Franziskus von Assisi: Der Namenspatron des Papstes 3534264134, 9783534264131

Jorge Mario Bergoglio ist seit dem 13. März 2013 das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und nennt sich seither Pa

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German Pages 551 [560] Year 2014

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort zur Neuauflage
Vorwort
Vorwort zur zweiten Auflage
Einleitung
I. Kapitel: Quellen und wichtige Literatur zum Leben des Franziskus und zur Frühzeit der franziskanischen Bewegung
I. Schriften des Franziskus von Assisi
1. Regeln und Ermahnungen
Regula non bullata (1221)
Regula bullata (1223)
Testament (1226)
Kleines Testament von Siena
Regel für den Aufenthalt in den Eremitorien
Schreiben an Klara von Assisi: »Lebensform« und »Letzter Wille«
Admonitiones
Über die wahre und vollkommene Freude
2. Briefe
An alle Gläubigen
An alle Kleriker über die Ehrfurcht gegenüber dem Leib des Herrn
An die Regierenden der Völker
An die Ordensoberen und an alle Brüder
An einen Minister des Ordens
An alle Custoden der Minderbrüder I
An alle Custoden der Minderbrüder II
An Bruder Leo
An Bruder Antonius (von Padua)
An Frau Jacopa dei Settesoli
3. Hymnen und Gebete
Ermahnung zum Lobe Gottes
Lobgesang auf die Tugenden
Gruß an die heilige Jungfrau
Lobgesang Gottes des Allerhöchsten
Segen für Bruder Leo
Lobgesang Gottes für die Geschöpfe (Sonnenlied)
Lied für die »Armen Frauen« von San Damiano
Lobgesänge zu allen Horen
Auslegung des »Vater unser«
Gebet vor dem Crucifixus
Gebet »Absorbeat«
Passions-Offizium
II. Lebensbeschreibungen des Franziskus
1. Brief des Bruders Elias
2. Erste Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (I Cel)
3. Zweite Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (II Cel)
4. Abhandlung über die Wunder des Thomas von Celano (III Cel)
5. Weitere Lebensbeschreibungen der Frühzeit
6. Die Drei-Gefährten-Legende (3 Soc)
7. Der Anonymus von Perugia (Anon. Per.)
8. Die Legenda Perusina (Leg. Per.)
9. Das Speculum perfectionis (Spec. perf.)
10. Die beiden Lebensbeschreibungen des heiligen Bonaventura (Leg. mai., Leg. min.)
11. Die Actus Beati Francisci und die Fioretti
12. Das Sacrum Commercium
III. Chroniken und weitere Zeugnisse
1. Chronik des Jordan von Giano
2. Thomas von Eccleston: Die Ankunft der Minderbrüder in England
3. Chronik des Salimbene de Adam
4. Chronica XXIV Generalium
5. Ubertino von Casale: Arbor vitae
6. Angelus Clarenus: Chronicon oder Historia septem tribulationum Ordinis Minorum
7. Bartholomäus von Pisa: De conformitate vitae Beati Francisci ad vitam Domini Iesu
8. Jakob von Vitry und andere nicht-franziskanische Autoren
9. Dokumente der Römischen Kurie
IV. Schriften und Zeugnisse zum Leben Klaras von Assisi
1. Regel der heiligen Klara
2. Testament
3. Segen
4. Briefe
5. Protokolle des Heiligsprechungsprozesses
6. Legende der heiligen Klara
7. Päpstliche Dokumente
V. Bibliographische Orientierung
1. Einführungen in das Franziskanertum
2. Geschichte der franziskanischen Bewegung
3. Biographien des Franziskus
4. Wissenschaftliche Zeitschriften
5. Kongresse
II. Kapitel: Der geschichtliche Hintergrund der franziskanischen Bewegung
1. Politische Verhältnisse
Imperium und Sacerdotium
Frankreich und England
Die Kreuzzüge
Von Rom nach Avignon
Assisi und Umbrien
2. Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse
3. Kulturelle und religiöse Strömungen
Einsiedler und Wandermönche um die Wende des 11. Jahrhunderts
Die Häresien des 12. Jahrhunderts
Die Dichtung
Architektur und bildende Kunst
III. Kapitel: Jugend und Bekehrung des Franziskus
1. Das Leben »in Sünden«
Geburt – Elternhaus – Taufe
Erziehung
Jugendzeit
2. Die Bekehrungsvisionen
Die Vision des waffengefüllten Palastes
Der Traum von Spoleto
Die Ekstase auf einer Straße von Assisi
Der Crucifixus von San Damiano
3. Das Verlassen der Welt
Begegnung mit den Aussätzigen
Bettler auf Probe
Die Trennung vom Vater
Eremiten-Dasein
IV. Kapitel: Die Anfänge der franziskanischen Bewegung
1. Leben nach der Form des heiligen Evangeliums
2. Die ersten Gefährten
Bernhard von Quintavalle
Das Buchorakel
Petrus Catanii
Ägidius
Erfolglosigkeit
Der Rat des Bischofs von Assisi
3. Gewißheit über Weg und Zukunft der Gemeinschaft
Gewißheit
Weltmission
4. Franziskus vor Innocenz III.
Kardinal Johannes von St. Paul
Papst Innocenz III.
Das Gleichnis von der Frau in der Wüste
Der Traum des Papstes
Der Baum am Straßenrand
5. Rückkehr ins Tal von Spoleto
Vertrauter Umgang mit der heiligen Armut
Rivotorto
»Orden der geringeren Brüder«
Endgültige Festsetzung bei der Portiuncula-Kirche
V. Kapitel: Das Ideal des Franziskus und die mittelalterliche Kirche
Armut
Bekehrung der Kirche
Einfalt
Predigt
Wissenschaft
Demut und Selbstverleugnung
Friedfertigkeit
Keuschheit
VI. Kapitel: Welterlösung
1. Franziskus und die Natur
Reden mit den Tieren
Beseelte Natur
Das »Lied von Bruder Sonne« oder »Lobpreisungen Gottes für die Geschöpfe«
2. Inkarnation
Weihnachten – »Festtag der Festtage«
Greccio – das »neue Bethlehem«
3. Heilsvermittlung
Der Leib des Herrn
Die »Vergebung von Portiuncula«
4. Passion
Der »zweite Christus«
Der »seraphische Heilige«
VII. Kapitel: Höhe und Ende des Lebens
Gestalt und Eindruck
Ein kranker Mensch
Sensibilität
Exzentrizität
Sakrale und priesterliche Handlungen
Franziskus vor dem Sultan
Rückzug von der Ordensleitung
Testament und Regel
Ein inszenierter Tod
VIII. Kapitel: Papst Gregor IX. und die franziskanische Bewegung
1. »Ich will hingehen und sie der heiligen Römischen Kirche anvertrauen«
2. Herkunft und Persönlichkeit Hugolinos von Ostia
3. Die Bulle »Quo elongati«
4. »Bruder« Kardinal und Bruder »Einfaltspinsel«
IX. Kapitel: Bruder Elias von Cortona und der Bau der Grabeskirche San Francesco in Assisi
1. Herkunft und Jugendzeit
2. Erstes Generalat
3. Bau der Doppelkirche San Francesco in Assisi
4. Kulturgeschichtliche Bedeutung der Kirche San Francesco
5. Absetzung und weitere Lebensschicksale des Elias
X. Kapitel: Klara und die »Armen Frauen«
1. Jugend und Elternhaus Klaras von Assisi
2. Das Verlassen der Welt
3. Klaras Beziehung zu Franziskus
4. Das Leben im Kloster
5. Der Kampf um die Regel
6. Die Theologie Klaras von Assisi
XI. Kapitel: Kirche und Franziskanertum nach dem Tode des Franziskus
1. Die Wirkung des Franziskus auf die christliche Gesellschaft seiner Zeit
Wunder des verherrlichten Franziskus
Die franziskanische Laienbewegung
2. Auseinandersetzungen um das Verständnis der Armut
Regelerklärungen
Angriffe gegen den Orden
3. Von Antonius zu Ockham: Die franziskanische Theologie im ersten Jahrhundert der Bewegung
4. Franziskanische Geschichtsschreibung
5. Franziskanische Dichtung
6. Weltmission des Franziskanertums
7. Die Spiritualen
Die Ursprünge der Spiritualenbewegung
Die geistigen Häupter: Petrus Johannis Olivi, Ubertino von Casale, Angelus Clarenus
Die endgültige Ausgrenzung der Spiritualen aus Orden und Kirche
8. Der Armutsstreit unter dem Papst Johannes XXII.
Epilog: Das Weiterleben des franziskanischen Ideals
Abkürzungen
Zeittafel
Register
Personennamen
Ortsnamen
Moderne Autoren
Bibliographischer Nachtrag
Bibliographie zum neueren Stand der Forschung
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Franziskus von Assisi: Der Namenspatron des Papstes
 3534264134, 9783534264131

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HELMUT FELD

FRANZISKUS VON ASSISI DER NAMENSPATRON DES PAP STES Mit einem Vorwort von Hubert Wolf

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 3., erweiterte und bibliographisch aktualisierte Auflage 2014 © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: pagina GmbH, Tübingen Einbandabbildung: Porträt des heiligen Franziskus © bpk/Stefan Diller Pope Francis celebrates holy mass with seminarians and novices at the Vatican’s Saint Peter basilica on July 7, 2013 © picture alliance/Stefano Spaziani Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26413-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73841-0 eBook (epub): 978-3-534-73842-7

I N H A LT Vorwort zur Neuauflage

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXI

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Kapitel: Quellen und wichtige Literatur zum Leben des Franziskus und zur Frühzeit der franziskanischen Bewegung . . . . .

9

I. Schriften des Franziskus von Assisi

. . . . .

10

1. Regeln und Ermahnungen . . . . . . . . Regula non bullata (1221) . . . . . . . . Regula bullata (1223) . . . . . . . . . . Testament (1226) . . . . . . . . . . . Kleines Testament von Siena . . . . . . . Regel für den Aufenthalt in den Eremitorien Schreiben an Klara von Assisi: »Lebensform« Wille« . . . . . . . . . . . . . . . . Admonitiones . . . . . . . . . . . . . Über die wahre und vollkommene Freude . .

. . . . . . . . . . . . und . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Letzter . . . . . . . . . . . .

11 11 12 13 16 16

2. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . An alle Gläubigen . . . . . . . . . . . An alle Kleriker über die Ehrfurcht gegenüber Herrn . . . . . . . . . . . . . . . . An die Regierenden der Völker . . . . . . An die Ordensoberen und an alle Brüder . . An einen Minister des Ordens . . . . . . An alle Custoden der Minderbrüder I . . . An alle Custoden der Minderbrüder II . . . An Bruder Leo . . . . . . . . . . . . An Bruder Antonius (von Padua) . . . . . An Frau Jacopa dei Settesoli . . . . . . .

. . . . dem . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18

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. . . . des . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 20 21 21 22 22 22 23

3. Hymnen und Gebete . . . . . . . . . . . . . . . . Ermahnung zum Lobe Gottes . . . . . . . . . . . .

24 24

VI

Inhalt

Lobgesang auf die Tugenden . . . . . . . . Gruß an die heilige Jungfrau . . . . . . . . Lobgesang Gottes des Allerhöchsten . . . . . Segen für Bruder Leo . . . . . . . . . . . Lobgesang Gottes für die Geschöpfe (Sonnenlied) Lied für die »Armen Frauen« von San Damiano Lobgesänge zu allen Horen . . . . . . . . Auslegung des »Vater unser« . . . . . . . . Gebet vor dem Crucifixus . . . . . . . . . Gebet »Absorbeat« . . . . . . . . . . . . Passions-Offizium . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

24 25 25 25 26 26 27 28 28 28 28

. . . .

30

. . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Lebensbeschreibungen des Franziskus 1. Brief des Bruders Elias

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

2. Erste Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (I Cel)

.

31

3. Zweite Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (II Cel)

32

4. Abhandlung über die Wunder des Thomas von Celano (III Cel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

5. Weitere Lebensbeschreibungen der Frühzeit . . . . . . .

33

6. Die Drei-Gefährten-Legende (3 Soc) . . . . . . . . . .

34

7. Der Anonymus von Perugia (Anon. Per.) . . . . . . . .

38

8. Die Legenda Perusina (Leg. Per.) . . . . . . . . . . .

39

9. Das Speculum perfectionis (Spec. perf.) . . . . . . . . .

41

10. Die beiden Lebensbeschreibungen des heiligen Bonaventura (Leg. mai., Leg. min.) . . . . . . . . . . . . . . .

42

11. Die Actus Beati Francisci und die Fioretti . . . . . . . .

44

12. Das Sacrum Commercium . . . . . . . . . . . . . .

45

III. Chroniken und weitere Zeugnisse

. . . . .

46

1. Chronik des Jordan von Giano . . . . . . . . . . . .

46

2. Thomas von Eccleston: Die Ankunft der Minderbrüder in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

3. Chronik des Salimbene de Adam

. . . . . . . . . . .

47

. . . . . . . . . . . . .

48

4. Chronica XXIV Generalium

VII

Inhalt

5. Ubertino von Casale: Arbor vitae

. . . . . . . . . . .

48

6. Angelus Clarenus: Chronicon oder Historia septem tribulationum Ordinis Minorum . . . . . . . . . . . . . . .

49

7. Bartholomäus von Pisa: De conformitate vitae Beati Francisci ad vitam Domini Iesu . . . . . . . . . . . . . . .

49

8. Jakob von Vitry und andere nicht-franziskanische Autoren

.

50

9. Dokumente der Römischen Kurie . . . . . . . . . . .

52

IV. Schriften und Zeugnisse zum Leben Klaras von Assisi

.

55

. . . . . . . . . . . . . .

55

2. Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

3. Segen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

4. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

5. Protokolle des Heiligsprechungsprozesses

. . . . . . . .

57

. . . . . . . . . . . . .

57

. . . . . . . . . . . . . . .

58

1. Regel der heiligen Klara

6. Legende der heiligen Klara 7. Päpstliche Dokumente

V. Bibliographische Orientierung 1. Einführungen in das Franziskanertum

. . . . . .

59

. . . . . . . . .

59

2. Geschichte der franziskanischen Bewegung

. . . . . . .

60

. . . . . . . . . . . . .

62

4. Wissenschaftliche Zeitschriften . . . . . . . . . . . .

64

5. Kongresse

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

II. Kapitel: Der geschichtliche Hintergrund der franziskanischen Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

3. Biographien des Franziskus

1. Politische Verhältnisse . . Imperium und Sacerdotium Frankreich und England . . Die Kreuzzüge . . . . . Von Rom nach Avignon . . Assisi und Umbrien . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

. . . . . .

67 67 69 70 72 75

2. Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse . . . . . . . . .

77

VIII

Inhalt

3. Kulturelle und religiöse Strömungen . Einsiedler und Wandermönche um die hunderts . . . . . . . . . . . . Die Häresien des 12. Jahrhunderts . . Die Dichtung . . . . . . . . . . Architektur und bildende Kunst . . .

. . . . 11. Jahr. . . . . . . . . . . . . . . .

79

III. Kapitel: Jugend und Bekehrung des Franziskus . . . . . . .

99

1. Das Leben »in Sünden« . . Geburt – Elternhaus – Taufe Erziehung . . . . . . . Jugendzeit . . . . . . .

. . . .

. . . .

80 84 95 97

. . . .

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99 99 104 107

2. Die Bekehrungsvisionen . . . . . . Die Vision des waffengefüllten Palastes Der Traum von Spoleto . . . . . . Die Ekstase auf einer Straße von Assisi Der Crucifixus von San Damiano . .

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. . . . .

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. . . . .

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. . . . .

. . . . .

109 110 111 112 115

3. Das Verlassen der Welt . . . Begegnung mit den Aussätzigen Bettler auf Probe . . . . . Die Trennung vom Vater . . Eremiten-Dasein . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

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141

. . . . . . .

. . . . . . .

143 143 145 150 153 156 158

3. Gewißheit über Weg und Zukunft der Gemeinschaft . . . Gewißheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 159 163

4. Franziskus vor Innocenz III. . . . . . . . . . . . . . Kardinal Johannes von St. Paul . . . . . . . . . . . . Papst Innocenz III. . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 167 170

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. . des . . . . . . . .

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. . . Wende . . . . . . . . . . . .

. . . . .

IV. Kapitel: Die Anfänge der franziskanischen Bewegung 1. Leben nach der Form des heiligen Evangeliums 2. Die ersten Gefährten . . . . Bernhard von Quintavalle . . Das Buchorakel . . . . . . Petrus Catanii . . . . . . . Ägidius . . . . . . . . . Erfolglosigkeit . . . . . . . Der Rat des Bischofs von Assisi

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

IX

Inhalt

Das Gleichnis von der Frau in der Wüste . . . . . . . . Der Traum des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . Der Baum am Straßenrand . . . . . . . . . . . . . 5. Rückkehr ins Tal von Spoleto . . . . . . . . . Vertrauter Umgang mit der heiligen Armut . . . Rivotorto . . . . . . . . . . . . . . . . . »Orden der geringeren Brüder« . . . . . . . . Endgültige Festsetzung bei der Portiuncula-Kirche

. . . . .

178 178 180 182 184

Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189 189 194 197 199 203 204 209 211

VI. Kapitel: Welterlösung . . . . . . . . . . . . . . . . .

215

1. Franziskus und die Natur . . . . . . . . . . . . . . Reden mit den Tieren . . . . . . . . . . . . . . . Beseelte Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Lied von Bruder Sonne« oder »Lobpreisungen Gottes für die Geschöpfe« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215 215 220

2. Inkarnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weihnachten – »Festtag der Festtage« . . . . . . . . . Greccio – das »neue Bethlehem« . . . . . . . . . . .

234 234 236

3. Heilsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Leib des Herrn . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Vergebung von Portiuncula« . . . . . . . . . . .

239 239 246

4. Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der »zweite Christus« . . . . . . . . . . . . . . . . Der »seraphische Heilige« . . . . . . . . . . . . . .

256 256 268

V. Kapitel: Das Ideal des Franziskus und Armut . . . . . . . . . . . Bekehrung der Kirche . . . . Einfalt . . . . . . . . . . Predigt . . . . . . . . . . Wissenschaft . . . . . . . . Demut und Selbstverleugnung . Friedfertigkeit . . . . . . . . Keuschheit . . . . . . . . .

VII. Kapitel: Höhe und Ende des Lebens Gestalt und Eindruck . . . . . Ein kranker Mensch . . . . . Sensibilität . . . . . . . . .

. . . . .

die mittelalterliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . .

172 174 177

. . . .

. . . .

228

279 279 283 286

X

Inhalt

Exzentrizität . . . . . . . . . . Sakrale und priesterliche Handlungen Franziskus vor dem Sultan . . . . . Rückzug von der Ordensleitung . . . Testament und Regel . . . . . . . Ein inszenierter Tod . . . . . . .

. . . . . .

289 292 295 302 305 314

VIII. Kapitel: Papst Gregor IX. und die franziskanische Bewegung . .

319

1. »Ich will hingehen und sie der heiligen Römischen Kirche anvertrauen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

2. Herkunft und Persönlichkeit Hugolinos von Ostia . . . . .

322

3. Die Bulle »Quo elongati« . . . . . . . . . . . . . .

336

4. »Bruder« Kardinal und Bruder »Einfaltspinsel« . . . . . .

345

IX. Kapitel: Bruder Elias von Cortona und der Bau der Grabeskirche San Francesco in Assisi . . . . . . . . . . . . . . . .

353

1. Herkunft und Jugendzeit

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

355

2. Erstes Generalat . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358

3. Bau der Doppelkirche San Francesco in Assisi . . . . . .

362

4. Kulturgeschichtliche Bedeutung der Kirche San Francesco

.

375

5. Absetzung und weitere Lebensschicksale des Elias . . . . .

384

X. Kapitel: Klara und die »Armen Frauen« . . . . . . . . . .

401

1. Jugend und Elternhaus Klaras von Assisi . . . . . . . .

402

2. Das Verlassen der Welt . . . . . . . . . . . . . . .

410

3. Klaras Beziehung zu Franziskus . . . . . . . . . . . .

416

4. Das Leben im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . .

423

5. Der Kampf um die Regel . . . . . . . . . . . . . .

433

6. Die Theologie Klaras von Assisi . . . . . . . . . . . .

442

XI. Kapitel: Kirche und Franziskanertum nach dem Tode des Franziskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449

1. Die Wirkung des Franziskus auf die christliche Gesellschaft seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

450

XI

Inhalt

Wunder des verherrlichten Franziskus . . . . . . . . . Die franziskanische Laienbewegung . . . . . . . . . .

450 451

2. Auseinandersetzungen um das Verständnis der Armut . . . Regelerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Angriffe gegen den Orden . . . . . . . . . . . . . .

455 455 463

3. Von Antonius zu Ockham: Die franziskanische Theologie im ersten Jahrhundert der Bewegung . . . . . . . . . . .

468

4. Franziskanische Geschichtsschreibung

. . . . . . . . .

475

5. Franziskanische Dichtung . . . . . . . . . . . . . .

476

6. Weltmission des Franziskanertums . . . . . . . . . . .

483

7. Die Spiritualen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ursprünge der Spiritualenbewegung . . . . . . Die geistigen Häupter: Petrus Johannis Olivi, Ubertino Casale, Angelus Clarenus . . . . . . . . . . . . Die endgültige Ausgrenzung der Spiritualen aus Orden Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Armutsstreit unter dem Papst Johannes XXII. . .

486 486

. . . . von . . und . . . .

493 496

. . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zeittafel

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Epilog: Das Weiterleben des franziskanischen Ideals

Personennamen

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Moderne Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographischer Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie zum neueren Stand der Forschung . . . . . . . . .

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Ortsnamen

VORWORT ZUR NEUAUFLAGE

„Es ist ein Franz“ – so titelte eine deutsche Tageszeitung nach der überraschenden Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst und Nachfolger Benedikts XVI. im Frühjahr 2013. Es ist in der Kirchengeschichte in der Tat das erste Mal, dass der Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, Nachfolger des Apostelfürsten Petrus, Summus Pontifex der universalen Kirche, Patriarch des Abendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen Kirchenprovinz, Bischof von Rom, Herr des Staats der Vatikanstadt und Diener der Diener Gottes – so die offiziellen Titel des Oberhaupts der katholischen Kirche im „Annuario Pontificio“, dem Staatshandbuch des Vatikans – sich nach Franziskus von Assisi, dem Nationalheiligen Italiens, nennt. Papst Franziskus selbst hat die Motive seiner Namenswahl verschiedentlich mit der Pflicht der Kirche begründet, sich nachdrücklich auf die Seite der Armen zu stellen. Am 16. März 2013 erklärte der neue Papst, er habe sofort nach seiner Wahl an den heiligen Franziskus gedacht, als ihm der im Konklave neben ihm sitzende Kardinal Hummes ins Ohr geflüstert habe: „Vergiss die Armen nicht!“ Franz von Assisi sei für ihn der Mann der Armut und des Friedens und zugleich ein Bewahrer der Schöpfung Gottes. Er strebe eine „arme Kirche für die Armen“ an, die sich durch materielle Bescheidenheit und mehr Hilfe für bedürftige Menschen auszeichnen müsse. Der Poverello, der Arme aus Assisi, der als Heiliger der mustergültigen Nachfolge des armen Jesus gilt, der keinen Platz hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, ist für dieses Programm ohne Frage ein geradezu ideales Vorbild. Und der Bergoglio-Papst hat in seinem bisherigen Auftreten durchaus gezeigt, dass es ihm ernst ist mit seiner „Option für die Armen“, die freilich nicht vorschnell mit einem befreiungstheologischen Programm verwechselt werden darf. Die Absage an neo-barocken Pomp in Liturgie und Papstzeremoniell, die Bescheidenheit in Auftritt und Kleidung, der Verzicht auf rote Pontifikalschuhe und den Luxus eines eigenen Papstappartements im Apostolischen Palast des Vatikans und das Bescheiden mit eineinhalb Zimmern im vatikanischen Gästehaus von Santa Marta stehen für einen neuen Stil an der Kurie und sind pontifikale Zeichen „franziskanischer“ Bescheidenheit und Einfachheit. Manche Kuriale trauen sich daher kaum mehr, langjährige Privilegien, wie etwa den vatikanischen Dienstwagen für die wahrlich nicht übermäßig langen Strecken innerhalb der Vatikanstadt, in Anspruch zu nehmen.

XIV

Vorwort zur Neuauflage

Es ist ein Franz – aber eben nicht der heilige Franz Xaver, wie man bei einem Papst aus dem Jesuitenorden erwarten würde. Das Vorbild für die Namenswahl, mit der die Päpste grundsätzlich ein Programm verbinden, war vielmehr der heilige Franz von Assisi. Und dieser Franz hat in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Karriere gemacht – innerhalb und vor allem auch außerhalb der katholischen Kirche. Franziskus gilt allgemein als sympathischer Heiliger, auf den sich ganz unterschiedliche Gruppen als Kronzeugen berufen. Müsli-Freaks und Umweltbewegte sehen in ihm den Patron des alternativen Lebens und des Naturschutzes schlechthin, auch Blumenkinder und Aussteiger aller Art glauben sich auf den ehemals reichen Kaufmannssohn Giovanni Bernardone berufen zu können. Hatte er doch nach einem ausschweifenden Leben, das keine „Droge“ seiner Zeit ausgelassen hat, alle feiste Bürgerlichkeit hinter sich gelassen. Für Tierschützer ist er das große Idol, predigte er doch sogar den Vögeln und verwandelte einen bösen Wolf zum Lamm. Sein „Sonnengesang“ schließlich gilt als Hymne der neuen kosmischen Menschen. In Taize´ wurde Franz zum Heiligen der Ökumene, wie nicht zuletzt der Endloshymnus „Laudato si“ zeigt. Dabei wird er gerne zum einfachen Gläubigen und Anti-Intellektuellen stilisiert, dem theologische Spitzfindigkeiten absolut fremd gewesen seien. Franziskus gilt als der Praktiker der Liebe Gottes zu den Menschen. Wer böse Wölfe mag, warum sollte der etwas gegen „häretische“ Lehren haben? In dieser Hinsicht erscheint Franz von Assisi dann als absoluter Gegenentwurf zu den intellektuellen Jesuiten mit ihrem langjährigen Mehrfachstudium. So studierte etwa Papst Franziskus neben Theologie und Philosophie auch noch Chemie. Schon deshalb ist die Wahl des franziskanischen Papstnamens durch ein Mitglied der Gesellschaft Jesu umso beachtlicher. Nicht zuletzt gilt der Poverello aus Assisi aber als Erfinder der Weihnachtskrippe und ihrer Figuren, was ihm nicht selten das Image eines romantischen „Tröst mir mein Gemüthe“-Heiligen eingebracht hat. Alles in allem: Es ist ein sympathischer, aber harmloser Franz, der heute seinen Platz in den Köpfen der Menschen behauptet. Damit ist in der longue dure´e die Strategie Gregors IX. und seiner Nachfolger auf dem Stuhl Petri weitgehend aufgegangen. Sie sahen nämlich in Franziskus bei all seiner unbestreitbaren Kirchlichkeit und Papsttreue durchaus auch einen gefährlichen Heiligen, dessen Ideale – entsprechend interpretiert und umgesetzt – eine ganz andere Kirche zum Ziel haben und die Grundfesten der päpstlichen Macht erschüttern könnten. Um das „subversive“ Potential des Poverello zu zähmen, wurde daher unmittelbar nach seinem Tod vom Papst sein Testament für ungültig erklärt, Franziskus selbst zu den Ehren der Altäre erhoben und damit aus den Auseinandersetzungen um eine sachgerechte Interpretation seiner Ideale herausgenommen und dem irdisch-allzuirdischen Streit entrückt.

Vorwort zur Neuauflage

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Es ist ein Franz, aber was für einer! Die Wahl dieses Papstnamens erstmals in über zweitausend Jahren Kirchengeschichte stellt in der Tat eine kleine Revolution dar. Denn in Franziskus steckt ein ungeheures Potential, das einerseits für eine eher harmlose und selbstverständliche Option für die Armen stehen, andererseits aber die Strukturen der katholischen Kirche grundsätzlich infrage stellen kann. Mit Papst Franziskus ist die mittelalterliche Armutsbewegung, die sich gegen die Machtentfaltung und den Prunk der Römischen Kurie im Speziellen und der Institution Kirche insgesamt richtete, in Rom selbst, auf dem Stuhl des Apostelfürsten angekommen. Franz von Assisi ist in der Tat kein einfacher Heiliger, er passt in keine Schublade. Im Gegenteil: Die „franziskanische Frage“, der Streit um die rechte Auslegung und zeitgemäße Umsetzung der Ideale des Heiligen, ist bis heute ungelöst. Denn schon Franziskus selbst stand in einer kaum auflösbaren Spannung zwischen unbedingter Bindung an den Papst und die römische Kirche und dem Potential seiner Bewegung für eine neue Religion, die entweder die bestehende katholische Kirche durchdringen und reformieren kann oder sich als neue franziskanische Kirche abspalten muss. Wer wissen will, welchen „unvergleichlichen Heiligen“ sich der neue Papst zum Namenspatron gewählt hat und welche „Revolution“ sich dahinter historisch gesehen verbirgt, der sei mit Nachdruck auf Helmut Felds Buch „Franziskus von Assisi“, das die Wissenschaftliche Buchgesellschaft aus Anlass der Papstwahl neu vorlegt, verwiesen. Dabei ist Helmut Feld bei aller historischen Präzision selbst Partei im franziskanischen Streit. Er bezieht klar Position für eine radikale Nachfolge der Ideale des heiligen Franziskus und gegen alle kirchlichen Verharmlosungen. Das macht sein Werk besonders interessant. Es regt zum Nachdenken, zur Kritik, zur kontroversen Diskussion an und verlangt vom Leser letztlich eine eigene Stellungnahme. Diese wird durch die umfassende Quellenkunde und die Einordnung der Biographie des Franziskus in den politischen, wirtschaftlichen, sozialen, theologischen und nicht zuletzt kirchenhistorischen Kontext erleichtert. Auch das Schicksal der Ideale des Franziskus in den ganz unterschiedlichen franziskanischen Bewegungen – einen Franziskanerorden gibt es ja nicht und Franz selbst wollte überhaupt keinen Orden gründen – wird sehr anschaulich gemacht. Insbesondere das kritische Potential, das in der Person und den Zielen des Poverello verborgen ist, arbeitet Feld in immer neuen Anläufen überzeugend heraus. Für Helmut Feld hätte aus der von Franziskus initiierten Bewegung nämlich, „unter anderen geschichtlichen Umständen, leicht eine neue, von dem damaligen Christentum verschiedene und über es hinauswachsende Religion entstehen können“. Stattdessen gelang es der Kurie, den franziskanischen Aufbruch zu zähmen, ihm sein kirchenkritisches Potential zu entziehen und die Bewegung des Heiligen, seine mindere Brüder-Gemeinschaft, in einen „ganz

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Vorwort zur Neuauflage

normalen Orden“ hineinzukanalisieren. Seine radikale Christusnachfolge, sein Ziel, ein „alter Christus“ werden zu wollen, hätte aus Franziskus leicht nicht nur einen „neuen Christus“, sondern einen „anderen Christus“ im Sinne eines neuen Religionsstifters machen können (alle Zitate S. 1f.) Felds Formulierungen fallen mitunter recht drastisch aus, so auch wenn er feststellt, das „ursprüngliche franziskanische Ideal“ sei in einem „unerhört dramatischen Ringen domestiziert, verkirchlicht und damit verfremdet und umgebogen“ (S. 4) worden. Oder wenn er Papst Gregor IX., der Franziskus heiligsprach und so „in die unerreichbare Sphäre des Himmlischen entrückt[e]“ und gleichzeitig das „radikale und unverwässerte Armutsgebot“, wie es Franz in seinem Testament als verbindliche Norm für seine Brüder festgehalten hatte, für ungültig erklärte, zum eigentlichen „Totengräber“ des Franziskus erklärt (S. 2). Zugleich sieht Feld die wirklichen Ideale des Franziskus heutzutage am ehesten außerhalb der katholischen Kirche verwirklicht: „Franziskaner im weitesten, aber doch genuin franziskanischen Sinn sind zahlreiche nicht-franziskanische Menschen der Neuzeit, die in offiziellen kirchlichen Verlautbarungen gern mit den Verdikten der Häresie, des Rationalismus und des Unglaubens versehen“ werden (S. 504). Dass diese Formulierungen nicht ohne Widerspruch geblieben sind, braucht nicht zu verwundern, denn Feld hat sich – wie gesagt – im Streit um die „franziskanische Frage“ eindeutig positioniert. So wurden Felds Ausführungen über das Ideal des Heiligen „und den angeblich verderblichen Einfluss des Papsttums bzw. des Elias von Cortona auf die Entwicklung des Ordens“ als „in großen Teilen anfechtbar“ bezeichnet (Dieter Berg in seiner Rezension in der Historischen Zeitschrift 266, 1998, S. 487f.). Man sah – anders als Feld, aber ebenfalls mit guten Gründen – die Ideale des Heiligen eben doch in einem oder sogar allen der verschiedenen franziskanischen Orden und Gruppierungen innerhalb der katholischen Kirche verwirklicht. Freilich steht Helmut Feld mit seiner pointiert vorgetragenen Position keineswegs allein. So stellte – um nur ein Beispiel zu nennen – der katholische Tübinger Kirchenhistoriker Karl August Fink in seinem bereits 1981 erschienenen Buch „Papsttum und Kirche im abendländischen Mittelalter“ die Frage, ob sich der Franziskanerorden Mitte des 13. Jahrhunderts „mit seinen Exemtionen, mit dem Generalminister Elias und seinen grandiosen Bauten, mit seinen Prokuratoren, Prozessen, Begräbnisrechten, Legaten, Bettel, Streit mit dem Weltklerus und den Magistern der Universität Paris, mit dem Eindringen in die Hierarchie oder gar mit den aus ihm stammenden Inquisitoren als Schutztruppe der Kirche sich auf den Heiligen als seinen Stifter berufen“ könne. Die Antwort, die Fink gibt, ist sehr eindeutig: Die Ideale des heiligen Franz wurden von der Kirche verraten und sind gescheitert. Resigniert stellte der Kirchenhistoriker fest: Die franziskanische Gemeinschaft ging den Weg jedes charismatischen Aufbruchs in der Kirche. Sie wurde verkirchlicht und

Vorwort zur Neuauflage

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klerikalisiert (S. 83f.). Der franziskanische Streit ist also noch lange nicht entschieden. Helmut Feld rechnet das Franziskanertum zu den großen „Utopien der Menschheit“ (S. 505). Papst Franziskus hat dieser Utopie durch seine Namenswahl einen Ort an der Spitze der katholischen Kirche gegeben. Man darf gespannt sein, wo er sich im Rahmen des Streits um die sachgemäße Rezeption der Ideale des Armen von Assisi positionieren wird, deren mögliche Sprengkraft Helmut Feld durch pointierte Thesen eindrücklich vor Augen geführt hat. Wer Felds Buch gründlich studiert, das die „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“ zu einem spannenden Zeitpunkt der Kirchengeschichte neu auflegt, der bekommt mehr als eine Ahnung davon, welch ungeheure Potentiale die Namenswahl des neuen Pontifex historisch gesehen beinhalten könnte – egal ob er Felds Thesen am Schluss zustimmt oder nicht. In der Tat: Es ist ein Franz! Und was für einer! Münster, am 4. Oktober 2013

Hubert Wolf

VORWORT Vor einigen Jahren fiel mir in Assisi das kleine Buch von Teodosio Lombardi: »Introduzione allo studio del Francescanesimo« in die Hände. Dabei wurde mir bewußt, daß eine vergleichbare Einführung in das Franziskanertum als religiöse Bewegung und die Hauptprobleme der Franziskus-Forschung im deutschen Sprachraum fehlt. Zwar erschien schon 1934 das noch immer lesenswerte und anregende Buch von Ernst Benz: »Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation« (Neudruck Darmstadt 1964), in dem die religionsgeschichtliche Einzigartigkeit des frühen Franziskanertums eindrucksvoll herausgearbeitet ist. Doch hat die Forschung inzwischen, vor allem in Italien, gewaltige Fortschritte gemacht, die das Bild des Franziskus und seiner Bewegung nicht unerheblich verändert haben. Die moderne Franziskus-Forschung erhielt ihren entscheidenden Anstoß am Ende des vergangenen Jahrhunderts durch protestantische Gelehrte, um nur an die Namen von Karl Müller, Heinrich Boehmer, Henry Thode und Paul Sabatier zu erinnern. In der Gegenwart wird sie durch die Gelehrten aus den franziskanischen Orden dominiert. Ohne deren große Verdienste schmälern zu wollen, wird man doch auf die nicht unbedenkliche Tendenz aufmerksam machen müssen, in Franziskus letztlich nichts anderes als einen kirchenkonformen Ordensstifter, einen vir catholicus et totus apostolicus, zu sehen. Das frühe Franziskanertum und das Denken des Franziskus selbst enthalten aber, unter dem Mantel eines nahezu absoluten Papst- und Kirchengehorsams, durchaus revolutionäre Elemente, die geeignet sind, das überkommene System mittelalterlicher Kirche und Theologie zu sprengen, und die dies ja auch, wenigstens partiell, getan haben. Vielleicht beruht gerade darin die säkulare und überzeitliche Bedeutung des Franziskanertums. Den Inhalt des vorliegenden Buches habe ich in den vergangenen zwanzig Jahren mehrfach in Vorlesungen und Seminaren an der Universität, in Rundfunksendungen und Vorträgen behandelt, so daß ich hoffen darf, dem Leser im ganzen sachliche und zutreffende Informationen über die behandelten Themen und den Stand der Forschung zu geben. Wo ich Hypothesen aufgestellt habe, war ich bemüht, deren Wahrscheinlichkeit aus den Quellen zu belegen. Zu vielen entscheidenden Fragen schien es mir gut, die Quellen selbst, manchmal etwas ausführlicher als sonst üblich und in neuer Übersetzung, sprechen zu lassen. Ich bin mir aber bewußt, daß die Darstellung eines

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Vorwort

so schwierigen Gegenstandes nicht fehlerfrei und über jede Kritik erhaben sein kann. Die Literaturangaben können selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Doch wurden neben den Quellenausgaben die wichtigsten Werke der älteren Forschung und von der neueren Literatur die sogenannten Schlüsselpublikationen herangezogen, durch die der interessierte Leser Zugang zum Studium weiterer Fragen erlangen kann, die von uns hier überhaupt nicht oder nicht eingehend behandelt werden. Für vielerlei wertvolle Hinweise und Anregungen habe ich zu danken: der Hochwürdigen Frau Chiara Cristiana Stoppa, Äbtissin des Protomonastero di Santa Chiara in Assisi; ihrer Vorgängerin und jetzigen Vikarin Frau Chiara Lucia Canova; P. Marino Bigaroni OFM, Chiesa Nuova Assisi; P. Gerhard Ruf OFM Conv., Sacro Convento Assisi; P. Domenico Basili OFM Conv., Cortona; Frau Professor Dr. Dr. Maria Lodovica Arduini, Milano; Professor Dr. Franco Moretti, Orvieto; Dr. Bernd H. Stappert, Süddeutscher Rundfunk Stuttgart; Professor Dr. Ernst Zinn†, Professor Dr. Ulrich Köpf, Professor Dr. Burkhard Gladigow, Professor Mag. Dr. Richard Puza, Tübingen; Professor Dr. Josef Blank†, Saarbrücken; Professor Dr. Kurt Ruh, Würzburg; Frau Dr. Louise Gnädinger, Niederhelfenschwil; Professor Dr. Klaus-Michael Kodalle, Hamburg; Dr. Dr. Adolf Holl, Wien. Für besondere Zuvorkommenheit und Unterstützung danke ich den Mitarbeitern italienischer Bibliotheken, insbesondere Frau Giovanna Gira von der Biblioteca Comunale im Sacro Convento in Assisi und Herrn Stefano Bianchi von der Biblioteca del Comune e dell’Accademia Etrusca von Cortona, sowie der Biblioteca Francescana bei der Chiesa Nuova in Assisi und der Bayerischen Staatsbibliothek München. Den Mitarbeitern der Tübinger Setzerei pagina danke ich für sachkundige Beratung und Hilfe bei der Erstellung des elektronischen Satzes: Hannelore Ott, Emil Haug, Reinhard Michael, Thomas Ziegler. Leitung und Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Tübingen haben mich, unter den erschwerten Bedingungen eines Umbaus, mit beständiger Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unterstützt. Ich danke insbesondere den Direktoren Dr. Joachim-Felix Leonhard und Dr. Berndt von Egidy sowie den Bibliothekaren: Monica Theurer, Ingrid Bethge, Ellen Brügger, Heidrun Mieter, Siegfried Pirker, Burkhard Mayer, Volker Plass, Hellmut Reichart, Hans-Helwin Reissenberger, Horst Brodbeck, Josef Gross, Horst Schrade und allen anderen. Herrn Oberbibliotheksrat Dr. Christoph Burger danke ich für seine Unterstützung bei der Beschaffung wichtiger Literatur, Herrn Bruno Frisch von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für nicht nachlassende Geduld und verständnisvolle Zusammenarbeit. Mössingen, 29. September 1993.

Helmut Feld

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Die erste Auflage dieses Buches hat unter den Fachgelehrten und in weiteren Kreisen interessierter Leser sowohl lebhafte Zustimmung als auch heftige Ablehnung erfahren; letztere verlief nicht immer in sachlichen Bahnen, nahm zuweilen sogar gehässige Formen an. Das Interesse an Franziskus selbst, seiner Weltsicht und seiner Bewegung, die er auf der Höhe des Mittelalters initiiert hat, ist noch immer im Wachsen begriffen. So mag auch die Neuauflage eines Buches, dessen Grundthesen zwar auf Widerspruch gestoßen sind, von denen der Verfasser aber nach wie vor meint, daß sie nicht absurd, sondern in den Quellen fundiert sind, eine Anregung sein, sich mit den Fragen des Franziskanertums – einem der wichtigsten Komplexe der europäischen Religions- und Kulturgeschichte – zu beschäftigen. Die Anregung zu einer Neuauflage gab Dr. Bernd Villhauer, Lektor für Theologie und Philosophie bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, dem ich für die angenehme Zusammenarbeit herzlich danke. Im Text konnten einige wenige sachliche Versehen und mehrere Satzfehler berichtigt werden. Ein bibliographischer Nachtrag enthält vor allem wichtige neuere Untersuchungen, durch die sich der Leser mit dem aktuellen Stand der Forschung vertraut machen kann. Für ergänzende Hinweise danke ich Frau Dipl.-Psych. Evita H. Koptschalitsch (Starzeln). Schließlich möchte ich allen, die meine Arbeiten an franziskanischen und anderen Themen in den vergangenen Jahren ermutigt und gefördert haben, meinen Dank aussprechen, insbesondere Pfarrer Josef Butza (Duisburg), Bibliothekar Ernst-Werner Stinner (Köln), Dr. Karl Stoiber (Linz, Oberösterreich), Professor Dr. Friedhelm Krüger (Münster), Ing. Egon Paulus (Nalbach), Dr. Dr. Adolf Holl (Wien), Pfarrer Dr. Bernd Jaspert (Herleshausen). Tübingen, 23. März 2007

H. F.

EINLEITUNG Franziskus von Assisi ist nicht eine unter vielen anderen bedeutenden und heiligen Persönlichkeiten der europäischen Geschichte. Er ist vielmehr eine ganz singuläre, herausragende Erscheinung, gewiß die bedeutendste Gestalt der christlichen Religionsgeschichte seit Jesus selbst. Joseph Lortz hat dies im Titel seines kleinen Buches über Franziskus zum Ausdruck gebracht: »Der unvergleichliche Heilige.«1 Aus der von Franziskus und an ihm entzündeten Bewegung hätte, unter anderen geschichtlichen Umständen, leicht eine neue, von dem damaligen Christentum verschiedene und über es hinauswachsende Religion entstehen können.2 Statt dessen wurde aus dem Hauptzweige der franziskanischen Bewegung ein ganz normaler Orden, eingegliedert in das hierarchische und kanonistische System der Römisch-katholischen Kirche. Sowohl die Neuheit und Originalität der Gedanken des Franziskus und des ursprünglichen Franziskanertums wie deren Domestizierung, ja Beerdigung – beides bis heute gleichnishaft und eindrücklich dargestellt in den beiden Kirchen Santa Maria degli Angeli (Portiuncula) und San Francesco in Assisi – gehören zu den merkwürdigsten Vorgängen der Geschichte unseres Kulturkreises. Um hier kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: die Kirchlichkeit der franziskanischen Bewegung ist nicht etwas, was den Intentionen des Franziskus eindeutig zuwidergelaufen wäre. Er selbst wollte nie etwas anderes als die engste Bindung seiner Bruderschaft an die Römische Kirche und das Papsttum. Aber ebenso wie er in seinem Streben nach der vollkommenen Angleichung an Jesus nicht einfachhin zu einem »zweiten Christus«, sondern auch zu einem »anderen Christus« wurde, so enthält das Franziskanertum religiöse Ideen, die über das, was im traditionellen mittelalterlichen (und heutigen) Christentum gedacht und geglaubt wird, hinausgehen.3 1 J. Lortz, Der unvergleichliche Heilige. Gedanken um Franziskus von Assisi, Düsseldorf 1952; Werl 21976; italienische Übersetzung von Boris Ulianich: Un santo unico, Alba 1958. 2 So schon Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter IX.3.2: »In diesem Propheten war ein geniales Anschauen der Gottheit, welches ihn in andern Epochen zum Religionsstifter würde gemacht haben.« 3 Die Bezeichnung »alter Christus« für Franziskus kommt zum ersten Mal in den »Actus Beati Francisci et sociorum eius«, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, vor. Zur Geschichte des Themas nach dem Tode des Franziskus s. vor allem: Stanislao da Campagnola, L’angelo del sesto sigillo e l’»alter Christus«. Genesi e sviluppo di due

2

Einleitung

Es sind diese Ideen, die zum Keim einer neuen Religion hätten werden können. Franziskus hatte vermutlich die Hoffnung oder Illusion, daß sein Ideal eines Tages die gesamte damalige Kirche und die christliche Gesellschaft durchdringen und umformen würde. Aber weder spaltete sich das Franziskanertum als neue Religion von der mittelalterlichen Papstkirche ab, wie es einstmals das Urchristentum in bezug auf das Judentum getan hatte, noch ergriff und verwandelte das franziskanische Ideal das kirchliche System von innen her. Daß beides nicht geschah, ist im wesentlichen das Werk eines in seiner Weise ebenfalls großen Mannes: des Kardinals Hugolino von Ostia, des späteren Papstes Gregor IX. Gregor IX. ist recht eigentlich der Totengräber des Franziskus gewesen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Er veranlaßte den Bau der prachtvollen Grabeskirche des Franziskus, die er zur »Haupt- und Mutterkirche« des Franziskanerordens erhob; er »kanonisierte« Franziskus zwei Jahre nach dessen Tod und machte ihn damit zu einem zwar außerordentlichen, aber doch auch wiederum nur einem unter vielen anderen Heiligen des römisch-katholischen Pantheons, so daß die einzigartige Sprengkraft seines Lebens und seiner Ideen zugleich in die unerreichbare Sphäre des Himmlischen entrückt und in dem durch Kirchenrecht und Dogmatik bestimmten System eingefangen wurde; schließlich brach Gregor der franziskanischen Bewegung die Spitze, indem er das Testament des Franziskus, in dem das radikale und unverwässerte Armutsgebot in eindeutigen Formulierungen als letzter Wille festgehalten war, für unverbindlich erklärte. Was aber Franziskus von Assisi über seinen historischen Rang hinaus für unsere Gegenwart interessant macht, sind gerade die absichtsvoll verschütteten oder unachtsam vergessenen Züge seines Lebens und Wirkens. Was bei ihm wiederzuentdecken sich lohnt, ist genau das, was über ein halbtotes Christentum hinausführt.4 Die »Aktualität« und »Modernität« des Franziskus, die Tatsache, daß er von Menschen verstanden wird, die gar keine Christen sind oder sich nicht mehr als Anhänger einer christlichen Konfession oder Sekte verstehen, findet hier ihre Erklärung. Das Franziskanertum leidet und lebt zugleich durch einen tiefen inneren Widerspruch, der auf Franziskus selbst zurückzuführen ist. Dieses Dilemma besteht darin, daß die franziskanische Religion über das Christentum, innertemi francescani nei secoli XIII–XIV, Roma 1971. Die fortschreitende Angleichung des Franziskus an (den gekreuzigten) Christus ist jedoch schon in den ältesten Legenden ein häufiges Thema; s. hierzu: Helmut Feld, Franziskus von Assisi – der »zweite Christus« (Institut für Europäische Geschichte Mainz, Vorträge, 84), Mainz 1991, und u. Kap. VI.4. 4 Vgl. besonders III Cel 1: »Mox in lucem producitur sepulta quondam perfectio Ecclesiae primitivae, cuius legebat mundus magnalia, nec videbat exempla« (Anal. Fr. 10,271); s.u. Kap. VI.2.

Einleitung

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halb dessen sie lebt, hinausweist, daß sie mit der Kirche, in der sie gefangen und begraben ist, nicht zufrieden ist und sich eigentlich auf der Suche nach einer anderen Kirche befindet. (Dies ist z.B. der Grund für den Einbruch des Joachitismus mit seinen apokalyptischen Spekulationen über das Geist-Reich, die Geist-Zeit und die Geist-Kirche in den Franziskanerorden ab dem Jahr 1241).5 Die Bekehrung der Kirche, ihre Umgestaltung nach der Regel des Evangeliums, sollte aber nach der Intention des Franziskus und seiner getreuesten und radikalsten Anhänger auf dem Wege der Demut, der extremen Selbstverleugnung und des totalen Gehorsams gegenüber dem Papst, der Römischen Kurie und dem gesamten Klerus erreicht werden: eben durch das Geringersein der Brüder als alle übrigen Menschen.6 Dieses Dilemma ist die eigentliche Ursache für die zahlreichen Auseinandersetzungen und Spaltungen innerhalb des Franziskanertums im Verlauf seiner gesamten Geschichte. Es ist ferner die Ursache für die überaus zahlreichen Maßregelungen und Eingriffe, die sich die Franziskaner vonseiten der Päpste gefallen lassen mußten. Wohl kein anderer Orden, keine religiöse Bewegung wurde von den Päpsten, nicht selten mit höhnischen und verletzenden Worten, so malträtiert wie die Franziskaner.7 Auch das seit dem 14. Jahrhundert nahezu perfekt domestizierte Franziskanertum läßt sich zuweilen nur mit Mühe unter dem Deckel kirchlicher Autorität halten. 5 S. darüber noch immer: Ernst Benz, Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934 (Nachdruck Darmstadt 1964), 175–181. 6 Vgl. Admonitio 12 (Esser, Opuscula, 112); I Cel 38 (Anal. Fr. 10,30). 7 Dafür nur ein Beispiel aus dem Mittelalter und eines aus der Neuzeit. Auf dem Höhepunkt des Armutsstreites, Ende des Jahres 1322, stellt der Papst Johannes XXII. in seiner Bulle »Ad conditorem canonum« die franziskanische Auffassung radikaler Besitzlosigkeit mit höhnischen Worten als Verrücktheit dar: »Quis enim sanae mentis credere poterit, quod intentio fuerit tanti patris [d. h., seines Vorgängers Nikolaus’ III.], minus ovi seu casei ac frusti panis et aliorum usu consumptibilium, qui saepe fratribus ipsis ad consumendum e vestigio conferuntur, dominium Romanae ecclesiae et usum fratribus retinere?« (Bullarium Franciscanum, ed. C. Eubel, 5, Rom 1898, 238). In dem Apostolischen Schreiben »Seraphici Patriarchae« vom 15. August 1910, in dem die Reihenfolge der drei franziskanischen Orden bei Prozessionen im Detail festgelegt wird, führt der Papst Pius X. den um den Vorrang streitenden Söhnen des heiligen Franziskus ausführlich dessen Äußerungen über die Demut und die Lebenshaltung der Fratres Minores, ergänzt durch einschlägige Bermerkungen des heiligen Bonaventura, vor; woraus er dann, ziemlich süffisant, den Schluß zieht, es sei wünschenswert, daß sich die Franziskaner nicht um den ersten, sondern allenfalls um den letzten Platz stritten: »Optandum igitur esset, ut inter Francisci filios nunquam de primo loco esset contentio, sed unice de postremo« (AAS 2 [1910], 713–718; ebd. 715). Vgl. auch die Schreiben »Paucis ante diebus« vom 1. November 1909 über Streitigkeiten der franziskanischen Orden (im gleichen Bande, 705–713) und »Septimo iam pleno« vom 14. Oktober 1909 über das Verhältnis der franziskanischen »Familien« untereinander (AAS 1 [1909], 725–738).

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Einleitung

Bei all seiner Demut und Selbstverleugnung bis hin zur völligen Selbstaufgabe8 hätte Franziskus doch über den Inhalt seines Ideals überhaupt nicht mit sich reden lassen, nicht einmal vonseiten des Papstes. Das beweisen seine untergründigen Auseinandersetzungen mit dem Kardinal Hugolino von Ostia, aber auch der Kampf Klaras von Assisi mit zwei Päpsten um die Erhaltung des franziskanischen Armutsideals in ihrer Regel. Der extremen Demutshaltung des Franziskus steht nämlich sein ungeheueres Selbstbewußtsein gegenüber, das in der Überzeugung zum Ausdruck kommt, daß Gott selbst ihn zu den entscheidenden Stationen seines Bekehrungsweges geführt und ihm die wichtigsten Weisungen, darunter die Ordensregel, offenbart habe. »Der Herr gab mir und gibt«, heißt es lapidar im Testament. »Und nachdem der Herr mir Brüder gegeben hatte, da zeigte mir niemand, was ich tun müsse, sondern der Allerhöchste selbst offenbarte mir, daß ich nach der Weise des heiligen Evangeliums leben müsse.«9 Es ist das bleibende Verdienst des französischen Protestanten Paul Sabatier, darauf hingewiesen zu haben, daß das Franziskanertum nicht schlechthin identisch ist mit den franziskanischen Ordensfamilien innerhalb der Katholischen Kirche. Vielmehr wurde das ursprüngliche franziskanische Ideal in einem unerhört dramatischen Ringen domestiziert, verkirchlicht und damit verfremdet und umgebogen. Sabatiers Buch »Vie de Saint Franc¸ois d’Assise« erschien zum ersten Mal 1894. Den Anstoß zur Beschäftigung mit der franziskanischen Bewegung hatte er durch seinen Lehrer Ernest Renan erhalten. Schon Renan hielt die Gleichsetzung des Franziskus mit Christus, die bald nach seinem Tode, vielleicht aber schon zu seinen Lebzeiten, von einem Teil seiner Anhänger vollzogen wurde, im ganzen für zutreffend. Er sah in Franziskus die bedeutendste Gestalt der christlichen Religionsgeschichte seit Jesus selbst.10 Wie sich Paul Sabatier erinnert, hatten für Renan drei Epochen eine besondere Bedeutung: das Urchristentum, die Französische Revolution und die von Franziskus initiierte religiöse Erneuerung. An einem denkwürdigen Dezembermorgen des Jahres 1884 hatte der schon hochbetagte Renan, im Bewußtsein, daß ihm selbst keine Zeit mehr bliebe, ihn, seinen Schüler, zum »seraphischen Geschichtsschreiber« bestimmt.11 8 Vgl. vor allem »De vera et perfecta laetitia« (Esser, Opuscula, 461); II Cel 145 (Anal. Fr. 10,213f.). 9 Testamentum 1. 2. 4. 6. 14. 23. 39 (Esser, Opuscula, 438–444). 10 E. Renan, Franc¸ois d’Assise, in: Nouvelles e´tudes d’histoire religieuse, Paris 1884 (Œuvres comple`tes, Tome VII, Paris 1955, 919–935; ebd. 920). 11 P. Sabatier, E´tudes ine´dites sur S. Franc¸ois d’Assise, e´dite´es par A. Goffin, Paris 1932, 69f.: »Quand je commenc¸ai a` travailler, j’avais reˆve´ de consacrer ma vie a` l’e´tude de trois pe´riodes – Be´nies soient les illusions de jeunesse! – Trois pe´riodes: les origines du christianisme avec l’histoire d’Israe¨l, la Re´volution franc¸aise, et la merveilleuse re´novation religieuse re´alise´e par Saint Franc¸ois d’Assise. Je n’ai pu venir a` bout que du

Einleitung

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Sabatiers Buch, das von Franziskus-Romantik keineswegs frei und alles andere als eine nüchterne Biographie ist, war so etwas wie der Paukenschlag, mit dem nicht nur die moderne Franziskus-Forschung eröffnet wurde, sondern auch der Beginn eines sehr weit sich ausbreitenden, seither nicht mehr nachlassenden Interesses an Franziskus und den Anfängen seiner Bewegung. Über dem ungeheueren Erfolg, der Sabatiers Werk zuteil wurde (1926 erschien bereits die 46. französische Auflage!),12 fand das kaum weniger wichtige Buch von Henry Thode: »Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien« kaum Beachtung.13 Das Hauptverdienst dieses 1885 in erster Auflage erschienenen Werkes ist, daß es die Bedeutung des Franziskus für die europäische Kunst- und Kulturgeschichte in eindrucksvoller und überzeugender Weise darlegt. Thode verweist auf die Auswirkungen, die das von Franziskus neu entdeckte Verhältnis zur Natur sowohl für die christliche Religion wie auch für die Geburt einer neuen Kunst hatte. Franziskus habe, so Thode, »die Religion mit der Natur versöhnt«, und er fährt fort: »Indem Franz die verachtete und mißhandelte Natur in ihre Rechte als Vermittlerin zwischen Gott und Mensch wieder einsetzte, hat er dem christlichen Künstler die einzig echte Lehrerin gewiesen. Indem er die Geheimnisse des christlichen Glaubens in den natürlichen Vorgängen von Christi irdischem Leben veranschaulicht sah, hat er den alten Stoff der christlichen Legende als einen gleichsam ganz neuen der Kunst zugeführt.«14 Thode hat demnach gewußt, was das Zentrum der franziskanischen Religion ist: Erlösung in einem umfassenden Sinn, Welterlösung. premier tiers de mon programme, mais vous, Monsieur Leblond, dit-il a` un jeune homme qui paraissait plein de sante´, mais qui mourut peu de temps apre`s, a` la suite d’exce`s de travail, il faut que vous deveniez le cre´ateur de l’histoire religieuse de la Re´volution. Vous, dit-il a` un autre, en lui mettant la main sur l’e´paule pour l’empeˆcher de se de´rober, vous serez l’historien se´raphique. Je vous envie: saint Franc¸ois a toujours souri a` ses historiens. Son œuvre initiale et son action sur les sie`cles suivants, n’ont jamais e´te´ comple`tement comprises. Il a sauve´ l’E´glise au XIIIe sie`cle, et son esprit est reste´ e´trangement vivant depuis lors. Nous avons besoin de lui. Si nous savons le vouloir, il reviendra.« 12 Die Ausgabe von 1931 trägt die Bezeichnung: E´dition de´finitive. 13 H. Thode, Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien (11885, 21904, 31926), Wien 41934. Im Vorwort zur zweiten Auflage verwundert sich Thode über die Ungleichheit des Schicksals beider Bücher; im Gegensatz zu demjenigen Sabatiers sei sein eigenes in den neunzehn Jahren seit seinem Erscheinen lange unbeachtet geblieben, ja totgeschwiegen worden. Zu Thodes Werk s. auch: Raoul Manselli, Franziskus. Der solidarische Bruder, Zürich 1984, 330. Manselli bemerkt zutreffend, daß Thodes Werk und These »in vieler Hinsicht mehr Aufmerksamkeit verdienen, als man ihnen heute gewöhnlich einräumt.« – Im gleichen Jahr wie Thodes Buch erschien ein weiteres Standardwerk protestantischer Franziskus-Forschung: Karl Müller, Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften, Freiburg Br. 1885. 14 Thode, o.c. 79.

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Einleitung

Die »weltgeschichtliche Bedeutung« des Franziskus, von der in vielen der neueren Werke über ihn die Rede ist,15 hängt wesentlich mit seinem Verhältnis zur Natur zusammen, oder um es gleich genauer zu sagen: damit, daß das franziskanische Verständnis von Frieden und Erlösung ein universales ist. Franziskus, dessen Liebe nicht nur den Menschen galt, sondern auch die belebte und unbelebte Natur – Tiere, Pflanzen, Sonne, Mond, Feuer, Wasser – umfaßte, war umgetrieben von dem Gedanken der Erlösung der ganzen Welt, der gesamten Schöpfung. Weil ihm dieser Gedanke so wichtig war, hat er ihn gleich zu Beginn seines Testaments, nach dem kurzen Bericht über seinen Weggang aus der Welt, festgehalten: »Und der Herr gab mir ein so großes Vertrauen zu den Kirchen, daß ich folgendermaßen einfach betete und sagte: Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, hier und in allen deinen Kirchen, die auf der ganzen Welt sind, und wir preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.«16 Als die Gruppe der ersten Anhänger zusammen mit Franziskus gerade acht Brüder umfaßt, noch vor der Abfassung der ersten Regel und deren Billigung durch den Papst Innocenz III. – also vermutlich im Jahr 1208 – schickt Franziskus sie in Zweiergruppen in die vier Weltgegenden, um den Menschen »den Frieden und die Buße« zu verkünden.17 So erhebt die franziskanische Botschaft von Anfang an einen universalen Anspruch: sie hat die Bekehrung der Kirche und der ganzen Welt zum Ziel. 15 Schon das (auch heute noch nützliche) »Handbuch der Geschichte des Franziskanerordens« von Heribert Holzapfel (Freiburg Br. 1909) enthält einen Abschnitt: »Weltgeschichtliche Bedeutung des hl. Franz« (S. 11–17). Als unterscheidende Merkmale franziskanischer Religiosität nennt der Verfasser dort: »Freiheit des Geistes, Liebe, Frömmigkeit, Fröhlichkeit, Vertraulichkeit«: Qualitäten, die sich wohltuend abheben von: »Pharisäismus, Fanatismus, und Scholastizismus« (ebd. 14). Dem verdienstvollen Werk, der ersten Ordensgeschichte in neuerer Zeit aus der Feder eines Franziskaners, widerfuhr das Unglück, im Pontifikat Pius’ X. zu erscheinen. Dieser merkwürdige Papst, der bekanntlich auch sonst in der Theologie nach Art eines Rasenmähers wirkte, äußerte sein Mißfallen an dem Buch, worauf dessen Lektüre von der Römischen Kurie allen Ordensleuten, Priestern und Studenten untersagt, seine Verbreitung und positive Rezension verboten wurde; s. Stanislao da Campagnola, Le Origini francescane come problema storiografico, Perugia 21979, 221, Anm. 145. 16 Testamentum 4–6 (Esser, Opuscula, 438). 17 I Cel 29f. Von den alten franziskanischen Eremitorien erheben vor allem zwei den Anspruch, Ausgangspunkt der ersten franziskanischen »Weltmission« zu sein: Poggio Bustone bei Rieti und der Eremo dei Carceri bei Assisi. In der Nische einer Außenwand der Carceri befindet sich die folgende schöne Inschrift aus dem 16. Jahrhundert: RICEVUTA / CHE EBRO LA / BENEDITIONE / DA SANTO / FRANCISCHO / DIVISENSI IN QUATRO / PARTE E PRESERO LE / QUATRO PARTE DEL / MONDO INDECHATIDO / LORO CHE ESO SANTO / FRANCISCHO DOVIVA / PIARA TUTO / El MONDO: »Nachdem sie den Segen vom heiligen Franziskus erhalten hatten, teilten sie sich in vier Gruppen und zogen in die vier Weltteile, da ihnen die Verpflichtung desselben heiligen Franziskus gegenüber der ganzen Welt aufgezeigt worden war.«

Einleitung

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Die Erlösung, das Heil, soll für die Menschen ganz einfach zu erreichen sein: eben durch eine einfache Bekehrung. Da ihm der übliche kirchliche Weg der Heilsvermittlung viel zu kompliziert war, trotzte er dem Papst Honorius III. die »Vergebung von Assisi«, den später so genannten »Portiuncula-Ablaß« ab. Im Verständnis des Franziskus handelt es sich dabei nicht nur um den Nachlaß von Sündenstrafen, sondern um die Vergebung aller Sünden und die Gewißheit des Heils. »Ich will euch alle ins Paradies schicken«, verkündet er der vor der Portiuncula-Kirche versammelten Menschenmasse.18 Das Geheimnis der Vollendung der Welterlösung und seine eigene Rolle dabei wurde Franziskus schließlich zwei Jahre vor seinem Tode, im September 1224, während der rätselhaften Vision eines gekreuzigten sechsflügeligen Engels auf dem Berge La Verna bei Bibbiena, mitgeteilt. Dabei erhielt er die Stigmata, die fünf Wunden des gekreuzigten Erlösers, wodurch er endgültig diesem gleichgestaltet und zum »zweiten Christus« wurde. Es sind vor allem die mit der Welterlösung verbundenen Vorstellungen und die Vision und Utopie einer neuen, friedlichen Welt, die dem Franziskanertum eine beständige Aktualität verleihen, nicht nur für Christen und an religiösen Themen interessierte Menschen, sondern für alle, denen das Schicksal der Welt und ihr eigener individueller Tod keine gleichgültigen Dinge sind.

18 P. Sabatier (Hrsg.), Fratris Francisci Bartholi de Assisio tractatus de indulgentia S. Mariae de Portiuncula (Collection d’E´tudes et de Documents, 2), Paris 1900, 26; s. auch: ders., E´tude critique sur la concession de l’Indulgence de la Portioncule ou Pardon d’Assise, Paris 1896.

I. KAPITEL

Q U E L L E N U N D W I C H T I G E L I T E R AT U R Z U M LEBEN DES FRANZISKUS UND ZUR FRÜHZEIT DER FRANZISKANISCHEN BEWEGUNG Eine jede Darstellung des heiligen Franziskus und seiner Bewegung muß sich zunächst mit den Quellen befassen. Es gibt wenige Persönlichkeiten der gesamten älteren Zeit – des Altertums und des Mittelalters – deren Leben und Wirken quellenmäßig so gut dokumentiert ist wie das seine. Die Interpretation der Quellen allerdings stellt den Historiker vor schwierige und nicht selten auch vor unlösbare Probleme. Denn die Texte spiegeln oft ein bestimmtes Stadium einer sich rasch entwickelnden Bewegung wider oder sie wollen, aus dem Blickwinkel der eigenen Zeit und des eigenen Verständnisses, von den Absichten des Franziskus ein Bild für den Leser entwerfen, mit anderen Worten: sie sind tendenziös. Da die Hauptideen des frühen Franziskanertums von nicht wenigen Zeitgenossen als gefährlich angesehen wurden und es tatsächlich auch waren, werden wichtige Informationen oft in umschreibender, andeutender oder verhüllender Form wiedergegeben oder auch in beredter Weise verschwiegen. Ein wertvolles und nahezu unentbehrliches Hilfsmittel für jeden, der sich mit den frühen franziskanischen Quellenschriften befassen will, ist das Werk: »Fonti Francescane«.1 Es enthält die wichtigsten Quellen in italienischer Übersetzung sowie hervorragende Einleitungen zu den einzelnen Gruppen von Schriften und Register, die eine zügige und genaue Orientierung ermöglichen. Ein solches Werk in deutscher Übersetzung wäre sicher geeignet, die Franziskus-Studien entscheidend zu fördern. Denn die italienische Fassung nützt den deutschen Studierenden wenig, da bei uns die Kenntnis der italienischen Sprache leider noch weniger verbreitet ist als die der lateinischen. Wir unterscheiden vier große Gruppen franziskanischer Quellen: I. Schriften des Franziskus von Assisi; II. Lebensbeschreibungen des Franziskus; III. Chroniken und andere Zeugnisse franziskanischer und nicht-franziskanischer Herkunft; IV. Schriften und Zeugnisse zum Leben der heiligen Klara von Assisi. 1 Fonti Francescane. Scritti e biografie di san Francesco d’Assisi. Cronache e altre testimonianze del primo secolo francescano. Scritti e biografie di santa Chiara d’Assisi, Padova 31982. 41990.

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I. Kapitel

I. Schriften des Franziskus von Assisi Die literarische Hinterlassenschaft des Franziskus ist jetzt in der maßgebenden Edition von Kajetan Esser OFM versammelt: Die Opuscula des hl. Franziskus von Assisi. Neue textkritische Edition (Spicilegium Bonaventurianum, 13), Grottaferrata (Romae) 1976 (21989). Durch sie sind die älteren, zu ihrer Zeit sehr verdienstvollen Ausgaben von Lucas Wadding,2 Leonhard Lemmens,3 und Heinrich Boehmer4 abgelöst worden. Wie schwierig und problematisch bei der Breite der Überlieferung die Rekonstruktion der mutmaßlichen Originaltexte sein kann, zeigt ein intensiver Blick auf die einzelnen von Esser edierten Stücke. Der Herausgeber und seine Mitarbeiter sind mit der größtmöglichen Sorgfalt verfahren, wovon neben der Edition selbst auch die sie begleitenden Studien ein eindrucksvolles Zeugnis geben.5 Dennoch bleiben zahlreiche Probleme ungelöst, vor allem was die Authentizität mancher Werke betrifft, wie z.B. der Ordensregeln sowie der diktierten und indirekt überlieferten Schriften. Es ist nur ein einziges zweifelsfreies Autograph des Franziskus auf uns gekommen: die im Sacro Convento in Assisi aufbewahrte »Chartula fr. Leoni data« mit dem Lobgebet Gottes (Laudes Dei altissimi) auf der Vorderseite und dem Segen für Bruder Leo (Benedictio fr. Leoni data) und der berühmten Zeichnung des aus dem Munde eines beerdigten Schädels herauswachsenden Tau.6 Dagegen scheint es zweifelhaft, daß der im Schatz des Doms von Spoleto befindliche Brief an Bruder Leo ein Autograph ist, während der Text desselben sehr wohl auf Franziskus zurückgehen mag.7 Die Edition von Esser liegt der deutschen Ausgabe zugrunde: Die Schriften des heiligen Franziskus. Einführung, Übersetzung, Erläuterungen. Lothar Hardick und Engelbert Grau (Franziskanische Quellenschriften, 1), Werl 6 1980. 2 B.P. Francisci Assisiatis Opuscula, nunc primum collecta, tribus Tomis distincta, Notis et Commentariis Asceticis illustrata per Fr. Lucam Waddingum, Antwerpen 1623. 3 Opuscula sancti patris Francisci Assisiensis (Bibl. Franc. Asc. Med. Aevi, 1), Quaracchi 1904 (Neuauflagen: 1941, 1943, 1949). 4 Analekten zur Geschichte des Franziskus von Assisi, Tübingen 1904. 5 S. vor allem: K. Esser, Studien zu den Opuscula des hl. Franziskus von Assisi, hrsg. v. E. Kurten und Isidoro da Villapadierna (Subsidia scientifica franciscalia, 4), Rom 1973; K. Esser, R. Oliger, La tradition manuscrite des Opuscules de Saint Franc¸ois d’Assise. Pre´liminaires de l’e´dition critique (Subsidia scient. franc., 3), Rom 1972. 6 Esser, Opuscula, 134–146. 7 Ebd. 216–224.

Quellen und Literatur

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Außer den nach seiner Meinung echten Schriften hat Esser eine Liste und kurze Beschreibung der zweifelhaften und sicherlich nicht authentischen Opuscula in seine Ausgabe aufgenommen, ohne jedoch deren Text selbst zu veröffentlichen.8 Wie wir aus anderen Quellen wissen, hat Franziskus weitere Schriften verfaßt, die wohl als unwiederbringlich verloren gelten müssen. Hierzu gehören vor allem die erste Regel, die er im Jahre 1209 dem Papst Innocenz III. vorlegte (von der es aber zahlreiche Rekonstruktionsversuche gibt), ferner seine Briefe an den Kardinal Hugolino9 und andere Adressaten,10 sowie die Briefe an Klara von Assisi und ihre Schwestern, die Klara selbst in ihrem Testament erwähnt.11 Der literarischen Gattung nach kann man die erhaltenen Opuscula des Franziskus in drei Komplexe einteilen: 1. Regeln und Ermahnungen; 2. Briefe; 3. Gebete und Hymnen. Esser hält sich nicht an eine solche Einteilung, sondern er stellt die Werke in insgesamt 28 Kapiteln vor, wobei jedoch Kapitel III zwei, Kapitel XXVIII acht kleinere Werke enthält. Wir halten uns im folgenden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, an Reihenfolge und Einteilung der »Fonti Francescane«.

1. Regeln und Ermahnungen Regula non bullata (1221) Die Bezeichnung dieser ältesten erhaltenen Regel der franziskanischen Gemeinschaft will besagen, daß sie nicht durch ein offizielles päpstliches Schreiben (Bulle) bestätigt wurde, wie dies bei der sie ablösenden Regel von 1223 der Fall ist. Wie die Untersuchungen von David Flood gezeigt haben, ist die Regula non bullata kein einheitliches Gebilde, sondern es handelt sich um einen Text, der mehrfach überarbeitet, ergänzt und erweitert wurde.12 Mög8

Ebd. Kapitel IV (41–55). I Cel 100 (Anal. Fr. 10,78). 10 I Cel 82 (Anal. Fr. 10,61). 11 Seraphicae legislationis textus originales, Quaracchi 1897, 276; FF 2836; Escritos de Santa Clara y documentos complementarios, ed. Ignacio Omaechevarri´a, Madrid 2 1982, 343. Zu den verlorenen Schriften des Franziskus s.: John R.H. Moorman, The Sources for the Life of S. Francis of Assisi, Manchester 1940 (Neudr. Farnborough 1966), 13–15; Esser, Opuscula, 14–17. 12 David Ethelbert Flood, Die Regula non bullata der Minderbrüder (Franz. Forschg., 19), Werl 1967; s. auch: K. Esser, Textkritische Untersuchungen zur Regula non bullata der Minderbrüder (Spicilegium Bonaventurianum, 9), Grottaferrata 1974; die Edition: Esser, Opuscula, 373–404. Eine sehr gute Deutung der Regula non bullata auf ihrem geschichtlichen Hintergrund gibt Raoul Manselli, Franziskus. Der solidarische Bruder, Zürich 1984, 266–271. S. auch u. Kap. VII, bei Anm. 103. 104. 9

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licherweise enthält sie als Kern die allererste, in kurzen Worten abgefaßte Regel, die Franziskus 1209 dem Papst Innocenz III. vorlegte und die dieser ihm mündlich bestätigte.13 Schon Karl Müller hat 1885 den »Versuch einer Rekonstruktion der ältesten Regel von 1209« unternommen,14 nach ihm John Moorman (1940)15 und andere. In dem Incipit der alten Handschriften wird die Regula non bullata als »erste Regel des heiligen Franziskus« bezeichnet, und die meisten fügen hinzu, der Papst Innocenz III. habe sie bestätigt »ohne Bulle«.16 Damit sind wohl spätere Erweiterungen und Änderungen nicht ausgeschlossen. Für Flood ist die Regula non bullata das Basisdokument der franziskanischen Bewegung in den Jahren 1210–1221. Sie enthalte das Wesentliche der Reflexion, die Franziskus und seine Freunde anstellten, »als sie ihr Vorhaben gegen die schwerwiegende Passivität und sogar die dumpfe Opposition ihres Milieus in die Tat umsetzten.« »Die erste Regel trägt so den Abdruck von zehn Jahren Kommunikation, als die Brüder sich ihre feste Absicht und ihre große Hoffnung mitteilten. Sie ist die konzentrierte Geschichte der Brüder.«17 Die Regula non bullata wird damit zum zentralen Dokument für die Interpretation der Geschichte des frühen Franziskanertums und dessen ursprünglicher Intentionen. Ein einziges Dokument in dieser Weise zur Meßlatte zu erheben, ist gewiß methodisch nicht ganz unbedenklich. Aus dem gesamten Duktus der Regel heraus fällt das 23. Kapitel, ein Dankgebet (Oratio et gratiarum actio), in dem sich die Minderbrüder auch an die Menschen der ganzen Welt wenden und sie um Beharrlichkeit im wahren Glauben und in der Buße bitten. Mit seinem »weiten Atem« ist es ein Dokument für die Universalität des franziskanischen Christentums und natürlich auch für die religiöse Welt-Sicht des Franziskus auf dem Höhepunkt seiner »aktiven« Jahre, daneben vielleicht einer der schönsten Gebetstexte des Christentums überhaupt. Regula bullata (1223) Die Regula bullata ist die von dem Papst Honorius III. am 29. November 1223 schriftlich bestätigte und seither verbindliche Regel des Ordens der Minderbrüder. Das Original der päpstlichen Bulle »Solet annuere«, das den vollständigen Text der Regel enthält, ist erhalten und wird im Sacro Convento 13 Vgl. Testamentum 15 (Esser, Opuscula, 439): »Et ego paucis verbis et simpliciter feci scribi et dominus Papa confirmavit mihi.« 14 K. Müller, Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften, Freiburg Br. 1885, 185–188. 15 Moorman, Sources (o. Anm. 11), 51–52. 16 Esser, Opuscula, 377. 17 D. Flood, Fre`re Franc¸ois et le mouvement franciscain, Paris 1983, 10.

Quellen und Literatur

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zu Assisi aufbewahrt. Desgleichen ist die Originalabschrift der Bulle (die allerdings geringe Textabweichungen aufweist) im Vatikanischen Archiv erhalten. Der Text der Regel ist in zwölf Kapitel eingeteilt. Seinem Umfang nach ist er etwas mehr als ein Viertel so lang wie der der Regula non bullata.18 Testament (1226) Nach den eigenen Worten dieses Textes handelt es sich um das geistige Vermächtnis des Franziskus, das der Verfasser in engstem Zusammenhang mit der Ordensregel, als eine Art Lesehilfe und persönlichen Kommentar derselben, gesehen hat.19 Der Text ist in zahlreichen Handschriften überliefert, die eine Unzahl von Varianten aufweisen, so daß eine kritische Edition, wie sie Esser dennoch versucht hat,20 ein sehr schwieriges Unterfangen ist. Der älteste erhaltene Textzeuge ist der Codex 338 der Biblioteca Comunale von Assisi, ein Sammelband, der im gleichen Faszikel weitere Opuscula des Franziskus und darüber hinaus noch andere Schriften franziskanischer Provenienz enthält. Der Faszikel mit den Opuscula wird von Esser auf die Mitte des 13. Jahrhunderts, also etwa 25 Jahre nach der Entstehung des Dokumentes und dem Tode des Franziskus, datiert.21 Der älteste Beweis für die Existenz des Testamentes ist das Zitat in der ersten Celano-Legende über den Aufenthalt des Franziskus bei den Aussätzigen.22 Diese erste Biographie des Franziskus wurde wohl 1229 abgeschlossen, doch kann das Zitat, das ziemlich am Anfang steht, bereits im Jahre 1228 niedergeschrieben sein. Zweiter Beleg ist sodann die Bulle »Quo elongati« des Papstes Gregor IX. vom 28. September 1230, in der die Verbindlichkeit des Testamentes als Richtlinie für die Brüder aufgehoben wurde.23 In der gleichen Bulle wird auch gesagt, daß Franziskus das Testament in seinen letzten Lebenstagen verfaßt habe.24

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Edition der Regula bullata: Esser, Opuscula, 363–372. Vgl. Test. 34 (Esser, Opuscula, 443): »Et non dicant fratres: ›Haec est alia regula‹, quia haec est recordatio, admonitio, exhortatio et meum testamentum, quod ego frater Franciscus parvulus facio vobis fratribus meis benedictis propter hoc, ut regulam, quam Domino promisimus, melius catholice observemus.« 20 Opuscula, 431–447. 21 K. Esser, Die älteste Handschrift der Opuscula des hl. Franziskus (cod. 338 von Assisi). Franz. Stud. 26 (1939), 120–142; bes. ebd. 133f.; Esser-Oliger, Tradition (o. Anm. 5), 21; s. auch w.u. bei Anm. 32. 22 I Cel 17 (Anal. Fr. 10,16) mit Zitat von Test. 1b–2 (Esser, Opuscula, 438). Vgl. auch 3 Soc 11 (ed. Desbonnets, 97f.). 23 Herbert Grundmann, Die Bulle »Quo elongati« Papst Gregors IX. AFH 54 (1961), 3–25; Helmut Feld, Die Totengräber des heiligen Franziskus von Assisi. AKG 68 (1986), 319–350; ebd. 337–346. 24 ». . mandavit circa ultimum vite sue, cuius mandatum ipsius dicitur testamentum. .« (Grundmann, o.c. 20). 19

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I. Kapitel

Nachdem das Testament des Franziskus, trotz päpstlich verordneter Ungültigkeit, Jahrunderte lang für echt gehalten und auch in der modernen Franziskus-Forschung fast einmütig als das authentischste aller Werke des Franziskus angesehen wurde,25 hat in neuester Zeit ein (allerdings intelligenter) Außenseiter der Forschung die Echtheit in zwei seiner insgesamt vier anonymen Publikationen energisch bestritten. Es handelt sich um Domenico Basili OFM Conv., seit vielen Jahren Custode des von Bruder Elias erbauten Konvents zu Cortona und unermüdlich um die Rehabilitation des im Chor der Kirche S. Francesco bestatteten großen Franziskaners bemüht.26 Es sind vor allem vier Gründe, die Basili gegen die Echtheit des Testamentes ins Feld führt: 1. In seinem unmittelbar nach dem Tode des Franziskus verfaßten Rundbrief erwähnt Elias das Testament nicht; 2. die Sätze 30–33 mit ihren Strafbestimmungen gegen Brüder, die das Offizium nicht beten oder »nicht katholisch« sind, stehen in krassem Widerspruch zu dem brüderlichen und verzeihenden Geist, wie er sich etwa in dem Brief an einen Minister27 und in dem Brief an alle Gläubigen28 äußert, aber auch zu den milderen Bestim25 So schon W. Goetz, Die Quellen zur Geschichte des hl. Franz von Assisi. Eine textkritische Untersuchung, Gotha 1904, 11ff.; vgl. auch Stanislao da Campagnola in seiner Einleitung in FF (S. 70): ». . nel Testamento di Francesco c’e` un pensiero e una volonta` tutta sua, senza elementi di prestito.« Die Echtheit des Testamentes wurde im 19. Jahrhundert lediglich bestritten von Karl Hase (Franz von Assisi. Ein Heiligenbild, Leipzig 1856, 136) und Ernest Renan (Joachim de Flore et l’e´vangile e´ternel, in: Nouvelles e´tudes d’histoire religieuse, Paris 1884, 247; Œuvres comple`tes, T. VII, Paris 1955, 871). Den umfassendsten Nachweis der Echtheit führt: K. Esser, Das Testament des hl. Franziskus von Assisi. Eine Untersuchung über seine Echtheit und seine Bedeutung (Vorreformationsgeschichtl. Forschg., 15), Münster Westf. 1949; ebd. 54–76 eine Zusammenstellung der mittelalterlichen Zeugnisse. 26 Die Rehabilitation des Bruders Elias von Cortona ist das Hauptanliegen der vier Werke: »Il Superfrate«. Astro cortonese riscoperto nel suo corso storico 1178–1981, Cortona 1981; Nascita e eredita` di S. Francesco, Cortona 1982; Frate Elia e il Testamento di S. Francesco, Cortona 1984; La Croce santa e il primo Francescano, Cortona 1988. In dem an dritter Stelle genannten Buch (1984) bemüht sich Basili um den Nachweis der Unechtheit des Testamentes des Franziskus; erst in dem zuletzt genannten (S. 62) lüftet der Verfasser seine Anonymität; zu den Untersuchungen Basilis s.: Helmut Feld, Anonyme Forschungen in Italien zum frühen Franziskanertum. ThQ 169 (1989), 302–308. 27 Esser, Opuscula, 232: ». . quod non sit aliquis frater in mundo, qui peccaverit, quantumcumque potuerit peccare, quod, postquam viderit oculos tuos, numquam recedat sine misericordia tua, si quaerit misericordiam. Et si non quaereret misericordiam, tu quaeras ab eo, si vult misericordiam. Et si millies postea coram oculis tuis peccaret, dilige eum plus quam me ad hoc, ut trahas eum ad Dominum; et semper miserearis talibus.« 28 Ebd. 209: »Qui autem potestatem iudicandi alios receperunt, iudicium cum misericordia exerceant, sicut ipsi volunt a Domino misericordiam obtinere. Iudicium enim sine misericordia erit illis qui non fecerint misericordiam.« S. auch ebd. 210 (Sätze 42–44).

Quellen und Literatur

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mungen der Regula bullata von 1223;29 3. das Testament ist auf dem Generalkapitel an Pfingsten 1227 noch unbekannt; es taucht erst vier Jahre nach dem Tode des Franziskus (1230) auf, als Gregor IX. um eine Entscheidung gebeten wird; 4. von dem Originaltext des Testamentes, das 1230 vom Papst aufgehoben wurde, existiert keine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert; Basili nimmt an, daß das jetzt vorliegende Testament in Kreisen der Spiritualen am Ende des 13. Jahrhunderts entstanden sei.30 Auch bereits in der ersten Fassung des Testamentes sieht er die plumpe Fälschung eines rigoristischen Zelanten, der auf diesem Wege der Regula non bullata wieder zur Geltung verhelfen wollte.31 Man wird nicht umhin können zuzugeben, daß Basili zumindest mit den drei zuletzt genannten Argumenten den Finger zielsicher auf die schwachen Punkte in der Beweisführung für die Echtheit des Testamentes gelegt hat. Vor allem ist die von Esser in der Mitte des 13. Jahrhunderts angesetzte Entstehung des die Schriften des Franziskus enthaltenden Faszikels des Codex 338 der Biblioteca Comunale von Assisi nicht zweifelsfrei beweisbar. Esser schließt aus der Tatsache, daß das Testament (fol. 16r–18r) unmittelbar auf die Regel (fol. 12r–15v) folgt, die Niederschrift müsse vor den Armutsstreitigkeiten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und dem Generalat des heiligen Bonaventura (1258–1274) erfolgt sein.32 Wie immer die älteste Handschrift zu datieren ist, so ist aus der Bulle »Quo elongati« zu schließen, daß Gregor IX. die entscheidenden Passagen des Testamentes vorlagen. Daß Franziskus es nicht dem Bruder Elias diktiert oder übergeben hat, sondern tatsächlich einem aus dem Kreise der Zelanti, vielleicht Bruder Leo, wäre verständlich und naheliegend. Basili spielt auch die Erwähnung in der ersten Celano-Legende herunter, indem er annimmt, daß im Jahre 1228 noch eine mündliche Überlieferung einiger Anfangssätze des Testamentes kursierte.33 Was schließlich die Rigorismen des Inhalts betrifft, so sind bekanntlich harte und fanatische Züge des Franziskus auch in den Lebensbeschreibungen überliefert.34 Demnach wird man weiterhin an der Echtheit des Testamentes festhalten können, ohne es freilich zu überschätzen und 29

Ebd. 370: cap. 10 De admonitione et correctione fratrum. [Basili], Frate Elia (o. Anm. 26), 14–17; 25–27; 29–33; 74f.; 111. 31 Ebd. 19–22; 24f. »Allora pensarono a riparare la pugnalata regola del 1221, mediante un testamento di S. Francesco« (19). 32 S.o. Anm. 21. 33 I Cel 17; s.o. Anm. 22. [Basili], Frate Elia, 24: »Questa omissione, pero`, sembra giustificata e lascia pensare che nel 1228, cioe` quando scriveva, corresse ancora la voce di certe frasi iniziali del Testamento di S. Francesco, ma la sua chiusura non fosse stata ancora saldata con un bel punto finale.« 34 Vgl. z.B. Ep. toti Ordini missa, 44 (Esser, Opuscula, 263): »Quicumque autem fratrum haec observare noluerint, non teneo eos catholicos nec fratres meos; nolo etiam ipsos videre nec loqui, donec poenitentiam egerint.« 30

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I. Kapitel

es von vornherein zum Basistext und Maßstab gegenüber anderen Überlieferungen zu erheben. Kleines Testament von Siena In Quellen des 14. Jahrhunderts ist mehrfach ein Bericht überliefert, nach dem Franziskus, als er im Frühjahr 1226 in Siena dem Tode nahe war, in kurzen Worten seinen letzten Willen diktiert habe. Da er vor Schwäche und Schmerzen kaum reden kann, legt er seinen Brüdern »in drei Worten« das Wesentliche seines Ideals ans Herz: die Liebe zueinander, die Liebe zu »unserer Herrin der heiligen Armut«, die Unterwerfung unter die Prälaten und Kleriker der heiligen Mutter Kirche. Esser datiert dieses Testament auf April oder Mai 1226.35 Regel für den Aufenthalt in den Eremitorien Die »Regula pro eremitoriis data« enthält kurze Richtlinien für den Tagesablauf derjenigen Brüder, die sich, wie Franziskus es selbst oft tat, für eine gewisse Zeit zum Gebet in die Einsamkeit zurückzogen. Da das Amt der Minister vorausgesetzt ist, das 1217 eingeführt wurde, ist dieses Jahr der Terminus post quem für die Abfassung.36 Schreiben an Klara von Assisi: »Lebensform« und »Letzter Wille« In ihrer hart erstrittenen Ordensregel, deren Originalbulle erhalten ist, hat Klara zwei für sie und ihre Schwestern lebenswichtige Sätze des Franziskus festgehalten: die sogenannte »Lebensform« (Forma vivendi s. Clarae data) und den »Letzten Willen« (Ultima voluntas s. Clarae scripta). Nach der Formulierung, mit der Klara den Text der »Lebensform« in ihrer Regel einführt, hat ihn Franziskus selbst »aus Zuneigung« (pietate motus) zu den Schwestern geschrieben.37 Er enthält die Feststellung, daß die Schwestern selbst »auf Eingebung Gottes hin« (divina inspiratione) das Leben nach der Vollkommenheit des heiligen Evangeliums gewählt haben, und das Versprechen, daß Franziskus selbst und seine Brüder sich immer in besonderer Weise um sie kümmern werden. Klara erwähnt die Forma vivendi auch in ihrem 35

Opuscula, 458f. Edition: Esser, Opuscula, 405–412; über diese Regel ausführlich: R. Manselli, Franziskus, 282–286. Ein Beispiel für den in der Regel angeordneten Wechsel von Sorge für die täglichen Bedürfnisse (vita Marthae, officium matrum) und Kontemplation (vita Mariae) findet sich II Cel 178 (Anal. Fr. 10,232), wo dem Franziskus berichtet wird, daß es in Spanien ein Eremitorium mit eben dieser Regelung gibt. 37 Regula s. Clarae, cap. 6,2; Seraph. Leg. Text. Orig., 62; FF 2788; ed. Omaechevarri´a (o. Anm. 11), 278; Esser, Opuscula, 296–299. 36

Quellen und Literatur

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Testament, an einer Stelle, wo sie auf den Anfang ihres Ordenslebens zurückblickt: »Danach schrieb er uns eine Lebensform, und vor allem, daß wir immer in der heiligen Armut verharren sollten.«38 Die feste und lebensnotwendige Verbindung der Lebensform Klaras und der Armen Frauen mit Franziskus und den Minderbrüdern wird daraus deutlich: das Leben der Schwestern in vollkommener evangelischer Armut ist nur möglich, wenn die Brüder in besonderer Weise für sie sorgen. In dem gleichen Kapitel ihrer Regel hat Klara auch den ihr schriftlich mitgeteilten »letzten Willen« des Franziskus festgehalten.39 Franziskus bekundet darin seine Absicht, bis zum Ende in der Nachfolge des Lebens und der Armut Christi zu verharren. Das Gleiche rät und empfiehlt er den Schwestern, indem er sie zusätzlich noch vor entgegengesetzten Lehren und Ratschlägen warnt. Admonitiones Es handelt sich um ein Corpus von insgesamt 28 zumeist kurzen und prägnanten geistlichen Unterweisungen und Lebensregeln für die noch junge franziskanische Gemeinschaft. Der konkrete Anlaß ihrer Entstehung (»Sitz im Leben«) ist ebenso unbekannt wie der Zeitpunkt ihrer Sammlung und Niederschrift. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Hypothesen: man habe in den Admonitiones Bruchstücke aus einem Entwurf der Regel zu sehen, welche das Bemühen des Franziskus, auf die Vorstellungen Hugolinos einzugehen, widerspiegelten und so eben kein Zeugnis für sein ureigenes Wollen darstellten (Sabatier); es handele sich um Bestandteile von Ansprachen des Franziskus bei Kapiteln des Ordens (W. Goetz)40 oder um die Hauptgedanken des franziskanischen »Novizen-Unterrichtes« in der Frühzeit der Bewegung (L. Casutt),41 beruhen auf reinen Vermutungen. Die Admonitiones sind schon sehr früh bezeugt, nämlich in der am 13. Juli 1231 an der Universität Paris gehaltenen Predigt eines unbekannten Dominikaners.42

38 Testamentum s. Clarae, 10(5); Seraph. Leg. Text. Orig., 276; FF 2833; ed. Omaechevarri´a, 343. 39 Regula s. Clarae, cap. 6,3; Seraph. Leg. Text. Orig., 63; ed. Omaechevarri´a, 278; FF 2790; Esser, Opuscula, 448–450. 40 W. Goetz, Quellen (o. Anm. 25), 44f. 41 L. Casutt, Die älteste franziskanische Lebensform. Untersuchungen zur Regula prima sine bulla, Graz 1955, 82, Anm. 86. 42 Esser, Opuscula, 65.

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Über die wahre und vollkommene Freude Dieser Text ist so etwas wie die Urform des berühmten achten Kapitels der Fioretti. Esser hat ihn in seiner ältesten Form, wie sie in einem Codex der Biblioteca Nazionale Centrale zu Florenz aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts überliefert ist, publiziert.43 Nach dem Bericht des Bruders Leonhard von Assisi hat Franziskus selbst dem Bruder Leo bei der Portiuncula-Kirche den Text diktiert. Der literarischen Gattung nach ist es ein Gleichnis, mit dessen Hilfe Franziskus das Wesen der wahren Freude darstellen will. Die Authentizität scheint durch Vergleich mit Texten ähnlichen Inhalts, wie etwa der Admonitio 544 und II Cel 14545, hinreichend gesichert.

2. Briefe An alle Gläubigen Der Brief ist an alle Christen: Kleriker und Laien, Männer und Frauen, auf der ganzen Welt gerichtet. Da Franziskus wegen seiner Krankheit und der Schwäche seines Körpers nicht alle aufsuchen kann, will er ihnen die Worte unseres Herrn und des Heiligen Geistes brieflich mitteilen. Inhaltlich geht es um die Zentralthemen franziskanischen Christentums: Erlösung, Gottesliebe, Buße, Mitleid, Vergebung, Einfachheit, Demut, Nachdenken über das eigene Leben im Blick auf den Tod, Gericht und Verdammung. Der Brief läßt sich nicht mit Sicherheit datieren. Einige Forscher sehen in ihm das Vermächtnis des Franziskus für die »Brüder und Schwestern von der Buße«, den später so genannten »Dritten Orden«. Wäre diese Vermutung zutreffend, dann könnte der Brief im letzten Lebensjahr des Franziskus verfaßt worden sein. Der Edition des Textes46 hat Esser eine schon von Sabatier in Volterra entdeckte Vorform (Recensio prior), einen Entwurf für die Epistola ad fideles, vorangestellt.47

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Ebd. 459–461 Ebd. 109f. Anal. Fr. 10,213f.; s. auch: Esser, Studien (o. Anm. 5), 292–295; eine theologische und spirituelle Interpretation gibt neuerdings Valentı´n Redondo, La verdadera y perfecta alegrı´a o la alegrı´a vivida por Francisco de Ası´s. Estudios Franciscanos 91 (1990), 1–63. 46 Opuscula, 183–215. 47 Ebd. 176–182. 44 45

Quellen und Literatur

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An alle Kleriker über die Ehrfurcht gegenüber dem Leib des Herrn In diesem Brief beklagt Franziskus die ehrfurchtslose Behandlung von Leib und Blut des Herrn, aber auch der Texte (nomina et verba). Mit letzteren sind zweifellos die liturgischen Bücher, die Missalia und Evangeliare, gemeint. Es geht Franziskus um die körperlich greifbaren Dinge, die durch Gottes Wort geheiligt sind. »Denn wir haben und sehen auf dieser Welt nichts von dem Allerhöchsten selbst als Leib und Blut, Namen und Worte, durch die wir geschaffen und erlöst wurden vom Tode zum Leben« (1 Joh 3,14). Von daher gibt Franziskus den Klerikern zu bedenken, wie schäbig die kultischen Geräte und Textilien sind, wie unwürdig Leib und Blut des Herrn aufbewahrt werden, und er ermahnt sie, »schleunig und entschlossen« (cito et firmiter) Abhilfe zu schaffen. Der Brief ist einer der wichtigsten Belege für die unverwechselbare Auffassung des Franziskus von Welt und Materie und seine damit eng zusammenhängende Eucharistie- und Erlösungslehre. In der Legenda Perusina und parallelen Texten wird berichtet, daß sich Franziskus über verdreckte Kirchen ärgerte, sie eigenhändig mit einem Besen säuberte und den an separatem Ort versammelten Priestern ernsthafte Vorhaltungen machte; ferner daß er den Brüdern die Ehrfurcht vor der Eucharistie und deren angemessene Aufbewahrung ans Herz gelegt und dies sogar gern in die Regel aufgenommen hätte.48 Auch von diesem Brief sind zwei Rezensionen überliefert, deren Text in Einzelheiten voneinander abweicht.49 An die Regierenden der Völker Wie aus der Anschrift hervorgeht, ist dieser Brief nicht an die Könige und Fürsten, sondern an die Magistrate der Städte: die Podesta`, Konsuln, Richter und Rektoren gerichtet. Sie werden, im Blick auf den nahen Tod, ermahnt, sich von den Sorgen dieser Welt abzukehren und zum Andenken an unseren Herrn Jesus Christus dessen Leib und Blut zu empfangen. Sodann sollen sie 48 Leg. Per. 60 (ed. Bigaroni, 154); 108 (ebd. 332). Nach alter Tradition ließ Franziskus liturgische Geräte und Hostienpfannen anfertigen (Leg. Per., ed.c. 334; Spec. Perf. 65, FF 1756), von denen noch eine in dem Konvent von Greccio aufbewahrt wird; s. Johannes Jörgensen, Das Pilgerbuch. Aus dem franziskanischen Italien, Kempten 6 1922, 90–100, und Zeichnung ebd.; Sulle orme di San Francesco nella Terra Reatina. Guida ai Santuari della Valle Santa, Terni 1980, 47. 49 Esser, Opuscula, 155–166. Die wichtigsten Untersuchungen zu diesem Brief sind: L. Oliger, Textus antiquissimus Epistolae s. Francisci de reverentia corporis Domini in Missali Sublacensi (cod. B. 24 Vallicellanus). AFH 6 (1913), 3–12; B. Cornet, Le »De reverentia Corporis Domini«, exhortation et lettre de S. Franc¸ois. E´t. Franc. 6 (1955), 65–91; 167–180; 7 (1956), 20–35; 155–177; 8 (1957), 33–58.

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dafür sorgen, daß allabendlich das Volk durch einen Ausrufer oder ein (Glokken-?) Zeichen aufgefordert werde, Gott dem Herrn Lob und Dank zu sagen. Diese beiden Gedanken sind recht bemerkenswert und gaben Anlaß zu zahlreichen gelehrten Erörterungen. Fordert Franziskus die Amtsträger auf, die Eucharistie in Brot und Wein zu empfangen? War damals eine Kommunion unter beiden Gestalten noch erlaubt?50 Besonders interessant ist der Vorschlag, einen Gebetsrufer zu installieren, als dessen Vorbild man, wohl mit Recht, den islamischen Muezzin gesehen hat. Der Brief wäre dann nach der Rückkehr des Franziskus aus dem Orient (Sommer 1220) zu datieren.51 An die Ordensoberen und an alle Brüder Neben der Regula bullata und dem Testament ist dieser Brief das am besten bezeugte Werk des Franziskus: er ist in insgesamt 58 Handschriften überliefert. Die Adressierung erfolgt in den verschiedenen Editionen nicht einheitlich. Esser gibt dem Brief den Titel: »Epistola toti Ordini missa, una cum oratione Omnipotens, aeterne«, da er im Text keinen Anhalt dafür findet, daß er an die zu einem Kapitel versammelten Brüder gerichtet wäre.52 Wie in anderen Briefen und Ermahnungen des Franziskus geht es auch hier hauptsächlich um die Ehrfurcht vor dem Leib und Blut des Herrn. Die Priester ermahnt er, mit Rücksicht auf die hohe Würde, die ihnen die Nähe zu dem im Sakrament gegenwärtigen Herrn verleiht, zur Heiligkeit. In diesem Zusammenhang steht die vielerörterte Anweisung des Franziskus, daß an den Aufenthaltsorten der Brüder täglich nur eine Messe gefeiert werden soll; sind mehrere Priester am Ort, so sollen sie mit der Teilnahme an der Messe eines anderen Priesters zufrieden sein. In dem vorliegenden Brief zeigt sich auch das Problem, das sich aus der Tatsache ergibt, daß Franziskus, der sich (1220 oder schon früher) von der Ordensleitung zurückgezogen hatte, dennoch weiterhin verbindliche Anordnungen für den Generalminister und die Brüder gibt. Der Brief wird von K. Esser auf die Zeit nach Februar/März 1220,53 von Stanislao da Campagnola auf 1222 oder 1223 datiert.54 An drei Stellen des 50 Vgl. auch Testamentum 10 (Esser, Opuscula, 439). Noch Thomas von Aquin († 7.3.1274) setzt die Kommunion der Gläubigen unter beiderlei Gestalt voraus (S.th. III, q. 76, ar. 2, ad 1). Sie scheint im Laufe des 14. Jahrhunderts außer Übung gekommen zu sein. Das Konzil von Konstanz hat in seiner 13. Sitzung am 15. Juni 1415 die Gewohnheit, daß die Laien nur die Brotkommunion nehmen, zum Gesetz erhoben und die gegenteilige Ansicht und Praxis für häretisch erklärt (Denzinger-Schönmetzer 1198f.). 51 Esser, Opuscula, 270–276. 52 Ebd. 237–269; bes. 237. 264. 53 Esser, Opuscula, 264f. 54 FF, Introduzione, S. 78.

Quellen und Literatur

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Briefes wird jedoch vorausgesetzt, daß Bruder Elias das Amt des Generalministers innehat.55 Da seine Wahl wahrscheinlich auf dem Pfingstkapitel des Jahres 1224 erfolgte, wird dies auch der Terminus post quem für die Abfassung des Briefes sein.56 An einen Minister des Ordens Dem Brief liegt, wie sich aus dem Text erschließen läßt, folgender Vorgang zugrunde: Ein Minister des Ordens fühlt sich durch seine Amtsgeschäfte an einem Ordensleben, wie er es sich vorgestellt hatte, gehindert. Deshalb richtet er an Franziskus die Bitte, ihn von seinem Amt zu entbinden und ihm zu erlauben, sich in eine Einsiedelei zurückzuziehen. Franziskus entspricht dieser Bitte nicht, ermahnt vielmehr den Minister, seinen Willen seinem gegenwärtigen Status anzupassen. Außerdem bittet er den wohl mit ihm anvertrauten Brüdern Unzufriedenen, dem sündigen Bruder gegenüber Barmherzigkeit zu zeigen. Franziskus bekundet auch die Absicht, auf dem nächsten Pfingstkapitel in die Regel einen neuen Passus über die Todsünden aufzunehmen, der die bisherigen Bestimmungen ablösen soll. Als einzige aufzuerlegende Buße soll in Zukunft gelten: »Geh und sündige nicht mehr« (Joh 8,11). Daß der Brief, wie vielfach angenommen, an Bruder Elias gerichtet sei, ist nicht zu beweisen. Der Text setzt voraus, daß noch alle Brüder am Pfingstkapitel teilnehmen, was bis 1221 einschließlich der Fall war. Da die Einführung des Ministeramtes auf 1217 angesetzt wird, wird der Brief zwischen 1217 und 1221 zu datieren sein. Obwohl erst im 14. Jahrhundert handschriftlich bezeugt, werden doch an seiner Echtheit keine Zweifel geäußert.57 An alle Custoden der Minderbrüder I Der Brief wurde 1902 von P. Sabatier in einem Codex der Biblioteca Guarnacci zu Volterra entdeckt. Franziskus fordert die Custoden (Guardiane) auf, sich bei den Klerikern für die Verehrung von Leib und Blut des Hern sowie der geschriebenen Texte einzusetzen. Die kultischen Geräte und das Zubehör des Altares sollen kostbar sein. Das Sakrament soll vom Volk knieend verehrt werden. Ferner soll überall in der ganzen Welt auf ein Glockenzeichen hin Gott Lob und Dank gesagt werden (vgl. o. den Brief an die Regierenden!). Der Brief ist wohl um 1220 zu datieren.58 55

Ep. Ord. 2. 38. 47 (Esser, 259. 262. 263). S. dazu auch u. IX. Kapitel, bei Anm. 20–29. 57 Esser, Opuscula, 225–236; vgl. auch die Untersuchung von E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (Sammlung Dalp, 90), Bern 41967, 159–162. 58 Esser, Opuscula, 167–171. 56

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An alle Custoden der Minderbrüder II Ein kurzes Schreiben an die Ordensoberen, in dem Franziskus anordnet, von seinen (oben genannten) drei Briefen: an alle Kleriker, an die Custoden I und die Regierenden der Völker viele Abschriften anfertigen zu lassen und sie an diejenigen zu verteilen, für die sie bestimmt sind. Wie die drei genannten wird auch dieser Brief auf ca. 1220 zu datieren sein. Der Text ist nicht der ursprüngliche, sondern L. Wadding, dem eine spanische Übersetzung vorlag, hat ihn ins Lateinische rückübersetzt.59 An Bruder Leo Der heute im Schatz des Doms von Spoleto aufbewahrte Brief gilt als Autograph des Franziskus. Es handelt sich um ein kurzes Billet, in dem Franziskus dem Bruder Leo erlaubt, sich zu ihm zu begeben, wenn er es für notwendig erachtet. Obwohl die Handschrift starke Ähnlichkeit mit derjenigen des Autographs im Sacro Convento zu Assisi (s.u. I.3 Lobgesang Gottes des Allerhöchsten und Segen für Bruder Leo) aufweist, bestehen hinsichtlich der Echtheit Bedenken, da das Dokument erstmals am 5. August 1604 in einer Bescheinigung des damaligen Sakristans des Sacro Convento über einen Vergleich der beiden Autographa bezeugt ist.60 An Bruder Antonius (von Padua) Der Brief ist erst im 14. Jahrhundert handschriftlich überliefert. Doch bezeugen ihn indirekt die zweite Celano-Legende61 und die Legenda maior des heiligen Bonaventura.62 Er besteht nur aus der Anschrift und einem einzigen Satz: »Bruder Antonius, meinen Bischof, grüßt Bruder Franziskus. Ich billige es, daß du für die Brüder die heilige Theologie liest, wenn du nur bei dem theologischen Studium den Geist des Gebetes und der Frömmigkeit nicht auslöschst, entsprechend der Bestimmung der Regel.«63 Der Brief bezeugt einen der Urkonflikte des Franziskanertums: den zwischen Wissenschaft (scientia, sapientia huius mundi) und heiliger Einfalt (sancta simplicitas).

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Ebd. 172–175. Ebd. 216–224. 61 II Cel 163 (Anal. Fr. 10,225): »Et beato Antonio cum semel scriberet, sic poni fecit in principio litterae: ›Fratri Antonio, episcopo meo.‹« 62 Leg. mai. XI,1 (Anal. Fr. 10,605): »Quaerentibus aliquando fratribus, utrum sibi placeat, quod litterati iam recepti ad Ordinem intenderent studio sacrae Scripturae, respondit: ›Mihi quidem placet, dum tamen exemplo Christi, qui magis orasse legitur quam legisse, orationis studium non omittant. . .‹« 63 Esser, Opuscula, 147–154; Text ebd. 153. 60

Quellen und Literatur

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Merkwürdig ist, daß Franziskus den Antonius als seinen Bischof anredet. Etwas weit hergeholt scheint die Erklärung von Esser, der, eine Vertrautheit des Franziskus mit den Reformstatuten des Vierten Laterankonzils (1215) voraussetzend, annimmt, daß er die dort den Bischöfen auferlegte Lehr- und Predigtpflicht (Canones 10, 11 und 27) auf Antonius übertrage, indem er ihm gewissermaßen eine »bischöfliche« Aufgabe für den Orden gebe. Bei Thomas von Celano folgt der Hinweis auf den Brief an Antonius dem Zitat des Satzes (13) aus dem Testament: »Allen Theologen und denjenigen, die uns die Gottesworte (in amtlicher Funktion) vermitteln, müssen wir Achtung und Ehrfurcht erweisen, weil sie uns Geist und Leben vermitteln.« Celano will sagen, daß Franziskus dem Antonius deshalb den Ehrentitel »Bischof« gibt, weil er einer von denen war, die uns (in ihrer Lehre) Geist und Leben vermitteln. Und diese Erklärung dürfte wohl zutreffend sein. Im übrigen ist bekannt, daß Franziskus mit (kirchlichen und weltlichen) Titulaturen großzügig umging, von juristischen Personenumschreibungen nichts hielt und dafür lieber von den tatsächlichen Verhältnissen ausging.64 Da der Brief auf die Regel Bezug nimmt, ist er nach deren Bestätigung, vermutlich Ende 1223 – Anfang 1224, zu datieren. (Antonius weilte 1224–1225 in Südfrankreich). An Frau Jacopa dei Settesoli Der Brief, den Franziskus wenige Tage vor seinem Tode an die von ihm als »Bruder Jacoba« bezeichnete adelige römische Dame diktierte, ist nur in einer Inhaltsangabe im »Tractatus de miraculis« des Thomas von Celano erhalten. Demnach bat der sterbende Franziskus Jacopa, schleunigst zu ihm zu kommen, wenn sie ihn noch lebend sehen wolle. Sie möge ein graues Tuch mitbringen, um seinen Leichnam darin zu hüllen, sodann viele Kerzen, ein Kopfkissen sowie ein bestimmtes Gebäck, das er gerne aß.65 Die sorgfältige, ganz und gar unaszetische Inszenierung seines Begräbnisses paßt hervorragend zu Franziskus und trägt alle Merkmale historischer Zuverlässigkeit. Nach dem Bericht des Thomas von Celano traf Jacoba mit ihrem stattlichen Gefolge bei der Portiuncula ein, bevor der Brief abgesandt wurde. Damit sie an sein Sterbelager kommen konnte, setzte Franziskus kurzerhand die Klausurbestimmung außer Kraft: »Gepriesen sei Gott, der Frau Jacoba, unseren Bruder, zu uns gelenkt hat! Öffnet die Türen und führt sie herein, 64

So nannte er den Kardinal Hugolino in seinen Briefen: »Bischof der ganzen Welt«, längst bevor dieser Papst war (I Cel 100; Anal. Fr. 10,78). 65 III Cel 37. 38 (Anal. Fr. 10,286f.); Esser, Opuscula, 455–457. Die Legenda Perusina sagt näherhin, daß es sich bei der Süßspeise um Mandelmakronen handelte: »Illam autem conmestionem vocant Romani ›mortariolum‹, que fit de amygdalis et zucaro vel melle et aliis rebus« (Leg. Per. 8; ed. Bigaroni, 16).

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weil für Bruder Jacoba die Bestimmung über die Frauen nicht eingehalten werden muß.«66

3. Hymnen und Gebete Ermahnung zum Lobe Gottes Die »Exhortatio ad laudem Dei« ist ein Lied, das zur Gattung der Laude gehört. Es besteht aus einer lockeren Aneinanderreihung teils wörtlich, teils sinngemäß wiedergegebener Schriftstellen, in denen alle Geschöpfe zum Lobe Gottes eingeladen werden. Den Schluß bildet die Anrufung: »Sancte Michael Archangele defende nos in praelio.« Der Text befand sich ursprünglich auf dem Altarantependium des Eremitoriums von Cesi di Terni, auf das Franziskus verschiedene Geschöpfe hatte malen lassen. Es soll im Jahre 1500 noch vorhanden gewesen sein. Damals wurde das Lied abgeschrieben.67 Lobgesang auf die Tugenden Die Form eines Liedes hat auch die »Salutatio virtutum«. Thomas von Celano, der den ersten Vers zitiert, spricht von den »Laudes de virtutibus«.68 Sein Zeugnis ist das einzige aus dem 13. Jahrhundert für die Authentizität des Liedes. Doch sind das Vokabular und die gesamte Diktion für Franziskus typisch (z.B. die Benennung der Tugenden als sorores und dominae, der Gebrauch der Termini corpus, caro, spiritus, mundus).69

66 III Cel 38 (Anal. Fr. 10,287); vgl. Regula bullata, c. 11 (Esser, Opuscula, 370f.): dort wird den Brüdern das Betreten von Nonnenklöstern untersagt. Eine eigentliche Klausurbestimmung enthält aber weder die Regula non bullata noch die Regula bullata, da es ein »Kloster« im traditionellen Sinn im frühen Franziskanertum nicht gab. Doch sind für die Portiuncula schon zu Lebzeiten des Franziskus klosterähnliche Verhältnisse (umfriedeter Bezirk, Gebäude, Pforte) vorauszusetzen, wie u.a. das Gleichnis »De vera et perfecta laetitia« (o. I.1) beweist. Speziell für die Portiuncula hatte Franziskus besonders strenge Bestimmungen erlassen: Nicht nur Frauen, sondern weltlichen Personen überhaupt sollte der Zugang verwehrt bleiben: »Sic et omni saeculari personae omnis penitus praecludebatur introitus« (II Cel 19; Anal. Fr. 10,142); s.u. VII. Kapitel, bei Anm. 129–134. 67 Esser, Opuscula, 277–284. 68 II Cel 189 (Anal. Fr. 10,238): »Unde in Laudibus quas de virtutibus fecit, sic ait: ›Ave, regina sapientia! Dominus te salvet, cum tua sorore, pura sancta simplicitate!‹« 69 Esser, Opuscula, 421–430.

Quellen und Literatur

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Gruß an die heilige Jungfrau Ein kurzes Gebet an die Jungfrau Maria, für die Franziskus eine besondere Verehrung hatte. Es gehört ebenfalls der Gattung der Laude an, wird aber in allen Textzeugen als »salutatio« bezeichnet.70 Lobgesang Gottes des Allerhöchsten Es handelt sich um das Autograph des Franziskus, das auf der Vorderseite des »Schriftstücks für Bruder Leo« (Chartula fr. Leoni data) niedergeschrieben ist. Wie bereits erwähnt, befindet sich dieses Schriftstück noch heute im Sacro Convento in Assisi. Die Echtheit ist einmal bezeugt durch Thomas von Celano: Nach seiner Darstellung hatte während eines Aufenthaltes auf dem Berge La Verna einer von den Gefährten des Franziskus den Wunsch, ein von Franziskus selbst geschriebenes Schriftstück »aus Worten des Herrn« zu bekommen. Er hoffte, dadurch Befreiung oder wenigstens Erleichterung von einer schweren geistigen Versuchung zu erlangen. Ohne daß er diesen Wunsch geäußert hätte, habe Franziskus eines Tages nach Papier und Tinte verlangt und die Laudes und die verba Domnini für ihn aufgeschrieben.71 Der wichtigste Beweis für die Authentizität des Autographs sind aber die Bermerkungen, die Bruder Leo mit roter Tinte auf der Rückseite des Schriftstücks (d.h. der Seite mit dem Segen und der Zeichnung des Tau: s.u.!) hinterlassen hat und die über die Umstände der Entstehung und die Niederschrift genaue Auskunft geben.72 Segen für Bruder Leo Die Rückseite der »Chartula« enthält, ebenfalls von Franziskus’ eigener Hand, den alttestamentlichen Priestersegen (Num 6,24–26) in leichter Veränderung des Wortlauts, mit dem besonderen Bezug auf Bruder Leo: »Der Herr 70

Ebd. 413–420. II Cel 49 (Anal. Fr. 10,161). 72 »Beatus Franciscus duobus annis ante mortem suam fecit quadragesimam in loco Alvernae ad honorem beatae Virginis matris Dei et beati Michaelis archangeli a festo assumptionis sanctae Mariae virginis usque ad festum sancti Michaelis septembris; et facta est super eum manus Domini; post visionem et allocutionem Seraphim et impressionem stigmatum Christi in corpore suo fecit has laudes ex alio latere chartulae scriptas et manu sua scripsit gratias agens Deo de beneficio sibi collato.« Unter dem Text des Segens steht: »Beatus Franciscus scripsit manu sua istam benedictionem mihi fratri Leoni.« Unter der Zeichnung des »Tau mit Kopf« folgt schließlich die Rubrik: »Simili modo fecit istud signum thau cum capite manu sua« (Esser, Opuscula, 134–142; ebd. 136). Die wichtigste neuere Untersuchung über das Schriftstück ist: Duane Lapsanski, The Autographs on the »Chartula« of St. Francis of Assisi. AFH 67 (1974), 18–37; s. auch u. Kap. VI, bei Anm. 124–125. 71

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segne dich und behüte dich; er zeige dir sein Angesicht und sei dir gnädig; er wende sein Angesicht zu dir hin und gebe dir Frieden. Der Herr segne, Bruder Leo, dich.« Durch den Namen »Leo« hindurch geht ein großes Tau, das aus dem Munde eines unter einem Erdhügel beerdigten bärtigen Kopfes mit Kapuze herauswächst. Auf dieser Seite befinden sich die erwähnten Bemerkungen in roter Tinte von der Hand Bruder Leos.73 Lobgesang Gottes für die Geschöpfe (Sonnenlied) Der im Deutschen als »Sonnengesang« oder »Sonnenlied« bezeichnete Hymnus wurde von Franziskus in der umbrischen Volkssprache (Volgare) gedichtet.74 Der Textbestand ist im ganzen gesichert, doch machen die zahlreichen in den Handschriften überlieferten Varianten in der Schreibung der einzelnen Wörter eine kritische Edition unmöglich. Esser beschränkt sich deshalb in diesem Fall auf eine getreue Wiedergabe des Textes, den die älteste Handschrift, der Codex 338 der Biblioteca Comunale von Assisi (13./14. Jahrhundert),75 bietet. Nach alter Tradition (II Cel 213; Leg. Per. 83 Bigaroni; Spec. Perf.119f.) hat Franziskus das Lied während seiner letzten schweren Krankheit gemacht. Das Sonnenlied ist der wohl bekannteste, auch am häufigsten kommentierte und interpretierte Text des Franziskus. Fraglich ist schon die Bedeutung des mehrfach vorkommenden »per«: Ist es mit »für«, »wegen« oder mit »durch« wiederzugeben? Der Hymnus ist sodann überaus wichtig für das Welt- und Naturverständnis des Franziskus. Wir werden hierauf später zurückkommen.76 Lied für die »Armen Frauen« von San Damiano Die Legenda Perusina enthält einen ausführlichen Bericht, wonach Franziskus zur gleichen Zeit und an demselben Ort, wo er den Lobgesang Gottes für die Geschöpfe gedichtet (und komponiert) hatte, anschließend »auch einige heilige Worte mit Melodie dichtete, zum größeren Trost für die armen Frauen des Klosters San Damiano, vor allem weil er wußte, daß sie über seine Krankheit überaus betrübt waren.«77 Da er selbst wegen seiner Krankheit die Schwestern nicht aufsuchen konnte, schickte er ihnen durch seine Gefährten 73

S. die vorige Anm.! Nach der Legenda Perusina hat Franziskus selbst dem Lied den Titel »Sonnengesang« gegeben, vor allem weil er in der Sonne ein Symbol für Gott sah: »Nam Laudes Domini quas fecit, videlicet: Altissimo, omnipotente, bon Segnore, imponens illis vocavit nomen Canticum fratris Solis, qui est pulcrior omnibus aliis creaturis et magis Deo assimilari potest« (Leg. Per. 83; ed. Bigaroni, 236). 75 S.o. bei Anm. 21 und 32! Edition: Esser, Opuscula, 122–133. 76 S.u. VI. Kap., bei Anm. 48–61. 77 Leg. Per. 85 (ed. Bigaroni, 244). 74

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die Worte, mit welchen er ihnen auch seinen Willen in bezug auf ihre Lebensführung (Einmütigkeit in der Liebe!) kundtun wollte. Sein Hauptmotiv war das Mitgefühl (pietas) mit den Armen Damen, da er wußte, daß sie sowohl freiwillig wie aus Notwendigkeit (et volumptate et necessitate) ein beengtes und ärmliches Leben führten. Es folgt dann eine genaue Inhaltsangabe des Liedes.78 Giovanni Boccali fand 1976 nach einem Hinweis von Chiara Augusta Lainati den bis dahin verschollenen Originaltext des Liedes in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts, die sich im Klarissenkloster San Fidenzio in Novaglie bei Verona befindet. Es wurde inzwischen mehrfach, u.a. von C.A. Lainati in ihrer Einleitung zu den Schriften der heiligen Klara in den »Fonti Francescane«, veröffentlicht.79 Wir haben damit, neben dem Sonnenlied, einen zweiten Text des Franziskus im Volgare des 13. Jahrhunderts wiedergewonnen. (Leider sind die von Franziskus komponierten Melodien unwiederbringlich verloren). Der Vergleich des Textes mit der Inhaltsangabe der Legenda Perusina ist ein Beweis für die Altertümlichkeit der in letzterer festgehalteten Traditionen.80 Lobgesänge zu allen Horen Die »Laudes ad omnes horas dicendae« sind eine lockere Aneinanderreihung von biblischen und liturgischen Texten, ohne große Originalität. Nach dem Incipit hat sie Franziskus zu allen Horen des göttlichen Offiziums und auch vor dem Marianischen Offizium gebetet. Das Überwiegen von Texten aus der Apokalypse bezeugt die endzeitlich ausgerichtete Frömmigkeit des Franziskus.81

78 »Quapropter in eisdem verbis ipsas rogavit, ut sicut Dominus ex multis partibus in unum congregavit ipsas ad sanctam caritatem, sanctam paupertatem et sanctam obedientiam, ita in ipsis semper vivere et mori deberent; et specialiter ut de helemosinis, quas Dominus daret illis, cum ylaritate et gratiarum actione discrete suis corporibus providerent, et maxime ut sane in laboribus quos sustinebant pro infirmis suis sororibus, et infirme in suis infirmitatibus et necessitatibus quas patiebantur existerent pacientes« (Leg. Per. 85; ed. Bigaroni, 246). Vgl. u. Kap. X, Anm. 95! 79 FF, S. 2239f.; Giovanni Boccali, Canto di esortazione di San Francesco per le »poverelle« di San Damiano. Coll. Franc. 48 (1978), 5–29; jetzt auch in: Escritos de Santa Clara, ed. I. Omaechevarri´a (o. Anm. 11), 438f., und: Esser, Opuscula, 21989, Kapitel XXIX; zu dem Text s. die eingehende Untersuchung von Engelbert Grau: Verba exhortationis, »Audite poverelle« [Verb Exh], des heiligen Franziskus. Fr. Stud. 72 (1990), 47–69. 80 Dazu s.u. II.7 (bei Anm. 112–122). 81 Esser, Opuscula, 313–321.

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I. Kapitel

Auslegung des »Vater unser« Genau genommen handelt es sich um eine Paraphrase der einzelnen Bitten des Herrengebetes. Die Echtheit ist umstritten. Doch weist Esser auf den Unterschied zwischen Originalität und Authentizität hin, der auch bei anderen Schriften des Franziskus zu beachten ist: wenn auch Franziskus seine Gebete aus vielerlei Textvorlagen zusammenstückelte, können sie gleichwohl authentische Dokumente seiner Spiritualität und Frömmigkeit sein.82 Gebet vor dem Crucifixus Nach dem Rahmenbericht des 14./15. Jahrhunderts soll Franziskus dieses kurze Gebet gesprochen haben, als der Crucifixus von S. Damiano ihn zum Wiederaufbau seines Hauses aufgefordert hatte (1206). Außer dem lateinischen Text sind Übersetzungen in italienischer, oberdeutscher, niederdeutscher, spanischer und portugiesischer Sprache (aus dem 15. und 16. Jahhundert) erhalten. Das Gebet war also im Bereich der Volksreligion sehr beliebt. Die Echtheit läßt sich schwer nachweisen. Jedenfalls wird man zurückhaltender sein als Esser, der immerhin auf mögliche Anklänge zum Text des Gebetes in II Cel 10 (»totum se recolligit ad mandatum«) und 3 Soc 13 (»Libenter faciam, Domine«) hinweist.83 Gebet »Absorbeat« Das Gebet ist in der »Arbor vitae crucifixae Jesu« des Ubertino von Casale (1305) überliefert (Buch V, c. 4, fol. 218ra). Esser hält es für möglich, daß Franziskus das Gebet gekannt und verrichtet habe, doch sei die Verfasserschaft mehr als zweifelhaft. Er hat es deshalb nicht einmal unter die Dubia aufgenommen,84 was angesichts der Behandlung des viel später bezeugten Gebetes vor dem Crucifixus doch einigermaßen verwundert. Passions-Offizium Der Titel: »Officium Passionis Dominicae« stammt von Lucas Wadding. Es handelt sich jedoch um eine Zusammenstellung von Psalmen für die einzelnen Horen, die für das gesamte Kirchenjahr bestimmt war. Im Mittelpunkt steht allerdings die Meditation über die Passion und das Kreuz Christi. Eine

82 83 84

Ebd. 285–295. Ebd. 354–362. Esser, Opuscula, 47; Ders., Studien (o. Anm. 5), 282–286.

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auffällige Besonderheit ist die Antiphon »Sancta Maria Virgo«, die zu allen Horen als Antiphon, Kapitel, Hymnus, Versiculus und Oration zu beten war.85

85 »Sancta Maria Virgo, non est tibi similis nata in mundo in mulieribus, filia et ancilla altissimi summi Regis Patris caelestis, mater sanctissimi Domini nostri Iesu Christi, sponsa Spiritus Sancti. Ora pro nobis cum S. Michaele archangelo et omnibus virtutibus caelorum et omnibus sanctis apud tuum sanctissimum dilectum Filium, Dominum et magistrum« (Esser, Opuscula, 339; Edition ebd. 322–353).

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I. Kapitel

II. Lebensbeschreibungen des Franziskus Bei den Lebensbeschreibungen unterscheidet man in der Forschung zwischen »offiziellen« und »inoffiziellen«. Die ersteren entstanden im Auftrage des Papstes oder der Ordensleitung mit dem Anspruch, das »gültige«, »verbindliche« Franziskusbild für den Orden und die Kirche zu vermitteln. Hierzu gehören die beiden Legenden des Thomas von Celano und seine »Abhandlung über die Wunder des Franziskus« und die beiden Legenden des heiligen Bonaventura. Daneben kamen aus dem Kreis der engeren Gefährten andere Lebensbeschreibungen, die nicht selten eine den offiziellen Biographien gegenläufige Tendenz zeigen. Die wichtigsten dieser Schriften sind die »DreiGefährten-Legende« (3 Soc) und die Legenda Perusina (Leg. Per.). Das Alter der genannten Texte und ihrer möglichen Vorlagen sowie ihr Verhältnis untereinander sind Gegenstand der sogenannten »Franziskanischen Frage«.

1. Brief des Bruders Elias Nicht gerade eine Lebensbeschreibung, aber doch die erste Würdigung des Franziskus unmittelbar nach dessen Tode, enthält der Brief des amtierenden Generalministers Bruder Elias von Cortona an die Provinzialminister (der Orden hatte damals schon mindestens 13 Provinzen). Der erhaltene Text basiert auf dem Exemplar, das an den Provinzialminister von Frankreich, Bruder Gregor von Neapel (1223–1233), gerichtet war.86 Der Verfasser, der sich am Anfang und Schluß des Briefes als »frater Helias peccator« bezeichnet, teilt den Tod, letzten Segen und Vergebung, die Stigmata und die genaue Todesstunde des Franziskus mit. Die erste Edition des Briefes veranstaltete Wilhelm Spoelberch OFM in seinem Buch: Speculum Vitae B. Francisci et Sociorum eius, Antwerpen 1620, S. 103–106, nach dem damals noch im Konvent von Valenciennes aufbewahrten Original, das aber schon lange verschwunden ist. Den von Spoelberch wiedergegebenen Text hat Wadding 1625 im ersten Band seiner Annales Minorum (I,355f.) abgedruckt, von wo ihn dann später viele andere übernommen haben. 86 Epistola Encyclica de transitu S. Francisci, in: Anal. Fr. 10,523–528; Michael Bihl, De epistola encyclica Fr. Heliae circa transitum S. Francisci. AFH 23 (1930), 410–418; FF, S. 396.

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2. Erste Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (I Cel) Die Vita prima des aus Celano in den Abruzzen stammenden Bruders Thomas (c. 1190 – c. 1260) ist die erste ausführliche Biographie des Franziskus. Thomas hat sie gleich nach dessen Kanonisation (16.7.1228) im Auftrag des Papstes Gregor IX. (19.3.1227 – 22.8.1241) in den Jahren 1228–1229 verfaßt. Er gehörte zu den gelehrten Männern, die Franziskus 1214 oder 1215, nach seiner Rückkehr aus Spanien, bei der Portiuncula-Kirche selbst in den Orden aufgenommen hatte. Er war sodann einer von den 25 Brüdern, die Franziskus im Mai 1221, zusammen mit dem neuernannten Provinzialminister Caesarius von Speyer, nach Deutschland schickte.87 Er wurde dort zum verantwortlichen Oberen (Custos) für die Rheinlande mit den Städten Mainz, Worms, Köln und Speyer bestellt. Wann er nach Italien zurückgekehrt ist, ist nicht bekannt. Im Jahre 1228 weilte er wieder bei der Portiuncula. In Assisi war er Zeuge der Heiligsprechung des Franziskus durch Gregor IX., wovon er einen ausführlichen Bericht gibt (I Cel 121–126). In Assisi hat er auch 1246–1247 seine zweite Lebensbeschreibung und 1250–1252 die »Abhandlung über die Wunder des heiligen Franziskus« verfaßt (s.u.). Daß Thomas auch der Autor der »Legende der heiligen Klara« ist, die nach ihrem Tod (11.8.1253) im Herbst 1255 von dem Papst Alexander IV. (1254–1261) kanonisiert wurde, ist sehr unwahrscheinlich. Seine letzte Lebenszeit verbrachte Thomas in Tagliacozzo, in der Nähe seiner Heimatstadt Celano, wo er geistlicher Betreuer des bei der Stadt gelegenen Klarissen-Klosters war. Nach seinem Tode um das Jahr 1260 wurde er dort bestattet. Nach Aufhebung des Konvents übertrugen die Franziskaner-Konventualen von Tagliacozzo seine Gebeine im Jahre 1516 in ihre eigene Kirche. Sie ruhen dort seit dem 18. Jahrhundert unter dem Hauptaltar. Die zur Zeit maßgebende kritische Edition der Vita prima im 10. Band der Analecta Franciscana88 wurde, wie die der übrigen dort versammelten Lebensbeschreibungen des Franziskus, von Michael Bihl in Zusammenarbeit mit einigen Mitbrüdern aus dem Franziskanerorden erstellt. Sie basiert auf Handschriften, deren älteste aus dem 13. Jahrhundert stammen und die zum großen Teil in Cistercienser-Abteien überlebten. Denn das Generalkapitel der Franziskaner, das 1266 in Paris tagte, hatte auf Veranlassung des heiligen Bonaventura die Vernichtung aller älteren Franziskus-Biographien angeordnet. Im Orden gab es fortan nur noch die beiden Lebensbeschreibungen, die Bonaventura selbst verfaßt und auf dem Ordenskapitel von Pisa (1263) vorgelegt hatte.89 Die Vita prima des Thomas von Celano wurde erst in der zweiten 87

Chronica Fr. Iordani a Yano 19 (Anal. Fr. 1,8; ed. Boehmer, 22f.). Anal. Fr. 10,1–115; Einleitung zu I Cel ebd. III–XIX; s. ferner Stanislao da Campagnola in der Einleitung in FF, S. 219–225. 88

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Hälfte des 18. Jahrhunderts in einer Handschrift der Cistercienser-Abtei Longpont (Diözese Soissons) wiederentdeckt. Auf ihr beruht die erste neuzeitliche Edition, die die Bollandisten in den Acta Sanctorum veranstalteten (unter dem 4. Oktober: Bd. II, Antwerpen 1768, 683–723). Der Codex selbst ging inzwischen verloren. Beide Lebensbeschreibungen und die »Abhandlung über die Wunder« in deutscher Übersetzung finden sich in dem Band: Thomas von Celano. Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi, hrsg. von E. Grau (Franziskanische Quellenschriften, 5), Werl 31980.

3. Zweite Lebensbeschreibung des Thomas von Celano (II Cel) Auf dem Generalkapitel, das 1244 in Genua tagte,90 bat der neugewählte Generalminister Crescentius von Jesi (1244–1247) in einem Rundschreiben alle Brüder, falls sie zuverlässige Erinnerungen und Kenntnisse von Leben und Wundern des Franziskus besäßen, ihm diese schriftlich mitzuteilen.91 Auf der Grundlage dieses Materials sollte eine neue offizielle Franziskus-Biographie erstellt werden. Den Auftrag hierzu erhielt Thomas von Celano, der das Werk in den Jahren 1246–1247 niederschrieb. Fast zwei Jahrzehnte nach der Vita prima entstanden, ist die Vita secunda ein Zeugnis für den Wandel des Franziskus-Bildes, der sich inzwischen im Orden vollzogen hat. Dennoch enthält sie auch historisch wertvolle Nachrichten zum Leben des Franziskus.92 Die Vita secunda ist nur in ganz wenigen Handschriften erhalten, darunter dem sogenannten Codex Massiliensis, der erst 1898 bei der Versteigerung der Bibliothek des Fürsten Baldassare Boncompagni wieder auftauchte. Der um 1300 entstandene Pergament-Codex befindet sich heute in dem Generalarchiv der Kapuziner zu Rom.93 89 Gratien de Paris, Histoire de la fondation et de l’e´volution de l’Ordre des Fre`res Mineurs au XIIIe sie`cle, Roma 21982, 313. 90 Rosalind B. Brooke (Early Franciscan Government, Cambridge 1959, 248) datiert das Generalkapitel von Genua auf den 22. Mai, Stanislao da Campagnola (Einleitung in FF, S. 226), wohl eher zutreffend, auf den 4. Oktober. 91 Weder die Akten des Kapitels noch das Schreiben des Crescentius von Jesi sind erhalten. Die Tatsache der Aufforderung des Generalministers geht jedoch sowohl aus dem Brief der drei Brüder Leo, Rufinus und Angelus vom 11. August 1246 (Th. Desbonnets, Legenda trium sociorum. E´dition critique. AFH 67 [1974], 38–144; ebd. 89–90; s.u. II.6) wie aus dem Prolog des Thomas von Celano zu seiner Vita secunda hervor; spätere Bezeugungen: Salimbene de Adam, Cronica (ed. O. Holder-Egger, MGH SS 32,176) und: Chronica XXIV Generalium (Anal. Fr. 3,262). S. hierzu bes.: R. Manselli, Nos qui cum eo fuimus. Contributo alla questione francescana (Bibl. Ser.Cap., 28), Roma 1980, 7f. 92 Zu den wichtigsten Fragen der Vita secunda ausführlich: Stanislao da Campagnola, Einleitung in FF, S. 225–238.

Quellen und Literatur

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4. Abhandlung über die Wunder des Thomas von Celano (III Cel) Im Auftrag des Generalministers Johannes von Parma (1247–1257), der ein Anhänger der heilsgeschichtlichen und apokalyptischen Spekulationen des Abtes Joachim von Fiore war, schrieb Thomas von Celano 1252–1253 seinen Tractatus de miraculis S. Francisci. In ihm erscheint Franziskus nicht nur als überragender Wundertäter, sondern auch in seiner singulären Bedeutung für die Kirchen- und Heilsgeschichte. Als »neuer Mensch« tritt der stigmatisierte Franziskus an die Seite des gekreuzigten Christus. In der franziskanischen Bewegung ist ein neues Urchristentum lebendig geworden (vgl. vor allem III Cel 1–5). Wie die anderen frühen Schriften zum Leben des Franziskus verschwand auch dieses kostbare Werk nach dem Vernichtungsdekret des Generalkapitels von Paris 1266 (s.o. II.2). Der oben erwähnte Codex Massilienis ist bislang einziger Textzeuge und Basis der kritischen Editionen, deren erste der Jesuit F. van Ortroy besorgte.94

5. Weitere Lebensbeschreibungen der Frühzeit In starker Abhängigkeit von der Vita prima des Thomas von Celano stehen einige kleinere Legenden, die in den dreißiger Jahren des 12. Jahrhunderts entstanden sind. Für die historische Erforschung des Franziskus-Lebens sind sie von untergeordneter Bedeutung, sollen aber der Vollständigkeit halber hier genannt werden. Wahrscheinlich Thomas von Celano selbst hat um 1230 eine Legende zum Gebrauch innerhalb des Chorgebets geschrieben. Sie ist, wie beim Brevier üblich, in neun Lektionen eingeteilt.95 Auf der Basis der Vita prima des Celanesen hat sodann Julian von Speyer etwa 1232–1239, wahrscheinlich in Paris, seine Legende geschrieben.96 93 M. Bihl in der Praefatio, Anal. Fr. 10,XXX; zu den von Bihl aufgeführten kam seither noch eine fast vollständige Hs. hinzu; s. Sophronius Clasen, Legenda antiqua S. Francisci. Untersuchungen über die nachbonaventurianischen Franziskusquellen, Legenda trium sociorum, Speculum perfectionis, Actus B. Francisci et sociorum eius und verwandtes Schrifttum, Leiden 1967, 152f. 278; ders., Einführung zu: Die Dreigefährtenlegende des heiligen Franziskus, Werl 1972, 37. 94 Traite´ des Miracles de S. Franc¸ois d’Assise par le B. Thomas de Celano. Anal. Boll. 18 (1899), 81–174; bislang letzte Edition ist die von Bihl: Anal. Fr. 10,269–331; Einleitung ebd. XXXVI–XLII. 95 Legenda ad usum Chori: Anal. Fr. 10,118–126; Einleitung ebd. XIX–XXIV. 96 Vita S. Francisci: Anal. Fr. 10,333–371; Einl. ebd. XLII–XLIX. Deutsche Übersetzung: Julian von Speyer: Leben des heiligen Franziskus. Einführung und Übersetzung von Jason M. Miskuly (Franz. Quellenschr. 10), Werl Westf. 1989.

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I. Kapitel

Schließlich hat der Kleriker Heinrich von Avranches (Henricus Abricensis), vielleicht zwischen 1232 und 1234, eine Legende in Hexametern gedichtet, die er dem Papst Gregor IX. widmete.97 Heinrich zeigt sich über Einzelheiten der Biographie des Franziskus sehr gut unterrichtet. Sein zeitlicher und räumlicher Abstand von den Ereignissen ist sehr gering. Zahlreiche Augenzeugen müssen ihm persönlich bekannt gewesen sein. Seine Sprache ist von großer Präzision. Vielleicht ist diese Legende in der Forschung bisher noch zu wenig ausgewertet worden.

6. Die Drei-Gefährten-Legende (3 Soc) Die sogenannte Legenda trium sociorum war schon Lucas Wadding bekannt, doch wurde sie, ebenso wie I Cel, zum ersten Mal 1768 in den Acta Sanctorum der Bollandisten gedruckt.98 Die zur Zeit maßgebliche Edition ist die von The´ophile Desbonnets. Sie beruht auf 22 Handschriften, deren älteste auf den Anfang des 15. Jahrhunderts datiert werden.99 An 3 Soc entzündet sich ein Teil des Komplexes der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die unter dem Namen »Franziskanische Frage« in die Geschichte der Forschung eingegangen sind. Generell geht es bei der Franziskanischen Frage um das Alter, die gegenseitige Abhängigkeit und die historische Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit der einzelnen Lebensbeschreibungen.100 Zunächst stellt sich die Frage, ob der Brief aus Greccio vom 11. August 1246, den die drei Gefährten Leo, Angelus und Rufinus an den Generalminister Crescentius von Jesi richteten, ursprünglich zu dem Text von 3 Soc oder zu einer anderen Sammlung von Erinnerungen an Franziskus gehörte. Für letzteres können im Brief selbst Argumente gefunden werden. Es heißt nämlich dort, daß die Verfasser nicht in Form einer Legende schreiben wollen, da 97

Legenda Sancti Francisci versificata: Anal. Fr. 10,405–421; Einl. ebd. LI–LV. Acta Sanctorum Octobris, II,723–742; The´ophile Desbonnets, Legenda trium sociorum. E´dition critique. AFH 67 (1974), 38–144; ebd. 74. 99 Desbonnets, o.c. 39–41; Ders., La Le´gende des trois Compagnons. Nouvelles recherches sur la ge´ne´alogie des biographies primitives de saint Franc¸ois. AFH 65 (1972), 66–106; ebd. 67f.; italienische Übersetzung der 3 Soc: La leggenda dei tre compagni. Prefazione e note a cura di Ezio Franceschini, Milano 1987; s. auch das Handschriftenverzeichnis bei S. Clasen, Legenda Antiqua (o. Anm. 93), 41–166. 100 Zur Geschichte der Franziskanischen Frage ist grundlegend der Band: Societa` Internazionale di Studi Francescani: La »Questione francescana« dal Sabatier ad oggi. Atti del I Convegno internazionale, Assisi, 18–20 ottobre 1973, Assisi 1974; s. dazu auch den wichtigen Beitrag von Franz Xaver Bischof, Die »Franziskanische Frage« – Ein ungelöstes historiographisches Problem. Aus Anlaß der verbesserten deutschen Neuauflage des Werkes »Franziskus. Der solidarische Bruder« von Raoul Manselli. Münchener Theol. Z. 41 (1990), 355–382. 98

Quellen und Literatur

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es bereits genügend Franziskus-Legenden gebe. Sie wollen vielmehr nur einige »schönere Blumen« zu deren Ergänzung beitragen. Außerdem hielten sich ihre Aufzeichnungen nicht an die historische Reihenfolge der Ereignisse. Diese Merkmale treffen für 3 Soc nicht zu. Van Ortroy zog hieraus den Schluß, daß die echte Drei-Gefährten-Legende verloren gegangen und Thomas von Celano ihr Material in der Vita secunda verarbeitet habe. Sabatier dagegen folgerte aus dem Brief von Greccio, die ursprüngliche Drei-Gefährten-Legende sei um wesentliche Teile verkürzt worden. (Diese unterdrückten Teile glaubte er dann in dem Speculum perfectionis wiedergefunden zu haben, welches ja nicht in Form einer Legende geordnet ist und auf das somit die Charakterisierung des Briefes von Greccio zutrifft).101 Der Herausgeber Th. Desbonnets hält an der Zusammengehörigkeit von Brief und Legende fest mit der Begründung, daß der Brief in allen Handschriften der 3 Soc enthalten sei. Er erscheine zudem nur dort, sonst nirgendwo, weder allein noch in Verbindung mit einem anderen Dokument. »Deshalb meinen wir, daß der Brief von der Legende nicht getrennt werden darf, deren Los er folgen muß: mit ihr authentisch oder mit ihr falsch.«102 Aus einem Vergleich der Erzählung des Traums vom waffengefüllten Palast bei I Cel, 3 Soc und dem »Anonymus von Perugia« schließt Desbonnets, daß 3 Soc jünger sei als I Cel, jünger auch als der »Anonymus von Perugia«, den sie als Quelle benutze. Dagegen sei 3 Soc älter als II Cel. Die Entstehungszeit grenzt er so auf die Jahre 1235–1248 ein. Warum also nicht das durch den Brief von Greccio angegebene Datum 1246 annehmen?103 Dagegen bestreitet Lorenzo Di Fonzo die Zusammengehörigkeit von Brief und Legende: der Brief stehe im Widerspruch zum Inhalt der 3 Soc; er bezeuge eindeutig, daß die drei Gefährten an Crescentius von Jesi nicht eine fortlaufende Legende sandten, sondern unzusammenhängende Berichte über noch nicht allgemein bekannte Ereignisse, die den bereits in den Legenden enthaltenen hinzugefügt werden sollten. Di Fonzo nimmt als Entstehungszeit für 3 Soc die Jahre 1305–1312 an: später als die Legenda maior des heiligen Bonaventura, später auch als der »Anonymus von Perugia«, der auch nach Di Fonzo Quelle für 3 Soc ist. Weder Salimbene de Adam in seiner Chronik (1284–1288), noch Ubertino von Casale in der »Arbor vitae crucifixae Iesu« und den späteren Schriften (1305–1312) erwähnen 3 Soc.104 101 S. Clasen, Zur Kritik Van Ortroys an der »Legenda trium sociorum«, in: Miscellanea Melchor de Pobladura (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 23), Roma 1964, I,35–73; ebd. 36. 102 Desbonnets, Legenda (o. Anm. 98), 86. 103 Desbonnets, Le´gende (o. Anm. 99), 97; Synopse der drei genannten Texte ebd. 82–89. 104 L. Di Fonzo, L’Anonimo Perugino tra le fonti francescane del secolo XIII. Misc.

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I. Kapitel

Für die Spätdatierung der 3 Soc tritt auch Stanislao Da Campagnola ein: In der 3 Soc zeige sich, wie auch im »Anonymus von Perugia« (s.u. 7), bereits die Entfernung von der historischen Konkretheit und die Veränderung der geschichtlichen Fakten unter dem Einfluß einer längeren mündlichen Überlieferung. Geprägt von hoher Religiosität gebe sie eine Darstellung der frühesten Phase der franziskanischen Bewegung und des Weges des Franziskus hin zur Gleichförmigkeit mit Christus, so wie es den Vorstellungen mancher Kreise im Orden nach Bonaventura entsprach. Damit ist der historische Wert der 3 Soc für die Erforschung des Franziskuslebens ungefähr auf Null reduziert.105 Demgegenüber halten wir die Argumente, die Sophronius Clasen für eine Frühdatierung der 3 Soc vorgebracht hat, nach wie vor für sehr gewichtig.106 Wie aus zahlreichen Einzelvergleichen hervorgeht, hat Thomas von Celano in seiner zweiten Legende die 3 Soc als Vorlage benutzt. Sodann finden sich in 3 Soc Aussagen, die nur auf einer genauen Kenntnis der Verhältnisse der frühen franziskanischen Bewegung basieren können: die Auskunft der ersten (mit Franziskus) sieben Brüder gegenüber Leuten, die sie nach ihrem Orden fragten, sie seien Büßer aus der Stadt Assisi, »denn ihre religiöse Gemeinschaft wurde noch nicht als ›Orden‹ bezeichnet« (3 Soc 37); die Unterscheidung zwischen dem Amt des procurator (Kardinal Johannes de Sancto Paulo) und dem des protector (Kardinal Hugolino von Ostia nach dem Tod des Johannes von St. Paul: 3 Soc 61); die zweimalige jährliche Zusammenkunft aller Brüder bei der Portiuncula zum Kapitel, nämlich an Pfingsten und am Michaelstag (3 Soc 57). Noch weiter geht John Moorman, der annimmt, daß die Erzählungen über die Jugend des Franziskus in 3 Soc eine ursprünglichere Version sind als diejenigen in I Cel. Er zeigt dies am Beispiel der Erzählung vom Traum über den waffengefüllten Palast, den Franziskus auf seiner Reise nach Apulien hatte. Um eine genaue Textanalyse zu ermöglichen, hat Moorman die Versionen von 3 Soc 5 und I Cel 4f. in parallelen Kolumnen abgedruckt.107 In 3 Soc fragt Franziskus den Mann, der ihm erschienen ist, wem die Waffen und der Palast gehörten. Er erhält die Antwort (responsum est illi), das alles werde

Fr. 72 (1972), 117–483; ebd. 353–364; vgl. auch seinen Diskussionsbeitrag auf dem ersten internationalen Kongreß der Societa` Internazionale di Studi Francescani 1973: »Questione« (o. Anm. 100), 232–234. 105 FF, S. 249f. 106 Clasen, Kritik (o. Anm. 101), 65–69. 107 Moorman, Sources (o. Anm. 11), 72–75. Desbonnets, der von der gleichen Erzählung die drei Versionen von I Cel, 3 Soc und Anon. Per. nebeneinanderstellt, aber zu einem ganz anderen Ergebnis als Moorman kommt (s.o. bei Anm. 103), nimmt von dessen Hypothese überhaupt keine Kenntnis.

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doch geht dem keine Frage des Franziskus voraus. Daraus ergibt sich nach Moorman klar, daß 3 Soc die frühere Version der Erzählung enthält, I Cel aber, im Bestreben seine Quelle abzukürzen, sowohl die Erscheinung des Mannes wie auch die direkte Frage an Franziskus wegläßt, so daß die Antwort gewissermaßen im Leeren hängt. Moorman schließt daraus nicht, daß 3 Soc in ihrer gegenwärtigen Form Thomas von Celano als Quelle diente,108 aber daß sie doch auf denselben schriftlichen Quellen basiert, die auch von Celano für seine Vita prima benutzt wurden und die möglicherweise in der Bibliothek der Brüder in Assisi aufbewahrt wurden. Moorman ist der Ansicht, daß der Verfasser der Drei-Gefährten-Legende dieses Material geschickter und zuverlässiger genutzt hat als Thomas von Celano.109 Auch andere Erzählungen aus der Zeit der Bekehrung des Franziskus lassen, bei Vergleich der Texte von I Cel und 3 Soc, den gleichen Befund erkennen. Um nur noch ein Beispiel anzuführen: Nachdem sich Franziskus von dem Priester in der Portiuncula-Kirche das Evangelium von der Aussendung der Jünger hat erklären lassen, zieht er für sein zukünftiges Leben die Folgerung daraus. I Cel kleidet den Satz in die kunstvolle rhetorische Form der Klimax:

108 Die 3 Soc in ihrer gegenwärtigen Form ist wohl nach dem Tode Bernhards von Quintavalle (ca. 1242–1245) entstanden, denn sie spricht von ihm, wie auch der Brief von Greccio, als von einem bereits Verstorbenen: »frater Bernardus sanctae memoriae« (3 Soc 27; ed. Desbonnets, 110); »sanctae memoriae fratre Bernardo« (3 Soc 1; ebd. 89). Doch können solche Bemerkungen natürlich auch Interpolationen von späterer Hand sein, wie das Lob des Bruders Ägidius in I Cel 25 zeigt: ». . qui longo tempore durans, sancte, iuste ac pie vivendo, perfectae obedientiae, laboris quoque manuum, vitae solitariae, sanctaeque contemplationis nobis exempla relinquit.« Dieser Passus kann unmöglich schon 1229, sondern erst nach dem Tode des Ägidius (22. April 1260) geschrieben worden sein. 109 Die Ansichten Moormans wurden auf das heftigste bestritten von Michael Bihl: Contra duas novas hypotheses prolatas a Joh. R. Moorman adversus »Vitam I S. Francisci« auctore Thoma Celanensi cui substituere vellet sic dictam »Legendam 3 Sociorum«. AFH 39 (1946), 3–37. Moorman hat seine Hypothese auf dem ersten Kongreß der S.I.S.F. 1973 in der Diskussion erneut vorgetragen (»Questione« [o. Anm. 100], 217–220). In einer Vorbemerkung zum 1966 erschienenen Neudruck seines Buches »Sources« schreibt er dazu: »In reaching this conclusion I was using the fairly simple rules which I had learned in my New Testament studies at Cambridge some years before, which inable one to determine, generally without great diffculty, which of two texts appears to be the original and which the copy.« Den gleichen Standpunkt bezüglich der 3 Soc vertritt neuerdings Chiara Frugoni: »Ich selbst halte sie, in Übereinstimmung mit einer Minderheit anderer Autoren, für gleichzeitig, wenn nicht gar in einigen Teilen für früher entstanden als die Vita prima«: Die Träume in der Legende der drei Gefährten, in: Agostino Paravicini Bagliani, Giorgio Stabile (Hrsg.), Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien, Stuttgart-Zürich 1989, 73–90; ebd. 73; ebd. Anm. 1 Hinweis auf das Buch der Verfasserin: Francesco: un’altra storia, Genova 1988; vgl. zu der Frage auch: Giuseppe Nanni, Rilettura della Leggenda dei Tre Compagni. Stud. Fr. 79 (1982), 65–114; bes. 67.

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I. Kapitel

»Das ist’s, was ich will, das ist’s, was ich suche, dies begehre ich mit allen Kräften der Seele zu tun« (I Cel 22). In der 3 Soc heißt es schlichter: »Das ist es, sagte er, was ich mit allen Kräften erfüllen möchte« (3 Soc 25). Es kann wohl kein Zweifel sein, daß die letztere Form die literarisch ältere und der geschichtlichen Wirklichkeit nähere ist. Wir halten die Argumente für eine Frühdatierung der in 3 Soc enthaltenen Traditionen im ganzen für zutreffend. Doch kann der Brief der drei Brüder aus Greccio unmöglich zu der jetzt vorliegenden »Drei-Gefährten-Legende« gehören. Er würde jedoch zu den nicht in chronologischer Reihenfolge gegebenen Episoden und Berichten, wie sie in den Sammlungen des Speculum perfectionis und der Legenda Perusina enthalten sind, hervorragend passen. Die 3 Soc liegt in deutscher Übersetzung vor unter dem (irreführenden) Titel: Die Dreigefährtenlegende des heiligen Franziskus. Die Brüder Leo, Rufin und Angelus erzählen vom Anfang seines Ordens. Übersetzung und Anmerkungen von Engelbert Grau (Franziskanische Quellenschriften, Bd. 8), Werl 1972. Der Band enthält (S. 25–168) eine ausführliche Einführung in die literaturgeschichtliche Problematik von Sophronius Clasen.

7. Der Anonymus von Perugia (Anon. Per.) Der sogenannte »Anonymus Perusinus« ist eine verhältnismäßig kurze, in zwölf Kapitel eingeteilte Biographie des Franziskus in der Art einer Legende, der Drei-Gefährten-Legende sehr ähnlich. Der Herausgeber L. Di Fonzo hält ihn für die direkte Quelle und Vorlage der 3 Soc.110 Seine umfangreichen, detaillierten Untersuchungen zur Abhängigkeit der franziskanischen Quellen untereinander, so anregend und verdienstvoll sie für die Forschung sind, überzeugen jedoch nicht in jeder Weise. So kann das Verhältnis von Anon. Per. und 3 Soc durchaus auch anders sein, als Di Fonzo annimmt, nämlich umgekehrt, oder die Autoren beider Legenden können eine gemeinsame Quelle benutzt haben. Der Anon. Per. selbst nennt sich am Anfang seines Werkes einen Schüler der Gefährten des Franziskus. Di Fonzo glaubt in ihm den Bruder Johannes von Perugia († ca. 1270), den häufigen Gefährten und Beichtvater des Bruders Ägidius, identifizieren zu können.111 Doch auch diese Annahme, mit wieviel Wahrscheinlichkeitsgründen immer sie untermauert sein mag, bleibt rein hypothetisch. Der Anon. Per. war überliefert in einem Codex des 14. Jahrhunderts, der außerdem noch Schriften zum Leben des Bruders Ägidius enthielt. Er befand sich in der Sakristei der großen Franziskanerkirche S. Francesco al Prato zu 110 111

Di Fonzo, Anonimo (o. Anm. 104). Ebd. 396–409.

Quellen und Literatur

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Perugia, wo ihn der Bollandist Daniel Papebroch SJ im Jahre 1671 entdeckte. Die damals angefertigte Transkription ist noch bei der Socie´te´ des Bollandistes in Brüssel erhalten (Ms. 756). Der Codex selbst ging in den Jahren 1860–1872 verloren. Eine zweite Transkription (Kopie von 1808 der sog. Copia Tebaldiana von 1759) befindet sich im Generalarchiv der Franziskaner-Konventualen, im Convento dei SS. Apostoli zu Rom.

8. Die Legenda Perusina (Leg. Per.) Die Legenda Perusina ist eine lockere Zusammenfügung von Episoden aus dem Leben des Franziskus, die nicht nach der chronologischen Reihenfolge geordnet sind. Sie ist enthalten in einem einzigen Manuskript, Ms. 1046 der Biblioteca Comunale von Perugia. Ferdinand Delorme, der die Leg. Per. zum ersten Mal 1922 (unvollständig)112 und dann noch einmal 1926113 edierte, war der Meinung, es handele sich hier um das authentische Material, das die drei Gefährten 1246 zusammen mit ihrem Brief von Greccio aus an den Generalminister Crescentius von Jesi geschickt hatten; er gab dem Text deshalb den Namen: »Legenda antiqua«. Gleichfalls von der Annahme ausgehend, es handele sich um das Florilegium der drei Gefährten, veröffentlichte Jacques Cambell 1967 die Leg. Per. unter dem Titel: »Die Blumen der drei Gefährten«.114 1970 nahm Rosalind B. Brooke die Leg. Per. als Bestandteil in ihre hypothetische Rekonstruktion der »Schriften Leos, Rufinus’ und Angelus’« auf.115 Schließlich veröffentlichte Marino Bigaroni 1975 den vollständigen Text der Handschrift 1046 von Perugia (mit italienischer Übersetzung) unter der Bezeichnung: »Compilatio Assisiensis«. Der Herausgeber hat diesen Titel gewählt, weil der Codex mindestens bis 1381 zur Bibliothek des Sacro Convento in Assisi gehörte und dort auch (ca. 1310–1312) geschrieben wurde. Wir zitieren im folgenden die Leg. Per. nur nach dieser Ausgabe, und zwar mit Kapitel- und Seitenangaben.116 Sie enthält eine synoptische Tabelle für die 112 La »Legenda antiqua sancti Francisci« du Ms. 1046 de la Bibliothe`que Communale de Pe´rouse. AFH 15 (1922), 23–70; 278–332. Delorme hat die in II Cel enthaltenen und dem Wortlaut nach fast identischen Kapitel weggelassen; s. FF, S. 1289. 113 La »Legenda antiqua sancti Francisci«. Texte du Ms. 1046 (M. 69) de Pe´rouse, Paris 1926. 114 I Fiori dei tre compagni. Testi francescani latini ordinati con introduzione e note da fr. Jacques Cambell (mit Übersetzung ins Italienische von Nello Vian), Milano 1967. 115 R.B. Brooke, Scripta Leonis, Rufini et Angeli Sociorum S. Francisci. The Writings of Leo, Rufino and Angelo Companions of St. Francis, Oxford 1970. 116 »Compilatio Assisiensis« dagli Scritti di fr. Leone e Compagni su S. Francesco

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I. Kapitel

beiden Ausgaben von Delorme, II Cel und die verschiedenen Versionen des Speculum perfectionis (Little, Lemmens, Sabatier: s.u. 9). Synoptische Tafeln für die wichtigsten biographischen Quellen des Franziskus insgesamt finden sich in FF, S. 2479–2518. In der Leg. Per. und den verwandten Schriften werden die Berichte häufig durch das Zeugnis eines oder mehrerer Augenzeugen bekräftigt. Wie Raoul Manselli in seiner bekannten Untersuchung gezeigt hat,117 ist das Zeugnis der »Nos qui cum eo fuimus« nicht bloß literarische Fiktion, sondern es sind tatsächlich Zeitgenossen und Augenzeugen, die ihre Erinnerungen an Franziskus aufgezeichnet haben. Viele dieser Episoden tragen alle Merkmale der Ursprünglichkeit und Authentizität an sich. Sie passen in einen späteren Entwicklungs- und Bewußtseinszustand der franziskanischen Gemeinschaft gar nicht mehr hinein. So ist z.B. Terminus ante für die c. 13 berichtete Episode das Jahr 1260: es wird dort vorausgesetzt, daß sich der Konvent der Klarissen noch in S. Damiano befindet.118 Der Bericht über den Brand der Hütte auf dem Berg La Verna in c. 87 (wohl bei dem letzten Aufenthalt des Franziskus auf dem Berg im August/September 1224) scheint unmittelbar auf Bruder Leo zurückzugehen: es findet sich dort die historisch wertvolle Bemerkung, Franziskus habe sich immer, wenn er nicht die Messe hören konnte, vor dem Essen das Evangelium des Tages vorlesen lassen.119 Das noch im Protomonastero di S. Chiara in Assisi aufbewahrte Brevier des Franziskus enthält (auf fol. 1v) eine fast gleichlautende, von Bruder Leo stammende, handschriftliche Notiz.120 Die in der Leg. Per. und ähnlichen Sammlungen enthaltenen Traditionen gehören so mit zum wertvollsten Quellenmaterial für die Geschichte des Franziskus – besonders auch für seine innere Entwicklung121 – und der frühen franziskanischen Bewegung. Daß es sich dabei zum großen Teil um die Erind’Assisi. I edizione integrale dal Ms. 1046 di Perugia con versione italiana a fronte, a cura di Marino Bigaroni ofm., Porziuncola 1975. 1992 hat Bigaroni eine zweite, verbesserte Edition (II edizione integrale riveduta e corretta) herausgebracht, deren Paginierung von der der ersten geringfügig abweicht. 117 R. Manselli, Nos qui cum eo fuimus. Contributo alla Questione Francescana (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 28), Roma 1980. 118 ». . fenestra, per quam Christi ancille communicare solent»(!); ed. Bigaroni, S. 44, und ebd. S. 45, Anm. 30: »Si osservi il testo: ›tolta la grata di ferro dalla finestra, per dove sono solite ricevere la comunione‹: quindi quando si stilava questo testo le monache erano ancora a S. Damiano.« 119 ». . quoniam beatus Franciscus semper, cum non posset audire missam, volebat audire Evangelium illius diei antequam comederet« (ebd. S. 254). 120 »Fecit etiam scribi hoc evangelistare, ut eo die quo non posset audire missam occasione infirmitatis vel alio aliquo manifesto impedimento, faciebat sibi legi evangelium quod eo die dicebatur in ecclesia in missa«: Stephen A. Van Dijk, The Breviary of St. Francis. Franc. Stud. 9 (1949), 13–25; ebd. 20f.; vgl. FF 2696 (S. 2166). 121 Vgl. Stanislao da Campagnola, in FF, S. 256.

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nerungen handelt, die auf Anweisung des Crescentius von Jesi aufgezeichnet und ihm zugesandt worden waren, beweist allein schon die Tatsache, daß 53 der in der Leg. Per. (und im Spec. perf.: s.u. 9) enthaltenen Kapitel auch in II Cel aufgenommen wurden – womit nicht gesagt ist, daß die Leg. Per. schon in ihrer jetzt vorliegenden Form dem Thomas von Celano als Vorlage diente, sondern daß er Material benutzt hat, das später in Sammlungen wie der Leg. Per. und dem Spec. perf. zusammengestellt wurde. Bezüglich der Leg. Per. bemerkte Raoul Manselli, sie sei »eine Sammlung von Texten, über die man viel diskutiert hat und weiterhin diskutieren wird, deren Bedeutung unter den Erforschern des ältesten Franziskanertums aber immer offenkundiger wird.«122 Dem kann man nur zustimmen und hinzufügen, daß eine genauere philologische und historische Analyse der einzelnen Texte vermutlich noch manche überraschende Erkenntnis bringen wird.

9. Das Speculum perfectionis (Spec. perf.) Das Speculum perfectionis ist wie die Leg. Per. eine Sammlung von Einzelepisoden aus dem Leben des Franziskus. Der Inhalt ist weitgehend, oft bis in den Wortlaut, identisch mit dem der Leg. Per. 53 Kapitel des Spec. perf. sind sowohl in der Leg. Per. wie in II Cel enthalten. 90 Kapitel haben Parallelen in der Trilogie des Thomas von Celano. Sabatier, der das Spec. perf. in mehreren Handschriften entdeckte und 1898 zum ersten Mal edierte, war der Meinung, daß diese 90 Kapitel die direkte Quelle für Thomas waren. Er hielt das Spec. perf. für ein bereits 1227 verfaßtes Werk des Bruders Leo und damit für die »älteste Franziskuslegende« überhaupt,123 eine Ansicht, die er auch noch in seiner zweiten Edition von 1928/1931 festgehalten hat.124 Als Entstehungsdatum des Spec. perf. in seiner ausführlicheren Version wird heute in der Forschung das Jahr 1318 angenommen, das in einer der Handschriften angegeben ist. Der Text geht auf die gleiche Quelle wie die Leg. Per., möglicherweise sogar auf diese selbst, zurück; die Leg. Per. hat die ältere Textform und wohl auch die ursprüngliche Anordnung der Kapitel 122 R. Manselli, Dal Testamento ai Testamenti di San Francesco. Coll. Fr. 46 (1976), 121–129; ebd. 129. Zum historischen Wert der sogenannten »nicht-offiziellen« Quellen ist wichtig die Einleitung von Alfonso Marini zu: Vita del povero et humile servo de Dio Francesco dal ms. Capponiano-Vaticano 207, ed. Marino Bigaroni (Pubblicazioni della Bibl. Franc. Chiesa Nuova – Assisi, 4), Santa Maria degli Angeli – Assisi 1985. 123 Speculum perfectionis seu Legenda antiquissima sancti Francisci auctore fratre Leone, Paris 1898. Eine der von Sabatier entdeckten Handschriften trug das Datum des 11. Mai 1228 (d.h. nach unserer Zeitrechnung: 1227). 124 Le Speculum perfectionis ou Me´moires de fre`re Le´on sur la seconde partie de la vie de saint Franc¸ois d’Assise, 2 Bde., Manchester 1928. 1931 (Neudr. 1966).

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I. Kapitel

bewahrt.125 Die mit II Cel weitgehend identischen Kapitel hat Spec. perf. vielleicht aus der Leg. Per., nicht direkt aus II Cel übernommen. Eine kürzere und vermutlich ältere Version des Spec. perf. hat L. Lemmens (aus der Handschrift 1/73 von S. Isidoro in Rom) herausgegeben.126 Eine weitere Fassung des Speculum ist in dem von A.G. Little edierten und nach ihm benannten Manuskript enthalten.127 In den Kapiteln 153b, 154, 155, 187, 194, 195 und 197 glaubt J. Moorman jeweils einen der authentischen Texte (»rotuli«) identifizieren zu können, die Bruder Leo und Gefährten 1246 an den Generalminister schickten.128

10. Die beiden Lebensbeschreibungen des heiligen Bonaventura (Leg. mai., Leg. min.) Die beiden Lebensbeschreibungen des heiligen Bonaventura129 gehören wie die Trilogie des Thomas von Celano zu den »offiziellen« Franziskus-Biographien; d.h. es handelt sich um Arbeiten, die von Autoritäten der Kirche oder des Ordens in Auftrag gegeben wurden. Im Falle der Legenda maior ist es das Generalkapitel von Narbonne (1260), das den seit 1257 amtierenden Generalminister Bonaventura von Bagnoregio beauftragte, ein neues und offizielles »Leben des heiligen Franziskus« zu schreiben, das die zahlreichen damals schon existierenden Legenden ersetzen sollte. Der Frieden innerhalb des Ordens war zu dieser Zeit bereits erheblich gestört durch den Gegensatz zwischen den »Zelanten« (Spiritualen) und der in der Interpretation der Ordensregel laxeren Mehrheit, der »Kommunität«. Der Wunsch der Ordensleitung nach einer einzigen verbindlichen Biographie des Franziskus war wohl auch von der Hoffnung getragen, die auseinanderstrebenden Parteien zusammenzuhalten. So J.R.H. Moorman, Sources (o. Anm. 11), 132; vgl. auch Stanislao da Campagnola in FF, S. 257f. Das der Leg. Per. gegenüber jüngere Entstehungsdatum des Spec. perf. ergibt sich auch aus dessen c. 108, wo bereits der Weggang der Nonnen von S. Damiano nach S. Chiara vorausgesetzt ist (solebant!); vgl. o. Anm. 118! Neuere Darstellung der gesamten Problematik: Riccardo Infantino, Lo »Speculum perfectionis« nella »Questione francescana«. Anal. TOR 19 (1987), 411–459. 126 In: Documenta antiqua franciscana, Quaracchi 1901/1902; erneut herausgegeben von M. Bigaroni: Speculum perfectionis (minus). Introduzione di R. Manselli, Porziuncola 1983. 127 A.G. Little, Description of a Franciscan Manuscript, formerly in the Philipps Library, now in the possession of A.G. Little, in: Collectanea Franciscana I (British Society of Franciscan Studies 5, 1914),9–113. 128 Moorman, Sources (o. Anm. 107), 135. 129 Edition in Anal. Fr. 10,555–678; Einleitung ebd. LXII–LXXXI. 125

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Die Legenda minor ist nichts anderes als die abgekürzte Fassung der Legenda maior. Sie war für den Gebrauch innerhalb des Chorgebetes bestimmt und ist, entsprechend den ersten sieben Tagen der Oktav des Franziskus-Festes (4.–11. Oktober), in sieben Kapitel eingeteilt, von denen jedes neun Lektionen umfaßt. Am achten Tag wurde das Offizium des 4. Oktober wiederholt. Bonaventura hat beide Legenden in den Jahren 1260–1262 in Paris geschrieben. Sie lagen auf dem Generalkapitel von Pisa (20. Mai 1263) abgeschlossen vor. Auf dem nächsten Generalkapitel, das drei Jahre später (16. Mai 1266) in Paris tagte, wurde der verhängnisvolle Beschluß gefaßt, die älteren Franziskus-Legenden zu vernichten und nur noch die Legenda des Bonaventura als legitime Lebensbeschreibung innerhalb und außerhalb des Ordens zu dulden.130 Obgleich Bonaventura im Prolog der Leg. mai. den Eindruck zu erwecken sucht, er verdanke seine wichtigsten Informationen den noch lebenden Gefährten des Franziskus, so ist sein Werk doch im wesentlichen eine Kompilation aus den drei Büchern des Thomas von Celano. Hinzu kommen einige wenige Berichte von Augenzeugen, wie der des Bruders Illuminatus über den Besuch des Franziskus beim Sultan (Leg. mai. IX,8) und die Erscheinung des Seraphen (ebd. XIII,4), sowie der des Papstes Alexander IV., der persönlich die Stigmata gesehen hatte (ebd. XIII,8). Dagegen hat Bonaventura die in den nicht-offiziellen Legenden enthaltenen Sondertraditionen durchweg beiseite gelassen. Die Leg. mai., obwohl ein Werk von hohem literarischem Rang, trägt doch das Gepräge einer überaus kirchenfrommen Hagiographie an sich. Angesichts der massiven und tendenziösen Geschichtsklittereien, die sie enthält, erscheint die Apologie von M. Bihl, die Bonaventura eine lobenswerte moderatio zuschreibt, doch ein wenig fragwürdig.131 Eine deutsche Ausgabe hat S. Clasen herausgebracht unter dem Titel: Franziskus. Engel des sechsten Siegels. Sein Leben nach den Schriften des heiligen Bonaventura (Franziskanische Quellenschriften, Bd. 7), Werl 1962.

130 »Item praecipit generale Capitulum per obedientiam, quod omnes Legendae de B. Francisco olim factae deleantur, et ubi extra Ordinem inveniri poterunt, ipsas Fratres studeant amovere, cum illa Legenda, quae facta est per generalem Ministrum, fuerit compilata prout ipse habuit ab ore eorum, qui cum B. Francisco quasi semper fuerunt et cuncta certitudinaliter sciverint, et probata ibi sint posita diligenter« (A.G. Little, Definitiones Capitulorum Generalium Ordinis Fratrum Minorum 1260–1282. AFH 7 [1914], 676–682; ebd. 678 [Nr. 8]; zitiert in: Vita seraphici Doctoris per modum annalium enarrata, in: Bonaventura, Opera omnia 10,58f. und: Anal. Fr. 10,LXXII). 131 Anal. Fr. 10,LXX; vgl. auch: Giovanni Miccoli, Bonaventura e Francesco, in: S. Bonaventura Francescano (Convegni del Centro di Studi sulla Spiritualita` medievale, 14), Todi 1974, 47–73.

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I. Kapitel

Der Nachfolger des Bonaventura im Amt des Generalministers, Hieronymus von Ascoli (1274–1279), der spätere Papst Nikolaus IV. (1288–1292), wies, wohl im Bewußtsein des Ungenügens der Leg. mai., das zu Padua im Jahre 1276 tagende Generalkapitel schriftlich an, erneut über die denkwürdigen Taten des Franziskus und der anderen heiligen Brüder Nachforschungen anzustellen und ihm die Ergebnisse mitzuteilen.132 Fast wertlos als Quelle für das Leben des Franziskus ist der »Liber de laudibus«, den der Sekretär Bonaventuras, Bernhard von Bessa, als Ergänzung der Leg. mai. verfaßt hat. Das Werk ist im wesentlichen eine Sammlung von Erbauungs- und Wundergeschichten eher oberflächlichen Charakters.133

11. Die Actus Beati Francisci und die Fioretti Die Actus Beati Francisci et sociorum eius sind eine Sammlung von Episoden aus dem Leben des Franziskus und einiger Gefährten, in denen die Legendenbildung bereits weit fortgeschritten ist. Als Entstehungszeit werden die Jahre 1327–1340 angenommen. Autor oder Kompilator soll Hugolino von Montegiorgio sein.134 Für die Kenntnis des Franziskus-Lebens und des frühen Franziskanertums sind die Actus von sehr begrenztem Wert. Sie haben jedoch in ihrer italienischen Version, den berühmten Fioretti, die im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts in der Toscana entstanden ist, das Franziskus-Bild innerhalb und außerhalb Italiens nachhaltiger geprägt als jedes andere Werk. Die Actus/Fioretti enthalten Stücke von hoher dichterischer Qualität und tiefer Symbolik, wie die berühmte Erzählung über den Wolf von Gubbio (Fioretti, c. 21). In den Actus wird Franziskus zum ersten Mal ausdrücklich als alter Christus bezeichnet, und zwar im 6. und im 18. Kapitel.135 In den sich an die Fioretti 132 Anal. Fr. 10,LXXIII; der Brief selbst ist nicht erhalten; vgl. aber den Text des Beschlusses bei Little, Definitiones (o. Anm. 130), AFH 7 (1914), 681: »Iniungitur omnibus ministris, ut litteram reverendi patris generalis ministri missam ministris in capitulo Paduano, que sic incipit: Venerabilibus et in Christo dilectis etc., cum omni diligentia executioni studeant demandare, cuius tenor est, quod inquirant de operibus beati Francisci et aliorum sanctorum fratrum, aliqua memoria digna, prout in suis provinciis contigerit, eidem generali sub certis verbis et testimoniis rescribenda.« 133 Edition: Anal. Fr. 3, Quaracchi 1897, 666–698. 134 Actus Beati Francisci et sociorum eius, ed. Paul Sabatier (Collection d’E´tudes et de Documents, 4) Paris 1902; Floretum S. Francisci Assisiensis. Liber aureus qui italice dicitur I Fioretti di San Francesco, ed. P. Sabatier, Paris 1902; Actus Beati Francisci et sociorum eius. Nuova edizione postuma di Jacques Cambell a cura di Marino Bigaroni e Giovanni Boccali (Pubblicazioni della Biblioteca Francescana Chiesa Nuova – Assisi, 5), Santa Maria degli Angeli, Assisi 1988. 135 Actus, ed. Sabatier, 23. 64; ed. Cambell, 154/155. 250; Floretum, ed. Sabatier, 29 (dort c. 7); 244f. (c. 55).

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anschließenden fünf Betrachtungen über die Stigmata des Franziskus ist die Vorstellung der vollkommenen Konformität, ja Identität des Franziskus mit Christus voll entwickelt.

12. Das Sacrum Commercium Das Sacrum Commercium Beati Francisci cum Domina Paupertate ist eine allegorische Erzählung über die Begegnung des Franziskus und seiner ersten Gefährten mit der personifizierten Armut.136 Da einige Handschriften die Jahreszahl 1227 tragen, wird das Sacrum Commercium von manchen Forschern noch immer für ein Werk der franziskanischen Frühzeit gehalten, das möglicherweise von Johannes Parenti, dem zweiten Generalminister des Ordens, verfaßt worden sei. Andere schreiben es Johannes von Parma, dem Vorgänger des Bonaventura im Amt des Generalministers, zu. Wahrscheinlicher ist, daß hier einer aus der dritten Franziskaner-Generation (gegen Ende des 13. Jahrhunderts), der der radikaleren Richtung angehört, in idealisierender und verklärender Weise auf die glorreichen Anfänge der Bewegung zurückblickt. Die Hypostasierung der Armut zu einer offenbarenden Gestalt gehört in den Bereich franziskanischer Sondertheologie, der bereits sehr weit von allem entfernt ist, was innerhalb der Grenzen offizieller kirchlicher Lehre erlaubt und denkbar ist.

136 Editionen: Sacrum Commercium S. Francisci cum Domina Paupertate, ad fidem codicum mss., editum a PP. Collegii S. Bonaventurae Firenze-Quaracchi 1929; Sacrum commercium sancti Francisci cum domina Paupertate, ed. S. Brufani (Medioevo francescano. Testi, 1), S. Maria degli Angeli 1990; s. auch: K. Esser, Untersuchungen zum »Sacrum Commercium Beati Francisci cum Domina Paupertate«, in: Miscellanea Melchor de Pobladura I, Roma 1964, 1–33; jetzt auch in: Der Bund des heiligen Franziskus mit der Herrin Armut. Einführung, Übersetzung, Anmerkungen: K. Esser und E. Grau (Franz. Quellenschr., 9), Werl 1966; Stefano Brufani, Il Sacrum commercium: l’identita` minoritica nel mito degli origini, in: S.I.S.F. Dalla »Sequela Christi« di Francesco d’Assisi all’apologia della poverta`. Atti del XVIII Convegno internazionale, Assisi, 18–20 ott. 1990, Spoleto 1992, 203–222.

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III. Chroniken und weitere Zeugnisse In zahlreichen Chroniken und anderen Geschichtsquellen des 13. und 14. Jahrhunderts sind wertvolle Notizen über Franziskus und das frühe Franziskanertum enthalten.137 Wir gehen hier nur auf die nach Umfang und Inhalt bedeutendsten ein.

1. Chronik des Jordan von Giano Der Chronist Jordan stammte aus Giano im Spoleto-Tal, wo er um das Jahr 1195 geboren wurde. Er soll von Franziskus selbst in den Orden aufgenommen worden sein. Auf dem Generalkapitel von 1221 wurde er, noch Diakon, gegen seinen Willen in die Schar der Brüder eingereiht, die unter Führung des Caesarius von Speyer nach Deutschland ziehen sollten. 1223 wurde Jordan in Speyer zum Priester geweiht. Nach Italien kehrte er 1230 und noch einmal 1238 zurück. 1225 wurde er verantwortlicher Oberer (Custode) für Sachsen, 1241 für Böhmen und Polen. Auf dem Provinzialkapitel zu Halberstadt 1262 erhielt er den Auftrag, seine Erinnerungen über die Ankunft der Minoriten und die Entwicklung des Ordens in Deutschland zu diktieren. Die Chronik umfaßt den Zeitraum von 1209 bis 1262. Besonders lebhaft und lebensnah sind die Ereignisse des Jahrzehnts von 1219 bis 1229 geschildert, während der Bericht über die darauf folgenden Jahre im Stil trockener Annalistik verfaßt ist.138

2. Thomas von Eccleston: Die Ankunft der Minderbrüder in England Diese Chronik berichtet in fünfzehn Kapiteln über Ankunft, Ausbreitung und Organisation des Ordens in England. Sie umfaßt den Zeitraum von 1224 137

Eine Liste der nicht-franziskanischen Quellen findet sich in FF, S. 1839–1842. Editionen: Chronica fratris Iordani a Iano, in: Anal. Fr. 1, Quaracchi 1885, 1–19; Chronica fratris Iordani, ed. H. Boehmer (Coll. d’E´tudes et de Documents, 6), Paris 1908; deutsche Übersetzung: Nach Deutschland und England. Die Chroniken der Minderbrüder Jordan von Giano und Thomas von Eccleston. Lothar Hardick (Franz. Quellenschriften, Bd. 6), Werl Westf. 1957; über den Verfasser s.: Helmut Feld, Art. Jordan von Giano (Jordanus de Yano), in: BBKL 3 (1992), 643–645. 138

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bis 1257 und wurde 1258/1259 niedergeschrieben. Der Verfasser, seit 1232 Mitglied des Ordens, ist, wie auch Jordan von Giano, dem Bruder Elias gegenüber feindselig eingestellt, berichtet dagegen stets voller Sympathie über die zelatores ordinis, d.h. die Eiferer für die alte strenge Ordensdisziplin.139

3. Chronik des Salimbene de Adam Die Chronik des Franziskaners Salimbene de Adam aus Parma ist eine der wichtigsten Quellen überhaupt für das gesellschaftliche und religiöse Leben im 13. Jahrhundert. Der Chronist wurde am 9. Oktober 1221 als Nachkomme einer vornehmen und reichen Familie geboren. Er hieß ursprünglich Omne Bonum (Alles Gute). Am 4. Februar 1238 wurde er während eines Aufenthaltes des Generalministers Bruder Elias in Parma von diesem in den Orden aufgenommen. Sein Vater Guido de Adam versuchte, ihn wieder abspenstig zu machen, da er von den Franziskanern nichts hielt (in der Auseinandersetzung mit dem Sohn bezeichnet er sie als »Kuttenpisser«). Von einem ehemaligen Gefährten des Franziskus erhielt Omne Bonum später den Ordensnamen Salimbene (Steig gut ein). Salimbene hielt sich in zahlreichen Konventen Italiens und Frankreichs auf und lernte viele bedeutende Brüder der ersten Franziskaner-Generation persönlich kennen, aber auch Päpste, Bischöfe, Fürsten, Gelehrte und andere Persönlichkeiten. Seine Chronik umfaßt den Zeitraum von 1168 bis 1287. Sie zeichnet sich aus durch eine Vorliebe für das anekdotische Detail, die nicht selten in Klatschsucht ausartet. Besonders schlecht kommt Bruder Elias weg, dem er einen eigenen Liber de Prelato gewidmet hat, um an ihm das Exempel eines schlechten Prälaten zu statuieren. Das Autograph der Chronik Salimbenes ist in dem Cod. lat. 7260 der Vatikanischen Bibliothek erhalten.140

139 Editionen: Liber de adventu fratrum minorum in Angliam, in: Anal. Fr. 1, Quaracchi 1885, 215–256; Fratris Thomae vulgo dicti de Eccleston Tractatus de adventu Fratrum Minorum in Angliam, ed. A.G. Little (Collection d’E´tudes et de Documents, 7), Paris 1905; Manchester 21951 (besorgt von J.R.H. Moorman); deutsche Übersetzung: s.o. Anm. 138. 140 Editionen: Cronica Fratris Salimbene de Adam Ordinis Minorum, ed. O. HolderEgger (MGH SS 32), Hannover und Leipzig 1905–1913; Salimbene de Adam, Cronica. Nuova edizione critica a cura di Giuseppe Scalia, 2 Bde., Bari 1966; englische Übersetzung: The Chronicle of Salimbene de Adam. Joseph L. Baird, Giuseppe Bagliri and John Robert Kane (Medieval and Renaissance Texts and Studies, 40), Binghamton, New York 1986; über die Chronik s. bes.: Mariano d’Alatri, La Cronaca di Salimbene. Personaggi e tematiche (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 35), Roma 1988.

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4. Chronica XXIV Generalium Die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene »Chronik der 24 Generalminister des Ordens der Minderbrüder« enthält Biographien der meisten von den ersten Gefährten des Franziskus, sodann eine Chronik der wichtigsten Ereignisse in den Amtszeiten der ersten 24 Nachfolger des Franziskus bis zum Jahre 1374. Neben legendarischen Erzählungen im Stil der Fioretti (besonders schön das Stück über den Raben des heiligen Franziskus: Anal. Fr. 3,196f.) und unglaubwürdigen Wundererzählungen enthält die Chronik auch Berichte über die Frühzeit der Bewegung, die auf zuverlässige Traditionen zurückgehen.141

5. Ubertino von Casale: Arbor vitae Ubertino von Casale (ca. 1259–1325), einer der führenden Spiritualen, verfaßte seinen umfangreichen, in fünf Bücher gegliederten Traktat Arbor vitae crucifixae Iesu zwischen dem 9. März und dem 28. September 1305 auf dem Berge La Verna. Es geht ihm um die theologische Deutung des Lebens und der Passion Jesu. Im Sinne der apokalyptischen Geschichtsspekulation Joachims von Fiore wird mit Franziskus, dem »Engel des sechsten Siegels« der Apokalypse (Apoc 7,2), das Zeitalter der neuen Geist-Kirche eröffnet. Diese Kirche der wahren Nachfolger Christi und des Franziskus ist jedoch der Verfolgung durch die fleischliche Kirche – den unwürdigen Hochklerus im Verbund mit den laxen, vom Armutsideal abtrünnigen Ordensmitgliedern – ausgesetzt. Die Klage um die Dekadenz des Ordens durchzieht wie ein roter Faden das ganze Werk. Es enthält an verschiedenen Stellen wertvolle Überlieferungen zur franziskanischen Frühzeit, so die Nachrichten über die Aufzeichnungen Bruder Leos (»rotuli«), das Leben des Bruders Ägidius und die Episode über das Ordenskleid des Elias (Buch 5, Kap. 7).142

141 Edition: Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum, in: Anal. Fr. 3, Quaracchi 1897, 1–692. Übersetzung und Interpretation der »Wundersamen Geschichten von einem Raben, der dem heiligen Franziskus geschenkt wurde« jetzt in: Helmut Feld, Beseelte Natur. Franziskanische Tiererzählungen (Tübinger Gesellschaft. Asketische Schriften, 3), Tübingen 1993, 89–98. 142 Ubertinus de Casali, Arbor vite crucifixe Iesu, Venezia 1485 (Anast. Neudruck Torino 1961).

Quellen und Literatur

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6. Angelus Clarenus: Chronicon oder Historia septem tribulationum Ordinis Minorum Angelo von Chiarino (ca. 1260–1337) schrieb zwischen 1325 und 1330 seine »Geschichte der sieben Bedrängnisse des Ordens der Minderbrüder«.143 Wie Ubertino von Casale gehörte er der Richtung der »Spiritualen« an, und sein Werk ist die Geschichte der Verfolgungen, die diese vonseiten der »Kommunität« des Ordens zu erdulden hatten. Der Prolog und die erste Tribulatio enthalten eine Art Legende des Franziskus-Lebens. Der Autor führt, neben zahlreichen Zitaten aus dem Testament des Franziskus und der Regula bullata, auch mündliche und schriftliche Zeugnisse der Gefährten des Franziskus an, von denen einige nur hier, andere dagegen auch in Leg. Per., Spec. perf. und Actus B. Francisci überliefert sind. Bemerkenswert sind vor allem die Zitate aus zwei Werken Bruder Leos von Assisi: der Intentio Regulae und den Verba S. Francisci, die Angelus schon in sein Werk Expositio Regulae Fratrum Minorum144 übernommen hatte.

7. Bartholomäus von Pisa: De conformitate vitae Beati Francisci ad vitam Domini Iesu Das umfangreiche Werk »Über die Gleichförmigkeit des Lebens des heiligen Franziskus mit dem Leben des Herrn Jesus« hat weitgehend das Franziskus-Bild des Spätmittelalters geprägt. Von seinem Autor Bartolomeo de Rinonico wissen wir nicht viel mehr, als daß er aus Pisa stammte, in Bologna studierte und wahrscheinlich 1401 gestorben ist. Außer De conformitate, welches in den Jahren 1385–1390 entstanden ist, hat Bartholomäus noch mehrere andere Werke verfaßt.145 143 Angelus a Clarino: Chronicon seu Historia septem tribulationum Ordinis Minorum. Prima edizione integrale a cura di Alberto Ghinato (Sussidi e testi per la Gioventu` Francescana, 10), Roma 1959; von dieser Edition liegt nur der Textband vor, die Anmerkungen sind nicht mehr erschienen; Teileditionen von F. Ehrle in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters, 2 (1886), 106–164; 249–336; Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters II: Dokumente vornehmlich zur Geschichte der Valdesier und Katharer, hrsg. von I. v. Döllinger, München 1890; Felice Tocco, Le prime due tribulazioni dell’Ordine dei Minori, in: Rendiconti della R. Accademia dei Lincei, Classe di Scienze morali, storiche e filologiche. Ser. 5, 17 (1908), 3–32; 97–131; 221–236; 299–328. Von einer neuen Gesamtausgabe der Werke des Angelus Clarenus ist bisher Bd. 1 mit den Briefen erschienen: Angeli Clareni Opera. I. Epistole a cura di Lydia von Auw (Fonti per la storia d’Italia, 113), Roma 1980. 144 Ed. Livarius Oliger, Quaracchi 1912. 145 S. hierzu die beiden Einleitungen zur Edition des Werkes in Anal. Fr. 4 und 5, Quaracchi 1906/1912.

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I. Kapitel

Das Grundanliegen von De conformitate ist, die enge Parallelität von Leben und Wirken Jesu und des Franziskus aufzuzeigen. Der Autor stützt sich auf die Schriften des Franziskus selbst, II Cel, die Leg. mai. des Bonaventura, 3 Soc, Spec. perf., die sogenannte Legenda antiqua (weitgehend identisch mit der Leg. Per), aber auch auf mündliche Traditionen. Das Werk, das in zwölf Handschriften auf uns gekommen ist, ist die umfangreichste Kompilation über das Leben des Franziskus, die jemals verfaßt wurde. Hinsichtlich seines historischen und biographischen Wertes ist es sehr umstritten. Sicherlich sind die in älteren Quellen nicht überlieferten Traditionen, angesichts der in zwei Jahrhunderten fortgeschrittenen Legendenbildung, nur mit der allergrößten Zurückhaltung zu gebrauchen. In der Reformationszeit entzündete sich an De conformitate eine scharfe Polemik gegen die Franziskaner (Barfüßer) und ihre spezifische Ordenstheologie. Luther sah in dem Buch eine Ansammlung ungeheuerlicher Frechheiten und Blasphemien.146 1542 brachte Erasmus Alberus, Pfarrer und Superintendent in Neustadt Brandenburg, eine stark gekürzte und zum Teil auch polemisch glossierende Übersetzung des Werkes unter dem Titel: »Der Barfusser Münche Eulenspiegel und Alcoran« heraus. Luther verfaßte dazu die Vorrede, in der er u.a. ausführt, daß dieses Buch bei den Franziskanern als Evangelium gegolten habe; sie hätten auch der Christenheit Franziskus an Christi Statt vorgestellt und ihn zum Gott gemacht.147

8. Jakob von Vitry und andere nicht-franziskanische Autoren Eine Reihe von Quellen nicht-franziskanischen Ursprungs des 13. Jahrhunderts148 enthalten Nachrichten über Franziskus und die Minderbrüder, die manchmal das aus den franziskanischen Dokumenten Bekannte ergänzen, zuweilen aber auch durch Ungenauigkeiten und falsche Informationen Verwirrung stiften können. Wir weisen hier nur auf die bedeutendsten von ihnen hin. 146

S. in den Tischreden des Jahres 1532: WATir 2, Nr. 1692; 2649b. Luthers Vorrede: WA 53,406–411; über das Werk des Erasmus Alberus s. Anal. Fr. 5,XC–XCIX. 1556 erschien bei Conrad Badius in Genf eine lateinisch-französische Ausgabe mit dem Titel: L’Alcoran des Cordeliers, tant en latin qu’en franc¸ois: c’est a` dire, la mer des blasphe`mes et mensonges de cest idiote stigmatize´, qu’on appelle S. Franc¸ois, recueilli par le Docteur M. Luther du livre des Conformite´s de ce beau S. Franc¸ois; s. Paul Chaix, Alain Dufour, Gustave Moeckli, Les livres imprime´s a` Gene`ve de 1550 a` 1600 (Travaux d’Humanisme et Renaissance, 86), Gene`ve 21966, 27; zu dem Werk des Erasmus Alberus s. auch: Klaus Reblin, Freund und Feind. Franziskus von Assisi im Spiegel der protestantischen Theologiegeschichte (Kirche und Konfession, 27), Göttingen und Zürich 1988, 71–78. 148 S.o. Anm. 137. 147

Quellen und Literatur

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Allen voran stehen die Zeugnisse des Jakob von Vitry (Jacobus de Vitriaco), der als designierter Bischof von Akkon am 17. Juli 1216 nach Perugia kam. In einem Brief an seine Freunde in Lothringen berichtet er über seine zum Teil deprimierenden Erlebnisse in Italien und besonders an der päpstlichen Kurie (sehr eindrucksvoll seine Schilderung des ausgeraubten, nackten und schon in Verwesung übergehenden Leichnams des soeben verstorbenen Papstes Innocenz III.)149 Die »minderen Brüder und minderen Schwestern« erscheinen, ebenso wie die Humiliaten von Mailand, in sehr positivem Licht. Inmitten der Verworfenheit des päpstlichen Hofes und der verbreiteten Ketzereien sind sie für ihn ein großer Trost, da sie sich am Vorbild der Urkirche orientieren. Franziskus selbst wird merkwürdiger Weise in diesem Brief überhaupt nicht erwähnt, obwohl er damals in Perugia anwesend war. Vier Jahre später (1220) berichtet Jakob von Vitry in einem Brief aus dem von den Kreuzfahrern eroberten Damiette über die (vergebliche) Predigt des Franziskus unter den Sarazenen und sein Gespräch mit dem Sultan von Ägypten.150 Eine ausführliche Beschreibung der Lebensweise und der Ziele der Minderbrüder gibt Jakob schließlich in seiner Historia occidentalis.151 Hier bemerkt er u.a., die Franziskanerregel sei nicht so sehr eine neue Regel als vielmehr die Erneuerung der alten Lebensweise der Urkirche. Die Minderbrüder bezeichnet er als »Orden der wahren Armen des Gekreuzigten«. Recht ausführlich befaßt sich auch Matthäus von Paris in seiner Chronik mit Franziskus und den Minderbrüdern. Die Chronik enthält u.a. die sonst nirgendwo überlieferte Episode von der ersten Begegnung des Franziskus mit dem Papst Innocenz III. im Lateran: der Papst habe voll Unwillen über das ungepflegte Aussehen des Franziskus diesen höhnisch aufgefordert, sich mit den Schweinen im Schlamm zu wälzen, ihnen zu predigen und ihnen seine Regel zu geben.152 Richer von Sens hat in seiner bis zum Jahre 1264 reichenden Geschichte der Kirche von Sens einen ausführlichen Passus über die Vogelpredigt des 149

Edition des Briefes: Analekten zur Geschichte des Franciscus von Assisi, hrsg. von H. Boehmer, Tübingen und Leipzig 1904. 31961, 94–101; R.B.C. Huygens, Lettres de Jacques de Vitry (1160/1170–1240), e´ve`que de Saint-Jean-d’Acre, Leiden 1960, 71–78. Jakob wurde am 31. Juli 1216 durch den neugewählten Papst Honorius III. zum Bischof geweiht; 1228 wurde er Kardinalbischof von Tusculum (Frascati). Über sein Zeugnis s. R. Manselli, Franziskus, 177–185. 150 Boehmer, Analekten, 101–102; Huygens, Lettres, 123–133. 151 Boehmer, Analekten, 102–106; The Historia Occidentalis of Jacques de Vitry, ed. John Frederick Hinnebusch, Fribourg 1972, 158–163. 152 Matthaeus Parisiensis, Chronica maiora, ed. H.R. Luard, III, London 1876, 132. Der historische Wert der Nachricht ist zweifelhaft. Vgl. aber den Zusatz des Hieronymus von Ascoli in der Leg. mai. des Bonaventura, III,9a (Anal. Fr. 10,570): »Christi vicarius Christi famulum tamquam ignotum repulit indignanter«; s. hierüber ausführlicher u. IV. Kap., bei Anm. 131.

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I. Kapitel

Franziskus. Der Autor betont darin mehrmals, daß Franziskus den Vögeln gepredigt habe, »als ob er vernüftige Geschöpfe vor sich habe«, »als ob sie Menschen seien«.153 Eine der wertvollsten Nachrichten überhaupt, die wir über die Predigt des Franziskus besitzen, ist in der Chronik des Thomas von Spalato enthalten.154 Der Verfasser, der damals in Bologna studierte, war persönlich anwesend bei einer Predigt, die Franziskus an Mariae Himmelfahrt (15. August) 1222 auf der Piazza Comunale von Bologna hielt. Thema der Predigt war: »Die Engel, die Menschen, die Dämonen.« Franziskus sprach klar verständlich über diesen schwierigen Gegenstand, so daß auch die anwesenden Gelehrten beeindruckt waren. Der Vortrag war im Gesprächsstil, nicht in der üblichen Art einer Predigt angelegt. Das Äußere des Franziskus war unscheinbar, seine Kleider zerlumpt. Die Predigt hatte jedoch eine gewaltige friedensstiftende Wirkung, so daß uralte Familienfeindschaften und Blutrachefehden ein versöhnliches Ende nahmen. Von der Menge wurde Franziskus bereits als Heiliger verehrt: viele drängten zu ihm hin, um ihn zu berühren oder einen Zipfel seiner Kutte als Reliquie zu erwischen. Außer den genannten gibt es noch eine Fülle direkter und indirekter Zeugnisse, wie Inschriften, Lokaltraditionen und dergleichen, deren historischer Wert im Einzelfall geprüft werden muß. Nicht selten ergänzen oder bestätigen sie das, was wir aus anderen Quellen wissen. Man kann sie deshalb nicht einfach beiseite lassen.155

9. Dokumente der Römischen Kurie Die Päpste und ihre Ratgeber haben mit Hilfe von offiziellen Dokumenten immer wieder in die Entwicklung der franziskanischen Bewegung eingegriffen. Da die päpstlichen Bullen legislatorische Kraft besaßen, haben sie den Verlauf der Geschichte des Franziskanertums entscheidend geprägt. Letztlich haben sie alle mehr oder weniger zu seiner Domestizierung und Verkirchlichung beigetragen, d.h. sie haben die offenen und verborgenen revolutionären Elemente des Franziskanertums eliminiert, um es schließlich zu einem ganz normalen katholischen Orden, wie alle anderen, zu machen. Ja noch mehr: die

153

Richerius Senonensis, Gesta Senonensis Ecclesiae, MGH SS 25,306–307. Thomae Spalatensis Historia Pontificum Salonitarum et Spalatensium, MGH SS 29,580; Boehmer, Analekten, 106. Das Zeugnis des Thomas von Spalato ist umso wertvoller, als von den Predigten des Franziskus ansonsten sehr wenig überliefert ist; s.u. V. Kap., bei Anm. 40–52. 155 S. dazu vor allem: Leonard Lemmens, Testimonia minora saeculi XIII de S.P. Francisco. AFH 1 (1908), 68–84; 248–266. 154

Quellen und Literatur

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Päpste konnten sich in der Folgezeit gerade der Franziskaner als eines besonders geeigneten Instrumentes der Mehrung ihrer politischen Macht bedienen. Die die Minderbrüder betreffenden Dokumente der Römischen Kurie sind gesammelt in dem Bullarium Franciscanum, dessen vier ersten Bände von J.H. Sbaralea (Rom 1759–1768) herausgegeben wurden.156 Die Arbeit wurde erst gut ein Jahrhundert später fortgesetzt von C. Eubel mit den Bänden 5–7 (1898–1904) und einem Nachtragsband (Epitome: Quaracchi 1908). Der erste bedeutungsvolle Schritt in die von uns oben angedeutete Richtung war die Bulle »Cum secundum« des Papstes Honorius III. vom 22. September 1220.157 Durch sie wird eine einjährige Probezeit (Noviziat) der Aufnahme in den Orden vorgeschaltet. Einmal aufgenommene Professen können den Orden nicht mehr verlassen, dürfen auch von keinem anderen Orden aufgenommen werden. Das Ordenskleid darf nur von Brüdern innerhalb der Ordensdisziplin getragen werden, nicht von anderen herumziehenden Bettelmönchen oder Wanderpredigern. Derselbe Papst hat in der auf den 29. November 1223 datierten Bulle »Solet annuere«158 die endgültige Ordensregel (Regula bullata) im Wortlaut bestätigt. An der Ausarbeitung hatte der Kardinal Hugolino maßgeblichen Anteil. Mit dieser Bulle wurde die Regel der Minderbrüder Bestandteil der kirchlichen Gesetzgebung wie die kanonischen Regeln der seit langem bestehenden Orden. Weitere Bullen, die noch zu Lebzeiten des Franziskus von der Kurie ausgehen, erlauben den Minderbrüdern die Feier von Messe und Offizium in ihren eigenen Oratorien und beauftragen sie mit der Mission unter den Sarazenen.159 Nach dem Tode des Franziskus ordnet der Papst Gregor IX. in mehreren offiziellen Schreiben den Kultus des neuen Heiligen. Schon am 29. April 1228 regt er den Bau der Grabeskirche in Assisi an.160 In der Bulle »Is qui Ecclesiam« vom 22. April 1230 wird die auf dem »Paradieshügel« errichtete Kirche zur »Haupt- und Mutterkirche« des Ordens erhoben und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt.161 Die schon am 16. Juli 1228 erfolgte Heiligsprechung hatte der Papst in der Bulle »Mira circa nos« (19. Juli 1228) offiziell dokumentiert.162 156

Anast. Neudruck 1983–1984. Bull. Fr. 1,6. 158 Bull. Fr. 1,15–19. 159 »Quia populares tumultus« vom 3.12.1224 (Bull. Fr. 1,20); »Vineae Domini custodes« vom 7.10.1225 (ebd. 24). 160 »Recolentes« (Bull. Fr. 1,40–41). Der dort wiedegegebene Text ist jedoch ungenau. Den korrekten Text neben einer Fotografie der Bulle gibt Beda Kleinschmidt, Die Basilika S. Francesco in Assisi I, Berlin 1915, 17. 161 Bull. Fr. 1,60–62. 162 Ebd. 42–44. 157

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Der wohl entscheidendste und folgenschwerste Eingriff in die Entwicklung des Franziskanertums überhaupt ist die Bulle »Quo elongati« Gregors IX. vom 28. September 1230.163 In ihr wird das Testament des Franziskus jeglicher rechtlichen Verbindlichkeit entkleidet und als rein privates Schriftstück hingestellt. Das absolute Verbot gemeinschaftlichen Besitzes der Minderbrüder und das Geldverbot werden faktisch unterlaufen und ausgehöhlt. Angesichts wachsender Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen im Orden im Verlauf des 13. Jahrhunderts folgen weitere Regelerklärungen der Päpste, alle zweifellos in eklatantem Widerspruch zu dem Willen des Stifters. Die wichtigsten davon sind: »Ordinem vestrum« Innocenz’ IV. (14. November 1245),164 »Ordinem vestrum« Alexanders IV. (20. Februar 1257),165 »Exiit qui seminat« Nikolaus’ III. (14. August 1279).166 In diesem zuletzt genannten Dokument wurde, im Sinne der radikaleren Richtung des Ordens, festgehalten, daß die kollektive Armut des Ordens der Lehre und dem Beispiel Christi genau entspreche. Deshalb beriefen sich die »Spiritualen« in der Folgezeit immer wieder auf »Exiit qui seminat«. Die Regelerklärungen der Päpste im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts gingen jedoch einen anderen Weg und führten schließlich zum Ausschluß nicht nur der Spiritualen, sondern auch der übrigen Anhänger der strengeren Armutsauffassung aus Orden und Kirche. Entscheidende Schritte hierin sind die Bullen »Exivi de Paradiso« Clemens’ V. (6. Mai 1312),167 »Quia nonnumquam« Johannes’ XXII. (26. März 1322),168 und von demselben Papst: »Ad conditorem canonum« (8. Dezember 1322),169 »Cum inter nonnullos« (12. November 1323).170 In der zuletzt genannten Bulle erklärt der Papst den Kern der franziskanischen Armutsauffassung, nämlich daß Christus und die Apostel weder privaten noch gemeinsamen Besitz gehabt hätten, für häretisch.

163 Bull. Fr. 1,68–70; Herbert Grundmann, Die Bulle »Quo elongati« Papst Gregors IX. AFH 54 (1961), 3–25; Helmut Feld, Die Totengräber des heiligen Franziskus von Assisi. AKG 68 (1986), 319–350; ebd. 339–342; ausführliche Interpretation der Bulle »Quo elongati« u. VIII. Kap. 3. 164 Bull. Fr. 1,400. 165 Ebd. 2,196. Diese Bulle wiederholt den Wortlaut derjenigen Innocenz’ IV. 166 Bull. Fr. 3,404–416; Corp. Iur. Can. ed. Friedberg, II,1109–1121; Seraphicae Legislationis Textus Originales, Rom 1901, 13–24; über diese Bulle ausführlicher u. Kap. XI, bei Anm. 30–40. 167 Bull. Fr. 5,80–86; Corp. Iur. Can., ed.c. II,1193–1200. 168 Bull. Fr. 5,224f.; Corp. Iur. Can. II,1224. 169 Bull. Fr. 5,233–246; Corp. Iur. Can. II,1225–1229. 170 Bull. Fr. 5,256–259; Corp. Iur. Can. II,1229f.

Quellen und Literatur

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IV. Schriften und Zeugnisse zum Leben Klaras von Assisi Zu den Quellen der Frühgeschichte des Franziskanertums gehören notwendig die Schriften, die dessen weiblichen Zweig betreffen. Es sind vor allem die Werke Klaras selbst (Regel, Testament, Briefe), die Akten ihres Kanonisationsprozesses, ihre älteste Biographie und die sie betreffenden Dokumente der Römischen Kurie. Die die heilige Klara betreffenden Schriften sind ediert in: Seraphicae Legislationis Textus originales, Quaracchi 1897; Escritos de Santa Clara y Documentos complementarios. Edicion bilingu¨e. Introducciones, traduccion y notas de Ignacio Omaechevarri´a, Madrid 1970. 21982; Claire d’Assise, E´crits. Introduction, texte latin, traduction, notes et index, par Marie-France Becker, Jean-Franc¸ois Godet, Thadde´e Matura (Sources chre´tiennes, 325), Paris 1985; in deutscher Übersetzung: E. Grau, Leben und Schriften der hl. Klara von Assisi (Franz. Quellenschr., Bd. 2), Werl 51980; in italienischer Übersetzung: FF, S. 2207–2465 (mit vorzüglicher Einleitung von Chiara Augusta Lainati); s. ferner: I. Boccali, Concordantiae verbales opusculorum S. Francisci et S. Clarae Assisiensium, Assisi 1976.

1. Regel der heiligen Klara Die »Regel der heiligen Klara« oder »Lebensform des Ordens der Armen Schwestern von San Damiano« ist enthalten in der Bulle »Solet annuere« des Papstes Innocenz’ IV. vom 9. August 1253. Klara hatte nach lebenslangem Ringen mit den Päpsten Gregor IX. und Innocenz IV. zwei Tage vor ihrem Tode die Billigung einer Regel nach ihren Vorstellungen, d.h. in der die radikale Armutsforderung des Franziskus ohne Abschwächung enthalten war, erreicht. Das Original der Bulle wird bis heute in dem Protomonastero di Santa Chiara in Assisi aufbewahrt.

2. Testament Die Echtheit des Testamentes der heiligen Klara ist in der Forschung umstritten, da es in keiner alten Handschrift überliefert ist. Vom Inhalt her ergeben sich jedoch keine Bedenken gegen die Authentizität.171 Die ersten 171

Die wichtigsten Untersuchungen zur Echtheit des Testaments führt C.A. Lainati

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I. Kapitel

Anfänge ihrer Gemeinschaft, die Klara in einer Prophezeiung des Franziskus beim Wiederaufbau der Kirche San Damiano grundgelegt sieht – also noch bevor eine männliche Brüdergemeinschaft existierte! – werden wie alle entscheidenden Ereignisse der Gründungsphase dem Wirken Gottes selbst zugeschrieben. Im zweiten Teil des Testaments folgen Ermahnungen an die Schwestern, die wesentlichen Züge der gewählten Lebensform, vor allem die heilige Armut, unter allen Umständen treu zu bewahren.

3. Segen Der Segen der heiligen Klara in seiner geläufigen Form ist für alle Schwestern bestimmt. Er beginnt mit dem Text des Segens, den Franziskus für Bruder Leo aufgeschrieben hatte.172 Der Segen ist auch mit leichten Textvarianten und individueller Anrede an einzelne Schwestern (Agnes von Prag, Ermentrudis von Brügge) überliefert.

4. Briefe Von Klara sind insgesamt fünf Briefe, allerdings nicht in den Originalhandschriften, überliefert. Vier davon sind an Agnes von Prag adressiert. Agnes, Tochter des Königs Premysl Ottokar I. (1197–1230) und Schwester des Königs Wenzeslaus II. (1230–1253) von Böhmen, hatte zunächst ein Hospital zu Ehren des Franziskus errichtet. Danach gründete sie ein Frauenkloster, in das sie selbst am 11. Juni (Pfingsten) 1234 eintrat.173 Die Lebensform schloß sich eng an diejenige der Schwestern von San Damiano an. 1238 versuchte Gregor IX. dem Prager Frauenkloster eine eigene Regel zu geben. In diesem Zusammenhang ist der zweite Brief Klaras an Agnes von größtem Interesse: sie ermahnt darin Agnes, sich an die Ratschläge des Generalministers Bruder Elias zu halten, damit sie sicherer den Weg der göttlichen Gebote gehen könne; Ratschläge einer jeglichen anderen Person (es kann wohl nur der Papst gemeint sein), die im Widerspruch zu der gewählten Lebensform stünden, solle sie nicht befolgen, sondern sich an den armen Christus klammern. Der Gedanke in FF, S. 2268, an; s. auch: Diego Ciccarelli, Contributi alla recensione degli scritti di S. Chiara. Misc. Fr. 79 (1979), 347–374; ebd. 365–369 (Appendice I): Text des Testamentum Sanctae Clarae. 172 S.o. I.2, bei Anm. 60; Ciccarelli, o.c. 373–374 (Appendice II): Benedictio Sanctae Clarae. 173 Agnes von Böhmen wurde, während dieses Buch entstand, am 12. November 1989 durch den Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen.

Quellen und Literatur

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der Nachfolge des armen Christus und der Liebe zu ihm nach dem Vorbild des Franziskus ist im übrigen das Generalthema aller vier Briefe Klaras an Agnes.174 Die Briefe Klaras an Agnes von Prag sind ediert von Jan Kapistra´n Vyscocil, Legenda Blahoslavene´ Anezky a c tyri listy Sv. Kla´ry, Praha, Universum 1932; der Text dieser Edition ist wiederabgedruckt, mit einer Einleitung von P.L. Baraba´s: Le lettere di Santa Chiara alla Beata Agnese di Praga, riassunto dell’opera di J.K. Vyscocil, in: Santa Chiara d’Assisi. Studi e Cronaca del VII Centenario 1253–1953, Assisi 1954, 123–143. Gegen die Authentizität des Briefes an Schwester Ermentrudis von Brügge bestehen Bedenken: er ist lediglich bei Wadding (Ann. Min. 4,90–91) überliefert.

5. Protokolle des Heiligsprechungsprozesses Die Protokolle enthalten die sorgfältige Aufzeichnung der Aussagen, die die Schwestern von San Damiano, aber auch Bürger von Assisi, über Klaras Weggang von ihrer Familie und ihr Leben im Kloster machten. Mit dem Schreiben »Gloriosus Deus« vom 18. Oktober 1253 an den Bischof Bartolomeo Accorombani von Spoleto (1236–1271) hatte Innocenz IV. die Untersuchungen über Klaras Leben angordnet. Während das Original dieser Bulle im Protomonastero di Santa Chiara in Assisi aufbewahrt wurde und von jeher bekannt war,175 waren die Prozeßakten selbst, obwohl am Ende des 15. Jahrhunderts bekannt, wieder in der Versenkung verschwunden. Nach langen Recherchen entdeckte sie P. Zeffirino Lazzeri 1920 in der Privatbibliothek Landau (jetzt in der Biblioteca Nazionale zu Florenz) und veröffentlichte sie.176 Für die Kenntnis von Klaras Leben, ihrer Glaubensüberzeugungen und ihrer Spiritualität sind die insgesamt zwanzig Zeugenaussagen von allergrößter Bedeutung. Es sind im übrigen die ersten Akten eines Kanonisationsprozesses überhaupt, die in dieser Ausführlichkeit erhalten sind.

6. Legende der heiligen Klara Gleich nach der Heiligsprechung Klaras im Jahre 1255 (das genaue Datum ist unbekannt) beauftragte der Papst Alexander IV. einen Minderbruder mit 174

Hierzu ausführlich u. X. Kapitel! Bull. Fr. 1,684. 176 Z. Lazzeri, Il processo di canonizzazione di santa Chiara d’Assisi. AFH 13 (1920), 403–507. 175

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der Abfassung der Legende. Einige Forscher nehmen aus verschiedenen Gründen an, es sei kein anderer als Thomas von Celano, der Biograph des heiligen Franziskus, gewesen.177 Ein überzeugender Beweis für die Autorschaft des Celano konnte allerdings bisher nicht erbracht werden. Eine kritische Ausgabe der Legenda S. Clarae liegt leider nicht vor. Die Edition der Bollandisten in den Acta Sanctorum (August, Bd. II, 749ff.) ist selbstverständlich überholt, ebenso diejenige von F. Pennacchi auf der Basis des Codex 338 der Biblioteca Comunale von Assisi,178 da inzwischen zahlreiche weitere Handschriften entdeckt wurden. Aus ihrem Vergleich könnten sich Lösungen für die Fragen von Redaktion und Autorschaft der Legenda S. Clarae ergeben.

7. Päpstliche Dokumente Außer der bereits erwähnten Regel gibt es zwei Klara selbst betreffende päpstliche Dokumente, die von großer Bedeutung für die Geschichte des weiblichen Zweiges der franziskanischen Bewegung sind. Da ist zunächst das sogenannte Armutsprivileg, das Gregor IX. Klara am 17. September, sicherlich auf deren Insistenz hin, gewährte. Denn nachdem er Papst geworden war, versuchte Hugolino die Regel, die er bereits 1219 als Kardinal verfaßt hatte,179 für die franziskanisch orientierten Frauenklöster allgemein durchzusetzen. Diese Regel enthält keine ausdrückliche Verpflichtung zur kollektiven Besitzlosigkeit, die der Papst vielmehr Klara unbedingt auszureden versuchte. Umso mehr war Klara daran gelegen, das zentrale Anliegen des Franziskus für ihre Gemeinschaft abzusichern. Dem Privileg Gregors IX. ging schon ein ähnliches Innocenz’ III. aus dem Jahre 1215 voraus. Das Original des Privilegs ist im Protomonastero di Santa Chiara in Assisi noch erhalten; der Text wurde mehrfach publiziert.180 Das zweite Dokument ist die Kanonisationsbulle Klaras, »Clara claris praeclara«, die der Papst Alexander IV. zwischen August und Oktober in Anagni herausgehen ließ,181 und mit der der von Innocenz IV. im Oktober 1253 eröffnete Heiligsprechungsprozeß seinen Abschluß fand. 177 Vgl. dessen Bemerkung in der ersten Franziskus-Legende: »Et haec ad praesens de virginibus Deo dicatis et devotissimis ancillis Christi dicta sufficiant, cum ipsarum vita mirifica et istitutio gloriosa, quam a Domino papa Gregorio, tunc temporis Ostiensi episcopo, susceperunt, proprium opus requirat et otium« (I Cel 20: Anal. Fr. 10,18), und hierzu in FF, S. 427, Anm. 35. 178 F. Pennacchi, Legenda S. Clarae virginis, Assisi 1910. 179 Escritos, ed. Omaechevarri´a, 210–232. 180 Seraphicae Legislationis Textus originales, Quaracchi 1897, 22–24; 97–98; Regulae et Constitutiones Generales Monialium Ordinis S. Clarae, Rom 1973, 107–108; über die erwähnten Vorgänge ausführlich: u. X. Kap., bei Anm. 127–142. 181 Veröffentlicht im Anhang der Legenda, ed. Pennacchi (o. Anm. 178), 108–118, und bei Lazzeri, Processo (o. Anm. 176), 499–507.

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V. Bibliographische Orientierung Wir geben hier einen Überblick über die wichtigste grundlegende Literatur zu Franziskus und dem frühen Franziskanertum, eine Art Bibliographie raisonne´e, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Einführungen in das Franziskanertum Eine gute deutschsprachige Einführung in das Franziskanertum und die wichtigsten Probleme der Franziskus-Forschung mit einer Übersicht über Quellen und Hilfsmittel des Studiums lag bislang nicht vor. Wir versuchen, diesem Mangel mit dem vorliegenden Werk einigermaßen abzuhelfen. Ob seiner Kürze und der Treffsicherheit seiner Fragestellungen noch immer sehr nützlich ist das Werk des anglikanischen Bischofs John R.H. Moorman: The Sources for the Life of S. Francis of Assisi, Manchester 1940 (Neudruck Farnborough 1966). Es zeichnet sich aus durch ein scharfsinniges philologisch geschultes Textverständnis und überlegene Sachlichkeit. Nicht alle Thesen Moormans fanden jedoch allgemeine Anerkennung in der Forschung. Weniger perfekt, doch für den Kenner der italienischen Sprache vielleicht als erste Einführung in das Studium des Franziskanertums am besten geeignet ist: Teodosio Lombardi, Introduzione allo studio del Francescanesimo, Porziuncola-Assisi 1975 (s. auch u. V.2). Die bereits mehrfach genannte italienische Sammlung der wichtigsten franziskanischen Quellen: Fonti Francescane (FF), Padova 31982. 41990, enthält zu allen ihren Teilkomplexen vorzügliche Einleitungen und Anmerkungen namhafter Forscher, wie Feliciano Olgiati, Stanislao da Campagnola, Chiara Augusta Lainati u.a. FürdieGrundbegriffefranziskanischerTheologieundSpiritualitätliegtindem Dizionario Francescano, Padova 1983, ein wichtiges Nachschlagewerk vor, das vor allem auch wegen seiner umfangreichen Literaturangaben wertvoll ist. Noch immer grundlegend, wenn auch wegen der engagierten und naturgemäß parteiischen Haltung eines Franziskaners des 20. Jahhunderts mit Vorsicht zu benutzen, ist die Studie von Kajetan Esser: Anfänge und ursprüngliche Zielsetzung des Ordens der Minderbrüder (Studia et documenta franciscana, 4), Leiden 1966. An einen weiteren Leserkreis gerichtet und darum bemüht, die Bedeutung des ursprünglichen Franziskanertums (wie es sich in der Regula non bullata spiegelt) für die moderne Welt darzulegen, ist das kleine Buch des Schülers

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I. Kapitel

von Esser, David Flood: Fre`re Franc¸ois et le mouvement franciscain, Paris 1983. Flood vertritt die Ansicht, daß Gregor IX. durch die Kanonisierung (1228) und die erste Regelerklärung (»Quo elongati«: 1230) Franziskus, den er nicht verstanden habe, entsprechend seiner eigenen Weltsicht zurechtgestutzt und reduziert habe. Man müsse deshalb Franziskus »entkanonisieren« (S. 161). Sehr informativ, leider jedoch durch zahlreiche Druckfehler, ungenaue Übersetzungen und sonstige Unzulänglichkeiten entstellt, ist der Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung 1982 in der Minoritenkirche von Krems-Stein an der Donau: 800 Jahre Franz von Assisi. Franziskanische Kunst und Kultur des Mittelalters; darin u.a. die wichtigen Beiträge von Harry Kühnel: Die Minderbrüder und ihre Stellung zu Wirtschaft und Gesellschaft (S. 41–57), Engelbert Grau: Franziskusbiographie (S. 64–78), Ders.: Thomas von Celano. Biograph des heiligen Franziskus (S. 91–98), Chiara Augusta Lainati: Die heilige Klara von Assisi. Leben und Schriften (S. 99–121), Eliseo Onorati: Die franziskanische Bewegung in Italien (1200–1500) (S. 232–269). Unentbehrlich als Einführung in die franziskanische Forschung ist das Werk von Stanislao da Campagnola: Le origini francescane come problema storiografico, Perugia 1974. 21979, mit zahlreichen Literaturangaben.182 Erwähnung verdient schließlich noch der Essay von Wolfram von den Steinen: Zum Verständnis der Werke, in dem Band: Franz von Assisi, Die Werke. Sonnengesang. Ordensregeln. Testament. Briefe. Fioretti (Die Blümlein). Übersetzt von Wolfram von den Steinen und Max Kirschstein. Mit einem Essay von Wolfram von den Steinen (Diogenes Taschenbuch 201), Zürich 1979, 205–247. Der Essay zeichnet sich durch große Einfühlungsgabe und historisches Verständnis aus, obzwar manche der darin enthaltenen Deutungen fehlgehen.

2. Geschichte der franziskanischen Bewegung Die erste monumentale Geschichte des Franziskanertums ist zugleich »die größte Anstrengung auf dem Gebiet der franziskanischen Geschichtsschreibung nicht nur des 17. Jahrhunderts, sondern aller Zeiten«.183 Es sind die Annales Minorum des irischen Franziskaners Lucas Wadding, deren erster Band 1625 in Lyon erschien.184 Die Bände II und III folgten 1628 und 1635. 182 Ergänzend dazu: Costanzo Cargnoni, Origini francescane e storia della storiografia. Coll.Fr. 46 (1976), 365–407. 183 Stanislao da Campagnola, Origini, 112f. 184 Annales Minorum in quibus res omnes trium ordinum a S. Francisco institutorum

Quellen und Literatur

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Diese drei ersten Bände enthalten die Chronik der Jahre 1208–1351. Insgesamt schrieb Wadding 16 Bände, welche die Geschichte der Franziskaner bis zum Jahre 1540 fortschreiben. Eine zweite Auflage des gesamten Werkes erschien ab 1731 in Rom. Mit Fortsetzungen umfaßt sie 25 Bände. Man kann von Waddings Werk nicht die Anwendung von Maßstäben moderner historischer Kritik erwarten. Es mutet gelegentlich wie ein riesiger gelehrter Schuttabladeplatz an, auf dem zuverlässig Überliefertes und Legendäres kritiklos gemischt sind. Die Annales bleiben trotzdem eine wertvolle Fundgrube für viele Einzelheiten der franziskanischen Geschichte, die an keinem anderen Ort anzutreffen sind. Noch immer nützlich, wenn auch an einzelnen Punkten überholt, ist das »Handbuch der Geschichte des Franziskanerordens« von Heribert Holzapfel (Freiburg Br. 1909), das wir bereits erwähnt haben.185 Holzapfels Werk ist die einzige bislang in deutscher Sprache vorliegende umfassende Geschichte des Franziskanertums und seiner verschiedenen Zweige. Die Geschichte des ersten franziskanischen Jahrhunderts bis zum Ende der Spiritualen (d.h. bis zu ihrer Verdrängung ins häretische Abseits: 1318) umfaßt das monumentale Werk des Kapuziners Gratien de Paris: Histoire de la fondation et de l’e´volution de l’Ordre des Fre`res Mineurs au XIIIe sie`cle, das 1928 zum ersten Mal erschien.186 Eine zweite Auflage erschien 1982 in der Reihe: Bibliotheca Seraphico-Capuccina (Bd. 29). Sie enthält zu den einzelnen Kapiteln Spezialbibliographien von Mariano d’Alatri und Servus Gieben, die bis zum Jahre 1982 fortgeführt sind. Die gesamte mittelalterliche Geschichte des Franziskanertums (1209–1517) behandelt Fr. de Sessevalle in seiner zweibändigen Histoire Ge´ne´rale de l’Ordre de Saint-Franc¸ois (Paris 1935/1937). Eine Fortsetzung bis in die Neuzeit war vom Autor wohl geplant, wurde aber nicht ausgeführt. Besonders wertvoll wegen seiner reichen Quellenangaben ist das Werk von Raphael M. Huber aus dem Orden der Franziskaner-Konventualen: A Documented History of the Franciscan Order. From the Birth of St. Francis to the Division of the Order under Leo X. 1182–1517 (Milwaukee, Wis. and Washington, D.C. 1944). Den gleichen Zeitraum umfaßt die übersichtliche und sprachlich klare Darstellung in dem Buch des Bischofs John Moorman: A History of the Franciscan Order. From its Origins to the Year 1517, Oxford 1968. Das Werk enthält (S. 593–613) eine nach Sachgebieten geordnete Bibliographie. ex fide ponderosius asseruntur, calumniae refelluntur, praeclara quaeque monumenta ab oblivione vendicantur, I, Lugduni 1625. 185 S.o. Einleitung, Anm. 15. 186 S. die eingehende Würdigung des Werkes bei Stanislao da Campagnola, Origini, 221–224.

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I. Kapitel

Teodosio Lombardi hat seine oben erwähnte kurz gefaßte Einführung in das Franziskanertum mittlerweile zu einer ausführlichen Geschichte erweitert. Sie enthält auch ein Kapitel über Leben und Wirken der franziskanischen Gemeinschaften in der Gegenwart: Storia del Francescanesimo, Padova 1980.

3. Biographien des Franziskus In neuerer Zeit sind zahlreiche Lebensbeschreibungen des Franziskus erschienen, allerdings sehr unterschiedlichen Wertes. Am Beginn des großen Interesses an Franziskus und franziskanischen Themen im 20. Jahrhundert steht Paul Sabatiers Vie de Saint Franc¸ois d’Assise, erstmals erschienen 1894 in Paris, danach in zahlreichen Neuauflagen, bis zur E´dition de´finitive, Paris 1931. Angeregt durch den Franziskaner L. Lemmens, der »katholische Sabatier« zu werden,187 brachte der dänische Schriftsteller und Konvertit Johannes Jörgensen (1866–1956) im Jahre 1907 seine Biographie: Den hellige Franz af Assisi heraus. Das Buch wirkte vor allem in seiner italienischen Übersetzung (Palermo 11910; Neuausgabe: Assisi 1966; deutsch: Der heilige Franz von Assisi, Kempten und München 1908). Jörgensen war schon vorher durch sein Pilgerbuch bekannt geworden, in dem er über seinen Besuch an franziskanischen Orten Umbriens und des Tales von Rieti berichtet (Pilgrimsbogen, 1903; italienisch: Il libro del pellegrino; deutsch: Das Pilgerbuch. Aus dem franziskanischen Italien, Kempten 61922). Das Franziskusbild in den deutschsprachigen Ländern haben nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig die beiden Bücher des Kapuziners Hilarin Felder: Die Ideale des hl. Franziskus von Assisi (Paderborn 1923) und: Der Christusritter aus Assisi (Zürich 1941) bestimmt. In zahlreiche andere Sprachen übersetzt, hatten sie vor allem auch einen großen Einfluß auf den Ordensnachwuchs der Franziskaner jener Jahre. Für wissenschaftliche Zwecke am hilfreichsten unter allen zur Zeit vorliegenden Franziskus-Biographien dürfte diejenige von Omer Englebert sein: Vie de Saint Franc¸ois d’Assise. Nouvelle e´dition refondue et mise a` jour, Paris 1972 (11947). Die englische Ausgabe dieses Werkes enthält eine umfassende Bibliographie der Jahre 1939–1965: Saint Francis of Assisi. A Biography. Second English Edition revised and augmented by Ignatius Brady and Raphael Brown, with Introduction, Appendices and comprehensive Bibliography covering modern Research, Chicago 1965.188 Stanislao da Campagnola, Origini, 197. R. Brown hat die Bibliographie bis 1969 fortgeführt in: St. Francis of Assisi: Omnibus of Sources, Chicago 1973, S. 1667–1760. 187 188

Quellen und Literatur

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In Italien sehr verbreitet ist die Nova vita di San Francesco von Arnaldo Fortini (Assisi 11926; 21959: 4 Teile in 5 Bänden), ein Werk, das wegen zahlreicher inhaltlicher und formaler Mängel mit Vorsicht zu benutzen ist.189 Wir nennen außerdem noch zwei italienische Biographien: Raoul Manselli, San Francesco d’Assisi, Roma 21981; Luigi Salvatorelli, Vita di San Francesco d’Assisi, Torino 1982. Das Buch des leider zu früh verstorbenen großen Gelehrten R. Manselli ist mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen unter dem Titel: Franziskus. Der solidarische Bruder, Zürich 1984; Freiburg 21995. Zusammen mit dem Buch des Rostocker Professors Gert Wendelborn: Franziskus von Assisi. Eine historische Darstellung, Leipzig 1977, gehört es zu den wissenschaftlich wertvollsten und sachlich fundiertesten Werken über Franziskus. Ohne Anmerkungen, jedoch solide auf der Basis der Quellen gearbeitet, sind die beiden kurzen Biographien von Werner Goez in seinen: Gestalten des Hochmittelalters. Personengeschichtliche Essays im allgemeinhistorischen Kontext (Darmstadt 1983, 315–330) und Ulrich Köpf in: M. Greschat (Hrsg.), Gestalten der Kirchengeschichte (Bd. 3, Mittelalter I, Stuttgart 1983, 282–302). Als zuverlässige Kurzinformation und erste Einführung in Leben und Absichten des Franziskus ist vor allem das letztere geeignet. Zahlreiche Bücher auch bedeutender Schriftsteller, die für sich genommen den Anspruch von Kunstwerken erfüllen mögen, sind dagegen für die Kenntnis des geschichtlichen Franziskus von Assisi so gut wie wertlos, ja sie bieten oft ein falsches, durch subjektive Anmutungen und Vermutungen verzerrtes Bild des Heiligen. So sagen sie in der Regel mehr über die Vorstellungen ihres Autors aus als über das angegebene Thema. Dies gilt z.B. für das vielgepriesene Buch von Julien Green: Fre`re Franc¸ois, Paris 1983 (deutsch: Bruder Franz, Freiburg Br. 1984). Ein Jahr vor seinem Tod (1956) veröffentlichte Nikos Kazantzakis (1883–1957) seinen berühmten Franziskus-Roman, dem er den Titel gab: Mein Franz von Assisi (Reinbek bei Hamburg 1981). Das Buch enthält, wie alle Werke dieses Autors, tiefe und anregende Gedanken; doch ist die Hauptgestalt des Romans eben »sein« Franziskus und nur zum Teil die geschichtliche Persönlichkeit des Heiligen. Hermann Hesse hat schon 1904 eine Art moderner Legende des Franziskus in altertümelndem Deutsch verfaßt; sie spiegelt die persönliche Begegnung des Autors mit Franziskus, auf dem Hintergrund der umbrischen Kunst und Landschaft, wider (jetzt in: H. Hesse, Italien, hrsg. von Volker Michels [suhrkamp taschenbuch 689], Frankfurt M. 1983, 418–462). In den Bereich der fantastischen Literatur gehört das Buch von Peter Berling: Franziskus oder Das zweite Memorandum. Aus den geheimen Aufzeichnungen des Guido II, Bischof von Assisi, München 1989, wenngleich es mit einer großen Menge historischer Details angereichert ist. 189

Vgl. auch die Kritik von Stanislao da Campagnola, Origini, 254f.

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I. Kapitel

4. Wissenschaftliche Zeitschriften Für den Forscher und Liebhaber franziskanischer Fragen unentbehrlich sind die Fachzeitschriften, von denen die meisten in Italien erscheinen. Die älteste wissenschaftliche, speziell franziskanischen Problemen gewidmete Zeitschrift sind die Miscellanea Franciscana. Gegründet 1886 durch den bedeutenden Gelehrten Don Michele Faloci Pulignani aus Foligno, wurden sie später von den Franziskaner-Konventualen weitergeführt. Ab 1899 erschienen in Paris Les E´tudes Franciscaines der französischen Kapuziner (neue Folge ab 1950). Seit dem gleichen Jahr existieren die Estudios Franciscanos der Kapuziner von Barcelona. 1903 unter dem Namen La Verna in Arezzo gegründet, werden die Studi Francescani seit 1929 in dritter Folge von den Franziskanern in Florenz herausgegeben. 1908 gründeten die Franziskaner-Observanten des Konvents von Quaracchi bei Florenz das Archivum Franciscanum Historicum. Nach Verlegung des berühmten Forschungszentrums nach Grottaferrata bei Rom kommt diese wohl bedeutendste franziskanische Zeitschrift seit 1971 von dort. Die Franziskanischen Studien der deutschen Observanten erschienen zunächst (ab 1914) in Münster, Westfalen, dann seit 1936 in Werl. Größere Untersuchungen werden in Beiheften veröffentlicht. In Frankreich kamen von 1924 bis 1931 acht Jahrgänge der Revue d’Histoire Franciscaine heraus. Die Professoren der Hochschule der Franziskaner-Observanten in Rom, San Antonio, geben seit 1926 ihre Zeitschrift Antonianum heraus. 1931 gründeten die Kapuziner des Kollegs San Lorenzo da Brindisi in Assisi die Collectanea Franciscana. Seit 1941 vom Historischen Institut der Kapuziner in Rom betreut, ist diese Zeitschrift besonders wertvoll wegen ihrer umfangreichen Bibliographien. Das gleiche Institut gibt außerdem noch die Bibliographia Franciscana heraus. Der Jahrgang 56 (1986) enthält (S. 225–247) eine Nachlese zu zahlreichen wichtigen Veröffentlichungen aus Anlaß des Jubiläumsjahres 1982 in der Sammelrezension von Oktavian Schmukki und Theo Jansen (Nachhall zu einem Geburtszentenar. Neuere Franziskusliteratur). Die Zeitschrift der flämischen Minderbrüder in Belgien erschien zunächst 1914 unter dem Namen Neerlandica Franciscana. 1946 wurde der Namen in Franciscana geändert. Die Collectanea Franciscana Neerlandica kamen erstmals 1927 heraus. Die Franciscan Studies werden seit 1941 von dem amerikanischen Studienzentrum der Franziskaner St. Bonaventure College in New York veröffentlicht.

Quellen und Literatur

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Die Zeitschrift Laurentianum der italienischen Kapuziner (seit 1955) wurde speziell für die Untersuchung franziskanischer Rechtsprobleme gegründet. Unter den jüngeren Periodica haben sich die Analecta Tertii Ordinis Regularis Sancti Francisci bereits ein hohes Ansehen erworben. Von ihnen lagen bis 1992 23 Bände vor. Außer den hier erwähnten gibt es noch viele andere franziskanische Zeitschriften. Auch in den volkstümlichen unter ihnen sind unter Umständen wertvolle Nachrichten und Anregungen zu finden. Einen besonderen Hinweis verdienen noch die zum Jubiläumsjahr 1982 erschienenen Ausgaben der größeren franziskanischen Periodica, weil sie speziell zu Franziskus selbst wichtige Beiträge enthalten: Misc. Fr. 82, AFH 75, Antonianum 57 (De sancto Francisco et Ecclesia), Laurentianum 23, Analecta TOR 15.

5. Kongresse Vor allem in Italien finden zahlreiche auf franziskanische Fragen spezialisierte wissenschaftliche Kongresse und Kolloquien statt, deren Akten anschließend publiziert werden. Einen hervorragenden Rang nehmen die seit 1973 alljährlich im Oktober in Assisi veranstalteten Tagungen der Societa` Internazionale di Studi Francescani ein. Der erste Kongreß war der Entwicklung der sogenannten »Franziskanischen Frage« gewidmet: La »Questione Francescana« dal Sabatier ad oggi, Assisi 1974. Die nächsten sieben Kongresse der S.I.S.F. beschäftigten sich dann mit der Geschichte des Franziskanertums im 13. Jahrhundert: 2. 1974: La poverta` del secolo XII e Francesco d’Assisi, Assisi 1975. 3. 1975: Chi erano gli Spirituali, Assisi 1976. 4. 1976: Francesco d’Assisi e Francescanesimo dal 1216 al 1226, Assisi 1977. 5. 1977: Assisi al tempo di San Francesco, Assisi 1978. 6. 1978: Espansione del Francescanesimo tra Occidente e Oriente nel secolo XIII, Assisi 1980. 7. 1979: Movimento religioso feminile e Francescanesimo nel secolo XIII, Assisi 1980. 8. 1980: Francescanesimo e vita religiosa dei laici nel ’200, Assisi 1981. Seit 1990 erscheinen die Kongreßakten in Spoleto: 18. 1990: Dalla »Sequela Christi« di Francesco d’Assisi all’apologia della poverta`, Spoleto 1992. 19. 1991: I compagni di Francesco e la prima generazione minoritica, Spoleto 1993.

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I. Kapitel

Wichtig für die Ideen- und Frömmigkeitsgeschichte des Mittelalters sind die Kongresse, die das Centro di Studi sulla Spiritualita` Medievale in Todi veranstaltet. Von besonderem Interesse für die franziskanische Forschung sind: 1. 1957: Jacopone e il suo tempo, Todi 1959. 5. 1962: Il dolore e la morte nella spiritualita` dei secoli XII e XIII, Todi 1967. 8. 1967: Poverta` e ricchezza nella spiritualita` dei secoli XI e XII, Todi 1971. 9. 1968: San Francesco nella ricerca storica degli ultimi ottanta anni, Todi 1971. 14. 1973: S. Bonaventura Francescano, Todi 1974. 16. 1975: Bernardino predicatore nella societa` del suo tempo, Todi 1976. Außerdem seien noch erwähnt: Filosofia e cultura in Umbria tra Medioevo e Rinascimento. Atti del IV Convegno di Studi Umbri, Gubbio 22–26 maggio 1966, Perugia 1968. L’Ordine della penitenza di San Francesco d’Assisi nel secolo XIII. Atti del Convegno di Studi Francescani, Assisi 3–4–5 luglio 1972, a cura di O. Schmukki, Roma 1973. Il movimento francescano della penitenza nella societa` medioevale, a cura di Mariano d’Alatri. Convegno di Studi Francescani, Padova 25–26–27 sett. 1979, Roma 1980. Persönlichkeit und Geistigkeit des heiligen Franziskus von Assisi. Studientage der Franziskanischen Arbeitsgemeinschaft, hrsg. von L. Hardick und E. Häcker, Werl 1982. Franz von Assisi und die Armutsbewegung seiner Zeit. . . Symposien der Internationalen Kommission für vergleichende Kirchengeschichte – Subkommission Österreich, Wien 1987. Anläßlich der 800. Wiederkehr der Geburt des Franziskus veranstaltete die Katholische Universität Mailand (Universita` Cattolica del Sacro Cuore) eine Vortragsreihe, die unter dem Titel: Francesco d’Assisi nell’ottavo centenario della nascita, veröffentlicht wurde (Milano 1982).

II. KAPITEL

DER GESCHICHTLICHE HINTERGRUND DER FRANZISKANISCHEN BEWEGUNG 1. Politische Verhältnisse Imperium und Sacerdotium Das Leben des Franziskus und die Wirkungszeit der ersten franziskanischen Generation fällt in das Zeitalter, das man nach seiner wohl bedeutendsten Herrscherfamilie als das Staufische bezeichnet.1 Franziskus ist noch in der Regierungszeit des Kaisers Friedrich I. Barbarossa (1152–1190) geboren, der am 11. Juni 1190 auf dem Dritten Kreuzzug in Kleinasien ertrank. Papst war damals Lucius III. (1181–1183), der Nachfolger des als Juristen und Diplomaten hervorragenden Alexander III. (Roland Bandinelli: 1159–1180). Die Jugendzeit des Franziskus fällt in die Regierungszeit des Kaisers Heinrich VI. (1190–1198) und das Doppelkönigtum Philipps von Schwaben (gewählt am 8. März 1198) und Ottos IV. (gewählt am 9. Juli 1198). Bekanntlich zog Otto IV. im September 1209 an Assisi vorbei nach Rom, wo er am 4. Oktober 1209 von Innocenz III. zum Kaiser gekrönt wurde. Franziskus hielt sich damals mit wenigen Gefährten in Rivotorto auf, und es wird berichtet, er habe die Hütte nicht verlassen, um den Kaiser zu sehen, sondern ihm nur durch einen der Brüder das baldige Ende seines Ruhmes ansagen lassen.2 Schon ein Jahr später sah sich der Papst genötigt, Otto zu exkommunizieren und die Wahl Friedrichs II. zu favorisieren. Im September 1211 wurde Friedrich zum deutschen König gewählt. In der Zeit der Schwäche des deutschen Königtums war der Papst Innocenz III. (1198–1216) »für eine knappe Weltstunde« (Hans Wolter)3 die beherr1 Für die allgemeine Geschichte des Hoch- und Spätmittelalters s. vor allem: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Theodor Schieder, Bd. 2: Europa im Hoch- und Spätmittelalter, hrsg. von Ferdinand Seibt, Stuttgart 1987; Hartmut Boockmann, Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125–1517 (Das Reich und die Deutschen, Bd. 7), Berlin 1987; Harald Zimmermann, Das Mittelalter. II. Teil: Von den Kreuzzügen bis zum Ende der großen Entdeckungsfahrten, Braunschweig 1979. 2 I Cel 43 (Anal. Fr. 10,34). 3 H. Wolter, Der Kampf der Kurie um die Führung im Abendland (1216–74), in:

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II. Kapitel

schende politische Gestalt Europas. Wie schon Gregor VII. im 11. Jahrhundert erhob er den Anspruch, über das Kaisertum als Schiedsrichter verfügen zu können. Auch für die Geschichte von Kirche und Theologie markiert der Pontifikat Innocenz’ III. einen Höhepunkt. Innocenz ist der Papst, der Franziskus nach anfänglichen Bedenken die mündliche Approbation seiner Regel und Lebensweise erteilte (wahrscheinlich im Frühjahr 1209). Ein Jahr vor seinem Tode, im November 1215, hielt der Papst in Rom das IV. Laterankonzil, die größte Kirchenversammlung des Hohen Mittelalters, ab. Das Konzil beschäftigte sich mit der Reform der Kirche bezüglich Glaubenslehre und Verfassung, der Zusammenarbeit von geistlicher und weltlicher Macht bei der Unterdrückung der Häresie und der Planung des Fünften Kreuzzuges. In der Lehre von der Eucharistie wurde der Begriff der Transsubstantiation zur Erklärung der Konsekration von Brot und Wein in der Messe eingeführt. Die Trinitätslehre des Abtes Joachim von Fiore wurde verurteilt. Honorius III. (Cencio Savelli: 1216–1227), der Innocenz nachfolgte, war im politischen Bereich hauptsächlich um das Zustandekommen des auf dem IV. Laterankonzil beschlossenen Kreuzzuges bemüht. Er krönte Friedrich II. am 23. November 1220 in St. Peter in Rom zum Kaiser. Anschließend nahm der Kaiser aus der Hand des Kardinalbischofs Hugolino von Ostia das Kreuz und versprach für das folgende Jahr den Aufbruch ins Heilige Land. Im Pontifikat Honorius’ III. vollzog sich, hauptsächlich unter dem Einfluß des Kardinals Hugolino, der Wandel von der ursprünglichen Franziskanergemeinschaft zu einem kirchlichen Orden. Der Papst bestätigte 1223 die endgültige Ordensregel. Noch in seine Regierungszeit fallen die letzten wichtigen Ereignisse im Leben des Franziskus (Greccio, La Verna) und dessen Tod. Unter Gregor IX. (1227–1241) erreichte der Kampf zwischen Imperium und Sacerdotium im 13. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt. Zunächst wegen der mangelnden Bereitschaft Friedrichs II. zum Kreuzzug (23.9.1227), dann wegen dessen für den Papst bedrohlicher Italienpolitik (20.3.1239) belegte Gregor den Kaiser mit dem Bann. Damit wurde der Untergang der Staufischen Dynastie eingeleitet. Mit Innocenz IV. (Sinibald Fiescho: 1243–1254), der nach dem kurzen, nur siebzehntägigen Zwischenpontifikat Cölestins IV. den Apostolischen Stuhl bestiegen hatte, führte der Kaiser jahrelange, am Ende vergebliche Verhandlungen. Im Sommer 1244 zog sich der Papst über seine Heimatstadt Genua nach Frankreich zurück. Von Lyon aus regierte er die Kirche fast bis zum Tode des Kaisers (13. Dezember 1250). Auf dem ersten Konzil von Lyon (26. Juni – 17. Juli 1245) erklärte er Friedrich II. für abgesetzt und entband die Untertanen vom Treueeid. Das Recht, den Kaiser abzusetzen, leitete Innocenz IV. aus der Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von Hubert Jedin, Bd. III/2: Die mittelalterliche Kirche. Vom kirchlichen Hochmittelalter bis zum Vorabend der Reformation, Freiburg Br.1968/1985, 237–296; ebd. 241.

Geschichtlicher Hintergrund

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Oberherrschaft Christi über Kaiser und Könige ab. Als Stellvertreter Christi verfügt der Papst über die (politisch-juristisch verstandene) Macht Christi.4 Frankreich und England Die Regierungszeit des Königs Philipp II. August (1180–1223) ist annähernd deckungsgleich mit dem Leben des Franziskus. Schon der Vater Philipps II., Ludwig VII. (1137–1180), hatte in seiner langen Regierungszeit durch seine geschickte Politik und sein hohes persönliches Ansehen die Stellung des Königtums gestärkt. In seiner fast sein ganzes Leben ausfüllenden kriegerischen Auseinandersetzung mit den Königen von England, Richard Löwenherz und Johann Ohneland, gelang es Philipp, das Besitztum der Engländer auf dem Festland, das sogenannte angevinische Reich, welches den gesamten Westen des heutigen Frankreich (Normandie, Bretagne, Anjou, Touraine, Poitou, Aquitanien) umfaßte, aufzulösen und die königliche Domäne beträchtlich zu erweitern. Im Kampf zwischen Welfen und Staufern ergriff Philipp II. die Partei Friedrichs II., mit dem er 1212 den Vertrag von Vaucouleurs schloß. Durch die siegreiche Schlacht von Bouvines bei Tournai (27. Juli 1214) über Kaiser Otto IV. rückte der König von Frankreich zur ersten Macht des Okzidents auf. Er legte sich den imperialen Titel »Augustus« zu. Der nahezu entmachtete König Johann Ohneland von England mußte 1215 unter dem Druck des Adels der Magna Charta zustimmen, die dem politischen Einfluß des Königs in der Zukunft enge Grenzen setzte. Ludwig VIII. (1221–1226), verheiratet mit Blanca (Blanche) von Kastilien, und Ludwig IX. der Heilige (1226–1270) setzten die Königsherrschaft in den Gebieten südlich der Loire durch. Ludwig IX. einigte sich mit Heinrich III. von England in dem Vertrag von Paris (1259), mit welchem den territorialen Streitigkeiten beider Länder ein (allerdings nur vorläufiges) Ende gesetzt wurde. In der Auseinandersetzung zwischen Friedrich II. und Innocenz IV. wahrte Ludwig strikte Neutralität. Bis 1262 lehnte er die Kandidatur seines Bruders Karl von Anjou für das Königreich Sizilien ab. Erst der Papst Urban IV. (1261–1265) überzeugte ihn von der Bedeutung Süditaliens als Basis für den Kreuzzug. 4 Vgl. die bemerkenswerten Sätze in der Biographie Innocenz’ IV. von dessen Beichtvater, dem Franziskaner und Bischof von Assisi Nicolaus de Carbio: »Quis ergo, nisi mente captus, ignorat potestatem imperatoris et regum pontificibus esse subiectam? Et quis credat a subiectione Romani pontificis se esse alienum, nisi qui, peccatis suis exigentibus, inter oves Christi pastorum principis non meruit numerari?«: F. Pagnotti, Niccolo` da Calvi e la sua Vita d’Innocenzo IV con una breve introduzione sulla istoriografia pontificia nei secoli XIII e XIV. Arch. della R. Soc. Rom. di Storia Patria 21 (1898), 7–120; ebd. 95 (c. 19).

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II. Kapitel

Ludwig IX. ist berühmt für die strenge Rechtlichkeit seines Denkens. Er traf wirksame Maßnahmen zur Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden in seinen Ländern. Dabei bediente er sich häufig der Minderbrüder, die er beauftragte, Mißstände aufzuspüren. Überhaupt hatte er für die Franziskaner eine besondere Vorliebe.5 Mit dem Namen des heiligen Ludwig sind die beiden letzten größeren kriegerischen Unternehmungen verbunden, die von Europa aus starteten mit dem Ziel, Jerusalem und das Heilige Grab wieder in die Hände der Christen zu bringen. Von 1249 bis 1254 hielt er sich bei einem letztlich erfolglosen Kreuzzug im Orient auf. Während seines zweiten Kreuzzuges starb er am 25. August 1270 vor Tunis. Die Kreuzzüge Umwelt und Zeit des heiligen Franziskus sind durch den Kreuzzugsgedanken geprägt. Gewissermaßen als Zeitzeuge hat er hautnah den Fünften Kreuzzug (1217–1221) erlebt, ein gewaltiges Unternehmen, an dem noch einmal alle christlichen Staaten Europas beteiligt waren. Der Feldzug in Ägypten stand seit 1218 unter der Leitung des päpstlichen Legaten Kardinal Pelagius, eines fanatischen Spaniers. Am 5. November 1219 konnte die Festung Damiette (Damiata) erobert werden. Die vernichtende Niederlage des Kreuzfahrerheeres bei Mansurah im August 1221 besiegelte jedoch die Katastrophe des gesamten Unternehmens. Franziskus, der im Sommer 1219 mit einigen Gefährten (wohl von Ancona aus) die Reise nach Syrien angetreten hatte und von dort zu dem Kreuzfahrerheer bei Damiette gelangt war, wurde wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1220 von dem Sultan Melek al-Kamil (1218–1238) freundlich empfangen und reich beschenkt.6 Seine Erwartungen, entweder den Sultan und sein Volk zum Christentum zu bekehren oder das Martyrium zu erleiden, erfüllten sich jedoch nicht. Die im ganzen wohl negativen Erfahrungen des Franziskus mit dem Heiligen Land und seinen heiligen Stätten, um die heilige Kriege geführt wurden, hat sich in der Gründung der neuen franziskanischen Heiligtümer im Herzen Italiens niedergeschlagen: Greccio (das »neue Bethlehem«), 5 S. den Bericht des Salimbene de Adam über das Provinzialkapitel von Sens (1247), bei dem Ludwig persönlich anwesend war (MGH SS 32,221–225); vgl. Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,90f.) und Fioretti, c. 34 (ed. Cambell, 417/419; FF 1868) über eine legendäre Begegnung des Königs mit Bruder Ägidius. 6 I Cel 57 (Anal. Fr. 10,43f.); II Cel 30 (ebd. 149); Jordan von Giano, Chron. 10 (Anal. Fr. 1,4; ed. Boehmer, 7); Jakob von Vitry, Ep. 6 vom März 1220 aus Damiette: Huygens, Lettres (o. I. Kap., Anm. 49), 132f.; Boehmer, Analekten, 101; Jakob von Vitry, Historia orientalis II,32; Boehmer, Analekten, 104f.; Bonaventura, Leg. mai. IX,8 (Anal. Fr. 10,600f.), mit der Erzählung vom Angebot der Feuerprobe vonseiten des Franziskus; ausführlich u. Kap. VII, bei Anm. 74–86.

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La Verna (der »heiligste Berg des Erdkreises«), Portiuncula (der »heilige Ort« der allgemeinen Sündenvergebung und endgültigen Erlösung für alle Menschen). Die heiligen Kriege, die die westliche und östliche Christenheit im 12. und 13. Jahrhundert gegen die Muslime führte,7 nahmen ihren Ausgang von der Predigt des Papstes Urban II. am 27. November 1095 während des Konzils von Clermont. Die Idee des gerechten und darüber hinaus heiligen Krieges, ohne die die Kreuzzüge nicht denkbar wären, war schon während des 11. Jahrhunderts in Kreisen des cluniazensischen Mönchtums und der von ihm initiierten sogenannten Reformbewegung entwickelt worden: Zur Sicherung des von den Reformern geforderten Gottesfriedens (treuga Dei) konnte es notwendig sein, den Friedensbrechern und Gottesfeinden mit der Waffe entgegenzutreten. Die Päpste, insbesondere Gregor VII., suchten den Rittern aus dem Laienstand ein neues Selbstverständnis als militia Dei oder militia Christiana zu geben. Der Hauptideologe des religiös motivierten Krieges gegen die Ungläubigen war aber der heilige Bernhard von Clairvaux. In seinem Werk über die geistlichen Ritterorden (De laude novae militiae)8 preist er den glorreichen Tod im heiligen Krieg für die gute Sache. Der Ritter Christi tötet im Auftrag Christi. Er ist kein Menschen-Mörder (homicida), sondern ein Bösen-Töter (malicida). Man müßte die Heiden nicht töten, wenn es ein anderes Mittel gäbe, sie von der Belästigung der Christen abzuhalten. So aber ist es besser, sie werden umgebracht, als daß die Sünder die Gläubigen behelligen. Die Ritter führen das Schwert im Auftrage Christi, vor allem um die Heiden aus der civitas Domini (Jerusalem) zu vertreiben. In einem Brief, den Bernhard 1147 »an alle Gläubigen« richtet,9 ruft er die Christen dazu auf, die Heidenvölker entweder völlig auszurotten oder sie zu bekehren. Der Zweite Kreuzzug, zu dem er ein Jahr zuvor die Könige Ludwig VII. von Frankreich und Konrad III. von Deutschland angestiftet hatte, endete, wie fast alle Kriegszüge nach Outremer, mit einem totalen Fiasko des bewaffneten Arms des westlichen Christentums. Die Kreuzzüge waren vor allem Kriege der Päpste: die Päpste erwiesen sich immer wieder als die treibende, mahnende, drohende, strafende Kraft. Sie belohnten die Kreuzfahrer mit geistlichen Dispensen und Privilegien, deren 7

Über die Kreuzzüge s. vor allem die Gesamtdarstellung von Steven Runciman: A History of the Crusades, 3 Bde., Cambridge 1952–1954 (deutsch: Geschichte der Kreuzzüge, München 1957–1960); Martin Erbstösser, Die Kreuzzüge. Eine Kulturgeschichte, Leipzig 1977; Rainer Christoph Schwinges, Die Kreuzzugsbewegung, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Th. Schieder, Bd. 2, Stuttgart 1987, 174–180, mit zahlreichen Quellen- und Literaturangaben. 8 De laude novae mil., c. 3 (S. Bernardi Opera, ed. J. Leclercq, H.M. Rochais 3,217–219; MPL 182,924). 9 Ep. 457 (Opera, ed.c. 8,432; MPL 182,651f.).

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wichtigstes der Ablaß war. Sie trieben einen Großteil der enormen Summen auf, die die Kreuzzüge kosteten. Sie nutzten auch die Kreuzzüge für die Ausdehnung ihrer Herrschaft. Schon im 12. Jahrhundert wurde es üblich, das Kreuzfahrergelübde auch auf die Rückeroberung (Reconquista) der Iberischen Halbinsel auszudehnen. Sodann zogen Kreuzfahrer gegen die heidnischen Völker im Ostseeraum (Wenden, Esten, Finnen). Auch die Kriege gegen die Griechen (seit 1204), die Häretiker in Südfrankreich (Albigenser: seit 1209) und den Kaiser Friedrich II. und seine Söhne (1240–1268) galten als Kreuzzüge. Mit dem Fall der letzten wichtigen Festung Akkon im Jahre 1291 waren die zweihundertjährigen Mühen um die Befreiung des Heiligen Landes endgültig gescheitert, nicht aber die Kreuzzugsidee: sie lebte im christlichen Abendland bis zum Ende des Mittelalters fort. Doch sind auch die bedenklichen und kritischen Stimmen, besonders im 13. Jahrhundert, recht zahlreich. Die franziskanische Idee der Gewaltlosigkeit und die Predigt des Friedens enthält zweifellos die profundeste Kritik an den von Papst und Kirche geförderten kriegerischen Unternehmungen. Zwar ist Franziskus nicht offen gegen den Kreuzzug aufgetreten. Aber eine arme Kirche nach dem Vorbild Christi und der Apostel, wie er sie sich vorstellte, hätte keinen Besitz und keine Macht zu verteidigen gehabt. Und wozu sollte man heilige Stätten erobern, wenn man an neuen Orten mitten im Bereich des westlichen Christentums Erlösung und Heil in wirksamer Weise erlangen konnte? Auf dem Hintergrund der von den Päpsten betriebenen Ideologie und Praxis des heiligen Krieges erscheint die franziskanische Friedensbewegung als eigentlicher revolutionärer Gegenstrom, wenngleich sie im vordergründigen Bereich der historischen Ereignisse scheiterte. Von Rom nach Avignon Nach dem Tode Kaiser Friedrichs II. war das Hauptziel der päpstlichen Politik in Italien die Beseitigung der staufischen Herrschaft. Konrad IV., der wie sein Vater vom Papst exkommuniziert war, konnte nur wenig mehr als ein Jahr lang, von Anfang 1252 bis Mai 1254, an der Festigung seiner Herrschaft in Süditalien wirken. Nach ihm setzte sich sein Halbbruder Manfred durch, der im August 1258 in Palermo zum König gekrönt wurde. Der Papst Urban IV. (1261–1264) verhandelte mit Karl von Anjou, dem Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, um ihn für die Übernahme der Herrschaft im Königreich Sizilien zu gewinnen. Die Verhandlungen führten jedoch erst im April 1265 unter dem französischen Papst Clemens IV. (1265–1268) zu einem Ergebnis. Karl von Anjou erhielt als päpstlicher Vasall das Königreich zugesprochen und verpflichtete sich zur Zahlung hoher Jahreszinsen an den Papst und zur Wahrung der Kirchenfreiheit. Am 6. Januar 1266 wurde

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er in St. Peter in Rom gekrönt.10 Der für ihn siegreiche Ausgang der Schlacht von Benevent (26.2.1266) brachte den Tod des Königs Manfred und das Ende der staufischen Herrschaft in Süditalien. Auch der Versuch des jungen Konradin, das Erbe seines Hauses wiederzugewinnen, scheiterte zwei Jahre später, im August 1268, in der Schlacht von Tagliacozzo. Karl I. von Anjou konnte sich zunächst gegen alle seine Gegner durchsetzen, verlor allerdings die Insel Sizilien 1282 an den König Peter II. von Aragon, den die aufständischen Sizilianer ins Land gerufen hatten. Es gelang Karl und den ihn unterstützenden Päpsten nicht mehr, die Spanier von der Insel zu vertreiben. Auf Peter II. folgte sein Sohn Jakob (1285–1296). Karls gleichnamiger Sohn, der Thronfolger, geriet 1284 in die Gefangenschaft der Aragonesen, aus der er erst fünf Jahre später entlassen wurde. An Pfingsten 1289 krönte ihn der Papst Nikolaus IV. (1288–1292). Mit Nikolaus (Hieronymus von Ascoli) hatte der erste Franziskaner den Apostolischen Stuhl bestiegen. In Deutschland war am 1. Oktober 1273 der Graf Rudolf von Habsburg zum König gewählt worden. Er verhandelte mit dem Papst Honorius IV. (1285–1287) um die Kaiserkrönung. Der Termin war auf Lichtmeß 1287 festgesetzt worden. Doch scheiterten die Verhandlungen schließlich an den Geldforderungen des päpstlichen Legaten und dem Widerstand einer Gruppe von Reichsfürsten, die eine Einschränkung der Freiheit bei einer zukünftigen Königswahl befürchteten. Auch unter Nikolaus IV. kam der Romzug nicht zustande. Rudolf starb 1291, im Jahr des Falls von Akkon, ohne die kaiserliche Krone erlangt zu haben. Der in hohem Alter am 29. August 1294 in Aquila zum Papst gewählte Einsiedler Peter vom Morrone galt den Franziskaner-Spiritualen und den joachitisch beeinflußten Kreisen als der lange erwartete Engelpapst, der ein neues Zeitalter der Kirche heraufführen sollte.11 Cölestin V. versah die von ihm gegründete Einsiedlerkongregation mit reichen Privilegien. Auch die Spiritualen wurden unter dem Namen »Pauperes Eremitae Domini Coelestini« ein eigener, von den Minoriten unabhängiger Orden. Der Papst erwies sich jedoch in praktischen Fragen des Kirchenregiments und der Politik als total unfähig. Er geriet vollends unter den Einfluß des Königs Karl II. Am 5. November siedelte die Kurie nach Neapel über. Nach Gesprächen mit dem Kardinal Benedikt Gaetani, der ihn wohl in der Absicht abzudanken bestärkte, erließ Cölestin V. am 10. Dezember eine Konstitution über die Möglichkeit der Abdankung eines Papstes. Seinen Verzicht auf den Apostolischen Stuhl sprach er am 13. Dezember 1294 aus. 10 Über ihn s. die Biographie von Peter Herde, Karl I. von Anjou (Urban-TB, Bd. 305), Stuttgart 1979. 11 Peter Herde, Cölestin V. (1294) (Peter vom Morrone), der Engelpapst (Päpste und Papsttum, 16), Stuttgart 1981.

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Nach Cölestins Verzicht wurde am 23. Dezember einstimmig der Kardinal Gaetani zum Papst gewählt. In Bonifaz VIII. (wie er sich nannte) erhielt die Römische Kirche den machtbewußtesten und mächtigsten Priesterkönig seit Innocenz III. Sein Pontifikat war belastet durch schwere Auseinandersetzungen, vor allem mit der römischen Familie Colonna, der zwei Kardinäle angehörten, und mit dem König Philipp IV. dem Schönen von Frankreich. Sie führten zu der tiefen Demütigung und Gefangennahme des Papstes in Anagni. Höhepunkt des Pontifikates von Bonifaz VIII. war das im Jahr 1300 erstmals gefeierte »Jubeljahr der Erlösung«. Sein bekanntestes amtliches Dokument ist die Bulle »Unam sanctam«, in der er den universalen Herrschaftsanspruch des Papstes in Formulierungen kleidet, die weit über entsprechende Verlautbarungen Gregors VII. und Innocenz’ III. hinausgehen. Der seit dem Frühmittelalter bekannten Anschauung von den zwei Mächten, der geistlichen und der weltlichen, gibt er neue Akzente, in dem er von zwei Schwertern spricht, die der Kirche gehören: sie selbst führt das geistliche, das weltliche führt der König nach Weisung der Priester. Die geistliche Macht kann über die weltliche verfügen, sie einsetzen und richten. Dagegen kann der Papst nur von Gott gerichtet werden. Wer sich ihm widersetzt, der widersteht Gott selbst. Es ist deshalb für alle Menschen heilsnotwendig, dem Bischof von Rom untertan zu sein. Mit Bonifaz VIII., der wenige Wochen nach dem Attentat von Anagni, am 12. Oktober 1303 starb, geht die Epoche des hochmittelalterlichen Papsttums zu Ende. Nach dem nur acht Monate dauernden Pontifikat des Papstes Benedikt XI. und einem darauf folgenden fast einjährigen Konklave, in dem die Kardinäle tief zerstritten waren, wurde am 15. Juni 1305 der Erzbischof von Bordeaux, Bertrand de Got, zum Papst gewählt. Er war nicht Kardinal gewesen und nannte sich als Papst Clemens V. (1305–1314). Er stand in nahezu vollständiger Abhängigkeit von dem König von Frankreich. Von Philipp IV. und dessen Räten wurde er auch zum Prozeß gegen den Templerorden genötigt. Die Aufhebung dieses bedeutendsten aller mittelalterlichen Ritterorden wurde auf dem Konzil von Vienne (1. Oktober. 1311 – 6. Mai 1312) verfügt. Das Konzil von Vienne beschäftigte sich auch eingehend mit dem Streit der beiden Richtungen des Franziskanerordens, der sogenannten Kommunität und der Spiritualen. Die päpstliche Bulle »Exivi de paradiso«, die in der Schlußsitzung des Konzils verlesen wurde, vermehrte die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erschienenen päpstlichen Erklärungen der Franziskanerregel um eine weitere. Clemens V., der in Südfrankreich von einer Stadt zur anderen zog, hat Rom nie betreten. Unter seinem Nachfolger Johannes XXII. (Jacques Due`ze aus Cahors: 1316–1334) nahm die päpstliche Kurie für lange Zeit in Avignon ihren Sitz. Während seines Pontifikates erreichten die Auseinandersetzungen um das Verständnis der evangelischen Armut im Franziskanerorden und in der Kirche

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einen letzten Höhepunkt. Zunächst die Spiritualen, dann aber auch die Verfechter des evangelischen Armutsideals innerhalb der Kommunität wurden aus dem Orden und der Kirche verdrängt und damit endgültig in das Abseits der Häresie gestellt. Doch ist hierüber später noch eingehend zu handeln. Assisi und Umbrien Assisi gehörte im 12. Jahrhundert zum Herzogtum Spoleto, welches seinerseits Reichsgebiet war.12 Friedrich Barbarossa hatte das Herzogtum anläßlich seiner Kaiserwahl im Jahre 1152 seinem Onkel, dem Grafen Welf VI. von Bayern, als Lehen übertragen. 1160 nahm der Kaiser das relativ kleine Gebiet der Grafschaft Assisi aus dem Herzogtum heraus und unterstellte es unmittelbar seiner eigenen Person und seinen Nachfolgern. Die Stadt Assisi erhielt so für einige Jahre eine ziemlich große Selbständigkeit. Vom Jahre 1167 an übte der Erzbischof Christian von Mainz als kaiserlicher Legat für Mittelitalien die tatsächliche Macht aus. Welf VI. hatte nach dem plötzlichen Pesttod seines Sohnes das Interesse an seinen Herzogtümern Tuszien (Toscana) und Spoleto (Umbrien) verloren. In den folgenden Jahren erhob sich fast ganz Mittelitalien von den Marken bis nach Umbrien, nach dem Vorbild der lombardischen Städte, gegen die kaiserliche Oberhoheit. Der Erzbischof Christian belagerte Assisi und eroberte es im Jahre 1174. Den Kampf gegen die lombardischen Städte verlor aber Friedrich Barbarossa in der Entscheidungsschlacht von Legnano am 29. Mai 1176. Der Tag bedeutet den großen Durchbruch der Städte Oberitaliens zu Selbständigkeit und Freiheit. Der Kaiser war genötigt, mit ihnen und dem Papst Alexander III. auf dem Kongreß von Venedig (1. August 1177) Frieden zu schließen Anfang September 1185 weilte Barbarossa in Foligno, wo er seine zukünftige Schwiegertochter Konstanze, die Erbin von Sizilien, empfing. Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Papst Urban III. (1186–1187) suchte der Kaiser nunmehr die kleineren Städte Zentralitaliens zu stärken. Ziel der päpstlichen Politik dagegen war es, Städte wie Lucca, Florenz und Siena gegen den Kaiser einzunehmen. Von 1186 an setzte Heinrich VI. als Vertreter seines Vaters die Eroberungspolitik im engeren Interessenbereich des Apostolischen Stuhles fort. Er unterwarf zunächst Lucca, dann mit Hilfe von Florenz, das sich rechtzeitig um12

Über Assisi zur Zeit des Franziskus s. vor allem: Paul V. Riley, Jr., Francis’ Assisi: Its Political and Social History, 1175–1225. Franc. Studies 34 (1974), 393–424; Raoul Manselli, Assisi tra Impero e Papato, in: Assisi al tempo di San Francesco. Atti del V Convegno internazionale, Assisi, 13–16 ott. 1977, Assisi 1978, 337–357 (beide Aufsätze mit Angaben über die ältere Literatur); ferner: Daniel Waley, The Papal State in the Thirteenth Century, London 1961.

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orientiert hatte, Siena. Im Juni 1186 besetzte Heinrich Perugia, Narni und Viterbo. Er legte den eroberten Städten hohe Kontributionen auf. Orvieto gelang es damals als einziger Stadt, erfolgreichen Widerstand zu leisten. In einem zu Gubbio am 11. August 1186 geschlossenen Vertrag wurden der Stadt Perugia vonseiten Heinrichs große Privilegien eingeräumt. Die Rechte des Papstes werden in dem Vertrag nicht einmal erwähnt. Die Römische Kirche beanspruchte ja Umbrien als Teil ihres weltlichen Herrschaftsgebietes. Darum ging es hauptsächlich in den Verhandlungen, die Heinrich mit den Päpsten Clemens III. (1187–1191) und Cölestin III. (1191–1197) führte. Heinrich, seit 1190 Kaiser, war nun hauptsächlich mit der Eroberung Siziliens beschäftigt. 1195 wurde der Herzog von Spoleto, Konrad von Ürslingen, Reichsvikar für das Königreich Sizilien.13 Konrad war wahrscheinlich schon mit Christian von Mainz nach Italien gekommen und dann später (der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt) mit dem Herzogtum Spoleto belehnt worden. Ihm war die Erziehung des Thronerben Friedrich Roger anvertraut worden, der am 26. Dezember 1194 in Jesi geboren war. Friedrich wurde in Assisi getauft. Nach dem Tod Heinrichs VI. (26. September 1197) suchte der Papst Innocenz III., unter Ausnutzung des entstandenen Machtvakuums, die alten Ansprüche des Apostolischen Stuhls auf zahlreiche Städte Mittelitaliens zu erneuern. Im Oktober 1198 wandte er sich in acht Briefen an die Obrigkeiten und die Gläubigen der Städte Spoleto, Rieti, Foligno, Assisi, Gubbio, Perugia, Citta` di Castello und Todi. Er teilte darin mit, er habe den Kardinaldiakon Gregor von S. Maria in Aquiro zu ihnen gesandt und mit der geistlichen und weltlichen Macht für die Diözesen ausgestattet. Der Papst umging auf diese Weise den Herzog von Spoleto. In dieser Situation unterwarf sich Herzog Konrad von Ürslingen dem Papst und übergab ihm die Burg und das Territorium von Assisi, wohl in der Hoffnung, nunmehr vom Papst mit dem Herzogtum Spoleto belehnt zu werden. Dieser erneuerte jedoch den bereits von seinem Vorgänger über Konrad ausgesprochenen Kirchenbann. Die Inbesitznahme der Rocca Maggiore von Assisi durch den Papst scheiterte indes am Widerstand der Bürger von Assisi, die die Burg zerstörten. Dabei halfen ihnen die Perusiner, die ebenfalls nicht die Herrschaft des Kaisers gegen die des Papstes eintauschen wollten. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts setzten schwere Konflikte zwischen Perugia und Assisi ein. Bekanntlich geriet Franziskus in der für die Assisiaten 13

Über Konrad von Ürslingen (nach der auch Urslingen, Irslingen genannten Stammburg nördlich von Rottweil) s.: Klaus Schubring, Die Herzoge von Urslingen. Diss. phil. Tübingen, Bamberg 1972; Ders., Die Herzoge von Urslingen. Studien zu ihrer Besitz-, Sozial- und Familiengeschichte mit Regesten (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B 67), Stuttgart 1974, 35–42.

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verlorenen Schlacht bei Collestrada im November 1202 in die Gefangenschaft der Perusiner. König Philipp von Schwaben, der Bruder Heinrichs VI., stellte am 29. Juli 1205 in Ulm eine Urkunde aus, in der er die Rechte von Assisi anerkannte.14 Innerhalb der Stadt Assisi selbst gab es bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen der zum Teil adeligen Oberschicht (maiores) und den Bürgern (minores), die in einem ersten Vertrag 1203 vorläufig, dann in dem Friedensvertrag vom 9. November 1210 endgültig beigelegt wurden.15 Assisi verblieb dann für den Rest des Mittelalters im Verband des Kirchenstaates, hatte allerdings zeitweilig eine relative Selbständigkeit unter seinen eigenen Podesta`. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, in der Zeit des Exils der Päpste in Avignon, ließ der Kardinal Egidius Albornoz die Rocca Maggiore zu einer mächtigen Festung ausbauen, deren imposante Mauern bis heute das Stadtbild überragen. Die frühen franziskanischen Quellen enthalten, oft versteckt in Nebenbemerkungen, wertvolle Nachrichten zur Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Assisi und ihrer Landschaft.16

2. Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse Assisi nimmt, in bescheidenerem Maße als seine große Nachbarin und Rivalin Perugia, teil an der bedeutenden gesellschaftlichen Umwälzung, die in Italien schon im 11. Jahrhundert beginnt und um die Wende des 12. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hat: dem Aufstieg des Bürgertums und damit der Städte zur entscheidenden wirtschaftlichen und politischen Kraft.17 Die nähere Ursache hierfür war der Aufschwung des Handels, der in vielen Städten auch ein Anwachsen der Bevölkerung um fünfzig und mehr Prozent innerhalb von hundert Jahren zur Folge hatte. So erreichte z.B. die Bevölkerung Mailands, die am Ende des 11. Jahrhunderts etwa 60 000 bis 65 000 Menschen zählte, in der zweiten Hälfte des folgenden Jahrhunderts die Zahl von 90 000; nochmals hundert Jahre später war sie auf etwa 160 000 bis 180 000 angewachsen. Florenz wuchs vom Ende des 11. Jahrhunderts bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts von 30 000 auf 45 000 und bis gegen 1200 auf 70 000 Einwohner; um das Jahr 1300 war die Zahl von 110 000 erreicht. 14

Schubring, Herzoge, 102, Nr. 25. Attilio Bartoli Langeli, La realta` sociale assisana e il patto del 1210, in: Assisi al tempo di San Francesco (o. Anm. 12), 271–336. 16 S. hierzu: Stanislao da Campagnola, La Societa` Assisana nelle fonti francescane, in: Assisi al tempo di S.F. (o. Anm. 12), 359–392. 17 Giuseppe Mira, Aspetti di vita economica nell’Assisi di San Francesco, ebd. 123–179. 15

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Assisi hatte im Jahre 1232 2 255 Feuerstellen. Davon ausgehend wird die Zahl der Einwohner auf 11 300 – 15 800 geschätzt. In der näheren Umgebung (Contado) dürften noch einmal um die 5 000 ländliche Bewohner gelebt haben. Die genannte Einwohnerzahl war das Ergebnis eines raschen Bevölkerungswachstums in den Jahrzehnten davor, ähnlich dem in anderen Städten Nord- und Mittelitaliens. 1199 hatte man den Mauerring um die Stadt erweitern müssen, wobei Baumaterial aus der kurz davor zerstörten Rocca Maggiore entnommen wurde. Zahlreiche Kaufleute verlegten ihren Wohn- und Handelssitz von außerhalb der Stadt in die Nähe des Marktes. Dort bauten auch Adelige ihre Stadthäuser. Die städtische Bevölkerung bestand aus zwei Gruppen: den Wohlhabenden (maiores, boni homines, buoni uomini, magnati, milites) und dem einfachen Volk (minores, homines populi, populo minuto). Die Oberschicht war um die Wende des 12. Jahrhunderts nicht mehr mit dem Adel identisch. Der soziale Umbruch in dieser Zeit ist dadurch gekennzeichnet, daß es zahlreiche Aufsteiger aus der unteren Gesellschaftsschicht gab und andererseits nicht wenige Adelige verarmt waren. Wir kennen aus der Lebensgeschichte des Franziskus die Erzählung von dem armen, halbnackten Ritter, dem der junge Franziskus seine Kleider schenkte.18 Wichtig für den innerstädtischen Handel waren (wie übrigens heute noch) die Produkte des Umlandes, vor allem Getreide, Olivenöl, Wein und Früchte. Eine über das ganze Mittelalter hin belegte Eigentümlichkeit der zentral(Toscana, Umbrien, Latium) und süditalienischen Landschaften (Campanien, Apulien, Basilicata) ist die Trennung des Eigentums an den Olivenbäumen und dem Land, auf dem sie standen. Die Bäume konnten also verkauft werden ohne das Land, und umgekehrt. Viehzucht gab es sicher auch in nicht geringem Umfang, wenngleich die Quellen hierüber nur spärliche Auskunft geben. Immerhin gibt es einige Nachrichten über Rinderzucht und Erzeugung von Schafwolle. Direkte Zeugnisse über die Weiterverarbeitung von Wolle scheint es sowohl für Assisi wie für Perugia erst im 14. Jahrhundert zu geben. Die einzelnen Handwerke, die in der Stadt ausgeübt wurden, waren in Zünften (societates) organisiert. Es gab Metzger, Bäcker, Schuhmacher, Schneider, Steinmetzen, Müller. Auch die Ärzte, Notare und Baumeister waren in Körperschaften zusammengeschlossen. Zwischen den Städten und dem Umland bestanden lebhafte Handelsbeziehungen. So wurde aus dem Gebiet von Assisi Getreide nach Perugia verkauft. Über internationale Verbindungen haben wir Kenntnis aus der Drei-Gefährten-Legende, die zu berichten weiß, daß der Vater des Franziskus, Pietro di Bernardone, in Frankreich geschäftlich zu tun hatte.19 Man darf annehmen, 18 19

II Cel 5 (Anal. Fr. 10,133); s.u. III. Kapitel, bei Anm. 56. 3 Soc 2 (ed. Desbonnets, 90).

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daß er zu den Kaufleuten gehörte, die aus Frankreich kostbare Stoffe nach Italien importierten. Die Handelsgüter wurden sowohl in Läden wie auf Märkten (Messen) umgeschlagen. In Assisi gab es eine große Messe anläßlich des Festes des Portiuncula-Ablasses (2. August), die allerdings erst seit 1319 nachweisbar ist. Im 12. und 13. Jahrhundert war die Tätigung von Geldgeschäften üblich. Dabei wurden Zinsen von 10% bis 25% gezahlt, obwohl das Nehmen von Zinsen eigentlich über das ganze Mittelalter hin sowohl durch kirchliche wie staatliche Gesetze als Wucher verboten war. Geld durfte zwar verliehen werden, doch durfte der Verleiher nichts weiter als sein Kapital zurückfordern. Obgleich von den kirchlichen Autoritäten beständig eingeschärft, wurde dieses Gesetz doch in der Praxis kaum beachtet. Im Gebiet von Spoleto kursierte bis über die Mitte des 12. Jahrhunderts hinaus das Geld von Pavia. Es wurde dann abgelöst durch die Währung von Lucca. Hieran scheint der Kaiser Friedrich Barbarossa einen entscheidenden Anteil gehabt zu haben, der die Währung von Pavia unterdrückte. Die pavesischen Dukaten waren mehr wert als die lucchesischen: vor 1181 erhielt man für einen Dukaten von Pavia deren drei von Lucca; nach diesem Jahr stand der Wechselkurs auf eins zu sechs.

3. Kulturelle und religiöse Strömungen Im Zuge der sogenannten »Gregorianischen Reform« setzte sich im 11. Jahrhundert eine neue Einstellung zur Armut in der Kirche durch. Die aus Cluny und seinem Umkreis kommenden mönchischen Reformen hatten teilweise die gleichen Ziele wie die religiösen Volksbewegungen.20 Deshalb konnte sich der Papst Gregor VII. (1073–1085) auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Sacerdotium und Imperium (Investiturstreit), in seinem Kampf gegen Simonie (Kauf und Verkauf kirchlicher Ämter und Weihen) und Nikolaitismus (Leben von Priestern in ehelichen und quasi-ehelichen Verbindungen), mit der revolutionären Bewegung der Pataria in Mailand verbinden.21 Auch in Deutschland bildeten sich schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zahlreiche Laiengemeinschaften, die sich für eine Trennung des 20 Grundlegend zu diesem gesamten Komplex: Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, Berlin 1935. Darmstadt 21961 (Neudr. 1977); Ernst Werner, Pauperes Christi. Studien zu sozial-religiösen Bewegungen im Zeitalter des Reformpapsttums, Leipzig 1956. 21 Giovanni Miccoli, Per la storia della Pataria milanese. Bollettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo e Archivio Muratoriano 70 (1958), 43–123.

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weltlichen und des geistlichen Bereichs sowie für eine arme Kirche einsetzten. Inspiratoren dieser Bewegung waren Mönche der Abtei Hirsau im Schwarzwald und anderer Klöster, in denen die Hirsauer Reform Fuß gefaßt hatte. Die Hirsauer Mönche waren im Investiturstreit entschiedene Parteigänger Gregors VII. Sie verließen die Klöster, zogen umher und hetzten das Volk gegen den Kaiser Heinrich IV. (1053–1106) und die »simonistischen« und »nikolaitischen« Priester auf. Ernst Werner hat in diesen Hirsauer Predigermönchen die unmittelbaren Vorläufer der Wandermönche gesehen, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts eine gewaltige Volksbewegung für eine arme, am Vorbild Christi und der Apostel orientierte Kirche auslösten.22 Der revolutionäre, doch phantastische Plan einer totalen Trennung des weltlichen und des geistlichen Bereiches, einer Zuweisung der politischen Herrschaft und des materiellen Besitzes (Regalia, Temporalia) an das Königtum und einer Beschränkung der Kirche (d.h. des Hochklerus) auf die geistlichen Aufgaben (Spiritualia), den der Papst Paschalis II. (1099–1118) entwickelte, zeigt, daß die radikalen Reformideen, freilich nur für einen kurzen Augenblick, sogar die Spitze der Römischen Kirche erreicht hatten.23 Bekanntlich scheiterte das unrealistische Vorhaben in dem Tumult, den die Kirchenfürsten anläßlich der Krönungsfeier Heinrichs V. am 12. Februar 1111 in der Peterskirche in Rom veranstalteten, als sie von der entsprechenden Vereinbarung zwischen Papst und Kaiser erfuhren und ihre Macht und ihre Privilegien bedroht sahen. Einsiedler und Wandermönche um die Wende des 11. Jahrhunderts Man würde der Eigenart der Wanderprediger und Eremiten des frühen 12. Jahrhunderts nicht gerecht, wenn man sie einfachhin als »Vorläufer« des Franziskus charakterisieren wollte.24 Andererseits steht das Franziskanertum, trotz seines Anspruchs auf Originalität, Einzigartigkeit und Neuheit, den ja Franziskus selbst schon erhoben hat,25 in der Kontinuität der Armutsbewegungen, die vor allem in Frankreich und Italien schon ein gutes Jahrhundert früher verbreitet waren. Viele radikale Ideen im Zusammenhang mit der 22 Werner, Pauperes Christi, 89; s. ferner: Hermann Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreites, Köln 1961; ebd. 190–223: »Die Hirsauer im Investiturstreit.« 23 Piero Zerbi, Pasquale II e l’ideale della poverta` della Chiesa. Universita` Cattolica del Sacro Cuore. Annuario per l’anno accademico 1964–1965, Milano 1965, 205–229. 24 Vgl. Ellen Scott Davison, Forerunners of Saint Francis and other Studies, BostonNew York 1927 (Neudr. New York 1978); Ilarino da Milano, La spiritualita` evangelica anteriore a san Francesco, in: Quaderni di spiritualita` francescana, 6: Il vangelo e la spiritualita` francescana, S. Maria degli Angeli, Assisi 1963, 34–70. 25 Vgl. etwa Leg. Per. 18 (ed. Bigaroni, 56): »Et dixit Dominus michi, quod volebat, quod ego essem unus novellus pazzus in mundo.«

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Forderung nach einer am Leben Christi und der Urkirche orientierten Kirchenreform waren in der Christenheit bekannt, längst ehe die Bettelorden in Erscheinung traten. Franziskus allerdings hat viele der ihm überkommenen Ideen in der ihm eigenen Weise verwandelt und radikalisiert. Eine der frühesten bedeutenden Gestalten des Reformmönchtums war der Florentiner Johannes Gualberti, der 1036 die Abtei Vallombrosa gründete. Vom Ideal der vita evangelica und apostolica bestimmt, bekämpfte er den simonistischen Klerus von Florenz, an dessen Spitze der Bischof Petrus Mediabarba (Pietro Mezzabarba) stand. Die umherziehenden Mönche von Vallombrosa erregten das Mißfallen des Papstes Alexander II. (Anselm von Lucca), der doch immerhin der Mailänder Pataria sehr nahe gestanden hatte.26 Der Eintritt des Johannes Gualberti in das mönchische Leben war mit einem visionären Bekehrungserlebnis in der Kirche San Miniato bei Florenz verbunden: er hatte dem Mörder eines nahen Verwandten, der sich wehrlos vor ihm in Kreuzesform ausgestreckt hatte, Verzeihung gewährt. Als er kurz darauf die Kirche S. Miniato betrat, nickte ihm der Crucifixus (zustimmend und dankend) zu.27 Zwar spricht der Gekreuzigte noch nicht, wie fast zweihundert Jahre später der Crucifixus von S. Damiano zu Franziskus, aber die Parallelität der Ereignisse läßt sich kaum übersehen, und wir erkennen den Beginn einer Kreuzesmystik, die später im Franziskanertum ihren Höhepunkt erreichen wird. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts schlossen sich die Anhänger herausragender Einsiedler zu neuen Gemeinschaften zusammen, die an den Idealen von Eigentumslosigkeit und strenger Buße orientiert waren und keine andere Norm als das Evangelium anerkannten. Stephan von Thiers († 1124) gründete um das Jahr 1080 in der Einöde von Muret mit Erlaubnis des Papstes Gregor VII. eine Eremitengemeinschaft.28 Aus ihr entstand der Orden von Grandmont. Stephan lehnte die alten Mönchsregeln des Basilius, Augustinus und Benedikt für seine Gemeinschaft ab. Im Prolog der Regel des Grammontenser-Ordens spricht er ihnen die Originalität ab: sie seien Ableger (propagines), Blätter (frondes), nicht die Wurzel (radix) selbst; Wurzel und Ursprung sei allein das Evangelium.29 Man erkennt auch hier die Nähe der 26 Werner, Pauperes Christi, 101f.; Helmut Feld, Art. Johannes Gualberti, in: BBKL 3 (1992), 382–385. 27 S. Joannis Gualberti vita auctore Attone, c. 3 (MPL 146,672). 28 Grundmann, Religiöse Bewegungen, 491–493; Werner, Pauperes Christi, 28; Jean Becquet, Art. E´tienne de Muret, in: Dict. Spir. 4 (1960), 1504–1514. Zu den Eremiten des 12. Jahrhunderts s. auch: Ge´rard Gilles Meersseman, Eremitismo e predicazione itinerante dei secoli XI e XII, in: L’eremitismo in Occidente nei secoli XI e XII. Atti della seconda Settimana di studio, Mendola, 30 ag. – 6 sett. 1962, Milano 1965, 164–179. 29 Regula S. Stephani Conf., Prologus (MPL 204,1136).

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Vorstellungen zu denen des Franziskus und zugleich, daß dessen Zurückweisung der älteren Mönchsregeln für seinen Orden und der Anspruch auf Neuheit (die in der einfachen Befolgung des im Evangelium vorgezeichneten Weges lag) so ganz neu nicht gewesen ist.30 Weitere Eremiten dieser Zeit, aus deren Wirken Ordensgemeinschaften entstanden, waren Bernhard von Thiron (†1117), Vitalis von Savigny (†1122), Girald von Salles (†1120), der den Orden von Cadouin gründete, und Robert von Arbrissel (†1116), der Gründer des berühmten Doppelklosters und des Ordens von Fontevraud (ältere Schreibweise: Fontevrault). Robert hat von ihnen allen wohl am eindrücklichsten und nachhaltigsten gewirkt, nicht nur auf seine engeren Gefolgsleute, sondern auch auf das einfache Volk der Bretagne und der benachbarten Landschaften, wo die kultische Erinnerung an ihn bis heute lebendig ist.31 Robert war Erzpriester in Rennes und engster Berater des dortigen Bischofs gewesen. Nach dessen Tod mußte er die Stadt fluchtartig verlassen. Es folgte ein zweijähriger Studienaufenthalt in Angers. Dann zog er sich (1095) in den Wald von Craon zurück. Dort kam es zur Gründung einer Einsiedlergemeinschaft, die ein Leben nach dem Vorbild der Urkirche (more primitivae Ecclesiae) führte.32 Robert selbst zog ein Wanderleben in der Nachfolge Christi »ohne Stab und Tasche« vor. Er wollte sich total von allem Weltlichen abwenden, um so als »Nackter« dem nackten Christus am Kreuz zu folgen.33 Das Apophthegma: »Nudum Christum nudus sequi«, das schon in den Briefen des heiligen Hieronymus in verschiedener Gestalt begegnet,34 bringt im 11. und 12. Jahrhundert überaus häufig das Lebensideal der »Armen Christi« und der Wanderprediger, dann aber auch der von der Römischen Kirche sich entfernenden oder aus ihr hinausgedrängten Häretiker zum Ausdruck.35 Im 30

Leg. Per. 18 (ed. Bigaroni, 56); vgl. o. Anm. 25. Werner, Pauperes Christi, 42ff. 87; R. Niderst, Robert d’Arbrissel et les origines de l’Ordre de Fontevrault, Rodez 1952; Therese Latzke, Robert von Arbrissel, Ermengard und Eva. Mittelalt. Jahrb. 19 (1984), 116–154; J.-M. Bienvenu, Art. Robert d’Arbrissel, in: Dict. Spir. 13 (1988), 704–713. 32 Vita B. Roberti de Arbrissello auctore Baldrico episcopo Dolensi, 10–12 (MPL 162,1049–1051). 33 In Roberts Mahnschreiben an die Gräfin Ermengard von der Bretagne heißt es: »Voluntas tua esset, ut mundum relinqueres, et te ipsam abnegares, et nuda nudum Christum in cruce sequereris«; J. de Petigny, Lettre ine´dite de Robert d’Arbrissel a` la comtesse Ermengarde. Bibl. de l’E´cole des Chartes 5, 3me se´rie (1854), 209–235; ebd. 227; Johannes von Walter, Die ersten Wanderprediger Frankreichs. Studien zur Geschichte des Mönchtums, I, Leipzig 1903 (Nachdr. Aalen 1972), 125. 34 S. z.B. Ep. 125,20, an den Mönch Rusticus (CSEL 56,142): »Si habes substantiam, vende et da pauperibus, si non habes, grandi onere liberatus es; nudum Christum nudus sequere«; vgl. auch Ep. 52,5 (CSEL 54,422,6); 58,2 (ebd. 529,2); 120,1 (CSEL 55,478,1). 35 Matthäus Bernards, Nudus nudum Christum sequi. Wiss. u. Weish. 14 (1951), 31

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Leben des Franziskus und in der franziskanischen Spiritualität gewinnt die Nacktheit eine eigene und zentrale Bedeutung. Auch die beiden großen Reformorden, die sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts mächtig ausbreiten, verstehen sich als »Arme Christi«. Cistercienser und Prämonstratenser sehen die Einöde als den geeigneten Ort zur Verwirklichung des mönchischen Ideals an. Bernhard von Clairvaux, durch den die anfänglich kaum lebensfähige Gemeinschaft von Cıˆteaux ihren entscheidenden Auftrieb erhielt, bezeichnet sich einmal als »pauperum Christi de Claravalle servus«.36 Die Mönche von Clairvaux sind die wahren pauperes, die Christus in allem und in vollkommener Weise nachfolgen.37 Norbert von Xanten, der Gründer der reformierten Chorherren-Gemeinschaft der Prämonstratenser, erblickt sein Lebensideal in einem Wanderleben als »Nackter« in der Nachfolge des nackten Gekreuzigten.38 Wie später Franziskus will er auf Tasche und Schuhe verzichten und sich mit nur einem Oberkleid begnügen. Wie Ernst Werner zutreffend bemerkt hat, konnte »ein Nachleben Christi in dieser Form, die eine wandernde Askese in rigorosester Art darstellte, Hunger und Kälte, Armut und Niedrigkeit förmlich suchte, . . unmöglich im Sinne des Reformpapsttums und der Hierokratie liegen.«39 Norbert wurde deshalb, wie vor ihm schon andere, genötigt, an dem Ort Pre´montre´ bei Laon (1120) eine feste Niederlassung zu gründen, die seiner Gemeinschaft den Namen gegeben hat. Die Reformbewegung Norberts entwickelte sich so wie die Einsiedlerbewegungen eine Generation vor ihm und im übrigen auch die Cistercienser: ihre Klöster wurden in kürzester Zeit sehr reich. Damit war in allen Fällen der Elan der Reform gebrochen. »Das echte Erbe der Pauperes Christi übernahmen dualistische Ketzer, nicht katholische Klöster. Es war die Tragik der Wanderprediger, daß sie in der Kirche ihrer Zeit kein Verständnis für ihr Ideal fanden, das ein Leitstern weitester Kreise geworden war, und sich unter ein altes Joch beugen mußten, unter dem ihr Werk verkümmerte. Für die Tat des Waldes fehlte ihnen der Mut, für eine franziskanische Genossenschaft der Kirche das Verständnis. Damit öffnete die Papstkirche den häretischen Pseu148–151; Jean Chaˆtillon, Nudum Christum nudus sequere. Note sur les origines et la signification du the`me de la nudite´ spirituelle dans les e´crits de saint Bonaventure, in: S. Bonaventura 1274–1974, IV. Theologica, Grottaferrata 1974, 719.772; Reginald Gre´goire, Aime´ Solignac, Art. Nudite´, in: Dict. Spir. 11 (1982), 508–517. 36 Ep. 55 (MPL 182,160f.; Opera, ed. Leclercq-Rochais 7,147). 37 Ep. 492 (MPL 182,710; von Leclercq-Rochais als unecht ausgeschieden). 38 »considerans apud se quod nudam crucem nudus utique sequi deberet«: Vita S. Norberti (MPL 170,1272). Zum Stand der Forschung über Norbert und die Prämonstratenser s.: Kaspar Elm (Hrsg.), Norbert von Xanten. Adeliger – Ordensstifter – Kirchenfürst, Köln 1984. 39 Werner, Pauperes Christi (o. Anm.20), 45.

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doaposteln selbst die Tore zu den aufgewühlten Gemütern des Volkes, ohne zu wissen, wie sie die neue Flut eindämmen sollte.«40 Die Häresien des 12. Jahrhunderts Was im Mittelalter als Ketzerei und Häresie zu gelten hat, ist in vielen Fällen nicht eindeutig auszumachen. Die Distanzierung von der traditionellen Kirchenlehre und der herkömmlichen Kirchenordnung unter Berufung auf die Autorität der Heiligen Schrift, die persönliche Gottesoffenbarung oder das individuelle Charisma kann nicht einfachhin als unterscheidendes Merkmal der Häresie gegenüber dem rechtgläubigen Christentum angesehen werden. Denn kritisches Abstandnehmen von dem Überkommenen auf der Basis einer subjektiven religiösen Erfahrung ist auch bei Reformern des kirchlichen und monastischen Lebens festzustellen, die nicht in einen dauernden Konflikt mit der Hierarchie gerieten und im Verband der katholischen Großkirche bleiben oder in ihn zurückkehren konnten. Jedenfalls darf die mittelalterliche Christianitas nicht nach den oft anachronistischen Sprachregelungen der neuzeitlichen Konzilien, des Tridentinum und des Vaticanum I, gemessen und beurteilt werden, worauf schon Karl August Fink hingewiesen hat. »Diese sogenannten häretischen Bewegungen des Mittelalters sind demnach zunächst noch nicht Ketzerei, sondern ein Zeichen für eine lebendige Auseinandersetzung mit dem Statischen in Kirche und Gesellschaft, freilich oft bis zum Extrem: Christ ohne Kirche. Die Terminologie der späteren Kirchengeschichtsschreibung darf nicht ohne genaue Prüfung der zeitgenössischen Vorgänge übernommen werden, auch wenn sie sich mit Hartnäckigkeit festgesetzt hat. . . Dem Vorschlag, nicht mehr nur von Ketzern, sondern eher von Reformern zu sprechen, kann man wohl auf eine weite Strecke hin folgen.«41 In der Realität des gesellschaftlichen Lebens zeigt sich das mittelalterliche Ketzertum als Minderheiten, die wegen ihrer besonderen Lehr- und Lebensauffassungen von der offiziellen Kirche oder Teilen von ihr, und im Gefolge davon auch von der »weltlichen« (königlichen und kaiserlichen) Macht verfolgt werden.

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Ebd. 87. K.A. Fink, Papsttum und Kirche im abendländischen Mittelalter, München 1981, 114; wichtig ist das gesamte Kapitel: »›Häresie‹ und ›Ketzerei‹ als mittelalterliche christliche Konfession« (ebd. 112–136, und die reiche in den Anm. zitierte Literatur zu dem Thema); vgl. hierzu auch: Giorgio Cracco, Riforma ed eresia in momenti della cultura europea tra X e XI secolo. Riv. di stor. e lett. rel. 7 (1971), 411–477; Malcolm D. Lambert, Ketzerei im Mittelalter. Häresien von Bogumil bis Hus, München 1981 (engl. Original: Medieval Heresy – Popular Movements from Bogomil to Hus, London 1977). 41

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Einer der ersten Wanderprediger, die offen gegen den kirchlichen Kult und die Hierarchie auftraten, war der Priester Peter von Bruis, einem kleinen Dorf in den französischen Hochalpen.42 Er lehnte Kindertaufe, Messe und Eucharistie ab, verwarf die Autorität der kirchlichen Tradition, des Alten und teilweise auch des Neuen Testaments. Nur an den vier Evangelien hielt er fest. Außerdem wandte er sich gegen kirchliche Gebäude und Kreuze. Holzkreuze schichtete er auf und verbrannte sie. Eine solche Aktion kostete ihn das Leben: erboste »rechtgläubige« Christen verbrannten ihn, um das Jahr 1139, bei St.-Gilles-les-Boucheries im Rhoˆnetal auf einem von ihm errichteten Scheiterhaufen. Die Anschauungen Peters von Bruis kennen wir aus dem gegen ihn gerichteten Traktat »Contra Petrobrusianos« des Abtes Petrus Venerabilis von Cluny.43 Er ist wohl kein Katharer gewesen, wenngleich bogomilische Einflüsse bei ihm nicht auszuschließen sind. In ähnlicher Weise, doch mit größerem Erfolg als Peter von Bruis, wirkte der Mönch Heinrich von Lausanne, von Bernhard von Clairvaux, der gegen ihn predigte, als der »wilde« Heinrich bezeichnet.44 Heinrich trat ab 1111 als Bußprediger auf. 1116 erhielt er in Le Mans durch den dortigen Bischof Hildebert de Lavardin (1067–1133) die Predigterlaubnis. Als er sich gegen die reiche Kirche und den unwürdigen Klerus wandte, kam es zu tumultartigen Ausschreitungen. Nach Ausweisung aus dem Bistum Le Mans konnte Heinrich jahrelang ungestört in Südfrankreich wirken. In dieser Zeit kam er auch mit Peter von Bruis zusammen. 1119 verurteilte ihn eine Synode in Toulouse. 1135 brachte ihn der Erzbischof von Arles vor ein in Pisa tagendes Konzil. Dort legte er ein Schuldbekenntnis ab, und Bernhard von Clairvaux bot ihm Asyl in Cıˆteaux an. Es gelang indes Heinrich, sich abzusetzen, und er nahm erneut die apostolische Wanderpredigt auf. 1147 mußte er vor Bernhard, der eine große Predigtkampagne gegen ihn inszeniert hatte, aus Toulouse fliehen. Danach geriet er in Gefangenschaft, in der er wahrscheinlich umgekommen ist. 42

James Fearns, Peter von Bruis und die religiösen Bewegungen des 12. Jahrhunderts. AKG 48 (1966), 311–335; R. Manselli, Il secolo XII: Religione popolare ed eresia, Roma 31983, 87–100 (11953; 21975 unter dem Titel: Studi sulle eresie del secolo XII). 43 Petri Venerabilis Contra Petrobrusianos hereticos, ed. J. Fearns, Turnhout 1968 (CCCM 10); ältere Ed. in MPL 189,719–850); Jean Chaˆtillon, Pierre le Ve´ne´rable et les Petrobrusiens, in: Pierre Abe´lard – Pierre le Ve´ne´rable. Les courants philosophiques, litte´raires et artistiques en Occident au milieu du XIIe sie`cle (Colloques internationaux du Centre national de la recherche scientifique, no. 546), Paris 1975, 165–179. 44 »singularis ferus«: in einem auf das Jahr 1145 datierten Brief an den Grafen Ildefons von St.-Gilles und Toulouse (Ep. 241: MPL 182,434; Opera, ed. LeclercqRochais 8,125–127); R. Manselli, Il monaco Enrico e la sua eresia. Bull. dell’Ist. it. per il medio evo e Arch. Mur. 65 (1953), 1–63; Ders., Secolo (o. Anm. 42), 101–117; E. Werner, Pauperes Christi (o. Anm. 20), 165–169.

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Heinrich ist vielleicht der bedeutendste unter den apostolischen Wanderpredigern der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Er besaß eine große Bibelkenntnis und eine überzeugende Rednergabe. Als Quelle des Glaubens ließ er nur das Evangelium gelten und lehnte die Tradition ab. Die erste Sünde betrifft nach seiner Meinung nur Adam und Eva; es gibt also keine Erbschuld. Weiterhin tritt Heinrich für die Erwachsenentaufe ein. Die Ehe ist kein Sakrament, sondern nur ein Vertrag zwischen den Ehepartnern, der die Kirche nichts angeht. Die Vollmacht, zu binden und zu lösen, haben auch die Laien, nicht nur die Priester. Die Eucharistie kann gültig nur von würdigen Priestern gefeiert werden. Damit ist die Kirche als heilsnotwendige Mittlerinstanz zwischen Gott und Menschen abgeschafft; die Hierarchie, auch kirchliche Gebäude und Einrichtungen sind überflüssig. Aus einer von R. Manselli zitierten Streitschrift gegen Heinrich geht hervor, daß er, wie Peter von Bruis, die Fürbitten für die Toten ablehnte.45 Wie gegen den Mönch Heinrich, so eiferte Bernhard von Clairvaux auch gegen Arnold von Brescia. Arnold (Ernaldus) war Regularkanoniker in Brescia. In Paris hatte er bei Abaelard studiert, der ja von Bernhard ebenfalls als Häretiker diskriminiert worden war.46 Arnold trat für das Ideal einer armen, wandernden, am Vorbild der Urkirche (ecclesiae primitivae forma) orientierten Kirche ein. Von Bischöfen und Priestern verlangte er ein an Christus ausgerichtetes Leben in Armut und Demut.47 Natürlich sollte das Gleiche auch für den Papst gelten: er hatte nur insofern Anspruch auf die Bezeichnung »apostolisch«, als sein Leben und seine Lehre mit denjenigen der Apostel übereinstimmten. Für dieses Ziel setzte sich Arnold auch aktiv ein: Als die Römer gegen den Papst Eugen III. (1145–1153) den Aufstand probten und den Versuch machten, die antike Republik und die Freiheit der Bürger wiederherzustellen, war Arnold mitten unter ihnen. Die Macht des Papstes sollte allein auf den geistlichen Bereich reduziert werden, und er sollte sich, wie es in der Alten Kirche üblich gewesen war, mit den freiwilligen Zuwendungen der Gläubigen begnügen. In dieser Situation schrieb Bernhard von Clairvaux einen Brief an die Römer, in dem er sich nicht etwa für die Ideale der Urkirche einsetzte, sondern für die Sache des Papstes, der sein Schüler war.48 Arnold, der 1155 in die Gewalt des Kaisers Friedrich I. Barbarossa gefallen 45

Bibl. nationale Paris, ms. lat. 3371; Stadtbibl. Nizza, ms. 3 (R. 18); Manselli, Monaco Enrico, 44–63. 46 S. dazu besonders: Jürgen Miethke, Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung: Die Verfahren gegen Peter Abaelard und Gilbert von Poitiers. Viator 6 (1975), 87–116. 47 Arsenio Frugoni, Arnaldo da Brescia nelle fonti del secolo XII (Studi storici, fasc. 8–9), Roma 1954; Raoul Manselli, Art. Arnold von Brescia, in: TRE 4 (1979), 129–133. 48 Ep. 243 (MPL 182,437–440; ed. Leclercq-Rochais 8,130–134).

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war, wurde von diesem aus Gefälligkeit an den Papst Hadrian IV. ausgeliefert. Als sich Kaiser und Papst von Rom zurückziehen mußten, wurde Arnold in der Nähe des Berges Soracte durch den Stadtpräfekten als Ketzer und Rebell hingerichtet (gehenkt und verbrannt). Ob er, hinsichtlich der von ihm vertretenen Auffassungen, tatsächlich ein Häretiker gewesen ist, scheint bei ihm noch fraglicher als bei anderen Wanderpredigern. Jedenfalls war er eine bedeutende prophetische Gestalt: er durchschaute mit scharfem Blick die politischen Kräfte seiner Zeit; seine Ideen wirkten weit in die Zukunft.49 Nach allem, was uns bekannt ist, bildeten die Anhänger Arnolds keine eigene, von der Römischen Kirche getrennte Sekte; doch wird der »Arnoldismus« der späteren waldensischen Mission in Oberitalien den Boden bereitet haben.50 Wie Bernhard von Clairvaux in dem Mönch Heinrich, so fand sein Freund Norbert von Xanten, der Stifter der regulierten Chorherren von Pre´montre´, seinen häretischen Gegner in Tanchelm von Antwerpen, der in Flandern und Brabant ab etwa 1112 predigte.51 Auch Tanchelm (Tanchelmus, Tanchelinus) bekämpfte den sündigen Klerus. Die kirchlichen Sakramente, insbesondere die Eucharistie, lehnte er ab. Zur Begründung seiner Lehren berief sich Tanchelm auf die göttliche Inspiration, die ihm die Fülle des Heiligen Geistes gegeben und ihn gottgleich gemacht habe.52 Entsprechend pompös war, im Schutz eines bewaffneten Gefolges, sein Auftreten. In der Predigttätigkeit Norberts und seiner Gefährten gegen Tanchelm sieht E. Werner die ersten Anfänge einer Predigergenossenschaft, wie sie später von Dominikus und Franziskus ins Leben gerufen wurden. Dem Auftreten Tanchelms ähnlich war das des Eon von Stella (E´on de l’E´toile), eines bretonischen Adeligen, der sich für den Sohn Gottes hielt.53 In 49

Vgl. seine Würdigung durch Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter VIII.5.2 (dtv 5960, München 1978, Bd. II/1,229–231). 50 Hierzu zuletzt: Kurt-Victor Selge, Die religiösen Laienbewegungen des 12. Jahrhunderts, insbesondere die Waldenser, als Hintergrund und Voraussetzung der franziskanischen Bewegung, in: Franz von Assisi und die Armutsbewegung seiner Zeit. . . Symposien der Internationalen Kommission für Vergleichende Kirchengeschichte – Subkommission Österreich, Wien 1987, 11–28; ebd. 19f. und Anm. 32. 51 Werner, Pauperes Christi (o. Anm. 20), 192–196; Walter Mohr, Tanchelm von Antwerpen. Eine nochmalige Überprüfung der Quellenlage. Annales Univ. Saraviensis, Phil.-Lettres 3 (1954), 234–247. 52 »Solche Begründungen waren im Mittelalter nicht ungewöhnlich. Sie entstanden als Gegengewicht zum kirchlichen Heilsapparat und zur Schlüsselgewalt und fanden im Volk, wo der Glaube an Wunder verbreitet war, fast immer beträchtliche Resonanz« (Martin Erbstösser, Ketzer im Mittelalter, Leipzig-Stuttgart 1984, 88). 53 Werner, Pauperes Christi (o. Anm. 20), 179; Luchesius Spätling, De Apostolicis Pseudo-Apostolis Apostolinis, München 1947, 67–69; Arno Borst, Die Katharer (Schriften der MGH, 12), Stuttgart 1953, 87f.; ebd. Anm. 20 eine Übersicht über die Quellen; Norman Cohn, Das neue irdische Paradies. Revolutionärer Millenarismus und mystischer Anarchismus im mittelalterlichen Europa, Reinbek bei Hamburg 1988,

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seiner Lehre glaubt man Elemente der keltischen Religion zu erkennen. 1148 wurde er aufgegriffen und am 22. März vor die in Reims unter dem Vorsitz des Papstes Eugen III. tagende Synode gestellt. Man verurteilte ihn dort als Geistesgestörten zu lebenslanger Haft. Doch hat er sich möglicherweise nur verrückt gestellt, um sein Leben zu retten. Er starb aber nach kurzer Haft. Seine Anhänger wurden, soweit man ihrer habhaft werden konnte, verbrannt. Eine besondere Stellung unter den religiösen Bewegungen des Mittelalters nehmen die Waldenser ein. Unter den Armutsbewegungen des Hochmittelalters sind sie die einzige, die als eigenständige Kirche bis auf den heutigen Tag am Leben geblieben ist.54 In ihrer Lehre finden sich, wenigstens in den Anfängen, kaum Züge, die als häretisch qualifiziert werden könnten.55 Doch standen sie in scharfem Gegensatz zur faktisch existierenden Gestalt der hierarchischen Kirche, wie sie aus dem Investiturstreit hervorgegangen war. Gründer und Namensgeber der Gemeinschaft ist Waldes, ein reicher Kaufmann aus Lyon. Um das Jahr 1176 hatte er ein Bekehrungserlebnis, das ihn zur Veräußerung seines gesamten Besitzes und zur Abkehr von der Welt veranlaßte. Seine Frau versorgte er reichlich, seine beiden Töchter brachte er in der Abtei Fontevraud unter. Anschließend verteilte er den größten Teil seines Vermögens unter die Armen. Wie später Franziskus wurde er anfangs von seinen Mitbürgern für verrückt gehalten. Waldes ließ sich die Evangelien und andere biblische Schriften in die damalige französische Umgangssprache übersetzen. Nach eingehendem Bibelstudium nahm er mit Gefährten, die sich ihm bald anschlossen, ein apostolisches Wanderleben auf. Waldes und seine Anhänger wollten wie die Apostel die evangelische Vollkommenheit leben. Die Gemeinschaft wurde von den Zeitgenossen als Pauperes spiritu oder nach der Stadt ihres Ursprungs als Pauperes de Lugduno bezeichnet. Im März 1179 begab sich eine von Waldes selbst angeführte Delegation nach Rom, um während des dort tagenden III. Laterankonzils dem Papst Alexander III. die Bitte um Erteilung der Predigterlaubnis vorzutragen. Der in Rom anwesende englische Prälat Walter Map wurde vom Papst be43–45 (engl. Orig.: The Pursuit of the Millennium. Revolutionary Millenarians and Mystic Anarchists of the Middle Ages, London 31970); H. Tüchle, Art. Eudo de la Stella (E´on de l’E´toile), in: LThK2 3 (1959), 1169f.; T. de Morembert, Art. E´on de l’E´toile, in: DHGE 15 (1963), 519. 54 H. Grundmann, Religiöse Bewegungen (o. Anm. 20), 91–118; Kurt-Victor Selge, Die ersten Waldenser, 2 Bde. (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 37), Berlin 1967; Amedeo Molna´r, Die Waldenser. Geschichte und europäisches Ausmaß einer Ketzerbewegung, Berlin 1980; Rolf Zerfass, Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. und 13. Jahrhundert, Freiburg-Basel-Wien 1974, 59–82. 55 A. Dondaine, Aux origines du Valde´isme. Une profession de foi de Valdes. Arch. Fratr. Praed. 16 (1946), 190–235; R. Manselli, Secolo XII (o. Anm. 42), 119–133 (»Il valdismo originario«).

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auftragt, die beiden führenden Köpfe der Gemeinschaft56 über den Glauben zu befragen. Er hat darüber selbst in seinem Werk »De nugis curialium« berichtet. Von vornherein gegen die Waldenser eingenommen,57 behandelte er sie mit dem üblichen Theologenhochmut und gab sie dem Gelächter der Anwesenden preis. Im Anschluß an den Bericht über das Verhör gibt Walter Map eine kurze Charakteristik der Lebensweise der Waldenser: sie haben keine festen Wohnsitze, ziehen zu zweit58 mit nackten Füßen umher, sind in Wolle gekleidet, besitzen persönlich nichts, alles gehört ihnen gemeinsam wie den Aposteln, sie folgen nackt dem nackten Christus. Daran fügt der Autor die Warnung an, die Gemeinschaft zuzulassen: das hätte nämlich »unsere« Austreibung zur Folge, das heißt: die Austreibung des herrschenden Hochklerus.59 Dennoch erhielt die Vita apostolica der Waldenser die päpstliche Approbation. Eine generelle Erlaubnis zu predigen wurde allerdings nicht erteilt; sie sollte von den zuständigen Priestern abhängig sein. Über diesen Punkt gerieten die Waldenser in den Jahren 1181–1183 mit dem Erzbischof von Lyon, Johannes Bellesmains, in Konflikt. Der Erzbischof hatte versucht, ihnen einen kirchlichen Vorgesetzten (praepositus) zu geben. Waldes anerkannte jedoch keine andere Sendung als die göttliche, und die Gemeinschaft wollte keinen anderen Oberen als Christus. Als der Erzbischof daraufhin das Verbot aussprach, zu predigen und die Schrift auszulegen, berief sich Waldes auf die Worte, die Petrus den jüdischen Hohenpriestern entgegengehalten hatte: »Man muß Gott eher gehorchen als den Menschen« (Act 5,29), und auf das Gebot Christi: »Predigt das Evangelium aller Kreatur« (Mk 16,15). Darauf verhängte der Erzbischof über Waldes und seine Anhänger die Exkommunikation und wies sie aus Lyon aus. Im November 1184 wurden sie auf dem Konzil von Verona durch den Papst Lucius III. mit dem Anathem belegt (Dekretale »Ad abolendam«). Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts entfalteten die Waldenser eine rege Missionstätigkeit in Südfrankreich, Spanien und Norditalien, dann auch im nördlichen Frankreich und in Lothringen (in den Diözesen Metz und Toul). 56 Walter Map, De nugis curialium. Courtiers’ Trifles, ed. and transl. by M.R. James, rev. by C.N.L. Brooke and R.A.B. Mynors, Oxford 1983, 126: »duo Valdesii, qui sua videbantur in secta praecipui«: man kann mit gutem Grund vermuten, daß einer von ihnen Waldes selbst war. 57 »Hii multa petebant instancia predicationis auctoritatem sibi confirmari, quia periti sibi videbantur, cum vix essent scioli. . . Nunquid ergo margarita porcis, verbum dabitur ydiotis, quos ineptos scimus illud suscipere, nedum dare quod acceperunt? Absit hoc, et evellatur« (ebd. 124). 58 Vgl. I Cel 29 (Anal. Fr. 10,24,6f.); Mk 6,7; Lk 10,1. 59 »Hii certa nusquam habent domicilia, bini et bini circuerunt nudi pedes, laneis induti, nichil habentes, omnia sibi communia tanquam apostoli, nudi nudum Christum sequentes. Humillimo nunc incipiunt modo, quia pedem inferre nequeunt; quos si admiserimus, expellemur« (Walter Map, l.c. 126).

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Die ersten Waldenser distanzierten sich in schärfster Weise von den Katharern, wie der »Liber Antiheresis« des Durandus von Osca (Huesca) beweist.60 Dieser waldensische Theologe begab sich 1208 nach Rom, wo er sich und seine Gruppe, die »Pauperes catholici«, mit dem Papst aussöhnte.61 Im Jahre 1205 trat ein Schisma ein zwischen den »lombardischen Armen« und den »Armen von Lyon«, welche letzteren Waldes treu blieben. 1210 begaben sich Bernhard Primus und Wilhelm Arnaldi mit einer Gruppe oberitalienischer Waldenser nach Rom, um sich dem Papst zu unterwerfen.62 Sie baten Innocenz III. um Bestätigung ihrer Lebensweise und wurden von ihm, allerdings um den Preis der bedingungslosen Unterwerfung unter die Hierarchie, wieder in die Kirche aufgenommen. Von da an nannte man sie »Pauperes reconciliati«. Eine besondere Rolle bei der Versöhnung spielte der von den Waldensern vollzogene Ritus der fractio panis. Dieses »Brotbrechen« war nichts anderes als eine Art Not-Eucharistie, die analog der ebenfalls von Laien, auch Frauen, gespendeten Nottaufe von Gemeinschaften ohne Priester gefeiert wurde.63 Die wiederaufgenommenen Waldenser versichern bezüglich der fractio panis, man habe sie nicht aus Anmaßung oder aus Verachtung des vom Priester vollzogenen Opfers ausgeübt, sondern um Glauben und Liebe zu entzünden, sowie aus der Erwägung, daß sich die einfachen Gläubigen, die unter den Häretikern (Katharern) weilten, verhärten könnten, wenn sie das Sakrament der Eucharistie (!) nicht empfingen.64 Wird hier die von Laien vollzogene Eucharistiefeier als reine Notmaßnahme dargestellt, so geht doch aus anderen Quellen hervor, daß eine bewußt antiklerikale und theologisch motivierte Haltung dahinterstand.65 Auf dem Hintergrund dieser euchari60

Edition: Selge, Waldenser (o. Anm. 54), Bd. II. Selge, Waldenser II,193–225. 62 Grundmann, Religiöse Bewegungen (o. Anm. 20), 118–127; Selge, Waldenser I,188–193. 63 Selge, ebd. 159f. 191. 282. 64 »Specialiter autem de fractione panis, super qua infamati sumus, diximus et dicimus, quia nunquam factum fuit causa praesumptionis, nec causa contemptus sacrificii sacerdotis, sed causa ardoris fidei et charitatis et causa deliberationis, ne indurarentur simplices fideles inter haereticos permanentes, et sacramentum eucharistiae non accipientes; sed nunc et in perpetuum abdicamus et abiicimus et abdicabimus a nobis et ab omnibus nobis credentibus, secundum nostrum posse, ab opere et a credulitate, corde credentes et ore confitentes sacramentum corporis et sanguinis Christi nec esse conficiendum nec posse confici nisi a sacerdote per impositionem manus visibilis episcopi secundum morem Ecclesiae visibiliter ordinato« (Innocenz III., Ep. 94: MPL 216,291 B–C). 65 Vgl. z.B. den Bericht »Manifestatio Haeresis« bezüglich der Waldenser: »Credunt etiam, quod nefas est dicere, 〈quod〉 ecclesia romana non dat 〈magis〉 eis spirituale viaticum quam quilibet vel quelibet suorum sine vestimentis ecclesiasticis, sine tonsura, et debet conficere corpus Christi«: veröffentlicht bei: Annie Cazenave, Bien et mal dans un mythe cathare languedocien, in: A. Zimmermann (Hrsg.), Die Mächte des Guten 61

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stischen Praxis der Waldenser wird deutlich, weshalb sich der Kardinal Hugolino freute, daß Franziskus in seinem Hause kein Weißbrot an die dort versammelten Gäste austeilte.66 In ähnlicher Weise wie mit den genannten Gruppen der Waldenser gelang Innocenz III. auch die Rückführung eines Großteils der Humiliaten unter die Obödienz des Apostolischen Stuhles. Diese Armutsbewegung hatte ihren Ursprung in Mailand und breitete sich von dort in der Lombardei aus. Ihre Mitglieder waren hauptsächlich Handwerker, die mit Wolle zu tun hatten (Spinner und Weber). Nachdem der Papst die Gemeinschaft, die in ihren Anfängen einen ausgeprägt laikalen Charakter hatte, zu einem kirchlichen Orden umorganisiert hatte, verlor sie sehr rasch an Elan und Bedeutung.67 Im Verlauf des 13. Jahrhunderts drang der in den ersten Jahrzehnten der Bewegung energisch abgewehrte katharische Dualismus auch in das Waldensertum, zumindest in einige Gruppen desselben, ein. Eindeutige Züge des Katharismus lassen sich schon bei den Häretikern von Köln feststellen, über die der Propst Evervin von Steinfeld um das Jahr 1144 an Bernhard von Clairvaux berichtet.68 Er war Augenzeuge bei einer Befragung des Bischofs der Häretiker und eines Begleiters vor einer Versammlung von Klerikern und Laien, bei der auch der Erzbischof von Köln anwesend war. Die Ausführungen des Ketzerbischofs, der am Ende des Verhörs durch den Pöbel ermordet wurde, machten auf Evervin offenbar einen großen Eindruck. Er stellte das Leben der Mönche und Regularkanoniker dem seiner eigenen Glaubensgenossen gegenüber: diejenigen, die in der christlichen Gesellschaft als die Vollkommensten gelten, haben Besitz, der zwar als gemeinsamer gilt, aber eben doch Besitz ist und ihnen ein Leben in Sicherheit bietet. Die pauperes Christi dagegen müssen von Stadt zu Stadt fliehen. Wie die Apostel und Märtyrer leiden sie Verfolgung. Sie sind die apostolicae vitae veri sectatores. Sie sind besitzlos, da Christus selbst nichts besessen und seinen Jüngern keinen Besitz erlaubt hat. Sich selbst und ihre Väter halten sie für die echten Apostel (generati apostoli), während die katholischen Priester und Bischöfe Pseudoapostel sind, die das Wort Gottes verfälschen. Aus der Befragung der Häretiker ergibt sich weiter, daß sie den Genuß von Milch und Milchspeisen verbieten. Ferner wird als und Bösen. Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte (Miscellanea Mediaevalia, 11), Berlin-New York 1977, 344–387; ebd. 387. 66 Leg. Per. 97 (ed. Bigaroni, 56–58), und dazu: Helmut Feld, Franziskus von Assisi – der »zweite Christus« (Inst. für Europ. Geschichte Mainz, Vorträge, 84), Mainz 1991, 36–39; s. auch u. VIII. Kap., bei Anm. 99–100. 67 Grundmann, Religiöse Bewegungen (o. Anm. 20), 72–91; R. Manselli, Franziskus, Zürich 1984, 21f. 68 Ep. 432 (MPL 182,676–680); Spätling, De Apostolicis (o. Anm. 53), 69–82; Werner, Pauperes Christi (o. Anm. 20), 181–186; R. Manselli, Evervino di Steinfeld e San Bernardo di Clairvaux, in: Ders., Secolo XII (o. Anm. 42), 149–164.

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Nahrung alles abgelehnt, was aus einem Koitus hervorgegangen ist. Auch die Eheschließung ist verboten. Evervin erwähnt noch andere Häretiker, die mit den vorgenannten im Streit liegen. Aus den aufgezählten Grundzügen ihrer Lehre geht hervor, daß es sich dabei ebenfalls um Katharer oder katharisch beeinflußte Häretiker handelt: Sie lehnen das katholische Verständnis der Eucharistie (die in der Messe vollzogene Wandlung) ab; die Priesterweihe ist unwirksam, weil die apostolica dignitas infolge der Verstrickung der Priester in weltliche Händel zerstört ist; auch die Weihen und damit die Amtsgewalt von Bischöfen und Papst sind ungültig. Die Ehe wird mit Hurerei gleichgesetzt und abgelehnt; die Zuflucht zu den Fürbitten der Heiligen und die Gebete für die Toten halten sie für nutzlos, da es kein Fegfeuer gebe.69 Daß es innerhalb des Katharertums verschiedene Glaubensrichtungen gab, die zum Teil in heftige Auseinandersetzungen miteinander verwickelt waren, geht schon aus einer der wichtigsten katharischen Quellen hervor, die auf uns gekommen sind, dem »Buch der zwei Prinzipien«.70 Wir können in unserem Rahmen keine umfassende Darstellung der katharischen Religion geben, die gerade in den vergangenen drei Jahrzehnten hervorragend erforscht wurde, auch aus der kaum noch zu überblickenden Literatur nur eine Auswahl weniger grundlegender Werke nennen.71 Vor allem geht es uns um die Erwähnung einiger wesentlicher Elemente des Katharismus, die für Franziskus und seine Bewegung relevant sind. Die Katharer hielten sich für rechtgläubige 69 »Purgatorium ignem post mortem non concedunt; sed animas statim, quando egrediuntur, de corpore in aeternam vel requiem, vel poenam transisse, propter illa Salomonis: Lignum in quamcumque partem ceciderit, sive ad austrum, sive ad aquilonem, ibi manebit (Eccl. 11,3). Et sic fidelium orationes vel oblationes pro defunctis annihilant« (MPL 182,679). 70 Livre des deux principes. Introduction, texte critique, traduction, notes et index de Christine Thouzellier (Sources chre´tiennes, 198), Paris 1973. 71 A. Borst, Katharer (o. Anm. 53); Antoine Dondaine, Durand de Huesca et la pole´mique anticathare. Arch. Fratr. Praed. 39 (1959), 228–278; R. Manselli, L’eresia del male, Napoli 1963; Cathares en Languedoc. Cahiers de Fanjeaux 3, Toulouse 1968; Georg Wild, Bogumilen und Katharer in ihrer Symbolik. I: Die Symbolik des Katharertums und das Problem des heterodoxen Symbols im Rahmen der abendländischen Kultureinheit, Wiesbaden 1970; Rene´ Nelli, Les Cathares, Paris 1972. 21982; Milan Loos, Dualist Heresy in the Middle Ages, Prag 1974; Jean Duvernoy, Le Catharisme: la religion des Cathares, Toulouse 1976; A. Cazenave, Bien et mal (o. Anm. 65); Fink, Papsttum (o. Anm. 41), 118–123; Gerhard Rottenwöhrer, Der Katharismus, 2 Bde., Bad Honnef 1982; Ders., Unde malum? Herkunft und Gestalt des Bösen nach heterodoxer Lehre von Markion bis zu den Katharern, Bad Honnef 1986; Jean Blum, Les Cathares, Paris 1985; Steven Runciman, Häresie und Christentum. Der mittelalterliche Manichäismus, München 1988 (engl. Orig.: The Medieval Manichee. A Study of the Christian Dualist Heresy, Cambridge 21982); Daniela Müller, Art. Katharer, in: TRE 18 (1989), 21–30.

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Christen und argumentierten zur Verteidigung ihrer Lehre aus der Bibel, die sie allerdings in sehr eigenwilliger Weise interpretierten. Sie praktizierten das apostolische Armutsideal und wollten nicht von dieser Welt sein. Die materielle Welt galt ihnen als Geschöpf des bösen Gottes, den sie auch an vielen Stellen des Alten Testaments, wo von einem moralisch nicht einwandfreien Tun Gottes die Rede ist, wiederzuerkennen glaubten. Der kosmische Dualismus, der Kampf zwischen Gut und Böse, der zurückgeht auf den Kampf zweier göttlicher Mächte, ist allen katharischen Richtungen gemeinsam. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Mythen und Vorstellungen, die vor allem die Schöpfung und den Engelsfall betreffen. In einem davon wird Luzifer (Satan) vor seiner Empörung gegen Gott als der auf einem Thron sitzende Verwalter des Universums und Schöpfer der materiellen Welt gesehen.72 Die Katharer erstreben in ihrem Leben die Befreiung von allen materiellen, bösen Elementen. Die Kerntruppe der Vollkommenen (Perfecti, auch Boni homines, »gute Leute« genannt) hat dieses Ziel bereits erreicht. Die Mehrzahl der einfachen Gläubigen (Credentes) strebt der Vollkommenheit entgegen. Wer zu Lebzeiten den Höchststand erreicht hat, wird durch den sakramentalen Initiationsritus des Consolamentum unter die Perfecti aufgenommen. Die Gemeinschaft verlangt von ihren Mitgliedern die Enthaltung von jeglicher tierischen Nahrung. Das hängt mit der Vorstellung vom Engelsfall und dem Wesen der Seele zusammen: Alles Lebendige ist beseelt. Die Seelen aber sind die in die Materie gefallenen Engel oder Teile von ihnen, die sich auf dem Wege zum einst verlorenen geistigen Wesenszustand befinden.73 Die Betätigung der Sexualität wird strikt abgelehnt, weil die Vermehrung der Menschheit die Dauer des Reiches des Bösen verlängert und die Wiederherstellung der himmlischen Welt hinauszögert. Wie die neuere Forschung erkannt hat, hat sich der Katharismus, aus dem byzantinischen Reich kommend, über den Balkan nach Westen ausgebreitet. Die südfranzösischen und italienischen Häretiker unterhielten im 12. und 13. Jahrhundert zu den Bogomilen im heutigen Bulgarien und Jugoslawien leb72 Für die mit dem Engelsfall zusammenhängenden Mythen s. vor allem: Le Livre secret des Cathares. Interrogatio Johannis. Apocryphe d’origine bogomile. E´dition critique, traduction, commentaire par Edina Bozo´ky, Paris 1980, 42/44; A. Dondaine, La hie´rarchie cathare en Italie. Arch. Fr. Praed. 19 (1949), 280–312; 20 (1950), 234–324; ebd. 309: »De heresi Catharorum in Lombardia«; Feld, Franziskus (o. Anm. 66), 52f.; s.u. VI. Kap., bei Anm. 180–182. 73 Runciman, Häresie (o. Anm. 71), 206: »Und das buddhistische Charakteristikum der auf der Lehre von der Metempsychose beruhenden Sympathie für alles Lebendige – eine Sympathie, die der heilige Franz von Assisi von den Katharern lernte – ist wieder ein natürliches Produkt dualistischen Glaubens.« Für die Auffassung der menschlichen Seelen als Geister der gefallenen Engel und den Mythos der Seelenwanderung s. bes. A. Cazenave, Bien et Mal (o. Anm. 65), 366.

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hafte Beziehungen und sahen sie als ihre Glaubensbrüder an. Im Jahre 1167 fand in St.-Fe´lix-de-Caraman bei Toulouse ein katharisches Konzil statt, bei dem ein hoher Würdenträger aus dem Osten, Papa Niquinta (Niketas) genannt, neue Bischöfe ordinierte und ihnen das Consolamentum, die Erhebung in den Stand der Perfecti, spendete.74 Bei dieser Synode waren auch Vertreter oberitalienischer Kirchen anwesend. Um die Wende des 12. Jahrhunderts hatten sich die Katharer bis nach Mittelitalien ausgebreitet. Es gab katharische Bistümer in der Toscana (Florenz) und Umbrien (Spoleto).75 Schon von daher ist es wahrscheinlich, daß Franziskus mit den Vorstellungen und der Frömmigkeit der Katharer vertraut war. Wenngleich sich die frühen franziskanischen Quellen über diesen Punkt völlig ausschweigen (was vermutlich kein Zufall ist),76 so ist doch sein eigenes Weltbild und viele seiner Handlungen und Reden nur auf dem Hintergrund katharischer Mythen und Vorstellungen zu verstehen, wie wir noch sehen werden. Der Papst unternahm, im Verein mit dem französischen König, gegen die Ketzer des Languedoc einen Vernichtungsfeldzug: Die Ermordung des päpstlichen Legaten Pierre de Castelnau, eines Cisterciensers von Fontfroide, in St.-Gilles am 14. Januar 1208 war für Innocenz III. der Anlaß, zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufzurufen. (Es war das Jahr, in dem die franziskanische Bewegung mit dem Anschluß der ersten Gefährten an Franziskus ihren Anfang nahm). Dieser große Völkermord dauerte noch während des gesamten restlichen Lebens des Franziskus und länger an.77 Das mag zu der Frage Anlaß geben, wie sich Franziskus verhalten hätte, wenn er, seinem dringenden Wunsch entsprechend, nach Frankreich hätte gehen können. Bekanntlich hat ihm aber der Kardinal Hugolino die Reise nach Frankreich verboten.78

74 A. Dondaine, Les actes du Concile albigeois de Saint-Fe´lix-de Caraman, in: Misc. Giovanni Mercati V (Studi e Testi, 125), Citta` del Vaticano 1946, 324–355. 75 Dondaine, Hie´rarchie (o. Anm. 72), 293; Borst, Katharer (o. Anm. 53), 238f.; Savino Savini, Il catarismo italiano ed i suoi vescovi nei secoli XIII e XIV. Ipotesi sulla cronologia del catarismo in Italia, Firenze 1958; Ilarino da Milano, Il dualismo cataro in Umbria al tempo di S. Francesco, in: Atti del IV Congresso di Studi Umbri, Gubbio 1966, 175–216. 76 Über Begegnungen des Franziskus mit »Häretikern« vgl. aber: I Cel 62; II Cel 78f.; III Cel 93 (Anal. Fr. 10,47f. 177f. 304). 77 Zur Geschichte des südfranzösischen Katharertums s. bes. die vier Bände von E´lie Griffe, Les de´buts de l’aventure cathare en Languedoc (1140–1190), Paris 1969; Le Languedoc cathare de 1190 a` 1210, Paris 1971; Le Languedoc cathare au temps de la croisade, Paris 1973; Le Languedoc cathare et l’Inquisition (1229–1329), Paris 1980. 78 Leg. Per. 108 (ed. Bigaroni, 338–340); vgl. I Cel 74f. (Anal. Fr. 10,55f.); dazu: Feld, Franziskus (o. Anm. 66), 30–33; u. VIII. Kap., bei Anm. 95–98.

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Die Dichtung Die älteren Quellen zum Leben des Franziskus wissen zu berichten, daß er, wenn er in ekstatische Erregung geriet, französisch sprach79 oder sang.80 Wenn auch Heinrich von Avranches behauptet, er habe die französische Sprache durch himmlische Eingebung gelernt,81 so ist es doch wahrscheinlicher, daß seine Sprachkenntnis natürliche Ursachen hatte. Genaueres wissen wir darüber allerdings nicht. Im Languedoc, dem heutigen Südfrankreich, blühte damals die Kunst der Troubadours.82 Möglicherweise brachten der Vater des Franziskus, Pietro di Bernardone, und andere Kaufleute, die in die Provence und das Rhoˆnetal reisten, Troubadour-Lieder mit nach Italien. Doch spricht auch einiges für die Vermutung, daß die Mutter des Franziskus mit dem schönen Vogelnamen Pica (Elster) aus dem Languedoc stammte und ihrem Sohn ihre eigene Muttersprache beibrachte. Die schwärmerische Begeisterung des jungen Franziskus für das Rittertum und die Vorliebe für höfische Lebensart (curialitas, courtoisie), die er zeitlebens bewahrte, können sicher auch von seiner Kenntnis provenzalischer Dichtung her erklärt werden. Daß die Troubadours dem Katharismus nahestanden, wie es gelegentlich behauptet wird, scheint fraglich. Im Text der einzelnen Lieder finden sich dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Dichtung der Troubadours hat im ganzen einen vitalen, lebenbejahenden Charakter, während die Weltsicht der Katharer vom Pessimismus bestimmt war.83 Doch sieht z.B. Rene´ Nelli auch Berührungspunkte zwischen den »Guten Leuten« (Katharern) und den Troubadours: sie hatten die gleichen adeligen Protektoren, auf den gleichen Schlössern lauschte ihnen dasselbe Auditorium von Damen und Edelleuten. Nelli verweist insbesondere auf die Angriffe, die beide gegen Kirche, Klerus und Mönche richteten, sowie auf das Bestreben der Troubadours, die Liebe zu reinigen und zu vergeistigen.84 79 »Semper enim cum ipse ardore Sancti Spiritus repleretur, ardentia verba foris eructans, gallice loquebatur«: II Cel 13 (Anal. Fr. 10,138f.); vgl. 3 Soc 23f. (ed. Desbonnets, 108). 80 I Cel 16 (Anal. Fr. 10,15); II Cel 127 (ebd. 205); Leg. Per. 38 (ed. Bigaroni, 84). 81 Henricus Abricensis, Legenda versificata, Appendix I (Anal. Fr. 10,494): ». . quod sibi Francorum sit caelitus indita lingua.« 82 Ernst Hoepffner, Les Troubadours dans leur vie et dans leurs œuvres , Paris 1955; Henri Davenson, Les Troubadours, Paris 1961; Robert Lafont, Christian Anatole, Nouvelle histoire de la litte´rature occitane I, Paris 1970, 35–219 (Bibliographie ebd. 122–124); Ulrich Mölk, Die provenzalische Lyrik, in: Henning Krauss (Hrsg.), Europäisches Hochmittelalter (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 7), Wiesbaden 1981, 19–36; Ders., Die französische Lyrik, ebd. 37–48. 83 Vgl. Lafont – Anatole, o.c. 42: »Moralement, il [scil. le mouvement cathare] est contradictoire de toute vie mondaine, et c’est la raison pour laquelle il n’y a pas eu pratiquement de troubadours cathares.« 84 »Dans les chaˆteaux, Bons-hommes et poe`tes avaient le meˆme auditoire de barons

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II. Kapitel

Sowohl die Kenntnis der provenzalischen Lyrik wie auch der großen ritterlichen Epen und ihrer Stoffe dürfte noch gegen Ende des 12. Jahrhunderts nach Italien gelangt sein. Um diese Zeit sind auch die ersten Dichtungen in italienischer Sprache, dem sogenannten Volgare, nachweisbar.85 Die erste Hochblüte, die diese Dichtung dann in der Scuola Siciliana, der am Hofe Kaiser Friedrichs II. in Süditalien blühenden Liebeslyrik, erreichte, kann auf den jungen Franziskus nicht mehr eingewirkt haben, da ihre Anfänge um das Jahr 1220 liegen,86 dem »Sonnenlied« (Canticum fratris Solis) fast gleichzeitig. Zu den ersten erfolgreichen Troubadours in Italien scheint der als »Versekönig« bekannte Dichter gehört zu haben, den Franziskus um 1212–1215 bekehrte und in seinen Orden aufnahm. Franziskus gab ihm den Namen »Bruder Pacificus«: es ist die erste erwähnte Namensänderung bei einem Eintritt in den Orden. Pacificus war seinerzeit der bekannteste Dichter und Kantilenenmacher gewesen und war sogar vom Kaiser gekrönt worden.87 Im Orden zeigte sich seine visionäre Begabung: mehrere für das Selbstverständnis des frühen Franziskanertums wichtige Visionen werden von ihm berichtet. Pacificus stammte aus der Mark Ancona. Als sein Geburtsort wird Lisciano d’Ascoli genannt. Nach späteren Quellen soll sein weltlicher Name Guglielmo Divini gewesen sein. Er war (ab 1217) der erste Provinzialminister der französischen Ordensprovinz.88 Während der drei letzten Lebensjahre des Franziset de nobles dames. Leurs conceptions ou ide´ologies respectives – bien que tre`s oppose´es quant au fond – pre´sentent des ressemblances inde´niables ou plutoˆt, sur quelques points particuliers – en ce qui concerne le proble`me du mariage, par exemple –, une sorte de convergence«: Nelli, Cathares (o. Anm. 71), 135; vgl. auch: Ders., L’E´rotique des Troubadours, Paris 1974. 85 S. hierzu: Aurelio Roncaglia, Le Origini, in: E. Cecchi, N. Sapegno (Hrsg.), Storia della Letteratura Italiana I: Le origini e il Duecento, Milano 21987, 1–289; ebd. 221–241 den Abschnitt: »La poesia d’oltralpe in Italia e le prime strofe italiane«; Literatur zur italienischen Troubadour-Dichtung ebd. 288f. 86 Gianfranco Polena, Cultura e poesia dei Siciliani, ebd. 291–372; die erhaltenen Gedichte in: Poeti del Duecento, ed. Gianfranco Contini, 2 Bde., Milano-Napoli 1960, I,43–185; Carl A. Willemsen, Kaiser Friedrich II. und sein Dichterkreis. Staufischsizilische Lyrik in freier Nachdichtung, Wiesbaden 21977; U. Mölk, Die sizilianische Lyrik, in: Krauss, Hochmittelalter (o. Anm. 82), 49–60; Eberhard Horst, Friedrich II. der Staufer. Kaiser-Feldherr-Dichter, München 1977, 200–208. 87 »Erat in Marchia Anconitana saecularis quidam, sui oblitus et Dei nescius, qui se totum prostituerat vanitati. Vocabatur nomen eius Rex versuum, eo quod princeps foret lasciva cantantium et inventor saecularium cantionum. Ut paucis dicam, usque adeo gloria mundi extulerat hominem, quod ab imperatore fuerat pomposissime coronatus« (II Cel 106; Anal. Fr. 10,192f.). Daß der erwähnte Kaiser Friedrich II. gewesen sein könnte, scheint fraglich. Möglicherweise war es Otto IV. oder schon Heinrich VI. Über Pacifico s.: Carlo Tedeschi, San Francesco e Frate Pacifico nelle fonti francescane del Duecento. Anal. TOR 19 (1987), 499–524. 88 Bonaventura, Leg. mai. IV,9 (Anal. Fr. 10,575).

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kus hielt er sich wieder in dessen engster Umgebung auf. Als Dichter und Sänger scheint er sich im Orden nicht mehr betätigt zu haben.89 Pacificus starb 1236 im Franziskanerkonvent von Ve´zelay. Architektur und bildende Kunst Der große kunstgeschichtliche Einschnitt, der in Italien eine Umformung aller Stilelemente in der Malerei und Plastik brachte, fand bekanntlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts statt. Die franziskanische Bewegung ist eine seiner geistigen Voraussetzungen. Die ersten Höhepunkte der neuen Malerei werden durch die Namen Cimabue und Giotto angezeigt. Die zweite geistige Voraussetzung für das Neue in der Kunst ist am sizilianischen Hof Friedrichs II. zu suchen. Sie wirkt sich vor allem in der nunmehr an den Vorbildern der Antike und der Natur orientierten Plastik des Nicola (Kanzel des Baptisteriums von Pisa: 1259/60) und des Giovanni Pisano (Domkanzel von Pisa: 1308–1312) aus.90 Eine andere revolutionäre Neuerung, auf dem Gebiet der Architektur, vollzog sich noch zu Lebzeiten des Franziskus. Inwieweit er davon Notiz genommen hat, wissen wir allerdings nicht. Es handelt sich um das Eindringen der burgundischen Cistercienser-Gotik in Italien. Die Abteikirche von Fossanova, 1163 begonnen, wurde am 9. Juni 1208 durch den Papst Innocenz III. geweiht. Mit ihrer herrlichen Rosette und dem strengen, nur durch das Licht belebten Innenraum ist sie vielleicht der schönste gotische Sakralbau Italiens. In Casamari, wo schon Eugen III. eine Kirche geweiht hatte, begann man 1203 mit dem Bau der heute noch stehenden Abteikirche. Die Mittel dafür hatte der Kardinal Cencio Savelli, der spätere Papst Honorius III., zur Verfügung gestellt, der die Kirche auch im Jahre 1217 weihte.91 Die cisterciensische Gotik hat insbesondere den Bau der großen städtischen Franziskanerkirchen beeinflußt, die von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an allenthalben in Italien entstehen. »Weil der Franziskanerorden der Nachfolger und Erbe der Zisterzienser wird, übernimmt er mit vielen Vorschriften und Eigentümlichkeiten der letzteren auch die Grundform von deren Gotteshäusern – und weil er verbunden mit der Dominikanergemeinde die geistige Führung des Volkes und die eigentliche kulturelle Gewalt in Italien für zwei Jahrhunderte erlangt, wird die Baukunst der Bettelmönche, die aus derjenigen der Zisterzienser entstanden ist, die Baukunst ganz Italiens.«92 89

Vgl. II Cel 126; Leg. Per. 66 (ed. Bigaroni, 174). Andre´ Chastel, Die Kunst Italiens, München 1987, 95; Wolfgang Braunfels, Kleine italienische Kunstgeschichte. Achtzig Kapitel, Köln 1984, 146–156. 91 M.-Anselme Dimier, L’Art cistercien hors de France. Zodiaque, la nuit des temps 34 (1971), 189–208. 92 H. Thode, Franz (o. Einl., Anm. 13), 311. 90

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II. Kapitel

Den neuen Dom S. Rufino in Assisi, dessen ältere Teile noch vom romanischen Stil geprägt sind, der aber auch schon gotische Stilelemente (wie das große Rosenfenster der Westfassade) enthält, hat Franziskus als Baustelle erlebt. Obwohl schon 1134 mit dem Bau begonnen wurde, konnte Gregor IX. erst 1228, im Jahr der Heiligsprechung des Franziskus, den Hochaltar weihen. Erst 1253 konsekrierte Innocenz IV. während seines langen sommerlichen Aufenthalts in Assisi den Dom, ebenso die Grabeskirche S. Francesco und die Benediktiner-Abteikirche S. Pietro.93 Für Franziskus selbst dürfen wir wohl annehmen, daß die Bilderwelt der romanischen Kirchen auf ihn nicht ohne Eindruck geblieben ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß seine religiöse Vorstellungswelt von dem reichen Bilderschmuck der Kirchen beeinflußt war. Denn die weitflächigen Wände der romanischen Innenräume waren, ebenso wie später die der gotischen, mit Mosaiken und Fresken überzogen, die den christlichen Kosmos – Himmel, Erde und Unterwelt – darstellten.94 Vermutlich eindrücklicher als das geschriebene und gesprochene Wort boten sie den Betrachtern den Stoff für religiöse Träume, Phantasien und Visionen, ja für den Aufbau ihres gesamten Weltbildes. Das gilt auch für Einzeldarstellungen, wie den im 12. Jahrhundert in Mittelitalien verbreiteten gemalten Crucifixus, die sogenannte Croce dipinta. Sie enthielt eine auf kleiner Fläche zusammengedrängte Darstellung des Heilsgeschehens.95 Der fromme Betrachter, der vor einem solchen Kreuzbild des Erlösers betete, konnte gewiß tiefe und prägende seelische Eindrücke empfangen. Im Falle des Franziskus war es der berühmte Crucifixus von San Damiano,96 der in einem visionären Erlebnis seinem Leben eine entscheidende Wende gab und, nach dem Zeugnis des ältesten Biographen, seine Frömmigkeit und sein gesamtes zukünftiges Leben bestimmte.97

93 Nicolaus de Carbio, Vita Innocentii IV, cc. 32. 33; ed. F. Pagnotti (o. Anm. 4), 110; Adriano Prandi, Romanisches Umbrien, Würzburg 1981, 271–297. 94 Braunfels, Kunstgeschichte (o. Anm. 90), 110. 95 Die croci dipinte sind zusammengestellt bei Edward B. Garrison, Italian Romanesque Painting. An Illustrated Index, Florence 1949; vgl. auch: Carlo Bertelli, Giuliano Briganti, Antonio Giuliano, Storia dell’arte italiana II, Milano 1986, 379. 96 Garrison, o.c. 183 (Nr. 459); Leone Bracaloni, Il prodigioso Crocifisso che parlo` a S. Francesco. Stud. Franc. 11 (1939), 185–212. 97 III Cel 2 (Anal. Fr. 10,272f.); 3 Soc 14 (ed. Desbonnets, 100); vgl. ferner: I Cel 115 (Anal. Fr. 10,91); II Cel 10 (ebd. 137); 105 (ebd. 192); 211 (ebd. 252); s. hierüber ausführlich: u. Kap. III, bei Anm. 73–81; vgl. auch das Gebet des Franziskus und Pacificus vor dem Crucifixus von Bovara: II Cel 123 (Anal. Fr. 10,202f.); Leg. Per. 65 (ed. Bigaroni, 170).

III. KAPITEL

JUGEND UND BEKEHRUNG DES FRANZISKUS Die Aussicht, über die Jugend des Franziskus, d.h. seine vierundzwanzig ersten Lebensjahre, etwas Sicheres zu sagen, wird in der neueren Forschung gelegentlich skeptisch beurteilt. So weist Stanislao Da Campagnola auf die fundamentalen Unterschiede in den Jugenderzählungen der beiden Lebensbeschreibungen des Thomas von Celano hin: in der ersten erscheinen die Eltern des Franziskus und dieser selbst als Produkt ihrer Erziehung in absolut negativem Licht, während in der zwanzig Jahre später verfaßten Vita secunda von Gefühlen natürlicher Güte und vielversprechenden Vorzeichen für die spätere religiöse Entwicklung des Franziskus die Rede ist. Den entsprechenden Erzählungen der Drei-Gefährten-Legende und des Anonymus von Perugia mißt Pater Stanislao eine untergeordnete Bedeutung zu, da er sie an dem zweiten Interpretationsschema des Celanesen orientiert sieht.1 Dem gegenüber halten wir mit R. Manselli die 3 Soc für den Träger einer selbständigen alten und in bezug auf die Verhältnisse in Assisi besonders zuverlässigen Tradition.2 Thomas von Celano hat in seinen beiden Erzählungen den wenigen ihm bekannten Tatsachen ein erbaulich-hagiographisches Schema übergestülpt. Berücksichtigt man dies, so zeigen sich in der Schilderung der Ereignisse und des Charakters des jungen Franziskus in I Cel, II Cel und 3 Soc doch übereinstimmende Züge.

1. Das Leben »in Sünden« Geburt – Elternhaus – Taufe Franziskus ist gegen Ende des Jahres 1181 oder Anfang 1182 in Assisi geboren. Das ungenaue Geburtsdatum ist aus zwei Angaben der älteren Biographen erschlossen: nämlich daß Franziskus zwanzig Jahre nach seiner Bekehrung, am Abend des 3. Oktober 1226, gestorben ist,3 und daß er von Stanislao da Campagnola, Introduzione, in: FF, S. 275. R. Manselli, Franziskus, 39. 41. 3 I Cel 88. 109; II Cel 220a (Anal. Fr. 10,67. 84. 258); 3 Soc 68 (ed. Desbonnets, 141f.). 1 2

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seiner Kindheit »bis fast zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr« die Zeit in der Welt totschlug.4 Demnach war er also bei seinem Tode knapp fünfundvierzig Jahre alt. Der Vater des Franziskus hieß Petrus Bernardonis (Pietro di Bernardone, d.h. Petrus, Sohn des Bernardone) und war ein sehr reicher Tuchhändler, der auch im Importgeschäft tätig war. Er unterhielt Handelsbeziehungen nach Frankreich. Dort hielt er sich auch zur Zeit der Geburt des Franziskus auf.5 Die Mutter, deren Namen in nur zwei der älteren Quellen mit Pica,6 in jüngeren mit Johanna angegeben wird, ließ ihren erstgeborenen Sohn auf den Namen Johannes (Baptista) taufen.7 Seinen Namenstag hat Franziskus später mit besonderer Feierlichkeit begangen. Als der Vater von seiner Reise zurückkehrte, nannte er seinen Sohn kurzerhand Franziskus (Francesco). Der etwas ungewöhnliche, aber damals keineswegs unbekannte Beiname (nickname) bedeutet nichts anderes als »Franzose« (»Franzmann«, Frenchman).8 Diese wenigen von den Biographen gemachten Angaben lassen eine Fülle von Fragen offen, die in der Forschung ausgiebig, jedoch ohne jedes sichere Ergebnis diskutiert wurden. Um mit dem zuletzt Genannten, dem Namen Franziskus anzufangen: Warum nannte Pietro di Bernardone seinen Sohn so? Man hat hierüber verschiedene Vermutungen geäußert, z.B. daß der Vater in Erinnerung an das liebliche Land Frankreich, oder um den Abschluß dort getätigter erfolgreicher Geschäfte zu feiern, seinen Sohn Francesco genannt habe. Wir wollen diesen Vermutungen eine weitere hinzufügen: es könnte so gewesen sein, daß Pietro ein Jahr oder länger von Assisi abwesend war. Als er von seiner Geschäftsreise nach Hause kam, konnte der kleine Giovanni bereits einige Worte sprechen, und zwar auf französisch oder provenzalisch. Französisch wäre dann seine Muttersprache im engsten Sinn, d.h. die von seiner Mutter erlernte Sprache gewesen. Das böte eine plausible Erklärung für die hinreichend belegte Tatsache, daß Franziskus französisch konnte. Auch sein jüngerer Bruder, Angelo, verstand französisch, wie aus einer Bemerkung der 3 Soc hervorgeht: als Angelo den zerlumpten, halbnackten Franziskus verspottete, sagte ihm dieser auf französisch: »Ich werde diesen Schweiß meinem Herrn teuer verkaufen.«9 4 I Cel 2 (Anal. Fr. 10,6). Thomas von Celano datiert in seiner ersten Legende mehrfach Ereignisse nach dem »Jahr der Bekehrung« des Franziskus (I Cel 18. 21. 55. 57. 88. 97. 109. 119) oder dem »Jahr vor seinem Todestag« (84. 88. 109), woraus sich eine im ganzen zuverlässige Chronologie ergibt. 5 3 Soc 2 (ed. Desbonnets, 90). 6 S.u. Anm. 10. 7 II Cel 3 (Anal. Fr. 10,131); 3 Soc 2 (ed. Desbonnets, 90). 8 M. Bihl, De nomine S. Francisci. AFH 19 (1926), 469–529; s. hierzu und zum folgenden: Giuseppe Abate, Storia e leggenda intorno alla nascita di S. Francesco d’Assisi. Misc. Fr. 48 (1948), 515–549; 49 (1949), 350–374; über den Namen »Francesco« ebd. 368f. 9 3 Soc 23 (ed. Desbonnets, 108); s.u. bei Anm. 161.

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Die Mutter wäre demnach (süd-?) französischer Herkunft gewesen. Ihr Name war Pica, wahrscheinlich ebenfalls ein Beiname,10 während ihr richtiger, »christlicher« Name möglicherweise Johanna (Giovanna, Jeanne) war. Pica als Name einer Frau ist in Italien sonst nicht belegt.11 Er bedeutet »Elster« (it. gazza; franz. pie). Mit der Elster wird von altersher die Eigenschaft der Schwatzhaftigkeit verbunden. Hinter dem Spitznamen könnte dann nichts anderes als eine Anspielung auf die besagte Eigenschaft seiner Trägerin zu suchen sein.12 Eine weitere bekannte Eigenschaft der Elster ist ihre Lust zu stehlen: sie liebt Gold und Schmuck, die sie wegschleppt und versteckt, weswegen sie auch monedula (Geldfresserin) genannt wird. Doch die Elster ist auch ein in Mythologie und Volksreligion stark geprägter Vogel: die Begegnung mit einer Elster kann Unglück bringen, sie gilt als Wahrsage-, Hexenund Teufelstier sowie als »sprechendes Tier«.13 Mit ihrer auffälligen SchwarzWeiß-Färbung symbolisiert sie das Gute und das Böse im Menschen.14 Unter den Vögeln, denen Franziskus predigt, sind Elstern (monaclae, monedulae) eigens erwähnt.15

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Der Name »Pica« ist bezeugt in einer Erzählung des Bruders Nikolaus von Assisi, die im Cod. Ottobonianus 522 der Biblioteca Vaticana überliefert ist; s. L. Oliger, Liber exemplorum Fratrum Minorum saeculi XIII. Antonianum 2 (1927), 203–276; ebd. 262f. (Nr. 116); FF 2668, und ebd. Anm. 24; der Name der Mutter des Franziskus ist ferner überliefert in einem Dokument der Biblioteca Comunale von Assisi, in dem neben den Neffen auch Mutter und Bruder des heiligen Franziskus namentlich genannt werden: »divisio inter Picardum et Johannetum filios Angeli de Pica, nepotes beati Francisci«; s. Teofilo Domenichelli, La famiglia di San Francesco, Firenze 1907, 2, Anm. 4. 11 Abate, Storia (o. Anm. 8), 538f. 12 Die Vermutung von Abate, daß der Spitzname auf das Gelüst (pica = voglia) der Schwangeren nach etwas Außergewöhnlichem zurückgehe, scheint doch etwas abwegig. Ob Heinrich von Avranches (ca. 1190–1272) in seiner um 1232–1234 verfaßten, dem Papst Gregor IX. gewidmeten Legenda versificata auf den Namen Picas anspielen will, ist fraglich, aber nicht völlig auszuschließen. Er läßt den jungen Franziskus zu seinem Vater sagen: »Si gloria mundi Sit tua, si totus soli tibi supplicet orbis, Ut facias silicesque loqui picasque silere, Hoc totum tibi non poterit praestare salutem« (Leg. vers. 3,55–58: Anal. Fr. 10,423). Heinrich, ein typischer Clericus vagans, war Zeitgenosse des Franziskus und kann dessen Familie durchaus gekannt haben. 13 S. hierzu den Artikel: »Elster« im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 3 (1929/30), 796–802. Vgl. noch: Anna Wimschneider, Herbstmilch. Lebenserinnerungen einer Bäuerin (Serie Piper Bd. 740), München 331989, 82. 14 Vgl. z.B. den Prolog des »Parzival« von Wolfram von Eschenbach (Studienausgabe, Berlin 1965, 1). 15 I Cel 58 (Anal. Fr. 10,44). Zu dem katharischen Hintergrund der Vogelpredigt s.u. VI. Kapitel: Beseelte Natur.

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Wenn die Vermutung zuträfe, daß der seltsame Vogelname der Mutter des Franziskus auf ihre katharische Herkunft verweist, dann hätten wir nicht nur eine Erklärung für dessen Französisch-Kenntnisse, sondern auch für seine Vertrautheit mit den Grundlehren des Katharertums. Es könnte uns auch verstehen helfen, weshalb sich Franziskus nach seiner Bekehrung nicht nur von seinem Vater, sondern auch von seiner Mutter getrennt hat. Dabei wird Domina Pica schon in der zweiten Celano-Legende, erst recht aber in den jüngeren Legenden, zur Heiligen hochstilisiert. Eine weitere Frage betrifft das Geburtshaus des Franziskus. Das kleine Oratorium San Francesco Piccolino wird heute als der Stall ausgegeben, in dem er geboren sein soll. Die Erzählung, daß die unter Geburtsnöten leidende Pica sich in einen Stall zurückgezogen habe, um ihr Kind zu gebären, hält G. Abate für historisch zutreffend. (Pica soll als Pilgerin u.a. im Heiligen Land gewesen sein). Es handelt sich hier aber doch wohl eher um eine von den Legenden, die ihre Entstehung dem Bestreben verdanken, das Leben des Franziskus demjenigen Christi anzugleichen. Auch die »Chiesa Nuova« genannte Kirche erhebt den Anspruch, in ihrem Komplex das Vaterhaus des heiligen Franziskus zu enthalten. Dicht neben ihr befindet sich an einer alten, steil ansteigenden Gasse ein Raum, der der Laden gewesen sein soll, in dem der junge Franziskus Tuche und Kleider verkaufte. Diese und andere Traditionen über Häuser im mittelalterlichen Assisi sind nicht nachprüfbar. Doch ist es durchaus möglich, daß Pietro di Bernardone mehrere Häuser in der Stadt besaß. Es ist ziemlich sicher, daß Franziskus in der Kathedrale von Assisi getauft wurde, nicht etwa in der Pfarrkirche S. Giorgio, zu deren Bezirk seine Familie gehörte. Doch in welcher Kathedrale? Im Dom S. Rufino wird am Eingang, auf der rechten Seite, das Taufbecken (Fonte battesimale) des heiligen Franziskus gezeigt, über dem übrigens auch der am 26. Dezember 1194 in Jesi geborene Kaiser Friedrich II. das Sakrament der Wiedergeburt empfangen haben soll. Nun befand sich der neue Dom von Assisi damals noch im Bau. Wie bereits erwähnt, weihte Gregor IX. 1228, zwei Jahre nach dem Tode des Franziskus, den Hochaltar, und erst 1253, bei der Weihe durch Innocenz IV., scheint der Gesamtbau vollendet gewesen zu sein. G. Abate nimmt deshalb an, daß sich das Taufbecken 1182 noch in der alten Kathedrale S. Maria Maggiore (S. Maria del Vescovado) befand, aus der es zu einem uns unbekannten Zeitpunkt in die neue Bischofskirche versetzt worden sei.16 Dagegen meinen Arnaldo Fortini und die meisten anderen Biographen, daß Franziskus in S. Rufino getauft wurde.17 Aber mit Sicherheit läßt sich hierüber nichts sagen.

16 17

Abate, Storia (o. Anm. 8), 361f. A. Fortini, Nova vita di San Francesco, Roma 1981, 106.

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Franziskus hatte noch einen jüngeren Bruder mit Namen Angelus, der sich, ähnlich wie der Vater, bei der Verfolgung und Verunglimpfung des neubekehrten Franziskus durch seine Mitbürger unrühmlich hervortat.18 Sein Name ist in zeitgenössischen Notariatsakten überliefert, die in der Biblioteca Comunale zu Assisi erhalten sind. In einem Dokument vom 13. Mai 1215 wird er »Angelus Picae« genannt; der Vater Pietro Bernardone muß also zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen sein.19 Thomas von Eccleston gibt einen Bericht des Bruders Martin von Barton wieder, wonach der leibliche Bruder des Franziskus als Beauftragter der Stadt Assisi bei einem Generalkapitel (vermutlich dem »Strohmattenkapitel« von 1221) den Abriß eines von der Stadt errichteten Hauses durch Franziskus verhinderte.20 Angelus muß spätestens 1228 gestorben sein.21 L. Wadding hat eine Stammtafel der Familie zusammengestellt, die mit dem Großvater des Franziskus, Bernardone (Bernardonus Morica), beginnt.22 Nach ihr hat Angelus für die Fortpflanzung der Familie gesorgt: er hatte zwei Söhne, Picardus und Johannes (Johannetus). Während Picardus unverheiratet und kinderlos blieb,23 hatte Johannes einen Sohn, Francisculus (Ciccolus, Fränzchen), und eine Tochter, Iohannola (Johannachen). Zu beider Gunsten errichtete er am 4. August 1261 ein Testament. Francisculus wiederum hatte sechs Kinder: vier Söhne – Franciscutius, Petrutius, Bernardus, Angelus – und zwei Töchter – Franciscana und Clara. (Wir sind damit bei der Generation der Urenkel des Bruders des heiligen Franziskus angelangt). Clara war Äbtissin von S. Angelo di Panzo (also dort, wo einst die heilige Klara nach ihrer Flucht aus dem elterlichen Haus vorläufigen Unterschlupf gefunden hatte). Von ihren Brüdern gehörten zwei dem Minoriten-Orden an: Franciscutius war Guardian von S. Damiano; Angelus soll zeitweilig Theologieprofessor in Paris gewesen sein. 18 II Cel 12; 3 Soc 23. Aus einer Bemerkung der 3 Soc könnte geschlossen werden, daß es außer Angelo noch mindestens ein weiteres Kind gab: »Mater autem quia eum praeter ceteris filiis diligebat« (3 Soc 9; ed. Desbonnets, 96). Wenn es noch jüngere Geschwister des Franziskus gab, sind sie möglicherweise bereits im Kindesalter verstorben. 19 Domenichelli, Famiglia (o. Anm. 10); Lemmens, Testimonia minora (o. Kap. I, Anm. 155), 249. 20 Eccleston, De adventu (ed. Little, 32): »Ipse narravit, quod in capitulo generali, in quo praecepit sanctus Franciscus destrui domum, quae fuerat aedificata propter capitulum, fuerunt quinque milia fratrum. Frater vero suus secundum carnem fuit senescallus capituli et defendit domum ex parte communitatis«; vgl. II Cel 57 (Anal. Fr. 10,166). 21 Lemmens, Testimonia minora, 249. 22 Wadding, Ann. Min. I,17f. 23 Er ist seit 1256 als Ökonom und Prokurator der Basilika S. Francesco erwähnt, zum letzten Mal im Jahre 1273 (o. Anm. 19).

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Nach der Genealogie, die Arnaud de Sarrant (Arnaldus de Serrano) in seinem 1365 entstandenen Werk »De cognatione Sancti Francisci« überliefert24 und die, abgesehen von der Schreibweise einiger Namen, mit derjenigen Waddings übereinstimmt, hatte der oben erwähnte Petruccio (Petrutius) eine Tochter Francisca, die damals (1365) noch sehr jung (adhuc iuvencula) war. Auch Bernardo hatte eine Tochter namens Johanna. Beide scheinen dem Autor bekannt gewesen zu sein. Nach Wadding lebten im Jahre 1543 in Assisi noch zwei Nachkommen Pietro Bernardones: Antonius und Bernardonus. Mit ihnen scheint der Stamm erloschen zu sein. Erziehung In seiner ersten Legende verschwendet Thomas von Celano viele Worte daran, das Elternhaus und die Erziehung des Franziskus in den schwärzesten Farben zu malen: Franziskus, von früher Kindheit an nach den Maßstäben der hohlen Eitelkeit und Unverschämtheit dieser Welt erzogen, gab sich Mühe, das elende Leben seiner Eltern nachzuahmen, um schließlich noch eitler und unverschämter als seine Vorbilder zu werden. Der harte Vorwurf, den Celano gegen die Familie des Franziskus und summarisch gegen die christlichen Elternhäuser überhaupt erhebt, ist, daß sie sich freiwillig in die Sklaverei der Sünde begeben haben und nur noch dem Namen nach Christen sind.25 Die Verkehrtheit der Erziehung besteht darin, daß sie bemüht ist, die Kinder von der Wiege an allzu locker und zügellos (remisse nimis et dissolute) aufwachsen zu lassen.26 Es ist klar, daß wir in dieser rhetorisch drapierten Weltverachtungsrede die mönchische Stimme von einem vernehmen, der selbst die Welt verlassen hat und der in dem Leben und den Sitten der Weltleute nur Vergeblichkeit und moralische Schlechtigkeit erblicken will. Franziskus selbst wird nach seiner Bekehrung sein Dasein in der Welt nicht anders gesehen haben. Zu Beginn seines Testamentes spricht er von seinem Dasein »in Sünden«.27 Will man sich nicht unbedingt den Standpunkt einer solchen mönchisch-rigorosen Weltsicht zu eigen machen, dann hat man den Eindruck, daß die Eltern des Franziskus ein durchaus normales Leben führten und sich keineswegs amoralischen Exzessen und Lastern hingaben. Sie waren allerdings sehr reich.

24 F.M. Delorme, Pages ine´dites sur S. Franc¸ois e´crites vers 1365 par Arnaud de Sarrant Min. Prov. d’Aquitaine. Misc. Fr. 42 (1942), 103–131; ebd. 113. 25 »Sic enim voluntaria servitute servi effecti peccati, arma iniquitatis exponunt omnia membra sua, et nihil in se christianae religionis in vita seu in moribus praeferentes, solo christianitatis nomine se tuentur« (I Cel 1: Anal. Fr. 10,6). 26 Ebd. (Anal. Fr. 10,5). 27 Esser, Opuscula, 438.

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Deshalb konnte sie auch das mehr als lustige Leben und die Verschwendungssucht ihres Ältesten mit einiger Gelassenheit tolerieren, wenngleich sie nicht gerade glücklich darüber waren. So berichtet es jedenfalls die DreiGefährten-Legende, und außerdem, daß seine Mutter, von den Nachbarn auf die Leichtlebigkeit ihres Sohnes hin angesprochen, geantwortet habe: »Was haltet ihr von meinem Sohn? Aus dem wird durch die Gnade noch ein Gotteskind!«28 In der zweiten Legende des Thomas von Celano, wo Pica zu einer zweiten Elisabeth hochstilisiert erscheint, wird daraus eine von Gott inspirierte Prophezeiung gegenüber den Nachbarn, die Hochherzigkeit und Sittenreinheit des jungen Franziskus bewundern(!). Und anstelle des ganz natürlichen Ausdrucks der Erwartung einer Mutter, daß aus ihrem Sohn mit Gottes Hilfe schließlich doch noch etwas Rechtes werden könne, heißt es nun feierlich: »Was, meint ihr, wird dieser mein Sohn sein? Ihr werdet erkennen, daß er aufgrund seiner Verdienste ein Kind Gottes sein wird.«29 In den Quellen nicht eigens erwähnt, aber dennoch anzunehmen ist, daß Franziskus die beruflichen Fähigkeiten eines Kaufmanns erlernt hat. Voraussetzung dafür war, daß er lesen und schreiben konnte. Lesen lernten die Kinder im Mittelalter anhand des Psalters, der bei dieser Gelegenheit dann auch auswendig gelernt wurde.30 Auch Franziskus hat auf diese Weise lesen gelernt, und zwar in der kleinen Kirche San Giorgio, wo er später, nach seiner Bekehrung, zuerst predigte und wo sein Leichnam für knappe vier Jahre bestattet wurde, bevor er (1230) in die neue Grabeskirche übertragen wurde.31 Seine Ausdrucksfähigkeit in der lateinischen Sprache war, in grammatischer Hinsicht, nicht perfekt, und das »falsche Latein« war zeitlebens ein Erkennungsmerkmal seiner Briefe.32 28 »Propter quod multotiens arguebatur a parentibus dicentibus ei quod tam magnas expensas in se et in aliis faceret, ut non eorum filius sed cuiusdam magni principis videretur. Quia tamen divites erant parentes eius et ipsum tenerrime diligebant, tolerabant eum in talibus ipsum turbare nolentes. Mater autem eius, cum de prodigalitate sua sermo a convicinis fieret, respondebat: ›Quid de filio meo putatis? Adhuc erit filius Dei per gratiam‹« (3 Soc 2; ed. Desbonnets, 90f.). 29 »Nam Francisci magnanimitatem et morum honestatem admirantibus convicinis, quasi divino instructa oraculo, sic aiebat: ›Quid putatis iste filius meus erit? Meritorum gratia, Dei filium ipsum noveritis affuturum‹« (II Cel 3: Anal. Fr. 10,131). 30 Ignazio Baldelli, Il »Cantico«. Problemi di lingua e di stile, in: S.I.S.F. Francesco d’Assisi e Francescanesimo dal 1216 al 1226. Atti del IV Conv. int., Assisi, 15–17 ott. 1976, Assisi 1977, 77–99; ebd. 99; über den Psalter als elementares Lesebuch im Mittelalter: Pierre Riche´, Le Psautier, livre de lecture e´le´mentaire d’apre`s les vies des saints me´rovingiens, in: E´tudes me´rovingiennes. Actes des journe´es de Poitiers, Paris 1953, 253–256. 31 I Cel 23 (Anal. Fr. 10,20); 124 (ebd. 99); Jordan von Giano, Chronik 50 (ed. Boehmer, 45). 32 S. z.B. Thomas de Eccleston, Tractatus de adventu Fratrum Minorum in Angliam,

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Wie schon erwähnt, konnte Franziskus auch Französisch, wenngleich ebenfalls nicht perfekt.33 Doch waren ihm französische Ritterromane und Epen des 12. Jahrhunderts bekannt. In dem berühmten Gleichnis von der armen Frau in der Wüste, das er später dem Papst Innocenz III. erzählt,34 kommt ein König vor, der eine freigebige Tafelrunde hält. Die von ihm am meisten geschätzten Gefährten, die betenden und meditierenden Brüder, nennt Franziskus »meine Brüder Ritter von der Tafelrunde.« In besonderer Weise gilt dies für Bruder Ägidius von Assisi, einen seiner ersten Gefährten.35 Nach der Legenda Perusina belehrt Franziskus in demselben Zusammenhang, in dem er von den Rittern seiner Tafelrunde spricht, einen Bruder, der unbedingt ein Psalterium haben möchte, über das wahre geistliche Rittertum: es besteht nicht im Wissen und Erzählen der Taten großer Männer der Vergangenheit, wie Kaiser Karl, Roland und Olivier, sondern im eigenen Vollzug der Taten: im Kampf und Sterben für den christlichen Glauben.36 Die Erwähnung Karls des Großen und seiner Paladine zeigt, daß Franziskus das Rolandslied37 gekannt haben muß. Ebenso beweisen die mehrfach überlieferten Anspielungen auf die ritterliche Tafelrunde, daß ihm der Stoff der Artus- und Gralssage geläufig war.38 Das wiederum läßt Rückschlüsse darauf zu, wie die häufigen Beteuerungen des Franziskus selbst von sich und anderer über ihn, er sei »unbelesen«, »ungebildet«, »einfältig« usw., zu beurteilen sind: sie gehören zur »Selbstinszenierung« des Franziskus und sind, wie alle seine Ausagen über sich selbst, hinsichtlich ihres historischen Wahrheitsgehalts mit der allergrößten Vorsicht und Skepsis zu betrachten. Eine Bemerkung der »Drei Gefährten« wollen wir nicht überlesen. Es heißt von den Eltern des Franziskus, sie hätten ihn überaus zärtlich (tenerrime) geliebt.39 Und so sind auch die Verfolgungen und Flüche, mit denen Petrus Coll. VI (ed. A.G. Little, Oxford 1951, 32): ». . in terrae motu, quem praedixerat sanctus Franciscus et per omnes scholas Bononiae per fratres praedicari fecerat, per litteram, in qua fuit falsum latinum.« 33 3 Soc 10; s.u. Anm. 120. 34 3 Soc 50; II Cel 16; s.u. Kap. IV, bei Anm. 134. 35 »fratres mei milites tabulae rotundae«: Leg. Per. 103 (ed. Bigaroni, 310); »Iste est miles meus tabulae rotundae«: Chron. XXIV Generalium (Anal. Fr. 3,78). 36 Leg. Per. 103 (ed.c. 312). 37 Les textes de la Chanson de Roland, e´d. Raoul Mortier, T. 1–10, Paris 1940–1944; La Chanson de Roland, ed. Cesare Segre, Milano-Napoli 1971. 38 Christian von Troyes, Der Percevalroman (Li Contes del Graal), hrsg. von Alfons Hilka, Halle (Saale) 1932; Chre´tien de Troyes, Le Roman de Perceval ou le Conte du Graal, ed. William Roach, Gene`ve-Lille 1956; deutsche Übersetzung: Chrestien de Troyes, Perceval oder die Geschichte vom Gral, übers. v. Konrad Sandkühler, Stuttgart 1957; La Queste del Saint Graal. Roman du XIIIe sie`cle, e´d. Albert Pauphilet, Paris 1984. 39 3 Soc 2 (ed. Desbonnets, 91); s.o. Anm. 28; vgl. auch 3 Soc 9 (ebd. 96) von der Mutter (s.o. Anm. 18).

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Bernardone seinen äußerlich heruntergekommenen Sohn überzieht, eher Äußerungen einer verzweifelten und tief enttäuschten Liebe40 als irrationaler Wut und Bosheit.41 Jugendzeit Der der Kindheit entwachsene Franziskus führte, wie bereits erwähnt, ein sehr lustiges Leben. Mit Gleichgesinnten und Altersgenossen brachte er Tage und Nächte damit zu, in der Stadt umherzuziehen und mit Freß- und Saufgelagen viel Geld durchzubringen. Daß zu diesen Freizeitbeschäftigungen auch Hurereien gehörten, wird in den Quellen nicht ausdrücklich gesagt, ist aber wohl anzunehmen.42 Da er über ausreichend Geld verfügte, konnte er, wenn er wollte, auch die ganze Gesellschaft seiner Kumpane zechfrei halten. In den typischen Äußerungen jugendlicher Lebensbewältigung suchte Franziskus seine Genossen in jeder Weise zu übertreffen. Das galt für Witze und verbale Kraftakte ebenso wie für aufwendige und auffällige Kleidung. (Die skurrile Sprache und die Aufmachung der Jugendlichen schockierte damals wie heute die anständigen Bürger). Kurz, um es in moderner Sprache auszudrücken: der soeben erwachsen gewordene Franziskus war bemüht, nicht nur in jeder Weise »in«, sondern auch »der Größte« zu sein.43 Später, als er schon auf dem Wege der Bekehrung war, wurde er von seinen Genossen zum »Führer« gewählt, zweifellos in der Erwartung, weiterhin von seiner ausgabenfreudigen Hand zu profitieren.44 Was die Kleidung betrifft, so heben die »Drei Gefährten« noch besonders seine curiositas – das Bedürfnis, um jeden Preis aufzufallen – hervor: er ließ sich manchmal Kleider aus Tüchern von extrem unterschiedlicher Qualität zusammennähen.45 (Man sieht: auch so et40 So sehen es zutreffend die »Drei Gefährten«: »Pater vero ipsius videns eum in tanta vilitate positum dolore nimio replebatur. Quia enim multum dilexerat ipsum, verecundabatur et dolebat tantum super eum, videns carnem illius quasi mortuam ex afflictione nimia et algore, quod ubicumque reperiebat ipsum maledicebat ei« (3 Soc 23; ed. Desbonnets, 107). 41 I Cel 12f. (Anal. Fr. 10,13f.). 42 Vgl. 3 Soc 2 (ed. Desbonnets, 90): ». . deditus iocis et cantibus civitatem Assisii die noctuque circuiens sibi similibus sociatus, in expendendo largissimus adeo ut omnia quae habere poterat et lucrari in comestionibus aliisque rebus consumeret.« Vgl. auch die Andeutungen in I Cel 3 (Anal. Fr. 10,7) und 10 (ebd. 10): »poenitebat eum peccasse tam graviter et offendisse oculos maiestatis.« 43 Vgl. I Cel 2 (Anal. Fr. 10,6f.): »Admirationi omnibus erat et in pompa vanae gloriae praeire caeteros nitebatur, in iocis, in curiosis, in scurrilibus et inanibus verbis, in cantilenis, in vestibus mollibus et fluidis.« 44 »Eligitur ab eis in ducem, experta saepius liberalitate ipsius, qua indubitanter sciebant ipsum expensas soluturum« (II Cel 7); »Postquam vero Assisium est reversus, non post multos dies, quodam sero a sociis suis eligitur in dominum ut secundum voluntatem suam faceret expensas« (3 Soc 7).

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was wurde nicht erst von der Jeunesse dore´e und dem Jet set unseres Zeitalters erfunden). Dennoch war Franziskus kein reiner Verschwender, er arbeitete auch (vermutlich hart und gut) im väterlichen Geschäft.46 Es wird außerdem die Vornehmheit (curialitas; Höfischkeit; Anstand) in seiner Gesinnung und in seinem Umgang mit Menschen hervorgehoben,47 sicherlich nicht bloß eine oberflächliche, ritterlich sein wollende Manier, sondern eine tiefer sitzende Charaktereigenschaft, der er lebenslang treu geblieben ist. Franziskus ist von der Mehrzahl seiner Mitmenschen als liebenswürdiger, angenehmer Zeitgenosse erfahren worden. Die sorglose, freuden- und genußreiche Jugendzeit des Franziskus wird durch zwei Ereignisse überschattet, die ihn mit dem Leiden konfrontierten und für seinen späteren Lebensverlauf doch entscheidender waren, als manche der früheren Biographen annehmen. Das erste war eine einjährige Kriegsgefangenschaft in Perugia. Ein Kleinkrieg mit dieser stets mächtigeren Rivalin hatte im November 1202 zu der Niederlage der Assisiaten bei Collestrada geführt; viele von ihnen wurden als Gefangene nach Perugia gebracht. Franziskus, der durchgehend heiterer und fröhlicher Laune blieb, suchte die gedrückte Stimmung seiner Mitgefangenen zu heben. Als ein Ritter wegen seines Hochmuts und flegelhaften Benehmens von den anderen ins Abseits gestellt wurde, beteiligte sich Franziskus nicht an den Isolationsmaßnahmen, sondern suchte den Geächteten in die Gemeinschaft zurückzuführen:48 es war das erste Mal, daß er sich als Friedensstifter betätigte. Doch fällt hier auch in den Lebensbeschreibungen zum ersten Mal das Wort »verrückt«: nach dem Empfinden der Schicksalsgenossen ist die Fröhlichkeit des Franziskus in der Gefangenschaft nicht normal.49 Der zweite große Einschnitt war eine längere Krankheit, die ihn ans Bett fesselte. Über die Natur dieser Krankheit und ihre möglichen Ursachen ist viel 45 »In curiositate etiam tantum erat vanus quod aliquando in eodem indumento pannum valde carum panno vilissimo consui faciebat« (3 Soc 2: ed. Desbonnets, 91). 46 Vgl. 3 Soc 2 (ed.c. 90): »Hic, postquam fuit adultus et subtilis ingenii factus, artem patris id est negociationem exercuit«; I Cel 2 (Anal. fr. 10,7): »cautus negotiator«. 47 »Erat tamen quasi naturaliter curialis in moribus et in verbis, iuxta cordis sui propositum nemini dicens verbum iniuriosum vel turpe, immo, cum sic esset iuvenis iocosus et lascivus, proposuit turpia sibi dicentibus minime respondere« (3 Soc 3: ed. Desbonnets, 91). – Zu der im 12. Jahrhundert entstandenen Lebenshaltung der curialitas (weltgewandte Bildung, die den Höfling auszeichnet) s. bes.: Peter Classen, Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert. AKG 48 (1966), 155–180; ebd. 166, Anm. 32. 48 »Cumque unus de militibus quibus erat adiunctus uni de concaptivis iniuriam intulisset et ob hoc omnes alii vellent illum deserere, solus Franciscus ei societatem non denegat, sed et alios hortatur ad idem« (3 Soc 4); vgl. II Cel 4. 49 »Propter quod unus de sociis reprehendit eum tanquam insanum, quia scilicet laetabatur in carcere constitutus« (3 Soc 4); »Dolentes arguunt iucundantem in vinculis, insanum reputant ac dementem« (II Cel 4).

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herumgerätselt worden.50 Aus den spärlichen Angaben der ersten Legende des Thomas von Celano läßt sich hierüber gar nichts erkennen.51 Wahrscheinlich ist, daß es sich um eine schwere Krankheit infektuöser Natur handelte. Franziskus, der ohnehin keine sehr stabile körperliche Konstitution besaß,52 wird sie sich als Folge der in der Gefangenschaft erlittenen Entbehrungen und seines ausschweifenden Lebenswandels zugezogen haben. Wichtig ist, daß er lebenslänglich, und mit zunehmendem Alter in stärkerem Maße, ein kranker Mensch war. Nach seiner Bekehrung allerdings schwächte er seine Gesundheit nicht mehr durch ein Übermaß an Lebensfreude, sondern durch das Unmaß seiner freiwillig übernommenen und bis zur Selbstquälerei und Selbstzerstörung gesteigerten Askese.

2. Die Bekehrungsvisionen Die »Bekehrung« des Franziskus wird von den älteren Biographen mit einer Reihe visionärer Erlebnisse in Verbindung gebracht, die eine stufenweise Verwandlung in einen anderen Menschen zur Folge hatten. Diese Visionen fallen in die Zeit, als der etwa zweiundzwanzigjährige Franziskus sich entschlossen hatte, zusammen mit einem Adeligen aus Assisi nach Apulien zu ziehen, um das Rittertum zu erlangen. Nur die »Drei Gefährten« geben den Namen dieses Adeligen an: es handelt sich um einen Grafen Gentile.53 Die Vermutung, daß sein Aufbruch im Zusammenhang mit dem von Innocenz III. veranlaßten Feldzug des Walter von Brienne nach Apulien stand, hat einiges 50 S. dazu: Octavianus a Rieden, De infirmitatibus S. Francisci Assiensis inde a iuventute usque ad stigmatum susceptionem, in: Miscellanea Melchor de Pobladura I, Roma 1964, 99–129; O. Schmucki [= Ders.], Les maladies de Saint Franc¸ois d’Assise avant sa stigmatisation. Medicina nei secoli 9 (1972), 18–57, mit Angaben über die ältere Literatur. 51 I Cel 3 (Anal. Fr. 10,7f.). Heinrich von Avranches stellt in seiner Legenda versificata (I,94–108; Anal. Fr. 10,410f.) die Krankheit als heftiges Fieber dar, was nicht ganz unglaubwürdig ist, da Heinrich sich auch über manche anderen Details der Biographie des Franziskus sehr gut unterrichtet zeigt. 52 Vgl. Leg. per. 106 (ed. Bigaroni, 320): »licet a principio mee conversionis ad Christum infirmitius fuerim« (infirmitius, ital.: infermiccio, malaticcio, bedeutet: kränklich). 53 ». . et ut a quodam comite Gentili nomine miles fiat, pannos pro posse praeparat pretiosos« (3 Soc 5; ed. Desbonnets, 92). Die Skepsis, die Stanislao da Campagnola (FF, Introduzione, S. 276, Anm. 179) bezüglich des Namens »Gentile« äußert, beruht auf einer Unterschätzung der historischen Zuverlässigkeit der 3 Soc. Ein Brief des Erzbischofs Rainald von Capua vom November 1201 an Innocenz III. berichtet von einem Grafen Gentile in der nächsten Umgebung König Friedrichs. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich um die gleiche Person handelt; s. Klaus J. Heinisch (Hrsg.), Kaiser Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, Darmstadt 1968, 9f.

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für sich54. Der Papst, der Vormund des jugendlichen Königs Friedrich Roger von Sizilien (des späteren Kaisers Friedrich II.) war, wollte mit diesem Unternehmen Ordnung in die chaotischen Verhältnisse Süditaliens bringen. Die Vision des waffengefüllten Palastes Unmittelbar vor seiner Reise nach Apulien, als Franziskus in Gedanken mit deren Ziel, dem ersehnten Rittertum, beschäftigt war, hatte er in der Nacht das Traumgesicht eines mit Waffen gefüllten Palastes. Die Erzählungen dieses Traumes bei 3 Soc und I Cel unterscheiden sich in einigen Punkten. Wir haben bereits gesehen, daß Bischof John Moorman aus einem Vergleich der Varianten den Schluß zog, dem Bericht der »Drei Gefährten« müsse die traditionsgeschichtlich ältere Version zugrunde liegen.55 Auf jeden Fall ist sie die logisch kohärentere von beiden Erzählungen. Wir lassen sie deshalb hier im Wortlaut folgen:56 Als er sich eines Nachts gründlich überlegte, wie das zu vollbringen wäre, und der Reise mit sehnsüchtigem Verlangen entgegenfieberte, da wurde er vom Herrn heimgesucht, der ihn, den nach Ehre Begierigen, mit der höchsten Ehre durch eine Vision an sich zog und erhöhte. Als er nämlich in jener Nacht schlief, erschien ihm einer, der ihn mit Namen rief und in den lieblichen Palast einer schönen Braut führte, der voll war mit ritterlichen Waffen. Es hingen nämlich glänzende Schilde und die übrige Ausrüstung, die zum ritterlichen Stand gehört, an der Wand. Das erfreute ihn gar sehr, und er wunderte sich schweigend über all das. Dann fragte er, wem diese glänzenden Waffen und der liebliche Palast gehörten. Und er erhielt die Antwort, dies alles mitsamt dem Palast gehöre ihm und seinen Rittern.

Am Tage vor dieser Vision hatte Franziskus die aufwendigen Kleider, die er sich für die Reise eigens hatte anfertigen lassen, einem armen Ritter geschenkt. Die »Drei Gefährten« äußern die (psychologisch nicht abwegige) Vermutung, diese gute Tat habe den Anlaß für die nächtliche Vision gegeben.57 Die Szene, in der Franziskus wie ein zweiter heiliger Martinus erscheint,58 wird in den Bilderzyklen des Franziskus-Lebens häufig dargestellt. 54

R. Manselli, Franziskus, 55f. S.o. I. Kap. II.6. 56 3 Soc 5 (ed. Desbonnets, 92f.); vgl. I Cel 5 (Anal. Fr. 10,8). In seiner zweiten Legende erwähnt Celano die Vision des waffengefüllten Palastes nur sehr transitorisch, allerdings wiederum mit Varianten gegenüber seinem ersten Bericht (II Cel 6; Anal. Fr. 10,133). Der heilige Bonaventura ist vor allem auf Erbaulichkeit aus; seine Version ist deshalb für die Erhebung des tatsächlichen Geschehens gänzlich wertlos (Leg. mai. I,3; Anal. Fr. 10,561). 57 »Quoddam tamen magnae curialitatis et nobilitatis indicium in eo praecesserat die immediate praecedenti visionem praedictam quod ipsius visionis non modica occasio creditur exstitisse. Nam omnia indumenta sua quae de novo sibi fecerat curiosa et cara cuidam pauperi militi donaverat illa die« (3 Soc 6; ed. Desbonnets, 93). 55

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Giottos entsprechendes Fresko im Rahmen des Zyklus der Oberkirche S. Francesco in Assisi (entstanden 1296–1300) ist das erste bedeutende Landschaftsbild der beginnenden Renaissance. 3 Soc und I Cel berichten übereinstimmend, daß Franziskus die Vision nicht richtig deutete: noch ganz im weltlichen Denken befangen, sah er sie als Bestätigung seiner ritterlichen Ambitionen und seines apulischen Reiseplanes an. Das nächtliche Erlebnis hatte überdies zur Folge, daß er mit einer bislang ungewohnten Freude erfüllt wurde. Die richtige Deutung dieser ersten Vision, oder vielmehr die Erfüllung der in ihr enthaltenen Verheißung, wird dann in einem zweiten visionären Erlebnis angekündigt, das sich auf der ersten Station seiner Reise nach Süden, in Spoleto, ereignete. Der Traum von Spoleto Franziskus war auf seinem Ritt bis nach Spoleto gekommen. Spoleto liegt, von Assisi etwa 45 km entfernt, am südlichen Ende der als »Tal von Spoleto« (Valle Spoletana) bezeichneten großen umbrischen Ebene. Franziskus hatte also einen knappen Tagesritt hinter sich, als er von einem leichten Unwohlsein befallen wurde. Er entschloß sich, ein wenig auszuruhen, um danach seine Reise fortzusetzen. Im Halbschlaf vernahm er eine Stimme, die ihn fragte, wohin er ziehen wolle. Franziskus breitete sein ganzes Vorhaben aus. Da fragte der andere: »Wer kann mehr für dich tun, der Herr oder der Knecht?« Franziskus antwortete: »Der Herr.« Und die Stimme, in der er nun Gott selbst zu sich sprechen hört, fragt ihn weiter: »Warum läßt du dann den Herrn um des Knechtes willen zurück und den Fürsten um des Vasallen willen?« Und Franziskus fragt nun seinerseits – mit den Worten des zur Umkehr entschlossenen Paulus (Act 9,6): »Was willst du, daß ich tun soll, Herr?« Darauf gibt ihm die Stimme des Herrn die Anweisung, in seine Heimatstadt zurückzukehren. Sie verheißt ihm weiterhin die richtige Deutung der Vision des waffengefüllten Palastes.59 Thomas von Celano, der in seiner ersten Vita den Traum von Spoleto überhaupt nicht erwähnt, berichtet in der zweiten Lebensbeschreibung fast mit den gleichen Worten darüber wie die »Drei Gefährten«. In den letzten Satz des Herrn läßt er aber bereits seine eigene Deutung einfließen, indem er Christus die geistliche Erfüllung der ersten Vision ankündigen läßt. Celano weist außerdem auf die Parallele zu der Bekehrung des Saulus hin, woraus deutlich wird, daß er in der unverzüglichen Rückkehr des Franziskus von Spoleto nach Assisi und dem darin zum Ausdruck kommenden Gehorsam gegenüber Gott die eigentliche Bekehrung sieht. Er beschreibt diese Bekehrung näherhin als Verwandlung des weltlichen Rittertums in ein geistliches, 58 Schon II Cel 5 (Anal. Fr. 10,133) führt, ganz im Zuge einer erbaulich-hagiographischen Tendenz, den Vergleich mit dem heiligen Martin breit aus. 59 3 Soc 6 (ed. Desbonnets, 93).

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als Tausch der Ritterehre mit der »Statthalterschaft für Gott«. Wie schon in dem Vergleich mit Martinus hebt er das gegenüber dem Vorbild Neue und Andersartige bei Franziskus hervor.60 Im Unterschied zu II Cel sprechen die 3 Soc noch nicht von einer Bekehrung zu diesem Zeitpunkt. Sie beschreiben vielmehr genau die Wirkung dieses zweiten visionären Erlebnisses auf Franziskus und dessen geistliche Weiterentwicklung: Hatte die Vision des mit ritterlichen Waffen angefüllten Palastes in ihm eine große Freude hervorgerufen, weil er sich in seinem Wunschdenken bestätigt sah, so hatte der Traum von Spoleto eine Besinnung, eine Einkehr in sich selbst zur Folge. Auch nach 3 Soc kehrt Franziskus unverzüglich nach Assisi zurück. In freudiger Stimmung erwartet er eine weitere Weisung des Herrn. Definitiv läßt er den Plan fallen, in Apulien zu ritterlichen Ehren zu gelangen. Sein Wunsch ist es jetzt, sich dem Willen Gottes anzupassen.61 Die Ekstase auf einer Straße von Assisi Im äußeren Lebensablauf des Franziskus scheint sich nach der Rückkehr in seine Vaterstadt zunächst nicht sehr viel geändert zu haben. Nach dem übereinstimmenden Bericht von 3 Soc und II Cel wählte ihn die Jugend von Assisi kurz darauf zu ihrem Führer (dux, dominus).62 Die Altersgenossen spekulierten dabei hauptsächlich auf die Spendierfreudigkeit des Franziskus bei den üblichen Gelagen und Mahlzeiten. Um die erfolgte Wahl gebührend zu feiern, veranstaltete man sogleich ein festliches Mahl. Nach dessen Ende zog die ganze Schar in Prozessionsformation unter Absingen von Liedern durch die Straßen der Stadt. Celano, der das »weltliche« Benehmen der Jugendlichen möglichst abstoßend darstellen will, sagt ein wenig drastisch, daß sie »bis zum Kotzen vollgefressen die Plätze der Stadt mit ihren besoffenen Liedern verunzierten«.63 Die »Drei Gefährten« berichten nüchterner:

60 »Revertitur absque mora, iam forma oboedientiae factus et propriam abdicans voluntatem, de Saulo Paulus efficitur. Prosternitur ille, et verbera dura verba dulcia gignunt; Franciscus vero arma carnalia in spiritualia vertit, et pro militari gloria divinum suscipit praesidatum« (II Cel 6). 61 3 Soc 6 (ed. Desbonnets, 94). 62 3 Soc 7; II Cel 7; s.o. Anm. 44. In I Cel ist dieses Ereignis überhaupt nicht erwähnt. Statt dessen wird das Aufsuchen der Höhle bei Assisi unmittelbar nach der Rückkehr berichtet (I Cel 6; Anal. Fr. 10,9f.). Offensichtlich hat Celano in der zweiten Lebensbeschreibung, nachdem ihm die Berichte der Gefährten vorlagen, hier eine Korrektur vorgenommen. 63 ». . cibaria sapida duplicat, quibus repleti ad vomitum, plateas civitatis ebriis cantilenis commaculant« (II Cel 7,11).

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Nach dem Essen gingen sie aus dem Hause hinaus. Die Gefährten gingen ihm durch die Stadt singend voraus. Er selbst trug als Anführer einen Stab in der Hand und ging in geringem Abstand hinter ihnen her, indem er nicht sang, sondern eingehend meditierte. Da plötzlich wurde er vom Herrn heimgesucht, und sein Herz wurde von solcher Freudigkeit (dulcedo) erfüllt, daß er weder sprechen noch sich rühren konnte. Und er war nicht mehr imstande, etwas anderes zu empfinden oder wahrzunehmen als jenes Gefühl der Freude, das ihn so weit vom leiblichen Bewußtsein hinweggetragen hatte, daß, wie er später selber sagte, wenn man ihn damals in ganz kleine Stücke geschnitten hätte, er sich nicht hätte von der Stelle rühren können.64

Der Bericht spricht nur von der Entrückung aus dem leiblichen Empfinden und Bewußtsein. 3 Soc sagt an dieser Stelle noch nichts von einer inhaltlichen Erkenntnis, die Franziskus gewonnen hätte. Im Gegensatz dazu behauptet Celano, Franziskus habe kraft der geistlichen Anmutung, die ihn zum Unsichtbaren entrückte, die Wertlosigkeit alles Irdischen erkannt.65 In diesem Zusammenhang ist das eine recht dünne Auskunft. In der Erzählung der 3 Soc folgt jedoch hier die logische Fortsetzung, in deren Verlauf auch deutlich wird, was dem Franziskus bei dieser Ekstase bewußt wurde.66 Die Freunde, die bemerken, daß er zurückgeblieben ist, kehren um und erschrecken zunächst, da er ihnen ganz verändert vorkommt.67 Nach dem ersten Schrecken kommt ihnen dann eine naheliegende Erklärung für das seltsame Verhalten: Vielleicht hat Franziskus bereits eine Frau im Auge und trägt sich mit Heiratsabsichten. Sie äußern diese Vermutung in scherzhafter Frage. Darauf antwortet er lebhaft: »Ihr habt recht, denn ich habe daran gedacht, eine vornehmere, reichere und schönere Braut zu nehmen, als ihr je gesehen habt.« Die Antwort der Freunde ist ein spöttisches Gelächter. Sie haben natürlich nicht begriffen, was Franziskus eigentlich meinte. Das sagen 64 3 Soc 7 (ed. Desbonnets, 94). Nicht gerade eine Persiflage, wohl aber die scherzhafte Imitation einer kirchlichen Prozession, an deren Ende der Bischof mit seinem Stab schreitet, ist unverkennbar. 65 II Cel 7 (Anal. Fr. 10,134). 66 Bei I Cel wiederum folgt die Frage nach den eventuellen Heiratsabsichten des Franziskus unmittelbar auf den Bericht der Entrückung, ohne daß beide Passagen logisch miteinander verknüpft sind. Immerhin heißt es bei I Cel noch deutlich: »ostensum est ei a Domino, quid ipsum agere oporteret« (I Cel 7,1; Anal. Fr. 10,10). Doch zeigt sich gerade hier die Ursprünglichkeit und Überlegenheit der 3 Soc über beide Cel-Legenden ganz deutlich. 67 Den Freunden erscheint er in dieser Stunde bereits als einer, der »in einen anderen Mann verwandelt« ist: »Cum autem socii eius retro respicerent et viderent eum ita remotum ab ipsis, revertentes ad illum territi cernunt ipsum quasi in virum alterum iam mutatum« (3 Soc 7,13f.). Vgl. II Cel 7,3: »Incipit transformari in virum perfectum, et alter ex altero fieri.« Im Verständnis der 3 Soc ist die Bekehrung mit einer Änderung des Bewußtseins, der Umkehr der bisherigen Werte, in ein entscheidendes Stadium getreten. Die Bekehrung ist jedoch erst vollendet, nachdem dieses neue Bewußtsein sich in der Begegnung mit den Aussätzigen praktisch bewährt hat (s. dazu u. Abschn. 3).

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die »Drei Gefährten« in ihrem kommentierenden Zusatz: »Er aber sagte das nicht aus sich, sondern von Gott inspiriert. Denn die genannte Braut war die wahre Religion, vornehmer, reicher und schöner als die anderen aufgrund der Armut.«68 Franziskus hat also in dieser Entrückung auf einer der Straßen von Assisi die in dem Traum von Spoleto verheißene Erkenntnis erlangt: daß nämlich sein zukünftiger Weg ein Weg der Armut sein müsse. Diese Erkenntnis war allerdings noch allgemeiner und diffuser Natur. Doch sie stellte den Anfang einer Umkehrung aller Werte in seinem Bewußtsein dar. Dem entsprechend bemerkt 3 Soc korrekt, bezogen auf diesen Zeitpunkt und diese Stufe in der inneren Entwicklung des Franziskus: »Deshalb begann er von dieser Stunde an, sich selbst verächtlich zu sein und das zu verachten, was er früher geschätzt hatte, aber noch nicht ganz, weil er noch nicht vollständig von der Nichtigkeit der Welt gelöst war.« Deshalb: das heißt, weil er nunmehr über den Weg der vera religio Aufschluß erhalten hatte.69 Mit vera religio ist hier zunächst die richtige religiöse Lebensweise gemeint. Sie ist die Braut, mit der Franziskus sich verbinden will. Aus dem Zusammenhang in 3 Soc geht nicht eindeutig hervor, ob er dabei schon an eine zukünftige religiöse Gemeinschaft dachte. Doch die Verwendung des Begriffes religio an dieser Stelle will dem Leser vielleicht eine solche Vermutung nahelegen. In der Schwebe bleibt ferner, wie der in der Erklärung enthaltene Vergleich genau zu beziehen ist: Ist die vera religio eine Braut, die vornehmer, reicher und schöner ist als andere Bräute (d.h. real existierende Frauen, die man heiraten kann)? Oder ist diese religio, die franziskanische nämlich, vornehmer als die anderen christlichen Lebensweisen (religiones), weil sie ihnen gegenüber durch die Armut ausgezeichnet ist? Es ist nicht auszuschließen, daß die »Drei Gefährten« mit Absicht eine Formulierung gewählt haben, die beide Deutungen einschließt. Daß hier bereits das Franziskanertum als Gemeinschaft in den Blick kommt, ist so unwahrscheinlich nicht, da bereits in der Vision des waffengefüllten Palastes mit den »Rittern« auf die zukünftigen Gefährten des Franziskus angespielt wird.70 Zum ersten Mal in der Lebensbeschreibung des Franziskus begegnet hier die Armut gleichnishaft als Person. Angedeutet ist dies ebenfalls schon in der Erzählung der 3 Soc über die Vision des Palastes, der ebendort als »anmutiger Palazzo einer schönen Braut« bezeichnet wird.71 Wie wir im weiteren noch 68

3 Soc 7,19ff. 3 Soc 8 (ed. Desbonnets, 95). Nach Thomas von Celano begann die Verachtung seiner selbst und des bisher Geschätzten bereits, als Franziskus nach seiner ersten schweren Krankheit zum ersten Mal ins Freie trat und die Landschaft betrachtete (I Cel 3f.; Anal. Fr. 10,8). 70 3 Soc 5,17 (ed. Desbonnets, 93); I Cel 5,9 (Anal. Fr. 10,9). 71 »quoddam speciosae sponsae amoenum palatium« (3 Soc 5,11). Vgl. auch u. Kap. IV, bei Anm. 155–158. 69

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sehen werden, gehört die Vorstellung von der »Dame Armut«, der hypostasierten Armut, zum zentralen Bestand der Theologie und Spiritualität des frühen Franziskanertums. Aus einer beiläufigen Bemerkung bei 3 Soc und II Cel geht hervor, woher die Kenntnis von dem Vorfall auf der Straße von Assisi stammt: nämlich aus der späteren Erzählung des Franziskus selbst.72 Die Bemerkung geht wohl auf die gemeinsame Quelle von 3 Soc und II Cel zurück. Da es sich bei der Entrückung mit dem dabei erlebten Gefühl (dulcedo) und der gewonnenen Erkenntnis (vera religio) um innere, psychische Vorgänge handelt, muß der Bericht eines Biographen darüber entweder auf der Erzählung des Betroffenen selbst beruhen oder pure Erfindung sein. Da aber die Ekstase (raptus) bei Franziskus selbst und im ältesten Franziskanertum ein überaus häufiges und für die Entwicklung der franziskanischen Religion charakteristisches Phänomen ist, darf man es für glaubwürdig halten, daß Franziskus sich an das Erlebnis seiner ersten Ekstase sehr genau erinnerte und seinen vertrauten Gefährten darüber berichtet hat. Der Crucifixus von San Damiano Die einzelnen Ereignisse der »Bekehrung« des Franziskus bis zu dem Zeitpunkt, da er endgültig die Welt verließ, lassen sich nicht in eine zuverlässige chronologische Ordnung bringen.73 Einigermaßen sicher ist nur, daß sich der gesamte Vorgang über mindestens zwei Jahre (1205–1206), wahrscheinlich sogar noch etwas länger (Ende 1204 – Anfang 1207) hinzog. Das für seine zukünftige Lebenshaltung und Spiritualität vielleicht folgenreichste Ereignis dieser Periode ist die Vision des Crucifixus von San Damiano. Nach dem übereinstimmenden Bericht von 3 Soc und II Cel betrat Franziskus – wohl im Sommer des Jahres 1206 – die am Berghang unterhalb von Assisi gelegene, halb zerfallene Kirche S. Damiano, um vor dem auf Holz gemalten Bild des Gekreuzigten zu beten.74 Da sagte der Crucifixus zu ihm die berühmten Worte: »Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.« So wenigstens überliefert sie Thomas von Celano, hier und im »Traktat über die Wunder«,75 während bei den »Drei Gefährten« die Anrede noch ein wenig persönlicher klingt: »Franziskus, siehst du nicht, daß mein Haus in Verfall gerät? So geh und stelle es mir wieder her!«76 72

»sicut ipse postea dixit« (3 Soc 7,11); »ut idem retulit« (II Cel 7,15). Vgl. auch Manselli, Franziskus, 59. 3 Soc 13 (ed. Desbonnets, 99f.); II Cel 10 (Anal. Fr. 10,137). In seiner ersten Legende hat Thomas das Ereignis übergangen. 75 »Francisce, inquit, vade, repara domum meam, quae, ut cernis, tota destruitur«; III Cel 2 (Anal. Fr. 10,272). 76 »Francisce, nonne vides, quod domus mea destruitur? Vade igitur et repara illam mihi.« 73 74

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Gemeinsam ist beiden Versionen die direkte Anrede mit dem Namen »Franziskus« und das Präsens, das den ruinösen Zustand des Hauses beschreibt: destruitur: das heißt, man ist (noch immer) dabei, das Haus des gekreuzigten Christus zu zerstören oder dem totalen Zerfall preiszugeben. 3 Soc betont eigens, daß Franziskus die Worte des Crucifixus zunächst mißverstand, indem er sie ganz einfach auf die Kirche S. Damiano, nicht aber auf die Gesamtkirche bezog. Dem entsprechend machte er sich noch keine Gedanken über die Reform der Kirche als religiöser Körperschaft (ecclesia universalis) oder der christlichen Gesellschaft (christianitas), sondern er befaßte sich mit der Rettung einer einzelnen Kirchenruine. Daß es sich dabei um ein Mißverständnis im eigentlichen Sinn handelt, scheint fraglich. Vielmehr ist gerade die Kombination von einfältigem Verständnis (simplicitas), Unmittelbarkeit, ja geradezu materieller Direktheit einerseits und den Folgen daraus sowohl im geschichtlichen als auch in dem höheren geistigen, immateriellen Bereich andererseits für Franziskus charakteristisch. Versteht man dies, so hat man den wichtigsten hermeneutischen Schlüssel für die Geistigkeit und innere Motivation des Franziskus selbst und des frühesten Franziskanertums. Das visionäre Erlebnis vor dem Crucifixus hat zunächst die Folge, daß sich Franziskus um die Erhaltung der Kirche S. Damiano kümmert. Als erstes wird deren »Überleben« gesichert: Franziskus gibt dem neben der Kirche (untätig!) sitzenden Priester Geld, damit die Öllampe vor dem Gekreuzigten am Brennen gehalten werden kann (nur bei 3 Soc!). Wenig später dann – nach Thomas von Celano, als er frei war vom Joch seines irdischen Vaters77 – nahm er eigenhändig den Wiederaufbau von S. Damiano in Angriff. Wichtiger war eine zweite Folge des Ereignisses: das Bewußtsein, daß es der Gekreuzigte war, der ihm eine Weisung gegeben hatte, war für Franziskus der Beginn einer besonderen Beziehung zu dem leidenden, d.h. die Erlösung vollziehenden, Christus. Die Drei-Gefährten-Legende sagt, er habe von da an (ab illa hora), solange er lebte, die Stigmata Jesu in seinem Herzen getragen, was dann später offen zutage getreten sei, als sich die Wundmale des Gekreuzigten auch äußerlich an seinem Körper zeigten.78 Ganz ähnlich drückt es Thomas von Celano an verschiedenen Stellen seines Werkes aus.79 Man kann hier natürlich fragen, ob dies nicht eine theologisch motivierte und von dem späteren Lebenslauf des Franziskus her eingetragene Interpretation der Biographen sei. Wir halten es jedoch für wahrscheinlich, daß die ersten Anfänge der Vorstellung von der Konformität mit Christus tatsächlich 77 I Cel 18 (Anal. Fr. 10,16): also nach der spektakulären Lossagung von diesem vor dem Palast des Bischofs von Assisi (s.u. Anm. 157). 78 3 Soc 14 (ed. Desbonntets, 100). 79 II Cel 10 (Anal. Fr. 10,137); vgl. I Cel 115 (ebd. 91); II Cel 105 (ebd. 192); III Cel 2 (ebd. 272).

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schon auf das Ereignis von S. Damiano zurückgehen. Der Bildeindruck des Crucifixus auf Franziskus ist doch wohl von größerer Bedeutung, als man bisher in der Forschung angenommen hat, und zwar sowohl für die Vision selber als auch für die von da an sich entwickelnden Vorstellungen von der Erlösung der Kirche und der Welt. Die Endstufe dieser Entwicklung ist die vollkommene Gleichförmigkeit des Franziskus mit Christus, das Zusammenfließen des leidenden Franziskus mit dem gekreuzigten Erlöser zu einer einzigen »Person«. Nichts anderes besagt ja das Erscheinen der Stigmata, der fünf Wundmale des Gekreuzigten, am Leib des Franziskus. Wenn es so ist, dann besteht allerdings Grund zu der Annahme, daß der Gedanke von Franziskus als dem »zweiten Christus« auf ihn selbst zurückgeht und nicht erst eine Erfindung seiner Gefährten und Biographen nach seinem Tode ist. Der Crucifixus von S. Damiano ist eine sogenannte croce dipinta, ein auf Nußbaumholz gemaltes Tafelbild romanisch-byzantinischen Stils, das um die Wende des 11. Jahrhunderts entstanden sein dürfte.80 Es wird heute in einer Seitenkapelle der Basilika S. Chiara in Assisi aufbewahrt. Wie auf anderen vergleichbaren mittelalterlichen Kreuzbildern ist nicht nur das Corpus des Erlösers abgebildet, sondern auch die Wirkung der Erlösung auf die gesamte Kirche: Auf einer verbreiterten Fläche unter den Armen des Gekreuzigten ist die unter dem Kreuz versammelte ecclesia militans in Gestalt der aus den Evangelien und der Legende vom heiligen Kreuz bekannten Personen dargestellt: Maria, Johannes, Maria Magdalena, Maria Jacobi, der Hauptmann, drei kleinere Gestalten, darunter der Soldat Longinus. Im oberen Teil, auf einer ebenfalls verbreiterten Fläche des Längsbalkens, erkennt man die Auferstehung (und Himmelfahrt) Christi mit der himmlischen ecclesia triumphans. Von oben in das Bild herein ragt die Hand Gottes (dextera Dei) mit drei ausgestreckten (vgl. Is 40,12) und zwei eingezogenen Fingern. In dem verbleibenden Feld unterhalb der Füße des Crucifixus befindet sich eine heute kaum noch erkennbare Personengruppe. Es könnte die leidende, in der Unterwelt (Hölle) auf Erlösung harrende Kirche mit den Heiligen des Alten Testaments sein. Auf sie, auf die beiden unter dem Kreuz stehenden Personengruppen und auf vier Engel unter den Armen des gekreuzigten Heilands tropft dessen erlösendes Blut. Die Tatsache, daß die Engelwelt auf diese Weise in die Erlösung einbezogen scheint, ist möglicherweise nicht ohne Wirkung auf Fran-

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Bracaloni, Crocifisso (o. Kap. II, Anm. 96); Ders., Il Crocifisso che parlo` a S. Francesco nella Basilica di S. Chiara, Assisi 1958; Garrison, Painting (o. Kap. II, Anm. 95), 183, Nr. 459; Optatus van Asseldonk, Il Crocefisso di San Damiano visto e vissuto da S. Francesco. Laurentianum 22 (1981), 453–476, und: Ders., La lettera e lo spirito I (Dimensioni spirituali, 6), Roma 1985, 631–656; Helmut Feld, Der Ikonoklasmus des Westens (Studies in the History of Christian Thought, 41), Leiden 1990, 69f.

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ziskus geblieben. Das Gleiche mag für ein von dem heutigen Betrachter kaum wahrgenommenes winziges Detail gelten: in der Höhe des linken Knies des Crucifixus ist ein Hahn abgebildet – vielleicht eine Reminiszenz an den Hahn, der in der Passion Jesu die Verleugnung des Petrus markierte (Mt 26,34.74; Mk 14,30.68.72; Lk 22,34.60; Joh 13,38; 18,27). Es ist ein Tier, das am Drama der Passion und damit an dem Vorgang der Erlösung beteiligt ist. Eine Rekonstruktion dessen, was in der Seele eines mittelalterlichen Menschen vorging, wenn er andächtig vor einem Bildnis des Gekreuzigten meditierte und betete, ist selbstverständlich nicht möglich. Doch dürfen wir vermuten, daß einer, der wie Franziskus ein überaus sensibler Mensch und zugleich ein begabter Visionär war, den Stoff seiner Träume, Gesichte und Gedanken nicht nur aus der ihn umgebenden Natur, sondern auch aus der reichen religiösen Bilderwelt der Kirchen nahm. Einige weitere Einzelheiten des Kreuzbildes von S. Damiano sind vielleicht ebenfalls nicht ganz ohne Bedeutung. (Wir bewegen uns noch immer in der grauen Zone der Vermutungen, die indes nicht grundlos sind). Der Crucifixus, ein »lebendiger Christus«, schaut den Betrachter mit weit geöffneten Augen an.81 Hinter dem Nimbus ist ein Holzkeil angebracht. Der Kopf erhält dadurch eine Neigung nach unten und nach vorne, in Richtung des Betrachters, gewinnt also einen plastischen Charakter (testa a rilievo). Es geht hier nicht darum, in aufklärerischer Manier das visionäre Erlebnis eines mittelalterlichen Menschen in seine »natürlichen« Bestandteile zu zerlegen. Doch bedarf es auch heute nicht allzu großer Phantasie, sich den Crucifixus als sprechenden vorzustellen. Der Crucifixus von S. Damiano ist der erste sprechende Crucifixus der christlichen Religionsgeschichte. Aus den Jahrhunderten davor sind zwar einige Ereignisse ähnlichen Charakters überliefert, doch handelt es sich dabei zumeist um reine Visionen. Schon im 6. Jahrhundert berichtet Gregor von Tours († 594) von einem gemalten Bild des gekreuzigten Herrn in der Hauptkirche von Narbonne: Der abgebildete Gekreuzigte sei dreimal nacheinander einem Priester in einer nächtlichen Vision erschienen und habe verlangt, daß man sein in der Kirche befindliches Bild, das ihn in unbekleidetem Zustand darstellte, mit einem Vorhang verhülle.82 Über den Crucifixus von San Mi81

In der Zeit der Romanik war diese Darstellung des Gekreuzigten die übliche. Erst nach dem Tode des Franziskus setzte sich in Italien, zweifellos unter dem Einfluß franziskanischer Theologie und Spiritualität, die Darstellung des im Tod erstarrten Christus mit geschlossenen Augen durch, von der in Assisi selbst zwei hervorragende Beispiele erhalten sind: der Crucifixus des Giunta Pisano in Santa Maria degli Angeli (entstanden ca. 1235–1240) und derjenige des sogenannten Maestro dei Crocifissi azzurri in S. Francesco (entstanden ca. 1265–1275); s. dazu: Feld, Ikonoklasmus, 72, und Literatur ebd. 82 Gregor von Tours, Mirac. I,22 (MGH SS. rer. merov. 1,501).

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niato über Florenz, der dem heiligen Johannes Gualberti für dessen Verzicht auf Blutrache dankend zunickte, haben wir bereits weiter oben gesprochen.83 Ist es hier der Crucifixus selbst, der sich Johannes Gualberti mit einer wortlosen Geste mitteilt, so haben wir es im Falle des Rupert von Deutz (1076–1129) wieder mit einem Traumgesicht zu tun. Rupert stand in der letzten Phase des sogenannten Investiturstreites auf der päpstlichen Seite und hatte es abgelehnt, aus den Händen des mit dem Makel der Simonie behafteten Bischofs Otbert von Lüttich die Priesterweihe zu empfangen. Erst als der von Urban II. und Paschalis II. gebannte Otbert nach dem Tode Kaiser Heinrichs IV. wieder in die Gemeinschaft der Kirche und der Hierarchie aufgenommen war, ließ sich Rupert (wohl 1108) von ihm weihen. Mit der Priesterweihe war nach Auffassung Ruperts ein besonderes prophetisches Charisma verbunden, das zur gelehrten Auslegung der Heiligen Schrift befähigte. Den unmittelbaren Anstoß zum Empfang der Weihe gab ihm ein visionäres Traum-Erlebnis, über das er selbst in seinem Matthäus-Kommentar berichtet.84 Bei dem Erlebnis, das einen eindeutig homoerotischen Charakter hat, kommt es innerhalb des sich öffnenden Altares der Kirche zu einer intimen Begegnung zwischen Rupert und dem Gekreuzigten. In einer Umarmung wird ein langer und tiefer Kuß ausgetauscht.85 In der visionären »Öffnung des Altares und des Mundes des Herrn« sah Rupert den Zugang zu den göttlichen Geheimnissen symbolisiert, der ihm nunmehr offenstand.86 Im 12. Jahrhundert berichtet ein Cistercienser-Mönch, er habe einmal den heiligen Bernhard von Clairvaux allein beim Gebet in der Kirche angetroffen. Da sei vor dem Heiligen ein Kreuz mit Crucifixus erschienen, den er angebetet und geküßt habe. Darauf habe der Gekreuzigte die Arme von den Querbalken gelöst und Bernhard umarmt und an sich gezogen.87 Bei diesem Ereignis wie bei dem Traum Ruperts von Deutz und der bei Gregor von Tours berichteten Episode handelt es sich um Visionen im engeren Sinne: es ist eine reine Erscheinung, ein Phantasma, das spricht oder in Aktion tritt. Bei Johannes Gualberti ist es zwar die materielle Figur des Gekreuzigten, 83

S.o. II. Kap., bei Anm. 27. Ruperti Tuitiensis De gloria et honore Filii hominis super Mattheum, ed. H. Haacke (CCCM 29), Turnhout 1979, 381–383. 85 »Quod cum festinus introissem, apprehendi quem diligit anima mea, tenui illum, amplexatus sum eum, diutius exosculatus sum eum. Sensi quam gratanter hunc gestum dilectionis admitteret, cum inter osculandum suum ipse os aperiret, ut profundius oscularer.« 86 S. hierzu: Rh. Haacke, Die mystischen Visionen Ruperts von Deutz, in: »Sapientiae doctrina«. Me´langes de the´ologie et de litte´rature me´die´vale offerts a` Dom H. Bascour. RTAM Num. spe´c. 1, Löwen 1980, 69–90; Maria Lodovica Arduini, Rupert von Deutz (1076–1129) und der »Status Christianitatis« seiner Zeit. Symbolisch-prophetische Deutung der Geschichte (Beih. zum AKG, 25), Köln-Wien 1987, 457. 87 S. Bernardi Vita prima VII,7 (MPL 185,416f.). 84

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die nach Art eines antiken Götterbildes nickt, aber sie spricht kein Wort. Zu Franziskus spricht zum ersten Mal das Bild selbst. Von da an begegnen wir dann, im engeren und weiteren Bereich franziskanisch geprägter Frömmigkeit, noch mehreren sprechenden Crucifixi. In der Basilika Santa Margherita über der Stadt Cortona wird heute noch der Crucifixus gezeigt, der – damals noch in der Kirche S. Francesco – zu der heiligen Margherita (1247–1297) gesprochen haben soll.88 Dem heiligen Thomas von Aquin, der zur Zeit seiner Lehrtätigkeit in Neapel in der St. Nikolaus-Kapelle des dortigen Dominikaner-Konvents betet, bestätigt die Stimme des Gekreuzigten: »Bene scripsisti de me, Thoma.«89 Die heilige Birgitta von Schweden (1302/03–1373) hatte mit zehn Jahren in einem Traumgesicht die erste Erscheinung des gekreuzigten Heilands, der auch zu ihr sprach.90 Der Dialog mit dem Gekreuzigten und die Meditation des Leidens Christi mit dessen Nachvollzug füllten danach ihr ganzes Leben aus. In Rom zeigt man heute noch in verschiedenen Kirchen, z.B. S. Lorenzo in Damaso und S. Paolo fuori le mura, mittelalterliche Crucifixi, vor denen sie betete und die mit ihr gesprochen haben sollen.

3. Das Verlassen der Welt Begegnung mit den Aussätzigen Franziskus selbst hat seine Bekehrung in engem Zusammenhang mit der von Gott gewirkten Überwindung des Abscheus vor den Aussätzigen gesehen, so wie er es am Anfang seines Testaments beschreibt: Der Herr gab mir, Bruder Franziskus, auf folgende Weise mit dem Buße tun zu beginnen: Denn als ich noch in Sünden war, da schien mir der bloße Anblick von Aussätzigen überaus unangenehm. Und der Herr selbst führte mich unter sie, und ich übte an 88

Vgl. Fra Giunta Bevegnati, Leggenda della vita e dei miracoli di Santa Margherita da Cortona. Nuova traduzione dal latino con prefazione e note di P. Eliodoro Mariani, Vicenza 1978, 48f. 52ff. (IV,3. 7–9); eine kritische Ausgabe des lateinischen Originals der »Legenda« liegt bislang nicht vor. 89 So die drei mittelalterlichen Biographen des Thomas: Petrus Calo (c. 18), Guillelmus de Tocco (c. 34) und Bernardus Guidonis (c. 28), in: Fontes vitae S. Thomae Aquinatis, ed. D. Prümmer, Toulouse 1913–1927, 38. 108. 189; Lectio V zur II. Nokturn des Breviarium Romanum an seinem Todestag und Fest, dem 7. März; Karl Werner, Der heilige Thomas von Aquin I, Regensburg 1858, 847; Angelus Walz, Saint Thomas d’Aquin. Adaptation franc¸aise par Paul Novariona, Louvain-Paris 1962, 190. 90 Vita abbreviata Birgittae, in: Revelationes caelestes Seraphicae Matris S. Birgittae Suecae, München 1680, 798; Ferdinand Holböck, Gottes Nordlicht. Die heilige Birgitta von Schweden und ihre Offenbarungen, Stein am Rhein 1983, 23.

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ihnen Barmherzigkeit aus. Und als ich wieder von ihnen wegging, da war das, was mir vorher unangenehm erschienen war, in seelisches und körperliches Wohlbehagen umgewandelt. Und danach verweilte ich ein wenig und ging aus der Welt hinaus.91

Franziskus erwähnt hier weder die Worte des Crucifixus von San Damiano noch seine anderen visionären Erlebnisse. Auch läßt er offen, in welcher Weise ihn der Herr unter die Aussätzigen führte. Die »Drei Gefährten« konkretisieren die Annäherung des Franziskus an die Aussätzigen mit zwei Ereignissen: der berittene Franziskus begegnet einem Aussätzigen, steigt vom Pferd und gibt ihm ein Geldstück, wobei er ihm die Hand küßt und seinerseits von dem Leprosen einen Friedenskuß empfängt; ein paar Tage später begibt er sich mit reichlich Geld versehen in das Hospital der Aussätzigen; er läßt sie zusammenkommen, teilt jedem ein Almosen zu und küßt ihnen einzeln die Hand.92 Wie im Testament, das 3 Soc ausdrücklich erwähnt, führt die Begegnung mit den Aussätzigen bei Franziskus eine »Umpolung« des sinnlichen Empfindens und darüber hinaus auch des Werturteils herbei. Dies war ihm durch die Stimme des Herrn vorher bereits angekündigt worden.93 I Cel erwähnt diese übernatürliche Audition nicht, sieht aber ebenfalls, unter Berufung auf den entsprechenden Satz am Anfang des Testaments, die Umkehrung der Werte und die Abwendung von der »weltlichen Eitelkeit« im Zusammenhang mit der Änderung des Verhältnisses zu den Aussätzigen.94 Darüber hinaus werden Einzelheiten berichtet, deren Historizität kaum nachprüfbar ist, die aber doch nicht ganz unglaubwürdig sind: so soll er den Schmutz von den Leprosen abgewaschen und den Eiter aus ihren Geschwüren ausgedrückt haben. Daß er sich die Nase schon in weiter Entfernung von ihren Behausungen zuhielt (so I Cel und 3 Soc), paßt zu seiner übergroßen sinnlichen Empfindlichkeit und Feinfühligkeit, über die auch sonst berichtet wird. Dagegen zeigt II Cel schon die Merkmale einer fortgeschrittenen Legendenbildung: der einzelne Aussätzige, vor dem Franziskus vom Pferd steigt, ist plötzlich verschwunden (es war also Christus selbst!); den Aussätzigen, an die er Geld verteilt, küßt er nicht nur die Hand, sondern auch den Mund.95

91

Test. 1–3 (Esser, Opuscula, 438). 3 Soc 11 (ed. Desbonnets, 97f.). 93 »Francisce, omnia quae carnaliter dilexisti et habere desiderasti, oportet te contemnere ac odire, si meam vis agnoscere voluntatem. Quod postquam inceperis facere quae tibi prius suavia et dulcia videbantur, erunt tibi importabilia et amara, atque in his quae prius horrebas, hauries magnam dulcedinem et suavitatem immensam« (ebd. 97). 94 I Cel 17 (Anal. Fr. 10,16). Diese Stelle, wahrscheinlich schon 1228 niedergeschrieben, ist der älteste Beleg für die Existenz des Testamentes; s.o. I. Kap., bei Anm. 22. 95 II Cel 9 (Anal. Fr. 10,136). 92

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Daß die Überwindung des Ekels vor den Aussätzigen und das hautnahe Praktizieren der Barmherzigkeit an ihnen ein ganz entscheidender Schritt auf dem Wege aus der »Welt« heraus war, steht wohl außer Zweifel. Ob es allerdings das entscheidende Schlüsselerlebnis war, an dem sich die Wende im Leben des Franziskus festmachen läßt, scheint doch fraglich. Die Mehrzahl der neueren Franziskus-Forscher neigt dieser Meinung zu und nimmt die Darstellung des Franziskus in seinem Testament gewissermaßen als Basistext, von dem aus die anderen Quellen zu beurteilen seien und der diesen gegenüber auch die höhere historische Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen könne. So etwa sieht es Raoul Manselli und neuerdings, mit beachtlichen Argumenten untermauert, Ulrich Köpf.96 Es gibt jedoch hinreichend Gründe, die uns veranlassen, die Darstellung des Franziskus in etwas anderem Lichte zu sehen. Zunächst einmal wissen wir auch von anderen Gestalten der christlichen Religionsgeschichte, die eine »Bekehrung« erlebten, daß sie dazu neigen, in der Rückschau diesen Vorgang auf ein einziges Schlüsselerlebnis hin zu stilisieren, selbst wenn es sich in Wirklichkeit um eine sich über längere Zeit hinziehende Entwicklung handelt.97 In bezug auf Franziskus ist bekannt, daß es nicht nur die »Legenden« der Biographen über ihn gibt, sondern auch die Legende, an der er selbst gestrickt hat. Er hat sein Leben, gerade an entscheidenden Stationen, mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik inszeniert und dargestellt. Das sollte uns gegenüber seinen Aussagen über solche Situationen hellhörig machen. Sodann ist bemerkenswert, daß Franziskus in seinem Testament, das er »gegen Ende seines Lebens« verfaßte,98 der Begegnung mit den Aussätzigen eine so hervorragende Bedeutung beimaß. Er hatte ja zeitlebens ein ambivalentes, um nicht zu sagen: gespaltenes, Verhältnis zu den Aussätzigen. Die Legenda Perusina berichtet eine Episode aus der Frühzeit des Ordens, als die Brüder noch häufig in den Leprosen-Hospitälern ihren Aufenthalt nahmen.99 Der ein wenig einfältige Bruder Jakob, dem Franziskus in besonderer Weise 96

Manselli, Franziskus, 42–48; 60f.; U. Köpf, Leidensmystik in der Frühzeit der franziskanischen Bewegung, in: W. Homolka und O. Ziegelmeier (Hrsg.), Von Wittenberg nach Memphis. FS. für R. Schwarz, Göttingen 1989, 137–160; ebd. 141–144. 97 Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Luther, der in der Vorrede zum I. Band seiner Opera Latina (Wittenberg 1545) von seinem sogenannten »Turmerlebnis« berichtet (WA 54,186; ed. O. Clemen 4,427f.). 98 »Franciscus . . mandavit circa ultimum vite sue, cuius mandatum ipsius dicitur testamentum«: in der Bulle »Quo elongati« Gregors IX. vom 28. September 1230; s. Herbert Grundmann, Die Bulle »Quo elongati« Papst Gregors IX. AFH 54 (1961), 3–25; ebd. 20. 99 »Unde in principio religionis, postquam fratres ceperunt multiplicari, voluit quod fratres manerent in hospitalibus leprosorum ad serviendum eis« (Leg. Per. 9; ed. Bigaroni, 22); »nam illis diebus manebant fratres in ospitalibus leprosorum« (ebd. 64; ed.c. 164). Später war dies kaum noch oder doch sehr viel seltener der Fall.

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die Pflege der Aussätzigen ans Herz gelegt hatte, brachte einmal einen mit Geschwüren bedeckten Kranken mit zur Portiuncula. Das war Franziskus gar nicht recht. Franziskus sagte zu Bruder Jakob, um gewissermaßen einen Tadel auszusprechen: »Du solltest die christlichen Brüder nicht in dieser Weise umherführen, weil sich das weder für dich noch für sie gehört.« Der heilige Franziskus nannte die Leprosen »christliche Brüder«.

Es mutet seltsam an, gerade aus dem Munde des Franziskus eine Rücksichtnahme auf das Urteil der Menschen,100 auf das, was sich gehört,101 zu vernehmen. Er sieht denn auch seinen Fehler ein und legt sich dafür mit Zustimmung seines nominellen Oberen Petrus Catanii (der, entgegen anderer Überzeugung, nicht zu widersprechen wagt) eine fürchterliche, widerwärtige Buße auf: er ißt mit dem Leprosen aus einer Schüssel, wobei der blutige Eiter von dessen Fingern in das Essen tropft. Die dabeistehenden Brüder, die von diesem Verhalten in keiner Weise erbaut, sondern im Gegenteil äußerst niedergeschlagen sind, wagen nicht einzuschreiten aus Angst vor Franziskus.102 Wie ist dieses Verhalten, sowohl der Tadel an Bruder Jakobus dafür, daß er es gewagt hatte, einen Aussätzigen in die Brüdergemeinschaft hineinzuführen, als auch die Überkompensation eines Fehlverhaltens, zu erklären? Das eigentlich Interessante ist aber, daß die Aussätzigen nun keineswegs aus ihrer Isolation herausgeführt und als »christliche Brüder« behandelt werden. Letzteres hat bekanntlich in größerem Stil als der einfältige Jakob Bruder Johannes a Cappella versucht, während Franziskus (1219/1220) im Orient weilte. Er gründete einen Leprosen-Orden und versuchte, für die von ihm verfaßte Regel die Billigung des Apostolischen Stuhls zu erlangen.103 Nüchtern betrachtet war dies ja wohl kein unbilliges oder gar moralisch fragwürdiges Unterfangen und wurde auch von der Römischen Kurie nicht als solches angesehen. Nach seiner Rückkehr aus dem Orient erreichte aber Franziskus mit Hilfe des inzwischen zum Protektor des Ordens berufenen Kardinals Hugolino, daß Johannes und seine Anhänger schimpflich von der Kurie weggejagt wurden. In den Fioretti ist Johannes a Cappella dann die Rolle des »Judas«

100 »et maxime quia homines consueverunt abhorrere leprosos qui essent multum plagati« (ebd.). 101 ». . quia non est honestum« (ebd.). 102 »Videns autem hoc frater Petrus et alii fratres contristati sunt valde, set nichil audebant dicere propter timorem sancti patris« (ebd. 166). 103 Jordan von Giano, Chronik, cc. 13. 14: Chronica fratris Jordani, ed. H. Boehmer (Collection d’E´tudes et de Documents, 6), Paris 1908, 12–15; zur Person des Johannes a Cappella s. ebd. 13, Anm. 1; zur Gründung des Leprosen-Ordens s. auch: Luigi Pellegrini, Introduzione zu: Cronache e altre testimonianze francescane, in: FF, S. 1859, Anm. 26.

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unter den Gefährten des Franziskus zugeteilt: er ist der Verräter und hängt sich wie sein Vorbild auf.104 Die Quellen lassen erkennen, daß die Sorge für die Aussätzigen bei Franziskus in der mittleren Periode seines Wirkens in den Hintergrund getreten war. Das läßt ahnen, daß die Selbstvergewaltigung, die er sich angetan hatte, als er in hautnahen Kontakt mit ihnen trat, eben doch nicht einfachhin mit einer tiefen religiösen Umkehr gleichzusetzen ist. Es kommt hinzu, daß das Ausgestoßensein der Leprosen aus der Gesellschaft ein wirkliches, von außen oktroyiertes Abseits war, kein »artifizielles« wie das der Franziskaner. Vergleichbares gilt für die Armen, nämlich diejenigen, die nicht aus religiöser Berufung freiwillig, sondern durch die Gewalt der sozialen Verhältnisse besitzund mittellos waren. Franziskus war sich dieses Unterschiedes durchaus bewußt, und es war ihm unbehaglich dabei. Wenn er einem »wirklich Armen« begegnete, empfand er ihm gegenüber eine gewisse Scham – Celano spricht sogar von einem Gefühl des »Neides« und der »Eifersucht«.105 Bei einer solchen Gelegenheit sagte er einmal zu seinem Begleiter: Als meinen Reichtum, als meine Herrin habe ich die Armut gewählt. Und siehe, an diesem hier erglänzt sie mehr. Oder weißt du nicht, daß durch die ganze Welt ertönt ist, wir seien um Christi willen die allerletzten Armen? Daß es sich aber anders verhält, beweist dieser Arme hier.106

Die Abfassung des Testaments fällt in die letzte Lebens- und Krankheitszeit, als Franziskus in dem deprimierenden Gefühl, auf keinem Gebiet einen wirklichen Fortschritt erreicht zu haben, zu dem (wohl seit langem nicht mehr praktizierten!) Dienst an den Aussätzigen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Ächtung zurückkehren wollte.107 In dieser (unrealistischen) Sehnsucht nach den demütigen Primordien der Bewegung angesichts der manifesten Fehlentwicklungen des Ordens ist das Testament entstanden. Deshalb erhält die Zuwendung zu den Aussätzigen in der Rückschau ein Gewicht, das sie in Wirklichkeit nicht hatte. In der geschichtlichen Wirklichkeit des Jahres 1205/1206 war die sensuelle und intellektuelle Überwindung des Abscheus vor den Leprosen eine Stufe in seiner geistlichen Entwicklung, einer der Schritte auf dem Wege aus der Welt hinaus. Wie bei allen diesen Schritten geht es in erster Linie um die spirituelle »Selbstverwirklichung« des Franziskus: so sehen es die alten Biographen, und ihnen ist hier, gegen die Sicht des Franziskus selbst in seinem Testament, recht zu geben.

104

Fioretti 1. 31 (FF 1826. 1865; ed. Cambell, 110/111. 394/395). II Cel 83. 84 (Anal. Fr. 10,180f.); vgl. schon I Cel 76 (ebd. 56f.)! 106 II Cel 84 (ebd. 181); vgl. Leg. Per. 113 (ed. Bigaroni, 352). 107 »Volebat ad serviendum leprosis redire denuo, et haberi contemptui, sicut aliquando habebatur« (I Cel 103: ed.c. 80). 105

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Weder durch seinen Kontakt mit den Aussätzigen noch durch den mit den Armen hat sich Franziskus selbst definitiv in eine Randgruppe, innerhalb der Ausgestoßenen selbst, begeben und sich mit ihnen identifiziert, wie Raoul Manselli meint.108 Er hat vielmehr, wie wir auch im folgenden noch sehen werden, die Identifizierung sowohl mit gesellschaftlichen (Leprosen, Armen) wie mit kirchlichen Außenseitern (Häretikern) zeitlebens sorgfältig zu vermeiden gewußt, auch wenn ihm nicht ganz wohl dabei war. Franziskus war weder ein Sozial- noch ein Kirchenreformer im neuzeitlichen Sinne. Wenn seine Gedanken revolutionär gewirkt haben, dann taten sie es indirekt und auf Umwegen, nicht auf der Ebene vordergründiger Ereignisse. Wir meinen deshalb, daß den Visionen bei der Umkehr des Franziskus, wie auch in seinem späteren Leben, die entscheidende Bedeutung zukommt. Für seinen spirituellen Weg der zunehmenden Angleichung an Christus sind die Visionen, die mit der Passion Christi zu tun haben, besonders wichtig. Die erste von ihnen ist das Erlebnis vor dem Crucifixus von S. Damiano: es enthält bereits in nuce die für Franziskus zentralen Vorstellungen von der Bekehrung der Kirche und der Erlösung der Welt. Mit dem Auftrag des Crucifixus von S. Damiano, nicht mit dem Gang unter die Aussätzigen, verbindet auch Klara von Assisi – in diesem Punkt eine zuverlässigere und unverdächtigere Zeugin als Franziskus selbst – in ihrem Testament das Hinausgehen aus der Welt.109 Das Zeugnis der heiligen Klara ist umso bedeutsamer, wenn man bedenkt, daß ihr, als sie das schrieb oder diktierte, das Testament des Franziskus vorlag und sie ihn also korrigierte. Unmittelbar nach dem Bericht über die beiden Begegnungen mit den Aussätzigen steht in der 3 Soc die in mehrfacher Hinsicht rätselhafte Episode über die Drohung des Teufels in einer Höhle bei Assisi.110 Franziskus führt einen 108 Vgl. Manselli, Franziskus, 45: »Entscheidender Punkt der Bekehrung des Franziskus von Assisi ist also der Übergang von einer menschlichen Seinsweise zu einer anderen, das Akzeptieren der eigenen Zugehörigkeit zu einer Randgruppe. Er zählt sich zu den Ausgeschlossenen, die doch von allen wegen ihres ekelhaften Zustandes zurückgewiesen wurden. Daß für diese Ausgestoßenen auch die Armut ein gemeinsames Merkmal war, ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung. Aber die Armut ist nicht der entscheidende Faktor der Bekehrung.« 109 Testamentum S. Clarae, 4(2) (ed. Omaechevarri´a [1982], 340f.): »Nam et ipse sanctus, adhuc non habens fratres nec socios, statim post conversionem suam, cum ecclesiam Sancti Damiani aedificaret, ubi consolatione divina totaliter visitatus, compulsus est saeculum relinquere. . .« Vgl. dazu die Anmerkung von C.A. Lainati (FF, S. 2269, Anm. 2): »Si noti questa osservazione: per Chiara e` l’incontro col Crocifisso di San Damiano il momento decisivo della conversione di Francesco.« 110 3 Soc 12 (ed. Desbonnets, 98f.). Bei II Cel (9: Anal. Fr. 10,135f.) steht die Höhlengeschichte vor dem Bericht über die beiden Begegnungen mit den Aussätzigen. Die göttliche Verheißung über die Umkehr der Werte ergeht hier an Franziskus in der Höhle, während in 3 Soc die Reihenfolge: Verheißung – Aussätzige – Höhlenerlebnis ist. In I Cel (6: Anal. Fr. 10,9f.), wo die Höhlengeschichte gleich nach der abge-

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namentlich nicht genannten Freund zu einer Höhle unter dem Vorwand, er habe dort einen großen, kostbaren Schatz entdeckt. Der Freund, von dem gesagt wird, daß Franziskus ihn sehr liebte, muß indes vor der Höhle warten. (Im übrigen insinuiert die 3 Soc, daß der Bericht auf ihn zurückgeht).111 Der kostbare Fund, von dem Franziskus dem Freund erzählt, ist der »himmlische Schatz«. Über seinen Besitz fragt er in der Höhle Gott um Rat. Da versetzt ihn der Teufel in Angst und Schrecken: er läßt vor seinen Augen das Bild einer ihm wohlbekannten, in monströser Weise verwachsenen Frau aus Assisi erstehen und droht ihm, er werde ihn in eben ein solches Scheusal verwandeln, wenn er von seinem Vorhaben nicht ablasse. Franziskus jedoch, der bereits »ein tapferer Ritter Christi« (Christi miles fortissimus) geworden ist, sucht bei Gott seine Zuflucht und überwindet Leiden und Angst. Als er aus der Höhle herauskommt, hat der Freund den Eindruck, einen anderen Menschen vor sich zu haben.112 Es ist ziemlich aussichtslos zu rekonstruieren, was bei dem Höhlenerlebnis psychisch vor sich ging.113 Sicher ist nur, daß zwischen der unglücklichen buckligen Frau und den Leprosen ein enger Zusammenhang besteht: beides sind Monstren, vor denen Franziskus Grauen und Abscheu empfindet.114 Die Frage, wie er sich nach seiner Bekehrung gegenüber besagter Frau verhalten hat, wird von den Biographen weder gestellt noch beantwortet. Dieses beredte Schweigen läßt die vorsichtige Vermutung zu, daß es ein zu erbaulichen Zwekken nicht verwertbares Verhalten war. brochenen Apulienreise des Franziskus erzählt wird, ist von einem Dämon überhaupt nicht die Rede; s.u. Anm. 112! – Die Höhle ist nicht mehr lokalisierbar; doch könnte es eine der Höhlen im Bereich der sog. Carceri, im Hang des Monte Subasio, 4,5 km südlich von Assisi, sein; vgl. Actus/Fioretti, c. 16 (ed. Cambell, 230/231 und ebd. Anm. 189). Dagegen vermutet Marino Bigaroni, es sei die damals noch erhaltene Krypta von San Damiano gewesen: S. Damiano – Assisi. La chiesa prima di san Francesco, Assisi 1983, 26–29; vgl.u. Anm. 164. 111 Man wüßte deshalb gern, um wen es sich handelt: Ist es einer von den späteren Gefährten, am Ende gar Bruder Elias? Ich bin eher geneigt anzunehmen, daß es sich um Bruder Rufinus oder den I Cel 24 anonym erwähnten Gefährten handelt (der offenbar die Gemeinschaft bald wieder verlassen hat). S. auch FF, S. 416, Anm. 14. 112 »Propterea cum extra cryptam exibat, ad socium mutatus in virum alterum videbatur« (ed. Desbonnets, 99); vgl. I Cel 6: »Propterea cum foras revertebatur ad socium, ita erat labore confectus, ut alius intrans, alius exiens videretur« (Anal. Fr. 10,10). Die Veränderung hat hier keinen übernatürlichen Charakter, sondern wird ganz einfach auf die Übermüdung des Franziskus zurückgeführt; s. auch nächste Anm.! 113 Nach I Cel 6 ficht Franziskus in der Höhle einen rein inneren Kampf aus: »Maximam sustinebat animi passionem et, donec opere compleret quod conceperat corde, quiescere non valebat; cogitationes variae sibi invicem succedebant, et ipsarum importunitas eum duriter perturbabat.« 114 Vgl. bei II Cel den Satz, der unmittelbar auf die Höhlengeschichte folgt: »Nam inter omnia infelicia monstra mundi Franciscus leprosos naturaliter abhorrens. . .« (Anal. Fr. 10,136).

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Bettler auf Probe Die Annäherung des Franziskus an die Armen ging in Etappen vor sich. Die erste von den Biographen erwähnte Wohltat einem Armen gegenüber ist die Schenkung seiner neuen Kleider an einen armen Ritter.115 Nach der Ekstase bei dem Umzug durch die Straßen von Assisi begann er dann, sich von seinen Jugendfreunden zurückzuziehen. Er nahm sich nun verstärkt der Fürsorge für die Armen an, denen er Geld gab und, wenn er gerade keines zur Hand hatte, auch kleinere Waren aus dem väterlichen Laden. Wenn er gar nichts anderes hatte, zog er sein Hemd aus und verschenkte es. Er kaufte auch Ausrüstungsgegenstände für Kirchen, die er den armen Priestern insgeheim zusandte.116 In Abwesenheit des Vaters, wenn er mit der Mutter allein bei Tisch saß, legte er zahlreiche Brote aus, so als ob die gesamte Familie zum Essen erwartet würde. Seiner erstaunt fragenden Mutter gab er die Auskunft, er tue dies, »um den Armen Almosen zu geben.« Ob er hier eine rein symbolische Handlung vollzog oder das Brot tatsächlich anschließend an die Armen austeilte, bleibt in der Schwebe. Doch wenn er Arme mit Brot versorgen wollte, warum legte er es dann zuvor auf den gedeckten Tisch? Wohl doch, um mit den Armen ein symbolisches Mahl zu halten, da er aus Rücksicht auf die Familie oder aus Angst vor dem Vater nicht wagte, sie wirklich zu Tisch zu bitten. So wie er früher plötzlich die gemeinsamen Mahlzeiten verlassen hatte, um sich zu seinen Kumpanen zu begeben, »so war er jetzt nur noch darauf aus, Arme zu sehen und zu hören, um ihnen Almosen zu schenken.«117 Um diese Zeit scheint sich bei ihm der Wunsch festgesetzt zu haben, selbst einer von den Armen zu werden.118 Er unternahm eine Pilgerfahrt nach Rom. In der Kirche St. Peter ärgerte er sich über die geringen Opfer einiger Pilger am Altar, was seiner Ansicht nach einer Mißachtung des Apostelfürsten gleichkam. Er griff in die Börse und warf mit großem Getöse eine Handvoll Geldstücke durch das unter dem Altar befindliche Gitterfenster, was bei den Herumstehenden große Verwunderung auslöste,119 aber wohl kaum zur Nachahmung reizte. Im Vorhof (Paradies, Pronaos, Vestibulum) des St. Peter tauschte er seine Kleider gegen die eines Bettlers aus. Inmitten der Bettlerschar auf den Stufen der Kirche erbat er auf französisch von den Pilgern Almosen. (3 Soc bemerkt bei dieser Gelegenheit, er habe diese Sprache überhaupt gern benutzt, wenngleich er sie nicht vollkommen beherrschte).120 115

3 Soc 6; II Cel 5; s.o. über: »Die Vision des waffengefüllten Palastes.« 3 Soc 8 (ed. Desbonnets, 95). 117 3 Soc 9 (ed.c. 96). 118 Vgl. II Cel 8: »Frequenter proinde exuens semetipsum pauperes induit, quibus se similem fieri nondum operis exsecutione sed toto iam corde contendit« (Anal. Fr. 10,135). 119 3 Soc 10 (ed.c. 96). 116

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Keiner von den Biographen gibt Auskunft darüber, wie lange Franziskus dieses Bettlertum auf Probe aushielt. Man hat jedoch den Eindruck: nicht sehr lange. II Cel weiß zu berichten, er habe fröhlich unter den Bettlern herumgesessen, sich als einer von ihnen gefühlt und gierig mit ihnen gegessen;121 schließlich habe er aus Scham vor Bekannten (unter den Pilgern) aufgegeben. Wie immer es um die Zuverlässigkeit solcher Bemerkungen bestellt sein mag, Franziskus zog die Bettlerkleider aus, ließ sich seine eigenen wiedergeben und kehrte nach Assisi zurück. Er hatte jedenfalls Erfahrungen gemacht, die ihn veranlaßten, seinen definitiven Platz nicht unter den Bettlern, den wirklichen Armen, zu suchen. Das Ergebnis ist also im wesentlichen das gleiche wie bei dem Aufenthalt unter den Aussätzigen: Der Weg des Franziskus durch Leiden und Armut ist ein besonderer; er führt nicht in das tatsächliche, schmutzige gesellschaftliche Abseits der Bettler und Leprosen. In seiner Vaterstadt suchte er weiter im Gebet nach dem rechten Weg. Wenn wir 3 Soc glauben dürfen, trat er schon damals in Verbindung mit dem Bischof von Assisi, um sich ihm anzuvertrauen.122 Er wird ihn über seine grundsätzliche Absicht, die Welt zu verlassen, informiert haben. Denn als Franziskus ihn später als geistlichen Richter in der Auseinandersetzung mit seinem Vater in Anspruch nimmt, zeigt er sich keineswegs überrascht und hält sich für zuständig. Die Trennung vom Vater Der Lossagung vom Vater ging eine (allerdings noch nicht endgültige) Trennung vom Geld voraus. Unmittelbar nach der Vision des Crucifixus von S. Damiano belud Franziskus ein Pferd mit verschiedenen Stoffen, um nach Foligno zu reiten und sie dort auf dem Markt zu verkaufen: so wenigstens nach dem Bericht der 3 Soc, die damit von vornherein einen Zusammenhang zwischen dem Auftrag des Crucifixus und dem Ritt nach Foligno herstellt.123 Franziskus möchte sich also auf dem Markt das Geld für den Wiederaufbau von S. Damiano besorgen. I Cel nennt als unmittelbaren Anlaß für den Ritt eine weit verbreitete tödliche Epidemie.124 Der Grund ist durchsichtig: da 120 »Atque stans in gradibus ecclesiae cum aliis pauperibus eleemosynam gallice postulabat, quia libenter lingua gallica loquebatur, licet ea recte loqui nesciret« (ed.c. 97). 121 ». . inter pauperes laetanter resedit, et velut unum ex ipsis se reputans, avide cum eis manducabat« (II Cel 8: Anal. Fr. 10,135). Mit dem »avide« soll wohl nur auf den Unterschied zu den kultivierten Tischmanieren im väterlichen Haus hingewiesen werden. Im ganzen wird Franziskus der rohe Lebensstil, die fehlende curialitas, der Bettler von St. Peter abgestoßen haben. 122 3 Soc 10 (ed. Desbonnets, 97). 123 3 Soc 16 (ed.c. 101f.). 124 I Cel 8 (ed.c. 11).

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Celano das Ereignis von S. Damiano in seiner ersten Legende nicht erwähnt, braucht er einen zusätzlichen göttlichen Anstoß für den nächsten Schritt des Franziskus aus der Welt hinaus. Dagegen bewährt sich die 3 Soc erneut als der zuverlässigere Berichterstatter. In Foligno verkauft Franziskus alle mitgebrachten Waren und dazu noch das Pferd. Das Geld brachte er dem armen Priester von S. Damiano, dem er auch die Geschichte seiner Bekehrung erzählte. Der Priester, dem der Sinneswandel nicht ganz geheuer vorkam,125 lehnte es ab, das Geld anzunehmen. Es mag dabei auch die Furcht vor den Eltern des Franziskus im Spiel gewesen sein (3 Soc und I Cel). Er willigte aber ein, daß Franziskus bei ihm in S. Damiano blieb. Das Geld warf Franziskus in ein Fenster hinein (in quandam fenestram: also wohl auf eine höher gelegene Fensterbank oder -brüstung, wo es sich noch befand, als sein Vater es zurückforderte). Pietro di Bernardone forschte nach dem Verbleib seines Sohnes. Als er dessen Aufenthaltsort herausbekommen hatte, machte er sich zusammen mit einigen Freunden und Nachbarn auf, um ihn nach Hause zurückzuholen. Franziskus, der wohl vorgewarnt worden war, versteckte sich in einer Höhle, die er zu diesem Zweck schon vorbereitet hatte.126 Der Aufenthalt war nur einem Bediensteten des väterlichen Hauses bekannt, der Franziskus mit Nahrung versorgte. Der hielt sich einen ganzen Monat lang in dem Gelaß auf, so groß war die Angst vor seinem Vater. Die Angst vor dem Vater ist überhaupt das merkwürdigste an dieser Geschichte. I Cel bemerkt, die Angst des Franziskus sei so groß gewesen, daß er es kaum wagte, die Höhle zu verlassen, wenn ihn ein menschliches Bedürfnis ankam.127 Das mag übertrieben sein, doch war der dermaßen ängstliche und immerhin schon bekehrte Franziskus zu dieser Zeit fünfundzwanzig Jahre alt! Die Autorität des Vaters muß also, auch unter Berücksichtigung mittelalterlicher Verhältnisse, übermächtig gewesen sein. Es bedurfte eines neuen inneren Kampfes und vieler Gebete, ehe Franziskus sich entschloß, dem Vater entgegenzutreten. Als er nach vier Wochen Aufenthalt in der Dunkelheit und wohl unzureichender Ernährung in den Straßen von Assisi erschien, war er so abgerissen, daß er von den Leuten, die ihn von früher kannten, für verrückt gehalten wurde. Man beschimpfte ihn nicht nur, sondern bewarf ihn auch mit Steinen und Dreck. Franziskus ließ dies alles unbewegt »wie ein Tauber« (3 Soc) über sich ergehen und dankte

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». . subitam eius conversionem miratus, recusabat haec credere« (3 Soc 16; ed.c. 102); ». . subitam rerum conversionem admirans, quae audiebat credere recusavit« (I Cel 9; ed.c. 11). 126 Während 3 Soc nur von einer occulta cavea spricht, liegt die Höhle nach I Cel 10 (ed.c. 12) in einem Haus, nach beiden Quellen jedoch außerhalb der Stadt Assisi. 127 ». . ut ad causam humanae necessitatis egredi vix auderet« (I Cel 10; ed.c. 12).

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Gott für die Schmach. Der Vater, dem sein Auftauchen in der Stadt hinterbracht worden war, rannte herbei und schleppte ihn unter Gewaltanwendung nach Hause. Dort angekommen sperrte er ihn in ein dunkles Gelaß und versuchte, ihn durch Zureden und Prügel von dem eingeschlagenen Weg abzubringen – vergeblich. Franziskus wurde in seinem Vorhaben, die Welt zu verlassen, nur noch bestärkt. Als Pietro di Bernardone wegen einer dringenden Angelegenheit verreisen mußte, suchte die Mutter zunächst, Franziskus umzustimmen. Als auch sie nichts erreichte, ließ sie ihn frei. Er scheint sich darauf gleich wieder nach S. Damiano begeben zu haben. Die Mutter aber mußte nach Rückkehr ihres Mannes dessen Vorwürfe und Beschimpfungen ertragen. Pietro wandte sich nun an die städtischen Behörden (in 3 Soc heißen sie »Konsuln«), um seinen Sohn auf Rückgabe des Geldes zu verklagen. Dem Herold, der ihm die Vorladung vor das Gericht überbrachte, erklärte Franziskus, »er sei durch die Gnade Gottes schon frei geworden und den Konsuln nicht mehr verpflichtet.«128 Die Konsuln, die keine Gewalt anwenden wollen, respektieren diesen Standpunkt und erklären sich für nicht zuständig. Darauf wendet sich der Vater an den Bischof von Assisi, der Franziskus nun ebenfalls durch einen Boten vorladen läßt. Dem erklärt Franziskus, er sei bereit, zu dem Bischof als »Vater und Herrn der Seelen« zu kommen. Er unterwirft sich also hier der geistlichen Gerichtsbarkeit des Bischofs, wenngleich, genau genommen, die städtischen Richter für ihn zuständig gewesen wären; denn er war noch nicht Kleriker. Guido II. war vielleicht von etwa 1204 bis zu seinem Tod am 30. Juli 1228 Bischof von Assisi. Die franziskanischen Quellen preisen stets in den höchsten Tönen seine Klugheit und Frömmigkeit. Doch ist anderwärts bekannt, daß er ein ziemlich rücksichtsloser und machtbewußter Prälat war, der sogar vor einem Konflikt mit dem mächtigen Papst Innocenz III. nicht zurückschreckte.129 Im Fall des Franziskus und später dem der heiligen Klara ging es ihm sicher auch um Behauptung und Ausdehnung seiner Macht. Dem »Ideal« des Franziskus stand er innerlich ebenso fern wie der Kardinal Hugolino. Doch wird er wohl wie dieser persönliche Sympathie für Franziskus empfunden haben. Vor dem Palast des Bischofs von Assisi kam es also zu der denkwürdigen Szene, bei der sich Franziskus in aller Öffentlichkeit von seinem Vater lossagte. Ort der Handlung ist der große, leicht abschüssige Platz vor der Fassade der alten Kathedralkirche Santa Maria Maggiore, dessen untere Seite noch heute 128

3 Soc 19 (ed. Desbonnets, 104). Die Probleme der Biographie Guidos sind nicht alle gelöst. So ist es ungewiß, ob es tatsächlich zwei Bischöfe dieses Namens in Assisi gegeben hat und »Secundus« nicht ein Bestandteil des Namens ist; s. hierzu vor allem: Luciano Canonici, Guido II d’Assisi. Il vescovo di S. Francesco. Stud. Franc. 77 (1980), 187–206. 129

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durch den Palazzo des Bischofs abgeschlossen wird. In der Schilderung der Einzelheiten des Ereignisses weichen die beiden älteren Legenden teilweise voneinander ab. Nach 3 Soc hatte Franziskus zunächst eine Unterredung mit dem Bischof Guido. Dabei legte dieser ihm nahe, dem Vater das gesamte Geld zurückzugeben. Möglicherweise stamme das Geld aus nicht ganz sauberen Geschäften und deshalb wolle Gott nicht, daß es für den Bau einer Kirche ausgegeben würde.130 Demnach muß Franziskus zu diesem Zeitpunkt noch vorgehabt haben, das Geld für die Reparatur von S. Damiano zu verwenden. Er willigte aber sofort ein, dem Vater alles Geld zurückzugeben und obendrein noch seine Kleider. Darauf entledigte er sich im Zimmer des Bischofs aller Kleider, legte das Geld oben auf die Kleider und trat dann nackt vor die draußen wartende Volksmenge. Bei I Cel wird deutlich gesagt, daß Franziskus vorhatte, das noch im Fenster von S. Damiano liegende Geld von Foligno für die Armen und die Wiederherstellung der Gebäude (also Kirche und Kloster) von S. Damiano zu verwenden.131 Er habe es aber dann dem Vater freiwillig zurückgegeben. (Von einer diesbezüglichen Intervention des Bischofs ist also hier nicht die Rede). Trotzdem führte ihn der Vater zum Bischof: er möchte nämlich, daß Franziskus darüber hinaus noch auf seine facultates verzichte.132 Es kann sich dabei um nichts anderes als das persönliche Erbrecht handeln.133 Pietro di Bernardone befürchtet offenbar, daß die Kirche auf das Erbe des Franziskus Anspruch erheben könnte. Er will also nichts anderes, als klare Rechtsverhältnisse schaffen, wobei er weniger seinen Sohn als den Bischof von Assisi im Auge gehabt haben dürfte. Vor dem Bischof angekommen, entledigt sich Franziskus unverzüglich, ehe jemand etwas sagen kann und ohne selbst etwas zu sagen, seiner Kleider und wirft sie dem Vater hin. Schließlich legt er auch noch die Unterhose (femo130

3 Soc 19 (ed.c. 104f.). »Desideraverat vir Dei eam in pauperum victu et illius loci aedificiis totam expendere ac praebere« (I Cel 14; Anal. Fr. 10,14). 132 »Ducit eum deinde coram episcopo civitatis, ut in ipsius manibus omnibus eius renuntians facultatibus, omnia redderet quae habebat« (ebd.). 133 Noch deutlicher als Celano sagt dies Julian von Speyer: »Post haec illum ad episcopum loci perduxit, ut ei cuncta coram quae habuit redderet, omnesque facultates suas in ipsius manibus resignaret« (Vita 9; Anal. Fr. 10,339). Ebenso sieht es Heinrich von Avranches in seiner Legenda versificata (III,157–160), wonach Pietro di Bernardone seinen Sohn »Heredem non posse sibi succedere censet; Pontificisque domum compellit adire repletam Civibus, in quorum conspectu censibus, agris Et patriis domibus iurique (!) renuntiet omni« (Anal. Fr. 10,426). S. auch u. in Anm. 135 die Inschrift auf dem Fresko von Montefalco! 131

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ralia) ab und steht so vor allen Anwesenden nackt da.134 Ob es sich dabei um eine größere Öffentlichkeit (die vor dem Palast wartende Menschenmenge) oder nur um die im Zimmer des Bischofs Versammelten handelt, wird nicht gesagt. Doch ist es eine wortlose Zeichenhandlung des Franziskus, der eine ebensolche des Bischofs folgt: Guido nimmt ihn in seine Arme und bedeckt seine Blöße mit dem Zipfel seines Mantels (Pallium). Auf den späteren bildlichen Darstellungen der Franziskus-Legende ist daraus der Chormantel (Pluviale) geworden.135 Das zuletzt genannte Detail – die bischöfliche Umarmung – wird auch von 3 Soc berichtet. Abweichend von I Cel beschränkt sich aber Franziskus nicht auf die zeichenhafte Entkleidung, sondern tritt nackt vor die Menschenmenge auf der Piazza del Vescovado und erklärt: Hört alle her und begreift! Bis jetzt habe ich Pietro di Bernardone meinen Vater genannt. Doch weil ich mir vorgenommen habe, Gott zu dienen, gebe ich ihm das Geld zurück, dessentwegen er sich aufgeregt hat, und alle Kleider, die ich aus seinem Besitz hatte, und ich will von jetzt an sagen: Vater unser, der du bist im Himmel, nicht: Vater Pietro di Bernardone.136

Der juristischen Trennung der Vermögensverhältnisse folgt also nach dieser Darstellung die ausdrückliche Lösung der verwandtschaftlichen Beziehung: Franziskus ent-vatert sich gewissermaßen. Ein ungeheuerer Vorgang, auch für das Mittelalter, mit weitreichenden Folgen für das Leben des Sohnes. Und vergessen wir nicht: es war auch eine Ent-mutterung. Denn noch radikaler als der Vater verschwindet die Mutter von jetzt an aus der Biographie des Franziskus. Auch aus seinem Leben?137 134 »Cumque perductus esset coram episcopo, nec moras patitur nec cunctatur de aliquo, immo nec verba exspectat nec facit, sed continuo, depositis et proiectis omnibus vestimentis, restituit ea patri. Insuper et nec femoralia retinens, totus coram omnibus denudatur« (I Cel 15; Anal. Fr. 10,14). 135 So auf Giottos Fresko »Lossagung vom Vater« innerhalb des Zyklus der Oberkirche S. Francesco in Assisi; die Inschrift dieses Bildes lautet: CVM RESTITVIT PATRI OMNIA ET VESTIMENTIS DEPOSITIS RENVNTIAVIT BONIS PATERNIS ET MVTABILIBVS DICENS AD PATREM: AMODO SECVRE DICERE POSSVM: PATER NOSTER QVI ES IN COELIS CVM REPVDIAVERIT ME PETRVS BERNARDONIS; s. Joachim Poeschke, Die Kirche San Francesco in Assisi und ihre Wandmalereien, München 1985, 88; ferner auf dem entsprechenden Fresko im Zyklus Benozzo Gozzolis in der Franziskanerkirche von Montefalco mit der Inschrift: QVALITER B.F. CORAM EPISCOPO ASISII RENVIT PATRI HEREDITATEM PATERNAM ET OMNIA VESTIMENTA ET FEMORALIA PATRI REIECIT; s. Silvestro Nessi, Pietro Scarpellini, La Chiesa-Museo di S. Francesco in Montefalco, Spoleto 1972, 49, Abb. 13. 136 3 Soc 20 (ed. Desbonnets, 105). Als Sohn des Petrus Bernardonis bezeichnet er sich später nur noch, wenn er sich vor sich selbst verächtlich machen will (I Cel 53; Anal. Fr. 10,41). 137 Vgl. Manselli, Franziskus, 153.

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Die Berichte von 3 Soc und I Cel lassen sich nur schwer harmonisieren. Man ist geneigt, I Cel in diesem Fall den Vorzug zu geben, weil die Erzählung weniger dramatisch, einfacher, aber doch eindrücklicher in ihrer wortlosen Symbolik ist. Dagegen steht, daß Thomas von Celano in seiner zweiten Legende, zweifellos unter dem Einfluß von 3 Soc, seinen ersten Bericht korrigiert hat. Er läßt Franziskus jetzt ebenfalls vor der Volksmenge eine Erklärung abgeben: Von jetzt an kann ich frei sagen: Vater unser, der du bist im Himmel, nicht: Vater Pietro di Bernardone. Ich gebe ihm nicht nur das Geld hier zurück, sondern ich verzichte auch auf alle Kleider. So will ich mich nackt zum Herrn auf den Weg machen.138

Schon in seiner ersten Legende hat Thomas von Celano die Nacktheit des Franziskus mit folgenden Worten kommentiert: Siehe, nun tritt Franziskus zum Wettkampf nackt an die Seite des Nackten, und nachdem er alles abgelegt hatte, was von der Welt ist, dachte er nur noch an die göttliche Gerechtigkeit. Schon suchte er das eigene Leben zu verachten, indem er alle Sorgen dafür ablegte, damit er in seiner Armut Frieden habe auf belagertem Wege und nur noch die Wand des Fleisches ihn für eine Zwischenzeit von der Schau Gottes trenne.139

Franziskus wird damit in die Reihe der Einsiedler und Wandermönche gestellt, die schon gut ein Jahrhundert früher als Nackte dem nackten Christus nachfolgten.140 Die Entkleidung vor dem Bischof von Assisi ist darüber hinaus eine weitere Stufe auf dem Wege zu einer immer größeren Angleichung an den leidenden Christus. Die Nacktheit spielt auch in der weiteren Geschichte des frühen Franziskanertums eine nicht unbedeutende Rolle. Franziskus selbst hat sich ja noch mindestens zwei weitere Male in aller Öffentlichkeit nackt ausgezogen oder ausziehen lassen: einmal, als er während einer schweren Krankheit etwas Hühnerfleisch und Brühe gegessen hatte, ließ er sich mitten im Winter nach einer Predigt auf der Piazza del Comune von Assisi von seinem Vikar Pietro Catanii nackt, mit einem Strick um den Hals, vom Dom San Rufino wieder zur Piazza zurückführen und bekannte dem Volk, was er während seiner Krankheit gegessen hatte.141 Er starb nackt auf der Erde liegend, wie er es vorher angeordnet hatte.142 138

II Cel 12 (Anal. Fr. 10,138). »Ecce iam nudus cum nudo luctatur, et depositis omnibus quae sunt mundi, solius divinae iustitiae memoratur. Studet iam sic propriam contemnere vitam, omnem pro illa sollicitudinem deponendo, ut sibi pauperi pax esset in obsessa via, et solus carnis paries ipsum a divina visione interim separaret« (I Cel 15). 140 S.o. II. Kap., bei Anm. 34. 35. 38. 141 Leg. Per. 80 (ed. Bigaroni, 220–224); vgl. Spec perf. 61 (FF 1751). Nach I Cel 52 ist Franziskus dagegen bei diesem Aufzug nicht völlig nackt. Auch Bonaventura (Leg. mai. VI,2) bemerkt eigens, daß er diesmal die Unterhose anbehielt. 139

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Die dramatisch inszenierte Entkleidung als Zeichen äußerster Selbstverdemütigung hat Franziskus später gelegentlich auch von den Mitgliedern seines Ordens verlangt. Ein Bruder, der über einen Armen eine abfällige Bemerkung gemacht hatte, mußte sich auf sein Geheiß nackt ausziehen, vor dem Armen zu Boden werfen und ihn um Verzeihung bitten.143 Als auf dem Generalkapitel von 1230 die Anhänger des Bruders Elias von Cortona diesen mit Gewalt zum Generalminister erheben wollten, zog sich der amtierende General Johannes Parens vor den versammelten Kapitularen splitternackt aus.144 Bruder Juniper, einer der ersten Gefährten des Franziskus, und wie Bruder Ägidius ein großer Buffone (ioculator) Gottes, zog einmal, zum Entsetzen seiner Mitbrüder, nackt in die Stadt Viterbo ein, wobei er seine Hose nicht dort trug, wo sie hingehörte, sondern auf dem Kopf. Ein andermal blamierte er den Generalminister und den Konvent von Assisi, als er an einem hohen Feiertag splitternackt quer durch Assisi und die zahlreichen dort versammelten Pilger zog.145 Die Trennung vom Vater in der geschilderten Weise ist für Franziskus der Anfang seiner engen Bindung an die Kirche. Einer der tieferen Gründe für seine Ehrfurcht vor dem Klerus, dessen moralische Verkommenheit ihm keineswegs verborgen blieb,146 ist gewiß hier zu suchen. Denn als er sich radikal aus seinen bisherigen sozialen Bindungen löste, da fiel er ja nicht ins Leere, sondern die Kirche, symbolisiert im Mantel des Bischofs von Assisi, fing ihn auf. Die Legenda Perusina beschreibt diesen Zusammenhang exakt in Worten, die sie dem Franziskus in den Mund legt: Der Herr hat uns gerufen zur Hilfe seines Glaubens und der Prälaten und der Kleriker der heiligen Mutter Kirche. Deshalb sind wir gehalten, so gut wir können, sie immer zu lieben, zu achten und zu ehren. Denn die Brüder heißen deshalb »mindere« Brüder, weil sie wie im Namen, so auch durch ihr Beispiel und ihre Tat demütiger sein müssen als die anderen Menschen dieser Welt. Und weil der Herr am Anfang meiner Bekeh142 »Confectus namque infirmitate tam gravi, quae omni languori conclusit, super nudam humum se nudum fecit deponi, ut hora illa extrema, in qua poterat adhuc hostis irasci, nudus luctaretur cum nudo« (II Cel 214; Anal. Fr. 10,253); »Ad fratres vero: ›Cum me videritis ad extrema perduci, sicut me nudiustertius nudum vidistis, sic me super humum exponite, et per tam longum spatium iam defunctum sic iacere sinatis, quod unius milliarii tractum suaviter quis perficere posset‹« (II Cel 217; ed.c. 255). 143 I Cel 76 (Anal. Fr. 10,57); II Cel 85 (ebd. 181); Leg. Per. 114 (ed. Bigaroni, 354); Spec. perf. 37 (FF 1723). 144 »Quod videns generalis frater Johannes coram toto capitulo se nudavit; et sic demum confusi post maximam turbationem cessaverunt« (Thomas de Eccleston, Tract. De adventu, ed. Little, 65). 145 Vita fratris Iuniperi (Anal. Fr. 3,54–64; ebd. 61. 63). 146 »Dicebat enim: In adiutorium clericorum missi sumus ad animarum salutem, ut quod in illis minus invenitur suppleatur a nobis. . . Tegite, inquit, eorum casus, multiplices supplete defectus, et cum haec feceritis, humiliores estote« (II Cel 146; Anal. Fr. 10,214); »Et nolo in ipsis considerare peccatum« (Test. 9; Esser, Opuscula, 438).

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rung, als ich mich von der Welt und meinem leiblichen Vater trennte, sein Wort in den Mund des Bischofs von Assisi legte, daß er mir gut rate im Dienste Christi und mich bestärke: deswegen und wegen vieler anderer vorzüglicher Eigenschaften, die ich an den Prälaten sehe, will ich nicht nur die Bischöfe, sondern auch die kleinen armen Priester lieben und ehren und sie für meine Herren halten.147

Eremiten-Dasein Mit der spektakulären Szene vor dem Bischofspalast von Assisi hatte Franziskus einen Schlußstrich unter sein bisheriges Leben »in Sünden« gezogen. Er war, wie es am Anfang des Testamentes heißt, aus der Welt hinausgegangen. Was »exire de saeculo« im Falle des Franziskus genau bedeutet, ist in der Forschung umstritten. Im Gegensatz zu älteren Untersuchungen148 vertritt Kajetan Esser die Meinung, es sei damit nichts anderes gemeint als: »ins Kloster gehen, ein Mönch werden, oder zum mindesten doch: ein mönchsartiges Leben führen im Gegensatz zu den Weltleuten, auch den Christen, die in der Welt leben.«149 Nun steht dem entgegen, daß die Quellen von einem Klostereintritt des Franziskus nichts berichten, nicht einmal, daß er sich einem geistlichen Oberen unterstellt hat. Daß er von den bestehenden Orden und ihren Regeln nichts wissen wollte, hat er später mit hinreichender Deutlichkeit gesagt.150 Was er allerdings gleich nach seinem Weggang aus Assisi getan hat, darüber weichen unsere beiden wichtigsten Quellen wieder voneinander ab. Nach 3 Soc kehrte er nach S. Damiano zurück und machte sich dort eine Kutte, die derjenigen der Eremiten ähnelte (quasi heremiticum habitum). Den Priester, der ihm gegenüber wohl noch immer reserviert war, »bestärkte er mit der gleichen Rede, mit der er selbst vom Bischof bestärkt worden war.«151 I Cel dagegen fügt hier noch die seltsame Episode des Ganges nach Gubbio ein.152 Demnach lief Franziskus halbnackt durch die Wälder in Richtung Gubbio. Der Bischof hatte ihn also unzureichend oder überhaupt nicht mit Kleidung versorgt.153 Unterwegs sang er laut auf französisch das Lob Gottes. Da wurde er von Strauchdieben behelligt: sie fragten ihn, wer er sei, und er antwortete: 147

Leg. Per. 58 (ed. Bigaroni, 146/148). Z.B. H. Grundmann, Religiöse Bewegungen (o. II. Kap., Anm. 20, 130f. und ebd. Anm. 115). 149 K. Esser, Testament (o. I. Kap., Anm. 25), 142f.; ähnlich noch in: Anfänge und ursprüngliche Zielsetzung des Ordens der Minderbrüder (Studia et Documenta Franciscana, 4), Leiden 1966, 17f.: »nichts anderes als ein Ordensleben führen.« 150 Leg. Per. 18 (ed. Bigaroni, 56/58); s.u. V. Kap., bei Anm. 37. 151 3 Soc 21 (ed. Desbonnets, 106). 152 I Cel 16 (Anal. Fr. 10,15). 153 Erst bei Bonaventura (Leg. mai. II,4; Anal. Fr. 10,565) heißt es, man habe ihm den schäbigen Mantel eines Bauern im Dienst des Bischofs gegeben. 148

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»Ich bin der Herold eines großen Königs. Was kümmert’s euch?« Da verprügelten sie ihn und warfen ihn in eine Grube, in der sich Schnee angesammelt hatte. Er machte sich wenig daraus, sondern als die Räuber weg waren, zog er weiter und sang umso freudiger das Lob des Schöpfers. In der Nähe von Gubbio fand er Unterschlupf als Küchenjunge in einem Kloster. (Einige neuere Biographen nehmen an, daß es sich um Santa Maria di Valfabbrica im Chiascio-Tal handelt, das allerdings näher bei Assisi als bei Gubbio liegt. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß Franziskus in dem Kloster San Verecondo in Vallingegno Aufnahme fand; die ehemalige BenediktinerAbtei liegt, etwa 12 km von Gubbio entfernt, etwas abseits an der Straße nach Perugia).154 Das einzige, was er als Nahrung erhielt, war eine dünne Suppe. Auch gelang es ihm nicht einmal, sich ein altes Kleidungsstück zu erwerben. Seine Situation in dem Kloster scheint so verzweifelt und menschenunwürdig gewesen zu sein, daß sogar die Leidensfähigkeit eines Franziskus überfordert war. Er zog nach wenigen Tagen weiter zur Stadt Gubbio. Dort suchte er einen alten Freund auf, der ihm einen Leibrock gab.155 Später, als er schon berühmt geworden war, entschuldigte sich der Prior des besagten Klosters für sich selbst und seine Mitbrüder bei ihm wegen der schlechten Behandlung, die ihm widerfahren war. Über die Motive, die Franziskus bewegten, halbnackt durch das winterliche Gebirge nach Gubbio zu wandern, berichtet Thomas von Celano nichts. Hatte er zwischenzeitlich den Auftrag des Crucifixus, S. Damiano wieder aufzubauen, vergessen oder verdrängt? Auch hätte er sich erst jetzt, nach der Trennung vom Vater, zu den Aussätzigen begeben, um sie zu pflegen und ihnen zu dienen.156 Die ganze Episode scheint auch in einem gewissen Widerspruch zu 154

Nach der von L. Lemmens zitierten Vita des heiligen Verecundus hielt sich Franziskus dort auch später wiederholt auf: Testimonia minora (o. I. Kap., Anm. 155), 69. In San Verecondo ereignete sich auch die Geschichte mit der »grausamen« Sau (II Cel 111; Anal. Fr. 10,196); darüber ausführlich: Helmut Feld, Beseelte Natur. Franziskanische Tiererzählungen (Tübinger Gesellschaft. Asketische Schriften, 3), Tübingen 1993, 55–60. 155 I Cel 16; Heinrich von Avranches IV,119–121 (Anal. Fr. 10,431); Officium S.F., Responsorium V (ebd. 380). Nach einer allerdings nur bis ins 14. Jahrhundert hinaufreichenden Tradition hieß der Freund Iacomellus oder Filippus Spada Longa (Spade Longe, Spadalunga); s. G. Golubovich, Rezension zu: M. Faloci Pulignani, La S. Casa di Loreto secondo un affresco di Gubbio, Roma 1907: AFH 1 (1908), 142–147. Nach lokaler Tradition soll die Franziskaner-Kirche von Gubbio an der Stelle des Geschäftshauses der Spadalunga errichtet worden sein; die heutige Sakristeitür soll der ehemalige Hauseingang sein. Neben der Tür befindet sich die folgende Inschrift (von fragwürdigem historischem Wert): »Muro del fondaco di Iacobo Spada / Longa l’amico di S. Francesco / Da lui il Santo qui ebbe l’abito della penitenza / che fu poi l’abito dell’Ordine. Di tale gentile / episodio dei primordi francescani, Frate / Bevignate l’architetto della nostra chiesa, volle / serbato in questo rudere un perenne ricordo / 1208–1290.« 156 I Cel 17 (Anal. Fr. 10,16).

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einer Bemerkung des Thomas selbst zu stehen: daß nämlich die erste Arbeit des Franziskus, als er vom Joch seines irdischen Vaters frei war, der Wiederaufbau von S. Damiano gewesen sei.157 Vielleicht ist die Geschichte, die keine pure Erfindung zu sein scheint, zeitlich nicht richtig eingeordnet und hat sich, ebenso wie der Gang unter die Aussätzigen, schon früher zugetragen. Wie dem auch sei, Franziskus machte sich eines Tages mit aller Energie an den Wiederaufbau von S. Damiano. Es dürfte im Vorfrühling des Jahres 1207 gewesen sein. Das nötige Baumaterial bettelte er sich in der Stadt Assisi zusammen. Den Spendern verhieß er einen entsprechenden Lohn im Jenseits: »Wer mir einen Stein gibt, wird einen Lohn bekommen; wer zwei gibt, wird zwei Löhne erhalten; wer drei, wird ebenso viele Löhne bekommen.«158 Dazwischen schrie und sang er in ekstatischer Stimmung (ebrius spiritu) auf den Straßen und Plätzen das Lob Gottes. Die Mehrzahl seiner Mitbürger hielt diese geistliche Trunkenheit für einfache Verrücktheit, und er mußte viel Spott erdulden. Andere wiederum, die ihn von früher kannten, wurden durch sein jetziges Aussehen und Verhalten zu Tränen gerührt. Die Spottreden der Assisiaten trafen Franziskus nicht mehr in seinem Innersten, im Gegenteil: er dankte Gott dafür. Der Priester von S. Damiano kochte für ihn, und da er sah, wie der kleine, zartgebaute Franziskus sich über seine Kräfte anstrengte, bemühte er sich, ihm etwas Besonderes aufzutischen, so wie es Franziskus früher gewohnt war. Doch der sagte sich eines Tages, daß die Sorge des Priesters für ihn nicht seiner ursprünglichen Vorstellung von einem armen Leben in der Nachfolge des leidenden Christus entsprach. Er entschloß sich deshalb, in Zukunft wie die Bettler sein Essen in einer Schüssel von Tür zu Tür zusammenzubetteln. Als er zum ersten Mal die vermischten Speisen in seinem Napf sah, da ekelte er sich fürchterlich. Er überwand jedoch seinen Abscheu und begann zu essen. Und er machte die Erfahrung, daß ihm der widerliche Brei mehr Freude und Genuß bereitete als die Delikatessen, die er früher gespeist hatte. Ähnlich wie bei den Aussätzigen hatte sich das Widerwärtige ins Angenehme verwandelt. Darauf sagte er dem Priester, er brauche sich in Zukunft um seine Ernährung nicht mehr zu kümmern. In der nicht sehr großen Stadt Assisi waren Begegnungen mit dem Vater unvermeidlich. Dem zog es das Herz zusammen vor Schmerz und Scham, wenn er den Sohn in seinem äußerlich verkommenen Zustand sah, »weil er ihn sehr geliebt hatte«159 – und wohl immer noch liebte. In seiner Verzweif157 »Primum itaque opus, quod beatus Franciscus aggreditur, liberatione sui de manu carnalis patris obtenta: domum construit Deo, illamque de novo facere tentat, sed veterem reparat« (I Cel 18). 158 3 Soc 21 (ed. Desbonnets, 106). 159 3 Soc 22 (ed.c. 107).

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lung stieß er Flüche gegen Franziskus aus. Da stellte Franziskus so etwas wie einen Ersatz-Vater an: ein ganz armseliger Bettler, dem er dafür einen Teil seiner Almosen überließ, mußte ihn, jedesmal wenn sein Vater ihn verfluchte, bekreuzigen und segnen. Und zu seinem Vater sagte er dann: »Meinst du nicht, daß Gott mir einen mich segnenden Vater gegen deine Flüche geben kann?«160 Es ist das letzte »Gespräch« des Franziskus mit seinem Vater, von dem wir erfahren. Aus dieser Zeit ist auch noch eine Begegnung mit seinem jüngeren Bruder überliefert. Der erblickte eines Morgens im Winter Franziskus, wie er zerlumpt und vor Kälte zitternd (vielleicht in einer Kirche, vielleicht vor einem Crucifixus oder Heiligenbild an der Straße) seine Gebete verrichtete. Da sagte er höhnisch zu einem Mitbürger: »Sag doch zu Franziskus, er solle dir wenigstens ein Quäntchen Schweiß verkaufen.« Da sagte Franziskus auf französisch161 zu ihm: »Diesen ›Schweiß‹ werde ich meinem Herrn teuer verkaufen.« Man sieht hier wieder, daß der Gedanke des himmlischen Lohnes für Franziskus in seiner Frühzeit wie auch später ganz selbstverständlich war. Die 3 Soc hebt besonders hervor, Franziskus habe gewollt, daß in der Kirche S. Damiano beständig die Öllampen brannten. Der Grund dafür wird nicht angegeben.162 Doch sollte, in der Vorstellung des Franziskus, das brennende Feuer die Gegenwart Christi (nicht unbedingt in Gestalt des Altarssakramentes!) in der Kirche als heiligem Ort anzeigen, und damit auch, daß die Kirche lebendig und kein totes Gemäuer mehr war.163 Das Öl für die Lampen mußte er jetzt, da er völlig mittellos war, ebenfalls zusammenbetteln. Noch hatte er seine inneren Hemmungen gegen den Bettel nicht ganz überwunden. Eines Tages näherte er sich einer Gruppe Menschen, die in der Nähe eines Hauses (vermutlich Boccia) spielten. Zunächst schämte er sich, sie anzusprechen, und ging wieder weg. Dann sagte er sich aber, er habe damit gesündigt. Er kehrte zurück, bekannte den zum Spiel Versammelten seine vermeintliche Schuld und bettelte dann auf französisch um Öl für die Kirche S. Damiano. Beiläufig wird erwähnt, daß Franziskus die Bauarbeiten nicht allein durchführte, sondern Helfer gewonnen hatte.164 Unter den in der Nähe Wohnenden 160

Ebd. 23 (ed.c. 108). Vgl. o. III. Kap., bei Anm. 9. 162 »Cum autem laboraret assidue in opere ecclesiae memoratae, volens in ipsa ecclesia luminaria iugiter esse accensa, ibat per civitatem oleum mendicando« (3 Soc 24; ed.c. 108); vgl. auch 3 Soc 13 (ed.c. 100), o. III. Kap., bei Anm. 77. 163 Vgl. II Cel 165 (Anal. Fr. 10,226): »Parcit lucernis, lampadibus et candelis, nolens sua manu deturbare fulgorem, qui nutus esset lucis aeternae.« 164 3 Soc 24 (ed.c. 108); II Cel 13 (ed.c. 138). Marino Bigaroni hat versucht, die Frage zu beantworten, welche Arbeiten Franziskus an S. Damiano durchgeführt hat. Nach sorgfältigen Untersuchungen am Bau kam er zu der Hypothese, Franziskus habe 161

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und den Vorübergehenden suchte er weitere Helfer zu gewinnen und rief ihnen auf französisch zu: »Kommt und helft mir beim Bau der Kirche S. Damiano, die einmal ein Kloster von Frauen sein wird, deren Ruf und Leben unser himmlischer Vater in der gesamten Kirche verherrlichen wird.«165 Dieser Aufruf, verbunden mit der Prophezeiung des zukünftigen Klosters der Armen Frauen und deren Bedeutung für die ecclesia universalis, ist umso merkwürdiger, als Klara von Assisi in ihrem Testament ebenfalls davon berichtet. Die Erzählung Klaras enthält über 3 Soc hinaus das Detail, daß Franziskus seine Prophezeiung von der Mauer der Kirche herab verkündete.166 Kannte Franziskus Klara schon damals? Mit Sicherheit traten die beiden in Kontakt, als Franziskus sich nach Abschluß der Reparatur von S. Damiano und derjenigen einer zweiten Kirche167 dem Wiederaufbau der PortiunculaKirche (Santa Maria degli Angeli) zuwandte. Bona de Guelfuccio, Freundin Klaras und Begleiterin zu den geheimen Treffen mit Franziskus, berichtet als Zeugin im Kanonisationsprozeß, Klara habe ihr Geld gegeben mit dem Auftrag, es denen zu bringen, die in S. Maria della Porziuncola arbeiteten, damit sie sich Fleisch (!) kaufen könnten.168 Klara hatte also wohl von dem sicht-

die ursprünglich in Schiff, erhöhtes Presbyterium und darunter liegende Krypta gegliederte benediktinische Kirche durch Tieferlegen des Fußbodens des Schiffes und Anhebung des Niveaus der Krypta zu einer einzigen Aula umgestaltet; die zum Presbyterium und zur Krypta führenden Treppen wurden beseitigt; aus dem Presbyterium wurde das Oratorium neben dem Dormitorium der Nonnen; die Kirche wurde eingewölbt, um darüber das Dormitorium einbauen zu können. Nach Bigaroni hat Franziskus damit damit den Prototyp der franziskanischen Kirchen geschaffen: »eine aus einem einzigen Saal bestehende Kirche, wo Klerus und Volk sich zur Gemeinschaft des Gebetes und des Wortes versammeln konnten«: S. Damiano (o. Anm. 110), 37–40. 165 »Cum aliis autem laborantibus in opere praefato persistens, clamabat alta voce in gaudio spiritus ad habitantes et transeuntes iuxta ecclesiam, dicens eis gallice: ›Venite et adiuvate me in opere ecclesiae Sancti Damiani, quae futura est monasterium dominarum, quarum fama et vita in universali ecclesia glorificabitur Pater noster coelestis‹« (3 Soc 24). 166 »Ascendens enim tunc temporis super murum dictae ecclesiae, quibusdam pauperibus ibi iuxta morantibus alta voce lingua francigena loquebatur: ›Venite et adiuvate me in opere monasterii Sancti Damiani, quoniam adhuc erunt dominae ibi, quarum famosa vita et sancta conversatione glorificabitur Pater noster caelestis in universa Ecclesia sua sancta‹« (Test. S. Clarae, in: Escritos de Santa Clara, ed. Omaechevarri´a, 341). 167 I Cel 21: Es handelt sich wohl um die nicht mehr erhaltene Kirche S. Pietro della Spina. Weniger wahrscheinlich ist die Annahme, daß es die damals noch außerhalb der Stadtmauern von Assisi liegende Abteikirche S. Pietro gewesen sei (so FF, S. 428, Anm. 37). 168 Processo della canonizzazione di Santa Chiara, Test. 17,7 (FF 3129): »Anche essa madonna Chiara, mentre che era nel seculo, dette ad essa testimonia (per) devozione certa quantita` de denari e comandolle che li portasse a quelli che lavoravano in Santa Maria de la Porziuncola, ad cio` che comperassero de la carne.«

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III. Kapitel

baren Kräfteverfall und dem armseligen Gesundheitszustand des Franziskus gehört oder ihn selbst gesehen. Franziskus trug zu dieser Zeit noch immer Kleid und Ausrüstung der Eremiten: eine Kutte, die mit einem Ledergürtel zusammengehalten wurde, Schuhe und einen Stock in der Hand.169 Wenig später erfahren wir nebenbei, daß er noch mindestens eine weitere Kutte zum Wechseln besaß, ferner einen Doppelsack oder Reisebeutel, den man über die Schulter hängte, und eine Geldbörse. Es hatte also noch keine radikale Trennung von jeglichem Besitz stattgefunden, auch nicht vom Geld. Ohne Geld ließen sich die Wiederaufbauarbeiten an den Kirchen kaum durchführen, und er mußte gewiß auch in irgendeiner Weise für den Unterhalt seiner Helfer sorgen.

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3 Soc 25; I Cel 21.

IV. KAPITEL

DIE ANFÄNGE DER FRANZISKANISCHEN BEWEGUNG 1. Leben nach der Form des heiligen Evangeliums »Und nachdem der Herr mir Brüder gegeben hatte, da zeigte mir niemand, was ich tun müsse, sondern der Allerhöchste selbst offenbarte mir, daß ich nach der Form des heiligen Evangeliums leben müsse.«1 Aus diesem lapidaren Satz des Testaments wird deutlich, daß Franziskus den Anfang seiner Bruderschaft auf das Wirken Gottes zurückführte und daß auch, nach seinem Verständnis, Gott selbst ihm die zukünftige Lebensweise durch eine Offenbarung gezeigt hatte. Franziskus wollte sich also keinem der in der Kirche etablierten Mönchsorden anschließen und auch keine der älteren Ordensregeln und Konstitutionen als Richtschnur für die neue Gemeinschaft annehmen. Allein das Evangelium sollte deren Lebensform bestimmen. Man sieht daraus, daß von allem Anfang an Evangelium und Regel im Verständnis des Franziskus inhaltlich ein und dasselbe waren. Die Regel war nichts anderes als eine Kurzformel des Evangeliums. Es war vermutlich am Morgen des St. Matthias-Tages (24. Februar) 1208,2 als Franziskus in der Portiuncula-Kirche3 das Evangelium von der Aussendung der Jünger aus dem 10. Kapitel des Matthäus-Evangeliums hörte. Nach der Messe ließ er sich von dem Priester die Stelle ausführlich erläutern. Wenn wir Thomas von Celano glauben dürfen, hat der Priester auch die Parallelen aus den anderen Evangelien (Mk 6,7–12; Lk 9,1–6; 10,1–16) herangezogen, um zu verdeutlichen, was die Jünger Jesu alles nicht besitzen dürfen: kein Gold, 1

Test. 14 (Esser, Opuscula, 439). Das Jahr des Ereignisses ist in der Forschung durchaus umstritten: es werden die Jahre 1206, 1207, 1208 und 1209 mit verschiedenen Gründen angenommen (s. Literatur bei Moorman, History, 8, Anm. 5). Doch nach I Cel 21 (Anal. Fr. 10,18) arbeitete Franziskus im dritten Jahr nach seiner Bekehrung an der Reparatur der Portiuncula, nach 3 Soc 27 (ed. Desbonnets, 110) wandten sich ihm die ersten Gefährten zwei Jahre nach seiner Bekehrung zu. Will man mit den Ereignissen davor und danach nicht ins Gedränge kommen, muß man das Jahr 1208 annehmen. 3 So Thomas von Celano (I Cel 22; Anal. Fr. 10,19); dagegen scheint 3 Soc 25 (ed. Desbonnets, 109) S. Damiano als Ort des Geschehens vorauszusetzen. 2

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IV. Kapitel

Silber, Geld, keine Geldbörse, keinen Reisebeutel, kein Brot, keinen Stab, keine Schuhe und keine zwei Leibröcke; sondern sie sollten nur das Reich Gottes und die Buße predigen. Als Franziskus das hörte, freute er sich und sagte: »Das ist es, was ich will, das ist es, was ich suche, das begehre ich von ganzem Herzen zu tun.« Die »Drei Gefährten« geben eine einfachere Formulierung des Ausspruches: »Das ist es, was ich mit allen Kräften zu erfüllen trachte.« Aus beiden Versionen geht hervor, daß Franziskus in dem Evangelium nicht etwas gänzlich Neues offenbart wurde. Er scheint es viel eher als eine (göttliche) Bestätigung von etwas empfunden zu haben, was er schon längst ersehnte und vorhatte. Er suchte nun die Forderung des Evangeliums buchstabengetreu (ad litteram)4 zu erfüllen, indem er Schuhe, Stab und Beutel ablegte; er machte sich eine andere Kutte aus grobem Stoff, die nicht mehr von einem Ledergürtel, sondern durch einen Strick zusammengehalten wurde. Wie Franziskus selbst in seinem Testament erwähnt, gehörte zu der Kleidung außerdem eine Hose: Und diejenigen, die kamen, um diese Lebensform auf sich zu nehmen, gaben allen ihren Besitz den Armen; und sie waren zufrieden mit einer Kutte, innen und außen mit Flicken besetzt, mit einem Leibgurt und Hosen. Und wir wollten nicht mehr haben.5

Er begann nun, mit großer Begeisterung die Buße zu predigen, mit ganz einfachen Worten, aber sehr eindringlich. Am Beginn seiner Predigt stand der Gruß: »Der Herr gebe dir (euch) den Frieden.« Wie er wiederum selbst bezeugt, hatte ihm der Herr diesen Gruß offenbart: »Einen Gruß hat mir der Herr offenbart: wir sollten sagen: Der Herr gebe dir Frieden.«6 Mit diesen Worten grüßte er auch alle, Männer und Frauen, denen er begegnete, und sein Gruß hatte eine friedensstiftende Wirkung.7 Über den näheren Inhalt seiner Predigten schweigen sich die Quellen aus, was übrigens, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, für die gesamte Zeit seines Lebens gilt. Ort der ersten Predigten war die Kirche, in der er als kleiner Junge lesen gelernt hatte und in der er nach seinem Tode vorübergehend bestattet wurde: San Giorgio.8 (Wie Marino Bigaroni nachgewiesen hat, stand die Kirche im Bereich des jetzigen Kreuzgangs des Santa-Chiara-Klosters, nicht, wie früher angenom4

I Cel 22 (ed.c. 19). Test. 16 (Esser, Opuscula, 439f.). 6 Test. 23 (ed.c. 440): »Salutationem mihi Dominus revelavit, ut diceremus: Dominus det tibi pacem.« In der Regula bullata (III,14; Esser, Opuscula, 368) wird den Brüdern, die ein fremdes Haus betreten, der Gruß: »Pax huic domui« (Lk 10,5) vorgeschrieben, den Franziskus auch auf seinem ältesten porträtähnlichen Fresko in der Heiligen Höhle von Subiaco in der Hand hält; s.u. VII. Kap., bei Anm. 4–9. 7 I Cel 23 (ed.c. 20); 3 Soc 26 (ed.c. 110). 8 I Cel 23. 5

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men, an der Stelle der heutigen Sakramentskapelle innerhalb der Basilika S. Chiara, in der sich der Crucifixus von S. Damiano und das Sprechgitter der Nonnen befinden).9 Als einzige unter den Quellen weiß die Drei-Gefährten-Legende zu berichten, Franziskus habe in der Ankündigung des Friedens einen »Vorläufer« gehabt, der in der Zeit vor seiner Bekehrung durch die Straßen von Assisi geeilt sei und die Leute mit den Worten: »Frieden und Gutes!« (Pax et Bonum; ital.: Pace e Bene) gegrüßt habe. Der fremde Wanderer, der auftaucht und verschwindet, gehört zu den rätselhaften, anonymen Gestalten, denen wir in den Lebensbeschreibungen des Franziskus öfter begegnen.10

2. Die ersten Gefährten Um diese Zeit fühlten sich einige Bürger von Assisi von dem Beispiel des Franziskus angeregt, so wie er ein Leben in vollkommener Armut zu führen. Thomas von Celano nennt wieder einmal einen Namenlosen, der als erster Franziskus nachgefolgt sei.11 Von ihm ist dann weiter keine Rede mehr, und es ist müßig, über seine Identität Spekulationen anzustellen. In der gesamten übrigen Tradition gilt Bernhard von Quintavalle als erster Gefährte des Franziskus, und Celano selbst bezeichnet ihn in seiner zweiten Legende als »das erste Pflänzchen des Ordens nach dem Heiligen«.12 Bernhard von Quintavalle Bernhard von Quintavalle war ein reicher und angesehener Bürger von Assisi. In seiner Lebensbeschreibung in der Chronica XXIV Generalium, die allerdings auch legendarische Züge enthält, wird von ihm gesagt, er habe zu den edelsten, reichsten und klügsten Bewohnern der Stadt gehört und er sei auch für die Stadtregierung beratend tätig gewesen.13 Wenn letzteres zutrifft, dann war er wohl ausgebildeter Jurist. In Einklang mit dieser Vermutung steht die Erzählung im fünften Kapitel der Fioretti, nach der Franziskus »in

9 M. Bigaroni, La Chiesa di S. Giorgio in Assisi ed il primo ampliamento della cinta medioevale (Pubblicazioni della Biblioteca Francescana Chiesa Nuova – Assisi), Assisi 1990; s. auch u. VII. Kap., bei Anm. 142. 10 3 Soc 26. 11 I Cel 24 (ed.c. 20). 12 »qui post sanctum Dei Minorum Ordinis prima plantula fuit« (II Cel 109; ed.c. 194); vgl. auch II Cel 48 (ebd. 161): »qui secundus in ordine frater exstiterat.« 13 Anal. Fr. 3,35–45; »vir venerabilis, Bernardus nomine, de nobilioribus, ditioribus et prudentioribus eiusdem loci, cuius consilio tota illa civitas regebatur« (ebd. 35); ähnlich Actus, c. 1; Fioretti, c. 2 (ed. Cambell, 112/113; FF 1827).

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der Anfangszeit des Ordens« Bruder Bernhard nach Bologna entsandte; der lernte dort einen Rechtsgelehrten kennen, welcher für die Brüder eine geeignete Bleibestätte (locus, luogo) herrichten ließ.14 »Quintavalle« ist wohl nicht, wie von manchen Forschern angenommen, der Name des Vaters, sondern eher der Name eines Landguts, auf dem Bernhard geboren wurde. Der zurückhaltende und überaus bescheidene Mann hatte für das Selbstverständnis der Bruderschaft und den werdenden Orden eine große Bedeutung. Als sich die ersten zwölf Brüder auf den Weg zur Römischen Kurie machten, wählten sie ihn zum Leiter der Gruppe und betrachteten ihn als »Stellvertreter Christi«.15 Nach einer in der Legenda Perusina und anderen, späteren Quellen enthaltenen Tradition erteilte ihm Franziskus kurz vor seinem Tode einen besonderen Segen und machte ihn zu seinem Nachfolger in der Funktion eines geistlichen, charismatischen Führers des Ordens, gewissermaßen als Gegengewicht zu dessen rechtlichem Oberhaupt, dem Generalminister Bruder Elias.16 Salimbene de Adam hat Bernhard noch persönlich kennengelernt und lebte mit ihm einen Winter lang (vielleicht 1241/1242) im Konvent von Siena zusammen.17 Bald danach, jedenfalls aber noch vor 1246, ist Bernhard gestorben. Die 3 Soc enthält den ausführlichsten Bericht über die Konversion Bernhards. Demnach beobachtete Bernhard Franziskus über längere Zeit hin. Er war sehr beeindruckt von dem harten Leben, das Franziskus führte, während er am Wiederaufbau der drei Kirchen bei Assisi arbeitete. Bernhard machte sich Gedanken über die Veränderung, die im Leben des Franziskus vor sich gegangen war, denn er kannte ihn von früher.18 So entschloß er sich, sein gesamtes Vermögen an die Armen zu verteilen, dem Beispiel des Franziskus zu folgen und sich ihm fest anzuschließen. Was im einzelnen in der Seele Bernhards vorging, erfahren wir nicht. Auch wüßten wir gern mehr über seine äußeren Lebensumstände, z.B. wie er zu seinem großen Vermögen gekommen war, das ihm ein unabhängiges Junggesellen-Dasein ermöglichte. Und warum war er, bei seinem schon vorgerückten Alter, noch nicht verheiratet? (Er dürfte mehrere Jahre älter als Franziskus gewesen sein). Die alten Lebensbeschreibungen schweigen über all dies.

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Actus, c. 4; Fioretti, c. 5 (ed. Cambell, 142–145; FF 1833). Das Wort »domus« (Haus) wird mit Absicht vermieden. 15 3 Soc 46 (ed. Desbonnets, 124f.). 16 Leg. Per. 12 (ed. Bigaroni, 32–38; Spec. perf. 107 (FF 1806); Esser, Opuscula. 452; s. hierzu vor allem: R. Manselli, L’ultima benedizione di S. Francesco – Bernardo da Quintavalle e la benedizione di S. Francesco (Studi storici, 78), Roma 1967; ders., Franziskus, 369–372. 17 Cronica F. Salimbene, ed. Holder-Egger (MGH SS 32,39). 18 3 Soc 27 (ed.c. 27).

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Bernhard begab sich eines Tages insgeheim zu Franziskus und lud ihn zu einem nächtlichen Gespräch in seinem Hause ein. Das scheint in einem gewissen Widerspruch zu der Darstellung Celanos zu stehen, nach der Bernhard Franziskus schon des öfteren als Gast empfangen hatte.19 Zweifellos ist die Erzählung der 3 Soc im Anklang an das nächtliche Gespräch stilisiert, das Nikodemus mit Jesus führte (Joh 3,1f.). Doch muß das nicht gegen die Historizität des Ereignisses sprechen. Ob es Bernhard bei diesem Gespräch um Erlangung einer letzten persönlichen Gewißheit, um noch genauere Prüfung des Franziskus (so I Cel und spätere Quellen) oder nur um die praktische Verwirklichung eines bereits gefaßten Entschlusses ging, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Doch halten wir das zuletzt Genannte für das Wahrscheinlichste. Nach Darstellung der Actus-Fioretti wurde Bernhard durch das von ihm heimlich beobachtete nächtliche Gebet des Franziskus bewegt, sein Leben zu ändern. Franziskus habe in jener Nacht über seine eigene Rolle und diejenige seines Ordens bei der Erlösung der Welt meditiert.20 Daß das Gespräch der beiden sich tatsächlich um die Welterlösung gedreht haben könnte, ist keine abwegige Vermutung. Franziskus, der sich darüber freute, daß ein so ernsthafter Mann die Absicht hatte, sich ihm anzuschließen, wollte dennoch über den nun einzuschlagenden Weg Sicherheit erlangen, und zwar eine auf Gott selbst gegründete Sicherheit. Er schlug deshalb Bernhard vor, am nächsten Morgen in eine Kirche zu gehen und im Evangelium nachzuschlagen, wie Christus seine Jünger über den rechten Lebensweg belehrt habe. Das Buchorakel In aller Frühe (es war der 16. April 1208)21 begaben sie sich zu der Kirche San Nicolo`. Sie lag unmittelbar an der Piazza del Comune und ist heute nicht mehr erhalten. Es hatte sich ihnen noch ein dritter Bürger von Assisi zugesellt: Petrus Catanii. Nach einem Gebet, der Herr möge ihnen seinen Willen 19 »Hic enim frequenter susceperat beatum patrem hospitio. . .« (I Cel 14; Anal. Fr. 10,20). 20 Ed. Cambell, 114–117; FF 1827. 21 Das Datum ergibt sich aus der kürzeren und der längeren Lebensbeschreibung des Bruders Ägidius: Vita Beati Fratris Egidii. The Life of Brother Giles (Blessed Giles of Assisi), in: Scripta Leonis, Rufini et Angeli Sociorum S. Francisci. The Writings of Leo, Rufino and Angelo Companions of St. Francis, edited and translated by Rosalind B. Brooke, Oxford 1970, 307–349; ebd. 318; Chronica XXIV Generalium (Anal. Fr. 3,4): dort ist, entgegen dem Befund der wichtigsten Handschriften, fälschlicher Weise das Jahr 1209 angegeben; s. hierzu eingehend: Lorenzo Di Fonzo, Per la cronologia di S. Francesco. Gli anni 1182–1212. Misc. Fr. 82 (1982), 1–115; ebd. 85 und Anm. 133. S. auch u. Anm. 59.

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beim ersten Öffnen des Buches zeigen, nahm Franziskus das Evangelienbuch (Missale)22 vom Altar und öffnete es. Sein Blick fiel auf die Stelle aus dem Matthäus-Evangelium (19,21): »Willst du vollkommen sein, so geh und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel gewinnen.« Er war über diese Auskunft sehr glücklich und dankte Gott dafür. Aber er wollte eine noch höhere Gewißheit haben: eine im dreifaltigen Gott gegründete dreifache Gewißheit sozusagen. Deshalb öffnete er das Buch noch ein zweites und ein drittes Mal. Und er stieß auf zwei Stellen aus dem Lukas-Evangelium: »Nehmt nichts mit auf den Weg« (9,3); »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst« (9,23 = Mt 16,24).23 Franziskus sah hierin eine Bestätigung seines Ideals und einer Lebensform, wie er sie sich schon längst vorgestellt hatte. Wie kurz zuvor in der Portiuncula, beim Hören des Evangeliums von der Aussendung der Jünger, fand er in den Worten des Evangeliums eine Versicherung und Bestätigung des Lebensideals, dem er sich schon vorher verschrieben hatte. In diesen wenigen Sätzen erkannte er auch die Richtschnur für die zukünftige Gemeinschaft seiner Anhänger: »Brüder, da haben wir unser Leben und unsere Regel, und ebenso für alle, die sich uns anschließen wollen. Geht also und tut, was ihr gehört habt.« Damit sind die drei wesentlichen Elemente der franziskanischen Lebensform gegeben: Armut in der Nachfolge Jesu und der Apostel; Leiden und Selbstverleugnung nach dem Vorbild des kreuztragenden (und gekreuzigten) Herrn; Unmittelbarkeit und Einfalt beim Verständnis biblischer Lebensregeln und deren Umsetzung in die Tat. Das Öffnen des Evangelienbuchs durch Franziskus, um in dem zuerst gefundenen Passus den Willen Gottes zu erkennen, entspricht einem seit der Antike bekannten und ausgeübten Orakel-Brauch. Die Griechen benutzten den Homer, die Römer den Vergil zum Zweck der Bibliomantie. Es war eine besondere Art des Losens (sortes Homericae, sortes Vergilianae, sortilegia Virgiliana), dessen Vorgang und Ergebnis man durch eine höhere Macht ge22

Das Missale der Kirche S. Nicolo` di Piazza ist erhalten und befindet sich heute in der Walter’s Art Gallery zu Baltimore, Maryland, USA (cod. 114); Michele Faloci Puligniani, Il messale consultato da S. Francesco quando si converti. Misc. Fr. 15 (1914), 33–43a; L. Di Fonzo, Cronologia, 86, Anm. 136; Gabriele Andreozzi, San Nicolo` »de pede plateae« dove nacque il movimento francescano, Roma 21986 (1. Aufl.: Anal. TOR 18 [1985], 79–132). Die Kirche selbst (bereits ein Nachfolgebau der mittelalterlichen) wurde 1926 abgerissen. An ihrer Stelle steht heute das Gebäude der Post. 23 3 Soc 28–29; II Cel 17. In ihrer Untersuchung des Evangeliars von Baltimore haben Gebhard C.P. Voorvelt und Bertulf P. Van Leeuwen festgestellt, daß der Text Mt 19,21 nicht darin enthalten ist, wohl aber die Parallele Mk 10,21 (fol. 132r–133r); Lk 9,3 dagegen befindet sich auf fol. 119v, Mt 16,24 auf fol. 216v: L’E´vangiliaire de Baltimore. E´tude critique sur le Missel que Saint Franc¸ois aurait consulte´. Coll. Fr. 59 (1989), 261–321.

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steuert glaubte.24 Im christlichen Bereich war die Praxis der sortes apostolorum, sanctorum oder Psalterii bekannt: man berief sich für das Losen als Erkundung des Willens Gottes auf die Apostel, die ihren Kreis durch ein solches Gottesurteil um Matthias ergänzt hatten (Act 1,23–26). Schon der spätere Einsiedler und Abt Antonius (251–356), der am Beginn des christlichen Mönchtums steht, bezog den Vers des Evangeliums: »Willst du vollkommen sein, so geh und verkaufe alles. . .« (Mt 19,21), den er während einer Messe hörte, auf sich selbst25 und handelte danach. Augustinus verdankte seine definitive Bekehrung, die in seinem eigenen Verständnis in der Überwindung der geschlechtlichen Begierde bestand, einem ähnlichen Erlebnis. Von der Bekehrung des Antonius durch ein göttliches »Orakel« hatte er schon gehört. Als er eines Tages in Mailand in einem Garten vom Nachbarhaus her die Stimme eines Kindes vernahm, das die Worte: »Tolle, lege, tolle, lege« vor sich hinsang, faßte er dies als Hinweis auf, nun seinerseits ein Buchorakel anzustellen. Er nahm den Codex mit den Briefen des Apostels Paulus zur Hand, und die erste Stelle, auf die seine Augen fielen, war Röm 13,13f.: »Nicht in Freß- und Saufgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Streit und Eifersucht, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pfleget das Fleisch nicht so, daß es geil wird.« Augustinus selbst fährt fort: »Und ich wollte nicht weiterlesen, und es war auch nicht notwendig. Denn sogleich mit dem Ende dieses Satzes zerstreute sich die ganze Finsternis des Zweifels, als ob das Licht der Gewißheit meinem Herzen eingegossen worden wäre.«26 Von der Spätantike bis zum hohen Mittelalter sind weiterhin zahlreiche Buchorakel bezeugt. Die Bischofswahl des heiligen Martin von Tours († 397) wurde durch ein solches entschieden: Die Bischöfe, die, entgegen der Volksmeinung, Martin für ungeeignet hielten, wurden ausgeschaltet, als jemand das Psalterium ergriff und den zuerst gefundenen Vers (Ps 8,3) vorlas: »Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du dir Lob bereitet wegen deiner Feinde, um den Feind und Rächer zu vernichten.«27 Aus den im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts entstandenen »Geschichtenbüchern« Gregors von Tours gewinnt man den Eindruck, daß der Brauch, die Bibel als Orakelbuch zu 24 S. hierzu: O. Rühle, Art. Bibel, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1 (1927), 1208–1219; besonders ebd. 1215–1218; F. Boehm, Art. Los, losen, ebd. 5 (1932/1933), 1351–1386; bes. 1373–1380; H. Leclerq, Art. Sortes Sanctorum, in: DACL 15 (1951), 1590–1592 (mit Ergänzung von H. Marrou). 25 ». . quasi sui causa lecta illa fuissent«: in seiner von Athanasius verfaßten Vita, c. 2 (MPG 26,841/842; MPL 73,127); vgl. Johannes Cassian, Coll. 3,4: Joannis Cassiani Collationum XXIV Collectio (MPL 49,477–1328; ebd. 562; Sources chre´t. 42,142). 26 Augustinus, Conf. 8,12,30 (CSEL 33,194f.); Pierre Courcelle, L’enfant et les »sorts bibliques«. Vigiliae Christianae 7 (1953), 194–220. 27 Sulpicius Severus, De vita Sancti Martini, c. 9 (MPL 20,165f.).

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benutzen, im Fränkischen Reich allgemein verbreitet war.28 Gregor selbst hat als Bischof diese Praktik ausgeführt und war der Überzeugung, daß Gott selbst Verse der Bibel im voraus als individuelle Prophezeiungen oder Hinweise bestimmt hatte.29 Daß der Brauch auch im Hochmittelalter lebendig war, und zwar nicht nur beim »ungebildeten« Volk, sondern gerade auch bei Bischöfen und Mönchen, zeigen zwei Stellen im Dialogus miraculorum des Cisterciensers Caesarius von Heisterbach († 1240), eines Zeitgenossen des heiligen Franziskus. Einmal veranlaßt ein Psalmvers (Ps 105,3: »Beati qui custodiunt iudicium et faciunt iustitiam in omni tempore«) den Bischof von Lüttich, der Gerechtigkeit gegenüber einem Dieb ihren Lauf zu lassen, anstatt ihn zu begnadigen;30 ein andermal entschließt sich ein Mitbruder des Autors, ebenfalls unter dem Eindruck eines Psalmverses (Ps 68,13), zum Verbleib im Kloster.31 Die kirchliche Gesetzgebung bekämpfte das Buchorakel zusammen mit anderen abergläubischen Bräuchen, die den Geruch des Heidentums an sich hatten. Mehrere Diözesansynoden, die im 5. und 6. Jahrhundert im Bereich des heutigen Frankreich tagten, verboten die sortes Sanctorum und andere divinatorische Praktiken unter Strafe der Exkommunikation: die Konzilien von Vannes (Concilium Veneticum: ca. 461–490),32 Agde (Concilium Agathense: 506),33 Orle´ans (511)34 und Auxerre (ca. 561–605).35 Ihre Beschlüsse wurden in die große mittelalterliche Rechtssammlung, das Decretum Gratiani, aufgenommen.36 Eine Dekretale Gregors IX. verbietet eindeutig das Losen und Wahrsagen aus Büchern, insbesondere auch dem Psalterium und den Evangelien, und setzt darauf eine Kirchenbuße von vierzig Tagen.37 Schon ein Edikt Karls des Großen vom 23. März 789 hatte das Losen mit Hilfe des Psalteriums, des Evangeliums oder anderer Dinge verboten.38 28

S. z.B. Hist. IV,16. 24: Gregorii Episcopi Turonensis Historiarum libri decem, ed. R. Buchner, Darmstadt 1955, 218. 226. 29 Ebd. V,14 (ed.c. 300/302); V,49 (372/374). 30 Dial. 3,20: Caesarii Heisterbacensis Monachi Ordinis Cisterciensis Dialogus Miraculorum, rec. J. Strange, Köln 1851, 135f. 31 Dial. 4,49 (ed.c. 216). 32 Can. 16: Mansi, Coll. Conc. 7,955; Concilia Galliae A. 314 – A. 506, ed. C. Munier, Turnhout 1963 (CC 148,156). 33 Can. 42: Mansi, Coll. Conc. 8,332; CC 148,210f. 34 Can. 30: Concilia Galliae A. 511 – A. 695, ed. C. De Clercq, Turnhout 1963 (CC 148A,12). 35 Can. 4 (CC 148A,265). 36 Decr. Grat. P. II, Causa 26, q. 1, c. un.; q. 2, c. 3. 4; q. 5, c. 6. 9 (Corp. Iur. Can., ed. Friedberg, I,1020f.; 1028f.). 37 »In tabulis vel codicibus aut aliis sorte furta non sunt requirenda, aut nullus in psalterio vel in evangelio vel in aliis rebus sortiri, nec divinationes aliquas in aliquibus rebus quis observare praesumat. Qui autem contra fecerit, quadraginta dies poeniteat« (Decretal. Greg. IX., lib. 5, tit. 21, c. 1: Corp. Iur. Can. ed. Friedberg II,822). 38 Can. 20: »De tabulis vel codicibus requirendis, et ut nullus in psalterio vel in

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Die Bekämpfung durch die amtlichen Kirchenorgane änderte aber nichts an der Beliebtheit solcher Praktiken im Bereich der Volksreligion, aber auch in Kreisen des theologisch gebildeten Mönchs- und Hochklerus. Auch für Franziskus waren die aufs Geratewohl aufgeschlagenen Bibelstellen authentische Gottesoffenbarungen. Die kirchliche Gesetzgebung war ihm entweder nicht bekannt, oder er kümmerte sich nicht darum. Den Biographen aller Zeiten war der Vorgang mehr oder weniger peinlich. Thomas von Celano erwähnt ihn in seiner ersten Legende überhaupt nicht.39 Die »Drei Gefährten« entschuldigen ihre drei ersten Mitbrüder mit dem Hinweis, daß sie »einfache Leute« (simplices) waren und deshalb die Stelle im Evangelium, die über den Verzicht auf die Welt handelt, nicht finden konnten.40 Die hier bemühte Einfachheit trifft allenfalls auf Franziskus, mit Sicherheit aber nicht auf Bernhard von Quintavalle und Petrus Catanii zu. Im 17. Jahrhundert meinte dann Lucas Wadding, Franziskus in einer wortreichen Apologie vor dem Verdacht des Aberglaubens in Schutz nehmen zu müssen.41 Unter den neueren Forschern macht Stanislao da Campagnola die einfältige Geistesstruktur des Franziskus, aber auch »eine gewisse Verwicklung in eine unreine Laienreligiosität« (!) für das Praktizieren des Buchorakels verantwortlich.42 Nun muß man bedenken, daß es sich hier nicht um irgend ein nebensächliches Element in der Biographie des Franziskus handelt, sondern das Buchorakel von S. Nicolo` war für ihn die eindeutige Weisung des Herrn, wie seine eigene Lebensform und die seiner Brüder zu gestalten war. Die damals aufgeschlagenen Texte bildeten den Kern der Regel der neuen Gemeinschaft. Auf dieses Ereignis beziehen sich die Worte des Testaments: »der Allerhöchste selbst offenbarte mir. .«, wie schon die »Drei Gefährten« bemerkt haben.43 In seinem späteren Leben hat Franziskus noch öfter zu dem biblischen Orakel seine Zuflucht genommen. I Cel berichtet, daß er einmal in einem euangelio vel in aliis rebus sortiri praesumat, nec divinationes aliquas observare« (MGLL II 1,64). 39 Vgl. I Cel 24 (Anal. Fr. 10,20). 40 3 Soc 28 (ed. Desbonnets, 111). 41 Wadding, Ann. Min. 1,53. 42 »Siamo sicuramente di fronte ad elementi che palesano la semplicita` del Poverello, ma anche un certo coinvolgimento con un’impura religiosita` laicale« (Stanislao da Campagnola, Introduzione, FF, S. 281, Anm. 193); vgl. dagegen: Peter (Bertulf) Van Leeuwen, C.P. (Gebhard) Voorvelt, La Perfection E´vange´lique re´ve´le´e a` Saint Franc¸ois. Fr. Stud. 72 (1990), 30–46: die Autoren vertreten (ebd. 36) die Meinung, die von Franziskus praktizierten sortes biblicae, evangelicae seien erlaubt und nur die sortes sanctorum, apostolorum durch die o.e. Kirchenversammlungen als abergläubisch verboten gewesen! 43 3 Soc 29 (ed. Desbonnets, 112); vgl. Test. 14: »Et postquam Dominus dedit mihi de fratribus, nemo ostendebat mihi, quid deberem facere, sed ipse Altissimus revelavit mihi, quod deberem vivere secundum formam sancti Evangelii« (Esser, Opuscula, 239); s. auch o. bei Anm. 1 dieses Kapitels.

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ungenannten Eremitorium (vielleicht auf dem Berg Alverna) auf diese Weise den Willen Gottes in bezug auf sich selbst erforschte. Er stieß dabei dreimal nacheinander auf Stellen, die mit der Passion Christi zu tun hatten. Daraus erkannte er, daß er nur durch viele Leiden und Kämpfe in das Reich Gottes gelangen werde.44 Dem sterbenden Franziskus wurde, seinem Wunsch entsprechend, der Anfang des 13. Kapitels aus dem Johannes-Evangelium vorgelesen. Diese Stelle hatte vorher schon der Generalminister Bruder Elias ausgesucht, und man stieß auf sie beim ersten Öffnen des Buches. Thomas von Celano will also sagen, daß hier nicht die Willkür des Zufalls, sondern Gott selbst waltete.45 In der Legenda Perusina wird ausführlich die Geschichte von dem Bruder erzählt, der unbedingt ein Psalterium haben wollte und, obgleich er bereits die Erlaubnis des Generalministers Elias dafür hatte, doch noch um das Einverständnis des Franziskus nachsuchte.46 In dem ganzen Passus geht es um das nicht ganz widerspruchsfreie Verhalten des Franziskus zu den Wissenschaften und im besonderen auch zum wissenschaftlichen Bibelstudium. Am Ende der Erwägungen sagt er dem Bruder, er selbst sei auch einmal versucht worden, Bücher zu besitzen. Da habe er den Herrn gebeten, ihm beim ersten Öffnen des Evangeliars seinen Willen hierüber zu zeigen. Das erste Wort, auf das er dann stieß, war das Wort Christi an seine Jünger (Lk 8,10): »Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Gottesreiches zu kennen, den anderen aber (wird es) in Gleichnissen (mitgeteilt).« Franziskus will damit sagen, daß die wahren Jünger Christi das, worauf es ankommt, auch ohne Bücher, selbst ohne Bibel, verstehen; und das habe ihm der Herr selbst mittels eines authentischen Orakelspruchs offenbart. Petrus Catanii Petrus Catanii (Pietro Cattani, Pietro di Cattanio), der zweite Gefährte des Franziskus, war ebenfalls Jurist, außerdem war er hochgebildet und aus vornehmer, vielleicht adeliger Familie, wie Jordan von Giano bezeugt.47 Daß er 44

I Cel 92f. (Anal. Fr. 10,70f.). Ebd. 110 (ed.c. 85f.). 46 Leg. Per. 103–104 (ed. Bigaroni, 306–314). 47 Jordan von Giano, Chronica 11 (ed. Boehmer, 9): ». . cum beato Petro Cathanie, iuris perito et domino legum. .«; ebd. 12 (ed.c. 12): »Et quia frater Petrus vir litteratus erat et nobilis, beatus Franciscus ipsum honorando dominum apellavit.« Lorenzo Di Fonzo vertritt dagegen die Meinung, Petrus, der zweite Gefährte des Franziskus, sei nicht identisch mit dem von Jordan von Giano erwähnten Petrus Catanii, weil der Anonymus Perusinus (11b) über Petrus bemerkt, er sei »pauper. . temporalibus« gewesen; vgl. auch 3 Soc 29: Petrus verteilte sein Vermögen an die Armen »pro posse«; s. L. Di Fonzo, L’Anonimo Perugino (o. Kap. I, Anm. 104), 440, Anm. 19; Ders., Cronologia (o. IV. Kap., Anm. 21), 86, Anm. 137. 45

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Kanoniker des Doms S. Rufino gewesen sei, ist in den älteren Lebensbeschreibungen nicht enthalten. Erst jüngere Quellen wie die Chronica XXIV Generalium48 und Bartholomäus von Pisa49 behaupten es. Das Speculum perfectionis, das auf das Jahr 1318 datiert wird, ist die zeitlich erste Quelle, welche die Notiz über das Kanonikat des Petrus Catanii enthält.50 Das entsprechende Kapitel der Legenda Perusina hat sie noch nicht.51 Es ist indes nicht auszuschließen, daß unter der Tradition ein wahrer Kern steckt: Petrus könnte, wenn auch nicht Mitglied des Domkapitels von S. Rufino, doch etwas wie dessen Anwalt oder Rechtsberater gewesen sein. Seine Funktion hätte dann der des Bernhard von Quintavalle bei der Stadtregierung von Assisi entsprochen. Wenn die beiden aufgrund geschäftlicher Beziehungen gut miteinander bekannt waren, so böte dies eine hinreichende Erklärung für ihren gemeinsamen Anschluß an Franziskus am gleichen Tag. Denn die Quellen geben über Vorgeschichte und Motive der Bekehrung des Petrus, im Gegensatz zu derjenigen Bernhards, keinerlei Auskunft. Doch ist der hier vorgetragene Erklärungsversuch eine bloße – wenn auch nicht abwegige – Spekulation. Franziskus nahm Petrus Catanii als Begleiter auf seine Orientreise mit sich, die vom Sommer 1219 bis zum Frühling 1220 dauerte. Die beiden pflegten einen ritterlichen Umgang miteinander und redeten sich gegenseitig mit »Herr« an, wie Jordan von Giano berichtet, der auch andere Episoden dieser Reise in lebendiger und anschaulicher Weise überliefert.52 Petrus war auch dabei, als Franziskus das bei Damiette lagernde Kreuzfahrerheer und den Sultan Melek el-Kamil besuchte. Sie erlebten die Niederlage der Kreuzfahrer am 29. August 1219 und die Eroberung von Damiette am 5. November des gleichen Jahres. Franziskus kehrte mit Petrus Catanii, Elias von Cortona und Caesarius von Speyer nach Italien zurück, wo während des Sommers 1220 die Verhältnisse des Ordens neu geordnet wurden und der Kardinal Hugolino zum Protektor desselben bestellt wurde. In der neueren Franziskus-Forschung wird überwiegend angenommen, daß Franziskus auf dem St. Michaels-Kapitel von 1220 (29. September) von der Ordensleitung zurückgetreten sei und Petrus als Leiter des Ordens eingesetzt habe. Dagegen vertritt Rosalind B. Brooke die 48

Anal. Fr. 3,4: »canonicus ecclesiae sancti Rufini Assisii.« Bartholomäus von Pisa, De conformitate: »canonicus maioris ecclesiae« (Anal. Fr. 4,203); »canonicus ecclesiae cathedralis« (ebd. 4,472). 50 Spec. perf. c. 61 (ed. Sabatier, 112; FF 1751). 51 Vgl. Leg. Per. c. 80 (ed. Bigaroni, 222). S. zu der Frage auch: Engelbert Grau, Die ersten Brüder des hl. Franziskus. Fr. Stud. 40 (1958), 132–144; ebd. 138; Cle´ment Schmitt, I vicari dell’Ordine francescano da Pietro Cattani a Frate Elia, in: S.I.S.F. Francesco d’Assisi e Francescanesimo dal 1216 al 1226. Atti del IV Convegno Internazionale, Assisi, 15–17 ott. 1976, Assisi 1977, 237–263; ebd. 245f. 52 Vgl. o. Anm. 47. 49

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Meinung, daß Petrus Catanii schon viel früher, wahrscheinlich auf dem Pfingstkapitel von 1217 (14. Mai), von Franziskus als Vikar eingesetzt wurde. Die zahlreichen Episoden, in denen er als Vikar auftritt, haben wohl kaum Platz in den wenigen Monaten, die ihm noch von Ende September 1220 bis zu seinem Tod am 10. März 1221 verblieben. Auch Thomas von Celano bemerkt, daß Franziskus »wenige Jahre nach seiner Bekehrung« die Ordensleitung an Petrus abgegeben habe. Er gelobte ihm feierlich Gehorsam, sah ihn also wohl als Generalminister, nicht bloß als seinen Vikar an.53 Trotzdem übte er weiterhin bestimmte Leitungsfunktionen aus. Auch Petrus Catanii nahm er bisweilen in die Gehorsamspflicht, der sich der schwache und gutmütige Mann, trotz gegenteiliger Überzeugung, offenbar nicht entziehen konnte oder wollte.54 Petrus Catanii ist der erste Franziskaner überhaupt, von dessen Tod wir erfahren. Er wurde bei der Portiuncula-Kirche bestattet. Sein Grabstein ist noch, eingemauert in die rechte (südliche) Außenwand der Kirche, erhalten. Die Deutung der Inschrift, in der dem Wortlaut nach von dem Leib des Verstorbenen, »der hier ruht«, gesagt wird, daß er »zum Herrn gewandert« sei, bietet nicht geringe Schwierigkeiten.55 Ist es ganz einfach schlechtes, grammatisch ungenaues Latein? Die folgende Aussage: »Dessen Seele der Herr segnen möge« scheint aber darauf hinzudeuten, daß der Auftraggeber wußte, was er auf den Stein meißeln ließ. Vielleicht gibt die späte, bei Bartholomäus von Pisa erhaltene Legende einen Hinweis.56 Demnach wurde Petrus Catanii nach seinem Tod durch große Wunder ausgezeichnet, was einen Pilgerstrom zu seiner Grabstätte auslöste. Das brachte den Brüdern, die in S. Maria degli Angeli der Meditation oblagen, ziemliche Unruhe. Franziskus stellte sich dar53

II Cel 143 (Anal. Fr. 10,212); Leg. Per. 11 (ed. Bigaroni, 28/30); »vicarius« wird er II Cel 67. 91. 182 genannt, während ihn die Leg. Per. (80. 93) als »minister generalis« bezeichnet; s. auch ebd. S. 28, Anm. 1; Spec. perf. c. 61 (ed. Sabatier, 112): »primus generalis minister«; R.B. Brooke, Early Franciscan Government. Elias to Bonaventure, Cambridge 1959, 77–81. 54 S. besonders Leg. Per. 64 (ed. Bigaroni, 164/166): »Nam frater Petrus tantum venerabatur et timebat beatum Franciscum et tantum erat ei obediens, quod non presumebat mutare obedientiam eius, licet tunc et multotiens interius et exterius inde affligeretur«; s.o. III. Kap., Anm. 102; vgl. auch Leg. Per. 80 (ed.c. 222). 55 † ANNO. DOMINI. M.CC / XXI. VIo IDVS MARTII. COR/PVS FRATRIS. P. CATANII QVOD / HIC REQUIESCIT MIGRAVIT / AD DOMINVM. ANIMAM CVIVS BENEDI/CAT DOMINVS. AMEN:. Korrekt im Sinne kirchlicher Rechtgläubigkeit müßte die Formel etwa lauten: ». . Frater P. Catanii, cuius corpus hic requiescit, migravit ad Dominum. .«, oder: ». . anima Fratris P. Catanii, qui hic requiescit, migravit ad Dominum. Corpus cuius benedicat Dominus.« Der Beginn der Inschrift ist durch ein Kreuz markiert, zwischen dessen Balken sich vier Punkte befinden. Hinter dem »Amen« am Ende sind drei Punkte angebracht, die ein Dreieck mit nach rechts unten zeigender Spitze bilden. 56 De conformitate (Anal. Fr. 4,204).

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aufhin auf das Grab und redete den Verstorbenen an: »Bruder Petrus, wie du mir im Leben gehorsam warst, so will ich, daß du mir auch als Toter gehorsam seist. Und deshalb, weil die Brüder deinetwegen von den Weltleuten beunruhigt werden, gebiete ich dir durch den heiligen Gehorsam, weiterhin kein Wunder mehr zu tun.« Bruder Petrus habe sich an diese Anweisung gehalten. Die Grabinschrift wäre dann, nach Intention ihres Verfassers (des Franziskus selbst?), als Hinweis an den Pilger gedacht, daß sich der Leib des Bruders Petrus nicht mehr an diesem Ort befinde, sondern bereits »zum Herrn« gewandert sei. Die Vorstellung ist im übrigen so fremd nicht für das mittelalterliche Christentum: auch in dem Introitus der Totenmesse, des Requiem, heißt es: ». . ad te omnis caro veniet« (Ps 64,3). Von einer postmortalen Betätigung des Körpers spricht auch die in der Kathedralbibliothek von Worcester erhaltene Fassung der Regula non bullata (c. 22,5–7): der Körper »will uns die Liebe Jesu Christi und das ewige Leben wegnehmen und sich selbst mit der Seele in die Hölle stürzen.«57 Möglicherweise geht auch diese im Sinne der kirchlichen Orthodoxie nicht korrekte Formulierung auf Franziskus selbst zurück. Ägidius Franziskus begab sich mit seinen beiden neu gewonnenen Gefährten zur Portiuncula-Kirche. Sie errichteten sich dort als Bleibestätte eine primitive Hütte.58 Nach einer Woche gesellte sich ein weiterer Bürger von Assisi zu ihnen: Ägidius. Demütig und kniefällig bat er Franziskus um Aufnahme in die kleine Gemeinschaft. Franziskus empfand tiefe Sympathie für den Mann, der etwa in seinem Alter gestanden haben dürfte, jedenfalls aber seiner Generation angehörte, und er versprach sich von ihm einen religiösen Gewinn. Es war der St. Georgs-Tag (23. April) des Jahres 1208.59 57 »Et castigemus corpus nostrum crucifigentes id cum vitiis et concupiscentiis et peccatis, quia carnaliter vivendo vult nobis auferre amorem I.C. et vitam aeternam et mittere se ipsum cum anima in infernum« (Worcester Cathedral Library, Q. 27, fol. 158r); David Ethelbert Flood, Die Regula non bullata der Minderbrüder, Werl, Westf. 1967, 86f. 91. 58 3 Soc 32 (ed. Desbonnets, 113). Thomas von Celano berichtet nichts von diesem ersten Aufenthalt bei der Porziuncola-Kirche, dagegen der Anon. Per., 14b (ed. Di Fonzo, 441). 59 Es gibt zwei Lebensbeschreibungen des Bruders Ägidius: die längere ist innerhalb der Chronica XXIV Generalium (Anal. Fr. 3,74–115) erhalten; die kürzere ist in mehreren Handschriften des 14. Jahrhunderts überliefert und liegt in zwei neueren Editionen vor: Walter W. Seton, Blessed Giles of Assisi, in: British Society of Franciscan Studies, 8, Manchester 1918; Rosalind B. Brooke, Vita beati Fratris Egidii (o. Anm. 21). Nach der letzteren (c. 1, ed. Brooke, 318) schloß sich Ägidius »duobus annis post conversionem beati Francisci«, also im Jahr 1208, der Gemeinschaft an. Die Angabe des Jahres 1209 in der Edition der längeren Vita (Anal. Fr. 3,74) beruht, wie L. Di Fonzo

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Ägidius ist derjenige unter den ersten Gefährten, dessen Charakterzüge in den franziskanischen Quellen am deutlichsten hervortreten. Im Gegensatz zu Bernhard, Petrus und Franziskus selbst stammte er nicht aus der städtischen Oberschicht, sondern er war Handwerker, dazu ein gewaltiger, unermüdlicher Arbeiter, von eiserner Gesundheit. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Handarbeit, für die er jedoch kein Geld, sondern nur die benötigten Nahrungsmittel annahm. In Ancona betätigte er sich als Wasserträger und half bei der Olivenernte.60 Als er sich einmal in Rom aufhielt, schaffte er aus der Campagna Holz heran, half bei der Weinlese, erntete Nüsse und sammelte Ähren auf den Feldern.61 In dem Eremitorium von Favarone bei Perugia, das ihm Franziskus für eine Zeitlang als Aufenthaltsort zugewiesen hatte, legte er einen Garten an.62 Sehr bezeichnend und vielsagend ist seine Bemerkung über Franziskus nach dessen Tod: Auf die Frage, was er vom heiligen Franziskus denke, antwortete er, ganz Feuer und Flamme, wie er nur »Franziskus« hörte: »Dieser Name Franziskus sollte niemals fallen, ohne daß man mit der Zunge über die Lippen führe. Ein Einziges nur war ihm versagt: ein starker Körper. Hätte er nämlich einen Körper zur Verfügung gehabt, wie ich ihn habe, einen derart leistungsfähigen, – zweifellos hätte die ganze Welt dann nicht mit ihm Schritt halten können.«63

Trotz seiner robusten Konstitution war Ägidius ein Mystiker und Ekstatiker ganz außerordentlichen Grades. Oft wurde er plötzlich, mitten in einem Gespräch oder Alltagsgeschäft, in einen ekstatischen Zustand gerissen. Bald nach dem Tod des Franziskus, in der Weihnachtszeit des Jahres 1226, erlebte er im Konvent von Cetona seine große visionäre Entrückung, die vom dritten Tag vor Weihnachten bis zur Vigil von Epiphanie dauerte.64 Da ihm hierbei Christus leibhaftig erschienen war, hielt er in der Folgezeit Cetona allen anderen Wallfahrts- und Erscheinungsorten gegenüber schlechthin für überlegen – ausgenommen allein die Orte der Epiphanien Gottes jenseits des Meeres, im Heiligen Land. Selbst verglichen mit dem Erlebnis des Franziskus auf dem Alverna-Berg hielt er das seine für bedeutender, da ja dem Franziskus »nur« ein Seraph, d.h. ein Geschöpf, erschienen sei.65 nachgewiesen hat, auf einem Irrtum (Cronologia, 84 und ebd. Anm. 131; 85 und ebd. Anm. 133: alle Handschriften geben das Jahr 1208 an!); s.o. Anm. 21. Deutsche Übersetzung der kürzeren Vita: Leben und »goldene Worte« des Bruders Ägidius. Aus dem Lateinischen übertragen von P.A. Schlüter. Einführung und Erläuterungen von P. Dr. Lothar Hardick (Franz. Quellenschriften, 3), Werl 1953. Die Übersetzung der Aussprüche (»goldene Worte«) basiert auf der Edition von Gisbert Menge: Dicta beati Aegidii Assisiensis (Bibliotheca franciscana ascetica medii aevi, 3), Quaracchi 1905. 60 Vita, 5 (ed. Brooke, 324). 61 Anal. Fr. 3,81f. 62 Ebd. 85. 63 Leben und »goldene Worte« (Fr. Quellenschr., 3), 120. 64 Vita, c. 8. 13 (ed. Brooke, 328/330. 340). 65 Vita, c. 12. 14 (ed.c. 336. 340).

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Die Persönlichkeit des Ägidius entbehrt nicht karikaturhafter Züge. Viele der Eigentümlichkeiten des lebenslang vornehm und »höfisch« gebliebenen Franziskus erscheinen bei ihm gleichsam ins Gröbere gezogen. Ägidius ist der erste große Buffone des Franziskanertums, dem im Laufe der Jahrhunderte noch viele andere folgten. Er war berühmt wegen seiner treffsicheren Aussprüche (Apophthegmata, Sentenzen, Bonmots, goldene Worte), die aber oft in die Nähe des Sprücheklopfens geraten. Die Entwicklung der franziskanischen Gemeinschaft zum normalen Orden unter den Nachfolgern des Stifters verfolgte er mit bissigen Kommentaren. Insbesondere war ihm die Pflege der Wissenschaft und das Entstehen einer gehobenen Predigtkultur im Orden zuwider. In »Paris« sah er den Hauptgegner der ursprünglichen Ordensideale. »Paris, Paris, warum zerstörst du den Orden des heiligen Franziskus?« soll er oft erregt ausgerufen haben.66 Als fanatischer Verteidiger der radikalen Armut (magnus paupertatis zelator) stiftete er den ihm gleichgesinnten Bruder Leo dazu an, das Marmorgefäß vor der Baustelle der Grabeskirche S. Francesco in Assisi in Stücke zu schlagen, das der Bruder Elias dort hatte aufstellen lassen, um Geld für den prunkvollen Neubau zu sammeln.67 Noch schwerer als Franziskus hatte Ägidius mit dem Teufel zu kämpfen. Daß der Teufel ihn in seiner Zelle umbrachte, wurde manchmal nur dadurch verhindert, daß ihm ein anderer Bruder in letzter Minute zu Hilfe kam. Welches psychosomatische Krankheitsbild sich hinter solchen schweren Aggressionen des Dämons verbirgt, wäre sicher für Mediziner und Psychologen ein dankbares Forschungs- und Spekulationsgebiet. Ohne Zweifel hängen die zahlreichen übernatürlichen Erlebnisse, sowohl göttlichen wie dämonischen Charakters, auch mit der gewaltsamen Unterdrückung der natürlichen Triebe zusammen, die der kräftige und an sich gesunde Mann unter dem Eindruck der Leidens- und Erlösungsmystik des Franziskus an sich praktizierte. In den Lebensbeschreibungen wird oft seine exzessive Liebe zur Keuschheit gerühmt.68 Gegen Ende seines Lebens hielt sich Ägidius in dem Konvent von Monteripido nahe bei Perugia auf. Er hatte einen unruhigen, schweren Todeskampf. Die Brüder mußten ihn beständig auf seinem Bett hin und her tragen.69 Der 66 Anal. Fr. 3,86; Franz. Quellenschr. 3,109; s. hierzu: Feld, Totengräber (o. I. Kap., Anm. 163), 346–350; vgl. u. XI. Kap., bei Anm. 67. 67 Anal. Fr. 3,89f. 68 Anal. Fr. 3,88f.; Franz. Quellenschr. 3,74–77. Mit der psychischen Struktur des Ägidius befaßt sich der kurze Essay des englischen Neutestamentlers F.C. Burkitt: Brother Giles of Assisi, in: Franciscan Essays (British Society of Franciscan Studies, Extra Series, 3), 1932, 57–66; s. jetzt auch: Stefano Brufani, Egidio d’Assisi. Una santita` feriale, in: S.I.S.F. I compagni di Francesco e la prima generazione minoritica. Atti del XIX Convegno internazionale, Assisi, 17–19 ott. 1991, Spoleto 1992, 285–311. 69 Vita, 19 (ed. Brooke, 346).

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Tod erlöste ihn, wenn die Angabe der kürzeren Lebensbeschreibung zutrifft, auf den Tag genau 52 Jahre nach seiner Bekehrung, in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1260.70 Ägidius wollte auf gar keinen Fall offiziell kanonisiert werden. Deswegen hatte er sich vorgenommen, nach seinem Tod keine Wunder zu wirken.71 Gleichwohl teilten seine Gebeine das Schicksal vieler Heiligenreliquien: nämlich im Lauf der Jahrhunderte an mancherlei Orten bestattet und zerstreut zu werden.72 Erfolglosigkeit Die vier Gefährten teilten sich und zogen zu zweit in verschiedene Richtungen. Wohin sich Bernhard und Peter wandten, wird nicht gesagt. Franziskus begab sich zusammen mit Ägidius in die Mark Ancona.73 Diese Reise wird gelegentlich als »erste Missionsreise« der franziskanischen Rumpfgemeinschaft bezeichnet, doch nicht ganz zutreffend. Denn die 3 Soc bemerkt eigens, daß Franziskus noch nicht im eigentlichen Sinne (nondum plene) dem Volk predigte (was er später tat), sondern die Menschen zur Liebe und Furcht Gottes und zur Buße ermahnte. Noch immer sang Franziskus unterwegs das Lob Gottes auf französisch, und überhaupt waren sie voll Freude über den großen Schatz der Frau Armut, den sie gefunden hatten. Ägidius gegenüber sprach Franziskus seine erste Prophezeiung über die Zukunft des Ordens aus:

70 Ebd. (ed.c. 348). In der neueren Forschung wird dagegen 1261 oder 1262 als Todesjahr angegeben (letzteres auch in Anal. Fr. 3,114). 71 Anal. Fr. 3,113; Salimbene de Adam, Chronik (MGH SS 32,557,21). 72 Bruder Ägidius wurde zunächst in einem frühchristlichen Marmor-Sarkophag, auf dem die Jonas-Geschichte dargestellt ist, in Monteripido bestattet. Nach etwa zwei Monaten wurde er in die große Franziskaner-Kirche S. Francesco al Prato übertragen, wo die Gebeine bis 1872 ruhten. Als die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen wurde und der Sarkophag in ein Museum überführt werden sollte, ließ der Kardinal Joachim Pecci, damals Bischof von Perugia (später Papst Leo XIII.), am 11. Oktober 1872 die Reliquien in das Oratorium des bischöflichen Palastes bringen. 1886 veranlaßte der Bischof Frederico Foschi die Übertragung in den Dom S. Lorenzo, wo sie unter dem Altar der Kapelle S. Onofrio bestattet wurden; s. Antonius Fantozzi, Documenta Perusina ad Indulgentiam Portiunculae spectantia. AFH 9 (1916), 237–293; ebd. 244. Am 20. September 1920 wurden die körperlichen Überbleibsel des Ägidius wiederum nach Monteripido überführt (L. Hardick in: Franziskanische Quellenschriften 3,27f.). Dort wird in einer Kapelle die »Tomba del fr. Egidio« gezeigt. Ob dieses Grab tatsächlich noch Reliquien enthält, konnte ich bei mehreren Besuchen dort nicht erfahren. Der o.e. Sarkophag steht heute in dem Oratorio di San Bernardino, neben der (noch immer baufälligen) Kirche S. Francesco al Prato; Abbildung bei Luciano Canonici, La Terra di San Francesco. Umbria e Dintorni, Narni-Terni 1987, 48. 73 3 Soc 33 (ed. Desbonnets, 114).

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Unsere religiöse Gemeinschaft (religio) wird einem Fischer gleich sein, der seine Netze ins Wasser wirft und eine große Menge Fische fängt; die kleinen läßt er im Wasser zurück, die großen sucht er heraus und tut sie in seine Gefäße.

Zum ersten Mal ist hier von dem zukünftigen Schicksal der Bewegung die Rede; in den nächsten Generationen wird es, angesichts der schon bald sichtbaren Dekadenz, Gegenstand des Nachdenkens, aber auch phantastischer apokalyptischer Spekulationen sein. Ganz deutlich wird aber hier auch schon das Elite-Bewußtsein einer Kirche in der Kirche greifbar. Da man Bedenken hat, ein solches Bewußtsein der franziskanischen Bewegung in ihren allerersten Anfängen, ja sogar dem Franziskus selbst, zuzuschreiben, wird dieser Bericht oft für unhistorisch gehalten. Doch besteht dazu kein Grund. Der Aufruf des Franziskus und seiner ersten Gefährten richtete sich an christliche Menschen in einer christlichen Kirche und Gesellschaft. Über den religiösen und moralischen Zustand dieser »christlichen« Welt fällen die »Drei Gefährten«, aber auch andere franziskanische Quellen, ein vernichtendes Urteil: Gottesliebe und Gottesfurcht waren in den Herzen erloschen, die Buße (und damit das Sündenbewußtsein) war unbekannt; die Welt war beherrscht von fleischlicher Gier (Sex), Habgier und Stolz.74 Franziskus und seine ersten Gefährten waren aus dieser Welt ausgewandert. Der Verzicht auf alles, wonach die Weltleute gierten und was deren Lebensinhalt ausmachte, erhob sie in einen ekstatischen Zustand der Freude, von dem aus sie die Werte dieser Welt-Zeit als Kot, Scheißdreck (stercora) ansahen. Dieses grobe Wort fällt hier zum ersten Mal; Franziskus bringt es später vor allem mit dem Geld in Zusammenhang, das für ihn das Weltliche in seiner bösesten und korruptesten Form verkörpert.75 Das seltsame Benehmen der Brüder und ihr abgerissenes, schäbiges Aussehen stieß bei der Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung. Zwar kamen manchem Zweifel, ob dieses Leben nicht doch der höchsten, gottgewollten Vollkommenheit entspreche. Doch im ganzen war diese erste Reise durch Mittelitalien von Erfolglosigkeit bestimmt. Es wird sogar berichtet, daß die jungen Mädchen vor den Brüdern die Flucht ergriffen, wenn sie sie von weitem kommen sahen, um ja nicht in den Ruf der Dummheit und Verrücktheit zu kommen.76 74

3 Soc 34; vgl. auch I Cel 36 (Anal.Fr. 10,29); III Cel 1 (ebd. 272). »Haec ab ipso erat sollertia data suis, ut stercus et pecuniam uno amoris pretio ponderarent« (Leg. Per. 27; ed. Bigaroni, 68; II Cel 65; Anal. Fr. 10,170); vgl. auch 3 Soc 45 (ed. Desbonnets, 123): »In paupertate plurimum laetabantur, quia non concupiscebant divitias, sed omnia transitoria spernebant quae possunt a mundi huius amatoribus concupisci. Praecipue vero pecuniam quasi pulverem pedibus conculcabant, et sicut a sancto fuerant edocti, ipsam cum stercore asini aequali pretio et pondere ponderabant.« 76 3 Soc 34 (ed.c. 115). 75

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Als die vier jedoch nach S. Maria degli Angeli zurückgekehrt waren, schlossen sich ihnen nach wenigen Tagen drei weitere Männer aus Assisi an: Sabbatinus, Moricus und Johannes de Cappella. Die Ablehnung der Bürger von Assisi ihnen gegenüber scheint sich nun erst richtig versteift zu haben. Insbesondere wurden sie, wie vorher schon Franziskus, von ihren Eltern und Verwandten regelrecht verfolgt. Ihr Bettel wurde als Schmarotzertum auf Kosten anderer angesehen. In einer aufstrebenden Gesellschaft von Kaufleuten, Handwerkern und Bauern – also bei Leuten, die alle mehr oder weniger mühsam zu Besitz gekommen waren oder doch beträchtliche Mühe darauf verwandten, ihn zu erhalten und zu mehren – fehlte jedes Verständnis für Mitbürger, die das alles freiwillig aufgegeben hatten: man tat so etwas nicht.77 Da ihnen kaum jemand etwas zum Lebensunterhalt gab, muß die Lage der Brüder in dieser Zeit verzweifelt gewesen sein. Der Rat des Bischofs von Assisi Es heißt, daß Franziskus damals häufig den Bischof von Assisi aufsuchte, um seinen Rat zu erlangen. Der Bischof empfing ihn gütig (benigne). Für die radikale Form der vita evangelica, zu der sich die Brüder entschlossen hatten, fehlte ihm indes jedes Verständnis. Er sagte deshalb zu Franziskus: »Hart und rauh scheint mir euer Leben zu sein: nichts auf der Welt zu besitzen!« Das ist der Rat des Bischofs. Es handelt sich um eine der verdeckten Mitteilungen, an denen die franziskanischen Quellen so reich sind. Im Klartext lautet der Rat: Gebt auf oder reduziert zumindest euren Anspruch! Zum ersten Mal wird die Forderung erhoben, das ursprüngliche hochgespannte Armutsideal irgendwie abzumildern, da es unrealistisch sei. Als Keim der Spaltung begleitet diese Forderung das Franziskanertum durch seine gesamte Geschichte. Damals weist Franziskus den wohlmeinenden Rat des Bischofs Guido sanft, aber entschieden zurück: Herr, wenn wir Besitztümer hätten, dann müßten wir auch Waffen zu unserem Schutz haben. Denn von daher entstehen Probleme und Streitigkeiten, und für gewöhnlich wird von daher dann auch die Gottes- und Nächstenliebe auf vielfache Weise behindert. Und deshalb wollen wir auf dieser Welt kein zeitliches Gut besitzen.

Dem Bischof gefiel die Antwort sehr: spätestens jetzt muß er erkannt haben, daß Franziskus kein naiver Tölpel war. Das Verhältnis des Franziskus zu diesem Bischof gibt uns allerdings Rätsel auf. In mancher Hinsicht gleicht es in seiner Widersprüchlichkeit dem, das er später zu dem Kardinal Hugolino hatte. Man hat das Gefühl, daß sich der

77 ». . quia tempore illo nullus relinquebat sua, ut peteret eleemosynas ostiatim« (3 Soc 35).

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kirchliche Großherr dem Franziskus gegenüber (durchaus mit einer gewissen Sympathie!) beobachtend verhält, ohne ihm wirklich zu helfen oder für sein innerstes Anliegen Verständnis aufzubringen. Später weist er die Bitte des Franziskus um eine Kirche mit einer unglaubwürdigen Ausflucht zurück.78 Andererseits gelangt die junge Gemeinschaft nur über ihn vor den Papst, und den todkranken Franziskus nimmt er zur Pflege in seinem Palast auf.79

3. Gewißheit über Weg und Zukunft der Gemeinschaft Gewißheit Franziskus stellte mit seinen nunmehr sechs Brüdern80 Überlegungen an über den von Gott beabsichtigten Zweck der Gemeinschaft sowie deren nächstliegende Aufgaben und weitere Zukunft. In der Darstellung der 3 Soc weiß Franziskus bereits über die vocatio Bescheid und teilt seinen Gefährten den gottgewollten Sinn ihrer Berufung mit: durch die Welt zu ziehen und mehr durch ihr Beispiel als durch Worte die Menschen zur Buße zu mahnen und an die Gebote Gottes zu erinnern.81 Nach I Cel sucht Franziskus zunächst über den weiteren Verlauf (processus) seines eigenen Lebens und desjenigen seiner Gefährten einen Hinweis von Gott zu erhalten. Er zieht sich deshalb, seiner Gewohnheit gemäß, an einen einsamen Platz zurück.82 Er sinnt den verlorenen Jahren seines weltlichen Daseins nach, wobei er beständig den Satz wiederholt: »Gott, sei mir Sünder gnädig« (Lk 18,13). Franziskus scheint diese meditative Technik öfter angewandt zu haben; doch berichten nur die Fioretti (Actus) ausführlich von ähnlichen Fällen.83 78 »Frater, non habeo aliquam ecclesiam, quam vobis dare valeam« (Leg. Per. 56; ed. Bigaroni, 126). 79 I Cel 108 (Anal. Fr. 10,84); Leg. Per. 4 (ed.c. 6). 80 Nach I Cel 25 (ed.c. 21) war Bruder Philippus der siebente, der sich Franziskus anschloß; s. auch ebd. Anm. 21. 81 »Consideremus, inquit, fratres carissimi, vocationem nostram qua misericorditer vocavit nos Deus, non tantum pro nostra sed pro multorum salute, ut eamus per mundum exhortando omnes plus exemplo quam verbo ad agendam poenitentiam de peccatis suis et habendam memoriam mandatorum Dei« (3 Soc 36; ed. Desbonnets, 116); vgl. dazu auch das XXI. Kapitel der Regula non bullata, in dem die Substanz der frühen franziskanischen Verkündigung festgehalten ist (Esser, Opuscula, 394f.); s.u. VII. Kap., bei Anm. 115. 82 »Quadam vero die, cum Domini misericordiam super impensis sibi beneficiis miraretur, et conversationis suae suorumque processum concupisceret sibi a Domino indicari, locum orationis petiit, sicut et saepissime faciebat« (I Cel 26; Anal. Fr. 10,22). 83 In der Nacht, die Franziskus im Hause Bernhards von Quintavalle verbringt, betet er beständig: »Deus meus et omnia« (Actus, c. 1; ed. Sabatier, 5; ed. Cambell, 114); vgl. Fioretti, c. 2 (ed. Cambell, 115; FF 1827): »Iddio mio! Iddio mio!« In der

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Im Verlauf der Meditation gelang es ihm, von einer verkrampften Betrachtung seiner selbst wegzukommen und der Mutlosigkeit und dem inneren Dunkel zu entfliehen, welche das Sündenbewußtsein in ihm erzeugt hatte. »Es wurde ihm die Gewißheit der Vergebung aller Sünden eingegossen und das Vertrauen in die Gnade, wieder aufatmen zu können, gezeigt.«84 In dem ekstatischen Zustand, in den er anschließend versetzt wurde, sah er die Zukunft seiner Bewegung klar vor sich. Als er vor die Gefährten tritt, scheint er »in einen anderen Menschen verwandelt«. Mit diesem Ausdruck, den die »Drei Gefährten« und ähnlich Thomas von Celano selbst ja schon bei der »Bekehrung« des Franziskus verwandt hatten,85 will der Biograph hier deutlich machen, daß nochmals ein entscheidender Wandel in der geistlichen Entwicklung des Heiligen eingetreten ist. Er ist nunmehr zum charismatischen und spirituellen Führer seiner Gemeinschaft geworden, der den Brüdern kraft göttlicher Inspiration und Autorität ihre Bestimmung zuweist. Zugleich wurde er über das gewöhnliche Menschenmaß erhoben, was alsbald auch die Weltleute spüren. In der Version von I Cel prophezeit Franziskus seinen Gefährten, daß Gott die Bewegung zu einer gewaltigen Anzahl wachsen lassen werde; sie werde sich über die ganze Erde ausbreiten und Mitglieder aus allen Völkern bekommen. Aber auch die Dekadenz der Gemeinschaft sagt Franziskus voraus, wobei er das Bild von den Äpfeln gebraucht: am Anfang gibt es viele süße, später dann weniger süße, am Ende auch sauere, ungenießbare. Es folgt dann das Gleichnis von dem Fischer, das Franziskus nach 3 Soc in etwas anderem Wortlaut schon dem Bruder Ägidius erzählt hatte:86 der Mann, der seine Netze »in das Meer oder einen See« auswirft, fängt so viele Fische, daß er Schwierigkeiten hat, sie alle in seinem Kahn unterzubringen; deshalb wählt er die großen und ihm zusagenden aus und tut sie in seine Behälter, den Rest wirft er wieder ins Wasser. Wiederum zeigt sich franziskanisches Elitebewußtsein, nur werden hier nicht, wie bei 3 Soc, die Anhänger der Gemeinschaft mit der übrigen Menschheit verglichen, sondern der Kern der »echten« Gefährten mit der Masse des Ordens.

»dritten Betrachtung der heiligen Stigmata« wird berichtet, wie Bruder Leo auf dem Berg Alverna vor der Erscheinung des Seraphen (September 1224) Franziskus im Wald antraf und dessen beständig wiederholtes Gebet hörte: »Chi se’ tu, o dolcissimo Iddio mio? Che sono io, vilissimo vermine e disutile servo tuo?« 84 »Coepit quoque a semetipso deficere, compressisque affectibus ac tenebris effugatis, quae timore peccati fuerant in corde suo concretae, infusa est sibi certitudo remissionis omnium delictorum et fiducia exhibita est in gratiam respirandi« (I Cel 26). »Gratia respirandi« ist die Gnade, die das Atmen, d.h. das Leben (sowohl das physische wie das geistliche) möglich macht. 85 S.o. Kap. III, Anm. 67 und 112. 86 3 Soc 33; s.o. nach Anm. 73.

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In 3 Soc besteht die Ansprache des Franziskus aus drei Teilen: 1. dem schon erwähnten Missionsauftrag,87 2. der Voraussage, daß sie bei einigen Menschen Erfolg haben, bei der Mehrzahl aber auf Widerstand stoßen werden, und – als die Brüder darauf Angst bekommen – 3. die Prophezeiung, es würden nach kurzer Zeit »viele Weise und Hochgestellte« zu ihnen kommen, um mit ihnen zusammen vor Königen, Fürsten und vielen Völkern zu predigen; viele würden sich zum Herrn bekehren, der seine Familie über die ganze Welt hin ausbreiten und mehren werde. Franziskus hat damit seine eigene Gewißheit auf seine Gemeinschaft übertragen: sie sind nunmehr Gottes eigene Familie. Über den Ort dieses wichtigen Ereignisses in der Geschichte des frühen Franziskanertums gibt es verschiedene Traditionen und Vermutungen. Die Portiuncula ist wohl auszuschließen, denn Thomas von Celano spricht von einem »locus orationis«, den Franziskus mit seinen Gefährten aufgesucht habe. Das scheint vorauszusetzen, daß es sich um einen von Assisi entfernten Ort größerer Einsamkeit gehandelt hat. Von den älteren Eremitorien erheben die Carceri am Hang des Monte Subasio den Anspruch, Ausgangspunkt der ersten franziskanischen »Weltmission« zu sein.88 Wie alt die dortige Lokaltradition ist, ist nicht festzustellen. Mit Sicherheit sehr alt ist die diesbezügliche Tradition in Poggio Bustone, einem der vier noch erhaltenen Eremitorien im Tal von Rieti. Auf diese suggestive und typisch franziskanische Landschaft verweist das oben erwähnte Fischer-Gleichnis: das Tal von Rieti war im Mittelalter durch einen großen See ausgefüllt, dessen Fläche weit größer war als die des heute verbliebenen Rest-Teiches. Daß sich Franziskus zuweilen über diesen See und den benachbarten (heute noch existierenden) See von Piediluco rudern ließ, ist zuverlässig überliefert.89 Die Tradition, die die beschriebenen Ereignisse nach Poggio Bustone verlegt, ist sodann greifbar in den Actus Sancti Francisci in Valle Reatina.90 Die Annahme eines Ortes in der unmittelbaren Nähe von Assisi (Porziuncola, Carceri) ist dagegen auch deshalb weniger wahrscheinlich, weil, wie schon erwähnt, die Gemeinschaft dort gerade um diese Zeit auf einen wachsenden Widerstand stieß und sich kaum ernähren konnte. Die Bevölkerung des Tales von Rieti dagegen scheint Franziskus überwiegend freundlich aufgenommen zu haben. Noch heute ist die Erinnerung an 87

S.o. Anm. 81. S.o. Einleitung, Anm. 17. 89 I Cel 61; II Cel 167; III Cel 23. 24; vgl. auch: Leg. Per. 71 (ed. Bigaroni, 190). 90 Actus Sancti Francisci in Valle Reatina tratta dal Codice 679 della Biblioteca Comunale di Assisi, ed. Francesco Pennacchi. Misc. Fr. 13 (1911), 3–21. Auch L. Wadding tritt, unter Berufung auf ältere Autoren, für Poggio Bustone als Ort der ersten Sendung der jungen Gemeinschaft ein (Ann. Min. 1,59). S. ferner: A. Terzi, Memorie francescane nella Valle Reatina, Roma 1955; Stanislao da Campagnola, Francesco d’Assisi nella Valle Reatina. Il perche´ di una scelta. Laurentianum 31 (1990), 415–440. 88

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seinen Aufenthalt in Poggio Bustone im Volksbrauchtum lebendig. Am Morgen des 4. Oktober geht ein Trommler von Haus zu Haus, klopft an die Haustüren und ruft: »Buon giorno, buona gente!« Der Hausvater antwortet: »Buon giorno!« Mit den Worten: »Guten Tag, gute Leute!« soll Franziskus die Einwohner des Städtchens gegrüßt haben, denen er begegnete.91 Nun wissen wir, daß der dem Franziskus von Gott geoffenbarte Gruß anders lautete, nämlich: »Der Herr gebe euch (dir) Frieden!«92 Die Legenda Perusina berichtet, daß der Friedensgruß bei den Leuten teils Verwunderung, teils Unwillen auslöste.93 Es ist merkwürdig, daß ausgerechnet dieser Gruß des Franziskus auf Widerstand gestoßen sein soll. Die einzige plausible Erklärung hierfür ist, daß die Betreffenden für sich selbst die Herstellung von Frieden und Versöhnung mit Gott für nicht mehr erforderlich hielten, weil sie »gute Leute«, und das heißt: Katharer waren. Als solche hat sie Franziskus begrüßt, als er in das Tal von Rieti kam, abweichend von dem Gruß, den ihm der Herr offenbart hatte. Oberhalb des Städtchens (Castello) Poggio Bustone, am Eingang eines bewaldeten Tales, liegt der alte Franziskaner-Konvent mit der dem heiligen Jakob dem Älteren geweihten Kirche (S. Giacomo Maggiore, 14. Jh.). Im Untergeschoß des Konventbaues sind Räume des Eremitoriums aus dem 13. Jahrhundert erhalten. In einem davon, dem sogenannten Refektorium, befindet sich eine Inschrift aus dem 16./17. Jahrhundert, die an die Offenbarungen über die Zukunft des Ordens erinnert, die Franziskus in Poggio Bustone erhielt.94 Natürlich kommt Inschriften wie dieser keinerlei historische Beweiskraft im strengeren Sinne zu. Aber sie sind immerhin Zeugnisse einer mindestens bis ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Lokaltradition. Bei dem verlassenen und wahrscheinlich schon damals ruinösen Kirchlein S. Giacomo fanden die Brüder einige Räume vor, die ihnen auch in der kälteren Jahreszeit hinreichend Schutz vor »Frate Vento« boten. Von dem Kloster aus gelangt man auf einem steilen Serpentinen-Pfad in einer guten halben Stude zu einer am Hang einer Felswand gelegenen doppelgeschossigen Kapelle (15. und 17. Jh.). Sie ist über der »Heiligen Höhle« (Sacro Speco) oder »Offenbarungshöhle« (Grotta delle Rivelazioni) errichtet. 91 Sulle Orme di San Francesco nella Terra Reatina. Guida ai santuari della Valle Santa, Terni 1980, 11; Canonici, Terra (o. Anm. 72), 113f. 92 Test. 23 (Esser, Opuscula, 440); 3 Soc 26; I Cel 23; vgl. o. bei Anm. 6. 93 »Et quia homines non audierant adhuc fieri ab aliquibus religiosis talem salutationem, plurimum inde mirabantur. Imo aliqui homines quasi cum indignatione illis dicebant: ›Quid sibi vult ista talis salutatio?’« (Leg. Per. 101; ed. Bigaroni, 300). 94 »Papa Gregorio IX riferisce aver udito dal P.S. Francesco essergli concessi da G. Christo li sequenti privilegi: Primo che quanti piu` fratri saranno, tanto piu` abondante li provedera`. 2. Che la religione durera` sino al giorno del Giudicio. 3. Che niuno morira` malamente nel suo abito. 4. Chi perseguira` l’ordine suo sara` gravemente punito del Signore. 5. Chi amera` di cuore la sua Religione benche` peccatore conseguira` da Dio misericordia.«

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An diesem Ort höchster Zurückgezogenheit, von dem aus sich zugleich ein weiter Blick in die Welt (mundus) eröffnet, soll Franziskus nach langer Meditation persönliche Heilsgewißheit, Auftrag zur Weltmission und Klarheit über die Zukunft seiner Bewegung erhalten haben.95 In dem Prolog der oben erwähnten Actus Sancti Francisci in Valle Reatina heißt es, Franziskus habe an dem wunderbaren Ort Poggio Bustone, »wie ein zweiter guter Räuber, der am Kreuze hing«, vom Herrn die Gewißheit der Vergebung aller seiner Sünden erlangt.96 Nach dem achten Kapitel des gleichen Werkes war es das obere Eremitorium von Poggio Bustone bei Rieti, wo der seine verlorenen Jahre bedenkende Franziskus in einer vom Heiligen Geist verursachten inneren Freude der vollständigen Vergebung aller seiner Sünden gewiß wurde.97 Poggio Bustone mit seinen Heiligtümern ist einer der markanten Orte, an denen äußere und innere Welt des Franziskanertums, die »religiöse« Landschaft und der geistige Inhalt der Religion, in ihrer Einheit und gegenseitigen Durchdringung bis auf den heutigen Tag deutlich spürbar geblieben sind. Weltmission Wenn unsere bislang angenommene Chronologie zutrifft, dann hat Franziskus seine Gefährten im Frühjahr 1209 in die vier Himmelsrichtungen ausgesandt. Die Berichte hierüber bei I Cel und 3 Soc weichen zwar in Einzelheiten voneinander ab, widersprechen sich aber nicht.98 Zweifellos sprechen beide Legenden von ein und derselben Aussendung, so daß wir also, mit der früher schon erwähnten Reise der ersten vier Brüder, insgesamt nur zwei und nicht etwa drei »Missionsreisen« vor der Begegnung mit dem Papst Innocenz III. in Rom anzunehmen haben.99 Thomas von Celano ist, wie oft, in seiner Schilderung breiter und erbaulicher, während die »Drei Gefährten« sich kürzer fassen, aber die für die Entwicklung des geistigen Profils der Gemeinschaft wertvolleren Notizen enthalten. 95

Die (aus neuerer Zeit stammende) Inschrift in der »Heiligen Höhle« hat folgenden Wortlaut: »In questo ›Sacro Speco‹ il Padre S. Francesco dopo lunga preghiera e penitenza 1. Ebbe confermata la sua missione apostolica nel mondo 2. Ottenne il perdono dei suoi peccati 3. Gli fu rivelato che i suoi Frati sarebbero divenuti una schiera numerosa.« 96 »Sinistrum latus est admirabilis locus Podii ubi orans et gemens certificatus fuit a domino peccatorum omnium velud alter bonus latro in cruce pendens, fixus in corde Christi crucifissi indulgentiam recepisse« (Actus S.F. in V. Reatina, 7). 97 »Quadam autem die dum maneret in heremitorio Superiori Podii de comitatu Reate, et annos suos ibidem in amaritudine recogitans, sancti spiritus in eo supreme mentis letitia certificatus est de remissione plenaria omnium delictorum« (ebd. 18). 98 I Cel 29–30; 3 Soc 37. 99 So auch L. Di Fonzo, Cronologia (o. Anm. 21), 89–94, in einem ausführlichen und überzeugenden Beweis.

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Nach I Cel schloß sich »um die gleiche Zeit« (also unmittelbar vor der Aussendung) ein weiterer hervorragender Gefolgsmann der Bruderschaft an, so daß es also nun insgesamt acht Brüder waren.100 Franziskus unterwies sie in den elementaren Grundlinien seiner praktischen Welt- und Lebensauffassung: über das Reich Gottes, die Verachtung der Welt, den Verzicht auf die Verwirklichung des eigenen Willens und die Beherrschung des Körpers. Dann sandte er sie nach dem Vorbild des Evangeliums (Mk 6,7; Lk 10,1) zu zweien in die vier Weltgegenden. Ihr Auftrag ist, den Menschen Frieden und Buße zur Vergebung der Sünden zu verkündigen. Franziskus ermahnt sie zur Geduld in den zu erwartenden Verfolgungen, zur Demut gegenüber Fragestellern; ihre Verfolger sollen sie segnen, Beschimpfern und Verleumdern danken; als Lohn dafür haben sie das ewige Leben zu erwarten. Jedem einzelnen von ihnen gibt er als persönliche Stärkung das Wort aus dem 54. Psalm mit auf den Weg: »Wirf deine Sorge auf den Herrn, und er wird dich ernähren.« Bruder Bernhard und Bruder Ägidius machen sich auf den Weg zum Heiligtum St. Jakob. Franziskus wählt für sich und seinen (ungenannten) Begleiter eine andere Weltgegend, die anderen vier begeben sich in die beiden verbliebenen Richtungen. »Nach kurzer Zeit«101 führte das Gebet des Franziskus sie alle auf wunderbare Weise wieder zusammen. Sie nahmen gemeinsam das Mahl ein,102 tauschten ihre Erfahrung aus und bekannten ihrem geistlichen Vater ihre Verfehlungen (Nachlässigkeit, Undankbarkeit). Nach der Erzählung, die 3 Soc von den gleichen Ereignissen gibt, entließ Franziskus die Gefährten, nachdem er sie zur Furchtlosigkeit ermahnt hatte, mit seinem Segen. Wenn die Brüder zu einer Kirche oder zu einem Wegkreuz kamen, verneigten sie sich ehrfürchtig und sprachen das folgende Gebet: »Wir beten dich an, Christus, und preisen dich wegen aller deiner Kirchen, die auf der ganzen Welt sind, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.« Bekanntlich ist dieses Gebet, mit leicht verändertem Wortlaut, auch im Testament des Franziskus zitiert, mit der einführenden Formulierung: »Und der Herr gab mir solches Vertrauen zu den Kirchen, daß ich folgendermaßen einfach betete und sagte. . .«103 Wie Thomas von Celano in anderem Zusam100 Es kann sich nur um Bruder Philippus (Longus) handeln; vgl. I Cel 29 mit I Cel 25; s.o. Anm. 80. 101 Wenn Bernhard und Ägidius tatsächlich bis nach Santiago de Compostela gelangt sind, kann die Zeit so ganz kurz nicht gewesen sein; man wird für die Pilgerreise von Mittelitalien nach Galizien und zurück etwa vier Monate ansetzen müssen. Über die Reisegeschwindigkeit im Mittelalter s.: Norbert Ohler, Reisen im Mittelalter, München 21991, 138–144. 102 Der Anklang an 1 Kor 11,20 (convenientibus . . in unum) zeigt, daß hier schon an ein quasi-rituelles Mahl nach dem Vorbild des apostolischen Zeitalters gedacht ist. 103 »Et Dominus dedit mihi talem fidem in ecclesiis, ut ita simpliciter orarem et dicerem: ›Adoramus te, Domine Iesu Christe, et ad omnes ecclesias tuas, quae sunt in

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menhang erwähnt, hat Franziskus die Brüder dieses Gebet gelehrt.104 Es ist eines der wichtigsten religiösen Dokumente des Franziskanertums überhaupt. In ihm ist die zentrale theologische Idee des Franziskus ausgesprochen: die der Welterlösung durch das Kreuz. Die Kirchen aber sind deshalb so wichtig, weil sie sichtbare, greifbare Denkmale der Erlösung sind. Deshalb sind sie, auch wenn sie verlassen und baufällig dastehen, heilige Orte. Entsprechend dem, was Franziskus sie gelehrt hatte, waren die Brüder »überzeugt, an einem Ort Gottes zu sein, wo immer sie auf ein Kreuz oder eine Kirche stießen.«105 Die 3 Soc hatte schon kurz zuvor die Bekehrung des Priesters Silvester von Assisi berichtet.106 Der sein habgieriges Verhalten gegenüber Franziskus bereuende Priester sieht in der darauf folgenden Nacht ein riesiges Kreuz, das mit seiner Spitze den Himmel berührt, dessen Fuß im Mund des Franziskus festgemacht ist und dessen Arme (Seitenbalken) die ganze Welt umfassen. Inhaltlich sagt diese Vision schon dasselbe aus wie die berühmte Zeichnung des »Tau mit Kopf«, die Franziskus für Bruder Leo nach der Erscheinung des Seraphen auf dem Alverna-Berg anfertigte.107 Noch immer stießen Aussehen und Lebensweise der Brüder bei vielen Zeitgenossen auf Verwunderung, Unverständnis und Spott. Sie erweckten den Eindruck, Waldmenschen, unzivilisierte Wilde zu sein. Auch waren sie lästigen Fragen ausgesetzt: nach ihrer Herkunft und nach ihrem Orden. Sie gaben zur Antwort, »sie seien Büßer aus der Stadt Assisi; denn ihre religiöse Gemeinschaft wurde noch nicht als ›Orden‹ bezeichnet.«108 Gewissermaßen exemplarisch für die Schwierigkeiten, die die Brüder hatten, aber auch wie sie bei angesehenen Bürgern schließlich Anerkennung und Zustimmung fanden, erzählen die »Drei Gefährten« in einem längeren Bericht über den Aufenthalt Bernhards von Quintavalle und eines anderen Bruders in Florenz. Die Tradition kann auf niemand anderen als auf Bernhard selbst zurückgehen. Zwar wird mit keinem Wort die Pilgerfahrt nach Santiatoto mundo, et benedicimus tibi, quia per sanctam crucem tuam redemisti mundum‹« (Test. 4f.; Esser, Opuscula, 438). 104 I Cel 45 (Anal. Fr. 10,35). 105 3 Soc 37 (ed. Desbonnets, 117). 106 3 Soc 30–31; vgl. II Cel 109. Silvester »bekehrte« sich zwar schon damals, trat aber erst später in den Orden ein. Er gehörte nicht zu den ersten elf Gefährten, die alle, wie Franziskus selbst, Laien waren. 107 S. Chartula fr. Leoni data (Esser, Opuscula, 136); u. Kap. VI.4. 108 »Quibus, licet esset laboriosum tot quaestionibus respondere, simpliciter tamen confitebantur, quod erant viri poenitentiales de civitate Assisii oriundi. Nondum enim ordo eorum dicebatur religio« (3 Soc 37; ed. Desbonnets, 117). »eorum religio« ist als Subjekt des Satzes aufzufassen, wie die Version des Anonymus Perusinus (c. 19c) zeigt, die die Zweideutigkleit beseitigt (und sich damit als der gegenüber der 3 Soc jüngere Text zeigt): »Adhuc enim Religio fratrum non nominabatur Ordo« (ed. Di Fonzo, 445). Die FF (1441) übersetzen weniger richtig: »Infatti, il loro Ordine non era ancora detto Religione.« Es muß vielmehr heißen: »Infatti, la loro Religione non era ancora detta ›Ordine‹.«

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go erwähnt, doch können wir annehmen, daß die beiden Pilger im Zuge eben dieser Reise einige Tage Rast in Florenz machten.109 Nach 3 Soc hatten die Brüder auf der Reise »einige« neue Gefährten aufgenommen. Da sie nach der gleichen Quelle erst zu siebent waren, wären es weitere fünf gewesen, mit denen zusammen sie nach S. Maria della Porziuncola zurückkehrten.110 I Cel dagegen erwähnt, daß nach Abschluß der Missionsreise sich vier weitere gute und geeignete Männer der Bruderschaft anschlossen.111 Wo dies war, sagt der Autor allerdings nicht, so daß wir nicht wissen, ob Franziskus von der Portiuncula oder vom Tal von Rieti aus mit seinen elf Gefährten nach Rom aufbrach. Um diese Zeit scheint sich auch in der Volksmeinung ein Umschwung vollzogen zu haben. Thomas markiert ihn mit den Worten: »Es entstand ein großes Raunen im Volke, und der Ruf des Mannes Gottes begann, sich weithin auszubreiten.«112 Es beginnt hier bereits, lange vor dem Tode des Franziskus, die Kanonisation durch das Volk. Er wird in der Meinung der Leute zum großen Wundertäter, zum »Menschen aus einer anderen Welt«, wie es wenig später heißt.113 Daß diese Entwicklung nicht unbedingt seiner ursprünglichen Intention entsprach, braucht nicht eigens betont zu werden.

4. Franziskus vor Innocenz III. Unter dem Eindruck des Zuwachses seiner Gemeinschaft machte sich Franziskus an das Abfassen einer kurzen Regel. Sie bestand aus wenigen Zitaten, die den Evangelien entnommen waren. Es sind im wesentlichen die Stellen, die wir aus der Bekehrungsgeschichte des Franziskus selbst und aus dem ersten Buchorakel, das er zusammen mit Bernhard von Quintavalle anstellte, bereits kennen. Die zentrale Forderung war die radikale Armut, so wie sie Jesus seinen Jüngern bei deren Aussendung vorgeschrieben hatte. Wir dürfen annehmen, daß Franziskus beim Abfassen der Regel weniger an sich selbst 109 3 Soc 38–40. Die beiläufige Bemerkung über die große Kälte, die damals herrschte (»licet esset tunc magnum frigus«: 38,17; ed.c. 118), läßt darauf schließen, daß der Beginn der Reise in die winterliche Zeit fiel, wohl kaum in den Spätherbst 1208, eher in den Vorfrühling 1209. Über den Aufenthalt Bernhards in Florenz s. bes. Manselli, Franziskus, 98–100. 110 3 Soc 41 (ed.c. 121). 111 I Cel 31 (Anal.Fr. 10,25). 112 »Factus est proinde rumor magnus in populo et fama viri Dei coepit longius dilatari« (ebd.). 113 »Currebant viri, currebant et feminae, festinabant clerici, accelerabant religiosi, ut viderent et audirent sanctum Dei, qui homo alterius saeculi omnibus videbatur. Omnis aetas omnisque sexus properabat cernere mirabilia, quae noviter Dominus per servum suum operabatur in mundo« (I Cel 36; ed.c. 29); vgl. 3 Soc 54 (ed.c. 129).

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und die Brüder dachte,114 als an den Papst, dessen Anerkennung er suchte und bei dem er ein Schriftstück vorlegen mußte.115 Die erste Regel ist nicht erhalten. Da sie dem Inhalt nach bekannt ist, sind die zahlreichen Rekonstruktionsversuche des Wortlauts stark hypothetischen Charakters und im Grunde überflüssig. Mit ziemlicher Sicherheit ist sie in der Regula non bullata enthalten, die aus ihr bis zum Jahre 1221 allmählich gewachsen ist.116 Wir möchten annehmen, daß sich die zwölf ersten Franziskaner zwischen Ostern und Pfingsten des Jahres 1209 auf den Weg nach Rom machten (Ostern fiel in diesem Jahr auf den 29. März, Pfingsten auf den 17. Mai).117 Die »Drei Gefährten«, die überraschender Weise über die Abfassung einer Regel durch Franziskus kein Wort verlieren, teilen eine kurze Ansprache mit, die er an seine Gefährten richtete und in der er ihnen den Zweck der Reise mitteilte: den Papst über das zu unterrichten, was Gott durch sie zu wirken begonnen hatte, und für die zukünftige Arbeit der Gemeinschaft sein Einverständnis einzuholen.118 Franziskus schlägt dann vor, für die Dauer der Reise einen Führer zu wählen, den sie als »Stellvertreter Jesu Christi« betrachten sollten. Die Auswahl der Wegestrecken und der Raststationen sollte nach seinem Geheiß erfolgen. Die Brüder wählen nicht Franziskus selbst, sondern Bruder Bernhard. Trifft diese Notiz zu, dann war Bernhard von Quintavalle der erste Obere überhaupt, den die franziskanische Gemeinschaft hatte, wenn auch nur für wenige Wochen. Seine Funktion ist näherhin die eines charismatischen Leiters, in dessen Entscheidungen der Wille Gottes für alle erkennbar wird. Die Gemeinschaft verläßt sich, auch was die praktischen und alltäglichen Seiten des Lebens betrifft, ganz auf Gott und wird offenbar nicht enttäuscht: »Der Herr bereitete ihnen immer eine gastliche Bleibestätte und ließ ihnen das Lebensnotwendige anbieten.« Kardinal Johannes von St. Paul In Rom trafen die Brüder zunächst den Bischof Guido von Assisi, der sie mit gemischten Gefühlen empfing.119 Einerseits freute er sich, sie zu sehen, 114

Vgl. I Cel 32: »scripsit sibi et fratribus suis.« Vgl. den Passus im Testament, nach dem Franziskus die Regel von einem anderen aufschreiben ließ: Test. 15 (Esser, Opuscula, 439); s.o. Kap. I, Anm. 13. 116 S. besonders: David Flood; Fre`re Franc¸ois et le mouvement franciscain, Paris 1983; hierüber ausführlicher u. VII. Kap., bei Anm. 103. 117 Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Innocenz III. Pfingsten noch in Rom gefeiert (sein Aufenthalt dort ist für den 15./16. Mai belegt). Am 26. Mai war er in Viterbo, von wo er erst zur Kaiserkrönung Ottos IV. am 4. Oktober nach Rom zurückkehrte; A. Potthast, Regesta Pontificum Romanorum I, Berlin 1874, 322–329. 118 3 Soc 46 (ed. Desbonnets, 124). 119 Vgl. die beiden Berichte von 3 Soc 47 und I Cel 32! Die Überraschung des 115

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andererseits war er durch ihr unvermutetes Auftauchen in Rom stark beunruhigt (3 Soc: »coepit turbari«; I Cel: »ipsorum adventum graviter tulit«). Er scheint aber die Fassung wieder gefunden zu haben, als er von Franziskus über den Zweck der Reise unterrichtet wurde, ja er sagte den Brüdern sogar Rat und Hilfe zu. Guido war näher bekannt mit einem der damals einflußreichsten Männer an der Römischen Kurie, dem Kardinal Johannes von St. Paul. Johannes, aus der adeligen römischen Familie Colonna, war Mönch in S. Paolo fuori le Mura gewesen. Zunächst Kardinalpriester von S. Prisca (1193), war er von 1205 bis zu seinem Tod (1215) Kardinalbischof von Sabina. Ihm erzählte der Bischof von Assisi als erstem von Franziskus und seinen Gefährten und erregte damit seine Neugier. Als der Kardinal dann erfuhr, daß sich die Brüder bereits in Rom befanden, wollte er sie unbedingt sehen.120 Johannes von St. Paul war von der Notwendigkeit kirchlicher Reformen überzeugt, und er scheint eine besondere Vorliebe für deren Träger gehabt zu haben.121 Er behielt die Brüder für einige Tage in seinem Hause und war von ihrem religiösen Leben sehr angetan.122 Weil er aber ein vorsichtiger und mit Augenmaß begabter Mann war, führte er mit Franziskus längere Gespräche, in denen er dessen Absichten zu erkunden suchte. Im Verlauf dieser Gespräche riet er ihm, sich zu der mönchischen (d.h. klösterlichen) oder eremitischen Lebensweise zu entschließen.123 Franziskus lehnte dies mit großer Vorsicht und Höflichkeit, aber dennoch mit aller Entschiedenheit ab. Wenn wir Celano glauben wollen, war es nicht leicht, den Kardinal schließlich zu überzeugen. Warum Johannes von den Plänen des Franziskus nicht gerade begeistert war, wird nicht gesagt. Aber die mönchischen Lebensformen, auf die er Franziskus hinwies, waren durch Stabilität an bestimmten Orten und folglich durch eine gewisse materielle Sicherheit charakterisiert. Man kann daraus schließen, daß der Kardinal, der ja Benediktiner war, vor allem an dem Vagantentum und der absolut ungesicherten Existenz der Brüder Anstoß nahm, trotz aller Aufgeschlossenheit, die er gegenüber »Dienern Gottes« besaß. Bischofs läßt sich aus beiden Quellen erkennen. Franziskus hatte ihn also vor der Reise nicht konsultiert. Guido hat sich geärgert, weil er in dieser wichtigen Sache übergangen worden war. Mit dem Schritt zur päpstlich approbierten »Weltmission« verließ die Bruderschaft zugleich den bischöflichen Macht- und Jurisdiktionsbereich Guidos. 120 3 Soc 47 (ed. Desbonnets, 125). 121 ». . qui inter alios Romanae curiae principes et maiores videbatur ›terrena despicere et amare caelestia‹« (I Cel 32); ». . vere gratia Dei plenus, diligens plurimum servos Dei« (3 Soc 47). Als Legat Innocenz’ III. war Johannes schon 1200 in Südfrankreich gewesen und kannte also auch die Ketzerproblematik. 122 3 Soc 48 (ed.c. 125). 123 »Verum quia homo erat providus et discretus, coepit eum de multis interrogare et, ut ad vitam monasticam seu eremiticam diverteret, suadebat« (I Cel 33; Anal. Fr. 10,26). Discretio ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die die Regula Benedicti vom Abt verlangt; s. Reg. Ben. c. 64,19 (ed. R. Hanslik, Wien 1960; CSEL 75,151).

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Die »Drei Gefährten« erwähnen nichts von der Vorsicht und den Vorbehalten des Kardinals. Die Lebensweise der Brüder überzeugt ihn vielmehr so sehr, daß er Franziskus bittet, ihn in ihre Gemeinschaft aufzunehmen und ihn als eine Art geistiges Mitglied der Bruderschaft anzusehen.124 Er bot dann dem Franziskus an, die Rolle seines besonderen Anwalts (procurator) bei der Kurie zu übernehmen. Als erstes führte er ein persönliches Gespräch mit dem Papst Innocenz III. Die Mitteilung des Johannes an den Papst faßt 3 Soc in zwei Sätzen zusammen: Ich habe einen durch und durch vollkommenen Mann gefunden, der nach der Form des heiligen Evangeliums leben und die evangelische Vollkommenheit in jeder Hinsicht beachten will. Ich glaube, daß Gott durch ihn auf der ganzen Welt den Glauben der Heiligen Kirche reformieren will.

Das Ideal des Franziskus, nämlich die radikale Befolgung der vita evangelica macht ihn zu einem geeigneten Instrument, durch das Gott eine universale Kirchenreform bewirken wird. Eine allgemeine Erneuerung der Kirche war auch eines der wichtigsten Anliegen Innocenz’ III. Er suchte deshalb die Versöhnung und Wiederherstellung der kirchlichen Gemeinschaft mit den apostolischen Wanderpredigern, die unter seinen Vorgängern ins häretische Abseits geraten waren. Ganz und gar unglaubwürdig ist demgegenüber die Darstellung, die der heilige Bonaventura von dem Ereignis gibt. Er verlegt die entscheidende Verhandlung über Franziskus in eine Versammlung des Papstes und der Kardinäle (Konsistorium). Der Papst will die Entscheidung vertagen, weil einige Kardinäle Einwände gegen das Anliegen des Franziskus erhoben haben: es sei neu und übersteige die menschlichen Kräfte. Dagegen habe der Kardinal Johannes dann gesagt: Wenn wir das Anliegen dieses Armen als zu schwierig und als neu zurückweisen, da er bittet, es möge ihm die Form des evangelischen Lebens bestätigt werden, dann müssen wir achtgeben, daß wir uns nicht gegen das Evangelium vergehen. Denn wenn jemand sagt, innerhalb der Befolgung der evangelischen Vollkommenheit und seinem Wunsch sei etwas Neues oder Unvernünftiges oder etwas, was man nicht einhalten kann, enthalten, der zeigt damit, daß er gegen Christus, den Autor des Evangeliums, lästert.125

Bonaventura legt dem Kardinal Johannes diese Worte in Unkenntnis der geschichtlichen Situation unter dem Pontifikat Innocenz’ III. in den Mund. Sie setzen eine spätere Vorstellung von Franziskus (als dem überragenden authentischen Verkünder evangelischer Vollkommenheit) und die (innerkirchlichen) Auseinandersetzungen um die Armutsfrage in den fünfziger Jahren 124 ». . recommendavit se eorum orationibus humiliter et devote, petivit etiam de gratia speciali quod volebat ex tunc sicut unus de fratribus reputari« (3 Soc 48). 125 Bonaventura, Leg. mai. III,9 (Anal. Fr. 10,570).

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des 13. Jahrhunderts voraus. Die Berufung auf das Evangelium hatte Franziskus mit den Häretikern seiner eigenen Zeit und denen der Jahrzehnte vor ihm gemeinsam. Nicht die Identität des franziskanischen Anliegens mit dem im Evangelium ausgesprochenen Willen Christi hat den Papst und die reformwilligen Kardinäle überzeugt, sondern die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit des Franziskus, die gesamte Weltkirche zu reformieren.126 Papst Innocenz III. Es ist hier nicht der Ort, den größten Papst des Mittelalters, ja vermutlich die bedeutendste Gestalt, die jemals den Apostolischen Stuhl innehatte, angemessen zu würdigen.127 Doch sei daran erinnert, daß Innocenz III. nicht nur machtpolitische Ziele verfolgte, sondern daß ihm auch die innere Reform der Kirche ein wirkliches Anliegen war.128 Er selbst wie auch seine engsten Berater müssen klar erkannt haben, daß sich Opposition gegen die Hierokratie und häretische Strömungen nicht mehr einfach mit Gewalt unterdrücken ließen. Um die gleiche Zeit, in den Jahren 1208–1210, fand die Römische Kurie auch einen Ausgleich mit Teilen der Humiliaten und Waldenser. Es ist nicht einhellig überliefert, wie Innocenz III. Franziskus empfing. Er scheint ihm gegenüber jedoch zunächst eine gewisse Zurückhaltung, ja so 126 Dagegen hält H. Grundmann, Bewegungen (o. Kap. II, Anm. 20), 130–133, die Darstellung des Bonaventura für zutreffend. Die gleiche Meinung hatte ich noch in meinem Vortrag: Die Anfänge der modernen biblischen Hermeneutik in der spätmitelalterlichen Theologie (Inst. für Europ. Geschichte Mainz, Vorträge, 66), Wiesbaden 1977, 18f., vertreten; ähnlich noch K.-V. Selge, Laienbewegungen (o. Kap. II, Anm. 50), 27, jedoch mit der Bemerkung: »Die explizite Formulierung zugunsten der franziskanischen Armutsform ist natürlich zugleich eine Stellungnahme Bonaventuras gegen die Gegner im Mendikantenstreit der Pariser Universität der fünfziger Jahre des 13. Jahrhunderts« (ebd. Anm. 56). 127 Immer noch wertvoll sind die großen Gesamtdarstellungen seines Wirkens von Friedrich Hurter, Geschichte Papst Innocenz des Dritten und seiner Zeitgenossen, 4 Bde., Hamburg 3/21841–1844; Achille Luchaire, Innocent III., 6 Bde., Paris 3 1907/1908; vgl. auch die Würdigung Innocenz’ III. als Staatsmann und Priesterkönig von Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, MünchenDarmstadt 1978, IX.3.1; s. ferner: Friedrich Kempf, Papsttum und Kaisertum bei Innocenz III. Die geistigen und rechtlichen Grundlagen seiner Thronstreitpolitik (Misc. Hist. Pont., 19), Rom 1954; Ders., Art. Innocenz III., in: LThK2 5 (1960), 687–689; Wilhelm Imkamp, Das Kirchenbild Innocenz’ III. (1198–1216) (Päpste und Papsttum, 22), Stuttgart 1983. 128 Vgl. besonders seine Eröffnungspredigt beim IV. Laterankonzil (1215): »Non propter commoditatem terrenam, aut gloriam temporalem, sed propter reformationem universalis Ecclesiae, ad liberationem potissimum Terrae Sanctae: propter quae duo principaliter et praecipue hoc sacrum concilium convocavi« (MPL 217,674); ». . ut in hoc nostri pontificatus anno XVIII templum Domini, quod est Ecclesia, restauretur, et celebretur Phase, sive Pascha, videlicet hoc solemne concilium, per quod fiat transitus de vitiis ad virtutes« (ebd. 675).

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etwas wie eine vorsichtige Unentschiedenheit an den Tag gelegt zu haben. Wenn wir der Drei-Gefährten-Legende glauben dürfen, dann hat der Kardinal Johannes von St. Paul dem Papst Franziskus einen Tag nach seinem eigenen Gespräch mit ihm vorgestellt.129 Franziskus eröffnete dem Papst sein ganzes Vorhaben. Darauf gab Innocenz III. den Brüdern längere Ermahnungen (über deren Inhalt nichts gesagt wird), segnete sie und gab ihnen die Erlaubnis, Buße zu predigen gemäß der ihnen von Gott gegebenen Inspiration. Wenn Gott sie an Zahl und Gnade vermehrt haben würde, dann sollten sie ihm erneut berichten und er werde ihnen »mit größerer Sicherheit« (securius) Mehreres und Bedeutenderes als im Augenblick anvertrauen. Erst dann kamen dem Papst – immer noch nach der Darstellung der 3 Soc – zusätzliche Bedenken wegen der von den Brüdern praktizierten und in der Regel geforderten radikalen Armut. Zwar zweifelte er nicht an der Begeisterung der vor ihm stehenden Brüder, doch schien es ihm bedenklich, die später hinzukommenden Mitglieder der Gemeinschaft auf ein allzu hartes Leben zu verpflichten. Man sieht: es geht hier ausschließlich um die Armut; die Erlaubnis zur Bußpredigt hatte Innocenz III. ohne weiteres gegeben. Aber die Armut ist der Punkt, bei dem Franziskus zu keinerlei Kompromissen bereit ist, dem Papst gegenüber so wenig wie vorher dem Bischof von Assisi gegenüber.130 Als der Papst das erkennt, bittet er Franziskus, darüber im Gebet den Willen Gottes zu erforschen. Sobald er seinerseits Gewißheit über den Willen des Herrn habe, werde er dem Wunsch des Franziskus entsprechen. Wir müssen uns hier nochmals zwei Punkte klarmachen: 1. Es geht um die Billigung der Regel und der in ihr festgehaltenen Forderung der radikalen Armut, der absoluten Besitzlosigkeit der Gemeinschaft; 2. Franziskus soll sich Gewißheit darüber verschaffen, daß dieses Ideal tatsächlich dem Willen Gottes entspricht. Da aber Franziskus hierüber natürlich längst Gewißheit hat, geht es in Wirklichkeit um die Gewißheit des Papstes (quatenus nos scientes Domini voluntatem): Innocenz möchte sie sich, ebenfalls mittels einer visionären Gottesoffenbarung, verschaffen. Es gibt, wie schon erwähnt, andere Berichte über den Verlauf der ersten Begegnung des Franziskus mit Innocenz III. Die Legenda maior des Bonaventura enthält einen Zusatz, den dessen Nachfolger im Amt des Generalministers, Hieronymus von Ascoli (1274–1279), der spätere Papst Nikolaus IV. (1288–1292), einfügen ließ. Die Notiz geht auf den Kardinal Richard de Annibaldis (†1274), einen Nepoten Innocenz’ III., zurück.131 Demnach habe 129

3 Soc 49 (ed. Desbonnets, 126). »Cumque videret eorum fidei constantiam et anchoram spei firmissimam roboratam in Christo, ita ut nollent a suo fervore divertere. . .« (ebd.). 131 Leg. mai. III,9a (Anal. Fr. 10,570); vgl. Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,365); vgl. auch o.I. Kap., Anm. 152. 130

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der Papst Franziskus, der zu ihm in das Innere des Lateran-Palastes vorgedrungen war, schroff zurückgewiesen. In der folgenden Nacht habe er eine Offenbarung gehabt: ein kleiner Palmzweig zu seinen Füßen wuchs zu einem schönen Baum heran. Das göttliche Licht gab ihm den Gedanken ein, daß mit dieser Palme der Arme gemeint sei, den er tags zuvor hinausgejagt hatte. Am Morgen ließ er ihn in der Stadt von seinen Dienern suchen. Man fand ihn im Hospital von Sant’Antonio in der Nähe des Lateran. Eine weitere Variante der Episode gibt der Chronist Roger von Wendover (†1236), dessen Werk zum Teil in die Chronik des Matthäus von Paris eigegangen ist: Innocenz III. hätte, von dem schäbigen und ungepflegten Äußeren des Franziskus abgestoßen, diesem empfohlen, sich mit den Schweinen zu suhlen, ihnen zu predigen und sie auf seine Regel zu verpflichten.132 Die wörtliche Befolgung dieses Rates durch Franziskus habe dann den Papst veranlaßt, seine Haltung gegenüber dessen Anliegen zu ändern. Diese Traditionen sind mit dem Bericht der 3 Soc kaum zu vereinbaren, nach dem Franziskus nicht einfach in den Palast vordrang, sondern durch den Kardinal Johannes von St. Paul dem Papst vorgestellt wurde. Inwieweit sie (im heutigen Sinne) legendäre Züge enthalten, ist wohl nicht mehr festzustellen. Doch ist allen Berichten gemeinsam, daß Innocenz III. erhebliche Bedenken bezüglich der Erfüllbarkeit des in der Regel festgeschriebenen Lebensideals hatte.133 Das Gleichnis von der Frau in der Wüste Nachdem sich Franziskus, dem Wunsch des Papstes gemäß, zurückgezogen hatte, um den Willen Gottes zu erkunden, erzählte ihm der Herr selbst im Geist ein Gleichnis. Der Text des berühmten Gleichnisses von der armen, schönen Frau in der Wüste ist, mit wenigen geringfügigen Varianten, in der Drei-Gefährten-Legende und der zweiten Legende des Thomas von Celano überliefert.134 Wir folgen hier der Fassung der »Drei Gefährten«: Eine arme, schöne Frau war in einer Wüste. Ihre Schönheit bewunderte ein großer König und begehrte, sie zur Frau zu nehmen, denn er dachte sich, aus ihr schöne Söhne zeugen zu können. Die Ehe wurde geschlossen und vollzogen, und viele Söhne wurden geboren und aufgezogen. Zu ihnen sagte die Mutter folgendermaßen: 132

Rogeri de Wendover Flores Historiarum, ed. Henry G. Hewlett, II, London 1887 (Neudr. 1965), 329f.: »Vade, frater, et quaere porcos, quibus potius debes quam hominibus comparari, et involve te cum eis in volutabro, et regulam illis a te provisam tradens officium tuae praedicationis impende« (Rer. Brit. M.E. Script. 84,2); s. auch: Matthaei Parisiensis Chronica maiora, ed. H.R. Luard, III, London 1876 (Neudr. 1964), 132 (Rer. Brit. M.E. Script. 57,3). Vgl. hierzu: Kurt-Viktor Selge, Franz von Assisi und die römische Kurie. ZThK 67 (1970), 129–161; ebd. 144f. und bes. Anm. 51. 133 Vgl. auch II Cel 16 (Anal. Fr. 10,140). 134 3 Soc 50; II Cel 16.

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»Meine Söhne, schämt euch nicht, denn ihr seid des Königs Söhne. Geht also an seinen Hof, und er wird euch alles Notwendige zur Verfügung stellen.« Als sie zum König kamen, bewunderte der König ihre Schönheit, und er erkannte in ihnen die Ähnlichkeit mit sich selbst und sagte zu ihnen: »Wessen Söhne seid ihr?« Als sie ihm antworteten, sie seien die Söhne der armen Frau, die in der Wüste lebe, da umarmte sie der König mit großer Freude und sagte: »Fürchtet euch nicht, denn ihr seid meine Söhne. Wenn sich nämlich Fremde von meinem Tisch ernähren, um wieviel mehr ihr, die ihr meine legitimen Kinder seid.« Der König sandte nun zu der genannten Frau, daß sie alle von ihm empfangenen Söhne an seinen Hof sende, damit sie dort ernährt würden.

In diesem Gleichnis, das ihm eingegeben worden war, erkannte Franziskus eine göttliche Offenbarung über sich selbst und seine Gemeinschaft, die »Männer des Evangeliums«. In dem Bewußtsein, Träger einer göttlichen Verheißung und Vollender einer von Gott selbst gegebenen Aufgabe zu sein, tritt er erneut vor den Papst, erzählt ihm das Gleichnis und gibt sogleich dessen Deutung: Ich bin, Herr, diese ganz arme Frau, die der liebende Herr durch seine Barmherzigkeit ausgezeichnet hat, und es hat ihm gefallen, sich aus ihr rechtmäßige Söhne zu zeugen. Der König der Könige sagte mir aber, er werde alle Söhne, die er aus mir zeugen werde, auch ernähren. Denn wenn er die Fremden ernährt, dann muß er erst recht die Legitimen ernähren. Wenn nämlich Gott den Sündern zeitliche Güter gibt wegen ihrer Liebe zu den zu ernährenden Söhnen, um wieviel mehr wird er den Männern des Evangeliums schenken, denen dies nach rechtem Verdienst zukommt.

Wie schon Ernst Benz erkannt hat, enthält das Gleichnis mit seiner Deutung ein besonderes Kirchenverständnis, das an die Grenzen der Häresie heranreicht. Franziskus ist der Auserwählte in der Wüste der Welt (auch der Kirche?). Seine Söhne sind die legitimen Söhne Christi, im Gegensatz zu den Fremden (extranei), die auch am Tisch des Herrn sitzen. »Darin liegt mehr als in irgendeiner der früher genannten Selbstdeutungen. Denn das heißt: das auserwählte Volk, der legitime Träger der Heilsverheißung, das neue Israel sind Franz und seine Jünger. Dieses auserwählte Volk ist durch Christus selbst legitimiert, der sich Franz erwählte und durch ihn sich eine neue Gemeinde schuf. Es wirkt ja beinahe provozierend, daß hier der König, an den das Weib in der Wüste ihre Kinder sendet, nicht als der Papst, sondern als Christus selbst gedeutet wird. Franz und sein Orden erhalten hiernach ihre Legitimation nicht durch den Papst, sondern durch Christus.«135 135 E. Benz, Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934 (Nachdr. Darmstadt 1964), 79. – Daß Franziskus selbst dieses Erwählungsbewußtsein von seiner Bewegung, dem novus, humilis, parvus populus der letzten Stunde der Welt-Zeit hatte, geht auch aus Leg. Per. 101 (ed.

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Benz meint, die ganze Allegorie würde zur glatten Häresie, wenn hier die Selbstdeutung bis zu dem Punkte weitergetrieben würde, daß unter den »Fremden« die Papstkirche verstanden würde. Genau dies ist aber gemeint: das »Schweigen über die Kirche« in der Ausdeutung des Gleichnisses ist ein beredtes Schweigen. Es handelt sich wieder um eine der schon erwähnten »verdeckten Mitteilungen« – eine rhetorische Technik, deren sich die franziskanischen Quellen vor allem dann bedienen, wenn ihre Aussagen die Grenzen der kirchlichen Orthodoxie berühren oder darüber hinausgehen. Die Frage ist nur, ob schon Franziskus zu seiner Zeit dieses Verständnis von sich selbst, seiner Bewegung und der Gesamtkirche haben konnte, und, falls er es hatte, gewagt hätte, es dem Papst mitzuteilen. Denn man hat doch zunächst einmal den Eindruck, als sei hier ein Kirchenverständnis wirksam, wie es in Kreisen der Joachimiten und Spiritualen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kultiviert wurde. Aber nach allem, was wir über das in Visionen gewonnene Verständnis des Franziskus von sich selbst und seiner Gefolgschaft erfahren haben, ist sein Verhalten Innocenz III. gegenüber keineswegs historisch unwahrscheinlich. Und er wußte oder spürte, daß er in Innocenz nicht nur den kirchlichen Großherrn und Priesterkönig vor sich hatte, sondern auch einen Visionär, wie er selbst einer war. Der Traum des Papstes Innocenz III. und Franziskus begegnen und verständigen sich auf der Ebene des Visionären. »Als der Herr Papst das« (nämlich die Deutung des Gleichnisses von der Frau in der Wüste durch Franziskus) »gehört hatte, da wunderte er sich gewaltig, vor allem deshalb, weil er kurz vor der Ankunft des heiligen Franziskus in einer Vision gesehen hatte, daß . . .«136 Innocenz war selbst Visionär. Wie viele äußerlich ganz rational bestimmte Menschen hatte er im Grunde eine gespaltene Persönlichkeit: der scharf denkende Jurist und zupackende Machtpolitiker wurzelte mit seiner Seele tief im Dichterischen und Träumerischen. Und aus diesem Bereich kamen die göttlichen Weisungen, an die er mit numinoser Scheu glaubte. Hier begegneten sich Innocenz und Franziskus. In der alten Lebensbeschreibung Innocenz’ III. ist eine Vision erwähnt, die er vor seiner Erhebung zum Papst hatte: er werde seine Mutter heiraten.137 Bigaroni, 298. 300) klar hervor; vgl. auch ebd. 16 (ed.c. 50), wo Christus selbst den Orden als »familia sua« bezeichnet. 136 3 Soc 51 (ed. Desbonnets, 127); vgl. II Cel 17 (Anal. Fr. 10,141). 137 Gesta Innocentii PP. III (MPL 214,XX; Rerum Italicarum Scriptores, ed. L.A. Muratori, III/1, Milano 1723, 487a). Die Parallele zu Caesar liegt auf der Hand: der soll in der Nacht vor dem Übergang über den Rubicon geträumt haben, er habe mit seiner Mutter inzestuösen Umgang: λε γεται δεÁ τηÄì προτε ραì νυκτιÁ τηÄ ς διαβα σεως οÍ ναρ

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Mit der Mutter war in diesem zweideutigen Orakel die Mutter Kirche gemeint. Daß der moralische Zustand dieser Kirche nicht der beste war, wußte er und hat es den zum IV. Laterankonzil versammelten Vätern mit hinreichender Deutlichkeit gesagt.138 Ist es verwunderlich, daß der innere ruinöse Zustand der Römischen Kirche, die er äußerlich zu einer nie zuvor gekannten Machtstellung emporgeführt hatte, ihm Alpträume verursachte? Wenige Tage bevor Franziskus ihn aufsuchte, hatte er also in einem Traumgesicht gesehen, wie »die Kirche des heiligen Johannes im Lateran einzustürzen drohte und ein unscheinbarer, verächtlich aussehender Ordensmann sie aufrecht hielt, indem er seinen eigenen Rücken darunter schob.« In Franziskus erkennt er nun diesen Heiligen, der berufen ist, die Kirche zu retten.139 Der kleine, schwache Franziskus, der die Kathedralkirche des Papstes vor dem Einsturz bewahrt: in den großen franziskanischen Freskenzyklen ist diese Szene eindrucksvoll dargestellt. Sie ist eine der großen, zentralen Visionen des Mittelalters, die Tieferes über die geistigen Strukturen dieser Zeit aussagen, als die Analyse langer Korrespondenzen, umfangreicher Rechtssammlungen und theologischer Traktate zu Tage fördern kann.140 Der Bogen, der von dem Auftrag des Crucifixus von San Damiano an Franziskus seinen Ausgang nahm, schließt sich hier gewissermaßen: der göttlich legitimierte Wille des Franziskus, die Kirche wiederaufzubauen, wird durch den höchsten irdischen Herrn der Kirche anerkannt. Doch herrscht hier keineswegs die reine Harmonie, wie es in einer allzu kirchenfrommen Franziskus-Forschung gerne dargestellt wird. Denn die beiden Protagonisten dieses geschichtlichen Dramas hatten im Grunde ganz verschiedene Intentionen: sie hatten beide einen jeweils anderen Begriff von der Reformation der Kirche. Innocenz III. ging es um Erhaltung und Stabilisierung der römischen Papstkirche – durchaus auch als geistlicher, religiöser Macht. In Franziskus und seiner Bewegung erkannte er mit sicherem Blick dafür geeignete Instrumente. Franziskus dagegen hatte eine ganz andere ViιÆ δειÄν εÍ κδεσμον· εÆ δο κει γαÁ ρ αυÆ τοÁ ς τηÄì εë αυτουÄ μητριÁ μι γνυσθαι τηÁ ν αÍ ρρητον μιÄξιν (Plut-

arch, Caesar, 33). – Salimbene de Adam berichtet, daß Innocenz III. auch die Nekromantie praktizierte (MGH SS 32,32). 138 S.o. Anm. 128. 139 »dominus papa . . . coepit intra se dicere: ›Vere hic est ille vir religiosus et sanctus, per quem sublevabitur et sustentabitur ecclesia Dei‹« (3 Soc 51; ed. Desbonnets, 128). Zum Traum Innocenz’ III. s.: Carlo Bertelli, Römische Träume, in: A. Paravicini Bagliani, G. Stabile (Hrsg.), Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien, StuttgartZürich 1989, 91–112; Julian Gardner, Päpstliche Träume und Palastmalereien. Ein Essay über mittelalterliche Traumikonographie, ebd. 113–122; bes. 114f. 140 In der um 1244/1245 entstandenen Vita des heiligen Dominikus von Constantin Medici von Orvieto O.P. ist der Stifter des Prediger-Ordens der Retter, der dem Papst im Traum erscheint (J. Quetif, J. Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum recensiti, I, Paris 1719, 28b). Doch ist diese Tradition wohl sekundär. S. auch Anal. Fr. 10,141, Anm. 8. K.-V. Selge hält die Vision Innocenz’ III. überhaupt, auch bezüglich des Franziskus, für eine spätere Bildung: Franz von Assisi (o. Anm. 132), 145 und ebd. Anm. 53.

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sion von der zukünftigen Kirche. Eine nach seinen Vorstellungen reformierte Kirche sollte vor allem auf Reichtum und Macht verzichten. Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit eines solchen Ideals in der real existierenden Kirche hat er sich aber wohl Illusionen gemacht. Die greifbaren Ergebnisse der Unterredung mit dem Papst waren für Franziskus: die Billigung seiner Regel und die Erlaubnis der Predigt für ihn selbst; er wiederum sollte die Vollmacht haben, die Predigtlizenz an die Brüder weiterzugeben. Dies habe der Papst dann später auch im Konsistorium bekannt gegeben.141 Aus dieser kurzen Bemerkung der 3 Soc geht hervor, daß zumindest das letzte ausführliche Gespräch mit Innocenz III., in dem es um die Visionen vom Zustand der Kirche ging, unter vier Augen stattfand. Die Bewilligungen des Papstes wurden indes nicht schriftlich festgehalten, was bei der bekannten Schreibfreudigkeit Innocenz’ III. doch einigermaßen verwundert. Das Verhältnis der franziskanischen Bewegung zur Römischen Kurie war rechtlich nicht fixiert. Es basierte auf den »Träumen« des Franziskus und Innocenz’ III.142 Die bei dem ersten Gespräch vorgesehene zweite Visite des Franziskus an der Kurie, bei der dieser über das äußere und innere Wachstum der Bewegung Bericht erstatten sollte und der Papst ihm »Bedeutenderes« (maiora) anvertrauen wollte, fand nie statt. Die franziskanische Bewegung entwickelte sich in ihren ersten fünfzehn Jahren in einem fast rechtsfreien, »prophetischen« Raum. Die Regel wurde ohne weitere päpstliche Bestätigung bis 1221 beständig erweitert und den jeweiligen Bedürfnissen der Gemeinschaft angepaßt. Erst 1223 trat die von Honorius III. bestätigte sogenannte Regula bullata an ihre Stelle.143 Dennoch wurden bereits die rudimentären Strukturen eines kirchlichen Ordens geschaffen: Franziskus versprach dem Papst Gehorsam und Ehrfurcht; die anderen Brüder wiederum wurden durch das gleiche Versprechen an Franziskus gebunden.144 Der Kardinal Johannes von St. Paul sorgte dafür, daß Franziskus und seine elf Gefährten durch Erteilung der Tonsur in den Klerikerstand erhoben wurden.145 Ihre zukünftige Predigttätigkeit wurde dadurch 141

»Et hoc idem postea in consistorio approbavit« (3 Soc 51; ed. Desbonnets, 128). Dieses Verhalten ist für Innocenz III. keineswegs selbstverständlich. Im Falle der mit Rom versöhnten Waldenser trug er sehr wohl Sorge für eine schriftliche, rechtlich eindeutige Fixierung von deren zukünftigem Verhalten; s. Ep. 94 (MPL 216,289–293). 143 Vgl. auch Bonaventura, Leg. mai. IV,11 (Anal. Fr. 10,576f.). 144 3 Soc 52. Der entsprechende Passus wurde damals als »Prolog« in die Regel aufgenommen; s. Regula non bullata, Prol. 3–4 (Esser, Opuscula, 377). 145 Bei Bonaventura (Leg. mai. III,10) erhalten die Brüder »kleine Tonsuren« (coronas parvulas), womit aber doch wohl nichts anderes gemeint ist als die gewöhnliche Tonsur. Vielleicht hat Franziskus selbst die Gewohnheit, eine kleine Tonsur zu tragen, im Orden begründet; vgl. II Cel 193 (Anal. Fr. 10,241): »Quando radebatur sanctus Franciscus, saepe rasori dicebat: ›Cave, ne mihi magnam coronam facias! Volo enim, quod fratres mei simplices partem habeant in capite meo.‹« 142

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gewiß erleichtert, doch war es auch der erste verhängnisvolle Schritt zur Klerikalisierung der Gemeinschaft. Der Baum am Straßenrand Franziskus erkannte dies damals noch nicht. Als er Rom verließ, bildete er sich ein, er habe alles erreicht, was er sich vorher erträumt hatte.146 Denn bevor er mit seinen Wünschen beim Papst durchgedrungen war (ob in Rom oder schon vorher, wird nicht gesagt), hatte er im Traum einen sehr hohen, schönen, starken und dicken Baum am Rand der Straße, die er zog, stehen gesehen. Er ging nahe an den Baum heran, stand schließlich unter ihm und bewunderte seine Höhe und Schönheit. Da wuchs er selber plötzlich zu einer solchen Größe heran, daß er die Spitze des Baumes mit seinen Händen greifen konnte, und er bog ihn ganz mühelos (facillime) nieder bis zur Erde. »Und in Wirklichkeit geschah es so, als der Herr Innocenz, der höchste, schönste und stärkste Baum auf der Welt, sich seiner Bitte und seinem Willen so überaus gütig beugte.«147 Das Baum-Gleichnis und seine Deutung sind für das frühe franziskanische Kirchen- und Geschichtsverständnis von fundamentaler Bedeutung.148 Der Optimismus und das sieghafte Selbstbewußtsein des Franziskus, wie sie in dem Gleichnis zum Ausdruck kommen, passen nur in diese früheste Aufbruchszeit der Bewegung. Der Papst-Baum steht am Rand der Straße, auf der Franziskus voranschreitet. Mit dem Baum in nächster Nähe konfrontiert und sich eben noch über seine hervorragenden Qualitäten (Höhe und Schönheit) wundernd, wächst Franziskus blitzschnell über den Baum hinaus. Und er beugt den starken Stamm mit großer Leichtigkeit zu Boden.149 Schon Ernst Benz hat auf den bemerkenswerten Unterschied in der Deutung des Gleichnisses und in diesem selbst aufmerksam gemacht: in der Erklärung beugt sich der Papst von selbst mit größter Güte dem Willen des Heiligen.150 Die Entwicklung ist, wenigstens im Bereich der äußeren geschichtlichen Ereignisse, anders verlaufen, als es sich Franziskus in seiner prophetischen Vision erträumte. »Der eigentliche Erfolg war auf seiten der Kirche.«151 Dies war vor allem ein Werk des Kardinals Hugolino von Ostia. Am Ende seines 146

»mirans valde de suo desiderio sic facile adimpleto« (3 Soc 53; ed. Desbonnets,

128). 147

3 Soc 53; vgl. I Cel 33 (Anal. Fr. 10,27); vgl. Bonaventura, Leg. mai. III,8.. Vgl. FF, S. 438, Anm. 63: »L’episodio, fondamentale per la storia francescana.« Bei I Cel heißt es gar: »mit einer Hand«! 150 Benz, Ecclesia Spiritualis (o. Anm. 135), 152: »Das ursprüngliche Selbstbewußtsein des Heiligen, wie es sich in dem Traum ausspricht, ist hier von dem Schüler stark herabgemindert.« Benz hat nur die Version bei I Cel im Auge, doch ist der Wortlaut bei 3 Soc fast gleichlautend. 151 Benz, o.c. 152. 148 149

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Lebens bäumt sich der todkranke Franziskus noch einmal auf seinem Lager auf und schreit in großer Erregung: »Wer sind diese Leute, die mir meinen und der Brüder Orden aus den Händen gerissen haben? Wenn ich auf das Generalkapitel komme, werde ich ihnen zeigen, was mein Wille ist.«152 Dazu kam es wohl nicht mehr.

5. Rückkehr ins Tal von Spoleto Vertrauter Umgang mit der heiligen Armut Nachdem der Papst sie mit seinem Segen verabschiedet hatte, suchten die Brüder, wie es bei Rom-Pilgern üblich war, die Apostelgräber auf.153 Dann machten sie sich auf den Weg zurück in das Tal von Spoleto. Unterwegs überlegten und beredeten sie miteinander, unter dem Eindruck der Worte Innocenz’ III., wie sich in Zukunft ihr konkretes Leben zu gestalten hätte: Wie konnte man am besten die Ratschläge und Anweisungen des Papstes befolgen? Wie war die Regel ehrlich und unbeugsam zu beobachten? Wie konnten sie ihre persönliche Heiligkeit, ihren Wandel vor Gott, am besten gestalten? Und wie konnten sie, wenn sie auf diese Weise ein Wachstum ihrer Tugenden erreichten, durch ihr beispielhaftes Leben ihren Mitmenschen dienen?154 Dem modernen Menschen mögen solche Erwägungen einigermaßen realitätsfremd und versponnen vorkommen. Für religiöse Menschen des Mittelalters, die »aus der Welt hinaus gegangen« und die tief von der Wirklichkeit des jenseitigen Lebens bestimmt waren, waren es »heilige Gespräche« (sacre conversazioni), die das allein Wichtige und Notwendige zum Gegenstand hatten. Aus der vorsichtigen, devoten Sprache des Thomas von Celano läßt sich dennoch erkennen, daß die Brüder durch die Begegnung mit dem Papst und die Worte, die er an sie gerichtet hatte, aufgewühlt und beunruhigt waren. Denn die Anweisungen und Empfehlungen des Papstes und die treue Befolgung der Regel konnten durchaus zu einem Konflikt führen. Franziskus und seine Gefährten müssen erkannt haben, daß dem Papst an der zentralen Idee der Regel, der »heiligen Armut«, im Grunde gar nichts gelegen war. Es ist ja überhaupt merkwürdig, daß weder hier noch vorher etwas über den Inhalt der päpstlichen Ermahnungen gesagt wird. Doch waren durch das Gehorsamsversprechen des Franziskus, das in den der Regel hinzugefügten Prolog aufge152

Leg. Per. 44 (ed. Bigaroni, 96); II Cel 188. 3 Soc 52: »visitatis apostolorum liminibus«; I Cel 34: »Statimque venit visitare limina beati Petri.« 154 I Cel 34 (Anal. Fr. 10,27). 153

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nommen worden war, im Grunde zwei unvereinbare Dinge in eine schriftlich fixierte Form gegossen worden – das große Grund-Dilemma des Franziskanertums, wie die Geschichte der nächsten 120 Jahre zeigen wird. Durch ihre Gespräche und den langen Fußmarsch ermüdet, kamen die Brüder gegen Abend an einen menschenleeren Ort. Für ihre hungrigen Mägen war dort nichts zu finden. Hatte die Reise-Organisation Bernhards von Quintavalle versagt? Aber der Begriff »desertus locus« (Mk 6,31.32.35) läßt uns aufhorchen: die göttliche Vorsehung hatte sie in die Wüste geführt. Und sogleich tauchte ein Mann auf, der ihnen Brot gab und wieder verschwand. Möglicherweise war es ein Bauer, der in jener Gegend ein verstecktes Gehöft hatte, wie sie heute noch häufig in den Bergen Latiums zu sehen sind. Die Brüder aber sahen in ihm einen Boten, den die göttliche Vorsehung ihnen geschickt hatte. Und wie die von Jesus wunderbar gespeisten Menschen (Mk 6,42) und der in der Wüste von einem Engel versorgte Prophet Elias (3 Kön 19,5–8) zogen sie gesättigt und gestärkt weiter bis in die Nähe der Stadt Orte, etwa 75 km nördlich von Rom. Sie fanden dort einen geeigneten Aufenthaltsort. Vermutlich handelte es sich um einen Berghang, in dem sich alte (etruskische oder römische) Höhlengräber befanden. Jedenfalls wurde der Platz von den Stadtbewohnern gemieden. Einige der Brüder gingen in die Stadt, um für sich und die anderen von Tür zu Tür die erforderliche Nahrung zu erbetteln. Was übrig blieb, wurde bis zum folgenden Tag in einem leeren Grab aufbewahrt. Die Gruppe verweilte an diesem Ort vierzehn Tage lang. Celano erzählt, daß sie nunmehr eine große Freude ergriff, da ihnen gar nichts mehr verblieben war außer der Armut. Er berichtet weiter, daß sie in dem Nichtvorhandensein alles Weltlichen einen großen Trost fanden, das heißt: nach der Verwirrung, in die sie der Aufenthalt am päpstlichen Hof gestürzt hatte, fanden sie erneut ihre Stabilisierung in der Armut – in der extremen und radikalen Armut, deren Sinn und Praktikabilität ja kurz zuvor durch die höchsten Priester, den Kardinal Johannes von St. Paul und den Papst selbst, in Frage gestellt worden war. Mit dieser Armut begann nun ein vertrautes Verhältnis wie mit einer Person. Wie einer Braut geloben sie ihr eine feste Beziehung für alle Zeiten.155 Das dem Bereich »Verlobung« und »Hochzeit« entnommene Vokabular wird noch dichter: Und weil sie, nach Ablegung aller Sorge für das Irdische, allein der göttliche Trost erfreute, entschlossen sie sich ganz fest: durch keinerlei Verwirrungen oder Versuchungen würden sie sich je bewegen lassen, sich aus den Umarmungen der Armut zu lösen.

155 »Coeperunt propterea cum sancta paupertate ibidem habere commercium, et in defectu omnium quae sunt mundi nimium consolati, disponebant, sicut ibi erant, ei ubique perpetuo adhaerere« (I Cel 35; Anal. Fr. 10,28).

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Die heilige Armut, von der Franziskus und die Brüder in einem ewigen Verlöbnis umschlungen wurden, ist zwar eine gleichnishafte Gestalt. Doch ist sie bereits hier zu einer geistigen Macht mit personengleichen Zügen hypostasiert. In dem »Sacrum Commercium« genannten Werk,156 das nach der Mitte des Jahrhunderts mit einer gewissen Nostalgie auf die Anfänge der Bewegung zurückblickt, ist die Armut zu einer mystischen, sprechenden und handelnden Überperson geworden, die die Kirche durch ihre Geschichte begleitet. Giotto schließlich hat auf der Decke, die das Grab des Heiligen in der Unterkirche S. Francesco in Assisi überwölbt, in einem der Kuppelsegmente die Hochzeit des Franziskus mit der Frau (Domina, Dame, Herrin) Armut dargestellt.157 Aber auch Franziskus selbst begegnet als personifizierte Armut: schon in dem Gleichnis, das er dem Papst erzählt, ist er die »arme Frau«. Die drei geheimnisvollen Frauen, die dem todkranken Franziskus und seinen Begleitern auf der Reise von Rieti nach Siena in der Ebene von Campiglia d’Orcia begegnen, begrüßen ihn mit den Worten: »Willkommen, Frau Armut.«158 Ein weiteres Dilemma der franziskanischen Lebensform scheint damals zum ersten Mal deutlich bewußt geworden und von den Brüdern gemeinsam erörtert worden zu sein: »Ob sie sich unter den Menschen aufhalten oder ob sie sich an einsame Orte zurückziehen sollten.«159 Franziskus sah, nachdem er Gott im Gebet konsultiert hatte, die Hauptaufgabe der Gemeinschaft in dem missionarischen Wirken: sie sollten dem Teufel die Seelen der Menschen abjagen, um sie für Gott zu gewinnen. Das schloß jedoch den Rückzug an einsame Orte (loca solitaria) nicht aus. Tatsächlich wechselte das Leben der Bruderschaft in diesen ersten Jahren zwischen Predigt, Arbeit oder Bettel in den Städten und Dörfern und der Meditation in abgelegenen Höhlen, Ruinen und Hütten. Rivotorto Der ausführliche Bericht über die Rückreise der Brüder von Rom mit dem zweiwöchigen Verweilen bei Orte findet sich nur in der ersten Celano-Legende. Die »Drei Gefährten« schließen unmittelbar an die römischen Ereignisse 156

S.o. I. Kap. bei Anm. 136. Gerhard Ruf, Das Grab des hl. Franziskus. Die Fresken der Unterkirche von Assisi, Freiburg Br. 1981, 143f. und ebd. Abb. 54; D.W. Schönau, A new Hypothesis on the Vel in the Lower Church of San Francesco in Assisi. Franz. Stud. 67 (1985), 326–347; bes. 335 und 344, Abb. 1; Renate Schumacher-Wolfgarten, »Dextrarum iunctio« bei Giotto, in: E. Dassmann, K.S. Frank (Hrsg.), Pietas. FS für Bernhard Kötting (JAC, Erg.bd. 8), Münster 1980, 586–593. 158 II Cel 93 (Anal. Fr. 10,186); s. auch o. Kap. III, bei Anm. 71! 159 I Cel 35 (ebd. 28); für ein späteres Auftreten des Dilemmas und seine Lösung vgl. Bonaventura, Leg. mai. XII,1.2; Actus-Fioretti, c. 16 (ed. Cambell, 230–235). 157

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eine Schilderung der erfolgreichen Predigttätigkeit des Franziskus im Bereich seiner engeren Heimat an: er zog durch die civitates (größere Städte mit einem Bischofssitz) und castra (kleinere Landstädte, die heute noch häufig die Bezeichnung »Castel« oder »Borgo« in ihrem Namen haben), und predigte jetzt »umfassender und vollkommener« (amplius et perfectius) als vorher.160 Über den Inhalt der Predigt wird lediglich mitgeteilt, daß er getreulich das Reich Gottes ankündigte. Auch für die spätere Zeit erfahren wir über die Predigtthemen des Franziskus aus den franziskanischen Quellen so gut wie nichts. Abgesehen von der berühmten Vogelpredigt161 ist keine seiner Predigten im Wortlaut oder einer ausführlichen Inhaltsangabe überliefert. Dafür erfährt stets, wie auch hier, die Form und Qualität seiner Rede eine eingehende Würdigung: Franziskus war ein wahrhaftiger Redner, der einschmeichelnde Worte und menschliche Überredungskunst verschmähte. Die Überzeugungskraft seiner Rede kam vor allem daher, daß er selbst durch seine Lebensführung für ihre Wahrheit bürgte. Es stellte sich nun auch der äußere Erfolg ein: Franziskus schaffte so etwas wie seinen großen Durchbruch in der Meinung des Volkes. Nicht nur den einfachen Menschen, sondern auch den Gebildeten und Gelehrten schien es, daß seine Botschaft etwas Übermenschliches hatte. Er selbst wurde bald als engelgleiche Gestalt, als »Mensch aus einer anderen Welt« verehrt.162 Auch die Bruderschaft erhielt nun einen großen Zuzug aus allen Schichten der Bevölkerung, auch aus dem Klerus. Franziskus hatte mit seinen Gefährten zunächst Unterschlupf in einer elenden Hütte in der Ebene unterhalb von Assisi gefunden. Der Ort hieß, nach einem kleinen Bach, der dort vorbeifließt, Rivus Tortus (Rivotorto: gewundener Bach).163 Hier erlebten sie im September 1209 den Durchmarsch des Heeres König Ottos IV., der zu seiner Kaiserkrönung nach Rom zog.164 Obwohl der kaiserliche Zug in unmittelbarer Nähe der Hütte vorbeizog, wollte Franziskus nicht hinausgehen, um ihn anzuschauen. Er verbot auch den Gefährten, die gewohnten Beschäftigungen zu unterbrechen. Nur einen von 160

3 Soc 54 (ed. Desbonnets, 129). I Cel 58; III Cel 20. 162 »Mirabantur sermonum eius virtutem ac veritatem quam non homo docuerat etiam litterati et docti plurimique ipsum videre et audire velut hominem alterius saeculi festinabant« (3 Soc 54); vgl. auch o. Anm. 112. 113 in diesem Kapitel; Manselli, Franziskus, 146. 163 3 Soc 55; I Cel 42. 164 Otto IV. war am 1. September in der Gegend von Bologna, von wo aus er nach Faenza weiterzog. Auf welchem Weg er über die Apenninen zog, ist unbekannt. Am wahrscheinlichsten scheint zu sein, daß er von Faenza aus den Weg durch das RoncoTal oder von Cesena aus durch das Savio-Tal nahm, um nach Mittelitalien zu gelangen. Ende September traf Otto in Viterbo mit Innocenz III. zusammen, der ihm voraus nach Rom zog. Am 4. Oktober wurde Otto in der St. Peters-Kirche vom Papst gekrönt. Vgl. J.F. Böhmer, Regesta Imperii V, Innsbruck 1881–1882, 96; Anal. Fr. 10,34, Anm. 4.5. 161

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ihnen schickte er hinaus, um dem Kaiser das baldige Ende seiner Herrlichkeit anzukündigen – so wie die Franziskaner-Pönitentiare von St. Peter noch bis in die neueste Zeit den Päpsten vor der Krönung ihr: »Sancte Pater, sic transit gloria mundi« zuriefen. Bekanntlich war das Bündnis zwischen Otto IV. und Innocenz III. nicht von langer Dauer. Das Zerwürfnis begann schon unmittelbar nach der Krönung. Am 18. November 1210 exkommunizierte Innocenz den Kaiser und unterstützte danach dessen Rivalen Friedrich II. Ob Franziskus mit seinem Verhalten auch Kritik an der Machtpolitik des Papstes üben wollte, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen, doch auszuschließen ist es keineswegs. Franziskus sah sich dann plötzlich genötigt, die Hütte von Rivotorto aufzugeben. Eines Tages tauchte nämlich dort ein Bauer mit seinem Esel auf. Ob er der Eigentümer der Hütte war, wird nicht gesagt. Es könnte aber durchaus der Fall gewesen sein. Denn es wird erwähnt, daß er befürchtete, die Brüder könnten sich dort festsetzen und Haus an Haus reihen – die alte Angst der Bauern vor dem »Landfressen« der Klöster! Daraus geht hervor, daß der Mann an dem Gelände, entweder als Eigentümer oder als Pächter, ein Interesse hatte. Die Brüder suchte er aus der Hütte hinauszudrängen, indem er seinen Esel anspornte: »Geh hinein, weil wir diesem Ort hier Gutes tun wollen.« Franziskus vedroß diese Bemerkung sehr, denn im Gegensatz zu den modernen Interpreten wußte er, was damit gemeint war: der Bauer hatte vor, zusammen mit seinem Esel den Ort in einer Weise zu verunzieren, daß er für die Brüder unbewohnbar geworden wäre.165 Franziskus wich der rohen Gewalt und begab sich mit seinen Brüdern zu der in der Nähe gelegenen Portiuncula-Kirche.166 Daß er mit dem Bauern ein Gespräch geführt hätte, wird nicht berichtet. Das mag uns vor einer romantischen Franziskus-Verklärung warnen. Der arme Rüpel von Rivotorto gehört zu den Randgestalten, an denen Franziskus auf seinem Wege vorbeischritt, die er, auch aus seinen Erlösungs- und Versöhnungsvorstellungen, ausschloß. Sein Vater, die mißgestaltete Frau von Assisi und Bruder Johannes a Cappella sind die hervorragendsten Beispiele dafür. »Orden der geringeren Brüder« Über den Ärger mit Rivotorto konnte Franziskus bald hinwegkommen. Denn, wie schon erwähnt, setzte um diese Zeit ein gewaltiger Zuzug zu seiner Bewegung aus allen Bevölkerungsschichten ein. Franziskus freute sich über alle, die zu ihm kamen, und solange es möglich war, führte er sie selbst in die 165

Vgl. Leg. Per. 56 (ed. Bigaroni, 126): »locus iste non est honestus.« Nach 3 Soc 55 diente die Hütte von Rivotorto danach armen Aussätzigen als Unterschlupf. 166

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Ideale und die Lebenspraxis der Gemeinschaft ein. Weiterhin galten Gehorsam und Armut als oberste Tugenden. Die Sorglosigkeit (in bezug auf den Lebensunterhalt für den nächsten Tag und die Unterkunft für den Abend) kam hinzu. Noch war die Handarbeit und die Fürsorge für die Leprosen eine Selbstverständlichkeit.167 Unter den geistlichen Übungen nahm das Gebet, näherhin das Lob- und Dankgebet an Gott, den ersten Platz ein. Aber auch Reue und Beweinung der begangenen Fehler gehörte dazu. Um beim Gebet nicht einzuschlafen, benutzten einige ein sie stützendes Gerät, andere hängten sich gar an Stricken auf, um im Schlaf nicht umzufallen. Die Selbstquälerei mit verschiedenen Gerätschaften aus Eisen und Holz scheint an der Tagesordnung gewesen zu sein. Am rigorosesten wurde das Aufkommen sexueller Begierde unterdrückt: im Winter wälzte man sich nackt in Eis und Schnee, ansonsten in den Dornen, oder man geißelte sich mit Stricken und dornigen Ästen bis aufs Blut.168 Während des Aufenthaltes in Rivotorto tauchte Franziskus, wenn ihn eine fleischliche Versuchung überkam, in ein eisgefülltes Loch und blieb solange darin, bis jegliche Erregung (carnalis corruptela) ausgelöscht war.169 Eis und Schnee hat Franziskus auch in seinem späteren Leben als »Heilmittel« gegen seine offenbar starke Sexualität angewandt. In der Einsiedelei von Sarteano wälzte er sich einmal nackt im Schnee und machte aus sieben Schneefiguren eine »Familie« für seinen Körper (den er zuvor mit »Bruder Esel« angeredet hatte).170 Martin Luther hat dieses Ereignis folgendermaßen kommentiert:171 Itzt aber wolt ich raten (weil wir nu thüren [dürfen] urteilen uber solche grosse Heiligen), das S. Franciscus nicht die schnee ballen weib und kinder hette genennet, sondern ehelich worden were, da er sich fand als ein jüngling in seines vaters Adam kranckheit so hart gefangen, das er auch den schnee (der jm wenig geholfen hat) muste anruffen.

Im Gegensatz hierzu sieht Thomas von Celano die Asketen von Rivotorto und Porziuncola in verklärendem Licht. Die Zukunft des Ordens wurde allerdings nicht durch diese Helden der Frühzeit bestimmt, sondern durch zwei Gruppen, die sowohl von Thomas als auch von den »Drei Gefährten« unter den jetzt eintretenden Neuankömmlingen genannt werden: die Kleriker und die Gelehrten (manche von ihnen waren beides zugleich). Schon drei Jahrzehnte nach dem Tod des Stifters werden sie den »Orden der geringeren 167

I Cel 39 (Anal. Fr. 10,31f.). I Cel 40 (ebd. 32). 169 I Cel 42 (ebd. 34). 170 II Cel 116f. (ebd. 199). 171 Vorrede zu Erasmus Alberus, Der Barfüßermönche Eulenspiegel und Alkoran. 1542 (WA 53,411). 168

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Brüder« zu einer klerikalen und wissenschaftlichen Großmacht innerhalb der Christenheit umgeformt haben. »Orden der geringeren« oder »minderen Brüder«: diesen Namen gab Franziskus der Gemeinschaft um diese Zeit, vielleicht noch in Rivotorto, wahrscheinlicher aber in Porziuncola. Als er dabei war, die Regel den Erfordernissen der stark wachsenden Gemeinschaft anzupassen (wenige Zitate aus dem Evangelium gepaart mit einem grenzenlosen Enthusiasmus genügten also bereits nicht mehr!), und gerade die Worte diktierte: »Und sie sollen geringer sein«,172 da sagte er: »Ich will, daß diese Bruderschaft Ordo Fratrum Minorum genannt werde.« Aus der religio oder fraternitas war damit ein ordo geworden, freilich noch nicht im gleichen Sinn wie die alten Mönchsorden der Katholischen Kirche. Aber Franziskus sprach mit dem neuen Namen doch den Anspruch aus, mit ihnen in Konkurrenz zu treten und sie zu übertreffen, und zwar gerade durch das Niedrigsein, die mindere Stellung, die aufgrund ihrer Schutz- und Wehrlosigkeit eine schimpfliche, ungerechte Behandlung erwarten ließ.173 Franziskus dachte dabei sicher überhaupt nicht an eine Stabilisierung der Bruderschaft im Sinne des Kirchenrechts. Denn es stand bei diesem wichtigen Schritt ja keine kirchliche Autorität Pate: weder der Papst, noch ein Kardinal-Protektor, nicht einmal der Bischof von Assisi. Endgültige Festsetzung bei der Portiuncula-Kirche Wir dürfen annehmen, daß Franziskus im Frühling des Jahres 1210 mit seinen Gefährten von Rivotorto nach Porziuncola umzog. Neben der Kirche werden sie noch das kleine strohgedeckte Haus (domuncula) vorgefunden haben, das die ersten drei Brüder zwei Jahre zuvor dort aus Weidengeflecht und Lehm errichtet hatten.174 Kirche und Grundstück waren Eigentum der außerhalb von Assisi, am Hang des Monte Subasio gelegenen BenediktinerAbtei. Franziskus »erwarb« den Platz von dem Abt des genannten Klosters, das heißt, er übernahm ihn nicht als Besitz, sondern ließ ihn sich in einer Art Dauer-Pacht zur Benutzung übertragen. Nach Darstellung der Legenda Perusina hatte sich Franziskus vorher an den Bischof von Assisi gewandt mit der Bitte, ihm eine Kirche als Ort für das Stundengebet und als Begräbnisplatz für die Mitglieder der Bruderschaft zu überlassen. Der Bischof antwortete, er habe keine Kirche zur Verfügung. Er wollte also wohl keine haben, aus welchen Gründen auch immer. Als Franziskus darauf seine Bitte dem Domkapitel von San Rufino vortrug, erhielt er 172 »Et sint minores«: vgl. Regula non bullata, c. VII,2 (Esser, Opuscula, 383): »sed sint minores et subditi omnibus, qui in eadem domo sunt.« 173 »Et vere minores, qui omnibus subditi exsistentes, semper quaerebant locum vilitatis, et officium exercere, et in quo quaedam fore iniuria videretur« (I Cel 38). 174 3 Soc 32. 55 (ed. Desbonnets, 113. 130); vgl. Leg. Per. 56 (ed. Bigaroni, 136).

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(natürlich!) die gleiche abschlägige Antwort. Die Benediktiner vom Monte Subasio dagegen verhielten sich Franziskus gegenüber freundlich, obwohl sie die Absagen des Bischofs Guido und seiner Domkapitulare kannten. Santa Maria di Porziuncola war zwar von allen Kirchen, die sie besaßen, die ärmlichste, aber das war Franziskus gerade recht.175 Um das Besitzrecht (dominium) des Benediktiner-Klosters formal anzuerkennen, ließ Franziskus den Mönchen alljährlich einen Korb mit Fischen schicken; sie wiederum revanchierten sich dafür mit einem Krug Olivenöl.176 Alle älteren Biographien heben das besondere Verhältnis hervor, das Franziskus zu der Kirche S. Maria von Porziuncola hatte. Er war der Meinung, daß die heilige Jungfrau diesen Ort mehr als alle anderen Orte und Kirchen auf der ganzen Welt liebte.177 Er empfahl ihn deshalb kurz vor seinem Tode der besonderen Fürsorge des Generalministers und aller Brüder. In seinem Verständnis hatte der Ort, aufgrund der Bevorzugung durch die Jungfrau Maria, schon eine Heiligkeit »an sich«. Diese Heiligkeit war aber darüber hinaus noch von den ersten Mitgliedern der Gemeinschaft durch ihr beständiges Gebet erhalten und gepflegt worden.178 Die Legenda Perusina hebt eigens hervor, daß diese Haltung genau der Volksfrömmigkeit in der Stadt Assisi und ihrer Umgebung entsprach. Die Kirche trug von alters her im Volksmund den Namen »Sancta Maria de Angelis« (Santa Maria degli Angeli; Heilige Maria von den Engeln). Auch während der langen Zeit, die sie in ruinösem Zustand lag, genoß sie bei den Bewohnern des Spoleto-Tales eine hohe Verehrung. Nachdem Franziskus und die Brüder die Kirche wieder aufgebaut und sich dort niedergelassen hatten, lebte die Wallfahrt zur Santa Maria degli Angeli erneut auf.179 Die Auffassung über die Portiuncula-Kirche ist eines der bedeutenden Beispiele, in denen sich die innere religiöse Welt des Franziskus und die Volksreligion, jenseits der wissenschaftlichen und kirchenamtlichen Theologie, begegnen. Wir werden darauf zurückkommen. Die Portiuncula-Kirche und der bei ihr in ärmlichen Lehmhütten angesiedelte Konvent sollten nach dem Willen des Franziskus ein »Modell des Or175

Leg. Per. 56 (ed.c. 126). Ebd. (ed.c. 130). 177 »Quam ipse sanctus notabiliter et affectuose recommendavit generali ministro et omnibus fratribus tanquam locum prae cunctis locis et ecclesiis huius saeculi dilectum a Virgine gloriosa« (3 Soc 56; ed. Desbonnets, 130); nach II Cel 19 wußte Franziskus dies »aufgrund göttlicher Offenbarung«; ebenso Leg. Per. 56 (ed. Bigaroni, 130). 178 »Nam circa mortem suam coram ministro generali et aliis fratribus dixit: ›Locum sanctae Marie de Portiuncula volo ordinare et fratribus relinquere in testamentum, ut a fratribus semper habeatur in maxima reverentia et devotione. Quod et antiqui fratres nostri fecerunt: licet enim locus ille sit sanctus, ipsi tamen conservabant sanctitatem eius cum continua oratione die noctuque et continuo silentio« (Leg. Per. 56; ed.c. 130/132). 179 Ebd. (ed.c. 128/130). 176

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dens« (speculum religionis) sein.180 Mit dem heiligen und vorbildlichen Lebenswandel der dort weilenden Elite des Ordens meinte er, der fortschreitenden Dekadenz seiner Bewegung entgegensteuern zu können. Entgegen der in seinem Testament gegebenen Anweisung an die Brüder, sich nicht irgendwo niederzulassen, wo sie nicht willkommen wären, sondern in eine andere Gegend weiterzuziehen,181 empfiehlt er ihnen, gleichfalls gegen Ende seines Lebens, sich an dem Ort der heiligen Maria von Porziuncola als einer »Wohnung Gottes« unter allen Umständen für immer festzusetzen, auch wenn sie sich dabei gegen Widerstände durchsetzen müßten. Der Text, in dem das überliefert ist, steht schon in der ersten Celano-Legende. Er enthält zugleich die in ihrer Art tiefe und großartige »Theologie des heiligen Ortes« des Franziskus: Denn obwohl er wußte, daß das Himmelreich überall auf der Erde bestehe, und obwohl er glaubte, daß den Auserwählten Gottes an jedem Ort die Gnade Gottes verliehen werde, so hatte er doch erfahren, daß der Ort der Kirche der heiligen Maria in Portiuncula von reicherer Gnade erfüllt und durch den häufigen Besuch der himmlischen Geister ausgezeichnet war. Er sagte deshalb oft zu den Brüdern: »Seht zu, meine Söhne, daß ihr diesen Ort niemals verlasset! Wenn ihr auf der einen Seite hinausgejagt werdet, dann kommt auf der anderen wieder herein. Denn dieser Ort ist wahrhaft heilig und eine Wohnung Gottes. Hier hat uns, als wir noch wenige waren, der Höchste vermehrt. Hier hat er die Herzen seiner Armen mit dem Licht seiner Weisheit erleuchtet. Hier hat er unseren Willen mit dem Feuer seiner Liebe entzündet. Wer hier mit frommem Herzen betet, wird erhalten, um was er bittet, und wer sündigt, wird schwerer bestraft werden. Deshalb, meine Söhne, haltet den Ort der Wohnung Gottes aller Ehre würdig, und preist dort Gott mit ganzem Herzen, mit freudiger und lobpreisender Stimme!«

Welche hervorragende Rolle die Portiuncula-Kirche in den Erlösungsvorstellungen des frühen Franziskanertums einnahm (sie ist wie der Alverna-Berg ein Engels-Heiligtum!), illustriert die in 3 Soc und II Cel berichtete Vision eines der engsten Gefährten des Franziskus, die er noch vor seinem Eintritt in den Orden hatte: er sah die gesamte Menschheit, die blind war und sich um die Kirche herum versammelt hatte; auf Knieen flehten sie zu Gott um Erleuchtung; da ging ein heller Glanz vom Himmel aus und erleuchtete sie alle mit dem Licht des Heils.182 Ohne Zweifel wird hier auf die »Vergebung von Portiuncula« (sonst auch, weniger zutreffend, als »Portiuncula-Ablaß« bezeichnet) angespielt, die in den älteren franziskanischen Quellen ausdrücklich niemals erwähnt wird. 180 II Cel 18 (Anal. Fr. 10,142); ähnlich auch mehrfach in Leg. Per. 56: »speculum et bonum exemplum totius religionis« (134); »forma et exemplum omnium locorum fratrum« (136); »forma et exemplum tocius religionis« (138). 181 »Sed ubicumque non fuerint recepti, fugiant in aliam terram ad faciendam poenitentiam cum benedictione Dei« (Test. 26; Esser, Opuscula, 441). 182 3 Soc 56: dort sind es »alle Menschen dieser Welt«; II Cel 20 heißt es abmildernd: »unzählige Menschen«; s. hierzu auch u. Kap. VI, bei Anm. 108. 109.

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In der Legenda Perusina ist die Portiuncula-Kirche als »Mutter- und Hauptkirche der armen Minderbrüder« (mater et caput pauperum Minorum Fratrum) bezeichnet.183 Das entspricht einerseits dem Willen des Franziskus, ist aber andererseits auch als kritische Reaktion auf die Rolle der Grabeskirche S. Francesco oben in der Stadt Assisi zu verstehen: die letztere hatte der Papst Gregor IX. in der Bulle »Is, qui ecclesiam« vom 22. April 1230 zur »Hauptund Mutterkirche« des Franziskanerordens erhoben.184 Die Portiuncula-Kirche steht heute noch an ihrem ursprünglichen Ort. Aber sie und die daneben liegende Zelle, in der Franziskus am Abend des 3. Oktober 1226 starb, werden überwölbt von der Kuppel der kolossalen, 1569–1679 erbauten Basilika S. Maria degli Angeli – eines der großen, Stein gewordenen, für den nachdenklichen Betrachter der Geschichte sprechenden Symbole des Franziskanertums in und unter der Römischen Kirche.

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Leg. Per. 56 (ed. Bigaroni, 128). »In primis siquidem statuentes, ut Ecclesia ipsa nisi Romano Pontifici sit subiecta; et vestri Ordinis, cuius Institutor et Pater extitit Confessor praedictus, caput habeatur et mater, ac in ea per Fratres eiusdem Ordinis perpetuo serviatur« (Bullarium Franciscanum, ed. J.H. Sbaralea, 1,60–62; ebd. 60). 184

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DAS IDEAL DES FRANZISKUS UND DIE M I T T E L A LT E R L I C H E K I R C H E Das Ideal des Franziskus ist nichts anderes als die am Evangelium – und ausschließlich am Evangelium! – orientierte Lebensform, die er für sich selbst und seine Anhänger gewählt hatte. Er war der Meinung, daß die ethischen Forderungen des Evangeliums eindeutig und klar verständlich seien. Dennoch war die franziskanische Art und Weise, nach der Form des heiligen Evangeliums zu leben, gegenüber früheren Versuchen einer radikalen Nachfolge Christi und der Apostel etwas Andersartiges und Neues. Und auch der Forscher, der heutzutage die Lebensformen und das Ethos der Urkirche und des Apostolischen Zeitalters mit den Mitteln der historisch-kritischen Methode erkundet, wird keineswegs zu dem Ergebnis kommen, daß die urchristlichen Lebensideale mit den franziskanischen einfachhin identisch sind. Zwar sind die Worte weitgehend dieselben, doch der Inhalt der Begriffe, die das franziskanische Lebensideal umschreiben, deckt sich nur teilweise mit den entsprechenden biblischen Begriffen. Vorläufig und mit dem Risiko des Mißverständnisses können wir sagen, daß die einzelnen Grundzüge des Franziskanertums erheblich radikaler sind als diejenigen des Urchristentums. Armut Die Worte, die Jesus bei der Aussendung seiner Jünger an sie richtete (Mt 10,9f.; Mk 6,8f.; Lk 9,3), verstand Franziskus als Aufforderung für sich und seine Anhänger, ein Leben in radikaler Armut, ohne jeglichen Besitz, zu führen: nichts als die Kleider, die sie am Leibe trugen, sollte ihnen gehören, und auch diese nicht als Eigentum, sondern gewissermaßen nur als Leihgabe.1 Die Forderung der absoluten Besitzlosigkeit ist in den beiden erhaltenen Ordensregeln festgehalten. Die Regula non bullata bestimmt in ihrem zweiten Kapitel, daß derjenige, der der Bruderschaft beitreten will, seinen gesamten Besitz verkaufen und den Ertrag an die Armen verteilen soll. Die Brüder und der zuständige Ordensobere (Minister) dürfen sich in diesen Vorgang nicht einmischen und dürfen auch von dem Geld weder direkt noch indirekt etwas 1

Test. 16 (Esser, Opuscula, 439f.); s.o. Kap. IV, bei Anm. 5.

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annehmen.2 Die Regula bullata schärft die »allerhöchste Armut« in lapidaren Sätzen ein und verweist für den Fall von Not und Krankheit auf die Solidarität der Brüder: Die Brüder dürfen sich nichts aneignen: weder Haus, noch Platz, noch irgend etwas. Und wie Pilger und Fremde auf dieser Welt sollen sie in Armut und Demut dem Herrn dienen und vertrauensvoll Almosen betteln gehen, und sie brauchen sich nicht zu schämen, weil der Herr sich für uns zum Armen auf dieser Welt gemacht hat. Das ist die Höhe der allerhöchsten Armut, die euch, meine vielgeliebten Brüder, zu Erben und Königen des Himmelreiches eingesetzt hat, zu Armen an materiellem Besitz gemacht, aber an Tugenden erhöht hat. Das soll euer Anteil sein, der euch in das Land der Lebendigen führt. In totaler Gefolgschaft zu ihr, vielgeliebte Brüder, wollt um des Namens unseres Herrn Jesus Christus willen in Ewigkeit unter dem Himmel nichts anderes haben. Und wo immer die Brüder sind und sich begegnen, sollen sie sich untereinander als Hausgenossen zeigen. Und ohne Bedenken soll einer dem anderen sein Bedürfnis offenlegen, weil, wenn schon eine Mutter ihren fleischlichen Sohn ernährt und liebt, umso sorgsamer einer seinen geistlichen Bruder lieben und ernähren muß. Und sollte einer von ihnen krank werden, dann müssen die anderen Brüder ihm dienen, so wie sie selbst bedient sein möchten.3

Das Armutsgebot ist weiterhin konkretisiert durch das Verbot, große Kirchen und Gebäude zu errichten,4 sowie durch ein absolutes Geldverbot.5 Wie Franziskus über das Geld dachte, haben sowohl die Legenda Perusina wie Thomas von Celano in seiner zweiten Legende in Worten überliefert, die ebenso drastisch wie deutlich sind: »Das war die Einsicht, die er seinen Gefährten übermittelte: daß sie Scheißdreck und Geld für gleich wert erachteten« – »ut stercus et pecuniam uno amoris pretio ponderarent.«6 Mit seinem ausgeprägten Sinn für dramatisch inszenierte Zeichenhandlungen hat er diese Auffassung einmal demonstrieren lassen, als es ein Bruder gewagt hatte, Geld mit den Händen anzufassen: der Betreffende mußte das Geld auf einem Haufen Eselsmist deponieren, und zwar mit dem Mund.7 Das Besondere an der franziskanischen Armut ist, neben ihrer extremen Radikalität, daß sie nicht nur für das einzelne Glied der neuen Gemeinschaft, sondern auch für die Gemeinschaft selbst, in communi, Geltung haben sollte. 2

Reg. non bull. c. 2,4–6 (Esser, Opuscula, 378). Reg. bull. c. 6 (ed.c. 368f.). 4 Test. 24 (ebd. 440f.); vgl. auch II Cel 56 (Anal. Fr. 10,165); Leg. Per. 58 (ed. Bigaroni, 148). 5 Reg. non bull. c. 8 (ed.c. 384); Reg. bull. c. 4. 5 (ebd. 368). 6 Leg. Per. 27 (ed. Bigaroni, 68); II Cel 65 (Anal. Fr. 10,170); etwas weniger drastisch lassen die 3 Soc Franziskus zu seinen Gefährten sagen: »Et si pecuniam in aliquo loco inveniremus, non curemus plus quam de pulvere, quem calcamus« (35; ed. Desbonnets, 115); dagegen 3 Soc 45: Franziskus habe seine Gefährten gelehrt, das Geld als »Eselsscheiße« anzusehen! S.o. IV. Kap., Anm. 75. 7 Leg. Per. 27; II Cel 65. 3

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Dies war auch der eigentliche Stein des Anstoßes sowohl innerhalb des Ordens, für Kreise, denen an einer Aufweichung des Armutsideals gelegen war, wie auch für die Amtsträger der Kirche. Angefangen von dem Bischof Guido von Assisi8 haben wohlmeinende, erfahrene und einflußreiche Leute Franziskus von dem radikalen Armutsideal abzubringen versucht. Insbesondere schien es, nachdem die Bewegung auf mehrere tausend Mitglieder angewachsen war, nicht mehr verantwortbar, ganz ohne materielle Absicherung zu leben. Unter Berufung auf die Zusage Christi selbst hat Franziskus solche Erwägungen abgewehrt. Der Orden sollte sich allein auf die göttliche Vorsehung verlassen.9 Der gefährlichste Gegner des franziskanischen Armutsideals war zweifellos der Kardinal Hugolino von Ostia. Hugolino, der, schon bevor er Papst wurde, über lange Jahre hin der mächtigste Mann der Römischen Kirche war, hatte zu Franziskus und seiner Bewegung ein schwer zu durchschauendes Verhältnis. Einerseits gab er sich als vertrauter persönlicher Freund des Heiligen und mächtiger Förderer und Beschützer der Bruderschaft an der Kurie und in der gesamten Kirche. Andererseits hatte er zu den innersten Absichten des Franziskus, obzwar er sie durchschaute, keinen Zugang. Er versuchte vielmehr schon bei Lebzeiten des Franziskus, vor allem aber nach dessen Tode, dem Franziskanertum seine radikalen Spitzen zu nehmen und es als normalen Orden und brauchbares Instrument für die Zwecke der Römischen Kurie in das System der Katholischen Kirche zu integrieren.10 Warum war den kirchlichen Autoritäten und insbesondere dem Kardinal Hugolino gerade die kollektive Armut der Franziskaner ein Dorn im Auge? Es sind vor allem drei Gründe zu nennen: 1. Die durch die absolute individuelle und kollektive Besitzlosigkeit geprägte Lebensweise der Bruderschaft erhob den Anspruch, die forma vivendi des Evangeliums selbst zu sein, die zudem eindeutig und der Auslegung nicht bedürftig war. Jede, auch eine kirchenamtliche, Auslegung konnte nur auf eine Aufweichung des radikalen Armutsideals hinauslaufen. Deshalb hat Franziskus in seinem Testament jede Kommentierung der Regel verboten.11 Das wiederum, und das allein, war der Grund, weshalb Hugolino, nachdem er Papst geworden war, das Testament des Franziskus in der Bulle »Quo elongati« außer Kraft setzte.12 8

S.o. Kap. IV.2: Der Rat des Bischofs von Assisi. S. vor allem Leg. Per. 16 (ed. Bigaroni, 48); 18 (ebd. 54–58). S. hierzu: Paul Sabatier, Vie de S. Franc¸ois d’Assise, Paris 461926, 181; vgl. u. Kap. VIII, bei Anm. 15. 11 Test. 38f. (Esser, Opuscula, 444). 12 Herbert Grundmann, Die Bulle »Quo elongati« Papst Gregors IX. AFH 54 (1961), 3–25; Feld, Totengräber (o. I. Kap., Anm. 163), 337–342; darüber ausführlich weiter u. Kap. VIII.3. 9

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2. Franziskus behauptete, daß ihm die Lebensweise der radikalen Armut vom Herrn selbst geoffenbart worden sei. Dieses ungeheuere Selbstbewußtsein unter dem Mantel der tiefsten Demut kann dem Kardinal Hugolino kaum entgangen sein. Trotz allen Demutsgebärden und vollständigem Gehorsam gegenüber den Prälaten und der Römischen Kurie: Franziskus brauchte in den entscheidenden Fragen keine Mittlerinstanz. 3. Das arme Leben der Minderbrüder, nach der Intention des Franziskus eine gelebte Predigt, stand in eklatantem Widerspruch zu dem Reichtum und dem Machtanspruch nicht nur einzelner Mitglieder des Hochklerus, sondern der Römischen Kirche als ganzer. Deswegen also Armut in communi der Minderbrüder, weil die Kirche, entsprechend der Forderung des Evangeliums, auf Besitz, Machtausübung und Gewaltanwendung verzichten sollte. Die Subversivität der franziskanischen Armut und Demut wird besonders deutlich in dem Gleichnis von der armen, schönen Frau in der Wüste, das Franziskus dem Papst Innocenz III. erzählt hat.13 Die in der Verborgenheit der Wüste gezeugten und aufgezogenen Söhne (d.h. die Minderbrüder) sind die legitimen Kinder und Erben des Königs. Die Frage, ob das franziskanische Armutsideal mit dem des Evangeliums übereinstimme oder nicht, scheint in den ersten Jahrzehnten der Bewegung nicht erörtert worden zu sein. Für die franziskanischen Theologen des 13. Jahrhunderts stand die Konformität der von Franziskus propagierten Lebensform mit derjenigen der Urkirche außer jedem Zweifel. Schon Thomas von Celano sieht, am Anfang seiner »Abhandlung über die Wunder«, in dem Auftreten des »neuen Menschen« Franziskus die »Zeichen eines neuen apostolischen Zeitalters«; er und seine Gefährten bringen »die einst beerdigte Vollkommenheit der Urkirche wieder ans Licht«.14 Auch in der Sicht des heiligen Bonaventura deckt sich die evangelische Vollkommenheit im Sinne des Franziskus mit der Intention Christi selbst, wie sie das Evangelium ausspricht.15 Kritisch in diesem Punkt hat sich dagegen der Dominikaner Thomas von Aquin geäußert: für ihn besteht die Vollkommenheit des christlichen Lebens nicht wesentlich in der Armut, sondern in der Nachfolge Christi. Deshalb kann die höchste Vollkommenheit durchaus auch zusammen mit großem Reichtum existieren, wie das Beispiel Abrahams beweist.16 In der älteren Franziskus-Forschung wurde eine Kontroverse über die oben genannte Frage ausgetragen. Während etwa Adolf Ott meinte, Franziskus 13

S.o. Kap. V.4: Das Gleichnis von der Frau in der Wüste. ». . repente in terram prosiliit novus homo, subitoque novo exercitu apparente, miratae sunt gentes a signis apostolicae novitatis. Mox in lucem producitur sepulta quondam perfectio Ecclesiae primitivae, cuius legebat mundus magnalia, nec videbat exempla« (III Cel 1; Anal. Fr. 10,271). 15 Leg. mai. III,9 (Anal. Fr. 10,570); s.o. Kap. IV, bei Anm. 125. 16 S.th. IIa IIe, q. 185, ar. 6, ad 1; q. 188, ar. 7; s. auch u. Kap. XI, bei Anm. 52–55. 14

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habe das biblische Armutsideal verzeichnet, verteidigten Thaddäus Soiron, Hilarin Felder und andere die Übereinstimmung der Armutsauffassung des Franziskus mit derjenigen Jesu. Doch müssen auch Soiron und Felder einräumen, daß Franziskus mit der Forderung der absoluten Besitzlosigkeit und dem Geldverbot »über das Evangelium hinausging«.17 Was die neuere Forschung betrifft, so neigen vor allem die Gelehrten aus den franziskanischen Orden dazu, die Unterschiede zwischen frühem Franziskanertum und Urchristentum einzuebnen oder in ihrer Bedeutung abzuschwächen. Der ansonsten hochverdiente und zu früh verstorbene Kajetan Esser sieht in der franziskanischen Armut nichts anderes als die Erneuerung der Lebensweise der Urkirche.18 Auch Oktavian Schmucki, Eloi Leclerc und selbst Raoul Manselli sprechen ganz unkritisch von einer Wiederentdeckung der evangelischen Lebensform durch Franziskus.19 Dagegen hat der protestantische Forscher Karlmann Beyschlag die Unterschiede zwischen dem Ethos des Evangeliums, insbesondere dem der Bergpredigt, und den Grundzügen der franziskanischen Askese herausgearbeitet.20 Es wäre gewiß zu weitgehend, würde man behaupten, daß Franziskus die Intentionen Jesu mißverstanden habe. Das Ideal der Wanderaskese mit dem Ziel, die Menschen durch Predigt und Vorbild zum Umdenken und zur Buße zu veranlassen, ist bei Franziskus und Jesus weitgehend identisch.21 Der Un17 A. Ott, Thomas von Aquin und das Mendikantentum, Freiburg Br. 1908, 6ff.; T. Soiron, Das Armutsideal des hl. Franz von Assisi und die Lehre Jesu über die Armut. Franz. Stud. 4 (1917), 1–17; bes. 16f.; H. Felder, Die Ideale des hl. Franziskus von Assisi, Paderborn 11923; 41935, 158f. 18 K. Esser, Anfänge und ursprüngliche Zielsetzungen des Ordens der Minderbrüder (Studia et Documenta Franciscana, 4), Leiden 1966, 216–229; 244–265; s. auch: Ders., Mysterium paupertatis. Die Armutsauffassung des hl. Franziskus von Assisi. Wiss. Weish. 14 (1951), 177–189. 19 O. Schmucki, Schrittweise Entdeckung der evangeliumsgemäßen Lebensform durch den heiligen Franziskus von Assisi. Franz. Stud. 66 (1984), 368–421; E. Leclerc, Saint Franc¸ois d’Assise. Le retour a` l’E´vangile, Paris 1981 (deutsch: Franziskus von Assisi oder Rückkehr zum Evangelium, Werl 1983); R. Manselli, Franziskus, Zürich 1984, 92. Zu dem weiteren Umkreis der Problematik s. die Bibliographie von Ignace Schlauri: Saint Franc¸ois et la Bible. Essai bibliographique de sa spiritualite´ e´vange´lique. Coll. Fr. 40 (1970), 365–437; ferner: Michael Mees, Das Verständnis des N.T. in den Schriften des hl. Franziskus. Misc. Fr. 82 (1982), 311–325; Francesco Uricchio, Francesco legge Matteo. Rilievi sull’uso di alcuni testi del primo vangelo negli scritti del Santo, ebd. 326–416; Giovanni Iamarrone, La »sequela di Cristo« nelle fonti francescane, ebd. 417–461. 20 K. Beyschlag, Die Bergpredigt und Franz von Assisi (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2,57), Gütersloh 1955; s. bes. den Abschnitt: »Das Problem der Nachfolge bei Franz«, ebd. 159–189. »Es muß klar sein, daß der prinzipielle Bruch mit der Ordnung des Besitzens, den Jesus gefordert hat, etwas anderes ist als der Übertritt in eine neue selbst geschaffene Eigentumsordnung, deren Zugang über die maximale Verzichtleistung erreicht wird« (178).

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terschied ist – abgesehen von der zeitlichen und kulturellen Distanz – hauptsächlich durch die extrem radikale Zuspitzung der Armutsforderung und der übrigen Ideale markiert. Bekehrung der Kirche Die Bekehrung der Welt im Sinne des Franziskus war zunächst eine Bekehrung der Kirche. Man muß sich immer wieder die Bedeutsamkeit der Tatsache vergegenwärtigen, daß sich die älteste franziskanische Mission an christliche Menschen in einem christlichen Land richtete. Das Bild, das Franziskus und seine ersten Gefährten von dem religiösen und moralischen Zustand der Kirche ihrer Zeit hatten, kann deshalb kein sehr günstiges gewesen sein, im Gegenteil. Der verkommene, ruinöse Zustand vieler kirchlicher Gebäude spiegelte nur die innere Verwüstung der Religion wider. Entsprechend heißt es bei Thomas von Celano, an der schon erwähnten Stelle zu Beginn seiner »Abhandlung über die Wunder«, beim Auftreten des Franziskus sei die Welt vom Schorf der Laster verdreckt gewesen, die kirchlichen Stände seien abseits der apostolischen Pfade dahingetrottet und die Nacht der Sünden sei bis zu ihrer Mitte fortgeschritten gewesen.22 Franziskus wollte die Bekehrung der Welt über die Bekehrung der Prälaten erreichen – eine große Illusion, wie der spätere Verlauf der Geschichte zeigen sollte. Die Methode war nicht die der aggressiven Propaganda und Polemik gegen Mißstände, wie sie viele Kirchenreformer vor und nach ihm praktizierten, sondern er wollte durch Selbstverdemütigung und Ehrfurcht den Prälaten entgegenkommen und sie mehr durch sein Beispiel als durch seine Worte zu überzeugen suchen. Er meinte, sie würden dann von selbst den Widerstand gegen die Minderbrüder aufgeben und ihnen Predigt und Bekehrung des Volkes anvertrauen.23 Den Versuch des Franziskus, einen Prälaten zu bekehren, erzählt Thomas von Celano in seiner ersten Legende. Es handelt sich um den Bischof der Stadt Osimo in der Mark Ancona. Nachdem er in der Hafenstadt Ancona gepredigt hatte, trafen Franziskus und der ihn begleitende Bruder Paul auf freiem Feld 21 Zur Aussendung und Mission der zwölf Jünger Jesu s. Rudolf Pesch, Das Markusevangelium. I. Teil, Freiburg-Basel-Wien 31980, 325–332. 22 »Cogitabat veterem mundum vitiorum scrabedine sordescentem, ab apostolicis torpentes vestigiis ordines, nocteque peccatorum in suo cursu medium iter agente, silentium sacris disciplinis impositum, cum, ecce, repente in terram prosiliit novus homo. . .« (III Cel 1; Anal. Fr. 10,271); vgl. o. Anm. 14; s.u. Kap. VI, bei Anm. 67. 23 S. vor allem Leg. Per. 20 (ed. Bigaroni, 60): »Vos, Fratres Minores, non cognoscitis voluntatem Dei, et non permittitis me convertere totum mundum, sicut Deus vult. Nam ego volo per humilitatem et reverentiam primo convertere prelatos, et cum ipsi viderint sanctam vitam nostram et reverentiam ad eos, ipsi rogabunt vos, quod predicetis et convertatis populum. . . Ego pro me volo hoc privilegium a Domino, nullum scilicet ab homine habere privilegium, nisi omnibus reverentiam facere et per obedientiam sancte regule, exemplo plus quam verbo, convertere universos.«

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einen Hirten mit einer Herde von Ziegen und Böcken an. Mitten unter ihnen graste ein einzelnes Schaf: für Franziskus ein Bild des Sohnes Gottes, der den Pharisäern und Hohenpriestern ausgeliefert war. Ein zufällig des Weges kommender Kaufmann gibt ihm das Geld, um dem Hirten das Schaf abzukaufen. In Osimo angekommen, begeben sich die beiden Brüder zu dem Bischof der Stadt, der sie mit Ehrerbietung aufnimmt, aber doch einigermaßen verblüfft ist über das Schaf, das Franziskus an einem Strick »mit liebevoller Zuneigung« hinter sich herzieht. Der erzählt ihm nun »ein langes Gleichnis über das Schaf«. Beeindruckt von der reinen Gesinnung des Mannes Gottes geht der Bischof in sich und dankt Gott.24 Es ist die für Franziskus typische Verbindung von gleichnishafter Darstellung und Predigt, die den Bischof bewegt. Von dessen definitiver »Bekehrung« kann allerdings keine Rede sein. Zu Lebzeiten des Franziskus schloß sich kein einziges Mitglied des Hochklerus der Bewegung an, wenngleich dies ganz gewiß ein Wunschtraum von ihm war.25 Mehr Erfolg hatte er bei den einfachen Priestern, die dem Orden wenige Jahre nach der Gründung scharenweise zuströmten. Trotz aller Ehrfurcht vor dem priesterlichen Amt (genauer: der kultisch-sakramentalen Funktion der Priester) scheint er doch dem verkommenen Niederklerus gegenüber einen härteren Ton angeschlagen zu haben als bei den Prälaten.26 Die immer wieder geäußerten Demutsgebärden gegenüber den Groß-Priestern der Römischen Kirche dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Franziskus es für notwendig hielt, sie zu bekehren – daß er also der Meinung war, sie lebten nicht nach der Form des Evangeliums. Es zeugt ja von einem großen Selbstbewußtsein (das, an den Maßstäben »normalen« kirchlichen Wohlverhaltens gemessen, schon an Frechheit grenzt), daß Franziskus es überhaupt wagt, einen Bischof über das arme Leben und Leiden des Sohnes Gottes zu belehren. Daß er seinerseits es jemals für nötig gehalten hätte, sich von einem Bischof in dessen Eigenschaft eines Lehrers der Kirche in entscheidenden Fragen unterweisen zu lassen, ist nirgends überliefert. Wie die Legenda Perusina und die zweite Celano-Legende übereinstimmend berichten, hat Franziskus auch versucht, durch eine »Predigt« in Form einer dramatisch inszenierten symbolischen Handlung den Kardinal Hugolino zu bekehren. Es handelt sich um die Ereignisse bei dem Gastmahl im Hause des Kardinals.27 Während eines Besuches bei Hugolino wird Franziskus zum 24 I Cel 77f. (Anal. Fr. 10,57f.); zu der Episode ausführlich: Helmut Feld, Beseelte Natur. Franziskanische Tiererzählungen (Tübinger Gesellschaft. Asketische Schriften, 3), Tübingen 1993, 39–42. 25 Vgl. z.B. »De vera et perfecta laetitia« (Esser, Opuscula, 461): »Item quod omnes praelati ultramontani, archiepiscopi et episcopi« [scil. venerunt ad Ordinem]. 26 S. bes. Leg. Per. 60 (ed. Bigaroni, 154); vgl. auch »Epistola ad Clericos« (Esser, Opuscula, 163–165). 27 II Cel 73; Leg. Per. 97 (ed.c. 284–288).

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Essen eingeladen. An dem Mahl nehmen außer den Hausgenossen (Kaplänen) des Kardinals noch einige Ritter aus dessen Verwandtschaft teil. Als der Tisch schon gedeckt ist, läuft Franziskus noch schnell in die Stadt hinaus und bettelt ein paar Stücke Schwarzbrot zusammen, die er auf den Tisch legt. Der Kardinal schämt sich, hauptsächlich wegen seiner vornehmen Gäste. Während des Mahls verteilt Franziskus die erbettelten Brotstücke an die Ritter und Kapläne. Einige essen davon, andere heben ihren Anteil auf. Nach dem Essen nimmt Hugolino Franziskus mit auf sein Zimmer, umarmt ihn »aus lauter Freude und Jubel« und sagt zu ihm: »Mein Bruder Einfaltspinsel (frater mi simplizone), warum hast du mich blamiert, indem du in meinem Haus, das doch deinen Brüdern gehört, um Almosen betteln gegangen bist?« Franziskus erklärt sein Verhalten mit einer wortreichen, erbaulichen Rede, deren Kern jedoch nach II Cel lautet: »Im Gegenteil, ich habe Euch Ehre angetan, indem ich einen größeren Herrn geehrt habe. . . Ich halte es für königliche Würde und besonderen Adel, diesem Herrn nachzufolgen, der reich war und sich für uns arm gemacht hat« (nach 2 Kor 8,9). Die Legenda Perusina spricht noch deutlicher den Bezug zu der in der Inkarnation erfolgten Erniedrigung Christi aus, wenn sie Franziskus sagen läßt, er halte das Betteln um Almosen »für hohen Adel und königliche Würde und Ehre jenes höchsten Königs, der, obwohl der Herr aller, für uns der Knecht aller werden wollte, und, obwohl er reich und herrlich in seiner Majestät war, arm und verachtet in unser menschliches Dasein kam.«28 Franziskus fühlt sich verpflichtet, seinen Brüdern mit seinem Verhalten ein Beispiel zu geben. Sein Leben aber ist orientiert an dem Vorbild Christi, der sich in seiner Menschwerdung erniedrigt hat und sich arm gemacht hat. Die erbauliche Erklärung, die Franziskus dem Kardinal von seinem Verhalten bei dem Gastmahl gibt, enthält eine profunde Kritik an dem Leben des Hochklerus, wie es sich beispielhaft in so einem Festpranzo äußert. Wenn der Lebenswandel des Franziskus und seiner Gefährten der Weg der Nachfolge Christi ist, dann ist folglich der Lebenswandel Hugolinos und der Prälaten der Kirche das Gegenteil davon. Der Kardinal war, wie beide Quellen übereinstimmend berichten, »überaus erbaut« (plurimum hedificatus) von der Lektion, die ihm Franziskus durch seine Aufführung und deren anschließende Erläuterung gegeben hatte, und er sagte: »Mein Sohn, tu das, was du für richtig hältst, denn der Herr ist mit dir.« Es wird daraus deutlich, daß er weder die symbolische Handlung des Franziskus noch deren Erklärung begriffen hatte – oder aber beides gar nicht begreifen und ernst nehmen wollte. Denn Franziskus ging es bei seiner »Predigt« in Gestalt einer gleichnishaften Handlung wirklich um das letztlich Entscheidende, nämlich seine Anhänger »durch die Tat zu lehren, damit sie unentschuldbar seien in dieser und in der zukünftigen Welt vor Gott.«29 28

Leg. Per. 97 (ed.c. 286).

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Einfalt Der Begriff der »heiligen Einfalt« (sancta simplicitas) ist nicht im frühen Franziskanertum erfunden worden; er kommt schon bei Hieronymus vor, wo er den einfachen Rede- und Schreibstil bezeichnet, der an der Sprache, letztlich aber doch auch am Leben der Apostel orientiert ist.30 Franziskus hat sich selbst mit Vorliebe als einfältig und gänzlich ungebildet (simplex et idiota) bezeichnet.31 Die »heilige reine Einfalt« sollte nach seinem Willen eine der Grundtugenden und großen Ideale seiner Bewegung sein.32 Sie ist diejenige Tugend, »welche die griechischen Ehren nicht für die allerbesten hält, sondern dem Tun den Vorzug gibt vor dem Lernen und Lehren.«33 Franziskus wollte vor allem einen Orden für die Armen und Nichtgebildeten. Anhänger wie der überaus einfältige Bruder Johannes, der sogar sein Husten und Spukken imitierte,34 waren ihm lieber als solche, deren Herz an Büchern hing. »Bei Gott, sagte er, gibt es kein Ansehen der Person, und der Generalminister des Ordens, der Heilige Geist, ruht in gleicher Weise über den Armen und Einfältigen.« Thomas von Celano weiß zu berichten, Franziskus habe diesen Ausspruch in die Regel aufnehmen wollen, doch sei dies nach bereits erfolgter päpstlicher Approbation nicht mehr möglich gewesen: sed bullatio facta praeclusit.35 Es war dies bereits zu einer Zeit, als Franziskus zunehmend erkennen mußte, daß seine Bewegung eine andere Entwicklung genommen hatte, als er selbst ursprünglich intendiert hatte, und jeder bestimmende Einfluß auf den Orden ihm faktisch aus den Händen geschlagen worden war. »Wer sind diese Leute, die mir meinen und der Brüder Orden aus den Händen gerissen haben? Wenn ich zum Generalkapitel komme, werde ich ihnen zeigen, was für einen 29 »Quapropter oportet me eos qui sunt et erunt in religione, opere docere, ut sint inexcusabiles in hoc seculo et in futuro coram Deo« (ed.c. 286). S. zu dieser Episode auch u. Kap. VIII, bei Anm. 99–100! 30 »Venerationi mihi semper fuit non verbosa rusticitas, sed sancta simplicitas: qui in sermone imitari se dicit apostolos, prius imitetur in vita« (Hieronymus, Ep. 57; CSEL 54,525,20). 31 3 Soc 64: »dicens se simplicem esse et idiotam« (ed. Desbonnets, 139); vgl. Epistola toti Ordini missa 39: »quia ignorans sum et idiota« (Esser, Opuscula, 262); Testamentum 29: »simplex et infirmus« (ebd. 442); II Cel 141. 145 (Anal. Fr. 10,212. 214). 32 Vgl. Salutatio virtutum 1: »Ave, regina sapientia, Dominus te salvet cum tua sorore sancta pura simplicitate« (Esser, Opuscula, 427); zitiert auch in II Cel 189 (Anal. Fr. 10,238). 33 II Cel 189; vgl. II Cel 195; Leg. Per. 47 (ed. Bigaroni, 100). 34 II Cel 190. 35 II Cel 193. Die endgültige Regel der Minderbrüder (sog. Regula bullata) wurde von Honorius III. in der Bulle »Solet annuere« vom 29. November 1223 gebilligt; s.o. Kap. I, bei Anm. 18; vgl. auch u. Kap. VII, bei Anm. 112.

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Willen ich habe«: so klagt er in der letzten Phase seines Lebens.36 Die Leute, über die er sich beschwerte, waren aber Bruder Elias, seit 1223 von ihm selbst als Generalminister des Ordens eingesetzt, und der hinter diesem stehende Kardinal Hugolino. Beide hatten nichts anderes im Sinn, als die franziskanische Bewegung als einen Orden wie alle anderen in das Rechtssystem der Römischen Kirche einzufügen. Eine letztlich charismatisch bestimmte Bewegung mit dem Heiligen Geist als Generalminister hätte kaum in den Vorstellungsrahmen der katholischen Hierokratie gepaßt. Gegen eine Anpassung an die älteren Orden hatte sich Franziskus auf einem früheren Generalkapitel – vielleicht 1218 oder 1219 – noch mit aller Entschiedenheit gewehrt. Eine Gruppe von gelehrten und wissenschaftlich gebildeten Brüdern hatte damals im Verein mit dem Kardinal Hugolino den Versuch unternommen, Elemente der älteren und bewährten Ordensregeln einzuführen. (Im wesentlichen wird es wieder einmal um die Aufweichung der Armut in communi sowie um die Einführung klösterlicher, stabiler Lebensformen gegangen sein). Da nahm Franziskus den Kardinal bei der Hand, trat mit ihm vor das versammelte Kapitel und rief den Brüdern zu: Meine Brüder, meine Brüder, ich will nicht, daß ihr mir irgend eine Regel nennt, weder die des heiligen Augustinus, noch die des heiligen Bernhard, noch die des heiligen Benedikt! Der Herr hat mir gesagt, er wolle, daß ich ein neuer Verrückter auf der Welt sei. Und der Herr wollte uns auf keinem anderen Wege führen als durch diese »Wissenschaft«. Aber durch eure Wissenschaft und Weisheit wird Gott euch zugrunderichten. Aber ich vertraue auf die Büttel Gottes, daß er euch durch sie bestrafen wird; dann werdet ihr wohl schmählich zu eurem Stand zurückkehren, ob ihr wollt oder nicht.

Es heißt, der Kardinal habe hierauf verblüfft geschwiegen und die Brüder hätten sich alle gefürchtet. Es war die Berufung auf die Offenbarung Gottes und die Drohung mit der göttlichen Strafe durch die Dämonen, die ihnen allen die Sprache verschlug.37 Franziskus kann zu dieser Zeit, auch dem mächtigsten Mann der Römischen Kirche gegenüber, noch mit göttlicher Autorität auftreten. Der Herr selbst, so sagt er in seinem merkwürdigen italianisierenden Latein, habe ihn zu einem neuen Idioten auf dieser Welt (unus novellus pazzus in mundo) berufen. In sich selbst und seinen Gefährten sah er »Spielleute Gottes«, ioculatores Domini, was vielleicht besser mit: »Spaßmacher«, »Clowns« oder »Hanswürste Gottes« wiederzugeben ist.38 Er wollte deshalb, daß die Predigt der Brüder in ein Gott lobpreisendes Lied (Lauda) ausmünden sollte. Auch dieser Wunsch wurde freilich zu einer Zeit geäußert, als Franzis36 37 38

Leg. Per. 44 (ed. Bigaroni, 96); II Cel 188. Leg. Per. 18 (ed. Bigaroni, 54–58); vgl. u. VII. Kap., Anm. 117. Ebd. 81 (ed.c. 236); vgl. II Cel 127.

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kus, bereits todkrank, voller Wehmut auf die Anfänge der Bewegung zurückblickte, die Mehrheit des Ordens aber wohl nicht mehr bereit war, Lebensweise und Allüren fahrender Troubadours und Spielleute auf sich zu nehmen.39 Predigt Die Predigt des Franziskus selbst wurde von den Zeitgenossen sowohl hinsichtlich ihrer Form wie ihres Inhalts als neuartig und ungewöhnlich empfunden. Als ihr hervorstechendes Merkmal wird die Einfalt (simplicitas, simplex puritas) genannt. Als er einmal nach Rom kam, wollte er unbedingt vor dem Papst Honorius III. und den Kardinälen predigen.40 Der Kardinal Hugolino hatte seine Bedenken, daß Franziskus sich wegen seiner Einfalt die Verachtung der höchsten Kreise der Kurie zuziehen könnte, was wiederum für ihn selbst als Protektor der Minderbrüder negative Auswirkungen haben würde. Mit anderen Worten: er befürchtete, daß Franziskus ihn blamieren könnte und so sein eigenes Ansehen in Mitleidenschaft gezogen würde.41 Die Predigt des Franziskus vor dem päpstlichen Hof war dann in der Tat eine höchst merkwürdige und ungewöhnliche Aufführung: während er sprach, riß ihn die innere Freude und Begeisterung so hin, daß er nicht ruhig stehenbleiben konnte, sondern tänzelnd herumhüpfte.42 Sein seltsames Benehmen wirkte dennoch nicht lächerlich, sondern rief in seinen Zuhörern Gefühle der Einkehr und Reue hervor. Über den Inhalt der Predigt des Franziskus erfahren wir bei dieser und anderen Gelegenheiten so gut wie überhaupt nichts. Einzige Ausnahme ist die Weihnachtspredigt von Greccio 1223, von der Thomas von Celano in seiner ersten Vita eine Inhaltsangabe gibt.43 Bezeichnend ist die Aussage eines hochgebildeten Arztes: er könne die Predigten anderer wörtlich im Gedächtnis 39 Vgl. außer den in Anm. 38 genannten Stellen vor allem: Leg. Per. 66 (ed.c. 172/174); II Cel 126. 40 »plurimum sitiebat«: so I Cel 73 (Anal. Fr. 10,54); nach 3 Soc 64 dagegen ist es der Kardinal Hugolino, der den widerstrebenden Franziskus dazu auffordert (ed. Desbonnets, 138f.). 41 »dominus Hugo . . . timore et laetitia est repletus, admirans sancti viri fervorem et simplicem intuens puritatem . . . Verum venerabilis dominus episcopus Ostiensis timore suspensus erat, totis visceribus orans ad Dominum, ne beati viri contemneretur simplicitas, quoniam in eum sancti gloria resultabat et dedecus, eo quod erat pater super eius familiam constitutus« (Anal. Fr. 10,54f.). – Den Franziskus entschuldigenden und erklärenden Hugolino hat Giotto auf seinem Fresko innerhalb des Zyklus der Oberkirche S. Francesco in Assisi meisterhaft dargestellt; es ist der unmittelbar rechts neben Honorius III. sitzende Kardinal. 42 »Et quidem cum tanto fervore spiritus loquebatur, quod non se capiens prae laetitia, cum ex ore verbum proferret, pedes quasi saliendo movebat« (I Cel 73). 43 S. darüber u. Kap. VI, bei Anm. 68.

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behalten, dagegen könne er sich bei Franziskus immer nur an wenige Worte erinnern, ohne daß ihm deren ursprünglicher Sinngehalt später noch faßbar wäre.44 Von Predigttexten im engeren Sinne sind lediglich zwei Sätze aus der Vogelpredigt von Bevagna erhalten, in denen Franziskus die Vögel auf ihren besonderen »Adel« unter den Geschöpfen hinweist und sie ermahnt, ihren Schöpfer zu preisen und ihn zu lieben. Das Besondere an dieser wie an vielen anderen Predigten, die Franziskus sowohl an Tiere wie an leblose Kreaturen (wie Feuer, Wasser, Wind, Erde) gehalten hat, war, daß er so zu ihnen sprach, als ob sie Vernunft hätten, mit anderen Worten: er machte zwischen den Menschen und ihnen keinen Unterschied. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß die scheinbar unvernünftigen Geschöpfe aufmerksam zuhörten, wenn von ihrem Erlöser die Rede war.45 Wenn man bedenkt, daß eine solche Haltung und die daraus sich ergebenden Gedanken und Reden von der kirchlichen Orthodoxie aus betrachtet höchst ungewöhnlich und anstößig, wenn nicht gar gefährlich, erscheinen mußten, hat man den Hauptgrund für die Tatsache, daß von dem Wortlaut der Predigten des Franziskus so erstaunlich wenig überliefert ist. Wie Jordan von Giano berichtet, hat Franziskus auf dem berühmten »Strohmatten-Kapitel« (Pfingsten 1221) bei der Porziuncola-Kirche zuerst den versammelten Brüdern, dann dem Volk gepredigt. Als Thema hatte er die Worte des Psalmisten gewählt: »Gepriesen sei der Herr, mein Gott« (Ps 40,14; 71,18; 105,48), »der meine Hände für die Schlacht kundig macht« (Ps 18,35). Dabei habe er die Tugenden gelehrt und die Brüder ermahnt, geduldig zu sein und der Welt ein gutes Beispiel zu geben.46 Man wüßte natürlich gern, wie Franziskus die merkwürdigen Worte des 18. Psalms interpretiert hat. Vermutlich hat er dabei einiges über sich selbst und seine Rolle im Orden und in der Kirche gesagt, denn er hat den Psalmen-Text: »der Gott Israels« in »mein Gott« abgeändert. Dem Chronisten war auch in diesem Fall nur das Erbauliche, nicht das Anstößige in der Predigt des Franziskus der Überlieferung wert. Eines seiner Lieblingsthemen scheint die Rolle der Dämonen innerhalb der Schöpfung gewesen zu sein. Nachdem die Dämonen (der Zwietracht und des Bürgerkriegs!) durch das Gebet des Bruders Silvester aus dem Mauern von Arezzo vertrieben waren, predigte Franziskus den Bürgern der Stadt über die Dämonen als Verursacher des Unfriedens. Von der Predigt zitiert der Biograph 44

II Cel 107 (Anal. Fr. 10,193f.). »Cum esset iam simplex gratia non natura, coepit negligentiae incusare, quod olim non praedicaverit avibus, postquam audirent tanta cum reverentia verbum Dei. Sicque factum est, ut ab illo die cuncta volatilia, cuncta animalia cunctaque reptilia et etiam creaturas quae non sentiunt, ad laudem et amorem Creatoris sollicitus hortaretur, quoniam quotidie, invocato nomine Salvatoris, propria experientia ipsarum obedientiam cognoscebat« (I Cel 58; Anal. Fr. 10,45). 46 Chronica fratris Jordani, 16 (ed. H. Boehmer, 17). 45

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nur den ersten Satz.47 Der Erzdiakon Thomas von Spalato hat während seines Studiums in Bologna als Augenzeuge einer Predigt beigewohnt, die Franziskus am Mariae-Himmelfahrtstag (15. August) des Jahres 1222 auf der Piazza Comunale vor einer riesigen Volksmenge hielt. Das Thema der Predigt war: »Die Engel, die Menschen, die Dämonen.« Auch Thomas sagt nichts weiter über den Inhalt der Predigt, sondern nur über deren Wirkung und Form: viele gelehrte Personen der Universitätsstadt waren beeindruckt von der Klarheit der Rede des »ungebildeten« Franziskus; der Stil war eher der des Gesprächs als der einer Predigt.48 Die zuletzt genannte Eigenschaft wird auch hervorgehoben in dem wohl wichtigsten Zeugnis über den Predigtstil des Franziskus, in der ersten CelanoLegende:49 Obzwar er das Wort Gottes überaus häufig unter vielen Tausenden von Menschen predigte, war er doch so sicher, als ob er mit einem vertrauten Gefährten redete. Die Riesenmasse der Leute sah er gleichsam wie einen einzigen Mann an, und einem einzelnen konnte er wie einer Menge mit großem Engagement predigen. Aus seiner reinen Gesinnung heraus verschaffte er sich die Sicherheit in freier Rede zu sprechen, und ohne lange Vorüberlegungen sprach er zu allen wundersame und unerhörte Dinge.

Obwohl das, was Franziskus sagte, aus einfacher und reiner Gesinnung entsprang, war es doch für die Menge seiner Zuhörer, vor allem wohl für die theologisch gebildeten unter ihnen, unerhört und anstößig. Deshalb ist es nur andeutungsweise überliefert. Franziskus hat die Predigt der Tat und des guten Beispiels derjenigen mit Worten vorgezogen. In dem 16. Kapitel der Regula non bullata, das von denen handelt, »die unter die Sarazenen und die anderen Ungläubigen gehen«, heißt es, daß die betreffenden Brüder sich dort auf zweierlei Art »im Geist« aufhalten können. »Eine Weise ist, daß sie keine Streitereien und Auseinandersetzungen anzetteln, sondern jeglicher menschlichen Kreatur untertan sind um Gottes willen (1 Petr 2,13) und bekennen, daß sie Christen sind.« An zweiter Stelle wird dann die verbale Verkündigung des Wortes und des christlichen Glaubens genannt, »wenn sie sehen, daß dies Gottes Wille ist.«50 Ein Professor 47 »Vobis sicut quondam diabolo subiugatis et vinctis daemonum loquor, quos tamen scio cuiusdam pauperis precibus liberatos« (II Cel 108; Anal. Fr. 10,194); etwas ausführlicher ist die Leg. Per. 108 (ed. Bigaroni, 336). 48 Thomae Spalatensis Historia Pontificum Salonitorum et Spalatensium (MGH SS 29,580). Über das Thema »Engel-Dämonen-Menschen« handelt auch eine Predigt Bernhards von Clairvaux über Ps 90,11: »Quoniam angelis suis mandavit de te, ut custodiant te in omnibus viis tuis« (Sermones in Psalmum »Qui habitat«, in: S. Bernardi Opera IV, rec. J. Leclercq, H. Rochais, Rom 1966, 381–492; ebd. Sermo 11: 448–457); vgl. auch o. Kap. I, bei Anm. 154! 49 I Cel 72 (Anal. Fr. 10,54). 50 Esser, Opuscula, 390. In die Regula bullata wurde diese Anweisung nicht mehr

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der Theologie aus dem Prediger-Orden, mit dem Franziskus in der Nähe von Siena ein langes Gespräch über die Heilige Schrift führte, fragte ihn, wie der Satz des Propheten Ezechiel (3,18) zu verstehen sei: »Wenn du dem Gottlosen seinen bösen Wandel nicht vor Augen gehalten hast, werde ich von dir Rechenschaft über seine Seele fordern.« Ist also der Seelsorger und Prediger unter allen Umständen dazu verpflichtet, das Unrecht in der Welt anzuprangern? Die Auslegung, die Franziskus nach einigem Sträuben und dem Hinweis auf sein Unwissen und seine Inkompetenz gibt, lautet: Wenn man das Wort in seinem umfassenden Sinn verstehen muß, dann fasse ich es so auf, daß der Diener Gottes durch eine heiligmäßige Lebensführung so brennen muß, daß er mit dem Licht seines Beispiels und der Sprache seines Lebenswandels alle Gottlosen tadelt. Auf diese Weise, meine ich, wird der Glanz seines Lebens und der Wohlgeruch seines Rufes allen ihre Gottlosigkeit verkünden.

Der Dominikaner, der von dieser Antwort sehr beeindruckt ist, sagt später zu den Brüdern: Die Theologie dieses Mannes, gehalten von Reinheit und Kontemplation, ist ein Adler im Fluge. Unsere Wissenschaft dagegen kriecht auf dem Bauche über die Erde.51

Das, worauf es ihm ankam, hat Franziskus des öfteren auch in einer wortlosen, dramatisch inszenierten Zeichenhandlung, einer Art »Performance«, demonstriert. Ein gutes Beispiel dafür ist die »Predigt«, die er einmal den Schwestern von San Damiano gehalten hat.52 Während sich der heilige Vater bei San Damiano aufhielt, wurde er mehrmals von seinem Vikar gebeten, seinen Töchtern das Wort Gottes auszulegen. Schließlich gab er dem Drängen nach und war dazu bereit. Als die Frauen wie gewohnt versammelt waren, um das Wort Gottes zu hören, aber auch um den Vater zu sehen, da erhob Franziskus die Augen zum Himmel, wo er beständig das Herz hatte, und begann zu Christus zu beten. Dann gab er Anweisung, man möge ihm Asche bringen. Mit ihr zog er einen Kreis auf dem Fußboden rings um sich herum, und den Rest streute er sich auf den Kopf. Die Frauen warteten, und während sie den heiligen Vater sahen, wie er unbeweglich und schweigend innerhalb des Aschenkreises verharrte, verspürten sie ein wachsendes Erstaunen. Da plötzlich erhob sich der Heilige, und in der allgemeinen Überraschung zitierte er den Psalm »Miserere« anstatt einer Predigt. Und kaum war er damit fertig, da ging er schnell nach draußen.

aufgenommen! Vgl. Reg. bull. c. 12 (ebd. 371); zur »Predigt mit der Tat« vgl. auch Reg. non bull. c. 19 (u. Anm. 55)! 51 II Cel 103 (Anal. Fr. 10,191f.). 52 II Cel 207 (ebd. 249).

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Wissenschaft Ein scheinbar einfältiges Verhältnis hatte Franziskus auch zu den auf Papier- und Pergamentfetzen stehenden Wörtern und Buchstaben. Weil er in ihnen potentielle Bestandteile heiliger Namen und Worte erblickte, ließ er sie sorgfältig sammeln und an würdigen Orten aufbewahren.53 Auch dieses Verhalten kam schon den Zeitgenossen seltsam und verrückt vor, hat aber einen tiefen spirituellen und theologischen Hintergrund: die in der Schöpfung und Materie zerstreuten »Bestandteile« göttlichen Geistes sollen durch die bewahrende Fürsorge und fromme Meditation des Menschen gewissermaßen erlöst und ihrer ursprünglichen Einheit wieder zugeführt werden. Im Bereich der Theologie- und Kulturgeschichte hatte diese Haltung zu den Wörtern und Buchstaben enorme Folgen: der geschriebene Text, die Materie des Wortes Gottes, wurde in neuer Weise ernst genommen. Die kritische Exegese in modernem Sinne wurde dadurch allererst ermöglicht. Bereits ein knappes Jahrhundert nach dem Tode des Franziskus konnte der Orden die exegetische Wissenschaft als seine ureigene Domäne ansehen.54 Franziskus selbst hatte zur Wissenschaft ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits sah er im Studium die große Gefahr des Hochmuts. In dem Kapitel über die Prediger der Regula non bullata werden alle Brüder vor der Weisheit dieser Welt eindringlich gewarnt. Dem Geist des Fleisches, der in ihr am Werk ist, geht es vor allem um Worte, weniger um die Tat. Die Brüder aber sollten vor allem durch ihre Taten predigen.55 Im Grunde hielt Franziskus alle Bücher, selbst die Bibel, für überflüssig.56 Das einzige im Orden vorhandene 53 »Propterea ubicumque scriptum aliquid, sive divinum, sive humanum, in via, in domo, seu in pavimento inveniebat, reverentissime colligebat illud et in sacro vel honesto reponebat loco, ea reverentia quidem, ne ibi esset nomen Domini, vel ad id pertinens scriptum. Enimvero cum a quodam fratre quadam die fuisset interrogatus, ad quid etiam paganorum scripta et ubi non erat nomen Domini, sic studiose colligeret, respondit dicens: ›Fili, quia ibi litterae sunt, ex quibus componitur gloriosissimum Domini Dei nomen. Bonum quoque quod ibi est, non pertinet ad paganos, neque ad aliquos homines, sed ad solum Deum, cuius est omne bonum« (I Cel 82; ed.c. 61); vgl. Testamentum 12 (Esser, Opuscula, 439); Ep. ad Clericos 12 (ebd. 164); Ep. ad Custodes 5 (ebd. 170); Ep. toti Ordini missa 35 (ebd. 262); s. hierzu auch u. Kap. VI, bei Anm. 85–87. 54 S. Feld, Totengräber (o. I. Kap., Anm. 163), 329f.; u. XI. Kap., bei Anm. 143. 55 Regula non bull. c. 17: »Omnes tamen fratres operibus praedicent. . . Omnes ergo fratres caveamus ab omni superbia et vana gloria; et custodiamus nos a sapientia huius mundi et a prudentia carnis (Rom 8,6); spiritus enim carnis vult et studet multum ad verba habenda, sed parum ad operationem« (Esser, Opuscula, 391f.). Vgl. auch II Cel 194: »Dixit aliquando magnum clericum etiam scientiae quodammodo resignare debere, cum veniret ad Ordinem, ut tali expropriatus possessione, nudum se offerret brachiis Crucifixi. ›Multos‹, inquit, ›scientia reddit indociles, rigidum quiddam eorum inflecti non sinens humilibus disciplinis‹« (Anal. Fr. 10,241). 56 II Cel 195 (ebd. 242).

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Neue Testament ließ er einmal der Mutter zweier Minderbrüder geben, damit sie es verkaufen und mit dem Erlös ihre Not lindern könnte; seine Begründung: ein tätiger Liebeserweis sei Gott angenehmer als das Lesen.57 Andererseits konnte nicht auf die theologische Aus- und Weiterbildung der zahlreichen in den Orden eingetretenen Priester und Theologiestudenten verzichtet werden. Franziskus schrieb deshalb an Bruder Antonius, der es als erster unternommen hatte, im Orden einen »professionellen« Theologie-Unterricht zu erteilen: Ich billige es, daß du für die Brüder die heilige Theologie liest, wenn du nur über ihrem Studium den Geist des Gebetes und der Frömmigkeit nicht auslöschst, wie er in der Regel enthalten ist.58

Und in seinem Testament hat er nochmals eingeschärft:59 Allen Theologen, die uns die allerheiligsten Worte Gottes übermitteln, müssen wir Hochachtung und Ehre erweisen als denjenigen, die uns Geist und Leben übermitteln.

Doch der Versuch, die ungleichen Schwestern Sapientia und Simplicitas zusammenzuspannen,60 ist eines der großen Dilemmata des Franziskanertums. Das Ideal der heiligen Einfalt mußte in der geschichtlichen Wirklichkeit an der sich entfaltenden Macht der Wissenschaft scheitern. Demut und Selbstverleugnung Eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Franziskus war seine extreme Demut, gepaart mit Verachtung und Verleugnung seiner selbst, die in ihrer Radikalität die Grenzen der Selbstzerstörung überschritt. Franziskus suchte die Demut in ihrer vollkommensten Form zu praktizieren61 und sie den Brüdern mit Worten, vor allem aber mit seinem Beispiel nahezubringen.62 Die Selbstverachtung äußerte sich vor allem auch in einer schlechten Behandlung des eigenen Körpers. Er tat alles Erdenkliche, um die Gelüste der Sinne und die natürlichen Regungen zu unterdrücken. Um sich die Lust an gekochten Speisen zu verleiden, verdarb er ihren Geschmack, indem er kaltes Wasser hineingoß oder sie mit Asche bestreute.63 Sein Fasten nahm extreme Formen an: er entzog seinem Körper nicht nur die Nahrung über jedes ver57

II Cel 91 (ebd. 184). Ep. ad S. Antonium (Esser, Opuscula, 153); s. hierzu: Dieter Berg, Armut und Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Bettelorden im 13. Jahrhundert, Düsseldorf 1977, 53f. 59 Test. 13 (Esser, Opuscula, 439). 60 Salutatio virtutum 1: s.o. Anm. 32! 61 I Cel 53 (Anal. Fr. 10,40f.). 62 I Cel 41 (ebd. 33); 54 (ebd. 41). 63 S. hierzu und zum folgenden besonders den ganzen Abschnitt I Cel 51–54. 58

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nünftige Maß hinaus, sondern er trank auch nicht genügend Wasser: eine Form der Selbstquälerei, auf die unseres Wissens bis dahin noch keiner der bekannten Mönchs-Asketen verfallen war und die, unter den klimatischen Bedingungen eines mediterranen Sommers, absolut selbstmörderisch sein mußte. Franziskus war sich sehr wohl bewußt, daß er eine Art langsamen Selbstmords beging, empfand aber derartige Erwägungen dann doch als Einflüsterung und Versuchung des Teufels.64 Gegen Ende seines Lebens gab es kein gesundes Glied und Organ mehr an ihm; er war zu einem Gerippe abgemagert, an dem die Haut zu kleben schien; Ärzte und Brüder wunderten sich, daß er überhaupt noch am Leben war.65 Als es längst zu spät war und der Tod unmittelbar bevorstand, bat er seinen geschundenen »Bruder Körper« um Verzeihung.66 Dem zunehmenden Ansehen, der Bewunderung und dem Lob seiner Zeitgenossen suchte Franziskus entgegenzuwirken. Er beauftragte einen Bruder damit, ihm statt dessen die »Wahrheit« zu sagen und ihn zu beschimpfen. Als der andere ihn einen Rüpel, Lohnknecht und Taugenichts nannte, da freute er sich und sagte: »Der Herr segne dich, weil du die reine Wahrheit sagst. So etwas zu hören, steht dem Sohn Pietro di Bernardones wohl an.«67 Daß Franziskus sich seines Vaters erinnert, wenn er sich besonders verächtlich machen will, ist einer der Züge in seiner Biographie, die sich gegenüber einer eilfertigen Integration in eine modern sein wollende Religiosität sperrig verhalten. Von seinen Anhängern und sich selbst verlangte Franziskus einen Verzicht auf die Verwirklichung des eigenen Willens durch einen Gehorsam, wie er in dieser Radikalität in den älteren Orden niemals verlangt worden war. Die »Drei-Gefährten-Legende« beschreibt den in der Bruderschaft der ersten Jahre praktizierten Gehorsam folgendermaßen:68 Sie waren in solchem Maße in Demut und Liebe gegründet und verwurzelt, daß einer den anderen gewissermaßen als Vater und Herrn respektierte, und diejenigen, die herausragten, weil sie das Amt eines Oberen bekleideten oder eine besondere Gnadengabe besaßen, noch demütiger und schäbiger als die übrigen zu sein schienen. Alle boten sich total zum Gehorsam an, indem sie sich sogleich auf den Willen des anord64 Bei einer Versuchung im Eremo von Sarteano sagt der Teufel zu ihm: »Nullus est in mundo peccator, cui, si conversus fuerit, non indulgeat Dominus; sed quicumque semetipsum poenitentia dura necaverit, in perpetuum misericordiam non inveniet« (II Cel 116; ed.c. 199). 65 I Cel 107 (ed.c. 83). 66 »Propter quod, die mortis eius instante, confessus est se multum peccasse in fratrem corpus« (3 Soc 14; ed. Desbonnets, 100); s. auch II Cel 210f. (Anal. Fr. 10,251f.). 67 I Cel 53 (ed.c. 41). 68 3 Soc 42 (ed. Desbonnets, 121f.).

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nenden Oberen einstellten. Sie machten keinen Unterschied zwischen gerechter und ungerechter Vorschrift, weil sie der Meinung waren, daß alles, was angeordnet wurde, dem Willen des Herrn entspreche. Und deshalb war die Erfüllung der Vorschriften ihnen leicht und angenehm.

Dieser völlig unkritische Gehorsam, der nicht einmal beurteilt, ob das Gebotene sittlich gerechtfertigt ist oder nicht, weil er in dem anordnenden Oberen den Stellvertreter Christi oder Gottes sieht, wird auch als Kadaver-Gehorsam bezeichnet. Franziskus selbst hat den dermaßen Gehorsamen unter dem Bilde der Leiche, des Kadavers, beschrieben: Als der heilige Franziskus zu einer anderen Zeit einmal mit seinen Gefährten zusammensaß, da sagte er seufzend: »Es gibt auf der ganzen Welt kaum einen Ordensmann, der seinem Oberen in vollkommener Weise gehorcht.« Da sagten die Gefährten bewegt: »Vater, sage du uns, welches der vollkommene und höchste Gehorsam ist.« Und er antwortete, indem er den Gehorsamen unter dem Bild eines Leichnams beschrieb: »Nimm einen leblosen Körper und lege ihn dahin, wo du willst. Du wirst sehen: er widerstrebt nicht, wenn er bewegt wird; er murrt nicht, wenn er abgelegt wird; er beschwert sich nicht, wenn man ihn liegen läßt. Wenn er auf einen Stuhl (cathedra) gesetzt wird, dann wird er nicht das Hohe, sondern das Niedrige ansehen; kleidet man ihn in Purpur, wird er doppelt blaß. Das«, sagte er, »ist der wirkliche Gehorsam: er urteilt nicht kritisch, warum er bewegt wird; er kümmert sich nicht darum, wohin man ihn stellt; er besteht nicht darauf, daß man seine Lage ändert. Wird er zu einem Amt erhoben, behält er die gewohnte Demut. Je mehr er geehrt wird, desto mehr hält er sich für unwürdig.«69

Dieses Gehorsamsideal geht weit über das hinaus, was bis dahin in der Christenheit üblich war – auch in den älteren Mönchsorden. Wenn in den Augen des Franziskus kaum ein Ordensmann wirklich gehorsam ist, so liegt das auch daran, daß ein radikaler Gehorsam in seinem Sinne weder in der Regula Benedicti noch einer anderen Ordensregel verlangt und schon gar nicht praktiziert wurde. Erst Ignatius von Loyola, der auch sonst viel franziskanisches Gedankengut in seiner Gesetzgebung und seiner Spiritualität übernommen hat, verlangt von den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu einen an dem Verhalten eines Krückstocks in der Hand eines alten Mannes oder dem eines Leichnams orientierten Gehorsam.70 Franziskus war bemüht, innerhalb seines Ordens den höchstmöglichen Grad an Gehorsam zu verwirklichen. Nachdem er auf die Leitung verzichtet hatte, verpflichtete er sich nicht nur seinem Nachfolger (Petrus Catanii, später 69

II Cel 152 (Anal. Fr. 10,218); Spec. perf. 48. Vgl. auch die Admonitiones II (»Vom Übel des eigenen Willens«) und III (»Über den vollkommenen Gehorsam«): Esser, Opuscula, 107f. 70 Ignatius: Die Satzungen der Gesellschaft Jesu, aus dem Spanischen übersetzt und eingeleitet von Mario Schoenenberger und Robert Stalder, in: H.U. von Balthasar, Die großen Ordensregeln, Einsiedeln 31974, 355. 375f.

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Elias von Cortona) gegenüber zu striktem Gehorsam, sondern er bat ihn auch, ihm einen der Brüder als unmittelbaren Vorgesetzten (Guardian) zu geben, damit er beständig, »im Leben und im Tod«, gehorsam sein könnte.71 Der Untergebene müsse seinen Oberen nicht als Mensch, sondern als Gott selbst ansehen.72 Obwohl Franziskus sicher war, daß Gott ihm ein Höchstmaß an Autorität, ja die höchste denkbare Autorität eines Prälaten überhaupt, verliehen hatte, wollte er doch gewissermaßen der Minor unter den Minores, der geringste unter allen geringeren Brüdern sein.73 In der tiefsten Erniedrigung, Mißachtung und Beschämumg erblickte er den Grund zu wahrer und vollkommener Freude. Diese Erniedrigung erreicht ihre extrem denkbare Form, wenn sie durch den eigenen Orden geschieht. Eine solche Situation hat Franziskus bereits zu einer Zeit ausgemalt, als er noch amtierender Generalminister des Ordens war: Die Brüder kommen und laden ihn mit großer Ehrfurcht zu dem bevorstehenden Ordenskapitel ein; dort predigt er, ebenfalls auf ihre Bitte hin, das Wort Gottes, »so wie es ihn der Heilige Geist gelehrt hat«; nach der Predigt lehnen sie es ab, weiterhin einen so einfältigen und verächtlichen Prälaten über sich zu haben, und sie jagen ihn mit Schimpf und Schande davon. Als wahrer Minderbruder muß er in diesem Verhalten einen Grund zur Freude sehen, denn es ist seinem Seelenheil zuträglicher, als wenn sie ihn liebten und ehrten.74 Noch eindrucksvoller hat Franziskus die extreme Selbstverleugnung als die dem wahren Minderbruder gemäße Haltung illustriert in der berühmten Erzählung »Von der wahren und vollkommenen Freude«, die er einmal dem Bruder Leo bei der Portiuncula in die Feder diktierte.75 Danach besteht die wahre Freude nicht darin, daß alle Pariser Professoren in den Orden eintreten wollen, oder alle deutschen Erzbischöfe und Bischöfe und die Könige von Frankreich und England die gleiche Absicht hätten; auch nicht darin, daß die Ungläubigen alle von den Brüdern zum Glauben bekehrt würden; auch nicht in der Verleihung außerordentlicher Wunderkräfte an Franziskus selbst. »Sondern was ist die wahre Freude? Ich komme von Perugia, und in tiefer Nacht komme ich hier an, und es ist Winterzeit, schlammig und so kalt, daß sich 71 S. bes. Test. 27f.: »Et firmiter volo obedire ministro generali huius fraternitatis et alio guardiano, quem sibi placuerit mihi dare. Et ita volo esse captus in manibus suis, ut non possim ire vel facere ultra obedientiam et voluntatem suam, quia dominus meus est« (Esser, Opuscula, 442); vgl. Leg. Per. 11; 3 Soc 57; II Cel 151. 72 »Quoniam subditus prelatum suum non hominem, sed Deum considerare debet, pro cuius amore sibi subditus est« (Leg. Per. 11; ed. Bigaroni, 30). 73 »Non est aliquis prelatus in toto mundo, qui tantum timeatur a subditis et fratribus suis, quantum Dominus faceret me timeri a fratribus meis, si vellem; set hanc gratiam contulit michi ipse Altissimus, quod volo esse contentus omnibus, sicut qui minor est in religione« (ebd.). 74 Leg. Per. 109 (ed.c. 340/342); II Cel 145. 75 »De vera et perfecta laetitia«: Esser, Opuscula, 461.

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Klunker eiskalten, gefrorenen Wassers am Saum der Kutte bilden und beständig auf die Beine schlagen, daß sie wund werden und das Blut aus den Wunden fließt. Und ganz verdreckt und verkühlt und vereist komme ich an die Klosterpforte, und nach langem Klopfen und Rufen kommt ein Bruder«, der ihn unter groben Beschimpfungen davonjagt und schließlich an das in der Nähe liegende Hospital der Kreuzträger verweist: »Ich sage dir, wenn ich in dieser Situation Geduld habe und mich überhaupt nicht aufrege: daß darin die wahre Freude und die wahre Tugend und das Seelenheil besteht.«76 Was für die anderen franziskanischen Lebensideale gilt, trifft auch für Demut und Selbstverleugnung zu: gerade wegen ihrer ins äußerste Extrem gesteigerten Radikalität sind sie keineswegs eindeutig. Sie enthalten vielmehr ein doppeltes Paradox: Wenn Franziskus, der demütigste unter allen Prälaten, ein nutzloser Vorgesetzter ist, der davongejagt wird, dann ist damit eine Infragestellung der hierarchischen Struktur des Ordenswesens und der gesamten Kirche angedeutet. Auch mit den Ausdrücken »Cathedra« und »Purpur«77 wird ja auf hohe kirchliche Funktionen hingewiesen: sie werden ausgehöhlt, wenn der wahrhaft Demütige und Gehorsame, der sie innehat, von seiner Autorität keinen Gebrauch macht. Die franziskanische Demut hat somit, genau wie die Armut, einen subversiven Charakter. Und das zweite Paradox: Die tiefste Erniedrigung des Frater Minor ist zugleich dessen höchste Erhöhung in den Augen Gottes. Der demütigste von allen, Franziskus, steht Gott am nächsten: er ist sich sicher, in seiner Predigt vom Heiligen Geist inspirierte, authentische Gottesoffenbarung zu verkünden. Das Testament mit seinen Formulierungen: »Der Herr gab und gibt mir«, »der Allerhöchste selbst offenbarte mir« o.ä. dokumentiert eindrucksvoll dieses mit der tiefsten Selbsterniedrigung gepaarte Erwählungs- und Selbstbewußtsein. Besonders die Schlußsätze des Testaments mit dem Gehorsamsgebot, dem Segen und der damit verbundenen eschatologischen Verheißung des »ganz kleinen Dieners« Franziskus, der damals kein kirchliches Amt und keinerlei kanonische Befugnisse und Vollmachten mehr besaß, wollen in ihrer Aussagekraft und tiefen inneren Spannung Wort für Wort bedacht sein.78

76 In der bekannteren, dramatischen Version, die die Erzählung im 8. Kapitel der Fioretti angenommen hat, kommt der Pförtner von Portiuncula bei der dritten Bitte um Einlaß, packt Franziskus und seinen Gefährten bei den Kapuzen und wirft sie in den Schnee; darauf bearbeitet er sie mit einem Knüppel (ed. Cambell, 158–165; FF 1836). 77 S.o. bei Anm. 69. 78 Esser, Opuscula, 443f.; Übersetzung des Textes s.u. Kap. VII, bei Anm. 120.

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Friedfertigkeit Die Botschaft, die Franziskus und seine ersten Gefährten verkündeten, war, neben dem Aufruf zur Buße und Umkehr, vor allem eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung. Wie Franziskus in seinem Testament schreibt, hatte der Herr selbst ihm offenbart, daß sie den Gruß: »Der Herr gebe dir Frieden« gebrauchen sollten.79 Franziskus grüßte mit diesen Worten die Menschen, später aber auch die Tiere und die leblosen Geschöpfe.80 Wie die ältesten Lebensbeschreibungen bezeugen, hatte dieser Gruß eine friedensstiftende Wirkung.81 In den beiden erhaltenen Ordensregeln wird den Brüdern, wenn sie ein Haus betreten, im Anschluß an Lk 10,5 (Mt 10,12 var.), der Gruß: »Pax huic domui« zur Pflicht gemacht.82 Dieser Spruch ist auch auf einem entrollten Pergamentblatt zu lesen, das Franziskus auf dem ältesten erhaltenen Fresko, das ihn darstellt, in der linken Hand hält: dem »sprechenden Bild« in der Cappella di S. Gregorio der Heiligen Höhle von Subiaco.83 Franziskus wirkte nicht nur friedensstiftend in den gestörten Verhältnissen einzelner Menschen, sondern die franziskanische Botschaft brachte den Geist der Versöhnung auch in größere soziale Einheiten: die Familienverbände, Städte und Landschaften. Nach dem Zeugnis des Thomas von Spalato hatte die Predigt des Franziskus auf der Piazza von Bologna im Sommer 1222 die Beendigung alter Feindschaften unter den Parteien der Stadt und die Begründung neuer Friedensabkommen zur Folge.84 Zusammen mit dem Bruder Silvester vertrieb er die Dämonen der Zwietracht aus der Stadt Arezzo, und die Bürger kehrten zurück zur Achtung vor dem Recht und zu friedlichem Verhalten.85 Zwar ist »Frieden« auch eines der großen Worte des benediktinischen Mönchtums.86 Doch hat keiner der alten Orden eine Friedensbewegung in vergleichbarem Maße innerhalb der gesamten Christenheit ausgelöst, wie es das Franziskanertum tat. Die innere Motivation oder, wenn man will, auch die »theologische« Grundlage der Friedensliebe des Franziskus wird deutlich und in komprimierten Sätzen in der Drei-Gefährten-Legende angegeben. Danach wurzeln sein Friedensverständnis und seine Friedenspraxis letztlich in seiner Auffassung von Schöpfung und Erlösung. Er ermahnte die Brüder, keinen Menschen zu

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Test. 23 (ed.c. 440); s.o. Kap. IV, Anm. 6. Z.B. vor der berühmten Vogelpredigt: I Cel 58 (Anal. Fr. 10,45). 81 3 Soc 26 (ed. Desbonnets, 110); I Cel 23 (ed.c. 20). 82 Regula non bullata, c. 14; Regula bullata, c. 3,14 (Esser, Opuscula, 389. 368). 83 Zu diesem porträtähnlichen Fresko s.u. Kap. VII, bei Anm. 4–9. 84 MGH SS 29,580; s.o. bei Anm. 48. 85 II Cel 108 (Anal. Fr. 10,194); vgl. o. Anm. 47. 86 Vgl. etwa Regula Benedicti, Prolog 17; 4,63.73; 34,5 (ed. R. Hanslik, CSEL 75, Wien 1960, 4. 33f. 92). 80

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beurteilen und diejenigen nicht zu verachten, die in Luxus leben und sich aufwendig kleiden. Gott sei nämlich unser und ihr Herr; er könne sie zu sich rufen und sie dann rechtfertigen. Er wollte auch, daß die Brüder diese Leute als ihre Brüder und Herren verehrten: Brüder seien sie nämlich, insofern sie von ein und demselben Schöpfer geschaffen seien; Herren seien sie, insofern sie den Guten behilflich seien zum Buße tun, indem sie ihnen das für den Unterhalt Notwendige zur Verfügung stellten. (Franziskus war sich also bewußt, daß eine Bußbewegung wie die seine nur durch das »normale« Leben vieler anderer erst ermöglicht wurde). Das Leben der Brüder unter den Leuten sollte so sein, daß, wer immer sie hörte oder sah, durch sie zum Lob des himmlischen Vaters angeregt würde. Wie Franziskus selbst, so sollten auch die Gefährten vor allem durch ihre Taten, ihr beispielhaftes Leben die Menschen zur Verherrlichung Gottes hinführen. Deshalb sagte er zu ihnen: Wie ihr den Frieden mit dem Mund ankündigt, so sollt ihr ihn in euren Herzen und darüber hinaus haben. Niemand soll durch euch zum Zorn oder Ärgernis provoziert werden, vielmehr sollen alle durch eure Sanftmut zum Frieden, zur Güte und Eintracht angeregt werden. Denn wir sind dazu berufen, die Verwundeten zu heilen, denen mit gebrochenen Knochen einen Verband anzulegen und die Irrläufer zurückzurufen. Denn viele scheinen uns Glieder des Teufels zu sein, die später einmal Jünger Christi sein werden.87

Wie Franziskus das Geschwistersein mit den Tieren und unbelebten Kreaturen von dem gemeinsamen Schöpfer herleitet, so sind die »Weltleute« als Brüder anzusehen, weil Gott auch sie geschaffen hat und ihnen überdies in der christlichen Gesellschaft ihren sinnvollen Platz angewiesen hat. Die Energie des Bösen soll durch das friedensstiftende Wirken der Brüder gewissermaßen ins Leere laufen. In dem heute noch Bösen erblickt der, der den Frieden im Herzen hat, denjenigen, den Christus – vielleicht morgen schon – erlösen und zu seinem Jünger machen wird. Was Frieden und Versöhnung im franziskanischen Sinne in einer kranken und zerstörten Gesellschaft bedeuten, hat ein Jahrhundert nach Franziskus noch einmal in meisterhafter Weise die wunderbare Erzählung von dem Wolf von Gubbio zur Sprache gebracht.88 Die dort berichteten Ereignisse haben mit dem Leben des »historischen« Franziskus so gut wie überhaupt nichts zu tun, sind also reine Legende.89 Der Wolf, in dem ein von der Gesellschaft verstoßener und geächteter Gesetzesbrecher, ein »Outlaw« zu sehen ist, wird durch das wunderbare, friedensstiftende Wirken des Franziskus mit der Bevölkerung 87

3 Soc 58 (ed. Desbonnets, 132). Fioretti, c. 21 (ed. Cambell, 284–295; FF 1852); s. dazu: Feld, Beseelte Natur (o. Anm. 24), 73–87. 89 Ein möglicher historischer Kern dieser Erzählung ist vielleicht in dem Bericht über die Vertreibung der Wölfe von Greccio durch Franziskus (II Cel 35f.) enthalten. 88

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der Stadt Gubbio versöhnt und als »friedlicher Bürger« in das städtische Leben integriert. Für seine schweren Verbrechen in der Vergangenheit wird er nicht, wie er es eigentlich verdient hätte, mit dem Tode bestraft, sondern er erlangt Vergebung und Gnade. Denn die Ursache alles Bösen, das er Menschen und Tieren angetan hat, war der Hunger, d.h. die Verweigerung des Lebensnotwendigen vonseiten der städtischen Gesellschaft, aus welchem Grunde auch immer. Im Verlauf der Vorbereitungen des Friedensvertrages, der zwischen der Stadt und dem Wolf geschlossen wird, legt Franziskus denn auch die »Sünden« der Gesellschaft offen: Plagen wie Wölfe und Epidemien sind von Gott zugelassene Strafen, die indes ungleich geringer sind als die den nicht mit Gott Versöhnten drohende Verdammnis. Die Erzählung »Von dem hochheiligen Wunder, das Sankt Franziskus wirkte, als er den wilden Wolf von Gubbio bekehrte« ist, besonders an ihrem Ende, getragen von einer wehmütigen Stimmung und dem Bewußtsein, daß eine Friedensstiftung und Versöhnung dieser Art, die auf die Bestrafung des Schwerverbrechers und Terroristen verzichtet, eben nur möglich war, als der große Heilige noch auf Erden wandelte. Keuschheit Giottos Fresko in einem der vier Kuppelsegmente über dem Grab des Franziskus in der Unterkirche S. Francesco in Assisi stellt die Tugend der heiligen Keuschheit (S. Castitas) dar, wie sie, innerhalb einer festen Burg, umstellt von geißelschwingenden bärtigen, alten Männern, hoch oben in einem Turmgemach eingeschlossen und wie eine Nonne verschleiert, die himmlischen Tröstungen seliger Engel empfängt. Darunter, auf der linken Seite, sieht man Franziskus, wie er (drei!) Weltleute unter ihre Gefolgschaft aufnimmt, während rechts im Bild die Buße (Penitentia) die weltliche Liebe (Amor) samt ihrer Laute in die Arme eines schon auf sie wartenden Teufels treibt.90 Das Virginitätsideal, d.h. der Verzicht auf sexuelle Betätigung jeglicher Art, gehörte seit den Zeiten der Alten Kirche zu den tragenden Säulen des mönchischen Lebens. Wie nicht anders zu erwarten, erfährt es bei Franziskus selbst und im frühen Franziskanertum eine Steigerung und Radikalisierung. Die Auffassung von Keuscheit hängt, im franziskanischen wie in anderen religiösen Kontexten, aufs engste zusammen mit dem Bild der Frau, das die Autoren haben. Die Regula non bullata warnt die Brüder:91 Alle Brüder, wo immer sie sind oder gehen, sollen sich in acht nehmen vor dem bösen Blick und dem Besuch der Frauen. Und keiner soll sich mit ihnen unterhalten oder auf dem Weg allein mit einer Frau gehen oder mit ihr bei Tisch aus einer Schüssel essen. 90 S. die Beschreibung des Freskos bei Ruf, Grab (o. Kap. IV, Anm. 157), 145f.; Abbildung ebd. Tafel 53. 91 Regula non bull. c. 12 (Esser, Opuscula, 388).

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V. Kapitel

Mit dem »bösen Blick« ist hier das begehrliche Anschauen einer Frau gemeint. Die Gesellschaft einer Frau, vor allem aber eine gemeinsame Mahlzeit mit ihr, ist den Mitgliedern des Ordens streng untersagt. In der gleichen Regel wird der sexuelle Kontakt mit einer Frau durch den Verlust des Ordenskleides und den definitiven Hinauswurf aus der Bruderschaft sanktioniert:92 Wenn einer von den Brüdern auf Anstiften des Teufels huren sollte, dann soll ihm das Ordenskleid ausgezogen werden, dessen Verlust er sich aufgrund seiner schändlichen Bosheit zugezogen hat, und er soll es gänzlich ablegen; dann soll er aus unserem Orden unter allen Umständen ausgestoßen werden. Danach soll er für seine Sünden Buße tun.

Die endgültige Ordensregel von 1223 bringt hier – wohl aufgrund der Erfahrungen, die man mit einem allzu hoch gespannten Keuschheitsideal gemacht hatte – eine Milderung: zwar verbietet auch sie noch vertrauten Umgang mit Frauen, der Verdacht erregen könnte (suspecta consortia vel consilia mulierum), und das Betreten von Frauenklöstern,93 doch ist es im Falle einer schweren Sünde möglich, durch den zuständigen Provinzialminister Verzeihung und Absolution zu erhalten und sich der auferlegten Buße innerhalb des Ordens zu unterziehen.94 Die Keuschheit und speziell der begehrliche Blick auf Frauen ist Gegenstand eines der großen Gleichnisse des Franziskus, des Gleichnisses von den zwei Königsboten. Die zweite Celano-Legende, die Legenda Perusina und das Speculum perfectionis lassen durchblicken, daß er es seinen Anhängern öfters erzählte.95 Ein mächtiger König schickt nacheinander zwei Boten zu einer Königin. Der erste kehrt zurück und berichtet einfach die Antwort der Königin auf die von ihm überbrachte Botschaft. Der zweite dagegen ergeht sich in Lobsprüchen über die Schönheit der Königin. Da sagt der König zu ihm: »Du nichtswürdiger Knecht! Du hast auf meine Braut deine schamlosen Augen geworfen? Natürlich willst du erwerben, was du so genau in Augenschein genommen hast!« Darauf läßt der König, um die Gegenprobe zu machen, nochmals den ersten Boten kommen. Über die Schönheit der Königin befragt, gibt der zur Antwort, es sei Angelegenheit des Königs, danach zu sehen; seine eigene Aufgabe sei es gewesen, die Antwort der Königin zu überbringen. Diesem Diener, der keusch mit den Augen war, traut der König zu, eine Aufgabe im Inneren des Palastes zu übernehmen, bei der Keuschheit des Körpers erforderlich ist. Bei dem zweiten Boten aber befürchtet er eine Verletzung seiner Ehe und jagt ihn hinaus.

92

Ebd. c. 13 (ed.c. 389). Regula bullata c. 11 (ebd. 370). 94 Ebd. c. 7 (ed.c. 369). 95 II Cel 113 (Anal. Fr. 10,197); Leg. Per. 37 (ed. Bigaroni, 82); Spec. perf. 86 (FF 1783). 93

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Kann man aus diesem Gleichnis schließen, daß Franziskus in jeder Frau eine potentielle Braut des Königs Jesus Christus gesehen hat? Eine fromme Frau von Bevagna und ihre gottgeweihte Tochter stärkten einmal den von übermäßigem Fasten Erschöpften mit Brot und Wein.96 Franziskus predigte anschließend den beiden Frauen, ohne sie dabei anzusehen. Der mitreisende Gefährte hatte dafür zunächst kein Verständnis und fragte Franziskus, weshalb er die heilige Jungfrau nicht angesehen habe, die mit so großer Verehrung zu ihm gekommen war. Der Heilige antwortet: »Wer müßte nicht Furcht haben, die Braut Christi anzusehen?« Zwar geht es hier tatsächlich um eine Gottgeweihte. Doch hat Franziskus es generell vermieden, Frauen offen anzusehen. Einem Gefährten gesteht er einmal, er kenne überhaupt nur zwei Frauen von Angesicht (es handelt sich dabei vermutlich um Klara von Assisi und Jacopa dei Settesoli).97 Dieses seltsam gehemmte Verhalten gegenüber Frauen trägt ausgesprochen neurotische Züge, und zwar nicht nur aus neuzeitlicher Perspektive: in der eben geschilderten Situation empfindet es ja auch der anwesende Gefährte als unnormal. Um zu einer seiner größten Verehrerinnen und engsten Freundinnen, der schon erwähnten adeligen römischen Dame Jacopa dei Settesoli, ein einigermaßen unbefangenes Verhältnis herzustellen, machte er sie zum »Bruder« Jacopa.98 Mit eine Ursache für sein überaus ängstliches Verhältnis zu Frauen, das er auch seinen Anhängern zu vermitteln suchte, war sicher seine starke Sexualität. Noch in seinen späteren Lebensjahren, als sein Körper durch Fasten und vielerlei Krankheiten geschwächt war, hat er in naiven, offenen Worten auf seine sexuelle Potenz hingewiesen: »Ich könnte noch Söhne und Töchter haben!« Er sagte dies oft, und zwar dann, wenn er von anderen wegen seiner Heiligkeit gerühmt wurde, um auf die Gefährdung hinzuweisen, die seinem ihm von Gott nur geliehenen »Schatz« drohte.99 Er hat sich deshalb bemüht, die natürlichen Regungen seines Körpers mit rigorosen, oftmals barbarischen Mitteln zu unterdrücken. Er traktierte »Bruder Esel« zuweilen mit Dornengestrüpp und Eisklumpen.100 So wie er sich die Lust an geschmackvollen Speisen durch Hinzufügen der keuschen »Schwester Wasser« zu verderben suchte,101 so vergällte er seinem Körper auch die Lust auf sexuelle Betätigung durch teils subtile, teils drastische Methoden der Selbstquälerei. 96

II Cel 114 (ed.c. 198). Diese Stelle enthält den positiven Hinweis darauf, daß Franziskus auch Wein trank. 97 II Cel 112 (ed.c. 197); FF S. 644, Anm. 125. 98 III Cel 37; vgl. aber Leg. Per. 8 (ed. Bigaroni, 14–20), wo Franziskus Jacopa als »domina«, nicht als »frater« bezeichnet. 99 Leg. Per. 10 (ed.c. 26); II Cel 133. 100 I Cel 40–42; II Cel 116; s.o. Kap. IV, bei Anm. 168–170. 101 3 Soc 15 (ed. Desbonnets, 101); I Cel 51; vgl. auch das Zeugnis des Bruders Bonaparte (FF 2688).

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V. Kapitel

Daß das Resultat von alldem ein vielfältiges psycho-somatisches Krankheitsbild bei dem Heiligen war, ist nicht verwunderlich und kann nicht mit dem Hinweis auf »mittelalterliche« Verhältnisse verharmlost werden. Es scheint fraglich, ob der katharische Hintergrund zur Erklärung des franziskanischen Verständnisses von Keuschheit sehr viel beiträgt. Bekanntlich war die Elite der Katharer, die Perfecti, zu strenger sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet, unter anderem um die Zeitdauer des Reiches des Bösen nicht in die Länge zu ziehen. Im Coitus aller Lebewesen war nach katharischer Auffassung der böse Geist am Werk. Franziskus dagegen, der von der fundamentalen Güte der Schöpfung überzeugt war, weil sie das Wesen ihres guten Schöpfers widerspiegelte, hat weder die Vermehrung der Tiere noch die der Menschen als etwas an sich Böses angesehen.102 Doch für denjenigen, der aus der Welt hinausgegangen ist, ist die Sexualität insofern böse, als sie der Dämon benutzt, um ihn vom Wege der Heiligkeit abzubringen. Für Franziskus war die Welt ein Schlachtfeld, auf dem die guten und bösen Geister ihren Kampf um die Seelen austrugen. Er hatte deshalb eine große Verehrung für die Engel, und insbesondere für Sankt Michael, den Geleiter der Seelen vor Gott.103 In der besonderen Rolle, die sowohl Dämonen wie Engel im Weltverständnis und im konkreten Leben des Franziskus hatten, wird doch die Nähe zu katharischen Vorstellungen und die Auseinandersetzung mit ihnen greifbar.

102 Vgl. etwa II Cel 47 (die Rotkehlchen-Familie); Fioretti, c. 22 (über die Zähmung der Wildtauben); 3 Soc 50; II Cel 16 (Gleichnis von der Frau in der Wüste). 103 II Cel 165. 197.

VI. KAPITEL

W E LT E R L Ö S U N G 1. Franziskus und die Natur Die Nähe zu dem Weltbild der Katharer und zugleich dessen radikale Ablehnung zeigt sich bei Franziskus immer da, wo es um die Erlösung der Welt geht. Die Naturerscheinungen – Tiere, Pflanzen, Feuer, Wasser, Wind, Erde – sind in seinem Verständnis gute Geschöpfe eines guten Schöpfers; doch sind sie, wie die Menschen, der Erlösung bedürftig. Als empfindende, verständige, beseelte Kreaturen sind sie offen für das Wort der Predigt des Franziskus, und sie sind Gegenstand seines Mitleides und Mitleidens (pietas, compassio). Das franziskanische Verständnis von »Bekehrung« und »Erlösung« ist universal: es bezieht sich nicht nur auf die Menschheit, sondern es umfaßt die ganze Welt. Das Gebet, das die ersten Minderbrüder bei Wegkreuzen und in Kirchen sprachen: »Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, hier und bei allen deinen Kirchen, die auf der ganzen Welt sind, und wir preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst«,1 ist deshalb in wörtlichem und radikalem Sinne zu verstehen. Das Verhältnis des Franziskus zur Natur, das sich etwa im Reden mit den Tieren, der Vogelpredigt zeigt, hat überhaupt nichts mit »Begeisterung«, »Schwärmerei«, »Überschwenglichkeit« in romantischem oder modernem Verständnis zu tun. Reden mit Tieren Franziskus ist nicht der erste Christenmensch, von dem erzählt wird, daß er mit Tieren umging, als ob es sich um verständige, beseelte Wesen handelte. In den legendarischen Viten der ersten Einsiedler, die sich in Wüsten und unbewohnte Gegenden zurückzogen und in engem Kontakt mit der Natur lebten, wird Ähnliches berichtet. Einer der ersten Wüstenväter, der heilige Antonius (251–356), war, wie sein Biograph Athanasius zu berichten weiß, bemüht, mit den Tieren der Wüste in Frieden zu leben.2 Als die zum Wasser 1 Test. 4f. (Esser, Opuscula, 438); 3 Soc 37 (ed. Desbonnets, 117); s.o. Kap. IV, bei Anm. 103–105. 2 Athanasius, Vita S. Antonii (MPG 26,918): αÆ σα λευτον εÍ χων καιÁ αÆ κυ μαντον τοÁ ν

νουÄ ν· ωÏ στε μαÄ λλον τουÁ ς δαι μονας ϕευ γειν, καιÁ ταÁ θηρι α ταÁ αÍ γρια, ωë ς γε γραπται, ειÆ ρηνευ ειν προÁ ς αυÆ το ν.

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VI. Kapitel

kommenden Tiere seinen dort angelegten Garten ruinierten, redete er sie an: »Warum fügt ihr mir Schaden zu, der ich keinem von euch etwas zuleide tue? Gehet weg, und im Namen des Herrn naht euch nicht mehr diesem Ort!« Die Schilderung der Landschaft, in der der Eremit lebt, und »die wie zu einem Franziskus passende Rede an die Tiere« folgen, wie Reinhard Staats feststellt, »einem Schema, das im altkirchlichen Mönchtum öfters begegnet.«3 Hieronymus erzählt in seiner Lebensbeschreibung des heiligen Paulus, des ersten namentlich bekannten Eremiten der ägyptischen Wüste, wie der heilige Antonius, selbst schon über 90 Jahre alt, den 113jährigen Paulus in der Wüste sucht. An der Grenze menschlicher Zivilisation angelangt, begegnet Antonius zunächst einem Kentauren, der ihm den Weg zeigt. Dann trifft er einen weiteren Halbmenschen, einen Satyr, mit den körperlichen Merkmalen eines Menschen und eines Ziegenbocks, der ihm Datteln »gewissermaßen als Unterpfand des Friedens« (quasi pacis obsides) anbietet. Dann stellt er sich dem Antonius vor: »Ich bin ein Sterblicher, einer von den Anwohnern der Wüste, die die Heiden in ihrem Irrglauben als ›Faune‹, ›Satyrn‹ und ›Incubi‹ verehren. Ich bin hier als Abgesandter meiner Herde. Wir bitten darum, daß du für uns den gemeinsamen Herrn anrufst, von dem wir wissen, daß er einstmals zum Heil der Welt gekommen ist; und sein Schall hat sich über die ganze Erde verbreitet« (Ps 18,5; Röm 10,18).4 Über diese Worte des Halbmenschen vergoß der uralte Wüstenpilger Tränen der Freude, weil er in ihnen die Anzeichen für den sich ausbreitenden Ruhm Christi und den Untergang des Satans erkannte. Und indem er seinen Stab auf den Boden stieß, sagte er: »Wehe dir, Alexandria, das du anstatt Gottes Ungeheuer verehrst! Wehe dir, Hurenstadt, in der die Dämonen der ganzen Welt zusammengekommen sind! Was sagst du nun? Die Tiere sprechen von Christus, und du verehrst Ungeheuer anstatt Gottes!«5 Man sieht, daß die Vorstellung von der Erlösung der ganzen Welt durch Christus bei Franziskus so neu nicht ist. Sie ist hier, in der Zeit der Kirchenväter, am Beginn des christlichen Mönchtums, klar ausgesprochen, und zwar unter Berufung auf die noch viel älteren Texte des Apostels Paulus und des Psalmisten. 3 R. Staats, Antonius, in: M. Greschat (Hrsg.), Gestalten der Kirchengeschichte. Alte Kirche I, Stuttgart 1984, 136–249; ebd. 241. 4 Hieronymus, Vita S. Pauli primi eremitae (MPL 23,18–30). »Mortalis ego sum, et unus ex accolis eremi, quos vario delusa errore Gentilitas Faunos, Satyrosque et Incubos vocans colit. Legatione fungor gregis mei. Precamus, ut pro nobis communem Dominum depreceris, quem in salutem mundi olim venisse cognovimus; et in universam terram exiit sonus eius« (ebd. 23f.; 6–8 Vallarsi). 5 »Vae tibi, Alexandria, quae pro Deo portenta veneraris. Vae tibi, civitas meretrix, in quam totius orbis daemonia confluxere. Quid nunc dictura es? Bestiae Christum loquuntur, et tu pro Deo portenta veneraris.«

Welterlösung

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Nachdem Antonius den Paulus in seinem Wüstenversteck gefunden hat und die beiden Alten sich lange unterhalten haben, kommt ein Rabe herbeigeflogen. Wie Paulus erzählt, bringt ihm der Rabe seit sechzig Jahren als Tagesration ein halbes Brot. Doch diesmal trägt er ein ganzes Brot im Schnabel, damit auch der Gast satt wird.6 Die Szene mit dem »liebenden Streit« der Eremiten, wie das Brot aufzuteilen sei, erfreut sich in der christlichen Kunst großer Beliebtheit; sie wurde vor allem im Spätmittelalter auf vielen Antonius-Altären dargestellt.7 Mit einem Raben pflegte auch der heilige Benedikt, der Vater des westlichen Mönchtums, vertrauten Umgang. Papst Gregor der Große erzählt im zweiten Buch seiner »Dialogi«: Als Benedikt noch in Subiaco lebte, kam der Vogel täglich zu ihm, um sich sein Futter abzuholen. Eines Tages sandte der Priester Florentius dem Heiligen ein vergiftetes Brot, um ihn aus dem Wege zu räumen. Benedikt, der das Vorhaben durchschaute, brauchte lange, um den Raben schließlich dazu zu überreden, das Brot an einen weit entfernten Ort wegzuschaffen.8 Zahlreiche Legenden des 7. und 8. Jahrhunderts berichten vom vertrauten Umgang heiliger Männer mit Tieren. Es handelt sich vor allem um irische Einsiedler und Wandermönche. Joseph Bernhart hat eine Reihe dieser Geschichten gesammelt und übersetzt.9 Bei Bernhart nicht erwähnt ist der heilige Korbinian, ein fränkischer Wanderbischof, der um das Jahr 700 bei einer Rom-Reise einen Bären veranlaßte, sein Gepäck über die Alpen bis nach Rom zu schleppen. Der Bär hatte vorher, wohl aus Versehen, das Saumpferd des Heiligen gerissen.10 Cosmas Damian Asam hat (1723–1724) die Korbinians-Legende, darunter auch die genannte Szene, auf den Wänden des Hauptschiffs des Freisinger Domes, dessen Patron St. Korbinian ist, dargestellt.11 6

Ebd. 25f.; 6 Vallarsi. E. Sauser, Art. Antonius Abbas, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 5 (1973), 205–217; C. Weigert, Art. Paulus von Theben, ebd. 8 (1976), 149–151. 8 Gregorius Magnus, Dialogi II (MPL 66,148). 9 J. Bernhart, Heilige und Tiere, München 1937. Der bislang letzte bekannte Fall ist der des heiliggesprochenen italienischen Priesters und Ordensgründers Don Giovanni Bosco (1815–1888), in dessen Begleitung gelegentlich ein mysteriöser, riesiger Hund auftauchte. 10 Hubert Glaser, Franz Brunhölzl, Sigmund Benker, Vita Corbiniani. Bischof Arbeo von Freising und die Lebensgeschichte des hl. Korbinian, München-Zürich 1983, 110–113 (Vita c. 10). In der von Lupus von Ferrie`res (9. Jh.) verfaßten Vita des Bischofs Maximin von Trier († 346) frißt ein Bär, ebenfalls auf einer Rom-Reise, einen Esel und muß auf Geheiß des Heiligen dessen Gepäck weitertragen (MPL 119,666–680; ebd. 673B). 11 Die Bilderfolge zum Leben des heiligen Korbinian im Freisinger Dom von Cosmas Damian Asam und die zugehörigen Vorzeichnungen (1724) erläutert von Sigmund 7

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VI. Kapitel

Solche und ähnliche Geschichten dienen dazu, die Wunderkraft des betreffenden Heiligen und seine Macht über die Kreatur eindrucksvoll darzustellen. Doch wollen sie daneben gewiß auch zum Ausdruck bringen, daß das Tier im Grunde ein verständiges und beseeltes Wesen ist. Für die Augen des »normalen« Menschen ist dies verborgen, doch der Heilige erkennt zuweilen, daß Gott, der die Kreatur erschaffen hat, sie auch zur Erlösung und zum endgültigen Heil bestimmt hat. In der christlichen theologischen Tradition ist das nicht eben eine vordergründige und geläufige Vorstellung. Manchmal sind es eigenständige Denker und theologische Außenseiter, die den Tieren eine unsterbliche Seele zuerkennen, wie im 9. Jahrhundert Johannes Scotus Eriugena.12 Aber die Vorstellung ist vom Altertum über das Mittelalter bis zur Aufklärung durchgängig vorhanden.13 Und Franziskus ist ihr wohl wichtigster Zeuge. Thomas von Celano teilt schon in seiner ersten Lebensbeschreibung verschiedene Episoden mit, aus denen hervorgeht, daß Tiere Franziskus verstanden und daß sie Vertrauen zu ihm hatten.14 Besonders anrührend ist die Geschichte von dem kleinen Hasen, den ein Bruder in der Nähe von Greccio noch lebend aus einer Schlinge befreite und zu Franziskus brachte. Voller Mitleid redete der Heilige das Tier an: »Bruder Häschen, komm zu mir! Warum hast du dich so erwischen lassen?« Und der Hase flüchtete sich in den Schoß des Franziskus »als an einen absolut sicheren Ort«. Der Heilige streichelt ihn »mit mütterlicher Zuneigung«. Die Brüder hatten schließlich Mühe, das Tierchen wieder im Wald auszusetzen, da es immer wieder zu Franziskus zurückkehrte. Etwas Ähnliches geschah mit einem Kaninchen auf einer Insel des Trasimenischen Sees. Als Franziskus einmal im Begriff war, sich über den See von Rieti rudern zu lassen (entweder nach Greccio oder nach Poggio Bustone), schenkte ihm ein Fischer einen soeben gefangenen Fisch. Franziskus sprach »Bruder Fisch« beruhigend zu und setzte ihn wieder ins Wasser. Dann begann er, den Namen Gottes zu loben, und der Fisch schwamm während des Gebetes mit allen Anzeichen von Lebensfreude in der Nähe des Bootes herum. In Alviano bei Orvieto bat er die Schwalben um Ruhe, die mit ihrem Zwitschern seine Predigt übertönten, und sie gehorchten ihm aufs Wort.

Benker, in: Glaser, Brunhölzl, Benker, Vita Corbiniani, 183–222; ebd. 196 die Szene mit dem Bären; der Bär ist auch auf dem Bild des Fischwunders (200) dargestellt. 12 Joannis Scoti Eriugenae De divisione naturae libri quinque, Oxford 1681, 157f. (III,41); Johannes Scotus Eriugena, Über die Einteilung der Natur, übersetzt von Ludwig Noack, Hamburg 1983, 411–415 (in dieser Ausgabe ist es c. 39!). 13 Vgl. hierzu: Hans Urs von Balthasar, Theodramatik, Bd. IV, Einsiedeln 1983, 384–387. 14 I Cel 58–61 (Anal. Fr. 10,44–47).

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Der wohl berühmteste Kontakt des Franziskus mit der Welt der Tiere ist die Vogelpredigt in der Nähe von Bevagna: Während, wie vorher schon berichtet wurde, viele Brüder sich der Gemeinschaft anschlossen, wanderte der ganz heilige Vater Franziskus durch das Tal von Spoleto. Er kam an einen Ort in der Nähe von Bevagna, wo eine riesige Menge Vögel verschiedener Arten versammelt war, nämlich Tauben, Dohlen und andere, die man im Volksmund »Geldfresserinnen« (Elstern) nennt. Der heilige Diener Gottes Franziskus war ein Mensch voll tiefer innerer Begeisterung, der auch gegenüber den niederen und vernunftlosen Kreaturen das Gefühl des Mitleids und der Zärtlichkeit hegte. Deshalb lief er, sobald er die Vögel erblickte, munter auf sie zu und ließ die Gefährten auf der Straße zurück. Als er schon ziemlich nahe herangekommen war und sah, daß sie auf ihn warteten, da grüßte er sie in der ihm gewohnten Weise. Aber er wunderte sich doch nicht wenig, daß die Vögel nicht aufflogen, wie sie es normaler Weise tun. Da bat er sie, von ungemeiner Freude erfüllt, demütig, sie möchten doch das Wort Gottes hören. Und unter mehrerem, was er zu ihnen sprach, fügte er auch folgendes hinzu: »Meine Brüder Vögel, gar sehr müßt ihr euren Schöpfer loben und ihn allzeit lieben. Er gab euch Federn zum Anziehen, Flügel zum Fliegen und alles, was ihr nötig hattet. Vornehm hat euch Gott unter seinen Geschöpfen gemacht und in der reinen Luft hat er euch eure Behausung gegeben. Denn obwohl ihr weder säet noch erntet, schützt und leitet er euch doch ohne jegliche Sorge eurerseits.« Darüber freuten sich diese kleinen Vögel ganz außerordentlich entsprechend ihrer Natur, wie Franziskus selbst und die Brüder, die damals bei ihm waren, berichteten: sie fingen an, ihren Hals zu recken, die Flügel auszubreiten, den Schnabel zu öffnen und ihn anzusehen. Er aber ging mitten unter ihnen hin und her und berührte mit seiner Kutte ihre Köpfe und Körper. Schließlich segnete er sie und, nachdem er das Kreuzzeichen gemacht hatte, erlaubte er ihnen, an einen anderen Ort davonzufliegen. Der heilige Vater aber ging mit den Gefährten voll Freude seines Weges und dankte Gott, den alle Geschöpfe mit ehrfürchtigem Bekenntnis preisen. Weil er aber einfältig im Bereich der Gnade, nicht dem der Natur war, begann er, sich Nachlässigkeit vorzuwerfen, daß er nicht schon früher den Vögeln gepredigt hatte, nachdem sie mit so großer Ehrfurcht das Wort Gottes gehört hatten. Und so geschah es, daß er von jenem Tage an alle Vögel, alle (Säuge-) Tiere und alle Reptilien, aber auch die leblosen Geschöpfe zum Lob und zur Liebe Gottes ermahnte. Denn tagtäglich erkannte er aufgrund eigener Erfahrung ihr bereitwilliges Hören, sobald der Name des Erlösers angerufen wurde.15

15 I Cel 58 (Anal. Fr. 10,44f.); s. auch o. Kap. V, bei Anm. 45. Aus der umfangreichen Literatur über die Vogelpredigt seien hier nur genannt: Michael Bihl, De praedicatione a S. Francisco avibus facta. AFH (1927), 202–206; Sigismund Verhey, Ursprüngliche Unschuld. Franziskus von Assisi spricht mit den Tieren. Wiss. Weish. 42 (1979), 97–106; Franco Cardini, Francesco d’Assisi e gli animali. Stud. Franc. 78 (1981), 7–46; Roger D. Sorrell, Tradition and Innovation, Harmony and Hierarchy in St. Francis of Assisi’s Sermon to the Birds. Franc. Studies 43 (1983 [1987]), 396–407; William J. Short, Hagiographical Method in Reading Franciscan Sources. Stories of

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In seiner in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfaßten »Geschichte der Kirche von Sens« hat Richer von Sens einen ausführlichen Passus über die Vogelpredigt. Er betont darin mehrmals, daß Franziskus den Vögeln gepredigt habe, »als ob er vernünftige Geschöpfe vor sich habe«, »als ob sie Menschen seien.«16 Thomas von Celano hat in seiner zweiten Legende noch eine Reihe weiterer Episoden nachgetragen, die das vertraute und quasi-menschliche Verhältnis des Franziskus zu den Tieren illustrieren: der kleine Wasservogel (vielleicht ein Taucher oder ein Bläßhuhn), der sich in seine Hände kuschelte und dann mit allen Zeichen der Freude davonflog; der Falke, der ihn während seines Aufenthalts auf dem Berg La Verna zum Morgengebet weckte; der Fasan, der sich nicht mehr von ihm trennen wollte; die Zikade, die auf sein Geheiß zu ihm flog und auf seiner Hand weitersang.17 Beseelte Natur Das Verhältnis des Franziskus zur Kreatur war, wie die Legenda Perusina unter Berufung auf das Zeugnis seiner engsten Gefährten sagt, bestimmt von pietas und compassio. Mit pietas ist hier sowohl mitleidsvolle Zuneigung wie religiöse Ehrfurcht gemeint; compassio bezeichnet direkt das Mit-Leiden mit der leidenden Kreatur. Er sprach mit den Naturerscheinungen voll innerer und äußerer Freude, »als ob sie Gott fühlen, erkennen und über ihn sprechen könnten, so daß er des öfteren aus solchem Anlaß bei der Betrachtung Gottes in Ekstase geriet.«18 Er hat Tiere, Pflanzen, Sonne, Mond, Erde, Feuer, Wasser, Luft für beseelte und intelligente Wesen gehalten. Deswegen konnte er sie zum Lob Gottes aufrufen, deswegen konnte er den Vögeln predigen, deswegen konnte er alle Geschöpfe als Geschwister ansehen und sie als solche anreden. Francis and Creatures in Thomas of Celano’s »Vita prima« (21: 58–61). Laurentianum 29 (1988), 462–495; Oktavian Schmucki, Zur Überlieferung der Vogelpredigt des hl. Franziskus von Assisi. Theol. Z. 45 (1989) = FS. M.A. Schmidt, 142–151. Die Vogelpredigt des Franziskus wird in der späteren darstellenden Kunst (Buchmalerei) nicht selten mit den in der Apokalypse (18,1f.; 19,17f.) erwähnten Vögeln in Zusammenhang gebracht; s. hierzu: F.D. Klingender, St. Francis and the Birds of the Apocalypse. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 16 (1953), 13–23. 16 Richerius Senonensis, Gesta Senonensis Ecclesiae (MGH SS 25,306–307); s. auch: FF 2307. 17 II Cel 167–171 (Anal. Fr. 10,227–229); vgl. Leg. Per. 110 (ed. Bigaroni, 342). 18 »Et non est mirum, si ignis et alie creature venerabantur aliquando ipsum: quoniam, sicut vidimus nos qui fuimus cum illo, tanta affectione karitatis ipsas diligebat et venerabatur, et in eis tantum delectabatur et tanta pietate et compassione circa ipsas spiritus eius movebatur, quod quando quis non honeste tractaret eas, turbaretur, et ita cum ipsis loquebatur letitia interiori et exteriori, sicut si de Deo sentirent, intelligerent et loquerentur, ita quod multotiens illa occasione rapiebatur in contemplatione Dei« (Leg. Per. 86; ed. Bigaroni, 252).

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Thomas von Celano hat diesem Naturverständnis eine theologische Deutung auf dem Hintergrund der Eschatologie des Apostels Paulus, wie sie im 8. Kapitel des Römerbriefs zur Sprache kommt, gegeben: Er nannte alle Kreaturen Brüder und Schwestern, und er durchschaute auf eine hervorragende und anderen unbekannte Weise mit seinem geistigen Scharfblick das verborgene Innere der Geschöpfe als einer, der schon zur Herrlichkeit der Söhne Gottes gelangt war.19

Mit ähnlichen Worten weist die Legenda Perusina auf die quasi-eschatologische Existenz des Franziskus hin: Wir, die mit ihm zusammen waren, sahen, wie er sich bei fast allen Kreaturen innerlich und äußerlich beständig freute, wie er sie berührte und gerne sah, so daß sein Geist nicht auf der Erde, sondern im Himmel zu sein schien.20

Wie man sieht, wird hier das Verhalten des Franziskus zur Kreatur im Rahmen der paulinischen Eschatologie gedeutet, nach der die gesamte Schöpfung, nicht nur der Mensch, in die Erlösung miteinbezogen ist und mit Sehnsucht auf ihre Befreiung von der Knechtschaft der Hinfälligkeit wartet, um an der Freiheit der Kinder Gottes Anteil zu haben (Röm 8,19–23). Doch sind diese Worte des Paulus, so wenig wie die des Markus-Evangeliums: »Gehet hin in alle Welt und verkündigt das Evangelium jeglicher Kreatur« (Mk 16,15), in der kirchlichen Tradition als Begründung für eine Predigt an die vernunft- und leblosen Wesen angenommen worden. Weder die paulinische Eschatologie noch die Vertrautheit einzelner christlicher Mönchsväter mit Tieren können das Verhalten des Franziskus gegenüber den Naturerscheinungen, »als ob er vernünftige Geschöpfe vor sich habe«, hinreichend erklären; es ist deshalb nur auf dem Hintergrund des katharischen Mythos von Schöpfung und Engelsfall und der daraus folgenden Beseelung der gesamten Natur verständlich.21 Franziskus sah in den nicht-menschlichen Wesen nicht etwa Geschöpfe minderen Ranges, sondern er kam ihnen mit (ritterlichem) Anstand entgegen. Er konnte aus der Fassung geraten, wenn jemand es an Ehrerbietung ihnen gegenüber fehlen ließ.22 Die Kreaturen sollen ihm dies mit der gleichen Hal19 »Omnes denique creaturas fraterno nomine nuncupabat, et modo praecellenti atque caeteris inexperto, creaturarum occulta cordis acie decernebat, utpote qui iam evaserat in libertatem gloriae filiorum Dei« (I Cel 81; Anal. Fr. 10,60); vgl. Röm 8,21. 20 »Unde nos qui cum illo fuimus, in tantum videbamus ipsum interius et exterius fere in omnibus creaturis semper letari, ipsas tangere et libenter videre, ut non in terra sed in celo eius spiritus videretur« (Leg. Per. 88; ed. Bigaroni, 256/258). 21 S.o. Kap. II, bei Anm. 73. Über die Vorstellung von der Beseelung der Tiere und der Metempsychose in der Antike s. vor allem: Urs Dierauer, Tier und Mensch im Denken der Antike. Studien zur Tierpsychologie, Anthropologie und Ethik, Amsterdam 1977. 22 S.o. Anm. 18.

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tung vergolten haben. Seinem unerträglich gewordenen Augenleiden will man, nach den barbarischen Methoden der damaligen Zeit, durch eine Brennung an der Schläfe beikommen. Als der Chirurg das Eisen erhitzt, gerät Franziskus ins Zittern. Da spricht er das Feuer an:23 Bruder Feuer, du bist von einer für die anderen Dinge beneidenswerten Schönheit. Kräftig, schön und nützlich hat der Allerhöchste dich geschaffen. Sei mir in dieser Stunde gnädig! Sei höfisch (curialis)! Denn ich habe dich von jeher im Herrn geliebt. Ich bitte den großen Herrn, der dich geschaffen hat, daß er jetzt deine Hitze lindere, damit ich den sanft Brennenden ertragen kann.

Nach der Prozedur verriet Franziskus seinen Gefährten, er habe weder die Hitze des Feuers noch irgend einen Schmerz an seinem Fleisch verspürt. Franziskus hat den Tieren und den übrigen Naturerscheinungen nicht nur die Möglichkeit höfischen Anstandes zuerkannt, sondern er hat von ihnen auch, wenigstens gelegentlich, ein moralisches Bewußtsein erwartet. Ein Rotkehlchen-Paar war an einem Aufenthaltsort der Brüder so zahm geworden, daß es seine Nahrung vom Tisch der Brüder abholte.24 Auch als das Paar Junge bekommen hatte, kam es Tag für Tag und erhielt von Franziskus, der an den Vögeln seine Freude hatte, auch für die Jungen seine Futterration. Eines Tages überließen die Eltern den Brüdern ihre Brut und verschwanden. Die Jungvögel wurden nun weiter von den Brüdern aufgezogen. Sie hielten sich innerhalb des Hauses auf und wurden so zahm, daß sie sich wie Hausgenossen, nicht wie Gäste benahmen. Franziskus forderte die Brüder zur Freude auf und kommentierte ihnen gegenüber den Vorgang folgendermaßen: Seht ihr, was unsere Brüder Rotkehlchen getan haben, als ob sie Verstand besäßen? Denn sie haben gesagt: Hier, Brüder, wir übergeben euch unsere Jungen, die mit euren Krumen aufgezogen wurden! Verfahrt mit ihnen nach eurem Gutdünken! Wir lassen uns anderswo nieder.25 23

II Cel 166 (Anal. Fr. 10,227); Leg. Per. 86 (ed. Bigaroni, 246–250). II Cel 47 (ed.c. 160). Celano spricht von »micas«: Brotkrumen. Edward A. Armstrong, der die Episode auch unter ornithologischem Aspekt behandelt hat, ist es nicht aufgefallen, daß Rotkehlchen sich hauptsächlich von Insekten ernähren und sich normalerweise nicht für trockenes Brot interessieren (Saint Francis: Nature Mystic. The Derivation and Significance of the Nature Stories in the Franciscan Legend, BerkeleyLos Angeles-London 1973, 104–106 und ebd. 104, Anm. 6). Es war also entweder mit Öl gebackenes oder in Olivenöl eingetauchtes Brot, mit dem die Vögel von den Brüdern gefüttert wurden, und diese aßen demnach auch solches Brot. Als weitere bemerkenswerte Einzelheiten gehen aus der Erzählung hervor, daß die Brüder an einem Tisch (nicht auf dem Boden!) aßen und daß es an dem betreffenden Ort ein Haus gab. S. auch u. Anm. 27! Über Verhalten, Brutpflege, Zähmung des Rotkehlchens ausführlich: Einhard Bezzel, Das Rotkehlchen, Augsburg 1992. 25 »›Videte‹, ait, ›quid fratres nostri pectusrubei fecerint, quasi ratione vigerent? Dixerunt enim: Ecce, fratres, vobis nostros praesentamus natellos, qui vestris nutriti sunt micis. Disponite de illis ut libet; ad alios nos lares transimus!‹« 24

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Die jungen Rotkehlchen, die nun vollends zahm geworden waren, nahmen weiterhin ihre Mahlzeiten mit den Brüdern ein. Doch mit der Eintracht unter ihnen war es vorbei, als der Größte von ihnen die anderen zu verjagen begann, obwohl er gesättigt war. Franziskus, der den Vorgang aufmerksam beobachtete, kommentierte das (ethologisch normale) Verhalten des Vogels: »Nun seht diesen gierigen Burschen an! Selbst voll und satt neidet er den hungrigen Geschwistern das Futter. Gewiß wird er keinen schönen Tod erleiden.«26 Die Strafandrohung des Heiligen ging alsbald in Erfüllung: der Vogel ertrank in dem Wasserbehälter der Brüder. »Und es fand sich keine Katze oder ein anderes Tier, das es gewagt hätte, den von dem Heiligen verfluchten Vogel anzurühren.«27 Nach moralischen, nicht nach ethologischen, dem Tier angemessenen Kriterien beurteilt Franziskus auch das Verhalten einer Sau, die in der Nacht ein neugeborenes Lamm tötete.28 Das Ereignis trug sich während eines Aufenthaltes des Heiligen in der Abtei San Verecondo in Vallingegno bei Gubbio zu. Der Biograph bezeichnet die Sau, ganz im Sinne des Franziskus, als »grausam und ohne Mitleid für das Leben des Unschuldigen«. (Natürlich sind »Grausamkeit« und »Mitleid« keine angemessenen Kategorien für das Verhalten eines Schweines; die Sau tötete das Lamm, um es zu fressen). Das in seinen Augen grausam ermordete, unschuldige Lamm erinnerte Franziskus »an ein anderes Lamm«, nämlich das »Lamm Gottes«, und weinend klagte er vor allen Anwesenden: »Ach, Bruder Lämmchen, du unschuldiges Tier, das jederzeit den Menschen etwas Nützliches darstellt! Verflucht sei die Gottlose, die dich umgebracht hat! Niemand soll von ihr etwas essen, weder Mensch noch Tier!« Die böse Sau wurde auf der Stelle krank und ging nach drei Tagen qualvollen Leidens ein. Man warf sie in den Abwassergraben des Klosters, wo sie liegenblieb, bis sie ausgetrocknet war wie ein Brett, und kein hungriges Wesen rührte den verfluchten Kadaver an. Im Vergleich zu Franziskus scheint Bernhard von Clairvaux ein »aufgeklärteres« Verhältnis zu Tieren gehabt zu haben. Als ihn in Albi ein Anhänger des Häretikers Heinrich von Lausanne vorwurfsvoll auf den fetten Hals seines wohlgenährten Reitpferdes hinwies, antwortete er ihm, daß ein Pferd sich nicht unmoralisch verhalte, wenn es dem natürlichen Trieb seines Bauches folgend sich vollfresse und fett werde.29 26 »›Videte‹, inquit pater, ›quid hic facit avarus; plenus ipse ac satur, famelicis fratribus invidet. Mala adhuc morte necabitur.‹« 27 »Nec gattus invenitur nec bestia quae ausa fuerit sancti anathema contingere.« Dies ist eine von zwei Stellen in den frühen franziskanischen Quellen, wo von einer Katze die Rede ist. Es muß also im Bereich des erwähnten Konvents (vielleicht der Portiuncula!) Katzen gegeben haben. Über die Katze der heiligen Klara (Proc. 9,8) s.u. Kap. XI bei Anm. 101. 28 II Cel 111 (Anal. Fr. 10,196). 29 S. Bernardi Vita prima VII,17,26 (MPL 185,427f.); E. Vacandard, Vie de Saint Bernard Abbe´ de Clairvaux, Paris 1895, II,231f.; vgl. o. Kap. II, bei Anm. 44.

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Franziskus hat in Tieren und anderen Naturerscheinungen oft Symbole Christi oder Hinweise auf ihn gesehen. Das einzelne Schaf, das er zwischen Ancona und Osimo »bescheiden und ruhig« mitten in einer Herde von Ziegen und Böcken sieht, verursacht in ihm einen tiefen Schmerz, und er sagt zu dem ihn begleitenden Bruder Paulus:30 Siehst du nicht dieses Schaf, das unter den Geißen und Böcken so friedlich einhergeht? So, sage ich dir, wandelte unser Herr Jesus Christus sanft und demütig unter den Pharisäern und Hohenpriestern. Ich bitte dich deshalb, mein Sohn, um seiner Liebe willen, daß du zusammen mit mir mit diesem kleinen Schaf Mitleid habest. Wir wollen es kaufen und aus der Mitte dieser Geißen und Böcke herausführen.

Dem Bischof von Osimo, der sich über das mitgeführte Schaf sehr wundert, erteilt Franziskus dann eine Lektion in Form einer langen Gleichnisrede, unter deren Eindruck der Kirchenfürst »reuevoll in sich geht«. Nach dem, was vorher gesagt wurde, darf man annehmen, daß Franziskus dem Bischof die Ähnlichkeit der christlichen Großpriester mit den jüdischen vor Augen stellte. Von daher gesehen ist auch die Verfluchung der Kloster-Sau von S. Verecondo und ihr elendes Verbrecher-Ende nichts anderes als eine Demonstration, eine »Performance«, die den Mönchen ihr Verhalten gegenüber Christus in drastischer Form vor Augen führen soll. In den Augen des Franziskus war die Welt ein Schlachtfeld, auf dem der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ausgetragen wurde. In diesem Kampf ist die Begleitung und der Beistand der Engel von ganz großer Bedeutung. Für sie hat Franziskus deshalb eine besondere Verehrung, und unter ihnen wiederum für St. Michael, den Geleiter der Seelen durch die Schatten des Todes vor das Angesicht Gottes.31 Auf dem Hintergrund dieser Vorstellung wird es verständlich, wenn für ihn weniger attraktive Tiere, wie Böcke, Säue und Stechmücken, als Verkörperung dämonischer Mächte erscheinen konnten. So wie ihn das Lichte, Rationale, Sanftmütige und Schutzbedürftige an einem Tier erfreuen konnte, so erfüllte ihn das Irrationale, »Unmoralische« und Dämonische an anderen Tieren mit Widerwillen und Abscheu. Der Kampf der Tiere ums Dasein, das Fressen und Gefressenwerden, die Ausschaltung der Nahrungskonkurrenten, das »sogenannte Böse« übertrug er naiv auf die moralische Ebene. Doch ist auch diese Naivität, wie immer bei Franziskus, hintergründig. Denn umgekehrt hat er das unmoralische Handeln und die Bosheit der Menschen nicht wie ein moderner Rationalist und Spätaufklärer allein der individuellen Verantwortung zugeschoben. Die vordergründig mindere moralische Qualität bestimmter Menschen sah er gewissermaßen in einer kosmologischen Dimension: ihrer endgültigen Bestimmung aufgrund 30 31

I Cel 77 (Anal. Fr. 10,57f.); vgl. o. V. Kap., bei Anm. 24). II Cel 165 (Anal. Fr. 10,226f.); 197 (ebd. 243).

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des allumfassenden Schöpfungs- und Erlösungswillens Gottes. Wer heute noch dem Bereich des Bösen anzugehören scheint, kann morgen schon den Ruf Gottes vernehmen. In der »Drei-Gefährten-Legende« stehen die folgenden bemerkenswerten Sätze:32 Er wies auch die Brüder an, über keinen Menschen zu urteilen und die nicht zu verachten, die im Luxus leben und sich ausgefallen und übertrieben kleiden; denn Gott ist unser und ihr Herr, der sie zu sich rufen und die so Berufenen rechtfertigen kann [Vgl. Rom 8,30!]. Er sagte auch, es sei sein Wille, daß die Brüder solche Leute mit Ehrfurcht behandelten als ihre Brüder und Herren: weil sie Brüder sind, insofern sie von ein und demselben Schöpfer erschaffen wurden, Herren, insofern sie den Guten helfen, Buße zu tun, indem sie ihnen das für ihre leibliche Existenz Notwendige zur Verfügung stellen. . . Denn viele scheinen uns Glieder des Teufels zu sein, die später einmal Jünger Christi sein werden.

Die Welt, auf der sich die Macht des Bösen austobt, war für Franziskus zugleich ein reiner Spiegel der Güte Gottes. Es zeigt sich hier wiederum die große Nähe zu dem katharischen Weltbild und zugleich die radikale Distanzierung davon. Der Urgrund der Welt ist nicht gespalten durch einen von allem Anfang an und in alle Ewigkeit wirksamen Gegensatz einer guten und einer bösen Substanz. Die Güte am Ursprung der Dinge (fontalis bonitas), die einmal »alles in allem« sein würde (nach 1 Kor 12,6), erkannte er jetzt schon als eine in allen Dingen wirksame Kraft.33 Die Natur, der gesamte Kosmos, war in seinen Augen nicht nur beseelt, sondern mit göttlichem Leben erfüllt. Wie schon erwähnt, fühlte sich Franziskus in der freien Natur häufig an Christus erinnert. Manche Naturerscheinungen erweckten in ihm die Assoziation an bestimmte Stellen in der Heiligen Schrift. Für die Würmer hatte er eine große Zuneigung, weil die Schrift (Ps 21,7) von Christus sagt: »Ich bin ein Wurm und kein Mensch.«34 Er hob sie von der Straße auf, damit sie nicht zertreten würden.35 Die Schönheit und der Duft der Blumen erfüllten ihn mit Begeisterung, weil sie ihn »an jene andere Blume« erinnerten, die aus der Wurzel Jesse (Is 11,1.10) nach langem Winter entsprossen war und mit ihrem belebenden Duft viele Tausende von Toten zum Leben erweckt hatte. Wenn er sich von Blumen umgeben sah, blieb er stehen und predigte auch ihnen und ermahnte sie, Gott zu loben und ihn zu lieben, »als ob sie vernunftbegabte Wesen seien.«36 Die Steine des Weges betrat er »mit Ehrfurcht« im Blick auf den, der in der Schrift (1 Kor 10,4) »Felsen« genannt wird.37 32 3 Soc 58 (ed. Desbonnets, 132); s.o. Kap. V, bei Anm. 87; vgl. auch II Cel 103 (Anal. Fr. 10,191f.); o. Kap. V, Anm. 51. 33 II Cel 165 (Anal. Fr. 10,226). 34 I Cel 80 (ebd. 60). 35 II Cel 165 (ebd. 226). 36 I Cel 81 (ebd. 60). 37 II Cel 165 (ebd. 226); Leg. Per. 88 (ed. Bigaroni, 256).

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Ehrfurcht (reverentia) ist überhaupt die Haltung, die sein Verhältnis zu allen belebten und unbelebten Dingen bestimmt. Beim Händewaschen sorgte er dafür, daß niemand später auf das vergossene Wasser treten konnte.38 Aus der Ehrfurcht gegenüber allen Kreaturen folgt sein Eintreten für die Schonung und Erhaltung der Natur. (Hieran entzünden sich vor allem Interesse und Begeisterung einiger neuerer ökologischer Bewegungen für Franziskus). Wenn er im Winter Bienen zu Gesicht bekam – wohl solche, die verfrüht ausgeflogen waren – ließ er sie mit Honig und Süßwein füttern, damit sie in der Kälte nicht zugrunde gingen.39 Er hatte vor, mit dem Kaiser über den Erlaß eines Gesetzes zu sprechen, das den Fang von Lerchen verboten und die Fütterung der Lerchen und anderen Vögel um die Weihnachtszeit vorgeschrieben hätte.40 Wenn die Brüder Brennholz schlugen, dann untersagte er ihnen, den ganzen Stamm an der Wurzel abzuhauen; denn er sollte in der Lage bleiben, aufs neue Sprossen auszutreiben. Der Gärtner sollte am Rand des Gartens unangebaute Streifen stehen lassen, damit die ohne menschliches Zutun wachsenden Gräser und Blumen zu ihrer Zeit singen könnten, »wie schön der Vater alles Geschaffenen ist.« Im Garten selbst sollte ein Beet für wohlriechende Kräuter und Blütenpflanzen reserviert bleiben, die in dem Betrachter »das Andenken an das ewige Wohlbefinden« erwecken sollten.41 Man sieht: die Ehrfurcht des Franziskus vor dem Leben und der Natur hat nichts mit romantischer, überquellender Begeisterung, auch nichts mit moderner Daseinsangst und Sorge um das Weiterbestehen des Planeten Erde zu tun, sondern sie entspringt seiner Überzeugung, daß das Zeitliche, die sichtbare und greifbare Materie, unmittelbar mit dem Ewigen zu tun hat; mit anderen Worten: daß das Leben der Kreatur im Leben Gottes seinen Ursprung und Bestand hat. Das Naturverständnis und -verhältnis des Franziskus war innerhalb der mittelalterlichen Kirche so außerordentlich und singulär, daß es kaum Nachahmer fand. Das hängt auch mit der Entwicklung der franziskanischen Bewegung zusammen: die Generation der naturnahen Wanderprediger starb aus, und nach der Mitte des 13. Jahrhunderts bestand die in großen städtischen Klöstern lebende Majorität des Ordens aus naturfremden Städtern und Gelehrten. Aus deren Perspektive betrachtet war die Beziehung des Franziskus zu den Tieren etwas nicht ganz Geheueres. Unter Berufung auf Bruder Masseo, einen Gefährten des Franziskus, weiß ein aus dieser Zeit stammender Text zu 38

Leg. Per. 88 (ed.c. 256). I Cel 80 (Anal. Fr. 10,60); II Cel 165 (ebd. 226). 40 Leg. Per. 14 (ed. Bigaroni, 46); vgl. auch II Cel 200 (Anal. Fr. 10,244). Leider fand eine Begegnung zwischen Franziskus und Friedrich II. nie statt. Doch war der Nachfolger des Franziskus, Elias von Cortona, mit dem Kaiser eng befreundet; s. dazu u. Kap. IX, bei Anm. 126–164. 41 Leg. Per. 88 (ed. Bigaroni, 256); II Cel 165 (Anal. Fr. 10,226). 39

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berichten: Beim zweiten Versuch des Franziskus, den Vögeln zu predigen, hätten diese vor ihm die Flucht ergriffen. Da habe der Heilige sich bittere Vorwürfe gemacht und sich selbst getadelt: »Sohn Pietro Bernardones, du Verwegener und Vermessener!« – weil er nämlich den Fehler eingesehen habe, von den unvernünftigen Kreaturen einen Gehorsam zu erwarten, den sie nur ihrem Schöpfer schuldeten.42 Eine Vertrautheit mit Tieren, die an Franziskus erinnert, hatte dagegen noch einmal Johannes von Parma, mit dessen Generalat (1247–1257) die treuen Anhänger des Franziskus Hoffnungen auf eine Reform des schon dekadenten Ordens verknüpften. Nach seiner Ablösung als Generalminister zog er sich in das Eremitorium von Greccio zurück. Dort gewöhnten sich zwei gänsegroße Waldvögel an ihn und wurden so zutraulich, daß sie unter seinem Arbeitstisch nisteten und Junge aufzogen. Ein Bischof, der ihn besuchte, wollte ihm eines von den Jungtieren abschwatzen.43 Im Denken der großen deutschen Mystikerinnen Gertrud von Helfta (1256–1301/1302) und Mechthild von Hackeborn (1241–1299), beide Cistercienserinnen, ist den Tieren eine eigene geistige und personhafte Würde zuerkannt, weil jede Kreatur in Gott vollkommen und geadelt ist.44 Wenn im Chor »alle Werke des Herrn« (Dan 3,57) zum Lobe Gottes aufgerufen werden, dann stehen alle Kreaturen im Geist, wie Personen, in der Gegenwart Gottes und singen sein Lob.45 Durch die Menschwerdung Christi sind Menschen, Tiere und Pflanzen, die aus der Erde hervorgegangen sind, in den Glanz der göttlichen Trinität hineingehoben.46 Ob diesen visionären Offenbarungen – denn um solche handelt es sich – franziskanische Einflüsse zugrunde liegen, ist schwer zu sagen; es ist jedoch durchaus möglich.47

42 »E egli ritornato in se` incomincio` a riprehendere se stessi aspramente e insieme a vituperarsi dicendo: ›Figliuolo di Pietro Bernardone, temerario e presuntuoso!‹ perche` e’ voleva che lle creature inrationale al comandamento suo gli obbedissino, sı` come le fanno al loro Creatore«: Benv. Bughetti, Una nuova compilazione di testi intorno alla vita di S. Francesco (Dal cod. Universitario di Bologna n. 2679). AFH 20 (1927), 525–562; ebd. 546f. (Nr. 19). 43 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,310). 44 Gertrude d’Helfta, Œuvres spirituelles, T. II. Le He´raut (Livres I et II). Introduction, texte critique, traduction et notes par Pierre Doye`re (Sources chre´tiennes, 139), Paris 1968; ebd. I,8 (S. 158/160). 45 Revelationes Gertrudianae et Mechtildianae. II. Sanctae Mechtildis Liber specialis gratiae, ed. Solesmensium O.S.B. Monachorum, Poitiers-Paris 1877; ebd. III,7 (S. 206). 46 Ebd. IV,3 (S. 260). 47 Vgl. die Andeutungen über die trinitarischen Spekulationen Klaras von Assisi (Proc. 3,20) u. Kap. XI, Anm. 162.

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Das »Lied von Bruder Sonne« oder »Lobpreisungen Gottes für die Geschöpfe« Das »Sonnenlied« (Canticum fratris Solis, Laudes Domini, Laudes Creaturarum) des Franziskus wird von jeher als hervorragendstes Zeugnis für sein Naturverständnis angesehen. Es ist überdies eines der frühesten dichterischen Zeugnisse für die mittelitalienische (umbrische) Volkssprache, von großer sprachlicher Schönheit und bewundernswerter, prägnanter Aussagekraft. Die Literatur über dieses einzigartige Dokument ist immens48 und für die Lösung zahlreicher Einzelprobleme der Interpretation im ganzen hilfreich. Doch hat sich an dem Text des »Sonnenliedes« leider auch nicht selten der gelehrte und fromme Schwachsinn ausgetobt. Wie bei vergleichbaren Texten, die bis in die Gegenwart als Grundlagen für mancherlei Ideologien und Lebenshaltungen herhalten müssen, ist so gut wie jedes Wort bestritten und umstritten worden. In neuerer Zeit wurden zwei bedeutende monographische Untersuchungen über das Gedicht vorgelegt, von Erhard-Wolfram Platzek und Adolfo Oxilia, beide Ergebnisse lebenslanger Forschungsarbeit der hochbetagten Autoren.49 Ich gebe im folgenden den Text in einer (möglichen) alten Form wieder und dazu eine eigene Übersetzung, die sich möglichst genau an den Wortlaut hält, ohne aber in sprachliche Skurrilitäten zu verfallen. Über die grundsätzliche Schwierigkeit des ersteren – daß es nämlich so gut wie unmöglich ist, den Text in seiner ursprünglichen Form wiederzugeben – hat sich Kajetan Esser mit hinreichender Deutlichkeit geäußert.50 Ich übernehme, im Bewußtsein der Problematik, die von ihm vorgeschlagene »Orthographie« und Interpunktion. Übersetzung und Interpretation können nur auf dem Hintergrund und im Kontext der Naturvorstellungen und des Weltbildes des Franziskus in 48

Übersicht über die Literatur bis 1973: Fiorenza Bajetto, Un trentennio di studi (1941–1973) sul Cantico di Frate Sole. Bibliografia ragionata. L’Italia francescana 49 (1974), 5–62; die ältere Literatur: Vittorio Branca, Il Cantico di Frate Sole. Studio delle fonti e testo critico, Firenze 1950; 21962, 119–130; s. auch: AFH 41 (1948), 3–87; Giacomo V. Sabatelli, Studi recenti sul Cantico di Frate Sole. AFH 51 (1958), 3–24; für die Zeit davor: V. Facchinetti, San Francesco d’Assisi (Guida bibliogafica), Roma 1928, nr. 308–359. 49 E.-W. Platzek, Das Sonnenlied des heiligen Franziskus von Assisi. Zusammenfassende philologisch-interpretative Untersuchung mit ältestem Liedtext und erneuter deutscher Übersetzung (Franziskanische Forschungen, 30), Werl Westf. 21984; A. Oxilia, Il Cantico di Frate Sole, Firenze 1984; s. auch: Adolf Martin Ritter, »Gepriesen seist du, mein Herr, für unsere Schwester, die Mutter Erde. . .« Der Sonnengesang des Franziskus im Lichte altkirchlicher und frühmittelalterlicher Tradition, in: Gerhard Rau u.a. (Hrsg.), Frieden in der Schöpfung. Das Naturverständnis protestantischer Theologie, Gütersloh 1987, 92–110. 50 Esser, Opuscula, 128; der Editor weist besonders darauf hin, daß auch der älteste, im Codex Assisiensis 338 überlieferte Text keine einheitliche Orthographie aufweist; ferner ist die Auflösung der mittelalterlichen Kürzel für »et« (e? ed? et?) und »cum« (con-? cun?) fraglich.

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einigermaßen zutreffender Weise erfolgen, nicht in Anpassung an unsere »modernen« oder »deutschen« Vorstellungen. Alle Übersetzungen, die z.B. »messor lo frate Sole« mit: »Frau Schwester Sonne« statt: »Herr Bruder Sonne«, »sora Luna« mit: »Bruder Mond« statt: »Schwester Mond«, »sora nostra Morte Corporale« mit: »Bruder leiblicher Tod« statt: »Schwester leiblicher Tod« wiedergeben, müssen deshalb als durchaus verfehlt angesehen werden. Ich gebe danach Hinweise auf einige Fragen der Interpretation, verzichte jedoch auf eine umfassende Kommentierung und Deutung des Liedes. Der Text ist ja an sich klar und deutlich, auch in der Intention des Franziskus, und spricht weithin für sich selbst. (1) Altissimu onnipotente bon signore, tue so le laude la gloria e l’honore et onne benedictione. Ad te solo, altissimo, se konfano et nullu homo ene dignu te mentovare. (2) Laudato sie, mi signore, cun tucte le tue creature, spetialmente messor lo frate sole, lo qual’ e` iorno, et allumini noi per loi. Et ellu e` bellu e radiante cun grande splendore, de te, altissimo, porta significatione. (3) Laudato si, mi signore, per sora luna e le stelle, in celu l’ai formate clarite et pretiose et belle. (4) Laudato si, mi signore, per frate vento, et per aere et nubilo et sereno et onne tempo, per lo quale a le tue creature dai sustentamento. (5) Laudato si, mi signore, per sor aqua, la quale e` multo utile et humile et pretiosa et casta. (6) Laudato si, mi signore, per frate focu, per lo quale ennallumini la nocte, ed ello e` bello et iocundo et robustoso et forte. (7) Laudato si, mi signore, per sora nostra matre terra, la quale ne sustenta et governa, et produce diversi fructi con coloriti fiori et herba. (8) Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore, et sostengo infirmitate et tribulatione. Beati quelli ke ’l sosterrano in pace, ka da te, altissimo, sirano incoronati. (9) Laudato si, mi signore, per sora nostra morte corporale, da la quale nullu homo vivente po` skappare. Guai a quelli, ke morrano ne le peccata mortali: beati quelli ke trovara` ne le tue sanctissime voluntati, ka la morte secunda nol farra` male. (10) Laudate et benedicete mi signore, et rengratiate et serviateli cun grande humilitate.

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Die Titel, unter denen das Gedicht überliefert ist, sind nicht eindeutig. Platzek bemerkt dazu: »Der Titel des Liedes Laudes creaturarum stimmt sinngemäß mit der Angabe der Vita secunda des Thomas von Celano überein, wobei man allerdings darüber streitet, ob ›creaturarum‹ genetivus subiectivus sei, ob es also hier um lobende oder mitlobende Kreaturen geht, oder ob ›creaturarum‹ genetivus obiectivus sei, ob also hier die Kreaturen zu loben seien.«51 Celano schreibt an der betreffenden Stelle, nachdem er die Krankheiten und extremen Leiden des Franziskus und die Zusage Christi an ihn, er werde mit absoluter Sicherheit des Himmelreiches teilhaftig werden, geschildert hat: »Er komponierte damals einige Lauden (Lobpreisungen) über die Geschöpfe, und er spornte sie (die Geschöpfe) an, wie immer sie es vermöchten, den Schöpfer zu loben.«52 Die doppelte Bedeutung des Ausdrucks Laudes creaturarum geht hieraus deutlich hervor: es sind Lauden über (de) die Geschöpfe, d.h. Franziskus selbst lobt Gott für sie; er fordert sie aber zugleich auf, zusammen mit ihm das Lob Gottes zu singen. Kurz darauf heißt es bei Celano: »Er lud auch alle Kreaturen zum Lob Gottes ein und mit den Worten, die er vorher einmal gedichtet hatte, ermunterte er sie zur göttlichen Liebe. Ja selbst den Tod, der allen Menschen fürchterlich und verhaßt ist, ermahnte er zum Lob. . .«53 Schon in seiner ersten Vita, wo er an das Vorbild des Gesanges der drei Jünglinge im Feuerofen (Dan 3) für das »Sonnenlied« erinnert, nennt Celano beide Aspekte: Aufruf der Geschöpfe zum Lob Gottes und Gotteslob der Menschen in den Werken der Schöpfung, d.h. für sie oder ihretwegen: »Denn wie einst die drei Knaben, die man in den brennenden Feuerofen gesetzt hatte, alle Elemente dazu einluden, den Schöpfer des Universums zu loben und zu verherrlichen, so hörte auch dieser Mann, erfüllt mit dem Geist Gottes, nicht auf, in allen Elementen und Kreaturen den Schöpfer und Lenker aller Dinge zu verherrlichen, zu loben und zu preisen.«54 Mit der Interpretation des Genitivs »creaturarum« der Überschrift hängt die Frage nach der Bedeutung des »cum« in der ersten Zeile der zweiten Strophe eng zusammen. Will der Autor und Beter Gott samt allen seinen Geschöpfen loben (Genetivus obiectivus)? Oder will er im Verein mit der

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Platzek, Sonnenlied, 20. »Laudes de creaturis tunc quasdam composuit, et eas utcumque ad Creatorem laudandum accendit« (II Cel 213; Anal. Fr. 10,253). 53 »Invitabat etiam omnes creaturas ad laudem Dei, et per verba quaedam, quae olim composuerat, ipse eas ad divinum hortabatur amorem. Nam et mortem ipsam, cunctis terribilem et exosam, hortabatur ad laudem. . .« (II Cel 217; ebd. 255). 54 »Sicut enim olim tres pueri, in camino ignis ardentis positi, ad laudandum et glorificandum creatorem universitatis, elementa omnia invitabant, sic et iste vir, spiritu Dei plenus, in omnibus elementis et creaturis creatorem omnium ac gubernatorem glorificare, laudare ac benedicere non cessabat« (I Cel 80; ebd. 60). 52

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gesamten Schöpfung das Lob Gottes singen (Genetivus subiectivus)?55 Nach dem, was vorher gesagt wurde, kann man annehmen, daß wohl beide Deutungen in der Intention des Franziskus lagen. Umstritten ist ferner die Bedeutung des »per« in den Strophen 3–9. Wird Gott für, wegen Mond, Wind, Wasser, Feuer usw. gelobt oder durch die betreffenden Naturerscheinungen? Für die erstere Übersetzung spricht die Strophe 8: »Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore. . .«: »Gelobt seist du, mein Herr, für die, welche verzeihen um deiner Liebe willen. . .« Die Wiedergabe des »per« mit »durch« wäre hier weniger sinnvoll als die mit »für«, »wegen«. Auch das zweite »per« des Satzes (per lo tuo amore) bedeutet »wegen«, »um. . willen«. Hinzu kommt die alte lateinische Übersetzung des Sonnenliedes, die »per« in allen Fällen mit »propter« wiedergibt: »Laudatus sis, mi Domine, propter sororem lunam et stellas. . . Laudatus sis, mi Domine, propter fratrem ventum et propter aerem et nubes. .«56 Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist ferner das Zeugnis der Legenda Perusina über die Entstehung des Sonnenliedes. Demnach hätte Franziskus aus Dankbarkeit dafür, daß der dreifaltige Gott ihn noch bei Lebzeiten der Teilhabe an seinem Reich versichert habe (dignatus est certificare), das Lied gedichtet: Deshalb will ich zu seinem Lob und zu unserem Trost und zur Erbauung des Nächsten eine neue Lobpreisung des Herrn über seine Geschöpfe machen, die wir täglich benutzen und ohne die wir nicht leben können. In ihnen beleidigt das Menschengeschlecht auf vielfache Weise den Schöpfer, und tagtäglich sind wir undankbar für seine große Huld, weil wir für sie unseren Schöpfer und Geber alles Guten nicht in gebührender Weise loben.« Und er setzte sich hin, begann zu meditieren und sagte dann: »Altissimo onnipotente, bon Segnore.« Und er machte eine Melodie auf die Worte und brachte sie seinen Gefährten bei.57

Die Legenda Perusina führt den Titel »Sonnenlied« auf Franziskus selbst zurück und legt ihm eine ansatzweise Deutung einiger Verse in den Mund: Denn die Lobpreisungen des Herrn, die er machte, nämlich: Altissimo, onnipotente, bon Segnore, nannte er, indem er ihnen einen Titel gab: »Bruder-Sonne-Lied«; er (Bruder Sonne) ist schöner als alle anderen Geschöpfe und kann eher als sie mit Gott verglichen

55

Vgl. Platzek, Sonnenlied, 33. Esser, Opuscula, 130. 57 »›Unde volo ad laudem eius et ad nostram consolationem et ad hedificationem proximi facere novam Laudem Domini de suis creaturis, quibus cotidie utimur et sine quibus vivere non possumus, et in quibus humanum genus multum offendit Creatorem, et cotidie sumus ingrati tante gratie, quia inde nostrum creatorem et datorem omnium bonorum sicut deberemus non laudamus.‹ Et sedens cepit meditari et postea dicere: ›Altissimo, onnipotente, Bon Segnore.‹ Et fecit cantum in ipsis et docuit sotios suos ut dicerent« (Leg. Per. 83; ed. Bigaroni, 234/236). 56

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werden. Deshalb sagte er: »Früh morgens, wenn die Sonne aufgeht, sollte jeder Mensch Gott loben, der sie geschaffen hat, weil durch sie unsere Augen am Tage erleuchtet werden; am Abend, wenn es Nacht wird, sollte jeder Mensch Gott loben wegen des anderen Geschöpfes, des Bruders Feuer, weil durch ihn unsere Augen bei Nacht erleuchtet werden.« Und er sagte: »Wir sind alle gewissermaßen blind, und der Herr erleuchtet durch diese beiden Kreaturen unsere Augen. Deshalb müssen wir für diese und alle seine anderen Geschöpfe, die wir Tag für Tag benutzen, unseren herrlichen Schöpfer jederzeit ganz besonders loben.«58

Nach diesem Text soll das »Sonnenlied« eindeutig das Lob Gottes aus Dankbarkeit für die Geschöpfe zum Ausdruck bringen. Dies unterstreicht auch der Herausgeber Marino Bigaroni: er meint, es sei überflüssig, eine philologische oder grammatische Lösung für die Bedeutung des »per« zu suchen; die einzig zutreffende Interpretation werde von dem Heiligen selbst gegeben: »wegen dieser Geschöpfe«.59 Wenn diese Interpretation zweifellos die für das »Sonnenlied« nächstliegende und einleuchtendste ist, so ist damit jedoch der Gedanke des Lobes Gottes durch seine Kreatur keineswegs ausgeschlossen. Franziskus spricht ihn z.B. in der »Exhortatio ad laudem Dei«, im Anschluß an Texte von Dan 3 und zahlreichen Psalmen, und an vielen anderen Stellen aus.60 Die Legenda Perusina selbst nennt, im Blick auf das »Sonnenlied«, beide Gesichtspunkte: Lob Gottes für die Geschöpfe und Lob Gottes durch dieselben, gewissermaßen in einem Atemzug: Wir, die wir mit ihm zusammen waren, sahen, wie er sich bei fast allen Kreaturen innerlich und äußerlich beständig freute, wie er sie berührte und gerne sah, so daß sein Geist nicht auf der Erde, sondern im Himmel zu sein schien. Und das ist offenkundig und wahr. Denn wegen der zahlreichen Tröstungen, die er in den Geschöpfen Gottes fand, komponierte und machte er kurz vor seinem Tod »Lobpreisungen des Herrn«

58 »Nam Laudes Domini quas fecit, videlicet: Altissimo, onnipotente, bon Segnore, imponens illis vocavit nomen Canticum fratris Solis, qui est pulcrior omnibus aliis creaturis et magis Deo assimilari potest. Unde dicebat: ›In mane cum oritur sol, omnis homo deberet laudare Deum qui creavit ipsum, qui per ipsum oculi de die illuminantur; in sero cum fit nox, omnis homo deberet laudare Deum propter aliam creaturam fratrem ignem, quia per ipsum oculi nostri de nocte illuminantur.‹ Et ait: ›Omnes sumus quasi ceci, et Dominus per istas duas creaturas illuminat oculos nostros; propter quod de his et aliis creaturis suis quibus cotidie utimur, specialiter ipsum gloriosum Creatorem semper laudare debemus‹« (ebd.; ed.c. 236/238). 59 »Inutilmente cercheremo una soluzione filologica o grammaticale del valore del ›per‹. L’unica interpretazione ci puo` venire e ci viene dal Santo, che appunto ce la da` in questo passo: ›per suo mezzo i nostri occhi vengono illuminati. . . tutti siamo ciechi ed il Signore a mezzo di queste creature illumina i nostri occhi. Percio` a motivo di queste creature. . .‹« (Leg. Per. ed. Bigaroni, 239, Anm. 150). 60 Esser, Opuscula, 282f.; Ders., »Exhortatio ad laudem Dei«. Ein wenig beachtetes Loblied des hl. Franziskus. AFH 67 (1974), 3–17.

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über (für!) seine Geschöpfe, um die Herzen derer, die sie hörten, zum Lobe Gottes anzuregen und damit der Herr in (durch!) seinen Geschöpfen von allen gelobt würde.61 (1) Höchster, allmächtiger, guter Herr, Dein sind die Lobgesänge, die Herrlichkeit und die Ehre und jegliche Preisung. Dir allein, Höchster, gebühren sie, Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen. (2) Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, Besonders Herrn Bruder Sonne; Der ist Tag, und du gibst uns Licht durch ihn, Und schön ist er und strahlend mit großem Glanze; Von dir, Höchster, gibt er Eindruck. (3) Gepriesen seist du, mein Herr, für Schwester Mond und die Sterne: Am Himmel hast du sie geschaffen, hell, kostbar und schön. (4) Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Wind Und für Luft und Wolke und heiteres und jedes Wetter, Durch das du deinen Geschöpfen Erhaltung gibst. (5) Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser, Die gar nützlich ist und bescheiden und kostbar und keusch. (6) Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Feuer, Durch den du die Nacht erleuchtest, Und er ist schön und erfreulich und stark und kräftig. (7) Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Mutter Erde, Die uns erhält und leitet Und mannigfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter. (8) Gelobt seist du, mein Herr, für die, welche vergeben um deiner Liebe willen, Und die Krankheit und Trübsal ertragen; Selig, die sie in Frieden ertragen werden, Denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden. (9) Gepriesen seist du, mein Herr, für unsere Schwester leiblichen Tod, Vor der kein lebender Mensch entrinnen kann. Weh denen, die in den Todsünden sterben! Selig, die sie in deinem allerheiligsten Willen findet, Denn der zweite Tod wird ihnen nichts anhaben.

61

»Et hoc manifestum et verum est, quoniam propter multas consolationes, quas habuit et habebat cum creaturis Dei, parum ante obitum suum composuit et fecit quasdam Laudes Domini de eius creaturis ad incitandum corda audientium eas ad laudem Dei et ut in suis creaturis Dominus ab omnibus laudaretur« (Leg. Per. 88; ed. Bigaroni, 256/258); Anfang des Zitates s.o. Anm. 20. Als Zeitpunkt für die Komposition des »Sonnenliedes« gibt die Leg. Per. näherhin »duobus annis ante obitum suum« an, d.h. den Herbst 1224, als Franziskus nach der Stigmatisation auf dem Berg Alverna krank in einer Schilfhütte bei S. Damiano lag; s. auch die Anmerkungen von Bigaroni, ed.c. 231, Anm. 143. 144; 233, Anm. 146.

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(10) Lobet und preiset meinen Herrn Und danket und dienet ihm mit großer Demut!

Die großen in dem »Sonnenlied« genannten Naturerscheinungen – es ist unter ihnen kein Tier erwähnt! – werden von Franziskus als Brüder und Schwestern (fraterno nomine) bezeichnet und erhalten damit eine quasi-personale Qualität: sie handeln im Auftrag des Schöpfers und Erhalters aller Dinge wie selbständige, mit Vernunft und Einsicht begabte Wesen; sie taumeln also nicht irrational und chaotisch zwischen zwei gegensätzlichen, sich bekämpfenden Welt-Prinzipien umher. Obwohl an ihrem Geschöpf-Sein und an ihrer Unterordnung unter die allumfassende Tätigkeit Gottes kein Zweifel besteht, werden zweien von ihnen doch höhere, nämlich quasi-göttliche Eigenschaften und Funktionen zugeschrieben: Bruder Sonne ist als Quelle strahlenden Lichts Gleichnis und Symbol für den Allerhöchsten selbst; Schwester Mutter Erde erhält und lenkt die Menschen wie Gott selbst. Indem ihr Franziskus den alten Ehrentitel »Mutter« wieder zuerkennt, rehabilitiert er etwas von dem Wesen der antiken, vorchristlichen Naturreligionen und erweckt es zu neuem Leben. In der »Sonnen-Strophe« (2) ist außerdem klar der Gedanke der Offenbarung Gottes in der Natur und durch sie ausgesprochen: Gott erleuchtet uns durch die Sonne, die ihn gleichnishaft darstellt. In der sogenannten »Friedens-Strophe« (8) erhält das Verbum »ertragen« (sostenere) eine ganz eigene Akzentuierung. Der Frieden wird nicht durch Selbstbehauptung, Bestehen auf dem eigenen Recht und Durchsetzung desselben gestiftet, sondern allein durch Vergeben und Ertragen um der Liebe Gottes willen. Allerdings spielt auch der Gedanke an den ewigen Lohn (für das erlittene Unrecht und die erduldeten Krankheiten) hier wie sonst bei Franziskus eine wesentliche Rolle. In der »Todes-Strophe« (9) erscheint Schwester Tod als ein normaler, natürlicher Vorgang, nicht als etwas Fatales und Böses für den Menschen. Als Unglück erweist sich am Ende allein der »zweite Tod«, nämlich dann, wenn der Mensch nicht im Einklang mit dem Willen Gottes gelebt hat. Franziskus vermeidet es jedoch, in diesem Zusammenhang von einer endgültigen Verdammnis zu sprechen – vielleicht nicht ohne Grund.

2. Inkarnation Weihnachten – »Festtag der Festtage« Weihnachten, das Geburtsfest des Herrn, war in den Augen des Franziskus das höchste Fest überhaupt. Wie der Porziuncola unter den heiligen Orten ein besonderer Rang zukam,62 so war Weihnachten die vornehmste unter den 62

I Cel 106; s.o. Kap. IV, bei Anm. 182.

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heiligen Zeiten. Die Legenda Perusina beschreibt diese Auffassung in wenigen prägnanten Sätzen: Denn der heilige Franziskus hatte für das Geburtsfest des Herrn eine größere Ehrfurcht als für irgend ein anderes Fest des Herrn. Denn wenn auch der Herr in seinen anderen Festen unser Heil gewirkt hat, so folgt doch aus seiner Geburt nach Meinung des heiligen Franziskus notwendig unser Heil. Er wollte deshalb, daß an diesem Tag ein jeder Christ sich im Herrn freue und um der Liebe dessen willen, der sich selbst uns gegeben hat, ein jeder Mensch nicht nur den Armen gegenüber mit Heiterkeit großzügig sei, sondern auch gegenüber Tieren und Vögeln.63

Es wurde schon erwähnt, daß Franziskus für die Weihnachtszeit gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz der Vögel vorschlagen wollte.64 Auch die Brüder Ochsen und Esel sollten eine besonders reichliche Futterration bekommen, weil die Jungfrau Maria den Gottessohn in dieser heiligen Nacht zwischen Ochs und Esel gebettet hatte. Am Geburtstag des Herrn sollten ferner alle Armen von den Reichen sattgemacht werden.65 »Den Geburtstag des Jesus-Knaben feierte er vor allen anderen Festen mit unsäglicher Heiterkeit; er versicherte, es sei der Festtag der Festtage, an dem Gott, zu einem ganz kleinen Kind geworden, an menschlichen Brüsten hing.« In ekstatischer Begeisterung versetzte sich Franziskus in das Kind und begann, wie ein Säugling zu brabbeln. Als Weihnachten einmal auf einen Freitag fiel und unter den Brüdern die Frage erörtert wurde, ob man sich an das Fleischverbot halten müsse, sagte er zu Bruder Moricus: »Du sündigst, Bruder, wenn du den Tag, an dem uns ein Kind geboren wurde (Introitus der dritten Weihnachtsmesse; Is 9,6), ›Venus-Tag‹ (Venerdı`, Freitag) nennst. Ich möchte, daß an so einem Tag sogar die Wände Fleisch äßen, und wenn sie es nicht können, dann sollen sie außen damit bestrichen werden!‹«66 In der Deutung des Thomas von Celano war das Erscheinen des Franziskus auf der Erde nach dem Heilsplan Gottes so etwas wie ein neues Weihnachten, eine Erneuerung der Geburt Christi. Im Prolog seines »Traktats über die Wunder« versteht er den Satz des alttestamentlichen Weisheitsbuches: »Zu der Zeit, da alle Dinge in tiefes Schweigen versunken waren und die Nacht sich in der Mitte ihres Laufes befand. . .« (Sap 18,14f.) von dem desolaten Zustand 63 »Nam beatus Franciscus maiorem reverentiam habebat in Nativitate Domini, quam in ulla alia sollempnitate Domini, quoniam, licet in aliis eius sollempnitatibus Dominus salutem nostram operatus sit, tamen ex quo natus fuit nobis, ut dicebat beatus Franciscus, oportuit nos salvari. Propterea volebat, ut tali die omnis christianus in Domino exultaret et pro eius amore, qui semetipsum dedit nobis, omnis homo non tantum pauperibus cum ylaritate esset largus, set etiam animalibus et avibus« (Leg. Per. 14; ed. Bigaroni, 46). 64 S.o. bei Anm. 40. 65 Leg. Per. 14 (ed.c. 46); II Cel 200 (Anal. Fr. 10,244). 66 II Cel 199 (ed.c. 244).

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der Christenheit vor dem Auftreten des Franziskus. Mit dem Introitus: »Dum medium silentium tenerent omnia« begannen zwei Messen der Weihnachtszeit: die vom Sonntag in der Weihnachts-Oktav und die von der Vigil von Epiphanie. Celano will sagen, daß nach langer Zeit der Finsternis und der Sünde in der Kirche mit Franziskus und seiner Bewegung gleichsam ein neues apostolisches Zeitalter angebrochen ist, mit dem die Erneuerung der Kirche eingeleitet wurde:67 Er bedachte, wie die alte Welt vom Schorf der Laster verdreckt war, wie die kirchlichen Stände (ordines) abseits der apostolischen Pfade dahintrotteten, und wie, als die Nacht der Sünden ihre Mitte erreicht hatte, den heiligen Lebenslehren (disciplinis) das Schweigen auferlegt wurde; sieh da, da sprang er plötzlich als ein neuer Mensch auf die Erde. Und als unversehens eine neue Heerschar erschien, da wunderten sich die Völker angesichts der Zeichen eines neuen apostolischen Zeitalters. Alsbald wurde die einst beerdigte Vollkommenheit der Urkirche ans Licht gebracht, deren Großtaten die Welt zwar las, deren Beispiel sie aber nicht sah. Warum soll man also nicht sagen, daß die letzten die ersten sind, da ja schon die Herzen der Väter zu den Söhnen und die Söhne zu den Vätern in wunderbarer Weise bekehrt wurden [Lc 1,17]? Oder sollen wir die so ruhmreiche Sendung der zwei Orden mißachten und sie nicht vielmehr für eine Vorankündigung eines binnen kurzem eintretenden großen Ereignisses halten? Seit den Zeiten der Apostel erging niemals ein so wunderbarer Anruf an die Welt.

Greccio – das »neue Bethlehem« Wie es seinem Wesen entsprach, versuchte Franziskus dem Weihnachtsgeschehen, der Geburt Christi, auf dem Wege der dramatischen Darstellung und des lebendigen Vollzugs nahezukommen. So wie er die Passion Christi zu einem Bestandteil seines eigenen Lebens machte, wollte er auch das Andenken an die Inkarnation für sich selbst und die Mitfeiernden zu einem sichtbaren und erlebbaren Ereignis gestalten. Für seine denkwürdige Feier, die er drei Jahre vor seinem Tod, im Jahre 1223, im Rahmen einer nächtlichen Weihnachtsmesse inszenieren wollte, hatte er sich einen Ort in der Nähe des Städtchens Greccio bei Rieti ausgeguckt. Im Schutz eines höhlenartigen Felsvorsprunges konnten hier Altar und Szenerie für die Darstellung aufgebaut werden. Zu dem ortsansässigen Ritter Johannes, der alles Nötige vorbereitete, sagte Franziskus, er wolle das Gedächtnis des in Bethlehem geborenen Kindes begehen und mit leiblichen Augen seinen hilflosen, bedürftigen Zustand in der Krippe, neben Ochs und Esel sehen. Durch den Aufbau der »historischen« Stallszene wurde aus Greccio ein neues Bethlehem. Aber folgen wir Thomas von Celano, der den Verlauf der Ereignisse in seiner ersten Lebensbeschreibung – in einem der schönsten Stücke mittelalterlicher lateinischer Prosa – geschildert hat:68 67 68

III Cel 1 (Anal. Fr. 10,271). I Cel 84–86 (ebd. 63f.)

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Es näherte sich der Tag der Freude, der Tag des Jubels kam heran. Von mehreren Orten wurden die Brüder gerufen. Die Männer und Frauen jener Gegend bereiteten nach ihren Möglichkeiten mit frohem Herzen Kerzen und Fackeln vor, um die Nacht zu erleuchten, die mit ihrem funkelnden Stern alle Tage und Jahre erleuchtet hat. Zum Schluß kam der Heilige, und als er alles vorbereitet fand, da sah er es an und freute sich. Die Krippe wird aufgestellt, Heu wird herbeigebracht, Ochs und Esel werden herangeführt. Dort wird die Einfalt geehrt, die Armut erhöht, die Demut empfohlen, und aus Greccio wurde so etwas wie ein neues Bethlehem. Die Nacht wird taghell erleuchtet, und sie ist köstlich für Mensch und Tier. Die Leute kommen an und freuen sich mit neuen Freuden über ein neues Geheimnis. Der Wald tönt wider von Stimmen, und das Echo der Felsen antwortet den Jubelnden. Die Brüder singen und bringen dem Herrn das gebührende Lob, und die ganze Nacht ist mit Jubel erfüllt. Der Heilige Gottes steht vor der Krippe, Ehrfurcht und Freude äußern sich in unartikulierten Lauten. Das Hochamt wird über der Krippe gefeiert, und der Priester erfreut sich an einem ganz neuen Trost. Man zieht dem Heiligen die Gewänder eines Leviten an – er war nämlich Levit –, und er singt mit volltönender Stimme das heilige Evangelium. Denn seine Stimme war eine gewaltige Stimme, eine angenehme, klare, sonore Stimme, die alle einlud zu den höchsten Gütern. Dann predigt er für das ringsum stehende Volk, und er spricht honigfließende Worte über die Geburt des armen Königs und über Bethlehem, die kleine Stadt. Oft, wenn er Christus mit seinem Namen »Jesus« nennen wollte, dann nannte er ihn, von brennender Liebe erfaßt, »Kind von Bethlehem«, wobei er das Wort »Bethlehem« nach Art eines blökenden Schafes aussprach und seinen Mund ganz mit seiner Stimme, mehr aber noch mit seiner zärtlichen Zuneigung ausfüllte. Er leckte auch seine Lippen mit der Zunge, wenn er »Kind von Bethlehem« oder »Jesus« sagte, indem er mit seinem Gaumen voller Seligkeit die Süße dieses Namens ganz auskostete.

Von der Predigt des Franziskus hebt der Biograph hervor, daß er »über die Geburt des armen Königs und über Bethlehem, die kleine Stadt« gesprochen habe. Wenn er den Namen »Betlemme« mit besonderem Affekt und besonderer Betonung, wie ein blökendes Schaf, aussprach, dann ging es ihm wohl darum, einen deutlichen Gegenakzent zu setzen gegen »Jerusalem«, das als Ziel der Kreuzzüge damals in aller Munde war. Wenn es auf »Bethlehem« ankam und Bethlehem überdies mitten in Italien neu erstehen konnte, dann ist damit wohl auch gesagt, daß kriegerische Unternehmen zur Befreiung des Heiligen Grabes und Landes überflüssig waren. Eine Deutung der Performance von Greccio wird in der Vision eines Teilnehmers an der Feier gegeben: Es häuften sich dort die Gaben des Allmächtigen, und ein tugendhafter Mann sah eine wunderbare Vision: Er sah in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; er sah, wie der Heilige Gottes an diesen Knaben herantrat und wie er ihn aus tiefem Schlaf erweckte. Und diese Vision war zutreffend, da das Jesus-Kind in den Herzen vieler dem Vergessen anheimgefallen war, in denen es durch seine Gnade und seinen Diener Franziskus wieder aufgeweckt und dem liebenden Gedächtnis eingeprägt wurde. Die feierliche Nachtwache kam schließlich zu einem Ende, und jedermann kehrte voll Freude nach Hause zurück.

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Thomas von Celano betont hier und an anderen Stellen das Neue und Neuartige des gesamten Vorganges. In der Franziskus-Forschung wird seit langem die Frage erörtert, worin eigentlich das Neue der Weihnachtsmesse von Greccio bestanden habe.69 Es ist hier zunächst an die dramatische Inszenierung sowie Sprache und (schauspielerisches) Verhalten des Franziskus selbst zu denken: all dies griff ja in den Verlauf einer gewohnten, festgelegten und festgefahrenen Liturgie ein. Franziskus hatte die liturgischen Kleider eines Leviten (d.h. Diakons) angelegt; der Biograph fügt hinzu: »denn er war Levit.« Dieser Zusatz ist verdächtig. War Franziskus wirklich ordinierter Diakon? Die Drei-Gefährten-Legende erwähnt, Franziskus habe in der Messe, die der Kardinal Hugolino bei einem Pfingstkapitel (vielleicht 1222) hielt, das Evangelium gesungen.70 Es wird also hier nicht ausdrücklich gesagt, daß er Diakon gewesen sei. Merkwürdig ist auch eine Formulierung des Chronisten Jordan von Giano. Jordan berichtet von dem Pfingstkapitel des Jahres 1221, bei dem er selbst anwesend und folglich Augenzeuge war: »Bei dem Kapitel war der Herr Kardinaldiakon Rainerius anwesend, zusammen mit mehreren Bischöfen und Ordensleuten. In seinem Auftrag zelebrierte ein Bischof die Messe, und man nimmt an, der heilige Franziskus habe das Evangelium und ein anderer Bruder die Epistel vorgetragen.«71 Auch hier fällt nicht der Begriff »Diakon«, und der Verfasser stellt die Sache so dar, als ob es keineswegs sicher sei, daß Franziskus in der Pontifikalmesse das Evangelium gesungen habe (creditur!). Das alles legt doch den Verdacht nahe, daß Franziskus nicht die Diakonen-Weihe empfangen hatte und nur gelegentlich den Diakon »machte« oder »spielte«. (Daß ein Nichtgeweihter in einem Leviten-Hochamt die Funktion des Diakons oder Subdiakons übernahm, war in der Katholischen Kirche bis in die neueste Zeit offiziell zwar nicht erlaubt, jedoch keineswegs ungewöhnlich). Die Feier von Greccio fand überdies nicht innerhalb der Mauern einer Kirche, sondern auf einer Art Bühne, im Schein von Fackeln, statt. Das Allerungewöhnlichste dürfte aber die Beteiligung von Tieren an einer Messe gewesen sein. Und Franziskus selbst reihte sich unter die Tiere ein, indem er wie ein Schaf blökte. In Kirche und Theologie der damaligen wie späterer Zeiten mußte so etwas anstößig und unheimlich erscheinen. Denn mit der Teilnahme der Tiere an der weihnachtlichen Feier der Inkarnation wurde ja ausgesagt, daß auch die nicht-menschlichen Kreaturen Anteil hatten an der »Frucht« der Menschwerdung Christi, der Erlösung. 69

Omer Englebert, Vie de Saint Franc¸ois d’Assise, Paris 1972, 337, Anm. 1. 3 Soc 61 (ed. Desbonnets, 136). 71 »Isti capitulo interfuit dominus Reynerius dyaconus cardinalis cum pluribus aliis episcopis et religiosis. Ad cuius mandatum episcopus quidam missam celebravit. Et beatus Franciscus creditur tunc ewangelium legisse et frater alius epistolam« (Chron. fr. Jordani 16; ed. Boehmer, 16). 70

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Den Reflex des Unverständnisses kann man noch beim heiligen Bonaventura erkennen, der ja auch sonst die Geschichte des Franziskus kräftig geklittert hat. In der Legenda maior heißt es am Anfang seiner sehr trocken gehaltenen Erzählung über das Ereignis von Greccio: »Damit aber dies nicht der Neuheit (oder: Neuerung) zugeschrieben werden konnte, erbat und erhielt er vom Papst (!) die Erlaubnis und ließ dann die Krippe bereiten, Heu heranschaffen, Ochs und Esel an den Ort bringen.«72 Und das am Ende des 13. Jahrhunderts gemalte Fresko von Giotto mit der Szene von Greccio innerhalb des Zyklus der Oberkirche S. Francesco in Assisi zeigt im Vordergrund merkwürdig klein geratene Bilder von Ochs und Esel. Es wurden zu dieser Zeit nur noch die Figuren von Ochs und Esel, keine lebendigen Tiere mehr, zur nächtlichen Weihnachtsmesse in die Kirche gebracht, und eben dies hat Giotto in seinem Bild festgehalten.

3. Heilsvermittlung Der Leib des Herrn »Mit der ganzen Glut seines Herzens war er entbrannt für das Sakrament des Leibes des Herrn, und er konnte nicht genug staunen über die (in diesem Sakrament gegebene) liebevolle Herablassung und herablassende Liebe«, heißt es in der zweiten Celano-Legende.73 Die außerordentlich hohe Wertschätzung, die Franziskus für den Leib des Herrn, das heißt: die vom Priester konsekrierten Elemente Brot und Wein, besaß, bezeugen auch viele seiner authentischen Schriften, darunter das Testament. Die Worte des Testaments: »Nichts sehe ich mit leiblichen Augen in dieser Welt von dem höchsten Gottessohne selbst außer seinem allerheiligsten Leib und Blut«,74 enthalten in nuce die Abendmahls-Auffassung des Franziskus. Wie in vielen anderen Fällen kommt es ihm auch hier zunächst auf das Sichtbare, Greifbare, Materielle, Zeitliche an. Nach den Worten der ersten Ermahnung an seine Gefährten hat das Sakrament jetzt, in der Gegenwart, die gleiche Bedeutung, die der geschichtliche Jesus zu seiner Zeit hatte: hier wie dort fällt die Entscheidung für den einzelnen Menschen, ob er das Leben erlangt oder der Verdammnis anheimfällt: 72 Bonaventura, Leg. mai. X,7 (Anal. Fr. 10,605); der Herausgeber merkt dazu an (ebd. Anm. 1): »Praecautio nova hic additur fonti.« 73 »Flagrabat erga sacramentum Dominici Corporis fervore omnium medullarum, stupori permaximo habens caram illam dignationem et dignatissimam caritatem« (II Cel 201; Anal. Fr. 10,245). 74 ». . quia nihil video corporaliter in hoc saeculo de ipso altissimo Filio Dei, nisi sanctissimum corpus et sanctissimum sanguinem suum« (Test. 10; Esser, Opuscula, 438f.); vgl. auch Epistola ad Clericos 3 (ebd. 163), u. bei Anm. 80. 81.

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Deshalb sind alle, die den Herrn Jesus Christus in seinem Menschsein gesehen haben und nicht im Geist und in der Gottheit gesehen und geglaubt haben, daß er der wahre Sohn Gottes ist, verdammt; so sind auch jetzt alle, die das Sakrament sehen, in dem in der Gestalt von Brot und Wein auf dem Altar mittels der Worte des Herrn durch die Hand des Priesters Heiliges geschieht, aber nicht im Geist und in der Gottheit sehen und glauben, daß es wirklich der allerheiligste Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus ist, verdammt. Das bezeugt der Allerhöchste selbst, der sagt: »Das ist mein Leib und das Blut meines neuen Testaments« (Mk 14,22. 24); und: »Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben« (Joh 6,55). So ist es der Geist des Herrn, der in seinen Gläubigen wohnt (Röm 8,11), der den allerheiligsten Leib und das Blut des Herrn empfängt. Alle anderen, die nichts von demselben Geist haben und sich anmaßen, ihn zu empfangen, essen und trinken sich das Gericht« (1 Kor 11,29).75

Für Franziskus erneuert sich in dem Herabsteigen des Sohnes Gottes auf den Altar gewissermaßen täglich die Inkarnation. Die geschichtliche Erscheinung Jesu, sein Fleisch, wiederholt sich jetzt in dem heiligen Brot. Der heutige Christ ist deshalb mit der gleichen Glaubensentscheidung konfrontiert wie die Apostel. Und die Gegenwart des Herrn bei seinen Gläubigen ist immerwährend: Deshalb: Ihr Menschensöhne, wie lange noch seid ihr finsteren Gemüts? Weshalb (Ps 4,3) erkennt ihr nicht die Wahrheit und glaubt an den Sohn Gottes? (Joh 9,35). Siehe, täglich erniedrigt er sich (Phil 2,8), genau wie damals, als er von seinem königlichen Thron (Sap 18,15) in den Schoß der Jungfrau kam. Täglich kommt er zu uns in demütiger Gestalt; täglich steigt er vom Schoß des Vaters herab auf den Altar in den Händen des Priesters. Und wie er sich den heiligen Aposteln im wahren Fleisch gezeigt hat, so zeigt er sich auch jetzt uns in dem heiligen Brot. Und wie sie beim Anblick seines Fleisches nur sein Fleisch sahen, aber glaubten, daß er Gott sei, wenn sie ihn mit geistigen Augen betrachteten, so sollen auch wir, wenn wir Brot und Wein mit körperlichen Augen sehen, sehen und fest glauben, daß es sein allerheiligster Leib und sein lebendiges und wahres Blut ist. Und auf diese Weise ist der Herr beständig mit seinen Gläubigen, wie er selbst sagt: »Siehe, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt« (Mt 28,20).76

Die geschichtliche Existenz des Sohnes Gottes und Brot und Wein im heutigen (und über die Zeiten fortdauernden) Kult sind also für »geistige Augen« in gleicher Weise Gottesoffenbarungen. Außer der engen Parallelität, die zwischen dem Leib des Herrn auf dem Altar und der geschichtlichen, »fleischlichen« Existenz Jesu hergestellt wird, ist das vielleicht Bemerkenswerteste an den Gedanken des Franziskus, daß der göttliche Geist selbst, der nach Röm 8 in den Gläubigen wohnt, Leib und Blut des Herrn empfängt. Nur wer dieses göttliche Leben in sich trägt, hat Anteil an Erlösung und Heil; wer den Geist nicht besitzt, zieht sich beim Empfang des Sakraments die Verdammnis zu. 75 76

Admonitio I: De corpore Domini (Esser, Opuscula, 106f.). Ebd. 107.

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Mit der Auffassung des Franziskus vom Sakrament des Herrenleibes als einer Erscheinung des Göttlichen in dieser Welt steht seine Ehrfurcht vor den Priestern der Römischen Kirche und den geschriebenen Worten in engem Zusammenhang: durch die den Priestern verliehene Amtsgewalt wird der Leib Christi gegenwärtig, und sie allein teilen ihn rechtmäßig an die anderen aus; das Sakrament des Altares kommt zustande durch die Kraft der Worte Christi. Wohl am prägnantesten sind diese Gedanken in dem geistlichen Vermächtnis des Heiligen zusammengefaßt:77 Danach gab der Herr mir, und er gibt weiterhin ein solches Vertrauen zu den Priestern, die nach der Lebensvorschrift der heiligen Römischen Kirche leben, wegen ihrer Weihe, daß ich, auch wenn sie mich verfolgen sollten, zu ihnen meine Zuflucht nehmen will. Und wenn ich eine so große Weisheit wie Salomon hätte und die kleinen armen Priester dieser Welt in ihren Pfarreien träfe, wo sie sich aufhalten, dann wollte ich nicht ohne ihr Einverständnis predigen. Und sie und alle anderen will ich fürchten, lieben und ehren als meine Herren. Und ich will bei ihnen nicht die Sünde betrachten, weil ich den Sohn Gottes bei ihnen erkenne und sie meine Herren sind. Und das tue ich deshalb, weil ich auf dieser Welt nichts leiblich sehe von dem allerhöchsten Gottessohn außer seinem allerheiligsten Leib und Blut, das sie empfangen und sie allein den anderen zuteilen. Und diese allerheiligsten Mysterien möchte ich über alles geehrt, ehrfürchtig behandelt und an kostbaren Orten aufbewahrt wissen. Seine allerheiligsten geschriebenen Namen und Worte will ich, wo immer ich sie an ungemäßen Orten finde, aufsammeln, und ich bitte darum, daß sie gesammelt und an einem ehrbaren Ort niedergelegt werden. Und alle Theologen und diejenigen, die in ihrem Dienst die allerheiligsten Gottesworte verwalten, müssen wir ehren und ehrfürchtig behandeln als solche, die uns Geist und Leben mitteilen.

Noch deutlicher wird den Brüdern in der 26. Ermahnung die Ergebenheit gegenüber dem Klerus ans Herz gelegt:78 Selig der Knecht, der Vertrauen zu den Klerikern hat, die korrekt nach der Lebensvorschrift der Römischen Kirche leben. Und wehe denjenigen, die sie verachten! Denn wenn sie auch Sünder sind, so darf doch niemand über sie richten, weil der Herr selbst sich allein das Gericht über sie vorbehält. Denn je bedeutender ihre Amtsgewalt ist, die sie in bezug auf den allerheiligsten Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus haben, die sie empfangen und die sie allein den anderen zuteilen, umso größer ist die Sünde derjenigen, die sich an ihnen versündigen – größer, als wenn sie sich gegen alle anderen Menschen dieser Welt versündigen würden.

Wie einzelne Formulierungen sowohl im Testament wie in dieser Ermahnung zeigen, hat sich Franziskus über die moralische Verkommenheit des Klerus seiner Zeit keine Illusionen gemacht. Dies sollte jedoch das Verhalten der Minderbrüder gegenüber den Priestern in keiner Weise bestimmen. Von 77 78

Testamentum 6–13 (Esser, Opuscula, 438f.). Admonitio 26: Ut servi Dei honorent clericos (ebd. 116f.).

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Bedeutung war hier allein die durch die Weihe verliehene Amtsgewalt, die den katholischen Priester dazu befähigte, Gott im Sakrament präsent zu machen. Dies stellte ihn im Rang sogar über die himmlischen Heiligen. Würde er einem solchen und einem Priester zugleich begegnen, sagte Franziskus einmal, dann würde er dem Priester zuerst die Ehre des Handkusses erweisen, der Heilige müßte warten: »Hallo! Heiliger Laurentius! Warte! Denn die Hände von dem hier fassen das Wort des Lebens an und haben etwas Übermenschliches an sich.«79 Andererseits war aber die Verkommenheit der Geistlichen die Ursache für den vernachlässigten und zum Teil ruinösen Zustand der Kirchen. Franziskus hat deshalb kein Bedenken getragen, den Klerus mit zwar ehrfürchtigen, doch unmißverständlichen Worten zur Ordnung zu rufen. Ein besonders eindrückliches Zeugnis hierfür ist sein Brief an die Kleriker.80 In sehr selbstbewußtem und fast harschem Ton macht er die Adressaten auf die unmöglichen Zustände in der Behandlung des Altarssakramentes aufmerksam und drängt sie dazu, schleunigst Abhilfe zu schaffen: Achten wir, alle Kleriker, auf die große Sünde und das Unwissen, das gewisse Leute bezüglich des allerheiligsten Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus und bezüglich seiner allerheiligsten Namen und Worte in geschriebener Form haben, die den Leib heiligen. Wir wissen, daß kein Leib sein kann, wenn nicht vorher das Brot geheiligt wird vom Wort. Denn wir haben und sehen auf dieser Welt nichts in körperlicher Form vom Allerhöchsten selbst außer Leib und Blut, Namen und Worten, durch die wir geschaffen sind und erlöst vom Tode zum Leben (1 Joh 3,14). Alle diejenigen aber, die so hochheilige Mysterien verwalten, sollen bei sich erwägen – hauptsächlich diejenigen, die unwürdig ihren Dienst ausüben81 – wie schäbig die Kelche, Korporalien und leinenen Altartücher sind, wo sein Leib und Blut geopfert wird. Und von vielen wird er an schäbigen Orten abgelegt und zurückgelassen, in erbärmlicher Weise getragen, ohne Würde genommen und den anderen unbedachtsam gereicht. Auch tritt man manchmal mit den Füßen auf seine Namen und geschriebenen Worte . . . Also laßt uns in allen diesen und anderen Verhältnissen schleunigst und wirksam Abhilfe schaffen! Und wo immer der allerheiligste Leib unseres Herrn Jesus Christus unwürdig (illicite) abgelegt und zurückgelassen ist, soll er von dem betreffenden Ort entfernt und ein für allemal an einen kostbaren Ort gelegt werden. Desgleichen die Namen und geschriebenen Worte des Herrn: wo immer man sie an unsauberen Orten findet, sollen sie aufgesammelt und an einem würdigen Ort abgelegt werden. . . 79

»Oi! Exspecta, sancte Laurenti! quia manus huius Verbum vitae contrectant, et ultra humanum aliquid possident« (II Cel 201; Anal. Fr. 10,245). 80 Epistola ad Clericos (Esser, Opuscula, 163f.). 81 »maxime hi qui illicite ministrant«: es sind damit nicht Priester gemeint, die unerlaubter Weise das Altarssakrament verwalten, sondern solche, die in unwürdiger oder unbedachter Weise damit umgehen. Wenige Sätze weiter in dem gleichen Brief, wo wieder das Wort »illicite« verwendet wird, ist von der Aufbewahrung des Leibes Christi die Rede. In der erhaltenen zweiten Fassung des Briefes ist das mißverständliche »illicite« durch »indiscrete« (achtlos, unbedacht) ersetzt.

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Nach alter Tradition hat sich Franziskus um die Beschaffung würdiger kultischer Geräte, wie der zur Aufbewahrung der konsekrierten Hostien dienenden Pyxiden, selbst gekümmert.82 Die bei der Messe zu konsekrierenden Oblaten scheinen keinen erfreulichen Anblick geboten zu haben. Also ließ er »gute und schöne Hostieneisen« anfertigen und an Kirchen verteilen. Eine dieser Hostienpfannen, mit einer rätselhaften Zeichnung, wird noch in dem Konvent von Greccio aufbewahrt.83 Franziskus scheute sich auch nicht, der verkommenen Priesterschaft die Reinigung ihrer verdreckten Kirchen in dramatischer Weise vorzuführen. Schon in den Anfangszeiten der Bewegung, als die Gemeinschaft erst wenige Mitglieder zählte, fegte er eigenhändig die Kirchen in der Umgebung von Assisi mit einem Besen aus. Ein Unterschied zwischen der Außenseite der heiligen Stätten und dem Innenleben der Kirche, dem Zustand des Gebäudes und dem moralischen Zustand der Seelen existierte für ihn nicht. Auch war er wohl der Meinung, daß Armut nicht unbedingt Verdreckung und Verwahrlosung rechtfertigt. Und dieser Punkt war ihm in seiner Verkündigung und Bekehrungstätigkeit eine sehr wichtige Sache. Und er trug einen Besen mit sich, um die Kirchen auszufegen. Denn der heilige Franziskus litt sehr darunter, wenn er eine Kirche betrat und sie in einem unsauberen Zustand sah. Immer, wenn er dem Volk gepredigt hatte, ließ er nach der Predigt alle Priester, die dort anwesend waren, an einem abgelegenen Ort zusammenkommen, damit ihn die Weltleute nicht hören konnten, und predigte ihnen vom Heil der Seelen und hauptsächlich, daß sie unbedingt dafür Sorge trügen, die Kirchen sauber zu halten, ebenso die Altäre und alles, was zur Feier der göttlichen Mysterien dazugehört.84

Wie man sieht, spricht Franziskus an vielen Stellen, wo es um die würdige Aufbewahrung des Leibes des Herrn geht, fast im gleichen Atemzug von den »Namen und Worten des Herrn in schriftlicher Form«: herumliegende Bücher, Blätter oder Teile und Fetzen von solchen sollen von den Klerikern und den Brüdern des Ordens gesammelt und an würdevoller, heiliger Stätte deponiert werden. In den Augen des Franziskus handelt es sich dabei immer um heilige Gottesworte, »durch die das Sakrament des Altares vollbracht wird.« Sie werden deshalb dem Leib Christi gleichgestellt und mit der gleichen Ehrfurcht behandelt wie die konsekrierte Hostie. Wie die Legenda Perusina berichtet, wollte Franziskus einen Passus in die Regel aufnehmen, der den Brüdern dies zur Pflicht machen sollte. Das Vorhaben scheiterte jedoch am 82 II Cel 201 (Anal. Fr. 10,245); Leg. Per. 108 (ed. Bigaroni, 332); vgl. Spec. perf. 65 (FF 1756). 83 Leg. Per. 108 (ed.c. 334); Johannes Jörgensen, Das Pilgerbuch. Aus dem franziskanischen Italien, Kempten 61922, 90–100; Zeichnung des Hostieneisens ebd.; Sulle orme di San Francesco nella Terra Reatina. Guida ai Santuari della Valle Santa, Terni 1980, 47. 84 Leg. Per. 60 (ed. Bigaroni, 152/154).

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Einspruch der Minister des Ordens.85 Man darf vermuten, daß mit den »Brüdern Ministern« vornehmlich auf Bruder Elias abgehoben wird, der verhindern wollte, daß die Mitglieder des Ordens offiziell auf eine bezüglich ihrer kirchlichen Orthodoxie doch recht fragwürdige Auffassung festgelegt würden. Denn wie man aus der ersten Celano-Legende entnehmen kann, ehrte Franziskus nicht nur die im engeren Sinne heiligen und göttlichen Schriften und ihre Fragmente, sondern auch profane und heidnische Texte und deren Bestandteile; ja sogar der einzelne Buchstabe galt ihm als heilig, so daß er in seinen eigenen Briefen keine Korrekturen durchführen ließ: bei Verschreibungen und Versehen durfte kein Buchstabe ausradiert oder gestrichen werden. Deswegen, wo immer er irgend etwas Geschriebenes, sei es göttliches oder menschliches, auf der Straße, im Haus oder auf dem Fußboden fand, sammelte er es voll Ehrfurcht auf und legte es an einem heiligen oder würdigen Ort nieder. Seine Ehrfurcht war darin begründet, daß dort (d.h. in diesen Schriftstücken) der Name des Herrn oder etwas, was dazu gehörte, geschrieben sein könnte. Als er eines Tages von einem Bruder gefragt wurde, weshalb er auch die Schriften der Heiden und solche, in denen der Name des Herrn nicht erwähnt wurde, so sorgsam aufsammelte, da antwortete er: »Mein Sohn, weil da Buchstaben sind, aus denen der glorreiche Name des Herrgotts zusammengesetzt ist. Und das Gute, das dort ist, gehört nicht den Heiden an oder irgendwelchen Menschen, sondern allein Gott, dem alles Gute gehört.« Und nicht weniger merkwürdig ist, daß er, wenn er einen Brief des Grußes oder der Ermahnung wegen schreiben ließ, nicht duldete, daß man daraus einen Buchstaben oder eine Silbe strich, auch dann nicht, wenn sie des öfteren überflüssig oder sinnentstellend hingeschrieben worden waren.86

Bezeichnender Weise taucht dieser anstößige Passus in den späteren Legenden nicht mehr auf, und die Art und Weise, wie der heilige Bonaventura ihn purifiziert hat, sagt dazu eigentlich alles: nach der Legenda maior geht es Franziskus nur darum, zu verhindern, daß der geschriebene Name des Herrn mit den Füßen zertreten wird.87 Bei Thomas von Celano steht die Stelle im 85 »Nam propter reverentiam sanctissimi corporis et sanguinis Domini Iesu Christi voluit similiter poni in regula, ut ›verba et nomina Domini inscripta, per que conficitur sanctissimum sacramentum, fratres ubicumque invenirent non bene reposita vel inhoneste in aliquo loco iacerent dispersa, recolligerent et reponerent, honorantes Dominum in sermonibus quos locutus est: multa enim sanctificantur per verba Dei, et in virtute verborum Christi altaris conficitur sacramentum.‹ Et licet non scriberet ista in regula, maxime quia fratribus ministris non videbatur bonum, ut fratres hoc haberent in mandato, tamen sanctus pater in Testamento suo et aliis suis scriptis fratribus relinquere voluit de hiis voluntatem suam« (Leg. Per. 108; ed. Bigaroni, 332/334). 86 I Cel 82 (Anal. Fr. 61); vgl. auch o. V. Kap., Anm. 53. 87 »Ipsum quoque Domini nomen non solum cogitatum, verum etiam prolatum et scriptum, reverentia volens honorificare praecipua, fratribus persuasit aliquando, ut omnes schedulas scriptas, ubicumque repertas colligerent mundoque loco reponerent, ne

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Zusammenhang seiner Beschreibung des Verhältnisses, das Franziskus zu den Tieren, Pflanzen und übrigen Naturerscheinungen hatte. Wie in der scheinbar vernunftlosen Kreatur sah er auch in den zufälligen und unabsichtlichen Produkten menschlichen Geistes göttliches Leben und göttlichen Geist gegenwärtig – und zwar nicht anders, als sie in dem heiligen Brot und Wein gegenwärtig waren. Die Bewahrung der göttlichen Worte und Buchstaben vor der Zerstörung (Ver-nichtung) und ihre Versammlung an einem heiligen Ort war im übrigen eine der sprechenden Zeichenhandlungen des Franziskus, mit der er seine Gefährten und Zeitgenossen auf göttlichen Ursprung, göttliches Leben und göttlichen Geist der Welt-Dinge und deren eschatologische Bestimmung, zu Gott zurückzukehren, hinwies. Ob der Schreiber ein Christ oder Heide, ein Gläubiger oder Ungläubiger war, spielte dabei keine Rolle, da alles Gute auf einen einzigen allmächtigen Schöpfer zurückgeht. Die durch die greifbaren Erscheinungen und Offenbarungen Gottes in dieser Welt gewirkte Versöhnung und Erlösung ist gleichfalls eine einzige und universelle. Und die Brüder sind die von Gott gesandten Zeugen für Welterschaffung und Welterlösung in diesem Sinne. Der an die beim Generalkapitel versammelten Ordensoberen und darüber hinaus an den ganzen Orden gerichtete, wohl 1224 oder noch später verfaßte Brief stellt die Abendmahlsauffassung des Franziskus in fast systematischer Weise in den großen Zusammenhang seiner Weltund Erlösungs-Anschauungen:88 Denn der Herr hat euch deshalb in die ganze Welt gesandt, daß ihr mit Wort und Tat Zeugnis für sein Wort gebet und alle wissen laßt, daß es außer ihm keinen Allmächtigen gibt . . . Ich bitte deshalb euch alle, Brüder, mit Fußkuß (Lk 7,38. 45) und der Liebe, deren ich fähig bin, daß ihr alle euch mögliche Ehrfurcht und Ehrerbietung dem allerheiligsten Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus erweist, in welchem alles, was im Himmel und auf Erden ist, mit dem allmächtigen Gott in Frieden und Versöhnung gebracht ist.

Es folgt eine Reihe überaus ernster Ermahnungen an die Priester, in denen nun nicht mehr die priesterliche Amtsgewalt und die auf dieser basierende Gültigkeit des Sakraments im Vordergrund stehen, sondern die Würdigkeit sowohl der Person wie der Handlung. Franziskus legt dabei einen sehr strengen Maßstab an: der Priester, der das Opfer des Leibes und Blutes des Herrn mit irgendwelchen Rücksichten auf Menschen, nicht aber in heiliger und reiner Absicht, allein im Blick auf Gott, feiert, der wird zu einem zweiten Verräter Judas. Unter den Händen des obzwar gültig, aber unachtsam und unwürdig zelebrierenden Priesters wird das im Sakrament sich ereignende forte sacrum illud nomen ibi scriptum contingeret conculcari« (Bonaventura, Leg. mai. X,6; ed.c. 604). 88 Epistola toti Ordini missa, una cum oratione Omnipotens, aeterne (Esser, Opuscula, 259–263)

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Werk Gottes zum Fluch für ihn. In stark emotional geladenen Sätzen weist Franziskus auf die überragende Bedeutung der Gegenwart des Herrgotts im Sakrament hin. Es ist der Herr des Weltalls (Dominus universitatis), der sich unter der unscheinbaren Gestalt des Brotes verbirgt. »Was für ein großes Unglück und was für eine bedauernswerte Schwäche ist es doch, wenn ihr ihn so gegenwärtig habt und euch noch mit irgend etwas anderem auf der ganzen Welt beschäftigt!« Sodann legt Franziskus den Priestern des Ordens die ehrfurchtsvolle Aufbewahrung der liturgischen Gefäße und Bücher und das Einsammeln aller »göttlichen geschriebenen Worte« ans Herz, so wie wir es aus anderen Texten schon kennen. Die Begründung, die er hier dafür gibt, lautet: »um uns die Hoheit unseres Schöpfers einzuprägen« (ad insinuandum in nobis altitudinem Creatoris nostri), das heißt: die Tatsache der realen Präsenz des Schöpfers in den genannten Kultgegenständen und Schriftstücken. Es folgt ein Sündenbekenntnis, in dem Franziskus dem Generalminister Elias, den Priestern und Brüdern des Ordens seine häufigen Verstöße gegen die Regel und seine Unachtsamkeit bezüglich des in der Regel vorgeschriebenen Stundengebets (Officium) bekennt. Das an den Brief sich anschließende Gebet spiegelt auf seine Weise die priesterliche Selbstlosigkeit und Reinheit wider, von der vorher die Rede war. Es ist eines der wichtigsten Zeugnisse genuin (früh-) franziskanischer Frömmigkeit und Spiritualität: Allmächtiger, ewiger, gerechter und barmherziger Gott, gib uns Armen deinetwegen das zu tun, von dem wir wissen, daß du es willst, und immer zu wollen, was dir gefällt, damit wir, in unserem Inneren gereinigt, in unserem Inneren erleuchtet und durch das Feuer des Heiligen Geistes entzündet, den Spuren deines geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, folgen und zu dir, Allerhöchster, allein durch deine Gnade gelangen können: der du in vollkommener Dreifaltigkeit und einfältiger Einheit lebst und regierst und ruhmvoll bist als allmächtiger Gott durch alle Ewigkeit. Amen.

Die »Vergebung von Portiuncula« Die Historizität der Bewilligung des sogenannten Portiuncula-Ablasses, oder, wie man zur Vermeidung von Mißverständnissen besser sagt, der Vergebung von Portiuncula, durch den Papst Honorius III. an Franziskus ist umstritten. Die Mehrzahl der neueren Forscher neigt zu der Meinung, daß es sich dabei um eine Legende ohne historisches Fundament im Lebenslauf des Franziskus selbst handelt. Die meisten modernen Biographen des Franziskus erwähnen deshalb das Ereignis überhaupt nicht mehr. Hauptgrund, den historischen Ursprung der Vergebung von Portiuncula in der überlieferten Form zu bezweifeln, ist die Tatsache, daß die ältesten franziskanischen Quellen darüber schweigen. Die frühesten Nachrichten über den Vorgang stammen aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts; erstmals ausdrücklich erwähnt wird er im Jahre 1277. Paul Sabatier, der am Ende des 19. Jahrhunderts alle frühen

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Zeugnisse dazu gesammelt hat, wandelte sich im Verlaufe seiner QuellenStudien vom Bezweifler zum Befürworter der Echtheit der ältesten Traditionen über die »Vergebung«. Seine erste, 1896 erschienene Untersuchung über den Gegenstand ist bis heute nicht überholt. Sie ist mit Ergänzungen eingegangen in die Einleitung seiner kritischen Edition des Traktates von Bruder Franciscus Bartholi von Assisi, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts alle damals erreichbaren Überlieferungen über den Ablaß gesammelt hat.89 Ein Teil dieser Dokumente ist noch in Abschriften des 13. und 14. Jahrhunderts erhalten, darunter die beiden wichtigsten: die Zeugenaussage des Bruders Benedikt von Arezzo, die auf Bruder Masseus von Marignano, einen Augenzeugen der Gewährung des Ablasses, zurückgeht,90 und die Aussage des Ritters Jakob Coppoli von Perugia, die auf Bruder Leo, Beichtvater und Sekretär des Franziskus, zurückgeht; Bruder Leo wiederum behauptete, Franziskus selbst habe ihm die Geschichte der Gewährung des Ablasses durch den Papst Honorius III. erzählt.91 Das Zeugnis Benedikts von Arezzo ist datiert auf den 31. Oktober 1277; das des Jakob Coppoli trägt keine Jahreszahl, dürfte aber um die gleiche Zeit aufgesetzt worden sein. Von Bedeutung für den Nachweis der Historizität der Vergebung von Portiuncula sind auch die Zeugnisse der Brüder Oddo von Aquasparta und Petrus Johannis Olivi, welcher letztere eine eigene Quaestio darüber verfaßt hat (Ende des 13. Jahrhunderts), sowie Johannes von Alverna und Ubertino von Casale (Beginn des 14. Jahrhunderts). Diese und andere von Sabatier publizierte und kommentierte Dokumente enthalten jedoch gegenüber den erwähnten ältesten Aussagen inhaltlich nichts Neues. Die Aussage des Benedikt von Arezzo enthält die wichtige Auskunft, daß Franziskus in Perugia von dem Papst Honorius für alle, die nach Reue und Beicht, vom Vorabend bis zum Abend des 2. August, zu dem Ort Santa Maria degli Angeli oder Porziuncola kämen, einen Ablaß von allen Sünden erbeten 89 P. Sabatier, E´tude critique sur la concession de l’indulgence de la Portioncule ou Pardon d’Assise, Paris 1896; Fratris Francisci Bartholi de Assisio Tractatus de indulgentia S. Mariae de Portiuncula, ed. P. Sabatier (Collection d’e´tudes et de documents, 2), Paris 1900. – Erstmals in diesem Jahrhundert wurde die historische Echtheit bestritten von Fr. Van Ortroy, Note sur l’indulgence de la Portioncule. Anal. Boll. 21 (1902), 372–380; ihm folgten: P.A. Kirsch, Der Portiunkula-Ablaß, eine kritisch-historische Studie. ThQ 88 (1906), 81–101; 221–291; Nikolaus Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts II, Paderborn 1923, 312–322. Über Franciscus Bartholi s.: Angelo Mercati, Frate Francesco Bartoli d’Assisi Michelista e la sua ritrattazione. AFH 20 (1927), 260–304. 90 Sabatier, Bartholi, XLIV–XLVI. 91 Ebd. LI–LIII; der Familie Coppoli gehörte das Haus, an dessen Stelle später der Konvent von Monteripido errichtet wurde; s. dazu: Antonius Fantozzi, Documenta Perusina ad Indulgentiam Portiunculae spectantia. AFH 9 (1916), 237–293; ebd. 239, Anm. 1; 240f.

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habe.92 Der Papst habe diesen Ablaß auf die inständigen Bitten des Franziskus gewährt, habe aber die Bemerkung gemacht, »es sei nicht die Gewohnheit des Apostolischen Stuhles, einen solchen Ablaß zu machen.«93 Benedikt von Arezzo war, wie er selbst sagt, noch von Franziskus in den Orden aufgenommen worden. Er genoß das Vertrauen der engsten Gefährten des Heiligen, mit denen er schon zu dessen Lebzeiten und dann nach seinem Tode über die Geheimnisse des Ordens sprach. Wie schon Sabatier bemerkt hat, handelt es sich dabei um esoterische Traditionen über die heilsgeschichtliche Bedeutung des Franziskus und seiner Bewegung. Sie waren aber nicht, wie Sabatier meint, dazu erfunden worden, um die in ihrer Berufung schwankend gewordenen Brüder zu stärken;94 sie enthielten vielmehr Geheimlehren über Heilsvermittlung und Erlösung, die mit der herrschenden Orthodoxie der Römischen Kirche kaum zu vereinbaren waren, und dienten allenfalls zur Bestärkung der zu einer unterdrückten Minderheit gewordenen Anhänger des ursprünglichen franziskanischen Ideals. Die theologischen Spekulationen im Zusammenhang mit der Stigmatisierung des Franziskus und der an ihn gerichteten Worte des Seraphen gehören dazu und auch, was hier zum ersten Mal deutlich wird: die Vergebung von Portiuncula – ihre Existenz und ihre Bedeutung. Nach dem Bericht des Benedikt von Arezzo hat Honorius III. selbst die Gewährung eines Ablasses nach den Vorstellungen des Franziskus als durchaus unüblich für den Apostolischen Stuhl bezeichnet. Der Papst, der ein gutmütiger und höflicher Mann war, drückt sich sehr zurückhaltend aus. Denn was Franziskus, unter Berufung auf die Autorität des Herrn Jesus Christus, von ihm verlangte, war nicht nur unüblich, sondern bedeutete die Infragestellung des gesamten kirchlichen Bußwesens. Wenngleich sich die kirchliche Ablaßlehre seit dem Mittelalter erheblich gewandelt hat, so erfolgt doch nach (damaliger und heutiger) rechtgläubiger Auffassung die Vergebung der Sünden (peccatum, culpa) ausschließlich im Bußsakrament. Franziskus hält denn auch 92 »Ego fr. Benedictus de Aretio qui olim fui cum beato Francisco quum adhuc viveret et divina gratia operante ipse pater sanctissimus ad suum ordinem me recepit, qui sociorum suorum socius fui et cum ipsis frequenter et in vita sancti patris nostri et post ipsius recessum de hoc mundo ad patrem cum eisdem de secretis ordinis frequenter collationem habui, confiteor me frequenter audivisse a quodam supradictorum sociorum beati Francisci qui vocabatur fr. Masseus de Marignano, qui fuit homo veritatis et probatissimae vitae, quod ipse fuit cum beato Francisco apud Perusium ante praesentiam domini papae Honorii quum petivit indulgentiam omnium peccatorum pro illis qui contriti et confessi convenirent ad locum Sanctae Mariae de Angelis, qui alio nomine Portiuncula nuncupatur, prima die Kalendarum Augusti vespere dictae diei usque ad vesperas sequentis diei« (Sabatier, Bartholi, XLIV–XLV). 93 »Quae indulgentia quum fuisset tam humiliter quam constanter a beato Francisco postulata, fuit tandem a summo pontifice liberalissime concessa, quamvis diceret ipse pontifex non esse consuetudinis apostolicae sedis talem indulgentiam facere« (ebd. XLV). 94 Sabatier, Bartholi, XLIV, Anm. 3.

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an der Beicht, verbunden mit der Reue, als Vorbedingung fest. Die von dem Priester im Bußsakrament ausgesprochene Absolution gibt dem Pönitenten allerdings keine Sicherheit, daß er von Gott auch tatsächlich Verzeihung erlangt hat. Es geht Franziskus nun um eine solche Gewißheit, oder genauer: der Papst soll die Gewißheit, die Franziskus selbst – aufgrund der Offenbarung Christi an ihn – schon längst hat, für die Gläubigen, die bei der PortiunculaKirche Vergebung suchen, bestätigen. Es geht aber Franziskus auch um Nachlaß der Strafen für die Sünden (poena). Dafür ist der Ablaß im kirchlichen Verständnis eigentlich da. Er wurde aber vom Papst und von anderen Großpriestern in seinem Namen üblicherweise erst nach gewaltigen Bußleistungen gewährt. Dazu gehörten etwa die oft jahrelangen Wallfahrten zum Grab Christi nach Jerusalem oder zu den Apostelgräbern nach Rom und Santiago. Wenn man, wie Franziskus es wollte, den Nachlaß aller Sündenstrafen in der Portiuncula-Kirche erlangen konnte, dann waren alle kriegerischen und unkriegerischen Pilgerfahrten ins Heilige Land überflüssig. Das Herzstück der Politik des mittelalterlichen Papsttums, die beständig sprudelnde Quelle seiner Finanzen, wäre mit einem Schlage ad absurdum geführt worden. Genau diese Befürchtung sprachen die Kardinäle der Umgebung des Papstes nach dem auf Bruder Leo zurückgehenden Bericht des Jakob Coppoli aus. (Wenn die wesentlichen Einzelheiten tatsächlich auf Franziskus selbst zurückgehen, dann erkennt man, daß er auch hier keineswegs naiv war und sehr genau wußte, worum es ging). Herr Jacobus Coppoli von Perugia sagte mir, dem Minister Bruder Angelus, vor dem Custoden von Perugia, Bruder Deodatus, und Bruder Angelus, meinem Gefährten, daß er einmal, in Gegenwart seiner Frau, des Jacobutius und einer anderen Frau, den Bruder Leo, Gefährten des heiligen Franziskus, gefragt habe, ob der in der Portiuncula angesiedelte Ablaß echt sei. Der antwortete: »Ja«; und er sagte, der heilige Franziskus habe ihm folgendes berichtet: er habe den Papst darum gebeten, den Ablaß an dem genannten Ort am Jahrestag der Weihe zu gewähren. Und der Papst antwortete, wieviel (Ablaß) er denn wolle. Und der Papst sprach von einem Jahr und von dreien. Und sie kamen bis auf sieben (Jahre). Aber der heilige Franziskus war auch damit nicht zufrieden. Da fragte der Papst, wieviel er wolle. Er antwortete: »Heiliger Vater, ich will, wenn es Eurer Heiligkeit gefällt, daß wegen der Wohltaten, die Gott an jenem Ort gewährt hat und noch immer gewährt, alle, die dorthin nach guter Reue und Beicht kommen, den Nachlaß aller ihrer Sünden erlangen, so daß sie weiterhin keine Unannehmlichkeiten mehr haben.«95 Und der Papst antwortete: »Ich bewillige, daß es so sei.« Als die Kardinäle davon Kenntnis erlangt hatten, sagten sie zum Papst, er möge es widerrufen, da es rechtliche Nachteile für das Heilige Land mit sich bringe.96 Der Papst 95 ». . ut omnes qui ibi venerint bene contriti et confessi habeant indulgentiam omnium peccatorum suorum, ut non habeant ulterius brigam« (ebd. LII). 96 »Et quum scivissent cardinales dixerunt papae, quod revocaret, quia erat in praeiudicium terrae sanctae« (ebd.). Franciscus Bartholi hat den Einwand der Kardinäle

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antwortete: »In keiner Weise werde ich widerrufen, nachdem ich einmal bewilligt habe.« Und sie erwiderten: »Dann schränkt es soweit ein, wie Ihr könnt!« Darauf sagte der Papst, der Ablaß solle nur für die Dauer eines normalen Tages in Kraft sein.

Aus dem Gespräch, das Franziskus mit dem Papst führt, wird deutlich, daß er sich mit seinem Vorhaben nicht in die kanonistischen Vorstellungen des kurialen Ablaßwesens einordnen lassen möchte. Er will nicht den Erlaß von drei oder sieben Jahren Kirchenbuße oder einer entsprechenden »zeitlichen« Gottesstrafe, sondern die Bestätigung einer totalen, umfassenden Heilszusage: diejenigen, die in der Portiuncula-Kirche den Nachlaß aller ihrer Sünden erlangt haben, sollen weiter keine Schwierigkeit (briga) vonseiten des kirchlichen Rechts- oder Bußsystems mehr haben. In seiner erweiterten Fassung des Berichts läßt Franciscus Bartholi den Franziskus sagen: »Heiliger Vater, es möge Eurer Heiligkeit gefallen, nicht Jahre, sondern Seelen zu geben.«97 Und nach dem Bericht des bei der Weihe der Portiuncula, am 2. August 1216, anwesenden Petrus Zalfanus verkündete Franziskus in Gegenwart von sieben Bischöfen der vor der Kirche wartenden Volksmenge: »Ich will euch alle ins Paradies schicken.«98 Die allgemeine und einfache Heilsvermittlung, wie er sie sich vorstellte, hätte das (finanziell einträgliche) kirchliche Bußwesen total ruiniert – zumal dieser Weg der Sündenvergebung für die Menschen sicherer war als der normale kirchliche. Als Franziskus vom Papst weggeht, hört er eine Stimme, die ihm die »himmlische Ratifikation« des vom Papst Gewährten mitteilt. Die Überzeugung des Franziskus von der Gewißheit des Heils, die er auch an die Menschen weitergab, mußte den Bewahrern des kirchlichen Rechts- und Sakramentensystems und den rechtgläubigen Theologen als pure Anmaßung, wenn nicht gar als glatte Häresie erscheinen. Und genau dies ist der Grund, warum die »Vergebung von Portiuncula« noch zu Lebzeiten des Franziskus der Vergessenheit anheimgegeben wurde und in der Versenkung verschwand. Schon der Bericht des Jakob Coppoli stellt diesen Zusammenhang her und ist darin keineswegs unglaubhaft. Franziskus hat demnach bezüglich der himmlischen Bestätigung des Ablasses zu Bruder Leo gesagt: »Behalte das für dich und sprich nicht darüber bis etwa zu deinem Tod, weil dies jetzt noch keinen Platz hätte; denn dieser Ablaß wird für eine Zeitlang verborgen werden; aber der Herr wird ihn hervorziehen, und er wird bekannt gemacht werden.«99 Der verdeutlicht: »Videte, domine, quoniam si huic talem indulgentiam exhibetis, ultra marinam destruitis et indulgentia beatorum Petri et Pauli ad nihilum redigetur et pro nihilo reputabitur« (ebd. 16). 97 »Sancte pater, placeat sanctitati vestrae non dare annos sed animas« (ebd. 15). 98 »Ego volo vos omnes mittere ad paradisum et annuntio vobis indulgentiam. . .« (ebd. LIVf.); vgl. Franciscus Bartholi, ebd. 26. 99 »Et quum exiret b. Franciscus a papa post concessionem, audivit vocem dicentem sibi: ›Francisce, scias quod sicut haec indulgentia data est in terra, ita confirmata est in

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Ablaß gehört damit zu den »Geheimnissen des Ordens«, die in der gegenwärtigen Kirche noch keinen Platz haben. Aus den genannten Gründen konnte der Ablaß im Sinne des Franziskus bis auf den heutigen Tag keinen Platz in der Katholischen Kirche finden. Zwar wurde er seit dem späteren Mittelalter oft durch die Päpste bestätigt, doch meinen diese Bestätigungen etwas ganz anderes, nämlich einen Ablaß von Sündenstrafen im Sinne der rechtgläubigen katholischen Doktrin und des kanonischen Rechts, nicht eine totale Sündenvergebung und die Gewißheit, direkt in das Paradies eingehen zu können, wie es sich Franziskus vorgestellt hatte.100 Die kirchliche Ablaßlehre in dem genannten Sinne wurde erstmals ausdrücklich definiert unter dem Eindruck der Polemik Martin Luthers gegen den Ablaß und den damit betriebenen Handel. In der Bulle »Cum postquam« vom 9. November 1518, die der Papst Leo X. an den Kardinal Thomas de Vio Cajetan, seinen Legaten in Deutschland, richtete (und die von diesem selbst entworfen worden war), ist festgehalten, was ein gläubiger Katholik unter dem Ablaß zu verstehen habe, nämlich: Der Bischof von Rom, Nachfolger des Schlüsselträgers Petrus und Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, könne aufgrund der Vollmacht der Schlüssel, welche dazu dienen, das Himmelreich zu öffnen, indem sie die Hindernisse dafür bei den Christgläubigen beseitigen (nämlich die Schuld und die für die aktuellen Sünden geschuldete Strafe; die Schuld mittels des Bußsakraments; die zeitliche Strafe aber, die man für die aktuellen Sünden gemäß der göttlichen Gerechtigkeit schuldet, mittels des kirchlichen Ablasses), aus vernünftigen Gründen denselben Christgläubigen . . . aus dem Überfluß der Verdienste Christi und der Heiligen Ablässe gewähren.101

caelo.‹ Et dixit s. Franciscus ad fr. Leonem: ›Teneas tibi secretum hoc et non dicas usque circa ad mortem tuam, quia non haberet locum adhuc, quia haec indulgentia occultabitur ad tempus, sed Dominus trahet eam extra et manifestabitur‹« (ebd. LII). 100 In der umfangreichen katholischen Literatur über den Portiuncula-Ablaß wird dieser Zusammenhang eher vernebelt als korrekt dargestellt; sowohl die Bestreiter der Historizität als auch deren Befürworter gehen stillschweigend davon aus, daß es sich um einen Ablaß im Sinne des heute geltenden kanonischen Rechts handelt; vgl. Van Ortroy, Note (o. Anm. 89); M. Faloci Pulignani, Gli storici della Indulgenza della Porziuncola. Misc. Fr. 10 (1906–1908), 65–94; 97–108; 129–148; 161–173; P.A. Kirsch, Portiunkula-Ablaß (o. Anm. 89); N. Paulus, Geschichte (o. Anm. 89); Leonhard Lemmens, Der heutige Stand der Portiunkulaablass-Frage. Franz. Stud. 3 (1916), 290–298; Am. Teetaert, Art. Portioncule, in: DThC 12/II (1935), 2602–2611; Raphael M. Huber, The Portiuncula Indulgence from Honorius III to Pius XI, New York 1938; Michael Bihl, Bibliographia. AFH 33 (1940), 199–210; Alberto Ghinato, Art. Perdono d’Assisi, in: Enc. Catt. 9 (1952), 1166–1169; G. Fussenegger, Art. Portiuncula, in: LThK2 8 (1963), 625f.; Luciano Canonici, La Porziuncola nei piu` antichi documenti francescani, Assisi 1959; Ders., La Porziuncola e gli inizi dell’Ordine francescano. Ricerche storiche, Assisi 1963; Ders., La Porziuncola, storia del santuario del »Perdono«, Assisi 1970; Ders., Art. Porziuncola, santuario, in: Dizionario Francescano. Spiritualita`, Assisi-Padova 1983, 1335–1354.

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Der Codex Iuris Canonici von 1917, der insgesamt 26 Canones über den Ablaß enthält, definiert ihn als »Nachlaß zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, die hinsichtlich ihrer Schuld schon getilgt sind.«102 Demgegenüber hat der zur Zeit gültige Codex von 1983 nur noch sechs Canones über den Ablaß, woran sich das Unbehagen der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an diesem mittelalterlichen Nachlaß zeigt. Die Ablaß-Definition ist indes die gleiche geblieben wie in dem davor geltenden kirchlichen Gesetzbuch.103 Im Jahre 1921, also vier Jahre nach Inkrafttreten des oben erwähnten Gesetzbuches, hat der Papst Benedikt XV. die Möglichkeit der Gewinnung des Ablasses in der Portiuncula-Kirche auf alle Tage des Jahres und auf alle Besuche des Heiligtums selbst (»Toties quoties«) ausgedehnt. Beides entsprach einer frommen Gewohnheit der Pilger, die schon jahrhundertelang, jedoch ohne eindeutige kirchlich-päpstliche Rechtsbasis, in Übung war. Merkwürdig ist, daß der gleiche Papst, in dessen Namen zuvor das für die gesamte Kirche gültige Recht publiziert worden war, jetzt, entgegen der dort enthaltenen allgemeinen Definition des Ablasses, von dem Portiuncula-Ablaß als »vollkommenem Ablaß aller Sünden« spricht.104 Handelt es sich hier nur um ein Versehen, oder eine Ungenauigkeit, so daß mit »Sünden« die Sündenstrafen gemeint sind? Zuletzt hat der Papst Paul VI., anläßlich der 750-Jahr-Feier des Portiuncula-Ablasses, in einem an den Generalvikar des Franziskanerordens Konstantin Koser gerichteten Schreiben vom 14. Juli 1966, ausführlich zu dem Ablaß Stellung genommen.105 In der unklaren, verschwommenen Begrifflichkeit der 101 H. Denzinger – A. Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Barcelona-Freiburg Br.-Rom-New York 341967, 1448; H. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hrsg. von Peter Hünermann, Freiburg Br. 37 1991, 1448. 102 Can. 911. – »Omnes magni faciant indulgentias seu remissionem coram Deo poenae temporalis debitae pro peccatis, ad culpam quod attinet iam deletis, quam ecclesiastica auctoritas ex thesauro Ecclesiae concedit pro vivis per modum absolutionis, pro defunctis ad modum suffragii« (Codex Iuris Canonici Pii X Pontificis Maximi iussu digestus Benedicti Papae XV auctoritate promulgatus. 1917). 103 Can. 992. »Indulgentia est remissio coram Deo poenae temporalis pro peccatis, ad culpam quod attinet iam deletis, quam christifidelis, apte dispositus et certis ac definitis conditionibus, consequitur ope Ecclesiae quae, ut ministra redemptionis, thesaurum satisfactionum Christi et Sanctorum auctoritative dispensat et applicat« (Codex Iuris Canonici auctoritate Ioannis Pauli pp. II promulgatus. 1983). 104 »Constat apprime«: AAS 13 (1921), 298–302; ebd. 301: ». . ut in posterum fideles ex utroque sexu, non tantummodo altera die mensis augusti, sed singulis quibusque anni diebus, quibus, admissorum tantummodo sacramentali confessione rite expiati, non Basilicam Patriarchalem Sanctae Mariae Angelorum, in qua ne die quidem augusti mensis altera talis indulgentia viget, sed in ipsa situm sacellum de Portiuncula visitent, quoties idem sacellum contrito saltem corde ingredientur, toties plenariam omnium peccatorum suorum indulgentiam consequi valeant.« 105 »Sacrosancta Portiunculae ecclesia«: AAS 58 (1966), 631–634.

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Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils wird hier versucht, ein für das 20. Jahrhundert zeitgemäßes Verständnis des Ablasses zu geben. Die entscheidenden Sätze lauten: Den Gläubigen aber, die durch Buße angeleitet diese »metanoia« zu erwerben bestrebt sind, weil sie nach der Sünde die Heiligkeit wiedererlangen wollen, mit der sie zuerst durch die Taufe in Christus bekleidet wurden, kommt die Kirche entgegen, die auch, indem sie Ablässe gewährt, mit gewissermaßen mütterlicher Umarmung und Unterstützung ihre schwachen und kranken Kinder aufrechthält. Der Ablaß ist also kein leichterer Weg, auf dem wir an der notwendigen Buße für die Sünden vorbeikommen können, sondern ist eher eine Stütze, die die einzelnen Gläubigen, die sich in Demut ihrer Krankheit sehr wohl bewußt sind, in dem mystischen Leib Christi finden, der insgesamt »zu ihrer Bekehrung durch Liebe, Beispiel, Gebete mitwirkt« (Const. »Lumen Gentium«, c. 2, n. 11). . . Der Ablaß, den die Kirche den Büßenden gewährt, ist die Offenlegung jener wunderbaren Gemeinschaft der Heiligen, die durch das eine Band der Liebe Christi die Allerseligste Jungfrau Maria und die Versammlung der im Himmel triumphierenden oder im Fegfeuer weilenden oder auf Erden pilgernden Christgläubigen auf mystische Weise zusammenhält. Denn durch den Ablaß, der mittels der Kirche gewährt wird, wird die Strafe verringert oder gänzlich abgeschafft, durch die der Mensch irgendwie daran gehindert wird, eine engere Verbindung mit Gott zu erreichen. Deshalb findet der büßende Gläubige in dieser besonderen Form kirchlicher Liebe eine gegenwärtige Hilfe, damit er den alten Menschen ausziehe und den neuen anziehe, »der zur Erkenntnis erneuert wird nach dem Bilde dessen, der ihn geschaffen hat« (Kol 3,10).

Der mit biblischen Zitaten und Anspielungen garnierte frömmelnde Wortschwulst kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß an dem kanonistischen Kern des Ablaßverständnisses: Nachlaß von Strafen, nicht von Sünden, festgehalten wird. Gleichzeitig aber werden bezüglich des traditionellen Verständnisses »zeitlicher Strafen« verbale Nebelschwaden ausgebreitet. Ein Verständnis von »Vergebung«, wie es Franziskus hatte, fand weder in der mittelalterlichen noch in der neuzeitlichen Kirche einen eindeutig anerkannten Platz. Es wurde verdrängt, doch hat es seine unübersehbaren Spuren hinterlassen, von den ältesten franziskanischen Quellen bis in die Gegenwart. Von den frühen Legenden des heiligen Franziskus sagt Michael Bihl, daß sie alle ein »tiefes und hochtönendes Schweigen« über den Portiuncula-Ablaß bewahrten.106 Doch die überragende Bedeutung, die dem heiligen Ort der Porziuncola für die franziskanische Bewegung und darüber hinaus für die Erlösung der Menschheit zukommen sollte, geht aus zahlreichen Stellen der ältesten Legenden und Äußerungen des Franziskus selbst hervor.107 Nach einem Bericht der »Drei Gefährten« sah einmal ein Bruder, der Franziskus 106 »silentium altum et altisonum omnium antiquissimarum Legendarum S. Francisci«: Bihl, Bibliographia (o. Anm. 100), 200. 107 S. dazu o. IV. Kap., bei Anm. 174–185.

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besonders nahestand, noch vor seinem Eintritt in den Orden in einer Vision, wie die gesamte blinde Menschheit sich um die Porziuncola versammelte und den Herrn um Erleuchtung anflehte; das Gebet wurde erhört, und alle wurden vom Licht des Heils erleuchtet.108 Ist es zu weit gegriffen, wenn man in dieser Stelle eine frühe »verdeckte Mitteilung« über die Vergebung von Portiuncula sieht? Der Verdacht erhärtet sich, wenn man liest, wie Thomas von Celano und in seinem Gefolge der heilige Bonaventura das Zeugnis der »Drei Gefährten« abgeschwächt haben. In diesen beiden »offiziellen« Franziskus-Legenden sieht der Bruder nicht mehr die gesamte Menschheit um die Porziuncola herum knieen, sondern »unzählige Menschen«.109 Am 29. September 1294 gewährte der Papst Cölestin V. mit der Bulle »Inter sanctorum« der Benediktiner-Abteikirche S. Maria von Collemaggio bei L’Aquila, wo er einen Monat zuvor, am Fest der Enthauptung Johannes des Täufers (29. August), gekrönt worden war, für eben diesen Tag einen Ablaß von Schuld und Strafe aller seit der Taufe begangenen Sünden.110 Zwei Jahre später hob der Nachfolger des »Engelpapstes«, Bonifaz VIII., in der Erwägung, »daß derartige Ablässe eher zum Verderben als zum Heil der Seelen führen könnten«, den Ablaß, der der Vergebung von Portiuncula nachgebildet war, nicht nur wieder auf, sondern erklärte dessen Nichtigkeit von Anfang an.111 In dem gleichen Schreiben »Ad audientiam« erhebt der Papst gegen seinen Vorgänger den Vorwurf, er sei dem Amt des »höchsten Apostolates« nicht gewachsen, also als Papst unfähig gewesen. Einen Ablaß als Nachlaß von Schuld und Strafe gibt es nach der offiziellen Sprachregelung der Katholischen Kirche nicht, erst recht nicht eine verbindliche Verheißung des Heils. Wenn in dem oben erwähnten Schreiben Benedikts XV. »Constat apprime« von der »vollständigen Vergebung aller Sünden« die Rede ist, dann handelt es sich wohl um eine sprachliche Ungenauigkeit oder ein Versehen. Oder steht dahinter doch eine Absicht, wenn auch nicht die des Papstes? In dem gleichen Schreiben nennt der Papst die Portiuncula »den heiligsten von allen Orten« (locum omnium sanctissimum). Als solchen haben die echten Franziskaner das Kirchlein immer betrachtet. Auf der Türschwelle 108

3 Soc 56 (ed. Desbonnets, 130): »omnes homines huius saeculi«. II Cel 20 (Anal. Fr. 10,143); Bonaventura, Leg. mai. II,8 (ebd. 566): »innumerabiles homines«. 110 ». . a baptismo absolvimus a culpa et poena quam pro suis merentur commissis omnibus et delictis« (Sabatier, Bartholi, CLXXXII). Über Weihe und Krönung Peters vom Morrone s. Herde, Cölestin V. (o. II. Kap., Anm. 11), 82. 111 »Nos considerantes, quod indulgentiae huiusmodi plus ad perditionem, quam ad salutem cedere poterant animarum, indulgentias ipsas et litteras praedicti praedecessoris super ipsis confectas cuiuscumque formae vel tenoris extitissent per speciales litteras nostras revocavimus, cassavimus, annullavimus et irritavimus omnino, ac nullius fore decrevimus firmitatis. . .« (»Ad audientiam« vom 23. Juli 1296: Sabatier, Bartholi, CLXXXIIIf.). 109

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ist in den Marmorfußboden die Inschrift eingelassen: »Dieser Ort ist heilig« (HIC LOCUS SANCTUS EST). Und über dem Eingangsportal kann man lesen: »Dies ist die Tür zum ewigen Leben. Deine Bitte, Franziskus, bewillige ich« (HAEC EST PORTA VITAE AETERNAE. PETITIONEM TUAM FRANCISCE ADMITTO). Es soll abschließend noch kurz die Frage nach der Datierung des Portiuncula-Ablasses erörtert werden. Nach den ältesten Quellen hat Franziskus den Papst Honorius III. in Perugia um dessen Gewährung gebeten. Honorius war nur am Anfang seines Pontifikates für kurze Zeit in Perugia, wo er am 18. Juli 1216 zum Papst gewählt worden war. Er blieb dort bis mindestens zum 12. August; am 24. August ist sein Aufenthalt in Narni bezeugt; Anfang September war er bereits in Rom.112 Die Anwesenheit des Franziskus beim Tode Innocenz’ III. am 16. Juli 1216 in Perugia ist bezeugt.113 Er hat sich darauf sicher noch einige Tage dort aufgehalten, um mit dem neuen Papst zu sprechen, und wird ihn bei dieser Gelegenheit um das Privileg für die Portiuncula-Kirche gebeten haben. Giuseppe Abate hat aus dem von Jakob Coppoli überlieferten Zeugnis des Bruders Leo und unter Berufung auf den Codex Assisiensis 656 geschlossen, daß die Weihe der Portiuncula am 2. August 1215 war, Franziskus also die »Vergebung« für den Jahrestag der Weihe erbeten habe.114 Dem steht die Aussage des Petrus Zalfanus entgegen, der behauptet, daß er selbst anwesend war, als der Ablaß von Franziskus anläßlich der Weihe der Kirche verkündet wurde. Demnach wäre die Weihe am 2. August 1216 gewesen, und für diese Datierung tritt Michael Bihl ein.115 Wenn sich auch letzte Sicherheit nicht gewinnen läßt, so ist doch wohl Bihl recht zu geben. In der Aussage des J. Coppoli wäre dann mit »anniversarius« die jährliche Wiederkehr der Kirchweih, nicht der erste Jahrestag gemeint. Die Weihe der Porziuncola, die Franziskus vornehmen ließ, war auch kaum die erste Konsekration des Kirchleins überhaupt, sondern eine Neuweihe nach Abschluß des Wiederaufbaus, die wahrscheinlich auf das Datum der ursprünglichen Kirchweih gelegt wurde.116

112

Potthast, Reg. Pont. Rom. I,468f. Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. 15 (ed. Little, 95): ». . Innocentius, in cuius obitu fuit praesentialiter sanctus Franciscus.« 114 ». . quod petiit a papa quod faceret indulgentiam in loco supradicto in anniversario consecrationis« (Sabatier, Bartholi, LII); G. Abate, Della data della consacrazione della Porziuncola e dei racconti sulla celebre Indulgenza. Misc. Fr. 37 (1937), 183–197. 115 Sabatier, Bartholi, LIV; Bihl, Bibliographia (o. Anm. 100), 209. 116 Nach der Chronica XXIV Generalium hätte Honorius III. den Ablaß erst im Januar 1224 bewilligt, was jedoch offenbar ein Irrtum ist (Anal. Fr. 3,29f. und ebd. Anm. 8). 113

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4. Passion Der »zweite Christus« Neben der Portiuncula-Kirche Santa Maria degli Angeli ist der Berg Alverna (La Verna) in der Nähe von Bibbiena, zwischen den Tälern des oberen Arno und des oberen Tiber gelegen, der heiligste Ort des Franziskanertums. Hier vollendete sich gut zwei Jahre vor dem Tode des Franziskus, um die Mitte des September 1224, dessen Gleichgestaltung mit Christus, und mehr als das. Betritt man den Klosterbezirk auf dem Alverna durch den alten (mittelalterlichen) Eingang, so kann man noch heute die Inschrift lesen, die den Anspruch des Berges zum Ausdruck bringt: NON EST IN TOTO SANCTIOR ORBE MONS: »Auf der ganzen Welt gibt es keinen heiligeren Berg.«117 Damit soll nicht nur die Überlegenheit über den Sinai und die anderen alttestamentlichen Berge, die Orte von Theophanien waren – Bethel, Horeb, Moria, Sion – betont werden, sondern auch über die neutestamentlichen Heilsberge – Tabor, Ölberg und Golgotha (!) – also die acht Berge von »Syrien«, »Outremer« (wie man im Zeitalter der Kreuzzüge sagte) insgesamt. Der Berg La Verna als Ort der Vollendung der Welterlösung ist den anderen heiligen Bergen der Gottesoffenbarung und Heilsgeschichte schlechthin überlegen. Es zeigt sich hier, wie in den Inschriften am Eingang der Portiuncula-Kirche,118 das große Selbstbewußtsein der franziskanischen Religion und die Tendenz, die bisherigen zentralen Heiligtümer des Christentums auf den zweiten Rang zu verweisen. Zweifellos spielt die Inschrift über der Pforte des Alverna-Konvents auch auf eine andere Inschrift an, die schon Franziskus selbst und seinen ersten Gefährten bekannt gewesen sein muß: diejenige über dem Altar der mittelalterlichen, »Sancta Sanctorum« genannten Privatkapelle der Päpste im Lateran-Palast zu Rom: NON EST IN TOTO SANCTIOR ORBE LOCUS.119 Die Geschehnisse auf dem Berg La Verna, ihre Vorgeschichte, ihr Zusammenhang mit anderen Ereignissen im Leben des Franziskus und ihre Wirkungsgeschichte bilden einen umfassenden mythologischen Komplex, in dem historische Realität und Legende, religiöses Erleben und theologische Deu-

117 Marino Bernardo Barfucci, Il Monte della Verna. Sintesi di un Millennio di Vita, Arezzo 1982, 38. 40. 118 S.o. bei Anm. 111–112 dieses Kapitels. 119 Abbildung bei Jürgen Wiener, Die Bauskulptur von S. Francesco in Assisi, Werl 1991, 341, Abb. 154. – Bruder Ägidius, einer der allerersten Gefährten, bei dem manche Züge des Franziskus übersteigert, ein wenig ins Karikaturhafte verzerrt erscheinen, hat kurz nach dem Tode des Franziskus die Überlegenheit des Ortes seiner eigenen Visionen, des Konvents von Cetona, noch über den Berg La Verna behauptet: Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,98f.); Vita beati Fratris Egidii 12 (13), in: Scripta Leonis, ed. Brooke (o. IV. Kap., Anm. 21), 336; vgl. o. Kap. IV, bei Anm. 64–65.

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tung desselben schwer zu trennen sind. Manche neueren Forscher haben angenommen, daß die Stigmatisierung keinerlei historische Basis habe, vielmehr unmittelbar nach dem Tode des Franziskus von dem amtierenden Generalminister Bruder Elias von Cortona erfunden worden sei, um dem Orden und der Christenheit die überragende (heilsgeschichtliche) Bedeutung des Verstorbenen vor Augen zu führen. Andere wiederum nehmen an, daß die Stigmata bei Franziskus erst kurz vor seinem Tode auftraten, nicht schon auf dem Berg La Verna im Herbst 1224. In der Tat ist der berühmte Rundbrief, mit dem Elias den Orden vom Tode des Franziskus in Kenntnis setzte, der älteste Text, in dem von den Stigmata die Rede ist und in dem sie auch ziemlich genau beschrieben werden.120 Elias schreibt dort unter anderem: »Nicht lange vor seinem Tod erschien unser Bruder und Vater als ein Gekreuzigter«; das heißt: er hatte, aufgrund von fünf Wundmalen, die auf seinem Körper deutlich sichtbar waren, das Aussehen von einem, den man ans Kreuz geschlagen hatte. An den Ober- und Unterseiten von Händen und Füßen zeigten sich vernarbte Wunden, in denen die Schwärze von Nägeln zu erkennen war. Die Wunde an der Brust hingegen, wie von einem Lanzenstich verursacht, war offen und sonderte häufig Blut ab. Will man dem Elias in diesem Fall eine Geschichts-Fälschung oder -Klitterung oder gar Manipulationen an der Leiche des Franziskus unterstellen, so muß man dafür ein einleuchtendes Motiv anzugeben wissen. Ein solches gibt es nicht. Die Tatsache der Stigmatisation ist sodann in den ältesten Franziskus-Biographien bezeugt: Thomas von Celano in seiner ersten Legende und die »Drei Gefährten« geben sowohl eine Schilderung des Hergangs als auch eine genaue Beschreibung des Aussehens der Stigmata, welche letztere mit derjenigen des Elias übereinstimmt:121 die Wunden an Händen und Füßen waren geschlossen; unter der Haut war »die Schwärze der Nägel« zu erkennen; nur die Seitenwunde war zeitweilig offen und schwitzte Blut aus. Auch in der Datierung des Ereignisses stimmen die beiden Legenden überein: es geschah »um das Fest Kreuzerhöhung« (14. September),122 »zwei Jahre vor seinem Tode«, also im Jahre 1224. Darüber hinaus nennt Celano, der in einigen Details genauer ist als die Drei-Gefährten-Legende, noch namentlich Bruder Elias und Bruder Rufinus als Zeugen, die die Wundmale schon bei Lebzeiten des Heiligen gesehen hätten, während die Drei-Gefährten-Legende sich auf die Bemerkung beschränkt, das Geheimnis (Domini sacramentum) sei den 120 Epistola Encyclica de transitu S. Francisci, in: Anal. Fr. 10,523–528; über den Brief s.o. I. Kap., II.1; u. IX. Kap., bei Anm. 31–33. 121 I Cel 94f. (Anal. Fr. 10,72f.); 3 Soc 69f. (ed. Desbonnets, 142f.); vgl. auch I Cel 90. 112. 119. 122 Am Ende des 13. Jahrhunderts kam man zu der Annahme, es sei an diesem Fest selbst gewesen: Barfucci, Monte (o. Anm. 117), 83; das kirchliche Fest der Stigmatisierung wird am 17. September begangen.

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engsten Gefährten (familiaribus sociis) bekannt gewesen, nach dem Tode des Franziskus hätten aber alle anwesenden Brüder und zahlreiche Laien seinen mit den Wundmalen Christi geschmückten Körper gesehen. Die Legenda Perusina enthält keine Datierung der Alverna-Vision, erwähnt auch die Stigmatisierung überhaupt nicht. Über das aus den beiden anderen Viten Bekannte hinaus wird jedoch mitgeteilt, daß sich Franziskus in das Eremitorium auf dem Alverna begeben habe, um dort die Michaels-Fastenzeit zu halten, die von Mariae Himmelfahrt (15. August) bis zum St. Michaelsfest (29. September) dauerte. Er wollte damit die heilige Jungfrau und den Erzengel Michael, »den Fürsten der Engel und der Seelen«, besonders ehren. Neben vielen anderen verborgenen und offenkundigen Tröstungen sei ihm bei dieser Gelegenheit die Vision des Seraphen gezeigt worden. Er sei in dieser Zeit auch gewaltigen Qualen durch die Dämonen ausgesetzt gewesen und habe über all dies einem von seinen Gefährten berichtet.123 Möglicherweise ist mit diesem Gefährten kein anderer gemeint als Bruder Leo, der sich während der gesamten auf dem Alverna verbrachten Zeit in unmittelbarer Nähe des Franziskus aufgehalten hat. Von Bruder Leo stammt denn auch das wertvollste, zuverlässigste und ausführlichste Zeugnis über alles, was sich während der rätselhaften Vision des Seraphen zugetragen hat, und zwar in den von seiner Hand in roter Tinte niedergeschriebenen Sätzen auf der sogenannten »Chartula fr. Leoni data«, die auch zwei Autographa des Franziskus enthält.124 Der heilige Franziskus hielt zwei Jahre vor seinem Tod ein vierzigtägiges Fasten am Ort Alverna zu Ehren der seligen Jungfrau Mutter Gottes und des seligen Erzengels Michael, vom Fest der Himmelfahrt der heiligen Jungfrau Maria bis zum Fest des heiligen Michael. Und die Hand des Herrn kam über ihn. Nach der Vision und Anrede des Seraphim und der Einprägung der Wundmale Christi auf seinem Leib dichtete er diese Lauden, die auf der anderen Seite des Zettels aufgeschrieben sind, und schrieb sie mit seiner Hand auf, indem er Gott für die ihm geschenkte Wohltat dankte.

Dieser Text des Bruders Leo ist so etwas wie der Kommentar zu dem Segen, den Franziskus für ihn auf dem gleichen Zettel aufgeschrieben und der Zeichnung, die er für ihn gemacht hatte. Die Zeichnung zeigt einen unter einem Erdhügel beerdigten bärtigen Kopf mit Kapuze; aus dem Munde wächst ein großes Tau heraus, das durch den Namen »Leo« im Text des Segens hindurchgeht. Bei dem Segensspruch selbst handelt es sich um den alttestamentlichen Priestersegen (Num 6,24–26) in leichter Veränderung des Wortlautes.125 Mit 123

Leg. Per. 118 (ed. Bigaroni, 372–376); zu dem Seraphen und den Dämonen s. den nächsten Abschnitt! 124 S. dazu o. Kap. I, Anm. 72 (lateinischer Text und Literatur)! 125 »Benedicat tibi dominus et custodiat te. ostendat faciem suam tibi et misereatur tui. conuertat uultum suum ad te et det tibi pacem. dominus benedicat f Leo te«; Übersetzung s.o. Kap. I, bei Anm. 73!

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dem Zeichen Tau auf seinem Namen möchte Franziskus dem durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Stigmatisierung tief verunsicherten Gefährten Gewißheit bezüglich seiner individuellen Erlösung geben: in der apokalyptischen Vision des Propheten Ezechiel werden die Bewohner Jerusalems, die Gott vor dem Untergang bewahren will, mit einem Tau auf ihrer Stirn gezeichnet (Ez 9,3–6; vgl. Apoc 7,2f.). Der Zettel (»Chartula«), den Franziskus für Bruder Leo ausfertigt und den dieser »bis zu seinem Todestag sorgfältig« aufheben soll,126 ist so etwas wie die Tessera, der Passeport, das Eintritts-Billet für die ewige Seligkeit des Besitzers. Die Zeichnung mit dem unter einem Erdhügel bestatteten Kopf spielt auf die mittelalterliche Legende vom heiligen Kreuz an. Nach ihr war der Hügel Golgotha, auf dem das Kreuz Christi errichtet wurde, das Grab Adams, des ersten Menschen und Verursachers des Unheils, aber damit auch wieder der Erlösung, die durch den »neuen Adam« Christus vollzogen wurde. (Deshalb befindet sich auf vielen Kreuzbildern am Boden, am Fußende des Kreuzes, ein Totenschädel). Nach der gleichen Legende wurde das Kreuz Christi aus einem (Palmenholz-) Balken gefertigt, der einmal als Schößling von Seth aus dem Paradies gebracht und dem toten Adam in den Mund gepflanzt worden war.127 Auf der Zeichnung für Bruder Leo identifiziert sich Franziskus (daß er es selbst ist, beweist die Kapuze!) mit dem ersten und dem zweiten Adam (Christus) zugleich und weist damit auf seine eigene Stellung in dem neu zu interpretierenden Erlösungsgeschehen hin. Um die Neuheit deutlich zu machen, verwendet er das »ihm vertraute Zeichen Tau«,128 nicht das gewöhnliche Kreuz. Er kann sich somit gegenüber Bruder Leo die Rolle des Priesters und die des apokalyptischen Engels zugleich »anmaßen«, weil ihm in der Vision des Seraphen und der Auszeichnung mit den Wundmalen des gekreuzigten Erlösers bewußt und gewiß geworden war: er war zum »zweiten Christus« 126 II Cel 49: »Accipe tibi chartulam istam, et usque ad diem mortis tuae custodias diligenter« (Anal. Fr. 10,161). Vgl. hierzu auch: Chiara Frugoni, Die Träume in der Legende der drei Gefährten, in: A. Paravicini Bagliani, G. Stabile (Hrsg.), Träume im Mittelalter, Stuttgart-Zürich 1989, 73. 90; ebd. 78–80. 127 Jacobi a Voragine Legenda aurea vulgo Historia Lombardica dicta, rec. Th. Graesse, Dresden und Leipzig 1846, zu den Festen Kreuzauffindung (3. Mai), 303ff., und Kreuzerhöhung (14. September), 605ff.; dazu ausführlich: Helmut Feld, Die »Verkündigung« innerhalb von Piero della Francescas Heilig-Kreuz-Zyklus in Arezzo. Franz. Stud. 67 (1985), 348–357. 128 »Familiare sibi signum Thau, prae ceteris signis, quo solo et missivas chartulas consignabat et cellarum parietes ubilibet depingebat«: III Cel 3 (Anal. Fr. 10,273); vgl. III Cel 159 (ebd. 321); über die Bedeutung des Tau ausführlich: Oktavian von Rieden, Das Leiden Christi im Leben des hl. Franziskus von Assisi. Eine quellenvergleichende Untersuchung im Lichte der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit. Coll. Fr. 30 (1960), 5–30; 241–263; 353–397; ebd. 18–26; zur Geschichte des Tau ist wichtig: Hugo Rahner, Antenna crucis. V. Das mystische Tau. Z. kath. Theol. 75 (1953), 385–410.

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geworden. Denn was war geschehen? Nach der Drei-Gefährten-Legende folgendes: Als er nämlich durch die Glut seraphischer Sehnsucht nach oben zu Gott gezogen wurde und durch sein liebevolles Mitgefühl in den verwandelt wurde, der aus übergroßer Liebe gekreuzigt werden wollte, erschien ihm eines Morgens, um das Fest der Erhöhung des heiligen Kreuzes herum, als er an der Flanke des Alverna genannten Berges betete – nämlich zwei Jahre vor seinem Tode – ein Seraph, der sechs Flügel hatte und inmitten der Flügel die Gestalt eines überaus schönen gekreuzigten Menschen zeigte; er hatte Hände und Füße in Kreuzesform ausgestreckt und zeigte ganz deutlich das Bild des Herrn Jesus. Mit zwei Flügeln nämlich verhüllte er den Kopf und mit zweien den übrigen Körper bis zu den Füßen; aber zwei waren zum Fliegen ausgestreckt. Als die Vision verschwand, blieb eine wundervolle Liebesglut in seiner Seele zurück. Doch auf seinem Fleisch erschien noch wunderbarer der Abdruck der Wundmale des Herrn Jesus Christus.129

Obwohl sich die Beschreibung der Erscheinung in I Cel130 in den wesentlichen Punkten mit derjenigen der 3 Soc deckt, scheint doch die letztere genauer zu sein, hinsichtlich des Ortes: es war die (westliche) Flanke des Berges, über dem Steilhang (Precipizio); hinsichtlich der Zeit: es war am Morgen, nicht etwa zu der Zeit, in der Jesus am Kreuz hing (von 12 bis 15 Uhr nachmittags);131 hinsichtlich der religiösen Bedeutung des Vorganges: Franziskus wurde in den Gekreuzigten verwandelt; hinsichtlich der Gestalt der Erscheinung: ein sechsflügeliger Seraph mit dem Aussehen eines außerordentlich schönen Menschen. Alle diese Details, insbesondere die Verwandlung des Franziskus in einen »zweiten Christus«, sind von großer Bedeutung. Die Bezeichnung »alter Christus« für Franziskus kommt zum ersten Mal in den Actus Beati Francisci, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, vor. Im 6. Kapitel heißt es, Franziskus sei »gewissermaßen ein zweiter Christus« gewesen, der der Welt gegeben 129 »Cum enim seraphicis desideriorum ardoribus sursum ageretur in Deum et in illum qui caritate nimia crucifigi voluit, transformaretur dulcedine compassiva, quodam mane circa festum Exaltationis sanctae Crucis, cum oraret in latere montis qui dicitur Alverna, duobus scilicet annis ante obitum suum, apparuit ei seraph unus sex alas habens et inter alas gerens formam pulcherrimi hominis crucifixi, manus quidem et pedes extensos habentis in modum crucis, effigiemque Domini Iesu clarissime praetendentis. Duabus enim alis velabat caput et duabus reliquum corpus usque ad pedes, duae vero ad volendum extendebantur. Qua visione disparente, mirabilis in anima ipsius remansit ardor amoris, sed in carne eius mirabilior apparuit impressio stigmatum Domini Iesu Christi« (3 Soc 69; ed. Desbonnets, 142). 130 I Cel 94 (Anal. Fr. 10,72). 131 Die an das Ereignis erinnernde tägliche Prozession zu der Kirche der Stigmata (Chiesa delle sacre Stimmate; Oratorio di San Michele Arcangelo) findet seit 1431 um 15 Uhr statt (Barfucci, Monte [o. Anm. 117], 56–60. 68). Doch läutet um 11 Uhr vormittags eine Glocke.

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wurde und den Gott Vater in vielen Dingen seinem Sohn gleichförmig gemacht habe, so bei dem heiligen Collegium der Gefährten, dem Geheimnis der Stigmata und dem vierzigtägigen Fasten.132 Im 18. Kapitel wird der Besuch der adeligen römischen Dame Jacopa dei Settesoli (Jacoba de Septem Soliis) bei Franziskus kurz vor dessen Tod geschildert: sie habe, so wie Maria Magdalena die Füße Christi mit ihren Tränen gewaschen und sie geküßt hatte (Lk 7,37f.), ihre Lippen auf die mit den göttlichen Malen gezeichneten Füße des Franziskus »wie auf die eines zweiten Christus« gedrückt.133 In der Bezeichnung des Franziskus als »zweiter Christus« ist ein ungeheuerer Anspruch ausgesprochen. Der mittelalterliche Übersetzer der Actus war sich dessen bewußt und hat diesen Anspruch abgemildert: in den Fioretti heißt es, daß die allerheiligsten Füße des Franziskus mit den Wunden Christi gezeichnet und geschmückt gewesen seien und daß die ringsum stehenden Brüder den Eindruck hatten, sie sähen die Maddalena zu Füßen Christi.134 Aus der Identifikation mit Christus ist hier in den Fioretti eine erinnernde Darstellung der Fußwaschung der Maddalena geworden. Vor Franziskus hat schon Joachim von Fiore den Anspruch erhoben, die Stelle Christi zu vertreten. Doch handelt es sich dabei ganz eindeutig um die Stellvertretung Christi in amtlicher (priesterlicher) Funktion, nicht um eine Konformität mit der göttlichen Person. Lucas, Erzbischof von Cosenza und ehemals Sekretär Joachims, berichtet, der Abt sei einmal am Karfreitag (um das Jahr 1190) zu der Kaiserin Konstanze in deren Palast zu Palermo gerufen worden, um ihre Beicht zu hören. Nachdem er gegenüber der Kaiserin, die in 132 »Verissimus servus Dei Franciscus, quia in quibusdam fuit quasi alter Christus datus in mundo, ideo Deus Pater tam felicem hominem in multis Cristo, suo Filio, fecit esse conformem, sicut apparuit in sanctorum sociorum sacro collegio, in stigmatum crucis mirando misterio et s. quadragesime continuato ieiunio« (Actus, ed. Cambell, 154); vgl. Fioretti, c. 7: »Il verace servo di Cristo santo Francesco, pero` che in certe cose fu quasi un altro Cristo, dato al mondo per salute della gente. . .« (ebd. 155); vgl. hierzu: Stanislao Da Campagnola, L’angelo del sesto sigillo e l’»alter Christus«. Genesi e sviluppo di due temi francescani nei secoli XIII–XIV, Roma 1971, 307; ältere Ausgaben der »Actus«: s.o. Kap. I, Anm. 134. 133 »Quando vero dicta domina intravit ad s. Franciscum adhuc viventem, maximam consolationem ex visione mutua perceperunt. Procidens autem illa ad illos pedes divinis caracteribus consignatos, tantam ibi accepit consolationem et gratiam et copiam lacrimarum, quod, sicut Magdalena pedes Domini lacrimis lavit, et devotissime amplexando et geminando oscula circumquaque quasi alterius Christi pedibus fidelia labia imprimebat, ita quod fratres a pedibus sancti non potuerunt illam avellere« (Actus, ed.c. 250). 134 »E mangiato ch’egli n’ebbe e molto confortato, questa madonna Jacopa s’inginocchia a’ piedi di santo Francesco, e prende que’ piedi santissimi segnati e ornati delle piaghe di Cristo e con sı` grande divozione li baciava e bagnava di lagrime, che a’ frati che stavano dintorno parea propriamente vedere la Maddalena a’ piedi di Gesu` Cristo, e per niuno modo la ne poteano ispiccare« (ebd. 251).

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der Kirche auf einem Sessel saß, Platz genommen hatte, forderte er sie auf, sich vor ihm auf den Boden zu setzen; andernfalls werde er ihr die Beicht nicht abnehmen, »weil ich jetzt die Stelle Christi einnehme, du aber die der büßenden Magdalena einnimmst.«135 Wenn auch die Bezeichnung des Franziskus als »alter Christus« erst ein Jahrhundert nach seinem Tode auftaucht, so ist doch die damit gemeinte Sache viel älter. Die Vorstellung der Konformität und Identität mit Christus muß auf Franziskus selbst zurückgehen. Da er sich der Ungeheuerlichkeit des mit der Stigmatisierung verbundenen Anspruchs sehr wohl bewußt war, hat er die Stigmata – ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, alles offen darzustellen – geheimzuhalten gesucht.136 In seiner zweiten Vita hat Celano die Anstrengungen geschildert, die er unternahm, um die Wundmale selbst vor seinen ihm am nächsten stehenden Gefährten zu verbergen, und wie ungehalten er reagieren konnte, wenn man ihm diesbezügliche Fragen stellte.137 Die religiöse Entwicklung des Franziskus wird von den Biographen, beginnend mit der Vision des Crucifixus von San Damiano, als fortschreitende Angleichung an den gekreuzigten Herrn dargestellt.138 Als die Wundmale Christi, die er seit seiner definitiven Bekehrung im Herzen getragen hatte, infolge eines jahrelangen Mitleidens der Passion Christi an seinem Leib zu Tage traten, war er, auch in seinem eigenen Bewußtsein, mit dem Erlöser zu einer Gestalt verschmolzen.139 Nach dem Bericht von Augenzeugen sah der tote Franziskus aus wie ein soeben vom Kreuz Abgenommener.140 Und in der Vision eines Bruders und der Vorstellung der dabei Anwesenden ist der unmittelbar nach seinem Tod verherrlichte Franziskus mit Christus zu einer einzigen Person geworden.141

135 Virtutum B. Joachim synopsis, per Lucam Archiepiscopum Cosentinum, ipsius Beati olim scribam familarem, Nr. 27 (Acta SS. Maii VII,94aC); hierzu: Stanislao da Campagnola, L’angelo (o. Anm. 132), 45f. 136 3 Soc 69; I Cel 90. 95. 137 II Cel 135f. 138 3 Soc 14; II Cel 10 u.ö.; s.o. Kap. III, bei Anm. 78. 79. 139 3 Soc 69; s.o. Anm. 136; vgl. III Cel 2. 140 »Resultabat revera in eo forma crucis et passionis Agni immaculati, qui lavit crimina mundi, dum quasi recenter e cruce depositus videretur, manus et pedes clavis confixos habens et dextrum latus quasi lancea vulneratum« (I Cel 112; Anal. Fr. 10,88); »Nam sicut dixit michi frater Leo, socius suus, qui presens fuit, quando ad sepeliendum lavabatur in morte, videbatur recte sicut unus crucifixus de cruce depositus« (Salimbene de Adam, Chronik; MGH SS 32,195); vgl. auch I Cel 90 (ed.c. 69): »Revera in quinque partibus corporis passionis et crucis signaculo pater venerabilis est signatus ac si in cruce cum Dei Filio pependisset.« 141 »Videbatur revera fratri et omnium comitantium turbae, quod Christi et beati Francisci una persona foret« (II Cel 219; ed.c. 257).

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Die Frage nach dem der Stigmatisierung zugrunde liegenden historischen Vorgang zu stellen, bedeutet, an die psychopathologische Persönlichkeitsstruktur des Franziskus zu rühren. Es ist aber deshalb nicht verboten, diese Frage zu stellen, auch bedeutet es kein Sakrileg – wenngleich die Antwort oder der Hinweis auf eine mögliche Antwort nur hypothetischen Charakter haben kann. Denn von den mittelalterlichen franziskanischen Geschichtsschreibern wird der gesamte Komplex der Vorgänge auf dem Alverna-Berg als unzweifelhaft übernatürlich und wunderbar dargestellt. Ich meine, daß diese Vorgänge auch für uns Heutige, im Sinne von Peter L. Berger, Hinweise auf die Transzendenz enthalten,142 wenn auch nicht in eindeutiger und rational aufzeigbarer Weise. Aber der heutige Historiker kann natürlich, bei aller Sympathie für das Mittelalter, nicht von der Aufklärung absehen. Die Frage nach den »natürlichen« Ursachen der Stigmata ist deshalb legitim. Schon im Mittelalter gab es eine Menge Leute – vor allem aus Kreisen des Klerus und der konkurrierenden Orden, die den Minoriten nicht wohlgesonnen waren –, die eine übernatürliche Entstehung der Stigmata bei Franziskus in Frage stellten oder bestritten.143 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich eine erneute Diskussion der Frage auf wissenschaftlicher Ebene, die durch einen Aufsatz des deutschen Historikers Karl Hampe ausgelöst wurde.144 Hampe kam nach Untersuchung der ältesten Quellen zu dem Ergebnis, daß die Historizität der Stigmata nicht zu bezweifeln sei. Er erörterte dann jedoch verschiedene Hypothesen, um deren Entstehung auf natürliche Weise zu erklären. Dies rief den heftigen Widerspruch des bedeutenden Franziskaner-Gelehrten Michael Bihl hervor. Bihl vertrat – wie übrigens so gut wie alle Forscher franziskanischer Provenienz, die sich mit der Angelegenheit befaßt haben – den Standpunkt, auch eine historisch-kritische Untersuchung der Stigmatisierung des Franziskus könne zu keinem anderen Ergebnis kommen, als daß die Stigmata »infolge einer Erscheinung«, also aufgrund eines übernatürlichen Eingreifens in den Verlauf der Ereignisse entstanden seien.145 Der Eingriff Gottes in Natur und Geschichte wäre demnach mit dem Instrumentarium der historischen Wissenschaft beweisbar. Als wenige Jahre darauf die Tübinger Dissertation über die Wundmale des Franziskus von Josef 142 P.L. Berger, Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz, Freiburg Br. 1991; Ders., Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg Br. 1992. 143 S. dazu: Andre´ Vauchez, Les stigmates de Saint Franc¸ois et leurs de´tracteurs dans les derniers sie`cles du moyen aˆge. Me´langes d’Arche´ol. et d’Hist. 80 (1968), 595–625; s. auch u. Kap. XI, bei Anm. 42–46! 144 K. Hampe, Die Wundmale des hl. Franz von Assisi. HZ 96, N.F. 60 (1906), 385–402. 145 M. Bihl, Die Stigmata des hl. Franz von Assisi. Hist. Jb. d. Goerres-Ges. 28 (1907), 529–550.

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Merkt, einem Schüler von Walter Goetz, erschien, in der die möglichen »natürlichen« Ursachen der Stigmata, nämlich vor allem Autosuggestion und Selbstverletzung, erörtert wurden, da holte Bihl mit dem ganzen Arsenal seiner stupenden Gelehrsamkeit zum Rundumschlag gegen den protestantischen, aufklärerischen, modernistischen, deutschen »Rationalismus« aus. Es kam ihm dabei seine überlegene Quellen- und Sprachenkenntnis gegenüber einem Jung-Wissenschaftler zugute, dessen Arbeit einfach zu »dünn« und mit einer Menge methodischer und anderer Fehler befrachtet war.146 Bihl sucht bei dem Leser seiner Arbeit den Eindruck zu erwecken, daß nicht nur die Tatsächlichkeit der Wundmale und deren Zusammenhang mit den Ereignissen auf dem Alverna-Berg mit erdrückenden historischen Argumenten zu beweisen sei (was in der Tat der Fall ist!), sondern auch deren Verursachung durch einen Eingriff übernatürlichen Charakters. Wer Zweifel daran anmeldet, daß als historisch-wissenschaftliche Erklärung der Stigmata letztlich nur die Annahme eines transzendenten Eingriffs in den Verlauf der Geschichte übrig bleibe, der wird in die häretische und rationalistische Ecke gestellt. Die letzte ausführliche Untersuchung über den Gegenstand hat der Kapuziner Oktavian (Schmucki) von Rieden, mit einer erschöpfenden Behandlung fast der gesamten davor erschienenen Literatur, vorgelegt.147 Wie vor ihm Bihl und viele andere franziskanische Gelehrte möchte auch Pater Oktavian die Historizität eines göttlichen und übernatürlichen Aktes bei der Stigmatisierung beweisen. Nun kann der historisch-kritische Aufweis der Evidenz eines Eingriffs von jenseits der sichtbaren Welt niemals gelingen, übrigens auch nach traditionellem katholischen Glaubensverständnis nicht. Nach den natürlichen Ursachen der Stigmata zu fragen, bedarf also weder einer methodischen noch einer theologischen Rechtfertigung: es ist vonseiten der historischen Forschung notwendig und auch im Rahmen des christlichen Glaubens legitim. Der Heiligkeit des Franziskus geschieht damit kein Abbruch. Von den drei in Frage kommenden Möglichkeiten: Betrug, Autosuggestion und Selbstverletzung kommt die erste nicht in Betracht: die ältesten Quellen bieten keinerlei Anlaß zu der Annahme, daß Franziskus selbst, seine engsten Gefährten oder Bruder Elias die Wundmale vorgetäuscht hätten. Dagegen ist die Möglichkeit der Autosuggestion, der beständigen und beharrlichen EinBildung, nicht a limine auszuschließen. Die Stigmata wären dann auf rein 146 J. Merkt, Die Wundmale des heiligen Franziskus von Assisi (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, 5), Leipzig und Berlin 1910; M. Bihl, De stigmatibus S. Francisci Assisiensis (occasione recentis cuiusdam libri). AFH 3 (1910), 393–432. 147 Octavianus a Rieden, De sancti Francisci Assisiensis stigmatum susceptione disquisitio historico-critica luce testimoniorum saeculi XIII. Coll. Fr. 33 (1963), 210–266; 392–422; 34 (1964), 5–62; 241–338.

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psychischem Wege zustande gekommen. Ich halte es dagegen für wahrscheinlicher, daß sich Franziskus, in dem abnormen und krankhaft-ekstatischen Zustand, in den er sich wochenlang hineinsteigerte, die Male auf mechanische Weise beibrachte. Die Seitenwunde sonderte Blut ab, wann immer und weil er sie offen hielt. Dafür spricht seine Gereiztheit, wenn ihn jemand nach den Blutflecken auf seiner Kutte fragte.148 Denjenigen, die seine Hände und Füße genau betrachteten, fiel auf, daß sich unter der Haut dunkle Gebilde befanden. Sie ragten etwas hervor und sahen an den Innenseiten der Hände und den Oberseiten der Füße aus wie Köpfe von Nägeln; an den entgegengesetzten Seiten schienen die Spitzen der Nägel hervorzustehen.149 Die Biographen betonen zwar mehrfach, daß die betreffenden Gebilde aus Fleisch waren. Doch liegt der Verdacht nahe, daß es verkapselte Holzpflöcke waren.150 Ein direktes Vorbild für die Stigmatisation des Franziskus gibt es nicht. Doch gibt es einen Vorgang, der überraschende Parallelen dazu zeigt. Es handelt sich um den Fall der heiligen Marie von Oignies (1177–23. Juni 1213). Der Kardinalbischof Jakob von Vitry, der ihr Beichtvater war und sie als seine geistliche »Mutter« ansah und ihre Lebensbeschreibung verfaßt hat, teilt darin mit: 148

II Cel 135. 136. I Cel 95. 113; II Cel 217a; III Cel 4.5.; 3 Soc 70; Bonaventura, Leg. mai. XIII,3; XV,2; III. Considerazione delle Stimmate (FF 1921); vgl. Elias, Ep. Encycl. (Anal. Fr. 10,526f.): »Nam manus eius et pedes quasi puncturas clavorum habuerunt, ex utraque parte confixas, reservantes cicatrices et clavorum nigredinem ostendentes.« – Die Technik der Kreuzigung war im Mittelalter nicht mehr bekannt und damit auch nicht die Tatsache, daß die Nägel bei den Handwurzelknochen, niemals in die Handflächen eingeschlagen wurden (weil die Hände sonst unter dem Gewicht des Körpers ausgerissen wären). Dies ist der Grund, weshalb das Turiner Grabtuch, entgegen den 1988 veröffentlichten Radiokarbontests, keine mittelalterliche Fälschung sein kann; s. dazu: Werner Bulst, Betrug am Turiner Grabtuch. Der manipulierte Carbontest, Frankfurt 1990. Die intelligent scheinende Hypothese, die der Münsteraner Kirchenhistoriker Bernhard Kötting in einem Fernseh-Interview (ARD, 24.3.1989) vorgetragen hat: das Turiner Grabtuch sei entstanden durch den Körperabdruck eines Franziskaners des 13. Jahrhunderts, der in der Nachfolge des Franziskus und Christi versucht habe, sich zu kreuzigen, scheitert eben daran, daß dem Betreffenden die antike Technik der Hinrichtung am Kreuz bekannt gewesen sein müßte; bei dem Turiner Grabtuch ist am Abdruck des rechten Unterarms einwandfrei zu erkennen, daß der Tote, von dem der Körperabdruck auf dem Tuch stammt, mittels in die Handwurzeln eingetriebener Nägel gekreuzigt wurde. 150 Offenbar war ein ähnlicher Verdacht auch den mittelalterlichen Zeitgenossen nicht fremd. In seiner 61. Lauda (Str. 42) läßt Jacopone da Todi Klara von Assisi den Versuch unternehmen, einen der Nägel mit ihren Zähnen aus dem Leichnam des Franziskus herauszuziehen: »Fra l’altre santa Chiara si l’appiccio` coi dente, de tal tesaro avara, essa co la sua gente; ma no i valse niente, ca i chiovi eran de carne; sı´ come ferro stanne, duro ed ennervato« (FF 2030). 149

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Aus Abscheu vor einer in der Vergangenheit liegenden Vergnügung fügte sie sich Leid zu, und sie fand keine Ruhe in ihrem Geist, bis sie ihre verflossenen, wie immer gearteten Wollüste durch Quälen ihres Fleisches auf wundersame Weise wieder gutgemacht hatte. Denn von der Glut ihres Geistes gewissermaßen berauscht empfand sie aus Zärtlichkeit zu dem Osterlamm Ekel vor den einzelnen Teilen ihres Fleisches und schnitt nicht geringe Stücke davon mit einem Messer ab, die sie dann aus Scham in der Erde versteckte. Und weil sie, entzündet vom Brand übergroßer Liebe, den Schmerz des Fleisches überwand, sah sie, wie ihr einer von den Seraphen in dieser Ekstase beistand. Die Stellen der Wunden aber fanden Frauen, als ihr Körper nach ihrem Tod gewaschen wurde, und sie wunderten sich. Die aber das Vorgenannte aus ihrer Beicht kannten, verstanden, worum es sich handelte.151

Um die Freuden ihrer Jugend »geistlich« zu kompensieren, fügt sich die Heilige mit einem Messer Selbstverstümmelungen zu. Die verflossenen Wollüste, für die auf diese widerwärtige Art Buße getan wird, sind diejenigen des Ehebetts. Man braucht deshalb keine ausschweifende Phantasie, um zu ahnen, welche Teile ihrer Haut Marie weggeschnitten hat. (Es waren vor allem die sensiblen Brüste, denen die mittelalterlichen Mystikerinnen mit Hilfe von Bußwesten und anderen Marterinstrumenten die Wollust auszutreiben versuchten, wie man auch bei Klara von Assisi sehen kann). Die eigentliche Parallele zu dem Alverna-Ereignis besteht in dem ekstatischen (Rausch-) Zustand der Heiligen und der Gegenwart eines Seraphen. Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Franziskus Kenntnis von diesem Vorgang hatte. Er ist Jakob von Vitry, der beständig den Finger der Marie von Oignies in einem Reliquiar mit sich führte,152 mindestens zweimal begegnet: 151 »Ex quadam praeteritae delectationis abominatione sese affligendo, requiem non habuit in spiritu suo, donec praeteritas, qualescumque delicias, carnis suae cruciatu mirabiliter recompensaret. Fervore enim spiritus quasi inebriata, prae dulcedine Agni Paschalis carnes suas fastidiens, frusta non modica cum cultello resecavit, quae prae verecundia in terra abscondit: et quia nimio amoris incendio inflammata carnis dolorem superavit, unum de Seraphin in hoc mentis excessu sibi adstantem aspexit. Loca vero vulnerum, cum corpus eius in morte lavaretur, mulieres invenerunt, et admiratae sunt: qui autem ex eius confessione praedicta noverant, quid esset intellexerunt«: Acta SS. Jun. IV (1707), 641f. – Auf die mögliche Bedeutung dieser Stelle für die Frage nach den Ursachen der Stigmatisation bei Franziskus hatte schon Philipp Funk: Jakob von Vitry. Leben und Werke (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, 3), Leipzig und Berlin 1909, 127–129, aufmerksam gemacht; s. dazu auch die kritische Miszelle von Joseph Greven: Zur Frage nach den Wundmalen des hl. Franziskus von Assisi. Theol. u. Glaube 2 (1910), 670f. Über Marie von Oignies s.: Ursula Peters, Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts, Tübingen 1988, 111–114; Otto Langer, Zum Begriff der Erfahrung in der mittelalterlichen Frauenmystik, in: Walter Haug und Dietmar Mieth (Hrsg.), Religiöse Erfahrung. Historische Modelle in christlicher Tradition, München 1992, 229–246; ebd. 235–237. 152 Jakob von Vitry, Ep. I aus Genua, Oktober 1216 (Boehmer, Analekten, 95); vgl. u. VIII. Kap., bei Anm. 54!

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beim Tod Innocenz III. (16. Juli 1216) und der darauf folgenden Wahl Honorius’ III. in Perugia und bei der Belagerung von Damiette durch das Kreuzfahrer-Heer im Winter 1219 – Frühjahr 1220.153 Daß der Bischof bei einer solchen Gelegenheit von den Lebensumständen seiner »Mutter« erzählt haben wird, ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Es ist auch keineswegs absurd, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß Franziskus bei dem Geschehen auf dem Berg Alverna sowohl die Vision des Seraphen als auch die Selbstverstümmelung der Marie von Oignies als Vorbilder gedient haben könnten. Hierzu passen die ganz außerordentlichen Geheimhaltungsmaßnahmen, mit denen sich Franziskus während der Fastenzeit auf dem Alverna-Berg umgab. Selbst sein engster Vertrauter, Bruder Leo, durfte nur zu ihm kommen, wenn er sich vorher laut angekündigt hatte. Diese Mitteilung taucht zwar zum ersten Mal in den Actus B. Francisci auf,154 ist aber keineswegs unglaubwürdig und fügt sich in den Rahmen der gesamten, von Franziskus bewußt gestalteten Inszenierung des Michaels-Fastens, in die auch zufällige Naturerscheinungen – die Vögel! – und die geologischen Besonderheiten des Berges, seine Felsen und Höhlen, mit einbezogen waren.155 Wenn auch die diesen Plätzen zugeordneten Ereignisse in den älteren Quellen nicht überliefert und deshalb mit großer Vorsicht aufzunehmen sind, so kann doch an dem Aufenthalt des Franziskus an eben diesen Orten keinerlei Zweifel bestehen, und daß er sie mit der Passion und Kreuzigung Christi in Verbindung gebracht hat, ist mehr als wahrscheinlich. Schon die Geschichte der Schenkung des Berges an Franziskus durch den Grafen Orlando von Chiusi ist eine seltsame Mischung aus Absichten und Zufällen. Der Verfasser der Actus B. Francisci sieht dahinter natürlich, wie hinter allen Ereignissen im Leben des Heiligen, die Fügung Gottes am Werk.156 Die Begegnung zwischen beiden fand statt in San Leo, das damals noch Montefeltro (Mons Feltri) hieß. Anlaß war eine festliche Versammlung der Ritterschaft, bei der neue Ritter geschlagen wurden. Franziskus wollte die Gelegenheit wahrnehmen, vor dieser illustren Gesellschaft zu predigen, »um mit Hilfe Gottes unter ihnen einen Fortschritt zu erzielen.« Das Thema seiner Predigt lautete: »So groß ist jenes Gut, das ich erwarte, daß alle Pein mir nur 153 Jakob von Vitry, Ep. VI aus Damiette, März 1220 (ebd. 101); vgl. dazu Thomas von Eccleston; De adventu, Coll. 15 (ed. Little, 95): o. Anm. 113. 154 Actus, c. 9,29–31. 49 (ed. Cambell, 180. 186); vgl. II. Cons. (FF 1910); III. Cons. (FF 1915f.). 155 II Cel 168; III Cel 25; Leg. Per. 118 (ed. Bigaroni, 374); Bonaventura, Leg. mai. VIII,10; Actus, c. 9 (ed. Cambell, 178–181); II. Cons. (FF 1913); Barfucci, Monte (o. Anm. 117), 52–54 (Sasso Spicco); 54–56 (Letto di San Francesco); 61f. (Scogliera delle Stimmate); 78f. (Precipizio). 156 Actus, c. 9 (ed. Cambell, 172–180); »primo referentes laudem Deo, qui per suos fideles providet suis oviculis« (ebd. 176).

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Vergnügen ist« (Tanto e` quel bene che aspecto, c’ogne pena m’e` delecto).157 Franziskus ging es darum, einen einsamen Ort (locus solitarius) zu finden und wohl auch zu erwerben, wobei sich seltsamer Weise für ihn in diesem Augenblick die Frage des (an sich ja regelwidrigen) Besitzes überhaupt nicht stellt.158 Dem sehr reichen toskanischen Landadeligen Orlando aber geht es um das Heil seiner Seele: er möchte die Angelegenheit seines Seelenheils mit Franziskus »in Ordnung bringen« (ordinare). Das Geschenk des Berges, das er Franziskus anbietet, ist die Gegengabe für das Heil seiner Seele; daran läßt der Text überhaupt keinen Zweifel.159 Und Franziskus geht auf diesen Deal ein, das heißt: er muß dem Grafen in diesem Punkt eine Zusage gemacht haben, die ihm Gewißheit bezüglich seines Heils gab – ebenso wie er es später bei Bruder Leo mit der »Chartula« getan hat. Der »seraphische Heilige« Die visionären Erlebnisse des Franziskus auf dem Alverna-Berg im September 1224 werfen noch weitere schwierige Fragen auf. Denn die Erscheinung, die er sah, war nicht der gekreuzigte Heiland in seiner bekannten, traditionellen Gestalt. Es war vielmehr »ein Seraph, der sechs Flügel hatte und inmitten der Flügel die Gestalt eines überaus schönen gekreuzigten Menschen zeigte«;160 »ein Mann, der wie ein Seraph sechs Flügel hatte und über ihm stand, mit ausgebreiteten Armen und zusammengefügten Füßen, an ein Kreuz geheftet.«161 Es war also ein Engel in Gestalt eines gekreuzigten Menschen, der im Gegensatz zu den geläufigen Kreuzbildern überaus schön war; Celano 157 Auf dem Marktplatz von San Leo erinnert eine (moderne) Inschrift an die Predigt des Heiligen; sie hat folgenden Wortlaut: »Qui / San Francesco d’Assisi / nel VIII maggio MCCXIII / predico / ospitato in questa casa / ebbe in dono / dal Conte Orlando Catani di Chiusi / il Monte della Verna.« Etwa 2 km von der Stadt entfernt befinden sich noch die schönen mittelalterlichen Gebäude des Konvents Sant’Igne (»Heilig Feuer«), dessen Gründung auf Franziskus selbst zurückgeführt wird; s. Canonici, Terra (o. IV. Kap., Anm. 71), 105f. 158 ». . libentissime vestram caritativam oblationem accepto« (Actus, ed.c. 176). 159 »Inter quos dominus Urlandus predictus, gavisus de optata s. Francisci presentia et tactus de illius predicatione mirifica, proposuit omnino cum s. Francisco de anime sue salute tractare. Unde, predicatione finita, dixit s. Francisco: ›Pater, ego aliqua vellem tecum de salute anime mee ordinare.‹ Sanctus vero Franciscus, totus discretionis sale conditus, dixit: ›Domine, vade hoc mane et honora amicos tuos qui te invitaverunt ad festum; et postea loquemur post prandium quantumcumque volueris.‹ Ille autem assentiens, sumpto prandio, rediit et cum s. Francisco de salute anime sue plenius ordinavit. Et in fine dixit: ›Fr. Francisce, ego habeo unum montem in Tuscia, devotissimum et solitarium valde, qui vocatur mons Alverne, valde aptus hiis qui solitariam vitam desiderant. Si tibi et tuis sociis mons ille placeret, libentissime pro anime mee salute vobis donarem‹« (ebd. 174/176). 160 3 Soc 69; s.o. Anm. 129. 161 I Cel 94 (Anal. Fr. 10,72).

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sagt sogar: »dessen Schönheit ganz unvorstellbar war« – cuius pulchritudo inaestimabilis erat nimis. Der gleiche Autor sagt, daß Franziskus ob der Rätselhaftigkeit der Erscheinung äußerst verwundert war. Der Seraph sah ihn voll Güte und Huld an, was ihn mit großer Freude erfüllte. Andererseits erschreckte ihn das Gekreuzigtsein der Erscheinung. So fühlte er sich zwischen Trauer und Freude hin und her gerissen. In einem auf die Brüder Leo und Rufinus zurückgehenden Bericht, der bei Thomas von Eccleston überliefert ist, heißt es, Franziskus sei sehr erschrocken gewesen, als er den Engel von ferne erblickte, und dieser habe ihn hart angefaßt (gemeint ist wohl: mit Worten).162 Nach der gleichen Quelle hatte Franziskus die Erscheinung im Verlauf einer Ekstase, und sie sei in deutlicherer Form (evidentius) verlaufen, als es in seiner Vita (der zweiten des Celano!) dargestellt sei; das heißt doch wohl: in der offiziellen Biographie des Franziskus werden bestimmte mit der Erscheinung zusammenhängende Dinge verschwiegen oder nicht klar ausgesprochen. Ferner sei ihm damals einiges offenbart worden, was er niemals einem anderen mitgeteilt habe.163 Auch nach der Darstellung des heiligen Bonaventura in der Legenda maior gibt Franziskus zwar auf Zureden des Bruders Illuminatus den Verlauf der Erscheinung »mit großer Furcht« preis, will aber niemals und auf keinen Fall etwas von dem mitteilen, was ihm der Seraph gesagt habe.164 Thomas von Celano behauptet in seiner ersten Legende, Franziskus habe das Geheimnis einmal einem Menschen gegenüber teilweise gelüftet.165 In seiner zweiten Legende spricht er in kryptischen, dunkel raunenden Worten von dem »verborgenen Geheimnis«: Es möge also das Schweigen sprechen, wo das Wort versagt, weil ja auch das Bezeichnete schreit, wo das Zeichen versagt. Nur das eine soll menschlichen Ohren mitgeteilt werden: daß es noch nicht in jeder Weise klar geworden ist, weshalb dieses Geheimnis 162 »Verumtamen dixit fratri Ruffino socio suo, quod, cum a longe viderat angelum, nimis territus fuit, et quod eum dure tractavit« (Thomas von Eccleston, De adventu, ed. Little, 75). 163 »Sed et frater Leo, socius sancti Francisci, dixit fratri Petro, ministro Angliae, quod apparitio Seraphyn facta fuit sancto Francisco in quodam raptu contemplationis, et satis evidentius, quam scribatur in vita sua; et quod multa fuerunt tunc sibi revelata, quae nulli viventi unquam communicavit« (ebd.). – Vielleicht bezieht sich das »evidentius, quam scribatur in vita sua« auf II Cel 203: s.u. Anm. 166. 164 »Ad cuius verbum motus vir sanctus, licet alias dicere solitus esset: ›Secretum meum mihi‹, tunc tamen cum multo timore seriem retulit visionis praefatae, addens, quod is qui sibi apparuerat, aliqua dixerit, quae numquam, dum viveret, alicui hominum aperiret« (Leg. mai. XIII,4; Anal. Fr. 10,617). 165 »Sacramentum hoc magnum est et praerogativae dilectionis indicat maiestatem; sed arcanum in eo latet consilium et reverendum contegitur mysterium, quod soli Deo cognitum credimus, et per ipsum sanctum ex parte cuidam revelatum« (I Cel 90; Anal. Fr. 10,69).

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an dem Heiligen erschien; da, wo es nämlich von ihm offenbart wurde, bezieht es seinen Grund und seinen Zweck aus der Zukunft.166

Demnach ist also die Zeit noch nicht reif, das Geheimnis der Stigmata und der Worte des Seraphen vollständig zu lüften. Das kryptische Gebaren und die verhüllenden Worte des Franziskus selbst, seiner Gefährten und seiner Biographen geben Grund zu der Annahme, daß die Worte des Seraphen unvereinbar waren mit der damals als allein rechtgläubig geltenden kirchlichen Lehre vom Erlösungswerk Christi. Die 28. und letzte der »Ermahnungen« (Admonitiones) des Franziskus lautet: Selig der Knecht, der im Himmel die Güter hortet, die der Herr ihm zeigt, und sie nicht unter dem Vorwand einer verdienstlichen Tat den Menschen zu offenbaren wünscht; denn der Allerhöchste selbst wird seine Werke all denen offenbaren, bei denen es ihm gefällt. Selig der Knecht, der die Geheimnisse des Herrn in seinem Herzen bewahrt.167

Aus zahlreichen mehr verhüllenden als erhellenden Andeutungen der Biographen über die Erscheinung des Engels hat man den Eindruck, daß sie wissen oder wenigstens ahnen, worum es geht. Mindestens aber wußten sie, daß das, was die Alverna-Vision inhaltlich besagte, nicht in die Schöpfungsund Erlösungslehre paßte, die sie als Theologen zu glauben und zu vertreten hatten. Von daher sind die fragwürdigen Anpassungsversuche zu begreifen, die sie anstellen. Schon Thomas von Celano gibt in seiner ersten Lebensbeschreibung eine umständliche allegorisch-moralisierende Deutung der sechs Flügel des Seraphen.168 Eine ausführliche Erklärung, innerhalb des traditionellen theologischen Systems, hat sodann der heilige Bonaventura versucht, indem er die schon von Celano gestellte Frage nach dem »Sinn der Vision« wiederaufnimmt: Er wunderte sich gar sehr beim Anblick dieser unerklärbaren (inscrutabilis) Vision, weil er wußte, daß sich die im Leiden zutage tretende Schwäche nicht mit der Unsterblichkeit des seraphischen Geistes verträgt. Schließlich begriff er hieraus, aufgrund einer Offenbarung des Herrn, daß diese Vision deshalb durch göttliche Vorsehung seinen Augen vorgestellt worden war, damit der Freund Gottes im voraus erkenne, er solle nicht durch ein leibliches Martyrium, sondern durch die Entzündung des Geistes ganz 166

»Loquatur ergo silentium, ubi deficit verbum, quia et signatum clamat, ubi deficit signum. Hoc solum humanis auribus intimetur, quod nondum per omnia claruit, quare sacramentum illud in sancto apparuit; ubi enim ab eo revelatum est, de futuro trahit rationem et finem« (II Cel 203; Anal. Fr. 10,246f.). 167 »Beatus servus, qui thesaurizat in coelo bona, quae Dominus sibi ostendit et sub specie mercedis non cupit manifestare hominibus, quia ipse altissimus manifestabit opera eius quibuscumque placuerit. Beatus servus, qui secreta Domini observat in corde suo« (Esser, Opuscula, 117). 168 I Cel 114 (Anal. Fr. 10,89f.).

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zur Ähnlichkeit mit dem gekreuzigten Christus verwandelt werden. Als die Vision verschwand, hinterließ sie in seinem Herzen eine wundersame Wärme, aber auch in seinem Fleisch prägte sie einen nicht weniger seltsamen Abdruck von Zeichen ein.169

Nach Bonaventura ist die Erscheinung also eine Vorbereitung auf den Empfang der Stigmata und gibt ihrerseits deren Erklärung als einer »geistigen« Wiederholung der Kreuzigung Christi. Diese Deutung leidet indes an zwei Unstimmigkeiten: erstens ist eine Parallelität von (nicht leidensfähigem) Engelsgeist und (leidensfähigem) Menschengeist in diesem Zusammenhang ganz unwahrscheinlich, und zweitens beruhte die von Franziskus erlangte Ähnlichkeit mit dem gekreuzigten Christus ja nicht nur auf einem geistigen Martyrium, sondern durch die Stigmata gerade auch auf einem leiblichen.170 In seinem Prolog zur Legenda maior hatte Bonaventura Franziskus zum Engel des Friedens (Is 33,7), zum Verkünder des Friedensevangeliums (Eph 6,15), einem zweiten Boten (angelus) Gottes und Vorläufer Christi nach dem Vorbild Johannes des Täufers (Mk 1,2–4) und schließlich zum Engel des sechsten Siegels der Apokalypse, der die Auserwählten mit dem Siegel Gottes zeichnet (Apoc 6,12; 7,2f.), stilisiert.171 Damit hatte er Franziskus in die Heilige Schrift und den Heilsplan Gottes integriert, ihm auch eine überragende eschatologische Rolle für die zweite Ankunft Christi zugewiesen. Aber es war eben doch nur ein zweiter Rang. Bonaventura bleibt damit in den Grenzen der Rechtgläubigkeit. Er hütet sich, Franziskus mit dem Erlöser gleichzustellen, und von einem neuen Verständnis und einer Ausweitung des Erlösungswerkes in kosmische Dimensionen kann bei ihm keine Rede sein. Es sieht so aus, als habe er, indem er Franziskus den Engelsrang zuerkannt hat, einen Kompromiß gesucht zwischen kirchenfrommer Orthodoxie und radikaler franziskanischer Theologie – so wie er ja auch ordenspolitisch die Linie des Kompromisses zwischen »Kommunität« und »Spiritualen« vertreten hat. (Das Verhängnisvolle daran ist, daß der Einfluß des Bonaventura bis auf den heutigen Tag für das Franziskus-Bild des Katholizismus bestimmend geblieben ist).

169 Leg. mai. XIII,3 (Anal. Fr. 10,616f.); ähnlich Leg. min. VI, Lect. 2 (ebd. 672f.); vgl. I Cel 94 (ebd. 72) und III Cel 4 (ebd. 273f.); vgl. auch Heinrich von Avranches, Leg. versif. XII,47–51: »Hoc autem dubitat conturbaturque studendo Quale sibi talis praetendat visio mirum, Cur ita res simplex impassibilisque videri Suppliciis addicta velit, multumque laborat Scire, sed in sese reperit quod quaerit in illo« (ebd. 479). 170 Der tote Franziskus sah aus wie ein soeben von Kreuze Abgenommener: s.o. Anm. 140! 171 Leg. mai., Prologus 1 (Anal. Fr. 10,557f.).

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Verbleiben die genannten Deutungen der Erscheinung des Seraphen innerhalb der katholischen Rechtgläubigkeit, so bot das Bewußtsein, daß es eine übernatürliche Mitteilung an Franziskus gab, deren Wortlaut aber von dem Heiligen geheimgehalten worden war, manchen nachgeborenen Franziskanern Anlaß zu phantastischen Spekulationen. Einige Brüder behaupteten, Franziskus sei ihnen nach seinem Tode erschienen und habe das Geheimnis gelüftet. Nach einer dieser Offenbarungen hat Christus dem Franziskus eine partielle Erlöser-Tätigkeit übertragen: wie Christus am Tage seines Todes in den »Limbus« stieg, um kraft seiner Wundmale die Seelen ins Paradies zu führen, so soll Franziskus jedes Jahr an seinem Todestag ins Fegfeuer hinabsteigen, um die Seelen der Mitglieder seiner Orden (Minoriten, Schwestern und »Enthaltsame«) und seiner Verehrer, die er dort antrifft, in der Kraft seiner Stigmata mit ins Paradies zu nehmen.172 Auch diese traumhaften Spekulationen sind sichtlich bemüht, im Rahmen der kirchlichen Orthodoxie zu bleiben. Wenn auch die geheimnisvollen Worte des Seraphen in der Traumwelt wieder verschwunden sind, aus der sie einst auftauchten, so ist doch seine Gestalt, oder vielmehr deren genaue Beschreibung, wie sie Franziskus gegeben und wie sie von seinen Gefährten weitergegeben wurde, sprechend, sogar vielsagend. Und was sie zu sagen hat, paßt nicht in den Rahmen der kirchlichen Sprach- und Denkregelungen über Schöpfung, Sündenfall und Erlösung. Die Erlösergestalt, die Franziskus die Stigmata beibringt und ihn damit sich gleichgestaltet, ist ein gekreuzigter Engel. Die bildliche Vorstellung des sechsflügeligen Seraphen, der mit je einem Flügelpaar Kopf und Füße verhüllt und mit den mittleren Flügeln fliegt, hat Franziskus aus der GottesVision des Propheten Jesaja (Is 6,2). Die Legenda Perusina berichtet, unter Berufung auf das Zeugnis seines damaligen Gefährten (also wohl Bruder Leos), daß während des Aufenthaltes auf dem Alverna die Dämonen Franziskus in außerordentlicher Weise zugesetzt hätten. Er soll gesagt haben: »Wenn die Brüder wüßten, wieviel Qualen mir die Dämonen bereiten, dann wäre keiner unter ihnen, der nicht großes Erbarmen und Mitleid mit mir hätte.« Aufgrund dieser Tätigkeit der Dämonen, erklärte er seinen Gefährten, könne er zu ihnen manchmal nicht das vertraute Verhältnis haben, wie sie es sich wünschten.173 Wegen der nächtlichen Auseinandersetzungen mit den Dämonen war also eine gewisse Entfrem172

V. Cons. (FF 1953). »Et licet habuerit multas consolationes in cella illa, multas tamen tribulationes fecerunt sibi de nocte demones, sicut idem sotio suo narravit. Unde quadam vice dixit: ›Si scirent fratres quot tribulationes faciunt michi demones, nullus esset illorum quin pietatem magnam et compassionem de me haberet.‹ Et ideo sicut multotiens dixit sotiis suis, non poterat de se satisfacere fratribus et ostendere illis aliquando familiaritatem sicut fratres desiderabant« (Leg. Per. 118; ed. Bigaroni, 376). 173

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dung zwischen Franziskus und seinen vertrauten Gefährten entstanden. Wir ahnen jetzt auch den Grund für die tiefe Verunsicherung des Bruders Leo, der Franziskus mit Abfassung der »Chartula« entgegenzusteuern suchte; denn Leo bekam ja diese Dämonen-Kämpfe aus nächster Nähe mit. Zwar geht aus allen Biographien hervor, daß sich Franziskus lebenslänglich mit den Dämonen herumschlug, seit ihn der Teufel zum ersten Mal in einer Höhle bei Assisi in Angst und Schrecken versetzt hatte.174 Der Dämon ist der beständige dunkle und häßliche Gegenspieler, die unerlöste Ungestalt, die aus der Tiefe seiner Seele aufsteigt, wenn er die Nächte in ungastlichen Felsklüften und Ruinen verbringt. Die deprimierenden Teufels-Visionen sind die dunkle Folie, von der sich seine lichtvollen und trostreichen Gottes-Visionen abheben.175 Doch kann er den Dämonen auch eine positive Funktion zuweisen und so ihre Bosheit gewissermaßen relativieren, wenn er sie als »castaldi«, das heißt: »Büttel« oder »Polizisten« Gottes bezeichnet, die für die Bestrafung der Sünder, aber auch der Diener Gottes zuständig sind.176 Während der Michaels-Fastenzeit auf dem Berg La Verna scheint die Behelligung durch die Dämonen einen Höhepunkt erreicht zu haben. Nach den Considerazioni delle sacre Stimmate erschien der Dämon Franziskus einmal »in menschlicher Gestalt« und wollte ihn vom steilen Felsen hinab in den Abgrund werfen. Da schloß sich der Felsen um seinen Körper und nahm ihn in sich auf.177 Franziskus scheint die Konfrontation mit den Dämonen damals geradezu gesucht zu haben. Das legen auch seine Worte bei der Ankunft auf dem Berg nahe: »Zur Ehre Gottes und der seligen Jungfrau Maria, seiner Mutter, und des seligen Michael, des Fürsten der Engel und der Seelen, will ich hier eine vierzigtägige Fastenzeit halten.«178 Der Erzengel Michael ist der Herr der Engel und der Geleiter der Seelen (Psychopompos) in das ewige Licht, wie es das Offertorium des »Requiem«, der Totenmesse, sagt, das Fran174 3 Soc 12 (ed. Desbonnets, 98f.); II Cel 9 (Anal. Fr. 10,135f.); s.o. III. Kap., bei Anm. 110. 175 I Cel 71f.: »In ecclesiis derelictis et in deserto positis solus ad orandum nocte pergebat, in quibus, divina gratia protegente, multos timores multasque angustias animi superavit. Manu ad manum cum diabolo confligebat, cum in eiusmodi locis non solum tentationibus ipsum pulsaret interius, verum etiam exterius ruinis et subversionibus deterreret« (Anal. Fr. 10,53f.); vgl. II Cel 122 (ebd. 202). 176 I Cel 120; Leg. Per. 18 (ed. Bigaroni, 56); 106 (ebd. 322); 117 (ebd. 368). 177 Cons. II (FF 1911); Barfucci, Monte (o. Anm. 117), 78f.: »Il Precipizio«. Ich habe den Ort in der Felswand, der heute wegen Baufälligkeit der schmalen Treppe nicht mehr zugänglich ist, in früheren Jahren mehrmals aufgesucht. Man fragt sich – vorausgesetzt die Geschichte ist wahr – was Franziskus dort zu suchen hatte, wenn nicht eine Konfrontation mit den Grenzen seiner Vorstellungen und seiner Existenz. Oder dachte er sogar an eine Wiederholung, ein Nacherleben des Engelssturzes, des Sturzes Lucifers? 178 Leg. Per. 118 (ed. Bigaroni, 374).

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ziskus natürlich bekannt war. Nach der zweiten Celano-Legende wiederholte er oft, man müsse den heiligen Michael in besonders feierlicher Weise ehren, weil er die Aufgabe habe, die Seelen vor Gott zu bringen.179 Demnach war Franziskus besonders an der Funktion interessiert, die der Erzengel, nach der kultischen Tradition, bei der individuellen Erlösung der Seelen wahrnahm. Im 12. Kapitel der Apokalypse ist Michael der Fürst der Engel, die den Drachen und dessen Engel »auf die Erde« werfen (Apoc 12,7–9); er ist also der Vollzieher des Gerichtes Gottes bei dem Engelssturz. Im Zusammenhang mit seinen Gedanken und Vorstellungen über die Erlösung der Welt, in die Tiere, Pflanzen und Naturerscheinungen einbezogen waren, muß Franziskus an den Punkt gekommen sein, wo er sich fragte, ob der Dämon und die Dämonen endgültig von der Erlösung ausgeschlossen bleiben sollten. Das katharische Weltbild sah keine eschatologische Einheit und Versöhnung vor, weil das gute und das böse Prinzip auf ewig getrennt bleiben müssen; es war aber sehr wohl eine Rehabilitation des Satans (Lucifers) möglich, wenn derselbe als Demiurg und somit als Geschöpf Gottes vorgestellt war. Auch nach der katholischen Theologie ist Lucifer ein Geschöpf, das einmal vom guten Schöpfer als Guter erschaffen worden war. Die Möglichkeit, erlöst zu werden, bleibt ihm gleichwohl auf ewig verschlossen. Für Franziskus, der von der allumfassenden Güte eines einzigen Schöpfergottes überzeugt war, muß die Vorstellung schwer erträglich geworden sein, daß die Erlösung nicht eine allumfassende sein sollte. Der traditionelle christliche Erlöser war ein Mensch und erlöste nur die Menschheit, und auch diese nicht vollständig. Dem hatte Franziskus mit der Erfindung der Vergebung von Portiuncula abzuhelfen gesucht. Jetzt ging es ihm aber um die Erlösung auch der gefallenen Engel. Das konnte nur ein seraphischer Engels-Erlöser leisten, einer, der nicht nur ein »zweiter Adam«, sondern darüber hinaus ein »zweiter Lucifer« war. Im Gegensatz zu dem traditionellen häßlichen, abstoßenden Gekreuzigten ist er schön – von ganz unvorstellbarer Schönheit: er muß ja die fürchterlichen Dämonen, die greulichen Alptraumgestalten des Franziskus zur ursprünglichen Schönheit zurückführen. Er ist zunächst schrecklich für Franziskus und faßt ihn hart an: so 179 II Cel 197. Das Offertorium der Totenmesse, das (wohl wegen seines »mythischen« Inhalts) von den nach dem II. Vatikanischen Konzil tätigen »Liturgiereformern« als nicht mehr zeitgemäß für das 20. Jahrhundert angesehen und aus dem Kult eliminiert wurde, hat folgenden Wortlaut: »Domine Iesu Christe, rex gloriae, libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis inferni et de profundo lacu; libera eas de ore leonis, ne absorbeat eas tartarus, ne cadant in obscurum. Sed signifer sanctus Michael representet eas in lucem sanctam, quam olim Abrahae promisisti et semini eius. Hostias et preces tibi, Domine, laudis offerimus. Tu suscipe pro animabus illis, quarum hodie memoriam facimus. Fac eas, Domine, de morte transire ad vitam, quam olim Abrahae promisisti et semini eius.«

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treibt er ihm seine bisherigen Erlösungsvorstellungen, an denen er noch klebt, aus. Das sind die Worte, die in einer mittelalterlichen (und neuzeitlichen!) christlichen Gesellschaft nicht aussprechbar und nicht mitteilbar sind. Dann sieht der Seraph Franziskus voller Güte und Freundlichkeit an und verursacht dadurch tiefe Freude bei ihm. Der Erlöser, mit dem Franziskus nun durch die »Übertragung« der Stigmata zu einer »Person« verschmilzt, ist ein »anderer Christus«, und auch Franziskus wird nicht nur zum »zweiten«, sondern zum »anderen« Christus. Der Franziskaner-Spirituale Ubertino von Casale schreibt im V. Buch seines im Sommer 1305 auf dem Alverna entstandenen Werkes Arbor Vitae crucifixae Iesu über die Vision des Seraphen: Ich begriff, daß dem hochheiligen Vater offenbart worden war, er sei in besonderer Weise in die Welt gesandt worden, um die Ruine des seraphischen Ranges wiederherzustellen. Denn es ist kein Zweifel, daß Lucifer diesem Rang angehört hätte, wenn er standgehalten hätte, und zwar als Ranghöchster. Deshalb nimmt man an, er habe eine große Verwüstung bei den ihm Unterstellten in diesem Rang angerichtet, die von den in Flammen stehenden Gliedern Jesu einmal wieder geheilt werden muß.180

Daß solche Gedanken nicht erst bei den Spiritualen um die Wende des 13. Jahrhunderts, sondern schon bei Franziskus und seinen Gefährten, auf dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit katharischen Welt- und Erlösungsvorstellungen, virulent waren, zeigt die in der Legenda Perusina und der zweiten Celano-Legende berichtete Vision der leeren Engelsthrone des Bruders Pacificus in der Kirche von Bovara, die auch Aufnahme in den Zyklus von Giotto in der Oberkirche S. Francesco in Assisi gefunden hat: Und nachdem Bruder Pacificus zu beten begonnen hatte, da wurde er in einer Ekstase erhoben, ob im Körper oder außerhalb des Körpers, weiß Gott (2 Kor 12,2), und er sah viele Throne im Himmel, unter ihnen einen, der auffälliger als die anderen war, einen herrlichen und strahlenden und mit vielerlei Edelsteinen geschmückten. Und er bewunderte seine Schönheit und begann, bei sich nachzudenken, was das für ein Thron sei und wem er gehöre. Und sogleich hörte er eine Stimme, die zu ihm sagte: »Dieser Thron war der Lucifers, und an seiner Stelle wird darauf der heilige Franziskus Platz nehmen.«181 180 »Intellexi fuisse revelatum sanctissimo patri, quod ipse singulariter erat missus in mundum ad restaurandum ruinam seraphici ordinis. Non enim est dubium, quod de illo ordine fuisset lucifer, si stetisset et summus: unde magnam stragem suorum incomparium in illo ordine fecisse creditur, que de flammeis membris iesu reparari debebit« (Liber qui intitulatur Arbor vite crucifixe Iesu devotissimi fratris Ubertini de Casali ordinis minorum, Venedig 1485, 5,4, fol. D VII [238]ra). 181 Leg. Per. 65 (ed. Bigaroni, 170); vgl. II Cel 123: dort ist es nicht der Thron Lucifers, sondern der eines der gestürzten Engel, was zweifellos eine Abmilderung ist. Schon Ubertino von Casale machte Bonaventura den Vorwurf, er habe in der Legenda maior (VI,6) »aus menschlicher Rücksichtnahme« verschwiegen, daß es sich um den Thron Lucifers gehandelt habe (Arbor vite, lib. 5, c. 4).

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Der Mythos von den leeren Engelsthronen ist Bestandteil der katharischen Theologie, wie die sogenannte »Interrogatio Johannis« zeigt, ein Buch, in dem wichtige Mythen der katharischen Religion versammelt sind:182 Und ich fragte: »Herr, bevor der Satan fiel, in welchem Zustand der Herrlichkeit befand er sich da bei deinem Vater?« Er sagte: »Unter den himmlischen Mächten und auf dem Thron des unsichtbaren Vaters, und er war der Ordner von allem. Und ich saß bei meinem Vater. Er war der Ordner der himmlischen Mächte und derer, die dem Vater folgen. Und er stieg hinab vom Himmel bis zur Unterwelt und stieg auf bis zum Thron Gottes, des unsichtbaren Vaters, und er bewachte die Herrlichkeiten, die über allen Himmeln waren.«

Und etwas später über die Absetzung der Engel, die Satan gefolgt sind: Da gebot der Vater seinen Engeln: »Nehmt weg die Gewänder und die Throne und die Kronen von allen Engeln, die auf ihn hören.« Und die Engel nahmen die Kleider und die Throne und die Kronen allen Engeln, die auf ihn hörten, weg.183

War schon die Vorstellung von der Erneuerung der Passion Christi durch den stigmatisierten Franziskus als »zweiten Christus« kaum mit dem katholischen Inkarnations- und Erlösungsdogma zu vereinbaren, so waren die in der Erscheinung des Seraphen zum Ausdruck gekommenen, aber niemals ausgesprochenen Erlösungs-, Endzeit- und Weltvorstellungen vom Standpunkt kirchlicher Orthodoxie her gesehen glatte Häresien.184 Wie Bruder Leo dem sonst nicht bekannten Bruder Warin von Sedenefeld (Seefelden?) berichtete, trug Franziskus nach der Vision dem Bruder Rufinus auf, den Stein, auf dem der Engel gestanden hatte, zu waschen und mit Öl zu salben.185 Nach dem Vorbild Jakobs in Bethel (Gen 28,18) markierte er damit 182

Livre secret (o. II. Kap., Anm. 72), 42/44. Ebd. 52; vgl. ebd. 54: »Et eiectus fuit a trono dei et villicatione celorum.« 184 Die Vorstellung, daß der Erlöser nicht nur Mensch, sondern auch Engel geworden ist, ist im Christentum allerdings nicht ganz neu; auch nicht der Gedanke, daß der göttliche Logos zu verschiedenen Zeiten eine geschichtliche Gestalt annimmt. Bereits Origenes hat beide Vorstellungen an mehreren Stellen seiner Werke deutlich ausgesprochen, z.B. In Gen. Hom. 8,8 (GCS Origenes 6, ed. W.A. Baehrens, Leipzig 1920, 83): »Unde puto quod, sicut inter nos homines ›habitu repertus est ut homo‹ (Phil 2,8), ita et inter angelos habitu repertus est ut angelus«; In Matth. Ser. 28 (Matthäuserklärung, GCS Origenes 11, ed. E. Klostermann, Leipzig 1933, 53): »Verum etiam substantialiter semper Christus praesens fuit et in Moyse et in prophetis, magis autem et in angelis ministrantibus saluti humanae per singulas generationes.« Origenes berief sich dabei auf Stellen des Alten Testaments, wo Gott oder der zukünftige Erlöser als Engel auftreten, wie Ex 3,2.6; Is 9,6: s. Johanneskommentar (GCS Origenes 4, ed. E. Preuschen, Leipzig 1903, 38f.); hierzu: Henri De Lubac, Textes alexandrins et bouddhiques. Rech. Sc. Rel. 27 (1937), 336–351; ebd. 339–342; Giulio Basetti-Sani, Mohammed et Saint Franc¸ois, Ottawa 1959, 197. 185 »Praecepit autem sanctus Franciscus fratri Rufino, ut lapidem, super quem ste183

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den Ort der Erscheinung als heiligen Ort. Der Stein ist, mitten in der »Kirche der Stigmata«, noch erhalten.186 Als Ort der Welterlösung im umfassendsten, genuin franziskanischen Sinn ist der Alverna-Berg der heiligste Berg des Erdkreises, heiliger als Sinai, Sion und Golgotha.

terat angelus, lavaret et ungeret oleo; quod et fecit. Ista scripsit frater Garynus de Sedenefeld ab ore fratris Leonis« (Thomas von Eccleston, De adventu, ed. Little, 75). 186 Barfucci, Monte (o. Anm. 117), 68f. Außen über dem Eingang dieses Heiligtums befindet sich die vermutlich älteste Darstellung der Stigmatisierung, ein kleines Relief aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Abbildung ebd.).

VII. KAPITEL

HÖHE UND ENDE DES LEBENS Man kann die Jahre 1211 bis 1221 als Höhe im Leben des Franziskus und in der frühen franziskanischen Bewegung bezeichnen. Er konnte in diesen Jahren weitgehend ungestört nach seinen Vorstellungen leben und wirken. Die Gemeinschaft erfaßte Menschen aller Volksschichten und wuchs auf etwa 5000 Mitglieder an, eine zwar schon große, aber doch noch übersichtliche Zahl. Die Ordensregel war, abgesehen von dem festgeschriebenen Ideal der Vita evangelica, in Einzelheiten flexibel und wurde auf den Pfingstkapiteln, an denen noch alle Brüder teilnehmen konnten, den jeweiligen Erfordernissen angepaßt. Nach der Orientreise, etwa ab 1221, setzte bei Franziskus ein rapider Zerfall der Kräfte ein. Sein Einfluß auf die Bewegung nahm ab. Dafür legte sich der mächtige Schatten des Kardinals Hugolino über den Orden und ihn selbst. In seinen letzten Lebensjahren suchte er, so gut er noch konnte, für das Armutsideal einzutreten. Aber er konnte nur noch einige visionäre Zeichen setzen, die im Bereich der geistigen Mächte ihre Wirkung entfalteten. Er erkannte, daß seine Bewegung ihm aus den Händen geschlagen wurde, und sah ihre Zukunft in düsteren Farben. Doch da er sich mit Gott und seinen Plänen und Absichten im Einklang wußte, war er vom guten Ausgang aller Dinge überzeugt. Gestalt und Eindruck Über die äußere Erscheinung des Franziskus und den Eindruck, den er auf seine Zeitgenossen machte, sind wir recht gut unterrichtet. Es ist das Zeitalter der Hochgotik, in dem das Interesse für den Menschen, sowohl seine Gestalt wie seinen Charakter, erwachte. In der Plastik und Malerei entstanden die ersten porträt-ähnlichen Darstellungen seit der Antike; in den Lebensbeschreibungen geistlicher und weltlicher Großherren findet sich oft auch eine Beschreibung von deren Aussehen und Charakter, die zunehmend schärfere individuelle Züge enthält. Thomas von Celano, der Franziskus persönlich kannte, von ihm selbst auf der Höhe von dessen Leben und Wirken (1214/1215) in den Orden aufgenommen worden war1 und ihm gewiß öfter begegnete, hat in seiner ersten 1

Sehr wahrscheinlich gehörte er zu den gelehrten und adeligen Männern, die von

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Vita eine ausführliche Beschreibung zunächst des Charakters des Heiligen und seines Verhaltens gegenüber anderen Menschen, dann auch seiner äußeren Erscheinung gegeben.2 Besonders hervorgehoben werden die angenehmen, höflichen Umgangsformen des Franziskus, seine Gesprächsbereitschaft und Offenheit; er sei vorausschauend in seiner Planung und in der Behandlung seiner Geschäfte effizient gewesen (immerhin war er einmal Kaufmann gewesen!). Von seinen Charaktereigenschaften nennt der Biograph Heiterkeit, Sanftmut, Nüchternheit. Natürlich wird auch sein religiöses, spirituelles, moralisches Leben beschrieben, vor allem mit den Begriffen: Unschuld, Einfalt, Herzensreinheit, Gottesliebe, Bruderliebe, Gehorsam; er widmete sich der Kontemplation und dem beständigen Gebet; in allen Dingen war er voller Begeisterung (in omnibus fervens). In dem, was er sich einmal vorgenommen hatte, war er beharrlich; er war schnell bereit zu verzeihen, von freimütiger, offener Gesinnung (liber ingenio), hatte ein gutes Gedächtnis und konnte schwierige Dinge im Gespräch gut darlegen. Gegen sich selbst war er streng, anderen gegenüber barmherzig, in allen Dingen mit Augenmaß begabt (discretus in omnibus). Wie an dem biblischen und hagiographischen Vokabular zu erkennen ist, soll hier das Idealbild eines überragenden Heiligen entworfen werden. Doch treffen die meisten der genannten Eigenschaften zweifellos auf Franziskus zu, individuelle Züge seines Charakters treten hervor. Allerdings sind alle dunklen und negativen Züge beiseite gelassen. (So artete etwa die Strenge gegen sich selbst in Selbstzerstörung aus). Von den Eigenschaften des »äußeren Menschen« Franziskus nennt Celano an erster Stelle die überragende Beredsamkeit: »Er war ein überaus beredsamer Mensch, mit heiterem Gesicht, gütiger Miene, unberührt von Feigheit, frei von Unverschämtheit.« Seine Körperlänge lag etwas unter dem Mittelmaß.3 Unter den übrigen Merkmalen verdienen die besonders charakteristischen eine Beachtung: er hatte schwarze Augen, dunkelbraune Haare, eine schmale, gerade Nase, kleine, abstehende Ohren; sein Bart war schwarz und nicht ganz voll (also etwas schütter: pilis non plene respersa); »seine Stimme war gewaltig, angenehm, klar und volltönend«, und – was bei seiner LebensFranziskus nach seiner Rückkehr aus Spanien bei der Porziuncola-Kirche in den Orden aufgenommen wurden. Die Formulierung der beiden Sätze I Cel 56–57 läßt kaum eine andere Deutung zu: »Sed bonus Deus, cui mei et multorum sola benignitate placuit recordari, cum iam ivisset usque in Hispaniam, in faciem ei restitit, et ne ultra procederet, aegritudine intentata, eum a coepto itinere revocavit. Revertente quoque ipso ad ecclesiam sanctae Mariae de Portiuncula, tempore non multo post, quidam litterati viri et quidam nobiles ei gratissime adhaeserunt« (Anal. Fr. 10,43). 2 I Cel 83 (Anal. Fr. 10,62). 3 Nach den Untersuchungen, die der Anatom Prof. Nicolo` Valentino Miani und der Gerichtsmediziner Prof. Angelo Fiori 1978 an den Gebeinen des Franziskus vornahmen, betrug seine Köperlänge zu Lebzeiten etwa 1,58 m (La ricognizione del corpo di san Francesco, 24 gennaio – 4 marzo 1978, Assisi 1978, 14–17; 55f.).

Höhe und Ende des Lebens

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weise nicht verwunderlich ist – er war spindeldürr (tenuis cutis, caro paucissima). Mit dieser Beschreibung stimmt das älteste erhaltene Bild des Franziskus in allen wesentlichen Zügen überein: das Fresko in der Cappella di San Gregorio in der Heiligen Höhle von Subiaco – wenngleich Werner Goez darüber anderer Ansicht ist.4 Bei drei Einzelzügen ist die Übereinstimmung mit der Beschreibung Celanos ganz frappant: der schmalen, geraden Nase, den abstehenden Ohren und dem schütteren Bart. In der gleichen Kapelle, links vom Fenster, ist der Kardinal Hugolino von Ostia beim Akt der Weihe der Kapelle dargestellt. Links hinter dem Kardinal ist nochmals Franziskus abgebildet. Wie die Inschrift sagt, wurde die Kapelle im zweiten Pontifikatsjahr Gregors IX. (1228) ausgemalt. Beide Gemälde sind »Erinnerungsbilder«, die die Weihe der Kirche durch den derzeit regierenden Papst vor seiner Wahl und die Anwesenheit des Franziskus bei diesem feierlichen Ereignis dokumentieren sollen. Die Inschrift erwähnt, daß sich Hugolino im Juli und August in Subiaco aufhielt, nennt aber nicht das Jahr. L. Wadding datiert den Aufenthalt des Franziskus in Subiaco auf das Jahr 1222, was nicht ganz unwahrscheinlich ist;5 möglich wäre auch Juli 1224, bevor sich Franziskus auf den Berg La Verna begab. Das Fresko des Franziskus ist ein »sprechendes Bild«: er hält in der linken Hand eine Pergamentrolle, auf der »PAX HVIC DOMVI« (Lk 10,5) zu lesen ist – der Gruß, den die ersten Minderbrüder beim Betreten eines Hauses sprachen.6 Neben dem Kopf des Dargestellten steht: FR FRANCISCVS. Daß Franziskus noch als »Bruder« und nicht als »Heiliger« bezeichnet ist, läßt nicht unbedingt auf das Entstehen des Gemäldes vor der Kanonisation des Franziskus schließen. Es soll ja an den Besuch des Heiligen zu dessen Lebzeiten erinnert werden, als er noch kein »Heiliger« im kirchenrechtlichen Sinne war. Das Gleiche gilt für das Fehlen des Nimbus und der Stigmata; die letzteren waren bei Lebzeiten des Franziskus kaum bekannt. Wenn der Maler also den Heiligen ohne Stigmata darstellt, so möchte er (»naturalistisch«) dessen Aussehen zur Zeit seines Besuches in Subiaco wiedergeben.7 4 W. Goez, Franziskus von Assisi, in: Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige, Sigmaringen 1981, 380–385; ebd. 380: »Übrigens sah Franziskus ganz anders aus.« 5 Wadding, Ann. Min. 2,41; s. zu der Frage: Gerhart B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters II, Citta` del Vaticano 1970, 105–111; bes. ebd. 111, Anm. 1; Abbildung des Franziskus-Freskos ebd. 107; des Bildes der Weihe mit Hugolino und dem hinter ihm stehenden Franziskus ebd. Tafel XIX; s. auch u. Kap. VIII, bei Anm. 64. 6 S.o. Kap. IV, Anm. 6. 92. 7 Bei Wadding (Ann. Min. 2,36) steht die schöne Legende von dem Dornengestrüpp des heiligen Benedikt (Gregorius Magnus, Dial. 2,2; MPL 66,132BC), das Franziskus in einen blühenden Rosengarten verwandelt haben soll. Sie ist in den älteren Quellen nicht enthalten. Ferdinand Gregorovius (Wanderjahre in Italien, München

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Das Fresko weist durchaus porträt-ähnliche Züge auf und unterscheidet sich dadurch von fast allen übrigen Franziskus-Bildern des 13. Jahrhunderts.8 Eine entfernte Ähnlichkeit mit dem tatsächlichen Aussehen des Franziskus ist nur noch auf dem Fresko »La Maesta`« von Cimabue in der Unterkirche S. Francesco in Assisi und auf dem Tafelbild des gleichen Malers im Museum von S. Maria degli Angeli gegeben. Auf beiden Darstellungen sind vor allem das schüttere Bärtchen und die abstehenden Ohren deutlich zu erkennen. Doch hatte Cimabue, im Gegensatz zu dem Maler von Subiaco und seinen Auftraggebern, gewiß keine direkte Erinnerung mehr an Franziskus, sondern er malte vermutlich nach der Beschreibung des Heiligen in der ersten Celano-Legende, die damals (um 1280) freilich – infolge der Eliminierung durch den heiligen Bonaventura – auch nur noch in der Erinnerung einiger Mitglieder des Konvents von S. Francesco existiert haben dürfte.9 Alle späteren Darstellungen des Franziskus, insbesondere die des 19. und 20. Jahrhunderts, ob es sich nun um Gemälde oder Plastiken handelt, beruhen auf purer Phantasie der betreffenden Künstler oder Hersteller. Sie sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, unfreiwillige Karikaturen oder glatte Blasphemien – wegen Verschandelung des menschlichen Körpers und Aussehens und weil sie den Franziskus zumeist als Schwachsinnigen darstellen. Man könnte darüber lachen, wenn sie nicht oft mit kirchlicher Duldung oder in kirchlichem Auftrag hergestellt würden und so zur Verfälschung des Franziskus-Bildes und Diskreditierung der Idee des Heiligen beitrügen. Oder sie gehören in den Bereich des Devotionalien-Kitsches, der allerdings im Falle des Heiligen von Assisi in unseren Tagen exorbitante Ausmaße angenommen hat. Die Linie der Dekadenz des Franziskus-Bildes, die von dem Fresko der Hei2

1968, 346) und Rudolf Kassner (Sämtliche Werke, hrsg. von E. Zinn und K.E. Bohnenkamp, VIII, Pfullingen 1986, 148) waren von ihr, jeder auf seine Weise, angetan. 8 S. dazu: Gerhart B. Ladner, Das älteste Bild des Franziskus von Assisi. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Porträtikonographie, in: FS. P.E. Schramm, Wiesbaden 1964, 449–460; jetzt auch in: Ders. Images and Ideas in the Middle Ages, Roma 1983, I,377–391; Florens Deuchler, Arte povera: Zu den ältesten Franziskus-Bildern als Zeugen eines mittelalterlichen Genus pingendi, in: Niederösterr. Landesausstellung: 800 Jahre Franz von Assisi, Wien 1982, 382–386; Ders., Die ältesten Franziskusbilder. Überlegungen zu Form, Stil und Funktion. Franz. Stud. 67 (1985), 317–325; Elisabeth Vavra, Imago und Historia. Zur Entwicklung der Ikonographie des hl. Franziskus auf Tafelbildern des Duecento, in: Niederösterr. Landesausst. (s.o.), 529–532. 9 Über die ältesten Franziskus-Darstellungen s. neben den bereits (o. Anm. 5 und 8) genannten Arbeiten: Benvenuto Bughetti, Vita e miracoli di S. Francesco nelle tavole istoriate dei secoli XIII e XIV. AFH 19 (1926), 636–732; Vincent Moleta, From St. Francis to Giotto. The Influence of St. Francis on Early Italian Art and Literature, Chicago 1983; James H. Stubblebine, Assisi and the Rise of Vernacular Art, New York 1986; Helmut Feld, Der Ikonoklasmus des Westens (Studies in the History of Christian Thought, 41), Leiden 1990, 80f.

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ligen Höhle von Subiaco zu den Schaufenster-Cre´tins in den Straßen von Assisi führt, scheint nicht ganz zufällig zu sein und irgendwie mit dem Zerfall des geistigen Franziskus-Bildes und der Verschüttung des ursprünglichen franziskanischen Ideals zusammenzuhängen. Ein kranker Mensch Franziskus war, abgesehen von seiner Kindheit und frühen Jugend, zeitlebens ein kranker Mensch. Er selbst stellt einen zeitlichen Zusammenhang zwischen seiner »Bekehrung« und dem Ausbruch seiner Krankeit her: ». . wenn ich auch seit Beginn meiner Bekehrung zu Christus kränklich gewesen bin.«10 Der sich über mehrere Jahre hinziehende Auszug aus seiner bisherigen »Welt« wird durch eine hartnäckige, lang andauernde Krankheit infektuöser Natur eingeleitet.11 Bei dieser und bei den späteren Erkrankungen ist es sehr schwer oder gänzlich unmöglich festzustellen, worum genau, in der Nomenklatur der modernen Medizin, es sich handelt. Wichtiger, als die einzelnen Krankheiten des Franziskus mit ihren wissenschaftlichen Bezeichnungen zu erfassen, ist die Feststellung, daß es sich um einen umfassenden, schwer zu analysierenden psycho-somatischen Krankheitskomplex handelt.12 Das vielleicht entscheidendste psychische Moment in diesem Komplex ist die Tatsache, daß Franziskus bis zu seinem letzten Lebensjahr seinen Krankheiten entweder keine Beachtung schenkte oder sie bewußt, in selbstzerstörerischer, masochistischer Weise, an sich hervorrief. Er konnte sein Ich von seinem Körper gewissermaßen dissoziieren und diesen als eine andere Person: als seinen Bruder, seinen Knecht und, im Extremfall, als seinen Feind ansehen. »Der rastlose Ritter Christi schonte niemals seinen Körper und setzte ihn, als ob es sich um eine von ihm verschiedene Sache handele, allen tätlichen und verbalen Unbilden aus«,13 »da er keinen größeren Feind als den Körper« hatte.14 Diese morbide Spaltung seiner Persönlichkeit hängt natürlich auf das engste mit seinem religiösen Weltbild und seiner Auffassung von sich selbst als dem leidenden Christus Gleichgestalteter und Vorbild für seine Anhänger zusammen. Neurose und physische Krankheit des Franziskus sind also nicht 10

Leg. Per. 106 (ed. Bigaroni, 320); vgl. o. III. Kap., Anm. 50–52. I Cel 3 (Anal. Fr. 10,7f.). 12 Über die Krankheiten des Franziskus s. vor allem: Octavianus (Schmucki) a Rieden, De infirmitatibus (o. Kap. III, Anm. 50); Ders., Les maladies (ebd.); Carl Andresen, Asketische Forderung und Krankheit bei Franz von Assisi. ThLZ 79 (1954), 129–140; Ders., Franz von Assisi und seine Krankheiten. Wege zum Menschen 6 (1954), 33–43. 13 »Numquam parcebat corpori Christi strenuus miles, exponens illud, tamquam alienum a se, omnibus tam operum quam verborum iniuriis« (II Cel 21; Anal. Fr. 10,143). 14 ». . cum maiorem inimicum non habeam corpore« (II Cel 122; ebd. 202). 11

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Teil eines Lebensschicksals, das neben seiner religiösen Entwicklung herläuft, sondern ein untrennbarer Teil derselben. Ich meine dennoch, wie aus dem im VI. Kapitel Gesagten hervorgeht, daß sich die »Religion« des Franziskus nicht ausschließlich mit dem Instrumentarium der Psychologie und Psychoanalyse bewältigen läßt. Die zweite ernsthaftere Erkrankung, von der wir erfahren, erfaßte Franziskus in Spanien, als er (wahrscheinlich 1214) zum zweiten Mal den Versuch unternahm, in das Gebiet der »Ungläubigen« zu gelangen, um dort den Märtyrertod zu erleiden.15 Um welche Art von Krankheit es sich handelte, wird nicht gesagt. Franziskus scheint sie als göttlichen Wink verstanden zu haben, nicht nach Marokko weiterzuziehen. Die Legenda Perusina weiß von einer anderen schweren Krankheit des Franziskus zu berichten, die mit einer febris quartana, einem im Abstand von vier Tagen wiederkehrenden Fieber, verbunden war.16 Man kann daraus schließen, daß er an Malaria litt. Die gleiche Legende erwähnt an anderer Stelle chronische Erkrankungen der Leber, der Milz und des Magens, zu denen nach seiner Orientreise eine schwere Augenerkrankung kam.17 Zwei Jahre vor seinem Tod, im Herbst 1224, nach der Stigmatisierung, zeigte sich, daß sein Körper dem Angriff der vielfältigen Krankheiten nicht mehr gewachsen war. Thomas von Celano erwähnt, daß Franziskus die ärztliche Behandlung ablehnte, da er seinen Tod und die Vereinigung mit Christus herbeisehnte (nach Phil 1,23). Die diesbezüglichen gut gemeinten Ratschläge seiner Gefährten schlug er in den Wind.18 Man erkennt an der Wortwahl des Biographen, daß die Brüder von der »religiösen« Motivierung der Passivität gegenüber der Krankheit keineswegs überzeugt waren und sein Verhalten als eine der von ihm auch sonst bekannten unvernünftigen Übertreibungen ansahen. Als noch das erwähnte schwere Augenleiden hinzutrat, ergriff Bruder Elias, der inzwischen die Leitung des Ordens übernommen hatte, die Initiative und redete ihm energisch zu, sich einer Behandlung zu unterziehen. Auch der Kardinal Hugolino redete ihm ins Gewissen.19 Die Krankheit, bei der es sich wahrscheinlich um eine Entzündung der Bindehaut (Coniunctivitis) 15

I Cel 56 (Anal. Fr. 10,43); s.o. Anm. 1. Leg. Per. 80 (ed. Bigaroni, 220). 17 Leg. Per. 77 (ed.c. 214/216). 18 »Frequenter eum monebant fratres, illi omni precum instantia suggerentes, ut infirmum corpus et valde debilitatum medicorum auxilio utcumque recreare deberet. Ipse autem, illo suo nobili spiritu in caelum directo, qui solvi solummodo cupiebat et cum Christo esse, hoc facere penitus recusabat« (I Cel 98; Anal. Fr. 10,75). 19 »Monebat proinde sanctum patrem curam gerere sui et infirmitatis necessaria non abicere, ne ad peccatum aliquod potius quam ad meritum horum deputaretur incuria« (I Cel 101; ebd. 78); vgl. II Cel 166: ». . coacto ut mederi sibi pateretur« (ebd. 227). 16

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handelte,20 wurde zunächst in Rieti von einem bedeutenden Arzt mit verschiedenen Methoden behandelt: Brennung mit einem glühenden Eisen an den Schläfen, Aderlaß, Pflaster und Augensalbe. All das brachte aber keinerlei Linderung – im Gegenteil: das Augenleiden verschlimmerte sich und führte schließlich zur vollständigen Erblindung.21 Da wollte es Bruder Elias noch einmal mit einem anderen Arzt versuchen: Im April 1226 ließ er Franziskus zu einer erneuten Behandlung der Augen nach Siena transportieren.22 Aber dem inzwischen Erblindeten konnte niemand mehr helfen. Es zeigte sich jetzt, daß auch Leber und Magen ruiniert waren; er erlitt einen schweren Blutsturz. Da ließ ihn Elias in sein Kloster Le Celle bei Cortona überführen. Hier verschlimmerte sich das Leiden rapide: der Leib und die Beine schwollen an – ein Zeichen, daß das Herz zu versagen begann. Er konnte kaum noch Nahrung zu sich nehmen. Er bat nun darum, nach Assisi gebracht zu werden, um dort zu sterben. Die Bevölkerung der Stadt, die seinen Tod in Kürze erwartete, nahm ihn mit großer Freude auf.23 Inzwischen war er zum Gerippe abgemagert, die Haut schien an den Knochen zu kleben, und die Ärzte und Brüder wunderten sich, daß er überhaupt noch Leben in sich hatte.24 In diesem Zustand fragte Franziskus den Arzt Buongiovanni von Arezzo: »Bruder Janni, was hältst du von meiner Wassersucht da?« Er vermied es, den Arzt mit seinem richtigen Namen »Bonus Iohannes« (Gut-Hans) anzusprechen, weil nach seiner Meinung kein Mensch, sondern nur Gott gut war (nach Lk 18,19). Der Arzt, der ihm zunächst keinen reinen Wein einschenken wollte, antwortete: »Bruder, mit Gottes Hilfe wird es dir wieder gut gehen.« Damit gab sich Franziskus nicht zufrieden und insistierte, der Arzt möge ihm die Wahrheit sagen, da er kein Hasenherz sei, das vor dem Tod Angst habe. 20 Vgl. die genaue Beschreibung der Krankheitssymptome bei Heinrich von Avranches, Leg. vers. XII,70ff. (Anal. Fr. 10,479f.): »Cacochymis pupilla rubet densataque visum Palpebra deformat, aciesque molestia torquet. Invitat dolor ipse manus, digitique medelam Dum praebent, adimunt; est namque venifer ille Tactus, et intendens etiam nocumenta iuvando« (ebd. 73–77). 21 I Cel 99 (ed.c. 76); 101 (ebd. 79); II Cel 44 (ebd. 158); 92 (ebd. 184); 126 (ebd. 204); 166 (ebd. 227). 22 I Cel 105; II Cel 93; 137. 23 I Cel 105 (Anal. Fr. 10,82). Die Freude der Assisiaten gilt dem erwarteten Besitz der Reliquie. Dieselbe ist in der Tat eine der ertragreichsten und dauerhaftesten Anlagen, die je eine Stadt getätigt hat. – Von Porziuncola wurde Franziskus noch einmal (sicher wegen des auch im September noch drückenden Klimas) in das höher gelegene Bagnaia bei Nocera transportiert. Von dort holte ihn ein Trupp von Rittern wieder zurück nach Assisi (II Cel 77; Leg. Per. 96). 24 I Cel 107 (ed.c. 83).

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Da erwiderte ihm der Arzt, nach dem Stand seiner medizinischen Kunst sei die Krankheit unheilbar und er müsse Ende September – Anfang Oktober mit dem Tod rechnen. Franziskus sagte hierauf mit großer Freude: »Willkommen sei meine Schwester Tod!«25 Sensibilität Franziskus war ein feinfühliger, sensibler Mensch. Ein Gutteil seiner psychischen und somatischen Krankheit resultiert aus der rigiden Verdrängung dieser Sensibilität. Als er sich im Verlauf seiner Bekehrung den Aussätzigen zuwandte, mußte er zunächst seinen Ekel gegen den widerwärtigen Gestank dieser Kranken überwinden, den er vorher nicht einmal von ferne ertragen konnte.26 Von Natur aus war er ein Feinschmecker. Auch das suchte er sich rigoros auszutreiben, indem er nach seinem Hinausgang aus der Welt verschiedene erbettelte Speisen in einer Schüssel zusammenrührte und obendrein noch deren Geschmack durch Hinzufügen von Asche und kaltem Wasser verdarb.27 Aber wie im Falle der Sexualität gelang es ihm auch hier nicht, das von Natur aus Vorhandene und das in seiner frühen Jugend Erworbene gänzlich auszumerzen. Besonders in seinem letzten Lebensjahr scheinen ihm Zweifel gekommen zu sein, ob denn alle Welt-Dinge so verwerflich seien. Eine solche Vorstellung steht ohnehin in krassem Widerspruch zu jener anderen Überzeugung von dem fundamentalen Gutsein der gesamten Natur, die er tief in sich trug. Es ist die gleiche Zeit, in der ihm die Einsicht dämmerte, er habe sich an seinem Körper schwer versündigt.28 Den gesamten Zwiespalt illustriert eine in der zweiten Celano-Legende erzählte Episode:29 In den Tagen, da er sich zur Behandlung seiner Augen bei Rieti aufhielt, rief er einen von den Gefährten, der in der Welt Gitarrist (Lautenspieler oder Zitherspieler) gewesen war, zu sich und sagte: »Bruder, die Kinder dieser Welt verstehen die göttlichen Geheimnisse nicht. Die Musikinstrumente, die einmal für das Lob Gottes bestimmt waren, hat die menschliche Begierde zu einer Ohrenlust verdreht. Ich möchte also, Bruder, daß du insgeheim eine Gitarre (Laute, Zither) ausleihst und zu mir bringst; mit ihrer Hilfe sollst du dann einen anständigen Vers machen und meinem von Schmerzen geplagten Körper ein wenig Erleichterung geben.« Der Bruder antwortete ihm: »Ich schäme mich nicht wenig, Vater, und befürchte, daß die Leute mich verdächtigen, ich sei der Versuchung des Leichtsinns erlegen.« 25 Leg. Per. 100 (ed. Bigaroni2, 302–305); vgl. II Cel 217 (Anal. Fr. 10,255); Spec. perf. 122 (FF 1822). 26 S.o. III. Kap., bei Anm. 94. 95. 27 3 Soc 22 (ed. Desbonnets, 106f.); s.o. III. Kap., bei Anm. 158–159. 28 »Propter quod, die mortis eius instante, confessus est se multum peccasse in fratrem corpus« (3 Soc 14; ed. Desbonnets, 100); S. auch II Cel 210f. (Anal. Fr. 10,251f.). 29 II Cel 126 (ebd. 204f.).

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Da sagte der Heilige zu ihm: »Dann lassen wir es eben, Bruder. Es ist gut, vieles bleiben zu lassen, damit die Meinung der Leute nicht verletzt wird.«

Franziskus kompensiert dann in der darauf folgenden Nacht das, was er sich aus Rücksicht auf die Meinung der Leute versagt hat, indem er sich in einer Audition seinen Wunschtraum erfüllt: ein Engel schlägt für ihn eine wundervoll und süß klingende, überirdische Gitarre. Im gleichen Zusammenhang erzählt Thomas auch, er habe selbst gesehen, wie der Heilige ein Holzstück als imaginäre Geige benutzte, auf der er mit einem selbstgebastelten primitiven Bogen herumkratzte und dazu auf französisch sang. Plötzlich schlug dann seine Stimmung um, und er vergoß heiße Tränen aus Mitleid mit dem leidenden Christus, »indem er die niederen Dinge, die er in den Händen hielt« (d.h. das imaginäre Musikinstrument!), »vergaß.«30 Wie die »Drei Gefährten« bezeugen, war Franziskus in seiner Jugend ein Feinschmecker gewesen: den Leuten von Assisi war es bekannt, sogar der Priester von San Damiano, der eine Zeitlang für ihn kochte, wußte es, und Franziskus selbst hat den Mitbrüdern später von seiner Vorliebe für Delikatessen und Süßigkeiten erzählt.31 Sicher hat er auch die Kräuter geliebt, mit denen heute noch in Umbrien und in der Toscana die Speisen verfeinert und delikate Sugi geköchelt werden. Noch in seinen letzten Lebenstagen, als er todkrank im Palast des Bischofs von Assisi lag, überkam ihn während der Nacht die ununterdrückbare Lust auf frische Petersilie. Wie man heute weiß, ist die Petersilie nicht nur ein feines, wohlschmeckendes Kraut, sondern auch ein hervorragendes natürliches Medikament: sie enthält einen hohen Anteil an Vitamin C und ist, wie viele andere Gartenkräuter, ein wirksames Diuretikum. Der geschwächte, von Wasser angeschwollene »Bruder Körper« des Franziskus begehrte also genau das richtige. Der Koch, der sich zunächst mit dämlichen Ausreden davor drücken wollte, mitten in der Nacht in den Garten zu gehen, sich aber schließlich dann doch bequemte, brachte auf Wunsch des Franziskus einen Haufen wahllos zusammengerupfter Kräuter mit. Als die Brüder sie sortierten, fand sich zarte und dichtblättrige Petersilie darunter. Der fromme Thomas von Celano tut so, als sei das ein Wunder gewesen und macht einen erbaulichen Reim (zur Illustration widerspruchslosen KadaverGehorsams!) darauf.32 Es ist aber ganz unglaubwürdig, daß es Franziskus danach gelüstet haben soll, ein paar Zweige roher Petersilie herunterzuwürgen. Was er wollte, war in Wirklichkeit eine Sauce (Sugo) mit frischer Petersilie, in die er sein Brot eintunken oder mit der seine Pasta gewürzt werden konnte. 30

II Cel 127. »Sacerdos . . . sciebat ipsum delicate vixisse in saeculo. Quippe, ut ipse vir Dei postea confessus est, frequenter electuariis et confectionibus utebatur et a cibis contrariis abstinebat . . . mirabantur multi, qui sciebant eum tam delicate vixisse« (3 Soc 22; ed. Desbonnets, 106f.). 32 II Cel 51. 31

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Seine Vorliebe für nicht alltägliche Speisen trat ebenfalls während eines krankheitsbedingten Aufenthalts im bischöflichen Palast zu Assisi zutage (es ist nicht klar, ob es sich dabei um die vorher erwähnte Todeskrankheit handelt). Als die Brüder ihn ermahnen zu essen, antwortet er: »Meine Brüder, ich habe keine Lust zu essen; aber wenn ich von dem ›Squalus‹ genannten Fisch hätte, dann würde ich vielleicht etwas essen.«33 Kaum hatte er das gesagt, da brachte ein Bote einen Korb mit drei großen »Squali« und dazu noch einige Schüsseln mit Krebsen, die Franziskus sehr gerne aß. Bruder Gerhard, der in Rieti ansässige Minister, hatte die Sendung im Eiltempo nach Assisi auf den Weg gebracht. In seiner »Abhandlung über die Wunder« berichtet Thomas von Celano über die Rückkehr des Franziskus und Bernhards von Quintavalle von der abgebrochenen Missionsreise nach Spanien und Marokko: nachdem ein ungehobelter Herbergswirt sie aus seinem Haus gejagt hatte, verlor der von Krankheit und Mutlosigkeit geschwächte Franziskus für drei Tage die Sprache. Als er wieder etwas zu Kräften gekommen war, sagte er unterwegs zu Bruder Bernhard, er hätte Lust, von einem Vogel zu essen, wenn er einen hätte. Da kam ihnen über die Felder ein Ritter mit einem vorzüglichen Vogel entgegen und bot ihn Franziskus als Gottesgabe an. Der Heilige akzeptierte das Geschenk voller Freude als Zeichen der Fürsorge Christi, den er dafür von ganzem Herzen pries.34 Was dann geschah, erzählt der asketische Autor nicht, es versteht sich aber von selbst: daß der Vogel gerupft, gebraten und verspeist wurde. Kurz vor seinem Tod, als er schon bei der Porziuncola-Kirche lag, wollte Franziskus noch einmal von dem köstlichen Gebäck essen, das seine Freundin Jacopa dei Settesoli so oft in Rom für ihn zubereitet hatte, und er ließ die adelige Dame um Zusendung der »mortariolum« genannten Delikatesse bitten. Entgegen anders lautenden Annahmen handelt es sich dabei um kleine Mandel-Makronen, wie aus der Legenda Perusina klar hervorgeht.35 Man kann das gleiche Gebäck noch heute in Rom, Assisi und überall in Mittelitalien kaufen. Mit seiner überaus sensiblen, gegen schlechte Gerüche empfindlichen Nase schnüffelte Franziskus gern an Rosenwasser »zur Stärkung« – das heißt doch wohl: wenn ihm von dem ihn umgebenden Gestank schlecht 33

Leg. Per. 71 (ed. Bigaroni, 190). Es ist ein im See von Rieti vorkommender Fisch, vielleicht eine Art Wels (Waller) gemeint. 34 III Cel 34 (Anal. Fr. 10,285). 35 »›Mittat etiam de illa comestione, quam pluries fecit michi, cum fui apud Urbem.‹ Illam autem conmestionem vocant Romani ›mortariolum‹, que fit de amigdalis et zucaro vel melle et aliis rebus« (Leg. Per. 8; ed. Bigaroni, 16); vgl. Esser, Opuscula, 456f.; ebd. 456, Anm. 22: »Gerade diese letzte Bitte, die allen asketischen Anschauungen widerspricht, hätte man nach der Kanonisation des Heiligen nicht mehr erfunden. Sie bürgt darum ihrerseits für die Authentizität des Berichtes.«

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wurde. Auf dem Sterbebett verzichtete er dann auf diese Annehmlichkeit, um nicht von der Meditation abgelenkt zu werden.36 Hat Franziskus Wein getrunken? Aus allen älteren Legenden geht hervor, daß er seinen Körper nicht nur durch extremen Verzicht auf Nahrung, sondern auch durch Entzug von Flüssigkeit ruinierte.37 Thomas von Celano und der heilige Bonaventura haben in annähernd gleichlautenden erbaulich-heuchlerischen Formulierungen den Verdacht weit zurückgewiesen, daß Franziskus Wein getrunken habe. »Wie könnte man sich vorstellen, er habe Wein getrunken, da er doch sogar das Wasser zurückwies, wenn ihn der Durst plagte?«38 Aus anderen, mehr beiläufigen Bemerkungen der Biographen wird jedoch ersichtlich, daß er ganz selbstverständlich und offenbar zeitlebens auch Wein getrunken hat: so aus der Episode, in der erzählt wird, wie eine Dame von Bevagna zusammen mit ihrer Tochter ihm Brot und Wein herausbrachte, womit er sich stärkte.39 Einmal, als er fieberkrank in dem Eremitorium von Sant’Urbano bei Narni lag, bat er um einen Trunk Wein. Es gab aber dort nur Wasser. Da verwandelte er das Wasser, wie Jesus auf der Hochzeit zu Kana, in Wein.40 Entscheidend ist hier nicht, ob Franziskus tatsächlich ein Wunder gewirkt hat, sondern die Tatsache, daß er sich in diesem Moment nicht mit Wasser begnügen wollte. Exzentrizität Eng zusammen mit der überfeinen Sensibilität des Franziskus hängt seine Neigung zum Extremen, Exzentrischen. Obwohl er bereits zu Lebzeiten Verehrung und Respekt eines großen Heiligen und Wundertäters genoß, distanzierten sich doch nicht selten Menschen aus seiner Umgebung von manchen seiner Handlungen, die als überspannt und verrückt empfunden wurden, und zwar sowohl normale Bürger als auch kirchliche Amtsträger als auch Mitglieder seines eigenen Ordens. In den letzten Lebensjahren hatte die Distanznahme der Gefährten eine zunehmende Tendenz. Raoul Manselli spricht von der merkwürdigen »Verschlechterung der Gefühle rings um Franziskus, auch vonseiten jener, die ihn am meisten hätten liebhaben müssen.«41 In der gleichnishaften Erzählung »Von der wahren und vollkomenen Freude«42 bringt Franziskus selbst zum Ausdruck, wie groß sein Abstand zu der 36

Leg. Per. 12; ed.c. 38). Vgl. etwa 3 Soc 15 (ed. Desbonnets, 101): »Multotiens vero cum sederet ad manducandum, parum post comestionis initium subsistebat non comedens neque bibens, suspensus circa caelestia meditanda.« 38 I Cel 51; vgl. Bonaventura, Leg. mai. V,1; Leg. min. III,1. 39 II Cel 114; s.o. V. Kap., Anm. 96. 40 I Cel 61; III Cel 17; Bonaventura, Leg. mai. V,10. 41 Manselli, Franziskus, 338. 42 Esser, Opuscula, 461; s.o. V. Kap., bei Anm. 75. 76. 37

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eigenen Bruderschaft geworden ist. Der Konvent, an dessen Pforte er anklopft und von dem er weggejagt wird, ist der bei der Portiuncula, gewissermaßen das Herz des Ordens. Man erfährt ganz nebenbei, daß auch dieser Konvent mittlerweile nicht mehr ein einfacher »Locus« ist, sondern ein richtiges Kloster mit Abgrenzung nach außen und verschließbarer Pforte geworden ist. Auch an diesem allerheiligsten Ort der Bruderschaft waren also bereits bei Lebzeiten des Stifters Abstriche an dessen hochgespannten Idealen zugunsten eines »normalen« Lebens gemacht worden. Die Autoritäten des Ordens versuchten zunehmend, Franziskus hinsichtlich besonders exzessiver »Dummheiten« zu disziplinieren. Eigentlich hätte das funktionieren müssen, da Franziskus selbst sich Vorgesetzten unterstellt und ihnen Gehorsam gelobt hatte. Aber er fand immer wieder, mit geradezu raffinierter Naivität oder naiver Raffinesse, Mittel und Wege, den Wunsch und Willen der Oberen zu umgehen. Bei seinem ersten Vikar Petrus Catanii, einem gutmütigen und fast willenlosen Mann, hatte er dabei leichtes Spiel, wie die in der Legenda Perusina und der zweiten Celano-Vita berichtete Episode von der Weggabe des ersten und einzigen Exemplars des Neuen Testaments, das der Orden besaß, an die Mutter von zwei Brüdern zeigt. Obwohl damit ein ordentliches Beten der Matutin (wohl ebenfalls in der Portiuncula-Kirche!) unmöglich wurde, beugte sich der nominelle Ordensobere dem Wunsch des Franziskus. (Diese Episode spricht übrigens dafür, daß Franziskus schon lange vor 1220 die Ordensleitung an Petrus Catanii abgegeben hat). Der Heilige bringt dabei seine ganz charakteristische Auffassung in bezug auf das Verhältnis von »Wort« und »Tat« zum Ausdruck: Gib unserer Mutter das Neue Testament, auf daß sie es zur Behebung ihrer Notlage verkaufen kann. Und ich bin fest überzeugt, daß das dem Herrn und der heiligen Jungfrau, seiner Mutter, mehr gefallen wird, als wenn ihr in ihm lesen würdet.43

Allerdings wird jeder, der Franziskus kennt, bemerken, daß dieses Verhalten im Widerspruch zu der Haltung steht, die er bei anderen Gelegenheiten dem geschriebenen Wort gegenüber einnimmt: er sammelt, wie man weiß, Worte und Wortfragmente und läßt sie wie Heiligtümer sorgfältig aufbewahren.44 Hier gibt er ein ganzes heiliges Buch einfach weg, ohne dessen weiteres Schicksal zu bedenken. Zur Erklärung des Widerspruchs kann man auf die Verschiedenheit der jeweiligen Situation hinweisen. Doch ist es in diesem wie in anderen Fällen besser, keinen Versuch zu machen, Ungereimtheiten im Verhalten des Franziskus logisch oder rational aufzulösen, um ihn modernem Empfinden gefälliger zu machen. 43 Leg. Per. 93 (ed. Bigaroni, 270f.); vgl. II Cel 91 (Anal. Fr. 10,184); s.o. Kap. IV, bei Anm. 53. 54. 44 S.o. Kap. V, bei Anm. 53 und Kap. VI, bei Anm. 85. 86.

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Der Gegenstand, den Franziskus am häufigsten verschenkt hat, scheint sein Mantel gewesen zu sein.45 Zuweilen brachte er dabei den Gefährten, der sich für ihn verantwortlich fühlte, oder den Guardian, der das Kleidungsstück für ihn gekauft hatte, in arge Verlegenheit. Manchmal blieb dem Oberen nichts anderes übrig, als vor dem starken Willen des Franziskus zu resignieren;46 manchmal kaufte man auch den Mantel von dem Beschenkten wieder zurück.47 Der Heilige hatte auch keine Bedenken, beständig seine Kutte oder Teile davon zu verschenken. Gegen Ende seines Lebens haben einige reliquiensüchtige Brüder dies ausgenutzt, so daß der Generalminister (Elias) und der für ihn zuständige Guardian sich genötigt sahen, ihm die Weggabe seiner Kutte in aller Form zu verbieten.48 Sein Guardian mußte auch einschreiten, als einmal das Feuer seine Bettücher erfaßt hatte und er es nicht zulassen wollte, daß sein Gefährte dem »Bruder Feuer« etwas zuleide tat.49 Die Unbehaustheit der Brüder, ihr Aufenthalt in brüchigen, eigentlich menschenunwürdigen Hütten und Höhlen, gehörte zu den Zügen am Franziskanertum der ersten Jahre, die die Christen der damaligen Zeit nicht in Ordnung fanden. Es handelte sich aber hierbei um einen der ganz wesentlichen Bestandteile des ursprünglichen Ideals des Franziskus, denn das Dasein ohne feste Bleibe, »wohin man sein Haupt legen« konnte (Mt 8,20), das Leben des Wanderapostels, entsprach ja gerade der Nachfolge Christi. Die Quellen erwähnen zwei Fälle, in denen er auf rigorose Weise versuchte, für Zwecke des Ordens errichtete oder erworbene Häuser wieder loszuwerden. Das erste war ein Haus in Bologna, das der Kardinal Hugolino zur Verfügung gestellt hatte, vielleicht, um die dort studierenden Brüder unterzubringen. Als Franziskus davon erfuhr, ließ er das Haus sofort räumen.50 Ein Haus, das die Stadt Assisi bei der Portiuncula aus Anlaß eines zahlreich besuchten Generalkapitels hatte errichten lassen (vermutlich, um eine anständige Unterkunft für prominente Gäste zu schaffen), begann er eigenhändig abzureißen, indem er Ziegel und Platten vom Dach herabwarf.51 In beiden Fällen schritten aber die Eigentümer der Häuser gegen die »Unvernunft« des Franziskus ein: in Bologna der Kardinal Hugolino, in Porziuncola der leibliche Bruder des 45

S. z.B. II Cel 86. 87. 88. 89. 92 u.ö. »Dixit ad eum guardianus eius: ›Frater, quod tibi melius inde videbitur, facias‹« (Leg. Per. 89; ed. Bigaroni, 258); vgl. II Cel 92 (Anal. Fr. 10,185). 47 II Cel 88 (ed.c. 183). 48 »Et propter hoc generalis minister et guardianus eius preceperant ei, ut nulli fratri suam tunicam daret sine eorum licentia; quoniam fratres propter devotionem quam habebant in ipso, aliquando petebant sibi et ipse statim dabat eis« (Leg. Per. 89; ed. Bigaroni, 260/262). 49 Leg. Per. 86 (ed.c. 252). 50 II Cel 58 (Anal. Fr. 10,166); s.u. Kap. VIII, bei Anm. 102. 51 II Cel 57 (ebd.). 46

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Franziskus, Angelus, der als Seneschall des Kapitels vonseiten der Stadt die polizeiliche Gewalt ausübte.52 Im Jahre 1223 zog sich Franziskus zusammen mit seinem Sekretär, Bruder Leo von Assisi, und Bruder Bonizio von Bologna in das Eremitorium von Fonte Colombo bei Rieti zurück, um eine neue verbindliche Fassung der Ordensregel zu erarbeiten. Wie bei allen wichtigen Angelegenheiten, die seine Bewegung betrafen, verließ er sich dabei auf die Eingebungen Christi selbst. Eine Mehrheit der höheren Amtsträger des Ordens (ministri quamplures!) befürchtete, daß das, was Franziskus sich in der Einsamkeit mit seinem Gott ausdachte, wegen allzu großer Strenge für die Gemeinschaft kaum praktikabel sein würde. Sie wollten deshalb Bruder Elias, der damals noch »Vikar des heiligen Franziskus« war,53 vorschicken, um dem Heiligen mitzuteilen, daß sie eine Verpflichtung auf diese Regel ablehnen würden. Dabei fällt der höhnische Satz: »Er soll die Regel für sich und nicht für uns machen.«54 Nichts kann deutlicher als dieser Satz zeigen, wie groß der Abstand der maßgeblichen Leute des Ordens zu Franziskus geworden war und wie selbstbewußt sich damals schon die Stimme der Normalität gegen die Exzentrizität des Heiligen erheben konnte. Zwar ist dem Elias das Ungeheuerliche des Vorgangs bewußt, und er wagt es nicht, dem geisterfüllten Vater allein gegenüberzutreten. Dieser wiederum vermag sich nur zur Wehr zu setzen, indem er Christus ein autoritatives Donnerwort aus der Luft sprechen läßt. Sakrale und priesterliche Handlungen Von Franziskus sind zahlreiche sakrale und quasi-sakramentale Handlungen bezeugt, die in der Katholischen Kirche normalerweise den geweihten Amtsträgern – Diakon, Priester und Bischof – vorbehalten sind. Mit Sicherheit hat Franziskus die Tonsur empfangen, gehörte also in kirchenrechtlicher Hinsicht dem Kleriker-Stand an.55 Auf ein korrektes Beten des kirchlichen Stundengebets scheint er keinen allzu großen Wert gelegt zu haben.56 Mindestens zweimal, wahrscheinlich dreimal, hat er bei einem feierlichen Pontifikal- bzw. 52 Thomas von Eccleston, De adventu, Collatio VI (ed. Little, 32); s.o. III. Kap., bei Anm. 20. – Man wüßte gern, von welcher Art das Gespräch war, das die beiden Brüder bei dieser Gelegenheit führten. 53 S. hierzu ausführlich u. Kap. IX, bei Anm. 20–27. 54 »Timemus, ne faciat ita asperam, quod non possumus eam servare. Volumus, quod vadas ad eum et dicas ei, quod nos nolumus esse obligati ad illam regulam; faciat pro se et non faciat pro nobis« (Leg. Per. 17; ed. Bigaroni, 50/52). 55 3 Soc 52; s.o. IV. Kap., bei Anm. 144. 145. »Officium dicebamus clerici secundum alios clericos«: Test. 18 (Esser, Opuscula, 440). 56 S.o. Anm. 43. ». . nec officium, sicut regula praecipit, dixi sive negligentia sive infirmitatis meae occasione sive quia ignorans sum et idiota«: Ep. toti Ordini missa (Esser, Opuscula, 262).

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Hochamt die Funktion des Diakons ausgeübt. Ob er allerdings ordinierter Diakon war, ist höchst zweifelhaft.57 Sodann sind eine Reihe von Worten und Handlungen des Franziskus überliefert, die ausgesprochen priesterlichen Charakter haben. An erster Stelle ist hier der alttestamentliche Priestersegen (Num 6,24–26) zu nennen, den Franziskus dem Bruder Leo im Anschluß an seine Stigmatisierung auf dem Alverna-Berg in schriftlicher Form spendete. Daß er dabei das alttestamentliche Segensformular benutzt, ist sicher kein Zufall: diese Formel war durch das kirchliche Ritual nicht »besetzt«.58 Die katholischen Priester und Bischöfe benutzten (am Ende der Messe) die bekannten trinitarischen Segensformeln. Ihrem sachlichen Anspruch nach geht die Benedictio für Bruder Leo aber weit über jeden traditionellen Segen hinaus: sie enthält ja, zusammen mit der Zeichnung (Tau mit Kopf), eine individuelle Heilszusage. Auch die anderen Segensspendungen des Franziskus enthalten, gemessen an dem kirchenamtlich Üblichen und Erlaubten, eine große »Anmaßung«. So sagt er den städtischen Amtsträgern, die seinen Brief aufbewahren und dessen Inhalt befolgen, autoritativ den gewissen (noverint!) Segen des Herrgotts zu.59 Ähnlich lautet die Formulierung am Ende des Briefes an die Kleriker: »Damit eine bessere Beachtung dieses Schriftstücks gesichert sei, sollen diejenigen, die es kopieren lassen, wissen (sciant!), daß sie vom Herrgott gesegnet sind.«60 Noch weitergehend sind die Segenssprüche, die mit einer Sündenvergebung verbunden sind. Die Legenda Perusina berichtet:61 Denn es war die Gewohnheit des heiligen Franziskus, daß er immer bei den Kapiteln der Brüder, wenn die Brüder zusammenkamen, am Ende des Kapitels alle anwesenden Brüder und die anderen, die im Orden waren, segnete und lossprach; und er segnete auch alle, die in Zukunft zu diesem Orden kommen würden. Und nicht nur auf den Kapiteln, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten segnete er alle Brüder, die im Orden waren und die noch kommen würden.

Bruder Elias erhält von dem sterbenden Franziskus den Auftrag, allen Brüdern seinen Segen und die Vergebung ihrer gesamten ihm gegenüber begangenen Schuld zu übermitteln. Nach dem Wortlaut des Rundbriefes geht es dabei ausdrücklich nur um das Franziskus gegenüber in Taten oder Gedanken begangene Unrecht.62 Dagegen spricht Jordan von Giano von einer Vergebung 57

S.o. Kap. VI, bei Anm. 70. 71. S.o. Kap. I, bei Anm. 72. 73; Kap. VI, bei Anm. 124. 125; s. dazu auch: Feld, Franziskus (o. Einl., Anm. 3), 37f. 59 »Hoc scriptum qui apud se retinuerint et observaverint illud, a Domino Deo se noverint benedictos«: Ep. ad populorum rectores (Esser, Opuscula, 275). 60 »Hoc scriptum, ut melius debeat observari, sciant se benedictos a Domino Deo, qui illud fecerint exemplari«: Ep. ad Clericos I und II (ebd. 164. 165). 61 Leg. Per. 59 (ed. Bigaroni, 152). 58

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aller Vergehen, ohne jede Einschränkung.63 Jordan denkt dabei vermutlich an die Formulierungen, die Franziskus selbst am Ende der Generalkapitel gebrauchte, während es im Falle des Elias durchaus denkbar ist, daß er die Aussage des Heiligen in rechtgläubigem Sinne zurechtgebogen hat. Wenn man dennoch die Ansicht vertreten will, daß Franziskus immer nur an Regelverstöße und ordensinterne Verfehlungen gedacht habe, so steht dem der Wortlaut des Segens für Klara von Assisi entgegen:64 Der heilige Franziskus . . . schrieb ihr, um sie zu trösten, mittels eines Briefes seinen Segen, und er sprach sie auch los von jeder Verfehlung, wenn sie denn eine hätte, in seinen Geboten und Willensäußerungen und den Geboten und Willensäußerungen des Sohnes Gottes.

Der Vollzug des eucharistischen Kultus (fractio panis) durch Laien war im 12. und 13. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich. Er hatte sich in waldensischen Gemeinden, die keine oder nicht genügend Priester hatten, eingebürgert.65 Franziskus hat einmal, als er Gast im Hause des Kardinals Hugolino (wohl in Rom) war, einen Ritus vollzogen, der der waldensischen fractio panis recht ähnlich war. Der darüber irritierte Kardinal beruhigte sich schließlich (als echter Jurist!) an der Tatsache, daß der Heilige kein Weißbrot an die Tischgäste ausgeteilt hatte.66 Die Brotsorte war für Franziskus unerheblich. Wie er selbst erläutert, wollte er mit dieser Zeichenhandlung auf den in der Menschwerdung arm und verachtet gewordenen König und Herrn des Universums hinweisen. Und er wollte seinerseits seinen Gefährten ein Modell und Beispiel (forma et exemplum) vorführen. Er betrachtete das als seine Aufgabe (officium) und Erfüllung der Gehorsamspflicht (obedientia) gegenüber seinem Herrn.67 Um dasselbe geht es auch bei dem Brotbrechen, das er wenige Tage vor seinem Tod mit den anwesenden Brüdern beging. Celano berührt das Ereignis mit einem einzigen Satz, der von der eigentlichen Bedeutung der quasi-sakramentalen Handlung ablenkt; der heilige Bonaventura übergeht die ganze Episode mit Stillschweigen, wofür er sicher Gründe hatte! Aus der Erzählung der Legenda Perusina geht der kultische und Gemeinschaft stiftende Charakter 62 ». . omnes filios suos benedixit et omnibus remisit culpas, quae in eum factae fuissent vel cogitatae ab aliquo nostrum«: Ep. enc. 4 (Anal. Fr. 10,526); vgl. auch II Cel 109. 63 ». . denuncians singulis et universis, quod omnibus, sicut ipsi beatus Franciscus praeceperat, ex parte beati Francisci benediceret et ab omnibus absolveret culpis«: Jordan von Giano, Chronik 50 (ed. Boehmer, 45). 64 Leg. Per. 13 (ed. Bigaroni, 42); Esser, Opuscula, 453. 65 S.o. Kap. II, Anm. 63–65. 66 Leg. Per. 97; II Cel 73; s. darüber ausführlicher: Feld, Franziskus (o. Einl., Anm. 3), 36–39, und u. Kap. VIII, bei Anm. 99; vgl. auch o. IV. Kap., Anm. 102! 67 Leg. Per. 97 (ed. Bigaroni, 286).

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der Handlung und deren enge Anlehnung an das Vorbild des letzten Mahles Jesu klar hervor: Danach ließ er Brote vor sich bringen und segnete sie. Und weil er sie wegen seiner krankheitsbedingten Schwäche nicht brechen konnte, ließ er sie von einem Bruder in mehrere kleine Teile brechen. Dann nahm er sie, reichte jedem von den Brüdern ein Stück und gab Anweisung, es ganz zu essen. Denn wie der Herr am Donnerstag mit den Aposteln vor seinem Tod speisen wollte, so hatten diese Brüder irgendwie (quodammodo!) den Eindruck, daß der heilige Franziskus sie vor seinem Tod segnen wollte, und in ihnen alle anderen Brüder, und daß sie das gesegnete Brot äßen, gleichsam als ob sie mit ihren übrigen Brüdern speisten. Und das ist ganz evident, weil er, obwohl ein anderer Tag als Donnerstag war, den Brüdern sagte, er glaube, es sei Donnerstag.68

Man wird nicht behaupten wollen, daß Franziskus sich mit Vorsatz bischöfliche Funktionen anmaßte, als er in der Nacht des Palmsonntags 1211 (1212?) Klara die Haare abschnitt, um sie in den Stand der geweihten Jungfrauen aufzunehmen.69 Doch hat er dabei de facto einen normalerweise dem Bischof vorbehaltenen Ritus vollzogen, und es steht nirgendwo in den Quellen, daß er dies mit Erlaubnis oder in Absprache mit dem Bischof von Assisi getan hätte. Franziskus vor dem Sultan Nach Auskunft der ersten Celano-Legende hat Franziskus dreimal den Versuch unternommen, in das Land der »Ungläubigen«, d.h. der Muslime, zu gelangen. Seine Motive waren der Wunsch, den Anhängern Mohammeds, genau wie den Christen, das Evangelium und die Buße zu predigen und dadurch vielleicht das Martyrium zu erlangen. Zum ersten Mal wollte er sich im Jahre 1212 (wohl von Venedig aus) zu Schiff in den Orient begeben.70 Doch das Schiff wurde von widrigen Winden an die Küste von Dalmatien abgetrieben. In diesem Jahr fuhr kein anderes Schiff mehr nach Syrien (es muß also bereits Herbst gewesen sein). Da entschloß sich Franziskus, nach Italien zurückzukehren. Auf einem nach Ancona fahrenden Schiff wurde er nicht aufgenommen, da man nicht ausreichend Lebensmittel geladen hatte. Da ging er mit seinem Gefährten heimlich an Bord, um als blinder Passagier 68

Leg. Per. 22 (ebd. 64); vgl. II Cel 217. Bei Bonaventura heißt es statt dessen: »Er sprach eingehend über die Notwendigkeit, die Geduld, die Armut, die Treue zur heiligen Römischen Kirche zu bewahren, aber über alle anderen Normen stellte er das Evangelium« (Leg. mai. XIV,5). Über die (nicht zufälligen) Auslassungen Bonaventuras in der Erzählung des Todes des heiligen Franziskus s. auch FF, S. 957f., Anm. 98. Aus dem Bericht der Leg. Per. geht überdies klar hervor, daß Franziskus selbst sich als »alter Christus« gesehen hat. 69 S. darüber ausführlich u. XI. Kap., bei Anm. 36–43. 70 I Cel 55 (Anal. Fr. 10,42).

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nach Italien zu gelangen. Vor der Abfahrt kam ein Unbekannter und übergab einem von der Mannschaft ausreichend Lebensmittel für die beiden Brüder, die sich im Schiff versteckt hatten. Während der Überfahrt geriet man in einen Sturm, und die Matrosen mußten mehrere Tage rudern, um wieder auf Kurs zu kommen. In dieser Zeit wurden die Lebensmittel an Bord gänzlich aufgebraucht. So war man froh, als Franziskus seine eigenen Vorräte zur Verfügung stellte, und diese reichten, obendrein noch auf wundersame Weise vermehrt, bis zur Ankunft in Ancona. Abgesehen von diesem Passus, den der wundersüchtige Biograph eingeflochten hat, um seinen Heiligen zu verherrlichen, sind die geschilderten Einzelumstände dieses ersten Versuches einer Orientreise durchaus glaubhaft. Wahrscheinlich 1214 machte er sich erneut auf den Weg, diesmal, um dem Emir el-Mumenim (Beherrscher der Gläubigen) Mohammed ben-Nasser das Evangelium zu verkünden. Dieser war am 16. Juli 1212 in der mörderischen Schlacht von Las Navas de Tolosa von den vereinten Spaniern besiegt worden und hatte sich nach Marokko zurückgezogen. Mit diesem Krieg, dem der Papst Innocenz III. die Weihe eines Kreuzzugs verliehen hatte, wurde die entscheidende Phase der Reconquista, der Rückeroberung des seit 711 von den Arabern besetzten Spanien, eingeleitet. Über die näheren Umstände der Reise des Franziskus, die nur von Thomas von Celano erwähnt wird, erfahren wir so gut wie nichts. So sind vor allem der Hin- und Rückweg, den er genommen hat (Über die Alpen? Entlang der ligurischen Küste? Auf dem Seeweg von Genua aus?), gänzlich unbekannt. Aus einer beiläufigen Bemerkung in der »Abhandlung über die Wunder« geht allerdings hervor, daß Bernhard von Quintavalle sein Begleiter war. Der Ausbruch einer Krankheit soll ihn zur Rückkehr gezwungen haben.71 Wahrscheinlicher ist, daß zusätzlich zu seinem schlechten physischen Zustand sich bei ihm ganz einfach die Mutlosigkeit einstellte, denn er hätte ja, nach eingetretener Besserung, weiterreisen können, anstatt nach Italien zurückzukehren. Der lückenhafte Bericht über das unrühmliche, gescheiterte Unternehmen muß auf Bruder Bernhard zurückgehen. Mehr Erfolg, das Ziel des Martyriums zu erreichen, hatten die fünf Brüder Berardus, Petrus, Adiutus, Accursius und Otho, die über Aragon, Portugal und das noch von den Arabern beherrschte Sevilla nach Marokko gelangten. Weniger aufgrund der Verkündigung des Evangeliums als wegen der in aller Öffentlichkeit naiv ausgesprochenen Lästerungen des Propheten und des mohammedanischen Glaubens richtete der Kalif Abu Jakub die unerfahrenen, weltfremden Jünglinge am 16. Januar 1220 eigenhändig mit dem Schwert hin.72 71

I Cel 56 (ebd. 43); s.o. bei Anm. 1 und 15; III Cel 34: o. bei Anm. 34. Passio sanctorum Martyrum fratrum Berardi, Petri, Adiuti, Accursii, Othonis in Marochio martyrizatorum (Anal. Fr. 3,579–596). 72

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Verständlicherweise waren die Minderbrüder stolz auf das Blutzeugnis der ersten Märtyrer der Bewegung, und es entstand alsbald eine Lebensbeschreibung (Legenda) der fünf. Franziskus war darüber überhaupt nicht begeistert. Er verwarf die Legende und verbot den Brüdern, sie zu lesen, indem er sagte: »Ein jeder soll sich seiner eigenen Passion rühmen und nicht der eines anderen.« Jordan von Giano, von dem die Nachricht stammt, bemerkt dazu: »Und so wurde diese ganze erste Mission, weil vielleicht die Zeit der Aussendung noch nicht gekommen war – denn für jede Sache gibt es eine Zeit unter dem Himmel (Eccl 8,6) – auf Null reduziert« (ad nichilum est deducta).73 Immerhin hat sein Historiker-Gewissen ihn veranlaßt, entgegen der Intention des Franziskus, das Andenken daran zu bewahren. Der dritte Versuch des Franziskus, in das Land der »Ungläubigen« zu gelangen, war schließlich von Erfolg gekrönt. Unmittelbar nach dem Pfingstkapitel von 1219 nahm er (wohl von Ancona aus) ein Schiff, das ihn nach Ägypten, in das Lager der Christen brachte, die damals die Festung Damiette belagerten. Seine Begleiter waren sein Vikar Petrus Catanii und Bruder Illuminatus.74 Dem christlichen Heer, das sich zum Krieg gegen die Muslime rüstete, sagte er eine Niederlage voraus, die tatsächlich am 29. August 1219 eintrat.75 Den danach vereinbarten Waffenstillstand nutzte Franziskus aus, um sich in das feindliche Lager zu begeben. Er wollte den Sultan Melek el-Kamil (1218–1238) selbst sprechen. Die arabischen Vorposten verprügelten ihn zunächst tüchtig, brachten ihn aber, da er beständig »Soldan, Soldan« schrie, zu ihrem Herrscher. Der Sultan, dessen humane und »aufgeklärte« Gesinnung sich auch einige Jahre später in der Begegnung mit dem Kaiser Friedrich II. zeigte, nahm Franziskus ehrenvoll auf und begegnete ihm mit großer Freundlichkeit.76 Melek el-Kamil scheint mit Franziskus eingehende Gespräche geführt zu haben, die vor allem die zentralen christlichen Dogmata der Trinitäts- und Erlösungslehre zum Gegenstand hatten. Er bewunderte die »Begeisterung« des Heiligen und suchte das Gespräch mit ihm: so Bonaventura, der in diesem 73

Jordan, Chronik 7f. (ed. Boehmer, 7). I Cel 57 (Anal. Fr. 10,43f.); Bonaventura, Leg. mai. IX,7–9 (ebd. 600f.); einige der bei Bonaventura berichteten Einzelheiten scheinen auf Bruder Illuminatus zurückzugehen. 75 II Cel 30 (Anal. Fr. 10,149); Bonaventura, Leg. mai. XI,3 (ebd. 606). – Über die Kämpfe in Ägypten bis zur Eroberung von Damiette durch die Kreuzfahrer am 5. November 1219 s.: Hans L. Gottschalk, Al-Malik al-Ka¯mil von Egypten und seine Zeit. Eine Studie zur Geschichte Vorderasiens und Egyptens in der ersten Hälfte des 7./13. Jahrhunderts, Wiesbaden 1958, 76–88. 76 Jordan, Chronik, 10 (ed. Boehmer, 11): »Sed antequam perveniret ad ipsum, multis iniuriis et contumeliis est affectus et lingwam ipsorum ignorans inter verbera clamabat: ›Soldan, soldan.‹ Et sic ad ipsum perductus gloriose est ab ipso receptus et in infirmitate humane pertractatus.« 74

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Punkt mit anderen wichtigen Quellen übereinstimmt.77 Daß der Sultan Franziskus freundlich aufgenommen habe, berichtet auch Jakob von Vitry, Bischof von Akkon, der damals selbst im Heer der Kreuzfahrer war und so die Ereignisse aus nächster Nähe mitbekam. In seinem im Februar 1220 an seine Freunde in Lothringen gerichteten Brief schreibt er, Franziskus sei zunächst zu dem bei Damiette lagernden Heer der Christen gekommen und von dort aus in das Lager der Feinde gegangen. Er habe dann viele Tage lang den Sarazenen das Wort Gottes gepredigt, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Darauf habe ihn der Sultan von Ägypten insgeheim gebeten, er möge Gott für ihn bitten, daß er derjenigen Religion angehören könne, die Gott am ehesten gefalle. (Bemerkenswert ist, daß Jakob von Vitry hier besonders die Liebenswürdigkeit des Franziskus hervorhebt, mit der er sich ohne Zweifel auch die Zuneigung des Sultans erworben hat).78 In seiner »Orientalischen Geschichte« weiß der gleiche Autor zu berichten, der Sultan habe einige Tage lang mit großer Aufmerksamkeit der Predigt des Franziskus zugehört. Dann allerdings habe er befürchtet, es könnten Leute aus seinem Heer von Franziskus bekehrt werden und zu den Christen überlaufen. Er habe sich also von Franziskus mit den Worten verabschiedet: »Bitte für mich, daß Gott das Gesetz und den Glauben, der ihm mehr gefällt, mir zu offenbaren geruhe«, und habe ihn dann sicher und ehrenvoll in das christliche Lager zurückgeleiten lassen.79 Unter den Christen hatte Franziskus einen Erfolg, über den der Bischof von Akkon nicht glücklich gewesen zu sein scheint: drei von seinen Klerikern schlossen sich dem Minoriten-Orden an, andere konnte er nur mit Mühe davon abhalten.80 77 Leg. mai. IX,8: ». . fervore spiritus praedicto Soldano praedicavit Deum trinum et unum et Salvatorem omnium Iesum Christum. . . Nam et Soldanus admirandum in viro Dei fervorem spiritus conspiciens et virtutem, libenter ipsum audiebat et ad moram contrahendam cum eo instantius invitabat.« 78 »Magister vero illorum fratrum, frater Franciscus nominatur: qui adeo amabilis est, ut ab omnibus hominibus veneretur; cum venisset ad exercitum nostrum, zelo fidei accensus, ad exercitum hostium nostrorum ire non timuit; et cum multis diebus Saracenis verbum Domini praedicasset, et cum parum profecisset, tunc Soldanus Rex Aegypti ab eo in secreto petiit, ut pro se Domino supplicasset, quatenus religioni, quae magis Deo placeret, divinitus inspiratus adhaereret.« – Die wichtigsten Zeugnisse über den Aufenthalt des Franziskus im Orient sind gesammelt bei Girolamo Golubovich, Biblioteca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano I, Quaracchi 1906, 1–104; die o. zitierte Stelle ebd. 8; ferner: Huygens, Lettres (o. I. Kap., Anm. 149), 71–78. 79 »Quem cum ante ipsum pertraxissent, videns eum bestia crudelis, in aspectu viri Dei in mansuetudinem conversa, per dies aliquot ipsum sibi et suis Christi fidem praedicantem attentissime audivit. Tandem vero metuens, ne aliqui de exercitu suo verborum eius efficacia ad Dominum conversi ad Christianorum exercitum pertransirent, cum omni reverentia et securitate ad nostrorum castra reduci praecepit, dicens ei in fine: ›Ora pro me, ut Deus legem illam et fidem, quae magis sibi placet, michi dignetur revelare‹« (Golubovich, Biblioteca, 10). 80 Ebd. 8.

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Weder die Berichte Jakobs von Vitry, noch Thomas von Celano, noch Jordan von Giano, auch nicht die Chroniken des Ernoul und des Bernard le Tre´sorier, die ebenfalls ausführlich über den Besuch des Franziskus bei Melek el-Kamil berichten,81 erwähnen etwas von dem Angebot der Feuerprobe, das Franziskus dem Sultan gegenüber gemacht haben soll, um die Wahrheit des christlichen und die Falschheit des muslimischen Glaubens zu demonstrieren. Allein der heilige Bonaventura berichtet darüber ausführlich. Demnach habe Franziskus zunächst darum gebeten, daß er und die muslimischen Geistlichen ins Feuer gehen sollten. Doch habe Melek el-Kamil Zweifel geäußert, daß einer von seinen »Priestern« sich dem Feuer aussetzen wolle, um die Wahrheit seines Glaubens zu verteidigen. Da habe Franziskus angeboten, allein ins Feuer zu gehen, wenn ihm der Sultan verspräche, zum christlichen Glauben überzutreten, falls er unversehrt aus dem Feuer wieder herauskäme. Auch dieses Angebot habe der Sultan aus Furcht vor einem Volksaufstand abgelehnt. Die Geschichte von der Feuerprobe ist trotz ihres stark legendarischen Eindrucks nicht ganz unglaubwürdig; sie geht vielleicht auf Bruder Illuminatus, den Begleiter des Franziskus, zurück.82 In den großen Freskenzyklen über das Leben des Franziskus, wie denen des Giotto in der Oberkirche S. Francesco in Assisi und in S. Croce zu Florenz und dem des Benozzo Gozzoli in Montefalco, erfährt die Dramatik des Geschehens eine zusätzliche Steigerung dadurch, daß ein vor dem Sultan bereits angezündetes Feuer dargestellt ist. Nach Bonaventura hat der Sultan, »obwohl er zum christlichen Glauben nicht übertreten wollte oder es vielleicht nicht wagte«, Franziskus beim Abschied Geld und kostbare Geschenke angeboten. Der Heilige aber habe das alles abgelehnt, weil er sich damit nicht belasten wollte und auch »in der Seele des Sultans nicht die Wurzel wahrer Frömmigkeit sah.« In einer Predigt desselben Bonaventura über Franziskus liest es sich dann doch ein wenig anders:83 Beim dritten Mal ging er zu dem Sultan und predigte den christlichen Glauben und sprach den Wunsch aus, es möge für den christlichen Glauben disputiert werden. Da sagte der Sultan: »Lassen wir unsere Gelehrten kommen und disputieren wir über unseren und eueren Glauben!« Und der heilige Franziskus antwortete: »Unser Glaube steht über der Vernunft, und die Vernunft ist wirksam nur für den Gläubigen; und ich kann mit der Heiligen Schrift

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Ebd. 12–14. Leg. mai. IX,8 (Anal. Fr. 10,601); s. auch die Zeugnisse des Bruders Illuminatus aus dem Cod. Vat. Ottob. lat. 552, bei Golubovich I,36f.; FF 2690, wo von der Feuerprobe allerdings nicht die Rede ist. 83 De S. Patre nostro Francisco Sermo II (Op. omn. IX,579f.); vgl. auch: In Hexaemeron, Collatio XIX,14 (Op. omn. V,422b). 82

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nicht argumentieren, weil sie der Heiligen Schrift nicht glauben. Aber es soll ein Holzfeuer angezündet werden, und ich werde zusammen mit euren Gelehrten in das Feuer hineingehen, und die verbrennen werden, deren Gesetz ist schlecht.« Und sogleich zogen sich die Gelehrten des Sultans zurück; und der Sultan begann zu lächeln und sagte: »Ich glaube nicht, daß ich einen finden würde, der mit Euch in das Feuer hineinginge.« Da sagte der heilige Franziskus: »Ich allein will hineingehen, und wenn ich verbrenne, dann soll es meinen Sünden zugerechnet werden; wenn nicht, dann soll unser christlicher Glaube angenommen werden.« Der Sultan antwortete: »Ich würde nicht wagen, das zu tun, denn ich befürchte, daß meine Leute mich steinigen würden. Aber ich glaube, daß Euer Glaube gut und wahr ist.« Und von der Stunde an hatte er beständig den christlichen Glauben in seinem Herzen eingeprägt.

Im Gegensatz zu der Version der Erzählung in der Legenda maior gesteht Bonaventura hier dem Sultan eine Art geheimen Christentums zu. Später begegnet dieser Gedanke wieder in den Actus-Fioretti, in denen die Legende von der heimlichen Bekehrung und endlichen Rettung des Sultans durch Franziskus breit ausgesponnen ist.84 Unter den Franziskus-Reliquien, die im Sacro Convento in Assisi aufbewahrt werden, befindet sich ein sehr schönes kleines Horn aus Elfenbein, das nach alter Tradition ein Geschenk des Sultans von Ägypten an Franziskus sein soll. Der Heilige habe damit das Volk zur Predigt zusammengerufen.85 In seinem »Brief an die Lenker der Völker« fordert Franziskus die politischen Machthaber dazu auf, allabendlich durch einen Herold oder ein Zeichen verkünden zu lassen, daß dem allmächtigen Herrgott vom gesamten Volk Lob und Dank gesagt würde.86 Wie schon Kajetan Esser bemerkt hat, steht hinter dem Wunsch, das Lob Gottes gewissermaßen zu einer öffentlichen und gesellschaftlichen Angelegenheit zu machen, die Erfahrung, die Franziskus bei seinem Aufenthalt im Orient mit dem Gebetsruf des Muezzin gemacht hatte. Ein Reflex der negativen Erfahrungen, die die ersten Minoriten bei ihren Missionsversuchen unter den Muslimen machen mußten, findet sich in der Regula non bullata von 1221. Den »zu den Sarazenen und anderen Ungläubigen Gehenden« wird dort an erster Stelle empfohlen, keine Auseinandersetzungen zu beginnen, sondern sich den Machthabern gegenüber untertänig zu 84 Actus, c. 27: »Quomdo Soldanus Babilonie fuit conversus ad fidem et baptizatus per fratres missos a b. Francisco«; Fioretti, c. 24 (ed. Cambell, 314–323). 85 Golubovich I,81. 86 »Et tantum honorem in populo vobis commisso Domino conferatis, ut quolibet sero annuntietur per nuntium vel per aliud signum, quo omnipotenti Domino Deo ab universo populo laudes et gratiae referantur« (Esser, Opuscula, 275); vgl. o. Kap. I, bei Anm. 50–51.

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verhalten (nach 1 Petr 2,13) und sich als Christen zu bekennen. An zweiter Stelle wird die übliche Missionspredigt genannt, »wenn sie sehen, daß es Gott gefällt.« Der echt franziskanischen »Predigt« durch die Tat, dem einfachen, beispielhaften Vollzug christlichen Lebens, wird also eindeutig der Vorzug vor der verbalen Verkündigung des Wortes Gottes gegeben. Bezeichnenderweise sind diese Verhaltensregeln für den Aufenthalt der Brüder im Bereich der nichtchristlichen Religionen, die gewiß den ureigensten Intentionen des Franziskus entsprungen waren, in der Regula bullata von 1223 einfach weggelassen worden.87 Nach der anonymen, um 1230 entstandenen französischen Chronik L’estoire de E´racles empereur et la conqueste de la terre d’Outremer begab sich Franziskus nach der Eroberung von Damiette (5. November 1219), angewidert vom Treiben der Kreuzfahrer, nach Syrien.88 Es ist die Frage, ob er damals als Pilger die heiligen Stätten in Jerusalem und Bethlehem aufgesucht hat. Giulio Basetti-Sani hat dies in einer scharfsinnigen Untersuchung bestritten. Denn mit einer solchen Wallfahrt hätte Franziskus sich die Exkommunikation zugezogen. In einem an den Erzbischof Otto von Genua gerichteten Schreiben vom 24. Juli 1217 hatte Honorius III. unter der Strafe der Exkommunikation verboten, die heiligen Stätten zu besuchen und den Sarazenen den dafür erforderlichen Tribut zu entrichten. Dem das Kreuzfahrerheer in päpstlichem Auftrag kommandierenden Kardinal Pelagius, Bischof von Albano, und allen Kreuzfahrern war der Inhalt der Bulle selbstverständlich bekannt. Der »katholische« und gehorsame Franziskus hätte niemals gewagt, dem Willen des Papstes entgegenzuhandeln und damit der Exkommunikation anheimzufallen. Basetti-Sani weist auch darauf hin, daß sowohl Thomas von Celano wie auch Bonaventura keinerlei Hinweis auf eine Pilgerfahrt des Franziskus ins Heilige Land geben.89 Zu der Gehorsamshaltung des Franziskus der Römischen Kurie gegenüber paßt, daß er sogar um die Genehmigung des päpstlichen Legaten nachsuchte, als er sich in das sarazenische Lager begeben wollte, wie Ernoul in seiner Chronik ausführlich berichtet.90 Daß aber Franziskus anschließend von Ägyp87

Reg. non bull. c. 16 (Esser, Opuscula, 390); vgl. Reg. bull. c. 12 (ebd. 371). »Cil hom, qui comenca l’ordre des Freres Menors, si ot nom frere Frere Francois, qui puis saintefia et fu mis en auctorite´, si que l’en apele saint Francois, vint en l’oste de Damiate, et i fist moult de bien, et demora tant que la vile fu prise. Il vit le mal et le peche´ qui comenca a creistre entre les gens de l’ost, si li desplot, por quoi il s’en parti et fu une piece en Surie, et puis s’en rala en son pais« (Golubovich I,14). 89 G. Basetti-Sani, San Francesco e` incorso nella scommunica? Una bolla di Onorio III ed il supposto pellegrinaggio del Santo a Gerusalemme. AFH 65 (1972), 3–19; Abdruck der päpstlichen Bulle ebd. 15f.; dagegen hält es Alberto Ghinato für möglich, daß Franziskus, mit einem Passeport des Sultans versehen und von der Abgabe freigestellt, das Heilige Grab zu Jerusalem besucht hat: S. Franciscus in Oriente Missionarius ac Peregrinus. Acta Ordinis Minorum 83 (1964), 164–181; ebd. 175. 90 Golubovich I,12. 88

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ten nach Syrien gereist sein soll, ohne Bethlehem und Jerusalem zu sehen, ist ganz unwahrscheinlich. (Akkon ist von Jerusalem nicht mehr als drei oder vier Tagereisen zu Fuß entfernt). Nachrichten darüber sind allerdings nur in relativ späten Quellen überliefert, so in der Legenda antiqua91 und bei Angelus Clarenus.92 Doch besagt das Schweigen der »offiziellen« Legenden des Celano und Bonaventura hier ebenso wenig gegen die Echtheit der Tradition wie im Falle der »Vergebung von Portiuncula«. Vielmehr ist das nicht kirchenkonforme Verhalten des Franziskus gerade ein Grund dafür, weshalb solche Ereignisse in den älteren Legenden nicht erwähnt werden. Im Sinne des Kirchenrechts wäre Franziskus dann aber doch exkommuniziert gewesen. Er wird sich aber darüber ebenso wenig den Kopf zerbrochen haben wie über die kirchlichen Verbote des Aufsuchens und Konsultierens einer Wahrsagerin, als er, ebenfalls in Outremer, zusammen mit Bruder Elias das Orakel der »Pythonissa« anhörte.93 Rückzug von der Ordensleitung Nach übereinstimmender Darstellung der zweiten Celano-Legende und der Legenda Perusina legte Franziskus »wenige Jahre nach seiner Bekehrung« auf einem Generalkapitel bei der Porziuncola-Kirche die Leitung des Ordens nieder und unterstellte sich selbst und alle Brüder dem Gehorsam gegenüber Petrus Catanii.94 In der neueren Forschung wird durchgängig die Meinung vertreten, dieses Ereignis habe auf dem Michaelskapitel (29. September) von 1220, nach der gemeinsamen Rückkehr des Franziskus und des Petrus Catanii aus dem Orient, stattgefunden. Doch hat wohl eher Rosalind B. Brooke recht mit ihrer Annahme, daß die Amtsübergabe schon früher, wahrscheinlich auf dem Pfingstkapitel (14. Mai) von 1217 stattgefunden hat.95 Franziskus unterstellte sich nicht nur dem neuen »Generalminister« oder »Vikar« (die Amtsbezeichnung ist schwankend!), sondern er wollte als direkten Oberen einen Guardian haben, dem er bis zu seinem Tode persönlich unterstellt blieb.96 Er tat dies, weil er sich in totalem und rückhaltlosem 91 Leg. ant. c. 13 (Golubovich I,51); vgl. Vita del povero et humile servo de Dio Francesco dal ms. Capponiano-Vaticano 207, ed. M. Bigaroni, Assisi 1985, c. 14 (S. 52): »Et invito`lo stantemente a demorare nella terra sua, et comando` che esso et tucti li frati sui potessero andare al Sepulcro senza pagare tributo.« 92 Chronicon seu Historia septem Tribulationum Ordinis Minorum, Tribulatio I: »et ipsum et omnes fratres suos libere ad Sepulchrum, et absque tributi solutione accedere posset mandavit« (ed. Ghinato, 35f.). 93 Jordan, Chronik, 13 (ed. Boehmer, 12); s.u. Kap. VIII, Anm. 6. 94 II Cel 143 (Anal. Fr. 10,212f.); Leg. Per. 11 (ed. Bigaroni, 28); vgl. auch Leg. Per. 39 (ebd. 84). 95 S.o. IV. Kap., bei Anm. 53. 96 Leg. Per. 11 (ed.c. 30); II Cel 151 (ed.c. 218).

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Gehorsam üben wollte; in dem Oberen, selbst wenn derselbe erst seit einer Stunde dem Orden angehören würde, sah er Gott selbst. Merkwürdig ist, daß Franziskus nun keineswegs konsequent auf alle Leitungsfunktionen verzichtet hat. Wie aus seinen erhaltenen Briefen, von denen die meisten nach seiner Resignation geschrieben wurden, und anderen Quellentexten eindeutig hervorgeht, hat er sich nach wie vor als oberster geistlicher Leiter der Gemeinschaft verstanden und hat von deren Mitgliedern auch Gehorsam erwartet. Der gutmütige, schwache Petrus Catanii scheint auf jede Gelegenheit gewartet zu haben, bei der er die Verantwortung an Franziskus zurückschieben und sich seinerseits wieder in Gehorsam üben konnte. Als dann die formelle Leitung des Ordens an Elias von Cortona übergegangen war, sah die Sache schon anders aus: es wurde ziemlich rasch ein Gegensatz sichtbar zwischen dem pragmatisch und politisch denkenden Elias und den in seinem Sinne handelnden Amtsträgern (Ministern) des Ordens einerseits und Franziskus und dessen radikalen Anhängern andererseits. Aber noch auf dem Generalkapitel von 1221 (30. Mai), das bereits von Bruder Elias geleitet wurde, war es Franziskus selbst, der den Anstoß für die wichtige Entscheidung gab, zum zweiten Mal eine größere Gruppe von Brüdern nach Deutschland zu schicken. Es waren aber vor allem die nach dem Martyrium begierigen Enthusiasten, die sich freiwillig für das Unternehmen meldeten. Jordan von Giano, der selbst zu den Anwesenden und Betroffenen gehörte, berichtet:97 Am Ende dieses Kapitels aber, als nämlich das Kapitel schon beendet werden mußte, kam es dem heiligen Franziskus ins Gedächtnis, daß der Aufbau des Ordens noch nicht nach Deutschland gelangt war. Und weil der heilige Franziskus damals bei schwachen Kräften war, sagte Bruder Elias alles, was seinerseits dem Kapitel mitzuteilen war. Und der heilige Franziskus saß zu Füßen des Bruders Elias und zog ihn an der Kutte. Der neigte sich zu ihm und hörte zu, was er wollte. Dann richtete er sich auf und sagte: »Brüder! Der Bruder (damit meinte er den heiligen Franziskus, der gewissermaßen par excellence von den Brüdern ›Bruder‹ genannt wurde) sagt folgendes: Es gibt eine Gegend namens Deutschland, in der christliche und fromme Menschen leben, die, wie ihr wißt, mit langen Pilgerstäben und dicken Kerzen, unter Lobgesängen zu Gott und seinen Heiligen, schwitzend in der Sonnenhitze hier durchziehen und die Schwellen der Apostel [d.h. die Apostelgräber in Rom] besuchen. Und weil die früher einmal zu ihnen gesandten Brüder dort schlecht behandelt wurden und zurückkehrten, nötigt der Bruder niemanden, zu ihnen zu gehen. Aber denjenigen, die aus Eifer für Gott und die Seelen dorthin gehen möchten, denen will er die gleiche Vollmacht, ja sogar noch eine größere geben, als er denen geben würde, die nach Outremer ziehen. Und wenn es welche gebe, die gehen wollten, dann sollten sie aufstehen und sich absondern.« Und von der Sehnsucht nach dem Martyrium entzündet, standen etwa 90 Brüder auf, die sich dem Tode darboten, und sie gingen beiseite, wie man sie geheißen hatte, und erwarteten die Anweisung, welche und wie viele und wie und wann sie ziehen sollten. 97

Jordan, Chronik, 17 (ed. Boehmer, 17–19).

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Franziskus hat auch in den letzten sieben Jahren seines Lebens (1220–1226), in denen er mit Sicherheit auf die formelle Leitung seiner Gemeinschaft verzichtet hatte, wichtige Entscheidungen getroffen, bei denen er außer Gott niemanden um Rat oder Erlaubnis gefragt hat. Die großen bedeutsamen Zeichenhandlungen dieser Zeit, wie die Weihnachtsfeier von Greccio (1223) und die Vision des Seraphen auf dem Alverna-Berg (1224), sind seine ureigensten »Erfindungen«. Am Ende seiner an verschiedene Personenkreise gerichteten Rundbriefe tritt er in der Gewißheit prophetischer und göttlicher Autorität auf.98 Nach Raoul Manselli hat Franziskus Bernhard von Quintavalle als seinen Nachfolger in der prophetischen und beispielgebenden Funktion eingesetzt, gewissermaßen als Gegengewicht zu dem rechtlich-institutionellen Nachfolger Elias von Cortona.99 Es ist kaum anzunehmen, daß Bernhard unter dem übermächtigen Schatten des Elias dazu gekommen ist, irgend eine Form geistlicher Autorität auszuüben. Wenigstens verlautet darüber nichts in den Quellen. Und der Bericht, den die »Nos qui cum eo fuimus« in der Legenda Perusina über den letzten Segen des Franziskus an Bruder Bernhard und dessen Einsetzung als seinen geistlichen Nachfolger geben, hat schon eher nostalgischen Charakter.100 Dagegen war die Autorität des Franziskus in seinen letzten Jahren keineswegs auf den spirituellen Bereich beschränkt. Im Gegenteil: man kann sich kaum dem Eindruck entziehen, daß sich Franziskus in der Rolle eines gewöhnlichen Minderbruders, ja des geringsten, allerletzten von allen geringeren Brüdern, inszeniert hat;101 womit nicht gesagt sein soll, daß er diese Rolle dann nicht ernst genommen hätte. Aber es bleibt doch auch hier, wie bei vielen anderen Zügen seiner Persönlichkeit und Lebensvorstellung, der Eindruck eines Dilemmas, eines nicht gelösten Widerspruchs bestehen.

98 Z.B. Ep. ad populorum rectores (Esser, Opuscula, 275): »Hoc scriptum qui apud se retinuerint et observaverint illud, a Domino Deo se noverint benedictos«; u.ö. 99 S.o. IV. Kap., Anm. 16. 100 Leg. Per. 12 (ed. Bigaroni, 32–36). 101 »Non est aliquis prelatus in toto mundo, qui tantum timeatur a subditis et fratribus suis, quantum Dominus faceret me timeri a fratribus meis, si vellem; set hanc gratiam contulit michi Altissimus, quod volo esse contentus omnibus, sicut qui minor est in religione« (Leg. Per. 11; ed.c. 30). Franziskus sieht sich also in seinen letzten Lebenstagen als »Prälaten«, d.h. rechtmäßigen Ordensoberen, an. Gott hat ihm allerdings die Gnade gegeben, der »Letzte im Orden« (»l’ultimo nell’Ordine«: Übersetzung von Bigaroni) zu sein.

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Testament und Regel Nach Darstellung der Drei-Gefährten-Legende hat Franziskus während seines Lebens mehrere Regeln für seine Bruderschaft verfaßt und sie erprobt, bis er schließlich zur Abfassung der definitiven Regel für die Minderbrüder kam. In allen seinen Regeln befand sich jedoch die zentrale Bestimmung über die Armut und das Geldverbot.102 Die sogenannte Regula non bullata in ihrer auf uns überkommenen Gestalt wurde nicht in einem Zug niedergeschrieben. Sie entstand im Verlauf eines guten Jahrzehnts durch Anlagerung an jene wenigen Sätze aus dem Evangelium, die Franziskus im Jahre 1209 Innocenz dem Dritten vorgelegt und die dieser als Lebensform für die Brüder gebilligt hatte. Dem entsprechend ist sie nicht in erster Linie ein Gesetzestext, sondern vielmehr eine geistlich-ethische Lebensanleitung, eine Anwendung der evangelischen Leitsätze auf den jeweils konkreten Fall. Diese Regel ist noch im Entstehen; man merkt ihr den Charakter des Experimentierens, der Erprobung noch an, von dem oben die Rede war.103 Es soll hier nicht im einzelnen auf den Entstehungsprozeß der Regula non bullata eingegangen werden, auch nicht auf einen detaillierten Vergleich des Textes mit dem der Regula bullata. Es sind hierüber philologische Untersuchungen angestellt und Hypothesen aufgestellt worden, die nicht alle gleichermaßen überzeugend sind. Einige Einschnitte, Brüche und Wiederholungen sind aber auch für den Nicht-Philologen ohne weiteres erkennbar. So sind die Kapitel IV bis VI, die mit dem Satz: »Im Namen des Herrn!« beginnen und von den Ministern und dem Verhältnis der Brüder zu den Oberen handeln,104 zweifellos erst nach der Einführung des Minister-Amtes hinzugefügt worden. Auch das XVIII. Kapitel mit den Bestimmungen für die partikularen Versammlungen, die jeder Provinzialminister mit seinen Brüdern am St. Michaels-Tag abhalten kann, und für die Minister, »die in den Gegenden jenseits des Meeres und jenseits der Alpen sind«, setzt bereits eine Ausbreitung 102

»Intantum ut in omnibus regulis suis commendaret potissime paupertatem et omnes fratres sollicitos redderet de pecunia evitanda. Plures enim regulas fecit et eas expertus est priusquam faceret illam quam ultimo reliquit fratribus« (3 Soc 35; ed. Desbonnets, 115). 103 David E. Flood, Die Regula non bullata der Minderbrüder (Franz. Forschg., 19), Werl 1967; Ders., Fre`re Franc¸ois et le mouvement franciscain, Paris 1983; Manselli, Franziskus, 266–278. Dagegen vertritt Armando Quaglia in seinen verschiedenen Veröffentlichungen die Auffassung, die Regula non bullata sei »homogen und einheitlich«; sie sei also nicht von 1209 bis 1220 allmählich erweitert worden, sondern von Franziskus unter dem Eindruck der Krise des Ordens von 1219/1220 in einem Zug niedergeschrieben worden und sei an die Stelle der zuvor rein mündlichen Gesetzgebung getreten; s. zuletzt: Storiografia della Regola Francescana nel secolo XIII, Falconara 1980; Storiografia e storia della Regola Francescana, Falconara 1985. 104 Esser, Opuscula, 380–382.

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des Ordens weit über Italien hinaus und eine große Mitgliederzahl desselben voraus. Eine seit Sabatier vielumstrittene Frage ist die nach dem Verhältnis der Regula non bullata, die Leben und Geist der franziskanischen Bewegung in ihren Gründerjahren (1208–1222) widerspiegelt, zur Regula bullata, die mit päpstlicher Billigung ab 1223 das verbindliche Grundgesetz des Ordens wurde. Man darf den Gegensatz zwischen beiden Regeln nicht übertreiben (was gelegentlich in der Forschung geschehen ist), aber auch nicht herunterspielen (was noch immer, aus einem verkehrten Harmonisierungsbedürfnis, geschieht). Zweifellos sind die wesentlichen Anliegen des Franziskus, die Kernsätze seines Lebensideals, auch in die Neufassung der Regel von 1223 übernommen worden; es ist noch immer Franziskus selbst, der zu seinen Brüdern spricht. Dennoch haben beide Texte einen total verschiedenen Charakter. Die Regula non bullata ist nicht nur viel ausführlicher, mit zahlreichen Bezügen auf Texte der Heiligen Schrift, sondern sie liest sich, wie Raoul Manselli bemerkt hat, »mehr wie ein Gespräch als eine Vorschrift, in einem Ton, der zwischen Rat und Befehl hin und her pendelt.«105 Die Regula bullata dagegen ist ein viel knapper gehaltener Text überwiegend juridischen und abschließenden Charakters; dahinter zeigen sich die Konturen der gestaltenden Tendenz eines Kanonisten. Man wird nicht behaupten wollen, daß dies der Intention des Franziskus entsprochen habe. Nach allem, was wir von ihm wissen, sollte, bei grundsätzlichem Festhalten an der forma vivendi des Evangeliums, die Regel offen bleiben für zeit- und erfahrungsbedingte Veränderungen. Dafür gibt es ein schönes Beispiel. Nach dem »Brief an einen Minister« hatte Franziskus vor, auf dem nächsten bevorstehenden Pfingstkapitel die über die Todsünden handelnden Bestimmungen der Regel (gemeint sind wohl cc. XIII und XX der Regula non bullata) durch ein neues Kapitel zu ersetzen, das den Oberen und Mitbrüdern eine diskrete und barmherzige Behandlung des Sünders ans Herz legen sollte; die Ordensoberen und die als Beichtväter fungierenden Priester sollten dem Betreffenden keine andere Buße auferlegen dürfen als: »Geh und sündige nicht mehr« (nach Joh 8,11).106 Wohl vor allem deshalb, weil eine solche Bestimmung in das bestehende allgemeine kanonische Recht eingegriffen hätte, fand sie in die Regel keine Aufnahme. Der Versuch, die Barmherzigkeit zum Gesetz zu erheben und dabei die »Goldene Regel« als Maßstab anzulegen, entspricht aber ganz und gar dem Geist des Franziskus.107 105

Manselli, Franziskus, 266. Esser, Opuscula, 232f. 107 Vgl. z.B. Ep. ad Min. 17: »Et ipse custos misericorditer provideat ei, sicut ipse vellet provideri sibi, si in consimili casu esset«, mit Reg. non bull. VI,2: »Minister vero taliter eis studeat providere, sicut ipse vellet sibi fieri, si in consimili casu esset«; Reg. 106

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Der Wunsch, Bestimmungen in die Regel aufzunehmen, die den Brüdern zur Auflage gemacht hätten, beim Klerus auf eine würdige Aufbewahrung des Corpus Christi zu drängen sowie die auf Pergamentfetzen geschriebenen »Worte und Namen des Herrn« zu sammeln und ehrenvoll zu deponieren, scheiterte am Einspruch der Minister. (Auch hier handelt es sich wohl um Bedenken kirchenrechtlicher, vielleicht aber auch dogmatischer Natur). Franziskus lag aber so viel an der Durchführung dieses Wunsches, daß er ihn in seinem geistlichen Vermächtnis als Teil seines letzten Willens (volo!) festhielt. Wir haben hier einen klaren Beweis dafür, daß er das »Testament« als Kommentar zu der Regel und ihre Ergänzung bezüglich der Punkte, die in der Regula bullata seiner Ansicht nach zu kurz gekommen waren oder keine Berücksichtigung gefunden hatten, angesehen hat.108 Verglichen mit der Verfassung der klerikal-hierokratischen Kirche des Mittelalters war die Regula non bullata revolutionär: in ihr war der Unterschied von Oberen und Untergebenen, Klerikern und Laien faktisch aufgehoben.109 Die zweite Celano-Vita enthält das schöne Gleichnis von dem Generalkapitel aller Ordensleute in der Kirche.110 Mit dieser moralis parabola hat Franziskus die Vorstellung mitgeteilt, die er von seinem Orden hatte: er sah in ihm ein »allgemeines Konzil« (quasi synodus generalis), dessen Teilnehmer aus der ganzen Welt zusammengekommen waren, um nach einer gemeinsamen Lebensordnung (forma vivendi) zusammenzuleben. In dem Stadium der Entwicklung, das Franziskus vor Augen hatte, war der stärkste Gegensatz in der Bewegung der zwischen den gebildeten (litterati, sapientes) und den einfachen (simplices) Brüdern. Das Gleichnis soll den idealen Modus des Zusammenlebens dieser gegensätzlichen Gruppen illustrieren. Auf dem imaginären Generalkapitel aller Ordensleute soll einer von den Gebildeten und einer von den Einfachen eine Predigt halten. Der Gebildete sagt sich, daß dies wohl nicht der Ort ist, seine wissenschaftlichen Kenntnisse vorzuzeigen; er kleidet sich in grobes Sackleinen, streut Asche auf seinen Kopf und beschreibt in drei kurzen non bull. IV,4f.: »Et faciant inter se sicut dicit Dominus: ›Quaecumque vultis, ut faciant vobis homines, et vos facite illis‹ (Mt 7,12); et: ›Quod non vis tibis fieri, non facias alteri.‹« 108 »Et licet non scriberet ista in regula, maxime quia fratribus ministris non videbatur bonum ut fratres hoc haberent in mandato, tamen sanctus pater in Testamento suo et in aliis scriptis fratribus relinquere voluit de hiis voluntatem suam« (Leg. Per. 108; ed. Bigaroni, 332/334); vgl. Test. 12 (Esser, Opuscula, 439): »Sanctissima nomina et verba eius scripta, ubicumque invenero in locis illicitis, volo colligere et rogo, quod colligantur, et in loco honesto collocentur«; s. auch o. Kap. VI, bei Anm. 85. 86. 109 Reg. non bull. c. V,9–12: »Similiter omnes fratres non habeant in hoc potestatem vel dominationem maxime inter se . . . et qui maior est inter eos, fiat sicut minor (Lc 22,26)«; ebd. c. VI,3: »Et nullus vocetur prior, sed generaliter omnes vocentur fratres minores« (Esser, Opuscula, 382). 110 II Cel 191f. (Anal. Fr. 10,239f.).

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Sätzen das Ideal des Ordenslebens. Mit diesem Auftritt rührt er die Herzen der Zuhörer zu Tränen, und sie verehren den Weisen als Heiligen. Der hat aber nun dem Einfachen gewissermaßen die Schau gestohlen. Der Einfache findet einen Ausweg: »Ich werde in die Rolle des Weisen schlüpfen, nachdem er die Rolle des Einfältigen gespielt hat.« Er erinnert sich einiger Psalmenverse, von denen er nun eine subtile, geisterfüllte Auslegung gibt, die alle in Staunen versetzt. Franziskus sieht also die Mitglieder seiner Bewegung als Darsteller, die voneinander lernen und gelegentlich, wie Schauspieler, einen Rollentausch vornehmen können: der Weise, Kleriker, gelehrte Theologe spielt den Einfältigen; der Einfältige, literarisch nicht Gebildete mimt den gelehrten Exegeten. Die Einheit beider gegensätzlicher Gruppen wollte Franziskus auch in seiner Person darstellen. Unmittelbar im Anschluß an das Gleichnis vom Generalkapitel aller Ordensleute schreibt Celano:111 Wenn der heilige Franziskus rasiert wurde, dann sagte er oft zu dem Haarschneider: »Paß auf, daß du mir keine große Tonsur machst! Denn ich will, daß meine einfachen Brüder einen Anteil an meinem Kopf haben.«

Die Laienbrüder, die ja überhaupt keine Tonsur trugen, sollten also auch ihren Anteil an seinem Kopf haben und sich dort gewissermaßen repräsentiert sehen. In der religiösen Gemeinschaft, der er vorstand, sollten – anders als in den »alten« Orden – die Armen und Ungebildeten ihren gleichberechtigten Platz neben den Reichen und Gelehrten haben. »Bei Gott«, sagte er, »gibt es kein Ansehen von Personen (Rom 2,11), und der Generalminister des Ordens, der Heilige Geist, ruht in gleicher Weise über dem Armen und Einfältigen.« Dieses Wort wollte er in die Regel aufnehmen; aber die bereits erfolgte Bullierung schloß das aus.112

Deutlicher kann man wohl nicht sagen, daß Franziskus eine spirituelle, geisterfüllte Gemeinschaft hatte gründen wollen, einen Orden, in dem der Heilige Geist letztlich das Sagen hatte. Noch in die letzte Fassung der Regel wollte er einen entsprechenden Passus hineinretten. Aber die Entwicklung war bereits über seine Idealvorstellung hinweggeschritten. Im Orden waren die Laien von armer, niederer Herkunft bereits in die Ecke gedrückt; die gelehrten Kleriker gaben den Ton an. Und in der Regel, die der Papst Ho111

II Cel 193 (Anal. Fr. 10,241). »Volebat denique religionem pauperibus et illiteratis, non solum divitibus et sapientibus esse communem. ›Apud Deum‹, inquit, ›non est acceptatio personarum, et generalis minister Religionis, Spiritus Sanctus, aeque super pauperem et simplicem requiescit.‹ Hoc sane verbum voluit in Regula ponere, sed bullatio facta praeclusit« (ebd.); vgl. o. Kap. V, bei Anm. 35; u. Kap. XI, bei Anm. 14! 112

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norius III. am 29. November 1223 in eine Bulle einrahmte, war das spirituelle Element nahezu eliminiert. Daß aber das Franziskanertum ursprünglich als eine durch den Geist bestimmte Bewegung, ohne soziale, bildungsbedingte und hierarchische Rangordnungen, gedacht war (also nicht erst durch die radikalen »Spiritualen« am Ende des 13. Jahrhunderts im Rückblick fälschlich zu einer solchen hochstilisiert wurde), beweist auch eine Urgestalt aus den Anfängen der Bewegung: nämlich Bruder Ägidius von Assisi. Der wollte am Ort seiner Gotteserscheinungen, in Cetona, eine Kirche bauen. Als man ihn fragte, wie diese Kirche denn genannt werden sollte, antwortete er: »Sie müßte ›Pfingsten‹ heißen.«113 Das Wort »geistlich« (spiritualis, spiritualiter) wird in der Regula non bullata häufig und an zentraler Stelle gebraucht: wer der Gemeinschaft der Brüder beitreten will, soll dies »in geistlicher Weise und ohne Hindernis« (II,4) tun; kann er sein Vermögen nicht ohne Hindernis verschenken, so genügt der »geistliche Wille« dazu, und er kann es einfach zurücklassen (II,11); die Minister sollen ihre Mitbrüder häufig besuchen und sie »in geistlicher Weise ermuntern und stärken« (IV,2); die Oberen sind gehalten, den Bruder, »der fleischlich und nicht geistlich lebt«, zu belehren und zu ermahnen(V,4.5.); sie sollen sich über einen Sünder nicht aufregen oder zornig werden, sondern ihm »auf geistliche Weise« helfen (V,8); die Brüder sollen sich gegenseitig keine Bosheiten zufügen oder sagen, sondern »sich in der Liebe des Geistes freiwillig gegenseitig bedienen und gehorchen« (V,14); wenn Brüder einander in den »Orten« der Gemeinschaft begegnen, »sollen sie sich geistlich und liebevoll respektieren und ehren, ohne gegeneinander Groll zu hegen« (VII,15). In der Regula bullata kommt das Wort »spiritualiter« gerade noch einmal vor: wenn Brüder erkennen, daß sie die Regel nicht »dem Geist nach« beobachten können, dann sollen sie sich an ihre Minister wenden (X,4). Noch an vielen anderen Stellen haben sich sowohl der Buchstabe wie der Geist der Regel geändert. Man braucht nur die Texte der ersten praktischen Bestimmung, die in beiden Fassungen steht, nebeneinander zu lesen, um das zu merken. Es geht um die Aufnahme eines neuen Mitglieds in die Bruderschaft. Die Regula non bullata (II,1–3) verfügt darüber: Wenn einer aufgrund göttlicher Inspiration diese Lebensweise annehmen will und zu unseren Brüdern kommt, dann soll er von ihnen gütig aufgenommen werden. Wenn er die feste Absicht hat, unser Leben anzunehmen, dann sollen sich die Brüder davor in acht nehmen, sich in seine zeitlichen Geschäfte einzumischen, sondern sie sollen ihn, so schnell sie können, ihrem Minister vorstellen. Der Minister aber soll ihn freundlich aufnehmen und ermutigen, und er soll ihm unsere Lebensweise sorgfältig darlegen.

113

»Deberet Pentecostes vocari« (Anal. Fr. 3,100).

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In der Regula bullata (II,1–2) heißt es statt dessen: Wenn welche diese Lebensweise annehmen wollen und zu unseren Brüdern kommen, dann sollen sie sie zu ihren Provinzialministern schicken, denen allein und niemand anderem die Erlaubnis zur Aufnahme von Brüdern bewilligt werden soll. Die Minister aber sollen sie sorgfältig über den katholischen Glauben und die kirchlichen Sakramente prüfen.

In den nächsten beiden Paragraphen geht es dann darum, wie die Eintrittswilligen, die bereits verheiratet sind, auf kanonische Weise ihre Gattinnen loswerden können. Man sieht, daß hier ein anderer Geist herrscht als in der Regula non bullata. Es ist auch nicht so, daß in der Regula bullata um einer größeren Klarheit willen Kürzungen im Wortlaut, unter Wahrung des substantiellen Inhalts, vorgenommen worden wären, wie es eine schönfärberische Historiographie gelegentlich darstellt. Vielmehr ist nicht selten das Gegenteil der Fall. Bezüglich des den Oberen geschuldeten Gehorsams heißt es im V. Kapitel der Regula non bullata deutlich und lapidar: Deshalb »bewahret eure Gewissen« (animas; Deut 4,15) und die eurer Brüder, denn »es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« (Hebr 10,31). Sollte aber einer von den Ministern einem Bruder etwas gegen unsere Lebensweise oder gegen sein Gewissen (anima) vorschreiben, dann soll der Betreffende nicht verpflichtet sein, ihm zu gehorchen; denn es handelt sich nicht um den Gehorsam, in dem ein Vergehen oder eine Sünde begangen wird.

Die Regula bullata (X,1–3) dagegen betont die Gehorsamspflicht den Oberen gegenüber und den Verzicht der Brüder auf ihren eigenen Willen. Die Pflicht, den Gehorsam zu verweigern, falls der Obere etwas gegen das Gewissen oder gegen die Regel anordnet, ist in einen Nebensatz versteckt worden. Die Regula non bullata (c. VII) setzt noch als normale Form des Lebenserwerbs der Brüder die handwerkliche Arbeit voraus. Verboten wird eine Tätigkeit als »Kämmerer« oder »Kanzler« oder eine sonstige leitende, geschäftsführende Tätigkeit innerhalb eines Haushalts oder Betriebes. Das Betteln wird eher als Ausnahme gesehen: Und die Brüder, die zu arbeiten verstehen, sollen arbeiten und dieselbe Arbeit ausüben, die sie gelernt haben, wenn es nicht gegen das Seelenheil ist und mit Anstand gearbeitet werden kann. . . Und für ihre Arbeit können sie alles Notwendige annehmen außer Geld. Und wenn es notwendig sein sollte, sollen sie um Almosen gehen wie die anderen Armen. Und sie dürfen eiserne Geräte und Instrumente haben, die für ihre Handwerke geeignet sind.

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In dem entsprechenden Kapitel der Regula bullata (c. V) ist nicht mehr von handwerklicher (ars), sondern von treuer und frommer Arbeit die Rede, die aber von den Brüdern so ausgeübt werden soll, »daß sie den Geist des heiligen Gebetes und der Frömmigkeit nicht auslöschen, dem das übrige Zeitliche dienen muß.« Daß hier etwas Wesentliches, nicht etwas Nebensächliches, beiseite gelassen worden war, wurde Franziskus sehr wohl bewußt. Deshalb diktierte er in sein »Testament«: Und ich arbeitete mit meinen Händen, und ich will arbeiten. Und ich will ganz entschieden, daß alle anderen Brüder tatsächlich arbeiten, was zu einem anständigen Leben gehört. Die es nicht verstehen, sollen es lernen, nicht aus Begier, einen Lohn für ihre Arbeit zu bekommen, sondern wegen des guten Beispiels und um den Müßiggang zu vertreiben. Und wenn uns kein Arbeitslohn gegeben werden sollte, dann laßt uns zum Tisch des Herrn Zuflucht nehmen und an den Haustüren um Almosen betteln.114

Viele andere Sätze, die fundamentale Anliegen des Franziskus zum Ausdruck bringen und für das Leben der frühen franziskanischen Gemeinschaft charakteristisch sind, sucht man in der päpstlich approbierten Fassung der Regel vergebens, so die Bestimmung über das von den Brüdern zu gewährende Asyl: »Und wer immer zu ihnen kommt, Freund oder Feind, Dieb oder Räuber, soll gütig aufgenommen werden« (VII,14); »Und sie sollen sich in acht nehmen, daß sie sich nach außen nicht als traurige und düstere Heuchler zeigen, sondern sie sollen sich voll Freude im Herrn (Phil 4,4) mit Heiterkeit und liebenswürdigem Entgegenkommen zeigen« (VII,16); »Und wenn ein Notstand eintreten sollte, dann soll es allen Brüdern, wo immer sie sind, erlaubt sein, alle Nahrungsmittel zu verwenden, die Menschen essen können . . . denn Not kennt kein Gebot« (IX,13–16). Ein eigenes Kapitel (VIII) schärft in der älteren Regel das Geldverbot in verschiedenen Formulierungen ein. Beide Regeln enthalten ein Kapitel »über die Prediger« des Ordens (Reg. non bull. c. XVII; Reg. bull. c. IX). Aber der Satz der Regula non bullata: »Doch sollen alle Brüder mittels ihrer Werke predigen«, ist in die Regula bullata nicht aufgenommen worden. Im XXI. Kapitel der älteren Regel hat Franziskus eine Kurzfassung der Aufforderung zum Lob Gottes und zur Buße festgehalten, die alle Brüder unter den Menschen verkündigen konnten, wann immer es ihnen gut und nützlich schien. Ohne Zweifel ist hier die Substanz der ältesten Verkündigung des Franziskus selbst und seiner ersten Gefährten 114 »Et ego manibus meis laborabam, et volo laborare; et omnes alii fratres firmiter volo, quod laborent de laboritio, quod pertinet ad honestatem. Qui nesciunt, discant, non propter cupiditatem recipiendi pretium laboris, sed propter exemplum et ad repellendam otiositatem. Et quando non daretur nobis pretium laboris, recurramus ad mensam Domini, petendo eleemosynam ostiatim« (Esser, Opuscula, 440). »laborent de laboritio«: italianisierendes Latein (ital.: lavorino del lavoro): Franziskus will, daß die Brüder wirkliche, tatsächliche Arbeit verrichten.

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VII. Kapitel

festgehalten115 – ein kostbarer Text in vieler Hinsicht, den aber die Regula bullata gleichfalls beiseite gelassen hat. In der Bulle »Quo elongati« (28. September 1230) weist Gregor IX. auf den Einfluß hin, den er als Kardinal bei der Abfassung der endgültigen Ordensregel der Minderbrüder von 1223 und deren Bestätigung durch den Papst hatte.116 Die Episoden, die in der Legenda Perusina aus dieser Zeit überliefert sind, lassen erkennen, daß der Text nicht ohne schwere Auseinandersetzungen zwischen Franziskus und dem Kardinal Hugolino zustandekam. Einer Nivellierung der Regel im Sinne der älteren Mönchsorden, die die »weisen und gelehrten Brüder« zusammen mit dem Kardinal anstrebten, kann er nur durch Hinweis auf seine besondere Berufung durch Gott selbst, der ihm »den Weg der Einfalt« gezeigt habe, entgegensteuern.117 Einen zweiten Vorstoß, den Bruder Elias im Verein mit den Amtsträgern des Ordens in Fonte Colombo unternimmt, um Franziskus zu einer Entschärfung und Normalisierung der Regel zu veranlassen, wehrt der Heilige ab, indem er Christus aus den Wolken seinen Text bestätigen läßt.118 Dennoch mußte die Regula bullata, bevor sie dem Papst Honorius III. zur Bestätigung vorgelegt wurde, die Hand eines Kanonisten über sich ergehen lassen, der sie im Sinne des geltenden Kirchenrechts glättete, nivellierte und damit verengte. Die Tendenz der Entwicklung der Regula non bullata geht dagegen in Richtung auf eine geistige Weite und spirituelle Vertiefung. Diese Entwicklung wurde mit der Abfassung, Redaktion und päpstlichen Billigung der Regula bullata abgebrochen. In der letzteren geht es um die Bewahrung des Allernotwendigsten, die Rettung einiger weniger elementarer Wesenszüge ursprünglichen franziskanischen Geistes in die Zukunft. Der Verfasser ist in einer hoffnungslosen Defensive gegenüber einem übermächtigen Widerpart, der eine andere Welt- und Lebensvorstellung hat und mit der franziskanischen Bewegung anderes im Sinn hat als ihr Gründer. In seinem »Testament« hat Franziskus dann noch einmal den (letztlich gescheiterten) Versuch unter115

Ebd. 394f. »Et cum ex longa familiaritate, quam idem Confessor nobiscum habuit, plenius noverimus intentionem ipsius et in condendo predictam Regulam et obtinendo confirmationem ipsius per sedem apostolicam sibi astiterimus, dum adhuc essemus in minori officio constituti. . .« (Grundmann, Bulle [o. I. Kap., Anm. 163], 20f.). Zu der Bulle s. auch: Feld, Totengräber (o. I. Kap., Anm. 163), 337–342, und u. VIII. Kap., bei Anm. 65–93. 117 »Fratres mei, fratres mei, Deus vocavit me per viam simplicitatis et ostendit michi viam simplicitatis. Nolo quod nominetis michi regulam aliquam, neque sancti Augustini, nec sancti Bernardi, nec sancti Benedicti. Et dixit Dominus michi, quod volebat, quod ego essem unus novellus pazzus in mundo; et noluit nos ducere Dominus per aliam viam, quam per istam scientiam« (Leg. Per. 18; ed. Bigaroni, 65); s.o. Kap. V, bei Anm. 37; vgl. Feld, Franziskus (o. Einl., Anm. 3), 34f. 118 Leg. Per. 17 (ed.c. 50/52); s.o. bei Anm. 54. 116

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nommen, die neue Regel im Sinne der alten und der in ihr enthaltenen Elemente genuinen franziskanischen Geistes der Gründerjahre zu interpretieren und zu ergänzen.119 Regel und »Testament« hat er als zusammengehörende Aussagen über ein und dieselbe Sache angesehen. Wie die Regel sollte das »Testament« in seinen Augen gesetzliche Verbindlichkeit für den Generalminister, die übrigen Oberen und alle Brüder haben. Der Text durfte in seinem Bestand weder geändert noch durch Auslegungen (glossae) in seinem Sinn verfälscht werden. Für Franziskus war das »Testament« Bestandteil der an ihn ergangenen göttlichen Offenbarung und hatte den gleichen Charakter wie das Gotteswort der Heiligen Schrift. Denen, die es in seinem ursprünglichen Sinn unverfälscht bewahren würden, sagte er, mit der ihm eigenen Verbindung von Demut und Selbstbewußtsein, den göttlichen Segen zu:120 Und die Brüder sollen nicht sagen: »Das ist eine andere Regel«, denn es ist eine Erinnerung, Ermahnung, Ermunterung und mein Testament, das ich, der ganz kleine Bruder Franziskus, für euch, meine gesegneten Brüder, deshalb mache, daß wir die Regel, die wir dem Herrn versprochen haben, besser in katholischer Weise bewahren können. Und der Generalminister und alle Minister und Custoden sollen unter der Gehorsamspflicht gehalten sein, an diesen Worten nichts hinzuzufügen oder wegzulassen. Und sie sollen dieses Schriftstück immer bei sich haben neben der Regel. Und bei allen Kapiteln, die sie veranstalten, sollen sie, wenn sie die Regel lesen, auch diese Worte lesen. Und allen meinen Brüdern Klerikern und Laien schreibe ich mit der Verpflichtung zu unverbrüchlichem Gehorsam vor, daß sie keine Auslegungen zur Regel und zu diesen Worten machen, indem sie sagen: »Sie sollen so verstanden werden.« Vielmehr wie der Herr mir gegeben hat, einfach und rein die Regel und diese Worte zu sagen und zu schreiben, so sollt ihr sie einfach und ohne Auslegung verstehen und mit heiliger Ausführung bewahren bis ans Ende. Und wer immer dies beobachtet, möge im Himmel erfüllt werden mit dem Segen des höchsten Vaters, und auf Erden möge er erfüllt werden mit dem Segen seines geliebten Sohnes, zusammen mit dem allerheiligsten Tröster Geist und allen Mächten des Himmels und allen Heiligen. Und ich, Bruder Franziskus, euer ganz kleiner Knecht, sage euch, soweit immer ich vermag, diesen allerheiligsten Segen innen und außen fest zu.

119 Die der hier vorgetragenen Auffassung entgegengesetzte Position vertritt am deutlichsten Armando Quaglia, der zwischen den Intentionen des Franziskus und des Hugolino überhaupt keinen Gegensatz sieht: Il testamento di S. Francesco e la Regola. Misc. Fr. 79 (1979), 133–148. 120 Esser, Opuscula, 443f.

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VII. Kapitel

Ein inszenierter Tod Wie viele andere Ereignisse in seinem Leben hat Franziskus seine Sterbestunde bewußt dramatisch inszeniert. Der Gedanke, der ihn dabei leitete, war der, daß er seinen Brüdern auch durch sein Sterben ein Beispiel geben müsse. In der Tat stellt er dann bis zu seinem Tod den Minor unter den Minores, den geringsten und ärmsten Bruder dar. Mit seinem Leichnam wird dann aber, ebenfalls von ihm selbst inszeniert, ein anderes, nicht ganz leicht verständliches Schauspiel vollzogen. Nach der Legenda Perusina war es »ein bestimmter Bruder« – höchst wahrscheinlich der Generalminister Elias selber121 – der Franziskus auf seinen unmittelbar bevorstehenden Tod aufmerksam machte und ihm den Anstoß dazu gab, aus seinen letzten Tagen eine öffentliche Angelegenheit zu machen: Vater, dein Leben und dein Wandel war und ist ein Licht und ein Spiegel nicht nur für deine Brüder, sondern für die gesamte Kirche Gottes, und eben dasselbe wird auch dein Tod sein. Denn wenn dein Tod auch für deine Brüder und viele andere Menschen ein Anlaß zu Schmerz und großer Trauer ist, so wird er für dich doch ein übergroßer Trost und eine unendliche Freude sein, weil du von vieler Arbeit zu großer Ruhe hinübergehen wirst, von vielen Schmerzen und Versuchungen zur unendlichen Freude, von deiner großen Armut, die du immer geliebt und freiwillig getragen hast vom Beginn deiner Bekehrung bis zum Todestag, zu den allergrößten und wahren Reichtümern, vom zeitlichen Tod zum ewigen Leben, wo du immer deinen Herrgott von Angesicht zu Angesicht sehen wirst, den du mit so großer Glut, Sehnsucht und Liebe in dieser Welt betrachtet hast . . . Das aber habe ich gesagt, um deinen Geist zu stärken . . . damit denen, die dies erleben, und den anderen, die davon nach deinem Tod hören, dein Tod zum Andenken (in memoriale) sei, so wie es dein Leben und Wandel für alle war.

Franziskus ließ dann sogleich die Brüder Angelus und Leo rufen, damit sie ihm von »Schwester Tod« sängen. Nach Darstellung der ersten Celano-Vita hat Franziskus Bruder Elias mit der rechten Hand seinen Segen gegeben, wobei er nach dem Vorbild Jakobs (Gen 48,14) die Arme kreuzte.122 Wessen Haupt sich damals unter der anderen Hand des erblindeten Heiligen befand, sagt Thomas von Celano nicht. Nach den Actus-Fioretti wäre es dasjenige Bernhards von Quintavalle gewesen, wobei jedoch Franziskus am Ende die Arme in der Weise kreuzte, daß seine rechte Hand auf den Kopf Bernhards und die linke auf den des Elias zu liegen kam.123 In der Legenda Perusina dagegen erhält Bernhard einen eigenen Segen, bei dem Elias nicht anwesend ist.124 Wie es sich wirklich zugetragen hat, 121

Leg. Per. 7 (ed. Bigaroni, 10); vgl. damit den Ausspruch des Elias ebd. 99 (ed.c.

292). 122 123 124

I Cel 108 (Anal. Fr. 10,83f.); s.u. IX. Kap., bei Anm. 30. Actus c. 5,8–16; Fioretti c. 6 (ed. Cambell, 150–153). Leg. Per. 12 (ed. Bigaroni, 34).

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wird kaum zu rekonstruieren sein. Ort des Ereignisses scheint aber der Palast des Bischofs von Assisi gewesen zu sein, wohin ihn eine Gruppe von Rittern aus Assisi von Bagnaia bei Nocera aus geleitet hatte.125 Von dort ließ er sich dann eilig zu der Porziuncola-Kirche tragen,126 um an seinem bevorzugten »Ort« zu sterben (und gewiß auch, um dort begraben zu werden). Auf der Höhe des Hospitals der Kreuzträger hieß er die Träger, seine Bahre für eine Weile abzustellen. Hier sprach er den Segen für die Stadt Assisi.127 Bei der Porziuncola-Kirche angekommen verabschiedete er sich von seinen Brüdern, segnete die Anwesenden und die Abwesenden von ihnen und sprach sie von ihren Vergehen und Sünden los. Wie es seine Gewohnheit war, schloß er in diesen Segen auch alle ein, die in Zukunft noch zum Orden kommen würden.128 Um das Andenken an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zu feiern, ließ er sich einen Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium, beginnend mit dem Anfang des 13. Kapitels, vorlesen. Dann ließ er sich ein Stück Brot bringen, segnete es und ließ es von einem Bruder in Stücke brechen, da er selbst zu schwach dazu war. Die Stücke teilte er an die Brüder aus.129 Ob er außerdem noch die üblichen Sterbesakramente (»Wegzehrung« und Letzte Ölung) empfangen hat, ist fraglich. Auszuschließen ist es sicher nicht. Doch das gänzliche Schweigen aller Quellen darüber ist merkwürdig. Von S. Maria degli Angeli aus hatte Franziskus an Jacopa de’ Settesoli schreiben lassen, sie möge ihm graues Tuch für eine Kutte schicken, so wie es die Cistercienser in Outremer für ihr Ordenskleid verwendeten, ferner von ihrem Gebäck, das sie immer für ihn zubereitete, wenn er in Rom war.130 Noch ehe der Brief weggesandt war, wurde an die Pforte geklopft, und Jacopa kam mit ihrem Sohn und zahlreichem Gefolge. Vom Geist inspiriert, hatte sie nicht nur das gewünschte Tuch für die Totenkutte des Franziskus und sein Lieblingsgebäck mitgebracht, sondern auch eine große Menge Wachs für Kerzen und Weihrauch für die Exequien. Für »Bruder Jacopa« hob Franziskus die von ihm selbst angeordnete strenge Klausur für den Konvent bei der Porziuncola auf, damit sie an sein Krankenlager kommen konnte. Daß Franziskus seinen Leichnam nicht in eine Kutte seines eigenen Ordens, sondern in eine aus dem gleichen Tuch, wie es die Cistercienser im Heiligen Land verwendeten, hüllen lassen wollte, ist einer der merkwürdigsten Umstände seiner letzten Tage. Zwar sollte über den Cistercienser-Habit nochmals Sackleinen genäht werden als Zeichen und Beispiel der Demut,131 125

Leg. Per 96 (ed.c. 278); 99 (ebd. 290); s.o. Anm. 23. I Cel 108. Leg. Per. 5 (ed. Bigaroni, 8); kürzerer und bekannterer Text in den Actus, c. 18 (ed. Cambell, 246). 128 I Cel 109; vgl. II Cel 216; Leg. Per 22; vgl. Leg. Per 59 (o. bei Anm. 61). 129 Leg. Per. 22 (ed. Bigaroni, 64); vgl. II Cel 217; s. hierzu auch o. bei Anm. 68. 130 Leg. Per. 8 (ed.c. 16); s.o. bei Anm. 35! 131 Ebd. (ed.c. 20). 126 127

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VII. Kapitel

aber die Totenkutte selbst ist eben doch kein Armuts- und Demutszeichen, so wenig wie die vielen Kerzen aus (teuerem!) Wachs und die von Jacopa gebackenen Mandelmakronen. Nach der »Abhandlung über die Wunder« des Thomas von Celano befanden sich unter den von Frau Jacopa mitgebrachten Gegenständen noch ein Schweißtuch, um das Gesicht des Toten zu bedecken, und ein Kissen für seinen Kopf.132 Das letztere, von leuchtend roter Farbe und mit wunderschönen Goldstickereien (Adlern und Leoparden) verziert, ist erhalten und befindet sich heute unter den Reliquien der Kirche San Francesco zu Cortona, wohin es vermutlich von Bruder Elias gebracht wurde.133 Nach der gleichen Quelle begleitete Bruder Elias Jacopa de’ Settesoli nochmals insgeheim (wahrscheinlich während der Nacht) zu der Bahre des toten Freundes, legte ihr den Leichnam in die Arme und sagte: »Da, halte den im Tod fest, den du im Leben geliebt hast!« Und unter heißen Tränen und jämmerlichem Schluchzen umarmte und küßte sie ihn immer wieder, entfernte auch das Leichentuch, um den toten Freund ohne Hülle zu sehen.134 Man braucht hinter dem Verhalten der guten Jacopa nichts Skandalöses zu wittern. Aber es war gewiß nicht nur der Ausdruck einer rein überirdischen, geistlichen Liebe, was da elementar hervorbrach. Und Elias, ein großer und intelligenter Menschenkenner, wußte das ganz genau.135 Als Zeugen für diese Ereignisse und insbesondere für die am Leichnam des Franziskus sichtbaren Stigmata nennt Celano den ältesten Sohn der Jacopa, Johannes Frangipane, der damals als kleiner Junge seine Mutter begleitete und sich als erwachsener Mann an alles noch genau erinnerte.136 Zwei Tage vor seinem Tod hatte sich Franziskus schon, wie bei einer Generalprobe, nackt auf die Erde legen lassen. Nackt auf der Erde liegend wollte er sterben, und der anwesende Arzt sollte sagen, wann es mit ihm zu Ende 132

III Cel 38 (Anal. Fr. 10,287). Abbildung bei [D. Basili], »Il Superfrate«, Cortona 1981, 120; vgl. u. IX. Kap., Anm. 4. 165. 134 »Seorsum igitur illa, tota madida lacrimis, clanculo ducitur, et proiecto inter brachia amici corpore: ›Haeccine‹, ait vicarius, ›quem dilexisti vivum, teneas et defunctum!‹ Calidioribus illa super corpus lacrimis irrigata, flebiles voces et singultus ingeminat, et languidos iterans amplexus et oscula, solvit velamen ut videat revelatum« (III Cel 39; Anal. Fr. 10,287). 135 Auch Bruder Elias stand in seiner letzten Stunde eine Frau, Domina Sibilia, bei; s.u. Kap. IX, Anm. 179. 136 »Iohannes Frigia Pennates tunc puer, postea Romanorum proconsul et sacri palatii comes, quod illo tempore cum matre suis oculis vidit et manibus attrectavit libero hoc ipsum iurat, dubiis omnibus confitetur« (III Cel 39; Anal. Fr. 10,287). »Frigia Pennates« (d.h. de Phrygiis Penatibus) nannten sich die Frangipane, um auf ihre direkte Abstammung von Aeneas hinzuweisen; Fortini, Nova vita II,454; Isidoro Gatti, La Tomba di S. Francesco nei secoli, Assisi 1983, 16, Anm. 82. 133

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ging. Anschließend sollte man ihn noch so lange liegen lassen, wie man brauchte, um bequem eine Meile zurückzulegen.137 Und so starb er. Es war der Abend des 3. Oktober 1226, an einem Samstag.138 Sein Wunsch, »in Eile« zu der Porziuncola-Kirche gebracht zu werden, um dort zu sterben, schloß wohl auch den Wunsch ein, in der Kirche begraben zu werden. Wenigstens behauptet das Jordan von Giano in seiner um 1262 verfaßten Chronik. Jordan gibt auch den Grund dafür an, weshalb die Bürger von Assisi und die Leute der Umgegend dem Wunsch des Heiligen entgegenhandelten und ihn nach seinem Tod in die Stadt überführten: sie befürchteten, daß die Perusiner sich des Leichnams bemächtigen und ihn in ihre Stadt bringen könnten.139 Die vorsorgliche Maßnahme, die die Assisiaten ergriffen hatten, indem sie den todkranken Franziskus durch Berittene von Bagnaia nach Assisi geleiten ließen, hatte keinen anderen Sinn, als sich die kostbare Reliquie zu sichern, und bestätigt die Angaben Jordans.140 Andererseits wird das Schweigen der offiziellen Legenden über diesen Punkt verständlich, wenn hier entgegen dem letzten Wunsch des Toten, aber im Sinne der Stadt, des Bruders Elias und vermutlich auch des Papstes verfahren wurde. Der tote Franziskus wurde am Morgen des 4. Oktober nach Assisi übertragen141 und in der Kirche S. Giorgio bestattet, wo er in seiner Jugend lesen und schreiben gelernt und wo er später mit seiner Predigttätigkeit begonnen hatte. Dort ruhte sein Leib bis zur Übertragung in die neue, von Bruder Elias erbaute Grabeskirche (1230). Es ist oft zu lesen, daß der Ort von S. Giorgio innerhalb der Mauern der heutigen Basilika S. Chiara zu suchen sei, und zwar an der Stelle der Kapelle des Crucifixus von S. Damiano. Nach detaillierten Untersuchungen an den Klostergebäuden von S. Chiara hat Marino Bigaroni überzeugend dargelegt, daß sich die Kirche S. Giorgio an der Stelle des heutigen Kreuzganges befunden haben muß, wo ihre Überreste an dem noch stehenden Mauerwerk deutlich erkennbar sind, ebenso auch die Stelle in der

137

II Cel 217 (ed.c. 255); vgl. 214 (ebd. 253). II Cel 220a (ed.c. 258); III Cel 38 (ebd. 287). 139 Jordan, Chronik 50 (ed. Boehmer, 45): »Anno Domini 1226, quarto Nonas Octobris institutor primarius ordinis fratrum Minorum felix pater Franciscus ad Dominum migravit ad Sanctam Mariam de Portiuncula. Et licet felix pater beatus Franciscus desideraverit in ecclesia supradicta sepeliri, populus tamen terre et cives de Assisio timentes, ne propter signa, que per ipsum et in vita et post mortem Deus dignatus est operari, a Perusinis violenter tolleretur, ipsum prope muros Assisii in ecclesia sancti Georgii in qua primitus litteras didicit et postmodum primo predicare cepit, transtulerunt et honorifice condiderunt.« 140 S.o. bei Anm. 23. 125. 141 I Cel 116 (Anal. Fr. 10,91). 138

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VII. Kapitel

ehemaligen Krypta der genannten Kirche, wo der (steinerne oder hölzerne) Sarkophag des Franziskus mittels eiserner Haken an der Wand befestigt war.142

142 Marino Bigaroni, La Chiesa di S. Giorgio (o. IV. Kap., Anm. 9); s. auch u. IX. Kap., Anm. 61; I. Gatti, Tomba (o. Anm. 136), 44f., nimmt an, daß Franziskus in einem steinernen Sarkophag bestattet wurde, der seinerseits in eine große hölzerne Truhe eingeschlossen wurde; diese Truhe sei auch als Altar benutzt worden.

VIII. KAPITEL

PAPST GREGOR IX. UND DIE FRANZISKANISCHE BEWEGUNG 1. »Ich will hingehen und sie der heiligen Römischen Kirche anvertrauen« Die Totengräber des Franziskus, seine Bestatter, sowohl was seine leiblichen Überreste als auch was sein geistiges Vermächtnis betrifft, im wörtlichen und im übertragenen Sinne, waren der Papst Gregor IX. und sein Nachfolger als Generalminister des Minoriten-Ordens, Bruder Elias von Cortona. Doch handelt es sich hier um höchst komplexe religions- und kulturgeschichtliche Vorgänge, die sich einer eindeutigen Bewertung entziehen.1 Paradoxer Weise hat schon Franziskus selbst an der Beerdigung seines Ideals mitgewirkt. Dadurch, daß er frühzeitig in der Meinung des Volkes zu einem überragenden Heiligen wurde, erhielt sein Leben, das doch nach seiner eigenen Intention einfach und beispielhaft sein sollte, die Aura des Einmaligen und Unerreichbaren.2 Den hoch angesetzten Zielen der ursprünglichen Bewegung aber wurde vor allem die von Franziskus selbst gewünschte und vollzogene enge Anbindung an die Zentrale der Römischen Kirche zum Verhängnis. Die Wortwahl der Biographen läßt erkennen, daß mit dem Gespräch, das Franziskus gegen Ende des Jahres 1220, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Orient, mit dem Papst Honorius III. führte, ein anderes Verhältnis der Bewegung zu der Römischen Kurie eingeleitet wurde, als es vorher bestanden hatte.3 Während der einjährigen Abwesenheit des Franziskus von Italien (Juni 1219 – Sommer 1220) war der Orden in eine tiefe Krise geraten. Ein Kapitel unter Leitung der von Franziskus eingesetzten Vikare, Matthäus von Narni und Gregor von Neapel, hatte neue Fastenbestimmungen erlassen. Bruder Philippus Longus, dem die Sorge für die »Armen Frauen« von San Damiano anvertraut war, hatte vom Apostolischen Stuhl ein Privileg zu deren Gunsten erwirkt. Und Johannes a Cappella war dabei, einen eigenen Orden 1

S. dazu: Feld, Totengräber (o. Kap. I, Anm. 163). S.o. IV. Kap., Anm. 112. 113. 3 II Cel 24; 3 Soc 63; vgl. I Cel 100; Jordan von Giano, Chronik 14. 2

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VIII. Kapitel

für die Aussätzigen zu gründen.4 Das alles war nicht im Sinne des Franziskus, war aber wohl kaum möglich ohne Wissen und Billigung des Kardinals Hugolino.5 Alarmiert durch den Bericht eines Bruders, der ihm unter Bruch des Gehorsams gegenüber den Vikaren nachgereist war, und die Warnung einer Seherin6 kehrte Franziskus in Begleitung der Brüder Petrus Catanii, Caesarius von Speyer und Elias von Cortona nach Italien zurück. Ohne sich persönlich mit den krisenhaften Erscheinungen im Orden zu befassen, begab er sich zum Papst Honorius III. Sowohl II Cel wie 3 Soc nennen einen zusätzlichen Anlaß für den Besuch des Franziskus beim Papst: die berühmte Vision des schwarzen Zwerghuhns: Er hatte nämlich ein kleines, schwarzes Huhn gesehen, mit befiederten Beinen und Füßen in der Art einer Haustaube. Es hatte so viele Küken, daß es sie nicht unter den eigenen Flügeln zusammenhalten konnte, sondern sie liefen um das Huhn herum und mußten draußen bleiben.7

Dieses ist eines der großen Traum-Gleichnisse des Franziskus, sowohl hinsichtlich seiner »naturalistischen« Realitätsnähe als auch seiner tiefen Bedeutsamkeit. Wer einmal Zwerghühner gehalten oder gezüchtet hat, weiß, wie lebensnah die Erzählung ist. Die federleichten Hühnchen überfliegen wie Tauben (!) jeden Zaun und legen ein verstecktes Nest an. Wenn das Gelege zwanzig und mehr Eier enthält, verschwinden sie zum Brutgeschäft. Nach drei Wochen kehren sie aus dem Versteck mit einer riesigen Kükenschar zurück, die keinen ausreichenden Platz unter den Flügeln der Henne findet. Zwerghuhn-Küken sind sehr empfindlich: wird in der beschriebenen Situation keine Ersatzlösung, etwa in Gestalt einer größeren Glucke, gefunden, erfrieren sie in kurzer Zeit. Das ist der zoologisch-ethologische Hintergrund der TraumGeschichte, den man, wie Franziskus, vor Augen haben muß. 4 Zu diesen Ereignissen s. die Chronik des Jordan von Giano, cc. 10–13 (ed. Boehmer, 8–13); o. III. Kap., Anm. 103; vgl. Manselli, Franziskus, 230–232. 5 R. Manselli dagegen (o.c. 233) hält Spekulationen über die Haltung Hugolinos gegenüber den damaligen Unruhe-Erscheinungen im Orden für müßig. 6 »Pythonissa« (vgl. 1 Chron 10,13; 1 Sam 28,7): die Stelle ist einmal Beleg dafür, daß die Tradition der antiken Orakel und Sibyllen sich bis weit ins Mittelalter fortsetzte, sodann, daß Franziskus offenbar keine Hemmungen hatte, eine Wahrsagerin aufzusuchen. Bei dieser und ähnlichen Handlungen handelt es sich nicht um »religiöse Ungenauigkeiten« (vgl. Manselli, o.c. 200) oder Reste abergläubischer Praktiken der Volksfrömmigkeit, denen Franziskus bedauerlicher Weise – offenbar zeitlebens! – verhaftet blieb (vgl. o. Kap. IV, Anm. 42), sondern um eine Konsequenz aus der Überzeugung, daß die Offenbarung der Weisheit Gottes universell und nicht durch kirchenamtliche Schranken begrenzt ist. Das Befragen einer »Pythonissa« gehörte zu den divinatorischen Praktiken, die das mittelalterliche Kirchenrecht als heidnisch verbot; vgl. Decr. II. P., Causa 26, q. 3, c. 1, § 6 (Corp. Iur. Can. ed. Friedberg II,1024): »Phithonissae a Phithonio (al. Pythio) Apolline dictae, quod is auctor fuerit divinandi.« S. auch u. Kap. IX, bei Anm. 149! 7 3 Soc 63; vgl. II Cel 24.

Papst Gregor IX.

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Als Franziskus über den Traum nachdenkt, geht ihm auf, daß er selbst das Hühnchen ist, »von kleiner Gestalt und schwarzem Aussehen«. Wie dieser taubenähnliche Vogel mit befiederten Füßen sich leicht in die Höhe erheben kann, so genügt auch Franziskus die (taubenartige) Einfalt, um zum Himmel zu fliegen. Aber die vielen Brüder, die ihm Gott gegeben hat und noch geben wird, kann er mit seiner Kraft nicht mehr schützen. »Deshalb muß ich sie der heiligen Kirche anvertrauen, damit sie sie unter dem Schatten ihrer Flügel beschütze und leite.«8 Aus allen Berichten geht, trotz Unterschieden in den Einzelheiten, hervor, daß Franziskus sich entschloß, den Orden in eine Abhängigkeit zur Kirche und zur Römischen Kurie zu bringen, die in den (über zehn!) Jahren der Frühzeit der Bewegung in dieser Form nicht bestanden hatte. Daß er dies nicht leichten Herzens tat, scheinen die »Drei Gefährten« anzudeuten, wenn sie zwischen den durch die Vision des schwarzen Zwerghuhns ausgelösten Überlegungen des Franziskus und seinem Gang an die Kurie einige Jahre verstreichen lassen.9 Celano gibt in seinem Bericht noch zusätzlich eine nähere Beschreibung der strafenden und schützenden Funktion der Römischen Kirche gegenüber dem Orden, die er Franziskus in den Mund legt. Nach Celano hat sich Franziskus auch eine besondere Förderung des Armuts- und Demutsideals sowie die Aufrechterhaltung von Liebe und Frieden – auch mittels disziplinarischer Maßnahmen – von der Römischen Kirche erwartet.10 Der Mann, der nunmehr als »Papst« des Ordens für dessen Probleme zuständig werden sollte, war Hugolino, der Kardinalbischof von Ostia und Velletri. Franziskus bat Honorius III., den Bischof von Ostia mit allen nötigen päpstlichen Vollmachten für die Angelegenheiten seines Ordens auszustatten, ihn also gewissermaßen zum Papst der Minoriten zu machen.11 Franziskus war

8 »Unde oportet, ut eos sanctae Ecclesiae recommendem, quae sub umbra alarum suarum eos protegat et gubernet« (3 Soc 63; ed. Desbonnets, 138); »Vadam igitur et eos sanctae Romanae Ecclesiae commendabo. . .« (II Cel 24; Anal. Fr. 10,145). Bekanntlich hat sich auch Jesus mit einer Glucke verglichen (Mt 23,37). Möglicherweise hat Franziskus auch an dieses Bild gedacht. 9 »Elapsis ergo paucis annis post visionem praedictam venit Romam et visitavit dominum Ostiensem. . .« (3 Soc 64). 10 »Paupertatis nostrae ipsa sancta aemulabitur gloriam, et humilitatis praeconio per superbiae nubilum obfuscari non sinet. Caritatis et pacis in nobis vincula servabit illaesa, censura strictissima percutiens dissidentes. Evangelicae puritatis observatio sacra continue in conspectu eius florebit, nec odorem vitae vel ad horam patietur elabi« (Anal. Fr. 10,145). 11 II Cel 25: »hunc dominum Ostiensem nobis pro papa concedi« (ed.c. 146); 3 Soc 65: »quatenus hunc dominum Ostiensem nobis dignemini pro papa concedere« (ed. Desbonnets, 140); Jordan von Giano, Chronik 14: »Multos mihi papas dedisti. Da unum, cui cum necesse habeo, loqui possim, qui vice tua causas meas et ordinis mei audiat et discutiat« (ed. Boehmer, 14).

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mit dem Kardinal schon länger persönlich bekannt, und dieser war sicher damals schon seit einigen Jahren auch mit den Angelegenheiten des Ordens befaßt gewesen. Wenn man der Drei-Gefährten-Legende in diesem Punkt glauben darf, dann übernahm Hugolino alsbald nach dem Tod des Kardinals Johannes von St. Paul (1215) dessen Rolle eines besonderen Beschützers des Franziskus und seiner Brüder, also schon mindestens vier Jahre bevor er durch den Papst formell als »Protektor« der Minoriten eingesetzt wurde. Er sei überdies der Gemeinschaft durch ein besonderes Verhältnis väterlich-geistlicher Liebe verbunden gewesen.12 Nach der ersten Celano-Legende hätte Hugolino sich auch die franziskanische Spiritualität und Geisteshaltung vollkommen zu eigen gemacht, indem er, wann immer es möglich war, sich in seinem Leben und seinen Gewohnheiten den Brüdern anpaßte und so zu einem »Bruder unter den Brüdern«, ja gar zum »Geringsten unter den Geringen« wurde. Zuweilen habe er auch, in groben Kleidern und barfüßig wie ein Minderbruder, unter den Menschen Frieden gestiftet.13 In der Bulle »Quo elongati«, die der inzwischen Papst gewordene Hugolino vier Jahre nach dem Tode des Franziskus anläßlich erneuter Turbulenzen im Orden erließ, spricht er von dem langen vertrauten Verhältnis (longa familiaritas), das den heiligen Bekenner mit ihm verbunden habe.14 Spätestens in diesem Dokument zeigt sich aber in aller Deutlichkeit, daß Hugolino zu den Intentionen des Franziskus eine große innere Distanz gehabt haben muß. Schon Paul Sabatier hat die zwiespältige Haltung des Kardinals zu Franziskus und seiner Bewegung treffend charakterisiert: »Man sieht ihn ohne Unterlaß damit beschäftigt, Franziskus und Klara Beweise seiner Freundschaft und Bewunderung zu schenken, die einen absolut aufrichtigen Eindruck machen, und dennoch hatte das franziskanische Ideal . . . keinen schlimmeren Gegner als ihn.«15

2. Herkunft und Persönlichkeit Hugolinos von Ostia Was Herkunft, Geburtsjahr und Jugend Hugolinos betrifft, geben die mittelalterlichen Quellen keine eindeutige Auskunft. Nach der noch zu Lebzeiten des Papstes entstandenen Vita Gregorii IX. aus der Sammlung des Kardinals 12

»Defuncto vero domino Iohanne de Sancto Paulo, inspiravit Dominus uni ex cardinalibus, nomine Hugolino, tunc Ostiensi episcopo, ut beatum Franciscum et fratres eius intime diligeret, protegeret et foveret. Qui revera ferventissime se habuit circa eos, ac si esset omnium pater, immo plus quam patris carnalis dilectio ad carnales filios naturaliter se extendat, amor huiusmodi spiritualiter efferbuit ad virum Dei cum suis fratribus diligendum in Domino et fovendum« (3 Soc 61; ed.c. 135f.). 13 I Cel 99 (Anal. Fr. 10,76f.). 14 Grundmann, Bulle (o. Kap. I, Anm. 163), 20,25. 15 Sabatier, Vie (o. Kap. V, Anm. 10), 181.

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von Aragon, Nicola Rosselli, entstammte er väterlicherseits der in Anagni ansässigen Familie der Grafen von Segni; seine Mutter gehörte ebenfalls einer adeligen Familie der Stadt Anagni an; mit Innocenz III. war er, über seinen Vater, im dritten Grad verwandt.16 Wenn die letztere Notiz zutrifft, dann war er weder der Onkel (patruus, avunculus), noch der Neffe (nepos), noch der Vetter (consobrinus, patruelis), sondern der Kleincousin Innocenz’ III.17 Giovanni Marchetti Longhi hält allerdings die genannte Angabe für unglaubwürdig; Hugolino habe vielmehr der adeligen Familie der Paparoni, Papareschi oder de Papa von Anagni angehört.18 Die Argumentation Marchetti Longhis stützt sich hauptsächlich darauf, daß Hugolino in den Dokumenten Innocenz’ III. niemals als dessen Verwandter erwähnt wird, sowie auf die Tatsache, daß in dem sogenannten Palast Bonifaz’ VIII. zu Anagni, der vom Autor mit dem väterlichen Palast Gregors IX. identifiziert wird, keinerlei heraldische Symbole der Grafen von Segni gefunden wurden. Beide Gesichtspunkte sind beachtenswert, beweisen aber natürlich nichts. Im übrigen hält Marchetti Longhi eine Verwandtschaft der Familien Innocenz’ III. und Gregors IX. durchaus für möglich.19 Immerhin hat er den Namen des Vaters Hugolinos herausgefunden: er hieß Mathias. Daß Hugolino noch einen Bruder namens Adenulphus hatte, geht aus mehreren zeitgenössischen Urkunden und päpstlichen Dokumenten hervor.20 Die Familie muß über große Besitztümer verfügt haben. Der Chronist Matthäus von Paris gibt an, Gregor IX. sei, als er am 22. August 1241 in Rom starb, fast hundert Jahre alt gewesen.21 Träfe dies zu, dann müßte er um das Jahr 1145 geboren sein, was jedoch in der neueren 16 Rerum italicarum scriptores, ed. L.A. Muratori, III/1, Milano 1723, 575a; Le Liber Censuum de l’E´glise Romaine publ. par P. Fabre et L. Duchesne, 3 Bde., Paris 1901–1952; II,18b. Zu der mittelalterlichen Biographie ist noch immer wichtig und lesenswert: Jakob Marx, Die Vita Gregorii IX. quellenkritisch untersucht, Berlin 1889. 17 Beide hatten also ein gemeinsames Urgroßelternpaar. Daß es sich dabei um eine Verwandtschaft dritten Grades im Sinne des Kirchenrechts handelt, geht aus der Zeichnung der »Arbor consanguinitatis iure canonico« hervor, die den mittelalterlichen theologischen und kanonistischen Traktaten über die Ehe beigegeben war; s. z.B. Wendelin Steinbach, Gabrielis Byel Supplementum, Paris 1521, fol. 147v. 18 G. Marchetti Longhi, Ricerche su la famiglia di Papa Gregorio IX. Arch. della R. Dep. Rom. di Stor. Patr. 67 (1944), 275–305; dem zustimmend: Selge, Franz (o. IV. Kap., Anm. 132), 136, Anm. 24. 19 Ricerche, 299. 20 Ebd. 283; Petrus Pressutti, Regesta Honorii Papae III, 2 Bde., Rom 1888. 1895 (Neudr. Hildesheim-New York 1978); ebd. II,411 (Nr. 5870): Adenulfus de Mathia; s. auch: Ernst Brem, Papst Gregor IX. bis zum Beginn seines Pontifikats, Heidelberg 1911, 1, Anm. 4. 21 »fere centenarius«: Cron. mai. (MGH SS 28,221f.); schon Brem (o.c. 1, Anm. 3) nimmt an, daß damit nichts anderes gemeint sein kann, als daß Gregor sehr alt georden sei.

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Forschung für unwahrscheinlich angesehen wird. Vielmehr wird jetzt fast allgemein 1170 als approximatives Geburtsjahr Hugolinos angenommen.22 Der Verlauf seiner kirchlichen Karriere legt allerdings nahe, daß er ungefähr zehn Jahre früher, um 1160, geboren wurde und damit etwa gleichen Alters wie sein Verwandter und zweiter Vorgänger gewesen sein dürfte. Obwohl über die Jugend Hugolinos nichts Sicheres überliefert ist, schließt man aus Bemerkungen seiner Vita, in denen seine hervorragenden Kenntnisse in Philosophie, Theologie und Jurisprudenz gerühmt werden, sowie aus einem Schreiben, das er am 10. Mai 1231 an die Pariser Professoren und Studenten gerichtet hat,23 er habe, wie Innocenz III., in Paris Theologie und in Bologna die Rechte studiert. Innocenz III., von dem bekannt ist, daß er auch sonst tatkräftig um das Fortkommen seiner Verwandtschaft besorgt war, erhob ihn schon bei seiner ersten Kardinalsernennung 1198 zum Kardinaldiakon von S. Eustachio. Hugolino war damals als Subdiakon Mitglied der päpstlichen Kapelle. (Ob er diesem Gremium bereits vor dem Pontifikat Innocenz’ angehörte, ist ungewiß). Nach dem Tode des Kardinals Octavian wurde er 1206 Kardinalbischof von Ostia und Velletri.24 Es ist ganz unwahrscheinlich, daß Innocenz, der zu dieser Zeit selbst noch keine fünfzig Jahre alt war, in den nach dem Papst höchsten Rang in der römischen Hierarchie einen Fünfunddreißigjährigen, der dazu noch nahe mit ihm verwandt war, erhoben hätte. Als Kardinal wie später als Papst hat Hugolino seine überragenden Fähigkeiten als Jurist und Diplomat unter Beweis gestellt. Zahlreiche Dokumente seines juristischen Scharfsinns und seiner hohen, auch raffinierten diplomatischen und politischen Kunst sind erhalten. Die Sammlung der Dekretalen, die der Dominikaner Raimund von Pennaforte in seinem Auftrag herausbrachte, wurde neben den älteren Rechtssammlungen um das Decretum Gratiani ein maßgebendes kirchliches Gesetzbuch, das für fast sieben Jahrhunderte 22 Für eine erste Orientierung s.: F.W. Bautz, Art. Gregor IX., Papst, in: BBKL 2 (1976), 317–320; Hermann Bilcher, Art. Gregor IX., Papst (1227–1241), in: TRE 14 (1985), 152–155; R. Aubert, Art. Gre´goire IX, in: DHGE 21 (1986), 143f.; ferner die Biographien: Pietro Balan, Storia di Gregorio IX e dei suoi tempi, 3 Bde., Modena 1872–1873; Joseph Felten, Papst Gregor IX., Freiburg 1886; E. Brem (s.o. Anm. 20); Salvatore Sibilia, Gregorio IX (1227–1241), Milano 1961; für Gregors Regierungstätigkeit als Papst: Regesta Pontificum Romanorum, ed. A. Potthast, I, Berlin 1874, 680–939; II, Berlin 1875, 2099–2110; Les Registres de Gre´goire IX, ed. L. Auvray, 4 Bde., Paris 1890–1955. 23 »liberalium et utriusque iuris peritia eminenter instructus, fluvius eloquentiae Tullianae, sacrae paginae diligens observator et doctor« (Muratori, Rer. ital. script. III/1,575a; Liber Censuum II,18b); ». . dum dantes operam sapientiae, que plurimum nos delectat, nostre vos gratie coaptatis, qui aliquando disciplinis scolasticis insudantes, ad summum sumus licet immeriti magisterium evocati« (Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. H. Denifle, Ae. Chatelain, I, Paris 1889, 147, Nr. 95). 24 Potthast, Reg. Pont. Rom. I,462.

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Geltung hatte und bis heute eine der wichtigsten Quellen mittelalterlichen Rechts ist.25 Entgegen den Auskünften der Vita und vor allem auch der Mehrzahl der franziskanischen Quellen, die seine Glaubenskraft, seine Gerechtigkeitsliebe und die Heiligkeit seines Lebenswandels in hymnischen Tönen preisen,26 ist sein politisches Handeln, mehr noch als das Innocenz’ III., von kalter Berechnung und Skrupellosigkeit geprägt. In seinen Pontifikat fällt der Höhepunkt der Auseinandersetzung der Kirche mit dem Kaiser Friedrich II. und der staufischen Dynastie, und in dem Bewußtsein, den längeren Atem zu haben, hat er deren Untergang vorbereitet. In gewisser Hinsicht ist Gregor IX. der Vater der römischen Inquisition, insofern er bereits bestehende Gesetze gegen die Ketzer zusammengefaßt und erheblich verschärft hat. Schon Kaiser Friedrich II. hatte im März 1224 in einem Edikt gegen die Häretiker der Lombardei verfügt, daß die durch den zuständigen Bischof der Häresie Überführten von den städtischen Behörden mit dem Feuertod oder wenigstens durch Abschneiden der Zunge zu bestrafen seien.27 Der Papst nahm diesen kaiserlichen Erlaß zunächst in sein Register auf.28 In der Konstitution »Excommunicamus« (Februar 1231) verfügte er dann, daß die von der Kirche verurteilten Häretiker dem weltlichen Gericht zur vorgesehenen Strafe zu überlassen seien; die Kleriker nach vorheriger Degradierung von ihren Weihen.29 Die päpstliche Konstitution greift aber auch tief in das weltliche Recht ein: als infamis verliert der Ketzer das passive und aktive Wahlrecht (er kann weder ein öffentliches Amt bekleiden noch an der Wahl der städtischen Behörden teilnehmen); als intestabilis verliert er die Fähigkeit, ein rechtsgültiges Testament zu machen und das Recht auf Antreten einer Erbschaft. Der der Häresie Verdächtige mußte ferner seine Unschuld beweisen. Das wurde ihm jedoch dadurch erschwert, daß an Richter, 25 Muratori, Rer. ital. script. III/1,571a; III/2,392; Corpus Iuris Canonici, ed. Aem. Friedberg, II; Decretalium Collectiones, Leipzig 1881; s. auch die beiden o. Anm. 22 genannten Quellenwerke; Stephan Kuttner, Raymond of Pen˜afort as editor: The ›decretales‹ and ›constitutiones‹ of Gregor IX. Bulletin of Medieval Canon Law 12 (1982), 65–80. 26 »zelator fidei, disciplina virtutis, rectitudo iustitiae, solatium miserorum, religionis plantator et cultor, castitatis amator et totius sanctitatis exemplar« (Muratori, Rer. ital. script. III/1,575a; Liber Censuum II,18b); »O pium pectus, o viscera caritatis! In alto positus, dolebat alta merita non habere, cum revera sublimior esset virtute quam sede« (II Cel 63; Anal. Fr. 10,169); s. auch: 3 Soc 67 (ed. Desbonnets, 141): »Unde non immerito creditur ipsum esse sanctorum collegio sociatum.« 27 Constitutio contra Haereticos Lombardiae (MG Const. II, Nr. 100; S. 126f.). 28 Auvray, Registres I (o. Anm. 22), Nr. 535. 29 »Dampnati vero per Ecclesiam seculari iudicio relinquantur animadversione debita puniendi, clericis prius a suis ordinibus degradatis« (Auvray, Registres I, Nr. 539; S. 351f.).

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Rechtsanwälte und Notare das Verbot erging, sich des Beschuldigten anzunehmen. Die Häretiker durften keine Sakramente mehr empfangen. Das kirchliche Begräbnis blieb ihnen versagt. Waren sie bereits beerdigt, so mußten sie öffentlich wieder exhumiert werden. Den Laien wurde generell untersagt, über den katholischen Glauben öffentlich oder privat zu disputieren. Dagegen sollten alle Gläubigen unter der Strafe der Exkommunikation verpflichtet sein, im Falle eines Verdachts auf Häresie die Betreffenden zu denunzieren. Der Papst führte auch eine Art Sippenhaftung für Kinder und Enkel von Häretikern und deren Verteidigern ein: sie wurden zu kirchlichen Ämtern nicht mehr zugelassen.30 Neben den bischöflichen wurden nun päpstliche Inquisitoren bestellt, welche die Aufgabe hatten, die Ketzer aufzuspüren. Mit diesem Amt wurden von da an vorzüglich die Mitglieder des Prediger- und des Minoritenordens betraut. Die Menschenverachtung und der Sadismus, die in der oben genannten »apostolischen« Konstitution zum Ausdruck kommen, sowie ihre Folgen über Jahrhunderte hin genügen allein schon, um aus ihrem Verfasser einen der größten Schreibtisch-Verbrecher der Kirchengeschichte zu machen. Gregor IX. ist auch der Hauptverantwortliche für eines der größten Kulturverbrechen des Mittelalters, die sogenannte Pariser Talmudverbrennung. Am 3. Juni 1239 erging an die Erzbischöfe Frankreichs eine päpstliche Bulle (»Si vera sunt«),31 in der für den ersten Sabbat der folgenden Fastenzeit (3. März 1240) ein Zugriff auf die Synagogen des Königreichs angeordnet wurde, mit dem Ziel, alle jüdischen Bücher zu beschlagnahmen; sie sollten in den Konventen des Prediger- und des Minoritenordens aufbewahrt werden. Den christlichen Besitzern jüdischer Bücher wurde die Exkommunikation angedroht. Der Papst hatte es besonders auf den Talmud abgesehen, in welchem er die Hauptursache für das Beharren der Juden im Unglauben sah. Am 20. Juni des gleichen Jahres wies er den Bischof von Paris, den Prior der Dominikaner und den Minister der Franziskaner zu Paris an, dafür zu sorgen, daß alle Bücher der Juden in den Königreichen Frankreich, England, Navarra, Kastilien, Leon und Portugal ausgeliefert würden. Sie sollten geprüft und diejenigen, die Irrtümer enthielten, verbrannt werden.32 Nachdem man der Bücher habhaft geworden war, fand im Jahre 1240 in Paris eine ausführliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Theologen statt, an der auch die Königin Blanche, Mutter Ludwigs IX., aktiven Anteil nahm. Der bedeutende 30 »Filii autem hereticorum, receptatorum, defensorum eorum, usque ad secundam generationem, ad nullum ecclesiasticum officium seu beneficium admittantur« (ebd.). Über Häresie und Inquisition unter Gregor IX. und Innocenz IV. s. auch: Hans Wolter, Der Kampf der Kurie um die Führung im Abendland, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von Hubert Jedin, III/2, Freiburg Br. 1968/1985, 271–273. 31 Bull. Fr. ed. Sbaralea 1,268. 32 Ebd. 270.

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jüdischen Gelehrte Rabbi Jechiel aus Meaux, Leiter der rabbinischen Akademie von Paris, konnte sich mit seiner Verteidigung des Talmud nicht durchsetzen, da man ihn für unglaubwürdig hielt.33 In Paris sollen darauf zunächst vierzehn und später nochmals sechs Wagenladungen mit jüdischen Büchern verbrannt worden sein. Ende September 1242 ordnete der König von Frankreich die Verbrennung von 22 Wagenladungen hebräischer Bücher an. Es geht aus den Quellen nicht klar hervor, ob es sich um eine einzige oder zwei verschiedene Verbrennungsaktionen handelt – ob es also 20, 22 oder 42 Wagenladungen gewesen sind. Im günstigsten Fall dürften etwa 5000 Bücher verbrannt worden sein. Vielleicht waren es aber mehr als 10000 – auf jeden Fall ein ungeheuerer Aderlaß für die jüdische Kultur des Mittelalters. Dennoch wird man sich davor hüten müssen, in Hugolino-Gregor IX. nichts anderes als einen finsteren politischen Schurken oder perversen Psychopathen zu sehen. Wir haben aber sehr wohl mit Ungereimtheiten, Abgründen in seiner Seele zu rechnen, wenn nicht mit einer gespaltenen Persönlichkeit und psychischen Doppelexistenz – was ja im übrigen bei Mitgliedern des Hochklerus durchaus keine Seltenheit ist. Die historische Psychologie ist eine noch sehr junge Wissenschaft. Wäre sie weiter entwickelt, so könnte sie uns helfen, eine so komplexe Persönlichkeit wie die Hugolinos angemessen zu analysieren. Auf die Gefahr hin, nicht genügend präzise zu sein, müssen wir gleichwohl eine Annäherung an den widersprüchlichen Charakter dieses kirchlichen Großherrn des Mittelalters versuchen.34 Ihn im Blick auf seinen zweiten Vorgänger als »Epigonen« zu bezeichnen,35 ist abwegig. Eine solche Klassifizierung träfe eher auf Innocenz IV. (Sinibald Fieschi: 1243–1254) zu. Gregor dagegen ist in jeder Hinsicht überragend und singulär, sowohl was die rationale wie was die emotionale Seite seiner Seele betrifft. Das läßt sich vielleicht am besten an der Tatsache verdeutlichen, daß er ein dichtender Jurist war. Er hat dies allerdings mit nicht wenigen seiner Zeitgenossen gemeinsam. Am Hofe Friedrichs II. z.B. war es Mode, daß die hohen kaiserlichen Beamten und Großrichter ihren Gefühlen in zärtlichen Liebesgedichten Ausdruck gaben. Es ist, als ob sie sich 33 Über den Pariser »Prozeß gegen den Talmud« ausführlich: Kurt Schubert, Der christlich-jüdische Antagonismus im Mittelalter, in: Judentum im Mittelalter. Katalog der Ausstellung in Schloß Halbturn, Eisenstadt 1978, 112–147; ebd. 121–127; ältere Literatur ebd. 142, Anm. 87; Friedrich Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Darmstadt 1990, 88f. 34 Selbst Silvana Spirito, die im übrigen in den Chor der mittelalterlichen und modernen (franziskanischen) Lobredner Hugolinos miteinstimmt, spricht von Widersprüchen (contradictions) in seinem Charakter und nennt ihn einen »homme complexe«: E´tude sur deux protagonistes du mouvement franciscain au XIIe sie`cle: Gre´goire IX et Fre`re E´lie. E´t. Fr. 13 (1962/63), 181–199; ebd. 181. 182. 35 Johannes Haller, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit IV, Darmstadt 1962, 50.

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angesichts eines oft unmenschlichen und grausamen politischen Alltags in ein zweites, geheimes Leben, das der Liebe, zurückgezogen hätten. Selbst ein so spröder Geist wie der Großrichter Petrus de Vinea (Pier della Vigna) schmiedete lyrische Verse; er gilt sogar als der Erfinder des Sonetts.36 Auch in der Persönlichkeit Hugolinos gibt es eine emotionale oder, wenn man so will, sentimentale Seite, die bisher in der Forschung wenig Beachtung fand. Sie tritt unter anderem in seinen bedeutenden Dichtungen zutage. Für das Offizium des von ihm heiliggesprochenen Franziskus hat er z.B. den Vesper-Hymnus »Proles de caelo prodiit« verfaßt.37 Auf den nach kurzer Amtszeit am 23. Januar 1240 verstorbenen Generalminister Albert von Pisa hat er eine vierzeilige Grabschrift gedichtet:38 Plange turba paupercula, ad Partrem clama pauperum: Hoc lugubre suspirium Pater Francisce suscipe, Et prode Christo stigmata lateris, pedum, manuum, Ut nobis reddat orphanis tanti Patris Vicarium. Weine, arme kleine Schar, zu deinem Vater klage: Der Trauer Klage nimm, Vater Franziskus, du entgegen Und zeige Christus deiner Seite, Hände, Füße Wunden, Daß er des Vaters würdigen Vertreter uns Waisen wieder geben wolle.

Das Weinen ist hier keinesfalls in bloß übertragenem Sinne gemeint. Thomas von Celano berichtet, daß der Papst (im Sommer 1228) am Grabe des Franziskus geweint habe, und bei der Heiligsprechung des Franziskus vergossen er und die anwesenden Prälaten ganze Ströme von Tränen, ja sie hätten ihre liturgischen Gewänder förmlich in Tränen gebadet!39 Es war gewiß auch ein erleichterndes Seelenbad, diese Eruption der Gefühle, die der Papst und der Hochklerus seiner Kurie sich bei dieser Gelegenheit öffentlich gestatteten. Von dem Bewußtsein Gregors IX., in einer Endzeit zu leben, zeugt die Sequenz »Caput draconis ultimum«,40 die zweifellos auf den »Antichristen« Friedrich II. anspielt. Franziskus wird dort als von Gott gesandter Retter in apokalyptischer Not dargestellt.41 Gregor IX. ließ das Mosaik an der Fassade 36 Die erhaltenen Dichtungen des Petrus de Vinea: A. Huillard-Bre´holles, Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne ministre de l’empereur Fre´de´ric II, avec une e´tude sur le mouvement re´formiste au XIIe sie`cle, Paris 1865, 402–424; Poeti del Duecento, ed. G. Contini, Milano-Napoli 1960, I,119–125; über die Sizilianische Dichterschule s.o. Kap. II, Anm. 86. 37 Anal. Fr. 10,376f.; s. auch: In III Noct. Responsorium (ebd. 382f.); über die religiösen Dichtungen Gregors IX.: Salimbene, Cronica (MGH SS 32,383,20). 38 Wadding, Ann. Min. 3,23. 39 I Cel 123. 125 (Anal. Fr. 10,98. 100f.); s. auch u. bei Anm. 58 und 108! 40 Anal. Fr. 10,401; vgl. Apoc 12,3; 13,1ff. S. hierzu: Hans Martin Schaller, Die Antwort Gregors IX. auf Petrus de Vinea. DA 11 (1954), 140–165; ebd. 153. 41 Die Verse »Verum de Christi latere / Novus legatus mittitur« scheinen die Vorstellung von einer himmlischen Präexistenz des Franziskus vorauszusetzen.

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von St. Peter in Rom wiederherstellen.42 Der Pilger, der die Vorhalle der alten Peterskirche betrat, konnte über dem Portal die kunstvollen Verse lesen, in denen der Papst sein Kirchenverständnis in dichterischer Form dokumentiert hatte. Die Grabeskirche des Apostelfürsten erscheint darin als Symbol der Römischen Kirche:43 CEV SOL FERVESCIT SIDVS SVPER OMNE NITESCIT ET VELVT EST AVRVM RVTILANS SVPER OMNE METALLVM DOCTRINA ATQVE FIDE CALET ET SIC POLLET VBIQVE ISTA DOMVS PETRAM SVPER FABRICATA QVIETAM. Wie die Sonne mit Wärme und Glanz überstrahlt das Heer der Gestirne Und des Goldes rötlicher Schein verblassen läßt alle Metalle, So dieses Haus, erwärmt durch Glauben und Lehre: Mächtig ist’s überall, gegründet auf ruhigem Felsen.

Die Kirche als Schiff Petri, das in allen Stürmen und Turbulenzen ruhig seine Fahrt fortsetzt und auch durch die Machenschaften des Kaisers letztlich nicht gefährdet werden kann: das ist der Inhalt der Distichen, mit denen Gregor IX. auf das selbstbewußte Epigramm Friedrichs II. antwortet, in dem der Kaiser sich als »Hammer des Erdkreises« bezeichnet hatte. Der Wortlaut der Verse ist nicht einhellig überliefert, auch nicht die Zeit ihrer Entstehung, und einige Quellen geben als Autor nicht Gregor IX., sondern Innocenz IV. an.44 Nach anderen fand der Epigramm-Wechsel zwischen Kaiser und Papst jedoch im Jahre 1239, also noch im Pontifikat Gregors statt.45 Nach den Untersuchungen von O. Holder-Egger scheint der ursprüngliche Wortlaut der folgende gewesen zu sein:46 Friedrich II.: Fata monent stelleque docent aviumque volatus: Totius et subito malleus orbis ero. Roma diu titubans variis erroribus acta Concidet et mundi desinet esse caput.

42 Vita Gregorii IX: »In basilica apostolorum principis in maioris portae vestibulo parietem altitudine praegrandi erectum vestivit lapide deaurato, nobilium imaginum decore distinctum« (Muratori, Script. rer. ital. III/1,578a; Liber Censuum II,23a). 43 Inscriptiones Christianae Urbis Romae septimo saeculo antiquiores, ed. Joh. Bapt. De Rossi, II/1, Roma 1888, 419 (Nr. 21); Joseph Wilpert, Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert, I, Freiburg Br. 1916, 372f. 44 So die Chronica Mantuana (MGH SS 24,219) und Richer von Sens (IV,9; MGH SS 24,304). 45 Matthäus von Paris (MGH SS 28,153); Gaufridus de Collone (MGH SS 24,618). 46 O. Holder-Egger, Italienische Prophetien des 13. Jahrhunderts. NA 30 (1905), 321–386; ebd. 335–349; 33 (1908), 95–187; ebd. 106–108; s. auch: Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. Kap. III, Anm. 53), 471.

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Schicksal kündet und Sterne lehren und fliegende Vögel: Sehr schnell werde ich nun Hammer der ganzen Welt. Roma wankend schon lang, ein Opfer heilloser Verwirrung, Stürzen wird es nun bald, Haupt der Welt nicht mehr sein.

Gregor IX.: Fata silent stelleque tacent, nil predicat ales; Solius est proprium nosse futura Dei. Niteris incassum navem submergere Petri, Fluctuat et numquam mergitur illa rates. Quod divina manus possit, sensit Julianus: Tu succedis ei, te tenet ira Dei. Schicksal schweigt, die Sterne sind still, nichts kündet der Vogel; Gott allein steht es zu, wissend die Zukunft zu schaun. Petri Schiff zu versenken gibst du dir vergebliche Mühe. Schwankt es auch in der Flut, sinken wird es doch nie. Was Gottes Hand vermag, mußt einst Julianus erkennen: Du folgst schon seiner Spur, schon hält dich Gottes Zorn.

Das ruhige Machtbewußtsein des vom Kaiser schwer bedrängten Greises, das sich in diesen Worten zeigt, könnte übersehen lassen, daß Hugolino-Gregor im Grunde ein depressiver Mensch war, wenn wir hierüber nicht aus anderen Quellen unterrichtet wären. Er selbst hat Thomas von Celano gegenüber bemerkt, daß ein Gespräch mit Franziskus ihm des öfteren bei Verwirrung und Erregung seines Gemüts Hilfe gebracht habe; die wie mit Wolken verhangene Seele sei wieder heiter geworden; sein depressiver Zustand (accidia) sei gewissermaßen verjagt worden und die vom Himmel kommende Lebensfreude habe ihn wieder angeweht.47 Mit acedia (accidia, αÆ κηδι α, αÆ κη δεια) wird bei den Kirchenvätern und in der mittelalterlichen Psychologie der Zustand der seelischen Lähmung und Unlust, das Gefühl der Sinnlosigkeit, der tiefe »Frust« (wie man heute sagen würde) bezeichnet. Thomas von Aquin definiert im Anschluß an Johannes Damascenus die acedia als einen besonders schweren Trauerzustand, der die Seele des Menschen so niederdrückt, daß er keine Lust mehr hat, noch irgend etwas zu tun.48 Als unmittelbare Vorstufe 47 »Testatur ipse de eo, quod numquam in tanta esset perturbatione seu animi motu, quod in visione ac collocutione sancti Francisci omne mentis nubilum non discederet rediretque serenum, effugaretur accidia et gaudium desuper aspiraret« (I Cel 101; Anal. Fr. 10,78). 48 »Acedia, secundum Damascenum, est quaedam tristitia aggravans, quae scilicet ita deprimit animum hominis, ut nihil ei agere libeat« (S.th. IIa IIe, q. 35, ar. 1; vgl. Johannes Dam., De fide orth. 2,14: MPG 94,932 B); Johannes Cassian beschreibt die acedia als taedium, anxietas cordis und identifiziert sie mit dem daemon meridianus des 90. Psalms (De Coenobiorum Institutis 10,1: MPL 49,559–565); Siegfried Wenzel, The Sin of Sloth: Acedia in Medieval Thought and Literature, Chapel Hill (University of North Carolina) 1967.

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der Verzweiflung gilt die acedia in der theologischen Ethik des Mittelalters als Sünde, die sowohl der Hoffnung als auch der Liebe und Freude als Bejahung der schaffenden und erhaltenden Tätigkeit Gottes entgegengesetzt ist.49 Heinrich von Avranches beschreibt in seiner Legenda S. Francisci versificata die accidia (»die den Überdruß an den Dingen empfinden läßt und in keinem Akt der Tugend vorwärts kommt«) und ihre Begleiterinnen: Geschwätzigkeit (Garrulitas), Trägheit (Torpor), abträgliche Rede (Sermo sinister), Lethargie (Sopor), »die den Tag zur Nacht macht«, moralische Urteilslosigkeit (Lascivia), »die am schädlichen Zeitgeschehen ihre Freude hat«, Angstträume, die das Jüngste Gericht vorausahnen lassen (praesensiva futuri Somnia iudicii), Todesangst (verosque probantia mortis argumenta Metus), Verzweiflung (Desperatio), die zum Selbstmord führt.50 Heinrich von Avranches sieht in der accidia bei den Mönchen den Beginn einer völligen moralischen Hemmungslosigkeit und Verkommenheit.51 Man wäre geneigt, die erwähnte Bemerkung Celanos, obwohl sie zweifellos auf Gregor IX. selbst zurückgeht, als nicht so bedeutsam beiseite zu schieben, wenn nicht ein weiteres Zeugnis hinzukäme. Es handelt sich dabei um den Dominikaner Thomas von Cantimpre´ (bei Cambrai). Er hat noch zu Lebzeiten des ehemaligen Bischofs von Akkon und damaligen Kardinalbischofs von Frascati, Jakob von Vitry († 1240), ein Supplement zu dessen Lebensbeschreibung der heiligen Marie von Oignies verfaßt.52 Darin wird erzählt, Hugolino habe einmal Jakob von Vitry im Vertrauen berichtet, er leide unter dem »Geist der Gotteslästerung«, in einer Weise, daß er befürchtete, gänzlich aus der Haltung des Glaubens entwurzelt zu werden.53 Jakob habe ihm darauf

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S.th. IIa IIe, q. 20, ar. 4. Henrici Abrincensis Legenda S.F. versif. II,44–54 (Anal. Fr. 10,416). 51 »Omne genus culpae monachus committit avarus: Relligionis enim districtae quando professor Vergit in accidiam, nihil est quod abhorreat; omne Attentat facinus, postquam deliquit in uno« (ebd. IV,92–95). 52 Acta Sanctorum Junii, T. IV, Antwerpen 1707, 636–677; Verfasser des Supplements ist nicht, wie dort angegeben, ein Regularkanoniker namens Nikolaus; s. dazu: Que´tif-Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum I, Paris 1719, 250–254; bes. 254; Ph. Funk, Jakob von Vitry (o. Kap. VI, Anm. 151), 16f.; E´. Brouette, Art. Thomas von Cantimpre´, in: LThK2 10 (1965), 139. 53 »Spiritus blasphemiae adeo animam meam vexat et variis tentationum fluctibus obruit, et usque in desperationem quotidie fere detrudor; in hoc solo respiramen accipio, et hoc tamen minimum, ut dum cum fratribus Cardinalibus in consistorio ad causas debitas sedeo, interim cessat paululum passio, qua confundor. . . illud quammaxime vereor, ne tantum pondus ferre non valens, a statu sanctae fidei omnino deiiciar« (Acta SS. Jun. IV,672 EF). 50

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den Finger der heiligen Marie von Oignies überlassen, den er beständig in einem silbernen Reliquiar an seinem Hals mit sich herumtrug.54 Die Fürbitte der Heiligen habe den Kardinal dann nachhaltig »vom Geist der Blasphemie und der Lähmung des Geistes« befreit. P. Sabatier hat hierzu ein wenig spöttisch bemerkt, Hugolino sei damals wohl von seinen Blasphemien, aber nicht von seinem Nepotismus geheilt worden.55 Bedeutsamer scheint zu sein, daß der vertraute Umgang mit Franziskus ihm zwar zeitweilig Erleichterung, aber keine endgültige Hilfe in seinem psychisch-spirituellen Leiden bringen konnte. Die abergläubische Praktik mit einer Reliquie aber brachte dies zustande.56 Man sieht, daß auch dieser Pontifex, der wie viele christliche und vorchristliche Großpriester Roms die Religion kühl und souverän zu manipulieren verstand, in einem Bereich seiner gespaltenen Seele der Macht des Numinosen und des Aberglaubens ausgeliefert war. Für sein Verhältnis zu Franziskus und zur franziskanischen Bewegung ist das nicht ohne Bedeutung. Das Leiden am »Geist der Gotteslästerung« ist, von heute aus betrachtet, nichts anderes als das geheime Bewußtsein von der Diskrepanz zwischen dem Kirchen- und Religionssystem, das Hugolino nach außen zu vertreten hatte, und der kühlen, wenn nicht zynischen Distanz, die er zu den Glaubensinhalten seiner Religion hatte. Dieser Zwiespalt machte ihn psychisch krank. Und auch die grausamen, weit über jedes vernünftige Maß hinausschießenden inquisitorischen Maßnahmen des Papstes, von denen oben die Rede war, sind ja nicht eben ein Zeugnis von gelassener Glaubensstärke als vielmehr von einer tiefen Verunsicherung. Ein weiterer Zwiespalt war der zwischen dem äußerlich zur Schau gestellten Glanz der Heiligkeit und dem tatsächlichen Zustand der kirchlichen Körperschaften (ordines ecclesiastici), der in totalem Widerspruch zu der damals (und bis heute noch, auch in der franziskanischen Forschung) zelebrierten erbaulichen Rhetorik stand. Man muß sich dennoch davor hüten, aus einer eingebildeten kirchlichen Reformgesinnung heraus die damaligen »Zustände« moralisch zu qualifizieren.

54

Ebd. 673 B; vgl. auch ebd. 633 C. P. Sabatier, E´tudes ine´dites sur S. Franc¸ois d’Assise, Paris 1932, 213. Es handelt sich um ein Mißverständnis Sabatiers. Das Befallensein mit dem »spiritus blasphemiae« bedeutet nicht, daß Hugolino auch Flüche und Gotteslästerungen geäußert hätte. Der Verfasser des Berichtes, Thomas von Cantimpre´, betont mehrfach, daß es sich um ein geheimes Leiden handelte. Die nepotistische Praktik, auf die Sabatier anspielt, ist der Versuch Hugolinos, über eine Intervention des Papstes Honorius III. seinem Neffen Nikolaus, dem Sohn seines Bruders Adenulph, ein Kanonikat an der Kathedrale von York zu verschaffen; s. dazu das Schreiben des Papstes an den Erzbischof Walter von York vom 19. Januar 1227: Pressutti, Regesta (o. Anm. 20) II,470 (Nr. 6191). 56 »Qui statim surgens a terra, digitum Ancillae Christi piis in manibus apprehendit; quem contra pectus suum arctius stringens, famulam Dei et eius precum suffragia suppliciter invocavit« (Acta SS. Jun. IV,673 B). 55

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Wenig bekannt ist, daß Hugolino selbst ein Dokument seiner psychischen Verfaßtheit hinterlassen hat. Es ist der in der Chronica XXIV Generalium und bei L. Wadding (mit einigen Textvarianten) tradierte Brief an Klara von Assisi.57 Wenn man auch in diesem Fall einiges der erbaulichen Phraseologie zugute halten muß, so scheinen doch die Worte, mit denen der Kardinal seinen Trennungsschmerz von den Schwestern von S. Damiano beschreibt, nicht bloße rhetorische Luftblasen zu sein. Er spricht von der »Bitterkeit des Herzens«, dem »großen Tränenstrom« und »unendlichen Schmerz«, die ihn erfaßt hätten, als er nach der gemeinsamen Feier des Osterfestes sich von den Schwestern trennen mußte; hätte er nicht zu den Füßen Jesu Trost gefunden, dann hätte seine Seele sich aufgelöst.58 Er vergleicht seine Trauer mit der des Herrn, als dieser, aus dem Kreise der Jünger gerissen, ans Kreuz geschlagen wurde. Dann spricht er von der gewaltigen Last seiner Sünden, deren er sich angesichts der rigorosen Strenge des Ordenslebens und der Verdienste Klaras bewußt geworden sei; ja, er habe den Herrn der Erde so sehr beleidigt, daß er nicht mehr würdig sei, der Schar der Erwählten anzugehören. Deshalb vertraut er seine Seele und seinen Geist Klara an, damit sie die Sorge für sein Heil übernimmt. Darüber will er am Tag des Jüngsten Gerichts von ihr Rechenschaft fordern, denn er ist überzeugt, daß Klaras inständige Frömmigkeit und die Menge ihrer Tränen bei dem obersten Richter alles erreichen können. Modern und unangemessen, doch nicht ganz falsch, könnte man sagen: Der an seinem Seelenheil verzweifelnde Hugolino versucht, bei Klara eine Art Rechtschutzversicherung für das Jüngste Gericht abzuschließen. Doch sind es zweifellos echte Gefühle des Schmerzes, der Trauer und Verzweiflung, die sich unter dem frömmelnden Wortschwulst erkennen lassen, und auch das Bewußtsein tiefer, heilloser Schuldverstrickung scheint nicht bloße Mache zu sein. Es zeigt sich hier die gleiche depressive, am Rande der psychischen 57 Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,183), Wadding, Ann. Min. 2,16f.; den Text der Chron. XXIV Gen. übernimmt I. Omaechevarri´a in: Escritos de Santa Clara (o. Kap. I.IV) 21982, 351–353; deutsche Übersetzung des Briefes bei Felten, Gregor IX. (o. Anm. 22), 46f. Die Datierung ist nicht genau auszumachen; doch sind die Jahre 1216–1219 auszuschließen, da sich Hugolino um die Osterzeit dieser Jahre nicht in Assisi aufgehalten hat. Aus der Tatsache, daß er Grüße an Klaras Schwester Agnes ausrichten läßt, kann man jedoch schließen, daß der Brief nicht nach 1221 verfaßt wurde, da Agnes wahrscheinlich in diesem Jahr S. Damiano verließ, um als Äbtissin die Leitung des Klosters Monticelli bei Florenz zu übernehmen (so Cambell in seiner Edition der Actus-Fioretti, 228, Anm. 184). Wadding meint, der Brief sei um das Jahr 1221 geschrieben. Omaechevarri´a nimmt als frühesten Termin für den von Hugolino erwähnten Besuch Ostern 1220 an (das Fest fiel in diesem Jahr auf den 29. März). 58 ». . tanta me amaritudo cordis, abundantia lacrymarum, et immanitas doloris invasit, quod nisi ad pedes Jesu consolationes solitae pietatis invenirem, spiritus meus forte deficeret, et penitus anima liquefieret.«

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Katastrophe sich bewegende Gemütsverfassung Hugolinos, von der auch in dem Bericht des Thomas von Cantimpre´ die Rede ist.59 Der Franziskaner Salimbene de Adam erzählt in seiner Chronik verschiedene Episoden über den Kardinaldiakon Octavianus Ubaldini de Musello. Er erwähnt u.a., daß er ein schöner Mann war und Gregor IX. ihm eine ganz besondere Zuneigung entgegenbrachte. Daraus entstand das Gerücht, Octavian sei der Sohn des Papstes.60 Wie das, wenn doch allgemein bekannt war, daß er der Sohn des Ubaldino von Mugello in der Toscana war? Wenn es sich so verhält, dann ist klar, worauf Salimbene hinaus will: die besondere und auffällige Liebe des Papstes zu Octavian war dann nicht verwandtschaftlicher, sondern homosexueller Natur. Mit homoerotisch bestimmten Verhältnissen an der mittelalterlichen Römischen Kurie hätten wir, wie in allen reinen Männergesellschaften, auch dann zu rechnen, wenn wir keine vielsagenden Andeutungen wie diejenige Salimbenes besäßen. Es soll damit überhaupt keine moralische Wertung verbunden werden (eine solche könnte allenfalls die heuchlerische Verdrängung eines kulturgeschichtlich sehr wichtigen Phänomens zum Gegenstand haben). Die schon erwähnte mittelalterliche Lebensbeschreibung Gregors IX. berichtet, daß der Papst äußerlich eine ansehnliche und liebenswürdige Erscheinung war.61 Wir sind in der Zeit der Hochgotik, in der man sich für das Äußere, die individuellen körperlichen Merkmale der Menschen zu interessieren begann. Von vielen bedeutenden Zeitgenossen des 13. Jahrhunderts sind sowohl porträt-ähnliche Darstellungen wie auch eingehende Beschreibungen des Äußeren erhalten, so von Innocenz III., Friedrich II., Ludwig IX. dem Heiligen, Franziskus, Elias von Cortona. Auch von Gregor IX. besitzen wir ein Bild, das trotz Beschädigungen erstaunlich gut erhalten ist. Es stammt aus dem schon erwähnten großen Mosaik an der Fassade der alten Peterskirche. Als die riesige Wand im Jahre 1606 abgerissen wurde, ließ der Papst Paul V. das Porträt seines Vorgängers herausschneiden, um es der Familie Conti zu schenken. Es wurde lange Zeit in der Kapelle der Villa La Catena in Poli aufbewahrt, die ehemals dieser Familie gehörte und später in den Besitz der Fürsten Torlonia überging. 1959 wurde es von dem Museo di Roma erworben, 59

S. besonders o. Anm. 53! Salimbene, Chronik (MGH SS 32,384–387). »Item de hoc cardinali dictum fuit, quod esset filius domni pape Gregorii noni. Forte quia dilexerat eum speciali amore« (ebd. 385,23). Octavian, Subdiakon in der Kapelle Gregors IX., war anwesend bei der Heiligsprechung des Franziskus und durfte die Liste der Wunder verlesen (I Cel 125; Anal. Fr. 10,100f.). Am 28. Mai 1244 ernannte ihn Innocenz IV. zum Kardinaldiakon von S. Maria in Via Lata, trug sich allerdings mit dem Gedanken, ihn wegen Korruption wieder abzusetzen. Octavian starb 1273. 61 »forma decorus et venustus aspectu« (Muratori, Rer. ital. script. III/1,575a; Liber Censuum II,18b). 60

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wo es sich heute noch befindet. Das im übrigen bartlose, längliche Gesicht des Papstes ist, nach der Mode der damaligen Zeit, durch ein schmales Schnurrbärtchen geziert.62 Gregor hat die gleiche elegante Bartzier wie Innocenz III., dessen musivisches Porträt ein ähnliches Schicksal hatte und ebenfalls im Museo di Roma gelandet ist.63 Es gibt eine zweite Darstellung, die Hugolino als Kardinal in voller Gestalt zeigt: das Wandgemälde in der Gregorius-Kapelle der Heiligen Höhle von Subiaco. Auf dem Fresko ist die Weihe des Altares eben dieser Kapelle dargestellt, die der Kardinal vermutlich während eines Aufenthaltes in Subiaco im Juli/August 1222 vorgenommen hatte. Damals dürfte auch Franziskus in Subiaco gewesen sein, der, wie G.B. Ladner wohl zu Recht vermutet, in der hinter Hugolino stehenden Gestalt mit Kapuze dargestellt ist. (Die Annahme stützt sich vor allem auf den Vergleich mit dem berühmten Fresko des Franziskus in der gleichen Kapelle). Die an den Besuch beider bedeutender Zeitgenossen erinnernden Gemälde sind im zweiten Pontifikatsjahr Gregors IX. (1228) entstanden.64 Bei dem Übergang der franziskanischen Bewegung zu einem Orden mit kirchenrechtlich fixierten Strukturen, der mit der endgültigen Ordensregel von 1223 seinen Abschluß fand, war der Kardinal Hugolino maßgeblich beteiligt. Er selbst sagt in der schon erwähnten Bulle »Quo elongati«, er habe Franziskus bei der Abfassung der Regel und beim Erwirken der Bestätigung derselben durch den Apostolischen Stuhl beigestanden.65 Ob dabei sein Verhältnis zu Franziskus so harmonisch war, ist mehr als fragwürdig. Allein schon die Tatsache, daß Franziskus seine ursprünglichen Intentionen nach Abfassung und päpstlicher Billigung der Regel nochmals in einem »Testament« festgehalten hat, spricht gegen jede (mittelalterliche und moderne!) harmonisierende Darstellung. Und nicht umsonst hat Hugolino als Papst den letzten Willen des Franziskus für rechtlich unverbindlich erklärt. 62 Wilpert, Röm. Mosaiken (o. Anm. 43), 376; Gerhard B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters. Bd. II: Von Innocenz II. zu Benedikt XI., Citta` del Vaticano 1970, 98–105 und Tafel XVII b; eine sehr gute farbige Reproduktion in: Christopher Hollis (Hrsg.), Urbi et Orbi. Das Papsttum und seine Geschichte, BernMünchen 1964, 78. 63 Das Bild Innocenz’ III. wurde dem Apsismosaik von Alt-St. Peter bei dessen Zerstörung im Jahre 1592 entnommen und zusammen mit einem Phönix von dem Papst Clemens VIII. 1596 an Lotario Conti, Duca di Poli, geschenkt. Zusammen mit der Villa La Catena ging es dann ebenfalls in den Besitz der Familie Torlonia über und gelangte 1959 in das Museo di Roma (Wilpert, Röm. Mosaiken I,366; Ladner, Papstbildnisse II,56–68 und Tafel XI a). 64 Ladner, Papstbildnisse II,105–111 und Tafel XIX; ebd. 111, Anm. 1; zum Bildnis des Franziskus: ebd. 109–111; Reproduktion ebd. 107; weitere Literatur: o. VII. Kap., Anm. 8. 65 Grundmann, Bulle, 20f.; o. VII. Kap., Anm. 116.

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3. Die Bulle »Quo elongati« Im Anschluß an das Generalkapitel von Pfingsten 1230 begab sich eine Delegation des Ordens zum Papst, um in mehreren zweideutigen und schwierig zu verstehenden Punkten der Regel um eine authentische Interpretation nachzusuchen. Was genau der Anlaß zu diesem folgenreichen Beschluß war, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Aus der »Chronik der 24 Generalminister« läßt sich erschließen, daß der Entscheidung schwere Auseinandersetzungen vorausgegangen sein müssen. Es seien unter den Brüdern allerlei Bedenken (multiplex dubitatio!) über den Inhalt der Regel aufgekommen. Johannes Parens, Generalminister seit 1227, habe mit der Regel in den Händen protestiert, indem er versicherte, sie sei klar verständlich und durchaus befolgbar.66 Ihm war bewußt, daß der Orden dabei war, in offizieller Form einen ersten schwerwiegenden Verstoß gegen die eindeutigen Intentionen des Stifters zu begehen. Gregor IX. spricht in der Einleitung der Bulle »Quo elongati« ebenfalls von zweideutigen, dunklen, schwer zu verstehenden Stellen der Regel (quaedam dubia et obscura et quaedam intellectu difficilia).67 Die eigentliche Schwierigkeit stellte aber das »Testament« genannte mandatum dar, das der heilige Bekenner »gegen Ende seines Lebens« verfaßt hatte. In diesem Testament hatte Franziskus genau das, was die Kapitularen jetzt taten, vorausschauend zu verhindern gesucht, und zwar auf doppelte Weise: er hatte verboten, die Regel und das Testament selbst mit kommentierenden Glossen zu versehen und vom Apostolischen Stuhl irgend einen Brief zu erbitten.68 Denn auf genau diesen beiden Wegen konnte eine Aufweichung der Regel erreicht werden. Zweifel bezüglich des Willens und der Intention des Stifters waren also eigentlich gar

66 Chronica XXIV Generalium (Anal. Fr. 3,213): »Tempore istius Generalis, ut dicit frater Bonaventura de Balneoregio in quodam sermone, insurrexit inter fratres multiplex dubitatio de his quae in regula continentur, Generalis vero portabat regulam in manibus asserens, ipsam claram et observabilem et ab omnibus ad litteram observandam. Tandem dominus Papa Gregorius IX. pro dubiorum declaratione pulsatur.« 67 Grundmann, Bulle, 20. 68 Test. 38f.: »Et omnibus fratribus meis clericis et laicis praecipio firmiter per obedientiam, ut non mittant glossas in regula neque in istis verbis dicendo: ›Ita volunt intelligi‹. Sed sicut dedit mihi Dominus simpliciter et pure dicere et scribere regulam et ista verba, ita simpliciter et sine glossa intelligatis et cum sancta operatione observetis usque in finem« (Esser, Opuscula, 444). Test. 25: »Praecipio firmiter per obedientiam fratribus universis, quod ubicumque sunt, non audeant petere aliquam litteram in curia Romana, per se neque per interpositam personam, neque pro ecclesia neque pro alio loco neque sub specie predicationis neque pro persecutione suorum corporum. . .« (ebd. 441). Wie aus dem Wortlaut hervorgeht, hat Franziskus hier wohl zunächst an die Erwirkung eines päpstlichen Schutzbriefes für den Orden, seine Tätigkeit und seine Einrichtungen gedacht; darüber hinaus ging es ihm aber gewiß darum, die Römische Kurie überhaupt aus den Interna des Ordens herauszuhalten.

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nicht möglich. Das weiß auch Gregor IX., denn er zitiert die Worte, in denen die doppelte Absicherung des Franziskus enthalten ist.69 »Zweifel« konnte nur jemand haben, der darauf aus war, den Willen des Franziskus, wie er sowohl in der Regel als auch im Testament ausgesprochen war, zu umgehen. Ob es sich dabei um Bruder Elias und seine Gesinnungsgenossen gehandelt hat, scheint jedoch fraglich. Möglicherweise hat der Papst die »Bedenken« und »Zweifel« innerhalb des Ordens nur hochgespielt, um desto bereitwilliger darauf eingehen zu können: Da ihr Bedenken hattet, ob ihr gehalten seid, das genannte Testament zu beachten, habt ihr gebeten, Wir möchten diesen Zweifel von euren und eurer Brüder Gewissen beseitigen. Und weil Wir aufgrund der langen Vertrautheit, die der Bekenner mit Uns hatte, gründlicher seine Absichten kannten und bei der Abfassung der vorgenannten Regel und beim Erhalt ihrer Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl ihm beistanden, als Wir noch ein minderes Amt bekleideten, batet ihr Uns gleichermaßen, Wir sollten die zweifelhaften und dunklen Stellen der oben genannten Regel erklären und auch über einige Schwierigkeiten Antwort geben.

Als Anlaß für sein Eingreifen stellt also Gregor IX. das Dilemma hin, das sich aus den Gewissensnöten und Schwierigkeiten der Brüder mit Regel und Testament einerseits und dem erklärten Willen des Franziskus andererseits ergibt. Daneben weist er auf das langjährige Vertrauensverhältnis hin, das ihn mit dem heiligen Bekenner verbunden habe, und die intime Kenntnis von dessen Absichten während der Zeit der Abfassung der endgültigen Regel. Umso merkwürdiger ist es, daß die wichtigsten Entscheidungen, die nun in der Bulle getroffen werden, in offenkundigem Widerspruch zu dem im Testament geäußerten Willen des Franziskus stehen. Und diese Entscheidungen erfolgen mit verbindlicher apostolischer Autorität, an die sich der Orden zu halten hat. Die erste Entscheidung zielt auf die Beseitigung des von Franziskus errichteten doppelten Schutzwalls für seine ureigenste Intention: der Papst setzt das Testament hinsichtlich der darin enthaltenen Verpflichtungen für die Gemeinschaft außer Kraft. Obgleich Wir glauben, daß der genannte Bekenner Christi eine fromme Absicht in seiner erwähnten Weisung (mandatum) hatte, und ihr darum bemüht seid, euch in jeder Weise an seine berechtigten Wünsche und Verlangen zu halten, erklären Wir dennoch (Nos tamen) – im Blick auf die Gefahr für die Seelen und die Schwierigkeiten, 69

»Sed sancte memorie beatus confessor Christi Franciscus nolens regulam suam per alicuius fratris interpretationem exponi, mandavit circa ultimum vite sue, cuius mandatum ipsius dicitur testamentum, ut verba ipsius regule non glosentur, et ut verbis utamur eiusdem, quod sic vel sic intelligi debeant, non dicatur; adiciens quod fratres nullo modo aliquas litteras ab apostolica sede petant, et alia quaedam interserens, que non possent sine multa difficultate servari« (Grundmann, Bulle, 20).

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in die ihr deswegen geraten könntet, und unter Wegnahme des Zweifels von euren Herzen –, daß ihr an jene Weisung nicht gebunden seid, weil er ohne die Zustimmung der Brüder und vor allem der Minister, die es alle betraf, keine bindende Verpflichtung auferlegen konnte und auch seinen Nachfolger in gar keiner Weise verpflichtete, da ein Gleichrangiger über einen Gleichrangigen keine Befehlsgewalt hat.70

Gregor IX. sagt damit nichts anderes, als daß Franziskus in dem Testament seine rechtlichen Kompetenzen in zweifacher Weise überschritten und damit im Orden Verwirrung gestiftet habe: so weitgehende, die Regel ergänzende Bestimmungen hätten der Zustimmung der Brüder und vor allem der Minister bedurft, deren Befugnisse ja eingeschränkt wurden; außerdem konnte Franziskus seinem Nachfolger im Amt des Generalministers nicht irgendwelche rechtlich bindenden Auflagen machen, da dieser kirchenrechtlich den gleichen Rang wie er selbst hatte. (Der Rechtssatz: »Non habet imperium par in parem« diente den mittelalterlichen Päpsten sonst vor allem dazu, die legislativen Maßnahmen ihrer Vorgänger, die diese »für alle und ewige Zeiten« getroffen hatten, zu annullieren). Mit seinem tamen hat der Papst so die Intention des Franziskus und die Vorstellungen derjenigen seiner Anhänger, die gleich ihm »wie die Tauben« in den Höhen des kontemplativen Lebens schwebten, in die »Welt« der »menschlichen Unzulänglichkeit« zurückgeholt,71 die eindeutiger Richtlinien durch die kirchliche Gesetzgebung bedarf. Franziskus freilich hatte ein ganz anderes Verständnis von seiner Person und seinen Weisungen gehabt, das Gregor IX. ganz gewiß bekannt war, über das er aber hier stillschweigend hinweggeht. Franziskus meinte, er könne sein Lebensideal für alle Zeiten im Orden festmachen, indem er die Brüder durch den Gehorsam (per obedientiam) zu dessen Einhaltung verpflichtete. Regel und Testament waren überdies in seiner Sicht nicht seine eigenen Erfindungen, sondern sie waren Eingebungen, Offenbarungen Gottes und so der Willkür der Deutung von jedermann, natürlich auch des Papstes und der Römischen Kurie, entzogen.72 Was Hugolino zu Lebzeiten des Franziskus als Kardinal-Protektor des Ordens nicht erreichen konnte, nämlich eine Nivellierung der franziskanischen Bewegung und ihre Eingliederung in das allgemeine kirchliche Rechtssystem, das sucht er nach dem Tod des Franziskus, ausgestattet mit der Vollmacht des obersten Gesetzgebers und obersten Herrn über die Gewissen, durchzusetzen. Der zweite Abschnitt der Bulle gibt Antwort auf die Frage, ob die Brüder an die im Evangelium enthaltenen Räte (consilia) ebenso gebunden seien wie an die Gebote (praecepta). Anlaß zu dieser Frage waren, wie der Papst selbst 70

Ebd. 21. Vgl. die stilistisch verschlungene und diplomatisch raffinierte Einleitung der Bulle »Quo enlongati«, und hierzu: Feld, Totengräber (o. Kap. I, Anm. 163), 339f. 72 Vgl. o. Anm. 68! 71

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referiert, sowohl der Anfang wie auch der Schluß der Regula bullata von 1223. Am Beginn der Regel ist festgehalten, daß diese wesentlich nichts anderes sein will als das Evangelium selbst: Die Lebensform der Minderbrüder besteht in der Beobachtung des Evangeliums.73 Im Schlußsatz der Regel hatte Franziskus den Ministern »unter dem Gehorsam« die Auflage gemacht, vom Papst einen Kardinal als gubernator, protector und corrector für die Bruderschaft zu erbitten, »damit wir in beständiger Unterwerfung unter die Kirche und standhaft im katholischen Glauben die Armut und die Demut und das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus bewahren können.«74 Der Kardinal-Protektor sollte also nach dem Willen des Franziskus gewissermaßen Garant dafür sein, daß die Bruderschaft unter dem Dach der Römischen Kirche und in Übereinstimmung mit der katholischen Glaubenslehre das Ideal der vita evangelica verwirklichen könnte. Zugleich aber verfolgte er damit die Absicht, die Römische Kurie für alle Zukunft im Sinne des zentralen Anliegens seiner Bewegung einzubinden. Auch hier erscheint, genau wie am Anfang der Regel, das Evangelium als die eigentliche Richtlinie für das Leben der Brüder. Dabei gab es für Franziskus keinen wesentlichen Unterschied zwischen »Geboten« und »Räten« des Evangeliums.75 Für den Papst dagegen und diejenigen Mitglieder des Ordens, deren »Gewissensnöte« zu beheben er sich anschickt, gibt gerade dieser umfassende Begriff des Evangeliums als Lebensnorm Anlaß zu Mißverständnissen. Deswegen möchten sie gerne wissen, ob sie noch an andere Räte des Evangeliums gehalten sind als an die, die in der Regel ausdrücklich vorschrifts- oder verbotsweise genannt sind, vor allem weil sie selbst nicht die Absicht hatten, sich zu den anderen (Räten) zu verpflichten, und das alles kaum oder nie buchstabengetreu beobachtet werden kann.

Die Anfrage, von wem immer sie formuliert ist, suggeriert bereits die Antwort Gregors IX.: Wir aber antworten kurz, daß ihr an die anderen Räte des Evangeliums durch die Regel nicht gebunden seid, außer an die, zu denen ihr euch in ihr verpflichtet habt. An

73 »Regula et vita Minorum Fratrum haec est, scilicet Domini nostri Jesu Christi sanctum Evangelium observare vivendo in obedientia, sine proprio et in castitate« (Esser, Opuscula, 366f.; vgl. Grundmann, Bulle, 21); zutreffend E. Benz, Ecclesia Spiritualis (o. IV. Kap., Anm. 135), 239: »Darin liegt der Anspruch der regula, die Zusammenfassung und Rekapitulation des evangelischen Lebens zu sein.« 74 ». . . paupertatem et humilitatem et sanctum evangelium Domini nostri Jesu Christi, quod firmiter promisimus, observemus« (Esser, Opuscula, 371; Grundmann, Bulle, 21). 75 Vgl. hierfür auch bes. Epistola toti Ordini missa 7 (Esser, Opuscula, 259): »Servate in toto corde vestro mandata eius [scil. Filii Dei] et consilia eius perfecta mente implete.«

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die anderen aber seid ihr so gebunden wie die übrigen Christen, was umso mehr recht und billig ist, als ihr euch ja dem Herrn als ein Opfer dargebracht habt, das reichhaltig ist durch Verachtung alles Weltlichen.

Natürlich ist Gregors Lösung insofern »realistisch«, als sie aus der Sicht des Gesetzgebers klarere Verhältnisse schafft. Die Absicht des Franziskus, die evangelische Lebensform insgesamt zum Gesetz zu machen und sie dadurch zu radikalisieren, wird als utopisch und undurchführbar entlarvt. Andererseits kann man aber fragen, ob Franziskus seine Regel als Gesetz im Sinne des Kirchenrechts verstanden wissen wollte. Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Franziskus hat das Evangelium nicht im Sinne eines juridischen oder moralischen Gesetzes verstanden, sondern als Aufruf zur radikalen, »buchstäblichen« Nachfolge Christi in seinem eigenen Lebensvollzug und dem seiner Anhänger. Die Regel sollte nichts anderes sein als eine »Fortschreibung« des Evangeliums für die aktuelle Situation der Bruderschaft. Hugolino-Gregor hat dies weder zu Lebzeiten des Franziskus, bei der Abfassung der Regula bullata von 1223, noch später begriffen. Eine weitere Frage, die dieser zweite Abschnitt der Bulle »Quo elongati« aufwirft, ist die, was mit den anderen Räten des Evangeliums, die in der Regel nicht ausdrücklich erwähnt sind, gemeint sei. Denn die Regel nennt ja bereits gleich am Anfang die drei »klassischen« evangelischen Räte: Gehorsam, Armut und Keuschheit. Mit den »anderen« Räten kann nichts anderes gemeint sein als die radikale Verwirklichung der paupertas und humilitas in der Selbstaufgabe und im Leiden, mit anderen Worten: Teilnahme und Nachvollzug der Passion und des Todes Christi im eigenen Leben. Daß der Papst dies nicht erwähnt, sondern nur diffus von »anderen Räten des Evangeliums« spricht (zu deren Einhaltung die Brüder sich niemals verpflichtet hätten!), ist kein Zufall oder Versehen, sondern Absicht. Die Brüder, die eben dabei sind, sich von dem »neuen« Lebensideal des Stifters abzusetzen, werden mit dem Hinweis auf das traditionelle mönchische Ideal der Weltverachtung, das ja an sich schon ein hinreichendes Opfer des Lebens sei, beruhigt. Was immer schon das Vorhaben Hugolinos und der Römischen Kurie war, scheint damit verwirklicht: die franziskanische Bewegung auf Rahmen und Niveau der alten Mönchsorden zu reduzieren. Es handelt sich hier nicht um das Zurückschneiden der ohnehin nicht realisierbaren radikalen und utopischen Auswüchse des Franziskanertums, unter Bewahrung von dessen wesentlichem Anliegen, auf das rechte vernünftige und katholische Maß durch die gütige Mutter Kirche, wie es oft in der Forschung dargestellt wird, sondern es ist der erste entschiedene (und letztlich erfolgreiche) Angriff eben dieser Kirche auf den eigentlich »franziskanischen« Lebensnerv der Bewegung. Im dritten Punkt der päpstlichen Bulle geht es um das Geld. Das vierte Kapitel der Regula bullata untersagte den Brüdern generell die Annahme von Geld, auch mittels einer dazu beauftragten Person.76 (Als Franziskus in seinem 76

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Testament den Rekurs zur Römischen Kurie untersagte, hatte er ebenfalls die Wahrnehmung eines solchen Geschäfts durch einen Zwischenträger – per interpositam personam – verboten.77) Mittlerweile gibt es längst De-factoBeauftragte des Ordens in Geldangelegenheiten,78 und es geht um deren kirchenamtliche Legalisierung, unter gleichzeitiger Beruhigung der Gewissen; denn es handelt sich ja um manifeste Regelverletzungen und Handlungen gegen den oft geäußerten und allgemein bekannten Willen des Franziskus. Der Papst gestattet den Brüdern, bei Käufen und Zahlungen einen Beauftragten (nuntius) in Anspruch zu nehmen und ihn den Geschäftspartnern zu präsentieren; dieser kann die für die Brüder bestimmten Almosen in Empfang nehmen und damit den Zahlungsverpflichtungen des Ordens nachkommen. Der Papst legt weiter fest, daß dieser von den Brüdern in Anspruch genommene Beauftragte nicht als deren Beauftragter zu gelten habe, obgleich er doch von den Brüdern den Geschäftspartnern präsentiert wird, sondern vielmehr als Beauftragter (Treuhänder) des Almosengebers oder des jeweiligen Geschäftspartners (Gläubigers).79 Mit der Institution des bargeldlosen Zahlungsverkehrs für die Minderbrüder ist somit dem Geldverbot des Ordensgründers formaljuristisch und dem äußeren Anschein nach Genüge getan; es wird ihm aber damit zugleich die bodenlose Naivität unterstellt, daß er mit denarii und pecunia nur das Geld im materiellen Sinn, also Münzen, Bargeld, gemeint habe. Daß ein Mann vom intellektuellen Rang Gregors IX. dieses heuchlerische Theater selbst ernst genommen hätte, ist schwer glaubhaft. Darauf läßt auch eine fast nebenbei hingeworfene Bemerkung schließen: »nisi iidem per se vel per proprios nuntios solvere maluerint«: falls sie, die Brüder, es bei einem Geschäft nicht doch vorziehen, durch sich (!) oder eigene Beauftragte die Zahlung vorzunehmen. Man sieht: der Papst hätte auch nichts gegen einen direkten, offenen Bruch des Geldverbots, das er, wie auch anderwärts zu erkennen ist, gewiß für blödsinnig gehalten hat. Die vierte Anfrage betrifft das Problem des gemeinsamen Besitzes. Zwar untersagte das sechste Kapitel der geltenden Regel eindeutig und unmißverständlich jegliche Form von unbeweglichem und beweglichem Eigentum der Bruderschaft.80 (Daß individueller Besitz ausgeschlossen ist, wird nicht eigens 77

S.o. Anm. 68. Gregor IX. umschreibt diese Tatsache so: Es gibt Gläubige, von denen die Brüder wissen, daß sie für die Bedürfnisse des Ordens Geld empfangen haben; bei Bedarf wird dieses Geld auch in Anspruch genommen; auf Seiten der Brüder besteht dennoch nicht die Ansicht, daß das Geld eigens für sie aufbewahrt wird und sie darüber wie über ein Guthaben verfügen können. 79 »Qui taliter presentatus a fratribus non est eorum nuntius, licet presentatus ab ipsis, sed illius potius, cuius mandato solutionem facit, seu recipientis eandem« (Grundmann, Bulle, 22). 80 »Fratres nihil sibi approprient nec domum nec locum nec aliquam rem« (Esser, Opuscula, 368). 78

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hervorgehoben, ist aber selbstverständlich). Überdies hatte Franziskus diesem Herzstück seiner forma vivendi noch eine ausführliche Begründung beigegeben: Die allerhöchste Armut hat ihren Grund darin, »daß der Herr sich für uns arm in dieser Welt gemacht hat«; die Armut ist das vom Herrn den Brüdern hinterlassene Erbe, auf Grund dessen sie ins Land der Lebendigen gelangen werden. Dennoch hat sich bereits die Redeweise eingebürgert, vom gemeinschaftlichen Besitz beweglicher Güter zu sprechen. Der Sprachgebrauch setzt das Vorhandensein der faktischen Mißachtung der Regel voraus. Die Maßnahme, die der Papst trifft und die er merkwürdigerweise mit der Sorge für das Seelenheil der Brüder und die Reinheit des gesamten Ordens begründet, besteht wiederum nur in einer formaljuristischen Sprachregelung, die den eingerissenen Zustand faktisch beim alten beläßt: Zwar wird das Verbot gemeinschaftlichen und privaten Besitzes erneut eingeschärft; doch sollen der Orden insgesamt und die Brüder das Nutzungsrecht (usus; Nießbrauch) ihrer beweglichen Utensilien und ihrer Bücher haben, während das Besitzrecht (dominium) der Grundstücke und Häuser bei den vormaligen Eigentümern verbleibt. Die Unterscheidung von usus und dominium ist, wie gesagt, rein fiktiv und formal. Es ist ja signifikant, daß der Papst nur bei den Immobilien von einem noch bestehenden dominium anderer spricht. Bei den Büchern und den einzelnen Gegenständen des Hausrats wäre die Fiktion eines De-iure-Besitzers überhaupt nicht mehr aufrecht zu halten. Die beweglichen Güter dürfen aber nicht verkauft oder nach außerhalb des Ordens verliehen werden, wenn nicht der Kardinal-Protektor, der hier ordinis gubernator genannt wird, dem Generalminister oder dem betreffenden Provinzialminister hierzu die Erlaubnis gibt. Damit ist schon die Auffassung angedeutet, die sich in der Folgezeit durchgesetzt hat: daß die vom Orden benutzten Güter Eigentum der Römischen Kirche seien. (Mit der Bulle »Ad conditorem canonum« vom 8. Dezember 1322 beseitigt schließlich der Papst Johannes XXII. auch diese Fiktion).81 Die übrigen fünf Punkte, in denen Gregor IX. Regelungen trifft, sind weniger gravierend. Sie gehen zum Teil auf neu eingetretene Verhältnisse ein, für die in der Regel, weil nicht vorhersehbar, keine Vorsorge getroffen worden war. Doch ist schon die Tatsache an sich, daß der Orden und seine Leitungsorgane selbst nicht mehr fähig waren, diese Probleme zu lösen, sondern hierfür der Papst bemüht werden mußte oder ihm doch Gelegenheit gegeben wurde, sich einzuschalten, ein Indiz für den Zerfallsprozeß, der wenige Jahre nach dem Tode des Stifters bereits in vollem Gange war. 81 Bullarium Franciscanum, ed. C. Eubel, 5,233–246; Corp. Iur. Can., ed. Friedberg, II,1225–1229; Helmut Feld, Die Anfänge der modernen biblischen Hermeneutik in der spätmittelalterlichen Theologie (Inst. für Europ. Gesch. Vorträge, 66), Wiesbaden 1977, 29f.; s.u. Kap. XI, bei Anm. 146–149!

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Im fünften Abschnitt geht es um die Beichtpraxis. Die Regel sah für den Fall der schweren Sünde eines Bruders die Absolution allein durch die Provinzialminister vor. An sie sollten sich die Delinquenten möglichst schnell wenden.82 Galt dies nur für die öffentlich bekannt gewordenen Vergehen oder generell für öffentliche und private Sünden? Der Papst entscheidet, daß der von Franziskus vorgesehene Weg der Absolution nur im Falle einer manifesten, öffentlichen Sünde zu beschreiten sei. Dem Generalminister wird die Auflage gemacht, erfahrene und diskrete Priester in ausreichender Zahl zu bestimmen, um den Brüdern die Beicht abzunehmen. Mit der Institution von Beichtvätern im Orden, die nicht zugleich auch Amtsträger sind, hat der Papst eine strikte Trennung des forum internum vom forum externum verfügt – eine vernünftige Maßnahme zweifellos, die allerdings eher der Juristenmentalität Gregors IX. als dem Geist des Franziskus entsprach. Denn für diesen war die Bruderschaft das eigentliche Bußinstitut, an das man sich im Falle schwerer Verfehlung wandte. Die Bruderschaft war in einem solchen Falle vertreten durch ihre Diener (ministri, custodes), ihre Oberen auf Zeit, die dem betreffenden Pönitenten eine Buße auferlegen konnten; eine Verweigerung der Absolution war dagegen nicht vorgesehen.83 Die rückhaltlose Offenlegung aller Vergehen vor der Gemeinschaft, die zweifellos dem Ideal des Franziskus entsprach, wurde vielleicht nur ganz am Anfang der Bewegung, im Kreis des Franziskus und seiner ersten Gefährten, praktiziert. Die bis 1223 gültige Regula non bullata betont noch sehr viel stärker die geistliche Funktion der Minister: ihre Aufgabe besteht darin, geistliche Ermahnung und Stärkung zu geben und sich der cura animarum der Brüder zu widmen.84 Doch sollten die Brüder auch damals schon ihre Sünden im Regelfall bei den Priestern des Ordens beichten; war dies nicht möglich, so konnten sie sich auch an »andere diskrete und katholische Priester« wenden.85 Das neunte Kapitel der Regula bullata sah vor, daß die Predigterlaubnis für die Brüder ausschließlich von dem Generalminister, nach vorausgegangener Prüfung, zu erteilen sei.86 Das war genau das Verfahren, das bei dem ersten 82

Regula bullata, c. 7 (Esser, Opuscula, 369). »Ipsi vero ministri, si presbyteri sunt, cum misericordia iniungant illis poenitentiam; si vero presbyteri non sunt, iniungi faciant per alios sacerdotes ordinis, sicut eis secundum Deum melius videbitur expedire. Et cavere debent, ne irascantur et conturbentur propter peccatum alicuius, quia ira et conturbatio in se et in aliis impediunt caritatem« (ebd.). Vgl. auch Epistola ad quendam ministrum (ebd. 232f.): ». . sed magnam misericordiam habeant circa ipsum et teneant multum privatum peccatum fratris sui. . . Similiter per obedientiam teneantur eum mittere custodi suo cum socio. Et ipse custos misericorditer provideat ei, sicut ipse vellet providere sibi, si in consimili casu esset. . . Et isti penitus non habeant potestatem iniungendi aliam poenitentiam nisi istam: Vade et noli amplius peccare.« 84 Regula non bullata, c. 4 (Esser, Opuscula, 380f.). 85 Regula non bullata, c. 20 (ebd. 394). 86 Esser, Opuscula, 370. 83

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Aufenthalt des Franziskus an der Kurie, in den Gesprächen mit Innocenz III., festgelegt worden war.87 Die Anfrage des Ordens an Gregor ging nun dahin, ob der Generalminister die Vollmacht zur Prüfung und Erteilung der Predigterlaubnis an andere erfahrene Mitglieder des Ordens delegieren könne. Als Grund dafür werden die Beschwernisse der Reise angegeben,88 die die Betreffenden auf sich nehmen müssen, um aus den verschiedenen Provinzen zum Generalminister zu gelangen. Gregor IX. legt fest, daß weiterhin nur der Generalminister zuständig ist für die Erlaubnis zu predigen. Diejenigen, die dieser Erlaubnis bedürfen, sollen entweder eigens zu ihm geschickt werden oder mit ihren Provinzialministern zusammen zum Generalkapitel kommen (um bei dieser Gelegenheit ihre Prüfung abzulegen und die Predigterlaubnis zu erlangen). Die eigentliche Neuerung folgt aber nun: der Papst stellt nämlich fest, daß es Ordensmitglieder gibt, die überhaupt keiner solchen Prüfung bedürfen, weil sie an einer theologischen Fakultät studiert haben und für das Predigtamt ausgebildet sind; sie dürfen, wenn sie alt genug dazu sind, predigen, wenn nicht der Generalminister ausdrücklich Einspruch dagegen erhebt.89 Selbst in der Regel von 1223 sind noch immer die Verhältnisse der Frühzeit der Bewegung vorausgesetzt: die Mehrzahl der wandernden Bußprediger waren Laien. Theologisch ausgebildete Kleriker waren anfänglich die Ausnahme und sicher bis zur ersten Hälfte der zwanziger Jahre – wenn nicht sogar noch länger – eine Minderheit im Orden. Franziskus war wohl der Meinung, daß seine sparsame Gesetzgebung für Laien und Kleriker gleichermaßen ausreichte, womit er sich aber täuschte: denn die Kleriker unterstanden ja bereits dem umfassenderen kanonischen Recht, das nach Ansicht der kurialen Juristen (und Hugolino-Gregor war ein solcher!) im Falle der Kollision das nachgeordnete Ordensrecht außer Kraft setzte. Ein derartiger Fall war gegeben, wenn es um die Befugnis zu predigen bei einem Bruder ging, der bereits Kleriker war. Es ist aber bemerkenswert, daß für den Papst nicht so sehr die Frage im Vordergrund steht, ob es sich um einen Kleriker handelt oder nicht, sondern ob der Betreffende seine Ausbildung an einer theologischen Fakultät erhalten hat. Dies entspricht der hohen Wertschätzung, die Gregor IX. für die wissenschaftliche Theologie hatte90 – eine Mentalität, die in totalem Gegensatz zu der des Franziskus steht.91 Mit der zunehmenden Klerikalisierung des Ordens 87 88

S.o. IV. Kap., bei Anm. 141. »pro laboribus fratrum et periculosis discursibus evitandis« (Grundmann, Bulle,

23). 89 »Si qui vero examinari non egent pro eo, quod in theologica facultate et predicationis officio sunt instructi, si etatis maturitas et alia, quae requiruntur in talibus, conveniant in eisdem, possunt nisi quibus minister generalis contradixerit, eo modo quo dictum est populo predicare« (ebd.). 90 S.o. Anm. 23!

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wurden die Konfliktfälle zwischen franziskanischem Ideal und Kirchenrecht häufiger, bis schließlich das letztere sich nahezu vollständig durchsetzte. In den letzten drei Abschnitten der Bulle »Quo elongati« erläßt der Papst Bestimmungen für das Aufnahme- und Ausschlußverfahren im Orden, den Teilnehmerkreis des Generalkapitels und das Betreten der Frauenklöster. Neue Mitglieder in den Orden aufnehmen dürfen außer dem Generalminister nur die Provinzialminister, nicht aber deren Vikare, während sie abwesend sind; denn die Provinzialoberen üben in diesem Fall selbst nur eine delegierte Befugnis aus, die sie nicht ihrerseits weiterdelegieren dürfen. Schon in der Regula bullata hatte sich Franziskus genötigt gesehen, den Teilnehmerkreis an den alle drei Jahre zu Pfingsten stattfindenden Generalkapiteln auf die Provinzialminister und die Custoden der einzelnen Niederlassungen zu beschränken.92 Die Ordensleitung hatte nunmehr, wahrscheinlich auf dem vorausgegangenen Generalkapitel von 1230, beschlossen, daß die Custoden einer Provinz nur einen gemeinsamen Vertreter zusammen mit dem Provinzialminister zum Kapitel senden sollten. Der Papst billigt diese Regelung. Was den Zugang zu Frauenklöstern betraf, so enthielt die Regel die strenge Bestimmung, daß hierzu nur diejenigen befugt waren, die eine besondere Erlaubnis des Apostolischen Stuhls hatten.93 Der Papst erläutert diesen Punkt mit der Feststellung, daß es sich um ein generelles Verbot des Betretens der inneren Gebäude (Klausur) eines Nonnenklosters handelt; in den Räumlichkeiten dagegen, zu denen auch Laien Zutritt haben, können sich die Brüder aufhalten, um zu predigen oder Almosen zu erbitten. Für die Klöster der »armen eingeschlossenen Nonnen« (Klarissen) aber ist auch das letztere nur mit spezieller Genehmigung des Apostolischen Stuhls gestattet.

4. »Bruder« Kardinal und Bruder »Einfaltspinsel« Die Haltung, die Gregor IX. der franziskanischen Bewegung gegenüber, ausgestattet mit der Autorität des obersten kirchlichen Gesetzgebers, eingenommen hat, ist eine folgerichtige Fortsetzung des zweideutigen und überaus 91 Vgl. dazu insbesondere das 19. Kapitel der Regula non bullata (o. Kap. V, Anm. 55)! Die Predigtweise des Franziskus selbst war schon dem Kardinal Hugolino nicht geheuer (s.o. V. Kap., bei Anm. 40–49). Bei seiner Kritik an Eduard Lempp hat Grundmann (Bulle, 18) übersehen, daß auch der von ihm emendierte Text von »Quo elongati« die Tendenz hat, die »einfältige« Laienpredigt im Stil des Franziskus und Ägidius zurückzudrängen und die gelehrte und vor allem rechtgläubige Predigt wissenschaftlich ausgebildeter Theologen im Orden zu fördern. Lempp hat, obwohl er einen fehlerhaften Text der Bulle vor sich hatte, dennoch sachlich das Richtige gesehen: Antonius von Padua. III. Das Leben und Wirken. ZKG 13 (1892), 1–46; ebd. 11f. 92 Reg. bull. c. 8 (Esser, Opuscula, 369). 93 Reg. bull. c. 11 (ebd. 370f.); vgl. u. X. Kap., bei Anm. 146.

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raffinierten diplomatischen Spiels, das er schon als Kardinal mit Franziskus getrieben hatte. Sein Ziel war zu allen Zeiten das gleiche: nämlich der Bewegung ihre radikale, für das herrschende Kirchensystem und die Orthodoxie gefährliche Spitze zu nehmen, nichtsdestoweniger aber ihren Elan und die Lebenskraft ihrer zahlreichen Mitglieder in den Dienst der Römischen Kurie zu stellen. Bei allen länger dauernden Begegnungen Hugolinos mit Franziskus, von denen die Quellen berichten,94 wird der fundamentale Gegensatz in den Anschauungen beider und der latente, von äußeren Höflichkeits- und Demutsgebärden nur mühsam überdeckte Konflikt erkennbar. Schon bei der ersten näheren Kontaktaufnahme der beiden, im Sommer des Jahres 1217 in Florenz,95 stellt sich der Kardinal einem Plan des Franziskus entgegen, der für diesen von großer Bedeutung und im übrigen durch eine göttliche Willensoffenbarung sanktioniert war. Während es Thomas von Celano gelingt, die gegensätzlichen Standpunkte Hugolinos und Franziskus’ in einem wahren Wust erbaulichen Geschwätzes nahezu völlig verschwinden zu lassen, legt die Legenda Perusina die Intentionen beider und deren profunden und unüberbrückbaren Gegensatz offen – wenn auch der von ihr wiedergegebene Dialog in seinem Wortlaut fiktiv sein dürfte. Wie beide Quellen übereinstimmend berichten, hatte Franziskus damals die Absicht, sich mit einigen Gefährten nach Frankreich zu begeben. Nach der Legenda Perusina hatte er dieses Land als zukünftiges Wirkungsfeld für sich selbst ausgesucht, nachdem er zuvor mit den Brüdern sorgfältige Überlegungen angestellt und im Gebet den Willen Gottes erforscht hatte.96 Franziskus reiste also, wie er 94 Edith Pa´sztor hat die Berichte über insgesamt acht Begegnungen zusammengestellt und analysiert: San Francesco e il Cardinale Ugolino nella »Questione Francescana«. Coll. Fr. 46 (1976), 209–239. 95 I Cel 74f. (Anal. Fr. 10,55f.); Leg. Per. 108 (ed. Bigaroni, 330–341). Es war wohl nicht die erste Begegnung überhaupt zwischen Hugolino und Franziskus. Vermutlich kannte der Kardinal Franziskus spätestens seit 1215, wenn nicht schon seit dessen erstem Aufenthalt an der päpstlichen Kurie im Jahre 1209. Auch Thomas von Celano behauptet nicht, daß sie sich in Florenz zum ersten Mal begegnet seien, sondern nur, daß sie sich damals näher kennenlernten: »Cum enim tempore quodam dominus iste legatione, sicut saepe solebat, pro Sede Apostolica in Tuscia fungeretur, beatus Franciscus, non multos adhuc fratres habens et volens in Franciam ire, devenit Florentiam, ubi iam tunc dictus episcopus morabatur. Nondum alter alteri erat praecipua familiaritate coniunctus, sed sola fama beatae vitae mutua eos et affectuali iunxerat charitate«; zutreffend E. Pa´sztor: »il che non esclude precedenti contatti« (o.c. 210). 96 »Et ait illis: ›Ite ergo et orate Dominum, ut det michi eligere illam provinciam, que sit magis ad laudem Domini et ad profectum et salutem animarum et nostre religionis bonum exemplum.‹ Nam mos erat sanctissimi patris, non solum cum ad longinquam provinciam iret ad predicandum, set etiam cum iret per adiacentes provincias, orare Dominum et fratres ad orandum mittere, ut ubicumque esset melius secundum Deum, Dominus dirigeret cor suum ad ambulandum illuc. Iverunt ergo fratres ad orationem et, oratione finita, reversi sunt ad eum« (Leg. Per. 108; ed. Bigaroni, 330).

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überzeugt war, nicht aufgrund seines eigenen Entschlusses nach Frankreich, sondern weil ihn der Herr dorthin sandte. Als Hugolino von seinem Vorhaben erfuhr, untersagte er ihm die Weiterreise unter Hinweis auf mögliche Intrigen, die während seiner Abwesenheit von Italien am päpstlichen Hof gegen den Orden gesponnen werden könnten. Als er aber vom heiligen Franziskus hörte, daß er nach Frankreich gehen wolle, da verbot er ihm, dorthin zu gehen, und sagte: »Bruder, ich will nicht, daß du auf die andere Seite der Berge ziehst. Denn es gibt viele Prälaten und andere, die das Wohl deines Ordens an der Römischen Kurie gern behindern möchten. Ich aber und die anderen Kardinäle, die deinen Orden lieben, protegieren und unterstützen ihn lieber, wenn du im Umkreis dieser Landschaft bleibst.« Da sagte der heilige Franziskus zu ihm: »Herr, ich muß mich sehr schämen, wenn ich meine Brüder in entfernte und weit abliegende Landschaften geschickt habe, selbst aber hier in diesen Gegenden bleibe.« Der Herr Bischof antwortete ihm, ihn gewissermaßen widerlegend: »Warum hast du denn deine Brüder so weit weggeschickt und sie damit dem Hungertod und anderen Schwierigkeiten ausgeliefert?« Der heilige Franziskus antwortete ihm mit großer innerer Erregung und in prophetischem Geist: »Herr, meint oder glaubt Ihr, der Herr habe die Brüder nur wegen dieser Gegenden hier gesandt? Ich versichere Euch vielmehr wahrheitsgemäß, daß der Herr die Brüder auserwählt und gesandt hat zum Nutzen und Heil der Seelen aller Menschen auf der ganzen Welt, und sie werden nicht nur im Land der Gläubigen, sondern auch der Ungläubigen aufgenommen werden. Und wenn sie das einhalten, was sie dem Herrn versprochen haben, wird der Herr ihnen seinerseits das Notwendige zur Verfügung stellen im Land der Ungläubigen wie im Land der Gläubigen.« Und der Herr Bischof wunderte sich über seine Worte und versicherte, was er sage, sei richtig. Und so ließ ihn der Herr Bischof nicht nach Frankreich gehen. Doch der heilige Franziskus sandte Bruder Pacificus mit anderen Brüdern dorthin; er selbst kehrte ins Tal von Spoleto zurück.

Man muß dieses Gespräch und seinen Hintergrund sorgfältig analysieren, um voll zu ermessen, was hier vorgeht. Denn die Hauptsachen stehen – wie so häufig in den franziskanischen Quellen – in Andeutungen, beiläufigen Bemerkungen und zwischen den Zeilen. So ist die Frage Hugolinos an Franziskus, warum er seine Brüder in weit entfernte Regionen entsandt habe, von abgründiger Bosheit; sie unterstellt Franziskus, daß er leichtfertig mit dem Leben seiner Gefährten umgegangen sei und zeigt das bare Unverständnis des Kardinals für eines der zentralen Anliegen des Franziskanertums: die Weltmission. Außerdem ist die Frage ein Angriff auf die tiefste Glaubensüberzeugung des Franziskus: daß der Herr selbst für den Lebensunterhalt seiner Armen Sorge trägt. Die heftige Erregung, mit der Franziskus auf diese Unverschämtheit reagiert, ist durchaus begreiflich. Freilich erreicht er damit überhaupt nichts. Bei dem Großpriester provoziert er nur eine umso kühlere und zynische Gegenreaktion: Hugolino gibt ihm verbal recht – und beendet damit

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die Diskussion! – und erlaubt ihm trotzdem nicht, nach Frankreich zu gehen. Was aber war der eigentliche Grund für die Ablehnung? In dem Kapitel der Legenda Perusina, in dem das Gespräch steht, ist ausführlich die Rede von der besonderen Ehrfurcht, die Franziskus gegenüber dem Corpus Christi hatte und die er auch innerhalb seines Ordens kultiviert wissen wollte. Er gibt als Grund seiner Reise nach Frankreich an, daß dort ein katholisches Volk wohne, das mehr als die anderen Katholiken der heiligen Kirche eine große Verehrung für den Leib des Herrn habe.97 Wollte er wirklich nur auf die andere Seite der Alpen gehen, um sich am Glauben der Franzosen an die Eucharistie zu erbauen? Im Gespräch mit dem Kardinal Hugolino erwähnt er zweimal das Land der Ungläubigen. Man braucht nicht ausschweifend zu spekulieren, um zu vermuten, daß es bei der Auseinandersetzung um den Reiseplan des Franziskus untergründig um die Berührung mit den Katharern Südfrankreichs ging, von deren Welt- und Erlösungslehre er zweifellos beeinflußt war, von der er sich aber doch wiederum radikal unterschied und abgrenzte.98 Wenn Franziskus nach Frankreich gehen wollte, um den Katharern seine Auffassung vom Corpus Christi nahezubringen oder zu demonstrieren, dann wollte Hugolino gerade nicht, daß Franziskus mit den Häretikern zusammenkam, da er in bezug auf dessen theologische Ansichten von einem doch wohl nicht unbegründeten Mißtrauen erfüllt war. Daß Hugolino das Abendmahlsverständnis des Franziskus beargwöhnte, wird auch deutlich in der schon erwähnten Episode vom Festessen im Hause des Kardinals.99 Die Legenda Perusina bemerkt, daß einige der Teilnehmer an dem Gastmahl ihre Hochmützen abnahmen, als Franziskus an sie die soeben auf der Straße erbettelten Brotstücke austeilte, »aus Verehrung für den heiligen Franziskus«. Der nächste Satz zeigt aber, um was für eine Verehrung es wirklich ging: »Da freute sich der Herr Bischof wegen ihrer Verehrung, hauptsächlich weil die Almosen nicht aus Weißbrot bestanden.« Genau so wie bei dem letzten Mahl, das er nach dem Vorbild Jesu kurz vor seinem Tod mit seinen Gefährten hielt,100 hat Franziskus mit dem Austeilen der Brotstücke eine seiner zahlreichen quasi-sakramentalen Zeichenhandlungen vollzogen. Er wollte damit an die Erniedrigung des Sohnes Gottes in der Inkarnation und an 97 »In nomine Domini nostri Iesu Christi et eius gloriosae Virginis matris et omnium sanctorum eligo provinciam Frantie, in qua est catholica gens, maxime quia inter alios catholicos sancte Ecclesie reverentiam magnam exhibent Corpori Christi: quod michi plurimum gratum est. Propter quod libentius cum illis conversabor« (Leg. Per. 108; ed.c. 332). 98 Vgl. Admonitio I über das Corpus Domini: Ungläubig (und deshalb verdammt) sind diejenigen, die nicht glauben, daß unter den Species von Brot und Wein wahrhaftig Leib und Blut des Herrn gegenwärtig sind (Esser, Opuscula, 106f.). 99 II Cel 73; Leg. Per. 97 (ed. Bigaroni, 284–288); s.o. V. Kap., bei Anm. 27–29. 100 II Cel 217; Leg. Per. 22 (ed. Bigaroni, 64); s. auch o. VII. Kap., bei Anm. 68. 129.

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dessen Leben in Armut erinnern, das nach seiner Auffassung für jeden einzelnen Christen, aber auch für die Kirche und ihre Prälaten, Modell und Vorbild (forma et exemplum) sein sollte. Hugolino, dem die eigentümlichen Anschauungen des Franziskus sehr wohl bekannt waren, freute sich vor allem, daß es sich bei den ausgeteilten Brotresten um Schwarzbrot, nicht um Weißbrot handelte und so eine Verwechslung mit der sakramentalen Kommunion ausgeschlossen war. (Daß die Teilnehmer anders dachten, zeigt das ehrfürchtige Abnehmen der Hochmützen). Der folgende Dialog auf dem Zimmer des Kardinals, mit Umarmung und Anrede (»Mein Bruder Einfaltspinsel!«), zeigt ein Zweifaches: 1. daß Hugolino das Hauptanliegen des Franziskus und vor allem dessen Nicht-Konformität mit seinen eigenen Vorstellungen von Kirche sehr wohl erkannt und durchschaut haben muß; 2. daß er immer wieder den Versuch unternahm, Franziskus und seine Bewegung, unter Zurückdrängung von deren extremen Idealen, in die ihm genehmen und dem herrschenden kurialen Kirchensystem zuträglichen Bahnen zu lenken. Insbesondere gehören hierzu auch die wiederholten Versuche, bereits zu Lebzeiten des Heiligen das Ideal der gemeinschaftlichen Armut zu unterlaufen und der Bewegung eine der »bewährten« mönchischen Lebensformen aufzuschwatzen. Das 18. Kapitel der Legenda Perusina schildert eindrucksvoll, wie Franziskus sich auf einem Generalkapitel (1218 oder 1219) einer derartigen, von den »gelehrten« Brüdern im Verein mit Hugolino unternommenen Attacke, unter Berufung auf die hinter ihm stehende göttliche Autorität, noch einmal mit Erfolg widersetzte.101 Daß Hugolino das gleiche Ziel auch durch Schaffung vollendeter Tatsachen zu erreichen versuchte, zeigt die Episode des in Bologna für die dortigen Brüder erbauten (Studien-?) Hauses. Als Franziskus von der Existenz des Hauses erfuhr und die dort wohnenden Brüder hinauswerfen ließ, erklärte der Kardinal öffentlich, das Haus sei sein Eigentum. Die Brüder erhielten darauf die Erlaubnis, dorthin zurückzukehren. Thomas von Celano, der (entgegen der häufig in der Litatur geäußerten Meinung) doch wohl selbst zu den damals betroffenen Kranken gehörte,102 gibt sich alle Mühe, in seiner Darstellung den schon nicht mehr latenten Konflikt zwischen Franziskus und Hugolino zu verschleiern. Die Haltung, die Hugolino zu Lebzeiten des Franziskus gegenüber diesem selbst und seinen wichtigsten Intentionen eingenommen hat, ist der Hintergrund, auf dem die in der Bulle »Quo elongati« angeordneten Maßnahmen zu verstehen und zu interpretieren sind. Deshalb ist die seit Walter Goetz103 101

S.o. V. Kap., bei Anm. 37! II Cel 58 (Anal. Fr. 10,166). »Testimonium perhibet et scribit [!] haec ille, qui tunc de domo aegrotus eiectus fuit.« Zu der Episode vgl. auch: Helmut Feld, Franziskus von Assisi: Der »zweite Christus« (Institut für Europ. Geschichte. Vorträge, 84), Mainz 1991, 33f. 102

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und Hilarin Felder104 immer wieder, insbesondere von Forschern aus den franziskanischen Orden, vertretene Auffassung, das ursprüngliche Ideal des Franziskus sei von Gregor IX. unter Bewahrung des Wesentlichen lediglich den Erfordernissen der Wirklichkeit angepaßt worden, abwegig. Aber auch Kurt-Viktor Selges Vorstellung von einem Hugolino, der als Kardinal der Römischen Kirche zwar deren Interessen wahrte, letztlich aber doch pflichtbewußt und streng rechtlich dachte, ist kaum zutreffend.105 Selge unterschätzt auch die Tiefe und Unversöhnlichkeit des Gegensatzes zwischen beiden Auffassungen, wenn er meint, »daß Franz sich, wie zu seinen Lebzeiten, den Vorstellungen des Papstes und dem Hinweis auf gewisse Notwendigkeiten des Ordenslebens nicht verschlossen hätte.«106 Was für ihn und seine Gemeinschaft notwendig war, wußte Franziskus durch die Offenbarung Gottes, und wie er sich zu Lebzeiten gegenüber »vernünftigen« Zumutungen Hugolinos und anderer verhalten hat, haben wir gesehen. Hugolino hat auch zu keiner Zeit einen Erkenntnisprozeß durchgemacht, im Verlauf dessen er sich dem Standpunkt des Franziskus angenähert hätte, wie es Edith Pa´sztor in ihrer Interpretation der Episode vom Gastmahl im Hause des Kardinals annimmt.107 Wenn der Kardinal und dessen kuriale Umgebung sich bei dieser und anderen Gelegenheiten von den Auffassungen des Franziskus und dem asketisch strengen Leben der Minderbrüder »sehr erbaut« zeigen (multum inde fuerunt hedificati!), so hat das in keinem Fall irgendwelche praktischen Folgen von Dauer. Einmal besuchte der Kardinal mit einem großen Gefolge von Rittern, Mönchen und anderen Klerikern den Kon103 W. Goetz, Die ursprünglichen Ideale des hl. Franz von Assisi. Hist. Vierteljahrsschr. 6 (1903), 19–50, und in: Ders., Italien im Mittelalter, Leipzig 1942, I,125–160. 104 H. Felder, Die Ideale des hl. Franziskus von Assisi, Paderborn 1923; 41935. 105 K.-V. Selge, Franz von Assisi und Hugolino von Ostia, in: San Francesco nella ricerca storica degli ultimi ottanta anni (Convegni del Centro di Studi sulla spiritualita` medievale, IX, 13–16 ott. 1968), Todi 1971, 157–222; bes. 221f. »Insgesamt muß man sagen, daß Gregor IX. in ›Quo elongati‹ nicht dem Willen des Franz hat widersprechen wollen. Er hat den Willen des Franz nur von einer juristischen und theologischen Betrachtungsweise her, die nicht die des Franz war, gedeutet. Er hat den hierarchischen und zentralistischen Charakter der Ordensverfassung, den er selbst mit auszubilden geholfen hat, kräftig betont auf Kosten des mehr durch den Inhalt der Vita evangelii bestimmten, darin fest gebundenen, aber zugleich juristisch freieren, geistlichen Verfassungsbegriffs des Franz« (ebd. 219f.). 106 Ebd. 220. 107 »Nella struttura dell’episodio, il cardinale Ugolino assume un duplice atteggiamento, in quanto ad una sua iniziale incomprensione dell’azione di Francesco, segue un altra, in cui egli risulta non solo convinto, ma anche edificato dalle parole del santo«: Pa´sztor, San Francesco (o. Anm. 94), 226. Wichtig für eine Beurteilung der Stellung, die Gregor-Hugolino dem franziskanischen Ideal gegenüber eingenommen hat, ist auch sein Verhältnis zu Klara von Assisi und dem Orden der »Armen Damen«; s. darüber u. X. Kap., bei Anm. 138–145!

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vent bei der Portiuncula-Kirche. Als er die armseligen Schlafstätten der Brüder auf dem Boden sah, da brach er vor allen Anwesenden in Tränen aus und sagte:108 Sieh an, hier schlafen die Brüder! Wir Elenden aber benutzen in allem so viele überflüssige Dinge! Was wird aus uns werden?

Mit Hugolino sind alle Anwesenden tief erschüttert und zu Tränen gerührt. Beim Anblick des elenden Lebens der Minoriten packt sie das Gefühl ihres eigenen moralischen Elends, doch trägt keiner von ihnen Verlangen danach, das apostolische Leben der Brüder zu teilen. Ihre Rührung und Erbauung ist ein rasch vorübergehendes Seelenbad. Auch Hugolino ist ernsthaft nie in Versuchung gekommen, »mit Franz der frater Hugolino« zu werden.109 Sein gelegentliches Franziskanertum auf Zeit, von dem neben Thomas von Celano auch der heilige Bonaventura zu berichten weiß,110 ist wohl nicht anders zu bewerten, als wenn in unserer Zeit Glieder der macht- und kapitalbefrachteten Oberschicht gelegentlich das »einfache Leben« im »Kloster auf Zeit« erproben: nämlich als eine Art psychischer Hygiene.

108 Leg. Per. 74 (ed. Bigaroni, 202); II Cel 63 (Anal. Fr. 10,168f.); dazu Pa´sztor, San Francesco, 233f. 109 Vgl. Selge, Franz von Assisi (o. Anm. 105), 222! 110 I Cel 99 (s.o. bei Anm. 13); Bonaventura, De S. Patre Nostro Francisco Sermo II, in: Opera omnia IX, Quaracchi 1901, 577a; FF 2698.

IX. KAPITEL

BRUDER ELIAS VON CORTONA UND DER BAU DER GRABESKIRCHE SAN FRANCESCO IN ASSISI Bruder Elias, schon zu Lebzeiten des Franziskus von diesem selbst als sein Nachfolger im Amt des Generalministers eingesetzt, errichtete im Auftrag Gregors IX. ab 1228 die prachtvolle Grabeskirche des Heiligen und den bei ihr gelegenen nicht weniger repräsentativen Konventbau auf der westlichen Verlängerung des Hügels, auf dem die Stadt Assisi liegt. Nachdem kurz vor Pfingsten des Jahres 1230 die Gebeine des Franziskus dorthin übertragen worden waren, wurde die Kirche zur zentralen Kultstätte des Heiligen und zur Hauptkirche des Franziskanerordens. Der Bau selbst und die näheren Umstände seiner Errichtung stehen in diametralem Gegensatz zu den Auffassungen und Intentionen des Franziskus. Wie Elias äußerlich die Bestattung des Heiligen organisiert hat, so hat er auch, in Übereinstimmung mit dem Papst, die Liquidierung der ursprünglichen forma vivendi der Bruderschaft betrieben. Bei den radikalen Anhängern des Franziskus und Befürwortern der wortgetreuen Befolgung der Regel, den sogenannten Zelanti, galt er deshalb von jeher als der Totengräber par excellence des ursprünglichen franziskanischen Ideals und Zerstörer der strengen Ordensdisziplin. Bis auf den heutigen Tag wirkt Elias polarisierend, und es entzünden sich an ihm, wie im 13. Jahrhundert, die Gegensätze der einzelnen Orden der sogenannten »franziskanischen Familie«, wissenschaftlicher Richtungen und sogar mittelitalienischer Städte. Ebenso wie Gregor IX., der Papst, der ihn erst protegierte und förderte und dann exkommunizierte, widersetzt sich Elias aufgrund seines komplexen Charakters und seiner vielfachen Wirksamkeit einer eindeutigen Einordnung und historischen Simplifikation. In der neueren Forschung setzten denn auch, vor allem seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts, anläßlich der Fünfhundert-Jahr-Feier seines Todes, intensive Bemühungen ein, Elias gerechter zu werden und ihn in seiner Bedeutung für die Frühgeschichte des Franziskanertums und die religiösen und kulturellen Folgen zu würdigen.1 Seit dem 1 S. vor allem: Salvatore Attal, Frate Elia Compagno di S. Francesco, Roma s.a.[1936]; Genova 21953; G. Odoardi, Un geniale figlio di S. Francesco: Frate Elia di Assisi, nel settimo centenario della sua morte. Misc.Fr. 54 (1954), 90–139; Ders., S. Francesco e la sua basilica. Frate Elia e Gregorio IX nella traslazione del 1230. Misc. Fr.

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Jahre 1953 erinnert eine links vom Doppelportal der Unterkirche S. Francesco in Assisi angebrachte Inschrift daran, daß »Bruder Elias von Assisi« der Erbauer der Grabeskirche des Heiligen ist; die Stadt Assisi reklamiert also hier Elias als ihren Sohn.2 In den Jahren 1245–1253 hat Elias, als von den Päpsten Gregor IX. und Innocenz IV. Exkommunizierter, in Cortona eine zweite monumentale städtische Franziskanerkirche mit großem Konventbau errichtet. Auch die Stadt Cortona erhebt Anspruch, Heimat des großen Franziskaners zu sein, und diese Hypothese hat in den letzten Jahren in Domenico Basili OFM Conv. ihren energischen und nicht selten auch polemischen Verfechter gefunden.3 Auch andere Details der »äußeren« Biographie des Elias sind bis heute in der Forschung umstritten, z.B. ob er das Amt des Generalministers einmal oder zweimal innehatte. Dies ist vor allem auf die Quellenlage zurückzuführen, die in seinem Falle noch schwieriger ist als bei Hugolino-Gregor IX. Vor größere Probleme stellt seine »innere« Biographie, wozu z.B. die Frage nach 82 (1982), 116–137; A. Pompei, Frate Elia d’Assisi nel giudizio dei contemporanei e dei posteri. Misc. Fr. 54 (1954), 539–635; S. Clasen, Art. Elias von Cortona, in: LThK2 3 (1959), 811f.; L. Di Fonzo, Art. Elie d’Assise, in: DHGE 15 (1960), 167–183; »on peut dire, qu’il demeure la figure la plus discute´e des premiers temps du franciscanisme et meˆme de toute l’histoire franciscaine« (ebd. 167); Primo Dallari, Frate Elia architetto della Basilica di Assisi e di Cortona (nel primo sviluppo del francescanesimo nell’ultima lotta del sacro Romano Impero), Milano s.a.[1970]; Ders., Il dramma di Frate Elia. Primo organizzatore del movimento francescano e ispiratore del Rinascimento, Milano 1974; Giulia Barone, Frate Elia. Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo 85 (1974/75), 89–144; Dieter Berg, Elias von Cortona. Studien zu Leben und Werk des zweiten Generalministers im Franziskanerorden. Wiss. Weish. 41 (1978), 102–126. Von der älteren Literatur sind wichtig: Eduard Lempp, Fre`re E´lie de Cortone. E´tude biographique, Paris 1901; Luigi Mirri, Frate Elia da Cortona. Profilo storico. Misc. Fr. 31 (1931), 89–95; 175–187; 233–243; R.M. Huber, Elias of Cortona. Cath. Hist. Rev. 22 (1936/37), 395–408. 2 Die Inschrift hat folgenden Wortlaut: TEMPLUM HOC – JUSSU ET MUNIFICENTIA GREGORII PAPAE IX EXCITATUM / – IPSIUSQUE PONTIFICIS PRAESENTIA PRIMARIUM LAPIDEM JACIENTIS / XVI KAL. AUG. MCCXXVIII CONDECORATUM – AB EODEMQUE CAPUT ET MATREM / ORDINIS FRATRUM MINORUM X KALENDAS MAJI MCCXXX CONSTITUTUM / FRATER HELIAS DE ASSISIO / QUEM B. FRANCISCUS LOCO MATRIS ELEGERAT SIBI ET ALIORUM FRATRUM / FECERAT PATREM MAGNO ANIMI IMPULSU SUMMAQUE INGENII VIRTUTE / MIRIFICE AEDIFICAVIT / –SEPTIMO EXPLETO SAECULO AB OBITU PRAECLARI FRANCISCALIS VIRI / PATRIA CONFRATRES CULTORES VERI POSUERE / X KAL. MAI: MCMLIII / MEMORIAE ERGO. Die Inschrift zitiert die Bulle Gregors IX. »Is, qui Ecclesiam« vom 22. April 1230: »In primis siquidem statuentes, ut Ecclesia ipsa nisi Romano Pontifici sit subiecta; et vestri Ordinis, cuius Institutor et Pater exstitit Confessor praedictus, Caput habeatur et Mater; ac in ea per Fratres eiusdem Ordinis perpetuo serviatur« (Bull. Fr. ed. Sbaralea, 1,60); und I Cel 98: »frater Helias tandem, quem loco matris elegerat sibi et aliorum fratrum fecerat patrem« (Anal. Fr. 10,75). 3 Die Titel der anonym veröffentlichten Schriften Basilis s.o. Kap. I, Anm. 26.

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seiner Bedeutung für das Entstehen der späteren Hauptrichtungen des Ordens, der laxeren (»Kommunität«) und der radikaleren (»Zelanti«, »Spiritualen«) Richtung gehört. Es kann gar kein Zweifel sein, daß Elias eine Persönlichkeit von überragenden Fähigkeiten war. Dafür zeugt nicht nur das Vertrauen, das Franziskus in seine organisatorischen und administrativen Talente setzte, sondern auch die vielfältigen und schwierigen Aufgaben, mit denen er später sowohl vom Papst wie vom Kaiser betraut wurde. Ein Beweis für sein politisches Geschick ist allein schon die Tatsache, daß der Kaiser Friedrich II. ihn, nach seiner Absetzung als Generalminister, mit einer wichtigen Mission in den Orient, zu den rivalisierenden Kaisern Balduin II. und Johannes III. Vatatius (Vatatzes) entsandte. Elias brachte von dieser Mission die berühmte Kreuzesreliquie mit, die noch heute in einem kostbaren Schrein über dem Hochaltar der Kirche S. Francesco zu Cortona aufbewahrt wird.4 Die hervorragenden geistigen und charakterlichen (!) Fähigkeiten des Elias rühmen im übrigen auch ihm weniger günstig gesonnene Quellen.5

1. Herkunft und Jugendzeit Die Frage, ob Elias in Assisi oder Cortona geboren wurde, wird sich kaum je mit letzter Sicherheit klären lassen. Für Cortona sprechen einige gute Grün4

S. dazu u. bei Anm. 165. So Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. VI (ed. Little, 29): »Quis in universo Christianitatis orbe vel gratiosior vel famosior quam Helias?«; Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,217): »Qui fuit vir adeo sapientia humana famosus, ut raros in ea pares Italia putaretur habere«; vgl. ebd. 695; ähnlich in dem Catalogus Ministrorum Generalium (MGH SS 32,659); Actus b. Francisci, c. 62: »fr. Helias, qui reputabatur unus de sapientioribus mundi« (ed. Cambell, 55); Angelus Clarenus: »Cum enim signatus ille angelus, Franciscus, propheta fidelis in spiritu et virtute Eliae, pauperibus hominibus missus, migrasset a saeculo, magna iam parte fratrum spiritu ferventium ad Christum praemissa, multitudo Ministrorum et Custodum in fratre Elya propter praeclaram scientiam et singularem prudentiam, quam videbant in eo, unanimiter concordavit et omnes pariter post sancti Francisci transitum ipsum in rectorem et gubernatorem habere voluerunt« (Angelus a Clarino: Chronicon seu historia septem tribulationum Ordinis Minorum, ed. Alberto Ghinato [Sussidi e Testi per la Gioventu` Francescana, 10], Roma 1958/1959, 75 [c. 3,2]; Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters II: Dokumente vornehmlich zur Geschichte der Valdesier und Katharer, hrsg. v. I. v. Döllinger, München 1890, 460); »Imperatoris et S. Pontificis et caeterorum praesidentium reputatione et favore elatus, qui existimabant eum scientia et naturali sapientia ac apparenti morum honestate singulariter cunctos excedere. . .« (ebd. 461); »Nam plurimum confidebat [Gregorius IX.] de fratre Elya propter magnam morum honestatem, quam videbat in ipso et singularem prudentiam et scientiam, qua putabatur fere omnibus religiosis illius temporis praeeminere« (ebd. 462). 5

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de, die jedoch – entgegen der Meinung von D. Basili – nicht die Qualität eines eindeutigen Beweises haben.6 Die Legende des seligen Guido, der zu den ersten Mitgliedern des 1211 gegründeten Konvents von Le Celle, in einer Talsenke westlich von Cortona, gehörte und der dort 36 Jahre seines Lebens verbrachte, berichtet, daß Franziskus auf der Piazza von Cortona predigte. Der erste, der sich bekehrte und von ihm das Ordenskleid erhielt, war der besagte Guido de Porta Colonia. Anschließend wurde an dem Ort Le Celle ein primitives Gebäude errichtet, wie es den Vorstellungen des Franziskus entsprach. Weitere Männer aus Cortona schlossen sich der Gemeinschaft an, unter ihnen Bruder Vito und der aus der Villa dell’Orsaia in der Nähe der Stadt stammende Elias, der später die heiligen Reliquien nach Cortona brachte.7 Die älteste Handschrift der Guido-Legende, die vermutlich auch L. Wadding vorlag, wird auf das 14.–15. Jahrhundert datiert.8 Basili weist ferner auf zwei Notariatsinstrumente vom 9. und 11. April 1301 hin, aus denen hervorgeht, daß das Gelände von Le Celle früher einmal dem Bruder Elias als rechtmäßigem Eigentümer gehört hatte.9 Bei der ersten Öffnung des Grabes des Elias im Chor der Kirche S. Francesco zu Cortona am 24. Juni 1651 wurde eine Metallplatte gefunden mit der Inschrift: »Hic iacet / Frater Helias Coppi / de Cortona / Primus Generalis / Ordinis Minorum / Obiit MCCLIII.« Die Familie Coppi, als deren Mitglied Elias hier ausgewiesen wird, ist bereits im 13. Jahrhundert in Cortona nachweisbar. Sie besaß zwei Palazzi in der Stadt und das oben als Geburtsort des Elias erwähnte Landgut Orsaia (Villa Ursaria).10 Schenkt man dagegen dem Chronisten Salimbene von Parma Glauben, dann stammte der Vater des Elias aus Castelbritti im Bistum Bologna, die Mutter aus Assisi. Vor seinem Eintritt in den Orden habe er Bonus-baro geheißen, sei von Beruf Matratzenmacher (Polsterer) gewesen und habe dane6

S. dazu: Feld, Anonyme Forschungen (o. I. Kap., Anm. 26), 303f. ». . andarono insieme a un luogo fino adesso chiamato Le Celle, e quivi da elemosine cominciarono a fabbricare un luoghetto, e ricevero li frati, infra li quali vi fu` frate Elia della Villa dell’Orsaia, contado di Cortona, il quale di poi da Federigo Secondo Imperatore porto` a Cortona le S. Reliquie.« 8 Basili, Superfrate, 13; ebd. S. 15 Aufnahme einer Seite des Pergamentcodex der Biblioteca Bourbon de Petrella; die erwähnte Stelle ebd. S. 16, jedoch aus einer jüngeren Handschrift der Biblioteca Tommasi Aliotti. In der Biblioteca del Comune e dell’Accademia Etrusca zu Cortona befinden sich mehrere Abschriften der »Leggenda di S. Guido da Cortona« aus neuerer Zeit; s. Inventari dei Manoscritti delle Biblioteche d’Italia. Opera fondata dal Prof. Giuseppe Mazzatinti, Vol. 20, Firenze 1913, 16: Nr. 375 (473)/XVII; 44: Nr. 455 (554)/XI. XII; 54: Nr. 482 (581)/I. II; 64: Nr. 505 (604)/XVIII; 87: Nr. 591 (691)/V. Vgl. Wadding, Ann. Min. 1,108f. Auch Wadding hält Cortona, näherhin das o.g. Landgut, für den Geburtsort des Elias. 9 Basili, Superfrate, 24. 10 Ebd. 23f.; 97f.; Feld, Anonyme Forschungen, 303; s. auch u. bei Anm. 165. 166. 7

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ben den kleinen Buben von Assisi das Lesen (anhand des Psalters) beigebracht. Im Orden habe er den Namen »Elias« erhalten und sei zweimal Generalminister gewesen.11 Das Gewicht dieser Nachricht wird dadurch verstärkt, daß Salimbene Elias gut kannte, sogar von ihm persönlich 1238 zu Parma in den Orden aufgenommen worden war. Basili indes hält diese Angabe für frei erfunden. Insbesondere sei der dem Elias beigelegte Name »Bonus-baro« Teil einer Verleumdungskampagne, die gegen den ehemaligen Generalminister von dessen Gegnern im Orden propagiert wurde. So sollen nach dem verbreiteten Bericht über die Prophezeiung eines mysteriösen Pilgers im Geburtshaus des Franziskus dieser und Elias am gleichen Tag in derselben Straße in Assisi geboren worden sein. Über Franziskus wurde vorausgesagt, er werde zu den besten, über den anderen dagegen, er werde zu den schlechtesten Menschen der Welt gehören.12 Wie hier dem Elias schon bei seiner Geburt ein Makel angedichtet wurde, so sei ihm bei der Taufe ein schimpflicher Name »von nicht wiedergebbarer Bedeutung« gegeben worden. Basili hält einen Namenswechsel des Elias bei dessen Ordenseintritt schon deshalb für unglaubwürdig, weil die Annahme eines Ordensnamens in der ersten Generation der franziskanischen Bewegung nicht üblich war: Franziskus selbst und die Gefährten der ersten Jahre behielten die Namen, die sie entweder bei der Taufe erhalten oder doch vor ihrer Bekehrung in der »Welt« getragen hatten (Bernhard, Petrus, Ägidius usw.), bei. Die einzige belegte Ausnahme ist die des Bruders Pacificus.13 Wenngleich bei jedem Versuch, voneinander abweichende Quellentexte zu harmonisieren, die größte Zurückhaltung geboten ist, so muß doch nicht unbedingt in allen Angaben Salimbenes ein Widerspruch zu den Informationen, die wir sonst über Elias besitzen, gesehen werden. So wird »Bonus-baro« – wenn Elias so genannt wurde – kaum der Taufname gewesen sein, sondern 11 »Fuit enim unus parens fratris Helye, scilicet pater, de episcopatu Bononie, de Castro Brittorum, mater vero de Assisio fuit; et vocabatur in seculo Bonus-baro et suebat cultras et docebat puerulos in civitate Assisii Psalterium legere; ingressus autem ordinem fratrum Minorum vocatus fuit Helyas et bis factus generalis minister« (Cronica Fr. Salimbene: MGH SS 32,96,25). Der Psalter diente seit dem Frühmittelalter als elementares Lesebuch: P. Riche´, Le Psautier (o. III. Kap., Anm. 30); I. Baldelli, Il »Cantico« (ebd.). 12 Bericht des Bruders Nikolaus von Assisi im Codex Ottobonianus 522 der Biblioteca Vaticana (FF 2686). Ob allerdings in dem »alter vero de peioribus mundi erit« eine Anspielung auf Elias zu sehen ist, scheint fraglich. In späteren franziskanischen Legenden werden auch andere, z.B. Johannes a Cappella, dem die Rolle eines »Judas« unter den ersten zwölf Gefährten des Franziskus zugeschrieben wurde, genannt; vgl. o. Kap. III, Anm. 103 und 104. 13 Basili, Superfrate, 21. Die Bedeutung von Bonus-baro ist zumindest ambivalent: es kann etwa »guter Knecht«, »guter Kerl«, aber ebenso auch »Vollidiot« bedeuten. Einen Beleg für eine obszöne Bedeutung konnte ich nicht finden.

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wohl eher der Ruf- oder Spitzname.14 Auch wäre es denkbar, daß Elias als Notar in Cortona Besitz und Ansehen erworben hatte und sich gleichwohl einmal in Assisi, der Heimat seiner Mutter – sei es während eines Exils, sei es, bevor er seinen eigentlichen Beruf ausüben konnte –, als Polsterer und Leselehrer durchschlagen mußte. Daß Elias vor seinem Ordenseintritt in Bologna Notar (»scriptor«) gewesen sei, steht bei Thomas von Eccleston.15 Wir wollen hier die Spekulationen über die Jugendzeit des Elias nicht fortsetzen. Es ging nur darum, festzustellen, daß die Angaben darüber in den verschiedenen Quellen keineswegs für unvereinbar miteinander gehalten werden müssen.

2. Erstes Generalat Über die Tätigkeit des Elias in den ersten Jahren nach seiner Aufnahme in den Orden (1211) schweigen die Quellen. Ob er der erste Minister der Ordensprovinz Toscana war, ist ungewiß.16 Bei dem Pfingstkapitel von 1217 (14. Mai) wurde Elias nach Syrien (d.h. Outremer, das noch von den Christen behauptete Land im Vorderen Orient) entsandt. Im Frühjahr 1220 kehrte er von dort, zusammen mit Franziskus, Petrus Catanii und Caesarius von Speyer (den er in Outremer für den Orden gewonnen hatte)17 nach Italien zurück. Vielleicht fand auf dem St. Michaels-Kapitel Ende September des gleichen Jahres eine (erneute) Übergabe der Ordensleitung an Petrus Catanii statt;18 doch starb dieser schon wenige Monate später, am 10. März 1221. Spätestens auf dem Pfingstkapitel von 1221 (30. Mai) wurde Elias an seiner Stelle zum Vikar des gesamten Ordens bestimmt,19 während Franziskus noch für einige Zeit, im Sinne des Kirchen- und Ordensrechts, Generalminister blieb. Bruder Elias hat dann Franziskus als Generalminister des Ordens abgelöst. Wann genau er dieses Amt übernahm, ist nicht überliefert. Als sicher kann gelten (wenngleich es in der Forschung immer wieder anders dargestellt wird), daß Elias zweimal das höchste Amt des Ordens innehatte; Thomas von 14 S. Attal (Frate Elia, 39) und P. Dallari (Frate Elia, 19, Anm. 8) nehmen an, »Bonusbaro« sei der Name des Vaters des Elias gewesen und dieser habe also »Helyas Bonibaronis« geheißen. 15 »Primus autem minister generalis post B. Franciscum fuit frater Helias, qui fuerat scriptor Bononiae« (De adventu, ed. A.G. Little, Manchester 21951, 65; Anal. Fr. 1,215–156; ebd. 241). 16 Basilis Angaben darüber (Superfrate, 32) sind kaum zutreffend. Es ist nicht sicher, ob es das Minister-Amt schon vor 1217 gab. 17 Jordan von Giano, Chronik c. 9. 14 (ed. Boehmer, 8. 14). 18 S. dazu o. Kap. IV, bei Anm. 53. 19 Jordan von Giano, Chronik c. 17. 18 (ed. Boehmer, 18). 21).

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Eccleston und Salimbene stimmen hierin überein und verdienen wohl Vertrauen;20 die Legenda Perusina setzt voraus, daß Elias im Herbst 1224 Generalminister war, als er dem bei S. Damiano liegenden, fast erblindeten Franziskus befahl, seine Augen einer ärztlichen Behandlung unterziehen zu lassen.21 Auch Jakob von Guise, der in seinen Annalen den Wortlaut eines Briefes des Elias an die Brüder des Konvents St. Bartholomäus in Valenciennes überliefert, der Ende 1225 / Anfang 1226 (also ebenfalls noch zu Lebzeiten des Franziskus!) geschrieben wurde, bezeichnet Elias als »generalis ordinis«.22 Die Bezeichnung des Elias als »Vikar« für die gesamte erste Periode der Leitung des Ordens, die von Thomas von Celano in seiner zweiten Lebensbeschreibung und von da an in der »offiziellen« Geschichtsschreibung des Ordens verwandt wird, ist eine im nachhinein angebrachte Geschichtsklitterung: Es durfte nicht sein, daß der vom Papst abgesetzte und exkommunizierte Elias einmal der von Franziskus selbst rechtmäßig eingesetzte Nachfolger war.23 Wann wurde er zum ersten Mal Generalminister? Entgegen der von D. Basili und noch von mir früher geäußerten Ansicht24 kann Elias nicht schon am 29. November 1223 das Amt übernommen haben, da die auf diesen Tag datierte Bulle »Solet annuere«, mit der Honorius III. der endgültigen Regel der Minderbrüder Gesetzeskraft verlieh, noch davon ausgeht, daß Franziskus 20 Thomas von Eccleston (o. Anm. 15!); Salimbene: »bis factus generalis minister« (o. Anm. 11); ». . sub Helya, qui bis prefuit et obfuit« (MGH SS 32,102); vgl. auch Julian von Speyer, Vita 65 (Anal. Fr. 10,365): »supradictus frater Helias, quem veluti loco matris elegerat et adhuc vivens gregi suo pastorem praefecerat.« Über Jordan von Giano und die Chronica XXIV Generalium s.u. Anm. 35. 21 Leg. Per. 83 (ed. Bigaroni, 83); dagegen war er 1223 noch »vicarius beati Francisci« (ebd. 17; ed.c. 50); s.u. Anm. 25. 22 Jacobi de Guisa Annales Historiae illustrium principum Hanoniae, ed. E. Sackur, Hannover 1894; Nachdr. Stuttgart-New York 1964 (MGH SS 30/I,44–334). Die Brüder des vor der Stadt Valenciennes gelegenen ärmlichen Konvents St. Bartholomäus weigerten sich, in den mitten in der Stadt gelegenen Konvent umzuziehen, der ihnen eher für »Liebhaber dieser Welt« geeignet schien. Elias ermahnt sie zum Gehorsam und befiehlt ihnen den Umzug. Im Präskript des Briefes nennt er sich: »frater Elias, vilis peccator et caducus et fratrum Minorum minimus servus«. Die gesamte Geschichte der zwei Konvente von Valenciennes: l.c. lib. 21, cc. 12–19 (MGH SS 30/I,291–297); der Brief des Elias ebd. c. 17 (ebd. 294f.). 23 Zutreffend die Bemerkung von Giulia Barone (Frate Elia, 89, Anm. 1): »In realta` Elia e` definito Ministro generale dallo stesso san Francesco, nella lettera inviata ai fratelli riuniti in capitolo. . .; solo in un secondo tempo, quando si avvertı` chiaramente la differenza fra i tempi in cui Elia governava l’Ordine sotto l’occhio vigile del santo, e il periodo del suo generalato (1232–39) si dovette sentire il bisogno di dargli il titolo, limitativo, di vicario, per indicare la posizione, non del tutto definita, degli anni 1221–27. La qualifica di vicario e` usata da Tommaso da Celano nella Vita II e, da allora, e` stato impiegata dalla storiografia ufficiale francescana.« 24 Basili, Superfrate, 43–47; Feld, Anonyme Forschungen, 304.

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der Ordensobere im Sinne des Kirchenrechts ist.25 Dagegen setzt der Brief des Franziskus an den gesamten Orden (Epistola toti Ordini missa) voraus, daß Elias das Amt des Generalministers bereits innehat;26 desgleichen das Testament des Franziskus.27 Er hat das Amt also irgendwann zwischen dem Inkrafttreten der Regula bullata (November 1223) und der Abfassung des Testaments (September 1226) angetreten. Da die Regula bullata in ihrem 8. Kapitel ausdrücklich als Wahlgremium die auf dem Pfingstkapitel versammelten Provinzialminister und Custoden festlegt,28 liegt die Vermutung nahe, daß Elias auf dem Pfingstkapitel gewählt wurde, das auf das Inkrafttreten der Regula bullata unmittelbar folgte, das heißt am 2. Juni 1224. Wenn Franziskus zu dieser Zeit infolge Krankheit an der Teilnahme verhindert war, dann hat er möglicherweise die »Epistola toti Ordini missa« doch an die auf diesem Generalkapitel versammelten Ordensoberen (und über sie an alle Brüder) gerichtet, so wie es die Titel bei zahlreichen Textzeugen des Briefes sagen (die von K. Esser allerdings für unglaubwürdig gehalten werden).29 Während der letzten Lebenstage des Franziskus im Palast des Bischofs von Assisi und bei seinem Tod am Abend des 3. Oktober 1226 bei der Portiuncula-Kirche war Elias anwesend. Thomas von Celano zitiert in seiner ersten Lebensbeschreibung den Segen, den der sterbende Franziskus über Elias aussprach; in seiner zweiten Vita sucht er allerdings das Besondere dieses Segens zurückzunehmen: der ehemals gefeierte Elias war damals (1247) exkommuniziert und hatte sich auf die Seite des verhaßten Kaisers Friedrich II. geschlagen.30 Der Segen, aus dem auch hervorgeht, daß Franziskus in Elias seinen Nachfolger sah, lautet: Dich, mein Sohn, segne ich in allem und durch alles. Und wie der Allerhöchste unter deinen Händen meine Brüder und Söhne vermehrt hat, so segne ich auch über dich und in dir alle. Im Himmel und auf der Erde segne dich Gott, der König aller. Ich segne dich, wie ich kann und mehr als ich kann, und was ich nicht vermag, möge in dir können, der alles vermag. Möge Gott deiner Arbeit und Mühe gedenken, und bei der Belohnung der Gerechten möge dein Los bewahrt werden. Allen Segen, den du be25 Regula bull. c. 1: »Frater Franciscus promittit obedientiam et reverentiam domino papae Honorio ac successoribus eius canonice intrantibus et Ecclesiae Romanae. Et alii fratres teneantur fratri Francisco et eius successoribus obedire« (Esser, Opuscula, 367). – Die auch in diesem Punkt genaue Leg. Per. bezeichnet Elias während der im Jahre 1223 stattfindenden Auseinandersetzungen um die Regel als »Vikar des heiligen Franziskus« (Leg. Per. 17; ed. Bigaroni, 50). 26 Ep. Ord. 2. 38. 47 (Esser, Opuscula, 259. 262. 263). 27 Testamentum 27. 35 (ebd. 442. 443). Die Ep. Ord. und das Test. beweisen also ebenfalls, daß Elias zu Lebzeiten des Franziskus Generalminister war. 28 Esser, Opuscula, 369. 29 Ebd. 237f. 264. 30 I Cel 108 (Anal. Fr. 10,83f.); vgl. II Cel 216 (ebd. 254f.); vgl. auch: II Cel 156 (ebd. 221).

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gehrst, mögest du finden, und was du in gebührender Weise forderst, das möge erfüllt werden.

Unmittelbar nach dem Tode des Franziskus tat Elias dann den ersten entscheidenden Schritt, durch den der Verstorbene zu einer überragenden Kultfigur erhoben wurde. In einem Rundbrief (Enzyklika) an alle Provinzialminister teilte er dem gesamten Orden und einer weiteren Öffentlichkeit die Stigmatisation des Franziskus mit.31 Damit wurde dessen besondere heilsgeschichtliche Rolle, die über die Bedeutung jedes anderen Heiligen hinausging, erstmals öffentlich kundgetan. Der Tote wurde in die allernächste Nähe zunächst Johannes des Täufers und dann des gekreuzigten Christus gerückt: Wahrhaftig! Die Gegenwart unseres Bruders und Vaters Franziskus war ein Licht, nicht nur für uns, die wir dabei waren, sondern auch für die, die durch ihren Beruf und ihr Leben fern von uns standen. Er war nämlich ein vom wahren Licht entsandtes Licht, das jene erleuchtete, die in der Finsternis und im Todesschatten saßen, um ihre Füße auf den Weg des Friedens zu lenken. . .32 Und nachdem dies gesagt ist, verkündige ich euch eine große Freude und ein neues Wunder. Noch niemals hat die Welt ein solches Zeichen vernommen, außer beim Sohne Gottes, Christus dem Herrn. Nicht lange vor seinem Tod erschien unser Bruder und Vater als ein Gekreuzigter; er trug die fünf Wunden, die in Wahrheit die Stigmata Christi sind, an seinem Leibe. Denn seine Hände und seine Füße waren auf beiden Seiten wie von Nägeln durchbohrt und zeigten die verbliebenen Narben und die Schwärze der Nägel. Seine Seite erschien wie von einer Lanze geöffnet und schwitzte häufig Blut aus. Solange der Geist noch in seinem Körper lebte, bot er keinen erfreulichen Anblick. Vielmehr war sein Aussehen verächtlich, und kein Glied an ihm verblieb von übermäßigem Schmerz verschont.

Auf den noch lebenden Franziskus, der im Tod durch die Stigmata dem vom Kreuz abgenommenen Jesus ähnlich geworden ist,33 wird die Beschreibung des Schmerzensmannes beim Propheten Jesaia (Is 53,2f.) angewandt, die sonst nur als Prophezeiung über den leidenden Erlöser verstanden wurde. Wir haben hier nichts Geringeres als die Grundlegung des Kultes der beiden für die Volksfrömmigkeit des Spätmittelalters so wichtigen Andachtsbilder der 31 Epistola Encyclica de transitu S. Francisci (Anal. Fr. 10,525–528); zu dem Brief s.o. Kap. I, bei Anm. 86. 32 Vgl. Joh 1,9; Lk 1,79 (Canticum Zachariae). Die Sätze bringen, unter Anspielung auf den Taufnamen des Franziskus, Johannes Baptista, seine dem Täufer ähnliche heilsgeschichtliche Bedeutung zum Ausdruck. 33 Vgl. hierzu auch I Cel 112 (Anal. Fr. 10,88): »Resultabat revera in eo forma crucis et passionis Agni immaculati, qui lavit crimina mundi, dum quasi recenter e cruce depositus videretur, manus et pedes clavis confixos habens et dextrum latus quasi lancea vulneratum«; Salimbene de Adam, Chronik (MGH SS 32,195): »Nam sicut dixit michi frater Leo, socius suus, qui presens fuit, quando ad sepeliendum lavabatur in morte, videbatur recte sicut unus crucifixus de cruce depositus«; vgl. auch I Cel 90 (Anal. Fr. 10,69): »Revera in quinque partibus corporis passionis et crucis signaculo pater venerabilis est signatus ac si in cruce cum Dei Filio pependisset.«

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Pieta` (Vesperbild) und des Schmerzensmannes (Ecce homo), aber auch ein wichtiges Zeugnis dafür, daß die Vorstellung von Franziskus als »zweitem Christus« bei seinem Tode bereits ausgebildet ist. Elias wurde nach dreijähriger Amtsperiode, auf dem ersten Pfingstkapitel nach dem Tode des Franziskus (31. Mai 1227), abgewählt und durch Johannes Parens aus Florenz ersetzt.34 Dieser wird von Jordan von Giano als erster (nach dem heiligen Franziskus) und von der Chronica XXIV Generalium als zweiter General des Ordens bezeichnet. Doch will Jordan vielleicht nur sagen, daß Johannes der erste Generalminister war, der allein durch ein förmliches Wahlverfahren, ohne Einflußnahme des Franziskus, in sein Amt gelangte. Und die Chronica XXIV Generalium erwähnt ausdrücklich, daß ihr auch eine Tradition bekannt ist, nach der Bruder Elias vor Johannes Parens schon einmal das oberste Ordensamt innehatte.35 Nach der Heiligsprechung des Franziskus durch Gregor IX. am 16. Juli 1228 übernahm Elias, zweifellos im Auftrag des Papstes, die Leitung des Baus der neuen Grabeskirche des Heiligen.

3. Bau der Doppelkirche San Francesco in Assisi Bereits in seiner Bulle »Recolentes« vom 29. April 1228 hatte der Papst seine Absicht bekanntgegeben, zu Ehren des (damals noch nicht kanonisierten) Franziskus eine Kirche zu bauen, in der dessen Leib bestattet werden sollte.36 Dabei hatte er an alle Gläubigen die Bitte um Unterstützung des Werkes gerichtet und die Gewährung eines Ablasses von vierzig Tagen in Aussicht gestellt. Das Gelände für die Kirche und den an sie sich anschließenden Konventbau auf dem sogenannten »Höllenhügel« (Collis Inferni) 34 Jordan von Giano, Chronik, c. 51 (ed. Boehmer, 46); vgl. Thomas von Eccleston, ed. Little, 65 und ebd. Anm. c; Anal. Fr. 3,210, Anm. 5. Johannes Parens stammte aus Carmignano bei Pistoia, war vor seinem Ordenseintritt Richter in Citta` di Castello gewesen und hatte wohl zuletzt dem Konvent zu Florenz angehört. 35 Jordan von Giano, Chronik, c. 51 (ed. Boehmer, 46): »frater Johannes Parens civis Romanus et dominus legum de Civitate Castellana natus generalis primus in ordine est electus«; Chronica XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,210): »Secundus Generalis fuit frater Johannes de Florentia, cognominatus Parens, de Provincia Tusciae, homo sanctus et iustus, spiritualis parentis officio vere pollens«; vgl. ebd. 216: »Tertius Generalis Minister fuit frater Helias de Assisio, qui etiam ante dictum fratrem Johannem aliquanto tempore Ministri locum tenuerat, quo ab aliquibus ponitur secundus Generalis.« 36 ». . dignum esse providimus et conveniens, ut pro ipsius patris reverentia specialis ecclesia, in qua eius corpus recondi debeat, construatur«; Text und fotografische Aufnahme der Bulle bei Beda Kleinschmidt, Die Basilika San Francesco in Assisi, 3 Bde., Berlin 1915–1928; ebd. I,17; dagegen gibt Sbaralea (Bull. Fr. 1,40) den Text ungenau wieder.

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westlich der Stadt Assisi war dem Papst vier Wochen zuvor, am 30. März 1228, von einem gewissen Simon Puzarelli übertragen worden, und Bruder Elias hatte es im Namen Gregors IX. entgegengenommen.37 Kurz nach der Heiligsprechung des Franziskus, wahrscheinlich am 17. Juli 1228, legte der Papst eigenhändig den Grundstein, und von da an soll der Ort »Paradieshügel« (Collis Paradisi) genannt worden sein.38 Anfang Oktober des gleichen Jahres teilt Gregor dem Generalminister (Johannes Parens) und den Brüdern mit, er übernehme das Gelände in das Eigentum des Apostolischen Stuhls; die im Bau befindliche Kirche solle in jeder Hinsicht frei und allein dem Apostolischen Stuhl unterstellt sein; um diese ihre Freiheit und alleinige Abhängigkeit nach außen zu dokumentieren, soll die neue Kirche jährlich eine Steuer von einem Pfund Wachs an den Papst und seine Nachfolger entrichten.39 Am 31. Juli 1229 wird das für den Neubau bestimmte Areal durch Schenkung eines Waldstücks vonseiten eines Herrn Monaldus Leonardi weiter vergrößert.40 Planung und Bauarbeiten an der Doppelkirche und dem sich anschließenden Konventbau trieb Elias mit ungeheuerer Energie voran, so daß bereits für das Pfingstkapitel des Jahres 1230 die Übertragung der Gebeine des Franzis-

37 Das Notariatsinstrument befindet sich noch im Sacro Convento zu Assisi; Fotografie und Text bei Kleinschmidt, Basilika I,15: ». . dedit tradidit cessit delegavit et donavit simpliciter et inrevocabiliter inter vivos Simo Puzarelli fratri Helye recipienti pro Gregorio papa IX peciam unam terre positam in vocabulo collis Inferni in comitatu Assisii. . . ad habendum tenendum possidendum faciendum omnes utilitates et usus fratrum in ea, videlicet locum oratorium vel ecclesiam vel quicquid ei de ipsa re placuerit. . .«; s. auch: Giuseppe Zaccaria, Diario storico della Basilica e Sacro Convento di S. Francesco in Assisi (1220–1929). Misc. Fr. 63 (1963), 75–120; 290–361; 495–536; ebd. 78 (Nr. 4); der von Lempp, Fre`re Elie, 170f., veröffentlichte Text der Urkunde enthält zahlreiche Ungenauigkeiten und Lesefehler; s. auch Bull. Fr. 1,60, Anm. c. 38 An die Grundsteinlegung erinnert Gregor IX. in der Bulle »Speravimus hactenus« vom 16.6.1230 an die Bischöfe von Perugia und Spoleto: »Cum enim Beatum Franciscum glorificatum in Coelis clarificantes in Terris adscripserimus Catalogo Confessorum, et in honorem eius Ecclesiam fundari volentes, de manibus Nostris lapide ibi primario posito, ipsam duxerimus eximendam, ut libertatis titulis decorata semper niteret celebris et insignis« (Bull. Fr. 1,66); vgl. Chron XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,33): »Iste igitur frater Helias post mortem sancti Francisci basilicam mirae fortitudinis et magnitudinis coepit erigere extra muros in quadam voragine, quae ante dicebatur collis inferni; sed cum dominus Papa Gregorius IX. primum lapidem in fundamento ecclesiae posuisset, vocata est collis paradisi«; s. hierzu auch Lempp, Fre`re Elie, 81 und ebd. Anm. 3; Zaccaria, Diario, 79 (Nr. 8). 39 Bulle »Recolentes« vom 2.10.1228: »Ea propter fundum pietatis obtentu Nobis oblatum pro Ecclesia ac aedificiis construendis, ubi recondi debeat Corpus Patris praedicti, in ius et proprietatem Sedis Apostolicae recipimus; de speciali gratia statuentes, ut praedicta Ecclesia sit omnino libera, et nulli alii quam Apostolicae Sedi subiecta. Ad indicium autem huius libertatis ab Ecclesia Romana perceptae, unius librae cerae Censum persolvat Ecclesia Nobis et Successoribus nostris annuatim« (Bull. Fr. 1,46). 40 Kleinschmidt, Basilika III,1 (Nr. 1); Zaccaria, Diario, 80, (Nr. 10).

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kus von S. Giorgio in die neue Kirche vorgesehen werden konnte. Der Papst erneuerte in dem Schreiben »Is, qui Ecclesiam« vom 22. April 1230 an den Generalminister und den Konvent bei S. Francesco die schon eineinhalb Jahre zuvor zugesagten Privilegien der Kirche. Er unterstellt sie der Protektion des heiligen Petrus und seiner eigenen, betont erneut, daß sie niemandem außer dem Römischen Bischof unterworfen sei, und erklärt sie zur Haupt- und Mutterkirche des Minoritenordens. Nach dem Willen des Papstes sollen die Brüder für alle Zeiten den Gottesdienst darin halten. Gegen die Kirche darf keine Exkommunikation und kein Interdikt (von bischöflicher Seite) verhängt werden.41 Um den besonderen Charakter dieses Dokuments zu unterstreichen, haben es außer Gregor IX. noch dreizehn im Lateran anwesende Kardinäle unterschrieben. Am 16. Mai teilt der Papst dem Generalminister Johannes Parens und den zum Generalkapitel versammelten Brüdern mit, daß kürzlich in Deutschland durch Anrufung des Franziskus auf wunderbare Weise ein Toter zum Leben erweckt worden sei;42 außerdem ordnet er die Übertragung der Gebeine förmlich an. Es geht daraus hervor, daß er wohl nicht die Absicht hatte, persönlich an den Feierlichkeiten in Assisi teilzunehmen: die schwierigen Verhandlungen mit dem Kaiser Friedrich II., die dem Friedensschluß von San Germano vorausgingen, machten seine Anwesenheit in Rom erforderlich.43 Julian von Speyer, an dessen Bericht sich die Chronica XXIV Generalium eng anschließt, erwähnt unter anderem, der Papst habe zur feierlichen Translation Beauftragte geschickt, die in seinem Namen ein reich verziertes Kreuzreliquiar überbracht hätten; außerdem habe er der Kirche kostbare Altargeräte und 41 »Cum igitur apud Assisium in fundo Nobis et Ecclesiae Romanae oblato, in loco, qui dicitur Collis Paradisi, in eiusdem Confessoris honore construatur Ecclesia, in qua recondi debet tam pretiosus thesaurus, sanctum videlicet Corpus ipsius, qui in tempore iracundiae factus est reconciliatio; ut pro peccatis Populorum fieret intercessor: Nos, cum dignum sit, et congruens, ut eadem Ecclesia praerogativa libertatis et honoris gaudeat propter eum, quem in Coelis Dominus exaltavit; pro eius reverentia Ecclesiam ipsam sub Beati Petri et Nostra protectione suscipimus et praesentis scripti privilegio communimus. In primis siquidem statuentes, ut Ecclesia ipsa nisi Romano Pontifici sit subiecta; et vestri Ordinis, cuius Institutor et Pater extitit Confessor praedictus, Caput habeatur et Mater; ac in ea per fratres eiusdem Ordinis perpetuo serviatur. Prohibemus insuper, ne quis audeat in eamdem Ecclesiam excommunicationis vel interdicti sententiam promulgare; quam si proferre contigerit, tanquam contra Sedis Apostolicae Indulta prolatam decernimus non tenere« (Bull. Fr. 1,60); sehr schönes Faksimile der Bulle bei Kleinschmidt, Basilika I, Tafel II (neben S. 16). 42 Bulle »Mirificans misericordias« (Bull. Fr. 1,64f.). Möglicherweise hat der Papst diese Nachricht von Jordan von Giano, der im Jahre 1230 von Deutschland nach Italien kam (Chron. 58f.; ed. Boehmer, 49f.). 43 Richard von S. Germano, Chronik, ad ann. 1230 (MGH SS 19,359); vgl. auch das Schreiben Gregors IX. »Tandem magnificans« vom 28.8.1230 an Ludwig IX. von Frankreich (Bull. Fr. 1,67).

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Paramente geschenkt und obendrein noch für die Feierlichkeiten und den Bau eine beachtliche Summe gestiftet.44 Da Gregor selbst in der Bulle »Speravimus hactenus« sagt, er habe »dem Generalminister und einigen anderen Brüdern aus dem Minoritenorden, frommen und gottesfürchtigen Männern, als seinen Beauftragten« die Überführung der Gebeine anvertraut,45 scheint auch die Darstellung Julians nicht unglaubwürdig zu sein. Das Ordenskapitel von 1230 wurde durch skandalöse Vorgänge erschüttert, die beträchtliche Auswirkungen auf die Zukunft der franziskanischen Bewegung hatten. Den zuverlässigsten Bericht darüber hat wohl Thomas von Eccleston, während Julian von Speyer, ebenso wie die Drei-Gefährten-Legende, den eigentlichen Hauptskandal schamhaft verschweigt. Die Translation war für den Samstag vor Pfingsten (25.Mai) vorgesehen. Die Feierlichkeiten fanden auch statt,46 allerdings ohne den Leichnam des Franziskus. Ihn hatte Elias, im Einverständnis mit den städtischen Behörden von Assisi, schon zwei Tage vorher in aller Heimlichkeit überführen und an einem geheimgehaltenen Ort unter der neuen Kirche bestatten lassen.47 Der Papst war über den 44 Julian von Speyer, 75: »Anno vero Domini millesimo ducentesimo trigesimo, non modica fratrum multitudine pro ipsius sancti translatione, necnon et generali Capitulo celebrandis ad saepedictam civitatem e diversis mundi partibus adunata, iam praefatus eorumdem specialissimus pater, dominus papa Gregorius, cuius certa sperabatur ad hanc translationis solemnitatem praesentia personalis, sed tunc temporis aliis quibusdam urgentibus Ecclesiae praepediebatur negotiis, solemnes illuc cum suis litteris nuntios destinavit, quibus suae non solum insperatae causam absentiae necessariam declaravit, sed et filiis, quos paterno consolabatur affectu, de quodam mortuo per beatum Franciscum resuscitato certius intimavit. Ad haec per eosdem nuntios crucem auream, opere quidem gemmario pretiosam, sed omni auro et gemmis pretiosius lignum Crucis Dominicae complectentem; insuper ornamenta et vasa quaeque ad altaris ministerium pertinentia, necnon et decentissima solemnibus usibus indumenta transmisit. Quae omnia pretiosissima basilicae beati Francisci, quae ab omni iuridictione inferiore exempta sua construebatur auctoritate, cuius et ipse primarium lapidem fundamenti posuerat, assignavit; sed et alia non modica tam ad eiusdem fabricae quam ad instantis solemnitatis impensas donaria deputavit« (Anal. Fr. 10,371f.); vgl. 3 Soc 72 (ed. Desbonnets, 144); Chronica XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,212). 45 »Sciunt siquidem, quod nos sanctissimum Corpus Confessoris praedicti pio amore venerabiliter amplexantes, translationem eius dilectis filiis Generali Ministro, et quibusdam aliis Fratribus Ordinis Minorum, viris religiosis, et timoratis, tamquam Vicariis nostris commisimus confidenter, cum non nisi auctoritate Apostolicae Sedis esset translatio facienda; ibique illam concessimus Indulgentiam, quae limina Beatorum Petri et Pauli visitantibus concedi consuevit« (Bull. Fr. 1,66). 46 Julian von Speyer: »Translatum est igitur corpus sanctissimum ad eamdem constructam prope muros civitatis ecclesiam, sabbato, kalendarum iunii die octavo, cumtantovidelicet apparatu solemni, qui brevi sermone describi non posset; tantaque, quae ad ipsius translationis festa confluxerat, multitudine populi, ut, civitate illam capere non valente, gregum more turmatim circumquaque per campos accumberet« (Anal.Fr. 10,371). 47 »Credidit autem populus, quod esset discordia, quia corpus sancti Francisci tertia

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Vorgang, wie das schon mehrfach zitierte Schreiben »Speravimus hactenus« an die Bischöfe von Perugia und Spoleto erkennen läßt, auf das höchste empört. Sein Zorn richtete sich gegen die Behörden und das Volk von Assisi (Potestas, Consilium et Populus Assisiensis). Er wirft ihnen zunächst einmal schnöden Undank für sein Wohlwollen, das er schon als Kardinal der Stadt gegenüber gezeigt habe, sodann das Verbrechen des Sakrilegs vor. Der Kirche S. Francesco wird die knapp zwei Jahre zuvor gewährte Exemtion wieder entzogen und sie wird der Autorität des Bischofs und des Domkapitels von Assisi unterstellt; in Zukunft soll dort kein Generalkapitel mehr stattfinden; der Aufenthalt bei der Kirche wird den Brüdern untersagt und der Ort mit dem Interdikt belegt, bis dem Papst Genugtuung für ein so großes Unrecht geleistet würde. Von den Assisiaten verlangt Gregor IX. vollständige Satisfaktion innerhalb von fünfzehn Tagen; andernfalls sollen die Bischöfe über Podesta` und Rat die Exkommunikation, über das Land das Interdikt verhängen.48 Es ist merkwürdig, daß der Hauptverantwortliche für den Skandal, Bruder Elias, überhaupt nicht erwähnt wird. Doch ist leicht zu erkennen, daß die Strafmaßnahmen gegen die im Bau befindliche Kirche S. Francesco und ihren »Ort« sich vor allem gegen ihn richten.49 Dem Papst war sicher auch das zweite unerfreuliche Ereignis dieses Pfingstkapitels zu Ohren gekommen (sowohl aus der Bulle »Speravimus hactenus« wie aus dem Bericht des Thomas von Eccleston geht übrigens hervor, daß es bei S. Francesco, nicht mehr bei Santa Maria degli Angeli stattfand!): Bruder Elias hatte in einem handstreichartigen Akt versucht, erneut das Amt des Generalministers zu erlangen. Zu diesem Zweck hatte er alle seine Anhänger nach Assisi kommen lassen, obwohl der Kreis der Wahlberechtigten und Teilnehmer am Generalkapitel seit 1223 auf die Provinzialminister und Custoden beschränkt war.50 die, antequam patres convenissent, translatum erat« (Eccleston, Coll. XIII; ed. Little, 65); »Anno vero Domini MCCXXX, convenientibus fratribus ad capitulum generale, fuit translatum corpus beati Francisci de ecclesia sancti Georgii ad supradictam basilicam in eius honorem constructam. Sed, ut aliqui ferunt, aliquibus diebus antequam fratres convenissent, frater Helias, qui opus dictae basilicae prosequebatur, per potentiam saecularium, non obstante quod iste frater Johannes Ordini praesideret, ductus humano timore, occulte fecit fieri translationem nolens, quod scirent aliqui, ubi esset in ecclesia sacrum corpus, paucis exceptis; de quo postea inter fratres magna fuit turbatio subsecuta, qui ad hoc venerunt principaliter, ut viderent sacrum corpus. Sed frater Helias eis satisfecit multis rationibus allegatis. Nihilominus tamen fuit magna solemnitas celebrata. Unde tanta fuit propter hoc ex vicinis urbibus multitudo congregata, ut, civitate illos capere non valente, per campos gregum more accumberent« (Chron. XXIV Gen.; Anal. Fr. 3,212). 48 Bull. Fr. 1,66f. 49 So auch zutreffend Lempp, Fre`re Elie, 85: »L’interdit jete´ sur l’e´glise, comme tout le reste, atteignait moins le peuple de la ville que les constructeurs de l’e´glise, les fre`res du couvent. . ., Elie le tout premier, bien que son nom ne fuˆt pas prononce´.« 50 S.o. bei Anm. 28.

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Wie Thomas von Eccleston berichtet, trugen die Anhänger des Elias diesen von seiner Zelle aus zum Eingang des Kapitels, brachen gewaltsam die Tür auf und versuchten, ihn auf den Platz des Generalministers zu setzen. Der rechtmäßig amtierende General Johannes Parens zog sich darauf splitternackt vor den Kapitularen aus. Diese spektakuläre, an Franziskus erinnernde Zeichenhandlung brachte die Randalierer aus der Fassung, und sie räumten verwirrt den Platz.51 Thomas erwähnt noch, daß sich neben den Provinzialministern der heilige Antonius vergeblich um eine Beruhigung der Aufrührer bemühte. Antonius von Padua, der bereits ein Jahr später (am 13. Juni 1231) starb, gehörte auch der Delegation an, die das Kapitel wegen der angeblichen Unklarheiten der Regel zum Papst nach Rom sandte. Es besteht kein Grund, mit Lempp anzunehmen, daß er in dieser ganzen Affäre auf Seiten des Elias gestanden hätte.52 Über die im Orden entstandenen Turbulenzen waren schon Gerüchte nach außen gedrungen, wozu auch das Fehlen des Leichnams bei der Translationsfeier beigetragen hatte.53 Der Bericht Ecclestons enthält ein weiteres Detail, das zugleich ein Indiz für seine historische Zuverlässigkeit ist: Im Kapitel saßen fünf kürzlich zu Rittern geschlagene junge Männer (milites novitii), die angesichts des Tumultes in Tränen ausbrachen und sagten: Wenn diese Krise nur einen guten Ausgang für den Orden nimmt! Denn der Orden kann keinen Unordentlichen (d.h. keinen Zerstörer der Ordnung) behalten.54 Der Versuch, den Bruder Elias gewaltsam an die Macht zu bringen, scheiterte, und die Unruhestifter wurden mit der Auflage, Buße zu tun, auf die verschiedenen Provinzen des Ordens verteilt. Elias selbst stellte eine bußfertige Gesinnung zur Schau, indem er sich in ein Eremitorium zurückzog – es wird wohl Le Celle bei Cortona gewesen sein – und sein Kopf- und Barthaar wachsen ließ. Auf diese Weise gelang ihm die Versöhnung mit dem Orden.55 51 »In capitulo siquidem, in quo facta est translatio sancti Francisci, voluerunt ipsi quos ad capitulum concesserat venire frater Helias, – nam omnes concessit illuc venire qui vellent – contra ministros provinciales ipsum fecisse generalem. Unde et acceptum a cella sua portaverunt eum manibus ad ostium capituli, et fracto ostio voluerunt eum collocare in loco ministri generalis. Quod videns generalis frater Johannes coram toto capitulo se nudavit; et sic demum confusi post maximam turbationem cessaverunt« (Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. XIII; ed. Little, 65). 52 Lempp, Fre`re Elie, 88. 96; vgl. auch Little in: Eccleston, De adventu, 66, Anm. i. 53 Eccleston, ed.c. 65; s.o. Anm. 47. 54 »Quinque vero milites novitii, qui sederunt in capitulo et omnia viderunt, flentes dixerunt, quod ad magnum bonum ordinis proveniret illa turbatio, quia ordo nullum posset inordinatum tenere« (ebd. 65). – Der Ausdruck »milites novitii« ist nicht ganz eindeutig. Es könnten auch Novizen des Minoritenordens gemeint sein. Doch ist es unwahrscheinlich, daß solche als Teilnehmer am Generalkapitel zugelassen waren. Es wird sich deshalb um junge Ritter gehandelt haben, die als Ordnungshüter, entweder von den Behörden von Assisi oder vom Papst, für das Kapitel abgestellt worden waren. Die unerfahrenen Jünglinge, deren Präsenz wohl eher symbolischen Charakter hatte, waren hilflos, als sie sich einer Masse randalierender Brüder gegenüber sahen.

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Auch der Papst, der auf ihn einen ziemlichen Zorn hatte, soll von seiner offensichtlichen Reue beeindruckt gewesen sein.56 Die Delegation, die das Generalkapitel wegen der Erklärung der Ordensregel nach Rom geschickt hatte und der unter anderen der heilige Antonius, der spätere Generalminister Haymo von Faversham und Bruder Leo, der spätere Erzbischof von Mailand, angehörten, hatte den Papst auch ausführlich über die unerhörten Vorgänge bei der Translation und dem Kapitel unterrichtet und keinen Zweifel darüber gelassen, wer der Verantwortliche dafür war. Die Erklärung zweifelhafter Stellen der Regel, die Gregor IX. einige Monate später in der Bulle »Quo elongati« gab, waren sicher zum großen Teil im Sinne des Elias. Doch besteht kein Grund zu der Annahme, daß dieser der Inspirator der Bulle gewesen sei. Mindestens die Bestimmung, die den Kreis der Teilnehmer am Generalkapitel gegenüber der Regula bullata noch weiter reduziert, indem für jede Provinz außer deren Minister nur noch ein einziger Custode als Vertreter aller übrigen zugelassen wird,57 läuft ja der Politik des Elias zuwider. Nicht übereinstimmend gelöst ist bis heute die Frage, weshalb Elias eine öffentliche Übertragung der Gebeine des Franziskus vermieden hat. Der einleuchtende Grund dafür scheint zu sein, daß er einem Reliquienraub vorbeugen wollte.58 Das Speculum vitae und die Chronica XXIV Generalium behaupten allerdings, die »Menschenfurcht« des Bruders Elias sei das entscheidende Motiv für die geheime Veranstaltung der Translation gewesen.59 Angenommen, dieser Grund sei zutreffend, dann fragt sich, vor wem Elias Angst hatte und was er befürchtete. Die Massen, aber auch die Brüder, waren vor allem deshalb zusammengeströmt, »um den heiligen Körper zu sehen«; das heißt: sie hegten die Erwartung, den Leichnam des Franziskus in einigermaßen intaktem, unverwestem Zustand anzuschauen und sich dabei von dem »neuen, unerhörten Wunder« der Stigmata überzeugen zu können. Da der Anblick des tatsächlichen Zustandes des Leichnams zu einer allgemeinen Enttäuschung mit unabsehbaren Folgen – auch für den Fortgang des Baus der neuen Kirche – hätte führen müssen, schien es Elias und den Verantwortlichen der Stadtregierung von Assisi geraten, die sterblichen Überreste des Heiligen nicht mehr vorzuzeigen, sondern sie insgeheim in einem unzugänglichen Felsengrab endgültig zu bestatten.60 Es ist bemerkenswert, daß dabei die Situation des 55

»Frater vero Helias, divertens ad quoddam heremitorium, permisit sibi crescere comam et barbam, et per hanc simulationem sanctitatis ordini et fratribus reconciliatus est« (Eccleston, De adventu, ed. Little, 66). 56 »Qui satis motus ad haec, quousque audiret, quod in heremitorio tam singularem vitam duceret, valde offensus extitit erga eum« (ebd.) 57 S.o. Kap. VIII, bei Anm. 92. 58 So Rosalind B. Brooke, Early Franciscan Government. Elias to Bonaventure, Cambridge 1959, 141f.; Feld, Totengräber (o. I. Kap., Anm. 163), 335. 59 »ductus humano timore«: s.o. Anm. 47; Lempp, Fre`re Elie, 165.

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Grabes gegenüber der früheren Bestattung in der Krypta der Kirche San Giorgio total verändert wurde: der steinerne (!) Sarkophag mit den Gebeinen des Franziskus ruhte dort auf einem eisernen Gestell, das mittels zweier massiver Haken in der Wand verankert war; er war also, wie auch aus zeitgenössischen Quellen klar hervorgeht, allgemein zugänglich.61 In der neuen »Krypta« – nämlich der Unterkirche S. Francesco – gab es kein sichtbares und anfaßbares Grab des Heiligen mehr. Der Versöhnung des Elias mit dem Orden scheint nach nicht allzu langer Zeit die mit dem Papst gefolgt zu sein. Der ausschlaggebende Grund dafür dürfte die Tatsache gewesen sein, daß Elias für den Weiterbau der Kirche S. Francesco unentbehrlich war. Auch führte sein nächster Anlauf, das Amt des Generalministers wiederzuerlangen, zum Erfolg. Ob dies bei dem Pfingstkapitel von 1232 (30. Mai) oder 1233 (22. Mai) der Fall war, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Jordan von Giano nennt das Jahr 1232;62 die Bulle »Per mare magnum« Gregors IX. vom 6. Juli 1233 ist an den Generalminister Bruder Elias und die auf dem Generalkapitel versammelten Provinzialminister des Ordens gerichtet. Demnach scheint das Kapitel, bei dem Elias gewählt wurde, 1233 stattgefunden zu haben.63 Die von Thomas von Eccleston gegebene Nachricht, daß Rieti der Ort der Versammlung war, ist wohl zuverlässig.64 Wenn Jordan von Giano bemerkt, Elias habe innerhalb von sieben Jahren kein Generalkapitel im Sinne der Vorschrift der Regel gehalten, so läßt sich daraus keineswegs zwingend auf das Jahr 1232 als Beginn der zweiten Amtszeit des Elias schließen; die Ausdrucksweise erlaubt auch das Jahr 1233.65 60 Daß Elias eine Desillusionierung der Massen verhindern wollte, die gekommen waren, um die Stigmata des Franziskus zu sehen, hat schon Attal (Frate Elia, 207) und nach ihm Dallari (Frate Elia, 32) vermutet. 61 Vgl. I Cel 126 (Anal. Fr. 10,102): Nach der Heiligsprechung des Franziskus steigt Gregor IX. in die Krypta hinab und küßt den Sarkophag: »Descendit denique de solio felix papa Gregorius et per inferiores gradus ad offerenda vota et sacrificia sanctuarium intrat, tumbamque continentem sacrum et Deo dicatum corpus felicibus labiis osculatur«; I Cel 127 (ebd. 104f.): das Mädchen mit dem verbogenen Hals hält seinen Kopf unter den Sarg: »Quae dum sub arca, in qua pretiosum sancti reconditum iacebat corpus, caput aliquamdiu submisisset, statim meritis sanctissimi viri collum erexit et in condecenti statu caput exstitit reparatum. . .«; vgl. auch Legenda Chori 13: »in arca saxea reverenter reconditur« (ebd. 124); I Cel 149: »per gradus ad sepulcrum eius vellet attingere« (ebd. 114). Zu dem Ganzen s. neuerdings die eingehende Untersuchung von Marino Bigaroni, Chiesa (o. Kap. VII, Anm. 142). Bigaroni nimmt allerdings an, daß Franziskus in einem hölzernen, eisenbeschlagenen Sarg bestattet wurde, der sich noch innerhalb des Konvents von S. Chiara befindet (ebd. 45). 62 Chron. fr. Jordani, 61 (ed. Boehmer, 54). 63 Bull. Fr. 1,113; s. hierzu auch die Anm. von Little: Eccleston. De adventu, S. 67,l; ferner: Anal. Fr. 3,213f., Anm. 5. 64 Eccleston, De adv., Coll. XIII (ed. Little, 66f.).

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Bruder Elias benutzte die neugewonnene Machtposition dazu, den Bau der Grabeskirche mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln voranzutreiben. Die Rücksichtslosigkeit, mit der er die Mitglieder des Ordens für die Geldeintreibung einsetzte, trug dazu bei, daß er sich sehr schnell wieder unbeliebt machte.66 Bei den Gefährten aus der nächsten Umgebung des Franziskus, die sich der radikalen Armut und dem Geldverbot verpflichtet wußten, erregte vor allem ein marmornes Gefäß Anstoß, das vor der Baustelle aufgestellt worden war, um Geld zu sammeln. Der Gralswächter der ursprünglichen franziskanischen Ideale, Bruder Ägidius, an den sich Bruder Leo ratsuchend gewandt hatte, bestärkte dessen Absicht, das Geld-Scheusal zu demolieren – nicht ohne ihn vor der Grausamkeit des Elias zu warnen. Leo und seine Gefährten schlugen dennoch das Opfergefäß in Stücke. Darauf ließ Elias sie durch seine Diener auspeitschen und aus der Stadt verweisen.67 Harmloser war der Angriff des Bruders Juniper auf den Reichtum der Basilika: er hatte, noch während der Amtszeit des Generalministers Johannes Parens, silberne Glöckchen, die sich als Verzierung am Antependium des Altares befanden, einer armen Frau geschenkt.68 Bruder Ägidius, der sich damals schon dauernd in Perugia aufhielt, kam einmal aus Verehrung für den heiligen Franziskus nach Assisi herüber. Die im Konvent bei S. Francesco wohnenden Brüder führten ihn voller Stolz durch die aufwendigen Gebäude der Kirche und des Klosters. Ägidius besichtigte alles aufmerksam und sagte dann in seiner kurzen, trockenen Art: »Brüder, ich sage euch, jetzt fehlen euch nur noch die Frauen.« Da die Brüder hierauf mit Unwillen reagierten, erklärte er ihnen: »Meine Brüder, ihr wißt wohl, daß es euch ebenso unerlaubt ist, von der Armut zu dispensieren wie von der Keuschheit. Nachdem ihr die Armut von euch zurückgestoßen habt, könnt ihr leicht auch auf die Keuschheit verzichten.«69 65 »Unde pro sua voluntate plurima ordini non convenientia disponebat. Infra septem enim annos capitulum generale secundum regulam non tenuit et fratres sibi resistentes hinc inde dispersit« (Chron. fr. Jordani, 61; ed. Boehmer, 55); vgl. auch ebd. 66 (ed.c. 58) über die Absetzung des Elias auf dem Generalkapitel zu Rom 1239: »In eodem capitulo frater Helias, cum prefuisset annis septem, absolutus est. . .« 66 »Frater vero Helyas factus generalis minister opus ad sanctum Franciscum, quod in Assisio inceperat, perficere volens fecit exacciones per totum ordinem ad inceptum consummandum. Ipse enim habuit totum ordinem in sua potestate. . .»(ebd. 54); vgl. Chron. XXIV Gen.: »Pro fabrica vero eiusdem ecclesiae frater Helias variis modis coepit pecunias extorquere. Nam primus pecuniarias collectas indixit provinciis pro eodem opere consummando« (Anal. Fr. 3,34); Salimbene, Chronik (MGH SS 32,107): »Verum Helyas potius mittebat visitatores, qui essent exactores, quam qui essent correctores, et qui sollicitarent provincias et ministros ad tributa solvenda et munera largienda. ›Et si quis non dabat in ore eorum quippiam, sanctificabant super eum pretium‹, Michee III.« 67 Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,34. 72. 89). 68 Ebd. 58. Dieser Juniperus (Ginepro; Wachholder) ist, ähnlich wie Ägidius, einer der großen, naiv-hintersinnigen Hanswürste (ioculatores) des ältesten Franziskanertums. Wir begegnen ihm wieder am Sterbebett der heiligen Klara (Leg. S. Clarae 45; ed. Omaechevarri´a, 178f.); s.u. X. Kap., bei Anm. 118. 69 Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,89.).

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Die Quellen enthalten zahlreiche Hinweise darauf, daß der Bau von Doppelkirche und Konvent unter der Leitung des Elias ungemein rasche Fortschritte machte.70 Wie Beda Kleinschmidt überzeugend dargelegt hat, war die Unterkirche bei der Übertragung der Gebeine des Franziskus im Mai 1230 vollendet. Nach einer höchstens zwei Jahre dauernden Unterbrechung ließ Elias ab 1232 die Arbeiten, vielleicht unter Leitung eines anderen Baumeisters, fortführen.71 Im Jahre 1236 malte Giunta Pisano im Auftrag des Bruders Elias den Crucifixus für den Lettnerbalken der Oberkirche S. Francesco. Dies ist, wie vor Kleinschmidt schon Lucas Wadding angenommen hat, einer der wichtigsten Beweise dafür, daß der Rohbau der Oberkirche, einschließlich des Daches, spätestens in diesem Jahr vollendet gewesen sein muß.72 Der Crucifixus, den Wadding noch gesehen hat, hatte zu seinen Füßen, auf dem Suppedaneum, eine Darstellung des Elias und trug die Inschrift: FRATER HELIAS FECIT FIERI JESU CHRISTE PIE MISERERE PRECANTIS HELIE JUNCTA PISANUS ME PINXIT ANNO DOMINI M. CC. XXXVI.

Mit dieser Darstellung seiner Person an hervorragender, allgemein sichtbarer Stelle, vor dem Papstaltar der Oberkirche, wollte sich Elias gewiß nicht nur als Auftraggeber des Crucifixus, sondern auch als Erbauer der Kirche in Erinnerung bringen. Wie Salvatore Settis vermutet, ist es der erste leidende

70 Der in der Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,34. 72. 90) überlieferte Satz des Bruders Ägidius: »Etsi usque Assisium fuerit longa domus, mihi sufficit unus angulus ad morandum« ist ein (aus der vorausgehenden Schilderung des Bruders Leo entnommener) Hinweis auf die von weitem sichtbaren langen Substruktionen, mit denen Elias das Baugelände des Paradieshügels befestigt hatte. Ihre heutige (noch viel imposantere) Gestalt erhielten die Substruktionen allerdings erst unter Sixtus IV., im 15. Jahrhundert; doch hat Elias bereits ähnliche, wenn auch bescheidenere Konstruktionen anlegen lassen. 71 Kleinschmidt schloß dies aus der von den übrigen Jochen abweichenden Gestalt des vierten Jochs der Unterkirche (Basilika I,9–15; 113–119); über die Änderung der ursprünglichen Konzeption (in der für die Unterkirche eine Vorhalle geplant war) noch während des Baues s. jedoch jetzt: Wolfgang Schenkluhn, San Francesco in Assisi: Ecclesia specialis. Die Vision Papst Gregors IX. von einer Erneuerung der Kirche, Darmstadt 1991, 19–124. 72 »Sane consummatam fabricam utriusque Ecclesiae mihi probat egregia imago Christi crucifixi; quam superponi curavit frater Elias transtris seu transversae trabi everganeae Templi superioris, et quam Giunta Pisanus affabre pinxit anno MCCXXXVI. subiecta etiam ad vivum ipsius Eliae vera imagine sequentibus litteris. . .« (Wadding, Ann. Min. 2,397, zum Jahr 1235); Kleinschmidt, Basilika I,116; aufgrund detaillierter Untersuchungen am Bau kommt Schenkluhn neuerdings ebenfalls zu einer Frühdatierung der Oberkirche (s.o. Anm. 71).

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Christus überhaupt, zu dessen Füßen sich der Auftraggeber in der Gebärde des frommen Beters darstellen läßt.73 Als Wadding die Inschrift las, war der Triumphbalken samt Crucifixus bereits entfernt worden. Man hatte ihn 1623 der Dekoration der Kirche aus Anlaß der Bischofsweihe des Kardinals Francesco Boncompagni geopfert. Noch heute sind rechts und links vor dem Chor der Oberkirche die beiden Stümpfe des abgesägten Balkens zu erkennen. Das Kreuzbild selbst, samt der porträt-ähnlichen Darstellung des Elias, ist verlorengegangen. Hans Belting, der mit Edgar Hertlein annimmt, daß die Oberkirche in ihren wesentlichen Teilen erst während des Pontifikates Innocenz’ IV. (1243–1254) errichtet worden sei, sieht sich zu der (unbegründeten) Vermutung genötigt, das Kreuz des Giunta Pisano sei ursprünglich für die Unterkirche bestimmt gewesen.74 Aus der Tatsache, daß Innocenz IV. am 25. Mai 1253 die Weihe der Doppelkirche vollzogen hat, läßt sich jedoch keinerlei Rückschluß auf die Zeit der Vollendung ihres Baus ziehen.75 Wadding erwähnt allerdings, unter Berufung auf Mariano von Florenz, eine frühere Weihe beider Kirchen, die Gregor IX. am Weißen Sonntag, dem 20. April 1235, vollzogen haben soll.76 Wenn man bedenkt, daß sich der Papst fast ein Jahr 73 S. Settis, Ikonographie der italienischen Kunst. Eine neue Sicht auf ihre Geschichte, München 1991, II,9–105; ebd. 48. 74 H. Belting, Die Oberkirche von San Francesco in Assisi. Ihre Dekoration als Aufgabe und die Genese einer neuen Wandmalerei, Berlin 1977, 25, Anm. 49; 27; E. Hertlein, Die Basilika von S. Francesco in Assisi. Gestalt – Bedeutung – Herkunft, Florenz 1964, 237–239; Hertlein meint, die Oberkirche sei wesentlich durch die Bauformen der 1243–1247 errichteten Sainte Chapelle von Paris und anderer durch Ludwig IX. geförderter Kirchen- und Kathedralbauten der Ile-de-France und der Champagne (Reims) beeinflußt (ebd. 167–204); vgl. auch Joachim Poeschke, Die Kirche San Francesco in Assisi und ihre Wandmalereien, München 1985, 13. Dagegen ist schon Hans Wentzel aufgrund eines eingehenden Vergleichs der drei Apsisfenster der Oberkirche mit deutschen Glasmalereien des 13. Jahrhunderts zu einer Frühdatierung der Oberkirche gekommen. Wentzel nimmt an, daß die Chorfenster bereits bei Baubeginn (um 1230) in einer deutschen Werkstatt in Auftrag gegeben und von dort importiert wurden; die Fenster seien dann zwischen 1230 und 1250 eingesetzt worden: Die ältesten Farbfenster in der Oberkirche von S. Francesco zu Assisi und die deutsche Glasmalerei des XIII. Jahrhunderts. Wallraf-Richartz-Jahrbuch 14 (1952), 45–72; ebd. 62–64. 71. 75 Kleinschmidt, Basilika I,117. Die Weihe durch Innocenz IV. ist bezeugt durch dessen Biographen Niccolo` da Calvi (Nicolaus de Carbio): Vita Innocentii Papae IV, c. 32. 33 (L.A. Muratori, Rerum Italicarum Scriptores III/1, Mailand 1723, 592; S. Baluze, Miscellanea, ed. J.D. Mansi, I, Lucca 1761, 213. 76 »Hoc anno, teste Mariano, Pontifex Assisium venit e Viterbio, Perusium abiens, ubi cum expletam tectamque videret utramque Ecclesiam, mediam scilicet et supremam, quae super infimam, in qua sancti Francisci corpus reconditum est, magnifice consurgunt, sacris caeremoniis, et summa solemnitate ipse consecravit vigesimo die Aprilis, Dominica in Albis« (Wadding, Ann. Min. 2,397); Compendium Chronicarum

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lang, vom 18. September 1234 bis zum 1. September 1235, in Perugia aufgehalten hat,77 dann ist der Vollzug einer Konsekrations- oder Benediktionshandlung durch ihn in S. Francesco während dieser Zeit nicht ganz unwahrscheinlich. (Der Weg von Perugia nach Assisi kann von einem Berittenen in weniger als einer Stunde zurückgelegt werden; auch der sich langsam bewegende päpstliche Hof brauchte für die Strecke kaum mehr als drei Stunden). Einen weiteren Beweis für eine frühe Vollendung der Oberkirche – noch während des Pontifikates Gregors IX. – hat Kleinschmidt in den beiden mächtigen Adlern über dem Konsolfries der Oberkirchenfassade gesehen: da der Adler das Wappentier Gregors IX. sei, habe man in den genannten Skulpturen einen Hinweis auf diesen Papst zu sehen.78 Ob der Adler tatsächlich das Wappentier Gregors war, konnte ich nicht feststellen (Kleinschmidt gibt auch keine Quelle für seine Information an). Mit Sicherheit war er aber das bevorzugte Symboltier Friedrichs II., das er häufig an seinen Bauten, aber auch auf Schmuckstücken anbringen ließ.79 Wenn in der Fensterrose mit den sie umgebenden Evangelistensymbolen die geistliche Seite der Christianitas dargestellt ist, die Welt, in der das Evangelium verkündet wird, dann hätten wir in den beiden Adlern des Frieses darunter vielleicht das Symbol der weltlichen, kaiserlichen Macht zu sehen. Die damaligen Träger der beiden Mächte, Papst Gregor und Kaiser Friedrich, hat Elias ja auch in der Inschrift der 1239 gegossenen, »Italiana« genannten Glocke erwähnen lassen.80 Wenn aber die Fratrum Minorum scriptum a Patre Mariano de Florentia. AFH 1 (1908), 98–107; 2 (1909), 92–107; 305–318; ebd. 2,102; Zaccaria, Diario (o. Anm. 37), 82 (Nr. 16); dagegen Kleinschmidt, Basilika I,117, Anm. 1. Neuerdings hält Schenkluhn, San Francesco (o. Anm. 71), 216f., eine Weihe der Doppelkirche im April 1235 für sehr wahrscheinlich. 77 Potthast, Reg. Pont. Rom. I,827–852. 78 Kleinschmidt, Basilika I,119 und ebd. Abb. 59; Jürgen Wiener, der ansonsten eine sehr genaue Beschreibung der Bauplastik von S. Francesco gibt, hat merkwürdigerweise die Adler der Fassade nur einmal kurz erwähnt (113), ohne auf ihre Bedeutung einzugehen: Die Bauskulptur von San Francesco in Assisi (Franziskanische Forschungen, 37), Werl 1991, 137–140. Auch über dem südlichen Seitenportal des Domes S. Rufino von Assisi ist ein Adler angebracht. 79 C.A. Willemsen, Die Bauten Kaiser Friedrichs II. in Süditalien, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, I, Nr. 870–880 (S. 683–688); s. auch ebd. II, Abb. 642–650; 653. 554; III, 143–163; ebd. Abb. 34 (neben S. 160), 35, 36, 59; Herbert Nette, Friedrich II. von Hohenstaufen in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1975, Abb. neben S. 75 und 106; Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. III. Kap., Anm. 53), 476f. Von besonderer Eindrücklichkeit sind die Adler-Konsolen zu beiden Seiten des erhaltenen Portals des kaiserlichen Palastes zu Foggia (erbaut 1223). Sie könnten das direkte Vorbild der Fassaden-Adler von S. Francesco sein; Arthur Haseloff, Die Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien. I. Bd. (Textband und Tafelband), Leipzig 1920, 71 und Tafelband, Tafel II; Die Zeit der Staufer III, Abb. 34 (neben S. 160). 80 S.u. bei Anm. 82!

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Adler der Fassade der Oberkirche wirklich »kaiserliche« Adler sind, dann deutet auch dies darauf hin, daß der Kirchenbau vollendet war, bevor der Konflikt zwischen Papst und Kaiser heillos geworden war. Wie immer es sich mit der Konsekration der Doppelkirche S. Francesco und den Adler-Plastiken der Oberkirchenfassade verhalten mag: ein weiteres sicheres Indiz für die Vollendung der Oberkirche ist der Guß von sechs Glocken durch den Pisaner Glockengießer Bartholomäus und seinen Sohn Loteringius im Jahre 1239. Damals muß also der Campanile bereits gestanden haben, mit dessen Bau man doch wohl erst nach der Oberkirche begann.81 Die Inschriften von zwei der Glocken sind überliefert:82 ANNO DOMINI 1239. ELIAS FECIT FIERI. BARTHOLOMEVS PISANVS ME FECIT CVM LOTERINGIO FILIO EIVS. ORA PRO NOBIS BEATE FRANCISCE. AVE MARIA GRATIA PLENA. ALLELVIA. ANNO DOMINI 1239. PAPE GREGORII TEMPORE NONI CESARIS AC POTENTISSIMI FRIDERICI. O FRANCISCE PIE FRATRIS STVDIO SED HELIE. CHRISTVS REGNAT CHRISTVS VINCIT CHRISTVS IMPERAT. MENTEM SANCTAM SPONTANEAM HONOREM DEO ET PATRIE LIBERATIONEM. CVM FIT CAMPANA QVE DICITVR ITALIANA. BARTHOLOMEVS FECIT CVM LOTERINGIO FILIO EIVS. AVE MARIA GRATIA PLENA DOMINVS TECVM BENEDICTA TV IN MVLIERIBVS ET BENEDICTVS FRVCTVS VENTRIS TVI.

Wie Salimbene berichtet, hatten die Provinzialminister eine große, schöne und klangvolle Glocke gestiftet. Das Geläute von insgesamt sechs Glocken erfüllte mit seinem Wohlklang das gesamte Tal.83 Dies ist auch heute noch der Fall, wenngleich von den mittelalterlichen Glocken keine mehr erhalten ist. Nach Vollendung aller wesentlichen Teile der Doppelkirche und des Konvents wurde Elias auf dem Pfingstkapitel (15. Mai) 1239 in Rom vom Amt des Generalministers abgelöst.84 Die rüden Methoden der Geldbeschaffung für den Bau von S. Francesco waren gewiß einer der Gründe, die einige angesehene Brüder des Ordens veranlaßten, den Papst um die Absetzung des Elias zu bitten. Daß auch im übrigen bei den Bauarbeiten nicht zimperlich vorgegangen wurde, zeigt ein notariell beglaubigter Vertrag vom 26. Mai 1239; in ihm 81

Zu diesem Ergebnis kommt auch Schenkluhn, San Francesco, 88–90. Kleinschmidt, Basilika I,15f.; 115–119; Zaccaria, Diario, 83f. (Nr. 21). 83 Vgl. Salimbene, Chronik (MGH SS 32,107): »Hinc est, quod ministri provintiales tempore illo suis expensis fecerunt fieri apud Assisium pro ecclesia beati Francisci unam campanam grandem et pulchram atque sonoram, quam vidi, cum aliis V similibus ei, ex quibus tota vallis illa consonantia delectabili replebatur.« 84 Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,228): »Hic Generalis frater Helias circa annum Domini MCCXXXVIII vel IX, ut dicit frater Bernardus de Bessa in Chronica Generalium, vocato Romae capitulo generali, postquam illam duplicatam ecclesiam Assisii cum campanis et campanili perfecit, fuit a ministerio absolutus«; s. auch ebd. Anm. 7. Über die Einzelheiten der Absetzung s.w.u. bei Anm. 120ff. 82

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verpflichten sich Bruder Elias als »Herr und Custos der Kirche des heiligen Franziskus von Assisi« (dominus et custos ecclesie sancti Francisci Assisinatis) und Bruder Jakob von Bevagna als »Syndicus und Procurator der genannten Kirche und ihres Konvents«, den Brüdern Sanguonius und Thomas, Söhnen des Ufreducius Sanguonis, eine Mauer wiederherstellen zu lassen, aus der große Travertinblöcke für den Bau der Kirche entnommen worden waren.85 Die Brüder waren besorgt, zu ihrer Entschädigung zu kommen, da Elias kurz davor als Generalminister abgesetzt worden war – mit Recht, denn die Erben des Ufreducius wurden erst dreißig Jahre später, am 27. Oktober 1266, abgefunden.

4. Kulturgeschichtliche Bedeutung der Kirche San Francesco Die Erhebung des Franziskus zu einer alle Heiligen überragenden Kultfigur, die Bruder Elias schon kurz nach dessen Tod durch seinen Rundbrief in die Wege geleitet hatte,86 fand mit der Doppelkirche S. Francesco ihren krönenden Abschluß. Den Leichnam des Franziskus hatte Elias so gut verbergen lassen, daß er für fast sechs Jahrhunderte absolut unzugänglich blieb. Das Grab wurde, nach 52 Nächten intensiver Grabungsarbeit im Bereich des Hochaltars der Unterkirche, am 18. Dezember 1818 durch den damaligen Custoden des Heiligen Konvents, Giuseppe de Bonis, aufgefunden. Dabei zeigte sich, daß der steinerne Sarkophag mit den Gebeinen mit zwei eisernen Gitterrosten gesichert, in den Felsen des Untergrundes eingelassen und anschließend mit einer betonartigen Masse zugegossen worden war. Die Unzugänglichkeit des Grabes gebar den Mythos von einer dritten Kirche, die sich angeblich unter der Unterkirche befand. In ihr sollte der tote Franziskus, unverwest und aufrecht stehend, das Ende der Zeit erwarten. Auch von Kaiser Friedrich II. († 1250) nahmen die Zeitgenossen an, er sei nicht wirklich tot, sondern befände sich in einer Art Zwischenzustand an einem verborgenen Ort. (In Deutschland entstand daraus später die auf Friedrich I. Barbarossa bezogene Kyffhäuser-Legende).87 Zu der Legende über den in der unterirdischen Kirche stehenden Franziskus, die bis in das 20. Jahrhundert hinein ihre gläubigen Verfechter fand, trug sicher auch die Vorstellung von Franziskus als »alter Christus« bei: sein durch die Stigmata dem 85

Text der Urkunde: Kleinschmidt, Basilika III,3 (Nr. 3); Zaccaria, Diario 83 (Nr. 20); dazu: Kleinschmidt, Basilika I,16. 117. 86 S.o. bei Anm. 31–33. 87 S. dazu: Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. III. Kap., Anm. 53), 638f.; Klaus Schreiner, Die Staufer in Sage, Legende und Prophetie, in: Die Zeit der Staufer (o. Anm. 79) III,249–262.

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Leib des gekreuzigten Christus gleichgestalteter Körper durfte so wenig wie jener der Verwesung anheimfallen.88 Wie bereits erwähnt, war es Elias gewesen, der für den besonderen Kult des Franziskus den Grund gelegt hatte, als er der Christenheit die Stigmatisierung des eben gestorbenen mitteilte. Aufgrund der eigenartigen Umstände der Bestattung wurde das »neue Wunder« ins Geheimnisvolle entrückt und konnte eine umso größere Anziehungskraft auf die heranströmenden Pilgermassen ausüben. Bis in die Neuzeit wurden mehrere Augenzeugen genannt, die aus besonderem Anlaß die unterirdische Kirche betreten und den aufrecht stehenden Leichnam des Franziskus gesehen haben sollen, darunter so bedeutende Leute wie im 14. Jahrhundert der Kardinal Ägidius Albornoz, im 15. Jahrhundert die Päpste Nikolaus V. und Sixtus IV. Lucas Wadding, der selbst an die Legende glaubte, hat drei der Besuche in der Gruft des Heiligen beschrieben und mit den entsprechenden Augenzeugenberichten dokumentiert, die nicht völlig aus der Luft gegriffen scheinen. Auf den Kardinal Austergius, Erzbischof von Benevent, geht der ausführliche Bericht über den Abstieg des Papstes Nikolaus V. in die unterirdische Kirche im Jahre 1449 zurück.89 Der Papst, in dessen Begleitung sich außer dem genannten Kardinal noch Petrus de Noceto und ein namentlich nicht genannter französischer Bischof sowie der Guardian des Klosters und zwei weitere Franziskaner befanden, hielt sich von elf Uhr nachts bis fünf Uhr morgens in der »kleinen Kirche« auf, die von einem »überaus angenehmen Duft« erfüllt war. Man war über eine Treppe 88 Über den Mythos der dritten Kirche und die Auffindung des Grabes des Franziskus s. Kleinschmidt, Basilika I,62–69. Die Gebeine waren zwei Jahre nach ihrer Auffindung, am 15. November 1820, in einer Urne aus Bronze geborgen worden; diese wurde am 4. Oktober 1824 in den alten steinernen Sarkophag eingeschlossen. Vorher hatte man das die Grabstätte umgebende Felsenmaterial beseitigt und eine Krypta geschaffen; diese wurde 1925–1932 erweitert und in neoromanischen Formen umgestaltet. Der Sarkophag ist zwar an seinem alten Platz belassen, zeigt sich jedoch dem Pilger und Besucher nunmehr über dem Altar der Krypta. Der Historiker des Franziskanertums wird seine Zweifel haben, ob diese Lösung besonders glücklich ist. Jedenfalls ist die Entmythologisierung des Grabes und der dritten Kirche perfekt. Die Auffindung des Sarkophags mit dem vollständigen Skelett des Heiligen im Jahre 1818 erwies die angebliche Existenz einer dritten, unterirdischen Kirche endgültig als puren Mythos: »si tratta di una pura favola definitivamente tramontata dopo gli scavi e la ricognizione del corpo di s. Francesco nel 1818«: Isidoro Gatti, La tomba di S. Francesco nei secoli, Assisi 1983, 149; vgl. auch ebd. 141. 1978 fand erneut eine Erhebung der Überreste des Franziskus statt, die (vom 24. Januar bis zum 4. März) eingehend untersucht wurden; die Teile des Skeletts wurden anschließend in eine Urne aus Plexiglas gelegt, die ihrerseits wiederum in dem Sarkophag bestattet wurde; s. die ausführlichen Berichte darüber in: La Ricognizione del Corpo di San Francesco 24 gennaio – 4 marzo 1978, Assisi 1978. 89 Wadding, Ann. Min. 2,236–238; vgl. Ann. Min. 12,25; über den Besuch Nikolaus’ V. in der unterirdischen Kirche s. auch Gatti, Tomba, 151f.

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und durch ein mit drei Schlössern gesichertes Eisengatter in die Kirche gelangt. Der Leichnam des Franziskus stand aufrecht und unverwest in der mittleren von drei Nischen der Kirche. Der Papst hob eigenhändig den Saum der Kutte in die Höhe, so daß ein Fuß mit frisch blutender Wunde sichtbar wurde. Auch die Stigmata an den Händen waren zu erkennen. Der Papst küßte, bevor er sich mit seinen Begleitern aus der Gruft zurückzog, die Hände und den Mund des Heiligen. Der zweite Papstbesuch bei dem Leichnam des Franziskus, von dem Wadding berichtet, ist der Sixtus’ IV.90 Der Papst, der Franziskaner und ein besonderer Verehrer des Ordensstifters war, hatte schon bevor er den Apostolischen Stuhl bestiegen hatte, den Wunsch gehabt, einmal in das Grab hinabzusteigen. Doch er hatte dazu nicht die Einwilligung der Verantwortlichen erlangen können. Sixtus IV. war am 1. und 2. August 1476 bei den Feierlichkeiten zum Jahrstag des Ablasses bei der Portiuncula-Kirche anwesend. Anschließend führte er geheime Verhandlungen mit dem Generalminister, dem Custoden des Heiligen Konvents und dem Sakristan von S. Francesco, mit dem Ergebnis, daß ihm ein nächtlicher Besuch in der unterirdischen Kirche ermöglicht wurde. In seiner Begleitung befanden sich der Kardinal Johannes Arcimboldus, damals Bischof von Novara und später (ab 1484) Erzbischof von Mailand, und Andreas von Norcia, Befehlshaber der päpstlichen Leibwache, der Sixtus IV. eine Fackel vorantrug. Auch diese Besucher erblickten den aufrecht stehenden Leichnam des Franziskus mit den Stigmata, die sie küßten. Der Papst schnitt Franziskus einige Haare ab, die er als kostbare Reliquie aufhob. Von dem Plan, ein Mausoleum zu bauen, in dem das »Wunder« allgemein sichtbar geworden wäre, brachte ihn Bruder Jakob von Piceno ab, der damals als Heiliger und Ketzerverfolger in Kirche und Orden ein hohes Ansehen genoß. Der dritte zuverlässig dokumentierte Besuch dieser Art ist der des adeligen Herrn Galeottus a Galeottis de Bistochio in der Nacht des 18. November 1509. Er selbst hat darüber am 20. November für seinen Sohn Antonio Francesco ein Schriftstück angefertigt, das Wadding vorlag und von diesem ins Lateinische übersetzt wurde.91 Auch Galeotti sah den aufrecht stehenden Leichnam des Franziskus, der wie lebend aussah. Die Kleider waren unversehrt und zeigten keinerlei Spuren von Zerfall. Die Stigmata waren frisch und rot wie Wunden an einem lebendigen Körper. Als die Tür der Kirche geöffnet wurde, schlug ihm ein durchdringender Wohlgeruch entgegen. Galeotti wurde begleitet von dem damaligen Custoden des Heiligen Konvents, Bruder Julius von Lecce, und dem Sakristan, Bruder Justinian von Collostate. Für den Abstieg mußte er viel Geld bezahlen, wobei sich die beiden Minderbrüder über den Preis in die 90 91

Ann. Min. 14, Rom 21735, 145f.; vgl. Gatti, Tomba, 122–126. Ann. Min. 2,238f.

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Haare gerieten.92 Es folgt dann eine Beschreibung der Kirche, deren Eingang sich gegenüber dem Hauptaltar befindet (es gibt also mehrere Altäre!). Zur Kirche führt eine Treppe mit 17 Stufen hinab (auf jeder derselben betete der Besucher ein Vater unser und Ave Maria). Wenn diese Berichte samt ihren Details nicht einfach erlogen sind, dann bleibt nur die Annahme übrig, daß die Brüder des Sacro Convento nicht davor zurückschreckten, gelegentlich für hochgestellte und gut zahlende Besucher, und selbst für Päpste eine sogenannte pia fraus zu inszenieren. Alle Berichte stimmen darin überein, daß der Schwindel in einem Kirchenraum stattfand (vermutlich war es einer der Räume hinter der Apsis der Unterkirche, in die man heute noch über Treppen hinabgelangt).93 Es gab also, zumindest im 15. Jahrhundert, keinen Gang, der vom Chor der Unterkirche zu einem unterirdischen loculo, einer cella memoriae oder kleinen Grabkammer führte, wie es gelegentlich zu lesen ist.94 Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß der Sarkophag in den Jahrhunderten davor zugänglich war. Dagegen sprechen schon die von Elias bei der endgültigen Bestattung getroffenen Vorsichtsmaßnahmen. Wie neuerdings Pasquale M. Magro behauptet, soll Sixtus IV. nach seinem Besuch die Zuschüttung des erwähnten Ganges veranlaßt haben.95 Aber schon 33 Jahre später, als (1509) unter dem Papst Julius II. der erste (vergebliche) Versuch unternommen wurde, den Zugang zum Grab zu öffnen, wäre der Eingang dieses Korridors schon nicht mehr bekannt gewesen! Im Jahre 1571 fanden erneut Grabungen im Bereich des Chors der Unterkirche statt: der Papst Pius V. hatte den Wunsch geäußert, die Gebeine des Franziskus zu sehen. Ein weiterer Versuch, den Sarkophag zu finden, wurde 1607 unter Paul V. unternommen; dieser Papst ließ die Ausgrabungsarbeiten abbrechen, bevor man das Ziel erreicht hatte. Am Ende des 18. Jahrhunderts, als die Aufklärung auch den Apostolischen Stuhl und die Ordensleitung der Franziskaner erreicht hatte, wollte man es dann doch ganz genau wissen. Nachdem bereits 1755/1756, unter dem Pontifikat des Papstes Benedikt XIV., Nachforschungen stattgefunden hatten,96 ließ im Jahre 1806 der damalige 92 »Nec absque pretio obtinui; dissidentibus etenim his Patribus, consensum extorsi multo nummo, cooperante meis votis ipso sancto Patriarcha.« 93 I. Gatti, Tomba (o. Anm. 88), 161–224, hat alle Berichte über Besuche beim Leichnam des Franziskus als legendär und phantastisch abgetan, ohne die Möglichkeit einer betrügerischen Inszenierung überhaupt in Betracht zu ziehen. 94 So noch Michele Millozzi, Anno 1818: Il ritrovamento del corpo di San Francesco, in: Ricognizione (o. Anm. 88), 66–77, ebd. 76: »Abbiamo, infatti, molti documenti dai quali si deduce che esisteva un corridoio dal coro al loculo dove era il corpo di San Francesco; sappiamo dell’esistenza di chiavi del sepolcro, delle severe proibizioni emanate dal Papa Sisto IV perche` si proibissero visite troppo facili alla tomba del Santo«; vgl. auch: Pasquale M. Magro, La Basilica sepolcrale di San Francesco in Assisi. Percorsi storico-artistici. Quadri concettuali, Assisi 1991, 106f. 95 Magro, Basilica, 24.

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Custode und (seit 1803) Ordensgeneral Niccolo` Papini die erste größere Grabung vornehmen, die während der Besetzung des Landes durch die Franzosen vorzeitig eingestellt werden mußte. Erst 1818 wurde, wie bereits erwähnt, der Sarkophag mit den Gebeinen des Franziskus gefunden. Die Doppelkirche S. Francesco ist ein architektonisches Kunstwerk von besonderem Rang. In die Einzelfragen der noch längst nicht beendeten Diskussion um die möglichen Vorbilder des Baus und die Einflüsse auf dessen Stil wollen wir uns hier nicht einmischen.97 Wir beschränken uns auf nur zwei Hinweise, was die Anlage der Doppelkirche und den gotischen Baustil von S. Francesco betrifft: 1. Doppelkirchen gab es schon in der Zeit der Romanik zahlreiche in ganz Europa. B. Kleinschmidt nennt u.a. Montmajour bei Arles, Montefiascone, Schwarzrheindorf bei Bonn, die Godehardskapelle am Mainzer Dom. In der Zeit der Hochgotik ist das bekannteste Beispiel die Sainte Chapelle in Paris. Es sind nicht selten Grabes- oder Memorialkirchen, also Kirchen, deren Bestimmung es war, das Grab eines Stifters oder eine Reliquie aufzunehmen. Auch die Kirche S. Francesco zu Cortona, die Elias in seinen letzten Lebensjahren (ab 1245) plante und erbaute, ist eine Doppelkirche, woran ebenfalls schon Kleinschmidt erinnert hat.98 Von wem die Idee zur Anlage einer Doppelkirche auf dem Paradieshügel von Assisi stammt, ob von Bruder Elias oder dem Papst Gregor IX., ist mit eindeutiger Gewißheit kaum mehr auszumachen. (Nimmt man alle, auch die im folgenden noch zu erörternden, Nachrichten über die architektonische Tätigkeit des Elias zusammen, dann spricht die Wahrscheinlichkeit eher für ihn). Doch war diese Konzeption von allem Anfang an vorhanden und entstand nicht erst im Verlaufe des Baus. Hätte man anfangs nur eine einfache Kirche geplant, so hätte man diese nicht – wie mit der Unterkirche geschehen – durch Abtragung des Hügels tiefer gelegt, sondern eher durch Substruktionen zu erhöhen gesucht.99 Das beweist hinreichend, welche Absicht ursprünglich bestand. Auch das vierte (Eingangs-) Joch des Langhauses ist nicht, wie man früher geglaubt hat, ein späterer Anbau. Wie Wolfgang Schenkluhn kürzlich dargelegt hat, handelt es sich wohl um 96 Damals nahm P. Ubaldo Tebaldi im Auftrag des Papstes Ausgrabungen vor. Über das Ergebnis schreibt er an den Ordensgeneral Barbarigo, es habe sich herausgestellt, daß die vielgepriesene dritte Kirche ein purer Schwindel sei: »onde toccassimo colle mani che la terza chiesa sotterranea decantata e` una mera frottola« (zitiert bei Gatti, Tomba, 142). 97 S. dazu vor allem den Abriß der Forschungsgeschichte bei Wiener, Bauskulptur (o. Anm. 78), 9–23; Schenkluhn, San Francesco (o. Anm. 71), 125–172. 98 Kleinschmidt, Basilika I, 110b, Anm. 4; Basili, Frate Elia (o. Kap. I, Anm. 26), 59. 61; s.u. bei Anm. 171. 99 Kleinschmidt, Basilika I,108–110; einen ausführlichen Beweis für die Planung einer Doppelkirche von allem Anfang an gibt neuerdings Schenkluhn, San Francesco, 111–124.

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einen anfangs als Vorhalle (Narthex) geplanten Bau, dessen Funktion jedoch noch während der Arbeiten verändert wurde.100 2. Auf einen möglichen Einfluß der französischen Kathedral-Gotik auf die Oberkirche wurde wiederholt hingewiesen.101 Ob dieser direkt erfolgte oder durch italienische Cistercienser-Kirchen vermittelt war, ist umstritten und wohl noch nicht hinreichend untersucht. Die Oberkirche S. Francesco ist keineswegs die erste gotische Kirche in Italien, wie gelegentlich zu lesen ist. Vor ihr standen die Cistercienser-Abteikirchen von Fossanova (geweiht am 9. Juni 1208 durch Innocenz III.) und Casamari (geweiht 1217 durch Honorius III.).102 Ein kunsthistorischer Vergleich mit Fossanova wäre vielleicht nicht ganz unergiebig. Was immer über den Einfluß einzelner Stilelemente schon erforscht wurde oder in Zukunft noch herausgebracht wird, dürfte kaum die Feststellung von Louis Grodecki in Frage stellen: »Die Architektur der Doppelkirche ist von absoluter, machtvoller Originalität. Vorgängerbauten sind nicht bekannt.«103 Was S. Francesco von den genannten Abteikirchen der Cistercienser und vielen anderen gotischen Kirchen unterscheidet, ist das Fehlen einer Aufteilung des Kirchenraumes durch Säulen oder Pfeiler in ein Haupt- und zwei Seitenschiffe.104 Die so zustandekommende einschiffige Halle bietet mit ihren großen zusammenhängenden Wandflächen die ideale Voraussetzung für die Freskenzyklen, die von Giotto und seinen Nachfolgern gegen Ende des 13. Jahrhunderts dort geschaffen wurden. Das Franziskusbild und die franziskanische Theologie, die in ihnen zum Ausdruck kommen, entsprechen allerdings nur noch zum Teil den Vorstellungen der Erbauer der Kirche, da ihre literarische Grundlage die nunmehr tonangebende Legenda maior des heiligen Bonaventura ist. Doch kann das, wie alle Veränderungen und Zusätze, die später an S. Francesco vorgenommen wurden, das Verdienst des ersten Bauleiters und eigentlichen Architekten, des Bruders Elias, kaum schmälern. Wenn Franziskus selbst durch sein eigenes Leben und den neuen Zugang, den er zum Leben Jesu, den Erzählungen der Evangelien, den Mysterien und 100

Schenkluhn, San Francesco, 80–88. So schon Thode, Franz von Assisi, 359–375; vgl. Hans Jantzen, Die Gotik des Abendlandes, Köln 21963, 142; Hertlein, Basilika (o. Anm. 74), 167–204. 102 M.-Anselme Dimier, L’Art cistercien hors de France. Zodiaque 1971, 191. 201; Louis Grodecki, Architektur der Gotik, Mailand-Stuttgart 1976, 319; Heinrich Dekker, Gotik in Italien, Wien und München s.a., 287; Abb. 121–126; Kleinschmidt, Basilika I,100/102. 103 Vgl. auch Schenkluhn, S. Francesco (o. Anm. 71), 130: »Bislang konnte kein einziger Doppelkirchentypus nachgewiesen werden, der sämtliche Eigenschaften der Anlage von Assisi vereint.« 104 Zur Einschiffigkeit von S. Francesco s. Schenkluhn, S. Francesco, 127–129; von den dort genannten einschiffigen Abteikirchen S. Pietro in Valle und S. Giovanni in Fiore unterscheidet sich S. Francesco durch seinen T-förmigen Grundriß. 101

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Mythen des christlichen Glaubens eröffnete und damit so etwas wie eine Initialzündung gab für ein neues religiöses und kulturelles Bewußtsein – das der Renaissance nämlich – so ist Elias der erste gewesen, der diesem neuen Lebensgefühl eine machtvolle Gestaltung durch ein künstlerisch konzipiertes und durchdachtes Bauwerk verlieh.105 Er hat damit allerdings in totalem Widerspruch zu den Intentionen des Franziskus gehandelt. Schon die Rückführung des toten Franziskus nach Assisi war gegen dessen Willen erfolgt. Er hatte sich ja sterbend zur Portiuncula transportieren lassen, um dort auch begraben zu werden. Als Grund dafür, daß dies nicht geschah, nennt Jordan von Giano die Furcht der Bürger von Assisi, daß sich die Perusiner der wundertätigen Reliquie bemächtigen könnten.106 Die neue Grabeskirche und der bei ihr errichtete Konventbau widersprachen eindeutig den Vorstellungen, die Franziskus von einem Aufenthaltsort und dem Pilgerdasein der Brüder hatte und die auch in der Regel verbindlich festgelegt waren.107 Es ist schon sehr rätselhaft, wieso Elias von dem zentralen franziskanischen Ideal schlechthin, dem der »heiligen Armut«, offenbar überhaupt nichts gehalten hat. Wie sich bei den Verhandlungen auf dem Generalkapitel von 1239, die in Gegenwart des Papstes stattfanden, herausstellte, hatte er niemals ein Gelübde auf die Regel von 1223 und die Armut abgelegt.108 Ebenso wenig hielt er von Demut und Gehorsam: nach seiner Absetzung war er keineswegs gewillt, seinem Nachfolger oder dem Papst zu gehorchen.109 Salimbene de Adam erinnert sich noch nach Jahrzehnten an das Verhalten des Elias dem Podesta` von Parma, Gerhard von Corigia, gegenüber, wovon er bei seiner 105 Vgl. auch Stanislao Da Campagnola, L’Angelo del sesto sigillo e l’»Alter Christus«. Genesi e sviluppo di due temi francescani nei secoli XIII–XIV, Roma 1971, 228: »La vera rivoluzione artistica francescana inizia tuttavia con frate Elia, il costruttore delle grandi basiliche francescane di Assisi e Cortona.« 106 Jordan, Chronik, 50 (ed. Boehmer, 45); s.o. VII. Kap., Anm. 139. 107 Regula bullata, c. 6 (Esser, Opuscula, 368): »Fratres nihil sibi approprient nec domus nec locum nec aliquam rem. Et tanquam peregrini et advenae (1 Petr 2,11) in hoc saeculo in paupertate et humilitate Domino famulantes vadant pro elemosyna confidenter«; vgl. Testament (ebd. 440f.): »Caveant sibi fratres, ut ecclesias, habitacula paupercula et omnia, quae pro ipsis construuntur, penitus non recipiant, nisi essent, sicut decet sanctam paupertatem, quam in regula promisimus, semper ibi hospitantes sicut advenae et peregrini«; Leg. Per. 58 (ed. Bigaroni, 148): »Postea faciant fieri domos pauperculas ex luto et lignis constructas et aliquas cellulas, ubi fratres aliquando possint orare et pro maiori honestate ipsorum et etiam cautela verborum ociosorum laborare valeant. Ecclesias etiam fieri faciant; non enim debent fratres facere fieri magnas ecclesias occasione ibi populo predicandi nec aliqua occasione, quoniam maior humilitas est et melius exemplum, cum fratres vadunt ad alias ecclesias ad predicandum, ut observent sanctam paupertatem et ipsorum humilitatem et honestatem.« 108 Thomas von Eccleston, De adventu (ed. Little, 69); Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,231); s.u. bei Anm. 126. 109 Eccleston, l.c.: »quippe qui obedire non didicerat.«

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Aufnahme in den Orden (4. Februar 1238) Augenzeuge geworden war: Elias empfing den Podesta` und seine Begleitung im Gästehaus des Konvents auf einem Bett am Feuer sitzend; er dachte nicht daran, den Besuchern entgegenzugehen, wie es sich gehört hätte, sondern rührte sich nicht von seinem Platz.110 Während seines Generalats hatte Elias sich den Lebensstil eines hohen Prälaten zugelegt: eine eigene »Familie« von zwölf bis vierzehn Brüdern war ihm beständig zu Diensten, darunter Bruder Johannes de Laudibus, ein berüchtigter Schläger.111 Außerdem hielt er sich wie die Bischöfe sogenannte domicelli (Herrlein, Demoisels, Signorini), eine Art von Pagen, die er wie lebendige Kleiderpuppen in bunte Anzüge steckte.112 Wollte er auf Reisen gehen, so standen ihm gepflegte und wohlgenährte Reitpferde (palafredi) zur Verfügung.113 Auch bezüglich seiner Ernährung fühlte er sich nicht an das Vorbild des Franziskus gebunden; im Konvent von Assisi hielt er sich vielmehr einen eigenen Koch, Bruder Bartholomäus von Padua, der sich auf die Zubereitung besonders delikater Speisen verstand.114 Es ist überhaupt einer der verblüffendsten Vorgänge in der Geschichte des frühen Franziskanertums: das bewußt herbeigeführte Umkippen der ursprünglichen Ideale des Franziskus unmittelbar nach dessen Tod in ihr genaues Gegenteil durch einen Gefährten aus seiner engsten Umgebung – ein Vorgang, der dennoch einer gewissen Logik und inneren Folgerichtigkeit nicht entbehrt. Es scheint ziemlich sicher zu sein, daß Elias von den Lebensidealen des Franziskus, der forma vivendi nach dem Evangelium in radikalster Armut und Selbstverleugnung, so gut wie nichts gehalten hat. Solange Franziskus lebte, war aber das Verhältnis beider von gegenseitiger Hochachtung und Sympathie getragen. Elias war um die Gesundheit des Franziskus besorgt. Dessen Radikalität (»Verrücktheit«) und überspannte Forderungen an sich selbst und andere suchte er, wo immer er konnte, auf ein »normales« Maß zu reduzieren. Beim Tode des Franziskus erkannte er dessen überragende Bedeutung als Kultfigur, ja er half selbst entscheidend mit, den toten Franziskus zu einer abstrakten und virtuell weiterlebenden Persönlichkeit zu machen – so wie es St. Peter für den Apostolischen Stuhl von Rom und 110

Chron. fr. Salimbene (MGH SS 32,96). Salimbene, o.c. 157f.; Anal. Fr. 3,225f.; E. Lempp vermutet, daß er es war, der Caesarius von Speyer erschlug (Fre`re Elie, 113f. und ebd. Anm. 3); Angelus Clarenus, Chron. septem trib., fol. 47; Golubovich, Biblioteca (o. VII. Kap., Anm. 78) I,118f. 112 »Item domicellos habebat pueros seculares, sicut habent episcopi, vestitos diversicoloribus indumentis, qui ei in omnibus assistebant et ministrabant« (Salimbene, o.c. 157); »Et coepit thesaurizare et habere equum magnum et domicellos et lautam vitam tenere« (Chron. XXIV Gen.; Anal. Fr. 3,229). 113 Salimbene, o.c. 157; Eccleston, ed. Little, 68. 114 »Item specialem coquum habebat in conventu Assisii, fratrem Bartholomeum Paduanum, quem vidi et cognovi, qui cibos delicatissimos faciebat. Hic inseparabiliter ei adhesit, quousque ipse Helias ultimum diem clausit« (Salimbene, ebd.). 111

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seinen Machtanspruch, St. Markus für den Staat von Venedig, die Madonna für Chartres und ihre anderen großen Kult- und Wallfahrtsstätten war. Und er hat dieser quasi-fortlebenden Reliquie den ihr gemäßen Schrein gegeben. Mit dem Bau der Grabeskirche San Francesco wollte Elias die singuläre Bedeutung des Minoriten-Ordens für die Römische Kirche untermauern. Und damit treffen seine Bestrebungen wieder mit denen des Franziskus zusammen. Franziskus wollte das kirchliche Rechts- und Machtsystem durch radikalen Verzicht auf Besitz und Macht – äußerste »allerheiligste« Armut und willenlosen »Kadaver«-Gehorsam – überwinden. Elias, der ein kühler Realist und darüber hinaus ein intimer Kenner der päpstlichen Kurie war, hat das gewiß für eine Illusion gehalten. Aber auch er wollte die franziskanische Bewegung für bestimmte Ziele einsetzen; für was genau, läßt sich nicht mehr ausmachen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß er dabei einzig an Erhalt und Erweiterung seiner persönlichen Machtposition gedacht hat. Vielleicht war seine Vorstellung von einer Reform der Kirche gar nicht so verschieden von der des Franziskus. Jedenfalls förderte er nach Kräften die Laienbrüder im Orden und war bestrebt, den Charakter der Bewegung als Laien-Bruderschaft zu erhalten – was ihm den heftigsten Tadel vonseiten Salimbenes eingetragen hat.115 Derselbe Salimbene muß widerwillig zugeben, daß Elias das intellektuelle Niveau des Ordens zu heben suchte, indem er das Theologiestudium förderte.116 Wäre Elias allein auf seinen persönlichen Vorteil bedacht gewesen, so wäre es für ihn leichter gewesen, sich den Klerikalisierungstendenzen Gregors IX. und der Römischen Kurie anzupassen. Es ging ihm jedoch nicht um Anpassung an das herrschende Kirchensystem. Er gehörte auch nicht zu denjenigen, die 1230 zum Papst zogen, um die Regel interpretieren zu lassen.117 Wie Franziskus wollte er vielmehr das System ändern, doch nicht mit den (in seinen Augen unrealistischen und untauglichen) Mitteln des Heiligen, sondern mit Hilfe von Macht und Geld, die einzusetzen er keinerlei Skrupel hatte. Die von Elias erbaute Doppelkirche wurde eine der bedeutendsten Wallfahrtsstätten der Christenheit und zugleich der erste Tempel der heraufziehenden Renaissance-Kultur, zu der ihre gotischen Bauformen keineswegs im 115 MGH SS 32,101–104. »Tertius defectus fratris Helye fuit, quia homines indignos promovit ad officia ordinis. Faciebat enim laicos guardianos, custodes et ministros, quod absurdum erat valde, cum in ordine esset copia bonorum clericorum« (ebd. 101). 116 »Nam hoc solum habuit bonum frater Helyas, quia ordinem fratrum Minorum ad studium theologie promovit« (ebd. 104). 117 S.o. bei Anm. 52; VIII. Kap., bei Anm. 63. Ins einzelne gehende Statuten und Konstitutionen hat er wohl, wie alle politisch denkenden Menschen, für überflüssig und hinderlich gehalten: »Quartus defectus fratris Helye fuit, quod toto tempore, quo fuit minister, non fuerunt generales constitutiones in ordine, ex quibus et regula conservatur, et regitur ordo, et vivitur uniformiter, et multa bona proveniunt« (Salimbene, o.c. 102).

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Widerspruch stehen. Goethe, der auf seiner italienischen Reise im Oktober 1786 nach Assisi kam, interessierte sich vor allem für die Säulen des antiken Minerva-Tempels, der an der Piazza del Comune die Jahrhunderte überdauert hatte. »Die ungeheueren Substruktionen der babylonisch übereinander getürmten Kirchen«, »den tristen Dom des heiligen Franziskus« ließ er dagegen »mit Abneigung« links liegen.118 Er war ganz von dem klassizistischen Kunstideal Winckelmanns eingenommen, und von der kulturgeschichtlichen Bedeutung des 13. Jahrhunderts im allgemeinen und der des Franziskanertums im besonderen wußte er nichts. Wilamowitz, der fast hundert Jahre später, im Herbst 1872, Assisi besuchte, war immerhin schon so weit, daß er »umgekehrt wie Goethe an der römischen Tempelfront ziemlich achtlos vorüberging und die Heiligkeit des Franziskus aus dem Riesenbau seines Klosters . . . erkannte.«119

5. Absetzung und weitere Lebensschicksale des Elias Wie bereits erwähnt, wurde Elias auf dem in Rom tagenden Pfingstkapitel des Jahres 1239 (15. Mai) als Generalminister abgesetzt. Die Einzelheiten sind am ausführlichsten und wohl auch am zuverlässigsten in der 13. Collatio des Thomas von Eccleston überliefert. Die von Elias in die verschiedenen Provinzen des Ordens ausgesandten Visitatoren hatten allenthalben große Verwirrung gestiftet. Verdächtigungen, Bespitzelungen, Anklagen erschütterten den Orden. Ein im Juni 1238 in Oxford tagendes Provinzialkapitel appellierte gegen Elias. Der Papst wurde persönlich durch seinen Beichtvater, Bruder Arnulf, unterrichtet.120 Die Beschwerde über den Generalminister, die auf dem römischen Generalkapitel vorgetragen wurde, hatte Bruder Haymo von Faversham (der später selbst General werden sollte) formuliert.121 Gregor IX., der in Begleitung von sieben Kardinälen gekommen war, hielt eine Predigt über die Statue, die der König Nabuchodonosor in einem Traumgesicht gesehen hatte (Dan 2,29: »Tu, rex, cogitare coepisti in stratu tuo, quid esset futurum post haec. . .«). Vermutlich wollte der Papst die versammelten Oberen anhand des alttestamentlichen apokalyptischen Textes mit der bereits fortgeschrittenen Dekadenz des Ordens konfrontieren. Er hatte aber nicht vor, Bru-

118 J.W. Goethe, Italienische Reise: Foligno, 26. Oktober 1786; vgl. dazu: Klaus Zimmermanns, Umbrien. Eine Landschaft im Herzen Italiens, Köln 41990, 8. 119 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen 1848–1914, Leipzig s.a. [1928], 137. 120 Eccleston, De adventu, Coll. VIII (ed. Little, 39f.); Coll. XIII (ebd. 67). 121 Nach der Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,230f.) wäre es der heilige Antonius gewesen, der aber bereits 1231 gestorben war.

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der Elias fallen zu lassen. Denn als dieser nach der Predigt sich herauszureden begann, wollte Gregor zunächst eine Gegenrede Haymos nicht zulassen. Erst die Intervention des Kardinals Robert von Somercote zugunsten seines Landsmannes (»Herr, das ist ein betagter Mann; es ist gut, wenn Ihr ihn anhört, denn er faßt sich kurz«) verschaffte diesem das Wort.122 Es ging zunächst wohl hauptsächlich um den regelwidrigen Lebenswandel des Generalministers. Elias behauptet, die Brüder hätten ihm bei seiner Wahl, im Blick auf seine angegriffene Gesundheit, den Genuß von Gold und den Gebrauch eines Pferdes erlaubt.123 Als Bruder Haymo die Möglichkeit zu einer zaghaften Gegenrede erhält, führt er aus, die Brüder hätten dem Elias zwar erlaubt, Gold zu essen, aber nicht, einen Schatz zu horten; auch sei mit der Erlaubnis, ein Pferd zu halten, nicht die Bewilligung zum Besitz eines eleganten Rennpferdes oder Schlachtrosses erteilt worden. Hierauf bezichtigte Elias Haymo der Lüge, und seine Anhänger erhoben ein Geschrei, um ihn zu unterstützen. Als seine Gegner dagegen schrieen, entstand ein Tumult, dem der Papst persönlich Einhalt gebieten mußte: »Das gehört sich nicht für Ordensleute!« Darauf schwieg Gregor IX. und saß längere Zeit (die Chronica XXIV Generalium spricht von etwa einer halben Stunde) in dumpfes Schweigen versunken da, was bei den Anwesenden Ratlosigkeit erzeugte. Inzwischen versuchte der Protektor des Ordens, Kardinal Rainald (Reginald, damals Bischof von Ostia und später, 1254–1261, Papst Alexander IV.), Bruder Elias zum freiwilligen Rücktritt zu bewegen, was dieser aber strikt ablehnte. Darauf brach Gregor IX. sein Schweigen und machte längere Ausführungen über die Verdienste des Elias und dessen vertrautes Verhältnis zum heiligen Franziskus. Er sei der Meinung gewesen, die Brüder seien mit der Amtsführung des Generalministers einverstanden. Da dies aber offenbar nicht der Fall sei, habe er sich nunmehr dazu entschlossen, Elias von seinem Amt zu entbinden. Die Absetzung des Generalministers, die unmittelbar folgte, habe, so Eccleston, nach dem Bericht anwesender Augenzeugen eine ungeheuere Freude ausgelöst – allerdings wohl kaum bei den Anhängern des Elias, die vorher für ihn geschrieen hatten. Auch der Papst hat sich offenbar nur schwer entschlossen, seinen Freund abzusetzen. Auf die gegen Elias erhobenen Vorwürfe geht er merkwürdigerweise gar nicht ein. Er erwähnt nur die Unzufriedenheit der Brüder, ohne zu prüfen, ob dieselbe berechtigt ist oder nicht. Die Wahl des neuen Generalministers nimmt er darauf selbst in die Hand, in der Weise, daß

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Eccleston, ed.c. 67. ». . incepit frater Helias se excusare dicens, quod fratres, quando elegerunt eum in generalem, dixerunt, quod vellent quod comederet aurum et habebat equum, si hoc requireret sua debilitas; et modo ita gravabantur et scandalizabant eum« (ebd.); über den Genuß von Gold als Medizin s. vor allem: Hünnerkopf, Art. Gold, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 3 (1931/1986), 918–926; bes. 918–920. 123

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die wahlberechtigten Minister und Custoden zunächst einzeln mündlich in einer Zelle vor ihm ihr Votum abgeben müssen und dann erst ihren Wahlzettel ausfüllen können.124 Damit konnte er gewiß einem erneuten Tumult unter den Brüdern vorbeugen. Doch sollte er nicht auch die Gelegenheit wahrgenommen haben, jeden einzelnen der Wähler in die Mangel zu nehmen, um den ihm genehmen Kandidaten durchzusetzen? Gewählt wurde Albert von Pisa, den der Papst sehr schätzte.125 Albert war, nach den NichtPriestern Franziskus, Johannes Parens und Elias, der erste ordinierte Priester im Amt des Generalministers, und auf ihn folgten dann nur noch Priester. Während des Kapitels hatte sich herausgestellt, daß Elias niemals ein Gelübde auf die Regula bullata abgelegt hatte. (Nach der Chronica XXIV Generalium rechtfertigte Elias damit die Tatsache, daß er Geld angenommen hatte).126 Er mußte nun sofort das Gelübde nachholen, und nach ihm wurden zur Sicherheit alle Kapitularen und darauf der gesamte Orden nochmals auf die Regel verpflichtet. Thomas von Eccleston berichtet, Elias habe hierauf den Ort von Cortona – also Le Celle – als Aufenthaltsort gewählt. Entgegen dem generellen Verbot seines Nachfolgers habe er die Konvente der »Armen Frauen« besucht, und damit habe er sich bereits die Exkommunikation latae sententiae zugezogen. Auf Vermittlungsversuche seines Nachfolgers habe er nicht reagiert, es auch abgelehnt, dem Geheiß des Papstes zu folgen und sich wie jeder andere Bruder dem Generalminister zu unterwerfen, »denn er konnte seine Erniedrigung nicht ertragen, weil er nicht gelernt hatte zu gehorchen.«127 Darauf habe er sich in die Gegend von Arezzo begeben, worauf ihn der Papst mit Recht öffentlich exkommuniziert habe. Im Gegensatz zu seinen früheren recht genauen Aussagen, die auf Augenzeugenberichten basieren, sind diese zuletzt genannten Auskünfte Ecclestons über das Schicksal des Elias nach seiner Absetzung ziemlich summarisch und ungenau. Sicher ist, daß Elias nach seiner Niederlage auf dem Generalkapitel von Rom zunächst wieder nach Assisi zurückgekehrt ist, vielleicht um dort seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Denn er hatte wohl kaum mit seiner Absetzung gerechnet. Daß er nochmals in Assisi gewesen ist, beweist die von ihm ausgestellte, oben erwähnte Urkunde vom 26. Mai 1239 für die Brüder Ufreducci.128 Anfang Juli 1239 beschwert sich Kaiser Friedrich II. in einem an 124

»Igitur ingressus solus papa cellam quandam, vocavit ministros et custodes ad electionem; et priusquam scriberentur, vota singulorum audivit« (Eccleston, ed. Little, 68); vgl. Salimbene, Chronik (MGH SS 32,11): »Et ipsemet papa voces fratrum audivit, ut electio celerius haberetur. Et cito concordaverunt. . .« 125 Über die Grabschrift, die Gregor IX. nach dem baldigen Tod dieses Generalministers für ihn dichtete, s.o. VIII. Kap., bei Anm. 38. 126 Anal.Fr. 3,231. 127 Eccleston, ed. Little, 69; s.o. Anm. 109. 128 S.o. bei Anm. 85.

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die Kardinäle gerichteten Schreiben über die seiner Ansicht nach widerrechtliche Absetzung des um den Frieden des Reiches hochverdienten Bruders Elias durch den Papst. Als sich Elias darauf ihm, dem Kaiser, angeschlossen habe, da habe der Papst begonnen, ihm nachzustellen.129 Hieraus geht hervor, daß sich Elias zu dieser Zeit bereits beim Kaiser befand. Friedrich II. belagerte damals das Kastell Piumazzo zwischen Bologna und Modena.130 Salimbene ist nicht ganz genau in seiner Bemerkung, daß der Kaiser »in jenen Tagen« Faenza und Ravenna belagert habe. Die Belagerung von Ravenna war vom 15. bis 22. August 1240 und die von Faenza zog sich vom 26. August 1240 bis zum 14. April 1241 hin. Doch dürften Salimbenes Angaben, daß sich Elias während dieser Belagerungen in der Umgebung des Kaisers aufgehalten und ihn beraten habe, zutreffend sein. Er sei mit ihm zusammen geritten, habe weiterhin das Ordenskleid getragen und eine Gruppe ihm ergebener Brüder habe ihn begleitet. Da somit für jedermann offenkundig geworden war, daß Elias sich der Partei des (seit 20. März 1239) exkommunizierten Kaisers angeschlossen hatte, habe Gregor IX. auch ihn exkommuniziert.131 In dem oben erwähnten Schreiben an die Kardinäle erzählt Friedrich II. ausführlich, wie der Papst versucht hatte, Elias nach Rom zu locken, und ihm auch einen Geleitbrief ausgestellt hatte. Elias erfuhr jedoch bereits in Viterbo, daß der Papst seine Verhaftung plante.132 Der Kaiser nennt auch den Grund, 129 Historia diplomatica Friderici Secundi, ed. J.-L.-A. Huillard-Bre´holles, V/1, Paris 1857, 346–348. »Revera papa iste quemdam religiosum et timoratum fratrem Helyam, ministrum ordinis fratrum Minorum, ab ipso beato Francisco patre ordinis migrationis sue tempore constitutum, pro eo quod amore iusticie cui est corde et opere dedicatus, pacem imperii promovens, nomen nostrum, honorem et bonum pacis evidentibus indicibus proponebat, in odium nostrum a ministerio generali, reverentia Christi postposita et iuris sancti Francisci ordinatione contempta, deposuit, divisionem in fratribus faciens et inordinationem et sectionem. Isto postmodum viro religionis et iusticie zelatore nostris honoribus adherente, iniqua cepit eum emulatione zelare. . .« (Fortsetzung u. Anm. 133!). Die Einreihung dieses Briefes zum Juli durch HuillardBre´holles wird bezweifelt in: J.F. Böhmer, Regesta Imperii V/1, Innsbruck 1881–1882, 515 (Nr. 2685). 130 Böhmer, Regesta V/1,493f. 131 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,159f.): »Decimus defectus fratris Helye fuit, quia, postquam fuit absolutus a generali officio, nec humiliter nec patienter se habuit, sed imperatori Friderico a Gregorio papa nono excommunicato totaliter adhesit, equitando cum ipso et cum eo morando in habitu ordinis cum quibusdam fratribus, qui erant de familia sua; quod redundabat in scandalum pape, in scandalum ecclesie et in scandalum ordinis sui, presertim quia imperator excommunicatus iam erat, et illis diebus obsedit Faventiam et Ravennam, et iste miser semper in imperatoris exercitu morabatur dando imperatori consilium et favorem. . . Igitur propter predicta provocatus papa Gregorius excommunicavit Heliam.« – Die Exkommunikationsbulle gegen den Kaiser: Huillard-Bre´holles, Hist. dipl. V/1,286–289; vgl. Böhmer, Reg. Imp. V/2,7226a (S. 1237f.); Übersetzung der Kernsätze bei Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. Kap. III, Anm. 53), 417. 132 ». . de ipsius captione callide disponebat« (Huillard-Bre´holles V/1,347); s. dazu auch: Lempp, Fre`re Elie (o. Anm. 1), 143.

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weshalb Gregor versuchte, seines ehemaligen Vertrauten um jeden Preis (honeste vel inhoneste) habhaft zu werden: Elias wußte zu viel.133 Daß er ein enger Freund des Kaisers und des Papstes war, bevor beide endgültig auseinander gerieten, erwähnt Salimbene bei Gelegenheit des Berichtes über seine Aufnahme in den Orden durch den Generalminister selbst am 4. Februar 1238. (Elias begab sich damals im Auftrag Gregors zum Kaiser nach Cremona).134 Daß Elias nicht nur mit der päpstlichen Politik, sondern auch mit anderen arcana der Kurie vertraut war, weiß Matthäus von Paris zu berichten: er habe nach seiner Absetzung dem Papst Geldgier und Betrug vorgeworfen; so habe Gregor die für das Heilige Land bestimmten Gelder beiseite schaffen lassen; viele andere Ungeheuerlichkeiten (enormia: Dinge, die aus der sittlichen Norm herausfallen) habe Elias dem Papst zur Last gelegt135 und sei deswegen exkommuniziert worden. Selbst wenn wir annehmen, daß der vom Papst tief enttäuschte Elias im nachhinein einiges übertrieben hat, so geht doch aus den genannten Zeugnissen ziemlich eindeutig hervor, daß er über das finanzielle Gebaren der Römischen Kurie und die an ihr herrschenden sittlichen Zustände genau Bescheid wußte. Nach der Chronik Richards von San Germano hielt sich der Kaiser im Dezember 1239 im Gebiet von Pisa auf, wo er Weihnachten feierte. Bruder Elias gehörte weiterhin seinem Gefolge an.136 Er begleitete den Kaiser auch, als sich dieser im Januar 1240 in das Grenzgebiet von Toscana und Umbrien, nach Arezzo, Cortona und Gubbio begab.137 Am 29. Januar erging von Gubbio 133 (Fortsetzung des Textes von Anm. 129) ». . et non minus ab ipso dubitans tanquam suorum conscio secretorum quam suorum gestorum, quibus quemdam terminum imponebat et modum, de sua conscientia pudibundus consideravit qualiter eum honeste vel inhoneste interciperet et haberet«; vgl. hierzu auch G. Barone, Frate Elia (o. Anm. 1), 128: »Elia, quale generale dei Francescani, era certamente a conoscenza di molte delle iniziative papali e l’ipotesi che il Pontefice avesse un gran desiderio di sapere Elia lontano della corte imperiale, anche a costo di tenerlo prigioniero, non puo` essere facilmente scartata come inverosimile.« 134 ». . receptus in civitate Parmensi a fratre Helya generali ministro. Ibat enim Cremonam ad imperatorem missus a domno papa Gregorio nono, cum esset specialis amicus utriusque. Et ita conveniens erat mediator« (MGH SS 32,96). 135 ». . et alia multa enormia imposuit domino pape, ponens os suum in celo« (Matthäus von Paris, Chron. mai.: MGH SS 28,182). 136 Ryccardi de Sancto Germano Notarii Chronica (MGH SS 19,321–386; ebd. 379): »Mense Decembris imperator apud Pisas natale Domini celebrat. Quidam frater Helyas qui in ecclesia sancti Francisci apud Assisium magister ordinis fratrum Minorum extiterat, pro eo, quod apud Gregorium papam delatus a fratribus quod male amministrasset, eum ipse papa ab amministratione removit, in odium papae imperatori adhesit.« 137 Daß sich Elias nach seiner Absetzung in die Gegend von Arezzo begeben habe, bezeugt auch Thomas von Eccleston (ed. Little, 69): »ad partes Aretinas se transtulit«; vgl. o. bei Anm. 127.

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aus das kaiserliche Schreiben an einen hohen Beamten des Königreichs Sizilien, in dem angeordnet wird, daß für das Kastell, »das Wir bei Santa Maria del Monte errichten lassen wollen« (quod apud Sanctam Mariam de Monte fieri volumus), ein astracus aus Kalk, Steinen und anderen Materialien gemacht werden solle. Es ist das einzige schriftliche Zeugnis überhaupt aus der Zeit Friedrichs II., in dem das berühmte Castel del Monte, die »Krone Apuliens«, erwähnt wird.138 Ist mit astracus der Fußboden (Estrich) gemeint, dann bedeutet das, daß gerade damals mit dem Bau des Kastells begonnen wurde. Möglich wäre allerdings auch, daß der Dachboden, z.B. der Türme, gemeint ist; Sinn des kaiserlichen Schreibens wäre dann, dafür zu sorgen, daß der Bau so schnell wie möglich regensicher gemacht würde. Mit Carl A. Willemsen, dem wohl besten Kenner der süditalienischen Kastellbauten Friedrichs II., halte ich die erstere Möglichkeit für die wahrscheinlichere. Für sie spricht auch die Formulierung: »fieri volumus«. Sie bedeutet zwar nicht, daß damals erst mit der Planung begonnen wurde, wohl aber, daß sich der Bau in seinem Anfangsstadium befand, d.h. noch nicht weit über seine Fundamente hinaus gediehen war. Heinz Götze, der die komplizierten, auf dem Achtstern aufgebauten Maße des Castel del Monte analysiert hat, nimmt an, daß eine ebene Bodenfläche für das »Aufschnüren« erforderlich war, d.h. für die Festlegung der Grundmaße mittels einer Schnur.139 Von großer, bisher kaum beachteter Bedeutung scheint aber zu sein, daß sich Elias damals in der engsten Umgebung des Kaisers befand. Sollte Friedrich II. den Mann, der soeben eine der größten Bauhütten der Christenheit erfolgreich geleitet hatte, nicht bei der Planung seines eigenen wichtigsten Bauvorhabens, des Castel del Monte, zu Rate gezogen haben?140 Die Schlußbemerkungen des Buches von Wolfgang Schenkluhn über die Architektur von S. Francesco in Assisi (in dem der Einfluß des Bruders Elias auf die Planung der Doppelkirche ungefähr auf Null reduziert ist) muten fast 138 Huillard-Bre´holles (o. Anm. 129) V/2,696–698; dazu: C.A. Willemsen, Apulien. Kathedralen und Kastelle, Köln 1971, 117; Ders., Bauten (o. Anm. 78), 160; Walter Hotz, Pfalzen und Burgen der Stauferzeit. Geschichte und Gestalt, Darmstadt 1981, 320–326. 139 H. Götze, Castel del Monte. Gestalt, Herkunft und Bedeutung. Sitzungsber. d. Heidelberger Akademie d. Wiss. Phil.-hist. Kl. Jg. 1984, Bericht 2, Heidelberg 1984, 37f. 140 Über einen möglichen Einfluß des Elias auf die Kastellbauten Friedrichs II. im Königreich Sizilien s. auch: Haseloff, Bauten (o. Anm. 79), 34–37. Schon für November 1239 ist der Baubeginn des Castel Ursino bei Catania belegt, das ebenfalls durch gotische Stilelemente geprägt ist (und überdies Torrioni und über dem Eingangsportal eine Adler-Plastik hat). In bezug auf Castel Ursino und Castel del Monte bemerkt Haseloff: »Das sind die einzigen Bauten des neuen Stils, deren Bauzeit wir kennen: die Daten scheinen wunderbar zum Übergang des Bruders Elias zum Kaiser zu stimmen!« (ebd. 36).

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wie unfreiwillige Ironie an. Nach Ablehnung der Ansicht von Renate Wagner-Rieger, die auf Ähnlichkeiten zwischen der Oberkirche S. Francesco und dem Obergeschoß von Castel del Monte hingewiesen hatte,141 fährt Schenkluhn fort: »Und doch, nicht so sehr die stilistische Übereinstimmung, die ich nicht nachvollziehen kann, läßt beide Bauten in einen Zusammenhang treten, sondern vielmehr ihr pointierter Gegensatz im Typologischen: hier der langgestreckte, doppelgeschossige Sakralbau, dort der zentral angelegte, doppelgeschossige Profanbau. Beide besitzen ›Torrioni‹: Castel del Monte polygonale, Assisi runde. Wenn es einen ›Gegenbau‹ zu San Francesco in Assisi gibt, dann ist es das Schloß in Apulien, das die alte kaiserliche Pfalzkapellentradition in profanisierter Weise neu belebt. So wie die ›ecclesia specialis‹ bei Assisi für Gregor, ist Castel del Monte gleichsam das ›architektonische Testament‹ des Kaisers.«142 Wie Willemsen bemerkt hat, ist »die Zahl der Deutungsversuche« der Architektur von Castel del Monte »schon fast unübersehbar geworden«. Besonders beliebt ist die Spekulation über »ins Profane transponierte sakrale Vorstellungen«.143 Was soll denn das, mitten im 13. Jahrhundert, heißen? Daß das Castel del Monte ein Sakralbau und nicht etwa ein profaner Zweckbau (Jagdschloß!) ist, legt allein schon die Tatsache nahe, daß es sich um einen Zentralbau handelt, der in seinen Hauptteilen auf der Basis des Oktogons konstruiert wurde. Der Bezug zum Felsendom (sogenannte Omar-Moschee, »Tempel des Herrn«) in Jerusalem, den Friedrich II. zehn Jahre zuvor, im Frühjahr 1229, eingehend besichtigt hatte144 (und den Elias doch wohl ebenfalls kannte), ist ebenso offenkundig wie der zu der gleichfalls achteckigen Pfalzkapelle Karls des Großen zu Aachen. Es gibt noch andere Einzelheiten, die auf den sakralen Charakter des Kastells hinweisen, so das einem antiken Tempeltor ähnliche Portal aus roter Breccia (es liegt auf der Ostseite!)145 und 141 R. Wagner-Rieger, Die italienische Baukunst zu Beginn der Gotik, II. T.: Südund Mittelitalien, Graz-Köln 1957, 166f. »Diese Beziehung ist insofern nicht ohne Bedeutung, als Fra Elia von Cortona, der an der Errichtung der Grabeskirche des hl. Franziskus wesentlichen Anteil hatte, vor und auch nach seinem Sturz 1239 mit Friedrich II. in intensiver Verbindung gestanden hat, die hier einen künstlerischen Niederschlag gefunden haben könnte« (ebd. 167). 142 Schenkluhn, San Francesco (o. Anm. 71), 232. 143 Willemsen, Bauten (o. Anm. 79), 162. 144 Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. III. Kap., Anm. 53), 191; s. hierzu auch: Helmuth Kluger, Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Deutschen Ordens (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 37), Marburg 1987, 109f.; Hans L. Gottschalk, Al-Malik al-Ka¯mil (o. VII. Kap., Anm. 75), 159f. 145 Auch an den Portalgewänden der Oberkirche S. Francesco in Assisi und der Kirche S. Francesco in Cortona sind Rippen aus dem gleichen Material eingezogen; vgl. u. bei Anm. 178.

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das nördliche äußere Fenster des Obergeschosses, das als einziges dreigeteilt ist (die übrigen sieben sind Doppelfenster) und in dem der heilige Berg des Erzengels Michael, der Monte Gargano, sichtbar wird. Den symbolischen und sakralen Charakter des apulischen Schlosses hat zuletzt Heinz Götze klar erwiesen, ohne indes genügend deutlich auf den Widerspruch dieses architektonischen Symbols zum Selbstverständnis des Papsttums und auf den Abstand zum »normalen« christlichen Glauben hinzuweisen. »Friedrich II. hat die Vorstellungen der Kirche als Abbild der Welt auf Castel del Monte übertragen als Symbol des ihm von Gott verliehenen weltlichen Imperiums. . . Friedrich II. hat in Castel del Monte sein Aachen und seinen Felsendom als Symbol seines göttlichen Auftrags errichtet. . . Die Übertragung des christlicher Esoterik verbundenen Achtsterns auf den Grundriß des Castel del Monte versinnbildlicht die Sakralisierung der staufischen Herrschaft auf überaus eindringliche Weise. Castel del Monte ist das Symbol Friedrichs II. für die Vereinigung von Regnum und Sacerdotium in seiner Person.«146 Im Jahre 1239 erreichte die literarische Polemik zwischen Papst und Kaiser ihren Höhepunkt; in ihr spielt der Ausspruch von den drei Betrügern, den Kaiser Friedrich II. mehrfach getan haben soll, eine große Rolle.147 Drei sind es, die durch ihre Lehren die ganze Welt verführten: Moses, der die Juden, Christus, der die Christen, Mohammed, der die Heiden betörte. Deshalb würde ich, wenn die Fürsten damit einverstanden sein wollten, eine viel bessere Art des Glaubens und Lebens für alle Völker anordnen.

Wie immer es sich mit der Historizität dieser und ähnlicher Äußerungen verhalten mag: es kann als gewiß gelten, daß der Kaiser, trotz häufiger Beteuerungen seiner Rechtgläubigkeit, persönlich Überzeugungen anhing und philosophisch-religiöse Ideen kultivierte, die weit jenseits des für rechtgläubig geltenden und kirchenamtlich verordneten Christentums lagen. Aus seiner Korrespondenz mit arabischen Philosophen geht hervor, daß er »Aeternist« war, d.h. wie Aristoteles annahm, daß die Welt »von Ewigkeit her« existiere; er teilte also nicht die gemeinchristliche Vorstellung von einem Schöpfungsakt Gottes mit oder in der Zeit.148 An das Fortleben der Seele nach dem Tode scheint er jedoch, wenn der Rückschluß von der Überzeugung seines Sohnes Manfred auf die seine erlaubt ist, geglaubt zu haben.149 Wenngleich Friedrich 146 Götze, Castel (o. Anm. 139), 45. 48; s. auch: Ders., Castel del Monte. Gestalt und Symbol der Architektur Friedrichs II., München 1984. 31991. 147 Historia Erphesfordensis Anonymi Scriptoris de Landgraviis Thuringiae, c. 50, in: Johannes Pistorius, Rerum Germanicarum Scriptores aliquot insignes, Regensburg 3 1726, I,1296–1365; ebd. 1327; vgl. MGH SS 24,201; Heinisch, Kaiser Friedrich II. (o. Kap. III, Anm. 53), 207; vgl. auch ebd. 204. 209. 425. 148 Heinisch, 190. 197. 149 Prolog Manfreds zu seiner Übersetzung der pseudoaristotelischen Schrift »De

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sich vielen seiner Zeitgenossen als Ketzer und Ungläubiger darstellte, hatte er doch Respekt und Toleranz für alle Religionen, insbesondere den Islam, wie sich bei seinem Aufenthalt im Heiligen Land und in Jerusalem (Herbst 1228 – Frühjahr 1229) zeigte.150 Er teilte diesen »aufgeklärten« Standpunkt mit vielen seiner philosophisch gebildeten und naturwissenschaftlich interessierten Zeitgenossen, wie dem Sultan Melek el-Kamil, der seinerseits mit Sicherheit kein orthodoxer Moslem war. Man kann annehmen, daß Bruder Elias eine ähnliche innere Distanz zu dem offiziellen Christentum seiner Zeit hatte und daß eben darin eine der geistigen Gemeinsamkeiten des Kaisers und des Franziskaners lag. Eine zweite Sache, in der sich die Geister der beiden trafen, hängt eng damit zusammen: es ist das Interesse für die Alchimie. Astrologie und Alchimie hatten im Mittelalter durchaus wissenschaftlichen Charakter. Über Elias weiß Salimbene zu berichten: Der elfte Fehler des Bruders Elias war, daß er sich mit Alchimie befaßte. Wirklich, wann immer er hörte, es seien Brüder im Orden, die in der Welt über diese Sache oder Kunst Erfahrungen erworben hatten, ließ er sie kommen und behielt sie bei sich in dem Gregorianischen Palast. Der Papst Gregor IX. hatte nämlich einen großen Palast am Ort der Minderbrüder von Assisi bauen lassen, teils zur Ehre des heiligen Franziskus, teils auch um dort zu wohnen, wenn er nach Assisi kam. In diesem Palast also gab es mehrere Zimmer und zahlreiche abgeschlossene Wohnungen, in denen Elias die Genannten zurückhielt, und außerdem noch viele andere. Das bedeutet soviel wie eine Wahrsagerin (phytonissa) zu befragen.151

pomo sive de morte«: Bayer. Staatsbibl. Clm 22 297, fol. 128v–131; Übersetzung der entscheidenden Stelle bei: Georgina Masson, Das Staunen der Welt. Friedrich II. von Hohenstaufen, Tübingen 1958, 234; Eberhard Horst, Friedrich II. der Staufer. Kaiser – Feldherr – Dichter, Düsseldorf 1975; München 1977, 194f.; zu dem Werk »De pomo« s. Martin Grabmann, Forschungen über die lateinischen Aristotelesübersetzungen des XIII. Jahrhunderts (Beitr. zur Gesch. d. Phil. des Mittelalt. 17, H. 5–6), Münster 1916, 249f.; über Religion und Weltbild Friedrichs II. zutreffend Masson, o.c. 227–246; vgl. auch M. Grabmann, Kaiser Friedrich II. und sein Verhältnis zur aristotelischen und arabischen Philosophie, in: Ders., Mittelalterliches Geistesleben II, München 1936, 103–137; ebd. 128–136. 150 Heinisch, 170–194. 151 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,160); s. hierzu Lempp, Fre`re Elie (o. Anm. 1), 121f.; ebd. Anm. 3 ist ein Traktat über Alchimie erwähnt, der unter dem Namen des Elias überliefert ist. Golubovich, Biblioteca (o. VII. Kap., Anm. 78) I,116f., nennt weitere alchimistische und medizinische Werke, die dem Elias zugeschrieben wurden, darunter einen Codex der Biblioteca Vaticana aus dem Besitz der Königin Christine von Schweden (n. 1242); das Werk soll nach dem Titel für Kaiser Friedrich bestimmt gewesen sein. In der John Ryland’s Library in Manchester ist ein alchimistisches Werk des Elias erhalten (Vade mecum fratris Helye: Codex lat. 65 Alchemia, fol. 123r–125v): Helen M. Briggs, De duobus Fratribus Minoribus medii aevi alchemistis Fr. Paulo de Tarento et Fr. Elia. AFH 20 (1927), 305–313; ebd. 306. 311ff. In der Biblioteca Co-

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Die Forschungen, die Elias in dem Papstpalast innerhalb des neuerbauten Konvents von Assisi betreiben ließ, werden von Salimbene mit der abergläubischen und kirchlicherseits geächteten Praxis des Befragens einer Pythonissa gleichgesetzt. Wir erinnern uns: eben eine solche Pythonissa hatte Franziskus und seinen Begleitern in Oltremare geraten, schleunigst nach Italien zurückzukehren.152 Einer von den damaligen Begleitern des Franziskus war aber Bruder Elias, der sich seit drei Jahren im Orient aufhielt. Auch Angelus Clarenus weiß, daß Elias »Alchimist« war.153 Wie schon erwähnt, wäre es verwunderlich, wenn der universal interessierte und beständig bauende Kaiser mit Elias nicht auch über Fragen der Architektur ins Gespräch gekommen wäre und den auf diesem Gebiet besonders erfahrenen Franziskaner nicht zu Rate gezogen hätte. Golubovich zitiert aus der ihm vorliegenden Handschrift eines Tractatus Provinciae Tusciae des Mariano von Florenz einen Passus, wonach der in der Kunst der Architektur berühmte Elias von Cortona »die wundervolle Kirche mit dem Konvent des heiligen Franziskus von Assisi und die von Cortona erbaute, ferner mehrere Burgen und Festungsanlagen im Gebiet des Königreichs Sizilien auf Bitten des Kaisers Friedrich, nachdem er dessen Anhänger geworden war; dem war er durch ein allzu enges Vertrauensverhältnis verbunden, das teils von dieser Kunst, teils aus seiner Weisheit, aber auch aus dem Vertrauensverhältnis, das er früher mit dem heiligen Franziskus gehabt hatte, herrührte.«154 Nun ist Mariano von Florenz († 20. Juli 1523) nicht eben eine primäre Quelle für das munale (ehemals Biblioteca del Sacro Convento) in Assisi ist eine Handschrift des 16./17. Jahrhunderts erhalten, die verschiedene Texte über den »Stein der Weisen« enthält (Compendio di vari trattati sulla pietra filosofale e di alchimia). Darunter befindet sich ein dem Elias zugeschriebenes Zauber-Sonett (»Sonetto di F. Elia: Solveti i corpi in acqua a tutti dico. .«): Inventari dei Manoscritti delle Biblioteche d’Italia, Vol. 104: Assisi. Biblioteca del Convento di S. Francesco »Fondo Moderno«, Firenze 1988, 18, Nr. 19; ebd. fol. 306v, al. 106v, al. 121v. Auch in der Handschrift Nr. 479 (578) der Biblioteca del Comune e dell’Accademia Etrusca von Cortona werden Bruder Elias hervorragende Kenntnisse in Philosophie, Theologie, Mathematik, Alchimie und den geheimen Wissenschaften zugeschrieben: »Frate Elia, da Cortona, fu` compagno di san Francesco; fu` huomo dottissimo in filosofia, teologia, alchimia et nelle mathematiche, et filosofie occulte« (ebd. fol. 38r). 152 Jordan von Giano, Chronik 13 (ed. Boehmer, 12); s.o. Kap. VIII, bei Anm. 6. 153 ». . renunciavit [Franciscus] in eorum capitulo, et secundum eorum vota et merita – sicut quondam Samuel Saulem filiis Israel – ita ipse dignum dignis Eliam alchimistam habere concessit« (Hist. VII trib., ed. Ghinato 1,11; S. 57; Döllinger, Sektengeschichte [o. Anm. 5] II,455); vgl. ebd. 450: »Subtilitatibus philosophiae frater Elyas deditus« (ed. Ghinato 1,9; S. 51). 154 »Helias de Cortona, frater Minor, in ipsa arte [architecturae] famosus, mirabilem ecclesiam cum Conventu S. Francisci de Assisio et de Cortona extruxit, ac arces plurimas et fortalitia per regnum Siciliae ab rogatu Frederici Imperatoris, postquam ei adhesit, cui familiaritate nimia, tam ex hac arte, quam ex sapientia sua, et familiaritate quam habuerat cum beato Francisco, erat coniunctus«: Marianus von Florenz, Tractatus Provinciae Tusciae (Ms.), fol. 95r; zitiert bei G. Golubovich, Biblioteca I,116.

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frühe Franziskanertum. Er scheint aber doch Kenntnis älterer Überlieferungen gehabt zu haben, die andernorts nicht erwähnt sind. Und bei der hier zitierten Stelle hat man das Gefühl, daß es genau so gewesen sein muß. Denn die aus anderen Quellen verifizierbaren Informationen des Textes sind alle zutreffend. Von besonderer Qualität ist die Bemerkung, daß Friedrich den Elias wegen dessen Vertrautheit mit Franziskus besonders schätzte – wohl kaum aus Gründen der Devotion, sondern der an den Rätseln des Kosmos und der Seele interessierte Kaiser fand auch hier einen ihm angemessenen Gesprächspartner. Die Zeit, von der die Rede ist, sind die vierziger Jahre des 13. Jahrhunderts, und in diesen Jahren war das Castel del Monte im Bau. Ebenso wie die Doppelkirche S. Francesco in Assisi Ausdruck einer neuen religiösen Idee war, nämlich alles dessen, was das neue Mysterium der Stigmata besagte155 und was man in es hineinlegen konnte, so war der achteckige Zentralbau des Castel del Monte das architektonische Symbol der neuen religiösen Idee Friedrichs II., des Traumes von »einer viel besseren Art des Glaubens und Lebens für alle Völker«.156 Hatte hier der Mythos des kommenden »dritten Reiches« seinen architektonischen Ausdruck gefunden, so dort der Mythos von der kommenden »dritten Geistkirche«. Beide sollten die bisher dagewesenen Religionsund Gesellschaftsformen an Vollkommenheit überbieten. Und so ist es auch kein Zufall, daß sich der Mythos vom Todesschlaf des Kaisers und der Mythos des in einem Zwischenzustand zwischen Tod und Leben verharrenden Franziskus, die beide auf bessere Zeiten warten, parallel nebeneinander ausbilden konnten.157 Einige Jahre vor dem Bau des Castel del Monte – ab 1233/1234 – hatte der Kaiser schon in dem Brückenkastell von Capua mit seiner Marmorfassade, ihren Skulpturen und programmatischen Inschriften versucht, sein »politisches Glaubensbekenntnis mit den Mitteln der Kunst zu veranschaulichen« und jedem, der aus dem Kirchenstaat kommend durch dieses Portal das Königreich Sizilien betrat, dessen tragende politische Ideen vor Augen zu führen: die durch die Macht des Kaisers garantierte Sicherheit; die kaiserliche Gerechtigkeit, die den Getreuen und untadelig Lebenden Schutz gewährt und die Verräter und Untreuen aus der Gesellschaft ausschließt und ins Unglück stürzt.158 Demgegenüber befand sich das Castel del Monte an einem abgelegenen Ort, und die religiösen Ideen, deren kryptischer Ausdruck es war, waren nicht für eine größere Öffentlichkeit bestimmt.

155 »miraculi novitas« (I Cel 112; Anal. Fr. 10,87); vgl. I Cel 95 (ebd. 73); »miraculi novitatem« (Ep. Encyclica fr. Helie; ebd. 526). 156 S.o. bei Anm. 147! 157 Vgl. o. bei Anm. 87 und 88. 158 Willemsen, Bauten (o. Anm. 79), 157–160.

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Auch die Actus Beati Francisci (Fioretti) wissen in ihrem 62. Kapitel von einem Aufenthalt des Bruders Elias, »den man für einen der weisesten Menschen der Welt« hielt, im Königreich Sizilien zu berichten. Sie behaupten allerdings irrtümlich, er sei dort nach schwerer Krankheit gestorben.159 Wenn sich Elias, was unbezweifelbar ist, mehrere Jahre lang (wohl bis 1244) in engster Umgebung Friedrichs II. aufgehalten hat, dann war er gewiß auch Mitwisser und Teilhaber von dessen arcana, wie er es vorher bei Gregor IX. gewesen war. Ende 1243 betraute der Kaiser dann Bruder Elias mit der schon erwähnten Mission in den Orient zu den Kaisern Balduin II. und Johannes Vatatzes.160 In einem Empfehlungsschreiben, das Friedrich II. bei dieser Gelegenheit an den König von Zypern (Heinrich I. den Dicken) richtete,161 wird die Zuverlässigkeit und Treue des Elias für die kaiserliche Sache und das große persönliche Vertrauen, das der Kaiser in sein politisches Urteil setzt, hervorgehoben; Friedrich nennt ihn seinen »geliebten Familiaren und Getreuen«.162 Er fährt fort, er habe den zur Reise nach Outremer »wegen gewisser schwieriger Dienste für Unsere Erhabenheit« bereiten Elias gegen dessen Willen angewiesen, sich zunächst an den Hof des Königs von Zypern zu begeben und sich dort eine Zeitlang aufzuhalten. Friedrich bittet den König dann, den Elias bei seinen diplomatischen Geschäften wirksam zu unterstützen und ihm seine Protektion angedeihen zu lassen.163 Welches der Inhalt der schwierigen Mis159

Actus, ed. Cambell, 550–554. S. hierüber im einzelnen: Girolamo Golubovich, Biblioteca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano I, Quaracchi 1906, 106–117; bes. 115; II, Quaracchi 1913, 312–315. 161 Heinrich I. (Henri Gras) aus dem Hause Lusignan war 1218–1252 König von Zypern: Rene´ Grousset, Histoire des Croisades et du Royaume Franc de Je´rusalem, III, Paris 1936, neben S. 772: Ge´ne´alogie de la Maison de Lusignan. 162 »Tanta est bone fidei et devotionis probate constantia, tantaque laudabilium efficacia meritorum quam in provido fratre Helia, dilecto familiari et fideli nostro, semper et utiliter invenisse meminimus, quod ipsum iam a fructibus agnoscentes, personam suam domesticam nostris servitiis libenter admittimus, et sue circumspectionis consiliis fiducialiter inhaeremus« (Huillard-Bre´holles, Historia Diplomatica Friderici Secundi VI/1, Paris 1860 [Nachdr. Torino 1963], 147). 163 (Fortsetzung des Textes der vorigen Anm.) »Cum igitur eundem fratrem nuper ad partes transmarinas transfretare paratum, pro quibusdam arduis excellentie nostre servitiis, im quorum executione personam eius utilem et necessariam fore censuimus, a transitu ipso, preter sue voluntatis propositum, providerimus retrahendum, et ipsum, licet invitum, quodammodo in curia vestra propterea mandaverimus aliquandiu moraturum; affinitatem vestram requirimus et rogamus attente mandantes quatenus negocia predicti fratris in partibus ipsis habere velitis sic efficaciter et utiliter commendata, ut dum idem sub protectione vestra constitit, eiusdem negocia votiva et continua suscipiant incrementa; nosque vobis propterea, qui gratiam dicto fratri faciendam super hoc nobis ascribimus, diligentius obligetis ad grates, et fratrem eundem, qui fame vestre vulgaris relator existit, devotiorem faciatis ad vestra servitia de devoto« (ebd. 147f.). 160

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sion des Franziskaners ist, wird nicht gesagt. Doch aus der Chronik des Matthäus von Paris für das Jahr 1244 geht hervor, daß Friedrich für den von den Griechen schwer bedrängten Balduin II. einen einjährigen Waffenstillstand erreichte; außerdem wurden Verhandlungen über die Eheschließung zwischen Vatatzes und einer Tochter des Kaisers (Konstanze, später Anna genannt, Tochter der Bianca Lancia) geführt.164 Da Elias um diese Zeit als Abgesandter Friedrichs im Orient weilte, werden eben dies die schwierigen Geschäfte sein, von denen der Kaiser in seinem Begleitschreiben an den König von Zypern spricht. Er wollte seinem Gesandten in einem Gebiet, in das sein Arm nicht hineinreichte, einen besseren Schutz und ein höheres diplomatisches Gewicht verschaffen. Elias dagegen hat offenbar die Visite an dem königlichen Hof von Zypern für überflüssig gehalten. Nach seiner Reise, von der er die vielbewunderte Staurothek mitbrachte,165 hat sich Bruder Elias, noch immer begleitet von einer Gruppe ihm treu ergebener Brüder, nach Cortona zurückgezogen. Vielleicht war er krank, sicher aber intelligent genug, das kommende Debakel der päpstlichen und der kaiserlichen Ostpolitik vorauszusehen. (Noch im gleichen Jahr 1244 ging Jerusalem endgültig für die im Wahn der Kreuzzugsidee befangene Christenheit verloren). Obwohl nicht überliefert ist, von welchem der beiden rivalisierenden Kaiser, Balduin II. und Johannes III. Vatatzes, Elias die Kreuzreliquie entweder als Geschenk oder durch Kauf erworben hat, spricht einiges für die Annahme, daß es Balduin II. war:166 Die Position dieses letzten lateinischen Kaisers wurde in Konstantinopel immer schlechter; er befand sich in beständigen Geldnöten, denen er unter anderem durch den Verkauf von Reliquien an gut zahlende Interessenten abzuhelfen suchte. Auf diese Weise konnte ja auch Ludwig IX. von Frankreich im Jahre 1239 die Dornenkrone Christi erwerben, für die in Paris die Sainte Chapelle erbaut wurde.167 164 »Qui . . . tandem treugas per annum unum impetravit. Interim procuravit idem imperator Frethericus, ut filiam suam cuidam magno principi Grecorum nomine Battacio matrimonio copularet« (MGH SS 28,236). 165 Beschreibung der Croce Santa von Cortona mit zahlreichen Fotografien und Zeichnungen bei [Basili], Croce Santa, 7–33; s. auch: Teresa Venuti De Dominicis, La Croce Santa di Cortona, in: Atti del II Congresso internazionale di Arch. crist., Roma 1902, 309–319; eine ausführliche Beschreibung des byzantinischen Reliquiars gibt schon L. Wadding, Ann. Min. 11, 119–123. 166 So auch Golubovich, Biblioteca II,312–315. In der Handschrift Nr. 479 (578) der Biblioteca del Comune e dell’Accademia Etrusca von Cortona heißt es (fol. 38r), Elias habe das »Heilige Kreuz« »dalla sagrestia di Santa Sofia di Constantinopoli« mitgebracht. 167 Margaret Wade Labarge, Saint Louis. The Life of Louis IX. of France, London 1968, 62–66; Henri-Paul Eydoux, Saint Louis et son temps, Paris 1971, 194–197; ein mittelalterlicher Bericht über die Translation der Dornenkrone bei Golubovich, Biblioteca II,306–311.

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In Cortona hat Elias nicht lange gezögert, sein zweites großes, überdauerndes Lebenswerk in Angriff zu nehmen: den Bau der Kirche San Francesco. Die Vermutung liegt nahe, daß wenigstens ein Teil der dafür erforderlichen finanziellen Mittel aus der kaiserlichen Kasse stammte. Mit Urkunde vom 23. Januar 1245 übertragen Podesta` und Gemeinde von Cortona dem Bruder Elias ein Grundstück mit Namen »Balneum Reginae« (Bagno della Regina) samt einem darauf stehenden Gebäude und Bäumen. Am 7. Januar 1246 folgt die Schenkung weiterer daran angrenzender Häuser seitens der Gemeinde.168 Das Gelände liegt an der Porta S. Cristoforo. Es war zweifellos für den Bau der Kirche und des daneben liegenden Konvents bestimmt. Nach dem Wortlaut beider Dokumente ergeht die Schenkung der Stadt »an den ehrwürdigen Vater und Herrn Bruder Elias als Hochverdienten« (venerabili patri et domino fratri Heliae tanquam bene merito). Aus dem Text ergibt sich, daß die Mitbürger des Elias sich offenbar nicht um die Tatsache kümmerten, daß dieser inzwischen zweimal (1240 durch Gregor IX. und 1244 durch Innocenz IV.) exkommuniziert worden war. Bei den kaiserlich gesinnten Cortonesen scheint Elias vielmehr in hohem Ansehen gestanden zu haben.169 Den Bau von Kirche und Konvent trieb Elias ebenso energisch voran, wie er es zuvor in Assisi getan hatte. Bei seinem Tod am 22. April 1253 (Osterdienstag) waren die Kirche und der Zentralteil des Konventbaues vollendet.170 S. Francesco zu Cortona ist wie die Grabeskirche von Assisi eine Doppelkirche. Die Krypta oder Unterkirche ist allerdings nicht mehr zugänglich. Margherita von Cortona spricht um das Jahr 1290 noch von einer Erweiterung des »Oratoriums« (wobei sie Jesus eine Äußerung des Mißfallens für den Erbauer der Oberkirche in den Mund legt).171 Während des Baus der Kirche, in den Jahren 1247–1250, unternahm der damalige Generalminister Johannes von Parma einen Versuch, den doppelt gebannten Elias mit dem Orden und dem Papst zu versöhnen. (Innocenz IV. hatte den ehemaligen Generalminister 1244 zum zweiten Mal exkommuniziert). Elias hatte jedoch Bedenken, sich der Gnade des Kardinal-Protektors Rainald (des späteren Papstes Alexander IV.) auszuliefern und befürchtete vor allem auch die Rache der ihm feindlich gesinnten Provinzialminister des Ordens.172 Angelus Clarenus 168

Beide Notariatsakte sind veröffentlicht bei Lempp, Fre`re Elie, 174–178. Die Podesta` und Richter nennen sich stolz: »imperiali mandato potestas« bzw. »imperiali auctoritate iudex«. 170 [Basili], Frate Elia, 51–59; dort auch Rekonstruktionszeichnungen des originalen und Fotografien des aktuellen Zustandes von Kirche und Konventgebäuden. 171 Legenda 9,32: Fra Giunta Bevegnati, Leggenda della vita e dei miracoli di Santa Margherita da Cortona. Nuova traduzione dal Latino con prefazione e note di P. Eliodoro Mariani, Vicenza 1978, 255f. und ebd. Anm. 8. 9. Zu der Unterkirche von Cortona s. auch: Renate Wagner-Rieger, Zur Typologie italienischer Bettelordenskirchen. Röm. histor. Mitt. 2. H. 1957/58, Graz-Köln 1959, 266–298; 288 und ebd. Anm. 88. 172 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,162): »sed sollicitus sum propter ministros 169

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berichtet in seiner Chronik von einem früheren Versuch des Elias, sich mittels eines Briefes mit dem Papst Gregor IX. zu versöhnen. Der Generalminister Albert von Pisa habe aber den Brief nicht weitergeleitet und dieser sei nach dem Tode Alberts in der inneren Tasche seiner Kutte gefunden worden.173 Im Angesicht des Todes versöhnte sich Elias in Anwesenheit mehrerer Zeugen mit der Römischen Kirche. Er bereute unter Tränen seine Anhänglichkeit an Friedrich II. und empfing den Leib des Herrn, nicht jedoch die letzte Ölung, da in Cortona kein heiliges Öl aufzutreiben war. Er starb in dem Haus, das er gebaut hatte, d.h. dem Konventsgebäude bei der Kirche S. Francesco. Über die letzten Tage des Elias stellte Anfang Mai 1253 der im Auftrag des Papstes Innocenz’ IV. angereiste Bruder Valascus eine eingehende Befragung an; er ließ darüber ein ausführliches, notariell beglaubigtes Protokoll erstellen, das erhalten ist.174 Bruder Elias wurde im Chor der von ihm erbauten Kirche, hinter dem Hochaltar, bestattet. Daß später ein Oberer (Custode) des Konvents von Cortona seine Gebeine habe exhumieren und in eine Abortgrube werfen lassen, wie Salimbene kolportiert,175 ist offenbar boshafter Unsinn. Das Grab wurde in der Neuzeit viermal geöffnet (1651; 1721; 1903; 1966). Bei der letzten Erhebung der Gebeine am 13. August 1966 fand eine medizinische und chemische Untersuchung statt. Dabei ergab sich, daß es sich um das Skelett eines 70–80 Jahre alten, etwa 1,65 Meter großen Mannes handelt.176 Die Kirche S. Francesco zu Cortona, wie ihre Schwesterkirche in Assisi ein einschiffiger gotischer Bau von strenger Schönheit, beherrscht das Zentrum der an einem Berghang gelegenen Stadt. Leider befindet sich das Äußere, ebenso wie der benachbarte Konvent, zur Zeit noch in einem sehr vernachprovinciales, quos offendi, ne illudant michi ponendo me in compedibus et in carcere. .«; vgl. das Protokoll über seine letzten Tage (Lempp, Fre`re Elie, 179): »Bencius archipresbyter Cortoniensis . . . addidit tamen quod etiam antequam infirmaretur audivit ipsum Heliam pluries dixisse quod libenter vellet ire ad dominum papam pro absolutione petenda, nisi quia timebat incarcerari.« 173 Angelus Clarenus, Hist. VII trib. 3,2: »Nam, excommunicatus a praefato sancto Pontifice Gregorio propter sequelam imperatoris, quam videbatur habere, in eadem decessit ex culpa vel negligentia sui successoris fratris Alberti, qui litteras excusationis et satisfactionis eiusdem fratris Eliae praesentare neglexit. Idem frater Albertus de Pisis obiit, et in sacculo, quem habebat in tunica, satisfactoriae ad Papam misae inventae sunt. Et sicut per eum veritas occultata est de moribus sanctorum fratrum summo Pontifici, et mendacium persuasum, ita suae satisfactoriae litterae, sui propositi et suae obedientiae declarativae, quocumque fuerint modo retentae, ad summum Pontificem non venerunt, sed decessit ut inobediens Ecclesiae, et a religione simul cum sociis segregatus« (ed. Ghinato, S. 79; Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte II,463; FF 2197). 174 Lempp, Fre`re Elie, 179–187. 175 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,163). 176 [Basili], »Superfrate«, 97–103; Feld, Anonyme Forschungen, 305.

Bruder Elias von Cortona

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lässigten Zustand. Der wunderbare saalartige, von einem offenen Dachstuhl aus Eichen- und Kastanienholz überspannte Innenraum wurde im 17. Jahrhundert durch zwölf abscheuliche, unproportionierte Seitenaltäre verunstaltet. Um die gleiche Zeit wurde die Unterkirche zugeschüttet und ein Teil der Fenster, darunter die der beiden seitlichen Apsiskapellen, vermauert. »Im Osten schließen drei kreuzrippengewölbte quadratische Apsiden an, von denen die mittlere breiter und höher ist, so daß die drei Apsidenöffnungen gegen das Schiff zu ein Triumphbogenmotiv entstehen lassen.«177 In diesem wie in anderen Details weicht die Kirche von S. Francesco in Assisi ab. Sie ist auch in allem einfacher und bescheidener, da dem Elias diesmal weniger finanzielle Mittel zur Verfügung standen als zwanzig Jahre zuvor. So hat sie vor allem keinen mächtigen Campanile, sondern nur einen bescheidenen Glockengiebel (»Quarto«). Dennoch ist die Übereinstimmung in zwei wesentlichen architektonischen Zügen beider Kirchen frappant: sie sind Doppelkirchen, und sie haben ein einziges Schiff. Gerade die Einschiffigkeit ist sehr selten in Italien, und in dem Vierteljahrhundert von 1228 bis 1253 sind die beiden Franziskanerkirchen von Assisi und Cortona überhaupt die einzigen in dieser Weise gebauten Kirchen. Das wiederum läßt auf die architektonische »Handschrift« des Elias schließen,178 wenngleich er nicht der einzige »Architekt« im heutigen Sinn des Wortes sein muß. Aber unter den zwölf bis vierzehn hochqualifizierten Brüdern, die in Le Celle bis zu seinem Tode bei ihm waren und ihm die Treue hielten, waren bestimmt nicht nur naturwissenschaftlich gebildete Männer (Alchimisten), sondern man darf vermuten, daß auch der eine oder andere Baumeister dabei war.179

177

Wagner-Rieger, Typologie (o. Anm. 171), 289; ebd. 288 Grundriß der Kirche. Vgl. schon Wagner-Rieger, o.c. 288: »Es hat viel Bestechendes an sich, den Typus dieser Kirche, die überdies eine Unterkirche aufweist, auf den gleichen Fra Elia zurückzuführen, der auf die Gestaltung von S. Francesco in Assisi zweifellos größten Einfluß genommen hat, doch läßt sich diese Annahme kaum erhärten.« Die Dokumente, durch die sich die Annahme doch erhärten läßt, waren Frau Wagner-Rieger erstaunlicherweise nicht bekannt. 179 »Nam familiam habuit specialem XII vel XIIII fratrum, quos in loco Celle de Cortona secum tenebat, et nunquam mutaverunt habitum; et post mortem mali pastoris vel potius seductoris, quando cognoverunt se deceptos, ad ordinem sunt reversi« (Salimbene, Chron.: MGH SS 32,157f.; vgl. ebd. 160,5). Salimbene nennt namentlich den Koch Bartholomäus von Padua und den »Schläger« (Bodyguard) Johannes de Laudibus. In dem oben (bei Anm. 174) erwähnten Protokoll über die letzten Lebenstage des Elias sind weitere zwei Brüder aus seiner nächsten Umgebung genannt: Bruder Angelus und sein Leibdiener Bruder Boniohannes (Jannes Boninus). Die dort außerdem noch erwähnten Brüder Deotefece (der Elias die letzte Wegzehrung reichte) und Mansuetus scheinen nicht zu seiner »Familie« gehört zu haben. Merkwürdig ist die zweimalige Erwähnung einer Frau, Domina Sibilia, die ihm in mortis articulo beistand; es kann sich nur um eine nahe Verwandte oder um seine Geliebte handeln. 178

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IX. Kapitel

Die an die Kirche anschließende Fassade des Konvents könnte, wäre sie einmal restauriert, einen überzeugenden Eindruck von der »Renaissance des 13. Jahrhunderts« geben, ebenso wie das Castel del Monte Friedrichs II. in Apulien, an dessen Bau Bruder Elias mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls beteiligt war. Im Inneren der Kirche, an einem Pfeiler der linken Apsiskapelle, der Kirche und Konventsgebäude miteinander verbindet, befindet sich in 6,50 Meter Höhe ein in Sandstein gemeißeltes Knospenkapitell mit zwei übereinander liegenden Reihen von Blättern. Insgesamt sind es sechzehn Blätter. An der Stelle eines siebzehnten Blattes, in der oberen Reihe rechts, unmittelbar an der Wand der Apsis, sieht das strenge, geistvolle Gesicht eines älteren Mannes aus dem Kapitell heraus in Richtung des Altares der linken Chorkapelle, wo sich früher ein Fenster befand – also nach Osten.180 Man hat zu Recht vermutet, daß es sich um niemand anderen als den Erbauer von Kirche und Konvent selbst handelt, der sich an dieser verborgenen, kaum zugänglichen Stelle, über seiner Grabstätte, verewigen ließ. Wenn es so ist, dann haben wir eine gewisse Vorstellung von seinem Aussehen und sind einigermaßen entschädigt für den Verlust seines von Giunta Pisano gemalten Bildes in der Oberkirche S. Francesco in Assisi.181

180 181

S. die Abbildungen bei [Basili], Frate Elia, 67 und Croce Santa, 60. 64. S.o. bei Anm. 72. 73.

X. KAPITEL

KLARA UND DIE »ARMEN FRAUEN « »Sankt Klara ist eine der am besten dokumentierten Heiligen der mittelalterlichen Hagiographie, nicht wegen der großen Menge von Dokumenten, die sich mit ihr beschäftigen, sondern wegen deren Qualität und außergewöhnlich hohen historischen Zuverlässigkeit.«1 Gemeint sind damit vor allem die Zeugenaussagen in ihrem Kanonisationsprozeß, die drei Monate nach ihrem Tod, vom 24. bis 28. November 1253, protokolliert wurden, und die Lebensbeschreibung, deren Verfasser außer den genannten Aussagen die Erinnerungen der damals noch lebenden Gefährten des heiligen Franziskus (es sind wohl vor allem Bruder Angelus von Rieti und Bruder Leo gemeint) heranzog und versichert, seine Darstellung beruhe letztlich auf den Informationen von Augenzeugen.2 Als Autor der Legenda Sanctae Clarae wird in der neueren Forschung fast allgemein Thomas von Celano angenommen.3 Einen eindeutigen und überzeugenden Beweis dafür gibt es nicht.4 Doch beginnt das an den Papst Alexander IV. gerichtete Widmungsschreiben des 1 Ignacio Omaechevarri´a in seiner Einleitung zur Legenda Sanctae Clarae. Escritos (o. Kap. I.IV), 127. 2 »Igitur me colligens ad mandatum, nec tutum ratus per ea procedere quae defectiva legebam, ad socios beati Francisci, atque ad ipsum collegium virginum Christi perrexi, frequenter illud corde revolvens, non licuisse antiquitus historiam texere, nisi his, qui vidissent aut a videntibus accepissent« (Leg. S. Clarae, ed. Omaechevarri´a, 133f.). 3 Maria Fassbinder, Untersuchungen über die Quellen zum Leben der hl. Klara von Assisi. Franz. Stud. 23 (1936), 296–335; ebd. 321–324 Begründung der Autorschaft Celanos; Engelbert Grau, Einführung zu: Leben und Schriften der heiligen Klara von Assisi (Franz. Quellenschr., 2), Werl 1952, 2, wiederholt im wesentlichen die Argumente von Fassbinder, die ihn zu der Schlußfolgerung veranlassen: »Mit höchster Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, daß Thomas von Celano der Verfasser der Legende ist«; Anton Rotzetter, Klara von Assisi. Die erste franziskanische Frau, Freiburg Br. 1993, 22. 353. 4 Vgl. auch: Aurelio van Dijk, Il culto di Santa Chiara nel medioevo, in: Santa Chiara d’Assisi. Studi e Cronaca del VII Centenario 1253–1953, Perugia 1954, 155–205; ebd. 161: ». . la cosidetta ›Leggenda maggiore‹ attribuita – del resto senza solidi argomenti – al beato Tommaso da Celano, morto verso il 1256«; La´zaro Iriarte, Clara de Ası´s en la tipologia hagiografica femenina. Laurentianum 29 (1988), 416–461; ebd. 440: »Hoy la mayorı´a de los crı´ticos la atribuyen a Toma´s de Celano, si bien los argumentos no son del todo concluyentes.«

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X. Kapitel

Werkes mit ähnlich pessimistischen Urteilen über die »Welt«, wie sie am Beginn der Vita prima und des Tractatus de miraculis des Thomas de Celano zu lesen sind: Unter dem Druck des Greisenalters einer alt gewordenen Welt war die Sehkraft des Glaubens dunkel geworden, die Sitten standen auf wackeligen Beinen, die Kraft mannhafter Taten war im Schwinden; zu den ohnehin dreckigen Zeiten gesellte sich auch noch der Dreck der Laster: da erweckte Gott in seiner Menschenfreundlichkeit aus der geheimnisvollen Tiefe seines Mitleids das Neue heiliger Orden; er sorgte durch sie für eine Stütze des Glaubens und die Zucht erneuerter Sitten. Ich möchte gewiß diese neueren Väter zusammen mit ihren echten Anhängern Leuchten des Erdkreises, Wegweiser und Lebenslehrer nennen; in ihnen leuchtete der Welt gegen Abend mittäglicher Glanz auf, damit sie, die in Finsternis wandelte, das Licht sehe. Auch durfte für das schwächere Geschlecht eine Hilfe nicht ausbleiben; denn so wie es vom Strudel der Begierde erfaßt ist, zog es eine nicht geringere Lust und gewiß eine größere Gebrechlichkeit zum Sündigen hin. Gott in seinem Mitleid erweckte deshalb die ehrwürdige Jungfrau Klara und zündete in ihr den Frauen eine helle und klare Leuchte an. Und auch Du, heiligster Papst, hast sie auf einen Leuchter gestellt, damit sie allen, die im Haus sind, leuchte, indem Du sie unter dem Eindruck ihrer Wunder in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen hast.5

1. Jugend und Elternhaus Klaras von Assisi Klara von Assisi entstammte einer adeligen (ritterlichen) Familie, deren Stadtpalast unmittelbar an dem Platz vor dem Dom S. Rufino lag. Sie wurde entweder 1194 oder schon ein Jahr früher, 1193, als älteste Tochter des Herrn Favarone di Offreduccio und seiner Frau Ortolana (Hortulana) geboren. Das Geburtsjahr ist bis heute in der Forschung umstritten, da auch die Quellenlage nicht eindeutig ist. Die Datierung hängt ab von derjenigen der »Bekehrung« Klaras. Thomas von Celano erwähnt im Zusammenhang seines Berichtes über die Instandsetzung der Kirche S. Damiano, daß dort sechs Jahre nach der Bekehrung des Franziskus der »Orden der armen Damen und heiligen Jungfrauen« seinen Anfang genommen habe.6 Trifft dies zu, dann verließ Klara in der Nacht des 18. März 1212 ihr elterliches Haus, um sich in der PorziuncolaLeg. S. Clarae, ed. Omaechevarri´a, 132f. »Hic est locus ille beatus et sanctus, in quo gloriosa religio et excellentissimus ordo pauperum Dominarum et santarum virginum, a conversione beati Francisci fere sex annorum spatio iam elapso, per eumdem beatum virum felix exordium sumpsit; in quo domina Clara, civitate Assisii oriunda, lapis pretiosissimus atque fortissimus caeterorum superpositorum lapidum exstitit fundamentum« (I Cel 18: Anal. Fr. 10,17); zur Datierungsweise des Celano vgl. auch: I Cel 55. 57. 88 (ebd. 42f. 66f.). Die 3 Soc gebraucht für die Datierung fast die gleiche Formulierung: »a conversione beati Francisci fere sex annorum spatio consummato« (24,19: ed. Desbonnets, 109). 5 6

Klara und die armen Frauen

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Kirche Franziskus anzuschließen. Da sie damals gerade achtzehn Jahre alt war, wäre sie 1194 geboren worden.7 Nach den übereinstimmenden Aussagen ihrer Mitschwestern im Heiligsprechungsprozeß hatte Klara, als sie am 11. August 1253 starb, gut 42 im Kloster verbrachte Jahre hinter sich; hinzu kommt das gleichlautende Zeugnis ihrer Jugendfreundin Bona de Guelfuccio, das ebenso wie das ihrer leiblichen Schwester Beatrice von besonderem Gewicht ist.8 Unter dem Eindruck dieser Zeugnisse hat der Herausgeber des Heiligsprechungsprozesses, Zeffirino Lazzeri, eine von der bis dahin allgemein rezipierten abweichende Datierung vorgeschlagen: Klaras definitive Abkehr von der Welt war am 28. März 1211, und als ihr Geburtsjahr ist folglich 1193 anzunehmen.9 Klaras Großvater väterlicherseits hieß Offreduccio di Bernardino.10 Sie hatte zwei Schwestern, die ihr beide ins Kloster folgten: Agnes schon nach fünfzehn Tagen11 und Beatrice im Jahre 1229.12 Um diese Zeit wird auch die Mutter Ortolana in S. Damiano eingetreten sein, wo sie noch vor 1238 gestorben sein soll.13 Von den Schwestern war Agnes drei oder vier Jahre jünger als Klara;14 über das Alter von Beatrice ist nichts überliefert. Namentlich 7

Diese traditionelle Datierung vertreten weiterhin: Engelbert Grau, in: Leben (o. Anm. 3), 20, Anm. 15; Lothar Hardick, Zur Chronologie im Leben der hl. Klara. Franz. Stud. 35 (1953), 174–210; L. Di Fonzo, Per la cronologia di S. Francesco. Gli anni 1182–1212. Misc. Fr. 82 (1982), 1–115; ebd. 100–102; I. Omaechevarri´a, in: Escritos de Santa Clara, 21982, 43, Anm. 10. 8 Proc. 1,3 (FF 2927); 2,2 (FF 2945), 3,1 (FF 2967); 6,1. 5 (FF 3024. 3028); 12,5 (FF 3089); 13,1 (FF 3094); 17,3 (FF 3125). Ich zitiere hier und im folgenden die Zeugenaussagen im Heiligsprechungsprozeß nicht nach der schwer zugänglichen kritischen Ausgabe von Lazzeri, sondern nach den FF, wo der Text allerdings modernem Italienisch angepaßt ist. 9 Zeffirino Lazzeri, Il processo di canonizzazione di S. Chiara d’Assisi. AFH 13 (1920), 403–507; ebd. 434; der Datierung Lazzeris schließen sich an: Arnaldo Fortini, Nuove notizie intorno a S. Chiara d’Assisi. AFH 46 (1953), 3–43; ebd. 19f.; C.A. Lainati, Santa Chiara d’Assisi, Assisi 1969; Dies. in: FF, S. 2308, Anm. 16; Dies., Die heilige Klara von Assisi. Leben und Schriften, in: Niederösterr. Landesausst. 800 Jahre Franz von Assisi, Wien 1982, 99–121; ebd. 101; unentschieden bleiben: Heribert Roggen, Christliche Lebenshaltung bei Klara von Assisi, Werl 1970, 15. 18; Marco Bartoli, Chiara d’Assisi (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 37), Roma 1989, 66; Rotzetter, Klara (o. Anm. 3), 35. Nach Marianus von Florenz soll der 16. Juli der Geburtstag Klaras gewesen sein; s. Livarius Oliger, Gaudia S. Clarae Assisiensis. AFH 12 (1919), 110–131; ebd. 122. 10 Proc. 16,1 (FF 3116); 20,2(FF 3141). 11 Vita Sororis Agnetis, germanae sanctae Clarae, in: Anal. Fr. 3,173–182. 12 Ihre Zeugenaussage: Proc. 12 (FF 3085–3093). 13 In einem Verkaufsakt vom 8. Juni 1238, der die Namen aller »Frauen oder Schwestern« von S. Damiano enthält, taucht der ihre nicht auf; sie könnte aber im Orden einen anderen Namen angenommen haben; Wadding, Ann. Min. 3,14; Escritos, ed. Omaechevarri´a, 54f. 14 Vita Agnetis (Anal. Fr. 3,177).

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bekannt von der Familie Klaras ist noch ein Bruder ihres Vaters, Monaldus, der sich bei dem Versuch der Verwandten, Agnes aus dem Kloster Sant’Angelo di Panzo wieder zu entführen, durch besondere Gewalttätigkeit hervortat: er wollte seine widerstrebende Nichte einfach totschlagen.15 Ein Vetter Klaras, Bruder Rufinus, hatte sich schon 1210 der Bruderschaft des Franziskus angeschlossen; er ist einer von den »Drei Gefährten«, auf die die unter diesem Namen überlieferte Legende zurückgeht. In was für Verhältnissen Klara aufwuchs, berichtet einer, der es wissen mußte: der im Kanonisationsprozeß als zwanzigster und letzter Zeuge vernommene Ioanni de Ventura aus Assisi. Dieser Ioanni war Hausdiener (fameglio de casa) im Hause des Favarone di Offreduccio gewesen. Auf die Frage, welches Leben sie führte, antwortete er: Obwohl die Hofhaltung ihres Hauses zu den größten der Stadt gehörte und in ihrem Haus große Ausgaben gemacht wurden, hob sie dennoch die Speisen, die ihr, wie in einem großen Haus üblich, gegeben worden waren, auf und legte sie beiseite, und dann schickte sie sie den Armen.16

Klara verbrachte also ihre Kindheit und erste Jugendzeit frei von Sorgen um das äußere Dasein in einem sehr reichen Haushalt. Woher der väterliche Reichtum stammte, erfahren wir nicht. Es werden wohl kaum Geschäfte in der Art gewesen sein, wie sie der Vater des Franziskus betrieb. Es war alter, adeliger Reichtum, der so groß war, daß er sich so leicht nicht aufzehren ließ. Und wenn er Zufuhr brauchte, dann geschah das allenfalls auf adelige, kriegerische, nicht auf kaufmännische Weise. Doch darüber schweigen die Quellen. Einhellig überliefert ist nur, wie es der neunzehnte Zeuge, Pietro de Damiano aus der Stadt Assisi, bündig und markant ausdrückt: »er habe ihren Vater, Herrn Favarone, gekannt, der adelig und groß und mächtig in der Stadt war, er selbst und die anderen von seinem Hause.«17 Klara hat auch eine sorgfältige geistige Ausbildung genossen, das heißt: sie lernte nicht nur lesen und schreiben (in lateinischer Sprache!), sondern auch, sich in einem gehobenen, literarisch vollendeten Stil auszudrücken. Ihre Briefe an Agnes von Prag, von denen leider nur vier erhalten sind, bezeugen dies in eindrucksvoller Weise. (Daß die Briefe von einem gebildeten Minderbruder, etwa einem der Beichtväter oder Kapläne des Klosters S. Damiano, in ihrem Auftrag stilisiert wurden, kann man, aufgrund des persönlichen und fast intimen Charakters, guten Gewissens ausschließen). Ein derart gepflegter und präziser Sprachstil, wie ihn Klara beherrscht, kann nur das Ergebnis eingehender Lektüre sein. Konkrete Nachweise hierfür im Text selbst zu fin15 16 17

Leg. S. Clarae 26 (ed. Omaechevarri´a, 161). Proc. 20,3 (FF 3142). Proc. 19,1 (FF 3138).

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den, ist so gut wie unmöglich. Denn die Briefe sind zwar mit Zitaten aus der Bibel gespickt (die Zeugnisse für ihre eigene enorme und tiefe Kenntnis der gesamten Heiligen Schrift sind), doch hat die »bekehrte« Klara alles »Weltliche«, und also auch ihre weltliche Bildung, bewußt zurückgenommen. Immerhin enthält ihr vierter und letzter Brief ein Horaz-Zitat: sie redet darin die Prager Königstochter, die ihre Mitschwester und vertraute Brief-Freundin geworden ist, als »Hälfte ihrer Seele« (animae suae dimidio) an.18 Die Bemerkung der Schwester Agnes, Tochter des Herrn Oportulo de Bernardo aus Assisi, im Heiligsprechungsprozeß: Klara habe nicht im Bereich der Literatur studiert, aber trotzdem gerne literarisch anspruchsvolle Predigten gehört, spricht keineswegs gegen die Belesenheit Klaras, sondern ist eher ein Beweis für ihr Interesse, ihren guten Geschmack und ihre Bildung.19 Der Biograph, der an der weltlichen Bildung der jungen Klara ebenfalls kein Interesse zeigt, erwähnt, daß sie die Unterweisung in den Grundlagen des Glaubens aus dem Mund ihrer Mutter erhalten habe. Weiterhin werden zwei Charakterzüge genannt, die für ihr späteres »geistliches« Leben eine optimale Voraussetzung sind: ihre schon früh sich zeigende Veranlagung zum Mitleid (mens compassiva), die sie dazu veranlaßt, auf die für sie bestimmten delikaten Speisen zu verzichten und sie mittels Boten heimlich an die Armen zu schikken; sodann faßte sie den Entschluß, zeitlebens Jungfrau zu bleiben, und widersetzte sich Plänen ihrer Angehörigen, sie zu verheiraten.20 Beides wird durch die Aussagen der Zeugen im Kanonisationsprozeß, die Klara schon vor ihrer Bekehrung kannten, bestätigt, so besonders von den schon erwähnten Pietro de Damiano und Ioanni de Ventura.21 Der letztere, Dienstmann im 18 Escritos, ed. Omaechevarri´a, 395; vgl. Horaz, C. I,3,5–8 (die Ode ist an den nach Griechenland reisenden Vergil gerichtet): Navis, quae tibi creditum Debes Vergilium: finibus Atticis Reddas incolumem precor Et serves animae dimidium meae. Auch der Brief, den ihre Schwester Agnes, damals Äbtissin von Monticelli bei Florenz, an Klara schreibt, (Anal. Fr. 3,175–177; Escritos, ed. Omaechevarri´a, 361–365), läßt auf Kenntnis antiker Literatur und Vertrautheit mit antikem Lebensgefühl schließen; vgl. insbesondere folgenden Satz: »Quoniam omnium fortuna taliter est creata, quod nunquam in eodem statu permanere potest, ideo, quando aliquis arbitratur, se esse in prosperis, tunc mergitur in adversis.« 19 »Anche disse essa testimonia che la preditta madonna Chiara molto se dilettava de udire la parola de Dio. E, benche´ essa non avesse studiato in lettere, nondimeno voluntieri udiva le prediche letterate« (Proc. 10,8; FF 3076); vgl. Leg. S. Clarae 37 (ed. Omaechevarri´a, 172): »Licet autem litterata non esset, litterariorum tamen gaudebat audire sermonem, rata quod in testa verborum nucleus lateat, quam ipsa attingebat subtilius et sapidius degustabat.« 20 Leg. S. Clarae 3.4 (ed. Omaechevarri´a, 136f.). 21 Proc. 19,2 (FF 3139) und 20,2.3 (FF 3141f.); vgl. auch Proc. 1,1 (FF 2925); 17,1.4 (FF 3123. 3126); 18,1–3 (FF 3131–3133).

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Hause Offreduccio, meint, Klara sei in ihrem Leben und in ihren Sitten so untadelig gewesen, »als ob sie schon lange Zeit im Kloster gelebt hätte.«22 Der Nahrungsentzug, dem Klara ihren jugendlichen, kaum ausgewachsenen Körper unterwarf (sie war zu der in Frage stehenden Zeit etwa sechzehn Jahre alt), entsprang nicht nur ihrem Hang zur Mildtätigkeit, sondern war auch ein Mittel, ihre natürlichen Neigungen zu disziplinieren. Dazu paßt auch, daß sie bereits damals eine Methode der Selbstquälerei erfand, von der sowohl ihr ehemaliger Hausdiener wie auch ihr Biograph zu berichten wissen: sie trug unter den Kleidern ein Bußhemd bzw. einen Bußgürtel – geeignete Instrumente, um dem Körper über das empfindliche Organ der Haut jegliches Wohlbefinden auf Dauer zu entziehen.23 Später, während ihres Lebens im Kloster, hat sie beides, Fasten und Selbstpeinigen, in exzessiver Weise praktiziert, so daß sich sogar Franziskus einmal genötigt sah, einzuschreiten.24 Für den modernen Menschen, der in der Regel ganz andere Lebensziele hat, ist das Verhalten eines jungen Mädchens, das sich auf den Weg der radikalen Reduktion seiner vitalen Funktionen begibt, anstatt sich selbst zu verwirklichen, kaum verständlich. Die spontane Reaktion vieler heutiger Zeitgenossen wäre wohl die Vermutung, daß ein solches Mädchen nicht ganz richtig im Kopfe sein könne oder doch zumindest ein solches Verhalten auf Ursachen psychopathischer Natur zurückgehe. Auch in dem Milieu, in dem Klara lebte, waren ihre Lebensgewohnheiten auffällig. Die Mehrzahl der mittelalterlichen Menschen sah aber in solchen Phänomenen den Einfluß Gottes, die Inspiration des Heiligen Geistes am Werk. Und so verbreitete sich der Ruf der Heiligkeit Klaras in der Stadt Assisi.25 »Natürliche« Ursachen für ihr außergewöhnliches Verhalten haben weder ihre Mitbürger zu erkennen gesucht, noch gibt der mittelalterliche Biograph solche an. Will man es dabei nicht bewenden lassen, so ist man auf mehr oder weniger intelligente Vermutungen angewiesen. Adolf Holl hat sich auf dieses Gebiet begeben und – auf dem Hintergrund dessen, was man über das damalige Ehe-Elend aus verschiedenen Quellen weiß – erwogen, daß eine Ehe für eine gescheite junge Frau nicht unbedingt ein erstrebenswertes Lebensziel gewesen sein muß.26 Holl hat auch auf die seltsame Tatsache aufmerksam gemacht, daß alle Frauen des Hauses Favarone di Offreduccio, drei Töchter und am Ende auch die Mutter, die Flucht vor den Männern ins Kloster antraten.

22

»Et allora essa mammola era de tanta onesta` in vita et in abito, come se fusse stata molto tempo nel monasterio.« 23 Proc. 20,4 (FF 3143); Leg. S. Clarae 4. 24 Proc. 1,8 (FF 2932); 4,5 (FF 3003); s.u. bei Anm. 81. 25 Proc. 1,3; 2,2; 3,2; 4,2; 12,1; Leg. S. Clarae 4. 26 A. Holl, Der letzte Christ, Stuttgart 1979, 146–150.

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Wie immer es sich damit verhalten mag und bei aller Vorsicht, neuzeitliche Vorstellungsmuster auf das Mittelalter zu übertragen: so etwas wie »FrauenEmanzipation« war im Hause Offreduccio im Gange. Nicht selten hat auch der Entschluß von Kindern, keine Ehe einzugehen, seine tiefere Ursache in gestörten ehelichen Verhältnissen der Eltern. Frau Ortolana war viel auf Reisen – »Wallfahrten« sagte man damals, und nur als Pilgerin zu einer heiligen Stätte um ihres und anderer Seelenheiles willen konnte sich eine Frau für längere Zeit von Zuhause entfernen. Ortolana hatte die nicht ungefährliche Pilgerreise nach Oltremare, ins Heilige Land, unternommen, nicht etwa in Begleitung ihres Mannes, sondern ihrer Nachbarin Pacifica de Guelfuccio, die darüber im Kanonisationsprozeß berichtet hat. Pacifica und der Verfasser der Legenda S. Clarae geben dafür und für zwei weitere Pilgerfahrten, nach dem Michaels-Heiligtum Sant’Angelo auf dem Monte Gargano und nach Rom, keinen anderen Grund an als Gebet und glühende Frömmigkeit;27 aber es war natürlich auch eine Möglichkeit, aus bedrückenden häuslichen Verhältnissen zu eskapieren, legitim und für relativ lange Zeit.28 Daß es neben der Frömmigkeit noch ein anderes Reisemotiv gegeben haben könnte, wird in einem kleinen Nebensatz angedeutet: Pacifica, die angibt, daß sich zwischen ihrem Haus und dem Klaras nur die Piazza San Rufino befand, daß sie mit Klara häufig gesprochen habe und mit ihrer Mutter eng befreundet gewesen sei, sagt nebenbei, sie habe den Vater Klaras nicht gekannt.29 Die Bemerkung: »lo quale essa non vide« will doch wohl nicht nur sagen, daß Favarone immer gerade dann nicht zu Hause war, wenn Pacifica zu seiner Frau kam, sondern läßt darauf schließen, daß er über lange Zeit, vielleicht jahrelang, abwesend war. Bei den beiden Versuchen, die die Verwandten unternehmen, um Klara und Agnes aus dem Kloster wieder zu entführen, wird er nicht erwähnt, und auch über sein weiteres Schicksal erfahren wir nichts mehr: er gehört zu den Personen in den franziskanischen Quellen, die irgendwann einfach verschwinden. Unter den Zeugen im Kanonisationsprozeß Klaras befindet sich ein gewisser Herr Ugolino de Pietro Girardone, Ritter aus Assisi, der vor der Untersuchungskommission seine Ehegeschichte ausbreitet: er hatte sich von seiner 27

Proc. 1,4 (FF 2928); Leg. S. Clarae 1. S. hierzu: Ludwig Schmugge, »Pilgerfahrt macht frei.« Eine These zur Bedeutung des mittelalterlichen Pilgerwesens. RQ 74 (1979), 16–31. 29 ». . e che lo suo padre fu cavaliere et chiamosse messere Favarone, lo quale essa non vide. Ma la madre vide e chiamavase madonna Ortolana« (Proc. 1,4; FF 2928). – Über die genaue Lage von Klaras elterlichem Haus unmittelbar an der Piazza S. Rufino s.: Giuseppe Abate, La casa paterna di S. Chiara, e falsificazioni storiche dei secoli XVI e XVII intorno alla medesima Santa e a S. Francesco d’Assisi, Assisi-Roma 1946; Francesco Salvatore Attal, La casa paterna e il parentado di S. Chiara. Falsi e falsari dei secoli XVI e XVII. Misc. Fr. 46 (1946), 157–197. 28

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Frau Guiduzia getrennt und sie zu ihren Eltern zurückgebracht; darauf hatte er mehr als 22 Jahre ohne sie gelebt und hatte auch alle Ermahnungen, die Ehe wieder aufzunehmen, in den Wind geschlagen. Eines Tages habe die heilige Frau Klara ihm gesagt, sie habe in einer Vision erfahren, er werde seine Frau wieder zu sich nehmen und einen Sohn zeugen, an dem er viel Freude haben werde. Nach einigen Tagen habe ihn heftige Begierde nach seiner Frau, von der er so lange in Trennung gelebt hatte, erfaßt, und es sei alles so gekommen, wie Klara es in ihrer Vision vorausgesehen hatte.30 Klara erfüllt sich ihre (im realen Leben oft unerfüllbaren) Wunschträume in Visionen, wie wir später noch sehen werden. War die visionär zustandegebrachte Versöhnung des Ritters Ugolino mit seiner Frau so etwas wie ein Ersatz, eine Kompensation für die irreparable Trennung ihrer Eltern? Schließlich muß in diesem Zusammenhang noch auf eine Tatsache aufmerksam gemacht werden, von der die Quellen zwar keinerlei Aufhebens machen, die aber doch eine Ursache für die Entfremdung der Eltern Klaras gewesen sein könnte: Ortolana hatte ihrem Mann in wenigen Jahren nacheinander drei Töchter geboren, aber keinen Sohn. Wer die Verhältnisse kennt, weiß, was dies für einen Vater in Italien bis auf den heutigen Tag bedeutet. Und es ist keineswegs abwegig, hier auch einen der ungenannten Gründe für die häufigen und langen Wallfahrten Ortolanas zu vermuten. Wie bereits erwähnt, hatte sich die Kunde von der Heiligkeit der jungen Klara in der Stadt Assisi verbreitet (sie war damals siebzehn Jahre alt). Nach Auskunft ihrer Schwester Beatrice habe auch Franziskus eines Tages davon gehört und sei anschließend mehrmals zu ihr gekommen, um ihr zu predigen; damit habe er sie zum Verzicht auf die Welt und alle irdischen Dinge bewegt.31 Wenn wir dem Verfasser der Legenda glauben dürfen, dann entstand in Klara und Franziskus etwa zu gleicher Zeit der Wunsch, einander persönlich kennenzulernen. Sie seien dann noch öfter zusammengetroffen, wobei die Besuche Klaras bei Franziskus häufiger gewesen seien als dessen Besuche bei ihr. Die zeitlichen Termine dafür hätten sie so gelegt, daß alles geheim blieb und keine gehässigen Gerüchte darüber entstehen konnten.32

30

Proc. 16,4 (FF 3119). »E disse che, avendo santo Francesco audito la fama de la sua santita`, piu` volte ando` a lei predicandole, in tanto che essa vergine Chiara acconsentı` alla sua predicazione e rinunzio` al mondo e a tutte le cose terrene, et ando` a servire a Dio quanto piu` presto podde« (Proc. 12,2; FF 3086). 32 »Audiens vero tunc celebre nomen Francisci, . . . mox eum adire desiderat et videre. . . Nec minus ille, tam gratiosae puellae celebri fama perflatus, videre hanc et alloqui cupit. . . Visitat ille istam, et saepius ista illum, visitationum suarum tempora moderantes, quibus divinum illud studium nec percipi ab homine possit, nec rumore publico detrectari« (Leg. S. Clarae 5). 31

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Von unschätzbarem Wert sind die Zeugenaussagen der oben erwähnten Frau Bona de Guelfuccio, Schwester der ebenfalls schon erwähnten Pacifica und Jugendfreundin Klaras. Im Gegensatz zu ihrer Schwester schloß sich Bona nicht der Schwesterngemeinschaft von S. Damiano an. Sie berichtet, (die damals gerade vierzehnjährige) Klara habe ihr, der Zeugin, einen Geldbetrag gegeben, den sie den an der Porziuncola-Kirche bauenden Arbeitern überbringen sollte, damit sie sich Fleisch kaufen konnten.33 Klara hatte also damals (Ende 1207 / Anfang 1208) bereits Kenntnis von Franziskus und seinen Betätigungen nach seinem spektakulären Hinausgang aus der Welt. Bona de Guelfuccio verdanken wir weiterhin die Auskunft, daß sie selbst es war, die Klara insgeheim, so daß die Verwandten nichts merken konnten, zu mehreren Treffen mit Franziskus begleitete.34 Franziskus habe Klara bei diesen Begegnungen gepredigt, »sie solle sich zu Jesus Christus bekehren«; Klara habe ihm gerne zugehört und allem, was er sagte, zugestimmt. Bona berichtet weiter, Klara habe sie, »bevor ihr die Haare abgeschnitten wurden«, beauftragt, eine Pilgerreise nach St. Jakob (Santiago de Compostella) zu unternehmen, »weil diese Frau Klara voller Gnade war und wollte, daß auch die anderen voller Gnade seien.« Diese Aussagen verhüllen für uns mehr, als sie erklären, sowohl über das, was in Klara vorging, worin näherhin ihre »Bekehrung« bestand und was ihre eigentlichen Motive waren, als auch über den wirklichen Inhalt der Gespräche mit Franziskus. Auch der Biograph hüllt die Begegnungen von Klara und Franziskus in eine Wolke hagiographisch-erbaulichen Dunstes: Vater Franziskus ermahnt sie zur Verachtung der Welt. Die dürre Erwartung, die die Welt bietet, und ihr Trugbild stellt er ihr in lebhafter Rede vor Augen und läßt die Vorstellung von der süßen Ehe mit Christus in ihre Ohren träufeln, indem er sie überzeugt, die Perle der jungfräulichen Keuschheit sei für jenen seligen Bräutigam aufzubewahren, den die Liebe zum Menschen gemacht hat.35

Wäre es nur um das Verlassen der Welt, die Bewahrung der Jungfräulichkeit und den Vollzug der mystischen Hochzeit mit Christus gegangen, so hätte Klara dies ebenso gut in einem traditionellen Frauenkloster erreichen können. Vielleicht wollte Franziskus gar nicht mehr von ihr. Aber Klara wollte mit Sicherheit mehr. Wir werden darauf zurückkommen.

33

Proc. 17,7 (FF 3129); s.o. Kap. III, Anm. 168. »Unde per questo essa testimonia piu` volte ando` con lei a parlare a santo Francesco, e andava secretamente per non essere veduta da li parenti« (Proc. 17,3); vgl. Leg. S. Clarae 5 (wo Bona nicht namentlich genannt ist). 35 Leg. S. Clarae 5 (ed. Omaechevarri´a, 138). 34

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2. Das Verlassen der Welt Bei dem Vollzug der »Bekehrung«, dem unwiderruflichen Schritt Klaras aus der Welt hinaus, war ihre Vertraute Bona de Guelfuccio nicht anwesend. Sie hielt sich damals, wie sie selbst sagt, in Rom auf, um dort die Fastenzeit zu verbringen. (Gemeint ist wohl der in der Fastenzeit in Rom übliche tägliche Besuch des Gottesdienstes in der jeweiligen Stationskirche). Klara dagegen nahm am Palmsonntag, den 28. März 1211 (nach der von anderen vertretenen Auffassung war es der 18. März 1212), im Dom von Assisi, inmitten der Gruppe der adeligen Damen, an der Palmenprozession und der Pontifikalmesse des Bischofs teil.36 Nur der Autor der Legenda berichtet das Detail, daß sich Klara »aus Scheu« (prae verecundia) nicht mit den anderen an den Altar begeben habe, um aus der Hand des Bischofs einen Palmzweig zu empfangen, sondern unbewegt an ihrem Platz verblieben sei; darauf sei der Bischof die Stufen des Altares herabgekommen und habe ihr den Palmwedel in die Hände gelegt. Der gleiche Autor schreibt auch Franziskus die Wahl des Termins, den Beginn der Karwoche, zu: Klara sollte noch frisiert und geschmückt an der Palmsonntags-Prozession teilnehmen und dann in der kommenden Nacht »aus der Stadt hinausgehen« (nach Hebr 13,13), um an der Passion Christi Anteil zu nehmen.37 Daß Franziskus den Auszug Klaras aus der Welt in dieser Weise kultisch inszeniert hat, ist durchaus glaubhaft. In der darauf folgenden Nacht also verließ Klara heimlich das elterliche Haus. Nach Darstellung der Schwester Cristiana, Tochter des Herrn Bernardo da Suppo, die mit Klara und ihrer Familie gut bekannt war, und der Legenda erbrach sie dazu eine mit Hölzern und Steinen blockierte Nebentür, weil sie das Haus nicht durch den (auf die Piazza führenden) gewöhnlichen Eingang verlassen wollte.38 Wer ihr bei der Flucht behilflich war und sie begleitete, wird nirgends gesagt. Sie eilte jedenfalls zur Porziuncola-Kirche, wo die dort versammelte Gemeinschaft der Brüder schon auf sie wartete und sie mit Fackeln empfing. »Und alsdann schor sie der heilige Franziskus vor dem Altar, in der Kirche der Jungfrau Maria, genannt ›die Porziuncola‹, und darauf führte er sie zur Kirche von San Paolo delle Abbadesse«: mit diesen knappen Sätzen beschreibt Klaras Schwester Beatrice das, was in Santa Maria degli Angeli geschah.39 Dagegen der Autor der Legende, blumig, ungenau, den Kern des Ereignisses vernebelnd: »Bald warf sie dort den Schmutz von Ba36

Ebd. 7; s.o. bei Anm. 6–9; vgl. FF, S. 2308, Anm. 16. »Iubet pater Franciscus, ut in die festo compta et ornata procedat ad palmam cum frequentia populorum, ac nocte sequenti, exiens extra castra, mundanum gaudium in luctum convertat dominicae passionis.« 38 Proc. 13,1 (FF 3094); Leg. S. Clarae 7 (ed. Omaechevarri´a, 140). 39 Proc. 12,4 (FF 3088). 37

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bylon ab, übergab der Welt ihren Scheidungsbrief. Dort legte sie ihr Haar mittels der Hand der Brüder ab, ließ ihre verschiedenen Schmuckgegenstände zurück.«40 Anlaß zur Vernebelung besteht offenbar bis auf den heutigen Tag, denn indem er Klara die Haare abschnitt, tat Franziskus etwas, was er eigentlich gar nicht tun durfte: er erteilte Klara die Jungfrauen-Weihe (consecratio virginis), was in der Katholischen Kirche normalerweise dem Bischof vorbehalten ist.41 Nun lag Franziskus gewiß nichts ferner, als sich die Autorität und die Rechte eines Bischofs anzumaßen. Auch führten die für Frauen vorgesehenen kirchlichen Rituale immer ein Schattendasein im Vergleich zu dem umfangreichen Weihe-Apparat, der für Männer vorgesehen war, die sich dem kirchlichen Dienst als Mönch, Priester oder Bischof verschrieben. Doch ist die von Franziskus vollzogene Tonsurierung – von einem Wechsel der Kleider Klaras ist in den Quellen nirgends die Rede! – auch wiederum nicht einfach eine rechtlich unverbindliche, laikale Zeichenhandlung, mit der er Klara in den Stand der Büßer aufgenommen hätte.42 In der Kanonisationsbulle »Clara claris praeclara« (Herbst 1255) spricht der Papst Alexander IV. ausdrücklich von einer »sacra tonsura«, die Klara von Franziskus empfangen habe,43 und daß ein entsprechender bischöflicher Ritus später bei ihr nachgeholt worden wäre, wird nicht überliefert. Nachdem Franziskus den Gang Klaras aus der Welt symbolisch inszeniert hatte, brachte er sie sogleich, also wohl noch in der Nacht oder bei Anbruch des Tages, in das etwa vier Kilometer entfernte Kloster von San Paolo delle Leg. S.Clarae 8 (ed. Omaechevarri´a, 141). Bartoli, Chiara (o. Anm. 9), 67f. Schon Sabatier hat auf das Außergewöhnliche des Vorgangs aufmerksam gemacht: »Comme pour la fondation de l’Ordre des Fre`res, il devait ne prendre conseil que de lui-meˆme et de Dieu. Ce fut sa force: s’il avait he´site´, ou meˆme s’il s’e´tait simplement soumis aux re`gles eccle´siastiques, il aurait e´te´ arreˆte´ vingt fois avant d’avoir rien fait. Le succe`s est un si puissant argument, que les hagiographes semblent ne pas s’apercevoir combien Franc¸ois ignora les lois canoniques. Lui, simple diacre, s’arroga le droit de recevoir les vœux de Claire et de la tonsurer sans aucun noviciat« (Vie de S. Franc¸ois d’Assise, Paris 461926, 173). Über die JungfrauenWeihe s.: Polycarpus Rado´, Enchiridion Liturgicum II, Roma 1961, 1026f.: De consecratione virginum. Auch die Regel des Kardinals Hugolino für die Schwestern von S. Damiano (1219) sieht den Bischof als Konsekrator bei der Äbtissinnen-Benediktion und der Nonnen-Weihe vor (c. 10; ed. Omaechevarri´a, 223): »Quod si forte pro benedictione abbatissae vel pro aliqua sorore consecranda in monialem, vel alio etiam modo concessum alicui episcopo fuerit Missam interius aliquando celebrare. . .« 42 So neuerdings noch Luigi Padovese, La »Tonsura« di Chiara: Gesto di consacrazione o segno di penitenza? Laurentianum 31 (1990), 389–404. (Heft 1/2 von Jahrgang 1990 des Laurentianum ist unter dem Titel: »Chiara. Francescanesimo al Femminile« Klara von Assisi und ihrem historischen Hintergrund gewidmet; s. vor allem u. Anm. 77. 156). 43 Bull. Fr. 2,81–87; ebd. 81b: »Cumque de saeculi strepitu fugiens ad quamdam Campestrem declinasset Ecclesiam, et ab ipso Beato Francisco sacra ibi recepta Tonsura processisset in aliam. . .« 40 41

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Abbadesse bei Bastia.44 San Paolo war eine sehr reiche, mit päpstlichen Privilegien ausgestattete Abtei, die von Benediktinerinnen, wohl zumeist adeliger Herkunft, bewohnt wurde.45 Klara ersuchte nicht um Aufnahme in den Konvent (was sie ja aufgrund ihres Reichtums und des sozialen Status ihrer Familie hätte tun können), sondern sie fand Unterschlupf als abgerissene, schäbige Dienstmagd. In diesem Zustand der vilitas (Schäbigkeit), »der ihrer Herkunft unangemessen und beispiellos in der Gegend war«,46 trafen ihre Verwandten sie an, als sie bald danach versuchten, sie wieder nach Hause zu holen. Was dabei geschah, beschreibt wiederum ihre Schwester Beatrice am knappsten und präzisesten: Und als ihre Verwandten sie herausziehen wollten, da ergriff die besagte Frau Klara die Altartücher und entblößte ihren Kopf, wobei sie ihnen zeigte, daß er geschoren war, und sie gab ihnen in gar keiner Weise nach, und sie ließ sich von ihnen nicht herausziehen und nicht mit ihnen zusammen zurückführen.47

Bedeutsamer ist, was nicht geschah: Warum hinderten die Nonnen des mit päpstlichem Asylprivileg ausgestatteten Klosters die Verwandten nicht am Betreten der Abteikirche? Und warum mußte Klara selbst ihre Verwandten in drastischer Weise auf ihren Stand als geweihte Jungfrau aufmerksam machen? Warum tat dies nicht die Äbtissin von S. Paolo, indem sie sie sich an der Pforte der Klausur den Eindringlingen entgegenstellte? Die Antwort auf diese Fragen kann nur lauten, daß sich die Nonnen aus dieser Affäre »heraushalten« wollten, daß sie mit den Absichten Franziskus’ und Klaras im Grunde nichts zu tun haben wollten, auch wenn sie Klara für ein paar Tage Unterschlupf gewährt hatten. Die frostige Haltung der Nonnen von S. Paolo wird mit ein Grund gewesen sein, daß Klara diesem Kloster alsbald den Rücken kehren wollte. Aber sie wollte natürlich auch nicht (so wenig wie Franziskus selbst) in einen der etablierten Orden eintreten, auch nicht als untergeordnete Dienstmagd. Franziskus und die Brüder Philipp und Bernhard geleiteten sie nach Sant’Angelo di Panzo.48 Dieses am Ostabhang des Monte Subasio, etwa eine halbe Stunde von Assisi entfernt gelegene Kloster war ebenfalls von Benediktinerinnen bewohnt.49 Auch dort hielt es Klara nur kurze Zeit aus. Noch während ihres Leg. S. Clarae 8 (ed. Omaechevarri´a, 141): »statim eam ad ecclesiam sancti Pauli sanctus Franciscus deduxit.« 45 Über das Kloster s. Fortini, Notizie (o. Anm. 6), 29–33. 46 Leg. S. Clarae 9 (ed.c. 142). 47 »E volendola li suoi parenti trarre fora, essa madonna Chiara prese li panni de lo altare e scoperse lo suo capo, mostrandoli che era tondito, e per nessuno modo lo’ acconsentı`, ne´ se lasso` cavare de lı`, ne´ remenare con loro« (Proc. 12,4; FF 3088); vgl. Proc. 18,3 (FF 3133); 20,6 (FF 3145); Leg. S. Clarae 9. 48 Proc. 12,5 (FF 3089). 44

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Aufenthaltes in Sant’Angelo, sechzehn Tage nach ihrer eigenen Bekehrung (also am Dienstag nach dem Weißen Sonntag), flüchtete ihre etwa fünfzehn Jahre alte Schwester Agnes zu ihr. Der Verfasser der Legenda hat in dramatischer Weise geschildert, wie die Familie Offreducci versuchte, Agnes mit Gewalt wieder nach Hause zu holen.50 Auf die Nachricht, daß Agnes zu ihrer Schwester geflohen war, kamen bereits am Tage darauf zwölf Männer zu dem Kloster. Mit der Vorspiegelung friedlicher Absichten verschafften sie sich Eintritt. Da sie in bezug auf Klara bereits resigniert hatten, forderten sie Agnes in ziemlich barschem Ton auf, schleunigst mit ihnen nach Hause zurückzukehren. Agnes erklärte, sie wolle sich nicht von ihrer Schwester trennen. Darauf stürzte sich einer der Ritter auf sie, traktierte sie mit Faustschlägen und Fußtritten und versuchte, sie an den Haaren hinwegzuziehen. Die anderen halfen mit ihren Armen nach. Agnes flehte ihre Schwester um Hilfe an – vergebens; sie wurde von den brutalen Kerlen den Berghang hinabgeschleift, wobei ihre Kleider zerrissen wurden und ein Teil ihres ausgerissenen Haares auf dem Weg liegen blieb. Klara aber betete um ein Eingreifen der göttlichen Macht. Es geschah nun ein zweifaches Wunder: zunächst nahm die auf der Erde liegende Agnes ein gewaltiges Gewicht an, so daß weder die Entführer, noch aus Feldern und Weinbergen zu ihrer Unterstützung heraneilende Leute ihren Körper anheben konnten. Merkwürdig ist, daß dieses »Wunder« seinen Eindruck auf die Täter offenbar verfehlte: sie ließen zwar von Agnes ab, einer jedoch kommentierte höhnisch: »Sie hat die ganze Nacht Blei gefressen; kein Wunder, daß sie so schwer ist!« Ihr Onkel aber, Herr Monaldus, geriet so in Wut, daß er sie totschlagen wollte. Als er aber die Faust hob, um den Schlag auszuführen, fuhr es ihm so in den Arm hinein, daß er noch lange an dem Schmerz zu leiden hatte. In diesem Augenblick kam Klara und bat die Verwandten, von ihrer leblos daliegenden Schwester abzulassen und sie ihr anzuvertrauen. Die Entführer zogen enttäuscht ab, Agnes kam sogleich wieder zu sich und freute sich, daß sie ihre erste Schlacht in der Nachfolge des gekreuzigten Christus gewonnen hatte. Man muß nicht gleich in den Verdacht des platten Rationalismus geraten, wenn man dem mittelalterlichen Biographen nicht abnimmt, daß es sich bei den beiden »Wundern« um übernatürliche Vorgänge handelt. Die plötzliche Bleischwere der kleinen Agnes wird nichts anderes gewesen sein als eine tatsächliche oder gespielte Ohnmacht. Ihr Körper, der auf einmal leblos dalag, hat die groben Kerle beeindruckt, und die dämliche, witzig sein wollende Bemerkung über das »Bleifressen« ist wohl eher Ausdruck von Ratlosigkleit und Angst, daß man dem Mädchen doch ein größeres Leid zugefügt haben könnte. Spätestens in diesem Moment wird den Herren Rittern auch das 49 Der Konvent übernahm in den dreißiger Jahren die Regel der »Armen Frauen« von S. Damiano: s. Fortini, Notizie (o. Anm. 9), 33–36. 50 Leg. S: Clarae 25f. (ed. Omaechevarri´a, 160–162); vgl. Vita Agnetis (Anal. Fr. 3,174f.).

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Lächerliche und Blamable ihrer Situation deutlich geworden sein. Was mit Herrn Monaldus geschieht, fügt sich durchaus in den Rahmen des Ganzen: in seiner Wut möchte er zunächst seine leblos daliegende Nichte völlig erledigen, aber natürlich will er das nicht wirklich; ein Ritter schlägt keine wehrlosen Frauen tot. Deshalb fährt es ihm rechtzeitig in den erhobenen Arm. Früher nannte man so etwas im Volksmund einen »Hexenschuß«. Jeder, der damit zu tun hat, weiß um den psychosomatischen Zusammenhang plötzlich auftretender rheumatischer Symptome.51 Von größerer Bedeutung als diese angeblich wunderbaren Vorgänge und die mehr oder weniger rationalen Erklärungen, die man heute dafür sucht, ist ein Eindruck, der sich aus der Erzählung ganz klar ergibt: der Vater Favarone kann bei alldem nicht zugegen gewesen sein, ebenso wenig wie ein paar Tage vorher bei dem Versuch, Klara zu entführen. Denn wäre er dabei gewesen, dann wären ja wohl die Initiativen gegen die Mädchen, vor allem die gewaltsamen, von ihm ausgegangen, und er hätte vielleicht auch mehr Erfolg gehabt. Nach diesem aufregenden Ereignis hat Franziskus dann auch Agnes eigenhändig, noch in Sant’Angelo di Panzo, tonsuriert und kurz darauf beide Schwestern nach S. Damiano gebracht.52 Noch im gleichen Jahr 1211 schloß sich ihnen ihre Nachbarin Pacifica de Guelfuccio an, die Klara und Agnes überlebte und im Heiligsprechungsprozeß als erste Zeugin gehört wurde. Pacifica gibt an, sie sei mit Klara zusammen in die »Religion« eingetreten und habe sie (in den Jahren des Klosterlebens) Tag und Nacht bedient.53 Im September schloß sich dann eine weitere Bekannte Klaras aus Kindertagen als vierte der kleinen Gemeinschaft an: Benvenuta aus Perugia. Die Bekanntschaft geht entweder schon auf die Jahre 1203–1205 zurück, als die Familie Favarone di Offreduccio in Perugia im Exil leben mußte, oder auf einen späteren Besuch Benvenutas im elterlichen Haus Klaras in Assisi. Jedenfalls sagt sie im Prozeß aus, sie habe Klara schon gekannt, bevor sie in den Orden eingetreten sei und habe mit ihr in demselben Haus gewohnt.54 Da Benvenuta sich offenbar sehr genau erinnert – sie sagt, sie habe »mit ihr zusammen bis 51 Weniger wahrscheinlich scheint mir die Erklärung zu sein, die A. Holl für die plötzliche Bleischwere der kleinen Agnes gibt: »Daß die kleine Agnes auf einmal so schwer wog, wird man füglich den erfolgreichen Bemühungen von Mutter Ortolana und Cousine Pacifica bei Bischof Guido zuschreiben dürfen. . . Offenbar war Klara über den Stand der Verhandlungen informiert, und als sie ihren angerückten Onkeln und Vettern zuschrie, daß ein heiliger Verein der Minderschwestern in Gründung befindlich sei mit bischöflicher Genehmigung und nach dem Programm des unter päpstlichem Schutz befindlichen Franz, war Agnes gerettet« (Der letzte Christ, 155f.). 52 Leg. S. Clarae 26; Proc. 12,5. 53 »Adomandata come questo sapesse, respose che lei intro` nella Religione insieme cum essa e che quasi lo dı` e la notte per la maggiore parte la serviva« (Proc. 1,3; FF 2927). 54 Proc. 2,1 (FF 2945); vgl. Fortini, Notizie (o. Anm. 9), 17–19.

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zu ihrem Tode, das heißt, fast 42 Jahre lang, ausgenommen die vorgenannte Zeit, das heißt, vom Montag der Karwoche bis zum September«, gelebt – kommt ihrer Ausage ein großes Gewicht für die Datierung der berichteten Ereignisse zu: die »Bekehrung« Klaras fällt demnach eindeutig in das Jahr 1211. Im Zusammenhang mit dem Weggang Klaras aus der Welt bleibt noch eine Sache unklar. Nach dem Zeugnis ihrer Schwester Beatrice verkaufte sie ihr eigenes gesamtes Erbe und dazu noch einen Teil des Erbes von Beatrice, bevor Franziskus sie tonsurierte, und gab den Erlös den Armen.55 Die oben schon erwähnte, aus Assisi stammende Schwester Cristiana, dreizehnte Zeugin im Kanonisationsprozeß, sagt dagegen aus: »daß die Verwandten von Frau Klara ihr beim Verkauf ihres Erbes einen höheren Preis zahlen wollten als alle anderen, daß sie ihnen aber nicht verkaufen wollte, sondern anderen verkaufte, damit die Armen nicht betrogen würden. Und alles, was sie aus dem Verkauf dieses Erbes erlöste, verteilte sie an die Armen.«56 Wenn die Aussage Cristianas der Wahrheit entspricht, dann kann Klara die Liquidierung ihres Erbes erst nach ihrem Klostereintritt vorgenommen haben. Und dies ist auch das Wahrscheinlichere. Denn hätte die beschriebene Auseinandersetzung mit ihren Verwandten vorher stattgefunden, dann wäre ja der Plan ihrer Flucht nicht geheim geblieben. Worum ging es aber? Mit dem »Erbe« (eredita`) ist wohl in erster Linie die Mitgift gemeint, die vor allem aus Schmuck, wertvollen Stoffen, Wäsche bestanden hat. Es wäre aber auch an Haus- und Grundbesitz zu denken, dessen Eigentümerin Klara gemeinsam mit ihrer Schwester Beatrice war. Warum aber verkaufte Klara, trotz des ihr von den Verwandten gebotenen höheren Preises, an andere? Wollte sie damit ihren Angehörigen »eins auswischen« und den endgültigen Bruch mit der Familie dokumentieren?57 Der eigentliche Grund steht in dem Nebensatz der Schwester Cristiana: »ad cio` che li poveri non fussero defraudati«: »damit die Armen nicht betrogen würden.« Klaras Verwandte wollten ihr »Erbe« aufkaufen, um ihr für den Fall ihrer Rückkehr in die Welt eine materielle Absicherung zu erhalten. Das aber wäre nach Auffassung Klaras kein totaler Verzicht auf allen Besitz und damit ein »Betrug« an den Armen gewesen. Aus dem gleichen Grund duldete auch Franziskus es nicht, daß jemand, der in seine Bruderschaft eintreten wollte, seinen Besitz oder einen Teil desselben seinen Angehörigen überließ.58 55

Proc. 12,3f. (FF 3087f.). Proc. 13,11 (FF 3104). 57 Vgl. Bartoli, Chiara (o. Anm. 9), 69: »Che fosse un gesto di rottura nei confronti della famiglia non vi sono dubbi: Chiara stessa preferı` vendere a meno piutosto che privare il suo gesto del valore contestativo che aveva«; s. die ausführliche Behandlung der Frage bei Rotzetter, Klara (o. Anm. 3), 78–80, der aber m.E. zu keiner überzeugenden Lösung kommt. 58 Vgl. die Ausnahme, die er im Falle des Ochsen des einfältigen Bruders Johannes macht (Leg. Per. 61; ed. Bigaroni, 156/158; II Cel 190; Anal. Fr. 10,239). 56

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3. Klaras Beziehung zu Franziskus »Franz und Klara waren ein Liebespaar« hat Adolf Holl zweimal lapidar festgestellt und sich dafür Angriffe aus Kreisen fromm denkender Katholiken eingehandelt.59 Das Bild des Franziskus und seiner Umwelt wird bis in die Gegenwart von mancherlei Interessen bestimmt, die gelegentlich zu feindseligen Gefühlen führen, sobald jemand, der historischen Wahrheit zuliebe, an falschen Vorstellungen rüttelt. Holls Bemerkung ist indes nur partiell zutreffend: wenn zwischen Franziskus und Klara eine (unterdrückte) Liebesbeziehung bestand, dann war sie einseitig. Es gibt Indizien dafür, daß Klara Franziskus mit einer geradezu verzweifelten Liebe geliebt hat; Franziskus dagegen war wohl, als er Klara näher kennenlernte, zu einer »normalen« Liebesbeziehung nicht mehr fähig – wenigstens zu dem, was man heute darunter versteht. Franziskus ist für Klara die zentrale Gestalt ihres Lebens und ihrer Berufung. In ihrem religiösen Selbstverständnis kommt er gleich nach Gott. Ihr geistliches Vermächtnis ist in beinahe jedem Satz ein eindrucksvolles Dokument für diese Auffassung.60 Zwar spricht Klara dort, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Plural, d.h. sie bezieht immer ihre Mitschwestern ein; doch ist sie sich auch bewußt, die »kleine Pflanze des heiligen Vaters« (plantula sancti patris) zu sein, die die Hauptverantwortung für die Bewahrung seines Vermächtnisses hat.61 Die Berufung durch Gott und die Offenbarung seines Weges wurde den Schwestern ausschließlich durch Beispiel und Lehre des Franziskus vermittelt. Schon vor ihrer Bekehrung hat Gott ihnen immense Wohltaten durch Franziskus geschenkt, der beim Wiederaufbau von S. Damiano prophetische Worte über das zukünftige Leben der Schwestern an diesem Ort sprach. Bezüglich ihrer eigenen Bekehrung sagt Klara: Der höchste himmlische Vater hat sich in seiner Barmherzigkeit und Gnade gewürdigt, mein Herz zu erleuchten, daß ich nach dem Beispiel und der Lehre unseres heiligsten Vaters Franziskus Buße täte.

Sie habe Franziskus dann aus freiem Willen Gehorsam versprochen, »so wie der Herr uns das Licht seiner Gnade gegeben hatte durch sein lobwürdiges Leben und seine Lehre.« Voller Freude über die Standhaftigkeit der Schwestern, die trotz ihrer körperlichen Schwäche und Gebrechlichkeit Not, Armut, Arbeit und Weltverachtung willig auf sich nahmen, übernahm Fran-

59 A. Holl, Mystik für Anfänger, Stuttgart 1977, 120; Der letzte Christ (o. Anm. 26), 145. 60 Escritos, ed. Omaechevarri´a, 340–348. 61 Test. 6 (ed.c. 343).

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ziskus ihnen gegenüber für sich selbst und seinen Orden die Verpflichtung, beständig für sie so zu sorgen, als ob es sich um seine eigenen Brüder handele.62 Erst dann, so fährt Klara in ihrem Bericht über die Anfänge ihrer Gemeinschaft fort, seien sie »nach Gottes und unseres heiligen Vaters Franziskus Willen« zur Kirche S. Damiano gegangen, um dort zu wohnen. Nimmt man die Worte Klaras genau, dann war die von Franziskus eingegangene Verpflichtung der besonderen Fürsorge (sollicitudo specialis) die Voraussetzung für die Niederlassung der Schwestern bei S. Damiano. Der Satz: »Denn vorher hatten wir uns bei einem anderen Ort aufgehalten, doch nur für kurze Zeit«, scheint auf eine weitere, in anderen Quellen nicht genannte Zwischenstation nach dem Aufenthalt im Kloster Sant’Angelo di Panzo hinzuweisen. (Die Inklaustrierung – Einsperrung – Klaras durch Franziskus erfolgte allmählich, in Etappen). Demnach wäre Klara, zusammen mit ihren damals zwei oder drei Gefährtinnen (Pacifica, Agnes, Benvenuta),63 erst bereit gewesen, das Kloster S. Damiano als Wohnsitz zu akzeptieren, als die geistliche und materielle Sorge durch Franziskus und seine Brüder sichergestellt war. Das schloß die Notwendigkeit des beständigen Kommens und Gehens der Minderbrüder ein – für Klara nach der heiligen Armut das zweite unverzichtbare Wesenselement des religiösen Lebens ihrer selbst und ihrer Gemeinschaft. »Danach schrieb er für uns eine forma vivendi, und hauptsächlich, daß wir immer in der heiligen Armut ausharren sollten.«64 Die von Franziskus verfaßte Lebensregel, deren zentraler Bestandteil die Verwirklichung der Armut nach dem Vorbild des Sohnes Gottes ist, ist für Klara die einzige verbindliche Norm, nach der sie und ihre Mitschwestern ihr Leben zu gestalten haben. Franziskus schärfte dieses sein Ideal den Schwestern noch in mehreren Schreiben ein, um sicher zu gehen, daß sie auch nach seinem Tode treu und beständig daran festhielten.65 Klara ihrerseits will mittels ihres Testamentes dafür sorgen, daß nach ihrem Tode die Schwestern, die sie hinterläßt, und alle, 62 »Et ad pietatem erga nos motus, obligavit se nobis, et per se, et per religionem suam, habere semper de nobis, tamquam de fratribus suis, curam diligentem et sollicitudinem specialem« (Test. 4; ed.c. 342f.). 63 Im Sommer 1213 zählte der kleine Konvent fünf Mitglieder: Balvina, die spätere Äbtissin von Vallegloria bei Spello war hinzugekommen (Proc. 1,15). 1214 trat dann die nächste Schwester, Cecilia, Tochter des Herrn Gualtieri Cacciaguerra aus Spello, in den Orden ein (Proc. 6,1); ihr folgte 1215 Filippa, Tochter des Herrn Leonardo de Gislerio aus Assisi (Proc. 3,1). Filippa behauptet zwar, die dritte Schwester von Frau Klara gewesen zu sein (Proc. 3,8), doch ist dies entweder ein Irrtum oder bei den oben genannten vier Schwestern handelt es sich in ihrer Vorstellung, ungenau, um eine einzige Aufnahme. 64 Test. 5 (ed.c. 343); vgl. Regula S. Clarae c. 6 (ebd. 278). 65 Eines dieser Schreiben ist in dem sogenannten »Letzten Willen« des Franziskus innerhalb der Regel Klaras (c. 6) erhalten (Escritos, ed. Omaechevarri´a, 278; Esser, Opuscula, 449).

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die nach ihnen kommen, in keiner Weise von »unserer Herrin, der allerheiligsten Armut« abweichen. Klara erinnert die Schwestern an ihre diesbezüglichen Befürchtungen, die sie nach dem Tode des Franziskus hatten, »der unsere Säule war und nach Gott unser einziger Trost und unsere Befestigung.« Das Armutsversprechen, das die Schwestern dem Herrn und dem heiligen Franziskus gegeben hatten, hat Klara der größeren Sicherheit wegen durch den Papst Innocenz III. und seine beiden Nachfolger bestätigen lassen.66 Die nahezu ausschließliche Ausrichtung ihres Lebens auf Franziskus kommt auch zum Ausdruck in der ergreifenden Totenklage der Schwestern von S. Damiano über Franziskus, die Thomas von Celano schon in seiner ersten Lebensbeschreibung des Franziskus wiedergibt. Wenn es sich dabei auch gewiß nicht um ein wörtliches Zitat handelt und einiges der Stilisierung durch den Biographen zuzuschreiben ist, so werden es doch die tatsächlichen Gedanken und Gefühle Klaras gewesen sein, denen sie Ausdruck gab, als das Gitter an dem Fenster innerhalb der Kirche entfernt und der Leichnam des Franziskus den Schwestern gezeigt wurde: Vater, Vater, was werden wir tun? Warum verläßt du uns Arme? Oder wem überläßt du uns so ohne Tröstung? Warum hast du uns nicht in Freude dahin vorausgesandt, wo du hingehst, uns, die du hier in Schmerzen zurückläßt? Was befiehlst du uns zu tun, die wir in diesem Kerker eingeschlossen sind und für deren Besuch du dir niemals wieder die Zeit nimmst, wie es doch deine Gewohnheit ist? Mit dir weicht alle Tröstung von uns, und ein vergleichbarer Trost verbleibt uns nicht, die wir für die Welt begraben sind!67

Während Franziskus für Klara ihren ganzen Lebensinhalt verkörperte, war dies für Franziskus in bezug auf Klara keineswegs der Fall. Gewiß hat er sie hochgeschätzt und auch in wichtigen Dingen auf ihren Rat gehört; so beauftragte er sie einmal, den Willen Gottes darüber zu erkunden, ob er weiterhin predigen oder sich nur noch dem Gebet widmen solle.68 Aber Klara war nun einmal eine Frau, und das Verhältnis des Franziskus zu Frauen war alles andere als unbefangen. Von Bruder Stephanus, einem langjährigen Gefährten des Franziskus, der von ihm selbst in den Orden aufgenommen worden war,69 Test. 6 (ed. Omaechevarri´a, 344). I Cel 116f. (Anal. Fr. 10,92); vgl. Leg. Per. 13 (ed. Bigaroni, 44): »Et remota crate ferrea de fenestra, per quam Christi ancille communicare solent et aliquando audire verbum Dei, tulerunt fratres sanctum corpus de lecto et tenuerunt ipsum inter brachia ad fenestram per magnam horam, donec domina Clara et eius sorores haberent de ipso maximam consolationem, licet lacrimis multis plene et afflicte doloribus essent, quoniam post Deum ipse erat unica consolatio earum in hoc seculo.« – Zu der Totenklage s. auch Moorman, History (o. Kap. I.V.2), 36 und ebd. Anm. 3. 68 Bonaventura, Leg, mai. XII,1f. (Anal. Fr. 10,610f.); Actus/Fioretti, c. 16 (ed. Cambell, 230–233; FF 1845). 69 FF 2680–2685 und ebd. S. 2153, Anm. 17. 66 67

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ist ein Bericht überliefert, der zu diesem Komplex eigentlich alles sagt und keines weiteren Kommentars bedarf:70 Bruder Stefan, Gefährte des heiligen Franziskus sagte, der heilige Franziskus habe niemals nähere Beziehungen zu Frauen unterhalten; sondern er liebte allein die heilige Klara. Und trotzdem, wenn er von ihr sprach, dann nannte er sie nicht mit ihrem richtigen Namen, sondern er sagte: »Christiana«. Und nur um ihr Kloster kümmerte er sich mit besonderer Sorgfalt. Und doch sorgte er niemals dafür oder ordnete an, daß ein anderes Kloster errichtet oder erbaut würde. Vielmehr waren die anderen Klöster, die gebaut worden waren, der Sorge von anderen anvertraut. In diesen Klöstern gab es einige Frauen, die der Fürsorge des heiligen Vaters anvertraut waren; diese ließen sich eines Tages »Minderschwestern« nennen. Und als Sankt Franziskus das hörte, ärgerte er sich maßlos und sagte erbittert: »Deus a nobis astulit uxores, et diabolus procuravit sorores«, das heißt: »Der Herrgott hat uns die Frauen weggenommen, und der Teufel hat uns die Schwestern besorgt.« Indes, der Herr Hugolino, Bischof von Ostia, welcher Protektor des Ordens der Minderbrüder war, hatte zu diesen Frauen eine große fürsorgliche und liebevolle Zuneigung, und so empfahl er sie Franziskus mit den Worten: »Dir vertraue ich diese Frauen an.« Da antwortete Sankt Franziskus ihm folgendermaßen: »Heiliger Vater, ich bitte Euch, daß sie in Zukunft nicht mehr ›Minderschwestern‹, sondern ›Damen‹ genannt werden.« Was dann auch so geschah. Und kurze Zeit darauf starb Bruder Ambrosius aus dem Cistercienser-Orden, welchem von dem oben genannten Kardinal die Sorge für sie und andere Klöster, ausgenommen das Kloster der heiligen Klara, anvertraut worden war. Und nach dem Tod dieses Bruders Ambrosius besorgte sich Bruder Philipp der Lange vom Papst den Auftrag, für die Schwestern zu sorgen, und auch die Vollmacht, ihretwegen Verfügungen und Dispense bei den Brüdern erlassen zu können. Als der heilige Mann Gottes Franziskus das gehört hatte, da verfluchte er ihn als Zerstörer seines Ordens. Und dann sagte er: »Bis jetzt war das Geschwür nur im Fleisch, und es bestand einige Hoffnung, es zu heilen; aber nun hat es in den Knochen Wurzeln geschlagen und wird unheilbar sein.« Auch ging dieser vorgenannte Bruder Stefan, dem Franziskus das Ordenskleid angezogen hatte, auf Befehl des erwähnten Bruders Philipp einmal zu dem Kloster der genannten Damen. Eines Tages, als er sich mit Sankt Franziskus auf der Wanderschaft befand, bat er ihn um eine Buße für diesen Gang zum Kloster. Da fuhr ihn Sankt Franziskus hart an und erlegte ihm als Buße auf, daß er sich, angezogen wie er war, in den Fluß würfe. Und er ging dann durch den Fluß, obwohl es sehr kalt war, denn es war im Dezember, und zitternd kam er aus dem Fluß heraus. Und über gut zwei Meilen, das heißt bis zum »Ort« der Brüder, folgte er demütig dem heiligen Vater Franziskus.

70 Lateinische Fassung im Codex von S. Antonio in Rom: Livarius Oliger, Descriptio codicis Sancti Antonii de Urbe unacum appendice textuum de Sancto Francisco. AFH 12 (1919), 321–401; ebd. 383. (c. 59); altitalienische Übersetzung: Vita del povero (o. Kap. I, Anm. 122), c. 51 (ed. Bigaroni, 146–148).

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Franziskus möchte zu Klara und den Damen von S. Damiano eine rein religiöse Beziehung unterhalten, aus der alles Natürliche und Menschliche ausgeschlossen ist. Non guardate a la vita defora, ka quella dello spirito e` migliora: Schaut nicht auf das äußerliche Leben, Denn ein bessres, das des Geists, ist euch gegeben:

So dichtet er noch in seinen letzten Lebenstagen für sie in dem Lied für die Armen Frauen von S. Damiano.71 Seine Beziehung zu der resoluten »Bruder« Jacopa de’ Settesoli scheint unbefangener gewesen zu sein als die zu Klara.72 Zu Klara und den »heiligen Frauen« von S. Damiano wahrte Franziskus äußerste Zurückhaltung. Als er sich einmal in der Nähe von S. Damiano aufhielt, konnte Bruder Elias von Cortona ihn erst durch mehrfaches Insistieren dazu bewegen, den Schwestern das Wort Gottes auszulegen. Er führte aber dann nur seine berühmte Performance auf, bei der er sich Asche auf den Kopf streute. Anschließend rezitierte er den 50. Psalm Miserere anstatt einer Predigt. Der Biograph Thomas von Celano bemerkt hierzu:73 Aufgrund der Kraft dieser Aufführung wurden die Dienerinnen Gottes von einer solchen Reue erfüllt, daß sie Ströme von Tränen vergossen und ihre Hände kaum davon abhalten konnten, sich eine Bestrafung zuzufügen. Mit der Tat lehrte er sie, sich für Asche zu halten, und er ließ seinem Herzen über sie nichts anderes nahekommen, als was dieser Einschätzung entsprach. Das war sein Umgang mit den heiligen Frauen; das war sein überaus nützlicher Besuch bei ihnen, der indes nur gezwungenermaßen und selten stattfand. Das war sein Wille in bezug auf alle Brüder: er wollte, daß sie ihnen dienten um Christi willen, dem sie [die Schwestern] dienen, aber so, daß sie sich immer, wie die Vögel, vor den ausgelegten Schlingen hüteten.

Franziskus war also bemüht, in den Frauen (einschließlich Klara) keine lebendigen Wesen, sondern dem Tod und Zerfall preisgegebene Asche zu sehen. Und diese nekrophile Sicht verfehlte offenbar ihre Wirkung auf die Frauen nicht: sie wären am liebsten aus lauter Reue über ihre bloße Existenz zerflossen, die dem Heil anderer, dem der heiligen Männer nämlich, so verderblich werden konnte wie das Netz den Vögeln. Das Verhältnis Klaras zu Franziskus ist nicht ausschließlich in der reinen Sphäre des Geistes angesiedelt. Sie ist nicht nur die folgsame Tochter eines übermächtigen geistlichen Vaters, wenngleich Franziskus zweifellos auch so etwas wie ein Guru für sie gewesen ist. Aber ihre bedingungslose Gefolgschaft und ihre Ausrichtung auf ihn allein sind eine Folge ihrer totalen Liebe 71 72 73

FF, S. 2239f.; s.o. Kap. I, bei Anm. 77–80. Vgl. o. Kap. V, bei Anm. 98; Kap. VII, bei Anm. 124–129. II Cel 207 (Anal. Fr. 10,249); s.o. V. Kap., bei Anm. 52.

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zu ihm. Es gibt genügend Indizien dafür, daß diese Liebe natürliche, erotische, sexuelle, tragische und verzweifelte Züge hatte. Eben das macht sie sympathisch. Weniger erfreulich ist, daß Klara diese Liebe verdrängen mußte. Der Mühe, dies alles aus den Quellen umständlich beweisen zu müssen, enthebt uns in diesem Fall ein zeitgenössisches Dokument, das für den, der lesen kann, alles Nötige sagt. Es handelt sich um die sogenannte »Vision der Brustwarze des heiligen Franziskus«. Sie ist bekannt aus der Zeugenaussage, die Schwester Filippa de Leonardo im Kanonisationsprozeß machte. Filippa gibt an, Klara selbst habe die Vision erzählt, was von drei weiteren Schwestern bestätigt wird, nämlich Amata de Martino, Cecilia de Gualtieri und Balvina de Martino.74 In den neueren Biographien wird diese Vision meist schamhaft verschwiegen. Erst Marco Bartoli hat eine eingehende Exegese und eine psychoanalytische Interpretation gegeben und den Zusammenhang mit der Symbolsprache der Mystik aufgezeigt.75 Dieselbe Frau Klara berichtete auch, daß es ihr einmal, in einer Vision, so schien, als trage sie zu Sankt Franziskus ein Gefäß mit heißem Wasser, mit einem Handtuch, um die Hände abzutrocknen. Und sie stieg eine hohe Treppe hinauf; aber sie ging so leicht, als ob sie über ebenes Gelände ginge. Und als sie zu Sankt Franziskus gekommen war, da zog dieser Heilige aus seiner Brust eine Warze hervor und sagte zu derselben Jungfrau Klara: »Komm, nimm und sauge!« Und als sie gesaugt hatte, ermunterte der Heilige sie, noch einmal zu saugen. Und während sie saugte, war das, was sie dort heraussaugte, so süß und angenehm, daß sie es in keiner Weise erklären konnte. Und als sie gesaugt hatte, da blieb dieses runde Ding oder besser Mundstück der Brustwarze, aus dem die Milch herauskommt, zwischen den Lippen der heiligen Klara zurück. Und als sie das, was ihr im Mund geblieben war, mit den Händen anfaßte, da schien es ihr, daß es Gold war, so klar und leuchtend, daß sie sich ganz darin sah, so ähnlich wie in einem Spiegel.

Klara erfüllt sich in dieser Vision den Wunsch, mit heißem Wasser zu Franziskus zu gehen und ihn körperlich zu umsorgen. Bartoli vermutet, daß dieses erste Bild der Vision auf eine Erinnerung zurückgehe und Klara tatsächlich einmal in dieser Weise Franziskus gepflegt habe, als er 1224 längere Zeit in S. Damiano schwer krank darniederlag.76 Die Vermutung ist abwegig: 74

Proc. 3,29 (FF 2995); 4,16; 6,13; 7,10. Bartoli, Chiara (o. Anm. 9), 181–198; Ders., Analisi storica e interpretazione psicanalitica di una visione di S. Chiara d’Assisi. AFH 73 (1980), 449–472; Manselli (Franziskus, 166f.) zitiert die Vision im Wortlaut, aber ohne sie zu kommentieren. 76 Leg. Per. 83–85 (ed. Bigaroni, 230–247). Chiara Augusta Lainati kommentiert die Vision mit einem einzigen Satz: »Und Klara sieht sich im Schlaf in einem seltsamen Traum dem Kranken warmes Wasser bringen, tut nichts anderes als träumerisch eine 75

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wie man in der Legenda Perusina nachlesen kann, lag Franziskus damals in einer Hütte aus Schilfmatten, die an der Außenwand des Klosters errichtet war; es gab dort eine Unmenge Ratten, die ihn belästigten; die Schwestern bekamen weder ihn, noch bekam er sie zu Gesicht. Der Franziskus dagegen, den Klara in ihrer Vision bedient, ist gesund. Um zu ihm zu kommen, muß sie allerdings eine hohe Treppe hinaufsteigen, mit dem heißen Wasser. Aber sie überwindet das Hindernis mit Leichtigkeit (leggeramente). Die Treppe ist Symbol für die unüberwindlichen Hindernisse, die sich im realen Leben zwischen Klara und Franziskus stellen. Vertrauliche Gespräche mit Franziskus waren schon vor ihrer Inklaustrierung nur unter den größten Vorsichtsmaßnahmen zu arrangieren; danach ist eine Begegnung intimen Charakters so gut wie ausgeschlossen und wohl auch von Franziskus nicht mehr erwünscht. Als Klara bei Franziskus angekommen ist, werden ihre Erwartungen weit übertroffen: Franziskus entblößt seine Brust und ermöglicht ihr einen intensiven, eindeutig sexuellen Körperkontakt. Sie darf zweimal an seiner Brustwarze saugen, wobei sie mit ihrem Mund eine süße, wohlschmeckende Flüssigkeit aufnimmt. Naheliegend ist die spirituelle, mystische Deutung des Vorganges: Klara erhält von Franziskus direkt die geistliche Lebenslehre, die gleichsam aus seiner Brust, der Mitte seiner Person, herausfließt und von ihr ebenso unmittelbar, und das heißt auch: unverfälscht, aufgenommen wird. Klara kennt natürlich diese geistliche Bedeutung ihrer Vision, weshalb sie auch ziemlich unbefangen davon sprechen kann.77 Dennoch ist es offenbar nicht der gesamte Konvent, sondern nur ein enger Kreis von Mitschwestern, dem sie die Vision mitgeteilt hat. Zwei davon gehören zu ihren ersten Gefährtinnen (Filippa und Cecilia), die beiden anderen sind nahe Verwandte Haltung wiederholen, die ihrer reellen, ganz kindlichen und weiblichen Sorge gemäß sein sollte« (Klara, in: Niederösterr. Landesausst. 800 Jahre Franz von Assisi, 109); vgl. auch: Dies., Scritti e fonti biografiche di Chiara d’Assisi, Introduzione, in: FF, S. 2234. 77 Vgl. Proc. 14,8 (FF 3111): Klara hörte einmal in der Osterzeit die bei der Austeilung des Weihwassers gesungene Antiphon: »Vidi aquam egredientem de templo a latere dextro«. »Darüber freute sie sich so sehr und behielt sie im Gedächtnis, daß sie immer nach dem Essen und der Komplet sich und ihren Schwestern das Weihwasser geben ließ, und sie sagte zu den Schwestern: ›Meine Schwestern und Töchter, ihr sollt euch immer an das gesegnete Wasser erinnern und es im Gedächtnis behalten, das aus der rechten Seite unseres Herrn Jesus Christus herausfloß, als er am Kreuz hing.‹« – Auch die Vorstellung von Christus als Mutter, die mit der Milch ihrer Brüste die Seele nährt, ist in der christlichen Tradition nicht unbekannt; sie begegnet z.B. häufig in dem Hohelied-Kommentar des Wilhelm von Saint-Thierry, so zu Cant 1,4: Guillaume de Saint-Thierry, Expose´ sur le Cantique des Cantiques. Texte latin, introduction et notes par J.-M. De´chanet; traduction franc¸aise par M. Dumontier (Sources chre´tiennes, 82), Paris 1962, 136; s. hierzu: Frederic Raurell, Chiara o il francescanesimo al femminile. Laurentianum 31 (1990), 3–38; ebd. 13, Anm. 16; Ders., La lettura del »Cantico dei Cantici« al tempo di Chiara e la »IV lettera ad Agnese di Praga«. Laurentianum 31 (1990), 198–309; ebd. 235–241.

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(Amata und Balvina). Sie war sich also wohl des anstößigen Charakters der geschilderten visionären Grundsituation bewußt. Diese Situation darf man nicht verharmlosen, indem man es bei der geistlichen Deutung bewenden läßt. Zunächst einmal sei daran erinnert, daß eine zeitgenössische Deutung überhaupt nicht überliefert ist. Sodann bleiben zwei Fragen offen, die für eine heutige psychoanalytische Deutung doch interessant wären: 1. Wie konnte Franziskus so schnell seine Brust entblößen (er trug ja wohl die Ordenskutte der Minoriten)? 2. Wie ist das Heraustreten einer Flüssigkeit aus einer männlichen Brustwarze zu erkären (bei der Flüssigkeit handelt es sich nicht um Milch)? Beide Fragen kann man mit dem Hinweis aufzulösen versuchen, daß die überragende Vatergestalt Franziskus in der Traum-Vision Klaras auch mütterliche Merkmale annimmt und zu einem transsexuellen Wesen wird.78 Wahrscheinlicher ist, daß das »Untergeschoß« (Souterrain) der Vision im Bereich ganz normaler sexueller Sehnsüchte und ihrer Erfüllung angesiedelt ist. Das In-den-Mund-nehmen der Brustwarze ist dann Symbol für die von Klara unterbewußt ersehnte Vereinigung mit Franziskus. Wie immer es sich mit der Deutung der von Klara geschilderten visionären Grundsituation im höheren, geistlichen und im untergründig-sexuellen Bereich verhalten mag: in jedem Fall wird die Einzigartigkeit und Intimität des Verhältnisses Klaras zu Franziskus dargestellt. Das wird besonders deutlich in den beiden letzten Sätzen der Visions-Erzählung. Klara behält den inneren Kern der Brustwarze (rotondita` ovvero bocca de la poppa) in ihrem Mund zurück. Beim Betasten mit den Fingern stellt sich heraus, daß es sich um etwas sehr Wertvolles (oro) handelt. Klara hat sich also der Person des Franziskus ohne große Anstrengung bemächtigt, oder vielmehr: er hat ihr einen Teil seines Innersten, seiner Seele, geschenkt. Indem sie ihr Spiegelbild in der goldenen rotondita` betrachtet, findet sie sich ganz (tutta) selbst. Die Seele des Franziskus ist der Spiegel ihres Selbst (Ich).79

4. Das Leben im Kloster »S. Damiano war am Anfang das äußerste Gegenteil von dem, was heute ein Klarissen-Kloster von der strikten Observanz ist«, meinte schon Sabatier.80 Wenn damit gemeint ist, daß der heutige Klarissen-Orden mit seinen Ur78 Bartoli (Chiara, 188) weist darauf hin, daß es in der Traumsprache keine Unterscheidung von Mann und Frau gebe; Klara werde in ihrer Traum-Vision gewissermaßen zum Kind, das sich die Mutter aneignen will. 79 Vgl. hierzu auch Klaras Brief (4,3) an Agnes von Prag, u. bei Anm. 168. 80 P. Sabatier, Vie (1926), 178.

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sprüngen so wenig zu tun hat wie die heutigen männlichen FranziskanerOrden mit der franziskanischen Bewegung in ihren Anfängen, so ist die Feststellung zutreffend. Historisch interessanter ist die Frage, ob das Leben, dem sich Klara in S. Damiano unterwarf, ihren wirklichen Vorstellungen entsprach. Klaras Leben hinter Klostermauern ist gekennzeichnet von zwei Extremen: einerseits der absoluten Selbstverleugnung und Selbstdisziplinierung, die nicht selten selbstzerstörerischen Charakter annimmt; andererseits den beständigen Versuchen, sich dem Zwangskorsett ihr von außen oktroyierter Lebensregeln zu entziehen. Die langjährigen Mitschwestern Klaras berichten übereinstimmend von den extremen Fasten- und Bußpraktiken, denen sie sich unterzog. Ihre älteste Gefährtin, Pacifica de Guelfuccio, sagt aus, »daß die selige Mutter einen so großen Teil der Nacht im Gebet zugebracht habe und sich solchen Enthaltungen unterzogen habe, daß die Schwestern darüber bekümmert waren und in Wehklagen ausbrachen.« Ihr Fasten war so streng, »daß die Schwestern sich wunderten, wie ihr Körper am Leben bleiben konnte.« An drei Tagen der Woche, Montag, Mittwoch und Freitag, aß sie überhaupt nichts, an den übrigen Tagen nur sehr wenig. Als ihre Kräfte zusehends abnahmen, sah sich Franziskus, zusammen mit dem Bischof von Assisi, genötigt einzugreifen: man wies sie an, an den Fastentagen wenigstens ein großes Stück Brot zu essen.81 Benvenuta von Perugia, die diese Aussagen bestätigt, fügt noch hinzu, daß sich Klara in der großen Fastenzeit und der St.-Martins-Fastenzeit (2. oder 11. November bis Weihnachten) nur von Brot und Wasser ernährt habe. Immerhin trank sie sonntags ein wenig Wein, wenn solcher zuhanden war.82 Sie besaß nur ein einziges Ordenskleid aus grobem Wolltuch und einen Mantel.83 Unter ihrem Kleid trug sie »verschiedene Buß-Westen oder -Hemden: Einmal ließ sie sich eine Weste aus Schweinsleder machen und trug die Haare und die beschnittenen Borsten auf dem Fleisch«; »desgleichen ließ sie sich ein andermal eine zweite Weste aus Pferdeschwanzhaaren machen, aus dem gleichen Material dann auch Schnüre, womit sie die Weste fest auf ihren Körper band; und auf diese Weise fügte sie mit den genannten Buß-Westen ihrem jungfräulichen Fleisch Schmerzen zu. Und sie (die Zeugin Benvenuta) sagte, eine von diesen Westen befinde sich noch im Kloster.«84 Die hier beschriebenen Folterinstrumente dienten dazu, die Brüste einzuschnüren und 81

Proc. 1,7.8 (FF 2931f.). Proc. 2,8 (FF 2951). Proc. 2,4 (FF 2947). Beide sind erhalten und werden im Protomonastero di S. Chiara aufbewahrt; s. hierzu: Eva Tea, Il camice di Santa Chiara, in: Santa Chiara (o. Anm. 4), 145–150; ebd. 148f.; Abbildungen ebd. neben S. 160. 84 Proc. 2,5 (FF 2948); vgl. 3,4 (FF 2970). Das zuletzt genannte Bußinstrument aus Pferdehaar befindet sich ebenfalls noch unter den Reliquien des Protomonastero di S. Chiara in Assisi; Beschreibung: FF, S. 2318, Anm. 31. 82 83

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der empfindlichen Brust- und Rückenhaut alle sinnlichen Reize und jegliches Wohlbehagen auszutreiben. Schwester Agnes de Oportulo erzählt, sie habe sich einmal die Weste aus Pferdehaaren für drei Tage ausgeliehen. »Während dieser Tage erschien sie ihr beim Tragen so rauh, daß sie es in gar keiner Weise aushalten konnte.«85 Klara freilich hatte sich an solche Qualen einigermaßen gewöhnt; sie soll ja schon als junges Mädchen sowohl Fasten wie Selbstkasteiungen mittels sogenannter Bußkleider praktiziert haben.86 Bevor die Krankheit sie endgültig ans Bett fesselte, scheute sich Klara nicht, die niedrigsten im Kloster anfallenden Arbeiten zu verrichten. Sie bediente selbst die Kranken, wusch gesunden und kranken Mitschwestern die Füße, darunter auch den sogenannten Dienst-Schwestern (Serviziali), von deren Existenz wir bei dieser Gelegenheit erfahren.87 In der Regel Klaras werden sie sorores servientes extra monasterium genannt.88 Da die »Armen Damen« das Kloster nur in seltenen Ausnahmefällen verlassen dürfen, gehören die alltäglich notwendigen Besorgungen außerhalb der Mauern zu den Aufgaben dieser Kloster-Dienstmägde. Es ist ihnen deshalb erlaubt, Schuhe zu tragen. Innerhalb des Klosters verrichten sie die sogenannten niederen Arbeiten, die aber zur Erhaltung der Infrastruktur der Gemeinschaft unabdingbar sind: Kochen, Waschen, Putzen. Die zumeist aus dem Adel oder Großbürgertum stammenden Chor-Nonnen müssen auf solche Dienste nicht verzichten, trotz ihrer Berufung zu Armut und Demut. Arbeit wird nur von denjenigen unter ihnen erwartet, »denen der Herr die Gnade der Arbeit verliehen hat.«89 Es handelt sich dabei aber um »vornehme« Damen-Arbeit, wie z.B. Sticken, nicht um Drecks-Arbeit. Die Serviziali sind niederer Herkunft, namenlose, unterdrückte Kreaturen, die irgendwann Unterschlupf im Kloster gefunden haben. Keiner von ihnen wurde von den die Untersuchung über das Leben Klaras leitenden Klerikern die Ehre angetan, im Heiligsprechungsprozeß aussagen zu dürfen. (Für die Wahrheitsfindung wären sie damals vielleicht nützlich gewesen; ganz gewiß wird es der Historiker bedauern, auf ihr Zeugnis verzichten zu müssen). Daß Klara, solange sie gesund war, sogar diese Dienstmägde bediente und pflegte, wird als Ausdruck ihrer ganz besonderen Demut berichtet. Uns scheint es eher selbstverständlich zu sein; aber das ist modern gedacht. 85

Proc. 10,1 (FF 3069). S.o. bei Anm. 23. 87 Proc. 1,12 (FF 2936); 2,3 (FF 2946); 3,9 (FF 2975); 6,2 (FF 3025); Leg. S. Clarae 12 (ed. Omaechevarri´a, 146f.). 88 Reg. c. II,6 (ed. Omaechevarri´a, 270); c. III,8 (ebd. 272); c. V,14 (ebd. 276); die heutige Bezeichnung lautet: »suore esterne«. 89 Reg. c. VII,19 (ed.c. 279); so schon in der Reg. bull. der Minderbrüder, c. 5 (Esser, Opuscula, 368); dagegen heißt es in der Reg. non bull. (c. 7): »Et fratres qui sciunt laborare, laborent et eandem artem exerceant, quam noverint« (ebd. 383). Die Erkenntnis, daß Gott »die Gnade der Arbeit« jedermann verliehen hat, ist neuzeitlich und geht auf das reformierte Christentum der Schweiz (Zürich, Genf) zurück. 86

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Gelegentlich übernahm Klara auch Arbeiten, die eigentlich den DienstSchwestern zugedacht waren, wie das als besonders ekelhaft empfundene Reinigen der Nachtstühle der kranken Schwestern. Cecilia de Gualtieri erzählt, »daß sie mit eigenen Händen die Nachtstühle der kranken Schwestern abwusch, in denen manchmal die Maden waren. Und wie dieselbe Dame (Klara) sagte, roch sie davon überhaupt keinen Gestank, vielmehr nahm sie einen Wohlgeruch davon wahr.«90 Wenn man die kranken Schwestern so lange in ihrem Gestank liegen ließ, bis in ihren Nachttöpfen die Maden wimmelten, und die Äbtissin schließlich selbst die Ärmel aufkrempeln mußte, so läßt dies doch auch Rückschlüsse auf den in S. Damiano herrschenden Gemeinschaftsgeist zu. Die adeligen Damen aus Assisi, Perugia und Spello hatten sich zwar »bekehrt« und der Welt den Rücken gekehrt, für LatrinenArbeiten dünkten sie sich gleichwohl zu vornehm. Und die Serviziali werden sich auf ihre Weise für manch erlittene Unbill gerächt haben. Klara tat die Arbeit, vor der alle sich drückten, dann eben selber und suchte, wie Franziskus, durch ihr Beispiel, nicht durch Austeilen von Befehlen, zu wirken. Im Jahre 1224 wurde Klara krank und blieb 29 Jahre lang, bis zu ihrem Tod 1253, fast ununterbrochen bettlägerig.91 Den Ausbruch ihrer Krankheit erwähnen zwei ihrer Mitschwestern im Zusammenhang mit dem Martyrium von fünf Minderbrüdern in Marokko (am 16. Januar 1220); Cecilia de Gualtieri: Sie sagte weiter, die vorgenannte Frau Klara sei in einer solchen Begeisterung gewesen, daß sie gerne das Martyrium aus Liebe zum Herrn auf sich nehmen wollte. Und das bewies sie auch: als sie vernommen hatte, daß in Marokko einige Brüder den Märtyrertod erlitten hatten, da sagte sie, sie wolle dorthin gehen. Darüber weinte diese Zeugin. Und das war das erste Mal, daß sie (Klara) so krank wurde.92

Balvina de Martino: Unter den Schwestern war sie die allerdemütigste, und sie hatte eine solche Begeisterung, daß sie gern aus Liebe zu Gott das Martyrium ertragen hätte zur Verteidigung des Glaubens und ihres Ordens. Und bevor sie krank wurde, wünschte sie, nach Marokko zu gehen, wo, wie man sagte, die Brüder zum Martyrium geführt worden waren.93

Man sieht: schon zwei von Klaras vertrautesten Mitschwestern stellten einen Zusammenhang her zwischen dem Wunsch, auf den Spuren der ersten 90 Proc. 6,7 (FF 3030); vgl. Proc. 7,5 (FF 3045); 1,12 (FF 2936); 2,1 (FF 2944); 3,9 (FF 2975). 91 Proc. 1,17 (FF 2941); 14,1.2 (FF 3105f.); vgl. Leg. S. Clarae 39 (ed. Omaechevarri´a, 174): dort ist von 28 Krankheitsjahren die Rede. 92 Proc. 6,6 (FF 3029); über das Martyrium von fünf Franziskanern in Marokko s.o. VII. Kap., bei Anm. 72. 73. 93 Proc. 7,2 (FF 3042).

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Franziskaner-Märtyrer nach Marokko zu ziehen, und dem Ausbruch ihrer schweren Krankheit. Welcher Art diese Krankheit war, wird an keiner Stelle in den Quellen gesagt. Deshalb ist die Vermutung naheliegend, daß es sich um ein Leiden handelte, über das man nicht gerne sprach, nämlich »das« typische Frauenleiden: Blutungen, hervorgerufen durch Gewächse im Bereich des Uterus. Bevor die moderne Medizin hier wirksame Abhilfe schaffen konnte, bestand die einzig mögliche Therapie in dem Einhalten absoluter Bettruhe. Der anhaltende Blutverlust war gleichwohl die Ursache beständiger Schwäche. Ob diese Vermutung zutrifft oder nicht: in jedem Fall ist die Krankheit Klaras auch psychogener Natur. Sie ist, genau wie vorher ihr selbstzerstörerisches Fasten, ein unbewußter Ruf nach der Gegenwart des Franziskus. Arno Borst hat darauf hingewiesen, daß jahrelanges Siechtum und Bettlägerigkeit in den mittelalterlichen Frauenklöstern zum Alltag gehörten, und er hat auch die spezifischen psychisch-sozialen Ursachen dafür genannt: Egozentrik, Wettbewerb um den geistlichen Rang innerhalb der Gemeinschaft, Isolation trotz engstem Zusammenleben auf kleinem Raum, Selbstquälerei bis hin zu massivem Masochismus.94 Manche von euch sind durch Krankheit schwer geplagt, Andern ist die Ruhe deshalb ganz versagt: Für sie alle seid besorgt in Frieden. Großer Preis ist eurer Mühe Lohn: Einer jeden wartet ihre Kron, Himmelskönigin dereinst zu sein Mit der Jungfrau Maria:

so läßt Franziskus den »Armen Damen« vorsingen.95 Während ihrer fast drei Jahrzehnte anhaltenden Krankheit hat Klara manuell gearbeitet. (Die Heiligsprechungsbulle Alexanders IV. hebt dies, im Anklang an 1 Kor 4,12, als Besonderheit hervor).96 Gestützt auf Kissen, so daß sie im Bett aufrecht sitzen konnte, fertigte sie Korporalien an (das sind die heiligen Tücher, auf denen während der Messe die konsekrierte Hostie, der Leib des Herrn, ruht) sowie die dazu gehörenden Hüllen aus Papier, das mit einem kostbaren Seiden- oder Brokatstoff überzogen wurde. Bei den Handarbeiten

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Arno Borst, Mönche am Bodensee 610–1525, Sigmaringen 1978, 293f. »Quelle ke sunt adgravate de infirmitate et l’altre ke, per lor, suo’ adfatigate, tute quante lo sostengate in pace, ka multo vederı` cara questa fatiga: ka cascuna sera` regina en celo coronata, cum la vergene Maria« (FF, S. 2240). Vgl. o. I. Kap., Anm. 78! 96 »Clara claris praeclara« 12 (Escritos, ed. Omaechevarri´a, 122f.). 95

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handelt es sich gewiß um Stick- und Häkelarbeiten. In dem Protomonastero di S. Chiara befindet sich noch eine lange, weiße Albe mit eingenähten Spitzen, die Klara für Franziskus angefertigt haben soll.97 (Das Handwerk hat in Assisi Tradition: bis auf den heutigen Tag sind die Spitzen und Stickereien von Assisi berühmt). Klara übersandte die Korporalien zunächst dem Bischof, damit er sie segne, und ließ sie dann an die Kirchen der Stadt Assisi und der umliegenden Gegend verteilen.98 Eine Zeugin berichtet, sie selbst habe 50 Paar von Klara angefertigte Korporalien gezählt – ein bemerkenswertes Detail: die bedachten Kirchen erhielten also jeweils zwei Korporalien, damit man wechseln konnte.99 Dieselbe Zeugin, Schwester Francesca de Capitaneo, erzählt im gleichen Zusammenhang eine weitere interessante Episode:100 Diese Zeugin sagte auch, daß die vorgenannte Frau Klara sich einmal wegen ihrer Krankheit nicht vom Bett erheben konnte. Und als sie darum bat, man möge ihr ein bestimmtes Tischtuch bringen, war niemand da, der es ihr brachte. Und sieh da, eine kleine Katze, die im Kloster war, begann dieses Tischtuch zu ziehen und zu schleppen, um es ihr, so gut sie konnte, zu bringen. Und da sagte diese Dame zu der Katze: »Böse! Du kannst es nicht bringen. Warum zerrst du es über die Erde?« Da begann diese Katze, als ob sie das Gesagte verstanden hätte, das Tuch zusammenzuwickeln, damit es den Boden nicht berühren konnte. Gefragt, woher sie (die Zeugin) die vorgenannten Dinge wisse, antwortete sie: die vorgenannte Dame habe es ihr selbst gesagt.

Innerhalb der Zeugenvernehmungen im Kanonisationsprozeß handelt es sich hier um einen der vielen Berichte über »Wunder« Klaras. Für uns ist die kleine Episode vor allem deshalb interessant, weil es die einzige Stelle in den älteren franziskanischen Quellen ist, an der eine Katze direkt erwähnt wird.101 Der vielgerühmten Tierfreundlichkeit des Franziskus zum Trotz war die Tierhaltung in den franziskanischen Klöstern verpönt. Die Regula non bullata von 1221 verbietet sie noch ausdrücklich.102 In den Nonnenklöstern war man aber von Anfang an in diesem Punkt nicht ganz so streng. Franziskus selbst übergab den Klarissen von San Severino das Schaf, das er einem Hirten in der Nähe von Osimo abgekauft hatte, zur Pflege.103 Da die Heiligsprechung Klaras das alleinige Ziel der Zeugenanhörungen ist, konzentriert sich das Interesse der Untersuchungskommission auf die von 97

Darüber: E. Tea, Camice (o. Anm. 83); Abbildung ebd. neben S. 144. Proc. 2,12 (FF 2935); 6,14 (FF 3037). 99 Proc. 9,9 (FF 3067); vgl. Leg. S. Clarae 28 (ed. Omaechevarri´a, 163). 100 Proc. 9,8 (FF 3066). 101 Indirekt ist eine Katze in der Geschichte von den Rotkehlchen-Kindern (II Cel 47) erwähnt: s.o. VI. Kap., Anm. 27. 102 Reg. non bull. c. 15 (Esser, Opuscula, 389); vgl. auch Salimbene, Chronik (MGH SS 32,146,32–37). 103 I Cel 78 (Anal. Fr. 10,58f.). 98

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ihr gewirkten Wundertaten. Ein großer Teil davon sind Krankenheilungen, die Klara an ihren Mitschwestern, aber auch an anderen Menschen vollbrachte. So heilte sie Schwester Benvenuta de Madonna Diambra, die zwölf Jahre lang an einem großen Geschwür unter ihrem Arm gelitten hatte;104 den Bruder Stefan, den Franziskus zu ihr geschickt hatte, befreite sie von seinem Wahnsinn;105 ein dreijähriger Junge aus Spello, der sich einen kleinen Stein in die Nase gesteckt hatte, fand ihre Hilfe.106 Die »Medizin«, die bei diesen und vielen anderen Krankheitsfällen angewandt wurde, war, wie Pacifica de Guelfuccio es ausdrückt, »daß ihre heilige Mutter über sie das Kreuzzeichen machte.«107 Die beiden spektakulärsten Wunder, die Klara zugeschrieben wurden, waren die Rettung des Klosters S. Damiano vor der sarazenischen Soldateska Kaiser Friedrichs II. im September 1240 und die Befreiung der Stadt Assisi von der Belagerung durch die Truppen Friedrichs unter dem Befehl des Vitale von Aversa im Sommer 1241. Wie die meisten Zeuginnen übereinstimmend berichten, waren die Sarazenen bereits über die Klostermauer gestiegen und bis in den Kreuzgang vorgedrungen. Da ließ die schwerkranke Klara die Schwestern an ihr Bett rufen und ermutigte sie. Dann sprach sie ein Gebet, worauf die Sarazenen abzogen.108 Allein in der Aussage der Francesca de Capitaneo befindet sich eine hiervon abweichende Version, die dann auch von dem Autor der Legenda S. Clarae übernommen wurde: Klara habe sich bis an die Tür des Refektoriums führen lassen, wo sie den Sarazenen entgegengetreten sei; dabei habe sie ein Kästchen mit dem heiligen Sakrament des Leibes unseres Herrn vor sich hertragen lassen; davor habe sie sich dann niedergeworfen und unter anderem gebetet: »Herr, beschütze du diese deine Dienerinnen, denn ich kann sie nicht beschützen«; eine geheimnisvolle Stimme habe darauf geantwortet: »Ich werde dich immer verteidigen.« Auch das anschließende Gebet Klaras für die Stadt Assisi sei erhört worden und die Sarazenen hätten sich zurückgezogen.109 In der bildenden Kunst des Spätmittelalters und der Renaissance, später auch im barocken Zeitalter, wird Klara häufig mit einem Ostensorium (Monstranz) in den Händen dargestellt. Dies beruht auf einer späteren legendären Ausgestaltung des Ereignisses, nach der Klara den in den Kreuzgang eingedrungenen Sarazenen vom Fenster des Refektoriums das Allerheiligste 104

Proc. 2,16; 3,10; 4,8; 11,1; 13,5. Proc. 1,15. Proc. 2,18. 107 »Et anche disse che la medicina de essa testimonia e de le altere Sore quando se infermavano, era che la loro santa Madre faceva sopra de esse lo segno della croce« (Proc. 1,18; FF 2942). 108 Proc. 2.20; 3,18; 4,14; 6,10; 7,6; 10,9; 12,8; 13,9; 14,3. 109 Proc. 9,2 (FF 3060); vgl. Leg. S. Clarae 21f. (ed. Omaechevarri´a, 156f.). 105 106

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gezeigt und ein von dem Ostensorium ausgehender Lichtstrahl die Eindringlinge vertrieben hätte.110 Die Aufhebung der Belagerung von Assisi durch die kaiserlichen Truppen im darauf folgenden Jahr erreichte Klara durch Gebet und Bußübungen des Konvents von S. Damiano, nachdem sie die Schwestern auf die Dankespflicht gegenüber der Stadt Assisi aufmerksam gemacht hatte: »Viele Wohltaten haben wir von dieser Stadt empfangen; deshalb müssen wir Gott bitten, daß er sie behüte.«111 Wie man sieht, wurde die Rettung der Stadt in diesem Fall der Fürbitte Klaras zugeschrieben. Auch in dem Rückzug der Sarazenen von Stadt und Kloster im Herbst 1240 muß man nicht unbedingt ein »übernatürliches« Ereignis sehen. Der Auftritt Klaras mit dem Schrein des Allerheiligsten in der Tür des Refektoriums wird bei den moslemischen Kriegern eine numinose Scheu hervorgerufen haben, die sie davon abhielt, weiter in den Bereich der gottgeweihten Jungfrauen einzudringen. Heribert Roggen hat die Ansicht vertreten, daß das Leben im Rahmen traditioneller klösterlicher Strukturen nicht den ursprünglichen Vorstellungen Klaras entsprochen habe.112 Die gelehrte Klarissen-Nonne Chiara Augusta Lainati hat dagegen heftigen Einspruch erhoben.113 Die zahlreichen Beispiele, die Roggen für Versuche Klaras anführt, die ihr aufgezwungenen Regeln zu durchbrechen, sind nicht alle gleich überzeugend. Es ist auch sehr zweifelhaft, ob die Klausur in den ersten Jahren des Bestehens des Konvents von S. Damiano weniger streng gehandhabt wurde als später. Bischof Moorman z.B. hat diese Vermutung geäußert. Moorman weist aber in demselben Zusammenhang darauf hin, daß das franziskanische Ideal, dem sich Klara ursprünglich verschrieben hatte, ein durch Aktivität und Abenteuer bestimmtes Leben gewesen ist, nicht eine Existenz in strenger Klausur. Und das ist zweifellos zutreffend. Die oben erwähnte Reaktion auf den Märtyrertod der fünf Minderbrüder in Marokko und ihre daran sich anschließende vieljährige Kloster-Krankheit sind dafür allein schon ein hinreichender Beweis.114 Es gibt 110

Leone Bracaloni, Santa Chiara nell’arte, in: Santa Chiara d’Assisi (o. Anm. 4), 207–212; ebd. 211. 111 Proc. 9,3 (FF 3061); vgl. Leg. S. Clarae (ed.c. 157f.). Zu den beiden Episoden s. Ezio Franceschini, I due assalti dei Saraceni a S. Damiano e ad Assisi. Aevum 27 (1953), 289–306; und in: Ders., Scritti di filologia latina medievale (Medioevo e Umanesimo, 27), Padova 1976, 766–787. 112 Roggen, Lebenshaltung (o. Anm. 9), 65–75; vgl. dazu auch: Rotzetter, Klara (o. Anm. 3), 151f. 173 u.ö. 113 C.A. Lainati in ihrer Einleitung zu: Scritti e fonti biografiche di Chiara d’Assisi, in: FF, S. 2216 und ebd. Anm. 3. 114 Vgl. Moorman, History (o. Kap. I, V.2), 36: »It is very difficult to know how strictly they were inclosed in these early days. It is indeed doubtful whether S. Clare really wanted strict claustration at all. The Franciscan ideal, to which she was dedicated, was essentially a life of activity and adventure. This, for her, was impossible. But

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aber weitere Indizien dafür, daß Klara mit der für sie von anderen gefundenen Lebens-Regelung alles andere als glücklich und zufrieden war. Die in diesem Zusammenhang schönste Geschichte steht in den ActusFioretti. Aber sie ist pure Dichtung, Legende im modernen Sinn des Wortes, und zu schön, um wahr zu sein. Immerhin scheinen die Franziskaner der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in deren Umkreis die Actus entstanden sind, ein klares Bewußtsein von der »unfranziskanischen« Situation Klaras gehabt zu haben, wie schon die Einleitung der Legende zeigt:115 Franziskus, der Diener des allerhöchsten Gottes, besuchte oft zu ihren Lebzeiten Klara, die heilige Braut Christi, wenn er in Assisi weilte, um ihr seine heiligen Ermahnungen zu geben. Sie bat bei diesen Gelegenheiten öfters den heiligen Franziskus, er möge ihr doch den Trost gewähren, daß sie einmal miteinander essen könnten. Der heilige Franziskus aber lehnte das immer ab. Es geschah nun, daß die Gefährten des heiligen Vaters den Wunsch der heiligen Klara erwogen und zu Sankt Franziskus sagten: »Vater, wir meinen, daß diese Strenge nicht der göttlichen Liebe gemäß ist: daß du die heilige Klara, eine so heilige und von Gott geliebte Jungfrau, nicht erhörst; zumal sie ja auf deine Predigt hin den weltlichen Prunk verlassen hat. Könnte sie deshalb nicht wenigstens einmal mit dir zusammen speisen? Vielmehr, wenn sie mit so großer Inständigkeit um einen größeren Gefallen gebeten hätte, hättest du ihn deiner kleinen Pflanze tun müssen!« Sankt Franziskus antwortete: »Meint ihr, ich sollte ihr diesen Wunsch erfüllen?« Die Gefährten sagten: »Ja, Vater; denn sie ist es wert, daß du ihr diesen Wunsch nach einer Tröstung erfüllst.« Sankt Franziskus antwortete: »Da ihr es nun einmal für gut befindet, meine auch ich so. Aber, damit sie wirksamer getröstet werde, möchte ich, daß es in Santa Maria degli Angeli geschieht. Denn sie war lange in S. Damiano eingesperrt. Deshalb wird sie sich ein wenig freuen, wenn sie den Ort Santa Maria wiedersieht, wo sie geschoren und zu einer Braut unseres Herrn Jesus Christus gemacht wurde. Und dort werden wir zusammen essen im Namen des Herrn.«

Die weitere Geschichte: wie Klara mit einer Begleiterin zu der Porziuncola kommt; wie sich alle zum Abendessen auf den Boden niederlassen; wie sie, anstatt zu speisen, durch die Worte des Franziskus in Ekstase gerissen werden; wie durch diese heilige Begeisterung ein riesiger Feuerschein entsteht, so daß die Bewohner von Assisi und den umliegenden Dörfern meinen, der Wald sei in Brand geraten, und herbeirennen, um das Feuer zu löschen – all das ist wunderbar poetisch und märchenhaft erzählt, aber es hat sich sicher nie so it may be that for the first two or three years Clare was allowed some opportunities of going out on works of charity, though such work cannot have lasted long. It is interesting, however, to note that when, in 1219, news came through of the martyrdom of five Franciscan friars in Marocco, Clare stated her desire to go herself in their place and, if possible, lay down her life for the Crucified.« 115 Actus/Fioretti. c. 15 (ed. Cambell, 222–225).

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zugetragen. Dennoch entspricht es der geschichtlichen Realität, insofern die Legende ein wirkliches Bewußtsein Klaras wiedergibt: nämlich das Bewußtsein, daß sie von wesentlichen Dimensionen des franziskanischen Lebens ausgeschlossen blieb, zu denen die männlichen Mitglieder der Bewegung ganz selbstverständlichen Zugang hatten. Es gehörte dazu die Teilnahme am feierlichen Gottesdienst, den die Brüder in S. Francesco hielten, ebenso wie das Wandern durch die freie Natur. Schwester Angeluccia sagt im Heiligsprechungsprozeß aus:116 Wenn diese überaus heilige Mutter die Dienst-Schwestern aus dem Kloster schickte, ermahnte sie sie, Gott zu loben, wenn sie die schönen blühenden und belaubten Bäume sähen; und ebenso, wenn sie die Menschen und die übrigen Geschöpfe sähen, dann sollten sie für alle und in allen Dingen Gott loben.

Während sie den Kontakt zur Natur und dem Lob Gottes für die Geschöpfe gewissermaßen stellvertretend durch die Dienst-Schwestern herstellen läßt, denen der Ausgang aus dem Kloster erlaubt ist, erfüllt sie sich den Wunsch nach Teilnahme an den feierlichen Weihnachtsmetten durch eine Vision, die ihr das Gefühl gibt, in der Kirche S. Francesco gegenwärtig zu sein: sie hört die Orgel und den Chorgesang der Brüder, sieht die in der Kirche aufgestellte Krippe.117 Diese Vision ereignete sich in der letzten Weihnacht, die Klara erlebte, der des Jahres 1252. Aber buchstäblich bis in ihre letzten Stunden hörte sie nicht auf, von einer franziskanischen Lebensform zu träumen, die ihr zeitlebens versagt geblieben war. An ihrem Sterbebett möchte sie »Priester und geisterfüllte Brüder« sehen, die ihr die Leidensgeschichte Christi und heilige Worte rezitieren sollen.118 Als unter ihnen auch Bruder Juniper, der treffliche Schauspieler Gottes (ioculator Dei), erscheint, der oft heiße Gottesworte hervorstieß, da wird sie von neuer Heiterkeit erfüllt und fragt, ob er etwas Neues vom Herrn zur Hand habe. Der öffnet seinen Mund und sendet aus dem Ofen seines glühenden Herzens flammende Wortfunken aus, und die Jungfrau Gottes schöpft aus seinen Bildworten (parabolis) einen großen Trost.

116

Proc. 14,9 (FF 3112). Proc. 3,30 (FF 2996); 4,16 (FF 3014); 7,9 (FF 3049); vgl. Leg. S. Clarae 29. Wegen dieser Vision-Audition bestimmte der Papst Pius XII. mit dem »Apostolischen Schreiben« (Litterae apostolicae) »Clarius explendescit« vom 14. Februar 1958 Klara zur Patronin des Fernsehens (caelestis patrona televisifici inventus: AAS 25 [1958], 512f.). Man wüßte gern, von wem die Idee hierzu stammte. Das päpstliche Schreiben nennt den damaligen Bischof von Assisi, Giuseppe Placido Nicolini, und die Generaloberen der »vier franziskanischen Familien« (OFM, OFM Conv., OFM Cap., TOR) als Bittsteller. 118 Leg. S. Clarae, 45 (ed. Omaechevarri´a, 178f.); vgl. auch u. bei Anm. 147. 117

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Neben diesem letzten überlebenden Buffone der ersten Franziskanergeneration sind auch die Franziskus-Gefährten Bruder Angelus und Bruder Leo an das Bett der Sterbenden gekommen. Man merkt, daß Klaras Sehnsucht immer dorthin ging, wo »etwas Neues vom Herrn« zu erfahren war: in der Gesellschaft der fahrenden, geisterfüllten, ekstatischen Troubadours der frühen Jahre des Franziskanertums.

5. Der Kampf um die Regel Paul Sabatier schrieb über Klara von Assisi – ein wenig emphatisch, wie es seine Art ist: »Ist es nicht eines der schönsten Bilder der Religionsgeschichte: das dieser Frau, die über ein Vierteljahrhundert einen ununterbrochenen Kampf durchhält gegen die Päpste, die einander auf dem päpstlichen Thron nachfolgten; die gleichermaßen respektvoll und unerschütterlich bleibt und die erst ins Sterben einwilligt, nachdem sie den Sieg errungen hat?«119 Der Sieg, den Sabatier meint: In den letzten Tagen ihres Lebens wurde für Klara ein Wunsch Wirklichkeit, um dessen Erfüllung sie während ihres ganzen Lebens im Kloster gekämpft hatte. Der Papst Innocenz IV. kam persönlich an ihr Krankenbett.120 Bei dieser Gelegenheit bat sie den Papst erneut um Bestätigung der von ihr selbst verfaßten Regel für den »Orden der Armen Schwestern«. Zwar hatte schon ein Jahr zuvor der Kardinal Rainald, Bischof von Ostia und Velletri und Protektor des Ordens, im Namen des Papstes diese Bestätigung erteilt. Doch aufgrund der Erfahrungen, die sie mit der Römischen Kurie gemacht hatte, genügte ihr das offenbar nicht. Mit der Bulle »Solet annuere« vom 9. August 1253 billigte Innocenz IV. Klaras Ordensregel, in deren sechstem Kapitel die Forderung absoluter Besitzlosigkeit im Sinne des Franziskus enthalten ist. Am 10. August, einen Tag vor ihrem Tod, hielt Klara das päpstliche Dokument in ihren Händen. Was war damit erreicht? Doch zunächst: Was war vorausgegangen? Schwester Pacifica de Guelfuccio berichtet, »daß die genannte Frau Klara, nachdem sie drei Jahre im Orden gewesen war, auf Bitte und Druck des heiligen Franziskus, der sie fast schon zwang, die Leitung und Regierung der Schwestern übernahm.«121 Mit dem Amt der Leitung des Konvents war der Titel einer Äbtissin verbunden. Die Legenda S. Clarae formuliert den Tatbestand deutlicher:122

119 120 121 122

Sabatier, Vie (1926), 180. Proc. 3,24 (FF 2990); Leg. S. Clarae, 41f. Proc. 1,6 (FF 2930). Leg. S. Clarae, 12 (ed. Omaechevarri´a, 146).

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Aber drei Jahre nach ihrer Bekehrung lehnte sie die Bezeichnung und das Amt einer Äbtissin ab und wollte lieber in Demut untertan sein als vorgesetzt zu sein und lieber inmitten der Dienerinnen Christi dienen als bedient zu werden. Aufgrund des vom heiligen Franziskus ausgeübten Zwanges übernahm sie aber schließlich doch die Leitung der Damen.

Im Jahre 1214 umfaßte der Konvent von S. Damiano sechs Schwestern. Es schien an der Zeit, der Gemeinschaft nach dem Vorbild benediktinischer Frauenklöster eine hierarchische Struktur zu geben.123 Ob Franziskus selbst unter Druck stand, als er Klara gegenüber diese ganz und gar »unfranziskanische« Maßnahme ergriff, ist schwer zu sagen; es ist aber nicht unwahrscheinlich. Fraglich ist ferner, ob Klara mit dem Titel »Äbtissin« auch die benediktinische Regel annehmen mußte, wie es schon Heribert Holzapfel vermutet hat.124 Klara hat für sich selbst die Bezeichnung »Äbtissin« tunlichst vermieden. Sie verwendet sie zwar mehrmals in ihrer eigenen Regel, doch hat sie dann ihre Nachfolgerinnen im Blick. In ihrem geistlichen Vermächtnis nennt sie sich: »Ich, Klara, Dienerin Christi und der Armen Schwestern des Klosters S. Damiano«; in den erhaltenen Briefen an Agnes von Böhmen: »Klara, unwürdige Dienerin Jesu Christi und unnütze Magd der Eingeschlossenen Damen des Klosters S. Damiano«; »Klara, unnütze und unwürdige Magd der Armen Damen« o.ä.125 Im Testament spricht sie von ihrer Nachfolgerin als derjenigen, »die im Amt der Schwestern sein wird.« Ihr Verständnis vom Amt der Vorgesetzten drückt sie in dem folgenden Satz klar aus: sie soll »eher bestrebt sein, den anderen in den Tugenden und heiligen Sitten vorzustehen als im Amt, damit ihre Schwestern, durch ihr Beispiel veranlaßt, ihr nicht nur von Amts wegen gehorchen, sondern eher aus Liebe.«126 Für die Lebensweise, die Klara zusammen mit ihren Schwestern führen wollte, war eigentlich überhaupt keine Ordensregel notwendig. Die aus einem einzigen Satz bestehende forma vivendi, die Franziskus für sie aufgeschrieben hatte und die vor allem die Forderung des beständigen Ausharrens in der »heiligen Armut« enthielt, genügte Klara vollständig.127 Dem Armutsgelöbnis, das die Schwestern dem Herrn und ihrem Vater Franziskus geleistet hatten, drohte aber die beständige schleichende Gefahr der Verwässerung und faktischen Aufhebung. Um dem vorzubeugen, hat sich Klara darum bemüht, schon 123

S.o. Anm. 63; vgl. Lainati, in: FF, S. 2310, Anm. 20. H. Holzapfel, Handbuch der Geschichte des Franziskanerordens, Freiburg Br. 1909, 639; vgl. auch Omaechevarri´a, in: Escritos, 207. 125 Escritos, ed. Omaechevarri´a. 343. 375. 382. 389. 395. 126 »Rogo etiam illam quae erit in officio sororum, ut magis studeat praeesse aliis virtutibus et sanctis moribus, quam officio; quatenus eius exemplo provocatae sorores suae non tantum ex officio ei oboediant, sed potius ex amore« (Test. 10; ed.c. 346). 127 Test. 5 (ed.c. 343); Regula S. Clarae 6,18 (ebd. 278). 124

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von Innocenz III., dann von allen seinen Nachfolgern, die Bestätigung und Bekräftigung des besonderen Armutsgelöbnisses zu erhalten.128 Wenn wir dem Verfasser der Legenda glauben dürfen, dann war Innocenz III. sehr angetan von der Begeisterung Klaras, die von ihm ein Privileg erbat, um das zuvor noch niemand den Apostolischen Stuhl ersucht hatte; der Papst habe »mit großer Heiterkeit« eigenhändig den Beginn des Armutsprivilegs niedergeschrieben.129 Leider ist dieses überaus wertvolle Dokument nicht erhalten. Erhalten ist aber die erneute Bestätigung des Armutsprivilegs durch Gregor IX. Im zweiten Jahr seines Pontifikats, am 17. September 1228, schrieb der Papst von Perugia aus an Klara und die Schwestern von S. Damiano einen Brief, der bis heute im Protomonastero di S. Chiara in Assisi aufbewahrt wird.130 Die entscheidenden Sätze darin lauten: Wie Ihr also gebeten habt, bekräftigen Wir mit apostolischem Gunsterweis Euern Vorsatz der allerhöchsten Armut, und Wir gewähren Euch kraft dieses Schreibens, daß Ihr von niemandem gedrängt werden könnt, Besitztümer anzunehmen.

Dieser Satz scheint eindeutig zu sein, ist es wohl auch. Er ist das Ergebnis der Auseinandersetzung, die Klara im Sommer davor mit dem Papst geführt hatte. Von Klara bedrängt, hat Gregor IX. ihr verbal zugestanden, wonach sie verlangte. Aber seine Haltung gegenüber dem Armutsideal hat er deswegen doch nicht geändert, wie sein späteres Verhalten beweist. Im gleichen Jahr 1228 hatte Gregor Klara an die Regel erinnert, die er selbst fast zehn Jahre davor als Kardinal dem Kloster S. Damiano gegeben hatte.131 Es handelt sich dabei um die sogenannten »Constitutiones Hugolinianae«, die der Kardinal im Jahre 1219 für S. Damiano und die anderen damals schon existierenden Konvente »Armer Frauen« in Italien zusätzlich zur Regula Benedicti erlassen hatte.132 Am 27. Juli hatte Hugolino das Bene-

128 »Immo etiam ad maiorem cautelam solicita fui a domino papa Innocentio, sub cuius tempore coepimus et ab aliis successoribus suis, nostram professionem sanctissimae paupertatis, quam Domino et patri nostro promisimus, eorum privilegiis facere corroborari, ne aliquo tempore ab ipsa ullatenus declinaremus« (Test. 6; ed.c. 344). 129 »Volens enim religionem suam intitulari titulo paupertatis, a bonae memoriae Innocentio tertio paupertatis privilegium postulavit. Qui vir magnificus tanto virginis fervori congratulatus, singulare dicit esse propositum, quod nunquam tale privilegium a Sede Apostolica fuerit postulatum. Et ut insolitae petitioni favor insolitus arrideret, Pontifex ipse cum hilaritate magna petiti privilegii sua manu conscripsit primam notulam« (Leg. S. Clarae, 14; ed.c. 148f.). 130 Bulle »Sicut manifestum est« (Bull. Fr. 1,771; Escritos, ed. Omaechevarri´a, 231f.); vgl. u. bei Anm. 140. 131 »Deus Pater« (Bull. Fr. 1,37; Escritos, ed. Omaechevarri´a, 354–356). 132 Bull. Fr. 1,263–267; Escritos, ed.c. 206–229. Die gesamte Gesetzgebung für die Klarissen behandelt eingehend: Livarius Oliger, De origine Regularum Ordinis S. Clarae. AFH 5 (1912), 181–209; 412–447.

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diktinerinnen-Kloster Monticelli bei Florenz mit Scheiben an die Äbtissin Advengnente (Adveniens oder Advenientis) mit seinen Liegenschaften in den Besitz »des Apostels Petrus und der Römischen Kirche« übernommen und ihm, neben der Regula Benedicti, seine eigene Lebensordnung vorgeschrieben.133 (Im Jahre 1221 wurde Klaras Schwester Agnes von Franziskus als Äbtissin nach Monticelli geschickt). Wie Ignacio Omaechevarri´a vermutet, hat Hugolino die Orientreise des Franziskus (1219/1220) dazu benutzt, mit Hilfe Bruder Philipps des Langen, der damals Visitator der »Armen Damen« war, seine Regel in S. Damiano einzuführen.134 In dieser Regel fehlt nicht jeder Hinweis auf die Armutsforderung; sie enthält immerhin in ihrer Einleitung einen Passus, der daran erinnert, daß die Schwestern für sich ein Leben der Armut erwählt haben.135 Aber eine ewige Verpflichtung auf die absolute Besitzlosigkeit enthält Hugolinos Regel nicht. Nachdem er die Schwestern erneut auf die Regula Benedicti verpflichtet hat, ist die erste Bestimmung mit Gesetzescharakter, die folgt, die lebenslängliche Klausur:136 Die gesamte Zeit ihres Lebens müssen sie eingeschlossen bleiben. Und wenn einige in die Klausur dieses Ordens eingetreten sind und die Lebensweise nach der Regel angenommen haben, dann wird ihnen hinfort keine Erlaubnis oder Möglichkeit mehr gewährt, von dort wieder hinauszugehen, es sei denn, es werden einige abgeordnet, um denselben Orden an einem anderen Ort auszupflanzen oder aufzubauen. Wenn sie aber sterben, dann sollen sowohl die Damen als auch die Dienerinnen, die die Profeß abgelegt haben, innerhalb der Klausur, wie es sich gehört, bestattet werden.

Es lag Hugolino vor allem daran, daß die Frauen in den neuen Klöstern franziskanischer Prägung sich an eine strenge Klausur hielten, wie schon Eduard Lempp zutreffend bemerkt hat.137 Wie der Kardinal über Klaras eigentliches Lebensideal, das der radikalen Armut, gedacht hat, zeigte sich, als er Papst geworden war. Als er im Juli 1228 zur Heiligsprechung des Franziskus nach Assisi kam, suchte er Klara auf und versuchte, sie zur Annahme von Besitz zu überreden, um sich gegenüber eventuellen widrigen Zeitereignissen und Gefahren abzusichern. In freigebiger Weise bot er ihr Güter aus seinem eigenen Besitz an. Schließlich wollte er die immer noch Widerstrebende von ihrem Armutsgelübde dispensieren. Damit war aber für Klara das Maß voll.

133

Bulle »Sacrosancta Romana Ecclesia« Honorius’ III. vom 9.12.1219 (Bull. Fr. 1,3–5). 134 Escritos, ed. Omaechevarri´a, 209. 135 »Quapropter, dilectae in Domino filiae, quia divina vobis gratia inspirante, per arduam viam et arctam, quae ad vitam ducit, incedere, et vitam pauperem ducere pro aeternis lucrandis divitiis elegistis: religionis ipsius observantiam atque formam vobis duximus breviter describendam« (ed.c. 215). 136 Ebd. 217. 137 E. Lempp, Die Anfänge des Clarissenordens. ZKG 13 (1982), 181–245; ebd. 200.

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Heiliger Vater, ich will in gar keiner Weise, in Ewigkeit nicht, von der Nachfolge Christi dispensiert werden.138

Dieser schwer wiegende Satz ist wohl die wichtigste Äußerung überhaupt, die von Klara überliefert ist. Er enthält nicht mehr und nicht weniger als den Vorwurf an den Papst, er wolle sie von der Nachfolge Christi abbringen. (Der Begriff Christi sequela umfaßt das christliche Lebensideal schlechthin, das in franziskanischem Verständnis identisch mit der Armut ist). Daß die Gemeinschaft von S. Damiano von dieser Auseinandersetzung nicht unberührt blieb, zeigen die Aussagen der ältesten Gefährtinnen Klaras im Kanonisationsprozeß, Filippa, Benvenuta und Pacifica, die fast gleichlautend sind:139 Und niemals konnte sie weder vom Papst noch vom Bischof von Ostia [dem Kardinal Rainald] dazu verleitet werden, irgend einen Besitz anzunehmen. Und das Privileg der Armut, das ihr bewilligt worden war, behandelte sie mit großer Ehrfurcht und hütete es gut und mit Sorgfalt, weil sie befürchtete, es zu verlieren.

Man sieht, daß der Druck massiv gewesen sein muß. Doch blieb Gregor IX. schließlich nichts anderes übrig, als das Armutsprivileg seines Vorgängers Innocenz III. zu erneuern.140 Klara war davon überzeugt, daß kein Papst so etwas könne: von der Verpflichtung zur Nachfolge Christi befreien. Da die Regel Hugolinos in ihren Augen kein anderes Ziel hatte, hat sie dieselbe mit großer Gelassenheit einfach ignoriert – obwohl es doch die kirchenrechtlich gültige und verbindliche Ordensregel für S. Damiano war. Aber Klara anerkannte keine andere Verpflichtung als die forma vivendi, die Franziskus ihr hinterlassen hatte. Schon Heribert Holzapfel hat auf diesen erstaunlichen Tatbestand aufmerksam gemacht: »Klara . . fühlte sich immer nur als Schülerin des hl. Franz; in allen ihren Briefen und Schriften erwähnt sie kein Wort davon, daß sie von irgend jemand anderem als Franz Weisungen angenommen habe. Nur seine Ideen und Mahnungen preist sie anderen an und geht geflissentlich über alles übrige mit Stillschweigen hinweg.«141 »Nach alldem läßt sich eine Ausnahmestellung des Klosters von St. Damian gegenüber der Regel Hugolins kaum bestreiten. Mag letztere auch juristisch in Geltung geblieben sein, praktisch hielt man sich doch in erster Linie an die Weisungen des hl. Franz.«142 138 »Ad quam respondente Pontifice: ›Si votum formidas, nos te a voto absolvimus‹; ›Sancte Pater‹, ait, ›nequaquam a Christi sequela in perpetuum absolvi desidero‹« (Leg. S. Clarae, 14; ed. Omaechevarri´a, 149; s. hierzu auch: Feld, Franziskus (o. Einl., Anm. 3), 39f.; Andrea Löther, Grenzen und Möglichkeiten weiblichen Handelns im 13. Jahrhundert. Die Auseinandersetzung um die Nonnenseelsorge in den Bettelorden. Rott. Jb. 11 (1992), 223–240; ebd. 231. 139 Proc. 3,14; 1,13; 2,22; vgl. auch 12,6. 140 S.o. Anm. 130. 141 Holzapfel, Handbuch (o. Anm. 124), 640. 142 Ebd. 642.

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Der Ungehorsam Klaras gegenüber Gregor IX. und seinem Nachfolger Innocenz IV. sowie dem Kardinalbischof Rainald von Ostia, der unter beiden als Protektor des Ordens amtierte, beschränkte sich nicht nur auf passiven Widerstand. In ihrem zweiten Brief an Agnes von Böhmen (1206–1282), geschrieben 1235/1236, ermahnt sie ihre prominenteste geistliche Schülerin, ihrem Bräutigam, dem himmlischen König, in der Vollkommenheit »der allerheiligsten Armut« treu zu bleiben. Die böhmische Königstochter war als Kind dem König Heinrich (VII.), Sohn Kaiser Friedrichs II., zur Ehe versprochen worden. Später warben Friedrich selbst und der englische König Heinrich III. um sie. Entzündet von dem franziskanischen Lebensideal, das sie bei den seit 1232 in Prag lebenden Minoriten kennengelernt hatte, gründete sie ein Kloster für adelige Frauen. An Pfingsten 1234 trat sie selbst dort als Nonne ein. In Agnes fand Klara eine Brieffreundin, die mit ihr auf dem gleichen geistigen Niveau stand und die das franziskanische Armutsideal genau so verstand wie sie selbst und es ohne Abstriche in ihrem Prager Kloster verwirklichen wollte. Die erwähnte Mahnung Klaras an Agnes setzt voraus, daß auch Agnes bereits um ihre Lebensform zu kämpfen hatte und vielleicht bei Klara um Rat gefragt hatte. Klara schreibt ihr, sie solle keinem glauben, keinem zustimmen, der sie von ihrem Vorhaben und der Vollkommenheit, zu der Gottes Geist sie berufen habe, abbringen wolle. Sie solle sich nur von dem amtierenden Generalminister Bruder Elias beraten lassen und seine Ratschläge denen aller anderen vorziehen. Wenn aber jemand Dir etwas anderes sagen, Dir etwas anderes einreden sollte, was Deiner Vollkommenheit im Wege steht, was der göttlichen Berufung entgegenzustehen scheint – auch wenn Du ihn verehren mußt, halte Dich dennoch nicht an seine Empfehlung, sondern umarme den armen Christus als arme Jungfrau.143

Es ist leicht zu sehen, daß mit dem ungenannten falschen Ratgeber niemand anderer gemeint sein kann als der Papst Gregor IX. An ihn wandte sich Agnes im Jahre 1238 und bat ihn um offizielle Bestätigung der forma vivendi, nach der man auch in S. Damiano lebe. Zweifellos war ihr der Text von Klara übersandt worden. Doch der Papst gibt ihr einen abschlägigen Bescheid, behauptet sogar (wahrheitswidrig!), in S. Damiano werde ausschließlich seine eigene Regel beachtet.144 Und noch mehr: Gregor wertet die von Franziskus den Frauen gegebene Lebensform (forma vitae) als »Lebensförmchen« (formula vitae) ab, indem er absichtsvoll herabsetzend das Diminutiv gebraucht: der heilige Franziskus habe seinerzeit den gewissermaßen neugeborenen Escritos, ed. Omaechevarri´a, 382–384. Vgl. hierzu Holzapfels Kommentar: »Es war hier wohl der Wunsch der Vater des Gedankens« (Handbuch, 642). 143 144

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Schwestern noch keine feste Speise, sondern den ihnen gemäßen Milch-Schoppen als vorläufiges »Lebensförmchen« gegeben (vgl. 1 Kor 3,2).145 Nirgendwo sonst wird so deutlich wie in diesem Brief, was Gregor-Hugolino tatsächlich von der franziskanischen Lebensform und dem Ideal des Franziskus gehalten hat. Der Papst versuchte auch, die Einsperrung der Schwestern und ihre Abschirmung von der Außenwelt noch effektiver zu gestalten, indem er die Besuche der Minderbrüder in den Frauenklöstern einschränkte und von seiner persönlichen Erlaubnis abhängig machte. Klara quittierte dies mit der Bemerkung: Dann soll er doch gleich alle Brüder von uns abziehen, nachdem er uns die Geber der geistlichen Nahrung genommen hat!

Und damit schickte sie die Brüder, die ihrem Kloster als Almosensammler zugeteilt waren, an den Generalminister zurück. Wenn der Papst ihr den geistlichen Beistand der Brüder nahm, dann wollte sie auch auf deren materielle Fürsorge verzichten. Als der Vorgang dem Papst zu Ohren kam, zog er sofort seine Maßnahme zurück;146 er merkte, daß er zu weit gegangen war. Der geistige Kontakt mit den Brüdern war für Klara deshalb so wichtig, ja geradezu lebensnotwendig, weil sie auf diese Weise wenigstens indirekt an einer Lebensform Anteil haben konnte, die sie eigentlich für sich ersehnte. Nie war ihre Freude größer, als wenn einer von den Franziskus-Gefährten der ersten Jahre, den alten Schauspielern und Buffoni Gottes, in S. Damiano erschien und in ekstatischer Rede »Neuigkeiten vom Herrn« erzählte. Eines Tages taucht Bruder Ägidius dort auf und hört mit Klara die Predigt eines Magisters der heiligen Theologie an. Mitten in der Predigt unterbricht er den Gottesgelehrten: »Schweig, Magister, schweige, weil ich jetzt reden will!« Und Bruder Ägidius stieß in der Glut des Geistes Gottes honigfließende Worte hervor. Und nach kurzer Zeit sagte Bruder Ägidius zu dem Magister: »Jetzt, Bruder, bring die Predigt, die du begonnen hast, zu Ende!« Und der genannte Gelehrte nahm die Predigt wieder auf und brachte sie zu Ende. Als die heilige Klara das sah, da sagte sie voller Freude: »Heute hat sich ein Wunsch unseres heiligsten Vaters Franziskus erfüllt, der mir einmal sagte: ›Ich wünsche mir sehr, daß meine Brüder Kleriker zu solcher Demut fänden, daß ein Magister der Theologie auf das Wort eines Laien, der predigen will, mit der Predigt aufhörte.‹ Ich sage euch, Brüder«, sagte Sankt Klara, »daß mich der Magister mehr erbaut hat, als wenn ich ihn gesehen hätte, wie er Tote auferweckt.«147 145

Bulle »Angelis gaudium« vom 11.5.1238 an Agnes von Böhmen (Bull. Fr. 1,242–244). »Ipsis Beatus Franciscus, quibus tamquam modo genitis non cibum solidum, sed quia videbat competere, potum lactis formulam vitae tradidit« (ebd. 243a). 146 Leg. S. Clarae 37 (ed. Omaechevarri´a, 172); vgl. o. VIII. Kap., bei Anm. 93! S. hierzu auch: A. Löther, Grenzen (o. Anm. 138), 231. 147 Vita fratris Aegidii (Anal. Fr. 3,81).

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Klaras Kampf um die Regel, deren wesentlicher Inhalt die von Franziskus gegebene Lebensnorm war, ging auch unter Innocenz IV. weiter. Innocenz schickte ihr am 6. August 1247 von Lyon eine Bulle mit einer Regel zu, die sich kaum von derjenigen seines Vorgängers unterschied. In der Einleitung ist allerdings die Benedikts-Regel nicht mehr erwähnt. Dagegen wird jetzt die Regel des Franziskus in den drei Punkten: Gehorsam, persönlicher Eigentumsverzicht und Keuschheit, als verbindlich erklärt. Das, worauf es Klara ankam: der Verzicht auf gemeinsamen Besitz, kommt wiederum nicht vor.148 Als die Römische Kurie dann von Frankreich wieder nach Italien zurückgekehrt war, war es endlich so weit: zunächst kam der Kardinal Rainald, dann auch der Papst persönlich von Perugia an Klaras Krankenbett, das nun schon ein Sterbebett geworden war. Das Original der Bulle »Solet annuere«, mit der Innocenz IV. der von Klara selbst verfaßten Ordensregel seine Zustimmung gab,149 ist unter den Reliquienschätzen des Protomonastero di S. Chiara erhalten. Die eigenhändigen Randnotizen des Papstes, abgezeichnet mit dem ersten Buchstaben seines Vornamens Sinibald, sind noch gut lesbar.150 Von dem Original wurden im Verlauf des späteren Mittelalters mehrere Abschriften gemacht, zuletzt 1410 für Colette Boe¨llet, die Gründerin des nach ihr benannten Reformzweiges der Klarissen. Danach blieb die Originalfassung der Regel der heiligen Klara verschwunden. 1893 wurde sie zufällig in einem Ebenholzkästchen wiederentdeckt, das in einen Mantel der Heiligen eingerollt war. Was hatte Klara nun wirklich erreicht, als Innocenz IV. ihre Regel schließlich approbierte? Ihr zentrales Anliegen, die allerhöchste heilige Armut im Sinne des Franziskus, war jetzt nicht mehr ein Privileg außerhalb und neben der rechtlich eigentlich gültigen Regel, sondern das Armutsideal war nunmehr in die Ordensregel als verbindliche Vorschrift integriert. Am Leben der Gemeinschaft von S. Damiano hat dies aber überhaupt nichts geändert. Klara hatte sich um die Regel Hugolinos, die doch über mindestens 32 Jahre hin die kirchenrechtlich verbindliche Lebensnorm für S. Damiano und die übrigen Klarissen-Klöster gewesen war, nicht gekümmert. Maßgebend war für sie allein die von Franziskus gegebene forma vivendi mit der Forderung der abso148 »Cum omnis vera« (Bull. Fr. 1,476–483; Escritos, ed. Omaechevarri´a, 237–259). »Quapropter, dilectae in Domino filiae, quia divina vobis gratia inspirante, per arduam viam, et arctam, quae ad vitam ducit, incedere, et vitam pauperem ducere pro aeternis lucrandis divitiis elegistis; vestris piis precibus inclinati Beati Francisci Regulam quantum ad tria tantum, videlicet obedientiam, abdicationem proprii in speciali, et perpetuam castitatem; nec non formam vivendi praesentibus annotatam, secundum quam specialiter vivere decrevistis; vobis, et iis, quae vobis successerint, concedimus observandam.« Vgl. den entsprechenden Passus in der Regel Hugolinos: o. Anm. 135! 149 Bull. Fr. 1,671–678; ed. Omaechevarri´a, 267–289. 150 Escritos, ed. Omaechevarri´a, 263.

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luten Besitzlosigkeit, die in der Regel Hugolinos nicht einmal erwähnt war. Trotzdem hat das erste und entscheidende Gesetz der Hugolino-Regel faktisch das Leben der »Armen Frauen« bestimmt: die Inklaustrierung und das lebenslängliche Verbot, den ummauerten Bereich des Klosters zu verlassen. Man erkennt nun deutlich, welches das eigentliche Ziel der kurialen Politik gegenüber den Frauen war, die sich der franziskanischen Bewegung angeschlossen hatten: nämlich sie wie gewöhnliche Nonnen hinter Klostermauern einzusperren, ja die Einsperrung noch wirksamer zu sanktionieren, als es bei den älteren Frauenklöstern benediktinischer Prägung der Fall gewesen war. Für die Päpste und kirchlichen Autoritäten,151 aber auch im Volksmund,152 waren sie »die eingeschlossenen Nonnen vom Kloster S. Damiano«. Bemerkenswert ist, daß Franziskus bezüglich der Einschließung Klaras und ihrer Gefährtinnen mit dem Kardinal Hugolino eines Sinnes war. Was er für den männlichen Zweig der Bewegung (vor allem gegenüber Hugolino!) in aller Entschiedenheit ablehnte: die Anpassung an die älteren Orden, mutete er den Frauen ohne weiteres zu. Als er Klara zwang, das Amt einer Äbtissin anzunehmen, band er sie damit für immer an den Ort ihrer Einsperrung. Die Verwirklichung eines wesentlichen Elementes des franziskanischen Ideals, das apostolische Wanderleben, an dem z.B. die Frauen der Waldenser und Katharer ganz selbstverständlich Anteil hatten,153 blieb den franziskanischen Frauen lebenslang verwehrt. Genau das entsprach der Absicht der Römischen Kurie. Klara hat versucht, sich dieser Tendenz entgegenzustemmen, wo immer es möglich war. So kämpfte sie mit dem Papst Gregor IX. um den freien Zugang der Minderbrüder zu ihrem Kloster, um wenigstens einen indirekten Anteil am »echten« franziskanischen Leben zu erhalten. Und der Kampf um die Verankerung der radikalen Armut in der Regel hat im Grunde keinen anderen Sinn: Wenn die Regel den Besitz der Klostergebäude ausschloß, dann bestand auch keine rechtliche Bindung der Schwesterngemeinschaft an dieselben. 151

Vgl. die Bulle »Gloriosus Deus« Innocenz’ IV. vom 18.10.1253 (Bull. Fr. 1,684f.; ebd. 684b); Proc. 15,1 (FF 3115). 152 Vgl. Proc. 16,2 (FF 3117). 153 Gottfried Koch, Frauenfrage und Ketzertum im Mittelalter. Die Frauenbewegung im Rahmen des Katharismus und des Waldensertums und ihre sozialen Wurzeln (12. – 14. Jahrhundert) (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, 9), Berlin 1962, bes. 60. 87. 158–168; Ders., Die Frau im mittelalterlichen Katharismus und Waldensertum. Studi Medievali 5 (1964), 741.774; bes. 746; Ders., La donna nel Catarismo e nel Valdismo medioevali, in: Ovidio Capitani (Hrsg.), Medioevo ereticale, Bologna 1977, 245–275; bes. 250; Richard Abels and Ellen Harrison, The Participation of Women in Languedocian Catharism. Medieval Studies 41 (1979), 215–251; Auguste Armand-Hugon, La donna nella storia valdese, Torre Pellice 1980, 3f.; Adriana Valerio, La questione femminile al tempo di Chiara. Laurentianum 31 (1990), 50–61; ebd. 56f.

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Klara wollte also nichts anderes, als ihrer Gemeinschaft für die Zukunft den Weg der Nachfolge Christi, so wie ihn Franziskus für sich und seine Gefährten erkannt hatte, offenzuhalten.154 Daß dies ein Traum und eine Utopie blieb, hat der weitere Verlauf der Geschichte gezeigt. Der Sieg, den sie nach Meinung Sabatiers sterbend über die Päpste errang, war nur ein Sieg auf dem Papier. Ebenso wie Franziskus hat sich Klara über die beharrende Macht der Römischen Kirche getäuscht. Und schon eine Generation später suchen Frauen, die nach einem evangelischen und franziskanischen Ideal leben wollen, wie Angela von Foligno und Margherita von Cortona, nicht mehr die jetzt bei der großen Basilika S. Chiara in Assisi angesiedelte Abtei auf, sondern finden für sich andere Wege.155

6. Die Theologie Klaras von Assisi Auf einem heute im Prado zu Madrid befindlichen Gemälde hat Rubens Klara von Assisi mit erhobener Monstranz in den Händen inmitten von sechs großen Kirchenlehrern dargestellt: zu ihrer Rechten stehen Gregor der Große, Augustinus und Ambrosius, zu ihrer Linken Thomas von Aquin, Norbert von Xanten und Hieronymus. Kommt dieser Platz Klara zu? Gehört sie unter die Theologen oder gar Kirchenlehrer? Immerhin enthält die (bislang beste) Biographie Klaras von Marco Bartoli ein Kapitel über ihre Theologie.156 Daß Klara gerne literarisch anspruchsvolle Predigten (prediche letterate) anhörte, wurde bereits erwähnt.157 Sie wird sie also auch verstanden haben. Unter die eucharistischen Theologen geriet sie wohl eher aus hagiographisch-

154 Auch im achten Kapitel der Regel Klaras werden die Schwestern, in enger Anlehnung an die Regula bullata (c. 6) des Franziskus, als »Pilgerinnen und Fremde« (1 Petr 2,11) bezeichnet (Escritos, ed. Omaechevarri´a, 280). 155 Ludger Thier, Abele Calufetti, Il Libro della beata Angela da Foligno. Edizione critica (Spicilegium Bonaventurianum, 25); Grottaferrata (Romae) 21985; Il Libro della beata Angela da Foligno. Introduzione, traduzione e note di Sergio Andreoli, Cinisello Balsamo 1990; Ulrich Köpf, Angela von Foligno. Ein Beitrag zur franziskanischen Frauenbewegung um 1300, in: P. Dinzelbacher, D.R. Bauer (Hrsg.), Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, Köln-Wien 1988, 225–250; bes. ebd. 246; Fra Giunta Bevegnati, Leggenda della vita e dei miracoli di Santa Margherita da Cortona. Nuova traduzione dal latino con prefazione e note di P. Eliodoro Mariani, Vicenza 1978. 156 Bartoli, Chiara (o. Anm. 9), 153–170; vgl. ferner: Marianne Schlosser, MutterSchwester-Braut. Zur Spiritualität der hl. Klara. Laurentianum 31 (1990), 176–197; F. Raurell, Lettura (o. Anm. 77); Dino Dozzi, Chiara e lo specchio, ebd. 310–341; Anton Rotzetter, Die Theologie des Dienstes als Unterordnung und/oder frauliche Reife. Ein Beitrag zur Biographie und Spiritualität der heiligen Klara, ebd. 342–388. 157 S.o. bei Anm. 19.

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erbaulichen Gründen (Vertreibung der Sarazenen mittels des Allerheiligsten Sakraments).158 Man darf aber annehmen, daß Franziskus ihr sein eigenes Eucharistie-Verständnis übermittelt hat: ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß sie für die Kirchen von Assisi und Umgebung Korporalien angefertigt hat.159 Daß sie in der Befolgung des Armutsideals eine treue und radikale Schülerin des Franziskus war, hat sie durch ihre Worte und ihre Taten bewiesen. Sie verstand ihr Leben, wie Franziskus, als Nachfolge des armen und leidenden Christus. In der Verwirklichung der radikalen Armut gibt es dennoch einen bemerkenswerten Unterschied zu Franziskus und den von ihm gegebenen Anweisungen: Klara kennt kein Geldverbot. In ihrer Regel heißt es: wenn einer Schwester (von ihren Verwandten) Geld zugesandt wird, dann solle die Äbtissin, unter Hinzuziehung ihrer Beraterinnen (discretae), dafür Sorge tragen, daß aus diesen Mitteln für die Bedürfnisse der betreffenden Schwester vorgesorgt werde.160 Klara scheint also, anders als Franziskus, nicht schon im Geld an sich etwas Teuflisches und eine Gefahr für die Armut gesehen zu haben. Franziskus hat ihr sicher auch, vielleicht schon bei den Gesprächen im Zusammenhang mit ihrer »Bekehrung«, seine Erlösungs-Vorstellungen mitgeteilt. Da diese Ideen, vom Standpunkt der orthodoxen katholischen Lehre aus gesehen, mehr als bedenklich waren, finden sich darüber in den schriftlichen Quellen kaum Nachrichten. Immerhin gibt es einige vielsagende Andeutungen. Was sie bei ihren Wunderheilungen, wenn sie über den Patienten das Kreuzzeichen schlug, sagte, konnten nicht einmal ihre vertrautesten Gefährtinnen verstehen.161 Sehr leise sprach sie auch, wenn sie über die Passion Jesu meditierte; es gab ein »Gebet über die fünf Wunden des Herrn«, dessen Wortlaut sie nicht allen Schwestern mitgeteilt hatte.162 Es ist zu vermuten, 158

S.o. bei Anm. 109 und 110. Vgl. o. VI. Kap., bei Anm. 82. 83! 160 »Si vero ei sorori aliqua pecunia transmissa fuerit, abbatissa, de consilio discretarum, in his quae indiget illi faciat provideri« (Reg. S. Clarae c. VIII,20; ed. Omaechevarri´a, 281). 161 Aussage der Pacifica de Guelfuccio (Proc. 1,18): »Adomandata che parole usava de dire la detta madonna Chiara quando faceva lo segno de la croce, respose che non la intendevano, pero` che diceva molto piano.« 162 Aussage der Agnes de Oportulo (Proc. 10,10): »Anche disse che, essendo essa santa Chiara in transito, ammoniva essa testimonia e le altre Sore che stessero alla orazione, e che essa testimonia dicesse la orazione de le cinque piaghe del Signore. E come se poteva comprendere, pero` che parlava molto piano, essa reteneva continuamente la passione del Signore nelle labbra sue«; vgl. Leg. S. Clarae 30 (ed. Omaechevarri´a2, 165f.); Zeffirino Lazzeri, L’orazione delle cinque piaghe recitata da S. Chiara. AFH 16 (1923), 246–249; FF, S. 2361, Anm. 88. Der von Mariano von Florenz überlieferte lange Text des Gebetes dürfte kaum der echte sein. Vielleicht ist aber der zauberformelartige gereimte Schluß das ursprüngliche Gebet oder ein Teil desselben: 159

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daß in diesem Gebet eine Beziehung zur Stigmatisierung des Franziskus hergestellt wurde. Die langen Ausführungen, die Klara gegenüber ihren Mitschwestern über das Wesen Gottes, die Dreifaltigkeit machte, konnten diese zwar akustisch verstehen, aber sie gingen über ihren geistigen Horizont hinaus.163 Eine ihr geistig gewachsene Partnerin, mit der sie, wenigstens schriftlich, auf gleicher Ebene verkehren konnte, fand Klara schließlich in der zwölf Jahre jüngeren Agnes von Prag. Ein zentrales und durchgängiges Thema aller vier Briefe Klaras an Agnes ist die geistliche Ehe mit Christus. Die böhmische Königstochter hat das Angebot einer Vermählung mit dem Kaiser zurückgewiesen, um sich einem noch edleren Verlobten, nämlich dem himmlischen König, hinzugeben.164 Voraussetzung für diese Verbindung, die sie zur Braut, Mutter und Schwester Jesu Christi zugleich macht, ist »die unverletzliche Jungfräulichkeit und allerheiligste Armut«.165 Als arme Jungfrau soll sie den armen Christus umarmen. Wenn sie ihrem Bräutigam in Verachtung, Leiden und Kreuzestod nachfolgt, wird sie mit ihm auch die ewige Herrlichkeit besitzen. Dein Verlobter, der schönste von allen Menschen (Ps 44,3), ist um Deines Heiles willen der schäbigste von allen Männern (Is 53,3) geworden, verachtet, geschlagen und am ganzen Körper vielfach gegeißelt; er stirbt unter Todesängsten am Kreuz. Sieh ihn an, hochedle Königin, halte ihn Dir vor Augen, betrachte ihn mit dem Wunsch, ihn nachzuahmen.166

Nach Klaras Überzeugung sind paupertas und virginitas die unabdingbaren Voraussetzungen für das Erlangen der ewigen Herrlichkeit. Mit Agnes und den anderen heiligen Jungfrauen weiß sie sich berufen, vor dem Thron Gottes und des Lammes das neue Lied zu singen und dem Lamm zu folgen, wohin es geht (nach Apoc 14,3f.).167 Aber schon jetzt kann sich die Braut des höchsten Königs in ihm wie in einem Spiegel betrachten, da er der Glanz der ewigen Vulnera quinque Dei Sint medicina mei. Vulneribus quinis Me eruas, Christe, ruinis. Da pacem, Christe, Vulneribus quinque. 163 Aussage der Filippa de Leonardo (Proc. 3,20): »E molte cose disse parlando de la Trinita`, cosı` sutilmente che le Sore non la potevano bene intendere.« – Da Klara auch bezüglich der Nachfolge Christi eine den Spiritualen ähnliche Auffassung vertreten hat (s.o. Anm. 138!), ist es nicht auszuschließen, daß ihre trinitarischen Vorstellungen von joachitischen Spekulationen beeinflußt waren. 164 Brief 1,2 (ed. Omaechevarri´a, 376); Brief 2,2f. (ebd. 382f.). 165 Brief 1,3 (ebd. 378). 166 Brief 2,4 (ebd. 384). 167 Brief 4,1 (ebd. 395).

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Herrlichkeit ist. Der »Beginn dieses Spiegels« (principium huius speculi) ist die Armut des in Windeln gewickelten und in der Krippe liegenden Königs der Engel und Herrn des Himmels und der Erde. In der »Mitte des Spiegels« sind Demut und Armut, Arbeiten und Beschwerden zu betrachten, die der Herr auf sich genommen hat, um die Menschheit zu erlösen. Am »Ende des Spiegels« aber wird die unsagbare Liebe sichtbar, mit der er den allerschimpflichsten Tod am Kreuz erlitten hat. Vom Kreuz herab spricht er die frommen Betrachterinnen mit den Worten des Klageliedes des Jeremias an: »O ihr alle, die ihr des Weges vorübergeht, gebet acht und seht, ob es einen Schmerz gibt, der dem meinen gleich ist« (Lam 1,12). Die gemäße Antwort der das Leiden Christi Meditierenden lautet: »Ich will deiner gedenken, und meine Seele wird in mir zerschmelzen« (Lam 3,20).168 Von der Betrachtung der Geburt, des Lebens und Todesleidens Christi schwingt sich die fromme Beterin dann auf zum Anblick der unsagbaren Freuden, ewigen Reichtümer und Ehren, die der himmlische Bräutigam für sie bereithält. Voll Sehnsucht und Liebe ruft sie mit den Worten des Geliebten im Hohen Lied:169 Zieh mich an dich! Wir eilen hinter dem Duft deiner wohlriechenden Salböle her, himmlischer Bräutigam! Ich will laufen und nicht aufgeben, bis du mich in deine Gärkammer hineinführst, bis deine Linke unter meinem Kopf ruht und deine Rechte mich voll Glück umarmt und du mich mit dem beseligenden Kuß deines Mundes beglückst! (Cant 1,1–13; 2,4–6).

Wenn es sich hier auch um Zitate aus dem Hohen Lied handelt, so beschreiben sie doch ohne Zweifel die realen Erwartungen, die Klara und die »Armen Frauen« hatten, auch im sinnlichen und erotischen Bereich, auf den sie im irdischen Leben, in der Nachfolge des gekreuzigten Heilands, so rigide verzichteten. Von der Armut hat Klara die gleiche radikale Auffassung wie Franziskus. Die Armut Christi war ihrer Meinung nach eine absolute, und sie schließt auch das Element der Unbehaustheit und Heimatlosigkeit mit ein, die Klara in ihrem Leben nicht verwirklichen konnte. Zwar nimmt bei ihr die Armut nicht, wie im Kreis der ersten Minderbrüder, die Züge einer mystischen Gestalt, einer Person, an. Doch gibt es Formulierungen, die daran anklingen: O selige Armut, die denen, die sie lieben und umarmen, ewige Reichtümer gewährt! O heilige Armut: denen, die sie haben und begehren, wird von Gott das Himmelreich versprochen und die ewige Herrlichkeit und das selige Leben ganz ohne Zweifel gewährt! O fromme Armut, die der Herr Jesus Christus, der Himmel und Erde regierte und regiert, der sprach, und sie wurden geschaffen, vor allen anderen zu umarmen 168 169

Brief 4,3f. (ebd. 396f.). Brief 4,5 (ebd. 397).

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X. Kapitel

geruhte! Denn die Füchse haben ihre Höhlen, sagt er, und die Vögel des Himmels ihre Nester, der Menschensohn aber, nämlich Christus, hat keinen Ort, wo er seinen Kopf anlehnen kann (Mt 8,20), sondern er neigte sein Haupt und starb (Joh 19,30).170

Schon in ihrem ersten Brief an Agnes von Prag beschreibt Klara die Armut als radikale und kompromißlose Forderung, ohne die es keinen Zugang zum Himmelreich und zur ewigen Seligkeit gibt. Ich bin nämlich fest überzeugt, daß Ihr wißt: das Himmelreich wird vom Herrn ausschließlich den Armen versprochen und gegeben; denn wenn man eine zeitliche Sache liebt, dann geht die Frucht der Liebe verloren; man kann nicht Gott und dem Mammon dienen, weil entweder der eine geliebt und der andere gehaßt wird, oder man dem einen dient und den anderen verachtet (Mt 6,24); und ein Bekleideter kann mit einem Nackten nicht kämpfen, weil der schneller zu Boden geworfen wird, der etwas an sich hat, woran man ihn packen kann;171 und es ist unmöglich, ruhmvoll in der Welt zu bleiben und drüben mit Christus zu herrschen; und ein Kamel kann eher durch ein Nadelöhr gehen als ein Reicher zum Himmelreich aufsteigen. Deshalb habt Ihr die Kleider, d.h. die zeitlichen Reichtümer, abgeworfen, damit Ihr dem kämpfenden Feind in keiner Weise unterlegen seid, damit Ihr durch den schmalen Weg und die enge Pforte in das Himmelreich eintreten könnt. Denn es ist ein bedeutendes und lobenswertes Geschäft, das Zeitliche um des Ewigen willen zu verlassen, das Himmlische für das Irdische zu verdienen, das Hundertfache für das Eine zu erhalten und das ewige Leben zu besitzen (Mt 19,21–29).172

Aus dem Wenigen, was von Klara von Assisi schriftlich überliefert ist, ergibt sich eine um die zentralen Begriffe der Armut und Jungfräulichkeit kreisende Theologie und Lebenslehre von imponierender Radikalität und Konsequenz. Ob man bei ihr von »Mystik« sprechen kann, scheint fraglich. Denn im Unterschied etwa zu den großen Dominikaner-Meistern des 14. Jahrhunderts – Eckhart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler – und vielen anderen Mystikerinnen und Mystikern fehlt bei ihr das Element der Indifferenz, sowohl in bezug auf das irdische wie auf das jenseitige Leben. Ihre Liebe gibt sich nicht absolut selbstlos (sie ist deswegen vermutlich ehrlicher). Der Lohngedanke spielt durchaus eine Rolle. Für den im irdischen Leben auf sich genommenen doppelten Verzicht auf Reichtum und Ansehen, Liebe und Ehe erwartet Klara mit großer Naivität eine doppelte Kompensation im Himmelreich: für die Armut ewige Herrlichkeit, für die Jungfräulichkeit die Umarmung des himmlischen Geliebten. Da Klara ihren Weg als den richtigen im 170

Brief 1,3 (ebd. 377). Vgl. Gregor d.Gr., Homil. in Ev. II,32,2, zu Lk 9,23–27 (MPL 76,1233): »Nihil autem maligni spiritus in hoc mundo proprium possident. Nudi ergo cum nudis luctari debemus. Nam si vestitus quisquam cum nudo luctatur, citius ad terram deiicitur, quia habet unde teneatur. Quid enim sunt terrena omnia, nisi quaedam corporis indumenta? Qui ergo contra diabolum ad certamen properat, vestimenta abiiciat, ne succumbat.« 172 Brief 1,4 (ed.c. 378f.). 171

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exklusiven Sinne ansah, hat sie keine Überlegungen darüber angestellt, was mit denen wird, die diesen radikalen Weg nicht gehen – wenigstens sind solche Gedanken von ihr nicht überliefert. Wenn, im Gegensatz zu Franziskus, bei ihr die mit der Welterlösung zusammenhängenden Ideen zurücktreten, so hängt das vielleicht doch mit ihrer lebenslänglich durch Inklaustrierung und Krankheit bestimmten Situation zusammen. Man kann eben auch Gedanken einsperren.

XI. KAPITEL

KIRCHE UND FRANZISKANERTUM NACH DEM TOD DES FRANZISKUS

In dem Jahrhundert nach dem Tod des Stifters zeigt sich die franziskanische Bewegung durch gegensätzliche Tendenzen verschiedener Art geprägt, die nicht selten zu einer Zerreißprobe führen. Die erste große Krise dieser Art war die während des zweiten Generalats des Elias; sie wurde mit dessen Ablösung vom Amt des Generalministers (1239) beendet. Elias hatte sich noch hauptsächlich auf die Laienbrüder im Orden gestützt, jedoch in den von ihm erbauten und geförderten städtischen Konventen auch die gelehrten Studien unterstützt. Er selbst war der letzte Laie im Amt des Generalministers, und von seinem Nachfolger Albert von Pisa angefangen wurde der Orden nur noch von Priestern regiert. Der Gegensatz zwischen (gelehrten) Klerikern und (wissenschaftlich ungebildeten) Laien wurde bedeutungslos, da die Laienbrüder mit der Zeit in eine untergeordnete, rein dienende Funktion gedrückt wurden. Es verschärfte sich der Gegensatz zwischen den radikalen Anhängern des franziskanischen Ideals, den Zelanti, und der gemäßigten bis laxen Mehrheit des Ordens, der Kommunität. Die Streitigkeiten hatten immer neue Bemühungen um die genuine franziskanische Tradition zur Folge, die ihren Niederschlag sowohl in den (offiziellen und nicht-offiziellen) Legenden als auch in den päpstlichen und ordensinternen Regelerklärungen fanden. Dieser Gegensatz wurde teilweise überlagert, als in den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts die apokalyptischen Ideen und die Geschichtstheologie des Abtes Joachim von Fiore in den Orden eindrangen. Die sogenannten Spiritualen wurden nunmehr zu Sachwaltern des radikalen Franziskanertums. Schließlich unternahm die Mehrheit des Ordens, angeführt von ihren Oberen und Gelehrten, unter dem Pontifikat des Papstes Johannes XXII. (1316–1334) nochmals den Versuch einer Restauration des ursprünglichen evangelischen Armutsideals im Sinne des Gründers der Bewegung. In dieser letzten gewaltigen Auseinandersetzung des Franziskanertums mit dem Papsttum, die mit der letzten politischen Auseinandersetzung zwischen mittelalterlichem Imperium und Sacerdotium verschmolz, behielt das Papsttum die Oberhand, und die radikale franziskanische Armutsidee wurde durch die Römische Kirche endgültig als Häresie abgestempelt.

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XI. Kapitel

Im folgenden sollen wichtige Stationen des Schicksals dieser Idee in dem angegebenen Zeitabschnitt beleuchtet werden. Für einen Gesamtüberblick über die äußere und innere Geschichte des Franziskanerordens in der genannten Epoche des Spätmittelalters sei auf die im ersten Kapitel (V.2) genannten Darstellungen von Holzapfel, Gratien de Paris, Moorman und Lombardi verwiesen.

1. Die Wirkung des Franziskus auf die christliche Gesellschaft seiner Zeit Wunder des verherrlichten Franziskus Die älteren Biographen, und unter ihnen vor allem die Verfasser der »offiziellen« Legenden, haben an den Wundern des Franziskus ein überragendes Interesse. Schon in einem Anhang zu seiner ersten Vita behandelt Thomas von Celano die postmortale Wundertätigkeit des Heiligen im Anschluß an den Bericht über dessen Kanonisation. Bekanntlich hat er dann nach seiner zweiten Vita ein eigenes Buch über die Wunder (Tractatus de miraculis) verfaßt. Auch der heilige Bonaventura hat zu seiner Legenda maior einen Anhang geschrieben, in dem er die postmortalen Wunder des Franziskus, nach Kategorien geordnet, behandelt. Für den modernen Leser ist dieser Bereich der Wirkung des Heiligen nicht so interessant, weil er in der Regel an Wunder nicht mehr glaubt. In der Tat ist der überwiegende Teil dieser sogenannten Wunder total unglaubwürdig. Hinter manchen der Berichte stehen jedoch tatsächliche historische Ereignisse, wenn es sich dabei auch nicht um wirkliche Wunder im Sinne der damaligen Zeitgenossen handelt. Der kleine Matteo von Todi, der Opfer einer rätselhaften Krankheit, vermutlich einer Nahrungsmittel-Vergiftung, geworden war, antwortet auf die Frage seiner Mutter, wer ihn geheilt habe, stammelnd: »Ciccu, Ciccu«.1 »Ciccu« und »Cecco« sind in Umbrien und der Toscana gebräuchliche Kurzformen des Namens »Francesco«. Daß das Kind »Ciccu« sagte, oder daß die Mutter glaubte, dieses Wort zu hören, ist ein Indiz für den historischen Kern des Ereignisses: daß es also tatsächlich eine Genesung von schwerer Krankheit gab, die man der wundertätigen Hilfe des im Himmel verherrlichten Franziskus zuschrieb. Im Kontext der mittelalterlichen Legenden dienen die Wunder vor allem dazu, wie es Bonaventura in der Legenda maior ausdrückt, »um zu beweisen, daß der Heilige glorreich im Himmel herrscht«2 und folglich auch auf Erden 1 2

I Cel 139 (Anal. Fr. 10,109). Leg. mai. Mirac. IX,1 (ebd. 647).

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seine Macht demonstrieren kann. Merkwürdig ist nur, daß durch fast alle Wunder des Franziskus die durch Unfall, Krankheit, Katastrophen gestörten normalen Verhältnisse der betroffenen Menschen wiederhergestellt werden. Die Menschen nehmen in den Nöten des Alltags zu Franziskus ihre Zuflucht – genau so wie zu Antonius von Padua und zu allen Heiligen des christlichen Himmels-Pantheons. Der zum großen Volksheiligen gewordene Franziskus wirkt also posthum mit seinen Wundern nicht vornehmlich an der Realisierung des franziskanischen Ideals in dieser Welt, sondern ist, in der Meinung und im Kult des Volkes, zuständig für die Verwirklichung des normalen alltäglichen Lebens der geplagten Menschen. Die franziskanische Laienbewegung Ob die Gründung des sogenannten »Dritten Ordens« für die Laien auf Franziskus selbst zurückgeht, läßt sich mit Gewißheit nicht ausmachen. Das erste eindeutige Zeugnis dafür findet sich in dem wahrscheinlich um 1231–1232 entstandenen Officium S. Francisci des Julian von Speyer, in der Antiphon »Ad Laudes«. Dort heißt es, Franziskus habe drei Orden gegründet: den der Minderbrüder, den der Armen Damen und den der Büßer (Poenitentes) für beide Geschlechter.3 In einem Responsorium zur zweiten Nokturn des gleichen Offiziums wird gesagt, Franziskus habe auf Anweisung Gottes als Typus für die drei Orden drei Kirchen errichtet.4 Auch in seiner um 1232–1235 verfaßten Vita schreibt Julian, die drei von Franziskus nach seiner Bekehrung wiederhergestellten Kirchen seien ein geheimnisvolles Vorbild, eine Art Prophetie für die später von ihm gegründeten Orden.5 Kurz darauf sagt der gleiche Verfasser, der Heilige habe für die Menschen aller Stände, aller Vermögensverhältnisse, jeden Alters und Geschlechts eine sicher zum Heil führende Lebensregel gegeben und die drei Orden der Minderbrüder, der 3

»Tres Ordines hic ordinat. Primumque Fratrum nominat Minorum, pauperumque Fit Dominarum medius, Sed Poenitentum tertius Sexum capit utrumque« (Ad Laudes, 18; Anal. Fr. 10,383). 4 »Sub typo trium Ordinum Tres, nutu Dei praevio, Ecclesias erexit« (In II Noct., 14; ebd. 380). 5 »Non hoc arbitror absque dignioris rei mysterio gestum, quod videlicet iste sanctus tres ecclesias supradictas erexit; at illud nimirum nutu Dei praevio per hoc existimo figuratum, quod et ipse vir simplex mirabiliter adimplevit, qui tres celebres Ordines, de quibus suo loco vel breviter tangendum est, inchoans, ipsos ad perfectionis statum vita verboque provexit« (Anal. Fr. 10,342).

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Armen Damen und der Pönitenten gegründet.6 Dieses vierfache Zeugnis des Julian von Speyer sollte man keinesfalls geringschätzen, aber auch nicht überbewerten. Mit Sicherheit geht daraus nur hervor, daß fünf bis zehn Jahre nach dem Tod des Franziskus ein Laienorden bestand, der sich für seine Lebensform auf den Heiligen berief. Wäre dem Autor eine von Franziskus für den Dritten Orden verfaßte Regel bekannt gewesen, so hätte er sie doch wohl, wie die für den Minderbrüder-Orden, zitiert. Das Gleiche gilt für das Zeugnis des Bonaventura in seiner gut dreißig Jahre später verfaßten Legenda maior, das sich übrigens an das des Julian anlehnt.7 An einer anderen Stelle behauptet Bonaventura, Franziskus selbst habe dem Laienorden den Namen »Orden der Brüder von der Buße« (Ordo Fratrum de poenitentia) gegeben.8 Andere öfters zitierte Zeugnisse sind noch jüngeren Datums, so das der Chronica XXIV Generalium, nach dem Franziskus im Jahre 1221 den Dritten Orden gegründet und als ersten den heiligen Lucius oder Luchesius (†1242 in Poggibonsi) aufgenommen habe.9 Die auf eine franziskanische Laienbewegung bezüglichen Stellen in den älteren Legenden sind weniger eindeutig. In der »Abhandlung über die Wunder« des Thomas von Celano ist von einer römischen Inkluse namens Praxedis die Rede, zu der Franziskus eine besondere Beziehung hatte.10 Er nahm ihr Gehorsamsversprechen an und gewährte ihr das Ordenskleid der Minoriten, Kutte und Strick. Doch handelt es sich hier um eine formelle Aufnahme in den Orden der Minderbrüder, die allerdings ohne weitere Folgen bleibt, da Praxedis ihren selbstgewählten Kerker niemals verlassen wird. Schon in seiner ersten Legende sagt Thomas, es seien Adelige und Bürgerliche, Kleriker und Laien, von göttlicher Inspiration angerührt, zu Franziskus gekommen mit dem Wunsch, für immer unter seiner Anleitung Dienst zu tun; so werde in beiden Geschlechtern die Kirche erneuert und das dreifache Rittertum der zum Heil Berufenen feiere Triumphe. Ihnen allen habe der Heilige eine Lebensregel gegeben und den Weg zum Heil gezeigt.11 Demnach reichen die Ur6

»Omni namque ordini, conditioni, aetati et sexui congruenter documenta salutis impendit; omnibus vivendi regulam tribuit, cuius hodie felicem ducatum in utroque sexu sequentium triumphare se gaudet Ecclesia triplici militia salvandorum. Tres enim, ut supra tetigimus, Ordines ordinavit; quorum primum ipse professione simul et habitu super omnes excellentissime tenuit, quem et Ordinem Fratrum Minorum, sicut in Regula scripserat, appellavit. Secundus etiam, qui supra memoratus est, pauperum Dominarum et virginum felix ab eo sumpsit exordium. Tertius quoque non mediocris perfectionis Ordo Poenitentium dicitur, qui clericis et laicis, virginibus, continentibus coniugatisque communis, sexum salubriter utrumque complectitur« (ebd. 346). 7 Leg. mai. II,8 (ebd. 566); vgl. den Text mit dem o. Anm. 5. 8 Ebd. IV,6 (ed.c. 573); vgl. auch seine zweite Predigt über den heiligen Franziskus (Op. Omn. IX,576). 9 Anal. Fr. 3,27. 10 ». . familiaritatis gratiam commeruit specialem« (III Cel 181; Anal. Fr. 10,324).

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sprünge der von Franziskus inspirierten Laienbewegung schon in die ersten Jahre seiner Wirksamkeit zurück, was nicht unglaubwürdig ist. Doch ist es kaum wahrscheinlich, daß es so früh schon feste Organisationsformen und ordensähnliche Strukturen gegeben haben sollte.12 Die Drei-Gefährten-Legende, die über Grundlegung und erstes Wachstum aller drei Ordenszweige einen zusammenfassenden Bericht gibt, scheint in bezug auf den Dritten Orden den geschichtlichen Vorgang korrekt wiederzugeben, wenn sie es vermeidet, in diesem Fall von einer ausdrücklichen Gründung durch Franziskus zu sprechen: Verheiratete Männer und Frauen, die ihre Ehe nicht auflösen konnten, hätten sich »auf den heilsamen Rat der Brüder hin« (de fratrum salubri consilio) in ihren eigenen Häusern einer strengeren Form der Buße zugewandt. Und so wurde durch den heiligen Franziskus, den vollkommenen Verehrer der heiligen Trinität, die Kirche Gottes in den drei Orden erneuert, so wie es die vorausgegangene Wiederherstellung der drei Kirchen bildlich darstellte. Jeder dieser Orden wurde zu seiner Zeit vom Papst bestätigt.13

Auch die Actus-Fioretti erwähnen, daß Franziskus schon in den ersten Jahren seiner Wirksamkeit, unter dem Eindruck des Erfolges seiner Predigt, den Gedanken faßte, einen eigenen Orden für die Laien zu gründen. Einmal wollte die gesamte Bevölkerung von Cannara in der Nähe von Assisi, Männer und Frauen, alles stehen und liegen lassen und ihm nachfolgen. Er aber hielt sie davon ab, einen solchen übereilten Schritt zu tun. »Und von da an dachte er daran, einen dritten Orden zu gründen, um für das Heil aller Menschen in umfassender Weise zu sorgen.«14 Demnach wird es so sein, daß Franziskus die Idee einer für Menschen aller Stände bestimmten Bewegung hatte. Und das paßt ja durchaus in seine Vorstellung von der Universalität des Heils. Aber 11 »Coeperunt multi de populo, nobiles et ignobiles, clerici et laici, divina inspiratione compuncti, ad sanctum Franciscum accedere, cupientes sub eius disciplina et magisterio perpetuo militare . . . egregius nempe artifex, ad cuius formam, regulam et doctrinam, efferendo praeconio, in utroque sexu Christi renovatur Ecclesia et trina triumphat militia salvandorum. Omnibus quoque tribuebat normam vitae ac salutis viam in omni gradu veraciter demonstrabat« (I Cel 37; Anal. Fr. 10,30). – Die genuinen Vorstellungen des Franziskus über das Leben der Christen in der Welt sind in seinem Brief »An alle Gläubigen« festgehalten; s.u. Anm. 20. 12 Zur franziskanischen Laienbewegung s. bes.: Heribert Roggen, Geschichte der franziskanischen Laienbewegung, Werl/Westf. 1971; O. Schmucki (Hrsg.), L’Ordine della Penitenza di San Francesco d’Assisi nel secolo XIII (Atti del Congresso di Studi Francescani Assisi, 3–4–5 luglio 1972), Roma 1973; Stanislao da Campagnola, Introduzione, in: FF, S. 317f. 13 3 Soc 60 (ed. Desbonnets, 134f.). 14 »Et ex tunc cogitavit facere Ordinem tertium, ut salutem omnium universaliter procuraret« (Actus-Fioretti, c. 16; ed. Cambell, 234f.); zutreffend die Bemerkung des Herausgebers, ebd. 235, Anm. 193: »La gloria di Cannara non e` che Francesco vi abbia istituito il Terz’Ordine, ma che lı` abbia concepito l’idea.«

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organisatorische Schritte in dieser Richtung sind wohl erst nach seinem Tode erfolgt. Büßerbewegungen, denen sich vor allem Laien anschlossen, gab es, schon lange vor dem Entstehen des Franziskanertums, im 12. Jahrhundert. Auch im 13. Jahrhundert hat es solche Kreise noch gegeben, die unabhängig von der franziskanischen Bewegung und neben ihr einen eigenen Weg der Buße und evangelischen Vollkommenheit suchten.15 Das erste bislang bekannte Dokument der Römischen Kurie über sie ist ein Schreiben Honorius’ III. (»Significatum est«) vom 16. Dezember 1221 an den Bischof von Rimini, in dem er diejenigen, »die sich in der Welt zur Buße bekehrt haben und dazu ihre gesamte Zeit bestimmt haben, indem sie das Zeichen der Demut und Buße in ihrer Kleidung zum Ausdruck bringen«, vor der Behelligung durch die Behörden in Schutz nimmt, die sie zum Kriegsdienst und zum militärischen Eid zwingen wollen. Zwei weitere Schreiben des gleichen Papstes an die Bischöfe Italiens aus den Jahren 1225–1227 erlauben den sogenannten »Fratres de Penitentia« in Zeiten des Interdikts die Teilnahme am göttlichen Offizium, den kirchlichen Sakramenten und dem kirchlichen Begräbnis.16 Gregor IX. hat die Politik der Protektion gegenüber den Büßern fortgesetzt. Aus keinem dieser früheren päpstlichen Dokumente geht hervor, daß es sich um den Dritten Orden des Franziskus gehandelt hat. Aus der Bedeutung, die die Freistellung vom Militärdienst hatte, kann man indes schließen, daß die Büßerbewegung – ob nun von franziskanischen Ideen beeinflußt oder nicht – zugleich eine Friedensbewegung war. Für die Römische Kurie waren die Pönitenten deshalb interessant, weil den Gegnern der päpstlichen Politik militärisches Potential entzogen wurde. Indem die Päpste die Büßer von dem Interdikt ausnahmen, schufen sie sich in den ihnen feindlichen (kaiserlichen, ghibellinischen) Städten eine »fünfte Kolonne«: wie man sieht, eine in der Wurzel unmoralische Politik. Die auf den 20. Mai 1228 datierte Ordensregel für die Brüder und Schwestern von der Buße, das sogenannte »Memoriale«, setzt den Anfang des Ordens auf das Jahr 1221 fest. Sie geht mit Sicherheit nicht auf Franziskus zurück und enthält auch nichts typisch Franziskanisches.17 Doch sahen die »Drei 15 S. hierüber: Alfonso Pompei, Il movimento penitenziale nei secoli XII–XIII, in: Schmucki, Ordine (o. Anm. 12), 9–40; vgl. auch o. II. Kapitel, 3. 16 G.G. Meersseman, Dossier de l’Ordre de la Pe´nitence au XIIIe sie`cle (Spicilegium Friburgense, 7), Fribourg, Suisse 1961, 41–43; in diesem Werk sind alle auf den Büßerorden bezüglichen Dokumente des 13. Jh. gesammelt. 17 »Memoriale Propositi fratrum et sororum de Penitentia in domibus propriis existentium, inceptum anno domini MCCXXI. Tempore Gregorii IX Pape, XIII kalendas iunii, indictione prima«: Meersseman, Dossier, 91–112; früher schon veröffentlicht von Benv. Bughetti, Memoriale propositi Fratrum et Sororum de poenitentia. . . inceptum an. 1221. AFH 14 (1921), 109–121; s. auch ebd. 259–260: Elenchus rerum IIIii Ordinis.

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Gefährten« und andere in ihr später wohl die Originalregel des Drittten Ordens und lasen aus ihrer Anfangsklausel die päpstliche Bestätigung heraus.18 Aber erst der Franziskaner-Papst Nikolaus IV. hat mit der Bulle »Supra montem« vom 18. August 1289 den Dritten Orden formell bestätigt und ihm eine Regel gegeben, die der Visitator Bruder Caro 1284 verfaßt hatte.19 Was Franziskus selbst den Laien seiner Zeit zu sagen hatte, steht in seinem Brief »An alle Gläubigen«.20 Er wollte, daß »alle Christen: Ordensleute, Kleriker und Laien, Männer und Frauen, alle, die auf der ganzen Welt wohnen«, auf den Spuren des von Gott gesandten Erlösers das Heil erlangten. Sie sollen Buße tun und, im Blick auf den nahen Tod, Leib und Blut des Herrn empfangen. Daß die Christen in Massen aus ihren irdischen Verhältnissen auswanderten und hinter ihm herzögen, hat Franziskus nach allem, was wir wissen, wohl nicht gewünscht.

2. Auseinandersetzungen um das Verständnis der Armut Die Bulle »Quo elongati« Gregors IX. von 1230 war die erste offizielle Regelerklärung. Eine definitive, durchgreifende Entscheidung brachte sie nicht, und die nächsten hundert Jahre sind gekennzeichnet durch schwere Auseinandersetzungen um das genuine Verständnis der evangelischen Armut zwischen den beiden Hauptrichtungen des Minoritenordens. Der Orden sah sich aber auch von außen, durch kirchliche Autoritäten und Theologen, hauptsächlich wegen des Armutsideals, in die Defensive gedrängt. Regelerklärungen Das Bedürfnis, die von Franziskus hinterlassene Regel zu interpretieren, hat seine erste Ursache in den tiefgreifenden Wandlungen, die der Orden nach der Absetzung des Elias von Cortona (1239) durchmachte. Der Orden wurde nicht nur faktisch zum Inhaber und Nutznießer großer materieller Besitztümer (wenn auch der Besitz im juristischen Sinn durch rechtliche Fiktionen vermieden wurde), er wurde auch in relativ kurzer Zeit, durch eine aktive Förderung der Bildung seiner Mitglieder, zu einer geistigen und wissenschaftlichen Großmacht. Schließlich wurde er endgültig und gründlich klerikalisiert. Mit Bruder Elias war zum letzten Mal ein Laie Generalminister gewesen. Sein 18

3 Soc 60 (s.o. Anm. 13); Giovanni Odoardi, L’Ordine della Penitenza di San Francesco nei documenti pontifici del secolo XIII, in: Schmucki, Ordine (o. Anm. 12), 79–115; ebd. 99f. 19 Meersseman, Dossier, 75. 128–138. 156. 20 Hierzu vor allem: Kajetan Esser, La Lettera di San Francesco ai fedeli, in: Schmucki, Ordine (o. Anm. 12), 65–78; Ders., Opuscula, 207–213.

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Nachfolger Albert von Pisa war Priester.21 Auf dessen nur wenige Monate dauernde Amtszeit folgte das Generalat des Engländers Haymo von Faversham (1240–1244), dessen folgenschwerste Tat darin bestand, die Laien im Orden auf Null zu reduzieren: sie wurden von allen leitenden Funktionen (Minister, Custode, Guardian) ausgeschlossen; die Aufnahme von Laien in den Orden wurde so erschwert, daß sie in der Zukunft fast nicht mehr möglich war.22 Je nach ihrer Einstellung versuchten die Erklärer der Regel, entweder die Verbindlichkeit des Wortlautes und damit die Armut in radikalem Sinne zu konservieren und sie gegen alle Aufweichungstendenzen zu verteidigen, oder aber, unter Wahrung des Textes, eine den neuen Umständen angepaßte Interpretation zu geben. Zu den ersteren gehören die vier Pariser Magister, die im Auftrag des Generalkapitels einen Regelkommentar verfaßten und ihn diesem im Jahre 1242 in Bologna vorlegten. Die vier Magister, zu denen die damals führenden Ordenstheologen Alexander von Hales und Johannes von Rupella (Rochelle) gehörten, unterscheiden eine doppelte evangelische Armut: die »Armut des Geistes« (paupertas spiritus), die eine unvollkommene Armut ist, weil sie nur auf das Überflüssige verzichtet und sich mit dem Notwendigen begnügt; die vollkommene Armut dagegen verzichtet mit dem Überflüssigen auch auf das Notwendige; sie verläßt sich nur auf die Vorsorge Gottes und wird »Bettelarmut« (paupertas mendicitatis) genannt. Die Armut in diesem radikalsten Sinne, die auch den Gebrauch der Dinge einschränkt, ist die Armut der Minderbrüder.23 Wenige Jahre später, zwischen 1245 und 1255, hat Hugo von Digne seinen Regelkommentar verfaßt.24 Auch er hält das Armuts- und Demutsideal in seiner strengsten Form hoch und tritt für eine Bewahrung der Ordensregel ohne abmildernde Glossen ein. In der strikten Einhaltung der Armut besteht die spezielle Berufung des Ordens. Für die Minoriten schließt die Armut auch 21

Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. XIII (ed. Little, 69). Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,251): »Hic Generalis frater Haymo laicos ad officia Ordinis inhabilitavit, quae usque tunc, ut clerici, exercebant«; Salimbene, Chronik (MGH SS 32,103): »Et ideo processu temporis merito ad nihilum sunt redacti, quia eorum receptio quasi totaliter est prohibita«; Bonaventura, Op. omn. VIII,450; Gratien de Paris, Histoire, 153. 23 Expositio Quatuor Magistrorum super Regulam Fratrum Minorum (1241–1242). Accedit eiusdem Regulae textus cum fontibus et locis parallelis, ed. Livarius Oliger (Storia e Letteratura. Raccolta di Studi e Testi, 30), Roma 1950, 157f. (zu Kapitel VI der Regula bullata); Salvatore Nicolosi, Il Francescanesimo tra idealita` e storicita`. Il dibattito sulla poverta` da Frate Elia alla »Magna Disceptatio« (1226–1312), S. Maria degli Angeli – Assisi 1988, 65–71. 24 David Flood, Hugh of Digne’s Rule Commentary, Grottaferrata (Romae) 1979; ebd. 89–195: Expositio Hugonis de Digna super Regulam Fratrum Minorum; Nicolosi, o.c. 73–83. 22

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den Verzicht auf das Recht zu besitzen ein, nicht nur das faktisch arme Leben. Sowohl der einzelne Bruder als auch ein Konvent als auch der Orden in seiner Gesamtheit haben keine rechtliche Fähigkeit, einen Kontrakt abzuschließen. Auch rechtliche Auseinandersetzungen sind unmöglich, da die Minderbrüder keinerlei Rechte besitzen. An materiellen Dingen ist nur das erlaubt, was dem unmittelbaren Unterhalt oder Bedarf dient. Auch der Gebrauch der Dinge ist einzuschränken: Hugo spricht vom »usus arctus«. Später bürgerte sich dafür der Begriff »usus pauper« ein. Natürlich ist auch das Geldverbot der Regel strikt zu beachten; nicht einmal ein Geldverwalter (Treuhänder) ist erlaubt. Hugo möchte das franziskanische Leben als ungesichertes Pilger-Dasein erhalten wissen; Armut bedeutet auch, daß keine Vorsorge für die Zukunft getroffen wird. Hugo gebraucht zum ersten Mal den Terminus »Spiritualen« zur Bezeichnung der regeltreuen Brüder. Er war wie Johannes von Parma, mit dem er befreundet war, ein überzeugter Joachimist. Er strahlte eine gewaltige Autorität aus. Der König Ludwig IX. von Frankreich hat ihn sehr geschätzt. Wie sein Ordensbruder Salimbene von Parma berichtet, behandelte er den Papst und die Kardinäle wie dumme Schuljungen oder Esel. In einer zu Lyon vor der Kurie gehaltenen Predigt geißelte er die bei der obersten Kirchenleitung übliche Rechtsverdrehung und Habgier; den Kardinälen schlug er bei dieser Gelegenheit vor, sie sollten sich statt »cardinales« lieber »carpinales« (Rupfer, Aussauger, Fresser, ital. sfruttatori) nennen.25 1255 ist Hugo von Digne gestorben. Im Gegensatz zu diesen Regelerklärungen, die auf radikale und kompromißlose Anhänger des franziskanischen Ideals im Orden selbst zurückgehen, haben die päpstlichen Regelerklärungen des 13. Jahrhunderts (von einer Ausnahme abgesehen) durchweg die Tendenz, an der Radikalität der ursprünglichen Armutsforderung Abstriche zu machen und der laxeren Richtung des Ordens entgegenzukommen. Innocenz IV., in seiner am 14. Juli 1245 in Lyon erlassenen Bulle »Ordinem vestrum«, macht dem Orden in der Frage des Geldgebrauchs weitere Konzessionen.26 Sein Vorgänger Gregor IX. hatte schon fünfzehn Jahre zuvor in »Quo elongati« die Institution eines Beauftragten oder Treuhänders (nuntius) verfügt, bei dem die Almosengeber und Spender das für den Orden bestimmte Geld deponieren konnten und der dann die notwendigen Geschäfte der Brüder tätigen konnte.27 Auch von dem schon in der Regel (c. 4) erwähnten »geistlichen Freund« (spiritualis amicus) war die

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Salimbene, Chronik (MGH SS 32,226–234); über Hugos Begegnung mit dem heiligen Ludwig berichtet Joinville: La Vie de Saint Louis. Le te´moignage de Jehan, seigneur de Joinville, ed. Noel L. Corbett, Sherbrooke, Que´bec 1977, 221f. (§§ 657–660). 26 Bull. Fr. 1,400–402; Gratien de Paris, Histoire, 193–199. 27 Vgl. hierzu o. Kap. VIII, bei Anm. 78. 79.

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Rede gewesen, bei dem der nuntius seinerseits für längere Zeit das für die Brüder bestimmte Geld deponieren konnte. Gregor hatte aber ausdrücklich nur vom Falle der Notwendigkeit (imminentibus necessitatibus), von notwendigen Bedürfnissen (pro ipsorum huiusmodi necessitatibus) und von notwendigerweise zu besorgenden Dingen (necessitates) gesprochen. Innocenz IV. fügt dem hinzu, daß das Geld auch zur Erleichterung, zur Beseitigung einer unangenehmen Lage, zur Bequemlichkeit der Brüder verwendet werden dürfe und daß es ihnen erlaubt sein solle, in einem solchen Fall den »geistlichen Freund« oder Geldverwalter (depositarius) selbst anzugehen.28 Das Ordenskapitel von Metz (31. Mai 1254) hat diese über »Quo elongati« hinausgehenden Bestimmungen suspendiert, desgleichen das Kapitel von Narbonne (1260).29 Die wohl wichtigste päpstliche Regelerklärung, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erlassen wurde, ist die Bulle »Exiit qui seminat«, die der Papst Nikolaus III. (Giovanni Gaetano Orsini: 1277–1280) am 14. August 1279 von seinem Sommersitz Soriano nel Cimino ausgehen ließ.30 Vorausgegangen war die zweimonatige Arbeit einer vom Papst eingesetzten Kommission aus angesehenen franziskanischen und nicht-franziskanischen Theologen und Kanonisten, darunter der Kardinalbischof von Palestrina und frühere Ordensgeneral Hieronymus von Ascoli (der spätere Papst Nikolaus IV.), der ebenfalls dem Minoriten-Orden angehörende Bentivenga, Kardinalbischof von Albano, der Protonotar Benedikt Gaetani (der spätere Papst Bonifaz VIII.) und der damals noch junge Doktor der Theologie Petrus Johannis Olivi. Man muß anerkennen, daß die vom Papst beauftragten Sachverständigen sich außerordentlich große Mühe gegeben haben, die bislang trotz allen verbindlichen Erklärungen noch immer nicht klaren und weiterhin umstrittenen Passagen der Ordensregel in bezug auf ihren tatsächlichen Aussagegehalt zu klären und in ihrem juristischen Verbindlichkeitsgrad festzulegen. Zwar konnten auch diese Erklärer und dieser Papst das prinzipielle Dilemma franziskanischer Lebensordnung nicht beseitigen, das ja vor allem darauf zurückzuführen 28 ». . . per eum loco et tempore pro ipsorum necessitatibus, vel commodis, sicut Fratres expedire viderint, dispensandam. . . Ad quos etiam Fratres pro huiusmodi necessitatibus, seu commodis sana conscientia recurrere poterunt, maxime si negligentes fuerint, vel necessitates, aut incommoda ignoraverint eorumdem. . . licet nunciis, vel depositariis ipsis committantur pro necessitate, vel commodo eorumdem« (Bull. Fr. 1,401f.). 29 Gratien de Paris, Histoire, 243. 30 Bull. Fr. 3,404–417; Seraphicae Legislationis Textus Originales, Rom 1901, 13–24; Faksimile der Originalbulle ebd. zwischen 24 und 25, auf zwei nicht paginierten Seiten; Liber Sextus Decretalium, V.12.3 (Corp. Iur. Can. ed. Friedberg, II, Leipzig 1879, 1109–1121); Anal. Fr. 3,369f.; Gratien, Histoire, 326–333; Holzapfel, Handbuch, 46–48; Norbert Richard Wolf, Die mittelalterlichen deutschen Übersetzungen der Bulle Exiit qui seminat von Papst Nikolaus III. Franc. Studies 32 (1972), 242–305.

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war, daß Franziskus seine Regel überhaupt nicht als Gesetzestext, sondern als Anleitung zum Leben nach dem Evangelium verstanden hatte. Deshalb hätte er eine Befassung von Juristen, erst recht von Kanonisten der Römischen Kurie und des Apostolischen Stuhls, mit der Auslegung des ihm von Gott geoffenbarten Textes strikt abgelehnt. Dennoch muß man sehen, daß diese Kommentatoren bestrebt waren, der strengeren Richtung im Orden entgegenzukommen. Es ist sogar anzunehmen, daß die Sympathie des Papstes Nikolaus III. und seiner Beauftragten sich im ganzen wohl eher dem genuinen Franziskanertum zuneigte. Man kann auch erkennen, daß sich die Erklärer darum bemühen, das herauszustellen, was Franziskus selbst gemeint und beabsichtigt hatte.31 Unvoreingenommen betrachtet ist »Exiit qui seminat« ein Text von außerordentlicher gedanklicher Reife, sprachlicher Klarheit und – wenn man bereit ist, einem juridischen Dokument ästhetische Qualität zuzugestehen – Schönheit. Die in Armut und Demut fest verwurzelte »Religion« der Minderbrüder ist die »gute Erde«, auf die der vom Sämann ausgestreute Samen fiel (Mt 13,8; Mk 4,8). Das Franziskanertum wird mit dem genuinen Christentum, auch hinsichtlich seines Offenbarungscharakters, in eins gesetzt. Es ist »die reine und unbefleckte Religion«, die vom Himmel kommt und von Christus in Beispiel und Wort den Aposteln übergeben und zuletzt dem heiligen Franziskus und seinen Gefährten durch den Heiligen Geist inspiriert wurde; sie bezeugt das Zentrum des christlichen Glaubens: die Trinität. Christus selbst hat sie nochmals bestätigt, indem er ihren Stifter mit den Stigmata auszeichnete.32 Die Bulle anerkennt auch die grundsätzliche Identität der Regel und des Evangeliums im Sinne des Franziskus selbst – mit anderen Worten: daß die Regel nichts anderes will als ein Leben gemäß dem Evangelium aufzuzeigen. Nikolaus III. räumt ein, daß die Erklärungen seines Vorgängers Gregor IX. über diesen Artikel (in »Quo elongati«) teils dunkel, teils unvollständig und teils ungenügend waren. Diese Mängel sollen nun ein für allemal durch Vorlage einer »perfekten Interpretation« beseitigt werden; zugleich soll die durch eine »umfassendere Auslegung« herbeigeführte Gewißheit alle noch verbliebenen Gewissensbedenken zerstreuen:33 ein bemerkenswerter Optimismus, wie man sieht, den die Zukunft allerdings als unrealistisch erweisen sollte. 31 Vgl. auch: Teodosio Lombardi, Storia del Francescanesimo, Padova 1980, 144: »Tra le varie esposizioni pontificie della Regola e` la piu` aderente allo spirito di san Francesco. . .« 32 »Haec est apud Deum et Patrem munda et immaculata Religio, quae descendens a Patre luminum per eius Filium exemplariter et verbaliter Apostolis tradita, et demum per Spiritum Sanctum beato Francisco et eum sequentibus inspirata, totius in se quasi continet testimonium Trinitatis. Haec est, cui attestante Paulo nemo de cetero debet esse molestus, quam Christus passionis suae stigmatibus confirmavit, volens institutorem ipsius passionis suae signis notabiliter insigniri« (Seraph. Legislat. 14; Corp. Iur. Can. ed. Friedberg, II,1110; Bull. Fr. 3,405a); das Paulus-Zitat: Gal 6,17.

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Die päpstliche Dekretale stellt ferner fest, daß die in der Regel geforderte absolute Besitzlosigkeit des einzelnen Ordensmitgliedes (in speciali) und der gesamten Gemeinschaft (in communi) der Lehre und dem Beispiel Christi und der ersten Gründer der kämpfenden Kirche genau entspricht. Der dagegen geäußerte Einwand, Christus habe Geldbörsen (loculos: Joh 12,6; 13,29) besessen, greift nicht: es handelt sich hierbei nämlich um einen Teil der mit der Menschwerdung notwendig verbundenen Kondeszendenz Christi. In diesem Punkt und in anderen hat der Erlöser Schwächen der menschlichen Natur angenommen, denn er wollte ja auch den Unvollkommenen den Weg des Heils zeigen.34 Was sich hier in seiner äußeren Sprachgestalt als feingesponnenes theologisch-juristisches Sophisma gibt, signalisiert, religionsgeschichtlich betrachtet, einen dramatischen Vorgang: das Franziskanertum ist dabei, den Apostolischen Stuhl zu erobern. Der Papst Nikolaus III., ein großer Liebhaber der franziskanischen Spiritualität, stellt mit höchster apostolischer Autorität fest, daß das evangelische Armutsideal bei Franziskus und seinen Gefährten in vollkommenerer Weise verwirklicht ist als bei Jesus und seinen Jüngern, wo eben nicht das reine Ideal gelebt, sondern Konzessionen an die Schwäche der menschlichen Natur gemacht wurden. Die Bulle erlaubt den Franziskanern den einfachen, lebensnotwendigen Gebrauch der Dinge (usus necessariae sustentationis; necessarius usus). Dieser einfache usus stellt auf einer von oben nach unten führenden Treppe möglicher Verhältnisse zu den zeitlichen Dingen gewissermaßen die unterste Stufe dar: Eigentum (proprietas), Besitz (possessio), Nießbrauch (ususfructus), Benutzungsrecht (ius utendi), einfacher Gebrauch (simplex facti usus). Er bringt keinerlei Rechte mit sich, sondern richtet sich allein nach den notwendigen Erfordernissen des Lebens und der im Lebenszusammenhang des Minder33 ». . licet felicis recordationis Gregorius Papa IX. praedecessor noster hunc articulum et nonnullos alios eiusdem regulae declaraverit, quia tamen eius declaratio propter aliquorum insurgentium in fratres et regulam inordinatos vel mordaces insultus, et multorum postea emergentium casuum considerandos eventus, in aliquibus obscura, in aliquibus semiplena, et in multis etiam contentis in ipsa regula insufficiens videbatur: Nos, obscuritatem ac insufficientiam huiusmodi perfectae interpretationis declaratione amovere volentes, et cuiuslibet ambiguitatis scrupulum in eisdem de singulorum mentibus plenioris expositionis certitudine amputare, dicimus. . .« (Seraph. Legislat., 15; Corp. Iur. Can. ed. Friedberg, II,1111). 34 »Nec his quisquam putet obsistere, quod interdum dicitur, Christum loculos habuisse; nam sic ipse Christus, cuius perfecta sunt opera, in suis actibus viam perfectionis exercuit, quod interdum infirmorum imperfectionibus condescendens et viam perfectionis extolleret et imperfectorum infirmas semitas non damnaret; sic infirmorum personam Christus suscepit in loculis, sic et in nonnullis aliis infirma humanae carnis assumens, prout Evangelica testatur historia, non tantum carne, sed et mente condescendit infirmis. Sic enim humanam naturam assumpsit, quod in suis operibus perfectus existens, in nostris factus humilis, in propriis permansit excelsus« (Seraph. Legislat., 16; Corp. Iur. Can., ed.c. II,1112f.).

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bruders zu erfüllenden Aufgaben. Als notwendig gilt im einzelnen, was für Lebensunterhalt, Kleidung, Kultus und Studium erforderlich ist.35 Das Eigentum (proprietas) und Besitzrecht (dominium) an allen Gebrauchsgegenständen, Büchern und beweglichen Dingen, die den Brüdern einmal geschenkt oder übertragen wurden, übernimmt der Papst, wie schon sein Vorgänger Innocenz IV., für sich selbst und die Römische Kirche, um ein für allemal rechtlich eindeutige Eigentumsverhältnisse zu schaffen. Und diese Regelung soll für ewige Zeiten Gültigkeit haben.36 Das Gleiche soll für die Klostergebäude und die übrigen Immobilien des Ordens gelten, falls es nicht einen Eigentümer gibt, der seinen Besitz den Brüdern nur zur Benutzung überlassen hat. Das Verhältnis der Brüder zum Geld möchte die Konstitution mit klareren Bestimmungen regeln, als es vorher der Fall war. Als erstes wird den Brüdern verboten, sich in irgendwelche Geldgeschäfte einzulassen. Sie dürfen aber im Falle einer ihnen gegenüber vollbrachten Leistung in Aussicht stellen, daß sie für deren Kompensation (durch einen Treuhänder oder Geldverwalter) sorgen werden, ohne damit jedoch irgendeine Verpflichtung zu übernehmen. Sie dürfen auch Spendern oder Almosengebern gegenüber Personen benennen, die als Treuhänder in Frage kommen. Das Eigentumsrecht am Geld bleibt bis zu dessen Umwandlung bei dem Geber, der es jederzeit wieder zurückrufen kann. Die Brüder haben in keinem Fall ein Recht auf das Geld, dürfen es auch niemals selbst verwalten. Sie dürfen jedoch auf die Treuhänder im Sinne einer korrekten Verwaltung der Gelder mahnend einwirken. Es ist den Brüdern auch erlaubt, bei voraussehbaren größeren Ausgaben (genannt werden als Beispiele: Schreiben von Büchern, Bau von Kirchen und Wohngebäuden, Kauf von Büchern und Stoffen in entfernten Gegenden) durch die Geldverwalter für kürzere oder längere Zeit Geld bereitstellen oder horten zu lassen. Auch in diesen Fällen erlangt der Orden keinerlei Zugriffsrecht auf das Geld: solange es noch vorhanden ist, verbleibt es im Besitz des Spenders, der es wieder zurückfordern kann. Wenn von dem für einen bestimmten, für notwendig erachteten Zweck vorgesehenen Geld etwas übrig bleibt, so muß bei dem Spender nachgefragt werden, ob dieser Rest für einen anderen Zweck 35 »Ex quibus omnibus satis claret ex Regula, ad victum, vestitum, divinum cultum et sapientiale studium, necessarium rerum usum Fratribus esse concessum« (Seraph. Legislat., 17). 36 ». . ne talium rerum sub incerto videatur esse dominium . . . omnium utensilium et librorum ac eorum mobilium praesentium et futurorum, quae et quorum usum, facti scilicet, Ordini vel fratribus ipsis licet habere, proprietatem et dominium, quod etiam felicis recordationis Innocentius Papa IV praedecessor Noster fecisse dignoscitur, in Nos et Romanam Ecclesiam apostolica auctoritate recepimus et ad nos et ipsam Ecclesiam plene et libere pertinere hac presenti constitutione in perpetuum valitura sancimus« (ebd. 17f.).

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verwendet werden könne. Ist das nicht der Fall, so muß die verbleibende Summe zurückerstattet werden. Nikolaus III. ist der Meinung, daß mit diesen Bestimmungen eine effektive und endgültige Trennung der Minderbrüder vom Geld im Sinne der Bestimmung der Ordensregel (c. 4) vollzogen ist: »Die Brüder dürfen in gar keiner Weise weder selbst noch mittels anderer Personen Geld in irgendeiner Form (denarios vel pecuniam) in Empfang nehmen.«37 Für diese wie für die weiteren Bestimmungen der Konstitution »Exiit qui seminat« ist eine Gültigkeit für alle Zeiten vorgesehen. Denen, die den Versuch machen sollten, an der Bulle herumzudeuteln, um sie in ihrem eigenen Sinn zu interpretieren, werden die schwersten Kirchenstrafen (Exkommunikation und Absetzung vom kirchlichen Amt) angedroht. Vor allem den öffentlich lehrenden Doktoren und Lektoren, sollten sie es je wagen, zu der Konstitution aufweichende Kommentare zu publizieren, wird die »Strenge der Apostolischen Rache« in Aussicht gestellt.38 Auf diesen »Ewigkeitscharakter«, als dessen Garanten in den Schlußsätzen der Bulle Gott selbst und die Apostel Petrus und Paulus angerufen werden,39 beriefen sich später die Spiritualen und Zelanti: sie waren der Meinung, was einmal durch einen Papst in dieser Weise sanktioniert worden sei, habe in der Tat für alle und ewige Zeiten Gültigkeit. Wie Brian Tierney gezeigt hat, liegt hier einer der ersten Ursprünge des späteren Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit.40 Petrus 37 »Ad maiorem autem praedictorum omnium claritatem hac in perpetuum valitura provisionis serie declaramus, quod Fratres praefatis modis, ut praedicitur, circa pecuniam in supportandis eorum praeteritis et ingruentibus necessitatibus observatis, non intelliguntur nec dici possunt per se vel per interpositam personam pecuniam recipere contra Regulam vel professionis sui Ordinis puritatem, cum manifeste pateat ex praemissis ipsos Fratres non solum a receptione, proprietate, dominio sive usu ipsius pecuniae, verum etiam a contractione qualibet ipsius ab ea penitus alienos« (ebd. 20). 38 »Insuper tam istos, contra quos per Nos excommunicationis est prolata sententia, quam alios, si qui fuerint, contra praemissa vel eorum aliquod venientes, ad Nostram et Sedis memoratae volumus deduci notitiam, ut quos provisus modus aequitatis non arcet a vetitis, compescat rigor Apostolicae ultionis« (ebd. 24). 39 »Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam Nostrae declarationis, ordinationis, concessionis, dispositionis, suppletionis, approbationis, confirmationis et constitutionis infringere vel ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attentare praesumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli Apostolorum eius se noverit incursurum« (ebd.). 40 B. Tierney, Origins of Papal Infallibility 1150–1350. A Study on the Concepts of Infallibility, Sovereignty and Tradition in the Middle Ages (Studies in the History of Christian Thought, 6), Leiden 1972, 92–130. »To attribute infallibility to the papacy is so limit the sovereignty of each individual pope. The canonists perceived this and so did Olivi. . . The canonists wanted to maintain the maximum freedom of maneuver for the papacy in the face of the ever-changing needs of the church so they emphasized the very broad discretionary authority of the pope as supreme judge and legislator. Olivi wanted to diminish the capacity of future occupants of the Roman see to injure the church so he insisted on the infallibility – and consequent irreformability – of doctrinal

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Johannis Olivi, der diese Lehrmeinung als erster formuliert hat, und seine Anhänger postulierten damit, daß der gegenwärtig amtierende Papst nicht willkürlich seine eigenen Lehren für die Kirche verbindlich machen kann, sondern daß er an die (unfehlbaren und irreversiblen) Entscheidungen seiner Vorgänger gebunden ist. Angriffe gegen den Orden In dem Maße wie die geistliche und politische Bedeutung des MinoritenOrdens wuchs, nahm auch der Widerstand kirchlicher Kreise gegen ihn zu. Die durch päpstliche Privilegien garantierte Sonderstellung des Ordens, die diesen weitgehend aus der normal gültigen Jurisdiktion herausnahm, war den Bischöfen und Äbten ein Dorn im Auge. Aber auch der über das übliche kirchliche Christentum hinausgehende heilsgeschichtliche Anspruch des Franziskanertums, der sich von der Stigmatisation des Ordensgründers und dem Armutsideal herleitete, stieß bei vielen gebildeten Angehörigen des Klerus auf Ablehnung. Schon Ende August 1231 sieht sich Gregor IX. genötigt, in mehreren Schreiben gleichen Inhalts an kirchliche Würdenträger, darunter den gesamten Hochklerus Frankreichs sowie die Erzbischöfe von Köln und Magdeburg und den Bischof von Würzburg, den Orden vor der Habgier und Zudringlichkeit der Prälaten in Schutz zu nehmen.41 Bischöfe und andere Prälaten erheben den Anspruch, die Beicht der Minderbrüder zu hören, ihnen Bußen zuzuweisen und die Eucharistie zu spenden; sie wollen nicht dulden, daß der Leib Christi in den Kirchen des Ordens aufbewahrt wird; auch nötigen die Prälaten die Brüder dazu, sich bei ihren Kirchen und nicht auf den eigenen Begräbnisplätzen des Ordens beerdigen zu lassen, und wollen selbst deren Exequien zelebrieren (natürlich um dafür abzukassieren). Der Papst zählt noch eine ganze Menge weiterer Schikanen auf, mit denen die hohe Geistlichkeit die Franziskaner plagt, vor allem die verschiedenartigen und beständigen Versuche, denselben Geld abzupressen. Für den Fall, daß derartige Mißstände nicht abgestellt werden, droht er kirchliche Strafen und weitere nicht näher bezeichnete Maßnahmen an. decisions already established by preceding popes. The new theory of papal infallibility was designed to limit the power of future popes, not to loose them from all restreints« (ebd. 130). Wenngleich Tierneys Buch eine Kontroverse ausgelöst hat und insbesondere von Remigius Bäumer heftig angegriffen wurde, ist diese Feststellung doch wohl unbestreitbar. Vgl. R. Bäumer, Um die Anfänge der päpstlichen Unfehlbarkeitslehre. Theol. Rev. 69 (1973), 411–450; B. Tierney, On the History of Papal Infallibility. A Discussion with Remigius Bäumer. Theol. Rev. 70 (1974), 185–193; R. Bäumer, Antwort an Tierney, ebd. 193–196. 41 »Nimis iniqua« (21.8.1231); »Nimis prava« (22.8.); »Nimis iniqua« (22.8.; 28.8.1231): Bull. Fr. 1,74–77.

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Ein paar Jahre später, Ende März 1237, richtet Gregor IX. ein überaus scharfes Schreiben an den Bischof Friedrich von Olmütz.42 Diesmal geht es um die heilsgeschichtliche Bedeutung und den Kult des Franziskus. Der Bischof hatte es gewagt, einen offenen Brief an alle Gläubigen zu richten und so, nach dem Urteil des Papstes, die Zeichen seiner Anmaßung »bis an die Grenzen des Erdkreises« auszubreiten. In dem Brief war u.a. ausgeführt: allein der Sohn des ewigen Vaters sei zum Heil der Menschen gekreuzigt worden; innerhalb der christlichen Religion dürfe man deshalb nur seine Wunden anbeten; deshalb dürfe weder der heilige Franziskus noch sonst ein Heiliger mit den Stigmata in der Kirche Gottes bildlich dargestellt werden; wer das Gegenteil verkündet, sündige, und man dürfe ihm als einem Feinde des Glaubens keinerlei Glaubwürdigkeit zubilligen. Der Papst hält dem die offenkundige Wahrheit und Tatsächlichkeit der Stigmata entgegen: Gott, der in seiner Weisheit den Menschen aus Erde geformt hat und ihm durch das Geheimnis der Inkarnation ähnlich wurde, um ihn vom Tode zu erlösen, hat seinen geliebten Heiligen Franziskus mit dem Abbild seiner Stigmata ausgezeichnet. (Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, daß hier die Stigmatisierung des Franziskus durch den Papst unter die großen Heilstaten Gottes eingereiht wird; der Bestreiter hiervon wird als Gotteslästerer eingestuft!) Das Leben des Franziskus war von seinem Eintritt in den Orden an eine beständige Kreuzigung; seine Stigmatisierung haben glaubwürdige Zeugen versichert, und die Mutter Kirche hat sich dem angeschlossen; ja die Stigmatisierung des Franziskus war sogar ein besonderer Grund für dessen Heiligsprechung.43 In einem gleichzeitig an die Oberen eines Ordens in Mähren gerichteten Schreiben44 sagt Gregor IX. dasselbe von sich persönlich: für ihn selbst war das Wunder der Stigmata der entscheidende Grund, Franziskus heiligzusprechen.45 Ein gewisser Bruder Evechardus, so der Papst, hatte sich von einem Prediger in einen Gotteslästerer verwandelt (de praedicante transiens in blasphemum), indem er die Tatsache der Stigmata überhaupt bestrittten hatte. Die Franzis42

»Usque ad terminos« vom 31.3.1237 aus Viterbo (Bull. Fr. 1,211f.). »De stigmatibus vero plures fidei dignissimi, quos miraculi tanti conscios divinae placuit reddere potestati, testimonium veritati perhibeant; et ad ipsum hoc fidelis mater Ecclesia suffragetur, quae ex huiusmodi miraculo cum multis aliis debita solemnitate probato, causam specialem habuit, quod eumdem Sanctum Beatorum catalogo reverenter adscripsit« (ebd. 212a). 44 »Non minus dolentes« vom 31.3.1237 (Bull. Fr. 1,213). Aus dem Inhalt des Briefes geht hervor, daß es sich nicht um den Minoriten-Orden gehandelt haben kann. Mit den »Dilectis filiis Prioribus et Provincialibus Ordinis. . .« werden dann wohl die Oberen des Predigerordens gemeint sein. 45 ». . nec Nobis, qui ex tanto miraculo, cum ceteris solemniter probato, causam specialem habuimus, quod ipsum adscripsimus Catalogo Beatorum, deferendo« (ebd. 213a). 43

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kaner, die für die Echtheit der Stigmata ihres Ordensgründers eintraten, hatte er als Geldeintreiber und falsche Prediger bezeichnet. Die Oberen des betreffenden Bruders werden vom Papst angewiesen, ihn vom Predigeramt zu suspendieren und zu ihm zu schicken, wo er nach Gebühr empfangen werde (!). Im Falle des Bischofs von Olmütz hatte Gregor von einer persönlichen Vorladung abgesehen und ihm nur eine Änderung seines Vorgehens und seiner Gesinnung und darüber hinaus den Glauben an die Stigmata des Franziskus befohlen. (Ein mittelalterlicher Papst konnte so etwas noch). Schließlich wendet sich Gregor in der gleichen Angelegenheit mit dem Schreiben »Confessor Domini« vom 4. April 1237 an die gesamte Christenheit.46 Er setzt voraus, daß die Kenntnis über das verdienstvolle Leben des verherrlichten Bekenners bereits fast zu allen einzelnen Gläubigen gelangt ist. Einschärfen möchte er der Gesamtheit der Gläubigen noch »das große und einzigartige Wunder« der Stigmata. Die Tatsache der fünf Wunden des Franziskus sei durch glaubwürdige Augenzeugen einwandfrei bezeugt und sei für ihn selbst das entscheidende Motiv gewesen, den Bekenner in das Verzeichnis der Heiligen aufzunehmen. Abschließend bringt der Papst seinen Wunsch zum Ausdruck, daß alle Gläubigen fest an die Tatsache der Stigmata glauben und jeder gegenteiligen Versicherung ihre Ohren verschließen möchten. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts hatten die Minoriten, und mit ihnen der andere Bettelorden, die Dominikaner, den wohl schwersten innerkirchlichen Angriff zu bestehen. Es ging darum, ob das von den Bettelorden vertretene Lebensideal mit der Lehre des Evangeliums vereinbar sei oder im eklatanten Widerspruch dazu stehe und folglich nicht mehr »christlich« sei. Der Angriff kam aus der Mitte des Lehrkörpers der Universität Paris.47 Der große Erfolg, den die den Bettelorden angehörenden Professoren bei den Studenten hatten, erregte den Neid der Professoren aus dem Weltklerus. Eine große Rolle spielten auch die apokalyptischen Strömungen der Epoche und der Streit um das rechtgläubige Verständnis des Weltendes. Denn daß man in der Endzeit lebe, war allgemein verbreitetes Zeitbewußtsein. Die Minoriten waren in den Verdacht der Häresie geraten, weil nicht wenige von ihnen Anhänger apokalyptischer Spekulationen waren, wie sie in den exegetischen Schriften des Abtes Joachim von Fiore enthalten waren oder aus ihnen herausgelesen wurden. Weit verbreitet war die »Einführung zum ewigen Evangelium« (Liber introductorius ad Evangelium aeternum) des Bruders Gerhard von Borgo San Donnino, seinerseits ein Kommentar zu den drei Hauptwerken Joachims. In dem von Joachim prophezeiten »Engel des sechsten Siegels« (Apoc 7,2) und Verkünder des ewigen und definitiven Evangeliums sah Ger46

Bull. Fr. 1,214. Über die Auseinandersetzung im einzelnen: Gratien de Paris, Histoire, 205–215; Nicolosi, Francescanesimo (o. Anm. 23), 39–56. 47

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hard niemand anderen als seinen Ordensstifter Franziskus, eine Sicht, die dann auch so orthodoxe Mitglieder des Ordens wie Bonaventura, Bernardin von Siena und Bartholomäus von Pisa übernahmen. Doch für die Gegner der Minoriten aus dem Weltklerus um das Jahr 1250 war diese Vorstellung nur eine der von den Bettelorden verbreiteten Häresien. Hauptsächlicher Wortführer in Paris war Wilhelm von Saint-Amour († 1271). Er wandte sich vor allem auch dagegen, daß gesunde und arbeitsfähige Menschen hauptsächlich vom Bettel lebten und das auch noch für evangeliumsgemäß ausgaben. In der Tat wird hier der empfindliche Nerv des minoritischen Lebensprinzips getroffen. Auch den Franziskanern durchaus wohlgesonnene Theologen, wie der Bischof Robert Grosseteste von Lincoln, waren imstande, ihren Finger auf diese Wunde zu legen. Thomas von Eccleston überliefert eine Erzählung Bruder Wilhelms von Nottingham, der von 1240 bis 1254 Minister der englischen Ordensprovinz war: der Bischof von Lincoln habe einmal auf einem Kapitel über die Armut gepredigt, wobei er der Bettel-Armut (mendicitas) den höchsten Rang für die Erlangung himmlischer Güter zugesprochen habe. Danach aber habe er ihm, Wilhelm, unter vier Augen gesagt, daß es noch einen höheren Grad vollkommenen Lebens gebe, nämlich das Leben von eigener Arbeit. Nach Meinung des Bischofs hätten die Beginen (also nicht die Minoriten!) die vollkommenste und heiligste Religionsgemeinschaft, weil sie von ihrer eigenen Arbeit lebten und ihren Mitmenschen nicht durch unverschämten Bettel zur Last fielen.48 Es zeugt von großer Distanz und Nüchternheit, daß ein franziskanischer Geschichtsschreiber diesen für seinen Orden ja keineswegs schmeichelhaften Passus überliefert hat. Um auf die Angriffe des Pariser Magisters Wilhelm von St.-Amour gegen die Bettelorden zurückzukommen: sie verfehlten nicht ihren Eindruck auf den Papst Innocenz IV., zumal Wilhelm persönlich bei der Kurie vorstellig geworden zu sein scheint. Innocenz, der einmal ein großer Freund und Gönner der Minoriten gewesen war, wurde nun deren erbittertster Gegner. Seine neue Haltung ihnen gegenüber ist in der Bulle »Etsi animarum« (22. November 1254) dokumentiert: er entzieht dort den Minoriten, aber auch den Dominikanern, fast alle Privilegien, die seine Vorgänger und er selbst den Bettelorden gewährt hatten.49 Bei den Brüdern, die es bisher gewohnt waren, von der 48

»Dixit autem dictus frater Willelmus, aliquando quod cum dominus Lincolniensis sanctae memoriae, tunc temporis actu legens apud fratres minores Oxoniae, praedicasset in capitulo fratrum de paupertate, et mendicitatem posuisset in scala paupertatis proximum gradum ad amplexum coelestium, seorsum tamen dixit ei, quod adhuc fuit quidam gradus superior, scilicet vivere ex proprio labore: unde dixit quod Beginae sunt perfectissimae et sanctissimae religionis, quia vivunt propriis laboribus et non onerant exactionibus mundum« (Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. XV; ed. Little, 98f.). 49 Text der Bulle »Etsi animarum« in: Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. H. Denifle, A. Chatelain, T. I, Paris 1889, 267–270 (Nr. 240); vgl. auch Gratien,

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Römischen Kurie nichts anderes als Gunsterweise und immer weiter gehende Privilegien zu erhalten, löste dieses päpstliche Schreiben einen tiefen Schock aus. Indes starb Innocenz IV. schon am 7. Dezember 1254, und Salimbene de Adam hat es nicht versäumt, den erbärmlichen Tod des Papstes als Gottesstrafe für seine plötzliche Gegnerschaft zu den Bettelorden zu schildern.50 Der Nachfolger Alexander IV. (Rainald von Segni), der bereits fünf Tage später (12. Dezember) gewählt wurde, war den Minoriten äußerst wohlgesonnen. Das Amt des Protektors, das er als Kardinal innegehabt hatte, behielt er als Papst bei. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Annullierung des letzten Dekretes seines Vorgängers gegen den Franziskaner-Orden.51 Der hohe Rang, den Franziskus und seine Anhänger der Armut zuschrieben, und ihre Identifizierung mit dem evangelischen Leben und der Nachfolge Christi schlechthin fand aber sogar Widerstand bei dem anderen Bettelorden, den Dominikanern, wie es der kühle, aber gezielte Angriff des Thomas von Aquin in seiner Summa theologica zeigt. Nach Thomas besteht die Vollkommenheit des christlichen Lebens »nicht wesentlich in der Armut, sondern in der Nachfolge Christi.«52 Mit den Worten des Herrn (Mt 19,21): »Wenn du vollkommen sein willst, gehe hin und verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen«, wird gewissermaßen der Weg zur Vollkommenheit gezeigt; worin die Vollkommenheit selbst besteht, sagt dann die Fortsetzung: »und folge mir nach.«53 Nach Thomas ist auch der Auftrag Christi an die Apostel, zur Predigt ohne Tasche, Stab usw. aufzubrechen (den Franziskus als verbindliche Weisung für sein Leben aufgefaßt hatte), nicht als Gebot, sondern als Erlaubnis zu verstehen: die Apostel können das für ihren Lebensunterhalt Notwendige von den Hörern ihrer Predigt fordern, müssen es aber nicht. Wer dagegen selbst für seinen Lebensunterhalt sorgt, sündigt nicht nur nicht, sondern lebt sogar verdienstvoller und vollkommener, so wie es auch Paulus getan hat (1 Kor 9,4–15).54 Sind dies nur Nadelstiche, die die Schriftgemäßheit des franziskanisch verstandenen Armutsideals in Frage stellen sollen, so hält Thomas auch noch einen Keulenschlag bereit:55 Histoire, 211. Über eine persönliche Vorsprache Wilhelms von St.-Amour und weiterer Pariser Magister an der Römischen Kurie berichten Richer von Sens (MGH SS 25,328) und Matthäus von Paris (MGH SS 28,363). 50 Salimbene, Chronik (MGH SS 32,419f.): »Quod papa Innocentius quartus a Deo fuit percussus, pro eo quod contra fratres Minores et Predicatores insurrexit.« 51 »Nec insolitum« vom 22.12.1254: Bull. Fr. 2,3f. 52 »Perfectio non consistit essentialiter in paupertate, sed in Christi sequela« (S.th. IIa IIe, q. 188, ar. 7). 53 ». . dicendum, quod in illis verbis Domini aliquid ponitur quasi via ad perfectionem, hoc scilicet, quod dicitur: ›Vade et vende omnia quae habes et da pauperibus‹; aliud autem subditur in quo perfectio consistit, scilicet quod dicit: ›et sequere me‹« (ebd. q. 184, ar. 3, ad 1). 54 S.th. Ia IIe, q. 108, ar. 2, ad 3. 55 S.th. IIa IIe, q. 185, ar. 6, ad 1.

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Die Vollkommenheit des christlichen Lebens besteht nicht wesentlich in der freiwilligen Armut, sondern die freiwillige Armut wirkt als Mittel zur Erreichung eines vollkommenen Lebens. Deshalb muß nicht da, wo die größere Armut ist, auch die größere Vollkommenheit sein. Vielmehr kann die höchste Vollkommenheit zusammen mit großem Reichtum existieren. Denn Abraham, dem Gen 17 gesagt wurde: »Wandle vor mir und sei vollkommen«, war, wie zu lesen ist, reich.

3. Von Antonius zu Ockham: Die franziskanische Theologie im ersten Jahrhundert der Bewegung Wissenschaft, auch die heilige Theologie, steht im Widerspruch zu einem der Grundideale des Franziskus, der heiligen Einfalt (sancta simplicitas), »welche die griechischen Ehren nicht für die allerbesten hält, sondern dem Tun den Vorzug gibt vor dem Lernen und Lehren.«56 In der Verwirrung der kommenden Zeiten, die er in seinen apokalyptischen Ahnungen heraufdämmern sah, seien die Brüder, so glaubte er, mit inneren Werten (Tugenden) besser ausgerüstet als mit Büchern; diese seien in den endzeitlichen Umwälzungen zu gar nichts nütze, würden zum Fenster hinausgeworfen und in der Versenkung verschwinden.57 In der Folgezeit wurden Italien und das übrige Europa zwar von großen kriegerischen Wirren heimgesucht, aber das Weltende ließ auf sich warten. Der Orden etablierte sich in festen Verhältnissen, und so wie die materielle Armut nur noch in der Gesetzgebung, auf dem Papier, existierte, so wurde auch die geistige Armut zur bloßen Fiktion. De facto waren die Minoriten dreißig Jahre nach dem Tode des Stifters innerhalb der Christenheit zu einer wissenschaftlichen Großmacht geworden. Merkwürdigerweise gehen auch die Anfänge dieser Entwicklung auf Franziskus selbst zurück. Von allem Anfang an hatte er gelehrte Männer – Juristen, wie Petrus Catanii, Bernhard von Quintavalle, Elias von Cortona und Johannes Parens, und Theologen, wie Thomas von Celano und Antonius (von Padua) – in seine Bruderschaft aufgenommen. Wohl auf Bitten des Antonius hat er dann auch eine theologische Ausbildung innerhalb des Ordens gutgeheißen.58 In seinem Testament hat der den Brüdern den Respekt vor den Theologen als Vermittlern der heiligen Gottesworte und damit von Geist und Leben ans Herz gelegt.59 Teodosio Lombardi hat Leben und Werk von insgesamt 41 bedeutenden franziskanischen Lehrern der Theologie gewürdigt, die zwischen 1230 und 56 57 58 59

II Cel 189 (Anal. Fr. 10,238). II Cel 195 (ebd. 242). Epistola ad S. Antonium Esser, Opuscula, 147–154); s.o. V. Kap., bei Anm. 58! Test. 13 (Esser, Opuscula, 439); o. V. Kap., bei Anm. 59.

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1370 wirkten.60 Es ist hier nicht möglich, auf sie alle im einzelnen einzugehen, auch nicht, die franziskanische Theologie des 13. Jahrhunderts umfassend zu behandeln. Wir wollen nur in wenigen Stichworten die Bedeutung der Theologie innerhalb der Bewegung skizzieren. Es waren vor allem die Universitätsstädte Paris und Oxford, die schon in den zwanziger Jahren eine mächtige Anziehung auf die Minoriten ausübten. Nach Paris kamen die ersten Franziskaner wahrscheinlich 1219. Unter den Angehörigen der Universität gewannen sie alsbald großen Anhang. Am Karfreitag eines nicht bekannten Jahres traten vier Doktoren der Universität, darunter Haymo von Faversham (der spätere Ordensgeneral: 1240–1244), der schon Priester und ein bedeutender Prediger war, und Simon von Sandwich in St.-Denis in den Orden ein.61 1236 schloß sich Alexander von Hales, Professor an der Pariser Universität und Erzdiakon von Coventry, den Minoriten an.62 Er war schon vorgerückten Alters und zog sich 1238 zugunsten seines Schülers Johannes de Rupella (La Rochelle) zurück, der wie sein Lehrer Franziskaner geworden war.63 Ihnen folgten Odo Rigaldi (Eudes Rigaud), später Erzbischof von Rouen (†1275), und Wilhelm von Melitona. Nach diesen waren die späteren Generalminister Johannes von Parma und Bonaventura von Bagnoregio Magister in Paris. In Oxford kamen die Minoriten 1224 an. 1229 hatten sie dort schon eine eigene Schule. Auch hier schlossen sich alsbald bedeutende Magister der Universität dem Orden an. Thomas von Eccleston nennt namentlich Walter von Bourgh, Richard Normannus, die Brüder Vincenz und Heinrich von Coventry, Adam Rufus, Adam von Marsh, Wilhelm von York, Richard Rufus und andere.64 Der Provinzialminister von England, Agnellus von Pisa, bat den berühmten Magister Robert Grosseteste, der nicht Ordensmitglied war, die Leitung der franziskanischen Schule zu übernehmen. Grosseteste hatte das Amt von 1229 bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Lincoln 1235 inne. Ihm folgten weitere Magister aus dem Weltklerus; erst 1247 übernahm zum ersten Mal ein Minorit, Adam von Marsh, der Schüler Grossetestes, das Amt des 60

Lombardi, Storia (o. Anm. 31), 163–199. Thomas von Eccleston, De adventu, Coll. VI (ed. Little, 27f.) 62 Alexanders Hauptwerk ist seine theologische Summe: Alexandri de Hales Summa theologica. Studio PP. Collegii S. Bonaventurae, 4 Bde., Quaracchi 1924–1948; das Werk war im Mittelalter sehr verbreitet und liegt in mehreren Frühdrucken vor, darunter Nürnberg 1482. 1516; Pavia 1489. Die Patres von S. Bonaventura bei Florenz haben außerdem herausgegeben: Alexandri de Hales Glossa in quatuor libros Sententiarum Petri Lombardi, 4 Bde. (Bibl. Franc. Schol. Medii Aevi, 12. 13. 14. 15), Quaracchi 1951–1957; Alexandri de Hales Quaestiones disputatae »Antequam esset frater«, 3 Bde. (Bibl. Franc. Schol. M.A., 19. 20. 21), Quaracchi 1960. 63 Über das Verhältnis der beiden zueinander vgl. Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,219. 247). 64 Eccleston, De adventu, Coll. III (ed. Little, 15–18). 61

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Magister regens. Bis in die siebziger Jahre waren weitere bedeutende Theologen, wie Thomas von York, Richard Rufus von Cornwall, Johann Peckham an der Schule der Minoriten zu Oxford tätig. Während des Generalats des heiligen Bonaventura (1257–1274) verlagerte sich der Schwerpunkt des Ordens, nicht allein in bezug auf die Wissenschaft, vollends nach Paris. Von dort aus wurde die gesamte Bewegung regiert, von dort aus ihre Entwicklung gesteuert. Die kirchen- und ordenspolitische Wirksamkeit Bonaventuras wird von der franziskanischen Geschichtsschreibung bis in die neueste Zeit überwiegend positiv beurteilt. Vielen Historikern gilt er gar als der »zweite Gründer« des Minoriten-Ordens.65 Es wird dem Leser nicht entgangen sein, daß ich diese Beurteilung nicht teile, und das vor allem aus zwei Gründen: mit der Vernichtung der älteren Quellen zum Leben des Franziskus und der Erhebung der von ihm verfaßten Legenda maior zur einzigen offiziellen Biographie hat Bonaventura entscheidend zur Verkirchlichung und damit auch zur (bis in die Gegenwart wirksamen) Verfälschung des Franziskus-Bildes beigetragen; durch seine aktive Beteiligung in richterlicher Funktion an dem Glaubensprozeß gegen seinen Vorgänger Johannes von Parma (1247–1257) hat er sich unter die Zerstörer des ursprünglichen franziskanischen Ideals eingereiht. Beide Vorgänge werfen übrigens auch auf seinen Charakter ein nicht eben günstiges Licht. Auch die überlebenden Wächter über den franziskanischen Geist der Gründerjahre hatten zu Bonaventura eine kritische Einstellung. Bruder Ägidius stellte ihm einmal die Fangfrage: »Kann ein einfältiger, ungebildeter Mensch Gott ebenso sehr lieben wie ein Gebildeter?« Als der Generalminister antwortete: »Das kann ein altes Frauchen sogar noch mehr als ein Theologieprofessor«, ging Ägidius in den Klostergarten und schrie zur Stadt hin: »Armes altes Weib, einfältig und ungebildet, liebe den Herrgott, und du kannst größer sein als Bruder Bonaventura!«66 Oft rief er in der Erregung seines Geistes aus: »Paris, Paris, warum zerstörst du den Orden des heiligen Franziskus?«67 Mit »Paris« ist die Wissenschaft im Orden gemeint, die von Bonaventura in jeder Hinsicht gefördert wurde. Die Actus-Fioretti enthalten Informationen über Bruder Jakob von Massa, der ein begabter Visionär war und im Zustand der Entrückung von Gott vor allem Offenbarungen über die Zukunft des Ordens erhielt.68 Ausführlich erVgl. z.B. die umfassende Würdigung bei Gratien de Paris, Histoire, 247–320. Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,101). Ebd. 86; vgl. o. Kap. IV, bei Anm. 66. Die Kritik an »Paris« setzt sich bei den Spiritualen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts fort; vgl. Jacopone da Todi, Laude, 31: »Mal vedemmo Parisi, c’hane destrutto Ascisi: co la lor lettorı`a messo l’o` en mala via« (Iacopone da Todi, Laudi. Trattato e detti, ed. Franca Ageno, Firenze 1953, 113; Poeti del Duecento, ed. Gianfranco Contini, Milano-Napoli 1960, II,146). 65 66 67

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zählt wird die Vision Jakobs von einem großen, schönen Baum, Symbol des Minoriten-Ordens: die Brüder sind als Früchte des Baumes dargestellt. Ganz oben auf dem obersten Zweig der Baumspitze steht Bruder Johannes von Parma. Angesichts der den treuen Brüdern vonseiten Satans drohenden Gefahr wird Franziskus mit zwei Engeln von Christus ausgesandt, um sie aus einem Kelch mit dem »Geist des Lebens« zu stärken. Johannes von Parma erhält den vollen Kelch, den er in Eile ganz leertrinkt. Vom Geist göttlichen Lebens erfüllt, beginnt er wie die Sonne zu strahlen; ebenso alle anderen Brüder, die den Kelch bis zur Neige austrinken. Es gibt auch Brüder, die den Inhalt des Kelches verschütten: sie werden in die Finsternis gestürzt und in dämonenähnliche Scheusale verwandelt. Wieder anderen gelingt es nur einen Teil des Lebensgeistes zu trinken: je nach der aufgenommenen Menge ziehen sie Licht oder Finsternis an. Als ein Sturm gegen den Baum heraufzieht, verbirgt sich Bruder Johannes von Parma an einem sicheren Ort in der Nähe des Stammes. An die von ihm verlassene Spitze des Baumes steigt nun Bruder Bonaventura, der vorher nur einen Teil des Kelchinhaltes getrunken und einen Teil verschüttet hatte. Ihm werden eiserne, rasiermesserscharfe Krallen gegeben, mit denen er gegen Johannes zum Angriff vorgeht. Auf dessen Hilfeschreie ruft Christus den heiligen Franziskus und gibt ihm einen scharfen Feuerstein, um dem Bonaventura die Krallen zu beschneiden. Was dann auch geschieht. Johannes von Parma, noch immer wie die Sonne strahlend, nimmt seinen Platz auf dem Gipfel des Baumes wieder ein. Danach bricht erneut ein Sturm los. Die Brüder, die den Geist des Lebens ausgegossen hatten, fallen von dem Baum herab. Johannes und die anderen, die den Kelch ausgetrunken hatten, werden in das Land des Lebens versetzt. Was mit Bonaventura und seinesgleichen geschieht, wird nicht gesagt. Und dieses Schweigen ist ein beredtes Schweigen, eine »verdeckte Mitteilung« für den, der lesen kann und verstehen will. Natürlich wird man der Persönlichkeit Bonaventuras nicht ganz gerecht, wenn man ihn ausschließlich aus der Perspektive des ursprünglichen franziskanischen Geistes beurteilt. Unter den systematischen Theologen der Hochscholastik gehört er unbestritten zu den größten. Sein Sentenzen-Kommentar, der die ersten vier Bände der modernen zehnbändigen Gesamtausgabe seiner Werke ausfüllt, ist eine von den gewaltigen, umfassenden »Summen« (Gesamtdarstellungen) der Theologie, die um diese Zeit entstanden.69 Der zweite 68 Actus, c. 64; Fioretti, c. 48 (ed. Cambell, 558–571; FF 1888f.); die Vision findet sich auch in der Historia VII tribulationum des Angelus Clarenus: Franz Ehrle, Die ›historia septem tribulationum ordinis minorum‹ des fr. Angelus de Clarino. Arch. für Lit. u. Kirchengesch. 2,249–336; ebd. 280f. 69 Doctoris Seraphici S. Bonaventurae Opera omnia, 10 Bde., Quaracchi 1882–1902; zum theologischen Weltbild Bonaventuras: Joseph Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, München und Zürich 1959.

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große Komplex seines Werkes sind die Bibelkommentare, unter denen die Auslegungen des Johannes-Evangeliums und des Lukas-Evangeliums herausragen. Von vielen besonders geschätzt werden seine mystisch-theologischen Schriften, darunter das Itinerarium mentis in Deum, das er, wie er selbst im Prolog schreibt, im Jahre 1259 auf dem Berg Alverna verfaßt hat. In dem gleichen Prolog bezeichnet er sich als siebenten Inhaber des Amtes des Generalministers nach Franziskus (das erste Generalat des Elias wird also offziell schon nicht mehr gezählt!), und er behauptet dort, er habe auf dem Berg das gleiche Wunder erlebt wie Franziskus, nämlich die Vision des geflügelten Seraphen, der wie ein Gekreuzigter aussah.70 Im Geiste franziskanischer Passions- und Kreuzes-Meditation sind auch die kleinen Werke Lignum vitae und Vitis mystica seu Tractatus de passione Domini geschrieben, ebenso der Hymnus Recordare sanctae crucis, dessen Echtheit allerdings nicht zweifelsfrei feststeht. Schließlich ist von Bonaventura auch ein umfangreiches Predigtwerk überliefert, das Zeugnis gibt von seinen seelsorgerlichen Bemühungen um die Mitglieder des Ordens. Von ganz anderem geistigem Zuschnitt als Bonaventura war sein Zeitgenosse Roger Bacon (ca. 1210/1214 – ca. 1292).71 In Oxford war er Schüler von Robert Grosseteste gewesen. Von 1244 bis 1252 hielt er sich in Paris auf, wo er auch in den Minoriten-Orden eintrat. Nach Oxford zurückgekehrt, verfaßte er zwischen 1266 und 1268 das Opus maius, ein enzyklopädisches Werk, in dem philosophische, theologische, philologische, mathematische, physikalische, astronomische und ethische Fragen behandelt sind. Bacon erwarb auch die Kenntnis der griechischen und der hebräischen Sprache, was im Bereich der lateinischen Kirche damals eine große Seltenheit war. Er erfreute sich der Protektion des Papstes Clemens IV. (Guido Foulques Le Gros: 1265–1268), den er während dessen Legation in England kennengelernt hatte und der für seine wissenschaftliche Arbeit großes Interesse hatte. Ob er der Verfasser des Speculum astronomiae (überliefert unter den Werken Alberts des Großen) ist und deswegen mit der Ordensleitung in Konflikt geriet, ist nicht erwiesen; ebensowenig, ob er tatsächlich in den Klosterkerker gesperrt wurde. Bacon ist der erste in einer langen Reihe kritisch-nüchterner englischer Franziskaner von profunder und umfassender Gelehrsamkeit. Die Erfahrung war für ihn das maßgebliche methodische Prinzip der Wissenschaft. Der vielleicht bedeutendste Franziskaner-Gelehrte der klassischen Zeit ist Johannes Duns Scotus (1266–1308). Er lehrte in Oxford, Cambridge, Paris und (in seinem letzten Lebensjahr) in Köln, wo er auch starb und begraben ist. Früher wurden ihm als seine Hauptwerke zwei große Sentenzen-Kommentare zugeschrieben: Opus Oxoniense (Ordinatio) und Opus Parisiense. Seit 70 71

Opera omn. 5,295. Über ihn und seine Werke ausführlich: Lombardi, Storia, 189–192.

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den Forschungen von Vladimir Richter weiß man, daß die Frage der Überlieferung und Echtheit seiner Werke komplizierter ist.72 Die einzige bisher erschienene Gesamtausgabe, die Lucas Wadding 1639 herausbrachte,73 enthält einerseits unechte und kontaminierte Werke, andererseits sind die Komplexe der Bibelkommentare (In Genesim, In Evangelia, In Epistolas Pauli) und der Predigten überhaupt nicht aufgenommen; sodann sind inzwischen sechs authentische Sentenzen-Kommentare des Duns Scotus wieder aufgetaucht. Die Forschung über sein gewaltiges Werk steht also erst in den Anfängen.74 Innerhalb der Philosophiegeschichte wird an Duns Scotus vor allem als Eigentümlichkeit hervorgehoben, daß er die Univozität des Seinsbegriffes angenommen und sich damit von der analogia entis des Thomas von Aquin distanziert hat.75 Seine Bedeutung für die Theologie- und Geistesgeschichte insgesamt dürfte aber hauptsächlich darin liegen, daß er den Primat des Willens in Gott betont hat.76 Die das sittliche Zusammenleben der Menschen regelnden Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs haben deshalb keinen ewig gültigen, naturgesetzlichen Charakter. Es wäre z.B. auch eine Gesellschaft denkbar, in der die Polygamie erlaubt wäre. Er hat damit die geistige Revolution eingeleitet, die bei seinem Schüler Wilhelm von Ockham eindeutig greifbar wird. Ockham (ca. 1285 – ca. 1347) ist ein unabhängiger, mutiger und scharfsinniger Denker.77 Das vielzitierte »Rasiermesser«, das er an die überkommenen 72

V. Richter, Zur Texttradition von Duns Scotus’ Ordinatio. Z. Kath. Theol. 103 (1981), 446–456; Ders., Studien zum literarischen Werk von Johannes Duns Scotus (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe ungedruckter Texte aus der mittelalterlichen Geisteswelt, 14), München 1988. 73 R.P.F. Joannis Duns Scoti Doctoris Subtilis Ordinis Minorum Opera omnia, Lyon 1639 (Neudr. Hildesheim 1968); bereits 1891–1895 erschien bei L. Vive`s in Paris ein Nachdruck der Lyoner Ausgabe. 74 Bibliographien: Servus Gieben, Bibliographia Scotistica Recentior (1953–1965). Laurentianum 6 (1965), und separat; Tullio Gregory im Vorwort des Hildesheimer Nachdrucks der Opera omnia (Anm. 72), Bd. I, IX–XII. 75 Dazu vor allem: Jean Duns Scot, Sur la connaissance de Dieu et l’univocite´ de l’e´tant. Ordinatio I, Distinction 3, 1re partie. Ordinatio I, Distinction 8, 1re partie. Introduction, Traduction et Commentaire par Olivier Boulnois, Paris 1988. 76 Wolfhart Pannenberg, Die Prädestinationslehre des Duns Skotus im Zusammenhang der scholastischen Lehrentwicklung, Göttingen 1954, 90–93; Johannes Hirschberger, Geschichte der Philosophie. Altertum und Mittelalter, Freiburg Br. 1957, 443f.; Einführungen in die wichtigsten philosophischen und theologischen Themen bei Duns Scotus durch verschiedene Autoren enthält der Band: Deus et Homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta Tertii Congressus Scotistici Internationalis Vindobonae, 28 sept. – 2 oct. 1970 (Studia Scholastico-Scotistica, 5), Rom 1972; wichtig ist ferner: Friedrich Wetter, Die Trinitätslehre des Johannes Duns Scotus (Beitr. zur gesch. d. Phil. und Theol. des Mittelalt., 41.5), Münster 1967. 77 Die wichtigsten zur Zeit vorliegenden Ausgaben seiner Werke: Guillelmus de

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philosophischen und theologischen Traditionen anlegte, ist ein methodisches Prinzip, das verbietet, überflüssige Erklärungsgründe anzunehmen (»pluralitas non est ponenda sine necessitate«; »frustra fit per plura, quod potest fieri per pauciora«),78 und gebietet, die kompliziertere Erklärung abzulehnen, wenn es eine einfachere gibt. In der Regel führt dies zu einer Konzentration auf natürliche, empirisch faßbare Erklärungen und zu einer Reduzierung der angeblich übernatürlichen, transzendenten Erklärungsgründe vieler Phänomene. In Gott hat Ockham einen absolut freien Willen und eine durch nichts beschränkte Allmacht (potentia Dei absoluta) angenommen. Gott ist also mit seiner Schöpfung nicht durch den allgemeinen Seinsgrund und das Geflecht ewiger Ideen verbunden. Es gibt keine allgemeine, ewige Idee des Guten. Was jetzt als Gutes gilt, ist nur gut, weil Gott es so festgesetzt hat. Sowohl für die Schöpfungstätigkeit Gottes im allgemeinen wie für sein Verhältnis zum Menschen hat Ockham die Freiheit Gottes betont. Gott könnte Schöpfung und Erlösung auch ganz anders in die Wege leiten als etwa in der Bibel beschrieben. (So enthält die Annahme, daß die Welt »von Ewigkeit her« erschaffen ist, keinerlei Widerspruch).79 Er kann dem Menschen eine intuitive Gotteserkenntnis gewähren, doch die Erkenntnis der Glaubenswahrheiten ist nicht auf dem Wege theologischer Wissenschaft möglich. Die Glaubensinhalte bleiben immer dem möglichen Zweifel ausgesetzt.80 Von der Römischen Kirche als Institution der Heilsvermittlung hat Ockham nicht sehr viel gehalten, vor allem seit er dem päpstlichen Gefängnis in Avignon (am 23. Mai 1328) entflohen war und sich mit seinen Ordensbrüdern Michael von Cesena und Bonagratia von Bergamo an den Hof Kaiser Ludwigs des Bayern begeben hatte. Während seiner vierjährigen Gefangenschaft in Avignon hatte er in der Gestalt Johannes’ XXII. einen Papst erlebt, den er von seinen theologischen und franziskanischen Voraussetzungen her als Häretiker Occam O.F.M. Opera plurima, 4 Bde., Lyon 1494–1496 (Nachdr. Farnborough 1962); Guillelmi de Ockham Opera philosophica et theologica cura Instituti Franciscani Universitatis S. Bonaventurae: Opera philosophica, 8 Bde., St. Bonaventure, N.Y. 1974–1988; Opera theologica, 10 Bde., St. Bonaventure, N.Y. 1967–1986; Guillelmi de Ockham Opera politica, ed. H.S. Offler, 2 Bde., Manchester 1974. 1958. 78 Z.B.Opera phil. 1,43, u.ö. 79 Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allem seine Quaestio: »Utrum mundus potuit fuisse ab aeterno«: Opera theol. 8,59–97. 80 S. die Gesamtdarstellungen: Le´on Baudry, Guillaume d’Occam. Sa vie, ses œuvres, ses ide´es sociales et politiques, Paris 1949; Helmar Junghans, Ockham im Lichte der neueren Forschung, Berlin und Hamburg 1968; Gordon Leff, William of Ockham. The metamorphosis of scholastic discourse, Manchester 1975; Marilyn McCord Adams, William Ockham, 2 Bde., Notre Dame, Indiana 1987; als Einführung, auch für weitere interessierte Kreise, hervorragend geeignet ist: Otl Aicher, Gabriele Greindl, Wilhelm Vossenkuhl, Wilhelm von Ockham. Das Risiko modern zu denken, München 1986: ein Buch, das man gar nicht genug loben kann.

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und ernstliche Gefahr für die gesamte Christenheit ansehen mußte. Während seines Aufenthalts in München, wo er immerhin noch fast zwei Jahrzehnte lebte, hat er fast nur noch politische Schriften verfaßt und seine Gesellschaftstheorie entwickelt.81 Mit dem Namen Wilhelms von Ockham ist der große Schritt verknüpft, den der menschliche Geist auf vielen Gebieten in die Neuzeit unternahm: so hat er in seiner Schöpfungstheologie das Weltbild der modernen Physik vorbereitet, in seiner Sozialphilosophie die Voraussetzung für das neuzeitliche politische Denken gegeben.82 Sein eigener kritischer Geist und der seiner zahlreichen Schüler hat den Grund gelegt für Selbstverständnis und Ethos einer an Ehrlichkeit und Freiheit orientierten Wissenschaft.

4. Franziskanische Geschichtsschreibung Die franziskanische Geschichtsschreibung ist, wie man weiß, nicht der Anfang der mittelalterlichen Geschichtsschreibung. Dennoch ist sie in mancherlei Hinsicht etwas Neues und zeigt eigene und unverwechselbare Charakterzüge. Dies gilt insbesondere für das Interesse, das die franziskanischen Historiographen an ihrer eigenen Bewegung und deren Anfängen haben, ob es sich nun um die Gründung des Ordens durch Franziskus selbst oder die erste Niederlassung der Brüder in Deutschland und England handelt. Die Autoren zeigen sich immer als engagierte Schriftsteller, d.h. sie waren an den zeitgenössischen Ereignissen, über die sie berichten, entweder selbst beteiligt, oder die Gewährsmänner, auf die sie sich für ihre Informationen berufen, gehörten einer bestimmten Richtung an und haben folglich in irgend einer Weise Partei ergriffen. Die franziskanische Historiographie ist deshalb durchweg tendenziös und parteiisch. Gleichwohl fühlen sich die Autoren, ebenso wie die großen antiken und modernen Geschichtsschreiber, der historischen Wahrheit verpflichtet, und sie werden dieser Verpflichtung im ganzen auch gerecht, indem sie bemüht sind, sich auf ihre eigenen Erinnerungen und zuverlässige Zeugen zu stützen.83 Sinn und Zweck der Aufzeichnungen sind 81 Dazu vor allem: Wilhelm Kölmel, Wilhelm Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962, 217–234; Jürgen Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, 74–136; 428–556; Feld, Anfänge (o. VIII. Kap., Anm. 81), 36–41. 82 Zur Aktualität Ockhams: Wilhelm Vossenkuhl, Rolf Schönberger, Die Gegenwart Ockhams, Weinheim 1990. 83 So schon Thomas von Celano in seiner ersten Legende: »Actus et vitam beatissimi patris nostri Francisci pia devotione, veritate semper praevia et magistra, seriatim cupiens enarrare. . . ea saltem quae ex ipsius ore audivi, vel a fidelibus et probatis testibus intellexi« (I Cel 1; Anal. Fr. 10,3); vgl. Bonaventura, Leg. mai., Prol. 4 (ebd. 559); Autor der Legenda S. Clarae: o. Kap. X, Anm. 2.

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Trost und Erbauung der Leser in der Gegenwart und Bewahrung des Andenkens an die schriftlich festgehaltenen Ereignisse für die Zukunft.84 Die Chroniken der Brüder Jordan von Giano, Thomas von Eccleston und Salimbene de Adam zeichnen sich aus durch ihre Vorliebe für das anekdotische, oft auch humorvolle Detail; bei Salimbene werden nicht selten die Grenzen der Klatschsucht überschritten. Trotzdem ist er der bedeutendste franziskanische Historiker des 13. Jahrhunderts. Er ist ein überaus genauer, manchmal auch boshafter und gehässiger Beobachter. Wir verdanken ihm die genauen Charakterbilder zahlreicher Persönlichkeiten seiner Zeit. Hätten wir seine Chronik nicht, so wäre das Bild des Hochmittelalters erheblich blasser. Die in seinem Werk überlieferten kulturgeschichtlichen Informationen sind exorbitant und noch längst nicht vollständig erforscht und ausgewertet.85 Weil es Brüder gab, die nicht nur in ganz Europa herumkamen, sondern auch in den Orient und später bis nach Ostasien reisten, und unter ihnen die lebhafteste Kommunikation herrschte, wurde der Orden zu einem riesigen Nachrichtenzentrum. Die Ergebnisse davon kann man wiederum am besten bei Salimbene sehen. Der franziskanischen Geschichtsschreibung ist deshalb eine gewisse Weltläufigkeit, Freiheitlichkeit, Unbekümmertheit, ja manchmal Respektlosigkeit zu eigen. (Das gilt freilich nicht für Thomas von Celano und Bonaventura). Zum Genus der Geschichtsschreibung können auch die Werke der beiden Spiritualen Angelus Clarenus und Ubertino von Casale gezählt werden, die zugleich eine theologisch-apokalyptische Geschichtsdeutung enthalten. Geschichtsschreiber sind ferner die weiter unten behandelten Asien-Missionare, die über ihre Reisen in das Reich des Großkhans ausführliche Berichte verfaßt und damit lange vor Marco Polo das Genus der Reisebeschreibung begründet haben.

5. Franziskanische Dichtung Der größte franziskanische Dichter ist Franziskus von Assisi selbst. Sein in der umbrischen Volkssprache verfaßtes »Sonnenlied« gehört der Weltliteratur an. Es sind von ihm auch mehrere Hymnen in lateinischer Sprache überlie-

84 Vgl. II Cel 1 (Anal. Fr. 10,129): »ad consolationem praesentium et posterorum memoriam«; vgl. auch Jordan von Giano, Chronik, Anfang des Prologs (ed. Boehmer, 1). 85 S. dazu: Delno C. West, Jr., The Present State of Salimbene Studies with a Bibliographic Appendix of the Major Works. Franc. Studies 32 (1972), 225–241; Mariano D’Alatri, La Cronaca di Salimbene. Personaggi e tematiche (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 35), Roma 1988.

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fert, die man der Gattung der »Laude« zurechnen kann, so die »Ermahnung zum Lobe Gottes«, der »Lobgesang auf die Tugenden« und der »Lobgesang Gottes des Allerhöchsten«.86 Neben Franziskus scheinen keine bedeutenden Dichter in der Bruderschaft hervorgetreten zu sein. Der ehemalige Liebesliedermacher und »Versekönig« Pacificus hat, ebenso wie ein namentlich nicht genannter Gitarrist, nach seiner Bekehrung seine Kunst gänzlich aufgegeben.87 Erst Tod und Kanonisation des Franziskus haben Dichtung und Komposition neuer Lieder angeregt.88 An den hymnischen Teilen des von Julian von Speyer zusammengestellten Fest-Offiziums haben Mitglieder des Hochklerus mitgewirkt, so Papst Gregor IX. selbst und die Kardinäle Thomas von Capua und Rainer Capocius.89 Franziskus hat noch in einem weiteren literarischen Genus das höchste Niveau erreicht: seine Gleichnisse gehören, wie die des Homer, Heraklit, Platon und Jesus von Nazareth, zu den bedeutendsten der Weltliteratur. An erster Stelle ist hier das Gleichnis von der armen Frau in der Wüste zu nennen, mit dessen Erzählung er dem Papst Innocenz III. die Billigung des Lebens der Gemeinschaft in absoluter Armut entlockte.90 Um das Verhältnis der franziskanischen Bewegung zur Römischen Kirche geht es auch in dem gleichfalls visionären Gleichnis vom schwarzen Zwerghuhn und in dem von den Brotkrumen und der Hostie.91 Seine Auffassung von der Keuschheit hat Franziskus mittels des Gleichnisses von den zwei Königsboten dargelegt.92 Das Ideal franziskanischer Lebensform zeichnet das Gleichnis von dem Generalkapitel aller Orden der Kirche, bei dem ein gelehrter und ein einfältiger Bruder predigen.93 Ein sehr eindrückliches und schönes Gleichnis ist schließlich die Erzählung über die wahre und vollkommene Freude.94 Die Gleichniserzählung hat in den folgenden Franziskaner-Generationen noch sehr schöne Früchte hervorgebracht. Die hervorragendsten davon sind wohl die Geschichte von dem Wolf von Gubbio in den Actus-Fioretti95 und die innerhalb der Chronica XXIV Generalium überlieferte wunderbare Erzählung von dem Raben des heiligen Franziskus.96 86

S. dazu o. Kap. I.3. II Cel 106 (Anal. Fr. 10,192f.); 126 (ebd. 204f.); vgl. o. III. Kap., bei Anm. 29! 88 I Cel 126 (ed.c. 102, und ebd. Anm. 4). 89 Anal. Fr. 10,375–388; ebd. Einleitung, XLVIIf. 90 S.o. IV. Kap., bei Anm. 134. 91 Gleichnis vom Zwerghuhn: 3 Soc 63; II Cel 24; s.o. Kap. VIII, bei Anm. 7; Gleichnis von der Hostie: II Cel 209. 92 Leg. Per. 37; II Cel 113; o. V. Kap., bei Anm. 95. 93 II Cel 191f.; o. VII. Kap., bei Anm. 110. 94 Esser, Opuscula, 461; o. V. Kap., bei Anm. 75. 95 Actus, c. 23; Fioretti, c. 21; s. dazu ausführlich: Feld, Beseelte Natur (o. Kap. V, Anm. 24), VII. Kapitel; vgl. auch o. Kap. V, bei Anm. 88. 96 Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,197f.); Feld, Beseelte Natur, 89–98. 87

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Erst am Ende des 13. Jahrhunderts erhält das Franziskanertum wieder einen ganz großen Dichter in der sympathischen Gestalt des Jacopone da Todi (ca. 1230–1306). Er hieß Jacobus de Benedictis (Jacopo dei Benedetti), hatte Jura studiert und übte in seiner Vaterstadt Todi den Beruf eines Rechtsanwalts und Notars aus. Nach dem frühen Tod seiner jungen, schönen Frau (Vanna di Bernardino di Guidone), die verunglückte, als bei einem Volksfest eine Tribüne einstürzte, gab er seine bisherige Existenz auf. Er zog die Kutte eines Eremiten (Bizzocco) an und gebärdete sich zehn Jahre lang als Verrückter. Danach trat er (1278) dem Minoritenorden als Laienbruder bei. Vermutlich durch Protektion des aus Todi stammenden Kardinals Bentivenga wurde er (ca. 1288) nach Rom gerufen. Er gehörte der Richtung der dem franziskanischen Ideal in seiner reinsten Form getreuen Spiritualen an. Als solcher sympathisierte er mit dem Papst Cölestin V., dessen erzwungene Abdankung er für unrechtmäßig hielt. In den unter dem Nachfolger Bonifaz VIII. ausbrechenden Konflikten schlug sich Jacopone auf die Seite der Kardinäle Jacopo und Pietro Colonna, die gegen den Papst (am 10. Mai 1297) an ein allgemeines Konzil appelliert hatten. Furchtlos und wortgewaltig ergriff er gegen den Papst Partei: »Papst Bonifaz, wie ein Fuchs tratst du die Herrschaft an, wie ein Wolf regierst du und wie ein Hund wirst du enden«, soll er oft gesagt haben. Mit den Kardinälen Colonna stand er die eineinhalbjährige Belagerung von Palestrina durch (»Fusti al Monte Pelestrina / anno e mezo en disciplina«). Nach dem Fall Palestrinas im September 1298 exkommunizierte ihn Bonifaz VIII., ließ ihm die Kapuze abschneiden und ihn in einem Kerker verschwinden. Dort hat er seine schönsten politischen und geistlichen Lieder gedichtet. Erst der Tod des Papstes brachte ihm Ende 1303 die Befreiung aus der Gefangenschaft. Er starb am Weihnachtstag 1306 in dem Konvent San Lorenzo di Collazzone bei Todi. Sein Grab befindet sich in der Kirche S. Fortunato zu Todi. Jacopone ist ein religiöser und politischer Dichter par excellence, ein Meister der Sprache, dessen Werk hier nur erwähnt, nicht gewürdigt werden kann.97 Theologisch hat er das Franziskanertum in seiner radikalsten Form, auch hinsichtlich der Erlösungslehre, vertreten.98 97 Editionen: Iacopone da Todi, Laudi. trattato e detti, ed. Franca Ageno, Firenze 1953; Iacopone da Todi; Laude, ed. Franco Mancini, Roma 1974; Poeti del Duecento, ed. Contini (o. Anm. 67), II,61–166; Jacopone da Todi, Lauden. Italienisch mit deutscher Übertragung von Hertha Federmann, Köln 1967; außerdem sind wichtig: Le Vite antiche di Iacopone da Todi, ed. Enrico Menesto`, Firenze 1977; Giorgio Petrocchi, La letteratura religiosa, in: Emilio Cecchi, Natalino Sapegno (Hrsg.), Storia della Letteratura Italiana. I. Le Origini e il Duecento, Milano 1987, 651–712; ebd. 692–706 über Jacopone; George T. Peck, The Fool of God. Jacopone da Todi, University of Alabama 1980; Jacopone e il suo tempo, 13–15 ott. 1957 (Convegni del Centro di Studi sulla spiritualita` medievale, 1), Todi 1959. 98 »Überdies wollte ich um Christi willen für die Teufel selbst, die in der Hölle sind,

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Jacopone wurde eines der vollendetsten meditativen Gedichte des Mittelalters zugeschrieben: der Hymnus »Stabat Mater«. Die Verfasserschaft ist indes ungewiß.99 In dem »Stabat Mater« hat die franziskanische Frömmigkeit, und vor allem deren zentrale Grundhaltung, das Mitleid (pietas, pieta`), seinen vollkommenen sprachlichen Ausdruck gefunden. Das Mitleid ist in der Gestalt der Mater dolorosa, der unter dem Kreuz des Erlösers stehenden Mutter Gottes, gewissermaßen Person geworden. Der Hymnus, der insgesamt zehn Doppelstrophen hat, ist Bestandteil der Messe des Festes der Mater dolorosa (15. September). Die Strophe hat die Form aac bbc. Diese Form wurde von Goethe in dem Gretchen-Gebet des »Faust« (vor dem Andachtsbild der Mater dolorosa in einer Mauerhöhle des Zwingers) imitiert.100 Die kaum auslotbare Tiefe des Gedichts zeigt sich aber vor allem in der Tatsache, daß es viele bedeutende Komponisten zur Vertonung angeregt hat, so Palestrina, Pergolesi, Orlando di Lasso, Agostino Steffani, G.A. Bernabei, Domenico Scarlatti, Haydn, Rossini, Verdi, Dvorˇa´k, K. Penderecki. Richard Wagner, von der Komposition Palestrinas tief beeindruckt, veranstaltete eine Neuausgabe von dessen Werk. Obwohl das »Stabat Mater« in meditativer Weise immer um dasselbe kreist, kann man es in drei Teile einteilen: die ersten drei Strophen besingen das Leiden der unter dem Kreuz stehenden Mutter Jesu; die Strophen vier bis acht wollen den frommen Betrachter zum Mitleiden ermuntern; die beiden letzten Strophen nennen die Wirkung des Leidens (virtus passionis): Das Leiden Christi als ursprüngliches Sakrament bewahrt den daran Anteilnehmenden vor der Verurteilung beim Endgericht. Sowohl das Mitleiden der Passion Christi als auch die endgültige Rettung der Seele in das Paradies geschieht durch die Vermittlung der Mater dolorosa, an die sich das Gebet des Betrachtenden wendet.101 bis zum Tage des Gerichts leiden und büßen, und zwar so lange, als es seiner göttlichen Majestät gefiele«: Das Leben des seligen Jacopone, in: Lauden, ed. Federmann, 186. 99 Petrocchi, Letteratura (o. Anm. 96), 707, äußert sich hinsichtlich der Verfasserschaft Jacopones positiv; Peck, Fool, 195, ablehnend; Erörterung der Frage und ältere Literatur dazu bei: Josef Szöve´rffy, Die Annalen der lateinischen Hymnendichtung. Ein Handbuch. II, Berlin 1965, 287–289. 100 Goethe, Faust I, Zwinger: Ach, neige, Du Schmerzenreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not. Das Schwert im Herzen Mit tausend Schmerzen Blickst auf zu deines Sohnes Tod. 101 Text des »Stabat Mater«: Analecta Hymnica Medii Aevi, hrsg. v. Guido Maria Dreves und Clemens Blume, Leipzig 1886–1922; Bd. 54 (1915), 312–318 (Nr. 201). Nach dem Befund einiger der ältesten Hss. habe ich die Strophen 3 und 4 umgestellt. Der an die traditionelle Reihenfolge gewohnte Leser wird daran zunächst vielleicht Anstoß nehmen, bei näherem Zusehen aber erkennen, daß nur diese die sinngemäße und richtige Reihenfolge sein kann.

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(1) Stabat mater dolorosa Iuxta crucem lacrimosa Dum pendebat filius. Cuius animam gementem Contristatam et dolentem Pertransivit gladius. Es stand die Mutter voll Schmerz Neben dem Kreuz in Tränen, Als da hing ihr Sohn. Ihr stöhnend Herz Voller Trauer und Qual Durchbohrte da ein Schwert. (2) O quam tristis et afflicta Fuit illa benedicta Mater unigeniti. Quae maerebat et dolebat Et tremebat, cum videbat Nati poenas incliti. O wie traurig und geschlagen War die hochgepriesene Mutter des einzigen Sohnes. Die trauerte und quälte sich Und zitterte, als sie sah Des hochberühmten Sohnes Todespein. (3) Pro peccatis suae gentis Iesum vidit in tormentis Et flagellis subditum. Vidit suum dulcem natum Morientem, desolatum, Cum emisit spiritum. Für die Sünden seines Volkes Sah sie Jesus in Qualen Und den Geißeln unterworfen. Sie sah ihren lieben Sohn Im Tode, verlassen, Da er den Geist aufgab. (4) Quis est homo, qui non fleret, Matrem Christi si videret In tanto supplicio? Quis non posset contristari, Piam matrem contemplari Dolentem cum filio? Wer würde nicht weinen, Wenn er Christi Mutter erblickte In so gewaltigem Leid?

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Wer könnte nicht mit ihr traurig sein, Die fromme Mutter betrachten, Wie sie sich quält mit ihrem Sohn? (5) Eia, mater, fons amoris, Me sentire vim doloris Fac, ut tecum lugeam. Fac, ut ardeat cor meum In amando Christum Deum, Ut sibi complaceam. Nun denn, Mutter, Ursprung der Liebe, Laß mich die Gewalt des Schmerzes spüren, Daß ich mit dir traurig sein kann. Laß mein Herz brennen In Liebe zu Christus, meinem Gott, Daß ich ihm gefalle. (6) Sancta mater, istud agas, Crucifixi fige plagas Cordi meo valide. Tui nati vulnerati, Iam dignati pro me pati Poenas mecum divide. Heilige Mutter, hefte Des Gekreuzigten Wunden Fest auf mein Herz. Deines wundenbedeckten Sohnes Todespein, Der so großes Leid für mich erduldet, Teile mir mit. (7) Fac me vere tecum flere, Crucifixo condolere, Donec ego vixero. Iuxta crucem tecum stare, Te libenter sociare In planctu desidero. Laß mich wirklich mit dir weinen, Die Schmerzen des Gekreuzigten teilen, Solange ich lebe. Neben dem Kreuz mit dir zu stehen, Mich dir gerne zuzugesellen Beim Weinen, das begehre ich. (8) Virgo virginum praeclara, Mihi iam non sis amara, Fac me tecum plangere. Fac, ut portem Christi mortem Passionis eius sortem Et plagas recolere.

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Hochberühmte Jungfrau der Jungfrauen, Sei nicht bitter gegen mich, Laß mich mit dir weinen. Laß mich Christi Tod tragen, Das Verhängnis seines Leidens Und seine Wunden erneuern. (9) Fac me plagis vulnerari Cruce hac inebriari Ob amorem filii. Inflammatus et accensus Per te, virgo, sim defensus In die iudicii. Laß mich mit Wunden verletzt sein, Von diesem Kreuz berauscht sein Aus Liebe zu deinem Sohn. Wenn ich dann in Flammen stehe, Sei du, Jungfrau, mein Schutz Am Tage des Gerichts. (10) Fac me cruce custodiri, Morte Christi praemuniri, Confoveri gratia. Quando corpus morietur, Fac, ut animae donetur Paradisi gloria. Laß mich durch das Kreuz bewahrt werden, Durch den Tod Christi gesichert sein, Vom Strahl seiner Gnade erwärmt werden Wenn der Leib sterben wird, Wirke du, daß der Seele geschenkt werde Des Paradieses Herrlichkeit.

Das »Franziskanische« an dem Hymnus besteht vor allem in der doppelten von der Mater dolorosa bewirkten Vermittlung: Ihr Leiden mit dem gekreuzigten Sohn ruft das Mitleid und Mitleiden des Betrachtenden hervor; der Betrachter wird damit selbst zum Mitleidenden, indem er das Leiden des gekreuzigten Erlösers mitvollzieht. Dieser letztere Gedanke ist in der sechsten Strophe ausgesprochen. Die bekannte Vers-Übersetzung: Heil’ge Mutter, drück die Wunden, Die dein Sohn für mich empfunden, Tief in meine Seele ein

ist eben darin ungenau, daß sie den franziskanischen Grundgedanken verstellt. Es sind die fünf Wunden des Gekreuzigten, die Stigmata, mit denen die Mater dolorosa das Herz des Beters versiegeln soll. Um die Bewahrung vor den Schrecken des Endgerichts, das den Menschen

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des romanischen und gotischen Zeitalters als in Kürze eintreffendes reales Ereignis beständig vor Augen stand, geht es auch in dem Hymnus »Dies Irae«. Er war früher Bestandteil der Totenmesse, des Requiem, aus dem er erst durch den im Gefolge des II. Vatikanischen Konzils einsetzenden kult- und kulturzerstörenden Fanatismus moderner Ikonoklasten entfernt wurde. Wie das »Stabat Mater« galt das »Dies Irae« lange Zeit als genuines Produkt franziskanischer Frömmigkeit.102 Viele Forscher nahmen Thomas von Celano als Autor an. Seit den Untersuchungen von Cornelis Vellekoop weiß man, daß das »Dies Irae« bereits einige Jahrzehnte vor der franziskanischen Bewegung, im 12. Jahrhundert, entstanden ist.103 Doch haben die Minoriten, wie schon Franziskus selbst, nicht selten ältere Gebetstexte adaptiert und mit ihrem Geist erfüllt. Und das »Dies Irae«, das den Betrachter als armen Sünder mit Entsetzen und der Furcht vor dem göttlichen Richter erfüllen soll,104 enthält auch versöhnliche Töne und die Hoffnung auf Vergebung und ewige Ruhe. Ausdrücklich sagen dies die beiden letzten Strophen (»Lacrimosa dies illa. . . huic ergo parce Deus«; »Pie Iesu Domine, dona eis requiem«), die zweifellos spätere Zusätze franziskanischer Provenienz zu dem ursprünglichen Hymnus sind.

6. Weltmission des Franziskanertums Von der Spätantike bis ins Hochmittelalter bestanden so gut wie keine Beziehungen zwischen Europa und Zentralasien. Im Bereich des westlichen Christentums hatte man auch keinerlei Kenntnis über die Verhältnisse in den riesigen Gebieten, die sich nördlich des Schwarzen Meeres und östlich des Kaukasus ausdehnten: der Islam hatte sich wie eine undurchdringliche Sperrmauer zwischen Asien und Europa gelegt. Das änderte sich aber, jäh und schockartig, als die Reiterscharen der Mongolen im Frühjahr 1241 in das Bewußtsein der Christenheit traten. Ein Heer aus deutschen und polnischen Rittern, das der Herzog Heinrich II. von Schlesien versammelt hatte, war den Waffen und der überlegenen Taktik der Tartaren nicht gewachsen und wurde am 9. April bei Liegnitz vernichtend geschlagen. Der abgeschlagene Kopf des christlichen Oberbefehlshabers landete als Siegeszeichen auf einer mongolischen Lanze. Mehrere ausführliche Briefe des Kaisers Friedrich II. unterrichteten im Juni und Juli 1241 den Senat von Rom und mehrere europäische 102 So noch bei F.J.E. Raby, A History of Christian-Latin Poetry from the Beginnings to the Close of the Middle Ages, Oxford 21953, 440: »the Stabat Mater remains, with the Dies Irae, a supreme achievement of Franciscan and, indeed, of religious verse of the Midles Ages«; über das »Dies Irae« ebd. 443ff. 103 C. Vellekoop, Dies ire, dies illa. Studien zur Frühgeschichte einer Sequenz, Bilthoven 1978. 104 Vgl. dazu noch Goethe, Faust I, Dom.

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Fürsten von dem Desaster.105 Schon im April und Mai des gleichen Jahres hatte Jordan von Giano, damals Custos des Prager Minoriten-Konvents und Vizeminister des Ordens für die Königreiche Böhmen und Polen, zwei Hilferufe an die westliche Christenheit gerichtet, in denen die Greueltaten der tartarischen »Teufelsgesellen« in den grellsten Farben ausgemalt waren.106 Anders als von vielen erwartet, setzten die Mongolen nicht zur Eroberung Westeuropas an. Bei den christlichen Herrschern war jedoch das Interesse an den Völkern Innerasiens geweckt. Das galt insbesondere für den Papst, dessen Hauptsorge der Kreuzzug gegen die Muslime im Vorderen Orient war. Gerüchte über die Christianisierung mongolischer Fürsten erweckten die Hoffnung, daß man da einen Verbündeten im Rücken der Ungläubigen gewinnen könnte. Innocenz IV. entschloß sich, die Verhältnisse im Fernen Osten erkunden zu lassen. Der erfahrene Franziskaner Johannes von Pian del Carpine schien ihm dafür der geeignete Mann zu sein. Dieser Bruder Giovanni war einer der besten Leute des Ordens. Er war um 1180 in Pian del Carpine, am Ostufer des Trasimenischen Sees (heute: Magione) geboren, war also etwa gleichaltrig mit Franziskus. Jordan von Giano, der ihn persönlich kannte, hat in seiner Chronik die meisten Auskünfte über ihn: er gehörte, wie Jordan selbst, der ersten Gruppe von Minderbrüdern an, die im Spätsommer 1221 unter Führung des Caesarius von Speyer nach Deutschland zogen; 1228 wurde er Provinzialminister der neugegründeten deutschen, 1230 der spanischen Ordensprovinz; äußerlich korpulent, war er sprachbegabt und ein guter Prediger.107 Auch Salimbene hebt seine charakterlichen und geistigen Qualitäten hervor.108 1232 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er als Minister für Sachsen an der Ausbreitung des Ordens in Böhmen und Polen arbeitete. Am 16. April 1245 brach Bruder Giovanni von Lyon aus auf. Auf dem Landwege durch Rußland erreichte er im Sommer 1246 das mongolische Hoflager in der Nähe der Hauptstadt Karakorum. Großkhan war damals Kuyuk (Güyük), ein Enkel des (1227 verstorbenen) Dschingis-Khan. Im Herbst 1247 war er von seiner Reise zurück. In Villefranche an der Rhoˆne traf ihn Salimbene. Johannes hatte ein Schreiben des Großkhans mitgebracht, in dem dieser die Unterwerfung des Papstes und der christlichen Fürsten forderte. Über seine Reise, sowie über Land und Leute in Zentralasien hat er einen ausführlichen Bericht verfaßt. Er hatte sich an Ort und Stelle Kenntnisse über 105

Heinisch, Kaiser Friedrich II., 506–521. Chron. fr. Jordani, ed. Boehmer, 72–75. 107 Jordan, Chron. 19. 54. 55. 57. 108 »familiaris homo et spiritualis et litteratus et magnus prolocutor et in multis expertus« (Chronik; MGH SS 32,206); s. jetzt auch: Fernanda Sorelli, Per regioni diverse: fra Giovanni da Pian del Carpine, in: I Compagni (o. IV. Kap., Anm. 68), 259–283. 106

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die neuere Geschichte des mongolischen Imperiums und über die Ursachen von dessen politischem Aufstieg angeeignet. Seine Beurteilung der politischen Möglichkeiten des Westens und seine Einschätzung der Aussicht, die Tartaren zu bekehren, sind ohne jede Illusion.109 Innocenz IV. erhob Johannes nach seiner Rückkehr zum Erzbischof von Antivari in Montenegro. Er starb am 1. August 1252. Auch Ludwig IX. von Frankreich versuchte, diplomatische Verbindungen zu den mongolischen Großherren zu knüpfen. Er entsandte ebenfalls einen Minoriten, den Flamen Wilhelm von Rubruk, nach Asien. Bruder Wilhelm reiste zunächst von Frankreich nach Konstantinopel, von wo er am 7. Mai 1253 aufbrach. In seiner Begleitung befanden sich ein anderer Minderbruder, Bartholomäus von Cremona, ein weiterer Kleriker, ein Dolmetscher und ein Diener. Großkhan war damals Mangu. Wilhelm durfte sich ein halbes Jahr lang am Hof von Karakorum aufhalten. Am 15. August 1255 kam er wieder in Tripoli bei Beirut an. Anstatt ihn nach Frankreich weiterziehen zu lassen, bestimmten die zuständigen Ordensoberen ihn zum Lektor in Akkon. Den dortigen unfreiwilligen Aufenthalt nutzte er zur Niederschrift seines sehr informativen, detailgetreuen Reiseberichts.110 Durch ein Eingreifen Ludwigs IX. gelangte Wilhelm schließlich doch noch an den französischen Hof. Von da ab verliert sich jede Spur von ihm. Um 1270 soll er gestorben sein. Der Papst Nikolaus III. entsandte im Jahre 1278 fünf Franziskaner mit Schreiben an den Khan von Persien und den Großkhan der Mongolen. Die Missionare wirkten aber nur in Persien und den benachbarten Ländern. 1289 kehrten einige von ihnen unter Führung des Johannes von Montecorvino nach Rom zurück. Sie berichteten u.a., daß der König von Armenien und der Patriarch der Jakobiten zu einer Union mit dem Papst bereit seien. Nikolaus IV. entsandte Johannes von Montecorvino aufs neue und stattete ihn mit Briefen an die mongolischen Fürsten von Persien und China aus. Über Armenien, Persien, Indien und Südchina gelangte Johannes schließlich nach Peking zu dem Großkhan Temur, dem Nachfolger Kubilais. Von 1294 bis zu seinem Tode 1328 wirkte er unter der wohlwollenden Protektion der mongolischen Herrscher. Im Laufe der Zeit konnte er in Peking drei Kirchen und ebenso viele Konvente bauen. 1307 errichtete der Papst das Erzbistum Peking mit sechs Suffragan-Bistümern.111 Ystoria Mongalorum quos nos Tartaros appellamus, ed. Anastasius van den Wyngaert, in: Sinica Franciscana I, Quaracchi 1929, 1–130; ältere Edition (mit zeitgenössischen Begleittexten): Golubovich, Biblioteca I,190–213; über Giovanni da Pian del Carpine s. auch ebd. II,318f. 110 Itinerarium Willelmi de Rubruc, ed. A. van den Wyngaert, in: Sinica Franciscana I,164–332; deutsche Übersetzung: Wilhelm von Rubruk, Reise zum Großkhan der Mongolen. Von Konstantinopel nach Karakorum 1253–1255. Neu bearb. und hrsg. von Hans D. Leicht, Stuttgart 1984. 111 Briefe des Johannes von Montecorvino: Sinica Fr. I,340–355. 109

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Im Jahre 1318 fuhr Odorich von Pordenone von Konstantinopel aus über das Schwarze Meer nach Trapezunt. Er durchquerte Persien bis nach Ormuz. Von dort fuhr er zu Schiff weiter über Ostindien, Ceylon, Sumatra, Java, Borneo, Indochina bis nach Kanton. Er bereiste dann viele Großstädte Chinas, um dort zu predigen. 1322 kam er in Peking an und blieb dort drei Jahre. Den Rückweg nach Europa nahm er über Tibet. Er ist der erste Europäer, der nach Lhasa kam. 1330 war er wieder in Italien. In Venedig diktierte er den Bericht über seine Reisen.112 Odorich starb am 14. Januar 1331 im Konvent von Udine. Die genannten drei Reiseberichte sind die ersten sicheren und genauen Informationen überhaupt, die im Mittelalter über den Fernen Osten nach Europa gelangten. Sie sind so etwas wie der Anfang der kulturellen Begegnung Asiens und Europas. Auf Bitten der Mongolen-Herrscher wurden im Verlauf des 14. Jahrhunderts noch weitere Minoriten nach China entsandt. Noch 1370 wurde der Franziskaner Wilhelm von Prato zum Erzbischof von Peking ernannt. Die 1368 an die Macht gelangte Ming-Dynastie war aber dem Christentum gegenüber feindlich eingestellt und sorgte binnen weniger Jahre für dessen fast vollständige Ausrottung. In den übrigen Ländern Afrikas und Asiens, in denen die Franziskaner schon im 13. Jahrhundert beachtliche Bekehrungserfolge erzielt hatten, sorgten die islamischen Fürsten im Verlauf des 14. Jahrhunderts für ein Ende der christlichen Mission. Doch setzten sich in einigen Ländern, wie Armenien, Indien und Palästina, Präsenz und Missionsbemühungen der Minoriten bis in die Neuzeit fort.

7. Die Spiritualen Die Ursprünge der Spiritualenbewegung Die Spiritualen sind – entgegen anders lautenden Darstellungen – nicht die Bastarde des Franziskanertums, die sich, vom Geist des Irrglaubens und des Ungehorsams getrieben, von dem Hauptstrom der Bewegung abzweigten und schließlich als »Fraticellen« im häretischen Abseits landeten. Sie sind vielmehr legitime Erben des franziskanischen Ideals und dessen treue Bewahrer, wie es auch ihrem eigenen Selbstverständnis entspricht. Von Franziskus führt über seine engsten Gefährten, die Troubadours und Buffoni der ersten Generation wie Bernhard von Quintavalle, Ägidius, Juniper und Leo, eine direkte Linie zu den Spiritualen. Wenn man so will, war schon Franziskus ein 112

Relatio, ed. van den Wyngaert, in: Sinica Fr. I,381–495.

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echter »Spiritualer«, indem er den Heiligen Geist zum Generalminister des Ordens erheben wollte.113 Die noch unter den Augen des Stifters entstandene Regula non bullata war eine »geistliche« Regel. Bruder Ägidius wollte der am Ort seiner Gottesoffenbarungen, in Cetona, geplanten Kirche den Namen »Pentecostes« (Pfingsten) geben.114 Derselbe Ägidius soll, als Johannes von Parma zum Generalminister gewählt worden war, gesagt haben: »Gut und günstig bist du gekommen, aber du bist spät gekommen.«115 Zusammen mit den anderen noch lebenden Gefährten des Franziskus begrüßte er in ihm voller Freude einen im Geist wiedererstandenen Franziskus.116 Johannes von Parma war nach Salimbene, der für ihn im Sommer 1248 im Konvent von Aix-en-Provence, zusammen mit Hugo von Digne, einen Evangelien-Kommentar des Abtes Joachim von Fiore abschrieb, »ein ganz großer Joachimist«.117 Die Ideen Joachims kamen gerade den Zelanti im Minoritenorden sehr entgegen, weil sich darunter Prophezeiungen fanden, die auf die Lage der Kirche und des Ordens in den vierziger Jahren Anwendung finden konnten. Die regeltreuen Franziskaner stellten sich vor, sie seien die Elite, die nach dem Zusammenbruch der bestehenden Kirche die Geist-Kirche des kommenden dritten Zeitalters aufbauen würde. 1254 veröffentlichte Bruder Gerhard von Borgo San Donnino in Paris seine »Einführung in das ewige Evangelium« (Liber Introductorius in Evangelium aeternum). Unter dem »ewigen Evangelium« verstand Gerhard die drei exegetischen Hauptschriften des Abtes Joachim (Liber Concordie; Expositio in Apocalypsim; Psalterium decem chordarum) und sah in ihnen die heilige Schrift für das bevorstehende dritte Zeitalter.118 Gerhards Werk wurde 1256 verurteilt und er selbst in Si113

II Cel 193 (Anal. Fr. 10,241); vgl. o. VII. Kap., bei Anm. 112! Chron. XXIV Gen. (Anal. Fr. 3,100); s.o. VII. Kap., bei Anm. 112. 113. 115 »Bene et opportune venisti, sed tarde venisti«: Angelus Clarenus, Hist. VII trib. (Ehrle, Archiv [o. Anm. 68] 2,263). 116 »laetabantur et gaudebant, quia in ipso sanctum Franciscum in spiritu resurrexisse cernebant« (ebd.). Stanislao da Campagnola sieht in den Auffassungen der in den kleinen umbrischen Konventen zwischen 1258 und 1270 verstorbenen FranziskusGefährten Angelus, Ägidius, Rufinus und Leo die primäre Grundlage für die Lehren der Spiritualen, und namentlich die des Angelus Clarenus: Gli Spirituali umbri, in: S.I.S.F. Chi erano gli Spirituali. Atti del III Convegno internazionale, Assisi, 16–18 ott. 1975, Assisi 1976, 73–105; ebd. 82f. 117 »maximus erat Joachita«: Chron. (MGH SS 32,294,22). 118 Bei Joachim von Fiore selbst ist das Evangelium aeternum kein geschriebenes Buch, sondern die höhere, durch den Heiligen Geist verliehene Einsicht; vgl. Heinrich Denifle, Das Evangelium aeternum und die Commission zu Anagni. Arch. f. Lit. u. Kirchengesch. 1 (Berlin 1885), 49–142; ebd. 56; Benz, Ecclesia spiritualis (o. IV. Kap., Anm. 135), 246f. Über Gerhard von Borgo San Donnino s.: Marjorie Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxford 1969, 187–190; zur Geschichtstheologie Joachims selbst s. bes.: Bernhard Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im 114

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zilien auf Lebenszeit eingekerkert. Er starb nach achtzehnjähriger Kerkerhaft im Jahre 1276; das kirchliche Begräbnis wurde ihm verweigert.119 Infolge der Verurteilung Gerhards wurde die Position der joachimitisch gesinnten Brüder im Orden sehr schwierig. Der Generalminister Johannes von Parma wurde auf dem Generalkapitel im Konvent Ara Coeli in Rom (2. Februar 1257) durch den Papst zur Abdankung genötigt. Die Kenntnis der Schriften Joachims war durch einen Abt des Ordens von Fiore in den Minoritenorden gelangt. Dieser war vor dem Herannahen des »Antichristen« Friedrich II. aus seinem in der Nähe von Pisa gelegenen Kloster geflohen und hatte mit allen Werken Joachims im Franziskaner-Konvent von Pisa Zuflucht gefunden. In den Jahren 1243–1247 hatten sich Salimbene, Rudolf von Sachsen, Gerhard von Borgo San Donnino und andere Minoriten dort mit den Ideen des Kalabresen vertraut gemacht und waren allesamt begeisterte Joachimisten geworden.120 Wie Salimbene wandten sich aber viele wieder von diesen Ideen ab, spätestens als sie beim Tod Friedrichs II. (1250) erkannten, daß ihre apokalyptischen Erwartungen nicht in Erfüllung gingen.121 Einige Monate nach seiner Resignation eröffnete die Ordensleitung gegen Johannes von Parma ein Untersuchungsverfahren. Anlaß dafür war, daß er nach wie vor aus seinen Überzeugungen keinen Hehl machte: nämlich daß zwischen dem Testament des Franziskus und der Regel kein wesentlicher Unterschied bestehe und das Testament weiterhin den höchsten Verbindlichkeitsgrad für die Mitglieder des Ordens habe; ferner daß die Trinitätslehre Joachims von Fiore gut katholisch sei.122 In Citta` della Pieve wurde der ehemalige Generalminister von einer Kommission verhört, die unter dem Vorsitz des Kardinaldiakons Giovanni Gaetani Orsini (des späteren Papstes Nikolaus

Hochmittelalter (Forschg. zur mittelalt. Gesch., 11), Berlin 1964, 48–103; Gert Wendelborn, Gott und Geschichte. Joachim von Fiore und die Hoffnung der Christenheit, Leipzig 1974 (gestraffte Fassung der masch. Habil.-Schrift des Verf.: Geschichtstheologie und Hermeneutik im Werk des Joachim von Fiore, 2 Bde., Jena 1968). 119 Angelus Clarenus, Hist. VII trib. (Ehrle, Arch. f. Lit. u. Kirchengesch. 2,284). 120 Salimbene, ebd. 236–238; 455–458; s. darüber: Benz, Ecclesia Spiritualis, 175–178. 121 Vgl. ebd. 446. 122 »Dicebat eciam ipse frater Johannes, quod testamentum et regula substancialiter idem sunt, et quod fratres debebant in summa reverencia habere testamentum, tum propter mandatum et benedictionem sancti, tum quia Christi spiritus loquebatur in eo, qui post illam mirabilem sacrorum impressionem stigmatum plenius et perfectius habitavit in eo«: Angelus Clarenus, Hist. VII trib. (Ehrle, Archiv f. Lit. und Kirchengesch. 2,274); »Affirmabant enim [Johannes et socii eius] Abbatem Joachim de trinitate Dei et unitate essencie catholice et pie sensisse et nil contrarium sanctis vel diversum ab eorum intensione et doctrina scripsisse« (ebd. 276); zu Johannes von Parma s. bes.: Helmut Feld, Art. Johannes (Buralli) von Parma, in: BBKL 3 (1992), 508–512.

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III.) tagte und der auch Bonaventura angehörte. Der Beschuldigte gab in dem Verhör nur knappe Antworten, was seine Richter erbitterte. Als die Inquisitoren beschlossen, ihn für den Rest seines Lebens in den Kerker zu schicken (was zuvor schon mit zweien seiner engsten Gefährten und Gesinnungsgenossen, den Brüdern Gerhard von Borgo San Donnino und Leonhard, geschehen war), da soll er laut das Credo gebetet haben. Vor einer definitiven Verurteilung bewahrte ihn schließlich das Eingreifen des Kardinals Ottobonus Fieschi, des Neffen Innocenz’ IV. und späteren Papstes Hadrian V. (12. Juli – 21. August 1276). Der schrieb an den Kardinal Johannes Gaetani und den Ordensgeneral Bonaventura unter anderem: »Der Glaube des Bruders Johannes ist auch mein Glaube.«123 Johannes durfte sich darauf in den Konvent von Greccio zurückziehen, wo er 30 Jahre lang ein naturnahes, dem Studium und der Meditation gewidmetes Leben führte. Ubertino von Casale, der ihn dort im Juli 1285 besuchte und eingehende Gespräche mit ihm führte, zählt ihn »unter die regeltreuen und seraphischen Männer und die größten Heiligen der Kirche«.124 Als Achtzigjähriger wollte er sich noch, wohl vom Hafen Ancona aus, nach Griechenland begeben, um dort für die Versöhnung der Kirchen zu wirken. Er kam aber nur bis Camerino, wo er am 19. März 1289 starb. Er wurde in der dortigen Minoritenkirche bestattet. Als in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts der Franziskanerkonvent von Camerino in ein Museum umgewandelt wurde, übertrug man die Überreste des Johannes von Parma in den Dom, wo sie unter dem Altar der ersten Seitenkapelle, links vom Hochaltar, bestattet wurden. Johannes von Parma vereinigt in seiner Person die beiden Hauptmerkmale der Spiritualen: das radikale Verständnis der Ordensregel im Sinne des Testaments des Franziskus und die apokalyptischen Spekulationen über eine zukünftige Kirche auf den Spuren des Abtes Joachim. Von seinen theologischen Werken hat keines überlebt, obwohl er einmal, genau wie Bonaventura, Magister in Paris gewesen war. Als eigentlicher Vater der Spiritualen galt jedoch nicht er, sondern Hugo von Digne. Außer in dem schon erwähnten 123 »Quod ut pervenit ad aures domini Ottoboni, qui postea fuit papa, scripsit domino Johanni et fratri Bonaventure et suis consultoribus, quod recogitarent diligenter et vigilanter attenderent, quid de fratre Johanne tam inconsulte et precipitanter facere tractassent, ›quia fides fratris Johannis et fides mea et persona eius persona mea, ubi erit ipse et ego ibidem cum ipso ero; nec putetis ita ipsum ut hominem hereticum faciliter cum vestris astuciis posse involvere, quia non solum ex quo cardinalis extiti, sed ante tempora multa de sanctitate et fidelitate eius certam habuimus scienciam, nec quemquam in ecclesia dei virum eo magis fidelem et catholicum novimus. Quare cessate a vexatione eius, quia vexacio eius nostra est‹«: Angelus Clarenus, Hist. VII trib. (Ehrle, l.c. 286). 124 ». . quod merito inter viros zelotes et seraphicos et celestis ecclesie magnos sanctos a Ihesum sincere diligentibus et imitantibus certissime reputatur« (Arbor vite crucifixe Iesu Ubertini de Casali, Venedig 1485, lib. V, c. 3; C VIIvb).

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Regelkommentar hat Hugo seine radikale Armutsauffassung (»Minorum paupertas extrema est«) in seinem kleinen Traktat »De finibus paupertatis« festgehalten.125 Die geistigen Häupter: Petrus Johannis Olivi, Ubertino von Casale, Angelus Clarenus Der Einfluß Hugos in den Kreisen der Spiritualen wurde in der Folgezeit noch übertroffen durch den des Petrus Johannis Olivi (ca. 1248–1298).126 Petrus stammte aus Se´rignan (Languedoc). In Be´ziers trat er im Alter von zwölf Jahren in den Orden ein. Sein Studium absolvierte er hauptsächlich bei Bonaventura in Paris. Von dort in seine Heimat zurückgekehrt, wurde er Lektor für die Minoriten der provenzalischen Ordensprovinz. Einen Traktat, den er in dieser Zeit über die Jungfrau Maria verfaßt hatte, ließ der Ordensgeneral Hieroymus von Ascoli vor seinen Augen verbrennen. Sowohl wegen seiner reformeifrigen Gesinnung als auch wegen seines Joachimismus stieß Petrus auf den Widerstand maßgeblicher Kreise im Orden. Nach dem Generalkapitel von Straßburg (1282) wurde sein Werk von einer Theologenkommission geprüft; 34 seiner Thesen wurden verurteilt. Der Generalminister Bonagratia ging nunmehr gegen ihn vor. Olivi mußte in Avignon einen Widerruf unterzeichnen. Darauf hat er sich in zwei Schreiben, an seine Zensoren und an seine Anhänger, gerechtfertigt. Nach fünfjährigen Streitigkeiten wurde er auf dem Generalkapitel von Montpellier (Pfingsten 1287), auf dem Matthäus von Aquasparta zum Generalminister gewählt wurde, sowohl in betreff seiner Armutsauffassung als auch mehrerer umstrittener theologischer Lehrsätze rehabilitiert. Er wurde als Lektor an den Konvent S. Croce in Florenz entsandt. Dort hörte ihn Ubertino von Casale. Der General Raymund Gaufredi (1289–1295) berief ihn dann an das Ordensstudium in Montpellier. Um 1290 brachen unter den Minderbrüdern der Provence erneut Unruhen bezüglich der Interpretation des usus pauper aus, an denen auch Olivi beteiligt war. Nikolaus IV. ordnete eine Untersuchung an. Auf dem Generalkapitel von Paris (1292) gab Olivi eine Erklärung ab, er verstehe den usus pauper im

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Claudia Florovsky, De Finibus Paupertatis auctore Hugone de Digna, O.F.M. (Texte ine´dit). AFH 5 (1912), 277–290; ebd. 283; vgl. o. Anm. 24. 126 Über Olivi s. vor allem: Franz Ehrle, Petrus Johannis Olivi, sein Leben und seine Schriften. Arch. f. Lit. u. Kirchengesch. des Mittelalt. 3 (Berlin 1887), 409–552; Benz, Ecclesia Spiritualis, 265–332; 349–358; Reeves, Influence (o. Anm. 118), 194–201; Raoul Manselli, La »Lectura super Apocalipsim« di Pietro di Giovanni Olivi. Ricerche sull’escatologismo medioevale, Roma 1955; Ders., Pietro di Giovanni Olivi Spirituale, in: Chi erano gli Spirituali (o. Anm. 114), 181–204; Servus Gieben, Bibliographia Oliviana (1885–1967). Coll. Fr. 38 (1968), 167–195.

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Sinne der Dekretale »Exiit qui seminat« Nikolaus’ III.127 In seinen letzten Lebensjahren war er mit der Abfassung seines Kommentars zur Apokalypse beschäftigt. Er schrieb auch einen Brief an die Söhne Karls II. von Neapel, die seit 1288 als Geiseln in Katalonien weilten: Ludwig († 1297 als Erzbischof von Toulouse), Robert, Raymund Berengarii, in welchem er u.a. über seine Stellung im Orden spricht. Er starb am 14. März 1298 im Konvent von Narbonne. Sein Grab wurde Ziel der Wallfahrt seiner Anhänger und großer Volksmassen. 1316 wurde erneut ein Prozeß gegen Olivi angestrengt. Ein Protestauftritt einer Schar von Spiritualen vor dem bischöflichen Palast in Avignon hatte bei dem Papst Johannes XXII. die gegenteilige Wirkung. Ende 1317 oder Anfang 1318 wurden die Gebeine Olivis exhumiert und seine Grabstätte demoliert.128 Schon einige Jahre vorher, etwa ab 1310, hatte mit der Verfolgung der Anhänger Olivis auch die Campagne gegen seine Werke eingesetzt: die Autoritäten des Ordens verurteilten sie und veranlaßten ihre Einsammlung und Verbrennung.129 Hauptgrund des Vorgehens war die von Olivi vertretene Auffassung, daß die Mitglieder des Ordens im Gebrauch der ihnen zur Verfügung stehenden Dinge die absolute Armut einhalten müßten (usus pauper). Auf dem Generalkapitel, das an Pfingsten 1319 in Marseille tagte, wurden sämtliche Schriften Olivis verurteilt. Am 8. Februar 1326 verurteilte der Papst Johannes XXII. seinen Apokalypse-Kommentar. In diesem Werk werden die Prophezeiungen, die Joachim von Fiore in seiner Auslegung der Apokalypse geäußert hatte, auf die Schicksale des Franziskanerordens angewandt. Neben diesem Kommentar hat Olivi noch andere exegetische Schriften verfaßt, so Kommentare zur Genesis, zu den Psalmen, zum Hohen Lied, dem Propheten Ezechiel, dem Johannes-Evangelium, dem Römerbrief und weiteren Büchern des Alten und Neuen Testaments. Hinzu kommen seine systematischen Werke 127

Ehrle, Petrus, 432f. Ebd. 442f.; vgl. auch ebd. 456f.; Ders., Die Spiritualen, ebd. 2,129. 293. 129 Ehrle, Petrus, 444–456. Das Gutachten einer Theologenkommission über die Häresien Olivis: Stephan Baluze, Miscellanea, ed. J.D. Mansi, II, Lucca 1761, 258–272. Der neunte Artikel Olivis über die Verwerfung der alten Kirche und die Erneuerung des Gesetzes und Lebens Christi durch den Christus gleichförmigen Franziskus wird als »häretisch und verabscheuenswürdig« qualifiziert: »Sicut enim in sexta aetate reiecto carnali Iudaismo et vetustate prioris saeculi venit novus homo Christus cum nova lege vita et cruce, sic in sexto statu reiecta carnali Ecclesia et vetustate prioris saeculi renovabitur Christi lex et vita et crux. Propter quod in eius primo initio Franciscus apparuit Christi plagis characterizatus et Christo totus concrucifixus et configuratus: Haereticus et horrendus quantum ad hoc, quod dicit de reiectione Ecclesiae. Absit enim a cordibus fidelium, quod Ecclesia catholica, quam carnalem blasphemat, sit quasi vetusta a Christo reiicienda eo modo, quo vetus synagoga a Christo primitus est reiecta« (ebd. 260; vgl. 272); hierzu: Jacques Paul, Les Spirituels, l’E´glise et la Papaute´, in: Chi erano gli Spirituali (o. Anm. 114), 221–262; bes. 245–247. 128

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(darunter ein Sentenzen-Kommentar) und die Schriften zur aktuellen Armutsproblematik der Minoriten, darunter Traktate über die Armut, den usus pauper und eine Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin über Begriff und Inhalt der Armut im franziskanischen Sinne.130 Olivis Schüler Ubertino von Casale (1259 – ? nach 1325) schrieb im Jahre 1305 auf dem Berg La Verna sein umfangreiches Werk »Arbor vite crucifixe Iesu«, in dem, aufbauend auf dem Leben und Leiden Jesu, eine umfassende theologische Gesamtschau, eine Art meditativer Summe, in stark emotionsgeladenem Predigtstil entwickelt wird.131 Die radikal-franziskanischen, spiritualistischen und apokalyptischen Vorstellungen sind im V. und letzten Buch des Werkes versammelt. Für die Minoriten läßt Ubertino nur die Armut in ihrer allerextremsten Form gelten. Er war der geistige Führer der Spiritualen in Mittelitalien. 1307 ist er in der Umgebung des Kardinals Napoleon Orsini, den der »Engelpapst« Cölestin V. schon 1294 mit der Protektion der Spiritualen der Mark Ancona beauftragt hatte. Für die Verbindlichkeit der radikalen Armut setzte sich auch der wohl bedeutendste Spiritualen-Führer Angelus Clarenus († 15. Juni 1337) in seinem Hauptwerk »Historia septem tribulationum« (verfaßt 1330) ein.132 Er hieß ursprünglich Petrus Clarenus de Fossabruno (Fossombrone) und war schon 1280, zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen, als Häretiker zu ewigem Kerker verurteilt worden. Der 1289 in Rieti zum Generalminister gewählte Provenzale Raymund Gaufredi (Godefroy) ließ die Gefangenen wieder frei und schickte sie als Missionare nach Armenien, wo sie erfolgreich wirkten. 1293 nach Italien zurückgekehrt, erhielten sie von Cölestin V. die Erlaubnis, einen eigenen Orden zu bilden (Pauperes Eremitae Domini Coelestini) und in kleinen Konventen nach der Regel des Franziskus ohne jede Erklärung zu leben. Oberer wurde Petrus von Macerata, der den Namen Liberatus annahm. Als Liberatus 1305 starb, übernahm Angelus Clarenus die Führung des neuen Ordens. 1311 hielt er sich, unter dem Schutz des Kardinals Jakob Colonna, in Avignon auf.

130 S. die Liste und ausführliche Inhaltsbeschreibung aller Werke bei Ehrle, ebd. 459–540; den Regel-Kommentar Olivis hat David Flood (mit ausführlicher Einleitung) ediert: Peter Olivi’s Rule Commentary. Edition and Presentation (VIEG 67), Wiesbaden 1972. 131 S.o. Anm. 124 und Kap. I, bei Anm. 142. 132 Zu dem Werk s.o. I. Kap., bei Anm. 143; zum Verfasser: Lydia von Auw, A propos d’Angelo Clareno, in: Chi erano gli Spirituali (o. Anm. 116), 205–220; Edition seiner Briefe: s.o. I. Kap., Anm. 143.

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Die endgültige Ausgrenzung der Spiritualen aus Orden und Kirche Der Schwerpunkt der Spiritualen-Bewegung war um diese Zeit in der Provence, namentlich dem Konvent von Narbonne. Die Fratres Narbonnenses verehrten Olivi als ihren großen Heiligen. Die Auseinandersetzungen mit ihnen erreichten unter dem Pontifikat des Papstes Clemens V. (1305–1314) ihren Höhepunkt. Im Vorfeld des Konzils von Vienne befaßte sich eine vom Papst eingesetzte Theologen-Kommission eingehend mit den anstehenden Fragen. In der letzten Sitzung des Konzils, am 6. Mai 1312, erließ Clemens V. zwei Dekrete: »Fidei catholicae fundamento« verurteilte einige Ansichten Olivis als Irrtümer, ohne ihn aber namentlich zu nennen;133 »Exivi de Paradiso« gibt eine kasuistische Auslegung einzelner Vorschriften der Ordensregel und legt den Grad von deren Verbindlichkeit fest. Höchster Verbindlichkeitsgrad kommt den Sätzen zu, die im Befehlston geäußert sind. Ihre Übertretung bedeutet jeweils eine Todsünde.134 Eine derartige Kasuistik hat natürlich mit dem Geist des Franziskus überhaupt nichts mehr zu tun, der ja bekanntlich den Minderbrüdern das Evangelium Jesu Christi als ganzes zur »Regel« machen wollte. Die Dekretale »Exivi« ist auch eine definitive Absage an die Spiritualen und leitete deren endgültige Trennung von der Kommunität ein. Die päpstliche Verlautbarung mußte sie vor allem deshalb enttäuschen, weil der usus pauper nicht als wesentlicher Bestandteil des Armutsversprechens angeführt war. Die Spiritualen der Provence machten ihre Trennung von der laxeren Hauptrichtung des Ordens äußerlich sichtbar, indem sie eine eigene Ordenstracht annahmen. Gleichwohl versuchte Clemens V. gegen Ende seines Pontifikats, die Spiritualen durch Entgegenkommen beim Orden zu halten. In seinem Auftrag wies der damalige Generalminister Alexander von Alexandria (seit 1313 Nachfolger des Gonsalvus von Valboa: 1304–1313) den Spiritualen die drei Konvente von Narbonne, Be´ziers und Carcassonne zu. Clemens V. starb am 14. April 1314, der Franziskanergeneral Alexander am 5. Oktober des gleichen Jahres. In beiden Ämtern trat nun jeweils eine lange Sedisvakanz ein. Der Minoritenorden erhielt erst auf dem Pfingstkapitel zu Neapel am 29. Mai 1316 in Michael Fuschi von Cesena einen neuen Generalminister; nach schier endlosen Streitereien der Kardinäle bestieg am 7. August 1316 Johannes XXII. (Jacques Due`ze) den Apostolischen Stuhl. Beide waren Gegner der Spiritualen. Gleichwohl bemühte sich Michael von Cesena am Anfang seines Generalats um eine Versöhnung mit den Spiritualen der Provence. Er bot ihnen Verzeihung an. Doch die Spiritualen meinten, eine 133

Bull. Fr. 5,86 (Nr. 196). Bull. Fr. 5,80–86 (Nr. 195); Seraphicae Legislationis Textus Originales, Rom 1901, 25–29. 134

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solche nicht nötig zu haben: weder hinsichtlich der Regel, denn sie hatten die Bulle »Exivi« akzeptiert; noch hinsichtlich ihrer eigenen Ordenskleidung; noch hinsichtlich der Besetzung der Konvente von Narbonne und Be´ziers, die ihnen ja von dem verstorbenen Papst und dem verstorbenen Generalminister zugewiesen worden waren. Sie appellierten an den zukünftigen Papst. Sobald Johannes XXII. im Amt war, traten Kreise aus der Kommunität, und namentlich Bonagrazia von Bergamo, an ihn heran mit dem Antrag, die Spiritualen (die »Fraticelli« genannt werden), total zu unterdrücken und Ubertino von Casale zu bestrafen. Der Papst zitierte Ubertino, Angelus Clarenus und zwei weitere Spiritualen aus dem Konvent von Narbonne vor sich nach Avignon. Nach einer Befragung wurde Angelus Clarenus verhaftet. Am 27. April 1317 zitierte der Papst weitere 62 Brüder aus den Konventen von Be´ziers und Narbonne zu sich. Ihnen schlossen sich Bernard De´licieux, der in sehr schlechtem Ruf stand, und ein weiterer Bruder an. Die 64 Spiritualen zogen, wie bereits erwähnt, eines Abends vor den bischöflichen (päpstlichen) Palast zu Avignon, wo sie die Nacht verbrachten. Tags darauf zur Audienz vorgelassen, verteidigten nacheinander Bernard De´licieux, Wilhelm von Saint-Amand, Geoffroy von Cornone und Franz Sanche die Sache der Spiritualen und forderten schließlich die Trennung vom Minoritenorden und das Recht, einen eigenen Orden zu bilden. Johannes XXII. ließ die vier Wortführer sofort einkerkern; die übrigen sollten bis zu einer weiteren päpstlichen Verlautbarung in dem Konvent von Avignon bewacht werden. Die in Aussicht gestellte Entscheidung erschien am 7. Oktober 1317 in Gestalt der Bulle »Quorundam exigit«.135 Mit diesem päpstlichen Dokument wird das Ende der Franziskaner-Spiritualen als selbständiger Bewegung innerhalb des Ordens und der Römischen Kirche besiegelt. Der Papst verlangt von ihnen in allen umstrittenen Einzelheiten, wie der Frage der Erlaubtheit von Vorratsspeichern und Kellern und der besonderen Form der Kleidung, die vorbehaltlose Unterwerfung und den absoluten Gehorsam gegenüber den Anordnungen der Oberen. Wer nicht bereit war, unter Verzicht auf die spiritualistischen Sondervorstellungen, sich vollständig der Kommunität zu integrieren, wurde damit ins häretische Abseits gestellt. Eine Woche vor der Publizierung der Dekretale »Quorundam exigit«, am 1. Oktober 1317, hatte Johannes XXII. Ubertino von Casale erlaubt, den Minoritenorden zu verlassen, und ihn als Benediktiner-Mönch der Abtei St. Peter in Gembloux (Bistum Lüttich) inkorporiert.136 Ob sich Ubertino jemals dorthin begeben hat, ist fraglich. Als der Papst am 28. März 1322 seine Meinung über die Armut Christi erfragte, war er jedenfalls (noch oder wieder?) in Avignon. Am 16. September 1325 fordert der Papst den General, die Minister, Custoden und 135 136

Bull. Fr. 5,128–130 (Nr. 289). »Verbum attendentes«: ebd. 127 (Nr. 287).

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Guardiane des Ordens in Italien auf, den der Häresie angeklagten, ziellos durch die Welt vagabundierenden Ubertino zu fangen.137 Aber der war entweder bereits tot oder für den Rest seines Lebens untergetaucht. Angelus Clarenus, der während seiner Gefangenschaft im Sommer 1317 seinen Entschuldigungsbrief (Epistola excusatoria) an den Papst geschrieben hatte,138 erhielt die Möglichkeit zwischen der Zugehörigkeit zu dem Franziskanerorden oder einem anderen Orden zu wählen. Er erklärte darauf, er gehöre bereits einem durch den Papst (Cölestin V.) approbierten Orden an, nämlich dem der Eremiten. Darauf ließ ihn der Papst durch den Kardinal Napoleon Orsini in das Ordenskleid der Eremiten des Peter vom Morrone einkleiden.139 Nach dem Tod seines Protektors, des Kardinals Jakob Colonna (1318), zog er sich in ein Eremitorium zurück, das der Abtei Subiaco gehörte. Als er im Februar 1334 verhaftet werden sollte, weigerte sich der Abt von Subiaco, ihn auszuliefern. Angelus starb am 15. Juni 1337. Im Oktober 1317 versuchte der Generalminister Michael von Cesena, die 60 im Konvent zu Avignon festgehaltenen Spiritualen zur Annahme der Bulle »Quorundam exigit« zu bewegen. 25 von ihnen verweigerten auch jetzt noch dem Papst den Gehorsam und wurden darauf dem Inquisitor Bruder Michel le Moine übergeben. Die meisten von ihnen waren nach der peinlichen Befragung bereit, ihren Irrtümern öffentlich abzuschwören. Vier Brüder dagegen, die weiterhin behaupteten, die Regel des heiligen Franziskus sei mit dem Evangelium identisch; das feierliche Versprechen auf die Regel habe die verpflichtende Kraft eines Gesetzes, von dem niemand dispensieren könne; der Papst könne nicht vom Evangelium Christi dispensieren, indem er Vorratskeller und Speicher erlaube, wurden am 7. Mai 1318 in Marseille verbrannt.140 Ein fünfter, der mehrere Tage hartnäckig war, schließlich aber doch widerrufen hatte, wurde zur »ewigen Einmauerung« verurteilt. Man sieht: der eigentliche Grund für den Tod der letzten überzeugten Spiritualen, ihre »Häresie«, war nichts anderes als ihr Treue zum ursprünglichen Ideal des Franziskus. 137

»Cum Ubertinus«: ebd. 292 (Nr. 587). Text bei Ehrle, Spiritualen, Arch. f. Lit. und Kirchengesch. 1,521–533. 139 Hist. VII trib. (Ehrle, ebd. 2,143f.). 140 »Illos autem XXV tradiderunt in manibus inquisitoris, ex quibus quatuor combusti sunt pro eo, quod asserebant regulam s. Francisci esse idem, quod ewangelium Christi, quod solempniter promissum cadit in preceptum, eo quod tale votum habet vim precepti, specialiter in hiis, que regula preceptorie vel inhibitorie mandat, et talia, dicebant, non cadunt sub dispensacione alicuius. Asserebant eciam, quod summus pontifex non potuerat fratribus minoribus, qui promiserunt Christi ewangelium, concedere celaria, granaria et olearia; et quod papa peccaverat concedendo et ipsi recipiendo. Et quia ab hac assercione non potuerunt per aliquem revocari, ideo sentenciam ignis acceperunt« (ebd. 2,146). Über den Kult der vier in Marseille hingerichteten Spiritualen als Märtyrer s.: Benz, Ecclesia Spiritualis, 356. 138

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8. Der Armutsstreit unter dem Papst Johannes XXII. Im Jahre 1321 brach ein neuer Streit um das Armutsverständnis aus. Die sich gegenüberstehenden Parteien waren diesmal der Papst Johannes XXII. und die Ordensleitung der Minoriten, angeführt von dem Generalminister Michael von Cesena. Da es in dieser Kontroverse nicht direkt um das Leben der Minderbrüder und die faktischen Verhältnisse in den Konventen, sondern vorrangig um eine exegetisch-historische Frage ging, spricht man (ungenau!) von dem »theoretischen Armutsstreit«. Die erwähnte Frage war die, ob Jesus und die Apostel Eigentum besessen hatten oder nicht. Sie war schon deshalb nicht rein theoretisch, weil es natürlich Folgen für die aktuelle Kirche haben mußte, wenn die Häupter der Urkirche tatsächlich besitz- und machtlos gelebt hatten. Anlaß der gesamten Kontroverse war die Predigt eines »freien« Franziskaners, eines sogenannten Bizzocco (quidam beguinus seu bisocus) in Narbonne – also auf einschlägig vorbelastetem Gelände! – der eben dies behauptete: Christus und seine Apostel seien absolut arm, ohne jeglichen privaten oder gemeinsamen Besitz gewesen. Die Behauptung provozierte das Eingreifen der bischöflichen Inquisition.141 Alle Franziskaner, gleich welcher Couleur, waren aber bezüglich der in der Urkirche herrschenden Armutspraxis einer Auffassung, auch hinsichtlich deren Verbindlichkeit im allgemeinen für den Orden, auch wenn es inzwischen so viele Ausnahmebestimmungen gab, daß sie de facto ausgehöhlt war. Die stärkste kirchenamtliche Stütze für diese Auffassung fand der Orden noch immer in der Bulle »Exiit qui seminat« Nikolaus’ III. Es war deshalb schon ein schwerer Schlag für den Orden, als Johannes XXII. sich in die Auseinandersetzung einmischte und am 26. März mit der Bulle »Quia nonnumquam«, von der Position seines Vorgängers Nikolaus’ III. abweichend, die von diesem »für alle Zeiten« entschiedene Frage erneut zur Diskussion stellte.142 Der Papst berief sich dabei auf seine Funktion als oberster Gesetzgeber (canonum conditor), der von ihm selbst oder seinen Vorgängern erlassene gesetzliche Bestimmungen (canones) oder Teile daraus ohne weiteres widerrufen, modifizieren oder suspendieren könne. Für den Franziskaner-Orden stellte die päpstliche Dekretale eine starke Provokation dar. Das an Pfingsten 1322 in Perugia versammelte Generalkapitel reagierte darauf mit einem Rundschreiben an die gesamte Christenheit (4. Juni 1322). Bezüglich der apostolischen Armut wird dort festgestellt: Die Ansicht, daß Christus und die Apostel weder persönliches noch gemeinsames Eigentum und auch kein Verfügungsrecht über Besitz gehabt hätten, sei keine Häresie, sondern gesunde katholische und rechtgläubige Lehre.143 Die Verfas141 142

Stephan Baluze, Miscellanea, ed. J.D. Mansi, III, Lucca 1762, 206f. Bull. Fr. 5,224f. (Nr. 464); Corp. Iur. Can. ed. Friedberg II,1224.

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ser berufen sich dabei ausdrücklich auf die Bulle »Exiit qui seminat«, von der sie den einschlägigen Passus im Wortlaut zitieren. In einem zweiten an die Allgemeinheit gerichteten Schreiben, das drei Tage später (7. Juni 1322) von Perugia hinausging, begründeten die Amtsträger und Theologen des Minoritenordens dann ihre Ansicht in aller Ausführlichkeit. Bedeutsam an diesen beiden Schreiben ist die Auffassung, daß ein einmal vom Apostolischen Stuhl als rechtgläubig gebilligter Lehrsatz für alle Zeiten Gültigkeit habe. Die Lehre von der Armut Christi und der Apostel ist aber mehrfach von der Römischen Kirche definiert und bekräftigt worden. Sie kann also keinesfalls häretisch sein.144 Gegen den Papst wird aber nicht nur die bisherige Lehrtradition der Römischen Kirche und insbesondere die franziskanerfreundliche Gesetzgebung früherer Päpste ins Feld geführt, sondern die Autorität der Theologen, der exegetischen Fachgelehrten des Ordens: Am Ende des zweiten Briefes des Generalkapitels von Perugia heißt es ausdrücklich, daß nicht nur die auf dem Kapitel anwesenden Magister und Baccalare, sondern alle 41 dem Orden angehörenden Magister und Baccalare der Heiligen Schrift, die in Paris und in England (Oxford!) lehren, die vorgetragene Auffassung der apostolischen Armut für die schriftgemäße und katholische halten.145 Johannes XXII. brauchte genau fünf Monate, bis er auf diesen Affront reagierte. Der Gegenschlag gegen den Orden war aber umso gründlicher. Am 8. Dezember 1322 ließ er die Bulle »Ad conditorem canonum« an das Portal der Kathedrale von Avignon anschlagen. Der erste Satz macht schon den grundsätzlichen Unterschied seiner Aufassung von derjenigen der Franziskaner deutlich: 143 ». . determinationi Sanctae Romanae Ecclesiae firmiter et totaliter inhaerentes, concorditer et unanimiter dicimus et fatemur, quod dicere et asserere, quod Christus viam perfectionis ostendens et Apostoli eamdem viam perfectionis sequentes, atque per exemplum in alios volentes perfecte vivere derivantes, nihil iure proprietatis et dominii, seu iuris proprii in speciali et in communi habuerunt, non est haereticum, sed sanum, Catholicum et fidele« (Baluze, Misc. III,208a). 144 ». . illud, quod pro sano dogmate sedes apostolica comprobavit, semper teneri debet acceptum. Nec ab eo licet alicui quomodolibet resilire« (ebd. 208a/b). »Nulla assertio est haeretica, quae fundatur super determinationem et confirmationem multiplicem Sanctae Romanae Ecclesiae. Sed asserere Christum et Apostolos non habuisse aliquid in proprio, nec in communi, ut praedictum est, fundatur super multiplicem determinationem et confirmationem Sanctae Romanae Ecclesiae. Ergo huiusmodi assertio non est haeretica« (ebd. 208/209). S. hierzu: A. Bartoli Langeli, Il manifesto francescano di Perugia del 1322. All’origine dei fraticelli »de opinione«. Picenum Seraphicum 11 (1974), 204–261. 145 »Supradictam diffinitionem et determinationem Generalis Capituli, Magistrorum et Bacallariorum, non solum dicti Magistri et Bacallarii in dicto Capitulo Generali existentes approbaverunt, sed omnes Magistri et Bacallarii de ordine in Sacra Pagina numero XLI Parisiis et in Anglia commorantes hoc idem approbaverunt. Et de hoc fecerunt eiusdem generis patentes Litteras, eorum sigillis et subscriptionibus roboratas« (Baluze III,211b).

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Zweifellos ist es Aufgabe des kirchlichen Gesetzgebers [d.h. des Papstes!], wenn er merkt, daß von ihm selbst oder seinen Vorgängern erlassene Gesetze eher hinderlich als nützlich sind, Vorsorge zu treffen, daß sie nicht weiteren Schaden anrichten können.146

Der Papst hat also nicht vor, sich mit den Minoriten auf einen dogmatischtheologischen Disput einzulassen, sondern beruft sich, wie schon vorher in »Quia nonnumquam«, ganz einfach auf seine Stellung als (einziger!) kirchlicher Gesetzgeber, der natürlich an die vorausgegangenen Entscheidungen seiner Vorgänger nicht gebunden ist. So schafft er die seit langem gültige Regelung ab, nach der der vom Orden genutzte bewegliche und unbewegliche Besitz Eigentum der Römischen Kirche ist. Die Annahme, daß ein vom Eigentum oder Besitzrecht abgetrennter Gebrauch (usus) möglich sei, erklärt er für rechts- und vernunftwidrig.147 Er verzichtet für die Kirche auf den Besitz (dominium) der Güter des Ordens (ausgenommen Kirchen, Werkstätten, Wohnungen, Kultgegenstände und Bücher, die kultische Bedeutung haben). Das Amt des Prokurators (Vermögensverwalters) des Ordens wird abgeschafft und seine Wiedereinführung für alle Zukunft verboten.148 Damit macht der Papst der Fiktion (simulatio) der Eigentumslosigkeit und des bloßen Gebrauchs (usus) der Güter durch den Orden ein Ende. Mit besonderer Schärfe und Ironie weist die Bulle mehrfach auf die Tatsache der bloßen Fiktion der Armut hin und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Wer könnte denn denjenigen einen einfachen Nutznießer nennen, der die zum Nutzen überlassene Sache umtauschen, verkaufen und verschenken kann? . . . Welcher geistig normale Mensch wird denn annehmen können, daß es die Absicht eines so bedeutenden Vaters [Papst Nikolaus’ III.] war, das Besitzrecht über ein Ei oder einen Käse oder einen Bissen Brot oder andere Konsumgüter, die den Brüdern selbst oftmals zum Verbrauch an Ort und Stelle überlassen werden, der Römischen Kirche und den Brüdern den bloßen Gebrauch vorzubehalten?149

Man weiß aber, daß genau dies der »verrückten« Auffassung des Franziskus von der radikalen Armut entsprach. Der förmliche Protest, den der Prokurator des Ordens, Bruder Bonagratia von Bergamo, einlegte,150 hatte nur zur Folge, daß Johannes XXII. eine überarbeitete Fassung seiner Bulle »Ad conditorem canonum« herausgab, die aber 146

»Ad conditorem canonum non est dubium pertinere, cum statuta a se vel a suis praedecessoribus edita obesse percipit potius quam prodesse, ne ulterius obesse valeant, providere« (Bull. Fr. 5,233f.; Nr. 486); der Text der Bulle auch in: Baluze, Misc. III,211–213; Corp. Iur. Can. ed. Friedberg II,1225–1229. 147 »Dicere siquidem, quod in talibus rebus usus iuris vel facti separatus a proprietate seu dominio possit constitui, repugnat iuri et obviat rationi« (Bull. Fr. 5,237). 148 Ebd. 245f. 149 Ebd. 237a. 238a. Vgl. o. Einleitung, Anm. 7! 150 Baluze, Misc. III,213–221.

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in der Sache nichts änderte. Ein knappes Jahr später, am 12. November 1323, erklärt der Papst in der sehr kurz gehaltenen Bulle »Cum inter nonnullos« die Behauptung, Christus und die Apostel hätten weder privaten noch gemeinsamen Besitz gehabt, für irrig und häretisch.151 Wie wenige Jahre davor die Spiritualen wurde damit nunmehr die Mehrheit des Ordens, die an dem Ideal und Auftrag des Stifters wenigstens verbal festzuhalten entschlossen war, aus der Römischen Kirche ausgeschlossen und ins häretische Abseits gestellt. Es kann auch gar kein Zweifel sein, daß es die Armutsauffassung des Franziskus selbst war, die durch Johannes XXII. für häretisch erklärt wurde.152 In seiner Haltung zur Armutsfrage war der Papst ganz entscheidend beeinflußt durch Thomas von Aquin, dessen Werke er gerade damals eingehend studierte und den er im Juni 1323 kanonisierte.153 Am 9. April 1328 bestellte Johannes XXII. den Generalminister Michael von Cesena zu sich, und nachdem er ihn als »Dummkopf«, »Vermessenen«, »Dickschädel«, »Tyrannen«, »Begünstiger der Irrlehrer« und als »eine am Busen der Kirche ernährte Schlange« beschimpft hatte, machte er ihm Vorhaltungen bezüglich der sechs Jahre zuvor von Perugia ausgegangenen Schreiben der Ordensleitung an die Christenheit.154 Da er dem Generalminister (mit Recht) einen inzwischen erfolgten Gesinnungswechsel nicht zutraute, wollte er dessen Neuwahl auf dem bevorstehenden Generalkapitel zu Bologna verhindern. Deshalb untersagte er ihm, die Kurie von Avignon zu verlassen und ließ ihn schließlich einkerkern. Michael floh aber im Mai 1328 zusammen mit den ebenfalls vom Papst in Haft gehaltenen vier Brüdern Franziskus von Ascoli, Bonagrazia von Bergamo, Wilhelm von Ockham und Heinrich von Thalheim. Rhoˆne-abwärts gelangten sie über Aigues Mortes nach Pisa, in den Machtbereich des mit dem Papst in Konflikt befindlichen Kaisers Ludwig des Bayern. Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Papstes wählte das Generalkapitel der Franziskaner in Bologna Michael von Cesena in Abwesenheit erneut zum Generalminister und sprach ihm das Vertrauen aus. Johannes XXII. verfügte darauf seine Absetzung. Auf dem Generalkapitel zu Paris am 10. Juni 151 Ebd. 224b; Bull. Fr. 5,256–259 (Nr. 518); Corp. Iur. Can. ed. Friedberg II,1229; s. hierzu: Benz, Ecclesia Spiritualis (o. IV. Kap., Anm. 135), 243f. 152 Zu diesem Ergebnis kommt auch Johannes Schlageter, Wurde die Armutsauffassung des Franziskus von Assisi von der »offiziellen« Kirche schließlich abgelehnt? Francisci Armutsverständnis und der Streit über »dominium Christi« und »paupertas Christi« unter Papst Johannes XXII. (1316–1334). Franz. Stud. 60 (1978), 97–119; ebenso: Moorman, History, 316–318; dagegen: M.D. Lambert, Franciscan Poverty. The doctrine of the absolute poverty of Christ and the Apostles in the Franciscan Order 1210–1323, London 1961, 235–241. 153 M.D. Lambert, The Franciscan Crisis under John XXII. Franc. Studies 32 (1972), 123–143; ebd. 127; vgl. o. bei Anm. 52–54. 154 Baluze, Misc. III,237b.

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1329, an dem nur eine Minderheit der wahlberechtigten Ordensoberen teilnahm, ließ er den ihm genehmen Geraldus Odonis zum neuen General wählen. Damit kehrte, wie Lucas Wadding bemerkt, im Orden die »große Ruhe« ein.155 In den nächsten Jahren bildeten Michael von Cesena, Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua am kaiserlichen Hof in München den Kern einer antipäpstlichen Theologen- und Juristen-Opposition, die mit zahlreichen Schriften auf hohem Niveau die Auseinandersetzung mit dem Papsttum weitertrieb, natürlich aber auch Ludwig dem Bayern für dessen politische Ziele diente. Diesen Teil der Auseinandersetzung wollen wir aber hier nicht mehr betrachten.156 Denn die beteiligten Minoriten waren zusammen mit dem abgesetzten General Michael von Cesena und der Majorität des Ordens zur Sekte der »Michaelisten« abgestempelt worden. Ihre geistigen Nachfahren wurden, ebenso wie die der Spiritualen, im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts als »Fraticellen« durch die Inquisition verfolgt, wobei sich vor allem die »rechtgläubigen« Franziskaner, und unter ihnen die heiligen Männer Bernardin von Siena (1380–1444) und Johannes von Capestrano (1386–1456), unrühmlich hervortaten. Bei dieser großen geschichtlichen Tragödie (weil die entgegengesetzten Standpunkte in ihrem jeweiligen »Recht« unversöhnbar waren!) durfte aber auch das Possenspiel, die Farce, nicht ausbleiben: Im Jahre 1331 bat der Generalminister Geraldus Odonis den Papst unter anderem, alle päpstlichen Erklärungen der Regel aufzuheben, da sie im Widerspruch zu dem im Testament ausdrücklich zum Ausdruck gebrachten Willen des heiligen Franziskus stünden und eher geeignet seien, die Gewissen der Brüder zu verstricken als Zweifel zu beseitigen. Entgegen der Meinung von E. Benz wollte Gerald damit nicht dem genuinen franziskanischen Armutsideal wieder zum Durchbruch verhelfen, sondern sein Vorstoß beabsichtigte nichts anderes als die absolute Laxheit in Fragen des Besitzes und des Geldes endgültig zu legalisieren: nach dem zweiten Punkt seines Antrags sollte nämlich den Ministern eine umfassende Dispenspraxis in Gewissensfragen eingeräumt werden; der dritte Punkt hatte die faktische Aufhebung des Geldverbots zum Ziel.157 Der Papst schmetterte das Ansinnen unter Äußerung großen Unwillens ab, und bei 155

Wadding, Ann. Min. 7, Rom 1733, 98: »In his comitiis omnino terminata fuit controversia de paupertate Christi. . . Qua ratione factum est, ut diuturna cessaverit tempestas, et facta sit in Ordine tranquillitas magna.« 156 S. dazu vor allem: Romuald Bauerreis, Kirchengeschichte Bayerns. IV. Das XIII. und XIV. Jahrhundert, St. Ottilien 1953, 121–147; Karl Bosl, Die »geistliche Hofakademie« Kaiser Ludwigs des Bayern im alten Franziskanerkloster zu München, in: Der Mönch im Wappen. Aus Geschichte und Gegenwart des katholischen München, München 1960, 97–129. 157 Wadding, Ann. Min. 7,121f.; vgl. Benz, Ecclesia Spiritualis, 242f.

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den Kardinälen der Kurie wurde der Generalminister zum Gespött, weil sie erkannten, daß sein Vorstoß aus Augendienerei dem Papst gegenüber erfolgt war mit der Absicht, Kardinal zu werden. Nicht weniger amüsierte die hohen Herren der in diesem Drama erfolgte Rollentausch: der Generalminister der Minoriten hatte sich auf einmal als Zerstörer, der Papst als Retter von Regel und Gründung des heiligen Franziskus gezeigt.

EPILOG

DAS WEITERLEBEN DES FRANZISKANISCHEN IDEALS In seinen Annalen zum Jahre 1441 berichtet Wadding über die Begegnung Bernardins von Siena mit dem Apostolischen Nuntius Albert von Sarteano vor den Toren von Cortona. Albert, der wie Bernardin Minorit war, kehrte von einer Gesandtschaft nach Äthiopien und Indien im Auftrag des Papstes Eugen IV. zurück und ritt, seiner Würde entsprechend, ein prächtig aufgezäumtes Pferd. Bernardin, der seinerseits auf einem Esel ritt, rief ihm zu: »Bruder Albert, sieh auf deine Füße! Denk an den Tod! Gib acht, daß so hohe Ehren dich nicht hochmütig machen!« Als Albert darauf mit ihm das Reittier tauschen wollte, lehnte Bernardin das ab mit der Bemerkung, es sei in Ordnung, wie jeder von ihnen reite; man müsse nur achtgeben, daß der eitle Ruhm der Welt sich nicht einschleiche.1 Das Entscheidende am franziskanischen Ideal scheint hier auf die innere Haltung, die Gesinnung echter Demut reduziert. Bei Franziskus war es ganz wesentlich auch auf das äußere Verhalten, das Beispielgeben, angekommen. Zwar haben die Reformbewegungen im Spätmittelalter und in der Neuzeit innerhalb des kirchlich gebliebenen Franziskanertums, wie die Observanten und die Kapuziner, bei den Frauen die Colettinerinnen, immer auch auf eine äußerliche Erneuerung Wert gelegt. Aber letztlich wichtiger waren bei ihnen doch Gehorsam und kirchenkonforme Gesinnung. Daß gleichwohl echter franziskanischer Geist auch in den kirchlichen Orden der »franziskanischen Familie« lebendig sein kann, wird im Ernst niemand bestreiten wollen. Dennoch scheint das nicht an räumliche, zeitliche, weltanschauliche Grenzen gebundene Weiterleben des Franziskanertums bedeutsamer zu sein. Schon Franziskus selbst hat ja nicht nur das Urchristentum (so wie er es verstand) erneuert, sondern in seinem Leben und Denken sind wichtige Elemente der vorchristlichen Religionen und der antiken Philosophie wieder lebendig geworden: mit seiner Ehrlichkeit, »Nacktheit«, der szenischen Demonstration (Performance), der Predigt durch Tat und Beispiel erneuert er etwas vom antiken Kynismus; die von ihm in der Natur und in Orakeln verschiedener Art erlebte und inszenierte Gottesoffenbarung geht weit über jedes in den neu1

Wadding, Ann. Min 11, Rom 21734, 119.

504

Epilog

zeitlichen christlichen Konfessionen herrschende Offenbarungsverständnis hinaus; seine Auffassung des heiligen Ortes und seine Rehabilitierung von »Bruder Sonne« und »Schwester Mutter Erde« als beseelter göttlicher Erscheinungen knüpfen unmittelbar an antike religiöse Vorstellungen an. Franziskus überliefert auch für die Gegenwart notwendige und brauchbare Lebenshaltungen und Werte aus der Welt des Mittelalters, die er selbst in origineller Weise durchdacht und gelebt hat. Es sei nur an seine zeitlebens durchgehaltene ritterliche Vornehmheit (curialitas, courtoisie, Höfischkeit) erinnert. Aber es ist hier auch an sein meditatives Gebet zu denken, das wesentlich ein Lob- und Dankgebet für die Geschöpfe Gottes ist, in denen er beseelte Wesen und Geschwister des Menschen sieht. Damit zusammen hängt ein in tiefster Seele optimistisches Welt-Verständnis. Dieses ist zwar religiöser Natur: die gesamte Welt ist zur Erlösung und endgültigen Versöhnung mit Gott bestimmt. Aber in dem fortwirkenden Bewußtsein von dem untergründigen Sinn und der Güte des Universums liegt, so meine ich, mit ein Grund für das Weiterwirken und die Lebendigkeit franziskanischen Geistes. Es sind die »zwei Seelen des Franziskanertums« (Salvatore Nicolosi), die bis in die Gegenwart ihre Wirkung entfalten: die mystisch-religiöse, weltabgewandte Seele, die aber in der Meditation zur Welt zurückfindet, und die weltoffene, kulturelle Seele, die aber im Nachdenken über die Rätsel der Welt und des Menschengeistes zu Gott findet. Franziskaner im weitesten, aber doch genuin franziskanischen Sinn sind zahlreiche nicht-franziskanische Menschen der Neuzeit, die in offiziellen kirchlichen Verlautbarungen gern mit den Verdikten der Häresie, des Rationalismus und des Unglaubens versehen wird. Auf seine Weise Franziskaner war Voltaire, dieser Rationalist. Was mag ihn an Franziskus angezogen haben? Vermutlich dessen rationale, nicht-chaotische Weltsicht und die Ehrfurcht vor dem Leben. Die Kapuziner von Gex, deren Kloster er reich beschenkt hatte, machten ihn zum »weltlichen Mitglied« ihres Ordens.2 Überdies hieß er Franc¸ois und hat seinen Namenstag, den 4. Oktober, stets festlich begangen. Die Ehrfurcht vor der Natur und dem Leben und die lebenslange Arbeit für die Armen und Kranken sowie sein Einsatz für den Frieden machen auch den elsässischen Protestanten Albert Schweitzer zu einem echten Franziskaner (magnus franciscalis vir).3 Das Gleiche gilt, mutatis mutandis, für die gelehrten Religionswissenschaftler Ernest Renan und Paul Sabatier, die beide zum Franziskanertum eine nicht ausschließlich wissenschaftliche Beziehung hatten. Und wenn in der Gegenwart ein Astrophysiker wie Hubert Reeves erkennt: »Wir sind die Kinder eines Kosmos, der uns nach einer 2

Alfred Noyes, Voltaire. Dichter – Historiker – Philosoph, München 1976, 355. Vgl. besonders: A. Schweitzer, Aus meiner Kindheit und Jugendzeit, München 1924, 22–26. 3

Epilog

505

Tragzeit von fünfzehn Milliarden Jahren geboren hat. Wie in der hinduistischen Überlieferung sind die Steine und die Sterne unsere Brüder«; und: »Aus der Sicht der Hintergrundstrahlung sind wir alles andere als ›Fremde‹ – wir sind die Kinder des Universums, die Söhne und Töchter der Sterne, die die Atome unseres Körpers erzeugt haben«,4 und damit der qualitative Unterschied zwischen Mensch und Tier, belebter und unbelebter Natur, Geist und Materie aufgehoben wird, so ist auch das ein Anzeichen für das Weiterleben echt franziskanischen Geistes. Vielleicht wird daraus ein ganz neues Verantwortungsbewußtsein für die Natur, und mehr als das, erwachsen. So gesehen gehört das Franziskanertum zu den großen, über die Zeiten wirksamen Utopien der Menschheit.

4 H. Reeves, Die kosmische Uhr. Hat das Universum einen Sinn? Düsseldorf 1989, 174; Ders., Schmetterlinge und Galaxien. Kosmologische Streifzüge, München-Wien 1992, 167.

ABKÜRZUNGEN AAS Acta SS AFH AKG Anal. Fr. BBKL Bull. Fr. CC CCCM I Cel II Cel III Cel Coll. Fr. Corp. Iur. Can. CSEL DHGE Dict. Spir. E´t. Fr. FF Fr. Stud. GCS Leg. mai. Leg. min. Leg. Per. LThK MGH SS Misc. Fr. MPG MPL S.I.S.F. 3 Soc Spec. perf. Stud. Fr. S.th. TRE

Acta Apostolicae Sedis Acta Sanctorum Archivum Franciscanum Historicum Archiv für Kulturgeschichte Analecta Franciscana Bio-Bibliographisches Kirchenlexikon Bullarium Franciscanum Corpus Christianorum Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis Thomas von Celano, Vita prima S. Francisci Thomas von Celano, Vita secunda S. Francisci Thomas von Celano, Tractatus de miraculis S. Francisci Collectanea Franciscana Corpus Iuris Canonici Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Dictionnaire d’Histoire et de Ge´ographie Eccle´siastique Dictionnaire de Spiritualite´ Les E´tudes Franciscaines Fonti Francescane, Padova 31982 Franziskanische Studien Griechische Christliche Schriftsteller Bonaventura, Legenda maior Bonaventura, Legenda minor Legenda Perusina Lexikon für Theologie und Kirche Monumenta Germaniae Historica, Scriptores Miscellanea Franciscana Migne, Patrologia Graeca Migne, Patrologia Latina Societa` Internazionale di Studi Francescani Legenda trium sociorum; Drei-Gefährten-Legende Speculum perfectionis Studi Francescani Thomas von Aquin, Summa theologica Theologische Realenzyklopädie

Z E I T TA F E L

1181 (1182?)

In Assisi Geburt des Giovanni di Pietro di Bernardone; er wird (vermutlich) im Dom S. Rufino auf den Namen Johannes Baptista getauft; der Vater nennt ihn Francesco.

1152–1190

Regierungszeit des Kaisers Friedrich I. Barbarossa.

1181–1185

Pontifikat des Papstes Lucius III.

1190

Heinrich VI. Kaiser.

1193 (1194?)

Geburt Klaras von Assisi.

1194

Geburt Friedrichs II. in Jesi; Erziehung in Assisi durch den Herzog von Spoleto, Konrad von Ürslingen.

26. Dez.

1197 1198

Tod des Kaisers Heinrich VI. 8. Jan.

Wahl Innocenz’ III. (Lothar von Segni) zum Papst († 1216).

1198

In Deutschland Doppelwahl: Philipp von Schwaben (1198–1208); Otto IV. (1198–1215); in Assisi Eroberung und Zerstörung der Rocca maggiore durch das Volk.

1199–1200

Bürgerkrieg in Assisi.

1202

Jan. Nov.

Pietro di Bernardone kauft einen Weinberg und ein Grundstück. Krieg zwischen Perugia und Assisi; Niederlage der Assisiaten bei Collestrada; Franziskus gerät in Gefangenschaft.

1202–1203

Einjährige Gefangenschaft des Franziskus in Perugia.

1203 Jahresbeginn

Innocenz III. verhängt über Assisi das Interdikt (aufgehoben am 6. Juli 1203). Vorläufige Aussöhnung der streitenden Parteien in Assisi.

1203–1204

Lange Krankheit des Franziskus nach Rückkehr aus der Gefangenschaft.

510

Zeittafel

1204/1205

Entschluß, nach Apulien zu reisen; in Spoleto Traumvision; Rückkehr nach Assisi; Wahl zum »Führer« der Jugend; Anfang des stufenweisen Prozesses der »Bekehrung«.

1206

Pflege der Aussätzigen; Vision des Crucifixus von S. Damiano.

1206 (1205?)

Pilgerfahrt nach Rom; probeweises Bettlertum vor der St. Peters-Kirche.

1207 Jahresbeginn

Trennung vom Vater; Szene vor dem Bischofspalast in Assisi; Weggang nach Gubbio.

1207–1208

Reparatur der Kirchen S. Damiano, S. Pietro della Spina, S. Maria degli Angeli (Porziuncola); er trägt das Kleid der Eremiten.

1208

24. Feb.

16. Apr.

1208

1209

Franziskus hört in der Portiuncula-Kirche das Evangelium des Tages von der Aussendung der Jünger durch Jesus (Mt 10,1–13). Er sieht darin die verbindliche Anweisung für sein künftiges Leben, legt das Eremitenkleid ab und zieht eine kreuzförmige Kutte an, die er mit einem Strick gürtet; von da an Leben in absoluter Armut. Die beiden ersten Gefährten schließen sich ihm an: Bernhard von Quintavalle und Petrus Catanii; am 23. April folgt Ägidius. »Erste Missionsreise« in Italien; im Laufe des Jahres schließen sich weitere vier Brüder der Gruppe an. Gegen Ende des Jahres erhält Franziskus in Poggio Bustone Gewißheit über die Vergebung seiner Sünden und die Zukunft seiner Bewegung.

Frühjahr

Ein weiterer Bruder (Philippus) schließt sich der Bruderschaft an; Auszug der nunmehr acht Brüder in die vier Himmelsrichtungen (»zweite Missionsreise«).

1209 vor Pfingsten

Franziskus reist mit elf Gefährten nach Rom; Begegnung mit Innocenz III. Kaiser Otto IV. zieht durch Umbrien.

Sept. 1210

Frühjahr

Vertreibung der Brüder aus Rovotorto; endgültige Festsetzung bei der Portiuncula.

1210

9. Nov.

Der Bürgerkrieg in Assisi wird mit einem Vertrag zwischen Oberschicht und Bürgern beendet.

Zeittafel

1211 (1212?) Sept.

1212 16. Juli 1213

8. Mai

511

In der Nacht des Palmsonntags kommt Klara heimlich zur Portiuncula, wo sie von Franziskus geschoren wird. Wahl Friedrichs II. zum deutschen König in Nürnberg; zugleich König von Sizilien († 1250). Erster (vergeblicher) Versuch des Franziskus, nach Syrien (Outremer) zu gelangen. Sieg der Spanier über die Sarazenen bei Las Navas de Tolosa. Graf Orlando (Roland) von Chiusi schenkt Franziskus den Berg Alverna (La Verna) bei Bibbiena.

1214 (1215?)

Franziskus reist nach Spanien mit der Absicht, in Marokko die Sarazenen zu bekehren; der Ausbruch einer Krankheit zwingt ihn zur Rückkehr nach Italien. In der Porziuncola nimmt er anschließend eine Anzahl vornehmer und gelehrter Männer in den Orden auf, unter ihnen Thomas von Celano.

1215–1216

Intensive Predigttätigkeit des Franziskus in Italien.

1215

Krönung Friedrichs II. in Aachen. IV. Lateran-Konzil, bei dem Franziskus anwesend ist; Begegnung mit dem heiligen Dominikus, Gründer des Prediger-Ordens.

1216

16. Juli 18. Juli

1216

1217

Tod Innocenz’ III. in Perugia; Anwesenheit des Franziskus in Perugia. Wahl Honorius’ III. (Cencio Savelli); Anwesenheit Jakobs von Vitry, der über die ersten Minderbrüder berichtet. Honorius III. bestätigt Franziskus die »Vergebung von Portiuncula«.

5. Mai

Das an Pfingsten bei der Portiuncula versammelte Generalkapitel beschließt die Aussendung von Brüdern nach Frankreich, Deutschland, Ungarn, Spanien, Marokko und Syrien.

1217

Auf der Reise nach Frankreich begegnet Franziskus in Florenz dem Kardinal Hugolino, der ihm gebietet, in Italien zu bleiben.

1217–1220

Bruder Elias von Cortona Provinzialminister in Syrien.

1218

11. Juni

Honorius III. bestätigt mit der Bulle »Cum dilecti« die Rechtgläubigkeit der Minderbrüder.

1219

Sommer

Orientreise des Franziskus.

512

Zeittafel

29. Aug. 5. Nov. 1219(?)

Erste Niederlassung der Minoriten in Paris.

1220 16. Jan. Feb. Sommer

22. Sept. 22. Nov.

1221

10. März 30. Mai

1221–1222 1222

Wahl Heinrichs (VII.) zum deutschen König. Hinrichtung von fünf Brüdern in Marokko durch den Kalifen Abu Jakub (die ersten franziskanischen Märtyrer). Brief Jakobs von Vitry aus Damiette an seine Freunde in Lothringen. Franziskus kehrt, alarmiert von der Nachricht über unerfreuliche Zustände im Orden, über Venedig nach Mittelitalien zurück. Er erhält vom Papst den Kardinal Hugolino als Protektor (»Papst«) des Ordens. Honorius III. führt mit der Bulle »Cum secundum« das Noviziat im Minoritenorden ein. Kaiserkrönung Friedrichs II. durch Honorius III. im St. Peter; der Kardinal Hugolino beauftragt ihn mit dem Kreuzzug. Tod des Petrus Catanii (Grabstein in der Außenwand der Portiuncula-Kirche). Pfingstkapitel bei der Portiuncula (sog. »Strohmatten-Kapitel«; Capitolo delle Stuoie); Elias neuer Vikar des Ordens; Beschluß einer erneuten Aussendung von Brüdern nach Deutschland unter Führung des Caesarius von Speyer; unter den Teilnehmern dieser Mission sind Thomas von Celano und Jordan von Giano, der in seiner Chronik darüber berichtet. Predigtreise des Franziskus durch Italien.

5. Aug.

1223 29. Nov. 24. Dez. 1224

Niederlage des Kreuzfahrerheeres vor Damiette. Begegnung des Franziskus mit dem Sultan Melek el-Kamil. Eroberung von Damiette durch die Christen.

Sommer 15. Aug. 10. Sept.

Predigt auf der Piazza von Bologna vor einer riesigen Menschenmenge. Abfassung der dritten und endgültigen Ordensregel (Regula bullata) in Fonte Colombo bei Rieti. Billigung der Regel durch die Bulle »Solet annuere« Honorius’ III. Feier der Heiligen Nacht in Greccio (»neues Bethlehem«). Vision des Bruders Elias bei Foligno, in welcher ihm der Tod des Franziskus in zwei Jahren angekündigt wird. Franziskus zieht sich zum Michaelsfasten auf den Berg La Verna zurück. Landung der ersten neun Franziskaner in Dover; erste Niederlassung in Oxford.

Zeittafel

ca. 14. Sept. Okt.

Vision des Seraphen und Auszeichnung mit den Stigmata. Franziskus kehrt über Borgo San Sepolcro, Monte Casale, Citta` di Castello zur Portiuncula zurück.

Winter

Aufenthalt in S. Damiano; Verschlimmerung des Augenleidens; erfolglose ärztliche Behandlung. In einer Vision erhält er die Gewißheit des ewigen Lebens; Dichtung und Komposition des Sonnenliedes.

1224

1225/1226

1226

Aufenthalt des päpstlichen Hofes in Rieti (23. Juni – 31. Januar); Franziskus kommt nach S. Fabiano (La Foresta) und Fonte Colombo, wo auf Veranlassung des Kardinals Hugolino seine Augenkrankheit durch die päpstlichen Ärzte behandelt wird. April

Sommer Sept.

Ende Sept. 3. Okt. 4. Okt.

1226–1270

1227

Erneute ärztliche Behandlung in Siena; »Kleines Testament« von Siena; anschließend läßt ihn Bruder Elias in den Konvent Le Celle bei Cortona bringen; Diktat des »Testaments«. Aufenthalt in Bagnaia bei Nocera; Verschlimmerung seines Krankheitszustandes. Er wird unter dem berittenen Geleit der Assisiaten in den Palast des Bischofs von Assisi gebracht. Der Arzt Buongiovanni di Marangone von Arezzo teilt ihm mit, daß seine Krankheit unheilbar sei. Er fühlt seinen Tod herannahen und läßt sich zur Portiuncula-Kirche tragen; unterwegs segnet er die Stadt Assisi. Franziskus stirbt bei der Portiuncula-Kirche nackt auf der Erde liegend. Der Leichnam des Franziskus wird nach Assisi getragen; unterwegs Aufenthalt in S. Damiano; Abschied Klaras und der Schwestern von dem Toten; Bestattung in der Krypta von S. Giorgio. Rundbrief des Generalministers Elias an die Provinzialminister, in welchem den Mitgliedern des Ordens der Tod und die Tatsache der Stigmata des Franziskus mitgeteilt werden. Regierungszeit Ludwigs IX. des Heiligen, Königs von Frankreich.

18. März 19. März 30. Mai

1228

513

29. Apr.

Tod des Papstes Honorius’ III. Der Kardinalbischof Hugolino von Ostia wird zum Papst gewählt und nimmt den Namen Gregor IX. an († 1241). Generalkapitel der Franziskaner in Assisi; Wahl des Johannes Parens zum Generalminister. Bulle »Recolentes« Gregors IX., in welcher zur Unterstützung für den Bau der Grabeskirche des Franziskus aufgerufen wird.

514

Zeittafel

16. Juli 19. Juli

1228–1229

1230

Thomas von Celano verfaßt die erste Lebensbeschreibung des Franziskus. 22. Apr.

25. Mai

28. Sept.

1231

Gregor IX. spricht Franziskus in S. Giorgio in Assisi heilig. Bulle »Mira circa nos«: Heiligsprechung und Festlegung des Feiertags auf den 4. Oktober.

16./17. Nov.

Bulle »Is qui Ecclesiam«, in welcher die neue Grabeskirche S. Francesco zur Haupt- und Mutterkirche des Ordens erhoben wird. Übertragung der Gebeine des Heiligen und heimliche Bestattung derselben unter der Unterkirche durch Elias im Einverständnis mit den städtischen Behörden. Bulle »Quo elongati« Gregors IX., in welcher die Ordensregel interpretiert und das Testament des Franziskus außer Kraft gesetzt wird. Tod der heiligen Elisabeth in Marburg.

1232 (1233?)

Ablösung des Johannes Parens; Elias wird zum Generalminister gewählt.

1235

Gregor IX. spricht in Perugia Elisabeth heilig (Datum der Kanonisationsbulle: 1. Juni).

27. Mai

1236

Übertragung der Gebeine der heiligen Elisabeth in die neuerbaute Grabeskirche in Anwesenheit des Kaisers Friedrich II. Alexander von Hales tritt in Paris dem Minoritenorden bei.

1239

Vollendung des Baus der Doppelkirche S. Francesco in Assisi; Elias wird als Generalminister durch den Papst abgesetzt; Wahl des Albert von Pisa zum Ordensgeneral, dem 1240 Haymo von Faversham, 1243 Crescentius von Jesi nachfolgen.

1241

21. August

1243

25. Juni

1244 4. Okt.

1245 14. Juli

Tod Gregors IX. Wahl Innocenz’ IV: (Sinibald Fieschi: † 1254). Flucht des Papstes nach Lyon. Bei Gelegenheit des Kapitels in Genua ruft der Generalminister Crescentius von Jesi dazu auf, die Erinnerungen an Franziskus zu sammeln und einzusenden. Erstes Konzil von Lyon; Absetzung Friedrichs II. als Ketzer. Bulle »Ordinem vestrum« Innocenz’ IV.

Zeittafel

1246

11. Aug.

1246–1247

1250

515

In Greccio geschriebener Brief, mit dem zusammen drei Gefährten des Franziskus dem Generalminister ihre Erinnerungen mitteilen. Thomas von Celano verfaßt seine zweite Lebensbeschreibung des Franziskus.

13. Dez.

Tod Kaiser Friedrichs II. in Castel Fiorentino bei Foggia.

1250–1254

Konrad IV. König.

1252–1253

Traktat über die Wunder des heiligen Franziskus des Thomas von Celano.

1253

9. Aug. 11. Aug.

1255

Aug.

1257

2. Feb.

Papst Innocenz IV. approbiert die Regel Klaras von Assisi (Bulle »Solet annuere«). Tod Klaras in S. Damiano. Heiligsprechung Klaras durch den Papst Alexander IV. Auf dem Generalkapitel im Konvent Ara Coeli in Rom wird Johannes von Parma als Generalminister abgelöst; Wahl Bonaventuras von Bagnoregio.

1258/1259

Thomas von Eccleston verfaßt seinen Bericht über die Ankunft der Minderbrüder in England.

1260

Das Generalkapitel von Narbonne beauftragt Bonaventura mit der Abfassung einer neuen Lebensbeschreibung des Franziskus.

1262

Chronik des Jordan von Giano.

1263

Das Ordenskapitel von Pisa approbiert die »Legenda maior« des Bonaventura.

1266

Auf dem Kapitel von Paris wird die Vernichtung der älteren Lebensbeschreibungen angeordnet.

1268

29. Okt.

Hinrichtung des letzten Staufers Konradin in Neapel.

1270

25. Aug.

Ludwig IX., König von Frankreich, stirbt während der Belagerung von Tunis.

1279

14. Aug.

Bulle »Exiit qui seminat« Nikolaus’ III.

516

Zeittafel

1282–1287 1289

Chronik des Salimbene de Adam. 19. März

Johannes von Parma stirbt in Camerino.

1294

Pontifikat des »Engelpapstes« Cölestin V. (5. Juli – 13. Dez.).

1294–1303

Pontifikat Bonifaz’ VIII.

1298

14. März

1305–1314

Petrus Johannis Olivi stirbt in Narbonne. Pontifikat Clemens’ V.

1306

25. Dez.

1312

6. Mai

1316–1334

Tod des Jacopone da Todi. Bulle »Exivi de Paradiso« Clemens’ V. Pontifikat Johannes’ XXII.

1317

7. Okt.

Bulle »Quorundam exigit« Johannes’ XXII.; Ausschluß der Spiritualen aus Orden und Kirche.

1318

7. Mai

In Marseille werden vier Spiritualen auf Veranlassung der Inquisition verbrannt.

1321

26. März

Bulle »Quia nonnumquam«; die Diskussion über das franziskanische Armutsverständnis wird erneut eröffnet.

1322

Juni

Das in Perugia tagende Generalkapitel des Franziskanerordens richtet zwei Briefe (4. und 7. Juni) an die gesamte Christenheit.

1322

8. Dez.

1323

12. Nov.

Mit der Bulle »Cum inter nonnullos« wird die dem franziskanischen Ideal zugrunde liegende Auffassung von der Armut Christi und der Apostel durch den Papst für irrig und häretisch erklärt; Ausschluß der Anhänger dieses Ideals aus der Römischen Kirche.

1806

Nov.

Beginn der Grabungen unter der Basilika S. Francesco und Suche nach dem Grab des Franziskus.

1807 1818

Bulle »Ad conditorem canonum« Johannes’ XXII.

Einstellung der Arbeiten. 12. Dez.

Nach 52 Nächten Grabarbeit wird der steinerne Sarkophag mit den Reliquien des Heiligen gefunden.

Zeittafel

1820 1824

517

Bergung der Reliquien in einer Metallurne. 4. Okt.

1925–1932

Nach Fertigstellung einer neuen Krypta Bestattung der Metallurne mit den Gebeinen im alten Sarkophag. Erweiterung der Krypta und Umgestaltung in neoromanischem Stil.

1978

24. Jan.

Auf Anordnung des Papstes Paul VI. Erhebung und Rekognoszierung der Gebeine des Franziskus durch eine päpstliche Kommission unter Vorsitz des Kardinals Silvio Oddi.

1978

4. März

Die in einen Behälter aus Plexiglas gelegten Überreste des Franziskus werden erneut an ihrem Ort in der Krypta von S. Francesco bestattet.

1982

In Assisi und auf der ganzen Welt Feierlichkeiten zur 800. Wiederkehr der Geburt des heiligen Franziskus.

REGISTER

Personennamen Abraham 192 Abu Jakub, Kalif 296 Accursius, Bruder, Märtyrer 296 Adam 183 259 274 Adam von Marsh, Bruder, Magister 469 Adam Rufus, Bruder Adenulphus, Bruder Gregors IX. 323 332 Adiutus, Bruder, Märtyrer 296 Advengnente (Adveniens, Advenientis), Äbtissin von Monticelli 436 Ägidius von Assisi 37 f. 48 106 134 145 153–156 160 164 256 309 345 370 439 f. 470 486 f. Agnellus von Pisa, Bruder, Minister der englischen Ordensprovinz 469 Agnes von Assisi 333 403 f. 405 413 f. 417 436 Agnes von Prag 56 f. 404 f. 434 438 f. 444 446 Agnes, Tochter des Oportulo de Bernardo, Schwester in S. Damiano 405 424 443 Albert der Große 472 Albert von Pisa, Generalminister 328 386 398 449 456 Albert von Sarteano, Bruder, Päpstlicher Nuntius 503 Alberus, Erasmus 50 183 Albornoz, Ägidius, Kardinal 77 376 Alexander II., Papst (Anselm von Lucca) 81 Alexander III., Papst 67 75 88 Alexander IV., Papst (Rainald von Segni) 31 43 54 58 385 397 401 411 427 433 437 f. 440 467 Alexander von Alexandria, Generalminister 493 Alexander von Hales 456 469

Amata de Martino, Schwester in S. Damiano 421 423 Ambrosius 442 Ambrosius, Bruder, Cistercienser 419 Andreas von Norcia 377 Angela von Foligno 442 Angeluccia, Tochter des Angeleio von Spoleto, Schwester in S. Damiano 432 Angelus, leibl. Bruder des Franziskus 103 138 291 f. Angelus, Urgroßneffe des Franziskus 103 Angelus von Rieti, Bruder 34 38 145 401 433 487 Angelus, Bruder, Minister 249 Angelus, Bruder 249 Angelus, Bruder, Mitglied der Familie des Elias 399 Angelus Clarenus (Angelo von Chiarino) 49 302 355 382 393 397 f. 471 476 487 489 f. 492 494 f. Anselm von Lucca: s. Alexander II. Antonius, Abt, Heiliger 147 215–217 Antonius von Padua 22 f. 204 345 367 f. 384 451 468 Antonius, Nachkomme des Pietro di Bernardone 104 Apollo 320 Arbeo, Bischof von Freising 217 Arcimboldus, Johannes, Bischof von Novara, Erzbischof von Mailand 377 Arnaud de Sarrant (Arnaldus de Serrano) 104 Arnold (Ernaldus) von Brescia 86 f. Artus, König 106 Asam, Cosmas Damian 217 Athanasius 147 215 Augustinus 81 147 198 442

520

Register

Austergius, Kardinal, Erzbischof von Benevent 376 Badius, Conrad 50 Balvina de Martino, Schwester in S. Damiano, Äbtissin von Vallegloria 417 421 423 426 Balduin II., Kaiser 355 395 f. Barbarigo F.L., Generalminister O.F.M. Conv. 379 Bartholomäus von Cremona, Bruder 485 Bartholomäus von Padua, Bruder, Koch 382 399 Bartholomaeus Pisanus, Glockengießer 374 Bartholomäus von Pisa (Bartolomeo Rinonico) 49 151 f. 466 Bartolomeo Accorombani, Bischof von Spoleto 57 Basilius 81 Beatrice, leibliche Schwester Klaras von Assisi 403 f. 408 410 412 415 Benedikt von Nursia 81 168 198 209 217 Benedikt XI., Papst 74 Benedikt XIV., Papst 378 Benedikt XV., Papst 252 254 Benedikt von Arezzo, Bruder 247 f. Benedikt Gaetani: s. Bonifaz VIII. Benozzo Gozzoli 132 299 Bentivenga, Bruder, Kardinalbischof von Albano 458 478 Benvenuta aus Perugia, Schwester in S. Damiano 414 417 424 437 Benvenuta de Madonna Diambra, Schwester in S. Damiano 429 Berardus, Bruder, Märtyrer 296 Bernabei G.A. 479 Bernard De´licieux, Bruder 494 Bernard le Tre´sorier, Chronist 299 Bernardino von Siena 66 466 503 Bernardonus, Nachkomme des Pietro di Bernardone 104 Bernardone, Großvater des Franziskus 100 103 Bernardus, Urgroßneffe des Franziskus 103

Bernardus Guidonis 120 Bernhard von Bessa 44 Bernhard von Clairvaux 71 83 85–87 91 119 198 223 Bernhard Primus 90 Bernhard von Quintavalle 37 143–145 151 154 156 164–167 179 288 296 304 314 412 468 486 Bernhard von Thiron 82 Bevignate, Frate, Architekt 136 Bianca Lancia 396 Biel (Byel), Gabriel 323 Birgitta von Schweden 120 Blanche (Blanca von Kastilien), Königin von Frankreich 69 326 Bogumil 84 Bona de Guelfuccio 139 403 409 f. Bonagratia von Bergamo, Bruder 474 494 498 f. Bonaparte, Bruder 213 Bonaventura von Bagnoregio, Generalminister, Kardinalbischof 3 15 22 30 f. 35 f. 42 f. 44 f. 50 66 70 83 110 133 135 169 f. 176 180 192 239 244 f. 254 267 269–271 275 282 289 294 f. 297 299–302 336 351 380 418 450 452 456 466 469–472 475 f. 489 Boncompagni, Francesco, Kardinal 372 Bonifaz VIII., Papst (Benedikt Gaetani) 73 f. 254 323 458 478 Boniohannes (Jannes Boninus), Bruder 399 de Bonis, Giuseppe, Custode des Heiligen Konvents 375 Bonizio von Bologna, Bruder 292 Bosco, Don Giovanni 217 Buongiovanni (Bonus Iohannes) von Arezzo, Arzt 285 Caesar 174 Caesarius von Heisterbach 148 Caesarius von Speyer 31 46 151 320 358 382 484 Caro, Bruder, Visitator des Ordens 455 Cecilia, Tochter des Gualtieri Cacciaguerra aus Spoleto, Schwester in S. Damniano 417 421 f. 426

Personennamen

Chre´tien de Troyes 106 Christian, Erzbischof von Mainz 75 Christine, Königin von Schweden 392 Cimabue 97 282 Clara, Urgroßnichte des Franziskus 103 Clemens III., Papst 76 Clemens IV., Papst (Guido Foulques le Gros) 72 472 Clemens V., Papst (Bertrand de Got) 54 74 493 Clemens VIII., Papst 335 Cölestin III., Papst 76 Cölestin IV., Papst 68 Cölestin V., Papst (Peter vom Morrone) 73 f. 254 478 492 495 Colette Boe¨llet, Gründerin der reformierten Klarissen (Colettinerinnen) 440 Colonna, römische Adelsfamilie 74 478 Conti, römische Adelsfamilie 334 Conti, Lotario, Duca di Poli 335 Coppi, Familie von Cortona 356 Cristiana, Tochter des Bernardo da Suppo, Schwester in S. Damiano 410 415 Crescentius von Jesi, Generalminister 34 f. 39 41 f. Deodatus, Bruder 249 Deotefece, Bruder 399 Dominikus 87 Dschingis-Khan 484 Durandus von Osca (Huesca) 90 Dvorˇa´k A. 479 Eckhart, Meister 446 Elias, Prophet 179 Elias von Cortona, Generalminister 14 21 30 47 f. 126 134 144 150 f. 198 207 226 244 246 257 284 f. 291–294 302–304 312 314 316 f. 319 f. 334 353–400 420 439 449 455 468 472 Elisabeth, Mutter Johannes des Täufers 105 Eon von Stella (E´on de l’E´toile) 87 Ermengard, Gräfin der Bretagne 82 Ermentrudis von Brügge 56 f.

521

Ernoul, Chronist 299 301 Eugen III., Papst 86 88 97 Eugen IV., Papst 503 Evechardus, Bruder 464 Evervin von Steinfeld 91 f. Ezechiel, Prophet 202 259 Favarone di Offreduccio, Vater Klaras von Assisi 402 404 406 414 Filippa, Tochter des Leonardo de Gislerio aus Assisi, Schwester in S. Damiano 417 421 f. 437 444 Florentius, Priester 217 Francesca de Capitaneo, Schwester in S. Damiano 428 f. Francisca, Ururgroßnichte des Franziskus 104 Franciscana, Urgroßnichte des Franziskus 103 Francisculus (Ciccolus), Großneffe des Franziskus 103 Franciscus Bartholi von Assisi, Bruder 247 250 Franciscutius, Urgroßneffe des Franziskus 103 Frangipane (Frigia Pennates; de Phrygiis Penatibus), römische Adelsfamilie 316 Franz Sanche, Bruder 494 Franziskus von Ascoli, Bruder 499 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser 67 75 79 86 375 Friedrich II., Kaiser 67–69 72 76 96 f. 102 109 f. 182 226 297 325 327–329 334 355 360 364 372 375 386–396 398 429 438 444 483 488 Friedrich, Bischof von Olmütz 464 f. Galeotti, Antonio Francesco 377 Galeotti, Galeottus 377 Gaufridus de Collone, Chronist 329 Gentile, Graf 109 Geoffroy von Cornone, Bruder 494 Geraldus Odonis, Generalminister 500 f. Gerhard, Bruder, Minister 288 Gerhard von Borgo San Donnino 465 f. 487–489

522

Register

Gerhard von Corigia, Podesta` von Parma 381 f. Gertrud von Helfta 227 Giotto 97 111 132 180 199 211 239 275 299 Giovanni Pisano 97 Girald von Salles 82 Giunta Bevegnati 120 442 Giunta Pisano 118 371 f. Gonsalvus von Valboa, Generalminister 493 Gregor der Große, Papst 217 442 446 Gregor VII., Papst 68 71 74 79–81 Gregor IX., Papst (Hugolino von Ostia) 2 4 11 13 15 17 23 31 34 36 53 f. 56 58 60 68 91 94 98 101 f. 123 130 148 151 158 162 176 187 191 195 f. 198 f. 238 279 281 284 291 294 312 317 319–351 353–355 362–369 371–373 379 381 383–388 390–392 395 397 f. 411 419 435–439 441 454 f. 457–459 463–465 477 Gregor von Neapel, Bruder, Vikar des Franziskus, Provinzialminister von Frankreich 30 319 Gregor von Tours 118 f. 147 Guido, Bischof von Assisi 64 116 128 130–135 158 f. 167 f. 171 184 185 191 287 295 360 410 414 424 Guido de Adam 47 Guido von Cortona, Bruder 356 Guiduzia, Dame von Assisi 408 Guillelmus de Tocco 120 Hadrian IV., Papst 87 Hadrian V., Papst (Ottobonus Fieschi) 489 Haydn J. 479 Haymo von Faversham, Generalminister 368 384 f. 456 469 Heinrich IV., Kaiser 80 119 Heinrich V., Kaiser 80 Heinrich VI., Kaiser 67 75 f. 77 96 Heinrich (VII.), deutscher König 438 Heinrich III., König von England 69 438

Heinrich I. Lusignan, König von Zypern 395 f. Heinrich II., Herzog von Schlesien 483 Heinrich von Avranches (Henricus Abricensis) 34 95 101 109 131 136 271 284 f. 331 Heinrich von Coventry, Bruder 469 Heinrich von Lausanne 85–87 223 Heinrich Seuse 446 Heinrich von Thalheim, Bruder 499 Heraklit 477 Hermann von Salza, Hochmeister des Deutschen Ordens 390 Hieronymus 197 216 442 Hieronymus von Ascoli: s. Nikolaus IV. Hildebert de Lavardin, Bischof von Le Mans 85 Homer 146 477 Honorius III., Papst (Cencio Savelli) 7 12 53 68 97 176 197 199 246–251 255 267 301 308 319–321 332 380 454 Honorius IV., Papst 73 Horaz 405 Hugo von Digne 456 f. 490 Hugolino von Montegiorgio 44 Hugolino von Ostia: s. Gregor IX. Hus, Johannes 84 Ignatius von Loyola 206 Illuminatus, Bruder 43 269 297 299 Innocenz III., Papst 6 11 f. 51 58 67 f. 74 76 90 f. 94 97 106 109 130 163 167–182 192 255 267 296 305 323–325 334 f. 344 380 418 435 437 477 Innocenz IV. (Sinibald Fieschi), Papst 54 58 68 f. 98 327 329 334 354 372 397 f. 433 438 440 f. 457 f. 461 466 f. 484 f. 489 Ioanni de Ventura von Assisi 404–406 Iohannola, Großnichte des Franziskus 103 Jacopa dei Settesoli 23 f. 213 261 288 315 f. 420 Jacopo Colonna, Kardinal 478 492 495 Jacopone da Todi 66 265 470 478 f.

Personennamen

Jakob, alttestamentlicher Patriarch 276 314 Jakob, König von Sizilien 73 Jakob von Bevagna, Bruder 375 Jakob Coppoli von Perugia, Ritter 247 249 f. 255 Jakob von Piceno, Bruder 377 Jakob von Guise, Chronist 359 Jakob von Massa, Bruder 470 f. Jakob von Vitry (Jacobus de Vitriaco), Bischof von Akkon; Kardinalbischof von Frascati 50 f. 70 265–267 298 f. 331 Jakobus, Bruder 122 f. Jechiel von Meaux, jüdischer Rabbi 327 Jeremias 445 Jesaja 272 361 Jesse 225 Jesus von Nazareth 477 Joachim von Fiore 14 33 48 68 261 f. 449 465 f. 487–489 491 Johann Ohneland, König von England 69 Johann Peckham, Bruder, Magister 470 Johanna, Ururgroßnichte des Franziskus 104 Johannes der Täufer 100 271 361 Johannes, Jünger Jesu 117 Johannes XXII, Papst (Jacques Due`ze) 3 54 74 342 449 474 491 493–501 Johannes III. Vatatzes, Kaiser 355 395 f. Johannes (Johannetus), Neffe des Franziskus 103 Johannes von Alverna, Bruder 247 Johannes Bellesmains, Erzbischof von Lyon 89 Johannes von Capestrano 500 Johannes a Cappella, Bruder 123 158 182 319 357 Johannes Cassianus 147 330 Johannes Damascenus 330 Johannes Duns Scotus 472 f. Johannes Frangipane (Frigia Pennates), römischer Adeliger 316 Johannes, Ritter von Greccio 236 Johannes Gualberti 81 119 Johannes de Laudibus, Bruder 382 399

523

Johannes von Montecorvino, Bruder 485 f. Johannes Parens (Parenti), Generalminister 45 134 336 362 364 366 f. 370 386 468 Johannes von Parma, Generalminister 33 45 227 397 457 469–471 487–490 Johannes von Perugia 38 Johannes von Pian del Carpine 484 f. Johannes von Rupella (Rochelle) 456 469 Johannes Scotus Eriugena 218 Johannes (simplex), Bruder 197 Johannes von St. Paul, Kardinal 36 167–172 176 179 322 Johannes Tauler 446 Johannes Paul II., Papst 56 252 Joinville, Jehan de 457 Jordan von Giano 46 f. 150 f. 200 238 293 f. 297 299 303 317 320 359 362 364 369 381 393 476 484 Judas, Apostel 123 245 Julian von Speyer 33 131 364 f. 451 f. 477 Julianus (Apostata), Kaiser 330 Julius von Lecce, Bruder, Custode des Heiligen Konvents 377 Juniper, Bruder 134 370 432 486 Justinian von Collostate, Bruder, Sakristan von S. Francesco in Assisi 377 Karl der Große, Kaiser 106 148 390 Karl von Anjou, König von Neapel 69 72 73 Karl II., König von Neapel 73 491 Klara von Assisi 4 11 16 f. 55–58 60 125 139 213 223 227 265 f. 294 f. 322 333 350 370 401–447 Konrad III., deutscher König 71 Konrad IV., deutscher König 72 Konrad von Ürslingen, Herzog von Spoleto 76 Konradin, Erbe des Staufischen Hauses 73 Konstanze, Königin von Sizilien, Kaiserin 75 261 Konstanze (Anna), Tochter Kaiser Friedrichs II. 396

524

Register

Laurentius, Heiliger 242 Leo X., Papst 251 Leo von Assisi, Bruder 10 15 18 22 23 26 34 38 40–42 48 f. 145 155 160 165 207 247 249–251 255 258 f. 267–269 272 f. 276 292 f. 314 361 370 401 433 486 f. Leo, Bruder, Erzbischof von Mailand 368 Leonhard, Bruder 18 489 Liberatus (Petrus von Macerata) 492 Longinus 117 Loteringius Pisanus, Glockengießer 374 Lucas, Erzbischof von Cosenza 261 f. Luchesius (Lucius) 452 Lucifer 274 f. Lucius III., Papst 67 89 Ludwig der Bayer, Kaiser 474 499 f. Ludwig VII., König von Frankreich 69 71 Ludwig VIII., König von Frankreich 69 Ludwig IX. der Heilige, König von Frankreich 69 f. 72 326 f. 334 372 396 457 485 Ludwig, Sohn Karls II. von Neapel, Erzbischof von Toulouse 491 Lupus von Ferrie`res 217 Luther, Martin 50 183 251

Marie von Oignies 265–267 332 Markus, Evangelist 221 383 Marsilius von Padua 500 Martin von Barton, Bruder 103 Martinus von Tours, Heiliger 110 112 147 Masseo (Masseus) von Marignano, Bruder 226 247 f. Mathias, Vater Gregors IX. 323 Matteo von Todi 450 Matthäus von Aquasparta, Generalminister 490 Matthäus von Narni, Bruder, Vikar des Franziskus 319 Matthäus von Paris, Chronist 51 172 323 329 388 396 467 Matthias, Apostel 147 Maximin, Bischof von Trier 217 Mechthild von Hackeborn 227 Melek el-Kamil, Sultan von Ägypten 43 51 70 151 297–300 392 Michael, Erzengel 214 224 258 260 273 f. 305 391 Michael von Cesena, Generalminister 474 493 495 f. 499 f. Michel le Moine, Bruder, Inquisitor 495 Mohammed 295 f. 391 Mohammed ben-Nasser, Emir el-Mumenim 296 Monaldus, Onkel Klaras von Assisi 404 413 f. Monaldus Leonardi, Bürger von Assisi 363 Moricus, Bruder 158 235 Moses 391

Maestro dei Crocifissi azzurri 118 Manfred, König von Sizilien 72 f. 391 f. Mangu, Großkhan der Mongolen 485 Mansuetus, Bruder 399 Marco Polo 476 Margherita von Cortona 120 397 442 Maria, Jungfrau, Mutter Jesu 25 29 117 258 273 290 383 Maria Magdalena 117 261 Maria Jacobi 117 Mariano von Florenz 372 f. 393 f.

Nabuchodonosor, König 384 Napoleon Orsini, Kardinal 492 495 Nicola Pisano 97 Nicola Rosselli, Kardinal von Aragon 323 Nicolaus de Carbio (Niccolo` da Calvi) 69 98 372 Nicolini, Giuseppe Placido, Bischof von Assisi 432 Nikodemus 145 Nikolaus III., Papst (Giovanni Gaetano Orsini) 54 458–462 485 489 491 496

Korbinian, fränkischer Wanderbischof 217 Koser, Konstantin, Generalvikar O.F.M. 252 Kubilai, Großkhan der Mongolen 485 Kuyuk (Güyük), Großkhan der Mongolen 484

Personennamen

Nikolaus IV., Papst (Hieronymus von Ascoli) 44 51 73 171 455 458 485 490 Nikolaus V., Papst 376 Nikolaus von Assisi, Bruder 101 357 Nikolaus, Neffe Gregors IX. 332 Niquinta (Niketas), katharischer Bischof 94 Norbert von Xanten 83 87 442 Octavian, Kardinalbischof 324 Octavianus Ubaldini de Musello, Kardinaldiakon 334 Oddo von Aquasparta, Bruder 247 Odo Rigaldi (Eudes Rigaud), Bruder, Erzbischof von Rouen 469 Odorich von Pordenone, Bruder 486 Offreduccio di Bernardino, Großvater Klaras von Assisi 403 406 f. Olivier, Paladin Karls d.Gr. 106 Origenes 276 Orlando von Chiusi, Graf 267 f. Orlando di Lasso 479 Ortolana (Hortulana), Mutter Klaras von Assisi 402 f. 405 407 f. Otbert, Bischof von Lüttich 119 Otho, Bruder, Märtyrer 296 Otto IV., Kaiser 67 69 96 167 181 f. Otto, Erzbischof von Genua 301 Ottokar I., König von Böhmen 56 Pacifica de Guelfuccio, Schwester in S. Damiano 407 409 414 417 424 429 433 437 443 Pacificus, Bruder (Guglielmo Divini) 96–98 275 347 357 477 Palestrina (G.P. da) 479 Paparoni (Papareschi, de Papa), adelige Familie von Anagni 323 Papini, Niccolo`, Custode des Heiligen Konvents, Generalminister O.F.M. Conv. 378 f. Paschalis II., Papst 80 119 Paul V., Papst 334 378 Paul VI., Papst 252 Paulus, Apostel 111 147 221 459 462

525

Paulus, Eremit 216 f. Paulus, Bruder 194 f. 224 Pelagius, Kardinalbischof von Albano 70 301 Penderecki K. 479 Pergolesi 479 Peter Abaelard 85 f. Peter II. von Aragon, König von Sizilien 73 Peter von Bruis 85 Peter vom Morrone: s. Cölestin V. Petrus, Apostel 89 127 364 382 436 462 Petrus, Bruder, Minister der englischen Ordensprovinz 269 Petrus, Bruder, Märtyrer 296 Petrus Calo 120 Petrus Catanii 123 133 145 150–154 156 206 290 297 302 f. 320 358 468 Petrus Johannis Olivi 247 458 462 f. 490–493 Petrus von Macerata (Liberatus) 492 Petrus Mediabarba (Pietro Mezzabarba), Bischof von Florenz 81 Petrus de Noceto 376 Petrus Venerabilis, Abt von Cluny 85 Petrus de Vinea, Großrichter 328 Petrus Zalfanus 250 255 Petrutius, Urgroßneffe des Franziskus 103 Philipp II. Augustus, König von Frankreich 69 Philipp IV. der Schöne, König von Frankreich 74 Philipp von Schwaben, deutscher König 67 77 Philippus Longus, Bruder 164 319 412 419 436 Pica (Johanna), Mutter des Franziskus 95 100–103 105 127 130 132 Picardus, Neffe des Franziskus 103 Piero della Francesca 259 Pierre de Castelnau 94 Pietro di Bernardone (Petrus Bernardonis) 78 95 100 102 f. 106 f. 116 127–133 137 f. 182 205 227 404 Pietro Colonna, Kardinal 478

526

Register

Pietro de Damiano von Assisi 404 f. Pius V., Papst 378 Pius X., Papst 3 6 252 Pius XI., Papst 251 Pius XII., Papst 432 Platon 477 Praxedis, römische Inkluse 452 Raimund von Pennaforte 324 f. Rainald, Erzbischof von Capua 109 Rainald (Reginald) von Segni: s. Alexander IV. Rainerius Capocius, Kardinaldiakon 238 477 Raymund Berengarii, Sohn Karls II. von Neapel 491 Raymund Gaufredi (Godefroy), Generalminister 490 492 Richard Löwenherz, König von England 69 Richard de Annibaldis, Kardinal 171 Richard Normannus, Bruder 469 Richard Rufus, Bruder 469 470 Richard von San Germano, Chronist 388 Richer von Sens 51 f. 220 329 467 Robert, Sohn Karls II. von Neapel 491 Robert von Arbrissel 82 Robert Grosseteste, Magister in Oxford, Bischof von Lincoln 466 469 472 Robert von Somercote, Kardinal 385 Roger Bacon 472 Roger von Wendover, Chronist 172 Roland, Paladin Karls d.Gr. 106 Rossini G. 479 Rubens P.P. 442 Rudolf von Habsburg, deutscher König 73 Rudolf von Sachsen, Bruder 488 Rufinus, Bruder 34 38 126 145 257 269 276 404 487 Rupert von Deutz 119 Sabatinus, Bruder 158 Salimbene de Adam 35 47 70 144 174 227 262 328 334 356 f. 359 374 381–383 387 f. 392 f. 397–399 428 457 467 476 484 487 f.

Salomon 241 Sanguonius de Ufreducio, Bürger von Assisi 375 386 Scarlatti, Domenico 479 Seth 259 Sibilia von Cortona 316 399 Silvester von Assisi, Priester, Bruder 165 200 209 Simon Puzarelli, Bürger von Assisi 363 Simon von Sandwich, Bruder 469 Sixtus IV., Papst 371 376–378 Spadalunga (Spada Longa), Iacomellus (Philippus) 136 Steffani, Agostino 479 Steinbach, Wendelin 323 Stephan von Thiers (E´tienne de Muret) 81 Stephanus, Bruder 418 f. 429 Sulpicius Severus 147 Tanchelm (Tanchelmus, Tanchelinus) von Antwerpen 87 Tebaldi, Ubaldo 378 Temur, Großkhan der Mongolen 485 Thomas von Aquin 20 120 192 330 442 467 f. 473 492 499 Thomas von Cantimpre´ 331 f. 334 Thomas von Capua, Kardinal 477 Thomas von Celano 23 f. 25 30 f. 33 35 f. 37 41 43 58 60 99 f. 104 109 111 f. 114–116 124 129 131 133 136 f. 141 143 145 149 150 152 160 f. 163 f. 172 178 f. 183 190 192 194 197 199 218 220 f. 230 235 236 244 254 257 262 269 f. 279–281 284 287–289 296 301 f. 308 314 316 321 328 330 f. 346 349 351 359 f. 401 f. 418 420 450 452 468 475 f. Thomas von Eccleston 46 103 134 255 267 269 276 292 358 f. 362 365–368 381 f. 384–386 388 466 469 476 Thomas von Spalato 52 201 209 Thomas de Ufreducio, Bürger von Assisi 375 386 Thomas de Vio Cajetan, Kardinal 251

Personennamen

Thomas von York, Bruder, Magister 470 Torlonia, römische Adelsfamilie 334 f. Ubaldino von Mugello 334 Ubertino von Casale 28 35 48 f. 247 275 476 489 f. 492 494 f. Ufreducius Sanguonis, Bürger von Assisi 375 Ugolino de Pietro Girardone, Ritter von Assisi 407 f. Urban II., Papst 71 119 Urban III., Papst 75 Urban IV., Papst 69 72 Valascus, Bruder 398 Vanna di Bernardino di Guidone, Frau Jacopones 478 Verdi G. 479 Verecundus, Heiliger 136 Vergil 146 405 Vincenz von Coventry, Bruder 469 Vitale von Aversa 429 Vitalis von Savigny 82 Vito von Cortona, Bruder 356 Vive`s L., Pariser Verleger 473

527

Wagner, Richard 479 Waldes von Lyon 88–90 Walter von Bourgh, Bruder 469 Walter von Brienne 109 Walter Map 88 f. Walter, Erzbischof von York 332 Warin von Sedenefeld (Seefelden?), Bruder 276 Welf VI. von Bayern, Herzog von Spoleto 75 Wenzeslaus II., König von Böhmen 56 Wilhelm Arnaldi 90 Wilhelm von Melitona 469 Wilhelm von Nottingham, Minister der englischen Ordensprovinz 466 Wilhelm von Ockham 468 473–475 499 f. Wilhelm von Prato, Bruder, Erzbischof von Peking 486 Wilhelm von Rubruk, Bruder 485 Wilhelm von St.-Amand, Bruder 494 Wilhelm von St.-Amour 466 f. Wilhelm von Saint-Thierry 422 Wilhelm von York, Bruder 469 Wolfram von Eschenbach 101

Ortsnamen Aachen 390 f. Agde 148 Aigues Mortes 499 Aix-en-Provence 487 Akkon 51 72 f. 298 302 331 485 Alexandria 216 Alverna (La Verna) 7 25 40 48 68 71 149 154 160 165 186 220 233 256–277 281 293 304 472 492 Alviano 218 Anagni 74 323 Ancona 70 154 194 224 295–297 489 Angers 82 Antivari 485 Apulien 109 110 112 126 L’Aquila 73 254 – S. Maria von Collemaggio, Benediktiner-Abtei 254 Aragon 296 Arezzo 64 200 209 259 386 388 Arles 85 379 Arno 256 Assisi 26 31 36 f. 64 f. 67 69 75 f. 77–79 98 f. 103 107 109 111 f. 115 125 127–129 134–137 143–145 151 153 158 161 165 184 187 243 273 283 285 287 f. 290 315 317 353–355 357 f. 363–367 373 381 386 392 406 408 412 426 429 f. 453 – Biblioteca Comunale 13 26 58 103 392 – Chiesa Nuova 102 – Collegio S. Lorenzo da Brindisi 64 – Eremo dei Carceri 6 126 161 – Monte Subasio 161 184 f. 412 – Piazza del Comune 133 145 – Piazza S. Rufino 407 410 – Piazza del Vescovado 132 135 288 315 360 – Portiuncula (Porziuncola; S. Maria degli Angeli) 1 7 23 f. 31 36 f. 71 79 118 139 141 152 158 161 166 182–187 200 207 234 246–250 254 f. 256 280 283 285 288 290 f. 302 315 317 360 366 377 381 402 409 410 431

– Protomonastero di S. Chiara 40 57 f. 142 317 369 424 428 435 440 442 – Rivotorto 67 180–184 – Rocca Maggiore 76 f. – Sacro Convento 10 22 25 39 283 300 364 370 375 377 f. 382 392 f. – Sant’Angelo di Panzo 103 404 412–414 417 – S. Chiara, Basilika 117 142 f. 317 442 – S. Damiano 26 28 40 56 f. 81 98 115 f. 117 f. 121 125 f. 128–131 135–139 143 175 202 233 262 287 333 359 402 404 409 414 417 f. 420 f. 423–433 434–441 – S. Francesco 1 f. 53 98 103 105 111 118 132 155 180 187 199 211 239 283 317 353–355 362–384 390 394 399 f. 432 – S. Francesco Piccolino 102 – S. Giorgio 102 105 142 f. 317 364 369 – S. Maria Maggiore (S. Maria del Vescovado) 102 130 – S. Nicolo` di Piazza 145 149 – S. Pietro, Benediktiner-Abteikirche 98 – S. Rufino, Dom 98 102 133 150 f. 184 402 410 Auxerre 148 Avignon 72 74 77 474 491 f. 494 f. 497 499 Bagnaia 285 315 Baltimore 146 Barcelona 64 Beirut 485 Benevent 73 Bethel 256 276 Bethlehem 70 236 f. 302 Bevagna 213 219 289 Be´ziers 490 493 f. Bibbiena 7 256 Bologna 49 52 143 181 201 291 324 349 356–358 387 456 499 – Piazza Comunale 52 201 209 Bonn 379 Bordeaux 74

Ortsnamen

Bouvines 69 Bovara 98 Brescia 86 Brügge 56 f. Brüssel 39 Bruis 85 Cadouin 82 Cahors 74 Campiglia d’Orcia 180 Cambrai 331 Cambridge 472 Camerino 489 Cannara 453 Capua 394 Carcassonne 493 Carmignano 362 Casamari 380 Castelbritti 356 f. Castel del Monte 389–391 394 400 Castel Ursino 389 Catania 389 Celano 31 Cesena 181 Cesi di Terni 24 Cetona 154 256 309 487 Champagne 372 Chartres 383 Chiascio-Tal 135 Cıˆteaux 83 Citta` della Pieve 488 Citta` di Castello 76 362 Clairvaux 83 Clermont 71 Cluny 79 85 Collestrada 77 108 Cornwall 470 Cortona 355 f. 358 381 388 393 397–400 503 – Le Celle 285 356 367 399 – Piazza Comunale 356 – S. Francesco 14 120 316 354–356 379 390 393 397–400 – S. Margherita, Basilika 120 – Villa dell’Orsaia 356

529

Coventry 469 Craon 82 Cremona 388 Damiette 51 70 151 267 297 f. 301 Faenza 181 387 Favarone 154 Florenz 18 64 75 77 81 94 165 f. 333 346 362 405 436 – Biblioteca Nazionale 57 – S. Croce 490 – S. Miniato 81 118 f. Foggia 373 Foligno 64 75 f. 128 f. Fontevraud (Fontevrault) 82 88 Fonte Colombo 292 312 Fontfroide 94 Fossanova 97 380 Fossombrone 492 Freising 217 Galizien 164 Gembloux 494 Genf 425 Genua 32 68 Gex 504 Grandmont 81 Greccio 34 f. 38 f. 68 70 199 210 218 227 236–239 243 304 489 Grottaferrata 64 Gubbio 44 66 76 135 f. 210 f. 223 388 477 Halberstadt 46 Hirsau 80 Horeb 256 Ile-de-France 372 Jerusalem 70 f. 249 259 302 390 396 – Felsendom (Omar-Moschee, Tempel des Herrn) 390 f. – Golgotha 256 259 277 – Ölberg 256 – Sion 256 277

530

Register

Jesi 76 102 Kana 289 Kanton 486 Karakorum 484 f. Köln 31 91 463 472 Konstantinopel 396 485 Konstanz 20 Kyffhäuser 375

Münster 64 265 Muret 81 Narbonne 42 458 491 493 f. 496 Narni 76 289 Las Navas de Tolosa 296 Neapel 73 120 New York – St. Bonaventure College 65 Nocera 315

Laon 83 Lausanne 85 Legnano 75 Lhasa 486 Liegnitz 483 Lincoln 466 469 Lisciano d’Ascoli 96 Longpont 32 Lucca 75 79 Lüttich 119 148 494 Lyon 68 88–90 440 457 484

Olmütz 464 f. Oltremare (Outremer, Syrien, Heiliges Land) 154 237 249 295 301–303 315 358 392 f. 395 407 Orle´ans 148 Ormuz 486 Orvieto 218 Osimo 194 f. 224 428 Ostia 324 Oxford 384 466 469 f. 472 497

Madrid 442 – Prado 442 Magdeburg 463 Magione (Pian del Carpine) 484 Mailand (Milano) 51 66 77 79 Mainz 31 379 Manchester 392 Le Mans 85 Mansurah 70 Mark Ancona (Marca Anconitana) 156 194 Marokko 284 288 296 426 f. 430 f. Marseille 491 495 Mendola 81 Metz 89 458 Modena 387 Montefalco 131 f. Montefiascone 379 Monte Gargano 391 407 Monticelli 333 405 436 Montmajour 379 Montpellier 490 Moria 256

Padua (Padova) 44 66 Palermo 72 Palestrina 478 Paris 17 31 33 64 69 155 170 207 324 326 327 372 469 f. 472 487 489 f. 497 499 – Saint-Denis 469 – Sainte Chapelle 372 379 396 – Universität 324 465–467 469 f. 472 489 497 Parma 47 381 f. 388 Pavia 79 Peking 485 f. Perugia 39 51 76–78 108 136 154 207 247 255 267 363 366 372 f. 381 414 426 435 440 496 f. 499 – Monteripido 155 f. 247 – Oratorio di S. Bernardino 156 – S. Francesco al Prato 39 156 – S. Lorenzo, Dom 156 Piediluco 161 Pisa 31 49 85 374 388 488 499 Pistoia 362 Piumazzo 387

Ortsnamen

Poggio Bustone 6 161–163 218 – S. Giacomo Maggiore 162 – Sacro Speco 162 f. Poitiers 105 Poli 334 Prag 56 438 484 Pre´montre´ 83 87 Quaracchi 64 Ravenna 387 Reims 88 372 Rennes 82 Rhoˆne 499 Rieti 62 76 161–163 180 218 236 284 286 288 492 Rimini 454 Rom 32 64 67 f. 74 86 f. 90 144 154 163 167 177 f. 181 217 249 255 288 303 315 321 332 368 370 384 407 484 f. – Ara Coeli 488 – Collegio di S. Isidoro 42 – Convento dei SS. Apostoli 39 – Lateran 68 170 172 175 256 364 – Museo di Roma 334 f. – Sant’Antonio, Hospital 172 – S. Antonio 64 419 – St. Johannes im Lateran, Kathedralkirche des Papstes 175 – S. Eustachio 324 – S. Lorenzo in Damaso 120 – S. Maria in Via Lata 334 – S. Paolo fuori le Mura 120 168 – St. Peter 68 73 127 f. 181 f. 328 f. 334 f. – S. Prisca 168 – Vatikanische Bibliothek 47 101 Ronco-Tal 181 Rottweil 76 Rubicon 174 Sabina 168 St.-Fe´lix-de-Caraman 94 St.-Gilles (Rhoˆne) 94

531

St.-Gilles-les-Boucheries 85 San Germano 364 S. Giovanni in Fiore 380 San Leo (Montefeltro, Mons Feltri) 267 f. S. Lorenzo di Collazzone 478 S. Paolo delle Abbadesse 411 f. S. Pietro in Valle 380 San Severino 428 Santiago de Compostela (St. Jakob) 164–166 249 409 Sant’Igne 268 Sant’Urbano 289 S. Verecondo in Vallingegno 136 223 f. Sarteano 183 Savio-Tal 181 Schwarzrheindorf 379 Segni 323 Sens 70 Se´rignan 490 Sevilla 296 Siena 16 75 f. 144 180 285 Sinai 256 277 Soissons 32 Soracte 87 Soriano nel Cimino 458 Spello 417 426 Speyer 31 Spoleto 10 22 46 57 65 75 f. 79 94 111 f. 114 178 185 219 363 366 Straßburg 490 Subiaco 142 209 217 281 335 495 – Sacro Speco 209 281 f. 335 Tabor 256 Tagliacozzo 31 73 Tiber 256 Todi 66 76 450 478 – S. Fortunato 478 Toul 89 Toulouse 85 94 491 Tournai 69 Trasimenischer See 218 Tripoli 485 Tunis 70 Turin 265

532 Udine 486 Ulm 77 Valenciennes 30 359 – Konvent St. Bartholomäus 359 Valfabbrica 136 Valle Reatina (Tal von Rieti) 162 166 Vallegloria 417 Vallingegno 136 Vallombrosa 81 Vannes 148 Vaucouleurs 69 Velletri 324 Venedig 75 295 383 486 La Verna: s. Alverna Verona 89

Register

Ve´zelay 97 Vienne 74 493 Villefranche (Rhoˆne) 484 Viterbo 76 134 167 181 372 387 464 Volterra 18 21 Werl 64 Worcester 153 Worms 31 Würzburg 463 York 332 Zürich 425 Zypern 395 f.

Moderne Autoren Abate G. 100–102 255 407 Abels R. 441 Adams M.McC. 474 Ageno F. 470 478 Aicher O. 474 Anatole C. 95 Andreoli S. 442 Andreozzi G. 146 Andresen C. 283 Arduini M.L. 119 Armand-Hugon A. 441 Armstrong E.A. 222 Attal S. 353 358 369 407 Aubert R. 324 Auerbach E. 21 von Auw L. 49 492 Auvray L. 324 f. Baehrens W.A. 276 Bauerreis R. 500 Bäumer R. 463 Bagliri G. 47 Baird J.L. 47 Bajetto F. 228 Balan P. 324 Baldelli I. 105 357 von Balthasar H.U. 206 218 Baluze S. 372 491 496–499 Baraba´s P.L. 57 Barfucci M.B. 256 f. 260 267 273 277 Barone G. 354 359 388 Bartoli M. 403 411 415 421 423 442 Bartoli Langeli A. 77 497 Basetti-Sani G. 276 301 Basili D. 14 f. 316 354 356–359 397 400 Battenberg F. 327 Baudry L. 474 Bauer D.R. 442 Bautz F.W. 324 Becker M.-F. 55 Becquet J. 81 Belting H. 372 Benker S. 217 f.

Benz E. 3 173 f. 177 339 487 f. 490 495 499 f. Berg D. 204 354 Berger P.L. 263 Berling P. 63 Bernards M. 82 Bernhart J. 217 Bertelli C. 98 175 Beyschlag K. 193 Bezzel E. 222 Bienvenu J.-M. 82 Bigaroni M. 19 23 26 f. 39–42 44 80 94 f. 98 109 124 126 133 134 f. 138 f. 142–144 150–152 157 159 161 f. 173 178 182 184 f. 187 190 f. 194 f. 198 201 207 212 f. 220–222 225 f. 231–233 235 243 f. 258 267 272 f. 275 284 286 288 290–294 302 304 307 312 314 f. 317 f. 346 348 351 359 f. 369 381 416 418 f. 421 Bihl M. 30–33 37 43 100 219 251 253 255 263 f. Bilcher H. 324 Bischof F.X. 34 Blum J. 92 Blume C. 479 Boccali G. 27 44 55 Boehm F. 146 Boehmer H. 10 31 46 51 f. 70 105 123 150 200 238 266 294 297 302 f. 317 320 f. 358 362 364 369 370 381 393 476 484 Böhmer J.F. 181 387 Bohnenkamp K.E. 282 Boockmann H. 67 Borst A. 87 92 94 427 Bosl K. 500 Boulnois O. 473 Bozo´ky E. 93 Bracaloni L. 98 117 430 Brady I. 62 Branca V. 228 Braunfels W. 97 f. Brem E. 323 f.

534

Register

Briganti G. 98 Briggs H.M. 392 Brooke C.N.L. 89 Brooke R.B. 32 39 145 151–155 256 302 Brouette E´. 331 Brown R. 62 f. Brufani S. 45 155 Brunhölzl F. 217 f. Buchner R. 147 Bughetti B. 227 282 454 Bulst W. 265 Burkitt F.C. 155 Calufetti A. 442 Cambell J. 39 44 70 124 126 143 f. 145 159 180 208 210 261 267 300 314 333 355 395 418 431 453 470 Canonici L. 130 156 162 251 268 Capitani O. 441 Cardini F. 219 Cargnoni C. 60 Casutt L. 17 Cazenave A. 90 92 f. Cecchi E. 96 478 Chaix P. 50 Chastel A. 97 Chatelain A. 324 467 Chaˆtillon J. 83 85 Ciccarelli D. 56 Clasen S. 33 f. 36 38 43 354 Classen P. 108 Clemen O. 122 de Clercq C. 148 Cohn N. 87 Contini G. 328 470 Corbett N.L. 457 Cornet B. 19 Courcelle P. 147 Dallari P. 354 358 369 Dassmann E. 180 Davenson H. 95 Davison E.S. 80 De´chanet J.-M. 422 Decker H. 380

Delorme F. 39 f. 104 Denifle H. 324 466 f. 487 Denzinger H. 20 252 Desbonnets T. 13 32 34–37 78 98–101 103 105–116 121 125–128 130 135 137 141 144 149 153 156 f. 159 165 167 f. 171 175 f. 177 181 184 f. 190 197 199 205 209 f. 213 215 225 238 254 257 260 273 286 f. 289 320 325 365 402 Deuchler F. 282 Dierauer U. 221 van Dijk S.A. 40 401 Dimier M.-A. 97 380 Dinzelbacher P. 442 v. Döllinger I. 49 355 393 398 Domenichelli T. 101 103 Dondaine A. 88 92–94 Doye`re P. 227 Dozzi D. 442 Dreves G.M. 479 Dufour A. 50 Duchesne L. 323 Dumontier M. 422 Duvernoy J. 92 Echard J. 175 331 Ehrle F. 49 471 487 f. 490–492 495 Elm K. 83 Englebert O. 62 238 Erbstösser M. 71 87 Esser K. 3 f. 10–29 45 59 f. 104 121 134 f. 141 f. 149 159 162 164 f. 167 176 184 186 189–191 193 195 197 201 203 f. 206–209 211 215 228 231 f. 239–242 245 270 288 f. 292–294 300 f. 304–307 311 313 336 339–341 343 345 348 360 381 417 425 428 455 468 477 Eubel C. 3 53 342 Eydoux H.-P. 396 Fabre P. 323 Facchinetti V. 228 Faloci Pulignani M. 64 136 146 251 Fantozzi A. 156 247 Fassbinder M. 401

Moderne Autoren

Fearns J. 85 Federmann H. 478 Feld H. 2 13 f. 46 48 54 81 91 93 f. 117 f. 136 155 170 191 195 203 210 259 282 294 312 319 338 342 349 356 359 368 398 475 477 488 Felder H. 62 193 350 Felten J. 324 333 Fink K.A. 84 92 Fiori A. 280 Flood D.E. 11 f. 60 153 167 305 456 492 Florovsky C. 490 di Fonzo L. 35 38 145 f. 150 163 165 354 403 Fortini A. 62 102 316 403 412 414 Franceschini E. 34 430 Frank K.S. 180 Friedberg 54 148 320 325 342 458–460 496 498 f. Frugoni A. 86 Frugoni C. 37 259 Funk Ph. 266 331 Fussenegger G. 251 Gardner J. 175 Garrison E.B. 98 117 Gatti I. 316 318 376–379 Gieben S. 61 473 490 Ghinato A. 49 251 301 f. 355 393 398 Giuliano A. 98 Glaser H. 217 f. Godet J.-F. 55 Goethe J.W. 384 479 483 Goetz W. 17 264 349 f. Götze H. 389 391 Goez W. 63 281 Goffin A. 4 Golubovich G. 136 298–302 382 392 f. 395 f. 485 Gottschalk H.L. 297 390 Grabmann M. 392 Graesse T. 259 Gratien de Paris 31 61 450 456 f. 458 465 467 470 Grau E. 10 27 32 38 45 55 60 151 401

535

Green J. 63 Gre´goire R. 83 Gregorovius F. 1 87 170 281 f. Gregory T. 473 Greindl G. 474 Greschat M. 63 216 Greven J. 266 Griffe E´. 94 Grodecki L. 380 Grousset R. 395 Grundmann H. 13 54 79 81 88 90 f. 122 135 170 191 312 322 335–337 339 341 344 f. Haacke R. 119 Häcker E. 66 Haller J. 327 Hampe K. 263 Hanslik R. 168 209 Hardick L. 10 46 66 154 156 403 Harrison E. 441 Hase K. 14 Haseloff A. 373 389 Haug W. 266 Heinisch K.J. 109 329 373 375 387 390–392 484 Herde P. 73 254 Hertlein E. 372 380 Hesse H. 63 Hewlett H.G. 172 Hilka A. 106 Hinnebusch J.F. 51 Hirschberger J. 473 Hoepffner E. 95 Holböck F. 120 Holder-Egger O. 32 47 144 329 Holl A. 406 414 416 Hollis C. 335 Holzapfel H. 6 61 434 437 f. 450 458 Homolka W. 122 Horst E. 96 392 Hotz W. 389 Huber R.M. 61 251 354 Hünermann P. 252 Hünnerkopf 385

536

Register

Huillard-Bre´holles J.-L.-A. 328 387 389 395 Hurter F. 170 Huygens R.B.C. 51 70 298 Iamarrone G. 193 Ilarino da Milano 80 94 Imkamp W. 170 Infantino R. 42 Iriarte L. 401 Isidoro da Villapadierna 10 Jakobs H. 80 James M.R. 89 Jansen T. 64 Jantzen H. 380 Jedin H. 67 326 Jörgensen J. 19 62 243 Junghans H. 474 Kane J.R. 47 Kassner R. 282 Kazantzakis N. 63 Kempf F. 170 Kirsch P.A. 247 251 Kirschstein M. 60 Kleinschmidt B. 53 362–364 371–376 379 f. Klingender F.D. 220 Klostermann E. 276 Kluger H. 390 Koch G. 441 Kölmel W. 475 Köpf U. 63 122 442 Kötting B. 265 Krauss H. 95 f. Kühnel H. 60 Kurten E. 10 Kuttner S. 325 Labarge M.W. 396 Ladner G.B. 281 f. 335 Lafont R. 95 Lainati C.A. 27 55 59 f. 125 403 421 430 434

Lambert M.D. 84 499 Langer O. 266 Lapsanski D. 25 Latzke T. 82 Lazzeri Z. 57 f. 403 443 Leclerc E. 193 Leclercq J. 71 83 85 f. 201 Leclerq H. 147 van Leeuwen B.P. 146 149 Leff G. 474 Leicht H.D. 485 Lemmens L. 10 40 42 52 62 103 251 Lempp E. 345 354 363 366–368 382 387 397 f. 436 Little A.G. 40 42–44 47 103 106 255 267 276 292 355 358 362 367–369 381 384 386 Löther A. 437 439 Lombardi T. 59 62 450 459 468 f. 472 Loos M. 92 Lortz J. 1 Luard H.R. 51 172 de Lubac H. 276 Luchaire A. 170 Magro P.M. 378 Mancini F. 478 Manselli R. 5 11 16 32 34 40–42 51 63 75 85 f. 88 91 f. 99 110 115 122 125 132 144 166 181 193 289 305 f. 320 421 490 Mansi J.D. 148 372 491 Marchetti Longhi G. 323 Mariani E. 120 397 442 Mariano d’Alatri 47 61 66 476 Marini A. 41 Marrou H. 147 Marx J. 323 Masson G. 392 Matura T. 55 Mazzatinti G. 356 Meersseman G.G. 81 454 f. Mees M. 193 Menesto` E. 478 Menge G. 154

Moderne Autoren

Mercati A. 247 Merkt J. 263 f. Miani N.V. 280 Miccoli G. 43 79 Michels V. 63 Mieth D. 266 Miethke J. 86 475 Millozzi M. 378 Mira G. 77 Mirri L. 354 Miskuly J.M. 33 Moeckli G. 50 Mölk U. 95 f. Mohr W. 87 Moleta V. 282 Molna´r A. 88 Moorman J.R.H. 11 f. 36 f. 42 47 59 61 110 141 418 430 450 499 de Morembert T. 88 Mortier R. 106 Müller D. 92 Müller K. 5 12 Munier C. 148 Muratori L.A. 174 323–324 329 372 Mynors R.A.B. 89 Nanni G. 37 Nelli R. 92 95 f. Nessi S. 132 Nette H. 373 Nicolosi S. 456 465 504 Niderst R. 82 Novariona P. 120 Noyes A. 504 Odoardi G. 353 455 Offler H.S. 474 Ohler N. 164 Oktavian von Rieden: s. Schmucki O. Olgiati F. 59 Oliger L. 19 49 101 403 419 435 456 Oliger R. 10 13 Omaechevarrı´a I. 11 16 f. 27 55 58 125 139 333 370 401–405 409–413 416–418 426–429 432–440 442–444

Onorati E. 60 Optatus van Asseldonk 117 van Ortroy F. 33 35 247 251 Ott A. 192 f. Oxilia A. 228 Padovese L. 411 Pagnotti F. 69 98 Pannenberg W. 473 Papebroch D. 39 Paravicini Bagliani A. 37 175 259 Pa´sztor E. 346 350 f. Paul J. 491 Paulus N. 247 251 Pauphilet A. 106 Peck G.T. 478 f. Pellegrini L. 123 Pennacchi F. 58 161 Pesch R. 193 de Petigny J. 82 Petrocchi G. 478 f. Pistorius J. 391 Platzek E.-W. 228 230 f. Poeschke J. 132 Polena G. 96 Pompei A. 353 454 Potthast A. 167 255 324 373 Prandi A. 98 Pressutti P. 323 332 Preuschen E. 276 Prümmer D. 120 Quaglia A. 305 313 Que´tif J. 175 331 Raby F.J.E. 483 Rado´ P. 411 Rahner H. 259 Ratzinger J. 471 Raurell F. 422 442 Reblin K. 50 Redondo V. 18 Reeves H. 504 f. Reeves M. 487 490 Renan E. 4 14 504

537

538

Register

Riche´ P. 105 Richter V. 473 Riley P.V. Jr. 75 Ritter A.M. 228 Roach W. 106 Rochais H.M. 71 83 85 f. 201 Roggen H. 403 430 453 Roncaglia A. 96 Rottenwöhrer G. 92 Rotzetter A. 401 403 415 430 442 Rühle O. 146 Ruf G. 180 211 Runciman S. 71 92 f. Sabatelli V. 228 Sabatier P. 4 f. 7 17 f. 21 34 f. 40 f. 44 62 65 151 f. 159 191 246–248 254 f. 306 322 332 411 423 433 442 504 Sackur E. 359 Salvatorelli L. 63 Sandkühler K. 106 Sapegno N. 96 478 Sauser E. 217 Savini S. 94 Sbaralea J.H. 53 187 326 354 362 Scalia G. 47 Scarpellini P. 132 Schenkluhn W. 371 373 f. 379 f. 389 f. Schieder T. 67 71 Schlageter J. 499 Schlauri I. 193 Schlosser M. 442 Schlüter P.A. 154 Schmitt C. 151 Schmucki O. (Oktavian von Rieden) 64 109 193 220 259 264 283 453–455 Schmugge L. 407 Schönau D.W. 180 Schönberger R. 475 Schoenenberger M. 206 Schönmetzer A. 20 252 Schreiner K. 375 Schubert K. 327 Schubring K. 76 f. Schumacher-Wolfgarten R. 180

Schweitzer A. 504 Schwinges R.C. 71 Segre C. 106 Selge K.-V. 87 f. 90 170 172 175 350 f. de Sessevalle F. 61 Seton W.W. 153 Settis S. 371 f. Short W.J. 219 Sibilia S. 324 Soiron T. 193 Solignac A. 83 Sorell R.D. 219 Sorelli F. 484 Spätling L. 87 Spirito S. 327 Spoelberch W. 30 Staats R. 216 Stabile G. 37 175 259 Stalder R. 206 Stanislao da Campagnola 1 6 14 20 31 f. 36 40 42 59–63 77 99 109 149 161 261 f. 381 453 487 von den Steinen W. 60 Strange J. 148 Stubblebine J.H. 282 Szöve´rffy J. 479 Tea E. 424 428 Tedeschi C. 96 Teetaert A. 251 Terzi A. 161 Thier L. 442 Thode H. 5 97 380 Thouzellier C. 92 Tierney B. 462 f. Tocco F. 49 Töpfer B. 487 Tüchle H. 88 Ulianich B. 1 Uricchio F. 193 Vacandard E. 223 Valerio A. 441 Vauchez A. 263

Moderne Autoren

Vavra E. 282 Vellekoop C. 483 Venuti de Dominicis T. 396 Verhey S. 219 Voltaire 504 Voorvelt G.C.P. 146 149 Vossenkuhl W. 474 f. Vyscocil J.K. 57 Wadding L. 10 22 28 30 34 57 61 103 f. 149 161 281 333 356 371 f. 376 f. 396 403 473 500 503 Wagner-Rieger R. 390 397 399 Waley D. 75 von Walter J. 82 Walz A. 120 Weigert C. 217 Wendelborn G. 63 488 Wentzel H. 372 Wenzel S. 330 f. Werner E. 79–82 85 87 91 Werner K. 120

West D.C. Jr. 476 Wetter F. 473 Wiener J. 256 373 von Wilamowitz-Moellendorff U. 384 Wild G. 92 Willemsen C.A. 96 373 389 f. 394 Wilpert J. 329 335 Wimschneider A. 101 Winckelmann J. 384 Wolf N.R. 458 Wolter H. 67 326 van den Wyngaert A. 485 f. Zaccaria G. 363 373–375 Zerbi P. 80 Zerfass R. 88 Ziegelmeier O. 122 Zimmermann A. 90 Zimmermann H. 67 Zimmermanns K. 384 Zinn E. 282

539

BIBLIOGRAPHISCHER NACHTRAG Abulafia, David, Friedrich II. von Hohenstaufen. Herrscher zwischen den Kulturen, Berlin 1994. Alberzoni, Maria Pia u. a., Francesco d’Assisi e il primo secolo di storia francescana, Torino 1997. Barone, Giulia, Elias von Cortona und Franziskus, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 183–194. Bartoli, Marco, Klara von Assisi, Werl 1993 (ital. Orig.: Chiara d’Assisi, Roma 1989). Bauer, Dieter R., Feld, Helmut, Köpf, Ulrich (Hrsg.), Franziskus von Assisi. Das Bild des Heiligen aus neuer Sicht (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 54), Köln u. a. 2005. Bigaroni, Marino, Meier, Hans-Rudolf, Lunghi, Elvio, La Basilica di S. Chiara in Assisi, Perugia 1994. Bigaroni, Marino, La Cappella del Transito di S. Francesco in S. Maria degli Angeli. A seguito di recenti indagini archeologiche, Assisi 1997. – S. Maria in San Damiano d’Assisi. Per una datazione dell’affresco nel catino dell’abside, Assisi 1997. Bischof, Franz Xaver, Der Stand der »Franziskanischen Frage«, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 1–16. Bohl, Cornelius, Neuere franziskanische Bücher. Wissenschaft und Weisheit 65 (2002), 123–143. Causse, Michel, Paul Sabatier et la question franciscaine. Revue d’Hist. et de Phil. Religieuses 67 (1987), 113–135. – Question franciscaine (2e Article). Du Speculum Perfectionis aux »rotuli« de Fre`re Le´on. Revue d’Hist. et de Phil. Rel. 69 (1989), 285–307. – Recherches sur les Sources franciscaines a` partir des travaux de P. Sabatier, Paris 1993. Ceccaroni, Sandro, Il Culto di S. Michele Arcangelo nella religiosita` medievale del territorio Spoletino, Spoleto 1993. Ciol, Elio, Assisi, München 1992 (ital. Orig.: Assisi, Milano 1991). Clausen, Johannes, Papst Honorius III. (1216–1227), Bonn 1895 (Reprint: Hildesheim 2004). Daxelmüller, Christoph, »Süße Nägel der Passion«. Die Geschichte der Selbstkreuzigung von Franz von Assisi bis heute, Düsseldorf 2001. Dieterich, Veit-Jakobus, Franz von Assisi (rororo Monographie 542), Reinbek bei Hamburg 1995. Elm, Kaspar, Agnes von Prag und Klara von Assisi – Na Frantisˇku und San Damiano, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 227–250. Expositio super Regulam Fratrum Minorum di frate Angelo Clareno a cura di Felice Accrocca e traduzione italiana a fronte di Marino Bigaroni (Pubblicazioni della Biblioteca Francescana Chiesa Nuova – Assisi, 7), Assisi 1995.

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Bibliographischer Nachtrag

Faure, Philippe, Vie et mort du Se´raphin de Saint Franc¸ois d’Assise. Revue Mabillon N.S. 1 (62) (1990), 143–177. Feld, Helmut, Neue Forschungen zu den Grabstätten des heiligen Franziskus in Assisi. Gött. Gelehrte Anzeigen 245 (1993), 264–284. – Armutsbewegungen, in: Holl (Hrsg.), Die Ketzer, 220–229. – Elemente antiker Religiosität in den frühen franziskanischen Quellen. International Journal for the Classical Tradition 1/2 (1994), 23–36. – Art. Robert von Arbrissel, in: BBKL 8 (1994), 434–437. – Art. Sabatier, Paul, in: BBKL 8 (1994), 1041–1045. – Erwägungen zur Mystik des Hochmittelalters. Rottenburger Jahrb. für Kirchengeschichte 14 (1995), 257–264. – Franziskus von Assisi und seine Bewegung (Lizenzausgabe), Darmstadt 1996. – Religiöse Idee und Darstellung des heiligen Franziskus. Rottenburger Jahrb. für Kirchengeschichte 17 (1998), 271–288. – Art. Wilhelm von Rubruk, in: BBKL 13 (1998), 1268–1270. – Ein einzigartiger und unbekannter Heiliger. Bibel heute 35 (1999), 41–45. – Die Technik der »verdeckten Mitteilung« in den frühen franziskanischen Quellen [kürzere Fassung], in: Gennaro Luongo (Hrsg.), Munera parva. Studi in onore di Boris Ulianich, Napoli 1999, I,405–418. – Art. Elias von Cortona, in: RGG4 2 (1999), 1215. – Art. Franziskus von Assisi, in: Metzler Lexikon Religion 1 (1999), 393–395. – Frauen des Mittelalters. Zwanzig geistige Profile (AKG Beih. 50), Köln 2000. – Franziskus von Assisi und die Taten Karls des Großen, in: Geschichte im Bistum Aachen 5 (1999/2000), Neustadt a.d. Aisch 2000, 25–32. – Franziskus von Assisi (C.H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe, 2170), München 2001. 22007. – Ketzer, Kaiser, Kirchen – Zeichen einer neuen Zeit. Aufbrüche und Umbrüche von visionärer Kraft bei Kaiser Friedrich II. und Franziskus von Assisi im 13. Jahrhundert, in: Bernd H. Stappert (Hrsg.), »Tausend Jahre wie ein Tag ...« Das zweite Jahrtausend im Spiegel von zehn Tagen, Würzburg 2001, 54–73. – Franziskus von Assisi und die Mystik, in: Änne Bäumer-Schleinkofer (Hrsg.), Hildegard von Bingen in ihrem Umfeld – Mystik und Visionsformen in Mittelalter und früher Neuzeit: Katholizismus und Protestantismus im Dialog, Würzburg 2001, 161–196. – Die Zeichenhandlungen des Franziskus von Assisi, in: Gert Melville (Hrsg.), Institutionalität und Symbolisierung, Köln 2001, 393–408. – Die Technik der »verdeckten Mitteilung« in den frühen franziskanischen Quellen [erweiterte Fassung], in: Reinhold Mokrosch, Helmut Merkel (Hrsg.), Humanismus und Reformation (Arbeiten zur Hist. und Syst. Theol., 3), Münster u. a. 2001, 9–19. – Art. Johannes XXII., Papst, in: RGG4 4 (2001), 520. – Francesco d’Assisi (Quality Paperbacks, 66), Roma 2002. – Mittelalterliche Klosterfrauen im Spannungsfeld von Kommunität und religiöser Individualität, in: Gert Melville, Markus Schürer (Hrsg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis, 16), Münster 2002, 621–650.

Bibliographischer Nachtrag

543

– »Als nackter dem nackten Christus nachfolgen«: Das Lebensideal des Franziskus von Assisi in seinem geschichtlichen Kontext, in: Beiträge zur Pfullinger Geschichte 13 (2003), 6–19. – Franziskus von Assisi: Zwischen Inszenierung und Imagination, in: Inge Milfull, Michael Neumann (Hrsg.), Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Mittelalter, Regensburg 2004, 159–177. – Die Gleichnisse des heiligen Franziskus, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 49–69. – Art. Franziskus von Assisi, in: Christoph Auffarth u. a. (Hrsg.), Religionen der Welt, Stuttgart-Weimar 2006, 62–65. Fink, Karl-August, Papsttum und Kirche im abendländischen Mittelalter (dtv Wissenschaft 4619), München 21994. Flood, David Ethelbert, Die Verwendung der Franziskusgeschichte. Wissenschaft und Weisheit 46 (1983), 138–163. – Work for Everyone. Francis of Assisi and the Ethic of Service, Quezon City, Philippines, 1997. – Franziskus und die Offenheit der Geschichte, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 97–106. Fontes Franciscani a cura di Enrico Menesto` e Stefano Brufani, S. Maria degli Angeli – Assisi 1995. Fonti Francescane, Padova 41990. Francesco d’Assisi attesa dell’ecumenismo. Paul Sabatier e la sua »Vita di S. Francesco« cent’ anni dopo. Atti del Convegno di Studi organizzato dall’ Istituto di Studi Ecumenici S. Bernardino e della Facolta` Valdese di Teologia, Roma 9 marzo 1993, Venezia 11 marzo 1993 (Studi Ecumenici 12 [1994], Heft 3), Venezia 1994. Franchi, Antonio, Nicolaus Papa IV 1288–1292 (Girolamo d’Ascoli), Ascoli Piceno 1990. Franz von Assisi. Mit Beiträgen von Gabriele Atanassiu u. a., Stuttgart 1999. Frate Francesco d’Assisi. Atti del XXI Convegno internazionale. Assisi, 14–16 ottobre 1993 (Atti dei Convegni della Societa` Internazionale di Studi Francescani e del Centro Interuniversitario di Studi Francescani, Nuova serie, 4), Spoleto 1994. Frugoni, Chiara, Francesco e l’invenzione delle stimmate. Una storia per parole e immagini fino a Bonaventura e Giotto, Torino 1993. – Franz von Assisi. Die Lebensgeschichte eines Menschen, Zürich und Düsseldorf 1997 (ital. Orig.: Vita di un uomo: Francesco d’Assisi, Torino 1995). Gardner, Julian, Pope Nicholas IV and the decoration of Santa Maria Maggiore. Zeitschrift für Kunstgeschichte 36 (1973), 1–50. Gleba, Gudrun, Klosterleben im Mittelalter, Darmstadt 2004. van den Goorbergh, Edith en Theo Zweerman, Clara van Assisi: Licht vanuit de verborgenheid. Over haar brieven aan Agnes van Praag, Assen 1994. Hofer, Markus, Francesco. Der Mann des Jahrtausends. Die historische Gestalt des Franz von Assisi, Innsbruck 2000. Holl, Adolf (Hrsg.), Die Ketzer, Hamburg 1994. Holter, Bernhard, »Zum besonderen Dienst bestellt«. Die Sicht des Priesteramtes bei Franz von Assisi und die Spuren seines Diakonats in den »Opuscula« (Franziskanische Forschungen, 36), Werl 1992.

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Bibliographischer Nachtrag

Horst, Ulrich, Evangelische Armut und päpstliches Lehramt. Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316–34) (Münchener Kirchenhistorische Studien, 8), Stuttgart u. a. 1996. Johannes von Plano Carpini, Kunde von den Mongolen 1245–1247, hrsg., eingeleitet und erläutert von Felicitas Schmieder, Sigmaringen 1997. Köpf, Ulrich, Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franzikus, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 163–182. Kreidler-Kos, Martina, Klara von Assisi. Schattenfrau und Lichtgestalt (Tübinger Studien zur Theol. und Phil., 17), Tübingen und Basel 2000. Krüger, Klaus, Der frühe Bildkult des Franziskus in Italien. Gestalt- und Funktionswandel des Tafelbildes im 13. und 14. Jahrhundert, Berlin 1992. – Repräsentation und Sinnstiftung. Zum Franziskusbild im Medium der frühen Tafelmalerei, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 251–270. Kuster, Niklaus, Franz von Assisi. Meister der Spiritualität, Freiburg Br. 2002. – Was Franziskus und Klara von Assisi verbindet. Neuere Interpretationen zwischen unzertrennlicher Freundschaft und brüderlichem Desinteresse, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 195–212. Lang, Justin: Art. Franziskus v. Assisi, in: LThK3 4 (1995), 44–47. Lehmann, Leonhard, Exultatio et exhortatio de Poenitentia. Zu Form und Inhalt der »Epistola ad fideles I«. Laurentianum 29 (1988), 564–608. – Die Bedeutung des Geistes bei Franziskus und Klara von Assisi. Wissenschaft und Weisheit 61 (1998), 3–32. – Art. Sabatier, Paul, in: LThK3 8 (1999), 1401. – La dimensione universale negli scritti di Francesco d’Assisi, in: Andrzej Tomkiel (Hrsg.), Due volti del francescanesimo. Miscellanea in onore di Optatus van Asseldonk e Lazzaro Iriarte, Roma 2002, 89–125. – (Hrsg.), Das Erbe eines Armen. Franziskus – Schriften (Topos plus Taschenbuch 464), Kevelaer 2003. – Franz von Assisi – Mystik zwischen Selbstbewußtsein und Kirchengehorsam, in: Mariano Delgado, Gotthard Fuchs (Hrsg.), Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung. Band 1: Mittelalter (Studien zur christlichen Religionsund Kulturgeschichte, 2), Fribourg-Stuttgart 2004, 69–103. – »Erlösung« in den Schriften des hl. Franziskus, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 107–140. Leistikow, Dankwart, Zum Mandat Kaiser Friedrichs II. von 1240 für Castel del Monte. architectura 22 (1992), 17–21. Lutterbach, Hubertus, »Im Spiegel des Fremden ...« Eine spiritualitätsgeschichtliche Revision von Monographien zu Persönlichkeiten der Christentumsgeschichte. Geist und Leben 77 (2004), 66–77. Macini, Giulio, Lo Speco di Narni. Luogo inedito di S. Francesco, Narni-Terni 1989. Maleczek, Werner, Klara von Assisi. Das »Privilegium Paupertatis« Innocenz’ III. und das Testament der Klara von Assisi – Überlegungen zur Frage ihrer Echtheit (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 47), Roma 1995. Manselli, Raoul, Franziskus. Der solidarische Bruder, Freiburg 21995. – San Francesco d’Assisi. Editio maior, Cinisello Balsamo (Milano) 2002.

Bibliographischer Nachtrag

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– I primi cento anni di storia francescana a cura di Alfonso Marini, Cinisello Balsamo (Milano) 2004. Menesto`, Enrico (Hrsg.), Niccolo` IV: Un pontificato tra Oriente ed Occidente. Atti del Convegno internazionale di studi in occasione del VII centenario del pontificato di Niccolo` IV. Ascoli Piceno (14–17 dicembre 1989), Spoleto 1991. Müller, Daniela, Katharer, in: Holl (Hrsg.), Die Ketzer, 207–219. – Frauen vor der Inquisition. Lebensform, Glaubenszeugnis und Aburteilung der deutschen und französischen Katharerinnen (VIEG 166), Mainz 1996. – Franziskus und der Katharismus. Gemeinsamkeiten und Differenzen im Natur- und Erlösungsverständnis, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 141–161. Nguyeˆn-Van-Khanh, Norbert, Le Christ dans la pense´e de saint Franc¸ois d’apre`s ses e´crits, Paris 1989. Pa´sztor, Edith, Girolamo d’Ascoli e Pietro di Giovanni Olivi, in: Menesto` (Hrsg.), Niccolo` IV, 53–72. – Francesco d’Assisi e la »Questione francescana«. A cura di Alfonso Marini, Assisi 2000. Picard, Marc, L’Icoˆne du Christ de Saint Damien, Assisi 1989. Putallaz, Franc¸ois-Xavier, Petrus Johannis Olivi – Verteidigung der Armut und Kritik der Kirche, in: Mariano Delgado, Gotthard Fuchs (Hrsg.), Die Kirchenkritik der Mystiker. Bd. 1: Mittelalter, Fribourg-Stuttgart 2004, 205–224. Redondo, Valentı´n, La verdadera y perfecta alegrı´a o la alegrı´a vivida por Francisco de Ası´s. Estudios Franciscanos 91 (1990), 1–63. Rotzetter, Anton, Klara von Assisi. Die erste franziskanische Frau, Freiburg Br. 1993. – Franziskus und Klara. Anmerkungen zu einem befremdenden Ritual des heiligen Franz (II Cel 207), in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 213–225. Santi, F. (Hrsg.), Gli Studi francescani dal dopoguerra ad oggi, Spoleto 1993. Schenkluhn, Wolfgang, Zum Verhältnis von Heiligsprechung und Kirchenbau im 13. Jahrhundert, in: Gottfried Kerscher (Hrsg.), Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, Berlin 1993, 301–315. – Die Doppelkirche San Francesco in Assisi. Stand und Perspektiven der deutschsprachigen Forschung, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 271–282. Schlosser, Marianne, Bonaventura begegnen, Augsburg 2001. Schmucki, Oktavian, Spiritualität, Askese und Krankheiten nach den Schriften des Franziskus von Assisi, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 71–96. Segl, Peter, Franziskus und Valdes. Armut als Rebellion gegen die etablierte Religion, in: Günter Frank u. a. (Hrsg.), Asyl, Toleranz und Religionsfreiheit (Bensheimer Hefte, 95), Göttingen 2000, 71–100. Sorrell, R.D., St. Francis of Assisi and Nature. Tradition and Innovation in Western Christian Attitudes toward the Environment, New York – Oxford 1988. Speelman, Willem Marie (Hrsg.), Wondtekenen, Wondertekenen. Over de stigmatisatie van Franciscus, Assen 2006. Szylin, A.M., Henry Thode (1857–1920). Leben und Werk (Europäische Hochschulschriften, XVIII/170), Frankfurt M. u. a. 1993. Thomas, Hans, Ludwig der Bayer (1282–1347). Kaiser und Ketzer, Regensburg 1993. Uribe, Fernando, Cien an˜os de la cuestio´n franciscana. Evolucio´n de la problematica. Antonianum 68 (1993), 348–374.

546

Bibliographischer Nachtrag

– Introduccio´n a las hagiografias de San Francisco y Santa Clara de Ası´s (siglos XIII y XIV), Murcia 1999. Weiers, Michael, Von Ögödei bis Möngke – Das mogolische Großreich, in: Ders. (Hrsg.), Die Mongolen. Beiträge zu ihrer Geschichte und Kultur, Darmstadt 1986, 192–216. Wendelborn, Gert, Petrus Olivi, in: Holl (Hrsg.), Die Ketzer, 55–60. Wiener, Jürgen, Rezension von: W. Schenkluhn, San Francesco in Assisi, in: architectura 22 (1992), 212–220. Wolf, Kenneth Baxter, The Poverty of Riches. St. Francis of Assisi Reconsidered, Oxford 2003. Wolff, Ruth, Dicitur allegoria quasi alieniloquium. Das erste Bild der Franziskuslegende in der Oberkirche von San Francesco in Assisi, in: Gottfried Kerscher (Hrsg.), Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, Berlin 1993, 385–400. – Der heilige Franziskus in Schriften und Bildern des 13. Jahrhunderts, Berlin 1996. Zimmermanns, Klaus, Umbrien. Eine Landschaft im Herzen Italiens, Köln 41990. Zweerman, Theo, Franziskus von Assisi als Mystiker. Versuch einer neuen Annäherung im Lichte einiger seiner Schriften, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Franziskus von Assisi, 17–48. – S. auch: van den Goorbergh, Edith.

B I B L I O G R A P H I E Z U M N E U E R E N S TA N D DER FORSCHUNG Antoine, Elisabeth: La stigmatisation de saint Franc¸ois. Entre textes et images, in: Saint Franc¸ois, saint Dominique. Naissance des ordres mendiants. Religion et histoire. Hors-se´rie 5,4 (2011), 52f. Augustyn, Wolfgang u. a.: Art. Franziskaner, Franziskanerinnen, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 10 (2006), 453–536. Bacher, Rahel: Klarissenkonvent Pfullingen. Fromme Frauen zwischen Ideal und Wirklichkeit (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, 65), Ostfildern 2009. Basile, Giuseppe (Hrsg.): Restauri in San Francesco ad Assisi. Il cantiere dell’utopia. Studi, ricerche e interventi sui dipinti murali e sulle vetrate dopo il sisma del 26 settembre 1997, Perugia 2007. Beck, Peter: Gespräche mit Franz von Assisi. Über die Liebe und das Leben im 21. Jahrhundert, Weilersbach 2011. Belting, Hans: Franziskus. Der Körper als Bild, in: Kristin Marek u. a. (Hrsg.): Körper und Bild im Mittelalter, München 2006, 21–36. Blume, Dieter, Werner, Matthias (Hrsg.): Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Katalog, Petersberg 2007. – Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Aufsätze, Petersberg 2007. Bösch, Paul: Franz von Assisi – neuer Christus. Die Geschichte einer Verklärung, Düsseldorf 2005. – Eine Notiz von Bruder Leo und ihre Beweiskraft für die Stigmatisierung auf La Verna. Laurentianum 51 (2010), 259–270. Boff, Leonardo: Franz von Assisi und die Liebe Gottes (Topos-Taschenbücher 715), Kevelaer 2010. Bonsanti, Giorgio (Hrsg.): La Basilica di San Francesco ad Assisi. Testi. Schede (Mirabilia Italiae, 11), Modena 2002. Brufani, Stefano, Menesto`, Enrico (Hrsg.): Assisi anno 1300 (Collana della Societa` internazionale di studi francescani. Saggi, 6), Assisi 2002. Cacciotti, Alvaro, Melli, Maria (Hrsg.): Francesco a Roma dal Signor Papa. Atti del VI convegno storico di Greccio, Milano 2008. Cameron, Euan: Waldenses. Rejections of Holy Church in Medieval Europe, Oxford 2000. Capitani, O.: Figure e motivi del francescanesimo medievale (Il mondo medievale, 25), Bologna 2000. Cowan, James: Franziskus von Assisi. Der Weg eines Gott Liebenden, Petersberg 2003. Cusato, Michael F.: The Early Franciscan Movement (1205–1239). History, Sources, Hermeneutics (Medioevo francescano. Saggi, 14), Spoleto 2009. Einhorn, Jürgen Werinhard: Franziskus im Gedicht. Texte und Interpretationen deutschsprachiger Lyrik 1900–2000 (Franziskanische Forschungen, 46), Kevelaer 2004.

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Bibliographie zum neueren Stand der Forschung

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Maleczek, Werner: Franziskus von Assisi, Innocenz III. und die römische Kurie im Jahr 1209. Ein folgenreiches Zusammentreffen. Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 118 (2010), 323–343. Manselli, Raoul: San Francesco d’Assisi. Editio maior (Tempi e figure, 41), Cinisello Balsamo 2002. Marek, Kristin u. a. (Hrsg.): Körper und Bild im Mittelalter, München 2006. Monciatti, Alessio: »Vera beati Francisci effigies ad vivum expressa a Margaritono Aretino pictore sui aevi celeberrimo«. Origine e moltiplicazione di un’immagine duecentesca »firmata«, in: Maria Monica Donato (Hrsg.): L’artista medievale. Atti del Convegno internazionale di studi Modena 1999 (Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa. Serie IV, Quaderni 16), Pisa 2008, 297–320. – Margarito, l’artista e il mito, in: Marco Collareta, Paola Refice (Hrsg.): Arte in terra d’Arezzo. Il Medioevo, Firenze 2010, 213–224. Oberste, Jörg: Mailand – Perugia – Genua. Neue Formen urbaner Religiosität in Italien aus der Sicht Jakobs von Vitry (1216), in: Tobias Appl, Georg Köglmeier (Hrsg.): Regensburg, Bayern und das Reich. Festschrift für Peter Schmid zum 65. Geburtstag, Regensburg 2010, 107–118. Ochsenkühn, Simone, Ochsenkühn, Anton: Leben atmen. Pilgern auf dem Franziskusweg von Assisi nach Rom, Obergriesbach 2008. – Auf dem Franziskusweg. Eine Pilgerreise von Assisi nach Rom, Freiburg i. Br. u. a. 2011. Paolazzi, Carlo: La forma vitae presentata da Francesco a papa Innocenzo III, in: Melli Cacciotti (Hrsg.): Francesco a Roma, 123–139. Pellegrini, Luigi: Frate Francesco e i suoi agiografi (Collana della Societa` internazionale di studi francescani. Saggi, 8), Assisi 2004. Pieper, Roland (Hrsg.): Geschichte der sächsischen Franziskanerprovinz. Von der Gründung bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts. Band 5: Kunst. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn 2012. Prinz, Friedrich: Das wahre Leben der Heiligen. Zwölf historische Porträts von Kaiserin Helena bis Franz von Assisi, München 2003. Rasmussen, Jørgen Nybo: Die Franziskaner in den nordischen Ländern im Mittelalter (Franziskanische Forschungen, 43); Kevelaer 2002. Reblin, Klaus: Franziskus von Assisi. Der rebellische Bruder, Göttingen 2006. Riebe, Brigitte: Die Braut von Assisi, München 2011. Roest, Bert: A History of Franciscan Education (c. 1210–1517) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 11), Leiden 2000. – Franciscan Literature of Religious Instruction before the Council of Trent (Studies in the History of Christian Traditions, 117), Leiden, Boston 2004. Romano, Serena: La Basilica di San Francesco ad Assisi. Pittori, botteghe, strategie narrative, Roma 2001. Ruf, Gerhard: Die Fresken der Oberkirche San Francesco in Assisi. Ikonographie und Theologie, Regensburg 2004. Rusconi, Roberto: La formulazione delle regole minoritiche nel primo quarto del secolo XIII, in: Cristina Andenna, Gert Melville (Hrsg.): Regulae – Consuetudines – Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo (Vita regularis, 25), Münster 2005, 461–481.

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Sauerländer, Willibald: Rubens und Franziskus, in: Das andere Rubensbuch. Reinhold Baumstark zum Abschied. Hrsg. von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München 2009, 183–195. Schlageter, Johannes: Die Chronica des Bruders Jordan von Giano. Einführung und kritische Edition nach den bisher bekannten Handschriften. Archivum Franciscanum Historicum 104 (2011), 1–61. Schlegel, Helmut (Hrsg.): Franziskus bedeutet mir ... Persönliche Zeugnisse, Würzburg 2004. Schlemmer, Karl: Innocenz III. und die Frömmigkeitsformen des Mittelalters, in: Frenz (Hrsg.): Papst Innocenz III., 141–156 Schlotheuber, Eva: Humanistisches Wissen und geistliches Leben. Caritas Pirckheimer und die Geschichtsschreibung im Nürnberger Klarissenkonvent, in: Franz Fuchs (Hrsg.): Die Pirckheimer. Humanismus in einer Nürnberger Patrizierfamilie (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung, 21), Wiesbaden 2006, 89–118. Schmidt, Hans-Joachim: Die Wirtschaftsführung der Bettelorden in Deutschland (XIII.–XIV. Jahrhundert), in: Enrico Menesto` (Hrsg.): L’economia dei conventi dei Frati Minori e Predicatori fino alla meta` del Trecento. Atti del XXXI Convegno internazionale (Studi Francescani, N.S.14), Spoleto 2004, 263–294. Schmies, Bernd: Johannes von Piano di Carpini. Diplomat, Missionar, Erzbischof, in: Kuster u. a. (Hrsg.): Inspirierte Freiheit, 160f. – (Hrsg.): Klara von Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum. Beiträge zur neueren deutschsprachigen Klara-Forschung (Franziskanische Forschungen, 51), Münster 2011. Schmucki, Oktavian: Beiträge zur Franziskusforschung. Zum 80. Geburtstag hrsg. von Ulrich Köpf und Leonhard Lehmann (Franziskanische Forschungen, 48), Kevelaer 2007. – Religiöse Erfahrung in Thomas’ von Celano Vita prima Sancti Francisci, in: Albrecht Beutel und Reinhold Rieger (Hrsg.): Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie. Festschrift für Ulrich Köpf zum 70. Geburtstag, Tübingen 2011, 379–396. Schweizer, Christian: Lebensform einer armen Schwester und Nonnenpolitik eines Papstes: Aufbau und Organisation der Klarissenkonvente nach den Regeln der hl. Klara (1253) und des Papstes Urban IV. (1263). Helvetia Franciscana 32 (2003), 159–177. Stiegemann, Christoph u. a. (Hrsg.): Fransziskus – Licht aus Assisi. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn, München 2011. Teklemariam, Yoannes (Hrsg.): Verum, pulchrum et bonum. Miscellanea di studi offerti a Servus Gieben in occasione del suo 80 compleanno (Bibliotheca Seraphico-capuccina, 81), Roma 2006. Tkocz, Elke: Das Bamberger Klarissenkloster im Mittelalter. Seine Beziehungen zum Patriziat in Bamberg und Nürnberg sowie zum Adel (Historischer Verein Bamberg. Schriftenreihe, 43; Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns, 88), Bamberg. Nürnberg 2008. Todenhöfer, Achim: Apostolisches Ideal im sozialen Kontext. Zur Genese der Bettelordensarchitektur im 13. Jahrhundert. Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 34 (2007), 43–75.

Bibliographie zum neueren Stand der Forschung

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Tuscano, Fausto, Tuscano, Francesca: Il fondo del maestro di capella della Biblioteca del Sacro Convento di S. Francesco di Assisi. Franciscana. Bolletino della Societa` Internazionale di Studi Francescani 2 (2000), 351–369. Uerlings, Herbert (Hrsg.): Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft, Trier 2011. Vauchez, Andre´: Da San Francesco agli Ordini mendicanti, Assisi 2005. – Franc¸ois d’Assise. Entre histoire et me´moire, Paris 2009. Walther, Helmut G.: Innocenz III. und die Bekämpfung der Ketzer im Kirchenstaat. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Vergentis in senium, in: Enno Bünz u. a. (Hrsg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 24), Köln 2007, 723–733. Werner, Matthias: Elisabeth von Thüringen, Franzisksus von Assisi und Konrad von Marburg, in: Dieter Blume, Matthias Werner (Hrsg.): Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Aufsätze, Petersberg 2007, 109–135. Zips, Manfred: Franziskanische Didaxe und Geschichtsschreibung im späteren Mittelalter. Einige Überlegungen zum Geschichtsdenken der Minoriten im 13. und 14. Jahrhundert, in: Christa Agnes Tuczay u. a. (Hrsg.): »Ir sult sprechen willekommen«. Grenzenlose Mediävistik. Festschrift für Helmut Birkhan zum 60. Geburtstag, Bern u. a. 1998, 839–857. – Franziskus von Assisi, vitae via. Beiträge zur Erforschung des Geschichtsbewusstseins in den deutschen Franziskusviten des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen Werke, Wien 2006.

REZENSIONEN DER ERSTEN AUFLAGE Berg, Dieter, in: HZ 266 (1998), 487f. Bischof, Franz Xaver, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 16 (1997), 236–238. Borra`s, A. in: Actualidad Bibliogra´fica de Filosofı´a y Teologı´a 63 (1995), 111. Duvernoy, Jean, in: Haeresis 25 (1995), 148–150. Frech, K.A., in: ZKG 107 (1996), 273–275. Freyer, Johannes-B., in: Wissenschaft und Weisheit 58 (1995), 330–338. Lehmann, Leonhard, in: Collectanea Franciscana 66 (1996), 256–260. Lutterbach, Hubertus, in: Geist und Leben 77 (2004), 70f. Selge, Kurt-Victor, in: Theol. Literaturzeitung 121 (1996), 278–280. Stihler, D., in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Württembergisch Franken 84 (2000), 372. Thoma, Gertrud, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 6 (1998), 556f. Wagner, Fritz, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 46 (1996), 285–287. Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 53,2 (1997), 727 (C.L.) cˇesky cˇasopis historicky´. The Czech Historical Review 96 (1998), 194 (J.Zˇ.) Sendbote des heiligen Antonius Nr. 10 (Oktober 1995), 47.