch konform. Den Theologen Emil Brunner halte ich für weitblickender und nicht so einseitig wie Barth, der eingeschworen war auf die Dahlemiten.“

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dessen persönlicher Beteiligung an den Vorbereitungen der Umsturzbewegungen und könne für Gerstenmaier einstehen. Er sei der „einzige protestantische Theologe und Kirchenmann [gewesen], der den nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich gefährlichen Weg ging“745. Im weiteren Verlauf des Artikels arbeitete Brunner heraus, wie sich die Unterscheidung zwischen dem Dahlemer Flügel der BK und den anderen Widerstand leistenden Kräften im Deutschen Reich gestaltete. Im Gegensatz zu der von ihm so bezeichneten Niemöller-Gruppe, deren Einstellungen auch Barth und Frey teilten, war Gerstenmaier gemeinsam mit seinen Freunden bewusst, dass man gegen das System nicht nur predigen und protestieren dürfe, sondern „dass man alles tun müsse, um diesem Untier den Kopf abzuschlagen und so zu retten, was zu retten war, vor allem um die Kirche vor der geplanten Ausrottung zu retten – nach diesem Entschluss war es doch wohl klarste Selbstverständlichkeit, dass man nicht, gleichzeitig mit der Vorbereitung des Umsturzes, sich in den offenen Kirchenkampf begeben konnte.“746

Heimlichkeit und bewusste Tarnung hatten demnach oberste Priorität, um die Überzeugungen der Männer Wirklichkeit werden zu lassen. Von einer übermäßigen Ichbezogenheit und Tatsachenfälschung könne bei Gerstenmaier keine Rede sein. Leidenschaftlich sprach sich Brunner für die „Ehrenrettung des tapferen Gerstenmaier“ aus747 und befürwortete seine Mitwirkung an der kirchlichen Wiederaufbauarbeit mit den Worten: „Denn sein ganzes Herz gehört, nachdem der politische Drachenkampf vorbei ist, ganz und gar der Sache des Evangeliums.“748 Eindrücklich bezog Brunner in seinem Artikel für Gerstenmaier aktiv Stellung.749 Das Denken und Handeln des Theologen zwischen 1933 und 1945 wurde auch über die „Pressefehde“750 zwischen Frey, Barth und Brunner hinaus immer wieder bewertet und musste entsprechende Rechtfertigung erfahren. Abschließend sei jedoch noch einmal mit Wurm gesprochen. Der 745 Brunners Artikel „Zum Zeugnis für Dr. Gerstenmaier“ vom 22. 7. 1945 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-033/1). 746 Ebd. 747 „Ich schäme mich gerade zu, für diesen Mann als Zeuge auftreten zu müssen. Bedarf wirklich einer, der alles, nicht nur sein, sondern auch das Leben seiner Familie, wirklich während Jahren aufs Spiel gesetzt hat im Kampf gegen das grösste Unrecht der Weltgeschichte – der Mann, der mit dem Psalmwort: ,Ich weiss, ich werde leben und nicht sterben und des Herrn Worte verkünden.‘, unzählige Foltern durchgestanden hat, ohne einen Namen preiszugeben, eines Advokaten? Könnte er sich selbst verteidigen, so hatte er keinen nötig und wird auch keine nötig haben, sobald einmal der Verkehr wieder normal sein wird. Bis dahin aber scheint es – unbegreiflicherweise, leider – nötig, ihn gegen leichtfertige Verdächtigungen und Verunglimpfungen in Schutz zu nehmen.“ (Ebd.). 748 Ebd. 749 Die beiden Freunde kamen über Barth immer wieder ins Gespräch. Vgl. dazu den Brief Gerstenmaiers an Brunner vom 29. 8. 1946 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-031/1); sowie den vom 7. 7. 1948 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-035/1). 750 Wischnath, Kirche, 41.

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württembergische Landesbischof antwortete am 10. August 1945 auf einen Brief von Niemöller, in dem dieser Gerstenmaier als einen „Vertreter der Kerrlschen Kirchenausschuß-Politik“751 bezeichnet hatte, mit den folgenden Ausführungen: „Ein Wort möchte ich noch für Gerstenmaier einlegen. Er ist von Barth wirklich ungerecht beurteilt und behandelt. Man darf ihn nicht lediglich nach seiner Mitwirkung bei Zoellner beurteilen, sondern muss hinzu nehmen, daß er zu seinem Chef Heckel im scharfen Gegensatz stand und daß er gerade das, was Barth forderte, Bekämpfung des Hitlertums auch mit politischen Mitteln, mit äußerstem Einsatz ausgeführt hat. Es mag wohl sein, daß seine Äußerungen in Genf zur Kritik Anlaß gaben; ich kenne sie nicht. Er hat Urwüchsiges und Derbes an sich, aber er ist ein ernstzunehmender Mann.“752

751 Brief Niemöllers an Wurm vom 5. 8. 1945 (Sch fer, Landeskirche, Bd. 6, 1378). 752 Brief Wurms an Niemöller vom 10. 8. 1945 (ebd., 1381 f).

Fazit Eugen Gerstenmaiers Werdegang ist außerordentlich interessant. Seine Biografie kann als ein Spiegel dafür dienen, vor welchen Herausforderungen der Staat und die Kirchen in ihrer Verhältnisbestimmung nach 1919 standen, wie sich ihre kooperative Zusammenarbeit gestaltete und welche Kompromisse eingegangen werden mussten. Wer Gerstenmaiers Wirken und exponierte Stellung innerhalb der kirchlichen und staatlichen Strukturen nach 1945 verstehen, einordnen und interpretieren möchte, kommt nicht umhin, die ihn prägenden Korrelationen zu beachten. Die vorliegende Arbeit nahm sich deshalb Gerstenmaiers religiöser und theologischer Entwicklung vor dem Hintergrund jener Korrelationen an und untersuchte, wie und mit welcher Intensität sich diese im Spannungs- und Handlungsfeld von Staat und den evangelischen Landeskirchen bis 1945 auf sein Handeln auswirkten. Das Resümee kann eng mit dem Bibelwort aus Prediger 3,8 verknüpft werden, welches Gerstenmaier für seinen Lebensbericht als Titel wählte. „Streit und Frieden hat seine Zeit“ wurde bereits 2013 von Alexandra Schotte als „Leitmotiv seines Lebens“1 bezeichnet. Die beiden in diesem Bibelwort bekannten Pole umreißen trefflich das intentionale Handeln Gerstenmaiers in seinen Tätigkeitsfeldern und können als dessen Handlungsmaxime auch schon in den Jahren bis 1945 gewertet werden. Davon ausgehend wurde im Rahmen dieser Arbeit herausgearbeitet, wie sich Gerstenmaier in die kirchlichen und politischen Streitfragen der Zeit einbrachte sowie Position für die Freiheit und Unabhängigkeit der evangelischen Landeskirchen gegenüber verschiedenartigen Einflüssen in seinen Möglichkeiten bezog. Gerstenmaier wurde 1906 im württembergischen Kirchheim unter Teck als ältestes von acht Kindern geboren und wuchs in einem sowohl handwerklichbäuerlich als auch pietistisch-fromm geprägten Umfeld auf. Für seine Primärsozialisation waren vor allem seine Mutter Albertine Gerstenmaier und seine Großmutter Christiane Lauffer bestimmend. Sie konfrontierten ihn eindringlich mit dem Christentum als innerster Grundlage und Norm aller menschlichen Handlung. Die biblizistisch und heilsgeschichtlich orientierte Prägung des württembergischen Altpietismus schlug sich deshalb in Gerstenmaiers Erziehung signifikant nieder. Neben der Vermittlung von Selbstdisziplin und Sparsamkeit förderten die beiden Protagonistinnen die Frömmigkeit des Heranwachsenden nachhaltig. Ihre pietistisch geprägte Unterweisung wirkte sich bei Gerstenmaier in einer emotionalen Verarbeitung der praktizierten Religiosität aus und bestimmte dessen religiöse Deu1 Schotte, Gerstenmaier, 274.

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Fazit

tungs- und Handlungsdispositionen zwischen Gottesfurcht und Gottvertrauen. Sowohl die vermittelte Gebetspraxis als auch die spätere eigenständige Lektüre der Bibel schufen bei ihm in ihrer Intensität bereits in jungen Jahren ein festes Fundament für den christlichen Glauben. Seine Sekundärsozialisation gestaltete sich vor diesem Hintergrund. Die Gemeinschaften in der kirchlichen Jugendarbeit trugen dazu bei, dass sich Gerstenmaier im Spiegel der pietistischen Traditionen weiterentwickeln konnte. Hervorzuheben ist sein Engagement im örtlichen CVJM, dem er nach seiner Konfirmation beitrat und der für seine religiöse Genese sehr wichtig war. Spätestens während seiner kaufmännischen Ausbildung entfaltete sich bei ihm das Bedürfnis, sowohl über den christlichen Glauben als auch über gesellschaftliche Themen kontrovers ins Gespräch zu kommen. Impulsgebend dafür war neben den Bibelstunden am Sonntagabend vor allem der sogenannte Dienstagskranz. Hier verdichteten sich bei ihm die religiösen Inhalte und Praktiken aus seiner Primärsozialisation in einer Übertragung auf seine Lebenswirklichkeit. Gerstenmaiers Tagebucheinträgen konnte dazu entnommen werden, wie sich daraus seine religiösen Erkenntniszusammenhänge entfalteten und neue Problemstellungen ergaben. Beispielsweise durchdrang er die Frage nach der Rechtfertigung des Menschen vor Gott in einer Annäherung an Luthers Lehre und dessen vier reformatorischen soli, was belegt, wie die Impulse aus den Kreisen des CVJM auf ihn in der Jugend wirkten. Mit dem Anschluss an die bündisch organisierte Christliche Pfadfinderschaft verband sich für Gerstenmaier nicht nur die Übernahme von ersten Leitungsaufgaben und einer Erweiterung seiner Erfahrungen bei der Selbstorganisation von Bibelbesprechungen und Andachten, sondern auch eine innere Spannung gegenüber dem pietistischen Frömmigkeitscharakter. Inspiriert von der geistigen Weite der Jugendbewegung, wollte sich Gerstenmaier von den starren pietistischen Denkmustern befreien und gründete eine eigene liberale Pfadfindergruppe außerhalb des CVJM. Dieser Schritt bedeutete nicht, dass er sich von seinen internalisierten christlichen Moral- und Wertmaßstäben entfernte, sondern nur, dass er ein kritisch reflektiertes Verständnis ausbildete, an dem sich seine Frömmigkeit fortan orientierte. Die Aktivitäten in den sogenannten Jungstreiterkreisen und Gerstenmaiers erste Beiträge in dem Publikationsorgan der Christdeutschen Jugend um Leopold Cordier belegen, wie aktiv er sich aufgrund seiner christlich inspirierten Überzeugungen in die Debatten der Jugendbewegung einbrachte und an den Diskussionen partizipierte. In diesem Rahmen kam er auch mit unterschiedlichster Literatur in Kontakt. Parallel zu der ihn nicht erfüllenden beruflichen Tätigkeit eines Kaufmannes entnahm er vor allem der Lektüre August Winnigs, Friedrich Schillers und Oswald Spenglers Werken identitätsstiftende Momente für seine Weiterentwicklung, die in einer Kombination aus der christlichen Botschaft des Evangeliums und den Leitgedanken der Selbstbestimmung dazu führte, dass er zu der Erkenntnis gelangte, studieren zu müssen. Mit der Hilfe von Christian Moser absolvierte er das Abitur und

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betonte gegenüber dem Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart, der ihn finanziell während dieser Zeit unterstützte, dass er Pfarrer werden wollte. Im Sommersemester 1931 begann Gerstenmaier in Tübingen sein Studium noch wenig zielgerichtet mit den Fächern Germanistik, Philosophie und evangelischer Theologie. Schnell stellte sich heraus, dass er sich letzterer am meisten verbunden fühlte und vor allem die Systematische Theologie sein Interesse bündelte. Obwohl es Karl Heim mit seiner Lehre gelang, die ersten theologischen Grundlagen bei Gerstenmaier zu legen und die Offenbarungsproblematik in seinem erkenntnistheoretischen Horizont zu schärfen, wechselte er zum dritten Semester mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes nach Rostock. Der religionsphilosophische Ansatz von Friedrich Brunstäd faszinierte und inspirierte ihn so sehr, dass Gerstenmaier primär Lehrveranstaltungen bei dem Systematiker wahrnahm und sich rasch eine enge Schüler-Lehrer-Verbundenheit entwickelte. Der Versuch Brunstäds, den Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriffs mit einer Kritik der Vernunft neu zu bestimmen und eine Logik aufzubauen, die den Glauben nicht verdrängen, sondern aufzeigen wollte, was Glaubenserkenntnis aus Offenbarung ist, führte bei seinem Schüler Gerstenmaier zu einer systematische Durchdringung und Verlebendigung des wissenschaftlichen Stoffes. Brunstäds idealistischer Ansatz aus Philosophie und zugleich Theologie wurde für ihn zur Brücke zwischen Denken und Glauben, sodass von einer weitgehenden Adaption von Brunstäds Theologie – einer Philosophie aus Glauben – durch seinen Schüler gesprochen werden kann. In Rostock übten zudem der Kirchenhistoriker Johannes von Walter und der praktische Theologe Helmuth Schreiner einen starken Einfluss auf Gerstenmaier aus. Während eines Auslandssemesters in Zürich studierte er vor allem bei Emil Brunner. Der Systematiker hatte die Dialektische Theologie mit begründet und entwickelte diese eigenständig weiter. Er sah im Glauben die Vernunft vollendet und versuchte die Natürliche Theologie in ihrem Verhältnis zwischen Natur und Gnade neu zu bestimmen, um damit die Gotteserkenntnis auch außerhalb der Offenbarung in Jesus Christus zu diskutieren. Gerstenmaier war vom Mut Brunners – der sich möglicher Missdeutungen durchaus bewusst war – stark beeindruckt, denn schließlich hatte die theologische Verhältnisbestimmung eine Kontroverse mit Karl Barth zur Folge, der sich auch Gerstenmaier in seinem Ansatz wissenschaftlich annahm. Im Anschluss an das Auslandssemester nahm Gerstenmaier an einem ökumenischen Seminar von Adolf Keller in Genf teil, das ihm neue theologische Perspektiven eröffnete, auf denen er später aufbauen konnte. Am 31. Oktober 1935 schloss er in Rostock seine erste theologische Dienstprüfung ab und wurde parallel mit einer Arbeit in Systematischer Theologie promoviert. Brunstäd förderte seinen Schüler intensiv, sodass Gerstenmaier wenige Jahre später seine Habilitation vorlegte und auch eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben konnte, die ihm jedoch von den nationalsozialistischen Machtha-

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bern aufgrund seiner ideologischen Nonkonformität sowie seines Bekenntnisses zur kirchlichen Freiheit und Unabhängigkeit versagt blieb. Theologisch sind Gerstenmaiers wissenschaftliche Qualifikationsschriften in einem Gesamtzusammenhang zu sehen, da sie aufeinander aufbauen. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit dem ersten Glaubensartikel des christlichen Credo. Dabei ging er der Handlungsmacht des Schöpfers systematisch ebenso nach wie dem göttlichen Schöpfungswerk. Jene beiden kategorialen Bestimmungen setzte er komplementär zueinander in Beziehung und beschrieb ihre Interdependenzen mit der Welt. In seiner Habilitation weitete er diese Überlegungen auf den zweiten und dritten Glaubensartikel aus. Der zentrale Kern seiner wissenschaftlichen Gesamtarbeit ist in einer theologischen wie philosophischen Durchdringung der Schöpfungsoffenbarung zu fassen sowie in einer Auseinandersetzung mit der Handlungs- und Wirkmacht des Schöpfers in Raum und Zeit als zentrales pars pro toto der evangelischen Theologie zu beschreiben. Die von Gerstenmaier entworfene Theologie stützt sich mit ihren globalen wie speziellen Begriffscharakterisierungen auf recht komplexe Verbindung der lutherischen Lehre mit theologischen und philosophischen Ansätzen von unter anderem Brunstäd, Barth und Brunner. Dies belegt, welchen wichtigen Einfluss seine theologischen Lehrer – auch mit ihren kritischen Impulsen – auf die Genese von Gerstenmaiers theologischen Ansatz nahmen. Dadurch, dass die Gesamtarbeit einem Gedankenspaziergang gleicht, wirkt sie an vielen Stellen offen für weitere Auseinandersetzungen. Zu konstatieren ist jedoch, dass Gerstenmaier seine Theologie in einem kirchlichen Handlungsauftrag kulminieren ließ. Seine Bindung daran und sein daraus resultierendes Engagement an den Schnittstellen von Kirche und Staat muss an dem Maßstab einer von ihm so definierten vollendeten Schöpfung gespiegelt werden, um sein Denken einordnen zu können. Übertragen bedeutet dies, dass er den menschlichen Glauben an Gott in seiner Dreieinigkeit sowohl epistemologisch als auch praktisch an daraus resultierendes Handeln band. Dementsprechend war der Glaube für Gerstenmaier eine Verpflichtung. Er lässt sich als höchste Maxime seines Wirkens beschreiben, da er für ihn zur Aufgabe wurde, als sein Gewissen die Entwicklungen der Zeit weiter mit zu tragen nicht mehr bereit war. Jene Rechtfertigungsgrundlage entfaltete sich in seinem studentischen Engagement nachhaltig, das er parallel zu seinen Studium ehrenamtlich wahrnahm. Der sich zunehmend steigernde Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der evangelischen Landeskirchen gegenüber der ideologischen Implementierung von nationalsozialistischen Wertmaßstäben im kirchlichen Bereich wurde in dieser Arbeit anhand von fünf Konfrontationen beschrieben, denen sich Gerstenmaier stellte. Zum einen führte er mit Oskar Riegraf einen theologischen Disput, der sich um die nationalsozialistische Ideologie innerhalb des kirchlichen Wirkraumes drehte. Zweitens spitzte sich sein Kampf gegen die deutschchristlichen Einflüsse auf die gesamtkirchlichen Strukturen in der eskalierten Konfrontation

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mit Werner Trumpf deutlich zu. Und drittens sprach er sich gegenüber Joachim Hossenfelder offen und leidenschaftlich für die Freiheit des kirchlichen Bekenntnisses aus. Sein studentisches Engagement führte dazu, dass er zahlreiche Ämter im Sinne seiner intrinsischen Motivationen innehatte. So wurde er während dieser Zeit nicht nur zum Vorsitzenden der evangelischen Fachschaft gewählt, sondern auch zum Leiter des Amtes für Wissenschaft der Rostocker Studentenschaft bestimmt. Darüber hinaus baute er einen württembergischen Zweig des Pfarrernotbundes auf und brachte sich als Geschäftsführer der Reichsfachschaft evangelische Theologie kontrovers in die Reichskirchenregierung ein. Die vierte Konfrontation mit Gerhard Schinke richtete sich gegen den sogenannten Deutschglauben der völkisch-religiösen Bewegung. Auch hier stritt Gerstenmaier für die reine Lehre des Evangeliums und gegen die nationalsozialistischen Einflüsse auf die kirchliche Wesensbestimmung. Höhepunkt seines studentischen Engagements war – fünftens – die von Gerstenmaier gegenüber Reichsbischof Ludwig Müller erhobene Rücktrittsforderung. In ihr unterstrich er drei seiner wesentlichen Kritikpunkte in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen: die Verfälschung des Evangeliums, die Zersetzung des Bekenntnisses und die Erschütterung der kirchlichen Grundlagen. Gerstenmaiers studentisches Engagement richtete sich demzufolge nicht gegen das Deutsche Reich an sich, sondern muss in erster Linie im Zusammenhang der innerkirchlichen Auseinandersetzungen betrachtet werden. Der Theologiestudent versuchte dem nationalsozialistischen Staat zu dieser Zeit noch auf Grundlage der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre loyal zu begegnen. Dass er sich darüber hinaus veranlasst fühlte, die nationale Erhebung in gewissem Maße mitzutragen, belegt seine Bereitschaft sowohl in die Reiter-SA als auch in die NSDAP einzutreten. Obgleich er nie NSDAP-Mitglied wurde, ist an dieser Stelle eine Ambivalenz seines Handelns zu konstatieren, die von seinen Motivationen bestimmt war. So war er gewillt, auf der einen Seite mit dem Staat zu kooperieren und auf der anderen Seite entschieden für die kirchliche Freiheit und Unabhängigkeit zu streiten. In seinem Verständnis schlossen sich beide Ebenen nicht aus, sondern konnten sich in ihren klaren Verhältnisbestimmungen ergänzen. Diese Ambivalenz spiegelte sich auch in seiner Tätigkeit für das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche wider. Infolge eines verkürzten Vikariates wechselte Gerstenmaier als philosophisch geschulter Theologe zu Theodor Heckel nach Berlin und wurde mit der wissenschaftlichen Vorbereitung der Weltkirchenkonferenz in Oxford betraut. Parallel war er für Wilhelm Zoellner und Theophil Wurm in den kirchenpolitischen Leitungsstrukturen der Reichshauptstadt tätig, die weitgehend kooperativ mit dem Staat agierten. Gerstenmaier erhoffte sich – ähnlich wie seine Vorgesetzten und Unterstützer – durch seine Loyalität gegenüber dem Staat der Deutschen Evangelischen Kirche reibungsloser dienen zu können. Deshalb widersprach er zum einen dem ideologischen Kurs der Deutschen Christen

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und ging gegen neuheidnische Bestrebungen vor, da diese den kirchlichen Auftrag uminterpretierten und den Bestand der evangelischen Landeskirchen gefährdeten. Zum anderen entzog er sich jedoch auch den kirchenpolitischen Forderungen des Dahlemer Flügels der Bekennenden Kirche, da diese primär auf Konfrontation mit dem Staat ausgerichtet waren. Die Wahrung und Vermittlung der kirchlichen Botschaft konnte nach seinem Verständnis nur aus der Deutschen Evangelischen Kirche selbst gelingen. So kann er dem lutherischen Flügel der Bekennenden Kirche zugeordnet werden. Seine Loyalitätsbestrebungen gingen mit einem inneren Zwiespalt zum nationalsozialistischen Staat einher, die im Herbst 1938 ihre Grenze erreicht hatten. Ab diesem Zeitpunkt wandelte sich seine Motivation sprunghaft mit der Erkenntnis, dass Frieden in Europa sowie die kirchliche Freiheit und Unabhängigkeit nur garantiert werden konnten, wenn sich die Führung des Deutschen Reiches und letztlich auch das System selbst ändern würden. So begann sich Gerstenmaier parallel zu seiner Tätigkeit für das Kirchliche Außenamt im politischen Widerstand zu engagieren. Um dies wirkungsvoll tun zu können, musste er seine ambivalente Haltung beibehalten und sich zu Kompromissen mit den nationalsozialistischen Behörden einlassen. Die Auswertung des persönlichen Schriftgutes hat jedoch gezeigt, dass jene Kompromisse von seinen persönlichen Überzeugungen klar zu trennen sind. Von einer Internalisierung nationalsozialistischen Gedankengutes kann nicht ausgegangen werden. Nur durch jene Bereitschaft zu Kompromissen konnte er im Ausland uneingeschränkt Netzwerke aufbauen und seine ökumenischen Kontakte für den deutschen Widerstand nutzbar machen. Unter der „Maske des Theologen [begann er] den Nationalsozialismus zu bekämpfen.“2 Seine Bemühungen waren in einem weit verzweigten Labyrinth von sich kreuzenden Interessen zu verorten. Da alle Auslandsreisen seit Kriegsbeginn an außenpolitische Interessen des Deutschen Reiches gebunden sein mussten und so Reisegenehmigungen vom Gutdünken der nationalsozialistischen Machthaber abhängig waren, agierte Gerstenmaier auch im Auftrag der kulturpolitischen Abteilung sowie der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes. Die beiden Interessenebenen, die seine Reisen bestimmten, zeigten sich in zweierlei Arten von Berichten: Die offiziellen Reiseberichte, die dem Auswärtigen Amt zugingen, standen im Duktus der nationalsozialistischen Propaganda und legten die Situationen der ausländischen Kirchen analysierend dar; die inoffiziellen Berichte wurden hingegen streng vertraulich im Kirchlichen Außenamt verwahrt. Da diese jedoch von Heckel 1944 allesamt vernichtet wurden, kann über ihre Inhalte nur spekuliert werden. Eine Analyse der offiziellen Berichte in Bezug auf seine Intentionen ergab beispielsweise im Blick auf die ökumenische Studienkonferenz in York im Juli 1939, dass die britischen Rundfunkanstalten beabsichtigen, Gottes2 Vernehmungsprotokoll Zenkers durch Langrehr vom 20. 9. 1961 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-025).

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dienste in deutscher Sprache zu propagandistischen Zwecken auszustrahlen. Zweifelsohne intendierte er mit diesen Ausführungen, dass die von den nationalsozialistischen Machthabern abgesetzten religiösen Andachten im deutschen Rundfunk wieder angesetzt werden sollten. Ähnlich benutzte er auch seine Beauftragung zur Konsolidierung einer skandinavischen Friedensinitiative im Herbst 1939, um gemeinsam mit seinen Freunden in Skandinavien die nordischen Kirchen unter den internationalen Institutionen der Ökumene zu vernetzen, auf deren Strukturen der politische Widerstand später wiederum zurückgreifen konnte. Gerstenmaiers Tätigkeiten auf dem Balkan müssen jedoch vor dem Hintergrund des überlieferten Schriftmaterials ambivalenter eingeschätzt werden, da sie zum Großteil in enger Beziehung zu den Expansionsbestrebungen des Deutschen Reiches standen. Obwohl Gerstenmaier ein Stipendienprogramm für orthodoxe Theologiestudenten in Deutschland aufbaute, legte er vor Ort seinen Schwerpunkt auf propagandistische Aktionen gegen den Bolschewismus, da er zum einen in dessen Ideologie eine Bedrohung der kirchlichen Autonomie sowie Arbeit sah und zum anderen der nationalsozialistischen Feindbildbestimmung und Beauftragung entsprechen wollte. Kritisch wahrzunehmen ist in diesem Zusammenhang auch Gerstenmaiers Schrift „Frankreichs Protestantismus im Krieg“, die eine schwer erträgliche opportunistische Haltung aufweist. Anzuführen ist bei den offiziellen Reiseberichten, den propagandistischen Aktionen und der genannten Veröffentlichung jedoch, dass diese unter der Perspektive eines notwendigen Tarnmaterials als Pseudonachweise für seine kooperative Haltung zu den nationalsozialistischen Machthabern entstanden und somit – neben aller berechtigten Kritik – als Maßnahmen gewertet werden können, die die logistischen Voraussetzungen für seine Bemühungen im Widerstand schafften. Parallel zu seinen offiziellen Tätigkeiten zwischen Kirchlichem Außenamt und Auswärtigem Amt baute Gerstenmaier nämlich ein Netz von Gleichgesinnten auf, das im Pagel-Kreis seinen ersten Ausdruck fand. Hier tauschten sich die Mitglieder über notwendige Veränderungen der politischen Landschaft in Deutschland aus und kommunizierten diese beispielsweise durch Gerstenmaier nach Skandinavien. Eine weitere Plattform des zivilen Widerstandes bildete die Gemeinschaft mit Adam von Trott zu Solz und Hans Bernd von Haeften, aus der eine Denkschrift an die britische Regierung resultierte, in der die Verfasser postnationalsozialistische Gesellschaftsvorstellungen entwarfen und eine neue europäische Ordnung skizzierten. Ihre wichtigste Intention war freilich, dem Ausland zu zeigen, dass es noch ein anderes Deutschland neben dem Dritten Reich gab. Um ihre Denkschrift an Winston Churchill weiterzuleiten, bedienten sich die Freunde primär Gerstenmaiers ökumenischen Netzwerkes. Trotz der Kaschierung von Gerstenmaiers Handeln unter dem Deckmantel der Staatsloyalität begannen die nationalsozialistischen Sicherheitsbehörden seine Ambivalenz zu durchschauen und ihn der politischen Unzuverlässigkeit

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zu verdächtigen. Nachdem das Auswärtige Amt daraufhin jegliche Beziehungen zu ihm abgebrochen hatte, erscheint es erstaunlich, dass Gerstenmaier danach Verwendung im Oberkommando der Wehrmacht fand und dort im Amt Ausland/Abwehr unter Wilhelm Canaris seinen Auslandskontakten weiterhin nachgehen konnte. In der obersten Kommando- und Verwaltungsbehörde der deutschen Streitkräfte ergaben sich für ihn neue Möglichkeiten im politischen Widerstand aktiv zu werden. In diesem Zeitraum kam er auch mit Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg zusammen. Die beiden Adeligen waren mit ihrem Kreisauer Kreis bemüht, auch Querverbindungen zu maßgebenden Vertretern der beiden großen christlichen Konfessionen zu knüpfen. Da Gerstenmaier als enger Vertrauter Wurms galt, arrangierte er ein Treffen zwischen den Kreisauern und dem württembergischen Landesbischof, in dessen Folge Gerstenmaier nicht nur zu Wurms Sprachrohr im Kreis, sondern auch zu einem festen Mitglied wurde. Während der Zeit im Kreisauer Kreis verband Gerstenmaier zwei Existenzen: sein kirchliches Amt und das des Konspirators. Er brachte sich leidenschaftlich und mit vielfältiger Präsenz in die konspirative Arbeit des Kreises ein. Aus drei Gründen muss er als zentrales Mitglied des Kreises angesehen werden: Erstens wurde er nicht nur wegen seines Intellekt geschätzt, sondern auch durch seine unmissverständliche Haltung und seine stetige Argumentation für einen gewaltsamen Umbruch der Verhältnisse. In dieser Arbeit wurde seiner argumentativen Rechtfertigung des Tyrannenmordes unter religiösen sowie theologischen Gesichtspunkten nachgegangen und festgestellt, dass sich Gerstenmaier bei diesem destruktiven und zugleich hoffnungsvollen Schritt an sein Gewissen band. Zweitens strebte er im Kreisauer Kreis Kooperationen mit anderen Widerstandsgruppen an. So wurde durch seine Vermittlung der Kontakt zum Goerdeler-Kreis hergestellt. Drittens wurde Gerstenmaier unter den Kreisauern als Fachmann für kirchliche Fragen und Kontakte wahrgenommen. Die Bedeutung des Berlin-Genf-Sigtuna-Netzwerkes wurde vor diesem Hintergrund ausführlich dargestellt. Der Anschluss an den militärischen Widerstand um Claus Schenk Graf von Stauffenberg hob das Engagement des Kreisauer Kreises auf eine neue Stufe. Mit Bibel und Pistole war Gerstenmaier am 20. Juli 1944 gewillt, für ein anderes Deutschland zu kämpfen, in dem er Militärbevollmächtigter mit Weisungsbefugnissen für das Reichskirchenministerium und das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung werden sollte. Nach dem gescheiterten Staatsstreich wurde er inhaftiert. Im Angesicht des Todes kam es zu einem spirituellen Erlebnis, das Gerstenmaiers Denken und Handeln sowohl im Knebelgriff der Gestapo als auch in den Händen der nationalsozialistischen Justiz nachhaltig bestimmte. In Psalm 118,17 sah er eine Verheißung Gottes, die ihm das Bewusstsein gab, dass er nicht sterben, sondern leben werde. Nach diesem Erlebnis richtete sich auch seine Rolle in der ökumenischen Gebets-, Schriftlese- und Gesprächsgemeinschaft mit Moltke

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und Alfred Delp in der Haftanstalt Berlin-Tegel aus. Sinnlich und kognitiv ließ er sich während dieser Zeit – was vor allem die briefliche Korrespondenz mit seiner Frau zeigte – auf die Heilige Schrift ein und übertrug die biblische Botschaft auf sein Leben. Die fromme Kontemplation formte und stärke Gerstenmaier in der „Una Sancta in vinculis“ darin, dass er Hoffnung aus ihr schöpfen konnte und seine Freunde damit inspirierte. Auch Harald Poelchau bestätigte später: „Gerstenmaier war aus seiner religiösen Überzeugung heraus ein ausgesprochener Optimist.“3 Vor diesem Hintergrund ging er in den Prozess vor dem Volksgerichtshof. Neben seiner geschickten Verteidigungsstrategie wurde gezeigt, dass er mehrere Fürsprecher hatte, deren bereitwillige Informationsweitergabe oder Intervention dazu führten, dass er nicht hingerichtet, sondern lediglich zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Gerstenmaier sah in dem Urteil die ihn tragende Verheißung bestätigt und interpretierte es als Wunder Gottes. Wenige Wochen später wurde er nach Bayreuth verlegt und saß dort im Zuchthaus bis zu seiner Befreiung durch amerikanische Militärverbände ein. Dass Gerstenmaier nach dem Ende des Krieges nicht zurück nach Berlin reiste, sondern die Möglichkeit wahrnahm, in der Schweiz mit Vertretern der internationalen Ökumene die Optionen eines christlichen Hilfswerkes für Deutschland zu sondieren, belegt, wie er sich dem kirchlichen Handlungsauftrag verbunden fühlte, den er theologisch mit der vollendeten Schöpfung in seiner Habilitation umrissen hatte. Darüber hinaus kam es zu einer ersten Bewertung seines Widerstandes, in der sich sowohl Barth als auch Brunner kontrovers zu Wort meldeten. Die vorliegende Arbeit zeigt, welche Bedeutung Gerstenmaiers sowohl religiöse als auch theologische Entwicklung für seine Motivationen und sein daraus resultierendes Handeln bis 1945 einnahmen. Die kirchliche Freiheit und Unabhängigkeit stand während dieser Zeit für ihn im Zentrum. Dies lässt sich anhand zahlreicher Beispiele aus seinen Tätigkeitsfeldern erheben und ebenso als Legitimationsschwerpunkt seiner Handlungen fokussieren. Zudem wurde festgestellt, dass er im betrachteten Zeitraum keineswegs frei von Kompromissen mit den nationalsozialistischen Machthabern war, um seine Ziele zu erreichen. Jedoch war diese Ambivalenz von seinen intrinsischen Korrelationen bestimmt, die an erster Stelle seinem Gewissen folgten. Im Resümee dieser Arbeit wird ersichtlich, vor welchen Herausforderungen Personen zwischen 1933 und 1945 standen, die auf der Schnittstelle von Kirche und Staat, zwischen Zuspruch und Anspruch, zwischen Anpassung und Widerstand agierten. Gerstenmaiers christlich inspirierten und dadurch handlungsorientierten Grundüberzeugungen spielten für ihn auch nach 1945 eine zentrale Rolle. Dies spiegelt sein weiterer Werdegang eindrucksvoll auf zwei Ebenen wider: Zum einen engagierte er sich direkt nach der Befreiung aus dem Bayreuther Zuchthaus im kirchlich-karitativen Bereich und nutzte seine internationalen 3 Vernehmungsprotokoll Poelchaus durch Pries vom 5. 1. 1962 (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01210-025).

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Kontakte in der Ökumene, um den Aufbau einer gesamtkirchlichen Hilfsorganisation voranzutreiben. Aus seiner erarbeiteten Konzeption ging auf der Kirchenführerkonferenz in Treysa im August 1945 das Evangelische Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland hervor, zu dessen Leiter er bestimmt wurde. Neben der ihm wichtigen Wiederbelebung des religiösen Lebens in Deutschland nahm er sich in seiner amtlichen Tätigkeit mit viel organisatorischem Geschick unter dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ vor allem Arbeitsund Wohnproblemen konstruktiv an.4 Mit der Gründung des Evangelischen Verlagswerkes und der Initiierung der Wochenzeitschrift Christ und Welt, in der er als Herausgeber selbst rege publizierte, leistete er einen Beitrag zur geistig-religiösen Erneuerung und Verbreitung christlichen Gedankengutes. Dadurch übertrug er seine theologisch motivierten Handlungsmaxime auf das kirchlich-karitative Leben in der Nachkriegszeit.5 Zum anderen brachte er sich ab 1949 aktiv in die Politik der Bundesrepublik Deutschland ein. Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter schärfte er in vielerlei Positionen das christlich-demokratische Profil seiner Partei6 und bestimmte als Anwalt des freiheitlichen Parlamentarismus zahlreiche Debatten in der Innen- und Außenpolitik federführend mit.7 Hervorzuheben ist an dieser Stelle das Amt des Bundestagspräsidenten, das er zwischen 1954 und 1969 – so lang wie bisher kein anderer Politiker vor und nach ihm – innehatte. Ausgehend von seiner religiösen und theologischen Entwicklung lässt sich deshalb auch die wissenschaftliche Betrachtung von Gerstenmaiers kirchlichen und politischen Tätigkeitsfeldern nach 1945 als ein weiteres spannendes Forschungsfeld beschreiben, auf das im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr eingegangen werden konnte. Der Werdegang von Eugen Gerstenmaier bis 1945 ist ein lebendiges Zeugnis dafür, wie sich persönliche Motivationen aus christlicher Freiheit gestalteten. Der Lebensweg des Theologen kann somit als Ermutigung zu kirchlichem und politischem Engagement von überzeugten Christen interpretiert werden. Gerade in der heutigen Zeit, in der alles als selbstverständlich sowie der Verdruss gegenüber den Kirchen und der Politik groß erscheint, zeigt sein Beispiel, wie die Gesellschaft davon profitieren kann, wenn sich Menschen mit verschiedenen Lösungsansätzen in Streitfragen einbringen und damit sowohl die kirchliche als auch die politische Diskussionskultur bereichern. Unsere Demokratie lebt davon.

4 Vgl. dazu vor allem Wischnath, Kirche; Wellnitz, Gemeinden, 155–345; Gerstenmaier, Hilfswerk; Ders., Hilfe, 53–73; Ders., Heimatlose, 74–86; Ders., Flüchtlinge, 75–78; Ders., Flüchtlingsproblem; Ders., Forderungen, 396–397; und ADE, Allg.Slg. 1633. 5 Vgl. dazu u. a. Frank-Planitz, Zeit, 146-169. 6 Zu nennen sind dazu unter anderem folgende veröffentliche Beiträge: Gerstenmaier, CDU, 100–103; Ders., Kultur, 131–136; Ders., Kirche, 11–26; Ders., Staat, 91–104; und Ders., Ärgernis, 29–46. 7 Vgl. dazu seine Bibliografie mit den verschiedenen Schwerpunktsetzungen bei Heck, Widerstand, 241–264.

Dokumente Nachfolgend sind Dokumente abgedruckt, die für diese Arbeit zentral sind. Dabei handelt es sich teilweise um bisher noch nicht veröffentlichte Dokumente. Abkürzungen und Schreibfehler wurden dabei mit übernommen.

Dokument I: Protestschreiben Theologenschaften aus Rostock und Erlangen an Reichsbischof Ludwig Müller vom 23. November 19341 Rostock, Erlangen, den 23.XI.34 Absender: Die Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen Empfänger: An den Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche, Herrn Ludwig Müller Berlin-Charlottenburg Herr Reichsbischof! Seit Semestern sind wir Zeugen und Mitträger eines leidenschaftlichen Willens zum politischen und geistigen Neubau Deutschlands. Seit Jahr und Tag mühen wir uns an der Stelle, an die uns die Nation gestellt hat, zu dienen. Wie rückhaltlos wir das tun, haben die meisten von uns unter Beweis gestellt. Der Platz, an den wir treten, ist die Deutsche Evang. Kirche. Wir haben nicht die Absicht, die Flut der Aufrufe, Beteuerungen und papierenen Proteste zu vermehren. Wir können aber jetzt auch nicht mehr schweigen. Die nicht mehr zu übersehende Tatsache, daß durch Sie und Ihre Gefolgschaft die Deutsche Ev. Kirche in ihrer Existenz, ihre Aufgabe und ihrer öffentlichen Geltung in unerhörter Weise gefährdet ist, läßt uns weder ruhen noch rasten, bis das geschehen ist, was geschehen muß, um diesen Zustand abzustellen. Seit Jahr und Tag diffamieren Sie und Ihre deutschchristlichen Helfer diesen Willen als Reaktion und reden von Ihrer Verbundenheit mit dem Führer. Wir lachen! Wo in aller Welt haben Sie die evangelische Jugend und gar erst die theologische und darüber hinaus die evangelische Studentenschaft hinter sich? So sehr wir hinter dem Führer stehen, so wenig hinter Ihnen.

1 Abschriften des Protestbriefes der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 befinden sich in folgenden Archiven: ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1; ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/2; UAR, 1.03.0, R 11 F 179; UAR, 1.03.0, R 11 F 177; und BArch N 1266/1624.

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Wie kommt es, daß diejenigen von uns, die im Sommer 1933 voller Vertrauen und mit dem ehrlichsten Willen hinter Sie getreten sind, jetzt fast bis auf den letzten Mann aus Ihrer DC-Gefolgschaft verschwunden sind? Wie kommt es, daß wir – so wahr uns Gott helfe – nichts wollen als ein Mannesleben für Christus und Deutschland zu leben, all Ihren Versicherungen, Kundgaben, Willensbeteuerungen gegenüber taub geworden sind? Liegt das vielleicht bloß an der ,Verhetzung durch Reaktionäre‘?! Muß, wer in eine Führerstellung getreten ist, nicht wissen, daß sein Führertum, – abgesehen von der Vollmacht des Könnens – auf dem Vertrauen seiner Gefolgschaft steht? Wir brauchen Ihnen nicht mehr zu sagen, daß Ihnen und Ihren deutschchristlichen Mitregenten beides – Vollmacht und Vertrauen – wenn Sie es je besessen haben sollten, längst entschwunden ist. Uns geht es nicht um Ihre Person, sondern um die Sache, zu der wir gefordert sind, und der wir dienen wollen. Daraus ist unser Kampf gewachsen – für Christus und Deutschland! Weil es uns bitter ernst darum ist, fordern wir mit allen Trägern des echten deutschen Protestantismus: Geben Sie die Bahn frei zum Neubau! Es ist längst am Tage, daß der Kern des deutschen evangelischen Kirchenvolkes geschlossen gegen Ihre Herrschaft steht. Es ist am Tag, daß derjenigen unserer akademischen Lehrer, deren Wort mit gutem Grund Geltung unter uns hat, mit uns gegen Sie stehen. Sie wissen, daß die Lage durch ihr Beharren unhaltbar geworden ist. Sie wissen, daß Sie alle bauwilligen Kräfte an der Entfaltung hindern. Wir dringen darum noch einmal an Sie: Treten Sie ab! Es ist uns damit so ernst wie mit dem Kampfruf: ,Die Straße frei den braunen Bataillonen!‘ Zwingen Sie uns nicht, mit den Kampfmitteln des deutschen Protestantismus noch stärker anzufassen, um den Weg der Deutschen Evangelischen Kirche, den wir zu unserem eigenen gemacht haben, helfen freizumachen! Geben Sie endlich die Bahn frei, und wir werden Ihnen die Achtung nicht versagen, die Ihren guten Absichten gebührt. Heil Hitler! Die Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen (mit 610 Unterschriften) i.A. (gez.) Gerstenmaier, cand. theol. (gez.) Seyferth, cand. theol.

Dokument II: Beilage zum Protestbrief2 Beilage zum Rundbrief, Unsere Anklage gegen Reichsbischof Ludwig Müller und Rechtswalter Jäger. 2 Die Beilage zum Protestbrief der Theologenschaften der Universitäten Rostock und Erlangen an Müller vom 23. 11. 1934 befindet sich im ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-004/1.

Beilage zum Protestbrief

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Beilage zum Rundbrief, Unsere Anklage gegen Reichsbischof Ludwig Müller und Rechtswalter Jäger. I. Verfälschung des Evangeliums. 1. Der Reichsbischof verharmlost den Ernst von Sünde, Gericht und Gnade, indem er wörtlich sagt: „Sünde im ursprünglichen Sinn des Evangeliums heisst, einen Fehler machen – vorbeischiessen! – und wer einsieht, dass er einen Fehler gemacht hat, der braucht nicht sich zu Tode zu fürchten, sondern wird durch seine richtige Erkenntnis frei … Mehr verlangt der Herrgott nicht, als dass man seine Fehler einsieht und es das nächstemal besser macht. Gott wird im Gericht den Einzelnen fragen, ob er sich bemüht habe, ein anständiger Kerl zu sein und seine Pflicht gegen seine Volksgenossen zu erfüllen.“ 2. Der Reichsbischof verharmlost die Heiligkeit des Eides: Auf der Nationalsynode am 9. August 1934 liess er ein Gesetz über den Diensteid der Pfarrer vorlegen trotz Matth. 5, 34. Auf die Einwände gegen diesen Eid erwiderte der Reichsbischof: „Stellen Sie doch Ihre Bedenken zurück und nehmen Sie das Gesetz einmal vorläufig an. Wir machen nichts für die Ewigkeit, sondern sind in unserer Arbeit, die vor neuen Dingen steht, so eingestellt, dass wir dann bei der nächsten Tagung die Aenderung vollziehen.“ 3. Der Reichsbischof schreitet nicht ein gegen den Fall des Pfarrer Tobias in Kleindobbern. Pfarrer Tobias stellte am 1. Mai auf den Altar seiner Kirche ein Hitlerbild. Er verlas zu besonderer Weihe des Gottesdienstes Stellen aus Hitlers „Mein Kampf“. Im Zeitungsbericht über diesen „Gottesdienst“ liest man, dass die Orgel das Horst Wessel-Lied erklingen liess. Während der Reichsbischof das ganze Vorkommnis bestreitet, hat Adolf Hitler einen solchen Kult, der mit seiner Person und seiner Bewegung getrieben wird, aufs schärfste zurückgewiesen. 4. Pfarrer Kuptsch, Riesenburg in Ostpreussen hatte sein Amt verloren, weil er in der Frage des Alten Testaments eine unmögliche Haltung eingenommen hatte: „In eine Kirche, in der noch das Alte Testament in der bisherigen Weise als Heilige Schrift konserviert werden soll und alle alten Bekenntnisse gewahrt bleiben, gehen wir alten Nationalsozialisten nicht hinein. Diese Kirche bleibt ganz bestimmt ohne die deutsche Nation.“ Durch Verfügung des Reichsbischofs wurde dieser Irrlehrer in sein Amt wieder eingesetzt. 5. In der ehem. ev. luth. Landeskirche Sachsen empfiehlt (31.7.34.) das Landeskirchenamt für Kirchen Namen wie „Zionskirche“; „Versöhnungskirche“ zu vermeiden. Evangelische Gotteshäuser in Deutschland sollen zur Schönung der Gefühle des natürlichen Menschen nicht einmal mehr durch ihren Namen an die rettende Tat Gottes erinnern dürfen.

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6. In der Oder-Zeitung Nr. 48 vom 25. Februar 1934 ist eine Rede des Herrn Oberpräsidenten Kube abgedruckt, in der es heisst: „Ich habe erst neulich einen Pastor nach Sonnenburg (=Konzentrationslager) schicken müssen, weil er beanstandete, dass Glauben aus Blut geboren ist.“ Ohne Einschreiten des Reichsbischofs konnte es also geschehen, dass ein evangelischer Pfarrer in Deutschland in Haft genommen wurde, weil er evangelisch lehrte: „Der Glaube kommt aus der Predigt, das Predigen aus dem Wort Gottes.“ Es ist nicht bekannt geworden, dass der Herr Reichsbischof Einspruch erhoben hat gegen die Rede desselben Herrn Oberpräsidenten Kube. Auf einem Gebietstreffen der kurmärkischen HJ: „Der Glaube der deutschen Jugend ist allein der Glaube an Deutschland … Adolf Hitler gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ 7. Die Gauleitung der Deutschen Christen Halle-Merseburg erklärt (23.7.34.) zu einer Aussprache über Rosenbergs „Mythus“: An nationalsozialistischen Führern und Werken üben wir grundsätzlich keine Kritik“. Der Reichsbischof ist gegen diese Verfügung seiner Freunde nicht eingeschritten. 8. Der Bannerträger der reichsbischöflichen Sache in Bayern ist Karl Holz, der es geschehen liess, dass im „Stürmer“ am 1. Mai 1934 folgendes gedruckt werden konnte: „Dieser verruchte, hohnvolle, jüdische Gebrauch (nämlich der Ritualmord. Die Schriftleitung) hat eine verdächtige Aehnlichkeit mit dem christlichen Abendmahl. Auch bei diesem wird der Wein als Blut und die Hostie (ungesäuertes Brot?) als Leib eingenommen. Der Christ machts symbolisch (den Ritualmord nämlich, die Schriftleitung), der Jude in Wirklichkeit, das ist der einzige Unterschied. „Während der Kanzler und Führer die betreffende Nummer beschlagnahmen ließ, schließt der Reichsbischof direkt bzw. auf dem Weg lieber Prof. Meyer mit Karl Holz ein Bündnis. 9. Ministerialdirektor Jäger nannte vor einem Jahr Christus „das Aufflammen nordischen Lichtes“. Damit bekannte sich Rechtswalter Jäger als einen Anhänger der völkischen Religiosität. An solchen Verfälschungen kann auch als das, was der Reichsbischof und sein Rechtswalter am 23. September an Erfreulichem gesprochen haben, nichts ändern. II. Zersetzung des Bekenntnisses. 1. Der Reichsbischof und der Rechtswalter trennen durch das Eingliederungsverfahren des vergangenen halben Jahres die äußere Ordnung der Kirche und ihr inneres Leben, trennen Kirchengewalt und Bekenntnis. Nach dem lutherischen Bekenntnis müssen „im Raum der Kirche auch die äußeren Ordnungen aus dem Bekenntnis der Kirche herauswachsen, sonst muß die Kirche früher oder später den Rahmen sprengen, in den sie jetzt hineinge-

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zwängt werden soll, und sich einen neuen schaffen“ (Rede des Landesbischofs Dr. Meiser auf der außerordentlichen Tagung der bayerischen Landessynode am 23.8.34). 2. Rechtswalter Jäger, der nicht müde wird, die Unversehrtheit des Bekenntnisses in der Deutschen Evangelischen Kirche zu betonen, äußerte sich am 9. Sept. 1934 in Stuttgart folgendermaßen: „Bekenntnisse seien wandlungsfähig, am Ende der Entwicklung sehe er eine Nationalkirche; er sehe als Fernziel die Überwindung der Konfessionen und der religiösen Spaltungen im deutschen Volk.“ Mit seinen Ausführungen gibt der Rechtswalter Jäger, trotz aller Beteuerungen, das Bekenntnis preis. 3. Daß der Rechtswalter Jäger mit seiner Sehnsucht nach der Deutschen Nationalkirche sich in Übereinstimmung mit dem Reichsbischof befindet, ergibt sich aus der Rede des Reichsbischofs am 18. Sept. in der Stadthalle zu Hannover. „Wer den Aufbau dieser Kirche nicht mitmachen kann, nicht so, wie wir kämpfen im dritten Reich, der soll Ruhe geben oder beiseite treten. Tut er es nicht, so muß ich ihn dazu zwingen. Was wir wollen, ist eine romfreie deutsche Kirche. Das Ziel für das wir kämpfen, ist: Ein Staat, ein Volk, eine Kirche!“ Hier wird deutlich, was wir von den Bekenntnisbeteuerungen auch bei der Einführung des Reichsbischofs am 23.9. zu halten haben. Wer die Deutsche Nationalkirche erstrebt, zerstört nicht nur das Bekenntnis, sondern ersehnt das Ende der Reformation; denn die Deutsche Nationalkirche ist ihr Ende. 4. Synodalpräsident Heider in Bremen nennt die Augsburgische Konfession, die grundlegende Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche, einen „alten Schmöker“. Der Reichsbischof schreitet nicht ein. 5. Die 28 Thesen der Deutschen Christen, die heute in Geltung sind, enthalten nach dem Gutachten der Leipziger Theologischen Fakultät grobe Irrlehren. Trotzdem bekennt sich der Reichsbischof immer wieder, so auch anläßlich seiner Einführungsfeierlichkeiten am 22./23. Sept. zu den Deutschen Christen. „Ich war immer Deutscher Christ, bin es und werde es immer sein.“ 6. Der Hilfsprediger Rahmel, seit 1928 Pg, in der schlimmsten Kommunistenzeit Mitglied des Horst-Wessel-Sturms in Berlin, wurde von Probst Grell aufgefordert, die Irrlehrerischen 28 Thesen der Deutschen Christen anzuerkennen und dem Probst persönliche Gefolgschaft zu leisten. Unter Berufung auf sein Ordinationsgelübde verweigerte er beides. Am 1. Juli 1934 wurde Rahmel entlassen und fernerhin aus der Grenzmark ausgewiesen. Der Reichsbischof schreitet nicht ein.

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III. Erschütterung der Grundlage der Kirche. 1. Sie wehren nicht dem deutschchristlichen Irrtum, der zwar Christus nicht entthronen will, aber neben Christus einen andern Gott auf den Thron setzt. „Christus und Volk, Christus und Rasse, Christus und Blut, Christus und Hitler (siehe Rede des kommissarischen Landesbischofs Krauss in Stuttgart 14.9.34). Die Kirche Jesu Christi hat nur einen König Christus. 2. Sie wehren nicht der Politisierung der Kirche. a) Ohne Widerspruch des damaligen kommissarischen Präsidenten des Deutsch-Evang. Kirchenbundes Müller konnte am 23. Juli 1933 die Wahl der kirchlichen Vertretungskörper durchgeführt werden, in welcher in weitesten Gauen unseres Vaterlandes als erste Voraussetzung für das Amt des Kirchenvorstehers oder Gemeindeältesten weniger Bewährung im kirchlichen und persönlichen Leben als Parteizugehörigkeit gefordert wurde. Unter der gleichen verkehrten Voraussetzung wurden weithin die Synoden gewählt, und die Nationalsynode, unter der gleichen verkehrten Voraussetzung wählten die Synoden die Bischöfe der Landeskirchen, sodaß heute viele Bischöfe weniger nach geistlichen Gesichtspunkten, als nach politischen ins Bischofsamt gekommen sind. Die Deutsche Evangl. Kirche ist demnach auf Grund der Wahlen vom 23. Juli 1933 weiterhin eine politisierte Kirche. Dies widerspricht auch dem Willen des Führers, der die „Seelsorger der Seelsorge zurückgegeben“ wissen will. b) Wer die Kirche politisiert, erschüttert ihre Grundlagen. Das Führerprinzip in der Evang. Kirche ist nicht aus ihrem Wesen erwachsen, sondern entstammt dem politischen Denken. Die Kirche hat nur einen Führer: Christus. Eine katastrophale Auswirkung hat die gedankenlose Nachahmung des Führerprinzips, wenn der „Führer“ in der Kirche an Stelle des alleingültigen Führerwillens Christi seine eigene Willkür setzt, die das Evangelium verfälscht, das Bekenntnis ausser Kraft setzt, und die Grundlagen der Kirche zerstört. Reichsbischof Müller in Berlin und sein Rechtswalter Jäger herrschen mit ihrem unevangelischen Führerprinzip unumschränkter als der Papst in Rom und seine Cardinäle. c) Dem politischen Denken entnommen ist die irdische Gewaltanwendung der Deutschen Evangelischen Kirche. Der Reichsbischof und sein Rechtswalter nimmt seine Vollmacht nicht vom Wort Gottes, sondern ist mächtig allein durch die stete Anleihe bei der Macht von Partei und Polizei. Mit ihrer Hilfe hat er und seine Bischofsgefolgschaft, wie aktenmäßig festliegt, 800 Pfarrer gemaßregelt. Die Geschichte der Deutschen Evangelischen Kirche und ihrer obersten Leitung ist eine einzige Kette von Gewalt und Terror. Diese Geschichte wird nicht durchgestrichen, wenn der Reichsbischof am Tage seiner Einführung bekenntnistreue Worte sagt, denen die Tat der Buße fehlt.

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d) Der Reichsbischof und sein Rechtswalter sind schuldig, in die Verleumdung politischer Kirchmänner mit eingestimmt zu haben, daß in der Bekenntnisgemeinschaft die Reaktion gegen das dritte Reich einen neuen Ausdruck finde. Der Rechtswalter Jäger hat anläßlich der Tagung des Verfassungsausschusses zu Erfurt am 6. Juli die kirchliche „Opposition“ mit dem Röhmputsch in Verbindung gebracht (!). In dem amtlich genehmigten Bericht des „Evangelium im Dritten Reich“ lesen wir: „In dieser entscheidenden staatlichen Stunde gilt es vor allem für die, welche heute nicht anwesend sind, (die Bischöfe der Bekenntnisgemeinschaft; die Schriftleitung) sich zu fragen, ob sie nicht mitschuldig sind an den Ereignissen, die in jüngster Zeit unser Volk erschütterten“. Der Rechtswalter hat diese unerhörte Entgleisung bis auf den heutigen Tag noch nicht öffentlich zurückgenommen. 3. Sie haben das Recht vielfach in Unrecht verkehrt. Feierlich haben sie am 11. Juli 1933 die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche, an der sie entscheidend mitgearbeitet haben, unterzeichnet. Der Führer und Kanzler hat durch ein eigenes Reichsgesetz diese Verfassung staatlich sanktioniert. Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche liegt heute zerbrochen am Boden, zerbrochen durch die, die in erster Linie berufen gewesen waren, die Hüter dieser Verfassung zu sein… Heute ist es so, daß von allen verfassungsmäßigen Organen nur noch der Herr Reichsbischof legal ist. Illegal gebildet ist das Geistliche Ministerium, verfassungswidrig mit Rechten ausgestattet der Rechtswalter der Deutschen Evang. Kirche und illegal zusammengesetzt nach den letzten Vorgängen auch die Nationalsynode. Diese widerrechtlich zusammengesetzte Institution hat den verfassungswidrigen, gesetzwidrigen, rechtswidrigen Handlungen des Reichsbischofs Rechtsgültigkeit verliehen und damit begangenes Unrecht durch Mehrheitsbeschluß in Recht verwandeln versucht. Der evangl. Kirche kann nach den gültigen Gesetzen keinen Einspruch erheben gegen die Gewalttaten des Reichsbischofs. 4. Sie haben Ihr Manneswort nicht gehalten und der Wahrheit nicht die Ehre gegeben. a) Der Reichsbischof hat den Landesbischöfen Meiser und Wurm am 9. Dez. vergangenen Jahres die Zusicherung gegeben, er werde ihnen den Vertrag über die Eingliederung der Evangelischen Jugendverbände in die HJ vor der Unterzeichnung vorlegen. Am Abend desselben Tags um 18 Uhr hat der Reichsbischof den Vertrag unterzeichnet, ohne sein Versprechen gehalten zu haben. b) Der Reichsbischof empfing am 13. Januar 1934 den Kirchenrat Dürrfeld von Waldeck. Dieser berichtete ihm über die unwürdigen Vorgänge in der Waldeck’schen Landeskirche und bat, der Herr Reichsbischof möchte die Ernennung einer bedenklichen Persönlichkeit zum Kirchenkommissar in Waldeck verhindern. Der Reichsbischof gab Kirchenrat Dürrfeld die er-

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betene Zusage. Als Kirchenrat Dürrfeld davon in Waldeck telephonischen Bericht erstattete, erfuhr er, daß gerade diese bedenkliche Persönlichkeit telegraphisch zum Kirchenkommissar bereits ernannt worden sei. Am 27. Januar gab der Reichsbischof den versammelten Bischöfen die Zusicherung, es würden die Notverordnungen vom 4. Januar weitherzig ausgelegt, es würde von nun an der Bischofsrat vor wichtigen Entscheidungen angehört. Der Reichsbischof hielt seine Versprechen in der Weise, daß er einen Verfolgungssturm gegen die Notbundpfarrer entfesselte und den Bischofsrat bis auf den heutigen Tag noch nicht berufen hat. Darauf hin waren die süddeutschen Bischöfe nach verschiedenen mißglückten Versuchen gezwungen, sich von der Mitverantwortung für die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche zu entbinden. Der Reichsbischof versichert unentwegt den staatlichen Stellen und aller Öffentlichkeit, das Einigungswerk der Deutschen Evangelischen Kirche sei äußerlich abgeschlossen und mache auch nach innen Fortschritte. Jedermann in Deutschland, der guten Willens ist, der Reichsbischof eingeschlossen, weiß, daß die evangelische Kirche in Deutschland noch nie so uneinig war, wie heute, nach dem verfassungswidrigen „Eingliederungsverfahren“. Am 11. Oktober brach Rechtswalter Jäger mit einem größeren Gefolge im Landeskirchenratsgebäude in München ein und schleuderte den treuen Mitarbeitern von Landesbischof D. Meiser entgegen: „Dem Zustand der Meuterei und Rebellion muß ein Ende gemacht werden.“ Sämtliche Oberkirchenräte wurden zwangsbeurlaubt. Der Herr Landesbischof D. Meiser wurde seines Amtes entsetzt und wird nunmehr schon mehrere Tage in seiner Wohnung gefangen gehalten und Tag und Nacht bewacht. Und das alles nachdem der Rechtswalter Jäger einige Tage zuvor dem bayerischen Evang. Luth. Landeskirchen rat unter wenigen Einschränkungen die freie Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten in voller Selbstständigkeit mit einem eigenen Schreiben zugesichert hatte. Im Zug der gewaltsamen Neuordnung der Dinge in der bayerischen Landeskirche wurde dieselbe in zwei Teile zerstückelt, Nord- und Südbayern. Diese Zerstückelung wird als eine Handlung gepriesen, die dem Willen des evang. Kirchenvolkes entgegenkomme und von diesem freudig begrüßt werde. Tatsache ist, daß das getreue evang. Kirchenvolk diesen Dingen völlig ferne steht. Von dem ganzen Eindruck des deutschchristlichen Schreckenregiments in der bayerischen Landeskirche durch den Rechtswalter Jäger waren die entscheidenden Männer der Reichskirchenregierung nicht unterrichtet.

Der Reichsbischof und sein Rechtswalter sind angeklagt, das Manneswort nicht gehalten, und den Kampf der Wahrheit gegen die Lüge nicht in der Wise geführt zu haben, wie es deutschen Männern und evangelischen Kirchenführern geziemt.

Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte

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Indem sie die Anklage erheben, bekennen sie sich selbst schuldig, vielfacher Verfehlungen wider Gottes heiligen Willen und Gebot. Sie empfehlen sich und die leitenden Männer der Deutschen Evangelischen Kirche der Barmherzigkeit Gottes. „Verleih uns Friede gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten! Es ist ja doch kein andrer nicht, Der für uns könnte streiten, Denn Du, unser Gott, allein.“

Dokument III: Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte vom 11. Januar 1945 morgens aus der Haftanstalt Tegel vor der Urteilsverkündigung des Volksgerichtshofes3 Also meine Brigitte, meine ganz geliebte Frau, eben geht P.[oelchau], der Getreue wieder. Was für einen schönen Brief hast Du mir geschrieben, Du tapferes Mädchen. Ja, in 2 oder 3 Stunden fällt die Entscheidung. Daß Todesstrafe (bei mir ohne Vermögenseinziehung) beantragt ist, weißt Du ja. Ich muß gestehen, daß mir das keine ganz kleine Welle – im Sinne von Matth. 14 ist. Und ich hatte schon einiges zu tun, bis ich damit fertig wurde. Aber verschlingen konnte sie mich nicht. Ich habe eben mit P. darüber gesprochen, was Dich und mich in diesem Stunden am meisten bewegt. Täuschung oder Wirklichkeit. Die Verheißung von Ps. 118,17. In diesem Augenblick, in dem ich schreibe, bin ich der tiefen Gewißheit: Wirklichkeit. Die Verheißung wird sich heute erfüllen. Ich glaube, daß mir das Gott heute von neuem gesagt hat. Menschliche Gründe kann ich nicht daneben stellen, obwohl ich Gott dankbar bin, daß er es mir nicht noch schwerer macht, mit meiner kleinen Kraft an seinem Gebot festzuhalten. Denn als ein strenges Gebot empfinde ich es ja seit langem. Gott verlangt von mir, daß ich nicht nach rechts und links schaue, sondern allein nach vorn, auf Ihn, auf Sein Wort, und daß ich glaube, konkret glaube, ohne zu markten oder zu spekulieren oder umzudeuten. Es wäre vieles leichter und meine Situation in diesen Stunden gewiß einfacher, wenn ich deuten dürfte, so daß es zwei Möglichkeiten gäbe. Aber das hat mir Gott, wie ich meine, eben nicht erlaubt. Und ich möchte gerne 3 Das Original des Briefes befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3) und ist aufgrund Gerstenmaier schriftlich fixierten Wunsch vom 5. 2. 1981 für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Mit Genehmigung von Cornelia Gerstenmaier konnte er jedoch eingesehen werden und wurde auch 1992 abgedruckt bei Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 87–91.

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gehorsam sein und den Weg in diesem Gehorsam zu Ende gehen, wenn mir vor dem Wagnis dieses Ganges auch zeitweilig bange wird. Aber Gott hat mir bis jetzt immer das Herz gestärkt und den Weg bereitet – das habe ich ja in diesen Monaten und gerade auch gestern tief erfahren –, ich glaube, daß Er es auch weiter tut. Auf rationale Erwägungen kann ich nicht eingehen, das ist Trügnis. Damit ersäuft man sofort. Ich bin eigentlich auch jenseits des Gefühls angelangt, obwohl meine ganze innerliche Grund- und Lebensströmung ziemlich ruhig dem Leben mit Dir und den Unseren und den Freunden zuströmt, die uns Gott noch läßt. Also es bleibt dabei: ich muß es wagen, weil ich – wahrscheinlich selbst wenn ich es wollte – gar nicht mehr davon loskann: Ps. 118,17/18 wird an mir in Erfüllung gehen, weil Gott es mir so gesagt hat und auf vieles, vieles Beten mir bin in diese Stunde immer wieder gesagt und bestätigt hat. Ich habe P. gesagt, daß das Schreckliche eines solchen Gebots und Gehorsams die Alternativlosigkeit sei. Eine Art „Rückversicherung“ kann und will ich auch im Anblick des Todes Gott nicht zumuten. Er tue, wie es Ihm gefällt. „Siehe, hier bin ich.“ Geht es zum Tod, und nach redlicher menschlicher Überlegung ist das wahrscheinlicher als umgekehrt – nun dann wird Gott weitersehen, was Er mit mir macht. Ich weiß es nicht. Eine Freude ist es mir dann immer noch, mit solchen Freunden im Kampf um das zu fallen, was mir von früher Jugend an heiliger war und mehr als das Leben. Überhaupt geht es in diesen Stunden mir nicht mehr sehr viel um mein Leben. Mein ganzes Sein ist vorwärtsgezogen auf die große Erfahrung der Wirklichkeit Gottes und der unmittelbaren Wahrheit seines Wortes in diesem Leben. Ich brauche das, um Ihm dienen, um sein Prediger sein zu können. Denn in Zukunft kann und darf ich nicht hypothetisch reden. Dazu wird die Zeit zu ernst und schwer. Aber verzeih, daß ich immer so viel von mir rede. Du weißt, wie sehr Du, unser Körnchen, die Mäde und alle andern, die Freunde und die Freundinnen mir am Herzen liegen. Grüße Marion, die Getreue, und Freya, die Tapfere. Wie viel legt Gott Euch auf. Aber Er läßt uns nicht ungesegnet. Helmuth bewegt mich unablässig. Gestern nachmittag stand er ganz im Glanz und in der Heiterkeit des Friedens Gottes. Ich war ganz unerschüttert, bedacht, meine auferlegte Rolle durchzuspielen. Das Ganze ein Theater. Selbstverständlich stehe ich ganz unerschüttert noch genauso, wie ich am 20.7. abends abzog und mich neben Peter stellte. Froh bin ich, daß dieses Theaterspiel nun auf alle Fälle ein Ende hat. – Stuttgart ist übrigens nicht nötig. Der Name W’s [Bischof Wurm] fiel während der ganzen Verhandlung kein einziges Mal, auch die DEK nicht; auch vom 20.7. bei mir kein Wort. Die beiden Kreisauer Tagungen u. die Goerdeler-Besprechung bei Peter waren alles. Ja, und nun mein Liebstes, wird bald der Marsch beginnen. Noch einmal: ich glaube zum Leben und nicht zum Tod. Geht es anders, dann wäre ich darüber betrübt, daß ich Dir und Mäde und P.[oelchau] große innere Not bereitet habe. Aber auch dann kann ich nur sagen, daß ich es getan habe, weil ich dem Wort vertraut habe, das mir meine Konfirmation mitgab und über das

Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte

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ich so oft nachgedacht habe: „Seid fest im Glauben wie ihr gelehrt seid und seid in demselben reichlich dankbar.“ Dabei stand der Vers: „Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen. Wollt ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und fein stille bleiben.“ Das alles muß nun bewährt werden. Und ich danke Gott dafür, daß ich es darf – und sogar unter dem ausdrücklichen Siegel der Verheißung zum Leben darf. Ich erinnere mich genau, wie ich mir auf dem Weg zur Straßenbahn an jenem Abend mit Dir Mühe gab, Dir Worte des Abschieds zu sagen und Dir einige Bitten für Körnchens Erziehung zu hinterlassen. Ich weiß noch genau, wie wir unter der Bahnüberführung zum Händelplatz gingen und wie ich mir das losringen wollte. Aber derselbe innere Zwang hat es mir verwehrt, der mich auch jetzt daran hindert. Ich kann nicht, sagte ich mir damals, ich darf nicht, muß ich mir jetzt sagen. Und ich glaube zu wissen, warum nicht. Gottes Gebot, seinem Wort, seinem unmittelbaren, mich betreffenden Wort zu vertrauen, gehorsam zu sein um jeden Preis, das bindet mich. Darum kann ich auch Dich nicht daraus entlassen. Jetzt ist die Stunde der Bewährung. Jetzt heißt es wie nie zuvor: Sursum corda – die Herzen in die Höhe! Und da will ich mit Gottes Hilfe nicht wanken und nicht weichen, auch wenn es die letzte Faser meiner Kraft fordert. Und zuweilen tut es das. Aber heute morgen hat mir Gott wieder geholfen, nicht nur, daß ich Matth. 14,22 ff. hatte – unwissend für welche Situation auf gestern abend gestellt und ebenso unwissend Ps. 118 auf heute früh, Luk. 1,68 ff. auf heute abend, nein in großer Anfechtung bat ich Gott heute früh um sein eindeutiges Wort. Und siehe, ich schlug Jer. 46,28 mit dem Finger drauf. Ich lebe in einem atemberaubenden, das Herz jagenden Dialog mit Gott, dem lebendigen Gott und seinem Wort, seinem mir gegebenen. Darum, geliebtes Leben, und wenn die Welt zerbricht: ich kann Dir jetzt keinen Abschiedsbrief schreiben. Und niemand. Gott läßt mir keine Freiheit dazu. Ich empfinde ganz deutlich das Wagnis. Aber es muß sein. Gott will es! Er helfe uns! Amen. Für immer und immer Dein Gen.

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Dokument IV: Brief Eugen Gerstenmaiers an seine Frau Brigitte vom 11. Januar 1945 abends aus der Haftanstalt Tegel nach der Urteilsverkündigung des Volksgerichtshofes4 Meine Brigitte, Gott hat gesprochen. Ich soll leben. Du wirst es, während ich schreibe, erfahren. Zum erstenmal seit mehr als einem Vierteljahr bin ich ohne Fesseln, und deshalb kann ich noch am Abend schreiben. Helmuth, Delp und Sperr zum Tode verurteilt. Vermögen bleibt unangetastet. Ich will jetzt nicht von meinen Gefühlen sprechen. Eigentlich habe ich gar keines, ich bin noch jenseits davon. Ich spüre nur eine ungewöhnliche Leichtigkeit, die mir ganz neu, fast fremd ist. Vielleicht gab es das früher einmal auch so ähnlich, so ohne Last zu leben, aber ich weiß es nicht mehr. In meinen Gedanken, in meinem Geist, der ganz ruhig, still und unbewegt ist, steht ganz in der Nähe etwas, das mich bannt, bewegt und sicher noch sehr lebendig wird: Helmuth. Er ist weit gefestigter als ich. Glücklich, erfüllt und von einer brüderlichen Wärme und Gelöstheit, wie ich sie so nie zuvor an ihm erlebt habe. Er kehrt nicht von soweit zurück wie ich und muß nicht erst die Maske abbinden, die zu meinem Kampf nötig war. Gott hat ein Wunder getan. Sichtbar, greifbar. Das ist ohne Zweifel. Die Gestapisten staunen. Den Weg, den Gottes ruhige, stille Weisheit gegangen ist, das ist buchstäblich die komplette Überlistung Herrn Fr’s [Freislers] und seiner Kumpanei. Der scharfsichtige Herr erklärte mich für einen „polit. Schafskopf“. Das Ergebnis meines Auftretens in seinem Gemisch von Offenherzigkeit, Freimütigkeit, Saloppheit, schwäb. Dialekt und penetranter gewissenhafter Korrektur auch der kleinsten Unrichtigkeit des seine Akten trefflich kennenden Herrn Präsidenten und Staatssekretärs – in allen völligen Belanglosigkeiten. Das hat mir zu der treffenden Charakterisierung als eines total weltfremden kirchl. „Bürokraten“ verholfen. Beides zusammen mußte natürlich zu der Feststellung meiner polit. Unzurechnungsfähigkeit führen, nachdem ja schon der Vertreter des Herrn ORAnw. [Oberreichsanwalt], Herr Lgerdir [Landgerichtsdirektor] Schultze, in seinem Plädoyer festgestellt hatte, daß ich ein „blasser Theoretiker“ von vollendeter „Weltfremdheit und Ahnungslosigkeit“ sei – im Unterschied zu dem mit allen Wassern gewaschenen gerissenen Jesuiten Delp. Also kurzum: Gott gefiel es, die Gegner mit Blindheit

4 Das Original des Briefes befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3) und ist aufgrund Gerstenmaier schriftlich fixierten Wunsch vom 5. 2. 1981 für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Mit Genehmigung von Cornelia Gerstenmaier konnte er jedoch eingesehen werden und wurde auch 1992 abgedruckt bei Gerstenmaier/Gerstenmaier, Zwei, 91–93.

Brief Helmuth James Graf von Moltke an Eugen Gerstenmaiers

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zu schlagen. Und so ist ja nun auch die Frage beantwortet, die ich mir oft vorgelegt habe: wie Gott wohl retten wird. Nun habe ich eine Bitte, mein geliebtes mir neugeschenktes Weib, nämlich die, daß Du so gut Du kannst mit mir treu weiterbetest. Du siehst nun: Gott will etwas von uns. Er schenkt uns, daß wir Ihm zusammen dienen, Ihn gemeinsam lieben dürfen. Nun wollen wir unser Leben lang auch zusammen beten. Darauf stand – und steht mein Leben. Und jetzt zuerst für den Helmuth. Noch steht die Losung vom Di.[enstag], 2. Chron. 32,7/8 u. 20/22. Niemand kann mir mehr sagen, daß Gott nicht direkt rede – mit uns armen Sündern. Oh meine holdselige Liebe, ich weiß noch nicht recht, was überhaupt geschehen ist. Es wird noch dauern, bis ich es ganz fasse. Neuberufen! Die Wirklichkeit Gottes, die Wahrheit seines Wortes ist da. Ich muß nicht in die Hölle. Sag es Pö. [Poelchau], sag ihm, meine Liebe [… unleserlich] – Alles, alles ist noch ganz still in mir. – Sein auf der Seite Gottes. Dein Gen Ach da fällt mir noch ein, 7 Jahre Z. [Zuchthaus] + 7 Jahre Ehrverlust habe ich auch gekriegt. Schön! Grüße Freya und Marion – ich bete für sie.

Dokument V: Brief Helmuth James Graf von Moltke an Eugen Gerstenmaiers vom 13. Januar 1945 in der Haftanstalt Tegel5 Lieber Eugen, einen sehr wunderbaren Bericht bin ich Ihnen schuldig. Jetzt um diese Zeit vor drei Tagen war das merkwürdige Gespräch zwischen Freisler und mir im Gange, dessen genauer Inhalt vielleicht nur zwischen den Worten hing. Jedenfalls ist F. der erste N.S., der begriffen hat wen, oder besser was er in mir vor sich hat. Nachdem im Grunde alle Tatbestände sich als zu dünn entpuppt hatten, nachdem Reisert gesagt hatte: ein merkwürdiger Grossgrundbesitzer, der eine grossgrundbesitzfeindliche Agrarpolitik vertritt; nachdem Sperr gesagt hatte: ein merkwürdiger Preusse, dem an der Erhaltung Preussen’s nichts liegt; nachdem alle meinten u. Schulze später sagte: ein merkwürdiger Adeliger, der allen seinen Standesgenossen ein Greuel gewesen ist u. auch sein muss; u.s.w.; nachdem also klar war, daß ich keinen 5 Das Original des Briefes befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin (ACDP, Nachlass Gerstenmaier, 01-210-005/3) und ist aufgrund Gerstenmaier schriftlich fixierten Wunsch vom 5. 2. 1981 für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Mit Genehmigung von Cornelia Gerstenmaier konnte er jedoch eingesehen werden.

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eigenen Vorteil, kein eigenes Interesse, kein Berufsinteresse, kein konfessionelles Interesse, kein Standesinteresse, kein eigentliches Staatsinteresse verfochten habe, war Gegenstand der Freisler’schen Wut der Christ Moltke. Nichts weiter. Und das hat er in viele Sätze gekleidet, deren Höhepunkt war: „Ihr Christentum und wir haben nur eines gemeinsam: wir verlangen den ganzen Menschen“. Nachdem ich das gehört hatte, meinte ich, daß mir Schuppen von meinen Augen fielen und daß der Herr diese unendliche Mühe an mich gewandt hat um mich mit Attributen wie Name, Rang, Besitz, Intelligenz auszustatten, um durch komplizierte Umwege alle diese Attribute als Treibfedern meines Handelns sichtbar auszuschalten, und so dem N.S. Freisler den Nur-Christen gegenüber stellen und Freisler zu jener eindeutigen Demaskierung zu zwingen. Daher meinte ich von dem Augenblick an, in dem ich jenes Wort hörte und in dem Freisler und ich gegenseitig unseren tiefen, unüberbrückbaren Gegensatz verstanden, nun sei mein Auftrag erfüllt und ich könnte nun sterben, nein ich müsste sogar sterben um diesem Gegensatz in seiner Klarheit und Prägnanz die nötige Legende und damit die Breitenwirkung zu liefern. – Daß diese Auffassung mit meiner Erkenntnis ohne Bruch vereinbar war, wissen Sie. Daß mich von jenem Augenblick alle Todesfurcht verlassen hat, wissen Sie auch, denn ich nehme an, daß es Ihnen nicht verborgen geblieben ist. Ich kann nur bitten, daß wenn der Herr mich diesen Weg gehen lässt, es so bleibt. Nun hatte ich in den Lesestellen, die Sie aufgeschrieben hatten, für heute Morgen durch einen Schreibfehler Jona 2 aufgeschrieben; das ist die Hure Rahab. Ich hatte mich etwas darüber gewundert, daß Sie gerade diese Stelle nahmen, aber nach Hebräer 11 war es immerhin denkbar. Nun sagten Sie mir bei der Freistunde Jona 2 sei dran. Im Augenblick dachte ich nicht daran, was das für eine Stelle sei, denn ich bildete mir ein, der Walfisch sei schon in Jona 1 abgehandelt. Wie wir zurückkamen las ich Jona 2 und scheuerte dann meine Zelle. Aber während ich scheuerte fielen mal wieder Schuppen von meinen Augen. Ich habe die Stelle Jona infolge des Schreibfehler’s nämlich nicht am Morgen gelesen, sondern auf die Stunde 3 Tage nachdem F. mir jenen entscheidenden Satz gesagt hatte: „Wir verlangen beide den ganzen Menschen“. Sollte das nicht heissen, daß jener Satz den Freisler mir in Gottes Auftrag sagte, eben ein Auftrag ist? Sollte das nicht heissen, daß jener Satz nicht das Ende meines Lebens und seine Erfüllung und Sinngebung bedeutet, sondern vielmehr das Ende der Lehrjahre, an deren Ende mir eben jener Auftrag gegeben ist? Lieber Eugen, uns sind zu wunderbare Dinge widerfahren, als daß wir noch ein Recht hätten, an irgendwas zu zweifeln. Ich meine ja nach wie vor, daß Gott mir auch den Inhalt der nächsten Sekunde niemals offenbaren will, sondern daß er verlangt, daß ich im Dunkeln einem Ziel zugehe, das nur er kennt und das sehr wohl Plötzensee heissen kann. Daß er mir aber einen Auftrag erteilt hat, dessen bin ich gewiss; daß ich diesen Auftrag im Grunde nur erfüllen

Brief Eugen Gerstenmaiers an Helmuth James Graf von Moltke

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kann, wenn ich noch eine Zeit lang lebe, scheint mir sicher, obwohl das ganz anders sein kann; daß ich diesen Auftrag erkenne genau 3 Tage nachdem ich ihn gehört habe, ist erstaunlich und daß ich ihn durch jene Stelle Jona 2 erkenne, ein Wunder. H.

Dokument VI: Brief Eugen Gerstenmaiers an Helmuth James Graf von Moltke vom 18. Januar 1945 in der Haftsanstalt Tegel6 Lieber Helmuth, Ihr einjähriges Jubiläum will ich doch nicht vorbeigehen lassen, ohne Ihnen einen Gruß zu sagen. Heute vor einem Jahr hat die Bewährung begonnen. Für uns alle. Und was liegt alles dazwischen! Hat sich nicht alles in einem Ausmaß vollzogen, wie wir es uns so doch nicht vorgestellt haben? Sowohl die Not wie die Hilfe, das Grauen wie die Gnade! Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich ganz so wie Sie dieses Jahr als den Abschied von der Jugend – von den Lehrjahren, wie Sie sagen – empfinde. Gewiss einer festen Berufung Gottes. Nach Seinem Willen gehen wir der Höhe des Mannesalters entgegen – zu Seinem Dienst. Dass wir es zusammen tun dürfen, ist mein unablässiges Gebet nicht nur für Sie und die uns nahe stehen, sondern auch für die Schar namenlos Elender, die Männer braucht, die durch Gottes Güte zu helfen willens sind. In diesen Tagen habe ich viel über Ihren Brief nachgedacht. Und ich will bei dem Chronisten-Wort gehorsam stehen bleiben. Nein, nicht ein einzigesmal hat mich Gott auf mein so ernstliches Gebet sitzen lassen. Wie sollte ich mich nach der Erfahrung eines so großen Wunders noch umwerfen lassen! Ich meine nur Folgendes: Gott will eisernen Gehorsam. Mein Kampf ging immer darum, dass ich mich nicht selbst betröge. Und Gott hat mir und Ihnen gezeigt, dass Er sich die Freiheit vorbehalten hat, aller Psychologie zum Trotz uns unmittelbar im Geiste und in der Wahrheit anzureden. Warum sollen „die Schuppen“, die von Ihren Augen fielen, nicht auf Befehl Gottes gefallen sein? So fängt es an. Dann kommen viele Anfechtungen und Zweifel. Da kann man nur sagen: Siehe hier bin ich. Tue, was Dir gefällt. Aber dass Du, Gott mit mir geredet hast, dass Du mich zum Leben willst – daran halte ich fest, bis mir die Augen brechen. Durch dick und dünn. – Und das ist schwer. Übrigens ist es nicht richtig, dass Gott uns nicht auch sagen, jedenfalls zuweilen sagen will, was Er mit uns in der nächsten Sekunde vorhat. Er sagt zwar nicht dies und jenes, aber Er sagt z. B.: Jetzt wird nicht geträumt und 6 Das Original des Briefes befindet sich im deutschen Literaturarchiv in Marbach und wurde bereits abgedruckt bei Moltke/Moltke, Abschiedsbriefe, 566 f.

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gefaselt, sondern tapfer gestorben, und Er sagt auch zuweilen sehr nachdrücklich, jetzt wird nicht gestorben, hör auf mit Deiner Todesbesessenheit, jetzt wird noch tapferer, noch großherziger, noch kühner, noch gläubiger und hingegebener – d. h. die Bibel „demütig“ – gelebt. Gelebt in meinem Dienst! Das sagt Gott z. B. auf den Blättern der Bibel viel öfter als das Umgekehrte. Ich bin sehr dankbar, dass Gott Sie der Todbesessenheit entrissen hat. Er greift dem Tod und dem Teufel in den Rachen und zieht uns heraus. Aber es muss geglaubt sein. Der Glaube ist zwar nicht die prima causa für das, worum wir bitten, ja vielleicht nicht einmal immer die conditio sine qua non, aber es sieht in der Bibel doch oft so aus. Ich denke z. B. an Jeremia 39,18–Schluss, oder an Hebr. 10,35 und 38/39, überh. Hebr. 11/12, vor allem aber an Röm. 4,18–22, wo Paulus ein gewaltiges Thema des ganzen A.T. aufnimmt und mit den immer wiederholten Aussagen Jesu verbindet, denken Sie nur – ich greife wahllos in die Fülle – an Luk. 5,12/13; Luk. 7,7–9; Matth 15,28 usw. Wobei ich gestehen muss, dass das alle Maße sprengende Wort Mark. 9,23 jedenfalls in seiner buchstäblichen Bedeutung auch jetzt noch meine Kraft übersteigt. Aber dafür müsste ich eigentlich Buße tun in Sack und Asche. Überhaupt – ich, der Theologe, ausgestattet mit allen Graden akademischer theol. Weisheit kann, nein darf jetzt nur mit Hiob sagen, was Hiob 42, 5/6 steht. Das heiße ich das Wunder. Also, lieber Helmuth, wollen wir uns mit Gottes Hilfe weiter durchbeten und durchglauben. Bleiben Sie fest, fest, fest! Sie können es auch, es wird nicht über die Kraft gehen, denn Gott ist doch mit uns. Herzlich Ihr E.

Dokument VII: Predigt Eugen Gerstenmaiers über Hiob 42, 1–2 und 5–6 vom 29. April 1945 im Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth7 „Und Hiob antwortete dem Herrn und sprach: Ich erkenne, daß du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. Ich hatte von dir mit den Ohren gehört; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“

Liebe Freunde und Gefährten! Zwischen Ende und Beginn sind wir in dieser Stunde zusammengekommen, um Rückblick und Ausblick zu halten. Unter ein Kapitel Weltgeschichte wird in diesen Tagen der Schlußstrich gezogen, und jeder sieht und jeder spürt, daß 7 Die Predigt wurde bereits zwei Mal 1956 abgedruckt (Gerstenmaier, Reden, Bd. 1, 25–34; und ders., Predigt, 529–531) und ein Mal 1987 (Ders., Weg, 53–55).

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vor unseren Augen ein neues Blatt der Weltgeschichte aufgeschlagen wird. Noch bebt die Erde unter dem Sturz einer ruchlosen Gewaltherrschaft, unter dem Gericht über die Dämonien frevelhafter Überhebung und satanischen Trotzes. Wir aber stehen hier, befreit und errettet aus den Fängen der schrecklichen Gewalt, die uns so lange umkrallt hielt, die so viele von uns zerfleischt und vernichtet und Tausende, ja Millionen, in den Abgrund der Verzweiflung gestoßen hat. – Die Tore unseres Gefängnisses sind aufgetan. Jeder Tag führt uns tiefer hinein in die Freiheit und zurück in das Leben. Galgen und Schafott schrecken uns nicht mehr, die Fesseln sind zerrissen, der Hunger wird gestillt, die Erniedrigung und Beleidigung ist zu Ende. Neu geschenkt liegt das Leben vor uns wie diese Frühlingstage, in denen wir zum ersten Mal wieder frei über die Wiesen und durch die Wälder schreiten. Tod und Gefängnis hinter uns – Leben und Freiheit vor uns! – I Von Martin Luther wird berichtet, daß er nach seiner Verhandlung vor Kaiser und Reich auf dem Reichstag zu Worms beim Verlassen des Saales wie ein Landsknecht nach dem Sturm die Arme in die Höhe geworfen habe und in den Ruf ausgebrochen sei: „Ich bin hindurch! Ich bin hindurch!“ Wir sind hindurch! Darum stehen wir in dieser Stunde hier mit unserer Freude und mit unserem Dank, mit unserer Hoffnung und mit unserem Planen. Uns, denen alle Zukunft genommen schien, uns, die wir in der Mitte des Lebens gebrochen werden sollten – uns ist wieder eine Zukunft geschenkt; wir dürfen leben, planen, wirken! Wir, die wir getrennt wurden von allem, was uns lieb und teuer war, wir dürfen von neuem beginnen zu leben und zu lieben. Ja, wievielen Herzen ist in diesen Jahren der Zerrissenheit neu und machtvoll die Liebe erblüht zu Weib und Kind, zu Heimat und Haus. Und wie mancher hat die Wahrheit und stille Schönheit dieser Liebe gerade so an sich selber erfahren, wie es das Volkslied singt: „Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, Wir sind gesinnt beieinander zu stahn. Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein Soll unserer Liebe Verknotigung sein. – Recht als ein Palmenbaum über sich steigt, Hat ihn erst Regen und Sturmwind gebeugt: So wird die Lieb in uns mächtig und groß Nach manchen Leiden und traurigem Los.“ –

Das alles ist uns neu geschenkt. Die Freiheit steht vor uns, das Leben umfängt uns! Wir sind hindurch! Hier stehen wir mit unserer Freude und mit unserem Dank. Aber hier stehen wir auch mit der Trauer und dem Leid um die, die uns nahe waren und nicht mehr sind, die mit uns den Weg des Kämpfens und

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Leidens zogen und auf der Strecke blieben. Wieviele sahen wir von uns gehen, weggerissen an den Galgen, zusammengebrochen unter den Salven der Erschießungskommandos oder auch langsam und qualvoll unter uns sterbend in Hunger und Elend, wie jene Kameraden, deren Leichen wir auf dem Weg nach Bayreuth ausgeladen haben. In dieser Stunde grüßen wir sie, die gefallen sind im Widerstand gegen die Tyrannei. Und wir gedenken auch der vielen, vielen, die in den Schlachten dieses Krieges geblutet haben und gestorben sind. Wir denken an die, die unter den Trümmern der zerstörten Städte liegen – zerstampfte und zertretene Opfer infernalischer Überhebung und fanatischer Besessenheit. Und unsere Sorgen sind bei denen, die uns teuer sind, die wir bald, bald wiederzusehen hoffen, mit denen wir das neu geschenkte Leben teilen wollen und um die wir doch seit langem im Ungewissen sind. Wahrlich, diese Stunde ist nicht die Zeit des lauten Jubels, wohl aber eines tiefen Dankes, einer sehnsüchtigen Hoffnung und einer stillen Trauer. Blut und Tränen liegen auf dem Weg, den wir gezogen sind. Gräber und Ruinen säumen die Straße, auf der wir in die Zukunft gehen. Unwiederbringbar ist dahin, was vielen von uns unentbehrlich erschien, und unwiederholbar ist geworden, wovon viele von uns Stunde um Stunde in der Einsamkeit der Zelle träumten. Wir können nicht mehr in den alten Häfen vor Anker gehen, selbst wenn wir es wollten. Wir können nicht so tun, als ob das Leben nun wieder so weitergehe, wie wir es vor 12 oder 15 Jahren gelebt haben. Das ist vorbei. Ein neues Blatt der Weltgeschichte wird vor uns aufgeschlagen. Aber erst in zagen, kaum erkennbaren Umrissen heben sich aus der Zukunft da und dort die Linien einer neuen besseren Welt. Glühend lebt zwar das Bild einer neuen Zeit, einer neuen besseren Welt in den Herzen vieler, die auf dem Schutt Europas stehen. Niemand sage, daß das nur eitle Hirngespinste armer Toren und Phantasten seien. Nein, hier meldet sich das Herz der Menschheit selber zum Wort: „Seht, wie der Zug von Millionen Endlos aus der Finsternis quillt, Bis unsrer Sehnsucht Verlangen Himmel und Erd überschwillt.“

Das ist die Stimme des Menschen auf den Totenfeldern Europas, das ist der Ruf, der inbrünstige Schrei nach menschenwürdigem Leben in Freiheit und Gerechtigkeit, dafür haben viele, viele gestritten und dafür wird von neuem geplant, gehofft und gearbeitet. Neben diesem Glauben an die Zukunft aber steht heute wie seit langem jene kühle Zurückhaltung resignierter Weltbetrachtung, der nichts von Dauer, nichts von beständiger Geltung zu werden vermag. Pamta ÂÆi – alles fließt, alles strömt – alles kommt und alles vergeht! Eine tiefe Resignation, eine stille Verzweiflung beschleicht den, der sich nicht von den Schlagworten des Tages gefangennehmen läßt, der die Welt in ihrem Auf und Ab ins Auge faßt, der die

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Träume des Menschenherzens nach Glück und Frieden, nach Erfüllung und Vollendung kennt, der aber auch sieht, wie wenig die Weltgeschichte davon verwirklicht. Pamta ÂÆi – alles fließt! Lohnt es sich da, immer wieder von neuem anzutreten für eine bessere Welt? II Etwa gleich alt wie die Weisheit Heraklits ist die Erkenntnis Hiobs. Seit 2500 Jahren stehen beide nebeneinander: Heraklits ernste Welterkenntnis und Hiobs tiefe Gotteserkenntnis. Die Quintessenz zweier Leben. Zwei Stimmen, die durch die Jahrtausende hindurch Kraft und Geltung behalten haben für die ganze Menschheit. Zwei Antworten auf die letzte Frage menschlichen Seins, die beiden einzigen Parolen der Weltgeschichte, die immer Geltung haben. Was ist die Welt? Welchen Sinn hat die Geschichte? Wer sind wir? – Dahintreibende Blätter im Strom der Geschichte? Bestimmt von dem dunklen Gesetz des Lebens, gespielt und vergessen im Lauf der Zeit? Was ist die Weltgeschichte? Was ist unser Leben und Streben? Die triebhaft dunkle Sucht, im Spiel der Vergänglichkeit Täuschungen nachzujagen, das ewig Relative mit dem Schein von Dauer und Bestand zu verkleiden? So sieht Heraklit die Welt! Oder ist die Geschichte doch der Ort der großen, für die Ewigkeit und vor der Ewigkeit gültigen Entscheidungen menschlichen Lebens? Die Walstatt zwischen dem Willen Gottes und den Dämonien untermenschlicher Brutalität und Vernichtung? So sieht Hiob die Welt im Lichte seiner Gotteserkenntnis. Das Gebetswort Hiobs: „Ich erkenne, daß Du alles vermagst, und nichts, das Du Dir vorgenommen, ist Dir zu schwer“ – ist die Überwindung aller resignierenden Weltdistanz, das Ergebnis eines Menschenlebens, das wie wenige durch die Tiefe gegangen ist. Durch Not und Leid, durch alle Feuer der Verzweiflung und der fragenden Ungewißheit hindurch ringt sich Hiob hin zu der Erkenntnis der Welt. – Heraklit, der Grieche, sieht das Gesetz der Vergänglichkeit, Hiob, der Beter, Zweifler und Kämpfer aber erkennt die Wirklichkeit Gottes und damit zugleich den ewigen Sinn der Weltgeschichte und des Menschen. In diesen Tagen bricht mit den letzten Pfeilern der Gewaltherrschaft der vergangenen 12 Jahre auch die Weltanschauung zusammen, deren letzte Weisheit das Gesetz des Blutes war, einer Anschauung, die sich vermaß, der Freiheit des Geistes, dem Weg und Werke Gottes Zaum und Zügel, ja Ketten und Fesseln anzulegen. Die stille Gewalt Gottes hat sie gesprengt. Was wir nicht zu tun vermochten, Gott hat es getan. Wem unter uns nicht schon zuvor in diesen Monaten und Jahren des Kämpfens und Leidens die Wirklichkeit und Wahrheit Gottes aufgegangen ist, dem möge Gott es in der Stunde der Befreiung geschenkt haben oder noch in dieser Stunde der Rückschau geben, daß er mit Hiob sagen kann: „Ich erkenne, daß Du alles vermagst.“

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Denn ist Er nun ein Traum, eine Redensart, eine Illusion gewesen? Oder ist Er nicht wirklich und wahrhaftig der Herr unseres Lebens, der Richter unserer Zeit geworden? Wir sind nicht nur Leidgeprüfte, wir sind Tiefbeschenkte, denn jeder Tag unserer Freiheit, jede Stunde unseres neugewonnenen Lebens tut uns kund: Gott lebt! Er ist nicht tot, wie Nietzsche einst verkündet hat. Über dem Welt- und Naturgesetz, über dem Ahnen der Völker und Zeiten, über dem Gestammel armer Sterblicher steht Er, lebt Er, wirkt Er! Ob wir es wissen wollen oder nicht, glauben oder bestreiten: Gott selber ist! Gott selber schafft! Gott selber regiert und entscheidet und richtet! Deshalb ist es wahr und wird immer wieder wahr werden: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.“ Darum ist sie kein Spiel oder zynisch-blutiger Witz auf Kindergebete und Menschenwürde. O nein! Gott sitzt im Regimente! Unser Haupt verhüllend dürfen wir mit Hiob sagen: „Ich erkenne, daß Du alles vermagst, und nichts, das Du Dir vorgenommen, ist Dir zu schwer.“ III Liebe Freunde! Die Botschaft der Bibel, die ganze Gotteserkenntnis des Christentums läßt sich in drei oder vier Worten zusammenfassen. Ich könnte auch sagen in zwei kurzen Sätzen, die jeder Zeit seines Lebens und – was mindestens ebenso wichtig ist – auch durch seinen Tod hindurch behalten, unbedingt und unverlierbar sich in Herz und Sinn prägen kann und soll. Der erste kurze Satz heißt: Gott ist! Der zweite: Gott für uns! Die ganze Botschaft der Bibel, die ganze Lehre, das ganze „Dogma“ des Christentums, das ganze Geheimnis der Christenheit besteht darin: Gott ist für uns! Gott ist für den Menschen! Gott ist für die Welt! Es hat keinen Sinn, in einer Zeit, in der Gottes Griffel Geschichte schreibt, über die Wirklichkeit Gottes zu diskutieren, wie man über Literatur oder Politik diskutiert. Denn es kommt nicht darauf an, ob sich Staaten und Völker, Zeiten und Moden, Universitäten und Gelehrte, Künstler und Politiker darauf einigen, was sie von Gott halten wollen. Das ist alles nicht annähernd so wichtig, wie wir es annehmen. Wichtig ist allein, ob es Gott gefällt, uns von Zeit zu Zeit wieder einmal so die Augen zu öffnen, daß wir über Gott nicht mehr theorisieren, spintisieren und diskutieren, sondern daß Seiner Wirklichkeit in der Welt und in unserem Leben innewerden, unsere Knie beugen und sagen dürfen: Unser Vater in dem Himmel! Es ist ein anderes, über religiöse Fragen zu diskutieren, und wieder ein anderes, die Wirklichkeit Gottes zu erfahren. Jetzt ist nicht die Zeit zum Diskutieren, es kommt gar nicht darauf an, was der Einzelne der wir alle zusammen gütigst von Gott zu denken geruhen, aber es ist entscheidend wie nichts, wie gar nichts in dieser Zeitenwende, ob wir die Stimme Gottes, das Werk Gottes trotz dem Lärm des Tages in unsere persönlichen und gemein-

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samen Leben zu erkennen vermögen, ob uns eine Ahnung davon aufgeht, daß wir nicht blindlings in den Strom der Geschichte geschleudert sind, daß wir nicht nur einer undurchdringbar dunklen Zukunft von neuem unumkehrbar zugetrieben werden, sondern daß wir, jeder für sich und alle zusammen, du und ich, wir alle in Gottes Hand, an Gottes Herz, in Gottes Plan und Werk hineingenommen sind. Nach großem Leiden und bitterem Verzweifeln erkennt Hiob, der Ringer und Beter, daß Gottes Weg und Liebe über Höhen und durch Abgründe führt, mitten hindurch zwischen Tod und Teufel. Die harmonische landläufige Gottesvorstellung zerbricht an der Härte der Wirklichkeit Gottes. Gott führt durch die Tiefe zur Höhe, durch das Kreuz zum Triumph. Es ist ein Irrtum zu meine, daß diese Weisheit billig zu haben sei. Und es ist ebenso ein Irrtum, daß uns diese Erkenntnis verschlossen sei. Es gibt für uns eine unmittelbare Kundgabe des Geheimnisses Gottes in der Welt, und diese ist die Gestalt und das Wort Jesu Christi. Wir wissen nicht, wer Gott ist, und wer sich vergewissern will, daß Gott für und nicht gegen uns ist, der muß auf Jesus von Nazareth hören und den gekreuzigten Christus ins Auge fassen. „Gott für uns!“ – Das ist das Geheimnis, das uns im Leben und Werk Jesu kund wird. „Gott für uns“ – das ist das Geheimnis, das Hiob, der Leider und Beter, entdeckt. Gott ist wirklich, und er ist wahrhaftig für uns, auch indem Er uns ins Leiden führt, das ist die reale Erfahrung, die durchlebte Erkenntnis der Beter und Ringer in der Gefolgschaft Jesu Christi, ob sie nun gegen die Dämonien der Gewalt standen oder gegen den Schlaf und Zweifel einer geruhigen Zeit. Gott ist für uns. – Als Hiob das erkennt, da bricht er in die Knie, da ist es aus mit Theorie und Weltanschauung, da weiß er es urplötzlich: „Ich hatte von Dir mit den Ohren gehört, aber nun hat mein Auge Dich gesehen.“ Liebe Freunde! Können wir nicht auch alle zu Gott sagen: „Ich habe von Dir mit den Ohren gehört?“ Haben nicht alle Völker Europas seit Jahrhunderten von Ihm mit den Ohren gehört? – Wo man von Ihm nichts mehr mit den Ohren hört, geht nicht allein das Christentum unter, sondern das Menschentum. Man sage nur: Buchenwald oder Auschwitz. – Aber was ist das Mit-den-OhrenHören vor dem unmittelbaren persönlichen Innewerden der Wirklichkeit und Wahrheit Gottes: „nun hat mein Auge Dich gesehen“! Das heißt: nun weiß ich es, ich selbst, daß Du bist, daß Du wirksam bist; daß alles wahr ist, daß Du für uns, auch für mich bist. Die Kraft unserer Sprache, die Kraft meines Wortes versagt vor der Macht dieses Erlebens. Hier hebt der Lobpreis an, die tiefe Anbetung in der Gemeinschaft der Kirche. Sie ist zu aller Zeit der spontane Ausdruck der Entdeckung Gottes gewesen. Und mit allen, denen im Leiden dieser Welt Gleiches zuteil wurde, beugen wir uns, um auch dies mit Hiob zu sprechen: „Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“ Denn wir mögen Helden oder Heilige, Mörder oder Tagediebe sein:

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Wenn unsere Seele Ihn zu erkennen, wenn unser menschliches Auge Ihn zu sehen beginnt, wenn Seine Wirklichkeit vor den Nebel unserer Theorien und Geschwätze tritt, dann können wir nur noch unser Haupt verhüllen, unser schuldig Haupt, und Seine Wahrheit und Größe greifen, wir, wir in Staub und Asche. Denn dann sehen wir das Maß und wissen es, daß uns Staub und Asche gebührt. Möge in dieser Stunde zwischen dem Ende und Beginn zweier Epochen Gottes Güte viele von uns zu dieser Heil und Leben schaffenden Buße führen. Denn in ihr, und in ihr allein, ist alles für uns, alles für Deutschland beschlossen: Umdenken, Neuanfang, neuer Aufbruch aus gelöstem Herzen, ohne Furcht, zum freien Dienst in der Kindschaft Gottes. Liebe Gefährten! In dieser kampfdurchtobten Welt und in dem arbeitsreichen Leben, das unser wartet, werden wir das uns aus Gottes Güte neu geschenkte Leben erst wahrhaftig gewinnen und vollenden, wenn wir es nicht mehr aus Kopf und Herz und Sinnen lassen: „Gott ist!“ Und: „Gott ist für uns!“ – Wir wissen nicht, was das neue Blatt der Weltgeschichte, was die Zukunft bringen wird. Aber Gott will, daß wir furchtlos und dankbar hineingehen als solche, die nicht nur mit den Ohren von Ihm gehört, sondern Seine Wirklichkeit und Wahrheit, Seine Treue und Seine Liebe an ihrem Leben erfahren haben. Auf der Stufe zum Kommenden, am Beginn einer – Gott gebe es – neuen und besseren Gestaltung des europäischen Völkerlebens fassen sich unsere Wünsche und Gebete für unsere liebe deutsche Heimat wie für die Völker der Erde zusammen in der Bitte der Christenheit: Erhalt uns in der Wahrheit, Gib ewigliche Freiheit, Zu preisen Deinen Namen Durch Jesum Christum

Amen.

Abbildungen Nachfolgend sind Bilder abgedruckt, die bisher nicht oder nur teilweise veröffentlicht wurden.

Bild 1: Gerstenmaier (2. v. r.) als kaufmännischer Angestellter der Firma Leopold Stecher. (Bildnachweis: StadtA Ki F 14957).

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Abbildungen

Bild 2 (oben): Gruppenfoto von den Mitgliedern des CVJM Kirchheim unter Teck vor der Christuskirche bei der Verabschiedung von Pfarrer Emil Mildenberger; Gerstenmaier letzte Reihe 5. von rechts. (Bildnachweis: StadtA Ki F 14941).

Bild 3 (links): Passbild aus Gerstenmaiers Rostocker Personalakte von 1935. (Bildnachweis: UAR, 1.09.0, Gers, E).

Abbildungen

453 Bild 4: Gerstenmaier als Vikar in Gaildorf im April 1935. (Bildnachweis: York Christian Gerstenmaier, privat).

Bild 5: Gerstenmaier Ende 1930er Jahre. (Bildnachweis: York Christian Gerstenmaier, privat).

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Abbildungen

Bild 6 (links)

Bild 7 (unten)

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Abbildungen Bild 8

Bilder 6, 7 und 8: Gerstenmaier vor dem VGH am 10. Januar 1945. (Bildnachweis: York Christian Gerstenmaier, privat).

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin (ACDP) Bestand 01-210: Nachlass Gerstenmaier Archiv für Diakonie und Entwicklung in Berlin (ADE) Bestand ZB: Zentralbüro 1945–1957 233 EVW Bd. 02 236 EVW Bd. 05, Bd. 08 Bestand Allg.Slg.: Allgemeine Sammlung 1945–2012 1633 Aufsätze von Eugen Gerstenmaier 1634 Aufsätze von Eugen Gerstenmaier 1538 Bundesrepublik Deutschland 6 Kirche und Öffentlichkeit, Kirche und Politik 1952–1968 Bestand BIO-S: Biografische Sammlung 1848–2012 69 Eugen Gerstenmaier Bestand HGSt: Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD 1957–1991 6088 Aktion Gemeinsinn Bestand EVW: Evangelisches Verlagswerk Stuttgart 1947–1990 1 Gründung 3 Geschäftsführung 4 Finanzen Bd.1 5 Verlagsprogramm 6 Autoren und Weggefährten 7 Finanzen Bd. 2 Bundesarchiv in Berlin (BArch) Bestand NS 6: Partei-Kanzlei NS 6/5 Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 NS 6/11 Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 NS 6/15 Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 NS 6/20 Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 Bestand R 901: Auswärtiges Amt R 901/69300 Kirchensachen, allgemein R 901/69301 Kirchensachen, allgemein R 901/69715 NSDAP und Kirchenfragen Bestand R 5101: Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten R 5101/32 Landeskirchen und DEK Bestand DA 1: Volkskammer der DDR DA 1/21073 Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer 1949–1990

Archivalische Quellen

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DA 1/3485 Präsident der Volkskammer – Johannes Dieckmann Bestand DA 5: Staatsrat der DDR DA 5/95 Fragen des Friedensvertrages DA 5/96 Fragen des Friedensvertrages Bestand DO 4: Staatssekretär für Kirchenfragen DO 4/419 Materialsammlung zu Gerstenmaier DO 4/1 Materialsammlung zu Gerstenmaier DO 4/83 Personen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens A–Z Bestand DP 3: Generalstaatsanwalt der DDR DP 3/2065 Deutsch-deutsche Rechtshilfe für Ermittlungsverfahren und Prozesse in der BRD Bestand DR 3: Ministerium für Hochschule- und Fachschulwesen DR 3/390 Universitäten und Hochschulen Bestand DZ 9: Friedensrat der DDR DZ 9/267 Presseausschnittsammlungen Bestand DY 30: Büro Albert Norden im ZK der SED DY 30/IV 2/2.028/10 Tätigkeit der Kommission für gesamtdeutsche Fragen und Westkommission beim Politbüro Bundesarchiv in Koblenz (BArch) Bestand B 122: Bundespräsidialamt B 122/4956 Korrespondenz Heuss/Lübke B 122/2194 Konflikt Maier/Gerstenmaier B 122/2072 Korrespondenz Heuss/Lübke Bestand B 136: Bundeskanzleramt B 136/4510 Rücktritt Gerstenmaier B 136/51028 Ausland Bestand B 145: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung B 145/993 DDR Verhandlungsmöglichkeiten B 145/4128 Adenauer Ehrung, Spiegel: Gerstenmaier – Boden der Macht B 145/5099 Presse gegen Gerstenmaier aus Schweden und Norwegen Bestand B 134: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau B 134/525 Wohnungsbaumaßnahmen für Sowjetflüchtlinge – Gerstenmaier-Plan 1953/4 Bestand B 157: Ministerielle Bundesbauverwaltung B 157/3443 Bauvorhaben Bundestag und Bundesrat – Interview mit Gerstenmaier 1963 zu Bauabsichten Bestand B 187: Deutsche Welle B 187/111 Pressekonferenz Gerstenmaiers am 22. 08. 1960 – Auseinandersetzung über seine Äußerungen zu DW Bestand N 1266: Nachlass Walter Hallstein N 1266/1624 Disziplinargericht für Studierende gegen Gerstenmaier N 1266/1858 Korrespondenz Evangelisches Zentralarchiv in Berlin (EZA) Bestand 81/3: Ratsvorsitzender Hermann Dietzfelbinger 271 Dr. Eugen Gerstenmaier, 08.1967–01.1969

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Quellen- und Literaturverzeichnis

270 Dr. Eugen Gerstenmaier, 01.1969–07.1969 Bestand 686: Nachlass Helmut Gollwitzer 7099 Korrespondenz Bd. 1 7100 Korrespondenz Bd. 2 576 Berichte über die Verhältnisse 1945 in Deutschland 1945 Bestand 5: Kirchliches Außenamt der DEK 3330 von der Kirchenkanzlei der DEK geführte Personalakte ab 09.1935 168 Beziehungen zur Anglikanischen Kirche, zu protestantischen englischen Kirchen und zu deutschen evangelischen Kirchgemeinden in England 199 Beziehungen zur protestantischen Kirche Norwegens und zu deutschen Gemeinden 201 Orthodoxe Kirche in Rumänien sowie die orthodoxe rumänische Gemeinde in Berlin 4008 Ökumenischen Kontakte (Handakte Dr. Gerstenmaier) Bestand 50: Kirchliches Außenamt 416, Kirchliches Außenamt, Lutherakademie, Dr. Gerstenmaier (1940–1941) Bestand 517: Kleine Erwerbung, Sammlung Tätigkeit Gerstenmaier 52 Kopien von Schriftstücken von und über Eugen Gerstenmeier von seinen Reisen im Auftrage der DEK bzw. des Kirchlichen Außenamtes in den Jahren 1939 bis 1941 Bestand 2: Personalakte Gerstenmaier P 14, 06.1929–01.1939 Bd. 1 P 15, 11.1956–01.1954 Bd. 2 P 16, 01.1969–01.1970 Bd. 3 P 17, 01.1960–08.1965 Bd. 4 P 46 Bd. 5 P 47 Bd. 6 P 48 Bd. 7 Bestand 670/462: Korrespondenz A–Z, 1953–1970 Bestand 614/218: Ein- und Ausgangsbriefe (A–Z) Bestand 742/382: Korrespondenz A–Z, 1974–1976 Bestand 742/381: Korrespondenz A–Z, 1958–1973 Bestand 600/167/3: Materialsammlung zum Kirchenkampf 1934–1936 Bestand 600/167/4: Materialsammlung zum Kirchenkampf 1937–1941 Bestand 17/793: Handakten des Vorsitzenden Franz Hamm, 1951–1955 Landeskirchliches Archiv in Stuttgart (LKAS) Bestand AH-4: Handaktenbestand Landesbischof Martin Haug 13: Korrespondenz 1949 C–D 27: Korrespondenz 1949 Verschiedenes Teil 2 54: Korrespondenz Buchstabe T–Z 1951 135: Korrespondenz Buchstabe E 1955 137: Korrespondenz Buchstabe G 1955 138: Korrespondenz Buchstabe H 1955 Bestand A 227: Handaktenbestand Oberkirchenrat Wilhelm Pressel A: Arbeitsrechtliches B: Sonstiges C: Beihilfen, Krankmeldungen, etc.

Archivalische Quellen

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Bestand A 127: Personalakte Gerstenmaier beim OKR Stuttgart Nr. 774 Bestand D 1: Handaktenbestand Landesbischof Wurm 111,1: Württ. Ev. Landeskirche, Aug–Dez 1944 111,2: Württ. Ev. Landeskirche, Jan–Mai 1945 132, 1: Deutsche Evangelische Kirche 1936 Sep 132, 2: Deutsche Evangelische Kirche 1936 Okt 132, 3: Deutsche Evangelische Kirche 1936 Nov 132, 4: Deutsche Evangelische Kirche 1936 Dez 132, 5: Deutsche Evangelische Kirche 1936 s.d. 189: Lutherischer Rat 1939–1944 195: Presse und Verlagswesen 1945–1953 209: Kirchenkonferenz in Treysa 1945–1986 222,2: Kriegsdienstverweigerung und Wiederbewaffnung 1950 223: Hilfswerk 1945–1947 225: Pfarrer und Kirchenpräsident D. Niemöller 1945–1947, 1949 242: Allgemeine Korrespondenz 1945–1948 243: Allgemeine Korrespondenz 1949 244: Allgemeine Korrespondenz 1950–1952 s.d. 245: Allgemeine Korrespondenz A–Z 1945 247: Allgemeine Korrespondenz 1946 251: Allgemeine Korrespondenz E–G 1947 258: Allgemeine Korrespondenz A–K 1945–1947 259: Allgemeine Korrespondenz A–G 1945–1947 263: Allgemeine Korrespondenz G–H 1948–1949 269: Allgemeine Korrespondenz A–K 1948–1949 unverzeichnetes Bündel aus Schenkung Thierfelders an Archiv aus Nachlass Wurm Bestand D 23: Nachlass Prälat Karl Hartenstein 181: Schriftwechsel mit dem OKR Stuttgart, Pressel–Wurm 1941–1951 184: EKD-Schriftwechsel 1944–1952 187: EKD: Briefwechsel mit und über Martin Niemöller 1950–1952 188: EKD: Niemöller 1950 198: EKD: Hilfswerk 1945–1952 199: Hilfswerk der Landeskirche Württemberg 1945–1952 210: Innere Mission 1945–1952 Bestand Dekanatsarchivbestand Gaildorf 132d: Allgemeine Akten, Hitler-Jugend 138c: Ortsakten Gaildorf, Innere Angelegenheiten 1896–1946 Bestand Pfarrarchivbestand Gaildorf 16: Kirchengemeinderat, Protokollbuch 1925–1936 51b: Pfarrer und Pfarrstelle, Unständige Geistliche 1910–1939 56a: Kirchliche Werke und Vereine, Innere Mission1935–1940 56c: Kirchliche Werke und Vereine, Diakonissen-Station 1904–1939 56e: Kirchliche Werke und Vereine, Evangelischer Bund 1932–1944 57b: Pfarrbericht, Äußerungen des kirchlichen Lebens 1902–1943 Bestand Pfarr- und Dekanatsarchivbestand Kirchheim/Teck 307 a: Angelegenheiten der Kirche 1876–1921, Christenlehre

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Quellen- und Literaturverzeichnis

307 c: Angelegenheiten der Kirche 1876–1921, Religionsunterricht 331 a: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer 331 b: Ortsakten Kirchheim, Kirchenkampf Pfarrer Mörike 331 c: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer Mörike 331 d: Ortsakten Kirchheim, Unständige 331 e: Ortsakten Kirchheim, Desgl. 531 a: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer, Martinskirche I 531 b: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer, Martinskirche II 531 c: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer, Martinskirche II: Unständige 531 d: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer, Christuskirche 531 e: Ortsakten Kirchheim, Pfarrer, Auferstehungskirche Bestand L 1: Diakonisches Werk Württemberg 54: Korrespondenz A–Z 56: Zentralbüro des Hilfswerks der EKD 58: Hauptbüro des Hilfswerks 246: Kritik und Anschuldigungen gegen das Hilfswerk bzw. Hilfswerkstellen 248: Konflikt zwischen Ministerpräsident Reinhold Maier und Eugen Gerstenmaier um Äußerungen zur Remilitärisierung und angebliche Zoll- und Devisenvergehen des Hilfswerks der EKD 249: Spiegel-Veröffentlichungen zu Vorteilnahmen durch Eugen Gerstenmaier und andern Vorwürfen gegen das Hilfswerk der EKD 250: Affäre um Wiedergutmachungsansprüche Eugen Gerstenmaiers 327: Kirchlicher Wiederaufbau 1950: Korrespondenz mit diakonischen Bezirksstellen in Personalangelegenheiten 2476: Ausgeschiedene Mitglieder, Evangelische Akademikerschaft in Deutschland 2721: Bundestagswahlen 1949 Bestand K 24: Evangelisches Jugendwerk in Württemberg 82 Jugendwerk/CVJM Kirchheim u. a. 1936–1949 951 Jugendmännertag Stuttgart 1959 U218/9 BTP Gerstenmaier 1056 Gerstenmaier Bonn 1055 Gerstenmaier Bonn Bestand A 126: Allgemeine Akten des EOKR 1924–1966 464: Bücher und Zeitschriften. Hauptakten 1925–1954 510: Bücher und Zeitschriften. Einzelne Werke 1935–1958 Bestand Altregistratur Generalia des EOKR 532a II: Landeskirchliches Hilfswerk. Hauptakten 1947–1949 73a: EOKR, Kollegionssitzungen 1948, 1949–1966 Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages in Berlin (PA-DBT) Bestand 3004: Präsidialbüro Gerstenmaier 2/72, 6 Schriftwechsel mit Einzelpersonen 2/72, 11 Schriftwechsel mit Abgeordneten 2/72, 18 Schriftwechsel mit dem AA und den deutschen Auslandsvertretungen 18/76, 58–62 Schriftwechsel mit Organisationen aus Politik, Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft 1/79, 35–40 Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU 1960–1976 8/79, 135 Schriftwechsel mit der Presse

Archivalische Quellen

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8/79, 136 Schriftwechsel mit der Presse Bestand 3121: Atomenergie und Wasserkraft, Umwelt und Naturschutz Bestand 3006: Ältestenrat Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PAAA) Bestand B 10: 322: Sekretariat für deutsche Mitarbeiter in der internationalen Flüchtlingshilfe 323: Sekretariat für deutsche Mitarbeiter in der internationalen Flüchtlingshilfe 708–713: Empfehlungen zum „Gerstenmaier-Plan“ 718 f: Europarat – Gerstenmaier-Plan (Hilfsaktion zur Unterbringung von 80000 Ostzonen-Flüchtlingen in der BRD), Bd. 1 1953, Bd. 2 1953–1954 Bestand R 269715: AA, Partei Bestand R 67691: AA, Kirchliche Angelegenheiten Bestand R 67686: AA, Kirchliche Angelegenheiten Bestand R 67651: Freistellung vom Wehrdienst Bestand R 98797: Auslandsreisen Bestand B 2 Band 422 A: Nasser und G, Waffenlieferungen an Israel Bestand B 8 93: Gerstenmaier Besuch Bagdad Bestand B 8 166: Gerstenmaier Besuch USA 1956 Bestand B 8 218: Gerstenmaier Besuch Sudan, Äthiopien 1959 Bestand B 23 75: Protestanten und CDU Bestand B 2 15: AA, Politische Beziehungen zwischen D und anderen Ländern Bestand B 26 186: AA, Gerstenmaier bei Papst Johannes XXIII. Bestand B 36 221: AA, Naher Osten 1966 Bestand B 36 72: AA, Vereinigte Arabische Emirate Bestand B 36 43: AA, Israel 1963 Bestand B 36 236: AA, Israel 1966 Stadtarchiv in Kirchheim unter Teck (StadtA Ki) Bestand KiC 5 Akten des Dekanatsarchives Kirchheim unter Teck Universitätsarchiv in Rostock (UAR) Bestand 1.11.0: Personalakte/Archivische Sammlung Gerstenmaier, Eugen Bestand 1.09.0: Studentenakte Gerstenmaier, Eugen Bestand 2.03.2: Habilitationsakte Gerstenmaier, Eugen Bestand 1.03.0: Rektorat 1900–1945 R 11 F Disziplinarverfahren R 11 F 177 Disziplinarverfahren gegen den Studenten phil. Gerhart Schinke, 1934–1935 R 11 F 179 Disziplinarverfahren gegen Korporationen, den Rostocker Waffenring und Studenten der Theologie wegen Verfehlung gegen die Ordnung und Sitte des akademischen Lebens, 1934–1935 R 11 F 186 Ermittlungen gegen den Studenten wegen SA-Zugehörigkeit, 1936 R 11 F 001 Disziplinarverfahren gegen Studenten, 1932–1942 R 11 F 002 Disziplinarbuch, 1899–1934 R 12 A Verfassung der Studentenschaft

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Quellen- und Literaturverzeichnis

R 12 A 1.1 Rostocker Studentenschaft 1903–1944 R 12 A 1.2 Deutsche und Rostocker Studentenschaft 1930–1942 R 12 B Organe der Studentenschaft R 12 B 1 Mitglieder des Vorstandes der Rostocker Studentenschaft 1895–1944 R 12 B 3 Studentenvollversammlung 1920–1933 R 12 B 4 Politische und militärische Erziehung durch die Rostocker Studenten schaft, 1933–1935 R 12 C Fachschaften R 12 C 02 Theologische Fachschaft, 1883–1937 R 14 Studentenfürsorge (Stipendien) R 14 D 01 Studentenwerk Rostock 1918–1944 R 15 Studenten – Verschiedenes R 15 A 12 Politische Aktivitäten der Studenten 1920–1939 Bestand 2.03.1: Theologische Fakultät 028, Protokolle Fakultätssitzungen 1926–1940 105, Bekennende Kirche 1933–1938 202, Promotionsschriftwechsel 1878–1939 213, Statistik Theologiestudenten 1925–1941 Bestand Personalakte Friedrich Büchsel Bestand Personalakte Johannes von Walter Bestand Personalakte Friedrich Brunstäd Bestand Personalakte Helmuth Schreiner

2. Mündliche und schriftliche Auskünfte Crista Behrens (Bad Honnef) am 22. April 2014 Dr. Günther Bergmann (Bonn) am 19. März 2014 Dr. Karl-Adolf Brandt (Düsseldorf) am 16. und 28. Januar 2015 Dr. Günter Buchstab (Bonn) am 13. Juni 2014 Dieter Dangel (Stuttgart) am 2. Juni 2014 Thilo Dinkel (Kirchheim unter Teck) am 14. und 24. Juni sowie 14. September 2014 Prof. Dr. Klaus Ebert (Köln) am 10. September und 1. Dezember 2014 Tobias Gaiser (Kirchheim unter Teck) am 26. März 2014 Cornelia Irena Gerstenmaier (Oberwinter) am 6. und 28. Februar 2014 Dr. York Christian Gerstenmaier (München) am 30. März und 21. Dezember 2014 Dr. Daniela Gniss (Frankfurt am Main) am 29. August 2013 Prof. Dr. Fritz Hellwig (Bonn) am 21. September 2013 Prof. Dr. Martin Honecker (Bonn) am 25. November 2014 Dr. Franz Möller (Bad Honnef) am 12. Dezember 2013 und 12. März 2014 Prof. Dr. Andr Munzinger (Kiel) am 10. April 2018 Renate Schattel (Kirchheim unter Teck) am 6. und 14. Juni 2014 Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (Bonn) am 18. März 2014 Prof. Dr. Bernhard Vogel (Speyer) am 8. Januar 2014

Veröffentlichte Quellen und Literatur

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3. Veröffentlichte Quellen und Literatur Abendroth, Wolfgang: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1933. Heilbronn 31997. Abmeier, Hans-Ludwig: Die Rolle von Hans Lukaschek im deutschen Widerstand. In: Lothar Bossle / Gundolf Kein / Josef Joachim Menzel / Eberhard Günter Scholz (Hg.): Nationalsozialismus und Widerstand in Schlesien. Sigmaringen 1989, 159–176. Adam, Uwe Dietrich: Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich (Contubernium 23). Tübingen 1977. AELKZ 67 (1934). Alberts, Klaus: Theodor Steltzer. Szenarien seines Lebens. Eine Biographie. Heide 2009. Albrecht, Richard: Der militante Sozialdemokrat. Carlo Mierendorff 1897 bis 1943. Eine Biografie. Berlin 1987. Allemann, Albrecht (Pseudonym für Eugen Gerstenmaier): Frankreichs Protestantismus im Krieg (Frankreich gegen die Zivilisation 12). Berlin 1940. Althaus, Paul: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Bd. 1. Gütersloh 31952. Althaus, Paul: Die lutherische Abendmahlslehre in der Gegenwart. München 1931. Althaus, Paul: Theologie der Ordnungen. Gütersloh 21935. Althaus, Paul: Ur-Offenbarung. In: Luthertum 46 (1935), 4–24. Altmannsperger, Dieter: Der Rundfunk als Kanzel? Die evangelische Rundfunkarbeit im Westen Deutschlands 1945–1949 (HThSt 4). Neukirchen-Vluyn 1992. Altmeyer, Thomas: Widerstand gegen das NS-Regime. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Perspektiven der Vermittlung. Tagung vom 17./ 18. März 2007 in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 2007, 24–42. Altrichter, Helmut: „Politik ist keine Religion“ – Julius Leber (1891–1945). In: Bastian Hein / Manfred Kittel / Horst Möller (Hg.): Gesichter der Demokratie. Porträts zur deutschen Zeitgeschichte. München 2012, 77–88. Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus (Schriftenreihe der bpb 487). Frankfurt am Main 2005. Amlung, Ullrich: Adolf Reichwein 1898–1944. Ein Lebensbild des Reformpädagogen, Volkskundlers und Widerstandskämpfers. Frankfurt am Main 21999. Anselm, Reiner / H rle, Wilfried / Kroeger, Matthias: Art. Zweireichelehre. In: TRE 36 (2004), 776–793. Arbeitsprogramm fu¨ r die Vorbereitung der Weltkirchenkonferenz von 1937 u¨ ber „Kirche, Volk und Staat“ In: IKZ, Neue Folge der Revue internationale de the´ologie 25 (1935), 225–233. Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein. In: http://www.archiv-ju gendbewegung.de (27. 10. 2016). Arnhold, Oliver / Lenhard, Hartmut: Kirche ohne Juden. Christlicher Antisemitismus 1933–1945. Themenheft für den evangelischen Religionsunterricht in der Oberstufe. Göttingen 2015. Arnhold, Oliver: „Entjudung“ – Kirche im Abgrund. Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928–1939. Bd. 1 (SKI 25/1). Berlin 2010.

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Veröffentlichte Quellen und Literatur

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Wendland, Heinz-Dietrich: Die neue Schöpfung und die vollendete Gemeinde. In: Evangelische Jahresbriefe (1938), 152–158. Wengst, Udo: Thomas Dehler (1897–1967). Eine politische Biographie (Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien). München 1997. Werner, Manuel: Oskar Riegraf. In: Nürtinger Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Website der Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen http://ns-opfer-nt.jimdo.com (4. 11. 2013 und 8. 9. 2017). Wette, Wolfgang: Wir müssen etwas tun, um das Reich zu retten.“ Stauffenbergs Motive zum Widerstand. In: Jakobus Kaffanke / Thomas Krause / Edwin E. Weber (Hg.): Es lebe das „Geheime Deutschland“! Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Person – Motivation – Rezeption. Beiträge des Sigmaringer Claus von Stauffenberg-Symposions vom 11. Juli 2009 (Anpassung – Selbstbehauptung – Widerstand 30). Berlin 2011, 73–92. Wetzel, Juliane: Die NSDAP zwischen Öffnung und Mitgliedersperre. In: Wolfgang Benz (Hg.): Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder. Frankfurt am Main 2009, 74–90. Widmann, Peter: Willkür und Gehorsam. Strukturen der NSDAP. In: Wolfgang Benz (Hg.): Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder. Frankfurt am Main 2009, 110–122. Widmer-Butz, Sabine: Aufbruch und Umbruch der Stadt im 19. Jahrhundert. In: Rainer Kilian (Hg.): Kirchheim unter Teck – Marktort, Amtsstadt, Mittelzentrum. Kirchheim unter Teck 2006, 479–657. Widmer, Sabine: Kirchheim unter Teck zwischen Handwerk und Industrie 1806–1914 Stadt Kirchheim unter Teck (Schriftenreihe des Stadtarchivs 5). Kirchheim unter Teck 1987. Wiesner, Werner: Das Offenbarungsproblem in der dialektischen Theologie (FGLP 3. Reihe 2). München 1930. Wiesner, Werner: Die Lehre von der Schöpfungsordnung. Anthropologische Prolegomena zur Ethik. Gütersloh 1934. Wildt, Michael: „Eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse“. Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939. In: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 3 (2006), 129–137. Winnig, August: Frührot. Ein Buch von Heimat und Jugend. Stuttgart 1940. Winnig, August: Vom Proletariat zum Arbeitertum. Hamburg / Berlin / Leipzig 1930. Winterhager, Wilhelm Ernst: Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zur Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mainz 1985. Winzer, Otto: Kreuzritter des Neokolonialismus. Erklärung, abgegeben auf einer internationalen Pressekonferenz des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik am 4. November 1960. Berlin (Ost) 1961. Wischnath, Johannes Michael: Kirche in Aktion. Das Evangelische Hilfswerk 1945–1957 und sein Verhältnis zu Kirche und Innerer Mission (AKIZ Reihe B 14). Göttingen 1986. Wischnath, Johannes Michael: Wilhelm Pressel (1895–1986). In: Rainer Lächele / Jörg Thierfelder (Hg.): Wir konnten uns nicht entziehen. 30 Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg. Stuttgart 1998, 299–310.

Veröffentlichte Quellen und Literatur

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Wolfsteiner, Alfred: „Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“. Pater Augustin Rösch und sein Kampf gegen den Nationalsozialismus. Regensburg 2018. Wolgast, Eike: Nationalsozialistische Hochschulpolitik und die theologischen Fakultäten. In: Leonore Siegele-Wenschkewitz / Carsten Nicolaisen (Hg.): Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus (AKIZ Reihe B 18). Göttingen 1993, 45–79. Wright, Jonathan R. C.: „Über den Parteien“. Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918–1933 (AKiZ Reihe B 2). Göttingen 1977. Wuermeling, Henric L.: Adam von Trott zu Solz. Schlüsselfigur im Widerstand gegen Hitler. München 2009. Wurm, Theophil: Erinnerungen aus meinem Leben. Stuttgart 21953. Wuttke, Gottfried: Der Geist der Jugend aus ihren Liedern. Untersuchung zur Psychologie der deutschen Jugendbewegung nach der Seite ihres religiösen Gehalts. Erlangen 1925. Zarusky, Jürgen / Z ckert, Martin (Hg.): Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive. München 2013. Zeidler, Manfred: Kriegsende im Osten. Die Rote Armee und die Besetzung Deutschlands östlich der Oder und Neiße 1944/45. München 1996. Zeller, Eberhard: Geist der Freiheit. Der zwanzigste Juli. München 1953. Zeller, Eberhard: Oberst Claus Graf Stauffenberg. Ein Lebensbild. Paderborn 1994. Ziemer, Gerhard / Wolf, Hans: Wandervogel und Freideutsche Jugend. Bad Godesberg 1961. Zimmermann-Buhr, Bernhard: Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus in den Jahren 1930–1933 (Campus Forschung 256). Frankfurt / New York 1982. Zimmermann, Peter: Theodor Haubach (1896–1945). Eine politische Biographie. München 2004. Zipfel, Friedrich: Kirchenkampf in Deutschland 1933–1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit (VHKB 11). Berlin 1965. Zirlewagen, Marc: Otmar Freiherr von Verschuer. In: BBKL 27 (2007), Sp. 1437–1447.

Abkürzungsverzeichnis 1. Kor AA Abs. ACDP ADE ApU BArch BBC BGK BK BPC CA CDB CDJ CDS CDU CP CSVD CVJM DC DEK DEKB DNVP Dr. habil. Dr. theol. DSt EDP EKD EOKR EVW EZA Gestapo h I II JB

1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth Auswärtiges Amt Absatz Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin Archiv für Diakonie und Entwicklung in Berlin Evangelische Kirche der altpreußischen Union Bundesarchiv in Berlin British Broadcasting Corporation Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung Bekennende Kirche Bewegung für Praktisches Christentum Confessio Augustana Christdeutscher Bund Christdeutsche Jugend Christdeutsche Stimmen Christlich Demokratische Union Deutschlands Christliche Pfadfinderschaft Christlich-Sozialer Volksdienst Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Christen Deutsche Evangelische Kirche Deutscher Evangelischer Kirchenbund Deutschnationale Volkspartei Doctor habilitatus Doctor theologiae Deutsche Studentenschaft Evangelischer Pressedienst Evangelische Kirche in Deutschland Evangelischer Oberkirchenrat in Stuttgart Evangelisches Verlagswerk Evangelisches Zentralarchiv in Berlin Geheime Staatspolizei Uhr Verwendetes Kürzel im Fließtext für Gerstenmaiers Dissertationsschrift „Schöpfung und Offenbarung“ Verwendetes Kürzel im Fließtext für Gerstenmaiers Habilitationsschrift „Die Kirche und die Schöpfung“ Jungreformatorische Bewegung

Abkürzungsverzeichnis

KA KBA KD KJ KK lic. LKA LKAS Mt N ÖI NS NSDAP NSDDB NSDStB NSV NZZ OKH OKL OKM OKW ÖPD ÖRK ÖRPC PA-DBT PAAA Pg. Prof. Ps RBD RELKD REM RIM RKA RKM RKR Röm RPM RSHA SA StadtA Ki SD SdDV SFB SoSe

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Kirchliches Außenamt Kirchenbundesamt Kirchliche Dogmatik Kirchliches Jahrbuch Kreisauer Kreis Lizentiat Landeskirchenausschuss Landeskirchliches Archiv in Stuttgart Evangelium nach Matthäus Nordisches Ökumenisches Institut in Sigtuna Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Neue Zürcher Zeitung Oberkommando des Heeres Oberkommando der Luftwaffe Oberkommando der Marine Oberkommando der Wehrmacht Ökumenischer Pressedienst Ökumenischer Rat der Kirchen Ökumenischer Rat für Praktisches Christentum Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages in Berlin Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin Parteigenosse Professor Psalm Religious Broadcast Division Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsministerium des Inneren Reichskirchenausschuss Reichskirchenministerium Reichskirchenregierung Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom Reichspropagandaministerium Reichssicherheitshauptamt Sturmabteilung Stadtarchiv in Kirchheim unter Teck Sicherheitsdienst Studienstiftung des Deutschen Volkes Sender Freies Berlin Sommersemester

506 SPD SS UAR UK VGH VKL II WA WFK WiSe YMCA

Abkürzungsverzeichnis

Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Universitätsarchiv in Rostock unabkömmlich Volksgerichtshof Zweite Vorläufige Kirchenleitung Weimarer Ausgabe Weltbund für Freundschaftsfragen der Kirchen Wintersemester The Young Men’s Christian Association

Personenverzeichnis Ahmels, Bernhard, Stadtrat, Bürgermeister 392 geb. 1895 1944–1945 Bürgermeister von Berlin-Pankow. Albertz, Heinrich, Pfarrer, Staatsminister 146 geb. 22. 1. 1915 Breslau, gest. 18. 5. 1993 Bremen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 19]. Allemann, Albrecht 286–288, 290 Pseudonym für Eugen Gerstenmaier. Altenburg, Günther, Diplomat 267 geb. 5. 6. 1894 Königsberg, gest. 23. 10. 1984 Bonn 1920 Attache im AA, 1938 Legationsrat, 1939 Leiter des Informationsabteilung des AA, 1941–1943 Bevollmächtigter des Reiches für Griechenland, seine Rolle bei der Deportation von 50.000 sephardischen Juden nach Auschwitz ist umstritten. Althaus, Paul, luth. Theologe, Universitätslehrer 86, 154, 159, 165 f., 168, 205, 207, 234, 239, 252 geb. 4. 2. 1888 Obershagen/Celle, gest. 18. 5. 1966 Erlangen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 20]. Ammundsen, Ove Valdemar, luth. Theologe, Bischof 231 geb. 19. 8. 1875 Nørre Felding, 1. 12. 1936 Haderslev 1901 Prof. für KG Kopenhagen, 1922 erster Bischof des Bistums Haderslev in Dänemark, Pionier der ökumenischen Bewegung, vermittelte stark zwischen Dänen und Deutschen. Aristoteles, Philosoph 63, 77 geb. 384 v. Chr. Stageira, gest. 322 v. Chr. Chalkis. Arndt, Erich, Fachschaftsleiter geb. 11. 10. 1912 Parchim, gest. 11. 5. 2012 Rostock 1933 Eintritt NSDAP, seit 1935 Mitglied der BK, seit 1941 ev. Kriegspfarrer a.K., 1975–1990 Landeskirchlicher Beauftragter für die Gefängnisseelsorge in Strafanstalten Bützow, Neustrelitz und Warnemünde, Mitglied des Bezirkstages Schwerin mit dem Mandat des Kulturbundes der DDR, Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz. Asmussen, Hans, luth. Theologe, Präsident, kirchlicher Dozent, Propst 343 geb. 21. 8. 1898 Flensburg, gest. 30. 12. 1968 Speyer [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 22 f]. Augustin, eigentl. Augustinus von Hippo, Kirchenlehrer 66, 85 f., 162 geb. 13. 11. 354 Tagaste, gest. 28. 8. 430 Hippo Regius. Bachmann, Wilhelm, luth. Theologe, Geschäftsführer 92, 95, 97 f., 100, 126, 133 f., 136, 139, 142 f., 247, 169, 182 f., 186, 193, 216, 222 f., 227, 246, 250 f., 254, 261, 305, 352 geb. 6. 5. 1912 Züllichau, gest. 1984 Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, 1935–1937 Mitarbeiter im KA, ab 1940 Ge-

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schäftsführer des Ev. Hilfswerkes für Internierte und Kriegsgefangene, 1944 GestapoHaft. Balfour, Michael, Historiker 322–324, 330–332, 348 f. geb. 22. 11. 1908 Oxford, gest. 16. 9. 1995 Oxfordshire. Barth, Karl, ref. Theologe, Universitätslehrer 37, 94–97, 105, 111, 125, 147, 152–155, 159, 172, 191, 243, 254 f., 289, 325, 413–418, 421 f., 427 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 27]. Bartholdi, Joachim, Pfarrer 119–121 geb. 19. 4. 1910 Wismar Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, Leiter der evangelischen Fachschaft. Beck, Ludwig, Generaloberst 333, 357 geb. 29. 6. 1880 Biebrich, gest. (hingerichtet) 21. 7. 1944 Berlin-Tiergarten 1913 Hauptmann, 1916 Erster Generalstabsoffizier bei der 117. Infantrie-Division, 1918 Major, 1922 Abteilungskommandeur im 6. Artillerie-Regiment Münster, 1927 Oberst, 1929 Kommandeur des 5. Artillerie-Regiments Fulda, 1931 Generalmajor, 1932 Kommando über die 1. Kavallerie-Division Frankfurt/Oder, 1933 Chef des Truppenamtes im Reichswehrministerium, 1935 Generalstabschef des Heeres, 1938 Generaloberst, Mitverschwörer des 20. Juli 1944. Becker, Horst 92, 148 geb. 5. 6. 1911 Koberg Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Begas, Marie, Sachbearbeiterin 237 geb. 6. 4. 1883 Vacha, gest. 1969 1921 Sachbearbeiterin im Eisenacher Landeskirchenamt, sammelte Unterlagen und dokumentierte die innerkirchlichen Auseinandersetzungen in ihrem Tagebuch. Behm, Dieter Anton 139, 143 geb. 12. 7. 1913 Parchim Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Behm, Hans Jürgen, Pfarrer, Kirchenbeamter 139, 143 geb. 12. 7. 1913 Parchim, gest. 2. 6. 1994 Lemgo Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, in BK aktiv, 1951 Mitarbeiter der Kirchenkanzlei Berliner Stelle, 1961 Leiter der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR. Bell, George, angl. Theologe, Bischof 228, 232, 257 geb. 4. 2. 1883 Hayling Island Hants (Hampshire), gest. 3. 10. 1958 Canterbury 1914 Chaplain beim Erzbischof von Canterbury mit dem Sonderreferat für internationale und unterkonfessionelle Beziehungen, 1924 Domprobst von Canterbury, 1929 Bischof von Chichester, Mitglied des britischen Oberhauses, Freund und Unterstützer der BK, 1932–1936 Vorsitzender des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum, 1948–1955 Vorsitzender des Zentralkomitees, 1955 Ehrenpräsident des ÖRK. Bengel, Johann Albrecht, Theologe, Prälat, Vordenker des württ. Pietismus 30 geb. 24. 6. 1687 Winnenden, gest. 2. 11. 1752 Stuttgart 1713 Klosterpräzeptor Denkendorf, 1741 Prälat Herbrechtingen, 1749 Abt des Klosters Alpirsbach, gleichzeitig Konsistorialrat Stuttgart. Schriften zu Exegese und Textkritik des NT, Endzeittheorie (errechnete die Wiedergeburt Christi für das Jahr 1836).

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Benz, Ernst, Theologe, Universitätslehrer 246 geb. 17. 11. 1907 Friedrichshafen/Bodensee, gest. 29. 12. 1978 Meersburg/Bodensee [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 34]. Benzing, Hugo, Jugendpfleger 44 geb. 29. 4. 1895 Schwarzenberg, gest. 7. 1. 1938 Kirchheim unter Teck Obersekretär und Vereinswart des CVJM Kirchheim unter Teck. Berger, Gottlob, „Schwabenherzog“, SS-Obergruppenführer 401 geb. 16. 7. 1896 Gerstetten, gest. 5. 1. 1975 Stuttgart 1929 Eintritt NSDAP, 1931 Eintritt SA, 1935 Oberregierungsrat im württ. Kultministerium, 1936 Eintritt SS, 1938 Chef des Ergänzungsamtes im SS-Hauptamt, 1940 Chef des SS-Hauptamtes, 1943 SS-Obergruppenführer, 1944 Stabsführer des Deutschen Volkssturms und Beauftragter für das Kriegsgefangenenwesen, 1949 Verurteilung im Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess zu 25 Jahren Haft, 1951 vorzeitig entlassen. Berger, Peter, Soziologe 21–24 geb. 17. 3. 1929 Wien, gest. 27. 6. 2017 Brookline/Massachusetts. Berggav, Eivind, luth. Theologe, Bischof, Präsident des ÖRK 261, 264 f., 311, 347 geb. 25. 10. 1884 Stavanger, gest. 14. 1. 1959 Oslo 1928–1937 Bischof von Nord-Halagoland, 1937–1951 Bischof von Oslo, 1939 Initiator der Friedensaktion der nordischen Kirchen, seit 1940 leitete er den kirchlichen Widerstand gegen die deutsche Besatzung, 1942–1945 Hausarrest, 1945 Flucht nach Schweden Februar, 1950–1954 einer der Präsidenten des ÖRK. Bernardis, Robert, Oberstleutnant 358, 385 geb. 7. 8. 1908 Insbruck, gest. (hingerichtet) 8. 8. 1944 Berlin-Plötzensee militärische Laufbahn, 1942 Oberstleutnant im Generalstab, Gruppenleiter im Allgemeinen Heeresamt, beteiligt an der Operation Walküre. Bethge, Eberhard, Theologe, Publizist 212, 303 geb. 28. 8. 1909 Warchau, gest. 18. 3. 2000 Wachtberg. Beyer, Hans, Mitglied in einer der sechs Forschungsgruppen im KA. 234 Bilfinger, Georg Bernhard, Theologe, Verfasser des Pietistenreskripts 30 geb. 23. 1. 1693 Cannstatt, gest. 18. 2. 1750 Stuttgart 1715 Stiftsrepräsentant Tübingen, 1721 außerord. Prof. der Philosophie Tübingen, 1724 ord. Prof. für Moralphilosophie und Mathematische Wissenschaften Tübingen. Binding, Rudolf Georg, Schriftsteller 63 geb. 13. 8. 1867 Basel, gest. 4. 8. 1938 Starnberg. Birnbaum, Walter, Theologe, Oberkirchenrat in der RKR 211 geb. 6. 4. 1893 Coswig, gest. 24. 1. 1987 München 1924 Geschäftsführer der Wichern-Vereinigung Hamburg, 1933 Mitglied der Reichsleitung der DC, 1935 Prof. für PT Göttingen (ohne entsprechende akademische Voraussetzungen zu haben), 1939 Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben, 1945 Entlassung Hochschuldienst, 1948 Mitbegründer des Verbandes der amtsverdrängten Hochschullehrer. Blumhardt, Johann Christoph, Theologe, Vordenker des württ. Pietismus 30 geb. 16. 7. 1805 Stuttgart, gest. 25. 2. 1880 Bad Boll. Bodelschwingh, Friedrich von (d. J.), Theologe, Anstaltsleiter 118 f., 121–124, 127–130 geb. 14. 8. 1877 Bethel, gest. 4. 1. 1946 Bethel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 39].

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Boegner, Marc, Theologe, Präsident des ÖRK 287, 290 geb. 21. 2. 1881 Epinal, gest. 19. 12. 1970 Paris 905 Pfarrer Aouste, 1911 Prof. am theol. Seminar der Ev. Missionsgesellschaft Paris, 1915 Direktor des Genesungsheims für blinde Soldaten, 1918–1953 Pfarrer Paris, 1929–1961 Präsident des Protestantischen Kirchenbundes in Frankreich, 1938–1950 Präsident des Nationalrates der reformierten Kirche in Frankreich, 1948–1954 einer der Präsidenten des ÖRK. Bçhm, Hans, Theologe, Philologe, Pfarrer 227, 231, 245, 256 geb. 5. 5. 1899 Hamm, gest. 3. 4. 1962 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 39 f]. Bolz, Eugen, Jurist, Politiker der Zentrumspartei 402 geb. 15. 12. 1881 Rottenburg am Neckar, gest. (hingerichtet) 23. 1. 1945 Berlin-Plötzensee 1912–1918 MdR des Kaiserreiches, 1919–1920 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, ab 1919 MdL des freien Volksstaates Württemberg, 1920–1933 MdR der Weimarer Republik, 1919 württ. Justizminister, 1923 württ. Innenminister, entschiedener Gegner der NSDAP. Bomhard, Hans 139, 148 geb. 1. 12. 1912 Markt Einersheim Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Bonhoeffer, Dietrich, luth. Theologe 212, 228, 245, 300, 376 geb. 4. 2. 1906 Breslau, gest. (hingerichtet) 9. 4. 1945 KZ Flossenbürg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 41]. Bormann, Martin, Reichsleiter, „Sekretär des Führers 358, 364–366, 390, 394–396, 399“ geb. 17. 6. 1900 Halberstadt, gest. (Selbstmord) 2. 5. 1945 Berlin 1933 Stabsleiter bei Rudolf Heß, Reichsleiter der NSDAP, Verwalter von Hitlers Vermögen, 1941 Leiter der Parteikanzlei der NSDAP, 1943 „Sekretär des Führers“. Brakelmann, Günter, Theologe, Publizist 19, 35, 125, 313, 316, 321, 327–329, 331, 333, 335–337, 339 f., 347 f., 361, 364, 374, 376 f., 379, 381, 384, 392, 397 geb. 3. 9. 1931 Bochum 1970 Direktor der Ev. Akademie Berlin, 1972 Prof. für Christliche Gesellschaftslehre Bochum. Brandt, Karl, Mediziner, Begleitarzt Hitlers, Generalkommissar 363, 388–391, 401 geb. 8. 1. 1904 Mühlhauen (Elsass), gest. 2. 6. 1948 Landsberg am Lech 1934 Begleitarzt Hitlers, 1939 Beauftragter der Aktion T4, 1942 Bevollmächtigter und 1943 Generalkommissar des Sanitäts- und Gesundheitswesen, 1943 Leiter des gesamten medizinischen Vorrats- und Versorgungswesens und Koordinator der medizinischen Forschung, 1945 von Hitler zum Tode verurteilt. Brenner, Walter 139, 148 geb. 5. 6. 1912 Brießnitz Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Br gelmann, Hermann, Studienstiftungsleiter 89 f., 99, 101–103, 133 f., 136 geb. 5. 11. 1899 Porto Alegre, gest. 18. 10. 1972 Köln 1932–1934 Leiter der Studienstiftung des deutschen Volkes, 1946 Hauptgeschäftsführer im Ev. Hilfswerk, 1949–1956 Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen.

Personenverzeichnis

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Br ning, Heinrich, Politiker der Zentrumspartei, Reichskanzler 74, 109 geb. 26. 11. 1885 Münster, gest. 30. 3. 1970 Norwich/Vermont 1920–1930 Geschäftsführer des Christlichen Deutschen Gewerkschaftsbunds, 1924–1933 MdR der Weimarer Republik, 1928–1930 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, 1929 Fraktionsvorsitzender Zentrumspartei, 1930–1932 Reichskanzler, 1937–1951 Prof. für Politische Wissenschaften Harvard, 1951–1955 Prof. für Politische Wissenschaften Köln. Brunner, Emil, ref. Theologe, Universitätslehrer 94–98, 100, 102, 104 f., 148, 152–154, 166, 168, 293, 410 f., 413, 416 f., 421 f., 427 geb. 23. 12. 1889 Winterthur, gest. 6. 4. 1966 Zürich [Braun / Gr nzinger Personenlexikon, 46]. Brunst d, Friedrich, luth. Theologe, Philosoph, Universitätslehrer 80–92, 94, 97 f., 104, 118 f., 133–136, 142, 152, 154, 156, 162, 167–169, 172 f., 177, 182–184, 186, 190, 215 f., 223, 228 f., 234, 236, 239, 243, 251 f., 274, 293, 305, 319, 377, 421 f. geb. 22. 7. 1883 Hannover, gest. 2. 11. 1944 Willershagen bei Gelbensande [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 47]. Buchholz, Peter, kath. Theologe, Gefängnisseelsorger 373 f. geb. 31. 1. 1888 Eisbach, gest. 4. 5. 1963 Bonn 1911 Kaplan im Ruhrgebiet, 1926 Gefängnisseelsorger, 1945 Beirat für kirchliche Angelegenheiten beim Magistrat Berlin. B chsel, Friedrich, Theologe, Universitätslehrer 83, 85, 87, 90–92, 184, 190 f. geb. 2. 7. 1883 Stücken bei Potsdam, gest. 2. 5. 1945 Rostock [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 47]. Bull, Friedrich Wilhelm 148 geb. 24. 7. 1916 Redefin Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Bultmann, Rudolf, luth. Theologe, Universitätslehrer 94, 125, 160 geb. 20. 8. 1884 Oldenburg-Wiefelstede, gest. 30. 7. 1976 Marburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 48]. B ttner, Walter, Beamter, Sturmbannführer 296 geb. 17. 8. 1908 Bock und Teich (Thüringen), gest. 18. 1. 1972 Bonn 1939 Mitarbeiter und stellv. Leiter der Abteilung Deutschland des AA, 1940 Legationsrat im AA. Canaris, Wilhelm, Chef der deutschen Abwehr 300, 322, 351, 426 geb. 1. 1. 1887 Aplerbeck bei Dortmund, gest. (hingerichtet) 9. 4. 1945 KZ Flossenbürg 1924–1928 Tätigkeiten in Marineleitung, 1928 Erster Offizier auf dem Linienschiff „Schlesien“, 1930 Chef des Stabes der Nordseestation, 1932 Kapitän des Linienschiffs „Schlesien“, 1935–1944 Chef der deutschen Abwehr, 1940 Admiral. Canterbury, Anselm von, Erzbischof, Begründer der Scholastik 156, 210 geb. um 1033 Aosta, gest. 21. 4. 1109 Canterbury. Chamberlain, Neville, brit. Politiker der Conservative Party, Premierminister 306 geb. 18. 3. 1869 Birmingham, gest. 9. 11. 1940 Reading 1915/16 Oberbürgermeister Birmingham, 1918 Mitglied des Unterhauses, 1922/23 Postminister, 1923–1931 Gesundheitsminister, 1931–1937 Schatzkanzler, 1937–1940 Premierminister, starker Verfechter der Appeasement-Politik.

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Churchill, Sir Winston, brit. Politiker der Conservative Party, Premierminister 313 f., 317 f., 425 geb. 30. 11. 1874 Oxfordshire, gest. 24. 1. 1965 London 1900 Mitglied des Unterhauses, 1904 Wechsel zur Liberalen Partei, 1908–1910 Handelsminister, 1910/11 Innenminister, 1911–1915 Erster Lord der Admiralität, 1917/18 Munitionsminister, 1918–1921 Kriegs- und Luftfahrtminister, 1921/22 Kolonialminister, 1924 Wechsel zur Konservativen Partei, 1924–1929 Schatzkanzler, 1939 Erster Lord der Admiralität, 1940–1945 und 1951–1955 Premierminister. Collmer, Paul, Sozialwissenschaftler, Direktor 79 geb. 2. 7. 1907 Cannstadt, gest. 18. 4. 1979 Stuttgart [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 52 f]. Cordier, Leopold, ref. Theologe, Universitätslehrer 54, 72, 420 geb. 14. 7. 1887 Landau (Pfalz), gest. 1. 3. 1939 Gießen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 54]. Crainic, Nichifor, rumänischer Theologe, Philosoph, Schriftsteller 272 f., 278, 291 geb. 22. 12. 1889 Bulbucata, gest. 20. 8. 1972 Mogos¸oaia Theologieprof., 1941–1944 Propagandaminister. Cremer, Hermann, luth. Theologe, Universitätslehrer 156 geb. 18. 10. 1834 Unna, gest. 4. 10. 1903 Greifswald 1859 Pfarrer, 1870 Prof. für ST in Greifswald, 1883–1884 Rektor in Greifswald, wichtigster Kopf der sog. Greifswalder Schule. Cripps, Sir Richard Stafford, Jurist, brit. Politiker der Labour Party 313, 317 geb. 24. 4. 1889 London, gest. 21. 4. 1952 Zürich 1931–1950 Mitglied des Unterhauses, 1940 Botschafter Sowjetunion, 1942 Lordsiegelbewahrer und Mitglied des Kriegskabinetts, 1942–1945 Minister für Flugzeugkonstruktion, 1945 Handelsminister, 1947–1950 Schatzkanzler. Daladier, douard, franz. Politiker, Premierminister 306 geb. 18. 6. 1884 Carpentras, gest. 10. 10. 1970 Paris 1919–1940 Mitglied Abgeordnetenkammer, 1924/25 Kolonialminister, 1933–1940 fünf Mal Premierminister, starker Verfechter der Appeasement-Politik. Delbr ck, Justus, Jurist 301 geb. 25. 11. 1902 Berlin, gest. 23. 10. 1945 Speziallager Jamlitz 1930 Regierungsrat Schleswig, Stade, Lüneburg, 1933 Mitglied BK, 1935 Austritt aus Staatsdienst und Tätigkeit in Wirtschaft, 1940 Tätigkeit Amt Ausland/Abwehr im OKW, ab 1941 Kontakt zum KK. Delp, Alfred, Jesuit, Mitglied des KK 19, 322, 325, 328–330, 337, 339, 348, 364, 366 f., 374–376, 378–384, 386, 392, 395–398, 402, 405, 427, 440 geb. 15. 9. 1907 Mannheim, gest. (hingerichtet) 2. 2. 1945 Berlin-Plötzensee 1937 Priesterweihe und Mitarbeiter der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“, 1941 Kirchenrektor Pfarrei Heilig Blut und Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz für überdiözesane Männerseelsorge, 1942 Mitglied des KK. Dibelius, Martin, luth. Theologe, Universitätslehrer 104, 228, 239, 252 geb. 14. 9. 1883 Dresden, gest. 11. 11. 1947 Heidelberg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 58].

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Dibelius, Otto, Theologe, Bischof, Ratsvorsitzender der EKD 234, 245, 344, 415 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 58]. Dohnanyi, Hans von, Jurist 300 geb. 1. 1. 1902 Wien, gest. (hingerichtet) 9. 4. 1945 KZ Sachsenhausen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 63]. Dozˇic´, Gavrilo (auch Gavrilo V.), serb. Patriarch 276 geb. 17. 5. 1881 Kolasˇin, gest. 7. 5. 1950 Belgrad 1938–1950 Metropolit von Montenegro und 41. Patriarch der Serbischen Orthodoxen Kirche. Drehsen, Volker, Theologe, Hochschullehrer 22, 25 geb. 16. 2. 1949 Arnsberg, gest. 30. 3. 2013 Tübingen 1983–1988 Pfarrer Reutlingen-Altenburg, 1991–1994 Prof. für Religiöse Sozialisation und Erwachsenenbildung Bayreuth, ab 1994 Prof. für PT Tübingen, 1996–2000, 2010 Dekan der Fakultät. Dusen, Henry Pitney van, Theologe, Hochschullehrer 254, 260 geb. 11. 12. 1897 Philadelphia, gest. 13. 2. 1975 Belle Meade ab 1936 Prof. ST New York, 1945–1963 Präsident des Union Theological Seminary New York. Ebbinghaus, Julius, Philosoph, Hochschullehrer 87, 90 f., 94, 390 geb. 9. 11. 1885 Berlin, gest. 16. 6. 1981 Marburg 1926 außerord. Prof. Philosophie, 1930 ord. Prof. Historische und Systematische Philosophie Rostock, 1940 Prof. Marburg und Heerespsychologe, Mitglied des MarburgerKreises, 1945 Rektor Marburg. Ehrenstrçm, Nils, schwed. Theologe, Direktor 235, 262–264, 281, 336 geb. 1903, gest. 1984 1930 Mitarbeiter der Forschungsabteilung des ÖRPC, 1940–1943 Direktor des NÖI, 1943–1954 Direktor der Studienabteilung des ÖRK Genf, 1954–1969 Prof. für Ökumenische Theologie Boston. Eichele, Erich, Kirchenrat, Landesbischof 218 geb. 26. 2. 1904 Stuttgart, gest. 11. 6. 1985 Stuttgart 1934 Pfarrer an der Stiftskirche Stuttgart, 1934 Hilfsberichterstatter beim EOKR und Sachverständiger für ev. Religionsunterricht bei der Ministerialabteilung für die Volksschulen, 1936 Geistliches Mitglied des EOKR, 1944 OKR, 1951 Prälat Ulm, 1962–1969 württ. Landesbischof, 1966–1969 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Deutschland. Eidem, Erling, schwed. Theologe, Erzbischof, Präsident 212, 228, 232, 263 f., 281 geb. 23. 4. 1880 Göteborg, gest. 14. 4. 1972 Vänersborg 1913 Privatdozent NT Lund, 1923 Pfarrer Gardstanga, 1928–1931 Prof. für Exegetik des NT Lund, 1931–1950 Erzbischof von Uppsala, 1940–1959 Oberhofprediger, Ehrendoktor mehrerer ausländischer Universitäten, 1932 Ehrensenator der Universität Halle-Wittenberg und Vorsitzender des Senates der Lutherakademie Sondershausen, 1945–1947 Präsident des Lutherischen Weltbundes, 1948–1954 einer der Präsidenten des ÖRK. Einsiedel, Horst von, Jurist, Mitglied des KK 324, 328–330, 337 geb. 7. 6. 1905 Dresden, gest. 25. 2. 1947 Speziallager Sachsenhausen

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1934 div. Tätigkeiten in der Planungsstelle Chemie, enger Freund von Carl Dietrich von Trotha. Ellwein, Theodor, Theologe, Religionslehrer, Studienleiter 54, 239, 243 geb.18. 5. 1897 Madras (Indien), gest. 22. 2. 1962 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 70]. Engelke, Fritz, Theologe, Pfarrer, Dozent 190 geb. 24. 2. 1878 Osnabrück, gest. 5. 5. 1956 Schwerin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 70 f]. Epting, Karl, Romanist, Kulturreferent, Herausgeber 286 f., 289 geb. 17. 5. 1905 Odumase, gest. 17. 2. 1979 Hänner 1931 Leiter der „Abteilung für studentische Selbsthilfe und Gemeinschaftsarbeit“ des Weltstudentenwerks Genf, 1933–1939 Leiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Büro Paris, 1940 Bevollmächtigten des AA beim Militärbefehlshaber Frankreich, 1940 Leiter der Kulturabteilung der deutschen Botschaft, 1942–1944 Herausgeber der Zeitschrift Deutschland-Frankreich, 1957–1960 Gymnasiallehrer Stuttgart-Vaihingen, 1960–1969 Oberstudiendirektor Heilbronn. Erb, Günther, Lehrer, Historiker 41 f., 44, 47 f., 50 f., 53 geb. 15. 10. 1936 Schorndorf/Weiler. Erikson, Erik Homburger, Psychoanalytiker 26, 37 f. geb. 15. 6. 1902 Frankfurt/Main, gest. 12. 5. 1994 Harwich/Massachusetts. Ernesti, Jörg, kath. Kirchenhistoriker 380 geb. 8. 9. 1966 Paderborn. Fedotov, Georgy Petrovitsch, russ. Religionsphilosoph, Historiker, Publizist 293 geb. 1. 10. 1866 Saratow, gest. 1. 9. 1951 New Jersey. Fenn, Eric, presby. Theologe, stellv. Direktor der RBD 258 f. geb. 1899 London, gest. 1995 1937 Mitarbeiter von Joseph H. Oldham, 1939 stellv. Direktor der RBD der BBC, 1948 Redaktionssekretär der British and Foreign Bible Society, 1957 Prof. für Christliche Lehre Birmingham, 1960 Sprecher der Presbyterian Church of England. Fischer, Franz, Theologe, Arbeitskreismitglied im KA. 248, 252 Fischer, Matthias, Theologe 154 geb. 1964 Hanau. Florowski, Georgi Wassiljewitsch, orth. Theologe, Hochschullehrer 291 geb. 9. 9. 1893 Odessa, gest. 11. 8. 1979 Prinston/New Jersey 1925 Prof. Patristik Paris, 1932 Priesterweihe, wichtiger Verbindungsmann der orth. Kirche zur Ökumene. Foertsch, Walther 91, 105 f., 120, 123, 126, 128 f., 215, 305, 319 geb. 24. 9. 1911 Berlin-Steglitz Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, 1940 Kantor Schwarzenbach/Saale. Fraas, Hans-Jürgen, Theologe, Hochschullehrer 20, 23–25 geb. 18. 2. 1934 Dresden. Francke, August Hermann, Theologe, Pädagoge 29, 31–33, 40 geb. 12./22. 3. 1663 Lübeck, gest. 8. 6. 1727 Halle/Saale. Freerksen, Enno, Studentenschaftsführer, Mediziner 101, 133 f., 192 f. geb. 11. 9. 1910 Emden, gest. 4. 10. 2000 Mölln 1933/34 Führer der Rostocker Studentenschaft, 1936 Führer der Rostocker Dozen-

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tenschaft, 1941–1944 Gaudozentenbundführer von Hessen-Nassau, 1944 SS-Hauptsturmführer, 1950–1978 Direktor des Forschungszentrum Borstel. Freisler, Roland, Jurist, Präsident des VGH 385–387, 392–399, 401 f., 440–442 geb. 30. 10. 1893 Celle, gest. 3. 2. 1945 Berlin 1924 Mitglied des hessisch-nassauischen Landtags für „Völkisch-Sozialen Block“, 1925 Eintritt NSDAP und stellv. Gauleiter Hessen-Nassau, 1932 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, 1933 Personalabteilungsleiter im Justizministerium, 1935 Chef der wiss. Abteilung der Akademie für Deutsches Recht, 1942–1945 Präsident des VGH. Frey, Arthur, Nationalökonom, Leiter des EPD Schweiz 99, 413, 416 f. geb. 19. 8. 1897 Winterberg (Lindau), gest. 7. 11. 1955 Zollikon 1922 Redaktor des „Thurgauer Tagblatts“, 1931 Mitarbeiter, 1933–1955 Leiter des Schweizerischen EPD Zürich, 1943–1955 Mitglied der ev.-ref. Kirchensynode des Kanton Zürich, 1947–1955 im Kantonsrat, theologisch beeinflusst vom Gemeindeprinzip Zwinglis und von Karl Barth. Frick, Wilhelm, Reichsinnenminister, Reichsprotektor 200 f., 239, 319 geb. 12. 3. 1877 Alsenz, gest. (hingerichtet) 16. 10. 1946 Nürnberg 1933–1943 Reichsinnenminister, 1943–1945 Reichsprotektor Böhmen und Mähren. Friedrich Carl, württ. Herzog 30 geb. 12. 9. 1652 Stuttgart, gest. 20. 12. 1698 Stuttgart. Frisby, Julian, Publizist. 322–324, 330–332, 348 f. Fromm, Friedrich, Befehlshaber, Generaloberst 15, 19, 351, 357 geb. 8. 10. 1888 Berlin-Charlottenburg, gest. (hingerichtet) 12. 3. 1945 Brandenburg an der Havel 1906 Fahnenjunker, 1916 Hauptmann, 1939 General der Artillerie, 1939 Befehlshaber des Ersatzheeres, 1940 Generaloberst, 1945 Hinrichtung durch NS-Regime wegen „Feigheit am Feind“. Fuglsang-Damgaard, Hans, Theologe, Dozent, Bischof 263 f. geb. 29. 7. 1890 Örstedt, gest. 8. 7. 1979 Kopenhagen 1925–1933 Dozent ST Kopenhagen, 1933 Domprobst Kopenhagen, 1934–1960 Bischof Kopenhagen, 1937–1952 Mitglied des Exekutivkomitees BGK, 1948–1961 Mitglied des Zentralkomitees ÖRK, Forschung zur Theologie Barths. Gablentz, Otto Heinrich von der, Nationalökonom, Universitätslehrer 322, 328 f., 391 geb. 11. 9. 1898 Berlin, gest. 27. 4. 1972 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 83]. Gamillscheg, Ernst, Romanist, Hochschullehrer, Präsident 272 geb. 28. 10. 1887 Neuhaus, gest. 18. 3. 1971 Göttingen 1916 außerord. (ab 1919 ord.) Prof. für Romanische Philologie Innsbruck, 1925 Prof. Berlin, 1936 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1940–1944 Präsident des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Bukarest und Gastprof., 1946–1956 Prof. Tübingen. Gauger, Martin, Jurist 321, 465 geb. 4. 8. 1905 Elberfeld, gest. (ermordet) 13. 7. 1941 Sonnenstein bei Pirna [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 84]. Gauger, Wilhelm, Regierungsrat. 35 Gaus, Günter, Journalist, Publizist 17, 28, 42 f., 46, 57, 59–62, 67, 70, 76, 308 f., 322, 392 geb. 23. 11. 1929 Braunschweig, gest. 14. 5. 2004 Hamburg-Altona.

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Gbiorczyk, Peter, Pfarrer, Publizist 203 f., 207 f., 212 geb. 1941. Geiger, August, Unternehmer 42 geb. 23. 8. 1885 Ludwigsburg, gest. 3. 6. 1948 Esslingen Unternehmer Textilveredelungsbranche Kirchheim unter Teck. Gerstenmaier, Albrecht Gottlob, Scheiner, Klavierbauer 26 f., 31, 34, 36, 43, 62, 69 f., 287 geb. 5. 7. 1878 Sirchingen, gest. 8. 2. 1956 Kirchheim unter Teck. Gerstenmaier, Brigitte, Sozailfürsorgerin 17, 91, 301 f., 324, 326, 348, 352 f., 355, 361, 363 f., 367, 370–374, 387–389, 397, 404, 407, 437, 440 geb. 28. 10. 1911 Ösel, gest. 26. 4. 1994 Oberwinter. Gerstenmaier, Cornelia Irena, Historikerin 10, 32, 159, 302, 353, 361, 437 f. geb. 18. 4. 1943 Berlin. Gerstenmaier, Eugen, Kaufmann, Theologe, Bundestagsabgeordneter, Bundestagspräsident geb. 25. 8. 1906 Kirchheim unter Teck, gest. 13. 3. 1986 Oberwinter [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 87]. Gerstenmaier, Gottlobin Albertine Rosine 26, 31–33, 48, 51, 62, 69, 419 geb. 22. 6. 1876 Kirchheim unter Teck, gest. 28. 4. 1938 Kirchheim unter Teck. Gerstenmaier, Maria, Abteilungsleiterin 34, 320, 370, 372, 381 geb. 12. 12. 1917 Kirchheim unter Teck, gest. 21. 5. 2005 Stuttgart. Gestrich, Andreas, Historiker 28, 32, 44, 95 geb. 3. 7. 1952 Ravensburg. Gisevius, Johannes, Theologe, Oberkonsistorialrat 299 geb. 25. 8. 1880 Colochau, gest. 7. 1. 1955 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 88]. Glaser, Karl 148 geb. 28. 5. 1914 Schweinfurt Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Glçtt, Joseph-Ernst Fürst Fugger von, Mitglied des Sperr-Kreises, Politiker 372, 376, 384, 386, 392, 398 f., 406 geb. 26. 10. 1895 Kirchheim in Schwaben, gest. 13. 5. 1981 Miesbach 1940–1981 Vorsitzender der Fuggerschen Stiftungen, 1949–1953 MdB, 1950–1953 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, 1953–1956 Vorsitzender der Interparlamentarischen Gemeinschaft, 1954–1962 MdL in Bayern. Gniss, Daniela, Historikerin 15 f., 51, 67, 75, 103, 130, 143, 189, 193, 195, 243, 290 geb. 1965. Goebbels, Joseph, Reichspropagandaminister 68, 354, 385, 390 geb. 29. 10. 1897 Rheydt, gest. (Selbstmord) 1. 5. 1945 Berlin 1926 Gauleiter der NSDAP Berlin-Brandenburg, 1929 Reichspropagandaleiter, 1933–1945 Reichspropagandaminister, gleichzeitiger Vorsitzender der Reichskulturkammer. Goerdeler, Carl Friedrich, Jurist, Politiker 332–334, 340, 350, 365, 386 f., 391, 395, 399, 402, 426, 438 geb. 31. 7. 1884 Schneidemühl, gest. (hingerichtet) 2. 2. 1945 Berlin-Plötzensee 1930–1937 Oberbürgermeister Leipzig, 1931/32 und 1934/35 Reichspreiskommissar, an Staatsstreichplanungen aktiv beteiligt, sollte bei Gelingen Reichskanzler werden.

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Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter 63 f., 107, 183 geb. 28. 8. 1749 Frankfurt/Main, gest. 22. 3. 1832 Weimar. Gogarten, Friedrich, luth. Theologe, Universitätslehrer 87–89, 94, 96, 99 f., 293 geb. 13. 1. 1887 Dortmund, gest. 16. 10. 1967 Göttingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 90]. Gotto, Klaus, Historiker 303 f. geb. 22. 4. 1943 Trier, gest. 25. 1. 2017 Bonn. Grisebach, Eberhard, Philosoph, Hochschullehrer 95, 99 f. geb. 27. 2. 1880 Hannover, gest. 16. 7. 1945 Zürich 1922–1931 außerord. Prof. für Philosophie Jena, 1931–1945 ord. Prof. für Philosophie, Pädagogik und Psychologie Zürich. Gross, Johannes, Journalist, Publizist 20, 58, 355 geb. 6. 5. 1932 Neunkhausen, gest. 29. 9. 1999 Köln. Gross, Nikolaus, Gewerkschaftler 402 geb. 30. 9. 1898 Niederwenigern, gest. (hingerichtet) 23. 1. 1945 Berlin-Plötzensee. Grundig, Willi, Obersturmbannführer, Leiter des Dozentenlagers auf Tännich. 187 f. Gr nwald, Bruno, Jurist, Verteidiger vor dem VGH. 386 f., 395 G nther, Hermann, Berufsschullehrer Kirchheim unter Teck. 43 Gut, Walter, Theologe, Hochschullehrer 95, 102 geb. 1. 9. 1885, gest. 2. 7. 1961 Zürich 1923–1955 Prof. für ST, Religionspsychologie, Dogmengeschichte und Symbolik Zürich. Guttenberg, Karl Ludwig Freiherr von und zu, Historiker, Publizist 301, 325 geb. 22. 5. 1902 Salzburg bei Bad Neustadt, gest. (ermordet) 23./24. 4. 1945 Berlin 1941–1944 Mitarbeiter der Abwehr im OKW, hatte Verbindungen zum Goerdeler-Kreis und KK. Haag, Norbert, Historiker 218, 263 geb. 16. 7. 1958 Stuttgart-Sonnenberg. Haberl, Hans (eigentlich Gotthard Johannes), Theologe, Publizist 48 f. geb. 6. 4. 1868 Wien, gest. 11. 3. 1928 Wien 1892 Seelsorger Judenmission Breslau, Vorsitzender des CVJM und des „Österreichischen Hauptvereins für die Heidenmission“ Wien, 1924 Leiter Station Wien „Schwedische Gesellschaft für Israel“, veröffentliche zahlreiche Erbauungsschriften religionspädagogische Abhandlungen. Habermann, Max, Buchhändler, Gewerkschaftler 310 geb. 21. 3. 1885 Hamburg-Altona, gest. (Selbstmord) 30. 10. 1944 Gifhorn 1907 Mitglied und Vorstand im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband, Vorstandsmitglied im Gesamtverband Christlicher Gewerkschaften, ab 1934/35 enge Verbindungen zu Jakob Kaiser, Wilhelm Leuschner und Opposition in Wehrmacht. Habermas, Jürgen, Philosoph 23 geb. 18. 6. 1929 Düsseldorf. Haeften, Hans Bernd von, Jurist, Diplomat, Mitglied des KK 267, 312 f., 316 f., 323, 328 f., 386, 425 geb. 18. 12. 1905 Berlin-Charlottenburg, gest. (hingerichtet) 15. 8. 1944 Berlin-Plötzensee

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1934–1940 Gesandter des AA, 1940 Legationsrat Deutschlandabteilung des AA, 1942 stellv. Leiter der Kulturpolitischen Abteilung im AA. Haeften, Werner von, Jurist, Adjutant 357 geb. 9. 10. 1908 Berlin-Charlottenburg, gest. (hingerichtet) 21. 7. 1944 Berlin-Tiergarten 1937 Dezernent der Rechtsabteilung in Deutschen Rentenbank, 1938 Syndikus einer Hamburger Privatbank, 1939 Oberleutnant der Reserve an Ostfront, 1942 Adjutant von Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Generalstab des Ersatzheeres. Haenchen, Ernst, Theologe, Universitätslehrer 77 f. geb. 10. 12. 1894 Scharkinau (Posen), gest. 30. 4. 1975 Münster [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 96]. Haendler, Gert, Theologe, Hochschullehrer 117 f., 142 geb. 17. 8. 1924 Berlin. Hahn, Otto, Radiochemiker 309 geb. 8. 3. 1879 Frankfurt/Main, gest. 28. 7. 1968 Göttingen. Hahnenbruch, Erich, Obersturmbannführer 362 geb. 5. 11. 1902, gest. 22. 1. 1965 1933 Mitarbeiter des SD, 1940 Beamter im RSHA, Hilfsreferent und ab 1943 Leiter des Referates IV B 2 (protestantische Kirchenangelegenheiten). Halem, Friedrich von, Jurist, Rechtshistoriker 175 geb. 9. 4. 1933 Naumburg/Saale, gest. 8. 3. 2003 München. Hallesby, Ole, Theologe, Erweckungsprediger, Hochschullehrer 261 geb. 5. 8. 1879 Aremark, gest. 22. 11. 1961 Oslo 1903 Wanderprediger, 1909 Dozent für ST Oslo, 1919 Prof. für ST Oslo, Leiter der norwegischen Laienbewegung „Die Innere Mission“, 1923–1956 Präsident einiger großer christlicher Organisationen, arbeitete eng mit Eivind Berggrav zusammen. Hapig, Marianne, Sozialfürsorgerin in Tegel 374, 383 geb. 5. 3. 1894 Hohenthurm, gest. 23. 3. 1973 Berlin. H rle, Wilfried, Theologe, Universitätslehrer 155 geb. 6. 9. 1941 Heilbronn. Harnack, Adolf, (seit 1914 von), luth. Theologe, Universitätslehrer 125 geb. 7. 5. 1851 Dorpat, gest. 10. 6. 1930 Heidelberg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 99 f]. Harpprecht, Christoph, Pfarrer 129, 133 geb. 14. 4. 1888 Holzgerlingen, gest. 15. 4. 1966 Winnenden 1917 Pfarrer Hochdorf, 1926 Korntal, 1930 zweiter Stadtpfarrer Kirchheim unter Teck, 1935 Dekan Nürtingen, 1945 Krankenhauspfarrer Stuttgart, 1950 erster Stadtpfarrer Winnenden. Harpprecht, Klaus, Journalist 373 geb. 11. 4. 1927 Stuttgart, gest. 21. 9. 2016 La Croix-Valmer. Hassell, Ulrich von, Jurist, Diplomat 333–335, 386 geb. 12. 11. 1881 Anklam, gest. (hingerichtet) 8. 9. 1944 Berlin-Plötzensee 1909 Assessor im AA, 1911 Vizekonsul Genua, 1917 Direktor des Verbandes der preußischen Landkreise, 1919 Gesandtschaftsrat des AA Rom, 1921–1926 Generalkonsul Barcelona, 1926–1930 Gesandter Kopenhagen, 1930–1932 Gesandter Belgrad, 1932–1938 Botschafter Rom, seit 1939 Kontakte zum Goerdeler-Kreis und KK.

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Haubach, Theodor, Journalist, Politiker, Mitglied des KK 328–330, 341, 372, 384, 402 geb. 15. 9. 1896 Frankfurt/Main, gest. (hingerichtet) 23. 1. 1945 Berlin-Plötzensee 1924–1929 Redakteur Hamburger Echo, 1929/30 Pressereferent Reichsinnenministerium, 1930–1932 Pressechef beim Polizeipräsidenten Berlin, 1934–1936 Haft, ab 1936 Tätigkeit in Papierfabrik. Hauer, Jakob Wilhelm, Missionar, Indologe, Religionswissenschaftler, Universitätslehrer 136 geb. 4. 4. 1881 Ditzingen bei Leonberg, gest. 18. 2. 1962 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 101]. Hauptmann, Gerhard, Schriftsteller 63, 95 geb. 15. 11. 1862 Ober Salzbrunn (Schlesien), gest. 6. 6. 1946 Agnetendorf (Niederschlesien). Heber, Franz, Oberstleutnant. 356 f. Heckel, Theodor, luth. Theologe, Bischof, Hilfswerkleiter 105, 125 f., 150, 177–179, 181 f., 184, 186, 189, 194, 202–216, 220–223, 227–230, 233–235, 238, 241–243, 245, 248–252, 255 f., 258, 260–262, 268–270, 275, 279 f., 282, 290, 295–299, 305, 319, 335, 352, 365 f., 414 f., 418, 423 f. geb. 15. 4. 1894 Kammerstein (Mittelfranken), gest. 24. 6. 1967 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 102]. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Philosoph 66, 77, 80 f., 292 geb. 27. 8. 1770 Stuttgart, gest. 14. 11. 1831 Berlin. Heiler, Friedrich, Theologe, Religionsphilosoph, Universitätslehrer 377 geb. 30. 1. 1892 München, gest. 24. 4. 1967 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 103 f]. Heim, Karl, luth. Theologe, Universitätslehrer 77 f., 234, 421 geb. 20. 1. 1874 Frauenzimmern (Württemberg), gest. 30. 8. 1958 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 104]. Held, Heinz Joachim, Theologe, Präsident 203 f. geb. 16. 5. 1928 Wesseling 1968–1975 Präsident der Evangelischen Kirche am La Plata, 1975–1993 Leiter des KA der EKD. Herman (Hermann Aav), orth. Theologe, Erzbischof 283 geb. 2. 9. 1878 Hellamaa, gest. 14. 1. 1961 Kuopio Pfarrer in Estland, 1924 Bischof Karoline, 1925–1961 Erzbischof der finnisch-orthodoxen Kirche, war um politische Zusammenarbeit mit der lutherischen Kirche Finnlands bemüht. Hess, Rudolf, Vertrauter Hitlers 194 geb. 26. 4. 1894 Alexandria (Ägypten), gest. (Selbstmord) 17. 8. 1987 Berlin 1925–1932 Privatsekretär Hitlers, 1932 Vorsitzender der Politischen Kommission der NSDAP, 1933–1941 Stellvertreter Hitlers in Parteiführung, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, 1938–1941 Mitglied des Geheimen Kabinettrates, 1939–1941 Mitglied des Ministerrates für Reichsverteidigung, 1941–1945 nach Friedensvermittlung in britischer Haft, 1946 in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt. Hesse, Hermann Albert, ref. Theologe, Moderator, kirchlicher Dozent 117 geb. 22. 4. 1877 Weener (Ostfriesland), gest. 26. 7. 1957 Wuppertal-Elberfeld [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 111].

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Hesse, Hermann, Schriftsteller 63 geb. 2. 7. 1877 Calw, gest. 9.8. 1962 Montagnola. Heyde, Bolko von der, Oberstleutnant 356 f. geb. 27. 7. 1906. Heydrich, Reinhard, Leiter 101, 211, 278, 297 f. geb. 7. 3. 1904 Halle/Saale, gest. (ermordet) 4. 6. 1942 Prag ab 1932 Aufbau und Leiter des Sicherheitsdienstes der SS, ab 1933 Aufbau der Gestapo, 1933 Leiter der Bayrischen Politischen Polizei, 1934 Leiter des Gestapoamtes Berlin, 1939 Chef des RSHA, gleichzeitig stellv. Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, fiel Attentat zum Opfer. Himmler, Heinrich, Reichsführer SS, Reichsinnenminister 357, 401 geb. 7. 10. 1900 München, gest. (Selbstmord) 23. 5. 1945 Lüneburg 1929–1945 Reichsführer SS, 1934 stellv. Chef der Gestapo Preußen, 1936–1945 Chef der deutschen Polizei, 1936–1943 Staatssekretär im Reichsinnenministerium, 1943–1945 Reichsinnenminister. Hirsch, Emanuel, Theologe, Universitätslehrer 167–169, 191, 343 geb. 14. 6. 1888 Bentwitsch/Westprignitz (Brandenburg), gest. 17. 7. 1972 Göttingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 113 f]. Hitler, Adolf, Reichskanzler, Diktator 103, 112, 114–119, 129, 131, 136, 139–141, 145 f., 150, 198–201, 210, 246, 257, 262 f., 280, 283, 299 f., 302, 306–308, 318, 320, 338, 340, 342 f., 347–351, 354, 356–358, 360, 364, 386, 388–390, 394, 401, 406, 415, 430–432, 434 geb. 20. 4. 1889 Braunau am Inn, gest. (Selbstmord) 30. 4. 1945 Berlin 1933–1945 Führer und Reichskanzler, ab 1934 auch Reichspräsident. Hochstetter, Johann Andreas, luth. Theologe, Hochschullehrer 30 geb. 15. 3. 1637 Kirchheim unter Teck, gest. 8. 11. 1720 Bebenhausen 1668 Pfarrer Walheim, 1672 Dekan Böblingen, 1677 Stiftsephorus und Prof. für griechische Sprache Tübingen, 1680 Prof. der Theologie, 1681 Prälat und Abt Kloster Maulbronn, 1689 Prälat Bebenhausen, führender Kleriker in Württemberg, versuchte Reformbestrebungen von Philipp Jacob Spender zugänglich zu machen. Hockerts, Hans Günter, Historiker, Hochschullehrer 303 f. geb. 7. 2. 1944 Echternach. Hoepner, Erich Kurt Richard, Generaloberst 355, 358, 385 geb. 14. 9. 1886 Frankfurt/Oder, gest. (hingerichtet) 8. 8. 1944 Berlin-Plötzensee 1914–1918 Kompanieführer und Generalstabsoffizier, 1920 Oberst, 1933 Chef des Stabes Wehrkreiskommando I Königsberg, 1935 Generalstab des Heeres Berlin, 1936 Generalmajor, 1937 Kommandeur der 1. leichten Division, 1939 General der Kavallerie, 1940 Generaloberst, 1941 Befehlshaber der Panzergruppe 4, 1942 Absetzung durch Hitler, Kontakte zu Ludwig Beck, Friedrich Olbricht und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Hoffmann, Peter, Historiker 336 f. geb. 13. 8. 1930 Dresden. Hoffmann, Wilhelm, Leiter, Bibliothekar 79 f. geb. 21. 4. 1901 Stuttgart, gest. 27. 3. 1986 Stuttgart 1923–1926 Leiter der Tübinger Studentenwerkes, 1928–1931 Leiter der SdDV Dresden, danach Bibliothekslaufbahn in Stuttgart, 1945–1970 Direktor der Württ. Landesbibliothek Stuttgart, 1954–1979 Präsident der Deutschen Schillergesellschaft.

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Hohl, Elisabeth, Gerstenmaiers Patin. 31 Hçlderlin, Friedrich, Dichter 63 geb. 20. 3. 1770 Lauffen am Neckar, gest. 7. 6. 1843 Tübingen. Holl, Karl, luth. Theologe, Universitätslehrer 377 geb. 15. 5. 1866 Tübingen, gest. 23. 5. 1926 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 114]. Honecker, Martin, Theologe, Hochschullehrer 19, 166, 208 geb. 2. 5. 1934 Ulm. Hopf, Christel, Soziologin 23 geb. 27. 10. 1942 Hamburg, gest. 23. 7. 2008 Berlin. Hçrr, Hans, Pfarrer 344–347 geb. 6. 8. 1909 1940–1953 Pfarrer Schlitz. Hoss, Karl, Pfarrer, Dekan 28, 31 geb. 20. 1. 1874 Lustnau, gest. 17. 1. 1949 Siglingen 1903 zweiter Stadtpfarrer Kirchheim unter Teck, 1920–1929 Dekan, 1929–1935 Dekan Heilbronn. Hossenfelder, Joachim, Theologe, Mitbegründer und Reichsleiter der DC 118, 124–126, 128, 131, 423 geb. 29. 4. 1899 Cottbus, gest. 28. 6. 1976 Lübeck [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 117]. Husen, Paulus van, Jurist, Mitglied des KK 328–330, 337, 342 geb. 26. 2. 1891 Horst an der Emscher, gest. 1. 9. 1971 Münster 1920 preußischer Staatsdienst in div. Positionen, 1934 Richter am preußischen Oberverwaltungsgericht, enger Freund von Hans Lukaschek, 1948 Richter am Bizonalen Deutschen Obergericht Köln, 1949 Präsident Oberverwaltungsgerichts für NRW, 1952–1959 Präsident Verfassungsgerichtshofs NRW. J ger, August, Reichswalter, Regierungspräsident 140 f., 144 f., 430–436 geb. 21. 8. 1887 Diez, gest. (hingerichtet) 17. 6. 1949 Posen 1933 Leiter der Kirchenabteilung des preußischen Kultusministeriums und Staatskommissar für die ev. Landeskirchen Preußen, 1934 Reichswalter RKR, 1939 stellv. Leiter der Zivilverwaltung im Warthegau, später dort Regierungspräsident. Jehle-Wildberger, Marianne, Historikerin 104 geb. 25. 5. 1937 Schaffhausen. Jepsen, Alfred, Theologe, Universitätslehrer 190 geb. 28. 3. 1900 Hamburg, gest. 11. 12. 1979 Greifswald [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 124]. Jessen, Jens Peter, Wirtschaftswissenschaftler, Hochschullehrer 333 geb. 11. 12. 1895 Stoltelund bei Tingleff, gest. (hingerichtet) 30. 11. 1944 Berlin-Plötzensee 1933/34 Prof. für wirtschaftliche Staatswissenschaften Kiel, 1934/35 Prof. für Nationalökonomie Marburg, 1935–1944 Prof. für Staats- und Wirtschaftswissenschaften Berlin, 1940–1943 Leiter der Akademie für Deutsches Recht Berlin, Kontakte zu Ludwig Beck und dem KK. Johansson, Harry, Direktor, Leiter 280, 335–337 geb. 1900, gest. 1983

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1930–1939 Sekretär der schwedischen christlichen Studentenbewegung, 1937–1943 Assistent am Stift Sigtuna, 1943–1965 Direktor des NÖI Sigtuna, 1964–1967 Sekretär des schwedischen ökumenischen Rates, 1947–1963 Leiter der kirchlichen Hilfe Schwedens. Jçrdens, Georg, Universitätssekretär Rostock 148 geb. 1884. Judaschke, Hans-Heinrich 148 geb. 7. 4. 1912 Stettin Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Kaiser, Jakob, Politiker der Zentrumspartei und CDU 308, 310 geb. 8. 2. 1888 Hammelburg (Unterfranken), gest. 7. 5. 1961 Berlin 1919 stellv. Vorsitzender Zentrumspartei Rheinland, Gewerkschaftsführer Christlicher Gewerkschaften Westdeutschlands, 1933 MdR, seit 1934 Tätigkeit im Widerstand, 1938 Gestapo-Haft, 1945 Mitbegründer der CDU, Vorsitzender der CDU Berlin, 1947 Absetzung in SBZ, 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1957 MdB, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1950 stellv. Vorsitzender der CDU. Kaiserling, Helmut, Mediziner 187 f. geb. 6. 4. 1906 Berlin, gest. 13. 3. 1989 Siegen 1937 PD Münster, 1943 apl. Prof. für Pathologie Straßburg, 1947–1971 Direktor eines pathologischen Instituts Siegen. Kaltenbrunner, Ernst, Jurist, Leiter 359 f., 363–366, 391 geb. 4. 10. 1903 Ried, gest. (hingerichtet) 16. 10. 1946 Nürnberg 1940 Polizeipräsident Wien, 1942 Leiter des RSHA Berlin, 1943 Chef der Sicherheitspolizei und des SD Berlin, 1943 Obergruppenführer und General der Polizei. Kant, Immanuel, Philosoph 80 f., 87, 135, 152, 156 f., 161 geb. 22. 4. 1724 Königsberg, gest. 12. 2. 1804 Königsberg. Kapler, Hermann, Jurist, Präsident 116–118, 205 f. geb. 2. 12. 1867 Oels (Schlesien), gest. 2. 5. 1941 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 129]. Karwehl, Richard, Theologe, Pfarrer 111–114 geb. 2. 5. 1885 Uchte, gest. 2. 8. 1979 Osnabrück [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 130 f]. Keller, Adolf, ref. Theologe, Ökumeniker 104–106, 190, 215, 226, 231, 411, 421 geb. 7. 2. 1872 Rüdlingen, gest. 10. 2. 1963 Los Angeles 1926 Leiter des Internationalen Sozialwissenschaftlichen Instituts Genf, 1929 Dozent für ökumenische Fragen Genf und Zürich, 1934 Gründer und Leiter des Ökumenische Seminars, 1938 Präsident des Schweizerischen kirchlichen Hilfskomitees für evangelische Flüchtlinge. Keller, Gottfried, Dichter 63 geb. 19. 7. 1819 Zürich, gest. 15. 7. 1890 Zürich. Kerrl, Hanns, Reichskirchenminister 150, 200–202, 236 f., 255, 418 geb. 11. 12. 1887 Fallersleben, gest. 14. 12. 1941 Paris 1933–1934 Preußischer Justizminister, 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, 1935 Leiter des Zweckverbandes Reichsparteitag Nürnberg und Leiter der Reichsstelle für Raumordnung, 1936 Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten.

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Kershaw, Ian, Historiker 303, 389 geb. 29. 4. 1943 Oldham. Kessel, Albrecht von, Jurist, Diplomat 313 f., 317 geb. 6. 11. 1902 Ober-Glauche, gest. 15. 4. 1976 Bad-Godesberg. Kleist, Ewald Heinrich von, Oberstleutnant 375, 383 geb. 10. 7. 1922 Gut Schmenzin (Pommern), gest. 8. 3. 2013 Prien am Chiemsee. Klemperer, Klemens von, Historiker 315, 317, 412 geb. 2. 11. 1916 Berlin, gest. 23. 12. 2012 Easthampton/Massachusetts. Klçnne, Arno, Soziologe 38–40 geb. 4. 5. 1931 Bochum, gest. 4. 5. 2015 Paderborn. Kluckhohn, Paul, Germanist, Hochschullehrer 77 f., 87 geb. 10. 4. 1886 Göttingen, gest. 20. 5. 1957 Tübingen 1925 apl. Prof. für Germanistik Danzig, 1927 Prof. Wien, 1930 Prof. Tübingen. Knoll, Joachim Heinrich, Pädagoge 39 geb. 23. 11. 1932 Freystadt. Knoll, Willy, Möbelfabrikant 337 geb. 17. 5. 1878 Stuttgart, gest. 1. 7. 1954 München. Koch, Hans, luth. Theologe, Osteuropaforscher, Universitätslehrer 186, 189, 192 geb. 7. 7. 1894 Lemberg (Galizien), gest. 9. 4. 1959 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 140]. Koch, Karl, Theologe, Pfarrer, Präses 228, 245 geb. 6. 10. 1876 Witten, gest. 28. 10. 1951 Bielefeld [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 140]. Kçhler, Johannes, Volksgerichtsrat am VGH 392 geb. 8. 3. 1897, gest. 1968. Kçnig, Lothar, Jesuit, Mitglied des KK 185, 325, 328 f. geb. 3. 1. 1906 Stuttgart, gest. 5. 5. 1946 München 1936 Priester, 1939 Prof. für Kosmologie am Berchmanskolleg. Kramer, Kurt, Mediziner, Hochschullehrer 188, 387–390 geb. 16. 6. 1906 Münster, gest. 23. 3. 1985 München 1937 PD für Physiologie Heidelberg, 1940 apl. Prof. Berlin, 1944 Prof. Leipzig, 1950 Prof. Marburg, 1955 Prof. Göttingen, 1965–1975 Prof. München. Kr ger, Gerhard, Studentenschaftsführer 124, 296 geb. 6. 12. 1908 Mottlau bei Danzig, gest. 22. 5. 1994 Heßlingen 1931–1933 Vorsitzender der Deutschen Studentenschaft, 1933/34 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Burschenbundes, 1934 Mitarbeiter Reichspressestelle NSDAP, 1936 Amtsleiter Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums, 1942 Kulturattach der deutschen Botschaft Paris, 1943 NSDAPKreisleiter Bendsburg, 1944 Gauschulungsleiter Gau Westfalen-Süd, 1945–1948 Internierungslager, ab 1949 Mitbegründer und Aktivist mehrerer rechtsradikaler Parteien. Krummacher, Friedrich-Wilhelm, Theologe, Bischof 105, 207, 216, 223, 245, 252, 255 f., 260 geb. 3. 8. 1901 Berlin, gest. 19. 6. 1974 Altefähr (Rügen) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 146].

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K nneth, Walter, luth. Theologe, Universitätslehrer 119, 377 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 148]. Kunze, Rolf-Ulrich, Historiker, Hochschullehrer 202 f., 205–214 geb. 12. 11. 1968 Osnabrück. Lachenmann, Gretel, 55 Gerstenmaiers Bekannte. Lagarde, Paul de, Theologe, Kulturphilosoph 63 geb. 2. 11. 1827 Berlin, gest. 22. 12. 1891 Göttingen. Lammers, Hans Heinrich, Richter, Ministerialbeamter 199 f. geb. 27. 5. 1879 Lublinitz, gest. 4. 1. 1962 Düsseldorf 1912 Landrichter Beuthen, ab 1920 Dienst im Reichsinnenministerium, 1921 Oberregierungsrat, 1922 Ministerialrat und Leiter des Verfassungsreferates, 1937 Chef der Reichskanzlei. Lancken, Fritz von der, Reserveoffizier, Adjutant 358 geb. 21, 6. 1890 Diedenhofen, gest. (hingerichtet) 29. 9. 1944 Berlin-Plötzensee 1932 Internatsleiter Potsdam, 1939 Adjutant von Friedrich Olbricht beim Allgemeinen Heeresamt. Lang, Cosmo Gordon, Erzbischof 254 geb. 31. 10. 1864 Fyvie, gest. 5. 12. 1945 London 1908 Erzbischof von York, 1928–1942 Erzbischof von Canterbury. Lange, Paul, Mitglied der CDJ. 54 Langenfass, Friedrich Christian, Theologe, Pfarrer, Dekan 54 geb. 8. 7. 1880 Hohenaltheim bei Nördlingen, gest. 5. 2. 1965 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 152]. Latkowski, Hans 148 geb. 7. 6. 1912 Cottbus Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Lauffer, Christiane Gottlobin (geb. Lause oder Laus) 26, 33, 419 geb. 24. 3. 1855 Kirchheim unter Teck, gest. 15. 5. 1919 Kirchheim unter Teck. Lauffer, Friedrich Wilhelm, Kaufmann, Gerstenmaiers Onkel und Pate. 31 Lauffer, Johann Albert, Schreiner 27, 31, 34 geb. 12. 1. 1845 Schwenningen, gest. 27. 5. 1912 in Kirchheim unter Teck. Lautz, Ernst, Oberreichsanwalt 392 geb. 13. 11. 1887 Wiesbaden, gest. 21. 1. 1979 Lübeck 1920 Staatsanwalt Neuwied, 1930 Oberstaatsanwalt Berlin, 1936 Generalstaatsanwalt Berlin, 1937 Generalstaatsanwalt Karlsruhe, 1939–1945 Oberreichsanwalt am VGH Berlin. Le Seur, Paul, Theologe, Hochschullehrer 72 geb. 18. 7. 1877 Berlin, gest. 13. 3. 1963 Potsdam 1909–1925 Inspektor Berliner Stadtmission und Prediger Berlin, 1925–1933 Leiter der Jugendhochschule Hainstein Eisenach, ab 1927 Leiter der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft evangelischer Männer und Frauen Thüringens“. Leber, Julius, Politiker der SPD, Mitglied des KK 328 f., 386 geb. 16. 11. 1891 Biesheim (Elsass), gest. (hingerichtet) 5. 1. 1945 Berlin-Plötzensee 1921 Chefredakteur Lübecker Volksbote, 1921–1933 Mitglied Lübecker Bürgerschaft,

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1924–1933 MdR, 1935–1937 KZ-Haft, Kontakte zum Goerdeler-Kreis und militär. Widerstand. Lessing, Gotthold Ephraim, Dichter 63 geb. 22. 1. 1729 Kamenz, gest. 15. 2. 1781 Braunschweig. Leube, Martin, Pfarrer 28 geb. 10. 1. 1884 Leutkirch, gest. 18. 7. 1961 Göppingen 1930 Dekan Kirchheim unter Teck, 1946 Pfarrer Ludwigsburg-Pflugfelden, 1947 Vorsitzender des Vereins für württembergische Kirchengeschichte. Leuschner, Wilhelm, Gewerkschaftler, Politiker 310, 330, 386 geb. 15. 6. 1890 Bayreuth, gest. (hingerichtet) 29. 9. 1944 Berlin-Plötzensee 1913 stellv. Vorsitzender des Gewerkschaftskartells Darmstadt, 1919 Vorsitzender der Darmstädter Gewerkschaften, 1924 MdL Hessen, 1926–1928 Bezirkssekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1928 Innenminister Hessen, 1933/34 Haft, 1936 Fabrikleiter Berlin, Kontakte zum Goerdeler-Kreis und KK. Lilje, Hanns, Theologe, Landesbischof 230 f., 245, 256, 258, 392, 404 geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 157 f]. Lipgens, Walter, Historiker, Universitätslehrer 313, 315 geb. 12. 6. 1925 Düsseldorf, gest. 29. 4. 1984 Düsseldorf. Lçffler, Roland, Theologe 210 geb. 26. 10. 1970 Homberg (Efze). Lojewski, Kurt 148 geb. 29. 5. 1913 Borken Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Louvaris, Nikolaos, griech. Theologe, Minister 277 geb. 23. 10. 1887 Arnados auf Tinos, gest. 26. 3. 1961 Athen 1925–1955 Prof. für NT Athen, zeitweise Dekan der Theologischen Fakultät, 1926–1928 Staatssekretär Unterrichtsministerium, 1935/36 und 1943/44 griech. Unterrichtsminister. Lçwenthal, Richard, Politikwissenschaftler, Hochschullehrer 304 geb. 15. 4. 1908 Berlin, gest. 9. 8. 1991 Berlin. Luckmann, Thomas, Soziologe 21–24 geb. 14. 10. 1927 Aßling, gest. 10. 5. 2016 Kärnten. Lukaschek, Hans, Mitglied des KK, Bundesvertriebenenminister 328 f. geb. 22. 5. 1885 Breslau, gest. 26. 1. 1960 Freiburg/Breisgau 1914 Tätigkeit im Reichspatentamt Berlin, 1916 Bürgermeister, 1919 Landrat Rybrik/ Oberschlesien, später Abstimmungskommissar, 1922–1927 Mitglied der Gemischten Kommission für Oberschlesien, 1927–1929 Oberbürgermeister Hindenburg, 1929–1933 Oberpräsident Oberschlesien, dann Rechtsanwalt Breslau, 1944 KZ Ravensbrück, 1945 Mitbegründer der CDU Berlin, bis 1946 Dritter Vizepräsident des Landes Thüringen, 1947 Amtsgerichtsrat Königstein, 1948 Vizepräsident des Deutschen Obergerichts Köln, dann Präsident des Hauptamtes für Soforthilfe Bad Homburg, 1949–1953 Bundesvertiebenenminister. L tgert, Wilhelm, Theologe, Universitätslehrer 152, 154, 156–158, 170 geb. 9. 4. 1867 Heiligengrabe (Ostprignitz), gest. 21. 2. 1938 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 163].

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Luther, Martin, Reformator 29, 45, 52 f., 80, 85, 109, 123, 125, 127, 137 f., 142, 145, 167, 176, 180, 208, 210, 239 f., 246, 280, 282, 285, 339, 343–345, 347, 415, 420, 445 geb. 10. 11. 1483 Eisleben, gest. 18. 2. 1546 Eisleben. Luther, Martin, Unterstaatssekretär 295 f. geb. 16. 12. 1895 Berlin, gest. 13. 5. 1945 Berlin 1936 Leiter Parteiberatungsstelle NSDAP, ab 1938 Mitarbeiter des AA, SA-Brigadeführer, 1940–1943 Leiter Abteilung Deutschland im AA, 1941 Ministerialdirektor mit Amtsbezeichnung Unterstaatssekretär, 1944 Haft. Maiwald, Birger, Historiker. 205 f. Mammele, Otto, Pfadfinderleiter Kirchheim unter Teck. 47 f. Mann, Thomas, Schriftsteller 66 geb. 6. 6. 1875 Lübeck, gest. 12. 8. 1955 Zürich. Marahrens, August, Landesbischof 117, 141, 150, 201, 220, 234, 237, 245 f. geb. 11. 10. 1875 Hannover, gest. 3. 5. 1950 Kloster Loccum ab 1919 Studiendirektor im Predigerseminar Erichsburg, 1914–1919 Lazarettpfarrer, 1918/19 Betreuung von Kriegsgefangenen in Belgien, ab 1920 Superintendent Einbeck, ab 1922 Generalsuperintendent Stade, 1925–1947 Landesbischof von Hannover, 1928 Abt zu Loccum, 1934–1936 Vorsitzender der 1. VKL, ab 1937 Vorsitzender der Kirchenführerkonferenz, 1939–1945 Mitglied im Geistlichen Vertrauensrat der DEK, 1933–1945 Vorsitzender der Allgemeinen ev.-luth. Konferenz, 1936 Mitbegründer des Lutherrates, Präsident des Lutherischen Weltkonvents. McGrath, Alister, Theologe, Hochschullehrer 154 geb. 23. 1. 1953 Belfast. Meier, Kurt, luth. Theologe, Hochschullehrer 321 geb. 18. 6. 1927 Venusberg. Meiser, Hans, luth. Theologe, Vereinsgeistlicher, Landesbischof 141, 220, 235, 433, 435 f. geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 169 f]. Menn, Wilhelm, Theologe, Pfarrer 252 f. geb. 23. 8. 1888 Ferndorf bei Siegen, gest. 29. 2. 1956 Frankfurt/Main [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 170]. Mette, Norbert, röm.-kath. Theologe, Hochschullehrer 25 geb. 16. 12. 1946 Barkhausen. Meyenn, Hans Werner von, Pfarrer 121, 123, 131 geb. 6. 12. 1905 Sophienhof, gest. 5. 12. 1982 Bielefeld 1933 Leiter der evangelischen Fachschaft Rostock, 1933–1936 Mitarbeiter und dann Abteilungsleiter der Literarischen Abteilung beim Deutschlandsender Berlin, KZ-Haft, 1939–1947 Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1947–1951 Pfarrer Massen, 1951 Leiter der Kirchlichen Rundfunkzentrale Bethel, 1951/52 Chefredakteur „epd-Kirche und Rundfunk“, 1955 Gründer und Geschäftsführer der Ev. Akademie für Rundfunk und Fernsehen, 1962–1976 Geschäftsführer und Programmdirektor Ev. Radiomission „Christus lebt“. Meyer, Conrad Ferdinand, Dichter 63, 432 geb. 11. 10. 1825 Zürich, gest. 28. 11. 1898. Mierendorff, Carlo, Politiker, Mitglied des KK 328 f. geb. 24. 3. 1897 Großenhain, gest. 4. 12. 1943 Leipzig

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1926–1928 Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion Berlin, 1928–1933 Pressereferent im hessischen Innenministerium, 1930–1933 MdR, 1933–1938 KZ-Haft, 1939 Tätigkeit in Sozialabteilung der Braunkohle- und Benzin-AG Berlin. Mçckel, Andreas, Sonderpädagoge 244 geb. 30. 1. 1927 Großpold. Moltke, Albrecht von, Historiker. 330 Moltke, Freya Gräfin von, Juristin, Mitglied des KK 18, 322, 324, 328, 331, 339, 373 f., 378, 382, 404, 438, 441 geb. 29. 3. 1911 Köln, gest. 1. 1. 2010 Norwich/Vermont. Moltke, Helmuth James Graf von, Jurist, Gründer des KK 18 f., 312, 316 f., 321–335, 337–342, 347–350, 352, 361, 366 f., 372–379, 381–384, 386 f., 392–399, 402–405, 426, 441–443 geb. 11. 3. 1907 Kreisau, gest. (hingerichtet) 23. 1. 1945 Berlin-Plötzensee 1935–1938 Anwalt für Völkerrecht und internationales Privatrecht Berlin, 1939–1944 Kriegsverwaltungsrat, Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht im Amt Ausland/ Abwehr im OKW, 1944 Haft. Mommsen, Wolfgang, Historiker 35 geb. 5. 11. 1930 Marburg, gest. 11. 8. 2004 Bansin. Moser, Christian, Lehrer 68–71, 420 geb. 9. 11. 1867 Altheim/Alb, gest. 15. 1. 1935 Kirchheim unter Teck. M hler, Kurt, Soziologe 23 geb. 5. 3. 1953 Leipzig. M ller, Albrecht, Auslandsredakteur NZZ. 412, 416 M ller, Hans Michael, Theologe, Universitätslehrer 124, 126 geb. 17. 5. 1901 Loschwitz (Sachsen), gest. 5. 11. 1989 vermutlich Farchant (Oberbayern) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 179]. M ller, Heinrich, Chef der Gestapo 358, 361 f., 363, 388, 401 geb. 28. 4. 1900 München, gest. (vermutlich) 1. 5. 1945 Berlin 1929 Polizeisekretär München, 1933 Leiter der Bayrischen Politischen Polizei, 1934 Mitarbeiter der Gestapo Berlin, 1936 stellv. Chef des Amtes Politische Polizei, 1939 Geschäftsführer der „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“, 1939 Chef des Amtes IV (Gestapo) im RSHA, 1941 Generalleutnant der Polizei. M ller, Ludwig, Wehrkreispfarrer, Reichsbischof 117–120, 123, 126, 128, 131 f., 135, 140–145, 147 f., 150, 156, 197 f., 202–208, 211 f., 215 f., 226, 423, 429 f., 434 geb. 23. 6. 1883 Gütersloh, gest. 31. 7. 1945 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 180]. Murtorinne, Eino, Theologe 281–283 geb. 25. 11. 1930 Kiuruvesi. Mussolini, Benito, Ministerpräsident, Diktator 306 geb. 29. 7. 1883 Doria di Predappio, gest. 28. 4. 1945 Giulino di Mezzegra 1922–1943 Ministerpräsident Italien. Neuhaus, Karl, Pfarrer, Lehrer, Regierungsrat 359–364, 368, 388, 391 geb. 22. 7. 1915 Laasphe, gest. 22. 12. 2000 Marktheidenfeld 1934 Mitarbeiter im RSHA Berlin, Leiter der Amtsgruppe Kirchen, Juden und Sekten im Amt IV (Gestapo), 1944 Leiter der „Sonderkommission 20. Juli“ im RSHA.

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Niemçller, Martin, Marineoffizier, Theologe, Kirchenpräsident 132 f., 203, 319, 417 f. geb. 14. 1. 1892 Lippstadt (Westfalen), gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 185]. Nietzsche, Friedrich, Philosoph 63, 66, 68, 169, 292, 448 geb. 15. 10. 1844 Röcken, gest. 25. 8. 1900 Weimar. Nostitz, Gottfried von, Diplomat 313 f., 317 geb. 19. 8. 1902 Dresden, gest. 13. 4. 1976 Gauting 1934–1938 Legationssekretär Wien, 1938 Legationsrat AA Berlin, 1940–1945 Konsul Genf, 1947–1950 Referent im Zentralbüro des Hilfswerkes der EKD, 1953–1957 Botschaftsrat Den Haag, 1957–1964 Generalkonsul Sao Paulo, 1964–1967 Botschafter Santiago de Chile. Oetinger, Friedrich Christoph, Vordenker des württ. Pietismus 30 geb. 2. 5. 1702 Göppingen, gest. 10. 2. 1782 Murrhardt 1731 Repetent Tübinger Stift, 1738 Pfarrer Hirsau, 1743 Schnaitheim, 1746 Walddorf (bei Tübingen), 1752 Dekan Weinsberg, 1759 Herrenberg, 1766 Murrhard. Olbricht, Friedrich, General, Leiter 350, 355–357 geb. 4. 10. 1888 Leisnig, gest. (hingerichtet) 21. 7. 1944 Berlin 1926 Mitarbeiter im Reichswehrministerium, 1933 Stabschef der 4. Division Dresden, 1935 Stabschef des IV. Armeekorps Dresden, 1938 Stabschef und ab 1939 Kommandeur der 24. Infanterie-Division, 1940 General der Infanterie und Leiter des Allgemeinen Heeresamtes im OKW, 1943 zusätzlich noch Leiter des Wehrersatzamtes im OKW. Oldham, Joseph Houldsworth, Ökumeniker 227, 233, 235, 247 geb. 20. 10. 1874 Indien, gest. 16. 5. 1969 St. Leonards-on-Sea 1921–1938 Generalsekretär IMR, 1934–1938 Vorsitzender der Forschungsabteilung des Universal Christian Council for Life and Work. Opitz, Hans-Georg, Theologe, Universitätslehrer 193 geb. 1. 6. 1905 Berlin-Johannistal, gest. 9. 7. 1941 Brody bei Lemberg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 190]. Oster, Hans, Generalmajor 300 geb. 9. 8. 1887 Dresden, gest. 9. 4. 1945 (hingerichtet) KZ Flossenbürg 1933 Mitarbeiter im Reichswehrministerium, 1935 Oberstleutnant und Leiter der Zentralabteilung im Amt Abwehr, 1939 Oberst, 1941 Stabschef im Amt Ausland/Abwehr des OKW, 1942 Generalmajor. Pagel, Paul, Gründer des Pagel-Kreises, Politiker 262, 308–312, 425 geb. 29. 12. 1894 Bredenfelde, gest. 11. 8. 1955 Kiel 1928 Direktor Amtsgericht Greifswald, in den Ruhestand versetzt, Mitglied der Robinsohn-Strassmann-Gruppe und Kopf des Pagel-Kreises, 1947 Sozialminister, 1950–1954 Kultusminister, 1950–1955 Innenminister, 1951 und 1953/54 stellv. Ministerpräsident Schleswig Holstein. Papandreou, Damaskinos, Erzbischof, Premierminister 277 f. geb. 3.3. 1891 Dorvitsa, gest. 19. 5. 1949 Athen 1918 Metropolit von Korinth, 1938 Erzbischof von Athen, 1944 Premierminister. Peters, Hans, Jurist, Mitglied des KK 328–330 geb. 5. 9. 1896 Berlin, gest. 15. 1. 1966 Köln 1933 MdL Preußen, 1940 Vorsitzender der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wis-

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senschaften, 1946 Prof. für Rechtswissenschaften Berlin, 1949 Prof. Köln. 1964/65 Rektor. Peukert, Detlev, Historiker 304 geb. 20. 9. 1950 Gütersloh, gest. 17. 5. 1990 Hamburg. Pezold, Gustav, Pfarrer, Dekan 28, 35 geb. 13. 10. 1850 Stetten, gest. 15. 10. 1931 Kirchheim unter Teck 1875 Pfarrer Niedernhall, 1881 Friedrichshafen, 1894 Dekan Brackenheim, 1910–1919 Kirchheim unter Teck. Pfeiffer, Jean, Mitarbeiter des Roten Kreuzes. 411 Pfizenmaier, Paul, Prälat Kirchheim unter Teck. 41 Philippi, Klaus, Historiker 326 geb. 1942. Pickel, Gerd, Soziologe, Hochschullehrer 26 geb. 1963 Kronach. Pius XII., Papst 320, 335 geb. 2. 3. 1876 Rom als Eugenio Maria Giuseppe Pacelli, gest. 9. 10. 1958 Castel Gandolfo 1899 Priesterweihe, 1909–1914 Prof. an der Diplomaten-Akademie des Vatikans, 1917 Nuntius des Apostolischen Nuntiatur München, 1920–1929 Erster Nuntius des Vatikans für das Deutsche Reich München und Berlin, 1930 Kardinalssekretär, 1939–1958 Papst. Platon, Philosoph 63 geb. 428/427 v. Chr. Athen, gest. 348/347 v. Chr. Athen. Plattner, Friedrich, Psychologe, Hochschullehrer 187–189 geb. 1. 9. 1896 Ottensheim, gest. 1970er (genaues Todesjahr unbekannt) 1931 apl. Prof. für Psychologie Innsbruck, 1935 Gauleiter Tirol, 1936 Prof. Königsberg, 1938–1940 Staatskommissar für Erziehung, Kultus und Volksbildung Wien, setzte sich nach Verurteilung in Iran ab, 1949 Prof. Täbris, 1961 Prof. Ahwaz. Plovdiv, Kyrill von, orth. Theologe, Patriarch 276 geb. 3. 1. 1901 Sofia, gest. 7. 3. 1971 Sofia 1938–1953 Metropolit von Plowdiw, 1953–1971 Patriarch der bulgarisch-orth. Kirche. Poelchau, Dorothee, Germanistin 373 geb. 6. 6. 1902 Steinkirchen, gest. 4. 11. 1977 Berlin. Poelchau, Harald, Gefängnispfarrer, Mitglied des KK 328 f., 371–374, 376, 387 f., 391, 397, 405, 407, 410, 427, 441 geb. 5. 10. 1903 Potsdam, gest. 29. 4. 1972 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 196]. Popitz, Johannes, Jurist 321, 332 f., 402 geb. 2. 12. 1884 Leipzig, gest. 2. 2. 1945 (hingerichtet) Berlin-Plötzensee 1919 Geheimrat Reichsfinanzministerium, 1925–1929 Staatssekretär, 1928–1944 Präsident der „Gesellschaft für Antike Kultur“, 1932 Reichsminister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer Finanzminister Preußen, 1933 Finanzminister Preußen, Kontakte zu Ludwig Beck und KK. Pressel, Wilhelm, Theologe, Oberkirchenrat 187, 218–221, 243 f., 251, 323, 337 geb. 22. 1. 1895 Creglingen/Tauber, gest. 24. 5. 1986 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 197 f].

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Preysing, Konrad Graf von, Bischof, Kardinal 322, 338, 411 geb. 30. 8. 1880 Schloss Kronwinkl (Bayern), gest. 21. 12. 1950 Berlin 1935–1950 Bischof von Berlin, 1945 Kardinal. Pridun, Karl, Oberstleutnant. 356 Quell, Gottfried, Theologe, Universitätslehrer 90–92, 190 geb. 14. 6. 1896 Leipzig, gest. 25. 7. 1976 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 199]. Quirnheim, Albrecht Ritter Mertz von, Oberst, Adjutant 357 geb. 25. 3. 1905 München, gest. (hingerichtet) 21. 7. 1944 Berlin 1939 Stabsoffizier bei der Organisationsabteilung des Generalstab, 1942 Oberstleutnant und Stabschef des 24. Armeekorps an der Ostfront, 1943 Oberst, enger Kontakt zu Friedrich Olbricht und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, arbeitete den Plan „Walküre“ mit aus. Reichwein, Adolf, Pädagoge, Politiker, Mitglied des KK 328 f., 337, 386 geb. 3. 10. 1898 Ems, gest. (hingerichtet) 20. 10. 1944 Berlin-Plötzensee 1930 Prof. für Staatsbürgerkunde und Geschichte Halle/Saale, 1933–1939 Landschullehrer Tiefensee, 1939 pädagogischer Leiter des Staatlichen Museums für Deutsche Volkskunde. Reichwein, Rosemarie, Pädagogin, Mitglied des KK 328 geb. 24, 7. 1904 Deutsch-Wilmersdorf, gest. 5. 8. 2002 Berlin. Reisert, Franz, Jurist, Mitglied des Sperr-Kreises 364, 372, 384, 386, 392, 395, 398, 441 geb. 28. 6. 1889 Augsburg, gest. 4. 6. 1965 Augsburg. Renner, Herbert, Verleger 291 geb. 27. 6. 1911 Berlin, gest. 12. 8. 1987 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 205]. Repgen, Konrad, Historiker, Hochschullehrer 303 f. geb. 5. 5. 1923 Friedrich-Wilhelms-Hütte, gest. 2. 4. 2017 Bonn. Reventlow, Ernst Graf zu, Journalist, völkischer Politiker 136 geb. 18. 8. 1869 Husum, gest. 21. 11. 1943 München 1907 Mitarbeiter Berliner Tageblatt, 1912 m Förderungsausschuss des Verbandes gegen die Überhöhung des Judentums, 1908–1914 Chefredakteur Alldeutsche Blätter, 1920–1943 Herausgeber der Zeitschrift „Reichswart. Wochenschrift für nationale Unabhängigkeit und deutschen Sozialismus“, 1922 Mitbegründer der DVFP, 1924 MdR der NSFP, 1934 Leiter der Leiter der antikirchlichen und antichristlichen Deutschen Glaubensbewegung, 1937 Beirat der Forschungsabteilung „Judenfrage“. Ribbentrop, Joachim von, Reichsaußenminister 245, 256, 278, 297 f., 322 geb. 30. 4. 1893 Wesel, gest. (hingerichtet) 16. 10. 1946 Nürnberg 1919 Mitarbeiter Reichswehrministerium, 1934 außenpolitischer Berater und Beauftragter der Reichsregierung für Abrüstungsfragen, 1936–1938 Botschafter London, 1938–1945 Reichsaußenminister. Riegraf, Oskar, Obersturmbannführer 109–111, 114, 422 geb. 19. 8. 1911 Fellbach, gest. unbekannt. Kommilitone Gerstenmaiers in Tübingen, 1935 HJ-Leiter, 1941 Leiter des HJ-Banns Nürtingen, 1945 Flucht nach Südamerika oder Kanada. Ritschl, Albrecht, Theologe, Hochschullehrer 90, 152, 156, 169 geb. 25. 3. 1822 Berlin, gest. 20. 3. 1889 Göttingen.

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Robinsohn, Hans, Unternehmer, Mitbegründer der Robinsohn-Strassmann-Gruppe 310 f. geb. 2. 3. 1897 Hamburg, gest. 28. 4. 1981 Hamburg. Rohde, Edvard Magnus, luth. Theologe, Hochschullehrer, Bischof 263 geb. 17. 12. 1878 Lund, gest. 12. 4. 1954 Skara 1907/08 Prof. für PT Lund, 1912 Prof. Uppsala, 1919 Prof. für PT und Kirchenrecht Lund, Domprobst Lund, 1925–1948 Bischof von Lund. Roon, Ger van, Historiker 313–316, 323, 339, 341 f. geb. 8. 9. 1933 Rotterdam, gest. 27. 12. 2014 Amsterdam. Roosevelt, Franklin Delano, Rechtsanwalt, Politiker 263 geb. 12. 1. 1882 Hyde Park/New York, gest. 12. 4. 1945 Warm Springs/Georgia 1910 Senator New York, 1913–1921 Unterstaatssekretär im Marineministerium, 1920 demokratischer Anwärter auf das Amt des Vizepräsidenten, 1921 Erkrankung an Kinderlähmung, 1928 Gouverneur New York, 1932–1945 Präsident der USA. Rçsch, Augustin, Jesuit, Mitglied des KK 322, 328 f. geb. 11. 5. 1893 Schwandorf, gest. 7. 11. 1961 München 1925 Priesterweihe, 1928 Generalpräfekt und später Rektor der Jesuitenschule Feldkirch, 1935 Provinial der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten, 1947–1961 Landesdirektor der Caritas Bayern. Rosenberg, Alfred, Beauftragter, Reichsminister 113, 136–138, 185, 241, 245 f., 432 geb. 12. 1. 1893 Tallinn, gest. (hingerichtet) 16. 10. 1946 Nürnberg 1920 Eintritt NSDAP, 1923 Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters“, 1933–1945 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, ab 1934 „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ (Amt Rosenberg), 1941–1945 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Rothfels, Hans, Historiker 313 f., 317 geb. 12. 4. 1891 Kassel, gest. 22. 6. 1976 Tübingen. Ruickoldt, Ernst, Pharmakologe, Hochschullehrer 189–192 geb. 9. 9. 1892 Weimar, gest. 8. 10. 1972 Rostock 1922 Leiter der Sportärztlichen Beratungsstelle beim Amt für Leibesübungen der Stadt Rostock, 1934–1962 Prof. für Pharmakologie Rostock, 1934–1937 Landesgewerbearzt, 1937–1941 Rektor. Rundstedt, Gerd von, Generalfeldmarschall, Vorsitzender 385 geb. 12. 12. 1875 Aschersleben, gest. 24. 2. 1953 Hannover 1923 Oberst, 1927 Generalmajor, 1932 Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 1 Berlin und General der Infanterie, 1933–1938 Befehlshaber des Wehrkreises III Berlin, 1939 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd Polen, 1940 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A Frankreich, 1940 Generalfeldmarschall, 1941 Oberbefehlshaber Heeresgruppe Süd Ukraine, 1942 Oberbefehlshaber West und Chef der Heeresgruppe D Frankreich, 1944 Vorsitzender des „Ehrengerichts“ (Ehrenhof des Deutschen Reiches). Rupp, Hugo, Pfarrer 43, 48, 51, 53 f., 71–74 geb. 2. 1. 1880 Tübingen, gest. 1962 1909 Pfarrer Hengen, 1920 Kirchheim unter Teck, 1930 Schwenningen, 1935 Dekan Münsingen.

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Rust, Bernhard, Reichswissenschaftsminister 150, 184, 186, 191 geb. 30. 9. 1883 Hannover, gest. (Selbstmord) 8. 5. 1945 Berend/Nübel 1934–1945 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Ryman, Björn, Historiker 335 f. geb. 4. 1. 1942, gest. 4. 4. 2014 Uppsala. Saltin, Günther, Theologe 376, 378–380 geb. 21. 9. 1939 nahe Trier, gest. 23. 11. 2016 Ludwigshafen. Sassin, Horst, Historiker 308–311 geb. 1953 Regensburg. Sch fer, Fritz 120, 143 geb. 31. 7. 1904 Kalkreuth Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Schiek, Helmut 99, 106 geb. 1915 Göppingen, gest. 1981 Bonn Kommilitone Gerstenmaiers in Zürich. Schildt, Axel, Historiker, Hochschullehrer 66 geb. 9. 5. 1951 Hamburg, gest. 5. 4. 2019 Hamburg. Schiller, Friedrich, Dichter 20, 62–65, 345 f., 420 geb. 10. 11. 1759 Marbach am Neckar, gest. 9. 5. 1805 Weimar. Schinke, Gerhard, Referent 131, 137–140, 147–149, 376, 423 geb. 30. 8. 1910 Diltersdorf, gest. Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, 1931 Schulungsreferent des NSDStB im Gau Mecklenburg-Lübeck, 1940/41 Dozent Braunschweig, 1943 SS-Reichsschule Oberehnheim, Abteilungsleiter im SS-Schulungsamt. Schlatter, Adolf, Theologe, Universitätslehrer 86, 169, 377 geb. 16. 8. 1852 St. Gallen, gest. 19. 5. 1938 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 217]. Schleiermacher, Friedrich, Theologe 152, 156, 162, 169 geb. 21. 11. 1768 Breslau, gest. 12. 2. 1834 Berlin. Schmidt, Georg von, Pfarrer 301 geb. 11. 7. 1877 auf Ösel, gest. 7. 2. 1947 Langenhennersdorf. Schmidt, Ulf, Medizinhistoriker, Hochschullehrer 389 geb. 1967. Schmçlders, Günter, Wirtschaftswissenschaftler 292, 328, 332 geb. 29. 9. 1903 Berlin, gest. 7. 11. 1991 München. Schneider, Rudolf, Theologe, Hochschullehrer 148 geb. 12. 7. 1910 Stralsund, gest. 14. 3. 1956 Preetz Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock, 1936–1944 Pfarrer Berlin-Tempelhof, 1946–1956 apl. Prof. für NT Kiel, 1949–1956 apl. Prof. für ST. Schnelting, Karl B., Journalist 20 geb. 1930 Emmerich, gest. 1999. Schoenstedt, Friedrich, Historiker 342 geb. 28. 7. 1826, gest. 5. 5. 1908. Schoeps, Julius H., Historiker 39 geb. 1. 6. 1942 Djursholm.

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Scholtyseck, Joachim, Historiker 18, 401 geb. 18. 8. 1958 Bonn. Schçnfeld, Hans, Theologe, Direktor 105 f., 226, 228, 231 f., 235, 242, 246 f., 249, 251 f., 254, 261 f., 264, 281, 300, 313 f., 318, 322, 336 f., 411 geb. 25. 1. 1900 Fehrbellin, gest. 1. 9. 1954 Frankfurt/Main [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 226]. Schotte, Alexandra, Soziologin 57, 419 geb. 1976 Heilbad Heiligenstadt. Schreiner, Helmuth, luth. Theologe, Universitätslehrer 83–87, 90–94, 103 f., 110–114, 118 f., 123, 125, 132, 136, 138, 141, 147, 149, 152, 164, 178, 180, 183, 221, 234, 239, 243, 292, 305, 319, 416, 421 geb. 2. 3. 1893 Dillenburg (Nassau), gest. 28. 4. 1962 Münster [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 228]. Schrçder, Bernd, Religionspädagoge, Hochschullehrer 21 geb. 1965 Bad Oeynhausen. Schrçder, Rudolf Alexander, Schriftsteller 291 geb. 26. 1. 1878 Bremen, gest. 22. 8. 1962 Bad Wiessee [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 229]. Schubert, Jan, Historiker 255, 312 f., 316 f. geb. 19. 5. 1982 Freiburg im Breisgau. Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf von der, Jurist 333, 340, 353, 355, 358, 360, 385, 394 geb. 5. 9. 1902 London, gest. (hingerichtet) 10. 8. 1944 Berlin-Plötzensee 1933 Regierungsrat Königsberg, 1934 Landrat Fischhausen, 1937 Polizeivizepräsident Berlin, 1939 stellv. Oberpräsident Ober- und Niederschlesien, 1940 Leutnant der Reserve Potsdam. Schultze-von Lasaulx, Hermann-Arnold, Jurist, Universitätslehrer 148 geb. 21. 10. 1901 Jena, gest. 1. 10. 1999 Renan 1932–1934 apl. Prof. für Bürgerliches Recht Rostock, 1934/35 Prof., Dekan und Universitätsrichter, 1935–1941 Prof. Jena, 1941–1945 Prof. Breslau, 1945/46 Prof. Jena, 1947–1951 Prof. Münster, 1951–1970 Prof. Hamburg. Schultze, Paul, Zoologe, Universitätslehrer 139 f. geb. 20. 11. 1887 Berlin, gest. 13. 5. 1949 Rostock 1923–1945 Prof. für Zoologie Rostock, 1932–1936 Rektor. Schulze, Kurt, Jurist, Landgerichtsdirektor 392, 395, 398, 441 geb. 1903 1945 Vertreter des Oberreichsanwalts am VGH. Schwabe, Matthias 286 f. Pseudonym für Karl Epting. Schwanenfeld, Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von, Landwirt, Leutnant 356, 358 geb. 21. 12. 1902 Kopenhagen, gest. (hingerichtet) 8. 9. 1944 Berlin-Plötzensee 1939 Mitglied des Stabes bei Erich von Witzleben, enge Kontakte zu Hans Oster, dem KK und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Schwarz, Hanna, Sozialfürsorgerin, Schwester Gerstenmaiers 401 f. geb. 15. 9. 1911 Kirchheim unter Teck, gest. 20. 2. 1986 Göppingen. Seubert, Georg, Kaufmann. 392

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Seydlitz, Friedrich Wilhelm von 120 geb. 30. 1. 1909 Torgau Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Shakespeare, William, Dramatiker 63 geb. 26. 4. 1564 Stratford-upon-Avon, gest. 23. 4. 1616 Stratford-upon-Avon. Sigel, Johann Philipp, Pfarrer 41 geb. 26. 6. 1700 Kirchheim unter Teck, gest. 3. 9. 1746 Kirchheim unter Teck 1729 zweiter Stadtpfarrer Kirchheim unter Teck, 1730 Stadtpfarrer. Signorelli, Luca, Maler 107 geb. 1450 Cortona, gest. 16. 10. 1523 Cortona. Simpfendçrfer, Wilhelm, Lehrer, Kultusminister, Reichstagsabgeordneter 45 f. geb. 25. 5. 1888 Neustadt an der Haardt, gest. 4. 5. 1973 Heilbronn [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 238 f]. Skorzeny, Otto, Obersturmbannführer 357 geb. 12. 6. 1908 Wien, gest. 5. 7. 1975 Madrid. 1940 Mitglied der Leibstandarte SS Adolf Hitler, 1943 maßgeblich beteiligt an der Befreiung Benito Mussolinis aus dem Arrest, 1944 maßgeblich beteiligt bei den Verhaftungen im Bendlerblock. Sçderblom, Nathan, luth. Theologe, Erzbischof 223–225, 229 geb. 15. 1. 1866 Söderhamm, gest. 12. 7. 1931 Uppsala 1894–1901 Pfarrer der schwedischen Gemeinde Paris, 1901–1914 Prof. für Religionsgeschichte und Religionsphilosophie Uppsala, 1912–1914 Prof. für Religionsgeschichte Leipzig, 1914–1931 schwedischer Erzbischof, Mitbegründer der ökumenischen Bewegung, initiierte die Weltkirchenkonferenz für Praktisches Christentum Stockholm 1925, war stark beeinflusst von französischer und deutscher Theologie. Sofia, Stefan von, Metropolit, Exarch 273–277, 285, 297 geb. 19. 9. 1878 Schiroka Laka, gest. 12. 5. 1957 Banja. Solz, Adam von Trott zu, Jurist, Diplomat, Mitglied des KK 267, 303, 312, 328, 386, 425 geb. 9. 8. 1909 Potsdam, gest. (hingerichtet) 26. 8. 1944 Berlin-Plötzensee 1937–1939 zahlreiche Auslandsreisen, 1940–1944 Tätigkeit in Informationsabteilung des AA. Solz, Clarita von Trott zu, Ärztin, Mitglied des KK 328 geb. 19. 9. 1917 Hamburg, gest. 28. 3. 2013 Berlin. Spener, Philipp Jakob, luth. Theologe, Vater des Pietismus 29 f. geb. 13. 1. 1635 Rappoltsweiler, gest. 5. 2. 1705 Berlin 1663 Freiprediger Straßburg, 1666 Senior des Predigerministeriums Frankfurt am Main, 1686 Oberhofprediger Dresden, 1691 Propst Berlin. Spengler, Oswald, Geschichtsphilosoph, Kulturhistoriker 65–69, 164 f., 420 geb. 29. 5. 1880 Blankenburg am Harz, gest. 8. 5. 1936 München 1908–1911 Gymnasiallehrer Hamburg, ab 1911 Kulturredakteur bei versch. Zeitungen München und Schriftsteller, 1918–1922 Veröffentlichung Untergang des Abendlandes in zwei Bänden. Sperr, Franz, Jurist, Gesandter 372, 384, 386, 392, 395, 398, 402, 440 f. geb. 12. 2. 1878 Karlstadt, gest. (hingerichtet) 23. 1. 1945 Berlin-Plötzensee ab 1899 militär. Laufbahn, 1916–1934 Gesandter der bayr. Regierung in Berlin, Kontakte zum KK.

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Stahlecker, Franz Walter, Jurist, Generalmajor der Polizei 295 geb. 10. 10. 1900 Sternenfels, gest. 23. 3. 1942 bei Gattschina 1928–1930 Amtmann Ehingen und Saulgau, 1933 stellv. Leiter der Württ. Politischen Polizei, wenig später Oberregierungsrat Württembergs inBerlin, SS-Brigadeführer, 1934 Leiter der Württ. Politischen Polizei, 1937 Staatspolizeistelle Breslau, 1938 Inspektor der Sicherheitspolizei und des SD in Österreich, 1939 Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Böhmen und Mähren, 1940 in Oslo, 1940–1941 Ministerialrat im AA, 1941 Leiter der Einsatzgruppe A in der Sowjetunion als SSBrigadeführer und Generalmajor der Polizei. St hlin, Wilhelm, luth. Theologe, Universitätslehrer, Bischof 51–53, 60, 234 geb. 24. 9. 1883 Gunzenhausen (Bayern), gest. 16. 12. 1975 Prien am Chiemsee [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 243]. Stange, Erich, Theologe, Pfarrer, Reichswart 53 geb. 23. 3. 1888 Schwepnitz (Sachsen), gest. 12. 3. 1972 Kassel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 244 f]. Stapel, Wilhelm, Kunsthistoriker, Schriftsteller, politischer Publizist 110–112, 114 geb. 27. 10. 1882 Calbe an der Milde (Altmark), gest. 1. 6. 1954 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 245]. Stark, Oskar, Journalist 310 geb. 1890, gest. 1970 1934 Mitbegründer der Robinsohn-Strassmann-Gruppe. Staudacher, Walter, Legationssekretär in der Presseabteilung des AA 297 geb. 3. 10. 1900 Schloss Taxis/Härtsfeld, gest. 4. 2. 1968 Berlin. Stauffacher, Werner, Protagonist in Schillers Werk Wilhelm Tell. 345 Stauffenberg, Berthold Schenk Graf von, Jurist 340, 386 f. geb. 15. 3. 1905 Stuttgart, gest. (hingerichtet) 10. 8. 1944 Berlin-Plötzensee 1938 Leiter des Fachbereichs Seekriegsrecht im OKW, Kontakte zur militär. Opposition. Stauffenberg, Claus Schenk Graf von, Offizier 340 f., 350–358, 406, 426 geb. 15. 11. 1907 Jettingen, gest. (hingerichtet) 21. 7. 1944 Berlin ab 1927 militär. Laufbahn, 1939 Oberstleutnant in Panzerdivision, 1940 Generalstabsoffizier, ab 1942 Kontakte zum zivilen und militär. Widerstand, 1943 Stabschef des Allgemeinen Heeresamtes, 1944 Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheers, 20. 7. 1944 Attentat auf Hitler. Stecher, Leopold, Unternehmer. 43, 59, 70, 451 Steinbach, Peter, Historiker 385 f. geb. 16. 4. 1948 Lage. Steltzer, Theodor, Politiker, Mitglied des KK 323, 325, 328–330, 348, 372, 384, 398 geb. 17. 12. 1885 Trittau, gest. 27. 10. 1967 München 1921–1933 Landrat Kreis Rendsburg, ab 1940 im Generalstab des Oberbefehlshabers Oslo, 1945 Zum Tode verurteilt, 1945 Mitbegründer der CDU Schleswig-Holstein, 1946–1947 Ministerpräsident von Schleswig Holstein. Stçcker, Adolf, Pfarrer, Theologe, Politiker 292 geb. 11. 12. 1835 Halberstadt, gest. 2. 2. 1909 Gries bei Bozen 1857–1862 Hauslehrer, 1863 Pfarrer Seggerede, 1866 Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer Metz, 1874 Hof- und Domprediger Berlin, 1877 Leiter Berliner Stadtmission,

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1878 Gründer der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei, 1879–1893 Abgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus, 1880–1893 und 1898–1908 Mitglied des Reichstages. Stçckling, Kurt, Kommilitone Gerstenmaiers in Zürich. 103 f. Strassmann, Ernst, Jurist 309–311 geb. 27. 11. 1897 Berlin, gest. 11. 3. 1958 Berlin 1930 Landgerichtsrat Berlin, 1934 Mitbegründer der Robinsohn-Strassmann-Gruppe. Strassmann, Fritz, Chemiker, Hochschullehrer 308 f. geb. 22. 2. 1902 Boppard, gest. 22. 4. 1980 Mainz 1938 entdeckte mit Otto Hahn die Atomkernspaltung, 1945 Institutsleiter Tailfingen, 1953 Prof. für Anorganische Chemie und Radiochemie Mainz. Strebel, Martin 179 21. 2. 1883 Riet 1930 Dekan Gaildorf, 1946 Pfarrer Dapfen. Stuckart, Wilhelm, Jurist, Politiker 198–200, 275 geb. 16. 11. 1902 Wiesbaden, gest. 15. 11. 1953 Egestorf 1930 Amtsrichter, 1932 Anwalt, 1933 Staatssekreta¨ r im Preußischen Wissenschaftsministerium, 1934 Staatssekreta¨ r im REM, 1935 Staatssekreta¨ r im RIM, 1944 SSObergruppenfu¨ hrer, 1949 im Wilhelmstraßenprozess zu Haft verurteilt. St rmer, Karl, Historiker. 244 S ndermann, Elisabeth, Ehefrau von Helmut Sündermann. 401 f. S ndermann, Helmut, Journalist, stellvertretender Reichspressechef 401 geb. 19. 2. 1911 München, gest. 25. 8. 1972 Leoni 1934 die Leitung des Pressepolitischen Amtes in der Reichspressestelle der NSDAPReichsleitung, 1937 Stabsleiter des NSDAP-Reichspressechefs, 1938 Pressereferent im Amt des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, 1941 Obersturmbannführer, 1942 stellv. Reichspressechef. Temple, William, angl. Theologe, Erzbischof 250, 256 f. geb. 15. 10. 1881 Exeter, gest. 26. 10. 1944 Kent 1921 Bischof von Manchester, 1929 Erzbischof von York, 1942 Erzbischof von Canterbury. Thielicke, Helmut, luth. Theologe, Universitätslehrer, Publizist 152, 165 geb. 4. 12. 1908 Wuppertal-Barmen, gest. 5. 3. 1986 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 256]. Thierack, Otto Georg, Jurist, Politiker 385 geb. 19. 4. 1889 Wurzen, gest. 26. 10. 1946 (Selbstmord) Internierungslager Eselheide 1921 Staatsanwalt Leipzig, 1926 Dresden, 1932 Führer des Reichswahrerbundes, 1933 sächsischer Justizminister, 1935 Vizepräsident des Reichsgerichtshofs, 1936 Präsident des VGH, 1942 Reichsjustizminister, Thierfelder, Jörg, Kirchenhistoriker 319 f. geb. 28. 2. 1938 Stuttgart. Tillich, Paul, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer 155 geb. 20. 8. 1886 Starzeddel bei Guben (Brandenburg), gest. 22. 10. 1965 Chicago/Illinois [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 259]. Tresckow, Henning von, Offizier 351 geb. 10. 1. 1901 Magdeburg, gest. 21. 7. 1944 Ostr w Mazowiecka

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ab 1924 militär. Laufbahn, 1944 Generalmajor, entwickelte mehrere Attentatspläne auf Hitler. Troeltsch, Ernst, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer, Unterstaatssekretär 377 geb. 17. 2. 1865 Haunstetten bei Augsburg, gest. 1. 2. 1923 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 261]. Trotha, Carl Dietrich von, Soziologe, Jurist, Mitglied des KK 328 f., 397 geb. 25. 6. 1907 Kreisau, gest. 28. 6. 1952 Fox Lake/Illinois 1936 Mitarbeiter im Reichswirtschaftsministerium, 1948 Mitarbeiter im Magistrat von Berlin, 1948 Teilnahme an der ersten Konferenz des ÖKR, Vorsitzender der EuropaUnion, Mitbegründer der Deutschen Hochschule für Politik. Trumpf, Werner, Hochschulgruppenführer 119–124, 128 f., 131, 133, 423 geb. 7. 5. 1910 Rostock, gest. 28. 4. 1971 Düsseldorf 1932–1933 Hochschulgruppenführer des NSDStB Rostock, 1933 Führer der Rostocker Studentenschaft, 1934 Referent für Hochschulfragen bei der Obersten SA-Führung, 1936 SA-Standartenführer, 1937 Beauftragter des Reichsstudentenführers für Ehrenund Zweikampffragen, ab 1939 Kriegsdienst, 1950 Industriekaufmann Düsseldorf, Prokurist und Leiter des Verkaufsbüros der Fa. Thyssen für Nordrhein-Westfalen, 1955 FDP-Mitglied, 1961 Mitglied des Rats Düsseldorf (FDP), 1965 stellv., 1969 Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion. Twardowski, Fritz von, Diplomat 260–262, 265, 269, 273 f. geb. 9. 7. 1890 Metz, gest. 21. 9. 1970 Wien Seeoffiziersausbildung, 1909–1919 Marineoffizier, 1922 Eintritt AA, 1928–1935 Botschaftsrat Moskau, 1943–1945 Generalkonsul Istanbul, 1946–1950 stellv. Leiter der Außenstelle Hanburg des Ev. Hilfswerkes, dann stellv. Bundespressechef, 1952 Botschafter der BRD Mexiko. Velimirovic´, Nikolaj, serbisch-ortho. Theolge, Bischof 276 geb. 23. 12. 1880 Lelic´, gest. 18. 3. 1956 South Canaan 1919 Bischof von Zˇicˇa, 1921 von Ohrid, gehörte zu den einflussreichsten Vertretern der serbisch-ortho. Kirche und leistete Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Verschuer, Otmar Freiherr von, Mediziner, Hochschullehrer 239, 241 geb. 16. 7. 1896 Richelsdorfer Hütte, gest. 8. 8. 1969 Münster 1933 außerord. Prof. für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik Berlin, 1935 Leiter des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene Frankfurt am Main. Vidin, Neofit von, ortho. Theologe, Metropolit 277 geb. 1868, gest. 26. 2. 1971 1906–1912 Rektor der Theologischen Hochschule Sofia, 1914–1971 Metropolit von Vidin, 1930–1944 als stellv. Vorsitzender der Heiligen Synode ranghöchster Metropolit der bulgarisch-ortho. Kirche. Virkkunen, Paavo, Theologe, Pfarrer 283 geb. 27. 9. 1874 Pudasjärvi, gest. 13. 7. 1959 Pälkäne 1905–1919 Studiendirektor für Religion, 1926–1951 Hauptpfarrer von Helsinki, 1914–1944 Parlamentsmitglied der Sammlungspartei, mehrfach Vorsitzender bzw. zweiter Vorsitzender des Parlaments zwischen 1918 und 1936, 1926–1951 Vorstandsmitglied und Vorsitzender des finnischen Pfarrerverbandes, seit 1935 finnisches Mitglied des ÖRPC.

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Visser ’t Hooft, Willem Adolf, ref. Theologe, Generalsekretär 105, 210, 250, 254–256, 312–314, 316 f. geb. 20. 9. 1900 Haarlem, gest. 4. 7. 1985 Genf 1924 Sekretär des Weltbundes des CVJM Genf, 1931 Sekretär, 1933 Generalsekretär und 1936 Vorsitzender des Christlichen Studentenweltbundes, 1937 an Vorbereitung der Weltkirchenkonferenzen von Oxford und Edinburgh beteiligt, 1938–1966 Aufbau des ÖRK, Generalsekretär. Vratsa, Paisy von, Bischof. 276 Wahl, Hans, Jurist, Kirchenbeamter 245, 252 geb. 13. 1. 1900 Freiburg im Breisgau, gest. 14. 10. 1946 Erlangen 1930 im Dienst des KBA, 1934 Oberkirchenrat im KA, 1938 Oberkonsistorialrat im KA, 1934 Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Walsmann, Hans, Jurist, Hochschullehrer, Universitätsrichter 139 f., 147 geb. 13. 12. 1877 Rostock, gest. 13. 4. 1939 Rostock 1910–1916 außerord. Prof. für Römisches und Bürgerliches Recht, 1916–1939 ordentlicher Prof. für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht. Walter, Detlev von 148 geb. 28. 8. 1909 Göttingen Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Walter, Johannes von, luth. Theologe, Universitätslehrer 34, 83–87, 91–93, 98, 103, 118, 146, 148, 190 geb. 8. 11. 1876 St. Petersburg, gest. 5. 1. 1940 Bad Nauheim [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 267]. Walter, Rudolf 143 geb. 1. 10. 1911 Berlin Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Wartenburg, Marion Gräfin Yorck von, Juristin, Mitglied des KK 328, 337, 339, 438, 441 geb. 14. 6. 1904 Berlin, gest. 13. 4. 2007 Berlin. Wartenburg, Peter Graf Yorck von, Jurist, Mitbegründer des KK 312, 321–334, 337, 339 f., 348, 352–358, 385, 387, 393, 426 geb. 13. 11. 1904 Gut Klein Oels, gest. (hingerichtet) 8. 8. 1944 Berlin-Plötzensee 1930 Gerichtsassessor Oppeln und Rechtsanwalt Berlin, 1934 Regierungsassessor Breslau, 1938 Oberregierungsrat, 1942 Wirtschaftsstab Ost OKW. Weber, Max, Soziologe, Nationalökonom 37, 389 geb. 21. 4. 1864 Erfurt, gest. 14. 6. 1920 München. Weiss, Rudi 148 geb. 17. 8. 1911 Graudenz Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. Weizs cker, Ernst Freiherr von, Diplomat 196 f., 214, 298 geb. 25. 5. 1882 Stuttgart, gest. 4. 8. 1951 Lindau 1920 Eintritt in diplomatischen Dienst, 1934 Gesandter und Bevollmächtigter Minister des Deutschen Reiches Bern, 1936–1938 Leiter der Politischen Abteilung des AA, 1937 Ministerialdirektor, 1938 Staatssekretär im AA, 1943–1945 Botschafter beim Vatikan, als Kriegsverbrecher 1949 zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1951 entlassen. Wellnitz, Britta, Juristin, Historikerin. 203 f.

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Wendland, Heinz-Dietrich, Theologe, Universitätslehrer 234, 239, 252 f. geb. 22. 6. 1900 Berlin, gest. 7. 8. 1992 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 272]. Werner, Friedrich, Jurist, Präsident der Kirchenkanzlei der DEK 237 geb. 3. 9. 1897 Danzig-Oliva (Westpreußen), gest. 30. 11. 1955 Düsseldorf [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 273]. Wiesner, Werner, Theologe, Hochschullehrer 152, 158, 242 geb. 19. 3. 1902 Ballerstedt, gest. 15. 7. 1974 Mainz ab 1934 Mitglied der BK, 1939–1941 Pfarrer, 1949–1968 Prof. für ST. Winkel, Erich, Privatgelehrter, Astrologe 190 geb. 20. 4. 1894 Wriezen, gest. 2. 11. 1973 Apolda Politischer Leiter der NSDAP Rostock, NS-Vertrauensmann der Dozentenschaft Rostock. Winnig, August, Gewerkschaftler, Politiker, Schriftsteller 59–62, 234, 420 geb. 31. 3. 1878 Blankenburg, gest. 3. 11. 1956 Bad Nauheim 1918 Reichsgesandter und Generalbevollmächtigter (Reichskommissar) bei den Regierungen der baltischen Länder, 1919 Oberpräsident von Ostpreußen, 1927 Eintritt in die ASPD, 1930 Mitglied der Volkskonservativen Vereinigung, 1945 Mitbegründer der CDU. Winter, Dörthe 407 geb. 7. 9. 1921 Magdeburg, gest. 1990er Köln Mitgefangene Gerstenmaiers in St. Georgen Bayreuth. Wirmer, Josef, Jurist, Politiker 262, 308–311 geb. 19. 3. 1901 Paderborn, gest. (hingerichtet) 8. 9. 1944 Berlin-Plötzensee ab 1936 Kontakte zu Gewerkschaftskreisen zum zivilen Widerstand. Woltersdorf, Ernst Gottlieb, Theologe, Schriftsteller 40 geb. 24. 5. 1725 Friedrichsfelde, gest. 17. 12. 1761 Bunzlau 1748 Stadtpfarrer Bunzlau, gründete Waisenhaus nach Halleschem Vorbild. Wrage, Wilhelm 120, 126, 128 geb. 18. 4. 1907 Berlin-Charlottenburg Kommilitone Gerstenmaiers in Rostock. W nsch, Georg, Theologe, Universitätslehrer 72, 377, 450 geb. 29. 4. 1887 Augsburg-Lechhausen, gest. 22. 11. 1964 Hofgeismar [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 279 f]. Wurm, Theophil, Theologe, Landesbischof 19, 133, 141, 178 f., 181, 214, 218–221, 227, 234 f., 243, 251, 318–325, 335, 337–339, 353, 366, 387, 391, 395, 405, 407, 410 f., 415, 417 f., 423, 426, 435, 438 geb. 7. 12. 1868 Basel, gest. 28. 1. 1953 Stuttgart [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 280]. Zankow, Stefan, ortho. Theologe, Erzpriester, Hochschullehrer 273, 277 geb. 4. 7. 1881 Gorna Orjachowiza, gest. 20. 3. 1965 Sofia. Zenker, Rudolf, Mediziner, Hochschullehrer 188, 424 geb. 24. 2. 1903 München, gest. 18. 1. 1984 München 1943 apl. Prof. Heidelberg, 1951 Prof. Marburg. Zoellner, Wilhelm, Theologe, Generalsuperintendent, Vorsitzender des RKA 116, 150, 202, 216 f., 220 f., 227–230, 232, 234, 236–238, 245, 250, 415, 418, 423

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Personenverzeichnis

geb. 30. 1. 1860 Minden, gest. 16. 7. 1937 Düsseldorf-Oberkassel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 284]. Zweig, Stefan, Schriftsteller 63 geb. 28. 11. 1881 Wien, gest. 23. 2. 1942 Petr polis.